Recht in Kirche und Staat: Joseph Listl zum 75. Geburtstag [1 ed.] 9783428516735, 9783428116737

Der Titel, unter dem diese Festschrift Joseph Listl zur Vollendung seines fünfundsiebzigsten Lebensjahres am 21. Oktober

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Recht in Kirche und Staat: Joseph Listl zum 75. Geburtstag [1 ed.]
 9783428516735, 9783428116737

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Recht in Kirche und Staat Joseph Listl zum 75. Geburtstag

Herausgegeben von

Wilhelm Rees

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

WILHELM REES (Hrsg.)

Recht in Kirche und Staat

Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. A l b e r t M . Ko e n i g e r † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. H e i n r i c h F l a t t e n † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn und Dr. G e o r g M ay Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz herausgegeben von Dr. A n n a E g l e r Akademische Direktorin am Fachbereich Katholische Theologie der Universität Mainz und Dr. Wi l h e l m R e e s Professor für Kirchenrecht an der Universität Innsbruck

Band 48 WILHELM REES (Hrsg.)

Recht in Kirche und Staat

Recht in Kirche und Staat Joseph Listl zum 75. Geburtstag

Herausgegeben von

Wilhelm Rees

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 3-428-11673-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Grußwort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Wenn Professor em. Pater Dr. Joseph Listl SJ am 21. Oktober 2004 seinen 75. Geburtstag feiert, darf er auf ein reich erfülltes Leben zurückblicken. Für die Aufgaben, die auf ihn zukamen, war er bestens vorbereitet: durch Erziehung und Atmosphäre in einer oberpfälzischen Bauernfamilie, das Alte Gymnasium in Regensburg und den langen Weg von 1948, als er in das Noviziat der Gesellschaft Jesu eintrat über die Studien der Philosophie und Theologie bis zum Abschluss des Tertiates im Jahr 1960. 1958 wurde er zum Priester geweiht. Danach beginnt mit dem Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn ein neuer Lebensabschnitt, der zunächst 1966 mit der ersten juristischen Staatsprüfung abschließt. Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner haben ihn in Bonn am meisten geprägt. Bei Ulrich Scheuner schreibt er seine Promotionsarbeit „Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland“ (1970). Pater Listl wechselt nochmals die Universität und habilitiert sich an der Juristischen Fakultät der Universität Bochum mit der von Paul Mikat betreuten Abhandlung „Kirche und Staat in der neueren Kirchenrechtswissenschaft“ (1977). Wenige Monate später wird er als ordentlicher Professor für Kirchenrecht an die Universität Augsburg berufen, wo er über 20 Jahre bis zu seiner Emeritierung bleibt (1998). Diese Jahre kann man jedoch nicht beschreiben, ohne zu erwähnen, dass Pater Listl bereits am 1. Januar 1971 bei der Gründung des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands in Bonn Direktor wird. Dieser Aufgabe bleibt er 28 Jahre treu bis zu seiner Verabschiedung im Jahr 1998. Mit großer Energie, Selbstdisziplin und Wagemut hat er dieses kleine, aber in seiner Bedeutung riesige Institut auf- und ausgebaut. Das Institut war nicht nur die Basis für seine eigene wissenschaftliche Arbeit, sondern auch ein Ort, von dem aus Pater Listl in einer auch heute noch bewundernswerten Arbeitsleistung als hervorragender Wissenschaftsorganisator große und bis heute unentbehrliche Werke hervorgebracht hat. Ich nenne nur das „Handbuch des katholischen Kirchenrechts“ (1. Aufl. 1983, 2. Aufl. 1999), das zweibändige „Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland“ (1. Aufl. 1974/75, 2. Aufl. 1994/95) und schließlich die Herausgabe der „Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland“, ebenfalls zweibändig (1987). Damit hat Pater Listl weise vorausschauend, mit großer Klugheit und scharfsinnigem

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Grußwort

Augenmaß wichtige Voraussetzungen geschaffen, um vor allem das Staatskirchenrecht als ein Fach der Rechtswissenschaft zu pflegen. In einer Zeit, in der dieses wichtige, aber auch schwierige Teilgebiet des Staatsrechts oft nicht mehr genügend Aufmerksamkeit erfuhr, hat er gleichsam das Handwerkszeug und die Instrumente zur Verfügung gestellt, die für Theorie und Praxis unersetzlich waren und sind. Ähnliches gilt auch für das neue Kirchenrecht von 1983: Es war erstaunlich, dass Pater Listl mit Hubert Müller und Heribert Schmitz noch vor dem In-Kraft-Treten des neuen Rechtsbuches eine gründliche und verlässliche Interpretation vorlegen konnte. Aus dem größeren Abstand heraus können wir diese außerordentliche, wegweisende Leistung heute noch besser verstehen und würdigen. Schließlich hat Pater Listl bei unzähligen Vorgängen zwischen Staat und Kirche die Deutsche Bischofskonferenz und auch einzelne Diözesen, Verbände und katholische Institutionen beraten. Er hat für hohe und höchste Gerichte Schriftsätze und Begründungen verfasst, die heute noch lesenswert sind. So hat er in ganz besonderer Weise nicht nur als akademischer Lehrer, sondern auch als begehrter und verlässlicher Ratgeber Kirche und Staat gedient. Die beiden Bände „Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht“ (Berlin 1996) sind auch heute noch eine bleibende Fundgrube für viele staatskirchenrechtliche Probleme. So möchte ich Herrn Professor em. Pater Dr. Joseph Listl SJ im Namen der Deutschen Bischofskonferenz und besonders auch persönlich zum 75. Geburtstag Gottes Segen für Leib und Seele wünschen und ihm von Herzen für seine herausragende Arbeit zum Wohl von Kirche und Staat danken.

Bonn / Mainz, im September 2004 + Karl Kardinal Lehmann

Vorwort Recht in Kirche und Staat – der Titel, unter dem diese Festschrift Joseph Listl zur Vollendung seines fünfundsiebzigsten Lebensjahres am 21. Oktober 2004 gewidmet ist, bringt die beiden Bereiche zum Ausdruck, denen er sein Leben und seine ganze Schaffenskraft gewidmet hat. Joseph Listl ist in beiden Rechtsordnungen beheimatet: dem Kirchen- und dem Staatskirchenrecht. Wenige Autoren waren in den vergangenen Jahrzehnten in der einschlägigen deutschen Literatur zum Kirchen- und Staatskirchenrecht so präsent wie er. Beide Rechtsgebiete hat er durch eine Fülle wissenschaftlicher Beiträge bereichert. Aufgrund seiner doppelten Qualifikation als Theologe und Jurist konnte er den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg (1977 – 1998) und die Leitung des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands in Bonn (1971 – 1998) wahrnehmen. Der Kirche wie dem Staat hat er durch zahlreiche gutachtliche Stellungnahmen zu aktuellen Streifragen fachkompetent Hilfe und Unterstützung geleistet. Praxisbezug, Offenheit und Gespür für aktuelle Gegenwartsfragen, ein besonderes Talent als Wissenschaftsorganisator von bedeutenden wissenschaftlichen Gemeinschaftswerken und von wissenschaftlichen und praxisorientierten Veranstaltungen, insbesondere aber eine tiefe Liebe zur Kirche, die sich in der Sorge um kirchliche und staatskirchenrechtliche Belange ausdrückte, zeichneten ihn aus. Sein Interesse und seine fürsorgliche Begleitung galten insbesondere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf dem Gebiet des Kirchen- und Staatskirchenrechtes. Zu seinem großen Leidwesen ist Listl aufgrund seiner gesundheitlichen Situation nicht mehr in der Lage, auf seinen beiden Fachgebieten, dem Kirchenund dem Staatskirchenrecht, aktiv wissenschaftlich und praxisorientiert zu arbeiten. In seinem wissenschaftlichen Werk und in den Ideen und Impulsen, die er beiden Wissenschaften, der Rechtsprechung, aber auch der Zusammenarbeit der christlichen Kirchen und dem Informationsaustausch über die Grenzen des eigenen Landes und über Europa hinaus gegeben hat, bleibt Listl im Bewusstsein der Fachwelt. Auch wenn es aufgrund der äußeren Umstände um Joseph Listl ruhig geworden ist, so zeigt die große Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dieser Festschrift nicht nur die hohe Wertschätzung, die der Jubilar als Wissenschaftler und Forscher, als Lehrer und Ratgeber sowie als Gesprächspartner genoss, sondern auch die große Dankbarkeit gegenüber dem Jubilar und dem, was er in seiner aktiven Zeit bewerkstelligt hat und mit sei-

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Vorwort

nem wissenschaftlichen Werk auch heute noch tut. Aus dieser Überlegung heraus ist letztendlich die Festschrift entstanden. So sei an dieser Stelle allen, die an der Festschrift mitgewirkt haben und ihr Zustandekommen ermöglicht haben, herzlich gedankt. Dieser Dank gilt zunächst jenen, die einen wissenschaftlichen Beitrag beigesteuert haben. Verbindlich danken möchte ich für die finanzielle Förderung der Drucklegung durch die Diözese Augsburg, das Bistum Essen aufgrund der langjährigen Verbindung zu den Essener Gesprächen, das Erzbistum Köln, die Deutsche Provinz der Jesuiten mit Sitz in München, die Deutsche Bischofskonferenz, namentlich den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Herrn Prof. Dr. Dr. Karl Kardinal Lehmann. Gedankt sei den MitarbeiterInnen des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Leopold-FranzensUniversität, Innsbruck, namentlich Herrn Ass.-Prof. Dr. Konrad Breitsching für die mit großem Engagement und Geduld erledigten Arbeiten sowie meiner Studentischen Hilfskraft, Herrn Mag. Theol. Thomas Gams, für die Unterstützung. Besonders danke ich der Mitherausgeberin der Reihe „Kanonistische Studien und Texte“, Frau Akademische Direktorin Dr. Anna Egler, für das stets wohlwollende und tatkräftige Mittragen dieser Publikation. Nicht zuletzt gilt der Dank Herrn Verleger Prof. Dr. jur. h.c. Norbert Simon und Herrn Dr. Florian R. Simon, Verlag Duncker & Humblot, Berlin, für die Bereitschaft zur Übernahme der Festschrift in das Verlagsprogramm sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages für die stets entgegenkommende und freundliche fachliche Betreuung.

Innsbruck, am Fest des Heiligen Michael 2004 Wilhelm Rees

Inhaltsverzeichnis Rechtsgeschichte Walter Brandmüller ,,An saecularibus litteris oporteat eos esse eruditos“. Das Studium der klassischen Antike in der Sicht des Decretum Gratiani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Louis Carlen Politische und nationale Wallfahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anna Egler Die Dispensvollmachten des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara . . . . . . . . . . . .

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Elmar Güthoff Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Maier Das Jahr 1989 / 90 und die christlichen Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Heiner Marré und Karl Eugen Schlief Gründung und erste Jahre des ,,Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans Paarhammer Der kanonische Pfarrer und die Hebammen. Rechtshistorische Reminiszenzen und partikularrechtliche Anmerkungen zu einem kirchenrechtlichen Problem an der Schnittstelle des Verhältnisses von Kirche und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Kirchenrecht Günter Assenmacher Für die Parteien öffentlich – geheim für die anderen? Zur Geheimhaltung in kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren – Eine Problemanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Heinrich de Wall Die Rechtsstellung des Pfarrers in den lutherischen Landeskirchen Deutschlands . . . . . 137

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Inhaltsverzeichnis

Péter Erdö Probleme der synodalen Organe mit Leitungsgewalt in der Kirche. Die Folgen der Untätigkeit der Bischofskonferenz im Bereich der Rechtssetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Stephan Haering Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland. Rechtsfragen um die Wahl des Diözesanbischofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Georg May Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Josef Michaeler Theologische Hochschulen in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Ludger Müller Kleriker und Laien als Professoren der Katholischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Joachim Piegsa Die Ehelehre des Apostels Paulus und sein ‚Privileg‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Dietrich Pirson Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica . . . . . . . . . 261 Richard Potz Zur Frage der Verjährung der schweren Delikte gegen die Sittlichkeit, im Besonderen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, im geltenden katholischen Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Wilhelm Rees Patronatsrechte im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche und zur Religionsfreiheit? Entwicklung und Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht . . . . . . . . . 283 Ulrich Rhode Der Bischof und der Dritte Weg. Zur Bedeutung des Diözesanbischofs für das Arbeitsrechts-Regelungsverfahren der katholischen Kirche in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . 313 Gerda Riedl Die Rechtsverbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses. Historische Praxis, theologische Begründung, kanonische Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Heribert Schmitz ,,Katholischer Theologe“. Kanonistische Anmerkungen zu einem vielfältig verwendeten Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Inhaltsverzeichnis

XI

Nikolaus Schöch Das Problem der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zwischen Staat und Kirche im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Hugo Schwendenwein Unterhaltsvorsorge und christliches Armutsideal im Lichte der kirchlichen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Peter Stockmann Die Missio ,,sui iuris“ – ein Auslaufmodell des kirchlichen Verfassungsrechts? . . . . . . . 453 Reiner Tillmanns Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . 479 Andreas Weiß Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst. Zur Festsetzung der Loyalitätsobliegenheiten in der Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Anton Ziegenaus Der Spender der Krankensalbung. Zur Interpretation von Can. 1003 § 1 . . . . . . . . . . . . . . 543

Staatskirchenrecht Peter Axer Der verfassungsrechtliche Schutz der res sacrae durch die Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV). Zugleich ein Beitrag zum öffentlichrechtlichen Sonderstatuts der res sacrae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Manfred Baldus Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kirche und des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 Clemens Breuer PISA-2000 und katholische Erziehung. Die staatlich verordnete Ausweitung der Ganztagsschule in der Bundesrepublik Deutschland und der Stellenwert katholischer Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 Carlos Corral Llamamiento al ordenamiento internacional de los derechos humanos en la actual diplomacia pontificia concordataria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 Michael Germann Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627

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Inhaltsverzeichnis

Johann Hirnsperger Die Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg nach der jüngsten Reform des Studienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 Josef Jurina Die Kirchensteuerräte der deutschen Diözesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Christoph Link Aufgaben und Stellung der Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat und in der pluralistischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 Stefan Muckel Wann ist eine Gemeinschaft Religionsgemeinschaft? Überlegungen zum Begriff der Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG unter besonderer Berücksichtigung muslimischer Dachverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 Reinhard Richardi Die Zentrale Gutachterstelle der Deutschen Bischofskonferenz für das kollektive Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 Gerhard Robbers Der Dialog zwischen der Europäischen Union und den Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753 María J. Roca Problemas actuales de la Enseñanza de la Religión en las escuelas públicas españolas 761 Wolfgang Rüfner Zur ,,Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Balázs Schanda Staatskirchenrecht in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . 797 Gregor Thüsing Dienstgemeinschaft trotz konfessioneller Verschiedenheit. Zu den arbeitsrechtlichen Konsequenzen ökumenischer Trägerschaften im karitativen und diakonischen Bereich 811 Markus Walser Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern. Anmerkungen zum Entscheid vom 18. Dezember 2002 des Schweizerischen Bundesgerichts zum so genannten Kirchenaustritt (AZ 2P.16 / 2002 / mks) und zu Eigenheiten des Schweizer Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853

Rechtsgeschichte

„An saecularibus litteris oporteat eos esse eruditos“ Das Studium der klassischen Antike in der Sicht des Decretum Gratiani Von Walter Brandmüller Was in Jahrhunderten abendländischer Kultur- und Bildungsgeschichte ein selbstverständliches Ideal war, heute aber mehr und mehr in Frage gestellt wird – ob nämlich die Vertrautheit mit Wissenschaft und Literatur der klassischen Antike ein notwendiges Element unseres Bildungskanons sei –, das stellte aus ganz anderen Gründen als jenen, die heute dagegen zu sprechen scheinen, für das Mittelalter und schon für die Christen der ausgehenden Antike ein heiß diskutiertes Problem dar. Obwohl es unbestrittene Tatsache ist, daß die Überlieferung der literarischen Werke der Griechen und Römer vor allem den Klöstern zu danken ist1, ja, daß die kirchlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte mit den „Klassikern“ mehr oder weniger vertraut waren2 – wie übrigens umgekehrt die heidnischen Griechen und Römer auch die Bibel kannten3 – verursachte das Klassiker-Studium den Christen offenbar erhebliche Gewissensbedenken.4 Diese schwanden je-

1

Vgl. den Überblick von Pierre Riché in: Die Geschichte des Christentums IV: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642 – 1054), hrsg. v. Gilbert Dagrou / Pierre Riché / André Vauchez, deutsche Ausgabe hrsg. u. bearb. v. Egon Boshof, Freiburg u.a. 1994, 669 – 671 und Luce Pietri, ebd. III, Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431 – 642), hrsg. v. Jean-Marie Mayeur / Charles Luce Pietri / André Vauchez / Marc Venard; deutsche Ausgabe hrsg. v. Norbert Brox / Odilo Engels / Georg Kretschmar / Kurt Meier / Heribert Smolinsky, Freiburg u. a. 2001, 820 – 824 (zum Frankenreich) mit der dort angeführten Literatur; Birger Munk Olsen, L’atteggiamento medievale di fronte alla cultura classica, Roma 1994. 2

Georg Jenal, Italia ascetica atque monastica. Das Asketen- und Mönchtum in Italien von den Anfängen bis zur Zeit der Langobarden (ca. 150 / 250 – 604) II, Stuttgart 1995, 510 – 513. 3

Carsten Peter Thiede, Ein Fisch für den römischen Kaiser. Juden, Griechen, Römer: Die Welt des Jesus Christus, Bergisch Gladbach 32003. 4

Henri-Irénée Marrou, Saint Augustin et la fin de la culture classique, Paris 1938; deutsch: Augustinus und das Ende der antiken Bildung, Paderborn u.a. 1981. Harald

Walter Brandmüller

4

doch dahin und schon Cassiodor, die karolingische Renaissance und der auf deren Ausklingen folgende Neuaufbruch um die Mitte des 10. Jahrhunderts sahen im Studium der klassischen Autoren ein wesentliches Bildungselement.5 Es ist deshalb zunächst verwunderlich, daß der Bologneser Mönch Gratian, als er um 1140 daran ging, seine berühmte „Concordia discordantium Canonum“ abzufassen, unsere Thema-Frage noch einmal aufgriff. Er tat dies im Zusammenhang mit den Voraussetzungen, von deren Erfüllung der Empfang der heiligen Weihen abhängig gemacht wurde, und zwar in der Distinctio 37 seines Werkes.6 I. Schon das erste Kapitel der Distinctio gibt auf die Thema-Frage eine eindeutige Antwort. Es zitiert ein Konzil von Karthago7 mit der lapidaren Weisung „libros gentilium non legat episcopus“. Damit war eine generelle Ablehnung der gesamten antiken vorchristlichen Literatur ausgesprochen. Umso interessanter die Bemerkung, dies gelte nicht für die Bücher der Häretiker: diese solle der Bischof pro necessitate, aut tempore durchaus studieren. Bezieht sich die necessitas wohl auf notwendige Auseinandersetzungen mit den Häretikern, so ist es nicht klar, was mit dem pro tempore gemeint sein könnte – sollte es sich um Erfordernisse des Augenblicks handeln, würde es dem pro necessitate nichts hinzufügen. Ganz konsequent wird alsdann im Kapitel 2 mit Berufung auf Hieronymus ein scharfer Tadel gegen jene Sacerdotes – damit sind eher Bischöfe gemeint – ausgesprochen, die man anstatt bei der Erklärung der Evangelien und der Propheten bei der Lektüre von Komödien antrifft, die bukolische Liebeslieder singen, den Vergil besitzen – und, was für die Kinder (zum Unterricht) notwendig ist, zu ihrem sündhaften Vergnügen betreiben.8

Fuchs, Bildung, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. II 346 – 362, mit reicher Bibliographie. 5

Riché, in: Die Geschichte des Christentums IV 849 – 852.

6

Corpus Iuris Canonici ed. Aemilianus Friedberg I-II, Leipzig 1879 – 81. Wegen der hier fehlenden Glosse benützen wir außerdem die Ausgabe Lyon 1671. Vgl. Hartmut Zapp, in: LMA III (1986), 263 – 270. 7

Ut episcopus libros gentilium non legat, haereticorum autem pro necessitate et tempore: Concilium Carthaginense IV (436) can. 16 (Concilia Africae ed. Charles Munier CCL 149, Turnhout 1974, 345). 8

„... at nunc etiam sacerdotes dei omissis evangeliis et prophetis videmus comoedias legere, amatoria bucolicorum versuum verba cantare, tenere Virgilium et id, quod in

„An saecularibus litteris oporteat eos esse eruditos“

5

Im Kapitel 3 folgt unter der Überschrift „In vanitate et obscuritate sensus ambulant, qui saecularibus disciplinis occupantur“ ein scharfer Angriff auf das Studium der weltlichen Wissenschaften überhaupt. Wandle denn nicht in der Nichtigkeit seines Sinnes und der Finsternis des Geistes einher, wer sich Tag und Nacht mit den Künsten der Dialektik abquält, wer als Erforscher der Natur seine Augen über den Himmel hinaus erhebt, über die Tiefen und Abgründe der Erde? Geht er nicht im Leeren unter? Ebenso verfällt dem Verdikt die Beschäftigung mit den Regeln der Dichtkunst.9 Dem vom Weine Trunkenen wird alsdann im 4. Kapitel verglichen, wer die Heiligen Schriften falsch versteht und ihren Sinn verfälscht. Von Gebrautem berauscht erscheint, wer die weltlichen Wissenschaften mißbraucht und sich in den Fallstricken der Dialektik verfängt, die freilich weniger Fesseln als Phantasiegebilde sind, Schatten und Einbildungen, die sich rasch verflüchtigen.10 Es ist wiederum Hieronymus, dem wir hier begegnen, ebenso, wie dann, wenn jene Pseudopropheten genannt werden, die die hl. Schriften anders auslegen als der Heilige Geist sich vernehmen läßt. Wahrsager hingegen sind, die ohne die Autorität des Wortes Gottes die Zukunft voraussagen wollen. Saure Trauben ißt, wer die Heilige Schrift nicht wahrheitsgemäß versteht.11 Nun kommt das 5. Kapitel wieder näher zur Sache, wenn solche Bischöfe getadelt werden, die ihre Söhne in den weltlichen Wissenschaften unterrichten, sie Komödien lesen und schamlose Texte von Schauspielern vortragen lassen. Dies alles womöglich gar auf Kosten der Kirche! Was an Almosen der Armen, Witwen, Jungfrauen in den Opferstock eingelegt worden war, das erhalten der Grammaticus, der Rhetor, die es zu Gaben anläßlich der Kalenden, der Saturnalien oder zu Ehren der Minerva nutzen, für ihr Hauswesen oder gar für schmutzigen Gewinn. Ihnen, diesen Bischöfen, wird es einst ergehen wie Heli!12 Es ist wiederum die empörte Stimme des Hieronymus, die wir hier vernehmen.

pueris necessitatis est, crimen in se facere voluptatis …“ (Hieronymus, epist. 21,3 = CSEL 542, 123f.). Dazu Jenal 544 f. 9

So Hieronymus, Comment. Ad Eph. 2, 4, 17 – 19 (PL 26, 504C).

10

Hieronymus in Esaiam IX, 28, 5 – 8 (CCL 73, 358).

11

Hieronymus in Hieremiam 6, 25, 6 (CCL 74, 318).

12

Hieronymus in epist. ad Ephesios III 6,4 (PL 26, 540 AB). Die Anspielung auf den Hohepriester Heli bezieht sich auf 1 Kge 2.

Walter Brandmüller

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Nun folgt – in Form einer „Palea“, also eines späteren Zusatzes – ein Angriff auf die dialektische Disputatio, die nach Meinung der Philosophen keine Kraft zum Aufbau besitze, sondern vielmehr dem Abbruch dient. In ihr finden die Häretiker alle Kraft ihrer Gifte.13 Nicht durch Dialektik aber wollte Gott sein Volk retten. Das Reich Gottes bestehe in der Schlichtheit des Glaubens, nicht im Wortgefecht.14 Schließlich wird im Kap. 7 das schwerste Geschütz in Stellung gebracht: der berühmte Traum des Hieronymus, der von einem Engel bestraft wurde, da er, der Christ, die Erdichtungen der Heiden – gemeint ist Cicero – gelesen habe.15 Hierfür beruft Gratian sich auf Hrabanus Maurus De pressuris ecclesiasticis. Indes täuschte er sich hinsichtlich des Autors – es war Atto von Vercelli, der es geschrieben hat.16 Nun Gratians Meinung: Wie der Verlorene Sohn im Evangelium, der sich mit den Futterschoten der Schweine den Bauch füllen wollte17, so habe Hieronymus geglaubt, seinen Geist mit Cicero sättigen zu können. Ebenso sehe Origenes in den Heuschrecken und Fröschen, mit denen der Herr Ägypten geschlagen hat, das eitle Geschwätz und die sophistischen Argumente der Dialektiker vorgebildet.18 Aus all dem ergibt sich, daß Kleriker kein weltliches Wissen erstreben sollen. 13

Ambrosius De fide I, 5, 42 (CSEL 78, 17 f.).

14

Ex responsione Papae Adriani ad Carolum cap. 49 (MGH Epist. V 37 zit. Ambrosius De fide: vgl. Art. 13). Dazu Friedberg I 136. 15

Dazu ausführlicher Jenal II 546 – 548.

16

Vgl. Repertorium fontium historiae medii aevi II Romae 1967, 417, wonach das Werk ca. 940 geschrieben wurde. Der Text: PL 134, 57 – 96. Dazu Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, II, München 1923, 27 – 34; hier 28. Es kann sich im Zusammenhang hier nur um die Stelle PL 134, 75A handeln: „Beatus quippe Gregorius omnes pontifices a lectione librorum gentilium inhibebat: quapropter Desiderio Galliarum episcopo scribens ait (lib. IX epist. 48): „Pervenit ad nos, quod sine verecundia memorare non possumus fraternitatem tuam grammaticam quibusdam exponere: quam rem ita moleste suscepimus, ac sumus vehementer exasperati … quia in uno se ore cum Iovis laudibus Christi laudes non capiunt: et quam grave nefandumque sit episcopis canere, quod nec laico religioso conveniat ipse considera.“ Dann folgt ein Hinweis auf den Traum des Hieronymus, was wohl der Grund war, weshalb Gratian sich hier auf Atto-Hrabanus bezogen hat. 17 Vgl. Lk 15, 16 Et cupiebat implere ventrem suum de siliquis, quas porci manducabant. Daß der filius prodigus deshalb getadelt werde, wie Gratian meint, geht aus dem Evangelium nicht hervor. 18 Vgl. Origenes vergleicht die Poeten mit den Fröschen und die Dialektiker mit den Heuschrecken. (Origène, Homélies sur l’Exode, ed. M. Borret [Sources Chrétiennes 321], Paris 1985, 134 f.).

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Nun aber nimmt die Argumentation eine überraschende Wendung, und zwar hin zum geraden Gegenteil: „Sed contra legitur ...“: Moses und Daniel waren in den Wissenschaften der Ägypter und Chaldaeer gebildet! Und wenn der Herr den Israeliten beim Auszug aus Ägypten das Gold und Silber der Ägypter mit sich zu nehmen gebot19, so war dies ein Bild für das Gold der Weisheit und das Silber ihrer Beredsamkeit, die man in den Dienst der heilbringenden, d. h. christlichen Bildung stellen müsse. Auch das Buch Leviticus wird bemüht, wo es heißt, man solle dem Herrn die Erstlingsernte des Honigs opfern – d.h. die Anmut menschlicher Beredsamkeit20. Auch in den drei Gaben der Weisen aus dem Morgenlande wollen manche die drei Teile der Philosophie erkennen.21 Schließlich meine Cassiodor in seiner Psalmenauslegung, daß aller Glanz der Rede, der Dichtkunst und des Vortrags seinen Ursprung in den heiligen Schriften habe.22 Ambrosius schreibe in seinem Kolosserkommentar, daß der Grund aller Wissenschaft von den irdischen wie den überirdischen Geschöpfen in Gott ihrem Haupt und Schöpfer liege, und wer ihn kenne, brauche nicht weiter zu suchen! Was immer – anderswo – d.h. wohl: in den weltlichen Wissenschaften – gesucht wird, wird hier in vollkommener Weise gefunden.23 In Daniel und Salomon zeigt Gott sich den Ungläubigen als Urheber aller Weisheit. Diese jedoch meinen das nicht, da sie im Evangelium und den Propheten nichts von Astronomie und Geometrie und dergleichen lesen, die wir deshalb so gering achten, weil sie nicht zum Heile dienen, sondern in Irrtum führten.

19

Vgl. Ex 12,35 f. Für Silber = Beredsamkeit und Gold = Weisheit bezieht sich Gratian auf die Poetae ohne einen Namen zu nennen. 20 Omnis oblatio, quae offertur Domino, absque fermento fiet nec quidquam fermenti ac mellis adolebitur in sacrificio Domino (Lev 2,11). 21

Et apertis thesauris suis, litterarum peritia, obtulerunt ei terna munera, id est physicam, ethicam, logicam sive historiam, tropologiam, et allegoriam, vel fidem sanctae Trinitatis (Hrabanus Maurus, Commentarium in Matthaeum lib. 1 cap. 2 PL 107, 761 A). 22 23

Vgl. M. Aurelius Cassiodorus in Psalterium Praefatio cap. 15 (PL 70, 20 CD).

Omnis enim scientiae ratio totius creaturae supernae et terrenae in eo sit oportet, qui omnium eorum caput est ... omnis scientiae peritia in autore illorum est; ut qui hunc agnoscit,nihil ultra requirat … Quidquid enim alibi se putaverit invenire, plene in hoc et abunde inveniet (Ambrosius, Commentaria in epist. ad. Colossenses cap. 2, PL 17, 427 BC).

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Wer aber Christus kennt, habe den Schatz der Weisheit und Wissenschaft gefunden, da er das kennt, worauf es ankommt (quod utile est). Es ist offenkundig, daß Gratian hier einerseits die Notwendigkeit weltlicher, d.h. auch antiker Bildung betont, andererseits aber auf die Überlegenheit der religiösen Erkenntnis über weltliches Wissen hinweist. Ganz klar sagt das folgende Kap. 8, mit Berufung auf Beda Venerabilis, Kleriker sollten nicht gehindert werden, weltliche Literatur zu lesen. Es schade der Schärfe des Geistes der nach Erkenntnis Strebenden, wer das Studium der weltlichen Wissenschaften verbieten möchte. Wo immer man in ihnen Nützliches finde, mag man es sich getrost aneignen! Anders hätten weder Moses noch Daniel sich von den Ägyptern und Chaldäern unterweisen lassen, obwohl sie deren Aberglauben verabscheuten.24 Ebensowenig hätte der Völkerapostel anders Verse heidnischer Dichter in seinen Briefen zitiert. Warum also – fragt Gratian angesichts dieses Tatbestands – sollte man nicht lesen dürfen, was mit so guten Gründen zur Lektüre empfohlen wird? Wenn auch einige die weltliche Literatur zu ihrem Vergnügen lesen und sich an den Einfällen der Dichter und dem Schmuck der Rede ergötzen, so tun es doch andere um der Bildung willen, um die Irrtümer der Heiden zu verabscheuen und das Nützliche, das sie darin finden, der heiligen Wissenschaft dienstbar zu machen. Solche Beschäftigung mit den weltlichen Wissenschaften verdient Lob. Aus diesem Grunde etwa tadelte Gregor der Große einen Bischof nicht deshalb, weil er solche Studien trieb, sondern weil er, seiner Pflicht als Bischof zuwider, statt des Evangeliums dem Volk die Grammatik lehrte.25 Dementsprechend stellt mit Rückgriff auf den Lukaskommentar des hl. Ambrosius26 Kapitel 9 lakonisch fest, die weltliche Literatur sei zu lesen, damit sie nicht unbekannt bleibe. Dort heißt es nämlich, man lese das eine, damit es nicht übersehen wird, man lese, damit man nicht unwissend bleibe, aber man lese auch, um sich etwas nicht anzueignen, sondern es zurückzuweisen. Als Kap. 10 führt Gratian alsdann einen Hieronymus-Text – den Kommentar zum Titus-Brief27 – an, dem zufolge es nicht zu mißbilligen sei, wenn Grammatik und Dialektik studiert würden, damit die rechte Redeweise, gemeint ist

24

Beda Venerabilis in Samuelem ... zu 1 Sam 14,28 f. (CCL 119, 121, 2209 – 2216).

25

Vgl. jedoch Art. 15, wo allerdings nicht davon die Rede ist, daß Bischof Desiderius die Predigt zugunsten der Grammatik habe entfallen lassen. Suchte Gratian hier nach einer Möglichkeit, die Aussage Gregors zu entschärfen? 26

Ambrosius, Expositio ... secundum Lucam 1, 2 (CCL 14,7, 21 f.).

27

Hieronymus in ep. ad Titum 1,2 – 4 (PL 26, 558 CD).

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wohl korrekter Ausdruck, erlernt werde, und auch die Fähigkeit, zwischen Wahr und Falsch zu unterscheiden. Auch Geometrie, Arithmetik und Musik bergen Wahrheit in sich, doch dienten sie nicht der Frömmigkeit. Das Gesetz und die Propheten, das Evangelium und die Schriften der Apostel zu kennen, das sei die scientia pietatis, die fromme Wissenschaft. Die Lehre der Grammatiker könne dann zum Leben – wohl zum ewigen Leben – dienen, wenn sie in den Dienst der höheren Zwecke gestellt wird.28 Eben das Beispiel Daniels lehrt, so Kap. 11, daß es keine Sünde sei, die weltlichen Wissenschaften zu studieren. Er und seine Genossen hätten denn auch zwar die – für einen Juden unreinen – Speisen vom Tisch des Königs von Babylon verschmäht, nicht aber den Unterricht in der Weisheit und Wissenschaft der Babylonier. Gewiß taten sie das nicht, um sich diese zu eigen zu machen, sondern um sie beurteilen und überführen zu können. Wie hätte einer auch gegen Mathematiker und Philosophen schreiben können, der von Mathematik und Philosophie keine Ahnung hat – das wäre doch wohl lächerlich! In dieser Geisteshaltung also lernten sie die Lehren der Chaldäer, wie auch Mose die ganze Weisheit der Ägypter gelernt hatte. Dieses Studium ist nicht Sache unseres Beliebens, sondern zwingend notwendig, wenn anders wir prüfen sollen, ob das, was von den heiligen Propheten vor vielen Jahrhunderten vorausgesagt wurde, auch in den Schriften der Griechen, der Lateiner und anderer Völker enthalten ist.29 Aus dem Gesagten wird in Kap. 12 die praktische Konsequenz gezogen und der Kanon einer Synode Papst Eugens II. angeführt, der verlangt, daß an allen Bischofs- und Pfarrkirchen und an anderen Orten wo dies nötig ist, Lehrer – magistri et doctores, was ist wohl der Unterschied? – bestellt werden sollten, die die litterae und die artes liberales lehrten: quia in his maxime divina manifestantur atque declarantur mandata, was wohl heißen soll, daß gerade durch diese Wissenschaften der Sinn der göttlichen Gebote offenbar wird.30 Nun kommt im Kap. 13 auch Augustinus zu Wort, der in Contra Faustum Manichaeum meint, daß, wenn die Sibylle, wenn Orpheus oder andere Seher und Propheten der Heiden über Gott etwas Wahres ausgesagt hätten, dies nicht dazu diene, ihre Autorität zu begründen, sondern die nichtigen Ansichten der Heiden zu widerlegen. Soweit nämlich wie die Verkündigung der Ankunft Jesu 28

Isidor, Sententiae 3, 13, 11 (PL 83, 688 AB).

29

Hieronymus in Danielem 1, 1, 8 (CCL 75 A, 780 f.; 775).

30

Es handelt sich um den can. 34 der Synode von 826 (MGH Concilia II / 2 553 – 558); Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (= Konziliengeschichte, hrsg. v. Walter Brandmüller Reihe A) Paderborn u.a. 1989, 173 – 177. Zu Eugen II. Jean-Marie Sansterre, Eugenio II, in: Enciclopedia dei Papi, I, Roma 2000, 709 – 713.

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durch die Engel von dem Bekenntnis der Dämonen („Du bist der Heilige Gottes!“) entfernt ist, so groß ist der Unterschied zwischen Autorität der Propheten und der curiositas sacrilegorum, womit offenbar die heidnischen Autoren gemeint sind.31 Unter der Überschrift „Ad intelligentiam sacrarum Scripturarum saecularium peritia necessaria ostenditur“ folgt als Kap. 14 ein Text, der einem vorgeblichen 3. Brief Papst Clemens I. entnommen ist.32 Er bezieht sich auf die Auslegung der Hl. Schrift, bei welcher der Ausleger nicht seinen eigenen Ideen, sondern der Auslegung durch die Väter folgen solle. Dabei aber ist es nicht unsinnig, daß einer seine Allgemeinbildung – eruditione communi – und die freien Künste, die er vielleicht im Kindesalter erworben hat, in den Dienst der wahren Lehre stelle, und so die falsche abzulehnen verstehe. Kapitel 15, aus Isidor von Sevilla33, beantwortet die Frage, weshalb der Christ poetica figmenta nicht lesen dürfe. Diese, meint der Autor, reizten durch das Ergötzen an hohlen Fabeleien den Geist zu bösen Begierden. Nicht nur indem man ihnen Weihrauch streue, sondern auch indem man Gefallen an ihren Worten finde, opfere man den Dämonen. Eine überraschende Wendung folgt, wenn nun Gratian selber spricht: Wie also aus dem Gesagten sich ergibt, ist die Unwissenheit – imperitia – stets eine Feindin der Priester. Denn wenn einer durch Unwissenheit selber blind andere Blinde führen will, fallen beide in die Grube.34 Es ist darum darauf hinzuwirken, daß die Priester die Unwissenheit gleich wie die Pest fliehen. Wenn es auch heißt, daß der Knecht, der den Willen seines Herrn nicht kennt, geringere Strafe erhält35, so gilt dies doch nicht von allen. Darauf geht (das in vielen Manuskripten zu 15 gehörende) Kap. 16 im Einzelnen ein – nach den fälschlich Augustin zugeschriebenen Quaestiones veteris ac novi testamenti quaest. 6736: Nur wer keinen Lehrer finden konnte, ist ohne Schuld unwissend, nicht aber, wer zu faul zum Lernen war. Ihnen wird nur verziehen, wenn sie sich bekehren.

31

Augustinus, Contra Faustum XIII, 15 (CSEL 25, 394 f.).

32

Pseudo-Clemens ep. 5 (PL 130, 58 D – 59 A).

33

Isidor, Sententiae III 13,1 (PL 83, 685 f.).

34

Mt 15,14.

35

Lk 12,47 f.

36

Ambrosiaster, Quaestiones etc. 67 (CSEL 50, 117).

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II. Soweit also der Inhalt der Quaestio 37 des Dekrets, der in verschiedener Hinsicht zu denken gibt. Einen Schlüssel zum Verständnis mag der originale Titel von Gratians epochemachendem Werk bieten: er heißt Concordia discordantium canonum. Aber der Schlüssel sperrt nicht sogleich – ist doch hier von Canones die Rede, also von kirchlichen Gesetzestexten. Deren finden sich in der gesamten Quaestio aber nur zwei, deren einer von Gratian dem 4. Konzil von Karthago – wohl des Jahres 398 – zugeschrieben wird, während der zweite einer Synode Eugens II. vom Jahre 826 zugehört. Und – einer widerspricht dem anderen. Es sind also in der Tat wenigstens zwei discordantes canones, die Gratian zur concordia zu führen bemüht ist. Mit diesen beiden Canones hätte es indes sein Bewenden haben können. Warum führt er aber dazu noch dreizehn andere Texte an, die nun von „Canon“ so gar nichts an sich haben, sondern einfach Exzerpte, namentlich aus Hieronymus, darstellen? Indes ist das Konzept der Concordia discordantium canonum nicht zu pressen. Ebenso wie um die Gegenüberstellung und Harmonisierung von Gesetzestexten dürfte es Gratian darum gegangen sein, die kirchliche Überlieferung insgesamt zu erfassen. Was in dieser Distinctio 37 zu erkennen ist, ist wohl der Reflex einer die christliche Antike tief erregenden Diskussion, die im Grunde genommen sich um die Frage nach dem Verhältnis von natürlicher menschlicher Wissenschaft und Erkenntnis zu der von Gott geoffenbarten Wahrheit des christlichen Glaubens dreht. Verschärft wurde diese Frage dadurch, daß die Vertreter der menschlichen Wissenschaft „Heiden“ waren, deren Götterglaube und die damit verbundene Weltsicht den Christen als ein Werk der Dämonen galten, bestenfalls als figmenta, Erdichtungen, die dem ewigen Heil des Christen eher im Wege standen. Dabei ist natürlich nicht zu vergessen, daß das antike Heidentum für die Christen bis herauf ins 4. Jahrhundert einen lebendigen und durchaus aggressiven Gegner darstellte, denkt man nur an die heidnische Reaktion unter Julian dem Abtrünnigen.37 So ist etwa die scharfe Gegnerschaft des Hieronymus gegen die Lektüre der Werke heidnischer Autoren durchaus verständlich, insbesondere wenn das gemeint ist, was wir im engeren Sinne Literatur, Dichtung nennen. Hierin findet sich denn auch nicht wenig, was das religiöse und sittliche Empfinden des Christen ablehnen mußte. 37

Zu Julian Apostata A. Lippold, in: Reallexikon für Antike und Christentum XIX (2001) 442 – 483.

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Zugleich aber war gerade Hieronymus, der so scharfe Worte dafür finden konnte, ein vorzüglicher Kenner eben dieser römischen, in zunehmendem Maße auch der griechischen Literatur – ein Konflikt, der weite Teile seines Werkes durchzieht und in dem erwähnten Traumgesicht offenbar tatsächlich erlebt wurde. Aber, warum wirft Gratian dieses praktisch längst gelöste Problem mehr als ein halbes Jahrtausend nach dem Tod des letzten heidnischen Autors aufs neue auf? Aus dem Dilemma hatte sich Hieronymus befreit, indem er das Klassikerstudium als für den Schulunterricht notwendig anerkennt – in pueris necessitatis est – den Erwachsenen es jedoch als crimen voluptatis anrechnet.38 Als Gratian schrieb, gab es wenigstens in der Regel längst keine bischöflichen Familienväter mehr, die ihre Kinder in den heidnischen Wissenschaften unterrichten ließen und dafür kirchliche Einkünfte ihrem Zweck entfremdeten. Saturnalien, Minervakult und Rhetoren gehörten gleichfalls der Vergangenheit an. Vielmehr war wenigstens seit Cassiodor das Abschreiben und Studium antiker Texte in den Klöstern heimisch, und die Artes liberales waren zum selbstverständlichen Schulprogramm geworden. Die karolingische Bildungsreform hatte das Ihrige dazu getan, ja unter den tradierten Texten herrschten jene vor, die für den Schulunterricht dienten. So jedenfalls legt es der Befund der handschriftlichen Überlieferung nahe.39 Auch sie waren jedoch litterae saeculares. Handelte es sich, wenn Gratian die antike Diskussion wieder aufgriff, in der Tat um einen Anachronismus? Indes war es gerade der auf breiter Front errungene Sieg der klassischen profanen Bildung, der um die Wende zum 12. Jahrhundert eine neue Diskussion hervorrief. Eindrucksvoll zeigt Pierre Riché auf, wie angesichts der allgemeinen Begeisterung für die „litterae saeculares“ ein selbst sehr gelehrter Mann wie Petrus Damiani von der großen Sorge bewegt wurde, das profane Wissen könne das Studium der Heiligen Schrift beeinträchtigen.40 Kaum war Petrus Damiani 1072 verstorben, wurde Abaelard geboren (1079), dessen Streit mit Bernhard von Clairvaux erneut sich um die Rolle der Dialektik in

38

Jenal II 544 f.

39

Munk Olsen 66.

40

Riché, in: Geschichte des Christentums IV 852 – 854.

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der Theologie bewegte.41 Um das Todesjahr Abaelards aber erschien Gratians Dekret. Wir dürften darum nicht fehlgehen, wenn wir in dessen Distinctio 37 einen Niederschlag der wieder aufgebrochenen bildungstheoretischen Diskussion der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erblicken. III. Über diesen Tatbestand des Dekrets reflektiert nun die Glossa ordinaria, die von dem Kanonisten Johannes Teutonicus kurz nach 1215 herausgegeben und von Bartholomäus von Brescia überarbeitet wurde. In der Glosse zu unserer Distinctio finden sich auch einzelne Beiträge des Guido de Baysio genannt Archidiaconus († 1313) und des Johannes Fantuzzi († 1391).42 Eine erste Bemerkung bezieht sich auf den in Kap. 1 zitierten Kanon des Konzils von Karthago und führt das darin ausgesprochene Lektüre-Verbot ad absurdum: Das würde bedeuten, daß sie nicht einmal leges audire, die Gesetze lesen, dürften. Diese aber enthielten doch nichts anderes als durch den Mund der Fürsten ausgesprochene Gesetze Gottes! Auch müsse man die Gesetze kennen, um die Canones des kirchlichen Rechts besser zu verstehen. Drastisch die Anmerkung zu Kap. 4: man sollte eigentlich denen, die die Worte des Lehrers falsch verstehen, die Ohren abschneiden, wie es Petrus dem Malchus getan hat!43 Zu Kap. 5 gibt die Glosse selbst eine Probe von Realienkunde des klassischen Altertums, indem sie den Begriff der strena als ein NeujahrsGlückwunsch-Geschenk und den Begriff der sportula als Geschenk aus Anlaß der Saturnalien erklärt.44 Bischöfe, die Kirchengeld veruntreuen, indem sie es den Grammatikern ihrer Kinder zum Lohn geben, trifft noch härter als im Dekrettext selbst der Tadel der

41 Vgl. Das instruktive Kapitel von André Vauchez, Kirche und Bildung – Veränderungen und Spannungen, in: Geschichte des Christentums V: Machtfülle des Papsttums, hrsg. v. André Vauchez, deutsche Ausgabe von Odilo Engels / Georgios Makris / Ludwig Vones, Freiburg u.a. 1994, bes. 469 – 477. 42

Zur Glosse: vgl. Art. 6.

43

Vgl. Joh 18,10.

44

Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie d. classischen Altertumswissenschaft II. Reihe III. Bd. Stuttgart 1929, 1883 – 1886; II. Reihe VII. Halbbd. Stuttgart 1931, 351 – 353.

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Glosse, die, sich auf Causa II quaestio 7 cap. 32 des Dekrets berufend45, meint, man solle einen solchen nicht sosehr Bischof, sondern einen Hund nennen. Dabei gilt die Missbilligung nicht sosehr dem Klassikerstudium als der Zweckentfremdung des kirchlichen Vermögens. Auch hier jene schon oben angedeutete merkwürdige Diastase zwischen Text und Lebenswirklichkeit zur Abfassungszeit! Zu dem Dictum Gratiani in Kap. 7 bemerkt die Glosse im Hinblick auf den Verlorenen Sohn, der in der Fremde mit den Futterschoten der Schweine seinen Hunger stillen wollte: diese Futterschoten füllten und belasteten den Magen, ohne zu sättigen – ebenso könnten die weltlichen Wissenschaften nur aufblähen, aber weder den geistigen Hunger des Menschen stillen, noch die Blindheit seines Geistes beheben. Vielmehr belade er sich dadurch mit Sünde und Schuld. Hierfür beruft sich der Glossator auf Hieronymus ad Eustochium de Custodia46 etc. Indes scheint es, als wolle die Glosse hier nur erklären, weshalb das Gleichnis in diesem Zusammenhang von Gratian angeführt wurde. Die eigentliche Meinung des Glossatoren ist jene des Beda Venerabilis, der etwa Paulus nennt, der seine berühmte Rede auf dem Areopag damit begann, daß er die zweifellos heidnische Inschrift auf dem Altar des Unbekannten Gottes zitiert und damit den Areopagiten Dionysius bekehrt habe.47 In seinem Brief an Titus lasse er Epimenides zu Wort kommen, der die Kreter als Lügner, üble Bestien und faule Bäuche beschimpft hat.48 Im 1. Korintherbrief lese man den Vers des Menander: schlechte Gesellschaft verdirbt gute Sitten.49 Wo allerdings Paulus das im Mittelalter geläufige Sprichwort „Odero si potero, si non, invitus amabo“ zitiert haben sollte, war nicht zu finden. Aber nun wird der große Kritiker der heidnischen Dichtung, Hieronymus, selbst der Inkonsequenz überführt, indem auf seine zahlreichen Vergil-Zitate verwiesen wird.50 Auch Augustin habe Lukans Vers Mens hausti nulla ... verwendet51 etc.

45

„Qui nec regiminis in se rationem habuit ... nec filiorum crimen correxit canis impudicus dicendus est magis quam episcopus“ – die Glosse bemerkt zutreffend, daß das Dekret hierfür Augustinus zu Unrecht in Anspruch nimmt. 46

Hieronymus, Epist. 22 (CSEL 54).

47

Sinngemäß Beda, Super acta apostolorum Expositio cap. 17, (PL 92, 980 f.).

48

Tit 1,12; Zur Herkunft des Zitats vgl. Klemens v. Alexandrien, Stromata I 14,59; dazu Joseph Freundorfer, Die Pastoralbriefe (= Regensburger N. T. 7, Regensburg 3 1959) 206. Pauly-Wissowa, XI. Halbbd., Stuttgart 1907, 176. 49

Zitiert 1. Kor 15,33. Zu Menanders Thais vgl. Pauly-Wissowa 29. Halbbd. Stuttgart 1931, 707 – 762. 50 51

Jenal 534 – 599.

Es war nicht Augustinus, der Lukan 6,457 (mens hausti nulla sanie polluta veneni incantata perit ...) zitiert hat (vgl. Harald Hagendahl, Augustin and the Latin Classics,

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Unter dem Gewicht dieser Autoritäten mußte jeder Widerstand zusammenbrechen. Entscheidend aber, wiederum, die Motivation für das Klassikerstudium: Man studiere, etwa, die Artes, damit man nicht unwissend bleibe, oder die Schriften der Häretiker, um sie zurückzuweisen. Und zu dem Kap. 9, in welchem erklärt wird, man solle die weltlichen litterae studieren ne ignorentur wird bemerkt, wenn man von ihnen auch keinen Gebrauch mache, müsse man sie dennoch lernen. Weshalb, wird nicht gesagt – es war wohl schon zu selbstverständlich. Interessant, daß die Glosse bemerkt, daß bei der Aufzählung der einzelnen Wissenschaften des Quadriviums die Astronomie nicht genannt werde. Als Grund dafür wird angegeben, sie sei außer Gebrauch gekommen, wofür auf die Causa 26 quaestio 2 cap. His qui de paganis des Dekrets verwiesen wird.52 Als Grund dafür wird angegeben – zwischen Astrologie und Astronomie wird nicht unterschieden –, daß die Neugier sc. bezüglich der Zukunft viele davon abgehalten habe, sich dem zu widmen, was das Heil der Seele erforderte. So sage denn Hieronymus53, man dürfe den Sprüchen der Wahrsager (sortibus) nicht Glauben schenken. Erneut werden in der Glosse zu Kap. 11 die vier babylonischen Jünglinge bemüht, und zwar als Vorbilder für das Studium der heidnischen Wissenschaften. Diese hätten sie erlernt, um die Ungläubigen zu überzeugen. Hätten sie dies versucht, ohne deren Lehren zu kennen, hätten sie sich bei der Disputation mit ihnen der Lächerlichkeit preisgegeben. Am ausführlichsten wird jedoch die Glosse zum Kap. 12, wo es um die Anstellung von Lehrern geht. Da nun wird eingehend diskutiert, ob diese für ihre Tätigkeit Entgelt empfangen bzw. verlangen dürften. Natürlich wird dies positiv beschieden. Schließlich waren die Glossatoren selbst Magistri regentes, Universitätsprofessoren, die ihre Hörgelder beziehen und von kirchlichen Pfründen leben wollten. Mit unserem Thema hat dies freilich wenig mehr zu tun. Ein eigentlich philosophisches Problem wird aufgeworfen, wenn im Zusammenhang mit Kap. 13 die Frage gestellt wird, wie man damit umzugehen

Göteborg 1967, der das Zitat nicht kennt), sondern Isidor von Sevilla, in Etymologiae VIII cap. 9 § 10. 52

Das Zitat ist unzutreffend, denn von der Astrologie, die außer Gebrauch gekommen sei, ist im c. 1 Sors non aliquid die Rede. 53

Ebenda mit – unzutreffender – Berufung auf Hieronymus im Kommentar zu Jonas, SChr. 43, 67.

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habe, wenn etwa die Sibylle, wenn heidnische Wahrsager oder Philosophen tatsächlich Wahres gesagt hätten. In diesem Fall, lautet die Antwort, müsse man zwischen der wahren Aussage als solcher, die anzunehmen, und der „Autorität“ der Aussagenden, die abzulehnen sei, wohl unterscheiden. Der Rest berührt unsere Fragestellung nicht. Das Gleiche gilt von der Glosse zu Kap. 14, wo es um die richtige Auslegung der Hl. Schrift geht. Zu Kap. 15 enthält die Glosse nur eine Paraphrase des Kapitels, während sie zum Kap. 16 die Sündhaftigkeit und Sträflichkeit der Ignoranz diskutiert. Dabei wird festgestellt, daß – so Huguccio (locus ignoratur) – Unwissenheit eo ipso eine Strafe ist: „... cum in quolibet ignorante sit poena, eo ipso quod ignorat.“ Die Glosse reflektiert also die Sicht einer Zeit, in welcher Aristotelesrezeption und Scholastik ihrem Höhepunkt zustrebten, Thomas von Aquin den Heiden Aristoteles den Philosophus schlechthin nannte und sich auf ihn als hohe Autorität berief. Der Weg zu einer immer unbefangeneren Würdigung der klassischen Antike durch die Christianitas des Mittelalters war unaufhaltsam beschritten. Längst hatte man ja mit Laktanz und Augustinus Vergils Carmen IV als Ankündigung des Messiasknaben gedeutet und den Dichter damit dem Propheten Jesaja an die Seite gestellt.54 Bald kam der Sohn Gottes nicht mehr vom himmlischen Throne, sondern „ex Olympi sedibus“ zur Welt, zu Beginn der Fastenzeit sollten Bacchus weichen und Venus aufseufzen. Am Pfingstfest, schließlich, soll der Heilige Geist mit Jamben nach der Art. des Xenophanes und von Sappho besungen werden.55 In der Hochrenaissance konnte gar – ein Beispiel nur – der Bamberger Domherr und Humanist Albrecht von Eyb in einer Gründonnerstagspredigt sagen, daß das, was sich unter dem Anschein von Ceres und Bacchus verberge, kraft heiligster Worte in das wahre Fleisch und Blut des Erlösers übergegangen und wesentlich verwandelt worden sei. Christus wird dabei – wie Jupiter – als der donnergewaltige – altitonans – Schöpfer bezeichnet, während wiederum mit einem antiken paganen Begriff das christliche Priestertum als flaminii dignitas bezeichnet wird.56 Was einst als Bedrohung des christlichen 54

Vgl. Luciano Rossi, Vergil im Mittelalter, in: Lexikon des Mittelalters VIII 1522 – 1528.

55

„Dum sub antiqui sceleris reatu / languet humanum genus ex Olimpi / sedibus terras adiens subivit virginis alvum“ bzw. „Bacchus abscedat, Venus ingemiscat ...“ und: „Xenophanis cum lesbiis Te iambicis attollimus concinentibus“ (Zachariae Ferrerii ... Hymni novi ecclesiastici, Romae, in aedibus Ludovici Vicentii et Lantitii Perusini 1525, D IIIv, E Iv bzw. F IIIIr). 56

„… ut quae cereris ac bachi speciem / completi suis pro accidentibus videntur / in verissimam summi salvatoris carnem / sanguinemque purissimum verbis sacratissimis transfusa …“ (Albrecht von Eyb, Margarita poetica, vgl. Ludwig Hain, Repertorium bibli-

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Glaubens empfunden worden und es tatsächlich auch gewesen war, hatte durch die zeitliche Distanz seine Virulenz verloren und war zum notwendigen Element des abendländisch-christlichen Bildungskanons und wohl auch zum Modartikel geworden. Es ist unserer Zeit vorbehalten geblieben, diese epochemachende Errungenschaft wieder in Frage zu stellen. Dem Problem der gegenseitigen Zuordnung von – heute sagen wir Humanwissenschaften und Glaubenswissenschaft – wird sich indes jede Generation unter sich wandelnden Umständen jeweils neu zu stellen haben.

ographicum, in quo libri omnes ab arte typographica inventa usque ad annum MD. ... Stuttgardiae 1826 – 38, 342 – 344.Vgl. M. Hermann, Albrecht von Eyb und die Frühzeit des deutschen Humanismus, Berlin 1893, 174 – 214; J. A. Hiller, Albrecht von Eyb – medieval moralist (= The Catholic University of America – Studies in German XIII), Washington 1939.

Politische und nationale Wallfahrten Von Louis Carlen Wallfahrt ist die Wanderung oder Fahrt zu einem Gnadenort, und diese Wanderung oder Fahrt wird vom Ziel und der Absicht bestimmt1. Die Gründe, warum eine Wallfahrt unternommen wird, sind verschieden. Im Vordergrund stehen religiöse Motive, es können aber auch Beweggründe sein, die auf einem bestimmten Rechtstitel beruhen2. Die Straf- und Sühne-Wallfahrten, die auch der Strafpraxis weltlicher Gerichte nicht fremd waren, stehen im Zusammenhang mit dem Recht und der Rechtsordnung3. In diesen Bereich fallen ebenfalls Wallfahrten, die aus politischen, staatlichen oder nationalen Motiven ausgeführt werden, wobei auch Beziehungen zum Recht bestehen. Herrscher, Adelige, Stadtherren und andere Obrigkeiten führten solche Wallfahrten aus, oder ordneten sie an, womit der Bezug zu Staat und Recht besteht. Die Motivation ist eine verschiedene. Es konnten religiöse, politische, patriotische oder wirtschaftliche Überlegungen sein. Letztere dienten auch der Erschliessung neuer Einnahmequellen4. Vom kirchlichen Recht her stand diesen Wallfahrten nichts im Wege. Im Corpus Iuris Canonici und der Konzilsgesetzgebung fehlen weitgehend einschlägige Bestimmungen5, wenn man von den Kreuzzügen absieht, die für viele die grosse Wallfahrt waren6. Die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545 – 1563) berührten indirekt die Wallfahrt durch das Dekret über die Heiligen-, Reliquien- und

1 Die Definition der Wallfahrt ist verschieden, vgl. Louis Carlen, Wallfahrt und Recht im Abendland, Freiburg i. Ue. 1987, S. 1 – 4. 2

Eid oder Gelübde, Amt, Stellvertretung, Untertanenverhältnis, Mitgliedschaft einer Gemeinschaft, Testament (Carlen, S. 59 – 70). 3

Im kirchenrechtlichen Bereich spielen dabei Bussdisziplin, päpstliche Reservatsfälle, Inquisition und kirchliche Gerichtsbarkeit eine Rolle (Carlen, S. 70 – 82). 4

Klaus Guth, Marianische Wallfahrtsbewegungen, in: Wolfgang Beinert / Heinrich Petri (Hg.), Handbuch der Marienkunde, Regensburg 1984, S. 740 ff. 5

Carlen (Anm. 1), S. 25 ff.

6

Donald R. Howard, Writers and Pilgrims, Berkeley-London 1980, S. 13, 50.

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Bilderverehrung vom 3. Dezember 15637. Die einzige Bestimmung über Wallfahrten im Codex Iuris Canonici von 1917 nennt in Can. 2312 als besondere Form kirchlicher Strafmittel die Ausführung einer Wallfahrt. Über das partikulare Kirchenrecht in Bezug auf Wallfahrten setzten sich jene, welche die Wallfahrt anordneten, meist hinweg. Anderseits gab es päpstliche und kirchenpolitische Förderungen nationaler Wallfahrten. Diese dienten auch der Gegenreformation8, und dort, wo weltliche und geistliche Staatsgewalt in der gleichen Hand lagen, war das besonders kennzeichnend. Die politischen und nationalen Wallfahrten hängen stark mit der Heiligenverehrung zusammen. Dynastien, Nationen, Staaten und kirchliche und weltliche Herrscher erwählten Heilige als Patrone, womit der charismatische Charakter und die Autorität der herrschenden Macht durch den Schutz und die Hilfe der heiligen Patrone erhöht wurde. Der Kult der Nationalheiligen half Herrschaften zu bilden und zu konsolidieren, untere und breitere Bevölkerungskreise anzusprechen und in Herrschaftsverbände einzugliedern. Das führte dazu, dass die Herrschenden Wallfahrten zu diesen Heiligen anordneten, förderten oder selber ausführten. Wallfahrtsorten wurde besonderer Schutz gewährt. So ordnete Ferdinand III. (1608 – 1657) in Österreich an, dass Plünderungen von Marienbildern streng bestraft werden sollten9. Im Vordergrund standen die Marien-Wallfahrtsorte, da verschiedene Länder, Städte und Gemeinden Maria zu ihrer Patronin erkoren und das in einem öffentlichen Rechtsoder Staatsakt proklamierten. Religiöse Einstellung und Eifer, aber auch landesherrliches Denken und politisches Kalkül vereinigten sich10.

7

Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, IV/2, Freiburg i. Br. 1975, S. 180 ff.; Vgl. Georg Schreiber, Das Weltkonzil von Trient, sein Werden und Wirken, 2 Bde, Freiburg i. Br. 1951; Werner Freitag, Volks- und Elitenfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1991, S. 82 ff. 8

Ein Beispiel: Der Rat von Freiburg i. Ue. befahl am 28. Okt. 1528, dass alle Männer von Freiburg zu U. lb. Frau von Bürgeln (Bourguillon) wallfahren, um die Treue zum katholischen Glauben zu erbitten und zu bekunden (Jean Dubas, La léproserie et les chapelles de Bourguillon, Fribourg 1982, S. 41). 9 Anna Coreth, Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock, München 1982, S. 54. 10

Louis Carlen, Maria im Recht, Freiburg 1997, S. 49 ff.; Carlen (Anm. 1), S. 113 f.; Klaus Graf, Maria als Stadtpatronin in deutschen Städten des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Klaus Schreiner / Marc Münz (Hg.), Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 125 ff.

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Karl der Grosse (745 – 814) förderte den Marienkult. Auf ihn geht das Marienpatrozinium der Pfalzkapelle zu Aachen zurück11. Die Marienkirche in Aachen wurde Krönungskirche. In ihr wurden 34 deutsche Könige gekrönt12. Barbarossa bezeichnete sie 1174 als Hauptkirche des Reiches. Sie wurde auch Wallfahrtskirche. Die 1312 erstmals nachgewiesene Heiltumsfahrt nach Aachen wurde zu einer der am weitesten verbreiteten Wallfahrten nördlich der Alpen. 1164 wurden die Reliquien der heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln überführt. Verschiedene deutsche Könige wallfahrten nach ihrer Krönung in Aachen zu den Drei Königen nach Köln, dessen Erzbischof sie seit 1024 gekrönt hatte. Man sah die Drei Könige als erste Vertreter eines christlichen Königtums an, und die deutschen Könige standen in deren Nachfolge. Die Verehrung der Drei Könige in Köln begann unter Otto IV. (1182 – 1218), und 16 weitere deutsche Könige verehrten nach der Krönung die Reliquien in Köln. Es bildete sich ein eigenes Zeremoniell dafür aus. Auch ausländische Herrscher besuchten die Drei Könige in Köln, so 1194 König Richard Löwenherz von England, die englischen Könige Edward II. 1322 und Edward III. 1358, König Peter von Zypern 1363 und König Christian von Dänemark13. Der bedeutendste Wallfahrtsort in Bayern ist Altötting mit seiner „Schwarzen Muttergottes“, einer frühgotischen Marienfigur14. Altötting wurde Zentrum der herrschaftlichen Marienverehrung und spielte seit dem späten 16. Jahrhun-

11 L. Hugot, Die Pfalz Karl des Grossen in Aachen, in: Wolfgang Braunfels / Hermann Schnitzler (Hg.), Karl der Grosse, Lebenswerk und Nachleben, Düsseldorf 1965, S. 534 ff. 12 Louis Carlen, Krönungskirchen, in: Rosalio Iosepho Castillo Lara (Hg.), Studia in honorem Ementissimi Cardinalis Alphonsi M. Stickler (Studia et textus historiae iuris canonici 7), Roma 1992, S. 60 f. 13 Hugo Stehkämper, Könige und Heilige Drei Könige, in: Die Heiligen Drei Könige – Darstellung und Verehrung, Katalog zur Ausstellung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln 1982 – 1983, Köln 1982, S. 37 ff.; Werner Schäfke, Die Wallfahrt zu den Heiligen Drei Königen, in: ebd., S. 73; Karl Meisen, Die heiligen Drei Könige und ihr Festtag im volkstümlichen Glauben und Brauch, Kempten 1949. In der Reichspolitik der Staufer, die ein gespanntes Verhältnis zu Köln hatten, hatte der Drei-Königs-Kult mindere Bedeutung (Odilo Engels, Die Reliquien der Heiligen Drei Könige in der Reichspolitik der Staufer, in: Die Heiligen Drei Könige [Anm. 13]), S. 33 – 36. Zum Besuch ausländischer Herrscher: Johannes Helmrath, Die Stadt Köln, Itinerar der Könige des Mittelalters, in: Geschichte in Köln, Heft 4, 1979, S. 81. 14

Franz Xaver Hoedl, Altötting, Orts- und Wallfahrtsgeschichte, Altötting 31977; Robert Bauer, Die Bayerische Wallfahrt Altötting, München 1970; Oliva WiebelFanderl, Die Wallfahrt Altötting, Kultformen und Wallfahrtsleben im 19. Jh., Passau 1982; Max Absmeier, 500 Jahre Marienwallfahrt Altötting, Altötting 1990.

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dert im Rahmen gegenreformatorischer Massnahmen eine bedeutende Rolle15. 1491 sollen sich der habsburgische Kaiser Friedrich III. (1415 – 1493) und der wittelsbachische Herzog Georg der Reiche (1455 – 1493) auf einer Wallfahrt nach Altötting getroffen haben16. Mit dem bayerischen Herzog Albrecht IV. (1447 – 1508) begann die Verehrung des Altöttinger Gnadenbildes durch die Wittelsbacher und riss bis ins 20. Jahrhundert nicht ab. Herzog Wilhelm der Fromme (1548 – 1626) pilgerte wenigstens einmal im Jahr zu Fuss nach Altötting und weihte 1581 die Stadt München U. lb. Frau von Altötting17, auch gründete er mit Erlaubnis von Papst Gregor XIII. in München eine Erzbruderschaft unter dem Titel „Maria zu Alten Oetting“, deren Mitglieder verpflichtet waren, alle vier Jahre eine Wallfahrt nach Altötting auszuführen18. In der Pietas Mariana als staatspolitischem Programm Bayerns nahm die Wallfahrt nach Altötting eine herausragende Stellung ein, besonders unter Herzog Maximilian I. (1573 – 1651), und seine Nachfolger führten die Tradition weiter19. Die nachgeborenen Söhne des Hauses Wittelsbach, die von 1583 – 1761 Kurfürsten und Erzbischöfe von Köln und Bischöfe anderer rheinischer und westfälischer Bistümer waren, betrachteten Altötting und seine Wallfahrt ebenfalls als eine Stütze ihres religionspolitischen Programms. Vor und nach seinen Ungarnfeldzügen pilgerte Kurfürst Max Emanuel (1662 – 1726) mit grossem Gefolge nach Altötting20. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden Herzen der Wittelsbacher in Kardiotheken im Oktogon der Gnadenkapelle von Altötting aufbewahrt. Klaus Guth sagt: „Im repräsentativen zentralen marianischen Wallfahrtsort eines Herrschaftsgebietes offenbaren sich die siegreiche Geschichte der Herrschaft, die Einheit des Landes, der bewährte Garant für die Fortdauer der Dynastie“21. Altötting sah auch deutsche Kaiser mit ihrem Gefolge als Wallfahrer, so nach dem Regensburger Reichstag 1541 Karl V., nach dem Reichstag 1653 Ferdinand III., nach der Kaiserkrönung in Frankfurt 1658 Leopold I., der auch 15 Ludwig Hüttl, Marianische Wallfahrten im süddeutsch-österreichischen Raum, Köln / Wien 1985, S, 95. 16

Ebd., S. 96 f., 106 f.

17

Ebd., S. 104 f.; Oliva Wiebel-Fanderl, Die Verehrung der Altöttinger Muttergottes, in: Lenz Kriss-Rettenbeck / Gerda Möhler (Hg.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, München / Zürich 1984, S. 502. 18

Ebd., S. 502; Hüttl (Anmk. 15), S. 107.

19

Hüttl, S. 112 ff.

20

Maria Angela König, Weihegaben an U. L. Frau von Altötting vom Beginn der Wallfahrt bis zum Abschluss der Säkularisation, München 1940, II, S. 330 ff. 21 Klaus Guth, Geschichtlicher Abriss der marianischen Wallfahrtsbewegungen im deutschsprachigen Raum, in: Wolfang Beinert / Heinrich Petri (Hg.), Handbuch der Marienkunde, Regensburg 1984, S. 816.

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1676 und 1681 in Altötting war, wobei er sich bei der letzteren Wallfahrt mit dem bayerischen Kurfürsten Max Emanuel traf und ein grosses Zeremoniell entwickelt wurde22. Der Heilige Berg Andechs, schon im Mittelalter Ort der Verherrlichung bayerischer Herzöge23, Ramersdorf, St. Salvator in Bettbrunn waren für bayerische Prinzen ebenfalls bedeutsam24. Der grösste Wallfahrtsort Österreichs Mariazell ist eng verknüpft mit der habsburgischen Pietas. Man führte den grossen Sieg König Ludwigs von Ungarn (1342 – 1382) 1377 über die Türken auf die Hilfe der Muttergottes von Zell, wie der Ort damals noch hiess, zurück. Für die verschiedenen in der Monarchie vereinigten Völker wurde Mariazell nach der Reformation ein besonderer Anziehungspunkt und „ein Mittel der Demonstration des politischen Katholizismus“25. Kaiser Leopold I. wallfahrte neunmal nach Mariazell, was von eminenter politischer und nationaler Bedeutung war, deren man sich in der kaiserlichen Familie immer wieder bewusst war26, allerdings unterbrochen durch Josef II. (1741 – 1790), dann aber unter den Kaisern des 19. und 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen. Auch für Ungarn wurde Mariazell nationaler Wallfahrtsort, aber auch Alba (Stuhlweissenburg), wo König Stefan I. (997 – 1038) eine Kirche mit MarienPatrozinium errichten liess, die seiner und anderer ungarischen Könige Grabstätte und Gedenkstätte grosser Siege wurde27. Man hat sie mit Aachen verglichen28. Unter Kardinal Mindszenty fand 1947 eine nationale Wallfahrt nach Andoes statt. Die Habsburger huldigten auch Maria in Mariabesnyö29.

22

König, II, S. 56 ff.; Hüttl, S. 130 ff.; Anna Coreth, Pietas Austriaca, Österreichische Frömmigkeit im Barock, München 21982, S. 57 ff. 23

Albert Brackmann, Die Entstehung der Andechser Wallfahrt, Berlin 1929, S. 9, 20.

24

Hüttl (Anm. 15), S. 111; Georg Schwaiger, Marienverehrung in Bayern, in: Peter Pfister / Hans Ramisch, Marienwallfahrten im Erzbistum München und Freising, Regensburg 1989, S. 11 ff.; Susanne Hansen, Die deutschen Wallfahrtsorte, Augsburg 1990, S. 32 ff., 96 ff. 25

Peter Leisching, Die römisch-katholische Kirche in Cisleithanien, in: Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, IV, Wien 1985, S. 134. 26

Hüttl, S. 142 ff.; Coreth, S. 62 ff.

27

Josef Deér, Die heilige Krone Ungarns, Wien 1966, S. 191; Gabor Klaniczay, Königliche und dynastische Heiligkeit in Ungarn, in: Jürgen Petersohn, Politik und Heiligenverehrung im Mittelalter, Sigmaringen 1994, S. 343 ff. 28

Josef Deér, Aachen und die Herrschersitze der Arpaden, in: Mitteilungen des Oestr. Instituts für Geschichtsforschung 79 (1971), S. 1 ff. (wieder abgedruckt in: Josef Deér, Byzanz und das abendländische Herrschertum, Sigmaringen 1977, S. 388). 29

Franz Josef Brems, Marienwallfahtsorte in Europa, München 1994, S. 175, 177.

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Im 17. Jahrhundert blühte in Welehrad (Velehrad) in Mähren die Kyrillosund Methodios-Verehrung auf. Die Jubiläen dieser Heiligen 1863 und 1885 liess Welehrad zum Zentrum der sogenannten Kyrillos-Methodios-Idee, der römisch-unionistischen Bewegung der Slawen werden30. In Böhmen wurde nach den Hussitenkriegen, der Reformtion und dem Dreissigjährigen Krieg der Heilige Berg bei Pribram südöstlich von Prag bekannter Wallfahrtsort, ähnlich wie in Siebenbürgen Maria-Radna, einst im ungarischen Königreich, heute in Rumänien. Im 18. Jahrhundert kamen 200'000 Pilger, darunter viele aus Bayern, dahin31. Bistrica, 40 Kilometer von Zagreb entfernt, ist Nationalwallfahrtsort der Kroaten. Der kroatische Landtag beschloss 1710 einen grossen, würdigen, hölzernen Marien-Altar in der erweiterten und erneuerten Kirche zu stiften, der 1731 vom Zagreber Bischof Branjug feierlich geweiht wurde. Die freie königliche Stadt Zagreb pilgerte seit 1723 zu Fuss auf Grund eines Gelübdes jährlich nach Bistrica32. Nationale Stellung erwarb auch Remete. Seinem Marienbild wurde der Titel „Advocata Croatie“ verliehen33. Seit dem 15. Jahrhundert wird die Muttergottes von Czenstochau als Schutzpatronin und Königin Polens verehrt. Ihr Heiligtum auf der Jasna Gora, dem „hellen Berg“, ist bedeutende Wallfahrtsstätte und nationales Heiligtum. König Jagiello bedachte das Gnadenbild mit Weihegaben, was auch seine Nachfolger taten. In Kriegszügen erbeutete Fahnen wurden hierher gebracht. König Johannes Kasimir Wasa proklamierte 1656 die Muttergottes von Czenstochau zur „Regina Poloniae“, nachdem die Klosteranlage der Schwedenbelagerung erfolgreich Widerstand geleistet hatte. Die Stätte wurde bleibendes Symbol der National- und Religionsfreiheit. Johann III. Sobieski pilgerte vor dem Entsatz von Wien 1717 dahin. Kaiserin Maria Theresia verfügte, dass Maria nicht mehr als Königin und Beschützerin Polens angerufen werden sollte, sondern nur noch als Patronin des 1772 zu Österreich gehörenden Galizien und Lodomerien. Damit wird die politische Bedeutung, die dem marianischen Patronat zugemessen wurde, betont. Sie kam auch in der Zeit des Kommunismus zur Geltung

30

Franz Machilek, Welehrad, in: LThK X (1965), Sp. 1018 f.

31

Brems (Anm. 29), S. 170. Vgl. auch Aleksander Gieysztor, Politische Heilige im hochmittelalterlichen Polen und Böhmen, in: Petersohn (Anm. 27), S. 325 ff. 32

Predrag Belic, Bistracia, in: Remigius Bäumer / Leo Scheffczyk (Hg.), Marienlexikon, I, St. Ottilien 1988, S. 497 f. 33

R. Grulich, Wallfahrten in der Zweiten Welt, in: Glaube in der Zweiten Welt, II (Zollikon 1983), Nr. 4, S. 32.

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und fand in Madonnenkrönungen (1717, 1909) und Besuchen von Papst Johannes Paul II. beredten Ausdruck34. Tinos (tenos), in der Nähe der Inseln Mykonos und Delos in der Aegäis, wird als „Heilige Insel der Griechen“ bezeichnet. Orthodoxe und katholische Christen pilgern zu diesem panhellenischen Heiligtum35. König Konstantin von Griechenland hat seine Person zweimal in Gold gebildet als Votivgabe dargebracht. In Albanien wurde das Gnadenbild der Madonna von Skutari (Shkodra) auf dem 2. albanischen Konzil in Skutari 1895 zur „Patrona nationis albanicae“ erhoben36. In Frankreich hat sich der Kult des heiligen Martin rasch ausgebreitet. Zahlreiche Pilger wallfahrten zu seinem Grab in Tours. König Chlodwig war mehrmals in Tours, andere Merowinger Herrscher folgten ihm37. Chlodwig erhob Martin zum Schutzherrn der französischen Könige. Seinen Mantel führte man in der Schlacht mit38. Die Kapetinger, die mit Hugo Capet 987 auf den Thron kamen, betrachteten den heiligen Bischof Dionysius (Denis) von Paris als Schutzpatron und Nationalheiligen Frankreichs, und es setzte die Wallfahrt nach St-Denis ein39. Die Madonna von Rocamadour in der Diözese Cahors war vom 12. bis Ende des 14. Jahrhunderts eine viel besuchte Wallfahrtsstätte Frankreichs. Die Legende erzählt, dass schon Karl der Grosse dort war und sein Neffe Roland habe 34

Bibliographie bei Aleksandra Witkowska, Czenstochau, in: Marienlexikon, II, St. Ottilien 1989, S. 120 f. 35

Franz Weiss, Marienwallfahrten um den Erdkreis, Wien 1970, S. 267 f.; Brems (Anm. 29), S. 204 f.; Rudolf Kriss / Hubert Kriss-Heinrich, Peregrinatio neohellenica, Wien 1955, S. 32 ff. Dort S. 111 ff. auch über andere Wallfahrtsorte Griechenlands, S. 155 ff. der hl. Berg Athos. Dazu u.a. auch Franz Dölger, Mönchsland Athos, München 1942; Reinhold Pabel, Athos, der heilige Berg, Münster 1951. 36

Brems, S. 202 ff.

37

Etienne Delaruelle, La spiritualité des pèlerinages à Saint-Martin de Tours du Ve au X siècle, in: La piété populaire au moyen âge, Torino 1980, S. 208 ff.; Hans Hattenhauer, Sankt Martin als Sozialpolitiker, in: Jahres- und Tagungsbericht der GörresGesellschaft 2002, S. 42; Pierre Gasnault, Le tombeau de Saint Martin et les invasions normandes dans l'histoire et dans la légende, in: Revue de l'histoire de l'Eglise de France 47 (1961), S. 51 ff. e

38

J. van den Bosch, Capa, basilica, monasterium et le culte de S. Martin de Tours, Utrecht / Nijmegen 1959; Joachim Ehlers, Politik und Heiligenverehrung in Frankreich, in: Petersohn (Anm. 27), S. 149 ff. 39

St. Denis als Grabstätte der Könige, Hort der Krönungsinsignien, nationales Heiligtum; Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich, I, Weimar 1960, S. 132 ff.

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sein Schwert der Notre-Dame von Rocamadour geschenkt40. König Ludwig der Heilige (1219 – 1290) wallfahrte 1244 mit seiner Mutter Blanka von Kastilien und seinen drei Brüdern Karl von Anjou, Alfons von Poitiers und Robert von Artois nach Rocamadour. Der König bestätigte durch die Wallfahrt seine Souveränität über das Herzogtum Guyenne und vor allem über die Grafschaft Toulouse41. Ludwig XI. (1423 – 1483) besuchte Rocamadour 1443 als Dauphin und 1463 als König42. Die Valois huldigten seit dem 14. Jahrhundert dem heiligen Michael, während das Haus Bourgogne Saint-André als Protektor wählte und die entsprechenden Wallfahrten förderten. Die Verehrung Mariens in Boulogne-sur-Mer an der Kanalküste wird mit dem Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon verbunden. Als man ihn zum König von Jerusalem erküren wollte, habe er die Krone zurückgewiesen und sie dem Gnadenbild U. L. Frau von Boulogne zu Füssen gelegt. Philipp IV. der Schöne (1285 – 1314) dankte der Muttergottes in Boulogne für die Errettung aus einer Schlacht. Als sich Eduard II. von England 1308 verheiratete, trafen sich fünf Könige und vier Königinnen vor der Madonna von Boulogne43. Nach dem Sieg zu Mons wallfahrte Philipp der Schöne zur Madonna von Chartres und verehrte ihr seine Rüstung. Philipp von Valois brachte ihr nach der Schlacht von Cassel sein Reitross und löste es gegen 1000 Pariser Pfund wieder aus44.Heinrich IV. (1589 – 1610) liess sich 1594 in Chartres krönen45, dort wurden auch die Fahnen aufgehängt. Die Könige Ludwig XIII. (1601 – 1643) und Ludwig XIV. (1638 – 1715) besuchten ebenfalls Chartres. Ludwig XI. (1423 – 1483) suchte verschiedene Wallfahrtsorte Frankreichs auf, so Notre-Dame von Celle, wo er eine neue Kirche bauen liess, Cléry, Canchy, Arras, Behuart, Fovière, Hal, Liesse, Rocamadour und Puy46. Ludwig der Heilige suchte gegen 30 Marienwallfahrtsorte auf. Ludwig XIII. weihte am 10. Februar 1638 seine Person und sein Land Maria und erhob sie zur Pa40

Pierre André Sigal, Les différents types de pèlerinages au Moyen Age, In: Lenz Kriss-Rettenbeck / Gerda Möhler (Hg.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, München / Zürich 1984, S. 82; Saint-Louis pèlerin, Rocamadour 1973, S. 9 ff. 41

Waltraud Hahn, Rocamadour, in Marienlexikon V (1993), S. 509; Brems (Anm. 29), S. 122. 42

Hahn, S. 509.

43

Brems, S. 129. Vgl. auch: Le pèlerinage (Cahiers de Franjeaux 15), Toulouse 1980, S. 198 ff. 44

Carlen (Anm. 1), S. 106.

45

Allerdings war der Krönungsort Reims noch in den Händen der Liga. L. Pillorget, Le Sacre d'Henri IV, Roi de France et de Navarre à Chartres le 27 février 1594, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Herrscherweihe und Königskrönung im frühneuzeitlichen Europa, Wiesbaden 1983, S. 103 ff. 46

Navarre, Louis en pèlerinage, Paris 1908, S. 66.

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tronin Frankreichs. Dieser „Staatsakt“ hatte einen politischen Hintergrund, sollte die Einheit im Land und die monarchische Zentralgewalt stärken47. Auch in Städten in Frankreich wurde die Wallfahrt Gegenstand politischer Entscheide. In Strassburg ordnete der Stadtrat vor der Reformation solche in die Marienkapelle des Frauenmünsters an48. 1689 legte Prinz Ludwig I. von Monaco vor dem marianischen Gnadenbild von Lageth nahe der Grenze zum Fürstentum Monaco den Treueschwur zum katholischen Glauben ab. Seither ist die Verehrung des Fürstentums, das jedes Jahr unter der Leitung des Erzbischofs nach Lageth pilgert, geblieben49. Italien ist ein Land mit vielen Wallfahrtsstätten50. Es bedürfte einer eigenen Untersuchung, wieweit Adelige, städtische und provinziale Behörden diese aus nationalen und politischen Gründen förderten. Für die Städte ist Siena dafür ein beredtes Beispiel51. Die Päpste, auch als Souveräne des Kirchenstaates, förderten die Wallfahrten. Das trifft besonders zu für Rom, Loreto, Padua und Assisi,die zu nationalen Wallfahrtsorten wurden52. Wallfahrer besuchten und besuchen die sieben Hauptkirchen Roms. Drunter haben St. Peter und S. Giovanni im Lateran besondere Bedeutung. Sie wurden auch von verschiedenen weltlichen Herrschern aufgesucht. Das geschah vielfach im Zusammenhang mit der Kaiserkrönung, die seit Karl dem Grossen im Jahre 800 bis und mit Friedrich III. 1452 in der Regel in St. Peter erfolgte, gleichzeitig fanden in St. Peter auch die Krönungen verschiedener Kaiserinnen statt53. Die Krönungsfahrt wurde auch zur Wallfahrt. An dem wahrscheinlich 47

Carlen (Anm. 9), S. 51.

48

Lucian Pfleger, Maria als Stadtpatronin des alten Strassburgs, in: Neuer Elsässer Kalender 1935, S. 89 ff.; Klaus Schreiner, Maria, Jungfrau, Mutter, Herrscherin, München 1994, S. 350 – 354. 49

Brems (Anm. 29), S. 116 f.

50

Raimondo Spiazzi, Italien, in: Marienlexikon III (1991), S. 332 ff.; Dominico Marcucci, Santuari Mariani d'Italia, Cinsisello Balamo 1987. 51 Hans Conrad Peyer, Stadt und Stadtpatron im mittelalterlichen Italien, Zürich 1955, S. 46 – 55; Schreiner (Anm. 48), S. 341 – 350; Kerstin Beier, Maria Patrona. Rituelle Praktiken als Mittel stadtbürgerlicher Krisen- und Konfliktbewältigung, Siena 1447 – 1456, in: Schreiner / Münz (Anm. 10), S. 97 – 124; Arnd Borst, Schutzheilige mittelalterlicher Gemeinwesen, in: ders., Barbaren, Ketzer und Artisten, 21990, S. 289 ff.; P. Golinelli, Il Comune italiano e il culto del santo cittadino, in: Petersohn (Anm. 27), S. 574 ff. – „Der Stadtpatron symbolisierte nicht nur städtische Herrschaft, er ermöglichte sie“ (Petersohn [Anm. 27], S. 608). 52 53

Die Literatur bei Carlen (Anm. 1), S. 111.

Paul Krull, Die Salbung und Krönung der deutschen Königinnen und Kaiserinnen im Mittelalter, Diss. Halle / Wittenberg 1911, S. 70 ff., 86 ff., 89 f.

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von Otto I. gestifteten Altar des hl. Mauritius, dessen Verehrung im Mittelalter politische Bedeutung zukam und der gewissermassen als „Reichsheiliger“ galt54, fand seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts die Salbung des Kaisers und der Kaiserin und deren Huldigung an den Reichsheiligen statt55. Lothar II. und seine Gemahlin Richenza und Heinrich VII. wurden im Lateran gekrönt. Obwohl Maximilian I. sehr um einen Romzug mit Kaiserkrönung in St. Peter bemüht war, verhinderte die politische und militärische Konstellation das56. Eine besondere Wallfahrtsstätte Roms, die auch politische Bedeutung erlangte, ist das unter allen römischen Madonnenbildern am meisten verehrte in der Capella Paolina von Santa Maria Maggiore: Salus Populi romani, nach der Legende vom heiligen Lukas gemalt, aber erst seit dem 13. Jahrhundert in Rom bezeugt57. Nationale Wallfahrtsstätte wurde auch St. Michael auf dem Monte Gargano. Päpste und weltliche Herrscher wussten das auch politisch für ihre Ziele zu nutzen58. Zwei deutsche Kaiser, Otto II. (955 – 983) und Heinrich II. (978 – 1024), wallfahrten auf den Monte Gargano59 zum Patron der Deutschen, der Ritter und Soldaten60. Die normannischen Herzoge und Könige begünstigten den Nikolauskult, weshalb die Nikolauskirche in Bari Mittelpunkt ihres Kultes wurde. Das gab gleichzeitig die Möglichkeit, durch die griechischen Mönche Einfluss auf die griechische Bevölkerung zu gewinnen61. Nachdem der letzte Normannenkönig

54

Albert Brackmann, Die politische Bedeutung der Mauritiusverehrung im frühen Mittelalter, SB der Berliner Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1937, S. 279 – 305 (wieder abgedruckt in: Gesammelte Aufsätze, 21967, S. 211 – 241); Adalbert Josef Herzberg, Der heilige Mauritius, Düsseldorf 1936, S. 73 ff. 55 Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland, I, Würzburg 1942, S. 227 ff., 232 und II, S. 27. 56

Hermann Wiesflecker, Maximilian I, Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, I, München 1971, S. 61. 57

Eva Maria Jung-Inglessis, Römische Madonnen, St. Ottilien 1989, S. 146 f.

58

Giovanni Battista Bronzino, Religione dei pellegrinaggi e religiosità gargancia, in: Lares 46 (1980), S. 167 ff.; Ciro Angelillis, Il santuario del Gargano e il culto di S. Michele nel mondo, 2 Bde, Foggia 1956. 59

Hubert Waldburg-Wolfegg, Vom Südreich der Hohenstaufen, München 41964, S. 35 f.

60

Anna Maria Renner, St. Michael in Geistes- und Kulturgeschichte, Saarbrücken 1927; Johannes Peter Rohland, Der Erzengel Michael, Arzt und Feldherr, Leiden / Brill 1977. 61

Antonio Gambacorta, Culte e pellegrinaggi a S. Nicola di Bari, in: Pellegrinaggi e culto dei santi in Europa fino alla prima Crociata, Todi 1963, S. 485 ff.; Ferdinand

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Wilhelm II. (1166 – 1189) gestorben war, erlangten der deutsche Kaiser Heinrich IV. und seine Nachfolger die Herrschaft über Süditalien. Auch sie förderten das Heiligtum in Bari62, und Friedrich II. nannte 1215 und 1243 die Nikolauskirche in Bari „nostra specialis est capella“63. Begünstigung erfuhr die Wallfahrtskirche in Bari auch durch das Haus Anjou, das 1265 das Königreich Neapel übernahm64. Oropa in der Provinz Piemont ist eine der ältesten Wallfahrtsstätten Europas. 1620 – 1920 wurde das Gnadenbild der Madonna alle 100 Jahre feierlich gekrönt. Der Wallfahrtsort wurde durch das Haus Savoyen besonders gefördert, was die Wallfahrt belebte65. Die „Historia Magni et Rotholandi“, die vor 1165 entstanden ist und sich in Fragmenten über ganz Europa verbreitete, bezeichnet Karl den Grossen nicht nur als Befreier Spaniens, sondern auch als ersten Pilger zum heiligen Jakob nach Santiago de Compostela66. Damit wird bereits auf die politische Bedeutung der Santiago-Wallfahrt hingewiesen. Die Wallfahrtsstätte wurde Zentrum nationalen Wallfahrtsdenkens in Spanien. Für die Idee der Reconquista, die Wiedergewinnung Spaniens vom Islam, war die „Entdeckung“ des Jakobusgrabes eine treffliche Hilfe und Santiago wurde das Gegenzentrum zum islamischen Cordoba. Jacobus, der Matamoros, der Maurentöter, half in allen Schlachten gegen den Islam. Das war ein Grund mehr, seine Wallfahrt von königlicher Seite her zu fördern67.

Chalandon, Histoire de la domination normande en Italie et en Sicile, II, Paris 1907, S. 585. 62

Karl Meisen, Nikolauskult und -brauch im Abendlande, Düsseldorf 1931, S. 100 f.

63

Johann Friedrich Böhmer / Julius Ficker, Regesta imperii, V, Innsbruck 1881 ff., Nrn. 838, 3383. 64

Meisen, S. 102. Zu Bari auch Kriss / Kriss-Heinrich (Anm. 35), S. 204 – 208.

65

Clemens Henze, Oropa, in: Marienlexikon V (1993), S. 25; Basilio Buscaglia, Il santuario di Maria SS. sui monti d'Oropa, Biella 1935; Marcucci (Anm. 50), s. 78. 66 Adalbert Hamel, Überlieferung und Bedeutung des Liber Jacobi und des PseudoTurpin, SB der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl., München 1955; Robert Plötz, Strukturwandel der peregrinatio im Hochmittelalter, in: Rheinischwestf. Zeitschrift für Volkskunde 26/27 (1981/82), S. 148. 67

Bartolomé Bennessar, Saint-Jacques de Compostelle, Paris 1970, S. 287 ff. Über den Ausdruck in der Ikonographie zuletzt J. K. Steppe, L'iconographie de Saint-Jacques le Majeur (Santiago), in: Santiago de Compostela, Katalog 1985, S. 129 ff., dort auch S. 362 – 365; Klaus Herbers, Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel, Die Entwicklung des „Politischen Jakobus“, in: Petersohn (Anm. 27), S. 178 ff. und dort verzeichnete Lit.

Louis Carlen

30

Von zahlreichen Fürsten und Königen aufgesuchter nationaler MarienWallfahrtsort Spaniens war, besonders seit dem 12. bis ins 15. Jahrhundert, Montserrat68. Von Kaiser Karl V. wurde es mehrmals aufgesucht. Verschiedene andere Wallfahrtsorte Spaniens erlangten durch den Besuch und die Auszeichnung von Fürsten nationale und politische Bedeutung. So widmete König Ferdinand von Aragonien den siegreichen Degen des heiligen Ferdinand III. (1199 – 1252), König von Leon und Kastilien, dem Gnadenbild de la Antiga zu Sevilla, König Alfons V. von Aragonien beehrte die Wallfahrtskirche del Puche in Valencia mit einem geschnitzten Bild des Kastells von Neapel, weil er dort unverletzt geblieben war, Ferdinand VII. von Spanien legte 1811 die Insignien des Goldenen Vlieses und des Ordens Karls III. vor dem Bild der Nuestra Senora de Atocha in Madrid nieder69. Könige in Portugal unternahmen selber Wallfahrten und unterstützten sie. König Joâo II. (1385 – 1433), der Begründer der Avis-Dynastie, unternahm nach der siegreichen Schlacht von Aljubarrota am 14. August 1385 eine Fusswallfahrt zum Gnadenort Nossa Senhora da Oliveira, und der in der Schlacht erfolgreiche Feldherr Nuno Alvares Pereira (1360 – 1431) machte eine Dankeswallfahrt zur Gottesmutter von Seiça70. Walsingham in der Grafschaft Norfolk war im Mittelalter der wichtigste Marien-Wallfahrtsort Englands. Die Gründungslegende ist verwandt mit jener von Loreto. 1226 wallfahrte König Heinrich III. nach Walsingham. Von da an unternahmen fast alle englischen Könige und Königinnen die berühmte Wallfahrt71. König Heinrich VII. bat hier 1487 um Beistand gegen die Aufständischen, und da er siegte, liess er seine Fahne im Heiligtum aufhängen72. König Heinrich VIII. dankte hier der Gottesmutter für die Geburt eines Sohnes, aber nach dem Bruch mit Rom 1534 bereitete er der Wallfahrt ein gewaltsames Ende. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Wallfahrt neu belebt73.

68

Anselm M. Albareda, Historia de Montserrat, Montserrat 1974, S. 287 ff.

69

Carlen (Anm. 10), S. 109.

70

Stefan Gatzhammer, Portugal, in: Marienlexikon V (1993), S. 276 und Lit. S. 279.

71

Ursula King, England’s Nazareth Pilgrimages to Walsingham during the Middle Ages and Today, in: Kriss-Rettenbeck / Möhler, S. 527 ff. 72 John Compton Dickinson, The Shrine of Our Lady of Walsingham, Cambridge 1956; Celin Stephenson, Walsingham Way, London 1970, S. 60 f. 73

Donald John Hall, English Medieval Pilgrimage, London 1966; Ronald Williamson, Medieval English Pilgrims and pilgrimages, in: Kriss-Rettenbeck/Möhler, S. 114 ff.; H. Loxton, Pilgrimage to Canterbury, London 1978, mit weiterer Literatur, S. 193 f.; Raymonde Forlville, Le jubilée de Saint Thomas de Cantorbéry (1220 – 1470), Paris 1958. – Zur Rolle der englischen Wallfahrtsorte Chichester, Croyland, Edmundsbury,

Politische und nationale Wallfahrten

31

Nationale Bedeutung erlangten auch St. Thomas Beckent (1118 – 1170) in Canterbury und St. Cuthbert in Durham, ebenso Westminster. Die Gebeine des von Papst Alexander II. 1161 heiliggesprochenen Königs Eduard des Bekenners wurden 1663 nach Westminister übertragen, worauf die Wallfahrt dorthin begann74. Seit der Krönung von Harold II. und Wilhelm dem Eroberer wurde Westminster Krönungskirche75. Hier fanden auch Staatsmänner und berühmte Persönlichkeiten ihre Grablege76. Nach Whithorn (Candida casa), wo die erste Steinkirche Schottlands entstand und dem heiligen Martin von Tours geweiht wurde, pilgerten die schottischen Könige von Robert the Bruce bis James V. James IV. unternahm die Wallfahrt sogar zu Fuss77. St. Andrews, wohin nach der Legende der griechische Mönch Rebulus Reliquien des heiligen Andreas brachte, erlangte als Wallfahrtsstätte bis zur Reformation nationale Bedeutung78. Im Westen Irlands liegt das Marienheiligtum Knock, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nationales Zentrum marianischer Frömmigkeit79. Papst Paul VI., der am 30. September 1979 Knoch besuchte, erhob die Kirche in den Rang einer Basilika und verlieh dem Heiligtum die Goldene Rose, ein beliebtes päpstliches Ehrengeschenk80.

Ely, Glastonbury, Lichfield, Oxford, St. Albans und von Donfermline und von Halywell, Pennant, Melangell und St. Davids’s in Wales sowie Böhoer und Downpatrick in Schottland B. Jarrett, Pilgrimage, Pilgrimage, in: The catholic Encyclopedia, XII (New York 1911), S. 90 – 96; L. D. Agate, Pilgrimage, in: Encyclopaedia of Religion and Ethics X, Edinburgh 1971, S. 19 – 21. 74

Franc Barlow, Edward the Confessor, London 1970; Ders., The Life of King Edward who rests at Westminster, London 1962; R. W. Southe, The First Life of Edward the Confessor, in: Engl. Hist. Rev. 58 (1943), S. 257 ff.; Erich Hoffmann, Die heiligen Könige bei den Angelsachsen und den Skandinavischen Völkern, 1975. 75

Percy Ernst Schramm, Das englische Königtum im Lichte der Krönung, Darmstadt 1970.

2

76

Herbat Francis Westlake, History of Westminster Abbey, London 1923; Williams Richard Lethaby, Westminster Abbey and the King's Craftsmen, London 1906. 77 J. Balfour Paul, Royal Pilgrimages in Scotland, in: Trans of Scottish Ecclesiological soc. i. (Aberdeen 1905), S. 147 ff. 78

Franz N. Melling (Hg.), Knaur Kulturführer … Grossbritannien u. Irland, München 1998, S. 533 f. 79 80

Michael O. Carrol, Le sanctuaire de Knock, 1990.

Zur Goldenen Rose: Elisabeth Cornides, Rose und Schwert im päpstlichen Zeremoniell, Wien 1967; Charles Burns, Golden Rose and Blessed Sword. Papal Gifts to Scottish Monarchs, Glasgow 1970.

Louis Carlen

32

Der Magistrat von Luxemburg erklärte 1666 die Maria auf dem Glaeis-Feld zur Patronin der Stadt, und 1678 erkor die Ständeversammlung Maria zur Schutzpatronin des Herzogtums, und ihre Statue wurde nationales Wallfahrtsziel81. In Norwegen hatte sich der heilige König Olaf II. (ca. 990 – 1030) bemüht, die Christianisierung des Landes zu vollenden. Sein Grab in Trondhjem (Nidaros) im Olaf-Dom wurde zur nationalen Wallfahrtsstätte82. Hier wurden auch die Königskrönungen vorgenommen. Man trug bei der Wahl neuer Könige den Schrein des heiligen Königs in feierlicher Prozession auf den Thingplatz. Wollten der Erzbischof und die Domherren die Wahl eines ihnen nicht genehmen Thronanwärters verhindern, weigerten sie sich, den toten König durch die Übertragung des Schreins an der Wahl teilnehmen zu lassen. Im Olaf-Dom wurde auch der Königsornat verwahrt83. Vadstena ist der Ort, wo Schwedens Nationalheilige Brigitta gewirkt hatte und wo sich das Mutterkloster des Brigittenordens befindet84. Seit dem 14. Jahrhundert besuchten schwedische Könige vielfach diese Stätte und beschenkten sie reich. Für den schwedischen Adel wurde der „Antrittsbesuch“ bei Schwedens Patronin üblich. Papst Bonifaz II. erlaubte 1392, den Jubiläumsablass durch eine Wallfahrt zur heiligen Brigitta zu gewinnen85. Fahrten gab es auch in den Dom von Uppsala, in den 1273 die Gebeine des als Nationalheiligen verehrten (allerdings nichtkanonisierten) Königs Eric IX. Jedvardsson (1160 ermordet) überführt und in einem Schrein hinter dem Hochaltar aufbewahrt werden86.

81

Michael Faltz, Luxemburg, in: Marienlexikon IV (1992), S. 194 f.; Brems (Anm. 29), S. 131 f.; Gabor Klaniczay, Le culte des saints dynastiques en Europe central (Angevins et Luxembourg), in: L’Eglise et le peuble chrétien dans les pays de l'Europe du CentreEst et du Nord (XIVe – XVe siècles), in: Acte du colloque … de Rome 1986 – 1990, S. 221 ff. 82

Harry Fett, Hellig Olaw Norgseviga Konge, Oslo 1938; Erich Hoffmann, Politische Heilige in Skandinavien und die Entwicklung der drei nordischen Reiche und Völker, in: Petersohn (Anm. 27), S. 280 ff. 83

Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, III, Stuttgart 1956. S. 782 f. 84 H. Chattingius, Studies in the Order of St. Bridget of Sweden, I, Uppsala 1963; T. Nyberg, Birgitinische Klostergründungen des Mittelalters, Diss. Lund 1965. 85

Ortrud Reber, Die Gestaltung des Kultes weiblicher Heiliger im Spätmittelalter, Diss. phil. Würzburg 1963, S. 103, 97. 86

Bengt Thordeman (Hg.), Erik den Helige, Historia-Kult-Reliker, Stockholm 1954.

Politische und nationale Wallfahrten

33

Die Kirche von Ringsted war bis 1319 die Grablege der dänischen Königsfamilie87, wobei die Gräber so angelegt wurden, dass sie auf den Schrein des heiligen Knut Lawards ausgerichtet waren. Ringsted wurde ein geistlicher Mittelpunkt des Reiches und sah Königs-Wallfahrten88. In der Schweiz wurden und werden Landeswallfahrten nach Maria Einsiedeln89 und zum nationalen Heiligen Nikolaus von Flüe (1669 selig und 1947 heiliggesprochen) in Sachseln, wo dessen Gebeine in der Kirche aufbewahrt werden, durchgeführt. Solche Landeswallfahrten werden in den Innerschweizer Quellen für die Jahrhunderte bezeugt. Nach den Beschlüssen der Landsgemeinde von Nidwalden im 16. und 17. Jahrhundert wurde die jährliche Landeswallfahrt nach Einsiedeln und Sachseln zur Rechtspflicht90. H. G. Wackernagel sagt: „Die Wallfahrt, und zwar besonders diejenige nach Einsiedeln, hat am organischen volksmässigen Wachstum und dann auch am geistigen Zusammenhalt der mittelalterlichen Eidgenossenschaft einen ganz wesentlichen Anteil gehabt“91. Die Fülle des Stoffes erlaubte nur Hinweise, wobei wir die zahlreichen lokalen Wallfahrten ausklammern mussten. Sie zeigt aber, dass politische und nationale Wallfahrten in der Geschichte und teilweise bis in die Gegenwart reichend einen nicht unwesentlichen Raum einnehmen.

87

Erich Hoffmann, Die heiligen Könige bei den Angelsachsen und den skandinavischen Völkern (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 69), 1975, S. 172; Thomas Hill, Könige, Fürsten und Klöster, Studien zu den dänischen Klostergründungen des 12. Jahrhunderts, 1992, S. 131 ff. 88

Hoffmann, in: Petersohn (Anm. 27), S. 290, 310 ff.

89

Rudolf Pfister, Kirchengeschichte der Schweiz, II, Zürich 1974, S. 476, 479.

90

Robert Durrer, Bruder Klaus, II, Sarnen 1917 – 1921, S. 698 ff.

91

Hans Georg Wackernagel, Altes Volkstum der Schweiz, Basel 1956, S. 181.

Die Dispensvollmachten des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara Von Anna Egler I. Die Aufgaben der Kardinal-Legaten (Legati a latere) Unter den päpstlichen Gesandten1 nahmen und nehmen die Legati a latere2 hinsichtlich ihres Auftrages wie ihrer Würde eine Sonderstellung ein. Die Bezeichnung „a latere“, „von der Seite des Papstes“ kommend, besagt, in ihnen ist eigentlich der Pontifex anwesend, sie handeln in persona Papae. Neben den Nuntien als ständigen Vertretern des Papstes wurden und werden sie ad hoc für besondere, wichtige, u. U. auch prekäre Aufgaben berufen. So deutet ihre Entsendung auf herausragende Ereignisse, komplizierte Verhältnisse, die es zu regeln gilt, und Rücksichtnahme des Heiligen Stuhles auf Empfindungen von Völkern und Empfindlichkeiten von Politikern. Sie waren stets mit weitreichenden Vollmachten (Jurisdiktion) ausgestattet (X 1, 30, 1 – 5.10). Ihrer bedeutsamen Mission entsprach ihre Würde. Denn diese Legaten wählten die Päpste seit Alexander III. (1159 – 1181) stets aus dem Kardinalskollegium, und spätestens seit Papst Gregor XIII. (1572 – 1585) kommt der Titel eines legatus a latere allein einem päpstlichen Gesandten im Kardinalsrang zu3. Ihre besondere Stellung fand äußeren Ausdruck im Tragen der päpstlichen Insignien (rote Oberbekleidung und Kreuz)4 und in der ehrenvollen Aufnahme, die ihnen die Staaten bereiteten. Die Kleidung legten sie an, nachdem sie die Grenzen des 1

Knut Walf, Die Entwicklung des päpstliche Gesandtschaftswesens in dem Zeitabschnitt zwischen Dekretalenrecht und Wiener Kongress (1159 – 1815) (= Münchener Theologische Studien, Kanonistische Abt. Bd. 24), München 1966; Pierre Blet, Histoire de la Représentation Diplomatique du Saint Siège des origines à l’aube du XIXe siècle (= Collectanea Archivi Vaticani 9), Città del Vaticano 1982. 2

Walf, Die Entwicklung (Anm. 1), S. 18 – 28; S. 12 – 18, 28 – 36 (Legati missi und legati nati, die in diesem Zusammenhang nicht zu behandeln sind); Plöchl, 2II, S. 109 – 111. 3

Klaus Ganzer, Das päpstliche Gesandtschaftswesen. Historischer Rückblick, in: NKD 21, S. 9 – 16, hier S. 11; Blet, Histoire (Anm. 1), S. 118 – 140; Plöchl, 2III, S. 183 – 184; Walf, Die Entwicklung (Anm. 1), S. 193, A. 779. 4

Hinschius, Kirchenrecht I, S. 516; Walf, Die Entwicklung (Anm. 1), S. 20, 23.

Anna Egler

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Kirchenstaates überschritten hatten. Caprara z. B. wurde drei Tage nach seiner Ernennung im Konsistorium am 27. August 1801 das silberne Kreuz überreicht5, und Napoleon befahl, seine Ankunft in Paris prachtvoll zu gestalten6. Ein Kardinal-Legat ist immer ein Legatus a latere. Die Entscheidung des Papstes Pius VII. (1800 – 1823), im Jahre 1801 einen solchen persönlichen Vertreter nach Frankreich zu schicken, hielt sich an die diplomatischen Gepflogenheiten des Apostolischen Stuhles, zur Entschärfung, Beilegung und Bereinigung von Krisensituationen einen hochrangigen Prälaten zu entsenden. II. Die Mission des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara-Montecuccoli in Frankreich 1. Der Grund für die Entsendung eines Legatus a latere Nach der Französischen Revolution, in deren Wirren der Terror gegen Glaube und Religionsausübung wütete, suchte Napoleon Bonaparte das Land auch religiös zu befrieden. Denn er war sich der moralischen und friedensstiftenden Kraft der Religion bewusst und wollte diese für seine Ziele einsetzen und nutzen. So strebte er ein Abkommen mit der Kirche an, das ihr Existenzrecht und Freiheit gewähren, im Staate Beruhigung heraufführen und ihm bei der Bevölkerung einen Prestigegewinn bringen sollte. Nach zähen Verhandlungen zwischen den Vertretern der Kirche und jenen der Französischen Republik7 konnte am 15. Juli 1801 das Konkordat zwischen Papst Pius VII. und Napoleon unterzeichnet werden8. In der Präambel betonten die Partner, dass der Vertrag 5

Alfred Boulay de la Meurthe, Documents sur la négotiation du concordat et sur les autres rapports de la France avec le Saint-Siège en 1800 et 1802, 6 vol., Paris 1891 – 1905, hier IV, S. 4, 266; Augustin Theiner, Histoire des deux Concordats de la République Française et de la République Cisalpine … d’après des documents inédits, extraits des Archives Secrètes du Vatican et de celles de France, 2 Bde., Paris 1869, hier I, S. 272, 402. 6

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5) IV, S. 106, 130 – 132.

7

Dokumentation bei Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), I – V; Theiner, Histoire (Anm. 5), I, II mit Pièces justificatives; Ilario Rinieri, La Diplomazia Pontificia nel secolo XIX, 2 Bde., Roma 1902, hier Bd. 1; Bernard Ardura, Le Concordat entre Pie VII et Bonaparte 15 juillet 1801. Bicentenaire d’une réconciliation. Préface par Gérard Cholvy, Postface par Louis-Marie Billé, Paris 2001, S. 43 – 72 (vornehmlich gestützt auf die Memoiren von Consalvi). 8

Text des Konkordates: AfkKR 85, 1905, S. 102 – 106; Mercati I, S. 561 – 565; Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5) III, S. 213 – 219; Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 421 – 429; Rinieri, La Diplomazia (Anm. 7) I, S. 584 – 590; Lothar Schöppe, Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate (= Dokumente Bd. XXXV), Frankfurt a.M. 1964, S. 93 – 96.

Die Dispensvollmachten des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara

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abgeschlossen werde „ad religionis bonum internaeque tranquillitatis conservationem“. Bonaparte hatte in diktatorischer Manier einen Kompromiss erzwungen, dem der Papst nur schweren Herzens und um größeren Schaden zu vermeiden zustimmte. Immerhin wurde die Verfolgung der Religion beseitigt und die katholische als „religionem quam longe maxima pars civium Gallicanae reipublicae profitetur“ anerkannt; die Freiheit der Religionsausübung war vertragsrechtlich garantiert, auch wenn der öffentliche Kult einer gewissen staatlichen Aufsicht unterlag (Art. 1), und die Beendigung eines 10jährigen Schismas erreicht. Schon das Ringen um eine Vereinbarung ließ ahnen, dass die Umsetzung des Konkordates und in dessen Folge die Rückkehr zu Einheit und Disziplin in der Kirche langwierige und mühsame Verhandlungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und der französischen Regierung erfordern würden. Napoleon setzte sich auch mit Forderung durch, diese „vor Ort“ zu führen. Allerdings waren seit etwa Ende Mai 1791, da der apostolische Nuntius Antonio Dugnani Paris verlassen hatte9, die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und der katholischen Kirche unterbrochen. Als Geschäftsträger unter der selbst zugelegten Bezeichnung „Internuntius“ wirkte in den folgenden Jahren wenig glücklich Abbé Louis-Siffrein-Joseph de Salamon-Foncrose10. Ab November 1800 war der Napoleon genehme Giuseppe Spina, Titular-Erzbischof von Korinth und Mitglied der Kardinalskongregation für die französischen Angelegenheiten, in Paris anwesend11. Obwohl zur Auslotung der Chancen eines Konkordates in die französische Hauptstadt geschickt, hatte er nach Consalvis Vorstellung allein als Beobachter der religiösen Fragen und als Kontaktperson zu fungieren, keineswegs als bevollmächtigter Diplomat12. Nach dem 15. Juli 1801 war daher vom Papst ein Sondergesandter mit weitreichenden Fakultäten zu bestellen. Wegen der prekären Situation und mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit Napoleons war die Wahl einer hochrangigen und in der Diplomatie versierten Persönlichkeit geboten – so wie der Erste Konsul es entsprechend der Übung der vergangenen Jahrhunderte verlangte. Spina empfahl übrigens wegen der zu erwartenden Feindseligkeiten gegen das Konkordat 9 P(aul) Pisani, L’Église de Paris et la révolution IV: 1799 – 1802 (= Bibliothèque d’histoire religieuse), Paris 1911, S. 71 – 72; Charles Ledré, L’Abbé de Salamon. Correspondant et agent du Saint-Siège pendant la Révolution (= Bibliothèque de la Société d’histoire ecclésiastique de la France), Paris 1965, S. 114 – 116. 10

Ledré, L’Abbé de Salamon (Anm. 9), S. 117 – 118, 121.

11

Pisani, L’Église de Paris (Anm. 9), S. 71 – 73; Bernard Ardura, Le Concordat (Anm. 7), S. 26, 32 – 33. 12

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), III, S. 597 – 637; Pisani, L’Église de Paris (Anm. 9), S. 72; André Latreille, L’Église catholique et la revolution française, II: L’ère napoléonienne et la crise européenne (1800 – 1815), Paris 1950, S. 26 – 27; Ardura, Le Concordat (Anm. 7), S. 46. – Anders Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 269: Spina nahm Funktionen/Aufgaben eines apostolischen Nuntius wahr.

Anna Egler

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die Wahl eines Purpurträgers und wies auf Caprara als die geeignete Persönlichkeit hin13. Pius VII. entsprach nicht nur dem dringenden Wunsch Napoleons nach einem Legaten mit umfangreichen Vollmachten, sondern er ernannte trotz seiner und Consalvis Bedenken dessen Favoriten für diese Mission, den Giovanni Battista Caprara (1733 – 1810, † am 21.6. in Paris), den Bischof von Jesi in den Marken14. Der Wunschkandidat Bonapartes hatte als Nuntius in Köln (1767 – 1775), Luzern (1775 – 1785) und Wien (1785 – 1793) gewirkt. Der 68jährige Kardinal galt als geschmeidig, nachgiebig und frankophil; zuweilen ist er als Napoleon zu willfährig beurteilt worden15. Abgesehen von der schwierigen Lage, in der sich der päpstliche Legat aufgrund der Zeitumstände, die selbst der Papst erkannt haben soll16, und angesichts eines diktatorischen Machthabers, der seine Pläne rücksichtslos verfolgte, gestellt sah, haben seine körperliche Schwäche und Kränklichkeit an seinen Kräften gezehrt und sein Durchsetzungsvermögen reduziert. Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi gegenüber, der ihn zu kompromissloserem Handeln aufforderte, rechtfertigte sich Caprara mit folgender Begründung: „C’est ‚pour ne pas causer un mal irrémédiable à la religion dans la France entière et dans tous les pays qui lui sont soumis’, c’est parce que ‚le parti antireligieux a jugulé le Premier Consul’ et l’a poussé à ‘se séparer de Rome’“17. Consalvis Drängen erstaunt um so mehr, als er selbst als päpstlicher Generalbevollmächtigter für die Konkordatsverhandlungen im Sommer 1801 hatte erkennen müssen, dass bei Unnachgiebigkeit des Apostolischen Stuhles das Projekt scheitern könnte und dann alles

13 Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), III, S. 29 – 30 (30. Mai 1801); Simon Delacroix, La réorganisation de l’Église de France après la Révolution (1801 – 1809), I: Les nominations d’évêques et la liquidation du passé, Paris 1962, S. 60. 14 Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 269 – 272 (24. August 1801: der französische Gesandte in Rom Cacault an Talleyrand über Caprara); Ardura, Le Concordat (Anm. 7), S. 70; zu Caprara: R. Mols, Caprara (Jean-Baptiste), in: DHEG XI, 1949, Sp. 944 – 957; Giuseppe Pignatelli, Caprara Montecuccoli, Giovanni Battista, in: DBI 19, 1976, S. 180 – 186; Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 30, 344 (9. September, 2. Dezember 1801); G. Constant, L’Église de France sous le Consulat et l’Empire (1800 – 1814), Paris 1928, S. 203 – 205; Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 61 – 63. 15

Immerhin ehrte ihn Napoleon nach seinem Tode durch die Beisetzung im Pantheon (Ardura, Le Concordat [Anm. 7], S. 41). 16 Vgl. Cacaults Bericht an Talleyrand vom 28. August 1801 über das öffentliche Konsistorium anlässlich der Überreichung des Kreuzes an Caprara (27. August): Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 4 – 5; Latreille, L’Église catholique (Anm. 12), S. 25 – 26. 17

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 467 (Mai 1802); ähnlich bei Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 452 (15. Mai 1802).

Die Dispensvollmachten des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara

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zu befürchten war, nicht nur für den Kirchenstaat, sondern auch für die Religion18. Das Ernennungsbreve „Dextera altissimi“ vom 24. August 1801 umschreibt unter Bezugnahme auf den aktuellen Anlaß Zweck und Ziel von Capraras Mission19. Der Pontifex erhoffte sich von deren umsichtiger und gewissenhafter Wahrnehmung Hilfe für die geistlichen Bedürfnisse der Gläubigen und gute Ergebnisse bei der Umsetzung des Konkordates. Selbstverständlich fehlen gemäß Kurialstil nicht die lobenden Worte für den Legaten; es werden u.a. seine Erfahrung, seine bekannte Tüchtigkeit und außerordentliche Klugheit hervorgehoben. Im Akkreditiv „Deferet tibi“ vom 4. September 1801 für den Ersten Konsul übernimmt der Papst entsprechend diplomatischer Gepflogenheiten diese positive Charakterisierung und betont, dass er ihm aufgetragene sehr schwierige Aufgaben bisher „summa cum laude“ erfüllt habe und er auch dieses Mal nicht am Geschick seines Gesandten zweifle, einen positiven Ausgang zu erzielen20. Die Mission in Frankreich war eine heikle. Sie erforderte nicht nur Umsicht und Klugheit, sondern mehr noch einen ausgedehnten Handlungsspielraum. Den zunächst in Rom ventilierten Plan, für den weltlichen und den geistlichen Bereich je eine Person zu bestimmen, gab man auf. Vielmehr ernannte der Papst Caprara zum „ministrum plenipotentiarium“. Es oblag ihm, nicht nur die sich aufgrund des Konkordates ergebenden geistlichen Angelegenheiten zu verhandeln, sondern auch die weltlichen21, wie dies in der Regel die Nuntien taten. Der Kardinal vereinigte in seiner Person die Vollmachten eines außerordentlichen Gesandten und eines Legaten und somit qualitativ unterschiedliche Vollmachten22. Für den Ersten Konsul war die spirituelle Seite der Gesandtschaft die vorrangige („principale fonction“)23. Er stimmte darin mit dem Papst überein, der die Notwendigkeit sah, Caprara zu den üblicherweise den Legaten a

18

Consalvi am 13. Juli 1801: „Se la trattativa non si fosse conclusa, …, vi era da temere di tutto, non solo per lo Stato, ma per la religione stessa“ (Boulay de la Meurthe, Documents [Anm. 5], III, S. 257 f.); vgl. auch Ardura, Le Concordat (Anm. 7), S. 52 – 54 (nach Consalvi, Mémoires I, S. 332). 19

Text: Mansi 41, Sp. 533 – 534; Theiner, Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 14 – 16. 20

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 16 – 17, vgl. auch S. 15.

21

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 17 – 18. – Für den weltlichen Bereich wollte man sich vorübergehend des in Paris anwesenden Spina bedienen (S. 17, A. 2). 22

Bernier an Portalis am 10. Oktober 1801 betreffend den Empfang Capraras durch die Regierung: Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 148 – 149. 23

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), V, S. 233 – 235, hier S. 233 (Zitat).

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latere nach Recht, Praxis, Gewohnheit, Privileg und auf andere Weise gewährten Vollmachten weitere hinzuzufügen. So stattete er ihn für dieses „tantum ac grave munus“24 zusätzlich „pluribus, extraordinariis amplissimisque facultatibus“25 aus. Diese zahlreichen und sehr weit ausgedehnten Vollmachten entsprachen der außerordentlichen Situation, in der sich das Land bzw. Glaube und Religion nach der Revolution befanden. Sie sollten das Wirken des Gesandten zum Heil der Seelen ohne zeitliche Verzögerungen erleichtern, den Gläubigen Mehrung der geistlichen Güter und Stärkung in der Gnade bringen. Denn nach der Intention des Papstes sollte niemand „a perfectae reconciliationis beneficio“ ausgeschlossen sein (Cum omnipotentis Nr. LXVI). Insgesamt sollten sie der Wiedererweckung des Glaubens, der Stabilisierung der religiösen Verhältnisse und der Neuordnung der kirchlichen Strukturen dienen. Die Durchführung des Konkordates erforderte die Kooperation mit der weltlichen Macht. Selbstverständlich wählte Napoleon dafür eine aus seiner Sicht verlässliche Person. Es war dies der zweifellos fachlich kompetente und ihm ergebene, jedoch gallikanisch gesinnte Staatsrat Jean-Étienne-Marie Portalis (1746 – 1807), der am 8. Oktober 1801 mit allen Fragen, die den Kult betrafen, von Napoleon betraut worden war26. Von ihm konnte er die Ausführung der konkordatären Vorgaben in seinem Sinne erwarten. 2. Die Vollmachten des Kardinal-Legaten Entsprechend seiner Übung übertrug der Apostolische Stuhl auch an Caprara die Vollmachten durch Sendschreiben, um die Fakultäten so weit wie nur möglich auf die Situation abzustimmen27. Die große Zahl der benannten Einzelfälle lässt erkennen, welche verworrenen Verhältnisse auf Caprara warteten. Nicht nur die Kirche als Institution war schwer getroffen worden, viele Christen waren in ungeordnete Verhältnisse geraten. Vor allem Mitglieder des Klerus sowie Religiosen von Männer- und Frauenverbänden waren während der turbulenten Revolutionsjahre Glaubensgefährdungen erlegen28. Dem Legaten oblag nicht 24

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 15 (Breve „Dextera altissimi“: 24. August 1801). 25 Einleitung des Breves „Cum omnipotentis“ vom 24. August 1801: Mansi 41, Sp. 533; Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 20; Theiner, Histoire (Anm. 5), II, S. 77. 26 Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 137 – 139; Latreille, L’Église catholique (Anm. 12), S. 40; Ardura, Le Concordat (Anm. 7), S. 41 – 42. 27 28

Walf, Die Entwicklung (Anm. 1), S. 201.

Siehe z. B. „Cum omnipotentis“ Nr. I – XII, XXXII, LXVI (facultates absolvendi) und Nr. XIV, XV, XXXIX, LXVI (facultates dispensandi): Mansi 41, Sp. 534 – 536, 538 – 539, 542.

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nur die Aussöhnung Gestrauchelter mit der Kirche, sondern eine allgemeine Erneuerung und Wiederbelebung des religiösen Lebens in Frankreich. a) Inhaltliche, territoriale und zeitliche Festlegung Wie bereits erwähnt, hatte der Papst Caprara die Verantwortung für den geistlichen und den weltlichen Bereich übertragen. Für ersteren erhielt der Legat zunächst mit zwei am 24. August 1801 datierten Urkunden die Vollmachten. Zum Ernennungsschreiben „Dextera altissimi“29 trat das Breve „Cum omnipotentis“, das detailliert die verliehenen Fakultäten für die geistlichen Belange auflistet und die Fälle benennt, in denen sie anzuwenden sind30. Am 4. September 1801 folgten mit „Cum pro tua religione“ weitere Instruktionen. Dieses Breve wirkt in seiner kumulativen Sprechweise beinahe wie eine Einschränkung zu „Cum omnipotentis“. Es überträgt Caprara „omnes et singulas facultates“, deren sich die Legaten nach Recht, Kurialstil, Gewohnheit, Privileg und auf welche andere Weise auch immer erfreuen. Ohne Bezugnahme auf gegebenenfalls anzutreffende Verhältnisse wurden die Vollmachten „absolvendi, dispensandi, commutandi, condonandi, relaxandi“31 gewährt. Gebrauchen soll sie Caprara nach seinem Ermessen, klugen (Gewissens-)Urteil und nach dem Vorbild des Herrn mit heilsamer/schonender Milde (salubri moderatione) sowie angepasst an die örtlichen, zeitlichen und persönlichen Verhältnisse. Sollte es sich zum Wohle der Kirche und der Seelen als nützlich und notwendig erweisen, können die Fakultäten an geeignete Personen delegiert werden. Bei diesen weitreichenden Vollmachten soll der Legat aber in Zweifelsfällen nicht unterlassen, den Apostolischen Stuhl zu konsultieren. Diesem Dokument kommt als Pendant zum Breve „Cum omnipotentis“ eine wichtige Rolle zu. Wie der Kardinal-Legat die beiden Breven einsetzen soll bzw. kann, darüber wurde er unterm Datum des 5. Oktober 1801 unterrichtet. Neben anderen Instruktionen zu seiner Vorgehensweise wurden ihm auch Regeln für die Handhabung der Fakultäten mitgeteilt32. Der Papst ging davon aus, dass der allge-

29

Mansi 41, Sp. 533 – 534; Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 14 – 16; Theiner, Histoire (Anm. 5), II, S. 145 – 146. 30

Mansi 41, Sp. 533 – 542; Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 20 – 24; Theiner, Histoire (Anm. 5), II, S. 70 – 76. 31 Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 19; Theiner, Histoire (Anm. 5), II, S. 146 – 147. 32

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 62 – 81, hier S. 69 – 71. – Die offizielle Instruktion der Legaten wurde immer wieder durch besondere Avvertimenti ergänzt, die eingesetzt werden konnten, wenn es erforderlich war. Z. B. erhielten die Kardinäle Pietro Camaiani 1551, Hieronimo Dandino 1553, Hieronimo Capodiferro 1553 solche Anweisungen (Anton Pieper, Die päpstlichen Legaten und Nuntien in

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meiner gehaltene Text von „Cum pro tua religione“ mit der generellen Autorisation zum Gebrauch seiner Vollmachten der Regierung weniger gefährlich erscheinen dürfte. Daher soll der Kardinal-Legat aus Gründen der Klugheit sich zunächst dieses später ergangenen Breves bedienen, um möglichen Problemen in der Zusammenarbeit mit der Regierung vorzubeugen. Dieser Rat beruhte auf Erfahrung. Denn in der Vergangenheit hatten der König und das Parlament im Beharren auf den Prinzipien des Gallikanismus verlangt, dass die Legaten ihre Vollmachten vorlegten, und es war öfter geschehen, dass das Parlament eine Einschränkung vornahm und so die Ausübung teilweise behinderte33. Hat Caprara sich behutsam vorgetastet, kann er die Regierung vorsichtig nach und nach auch über seine weiteren Fakultäten unterrichten. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme stieß auch Caprara an Grenzen und musste Beeinträchtigungen seines Wirkens hinnehmen. In dem Beschluss vom 8. April 1802, der dem Legaten die Ausübung seiner Fakultäten gestattete, maßte sich die Regierung an, dem Legaten vorzuschreiben, wie er dabei vorzugehen habe. Es werden die bekannten Forderungen wiederholt. Er hat sich durch Eid und Versprechen zu verpflichten, nach den Regeln und Gepflogenheiten, die in ähnlich gelagerten Fällen in Frankreich beachtet werden, zu richten. Das Arrêté atmet den Geist des Gallikanismus und läuft auf eine Beaufsichtigung und damit eine Einschränkung der Tätigkeit Capraras hinaus34. Inhaltlich deckt es sich mit den Vorgaben der ebenfalls am 8. April 1802 datierten Organischen Artikel35, die eine einseitige Ergänzung und Auslegung des Konkordates im Sinne der gallikanischen Tradition vornahmen. Die Caprara im Jahre 1801 vor der Abreise nach Paris verliehenen Vollmachten waren für Frankreich gedacht. Sie durften nur innerhalb der Grenzen dieses Landes ausgeübt werden, hier aber gegenüber allen Gläubigen, die sich in dem Lande aufhielten36. Bei Delegation einer oder mehrerer Fakultäten an Ortsordinarien dürfen auch diese sie nur auf dem Territorium ihrer Diözese gebrauchen37. Für die Beilegung der Zwistigkeiten in den belgischen Departements wurde Caprara am 25. August 1801 mit dem Breve „Ut tandem aliquando“ autorisiert. Inhaltlich wie räumlich konnte dieses Wirken mit jenem in

Deutschland, Frankreich und Spanien seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts I, Münster 1897, S. 28, 147 – 148, 51, 163 – 165, 168 – 170). 33 Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 69 – 70; vgl. auch Walf, Die Entwicklung (Anm. 1), S. 200. 34

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), V, S. 437 – 439.

35

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), V, S. 313 – 327, 330 – 341.

36

Einleitung von „Cum omnipotentis“: Mansi 41, Sp. 534; Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 76 – 77. 37

„Cum omnipotentis“ Nr. LXIII: Mansi 41, Sp. 542.

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Frankreich vereinbart werden. Hatte dieser Auftrag doch im Nachbarland Verhältnisse zu bereinigen, die ebenfalls durch die französische Revolution verursacht worden waren. Der Eid des Hasses auf das Königtum beispielsweise hatte in Belgien die Bevölkerung gespalten, und sie sollte nun versöhnt werden38. Die Fakultäten waren für die Dauer der Erfüllung der Aufgabe als Legatus a latere übertragen, wenn sie nicht vorher widerrufen wurden. Durch eine Sedisvakanz des Apostolischen Stuhles verlieren sie ihre Gültigkeit nicht39. Offiziell begann die Tätigkeit der Legaten nach Vorlage ihres Beglaubigungsschreibens bei der Regierung und der Ablegung des Eides. Dieser Termin verzögerte sich bei Caprara bis zum 9. April 1802 wegen der von Napoleon geforderten Einschübe zur Beachtung der gallikanischen Artikel. Doch wurde er bereits am 6. Oktober 1801, zwei Tage nach seiner Ankunft in Paris, von Napoleon in Privataudienz empfangen, und der Erste Konsul ließ ihn sofort seine Arbeit beginnen. Der zeitliche Aspekt spielte beim Einsatz der Fakultäten insofern noch eine Rolle, als in bestimmten Fällen Daten zu berücksichtigen waren. Der 15. Juli 1801, der Tag des Konkordatsabschlusses, war ein solcher Termin. Alle vor diesem Stichtag vollzogenen Handlungen, durch die Personen in Konflikt mit der Ordnung Gottes und der Kirche geraten waren, konnten saniert werden – soweit sie von der apostolischen Binde- und Lösegewalt umfasst waren, gerechte und vernünftige Gründe vorlagen und die Petenten subjektiv die erforderlichen Bedingungen erfüllten. Dispensanträge, die nach dem 15. Juli geschehene Verstöße gegen die kirchlichen Normen enthielten, konnte der Legat nicht positiv entscheiden. Mit Bezug auf dieses Datum lehnte Caprara z. B. das Gesuch einer ehemaligen Religiosen ab. Sie hatte erst am 9. November 1801 zivil geheiratet und bat nun Caprara, ihr die Gültigmachung dieser Verbindung zu ermöglichen. Obwohl die betrübliche Situation dieser unglücklichen Frau sein Mitgefühl erregte, musste er ihr eine abschlägige Antwort erteilen. Diese begründete er auch damit, dass Sonderinteressen von Individuen dem Allgemeinwohl unterzuordnen sind40. Davon zu unterscheiden sind Dispensanträge, die vorab, d. h. vor Setzung einer Handlung eingereicht wurden: die Bitte um Befreiung von Ehehindernissen vor der geplanten Eheschließung oder von Weihehindernissen vor Empfang der Weihe. Ähnliche Situationen stellten sich wohl auch bei Fasten- und Abstinenzfragen.

38 Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 25 – 27; Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 90 – 92. 39 40

„Cum omnipotentis“ Nr. LXII: Mansi 41, Sp. 541 – 542.

Albert Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires devant le Cardinal Caprara, in: Annales historiques de la Révolution française 3, 1926, S. 1 – 15, hier S. 9 – 10.

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Die akribische Aufzählung im Breve „Cum omnipotenis“ lässt nicht vermuten, dass weder die gewährten Fakultäten ausreichen noch alle Fälle erfasst sind, in denen sie zur Anwendung kommen sollen. Doch schon bald nach Capraras Eintreffen in Paris merkt Spina Kritik an41. Auch Caprara bittet um Erweiterung der Fakultäten, und Napoleon verlangt Gleiches. Am 21. November 1801 schon verlangte der Legat angesichts verschiedener komplexer Ehefälle dringend weitere notwendige Fakultäten42. b) Die Qualität der Vollmachten In 64 Nummern listet das Breve „Cum omnipotentis“ die Fälle auf, für die Caprara Vollmachten erhielt. Die einzelnen Fakultäten sind von verschiedener Qualität. Sie befähigen zum Setzen von Akten hoheitlicher Hirtengewalt (strictu sensu „facultas absolvendi“: Nr. I – XI, XII: Generalklausel betreffend die dem Apostolischen Stuhl reservierten Fälle und Zensuren, „dispensandi“: Nr. XIII – XXVI, XXXIX, LIII, LIV, Ablassgewährungen: Nr. XLV – XLVII, LII, LVII – LX: „elargiendi/impertiendi/concedendi plenariam indulgentiam“) bis zur Regelung von Rubrikenfragen (Nr. LVI: Art der Kirchenbeleuchtung: „permittendi“) und wirtschaftlichen Problemen ehemaliger Religiosen (Nr. XL, XLI). Verben wie „commutandi“ (Nr. XXVIII) und „concedendi“ (Nr. XLII, XXXIV, LVIII) können durchaus Handlungen hoheitlicher Hirtengewalt andeuten. Pius VII. bezieht sich bei der Ernennung Capraras auf die herausgehobene Stellung der Legati a latere. Dieser entsprechen die sehr weitreichenden Vollmachten, mit denen der Apostolische Stuhl diese Gesandten nach ständiger Übung fallweise ausstattete. In Wahrnehmung einer festumgrenzten, wenn auch zeitlich limitierten Aufgabe handeln sie als Stellvertreter des Papstes und besitzen daher eine „potestas ordinaria vicaria“43. Nach „Cum omnipotentis“ sollte diese Rückbindung an die päpstliche Autorität erkennbar sein. Daher wurde Caprara verpflichtet, bei Gebrauch der Fakultäten ausdrücklich auf die besondere apostolische Bevollmächtigung („de hac speciali apostolica concessione expressa mentio fiat“) hinzuweisen, und in schriftliche Ausfertigungen hatte er diesen Zusatz wortgetreu einzufügen (Nr. LXIV). Caprara konnte gegebenenfalls Fakultäten weitergeben, allerdings unter Beachtung der Vorgaben des Apostolischen Stuhles (Nr. LXI, LXIII, LXVI). Nr. LXVI z. B. ermächtigt den 41

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 266 – 267 (31. 10. bzw. 3. 11. 1801). 42

Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 381, A. 1, 2; vgl. Constant, L’Église de France (Anm. 14), S. 209 – 210. 43

tit. De officio legati X 1, 30; VI° l, 15. Vgl. Klaus Mörsdorf, Gesandtschaftswesen, päpstliches, in: LThK IV, 21960, Sp. 766 – 773, hier Sp. 768.

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Legaten zur Subdelegation. In den Nummern LXI und LXIII wird dagegen nicht der terminus technicus verwendet, sondern das Verb communicare, das zweifellos den gleichen Sachverhalt meint44. Weitergabe und Ausübung sind Capraras Urteil und Verantwortung unterworfen (Nr. LXI). So können in der Praxis beträchtliche Unterschiede in der Handhabung entstehen. An Bischöfe, Pfarrer und andere Priester kann der Legat für einzelne Fälle oder in allgemeiner Form, vor allem für den Gewissensbereich, entsprechend der Situation und für eine von ihm festgesetzte Zeit Vollmachten übertragen. Wenn erforderlich kann er diese verlängern, widerrufen und hinsichtlich Gebrauch, Ort und Zeit einschränken (Nr. LXI). Priester kann er bevollmächtigen (delegandi), Paramente und andere für die Feier der Messe erforderlichen Utensilien, für die keine Salbung zwingend ist, zu weihen und die Rekonziliation von geschändeten Kirchen (ecclesias pollutas) mit Wasser, das von einem rechtmäßigen Bischof geweiht ist, u.U. aber auch mit nicht von einem Bischof geweihten Wasser, vorzunehmen (Nr. XLIII). Sollte der Legat eine Vollmacht oder mehrere Fakultäten Ortsordinarien mitteilen (communicare), dürfen diese nur innerhalb der Diözesangrenzen gebraucht werden (Nr. LXIII). Sehr enge Grenzen zieht der Papst bei der Behandlung der Bischöfe und Erzbischöfe, die in der Vergangenheit ohne apostolische Institution einen Bischofssitz eingenommen und sich damit die Exkommunikation zugezogen haben. Die Subdelegation für die Absolution (facultas absolvendi) dieser Strafe darf nur (jeweils) in einzelnen Fällen erfolgen (Nr. LXVI). III. Die Dispensvollmachten 1. Allgemein Die Dispensvollmachten bildeten nur einen Teil der Fakultäten Capraras. Für die Normalisierung der Verhältnisse dürften sie die bedeutsamsten gewesen sein. Zweifellos waren durch die Revolutionsereignisse für den einzelnen Gläubigen wie für die Kirche insgesamt Veränderungen eingetreten, die eine milde Gesetzesanwendung nahe legten, wenn nicht forderten45. Mit der Übertragung der Vollmachten und den Anweisungen zu ihrem Gebrauch hatte der Papst die allgemeinen Voraussetzungen für die Befreiung von der Geltung bestimmter kirchlicher Gesetze benannt: das geistliche Wohl des einzelnen Gläubi-

44 Wohl ähnlich zu beurteilen wie „committere – commissio, permissio“, „mandare – mandatum“. Vgl. Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (= GörresGesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft Heft 74), ND Paderborn 1967, S. 107, 109. 45

Vgl. der Papst in „Cum pro tua“: Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), IV, S. 19.

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gen wie das Wohl der Kirche mit dem Ziel, keinen „a perfectae reconciliationis beneficio“ auszuschließen46. Die vom Konzil von Trient für eine Dispens als notwendig angesehene iusta causa bzw. die urgens justaque ratio sowie die major utilitas dürften außer Frage stehen47. Die Aussicht auf Absolution von Schuld, ein Ordnen des aus der Bahn geworfenen Lebens sowie die Rückkehr in die Kirche eröffnete vor allem vielen Mitgliedern des geistlichen Standes einen Neubeginn im Frieden mit Gott und der Kirche. Insofern die Dispensen eine allgemeine Befriedung mit heraufführen konnten, diente die Milderung der Gesetzesstrenge auch dem öffentlichen Wohle48. Die Dispensation war häufig nur die eine Seite der Aussöhnung mit der Kirche. Doch scheint diese für die Petenten das eigentliche Anliegen gewesen zu sein. Denn wurde sie gewährt, eröffnete sich im äußeren Bereich die Möglichkeit, ein normales bürgerliches Leben zu führen bzw. zu beginnen. Daher wurde in der Regel nur die Dispens erbeten. Aber es gab Situationen, bei denen die Dispens allein nicht genügte; es musste ihr die Absolution vorangehen. Wenn z. B. Kleriker oder Ordensangehörige während der Revolution ohne Rücksicht auf ihren Stand oder ihre Bindung durch Gelübde geheiratet hatten, hatten sie sich die Strafe der Exkommunikation zugezogen. Von dieser musste absolviert werden, bevor dispensiert werden konnte. Für den Gebrauch der facultas absolvendi gegenüber Geweihten sollten nach „Cum omnipotentis“ die Richtlinien und Normen des Breves „Etsi Apostolici Principatus“ vom 15. August 180149, das an Spina gerichtet war und dem Legaten übergeben wurde, beachtet werden (Nr. XI). Er konnte jene Kleriker absolvieren, die versucht hatten, eine Ehe einzugehen und die ihrem priesterlichen Stand öffentlich abgeschworen hatten. Die Vollmacht zu dispensieren, ist hier nicht ausdrücklich erwähnt. Jedoch aus der Übergabe des Breves „Etsi Apostolici Principatus“, das dem päpstlichen Vertreter die facultas dispensandi für die Ehehindernisse kirchlichen Rechtes mitgeteilt hatte, und dem Hinweis, dieses beim Versöhnungswerk zu gebrauchen, folgt, dass dem Legaten diese übertragen ist. Die Dispens wurde von den einen begehrt, weil sie sich von der Frau und häufig auch den Kindern nicht trennen wollten und die zivil geschlossene Ehe kirchlich zu ordnen wünschten. Die anderen wollten nach dem Tode der ersten Frau eine zweite, nun kirchlich gültige Verbindung eingehen und suchten dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Das bedeutete, sie bedurften der Dispens von dem bei ihnen vorliegenden 46

„Dextera altissimi“ und „Cum omnipotentis“, Einleitung: Mansi 41, Sp. 533 – 534, Nr. LXVI und Schlußermahnung: Sp. 542. 47 Johann Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts 2 Bde., 31914, hier I, S. 141; Friedrich K.Th. H. Vering, De principiis dispensationum, in: AfkKR 1, 1857, S. 577 – 588, hier S. 577 – 583. 48

Trient, Sess. XXV de ref. c. 18. Vgl. Plöchl, 2III, S. 85.

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Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 74 – 76.

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Ehehindernis der Weihe oder des Gelübdes. Erst nach Beseitigung des Ehehindernisses war eine kirchlich gültige Eheschließung möglich. Der Legat musste also gegebenenfalls sukzessive zwei seiner Fakultäten anwenden, um den Bittstellern die Ordnung ihrer Verhältnisse zu ermöglichen. Bereits Spina hätte sich seit dem 15. August 1801 aufgrund von „Etsi Apostolici Principatus“ dieser beiden Fakultäten bedienen dürfen. Der Papst hatte ihn bevollmächtigt, in einzelnen und dringenden Fällen Säkularkleriker (das waren nach damals geltendem Recht Subdiakone, Diakone und Priester), die in den Revolutionsjahren ihrem Stand entsagt und geheiratet hatten, von den kanonischen Zensuren, die sie sich dadurch zugezogen hatten, loszusprechen und für die Ordnung ihrer Verbindung die notwendige Dispens von Ehehindernissen zu erteilen. Die Dispensationsvollmacht erstreckte sich nur auf schon bestehende und nicht erst in der Zukunft einzugehende Verbindungen. Die Ehe musste unter Einhaltung der tridentinischen Form „in facie ecclesiae“ und „coram proprio parocho“ geschlossen werden50. 2. Die Bereiche der Dispensvollmachten In 18 von den 64 Nummern, in denen das Breve „Cum omnipotentis“ die Fakultäten des Legaten detailliert auflistet, wird ihm die Dispensvollmacht verliehen. Sie erstreckt sich auf Fälle des Weihe-, Ordens- und Eherechtes sowie auf die Befreiung von Fasten- und Abstinenzgeboten (Nr. LIII, LIV)51. a) Das Weiherecht Dispensen im Bereich des Weihesakramentes können Fakten vor dem Empfang der Weihe betreffen oder solche, die nachher eingetreten sind. Capraras Vollmacht umfasste beide Tatbestände. Er konnte von allen Irregularitäten, ausgenommen Bigamie und absichtlich verübte Tötung, dispensieren. Dabei war es unerheblich, auf welche Weise man sich diese zugezogen hatte, selbst wenn das Motiv, ein Benefizium zu erlangen oder in dessen Besitz zu verbleiben, vorherrschte. Allein echte und böswillige (mala fide) Simonie dufte nicht im Spiele gewesen sein. Doch auch die durch Bigamie und vorsätzliche Tötung irregulär Gewordenen sollten nicht ohne Chance bleiben. In diesen Fällen kann ebenfalls Dispens erteilt werden bei „praecisa necessitas proborum operariorum“, im Falle von vorsätzlicher Tötung nur, wenn seit Begehung der Tat 50

Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 74 – 76 (Nr. XXVI); I, S. 269. – Allerdings scheint Spina keinen Gebrauch von diesen Fakultäten gemacht zu haben (Boulay de la Meurthe, Documents (Anm. 5), V, S. 686. 51

In den folgenden Abschnitten verweisen die römischen Zahlen in Klammern auf das Breve „Cum omnipotentis“.

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eine beachtliche Zeit verflossen ist, das Verbrechen im Hinblick auf die zu dispensierende Person verborgen bleibt und auch in Zukunft nicht leicht entdeckt werden kann (Nr. XIII). Kleriker, die ohne Institution des Apostolischen Stuhles sich eines Erzbischofs- oder Bischofssitzes bemächtigt hatten, waren, selbst wenn sie diesen wieder verlassen hatten, der Suspension und der Irregularität verfallen. Caprara konnte sie absolvieren und dispensieren, wenn sie die im Breve „Post multos labores“52 aufgeführten Bedingungen getreu erfüllt hatten. Er hatte ihnen eine heilsame Buße und die Verpflichtung aufzuerlegen, das von ihnen verursachte Ärgernis auf bestmögliche Weise gut zu machen. Wenn sie aufrichtige, nicht anzuzweifelnde Zeichen der Besserung erbracht haben, kann der Legat sie nach einem von ihm festgesetzten Zeitraum von der Strafe der Suspension absolvieren und der Irregularität dispensieren, und zwar so, dass sie die Akte entsprechend den empfangenen Weihen setzen können. Untersagt ist ihnen jeder Gebrauch der Pontifikalien und Zeichen bischöflicher Würde. Es muss jedoch gesichert sein, dass diese Gnadenerweise kein Scandalum erregen (Nr. LXVI). Das gleiche Verfahren ist anzuwenden gegenüber den anderen Geistlichen, die ohne die Institution des Apostolischen Stuhles oder ihres rechtmäßigen Ordinarius Pfarrkirchen eingenommen hatten, wenn sie nur diese aufgegeben haben. Zu den Erfordernissen, die den unrechtmäßigen Erzund Bischöfen abverlangt werden und auch für sie gelten, haben sie dem Apostolischen Stuhl gegenüber in schriftlicher Form Gehorsam und Unterwerfung zu erklären (Nr. LXVII). Wenn für sie die gleichen Bedingungen gelten wie für die Geistlichen im Bischofsrang, so ist anzunehmen, dass auch sie nach Leistung der Genugtuung wieder in das Priesteramt zurückkehren dürfen. Die Nummern LXVI und LXVII betreffen den konstitutionellen Klerus. Der Versuch sie umzusetzen, provozierte einen Eklat, an dem die Aussöhnung zwischen Staat und Kirche zu scheitern drohte. Denn Caprara hatte am 10. Mai 1802 den Bischöfen auf ihr Ansuchen die ihnen für die turbulente Revolutionszeit am 19. März und 13. Juni 1792 von Papst Pius VI. gewährten außerordentlichen Vollmachten erneuert und die Richtlinien der beiden Breven für die Rekonziliation des konstitutionellen niederen Klerus mit einem Formular, dessen sich die Bischöfe bei der Rekonziliation zu bedienen hatten, ergänzt. Obwohl diese „formule de la réconciliation“ nach den Vorgaben der päpstlichen Schreiben konzipiert war, entfachte sie einen Sturm der Entrüstung in Frankreich. Die Priester protestierten gegen die Forderungen, die ihnen als unbillige Härte erschienen: schriftliche Zurückweisung der Irrtümer der Zivilkonstitution des Klerus, Abschwörung des Schismas, Bitte um Absolution von den Zensuren und Dispens von den zugezogenen Irregularitäten, Ablegung des Glaubens52

Das Breve vom 15. August 1801 war an Erzbischof Spina gerichtet. Es forderte die konstitutionellen Erzbischöfe und Bischöfe auf, zu demissionieren und sich dem Apostolischen Stuhl zu unterwerfen. – Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 71 – 72; Rinieri, La Diplomazia (Anm. 7), I, S. 341 – 343.

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bekenntnisses und des Treueeides vor dem Bischof, Versprechen, hinsichtlich der kirchlichen Belange die Entscheidungen des Apostolischen Stuhles anzunehmen. Zudem sah der Klerus in diesen Auflagen eine Ungleichbehandlung gegenüber den Mitgliedern des Episkopates, vor allem den konstitutionellen. Nach zähen Verhandlungen zwischen der Legation und der Regierung, in die Napoleon eingriff, wurden die das Versöhnungswerk gefährdenden Dissensen überwunden. Schweren Herzens gab sich Caprara für die Rekonziliation mit einer Kurzfassung zufrieden, die lautete: „J’adhère au Concordat, et je suis dans la communion de mon éveque, nommé par le premier Consul et institué par le Pape“ 53. Absolution und Dispensation fanden in dieser Erklärung keine Erwähnung. Doch waren sie bei der Aussöhnung mit der Kirche zweifellos vonnöten: die Absolution für die eingetretenen Zensuren und die Dispens für zugezogene Irregularitäten. Selbst Portalis hielt unerbittlich daran fest, dass die zivil verheirateten Priester eines Säkularisationsbreves des Legaten bedurften, um ihre Ehe kirchlich eingehen zu können54. Das Alter für den Empfang der Priesterweihe hatte das Konzil von Trient mit vollendetem 24. Lebensjahr festgesetzt55. Caprara war zu Sondergenehmigungen befugt, wenn Nutzen oder Notwendigkeit der Seelsorge dies geboten. Waren die übrigen erforderlichen Eignungskriterien vorhanden, konnte er von der Irregularität des gesetzlichen Alters bis zu einem Jahr, gegebenenfalls auch von vierzehn Monaten dispensieren. In Gegenden, in denen ein so großer Priestermangel herrscht, dass leer stehende Kirchen nicht versorgt werden können, konnte er auch von der Irregularität fehlender sechzehn Monate befreien und den Geweihten dann für die Seelsorge einsetzen, soweit er nur den weiteren Anforderungen an Priesteramtskandidaten entsprach (Nr. XXVI). b) Das Recht der Religioseninstitute Religiosen waren durch ihre Gelübde an ihrem Stand entsprechende Pflichten gebunden. In den turbulenten Verhältnissen der Revolutionsjahre war vor allem das votum castitatis stark gefährdet und von einer Anzahl von Ordensangehörigen nicht mehr befolgt worden. Häufig waren sie eine Ehe eingegangen. Diese Situation vor Augen bevollmächtigte der Papst Caprara, von vota simplicia, etiam castitatis perpetuae et religionis, zu dispensieren und diese in andere fromme Werke umzuwandeln. Die Befreiung vom votum castitatis erstreckte sich nur auf die erlaubte Eingehung einer (ersten) Ehe und die Erfüllung der

53

Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 449 – 464, Zitat S. 464 (10. Juni 1802).

54

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 447 (25. August 1802 an den Bischof von Saint-Brieuc). 55

Sess. XXIII de ref. c. 12.

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ehelichen Pflicht in dieser. Für den Dispensierten lebt nach dem Tode seines Gatten das Gelübde wieder auf. Sollte er wieder eine Ehe schließen wollen, bedarf er erneut einer Dispens vom votum (Nr. XIV)56. Dispens ist auch vorgesehen für die Einforderung der ehelichen Pflicht – auch für eine Person, die sich gegen das votum simplex castitatis verfehlt hat, indem sie bei bestehendem einfachen Gelübde eine Ehe geschlossen hat und nach der Heirat ohne Wissen oder trotz Ablehnung des Partners ein solches Versprechen abgelegt hat. Hinsichtlich der Dispens bei ewigen Gelübden und zeitlichen, die noch nicht abgelaufen sind, und des Abschlusses einer zweiten Ehe hat der Legat die Anweisungen der Nr. XIV zu beachten (Nr. XV). Angesichts dieser schwierigen und komplizierten Fälle erscheinen die nach Nr. XXXIX möglichen Dispensen als einfache Regelungen. Es handelt sich um Erleichterungen für weibliche und männliche Ordensangehörige mit feierlichen Gelübden, die aufgrund eines Indultes in der Welt leben dürfen. Sie können von den Vorschriften, auf die die Ordensregel die Mitglieder in der Fastenzeit verpflichtet, dispensiert werden. Den Nonnen kann er die Rezitation der kanonischen Horen in andere Gebete umwandeln. Reichlich ein Jahr später gewährte der Papst auf das beharrliche Drängen Napoleons am 27. Oktober 1802 mit dem Breve „Inter plura“57 dem Legaten noch weiter reichende Fakultäten, um Subdiakone sowie männliche und weibliche Ordensangehörige von ihren Zensuren zu absolvieren und von ihren Irregularitäten zu dispensieren. Es waren vier Absolutionsformeln vorgegeben: 1. für die Laienreligiosen und weibliche Ordensangehörige, 2. für Priesterreligiosen, 3. für Ordensleute, die eine Ordensfrau geheiratet haben, 4. für Nonnen, die einen Priester geheiratet haben58. Diese Vollmachten konnten nur jenen Personen gegenüber in Anwendung kommen, die von 1791 bis zum 15. Juli 1801 ihren Stand verlassen und geheiratet hatten. Der Papst gestattete, dass sie nach Absolution und Dispensation kirchlich eine gültige Ehe schließen konnten. Bischof Alexandre-Étienne Bernier dankte im Auftrag Napoleons Pius VII. für diese Entscheidung. Sie verhalf mehreren tausend seelisch verwundeten Menschen zu ihrem Seelenfrieden und zog einen Schlussstrich unter die Nachbeben der Revolution59.

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Zu dieser gängigen Praxis des Apostolischen Stuhles: Sägmüller, Lehrbuch (Anm. 47), II, S. 413. 57

Mansi 41, Sp. 653 – 660; Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 211 – 213. 58

Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 213 – 219.

59

Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 527 – 529, S. 528 – 529: Brief Berniers.

Die Dispensvollmachten des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara

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c) Das Eherecht Die ausgefaltete Materie des Eherechts spiegelt sich in den detaillierten Anweisungen von „Cum omnipotentis“ wider. In neun Nummern (XVI – XXIV) werden die impedimenta dirimentia dargelegt, für die der Papst dem Legaten die Dispensvollmacht überträgt. Es sind: Schwägerschaft, öffentliche Ehrbarkeit, crimen, geistliche Verwandtschaft, Blutsverwandtschaft und Entführung. Wie beim Weiherecht geht es um Dispenserteilungen für Handlungen, die in der Vergangenheit liegen, und für Hindernisse, die einer künftigen gültigen Ehe entgegenstehen. In den Formulierungen ist das Bemühen zu erkennen, einerseits die Dispensmöglichkeiten nicht ausufern zu lassen, anderseits Entgegenkommen zu zeigen, soweit es nur geht. Die Sorge des Papstes um das Heil der Seelen, das stets oberste Maxime des Handelns der Kirche zu sein hat, ist deutlich spürbar. Die großherzige Regelung wird schon bei der Schwägerschaft erkennbar. Diese war in der geraden Linie immer eine Ehehindernis, in der Seitenlinie bis zum vierten Grad einschließlich60. Eine Befreiung konnte Caprara für das öffentliche und geheime Hindernis des ersten Grades sowie im ersten und zweiten Grad der Seitenlinie vornehmen. Er konnte sogar von dem Ehehindernis zweiten Grades dispensieren, das durch eine illicita copula bei bestehender oder erst zu schließender Ehe entstanden war bzw. entsteht. Die schon geborenen oder zukünftigen Nachkommen kann er als legitim erklären. Sollte der Fall vorliegen, dass die copula illicita mit der Mutter nach der Geburt der zukünftigen Gattin erfolgt war, muss er den Pönitenten über die Notwendigkeit belehren, den Konsens mit seiner (angeblichen) Frau zu erneuern, vorausgesetzt es besteht Gewissheit über die Nichtigkeit des früher geleisteten Konsenses. Das soll vorsichtig erforscht werden, damit das Vergehen des Pönitenten, wenn es dem anderen Partner verborgen war, nicht aufgedeckt wird. Wenn aber nach klugem Urteil des Dispensierenden selbst bei jedweder getroffenen Schutzmaßnahme eine Konsenserneuerung nicht ohne Gefahr geschehen kann, weil der andere Gatte dieser widerstrebt, kann der Legat nicht nur Dispens erteilen, sondern auch eine sanatio in radice vornehmen. Allerdings muss die Gefahr beseitigt sein, erneut „in eandem illicitam copulam relabandi“. Dem Pönitenten ist eine schwere heilsame Buße aufzuerlegen und der Dispensierende hat ihn für einen von ihm festgesetzten Zeitraum zum monatlichen Empfang des Bußsakramentes zu verpflichten (Nr. XVI). Dispens vom Ehehindernis der Schwägerschaft war in einigen Fällen auch vom ersten Grad, außer in der geraden oder Seitenlinie, möglich, unter folgenden Voraussetzungen: bei Lebensgefahr oder drohendem Glaubensabfall oder aus einem anderen sehr gewichtigen Grund. Sollte die Verweigerung der Dispens ein anderes schweres Übel heraufbeschwören 60

Sägmüller, Lehrbuch (Anm. 47), II, S. 187; Plöchl IV/2, S. 239 – 240.

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oder aus der Gewährung etwas Gutes erwachsen, kann diese gewährt werden. Jedoch muss eine angemessene Buße oder ein Almosen, wie es die Nr. XXII vorsieht, auferlegt werden. Die geborenen oder zu erwartenden Kinder sind als legitim zu erklären (Nr. XXIII). Die Nummern XXI und XXII enthalten Richtlinien für die Beseitigung der Hindernisse der Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft. Beim Vergleich der beiden Nummern ist das Bestreben zu erkennen, mit der Zuwendung der Gnadenerweise bis an die Grenze des noch Vertretbaren zu gehen. So bringt die Nr. XXII eine Weiterung gegenüber der Nr. XXI. Letztere verleiht die Dispensvollmacht bei Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft für den dritten und vierten Grad, und zwar sowohl vom einfachen wie gemischten Hindernis. Diese Befreiung kann Caprara Armen wie Reichen in gleicher Weise zuwenden, ob es sich um bereits bestehende oder noch zu schließende Ehen handelt. Die Nummer XXII sieht eine Dispens für das Hindernis der Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft im zweiten Grad vor, wenn es einfacher oder gemischter Art ist, selbst bei Berührung des ersten Grades. Einsetzen kann der Legat die facultas für eingegangene wie zu schließende Ehen und bei Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes für arme wie reiche Gläubige. Nach seinem Ermessen und unter Beachtung der verschiedenen Fälle sowie der persönlichen Lage soll der Dispensierende eine Buße auferlegen oder nach seinem Gutdünken das Stiften eines Almosens verlangen. Die Nummern XVII und XX übertragen die Dispensvollmacht für das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit und der geistlichen Verwandtschaft, wobei sie im ersten Fall für geschlossene und künftige Ehen galt61. Bei dem impedimentum criminis hat die Kanonistik vier Formen herausgearbeitet62. „Cum omnipotentis“ überträgt die facultas dispensandi für zwei Arten (Nr. XVIII, XIX): den Ehebruch mit Gattenmord und den Ehebruch ohne Gattenmord. Bei schon geschlossenen Ehen kann vom öffentlichen und geheimen Ehehindernis des Verbrechens dispensiert werden, wenn entweder keine Tötung des anderen Gatten vorlag oder falls ein Mord geschehen war, dieses Hindernis geheim geblieben war. Der Beichtvater soll festlegen, in welcher Weise der Konsens zwischen den Putativgatten zu erneuern ist. Insofern aber zu befürchten ist, dass durch die Konsenserneuerung ein ernsthafter Skandal oder Schwierigkeiten entstehen, kann einen convalidatio in radice vorgenommen werden. Es ist eine sehr spürbare Buße aufzuerlegen, und der Dispensierende hat zum monatlichen Empfang des Bußsakramentes für eine nach seinem klugen Ermessen bestimmte Zeit zu verpflichten (Nr. XVIII). Vom öffentlichen wie geheimen impedimentum criminis kann auch vor Eingehung einer künftigen Ehe kann dispensiert werden, wenn keiner der beiden Kontrahenten Gattenmord begangen hat (Nr. XIX).

61

Vgl. Plöchl, IV/2, S. 241; Sägmüller, Lehrbuch (Anm. 47), II, S. 189 – 192, 181 – 182. 62

Sägmüller, Lehrbuch (Anm. 47), II, S. 169 – 172; Plöchl, IV/2, S. 248 – 250.

Die Dispensvollmachten des Kardinal-Legaten Giovanni Battista Caprara

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Schließlich wird die Voraussetzung für eine gültige Eheschließung im Falle der Entführung geregelt. Die einzelnen Dispensen von öffentlichen Hindernissen dürfen in den Fällen, in denen die Frau entführt worden ist, nur unter der Bedingung erteilt werden, dass die entführte Frau sich nicht mehr in der Gewalt des Entführers befindet. Diese einzelnen Ehedispensen, die der Legat aufgrund seines Urteils und unter Berücksichtigung von Ort und Zeit sowie den Verhältnissen der Personen für das innere und das äußere Forum meint gewähren zu können, sind mit Vor- und Familienname und dem Namen der Diözese in das Taufbuch einzutragen (Nr. XXIV). Dispens ist auch möglich bei bisher in Frankreich wegen eines Hindernisses der Blutsverwandtschaft, der Schwägerschaft und der geistlichen Verwandtschaft ungültig geschlossenen Ehen. Selbst der erste Grad der Schwägerschaft ist nicht ausgenommen, sofern das Hindernis nicht in gerader, sondern nur in der Seitenlinie besteht. Der Dispens vorausgehen muss die Absolution von den Zensuren und Kirchenstrafen und den Sünden des Inzests, wenn die Bittenden bis zur Gewährung der Dispens wieder in diese Sünde gefallen sind. In allen Fällen ist ihnen das aufzuerlegen, was vom Recht vorgeschrieben ist. Vor allem haben die Dispensierenden dem Schisma, dem sie angehangen haben, abzuschwören. Bei der Erneuerung des Ehekonsenses haben die Gatten die vom Konzil von Trient vorgeschriebene Eheschließungsform einzuhalten. Die schon geborene und zu erwartende Nachkommenschaft ist von diesem Zeitpunkt an als legitim zu erklären und als solche anzuzeigen. Sofern nach dem klugen Urteil des Dispensierenden der Konsens nicht erneuert werden kann, soll er nicht nur von den Ehehindernissen befreien, sondern in diesen Fällen auch die sanatio in radice anwenden (Nr. XXV). IV. Die Anwendung der Dispensvollmachten 1. Allgemeines Die Dokumente über Capraras Tätigkeit lagern in den Archives Nationales in Paris. Denn nach dem Bruch mit dem Papst ließ Napoleon das Archiv des Legaten beschlagnahmen und in der Hauptstadt verwahren, wo es bis heute verblieb63. Der akribischen Aufzeichnung Capraras verdanken wir die Details seiner verantwortungsvollen Arbeit. Tag für Tag hat er minutiös die von ihm gefällten Entscheidungen, gewährten Absolutionen, angebotenen Hilfen (remèdes) und Ratschläge verzeichnet64. Die Materialien umfassen im Bestand „Secrétairerie d’État“ 46 Kartons. Darin befinden sich 118 Aktenbündel mit Reskripten und Indulten Capraras. Es sind seine Antworten auf Suppliken um Dispens, um nach Beseitigung von Hindernissen eine ungültige Ehe zu ordnen 63

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 1.

64

Mols, Caprara (Anm. 14), Sp. 954.

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oder eine in Aussicht genommene Verbindung kirchlich gültig eingehen zu können, um eine Wiederaufnahme in den Klerus oder eine Zulassung zur Weihe zu erreichen. Unter den 12 000 Vorgängen betreffen mehrere tausend Priester sowie männliche und weibliche Religiosen, die während der Revolution eine Ehe eingegangen waren und nun um die kirchliche Gültigmachung dieser baten65. Die Rekonziliation vollzog sich in verschiedenen Etappen. Nach Überprüfung des Dispensgesuches auf seine Begründung und deren Stichhaltigkeit erfolgte die Antwort, die formal ein Reskript war. Diese enthielt im Falle der möglichen Rekonziliation die einzelnen zu vollziehenden Schritte und Bedingungen, unter denen die Aussöhnung mit der Kirche zu erfolgen hat. Es waren: die Befreiung von den zugezogenen Zensuren (z. B. Suspension bei Klerikern) und gegebenenfalls die Befreiung von Hindernissen (bei Ausübung oder Empfang des Ordo und Eheschließungen) und die Auferlegung einer „heilsamen“ Buße66. In manchen Fällen war sie eine sehr harte, wie z. B. im Falle von JeanLouis Vaultier, dem Kanoniker der Kathedrale von Auxerre, der seit 1768 einer der Generalvikare von Bischof Cicé war. Er war den Ideen der Revolution zugeneigt und hatte bei deren Beginn verschiedene öffentliche Funktionen wahrgenommen. Obwohl er 1792 den Eid geleistet hatte, sollte er der Verfolgung nicht entkommen. Aus Angst vor Gefängnis und Tod schloss der über Sechzigjährige eine Scheinehe mit der 67jährigen ehemaligen Superiorin der Schwestern von der Vorsehung. Bald hat er seinen Fehler bereut und schon 1795 beim Generalvikar der Diözese Auxerre die Absolution von den eingetretenen Zensuren erbeten und zum Beweis seines echten Glaubens sich in eine Pfarrei zurückgezogen. Er hat sich mit den Zeugnissen der Generalvikare von Auxerre vom 16. und 17. Dezember 1802 an Caprara gewandt und erhielt mit Reskript vom 16. Januar 1803 die Rekonziliation mit der Auflage, aufrichtige Zeichen der Buße zu erbringen. Wegen des von ihm verursachten Skandals musste er eine öffentliche Buße auf sich nehmen, wie sie in den ersten Jahrhunderten der Kirche üblich war. Diese dauerte zehn Jahre67. In der Literatur finden sich unterschiedliche Zahlen sowohl für die Kleriker und die Ordensangehörigen, die eine Reintegration in die Kirche ersehnten, wie für jene, die eine Ehe eingegangen waren und nun eine Regelung ihrer Situation 65

A.F.IV 1887 – 1932: Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 1 – 2; Pisani, L’Église de Paris (Anm. 9) gibt die Zahl 5000 an ( S. 292). 66 Georg May, Das Recht des Gottesdienstes in der Diözese Mainz zur Zeit von Bischof Joseph Ludwig Colmar (1802 – 1818), 2 Bde. (= KST Bd. 36, 37), Amsterdam 1978, hier II, S. 55; Jacques Leviste, La régularisation de la situation des prêtres mariés durant la Révolution. Les rescrits du Cardinal Caprara, in: Bulletin de la Société des Sciences Historiques et Naturelles de l’Yonne 103, 1969/70, 1971, S. 241 – 264, hier S. 249. 67

Leviste, La régularisation (Anm. 66), S. 248 – 249.

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erhofften. Geradezu horrende Zahlen wurden im Februar 1802 über die vom Papst rekonziliierten verheirateten Priester kolportiert. Sie reichten von 25 000 bis 12 000, wie Consalvi schätzte68. Constant gibt insgesamt 5000 an69, Grégoire aufgrund von sorgfältigen Nachforschungen und erlangten Auskünften 2000 verheiratete Säkularpriester70, und Delacroix kommt auf 3224 an den Legaten gerichtete Gesuche, wovon 2313 auf den Welt- und 911 auf den Ordensklerus entfallen. Er stützt seine Zahlen mit Belegen aus Städten verschiedener Regionen71. Die Abkehr vom Priestertum und das Verlassen der Klöster war gefördert, wenn nicht gar erzwungen worden. Am 17. Dezember 1792 hatte der Konvent ein Gesetz verabschiedet, das den Priestern und Ordensleuten die Möglichkeit eröffnete, eine Ehe einzugehen. Ungefähr 2000 Priester und 1420 Religiosen sollen diese „neue Freiheit“ genutzt haben72. Wie gegen alles Religiöse und im Besonderen die Priester in den Jahren 1793 und 1794 geradezu gewütet wurde, belegt der unverdächtige Henri Grégoire, konstitutioneller Bischof von Blois. Aus der Möglichkeit zu heiraten, wurde bald der Druck oder Zwang. Im burgundischen Département Ain wurde die Haft eines Priester angeordnet, bis er sich verheiratet habe, und am 19. Juli1793 verabschiedete der Konvent ein Dekret, das vorsah, dass der Bischof, der sich direkt oder indirekt der Ehe eines Geistlichen widersetzt, deportiert und durch einen anderen ersetzt wird. Die Republikaner der Stadt Auxerre unterbreiteten dem Konvent eine Bittschrift, in der sie forderten, die Kleriker, die noch nicht verheiratet sind, zu deportieren73. Nach Grégoire sind 7/8 von diesen 2000 Priesterehen in der Zeit, da der Terror Frankreich überzog und sich speziell gegen den Klerus richtete, geschlossen worden und sein Urteil lautete: „Ces unions furent moins le résultat d’une volonté libre que de l’épouvante graduée sur les menaces et les violences“74. Dieses Fazit Grégoires, dass Angst in unterschiedlicher Ausprägung das Motiv für die Eingehung einer zivilen Ehe war, bestätigen vielfach die Zeugnisse der zu rekonziliierenden Priester75. Um nicht im Abstrakten eine Negativ68

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 444.

69

Constant, l’Église de France (Anm. 14), S. 211.

70

Henri Grégoire, Histoire du mariage des prêtres en France, particulièrement depuis 1789, Paris 1826, S. 138. 71

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 444.

72

Raoul Naz, Concordat de 1801, in: DDC III, 1942, Sp. 1404 – 1431, hier Sp. 1405, 1420. 73

Johann Geissel, Sammlung aller Gesetze und Verordnungen, über das Kirchenund Schulwesen im Bayerischen Rheinkreise, vom Jahre 1796 bis 1830, Speyer 1830, S. 28; Grégoire, Histoire (Anm. 70), S. 75, 81, 78. 74 75

Grégoire, Histoire (Anm. 70), S. 138.

Das bezeugt auch das Quellenmaterial bei Leviste, La régularisation (Anm. 66), S. 241 – 264.

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bilanz vorzulegen, muss diesen ca. 3200 ehemaligen Priestern die Zahl jener gegenübergestellt werden, die bei der Reorganisation der kirchlichen Struktur am 21. Juli 1801 als vertrauenswürdig und tauglich für die Einweisung in eine Seelsorgsstelle galten. Es waren 31920 Priester76. 2. Beispiele aus dem Weiherecht Unter den Priestern, die sich mit einem Bittgesuch an den Legaten wandten, sind mehrere Gruppen zu unterscheiden: eine erste, die rekonziliiert und rehabilitiert wurde, d. h. jene, die in ihr Priesteramt zurückkehren und ihre priesterlichen Funktionen wieder aufnehmen wollte und konnte. Es sind vor allem die konstitutionellen Priester, deren Rekonziliation sich nicht so unproblematisch gestaltete, wie man es erhofft hatte. Eine zweite Gruppe sah sich nach Verlassen des priesterlichen Standes in den Revolutionsjahren und der Führung eines weltlichen Lebens mit Beibehaltung des Zölibates nicht mehr in der Lage, ins Priestertum zurückzukehren. Und schließlich eine dritte Gruppe, die geheiratet hatte und rekonziliiert werden wollte, um die zivil eingegangene Ehe kirchlich zu ordnen. Der ersten Gruppe ist z. B. der frühere konstitutionelle Bischofskaplan der Diözese Bayeux zuzurechnen. Er hatte sich wie manche andere, die ihr Priesteramt wieder aufnehmen wollten, vor seinem Bittgang zu Caprara schon absolvieren lassen. Das war aufgrund der Sondervollmachten, die der Papst am 19. März 1792 den französischen Bischöfen gewährt hatte und die von ihnen delegiert werden konnten, möglich. Als Kleriker, der den Eid auf die Zivilkonstitution geleistet und nicht widerrufen hatte, hatte er sich nämlich die Strafe der Suspension zugezogen77. Knapp ein Jahr nach der Heirat starb seine Frau im Jahre 1795, ohne lebende Kinder zu hinterlassen. Danach hatte er vor den Generalvikaren des den Eid verweigernden Pariser Erzbischofs Juigné seinen Widerruf vorgenommen. Diese haben ihn von den Zensuren losgesprochen, und seit zwei Jahren, d. h. dem Jahre 1800, wirkte er als Desservant an einer Pariser Kirche. Sein Antrag an Caprara konnte nur die Bitte um Dispens von der irregularitas ex delicto enthalten, die er sich durch die zivile Eheschließung zugezogen hatte. Er erhielt einen positiven Bescheid78. Bescheiden trat Charles Connestable, der frühere Pfarrer von Brèves in der Diözese Autun auf. Er be-

76

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 144.

77

Breve „Inter gravissimis“, in: MBR Cont IX, S. 168 – 171, hier S. 1, § 6, S. 170, § 18.

78

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 4 (weitere Beispiele, bei manchen bleibt jedoch unklar, ob sie den priesterlichen Dienst wieder aufgenommen haben). Siehe auch S. 7 – 8. Zum Schicksal von elf Klerikern des Départements Nord: Maurice Chartier, A travers les papiers Caprara: Eccclésiastiques ordonnés par Primat, in: Revue du Nord t. 45 N° 179, 1963, S. 307 – 316.

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richtete, er war beim Club denunziert worden, geheime Verbindungen mit den Emigranten zu unterhalten. Um dem Tod zu entrinnen, heiratete er seine Haushälterin. Sie waren sich einig, nur eine Scheinehe einzugehen ohne eheliche Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Die religiöse Frau stimmte der Ehe zu, um sein Leben zu retten. Nach Ende der Schreckensherrschaft trennten sie sich und führten ihr je eigenes Leben. Seit Beginn der Scheinehe hat er die heilige Messe nicht mehr gefeiert, das Breviergebet aber beibehalten. Vor fünf Jahren, das war 1797, hat er seinen Eid zurückgezogen. Er erbittet die Absolution (von der Suspension wegen des Eides auf die Zivilkonstitution), indem er hinzufügt, die priesterlichen Funktionen nur dann wieder aufzunehmen, wenn seine Oberen dies verlangen. Caprara erteilte die Absolution79. Wie Connestable erklärten viele Kleriker, aus Angst und um der unmittelbar drohenden Gefahr zu entrinnen und ihr Leben zu retten, eine Scheinehe geschlossen und seit dieser Zeit nicht mehr zelebriert zu haben. Ein Teil gab an, die Verbindung wieder gelöst zu haben oder inzwischen verwitwet zu sein80. Bei Klerikern aus Orden war zur Regulierung ihrer Situation die Befreiung von den Ordensgelübden und den klerikalen Standespflichten vonnöten. Ein ehemaliger Religiose der Kongregation der Genovefaner, der die Diakonatsweihe empfangen hatte, hatte elf Jahre als Bataillonsführer gedient. Er bittet um Zulassung zur Laienkommunion. Außer vom votum castitatis wurden ihm die Dispensen in den ersten Monaten des Jahres 1803 gewährt, also in einer Zeit, da der Legat nach den Normen des Breve „Inter plura“ vom 27. Oktober 1802 handeln konnte81. Ähnlich lautete wohl das Gesuch eines Priesters aus dem Orden der Franziskanerminoriten, der sich von seiner Frau und seinem Kind getrennt hatte. Er erbat anscheinend nur die Versetzung in den Laienstand, die ihm offenbar nicht versagt wurde82. Ein Priester der Diözese Rennes, der sich während der Revolution in verschiedenen Funktionen eifrig betätigt hatte, u.a. als Direktor des Zollamtes, wünschte ein Leben in der Welt führen zu dürfen. Der Legat weist ihn an seinen Bischof, um das von ihm hervorgerufene Ärgernis gutzumachen und seinen priesterlichen Dienst wieder aufzunehmen, wenn sein Bischof ihn als geeignet beurteilt. Man kann ihm den Zugang zu den Sakramenten erlauben, keineswegs aber eine Eheschließung. Eine Ablehnung ist aus dem Tenor der Antwort an einen 58jährigen Mann zu erkennen. Dieser hatte sich nach zehnjähriger Ehe im Jahre 1793 von dem konstitutionellen Bischof Pontard von Périgueux zum Priester weihen lassen und als solcher bis jetzt (d. i. im Jahre 1803) gewirkt. Die gleich-

79

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 2 – 3.

80

Das bezeugt auch das Quellenmaterial bei Leviste, La régularisation (Anm. 66), S. 241 – 258. 81

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 6. – Zum Breve siehe unter 3. Gesuche von Religiosen. 82

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 4 – 5.

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zeitige Fortführung seiner Ehe als Priester, in der ein Sohn geboren wurde, entschuldigte er mit dem Beispiel der Apostel. Er wurde belehrt, dass durch die Ordination, die er als Verheirateter empfangen hatte, und durch seine Lebensführung in der Folgezeit das Recht verletzt wurde und seine Lage nicht mit der jener Priester zu vergleichen ist, die geheiratet hatten, um ihr Leben zu schützen83. Besonders tragisch scheint der Fall eines Priester aus Toulouse, der während der Verfolgung seinem Stand treu geblieben war, aber von dem neuen, konkordatären Bischof abgesetzt wurde, ohne dass ihm der Grund bekannt ist. In seiner Verzweiflung hat er einem seiner früheren Beichtkinder die Ehe versprochen und da die Frau ein Kind erwartet, wird er sie notfalls auch zivil heiraten. Aber er bittet Caprara, ihn nicht dahin zu treiben. Der Legat sah sich nicht in der Lage, die ihm vom Papst gezogene Grenze, die der 15. Juli 1801 bedeutete, zu überschreiten84. Andere hatten weltliche Berufe ausgeübt und kamen auf diesem Wege in Kontakt zu Frauen, die sie heirateten. In dieser Lage befand sich ein ehemaliger Priester, der seit langen Jahren als Bürgermeister von Neuhornbach in der Diözese Mainz gewirkt hatte. Er war durch den konstitutionellen Bischof Brendel von Straßburg geweiht worden, angeblich ohne echte Berufung und die Fähigkeiten für das Priestertum. Bischof Colmar hatte für seinen Diözesanen am 31. August 1807 Dispens für die Gültigmachung seiner vor etwa zwölf Jahren eingegangenen Ehe erbeten. Die Eheschließung lag vor dem Termin des 15. Juli 1802. Die Antwort Capraras fiel positiv aus85. Ein Priester bat am 13. März 1805 um die Rückversetzung in den Laienstand, um heiraten zu können. Im Gegensatz zum vorigen Fall sind seine Gründe schwächer. Er gab an, dass er nicht gezwungen, aber leichtfertig das Priestertum ergriffen und keine Freude daran habe. Der Umgang mit schlechten Priestern habe einen Abscheu vor dem Stand in ihm hervorgerufen. Zudem habe er schon vor dem Konkordat einer jungen Frau aus einer vornehmen Familie die Ehe versprochen86. Die Antwort Capraras liegt leider nicht vor. Ob sie wegen grundsätzlicher Erwägungen positiv ausgefallen ist, ist sehr fraglich. Für den ehemaligen Kanoniker Heinrich Joseph Görz vom Stift St. Stephan in Mainz erbat Colmar die Befreiung vom Subdiakonat, weil ihm angeblich die erforderlichen Qualitäten für den Dienst in der Kirche fehlten. In diesem Falle setzte sich der Bischof deutlich für die Gewährung der Dispens ein, denn solche

83

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 5.

84

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 11.

85

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres à S. Em. Le CardinalLégat et à MM. Les Ecclésiastique 19. Julii 1806 – 1 April 1808 (= Bd. 7), S. 240 – 241; ebenda 1/701, S. 141. Vgl. May, Das Recht (Anm. 66), II, S. 57. 86

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres à Messieurs les Ecclésiastique. Depuis Janvier 1804 jusqu’au 16 Juillet 1806 (= Bd. 6), S. 101 – 103.

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Subjekte sind nach seiner Überzeugung nicht nur untauglich für den Kirchendienst, sondern fallen ihr auch noch zur Last87. Ein Sonderfall stellte sich dem Apostolischen Stuhl in dem apostasierten Bischof Charles-Maurice de Talleyrand88. Da dieser wegen der herausragenden Stellung eines Bischofs schon öfter behandelt wurde, soll er hier nur kurz skizziert werden. Der politisch und diplomatisch versierte ehemalige Bischof von Autun suchte das Konkordat für sich und die Bereinigung seiner Verhältnisse zu nutzen und so trachtete er, im Text des Vertrages eine Klausel für die Validation seiner Ehe und die der abgefallenen/abgeirrten/verirrten (prêtres faillis) Priester zu verankern. Spina wies diese exzessive Forderung mit der Begründung zurück, dies sei eine Gewissensangelegenheit. Sie könne daher nicht Gegenstand eines Konkordates sein89. Unterstützt durch Interventionen Napoleons beim Papst absolvierte dieser Talleyrand am 29. Juni 1802 von der Exkommunikation und nahm ihn damit wieder in die Gemeinschaft der Kirche auf. Außerdem wurde er laisiert, d. h. „ad simplicem communionem laicam“ zugelassen und im äußeren Habitus konnte er sich als Laie kleiden und betätigen. Die begehrte Dispens vom Ehehindernis der Weihe, um die früher mit einer geschiedenen Protestantin eingegangene Verbindung in facie ecclesiae zu legitimieren, wurde nicht gewährt. Pius VII. erwähnte dieses Anliegen mit keinem Wort90. Die Beispiele aus der Vergangenheit, die angeführt wurden, um eine Dispens für eine kirchliche Eheschließung Talleyrands zu erreichen, widerlegte der Apostolische Stuhl als falsch und mit dem Hinweis, dass der Verfasser große Unkenntnis der Geschichte zeige. In der Tat war keinem Bischof je auf dem Wege der Dispens erlaubt worden, eine Ehe kirchlich einzugehen. Die Gunst, die auch Talleyrand in großzügiger Weise gewährt wurde, nämlich die Versetzung in den Laienstand, war bisher nur einmal praktiziert worden. Gregor XIII. (1572 – 1585) hatte Heinrich von Portugal, der Kardinal und Erzbischof von Evora und Lissabon war, aus dynastischen Gründen säkularisiert91. An Caprara gelangten auch Dispensgesuche von (ledigen) Männern, die zur Priesterweihe gelangen wollten, jedoch nach einer turbulenten Vergangenheit. Sie hatten während der Revolution an Aufständen teilgenommen und mitunter direkt oder indirekt an Tötungen mitgewirkt. Sie bedurften der Dispens von der Irregularität ex defectu lenitatis. Ein an Tötungen beteiligter Chouan (d. i. ein 87

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 6 (Anm. 86), S. 324 (8. April 1806).

88

Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 444 – 448; Rinieri, La Diplomazia (Anm. 7), II, S. 55 – 77; Pisani, L’Église de Paris (Anm. 9), S. 106 – 108; Naz, Concordat (Anm. 72), Sp. 1407 – 1408, 1420. 89

Pisani, L’Église de Paris (Anm. 9), S. 107 – 108; Naz, Concordat (Anm. 72), Sp. 1407.

90

Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 198 – 199.

91

Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 445 – 446.

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royalistischer Gegner der Revolution) wurde nach der vom Bischof angestellten Untersuchung negativ beschieden. Andere, die sich an den royalistischen Aufständen in der Vendée, aber anscheinend nur als Aufrührer betätigt hatten, erhielten auf Empfehlung ihres Bischofs und unter Hinweis auf den außerordentlich großen Priestermangel die erbetene Dispens92. Bemühte sich der Legat den Bedrängten durch Erteilung der Dispensen ihre Ehe nach den Normen des kanonischen Rechtes zu ordnen, so betrieben die ehemaligen konstitutionellen Bischöfe Obstruktion. Mit unterschiedlichsten Begründungen und Handlungsweisen zielten sie das Scheitern der Versöhnung an. Manche stützten mit Argumenten, die eine gallikanische Gesinnung offenbarten, die Verweigerung der kirchlichen Eheschließung. Portalis musste den Bischof von Dijon mahnen, sich nicht rigoroser zu gerieren als der Heilige Stuhl, und dem Erzbischof von Besançon hielt er vor, dass die Priester sich über die Strenge der Oberhirten beklagen. Sie weigern sich, die ihnen vom Legaten gewährten Gnadenerweise umzusetzen oder binden deren Realisierung an sehr herbe Bedingungen93. 3. Gesuche von Religiosen94 Das Breve „Etsi Apostolici Principatus“ vom 15. August 1801 hatte nur die Weltgeistlichen im Blick, nicht die Mitglieder der Ordensinstitute mit feierlichen Gelübden. Die bei Caprara eingereichten Bittschriften konnte er nicht kraft eigener Vollmacht entscheiden. Er konnte nur das Angebot machen, das Gesuch an den Papst weiterzuleiten95. Das war unbefriedigend, und die Regierung war besorgt wegen des Potentials der Benachteiligten, das zur Gefahr für das Versöhnungswerk und die angestrebte Beruhigung der Verhältnisse werden konnte. Schließlich expedierte Pius VII. am 27. Oktober 1802 das Breve „Inter plura“96, das den männlichen wie weiblichen Ordensangehörigen den Weg zur Versöhnung mit der Kirche öffnete. Capara konnte danach bei schon geschlossener Ehe die Befreiung vom votum castitatis für die Dauer dieser dispensieren; die Gültigmachung der zivil eingegangenen Verbindung musste „in forma tridentina“ geschehen. Die übrigen Gelübde mussten „quoad substantiam“ und entsprechend den Bedingungen eines Lebens in der Welt beobachtet werden. Eine schwere heilsame Buße war der/dem Bittenden aufzuerlegen. Handelte es 92

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 5 – 6.

93

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 452 – 453.

94

Es werden unter dieser Bezeichnung Priester- und Laienreligiosen sowie weibliche Ordenangehörige subsumiert. 95

Blet, Histoire (Anm. 1), S. 495.

96

Theiner, Histoire (Anm. 5), II: Pièces justificatives, S. 211 – 213.

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sich um einen Kleriker gleich welcher Weihestufe, war ihm die Ausübung jeglicher Weihefunktion zu versagen, ja er ist als solcher Handlungen unfähig zu erklären; als „simplex laicus“ kann er zur Kommunion zugelassen werden. Besteht ein schwerer Verdacht, dass die Eheschließung versucht wurde, weil der Religiose häretischen Anschauungen über den Zölibat oder die feierlichen Gelübde anhing, muss der Legat vor Gewährung der Dispens Beweise für die Abkehr von jenen und die Zurückweisung der häretischen Irrtümer, die zur Verehelichung geführt haben, fordern. Am 11. November 1802 war das Breve in Paris angelangt. Ab diesem Datum hatte Caprara Entscheidungsvollmacht über die Dispensgesuche von Ordensmitgliedern97. Am 30. März 1803 z. B. antwortete Caprara einem Priesterreligiosen, der während der Revolution aus seinem Kloster vertrieben worden war, dann als Pfarrseelsorger und Militärgeistlicher tätig war, bis er schließlich heiratete. Er hatte fünf Kinder. Der Legat fand in seinem Antrag glaubwürdige Zeichen der Reue. Er übersandte ihm daher sofort „l’indulgence extraordinaire du Saint-Siège“ mit der Anweisung, wie die Rekonziliation vorzunehmen sei98. Der Mainzer Bischof Colmar schickte dem Legaten am 22. August 1806 die Bitte eines ehemaligen Professen und Priesters aus dem Orden der Augustinereremiten. Dieser hatte seinen Orden ohne „autorisation“ verlassen, übte zunächst Seelsorge im Elsass aus, war danach apostasiert und hatte im Jahre 1793 geheiratet – Colmar fügte gleichsam entschuldigend hinzu „dans le tems du plus grand terrorisme de la révolution“. Derzeit betätige sich der Bittsteller als Mathematiklehrer; sein Lebenswandel sei tadelfrei. Er zeige ernsten Willen, mit der Kirche versöhnt zu werden. Daher bittet der Bischof, Caprara möge die Absolution von den Zensuren, in die er gefallen war, gewähren und die Dispens für die Gültigmachung der Ehe erteilen99. Ein Angehöriger des Ordens der Barnabiten hatte im November 1798 seinen Habit abgelegt und verschiedene staatliche Aufgaben wahrgenommen. Er hat dann zivil eine Ehe geschlossen. Diese Verbindung will er nun wegen der Reputation der Familie seiner Frau ordnen. Caprara wies dieses Gesuch mit der Begründung zurück, es sei nicht von ernsthaften Argumenten abgesichert100. Ein Priester, der Prior seiner Kommunität war, hatte den Eid nicht geleistet. Er wollte aber in der Zeit der Auseinandersetzungen in Frieden leben und hatte daher seinen geistlichen Stand verlassen, den Zölibat aber weiterhin beobachtet. Seine Verhältnisse haben sich so gewandelt, dass er kein guter Priester mehr werden kann. Er bittet vom Tragen der geistlichen Kleidung und dem Breviergebet dispensiert zu 97

Delacroix, La réorganisation (Anm. 13), S. 454 – 455.

98

Blet, Histoire (Anm. 1), S. 494.

99

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 6 (Anm. 86), S. 25; ebenda 1/703, S. 68; May, Das Recht (Anm. 66) II, S. 55. 100

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 11 – 12.

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werden. Eingedenk des Priestermangels mahnt Caprara ihn, sich seiner Würde zu erinnern, seine „anciennes sentiments“ zu erwecken und sein Priesteramt wieder aufzunehmen101. Auch ein Zisterzienser, der keine Priesterweihe empfangen, aber feierliche Gelübde abgelegt hatte, erbat Dispens von diesen, weil seine Situation ihn zwinge, zu heiraten. Caprara ist gewillt, ihm ein Indult auszustellen, um in der Welt leben zu können, vom votum castitatis befreit er ihn nicht. Sollte er auf einer Ehe bestehen, solle er eben zivil heiraten wie sein Mitbruder aus der Kongregation von Saint-Maur102. Für einen ehemaligen Laienbruder aus dem Kapuzinerorden setzt sich Bischof Colmar am 6. August 1806 offenbar erneut ein. Der Professe befinde sich in einer Situation, in der er meint, nicht ohne Frau leben zu können. Er bittet um Dispens a voto solemni castitatis, um eine Ehe eingehen zu können. Die Angelegenheit zog sich vom 6. August 1806 bis 18. Oktober 1809 hin. Obwohl Bischof Colmar wusste, dass in solchen Fällen keine Dispens erteilt wird, wollte er sich doch vergewissern, ob sich die Regeln inzwischen nicht geändert haben. Caprara antwortete: „daß Se Heiligkeit mit den Priestern und Religiosen welche während den Verwirrungen der Revolution Zivilehekontrakten geschloßen haben, zwar Nachsicht gebrauchen wollen, daß sie aber fest entschloßen seien diese Nachsicht in keinem Falle weiter auszudehnen“103. Auch eine Ordensfrau aus Nantes, die nach ihren Angaben wegen familiärer Verhältnisse widerwillig bei den Trinitarierinnen in Rennes eingetreten war und nun um Dispens von ihren Gelübden für die Eingehung einer Ehe bat, wurde abgewiesen104. Es gab auch Fälle, in denen der Legat den Bischof um Nachforschungen ersuchte und von diesen seine Entscheidung abhängig machte, wie im Falle einer Religiosen aus einem Konvent in Puy. Sie hatte geheiratet, und aus dieser Ehe stammt eine Tochter, die verborgen gehalten wurde. Ihr Pfarrer bittet um Dispens für diese Exreligiose, Angehörige einer angesehenen Familie seiner Pfarrei, um die Verhältnisse zu ordnen und ein Ärgernis zu vermeiden. Nach Eingang der bischöflichen Untersuchung, die in der vorgeschriebenen Form zu erfolgen hat, wird der Kardinal entscheiden105.

101

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 11 – 12.

102

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 14 – 15.

103

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 7 (Anm. 85), S. 12 – 13, 30; Lettres a S. Ex. le Cardinal Legat et Mrs les Ecclesiastiques depuis 13 Juin 1809 jusqu’au 1 Decemb 1810 (= Bd. 9), S. 116 – 118, 130; Zitat: S. 117. 104

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 8; ähnlich S. 8 – 9: Caprara forderte gebieterisch, dass sie ihr Leben ändert und Buße tut. 105

Mathiez, Les Prêtres révolutionnaires (Anm. 40), S. 9.

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4. Eherechtliche Fälle Manche Beispiele, die beim Weihe- und Ordensrecht benannt wurden, gehören auch dem Bereich des Eherechtes zu. Es sind die trennenden Ehehindernisse der höheren Weihe in ihren Stufen und das feierliche Gelübde. Die Gesuche, von diesen zu dispensieren, dürften den größten Anteil ausgemacht haben. Dies geht sowohl aus der Literatur wie aus den auch aus dem Mainzer Dom- und Diözesanarchiv herangezogenen Quellen hervor. Beispielhaft seien einige angeführt. Bei der fehlenden Mobilität der damaligen Zeit waren Dispensen die Nahverhältnisse betreffend häufig: Gesuche um Befreiung von Ehehindernissen der Blutsverwandtschaft im dritten und zweiten Grad, der Schwägerschaft im ersten und zweiten Grad, mitunter auch der geistlichen Verwandtschaft106. Solche Dispensgesuche mussten an den Kardinal-Legaten weiter geleitetet werden. Allerdings zeigten sich bei der Anwendung der Dispensen für Ehehindernisse wiederum Probleme. Sie kamen von Seiten des Episkopates. Diesem hatte Pius VI. (1775 – 1799) wegen der Ausnahmesituation in Frankreich am 19. März 1792 mit dem Breve „In gravissimis“ weitgehende Dispensvollmachten erteilt107. Mit der Ankunft Capraras erlosch diese Sondererlaubnis. Portalis drängte am 21. Juli 1802 den Legaten, den Bischöfen Dispensvollmachten für alle jene Hindernisse zu übertragen, von denen der Apostolische Stuhl zu dispensieren pflegt108. Caprara musste Portalis erklären, dass es weder in seiner Macht steht, den Bischöfen unbeschränkte Dispensvollmachten für Ehehindernisse zu gewähren noch eine neue Disziplin in der Kirche Frankreichs einzuführen. Doch verlängerte er den Bischöfen im Juli 1802 auf eigene Verantwortung die ihnen von Pius VI. übertragenen Vollmachten für sechs Monate. Danach konnten sie dispensieren vom dritten und vierten einfachen und gemischten Grad der Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft sowie vom zweiten einfachen und gemischten Grad, wenn er den ersten Grad nicht berührt. Am 18. September 1802 rechtfertigte der Legat seine Handlungsweise gegenüber Kardinalstaatssekretär Consalvi. Sehr realistisch und ausführlich schildert er, wie man ihn bedrängte und in welch misslicher Lage er sich hinsichtlich der Ehedispensen befand. Die Bischöfe wünschten sogar die Dispensvollmachten für Ehen zwischen Schwager und Schwägerin (beau-frère et belle-soeur) und zwischen Onkel und Nichte. Er hat diese verweigert und wird sie weiterhin verweigern mit dem Hinweis, die Bischöfe dürften solche Fakultäten nicht begehren wegen der Aufrechterhaltung der kirchlichen Disziplin und um Kon-

106 Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Register über die vom 1ten August 1804 an ertheilten Dispensationen (= Bd. 22), passim. Vgl. May, Das Recht (Anm. 66), II, S. 37 – 48, 49. 107

MBR Cont. IX, 169 – 170, §§ 8 und 9.

108

Blet, Histoire (Anm. 1), S. 498 – 500.

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flikte mit der weltlichen Macht zu vermeiden. Er vermutet, dass man sich nun nach Rom wenden werde. Er gibt zu bedenken, dass eine Verhärtung in dieser Frage der Disziplin zu Gefahren für das Dogma führen kann. Man wird die Kirche mit der Ehescheidung konfrontieren109. Die folgenden Beispiele belegen, dass der Heilige Stuhl offensichtlich die Bitte um Verlängerung der außerordentlichen Vollmachten erfüllte. Der Mainzer Bischof Joseph Ludwig Colmar wandte sich deswegen immer wieder an Caprara. Die Gesuche um Dispens, die seine Vollmachten überschritten, sandte er an den Legaten110. So unterbreitete er diesem am 18. November 1806 folgenden Fall. Ein junger oberflächlicher Geistlicher seiner Diözese hatte im Jahre 1801 eigenmächtig und guten Glaubens vom ersten Grad der Schwägerschaft dispensiert, weil ihn dünkte, das Angehen des Bischofs brauche zu viel Zeit. Der nun im Jahre 1806 amtierende Pfarrer hat den Fehler entdeckt, und die angeblichen Ehegatten wünschen sehnlich, ihre Verbindung zu ordnen. Sie erbitten daher die notwendige Dispens um ihre Ehe gültig zu machen. Unter dem Datum des 15. Dezembers desselben Jahres vermerkt das Dispensenbuch die Befreiung von dem Hindernis durch Caprara: „... in primo gradu affinitatis in linea collaterali ... vi specialis Indulti ... pro hac vice tantum“111. Am 7. Februar 1807 übersandte Colmar vier Bittschriften an den Legaten, wobei er bemerkte: mit Widerstreben, weil er die Dispensen nicht liebe. Die einen beinhalteten Gesuche um Befreiung von dem Ehehindernis der Blutsverwandtschaft, die anderen von jenem der Schwägerschaft zweiten Grades berührend den ersten. Der Bischof fügt an, die von den Seelsorgern vorgetragenen Argumente scheinen ihm so stichhaltig, dass man die Bittsteller nicht abweisen sollte. Doch überlässt er die Angelegenheit der Klugheit und Großmut des Legaten112. Das Ehehindernis der Schwägerschaft ersten Grades war entstanden, weil der protestantische Mann sich mit der Schwester seiner zukünftigen Frau intim eingelassen hatte. Er bittet um Dispens von diesem Hindernis aus Sorge, dass Schwierigkeiten über die Gültigkeit der Ehe aufkommen könnten. Außerdem seien aus mangelnder Kenntnis des Pfarrers bereits die ersten Verkündigungen erfolgt. Die Dispens 109 Theiner, Histoire (Anm. 5), I, S. 530 – 531; Bernier bat Caprara am 15. Oktober 1802, beim Papst für die Bischöfe eine erneute Verlängerung der außerordentlichen Fakultäten zu erwirken (Theiner, Histoire [Anm. 5], I, S. 532 – 535). 110 Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres a S. E. le Cardinal légat et a MM les ecclesiastiques Depuis 28. April 1808 jusqu’au 27 Octobre 1809 (= Bd. 8), S. 111 – 112 mit S. 180 (16. Januar 1809); May, Das Recht (Anm. 66), II, S. 27 – 28. 111

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 7 (Anm. 85), S. 58; Register (Anm. 106),

S. 20. 112

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 7 (Anm. 85), S. 79; Register (Anm. 106), S. 25 – 27 für die Zeit vom 26. Februar bis 14 März 1807 vier Entscheide Capraras, die diese Fälle betreffen könnten. Leider fehlen in Colmars Brief die Namen. Daher ist eine Identifikation nicht möglich.

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des Legaten traf am 15. Dezember 1806 ein113. Am 28. Januar 1808 beantwortete Caprara ein vom 22. Januar datiertes Dispensgesuch für einen Professor der Philologie, der seine Tante ehelichen wollte, positiv: „in 10 et 2do mixto Consanguinitatis gradu in linea Collaterali invicem Conjuncti, concessa vi Specialis Indulti“114. Am 15. März 1808 vermerkt das Dispensenbuch ohne Namensangabe den Eingang der erbetenen Dispens für das Hindernis der Schwägerschaft im ersten Grad, das bereits im Jahre 1795 eingetreten war, als der Mann die Witwe seines Bruders geheiratet hatte. Beide wussten nicht, dass sie kraft Kirchengesetzes an der Eheschließung gehindert waren115. V. Zusammenfassung Die Vollmachten, die der Kardinal-Legat Caprara bei seiner Beauftragung für seine Mission in Frankreich im Jahre 1801vom Papst erhalten hatte, waren sehr umfangreich, denn sie sollten der Normalisierung der Verhältnisse im Lande der Revolution dienen. Aus diesen viele Bereiche des christlichen Lebens umgreifenden Vollmachten wurden die „facultates dispensandi“ untersucht. So ausgedehnt sie im Breve „Cum omnipotentis“ auch scheinen, reichten sie doch nicht aus. Es traten immer wieder neue Fragen ins Blickfeld, die eine Ergänzung erforderten, um das Versöhnungswerk möglichst gut gelingen zu lassen. So wurde anscheinend bei der Rekonziliation der Priester (erst) offenbar, dass den Ordensleuten auch die Chance für eine Aussöhnung mit der Kirche und eine Regulierung ihrer Verhältnisse eröffnet werden musste. Also ein Anlass, Caprara neue Fakultäten zu übertragen. Bei den Laien zeigte sich das Problem ungültiger Ehen aus mancherlei Gründen (Formmangel, Ehehindernisse). Die französischen Bischöfe wünschten die Verlängerung der ihnen in den Revolutionsjahren gewährten Dispensvollmachten für Ehehindernisse. Wo und wie immer es möglich war, handelten der Papst und der Legat nach der Maxime „salus animarum suprema lex“ und schufen – soweit die zu entscheidenden Fälle Disziplinargesetze der Kirche betrafen – die Basis für eine Aussöhnung der Gläubigen mit der Kirche und die Reintegrierung in die Glaubensgemeinschaft. Der nicht mehr junge und kränkliche Kardinal Caprara hat ein unglaubliches Arbeitspensum unter schwierigsten Bedingungen erbracht. Eigentlich hatte er nur einem Herrn zu dienen, dem Papst und damit letztlich Gott. Aber 113

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 7 (Anm. 85), S. 61 (2. Decembre 1806); May, Das Recht (Anm. 66), S. 43 – 44. 114

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Lettres Bd. 7 (Anm. 85), S. 312 – 313; Register (Anm. 106), S. 36, 57. – Von dieser Dispens wurde aber kein Gebrauch gemacht (S. 36). 115

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv: Register (Anm. 106), S. 37; Lettres Bd. 7 (Anm. 85), S. 333 – 334 (23. Februar 1808).

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Napoleon und seine Minister suchten, ihn für ihre Interessen zu gebrauchen. Und in allen Schwierigkeiten sollte das Wohl der Kirche und der Menschen zuerst bedacht und erreicht werden. Die Quellen sprechen in diesem Punkt zugunsten Capraras. Unzähligen Menschen hat er durch den Gebrauch seiner Fakultäten, insbesondere der Dispensvollmachten, zur Rückkehr in die Kirche verholfen, den inneren Frieden geschenkt und ein Leben in geordneten äußeren Verhältnissen ermöglicht, den Klerikern wie den Laien, ob wieder in kirchlichem Auftrag oder in Familie und Beruf. Mit diesen Rekonziliationen hat er einen nicht unbedeutenden Anteil am Neubeginn der Kirche in Frankreich nach den Revolutionsjahren.

Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917 Von Elmar Güthoff Vorbemerkung Nach c. 1272 CIC / 1983 ist es Aufgabe der Bischofskonferenz, in den Regionen, in denen noch Benefizien im eigentlichen Sinn bestehen, das Benefizialwesen so zu gestalten, daß die Erträge oder das Vermögen der Benefizien einer Einrichtung zum Unterhalt der Kleriker, die für die Diözese Dienst tun (c. 1274 § 1 CIC / 1983), übertragen werden. Was aber ist kirchenrechtlich unter dem Begriff des Benefiziums zu verstehen, den der kirchliche Gesetzgeber nur noch in dem zuvor zitierten c. 1272 CIC / 1983 verwendet? I. Formale Umschreibung des kirchlichen Benefiziums Mit der Apostolischen Konstitution Providentissima Mater Ecclesia vom 27. Mai 1917 promulgierte Papst Benedikt XV. den Codex Iuris Canonici als erstes systematisches und umfassendes Gesetzbuch für die Lateinische Kirche1. Der CIC / 1917 trat am 19. Mai 1918 in Kraft und zum 27. November 1983 formell außer Kraft. Der kirchliche Gesetzgeber gab in c. 1409 CIC / 1917 eine Begriffsbestimmung des kirchlichen Benefiziums: „Beneficium ecclesiasticum est ens iuridicum a competente ecclesiastica auctoritate in perpetuum constitutum seu erectum, constans officio sacro et iure percipiendi reditus ex dote officio adnexos“ (c. 1409 CIC / 1917). Das Benefizium umfaßte Geistliches und Zeitliches. Der angeführte Kanon wollte an vorher geltendes Recht anschließen2, vor allem an den Grundsatz: 1 2

Siehe AAS 8 (1916) 465 – 468.

In der kirchlichen Rechtsgeschichte hat der Sprachgebrauch von beneficium verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Zunächst bezeichnet beneficium nur die Vermögensmasse (s. K. Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici, Paderborn 1937 [unveränderter Neudruck 1967], 184 f.; J. B. Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, I, 4, Freiburg / Br. 41925, 277). Seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts steht der Begriff mehr und mehr für Amt und Vermögensmasse (s. N. Hilling, Das Personenrecht des CIC,

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„Beneficium ... propter ... officium“3. Ähnlich wurde auf dem Konzil zu Trient formuliert4. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung sollen die einzelnen Elemente der Begriffsbestimmung des c. 1409 CIC / 1917 kritisch hinterfragt werden. Es gilt weiter zu überprüfen, inwieweit vorher geltende Rechtsprinzipien inhaltlich in c. 1409 CIC / 1917 Berücksichtigung gefunden haben. Außerdem wird die Bedeutung von c. 1409 CIC / 1917 im gesamten Benefizial- und Ämterrecht des CIC / 1917 zu überprüfen sein. II. Das erste Wesensmerkmal: officium sacrum 1. Das Benefizium als Kirchenamt i.e.S. Gemäß c. 1409 CIC / 1917 ist das Kirchenamt ein wesentlicher Bestandteil des kirchlichen Benefiziums. Laut c. 145 § 2 CIC / 1917 ist officium im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 als Kirchenamt i.e.S. (im engen Sinn) zu verstehen, wenn aus dem Zusammenhang nichts anderes hervorgeht. Da aus c. 1409 CIC / 1917 nichts Gegenteiliges zu entnehmen ist, kann man zunächst vermuten, daß das Benefizium zum einen aus einem Kirchenamt i.e.S. besteht. Der in c. 1409 CIC / 1917 enthaltene Begriff officium sacrum ist nach Mörsdorf typische Bezeichnung für das Kirchenamt i.e.S.5. Zu untersuchen ist, ob die Merkmale des Kirchenamtes i.e.S. (nach c. 145 § 1 CIC / 1917) vom kirchlichen Benefizium (im Sinne von c. 1409 CIC / 1917) aussagbar sind6.

Paderborn 1924, 85 f; A. Pöschl, Die Entstehung des geistlichen Benefiziums, in: AfkKR 106 [1926] 3 – 121, 363 – 471, 449; E. Isele, Wandel im Bereich des kirchlichen Vermögensrechts, in: GrNKirchR 679 – 686, 682; P. Landau, Benefizium, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 5, Berlin / New York 1980, 577 – 583, 580 f). 3

C. 15, de rescriptis I, 3 in VI°.

4

„Beneficium ad divinum cultum atque ecclesiastica munia obeunda sint constituta“ (Conc. Trident., sess. XXI, c. 3 de ref). 5 6

Siehe Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (Anm. 2), 183.

Siehe L. Bender, Estne officium ecclesiasticum persona moralis?, in: Questioni attuali di diritto canonico. Analecta Gregoriana 69 (1955) 75 – 95, 84 f.

Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917

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2. Die dauernde Einrichtung Das Kirchenamt i.e.S. ist eine dauernde Einrichtung, die auf göttlicher oder kirchlicher Einrichtung beruht7. Die objektive Perpetuität (die bleibende Festlegung des Amtes als Institution) gehört wesentlich zum kirchlichen Amtsbegriff des CIC / 1917 i.e.S., während die subjektive Perpetuität (die Besetzung des Amtes mit einem Amtsinhaber) nicht wesensnotwendig ist8. Gemäß c. 1409 CIC / 1917 ist ein Benefizium „in perpetuum constitutum seu erectum“. Die Dauerhaftigkeit der Errichtung folgt zudem aus der Rechtspersonalität des Benefiziums9. Die objektive Perpetuität als Merkmal eines Kirchenamtes i.e.S. ist somit vom Benefizium aussagbar. 3. Die kanonische Amtsübertragung In der Regel wird ein Kirchenamt durch kanonische Amtsübertragung verliehen (cc. 109 u. 147 § 1 CIC / 1917). Unter kanonischer Amtsübertragung versteht der Gesetzgeber im CIC / 1917 das Verleihen eines Kirchenamtes (nach c. 145 § 2 CIC / 1917) i.e.S., und zwar durch die zuständige kirchliche Autorität nach Maßgabe des kanonischen Rechts (c. 147 § 2 CIC / 1917). Mögliche Formen sind die freie und die gebundene Verleihung (c. 148 § 1 CIC / 1917). Mit der Übertragung erhält eine Person das fest umschriebene Ganze aller Rechte und Pflichten des Amtes. In der beschriebenen Weise wird auch das Benefizium übertragen, so daß auch das zweite Merkmal eines Kirchenamtes i.e.S. auf das Benefizium zutrifft. Die Verleihung durch die zuständige kirchliche Autorität ist in den cc. 1431 – 1433 CIC / 1917 geregelt. Mit der Verleihung erhält der Benefiziat alle entsprechenden Rechte und Pflichten (cc. 1472, 1475 § 1 CIC / 1917). Dennoch existierende Unterschiede sind sekundärer Natur. So bedürfen Benefizien zum Beispiel der Annahme (c. 1436 CIC / 1917), während die übrigen Kirchenämter unabhängig vom Willen des Amtsinhabers übertragen werden können (c. 1481 § 1 CIC / 1917). Schließlich kann man sich ein Benefizium 7

Auf göttlicher Anordnung beruhen in der Kirche das Bischofsamt im Allgemeinen und das Papstamt; die übrigen Ämter gehen auf kirchliche Anordnung zurück (c. 108 § 3 CIC / 1917). 8

Siehe K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, Bd. 1, Paderborn 111964, 274; R. A. Strigl, Grundfragen der kirchlichen Ämterorganisation. Münchener Theologische Studien, Bd. 13, München 1960, 63. 9

Zur Rechtspersonalität des Benefiziums siehe unten 5.

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nicht selbst verleihen (c. 1437 CIC / 1917), wohingegen Befugnisse der freien Verwaltung grundsätzlich auch zum eigenen Vorteil ausgeübt werden können (c. 201 § 3 CIC / 1917)10. 4. Die Teilhabe an der Kirchengewalt Das dritte Merkmal eines Kirchenamtes i.e.S. ist die Teilhabe an der hoheitlichen Kirchengewalt, das bedeutet an Weihe- und Jurisdiktionsgewalt (c. 145 § 1 CIC / 1917). Hier gilt es, darauf hinzuweisen, daß Weihegewalt nur durch Weihe, Jurisdiktionsgewalt durch kanonische Sendung übertragen wird (c. 109 CIC / 1917). Die Amtsübertragung ist eine Form der kanonischen Sendung, aber keine Weihe und vermittelt keine Weihegewalt. Deshalb kann durch Amtsübertragung nur Jurisdiktions- und keine Weihegewalt vermittelt werden11. Unbeschadet dessen setzt die Verleihung von Jurisdiktionsgewalt in vielen Fällen den Besitz von Weihevollmacht voraus, so daß bestimmte Ämter nur Klerikern übertragen werden können (c. 154 CIC / 1917)12. Gemäß c. 118 § 1 CIC / 1917 können Benefizien nur Klerikern übertragen werden. In bestimmten Fällen ist die Weihe Voraussetzung für die Übertragung eines Benefiziums (c. 1474 CIC / 1917). Nicht immer kommt dem Benefiziaten auch Jurisdiktionsgewalt zu (z. B. Frühmeßbenefizium oder Kaplaneibenefizium). Grundsätzlich gibt es also auch Benefizien, deren Übertragung keine Teilhabe an der Jurisdiktionsgewalt vermittelt (cc. 393 § 1, 477 § 2, vgl. auch 1411, 5° CIC / 1917). Fehlt einem Kirchenamt die Teilhabe an der hoheitlichen Hirtengewalt, liegt ein Kirchenamt i.w.S. (im weiten Sinn) vor13. Somit kann lediglich gesagt werden, daß ein Benefizium in der Regel Teilhabe an der hoheitlichen Kirchengewalt mit sich bringt und für gewöhnlich ein Kirchenamt i.e.S. ist.

10

Siehe Strigl, Grundfragen der kirchlichen Ämterorganisation (Anm. 8), 121 f.

11

Siehe K. Mörsdorf, De conceptu Officii Ecclesiastici, in: Apollinaris 33 (1960) 75 – 87, 78; ders., Kritische Erwägungen zum kanonischen Amtsbegriff, in: Festschrift für K. G. Hugelmann, Bd. 1, Aalen 1959, 383 – 398, 387. 12

Siehe H. Schmitz, Die Gesetzessystematik des Codex Iuris Canonici. Münchener Theologische Studien, Bd. 18, München 1960, 78 Anm. 13; Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 8), 274. 13

Siehe Schmitz, Die Gesetzessystematik des Codex Iuris Canonici (Anm. 12), 80.

Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917

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5. Ergebnis der Untersuchungen Im Anschluß an c. 145 § 2 CIC / 1917 ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber das kirchliche Benefizium im Sinne von c. 1409 CIC / 1917 als Kirchenamt i.e.S. verstanden wissen will. Rechtssprachlich kann auch die Verwendung des Begriffes officium sacrum in c. 1409 CIC / 1917, der nach Mörsdorf eine typische Bezeichnung für das Kirchenamt i.e.S. ist, ein Indiz für den Willen des Gesetzgebers sein14. Allerdings ist das Benefizium nicht wesensnotwendig ein Kirchenamt i.e.S., da es auch Benefizien gibt, deren Inhaber keine hoheitliche Kirchengewalt besitzt15. In diesem Punkt bleibt die Begriffsbestimmung des c. 1409 CIC / 1917 hinter der Systematik des kodikarischen Benefizial- bzw. Ämterrechtes zurück. III. Das zweite Wesensmerkmal: ius percipiendi reditus ex dote officio adnexos 1. Das Recht auf Einkünfte aus der Pfründeausstattung Nach c. 1409 CIC / 1917 ist das zweite Wesensmerkmal des kirchlichen Benefiziums nicht die dos selbst, sondern das Recht, Einkünfte aus derselben zu erhalten16. Die Dotation kann aus Kirchengut bestehen, muß es aber nicht notwendig17. Die dos kann eine der in c. 1410 CIC / 1917 erschöpfend aufgezählten Formen haben. Demzufolge kann die Pfründeausstattung aus Vermögenswerten, bestimmten und rechtlich geschuldeten Leistungen, bestimmten und freiwilligen Gaben der Gläubigen, Stolgebühren oder (mit gewissen Einschränkungen) aus Choranteilen bestehen18. Der klassische Typ einer Dotation waren Vermögenswerte, so daß die dos oft unvollständig und verkürzt mit der Vermögensmasse gleichgesetzt wurde. Zur Dotation zählt hingegen alles, woraus das entsprechende Amtseinkommen des Benefiziaten fließt. Die Einkünfte kommen dem Benefiziaten wegen der mit dem Amt verbundenen Pflichten zu, nicht wegen einer einmalig verrichteten Tätigkeit19. Vermögensanteile bzw.

14

Siehe Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (Anm. 2), 183.

15

Siehe Strigl, Grundfragen der kirchlichen Ämterorganisation (Anm. 8), 100, 129 f.

16

Siehe M. Conte a Coronata, Institutiones iuris canonici, Bd. 3, Turin 41950, 361.

17

Siehe F. X. Wernz / P. Vidal / P. Aguirre, Ius canonicum, Tomus II, Rom 31943, 197 f. 18

Die verschiedenen Formen, aus denen sich das Pfründeeinkommen bilden kann, werden ausführlich behandelt bei Strigl, Grundfragen der kirchlichen Ämterorganisation (Anm. 8), 108 – 111. 19

Siehe ebd. 108.

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Vermögenswerte Rechte werden nicht durch ihr bloßes Vorhandensein zur dos, sondern dadurch, daß sie beim Errichtungsakt zur dos erklärt werden. Der Amtsinhaber wird nicht Eigentümer der Pfründeausstattung, sondern erhält ein Nutzungsrecht20. Durch den Untergang des Amtes wird die Zweckbindung der dos prinzipiell frei. Der Untergang der Dotation kann zum faktischen Untergang des Amtes führen. Grundsätzlich darf kein Benefizium errichtet werden, wenn nicht eine für den dauernden Unterhalt des Amtsinhabers ausreichende dos bereitsteht (c. 1415 § 1 CIC / 1917). Eine Ausnahme ist von Gesetzes wegen insofern für Pfarrbenefizien möglich, als daß diese errichtet werden können, auch wenn keine angemessene Pfründeausstattung vorhanden ist, klugerweise aber vorhergesehen werden kann, daß das für den Lebensunterhalt des Benefiziaten Erforderliche nicht ausbleiben wird (c. 1415 § 3 CIC / 1917). 2. Die Verbindung mit dem Amt Zu fragen bleibt noch, wie der Ausdruck „officio adnexos“ aus c. 1409 CIC / 1917 zu verstehen ist. Sachlich naheliegend ist ein Rückbezug auf das Recht auf Fruchtgenuß. Eine derartige Verbindung zwischen ius und officium wird von einer Vielzahl von Fachgelehrten stillschweigend angenommen21 und ist der Sache nach durchaus angemessen. Das Amt und das Recht auf Fruchtgenuß sind die beiden Konstitutiva des kirchlichen Benefiziums. Geistliches und Zeitliches stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind miteinander verbunden. Durch das Recht auf Erträge aus der Ausstattung des Benefiziums wird der Benefiziat äußerlich in die Lage versetzt, die mit dem geistlichen Amt verbundenen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, und materiell abgesichert. Grammatisch bezieht sich der Ausdruck „officio adnexos“ in c. 1409 CIC / 1917 auf „reditus“22. Das ganze Benefizialrecht macht allerdings keine einzige weitere Aussage über eine Verbindung von Amt und Einkünften. Offen bleibt weiter, welche Intensität der Verbindung an dieser Stelle durch adnexus ausgedrückt werden soll. Adnexus kann eine enge oder eine lockere Bindung bezeichnen23, was beides im CIC / 1917 verwirklicht ist (vgl. cc. 197, 208, 210 CIC / 1917). 20

Siehe G. Stocchiero, Il beneficio ecclesiastico, Bd. 1, Vicenza 1943, 304 f.

21

Zum Beispiel C. Holböck, Handbuch des Kirchenrechts, Bd. 2, Innsbruck / Wien 1951, 863; U. Mosiek, Verfassungsrecht der Lateinischen Kirche, Bd. 1, Freiburg / Br. 1975, 138; Schmitz, Die Gesetzessystematik des Codex Iuris Canonici (Anm. 12), 83; Strigl, Grundfragen der kirchlichen Ämterorganisation (Anm. 8), 100. 22 Siehe K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, Bd. 2, Paderborn 111967, 445. 23

Vgl. H. Georges, Ausführliches Handwörterbuch Lateinisch-Deutsch, Bd. 1, Hannover / Leipzig 91951, 445; R. Köstler, Wörterbuch zum CIC, München 1927, 301.

Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917

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Die vorliegende Form von adnexus trägt also nicht dazu bei, das Verständnis von c. 1409 CIC / 1917 zu erleichtern. IV. Das Verhältnis der Wesensmerkmale zueinander In der Begriffsbestimmung des kirchlichen Benefiziums wird die Ausstattung nicht als solche zu den Wesensbestandteilen des Benefiziums gezählt, sondern in der Form eines Rechtsanspruches. Die entsprechende Formulierung ist im CIC / 1917 einmalig. Durch diese Ausdrucksweise räumt der Gesetzgeber in c. 1409 CIC / 1917 dem Amt einen Vorrang vor der Pfründeausstattung ein. Dadurch steht c. 1409 CIC / 1917 in der Tradition der alten Rechtsregel „Beneficium ... propter ... officium“24. Das kirchliche Benefizium dient der Ausübung des geistlichen Amtes. Das Recht auf Erträge aus der Pfründeausstattung soll den Inhaber des entsprechenden Amtes dazu äußerlich in die Lage versetzen und materiell absichern. Diese Sichtweise spiegelt sich auch in anderen Bestimmungen des CIC / 1917 wider. Grundsätzlich dürfen Benefizien nur errichtet werden, wenn eine ausreichende Ausstattung zur Verfügung steht (c. 1415 § 1 CIC / 1917). Bei der Errichtung von Pfarreien kann die bereits erwähnte Ausnahme gemacht werden, wenn vernünftigerweise vorherzusehen ist, daß der Amtsinhaber (Pfarrer) anderweitig materiell versorgt werden kann (c. 1415 § 3 CIC / 1917). Wenn ein Benefiziat seine Verpflichtung zum Stundengebet schuldhaft versäumt, erwirbt er die entsprechenden Erträge nicht zu eigen (c. 1475 § 2 CIC / 1917). Hinter den Bestimmungen der cc. 1415 § 3 und c. 1475 § 2 CIC / 1917 kann man den Vorrang des geistlichen vor dem zeitlichen Aspekt des Benefiziums erkennen. Allerdings sahen die tatsächlichen Verhältnisse vielfach anders aus. Selbst der CIC / 1917 ist hinsichtlich des Verhältnisses von officium und dos nicht konsequent. Schon der auf c. 1409 CIC / 1917 folgende c. 1410 CIC / 1917 beginnt mit dem Ausdruck „dotem beneficii“, wodurch der falsche Anschein erweckt wird, die dos selbst sei wesentlicher Bestandteil des Benefiziums als solchem25. Dieser Anschein wird durch eine Formulierung des c. 1415 § 1 CIC / 1917 verstärkt, demzufolge Benefizien eine Ausstattung besitzen. Darüber hinaus ist in der Errichtungsurkunde nicht das Recht auf die genannten Einkünfte, sondern die dos beneficii (!) zu umschreiben (c. 1418 CIC / 1917). Auch wenn diese Aufzählung nicht erschöpfend ist, wird deutlich, daß das Verhältnis von officium und dos durch c. 1409 CIC / 1917 nur vordergründig

24 25

C. 15, de rescriptis I, 3 in VI°.

Vgl. G. Ebers, Grundriß des katholischen Kirchenrechts, Wien 1950, 272; A. Vermeersch / J. Creusen, Epitome iuris canonici, Bd. 2, Mechelen 21935, 526.

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geregelt wird, da die dort vorgenommene Regelung nicht konsequent durchgetragen wird. V. Die Rechtspersonalität des kirchlichen Benefiziums Im CIC / 1917 findet man mehrere Bezeichnungen für die Rechtspersonalität26. In c. 1409 CIC / 1917 wird die Rechtspersonalität des Benefiziums dadurch zum Ausdruck gebracht, daß das kirchliche Benefizium als „ens iuridicum“ bezeichnet wird. Ergänzend dazu ist die Bestimmung des c. 99 CIC / 1917 zu sehen, wonach Benefizien nichtkollegiale juristische Personen sind27. Außer der Katholischen Kirche und dem Apostolischen Stuhl treten juristische Personen als solche erst durch ihre konkrete Errichtung ins Dasein. Die Errichtung einer juristischen Person kann geschehen von Gesetzes wegen oder durch besondere Verleihung von Seiten der zuständigen kirchlichen Autorität (c. 100 § 1 CIC / 1917). Dem kirchlichen Benefizium kommt Rechtspersonalität von Gesetzes wegen zu (cc. 99 und 1409 CIC / 1917). Im Unterschied zu den bepfründeten Ämtern sind die übrigen Ämter keine juristischen Personen ex ipso iuris praescripto28. Durch c. 100 § 3 CIC / 1917 wird herausgestellt, daß eine juristische Person im Dienst eines religiösen oder caritativen Zweckes zu stehen hat, was in besonderer Weise auf das kirchliche Benefizium übertragen werden kann. In der objektiven Perpetuität liegt ein wesentlicher Bestandteil der juristischen Person (c. 102 § 1 CIC / 1917). Deshalb kann die parallele Regelung für das Benefizium (c. 1409 CIC / 1917) sachlich nichts Neues hinzufügen. Das kirchliche Benefizium zeichnet sich von Rechts wegen durch Rechtspersonalität und damit auch durch objektive Perpetuität aus. Ein anderes Merkmal der juristischen Person ist die Vermögensfähigkeit (vgl. cc. 1476 § 1, 1477 §§ 1 u. 2, 1478, 1479 CIC / 1917). Durch die Verleihung der Rechtspersonalität erhält ein Vermögen einen Rechtsträger. Nach Strigl ist die Rechtspersonalität des Benefiziums allerdings eher von amtsrecht-

26

Die gebräuchlichste Bezeichnung im CIC / 1917 ist persona moralis (cc. 99–103, 106, 1495 § 2, 1498–1501, 1552 § 2, 1°, 1557 § 2, 2°, 2255 § 2). Seltener sind die Ausdrücke persona iuridica (cc. 687, 1489 § 1, 1495 § 2) bzw. ens iuridicum (cc. 1409, 1410) und corpus morale (c. 2255 § 2). 27

Die Unterscheidung von öffentlicher und privater juristischer Person ist dem CIC / 1917 noch fremd. 28

Siehe R. A. Strigl, Sinn und Bedeutung der Rechtspersonalität im kirchlichen Ämterrecht, in: AfkKR 142 (1962) 3 – 14, 6.

Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917

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lichen und nicht von vermögensrechtlichen Überlegungen her verständlich zu machen29. Benefizien bzw. juristische Personen erlöschen entweder durch hoheitliche Aufhebung oder von Rechts wegen, wenn sie hundert Jahre aufgehört haben zu bestehen (cc. 102 § 1, 1421 CIC / 1917). VI. Die Errichtung des kirchlichen Benefiziums 1. Errichtung und Benefizium allgemein Das kirchliche Benefizium bedarf der Errichtung durch die zuständige kirchliche Autorität30. Der Gesetzgeber bedient sich, um diesen Sachverhalt in c. 1409 CIC / 1917 sprachlich auszudrücken, der im alten Kodex einmaligen Verbindung „constitutum seu erectum“. Für die Errichtung eines Kirchenamtes verwendet der Gesetzgeber im Kodex von 1917 üblicherweise Formen von erigere und seltener von constituere (z. B. cc. 1414, 1415 §§ 1 u. 3, 1418 bzw. 145 § 1, 248 § 2, 398 § 2 CIC / 1917). In der gleichen Weise wird auch die Errichtung einer juristischen Person ausgedrückt (cc. 99, 100 § 2, 1500 CIC / 1917)31. In den genannten Bedeutungen werden die beiden Verben im Gesetzbuch von 1917 synonym benutzt. Obwohl seu (= d.h.) nicht einfachhin eine Doppelung darstellt, erscheint eine zweigliedrige sprachliche Verbindung „constitutum seu erectum“ in c. 1409 CIC / 1917 nicht erforderlich, da beide Verben – wie aufgezeigt – im CIC / 1917 synonym verwendet werden. Die Errichtung geschieht nicht privat, sondern ist ein hoheitlicher Verwaltungsakt, durch den ein Benefizium beginnt, rechtlich als solches zu existie-

29

„Ein gewichtiges Argument ... läßt sich daraus gewinnen, daß die Gesamtkirche und der Apostolische Stuhl als juristische Person kraft göttlichen Rechts diesen Charakter nicht etwa primär um der Vermögensfähigkeit willen in Anspruch nehmen, sondern deshalb, weil er als rechtliche Kategorie geeignet ist, dem geistlichen Wirken der Kirche im irdisch-menschlichen Bereich die Beständigkeit und Ordnung des Vollzuges zu gewährleisten. Das Entscheidende in der Kirche sind die ... geistlichen Aufgaben und Vollmachten, denen gegenüber die Temporalien lediglich eine dienende Funktion haben“ (Strigl, Sinn und Bedeutung der Rechtspersonalität im kirchlichen Ämterrecht [Anm. 28], 8; vgl. M. Pistocchi, De re beneficiali iuxta canones Codicis Iuris Canonici, Turin 1928, 6 f). 30

Eine bloße Approbation reicht nicht aus; vgl. F. M. Cappello, Summa iuris canonici, Bd. 2, Rom 41945, 510. 31

Siehe Köstler, Wörterbuch zum CIC (Anm. 23), 142; Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (Anm. 2), 188.

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ren32. Deshalb ist die Ausstellung einer förmlichen rechtskräftigen Errichtungsurkunde gemäß c. 1418 CIC / 1917 zur Erlaubtheit33 erforderlich. Benefizien besitzen Rechtspersonalität ex ipso iuris praescripto (cc. 99, 100 § 2, 1409 CIC / 1917). Da juristische Personen schon als solche der Errichtung bedürfen, erscheint der Hinweis auf die Errichtung in der Begriffsbestimmung des c. 1409 CIC / 1917 bei gleichzeitiger Erwähnung der Rechtspersonalität unter formalem Gesichtspunkt verzichtbar. „Die Notwendigkeit einer Errichtung des bepfründeten Amtes ist mit der Schaffung eines Rechtsträgers für das Pfründevermögen nur einseitig begründet. Die Frage kann erst einer Lösung nähergeführt werden, wenn die Strukturunterschiede von Benefizien und reinen Offizien und die Unterscheidung von Benefizien mit und ohne Gebietskörperschaft beachtet werden. Benefizien mit Gebietskörperschaft ... gehören ... zum tragenden Gefüge der kirchlichen Organisation. Die Notwendigkeit, ein Benefizium mit Gebietskörperschaft kirchlich errichten zu müssen, kann nicht allein im Pfründevermögen liegen, da nicht immer eine Bepfründung gefordert ist (vgl. c. 1415 § 3). Sie gründet in der Vielheit der Glieder der Kirche, die ... zu einer Gemeinschaft zusammengefaßt und damit von anderen Gemeinschaften abgegrenzt werden. Anders verhält es sich bei den Benefizien ohne Gebietskörperschaft. Hier darf der Grund für die notwendige Errichtung darin gesehen werden, daß ein Rechtsträger für die Vermögensausstattung da sein muß, der mit der kirchlichen Rechtspersönlichkeit gegeben wird“34.

2. Die konkrete Errichtung Benefizien jeder Art35 bedürfen der Errichtung durch die zuständige kirchliche Autorität (c. 1409 CIC / 1917). Die Errichtung durch eine weltliche Autorität ist nicht möglich. Die Zuständigkeit ergibt sich auch aus c. 1414 CIC / 1917. Demzufolge kann der Papst Benefizien jeder Art an jedem Ort errichten (§ 2); die Errichtung von Konsistorialbenefizien steht nur ihm zu (§ 1). Nichtkonsistorialbenefizien kann der Ordinarius in seinem jeweiligen Gebiet errichten (§ 2), während sein Generalvikar hierzu eines Spezialmandates bedarf (§ 3). 32

Siehe N. Hilling, Das Sachenrecht des CIC, Freiburg 1928, 229 f.

33

Siehe SC Conc. vom 05. 03. 1932, in: AAS 28 (1936) 436 – 438.

34

Schmitz, Die Gesetzessystematik des Codex Iuris Canonici (Anm. 12), 83.

35

In c. 1411 CIC / 1917 werden folgende Arten des kirchlichen Benefiziums unterschieden: Konsistorialbenefizien und Nichtkonsistorialbenefizien (1°), weltgeistliche und ordensgeistliche Benefizien (2°), Residenzialbenefizien und einfache Benefizien (3°), unwiderrufliche und widerrufliche Benefizien (4°), Seelsorgsbenefizien und Inkuratbenefizien (5°). Die verschiedenen Arten schildert ausführlich Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 2 (Anm. 22), 447.

Der Begriff des Benefiziums gemäß c. 1409 CIC / 1917

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Für die Errichtung bzw. Restituierung von Kapitelsdignitäten gelten die Vorschriften des c. 394 § 2 CIC / 1917. An ihrer Titelkirche bzw. Diakonie können Kardinäle Inkuratbenefizien errichten (c. 1414 § 4 CIC / 1917). Vor der Errichtung eines kirchlichen Benefiziums müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Grundsätzlich muß an einem Ort ein kirchliches Bedürfnis zur dauerhaften Wahrnehmung bestimmter kirchlicher Aufgaben vorliegen36. Außerdem muß eine bleibende und hinreichende Ausstattung bereitstehen, aus deren Erträgen der Lebensunterhalt des Amtsinhabers beständig bestritten werden kann (c. 1415 § 1 CIC / 1917). Wenn die Vermögensmasse aus Bargeld besteht, ist § 2 des c. 1415 CIC / 1917 zu beachten, während bei der Errichtung von Pfarreien unter Umständen § 3 desselben Kanons einschlägig sein kann. Die Errichtung geschieht mittels einer förmlichen, rechtskräftigen Errichtungsurkunde, in der der Ort, an dem das Benefizium errichtet wurde, anzugeben ist, die Vermögensmasse sowie die Rechte und Pflichten des Benefiziaten zu umschreiben sind37. VII. Das Substantiv praebenda und seine Verwendung38 Nach Köstler bezeichnet praebenda im CIC / 1917 die Stiftspfründe39. Jenes Substantiv wird im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 insgesamt 18mal verwendet, und zwar ausnahmslos in den Bestimmungen über die Kanonikerkapitel (cc. 391 – 422 CIC / 1917)40. Praebendae meint in erster Linie die Stiftsbenefizien der Kanoniker (cc. 394 §§ 2 u. 3, 408 § 2, 416, 422 §§ 1 u. 2 CIC / 1917), die auch „praebendae canonicales“ (c. 394 § 2 CIC / 1917) oder „canonicatus“ (c. 403 CIC / 1917) genannt werden. Mit „praebendae canonicales“ (c. 394 § 2 CIC / 1917) sind die niederen Benefizien der Kapitelskirchen gemeint. In den einigen Normen des Gesetzbuches von 1917 (cc. 417 § 3, 418 § 3, 420 § 1, 421

36

Nach Cappello, Summa iuris canonici, Bd. 2 (Anm. 30), 514, ist das sogar eine Gültigkeitsvoraussetzung, was nicht unproblematisch ist. 37

Vgl. Anm. 33.

38

Seit dem neunten Jahrhundert meint praebenda das Recht des Kanonikers, einen bestimmten festen Anteil aus den Erträgen des Kapitelsgutes zu erhalten. Mit dem elften Jahrhundert verändert sich der Sprachgebrauch dahingehend, daß praebenda das Amt des Kanonikers selbst mit den dazugehörigen Nutzungsrechten meint. Die Bedeutungsverschiebung bewirkt „die untrennbare Zuordnung bestimmter Erträge zu einem Amt“ (Landau, Benefizium [Anm. 2], 579). 39 40

Siehe Köstler, Wörterbuch zum CIC (Anm. 23), 271.

In demselben Kapitel wird beneficium ebenfalls 18mal verwendet; vgl. A. Lauer, Index Verborum Codicis Juris Canonici, Rom 1941, 57 – 59, 463.

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§§ 1 und 2 CIC / 1917) sind nicht nur die Kanonikatspfründe gemeint, sondern auch die anderen Benefizien an der Kapitelskirche. Die praebendae gehören zu den Benefizien und unterliegen deshalb den Bestimmungen über die kirchlichen Benefizien (cc. 1409 – 1488 CIC / 1917). Im deutschen Sprachraum entwickelte sich das Wort Pfründe unter anderem zur synonymen Bezeichnung von praebenda und beneficium41. VIII. Abschließende Beurteilung des c. 1409 CIC / 1917 Wenn man c. 1409 CIC / 1917 isoliert betrachtet, erscheint die Formulierung gelungen. Sprachlich wird deutlich, daß das kirchliche Benefizium aus zwei Bestandteilen besteht. Hinsichtlich des Verhältnisses der beiden erscheint der Vorrang des Kirchenamtes gewahrt, da die Vermögensmasse in der Form eines Rechtsanspruches auf die Erträge aus derselben auftritt. Deutlich wird die Rechtspersonalität des Benefiziums und die Notwendigkeit der Errichtung durch die zuständige kirchliche Autorität. Sobald man c. 1409 CIC / 1917 auf dem Hintergrund der ergänzenden Bestimmungen betrachtet, was für ein vertieftes Verständnis unverzichtbar ist (vgl. c. 18 CIC / 1917), ergeben sich Unklarheiten und Widersprüche. Der CIC / 1917 enthält eine differenzierte Ämterlehre. Unter Beachtung von c. 145 § 2 CIC / 1917 ist „officium sacrum“ in c. 1409 CIC / 1917 als Kirchenamt i.e.S. zu verstehen, was der Realität der kirchlichen Benefizien zur Zeit des CIC / 1917 aber nicht uneingeschränkt gerecht wurde. Des weiteren ist in den folgenden Kanones der in c. 1409 CIC / 1917 verwirklichte Grundsatz vom Vorrang des Kirchenamtes nicht systematisch durchgetragen. C. 1409 CIC / 1917 wiederholt insofern Bekanntes, als sich die Rechtspersonalität des Benefiziums schon aus den cc. 99 und 100 § 1 CIC / 1917 ergibt und sich juristische Personen durch objektive Perpetuität auszeichnen (c. 102 § 1 CIC / 1917). Unklar bleibt letztlich auch, wie der Ausdruck „officio adnexos“ genau zu bewerten ist. Abschließend kann mit Mörsdorf zu c. 1409 CIC / 1917 gesagt werden: „Die Begriffsbestimmung bleibt weit hinter dem zurück, was der CIC unter der Rechtsfigur des Benefiziums zum Ausdruck bringt“42.

41

Siehe H. E. Feine, Die kirchliche Rechtsgeschichte, Bd. 1: Die katholische Kirche, Wien 51972, 188 f; W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 2, Wien 21962, 362; ausführlich wird praebenda behandelt bei P. Torquebiau, Chapitres de chanoines, in: DDC III, 530 – 595. 42

Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 2 (Anm. 22), 443.

Das Jahr 1989/90 und die christlichen Kirchen Von Hans Maier Seit den Ereignissen von 1989/90 leben alle christlichen Bekenntnisse im wiedervereinigten Europa unter den Bedingungen der Religionsfreiheit. Die lange Kette der Religionsverfolgungen durch totalitäre Regime scheint beendet zu sein. Die Kirchen müssen sich nicht mehr der Konkurrenz „säkularer Religionen“ erwehren. Aber das „größere Europa“ hat für die Kirchen in Ost und West auch neue Herausforderungen gebracht: sie müssen sich aufs neue ihrer Identität versichern, auch im Verhältnis zu Nation und Staat; die ökumenische Zusammenarbeit muss auf neue Fundamente gestellt werden; und die Auseinandersetzung mit der säkularen Kultur hat sich an vielen Orten verschärft. Die christlichen Kirchen sind aufgefordert, stärker als bisher in europäischen Kategorien zu denken und im Dialog miteinander neue Konzepte der Mission, der Evangelisierung zu entwikkeln, die der Gefahr des Glaubensschwundes entgegenwirken. Der Umbruch des Jahres 1989/90 hat die konfessionelle Landkarte Europas nicht unerheblich verändert. So endete für die Evangelische Kirche in Deutschland mit der staatlichen Wiedervereinigung eine Zeit schmerzlicher geographischer und politischer Isolierung. Die „Stammlande der Reformation“ kehrten in das gemeinsame Vaterland zurück. Eisleben und Wittenberg, Magdeburg und Eisenach gehörten wieder zum ganzen Deutschland, nicht mehr nur zum Teilstaat DDR. Eine doppelte Hypothek verschwand: im Westen ein seit den fünfziger Jahren immer wieder artikulierter protestantischer Vorbehalt gegenüber der Bundesrepublik und ihrer Politik der Westintegration; im Osten die Gefahr der Vereinnahmung des Luther-Erbes durch den Staat im Zeichen einer sich schärfer ausprägenden DDR-Identität. Durch die Wiedervereinigung änderte sich auch die Zahlenrelation der Konfessionen in Deutschland: standen 1987 in der alten Bundesrepublik 25 413 000 Protestanten 26 232 000 Katholiken gegenüber, so wies das wiedervereinigte Deutschland eine protestantische Bevölkerungsmehrheit von rund drei Millionen auf. Das Gefühl gewachsener Stärke verband sich mit dem Stolz darüber, dass viele Protestanten in der DDR zur friedlichen Revolution, die zum Einsturz der Mauer führte, mit Gottesdiensten und Gebeten, Prozessionen und Demonstrationen beigetragen hatten. Im gleichen Zug jedoch, in dem die evangelische Konfession die stärkste in Deutschland wurde, wurde die katholische Konfession die stärkste in Europa.

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Im wiedervereinigten Europa (diesseits des Urals) leben heute 520 Millionen Menschen; davon sind rund die Hälfte (255 Millionen oder 49%) Katholiken, 99 Millionen (19%) Orthodoxe, während auf die Kirchen der Reformation (mit Einschluss der Anglikaner) 83 Millionen (16%) entfallen. Mit überraschender Deutlichkeit traten nach 1989/90 die alten, vom Kommunismus zurückgedrängten, aber nie ganz zerstörten religiösen Strukturen Osteuropas neu hervor: die Orthodoxie in Russland, der Ostukraine, Weißrussland, Bulgarien, Rumänien, Serbien; die katholische Kirche in der Westukraine, Litauen, Polen, Ungarn, der Slowakei und Teilen Tschechiens; die Gebiete evangelischer Dominanz in Teilen Rumäniens, Ungarns, Tschechiens und in den östlichen deutschen Bundesländern.1 Die christliche Vergangenheit Mittel- und Osteuropas – deutlich ans Tageslicht getreten seit den achtziger Jahren – könnte eine verbindende Kraft für die auseinanderstrebenden Regionalismen und Nationalismen der postkommunistischen Ära sein. Tatsächlich aber sind die christlichen Konfessionen an vielen Orten zerstritten – und besonders in Ost- und Südosteuropa werden die politischen Auseinandersetzungen durch religiöse Traditionen keineswegs gemildert, sondern im Gegenteil verschärft. Mit dem Sturz des Kommunismus war die Teilung Europas beendet. Der alte Kontinent, lange Zeit gespalten zwischen Ost und West, wurde erneut in seiner geistigen und kulturellen Einheit sichtbar. So wurden das „größere Europa“, das „gemeinsame europäische Haus“ zu Schlüsselbegriffen europäischer Politik in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Wie haben die Kirchen auf diese neue Lage reagiert? Wie haben sie sich in den neuen Verhältnissen eingerichtet? 1. Am schnellsten fand sich die katholische Kirche aufgrund ihrer straffen Leitungsstruktur und ihrer Präsenz in beiden Teilen Europas zurecht. Sie trat bereits im November/Dezember 1991 mit einer Römischen Bischofssynode für Europa auf den Plan – es war das erste Mal in der Geschichte dieser Institution, dass Vertreter der Bischofskonferenzen eines ganzen Kontinents zusammengerufen wurden. Die Bischofssynode stand unter dem Leitwort „Damit wir Zeugen Christi sind, der uns befreit hat“; in der Diskussion traten vor allem drei Themen hervor: die Befreiung Osteuropas, der Dialog mit der säkularen Kultur und die Neu-Evangelisierung Europas. Vor allem das letzte Thema rückte in den Mittelpunkt; es war das alle Gruppen verbindende Element. Dagegen war die Neigung, sich auf einen vertieften Dialog mit westlicher Kultur, westlichem Pluralismus einzulassen, bei der Synode von Anfang an nicht sehr groß.2

1

Die Zahlen nach Berechnungen des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes in Bensheim (Stand 1993). 2

Die östlichen Kirchen erwarteten von den westlichen nicht nur materielle Hilfen, sondern auch geistliche Solidarität, Bestärkung im Glauben, eine „gesunde Theologie“,

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Die Versammlung war sich darüber einig, dass eine solche Neu-Evangelisierung keine Restauration eines vergangenen Europa sein sollte – keine novalishafte Beschwörung einer die Kirchen und Konfessionen überwölbenden „Christenheit“. Dass Dialog und Zusammenarbeit mit allen christlichen Kirchen und mit den Juden nötig seien, wurde ebenso betont wie die gemeinsame Verantwortung aller, die an Gott glaubten, für die Geschicke dieser Welt. Man erwog viele mögliche Wege der Neu-Evangelisierung in Familien, Gemeinden, Gesellschaft und würdigte insbesondere die Zeugnisse der jüngst vom Kommunismus befreiten Kirchen. Ein Schweizer Bischof brachte „Neu-Evangelisierung“ lapidar in drei Sätzen auf den Punkt: „Ein neues Europa evangelisieren: ja! Ein anderes Evangelium verkünden: nein! Das Evangelium anders verkünden: ja!3 Aber konnte man eine solche Neu-Evangelisierung Europas ins Auge fassen ohne sorgfältige Absprache mit den anderen christlichen Konfessionen des Kontinents? Musste ein solcher Vorstoß ohne Absicherung, ohne „ökumenisches Netz“ nicht zu gefährlichen Risiken, zu Misstrauen, Missverständnissen, Gegenreaktionen führen? Schon im Vorfeld der Römischen Synode hatten die orthodoxen Kirchen Russlands, Serbiens, Rumäniens, Bulgariens und Griechenlands die Einladung nach Rom zurückgewiesen; sie kritisierten das Wirken der unierten Kirchen in der Ukraine und Rumänien und die Errichtung katholischer „Parallelstrukturen“ in den Ländern orthodoxer Tradition. In all dem sahen sie „Proselytismus“ – einen unnötigen und verstimmenden Fall von „Christenmission“.4 Auch die Kirchen reformatorischer Tradition – auf der Synode durch Delegierte anwesend – erinnerten an die Notwendigkeit ökumenischer Verständigung; eine Neu-Evangelisierung sei ohne solche Vorgaben wenig aussichtsreich. Es zeigte sich, dass man katholischerseits in der Euphorie des Aufbruchs die Empfindlichkeiten und Bedenken der Schwesterkirchen zu wenig vorausgesehen hatte. 2. So hatten die beiden Treffen der Evangelischen Kirchen Europas und der Orthodoxie, die im März 1992 der Römischen Synode folgten, nicht nur den Charakter einer „Ortsbestimmung“ der beiden Kirchen im Hinblick auf das Loyalität zum Heiligen Stuhl, missionarischen Geist und vor allem die Vorbereitung eines gemeinsamen Europa, in dem man eine konkrete Hoffnung nach dem Ende des Kommunismus sah; Auszüge aus der Diskussion: Osservatore Romano, deutsche Ausgabe Nr. 50/1991. 3

Bischofssynode: Sonderversammlung für Europa, deutsch und lateinisch herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1991. 4

Diese Vorwürfe wiederholten sich in den folgenden Jahren ständig – bis heute. Einen dramatischen Höhepunkt erreichten sie im Jahr 2002, als nach Erhebung der vier Apostolischen Administraturen in Russland zu Bistümern und der Errichtung einer Kirchenprovinz mit dem Erzbischof in Moskau als Metropoliten die Russische Orthodoxe Kirche die Beziehungen zu Rom praktisch „einfror“.

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aktuell gewordene europäische Thema. Sie hatten auch einen „positionellen“ und streckenweise einen abwehrenden, abgrenzenden Akzent. Sie sollten eine Antwort geben auf das, was man protestantischer- und orthodoxerseits als ein „Vorpreschen“ der Katholiken empfand. Notwendigerweise geriet dabei das „gemeinsame Haus“ der Konfessionen in Europa ein Stückweit aus dem Blick. Um eine sachliche Klärung der evangelischen Position bemühte sich die Botschaft, welche die „Europäische Evangelische Versammlung“ im März 1992 in Budapest „An die Evangelischen Christinnen und Christen, Gemeinden und Kirchen in Europa“ richtete.5 Auch diese Versammlung war ein Novum – sie war in ihrer Zusammensetzung das erste europäische evangelische Treffen seit den Tagen der Reformation. Es ging darum, das eigene Profil zu schärfen, die „Kenntlichkeit“ als evangelische Konfession hervorzuheben. Dabei wurden Defizite der innerprotestantischen Ökumene sichtbar. Die Frage tauchte auf, was denn nun die Protestanten in Europa innerlich zusammenhielt.6 Auf der Suche nach dem – in Hinblick auf Europa – spezifisch Evangelischen setzte das Budapester Treffen zwei deutliche Akzente. Einmal betonten die Protestanten, ähnlich wie die Katholiken, die Chancen des neuen Aufbruchs, sie drückten ihre Freude darüber aus, dass der Eiserne Vorhang zerrissen sei, und bekundeten ihre Bereitschaft, Verantwortung für die Zukunft Europas zu übernehmen. Sodann aber wiesen sie – und darin lag ein Unterschied zur katholischen Synode – auf ein doppeltes geschichtliches Erbe hin, das es fruchtbar zu erhalten gelte: „Wir sind in der Tradition der Reformation verwurzelt und durch die Tradition der Aufklärung mitgeprägt. Wir werden aus der Spannung zwischen Glauben und Vernunft nicht entlassen. Der ChristusGlaube trägt und erleuchtet die Vernunft, wie umgekehrt die Vernunft den Glauben kritisch begleitet. Diesem Erbe haben wir uns in Auseinandersetzung mit den Widersprüchen des Säkularismus zu stellen“.7 Demgegenüber blieb die Orthodoxie in ihrer ersten Stellungnahme im Panorthodoxen Treffen in Istanbul hinter der Deutlichkeit der katholischen und evangelischen Stellungnahmen zurück.8 Durch den Text geht ein bald klagender, bald anklagender, durchweg apologetischer Ton. In der Sicht der Ober5

Europäische Evangelische Versammlung „Christliche Verantwortung für Europa“, herausgegeben vom Evangelischen Pressedienst (epd) Nr. 17/92, Nr. 23/92. 6

Interessant und bemerkenswert ist, dass die Anglikanische Kirche der Einladung nach Budapest nicht folgte – mit dem Argument, sie sei eine ebenso „katholische“ wie „evangelische“ Kirche und nicht einfach mit dem (kontinental)europäischen Protestantismus identisch! 7 8

Christliche Verantwortung...(wie Anm. 5), Nr.17/92, 1 – 4 (3).

Dokumentiert in: Orthodoxes Forum, herausgegeben von Theodor Nikolaou, 6 (1992), Heft 2, 259 – 264.

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häupter der orthodoxen Kirche gab der Zusammenbruch des Kommunismus nicht den Weg frei in eine neue Zukunft, in ein brüderliches Zusammenwirken der Kirchen; vielmehr wurde die neue Lage vor allem als Bedrohung für die Orthodoxie empfunden, die nun mit westlichem Säkularismus und katholischen und protestantischen „Missionsansprüchen“ konfrontiert werde.9 So schuf der Fall der Mauern zwar freies Geleit für Religion und Kirchen in Europa. Zugleich aber löste er innerhalb der Kirchen eine neue intensive Suche nach Identität, Erkennbarkeit, konfessionsspezifischem Besitz aus – eine Entwicklung, welche die bisher geübte ökumenische Praxis vor neue und harte Proben stellt. Zahlreiche Konfliktfelder sind neu entstanden (vor allem in Südosteuropa). Das Verhältnis von Orthodoxie und katholischer Kirche hat sich zumindest auf der Ebene der Kirchenleitungen eher verschlechtert als verbessert.10 Auch zwischen Katholiken und Protestanten stagniert die Ökumene – zumindest gibt es kaum gemeinsame Initiativen in bezug auf das europäische Thema. Ein ökumenisches Nachdenken darüber, wie das Verhältnis von Kirche und Staat im künftigen Europa sich entwickeln könnte, fehlt weithin. Versuchen wir zusammenzufassen. Deutlich ist: die Fragen von Kirche und Staat im künftigen Europa hängen in hohem Maß von der sehr unterschiedlichen Lage der einzelnen christlichen Kirchen ab. Von ihnen hat die Orthodoxie das europäische Thema noch kaum entdeckt. Mental lebt sie noch weitgehend in der altkirchlichen Welt der klassischen Patriarchate – und aktuell hat sie sich noch kaum von der engen Bindung an Staat, Volk, Nation gelöst. Der Wegfall der bevormundenden politischen Aufsicht hat die orthodoxen Kirchen Russlands, Serbiens, Rumäniens, Bulgariens zwar ihrer grundlegenden Bestimmung zurückgegeben. Sie hat jedoch auch viele Unsicherheiten und Zweifel hinterlassen. Angesichts der wenig ausgeprägten panorthodoxen Gemeinsamkeiten ist die alte privilegierte Verbindung mit Volk und Nation 9 Offenbar halten die orthodoxen Kirchen auch nach der Zeit der Sowjetherrschaft – bei aller Schwäche – an der alten Vorstellung einer privilegierten Verbindung von Kirche und Staat (Kirche und Volk) fest. Sie reagieren auf die neue Lage vielfach mit offener Ablehnung, innerem Widerstand – und nicht selten mit dem Ruf nach dem Staat 10

Siehe Anm. 4. Erst in jüngster Zeit, seit dem Besuch von Kardinal Kasper bei Patriarch Alexij II. im Februar 2004, ist eine leichte Entspannung zu verzeichnen. – Auch das Verhältnis zu den Kirchen der Reformation hat sich abgekühlt. In den Zwängen des Sowjetsystems war die Verbindung zur Ökumene ein willkommenes „Fenster zur Welt“ gewesen. Nach 1989 zogen sich viele orthodoxe Kirchen (am meisten die russische und serbische, am wenigstens die rumänische) in einen aus ererbtem Patriotismus und Abneigung gegen den Westen gemischten ostkirchlichen Regionalismus zurück. Es ist kein Zufall, dass Patriarch Alexej II. 1992 den Vorsitz der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) niederlegte – gewiss auch aus persönlichen Gründen, weil er dieses Amt schon lange wahrgenommen hatte, aber wohl auch aus Gründen der neuen Konstellation.

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in der Orthodoxie nach wie vor die Hauptklammer des Zusammenhalts. Die Existenz anderer Religionen und Konfessionen, ihre zunehmend stärkere Präsenz auf dem gleichen – wie man es neuerdings nennt – „kanonischen“ Territorium wird überwiegend als unerlaubte „Christenmission“ und „Proselytenmacherei“ empfunden. Nicht selten begegnet westlichen Christen hier ein ausgeprägter, religiös motivierter Nationalismus, oft gepaart mit deutlicher Ablehnung westlicher Werte; diese werden als säkularer Einbruch, als Anschlag auf die Traditionen der Rechtgläubigkeit gesehen. Der Protestantismus hat durch die deutsche Wiedervereinigung seinen alten Schwerpunkt in den Ursprungsländern der Reformation zurückgewonnen. Er ist jedoch in Gesamteuropa in die Minderheit geraten. So hat er in den letzten Jahren die alten Verbindungen mit den protestantischen Kirchen des Nordens und Westens, mit den USA, Großbritannien, Skandinavien neubelebt. Zu seinem neugeschärften Profil gehört das besonders in Deutschland treu bewahrte Luthererbe ebenso wie die auf Calvin und auf angelsächsische Anstöße zurückgehenden Traditionen des Widerstands und der politischen Demokratie. Auch im europäischen Katholizismus sind heute divergierende Kräfte wirksam: ein stärker volkskirchliches Element in Polen, Litauen, Kroatien, Slowenien, der Slowakei, Irland – in blasserer Form auch in Spanien und Italien; eine an Literatur und Wissenschaft orientierte Intellektualität wie in den französischen Eliten; die Erfahrung langen Zusammenlebens mit den Protestanten in Deutschland, den Benelux-Staaten, Großbritannien; endlich die noch immer zu wenig ins allgemeine Bewusstsein gedrungene Eigenart der mit Rom Unierten in Ostpolen, der Westukraine, Weißrussland und anderen mitteleuropäischen Ländern – einer Kirchenfamilie, bei der sich ostkirchliche Form und römisches Selbstverständnis verbinden. Mit anderen Worten: „Religion“ existiert in Europa nur im Fragment – in bruchstückhaften, zusammengesetzten Formen. Ein „christliches Abendland“ gibt es längst nicht mehr. (Allenfalls islamische Staaten – oder in der Europäischen Union ansässige Muslime – empfinden es gelegentlich noch so!). Aber auch das Fragmentarische kann in einer pluralistischen Welt Anziehungskraft gewinnen und Bedeutung entfalten. Voraussetzung ist freilich, dass jeder Teil seine Unvollständigkeit, seine Ergänzungsbedürftigkeit zu spüren beginnt. In diesem Sinn hätten in der gegenwärtigen Situation vor allem die Kirchen in West- und Osteuropa voneinander zu lernen. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, dass die Europapolitik in stärkerer Weise von christlichen Überlieferungen Notiz nimmt und Gebrauch macht. Die Kirchen in Ost und West haben – jede für sich – wichtige Botschaften zu vermitteln. Sie bedürfen jedoch auch wechselseitiger Ergänzung – heute weit mehr als früher. Im Westen haben Protestanten und Katholiken die pluralisti-

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schen Lektionen der Moderne gelernt (oder sie sind jedenfalls dabei, es zu tun). Im Osten steht dieser Lern- und Vermittlungsprozess zum größten Teil noch aus. So muss die Orthodoxie z.T. erst jene „Außenwerke“ aufbauen und entwickeln, auf denen die Kraft der westlichen Kirchen liegt: Diakonie, Kirchenrecht, Selbständigkeit gegenüber dem Staat, eigene Soziallehren, eine eigene gesellschaftliche Praxis. Umgekehrt sollten die westlichen Kirchen von den östlichen das lernen, was sie selbst in zu geringem Maße haben: das patristische und mystische Erbe, die unbedingte Gottesliebe, die Präferenz von Gottesdienst und Liturgie. Es geht um jenen glühenden Kern, ohne den alle „Außenwerke“ des Christentums – mögen sie noch so eindrucksvoll und „effizient“ sein – leer und äußerlich bleiben müssen. Innerhalb des sich wiedervereinigenden Europas steht also eine neue Begegnung der christlichen Kirchen an. Hierzu müssen viele Widerstände weggeräumt, viele Fremdheitsgefühle und Abneigungen überwunden werden. Ein neugieriges Interesse am Anderen muss sich entwickeln – ein Gefühl dafür, dass Europa nicht nur verbunden ist durch die Kultur des Humanismus, der Aufklärung und der Menschenrechte, sondern auch durch das gemeinsame Erbe christlicher Erziehung. Solche Neugier aufeinander ist die Voraussetzung dafür, dass Europa nach jahrzehntelanger Spaltung endlich wieder „mit beiden Lungen atmen“ und seine „Muttersprache, das Christentum“ aufs neue lernen kann (Johannes Paul II).11 Der Weg dahin wird freilich nicht einfach, er wird lang und mühsam sein.

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Die längst berühmt gewordene Formel gebrauchte Johannes Paul II. erstmals bei seiner Ansprache zum Abschluss des Vorsynodalen Symposions europäischer Wissenschaftler im Vatikan am 31.10.1991 (Osservatore Romano, deutsche Ausgabe, 21 (1991), Nr. 46, 15.11.1991, Beilage XLIII).

Gründung und erste Jahre des „Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands“ Von Heiner Marré und Karl Eugen Schlief In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts geriet vieles in Bewegung; und zwar nicht nur in negativer Weise wie durch die dramatischen Studentenunruhen in Deutschland, sondern auch in positivem Sinn etwa durch das von Papst Johannes XXIII. eröffnete Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) und in seinem Gefolge in den frühen Siebziger Jahren durch die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971 bis 1975). I. Staat-Kirche-Fragen in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts Auch das – durch die in das Bonner Grundgesetz inkorporierten Weimarer Kirchenartikel in seinen Grundlagen geregelte und gesicherte – Verhältnis von Staat und Kirche kam in eine engagierte Diskussion; vor allem durch eine vereinseitigende Auslegung einzelner seiner Elemente (z. B. des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche, des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen, der negativen Komponente des Grundrechts der Religionsfreiheit) sowie durch eine etatistische Staatsdoktrin auf Kosten der Freiheit der Kirchen. Dies bedarf der Erläuterung:1 1. Das Staat-Kirche-System in der Bundesrepublik Deutschland Nachdem die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 eine – in der Rechtswissenschaft nicht gerade häufig anzutreffende – communis opinio über die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik gebracht hatte, wurde zu Beginn der Sechziger Jahre – vor allem bei 1

Zum Folgenden s. Heiner Marré, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Neue Entwicklungen im Staatskirchenrecht, in: Zeitschrift für Politik Jahrg. 12 (Neue Folge) Heft 4 / 1966 S. 388 ff. mit vielen Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung. Siehe auch Joseph Listl, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Wandlungen und neuere Entwicklungstendenzen im Staatskirchenrecht, in Stimmen der Zeit (1973) S. 291 ff.

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den Besprechungen der sich mehrenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der Länder zum Staatskirchenrecht – darauf aufmerksam gemacht, dass der Ausgangspunkt der ersten Nachkriegszeit nicht mehr unumstritten sei, dass nach der Euphorie der unmittelbaren Zeit nach 1945 und der Fünfzigerjahre eine kritische Phase erreicht sei, in welcher die vielfältigen Probleme des Verhältnisses von Staat und Kirche neu durchdacht werden müssten. Es bestand weiterhin Einmütigkeit darüber, dass das Verhältnis von Staat und Kirche vor allem im Sinne einer größeren Freiheit neu gestaltet worden sei, dass das im 19. Jahrhundert dominierende und noch bis in die Weimarer Zeit fortwirkende, von der Subordination der Kirchen ausgehende System der staatlichen Kirchenhoheit ebenso der Vergangenheit angehöre wie die mit diesem System verbundene Staatsaufsicht über die Kirchen. Bei der Auseinandersetzung mit den zu Beginn genannten staatskirchenrechtlichen Streitfragen und angesichts der bei ihnen auftretenden Vereinseitigungstendenzen bei der Beurteilung der staatskirchenrechtlichen Lage machten vor allem Alexander Hollerbach und Martin Heckel bereits in den Sechziger Jahren darauf aufmerksam, dass das staatskirchenrechtliche System der Bundesrepublik Deutschland ein Ergebnis historisch-praktischer Vernunft sei, eine complexio oppositorum, deren verschiedene Elemente jeweils zu praktischer Konkordanz gebracht werden müssten. Am Ende der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts machten Josef Isensee und Wolfgang Rüfner die Kontinuität dieser Lehre deutlich: „Im deutschen Staatskirchenrecht vollzieht sich die coincidentia oppositorum: Trennung und Freundschaft zwischen Staat und Kirche; prinzipielle Inkongruenz ihres Auftrags und praktische Kooperation; religiöse Neutralität des Staates und staatliche Förderung; Freiheit der Kirche und kirchliche Dienste für das säkulare Gemeinwesen; Gleichheit aller Staatsbürger und paritätischer öffentlicher Sonderstatus der Kirchen. Deutschland bringt hier ein spezifisches Verfassungserbe in den europäischen Einigungsprozeß ein und muß es in ihm bewähren.“ Alexander Hollerbach und Martin Heckel warnten bereits in den Sechzigerjahren vor einer Verzerrung dieses Systems durch Vereinseitigung und Absolutsetzung einer seiner zahlreichen Komponenten und exemplifizierten dies an der Trennungsideologie. „Darum lassen sich aus dem Trennungsprinzip auch keineswegs jene Forderungen nach einem offiziellen, staatlich verordneten Agnostizismus und einem Indifferentismus der staatlichen Kultur- und Sozialverantwortung begründen, die jüngst erhoben worden sind. (Erwin Fischer)“. Und bei Josef Isensee und Wolfgang Rüfner heißt es heute in der Sache übereinstimmend: „Aus der Symbiose grundrechtlicher und institutioneller Verfassungselemente ergeben sich in der Lehre wie in der Praxis, vor allem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, grosso modo ausgewogene Lösungen der heiklen Grundsatz- und Detailprobleme, ein schonender Aus-

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gleich zwischen den Rechten der Individuen und der Institutionen, zwischen den Positionen der Kirche und des Staates. Der interpretatorische Konsens trägt die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen hochsensiblen Bereich des Gemeinwesens. Doch der Konsens wird immer wieder angefochten. So drängt der Laizismus dahin, die Kirche aus der Öffentlichkeit zu verbannen und abzudrängen ins Private, die kooperative Unabhängigkeit zu überführen in ein Berührungsverbot, die freundschaftliche Trennung abzulösen durch Ausgrenzung und Diskriminierung gegenüber anderen gesellschaftlichen Mächten.“2 a) Trennungsideologie und öffentlich-rechtlicher Status der Kirchen So wie die genannte Trennungsideologie war in den Sechzigerjahren auch die propagierte Ansicht, der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 fixierte öffentlich rechtliche Sonderstatus der Kirchen sei ein „Liquidationsrest vergangenen Staatskirchentums“ laizistischer, kirchenfeindlicher Natur3. Dagegen stand hinter folgenden Fragen zum öffentlich-rechtlichen Status eine ernstzunehmende Kontroverse: Sagt die verfassungsrechtliche Qualifizierung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts über die Grundlagen des Verhältnisses von kirchlicher und staatlicher Rechtsordnung nichts Wesentliches aus; räumt sie den Kirchen keinen öffentlich-rechtlichen Gesamtstatus ein, da der Begriff des „Öffentlich-rechtlichen“ ausschließlich auf den Staat hingeordnet ist“; enthält sie bestenfalls eine Garantie bzw. eine summarische Bezeichnung für ein Bündel historisch mehr oder minder zufällig überkommener kirchlicher Privilegien? Oder bedeutet sie mehr, nämlich ein – u. a. wegen ihrer Bedeutsamkeit für die öffentliche Gesamtordnung und wegen ihrer originären Hoheitsgewalt gerechtfertigtes – Hinausheben der Kirchen über die gesellschaftlichen Gebilde privaten Rechts durch die Verleihung eines staatsaufsichtsfreien öffentlich-rechtlichen Sonderstatus?4

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Diese „complexio oppositorum“ nimmt Heiner Marré zum Ausgangspunkt für seinen Beitrag „Kooperation von Staat und Kirche und staatliche Kirchenförderung - vorbildhaft für Europa“, in: Verfassung - Philosophie - Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, Berlin 2001, S. 879 f. 3 Heiner Marré / Paul Hoffacker: Das Kirchensteuerrecht im Land NordrheinWestfalen, Kommentar – zugleich ein Beitrag zum allgemeinen Staatskirchenrecht, Münster 1969, S. 65 ff. 4 Näheres bei Heiner Marré / Karl Eugen Schlief, Der öffentlich-rechtliche Gesamtstatus der Kirchen, in: NJW 1965 S. 1514 ff.; Heiner Marré, Staat und Kirche (s. Anm. 1) S. 389 ff.

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b) Das Schulgebetsurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs von 1965 Für Aufsehen und staatskirchenrechtlichen Diskussionsstoff sorgte auch das sogenannte Schulgebetsurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 27. Oktober 1965, das der negativen einen Vorrang vor der positiven Religionsfreiheit einräumte. Im Gegensatz dazu erklärte das Bundesverfassungsgericht 14 Jahre später durch Beschluss vom 16. Oktober 1979 die Veranstaltung eines freiwilligen überkonfessionellen Schulgebets außerhalb des Religionsunterrichts für grundsätzlich zulässig. Es stellte fest, dass das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keine Prävalenz der sogenannten negativen vor der positiven Religionsfreiheit zulasse. Und es machte deutlich, dass auch im vorliegenden Fall der Kompromiss sich nicht am niedrigsten gemeinsamen Nenner orientieren dürfe, sondern – da die Grundrechte um ihrer Ausübung willen gewährleistet seien – ein Optimum an positiver Freiheit ermöglichen müsse. Der Widerspruch eines Schülers oder seiner Eltern machen also das Gebet nicht unzulässig5. c) Subordination oder Koordination? Der schärfste Angriff in den Sechzigerjahren richtete sich gegen die herrschende Koordinationslehre und ihre Hauptvertreter Alfred Albrecht und Alexander Hollerbach und ging im Wesentlichen von der Auffassung aus, die Koordination stehe im Widerspruch zur Souveränität des Staates, zur „virtuellen Allumfassendheit“ des Staates auf weltlichem Gebiet, die zwangsläufig eine Subordination der Kirchen unter die allgemeine Staatshoheit zur Folge habe. Diese damals vor allem von Herbert Krüger und Helmut Quaritsch vertretene einseitig etatistische Betrachtungsweise war nicht neu. Sie wurde hauptsächlich im 19. Jahrhundert mit besonderer Schärfe von Verfechtern einer antikirchlichen und zum Etatismus tendierenden liberalistischen Einstellung geäußert. Alfred Albrecht und Alexander Hollerbach legten demgegenüber dar, dass die Staatsgewalt nach dem allgemeinen Verfassungsrecht eines freiheitlichdemokratischen Staates zwar nicht auf das Koordinationsprinzip festgelegt sei, sich aber doch für dieses und damit für einen Verzicht auf Souveränitätsakte in jenen Angelegenheiten, die von der koordinationsrechtlichen Ordnung erfasst werden sollen, entscheiden kann, ohne mit den Verfassungsgrundsätzen in Konflikt zu geraten, ja, dass die koordinationsrechtliche Gestaltung des Ver-

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Siehe Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 der Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen, hrsg. v. Ernst Friesenhahn / Alexander Hollerbach / Hans Maier / Paul Mikat / Klaus Mörsdorf / Ulrich Scheuner, Berlin 1971, S. 274 ff.; ders., Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR 2. Aufl., hrsg. v. Joseph Listl / Dietrich Pirson, Bd. 1, Berlin 1994 S. 439 ff. (441 f.).

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hältnisses von Staat und Kirche einem Verfassungsstaat, der die Kirchen als verfassungstranszendente Größen eigenständigen Rechts anerkennt und ihnen deswegen einen im Verfassungsrecht begründeten besonderen Status zuerkennt, weit mehr entspricht, als einseitige staatsgesetzliche Entscheidungen. Die Anerkennung des Koordinationsprinzips sei keine Folge einer Erschütterung der Staatskräfte, sondern gerade ein Instrument der Realisierung freiheitlichdemokratischer Staatlichkeit. Das Grundgesetz lasse zumindest den Raum für eine koordinationsrechtliche Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche, wie sie vor allem in den zahlreichen Staatskirchenverträgen in Erscheinung getreten sei6. d) Kirchensteuer Als wenn das Maß der Infragestellungen noch nicht voll sei, ging es in den Sechzigerjahren auch noch sozusagen um den nervus rerum des Staatskirchenrechts: die Kirchensteuer. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 1965 die Art und Weise der Kirchensteuererhebung in sogenannten glaubensverschiedenen Ehen (in denen nur ein Ehegatte einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört) für verfassungswidrig, was eine Änderung der Kirchensteuergesetze der Bundesländer notwendig machte7.

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Siehe hierzu: Alfred Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie. Eine juristische Untersuchung, Freiburg / Basel / Wien 1965; Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1965 und – Albrecht und Hollerbach sekundierend – Heiner Marré, Zur Koordination von Staat und Kirche, in: DVBl. 1966 S. 10 ff. und DVBl. 1967 S. 443 ff. sowie in Zeitschrift für Politik (s. Anm. 1) S. 397 ff. und in Marré / Hoffacker (s. Anm. 3) S. 66 ff. 7

Näheres bei Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: HdbStKirchR (s. Anm. 5) S. 1101 ff. (1124 ff.); Marré / Hoffacker (s. Anm. 3) S. 191 ff.; Zur innerkirchlichen Diskussion über die Kirchensteuer am Ende der Sechziger Jahre s. Heiner Marré / Joseph Listl, Kirchensteuer und Kirchenmitgliedschaft. Eine Erwiderung an Oswald von Nell-Breuning, in: Wochenzeitung PUBLIK Nr. 51 / 52 v. 19. Dezember 1969 S. 5 f. u. Nr. 3 v. 16. Januar 1970 S. 25, wo auch eine Erklärung der Diözesanbischöfe zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens vom 7. Januar 1970 abgedruckt ist.“ Siehe ferner: Heiner Marré, Die Kirchensteuer. Entstehung, Problematik und Reform, in: Stimmen der Zeit 180 (1967), S. 311 ff.

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2. 1966: Gründung des alljährlich stattfindenden Fachkongresses der Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Das Bistum Essen lädt seit 1966 alljährlich wissenschaftlich kompetente Persönlichkeiten aus Deutschland und dem europäischen Umfeld zum überkonfessionell und interdisziplinär ausgerichteten Fachkongress „Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche“ ein. Im Vorwort zu Band 1 der im Verlag Aschendorff zu Münster erscheinenden gleichnamigen Schriftenreihe, in dem Vorträge und Diskussionsbeiträge des 1. Essener Gesprächs am 27. / 28. März 1966 abgedruckt sind, ist die gespannte Lage der Sechziger Jahre zu spüren: „Die Dynamik der Entwicklung ist auch ein die Verfasstheit und die Relationen von Staat, Kirche und Gesellschaft zueinander bestimmendes Moment. Sie lässt – wofür die wechselvolle europäische Geschichte ein beredtes Zeugnis bietet – keine für alle Zeiten und Orte gültige Regelung dieses Bereichs erwarten, sondern verlangt das ständige Bemühen um eine zeit-, problem- und institutionsangemessene Gestaltung. Diese Erkenntnis liegt den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Art. 76 der Pastoralkonstitution ‚Über die Kirche in der Welt von heute‘ zur rechten Ordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und politischer Gemeinschaft zugrunde. Diese Erkenntnis ist auch die Triebfeder für den Versuch der Staatskirchenrechtslehre, die Grundfragen des Staat-Kirche-Verhältnisses neu zu durchdenken. In dieser Situation hat das kontinuierliche, offene und intensive Fachgespräch eine wichtige Funktion bei der Problemerhellung und -bewältigung. Es hilft, die verschiedenen Sachaspekte zusammenzutragen und zu integrieren. Es deckt gemeinsame Vorstellungen auf. Es trägt dazu bei, unterschiedliche Meinungen zu profilieren und Verständnis für sie zu erwecken . Es verlangt allerdings auch eine tolerante Gesinnung und die Überwindung von Emotionen, die beim Disput über das ‚hochempfindliche Gebiet geistiger Beziehungen‘ (Ulrich Scheuner) von Staat, Kirche und Gesellschaft aus persönlichen weltanschaulichen Standortgebundenheiten verschiedenster Art besonders leicht aufbrechen. Die Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Gesprächs führte zu den Essener Gesprächen. Es ist ein Charakteristikum dieser Essener Gespräche, daß sie sich dem Thema ‚Staat und Kirche‘ – zur Vermeidung von Vereinseitigungen – nicht nur unter dem Spezialaspekt einer bestimmten Einzelwissenschaft, sondern in seiner ganzen Komplexität zu widmen suchen. Das heißt konkreter: es sollen alle Disziplinen zu Wort kommen, die einen Beitrag zur sachgerechten Lösung der mit dem Staat-Kirche-Verhältnis zusammenhängenden Probleme leisten können; so vor allem die Theologie und die Kirchenrechtswissenschaft, die Philosophie, die Geschichtswissenschaft, die Jurisprudenz und hier speziell die Staatskirchenrechtslehre, die Soziologie und die Wissenschaft von der Politik. Die so gekennzeichnete Ausrichtung der Essener Gespräche ist nicht zuletzt

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deshalb von Bedeutung, weil die deutsche Staatskirchenrechtslehre als akademische Disziplin schon seit langer Zeit an einem ‚Kontaktmangel mit den anderen einschlägigen Disziplinen‘ leidet, der sie in die Gefahr eines ‚scharfsinnigen juristischen Pauperismus‘ (Martin Heckel) gebracht hat. Sollen die Religionsgemeinschaften in unserem demokratischen Gemeinwesen den adäquaten Platz einnehmen, so darf ihre rechtliche Stellung nicht ohne Berücksichtigung der beteiligten Wissenschaftsdisziplinen und nicht ohne Beachtung der bestehenden geisteswissenschaftlichen-kulturellen Zusammenhänge fixiert werden. Bei der Bestimmung des gegenwärtigen Verhältnisses von Staat und Kirche und bei der Beschäftigung mit den aktuellen Streitfragen des Staatskirchenrechts sollte nicht nur gewarnt werden vor der ‚Blendwirkung eingeführter Begriffe‘ (Helmut Quaritsch) und dem bereits erwähnten ‚scharfsinnigen juristischen Pauperismus‘, sondern ebenso vor einem undifferenzierten und unkritischem Schablonendenken, das übersieht, dass unser staatskirchenrechtliches System – wie zu Beginn gesagt –‚ ein Ergebnis ‚historisch-praktischer Vernunft‘, eine ‚complexio oppositorum‘ darstellt, deren verschiedene Elemente jeweils zu praktischer Konkordanz gebracht werden müssen (Alexander Hollerbach).“8 II. Die Errichtung des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands 1. Ein Institut für Staatskirchenrecht gründen? Das Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands ist ohne die Essener Gespräche nicht denkbar. War es doch anlässlich eines dieser Gesprä-

8 Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 1, hrsg. v. Joseph Krautscheidt / Heiner Marré, Münster 1969 S. 5 ff. Zu den Essener Gesprächen allgemein siehe Ernst-Lüder Solte, 25 Jahre Essener Gespräche, in: ZevKR 35 (1990) S. 319 ff.; Axel von Campenhausen, Essener Gespräche Bd. 1 – 31, in: ThR 64 (1999) S. 114 ff.; Heiner Marré , Joseph Listl und die Essener Gespräche, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist, Festschrift für Joseph Listl zum 70.Geburtstag, hrsg. v. Josef Isensee / Wilhelm Rees / Wolfgang Rüfner, Berlin 1999, S. 1049 ff.; ders., Stichwort „Essener Gespräche“ in: LKStKR I (2000) S.631 f.; ders., Stichwort „Essener Gespräche“, in: LThK 3.Aufl. Bd. 11, Freiburg 2001 Sp. 69 f.; ders. „Gemeinwohlerwartungen“ des Staates gegenüber den Kirchen - Impulse aus 36 Bänden der „Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche“, in: Flexibilitas iuris canonici, Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Andreas Weiß / Stefan Ihli Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften 2003, S. 627 ff.; Hans Maier, Essener Gespräche / Herausragende Diskussionsforen zum Thema Staat und Kirche: In der Wolfsburg werden lebendige Ideen gehandelt, in: Rhein. Merkur Nr. 45 vom 7. November 2002 S. 27.

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che – es war das vierte –, dass am 10. März 1969 ein kleiner Kreis von Tagungsteilnehmern in einer abendlichen Gesprächsrunde sich über die damalige Situation des Staatskirchenrechts Gedanken machte. Die ganze Palette der staatskirchenrechtlichen Probleme der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts, wie sie vorstehend geschildert sind, stand ihnen vor Augen, vor allem aber die Erkenntnis, dass die Wandlungen in Staat und Gesellschaft immer neue und auch schwierige Fragen im Verhältnis von Staat und Kirche aufwerfen würden. Ernüchternd wirkte die Feststellung, dass vor allem die Diözesen kaum in der Lage seien, sich den auf sie zukommenden Herausforderungen zu stellen. Bislang blieb die Pflege des Staatskirchenrechts weitgehend den Universitäten und vor allem den Staatsrechtslehrern überlassen. Angesichts der Wandlungen der Sechzigerjahre auch im universitären Bereich zeichnete sich ab, dass das Staatskirchenrecht dort nur noch eine geringe Rolle spielen würde. Das „Kirchenrechtliche Institut der EKD“ – in München unter Leitung von Axel von Campenhausen ansässig – befasse sich neben dem evangelischen Kirchenrecht zwar auch mit staatskirchenrechtlichen Fragen. Andererseits kämen – so die Erfahrung der „Praktiker“ – die Diözesanjuristen kaum mit dem Staatskirchenrecht in Berührung. Die gemeinsame Erkenntnis der Gesprächsrunde war schließlich, dass das Staatskirchenrecht einer zentralen Pflege bedürfe, in der sowohl die Wissenschaft wie auch die praktischen Bedürfnisse der Diözesen zusammengefasst seien. Dies könne, wie einer aus der Runde bemerkte, nur ein kircheneigenes wissenschaftliches Institut leisten. Joseph Listl bezeichnete später Karl Eugen Schlief als „Vater“ der Idee der Errichtung eines Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands. Diese Idee fand in dem Kreis einhellige Zustimmung . Die Runde war sich auch schnell darin einig, wem die Aufgabe des wissenschaftlichen Leiters zukäme: Pater Joseph Listl SJ, jenem jungen Wissenschaftler, dessen akademische Lehrer Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner waren. Er hatte durch sein exzellentes Referat über „Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz“ auf dem dritten Essener Gespräch am 18. / 19. März 1968 auf sich aufmerksam gemacht. 2. Die Initiative des Bistums Essen für ein Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands Die Idee der Errichtung eines wissenschaftlichen Instituts für staatskirchenrechtliche Fragen lebte – einmal geäußert – auch nach der Tagung fort. Es zeichnet das Bistum Essen aus, die Idee aufgegriffen zu haben. Es war vor allem Generalvikar Joseph Krautscheidt zusammen mit Heiner Marré, denen ein Institut für den Staat-Kirche-Komplex unentbehrlich erschien. Joseph Listl kümmerte sich besonders um die Konzeption eines solchen Instituts. Im Folgenden sollen die einzelnen Schritte des Entstehens der Einrichtung nachgezeichnet werden. Dabei konnte leider nicht auf Akten des Generalvikariats

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Essen zurückgegriffen werden, da diese einem Brand im Archiv des Generalvikariates zum Opfer fielen. 3. Die ersten Schritte bis zur Errichtung des Instituts Die frühesten Unterlagen fanden sich in den Akten des Instituts: Ein Arbeitspapier vom 29. April 1969 gibt den Inhalt der Gesprächsrunde vom 10. März 1969 wieder. Ein wesentlich ausführlicheres Arbeitspapier „Projekt: Institut für Staatskirchen- und Kirchenrecht“ von Mai 1969 analysiert zunächst den Zustand des Staatskirchenrechts, schildert die Aufgabenstellung des „Instituts für evangelisches Kirchenrecht“ und erläutert das Gespräch am Abend des 10. März 1969 am Rande des 4. Essener Gesprächs. Im Wesentlichen geht es in dem Vermerk um die Aufgabenstellung des zukünftigen Instituts, seine sachliche und personelle Ausstattung und den Finanzbedarf. Die Tagebuchnotizen von Heiner Marré zur Entstehungsgeschichte, beginnend am 3. Mai 1969, weisen eine rege Reisetätigkeit von Heiner Marré, Karl Eugen Schlief und Joseph Listl aus. Es ging ihnen darum, für die Absicht, ein kircheneigenes staatskirchenrechtliches Institut zu gründen, Verständnis zu finden und zu werben, aber auch, um Ratschläge für die beginnende Konzeptplanung zu erhalten. So hatte das Gespräch mit Axel von Campenhausen, Leiter des „Kirchenrechtlichen Instituts der EKD“ und seinen Mitarbeitern Christoph Link und Peter von Tiling am 19. Dezember 1969 in München, eine besondere Bedeutung, da das „katholische“ Institut nicht als Konkurrenz angesehen werden sollte, sondern eher als Partner in einem schwierigen Terrain, was sich ja dann später auch bestätigte. Es galt aber vor allem, den „Verband der Diözesen Deutschlands“ für den Plan zu gewinnen. Sollte doch das Institut allen Diözesen Deutschlands zur Verfügung stehen. Ohne die Gelder des Verbandes würde aber ein Institut mit der ihm zugedachten Aufgabenstellung nicht existieren können. Der Bischof von Essen wandte sich in einem Schreiben seines Generalvikars vom 5. Februar 19699 an den Sekretär der Bischofskonferenz, Prälat Karl Forster. Der Bischof – Vorsitzender der Bischöflichen Finanzkommission – wäre dankbar, „wenn Sie sich der Sache (sc. Errichtung eines staatskirchenrechtlichen Instituts) wohlwollend annehmen könnten.“ Dem Schreiben war eine Ausarbeitung beigefügt, aus der sich Zweck, Aufgaben und Personalbedarf ergaben, und eine Übersicht über die Finanzierung. Die Ausarbeitung wies darauf hin, dass im kirchenpolitischen Gremium – einem beim Katholischen Büro in Bonn angesiedelten Informationsforum, dem alle Generalvikare angehören – der Plan erörtert worden

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Siehe Akte des Instituts.

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sei, ebenso im Kreis der nordrhein-westfälischen Bistümer. Das Vorhaben sei lebhaft begrüßt worden. Somit begann der „Weg durch die Instanzen“. Das Protokoll der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands am 18. Februar 1970 lässt zwar erkennen, dass ein Antrag auf Errichtung eines staatskirchenrechtlichen Instituts dem Gremium vorgelegen hatte, aber nicht eingehend behandelt wurde. In der Anlage 3 des Protokolls, in der die Beschlüsse über neue Anträge aufgeführt sind, heißt es lapidar: „Staatskirchenrechtliches Institut, Antrag: 236 900 DM, Beschluß der Vollversammlung: Verweis an den Verwaltungsrat.“10 Die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Verwaltungsrates des Verbandes der Diözesen Deutschlands, die für den 26. bis 27. Mai 1970 terminiert war, sah die Beratung des Plans vor, ein Institut für staatskirchenrechtliche Fragen ins Leben zu rufen11. Bischof Franz Hengsbach von Essen war Vorsitzender des Verwaltungsrats des Verbandes der Diözesen Deutschlands. Mit Schreiben vom 3. April 197012 wandte er sich im Hinblick auf die kommende Sitzung des Verwaltungsrats an die Generalvikare der im Bereich der Bundesrepublik gelegenen (Erz-)Diözesen und begründete ausführlich die Notwendigkeit der Errichtung des Instituts. Seinem Schreiben legte er bei ein „ die Gründung dieses Instituts befürwortendes Votum des evangelischen Völkerrechtlers und Staatskirchenrechtslehrers Universitätsprofessor Dr. Ulrich Scheuner (Bonn) und des katholischen Staatsrechtslehrers Bundesverfassungsrichter a.D. Universitätsprofessor Dr. Dr. Ernst Friesenhahn (Bonn)“. Bischof Hengsbach fügte hinzu: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir – zumal bei der für die Kirche so kritischen Gesamtsituation in Deutschland – auf die Gründung eines kircheneigenen Instituts für staatskirchenrechtliche Fragen nicht verzichten können. Denn die Pflege des Spezialgebiets des Staatskirchenrechts ist für die grundsätzliche Aufrechterhaltung und zeitangemessene Fortentwicklung des bestehenden rechtlichen Verhältnisses von Staat und Kirche ... und damit für die Erfüllung der kirchlichen Aufgaben in unserem Land von entscheidender Wichtigkeit.“ Den Mitgliedern des Verwaltungsrats lag als Beratungsunterlage ein Vermerk vor mit der Überschrift „Dringlichkeit der Errichtung eines kircheneigenen wissenschaftlichen Instituts für staatskirchenrechtliche Fragen“. Der umfassende Vermerk behandelt einleitend die Bedeutung des Staatskirchenrechts und die Dringlichkeit der Gründung eines kircheneigenen Instituts. Die umfangreiche Aufgabenbeschreibung für das Institut macht seine Notwendigkeit nochmals deutlich. Der Vermerk behandelt ferner den vorgesehenen

10

Siehe Archiv der Deutschen Bischofskonferenz und des Verbandes der Diözesen Deutschlands (im Folgenden: ArchDBK, VDD), in: D 66. 11

Die Angaben dieses Abschnitts sind den Unterlagen des Instituts entnommen.

12

Siehe Anm. 11.

Gründung des „Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands“

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Sitz des Instituts, den Personal- und Sachbedarf. Ein wissenschaftlicher Beirat sowie eine Satzung sind vorgesehen. Die mündliche Begründung des Antrags auf Institutserrichtung lieferte Heiner Marré. Das Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 26. bis 27. Mai 197013 weist unter der Rubrik „Beschlußfassung über die Nachtragsanträge“ die Bewilligung eines Betrages von 40.000 DM aus. Wichtig und damit entscheidend für das Vorhaben war folgende Anmerkung: „Ferner Zustimmung zur Schaffung einer Stelle Bes. Gr. A 14 und einer Stelle VI b. Der Verwaltungsrat nimmt den Vollausbau des einstweilig in der Trägerschaft des Bistums Essen einzurichtenden Instituts für 1971 in Aussicht (1 Enthaltung).“ Damit war ein Grundstein für das Institut gelegt. Dass das Bistum Essen einstweilig die Trägerschaft des Instituts und der damit verbundenen Verwaltungsarbeit übernahm, während die Finanzierung durch den Verband der Diözesen Deutschlands erfolgen sollte, hatte vor allem praktische Gründe. Die so gefundene Lösung erleichterte wesentlich den Aufbau des Instituts. Bereits am 20. Juni 1970 führten Generalvikar Krautscheidt, Joseph Listl, Heiner Marré und Karl Eugen Schlief ein Grundsatzgespräch über die Errichtung und Arbeitsweise des Instituts14. Neben manchen für das weitere Vorgehen wichtigen Einzelfragen hält das Protokoll den „Grundsatz der gemeinsamen kollegialen Geschäftsführung des Instituts durch Dr. Marré, Essen, und Dr. Schlief, Münster“, fest. 4. Beschluss der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen vom 16. November 1970 Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands am 16. November 1970 fasste folgenden Beschluss: „Die Vollversammlung nimmt zustimmend von der Errichtung des staatskirchenrechtlichen Instituts in Bonn Kenntnis. Das Institut steht in der Trägerschaft des Bistums Essen. Die Kosten werden vom Verband der Diözesen Deutschlands im Wege der Zuschussgewährung an das Bistum Essen getragen.“15 Die „Idee“ war also endgültig an ihr Ziel gelangt. Gleichwohl gab es noch vieles vorzubereiten, um ein effizientes Arbeiten des Instituts zu ermöglichen. Wichtig war zunächst der Erlass einer Satzung für das Institut. Am 8. Dezember 1970 unterzeichnete der Bischof von Essen die „Satzung für das Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen

13

Siehe Anm. 10, in: D 62.

14

Siehe Anm. 11.

15

Siehe Anm. 12, in: D 66.

Heiner Marré und Karl Eugen Schlief

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Deutschlands.“16 § 2 der Satzung beschreibt die Aufgabe des Instituts, nämlich „die deutschen Diözesen und andere kirchliche Körperschaften, Werke, Einrichtungen und Vereinigungen auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts zu beraten und zu unterstützen, und zwar vor allem durch Gutachten und Veröffentlichungen, durch mündliche und schriftliche Stellungnahmen, durch wissenschaftliche Veranstaltungen und Tagungen.“ Dafür wird eine mit einem hauptamtlichen Staatskirchenrechtler besetzte wissenschaftliche Arbeitsstelle mit dem Sitz in Bonn unterhalten, währende der Sitz der Geschäftsführung und der Verwaltung Essen ist. Das Institut hat zwei Geschäftsführer, die gemeinschaftlich die laufende Verwaltung des Instituts im Rahmen des vom Verband der Diözesen Deutschlands genehmigten Haushaltsplans nach Weisung des Rechtsträgers führen. Unterstützt wird die wissenschaftliche Tätigkeit des Instituts durch einen wissenschaftlichen Beirat. Seine Mitglieder werden durch den Bischof von Essen ernannt. Die konstituierende Sitzung des Beirats fand während des 6. Essener Gesprächs am 15. März 1971 statt. Ernst Friesenhahn fiel die Rolle des Vorsitzenden zu. Als weitere Mitglieder gehörten dem Gremium Alexander Hollerbach, Paul Mikat, Klaus Mörsdorf und Ulrich Scheuner an. Der nächste Schritt, den die Satzung vorschrieb, war die Ernennung der Geschäftsführer. Heiner Marré und Karl Eugen Schlief wurden mit Urkunden vom 10. Dezember 1970 zu Geschäftsführern ernannt. Der Bischof von Essen ernannte Joseph Listl mit Urkunde vom 6. April 1971 zum Wissenschaftlichen Leiter des Instituts, nachdem sein Orden ihn für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt hatte. III. Übergang der Trägerschaft des Instituts für Staatskirchenrecht vom Bistum Essen auf den Verband der Diözesen Deutschlands Es war, wie die Beschlüsse der Verbandsgremien ausweisen, von vornherein beabsichtigt, dass das Bistum Essen die treuhänderische Trägerschaft nur zeitweilig übernehmen wollte. Es stellte sich schon bald heraus, dass das Institut seine Aufgaben voll erfüllte und unter der Leitung von Joseph Listl eine beachtliche und eine sehr anerkannte Position auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts erreicht hatte. Das Bistum Essen stellte deshalb an den Verband der Diözesen Deutschlands mit Schreiben vom 30. September 1974 den Antrag auf Übernahme der Rechtsträgerschaft durch den Verband mit Wirkung vom 1. Januar 1975. Der Verwaltungsrat des Verbandes befasste sich auf seiner Sitzung am 7. / 9. Oktober 197417 mit dem Antrag des Bistums Essen und emp-

16

Siehe Anm. 11.

17

Siehe Anm. 10, in: D 63.

Gründung des „Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands“

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fahl der Vollversammlung, das Institut in die Trägerschaft des Verbandes zu übernehmen. Dem entsprach die Vollversammlung auf ihrer Sitzung am 3. Dezember 197418 mit folgendem Beschluss: „Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands beschließt, das Institut für Staatskirchenrecht in Bonn in die Trägerschaft des Verbandes zu übernehmen.“ Zuvor hatte der Vorsitzende dem Bischof von Essen dafür gedankt, dass er seinerzeit die Initiative zur Errichtung ergriffen habe. In den Akten finden sich noch Dankesbriefe des Vorsitzenden des Verbandes, Julius Kardinal Döpfner, und des Bischofs von Essen an die am Werdegang des Instituts Beteiligten. Den Abschluss der Gründungsphase und den Übergang der Rechtsträgerschaft auf den Verband der Diözesen Deutschlands resümierte der wissenschaftliche Leiter des Instituts in seinem Tätigkeitsbericht 1975 folgendermaßen: „Dem Bistum Essen gebührt für die Initiativen, die zur Gründung des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands geführt haben, und für die tatkräftige Unterstützung, die es dem Institut seit dessen Gründung, zugleich auch im Interesse aller Diözesen Deutschlands gewährt hat, bleibender und aufrichtiger Dank. Der unterzeichnete Leiter des Instituts für Staatskirchenrecht dankt in besonderem Maße Herrn Generalvikar Joseph Krautscheidt vom Bistum Essen für seine stets gleichbleibende Aufmerksamkeit, Hilfe und Unterstützung, die das Institut von ihm erfahren hat, und für sein persönliches großes Interesse, das er der Arbeit des Instituts und der Entwicklung der Staatskirchenrechtswissenschaft stets entgegengebracht hat. Dieser Dank gilt auch den Herren Justitiaren Dr. Heiner Marré, Essen, und Dr. Karl Eugen Schlief, Münster, für ihre großen Verdienste bei der Gründung des Instituts, für ihr Engagement als Geschäftsführer des Instituts von dessen Gründung bis zur Übertragung der Rechtsträgerschaft des Instituts auf den Verband der Diözesen Deutschlands.“19 Die beiden nunmehr ehemaligen Geschäftsführer des Instituts für Staatskirchenrecht blieben der Sache des Instituts über ihre Dienstzeit als Justitiare der Bistümer Essen und Münster hinaus treu. Sie wurden weiterhin zu den Sitzungen des Wissenschaftlichen Beirats als Gäste eingeladen, die am Rande der Essener Gespräche stattfanden, die Heiner Marré noch zwei Jahrzehnte organisierte. Beide wirkten mit an zwei bedeutungsvollen Leistungen des Instituts und speziell seines Leiters Joseph Listl: Sie waren unter den Autoren der ersten Auflage des Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland: Karl Eugen Schlief mit dem Thema „Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche“ im 1974 erschienenen ersten Band, und Heiner Marré mit

18 19

Siehe Anm. 10, in: 64.

Joseph Listl, 5. Tätigkeitsbericht des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands – Berichtsjahr 1975 vom 9. Juni 1976, S. 1 f.

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Heiner Marré und Karl Eugen Schlief

dem Thema „Das kirchliche Besteuerungsrecht“ im 1975 ausgelieferten zweiten Band des Handbuchs. Herbert Frost fasste in einer umfangreichen Rezension die Beurteilung der ersten Auflage des Handbuchs für Staatskirchenrecht wie folgt zusammen: „Das Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschlands wird künftig nicht nur für den Fachwissenschaftler, sondern gerade auch für staatliche und kirchliche Behörden und Gerichte das unentbehrliche Nachschlagewerk sein, von dessen Aussagen wohl für einen langen Zeitraum die Diskussion über Grundlagen- und Einzelfragen bestimmt bleiben dürften.“ 20 Die ehemaligen Geschäftsführer des Instituts befanden sich auch mit den genannten Themen unter den Autoren des 1994 herausgebrachten Bandes I der von Joseph Listl und Dietrich Pirson herausgegebenen zweiten „grundlegend neubearbeiteten Auflage“ des „Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland“. Sie hielten auch Referate auf den 1976 beginnenden jährlichen „Studienwochen für Angehörige des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin,“ deren Organisation und Leitung Joseph Listl als Leiter des Instituts für Staatskirchenrecht von der Vollversammlung der Diözesen Deutschlands durch das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz übertragen worden waren21. Ihr Einsatz in dem und für das Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands war fruchtbringend nicht nur für ihre Arbeit in ihren Diözesen, sondern auch für die in der Kommission für Staatskirchenrecht des Verbandes der Diözesen und in der Steuerkommission des Verbandes der Diözesen, denen sie als (geschäftsführende) Mitglieder bis zum Ende ihrer Dienstzeit angehörten. Deshalb bleiben sie Joseph Listl, dem diese Festschrift gewidmet ist, in treuer Verbundenheit dankbar.

20 21

Herbert Frost, in: DVBl. 1976 S. 347 f.

Siehe Joseph Listl, 6. Tätigkeitsbericht des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands – Berichtsjahr 1976 vom 18. Mai 1977, S. 12 f.

Der kanonische Pfarrer und die Hebammen Rechtshistorische Reminiszenzen und partikularrechtliche Anmerkungen zu einem kirchenrechtlichen Problem an der Schnittstelle des Verhältnisses von Kirche und Staat Von Hans Paarhammer Im Zuge der Rezeption der Reformdekrete des Konzils von Trient wurde unter anderem ganz besonders in den Belangen der Sakramentendisziplin das Augenmerk darauf gelegt, daß Intention des Spenders, Disposition des Empfängers und rechte Handhabung von Materie und Form den kirchlichen Rechtsvorschriften entsprechen. Deshalb wurde auf den Synoden und in den Ritualien sorgfältig darauf geachtet, daß die betroffenen Personen des Spenderkreises in Glaubensangelegenheiten und liturgischen Belangen sich durch gute Bildung und fundierte Glaubenseinstellung auszeichneten. Die Seelsorger, insbesondere die Bischöfe und die Pfarrer, waren gehalten, für eine gediegene Ausbildung jener Personen zu sorgen und deren notwendiges Wissen immer wieder zu überprüfen, die in bestimmten Situationen anstelle eines Priesters einzuspringen hatten. Dies betraf vor allem den Umgang mit Menschen in Krisensituationen, wie z.B. in den Fällen einer Nottaufe. Mit den Bestimmungen über die pfarrlichen Seelsorgestrukturen und damit verbunden durch die Stärkung der Stellung des Pfarrers leitete das Konzil von Trient „eine neue Phase der Geschichte des Pfarrseelsorgerechtes ein.“1 Dem Pfarrer sollte in der posttridentinischen Zeit der Gegenreformation eine ganz besondere Verantwortung in der Verkündigung des wahren Glaubens und bei der Spendung der Sakramente zukommen. Angeregt vom Konzil von Trient erhielt die Diözesansynode, gefördert durch das Beispiel des heiligen Karl Borromäus von Mailand, eine wichtige

1

Heribert Schmitz, Pfarrei und ordentliche Seelsorge in der tridentinischen und nachtridentinischen Gesetzgebung, in: Erwin Gatz (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – Die Katholische Kirche –, Bd. 1: Die Bistümer und ihre Pfarreien, Freiburg i.B. / Basel / Wien 1991, 47.

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Hans Paarhammer

Funktion bei der Setzung von Normen, um die kirchliche Disziplin neu in den Griff zu bekommen und zu festigen.2 Unter den disparaten Gegenständen der synodalen Beratungen und endgültigen Ausformulierungen künftiger Partikulargesetze bildet seitdem das Rechtsproblem der „Nottaufe“ ein zunehmend interessantes Moment kirchlicher Rechtsgestaltung, weil in zunehmendem Maße auch die weltliche Macht ihren Einfluß im Bereich der Geburtshilfe und in Fragen der Ausbildung und Bestellung von Hebammen geltend machte.3 „Als fachliche Geburtshelferin“4 konnte eine Hebamme ihren Beruf meist nur neben einer anderen Tätigkeit ausüben. „Geburtshelferinnen waren immer ältere Frauen und brachten die seit den ältesten Zeiten von Frauen gepflegte Heilerfahrung in Anwendung.“5 Deshalb stellten im Laufe der Zeit auch abergläubische Umtriebe wie Zaubersprüche und verschiedenste Anwendungen von Mitteln ein nicht geringes seelsorgliches Problem dar. Aus diesem Grunde wurde auch „von Provinzial- und Diözesansynoden den Pfarrern als wichtige Amtspflicht immer wieder eingeschärft, die Hebammen über ihre strenge Pflicht bezüglich des Seelenheils des Kindes zu belehren, sie über die gültige Spendung der Taufe eingehend zu unterrichten und nach Bedürfnis diesen Unterricht zu wiederholen.“6

2

Hans Paarhammer, Die Diözesansynode in ihrer gegenwärtigen Rechtsgestalt. Anmerkungen zum geltenden Recht und zu partikulären Neuentwicklungen des kirchlichen Synodalwesens auf Diözesanebene, in: Neue Positionen des Kirchenrechts. Hrsg. v. Klaus Lüdicke / Hans Paarhammer / Dieter A. Binder, Graz 1994, 86 f. 3

Siehe dazu im Überblick André Pecker, Gynäkologie und Geburtshilfe vom Altertum bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. In: Illustrierte Geschichte der Medizin. Hg. v. Richard Toellner, deutsche Ausgabe, Salzburg 1986, 1037-1053. Zahlreiche Quellenhinweise finden sich bei Johannes Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts. Freiburg i. B. 1914 (3), II. (Schluß-)Band, 22 Anm. 4. Vgl. dazu auch Johann B. Haring, Grundzüge des katholischen Kirchenrechtes, Graz 1910, 364 Anm. 4. 4

Zum Begriff „obstetrices“ (Hebammen) siehe F. Lucius Ferraris, Prompta Bibliotheca canonica, juridica, moralis, theologica necnon ascetica, polemica, rubricistica, historica. 5. Band, Rom 1854, 1426 ff. Zur etymologischen Deutung des Begriffes „Hebamme“ siehe einlässlich Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. 5. Bd., Weimar 1955 – 1960, 496 f. 5

Jungwirth (ohne Vorname), Art. Hebamme, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. v. Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitwirkung v. Eduard HoffmannKrayer, 3. Bd., Berlin / Leipzig 1931 (Nachdruck Berlin 1986), 1587. 6

Kreutzwald (ohne Vorname), Art. Hebammen, in: Wetzer & Welte’s Kirchenlexikon. 5. Bd., Freiburg i.B. 1888, 1551.

Der kanonische Pfarrer und die Hebammen

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Unter Berufung auf das Rituale Romanum wurde in den posttridentinischen Diözesanritualien die „seelsorgliche“ Rolle und Mitwirkung der Hebammen deutlich hervorgehoben und die Verantwortung der Pfarrer für eine sorgfältige Ausbildung eingeschärft. Wie dies im Bereich der Salzburger Metropolitankirche gehandhabt wurde, gilt es an Beispielen partikulärer Rechtsetzung aufzuzeigen. I. Pfarrer und Hebamme im Spiegelbild des Salzburger Provinzialkonzils 1569 und in den Ritualien des 17. und 18. Jahrhunderts Für Erzbischof Johann Jakob von Khuen-Belasy (1560 – 1586) war es eine klare Vorgabe und ein bindender Auftrag, für eine möglichst rasche Umsetzung der Trienter Reformdekrete in den Suffraganbistümern wie im eigenen Erzbistum zu sorgen. Mit dem von ihm als Metropoliten auf Montag nach dem 3. Fastensonntag, den 14. März 1569, einberufenen Provinzialkonzil wollte er deutliche Meilensteine auf dem Weg in die Zukunft setzen, indem er mittels von Konstitutionen, Dekreten und Capita partikuläres Recht erzeugte, das es nun gemäß den Intentionen von Trient an der Basis umzusetzen und anzuwenden galt. In der 43. Konstitution werden in vier Capita Weisungen für die rechte Verwaltung und Feier des Taufsakramentes gegeben. Das 2. Caput handelt dabei ausdrücklich über die theoretische Ausbildung und praktische Instruktion der Hebammen bezüglich der richtigen Spendung der Nottaufe.7 Ausgehend vom Prinzip der Heilsnotwendigkeit der Taufe verpflichtete das Provinzialkonzil die Pfarrer und die ihnen vom Recht gleichgestellten Amtsinhaber, innerhalb von acht Tagen seit der Geburt eines Kindes die Taufe desselben vorzunehmen. Unter Androhung schwerster Kirchenstrafen werden dabei diese Seelsorger angehalten, die Feier der Taufe nicht über den gesetzlich gebotenen Zeitraum hinauszuziehen.8 Mit dem Hinweis auf die Beachtung des „Liber Agendorum“ (= Rituale) werden die zur Taufspendung berechtigten Seelsorger angemahnt, sich genau an die liturgischen Vorschriften zu halten.

7

Florian Dalham, Concilia Salisburgensia provincialia et dioecesana, Augustae apud Vindelicos 1788, 490 s. – Siehe dazu auch Gerhard Bernhard Winkler, Die nachtridentinischen Synoden im Reich. Salzburger Provinzialkonzilien 1569, 1573, 1576; Wien / Köln / Graz 1988. – Vgl. auch Franz Ortner, Reformation und Gegenreformation. Katholische Reform in Salzburg, Salzburg / München 1981. 8

Dalham, Concilia, 490: Caput I. Baptismum infantium ultra octiduum non esse differendum.

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Im Caput II. werden unter der Überschrift „De instruendis obstetricibus circa subitaneum Baptisma“ Richtlinien erlassen bezüglich des Dienstes der Hebammen bei einer ob der Umstände gebotenen „Nottaufe“. Hier heißt es: „Weil das Seelenheil am meisten von diesem Sakrament (=Taufe!) abhängt, bestimmen wir, daß die Hebammen, die öfters aufgrund von dringender Notwendigkeit Kinder zu taufen pflegen, von der weltlichen Gewalt oder von denen, die zur Annahme der Hebammen zuständig sind, zugelassen und aufgenommen worden sind, unverzüglich den Ortsseelsorgern zu präsentieren sind, damit sie von diesen gemäß den Bestimmungen der Agenda unterrichtet und eingeführt werden, in welchen Fällen und unter welcher Form sie die Taufe vornehmen können, damit sie nicht zum unheilsträchtigen und erbarmungswürdigen Nachteil der Kinder irrtümlich handeln.“9 Im Caput III. geht es um die Erlaubtheit von Taufen außerhalb von Kirchen; im Caput IV. wird über die sorgfältige Verwahrung des Chrisams gehandelt. In den Ritualien des 17. Jahrhunderts wird in den Anweisungen zur Taufe jeweils unter der Überschrift „De ministro Baptismi“ an die tridentinische Vorschrift erinnert, daß der Pfarrer Sorge zu tragen hat, daß die Gläubigen „insbesondere die Hebammen“ den richtigen Ritus bei der Taufspendung geflissentlich einzuhalten haben. Während im Rituale Salisburgense des Fürsterzbischofs Paris Lodron aus dem Jahre 1640 noch kein eigener Artikel über die Hebammen und deren Idoneität handelt, wird seit Fürsterzbischof Max Gandolph in einem eigenen Absatz mit dem Titel „De obstetrice“ verlangt, daß eine Hebamme vereidigt sein und die Spendeform der Taufe wissen muß verbunden mit dem Sprechen der Worte in der Volkssprache: „Ich taufe dich im Namen ...!“ Sie hat dabei natürliches Wasser zu verwenden, das aus einem Brunnen oder einer Quelle geschöpft werden kann, aber auch Regenwasser sein darf. Die nottaufende Hebamme muß dabei die Intention haben zu tun, was die katholische Kirche tut. Zum Zwecke der Linderung oder Behebung der Geburtswehen oder zur Beschleunigung der Geburt darf sie keinesfalls unerlaubte Künste im Hinblick auf die Kinder oder auf die Gebärenden anwenden.10

9

Caput II. „Statuimus etiam, cum salus animae ab hoc maxime pendeat Sacramento, ut obstetrices, quae saepius necessitate imminente infantes baptizare solent, postquam a saeculari potestate, aut his, quibus eas assumere competit, sunt assumptae, locorum Plebanis statim praesententur, ut ab eisdem (quemadmodum & in Agendis habetur) doceantur, atque instruantur, in quibus casibus & sub qua forma ipsae Baptismum impendere valeant, ne cum irrecuperabili, & miseranda infantium jactura, eas errare contingat.“ 10

So heißt es z.B. im Rituale Salisburgense des Fürsterzbischofs Max Gandolph, Salzburg 1686, 9: De obstetrice. Quae jurata sit, et bene sciat formam baptizandi, simul

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In gleicher Weise wird auch im „Rituale Salisburgense“ von 176811 nach den Paten ebenfalls von der Hebamme eigens gehandelt, insbesondere darüber, welche persönlichen Voraussetzungen sie für ihren Dienst mitzubringen hat: Sie muß vereidigt sein und gut Bescheid wissen über die Taufform, zugleich muß sie in der Volkssprache die Worte vortragen können: „Ich taufe dich im Namen Gott des Vatters +, und des Sohns +, und des Heiligen Geistes +“. II. Zunehmende Einflußnahme der weltlichen Macht Zu einer maßgeblichen Modifikation der Zuständigkeit, sich um das Hebammenwesen zu sorgen, kam es im 18. Jahrhundert, als der Staat das Bildungswesen mehr und mehr an sich zog und vor allem unter dem Einfluß der Aufklärung und des Rationalismus die Kompetenzen verschiedener Berufszweige nachhaltig regelte. Mit der Säkularisation war zudem eine neue Situation des Verhältnisses von Staat und Kirche eingetreten. Die Auswirkungen des Staatskirchentums in der Ausprägung des Josephinismus hatten ihren Niederschlag nicht verfehlt. Da die Seelsorger nunmehr in einer besonders starken Abhängigkeit von der staatlichen Autorität und somit Weisungsgebundenheit standen, mußten sie über die ihnen ursprünglich vom Trienter Konzil auferlegte Pflicht, sich um eine entsprechende Bildung der Hebammen im Hinblick auf die rechte Spendung der Nottaufe zu kümmern, weitere Aufgaben übernehmen, die im Dienste des Allgemeinwohls unter staatlicher Aufsicht zu erfüllen waren. Diesbezüglich bietet Joseph Helfert in seinem Werk „Von den Rechten und Pflichten der Pfarrer und deren Gehülfen und Stellvertreter“ einen höchst interessanten Überblick. 12 „Da die Hebammen in ihrem Dienste unmittelbar Zeugen von Thaten und Umständen, welche der Seelsorger zu wissen nöthig hat, und daher für die Geburtsbücher integrierende Individuen sind, dann das zeitliche und ewige

proferendo linqua vulgari verba: Ich tauffe dich im Namen Gott deß Vatters +/ und deß Sohns +/ und deß heiligen Geists + / et effundendo aquam naturalem, quae vel putealis, fontana, vel pluvialis sit. Baptizans facere intendat, quod facit Ecclesia Catholica. Ad levandum partus dolores, vel ad partum accelerandum, illicitas artes et circa infantes, aut parturientes applicare nunquam praesumat. 11 Rituale Salisburgense, Ad usum Romanum accommodatum authoritate et jussu Celsissimi ac Reverendissimi Domini Domini Sigismundi Christophori Archiepiscopi, & S.R.I. Principis Salisburgensis, S. Sedis Apostolicae Legati Nati, Germaniae Primatis &c.&c. ex illustrissima et antiquissima Prosapia S.R.I. Comitum De Schrattenbach &c.&c. Denuo recognitum et revisum. Salisburgi, Anno MDCCLXVIII, 9. 12

Prag 1832, 215 – 220.

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Wohl der Gebärenden und Geborenen nicht selten in ihren Händen liegt: so haben schon die Satzungen einiger Particular-Synoden verfügt, daß zur Ausübung der Hebammenkunst keine Frau zugelassen werden soll, es sei denn, daß sie von der Ortsbehörde über ihre Orthodoxie und ihren Lebenswandel geprüft, den Ritus zur Ertheilung der Taufe erlernt, und eidlich versprochen habe, daß sie ihrem Geschäfte gewissenhaft obliegen, und auf jedesmaliges Begehren hierwegen Rede und Antwort geben wolle.“13 Im weiteren geht der Autor auf die vom weltlichen Gesetzgeber näher umschriebenen Dienstpflichten und Kompetenzen eines Pfarrers ein, wenn er betont: „Unsere vaterländischen Gesetze räumen den Pfarrern einen noch weit mehreren Einfluß ein, und bestimmen hierwegen Folgendes: Die Seelsorger haben darauf zu sehen, daß sich in jeder Gemeinde eine geprüfte Hebamme befinde. Zu dem Ende haben sie in jenen Gemeinden, wo noch gar keine geprüfte Hebamme besteht, die gegen den Hebammenstand sich etwa offenbarende Abneigung und das gegen denselben sich regende Vorurtheil zu bekämpfen, ihnen die Wichtigkeit und den allgemeinen Nutzen der Hebammenkunst vorzustellen, und sie anzueifern, daß sie eine taugliche Frau auswählen und an die Lehranstalt zum Unterrichte schicken. Tauglich sind Frauen, die des Lesens kundig, von guten Fähigkeiten und eines untadelhaften Lebenswandels sind, und nicht schon in einem vorgerückten Alter stehen, da Personen, welche über das Alter von 40 Jahren hinaus sind, und sich dem 50. Jahre nähern, zum Unterrichte nicht zugelassen werden. Frauen, welche in den Unterricht geschickt werden, müssen sich daher bei der Obrigkeit und dem Seelsorger um ein Zeugniß über diese Eigenschaften bewerben, und solches gleich bei ihrem Eintritte vorzeigen. Ist eine Frau als Hebamme geprüft und zur Praxis zugelassen worden: so hat ihr der Seelsorger eine gut moralische Aufführung, und vorzüglich eine sorgsame Behandlung der Gebärenden zu empfehlen, und die beschworenen Obliegenheiten von Zeit zu Zeit in Erinnerung zu bringen, über die Nothwendigkeit der heiligen Taufe und die Vornahme der Nothtaufe sie zu belehren, und hierbei auf die drei wesentlichen Stücke derselben, die Anwendung natürlichen Wassers, das Aussprechen der Worte: ich taufe dich im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, bei dem Aufgießen des Wassers, und die mit dem Aufgießen nothwendige Verbindung der Meinung, die von Christus eingesetzte Taufe dieser Einsetzung gemäß zu ertheilen, aufmerksam zu machen, so wie über die außerordentlichen Fälle der Notthaufe zu unterrichten. Dahin gehört: a) daß sie das Kind, wenn zu besorgen steht, daß es aus dem Mutterleib nicht lebendig kommen, sondern unter der Geburt sterben dürfte, so fern sie es mit der Hand oder der Spritze berühren kann, mit warmem 13

Ebd., 215.

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Wasser im Mutterleibe taufe, und wenn es hernach lebend zur Welt kommt, jedoch noch in Lebensgefahr ist, die Nothtaufe mit der beigelegten Bedingung: Falls du noch nicht getauft bist, wiederholt; b) daß sie diese Taufe, wenn nur der Kopf aus dem Mutterleibe hervor kommt, und zu befürchten ist, daß das Kind vor der Geburt sterben möchte, an dem Kopfe verrichte; im Falle aber blos ein anderes Glied zum Vorschein kommt, an solchem zwar das Gleiche thue, jedoch hernach bei völliger Absonderung die Taufe bedingnißweise wiederhole; c) daß sie, wenn das Kind nach der Geburt zwar kein Lebenszeichen gibt, aber doch der Tod desselben nicht gewiß ist, unter der Bedingung: Falls du noch lebst, taufe; d) daß sie dasselbe mache, wenn die Gebärende vor der Geburt, oder eine Schwangere bei der schon weiter vorgerückten Schwangerschaft gestorben ist, und die von dem sogleich berufenen Chirurgen herausgeschnittene Frucht wegen des Lebens im Zweifel läßt; e) daß sie bei einer ungestalteten Mißgeburt die Taufe unter der Bedingniß: Falls du ein Mensch und der Taufe fähig bist, verrichte; f) daß sie endlich, wenn eine Mißgeburt zwei Köpfe hat, welche zwei Kinder wahrnehmen lassen, unter Aufgießung des Wassers über die zwei Köpfe zu gleicher Zeit, die Taufe von zwei Kindern, sonst aber nur an dem best gestalteten Kopfe unbedingt, und an dem minder gestalteten mit der Bedingung: Falls du noch nicht getauft bist, vornehme. Daß sie schwache und gleich sterbende Kinder, welche die Ankunft des Priesters Todesgefahr halber nicht erwarten können, so bald sie vom Mutterleibe ganz oder zum Theile gekommen sind, wie auch die unzeitigen Kinder und die jüngsten Leibesfrüchte mit lauterem Wasser und keiner andern Feuchtigkeit im Namen Gottes des Vaters, und des Sohnes und des heiligen Geistes taufen, die Taufe hernach dem Priester anzeigen, und in keinem Falle, wo es die Gefahr erheischt, vernachlässigen wollen, haben Hebammen und Geburtshelfer nach der ihnen vorzulesenden Eidesformel selbst zu beschwören.“14 In einem dritten Punkt geht Joseph Helfert auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit ein, daß bei katholischen Frauen auch anderskonfessionell gebundene Hebammen „den geburtshülflichen Beistand“ leisten können; genausowenig dürfe aufgrund des Judenpatents vom 3. August 1797 „jüdischen Weibern die geburtshülfliche Prax bei Christenfrauen“ untersagt werden. Allerdings müsse in solchen Fällen zur Spendung der Nottaufe immer eine „rücksichtlich der Nothtaufe hinlänglich unterrichtete Christenfrau zugezogen werden, um, wenn es erforderlich sein sollte, die Nothtaufe zu ertheilen.“15 Im vierten Punkt wird über die Berichterstattungspflicht der Hebammen gehandelt, „den Seelsorger von Allem, was ihnen von den Namen der Kindsmutter und derer Verehelichung oder Nichtverehelichung bekannt ist, mit der

14

Ebd., 216 – 218.

15

Ebd., 218 f.

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strengsten Gewissenhaftigkeit und Wahrheit zu unterrichten, unter der Strafe, daß sie außer der sonstigen gesetzlichen Ahndung das Recht, ihre Kunst auszuüben, verlieren sollen.“16 Damit die Richtigkeit der Angaben in den Taufmatrikeln bestätigt ist, „muß bei jedem in dem Taufbuche eingetragenen Taufacte der Name und Wohnort der Hebamme eingetragen werden.“17 Da schon in der Vergangenheit immer wieder abergläubische Umtriebe und merkwürdige Zaubersprüche, Verwünschungen und eigenartige Anwendungen von gewissen Hebammen getätigt worden waren und solches Unterfangen kaum abgestellt werden konnte, vor allem auch weil nicht oder schlecht ausgebildete Hebammen am Werk waren, wurden von Seiten der kirchlichen und weltlichen Autorität die Pfarrer immer wieder angehalten, ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß die Hebammenkunst in rechtlich und moralisch geordneten Bahnen ausgeübt wurde. Offensichtlich bildete das Problem sogenannter „Afterhebammen“ immer wieder einen nicht geringen Anlaß zur Sorge. Josef Helfert schreibt deshalb in seinem fünften Punkt : „Endlich haben die Seelsorger zur Ausrottung der Pfuscherei in der Hebammenkunst mitzuwirken. Es ist ihnen deshalb schon früher eingebunden gewesen, die bei der Taufe erscheinenden ungeprüften Hebammen sich vorzumerken, und nach der Hand der Obrigkeit zur gebührenden Bestrafung anzuzeigen. Nun ist ihnen aber aufgetragen, daß sie jedes Weib, welches ein neu geborenes Kind ohne Begleitung einer geprüften Hebamme zur Taufe bringt, unverweilt dem DistrictsCommissariate anzeigen, damit selbes hinsichtlich der vernachlässigten Beiziehung der berechtigten Hebamme die Untersuchung vornehmen, und sein Amt handeln könne. Sie können zu dem Ende von den in ihrem Bezirke ganz unbekannten Hebammen und Geburtshelfern zu ihrer Uiberzeugung die Einsicht des Diploms fordern. Weiber, welche den Gebärenden die übereilte Niederkunft ohne Beisein einer geprüften Hebamme beistehen, sind verpflichtet, wenigstens nach der schon vor sich gegangenen Geburt die geprüfte Hebamme beizuziehen; im Unterlassungsfalle werden sie für unbefugte Hebammen angesehen, und so wie diese bestraft. Als unbefugte Hebammen sind überhaupt alle Individuen zu betrachten, welche, ohne aus der Hebammenkunst geprüft und mit dem Diplome versehen worden zu sein, in Orten, wo geprüfte Hebammen bestehen, und unter Umständen, wo eine geprüfte Hebamme zur Entbindung leicht hätte herbei geholt werden können, einer Gebärenden gegen Bezahlung Hülfe zu leisten. Die Bestrafung der Afterhebammen hat das erstemal in einer von Fall zu Fall mit Rücksicht auf die vorhandenen Umstände zu bestimmenden Geldstrafe zu bestehen; das zweite und die folgenden Male hat der § 98 des Strafge16

Ebd., 219.

17

Ebd., 219.

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setzbuches über schwere Polizei-Uebertretungen einzutreten, und sind dieselben hiernach mit Arrest gleich jenen zu bestrafen, welche die Arznei- oder Wunderarzneikunst, ohne hierzu berechtigt zu sein, ausüben.“18 Mit seinen Ausführungen hat Joseph Helfert im 19. Jahrhundert auf verschiedene Ebenen des kirchlichen Lebens keinen unbeträchtlichen Einfluß ausgeübt. Sowohl in Ritualien als auch in Lehrbüchern des Kirchenrechts sowie in Hirtenschreiben von Bischöfen hat das Problem der Hebammenkunst im Hinblick sowohl auf die Spendung der Nottaufe als auch auf die rechtmäßig erworbene Befugnis seinen Niederschlag gefunden. So heißt es im Rituale Romano-Salisburgense von 185419, das für die gesamte Salzburger Kirchenprovinz Geltung besaß, im Caput I. De Sacramento Baptismi rite administrando, unter A. Regulae generales, unter der Überschrift „De obstetrice“20: „Soweit es dem Seelsorger zusteht, hat er dafür Sorge zu tragen, zum Dienst einer Hebamme nur ein kluge, eifrige und gut beleumundete Frau auszuwählen und so zu bestellen, daß sie ihren Dienst auch hinsichtlich der Taufe in rechter Weise zu leisten vermag. Insbesondere muß eine Hebamme wissen und gut einhalten, was zu Materie, Form sowie zu Intention und Art und Weise der Vornahme der Feier gehört. Über diese Dinge muß sie ein Pfarrer belehren und auch prüfen; er hat sie auch zu unterrichten, wann eine Nottaufe zu spenden ist, wann und auf welche Weise bedingungsweise zu taufen erlaubt ist. Außerdem sind Hebammen zu ermahnen, solche Taufen nicht mit auffallendem Gehaben, sondern mit Ehrfurcht und äußerer Würde vorzunehmen.“ In den „Kundmachungen des Konsistoriums“21 mußten immer wieder den Seelsorgern von kirchenamtlicher Seite staatliche Erlässe zur Kenntnis gebracht werden, um Amtshandlungen sogenannter „Afterhebammen“ zu unterbinden.

18

Ebd., 220.

19

Rituale Romano-Salisburgense collatis consiliis cum Celsissimis ac Reverendissimis Dominis Dominis Adalberto Josepho, Principe-Episcopo Gurcensi, et Antonio Martino, Principe-Episcopo Lavantino, iussu et auctoritate Celsissimi, Excellentissimi ac Reverendissimi Domini Domini Maximiliani Josephi, Principis-Archiepiscopi et Metropolitae Salisburgensis, S. Sedis Apostolicae Legati Nati, Germaniae Primatis, S.C.R. Apostolicae Majestatis Consiliarii intimi actualis, SS. Theologiae Doctoris etc. etc. etc. denuo recognitum. Salisburgi, MDCCCLIVm Typis Fr. Xav. Duyle. 20 21

Ebd., 9.

Zur Geschichte und Bedeutung des erzbischöflichen Konsistoriums siehe Hans Paarhammer, Das Salzburger Konsistorium in seiner rechtsgeschichtlichen Entwicklung, in: Deus Caritas – Jakob Mayr. Festgabe: 25 Jahre Weihbischof von Salzburg. Hg. v. Hans Paarhammer, Thaur/Tirol 1996, 407 – 487.

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So findet sich beispielsweise im „Verordnungs-Blatt für die Erzdiözese Salzburg, IV. Band“22 ein „Erlaß des h.k.k. Landes-Präsidiums Salzburg“ vom 2. Juli 1856, in welchem es heißt: „Es ist zur Kenntnis des Landes-Präsidiums gekommen, daß ungeachtet im Lande nirgends ein Mangel an geprüften und approbirten Hebammen besteht, doch nicht selten, mit Umgehung der aufgestellten Hebammen, ungeprüfte Weibspersonen zu Geburten gerufen werden, zum Nachtheile der Gebärenden und neugebornen Kinder. Da nach dem Hofkanzleidekrete vom 2. Juli 1825 ... in das Taufbuch allemal der Name der Hebamme, welche die Entbindung vornahm, eingeschaltet werden muß, folglich der Seelsorgklerus von Allem in die Kenntniß komme, wo die Berufung einer geprüften Hebamme unterlassen wurde, so sieht sich das Landes-Präsidium veranlaßt, das hochwürdige fürsterzbischöfliche Konsistorium zu ersuchen, die Seelsorgsgeistlichkeit anweisen zu wollen, derlei Fälle zur Kenntniß des betreffenden Bezirksamtes zu bringen, damit dasselbe die Amtshandlung gegen die Afterhebammen einleiten kann.“23 Der bedeutsame Salzburger Kanonist Prof. Dr. Joseph Anton Schöpf geht in seinem „Handbuch des Katholischen Kirchenrechts“ unter ausdrücklichem Verweis auf Joseph Helfert auf die wichtige Tätigkeit und Rolle der Hebammen an der Seite der Pfarrer näher ein. Unter der Überschrift „Stellung des Pfarrers zum Schulmeister, Kirchprobst, Meßner und zur Hebamme“ schreibt er dabei folgendes: „Die bei den Geburten behilflichen Weiber – die Hebammen (obstetrices) gehen zunächst den Pfarrer wegen Ertheilung der Nothtaufe in all den Fällen, wo das Leben des Kindes in Gefahr schwebt, an, weßhalb er von den kirchlichen Behörden beauftragt ist, diese Personen über die Taufe zu belehren. Daß der Pfarrer bei schweren Geburten selbst zugreife, wie solches Van-Espen wünscht, ist nicht schicklich. Die Hebammen gehen den Pfarrer auch insoferne an, daß sie ihm Anzeige von den vorgefallenen Geburten zum Behuf des Eintrags in die Taufmatrik machen müssen.“24 Dazu ergänzt Professor Schöpf: „Die Hebammen sollen die Mütter belehren, daß sie ihre Kinder, wenn möglich selbst stillen, weil die Nichtselbststillung nach dem Zeugnisse der Aerzte auf die Gesundheit und Generation höchst nachtheilig einwirkt.“25

22

„die Verordnungen der Jahre 1856 und 1857 enthaltend“, Salzburg 1858.

23

Ebd., 92 f.

24

Joseph Anton Schöpf, Handbuch des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Bezugnahme auf Oesterreich und mit Rücksicht auf Deutschland, vierter Band, Schaffhausen 1858, 315 f. 25

Ebd., 316.

Der kanonische Pfarrer und die Hebammen

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Bei seinem Hinweis auf die Verpflichtung des Pfarrers zum Unterricht der Hebammen in der richtigen Weise der Spendung der Nottaufe beruft sich Professor Schöpf auf eine Diözesansynode des Bistums Augsburg aus dem Jahre 1567, wo bereits das enge Zusammenwirken von weltlicher und geistlicher Gewalt bei der Bestellung von Hebammen deutlich zum Ausdruck kommt.26 Solches hatte auch laut Hinweis von Anton Schöpf im Jahre 1608 eine Diözesansynode von Brixen verordnet.27 III. Ausführliche partikularrechtliche Weisungen für das Bistum Seckau Im kirchlichen Verordnungsblatt für die Seckauer Diözese vom Jahre 1873 finden sich ausführliche „Weisungen für Seelsorgspriester bezüglich der Hebammen und der Nothtaufe“.28 Unter Hinweis auf das Rituale Romanum und das Diözesan-Rituale begründet Bischof Johannes Baptist Zwerger29 seine partikularrechtlichen Richtlinien und Anweisungen hinsichtlich der richtigen Spendung der Nottaufe mit einem Hinweis auf seine gewonnenen Einsichten und Erfahrungen anläßlich der von ihm durchgeführten Pfarrvisitationen und stellt dabei fest: Er habe „bei den Visitationen auf diesen wichtigen Punkt ein sorgfältiges Augenmerk gerichtet, und namentlich auch darauf gesehen, wie die Nothtaufe gespendet werde, und ob die Personen, welche am öftesten in die Lage kommen, dieselbe zu spenden, darüber und über die verschiedenen dabei vorkommenden Fälle gehörig unterrichtet seien. Die geprüften Hebammen aus der früheren Zeit fand ich großentheils über die Ertheilung der heil. Taufe bei den verschiedenen Vorfällen gut unterrichtet; gar manche jedoch bedurften einer näheren Belehrung. Noch mehr ist Belehrung nothwendig bei nicht geprüften und bei erst in neuester Zeit geprüften Hebammen. In mehreren entlegenen Gebirgsorten gibt es aber nicht einmal ungeprüfte Hebammen; es wird nur eine Nachbarin oder Verwandte zur Hilfeleistung berufen; in diesen Fällen

26

Ebd., 315: „Statuimus, cum salus animae ab hoc maxime pendeat sacramento, ut obstetrices, quae saepius, necessitate imminente, infantes baptizare solent, postquam a saeculari potestate, aut his, quibus eas assumere competit, sunt assumptae, locorum plebanis statim praesententur, ut ab eisdem doceantur atque instruantur, in quibus casibus et sub qua forma ipsae baptismum impendere valeant.“ 27

Ebd., 316: „Obstetrices a magistratu saeculari delectae ad obstetricendum non admittantur, nisi a curione loci de fide et moribus examinatae, formam baptismi veram didicerint; et praeterea juraverint, se mensibus singulis cujusque loci pastori puerperas, quibus adfuerint, cum numero prolium susceptarum denuntiaturas.“ 28 29

Kirchliches Verordnungsblatt für die Seckauer Diöcese 1873, IV. 19. III.

Zu seiner Persönlichkeit siehe Maximilian Liebmann, Johann VII. Baptist Zwerger (1867 – 1893), in: Karl Amon (Hrsg.), Die Bischöfe von Graz-Seckau 1218 – 1968, Graz / Wien / Köln 1969, 439 – 446.

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ist von einer ausreichenden Kenntniß zur rechten Spendung der heil. Taufe noch weniger eine Rede. Darum tritt um so mehr die Verpflichtung ein, welche die genannten Ritualien mit den Worten aussprechen: Quapropter curare debet parochus, ut fideles, praesertim obstetrices, rectum baptizandi ritum probe teneant et servent.“ Deshalb halte er sich als Bischof „im Gewissen verpflichtet“, zwei Fragen zu beantworten, „auf daß die Seelsorger kurz beisammen haben, was sie den Hebammen zu sagen, und was sie selber bezüglich der heil. Taufe zu thun haben.“30 Als Erstes beschäftigte den Bischof der in rechter Weise zu versehende Dienst der Hebamme bei der Spendung der Nottaufe. Dabei beruft er sich wiederum auf das in der Diözese geltende Rituale und gemahnt die Pfarrer an ihre Pflicht, nur charakterfeste und sittlich hochstehende Hebammen auszuwählen und diese des öfteren zu prüfen und zu bilden hinsichtlich der Weise und Formel bei der Taufe. „Was ihr Benehmen überhaupt angeht, ist die Hebamme zu belehren und zu ermahnen: a)

daß sie ihren Dienst mit aller Gewissenhaftigkeit und Treue versehe und stets hilfebereit und unverdrossen sei;

b) daß sie, zu einer Gebärenden berufen, allezeit Gott um Beistand anrufe, für diese, so wie für sich selbst; c)

daß sie keinen Unterschied zwischen Personen mache, sondern jeder gleiche Hilfe leiste;

d) daß sie strenges Stillschweigen über alles beobachte, was auf die Ausübung ihres Amtes Bezug hat; e)

daß sie in ihren Reden stets ehrbar und züchtig sei, und alle dabei nicht nothwendigen Personen vom Zimmer der Gebärenden mit Klugheit ferne halte;

f)

daß sie sich hüthe, durch verschiedene Erzählungen das Gemüth der Gebärenden noch mehr zu ängstigen;

g) daß sie stets Mäßigkeit im Essen und Trinken beobachte, und überhaupt einen erbaulichen Wandel führe, die heil. Sacramente öfters empfange; h) daß sie bei gefährlichen Geburten einen Arzt und Priester rechtzeitig rufen lasse;

30

Kirchliches Verordnungsblatt für die Seckauer Diöcese 1873, IV. 19. 1.

Der kanonische Pfarrer und die Hebammen

i)

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daß sie den Müttern einschärfe, ihre kleinen Kinder nicht im Bette bei sich zu behalten.“31

Dem Bischof ist es bei seinen weiteren Anweisungen ein wichtiges Anliegen, daß die Hebammen die Nottaufe „nicht ertheilen ohne Noth, sondern nur in den Fällen, wo sie eine begründete Besorgnis haben, das Kind könnte sterben, ehe es die Taufe ordnungsgemäß durch den Priester erhalten könne.“ Seiner Meinung nach komme es „sehr häufig vor, daß Hebammen die Nothtaufe ertheilen, wo keine wirkliche Noth es erfordert hätte; jedoch ist nicht zu wundern, daß ihre Sorgfalt für das ewige Heil des Kindes hierin nicht immer eine wirkliche von einer in der Besorgniß blos eingebildeten Gefahr, so ist es wohlgethan, lieber das Sichere zu thun“.32 Die Priester sollen daher Hebammen, die allzuschnell die Nottaufe spenden, weil sie eine Gefahr vermuten, „nicht scharf zurechtweisen, sondern blos durch die Erfahrung auf eine richtigere Unterscheidung hinlenken.“ Der Bischof kommt in einem weiteren Punkt seiner Anweisungen auf das bei der Nottaufe zu verwendende Wasser zu sprechen. Es hätten manche Hebammen nämlich „die Meinung, daß sie zur Taufe, so weit es nur möglich ist, Weihwasser nehmen sollen“. Der Bischof erklärt zu dieser Frage: „Man soll also auf den Umstand, ob das Wasser geweiht ist oder nicht, kein Gewicht legen, sondern ihnen blos das einprägen, daß es gewöhnliches, natürliches Wasser sein müsse, gleichviel ob geweiht oder nicht geweiht, ob aus einem Brunnen, einer Quelle, einem Bache, vom Regen, von zergangenem Schnee oder Eis herkommend, nicht aber irgend ein künstliches Wasser, wie Rosenwasser, ebensowenig Milch, Wein, Bier ...“33 Diese Instruktion des Seckauer Diözesanbischofs ist insofern auch ein interessanter Zeitspiegel, weil der Oberhirte die von ihm gemachten konkreten Erfahrungen bei der bischöflichen Visitation anführt. So berichtet er: „Eine oder andere Hebamme habe ich gefunden, welche, anstatt das Kind mit dem Wasser zu begießen, blos die Hand eintaucht und dem Kinde damit das Kreuz auf die Stirne macht. Abgesehen von der nahe liegenden Gefahr, daß sie dadurch verleitet wird, anstatt der Taufformel blos die Formel des Kreuzzeichens anzuwenden, wäre diese Art schon an sich eine höchst unsichere, oft geradezu ungiltige Anwendung des Wassers. Man soll also den Hebammen auftragen, wenn sie bei einer Gebärenden sind, sich natürliches Wasser bereit zu halten in einem Glase, oder in einer Schale, oder in einer Flasche etc., und daraus sollen sie das Kind bei der Taufe nicht blos ansprengen, sondern in drei Absätzen begießen, so daß das Wasser über die Stirne abrinnt. Und haben sie in der Schnelligkeit 31

Ebd., 1 f.

32

Ebd., 2

33

Ebd., 2.

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kein solches Gefäß für das Wasser, so sollen sie es mit der hohlen Hand schöpfen und über die Stirne des Kindes ausgießen.“34 In einem eigenen Punkt geht der Bischof auf die Taufformel ein und verlangt von den Seelsorgern, bemüht zu sein, die Hebammen diesbezüglich mit Sorgfalt und zum wiederholten Male zu unterrichten: „Während sie die Namen der drei göttlichen Personen aussprechen, sollen sie das Wasser in drei Absätzen in Kreuzesform über das Kind ausgießen. Jedoch soll man ihnen sagen, daß die Taufe schon giltig ist, wenn nur das Kind mit Wasser unter Aussprechung der Worte begossen wird, obgleich es nicht dreimal und nicht in Kreuzform begossen werden könnte. Ferner soll man ihnen sagen, daß es zur Giltigkeit der Taufe nicht nothwendig ist, dem Kinde einen Namen zu geben, oder zu wissen, ob das Kind ein Knäblein oder ein Mädchen sei. Ganz besonders aber ist ihnen einzuprägen, daß sie ja nicht die Worte vergessen: ‚Ich taufe Dich‘, sonst ist die Taufe ungiltig.“35 Der Bischof äußert diesbezüglich sehr deutlich seine „Besorgniß“, weil er „bei der Prüfung der Hebammen sehr oft gefunden habe, daß sie diese absolut nothwendigen Worte bald auslassen, bald aussprechen, ohne daß sie zwischen dem einen oder andern Falle auf einen bestimmten Unterschied der Worte aufmerksam werden.“ Er gibt daher den Rat, die Hebammen sollten „unmittelbar vor Ertheilung der Taufe sich einige Augenblicke Zeit zu nehmen, um sich zu sammeln, und bei sich zu bedenken, wie sie es machen sollen, und welche Worte sie aussprechen werden.“36 Im folgenden führt der Bischof „ungewöhnliche und schwierige Fälle“ an und gibt unter Berufung auf das Diözesan-Rituale Anweisungen für das Vorgehen in kritischen Situationen: „Wenn ein Zweifel besteht, ob das Kind noch lebe oder bereits gestorben sei, so ist es augenblicklich zu taufen mit der Formel: ‚Wenn du noch lebst, so taufe ich dich im Namen des Vater ....‘ Nur wenn es vollkommen gewiß ist, daß das Kind nicht mehr lebt, ist die Taufe zu unterlassen. Man muß aber die Hebamme ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß sie das Kind nur dann für ganz gewiß todt halten und die Taufe unterlassen dürfen (sic!), wenn bereits schon die Fäulniß und Verwesung wahrnehmbar ist; wo die Hebamme aber nur kein Zeichen des Lebens findet, ist der Tod desselben durchaus nicht gewiß, sondern ein solches Kind muß sogleich, wie oben angegeben, getauft werden; und dann sollen sofort alle geeigneten Mittel angewendet und auch stundenlang fortgesetzt werden, um das Kind zum Leben zu bringen, falls es nur, wie das häufig

34

Ebd., 2.

35

Ebd., 2 f.

36

Ebd., 3.

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der Fall ist, in einer tiefen Ohnmacht wäre.“37 Seiner Weisung gemäß hat die Spendung der Nottaufe Vorrang vor den Belebungsversuchen. Deshalb schreibt er: „Ich weiß aber aus Erfahrung, daß es nothwendig ist, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß zuerst die Taufe, und dann erst die Belebungsversuche gemacht werden sollen. Denn die Taufe ist in ein paar Augenblicken geschehen, verzögert also die Belebungsversuche nicht; durch Verzögerung der Taufe aber würde das Seelenheil des Kindes jeden Augenblick in größere Gefahr gesetzt.“38 In einem eigenen Absatz spricht der Bischof das Problem von Früh- und Fehlgeburten an und verlangt, daß nicht nur die Hebammen, „sondern alle verehlichten Leute, besonders die Frauen“ sorgfältig darauf achten müssen, „ob nicht eine wirkliche Leibesfrucht vorhanden sei“. „Wäre diese auch noch außerordentlich klein, und würde auch nicht das geringste Lebenszeichen bemerkt, soll die Hebamme oder die betreffende Mutter selbe sammt der Netzhaut, wovon sie umgeben ist, sogleich in die Hand nehmen und in’s Wasser eintauchen und indessen die Taufformel sprechen: ‚Wenn du lebst und fähig bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters ...‘ Hierauf erst soll die Netzhaut sorgfältig geöffnet und die Frucht nochmals in derselben Weise ins Wasser getaucht werden mit der Taufformel: ‚Wenn du fähig und nicht schon getauft bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters ...‘, und dieß zwar deshalb, weil einerseits die Giltigkeit der Taufe einer noch in der Netzhaut eingeschlossenen Frucht zweifelhaft ist, und weil anderseits die Oeffnung der Netzhaut allzuschnell das noch vorhandene Leben erlöschen könnte. – In den Fällen aber, wo das Kind schon eine bedeutende Größe hat, soll es nicht durch Eintauchung, sondern wie gewöhnlich durch Begießung getauft werden. – Eine unreife Leibesfrucht, die nach der Taufe gestorben ist, soll dann im geweihten Erdreich begraben werden, aber mit Vorsicht und Stillschweigen, damit nicht ein Gerede unverständiger Leute entstehe.“39 Dieses „schuldige Stillschweigen“ fordert der Seckauer Bischof von den Hebammen ebenfalls ein, „sollte es sich zeigen, daß eine Mißgeburt zur Welt käme“; sie sollen „mit den Eltern aufrichtige christliche Theilnahme haben und sich vor allem sündhaften Argwohn hüten; denn die Betreffenden können daran vollkommen unschuldig sein.“40 Bei „Gefahr im Verzuge“ sollen die Hebammen die Nottaufe spenden, ansonsten sollen sie „sogleich den Priester rufen“. Wenn „die Mißgestalt derart groß“ ist, daß die Hebammen „Zweifel hätten, ob es ein Mensch sei, so sollen sie es dennoch taufen, wenigstens mit der Bedin37

Ebd., 3.

38

Ebd., 3.

39

Ebd., 3.

40

Ebd., 3.

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gung: Wenn du ein Mensch bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters ... Denn nach der nun fast allgemeinen Überzeugung ist das, was vom Weibe geboren wird, immer ein Mensch, wenn auch der Anblick der Gestalt das Gegentheil zu beweisen scheint.“41 Der Bischof verweist für das Vorgehen in konkreten Fällen auf das Diözesanrituale, in welchem Detailfragen geregelt werden. Dem Bischof ist es in seinen partikularrechtlichen Anweisungen ein großes Anliegen, daß eine Hebamme „den Geburtshelfer herbeirufen lassen“ solle immer dann, wenn sich zeigt, „daß die Entbindung schwer und gefährlich sein wird.“ Dies sei sie „dem leiblichen und geistlichen Wohle des Kindes und den Eltern desselben schuldig.“42 In auffallend ausführlicher Weise beschäftigt sich der Bischof in den folgenden Artikeln seiner Instruktion mit rechtlichen und moralischen Fragen im Falle von schweren Komplikationen bei der Geburt. In diesem Zusammenhang handelt er auch über das Problem der Taufe im Mutterleib. Es ergibt sich für ihn die Frage: „Wenn bei der Entbindung ernstliche Besorgniß eintritt, das Kind könnte sterben, ehe es zur Welt kommt, was kann da die Hebamme thun, um das Seelenheil des Kindes durch die hl. Taufe sicher zu stellen?“ Um sich nicht in kasuistische Details zu verlieren und damit den Hebammen Anlaß zur Verwirrung zu geben, erklärt der Bischof: „Es lassen sich alle Fälle auf folgende zwei zurückführen, und diese soll die Hebamme genau wissen und beachten: a)

Tauft sie das Kind im Mutterleibe, so muß sie das Wasser in der oben angegebenen Weise auf das Kind selbst hinbringen, und indessen die Worte sprechen: Wenn du fähig bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters .... Es ist dabei keineswegs erforderlich, das Wasser in drei Absätzen oder in Kreuzesform auf das Kind hinzubringen.

b) Kommt dann das also getaufte Kind zur Welt und ist in naher Lebensgefahr, so soll sie es in gewöhnlicher Weise auf der Stirne nochmals taufen, jedoch mit den Worten: Wenn du nicht schon getauft bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters ...; und zwar deshalb, weil die Giltigkeit der Taufe im Mutterleibe viel zu unsicher, und weil dieses heil. Sakrament von der höchsten Wichtigkeit ist, weßhalb man es in einer ganz sicheren Weise spenden muß, da man es nun in Ruhe und Ordnung thun kann. Zeigt sich aber nach der Geburt das schon im Mutterleibe getaufte Kind hinlänglich gesund, so soll es nicht die Hebamme nochmals taufen, sondern es dem

41

Ebd., 3 f.

42

Ebd., 4.

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Priester bringen und ihm sagen, daß sie es schon im Mutterleibe getauft habe; dann wird schon der Priester thun, was erforderlich ist.“43 In seiner Instruktion lenkt der Bischof sein Augenmerk besonders auch auf das mögliche Faktum, daß mehrere Kinder zugleich von ein und derselben Mutter geboren werden: „Ereignet es sich, daß die Taufe im Mutterleibe gespendet worden ist, und daß dann zwei oder mehrere Kinder zur Welt kommen, so daß man nicht weiß, welches von ihnen die Taufe im Mutterleibe erhalten habe, ... ist ein jedes von den Kindern einzeln wiederum zu taufen mit der ... Formel: Wenn du nicht schon getauft bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters ...“.44 Da es immer wieder vorgekommen ist, daß bei einer Entbindung eine Mutter sterben kann, trifft der Bischof auch für solche tragischen Fälle eine Direktive: „Sollte bei einer schweren Geburt die Mutter vor der Entbindung sterben, unter Umständen, bei denen es schon möglich ist, das Taufwasser auf das Kind selbst hinzubringen, so ist es sogleich im Mutterleibe in der oben angegebenen Weise zu taufen, obgleich der Geburtshelfer dasselbe auf künstlichem Wege an das Tageslicht zu bringen bereit ist. Er soll und muß das allerdings thun, aber mit der Taufe ist nicht solange zu warten, weil das Kind leicht indessen sterben könnte.“45 Zum Schluß seiner Instruktion verlangt der Bischof von den Seelsorgern, was einer Hebamme noch zu sagen ist, „wie sie sich zu verhalten habe, wenn sie bemerkt, daß eine schwangere Person auf Mittel sinnt, um ihre Leibesfrucht abzutreiben. Sie soll der Unglücklichen christlich ins Gewissen reden, um sie vor der Missethat abzuhalten. Denn die Abtreibung wäre erstlich vor Gott und dem Gewissen ein schweres Verbrechen, ein wahrer Mord am Leibe des Kindes, aber auch an der Seele, da es ohne Taufe sterben müßte. ... Zweitens wäre es ein schweres Verbrechen auch vor der menschlichen Gesellschaft; so groß,

43

Ebd., 4.

44

Ebd., 4.

45

Ebd., 4. – Unter der „oben angegebenen Weise“ ist zu verstehen, was der Bischof hinsichtlich der Taufe im Mutterleibe festgelegt hat unter Hinweis auf das Rituale: „Das Rituale sagt: nemo in utero matris clausus baptizari debet, d.h. aber nur: so lange das Kind noch so eingeschlossen ist, daß man in keiner Weise das Taufwasser auf das Kind selbst hinbringen könnte, kann es nicht getauft werden, und es wäre ganz nutzlos, daher auch unerlaubt, unter Aussprechung der Taufformel das Taufwasser auf die Mutter hinzugießen. Sobald es aber möglich ist, das Wasser auf das Kind selbst hinzubringen – (allenfalls mittelst eines Instrumentes z.B. Spritze, welches die Hebamme daher jedesmal mit sich nehmen soll, so oft sie zu einer Gebärenden gerufen wird) – kann das Kind auch getauft werden, und im Falle der Noth muß das auch geschehen. Wo möglich, soll das Wasser dazu ein wenig erwärmt werden.“

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daß es nach unseren Gesetzen mit 1 bis 5 Jahren Kerker bestraft wird, und daß auch auf den bloßen Versuch schon, auch wenn er ohne Erfolg geblieben, eine Strafe von 6 bis 12 Monaten Kerker gesetzt ist; und für den Vater des Kindes werden die Strafen noch verschärft, wenn er mitschuldig ist. Dieselben Strafen werden auch über andere Personen verhängt, welche aus was immer für einer Absicht wider Wissen und Willen der Mutter die Abtreibung ihrer Leibesfrucht bewirken, oder auch nur versuchen, zu bewirken.“46 Am Ende seiner Instruktion betont der Seckauer Bischof nochmals, daß alle Hebammen diese Punkte zu kennen haben und „praktisch ausüben können“ müssen. „Es ist Pflicht des Pfarrers, sie darüber auszufragen, und wo nöthig, sie zuvor zu unterrichten (besonders die nichtgeprüften und die erst ganz in letzter Zeit geprüften).“ Wie ernst dem Bischof damit ist, bringt er nochmals mit dem Hinweis auf die Durchführung der bischöflichen Visitation auf den Punkt und kündigt an: „Über diese Punkte werde auch ich sie bei der Visitation ausfragen.“47 IV. Provinzialkonzil 1906 Im Zuge der feierlichen Ankündigung und Einberufung des für den Rupertitag (24. September 1906) festgelegten Eröffnungstermins des Provinzialkonzils für die Salzburger Kirchenprovinz stellte der Fürsterzbischof und Metropolit Johannes Kardinal Katschthaler der Öffentlichkeit auch die „Schemata Constitutionum Synodi Provincialis Salisburgi a die XXIV. Mensis Septembris 1906 celebrandae“ vor. Darin findet sich unter den Bestimmungen zum partikulären Taufrecht auch ein deutlicher Hinweis auf die Rolle und die Bedeutung der Hebammen. So heißt es im Caput Secundum der Sectio Tertia in Artikel 9 (Konzilsvorlage Nr. 150): „Weil Kinder, die sich in Todesgefahr befinden, meistens von Hebammen getauft werden, darf es der Pfarrer nicht verabsäumen, sooft er nur kann, die zu seiner Pfarrei gehörenden Hebammen, sorgfältig über Materie, Form, Ritus und notwendige Intention eines Spenders zu unterrichten und sie insbesondere zu belehren, wie im Notfall die Taufe zu spenden ist. Zudem hat er sie oftmals zu ermahnen, daß sie sich falscher Vorstellungen, neuer Riten und abergläubischer Verhaltensweisen enthalten, besonders aber auch von Heilmitteln, welche die Zeichen und Worte begleiten.“ Offensichtlich gab es im Bereich der zur Salzburger Kirchenprovinz gehörenden Bistümer immer noch da und dort Hebammen, die über den von der Kirche vorgeschriebenen Ritus hinaus Zaubersprüche hersagten, irgendwelche abergläubische

46

Ebd., 4 f. – Es wird vom Bischof auf das Österreichische Strafgesetzbuch 1852, §§ 144 – 148 verwiesen. 47

Ebd., 5.

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Verhaltensweisen pflegten oder magische Handlungen tätigten oder anwendeten, welche dem katholischen Glauben zuwider waren. Außerdem sollte sich das Konzil in diesem Zusammenhang veranlaßt sehen, gegen das abscheuliche Verbrechen der Abtreibung mit allem Eifer anzukämpfen. Zu diesem Behufe sollte den Gläubigen, „insbesondere den Ärzten und Hebammen“ bewußtgemacht werden, um welche verabscheuungswürdige Untat es sich dabei handelt und welche Schwere des Verbrechens damit gegeben ist; außerdem waren sie auf die Strafen aufmerksam zu machen, die vom kanonischen und vom staatlichen Recht auf das Begehen einer solchen Tat gesetzt sind; zudem sind die Hebammen auf die unvermeidliche Rache der göttlichen Gerechtigkeit hinzuweisen, nach der das Blut derer schreit, die auf diese gottlose Weise grausam der ewigen Herrlichkeit beraubt werden (Vorlage Nr. 151). Schließlich wurde in diesem Zusammenhang (Vorlage Nr. 152) noch eigens hervorgehoben, daß sich alle, die an einer Abtreibung durch Auftrag, Rat und Mittäterschaft mitwirken, ganz gleich ob die „procuratio abortus“ zum Erfolg gelangt oder nicht, die dem Bischof zur Absolution vorbehaltene Tatstrafe der Exkommunikation zuziehen.48 Im wesentlichen wurden diese Vorlagen von der Provinzialsynode beschlossen und mit kleinen Modifikationen im Jahre 1910 promulgiert.49 V. CIC/1917 In c. 743 wurde den Pfarrern die Pflicht auferlegt, dafür Sorge zu tragen, daß sie die Gläubigen, insbesondere die Hebammen, Ärzte und Chirurgen über die richtige Weise im Notfall zu taufen, gut unterrichten.50 In den CIC Fontes51 wird für diesen Canon nur auf das Rituale Romanum (tit. II, c. 1) sowie auf einige Entscheidungen der Konzilskongregation sowie auf eine Antwort der Propaganda Fide Kongregation verwiesen.

48 Konsistorialarchiv Salzburg (KAS) 60/325: Schemata Constitutionum Synodi Provincialis. Salisburgi ad diem XXIV. Mensis Septembris 1906 celebrandae, Salisburgi 1906, 75. 49 Acta et Constitutiones Concilii Provinciae Salisburgensis Anno Domini MCMVI celebrati, Salisburgi Typis Zaunrithianis 1910, 132 s. 50

Hier heißt es: „Curet parochus ut fideles, praesertim obstetrices, medici et chirurgici rectum baptizandi modum pro casu necessitatis probe ediscant.“ Vgl. dazu Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, Bd. 2, München / Paderborn / Wien 1967 (11), 17.

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In einer Causa „Ceneten.“, die am 12. Mai 1753 von der Konzilskongregation entschieden wurde, ging es um den Fall, daß eine ungebildete (bzw. ungeschickte) achtzigjährige Hebamme eine Taufe gespendet haben soll mit der Formel: „mi te abbattezzo in nome del Padre, del Figliuolo dello Spirito Santo“. Über diese Form sei der Pfarrer in Kenntnis gesetzt worden, der daraufhin den Diözesanbischof verständigte und bezweifelte, ob eine Taufe unter dieser Formel gültig sein könne. Der Bischof befahl daraufhin die bedingungsweise Wiederholung der Taufe. Die Konzilskongregation wurde deshalb befaßt, weil besagte ungebildete Hebamme durch fünfzig Jahre ihren Dienst ausgeübt hatte. Unter Berufung auf Papst Benedikt XIV.52 wurde verfügt, alle von der genannten Hebamme vorgenommenen Nottaufen zu überprüfen.53 VI. Das Salzburger Rituale von 1951 In der sogenannten „Collectio Rituum in Usum Cleri Archidioeceseos Salisburgensis ad instar Appendicis Ritualis Romani cum approbatione Sacrae Rituum Congregationis jussu et auctoritate Celsissimi et Reverendissimi Domini Andreae Pricipis-Archiepiscopi Salisburgensis editum“54 werden im Titel II, Nr. 17, die Hebammen eigens erwähnt. Der Pfarrer hat dafür Sorge zu tragen, die Gläubigen, „besonders die Hebammen, Ärzte und Chirurgen für den Notfall sorgsam zu unterweisen über die rechte Weise zu taufen.“55 In diesem Zusammenhang wird jeder Seelsorger auch in die Pflicht genommen, alles ihm Mögliche zu tun, um für den Hebammendienst nur solche Frauen auszuwählen, deren Klugheit, Eifer und guter Ruf außer Streit steht. Sie müssen dazu ein Versprechen ablegen, ihren Dienst so auszuüben, wie es den Vorschriften entspricht; außerdem haben sie regelmäßig darüber Rechenschaft abzulegen. Ausdrücklich wird darauf insistiert, daß jede Hebamme „alles weiß, was in diesem Rituale über die Rubrik ‚Kindertaufe‘ niedergeschrieben ist. Sooft sie die Geburt eines Kindes zu melden hat, was immer vorzeitig geschehen soll, muß sie zugleich dem Pfarrer anzeigen, ob eine Nottaufe gespendet wurde oder nicht. Außerdem muß sie wissen, daß sie sehr schwer sündigt, und die Gefahr der dem Ordinarius vorbehaltenen Lossprechung von der Exkommunikation an 51

Codicis Iuris Canonici Fontes. Cura Emmi Petri Card. Gasparri editi, 9 Bde., Romae I (1947), II (1948), III (1925), IV (1951), V (1930), VI (1932), VII (1935), VIII (1938), IX (1939). (VII. – IX. Bd. Bearbeitet von J. Card. Serédi). 52

De Synodo Dioecesana, lib. 7, cap. 4 et cap. 6.

53

Siehe dazu Thesaurus Resolutionum Sacrae Congregationis Concilii, 167 Bände. Urbini-Romae 1739 ff, hier tom. 22, 45. Vgl. dazu auch CIC-Fontes, tom 5, 1051 s. 54

Salisburgi 1951, Ratisbonae Typis Friderici Pustet.

55

Ebd., 8.

Der kanonische Pfarrer und die Hebammen

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sich zieht, wenn sie für Mädchen oder Frauen auf irgendwelche Weise Mittel und Weisen zum Abgang der Leibesfrucht vorsieht.“56 Den Hebammen wird in diesem Zusammenhang mit Nachdruck angeraten, bei Nottaufen immer einen Zeugen beizuziehen, der über den rechtmäßigen Vollzug der Nottaufe Auskunft geben kann. VII. CIC 1983 Das geltende Kirchenrecht erwähnt in den Normen zur Feier der Taufe die Hebammen als Taufspenderinnen in Notfällen nicht mehr. In c. 861 § 2 wird lapidar bestimmt: „Ist ein ordentlicher Spender nicht anwesend oder verhindert, so spendet die Taufe erlaubt der Katechist oder jemand anderer, der vom Ortsordinarius für diese Aufgabe bestimmt ist, im Notfall sogar jeder von der nötigen Intention geleitete Mensch; die Seelsorger und vor allem der Pfarrer müssen sich angelegen sein lassen, die Gläubigen über die rechte Taufweise zu belehren.“ Diese sehr allgemein gehaltene Formulierung des Gesetzestextes verlangt gebieterisch nach einer partikulargesetzlichen Konkretisierung, wobei durchaus auch gezielt auf die Hebammen hingewiesen werden kann. Im Ritus „Die Feier der Kindertaufe in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebietes“57 wird man diesem Anliegen gerecht mit der Formulierung in Nr. 28, wo es heißt: „Allen Laien als Gliedern eines priesterlichen Volkes muß es ein Anliegen sein, genau zu wissen, wie man in einer Notsituation tauft. Das gilt besonders für die Eltern und von ihrem Beruf her für die Hebammen, Familien- und Sozialhelferinnen und Krankenschwestern sowie für die Ärzte. Die Pfarrer und Diakone sollen sie entsprechend unterweisen, und im Bereich des Bistums mögen die Bischöfe geeignete Hilfen für die Taufe bei entfernterer Lebensgefahr bereitstellen.“ Die einzige Stelle, in der die Hebammen im neuen Codex genannt werden, ist c. 1548 § 2, n. 1, wo es darum geht, jene Personengruppen zu benennen, die aufgrund der Verpflichtung zur Wahrung des Amtsgeheimnisses der Schweigepflicht unterliegen. Neben Beamten, Ärzten, Anwälten, Notaren, etc. werden hier auch die Hebammen (obstetrices) erwähnt.

56 57

Ebd., 8.

Herausgegeben im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz und des Bischofs von Luxemburg, Einsiedeln und Köln – Freiburg und Basel – Regensburg – Wien – Salzburg – Linz 1971, 16.

Kirchenrecht

Für die Parteien öffentlich – geheim für die anderen? Zur Geheimhaltung in kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren – Eine Problemanzeige Von Günter Assenmacher Die kirchlichen Gerichte, die für jedes Bistum als eigenes Diözesangericht vorgeschrieben sind (c. 1420 CIC, c. 1086 CCEO) oder mit Genehmigung des Apostolischen Stuhles auch als gemeinsame Gerichte für mehrere Bistümer eingerichtet werden können (c. 1423 CIC), müssen sich bekanntlich so gut wie ausschließlich mit Eheverfahren beschäftigen. Nach den Angaben im jüngsten Annuarium Statisticum Ecclesiae wurden im Jahr 2001 weltweit 55.935 Eheverfahren auf dem ordentlichen Prozessweg und 12.101 Dokumentenverfahren in I. Instanz neu anhängig gemacht1. Die diesen Ziffern gegenüber stehenden Zahlen von sonstigen Streit- und Strafverfahren, die in den Jahresberichten der Offizialate an die Apostolische Signatur regelmäßig mitzuteilen sind, wurden nicht veröffentlicht. Auch für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, wo 809 Eheverfahren auf dem ordentlichen Prozessweg und 199 Dokumentenverfahren für das Jahr 2001 angegeben sind2, waren diese Zahlen nicht in Erfahrung zu bringen. Im Erzbistum Köln gab es in den Jahren 1991 bis 2000 drei sonstige Streitverfahren und kein einziges Strafverfahren in I. Instanz. In den Eheverfahren geht es nicht um Feststellung der Zerrüttung einer Ehe und deren Scheidung, auch nicht um den Ausgleich von Unterhalts- oder Versorgungsansprüchen oder Regelungen zum Wohl eventuell vorhandener Kinder, sondern ausschließlich um ein Urteil über das gültige Zustandekommen der betroffenen Ehen nach Maßgabe der kirchlichen Rechtsordnung. Wenn dabei nicht das Vorliegen eines Ehehindernisses oder Fragen der Eheschließungsform zur Verhandlung stehen, was eher selten der Fall ist, müssen im Zuge der Beweisaufnahme von den Prozessparteien und Zeugen Fragen beantwortet werden, die, weil sie den Ehewillen und / oder die Eheschließungsbzw. Eheführungsfähigkeit der Prozessparteien betreffen, sehr persönlicher Art 1

Annuarium Statisticum Ecclesiae, Vatikanstadt 2003, S. 411 – 489, hier S. 421 bzw. S. 431. 2

Ebd., S. 418 bzw. S. 428.

Günter Assenmacher

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sind. Das so aufgekommene Beweismaterial bedarf einer Diskretion, die der Privatsphäre der betroffenen Menschen zukommt. Diese Diskretion, die ja auch für die staatliche Rechtsordnung selbstverständlich ist, wo vom Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen (§ 169 GVG) vor allem Ehesachen ausgenommen sind (§ 170 GVG), wird den Personen, die an einem kirchlichen Verfahren mitwirken, zugesagt. In seiner Ansprache vor den Richtern und Mitarbeitern der Rota Romana vom 26.1.1989 über die unabdingbare Wahrung des Verteidigungsrechtes, die die Offenlegung der Akten und die Verkündigung des Urteils beinhaltet, sagte Papst Johannes Paul II. (Nr. 8): „Vor allem muss ganz klar sein, dass die ‚Publizität’ des kanonischen Prozesses seinen vertraulichen Charakter anderen gegenüber nicht beeinträchtigt.“3 So heißt es z. B. in den Hinweisen für den kirchlichen Ehenichtigkeitsprozess, mit denen am Kölner Offizialat über das Verfahren in allgemeiner Weise informiert wird: „Die kirchlichen Ehenichtigkeitsprozesse sind nicht öffentlich: Eine Gegenüberstellung oder persönliche Begegnung besonders der Parteien vor Gericht ist nicht vorgesehen. Die Gerichtspersonen unterliegen der amtlichen Schweigepflicht. Wer als Partei oder Zeuge im Verfahren mitwirkt, wird zum Stillschweigen verpflichtet.“ Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den „Hinweisen“ anderer kirchlicher Gerichte. Zum Beispiel heißt es in einem Faltblatt des Bischöflichen Offizialates Eichstätt Kirchliche Ehescheidung?: „Nur die beiden Parteien haben das Recht, Einsicht in die Akten zu nehmen. Das Verfahren läuft unter strenger Geheimhaltung ab.“ Oder in einer Publikation Kompakt Kirchliches Ehegericht, die vom Bischöflichen Offizialat der Diözese Münster herausgegeben wurde: „Nur die am Verfahren beteiligten Personen, d. h. die Parteien und die von ihnen benannten Zeugen, werden vom Gericht über das Verfahren informiert. Jeder, der zur Sache gehört wird, wird zur Verschwiegenheit über die Fragen und die ihnen zugrunde liegenden Inhalte verpflichtet. Das Gericht verschickt das Urteil nur an die Parteien... Ein Ehenichtigkeits-Verfahren unterliegt größter Geheimhaltung; alle beim Gericht tätigen Personen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.“4 Etwas differenzierter lautet der Text eines ausführlicheren Ratgebers dieses Gerichtes: „Obwohl das Ehenichtigkeitsverfahren von öffentlichem Interesse ist, ist es kein öffentliches Verfahren. Die Beteiligten werden zur Verschwiegenheit während der Beweisaufnahme verpflichtet. In der Regel werden die Parteien selber daran interessiert sein, dass

3

AAS 81 (1989) S. 922 – 927; deutsche Übersetzungen in: OssRom (dt.) vom 24.3.1989; AfkKR 158 (1989) S. 130 – 134. 4

Münster o.J. (2001), S. 11.

Für die Parteien öffentlich – geheim für die anderen?

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ihre Privatsphäre gewahrt bleibt, und auch selber auf die Zeugen einwirken, Verschwiegenheit im Freundes- und Verwandtenkreis zu wahren... Wenn aber die Parteien gegenteiliges Interesse haben, kann man mitunter schwer verhindern, dass in der Nachbarschaft oder im Verwandtenkreis der Umstand benannt wird, dass ein Verfahren geführt wird oder die Nichtigkeit einer Ehe festgestellt wurde. Auch liegt es in der Verantwortung der Parteien, wie sie mit dem Urteil, das ihnen ausgehändigt wird, umgehen. Das Offizialat selber und seine Mitarbeiter werden die Verfahren nicht an die Öffentlichkeit bringen.“5 Auch Martha Wegan schreibt in ihrem bekannten Buch über die Ehenichtigkeitsgründe und das Ehenichtigkeitsverfahren: „Die Parteien und Zeugen (...) sind zur Geheimhaltung des Gesagten verpflichtet.“6 Freilich referiert sie auch die vollständige Publikation des 1927 von der Rota Romana in II. Instanz gefällten Ehenichtigkeitsurteils in dem damals aufsehenerregenden Verfahren Marconi - O’Brien, wo vom „Prinzip der Geheimhaltung der Namen der Parteien eine Ausnahme gemacht“ wurde.7 Von den Personen, die sich an einem kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren beteiligen, wird die Wahrung ihrer Verschwiegenheit auch ausdrücklich eingefordert. So ist es in c. 1455 § 3 CIC / c. 1113 § 3 CCEO als Möglichkeit vorgesehen. Dies geschieht z. B. am Kölner Offizialat regelmäßig einmal nach entsprechender vorgängiger Belehrung am Ende jeder Vernehmung mit folgender Formulierung: „Verpflichten Sie sich, über die Fragen und Ihre Antworten bis zum Abschluss der Beweisaufnahme (Aktenoffenlegung) Stillschweigen zu bewahren, damit niemand in seinen Aussagen beeinflusst wird?“ Die Befristung bis zum Zeitpunkt der Aktenoffenlegung zeigt, dass hier das Interesse im Vordergrund steht, die Unvoreingenommenheit anderer Personen zu wahren, die im Prozess eventuell noch anzuhören sind. Alsdann wird vor Gewährung der Einsicht in die Akten bei der Aktenoffenlegung von den Prozessparteien, Anwälten und Prozessstellvertretern folgende zeitlich unbegrenzte Erklärung verlangt: „Ich verpflichte mich auf Ehre und Gewissen, dass ich von der Kenntnis, die ich über die Aussagen der Gegenpartei und der Zeugen durch Einsichtnahme in diese Akten erlange, wie auch von den bei den Akten befindlichen Zeugnissen, Briefen und etwaigen sonstigen Dokumenten nur in diesem kirchlichen Prozessverfahren Gebrauch machen werde, insoweit es zu meiner Verteidigung und zur Feststellung der Wahrheit notwendig ist. Sollte ich aufgrund des Inhaltes der Akten Beschwerden zu erheben haben, so werde ich solche nur beim kirchlichen Gericht vorbringen. Ich bestätige diese meine Erklärung durch meine eigenhändige Unterschrift.“ 5

Ratgeber Kirchliches Ehegericht, Münster 2001, S. 53.

6

Martha Wegan, Ehescheidung möglich?, Graz 1993, S. 225.

7

Ebd., S. 235 f.

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Ähnliche Formulierungen gebrauchen auch die anderen deutschen Diözesangerichte. Dass die Mitarbeiter des Gerichtes ausnahmslos einer amtlichen Schweigepflicht unterliegen (c. 1455 §§ 1,2 CIC / c. 1113 §§ 1,2 CCEO), wird in aller Regel stillschweigend vorausgesetzt. Ohne diesen in der Praxis so gut wie nie in Frage gestellten Vertrauensvorschuss wären viele Aussagen, die ja trotz der in c. 1531 § 1 CIC / c. 1212 § 1 CCEO und c. 1557 CIC / c. 1238 CCEO ausgesprochenen Verpflichtungen für Parteien und Zeugen nicht effektiv erzwungen werden können, überhaupt nicht zu erwarten. Ob freilich für das weitere Schicksal der dann in den Akten festgehaltenen Aussagen (c. 1474 CIC / c. 1131 § 1 CCEO) die erwünschte Diskretion zu garantieren ist, soll anhand von drei Kölner Beispielen aus den letzten Jahren in Frage gestellt werden. I. Fall Nr. 1 Nach mehr als vierjähriger Prozessführung wurde 1998 eine im Jahr 1967 geschlossene Ehe gemäß c. 1081 § 1 CIC/1917 für nichtig erklärt, weil – so die Formulierung der Prozessfrage – „der Mann aus Gründen der psychischen Beschaffenheit nicht imstande war, wesentliche Verpflichtungen der Ehe zu übernehmen“. Seine ausgeprägte autonome Gesinnung setzte sich in ein derart autokratisches Handeln und despotisches Verhalten um, dass dies mit wesentlichen Verpflichtungen der Ehe unvereinbar war. Die katholischen Prozessparteien hatten im Alter von 22 Jahren geheiratet und drei gemeinsame Kinder. Die beiden Töchter wurden im Verlauf der Ehe über lange Jahre vom Nichtkläger sexuell missbraucht, was angeblich erst im 24. Ehejahr entdeckt wurde und dann zur Trennung der Eheleute und zur Verurteilung des Mannes zu einer viereinhalbjährigen Freiheitsstrafe führte. Die Ehe wurde während der Haft des Nichtklägers auf Antrag der Klägerin zivil geschieden. Der Nichtkläger verwahrte sich von Anfang an in heftigster Weise gegen den geltend gemachten Klagegrund vor allem mit dem Argument, seine unbestreitbaren Sexualdelikte hätten mit seiner Ehe nicht das Geringste zu tun. Indem man sie auch nur erwähne, versuche man eine Demontage seiner Person insgesamt. Er werde sich nicht für verrückt erklären lassen. Gleichwohl war er zu einer Vernehmung bereit, die dann auch in der Justizvollzugsanstalt stattfand. Danach unterschrieb er die dabei übliche Verpflichtungserklärung für das von ihm zu wahrende Stillschweigen. Bei der Aktenoffenlegung nach der Anhörung der Parteien und der von beiden Seiten benannten Zeugen machte er – inzwischen im offenen Strafvollzug –

Für die Parteien öffentlich – geheim für die anderen?

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von seinem Einsichtsrecht Gebrauch; er unterschrieb die oben genannte umfassende und zeitlich unbegrenzte Verpflichtungserklärung. Alsdann überzog er das Gericht mit einer Flut von Beschwerden und Einreden; gegen die Klägerin stellte er einen Strafantrag – alles im innerkirchlichen Rahmen. Nachdem er zeitweise einer Exploration durch einen vom Gericht bestellten psychologischen Gutachter zugestimmt hatte, zog er diese Bereitschaft zurück, so dass das vom Gericht für notwendig erachtete Gutachten auf der Basis der Akten und einer Exploration der Klägerin allein erstellt werden musste. Auch dieses Gutachten wurde pflichtgemäß offengelegt. Vor der Einsichtnahme unterschrieb der Nichtkläger, dem dabei zum wiederholten Mal die Prozessfrage und seine innerkirchlichen Rechtsmittel erläutert worden waren, die bekannte Verpflichtungserklärung. Tatsächlich aber entfachte er in der Folge eine regelrechte Kampagne gegen den Gutachter durch Briefe, die er auch an einen für das Gericht unüberschaubaren Personenkreis außerhalb streute; bei der Staatsanwaltschaft stellte er ein Strafantrag gegen eine seiner Töchter; beim Erzbischof von Köln stellte er einen Strafantrag gegen den Gutachter, der wie die anderen Anträge und Einreden ordnungsgemäß behandelt und im Ergebnis abgewiesen wurde. Nach dem Urteil, das ihm nach diesen Erfahrungen in vollständiger Form nicht ausgehändigt wurde, sondern entsprechend c. 1877 CIC/1917 nur zur Einsicht in der Kanzlei des Gerichtes zur Verfügung stand, überschüttete er auch das Berufungsgericht mit einer Fülle von Schriftsätzen; dies hinderte nicht, dass dort die erstinstanzliche Entscheidung durch Dekret bestätig wurde. Eine neue Dimension eröffnete sich, als in der Zeit, in der der Fall am Berufungsgericht anhängig war, zunächst dem Gutachter und wenige Wochen später auch den Mitgliedern des Richterkollegiums der I. Instanz eine Ladung zu einer Schlichtungsverhandlung zugestellt wurde, die der Nichtkläger nach Kontakt mit der Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Dem Gutachter wurde versuchte Nötigung, üble Nachrede und Verleumdung vorgeworfen. Als versuchte Nötigung machte der Nichtkläger geltend, dass der Gutachter bedauert hatte, eine persönliche Exploration nicht habe durchsetzen zu können; als üble Nachrede wurde das Urteil bezeichnet, der Nichtkläger habe ein „überdurchschnittliches Aggressionspotential“ geerbt; eine Verleumdung sei ein ihm angeblich unterschobenes Zitat ‚Ich bin das Gesetz‘. Die Richter sollten sich wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung verantworten, da sie in ihrem Urteil nur das den Nichtkläger belastende Beweismaterial verwertet hätten. Die im Urteil niedergelegten Aussagen sollten sie zurücknehmen, damit das Berufungsgericht „eine ehrliche Unterlage zur Überprüfung“ erhalte. Zunächst einmal gelang es, mit Verweis auf die Unabgeschlossenheit des Verfahrens eine Aufhebung der von den Schiedsleuten anberaumten Termine zu erreichen. Sie wurden schließlich ganz fallengelassen, weil der Nichtkläger

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nach Erhalt der zweitinstanzlichen Entscheidung seine Anträge zurückzog und auch von einem weiteren Vorgehen Abstand nahm. Aber wie wäre anderenfalls zu verfahren gewesen? Die eingeholten Ratschläge divergierten sehr. Von der einen Seite wurde darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit von Gutachtern vor kirchlichen Gerichten den allgemeinen Gesetzen, also auch den Strafgesetzen und den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (welches z. B. Widerrufs- und Unterlassungsansprüche wegen Verletzung der Ehre, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etc. kennt) unterworfen ist. Das verfassungsrechtliche gewährleistete kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Artikel 140 GG i.V.m. Art. 137, 3 WRV) garantiere zwar, dass jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbstständig ordnen und verwalten könne. In diese Garantie sei auch die Tätigkeit der kirchlichen Gerichtsbarkeit eingeschlossen. Nach der im selben Artikel enthaltenen Schrankenklausel werde allerdings das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes gewährleistet. Wie bei der Tätigkeitsentfaltung der staatlichen Gerichte die Strafgesetze unter Umständen relevant werden könnten, sei dies auch in Bezug auf die kirchlichen Gerichte der Fall. Insoweit gebe es keine Exemtion der kirchlichen Gerichte von den staatlichen Gesetzen. Eine mögliche Strafbarkeit könne nur durch gewissenhafte Vorbereitung der obliegenden Angelegenheiten und die Abwägung der relevanten Aspekte vermieden werden. Von der anderen Seite wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Tätigkeit der kirchlichen Gerichte um einen innerkirchlichen Bereich handle, der von einer Überprüfung durch staatliche Gerichte oder andere Organe der staatlichen Rechtspflege ausgeschlossen sei. Zur Verhandlung stehe die rein religiös / innerkirchliche Frage der Gültigkeit der Ehe; ob und aus welchem Grund eine Ehe für nichtig erklärt werde, sei für die zivilrechtliche Stellung der Betroffenen ohne Bedeutung. Eine kirchliche Maßnahme, die keine unmittelbare Wirkung im staatlichen Zuständigkeitsbereich entfalte, werde aber als innerkirchliche Angelegenheit betrachtet, gegen die der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eindeutig unzulässig sei. Die Kirche habe ihre eigenen Gerichte und ihre eigene Gerichtsaufsicht, weshalb allfällige Beschwerden ausschließlich dort vorzubringen seien. II. Fall Nr. 2 Im Jahr 2002 wurde eine 1989 geschlossene Ehe unter anderem gemäß c. 1095 n. 3 für nichtig erklärt, weil „der Mann aus Gründen der psychischen Beschaffenheit nicht imstande war, wesentliche Verpflichtungen der Ehe zu übernehmen“. Dieses Urteil der I. Instanz wurde vier Monate später durch das Gericht der II. Instanz auf dem Dekretweg bestätigt.

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Bei der Beweisaufnahme kam unter anderem zur Sprache, dass der Kläger etwa zehn Jahre lang von einem Priester sexuell missbraucht worden sei. Der Name dieses Priesters wurde nicht erfragt, weil dies im Gesamt des Beweisaufkommens für das konkrete Verfahren unerheblich war. Der Kläger war auch nicht bereit, den Namen zu nennen, da er sich zum Zeitpunkt des Prozesses in einer Therapie befand und mit den diesbezüglichen Erlebnissen abschließen wollte. Die anderen vernommenen Personen wussten von diesem seinem Wunsch und respektierten ihn. Wie war zu verfahren? In der von der Deutschen Bischofskonferenz am 26.9.2002 erlassenen Ordnung Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. Leitlinien mit Erläuterungen heißt es kategorisch (I., 1.): „Alle kirchlichen Mitarbeiter sind verpflichtet, Fälle, die ihnen zur Kenntnis gebracht werden, weiterzuleiten.“8 Das lässt sich natürlich für den Bereich des Bußsakramentes mit Rücksicht auf das bedingungslos geschützte sigillum sacramentale (c. 983 CIC / c. 733 CCEO) nicht befolgen. Aber wie ist es im kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren in Anbetracht seines nicht-öffentlichen Charakters und in Anbetracht der zugesicherten Vertraulichkeit? Wir entschieden uns in diesem Fall dazu, mit Rücksicht auf die Zurückhaltung des Kläges und auf die Verjährung9 nicht weiter nachzuforschen oder anzeigend tätig zu werden. Vielmehr schrieb der Ehebandverteidiger in seinen Bemerkungen unter anderem folgendes: „Sofern diese Behauptung [des Missbrauchs] wirklich wahr ist und die – in diesem Verfahren nur teilweise offengelegten – Umstände eine Tatsächlichkeit oder zumindest dringende Gefahr einschließen, dass dieser Mann auch heute noch solchen Missbrauch betreibt, liegt zum Schutz anderer minderjähriger Opfer beim Kläger eine Pflicht, durch Anzeige beim Staatsanwalt, beim Kirchenanwalt oder bei der kirchlichen Personalaufsicht auf ein Ende dieses Missstandes hinzuwirken. Es erscheint nicht als Sache der hiesigen Gerichtspersonen, soweit sie Kenntnis bekommen mussten als Richter, Ehebandverteidiger oder Aktuarinnen, dass sie die Pflicht des Klägers hilfsweise erfüllen. Beim – therapeutisch aufgefangenen und nun immerhin 40-jährigen – Kläger liegt also je nach Umständen der Sache eine zentrale Verantwortung.“ Besprechungen des Falles und anderer denkbarer Fallgestaltungen brachten kontroverse Ansichten an den Tag, die von einer absoluten Verschwiegenheitspflicht des kirchlichen Gerichtes bis zu einer unbedingten und sofortigen An-

8 9

Veröffentlicht z. B. in: ABl. Köln 143 (2003) S. 27 – 29.

Heribert Schmitz, Der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltene Straftaten, in: AfkKR 170 (2001) S. 441 – 462, hier S. 461; ders., Delicta graviora Congregationi de Doctrina Fidei reservata, in: DPM 9 (2002) S. 293 – 312, hier S. 305.

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zeige- und Ermittlungspflicht reichten. Richtig scheint, dass hier eine Güterabwägung zu erfolgen hat.10 III. Fall Nr. 3 In aller Regel werden kirchliche Ehenichtigkeitsverfahren erst eröffnet, wenn die betroffene Ehe zivil geschieden ist. Damit erübrigt sich der in c. 1695 CIC / c. 1362 CCEO vorgeschriebene Versöhnungsversuch; auch ungute Instrumentalisierungen des kirchlichen Verfahrens sind weniger zu befürchten, etwa, dass jemand seine Mitwirkung am kirchlichen Verfahren von Konzessionen der Gegenpartei in den zivilen Auseinandersetzungen abhängig macht. Nun gibt es aus guten Gründen keine Vorschrift, die die Eröffnung eines kirchlichen Verfahrens vor der zivilen Ehescheidung verbieten würde; ja, mit Blick auf die ziemlich lange Dauer kirchlicher Eheprozesse11 generell und zur Beweissicherung in einzelnen Fällen kann ein vorzeitiger Prozessbeginn am kirchlichen Gericht sogar ratsam sein. Die Risiken sind indes zu bedenken, wie der dritte Kölner Fall zeigt: Nach weniger als drei Monaten freundschaftlicher Beziehung heirateten 1997 die beiden kirchlich sehr gebundenen Parteien im Alter von 25 bzw. 33 Jahren; sie hatten sich nach dem Gottesdienstbesuch in einer bekannten Kölner Wallfahrtskirche kennen gelernt. Knapp zehn Monate nach der Heirat wurde ein Kind geboren, ein halbes Jahr später war die Ehe bereits zu Ende. Die Frau kam dem Mann mit einer Klageschrift zuvor. Sie beantragte die Nichtigkeitserklärung der Ehe, weil sie an einem schweren Mangel des Urteilsvermögens gelitten habe (c. 1095 n. 2). Die Nichtigkeit der Ehe wurde festgestellt, weil erwiesen war, dass die Heirat aus einer Vermischung verschiedener religiöser Momente unter einem ungeheuren Druck (Torschlusspanik nach vier gescheiterten Beziehungen) erfolgte. Die Heirat war als Erfüllung einer göttlichen Verheißung angesehen worden; ungeeignete Partner wurden mit Bezug auf Apg 1,24 durch Losentscheid von der Frau und ihrer Mutter ausgeschieden; ein

10

Vgl. die jüngsten Beiträge zur Verschwiegenheitspflicht in der Seelsorge von Albert Stein, Schweigepflicht und Rederecht in der Seelsorge, in: ZevKR 43 (1998) S. 387 – 400; Gebhard Strodel, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht der Geistlichen nach staatlichem Recht, in: Tradition – Wegweisung in die Zukunft (Festg. Mühlsteiger) (= KStuT 46), Berlin 2001, S. 591 – 609; Severin Lederhilger, Zur Verschwiegenheitspflicht in der Seelsorge, in: Iudicare inter fideles (Festg. Geringer), St. Ottilien 2002, S. 237 – 263. 11

Adam Zirkel, Quam primum - salva iustitia. Müssen kirchliche Eheprozesse Jahre dauern? (= MthStkan 58), St. Ottilien 2003.

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Wertnehmen des Ehepartners und der mit der Ehe verbundenen wesentlichen Verpflichtungen kam dem gegenüber gar nicht zum Zuge. Noch ehe das Verfahren der zivilen Ehescheidung eingeleitet war, hatte die Klägerin ein gerichtliches Verfahren wegen des Umgangsrechtes für das gemeinsame Kind anhängig gemacht. Darin operierte der Nichtkläger vor allem dem involvierten Jugendamt gegenüber mit dem von der Klägerin selbst eingeführten Klagegrund in dem Sinne, wie denn jemand vernünftigerweise das Sorgerecht für ein Kind beanspruchen könne, der für sich selbst mangelnde Zurechnungsfähigkeit reklamiere und durch das kirchliche Gericht zuerkannt bekommen möchte. Der für Außenstehende nicht ohne Weiteres verständliche Klagegrund musste daraufhin verbindlich erläutert werden. Wie bereits gesagt, kam die Frau dem Mann mit der Einreichung der Klageschrift am kirchlichen Gericht zuvor. Hatte dieser schon beim Ehevorbereitungsgespräch erfahren, dass für den vorgesehenen Heiratstermin ursprünglich der Name eines anderen Mannes vorgemerkt war, so erfuhr er durch die Verlesung der Klageschrift anlässlich seiner gerichtlichen Anhörung, dass die Klägerin vor der Beziehung zu ihm verschiedene Männerbekanntschaften gehabt hatte, die nicht zu einer Eheschließung führten. Weiter erfuhr er, dass die beiden letzten Bekannten durch den o. g. Losentscheid verworfen worden waren. Durch dieses ihm bislang unbekannte Wissen sah sich der Nichtkläger in seinem Verdacht bestärkt, nur – so seine eigenen Worte – als „Notstopfen“ und „Deckhengst“ missbraucht worden zu sein. Am letzten Tag der Jahresfrist nach seiner kirchengerichtlichen Vernehmung beantragte er vor allem mit Verweis auf diesen ihm zum Zeitpunkt der Heirat unbekannten Losentscheid die zivilrechtliche Aufhebung der Ehe. Dies hätte für seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der Frau weitestgehende Folgen gehabt. Hier interessiert nicht, dass dieser Antrag sowohl durch das zuständige Amtsgericht wie das angerufene Oberlandesgericht mit der Begründung zurückgewiesen wurde, eine arglistige Täuschung liege nicht vor, da auf Seiten der Frau keine Offenbarungspflicht für das von ihr durchgeführte Losverfahren bestanden habe, da dieses lediglich zur Ausscheidung der ungeeigneten Bekannten angewandt wurde, nicht aber für die Erwählung seiner Person maßgeblich gewesen sei. Hier interessiert, dass der Nichtkläger trotz der von ihm eingeforderten Verpflichtungserklärungen und entsprechender Erinnerungen seitens des kirchlichen Gerichtes nicht zögerte, das kirchliche Verfahren selbst und ihm ausschließlich durch das Verfahren bekannt gewordenes Beweismaterial vor den staatlichen Gerichten zu gebrauchen. Und dass die staatlichen Gerichte ihrerseits nicht zögerten, dieses Beweismaterial zu verwerten, obwohl ihnen durch anwaltliche Schriftsätze klar sein musste, dass ein solcher Gebrauch nach der kirchlichen Rechtsordnung nicht zulässig ist.

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In der Auseinandersetzung, ob er vor den staatlichen Gerichten auf den ihm erst durch das kirchliche Verfahren bekannt gewordenen Losentscheid Bezug nehmen dürfe, machte der Nichtkläger geltend, die von ihm unterschriebene Verpflichtungserklärung beziehe sich ausschließlich auf die „durch Einsichtnahme in die Akten“ erlangten Kenntnisse. Von dem Losentscheid habe er aber nicht erst durch die Einsichtnahme Kenntnis bekommen, sondern bereits durch die Verlesung der Klageschrift anlässlich seiner Vernehmung; mithin sei er an der Verwendung dieses Wissens nicht gehindert. Überdies, so machte er geltend, handele er in einer Notwehrsituation, da die Klägerin durch ihr Verhalten die Wahrheitsfindung erschwere oder gar vereitle; mit Berufung auf den nichtöffentlichen Charakter des kirchlichen Eheprozesses lehne sie nämlich eine Vorlage des kirchlichen Ehenichtigkeitsurteils ab, statt so ihren Beitrag zur Findung der Wahrheit zu leisten, die doch vor dem zivilen Gericht keine anderen sein könne als vor dem kirchlichen. Während die Klägerin an ihre moralische Verpflichtung erinnert wurde, ihrerseits zur Wahrheitsfindung beizutragen, wurde zur Vermeidung weiteren Missbrauchs dem Nichtkläger lediglich der Tenor der inzwischen getroffenen Entscheidungen mitgeteilt; allerdings wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, den vollständigen Text des Urteils und des Bestätigungsdekretes einzusehen, wovon er auch Gebrauch machte. In den weiteren Rechtsstreitigkeiten mit der Klägerin benutzte er die bei dieser Gelegenheit angefertigten Notizen ausgiebig. Mit Berufung auf fernmündlich von ihm bei anderen Offizialaten eingeholte Auskünfte bezeichnete er es als nicht rechtens, dass ihm nicht der vollständige Text des Urteils ausgehändigt worden sei; der Inhalt des Urteils unterliege keiner Verschwiegenheitspflicht. Diesen Behauptungen wurde insofern widersprochen, als dem Nichtkläger trotz der Gefahr des Missbrauchs der gesamte Urteilstext zugänglich gewesen war. Dass ihm dieser Text nicht ausgehändigt wurde, mag in c. 1695 CIC/1983 im Unterschied zu c. 1877 CIC/1917 nicht mehr vorgesehen sein; eine unzulässige Verkürzung seines Verteidigungsrechtes ist das geschilderte Vorgehen nicht. Es entspricht vielmehr einer bislang unbeanstandeten und triftig begründbaren Praxis vieler Gerichte. Die Behauptung, der Inhalt des Urteils unterliege keinerlei Verschwiegenheitsverpflichtung, wurde mit Verweis auf den grundsätzlich nicht-öffentlichen Charakter des gesamten Verfahrens zurückgewiesen. Die gebotene Diskretion endet nicht, wenn das Verfahren abgeschlossen ist, auch wenn sich dies nicht durch eine rabulistische Analyse der abverlangten Verschwiegenheitserklärungen, sondern aus der Natur der Sache ergibt. Erstaunlich war für den Verfasser an diesem Fall nicht, wie wenig die abgegebenen Verschwiegenheitserklärungen und die grundsätzlichen Pflichten zur Mitarbeit an der Wahrheitsfindung einerseits und die Wahrung der gebotenen Diskretion andererseits den Betroffenen imponieren, wenn sie ihren Interessen zuwider sind; wohl aber, dass die Erlangung der Beweismittel aus dem kanoni-

Für die Parteien öffentlich – geheim für die anderen?

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schen Ehenichtigkeitsverfahren von den im konkreten Fall damit befassten staatlichen Gerichten auch nicht ansatzweise als Problem erörtert wurde12. IV. Fazit Die Formel „für die Parteien öffentlich – geheim für die anderen“13 klingt gut und griffig, hält aber nicht, was sie verspricht. Auch die in unseren Hinweisen enthaltenen Belehrungen über die grundsätzliche Diskretion des kirchlichen Ehenichtigkeitsprozesses sowie die eingeforderten Verschwiegenheitserklärungen erweisen sich im Konfliktfall als unzulänglich bzw. als stumpfe Waffe. Deshalb ist Vorsicht geboten. Man wird noch viel mehr als bisher die Ratschläge beherzigen müssen, die Eugen Psiuk14 im Interesse der Vermeidung zusätzlicher Konflikte und der Wahrung eines möglichst großen Persönlichkeitsschutzes im kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren vorgelegt hat: Hilfe zur Vorlage einer schlüssigen Klageschrift, die sich möglichst auf solche Ehenichtigkeitsgründe konzentriert, die die Persönlichkeitssphäre der Betroffenen schonen. Vermeidung aller vertraulichen Fragen, die für die Wahrheitsfindung nicht unbedingt nötig sind. Hinweis auf das Recht zur Verweigerung der Aussage und Respektierung dieses Rechtes. Umsichtige Protokollierung. Insgesamt eine streng auf den Prozessgegenstand bezogene Beweisaufnahme in dem Rahmen, der für eine wahrheitsgemäße Entscheidung unerlässlich ist. Strikte Beschränkung der Verwertung des erhobenen Beweismaterials in den Bemerkungen der Ehebandverteidigung und im Urteil auf das unbedingt Erforderliche.

12 Die Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess ist sehr umstritten. So Christian Rittner - Natascha Rittner, Unerlaubte DNA-Gutachten zur Feststellung der Abstammung - eine rechtliche Grauzone, in: NJW 55 (2002) S. 1745 – 1753, hier S. 1751: „In der gerichtlichen Verwertung von Kenntnissen und Beweismitteln, die gegen das Persönlichkeitsrecht erlangt worden sind, liegt regelmäßig ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG. Ob dieser Eingriff jedoch zu einer Rechtsverletzung führt, richtet sich nach dem Ergebnis der Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden Persönlichkeitsrecht und einem dafür sprechenden Interesse des Beweisführers.“ Weitere Literaturhinweise ebd. Anm. 65. 13

Zenon Grocholewski, Die leitenden Prinzipien im Buch VII des CIC, in: DPM 8/I (2001) S. 13 – 40, hier S. 33 – 39. 14

Eugen Psiuk, Informations- und Persönlichkeitsschutz im Ehenichtigkeitsverfahren, in: DPM 8 / I (2001) S. 391 – 411.

Die Rechtsstellung des Pfarrers in den lutherischen Landeskirchen Deutschlands Von Heinrich de Wall I. Einleitung In der öffentlichen Wahrnehmung der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland spielen die Pfarrer – zumindest auf lokaler Ebene – als Amtsträger der Kirche eine dominierende Rolle. Ihre Position in den evangelischen Kirchen ist von theologischen Voraussetzungen und Aussagen geprägt, die zum Kern reformatorischer Theologie gehören – nämlich dem Verständnis des kirchlichen Amtes.1 Es ist entstanden in Auseinandersetzung mit und in Opposition zum römisch-katholischen Amtsverständnis. Auch wenn auf beiden Seiten substantielle Entwicklungen im Amtsverständnis seit dem 16. Jahrhundert zu verzeichnen sind, sind in diesem Bereich die Unterschiede zwischen den Konfessionen wohl am nachhaltigsten und stehen einer Ökumene am deutlichsten entgegen. Auch in der Diskussion der Kirchenrechtler beider Konfessionen hat das unterschiedliche Amtsverständnis bis in die allerjüngste Zeit Aufmerksamkeit gefunden, und zwar nicht nur dasjenige der jeweils eigenen Konfession.2 Der Zweite Halbband der Sammlung von Joseph Listls Schriften wird mit einem Artikel zum „Amt in der Kirche“ eingeleitet, in dem der Jubilar feststellt, daß „sich in der Amtsfrage ... alle Linien der kirchentrennenden

1

Dazu zum Überblick nur die Artikel „Amt“, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Hans Dieter Betz et. al., 4. Aufl., Bd. 1, Tübingen 1998, Sp. 422 ff.; Holsten Fagerberg / Carl Heinz Ratschow, „Amt / Ämter / Amtsverständnis VI – VIII“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 2, Berlin 1978, S. 552 ff., jeweils mit umfangreichen Nachweisen; Albert Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 3. Aufl., Neuwied 1992, S. 94 ff.; Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, München 1972. 2

Siehe jüngst nur Wilhelm Rees, Der Kirchenbegriff in katholischem und evangelischem Verständnis, in: Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Stefan Muckel, Berlin 2003, 679 ff., zum Amtsverständnis insbes. S. 696 ff.; Jörg Winter, Zum Amtsverständnis der römischkatholischen und der evangelischen Kirche, ebd. S. 975 ff.; Dietrich Pirson, Zur Mitwirkung von Laien an kirchlichen Entscheidungen, ebd., S. 627 ff.

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Glaubensaussagen (schneiden)“3. Wenn hier die Rechtsstellung des Pfarrers in den lutherischen Kirchen knapp skizziert werden soll, dann soll dies nicht als Zeichen trotzig-triumphalistischer Konfrontation verstanden werden, die dem Anlaß dieser Festschrift ganz unangemessen wäre, sondern soll der gerafften Vergegenwärtigung der protestantischen Position und ihrer Konsequenzen für die konkrete rechtliche Stellung des Pfarrers (C., D.) und – kurz – auch des Bischofs (E.) dienen. Vielleicht weist gerade die konkrete rechtliche Ausformung Wege zu ökumenischer Verständigung jenseits der Unterschiede der dogmatischen Grundpositionen. Dennoch muß zur Verdeutlichung der Grundlagen der Versuch einer knappen Zusammenfassung des reformatorischen Amtsverständnisses am Anfang stehen, das vor der Folie des römisch-katholischen Verständnisses am ehesten verständlich ist (B.). Allerdings kann es natürlich nur in sehr groben Zügen dargestellt werden. Auch muß ich mich für die protestantische Seite auf das lutherische Verständnis und nachfolgend auf die Darstellung der Verhältnisse in den lutherischen Landeskirchen Deutschlands beschränken. Gerade hinsichtlich des Amtsverständnisses bestehen zwischen Reformierten und Lutheranern Unterschiede, auch wenn diese nicht als kirchentrennend angesehen werden und eher unterschiedliche Akzentsetzungen im Verhältnis von Amt und Gemeinde betreffen.4 Die besondere Stellung, die dem Pfarrer aus seinem Amt erwächst, wirkt sich auf mehreren rechtlichen Ebenen aus. Zentral ist dabei zum einen das Recht, das sein Dienstverhältnis, seine persönliche Rechtsstellung gegenüber der Kirche regelt (D.). Zuvor ist aber – zum anderen – ein kurzer Blick auf die Stellung der Pfarrer im Verfassungsrecht der lutherischen Kirchen, insbesondere auf das Verhältnis von Amt und Gemeinde bzw. des Pfarrers zur Gemeinde zu werfen (C.). Im Interesse einer gerafften und auf das Typische beschränkten Darstellung bleiben die besonderen Vorschriften für Pfarrer in allgemeinkirchlichen Aufgaben und in kirchenleitenden Ämtern außer Betracht. II. Das lutherische Amtsverständnis Ohne daß hier auf die Unterschiede zwischen den Reformatoren, namentlich Luther und Melanchthon eingegangen werden soll, können zentrale Aussagen zum lutherischen Amtsverständnis dem Augsburger Bekenntnis von 1530 (Con-

3 Joseph Listl, Das Amt in der Kirche, in: Kirche im freiheitlichen Staat – Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, 2. Halbbd., Berlin 1996, S. 593. 4

Siehe zu den Konsequenzen aus kirchenjuristischer Sicht jüngst nur Gerhard Tröger, Ein Pfarrerdienstgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland?, in: Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Heinrich de Wall / Michael Germann, Tübingen 2003, S. 164 ff.

Die Rechtsstellung des Pfarrers in den lutherischen Landeskirchen

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fessio Augustana, CA)5 als der zentralen Bekenntnisschrift der lutherischen Kirchen entnommen werden. Nach Artikel 5 CA „… hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben ... wirkt.“ Entscheidend ist hier, daß es nur ein von Gott eingesetztes Amt der Kirche gibt, nämlich das Amt der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung. Dieses Amt ist, anders als nach römisch-katholischem Verständnis, einheitlich. Die Stufung in die Ämter des Diakonen, des Priesters und des Bischofs kennt das lutherische Verständnis nicht. Daher gibt es auch keine Hierarchie der Amtsstufen bzw. des Amtes. Freilich gibt es verschiedene Dienste innerhalb der Kirche – auch die protestantischen Kirchen kennen etwa den Dienst von Diakonen. Allerdings ändert das nichts daran, daß es nur ein von Gott gestiftetes Amt der Kirche gibt. Dieses von Gott gestiftete Amt besteht allein darin, das Evangelium zu predigen, die Sakramente stiftungsgemäß zu verwalten, die Lehre zu beurteilen und die Schlüsselgewalt auszuüben, und zwar „sine vi humana sed verbo“. Insofern unterscheiden sich die Ämter des Pfarrers und des Bischofs, zu dem diese Aussagen in CA 28 getroffen werden, nicht: es handelt sich um das gleiche geistliche Amt. Es vermittelt allein die geistliche Leitung, die insofern streng von der rechtlichen Kirchenleitung zu unterscheiden ist.6 Rechtliche Leitungsfunktionen, die potestas jurisdictionis nach der römisch-katholischen Lehre, ist nicht mit dem geistlichen Amt verbunden. Das bedeutet nicht, daß rechtliche Leitungsaufgaben und -funktionen in den lutherischen Kirchen nicht ausgeübt werden. Derlei Leitungsbefugnisse können auch von ordinierten Amtsträgern ausgeübt werden. Allerdings ist die rechtliche Leitung der Kirche nicht kraft göttlichen Rechts gleichsam notwendig mit dem geistlichen Amt verbunden. Auch „Laien“ können Träger von Leitungsbefugnissen, nicht nur Gehilfen bei ihrer Ausübung sein. Die evangelischen Kirchen sind eben nicht kraft göttlichen Rechts hierarchisch strukturierte Gemeinschaften, in denen die Leitung der Kirche Klerikern, insbesondere Bischöfen, vorbehalten wäre. Wem in der Kirche rechtliche Leitungsbefugnisse zugewiesen werden, ist eine an der Erfüllung der Aufgabe der Kirche zu orientierende, menschlicher Gestaltungsmacht obliegende Ordnungsaufgabe.

5

Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche (BSLK), 11. Aufl., Göttingen 1992, S. 120. 6 Zum lutherischen Verständnis der Kirchenleitung Heinrich de Wall, Kirchengewalt und Kirchenleitung nach lutherischem Verständnis, in: ZevKR 47 (2002), S. 149 – 162; Christoph Link, Kirchenregiment, in: Evangelisches Kirchenlexikon, 3. Aufl., Göttingen 1989, Sp. 1176 – 1181; Martin Honecker, Kirchenrecht II, TRE 18, Berlin 1989, S. 740 f.; Axel Frhr. v. Campenhausen, Kirchenleitung, in: ZevKR 29 (1984), S. 11 – 34, jetzt in: Gesammelte Schriften, 1995, S. 27 – 49. S. ferner Herbert Wehrhahn, Kirchenrecht und Kirchengewalt, Tübingen 1956.

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Das Amt verleiht seinem Träger auch keine besondere Qualität gegenüber dem „einfachen“ Kirchenmitglied. Es wird vielmehr zum einen funktional verstanden – das Amt bezeichnet die Aufgabe der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung sowie die dazu gehörige „Schlüsselgewalt“. Zum anderen ist es ein Amt der gesamten Kirche. Es geht nicht etwa mit der Weihe auf einen bestimmten Amtsträger über – das Weihesakrament ist dem Protestantismus unbekannt –, auch wenn bisweilen von der „consecration“ eines evangelischen Bischofs zu lesen ist.7 Auch die Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien als unterschiedliche Stände innerhalb der Kirche ist dem Protestantismus fremd. Wenn auch in evangelischen Kirchen bisweilen von „Laien“ gesprochen wird, sind damit Nicht-Theologen oder in einem engeren Sinne Nicht-Pfarrer gemeint. Eine ontologische Differenz zwischen beiden Ständen oder eine Mittlerfunktion der Kleriker bei der Erlangung des Heils kennt der Protestantismus nicht.8 Die Abwesenheit der Hierarchie und der Differenz zwischen Klerus und Laien sowie das unterschiedliche Verständnis der Kirchengewalt, der potestas ecclesiastica, verdeutlichen auch, daß der Begriff der Kirche bei den Protestanten ein ganz anderer ist als bei der römisch-katholischen Kirche. Während die Kirche nach römisch-katholischem Verständnis notwendig communio hierarchica ist, reicht es nach CA 7 zur wahren Einheit der Kirche aus, daß das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Nach dem bisher Ausgeführten scheint nun in der Kirche nach lutherischem Verständnis für kirchliche Autoritäten kein Platz zu sein. Das ist aber nicht nur dem äußeren Anschein nach falsch, wonach natürlich auch in den evangelischen Kirche herausgehobene Amtsträger, insbesondere auch Pfarrer, eine auch in religiösen Fragen in der Öffentlichkeit hervorgehobene Rolle spielen. Auch theologisch wird das „Amt“ (ministerium) nicht in einem allgemeinen Sinn des Priestertums aller Gläubigen verstanden, sondern als Aufgabe besonderer Amtsträger. Nach CA 14 nämlich soll „niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente reichen … ohne ordnungsgemäße Berufung“ (nisi rite vocatus). Dies ist der Ausgangspunkt und die Legitimation des besonderen Predigtamtes des Pfarrers. Zwar sind Sakramentsverwaltung und Wortverkündigung das Amt der gesamten Kirche. Zur öffentlichen Predigt in 7

Vgl. Gerhard Müller, Das Bischofsamt – historische und theologische Aspekte, in: ZevKR 40 (1995), S. 257. 8

Bei der Bestimmung der Rolle der Laien und ihres Verhältnisses zum Klerikerstand ist das römisch-katholische Verständnis freilich in einem deutlichen Wandel begriffen. Daß im obigen Absatz daher die Wendung „anders als die römisch-katholische Kirche“ nicht verwandt wird, soll verdeutlichen, daß dieser Wandel nicht verkannt und die – ebenfalls nur grob wiedergegebene – lutherische (Gegen-)Position nicht in gleicher Weise im Gegensatz zur heutigen römisch-katholischen Lehre steht, wie das historisch der Fall war.

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(und für) die Kirche und zur Verwaltung der Sakramente bedarf es aber der besonderen Berufung. Dies kann gerade mit dem Priestertum aller Gläubigen begründet werden. So schreibt Luther in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ (1520, WA 6, 405 ff.): „Denn weil wir alle gleich(mäßig) Priester sind, darf sich niemand selbst hervortun und sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, wozu wir alle gleiche Gewalt haben. Denn was allgemein ist, kann niemand ohne der Gemeinde Willen und Befehl an sich nehmen.“9 III. Die Stellung des Pfarrers in der Gemeinde Das verfassungsrechtliche Verhältnis des Pfarrers als Inhaber des öffentlichen Predigtamtes zur Gemeinde ist in den lutherischen Kirchen traditionell von einer gewissen Gegenüberstellung geprägt. Das wird an den Regelungen über die Besetzung von Pfarrstellen besonders deutlich. Während in der reformierten Tradition der Pfarrer durch die Gemeinde gewählt wird und damit gewissermaßen als ihr Funktionär erscheint, gibt es in den lutherischen Kirchen in Deutschland typischerweise ein alternierendes Stellenbesetzungsrecht, so daß einmal die Gemeinde den Pfarrer wählen kann, das andere Mal die Pfarrstelle durch ein Leitungsorgan der jeweiligen Landeskirche besetzt wird (z.B. Art. 26 Abs. 3 der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern).10 In der Gemeinde übt der Pfarrer das Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung aus (§ 31 PfarrerG VELKD). In seiner Lehre ist er dabei, in noch zu erläuternden Grenzen, frei. Ihm gebührt auch das Kanzelrecht, d.h. das Recht darüber zu bestimmen, wer Amtshandlungen in der Gemeinde vornehmen darf und von wem Amtshandlungen an Gemeindegliedern vorgenommen werden dürfen.11 Der Pfarrer ist allerdings nicht der allein für die Wortverkündigung Verantwortliche. Vielmehr besteht dafür auch eine Mitverantwortung der Gemeinde, die damit mehr ist als bloße Empfängerin des Wortes oder „Resonanzboden“ des Predigtamtes. Wahrgenommen wird diese Verantwortung vor allem durch das Vertretungsgremium der Gemeinde, den Kirchenvorstand (bzw. Kirchengemeinderat o. ä.). Diese Mitverantwortung äußert sich nicht nur in dem Recht der Beteiligung bei der Auswahl des Pfarrers, sondern auch darin, daß der Kirchenvorstand z.B. über die Gestaltung der Gottesdienste und liturgischen Handlungen sowie über die Einführung neuer Gottesdienste zu beschließen hat und über Maßnahmen zur Sicherung und Förderung der kirchlichen Unterwei-

9

Zitiert nach: Luther Deutsch – Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hrsg. v. Kurt Aland, Bd. 2, Stuttgart 1962, S. 161. 10

Auch in diesem Fall werden freilich die Gemeinden beteiligt.

11

Peter v. Tiling, Das Kanzelrecht, in: ZevKR 40 (1995), S. 418.

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sung entscheidet. Er hat ferner dabei mitzuwirken, daß die rechte Lehre gewahrt, die kirchliche Ordnung und christliche Sitte erhalten und das kirchliche Leben nachhaltig gefördert wird (so etwa § 21 Nrn. 1, 2 und 4 der Kirchengemeindeordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern). Über das Predigtamt hinaus werden dem Pfarrer durch die Kirchenverfassungen und Kirchengemeindeordnungen zahlreiche Aufgaben der rechtlichen oder äußeren Gemeindeleitung eingeräumt. Dabei ist seine Stellung in den einzelnen lutherischen Kirchen in den Einzelheiten unterschiedlich ausgestaltet. Der Pfarrer ist üblicherweise mit der Geschäftsführung des Pfarramtes betraut, ist Mitglied des Kirchenvorstandes und kann meist auch dessen Vorsitzender sein. Als Mitglied des Kirchenvorstandes hat er teil an dessen Aufgaben, zu denen die Finanz-, Personal- und Liegenschaftsverwaltung in der Gemeinde gehört. Das spannungsvolle Verhältnis von Amt und Gemeinde darf nicht überdekken, daß beide, der Pfarrer als Träger des öffentlichen Predigtamtes und die Gemeinde, gemeinsam an der Aufgabe der Kirche teilhaben, das Wort zu verkündigen. Insofern handelt es sich um ein Verhältnis, das von einem Zusammenwirken in je spezifischen Funktionen geprägt ist, bei denen der Gemeinde weit mehr als eine bloß passive Rolle zukommt. In diesem Sinne ist die besondere „Verantwortung der Pfarrer für die Einheit der Gemeinde und der Kirche in Lehre und Leben“ zu verstehen, die Art. 16 der Verfassung der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern den Pfarrerinnen und Pfarrern zuschreibt. Der spezifische Dualismus dieser Größen des kirchlichen Lebens, Amt und Gemeinde, bildet sich in vielfältiger Weise auch auf den übergeordneten Ebenen der Kirchenverfassung ab, bei den Kirchenkreisen und auf der Ebene der Landeskirchen selbst. Auf allen Ebenen gibt es Synoden als Vertretungskörperschaften mit hervorgehobenen Funktionen, in denen sowohl Pfarrer als auch „Laien“ vertreten sein müssen. So repräsentieren die Synoden zum einen die Gemeinden in ihren Bestandteilen: die Pfarrer als Träger des Predigtamtes einerseits und die „Laien“ andererseits. Zum anderen stehen sie auf der Ebene der Landeskirche in gewisser Weise auch dem Bischof als Träger des Amtes der Einheit der Landeskirche gegenüber, der nach evangelischem Verständnis ein Pfarrer ist. Die spezielle Rechtsstellung des Bischofs in den lutherischen Kirchen ist unten noch näher zu beleuchten (E.). IV. Die persönliche Rechtsstellung des Pfarrers in der Kirche 1. Voraussetzungen für die Berufung in das Pfarramt Besondere persönliche Voraussetzungen für die Berufung in das Pfarramt sind natürlich die Konfessionszugehörigkeit, die persönliche Eignung und die innere Berufung des Kandidaten für das Amt der Wortverkündigung. Dagegen

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spielt in den deutschen evangelischen Landeskirchen, anders als in anderen protestantischen Kirchen, das Geschlecht keine Rolle. Das Amt des Pfarrers wie auch des Bischofs steht Männern und Frauen offen. Diese Einsicht ist allerdings noch relativ jung und erst seit etwa 30 Jahren protestantisches Allgemeingut in Deutschland. Das Predigtamt und die starke Betonung der Heiligen Schrift im Protestantismus setzt eine gründliche theologische Vorbildung der Anwärter auf das Pfarramt voraus.12 Diese durchlaufen ein Studium der evangelischen Theologie von etwa 5 Jahren. Das bedeutet natürlich auch, daß in der Regel zur persönlichen Eignung des Kandidaten die allgemeine Hochschulreife gehört. Vor dem eigentlichen Studium steht auch noch – soweit erforderlich – eine Grundausbildung in den für die Theologie erforderlichen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein. Das anspruchsvolle Studium, das in der Regel an der evangelischtheologischen Fakultät einer staatlichen Universität oder auch an einer kirchlichen Hochschule absolviert wird, endet mit einem kirchlichen Examen. Daran schließt sich dann als zweiter Ausbildungsabschnitt ein als „Vikariat“ bezeichneter Vorbereitungsdienst an, in dem dem Anwärter insbesondere die erforderlichen praktischen Kenntnisse des Pfarramtes, und zwar sowohl in praktischtheologischer Hinsicht (Gottesdienst, Seelsorge, Gemeindearbeit) als auch im Bezug auf die rechtlichen Leitungsfunktionen vermittelt werden sollen. Auch dieser Ausbildungsabschnitt endet mit einem kirchlichen Examen, an das sich wiederum eine Probezeit im Pfarramt anschließt, bevor der Betreffende endgültig und auf Lebenszeit in ein Pfarramt berufen werden kann. 2. Die Bedeutung der Ordination Die persönliche Rechtsstellung des Pfarrers ist durch zwei unterschiedliche Aspekte geprägt: Zum einen durch die Ordination, mit der er den Auftrag, aber zugleich auch das Recht zur öffentlichen Wortverkündigung und zur Sakramentsverwaltung im Sinne von CA 14 erhält.13 Damit ist der Pfarrer „rite vocatus“.14 Zum anderen wird er in ein besonderes Dienstverhältnis berufen, das in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland aufgrund der besonderen Stellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts als öffent-

12

Hans Martin Müller, Werden und Wandel evangelischer Pfarrerausbildung, in: ZevKR 39 (1994), S. 19 ff. 13

Zur Bedeutung der Ordination siehe die oben in Anmerkung 1 Genannten. Ferner Albert Stein, Ordination, in: Gerhard Rau / Hans Richard Reuter / Klaus Schlaich, Das Recht der Kirche, Bd. 3, Gütersloh 1994, S. 73 ff. 14

Die Ordination soll baldmöglichst nach der Aufnahme in das Verhältnis als Pfarrer auf Probe erfolgen.

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lichrechtliches Dienstverhältnis ausgestaltet ist, das dem staatlichen Beamtenverhältnis durchaus ähnelt und ihm auch z. T. nachgebildet ist.15 Nach dem geltenden Kirchenrecht soll die Ordination nur erfolgen, wenn die Begründung eines Pfarrerdienstverhältnisses beabsichtigt ist.16 Daß es hier „soll“ heißt, verweist aber darauf, daß beides nicht das Gleiche ist. Es kommt vor, daß eine Ordination ohne die Begründung eines Pfarrerdienstverhältnisses erfolgt.17 Die Ordination ist ein in erster Linie geistlicher Akt. Mit ihm wird der betreffende allgemein in das Predigtamt berufen. Sie ist ein einmaliger Akt und wird bei späteren Veränderungen des Amtes, wenn etwa ein Pfarrer eine andere Pfarrstelle übernimmt, in das Amt des Bischofs eingeführt wird oder nach dem Ruhen eines Amtes erneut „aktiviert“ wird, nicht wiederholt. Dies kann zu dem Mißverständnis von einem „character indelebilis“ der Ordination Anlaß geben. Das ist nicht der Fall, auch wenn die Praxis der nur einmaligen Ordination durchaus Anfragen an die Ausgestaltung des evangelischen Kirchenrechts in dieser Hinsicht berechtigt erscheinen läßt.18 Es bleibt dabei, daß die Ordination nach evangelischem Kirchenrecht – anders als die Weihe nach römischkatholischem Verständnis – kein Sakrament ist und den Ordinierten nicht in einen besonderen Stand versetzt. Sie enthält lediglich Auftrag und Vollmacht zur öffentlichen Ausübung des Predigtamtes. Durch die Ordination erhält der Betreffende nicht nur Auftrag und Recht zur Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, sondern auch die Pflicht dazu. Damit verbunden sind weitere sich aus der Ordination ergebende Pflichten. Insbesondere gehört dazu die Pflicht, sich sowohl bei der Ausübung des Amtes als auch im privaten Bereich so zu verhalten, wie es die Wahrnehmung und Glaubwürdigkeit des Predigtamtes erfordern. Daraus folgen besondere Anfor-

15 Siehe dazu und zum folgenden allgemein Hartmut Maurer, Die Pflichten des Pfarrers aus Ordination und Dienstverhältnis, Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, Tübingen 1998, S. 46 ff.; Hermann Weber, Die Rechtsstellung des Pfarrers, insbesondere des Gemeindepfarrers, in: ZevKR 28 (1983), S. 1 ff.; Rainer Mainusch, Aktuelle kirchenrechtliche und kirchenpolitische Fragestellungen im Pfarrerdienstrecht, in: ZevKR 47 (2002), S. 1 ff. m. Nachw. 16

Dazu tritt als dritter, von Ordination und Begründung des Dienstverhältnisses rechtlich zu unterscheidender Akt die Übertragung des konkreten Dienstpostens – der Stelle des Pfarrers in der Gemeinde X. 17

Siehe Art. 10 a Pfarrergesetz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands mit den Anwendungsbestimmungen für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. Auch Theologieprofessoren an (staatlichen) theologischen Fakultäten sind häufig ordiniert und können das öffentliche Predigtamt ausüben, Gottesdiensten präsidieren und Sakramente austeilen. 18

Siehe auch Reinhard Leuze, „Amt, Ökumenisch“, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, 4. Aufl., Tübingen 1998, S. 434.

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derungen an das Verhalten des Pfarrers im Dienst und im öffentlichen, insbesondere im politischen Bereich. Sie können aber auch das private Verhalten, etwa in der Ehe des Ordinierten, betreffen.19 Die Pflichten aus der Ordination sind bei den Pfarrern eng mit den Pflichten verbunden, die sich aus seinem Dienstverhältnis zur jeweiligen Landeskirche ergeben, ja die Pflichten aus der Ordination gelten nach evangelischem Kirchenrecht (auch) als Pflichten aus dem Dienstverhältnis. Sie werden daher hier gemeinsam mit diesen näher erläutert. Da zumeist mit der Ordination auch ein Dienstverhältnis begründet wird, spielt dieser Unterschied auch in der Regel keine große Rolle. 3. Die Pflicht des Pfarrers zur Wahrnehmung des Predigtamtes und seine Lehrfreiheit Die wichtigste Pflicht des Pfarrers ist die, sein Amt wahrzunehmen, d.h. öffentlich das Evangelium zu verkünden und die Sakramente zu verwalten.20 So heißt es in § 31 des Pfarrergesetzes der VELKD: „...der Pfarrer ist durch die Ordination verpflichtet, das Evangelium, das in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, in ausschließlichem Gehorsam gegen Gott rein zu lehren.“ Diese Formulierung verdeutlicht zugleich die Bindung des Pfarrers an Schrift und Bekenntnis und die große Unabhängigkeit, die der Pfarrer bei seiner Lehre hat: Er ist es, der das Amt der öffentlichen Wortverkündigung ausübt und er ist dabei – in der ausschließlichen Verantwortung vor Gott – unabhängig von anderen Instanzen – sei es der Gemeinde, der er ja das Wort verkündigen soll und die ihm daher nicht vorschreiben kann, was er zu verkündigen hat, sei es von sonstigen kirchlichen Instanzen, etwa einem Bischof oder der Kirchenleitung. Die evangelische Kirche kennt daher auch kein institutionalisiertes Lehramt21 – auch insofern besteht eine große Differenz zum römisch-katholischen Verständnis. Dies hat erhebliche Bedeutung auch für die Möglichkeit von Sanktionen gegen den Pfarrer wegen Verletzung seiner Pflichten. Das ist noch näher zu erläutern (s.u. 5.). Die Unabhängigkeit des Pfarrers in seiner Lehre wird durch eine ganze Reihe von besonderen Rechten gesichert: So ist er grundsätzlich unversetzbar, d.h. er kann nur in engen Ausnahmefällen gegen seinen Willen auf eine andere Pfarrstelle versetzt werden.22 Damit ist er sowohl gegenüber Einwirkungen seitens der Kirchenleitungen wegen möglicherweise mißliebiger Lehre ge19

Dazu im einzelnen die in Anmerkung 15 Genannten.

20

Maurer, Pflichten (Anm. 15), S. 53 f.

21

Zum Lehramt in der evangelischen Kirche siehe Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Tübingen 1986, S. 127 ff. 22

Peter von Tiling, Die Versetzung von Pfarrern, insbesondere „mangels gedeihlichen Wirkens“, in: ZevKR 43 (1998), S. 55 ff.

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schützt, als auch gegenüber der Gemeinde, der er die Wahrheit predigen kann, auch wenn es für die Gemeinde möglicherweise unangenehm ist. Konsequenzen für seine Stellung und seine persönliche und insbesondere wirtschaftliche Existenz muß er deshalb nicht befürchten. Dabei ist auch zu vergegenwärtigen, daß es in den evangelischen Kirchen ganz erhebliche Meinungsunterschiede bei der theologischen Bewertung unterschiedlicher Fragen gibt. So ist aktuell etwa die Frage der Behandlung von homosexuellen Paaren hochumstritten. Die Unabhängigkeit des Pfarrers ist gerade in solchen Situationen, bei denen es um nicht nur theologisch, sondern auch politisch hochumstrittene Fragen geht, von hohem Wert. Der Pfarrer wird dadurch in die Lage versetzt, allein die Wahrheit des Evangeliums nach seinem Gewissen zu predigen und nicht einer politisch gerade vorherrschenden Richtung zu dienen. 4. Die Sicherung der Rechte und Pflichten des Pfarrers durch das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis Die Unabhängigkeit des Pfarrers wird darüber hinaus auch durch die Eigenart des Dienstverhältnisses geschützt, in das er berufen wird. Dieses öffentlichrechtliche Dienstverhältnis teilt die wichtigsten Merkmale des staatlichen Beamtenverhältnisses.23 So ist es ein lebenslanges Dienst- und Treueverhältnis. Der Pfarrer ist daher unkündbar. Die Unabhängigkeit des Pfarrers wird auch durch sein Recht auf Alimentation gesichert, das ebenfalls der Ausgestaltung des staatlichen Beamtenverhältnisses ähnelt. Er und seine Familie erhalten einen amtsgemäßen Unterhalt in Form eines monatlichen Gehalts, das ungefähr der Besoldung eines Akademikers in der staatlichen Verwaltung entspricht. Damit wird der Pfarrer in die Lage versetzt, in wirtschaftlich gesicherter Position und Unabhängigkeit seinen Amtspflichten nachzukommen. Er braucht sich bei der Erfüllung seines Amtes auch nicht darum zu kümmern, besonders wichtigen Geldgebern zu gefallen etc. Freilich birgt diese Unabhängigkeit auch die Gefahr, daß der Pfarrer sich um die Attraktivität seiner Predigt, ihre Verständlichkeit bei seiner Gemeinde, kurz: um die Rezipientenperspektive zu wenig kümmert. Die Freiheit und Unabhängigkeit des Pfarrers ist aber natürlich nicht unbegrenzt.24 Eine Begrenzung ergibt sich aus der bereits erwähnten Bindung des Pfarrers an Schrift und Bekenntnis. Darüber wird noch zu reden sein. Seine Unabhängigkeit betrifft den Inhalt seiner Lehre und Predigt, nicht aber deren 23

Zur staatskirchenrechtlichen Problematik einer „Bindung“ an das staatliche Beamtenrecht Heinrich de Wall, Der „Typenzwang“ im kirchlichen Dienstrecht und die Teildienstverhältnisse bei Pfarrern, in: ZevKR 49 (2004), Heft 1 (= Festheft für Axel Frhr. v. Campenhausen), S. 369 ff. 24

Dazu insbesondere Maurer, Pflichten (Anm. 15), S. 46 ff.

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Äußerlichkeiten und Form. So ist auch der Pfarrer an die Agende gebunden und kann nicht sozusagen Privatformen des Gottesdienstes entwickeln. Hier kann die Abgrenzung freilich schwierig sein. Auch bezieht sich die Unabhängigkeit des Pfarrers nur auf das Predigtamt, nicht auf sonstige Bereiche des Lebens und Wirkens des Pfarrers. So kann etwa seine politische Betätigung – gerade im Interesse des Predigtamtes – eingeschränkt werden. Die Unabhängigkeit der Lehre bezieht sich überdies auch nicht auf diejenigen seiner Dienstpflichten, die dem Pfarrer neben dem Predigtamt und darüber hinaus übertragen werden. Bei der pfarramtlichen Geschäftsführung, der Verwaltung der Personal- und Vermögensangelegenheiten der Gemeinde, bei den Kirchenbüchern etc. steht ihm die Lehrfreiheit nicht zu und ist sein Dienst Gegenstand vielfältiger rechtlicher Regelungen und Pflichten. Solche Pflichten betreffen seine Amtsführung, sein Verhalten gegenüber der Gemeinde, gegenüber den anderen Pfarrern und gegenüber der Kirchenleitung, sein Verhalten in der Öffentlichkeit und auch im privaten Leben. Unter den auf die Amtsführung bezogenen Pflichten finden sich solche, die ausschließlich auf verwaltungstechnische Aufgaben bezogen sind, aber auch solche, die das Verhältnis zu anderen oder die persönliche Rechtsstellung des Pfarrers berühren. So gehört etwa die Wahrung des Beichtgeheimnisses und der seelsorgerlichen Verschwiegenheit zu den Amtspflichten des Pfarrers (§ 41 PfarrerG VELKD). Sie sind auch durch die staatlichen Prozeßordnungen geschützt, nach denen Geistlichen vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht über solche Tatsachen zusteht, die sie in ihrer Eigenschaft als Seelsorger erfahren haben.25 Die Pfarrer unterliegen einer Residenz- und Präsenzpflicht. Sie müssen innerhalb ihrer Gemeinde nicht nur ihren Wohnsitz nehmen, häufig in einer Dienstwohnung im Pfarrhaus, sondern grundsätzlich auch dauernd anwesend sein, wenn sie nicht beurlaubt oder sonst vom Dienst befreit sind. Damit wird sichergestellt, daß die Pfarrer mit den Gegebenheiten der Gemeinde vertraut sind und ständig vor Ort der Seelsorge nachkommen können. In der Vergangenheit ist die Pflicht der Pfarrer zu politischer Mäßigung immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen gewesen.26 Grundsätzlich ist das staatsbürgerliche Recht des Pfarrers zur politischen Betätigung anerkannt. Allerdings muß er sich dabei Mäßigung auferlegen: Er dient allen Gemeindegliedern ungeachtet ihrer politischen Anschauungen. Daher soll bei ihm 25

Zu Tendenzen, diesen Schutz abzuschwächen, Henning Radtke, Beichtgeheimnis und Zeugnisverweigerung, in: ZevKR 48 (2003), S. 385 ff. 26

Dazu Hartmut Maurer, Freiheit und Bindung kirchlicher Amtsträger, Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, 1998, S. 3 ff.; zur Problematik im katholischen Kirchenrecht s. Joseph Listl, Die „Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester“ vom 27. September 1973 (1975), in: ders., Schriften (Anm. 3), 2. Halbbd., S. 600 ff.

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nicht der Eindruck übergroßer Parteilichkeit entstehen, die seine Seelsorge beeinträchtigt. Dabei kann freilich auch von den Gemeindegliedern Toleranz gegenüber dem Pfarrer erwartet werden. Die politische Tätigkeit des Pfarrers darf nicht in Widerspruch zu seinem Dienst am Wort geraten. Die Betätigung in betont atheistischen Parteien ist daher ausgeschlossen. Ebenfalls immer wieder Anlaß von Problemen sind die Pflichten des Pfarrers im Bezug auf seine private Lebensführung, insbesondere im Bezug auf seine Ehe.27 Bekanntlich kennen die protestantischen Kirchen keinen Zölibat. Pfarrer können (und sollen) verheiratet sein. Es gilt dabei nach wie vor das Leitbild der christlichen Ehe.28 Damit sie dieses Leitbild glaubhaft vermitteln können, bildet ein entsprechendes Verhalten auch eine Dienstpflicht der Pfarrer. Ehebrecherische Beziehungen etwa stellen daher auch Dienstpflichtverletzungen dar. Große Diskussionen werden in letzter Zeit über die Frage geführt, ob homosexuelle Beziehungen bzw. Partnerschaften von Pfarrern geduldet werden können.29 In den evangelischen Kirchen wird dabei die allgemeine gesellschaftliche und politische Diskussion mit- und nachvollzogen, ohne daß dabei die Eigenständigkeit der Kirche, ihre Bindung an das Evangelium, ihr Auftrag, dieses zu verkünden und nicht Forum der politisch-gesellschaftlichen Diskussion zu sein, hinreichend deutlich wird. Nach evangelischem Verständnis ist die Ehe kein Sakrament, sondern „weltlich Ding“. Die Möglichkeit menschlichen Scheiterns muß einbezogen werden. Daher ist ausnahmsweise eine Ehescheidung möglich. Freilich ist die Ehe auch im Protestantismus eine lebenslange, grundsätzlich unauflösbare Beziehung. Daher stellt auch die Ehescheidung grundsätzlich einen Vorgang dar, der für das Dienstverhältnis des Pfarrers relevant ist.30 Die Pfarrergesetze ordnen daher Anzeigepflichten über eine beabsichtigte Ehescheidung an. Wenn die Ehe gleichwohl geschieden wird, besteht die Möglichkeit der Versetzung 27

Paul Koller, Lebensführung und Pfarrerdienstrecht aus der Sicht eines Theologen, und Roland Tompert, Lebensführung und Pfarrerdienstrecht aus der Sicht eines Juristen, beide in: Rau /Reuter / Schlaich, (Anm. 13), S. 153 ff. und 169 ff.; Hartmut Maurer, Bestehen für die Lebensführung von Pfarrern und Kirchenbeamten besondere rechtliche Anforderungen?, Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, 1998, S. 75 ff.; Rainer Mainusch, Aktuelle kirchenrechtliche und kirchenpolitische Fragestellungen im Pfarrerdienstrecht, in: ZevKR 47 (2002), S. 12 ff. 28

Dazu Kirchenleitung der VELKD, Die Ehe als Leitbild christlicher Orientierung, in: ZevKR 42 (1997), S. 183 ff.; Hans Martin Müller, Theologische Bemerkungen zum christlichen Eheverständnis, in: ZevKR 47 (2002), S. 530 ff.; Gerhard Robbers, Ehe und Familie in evangelischer Sicht, in: Essener Gespräche 35 (2001), S. 81 ff. 29 30

Dazu Mainusch, Fragestellungen im Pfarrerdienstrecht (Anm. 27); S. 35 ff.

Hartmut Maurer, Die Pflichten des Pfarrers aus Ordination und Dienstverhältnis, Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, 1998, S. 67 ff.

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des Pfarrers etc.31 Allerdings ist die Ehescheidung, anders als in älterer Zeit, nicht per se eine Verletzung einer Dienstpflicht, sondern nur, wenn sie auf einem Verhalten des Pfarrers beruht, das seinerseits eine Dienstpflichtverletzung ist. Dessen ungeachtet ist nicht nur die Vorbildfunktion des Pfarrers und das Leitbild der christlichen Ehe zu berücksichtigen. Vielmehr ist der Ehepartner des Pfarrers regelmäßig in besonderer Weise in das Leben der Gemeinde eingebunden, so daß im Fall der Auseinandersetzungen zwischen Pfarrer und Ehegatten immer auch die Gefahr der Rückwirkung auf das Gemeindeleben gegeben ist. Dienstrechtliche Maßnahmen aus Anlaß einer Ehescheidung dienen auch dazu, solche Rückwirkungen zu verhindern. Sie sind daher nicht in erster Linie als Sanktion gegenüber dem Pfarrer zu verstehen. 5. Disziplinarrecht, Disziplinarverfahren und Lehrbeanstandung Verletzungen der Dienstpflichten des Pfarrers werden in einem besonderen Verfahren geahndet, dem Disziplinarverfahren, das wiederum – mit kirchlichen Besonderheiten – z.T. dem Disziplinarverfahren des staatlichen Beamtenrechts ähnelt und diesem nachempfunden ist. Dabei wird in einem rechtsstaatlich ausgestalteten Verfahren durch Kirchenbehörden und -gerichte festgestellt, ob eine Verletzung der Dienstpflichten vorliegt. Daraus werden dann entsprechende Konsequenzen gezogen, die von einem Verweis über Besoldungskürzungen bis zur (seltenen) Entfernung aus dem Dienst führen können.32 Vom Disziplinarverfahren zu unterscheiden ist das Lehrbeanstandungsverfahren, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts in den evangelischen Kirchen eingeführt wurde.33 Da in den evangelischen Kirchen grundsätzliche Lehrfreiheit der Pfarrer besteht und da der Inhalt der Lehre ein Frage des theologischen Gewissens ist, können Abweichungen der Lehre eines Pfarrers von der im Protestantismus ansonsten üblichen und konsentierten theologischen Auffassung nicht einfach als Dienstpflichtverletzung geahndet werden. Der Glaube kennt 31

Dazu Peter v. Tiling, Ehescheidung als Versetzungsgrund, in: ZevKR 47 (2002), S. 706. 32 Dazu Wolfgang Strietzel, Das Disziplinarrecht der deutschen evangelischen Landeskirchen und ihrer Zusammenschlüsse, Tübingen 1988; Gerhard Tröger, Überlegungen zu einigen Problemen im kirchlichen Disziplinarrecht, insbesondere im Disziplinargesetz der VELKD, in: ZevKR 49 (2004), Heft 1 (= Festheft für Axel Frhr. v. Campenhausen), S. 221 ff. 33

Dazu Wolfgang Strietzel (Anm. 32), S. 208 ff. mit Nachweisen; Albert Stein, Probleme evangelischer Lehrbeanstandung, 1967; Wilfried Härle / Heinrich Leipold (Hrsg.), Lehrfreiheit und Lehrbeanstandung, 2 voll., 1985; Wolfgang Huber, Lehrbeanstandung in der Kirche der Lehrfreiheit, in: Rau /Reuter / Schlaich, (Anm. 13), 118 ff., Gerhard Robbers, Lehrfreiheit und Lehrbeanstandung, ebd., S. 138 ff.

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keinen Zwang; daher kann es „credenda“ oder „docenda“ in dem Sinne, daß der Gläubige oder Pfarrer zur Übernahme bestimmter Glaubenssätze rechtlich verpflichtet wäre, nicht geben. Die evangelischen Kirchen kennen auch kein institutionalisiertes Lehramt, das „ex cathedra“ über die Richtigkeit von Glaubenssätzen entscheiden könnte. Allerdings kann man nicht sagen, daß es in der evangelischen Kirche überhaupt kein Lehramt gäbe.34 Zum Amt gehört es gerade auch, „Lehre zu (be)urteilen und die Lehre, die gegen das Evangelium ist, zu verwerfen“, wie es zum Amt der Bischöfe in der Confessio Augustana in CA 28 heißt. Allerdings ist das Mittel dazu lediglich das Wort – nicht aber menschliche Gewalt, d.h. aber auch nicht (disziplinar)rechtliche Maßnahmen. Was wahre Lehre der Kirche ist, wird nach evangelischem Verständnis nicht einseitig festgelegt. Vielmehr ist es das gemeinsame Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums, also das Bekenntnis, was die Einheit der Kirche ausmacht. (CA 7, s. o.). Was insofern „wahre“ Lehre ist, ist Gegenstand des Konsenses der Kirche. Hier ist dann der Ansatzpunkt, wie die oben erwähnte Bindung der Pfarrer an Schrift und Bekenntnis begründet und auch praktisch umgesetzt werden kann. Wer den – sehr weit gefaßten – Konsens der evangelischen Kirche über die Wahrheit des Evangeliums verläßt, der begeht zwar kein Disziplinarvergehen wie derjenige, der etwa zu eigenen Gunsten „in die Pfarrkasse greift.“ Er kann aber auch nicht im Namen und für die Kirche das öffentliche Predigtamt ausüben, dessen Inhalt ja darin besteht, die Wahrheit des Evangeliums nach dem gemeinsamen Zeugnis der Kirche zu verbreiten. Wer also diesen Konsens verläßt und insofern Schrift und Bekenntnis preisgibt, den trifft zwar kein Schuldvorwurf. Er ist aber gleichwohl nicht mehr geeignet, das öffentliche Predigtamt für die Kirche wahrzunehmen. Dadurch wird die Gemeinde vor falscher Verkündigung und Lehre geschützt. Um festzustellen, ob der Pfarrer die Wahrheit des Evangeliums preisgegeben hat, ist nun auch die Form eines juristischen Disziplinarverfahrens völlig unangebracht. Hier muß vielmehr ein theologisches Lehrgespräch durchgeführt werden, um entscheiden zu können, ob der Konsens in den Grundwahrheiten des Evangeliums noch besteht. Ist dies nicht der Fall, verliert der Pfarrer seine Rechte aus der Ordination und scheidet aus seinem Dienstverhältnis aus. Dazu ist in den evangelischen Kirchen ein besonderes Verfahren, das Lehrbeanstandungsverfahren mit besonderen Spruchkörpern unter maßgeblich theologischer Leitung, eingerichtet worden. Unter anderem wegen der weiten Grenzen des evangelischen Bekenntnisses ist dieses Verfahren freilich extrem selten. Beispiele sind aber ein Fall, in denen ein Pfarrer Gott als mathematische Formel hat fassen wollen, oder ein anderer Fall, in dem ein Pfarrer das Papstamt auch für die evangelischen Kirchen für verbindlich eingestuft hat. Aus dem Gesagten sollte sich aber hinreichend deutlich 34

Dazu Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten (Anm. 21), S. 127 ff.

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ergeben haben, daß das Papstamt des römischen Katholizismus mit lutherischem Grundverständnis unvereinbar ist. V. Das Amt des Bischofs nach lutherischem Verständnis Nach dem bisher Ausgeführten ist das Amt des Pfarrers in den lutherischen Kirchen zentral. Welche Rolle spielt aber das Amt des Bischofs35, das die lutherischen Kirchen in Deutschland durchweg eingeführt haben?36 Im Gegensatz zum hierarchischen Verständnis des Bischofsamtes im römischen Katholizismus, wonach allein dem Bischof die Fülle des Weihesakraments zukommt, auf der kraft göttlichen Rechts seine Leitungsgewalt beruht, betont die Reformation ja die Einheit des ministerium verbi: Der Bischof ist danach mit dem gleichen geistlichen Amt ausgestattet wie jeder Pfarrer, nämlich „das Evangelium predigen, Sünde vergeben, Lehre urteilen und die Lehre, so dem Evangelio entgegen, verwerfen und die Gottlosen, dero gottlos Wesen offenbar ist, aus christlicher Gemein ausschließen, ohn menschlichen Gewalt

35 Zum Amt des Bischofs nach evangelischem Verständnis Ivar Asheim / Victor Gold, Kirchenpräsident oder Bischof?, Göttingen 1968; Thomas Barth, Elemente und Typen landeskirchlicher Leitung, Tübingen 1995; Ernst Benz, Bischofsamt und apostolische Sukzession im dt. Protestantismus, Stuttgart 1953; Axel Frhr. v. Campenhausen, Entstehung und Funktion des bischöflichen Amtes in den evangelischen Kirchen in Deutschland, in: ÖAKR 26 (1975), S. 3 ff. = Ges. Schriften, 1996, S. 8 ff.; Hans Liermann, Das evangelische Bischofsamt in Deutschland seit 1933, in: ZevKR 3 (1954), S. 1 ff.; Wilhelm Maurer, das synodale evangelische Bischofsamt, Die Kirche und ihr Recht, Tübingen 1976, S. 388 ff.; Gerhard Müller, Das Bischofsamt – historische und theologische Aspekte, in: ZevKR 40 (1995), S. 257 ff.; Walter Stählin u.a., Das Amt der Einheit, Stuttgart 1964; Irmtraut Tempel, Bischofsamt und Kirchenleitung, München 1966; Gerhard Tröger, Das Bischofsamt in der ev.-luth. Kirche, München 1965; ders., Art. „Bischof III“ und „Bischof IV“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, Berlin 1980, 690 ff.; Dorothea Wendebourg, das Amt und die Ämter, in: ZevKR 45 (2000), S. 5 ff. (17 ff.) m. Nachw. zu neuerer theologischer Literatur. 36 Dagegen ist in den reformierten und den stärker reformiert geprägten unierten Kirchenverfassungen Deutschlands ein eigenständiges Bischofsamt unbekannt. Das geht darauf zurück, daß in der Ämterlehre Calvins das Bischofsamt nicht vorkommt. Die Kirchenleitung wird vielmehr auf Gemeindeebene durch das consistoire ausgeübt, das aus pastores (Pfarrer) und seniores (Kirchenältesten) gebildet wird. Auf übergemeindlicher Ebene wurden in den reformierten Kirchenverfassungen entsprechend zusammengesetzte Synoden als alleinige Kirchenleitungsorgane eingesetzt. Leitende Geistliche in den reformiert geprägten Kirchenverfassungen üben ihr Amt daher gleichsam als Funktionäre der Synoden aus. Allerdings haben auch reformierte Kirchen das Amt des Bischofs eingeführt, wenn es – etwa in einer Diasporasituation – angezeigt erschien (Polen, Ungarn).

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allein durch Gottes Wort.“ (CA 28). Dadurch ist allerdings die Einrichtung eines Amtes der Einheit nicht ausgeschlossen. Ein Pfarrer kann mit einem solchen Amt mit besonderen Befugnissen, insbesondere der Visitation der Gemeinden und der Ordination, den typischen bischöflichen Aufgaben, ausgestattet werden. Ein solches Amt beruht aber auf menschlichem Recht. Aus Zweckmäßigkeitsgründen können ihm auch andere Aufgaben der rechtlichen Kirchenleitung übertragen werden. Auch dies ist aber nicht iure divino vorgegeben. Der Bischof ist ein Pfarrer mit erweitertem Amtsbezirk und besonderen, ihm kraft menschlichen Kirchenrechts zugewiesenen Aufgaben. Keinesfalls kommen dem Bischof aber jure divino besondere, über Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung hinausgehende Leitungsbefugnisse zu. Ebensowenig darf die geistliche Leitung „sine vi, sed verbo" mit solchen zusätzlichen Befugnissen oder gar mit weltlicher Gewalt sachlich vermengt werden.37 Die kirchenverfassungsrechtliche Stellung der heutigen evangelischen Bischöfe in Deutschland ist demgemäß – zum einen – geprägt von ihrer Eigenschaft als Träger des geistlichen Amtes. Sie sind Pfarrer, deren Seelsorgebezirk die gesamte Landeskirche ist. Dies kommt vor allem in ihrem Recht zum Ausdruck, in jeder Kirche zu predigen und sich mit Verlautbarungen an die Kirchenglieder zu wenden, in ihrer Verantwortung für die Lehre und in ihrer Aufgabe, das Gespräch mit den Gemeinden und insbesondere, als Pastores Pastorum, mit den Pfarrern zu führen. Als spezifisch bischöfliche Funktionen haben sie – zum anderen – die Rechte der Visitation und der Ordination. Darüber hinaus obliegt ihnen die Sorge für die Theologenausbildung und die Förderung der Einheit der Gemeinden, kirchlichen Dienste und Werke. Zusätzlich führen die Bischöfe meist den Vorsitz in den kirchlichen Verwaltungs- und Regierungsorganen. Ferner vertreten sie die Kirche in der Öffentlichkeit und im ökumenischen Gespräch. Die Bischöfe besitzen damit eine starke Stellung, die das Gewicht ihres Amtes in der Kirche und der Öffentlichkeit unterstreicht. Wegen ihrer außerordentlichen Aufgabenfülle kennen die meisten Landeskirchen neben dem Bischof eine Mehrzahl von Amtsträgern mit den typischen bischöflichen Aufgaben, allerdings mit einem eingeschränkten Amtsbezirk. Diese werden aber meist nicht als Bischöfe bezeichnet, sondern als General-

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Obwohl Ansätze für ein eigenständiges Bischofsamt in der lutherischen Theologie demgemäß durchaus vorhanden sind, ist es zu dessen Ausbildung in den protestantischen Kirchen bis ins vergangene Jahrhundert nicht gekommen. Grund dafür ist das landesherrliche Kirchenregiment der Territorialherren über die evangelischen Kirchen, das sich im Gefolge der historischen Ereignisse nach der Reformation herausgebildet hat und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts andauerte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat es bis zu dessen Ende 1918 daher evangelische Bischöfe in deutschen Territorien nicht gegeben. Die bischöflichen Aufgaben wurden von Superintendenten erfüllt, die freilich landesherrliche Amtsträger waren.

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oder Landessuperintendenten, Pröpste oder Prälaten. In Bayern führen sie in ihrem Kirchenkreis den Titel „Regionalbischof“. Charakteristisch für die lutherische Prägung des Bischofsamtes ist die Gegenüberstellung des Bischofs als Träger des Amtes der Wortverkündigung einerseits und der Synode als Repräsentantin der Gemeinde andererseits. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß der Bischof zum Teil nicht Mitglied der Synode sein darf, die Synode auflösen kann oder daß er selbst oder das Kirchenleitungsgremium, dem er angehört, ein Vetorecht gegen Beschlüsse der Synode hat. Darüber darf aber nicht vergessen werden, daß die Aufgabe der Kirchenleitung allen kirchenleitenden Organen – neben dem Bischof der Synode und den in den lutherischen Kirchenverfassungen Deutschlands unterschiedlich ausgestalteten Organen der institutionalisierten Kirchenleitung (Kirchenleitung, Kirchenregierung, Oberkirchenrat, Landeskirchenrat, Kirchensenat) – gemeinsam obliegt. Auch wird der Bischof durch die Synode gewählt. Der in den gegenwärtigen evangelischen Kirchenverfassungen herausgebildete Typus des Bischofsamtes wird deshalb als „synodales Bischofsamt“ bezeichnet38 Ein besonderes Thema im Zusammenhang mit dem Verständnis des Bischofsamtes ist die „apostolische Sukzession“.39 Nach evangelischem Verständnis steht im Vordergrund der „apostolischen Sukzession“ die Nachfolge im Glauben. Sie wird nicht durch Amt und Vollmacht der Bischöfe vermittelt.40 Auch eine Verbindung mit dem Papstamt besteht nicht. Dies ist ein weiteres Element des Amtsverständnisses, das die Aussage Joseph Listls bestätigt, dass sich in der Amtsfrage „alle Linien der kirchentrennenden Glaubensaussagen (schneiden)“.41

38 Zu den verschiedenen Ausprägungen des Bischofsamtes s. Gerhard Müller, in: ZevKR 40 (1995), S. 257. 39

Dazu aus der Sicht des evangelischen Kirchenrechts nur Axel Frhr. v. Campenhausen, Evangelisches Bischofsamt und apostolische Sukzession in Deutschland, in: ZevKR 45 (2000), S. 39 ff. 40

Die apostolische Sukzession wird auch nicht durch eine ununterbrochene Kette von Bischofsweihen vermittelt. Auch wenn einige außerdeutsche lutherische Kirchen, insbesondere die schwedische, sich als in einer solchen historischen Sukzession stehend betrachten, ändert das nichts am lutherischen Grundverständnis des bischöflichen Amtes. Die historische Sukzession ist für diese Kirchen lediglich so etwas wie eine schöne Tradition. 41

Joseph Listl, Das Amt in der Kirche (Anm. 3), S. 593.

Probleme der synodalen Organe mit Leitungsgewalt in der Kirche Die Folgen der Untätigkeit der Bischofskonferenz im Bereich der Rechtssetzung Von Péter Erdö I. Die Bedeutung des Problems Seitdem Papst Johannes Paul II. über den Austausch der Gaben zwischen den Kirchen vom westlichen und östlichen Teil unseres Kontinents gesprochen hat, sind viele Auslegungen dieser wechselseitigen Bereicherung verfasst oder praktiziert worden. Die ökonomische Interpretation schien am einfachsten, aber auch am oberflächlichsten zu sein. Dies würde etwa sagen, dass die westlichen Kirchen Osteuropa finanziell unterstützt haben und weiterhin unterstützen, während die osteuropäischen Kirchen den Westen mit ihren spirituellen Werten bereichern sollten. Diese Erwartung ist manchmal sogar instinktiv mit der Idee verbunden, dass die Kirchen des ehemaligen Ostblocks als Spezifikum vor allem die byzantinische Orthodoxie als eigenes Erbe haben. In der Tat war aber am Ende der kommunistischen Zeit die Mehrheit der Christen in diesen Ländern – auch wenn nicht in jedem einzelnen Land – katholisch, sogar dem lateinischen Ritus zugehörig. Es bleibt also in der öffentlichen Meinung der Eindruck, dass die lateinischen Katholiken dieser Länder doch eher das Leiden der Märtyrer und der Bekenner als eigene Mitgift in die geistige Union Europas bringen können. Die kirchliche Kulturgeschichte und Wissenschaftsgeschichte dieser Länder zeigt aber ein anderes Bild. Auch wenn die höheren Studien, besonders im Ausland, nicht immer und nicht in allen kommunistischen Ländern möglich waren, sind in einigen Bereichen doch theoretische und praktische Lösungen ausgearbeitet worden, die in demütigenden und unterdrückten Situationen der Kirche in der Gesellschaft – die in der Zukunft auch im Westen nicht ganz undenkbar sind – von Nutzen sein können. Im kanonischen Recht sind solche Erfahrungen und Reflexionen in verschiedenen Rechtsbereichen möglich. Im Ordensrecht z.B. war ein Paradoxon sehr klar. Einerseits war es notwendig, dass bestimmte Rechtsakte, wie zum Beispiel das Gelübde bewiesen werden, andererseits waren im Kontext der

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Verfolgung eben die Beweise am gefährlichsten. Ähnliche Probleme mussten auch im Vermögensrecht und im Sakramentenrecht gelöst werden. Im Folgenden beschränken wir uns auf einige Fragen der hierarchischen Verfassung der Kirche, besonders der Bischofskonferenzen. Wir hoffen, dass diese Fragestellung auch unserem sehr verehrten Kollegen und Freund, Professor Joseph Listl, nahe steht. Die konkrete Frage ist, was geschehen soll, wenn die im Recht vorgesehenen Kompetenzen der Bischofskonferenz (vor allem im Bereich der Rechtssetzung) nicht ausgeübt werden oder nicht ausgeübt werden können. II. Die Untätigkeit der Bischofskonferenz Eine außerordentliche Wichtigkeit hatte, vor allem in den ostmitteleuropäischen Ländern, bis vor etwa 14 Jahren das Fehlen, beziehungsweise die gänzliche oder teilweise Behinderung der Bischofskonferenzen und somit auch das Fehlen der Normen, die nach dem universalen Kirchenrecht von diesen Konferenzen erlassen werden sollten. Solche Situationen gaben Anlass zu besonderen praktischen Lösungen, aber auch zur kanonistischen Reflexion. In diesen Ländern kam es nicht selten vor, dass die Bischofskonferenz einstimmige Entscheidungen über verschiedene Fragen traf, von denen einige – nach dem CIC – in den eigenen Kompetenzbereich der Bischofskonferenzen gehören. Mangels einer vom Heiligen Stuhl überprüften und von der Bischofskonferenz promulgierten Norm, erschien es notwendig, einige provisorische Regeln einzuführen aufgrund der allgemeinen Kompetenz der einzelnen Bischöfe (vgl. can. 381 § 1). Die Normen, die in der Bischofskonferenz über Materien einstimmig angenommen werden, in denen die einzelnen Bischöfe zuständig sind, brauchen keine Überprüfung des Heiligen Stuhls. Wenn aber auf diese Weise eine Frage geregelt wird, in der sonst – nach dem geltenden Kodex – nur die Bischofskonferenz als solche zuständig wäre, dass heißt eine Frage, die von der Konferenz geregelt werden muss und nicht nur kann, könnte eine so abgestimmte Norm nicht als genügend betrachtet werden, und könnte vor allem keineswegs hindern, dass die einzelnen Bischöfe später diese Regel in ihrer Diözese ändern. Zweifelsohne bleibt die Freiheit der Bischöfe, die Rechtsnorm zu ändern, in allen Fällen unbeschränkt, wo die Bischofskonferenz eine Norm über eine Sache einstimmig annimmt, in der die einzelnen Bischöfe zuständig sind. Es ist wahr, dass die Gesetzgebungsgewalt der Bischöfe beschränkt werden kann, wenn das allgemeine Recht einen gewissen Akt, eine bestimmte Materie der Bischofskonferenz anvertraut. Es ist auch klar, dass die einzelnen Fragen, deren verbindliche Regelung der Kodex der Bischofskonferenz anvertraut, von verschiedener Natur sind. Wenn die Sache, nach ihrer Natur, zum Heiligen Stuhl gehören würde, geht es um eine Konzession. Wenn die Sache aber zum Einzelbischof gehört, geht es um eine Art von „reservatio“

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(Vorbehalt). Meistens jedoch geht es nicht um einen Vorbehalt in vollem Sinne des Wortes, weil die Zuständigkeit zur Regelung der Frage dem einzelnen Diözesanbischof nicht entzogen wird. In bestimmten Fällen erwähnt sogar der Kodex selbst, dass die Regelung der Frage sowohl auf der Ebene des Einzelbischofs als auch auf der Ebene der Bischofskonferenz möglich ist (vgl. can. 535 § 1: „secundum Episcoporum conferentiae aut Episcopi dioecesani praescripta“). Dennoch: wenn in solchen Fragen eine Norm der Bischofskonferenz existiert, die mit der vorgeschriebenen Mehrheit angenommen, vom Heiligen Stuhl überprüft und anschließend promulgiert ist, kann der einzelne Bischof über dieselbe Frage ein anderes Gesetz nicht frei herausgeben (vgl. cann. 135 § 2; 455 § 2) oder kann zumindest keine Norm setzen, die denjenigen der Bischofskonferenz widersprechen (vgl. can. 135 § 2). Wenn aber das Organ, dem die Normsetzung vom Recht anvertraut ist, an dieser Tätigkeit gehindert wird, oder wenn dieses Organ gar nicht existiert, weil es etwa nicht errichtet werden konnte – wie die Bischofskonferenzen in manchen Ländern (etwa in der Tschechoslowakei oder in Rumänien) in der kommunistischen Zeit – scheint die allgemeine Zuständigkeit des Einzelbischofs unberührt zu bleiben, weil er auch nach der Lehre des II. Vatikanums alle ordentliche, eigene und unmittelbare Gewalt (potestas ordinaria, propria et immediata) hat, die für die Ausübung seines pastoralen Amtes notwendig ist (can. 381 § 1; CD 8 a; LG 27 usw.). Wie die individuelle oder kollektive Handlung der Einzelbischöfe die fehlende Norm der Bischofskonferenz ersetzt, kann an verschiedenen Beispielen aus den Mittel- und Osteuropäischen Ländern der kommunistischen Zeit gezeigt werden. In Rumänien hat es, als die Bischofskonferenz noch nicht existierte, eine praktische Schwierigkeit verursacht, dass es – nach dem can. 1126 – eine Aufgabe der Bischofskonferenz war, die Art und Weise zu bestimmen, wie die Äußerungen und Versprechen zu leisten waren, damit eine Mischehe genehmigt wird. In der Diözese (heute Erzdiözese) Alba Julia hat der Bischof die Form dieser Versprechen bestimmt. Diese Lösung scheint völlig legitim gewesen zu sein, weil es im allgemeinen Aufgabe des Diözesanbischofs ist, die Ausführungsnormen der allgemeinen Gesetze näher zu bestimmen. In anderen Fragen war die Lage eben das Gegenteil von dem oben Beschriebenen. In einigen Ländern, wie in der Tschechoslowakei, stellte sich die Frage der Ersetzung des freitaglichen Fleischverbotes durch andere fromme Übungen. Diese andere Übungen oder Gebete zu bestimmen ist ja Aufgabe der Bischofskonferenz, die auch die Abstinenz von einer anderen Speise statt des Fleisches vorschreiben kann (vgl. cann. 1251, 1253). Mangels einer Bischofskonferenz auf dem betroffenen Gebiet musste man die Abstinenz vom Fleisch strikt bewahren, ohne jede Möglichkeit der Ersetzung. In diesem Fall ging es tatsächlich nicht um einer Disziplinarnorm der Bischofskonferenz, die die Ausführung des allgemeinen Gesetzes regeln sollte, sondern um die Möglichkeit, die allgemeine Rechts-

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norm zu ersetzen, das heißt zu ändern, und zwar aufgrund einer ausdrücklichen Erlaubnis des höchsten Gesetzgebers, die durch das Gesetz selbst gewährt worden ist. Eine solche Erlaubnis ist strikt zu interpretieren (vgl. can. 18). So konnten sich die einzelnen Bischöfe nicht bevollmächtigt fühlen, von dieser den Bischofskonferenzen gegebenen Erlaubnis Gebrauch zu machen. Eine besondere Tendenz zeigte sich in einigen Ländern, wo die Bischofskonferenz zwar existierte, aber nicht in der Lage war oder sich nicht in der Lage fühlte, ihre Normen zur im can. 455 § 2 vorgeschriebenen Überprüfung (recognitio) dem Heiligen Stuhl zu unterbreiten. In solchen Fällen, z. B. in Ungarn, in Materien, die mangels einer Norm der Bischofskonferenz auch von dem einzelnen Diözesanbischof geregelt werden konnten, haben die Bischöfe bevorzugt, eine einstimmige Entscheidung zu treffen1. Wenn es dann der Bischofskonferenz gelungen ist, die nach dem CIC von ihr zu erlassenden Normen auszuarbeiten und – nach der Überprüfung des Heiligen Stuhls – zu verkündigen, haben die Bischöfe in diesen Normen sehr oft einfach den Text wiederholt, der schon als einstimmige Entscheidung in Kraft war. So hat die Bischofskonferenz z. B. Matrikeln für die Firmungen für jede Pfarrei vorgeschrieben (vgl. can. 535 § 1)2. Eine solche Vorschrift war in Ungarn schon früher in Geltung, zum letzten Mal aufgrund der Ordnung der Matrikelnführung, die die Bischofskonferenz 1988 mit einstimmiger Entscheidung angenommen hatte3. Ein ähnlicher Fall war derjenige der Verlobung. In Ungarn hat man die offizielle kirchliche Verlobung seit langem nicht mehr ausgeübt4. Die Bischofskonferenz setzt aber in ihrer Norm zur Ausführung des can. 1062 § 1 – wie schon in ihrer früheren, einstimmig angenommenen Ordnung über die Matrikeln5 – voraus, dass an den Pfarreien ein besonderes Buch geführt wird, in dem diejenigen eingetragen werden, die ihre Absicht zur Eheschließung gemeldet haben. Ein solches Buch wird jedoch von derselben Bischofskonferenz nicht vorgeschrieben. Es ist ja in obengenannter Ordnung verlangt. Diese Ordnung wurde von allen Bischöfen einstimmig angenommen, die, in diesem Fall, 1

Vgl. Péter Erdö, Neue Entwicklungen im ungarischen Partikularkirchenrecht, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 162 (1993) 467. 2

Episcoporum Conferentia Hungariae, Normae complementariae ad Codicem Iuris Canonici, 8. Januar 1993, Art. 16, in: Ius Ecclesiae 6 (1994) 849; vgl. Péter Erdö, Note alle norme applicative del CIC in Ungheria, in: Ius Ecclesiae 6 (1994) 857. 3

Vgl. Magyar Katolikus Püspöki Kar, Egységes katolikus anyakönyvezési szabályzat, Budapest 1988, §§ 52 – 55. 4

Für die frühere ungarische Praxis der kirchlichen Verlobung siehe z. B. István Sipos / László Galos, A katolikus házasságjog rendszere a Codex Iuris Canonici szerint, ed. 4, Budapest 1960, 97 – 117; 3pWHU(UG , Egyházjog, Budapest 1992, 408 – 409. 5

Magyar Katolikus Püspöki Kar, Egységes katolikus anyakönyvezési szabályzat, Budapest 1988, §§ 56 – 65, 67.

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die Gewalt ausgeübt haben, die ihnen als einzelnen zusteht, in einer Sache, für deren Regelung auch die Bischofskonferenz vom Recht bevollmächtigt wird (vgl. can. 535 § 1)6. In diesem spezifischen Fall haben also die einzelnen Bischöfe eine Norm einstimmig erlassen, die der Bischofskonferenz nicht vorbehalten war. Als die Bischofskonferenz dann in der Lage war, über dieselbe Frage schon als solche eine Norm zu setzen, hat sie sich begnügt, einen Verweis auf die schon früher erlassene Norm der einzelnen Bischöfe zu machen7. Dass diese Entscheidung der Bischofskonferenz mit einer deklarativen (feststellenden) und nicht mit einer konstitutiven Formel ausgedrückt wird, ändert den rechtlichen Charakter der früheren Norm nicht. Die Regel bleibt eine einstimmige Norm der einzelnen Bischöfe. Ein anderer typischer Fall der Ersetzung einer fehlenden Norm der Bischofskonferenz war derjenige der Statuten des Priesterrates. Nach dem can. 496 soll ja der Priesterrat eigene Statuten haben, die vom Diözesanbischof approbiert sind. Die Statuten sollen jedoch nach den von der Bischofskonferenz erlassenen Normen zusammengestellt werden. In der Zeit aber, wo solche Normen noch fehlten, haben die einzelnen Bischöfe – und zwar im Rahmen der Bischofskonferenz – einen gemeinsamen Text für die Statuten der Priesterräte für das ganze Land einstimmig angenommen. Es ist sicher, dass die Zuständigkeit zur Bestimmung der Grundlinien für solche Statuten, die ja einen Aspekt der Ausführung des Codex Iuris Canonici darstellt, mangels der diesbezüglichen Tätigkeit der Bischofskonferenz (wahrscheinlich wegen äußerer Hindernisse) zu den einzelnen Bischöfen zurückgekehrt ist. Wenn aber die Bischofskonferenz die entsprechenden Normen über diese Frage mit der notwendigen Mehrheit annehmen und nach der Überprüfung des Heiligen Stuhls verkünden konnte, hat sich die Bischofskonferenz schon verpflichtet gefühlt, solche allgemeine Normen zu schöpfen und die Gutheißung der Statuten der einzelnen Priesterräte den einzelnen Diözesanbischöfen zu überlassen8. III. Schlussfolgerungen Nach dieser kurzen Übersicht einiger praktischer Probleme, die mit bestimmten notwendigen Akten der synodalen Organe mit Regierungsgewalt, 6

Die Bischofskonferenz als solche verlangt, über die vom allgemeinen Recht vorgeschriebenen Pfarrbücher hinaus (vgl. can. 535 § 1) nur das Pfarrbuch der Firmungen. 7 Episcoporum Conferentia Hungariae, Normae complementariae ad Codicem Iuris Canonici, Art. 9, in: Ius Ecclesiae 6 (1994) 845 („Ius particulare canonicum in Hungaria praescribit usum libri sponsorum, in quo signatur voluntas matrimonii celebrandi, firmo praescripto can. 1062 § 2“) 8

Episcoporum Conferentia Hungariae, Normae complementariae ad Codicem Iuris Canonici, Art. 4, in: Ius Ecclesiae 6 (1994) 844.

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besonders der Bischofskonferenzen, zusammenhängen, können wir einige allgemeine Prinzipien über die Natur und die Wirkung dieser Organe feststellen: (1) Die synodalen Organe im engen Sinne, die Regierungsgewalt haben, sind Organe der bischöflichen Kollegialität. Sie bestehen im wesentlichen aus Bischöfen, auch wenn unter ihren Mitgliedern einige Presbyter (z. B. Apostolische Administratoren oder Territorialäbte) ebenso vorkommen können. Unter den übrigen Mitarbeitern dieser Organe können natürlich auch andere Personen verschiedene Funktionen ausüben. (2) Diese Organe fügen sich, in dem sie eine gewisse Gewalt über die einzelnen Teilkirchen haben, in den Zusammenhang der communio der Gesamtkirche ein und brauchen eine Bevollmächtigung von der höchsten Autorität der Kirche. Die Form dieser Bevollmächtigung kann in den verschiedenen historischen Epochen und in den einzelnen Kirchen eigenen Rechts (Ecclesia sui iuris) verschieden sein. Die Anwesenheit des päpstlichen Legaten auf den Partikularkonzilien des Mittelalters, die Zuschreibung der Gesetzgebungsgewalt an die Partikularkonzilien im geltenden Codex Iuris Canonici oder die Bevollmächtigung der Bischofskonferenzen zur Setzung bestimmter Normen im selben Codex sind alle Formen konstitutiver Akte der höchsten kirchlichen Autorität, die eine bestimmte Regierungsgewalt dieser Organe begründen. (3) Die Liste der synodalen Organe mit Regierungsgewalt, die jedoch nicht eine Form der Tätigkeit des gesamten Collegium Episcoporum darstellen, kann im lateinischen Kirchenrecht ebenso wie im gemeinsamen Recht der katholischen Ostkirchen mit Anspruch der Vollständigkeit (taxative) zusammengestellt werden, und zwar aufgrund der Bevollmächtigung, die von der höchsten Autorität stammt und ohne die solche Organe nicht existieren können (auch wenn diese Bevollmächtigung theoretisch auch implizit sein könnte). Die höchste Autorität der Kirche kann aber auch andere stabile oder vorübergehende Formen der synodalen Ausübung der Regierungsgewalt errichten oder einige von ihrer Natur aus rein konsultative Organe bevollmächtigen, einige Akte der kirchlichen Regierungsgewalt zu setzen. (4) Einige synodale Organe mit Regierungsgewalt sind notwendig, weil sie von den kirchlichen Gesetzbüchern vorgeschrieben werden, oder weil ihre Handlungen vorgeschrieben und notwendig sind. Andere solche Organe haben eine fakultative Existenz oder Tätigkeit, die aber nach den Umständen von verschiedener pastoraler Wichtigkeit sein kann9.

9

Vgl. Winfried Aymans, Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie (Kanonistische Studien und Texte 42), Berlin 1995, 191 („Die Frage, inwieweit Synodalität und Konsiliarität ordentliche oder außerordentliche Formen kirchlicher Leitung sind, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Die Antwort hängt allein von der diesbezüglichen Ausgestaltung des positiven Rechts ab“).

Probleme der synodalen Organe mit Leitungsgewalt in der Kirche

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(5) Die Tätigkeit all dieser Organe steht auch im Zusammenhang der Partikularkirchen und des Dienstes der einzelnen Bischöfe. Diese Verbindung ist nicht nur wegen der sakramentalen Sendung der einzelnen Bischöfe notwendig, die sich ja über die Grenzen ihrer eigenen Teilkirche erstreckt, sondern auch praktisch sehr nützlich, vor allem in Situationen, wo die einzelnen Bischöfe die Ausübung jener Regierungsgewalt ersetzen müssen, die sonst vom positiven kirchlichen Recht diesen überdiözesanen synodalen Organen zugeschrieben ist. Solche spezifischen Situationen zeigen auch den Charakter des Verhältnisses zwischen der Gewalt der einzelnen Bischöfe und derjenigen der synodalen Organe. (6) Der Ursprung der Gewalt und der einzelnen Kompetenzen synodaler Organe ist im allgemeinen entweder eine einfache Konzession (bzw. ein Auftrag) der höchsten Autorität oder ein Vorbehalt, der von derselben Autorität stammt. Vorbehalt und Konzession können manchmal zwei Aspekte derselben Wirklichkeit sein. Ein solcher Vorbehalt kann verschiedene Stufen haben: die höchste Autorität kann verordnen, dass die von einem synodalen Organ erlassenen Normen von den einzelnen Bischöfen in ihren Diözesen nicht modifiziert werden können. Der Vorbehalt kann aber auch die Wirkung haben, dass das synodale Organ und der einzelne Bischof eine parallele (kumulative) Zuständigkeit über dieselbe Materie haben. In diesen Fällen stellen die Normen der synodalen Organe ein höheres Recht im Vergleich zu den von den einzelnen Bischöfen erlassenen Regeln dar. An diesem Punkt begegnen sich Vorbehalt und Bevollmächtigung (Konzession), weil die höhere Kraft der Normen der synodalen Organe (z. B. der Bischofskonferenzen) von der höchsten kirchlichen Autorität stammt.

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland Rechtsfragen um die Wahl des Diözesanbischofs Von Stephan Haering Die Besetzung der Bischofsstühle der 27 Diözesen, die derzeit in Deutschland bestehen, ist weitgehend durch Konkordate geregelt. Durch die betreffenden Verträge ist ausnahmslos eine Beteiligung der Domkapitel an dem Besetzungsverfahren vorgesehen. In den acht Diözesen der beiden bayerischen Kirchenprovinzen (Erzbistum München und Freising mit den Suffraganbistümern Augsburg, Passau und Regensburg; Erzbistum Bamberg mit den Suffraganbistümern Eichstätt, Speyer und Würzburg) wirken die Domkapitel an der Bestellung eines neuen Diözesanbischofs in der Weise mit, daß sie Listen mit Personalvorschlägen beim Heiligen Stuhl einreichen. Aus diesen Listen und den Vorschlagslisten der bayerischen Bischöfe ernennt der Heilige Stuhl einen neuen Diözesanbischof. Im Hinblick auf die bayerischen Diözesen kann man daher nicht von einer Bischofswahl durch die Domkapitel im engeren Sinn sprechen. Einen eigentlichen Wahlvorgang, d. h. eine Abstimmung des Domkapitels über Kandidaten für das Bischofsamt, von denen der mehrheitlich gewählte eine Option auf die Übertragung des Amtes erhält, gibt es in den Bistümern der Kirchenprovinzen Berlin, Freiburg, Hamburg, Köln und Paderborn. Im Zusammenhang mit der Bischofswahl durch die Domkapitel können verschiedene Fragen und Komplikationen auftreten, die – selbst wenn sie vor allem kirchenpolitische Wurzeln haben mögen – doch auch rechtlicher Natur sind. Sie sollen in diesem Beitrag, der u. a. eine relevante Studie des zu ehrenden Jubilars Pater Joseph Listl SJ aufgreift1, erörtert werden (II). Zuvor sind 1 Joseph Listl, Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland, in: Sendung und Dienst im bischöflichen Amt. Festschrift der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg für Bischof Josef Stimpfle zum 75. Geburtstag, hrsg. von Anton Ziegenaus, St. Ottilien 1991, S. 29 – 68 (wieder abgedr.: Joseph Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, hrsg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner i.V.m. Wilhelm Rees (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 25), Berlin 1996, S. 886 – 917).

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jedoch die verschiedenen Verfahrensschritte, die nach Lage des geltenden Rechts bei einem solchen Besetzungsvorgang getan werden müssen, darzustellen (I). Im Anschluß an die Diskussion der möglichen Probleme werden Wege zu deren Lösung aufgezeigt (III). Ein knapper Ausblick beschließt diese Überlegungen (IV). I. Die Rechtslage 1. Rechtsquellen Die Wahl des Diözesanbischofs aus einer drei Namen umfassenden Vorschlagsliste des Heiligen Stuhles ist für 19 der 27 deutschen Diözesen vorgesehen. Es handelt sich um die (Erz-)Bistümer Aachen, Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Essen, Freiburg, Fulda, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Köln, Limburg, Magdeburg, Mainz, Münster, Osnabrück, Paderborn, Rottenburg-Stuttgart und Trier. Das Wahlrecht der genannten Domkapitel gründet nicht auf einem nur innerkirchlich gewährten Privileg, sondern es ist staatskirchenvertragsrechtlich fundiert. Maßgebliche Rechtsquellen sind das Preußische Konkordat vom 14. Juni 19292, das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932 (mit Zusatzprotokoll vom 7./10. November 1932)3, das Reichskonkordat vom 20. Juli 19334, der Vertrag des Heiligen Stuhls mit dem Land Nordrhein-Westfalen vom 19. November 1956 über die Errichtung des Bistums Essen, der sich als ergänzender Vertrag gemäß Art. 2 Abs. 9 des Preußischen Konkordates versteht5, das Niedersächsische Konkordat vom 26. Februar 19656 und die Verträge des Heiligen 2

AAS 21 (1929), S. 521 – 535; Preußische Gesetzsammlung 1929, S. 152 – 160 (abgedr.: Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, hrsg. von Joseph Listl, 2 Bde., Berlin 1987, Bd. II, S. 709 – 724). 3

AAS 25 (1933), S. 177 – 194; Badisches GVBl. 1933, S. 20 – 30 (abgedr.: J. Listl, Konkordate und Kirchenverträge [Anm. 2], Bd. I, S. 136 – 151). 4

AAS 25 (1933), S. 389 – 413; Reichsgesetzblatt II 1933, S. 679 – 690 (abgedr.: J. Listl, Konkordate und Kirchenverträge [Anm. 2], Bd. I, S. 34 – 61). 5

AAS 49 (1957), S. 201 – 205; GVBl. für das Land Nordrhein-Westfalen 11 (1957), S. 20 f. (abgedr.: J. Listl, Konkordate und Kirchenverträge [Anm. 2], Bd. II, S. 230 – 233; José T. Martín de Agar, Raccolta di concordati. 1950 – 1999, Città del Vaticano 2000 [= Collectio Vaticana, Bd. 3], S. 231 – 234). 6

AAS 57 (1965), S. 834 – 856; Niedersächsisches GVBl. 19 (1965), S. 192 – 204 (abgedr.: AfkKR 134 [1965], S. 168 – 188; J. Listl, Konkordate und Kirchenverträge [Anm. 2], Bd. II, S. 5 – 28; J. T. Martín de Agar, Raccolta [Anm. 5], S. 235 – 256).

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland

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Stuhls mit verschiedenen deutschen Bundesländern (Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen) vom 13. April, 4. Mai, 14. Juni und 22. September 19947. Durch die letztgenannten Abkommen wurden die Neuordnung der kirchlichen Strukturen im Osten und Norden Deutschlands vereinbart, die nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 möglich geworden war, und die Errichtung neuer Diözesen vorbereitet. Vorbildcharakter hatte die Regelung des Preußischen Konkordats für die Bischofsbestellung, welche von den später abgeschlossenen Verträgen entweder der Sache nach weitgehend übernommen oder auf die schlicht verwiesen wurde. Kleinere Modifikationen der Rechtslage bezüglich der Kontaktnahme mit dem Staat zwischen der Wahl und der Ernennung eines Bischofs und bezüglich des Treueids des ernannten Bischofs vor dem Staat, auf dessen Ablegung verzichtet wurde, sind durch weitere Verträge des Heiligen Stuhls mit den Ländern Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und SachsenAnhalt in den Jahren 1996 bis 1998 vorgenommen worden8.

7

Zu Magdeburg: AAS 87 (1995), S. 129 – 137; GVBl. für das Land Sachsen-Anhalt 5 (1994), S. 771 – 775; GVBl. für das Land Brandenburg 5 (1994), S. 203 – 213; Sächsisches GVBl. 1994, S. 1046 – 1057 (abgedr.: AfkKR 163 [1994], S. 221 – 225; J. T. Martín de Agar, Raccolta [Anm. 5], S. 380 – 387). – Zu Görlitz: AAS 87 (1995), S. 138 – 145; GVBl. für das Land Brandenburg 5 (1994), S. 215 – 225; Sächsisches GVBl. 1994, S. 1059 – 1069 (abgedr.: AfkKR 163 [1994], S. 226 – 229; J. T. Martín de Agar, Raccolta [Anm. 5], S. 388 – 393). – Zu Erfurt: AAS 87 (1995), S. 145 – 154; GVBl. für den Freistaat Thüringen 1994, S. 791 – 794 (abgedr.: AfkKR 163 [1994], S. 230 – 234; J. T. Martín de Agar, Raccolta [Anm. 5], S. 394 – 401). – Zu Hamburg: AAS 87 (1995), S. 154 – 164; Hamburgisches GVBl. 1995, S. 31 – 34; GVBl. für Mecklenburg-Vorpommern 1994, S. 1027 – 1037; GVBl. für Schleswig-Holstein 1994, S. 487 – 497 (abgedr.: AfkKR 163 [1994], S. 570 – 578; J. T. Martín de Agar, Raccolta [Anm. 5], S. 402 – 410). 8

Auflistung mit amtlichen Publikationsorten bei Stephan Haering, Die Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern aus den Jahren 1994 bis 1998, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, hrsg. von Josef Isensee / Wilhelm Rees / Wolfgang Rüfner, (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 33), Berlin 1999 S. 761 – 794, hier S. 778 f.; vgl. auch Hermann Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern, in: Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. von Karl-Hermann Kästner / Knut Wolfgang Nörr / Klaus Schlaich, Tübingen 1999, S. 463 – 493; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-KircheVerhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments (Jus ecclesiasticum, Bd. 62), Tübingen 2000. – Weitere Modifikationen ergeben sich aus den Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003 bzw. der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 2003. Diese Verträge sind allerdings gegenwärtig (Stand: 15. April 2004) noch nicht rechtskräftig. Der Branden-

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Die Rechtslage, die sich aufgrund der genannten Verträge ergibt, ist hinsichtlich der Bischofsstuhlbesetzung unter Mitwirkung der Domkapitel9 für die verschiedenen Diözesen in den wesentlichen Punkten übereinstimmend10.

burger Vertrag ist noch nicht ratifiziert. Der Bremer Vertrag wurde zwar am 2. März 2004 von der Bremer Bürgerschaft beschlossen und vom Senat amtlich veröffentlicht (GBl. der Freien Hansestadt Bremen 2004, S. 152 – 161), doch ist der Austausch der Ratifikationsurkunden erst für Mai 2004 vorgesehen. 9 Zu Größe und Struktur der Kapitel vgl. die Angaben bei Stephan Haering, Rechtsgrundlagen und Strukturen der Domkapitel des deutschen Sprachraumes. Ein vergleichender Überblick, in: Annali di studi religiosi 4 (2003), S. 261 – 276; das geltende statutarische Recht der betreffenden Kapitel liegt in folgender Sammlung vor: Stephan Haering / Burghard Pimmer-Jüsten / Martin Rehak, Statuten der deutschen Domkapitel (Subsidia ad ius canonicum vigens applicandum, Bd. 6), Metten 2003. 10

Die Rechtslage ist wiederholt – mehr oder minder ausführlich und differenziert – dargestellt und bewertet worden. Es fällt auf, daß das Thema im Gefolge einiger Bischofsernennungen für deutschsprachige Diözesen, die Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts vorgenommen worden sind, vermehrt aufgegriffen wurde: Klaus Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle unter besonderer Berücksichtigung des Listenverfahrens, Bonn / Köln / Berlin 1933 (= Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 6), S. 118 – 147; Ludwig Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter in den Konkordaten Papst Pius' XI. (Kanonistische Studien und Texte, Bd. 18/19), Bonn 1942, S. 245 – 255, 260 – 271; Axel Hopfauf, Die Ernennung von Bischöfen nach dem Preußischen Konkordat – Anmerkungen zur Kölner Bischofswahl, in: Neue Juristische Wochenschrift 42 (1989), S. 1263 – 1266, hier S. 1263; Gerhard Hartmann, Der Bischof. Seine Wahl und Ernennung. Geschichte und Aktualität (Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und Kirchlichen Zeitgeschichte, Bd. 5), Graz / Wien / Köln 1990, S. 67 – 79; Matthäus Kaiser, Die Bestellung der Bischöfe in Geschichte und Gegenwart. Wahl oder Ernennung?, in: Eine Kirche – ein Recht? Kirchenrechtliche Konflikte zwischen Rom und den deutschen Ortskirchen, hrsg. von Richard Puza / Abraham B. Kustermann (Hohenheimer Protokolle, Bd. 34), Stuttgart 1990, S. 47 – 71, hier S. 63 – 67; Alexander Hollerbach, Staat und Bischofsamt, in: Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, hrsg. von Gisbert Greshake (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), München / Zürich 1991, S. 51 – 84, hier S. 56 – 61; J. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 40 – 53; Bruno Primetshofer, Die Ernennung von Bischöfen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, in: Zeitschrift für katholische Theologie 118 (1996), S. 169 – 186, hier S. 176 – 180 (wieder abgedr.: Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer, hrsg. von Josef Kremsmair / Helmuth Pree [= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 44], Berlin 1997, S. 425 – 446); Georg Bier, Kommentar zu c. 377, Rd.-Nr. 33 (28. Erg.Lfg., August 1997), in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz, hrsg. von Klaus Lüdicke, Essen seit 1985 (Stand des gesamten Werks: 37. Lfg., Dezember 2003); Winfried Aymans, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Begründet von Eduard Eichmann, fortgeführt von Klaus

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland

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2. Vorschlagslisten der Domkapitel und der Bischöfe Nach Freiwerden des Bischofsstuhles reicht das Domkapitel der betreffenden Diözese beim Heiligen Stuhl eine Liste mit kanonisch geeigneten Kandidaten für die Neubesetzung ein11. Im früheren Geltungsbereich des Preußischen Konkordates tun dies auch alle Diözesanbischöfe12. In den Diözesen der Oberrheinischen Kirchenprovinz (Freiburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart) und in der Diözese Dresden-Meißen haben dagegen die jeweils amtierenden Diözesanbischöfe dem Heiligen Stuhl jährlich (auf ihre eigene Diözese bezogene) Vorschlagslisten einzureichen, auf die dann im Fall der Sedisvakanz zurückgegriffen werden kann13. Die kanonische Eignung für das Bischofsamt bestimmt sich nach c. 378 § 1 CIC; die Vorschlagsberechtigten müssen diese Norm bei der Erstellung ihrer Listen berücksichtigen. Neben diesen konkordatsrechtlichen Vereinbarungen über Vorschlagslisten werden dem Apostolischen Stuhl auch Vorschläge von Kandidaten für das Bischofsamt gemäß allgemeinem Kirchenrecht vorgelegt (c. 377 § 2 CIC). Die relevante Norm des kanonischen Rechts ist durch die genannten Verträge nicht Mörsdorf, 13., völlig neubearb. Aufl., Bd. II: Verfassungs- und Vereinigungsrecht, Paderborn u. a. 1997, S. 333 – 335; Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2., grundlegend neubearb. Aufl., hrsg. von Joseph Listl / Heribert Schmitz, Regensburg 1999, S. 425 – 442, hier S. 429; Georg Bier, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, Bd. 32), Würzburg 2001, S. 103 – 105; Stephan Haering, Die Bestellung von Bischöfen im Okzident und im Orient, in: Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag, hrsg. von Konrad Breitsching / Wilhelm Rees (Kanonistische Studien und Texte, Bd. 46), Berlin 2001, S. 223 – 239, hier S. 230 – 232; Winfried Aymans, Berufung in den bischöflichen Dienst. Geltendes Recht und Entwicklungsmöglichkeit, in: Klerusblatt 81 (2001), S. 151 – 153, hier S. 151 f.; Wolfgang Rüfner, Listenverfahren, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 2, Paderborn u. a. 2002, S. 741 f.; Rüdiger Althaus, Die Besetzung des Amtes des Diözesanbischofs in der katholischen Kirche in Deutschland – Geltende Rechtslage und Anliegen, in: Theologie und Glaube 93 (2003), S. 93 – 112, hier S. 101 – 106; Domkapitel der deutschen Diözesen. Zur Einführung, in: S. Haering u. a., Statuten der deutschen Domkapitel (Anm. 9), S. 15 – 25, hier S. 23 – 25. 11

Vgl. Georg May, Listen von Bischofskandidaten in den deutschen Konkordaten und Kirchenverträgen, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (Anm. 8), S. 739 – 760, hier S. 748 – 750. 12

Es handelt sich um die Diözesanerzbischöfe bzw. -bischöfe von Aachen, Berlin, Erfurt, Essen, Fulda, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Köln, Limburg, Magdeburg, Osnabrück, Paderborn und Trier; vgl. G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 750. 13

Vgl. G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 750 f.

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suspendiert (vgl. c. 3 CIC). Das bedeutet, daß die Bischöfe einer Kirchenprovinz oder gegebenenfalls auch die Bischofskonferenzen wenigstens alle drei Jahre nach gemeinsamer Beratung eine Liste von Priestern erstellen, die für das Bischofsamt besonders geeignet sind, und diese Liste dem Apostolischen Stuhl übersenden. Außerdem hat jeder Bischof persönlich das Recht, als einzelner dem Apostolischen Stuhl Priester namhaft zu machen, die für das Bischofsamt würdig und geeignet sind. Sowohl der kollegiale als auch der individuelle Typus von Vorschlägen gemäß c. 377 § 2 CIC kann neben der generellen Feststellung der Eignung für das Bischofsamt, die den betreffenden Geistlichen durch Aufnahme in den Vorschlag zugesprochen wird, auch Hinweise auf deren Qualifikation für ein bestimmtes bischöfliches Amt enthalten. Soweit im Zusammenhang mit diesen Vorschlägen von Listen die Rede ist, wird man davon ausgehen müssen, daß sie wenigstens drei Namen umfassen; allenfalls ist noch eine „Liste“ mit den Namen zweier Personen denkbar14. Ob der Apostolische Stuhl gegebenenfalls eine „Liste“ mit nur einem Namen akzeptieren will, sei dahingestellt. Nach oben ist die Zahl der Namen, die auf einer solchen Vorschlagsliste stehen können, rechtlich nicht begrenzt; doch wird sich bei sorgfältiger Erarbeitung der Liste eine Begrenzung durch das zahlenmäßig bescheidene Reservoir an Persönlichkeiten, die für das Amt des Diözesanbischofs geeignet sind, von selbst ergeben. Wenn eine Liste von einem Gremium wie dem Domkapitel (oder auch von dem Konvent der Bischöfe einer Kirchenprovinz oder der Bischofskonferenz) zu erstellen ist, muß eine Beschlußfassung nach Maßgabe der Statuten des Gremiums bzw. ersatzweise nach den Regeln des allgemeinen Rechts erfolgen. Für die Reihung der Namen auf einer Vorschlagsliste kann entweder ein objektives Kriterium gewählt werden, das alle Kandidaten prinzipiell gleichstellt (z. B. eine alphabetische Reihung oder eine Reihung nach dem Lebensalter), oder es kann durch die Reihung bewußt eine Wertung vorgenommen und eine Präferenz für die an vorderer Stelle plazierten Personen zum Ausdruck gebracht werden. Bezüglich jener Listen, die nach Eintritt der Sedisvakanz eines Bischofsstuhles zu erstellen und vorzulegen sind, wird in den Verträgen keine Frist festgelegt. Da es sich jedoch beim Bischofsamt um ein seelsorgerisches Amt handelt, dessen Besetzung gemäß c. 151 CIC ohne schwerwiegenden Grund nicht aufgeschoben werden darf, und die Erstellung und Vorlage der Listen Bestandteile des Verfahrens zur Neubesetzung des Amtes sind, haben die vorschlagsberechtigten (und -verpflichteten) Domkapitel und Bischöfe ohne Verzögerung entsprechend zu handeln. Offensichtlich ist es üblich, daß der Apostolische Nuntius alsbald nach Eintritt der Sedisvakanz die Vorschlagsberech14

Vgl. G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 745.

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland

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tigten auffordert, Listen vorzulegen15. Auch sehen die Statuten mancher Domkapitel ausdrücklich vor, daß die Vorschlagsliste innerhalb einer knapp bemessenen Frist beschlossen werden muß16. Jedenfalls ist es erforderlich, daß die Listen innerhalb weniger Wochen nach dem Freiwerden des Amtes erstellt werden. Ein gewisser zeitlicher Spielraum wird indes unabdingbar sein, um die gegebenenfalls notwendige Einholung von Informationen über Personen und die sorgfältige Vorbereitung der Listen zu gewährleisten. Wenn jedoch die Listen nach einer angemessenen Frist (etwa vier bis sechs Wochen) noch nicht vorgelegt wurden, sollte seitens des Apostolischen Stuhles die Vorlage angemahnt und zu einem bestimmten Termin eingefordert werden. 3. Wahlliste des Heiligen Stuhles Nach Eingang der Vorschlagslisten, die anläßlich der Sedisvakanz erstellt worden sind („relative Listen“), benennt der Heilige Stuhl dem Domkapitel der vakanten Diözese drei Personen, aus denen es in freier und geheimer Abstimmung den (Erz-)Bischof zu wählen hat. Die Benennung der drei Personen erfolgt „unter Würdigung“ dieser sogenannten „relativen Listen“ sowie im Fall der Bistümer der Oberrheinischen Kirchenprovinz und des Bistums DresdenMeißen der jährlich von den Diözesanbischöfen einzureichenden Listen. Die im Preußischen und im Badischen Konkordat sowie in dem Vertrag zur Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg17 verwendete Formulierung „unter Würdigung dieser Listen“ besagt, daß der Heilige Stuhl diese Vorschlagslisten ernsthaft erwägen und die auf den Listen genannten Personen im Hinblick auf die Besetzung des vakanten Bischofsstuhles in Betracht ziehen muß. Sie bedeutet jedoch, wie im Zusammenhang mit dem Abschluß des Preußischen Konkordates ausdrücklich klargestellt worden ist, keine Bindung des Heiligen Stuhles in dem Sinn, daß nur solche Personen dem Domkapitel zur Wahl des 15

Vgl. die Hinweise auf diese Praxis bei Erwin Gatz, Bischofswahlen in Deutschland. Was die Vatikanischen Archive verraten, in: Herder-Korrespondenz 58 (2004), S. 151 – 155, hier S. 152 f. 16 Statuten des Domkapitels zum Hl. Jakobus in Görlitz vom 13. November 1997, §§ 65 f.; Statuten des Metropolitankapitels Köln vom 17. Januar 1986 mit den Änderungen vom 12. Juni 1990, § 36; Statuten für das Domkapitel Münster vom 15. Juni 2000, §§ 45 f.; Statuten des Metropolitankapitels zu Paderborn vom 11. Februar 1999, Art. 16 Abs. 2; Statuten des Kapitels der Hohen Domkirche zu Trier vom 26. Juni 1995, Art. 19 Abs. 1; Abdruck dieser Statuten bei S. Haering u. a., Statuten der deutschen Domkapitel (Anm. 9), S. 189 – 208, 229 – 241, 307 – 321, 331 – 349, 409 – 426. 17

Diese Verträge enthalten eine vollständig ausformulierte Regelung, während die übrigen Verträge nur auf die entsprechenden Regelungen des Preußischen oder Badischen Konkordats Bezug nehmen; vgl. oben Anm. 2, 3, 7.

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neuen Bischofs benannt werden dürfen, deren Namen auf einer der erwähnten Listen gestanden sind. Es ist unbestritten, daß der Heilige Stuhl bei der Benennung der Kandidaten für das Bischofsamt zur Wahl durch das Domkapitel nur insoweit gebunden ist, als er die ihm vorgelegten Vorschlagslisten zu würdigen hat, und daß er auch Kandidaten außerhalb dieser Listen dem Domkapitel zur Wahl des Bischofs benennen kann. Seinen Ermessensrahmen bei Würdigung der Listen kann der Heilige Stuhl so weit ausschöpfen, daß er gegebenenfalls keine der Personen, deren Namen auf den (relativen) Listen von Domkapitel und Bischöfen standen, dem Domkapitel zur Wahl des Bischofs benennt. Für jene (Erz-)Diözesen, in denen die relevante Regelung des Badischen Konkordats gilt (Freiburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart, Dresden-Meißen), hat sich der Heilige Stuhl, über die Regelung des Preußischen Konkordats hinaus, verpflichtet, unter die drei Personen, die dem Domkapitel zur Wahl des neuen Bischofs benannt werden, einen Angehörigen der vakanten Diözese aufzunehmen18. Unter einem Angehörigen der Diözese ist gemäß dem Schlußprotokoll zum Badischen Konkordat auch ein Geistlicher zu verstehen, der seine Studien ganz oder teilweise in der betreffenden Diözese absolviert hat und wenigstens zeitweise in deren Dienst gestanden ist. Demnach erfüllen die Voraussetzung, Angehöriger der betreffenden Diözese zu sein, nicht nur jene Geistlichen, die in dem Bistum inkardiniert sind, sondern auch Priester anderer Diözesen oder Ordenspriester, welche den beiden Kriterien entsprechen. Der Benennung der drei Kandidaten, aus denen das Domkapitel den Bischof zu wählen hat, geht neben der Vorlage der konkordatär vereinbarten Vorschlagslisten auch das nach allgemeinem kirchlichen Recht vorgesehene Verfahren gemäß c. 377 § 3 CIC voraus. Nach dieser Bestimmung ist dem Apostolischen Stuhl im Fall der Bestellung eines Diözesanbischofs oder Bischofskoadjutors ein Dreiervorschlag (Terna) durch den Apostolischen Nuntius zuzuleiten. Bei der Vorbereitung der Terna soll der Nuntius auch Kleriker und Laien hören. Vor allem hat er die Ansichten der Diözesanbischöfe der betreffenden Kirchenprovinz und des Vorsitzenden der Bischofskonferenz zu erheben und deren Vorschläge zusammen mit seinem eigenen Votum zu übersenden. Die Terna und die weiteren Stellungnahmen bilden für den Apostolischen Stuhl eine ergänzende Information zu den konkordatär vereinbarten Vorschlägen, die bei der Zusammenstellung der Liste von drei Kandidaten, die dem Domkapitel zur Wahl benannt werden, zum Tragen kommen kann. In das Verfahren zur Erstellung der Terna, das unter der Verantwortung des Apostolischen Nuntius durchgeführt wird, können die Vorschlagslisten, die ge18

G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 753, kritisiert diese Regelung als ungebührliche Einengung des Kreises der in Frage kommenden Kandidaten und als Begünstigung der Inzucht.

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland

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mäß vertraglicher Vereinbarung anläßlich des Eintritts der Sedisvakanz und die von den Bischöfen jener Diözesen, in denen Art. III des Badischen Konkordates gilt, jährlich gemacht werden, einbezogen werden. Es empfiehlt sich sehr, so zu verfahren, weil der Apostolische Stuhl auf diese Weise eine bessere Basis zur Würdigung der genannten Listen erhält. Die Vorbereitung der Terna wird einen Zeitraum von einigen Monaten in Anspruch nehmen. Im Hinblick auf die bereits erwähnte seelsorgerische Bedeutung des Amtes eines Diözesanbischofs haben sowohl der Apostolische Nuntius als auch die übrigen Beteiligten zügig zu verfahren. Daher ist auch der Apostolische Stuhl, wenn nicht besondere Umstände etwas anderes anraten, nach Eingang der Terna des Nuntius veranlaßt, dem Domkapitel ohne Verzögerung die Kandidaten für das Bischofsamt zu benennen (vgl. c. 151 CIC). Bei der Zusammenstellung der Liste des Heiligen Stuhls, aus der das Domkapitel wählt, muß darauf geachtet werden, daß alle drei Personen ernsthaft für das Bischofsamt in Betracht zu ziehen sind. Zutreffend stellt Georg May fest: „Es wäre nicht in Übereinstimmung mit dem Zweck der Liste, wenn zwei von den auf ihr Genannten nicht ernstlich für den zu besetzenden Bischofsstuhl in Frage kämen und diese Zusammenstellung in der Absicht vorgenommen würde, um die Wahl des dritten um so sicherer zu erreichen.“19 Eine rechtlich relevante Beurteilung der Eignung der betreffenden Personen steht indes allein dem Heiligen Stuhl zu, der seine Ansicht in der Zusammenstellung der Liste verbindlich kundtut. Nach der Benennung der drei Kandidaten hat das Domkapitel den neuen Bischof in freier und geheimer Abstimmung zu wählen. Die in den Verträgen durchwegs verwendete Formulierung („hat zu wählen“) statuiert eine strenge Wahlpflicht des Domkapitels. Dem Domkapitel steht keine spezielle Prüfung der Dreierliste des Heiligen Stuhles zu, etwa im Hinblick auf die Übereinstimmung der zur Wahl benannten Personen mit Namen, die auf den Vorschlagslisten aufgeführt worden sind, oder auf deren Eignung für das Amt. Bereits durch die Aufnahme der einzelnen Personen in seinen Dreiervorschlag hat der Apostolische Stuhl deren kanonische Eignung für den Bischofsstuhl festgestellt (vgl. c. 378 § 2 CIC), und dies ist vom wählenden Domkapitel zu respektieren. Das Domkapitel hat, um keine Verzögerung bei der Besetzung des Bischofsstuhles zu verursachen, alsbald die Wahl des neuen Bischofs durchzuführen. Allerdings nennen die Verträge keine Frist nach Erhalt des Dreiervorschlags des Heiligen Stuhls, innerhalb derer das Domkapitel zu wählen hat. Gemäß c. 165 CIC tritt nach einer drei Monate umfassenden Nutzfrist für die Ausübung des Wahlrechtes Devolution zugunsten der Autorität ein, welche die Wahl zu bestätigen hat. Demnach könnte der Papst nach drei Monaten, in denen das Domkapitel 19

G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 753 f.

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gar nicht oder nicht erfolgreich gewählt hat, den neuen Bischof ernennen. Bei der von c. 165 CIC vorgesehenen Devolution handelt es sich jedoch um rein kirchliches Recht, auf das in den Verträgen nicht Bezug genommen wird und das insoweit nicht ohne weiteres subsidiär herangezogen werden sollte. 4. Anfrage bei (bzw. Mitteilung gegenüber) der Regierung Nach erfolgter Wahl eines neuen Bischofs stellt beim größeren Teil der Bistümer das Domkapitel bei der zuständigen Landesregierung bzw. bei den zuständigen Landesregierungen die Anfrage, ob gegen den Gewählten Bedenken (allgemein) politischer Art bestehen bzw. teilt jenen Regierungen, die vertraglich auf die Anfrage verzichtet haben, den Namen des Gewählten mit20. Bei jenen Bistümern, in denen Art. III des Badischen Konkordates zur Anwendung kommt, obliegt es dem Heiligen Stuhl, die Anfrage bezüglich politischer Bedenken durchzuführen. Ein Veto-Recht der Regierung(en) gegen die Person des Gewählten, wodurch dessen Ernennung durch den Heiligen Stuhl verhindert werden könnte, besteht nicht21.

20

In den neueren Verträgen deutscher Länder mit dem Heiligen Stuhl ist zum Teil ein Verzicht auf die Anfrage vereinbart worden; vgl. im einzelnen die Angaben bei Stephan Haering, Staatliche Beteiligung an der Besetzung kirchlicher Ämter. Die aktuelle vertragliche Rechtslage für katholische Kirchenämter in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin, in: Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60. Lebensjahres, hrsg. von Stephan Haering / Josef Kandler / Raimund Sagmeister (Schriftenreihe des Erzbischof-Rohracher-Studienfonds, Bd. 5), Frankfurt am Main u. a. 1999, S. 293 – 328, hier S. 304 – 309; H. Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche (Anm. 8), S. 485 f.; H. U. Anke, Neubestimmung (Anm. 8), S. 374 – 377. Ein Verzicht auf die Fortgeltung der Politischen Klausel des Preußischen Konkordates ist jeweils auch im Schlußprotokoll zu Art. 3 der Verträge des Heiligen Stuhls mit dem Land Brandenburg und mit der Freien Hansestadt Bremen vorgesehen (siehe oben Anm. 8). – Zur Politischen Klausel vgl. Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten. Staat und Bischofsamt (Schriften der Akademie für Deutsches Recht. Gruppe Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Bd. 3), Hamburg 1939 (Nachdr.: Aalen 1966); Joseph H. Kaiser, Die Politische Klausel der Konkordate, Berlin / München 1949; Eugen Heinrich Fischer, Die politische Klausel des Reichskonkordates und ihre rechtliche Tragweite, in: Theologische Quartalschrift 134 (1954), S. 352 – 376. 21

Vgl. Schlußprotokoll Abs. 2 zu Art. 14 Abs. 2 Ziff. 2 Reichskonkordat (siehe Anm. 4).

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland

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5. Ernennung durch den Heiligen Stuhl Nach Beantwortung der Anfrage bezüglich politischer Bedenken durch die Regierung(en), die gemäß dem Schlußprotokoll zum Reichskonkordat in kürzester Frist erfolgt und nach einer ungenutzten Frist von zwanzig Tagen als negativ beantwortet gilt, kann der Papst den neuen Bischof ernennen. Es fällt auf, daß es Praxis des Apostolischen Stuhles ist, bei der Bestellung eines vom Domkapitel gewählten Bischofs von dessen Ernennung (nominatio) und nicht von einer Bestätigung (confirmatio) der erfolgten Wahl zu sprechen22. Bei allenfalls von staatlicher Seite geäußerten Bedenken kann der Heilige Stuhl: (a) den gewählten Bischof nach sorgfältiger Prüfung der Bedenken, aber ohne weitere Maßnahme, ernennen; oder (b) mit der staatlichen Seite in Kontakt treten, die Bedenken auszuräumen versuchen und den gewählten Bischof ernennen; oder (c) sogar mit Rücksicht auf die geäußerten Bedenken – mit oder ohne Rücksprache mit der staatlichen Seite – auf eine Ernennung des Gewählten verzichten und dem Domkapitel eine geänderte Dreierliste zur Wahl vorlegen, die wohl wieder die beiden Namen der nicht gewählten und den Namen eines neuen Kandidaten enthalten wird. Es kommt (d) auch die Möglichkeit in Betracht, daß der Heilige Stuhl (im Einvernehmen mit dem Staat) auf eine neue Wahl durch das Domkapitel verzichtet und einen anderen Geistlichen, gegen den keine politischen Bedenken bestehen, zum Bischof ernennt. 6. Eidesleistung und Besitzergreifung Gemäß Art. 16 des Reichskonkordats hat der ernannte Bischof vor der zuständigen Regierung bzw. den zuständigen Regierungen einen Treueid nach vereinbartem Wortlaut zu leisten und kann dann von seiner Diözese Besitz ergreifen. In jüngster Zeit haben einige deutsche Bundesländer vertraglich auf die Ablegung des Treueids verzichtet23.

22 23

Vgl. W. Aymans, Berufung in den bischöflichen Dienst (Anm. 10), S. 151.

Vgl. dazu im einzelnen die Angaben bei S. Haering, Staatliche Beteiligung (Anm. 20), S. 304 – 309; H. Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche (Anm. 8), S. 484; H. U. Anke, Neubestimmung (Anm. 8), S. 372 – 374. Ein Verzicht auf die Leistung des Treueids wurde jeweils auch im Schlußprotokoll zu Art. 3 der Verträge des Heiligen Stuhls mit dem Land Brandenburg und mit der Freien Hansestadt Bremen vereinbart (siehe oben Anm. 8). – Zum Treueid vgl. Ulrike Marga DahlKeller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 23), Berlin 1994.

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II. Mögliche Komplikationen Im Zusammenhang mit der Wahl des Bischofs durch das Domkapitel können verschiedene rechtlich relevante Probleme auftreten. Die Vorgänge um die Wahl des Erzbischofs von Köln im Jahr 1988 haben erkennen lassen, daß man mit Komplikationen rechnen muß24. Einige Konstellationen, die vornehmlich den Umgang mit der Wahlliste und das Wahlgeschehen betreffen (1–3), aber auch weitere Aspekte des gesamten Verfahrens berühren (4, 5), werden im folgenden erörtert. 1. Verlangen des Domkapitels nach Änderung der Wahlliste des Heiligen Stuhls Es ist vorstellbar, daß einem Domkapitel die drei Personen, die der Heilige Stuhl zur Wahl des neuen Bischofs benannt hat, aus irgendwelchen Gründen nicht genehm sind und das Kapitel daher um eine Änderung des Wahlvorschlags bittet bzw. diese fordert25. Ein solches Verlangen nach Änderung der Liste ist konkordatsrechtlich nicht vorgesehen. Vertraglich ist unmißverständlich bestimmt, daß dem Domkapitel drei Personen zur Wahl des neuen Bischofs benannt werden. Bei einer teilweisen oder vollständigen Änderung seines Wahlvorschlags durch den Heiligen Stuhl könnte das Domkapitel faktisch aus vier, fünf oder sechs Kandidaten wählen, bei wiederholter Änderung der Liste sogar aus noch mehr Kandidaten. Dies kann nicht in Betracht kommen, weil es ein Unterlaufen der vertraglichen Festlegung, wonach drei Personen dem Domkapitel zur Bischofswahl benannt werden, darstellen würde und insoweit dem staatlichen Vertragspartner gegenüber zumindest unfreundlich wäre; ein solcher Vorgang könnte möglicherweise sogar als Konkordatsverletzung betrachtet werden. Von einer Änderung der Liste ist aber auch aus innerkirchlichen Erwägungen abzuraten. Der Apostolische Stuhl würde bei einem auch nur einmaligen Eingehen auf ein solches Ansinnen einen Präzedenzfall schaffen, dem bei künftigen Bischofswahlen in anderen Diözesen ähnliche Wünsche folgen würden. Um einem Verlangen nach Änderung der Dreierliste des Heiligen Stuhles vorzubeugen, wird es um so wichtiger sein, diese Liste unter dem Blickwinkel

24 Zu diesen Vorgängen vgl. G. Hartmann, Bischof (Anm. 10), S. 124 – 160; Martin Kriele, Aktuelle Probleme des Verhältnisses von Kirche und Staat, in: Internationale katholische Zeitschrift »Communio« 19 (1990), S. 541 – 555, hier S. 541 – 543; A. Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 10), S. 75 f.; J. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 53 – 68. 25

Vgl. G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 757 – 759.

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der Situation der betreffenden Ortskirche und ihrer Bedürfnisse sorgfältig vorzubereiten. Ein Verlangen des Domkapitels nach Änderung bzw. Ergänzung der Dreierliste des Heiligen Stuhls erscheint nur dann als begründet, wenn einer der benannten Kandidaten in der Zwischenzeit seine kanonische Eignung eingebüßt hat bzw. objektiv nicht mehr für die Übernahme des Bischofsamtes in Betracht kommt, z. B. wegen Straffälligkeit, Verlust der Geschäftsfähigkeit oder Tod. In einem solchen Fall wäre auch der Heilige Stuhl von sich aus berechtigt und gehalten, den betreffenden Kandidaten durch einen für das Amt geeigneten auszutauschen. Ob dagegen die vorgelegte Liste als ganze zurückgezogen und durch eine andere ersetzt werden kann, erscheint fraglich. Dem Domkapitel muß jedenfalls die Wahrnehmung seines Rechts und seiner Pflicht, aus drei zu benennenden Personen zu wählen, gewährleistet sein. Dies ist nur der Fall, wenn alle drei Kandidaten die kanonische Eignung aufweisen. 2. Weigerung oder Unfähigkeit des Domkapitels, eine (erfolgreiche) Wahl durchzuführen Es ist denkbar, daß ein Domkapitel sich schlicht weigert, aus der vorgelegten Dreierliste des Heiligen Stuhls den neuen Bischof zu wählen, etwa weil ihm die benannten Kandidaten nicht behagen26, oder daß das Kapitel trotz ernsthaften Bemühens um die Wahl, d. h. trotz der Durchführung von freien und geheimen Wahlgängen, zu keinem Ergebnis kommt. Letzteres war bei der Wahl des Erzbischofs von Köln 1988 der Fall, wo aufgrund der Wahlbestimmungen in den Statuten des dortigen Metropolitankapitels die Wahl zunächst ergebnislos blieb27. Im erstgenannten Fall, d. h. der Weigerung zu wählen, begeht das Domkapitel eine schwerwiegende Verletzung einer Pflicht, die nicht nur ein (quasi-)völkerrechtliches Fundament hat, sondern der es aufgrund der Ratifikation der Verträge sowohl nach kirchlichem wie nach staatlichem Recht unterliegt. Das Kapitel, dem kein Recht zur Zurückweisung jener Kandidaten zusteht, deren kanonische Eignung vom Apostolischen Stuhl durch die Benennung zur Wahl festgestellt worden ist, müßte ausdrücklich zur Erfüllung seiner Pflicht gemahnt und auf mögliche Konsequenzen hingewiesen werden. Den einzelnen Mitgliedern des Kapitels, welche die Weigerung tragen, wäre Amtsmißbrauch vorzuwerfen, der kirchlich gemäß c. 1389 CIC bestraft werden soll. Inwieweit evtl. auch die staatliche Seite die Pflichtverletzung sanktionieren könnte, soll hier nicht erörtert werden.

26

Vgl. G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 755 f.

27

Siehe oben Anm. 24.

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Eine Weigerung des Kapitels, die Wahl durchzuführen, und die Erfolglosigkeit durchgeführter Wahlgänge behindern den Prozeß der Besetzung des Bischofsamtes. Insoweit wird der betreffenden Diözese Schaden zugefügt. Diesem Schaden abzuhelfen, ist Pflicht vor allem des Apostolischen Stuhls. Die Abhilfe kann darin bestehen, daß im Fall der Wahlverweigerung des Domkapitels dieses Verhalten dahingehend gedeutet wird, daß das Domkapitel sein Recht für diesen Fall nicht ausüben will, und der Papst den neuen Bischof frei ernennt. Die Ernennung muß nicht unbedingt aus den Kandidaten erfolgen, die dem Domkapitel zur Wahl benannt worden sind, wenngleich der Rückgriff auf einen dieser Kandidaten naheliegt28. Denn über deren Eignung für das zu besetzende Amt hat sich der Apostolische Stuhl, wie die Zusammenstellung der Liste erkennen läßt, bereits vergewissert. Im Fall erfolglos durchgeführter Wahlgänge kann der Apostolische Stuhl, wie 1988 bei der Wahl des Erzbischofs in Köln geschehen, durch Suspension der statutarischen Bestimmungen, die eine erfolgreiche Wahl nicht herbeigeführt haben, und deren Ersetzung durch die Wahlbestimmungen des allgemeinen kanonischen Rechts abhelfen. Die Anwendung von c. 119 1° CIC hat den entscheidenden Vorteil, daß – sieht man von dem höchst unwahrscheinlichen Fall ab, daß keiner der Wähler einem der Kandidaten (im dritten Wahlgang) eine Stimme gibt – nach dem dritten Wahlgang auf jeden Fall ein Ergebnis vorliegt und eine Person gewählt ist29. 3. Verzögerung der Wahl Der Vorgang der Bischofsstuhlbesetzung kann auch durch ein Hinauszögern der Wahl des Bischofs aus der päpstlichen Dreierliste durch das Domkapitel verschleppt werden. Es ist denkbar, daß ein Domkapitel mit einem solchen Verhalten seiner Unzufriedenheit mit der vorgelegten päpstlichen Dreierliste Ausdruck geben will. Das Vertragsrecht nennt zwar keine Fristen für die Durchführung der Bischofswahl, doch wird man, entsprechend c. 165 CIC, annehmen müssen, daß drei Monate ab Erhalt der Dreierliste die maximale

28

J. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 65, vertritt die Auffassung, daß nur die Ernennung eines Kandidaten aus der Vorschlagsliste in Betracht komme, wenn die staatliche Seite dies verlange. 29 Vgl. Heribert Schmitz, Relative Mehrheit bei Wahlentscheidungen. Zur Interpretation von c. 119 n. 1 CIC, in: AfkKR 157 (1988), S. 39 – 72; Winfried Aymans, Der kollegiale Akt. Ein Beitrag zur Auslegung von c. 119 CIC, in: Rechts als Heilsdienst. Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden, Kollegen und Schülern, hrsg. von Winfried Schulz, Paderborn 1989, S. 86 – 104, hier S. 91 – 96.

Mitwirkung von Domkapiteln an der Bischofsbestellung in Deutschland

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Frist sind, die ein Domkapitel billigerweise für die Wahl des Bischofs in Anspruch nehmen kann30. Im übrigen gilt auch für eine über die Dreimonatsfrist hinausgehende Verzögerung der Wahl dasselbe, was oben zur Wahlverweigerung gesagt wurde31. 4. Weigerung bzw. Untätigkeit des Domkapitels (und/oder der beteiligten Bischöfe) bei der Erstellung einer Vorschlagsliste Eine weitere, zwar wenig wahrscheinliche, aber doch anzusprechende Behinderung bzw. Verzögerung des Verfahrens kann schon zu Beginn des gesamten Vorgangs der Wiederbesetzung eines Bischofsstuhles entstehen. Es ist denkbar, daß ein Domkapitel, das nach Eintritt der Sedisvakanz Vorschlagslisten für die Neubesetzung zu erstellen und dem Heiligen Stuhl vorzulegen hat, innerhalb einer angemessenen Frist (ca. vier bis sechs Wochen), aus welchen Gründen auch immer, sein Recht nicht ausübt bzw. seiner Pflicht nicht nachkommt. In ähnlicher Weise könnte sich die Untätigkeit der vorschlagsberechtigten Diözesanbischöfe auswirken. Auch wenn die Vertragstexte in diesem Zusammenhang nicht so deutlich befehlend formulieren wie bei der Wahlpflicht des Domkapitels („hat zu wählen“), sondern den Indikativ verwenden („reichen ein“), handelt es sich um einen verpflichtenden Verfahrensschritt in dem Vorgang zur Wiederbesetzung des vakanten Bischofsstuhls. Zunächst wären die Säumigen zu mahnen, und es wäre ihnen eine Frist für die Vorlage der Liste zu stellen. Wenn die Frist erfolglos abläuft, kann dies als Verzicht seitens der Vorschlagsberechtigten angesehen und im Wiederbesetzungsvorgang fortgefahren werden. In entfernter Analogie zu den kanonischen Bestimmungen über die Präsentation (vgl. cc. 158–163 CIC) wäre davon auszugehen, daß die Vorschlagslisten spätestens drei Monate nach Eintritt der Sedisvakanz vorliegen müssen. Es ist zu bedenken, daß in jenen Diözesen, in denen die Besetzung eines vakanten Bischofsstuhls nach dem Muster des Preußischen Konkordates erfolgt, jeweils bis zu 15 Vorschlagsberechtigte (ein Domkapitel und 14 Diözesanbischöfe32) Listen vorzulegen haben33. Bei einer solchen relativ großen Zahl von 30

Dieser Ansicht ist auch J. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 57; Georg Bier, Kirchliche Findung und staatliche Mitwirkung bei der Bestellung des Diözesanbischofs, in: Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, Ergebnisse eines interdisziplinären Seminars, hrsg. von Christoph Grabenwarter / Norbert Lüdecke (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, Bd. 33), Würzburg 2002, S. 30 – 59, hier S. 44 mit Anm. 68. 31

Siehe oben Abschnitt II.2.

32

Siehe oben Anm. 12.

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beteiligten Organen muß ein Procedere gewährleistet sein, welches ausschließt, daß durch die Widersetzlichkeit oder Säumigkeit eines einzelnen das Verfahren verschleppt wird. 5. Weigerung bzw. Untätigkeit des Domkapitels bezüglich der Durchführung der politischen Anfrage (bzw. der Mitteilung der Personalien des Gewählten) Schließlich wäre noch denkbar, daß ein Domkapitel – soweit es ihm rechtlich aufgetragen ist, nach erfolgter Wahl die Anfrage wegen politischer Bedenken durchzuführen bzw. die Personalien des Gewählten mitzuteilen – es unterläßt, mit der Regierung bzw. den Regierungen in entsprechenden Kontakt zu treten. Dies ist eine sehr theoretische, in der Praxis kaum wahrscheinliche Variante des Boykotts des Verfahrens durch ein Domkapitel. Denn man kann sich schwer vorstellen, daß das Kapitel zwar die Wahl eines (ungeliebten) Kandidaten zum Bischof durchführt, dann aber die nächsten Schritte des Verfahrens behindert34. Wenn die Konstellation aber doch eintreten sollte, wäre auch in diesem Fall zunächst an eine Mahnung des Kapitels, sich rechtstreu zu verhalten, zu denken. Der Heilige Stuhl könnte aber die Anfrage bzw. die Mitteilung auch selbst vornehmen. III. Hinweise zur Lösung von Komplikationen Die genannten Verträge, in denen die Bischofsbestellung in deutschen Diözesen geregelt ist und die insbesondere die Wahl des Diözesanbischofs aus drei vom Heiligen Stuhl benannten Personen vorsehen, enthalten keine Bestimmung, die zur Schließung von Regelungslücken oder zur Klärung von Fragen bezüglich der Anwendung der Verträge einen einseitigen subsidiären 33

In der Literatur wird die Frage angesprochen, ob die Diözesanbischöfe eine gemeinsame Vorschlagsliste einreichen können oder gar sollen bzw. ob die Bischöfe jeweils als einzelne Vorschläge machen; vgl. K. Mörsdorf, Besetzungsrecht (Anm. 10), S. 125 f. (mit Präferenz für eine gemeinsame Liste des preußischen Episkopats); L. Link, Besetzung (Anm. 10), S. 247 f.; im Anschluß an Mörsdorf geht Listl von einer gemeinsamen Liste der Bischöfe aus (J. Listl, Besetzung der Bischofsstühle [Anm. 1], S. 45). Georg May stellt dagegen fest, daß die einzelnen Bischöfe je für sich Listen einreichen (G. May, Listen von Bischofskandidaten [Anm. 11], S. 750). Der Wortlaut des Preußischen Konkordats läßt beide Möglichkeiten offen. 34

Allenfalls wäre denkbar, daß sich ein mit dem Ergebnis der Wahl höchst unzufriedener Vorsitzender des Kapitels (Dompropst) entsprechend verhält und so sein Mißvergnügen ausdrückt. Dann wäre es zunächst an den Mitgliedern des Kapitels selbst, auf Durchführung der Anfrage bzw. Mitteilung der Personalien zu drängen.

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Rückgriff des kirchlichen Vertragspartners auf das kanonische Recht ausdrücklich zuläßt. Vielmehr ist eine allgemeine Freundschaftsklausel Bestandteil dieser Verträge, welche vorsieht, eventuelle Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Abkommen freundschaftlich beizulegen. In diesem Zusammenhang ist von besonderem Interesse, daß in den 1994 abgeschlossenen Verträgen zur Neuordnung der Diözesanstrukturen im Norden und Osten Deutschlands die freundschaftliche Beilegung von Meinungsverschiedenheiten jeweils nicht nur hinsichtlich der Auslegung, sondern explizit auch hinsichtlich der Anwendung des Vertrags verabredet wurde35. Auch das Reichskonkordat enthält eine solche Klausel36. In den erst vor wenigen Jahren abgeschlossenen Verträgen mit den neuen Ländern wurden sogar der ständige Austausch über alle Fragen, die sich aus den Bestimmungen der Verträge ergeben, bzw. eine regelmäßige Kontaktpflege zwischen Staat und Kirche verabredet37. Nicht nur die Verträge als solche sind Ausdruck des Willens von Kirche und Staat zu kooperieren, sondern die generelle Absicht, gedeihlich zusammenzuwirken, wird im System des deutschen Konkordatsrechts explizit formuliert. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß die Verträge ein Verfahren zur Wiederbesetzung des Bischofsstuhles vorsehen, das von Eintritt der Sedisvakanz bis zur Ernennung des neuen Bischofs bzw. zur Übernahme des Amtes in den wesentlichen Schritten ohne Lücken ist (Vorlage von Vorschlagslisten durch Domkapitel und Bischöfe – Benennung von drei Kandidaten durch den Heiligen Stuhl – Wahl durch das Domkapitel – Anfrage bei der Regierung wegen politischer Bedenken gegen den Gewählten bzw. Mitteilung der Personalien des Gewählten – Ernennung des Bischofs durch den Heiligen Stuhl – [gemäß Reichskonkordat: Leistung des Treueids durch den Bischof vor dem Staat – Besitzergreifung von der Diözese durch den Bischof]). Auf diesem vertragsrechtlichen Hintergrund, aber auch angesichts der Tatsache, daß das durch Konkordate geregelte Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und die entsprechend gewährleistete Position der katholischen Kirche nicht gefährdet werden sollten, dürfte es sich für den Heiligen Stuhl empfehlen, bei der Lösung der in Abschnitt II. diskutierten Fragen

35

Art. 8 Vertrag Magdeburg, Art. 7 Vertrag Görlitz, Art. 8 Vertrag Erfurt und Art. 13 Vertrag Hamburg lauten im wesentlichen übereinstimmend: „Die Vertragsparteien werden zwischen ihnen etwa entstehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung dieses Vertrages“ [Zusatz im Vertrag Hamburg: „und des Schlußprotokolls, das einen wesentlichen Bestandteil dieses Vertrages bildet,“] „auf freundschaftliche Weise beilegen.“ (Fundorte oben Anm. 7). 36

Art. 33 Abs. 2 Reichskonkordat (siehe oben Anm. 4).

37

Siehe oben Anm. 8.

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in der Regel Kontakt mit der staatlichen Seite aufzunehmen38. Das einzige Ziel dieser Kontaktnahme ist die Versicherung des staatlichen Einverständnisses, daß jene Komplikationen, die durch kirchliche Organe, die am Besetzungsverfahren beteiligt sind, verursacht worden sind, gemäß den Bestimmungen des kanonischen Rechts gelöst werden. Ein solches Herantreten an den staatlichen Vertragspartner wäre auf jeden Fall als eine Geste diplomatischer Höflichkeit zu verstehen. Damit würde der Heilige Stuhl, der die Grundsätze von Treu und Glauben als Basis des Völkerrechts stets verteidigt hat, auch dem unbegründeten, aber doch in der Öffentlichkeit zu erwartenden Vorwurf keine Nahrung geben, ein vertraglich geregeltes Verfahren einseitig zu handhaben und von vereinbarten Schritten des Besetzungsvorgangs abzuweichen. Die staatlichen Partner dürfen sich dem Ansinnen der kirchlichen Seite, den genannten Schwierigkeiten durch Anwendung des kanonischen Rechts abzuhelfen, nicht verschließen. Sie haben keine andere Möglichkeit, als die kirchliche Absicht zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Denn bei ihrer Auslegung und Anwendung der Verträge sind die Regierungen der deutschen Bundesländer nicht nur an die Freundschaftsklausel der Verträge, sondern vor allem an das eigene staatliche Verfassungsrecht des Grundgesetzes gebunden. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV lautet: „Sie [d.h.: jede Religionsgesellschaft] verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“ Wortgleiche oder ähnliche Bestimmungen finden sich auch in den Verfassungen der meisten deutschen Bundesländer. Die Beteiligung des Staates an der Bestellung eines Diözesanbischofs beschränkt sich demnach auf vertraglich ausdrücklich festgelegte Elemente, nämlich – soweit jeweils noch vorgesehen – auf die Anwendung der sog. Politischen Klausel und die Entgegennahme des Treueids; außerdem kann der Staat auf der Einhaltung der vertraglich festgelegten Eignungsbestimmungen für das Amt des Diözesanbischofs bezüglich Ausbildung und Staatsangehörigkeit bestehen. Darüber hinaus ist es dem Staat kraft eigenen Verfassungsrechts versagt, sich in die Besetzung eines kirchlichen Amtes einzumischen39. Vor allem

38

Vgl. J. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 57 f. – Die Kontaktnahme des Heiligen Stuhls mit der staatlichen Seite kann sich für den unter II.4 erörterten Fall, daß Domkapitel (und/oder Bischöfe) innerhalb angemessener Frist keine Vorschlagslisten einreichen, auf eine Mitteilung beschränken, daß diese auf ihr Recht verzichtet (und ihre Pflicht nicht erfüllt) haben; vgl. auch G. May, Listen von Bischofskandidaten (Anm. 11), S. 747. 39

Ernst-Lüder Solte wertet es als eine Überschreitung des geltenden Verbots der staatlichen Mitwirkung an der Verleihung kirchlicher Ämter, wenn der Staat die Kirche bei der Bischofsbestellung an das Wahlrecht eines Domkapitels zu binden sucht. Wörtlich stellt er fest: „Die geschichtliche Grundlage für die Beschränkung der päpstlichen Entscheidungsfreiheit zugunsten eines deutschen Kollegialorgans sind entfallen, und der

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darf er die Besetzung eines so wichtigen kirchlichen Amtes, wie es das Amt des Diözesanbischofs ist, nicht verzögern oder behindern. Die vorstehenden Überlegungen sprechen dagegen, Komplikationen im Zusammenhang mit einer Bischofswahl einseitig kirchlich zu lösen, machen aber auch deutlich, daß nach Rücksprache mit dem staatlichen Vertragspartner eine Lösung nach kirchenrechtlichen Prinzipien herbeizuführen ist. Zusammenfassend kann man daher zunächst feststellen, daß bei vertragsgetreuer Anwendung der konkordatsrechtlich vereinbarten Bestimmungen zur Bischofsstuhlbesetzung kein Domkapitel das Recht hat, einen päpstlichen Dreiervorschlag zurückzuweisen oder die Wahl zu verweigern. Sollten dennoch Probleme auftreten, die von einem pflichtwidrigen Verhalten eines Domkapitels herrühren, würde der kirchliche Vertragspartner – nachdem er das Domkapitel erfolglos gemahnt hat, pflichtgemäß zu handeln – gut daran tun, im Sinn der Freundschaftsklausel mit der staatlichen Seite Kontakt aufzunehmen und sich des Einverständnisses zu versichern, die Bestellung des neuen Bischofs nach kanonischem Recht vorzunehmen. IV. Ausblick Wiederholt wurden in den letzten Jahren Stimmen laut, die auf eine stärkere Beteiligung der betroffenen Ortskirche und der benachbarten Bischöfe an dem Verfahren zur Bestellung neuer Diözesanbischöfe drängten und Modelle entwarfen, die diesem Anliegen entsprechen40. Dabei wurden bedenkenswerte

religiös neutrale Staat hat kein Recht, die Kirche in einem Vertrag hinsichtlich des Verfahrens für die Besetzung des leitenden geistlichen Amtes zu binden.“ (Ernst-Lüder Solte, Die Ämterhoheit der Kirchen, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2., grundlegend neubearb. Aufl., hrsg. von Joseph Listl / Dietrich Pirson, Bd. I, Berlin 1994, S. 561 – 572, hier S. 569 f.); vgl. auch ders., Staatskirchenrecht und Kirchenkonflikte. Dargestellt am Beispiel von Bischofsernennungen und Lehrstuhlbesetzungen, in: Eine Kirche – ein Recht? (Anm. 10), S. 155 – 185, hier S. 164 f., 170. – Dieselbe Auffassung vertritt auch Hans Ulrich Anke, wenn er in entsprechendem Zusammenhang feststellt, daß „dem staatlichen Vertragspartner mit den vertraglichen Festlegungen kein Mitwirkungsrecht bei der kirchlichen Ämterbesetzung und keine durchsetzbare Position auf Einhaltung der vereinbarten Verfahrensregeln eingeräumt sein“ kann (H. U. Anke, Neubestimmung [Anm. 8], S. 378 f.). – Anderer, aber nicht überzeugender Ansicht A. Hopfauf, Ernennung von Bischöfen (Anm. 10), S. 1264 f. 40 Es genügt, hier auf einige Beiträge hinzuweisen, die vornehmlich von kirchenrechtlichen Fachleuten verfaßt wurden: Eva Maria Maier, Bischofsernennungen – Prüfstein kirchenrechtlicher Legitimität, in: Stimmen der Zeit 206 (1988), S. 447 – 460, hier S. 456 f.; Matthäus Kaiser, Besetzung der Bischofsstühle. Erfahrungen und Optionen,

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Argumente vorgetragen, die sowohl auf die Leitungsverantwortung des Diözesanbischofs im Hinblick auf die ihm anvertraute Teilkirche als auch auf dessen Mitgliedschaft im Bischofskollegium und in regionalen bischöflichen Teilkollegien wie der Bischofskonferenz, Partikularkonzilien und dem Konvent der Bischöfe einer Kirchenprovinz Bedacht nehmen. Im Recht der Bischofsbestellung, wie es aufgrund des CIC und der Staatskirchenverträge derzeit für die meisten deutschen Diözesen gilt, sind Aspekte, die in den Reformvorschlägen immer wieder genannt werden, teilweise verwirklicht. Das Domkapitel als ein ortskirchliches Organ legt dem Apostolischen Stuhl Vorschläge für die Neubesetzung des vakanten Bischofsamtes vor und kann aus einer päpstlichen Dreierliste den neuen Bischof wählen. Die Bischöfe der Region sind kollegial und als einzelne ebenfalls mit Personalvorschlägen an der Neubesetzung beteiligt. Verschiedene Gläubige, Laien und Kleriker, werden vom Apostolischen Nuntius im Verfahren der Kandidatenfindung um ihr Urteil gebeten. Der Apostolische Stuhl stellt unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der betreffenden Teilkirche als auch im Hinblick auf die Erfordernisse der benachbarten Teilkirchen, der Teilkirchenverbände und des Bischofskollegiums eine Liste geeigneter Geistlicher zusammen und ernennt schließlich den gewählten Bischof. Es gibt also – wie bei der Bischofsbestellung in altkirchlicher Zeit – ein Zusammenwirken von drei Instanzen: Klerus und gläubiges Volk der Teilkirche, Nachbarbischöfe, Oberbischof41. Gewiß kann man mit guten Gründen für eine Veränderung des Verfahrens zur Bischofsbestellung plädieren. Jedes erneuerte, ekklesiologisch gerechtfertigte Verfahren muß freilich die drei klassischen Beteiligungsinstanzen berücksichtigen, nämlich Klerus und Volk, die Bischöfe und den Papst als Oberbischof, der die Einheit des Bischofskollegiums und damit der gesamten Kirche gewährleistet. Es liegt auf der Hand, daß bei entsprechenden Veränderungen die Bedeutung des

in: AfkKR 158 (1989), S. 69 – 90, hier bes. S. 80 – 90; ders., Dem Bischofsamt angemessen? Kritik der gegenwärtigen und Option für eine angemessene Bestellungspraxis, in: Eine Kirche – ein Recht? (Anm. 10), S. 73 – 100; ders., Wie werden Bischofsstühle besetzt? [Vortrag in Mamming am 11. April 2002]: http:\\wsk-regensburg.de/bischofs wahlen/KaiserBischofsstuehle.doc (April 2003); G. Hartmann, Bischof (Anm. 10), S. 202 – 206; Bruno Primetshofer, Dezentralisierung wäre angebracht. Kirchenrechtliche Überlegungen zu den Bischofsbestellungen, in: Herder-Korrespondenz 50 (1996), S. 348 – 352; ders., Bischofsernennungen, in: Bischofsbestellung. Mitwirkung der Ortskirche?, hrsg. von Bernhard Körner / Maria Elisabeth Aigner / Georg Eichberger (Theologie im kulturellen Dialog, Bd. 3), Graz / Wien / Köln 2000, S. 61 – 81, hier bes. S. 75 – 81; W. Aymans, Berufung in den bischöflichen Dienst (Anm. 10), S. 152 f.; R. Althaus, Besetzung des Amtes des Diözesanbischofs (Anm. 10), S. 106 – 111 (mit weiteren Lit.-Hinweisen). 41

Vgl. S. Haering, Bestellung von Bischöfen (Anm. 10), S. 237 f.

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Domkapitels, das gegenwärtig in den betreffenden deutschen Bistümern die Instanz „Klerus und Volk“ am stärksten vertritt, zugunsten anderer teilkirchlicher Organe (z. B. Priesterrat, Pastoralrat) zurücktreten wird. Elemente einer Erneuerung des Verfahrens zur Bischofsbestellung können zwar auch im Rahmen des geltenden Konkordatsrechts zur Geltung gebracht werden. Eine umfassendere Neuordnung wird indes nur auf der Basis entsprechend revidierter Konkordate möglich sein. Erst vor etwa einem Jahrzehnt hat sich der Heilige Stuhl, der prinzipiell sicherlich kein besonderes Interesse an einer Festigung des Bischofswahlrechts der Domkapitel besitzt, anläßlich der Errichtung der neuen deutschen Bistümer zur Übernahme des Modells des Preußischen Konkordats für die Bischofsbestellung für diese Diözesen bereit erklärt. Auf diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, daß in römischen Verlautbarungen zum Bischofsamt keine Tendenzen zur Änderung der Bischofsbestellung zu erkennen sind42, wird man eine baldige und tiefergreifende Veränderung nicht zu erwarten haben. Gleichwohl sollten die Domkapitel, die das Recht der Bischofswahl besitzen, sich nicht in Sicherheit wiegen. In einer Gemengelage, die durch innerkirchliche Rufe nach Änderung des Verfahrens der Bischofsbestellung, grundsätzliche Abneigung des Apostolischen Stuhls gegen jegliche Einschränkung der freien Besetzung der Bischofsstühle und – auf Seiten der staatlichen Konkordatspartner – sowohl geringer werdendes Interesse an Fragen der Besetzung von Kirchenämtern als auch verfassungsrechtlich höchst fragwürdige Möglichkeiten, das Wahlrecht der Domkapitel zu schützen, bestimmt ist, könnte die Mitwirkung der Domkapitel an der Bischofsbestellung rasch Gefährdungen ausgesetzt sein. Wollen die Domkapitel einer solchen Entwicklung vorbeugen, bleibt ihnen nur die Option, ihre gegenwärtigen Funktionen in diesem Verfahren korrekt wahrzunehmen und sich so den anderen Verfahrensbeteiligten gegenüber als loyal und verläßlich zu erweisen.

42

Vgl. Johannes Paul II., Adhortatio Apostolica post-synodalis Pastores Gregis, Vatikanstadt 2003 (Teilabdr.: Communicationes 35 [2003], S. 152 – 196); dt.: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Bd. 163, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2003.

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft Von Georg May Der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft hat vielfältiges Interesse und häufigen literarischen Niederschlag gefunden1. Der Wiedereintritt in eine Reli1

Mejer † (Hauck), Konfessionswechsel: RE X, 3. Aufl., 1901, 673 – 676; Hanns Engelhardt, Der Austritt aus der Kirche, Frankfurt a. M. 1972; Axel Frhr. von Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Ernst Friesenhahn, Ulrich Scheuner i. V. m. Joseph Listl (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde., Berlin 1974/75, I, 657 – 666; Peter Gradauer, Der Kirchenaustritt und seine Folgen: Theologisch-praktische Quartalschrift 132, 1984, 64 – 75; Klaus Lüdicke, Wirtschaftsstrafrecht in der Kirche? Kanonistische Anmerkungen zu einem Kirchenaustritt, in: Vermögensverwaltung in der Kirche. Administrator bonorum. Oeconomus tamquam paterfamilias. Hrsg. von Hans Paarhammer, 2. Aufl., Thaur/Tirol 1988, 275 – 282; Joseph Listl, Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung. in: Recht als Heilsdienst. Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Schulz, Paderborn 1989, 160 – 186 = Joseph Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Hrsg. von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 25), Berlin 1996, 648 – 671; Maria José Roca, Der Kirchenaustritt aus der Sicht von Staat, Kirche und Individuum: AfkKR 159, 1990, 427 – 447; Institut für Demoskopie Allensbach, Kirchenaustritte. Eine Untersuchung zur Entwicklung und zu den Motiven der Kirchenaustritte, Allensbach 1992; Franz-Helmut Richter, Handbuch Kirchenaustritt. Wie trete ich aus der Kirche aus: Verfahren – Gebühren – Adressen. Deutschland – Österreich – Schweiz, Aschaffenburg 1993; Institut für Demoskopie Allensbach, Begründungen und tatsächliche Gründe für einen Austritt aus der katholischen Kirche, Allensbach 1993; Sabine Demel, Kirchenaustritt wegen der Kirchensteuer – nur ein kleiner Fehltritt?: Anzeiger für die Seelsorge 1994, 471 – 476; Axel Frhr. von Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Joseph Listl, Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde., 2., grundlegend neubearb. Aufl., Berlin 1994/95, I, 777 – 785; Udo F. Schmälzle, Die Steuergemeinschaft endet. Es bleibt die Heilsgemeinschaft! Kirchenaustritt als pastorale Herausforderung: Anzeiger für die Seelsorge 1995, 494 – 498; Udo Körner, Austreten: Anzeiger für die Seelsorge 1997, 126 – 128; Joseph Listl, Die Erklärung des Kirchenaustritts, in: Joseph Listl, Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2., grundlegend neubearb. Aufl., Regensburg 1999, 209 – 219; Heribert Hallermann, Zu Fragen der Kirchenmitgliedschaft, des Kirchenaustritts und des sogenannten Übertritts aus der Sicht des Katholischen Kirchenrechts: Una Sancta

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Georg May

gionsgemeinschaft, die jemand durch Austritt verlassen hat, wird dagegen in allen einschlägigen Veröffentlichungen stiefmütterlich behandelt2. In der Gegenwart gewinnt er steigende Bedeutung3. Die folgenden Überlegungen stellen allein auf die katholische Kirche und deren Glieder ab.

57, 2002, 84 – 96. Die Lage der Rechtsquellen zum Kirchenaustritt im Jahre 1994 ist angegeben bei Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen 783 – 785. 2

Heribert Heinemann, Die rechtliche Stellung der nichtkatholischen Christen und ihre Wiederversöhnung mit der Kirche (= Münchener Theologische Studien Kanonistische Abteilung 20), München 1964; Peter Meinhold (Hrsg.), Das Problem der Kirchengliedschaft heute (= Wege der Forschung Bd. 524), Darmstadt 1979; Christian Meyer, Bemerkungen zum Kirchenmitgliedschaftsrecht: ZevKR 27, 1982, 225 – 253; Franz Hölzl, Die Sakramente der Eingliederung in ihrer rechtlichen Gestalt und ihren rechtlichen Wirkungen vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis zum Codex Iuris Canonici von 1983 (= Theorie und Forschung Bd. 67 = Philosophie und Theologie Bd. 7), Regensburg 1988; Axel Frhr. von Campenhausen, Die staatskirchenrechtliche Bedeutung der Kirchenmitgliedschaft, in: Friesenhahn / Scheuner / Listl, Handbuch des Staatskirchenrechts I, 609 – 614; derselbe, Staatskirchenrechtliche Probleme der Kirchenmitgliedschaft: ebenda I, 645 – 656; derselbe, Entwicklungstendenzen im kirchlichen Gliedschaftsrecht: ZevKR 41, 1996, 129 – 141; Andreas Feige, Kirchenmitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Zentrale Perspektiven empirischer Forschungsarbeit im problemgeschichtlichen Kontext der deutschen Religions- und Kirchensoziologie nach 1945, Gütersloh 1990; Hanns Engelhardt, Einige Gedanken zur Kirchenmitgliedschaft im kirchlichen und staatlichen Recht: ZevKR 41, 1996, 142 – 158; Wolfgang Bock, Fragen des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts: ZevKR 42, 1997, 319 – 337; Matthias Haß, Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft nach evangelischem und katholischem Kirchenrecht. Eine Untersuchung der staatskirchenrechtlichen, kirchenrechtlichen und rechtstheologischen Bezüge der Kirchenmitgliedschaft (= Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Bd.109), Berlin 1997; Maria J. Roca, Die Zugehörigkeitserklärung zu einer Religionsgemeinschaft im deutschen Recht. Projektion und vergleichende Analyse mit dem spanischen Recht: ZevKR 43, 1998, 333 – 354; Pastorale und kirchenrechtliche Hinweise des Bistums Bozen-Brixen vom November 1998 zu Aufnahme in die katholische Kirche und Austritt aus der katholischen Kirche: AfkKR 167, 1998, 524 – 528; Ulrich Seelemann, Kirchenmitgliedschaft als Voraussetzung kirchlicher Anstellungsverhältnisse: ZevKR 44, 1999, 220 – 243; Bertram Zotz, Katholisch getauft – katholisch geworden. Kanonistische Kriterien für die Zugehörigkeit zur römischen Kirche (= Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici Beiheft 35), Essen 2002; Dirk Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen. Ein kirchenorientiertes Marketingkonzept, 2., überarb. Aufl. (= Europäische Hochschulschriften Reihe XXIII Theologie Bd. 695), Frankfurt a. M. u.a. 2002. 3

Vgl. Doris Michel-Schmidt, Mein Weg zurück in die Kirche. Wiedereingetretene berichten, Würzburg 2003.

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

187

I. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nach staatlichem Recht Das Recht der Mitgliedschaft bzw. Gliedschaft ist eine eigene Angelegenheit der Kirche bzw. der Religionsgemeinschaft. Der Staat geht für den Erwerb der Mitgliedschaft von der religionsrechtlichen Regelung aus. Ein staatliches Kircheneintrittsrecht existiert nicht. Eine eigene Zuständigkeit zu rechtlicher Regelung bezüglich der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft besitzt der Staat lediglich hinsichtlich jener Wirkungen, die sie im weltlichen Bereich zeitigt. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wird nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV von dieser als eigene Angelegenheit selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes geregelt4. Allerdings erkennt das staatliche Recht nur solche Regelungen an, die mit dem Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit5 vereinbar sind, d.h. die auf den freien Willen der Personen abstellen, diese also nicht ohne Rücksicht auf ihren Willen einer Religionsgemeinschaft eingliedern6. Der Staat sieht als Angehörigen einer Religionsgemeinschaft nur jemanden an, der sich, persönlich oder durch seinen gesetzlichen Vertreter, durch eine äußere, erkennbare Willenserklärung als dieser Gemeinschaft zugehörig bekannt hat. Ohne eine Willensbekundung der betreffenden Person oder ihres gesetzlichen Vertreters steht der Wille, Mitglied zu werden, nicht fest. Eine einseitige, vom Willen des Betroffenen unabhängige Eingliederung in eine Religionsgemeinschaft ist ungültig. Aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit ergibt sich mithin das Verbot einer kirchlichen Zwangsmitgliedschaft. Erstmaliger Erwerb der Mitgliedschaft und neuerlicher Erwerb nach Verlust derselben decken sich nicht und sind daher zu unterscheiden. II. Der Kirchenaustritt nach staatlichem Recht 1. Die Sicht des Staates Das Grundrecht der Religionsfreiheit schließt das Recht ein, sich der Religion zuzuwenden und die Religion bzw. deren Organisation zu verlassen. Für den letzteren Vorgang stellt der Staat das Institut des Kirchenaustritts bereit, das also der staatlichen Rechtsordnung angehört. Obwohl die Regelung der Zugehörigkeit zu einer Kirche eine innere Angelegenheit derselben ist, hat sich der 4

BVerfGE 30, 415, hier 422.

5

Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 1), Berlin 1971. 6

BVerfGE 19, 206, hier 217.

Georg May

188

Staat die Gesetzgebung über den sogenannten Austritt aus der Kirche vorbehalten. Doch beschränkt er sich dabei auf die Festlegung der bürgerlichen Wirkungen dieses Aktes. Der Kirchenaustritt hat bürgerliche Wirkung, d.h. im staatlichen Recht. Der Staat ist außerstande, die Mitgliedschaft zur Kirche als einer Glaubensgemeinschaft zu normieren. Nur der ins weltliche Recht hineinragende Verband der Kirche ist der staatlichen Regelung zugänglich. Doch ist nicht zu verkennen, daß mit der Bestimmung, der Ausgetretene sei durch seinen Austritt von allen Leistungen befreit, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der betreffenden Religionsgesellschaft beruhen, auch in das innerkirchliche Recht eingegriffen wird. Denn dieses kann eben vorsehen, daß eine solche Befreiung durch den Akt des Austritts nicht eintritt. Der Kirchenaustritt ist eine empfangsbedürftige rechtsgestaltende Willenserklärung. Der Austretende erklärt, daß er der Kirche nicht mehr angehören will; er bekundet seinen Willen, vor dem Staat und dessen Rechtsordnung aus der katholischen Kirche austreten zu wollen. Das staatliche Kirchenaustrittsrecht hat unmittelbare Wirkungen lediglich im Bereich des staatlichen Rechtes. Der Ausgetretene ist aus staatlicher Sicht nicht mehr Mitglied der betreffenden Religionsgemeinschaft. Der Staat legt der Austrittserklärung Wirkung vor seinen Behörden bei. Der aus der Kirche Ausgetretene wird von den staatlichen Behörden nicht mehr als Angehöriger derselben betrachtet und behandelt. Die Rücknahme der Kirchenaustrittserklärung ist in den staatlichen Kirchenaustrittsgesetzen nicht vorgesehen. Die detaillierte Geschichte des Kirchenaustritts ist noch zu schreiben7. Dabei ist auf eine graduelle Verschärfung der Rechtslage zu Ungunsten der Kirche hinzuweisen, vor allem was die zur Entgegennahme des Austritts zuständige Behörde und den Eintritt der Wirkungen des Austritts angeht. Ältere Kirchenaustrittsgesetze sahen nämlich eine Frist bis zum Wirksamwerden der Erklärung vor, um der Kirche Gelegenheit zu bieten, auf den Ausgetretenen einzuwirken, damit er seine Erklärung zurücknehme8. Diese Frist mußte als verfassungswidrig beseitigt werden9. Die Länder der Bundesrepublik Deutschland haben je eigene Kirchenaustrittsgesetze verabschiedet. Aus jüngster Zeit seien erwähnt im Land Rheinland-Pfalz das Landesgesetz über den Austritt aus Religionsgemeinschaften vom 12. Oktober 199510 und im Land Sachsen-Anhalt das Kirchenaustrittsgesetz vom 15. April 199811. Staatliche und kirchliche Behörden kommunizieren beim Kirchenaustritt miteinander. Nach der gemeinsamen 7 A. B. Schmitt, Der Austritt aus der Kirche, Leipzig 1893; Georg May, Der Kirchenaustritt in der DDR: Theologisch-praktische Quartalschrift 108, 1960, 290 – 294; derselbe, Der Kirchenaustritt in der Bundesrepublik Deutschland: ÖAKR 14, 1963, 3 – 67. 8

Z. B.: das preußische Gesetz vom 30. November 1920 (GS. S. 119) § 1 Abs. 2.

9

BVerfGE 44, 37.

10

GVBl. S. 421.

11

GVBl. S. 178.

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

189

Bekanntmachung der bayerischen Ministerien des Kultus und des Inneren vom 6. August 1992 hat der Standesbeamte vom Austritt aus der Kirche folgende Behörden zu verständigen: das zuständige Finanzamt, das Kirchensteueramt (mit Pfarramt), die Meldebehörde und den für die Fortführung des Familienbuches zuständigen Standesbeamten12. Nach dem Landesgesetz über den Austritt aus Religionsgemeinschaften von Rheinland-Pfalz unterrichtet der Standesbeamte die betroffene Religionsgemeinschaft, die Meldebehörde und die Stelle, welche die Kirchensteuer verwaltet, von dem erfolgten Austritt (§ 4 Abs. 2). Gemäß dem Kirchenaustrittsgesetz für Sachsen-Anhalt unterrichtet das zuständige Standesamt die entsprechende Religionsgemeinschaft, die zuständige Meldebehörde und, falls die erklärende Person verheiratet ist oder verheiratet gewesen ist, das Standesamt, welches das Familienbuch bzw. den Heiratseintrag führt (§ 4 Abs. 2). 2. Kirchliche Beurteilung Die staatliche und die kirchliche Rechtsordnung sind grundsätzlich unabhängig voneinander. Die Ebenen des staatlichen Rechtes und des kirchlichen Rechtes sind daher sorgfältig auseinanderzuhalten. Der Staat und die Kirche nehmen zum Kirchenaustritt (und zum Wiedereintritt) eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Eine Aufkündigung der Gliedschaft in der Kirche ist nach katholischer Lehre und nach Kirchenrecht nicht möglich; es gibt keinen „Austritt“ aus der Kirche. Die durch den Empfang der Taufe begründete Bindung an die Kirche kann nicht rückgängig gemacht werden. In diesem Sinne gilt der Satz: Semel Christianus semper Christianus. Der Staat nimmt zu dieser Sicht keine Stellung. Er hindert die Kirche nicht daran, den Kirchenaustritt zu verbieten und über den Ausgetretenen Strafen zu verhängen. Eine Religionsgemeinschaft ist sogar befugt, jemanden, der nach staatlichem Recht seinen Austritt erklärt hat, weiterhin als ihr Mitglied anzusehen13. Damit ist freilich auf die metajuristische Ebene abgehoben, nicht auf die des Staatskirchenrechts. Dennoch kann sich die Kirche der Tatsache nicht verschließen, daß die Erklärung des Kirchenaustritts nach ihrem objektiven Gehalt die Abwendung oder den Abfall von der Kirche ausdrückt. In der Regel steht der Kirchenaustritt am Ende einer langen Entwicklung der Entfremdung vom Leben der Kirche, vom Glauben der Kirche und von der Sittenlehre der Kirche, d.h. in den meisten Fällen war und ist die Erklärung des Kirchenaustritts der Ausdruck einer Entchristlichung und Entkirchlichung. Doch ist nicht zu übersehen, daß in den 12 13

AllMBl. S. 673.

Auch staatliche Gerichte sprechen gelegentlich von dem Wiedereintritt als einer bloßen „Aktivierung der kirchlichen Gliedschaft“, die trotz des Kirchenaustritts weiterbesteht (OVG Lüneburg Beschl. vom 21. November 1985 – Az. 13 OVG B 86/85: ZevKR 31, 1986, 232, 234).

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190

letzten Jahrzehnten seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein Teil der Kirchenaustritte völlig anders motiviert war und ist als bis dahin. Nicht ganz wenige Austretende begründen ihre Distanzierung von der Kirche mit deren innerem Zerfall und der daraus sich ergebenden Verwendung der Kirchensteuermittel und erklären ausdrücklich, daß sie sich lediglich von der Steuergemeinschaft der katholischen Kirche trennen, daß aber ihre Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft unberührt bleibt14. Nach kirchlicher Auffassung gilt der Austritt als Lossagung von der Kirche. Eine solche liegt jedoch nicht in der Absicht der erwähnten Austretenden, die vielmehr der Kirche die Treue halten wollen. Sie versprechen durchaus glaubwürdig, ihren (sonstigen) kirchlichen Pflichten gewissenhaft nachkommen zu wollen. Sie versuchen, ihre Gewissenslage zu verdeutlichen mit dem Instrument des modifizierten Kirchenaustritts. Der modifizierte Kirchenaustritt war ein Mittel, das in der Austrittserklärung liegende Ärgernis zu beheben oder wenigstens zu vermindern. Er ist jedoch nicht (mehr) möglich. Zusätze zu der Erklärung, die sich auf den innerkirchlichen Bereich beziehen, dürfen seit einiger Zeit nicht mehr angenommen oder wenigstens in die Bescheinigung über den vollzogenen Kirchenaustritt nicht aufgenommen werden15. Die deutschen Bischöfe haben wiederholt zur religiös-sittlichen Bedeutung des Kirchenaustritts Stellung bezogen. Über die Sündhaftigkeit des Kirchenaustritts und seine innerkirchlichen Folgen erließen die westdeutschen Bischöfe am 15. Februar 1937 eine Verlautbarung16. Im Erzbistum Köln wurde der Kirchenaustritt mit der Exkommunikation bedroht17. Die Erklärung der Diözesanbischöfe der Bundesrepublik Deutschland zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens vom Dezember 196918 knüpft die Teilnahme am sakramentalen Leben der Kirche an die Rückgängigmachung des Kirchenaustritts. 3. Die Terminologie Staatliche Gesetze, die den Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft regeln, existieren nicht. Sie sind aber genauso denkbar wie staatliche Kircheneintrittsgesetze, sofern sie sich auf die Wirkungen für den staatsbürgerlichen 14 Beschluß des Pfälzischen Oberlandesgerichtes Zweibrücken vom 30. Juni 1993 (3 W 33/93) zu Zusätzen zur Kirchenaustrittserklärung (ZevKR 39, 1994, 198 – 201). 15

Josef Listl, Verfassungsrechtlich unzulässige Formen des Kirchenaustritts: JZ 1971 S. 345 – 352. Die entgegengesetzte Position vertraten Dietrich Pirson (JZ 1971 S. 608 – 612) und Hermann Weber (NJW 1975 S. 1904 f.). Ausführlich zu der Problematik Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften 664 f.; derselbe, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften 781. 16

Ludwig Volk (Hrsg.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 19331945, Bd. 4: 1936-1939, Mainz 1981, 175. 17

Kölner Diözesansynode 1954, Köln 1954, 230 Nr. 610 § 2.

18

AfkKR 138, 1969, 557 – 559.

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

191

Bereich beschränken19. Für den Staat ist der Wiedereintritt nichts anderes als ein (erneuter) Eintritt. Auch die katholische Kirche in Deutschland kennt in der Regel keine detaillierten Regelungen des Wiedereintritts20. Der einschlägige Gegenstand wird gewöhnlich unter dem Titel „Rekonziliation“ behandelt21. Entsprechend schwierig und uneinheitlich ist die Terminologie. Der Ausdruck „Wiedereintritt“ oder „Wiederaufnahme“ ist, dogmatisch und kirchenrechtlich gesehen, unangebracht und mißverständlich, denn die Aufnahme in die Kirche durch Empfang der Taufe ist einmalig und unwiederholbar. „Wiedereintritt“ oder „Wiederaufnahme“ ist nur zur Bezeichnung der im staatlichen Bereich eintretenden Wirkungen der kirchlichen Rekonziliation eines Ausgetretenen geeignet. Der angemessene Ausdruck für die Rückkehr in die kirchliche Gemeinschaft ist „Wiederversöhnung mit der Kirche“. Denn durch den bürgerlichen Kirchenaustritt hat der Christ die Kirche verletzt. Die Verordnung der Diözese Rottenburg-Stuttgart spricht von „Wiederaufnahme in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche“22. Solche Christen, die in der katholischen Kirche getauft wurden, von ihr abfielen und nun zu ihr zurückkehren, können auch als Revertiten bezeichnet werden. III. Das seelsorgliche Anliegen Die katholische Kirche hat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Millionen von Mitgliedern durch Kirchenaustritt verloren23. Die Ausgetretenen bleiben der Kirche aufgegeben; sie kann nicht auf sie verzichten. Die Kirche darf niemals die Hoffnung aufgeben, daß Gottes Gnade, im Verein mit der seelsorgerischen Einwirkung, die Entfremdeten wieder zu ihr zurückführt. Die Sorge

19

Axel Frhr. von Campenhausen, Die Zugehörigkeit zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Staatskirchenrechtliche Probleme der Kirchenmitgliedschaft, in: Friesenhahn, Scheuner, Listl, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland I, 644 – 656, hier 648; zurückhaltender derselbe, Die staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: Listl, Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland I, 755 – 775, hier 757. 20

In der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover besteht eine Rechtsverordnung über die Wiederaufnahme Ausgetretener vom 21. Juni 1932 (KABl. S. 89). 21

Erlaß für die Diözese Augsburg vom 21. März 1988 über die Rekonziliation nach Erklärung des Kirchenaustritts (ABl. Augsburg 1988 S. 141 f.); Diözesanstatuten des Bistums Mainz, Mainz 1957, 107 (Wiederaufnahme = Rekonziliation). 22 23

KABl. Rottenburg-Stuttgart Nr. 13 vom 21. Juni 1995 S. 469 – 471.

Andreas Feige, Kirchenentfremdung/Kirchenaustritte: TRE XVIII, 1988, 530 – 535; Joseph Listl / Renate Köcher, Kirchenaustritt: LThK V, 3. Aufl., 1996, 1510 f.; Detlef Pollack / Dieter Kraus / Jan Hermelink, Kirchenaustritt: RGG IV, 4. Aufl., 2001, 1053 – 1059.

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der Kirche hört deshalb mit dem Kirchenaustritt nicht auf. Es muß ihr Ziel sein, die Ausgetretenen zur Rückkehr in die Kirche bzw. zur Versöhnung mit der Kirche zu bewegen. Die „Wiederaufnahme“ in die Kirche ist daher eine eminent seelsorgliche Aufgabe. Sie ist auch keineswegs aussichtslos. Allen Wiedereintrittshindernissen24 zum Trotz bleibt ein großer Teil der Ausgetretenen für die Kirche ansprechbar25. Auf protestantischer Seite hat man seit langem bemerkt, daß etwas und mehr als bisher getan werden muß, um den Wiedereintritt in die Kirche zu fördern. Dort sind beachtliche Konzepte zur nachgehenden Seelsorge an den Ausgetretenen entwickelt worden26. Ebenso werden beherzigenswerte Vorschläge für deren Rückgewinnung vorgelegt27. Die evangelischen Landeskirchen sind bemüht, den Kontakt zu den Ausgetretenen nicht abreißen zu lassen und sie möglichst zur Rückkehr zu bewegen28. Sie forderten ursprünglich regelmäßig für die Wiederaufnahme vorangehende aktive Beteiligung am Leben der Gemeinde, vor allem am Gottesdienst, ein Gespräch mit dem Pfarrer und religiöse Unterweisung, eine Wartezeit und die Meinungsäußerung des Kirchenvorstands. Die Empfehlungen der Arnoldshainer Konferenz vom 3. April 1987 gingen dahin, die hohen Hürden für die Wiederaufnahme von Ausgetretenen abzubauen29. Die Lebensordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau erklärt ausdrücklich, daß den Ausgetretenen „die Teilnahme am Gottesdienst und an sonstigen Gemeindeveranstaltungen“ offenstehe. „Freundliche Kontakte und offene Gespräche können eine mögliche Rückkehr in die Gemeinde fördern“30. Nach dem Gesetz dieser Kirche vom 17. Juni 200031 geht dem Wiedereintritt ein Gespräch mit dem Pfarrer der Kirchengemeinde des Wohnsitzes, einem anderen Pfarrer oder einem von der Kirchenleitung hierfür Bevollmächtigten voraus. Dieser entscheidet über den Wiedereintritt. In Zweifelsfällen entscheidet der zuständige Kirchenvorstand über den Eintritt (Art. 1). An sich sind also auch im Bereich der evangelischen Kirchen Antrag auf Wiederaufnahme und Annahme desselben verlangt. Doch kann ein solcher Wiederaufnahmeantrag sowohl konkludent gestellt als auch konkludent 24

Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 211 f.

25

Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 207 – 213.

26

Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 164 – 174.

27

Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 213 – 221, 230 – 239, 245 – 248.

28

Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 96 – 100.

29

ABl. EKD S. 255 f. Nr. 105.

30

Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau i. d. F. v. 28. März 1995 Nr. VIII Ziff. 3.3 (ABl. S. 125 = ABl. EKD S. 477 – 479 Nr. 152). 31 Kirchengesetz zur Änderung der Kirchengemeindeordnung und der Lebensordnung zum Kircheneintritt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vom 17. Juni 2000 (ABl. S. 233 = ABl. EKD S. 394).

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

193

angenommen werden32; d. h. es gibt einen Wiedereintritt in die Kirche durch schlüssiges Handeln33. Ein aus der Kirche Ausgetretener kann durch sein über einen längeren Zeitraum gezeigtes späteres Verhalten wieder Mitglied der Kirche werden34. Die jahrelange unbeanstandete Zahlung von Kirchensteuern oder die Taufe der Kinder des Ausgetretenen reicht allerdings nach dem (nicht wirksam gewordenen) Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 9. März 1998 – 7 A 1132/97 – nicht aus35. Es ist von staatlicher Seite anerkannt, daß eine ausdrückliche oder gar förmliche Beitrittserklärung nicht erforderlich ist, um Mitglied einer Landeskirche zu werden36. Der Rechtsausschuß der Arnoldshainer Konferenz empfahl am 6. Mai 1999, die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland auch durch anerkannte Eintrittsstellen vornehmen zu lassen37. Diese Anregung ist aufgegriffen worden38. In der Nordelbischen Kirche gibt es seit langem die Möglichkeit, besondere Aufnahmestellen einzurichten39. In Hamburg wurde schon im Jahre 1981 eine Wiedereintrittsstelle, die mit einem Pastor besetzt ist, eingerichtet40. Weitere Stellen bestehen in Berlin, Hannover und Dortmund. Die Kircheneintrittsstellen haben das Ziel, Menschen den Wiedereintritt zu ermöglichen, ohne daß sie den zuständigen Pfarrer, zu dem sie regelmäßig keine Verbindung haben, angehen müssen. Auf katholischer Seite ist das Anliegen der Wiederversöhnung bzw. des Wiedereintritts Ausgetretener m. W. noch nicht im gleichen Umfang institutionalisiert. Eine vergleichbare Stelle wurde in Hannover eingerichtet41. Daneben bestehen Einrichtungen zur Beratung Ausgetretener. Die Katholische Glaubensorientierung in St. Michael/München erstellte ein Falt-

32

Vgl. die insofern zutreffenden Ausführungen des VG Hannover in dem Urteil vom 9. März 1998 (ZevKR 46, 2001, 86 – 96). Eberhard Stammler wurde zum protestantischen Pfarrer ordiniert, obwohl er seinen bürgerlichen Kirchenaustritt nicht rückgängig gemacht hatte (Eberhard Stammler, Kirche ohne Volk? Christen am Ende des Jahrtausends, Zürich 1992, 202). 33

VG Braunschweig (1. Kammer Lüneburg), Urteil vom 26. Januar 1978 – I A 5/76 – (ZevKR 24, 1979, 380 – 386). 34

OVG Lüneburg, Beschluß vom 21. November 1985 – 13 OVG B 86/85 – (ZevKR 31, 1986, 232 – 234). 35

ZevKR 46, 2001, 86 – 96.

36

BVerfGE 30, 415, hier 424.

37

ABl. EKD 1999 S. 404 f. Nr. 125.

38

Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 230 f.

39

Haß, Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft 221.

40

Rechtsverordnung über die Wiederaufnahme Ausgetretener vom 10. Februar 1981 i. d. F. v. 10. März 1981 (GVBl. NEK S. 81 = ABl. EKD S. 249). 41

DT Nr. 99 vom 21. August 2003 S. 6.

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blatt „Die Tür steht offen“, das als Information dienen soll, wie der „Wiedereintritt“ in die katholische Kirche vollzogen werden kann42. Das Bemühen, ausgetretene Christen zum Wiedereintritt in die Kirche zu bewegen, muß von der Erforschung der Motive ausgehen, deretwegen der Austritt erfolgte. Wie es für die staatliche Behörde gleichgültig ist, welche inneren Beweggründe jemand veranlassen, den Kirchenaustritt zu erklären, so ist es für sie auch unbeachtlich, aus welchen Motiven die betreffende Person den Wiedereintritt vornimmt. Der Staat stellt nur auf die rechtliche Zugehörigkeit, nicht auf die Überzeugung des einzelnen ab. Anders steht es um die kirchliche Sicht. Hier ist die Motivation zu ihrem Teil ausschlaggebend für die Wiederversöhnung mit der Kirche. In der Regel ist eine Gemengelage der Motive festzustellen. Der Pfarrer hat im Gespräch zu klären, wie und weshalb es zum Kirchenaustritt kam und welches die Motive für die Rückkehr sind. Der Wiedereintritt muß in jedem Falle auf freiem Willen beruhen, und die Wiederaufnahme muß in ernster Absicht begehrt werden.43 Wie die Verhältnisse liegen, ist Rigorismus unangebracht. Wenn erst einmal der Weg zum Leben der Gemeinde gefunden ist, kann die Seelsorge die erforderliche Nacharbeit leisten. IV. Die Phasen und der Ritus der Wiederversöhnung Der Wiedereintritt in die Kirche nach staatlichem Recht setzt die Mitwirkung der Kirche voraus; ihm muß die Wiederversöhnung mit der Kirche vorausgehen. Diese vollzieht sich in mehreren Schritten. Das hierarchische Prinzip der katholischen Kirche läßt eine Wiederaufnahme in die volle Gemeinschaft der Kirche durch konkludente Handlung nicht zu, es sei denn die kirchliche Autorität hätte einen solchen Vorgang ausdrücklich zugelassen. Die kirchlichen Ritualien besitzen keine eigenen Riten für die „Wiederaufnahme“ Ausgetretener; aber sie kennen Formulare für die Versöhnung jener Personen mit der Kirche, die bisher – als Getaufte – außerhalb ihrer standen44. Das vorkonziliare Rituale enthielt einen Ritus De recipiendis Neoconversis in sinum Ecclesiae Catholicae, in dem für Personen über 14 Jahren stets Abschwörung, Glaubensbekenntnis, Lossprechung von Zensuren und sakramentale Beicht vorgesehen war45. Das Rituale Romanum kennt im Ordo Initiationis Christianae Adultorum

42

ABl. MF 1996 S. 205 Nr. 97.

43

Ein ohne genügende Motivation „unter Druck“ erfolgter Wiedereintritt in die Kirche kann für den Arbeitgeber Kirche unbeachtlich sein (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Januar 1997 – 11 Sa 428/96 – : ZevKR 45, 2000, 423 – 427). 44

Für den Wiederaufnahmeritus im deutschen Protestantismus vgl. Dütemeyer, Dem Kirchenaustritt begegnen 219 f. 45

Rituale Moguntinum, Regensburg 1928, 68 – 76.

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

195

einen Ordo Admissionis valide iam Baptizatorum in plenam Communionem Ecclesiae Catholicae46. Der Ritus betrifft getaufte Nichtkatholiken, die zur Kirche konvertieren. Von ihnen wird keine Abschwörung der Häresie, sondern nur die Ablegung der Glaubensbekenntnisses verlangt47. Dieser Ritus findet auch Verwendung bei der Versöhnung von Ausgetretenen48. Die Aufnahme kann innerhalb und außerhalb der Messe erfolgen. Die Diözese RottenburgStuttgart erarbeitete das Formular eines Wortgottesdienstes zur Feier der Wiederaufnahme in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche49. Die Wiederaufnahme erfolgt danach „in der Regel“ innerhalb einer gottesdienstlichen Feier; diese ist also nicht ausnahmslos und zwingend vorgeschrieben. Die vorkonziliaren Diözesanstatuten enthielten in der Regel eingehende Vorschriften für die Rekonziliation Abgefallener50. Die Wiederversöhnung mit der Kirche ist im äußeren Bereich vorzunehmen. Dazu sind katholische Zeugen beizuziehen. Die Diözese Bozen-Brixen fordert die Anwesenheit zweier Zeugen. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart begnügt sich bei der Feier der Wiederaufnahme in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche mit (wenigstens) einem Zeugen. Die Zeugen sind Beweiszeugen. Sie können erforderlichenfalls versichern, daß die Wiederaufnahme rechtmäßig erfolgt ist. 1. Das Angehen des Ortsoberhirten Es ist selbstverständlich, daß der „Wiedereintritt“ in die Kirche nicht eine erneute Vornahme der Wassertaufe verlangt; denn die einmalig gültig gespendete Taufe bleibt unerachtet der Kirchenaustritts bestehen und ist unwiederholbar. Es kann sich nur um die Wiederherstellung eines geordneten Verhältnisses zur Kirche handeln. Diesem Zweck dient das am Anfang stehende Aufnahmeverfahren. Es besteht aus Antrag und Annahme. Beide sind empfangsbedürftige Willenserklärungen. In der Erzdiözese München und Freising sind bestimmte

46

Editio typica, Vatikanstadt 1972, 181 – 192.

47

Ökumenisches Direktorium Nr. 19 und 20 (AAS 59, 1967, 581).

48

Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche nach dem neuen Rituale Romanum, Studienausgabe. Hrsg. von den Liturgischen Instituten Salzburg, Trier / Zürich / Einsiedeln / Köln / Freiburg / Wien 1975, 191: Die folgenden pastoralen Richtlinien können auch „für Konvertiten und Revertiten“ benutzt werden. 49 Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Rottenburg-Stuttgart Nr. 13 vom 21. Juni 1995 S. 469 – 471. 50

Kölner Diözesan-Synode 1954, Köln 1954, 238 – 243 Art. 625 – 627, 629; Diözesanstatuten des Bistums Aachen, Aachen 1959, 202 f. Art. 450; Synodalstatuten des Bistums Trier, Trier 1959, 139 f. Art. 271 – 273; Synodalstatuten der Diözese Essen 1961, Essen 1962, 136 f. Art. 454 – 458.

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Formulare für Gesuche um Rekonziliation vorgeschrieben51. Für die Vornahme der Rekonziliation ist nicht jeder Geistliche zuständig, sondern normalerweise nur der Pfarrer. Die Wiederaufnahme zu gewähren, liegt jedoch nicht in seiner Hand. Die Zulassung zur Rekonziliation bedarf der Zustimmung des Diözesanbischofs bzw. der Bischöflichen Behörde. Der mit der Rekonziliation Ausgetretener befaßte Pfarrer hat daher den Bischof bzw. die Bischöfliche Behörde um die Vollmacht zur Aussöhnung mit der Kirche zu bitten. In dem Antrag sind die Gründe für den Austritt aus der Kirche und die Motive für den Wiedereintritt in die Kirche anzugeben. Gleichzeitig ist die Vollmacht zu erbitten, den Rücktrittswilligen von der etwa eingetretenen Exkommunikation befreien zu dürfen. Die beiden Vollmachten sind zu unterscheiden, was sich schon daraus ergibt, daß die Vollmacht zur Lossprechung bei solchen, die sich mit Gewißheit keine Beugestrafe zugezogen haben, entbehrlich ist. 2. Die religiöse Unterweisung und die Bewährung In vielen Fällen verfügt der Ausgetretene nicht über hinreichendes Wissen um den Glauben. Manchmal muß man sogar vom Rücktritt aus der Glaubenslosigkeit sprechen. Dann wird die Unterweisung in der Lehre der Kirche unerläßlich. Man bedenke, daß die Wiederaufnahme in die Kirche oder, besser, die Rekonziliation mit der Kirche bedeutsame Rechtsfolgen im Eherecht zeitigt. Die „Vergünstigungen“, die in den cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 gewährt werden, sind nunmehr hinfällig. Diese Tatsache muß dem Revertiten bewußt gemacht werden. In der Erzdiözese München und Freising wurde bei allen Rekonzilianden, so verschieden die Fälle auch gelagert sein mögen, auf „Glaubensgespräche“ gedrungen52. Der Kirche ist nicht nur an der Zahl, sondern auch an der Qualität ihrer Glieder gelegen. Sie sollen ihr nicht nur äußerlich zugehören, sondern auch innerlich zugetan sein. Das heißt: Katholische Christen müssen mit Überzeugung zu ihrem Glauben stehen. Das können sie aber nur, wenn sie über entsprechendes Wissen verfügen. Solches soll ihnen die spezielle religiöse Unterweisung vermitteln. Um Gewißheit über die Echtheit und die Nachhaltigkeit des Rückkehrwillens zu gewinnen, scheint zumindest in manchen Fällen die Auferlegung einer Zeit der Bewährung angebracht. In dieser Zeitspanne sollen die Revertiten durch ihr Verhalten bezeugen, daß sie bereit und gewillt sind, am kirchlichen Leben teilzunehmen sowie die religiösen und sittlichen Pflichten eines katholischen Christen zu erfüllen. In der Erzdiözese München und Freising wurde vorgeschrieben, daß Rekonziliationen ausgetretener Katholiken regelmäßig eine Bewährungsfrist von einem halben Jahr vorauszugehen hat. Sie soll dem Pfarramt Gelegenheit bieten, sich von der ernstlichen 51

ABl. MF 1990 S. 340 Nr. 185.

52

ABl. MF 1977 S. 70 – 73 Nr. 127.

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

197

Sinnesänderung des Revertiten und der Beteiligung am kirchlichen Leben zu überzeugen53. Ob diese Bestimmung in einer Zeit, die durch die Absenkung fast aller Forderungen, die an die Kirchenglieder zu stellen sind, gekennzeichnet ist, noch durchführbar ist, erscheint fraglich. Doch ist zu bedenken, daß die allzu große Verbilligung der Wiedergewinnung der vollen Zugehörigkeit zur Kirche deren Wert bei den Menschen psychologisch beeinträchtigen kann. 3. Die Ablegung des Glaubensbekenntnisses Der Rücktrittswillige hat das Glaubensbekenntnis abzulegen. Damit bekundet er, daß er den Glauben der Kirche teilt. Nun existieren mehrere Glaubensbekenntnisse, vor allem das Apostolische54, das Nizäno-Konstantinopolitanische55 und das vom Heiligen Stuhl für die Fälle des c. 833 vorgeschriebene56. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist in der Feier der Wiederaufnahme in die volle Gemeinschaft der Kirche das Apostolische Glaubensbekenntnis vorgesehen. Indes erscheint dieses in einer Zeit, in der außerhalb der katholischen Kirche zahlreiche christliche Religionsverbände mit unterschiedlichsten Verständnissen des apostolischen Glaubens bestehen, nicht hinreichend, um den Anschluß an den Glauben der katholischen Kirche eindeutig auszudrücken. Dies gilt in verstärktem Maße, wenn der Austritt als Absage an den katholischen Glauben gemeint war. Denn im Apostolischen Glaubensbekenntnis sind jene Wahrheiten, welche die katholische Kirche von den übrigen christlichen Religionsgemeinschaften unterscheiden, nicht enthalten. Es ist daher erforderlich, dem Rückkehrwilligen ein ausführliches Glaubensbekenntnis, etwa das Tridentinische57 oder das Tridentinisch-Vatikanische58, vorzulegen. Für die Erzdiözese Breslau wurde bei der Bevollmächtigung der Beichtväter zur Rekonziliation Ausgetretener (im inneren Bereich) eine treffende Kurzform des Glaubensbekenntnisses vorgeschlagen59. In früheren Zeiten wurde für die Rekonziliation von Apostaten die Abschwörung des Irrtums verlangt60. Sie hatte einen doppelten Zweck. Einmal war 53

ABl. MF 1948 S. 171 f. Nr. 124.

54

DH Nr. 30.

55

DH Nr. 150.

56

AAS 81, 1989, 105, 1169.

57

DH Nr. 1862 – 1870.

58

Codex Iuris Canonici Pii X Pontificis Maximi iussu digestus Benedicti Papae XV auctoritate promulgatus, Vatikanstadt 1965, S. LXVIII – LXXI. 59 60

AfkKR 114, 1934, 142.

E. Magnin, Abjuration: DDC I, 1935, 76 – 92; Heribert Heinemann, Abschwörung 2) von Häresie, Schisma und Apostasie: LThK I, 3. Aufl., 1993, 78.

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sie die Bekundung vor Gott und der Kirche, daß der Rückkehrwillige seiner Vergangenheit absagt und den Irr- oder Unglauben verneint. Zum anderen diente sie, wenn sie in der Öffentlichkeit geschah, der Wiedergutmachung des gegebenen Ärgernisses. Heute wird auf die Abschwörung verzichtet. Zur Begründung dieses Verzichts wird darauf hingewiesen, daß die Ablegung des Glaubensbekenntnisses einschlußweise die Verwerfung des Irrtums enthält. Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb diese nicht ausdrücklich geschehen soll. Die Distanzierung von dem bisher begangenen Irrweg wird dadurch deutlich gemacht. Eine Erklärung, etwa des Inhalts: Ich entsage jedem Irrtum, ist auch heutzutage nicht überflüssig. Dazu sollte die Erklärung treten, daß der Revertit seinen Abfall bereut und verspricht, der katholischen Kirche in Zukunft treu zu bleiben. 4. Die Behebung der Exkommunikation Die meisten deutschen Diözesen gehen nach wie vor davon aus, daß durch Kirchenaustritt die Exkommunikation nach c. 1364 verwirkt wird, d.h. sie sehen darin ein Vergehen gegen die Religion und die Einheit der Kirche61. Er ist auch ein Formalakt gemäß c. 111762. Eine Exkommunikation tritt nur ein, wenn die mit ihr bedrohte Straftat schwer sündhaft war. Wenn aber eine schwere Sünde vorliegt und die Strafe eingetreten ist, muß die Zensur behoben und muß von der Sünde losgesprochen werden. Die Behebung der Zensur und die Lossprechung von den Sünden sind zwei sachlich und rechtlich verschiedene Handlungen. Der Pfarrer hat das Bischöfliche Ordinariat um Beseitigung der Kirchenstrafe zu ersuchen. Die Lossprechung von der eingetretenen Strafe erfolgt durch den Ordinarius (c. 1355 § 2)63. Der Bischof könnte die Absolution selbst und persönlich vornehmen, denn bei der Lossprechung von der Beugestrafe muß die betroffene Person nicht anwesend sein, und dies könnte mündlich oder schriftlich erfolgen. Es ist aber angebracht, die Lossprechung von der Exkommunikation durch den Pfarrer vornehmen zu lassen, der die Rekonziliation leitet, damit die einschlägigen Handlungen in einer Hand bleiben und ihr

61

August Hagen, Die kirchliche Mitgliedschaft, Rottenburg a. N. 1938, 56 – 60; May, Der Kirchenaustritt in der Bundesrepublik Deutschland 6 f. Ausführlich zu der Problematik Joseph Listl, Die Erklärung des Kirchenaustritts, in: Joseph Listl / Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2., grundlegend neubearb. Aufl., Regensburg 1999, 209 – 219, hier 216 f. 62 63

Z. B.: AfkKR 160, 1991, 141 – 143.

Bedeutsamerweise erklärte das Erzbistum München und Freising, daß bei einem mit Zusatz versehenen Kirchenaustritt die Absolution von einer Kirchenstrafe nicht erforderlich sei, weil davon auszugehen sei, daß sie nicht eingetreten sei (ABl. MF 1971 S. 224 f., 22. Juni 1971).

Der Wiedereintritt in eine Religionsgemeinschaft

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innerer Zusammenhang erkennbar wird. Der Bischof sollte also die Lossprechung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich die Vollmacht dazu erteilen. Der Ort der Lossprechung kann das Gotteshaus sein, auch januis clausis, oder das Pfarrhaus oder eine andere geeignete Stätte. Die Lossprechung von der Exkommunikation bildet nach der Ordnung für die Feier der Wiederaufnahme in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche, welche die Diözese Rottenburg-Stuttgart erlassen hat, keinen Bestandteil der gottesdienstlichen Feier. Vielmehr ist der Wiederaufzunehmende vor der Feier der Wiederaufnahme „in geeigneter Form“ darüber zu unterrichten, daß er „durch Erlaß des Bischöflichen Ordinariats“ von der Kirchenstrafe gelöst ist. Diese Weise des Umgangs mit der Exkommunikation verschleiert den Ernst der Verfehlung und verdunkelt den Inhalt der Rekonziliation. Die Behebung der Kirchenstrafe ist deren integraler Bestandteil und darf nicht davon losgelöst werden. 5. Empfang des Bußsakramentes Zur fruchtbaren Kirchengliedschaft ist der Stand der heiligmachenden Gnade erforderlich. Das ordentliche Mittel, um ihn zu erlangen, ist die sakramentale Beicht (cc. 916, 987, 988). Im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme nach Kirchenaustritt ist daher der Rückkehrwillige – bei angenommenem Eintritt der Exkommunikation nach deren Behebung – auf das Bußsakrament zu verweisen. Für den gültigen bzw. fruchtbaren Empfang des Bußsakramentes sind die dazu notwendigen Erfordernisse zu erbringen. Das heißt: Der Rückkehrwillige muß seinen Austritt ernstlich bereuen und versprechen, in Zukunft ein christliches Leben führen, treu im katholischen Glauben stehen und ihn bekennen zu wollen. Die unbedingt erforderliche Genugtuung besteht in der Rückgängigmachung des bürgerlichen Kirchenaustritts. Wenn ein Ausgetretener zu einer fremden Religionsgemeinschaft übergetreten war, muß er den Austritt aus dieser Religionsgemeinschaft erklären und den Nachweis für den Austritt aus derselben erbringen; denn niemand kann gleichzeitig zwei Religionsgemeinschaften angehören64. Der Empfang des Bußsakramentes muß nicht bei dem Priester erfolgen, der die Rekonziliation vornimmt. Die Wahl des Beichtvaters ist dem Rekonzilianden freigestellt.

64 Der Wechsel zwischen verschiedenen als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfaßten Religionsgemeinschaften setzt grundsätzlich den vorherigen formgerechten Austritt aus der bisherigen Religionsgemeinschaft voraus. Vgl. OVG NordrheinWestfalen, Urteil vom 13. Mai 1998 – 25 A 871/95 – (ZevKR 44, 1999, 282). Zum „Kirchenübertritt“ vgl. Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften 782 f.; Christian Meyer, Zur Übertrittsregelung in Niedersachsen: ZevKR 24, 1979, 340 – 345.

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6. Protokoll und Eintragung Über die erfolgte Wiederversöhnung ist ein Protokoll anzufertigen und von dem Rekonzilianden, dem Pfarrer und den Zeugen zu unterzeichnen. Die vorgenommene Rekonziliation ist dem Bischöflichen Ordinariat zu melden. Das Protokoll wird daher tunlich in zwei Ausfertigungen verfaßt, von denen eine beim Taufpfarramt verbleibt, die andere dem Bischöflichen Ordinariat zugesandt wird. Die Rekonziliation ist im Verzeichnis der Kirchenaustritte einzutragen, das in jeder Pfarrei zu führen ist. Wenn die Wiederaufnahme nicht im Taufpfarramt erfolgt, ist eine dritte Ausfertigung erforderlich, die dem Taufpfarramt zugestellt wird, damit es die entsprechende Eintragung vornimmt. V. Das Verfahren in foro interno Die Rekonziliation ist grundsätzlich eine Angelegenheit im äußeren Bereich. Sie berührt die Kirche als sichtbare Gemeinschaft des Glaubens. Das Verfahren der Wiederversöhnung hat daher normalerweise öffentlich, wenn auch in der minimalen Form der Anwesenheit zweier Zeugen, vor sich zu gehen. Doch um Beschämung zu vermeiden und die Versöhnung zu erleichtern, hat die Heilige Pänitentiarie im Jahre 1919 zum erstenmal65 und daraufhin wiederholt66 den deutschen Bischöfen die Vollmacht gewährt, die in ihrer Diözese approbierten Beichtväter zu delegieren, ihre Pönitenten pro utroque foro von den wegen Apostasie, Häresie oder Schisma zugezogenen Zensuren zu absolvieren. Auf die in Rechtsform vorgenommene Abschwörung konnte dabei verzichtet werden, aber es sollte eine geheime Abschwörung vor dem Beichtvater vorausgehen. Der Beichtvater hatte dem Pönitenten die notwendigen Pflichten aufzuerlegen, also vor allem den vor der bürgerlichen Obrigkeit erklärten Austritt zurückzunehmen, sofern das ohne schweren Nachteil geschehen konnte. Im Erzbistum Berlin erhielten alle approbierten Beichtväter die Vollmacht, die gemäß c. 1364 § 1 zugezogene Exkommunikation nach c. 1355 § 2 zu beheben67. Danach kann die Lossprechung von der Sünde des Kirchenaustritts erfolgen. Auch der Bischof

65

So Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici III, 11. verb. u. verm. Aufl., Paderborn 1979, 426. Mir liegt eine Notiz über den deutschen Bischöfen gegebene Triennalvollmachten vom 2. August 1921 vor (M. Brandenburg / Paul Krause, Die Geschäftsverwaltung des katholischen Pfarramtes im Gebiete des preußischen Landrechts mit Berücksichtigung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, Berlin 1934, 192). 66

Reskript der Hl. Poenitentiarie an den Erzbischof von Breslau, betr. besondere Rekonziliationsvollmachten für die deutschen Bischöfe, vom 25. Oktober 1933 (AfkKR 114, 1934, 140 f.); für 1970: AfkKR 139, 1970, 156; für 1975: AfkKR 144, 1975, 544. 67

ABl. Berlin 1985 S. 93.

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von Fulda erteilte am 26. April 1985 den Beichtvätern unbefristet Lossprechungsvollmacht für die Exkommunikation des c. 1364 § 168. Ebenso gab der Erzbischof von Freiburg/Breisgau am 31. Mai 1985 den Beichtvätern die Vollmacht, Pönitenten von der Strafe des c. 1364 § 1 loszusprechen ohne die Pflicht zum Rekurs, wobei die Strafe wieder auflebt, wenn der Pönitent nicht die Kirchenaustrittserklärung widerruft und den Pfarrer im äußeren Bereich von der erteilten Absolution unterrichtet69. Der Bischof von Würzburg endlich gab den Beichtvätern ebenfalls die Vollmacht, von der Strafe des c. 1364 § 1 zu absolvieren ohne die Pflicht zum Rekurs, wenn der Glaubensabfall nicht öffentlich bekannt ist und der Pönitent seine Glaubenshaltung wieder in Übereinstimmung mit der Kirche gebracht hat70. Ob diese Vollmachten heute angesichts der Beichtscheu der meisten katholischen Christen noch benutzt werden, ist ungewiß. VI. Die Mitteilung an die staatlichen Behörden Für den Wiedereintritt (als staatsbürgerlichen Akt) ist grundlegend, daß der Rücktrittswillige nach außen bekundet, er möchte von nun an (wieder) als Glied der Kirche angesehen werden. Das staatliche Recht kennt weder einen Widerruf des Austritts noch eine Erklärung des Wiedereintritts vor einer staatlichen Behörde. Das heißt: Die staatlichen Behörden legen beim Wiedereintritt die innerkirchliche Regelung zugrunde. Das Urteil darüber, ob jemand wieder in die Kirche aufgenommen, d. h. für den katholischen Bereich: rekonziliiert worden ist oder nicht, steht nur ihr zu71. Der Staat ist in gewissem Umfang daran interessiert, zu erfahren, welche Bürger einer Religionsgemeinschaft angehören. Die Behörden haben das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, soweit davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert (Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV i. V. m. Art. 140 GG). Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist in privatrechtlicher Hinsicht

68

KABl. Fulda 1985 S. 30.

69

ABl. Freiburg 1985 S. 149.

70

ABl. Würzburg 1984 S. 118.

71

Klaus Mörsdorf bemerkte (1964), das Staatsrecht sehe (außer in Württemberg) für den Rücktritt des Ausgetretenen eine Form nicht vor. In staatsrechtlicher Hinsicht genüge es, daß der Zurückkehrende „sich bei der nächsten polizeilichen Personenstandsaufnahme als römisch-katholisch bezeichnet“ (Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici. Begründet von Eduard Eichmann, fortgeführt von Klaus Mörsdorf. I. Bd., 11., verb. u. verm. Auflage, München / Paderborn / Wien 1964, 184). Dabei wird die Mitwirkung des kirchlichen Amtsträgers übersehen.

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mannigfach relevant. Es sei an das Familienrecht, das Erbrecht und das Arbeitsrecht erinnert. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist auch im öffentlichen Recht beachtlich. Man denke an den Religionsunterricht, die Anstaltsseelsorge, die Feiertage und die Kirchensteuer. Nur Personen, die einer Religionsgemeinschaft angehören, können zu deren finanzieller Unterstützung durch Besteuerung von Staates wegen herangezogen werden72. Auch der Einzelne kann ein Interesse daran haben, daß ein staatliches Gericht das Bestehen oder Nichtbestehen seiner Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft feststellt73. Die staatlichen Steuervorschriften enthalten keine Bestimmungen über die rechtliche Zugehörigkeit zur Kirche. Die Beurkundung des Personenstandes und dessen Veränderungen erfolgt in den staatlichen Personenstandsbüchern (Heirats-, Geburten-, Sterbe- und Familienbuch). Die Meldebehörden der Länder der Bundesrepublik Deutschland speichern zur Erfüllung ihrer Aufgaben (auch) die rechtliche Zugehörigkeit ihrer Einwohner zu einer Religionsgemeinschaft im Melderegister. Der Eintrag der Religionszugehörigkeit darf nur aufgrund amtlicher Mitteilung74 erfolgen bzw. geändert werden. Für den Bereich des staatlichen Rechts haben Rekonziliationen die Wirkung eines Eintritts in die katholische Kirche. Deswegen hat das befaßte Pfarramt sie dem Einwohnermeldeamt amtlich mitzuteilen75. Die Angabe der Religion auf dem Meldebogen bei der Meldebehörde allein genügt nicht, um die Mitgliedschaft in dieser Religion vor dem Staat zu erwerben. Die betreffende Person

72

Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Listl, Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland II, 1101 – 1147, hier 1118 – 1124. 73

VGH Bremen, Urteil vom 30. 12. 1958, in: ZevKR 8, 1961/62 S. 415 = KirchE 4 S. 387; VGH Bremen, Urteil v. 26. 5. 1959, in KirchE 5 S. 27; VG Braunschweig, Urteil v. 28. 3. 1963, in: FamRZ 1963 S. 446; OLG Braunschweig, Beschluß v. 20. 1. 1965, in: FamRZ 1965 S. 228. 74

Als Kirchenaustrittsgesetze noch vorsahen, daß die Erklärung in der Zeit zwischen ihrer Abgabe und ihrem Wirksamwerden widerrufen bzw. zurückgenommen werden konnte, stellte der Widerruf ohne Mitwirkung der kirchlichen Autoritäten die (staatskirchenrechtliche) Kirchenmitgliedschaft wieder her. 75

ABl. MF 1951 S. 303 f.; Erlaß des Ministeriums des Inneren des Landes SachsenAnhalt zur Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft im Melderegister vom 16. Oktober 1995 (AfkKR 164, 1995, 546 – 548). Zur Angabe der Religionszugehörigkeit bei der Meldebehörde: OVG Münster, Urteil v. 13. 9. 1955: KirchE 3, S. 126. Wird ein Nebenwohnsitz begründet, ist der Meldepflichtige nach § 7 des Gesetzes über das Meldewesen nicht gehalten, Angaben über seine Religionszugehörigkeit zu machen. Vgl. OLG Karlsruhe, Beschluß v. 3. 8. 1971, in: DVBl. 1972 S. 506 = ZevKR 17, 1972, S. 435 (nur Leitsatz).

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muß sich den Aufnahmemodalitäten der entsprechenden Religionsgemeinschaft fügen. Der Rekonziliierte hat weiter dafür zu sorgen, daß das Finanzamt von seinem Rücktritt amtlich unterrichtet wird. In der Lohnsteuerkarte muß er sich als römisch-katholisch eintragen lassen, bei der Steuererklärung dieselbe Konfession angeben. Wenn ein katholischer Christ nach Kirchenaustritt sich z. B. bei der standesamtlichen Trauung und bei Abgabe der Einkommensteuererklärungen als römisch-katholisch bezeichnet, dann kann der Staat allerdings rechtmäßig davon ausgehen, daß er Glied der katholischen Kirche ist. Solange die modifizierte Erklärung des Kirchenaustritts zulässig war, hatte die Erzdiözese München und Freising ein vereinfachtes Verfahren des Wiedereintritts eingeführt. Es war nämlich vorgesehen, daß bei Kirchenaustritten mit Zusatz der Betreffende aufzufordern war, innerhalb einer Frist von zehn Tagen dem Pfarramt gegenüber zu erklären, der mit dem Zusatz versehene Kirchenaustritt werde widerrufen. Wenn der Widerruf erfolgte, teilte das Pfarramt dem Einwohnermeldeamt (nicht dem Standesamt) die Aufnahme des Betreffenden in die katholische Kirche mit dem Datum der Widerrufserklärung mit76. Innerkirchlicher Maßnahmen, wie etwa der Lossprechung vom Kirchenbann, bedurfte es in diesem Falle nicht, weil Unkenntnis über die Folgen des mit Zusatz versehenen Kirchenaustritts angenommen wurde. VII. Der Wiedereintritt von Kindern Der Wiedereintritt von Kindern in eine Religionsgemeinschaft richtet sich nach dem Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (RGBl. S. 939). Der Austritt der Eltern bringt nicht automatisch den Austritt der Kinder mit sich. Für sie ist eine eigene Erklärung verlangt. Wenn Kinder, an deren Stelle die Eltern den Kirchenaustritt erklärt haben, diesen Schritt rückgängig machen wollen, bedürfen sie für den äußeren Bereich einer Rekonziliation. Kinder nichtkatholischer oder von der katholischen Kirche abgefallener Eltern dürfen nur dann in die Kirche aufgenommen werden, wenn wenigstens ein Elternteil (oder der Vormund) damit einverstanden ist. Hat das Kind das 12. Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden (§ 5 S. 2 RKEG). Das heißt: Die Eltern können den Kirchenaustritt oder den Wiedereintritt für das Kind nicht gegen dessen Willen erklären. Nach der Vollendung des 14. Lebensjahres steht dem Kinde die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will (§ 5 S. 1 RKEG). War es also vorher rechtmäßig aus der Kirche

76

ABl. MF 1971 S. 224 f. (22. Juni 1971).

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ausgetreten, so kann es jetzt, ohne jemandes Zustimmung einzuholen, wieder eintreten. VIII. Schluß Im Kirchenaustritt distanzieren sich Kirchenglieder vor der staatlichen Behörde von der Kirche, der sie sich in der Regel schon lange vorher entfremdet haben. Die Erklärung, der Kirche, was den staatlichen Bereich angeht, nicht mehr angehören zu wollen, löst gewöhnlich auch jede religiöse Verbindung mit der Kirche und ist daher grundsätzlich heilsgefährdend. Doch ihre Entfernung darf nicht endgültig sein. Die Kirche will und soll wachsen, auch an der Zahl ihrer Glieder. Die Gläubigen und vor allem die hauptamtlich im Dienst der Kirche stehenden Personen haben die heilige Pflicht, die Ausgetretenen zur Rückkehr in die Gemeinschaft zu bewegen. Sie kommen dieser Aufgabe nach, indem sie ihnen zur Wiederversöhnung mit der Kirche (Rekonziliation) verhelfen. Dieser Vorgang schließt die Rückgängigmachung des bürgerlichen Kirchenaustritts ein, in der Umgangssprache als Wiedereintritt in die Kirche bezeichnet. Die bisherigen Anstrengungen und Unternehmungen der Kirche zur Erreichung dieses Zieles sind der Wichtigkeit der Sache noch nicht angemessen. Es muß zu denken geben, daß die Zahl der Eintritte bzw. Wiedereintritte in die protestantischen Religionsgemeinschaften in Deutschland viel höher ist als in die katholische Kirche. Die Kirche hat hier einen hohen Nachholbedarf, der nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Die oft geforderte Neuevangelisierung schließt in den Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland das Ringen um Rückkehr der Ausgetretenen in sich.

Theologische Hochschulen in Italien Von Josef Michaeler „In der Frage der Theologie in den Universitäten gehen die Meinungen weit auseinander: Die einen verlangen die Entfernung der Theologie aus der Universität als Folge der Forderung einer strikten Trennung von Kirche und Staat. Die anderen vertreten ein pluralistisches Modell. Sie möchten Kooperation zwischen Kirche und Staat fortschreiben. Der Staat hat die Kirche nicht um ihrer Wahrheit willen zu unterstützen, sondern um seiner Bürger willen, damit diese ihre religiöse Freiheit positiv verwirklichen können. Der Staat garantiert daher nicht die Privilegien der Kirche, sondern Grundrechte des Menschen“1. In den folgenden Ausführungen wird die Frage der Theologie an den Hochschulen in Italien, ihre verschiedenen Einrichtungen und der gegenwärtige Stand, behandelt. Auf die Situation im deutschen Sprachraum kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden. I. Geschichte der Universitäten in Italien 1. Gründung der Universitäten Es verging ein Jahrtausend, bevor Theologie und Wissenschaften eine engere Verbindung eingingen. Im 11./12. Jahrhundert begann die Theologie neben der Philosophie eine selbständige Wissenschaft zu werden. Durch den Übergang von den Kloster- und Domschulen zur wissenschaftlichen Theologie kam es zu einer eigenen Schultheologie. Papst Innozenz IV. (1243 – 1254) hat in Rom ein Studium generale mit drei Fakultäten, eine für das Kanonische Recht, eine für das Zivilrecht und eine für die Theologie errichtet2. In der im Jahre 1088 gegründeten ältesten Universität, nämlich in jener von Bologna, wurde im Jahre 1364 ein theologisches Studium

1

Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986, S. 46. 2

Antonino Mantineo, Le Università cattoliche nel diritto della Chiesa e dello Stato, Milano 1995, S. 4.

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eingerichtet3. Die Universität Padova, deren Anfänge auf 1222 zurückgehen, führte im Jahre 1399 im Rahmen der „Universitas Juristarum“ ein Theologiestudium ein. Auch in den folgenden Jahrhunderten war die Kirche in Italien an der Gründung einer Reihe von Universitäten beteiligt, bildeten doch weite Teile Mittelitaliens den Kirchenstaat. Einzelne Ausnahmen hat es von Anfang an gegeben. So hat bereits Kaiser Friedrich II. (1212 – 1250) im Jahre 1224 eine Universität in Neapel gegründet4. Von ihrer Ausrichtung her waren aber alle Universitäten katholisch oder gründeten auf dem katholischen Glauben. Das Konzil von Trient (1545 – 1563) führte durch sein Dekret über die Priesterfortbildung in Europa zu einem Netz von Priesterseminaren und Theologischen Hochschulen. Diese Zweigeleisigkeit der Ausbildung in Theologie an Universitäten und speziellen Akademien und Schulen hat sich bis heute erhalten. Die Französische Revolution brachte in ihrem Gefolge das höhere Bildungswesen in Europa in Bewegung, wobei fast überall, auch in Italien, der konfessionelle Charakter der Universitäten zurückgedrängt wurde. 2. Unterdrückung der kirchlichen Universitäten in Italien Mitte des 19. Jh. begannen in Italien die Einigungsbestrebungen und am 14. März 1861 wurde das Königreich Italien mit Sitz in Florenz ausgerufen; es fehlte nur noch die Stadt Rom. Als nach dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges die französischen Truppen Rom verließen, besetzten die königlichen Truppen nach einem symbolischen Widerstand am 20. September 1870 die Stadt Rom. Das war das definitive Ende des Kirchenstaates. Das neue Königreich war stark antiklerikal und strebte eine radikale Trennung von Kirche und Staat an. So wurden alle Orden, Kongregationen und kirchlichen Einrichtungen, die nicht unmittelbar der Erziehung oder der Caritas dienten, unterdrückt und ihr Vermögen vom Staat eingezogen 5. Zwei Jahre nach erfolgter Einigung wurden im ganzen Königreich mit Gesetz alle Theologischen Fakultäten an den Universitäten unterdrückt. Allerdings hat das Königreich der Kirche ein gewisses Zugeständnis gemacht, indem es verfügt hat, dass die Höheren Bildungseinrichtungen der Stadt Rom und der suburbikarischen Diözesen weiter bestehen können und weiterhin vom Aposto-

3

A. Sobili, Storia dell’Università di Bologna, Bologna 1944, Bd. II, S. 33.

4

Pio Vito Pinto, Commento al Codice di Diritto Canonico, Roma 1985, S. 496.

5

Gesetz vom 7. Juli 1866 Nr. 3036.

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lischen Stuhl abhängen6. Auch wurde der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen abgeschafft7. Später konzedierte der Staat doch eine gewisse Freiheit, indem er Freie Universitäten zuließ mit einer gewissen Autonomie in der Gestaltung der Studienordnung, der Verwaltung usw., aber immer unter der Kontrolle des Staates8. 3. Reaktionen der Kirche Die Kirche hat sich sehr schwer getan, die Säkularisierung der Universitäten hinzunehmen. Bereits Papst Pius IX. hat mit einer eigenen Enzyklika die Irrtümer des Liberalismus verurteilt und die Kontrolle der Kirche über die staatlichen Schulen verlangt9. Papst Leo XIII. hat genaue Vorschriften hinsichtlich des Studiums der Säkular- und Regularkleriker an den staatlichen Universitäten erlassen10. Papst Pius X. hat diese Normen für die ganze Katholische Kirche verbindlich erklärt. Gemäß diesen Weisungen wurde den Klerikern der Besuch staatlicher Universitäten verboten, wenn zu den gewünschten Disziplinen Vorlesungen an kirchlichen Universitäten oder Fakultäten besucht werden konnten11. Der CIC / 1917 hat sich in den cc. 1373 – 1382 mit den Schulen und Universitäten befasst. Diese Bestimmungen des Kirchenrechtes wurden vom Apostolischen Stuhl ausdrücklich bestätigt und dazu klare Weisungen gegeben12. II. Verhandlungen zwischen Kirche und Staat 1. Konkordat zwischen dem Königreich Italien und dem Apostolischen Stuhl Nach fast sechs Jahrzehnte dauernden großen Spannungen zwischen Kirche und Staat wurden nach mühevollen Verhandlungen am 11. Februar 1929 zwi-

6

Gesetz vom 26. Juni 1873 Nr. 1251. F. Finocchiaro, Diritto ecclesiastico, Bologna 2000, S. 46 ff. 7

Kgl. Dekret vom 21. Juni 1883 Nr. 1590 und vom 14. September 1889 Nr. 3493.

8

Kgl. Dekret vom 1. Oktober 1923 Nr. 2185.

9

Enzyklika „Quanta cura“ vom 8. Dezember 1864.

10

Instructio der „S. C. Ep. et Reg.“ vom 21. Juli 1896.

11

Rundschreiben „Pascendi“ vom 8. September 1907 und Motu Proprio „Sacrorum Antistitum“ vom 1. September 1910. 12

Dekret der Konsistorialkongregation „Circa clericorum frequentiam in laicis universitatibus“ 30. April 1918.

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schen dem damaligen Ministerpräsidenten Benito Mussolini und Staatssekretär Pietro Kardinal Gasparri im Lateranpalast in Rom die „Lateranverträge“ unterschrieben. Es handelt sich dabei um drei Verträge. Mit dem einen Vertrag wird der Vatikan als souveräner Staat errichtet und anerkannt. Ausdrücklich wird in diesem Vertrag einleitend gesagt, dass die römische, katholische und apostolische Religion die einzige Religion des Staates ist. In einem zweiten Vertrag werden die wirtschaftlichen Fragen, die durch die Beschlagnahme der kirchlichen Güter anlässlich der Einigung Italiens entstanden sind, ein für alle Male geregelt. Der dritte Vertrag ist das Konkordat zwischen dem Königreich Italien und dem Apostolischen Stuhl13. Das Konkordat befasst sich auch mit den kirchlichen Theologischen Universitäten und Fakultäten. Art. 39 sagt, dass die Universitäten, die Priesterseminare, die Knabenseminare, die Kollegien und andere Einrichtungen, welche für die Ausbildung und Weiterbildung der Priester und Laien im kirchlichen Dienst bestimmt sind, weiterhin einzig und allein vom Apostolischen Stuhl abhängen. Art. 40 bestimmt, dass das Doktorat in Theologie, das an einer vom Apostolischen Stuhl approbierten Fakultät erworben wird, vom Staat anerkannt wird. Ebenso werden die Diplome, die an der vatikanischen Bibliothek oder am vatikanischen Archiv in Paläographie, Archivistik oder Urkundenlehre erworben werden, anerkannt. Zur Auslegung dieses Art. 40 hat das Ministerium für die Erziehung erklärt, dass das Doktorat dieser Fakultäten jenen akademischen Graden gleichgestellt wird, die im Ausland erworben werden und nur für die Einschreibung in staatliche Universitäten oder Fakultäten gilt, wobei es jeweils im Ermessen der betreffenden Universität liegt, ob sie einen solchen Grad anerkennen will und wenn ja, ob einzelne Prüfungen, die an der kirchlichen Fakultät gemacht wurden, dem Bewerber für die Einschreibung in die staatliche Universität angerechnet werden oder nicht14. Ebenso hat das Ministerium mit einem weiteren Rundschreiben erklärt, dass diese Anerkennung nur für das Doktorat in Theologie, nicht aber für andere an kirchlichen Fakultäten erworbene Doktorate, wie Kanonisches Recht, Philosophie usw. gilt. Auch gilt die Anerkennung nur für das Doktorat, nicht aber für das Lizentiat in Theologie15.

13 Verträge vom 11. Februar 1929, in die italienische Rechtsordnung übernommen mit Gesetz vom 27. Mai 1929 Nr. 810. 14 15

Rundschreiben vom 23. September 1930 Nr. 17608 und 23. April 1938 Nr. 12058.

Rundschreiben vom 15. April 1942 Nr. 1069. Vincenzo del Giudice, Manuale di diritto ecclesiastico, Milano 1955, S. 258.

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2. Revision des Konkordates Das Konkordat wurde in einer Zeit geschlossen, in der in Italien der Faschismus das Sagen hatte. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Faschismus gestürzt und das Königreich durch Volksabstimmung abgeschafft. Mit dem 1. Jänner 1948 trat die neue Verfassung in Kraft16. In den folgenden Jahren setzte dann auch in Italien eine schnelle Entwicklung ein. Die gesellschaftspolitischen Bewegungen der Jahre 1968 und 1969 brachten in der Folgezeit eine Reihe von Reformen mit sich, wie die Einführung der Ehescheidung, Reform des Familienrechtes, straffreien Schwangerschaftsabbruch, die Abschaffung einer Reihe von kirchlichen Feiertagen an Wochentagen usw. Ebenso erfolgte eine Erneuerung der Katholischen Kirche durch das II. Vatikanische Konzil und die nachkonziliären Dokumente. Das Konzil hat sich auch mit den Universitäten befasst und bringt ihnen gegenüber eine neue Öffnung. Es erkennt das Recht der staatlichen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen an und verzichtet auf jedes Monopol in dieser Frage17. Diese Entwicklung auf staatlicher und kirchlicher Ebene hat dazu geführt, dass das Konkordat vom 11. Februar 1929 in vielen Bereichen nicht mehr den Gegebenheiten der Zeit entsprach. So kam es nach langen Verhandlungen im Februar 1984 zur Revision des Konkordates vom Jahre 192918. Dieses revidierte Konkordat sagt im Art. 1 des Zusatzprotokolls, das integrierender Bestandteil des Konkordates ist: „Der ursprünglich von den Lateranverträgen erhobene Grundsatz der katholischen Religion als einziger Religion des italienischen Staates wird als nicht mehr in Kraft befindlich betrachtet“. Damit hört in Italien die Katholische Religion auf, Staatsreligion zu sein, der Staat ist weltanschaulich neutral. Art. 10 des revidierten Konkordates bestimmt: „Die akademischen Grade in Theologie und in den übrigen von den Vertragspartnern einvernehmlich bestimmten kirchlichen Disziplinen, die von den vom Hl. Stuhl genehmigten kirchlichen Fakultäten verliehen werden, werden vom Staat anerkannt. Gleichfalls anerkannt werden die in den vatikanischen Schulen für Paläographie, Diplomatik und Archivwesen sowie in der Schule für Bibliothekswissenschaften erworbenen Diplome“. Welches diese Disziplinen sind, muss von den Vertragspartnern gemeinsam festgelegt werden.

16

Gazzetta Ufficiale della Repubblica vom 27. Dezember 1947 Nr. 298.

17

Erklärung über die Christliche Erziehung „Gravissimum educationis“ Nr. 10 – 12. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt „Gaudium et spes“ Nr. 62 Abs. 7. 18

In die italienische Rechtsordnung übernommen mit Gesetz vom 25. März 1985 Nr. 121.

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Nach Abschluss des Konkordates hat Italien, in Angleichung an andere Staaten Europas, in denen das erste akademische Diplom nach Besuch eines entsprechenden Kurses von zwei bis drei Jahren erhalten werden kann und für bestimmte berufliche Tätigkeiten genügt, auch ein Hochschuldiplom („diploma universitario“) und ein Spezialdiplom („diploma di specializzazione“) mit einer Studiendauer von vier bis sechs Jahren für den akademischen Grad des Doktorates vorgesehen. Damit ein Unterrichtsfach anerkannt wird, sind Jahreskurse mit mindestens drei Wochenstunden, insgesamt 60 Wochenstunden verlangt19. Auch wurden mit Gesetz nochmals die Freien Universitäten anerkannt20. 3. Abkommen über die Anerkennung der Studientitel Zehn Jahre nach Abschluss der Revision des Konkordates kam es in Anwendung des Art. 10 desselben zu einem Abkommen zwischen der Republik Italien und dem Apostolischen Stuhl über die Anerkennung der kirchlichen akademischen Grade21. Gemäss diesem Abkommen werden die akademischen Grade der kirchlichen Universitäten und Fakultäten in Theologie und Hl. Schrift anerkannt. Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Grade sind: a) Die Universität oder Fakultät, die den akademischen Grad verleiht, muss vom Apostolischen Stuhl errichtet oder anerkannt sein. b) Anerkannt werden die akademischen Grade des Bakkalaureates, des Lizentiates und des Doktorates in Theologie oder Hl. Schrift. c) Der Interessierte muss ein schriftliches Gesuch an das Ministerium für die Universitäten richten, dem folgende Unterlagen beizugeben sind22: -

Der Nachweis des erworbenen akademischen Grades;

-

eine Liste der bestandenen Prüfungen;

-

der Nachweis, dass der Gesuchsteller für die Anerkennung des Bakkalaureates mindestens 13 ganzjährige Lehrveranstaltungen abgelegt und bestanden hat. 19

Gesetz vom 19. November 1990 Nr. 341.

20

Gesetz vom 29. Juli 1991 Nr. 243 Art. 2 – 3 und vom 19. Oktober 1999 Nr. 370 Art. 3. 21 22

Dekret des Präsidenten der Republik vom 2. Februar 1994 Nr. 175.

Bis zum Jahre 1989 war für die Universitäten das Ministerium für Öffentlichen Unterricht zuständig. Mit Gesetz vom 9. Mai 1989 Nr. 168 wurde das Ministerium für Unterricht, Universitäten, Wissenschaftliche und Technologische Forschung („Ministero delle Università e della Ricerca Scientifica e Tecnologica“) eingeführt und ist seitdem für die Universitäten zuständig. Seine Anschrift: 00144 Roma – EUR, Via Kennedy, 20.

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Wer seinen Studienabschluss als Doktorat anerkannt haben möchte, muss bestandene Prüfungen über mindestens 20 ganzjährige Lehrveranstaltungen nachweisen. Diese von der kirchlichen Universität oder Fakultät ausgestellten Unterlagen müssen von der Kongregation für die Christliche Erziehung, 00193 Roma, Palazzo delle Congregazioni, Piazza Pio XII, 3, beglaubigt sein. Dann gehen sie: -

an das Vatikanische Staatssekretariat;

-

an die Apostolische Nuntiatur in Italien, Via Po, 27, Roma;

-

von der Nuntiatur an die Präfektur, Ufficio Bolli, Via IV Novembre, 199/A, Roma.

Die vidimierten Dokumente gehen an das Ministerium für Unterricht und Universitäten. Das Ministerium unterbreitet diese Unterlagen dem Nationalen Universitätsrat („Consiglio Universitario Nazionale“), der sie prüft und, wenn sie in Ordnung sind, stellt das Ministerium die Erklärung über die Anerkennung des Studientitels aus. 4. Wirkungen der staatlichen Anerkennung a) Ein anerkannter kirchlicher akademischer Grad ist die studienmäßige Voraussetzung für die Erteilung des Religionsunterrichtes an den Mittel- und höheren Schulen. Die Konkordatsrevision vom Jahre 1984 sieht den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen vor. Der Text sagt: „Die Republik wird in Anerkennung des Wertes der religiösen Kultur und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Grundsätze des Katholizismus zum historischen Erbe des italienischen Volkes gehören, weiterhin im Rahmen der Zielsetzung der Schule den katholischen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen jedweder Art und Stufe, die nicht Hochschulcharakter haben, sicherstellen“23. Die Schule muss den Religionsunterricht anbieten; dem Schüler steht es frei, ob er von diesem Angebot Gebrauch machen will oder nicht. Wer davon Gebrauch machen will, muss am Begin des Schuljahres darum ersuchen. Eine Ausnahme macht Südtirol; wer dort den Religionsunterricht nicht besuchen will, muss sich am Beginn des Schuljahres davon abmelden24. Hinsichtlich der Fachkompetenz für den Religionsunterricht wurde zwischen dem Ministerium für öffentlichen Unterricht und der Italienischen Bischofskonferenz vereinbart:

23

Konkordat vom 18. Februar 1984 Art. 9 Nr. 2.

24

Zusatzprotokoll zum Konkordat Nr. 5 Abs. 10.

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aa) Im Kindergarten und in der Grundschule wird der Religionsunterricht vom Klassenlehrer erteilt, vorausgesetzt, dass er selber während der Ausbildungszeit den Religionsunterricht besucht hat und vom Diözesanordinarius für die Erteilung dieses Unterrichtes für geeignet befunden wurde. Ist der Klassenlehrer dazu nicht bereit, dann wird der Religionsunterricht von Priestern, Diakonen oder Ordensleuten erteilt, die vom Diözesanordinarius dafür für geeignet befunden wurden. bb) Für die Mittel- und Oberstufen benötigt der Religionslehrer: -

einen akademischen Grad in Theologie oder in einer anderen kirchlichen Disziplin, erteilt durch eine vom Apostolischen Stuhl errichtete oder anerkannte Fakultät oder

-

ein akademisches Lehramtsdiplom in Theologie („Magistero in Scienze Religiose“), ausgestellt von einem Höheren Institut für Theologische Bildung („Istituto Superiore di Scienze Religiose“) oder

-

ein in Italien anerkanntes Doktorat, ganz gleich in welcher Disziplin, und dazu ein Diplom eines von der Bischofskonferenz anerkannten Institutes für Theologische Bildung („Istituto di Scienze Religiose“) oder einer gleichwertigen Einrichtung25.

b) Aufrecht bleibt die Bestimmung aus dem Jahr 1942, dass der Inhaber des Doktorates in Theologie oder einer anderen kirchlichen Disziplin an der Befähigungsprüfung oder am Wettbewerb um einen Lehrstuhl an Schulen, die von der kirchlichen Behörde abhängen und für die an sich das Doktorat in Literatur oder Philosophie vorgesehen ist, teilnehmen kann26. c) Der vom Staat anerkannte Grad des Doktorates berechtigt zur Teilnahme an Fortbildungskursen „post lauream“27. d) Ebenso berechtigen die anerkannten kirchlichen akademischen Grade zur Einschreibung an staatlichen Universitäten und universitären Einrichtungen, wobei jeweils von der Universität festgelegt wird, welche an der kirchlichen Fakultät besuchten Vorlesungen und abgelegten Prüfungen anerkannt werden28.

25 Abkommen vom 14. Dezember 1985 Nr. 751, modifiziert durch Abkommen vom 30. Juni 1990 Nr. 202 Art. 4, 3. 26

Gesetz vom 19. Jänner 1942 Nr. 86 Art. 31.

27

Schreiben des Ministeriums für Öffentlichen Unterricht vom 16. April 1980 Nr. 200/20 an die Kongregation für das Katholische Bildungswesen. Raffaele Botta, in: „Quaderni di diritto e politica ecclesiastica“ 2000, Nr. 1, S. 115. 28

Rundschreiben des Ministeriums für Öffentlichen Unterricht vom 2. Oktober 1971 Nr. 3787.

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e) Das Lizentiat oder Doktorat in Theologie oder Hl. Schrift berechtigt zur Teilnahme am Wettbewerb für universitäre Forschung („ricercatore universitario“)29. f) Das Lizentiat in Theologie berechtigt zur Teilnahme am Wettbewerb für die Zulassung zum öffentlichen Dienst30. g) Das Lizentiat und Doktorat in Psychologie, erworben an den Päpstlichen Universitäten Gregoriana und Salesiana in Rom, werden dem Doktorat in Psychologie, verliehen von staatlichen Universitäten, gleichgestellt31. III. Formen der kirchlichen Hochschulen und ihre Zusammenarbeit 1. Katholische Universitäten und kirchliche Hochschulen Das kanonische Recht unterscheidet zwischen katholischen Universitäten und kirchlichen Hochschulen. a) Katholische Universitäten C. 809 des CIC ruft die Bischofskonferenzen und die Diözesanbischöfe auf, dafür zu sorgen, dass in ihrem Gebiet Universitäten oder wenigstens Fakultäten bestehen, in denen die verschiedenen Wissenschaften unter Berücksichtigung der katholischen Lehre gepflegt werden. In diesen katholischen Universitäten soll es eine Theologische Fakultät oder wenigstens ein Institut bzw. einen Lehrstuhl der Theologie für Laienstudenten geben. Die Katholischen Universitäten und Fakultäten sind also Einrichtungen, die sowohl von der kirchlichen Hierarchie, als auch von Orden oder Laien errichtet werden können. Sie sind grundsätzlich allen Wissenschaften offen; vor allem lehren sie profane Wissenschaften. Voraussetzung aber ist, dass die Lehre in Harmonie mit dem katholischen Glauben dargeboten wird. Die Katholischen Universitäten und Fakultäten richten sich nach der Apostolischen Konstitution „Ex corde Ecclesiae“32. 29

Gutachten des Staatsrates, Sez. II, vom 16. März 1994 Nr. 378, in: Bruno Esposito, Il riconoscimento civile dei titoli accademici in Italia, Roma 1996, S. 295. 30 Schreiben des Ministero delle Università e della Ricerca Scientifica e Tecnologica vom 28. Oktober 1991, in: Esposito, Il riconoscimento dei titoli (Anm. 29), S. 295 – 296. 31

Dekret des Ministero delle Università vom 2. Jänner 1990 und 3. September 1990, in: Esposito, Il riconoscimento dei titoli (Anm. 29), S. 295 – 296. 32

Constitutio Apostolica de Universitatibus Catholicis „Ex corde Ecclesiae“ vom 15. August 1990, in: AAS 80 (1990), S. 1475 ff.

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b) Kirchliche Hochschulen Kirchliche Hochschulen dienen gemäß c. 815 der wissenschaftlichen Lehre und Forschung in den theologischen und damit verbundenen Disziplinen im weitesten Sinn. Sie lehren also in erster Linie religiöse und theologische Inhalte, vor allem Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht, Liturgie, Kirchengeschichte usw. Sie sind vom Apostolischen Stuhl errichtet oder anerkannt. Ihre Zielgruppen sind vor allem Priesteramtskandidaten, Religionslehrer und lehrerinnen, Laien im kirchlichen Dienst. Die Kirchlichen Hochschulen richten sich nach der Konstitution „Sapientia Christiana“ und den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen. Diese Konstitution verlangt für die Einschreibung in eine Kirchliche Hochschule zur Erlangung eines akademischen Grades, dass der Studiennachweis erbracht werden muss, der für die Zulassung zu einer staatlichen Universität des eigenen Landes oder des Landes, in dem sich die Fakultät befindet, erforderlich ist33. c) Höheres Institut für Theologische Bildung („Istituto Superiore di Scienze Religiose“)34 C. 821 des CIC fordert die Bischofskonferenzen und die Diözesanbischöfe auf, dafür zu sorgen, „dass nach Möglichkeit Hochschulen für religiöse Wissenschaften gegründet werden, in denen theologische und andere, zur christlichen Kultur gehörende Wissenschaften gelehrt werden“. Dazu hat die Römische Kongregation für das Katholische Bildungswesen nähere Anleitungen gegeben, welche die Grundlage für die Höheren Institute für Theologische Bildung sind35.

33

Apostolische Konstitution „Sapientia Christiana“ vom 15. April 1979. „Ordinationes“, in: AAS 71 (1979), S. 469 ff. und AAS 71 (1979), S. 500 ff. 34

Die Römische Kongregation für das Katholische Bildungswesen hat in einem Rundschreiben zu den Höheren Instituten vom 30. Mai 1996 an die Diözesen Italiens einige Richtlinien gegeben. Diesem Rundschreiben hat sie eine deutsche Übersetzung für die Diözese Bozen-Brixen beigelegt. In dieser deutschen Beilage übersetzt sie die Höheren Institute für Theologische Bildung mit „Hochschulen für religiöse Wissenschaften“. Nachdem diese deutsche Übersetzung nur für die Diözese Bozen-Brixen zutrifft, wird im Folgenden immer die Benennung „Höheres Institut für Theologische Bildung“ verwendet, wie sie im offiziellen Dekret und in der Studienordnung für das Höhere Institut in Brixen gebraucht wird. 35 „Nota Illustrativa“ vom 10. April 1986 und „Normativa per l’Istituto Superiore di Scienze Religiose“ vom 12. Mai 1987. – Beide Dokumente sind veröffentlicht in der Zeitschrift „Seminarium“ 29 (1991), S. 179 – 201.

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Gegenwärtig gibt es in Italien 48 Höhere Institute für Theologische Bildung. Sie sind von der Kongregation für das Katholische Bildungswesen an Theologischen Fakultäten errichtet und können nach einem Studium von wenigstens acht Semestern den akademischen Grad „Magister in religiösen Wissenschaften“ („Magistero in Scienze Religiose“), in Südtirol „Lehramtsdiplom in Theologie“ verleihen. Dieser akademische Grad wird in Italien als Titel für den Religionsunterricht anerkannt. Höhere Institute für Theologische Bildung bezwekken in erster Linie die Ausbildung von Religionslehrern und -lehrerinnen, aber ebenso der Laien im kirchlichen Dienst. Gemäß den beiden genannten römischen Dokumenten muss das Studium an den Höheren Instituten für Theologische Bildung wenigstens vier Jahre dauern, mit insgesamt nicht weniger als 1250 Unterrichtsstunden. Der akademische Grad „Magister“ wird nicht vom Höheren Institut für Theologische Bildung, sondern von der Fakultät, an der es errichtet ist, verliehen. d) Institut für Theologische Bildung („Istituto di Scienze Religiose“) Mit Bezug auf c. 821 hat die Italienische Bischofskonferenz beschlossen, in Italien Institute für Theologische Bildung einzurichten36. Diese Institute für Theologische Bildung werden nicht vom Apostolischen Stuhl, sondern von der Italienischen Bischofskonferenz errichtet bzw. anerkannt. Sie verleihen ein „Befähigungszeugnis für religiöse Wissenschaften“ („Diploma di Scienze Religiose“), das kein akademischer Grad ist, aber unter bestimmten Voraussetzungen die Befähigung für die Erteilung des Religionsunterrichtes an den öffentlichen Schulen gibt. Das Institut für Theologische Bildung muss laut Richtlinien der Italienischen Bischofskonferenz wenigstens 936 Unterrichtsstunden anbieten, wobei ein Drittel der Stunden als Fernstudium anerkannt werden kann. Gegenwärtig gibt es in Italien 74 von der Bischofskonferenz anerkannte Institute für Theologische Bildung. 2. Kanonische akademische Grade Die kanonischen akademischen Grade können unter Berücksichtigung der Praxis der Hochschulen des betreffenden Landes auch mit anderen Namen bezeichnet werden; nur muss jeweils angegeben werden, mit welchem der Grade nach der allgemeinen Bezeichnung sie gleichwertig sind. Allgemein gebraucht werden in Italien die Bezeichnungen Bakkalaureat, Lizentiat, Doktorat

36

Beschluss Nr. 42 der Vollversammlung der Bischofskonferenz vom 24. bis 27. Februar 1986, in: „Notiziario della Conferenza Episcopale Italiana“ 1986.

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und Magister in religiösen Wissenschaften (in Südtirol „Lehramtsdiplom in Theologie“). a) Bakkalaureat („baccalaureato“) Es steht am Ende des ersten Studienganges, der eine Ausbildung in dem betreffenden Fach vermittelt. Es wird verliehen aufgrund eines umfassenden Examens oder einer gleichwertigen Prüfungsleistung. Eine schriftliche Arbeit ist nicht verlangt. Es braucht dazu mindestens sechs Semester, wobei das Bakkalaureat in Theologie mindestens vier Semester in Philosophie voraussetzt. Zielgruppen für das Bakkalaureat sind ständige Diakone, Religionslehrer und Lehrerinnen, Leiter kirchlicher Stellen, aber auch Laien, die an einer theologischen Weiterbildung interessiert sind. b) Lizentiat („licenziato“) Es beschließt den zweiten Studiengang der Spezialisierung in einem Bereich der betreffenden Fakultät. Das Lizentiat wird verliehen aufgrund eines umfassenden Examens, am Ende des viersemestrigen Spezialstudiums, in dem auch eine schriftliche Arbeit anzufertigen ist. c) Doktorat („laurea“) Es steht am Ende des dritten Studienganges, der zur wissenschaftlichen Reife führen soll. Dies wird nachgewiesen vor allem durch eine Doktordissertation, an die besondere Anforderungen gestellt werden. Sie muss unter der Leitung eines Professors oder Dozenten erarbeitet, in einer öffentlichen Disputation verteidigt und kollegial approbiert sein. Auch muss sie vor Verleihung des Doktorgrades wenigstens in ihrem Hauptteil veröffentlich werden37. d) Magister in religiösen Wissenschaften („Magistero in Scienze Religiose“) Wie oben dargelegt, gibt es in Italien seit der Einführung des Höheren Institutes für Theologische Bildung den Magister in religiösen Wissenschaften (in Südtirol „Lehramtsdiplom in Theologie“), der nach einem Studium von acht Semestern von der Fakultät, an der das Höhere Institut für Theologische Bildung errichtet ist, verliehen wird. Nach Mitteilung der Kongregation für das 37

Sapientia Christiana, Art. 47 – 50. Heribert Schmitz, Studien zum kirchlichen Hochschulrecht, S. 188 f.

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Katholische Bildungswesen kommt dieser Magister dem „Master of Arts“ bzw. dem Lizentiat gleich38. 3. Formen der Zusammenarbeit der Hochschulen Der Apostolische Stuhl drängt darauf, dass alle theologischen Ausbildungsstätten der Diözesen und klösterlichen Gemeinschaften möglichst einer Theologischen Fakultät angeschlossen werden. Dieser Anschluss kann in verschiedenen Formen geschehen, und zwar durch: (1) Affiliation, d.h. die rechtliche Anbindung an eine Kirchliche Fakultät zur Erlangung des ersten akademischen Grades (Bakkalaureat). Über die Affiliation entscheidet die Kongregation für das Katholische Bildungswesen nach Erfüllung gewisser Bedingungen aufgrund eines von der Kongregation zu approbierenden Vertrages zwischen den beteiligten Hochschulen. Die Mutterfakultät verleiht nach erfolgreichem abgeschlossenen Studiengang den ersten akademischen Grad, das Bakkalaureat. (2) Aggregation ist die Angliederung einer Hochschule, welche den Studiengang der ersten und zweiten Stufe umfasst, an eine Kirchliche Fakultät zur Teilnahme an deren Verleihungsrecht hinsichtlich des ersten und zweiten akademischen Grades (Bakkalaureat und Lizentiat). Die Hochschule muss Fakultätsniveau haben. Sie wird nur deshalb nicht zur Fakultät erhoben, weil der dritte Studiengang fehlt. (3) Inkorporation / Eingliederung ist die rechtliche Anbindung einer Hochschule, die den zweiten oder dritten zur wissenschaftlichen Reife führenden Studiengang umfasst, zur Verleihung des entsprechenden akademischen Grades, des Lizentiates oder Doktorates. Das entsprechende Institut ist der Fakultät unter Wahrung seiner Selbständigkeit inkorporiert39. IV. Katholische Universitäten in Italien Insgesamt gibt es in der Katholischen Kirche 49 Katholische Universitäten, davon 19 in Europa, davon zwei in Italien40, und zwar: 38

Kongregation für das Katholische Bildungswesen, „Nota illustrativa“ vom 10. August 1986 und „Normativa per l’Istituto Superiore di Scienze Religiose“ vom 12. Mai 1987. 39

Sapientia Christiana, Art. 62 § 1, 63, 48 § 1. Heribert Schmitz, Studien zum kirchlichen Hochschulrecht, S. 184 – 185 (Anm. 37). 40 Annuario Pontificio, Città del Vaticano 2003, S. 1615 ff.; Kathpress-Tagesdienst 19.09.2003, S. 16.

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(1) Herz Jesu Universität („Università Cattolica del Sacro Cuore“), 20123 Milano, Largo Gemelli, 1. Sie wurde im Jahre 1920 errichtet und staatlich anerkannt. Im Statut der Universität wird gesagt, dass es ihre Aufgabe sei, neben der wissenschaftlichen Ausbildung die Jugend auf ihren späteren Beruf vorzubereiten durch eine moralische Erziehung, die sich nach den Prinzipien der katholischen Religion ausrichtet. Die Universität hat folgende Fakultäten: Jurisprudenz, Politik- und Sozialwissenschaften, Wirtschaft und Handel, Literatur, Philosophie, Pädagogik, Medizin und Chirurgie, Agrarwissenschaft, Mathematische Wissenschaften, Physik und Naturlehre, Bankwissenschaften, Finanzwissenschaften, Fremdsprachen. Die Universität hat aber keine Theologische Fakultät41. (2) Freie Universität Maria Aufnahme („Libera Università Maria SS. Assunta“), 00193 Roma, Via della Trasportina, 21. Sie wurde im Jahr 1939 durch das Generalvikariat der Erzdiözese Rom errichtet. Sie hat sich statutarisch die Aufgabe gesetzt, Ordensfrauen und Mitgliedern weiblicher religiöser Gemeinschaften die Möglichkeit zu geben, einen akademischen Grad für den Unterricht in den Schulen zu erwerben. Die Universität hat folgende Fakultäten: Philosophie, Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaften. Auch diese Universität ist staatlich als Freie Universität anerkannt42. V. Kirchliche Universitäten und Hochschulen in Italien Die Kirchlichen Universitäten und Theologischen Fakultäten konzentrieren sich in Italien weithin auf die Stadt Rom. Darum werden zuerst jene der Stadt Rom aufgezählt und anschließend die Universitäten und Hochschulen außerhalb Roms. 1. Kirchliche Universitäten und Theologische Fakultäten in Rom43 (1) Päpstliche Universität Gregoriana („Pontificia Università Gregoriana“), 00187 Roma, Piazza della Pilotta, 4. Die Universität wurde 1553 von Ignatius von Loyola und Francesco Borgia errichtet und wird von der Gesellschaft Jesu getragen.

41 Antonio Mantineo, Le Università cattoliche nel diritto della Chiesa e dello Stato, Milano 1995, S. 87 – 89; Annuario Pontificio, Città del Vaticano 2003, S. 1619. 42

Annuario Pontificio, Città del Vaticano, 2003, S. 1621; Kgl. Dekret vom 26. Oktober 1939 Nr. 1760; Mantineo, Le Università cattoliche (Anm. 41), S. 87 – 89. 43

Annuario Pontificio, Città del Vaticano 2003, S. 1605 ff. und 1756 ff.

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(a) Sie hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht, Kirchengeschichte, Missionswissenschaften und Sozialwissenschaften. (b) Sie hat ein Institut für Spiritualität, Psychologie und Religionswissenschaften. (c) An der Universität sind errichtet: -

Päpstliches Institut „Regina Mundi“ für die Ausbildung von Ordensfrauen, Mitglieder von Säkularinstituten und Frauen, die sich auf seelsorgliche Aufgaben vorbereiten;

-

Institut für Theologische Bildung „Giuseppe Toniolo“, Pescara;

-

Höheres Institut für Erzieher („formatori“) in den Seminaren, Reggio Emilia;

-

Philosophisches Institut „Aloisianum“, Padova.

(d) Mit der Universität Gregoriana ist das Päpstliche Bibelinstitut („Facoltà di Sacra Scrittura e Facoltà di Studi dell’Oriente Antico“), 00187 Roma, Via della Pilotta, 25, verbunden. Das Bibelinstitut wurde 1909 von Papst Pius X. gegründet. Ebenso wird von der Universität das Päpstliche Orientalische Institut („Facoltà di Scienze Ecclesiastiche e di Diritto canonico Orientale“), 00185 Roma, Piazza Santa Maria Maggiore, 7, getragen. (e) Von der Gregoriana werden mehrere ausländische Institute getragen: -

Höheres Institut für Theologische Bildung von Montevideo, Uruguay;

-

Institut de Philosophie St. Pierre Canisius Kinshasa, Kongo;

-

Instituto Superior de Direito Canonico de Brasil, Rio de Janeiro;

-

Filosofsko-Teolosky Institut Zagreb, Kroatien;

-

Jesuit School of Philosophy and Theology Harare, Zimbawe;

-

Priesterseminar „Redemptoris Mater“, Berlin, Deutschland.

(2) Päpstliche Lateranuniversität („Pontificia Università Lateranense“), 00184 Roma, Piazza S. Giovanni in Laterano, 4. Die Universität wurde 1773 von Papst Klemens XIV. gegründet. (a) Die Universität hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht, Zivilrecht, Institut beider Rechte („utriusque iuris“), Pastoraltheologie, Religionswissenschaften. (b) In die Universität sind inkorporiert: -

Patristik Institut „Augustinianum“, Roma;

-

Höheres Institut für Moraltheologie „Accademia Alfonsiana“, Roma;

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-

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Institut für Theologie des gottgeweihten Lebens „Claretianum“, Roma. (c) An die Universität sind aggregiert:

-

Theologisches Institut, Assisi;

-

Theologisches Institut, Ancona.

(d) Von der Universität werden getragen die Höheren Institute für Theologische Bildung von L’Aquila, Assisi, Campobasso, Chieti-Vasto, Loreto, Modena, Pisa und „Mater Ecclesiae“, Roma. (e) Von der Universität werden ebenso getragen: -

Höheres Institut „Giovanni Paolo II“ für Ehe und Familie mit Sektionen in Brasilien, Indien und Washington;

-

Institut Superieur de la Sagesse El Chebak, Libano.

(3) Päpstliche Universität Urbaniana („Pontificia Università Urbaniana“), 00165 Roma, Via Urbano VI, 16. Papst Urban VIII. gründete 1627 das Päpstliche Institut „de Propaganda Fide“, das sich im Lauf der Jahre stark entwickelte. Papst Johannes XXIII. verlieh ihm 1962 den Titel „Pontificia Università Urbaniana“. (a) Die Universität hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht und Missionswissenschaften. (b) Die Universität ist Trägerin zahlreicher Institute, vor allem in den Missionsländern. (4) Päpstliche Universität Hl. Thomas von Aquin („Pontificia Università San Tommaso d’Aquino“), 00184 Roma, Largo Angelicum, 1. Sie wurde 1580 von Papst Gregor XIII. gegründet und wird vom Dominikanerorden getragen. (a) Die Universität hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht und Sozialwissenschaften. (b) In die Universität ist das Institut für Ökumenische Theologie und Patristik „San Nicola di Bari“, Bari, inkorporiert. (c) An die Universität ist das „Studio Teologico Accademico Bolognese“ mit zwei Sektionen, eine im Dominikanerkloster in Bologna und eine im Regionalseminar von Bologna aggregiert. (d) Von der Universität werden getragen: -

Institut für Spiritualität, Roma;

-

Institut „San Tommaso“, Roma;

-

Höheres Institut für Theologische Bildung „Mater Ecclesiae“, Roma;

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221

Höheres Institut für Theologische Bildung „Santi Vitale e Agricola“, Bologna.

(5) Päpstliche Salesianer Universität („Pontificia Università Salesiana“), 00139 Roma, Piazza dell’Ateneo Salesiano, 1. Die Universität wurde 1940 vom Salesianerorden gegründet und wird von ihm getragen. (a) Sie hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht, Christliche und Klassische Literatur, Erziehungswissenschaften und Soziale Kommunikationswissenschaften. (b) An die Universität sind aggregiert: -

Theologisches Institut „San Tommaso d’Aquino“, Messina;

-

Internationales Institut „Don Bosco“, Torino;

-

Secred Heard Theological College Mawlai, Schillong, India;

-

Kristu Ijoti College Bosco Nagar,Benlador, India;

-

Istituto de Teologia para Religiosos, Caracas, Venezuela;

-

Salesian Institute of Philosophy Divyadan Nashik, India;

-

Istituto Superiore de Pastoral Catequetica Santiago, Chile. (c) Von der Universität werden getragen:

-

Höheres Institut für Christliche und Klassische Literatur, Roma;

-

Institut für Theologische Bildung „Magisterium Vitae“, Roma.

(6) Päpstliche Universität vom Heiligen Kreuz („Pontificia Università della Santa Croce“), 00186 Roma, Piazza di Sant’Apollinare, 49. Sie wurde 1985 von der Personalprälatur „Opus Dei“ gegründet und wird von ihr getragen. (a) Die Universität hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht und Soziale Kommunikationswissenschaften. (b) Sie ist Trägerin des Höheren Institutes für Theologische Bildung „Apollinare“, Roma. (7) Päpstliche Universität Sant’Anselmo („Pontificio Ateneo Sant’Anselmo“) 00153 Roma, Piazza Cavalieri di Malta, 5. Sie wurde 1687 vom Benediktinerorden gegründet und wird von ihm getragen. (a) Die Universität hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht und Liturgie. (b) Der Universität ist das Pastoralinstitut „Santa Giustina“, Padova, inkorporiert.

222

Josef Michaeler

(8) Päpstliche Universität Antonianum („Pontificio Ateneo Antonianum“), 00185 Roma, Via Merulana, 124. Sie wurde 1933 vom Franziskanerorden gegründet und wird von ihm getragen. (a) Sie hat Fakultäten für Theologie, Philosophie, Kanonisches Recht, Bibelwissenschaften und Archäologie (letztere hat den Sitz in Jerusalem). (b) Die Universität ist Trägerin der: -

Höheren Lehranstalt für mittelalterliche und franziskanische Studien, Roma;

-

Höheren Institute für Theologische Bildung in Benevento, Roma, Velletri.

(9) Universität Regina Apostolorum („Ateneo Regina Apostolorum“), 00165 Roma, Via degli Aldobrandeschi,190. Sie wurde 1993 von den Legionären Christi gegründet und wird von ihnen getragen. (a) Die Universität hat Fakultäten für Theologie, Philosophie und Bioethik. (b) An die Universität ist das Akademische Zentrum „Our Lady of Thornwood / USA“ affiliiert. (c) Die Universität ist Trägerin des Höheren Institutes für Theologische Bildung „Regina Apostolorum“, Roma. (10) Päpstliches Institut für Kirchenmusik („Pontificio Istituto di Musica Sacra“), 00165 Roma, Via di Torre Rossa, 21. Das Institut wurde 1911 von Papst Pius X. gegründet und 1931 in die Liste der Päpstlichen Universitäten und Fakultäten aufgenommen. Das Institut verleiht die akademischen Grade des Bakkalaureates, Lizenziates und Doktorates in Kirchenmusik, Gregorianischem Choral, Orgelmusik und Musikwissenschaften. (11) Päpstliches Institut für christliche Archäologie („Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana“), 00185 Roma, Via Napoleone III, 1. Das Institut wurde 1925 von Papst Pius XI. gegründet und bezweckt die wissenschaftliche Erfassung der christlichen Archäologie, der Denkmäler, Fotografien, Bücher, Notizen usw. und gibt Anregungen für deren Studium, für Tagungen usw. (12) Päpstliche Theologische Fakultät St. Bonaventura („Pontificia Facoltà Teologica San Bonaventura“), 00142 Roma, Via del Serafico, 1. Die Fakultät geht auf das Jahr 1587 zurück, wurde nach der Einigung Italiens 1873 unterdrückt, 1935 wieder errichtet und 1955 als Päpstliche Fakultät anerkannt. Sie wird vom Franziskanerorden getragen und hat nur eine Theologische Fakultät: (13) Päpstliche Theologische Fakultät „Teresianum“ („Pontificia Facoltà Teologica Teresianum“), 00154 Roma, Piazza San Pancrazio, 5. Die Fakultät wurde 1935 von den Unbeschuhten Karmeliten gegründet, wird von ihnen getragen und hat nur eine Theologische Fakultät.

Theologische Hochschulen in Italien

223

(a) Der Fakultät ist das Theologische Institut für Krankenpastoral „Camillianum“, Roma, inkorporiert. (b) An die Fakultät sind aggregiert: -

Institut für Theologische Bildung „Leoniano“, Anagni;

-

Studium Notre Dame de Vie, Venasque, Frankreich. (c) An die Fakultät sind affiliiert:

-

Ecole Théologique Saint Cyprian, Kamerun;

-

Institute of Theology at Jyothir Bhavan Kerala, Indien.

(14) Päpstliche Theologische Fakultät „Marianum“ („Pontificia Facoltà Teologica Marianum“), 00153 Roma, Via Trenta Aprile, 6. Die Fakultät wurde 1966 vom Servitenorden gegründet und wird von ihm getragen. Sie lehrt Moraltheologie. In die Fakultät ist das „International Maria Research Institute the Marian Library“ von Dayton, USA, inkorporiert. (15) Päpstliches Institut für Arabische und Islamische Studien („Pontificio Istituto di Studi Arabi e d’Islamitica“), 00153 Roma, Viale Trastevere, 89. Das Institut wurde 1926 von den „Missionari d’Africa“ in Manouba, Tunesien, errichtet, 1964 nach Rom verlegt und hat bei dieser Gelegenheit den Titel „Päpstliches Institut“ erhalten. Es kann die akademischen Grade des Bakkalaureates, Lizenziates und Doktorates verleihen. (16) Päpstliche Fakultät für Bildungswissenschaften „Auxilium“ („Pontificia Facoltà di Scienze dell’Educazione Auxilium“), 00166 Roma, Via Cremolino, 144. Die Fakultät wurde 1970 von den Töchtern Maria Hilf („Figlie di Maria Ausiliatrice“) gegründet. 2. Kirchliche Universitäten und Theologische Fakultäten außerhalb der Stadt Rom Die Aufzählung der Kirchlichen Universitäten, Fakultäten und anderer Einrichtungen erfolgt in alphabetischer Reihenfolge, ohne damit eine Bewertung vorzunehmen44:

44

In der Aufzählung wird Bezug genommen auf:

-

Annuario Pontificio, Città del Vaticano 2003, S. 1605 ff. und 1756 ff.

-

Congregatio de Instituzione Cattolica: Index generalis Universitatum et Facultatum Ecclesiasticarum, inclusis Institutis incorporatis, aggregatis et aliquibus autonomis, Roma 1966.

224

Josef Michaeler

(1) Brixen / Bressanone: Philosophisch-Theologische Hochschule – Studio Teologico Accademico, 39042 Brixen, Seminarplatz 4. (a) Die Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen kann den akademischen Grad des Bakkalaureates verleihen45. Laut Auskunft der Kongregation für das Katholische Bildungswesen ist die Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen – neben der Philosophisch-Theologischen Hochschule „Regis College“ von Toronto in Kanada, die von den Jesuiten geführt wird – die einzige NichtFakultät, die den akademischen Grad des Bakkalaureates verleihen kann. (b) Die Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen hat einen Vertrag mit der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, dass ihre Studien als gleichwertig anerkannt sind. Im Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck an den Bischof von Bozen-Brixen heißt es: „Zur Erlangung des Diploms Magister der Theologie muss der Kandidat an der Fakultät wenigstens ein Semester inskribieren und eine Diplomarbeit vorlegen, die dem § 25 des Allgemeinen Hochschulgesetzes und dem § 7 der Studienordnung für die fachtheologische und selbständige religionspädagogische Studienrichtung entspricht, die von unserer Fakultät näherhin so bestimmt ist“. Es werden dann die Bestimmungen über die Diplomarbeit wiedergegeben und festgelegt, dass die Diplomarbeit unter der Leitung eines Professors der Fakultät von Innsbruck oder der Hochschule von Brixen gewählt und ausgearbeitet werden kann46. (c) Von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen wird auch ein Höheres Institut für Theologische Bildung getragen47, das den akademischen Grad „Magister in Theologischer Bildung“ (in Südtirol „Lehramtsdiplom in Theologie“) verleihen kann. (d) Ebenso ist an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen ein Institut für Theologische Bildung von der Italienischen Bischofskonferenz errichtet. Es hat zwei Sektionen: -

eine deutsche Sektion, genannt „Institut für Theologische Bildung – Brixner Theologische Kurse“ mit Sitz in Brixen, und

-

Elenco Ministero Pubblica Istruzione 30 luglio 1994. Das Verzeichnis wurde nicht veröffentlicht, aber den einzelnen Diözesen zugeschickt.

-

Mantineo, Le Università cattoliche (Anm. 41). 45

Dekret der Kongregation für das Katholische Bildungswesen vom 18. Oktober 1991, Prot. Nr. 3879/91/18; 10. Februar 1977, Nr. 387/91/29; 22. April 2002, Nr. 387/91/B. 46

Schreiben des Dekans der Theologischen Fakultät Innsbruck vom 5. November 1975 Nr. 33/75/76 an den Bischof von Bozen-Brixen. 47

Dekret vom 18. Oktober 1991 Nr. 387/91/17, 10. Februar 1997 Nr. 387/91/29 22. April 2002 Nr. 387/91/B.

Theologische Hochschulen in Italien

-

225

eine italienische Sektion, genannt „Istituto di Scienze Religiose – Centro Studi Teologici“ mit Sitz in Bozen48.

Es stellt die „Lehrbefähigung für religiöse Wissenschaften“ aus, die kein akademischer Grad ist, aber unter bestimmten Voraussetzungen in Kombination mit einem anderen staatlich anerkannten Doktorat zum Religionsunterricht an allen öffentlichen Schulen berechtigt. (2) Cagliari: Päpstliche Theologische Fakultät Sardiniens („Pontificia Facoltà Teologica della Sardegna“), 09129 Cagliari, Via Sanyust 11. Sie wurde errichtet im Jahr 1927 und wird von den Jesuiten geführt. An ihr sind errichtet die Höheren Institute für Theologische Bildung von Cagliari und Sassari. (3) Firenze: Theologische Fakultät Mittelitaliens („Facoltà Teologica dell’Italia Centrale“), 50139 Firenze, Via Cosimo il Vecchio, 26. (4) Gallarate: Philosphische Fakultät Aloisianum („Facoltà di Filosofia Aloisianum“), 21013 Gallarate (Varese), Via San Luigi Gonzaga, 8. Die Fakultät wurde 1937 errichtet und 1974 staatlich anerkannt. (5) Milano: Theologische Fakultät Norditaliens („Facoltà Teologica dell’Italia Settentrionale“), 20121 Milano, Piazza Paolo VI, 6. Die Fakultät wurde 1935 errichtet und 1969 neu strukturiert. Sie hat mehrere Sektionen und zwar: -

Seminario Arcivescovile di Genova (1. Zyklus);

-

Seminario Arcivescovile di Venegono (1. Zyklus);

-

Seminario Vescovile di Padova (1. und 2. Zyklus);

-

Seminario Arcivescovile di Torino (1. und 2. Zyklus). (a) An die Fakultät sind affiliiert:

-

Seminario Arcivescovile Maggiore „San Benedetto XV“ Genova;

-

Seminario Arcivescovile Saronno;

-

Studio Teologico del Seminario Vescovile di Como;

-

Studio Teologico del Seminario di Crema;

-

Studio Teologico di Lodi.

(b) Von der Fakultät werden getragen die Höheren Institute für Theologische Bildung von Alessandria, Bergamo, Brescia, Fossano, Genova, La Spezia, Mantova, Milano, Novara, Padova, San Remo, Torino, Trento und Udine. 48

Dekret der Italienischen Bischofskonferenz 5. Juni 1987 Nr. 534 („ad triennium et experimentum“), dann definitiv Dekret vom 10. Juli 1991 Nr. 482/91.

226

Josef Michaeler

(6) Milano: Päpstliches Institut für Kirchenmusik („Pontificio Istituto Ambrosiano di Musica Sacra“), 20144 Milano, Via Gorizia, 5. Das Institut wurde 1940 gegründet. (7) Napoli: Theologische Fakultät Süditaliens („Facoltà Teologica dell’Italia Meridionale“) mit zwei Sektionen: -

Sezione „San Luigi“, 80122 Napoli, Via Petrarca, 115, gegründet 1918;

-

Sezione „San Tommaso d’Aquino“, 80131 Napoli, Viale Colli Aminei, 2, gegründet 1941. (a) An die Fakultät sind aggregiert:

-

Istituto Teologico Pugliese mit Sitz in Molfetta;

-

Istituto Teologico Calabro „S. Pio X“ mit Sitz in Catanzaro.

(b) Von der Fakultät werden getragen die Höheren Institute für Theologische Bildung von Bari, Capua, Castellamare di Stabia, Catanzaro, Cosenza, Foggia, Lecce, Napoli, Nola, Potenza, Reggio Calabria, Salerno, Vallo della Lucania. (8) Palermo: Theologische Fakultät Siziliens („Facoltà Teologica di Sicilia“), 90134 Palermo, Corso Vittorio Emanuele, 463. Die Fakultät wurde 1980 gegründet. (a) An die Fakultät sind affiliiert: -

Istituto Teologico „Mons. Guttadauro“, Caltanisetta;

-

Pontificio Seminario Regionale „S. Pio X“, Catania.

(b) Von der Fakultät werden getragen die Höheren Institute für Theologische Bildung von Catania und Palermo. VI. Zusammenarbeit zwischen staatlichen und kirchlichen Hochschulen Das II. Vatikanische Konzil hat zur Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und Hochschulen aufgerufen, „indem sie gemeinsam internationale Tagungen veranstalten, wissenschaftliche Forschungsgebiete unter sich aufteilen, neue Erkenntnisse einander unterbreiten, Professoren zeitweilig unter sich austauschen und alle Institutionen fördern, die zu stärkerer Hilfeleistung beitragen“49. Die Apostolische Konstitution „Ex corde Ecclesiae“ unterstreicht ebenso die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit und den Dialog mit anderen Bildungseinrichtungen, auch mit den staatlichen und Freien Universitäten. Die

49

Erklärung über die christliche Erziehung „Gravissimum educationis“ Nr. 12.

Theologische Hochschulen in Italien

227

Leiter und Professoren der kirchlichen Universitäten und Fakultäten sollen dafür sorgen, dass nicht nur die eigenen Fakultäten sich gegenseitig helfen, sondern dass auch mit den nichtkirchlichen, staatlichen und Freien Universitäten wechselseitige Zusammenarbeit besteht, wobei vor allem Tagungen und aufeinander abgestimmte Forschungen als hilfreich angesehen werden. Diese Zusammenarbeit soll auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene erfolgen50. Auch staatliche und Freie Universitäten und Hochschulen stellen sich immer mehr auf eine Zusammenarbeit ein, nachdem nun auch gesetzlich die Möglichkeiten gegeben sind und es den einzelnen Universitäten überlassen wird, in welchen Disziplinen sie sich gegenseitig unterstützen oder Austausch pflegen wollen51. So finden immer häufiger interdisziplinäre Symposien zwischen Professoren der staatlichen Universitäten und der kirchlichen Universitäten und Hochschulen zu Themen der Hl. Schrift, der Kirchengeschichte und vielfältiger theologischer Fächer statt. Auch bieten einzelne staatliche Universitäten Seminare und Kurse zu religiösen Themen an wie Religionsgeschichte, Kirchliche Kunst, Kirchengeschichte, religiöse Literatur, Kanonisches Recht, Konfessionskunde usw52. Andere staatliche Universitäten haben Lehrstühle über christliche Literatur, andere über Kirchengeschichte errichtet. Die Philosophisch-Theologische Hochschule von Brixen hat mit Zustimmung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen mit der Freien Universität Bozen ein Kooperationsabkommen getroffen, gemäss dem den Studenten der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen und den Studenten der Fakultät für Bildungswissenschaften die Möglichkeit gewährt wird, Prüfungen in bestimmten Fächern, die in den jeweiligen Studienplänen vorgesehen sind, abzulegen. Auch wird den Studenten die gegenseitige Anerkennung von Prüfungen garantiert, die an den Fakultäten, die Partner der gegenständlichen Vereinbarung sind, abgelegt werden, nachdem sie von den zuständigen akademischen Organen der jeweiligen Fakultät überprüft worden sind53.

50

Apostolische Konstitution vom 15. August 1990 „Ex corde Ecclesiae“ Art. 37.

51

Dekret des Präsidenten der Republik vom 12. April 1994; Ministerialrundschreiben vom 23. Juni 1997 und 26. Februar 1999; Ministerialdekret vom 23. Dezember 1999. 52

Tageszeitung „Avvenire“ vom 8. Jänner 1999, S. 16. R. Mazzola, Organizzazioni non confessionali del sapore religioso in Italia, in: Quaderni di diritto ecclesiastico 2001 Nr. 3, S. 141 ff. 53

Abkommen vom 16. September 2002 zwischen der Freien Universität Bozen und der Diözese Bozen-Brixen.

228

Josef Michaeler

Am weitesten ist bisher die staatliche Universität von Urbino („Università di Studi di Urbino Carlo Bo“) gegangen. In ihrer Fakultät für Erziehungswissenschaften hat sie ein Höheres Institut für Theologische Bildung errichtet, das von der Italienischen Bischofskonferenz anerkannt worden ist. Dieses Institut kann ein Diplom verleihen, das zum Religionsunterricht an den Mittel- und Oberschulen berechtigt. Der Leiter des Institutes wird vom Rektor der Universität, nach Anhören der Professoren und Assistenten derselben, aus einem Dreiervorschlag ernannt, den der Bischof von Urbino unterbreitet. Unterrichtet werden an diesem Institut Christliche Ethik, Biblische Studien, Dogmengeschichte, Geschichte der Ökumene, Geschichte der Literatur, Patrologie, Staatskirchenrecht, Religionsgeschichte, Geschichte des Christentums usw.54 So könnten eine Reihe von Universitäten angeführt werden, die sich in letzter Zeit um eine Zusammenarbeit mit kirchlichen Fakultäten bemühen oder selber Vorlesungen in religiösen Fragen anbieten55. VII. Universitätsreform in Italien In letzter Zeit haben die Universitäten in Italien eine größere Autonomie erhalten56. Auch hat das Ministerium für die Universitäten die akademischen Grade, die von den Hochschulen verliehen werden, neu geregelt. Der bisherige vierjährige mit dem Doktorat abschließende Studiengang wird nicht mehr angeboten. Angeboten werden dreijährige Studiengänge mit Laureat („laurea breve“). Der Inhaber dieses Laureates kann in einem weiteren zweijährigen Zyklus ein Speziallaureat („laurea specializzata“) erwerben57. Seitdem sind verschiedene Gesetze und Ministerialrundschreiben veröffentlich worden und es ist gegenwärtig nicht abzusehen, wie diese Universitätsreform enden wird. Am 19. Juni 1999 trafen sich an der staatlichen Universität von Bologna die Bildungsminister von 29 europäischen Ländern, darunter auch der Minister Italiens. Die Minister haben sich in einer gemeinsamen Erklärung verpflichtet, bis zum Jahr 2010 vergleichbare Reformen in ihren nationalen Hochschulsystemen durchzuführen mit dem Ziel, eine größere Übereinstimmung der Strukturen zu erreichen und damit einen homogeneren europäischen Hochschulraum zu schaffen und die Hochschulabschlüsse gegenseitig anzuerkennen, um den Studenten den Wechsel zu ausländischen Studienorten zu erleichtern. Der Apostolische Stuhl war bei dieser Konferenz nicht vertreten. Im Nachfolgetreffen in 54

Università degli Studi di Urbino: Studi e Regolamento.

55

Roberto Mazzola, Organizzazione non confessionale del „sapere“ religioso in Italia, in: Diritto e politica ecclesiastica 1 (2001), 142 ff. 56

Gesetz vom 15. Mai 1977 Nr. 127.

57

Dekret des Ministers für Universitäten vom 3. November 1999 Nr. 509 Art. 3.

Theologische Hochschulen in Italien

229

Berlin am 18. und 19. September 2003, bei dem 33 europäische Bildungsminister anwesend waren, wurde beschlossen, auch den Apostolischen Stuhl in den sogenannten Bologna-Prozess aufzunehmen. Der Vertreter der Kongregation für das Katholische Bildungswesen verwies bei dieser Gelegenheit darauf, dass es allein in Europa 19 katholische Universitäten sowie 39 kirchliche Hochschulen und ebenso viele Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten gäbe. In Rom studieren 40.000 Studenten an kirchlichen Einrichtungen, von denen mehr als zwei Drittel aus dem Ausland kommen58. Schon in zwei Jahren wird auf der Folgekonferenz in Bergen in Norwegen anhand einheitlicher Frageraster kontrolliert werden, wie nahe jedes der inzwischen 40 Partnerländer (einschließlich Russland) den Hauptzielen gekommen ist59. Wie weit dieses und die kommenden Beschlüsse auf die Hochschulstrukturen der Katholischen Kirche sich auswirken werden, wird die Zukunft zeigen. VIII. Hochschulgemeinden – Hochschulseelsorge in Italien Das II. Vatikanische Konzil hat den Oberhirten der Kirche zur Pflicht gemacht, „nicht nur für das geistliche Leben der Studenten an den katholischen Universitäten zu sorgen; sie sollen vielmehr nach sachdienlichen Beratungen der Bischöfe darauf achten, dass auch an den nichtkatholischen Universitäten katholische Studentenheime und Universitätszentren errichtet werden, in denen sorgfältig ausgewählte und vorgebildete Priester, Ordensleute und Laien der studierenden Jugend dauernde geistliche und geistige Hilfe bieten“60. Auch die Apostolische Konstitution „Ex corde Ecclesiae“ unterstreicht diese Notwendigkeit und macht den Bischöfen in Anbetracht der Tatsache, dass das Schicksal der Gesellschaft und der Kirche selbst mit der Entwicklung der Hochschulstudierenden sehr eng verbunden ist, zur Pflicht, nicht nur für das geistliche Leben der Studenten Sorge zu tragen, sondern ihnen auch sachkundige Beratung zukommen zu lassen61. Diesen Weisungen folgend, bemüht sich die Katholische Kirche Italiens besonders um die Hochschulseelsorge. So gibt es gegenwärtig in Italien gut 400 Katholische Kollegien, d.h. Studentenheime, die den Studenten an den staatlichen Universitäten nicht nur Unterkunft, sondern auch Vorträge, Ergänzungs58

Kathpress-Tagesdienst Nr. 218 vom 19.09.2003, S. 15.

59

Rheinischer Merkur Nr. 40 / 2003, S. 34.

60

Erklärung „Gravissimum educationis“ Nr. 10.

61

Apostolische Konstitution „Ex corde Ecclesiae“ vom 15. August 1999, Art. 6 § 1, Art. 5 § 2.

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Josef Michaeler

unterricht, religiöse Erziehungsprogramme usw. anbieten und so auch die Studenten der verschiedenen Fakultäten zusammenführen62. Die Hochschulseelsorge bemüht sich ebenso um die Lehrenden und alle in der Wissenschaft Tätigen. Sie hat das Ziel, die Hochschulen unter den sich wandelnden Bedingungen der Gegenwart mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen. IX. Schlussüberlegungen Obwohl es in Italien an den staatlichen Universitäten keine theologischen Fakultäten gibt, zeigt sich doch, dass die katholische Bildung und Forschung deswegen nicht aus dem öffentlichen Leben verschwunden ist. Beiderseits, sowohl des Staates wie auch der Kirche, wird man sich immer mehr bewusst, dass es nicht nur um die wissenschaftliche Forschung geht, deren Errungenschaften unser Leben erleichtern und verbessern, sondern auch um die Ausbildung der Jugend, die morgen in wichtigen Positionen von Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft Verantwortung übernehmen soll. Der Bereich der Geisteswissenschaften, der Sozialwissenschaften, aber auch der Naturwissenschaften braucht Orientierungswissen, das eine Zusammenschau der vielen Einzelwissenschaften ermöglicht. Die Theologie bietet ein solches Orientierungswissen an. Es muss somit nicht unbedingt von Nachteil sein, wenn an den staatlichen Universitäten keine theologischen Fakultäten vorhanden sind. Die Theologie kann trotzdem, wie das Beispiel Italiens zeigt, im Leben der Gemeinschaft präsent und die Kirche in der Gesellschaft verankert sein.

62

Tageszeitung „Avvenire“, 13. Dezember 1998, S. 16.

Kleriker und Laien als Professoren der Katholischen Theologie Von Ludger Müller Vor nunmehr zehn Jahren, am 10. November 1994, hat die Österreichische Bischofskonferenz ein „Dekret über die Habilitation und Berufung von Professoren an den Katholisch-Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten Österreichs“1 beschlossen, das am 5. Juni 1995 die für seine Verbindlichkeit erforderliche „Recognitio“ seitens der Kongregation für die Bischöfe erhalten hat und die Grundlage für das geltende Recht darstellt. Dieses Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz ist deutlich jünger als der entsprechende Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz. Diese hatte nämlich schon im Februar 1972 die Möglichkeit der Habilitation und Berufung von Nichtpriestern in Katholisch-Theologischen Fakultäten beschlossen, wie sie noch heute angewendet wird.2 Der Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz wurde durch Dekret der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 20. April 1972 zu geltendem Recht. Beide Dekrete gehen davon aus, daß die künftigen Priester in der Regel von Priestern ausgebildet werden sollen. Dennoch können auch Nichtpriester habilitiert und als Professoren berufen werden. Hierbei wird aber normiert, daß die Habilitation eines Nichtpriesters und seine Berufung zum Professor der Theologie nur einen Ausnahmefall darstellen kann (so nach dem für Deutschland geltenden Dekret von 1972)3 bzw. – wie in Österreich –,

1

Vgl. Österreichische Bischofskonferenz, Dekret über die Habilitation und Berufung von Professoren an den Katholisch-Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten Österreichs, in: Abl ÖBK Nr. 15 vom 11. August 1995, S. 2 f. [Dekret ÖBK 1994]. 2

Vgl. Heribert Schmitz, Anmerkungen zu dem Dekret der SC InstCath vom 20. April 1972 über Habilitation und Berufung von Nichtpriestern, in: ders., Studien zum kirchlichen Hochschulrecht, Würzburg 1990 (forschungen zur kirchenrechtswissenschaft 8), 255 – 266, hier: 255. 3

Vgl. Kongregation für das katholische Bildungswesen, Dekret vom 20. April 1972 betreffend den Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz vom 21. – 24. Februar 1972: Habilitation und Berufung von Nichtpriestern an den Katholisch-Theologischen Fakultäten und Philosophisch-Theologischen Hochschulen [Beschluß DBK 1972], in: Heribert Schmitz, Katholische Theologie und Kirchliches Hochschulrecht. Kommentar zu

232

Ludger Müller

daß im Regelfall Priester und nur in einem Ausnahmefall Nichtpriester zu Universitätsprofessoren in der Katholisch-Theologischen Fakultät berufen werden können. Das Erfordernis einer „überwiegenden Präsenz von Priestern als Universitätsprofessoren“ stellt oftmals ein Problem in der Berufungspraxis dar, da schlicht nicht genügend priesterliche Bewerber zur Verfügung stehen oder diese gelegentlich nicht die bestqualifizierten sind. Welche Möglichkeiten sind aus der Sicht des kanonischen Rechts gegeben, das hier vorliegende Problem in sachgerechter Weise zu lösen? Wie ist die Rechtslage in Deutschland und in Österreich? I. Die Rechtslage in Deutschland und in Österreich im Vergleich Ein Vergleich zwischen dem Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz von 1972 und jenem der Österreichischen Bischofskonferenz von 1994 zeigt einige auffällige Übereinstimmungen ebenso wie – vor allem – bemerkenswerte Unterschiede. 1. Der Ausgangspunkt Der Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz von 1972 beginnt mit den Worten: „In der Ausbildung der Theologiestudenten, insbesondere der Priesteramtskandidaten, kommt wegen der engen Verbindung von Glaube, theologischer Erkenntnis und christlicher Lebenspraxis der Persönlichkeit der Theologiedozenten eine überragende Bedeutung zu. Die Ratio fundamentalis institutionis Sacerdotalis vom 6. Januar 1970 bestimmt, daß in der Regel nur Priester als Theologieprofessoren bestellt werden sollen. ‚In der Regel‘ besagt, daß für alle theologischen Disziplinen in Ausnahmefällen auch Nichtpriester habilitiert und berufen werden können.“4 Die Deutsche Bischofskonferenz stützte sich bei ihrer Argumentation auf die gesamtkirchliche Ordnung für die Priesterbildung, die erstmals im Jahr 1970 erlassen worden ist und in deren Nr. 33 es – auch in der heute geltenden Fassung vom 19. März 1985 – heißt: „Pro disciplinis sacris Professores sint com-

den Akkomodationsdekreten zur Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“. Dokumentation der kirchlichen Rechtsnormen, Arbeitshilfen 100, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1992, 331 – 334, hier: 333. 4

Beschluß DBK 1972 (Anm. 3), 333.

Kleriker und Laien als Professoren der Katholischen Theologie

233

muniter sacerdotes“.5 Hieraus ergibt sich nach Ansicht der Deutschen Bischofskonferenz die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Priestern und Nichtpriestern in bezug auf Habilitation und Berufung an Katholisch-Theologischen Fakultäten und die Notwendigkeit eines diesbezüglichen Beschlusses. Das Vorwort des Dekrets der Österreichischen Bischofskonferenz von 1994 lautet folgendermaßen: „Für die Ausbildung von Studierenden der Theologie ist die Persönlichkeit der Lehrenden der Theologie über ihre wissenschaftlichen und didaktischen Fähigkeiten hinaus von überragender Bedeutung. Eine enge Verbindung des persönlichen Glaubens, der christlichen Lebenspraxis, des ‚Sentire cum Ecclesia‘ und der theologischen Erkenntnis ist bei den Lehrenden entscheidend. Wie für die Studien in Seminaren davon ausgegangen wird, daß in der Regel die künftigen Priester von Priestern ausgebildet werden sollen, so ist auch an den Katholisch-Theologischen Fakultäten österreichischer Universitäten für die Ausbildung von Priesteramtskandidaten, Diakonen, Ordensleuten und Laien für ein entsprechendes Mitwirken von Lehrenden, die Priester sind, zu sorgen. Es können auch Nichtpriester unter Beachtung von Pkt. 1 habilitiert und unter Beachtung von Pkt. 2 der vorliegenden Normen zu Professoren berufen werden.“6 Ebenso wie die Deutsche Bischofskonferenz hebt auch die Österreichische Bischofskonferenz vor allem auf die Persönlichkeit der Dozenten in den Theologischen Fakultäten ab und ebenfalls in beiden Beschlüssen wird die Berufung von Priestern als Professoren an Fakultäten für Katholische Theologie als der Regelfall bezeichnet. Zwei Unterschiede zwischen der deutschen und der österreichischen Regelung fallen jedoch auf: Zum einen berufen sich die österreichischen Bischöfe nicht ausdrücklich auf die Rahmenordnung für die Priesterbildung; dennoch wird man die Regelung von Nr. 33 der Ratio fundamentalis als die materielle Quelle der unterschiedlichen Behandlung von Priestern und Nichtpriestern im Blick auf das Professorenamt ansehen müssen. Zum anderen

5

Sacra Congregatio pro Institutione Catholica, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis ad normam novi Codicis iuris canonici recognita vom 19. März 1985, abgedruckt in: Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae, Vol. VI: Leges annis 1979 – 1985 editae, Roma 1987, n. 5110, Sp. 9069 – 9109, hier: 9085; vgl. Sacra Congregatio pro Institutione Catholica, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis vom 6. Januar 1970, in: AAS 62 (1970), 321 – 384, auch abgedruckt in: Nachkonziliare Dokumentation 25: Priesterausbildung und Theologiestudium, hrsg. von Heribert Schmitz, Trier 1974, 68 – 262, hier: 148 (Nr. 33). – In der Kommentierung zum Klerikerbildungsrecht des CIC/1983 übersieht Heinrich J. F. Reinhardt offensichtlich die Revision der Ratio fundamentalis aus dem Jahr 1985; vgl. Münsterischer Kommentar zum CIC, Dokumentenverzeichnis vor 232/5, Essen, Stand: November 1996. 6

Dekret ÖBK 1994 (Anm. 1), 2.

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aber wird im Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz bezüglich der Habilitation im Unterschied zur Berufung von Professoren kein Unterschied zwischen Priestern und Nichtpriestern gemacht. Gemeinsamer Ausgangspunkt beider Regelungen ist jedenfalls der Gedanke der Priesterbildung. Während die Deutsche Bischofskonferenz unmittelbar die Regelung von Nr. 33 der allgemeinkirchlichen Rahmenordnung für die Priesterbildung heranzieht, sieht die Österreichische Bischofskonferenz nur die Möglichkeit einer analogen Anwendung dieser Regelung. Die Forderung nach einem „entsprechenden Mitwirken von Lehrenden, die Priester sind“, ist jedoch recht zurückhaltend – insbesondere im Vergleich mit der Formulierung im deutschen Dekret, „daß in der Regel nur Priester als Theologieprofessoren bestellt werden sollen“ und daß die Habilitation und Berufung von Nichtpriestern einen „Ausnahmefall“ darstellt. 2. Persönliche Anforderungen an Dozenten der Theologie Unter der Überschrift „Habilitation“ nennt der Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz folgende Voraussetzungen für die Habilitation eines Nichtpriesters in einem Fach der katholischen Theologie: „a) Übereinstimmung der Lehre des zu Habilitierenden mit der ganzen Glaubens- und Sittenlehre der Katholischen Kirche. b) Leben aus dem Glauben; das schließt die Erfüllung der Pflichten eines Katholiken ein. c) Mehrjährige hauptamtliche praktische Tätigkeit in pastoralen Diensten, vor allem außerhalb der Hochschule.“7 Bis auf den letzten Punkt werden diese Voraussetzungen aber selbstverständlich von jedem Christen erfüllt werden müssen, und deshalb natürlich auch von jedem Priester, der sich an einer Theologischen Fakultät habilitieren will. Daß aber das Erfordernis einer „mehrjährigen hauptamtlichen praktischen Tätigkeit in pastoralen Diensten“ nur für Laien gelten soll, die sich habilitieren wollen, ist nicht einsichtig zu machen. Zwar kann man im Regelfall davon ausgehen, daß Priester dieses Erfordernis erfüllen; wenn aber die pastorale Erfahrung für die Ausübung des Amtes eines theologischen Lehrers wirklich wichtig ist, muß sie auch von priesterlichen Habilitationsbewerbern rechtlich gefordert werden. Eine Ungleichbehandlung in dieser Hinsicht ist wohl kaum begründbar. Nach Heribert Schmitz ist sie sogar aus Gründen des weltlichen Rechts kaum tragbar. „Wenn die kirchliche Autorität von dem staatskirchen-

7

Beschluß DBK 1972 (Anm. 3), 334.

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rechtlich und verfassungsrechtlich möglichen Erfordernis der Priesterweihe für das wissenschaftliche theologische Lehramt absehen will, kann sie für Nichtpriester weder nach allgemeinem Kirchenrecht noch unter Berufung auf Konkordats- und Staatskirchenrecht in legitimer Weise wesentlich andere Voraussetzungen fordern als für Priester.“8 Die persönlichen Anforderungen für Habilitanden (und zu Berufende) im Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz von 1994 lauten: „a) wissenschaftlicher Eros und wissenschaftliche Befähigung; darüber befindet – unbeschadet der bischöflichen Verantwortung – die Habilitationskommission; b) zeugnishaftes Leben als Christ, besonders das ‚Sentire cum Ecclesia‘; c) Eignung zur rechtmäßigen Heranbildung von Priesteramtskandidaten; das bedeutet eine positive Einstellung in Wort und Schrift zum sakramentalen Priestertum; d) mindestens einjähriger, vom für die Fakultät zuständigen Ortsordinarius anerkannter, praktischer Einsatz in der Pastoral.“9 Bei aller Offenheit der hier gewählten Formulierungen muß man der Österreichischen Bischofskonferenz bescheinigen, daß die von ihr benannten persönlichen Voraussetzungen tatsächlich im Blick auf die Aufgabe des theologischen Hochschullehrers von Bedeutung sind. Es wird nicht die „Übereinstimmung der Lehre mit der ganzen Glaubens- und Sittenlehre der Katholischen Kirche“ und ein „Leben aus dem Glauben“ einschließlich der „Erfüllung der Pflichten eines Katholiken“ gefordert – wie im Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz –, sondern ein „zeugnishaftes Leben als Christ“, bei dem es insbesondere auf das „Sentire cum Ecclesia“ ankommt. Es wird zwar recht allgemein die „Eignung zur rechtmäßigen Heranbildung von Priesteramtskandidaten“ gefordert, doch wird diese Forderung zumindest insoweit etwas genauer gefaßt, als sie eine „positive Einstellung … zum sakramentalen Priestertum“ voraussetzt. Hiermit scheint die Österreichische Bischofskonferenz das aufzugreifen, was die Kongregation für das katholische Bildungswesen in ihrem „Dekret vom 20. April 1972 betreffend den Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz über Habilitation und Berufung von Nichtpriestern an den Katholisch-Theologischen Fakultäten und Philosophisch-Theologischen Hochschulen“ als Präzisierung hinzugefügt hatte: „cauto tamen ut candidati non-

8

Heribert Schmitz, Habilitation und Berufung von Nichtpriestern zu Hochschullehrern der Katholischen Theologie, in: ders., Studien zum kirchlichen Hochschulrecht (Anm. 2), 267 – 278, hier: 277. 9

Dekret ÖBK 1994, Nr. 1.1. (Anm. 1), 2.

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sacerdotes de quibus in documento agitur ii intelligantur qui vere sunt idonei ad aspirantes ad sacerdotium rite efformandos“.10 Kritisiert wurde gegenüber einem früher festgelegten Kriterienkatalog der österreichischen Bischöfe für die Habilitation von Nichtpriestern, „daß die Feststellung der ‚wissenschaftlichen Begabung‘ und des ‚wissenschaftlichen Eros‘ in die Kompetenz der akademischen Autoritäten und nicht in die Kompetenz der kirchenamtlichen Autoritäten fällt.“11 Dieser Kritik hat die Bischofskonferenz in ihrem Dekret von 1994 dadurch entsprochen, daß sie der unter 1.1. a) genannten Voraussetzung „wissenschaftlicher Eros und wissenschaftliche Befähigung“ die Erläuterung hinzugefügt hat: „darüber befindet – unbeschadet der bischöflichen Verantwortung – die Habilitationskommission“. Das entsprach im übrigen der Rechtslage nach dem damals geltenden UniversitätsOrganisationsgesetz von 199312 und entspricht auch den einschlägigen Regelungen des österreichischen Universitätsgesetzes von 2002.13 Der im Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz zum Ausdruck gebrachte Vorbehalt zugunsten der bischöflichen Verantwortung kann jedoch nicht bedeuten, daß der Bischof auch hinsichtlich der Beurteilung des Habilitationskandidaten in wissenschaftlicher Hinsicht eine Verantwortung trägt; die Verantwortung des Bischofs kann sich vielmehr nur auf die Fragen der Übereinstimmung von Lehre und Lebensführung des Betreffenden mit der Lehre der Kirche beziehen. Zur Auswirkung kommt diese bischöfliche Verantwortung in der Erteilung bzw. Verweigerung des „Nihil obstat“. Konsequenterweise spricht Nr. 1.5. des Dekrets auch nur von den „erforderlichen menschlichen und theologischen Voraussetzungen“,14 deren Vorliegen für die im Rahmen der Habilitation erforder-

10

Beschluß DBK 1972 (Anm. 3), 331; die Formulierung im Dekret der ÖBK stimmt weitgehend mit der Übersetzung des Dekrets der SC InstCath von 1972 durch Heribert Schmitz überein: „Eignung zur rechtmäßigen Heranbildung von Priesteramtskandidaten“ (ÖBK) – „…, die zur rechtmäßigen Bildung von Priesterkandidaten wirklich geeignet sind“ (Schmitz). 11

Heribert Schmitz, Kommentar [zum Dekret der Kongregation für das katholische Bildungswesen über die katholisch-theologischen Fakultäten in den staatlichen Universitäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ und der ihr beigefügten „Ordinationes“, in: ders., Katholische Theologie und Kirchliches Hochschulrecht (Anm. 3), 185 – 228, hier: 211. 12 Vgl. § 28 UOG/1993 (UOG 1993 [Universitäts-Organisationsgesetz], hrsg. von Gerald Bast, Wien 21998). 13

Vgl. § 103, bes. Abs. 7 UG/2002 (Universitätsgesetz 2002. Gesetzestext, Materialien, Erläuterungen und Anmerkungen, hrsg. von Martha Sebök, Wien 2002). 14

Dekret ÖBK 1994 (Anm. 1), 2; Hervorhebungen von mir.

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237

liche Erteilung des „Nihil obstat“ vorauszusetzen ist, und nicht von den wissenschaftlichen Voraussetzungen. Von besonderer Bedeutung ist jedoch, daß die persönlichen Anforderungen für die Habilitation von der Österreichischen Bischofskonferenz ausdrücklich auf Priester und Nichtpriester in gleicher Weise angewendet werden. Das Vorwort zum Dekret von 1994 endet nämlich mit den Worten: „Diese Bestimmungen gelten für Laien sowie in analoger Weise für Kleriker.“15 Dies entspricht dem Faktum, daß wohl keine persönlichen Anforderungen für die Habilitation genannt werden könnten, die nur von Nichtpriestern zu erfüllen wären. Zudem würde die Nichtzulassung eines Laien zur Habilitation aus anderen als wissenschaftlichen Gründen oder – was im Bereich der katholischen Theologie zulässig wäre – aus Gründen von Lehre oder Lebensführung, z. B. die Nichtzulassung eines Nichtpriesters, nur weil er bzw. sie nicht die Priesterweihe empfangen hat, einen Verstoß gegen in der österreichischen Verfassung verbürgte Grundrechte wie Gleichberechtigung (Art. 2 StGG),16 Freiheit der Wissenschaft (Art. 17 Abs. 1 StGG)17 und Freiheit von Berufswahl und Berufsausbildung (Art. 18 StGG)18 darstellen. Entsprechendes gilt für die deutsche verfassungsrechtliche Lage (vgl. Art. 3 GG; Art. 5 Abs. 3 GG; Art. 12 GG). So kam Wilhelm Steinmüller in seiner gutachtlichen Stellungnahme zur Laienhabilitation an Katholisch-Theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz, den Grundsatz der Gleichheit bei der Besetzung öffentlicher Ämter und das Grundrecht der freien Berufswahl zu dem Ergebnis: „Das Verbot der Laienhabilitation verstößt gegen das Grundgesetz“.19

15

Ebd.

16

Vgl. Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG), in: Österreichisches Staatskirchenrecht. Gesetze, Materialien, Rechtsprechung, Bd. 1, hrsg. von Inge Gampl / Richard Potz / Brigitte Schinkele, Wien 1990, 16 – 52, hier: 16. 17

Vgl. ebd. 47.

18

Vgl. ebd. 51.

19

Wilhelm Steinmüller, Kirchen- und staatskirchenrechtliche Probleme der Laienhabilitation an Katholisch-Theologischen Fakultäten der Bundesrepublik Deutschland, in: Karl Rahner, Zur Reform des Theologiestudiums, Freiburg / Basel / Wien 1969 (Quaestiones disputatae 41), 111 – 124, hier: 119; ebenso: Johannes Neumann, Kirchenrechtliche Stellungnahme, inwieweit Nichtordinierte zur Habilitation an Katholisch-Theologischen Fakultäten zugelassen oder als Professoren an sie berufen werden können, ebd. 99 – 110, hier: 103: „Wollte man bezüglich der Theologie hier mehr als die Reinheit der Lehre und die Gemäßheit der Lebensführung fordern, die aus dem Wesen der Theologie als wissenschaftlich verantwortetem Dienst am Glauben einsichtig gemacht werden können, würde sie [die Kirche] sich nicht nur dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit

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Sowohl nach der deutschen als auch nach der österreichischen Regelung gelten die persönlichen Voraussetzungen für die Habilitation ebenso auch für die Berufung von Nichtpriestern als Theologieprofessoren (so in Deutschland) bzw. von Professoren der Theologie überhaupt (so in Österreich).20 3. Zum Zahlenverhältnis von priesterlichen und nichtpriesterlichen Theologieprofessoren Eine Ungleichheit zwischen Priestern und Nichtpriestern besteht nach dem Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz lediglich im Blick auf die Berufung von Professoren; hierzu heißt es: „2.2. In der Regel werden Priester und in begründeten Fällen Nichtpriester zu Universitätsprofessoren berufen. Im Sinne des Vorwortes dieser Normen ist aber eine überwiegende Präsenz von Priestern als Universitätsprofessoren gefordert. 2.3. Im Sinne dieser überwiegenden Präsenz empfiehlt die Bischofskonferenz, daß vor allem folgende Professuren mit geeigneten Priestern besetzt werden: Dogmatik (wenigstens eine Lehrkanzel), Moraltheologie, Liturgie, Pastoraltheologie.“21 Klingt die Formulierung von Nr. 2.2. „in der Regel22 – in begründeten Fällen“ noch relativ strikt, so wird sie durch die nachfolgende Formulierung „überwiegende Präsenz“ weitestgehend abgemildert. Eine „überwiegende Präsenz“ von priesterlichen Theologieprofessoren ist auch dann noch gegeben, wenn es nur eine knappe Mehrheit von Priesterprofessoren gibt, d. h. solange in einer Theologischen Fakultät die Zahl der nichtpriesterlichen nicht ebenso hoch ist wie jene der priesterlichen Professoren.23

aussetzen, sondern sich der Verletzung grundrechtlicher Verfassungsbestimmungen schuldig machen.“ 20

Vgl. Beschluß DBK 1972, II, 1 (Anm. 3), 334: „Ist die Berufung eines Nichtpriesters als Professor, Assistenzprofessor oder Lehrbeauftragter in der katholischen Theologie vorgesehen, so wird der zuständige Diözesanbischof das Nihil obstat für die Berufung nur erteilen, wenn die unter I, 1 a – c genannten Voraussetzungen erfüllt sind.“ Dekret ÖBK 1994, Nr. 2.1. (Anm. 1), 2: „Zur Zustimmung des für die Fakultät zuständigen Ortsordinarius bzw. Großkanzlers zur Berufung von Universitätsprofessoren müssen die zur Habilitation genannten Voraussetzungen erfüllt sein.“ 21

Dekret ÖBK 1994 (Anm. 1), 2.

22

So auch das Vorwort zum Dekret ÖBK 1994 (Anm. 1), 2.

23

In einer unter dem Datum des 15. Februar 1997 von der Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen „Handreichung der Deutschen Bi-

Kleriker und Laien als Professoren der Katholischen Theologie

239

Die Regelung von Nr. 2.3. im Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz von 1994 ähnelt der früheren Rechtslage des Beschlusses von 1969, nach welchem die Habilitation und Berufung von Nichtpriestern nur in einigen Brückenfächern ermöglicht wurde.24 Während nach diesem Beschluß aber positiv jene Fächer umschrieben wurden, in denen allein sich Nichtpriester habilitieren konnten, nennt das Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz von 1994 einige Disziplinen für die „vor allem“ Priester als Professoren berufen werden sollen. Die an der 1968 in Deutschland eingeführten Unterscheidung von „Kernfächern“ und „Brückenfächern“ geübte Kritik25, die ebenso für den Beschluß der österreichischen Bischöfe von 1969 gilt, trifft die Formulierung der Nr. 2.3. des österreichischen Dekrets von 1994 zwar nicht im vollen Umfang; dennoch ist diese Regelung insofern nicht ganz sachgemäß, als der Eindruck entstehen kann, daß es theologische Disziplinen gibt, die im Blick auf den priesterlichen Dienst wichtiger, und solche, die weniger wichtig sind. Verglichen mit der geltenden österreichischen Regelung fällt im Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz von 1972 auf, daß es außer der Aussage in der Einleitung, „daß in der Regel nur Priester als Theologieprofessoren bestellt werden sollen“ und daß die Habilitation und Berufung von Nichtpriestern „in Ausnahmefällen“ möglich ist,26 keine ausdrückliche Forderung nach einem bestimmten Zahlenverhältnis zwischen priesterlichen und nichtpriesterlichen Theologieprofessoren aufgestellt wird. Im Jahr 1983 hatte die Deutsche Bischofskonferenz noch gefordert, „daß der Anteil der Laien am Lehrkörper der Katholisch-Theologischen Fakultäten nicht über den gegenwärtigen Anteil hinausgehen sollte.“27 Und nach Mitteilung von Heribert Schmitz wurde der

schofskonferenz für die kirchliche Mitwirkung bei der Berufung von Theologieprofessoren“ (zitiert nach http://home.eplus-online.de/wosim/jurinfo/kirchenr/Berufung-katholisch.htm) wird unter Berufung auf Schmitz, Kommentar (Anm. 11), Rd.-Nr. 148 – 156 (= S. 103 – 107) zu Recht gesagt, daß „die Regel-Ausnahme-Vorgabe eine Mehrheit von Priestern voraussetzt“ (Handreichung, Rd.-Nr. 11). Eine entsprechende Aussage findet sich bei Schmitz allerdings nicht. 24

Vgl. Bruno Primetshofer, Die Bestellung akademischer Lehrer an katholischtheologischen Fakultäten Österreichs, in: Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer, hrsg. von Josef Kremsmair / Helmuth Pree, Berlin 1997 (Kanonistische Studien und Texte 44), 1017 – 1027, hier: 1018, Anm. 5; vgl. auch den ähnlichen Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz von 1968, dessen entscheidender Text abgedruckt ist bei Neumann, Kirchenrechtliche Stellungnahme (Anm. 19), 104, Anm. 10; vgl. hierzu auch Schmitz, Habilitation und Berufung (Anm. 8), 270. 25

Vgl. Neumann, ebd. 104 – 106; Steinmüller, Kirchen- und staatskirchenrechtliche Probleme der Laienhabilitation (Anm. 19), 122 f. 26

Beschluß DBK 1972 (Anm. 3), 333.

27

Zitiert nach Schmitz, Habilitation und Berufung von Nichtpriestern (Anm. 8), 273.

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damalige „Anteil der Laien am Lehrkörper der Katholisch-Theologischen Fakultäten … mit 15 % angegeben.“28 Die Vorstellung der Bischofskonferenz, der Anteil der Nichtpriester am Lehrkörper der Theologischen Fakultäten könnte auf einem bestimmten Stand „eingefroren“ werden, begegnete schon zur Zeit des betreffenden Beschlusses erheblichen Bedenken und entsprach schon sehr bald nicht mehr den Realitäten. II. Legitimität und Sinnhaftigkeit besonderer Regelungen für Habilitation und Berufung von Nichtpriestern 1. Die Rechtslage nach dem kirchlichen Recht Problematisch ist vor allem der Ansatzpunkt der Regelungen zur Habilitation und Berufung von Nichtpriestern. Schon vor über 30 Jahren wurde deutlich gemacht,29 daß es keine Norm des damals geltenden Kirchenrechts – weder im CIC von 1917 noch im außerkodikarischen kirchlichen Hochschulrecht – gab, durch die eine Habilitation und eine Berufung von Nichtpriestern auf Lehrstühle an Theologischen Fakultäten ausgeschlossen gewesen oder auch nur ein Vorrang von priesterlichen Lehrpersonen zum Ausdruck gekommen wäre. Dasselbe gilt auch, wenn nicht noch mehr, für die geltende Rechtslage, wie durch die folgenden Darstellungen deutlich werden wird. Ein Gegenargument gegen diese Rechtsauffassung scheint jedoch in den Akkomodationsdekreten für Deutschland und für Österreich vorzuliegen. Nr. 9 des deutschen Akkomodationsdekrets lautet nämlich: „Hinsichtlich der Dozenten, die Laien sind, sind die von der Deutschen Bischofskonferenz am 21.– 24. Februar 1972 beschlossenen und von der Kongregation für das Katholische Bildungswesen mit Dekret vom 20. April 1972 approbierten Normen zu beachten.“30 Ähnlich ist die Regelung der Nr. 9 des österreichischen Akkodoma-

28

Ebd. 274.

29

Vgl. Neumann, Kirchenrechtliche Stellungnahme (Anm. 19), 99 – 101. 109; Steinmüller, Kirchen- und staatskirchenrechtliche Probleme der Laienhabilitation (Anm. 19), 112 – 119; Schmitz, Anmerkungen (Anm. 2), 255. 30

Kongregation für das katholische Bildungswesen, Dekret über die KatholischTheologischen Fakultäten im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ und der ihr beigefügten „Ordinationes“ vom 1. Januar 1983 [AkkommDekr dt.], in: Schmitz, Kommentar (Anm. 11), 23 – 169, hier: 103.

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241

tionsdekrets: „Hinsichtlich der Dozenten, die Laien sind, sind die von der Österreichischen Bischofskonferenz erlassenen Normen einzuhalten.“31 Zum Zeitpunkt des Erlasses des Akkomodationsdekrets, am 1. November 1983, gab es noch keinen förmlichen Erlaß der Österreichischen Bischofskonferenz.32 Dieser wurde in Vollzug einer Weisung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen vom 4. März 199133 erst – wie bereits erwähnt – im Herbst 1994 beschlossen. Die Kongregation dürfte sich bei ihrer Weisung von 1991 auf die allgemeinkirchliche Rahmenordnung für die Priesterbildung gestützt haben. Diese Norm gilt aber – worauf Heribert Schmitz mit Bezugnahme auf die in diesem Punkt inhaltlich übereinstimmende Regelung der damals geltenden Rahmenordnung von 1970 schon vor 30 Jahren hingewiesen hat34 – eben nur für die Priesterseminare, genauer gesagt: für solche Seminare, die zugleich auch Hochschuleinrichtungen sind. Dies geht klar hervor aus Nr. 2 Abs. 1 der Ratio fundamentalis: „Normae Rationis sic elaboratae servandae erunt in omnibus cleri dioecesani Seminariis sive regionalibus sive nationalibus“. Für den Fall, daß die Alumnen ihre philosophischen und theologischen Studien an Fakultäten oder anderen höheren Studieneinrichtungen absolvieren, regelt Nr. 2 Abs. 3 der Ratio fundamentalis,35 daß bezüglich dieser Studien Art. 74 § 2 der Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana gilt. An dieser Stelle36 heißt es: „Zu diesem Zweck“ – nämlich zur wissenschaftlich-theologischen Ausbildung der Priesteramtskandidaten – „sollen auch spezielle, für die Kandidaten des Priestertums bestimmte Disziplinen vorhanden sein; um die pastorale Ausbildung zu vervollständigen, kann je nach Zweckmäßigkeit sogar in der Fakultät selbst 31

Kongregation für das katholische Bildungswesen, Dekret über die KatholischTheologischen Fakultäten in den staatlichen Universitäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ und der ihr beigefügten „Ordinationes“ vom 1. November 1983, in: Schmitz, Kommentar (Anm. 11), 185 – 228, hier: 210. 32

Vgl. hierzu Primetshofer, Die Bestellung akademischer Lehrer (Anm. 24), 1018, Anm. 5. Für den Beschluß von 1969 und die 1979 besprochene Regelung kam der Österreichischen Bischofskonferenz übrigens keine Kompetenz zum Erlaß eines Allgemeindekrets zu. 33

Das Schreiben trägt die Prot.N. 440/72/20; vgl. hierzu Schmitz, Kommentar (Anm. 11), 211 mit Anm. 231. 34

Vgl. Schmitz, Anmerkungen (Anm. 2), 256.

35

Vgl. SCInstCath, Ratio fundamentalis 1985 (Anm. 5), Sp. 9077.

36

Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Sapientia Christiana“ über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten vom 15. April 1979 (SapChr), abgedruckt in: Schmitz, Kommentar (Anm. 11), 231 – 257 (lat.). 259 – 288 (dt.), hier: 252 (lat.) bzw. 283.

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ein ‚Pastoraljahr‘ eingerichtet werden, das nach dem Abschluß der fünfjährigen Grundausbildung für die Priesteramtskandidaten verlangt wird und mit der Erteilung eines besonderen Diploms abgeschlossen werden kann.“ Es geht hier um die Berücksichtigung der speziellen Interessen der Kirche bezüglich der Ausbildung von Priestern in inhaltlicher Hinsicht. Der Sinn von Art. 74 § 2 „Sapientia Christiana“ läßt sich so zusammenfassen, daß das Theologiestudium „auch“ die Notwendigkeiten der pastoralen Ausbildung der künftigen Priester berücksichtigen soll. An keiner Stelle aber ist die Rede von priesterlichen und nichtpriesterlichen Dozenten oder gar von einer Bevorzugung von Priestern als Lehrpersonen. Die Ansicht, daß eine Ungleichbehandlung von Priestern und Nichtpriestern mit dem kanonischen Recht nicht in Übereinstimmung zu bringen ist, ist um so besser begründet, nachdem das revidierte Gesetzbuch der Lateinischen Kirche im Jahr 1983 mit der Norm des c. 229 § 3 Laien grundsätzlich die Befähigung zugesprochen hat, „unter Beachtung der hinsichtlich der erforderlichen Eignung erlassenen Vorschriften einen Auftrag zur Lehre in theologischen Wissenschaften von der rechtmäßigen kirchlichen Autorität zu erhalten.“ Diese Norm läßt sogar daran zweifeln, ob die in Deutschland in Übung befindliche Regelung von 1972 überhaupt noch Geltung beanspruchen kann, denn nach c. 6 § 1 n. 2 waren mit Inkrafttreten des CIC/1983 partikulare Gesetze aufgehoben, die den Vorschriften des CIC zuwiderlaufen, „sofern nicht für partikulare Gesetze etwas anderes ausdrücklich vorgesehen ist“. Ein solcher ausdrücklicher Vorbehalt kann aber wohl kaum in der Formulierung des c. 229 § 3 CIC erkannt werden, daß die „hinsichtlich der erforderlichen Eignung erlassenen Vorschriften“ zu beachten sind, denn die Regelungen des Dekrets von 1972 betreffen gerade nicht die Eignung der Bewerber um die Habilitation bzw. um eine Professur; sie sehen vielmehr – zumindest letztlich – ein gewisses Zahlenverhältnis zwischen priesterlichen und nichtpriesterlichen Professoren vor.37 Daß ein Dekret, das die Habilitation und Berufung von Nichtpriestern nur in einem Ausnahmefall zuläßt, einem Canon des CIC zuwiderläuft, der geeigneten Laien – mithin Nichtpriestern – grundsätzlich die Befähigung zuspricht, einen Auftrag zur Lehre in theologischen Wissenschaften zu erhalten, liegt auf der Hand. Nun ist aber das Dekret von 1972 durch das Akkomodationsdekret für Deutschland letztmalig bestätigt worden. Dieses Akkomodationsdekret ist am 1. Januar 1983 – dem Tag seines Erlasses – in Kraft getreten.38 Der CIC hingegen ist am 25. Januar 1983 promulgiert worden und am Ersten Adventssonntag 1983, dem

37

Eine anderslautende Interpretation müßte einsichtig machen, warum der Mangel der Priesterweihe bei einem früheren Bewerber, der auf eine Professur berufen wurde, kein Hindernis hinsichtlich seiner Eignung darstellte, bei dem folgenden Bewerber, mit dessen Berufung das Regel-Ausnahme-Verhältnis „kippen“ würde, hingegen sehr wohl. 38

Vgl. AkkommDekr dt., Nr. 21 (Anm. 30), S. 169.

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27. November 1983, in Kraft getreten. Mit diesem Tag war das widersprechende Gesetz, nämlich das zuletzt am 1. Januar 1983 bestätigte Dekret vom 20. April 1972 betreffend den Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz vom 21.–24. Februar 1972 über Habilitation und Berufung von Nichtpriestern an den Katholisch-Theologischen Fakultäten und Philosophisch-Theologischen Hochschulen, zumindest insoweit es dem CIC widerspricht, aufgehoben.39 Dadurch, daß beide Akkomodationsdekrete nur noch auf Laien und nicht mehr auf „Nichtpriester“ abstellten, ist im übrigen die Rechtslage insofern verändert worden, als die Ausnahmeregelungen auf Diakone keine Anwendung finden konnten. Da sich aber nirgends ein kirchenrechtlicher Vorbehalt von Theologieprofessuren für Priester findet, war zu schließen, daß Diakone ebenso wie Priester ohne Einschränkungen auf Professuren in Theologischen Fakultäten berufen werden können.40 Durch diese Veränderung der Rechtslage ist jedoch zugleich die Begründung für die Dekrete über die Habilitation und Berufung von Nichtpriestern zumindest zum Teil in Frage gestellt worden. Der Grundsatz, daß Priester nur von Priestern ausgebildet werden können, kann offensichtlich keine uneingeschränkte Geltung mehr beanspruchen. 2. Die Rechtslage nach den Konkordaten Gegen die Auffassung, daß rechtlich nichts gegen die Habilitation und Berufung von Nichtpriestern spricht, wird gelegentlich darauf hingewiesen, daß die Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten konkordatsrechtlich lediglich als Priesterbildungsstätten in den Blick genommen werden. Das kann anhand des deutschen Reichskonkordats jedoch nicht bestätigt werden; in Art. 19 des Reichskonkordats heißt es lediglich: „Die katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen bleiben erhalten.“41 In anderen Konkordaten wird dagegen durchaus auch die Klerikerbildung angesprochen.

39

Anders verhält es sich jedoch mit dem Dekret der Österreichischen Bischofskonferenz, denn dieses wurde erst nach Inkrafttreten des CIC von 1983 erlassen; hier findet c. 20 CIC/1983 Anwendung. 40

Vgl. auch Heribert Schmitz, Kommentar [zum Dekret der Kongregation für das katholische Bildungswesen über die Katholisch-Theologischen Fakultäten in den Staatlichen Universitäten im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ und der ihr beigefügten „Ordinationes“, in: ders., Katholische Theologie und Kirchliches Hochschulrecht (Anm. 3), 25 – 169, hier: 105, Anm. 136. 41

Vgl. Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, Art. 19 (Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, hrsg. von Joseph Listl, Bd. I, Berlin 1987, 45).

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So nennen das Badische Konkordat in Art. IX42 und das Preußenkonkordat in Art. 12, Abs. 143 ausdrücklich den Zweck der „wissenschaftlichen Vorbildung der Geistlichen“. Ähnlich ist die Formulierung in Art. V des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich: „die wissenschaftliche Heranbildung des Klerus“.44 Das Bayerische Konkordat stellt dagegen in Art. 4 § 1 sogar ausdrücklich auf den priesterlichen Beruf, außerdem aber auch auf andere pastorale Dienste ab: „Das Lehrangebot in den katholisch-theologischen Fachbereichen der in Art. 3 § 1 genannten Hochschulen muß vornehmlich den Bedürfnissen des priesterlichen Berufes, daneben denen anderer seelsorgerischer Dienste nach Maßgabe der kirchlichen Vorschriften Rechnung tragen.“45 Aus den hier zu findenden Bezugnahmen auf die Klerikerbildung ist jedoch keine Möglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Priestern und Nichtpriestern bezüglich Habilitation und Berufung auf theologische Professuren abzuleiten. Selbstverständlich hat die Kirche nach konkordatsrechtlicher Lage die Möglichkeit, hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen für das akademische Lehramt in der Theologischen Fakultät Regelungen zu treffen; mithin hat sie auch die Möglichkeit, besondere Regelungen für nichtpriesterliche Lehrpersonen in der Theologischen Fakultät zu treffen.46 Die Konkordate 42

Vgl. ebd. 144 f.: „Für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen bleibt die katholisch-theologische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. mit den zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden Rechten bestehen …“ Art. X des Badenkonkordats gibt dem Erzbischof von Freiburg im Rahmen des Berufungsverfahrens für Professoren der Theologie das Recht, Einwendungen „gegen die Lehre oder den Lebenswandel oder die Lehrbefähigung des Vorgeschlagenen“ zu erheben. Unter den in der Regierungsbegründung zu Art. IX des Konkordats genannten persönlichen Voraussetzungen für das Professorenamt wird jedoch nicht die Priesterweihe genannt; vgl. ebd. 170. 43

Vgl. Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, hrsg. von Joseph Listl, Bd. II, Berlin 1987, 719 f.: „Für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen bleiben die katholischtheologischen Fakultäten an den Universitäten in Breslau, Bonn und Münster und an der Akademie in Braunsberg bestehen …“ 44

Vgl. Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 237), 167 f.: „Die wissenschaftliche Heranbildung des Klerus erfolgt an den vom Staate erhaltenen katholischtheologischen Fakultäten oder an den von den zuständigen kirchlichen Stellen errichteten theologischen Lehranstalten …“ 45 46

Vgl. ebd. 480.

Vgl. für die Rechtslage in Deutschland: Alexander Hollerbach, Theologische Fakultäten und staatliche Pädagogische Hochschulen, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Joseph Listl / Dietrich Pirson, Bd. II, Berlin 21995, 549 – 599, hier: 586 f.; für die Rechtslage in Österreich: Richard Potz / Brigitte Schinkele, Im Spannungsfeld vom kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Universitätsautonomie: Das konkordatäre Zustimmungsrecht des Bischofs, in: österreichisches archiv für recht & religion 49 (2002), 401 – 448, bes. 441.

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selbst aber bieten keinerlei Argument für die Notwendigkeit einer „überwiegenden Präsenz von Priestern als Universitätsprofessoren“. 3. Habilitation und Berufung von Nichtpriestern und die Aufgabe Theologischer Fakultäten Wie dargestellt, steht hinter den Regelungen in Deutschland und Österreich zur Habilitation und Berufung von Nichtpriestern letztlich das Argument, daß die Ausbildung von Priestern sinnvollerweise unter der Verantwortung von Priestern zu geschehen hat. Diese Begründung muß abschließend überprüft werden: Ist die Aufgabe von Dozenten der Theologie und überhaupt der Zweck Theologischer Fakultäten vorrangig in der Ausbildung von künftigen Priestern gelegen? Ergibt sich aus der Aufgabenumschreibung Theologischer Fakultäten die Notwendigkeit des priesterlichen Standes der Lehrpersonen? Ein Blick in die verschiedenen Gesetze ergibt das folgende Bild: Nach dem Hochschulrahmengesetz der Bundesrepublik Deutschland (HRG)47 dienen die Hochschulen – und damit auch die Theologischen Fakultäten – „entsprechend ihrer Aufgabenstellung der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung in einem freiheitlichen demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern“ (§ 2 Abs. 1 HRG). Ergänzend regelt § 2 Abs. 7 HRG: „Die Hochschulen fördern den Wissens- und Technologietransfer.“ In ähnlicher Weise werden in § 1 des österreichischen Universitätsgesetzes von 2002 (UG/2002) die Ziele der Universitäten folgendermaßen umschrieben: „Die Universitäten sind berufen, der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, der Entwicklung und Erschließung der Künste sowie der Lehre der Kunst zu dienen und hiedurch auch verantwortlich zur Lösung der Probleme des Menschen sowie zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen. Universitäten sind Bildungseinrichtungen des öffentlichen Rechts, die in Forschung und forschungsgeleiteter akademischer Lehre auf die Hervorbringung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie auf die Erschließung neuer Zugänge zu den Künsten ausgerichtet sind. Im gemeinsamen Wirken von Lehrenden und Studierenden wird in einer aufgeklärten Wissensgesellschaft das Streben nach Bildung und Autonomie des Individuums durch Wis-

47

Hochschulrahmengesetz in der Fassung vom 19. 1. 1999, zuletzt geändert durch Sechstes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 8. 8. 2002 (Andreas Reich, Hochschulrahmengesetz. Kommentar, Bad Honnef 82002 [Hochschulrecht des Bundes 2]).

246

Ludger Müller

senschaft vollzogen. Die Forderung des wissenschaftlichen Nachwuchses geht mit der Erarbeitung von Fähigkeiten und Qualifikationen sowohl im Bereich der wissenschaftlichen und künstlerischen Inhalte als auch im Bereich der methodischen Fertigkeiten mit dem Ziel einher, zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen in einer sich wandelnden humanen und geschlechtergerechten Gesellschaft beizutragen …“ In enger Übereinstimmung mit dieser Zielbeschreibung werden in § 3 des UG/2002 die Aufgaben der Universitäten aufgezählt. Im Zusammenhang der hier zu behandelnden Frage sind die folgenden der im UG/2002 genannten Aufgaben von Bedeutung: „1. Entwicklung der Wissenschaften (Forschung und Lehre) …; 2. Bildung durch Wissenschaft …; 3. wissenschaftliche … Berufsvorbildung, Qualifizierung für berufliche Tätigkeiten, die eine Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordern, sowie Ausbildung der … wissenschaftlichen Fähigkeiten bis zur höchsten Stufe; 4. Heranbildung und Förderung des wissenschaftlichen … Nachwuchses; 5. Weiterbildung, insbesondere der Absolventinnen und Absolventen von Universitäten; … 8. Unterstützung der Nutzung und Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse in der Praxis …“ Die in den weltlichen Hochschulgesetzen aufgezählten Ziele und Aufgaben wissenschaftlicher Hochschulen kann man mit folgenden Stichworten zusammenfassen: –

Forschung, d. h. Entwicklung der Wissenschaften,



Lehre bzw. Studium zum Zwecke der Bildung, der Berufsvorbildung, der Weiterbildung und der Heranbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs,



Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Blick auf ihre Nutzung und Umsetzung in der Praxis (Wissenstransfer).

Diese Bündel von Aufgaben und Zielen sind auch von den Theologischen Fakultäten und den an ihnen Tätigen zu verfolgen bzw. zu erfüllen, wenn diese nicht ihren legitimen Ort an der Universität verlieren wollen. Was im weltlich-rechtlichen Bereich gilt, gilt zum großen Teil auch im Bereich des kirchlichen Hochschulrechts. So nennt der CIC/1983 in c. 807 als Grund für das Recht der Kirche auf Errichtung und Unterhalt von Universitäten, daß sie „zur höheren Kultur der Menschen und zur volleren Entfaltung der menschlichen Person wie auch zur Erfüllung des Verkündigungsdienstes der Kirche“ beitragen. In c. 809 CIC/1983 wird als Aufgabe der Katholischen Universitäten und Fakultäten genannt, daß in ihnen „die verschiedenen Wissenschaften unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Autonomie in Forschung und Lehre unter Berücksichtigung der katholischen Lehre gepflegt werden.“ Diese Aspekte von Forschung und Lehre stehen auch im Hintergrund der Errichtung und des Unterhalts kirchlicher Universitäten und Fakultäten, denn diese dienen nach c. 815 CIC/1983 „zur Erforschung der

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247

theologischen oder der mit diesen verbundenen Wissenschaften und zur wissenschaftlichen Ausbildung (institutio) der Studenten in diesen Wissenschaften.“ Etwas ausführlicher werden die Aufgaben kirchlicher Hochschuleinrichtungen in der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ Papst Johannes Pauls II. über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten vom 15. April 1979 dargestellt. Art. 3 dieser Konstitution lautet: „Aufgaben kirchlicher Hochschulen sind: § 1. durch wissenschaftliche Forschung die eigenen Disziplinen zu betreiben und voranzubringen, vor allem die Kenntnis der christlichen Offenbarung und der mit ihr verbundenen Bereiche zu vertiefen, systematisch die in ihr enthaltenen Wahrheiten freizulegen, in ihrem Licht die neuen Probleme der fortschreitenden Zeit zu betrachten und sie den Menschen der Gegenwart in einer den verschiedenen Kulturen angepaßten Weise darzulegen; § 2. die Studenten in ihren Disziplinen nach Maßgabe katholischer Lehre zu hoher Qualifikation heranzubilden und sie für ihre künftigen Aufgaben sinnvoll vorzubereiten sowie für eine fortdauernde Weiterbildung der Diener der Kirche zu sorgen; § 3. in enger Gemeinschaft mit dem Leitungsamt der Kirche den ihrer Natur entsprechenden wirksamen Beitrag in Zusammenarbeit mit den Ortskirchen und mit der Weltkirche beim gesamten Werk der Glaubensverkündigung zu erbringen.“48 Unter den besonderen Normen findet sich sodann als Zielbeschreibung der Theologischen Fakultäten die Aussage des Art. 66: „Die Theologische Fakultät hat das Ziel, die katholische Lehre mit größter Sorgfalt aus der göttlichen Offenbarung zu erheben, sie nach der ihr eigenen wissenschaftlichen Methode tiefer zu durchdringen und systematisch darzulegen sowie im Lichte dieser Offenbarung sorgsam nach Lösungen für die menschlichen Probleme zu suchen.“49 Erst die letzte Norm dieses Abschnitts kommt auf die Aufgabe der Bildung kirchlicher Amtsträger zu sprechen. Art. 74 § 1 SapChr lautet: „Die Theologische Fakultät hat die besondere Aufgabe, die wissenschaftliche theologische Bildung (formatio) jener zu gewährleisten, die auf das Prie-

48

Johannes Paul II., SapChr Art. 3, in: Schmitz, Kommentar (Anm. 11), 268.

49

Ebd. 280.

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Ludger Müller

stertum zugehen oder sich auf die Übernahme von besonderen kirchlichen Ämtern (munera) vorbereiten.“50 Die Aufgabenumschreibung von Hochschuleinrichtungen nach dem kirchlichen Recht ergibt ein vielfältiges Bündel, in dem immer neben – genauer gesagt: vor – dem Aspekt der Lehre jener der Forschung angesprochen wird. Die Lehre dient jedoch nicht in vordergründiger Weise einer Berufsausbildung, sondern der Entfaltung der menschlichen Person. Die theologische Wissenschaft hat zudem einen wichtigen Dienst an der kirchlichen Communio zu erfüllen; sie steht im Dienst an der Verkündigungsaufgabe der Kirche, indem sie aus den Quellen der Offenbarung die Antworten auf die Fragen der Menschen sucht. Hier findet auch ein Transfer theologischer Erkenntnisse in die kirchliche Gemeinschaft statt. Besonders auffällig ist jedoch, daß der Zweck der Ausbildung der Priesteramtskandidaten in den zitierten Texten der kirchlichen Gesetze keineswegs im Vordergrund steht und zudem in die Aufgabe der Bildung anderer kirchlicher Amtsträger eingebettet ist. Man kann daher sagen, daß nach staatlichem wie nach kirchlichem Recht die Aufgabe Theologischer Fakultäten nicht einfachhin oder auch vorrangig in der Berufsausbildung von künftigen Priestern zu erkennen ist. Die Aufgabe der Theologischen Fakultäten ist vor allem viel umfassender und bezieht sich stets auf die Vertiefung der Kenntnisse und Fähigkeiten, auf die umfassende theologische Bildung (auch Fortbildung) und auf die Vermittlung theologischer Kenntnisse in Kirche und Gesellschaft. Aber auch im Blick auf die Lehre kann die Theologische Fakultät keineswegs als „Priesterausbildungsstätte“ bezeichnet werden. Zum einen geht es an der Universität nur um einen Teil dessen, was als Berufsausbildung zu bezeichnen ist, nämlich um die wissenschaftliche Berufsvorbildung. Daneben steht – mit nicht geringerer Bedeutung – die studienbegleitende und dem Studium nachfolgende Ausbildung der künftigen kirchlichen Amtsträger in praktischer Hinsicht und ihre spirituelle Bildung (bezogen auf die Priesteramtskandidaten im Priesterseminar). Zum anderen werden in den Theologischen Fakultäten keineswegs nur künftige Priester ausgebildet; diese stellen heutzutage sogar eher einen ziemlich geringen Anteil an der Studentenschaft dar. Zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten ein breites Spektrum an kirchlichen Berufen entwickelt, für welche ebenfalls eine theologische Bildung erforderlich ist. Im übrigen gibt es auch eine ganze Reihe von Berufen außerhalb der Kirche, für die theologische Kompetenzen sinnvoll, manchmal auch notwendig sind. Was in der Lehre an den Theologischen Fakultäten vermittelt wird, ist die wissenschaftliche Berufsvorbildung von Kandidaten für klerikale und laikale Ämter, Aufgaben und Berufe innerhalb und außerhalb der Kirche. Eine bevor50

Ebd. 283. Es folgt der oben bereits zitierte Text von Art. 74 § 2 SapChr; s. oben S. 241 mit Anm. 36.

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zugte Berufung von Priestern als Professoren an Theologischen Fakultäten scheint insofern nicht gerechtfertigt zu sein. Es dürfte selbstverständlich sein, daß sich die Theologischen Fakultäten auch weiterhin um die Berufung von Professoren aus dem Klerikerstand bemühen müssen. Hierfür ist es aber zwingend erforderlich, daß die Inkardinationsoberen – trotz allen spürbaren „Priestermangels“ – geeigneten Priestern die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Qualifikation durch Promotion und Habilitation geben. Die Forderung nach einer „überwiegenden Präsenz von Priestern als Universitätsprofessoren“ wird aber wohl fallengelassen werden müssen. Wichtiger als der priesterliche Stand ist die Persönlichkeit derjenigen, die an Theologischen Fakultäten lehren.51 „Der Theologe ist … vor allem ein Glaubender, ein Mann des Glaubens. Aber er ist ein Glaubender, der sich über seinen Glauben Rechenschaft gibt (fides quaerens intellectum), um zu einem tieferen Verständnis eben dieses Glaubens zu gelangen.“52 Mit diesen Worten hat Papst Johannes Paul II. wichtige Hinweise zur Persönlichkeit derjenigen gegeben, die Theologie treiben. Diese werden noch ergänzt durch die folgende Überlegung: „Die reife Reflexion, das reife Nachdenken muß sich als Teilhabe am ‚Denken‘ Christi (vgl. 1 Kor 2, 16) in der menschlichen Form einer Wissenschaft (scientia fidei) verstehen. Gleichzeitig fügt der Glaube den Glaubenden in die Kirche ein und läßt ihn Anteil nehmen am Leben der Kirche als Glaubensgemeinschaft. Folglich besitzt die Theologie eine kirchliche Dimension, weil sie eine gereifte Reflexion über den Glauben der Kirche seitens des Theologen darstellt, der selbst Glied der Kirche ist.“53 Die hier geäußerte Forderung nach einem ständigen Bemühen um den Glauben, einem Bemühen, das sich als Einfügung in das „Denken“ Jesu Christi im Rahmen seiner Kirche versteht, muß sich auch jeder Lehrer der Theologie vor Augen halten. Wenn dieses Bemühen gegeben ist, wird die Frage nachrangig, ob der Professor der Theologie ein Kleriker ist oder nicht.

51

So sagen es sowohl der Beschluß der DBK 1972 (Anm. 3), 333, als auch das Vorwort zum Dekret ÖBK 1994 (Anm. 1), 2. 52

Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Pastores dabo vobis“ vom 25. März 1992 an die Bischöfe, Priester und Gläubigen über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart, Nr. 53, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 105, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1992, S. 95. 53

Ebd., S. 96; vgl. auch Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen vom 24. Mai 1990, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 98, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1990.

Die Ehelehre des Apostels Paulus und sein ‚Privileg‘1 Von Joachim Piegsa „Wenn aber der Ungläubige sich trennen will, soll er es tun. (...) zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen“ (1 Kor 7,15). Diese Entscheidung des Apostels Paulus, bekannt als ‚Paulinisches Privileg‘ (im engeren Kontext 1 Kor 7,12–16), muss im Rahmen zusätzlicher Entscheidungen (im weiteren Kontext 1 Kor 7,1–40), sowie auf dem Hintergrund zeitgenössischer Irrtümer über Geschlechtlichkeit und Ehe, gedeutet werden, um die Gewichtigkeit des Privilegs zu erkennen. Mit dem Vorbehalt, dass es um seine eigene Entscheidung geht, beginnt der Apostel Paulus (1 Kor 7,12) seine Aussage über die heidnische Naturehe und ihre Verbindlichkeit, zu der im Lauf der Kirchengeschichte verschiedene theologische Interpretationen erfolgten. Paulus vermerkte, dass er zu diesem Problem auf kein Herrenwort zurückgreifen kann. Der Grund liegt darin, dass die Ehe eines Christen mit einem Nichtgläubigen ein nachösterliches Problem darstellt.2 Hier soll diese Problematik im weiten Kontext (1 Kor 7,1–40) bedacht werden. Da geht es sowohl um die Enthaltsamkeit in der Ehe als auch von der Ehe. I. Enthaltsamkeit in der Ehe (1 Kor 7,1–5) Unter den Christen hatte nicht nur die falsch verstandene Freiheit, sondern ebenso die andere Einseitigkeit, ein moralischer Rigorismus, Anhänger gefunden. Die moralische Strenge war teils durch das andere Extrem, die Leibverachtung, bedingt, teils charismatisch begründet. Da die Getauften zu „neuen Menschen“ (Röm 6,4) „in Christus“ (Röm 6,11) geworden sind, wollten sie „um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12), wie Christus es empfohlen hatte, sexuell enthaltsam leben, entweder ehelos oder zumindest zeitweilig in der Ehe. Was

1

Die ursprüngliche Fassung erschien im Handbuch der Dogmengeschichte, Bd. IV, Faszikel 6: Das Ehesakrament, Freiburg Br. 2002, S. 38 – 44. Für den hier vorliegenden Beitrag wurden die Ausführungen vom Verfasser überarbeitet. 2

Vgl. N. Baumert, Frau und Mann bei Paulus, Würzburg 1992, S. 54 – 62; 205.

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später durch das Ordensleben allgemein anerkannte, kirchliche Praxis wurde,3 das war für die ersten Christen noch eine neu zu findende Form der Nachfolge Christi. Daher die Anfrage der christlichen Gemeinde in Korinth an Paulus, wie sich Verheiratete zur sexuellen Enthaltsamkeit verhalten sollen (1 Kor 7,1–5. 10–16), wie Ledige dazu stehen sollten (7,6–9) und wie Verlobte (7,25–40).4 Auf die erste Frage, ob es gut sei „keine Frau zu berühren“ (1 Kor 7,1), antwortet Paulus: „Wegen der Gefahr der Unzucht soll jeder seine Frau haben, und jede soll ihren Mann haben“ (V 2). Der Apostel fährt fort: „Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeitlang, um für das Gebet frei zu sein. Dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt“ (V 5). Als Motiv für die Enthaltsamkeit wird das Gebet genannt. Aber nicht, weil Paulus die Sexualität mit dem Bereich des Dämonischen gleichsetzte, wie der gnostische Dualismus.5 Sexuelle Enthaltsamkeit aus religiösen Motiven (Beten und Fasten) war nämlich schon im Alten Testament bekannt. Vor der Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai gebot Mose dem Volk, es „solle sich heilig halten und seine Kleider waschen. Er sagte zum Volk: Haltet euch für den dritten Tag bereit! Berührt keine Frau!“ (Ex 19,14f.). Das Gebet selber soll bei christlichen Eheleuten – laut 1 Kor 7,5 – eine ähnliche Rolle spielen, wie bei Tobias und Sara in ihrer Brautnacht (vgl. Tob 8,4–9). Vater Tobit gab seinem Sohn Tobias Belehrungen mit auf den Weg, die sinngemäß dem Dekalog entsprechen und auch die Weisung enthalten: „Mein Sohn, hüte dich vor jeder Art von Unzucht“ (Tob 4,12). Als nun Tobias beschließt, Sara zu heiraten, wird er auf Anweisung seines Reisebegleiters, des Engels Rafael, vor dem Betreten des Brautgemachs den herrschenden Dämon mit Räucherwerk vertreiben. Dieser Dämon nämlich hatte bisher in der Brautnacht alle Männer Saras getötet. Danach sprach Tobias zu seiner Braut Sara: „Steh auf, Schwester, wir wollen beten, damit der Herr Erbarmen mit uns hat“ (Tob 8,4). Im Gebet beruft sich Tobias auf Gottes Schöp3

Zum genuin christlichen Ursprung des Ordenslebens, vgl. J. Piegsa, Der Mensch – das moralische Lebewesen, Bd. 1, St. Ottilien 1996, S. 176 ff. 4 Diese Einteilung nach Baumert, S. 31. Er bezieht Vers 1–5 auf Verheiratete, auf Grund einer Textanalyse und mit Berufung auf Origenes; vgl. ebd., S. 36 ff. – Vgl. dazu R. Schnackenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments, Bd. 1, Freiburg Br. 1986, S. 206 f.; 237. 5

Manche Exegeten waren dieser Meinung. Vgl. Schnackenburg, Bd. 1, S. 207, mit Hinweis auf Baumert, in Anm. 300 u. 301.

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ferworte. Er hatte Adam und Eva erschaffen, damit sie sich helfen und ergänzen: „Darum, Herr, nehme ich diese meine Schwester auch nicht aus reiner Lust (porneia) zur Frau, sondern aus wahrer Liebe“ (Tob 8,7). Das Gebet dient hier „als Vorbereitung auf den ehelichen Akt (...). Also nicht: Enthaltung um des Gebets willen, sondern Gebet um der Vereinigung willen (...), um die Integrität der Sexualgemeinschaft“.6 Der Tobiastext sagt also nicht, sexuelle Wünsche wären an sich schon die zu vermeidende ‚Unzucht‘, sondern dass das Eingehen einer Ehe und ihr Vollzug auch aus unlauteren Motiven erfolgen kann.7 II. Enthaltsamkeit von der Ehe (1 Kor 7,6–9) Ging es in der ersten Frage um die Enthaltsamkeit in der Ehe, so geht es in der nachfolgenden um die Enthaltsamkeit von der Ehe. Die Frage der Gemeinde in Korinth lautete sinngemäß: Sollte man „um des Himmelreiches willen“ nicht doch unverheiratet bleiben? Seine Antwort leitet der Apostel mit den Worten ein: „Das sage ich als Zugeständnis, nicht als Gebot. Ich wünschte, alle Menschen wären (unverheiratet) wie ich. Doch jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“ (1 Kor 7,6–7). Danach antwortet der Apostel eindeutig: „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“ (1 Kor 7,9). Das Wort „Zugeständnis“ (V 6), mit dem der Apostel seine Antwort beginnt, betrifft nicht die Ehe, von der zuvor (V 1–5) die Rede war, als wäre sie das weniger Gute, das geduldete kleinere Übel, sondern es betrifft die nachfolgende Frage nach der Ehelosigkeit (V 7–8). 8 Der Grund für den Vorbehalt, ausgedrückt durch das Wort ‚Zugeständnis‘, wird im nachfolgenden Vers 7 genannt: „Doch jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“ (V 7). Die Gnadengabe Gottes ist somit entscheidend für die Wahl der Ehe oder der Ehelosigkeit. Das Zweite Vatikanische Konzil wird auf diese Gnadengabe ebenfalls hinweisen, wenn es um die „vollkommene Liebe“ geht, zu der alle Christgläubigen berufen sind, doch jeder „nach seinen eigenen Gaben und

6

Baumert, S. 42.

7

Vgl. ebd., S. 42.

8

Diesen Zusammenhang betont Baumert, S. 47 f. – Schnackenburg dagegen, aaO., Bd. 1, S. 207, äußert Zweifel.

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Gnaden“.9 Diese Glaubenswahrheit von der Verschiedenheit der Gnadengaben hebt der Apostel einige Sätze später nochmals hervor: „Im übrigen soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat“ (1 Kor 7,17). Die nachfolgenden Aussagen des Apostels über Ehe und Ehelosigkeit darf man nicht so lesen, als sei die Ehe nun doch der schlechtere Weg zu Gott, was vordergründig so scheinen mag und von manchen Exegeten auch so ausgelegt wurde: „Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen. Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen. So ist er geteilt“ (1 Kor 7,32–34). Im nachfolgenden Vers 35 wird ansatzmäßig deutlich, dass in der Lebenspraxis „beide sich mit beidem befassen“, mit Gott und Welt.10 In Vers 35 heißt es nämlich, auf Verheiratete wie Unverheiratete bezogen: „Das sage ich zu eurem Nutzen, (...) damit ihr in rechter Weise und ungestört immer dem Herrn dienen könnt“ (1 Kor 7,35). III. Das Scheidungsproblem (1 Kor 7,10–16) Nachdem es in 1 Kor 7,1–9 bisher um die Frage der Enthaltsamkeit in der Ehe und von der Ehe ging, blieb der Apostel noch die Antwort auf die Frage einiger Gemeindemitglieder schuldig, ob man die Ehe – wahrscheinlich ebenfalls aus charismatischen Gründen – trennen (Trennung von Tisch und Bett) oder gar scheiden darf.11 Der Apostel, der sich bisher unter dem Vorspruch: „Das sage ich als Zugeständnis“ (1 Kor 7,6; vgl. 8), zur Enthaltsamkeit in und von der Ehe äußerte, schlägt jetzt, beim Scheidungsproblem, einen entschiedenen Ton an und verweist auf den Herrn: „Den Verheirateten gebiete nicht ich, sondern der Herr: Die Frau soll sich vom Mann nicht trennen – wenn sie sich aber trennt, so bleibe sie unverheiratet oder versöhne sich wieder mit dem Mann –, und der Mann darf die Frau nicht verstoßen“ (1 Kor 7,10–11). 9

Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche ‚Lumen gentium‘, 40 – 41. 10 11

Vgl. Baumert, S. 98.

Religiöse Motive für eine Scheidung nimmt Baumert an, S. 53, mit Anm. 85. – Schnackenburg, Bd. 1, S. 242, Anm. 351, bezweifelt sowohl, dass es um religiöse Motive ging, als auch, dass es sich um eine Scheidung handelt; es gehe nur um eine ‚Trennung von Tisch und Bett‘.

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Ein Christ darf somit niemals von sich aus eine Scheidung betreiben. „Hier steht Paulus in der Lehrtradition des geschichtlichen Jesus (...). Dies zeigt uns, dass man bei ihm nicht etwa den erhöhten gegen den irdischen Jesus ausspielen darf.“12 Eine Ausnahme vom Trennungs- bzw. Scheidungsverbot ist für den Apostel nur denkbar bei einer religionsverschiedenen Ehe aus dem ‚Vorrang des Glaubens‘13 – traditionell ‚Paulinisches Privileg‘ (1 Kor 7,15; im Kontext 7,12–16) genannt.14 Doch auch in diesem Fall darf nicht der Christ aktiv werden und den heidnischen Partner „verstoßen“ (1 Kor 7,12. 13), sondern er muß sich bemühen, die bestehende Ehe möglichst aufrechtzuerhalten.15 Der Apostel, der sich zuvor, bei der Ablehnung der Ehescheidung, auf den Herrn berufen hatte, leitet jetzt ein mit den Worten: „Den übrigen sage ich, nicht der Herr“, und es folgt die Mahnung, die „ungläubige Frau“ oder den „ungläubigen Mann“ nicht zu verstoßen, „wenn er einwilligt“, mit dem inzwischen christlich gewordenen Partner „weiter zusammenzuleben“ (1 Kor 7,12–13).16 Es geht also um eine heidnische Ehe, die vor der Bekehrung des einen Partners geschlossen wurde. Daher steht hier nicht nur das Problem der Unauflöslichkeit, sondern auch das der Reinheit an. Der christlich gewordene Partner stand nämlich vor der Frage: „Werde ich nicht durch ihn (den heidnischen Partner) befleckt und mit heidnischen, dämonischen Einflüssen infiziert?“17 Eine wichtige Frage damals für die Neugetauften, die in der Ehe mit einem Heiden lebten, heute religionsverschiedene Ehe genannt.18 Paulus versichert: Der ungläubige Partner wird durch den gläubigen „geheiligt“ (1 Kor 7,14). Über die Bedeutung des Wortes ‚geheiligt‘ ist später viel diskutiert worden.19 Kirchenrechtlich steht heute fest: Das Wort ‚geheiligt‘ bedeutet nicht, dass die Ehe für den Ungetauften zum Sakrament wird, denn nur wer das grundlegende Sakrament der Taufe empfangen hat, der kann weitere Sakra-

12 Baumert, S. 53, mit Anm. 85. – Zur Trennung zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens vgl. H. Zahrnt, Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert, München 1972, S. 238 ff.; 287 ff. 13

Vgl. Baumert, S. 54.

14

Baumert übt Kritik an dieser Bezeichnung; vgl. ebd., S. 62, mit Anm. 100.

15

Vgl. Schnackenburg, Bd. 1, S. 242.

16

Darin besteht, nach Baumert, das Paulinische ‚Privileg der Liebe’ in Mischehen; vgl. aaO., S. 55 – 62. 17

Baumert, S. 58.

18

Manche Exegeten gebrauchen hier das kirchenrechtlich falsche Wort ‚Mischehe‘. Vgl. CIC, can. 1124. 19

Vgl. Schnackenburg, Bd. 1, S. 242.

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mente empfangen. Daher ist lediglich die Ehe zwischen zwei Getauften ein Sakrament.20 Das gilt auch für eine konfessionsverschiedene Ehe zwischen Christen, Mischehe genannt, von denen einer katholisch ist und der andere Partner zu einer „Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft“ gehört, die nicht „in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche steht“.21 Was aber ist zu tun, wenn der Heide die Ehe mit seinem Partner, der Christ geworden ist, nicht fortführen will? Für diesen Fall entschied der Apostel: „Wenn aber der Ungläubige sich trennen will, soll er es tun. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht wie ein Sklave gebunden; zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen“ (1 Kor 7,15). Diese Entscheidung wurde ‚Paulinisches Privileg‘ genannt. Die Intiative zur Trennung muß vom ungläubigen Partner ausgehen. Wenn dieser die Ehe nicht mehr fortführen will, obwohl der christliche Partner dazu bereit ist, dann „soll er es tun“. Der Christ darf in diesem Fall der Trennung zustimmen, denn er ist „nicht wie ein Sklave gebunden“ (V 15). Paulus setzt voraus, dass die Adressaten seines Briefes wissen, dass „der Herr“ sie in einer solchen Ehe „nicht mit der gleichen Verbindlichkeit festhält“, wie zwei Christen.22 Die Begründung des Apostels lautet: „(...) zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen“ (Vers 15). Friede bedeutet „die Einheit in einer Beziehung, das gute Miteinander von Personen (vgl. Röm 5,1; 1 Kor 10,11; Eph 2,14.17; 4,3)“.23 Der nachfolgende Vers 16 lautet in der deutschen Einheitsübersetzung: „Woher weißt du denn, Frau, ob du den Mann retten kannst? Oder woher weißt du, Mann, ob du die Frau retten kannst?“ (1 Kor 7,16). In Anmerkung zu dieser Stelle wird in der Einheitsübersetzung auf die alternative Übersetzungsmöglichkeit verwiesen, die durch manche Exegeten auch vertreten wird: „Vielleicht vermagst du, Frau, deinen Mann zu retten, vielleicht vermagst du Mann, deine Frau zu retten.“ Damit wäre im Licht des Glaubens gemeint: „Vielleicht kannst du ihn in die rettende Beziehung zu Christus bringen“.24 Wenn dieser Vers 16 an die vorhergehenden Verse 13 und 14 anknüpft, in denen der Apostel mahnt, den Partner

20

Vgl. CIC, can. 1055.

21

Vgl. CIC, can. 1124.

22

Vgl. Baumert, S. 60.

23

Ebd., S. 61.

24

Ebd., S. 62.

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257

nicht zu verstoßen, dann wäre die letztzitierte Übersetzung die richtige, da sie zur Fortsetzung der Ehe ermahnt.25 Kirchenrechtlich wird das ‚Paulinische Privileg‘ (Vers 15) im Sinne einer Trennung „in favorem fidei“26 – „zugunsten des Glaubens“ – gedeutet. Ist es nur eine ‚Trennung von Tisch und Bett‘, ohne das Recht auf Wiederheirat, oder schließt es diese ein? Aus den Worten des Apostels folgt nicht eindeutig, dass nach der Trennung für den christlichen Partner eine Wiederheirat möglich ist.27 Die kirchlichen Juristen sahen sich auf Grund pastoraler Not gedrängt, eine eindeutige Antwort – nämlich im Sinne der Trennung mit dem Recht auf Wiederheirat – zu erteilen.28 IV. Gottes Ruf und der Stand der Berufenen (1 Kor 7,17–24) Die Verse 17–24 des 7. Kapitels kann man als ‚Herzstück‘ des gesamten Kapitels bezeichnen.29 Der Apostel trifft die entscheidende Feststellung für alle vorausgegangenen Anweisungen: „Im übrigen soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden“ (V 17). Am Beispiel des Beschnitten- oder Unbeschnittenseins (V 18) weist der Apostel darauf hin, dass es letztlich darauf ankomme, „die Gebote Gottes zu halten“ (V 19), und ebenso darauf, in dem Stand zu bleiben, „in dem ihn (jeden) der Ruf Gottes getroffen hat“ (V 20). Ähnlich verhält es sich beim nachfolgenden, zweiten Beispiel, nämlich beim Sklavenstand (V 21). Dieser Vers (V 21 b) lautet in der Einheitsübersetzung: „(...) auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter“. In einer Anmerkung wird auf eine alternative Übersetzungsmöglichkeit hingewiesen: „Ergreif lieber die Gelegenheit (frei zu werden).“ Man darf annehmen, dass der Apostel den Sklavenstand nicht festschreiben wollte.30 Der Apostel schließt seine Ausführungen über Ruf und Stand mit der nochmaligen Feststellung: „Jeder soll vor Gott in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf 25

Vgl. Schnackenburg, Bd. 1, S. 243.

26

CIC, can. 1143 § 1.

27

Vgl. Schnackenburg, Bd. 1, S. 243.

28

Vgl. CIC, can. 1143 § 1 und § 2. – Vgl. den Kommentar von H. Flatten, Nichtigerklärung, Auflösung und Trennung der Ehe, in: J. Listl u. a. (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, S. 815 – 826, hier S. 822 f. 29

So Baumert, S. 63.

30

Vgl. Baumert, S. 68 ff.

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getroffen hat“ (V 24). „Ruf“ und „Stand“ sind eigentlich dasselbe, denn „Ruf“ bedeutet „Charisma“ – d.h. eine besondere Gnade für einen bestimmten Stand.31 Daher auch heißt es – wie bereits vermerkt – in der dogmatischen Konstitution ‚Lumen gentium‘ des Zweiten Vatikanums (1965), dass zwar „alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind“, dass jedoch jeder „nach seinen eigenen Gaben und Gnaden auf dem Weg eines lebendigen Glaubens, der die Hoffnung weckt und durch die Liebe wirksam ist, entschlossen vorangehen soll“.32 V. Ehe und Jungfräulichkeit (1 Kor 7,25–38) „Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn. Ich gebe euch nur einen Rat als einer, den der Herr durch sein Erbarmen vertrauenswürdig gemacht hat“ (V 25). Mit dem Hinweis auf seine Vertrauenswürdigkeit erteilt der Apostel verlobten Männern, die nach ihrer Verlobung den Wunsch verspüren, ehelos zu leben,33 einen Rat, da er diesbezüglich kein Gebot vom Herrn besitzt: „Bist du an eine Frau gebunden, suche dich nicht zu lösen; bist du ohne Frau, dann suche keine“ (V 27). Der Apostel sieht also in der Ehe keine Störung für ein christliches Leben und in den Eheleuten keine Christen zweiter Klasse, was nicht selten behauptet wurde.34 Die zuvor genannte „bevorstehende Not“ (V 26) und die danach erwähnten „irdischen Nöte“ (V 28) betreffen die Fremdheit aller Christen in dieser Welt, die allerdings von den Eheleuten stärker erfahren wird, da sie weitgehender in weltliche Sachzwänge eingebunden werden. Mit dem Hinweis darauf (V 28–32) will der Apostel bewusst machen, welche Probleme auf Eheleute zukommen. Durch den Vergleich von Ehe und Ehelosigkeit (V 32–34) soll also nicht behauptet werden, dass ungeteilte Christusliebe für den Verheirateten nicht möglich sei.35 Dass alle Christgläubigen zur vollkommenen Liebe berufen sind, hat das Zweite Vatikanum (LG 40) – wie bereits erwähnt – ausdrücklich festgestellt. Also sollen die einen wie die anderen – laut Apostelwort – „in rechter Weise und ungestört immer dem Herrn dienen“ (V 35). Das ist eine Kernaussage dieses Abschnittes „von großer geistlicher Dichte“.36

31

Vgl. ebd., 63 f.; 75 f.

32

Zweites Vatikanisches Konzil, ‚Lumen Gentium‘, 40 – 41; DH 4166.

33

So deutet Baumert die Situation der Fragesteller, vgl. S. 79.

34

Vgl. Baumert, S. 78. 84.

35

Vgl. ebd., S. 87 ff.; 95.

36

Ebd., S. 100.

Die Ehelehre des Apostels Paulus und sein ‚Privileg‘

259

Die nachfolgenden Worte bestätigen nochmals, dass sowohl Heirat wie Ehelosigkeit das Richtige sein können: „Wer sich gegenüber seiner Jungfrau ungehörig zu verhalten glaubt, wenn sein Verlangen nach ihr zu stark ist, der soll tun, wozu es ihn drängt, wenn es so sein muss; er sündigt nicht; sie sollen heiraten. Wer aber in seinem Herzen fest bleibt, (...) seine Jungfrau unberührt zu lassen, der handelt richtig. Wer seine Jungfrau heiratet, handelt also richtig; doch wer sie nicht heiratet, handelt besser“ (1 Kor 7,36–38). Durch die Feststellung „wer nicht heiratet, handelt besser“ (V 38 b) kann der Apostel keine moralische Abwertung der Ehe gemeint haben, wenn die Auslegung seiner bisherigen Äußerungen zutrifft. Also wäre „besser“ im Sinne von „glücklicher“ (V 40) zu verstehen.37 Doch die andere Auslegung weist auf die Worte des Apostels hin. „Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn“ (V 32), sowie „Die Zeit ist kurz“ (V 29) und nimmt das Wort „besser“ wörtlich.38 VI. Wiederheirat nach dem Tod des Ehemannes (1 Kor 7,39–40) Schließlich ging der Apostel Paulus noch auf die Frage ein, ob eine Frau nach dem Tod ihres Mannes wieder heiraten darf (V 39–40). Die Frage kam wohl aus rigoristischen Kreisen, die in der zweiten Ehe ein zu großes Zugeständnis an die Sinnlichkeit erblickten. Der Apostel setzt seine Autorität ein, um vor Übertreibungen zu warnen und gleichzeitig den Berufenen ihre Freiheit gegenüber äußerem Druck zu gewähren:39 „Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt; wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei zu heiraten, wen sie will, nur geschehe es im Herrn. Glücklicher aber ist sie zu preisen, wenn sie nach meinem Rat unverheiratet bleibt – und ich denke, dass auch ich den Geist Gottes habe“ (1 Kor 7,39–40). Diese Aussage wird in den nachfolgenden Jahrhunderten, im Ringen mit dem Problem der Zweitehe, vor allem in der Ostkirche, eine große Rolle spielen. Die westliche Kirche ging in Bezug auf die Zweitehe – allerdings nach dem Tod des Partners –, grundsätzlich milder vor40 als die östliche.41 Später

37

Vgl. ebd., S. 115 ff.

38

Vgl. Johannes Paul II., Die Erlösung des Leibes, Vallendar-Schönstatt 1985, S. 130 ff.

39

Vgl. ebd., S. 119.

40

Vgl. Joyce, Die christliche Ehe. Eine geschichtliche und dogmatische Studie, Leipzig 1934, S. 503 ff. 41

Vgl. ebd., S. 509 ff.

Joachim Piegsa

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wird die orthodoxe Kirche eine zweite Bindung – sogar zu Lebzeiten des Partners –, für den „unschuldigen Partner“ tolerieren. VII. Das ‚Hohelied der Liebe‘ (1 Kor 13,1–13) Jahrhunderte nach dem alttestamentlichen ‚Hohenlied‘ bestätigt der Apostel Paulus diese Liebe nicht nur, sondern weist den Weg vom begehrenden Eros zur selbstlosen Agape.42 Diese Lehre gipfelt in seinem neutestamentlichen ‚Hohenlied der Liebe‘ (1 Kor 13,1–13): „Wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts (...). Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig (...). Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, (...) trägt das Böse nicht nach (...). Die Liebe hört niemals auf (...). Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,2.4.5.8.13). Dem Hauptgebot des Evangeliums entsprechend, setzt der Apostel Paulus das ganze Gewicht christlichen Lebens auf die Liebe, die sich in Freiheit und Treue, in Glaube und Hoffnung verwirklicht. Diese Tugenden bilden zugleich die unentbehrliche Atmosphäre, in der einzig die eheliche Liebe reifen kann. Gemeint ist eine ganzheitliche Liebe, die Sexus, Eros und Agape umfasst. Diese Liebe wiederum verleiht allem, was Eheleute tun, den Adel der Vollkommenheit. Auf diese Weise erhält die Ehelehre des Apostels Paulus ihren krönenden Abschluß.

42

Vgl. Johannes Paul II., Die Erlösung des Leibes, S. 283 f.

Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica Von Dietrich Pirson

I. Die institutionelle Basis für eine Kooperation unter den Kirchen Europas Im Zuge der Kontakte, die zwischen der römisch-katholischen Kirche und den nichtkatholischen Kirchen bestehen und die seit dem II. Vatikanischen Konzil erheblich intensiviert worden sind, ist ein Dokument zustande gekommen und im Jahre 2001 der kirchlichen Öffentlichkeit übergeben worden, das die anspruchsvolle Bezeichnung „Charta Oecumenica“ trägt und das dem Untertitel zufolge „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen Europas“ enthält. Dieses Dokument ist von einer Kommission von Sachverständigen aus den beteiligten Kirchen ausgearbeitet worden und hat die Zustimmung von amtlicher katholischer Seite und von den meisten nichtkatholischen Kirchen gefunden1. Eine in solcher Weise überkonfessionelle Verlautbarung, an der auch die römisch-katholische Kirche mitgewirkt hat, läßt die Frage entstehen, von welchen rechtlichen Prämissen die beteiligten Kirchen ausgegangen sind und in welcher Weise sich das Ergebnis in die Rechtsordnung der römisch-katholischen Kirche einfügt. Für die wünschenswerte Kommunikation unter den europäischen Kirchen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Verfahren eingebürgert, das eine besondere Ebene für die zwischenkirchlichen Kontakte hervorgebracht hat. Die Organisation zwischenkirchlicher Beziehungen in Europa steht im Hinblick auf die institutionellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen vor einer schwierigen Ausgangslage, die durch die Asymmetrie der Verfassungen von römischkatholischer Kirche und nichtkatholischen Kirchen bedingt ist. Nur die römisch-katholische Kirche ist als Universalkirche verfaßt und als solche handlungsfähig. Sie kann auch durch ihre Teilkirchen handeln, die aber ihrerseits durch die Universalkirche koordiniert werden können. Die nichtkatholischen 1

Zur Entstehungsgeschichte vgl. R. Frieling, Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 52 (2001), S. 54 ff.

262

Dietrich Pirson

Kirchen können von ihren verfassungsmäßigen Ausgangsbedingungen her jeweils nur für den begrenzten Bereich ihrer partikularkirchlichen Verantwortung sprechen. Sie müssen sich für ein Handeln auf europäischer Ebene erst verbandsmäßig organisieren, ebenso wenn sie eine ihre konfessionellen Grenzen transzendierende Wirkung erzielen wollen. Für die römisch-katholische Kirche kommt, wenn sie Verbindlichkeit für den europäischen Bereich oder in europäischen Angelegenheiten herbeiführen will, ein Sprechen oder Handeln durch die universalkirchlichen Instanzen in Betracht. Sie kann aber auch durch ihre in Europa existierenden Teilkirchen handeln, die verbandsmäßig in die Universalkirche eingegliedert sind. Das gemeinsame Handeln auf regionaler Ebene ist erleichtert, weil seit dem II. Vatikanischen Konzil die nationalen Bischofskonferenzen mit Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind, die eine gemeinsame Wahrnehmung kirchlicher Angelegenheiten auf nationaler Ebene erlauben. Eine Bischofskonferenz auf europäischer Ebener existiert freilich nicht. Die mannigfachen gemeinsamen kirchlichen Belange für europäische Angelegenheiten, namentlich im Zusammenhang mit der Einigung Europas, haben deshalb eine Koordination der nationalen Bischofskonferenzen nahegelegt. Diese Aufgabe nimmt das Consilium Conferentiarum Episcopalium Europae (CCEE) wahr, ein Organ, das aus Beauftragten aus dem Kreis der einzelnen nationalen Bischofskonferenzen gebildet wird2. In den kirchenverfassungsrechtlichen Bestimmungen des CIC ist dieses Kollegium nicht vorgesehen. Es hat keine rechtsgestaltende Befugnis. Vornehmlich dient es der Vermittlung, der gegenseitigen Information und der Beratung. Trotzdem hat es eine breite Wirksamkeit entfaltet, die auch von päpstlicher Seite gewürdigt worden ist3. Sein spezifisches Tätigkeitsfeld wurde die Pflege der Beziehungen zu den nichtkatholischen Kirchen, die auch einer wirksamen Vertretung kirchlicher Belange gegenüber weltlichen Instanzen dienlich sind. Angesichts der Vielzahl der nichtkatholischen Kirchen ist die Frage des adäquaten Gesprächspartners ein gewisses Problem. Man fand einen solchen schließlich in der „Konferenz Europäischer Kirchen“ (KEK), einem Verband, dem fast alle nichtkatholischen Kirchen angehören. Die KEK besitzt keine Verbandsgewalt gegenüber den ihr angeschlossenen Kirchen, sondern ist auf die Koordinierung der Aktivitäten und auf die Wahrung gemeinsamer Belange beschränkt. Trotzdem hat die zwischenkirchliche Kommunikation in jenem Rahmen eine gewisse Intensität und Publizität erreicht, die sich namentlich in

2

Vgl. Chr. Thiede, Bischöfe – kollegial für Europa, 1999; Die europäischen Bischöfe und die Neuevangelisierung Europas (Stimmen der Weltkirche Europa, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Heft 32, 1991). 3

Vgl die Dokumentation bei Thiede, a.a.O. (Anm. 2), S. 243 ff.

Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica 263

verschiedenen Tagungen auf europäischer Ebene manifestiert hat4. Aus solchem Anlaß, bei der Ökumenischen Versammlung in Graz im Jahre 1997, ist das Projekt einer „Charta Oecumenica“ entstanden, der eine zweifache Zielsetzung innewohnen sollte, nämlich die gemeinsame Position der Kirchen im Prozeß des politischen Zusammenschlusses Europas zur Geltung zu bringen und gleichzeitig das Bemühen der Kirchen um Überwindung der Kirchentrennung zu fördern. Beide Motive der zwischenkirchlichen Kooperation stehen in einem sachlichen Zusammenhang. Für die Fähigkeit der Kirchen zu effektivem Handeln gegenüber der säkularen Umwelt ist es hilfreich, ja geradezu unerläßlich, daß sie insgesamt als eine zusammengehörende geschichtliche Kraft wahrnehmbar werden, die gemeinsame Postulate erhebt und „mit einer Stimme sprechen“ kann. Eine kirchenrechtliche Stellungnahme zu der schließlich zustande gekommenen Charta setzt voraus, daß zunächst ihr Inhalt vor Augen geführt wird (II.). Anschließend sind die Verfahrensmodalitäten darzulegen, die bei der Formulierung des Textes wie für das Wirksamwerden der Charta in den einzelnen Kirchen zu beachten waren (III.). Sodann muß nach der Konformität der in der Charta enthaltenen Aussagen und Bekundungen mit dem geltenden Kirchenrecht gefragt werde (IV.). Schließlich ist die innovative Qualität der Charta im Hinblick auf die Begründung von Pflichten innerhalb der Kirche zu untersuchen (V.). II. Die Thematik der Charta Oecumenica Die Charta will die Gemeinsamkeit unter den Kirchen Europas in das Blickfeld rücken. Diese kann anhand einer schon vorhandenen oder auch einer erstrebten Übereinstimmung in Glaubensgehalten dargestellt werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, unabhängig von einer gemeinsamen Glaubensbasis auf die übereinstimmende Haltung, die die Kirchen gegenüber Vorgängen und Problemen in der säkularen Umwelt einnehmen, abzustellen – ein einheitsstiftendes Element, auf das man in der ökumenischen Bewegung vielfach zurückgreift5. Die Charta sucht beide Wege zu gehen, um die einzelnen Kirchen in der Welt als einheitliche Kraft erkennbar zu machen. Auf diese Weise werden das ökumenische Anliegen, also Überwindung der Glaubensspaltung, und das politische Engagement, insbesondere das Streben nach der Präsenz der Kirche im Prozeß der Einigung Europas, miteinander verbunden.

4

Zum Zusammenwirken von CCEE und KEK vgl. Die Kirchen Europas, ihr ökumenisches Engagement, hg. v. H. Steindl, 1994; Thiede, a.a.O (Anm. 2), S. 75 ff. 5

Vgl. H. W. Heßler / G. Gaßmann, EStL3, II, 1987, Sp. 2284 ff.

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Dietrich Pirson

Im ersten Teil der Charta wird – nach einem Hinweis auf das in allen christlichen Kirchen anerkannte Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 381 – die „sichtbare Gemeinschaft der Kirchen Europas“ zum Gegenstand von Betrachtungen gemacht, wobei sowohl Postulate für einzelne Bereiche des konfessionellen Zusammenlebens erhoben werden wie auch auf bereits bestehende Formen der Kommunikation, auch in der gottesdienstlichen Praxis, verwiesen wird. In einem zweiten Teil „Die gemeinsame Verantwortung in Europa“ wird die wünschenswerte Kooperation in bestimmten allgemein politischen Zielsetzungen beschrieben oder angefordert. Die Problemfelder, auf die hier eingegangen wird, gehen nicht über die geläufigen Themen der gegenwärtigen kirchlichen Sozialethik hinaus, nämlich Gewaltfreiheit, Minderheitenschutz, Abkehr vom Nationalismus, Gleichberechtigung der Frauen, sogenannte Konsumzwänge und „Nachhaltigkeit“ in dem Sinne, den dieser Begriff in der umweltpolitischen Diskussion erhalten hat, also Substanzerhaltung bei der Nutzung natürlicher Ressourcen6. Es wird auch kaum der Versuch gemacht, die Affinität jener politischen Zielsetzungen zur christlichen Botschaft darzulegen. Insgesamt sind die Aussagen, die die Charta zum gemeinsamen Glauben und zu gemeinsamen sozialethischen Postulaten bietet, sehr knapp, eklektisch und in der Sache sehr unbestimmt gehalten. Vermutlich hat der Zwang zum Konsens nur zurückhaltende Formulierungen zugelassen. Die besondere Note der Charta liegt darin, daß sie sich nicht damit begnügt, gemeinsame Überzeugungen in jenen Themenkreisen zu benennen, sondern daß sie bestimmte Konsequenzen aus den festgestellten Gemeinsamkeiten zur Pflicht macht. Die Charta folgt durchgehend dem Konzept einer bewußten Abfolge von indikativischer und imperativischer Aussage. Den Feststellungen in den einzelnen Sachthemen folgt jeweils das Versprechen eines bestimmten Verhaltens, das diejenigen, die die Charta anerkennen, als für sich verpflichtend auf sich nehmen. Insgesamt enthält die Charta 22 solcher mit den Worten „Wir verpflichten uns“ eingeleiteten Erklärungen. III. Kirchenrechtliche Beurteilung des Verfahrens Gerade der Umstand, daß die Charta nicht bloß eine Kundgabe von bestimmten Auffassungen sein will, sondern eine Kundgabe, die für diejenigen, die sie abgeben, Verpflichtungen nach sich zieht, läßt die Frage entstehen, wer die Vollmacht hat, solche Verpflichtungen einzugehen, und welches Verfahren dabei zu beachten ist. Die Charta wurde von Beauftragten des CCEE und der KEK ausgearbeitet, wobei im Entwurfsstadium die Bischofskonferenzen und die einzelnen nicht6

Vgl. St. Bayer, Art. Nachhaltigkeit, RGG4, VI, 2003, Sp. 11 f.

Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica 265

katholischen Kirchen Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. Die schließlich im Jahre 2001 in solenner Form durch die Präsidenten des CCEE und der KEK vorgenommene Unterzeichnung hat freilich noch keine rechtsgestaltende Wirkung gehabt. Sie besagte nur, daß der vereinbarte Text bestätigt wurde7. Denn weder das CCEE und noch viel weniger sein Präsident können für die einzelnen Bischofskonferenzen verbindliche Entscheidungen treffen. Die Charta konnte die Eigenschaft eines verbindlichen Dokuments nur dadurch erhalten, daß eine wirksame Zustimmung in den einzelnen Kirchen erfolgte. Für die beteiligten nichtkatholischen Kirchen mußten die jeweils innerkirchlich zuständigen Organe die Annahme erklären. Für die katholische Seite fällt die Abgabe einer zustimmenden Erklärung in die Kompetenz der einzelnen nationalen Bischofskonferenz. Gemäß c. 755 § 2 CIC obliegt dieser auch die Aufgabe, die Einheit der Christen zu fördern. Sie hat freilich nur eine gegenständlich begrenzte Rechtsetzungskompetenz. Doch ist die öffentliche Erklärung, die Gemeinsamkeiten mit anderen Kirchen bekundet, überhaupt nicht Ausübung einer rechtsgestaltenden Befugnis, sondern wie üblicherweise das Handeln im Rahmen des Verkündigungsdienstes als tatsächliches Handeln zu bewerten. Sie ist den „munera quaedam pastoralia“ zuzuordnen, welche der Bischofskonferenz gemäß c. 447 CIC zur Wahrnehmung übertragen sind. Die Charta wird folglich „angenommen“, das heißt im Namen der Kirche abgegeben, indem sich die einzelnen nationalen Bischofskonferenzen die Erklärung zu eigen machen. Die viel beachtete Unterschrift des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin im Jahre 2003 hat für sich allein nicht die Wirkung einer solchen Annahme gehabt. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Annahme war, daß die Charta vor oder nach der Unterzeichnung die Billigung des Plenums der Bischofskonferenz erhalten hat. CCEE und KEK haben den Kirchen nicht nur die Empfehlung zur Annahme der Charta gegeben, sondern auch zu ihrer „Umsetzung“. Es liegt also im Konzept der Autoren, daß die Kirchen Vollzugshandlungen entsprechend den in der Charta ausgesprochenen Selbstverpflichtungen vornehmen. Indem die Verpflichtung auf das Umsetzen ausgedehnt wird, soll erreicht werden, daß sich die Charta in realen Vorgängen niederschlägt und sich nicht – wie gelegentlich andere kirchlichen Verlautbarungen – in einem verbalen Akt erschöpft. Beim Umsetzen ist an Handlungen gedacht, in denen die Gemeinsamkeit manifest wird, wie gemeinsame gottesdienstliche Veranstaltungen, gegenseitige Informationen und Einladungen, gemeinsame Kundgaben und Stellungnahmen.

7

Mißverständlich ist freilich die Formulierung in der von KEK und CCEE vorausgeschickten Präambel. Dort heißt es: „In diesem Sinne nehmen wir diese Charta ... an.“ Die Schußformel enthält dann aber die Aufforderung: „Als Präsidenten ... empfehlen wir diese Charta Oecumenica als Basistext allen Kirchen und Bischofskonferenzen zur Annahme und Umsetzung ...“

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Solche Akte des Umsetzens brauchen nicht unbedingt durch die die Annahme aussprechende Bischofskonferenz selbst zu geschehen. Diese wäre hierzu auch nur insoweit in der Lage, als die Anordnung von Vollzugshandlungen im Rahmen ihrer Kompetenz liegt, die sich aber nur in begrenztem Maße auf rechtsgestaltendes Handeln erstreckt8. Auch wenn ihr im Rahmen der Aufgabe, die Einheit der Kirche zu fördern, eine spezielle Gesetzgebungsbefugnis fehlt, ist sie nicht daran gehindert, in Sachen der ökumenischen Zusammenarbeit Empfehlungen auszusprechen. Das eigentliche Umsetzen müßte in weitem Maße auf der Ebene der Diözesen oder der einzelnen Pfarreien erfolgen. Allein durch die Annahme der Charta seitens der Bischofskonferenz ist eine Pflicht der Bischöfe, entsprechende Handlungen vorzunehmen, noch nicht entstanden. Sie haben es weitgehend in der Hand, in welcher Weise und in welchem Umfang sie Maßnahmen zur Kooperation mit anderen Kirchen treffen. Die Möglichkeit zu gemeinsamen gottesdienstlichen Veranstaltungen ist durch die Beseitigung des strikten Verbots einer communicatio in sacris cum haereticis eröffnet worden9. Es ist freilich denkbar, daß gesamtkirchliche Rechtsetzung den Bischöfen bestimmte Handlungsweisen zur Pflicht macht, die sich der Sache nach mit den in der Charta übernommenen Verpflichtungen decken. Das starke Engagement des CCEE und damit der nationalen Bischofskonferenzen im Zusammenhang mit der Charta hat aber nicht die gesamtkirchliche Verantwortung und Kompetenz für die ökumenischen Belange und für die Christianisierung Europas in den Hintergrund treten lassen oder gar geschmälert. Es besteht vielmehr eine gewisse Zweigleisigkeit. Die universalkirchlichen Instanzen nehmen unabhängig von CCEE zu den ökumenischen Beziehungen und zur Neuchristianisierung Europas Stellung. So sind gerade jüngst die Situation der Kirche in Europa und die entsprechenden Aufgaben der Kirche in Europa Gegenstand eines ausführlichen Apostolischen Schreibens mit dem Titel „Ecclesia in Europa“ gemacht worden, in welchem der Papst nahezu die gleichen Fragen aufgreift, mit denen sich auch die Charta befaßt. Er würdigt dabei auch die Tätigkeit des CCEE, läßt aber die Charta, die zwei Jahre vorher der Öffentlichkeit übergeben worden ist, gänzlich unerwähnt. Auch in dem Bericht des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen aus dem Jahr 2003 über den gegenwärtigen Stand der ökumenischen Beziehungen10 wird auf die 8

Maßnahmen im Rahmen des c. 755 § 2 CIC, die der kirchlichen Einheit dienen, müssen im Rahmen des bestehenden Rechts (ad normam iuris) verbleiben, vgl. O. Stoffel, Münst. Komm. zum CIC, Rn.6 zu c. 755. Zur Gesetzgebungskompetenz der Bischofskonferenz vgl. die Zusammenstellung bei O. Stoffel, Münst. Komm. zum CIC, Anh. zu c. 455 9

Vgl. I. Riedel-Spangenberger, Die „communicatio in sacris“, in: H. Hallermann (Hg.), Ökumene und Kirchenrecht – Bausteine oder Stolpersteine?, 2000, S. 63 – 84. 10

Siehe dazu Herder-Korrespondenz 2003, S. 605 f.

Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica 267

Charta nicht Bezug genommen. Man kann deshalb nicht davon ausgehen, daß diese als eine markante Zäsur im zwischenkirchlichen Verhältnis empfunden wird. IV. Kirchenrechtliche Beurteilung des Inhalts der Charta Den Inhalt der Charta bilden einzelne Aussagen und Verpflichtungsformeln, auf die sich die beteiligten Kirchen verständigen konnten. Da mit der Annahme der Charta die Übernahme jener Verpflichtungen verbunden ist, besteht Anlaß zur Frage, ob deren Erfüllung durch ein in jeder Hinsicht kirchenrechtskonformes Verhalten bewirkt werden kann. Die Frage einer denkbaren Kollision eines in der Charta vorgesehenen Handelns mit kirchenrechtlichen Vorschriften hat offenbar auch die Autoren der Charta beschäftigt, weshalb in der Präambel, in der die Intention der Charta erläutert wird, die Feststellung zu finden ist, die Charta habe keinen „lehramtlich-dogmatischen oder kirchenrechtlich-gesetzlichen Charakter“. Es ist ohne weiteres einsichtig, daß man den in der Charta getroffenen indikativischen Feststellungen lehramtliche Qualität abspricht. Denn das Lehramt wird nicht im Wege einer zwischenkirchlich abgesprochenen Verlautbarung ausgeübt. Lehramtliche Relevanz könnte freilich jenen Aussagen in der Charta durchaus zukommen, insofern sich aus ihnen ein Widerspruch zu anerkannten Glaubenswahrheiten ergäbe. Ein kirchlicher Amtsträger, der solche Aussagen als verbindlich anerkennen würde, verstieße ohne weiteres gegen die Verpflichtung, lehramtswidrige Äußerungen zu meiden (cc. 750, 752), ungeachtet dessen, daß die inkriminierten Äußerungen selbst keinen „lehramtlich-dogmatischen Charakter“ tragen. Ein sachlicher Widerspruch zu lehramtlichen Aussagen kann nicht durch eine salvatorische Klausel, wonach die widersprechende Äußerung keinen lehramtlichen Charakter habe, beseitigt werden. Freilich ist in den recht allgemein gehaltenen Sätzen der Charta zu Glaubensinhalten nichts zu entdecken, was eine Kollision mit anerkannten Glaubenswahrheiten ergeben könnte. In ähnlicher Weise wäre kritisch zu fragen, was die Feststellung, die Charta besitze „keinen kirchenrechtlich-gesetzlichen Charakter“ bezwecken soll und bewirken kann. Ob eine Aussage normative Qualität hat, hängt zunächst davon ab, ob in ihrem Gehalt ein normativer Anspruch liegt. Ist dies der Fall, wäre zu fragen, welche Autorität die normative Qualität begründet. Mit der Verneinung eines „kirchenrechtlich-gesetzlichen Charakters“ soll wohl zum Ausdruck gebracht werden, daß die in der Charta ausdrücklich ausgesprochenen Verpflichtungen nicht als Rechtsetzung zu verstehen sind. Bestehendes kirchliches Recht soll nicht ergänzt oder abgeändert werden. Ein Konflikt mit der Kompetenzordnung des CIC, der die Rechtsetzungsbefugnis eindeutig und abschließend regelt, soll von vornherein ausgeschlossen sein. Doch können Verpflichtungen, wenn sie wirklich solche sind, und einen „verbindlichen Maßstab“

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liefern sollen, wie die Präambel sagt, nicht generell aus dem normativen Bereich verwiesen werden11. Verpflichtungen zu einem Verhalten, das dem bestehenden Kirchenrecht widerspricht, würde dieses Verhalten gleichwohl rechtswidrig machen. Möglicherweise hat man klarstellen wollen, daß aus den sehr allgemein formulierten Verpflichtungen keine konkreten Konsequenzen gezogen werden dürfen, die in ein rechtlich unzulässiges Verhalten einmünden. Das würde bedeuten, daß die Verpflichtung jeweils an etwaigen entgegenstehenden kirchenrechtlichen Aussagen ihre Grenze findet. Akut wäre diese Grenze zum Beispiel bei der Verpflichtung, „die Stellung und Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen zu stärken“ (III.3 der Charta). Eine Verpflichtung, den Frauen auch den Zugang zum Priesterberuf zu verschaffen, soll eben aus jener Formulierung nicht abgeleitet werden. Eine im Interesse der Konformität mit dem Kirchenrecht unvermeidbare Reduktion des Geltungsanspruchs der Verpflichtungen wird freilich nicht in sachgerechter Weise dadurch zum Ausdruck gebracht, daß man den kirchenrechtlichen Charakter der Charta generell verneint. Man kann nicht zwei normative Komplexe, das Kirchenrecht und eine anderweitig verpflichtende Ordnung im Dienst der Kirche, beziehungslos nebeneinander stellen. Aber nicht nur wegen des nicht gelösten Problems, wie die Verpflichtungen zum gemeinsamen Handeln mit dem kirchlichen Recht in ein Verhältnis zu bringen ist, läßt die Charta einige offene Fragen zurück. V. Die Selbstverpflichtungen der Charta Der der Charta zugrunde liegende Gedanke, die Selbstverpflichtung als Medium zwischenkirchlicher Akte zu aktivieren, ist durchaus weiterführend. Die Selbstverpflichtung hat eine lange Tradition im Rechtsleben, insbesondere im Kirchenrecht, vor allem in Form des Gelübdes. Dieses ist auch heute noch eine rechtliche Realität und leitet seine Dignität daraus her, daß Gott als an der Rechtsbeziehung beteiligt gedacht wird (c. 1191 CIC). Vielleicht hätte es die kirchenrechtliche Relevanz der Charta erhöht, wenn sie sich auf die kirchenrechtliche Tradition der Selbstverpflichtung bezogen hätte und sich nicht allein, wie der Begriff der Charta insinuiert, auf die weltliche Verfassungstradition. Die Charta hat aber schon die Frage, wer eigentlich Subjekt der Verpflichtung ist, im Ungewissen gelassen. Man möchte meinen, daß die Verpflichtun-

11

Man wird auch darüber reflektieren können, ob die Verpflichtungen der Charta, wie die Verpflichtung, „füreinander und für die christliche Einheit zu beten“ (II.5), eine prinzipiell andere Qualität haben als die im CIC 1983 formulierten Christenpflichten (cc. 209 sqq.), in denen man eine Umschreibung des Status eines getauften Christen sieht, vgl. H. Reinhardt, Münst. Komm. zum CIC, Rn. 3 Einf. vor c. 208.

Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica 269

gen diejenigen treffen, die die Annahme ausgesprochen haben, also die einzelnen Kirchen und Bischofskonferenzen. Die Charta wendet sich aber nicht allein an die Kirchen selbst, sondern auch an die einzelnen Christen. Zwar sind einige der verpflichtenden Sätze eindeutig und ausschließlich auf das Handeln der Kirchen als verfaßter Verbände bezogen und können nur von diesen erfüllt werden, so die Verpflichtung, „über unsere Initiativen zur Evangelisierung mit den anderen Kirchen zu sprechen...“ (II.2) oder „zu prüfen, was zu den Dialogergebnissen kirchenamtlich verbindlich erklärt werden kann“ (II.6). Andere Verpflichtungen beziehen sich auf Aktivitäten in den Kirchen, die nur bei Mitwirkung der einzelnen Gläubigen entfaltet werden können, etwa die Verpflichtung, „die Gottesdienste und die weiteren Formen des geistlichen Lebens anderer Kirchen kennen und schätzen zu lernen“ (II.5).Das gilt auch für sozialethische Grundsätze, die in die Form von Verpflichtungen gekleidet sind, wie „einen Lebensstil zu entwickeln, bei dem wir gegen die Herrschaft von ökonomischen Zwängen und Konsumzwängen auf verantwortbare und nachhaltige Lebensqualität Wert legen“ (III.9). Andere der genannten Verpflichtungen sind primär individualethisch und müssen von den einzelnen Christen akzeptiert und praktiziert werden, wie „für das Gespräch mit allen Menschen guten Willens offen zu sein“ (III.12) oder „den Muslimen mit Wertschätzung zu begegnen“ (III.11) und „auf allen Ebenen den Dialog mit unseren jüdischen Geschwistern zu suchen“ (III.10). Die Frage nach dem jeweils subjektiv Verpflichteten ist offenbar nicht vollständig reflektiert worden, weil sie angesichts der Intention der Charta wohl nicht im Vordergrund stand. Es ging zunächst darum, überhaupt das Element der Verbindlichkeit im zwischenkirchlichen Verhältnis heimisch zu machen, welches durch die einzelnen formulierten Verpflichtungen vergegenwärtigt werden soll. Jene Verpflichtungen sind nicht Einzelaussagen einer bereits ausgeführten kirchlichen Rechtsordnung. Sie gehören nicht zum positiven Recht, das sich die einzelnen Kirchen um ihrer Aufgabe willen selbst geben. Hinter den Verpflichtungen der Charta steht die Erkenntnis, daß das zwischenkirchliche Verhältnis ein durch Pflichten bestimmtes Verhältnis ist. Die Verpflichtung zur Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags ist gewissermaßen die Grundpflicht, die es rechtfertigt und sogar nahelegt, auf die Kategorie Pflicht zurückzugreifen, um die Qualität der Beziehungen innerhalb der Ökumene zu kennzeichnen. Es besteht für alle Kirchen, unabhängig von der fehlenden vollen Gemeinschaft im Glauben, eine gleiche universalkirchliche Beziehung, nämlich die Verpflichtung gegenüber dem Verkündigungsauftrag Christi, durch den die Kirche als geschichtliche Erscheinung manifest geworden ist12. Diese gleiche

12 Vgl. D. Pirson, Die protestantischen Kirchen im universalkirchlichen Zusammenhang, Essener Gespräche 37 (2003 ), S. 23 – 41, S. 35 ff.; ders. in: G. Rau / H. Reuter / K. Schlaich (Hg.), Das Recht der Kirche, Bd. I, 1997, S. 499 – 517.

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und allen Kirchen gemeinsame Verpflichtung begründet zwar nicht unbedingt Kirchengemeinschaft, für die auch die volle Gemeinsamkeit im Verständnis des Auftrags Christi Voraussetzung ist. Doch können sich die einzelnen Kirchen gegenseitig auf jene gemeinsame Verpflichtung hin ansprechen. Hier findet die Charta ihr Fundament. Die gemeinsame Verpflichtung ist geeignet, dem gegenwärtigen zwischenkirchlichem Verhältnis eine theoretische Basis zu geben. Während die einzelne Kirche, weil in ihr Konsens im Verständnis der christlichen Botschaft besteht, eine ausgeführte kirchliche Rechtsordnung hervorbringen kann, bleibt die verbindliche Ordnung im zwischenkirchlichem Verhältnis rudimentär und im wesentlichen auf jene Grundpflicht beschränkt, die aber ein kirchenrechtliche Grundnorm ist. Das zwischenkirchliche Rechtsverhältnis ist bisher schon in geringem Umfang konkretisiert worden durch einzelne zwischen den Kirchen im Interesse kirchlicher Aufgaben getroffener Vereinbarungen13. Diese haben rechtliche Qualität nicht nur insofern sie von den beteiligten Kirchen in ihre Rechtsordnung rezipiert worden sind, sondern auch weil sie jene Grundnorm entfalten, aus welcher die Vereinbarung Verbindlichkeit auch zwischen den Kirchen erhält. Zwischenkirchliche Vereinbarungen legen sich auch nahe, um der Verpflichtung zur Umsetzung im Sinne der Charta nachzukommen. Die Selbstverpflichtung ist die adäquate Reaktion auf jene Ausgangslage im zwischenkirchlichen Verhältnis. Sie ist charakteristisch für eine Rechtsgemeinschaft, für die ausreichende positive Rechtsnormen fehlen. So war zum Beispiel die Erscheinung der „geschworenen Gemeinschaft“ charakteristisch für die Rechtsverhältnisse vor der Herausbildung des modernen Staates14, der zur perfekten Kodifikation tendiert. Die Charta, die den Gedanken der Selbstverpflichtung für das zwischenkirchliche Verhältnis aktiviert, vermag, obwohl der Katalog der sozialethischen Einzelaussagen nicht jedermann befriedigen wird, durch jenen Ansatz einen wegweisenden Impuls für die Darstellung der heute möglichen kirchlichen Einheit zu geben.

13

Vgl. H. Hallermann, in: Ökumene und Kirchenrecht – Bausteine oder Stolpersteine? (hg. v. H. Hallermann), 2000, S. 118 – 139; E. Synek, Ökumenisches Kirchenrecht, öarr 53 (2002), S. 53 – 68. 14

Vgl. hierzu P. Prodi, Das Sakrament der Herrschaft – Aus dem Italienischen von J. Elze, 1997, S. 141 ff.

Zur Frage der Verjährung der schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit, im Besonderen des sexuellen Missbrauchs1 von Minderjährigen, im geltenden katholischen Kirchenrecht Von Richard Potz I. Einleitung Im Rechtsinstitut der Verjährung sind eine Reihe von konstitutiven Elementen der Rechtsidee miteinander verknüpft, Gerechtigkeitspostulate, die Herstellung von Rechtssicherheit, Effektivität und Praktikabilitäts-Kriterien. Im Falle der Strafverjährung sind diese durch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Strafzwecke zusätzlich überlagert. Es bedarf daher bei einem derartig gelagerten Rechtsinstitut in besonderer Weise einer sorgfältigen und für den Rechtsadressaten klaren und transparenten Regulierung um der Grundfunktion des Rechts in der Kirche nachzukommen, die Gerechtigkeitsdimension der Kirche zu strukturieren. Genau dies ist ein Grundanliegen des Jubilars und in diesem Sinne sei ihm dieser Beitrag gewidmet. II. Allgemeine Bemerkungen Die rechtliche Normierung der Sexualdelikte von Klerikern ist in den letzten hundert Jahren durch drei Entwicklungen charakterisiert: Erstens durch eine Präzisierung der Kompetenz der (nunmehrigen) Kongregation für die Glaubenslehre.

1

Es wird im Folgenden am Begriff „sexueller Missbrauch“ festgehalten, obwohl er (so in einem Gespräch vom Wiener Ordinarius für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters Max Friedrich) zu Recht aus der Erwägung kritisiert wird, er unterstelle, es könne auch einen „sexuellen Gebrauch“ geben.

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Zweitens durch ein Mehr an „Rechtskirchlichkeit“ im Sinne einer Zunahme von Transparenz und Glaubwürdigkeit der Kirche2 gerade in einem derart hochsensiblen Bereich. Drittens durch eine doch recht deutliche Änderung hinsichtlich des strafrechtlich relevanten Unrechtsgehaltes einzelner Tatbestände, vor allem in der zunehmenden Differenzierung von Homosexualität und sexuellem Missbrauch von Minderjährigen. In diesem Sinne ist das MP Sacramentorum Sanctitatis Tutela vom 30. 4. 20013 zur Promulgation der Normae de gravioribus delictis Congregationi pro Doctrina fidei riservatis zu verstehen, wenngleich die Normae selbst nicht publiziert wurden. Zur Durchführung des MP wurde allerdings die Epistula der Kongregation für die Glaubenslehre Ad exsequendam ecclesiasticam legem vom 18. 5. 20014 erlassen, die sowohl die genaue Umschreibung der Delikte einschließlich der Verjährungsregelung als auch Kompetenz- und Verfahrensbestimmungen enthält. Damit kam die genannte Entwicklung zu einem gewissen Abschluss. Der Weg zu der Gesetzgebung von 2001 war einigermaßen komplex und unübersichtlich. Sie war daher nicht nur durch die Notwendigkeit bestimmt, nach der Agendi ratio in doctrinarum examine (Neuordnung des Eigenrechts der Glaubenskongregation im Bereich der Glaubensdelikte) vom 29. 6. 19975 auch die Vorgangsweise bei schweren Straftaten gegen die Sittlichkeit oder bei der Feier der Sakramente festzulegen. Sie diente vor dem Hintergrund der weltweit aufbrechenden einschlägigen Fälle vielmehr auch dazu, die sich durch die Unübersichtlichkeit der Rechtslage im Bereich der delicta graviora ergebenden Zweifel zu klären.6

2

Vgl. dazu die Ansprache Papst Johannes Paul II. vor den Mitgliedern der Österreichischen Bischofskonferenz am 21. Juni 1998. 3

AAS 93 (2001), 737 – 739.

4

AAS 93 (2001), 785 – 788.

5

AAS 89 (1997), 830 – 835.

6

Grundsätzlich zum Folgenden: V. De Paolis, Normae de Gravioribus delictis riservati alle Congregazione per la Dottrina della Fede, Periodica de Re Canonica, 91 (2002), 283.

Zur Frage der Verjährung der schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit

273

III. Die Rechtslage nach dem CIC 1917 C. 1703 CIC regelte die Verjährungsfristen bei Strafklagen und nahm die gemäß c. 1555 § 1 dem Hl. Offizium7 als Gerichtshof vorbehaltenen Delikte von dieser Regelung aus. Gemäß c. 1555 § 1 behielt der Gerichtshof des Hl. Offizium seine eigenen Gesetze und Gewohnheiten weiterhin bei.8 Das Hl. Offizium hatte für die Reinhaltung der Glaubens- und Sittenlehre zu sorgen (c. 247 § 1). Es entschied über die entsprechenden Delikte, soweit diese durch die ihm eigenen Bestimmungen reserviert waren und zwar nicht nur als Appellationsgerichtshof, sondern auch in erster Instanz, wenn diese Delikte direkt vor das Hl. Offizium gebracht worden waren (c. 247 § 2). Welche Delikte dadurch erfasst waren, war nicht ausdrücklich normiert. Im Schrifttum wurde dazu auf die Praxis der Kongregation verwiesen.9 Es muss daher davon ausgegangen werden, dass darunter grundsätzlich Delikte gegen den Glauben und die Einheit der Kirche zu verstehen waren (im Besonderen gemäß cc. 2314ff CIC 1917), aber auch mit diesen verbundene Delikte10; des Weiteren Delikte im Zusammenhang mit der Feier von Sakramenten (v.a. die sollicitatio gemäß c. 2368, die Absolution des Komplizen im Falle einer Sünde gegen das 6. Gebot11 gemäß c. 2367 und die Verletzung des Beichtgeheimnisses gemäß c. 2369) sowie das crimen pessimum, wodurch ein Teil der Tatbestände des c. 2359 § 2 CIC 1917 verwirklicht wurde. Unter dem crimen pessimum verstand das Hl. Offizium folgende der dort angeführten Delikte: „… jede äußere schwer sündhafte obszöne Handlung, die von einem Kleriker begangen oder versucht wurde mit einer Person des eigenen Geschlechts, sowie einem Minderjährigen ungeachtet des Geschlechts oder mit einem Tier.“12

7

Für die Zeit vor dem MP Integrae Servandae Pauls VI. vom 7. 12. 1965 (AAS 57 [1965], 952 – 955) wird in der Folge die Bezeichnung Hl. Offizium für die Kongregation des Heiligen Offiziums verwendet. Für die Zeit danach die Bezeichnung Glaubenskongregation (Kongregation für die Glaubenslehre). 8 Diese Bestimmung verweist als Quelle auf pars II, cap. VII, Art 1, n. 6° des Ordo servandus in S. Congregationibus, Tribunalibus, Officiis Romanae Curiae vom 29. 9. 1908. 9

Vgl. insbes. De Paolis, (Anm. 6), 285.

10

„… cum eadem connectuntur …“ (vgl. etwa Fr. Roberti, De Processibus I, Rom 1926, 364). 11

Auf die Problematik des Verweises auf das 6. Gebot wird hier nicht weiter eingegangen. 12 So in einer Instruktion des Hl. Offiziums „Super conceptu criminis pessimi eiusque reservatione“ aus 1937, vgl. dazu U. Lopez, Casus conscientiae, in: PerMorCanLit 1938, 32 ff.

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274

Hinsichtlich der Verjährung der dem Hl. Offizium vorbehaltenen Delikte enthielten weder der CIC 1917 noch die damaligen speziellen Normen für die Römische Kurie genauere Bestimmungen. Im Schrifttum wurde meist davon ausgegangen, dass diese Delikte unverjährbar wären.13 Als unverjährbar galt lange Zeit aber auch eine ganze Reihe anderer Delikte unterschiedlichster Natur, wie Kindesunterschiebung, Verwandtenmord, Meuchelmord, das crimen laesae maeistatis, Geldfälschung, Abtreibung, Duell und Simonie14, bemerkenswerter Weise jedoch nicht die qualifizierten Delikte gegen das 6. und 7. Gebot, für die c. 1703 CIC 1917 eine verlängerte Verjährungsfrist von 5 Jahren vorsah. Die gerichtliche Zuständigkeit für das crimen pessimum wurde in der Zeit nach dem CIC 1917 vom Hl. Offizium immer stärker an sich gezogen, das dabei in analoger Weise zur sollicitatio vorgegangen ist. Die Möglichkeit der Kongregation, ein Verfahren jederzeit an sich zu ziehen, wird im Schrifttum der Zeit nach 1917 im Allgemeinen als ausreichend angesehen, um von einem Vorbehalt im Sinne c. 1555 § 1 CIC 1917 zu sprechen. Was die hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehende Verjährung betrifft, muss davon ausgegangen werden, dass eine nicht positivierte Praxis, die allgemein für dem Hl. Offizium reservierte Delikte die Unverjährbarkeit vorsah, im Falle des crimen pessimum – anders als bei Glaubensdelikten! – einer positivrechtlichen Fixierung der Verjährung in c. 2359 § 2 CIC 1917 gegenüberstand. Eine derart gravierende Rechtsposition, wie sie sich aus der positivrechtlichen Fixierung der Verjährung eines Strafdelikts ergibt, kann wohl nicht von einer in Bewegung geratenen Praxis mit den damit notwendig verbundenen aleatorischen Momenten abhängig gemacht werden. Überdies muss angesichts einer doch recht weit zurückreichenden Praxis hinsichtlich der gerichtlichen Verfolgung der Tatbestände des crimen pessimum durch das Hl. Offizium der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der kirchliche Gesetzgeber dessen ungeachtet die besonderen Verjährungsfristen für diese Delikte bestehen ließ. Es kann dem allgemeinen kirchlichen Gesetzgeber wohl nicht unterstellt werden, dass er weiterhin eine fünfjährige Verjährungsfrist normiert, wenn er von einer Praxis der Unverjährbarkeit hätte ausgehen müssen.15

13

Vgl. Roberti, (Anm 10), 364.

14

Roberti, (Anm. 10), 364 Anm. 2.

15

Siehe dazu die Bemerkungen zur entsprechenden Regelung des CIC 1983 (unten Nr. VI.).

Zur Frage der Verjährung der schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit

275

IV. Die Instructio „De modo procedendi in causis sollicitationis“ vom 16. März 1962 Die nicht veröffentlichte, an alle Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und andere Ortsordinarien auch des orientalischen Ritus unter strenger Geheimhaltungspflicht16 versandte Instruktion brachte Verfahrensvorschriften, welche sich in Konkretisierung des c. 247 § 2 CIC 1917 auf den Straftatbestand der sollicitatio, also der sexuellen Nötigung eines Pönitenten durch den Beichtpriester im Zusammenhang mit dem Busssakrament (vgl. c. 2368 §§ 1– 2 CIC 1917) bezogen. In den Nr. 71ff wurde hinsichtlich des crimen pessimum die bestehende Praxis des Hl. Offiziums, wie sie durch den Beitrag von Ulpianus Lopez17 bekannt geworden war, zusammengefasst. Danach waren die Bestimmungen über die sollicitatio sinngemäß auch auf das crimen pessimum anzuwenden. Die Umschreibung des crimen pessimum entsprach der damals bestehenden Praxis des Hl. Offiziums,18 d.h. es wurde darunter eine äußere, schwer sündhafte obszöne Handlung verstanden, von einem Kleriker begangen oder versucht, mit einer Person des gleichen Geschlechts bzw. einer minderjährigen Person ungeachtet des Geschlechts oder mit einem Tier. Grundsätzlich hat eine Instruktion die Aufgabe, Vorschriften von Gesetzen zu erklären und Vorgangsweisen zu entfalten und zu bestimmen, die bei deren Ausführung zu beachten sind. Sie wird zum Gebrauch derer gegeben, die dafür sorgen müssen, dass die Gesetze zur Ausführung gelangen, und binden bei der Ausführung der Gesetze (c. 34 §1 CIC 1983). Im konkreten Fall muss allerdings davon ausgegangen werden, dass diese Instruktion Gesetzeskraft hatte, da der Papst gemäß c. 247 § 1 CIC 1917 Präfekt der Glaubenskongregation war und die Instruktion in seinem Auftrag herauskam, wie auch im MP Sacramentum Sanctitatis Tutela vom 30. April 200119 ausdrücklich festgehalten wird. Die Promulgation eines Gesetzes war gemäß c. 8 CIC 1917 (nunmehr c. 7 CIC 1983) zwingend vorgeschrieben, die Promulgationsweise hingegen nicht (nunmehr c. 8 § 1 CIC 1983). Daher trat die Instruktion mit der Versendung an die Ortsordinarien insoweit in Kraft, als sie die für Instruktionen als Durchführungsbestimmungen charakteristischen Verfahrensanordnungen enthielt. Eine materiell-rechtliche Wirkung für jene Rechtsadressaten, die sie gar nicht ken-

16

Der lateinische Originaltext ist nunmehr abrufbar unter http://www.rentapriest. com/crimenlatinfull.pdf. 17

Lopez, (Anm. 12), 32 ff.

18

Siehe oben Nr. IV.

19

Siehe unten Nr. IX.

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276

nen konnten, ist jedoch nicht in Betracht zu ziehen.20 Was die zeitliche Geltungsdauer betrifft, unterlag sie grundsätzlich den Derogationsregeln für päpstliche Gesetze, was im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des CIC 1983 zu besprechen sein wird.21 Zusammenfassend kann daher hinsichtlich der Instruktion 1962 festgehalten werden, dass in der Umschreibung des delictum pessimum keine Veränderung der damals bestehenden Praxis eingetreten war. Auch hinsichtlich der Kompetenzfrage war grundsätzlich die bestehende Praxis positiviert worden. Gemäß Nr. 2 der Instruktion waren in 1. Instanz die Ortsordinarien (Generalvikare nur aufgrund eines Spezialmandats) zuständig. Aufgrund besonderer schwerwiegender Gründe konnten die Verfahren gemäß c. 247 Abs 2 CIC 1917 sofort dem Hl. Offizium übertragen bzw. durch dieses an sich gezogen werden. Was die Verjährung betrifft, hat die Instruktion keine Veränderung des bestehenden Rechts gebracht. Auf einige Weiterentwicklungen im Verfahren braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden.22 Noch im selben Jahr, am 1. 8. 1962, wurde vom Hl. Offizium eine „Notificatio de modo procedendi contra religiosos reos criminis pessimi“ versandt, welche sich von der Instruktion dadurch unterscheidet, dass sie die „bestialitas“ nicht mehr enthält.23 V. MP Integrae Servandae und Apostolische Konstitution Regimini Ecclesiae Universae Durch das MP Integrae Servandae vom 7. 12. 196524 wurde nicht nur der Name des Hl. Offziums geändert, sondern es kam auch zu einer Umschreibung der Aufgaben der nunmehr als Kongregation für die Glaubenslehre bezeichneten Behörde der römischen Kurie. Die entsprechende Formulierung (Nr. 1) fand kurze Zeit später in die Apostolische Konstitution Regimini Ecclesiae Universae vom 15. August 196725 Eingang. Die Glaubenskongregation erhielt darin „Amt und Aufgabe, die Lehre über den Glauben und die Sitten/Moral im gesamten katholischen Erdkreis zu schützen“ (Nr. 29). 20 Aus geltungstheoretischer Sicht sei hier lediglich an den Grundsatz „Ad impossibilem nemo tenetur“ erinnert. 21

Siehe unten Nr. VI.

22

Vgl. dazu insbes. De Paolis, (Anm. 6), 286 Anm. 21.

23

Abgedruckt bei X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris Canonici editae, Vol III, Rom 1972, nr. 3072. 24

AAS 57 (1965), 952 – 955.

25

AAS 59 (1967), 881 – 928.

Zur Frage der Verjährung der schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit

277

Regimini Ecclesiae Universae Nr. 36 (wortgleich mit Nr. 8 Integrae Servandae) enthält eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung, wonach die Glaubenskongregation „zum Schutze der Würde des Bußsakramentes handelt, indem sie gemäß ihren verbesserten und genehmigten Normen vorgeht“. In dieser Formulierung wird man zwar einen Verweis auf die Instruktion von 1962 sehen können, beachtlich ist jedoch, dass Integrae Servandae und Regimini Ecclesiae Universae keinen Hinweis auf das in der Instruktion von 1962 analog behandelte crimen pessimum enthalten. Dadurch entstand zunächst eine Unklarheit hinsichtlich der Weitergeltung der Zuständigkeit der Glaubenskongregation für das in Nrn. 71 ff Instruktion 1962 analog zur Sollicitatio behandelte crimen pessimum, da die Konstitution Regimini Ecclesiae Universae ohne Zweifel gegenüber der Instruktion 1962 Derogationswirkungen entfaltet. Nach dem bereits oben erwähnten Wegfall der Zuständigkeit für „Bestialität“ in der Notificatio aus 1962 ist damit ab 1965 auch der Tatbestand der Homosexualität nicht mehr von dem Begriff des crimen pessimum umfasst und damit aus der Zuständigkeit der Glaubenskongregation ausgeschieden. Dies entspricht durchaus einer langfristigen Entwicklung hinsichtlich der Einstufung des Unrechtsgehalts dieser Tatbestände. Der Wegfall der Zuständigkeit für den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen entspricht dagegen nicht dieser langfristigen Entwicklung.26 Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die in Integrae Servandae und Regimini Ecclesiae Universae vorgenommene Reduktion der Reservationen der Glaubenskongregation hinsichtlich der Tatbestände des crimen pessimum vor dem Hintergrund der mit der Aufwertung der Ortskirchen verbundenen Dezentralisierung gerichtlicher und administrativer Funktionen in der Kirche zu sehen ist. Wie sich in der Folge zeigte, hat sich im Falle des crimen pessimum diese Kompetenzverlagerung nicht unbedingt bewährt. VI. Der CIC 1983 (bzw. CCEO 1991) Im CIC 1983 fallen die Tatbestände des crimen pessimum grundsätzlich unter die in c. 1395 CIC allgemein umschriebenen Sexualdelikte von Klerikern,27 wobei die Fälle, in denen „die Straftat mit Gewalt, durch Drohungen, öffentlich oder an einem Minderjährigen unter 16 Jahren begangen“ wurden, besonders herausgehoben werden (c. 1395 § 2). Diese Regelung enthält von den drei traditionellen Tatbeständen des crimen pessimum endgültig ausdrücklich nur mehr einen, nämlich den Missbrauch von Minderjährigen, darüber hinaus jedoch eine 26

Vgl. J. LLobell, I delitti riservati alle Congregazione per la Dottrina della Fede“, in: Gruppo italiano docenti di diritto canonico (Hg), Le sanzioni nella Chiesa (Quaderni della Mendola 5), Mailand 1997, 277. 27

Auf die entsprechenden Bestimmungen des CCEO wird im Folgenden nicht speziell eingegangen.

Richard Potz

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Generalklausel: „Ein Kleriker, der sich auf andere Weise (sc. als die Tatbestände des c. 1395 § 1) gegen das sechste Gebot des Dekalogs verfehlt hat … “. Die Verwendung einer Generalklausel an Stelle der Auflistung einzelner Delikte hat im Schrifttum einige Kritik erfahren.28 Hinsichtlich des crimen pessimum ist jedoch darauf hinzuweisen, dass im Sinne der bereits erwähnten langfristigen Entwicklung, Homosexualität und andererseits „Bestialität“ jedenfalls nicht zu den in c. 1395 § 2 herausgehobenen Delikten gehören. Durch c. 6 § 1 3° wurden grundsätzlich alle vom Heiligen Stuhl erlassenen allgemeinen oder partikularen Strafgesetze derogiert, sofern sie nicht in dieses Gesetzbuch selbst aufgenommen wurden. Darunter fällt die Instruktion von 1962 insoweit, als sie Strafbestimmungen enthält29, nicht jedoch hinsichtlich der Normen, die der Gerichtsorganisation und dem Verfahren zuzurechnen sind. Bestimmungen über die Verjährung des Klageanspruchs sind jedenfalls Teil des materiellen Rechtes, wie ihre systematische Einordnung im CIC 1983 deutlich macht. Gerichtsorganisation und Verfahren müssen im Zusammenhang mit der Apostolischen Konstitution Regimini Ecclesiae Universae gesehen werden, die durch die Derogationsbestimmungen des CIC 1983 grundsätzlich nicht erfasst sind. C. 1402 CIC nimmt für die prozessualen Bestimmungen des CIC die Normen für die Gerichtshöfe des Heiligen Stuhles aus, für die eigene Gesetze erlassen wurden.30 Dies war zum Zeitpunkt des Inkraftretens des CIC 1983 grundsätzlich die Konstitution Regimini Ecclesiae Universae, welche am 28. Juni 1988 von der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus ersetzt wurde.31 Hinsichtlich der Verjährung enthält der CIC 1983 in c. 1362 § 1 (bzw. c. 1152 § 2 1° CCEO) in gleicher Weise wie c. 1703 CIC 1917 eine Sonderbestimmung für Delikte, deren Beurteilung der Glaubenskongregation vorbehalten sind. Für sie gilt nicht die allgemeine dreijährige Verjährungsfrist. Die Kodizes enthalten keinen weiteren Hinweis darauf, welche Delikte dies seien. Die mit Quellenangaben versehene Ausgabe des CIC32 verweist auf die cc. 1703

28

Vgl. etwa K. Lüdicke, MünstKomm zu c. 1395, Nr. 4.

29

„Il fondamento dell’art. 1 della Instructio del 1962 ha chiaramente carattere penale, non processuale (De Paolis, 289); vgl. weiters Socha, MünstKomm, zu c. 6, Nr. 5; Nr. 10. 30

Vgl. De Paolis, (Anm. 6), 288.

31

Siehe unten Nr. VII.

32

Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici Authentice Interpretando (Hg), Codex Iuris Canonici. Fontium annotatione et indice analitico-alphabetico auctus, Vatikanstadt 1989.

Zur Frage der Verjährung der schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit

279

und 2240 CIC 191733 und auf die Nrn. 29, 31, 32, 36 der Konstitution Regimini Ecclesiae Universae.34 Für alle in c. 1395 § 2 genannten Sexualdelikte von Klerikern ist auch weiterhin die bereits im CIC 1917 vorgesehene fünfjährige Verjährungsfrist vorgeschrieben. Es gilt damit noch im verstärkten Ausmaß das bereits für die Zeit nach dem CIC 1917 Gesagte. Angesichts der Praxis hinsichtlich der gerichtlichen Verfolgung des crimen pessimum durch das Hl. Offizium, die in der Instruktion 1962 ihren Niederschlag gefunden hat, muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der kirchliche Gesetzgeber dessen ungeachtet die besonderen Verjährungsfristen für diese Delikte bestehen ließ. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber des CIC 1983 in Kenntnis einer bei der Glaubenskongregation etwaig bestehenden Praxis der Unverjährbarkeit von Glaubensdelikten bzw. von Delikten im Zusammenhang mit der Zelebration der Sakramente ausdrücklich eine fünfjährige Verjährungsfrist für die schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit normiert hat. VII. Apostolische Konstitution Pastor Bonus Mit der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus promulgierte Papst Johannes Paulus II. am 28. Juni 198835 die neue Ordnung der Römischen Kurie, welche am 1. 3. 1989 in Kraft getreten ist und Regimini Ecclesiae Universae derogierte. Die grundsätzliche Zuständigkeit der Glaubenskongregation für Förderung und Schutz von Glauben und Sitte wird in Art. 48 vorangestellt. In Art. 52 werden der Glaubenskongregation "Straftaten gegen den Glauben sowie schwerere gegen die Sittlichkeit oder bei der Feier der Sakramente begangene Straftaten, die ihr gemeldet worden sind“, vorbehalten. Sie hat diese zu untersuchen und, wenn es sich als notwendig erweist, Kirchenstrafen festzustellen oder zu verhängen, nach den Normen des Rechts, sei es des allgemeinen, sei es des partikularen Rechts. Anders als in den vorhergehenden Dokumenten werden nun – erstmals! – neben den Glaubensdelikten sowie den Delikten bei der Feier der Sakramente ausdrücklich auch die schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit genannt. Diese Bestimmung wurde im Schrifttum als zu vage und wegen der damit möglich gewordenen geradezu unbegrenzten Ausdehnung der Kompetenz teilweise

33

Siehe oben Nr. III.

34

Siehe oben Nr. V.

35

AAS 80 (1988), 841 – 934.

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massiv kritisiert.36 Man muss wohl davon ausgehen, dass auch mit dieser Formulierung hinsichtlich der Delikte gegen den Glauben und der Delikte bei der Feier eines Sakramentes nicht alle Straftaten gegen die Religion und die Einheit der Kirche (cc. 1364 bis 1369) bzw. gegen die kirchlichen Autoritäten (z.B. c. 1371) erfasst sind, sondern nur die auch bisher darunter subsumierten. Was die schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit betrifft, war der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen gemäß c. 1385 § 2 jedenfalls davon umfasst. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass alle diese Zweifel hinsichtlich der Glaubensdelikte mit der Agendi ratio in doctrinarum examine seit 199737 und hinsichtlich der Delikte gegen die Sittlichkeit und bei der Feier der Sakramente seit 200138 ausgeräumt sind. VIII. Das „Regolamento Generale della Curia Romana“ vom 30. April 1999 Mit dem Regolamento für die Römische Kurie 1999 kam es zu einer Kompetenzerweiterung der Gerichtszuständigkeit der Glaubenskongregation.39 Gemäß Art. 112 § 2 sind immer und ausschließlich der Gerichtshoheit der Glaubenskongregation übertragen die Straftaten gegen den Glauben, die schwereren gegen die Moral sowie jene bei der Zelebration der Sakramente. Sie gewann dadurch eine ausschließliche Zuständigkeit, die nicht erst durch Anzeige oder durch Ansichziehung begründet wird. Damit ist die eingangs beschriebene Entwicklung der Kompetenzverlagerung für die Verfolgung dieser Delikte zum Hl. Offizium bzw. zur Glaubenskongregation zu ihrem Abschluss gekommen. Was die durch das Regolamento erfassten Delikte betrifft, so gilt das für die Regelung in Nr. 52 Pastor Bonus Gesagte. Es ist dies weiterhin jedenfalls der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen unter 16 Jahren. Hinsichtlich der Verjährungsfristen hat sich durch das Regolamento grundsätzlich nichts geändert.

36

C. J. Errazuriz, La protezione giuridico-penale dell’autenticità della fede, in: Monitor Ecclesiasticus 114 (1989), 119 f; J. Sanchis, La Legge Penale e il Precetto Penale, Mailand 1993, 106 Anm. 64. 37

Siehe oben Anm. 5.

38

Siehe unten Nr. IX.

39

Auf die durch das Reskript an die US-amerikanische Bischofskonferenz vom 25. 4. 1994, wonach die Zuständigkeit für das delictum pessimum im Appellationsverfahren bei der Romana Rota läge (vgl. Ius Ecclesiae 8 [1996], 193), hervorgerufene Unsicherheit braucht hier nicht weiter eingegangen werden, wenngleich das Reskript ein deutlicher Hinweis auf die vor 2001 bestehenden Unklarheiten ist.

Zur Frage der Verjährung der schwereren Delikte gegen die Sittlichkeit

281

IX. MP Sacramentum Sanctitati Tutela Durch dieses MP vom 30. 4. 200140 wurden Vorschriften über schwere Straftaten, die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehalten sind, promulgiert. Die Vorschriften, die in seinem ersten Teil inhaltliche Vorschriften (Normae substantiales) und in seinem zweiten Teil Verfahrensvorschriften (Normae processuales) enthalten, wurden nicht veröffentlicht. Eine Ergänzung wurde in der Epistula der Glaubenskongregation vom 18. 5. 200141 vorgenommen, welche vor allem materiell-rechtliche Regelungen, so die Auflistung der vorbehaltenen Delikte sowie die neuen Verjährungsvorschriften, aber auch grundsätzliche Verfahrensbestimmungen enthält. Diese Bestimmungen bringen die ausschließliche Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre. Beim Verdacht einer der aufgelisteten Straftaten hat der Ordinarius der Glaubenskongregation davon Mitteilung zu machen, welche ihm weitere Weisungen erteilt. Dies stellt zweifellos eine Reaktion darauf dar, dass die bisher in 1. Instanz zuständigen Bischöfe in vielen Fällen aus Sorge um den Ruf der Kirche die in c. 1395 vorgesehenen Strafen nicht verhängt und sich zumeist mit einer Versetzung des straffällig gewordenen Klerikers begnügt haben. Auch was die Umschreibung der Tatbestände betrifft, wird durch das MP von 2001 eine Entwicklung abgeschlossen. In der Epistula wird nur mehr der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen der gerichtlichen Zuständigkeit der Glaubenskongregation vorbehalten. Das Schutzalter wurde allerdings von 16 auf 18 Jahre angehoben, wodurch der c. 1395 § 2 insoweit derogiert wurde. Da im Sinne des Grundsatzes nulla poena sine lege ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass nur die in der Epistula namentlich aufgezählten Straftaten der Glaubenskongregation vorbehalten sind, ist nunmehr klargestellt, dass sowohl Homosexualität als auch „Bestialität“ nicht zu diesen Vorbehaltsdelikten gehören. Auch hinsichtlich der Verjährung erfolgte eine Derogation. Es ist nunmehr eine 10-jährige Frist normiert, die mit der Vollendung des 18. Lebensjahres seitens des Verbrechensopfers zu laufen beginnt und damit vergleichbar neueren staatlichen Gesetzen ist. Zu Recht weist De Paolis darauf hin, dass diese Regelung im Vergleich zur vorherigen Bestimmung eine deutliche Verlängerung der Verjährung darstellt („e certamante molto più lungo di quanto previsto nella legislazione precedente“42). Damit geht De Paolis davon aus, dass für die durch die Bestimmungen aus 2001 erfassten Tatbestände keine Unverjährbar40

Siehe oben Anm. 4.

41

Siehe oben Anm. 3.

42

De Paolis (Anm. 6), 309.

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keit bestand, sondern die fünfjährige Verjährungsfrist des c. 1362 § 1 2° iVm c. 1395 heranzuziehen war. Diese Rechtsmeinung korrespondiert auch mit dem Sinnganzen des MP Sacramentum Sanctitati Tutela, welches die Vorgangsweise der kirchlichen Gerichtsbarkeit im Falle des delictum pessimum einer verschärften Kontrolle unterstellen soll. Eine Besserstellung der Täter – etwa auch durch die Einführung einer 10-jährigen Verjährungsfrist an Stelle geltender Unverjährbarkeit – war mit diesem Gesetz grundsätzlich nicht intendiert. Was die Möglichkeit einer rückwirkenden Geltung des MP Sacramentum Sanctitati Tutela betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche nur dann in Betracht kommen kann, wenn sie im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (c. 9 CIC), was als Ausnahme zur Rechtsregel (Regula Iuris 15 in Liber VI°) „Odia restringi et favores convenit ampliari“ einen entsprechenden schwerwiegenden Grund voraussetzt. Bei Strafgesetzen ist eine verschärfende rückwirkende Geltung grundsätzlich auszuschließen, da gemäß c. 1313 § 1 CIC bei Änderung eines Gesetzes nach Begehen einer Straftat das günstigere Gesetz anzuwenden ist. Die rückwirkende Verlängerung einer noch laufenden Verjährungsfrist wird im staatlichen Recht als zulässig erklärt. Der österreichische Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit Missbrauchsdelikten ausdrücklich vorgesehen (österr BGBl I 1998/153), dass Taten, die zum Stichtag 1. 10. 1998 noch nicht verjährt waren, unter die neuen strengeren Bestimmungen fallen. Das geltende deutsche StGB ordnet bei Straftaten nach den §§ 176 bis 179 das Ruhen der Verfolgungsverjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers an. Im Zusammenhang damit hat das deutsche Bundesverfassungsgericht judiziert, dass eine Verlängerung oder Aufhebung von Verjährungsfristen nicht gegen den in Art 103 Abs 2 GG enthaltenen Gewährleistungsvorbehalt verstoße, weil Verjährungsvorschriften lediglich die Verfolgbarkeit betreffen, die Strafbarkeit jedoch unberührt lassen. Das Verbot der rückwirkenden Strafbegründung wie der rückwirkenden Strafverschärfung beziehe sich auf das „von wann an“ und nicht auf das „wie lange“.43 In diesem Sinne wäre eine klare Regelung hinsichtlich der rückwirkenden Verlängerung noch laufender Verjährungsfristen auch für das kirchliche Strafrecht angebracht gewesen. Es sollte also außer Zweifel stehen, dass sowohl nach staatlichem wie nach kirchlichem Recht eine Rückwirkung unzulässig ist, die bei bereits verjährten Straftaten einen Neubeginn der Verjährungsfrist mit sich brächte. So positiv die zunehmende Transparenz in der Behandlung des crimen pessimum auch zu bewerten ist, so dürfen jahrelange Versäumnisse im Umgang mit einem immer wieder unterschätzten Problem nicht zu einer Überreaktion führen, die ihrerseits Mängel im Bereich von Transparenz und Rechtssicherheit aufweisen. 43

Vgl. dazu BVerfGE 25, 269 , 2 BvR 746/94, 2 BvR 104/00.

Patronatsrechte im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche und zur Religionsfreiheit? Entwicklung und Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht Von Wilhelm Rees Mit aller Energie hat sich der Jubilar für eine freie Kirche im freiheitlichen Staat eingesetzt1. Entschieden hat er dabei die Rechte der Kirche vertreten. Die Grundlage für ein freies Wirken der Kirche sieht Joseph Listl in der Wesensverschiedenheit von Staat und Kirche und damit verbunden der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit beider Einrichtungen, letztendlich aber in der Gewährleistung des Grund- und Menschenrechts der Religionsfreiheit. Ungeachtet dieses Engagements für die Rechte der Kirche hat Listl andererseits stets immer auch auf die Einhaltung bestehender Rechte gedrungen2. In den Bereich der Eigenständigkeit der Kirche fällt die Besetzung kirchlicher Ämter, wobei zugleich bestehende Vereinbarungen und Verträge zu achten sind. Dies gilt insbesondere für die althergebrachten Patronatsrechte. So bleiben, wie Listl in Anlehnung an das Kirchliche Gesetzbuch ausdrücklich bemerkt, „in Konkordaten zugesicherte Rechte“ und „sog. ‚wohlerworbene Rechte‘, sog. ‚iura quaesita‘, und Privilegien, die vom Apostolischen Stuhl bislang physischen oder juristischen Personen gewährt worden sind, z. B. Präsentations- oder Nominations-

1 Vgl. hier insbesondere die Aufnahme des Anliegens in den Titel der gesammelten Schriften: Joseph Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Hrsg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 25), Berlin 1996. 2

Vgl. hier insbesondere die Anlehnung im Titel: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Josef Isensee / Wilhelm Rees / Wolfgang Rüfner (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 33), Berlin 1999; s. auch Wilhelm Rees, Jurist und Theologe, Staatsrechtslehrer und Kanonist. Joseph Listl vollendete am 21. Oktober 1999 sein 70. Lebensjahr, in: KuR (Neuwied) 1999, S. 235 – 238 = 980, S. 231 – 234.

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rechte, wie sie mit Patronatsrechten verbunden sind, bestehen, sofern das kanonische Recht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt“3. Im Folgenden soll daher der Blick auf das Patronatswesen gerichtet werden, näherhin auf die kirchenrechtlichen Vorgaben zur Besetzung eines Kirchenamtes und jenen zum Patronats- und Präsentationsrecht, ferner auch auf die Änderungen der früheren Gesetzeslage infolge einer erneuerten Ekklesiologie und einer neuen Sicht des Verhältnisses von Kirche und Staat durch das Zweite Vatikanische Konzil sowie auf die gegenwärtige Lösung der Patronatsfrage vor allem in Deutschland und Österreich. I. Die Besetzung einer Pfarrstelle nach Kirchenrecht 1. Bestellung und Abberufung eines Pfarrers Im Rahmen der Seelsorge und damit der Erfüllung des Auftrags der Kirche kommt der Pfarrei eine besondere Aufgabe zu. Gemäß der Vorgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils wird die Pfarrei in c. 515 § 1 CIC/1983 (c. 279 CCEO) definiert als eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Hirtensorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird4. Die Pfarrei wird in der Regel von einem Pfarrer, der am Pfarrort nahe bei der Kirche Residenzpflicht hat (vgl. c. 533 § 1 CIC/1983; c. 292 § 1 CCEO), geleitet. Unbeschadet der Vorschrift des c. 682 § 1 CIC/1983 (Übertragung eines Kirchenamtes an Ordensangehörige) ist der Diözesanbischof für die Besetzung eines Pfarramtes zuständig, und zwar durch freie Übertragung, sofern nicht jemand ein Vorschlags- oder Wahlrecht hat (c. 523 CIC/1983. Can. 284 § 1 CCEO kennt nur die freie Übertragung). Der Diözesanbischof besetzt somit ein Pfarramt in der Regel im Wege der freien Amtsverleihung, sofern vom Recht nicht etwas anderes vorgesehen ist. Zugleich werden zwei Ausnahmen genannt, nämlich ein Vorschlags- und ein Wahlrecht Dritter. Im Falle des Bestehens eines solchen Vorschlags- oder Wahlrechts ist der Diözesanbischof zur Berücksichtigung dieses Vorschlags- bzw. Wahlrechts verpflichtet.

3

Vgl. Joseph Listl, Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: EssGespr. 19, 1985, S. 9 – 37; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 1032 – 1058, hier S. 1044. 4

Ludwig Schick, Die Pfarrei, in: HdbKathKR2, S. 484 – 496; Heribert Heinemann, Der Pfarrer, ebd., S. 496 – 514.

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Eine grundsätzliche Regelung hat die Übertragung eines Kirchenamtes in den cc. 146 – 183 CIC/1983 (cc. 938 – 964 CCEO) gefunden, die auch im Blick auf die Besetzung einer Pfarrstelle zu berücksichtigen sind: Gemäß c. 146 CIC/1983 kann ein Kirchenamt rechtswirksam nur durch „kanonische Amtsübertragung“ (provisio canonica), d. h. durch die von der zuständigen kirchlichen Autorität nach Maßgabe des kanonischen Rechts vorgenommene Übertragung, gültig erlangt werden (ebenso c. 938 CCEO). Die Zuständigkeit liegt in der Regel bei jenem kirchlichen Oberen, der für die Errichtung, Veränderung und Aufhebung zuständig ist (vgl. c. 148 CIC/1983), d. h. in den meisten Fällen beim Diözesanbischof. „Eine Verleihung durch Laien oder gar durch weltliche Autoritäten ist begrifflich ausgeschlossen, doch können diese ein Mitwirkungsrecht (Wahl-, Nominations- oder Präsentationsrecht) haben“5. Die Verleihung eines Amtes enthält zwei Elemente: die Bezeichnung der Person, die das Kirchenamt erhalten soll, und die Übertragung des Kirchenamtes. Beide Vorgänge liegen gewöhnlich in der Hand des verleihungsberechtigten Oberen, in der Regel also beim Diözesanbischof. Dieser freien Verleihung steht die gebundene Verleihung gegenüber. In diesem Fall ist der Obere bei der Auswahl der Person, der das Amt übertragen werden soll, an das Vorschlagsrecht Dritter gebunden. Die gebundene Verleihung eines Amtes erfolgt entweder durch Einsetzung (institutio) seitens der zuständigen Autorität im Falle der vorausgegangenen Präsentation, durch die Bestätigung bei gewählten Kandidaten im Falle einer bestätigungsbedürftigen Wahl oder durch Zulassung infolge einer Postulation (bei vorhergegangener Aushilfswahl). Schließlich kann das Amt durch einfache Wahl und Annahme seitens des Gewählten erworben werden, wenn die Wahl, wie im Falle der Papstwahl, keiner Bestätigung bedarf (c. 147 CIC/1983; c. 939 CCEO)6. Gemäß c. 157 CIC/1983 ist die freie Amtsverleihung durch den Diözesanbischof die Regel. Ausnahmen müssen ausdrücklich vom Recht festgesetzt sein. Außer den Pfarrern werden die Kardinäle (vgl. c. 351 § 1 CIC/1983), die Päpstlichen Gesandten (vgl. c. 362 CIC/1983) und die weit überwiegende Mehrheit der Bischöfe (vgl. c. 377 § 1 CIC/1983)7 vom Papst frei ernannt.

5

Aymans / Mörsdorf, KanR I, S. 454 f.

6

Vgl. Hugo Schwendenwein, Die Katholische Kirche. Aufbau und rechtliche Organisation (= Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Beiheft 37), Essen 2003, S. 122 – 175. 7

Wahlrechte bestehen in den Schweizer Diözesen Chur, St. Gallen und Basel sowie in Salzburg und im Geltungsbereich des Preußischen Konkordats. Vgl. auch Wilhelm Rees, Wer allen vorstehen will, soll von allen gewählt werden. Kirchenrechtliche Überlegungen zur Bischofsbestellung oder Bischofsbestellungen – gestern, heute und morgen, in: Katholische Aktion Österreichs (KAÖ) und Sekretariat der Österreichischen

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Obwohl der kirchliche Gesetzgeber die freie Verleihung eines Kirchenamtes favorisiert, schützt er gleichzeitig auch legitime Mitwirkungsrechte bei der Verleihung eines Amtes, die sich aus der Autonomie kirchlicher Gemeinschaften (vgl. c. 682 § 1 CIC/1983 i. V. m. c. 586 CIC/1983) ergeben oder auf anderen wohlerworbenen Titeln beruhen (vgl. c. 4 CIC/1983, ferner auch c. 3 CIC/1983; cc. 4 f. CCEO). 2. Die gebundene Verleihung eines Kirchenamtes in Form von Präsentation Präsentation ist das „verbindliche Ansuchen des oder der Berechtigten an den verleihungsberechtigten Oberen, einem geeigneten Kandidaten ein erledigtes Kirchenamt zu übertragen“ (vgl. c. 158 CIC/1983)8. Präsentationsrechte können auf verschiedenen Rechtstiteln beruhen, wobei neben der Inkorporation das Patronatsrecht der häufigste Rechtstitel ist. a) Die Präsentation Die Präsentation ist dadurch gekennzeichnet, dass der Obere, dem die Verleihung des kirchlichen Amtes zukommt, bei der Auswahl dessen, der mit dem Amt zu betrauen ist, Vorschlagsrechte der dazu berechtigten Personen beachten muss. Der Verleihungsberechtigte ist also „hinsichtlich der Auswahl der Person an den Willen Dritter gebunden“9. Diese Form der Verleihung eines Kirchenamtes, die heute praktisch nur noch bei Pfarrämtern besteht, gestaltet sich wie folgt: Der zur Präsentation Berechtigte schlägt der kirchlichen Autorität, der es zukommt, die Einsetzung in das entsprechende Amt vorzunehmen, eine geeignete Person oder mehrere geeignete Personen für das Amt vor (vgl. c. 158 CIC/1983). Die Präsentation hat grundsätzlich innerhalb von drei Monaten zu erfolgen, nachdem der Präsentationsberechtigte Kenntnis vom Freiwerden des Amtes erlangt hat, sofern nicht etwas anderes rechtmäßig vorgesehen ist (c. 158 § 1 CIC/1983). Aufgrund der Beifügung „seit Erlangung der Kenntnis von der Erledigung des Amtes“ beginnt die dreimonatige Frist somit erst, wenn die Erledigung des Amtes dem Präsentationsberechtigten bekannt ist, nicht schon

Bischofskonferenz (Hrsg.), Kirche zwischen Anspruch und Praxis, Graz / Wien 1998, S. 143 – 166. 8

Georg May, Das Kirchenamt, in: HdbKathKR2, S. 175 – 187, besonders S. 180 f., hier S. 180; Hubert Socha, Kommentar, in: MKCIC, c. 158, Rdnr. 1 (Stand August 1988). 9 So ausdrücklich Hans Heimerl / Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft), Wien / New York 1983, S. 123.

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mit dem Eintritt der rechtlichen Erledigung10. Die Frist läuft somit von dem Tag an, an dem der Präsentationsberechtigte über die Vakanz des Amtes in Kenntnis gesetzt worden ist. Sie wird vom nächstfolgenden Tag an gemäß der cc. 201 § 2 und 203 § 1 CIC/1983 berechnet. Zu Recht verweist Winfried Aymans darauf, dass derjenige, der das Recht auf Einsetzung des Präsentierten hat, auch die Verantwortung dafür trägt, dass dem Präsentationsberechtigten die Vakanz des zu besetzenden Amtes „gehörig zur Kenntnis gebracht wird“11. Wenngleich sich hier generell die Schriftform nahe legt, so genügt jedoch, wie Aymans mit Rücksicht darauf, dass die Präsentationsberechtigten in aller Regel nicht in einem amtlichen Dienstverhältnis der Kirche stehen, zu Recht betont, „eine Veröffentlichung im Amtsblatt nicht“12. Mit Rücksicht auf die rechtlichen Folgen empfehle sich eine Beweis erbringende Bekanntgabe an den Berechtigten persönlich. Der Präsentationsberechtigte hat das Recht, bei Vakanz des zu besetzenden Amtes einen oder auch mehrere Personen, und zwar gleichzeitig oder nacheinander, zu präsentieren (c. 160 § 1 CIC/1983). Werden auf diese Weise mehrere Kandidaten vorgeschlagen, so erweitert dies „den Handlungsspielraum des Einsetzungsberechtigten“13. Can. 160 § 1 CIC/1983 wird nicht missverstanden, wenn daraus gefolgert wird, dass er nicht nur die Benennung mehrerer Kandidaten gleichzeitig, sondern auch die Benennung von zwei Kandidaten in einer Reihung zulässt. Diese Vorgehensweise intendiert, dass die Kandidaten nacheinander zum Zuge kommen sollen, wenn sich gegenüber dem Erstplazierten kanonische Einwendungen ergeben. Ausdrücklich betont der kirchliche Gesetzgeber, dass niemand gegen seinen Willen präsentiert werden darf (c. 159 CIC/1983). Dies erfordert, dass der Betreffende jeweils um das Einverständnis gefragt wird. Eine ausdrückliche Zustimmung durch den Befragten ist hingegen nicht erforderlich. Er kann vielmehr, wenn er nicht innerhalb einer Nutzfrist von acht Tagen ablehnt, präsentiert werden (c. 159 CIC/1983). Sofern der Designierte innerhalb der Nutzfrist von acht Tagen, gerechnet vom Tag nach Erhalt der Anfrage (vgl. cc. 201 § 2; 203 § 1 CIC/1983) ablehnt, geht das Recht, vorgeschlagen zu werden, verloren.

10 Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 158, Rdnr. 5 (Stand August 1988); c. 153, Rdnr. 5 (Stand August 1988). Die rechtliche Vakanz ist dann gegeben, wenn niemand einen Rechtsanspruch auf das Amt hat (ius ad rem) oder im rechtlichen Besitz des Amtes (ius in re) ist. 11

Aymans / Mörsdorf, KanR I, S. 474.

12

Aymans / Mörsdorf, KanR I, S. 474 unter Hinweis auf Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 158, Rdnr. 5, Abs. 2 (Stand August 1988). 13

Vgl. Aymans / Mörsdorf, KanR I, S. 473.

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Der Bischof ist verpflichtet, die vorgeschlagene Person in das Amt einzusetzen, sofern er diese Person für geeignet befunden und diese die Präsentation angenommen hat (c. 163 CIC/1983). Werden mehrere Personen für das Amt rechtmäßig präsentiert, muss der Bischof, sofern Eignung und Annahme gegeben sind, eine von diesen in das Amt einsetzen (c. 163 CIC/1983). Würde der Bischof anders handeln, so würde das Präsentationsrecht seines wesentlichen Inhalts beraubt. Dem Bischof steht es jedoch zu, nicht nur die Eignung der Vorgeschlagenen zu prüfen, sondern unter diesen auch den „Geeigneteren für das Amt auszuwählen“. Es empfiehlt sich daher, sofern mehrere Kandidaten vom Präsentationsberechtigten vorgeschlagen werden, diese bei der Anfrage (vgl. c. 159 CIC/1983) darüber zu informieren, „daß sie nicht die einzigen Bewerber um das Amt sind“14. Die Eignung für ein Amt ergibt sich aus den Eigenschaften, die von der Rechtsordnung für das jeweilige Amt gefordert sind. Wesentliche Voraussetzung ist, dass der Betreffende in der Gemeinschaft der Kirche steht und geeignet ist, d. h. jene Eigenschaften besitzt, die im allgemeinen Recht, im partikularen Recht oder in den Stiftungsbestimmungen für dieses Amt gefordert werden (c. 149 CIC/1983). Für den Pfarrer gelten als Eignungskriterien: Er muss sich durch Rechtgläubigkeit und Rechtschaffenheit auszeichnen, er muss durchdrungen sein von Seeleneifer sowie von anderen Tugenden und zudem die Eigenschaften besitzen, die für die Seelsorge in der in Frage kommenden Pfarrei nach dem allgemeinen und dem partikularen Recht gefordert werden (vgl. c. 521 § 2 CIC/1983). Das endgültige Urteil über die Eignung des Präsentierten liegt bei der für die Einsetzung zuständigen Autorität (vgl. c. 163 Satz 1 CIC/1983), d. h. in der Regel beim Diözesanbischof. Jedoch dürfen bei der Prüfung „nur die rechtlich geforderten Kriterien“ zugrunde gelegt werden15. Der Diözesanbischof hat somit eine freigewordene Pfarrei demjenigen zu übertragen, den er nach Abwägung aller Umstände für geeignet hält, den pfarrlichen Dienst in ihr erfüllen zu können, und zwar ohne Ansehen der Person. Im Unterschied zum früheren Recht (vgl. cc. 149 und 1464 § 2 CIC/1917) gibt der CIC/1983 keine Anweisung über die Art und Weise, wie sich die zuständige Autorität über die kanonische Eignung des Vorgeschlagenen zu vergewissern hat16. Hugo Schwendenwein rät jedoch dem Diözesanbischof, „den Dechant zu hören und geeignete Nachforschungen anzustellen. Gegebenenfalls kann er auch bestimmte Priester und Laien hören“17. Erst nach Feststellung der kanonischen Eignung durch den zur Einsetzung berechtigten Oberen muss der Kandidat

14

Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 160, Rdnr. 3 (Stand August 1988).

15

Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 161, Rdnr. 4 (Stand August 1988).

16

Vgl. Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 163, Rdnr. 3 (Stand August 1988).

17

Schwendenwein, Kirche (Anm. 6), S. 468 f. unter Hinweis auf c. 524 CIC/1983.

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seine endgültige Bereitschaft für das Amt erklären (c. 163 Satz 1 CIC/1983). Bis dahin ist noch ein Verzicht auf seine Kandidatur und die Ansprüche, die er durch die Designation erworben hat, möglich (cc. 161 § 2; 158 § 2 i. V. m. c. 177 § 2 Satz 1 CIC/1983)18. Zu Recht bemerkt wohl Hubert Socha, dass aufgrund der Präsentation keinem der Vorgeschlagenen ein einklagbarer Anspruch auf das Amt erwachse, sondern allen lediglich das Recht, bezüglich der Eignung für das Amt überprüft zu werden. Socha vertritt auch den Standpunkt, dass der Diözesanbischof die Prüfung „nicht nach eigenem Gutdünken nur bei dem einen oder anderen“ vornehmen könne. Vielmehr müsse er „alle rechtmäßig Vorgeschlagenen einer Tauglichkeitsuntersuchung unterziehen, so daß sie bei deren positivem Ausgang auch die Präsentation annehmen können“19. Wer einen Kandidaten, der als nicht geeignet empfunden wird, präsentiert hat, kann innerhalb eines Monats einen anderen Kandidaten präsentieren, dies allerdings nur einmal (c. 161 § 1 CIC/1983). Eine Neupräsentation ist auch möglich, wenn der Präsentierte trotz gegebener Einwilligung vor der Einsetzung in das Amt verzichtet hat oder verstorben ist. Tritt dies ein, dann kann der Inhaber des Präsentationsrechtes innerhalb eines Monats, nachdem er vom Verzicht oder Tod Kenntnis erlangt hat, sein Recht erneut ausüben (c. 161 § 2 CIC/1983). Die Nutzfrist von einem Monat hängt in diesem Falle nicht von der Kenntnisnahme der Vakanz des Amtes, sondern von der Benachrichtigung über jene Tatsachen, die der Neupräsentation zugrunde liegen, ab. Sie kann somit auch über die Dreimonatsfrist hinausgehen. Ein Patron, der innerhalb der Nutzfrist von drei Monaten (c. 158 § 1 CIC/1983) bzw. der Einmonatsfrist (c. 161 CIC/1983) die Präsentation nicht vorgenommen hat, also die Frist ungenutzt verstreichen ließ, verliert für diesen Fall (pro eo casu) das Präsentationsrecht. Diese Regelung tritt auch ein, wenn der Patron in ein und derselben Vakanz zweimal einen ungeeigneten Kandidaten vorgeschlagen hat (c. 162 CIC/1983). Der Bischof kann nun im Sinne der Devolution das vakante Amt frei übertragen. Sollte der Diözesanbischof die geforderte Eignung des Präsentierten als nicht gegeben feststellen, kann sowohl der Präsentierte als auch der Präsentationsberechtigte Beschwerde gemäß cc. 1734 und 1737 CIC/1983 einlegen. Die Beschwerde, für deren Beurteilung die Zweite Sektion der Apostolischen Signatur zuständig ist, hat aufschiebende Wirkung (vgl. c. 1465 § 1 Sätze 2 und 3

18

Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 159, Rdnr. 4 (Stand August 1988).

19

Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 163, Rdnr. 6 (Stand August 1988).

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CIC/1917)20. Dies hat zur Folge, dass die Besetzung des Pfarramtes solange nicht erfolgen kann, bis das Rekursverfahren entschieden ist (vgl. c. 1465 § 1 Satz 3 CIC/1917). Spätestens im Zuge dieses Beschwerdeverfahrens müssen die Gründe für die negative Beurteilung der Eignung der betreffenden Person genannt werden. b) Zusätzliche Anforderungen bei der Besetzung einer Pfarrstelle Wie bei jeder anderen, d. h. freien Besetzung einer Pfarrstelle gelten auch im Falle der gebundenen Besetzung durch Präsentation weitere kirchenrechtliche Normen. Grundsätzlich gilt zu berücksichtigen, dass ein Amt, das im vollem Umfang der Seelsorge dient und zu dessen Erfüllung die Priesterweihe erforderlich ist, einer Person, die die Priesterweihe nicht empfangen hat, nicht gültig übertragen werden kann (c. 150 CIC/1983). Zum Pfarrer kann daher in gültiger Weise nur ein Priester bestellt werden (vgl. c. 521 § 1 CIC/1983). Auch darf die Besetzung eines Amtes, das mit Seelsorge verbunden ist, ohne schwerwiegenden Grund nicht verschoben werden (c. 151 CIC/1983). Dies trifft für das Pfarramt eindeutig zu. Auch wenn der CIC/1983, wie Hugo Schwendenwein betont, „auf die Festlegung eines konkret umgrenzten Zeitraumes, einer Höchstgrenze für die Besetzung verzichtet, so wird durch can. 151 dennoch die Dringlichkeit einer unverzüglichen Amtsbesetzung unterstrichen und gleichzeitig der zuständigen Autorität die Möglichkeit gegeben, die konkreten Umstände angemessen zu berücksichtigen“21. Wie beim Bischofsamt (vgl. cc. 379; 380; 382; 404 CIC/1983) kommt die Verleihung des Pfarramtes (vgl. c. 527 CIC/1983) erst dadurch zum Abschluss, dass der Amtsinhaber von dem ihm übertragenen Amt Besitz ergreift. Erst dann ist er berechtigt und verpflichtet, die Rechte und Pflichten des Amtes wahrzunehmen bzw. auszuüben22. Das schuldhafte Versäumnis der Frist, die dem Pfarrer für die Besitzergreifung gesetzt ist, berechtigt den zuständigen Oberen, die Pfarrei für vakant zu erklären (vgl. c. 527 § 3 CIC/1983). 20 Die aufschiebende Wirkung ergibt sich daraus, „daß andernfalls der Kandidat, der in Wahrheit geeignet ist, sein ius ad rem bereits verloren hätte oder, falls der Einsetzungsberechtigte inzwischen bereits zu Recht einen anderen instituiert hätte, dieser seines wohlerworbenen Rechts beraubt würde.“ Vgl. Heimerl / Pree, Kirchenrecht (Anm. 9), S. 128; Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 161, Rdnr. 5 (Stand August 1988). 21

Vgl. Schwendenwein, Kirche (Anm. 6), S. 132 f., unter Hinweis auf Socha, Kommentar (Anm. 8), c. 151, Rdnr. 1 (Stand August 1988) und Communicationes 14 (1982), S. 152. 22

Vgl. Thomas J. Green, Diocesan and Parish Structures: A Comparison of Selected Canons in the Codex iuris canonici and Codex canonum Ecclesiarum orientalium, in: Studia Canonica 33 (1999), S. 349 – 397, hier S. 388 f.

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Auch gilt es zu berücksichtigen, dass der Pfarrer nach c. 522 CIC/1983 auf unbegrenzte Zeit ernannt wird. Die starke Akzentuierung der Inamovibilität der Pfarrer, d. h. der Unversetzbarkeit der Pfarrer, wie sie den kirchenrechtlichen Bestimmungen in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil eigen war, wurde durch dieses Konzil aufgegeben. Hugo Schwendenwein bemerkt hierzu: „Der in CD Art. 31 Abs. 3 aufgestellte Grundsatz ‚Die Pfarrer aber sollen sich in ihren jeweiligen Pfarren jener Festigkeit im Amt erfreuen, die das Seelenheil erfordert‘, wird dahingehend verstanden, daß dem Pfarrer wohl eine gewisse Stabilität im Amt eignet, wenngleich keine so gefestigte, wie es die des vorausgehenden Rechtes war. Diese Auffassung liegt dem CIC/1983, der ausdrücklich feststellt ‚parochus stabilitate gaudeat oportet“ (can. 522), zugrunde. Er versucht, diesem Anliegen durch den Grundsatz der Ernennung ‚ad tempus indefinitum‘ gerecht zu werden“23. Der Pfarrer erfreut sich somit einer großen Stabilität im Amt, ist aber nicht unversetzbar. Als Möglichkeiten des Ausscheidens eines Pfarrers aus seinem Amt sieht der kirchliche Gesetzgeber eine vom Diözesanbischof nach Maßgabe des Rechtes vorgenommene Amtsenthebung oder Versetzung, einen aus gerechtem Grund vom Pfarrer selbst erklärten und vom Bischof angenommenen Amtsverzicht und im Falle der Ernennung auf Zeit auch den Zeitablauf (c. 538 § 1 CIC/1983; c. 297 § 1 CCEO). Für die Amtsenthebung hat der kirchliche Gesetzgeber ein eigenes Verfahren in den cc. 1740 – 1747 CIC/1983 (cc. 1389 – 1396 CCEO) festgelegt. Voraussetzung für die Durchführung eines solchen Verfahrens ist, dass sich die Tätigkeit des Pfarrers – aus welchen Gründen auch immer – als schädlich oder wirkungslos erweist. Im Unterschied dazu zielt das Verfahren zur Versetzung von Pfarrern (cc. 1748 – 1752 CIC/1983; cc. 1397 – 1400 CCEO) darauf hin, dass ein Pfarrer von seiner Pfarrei auf eine andere Pfarrei oder auf ein anderes Amt versetzt wird, wenn dies das Heil der Seelen oder die Notwendigkeit oder der Nutzen der Kirche erfordern (vgl. c. 1748 CIC/1983)24. II. Das Patronats- und Präsentationsrecht Präsentationsrechte können auf verschiedenen Rechtstiteln beruhen, wobei das Patronat der häufigste Rechtstitel ist. Wenngleich der CIC/1983 das Patronat nicht mehr erwähnt (er enthält aber auch keine ausdrückliche Aufhebungsklausel), setzt er diesen Rechtstitel voraus und stellt die Patronatsrechte weiterhin unter den Schutz der kirchlichen Rechtsordnung. So stellt der kirchliche 23 24

Schwendenwein, Kirche (Anm. 6), S. 473.

Vgl. Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern. Eine Untersuchung des geltenden Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung der Zweiten Sektion des Höchsten Gerichts der Apostolischen Signatur (= AIC 16), Frankfurt am Main u. a. 1999, bes. S. 66 – 130.

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Gesetzgeber ausdrücklich fest, dass wohlerworbene Rechte und ebenso Privilegien, die vom Apostolischen Stuhl bislang physischen oder juristischen Personen gewährt wurden, in Gebrauch sind und nicht widerrufen wurden, unangetastet bleiben, es sei denn, dass sie durch die Kanones des geltenden Codex ausdrücklich widerrufen werden (vgl. c. 4 CIC/1983). Entsprechendes gilt auch für Vereinbarungen, die vom Apostolischen Stuhl mit Nationen oder anderen politischen Gemeinschaften eingegangen wurden (vgl. c. 3 CIC/1983)25. Infolge des Fehlens eigener Bestimmungen im Codex Iuris Canonici von 1983 sind auf die bestehenden Patronate die Bestimmungen des CIC/1917, partikulares Recht und ebenso Konkordatsrecht, sofern vorhanden, anzuwenden. 1. Zur Entstehung von Patronaten Das Patronatsrecht hat sich im Abendland vornehmlich im Mittelalter ausund später fortgebildet. Es stammt aus dem älteren Kirchen- und Staatskirchenrecht. Näherhin wurde das Rechtsinstitut des Patronats im 12. und 13. Jahrhundert von der kanonistischen Rechtswissenschaft und dem Dekretalenrecht der Päpste entwickelt26. Es löste diejenigen Rechtszustände ab, die mit dem Begriff Eigenkirchenwesen umschrieben waren und den Laien in vielen Kirchen eine umfassende Verfügungsgewalt über kirchliche Ämter und kirchlichen Besitz zugebilligt hatten. Das Patronatswesen ist somit „die Antwort der Kanonistik und des gregorianischen Reformdenkens auf das Bedürfnis der Kirche, Grundbesitzer für die Förderung der Kirche zu gewinnen und gleichzeitig die Bedrohung der hierarchischen Ordnung abzuwehren“. Es leistete dies „durch einen Kompromiß zwischen dem Interesse der Kirche an einer freien Kollatur und dem Interesse der Stifter, mittels ihrer Stiftung Einfluß auf die Kirche auszuüben“27. Näherhin stellte das Verbot des Eigenkirchenbesitzes von Laien auf der Lateransynode im Jahre 1059 die kirchliche Organisation von Grund auf in Frage. Der Besitz von Kirchen und Zehnten durch Laien wurde sogar mit der Exkommunikation bestraft (Beschluss der Lateransynode c. 10: praecipimus etiam ut 25

Listl, Die Aussagen (Anm. 3), S. 1041 f. und 1044; grundlegend ders., Konkordat und Kirchenvertrag. Die vertragsrechtlichen Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts, in: MThZ 39 (1988), S. 63 – 78; ders., Konkordate und Kirchenverträge, in: ders., Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, 2 Bde., Berlin 1987, hier Bd. 1, S. 3 – 23; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 469 – 493. 26

Vgl. Peter Landau, Art. Patronat, in: TRE 26, S. 106 – 114, hier S. 106 ff.; Herbert Kalb, Art. Patronat, in: LThK3, Bd. 7, Sp. 1481 – 1484, hier Sp. 1482 f.; Peter Landau, Ius Patronatus (= FKRG 12), Würzburg 1975. 27

Alfred Albrecht, Patronatswesen, in: HdbStKirchR2 II, S. 47 – 68, hier S. 49.

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laici, qui ecclesias tenent, aut eas episcopis restituant aut excommunicationi subiaceant)28. Ausdrücklich sprach das Decretum Gratiani (um 1140) Laien ein Recht zum Verkauf, zur Schenkung und zur Nutzung von Kirchen ab, erkannte ihnen jedoch ein Recht auf Fürsorge für eine Kirche, auf die Auswahl des Priesters und auf Unterstützung durch Mittel der Kirche in Notlagen zu, wobei als Berechtigte vor allem die Erbauer von Kirchen genannt wurden. Alexander III. (1159 – 1181) erklärte das Patronat als ius spirituali annexum (X 2, 1, 3; X 3, 38, 16). Die Regelungen gingen in die authentische Sammlung des Papstes Gregor IX. (1227 – 1241), den Liber extra, über und erfuhren in den Dekretalen des Papstes Bonifaz VIII. (1295 – 1303) und in den Konstitutionen des Papstes Clemens V. (1305 – 1314) weitere Zusätze29. Spätestens seit dem vierten Laterankonzil von 1215 war die Leistung von Abgaben an den Kirchenpatron als gängiger Usus anerkannt. Das Konzil von Trient behielt in sess. XXV c. 9 De ref. das Patronat bei. Es ist – mit Ausnahme der calvinistischen Kirchen – von den reformatorischen Kirchen ohne wesentliche Veränderungen übernommen worden. Das Patronatsrecht galt als ein auf Dauer verliehenes Recht, nicht nur als vorübergehende Vergünstigung einer Person. Bereits das klassische kanonische Recht kannte drei Umstände für den Erwerb eines Patronates, nämlich die Bereitstellung eines Grundstückes zum Bau einer Kirche, die Finanzierung des Kirchenbaus und die Ausstattung einer bereits bestehenden Kirche. Das Konzil von Trient bekräftigte diesen Grundsatz: Patronatus faciunt dos, aedificatio, fundus (Ausstattung einer Kirche oder eines Benefiziums, Bestreitung der Baulasten, Überlassung eines Bauplatzes). Deutlich hat das Patronatsrecht gegenüber dem Eigenkirchenrecht die Rechte des Patrons begrenzt. Abgesehen vom Recht auf Abgaben und bestimmten Ehrenrechten gewährte das Patronatsrecht vor allem das Präsentationsrecht, d. h. das Recht, den Geistlichen auszuwählen und dem Bischof vorzustellen, wobei letzterer zur Einsetzung des Vorgeschlagenen verpflichtet war, sofern sich nicht eine mangelnde Eignung herausstellte. Zu den Patronatspflichten zählte die Schutzpflicht für die Kirche und die Erhaltung bestimmter Patronatsgebäude, wie der Kirche und der Nebengebäude. Diese Baulastverpflichtung war allerdings gegenüber dem Kirchenfabriksvermögen (Kirchenfabrik) meistens subsidiär. Der Rechtsgrund des Patronats darf nicht in der Tatsache, dass Eigentum für kirchliche Zwecke zur Verfügung gestellt wurde, gesehen werden, sondern in der Dankbarkeit der Kirche für eine Stiftung zugunsten kirchlicher Bedürfnisse. 28

Vgl. Heike Johanna Mierau, Vita Communis und Pfarrseelsorge. Studien zu den Diözesen Salzburg und Passau im Hoch- und Spätmittelalter, Köln / Weimar / Wien 1997, bes. S. 163 – 176. 29

Vgl. Peter Gradauer, Fragen um das Patronatsrecht in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der Diözese Linz, in: ÖAKR 18 (1967), S. 164 – 195, hier S. 164 f. m. a. N.

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2. Begriff und Inhalt des Patronats Beim Patronat handelt es sich um alte wohlerworbene Rechte, da bereits der CIC/1917 keinerlei Neuerwerb eines Patronatsrechts zugelassen (vgl. c. 1450 § 1 CIC/1917) und hinsichtlich bestehender Patronate deren Ablösung gefordert hatte (vgl. cc. 1451 f. CIC/1917). Wo noch Volkswahlen oder Volkspräsentationen üblich waren, konnten sie nur unter der Voraussetzung weiterhin geduldet werden, dass der Bischof drei Kandidaten in Vorschlag brachte und das Volk aus diesen drei Kandidaten wählte (vgl. c. 1452 CIC/1917). Gemäß einer Erklärung der Sacra Congregatio Concilii vom 14. Februar 1920 kamen die Worte „können nur noch geduldet werden“ einer Verwerfung der gegenteiligen Gewohnheit gleich. Sie konnte jedoch, wie Heribert Jone bemerkt, beibehalten werden, wenn die Pfarreien durch Konkurs übertragen wurden und die Gläubigen zwischen allen Kandidaten, die durch den Konkurs für diese Pfarrei als tauglich anerkannt worden sind, wählen konnten. Jone begründet dies damit, dass durch den Konkurs bereits eine schärfere Auslese getroffen wurde, als der vorliegende Kanon verlange30. Der Konkurs wurde im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils abgeschafft. Bestehende Patronatsrechte wurden dadurch jedoch nicht berührt. Da der CIC/1983, wie bereits oben erwähnt, keine Bestimmungen zum Patronat enthält, bestehende Patronate jedoch in Geltung lässt, ist im Blick auf Begriff und Inhalt der Patronate auf die Normen des CIC/1917 zurückzugreifen. Der kirchliche Gesetzgeber von 1917 verstand das Patronat als Summe von Rechten und Pflichten, die den katholischen Stiftern einer Kirche, einer Kapelle oder eines Benefiziums bzw. deren Rechtsnachfolgern kraft kirchlicher Bewilligung zusteht (c. 1448 CIC/1917)31. Es ist somit „ein in Anerkennung gewisser Leistungen (z. B. Ausstattung oder Erbauung einer Kirche) von der Kirche verliehenes Vorrecht (privilegium remuneratorium)“, das einer physischen oder einer juristischen Person, wie z. B. einem Staat, einer Gemeinde, einer Universität, einem Kapitel oder einem klösterlichen Verband, zustehen kann32. Das wichtigste Vorrecht des Patrons sah der kirchliche Gesetzgeber in der Befugnis, zur Neubesetzung eines erledigten Patronatsbenefiziums einen geeigneten Geistlichen rechtsverbindlich vorzuschlagen (vgl. c. 1455 n. 1 CIC/1917). Unter den Patronatspflichten wurde an erster Stelle die Baulastverpflichtung genannt. Hierzu war der Patron verpflichtet, wenn sich das Patronat auf die Er30

Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones, Bd. II: Sachenrecht. Kan. 726 bis Kan. 1551, 2. Aufl., Paderborn 1952, S. 646; vgl. Richard Strigl, Art. Pfarrkonkurs, in: LThK2, Bd. 8, Sp. 411 f. 31

Vgl. May, Kirchenamt (Anm. 8), S. 181; Aymans / Mörsdorf, KanR I, S. 476 f.; s. Klaus Mörsdorf, Lb II11, S. 467 – 478. 32

Mörsdorf, Lb II11, S. 467.

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bauung der Kirche gründete (vgl. c. 1469 § 1, n. 2 CIC/1917). Er war ebenso zur Ergänzung des Einkommens verpflichtet, sofern sich das Patronat auf die Ausstattung der Kirche oder des Benefiziums stützte (c. 1469 § 1, n. 3 CIC/1917). Die Baulast verpflichtet den Patron, „die Kirche in gutem baulichen Zustand zu erhalten, Ausbesserungsarbeiten, die sich nach der Ansicht des Oberhirten als notwendig erweisen, vorzunehmen und die etwa verfallene Kirche wiederherstellen zu lassen. Die Bestreitung der Baukosten obliegt dem Patron aber nur in dem Umfange, als die Erträgnisse des Kirchenstiftungsvermögens hierzu nicht ausreichen“ (c. 1469 mit c. 1186 n. 2 CIC/1917)33. 3. Erwerb und Erlöschen Als kanonisch anerkannte Erwerbstitel für ein Patronat galten, wie bereits in früheren Zeiten, die vermögensrechtliche Ausstattung einer Kirche oder eines Benefiziums (dos), die Bestreitung der Baukosten (aedificatio) und die Überlassung des Bauplatzes (fundus). Wer ein Patronatsrecht für sich geltend machen wollte, hatte durch Urkunden oder andere anerkannte Beweismittel nachzuweisen, dass sein Patronat auf einem kanonischen Erwerbstitel beruht (c. 1454 CIC/1917). Dieses Erfordernis gilt noch heute. Seit dem Inkrafttreten des Codex Iuris Canonici von 1917 am 19. Mai 1918 konnten Patronatsrechte nicht mehr entstehen (vgl. c. 1450 § 1 CIC/1917). Ein Verzicht war ausdrücklich erwünscht. Näherhin wies der Gesetzgeber von 1917 die Oberhirten an, bei den Patronen anzuregen, dass sie auf das Patronat oder wenigstens auf das Präsentationsrecht verzichten und hierfür geistliche Fürbitte, auch solche immerwährender Art, für sich und die Ihren entgegennehmen (vgl. cc. 1451 f. CIC/1917). Im Blick auf den Verzicht war jedoch jeglicher Zwang verboten, auch gegen geistliche Patrone, wenngleich von letzteren der Verzicht auf das Patronat erwartet wurde34. Sofern kein Verzicht geleistet wurde, blieben die Patronate bestehen (vgl. c. 4 CIC/1917; c. 4 CIC/1983). Patronatsrechte können aus verschiedenen Gründen, die in c. 1470 §§ 1 – 3 CIC/1917 dargelegt werden, erlöschen. Außer dem Patronatsverlust wegen Nichterfüllung der Pflichten der Baulast und der Einkommensergänzung (vgl. c. 1469 § 3 CIC/1917) kommt hier der Verzicht in Frage. Ein völliger Verzicht hat zur Folge, dass der Patron von allen Lasten und Pflichten befreit wird, insbesondere von der Baulast. Dies trifft jedoch nicht für den Fall zu, dass ihm diese als Nutznießer der Kirche oder kraft besonderer Vereinbarung obliegt (c. 1186 n. 2 CIC/1917). Ferner kann das Patronatsrecht auch erlöschen durch Widerruf, durch Nichtausübung der Patronatsrechte, wenn eine rechtmäßige 33

Mörsdorf, Lb II11, S. 475 f.

34

Vgl. PCI vom 12. November 1922, Nr. VI, in: AAS 14 (1922), S. 663.

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Ersitzung hinzutritt (vgl. c. 76 CIC/1917), d. h. wenn der Oberhirte 30 Jahre hindurch in gutem Glauben die Patronatsstelle frei verliehen und der Patron nichts zur Wahrung seines Präsentationsrechts unternommen hat, ebenso auch durch Untergang der Sache, mit der das Patronat verbunden ist, durch Vereinigung mit einer Kirche freier Verleihung sowie als Straffolge. 4. Die Entwicklung in neuerer Zeit Das 20. Jahrhundert war eine „Epoche des Absterbens des Patronats“, veranlasst durch eine Reihe unterschiedlicher Ursachen, wenngleich sich der Prozess der Ablösung und des Verschwindens der Patronate langsam und regional sehr unterschiedlich vollzog35. Eine der Ursachen ist darin zu sehen, dass Patronatsrechte des Staates einem modernen Staatsverständnis, das von der Trennung von Staat und Kirche ausgeht, nicht mehr entsprechen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Sichtweise ausdrücklich verstärkt36. So betont das Konzil die Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat und die Eigenständigkeit der kirchlichen Leitungsvollmacht, zugleich aber auch die notwendige enge Kooperation zwischen Kirche und Staat. Ausdrücklich forderte das Zweite Vatikanische Konzil im Dekret „Christus Dominus“ vom 28. Oktober 1965 generell die Beseitigung von Rechten oder Privilegien, die die Freiheit des Bischofs bei der Verleihung von Ämtern und Benefizien einschränken. Der Bischof müsse sich der notwendigen Freiheit erfreuen, um die heiligen Dienste unter seinen Priestern angemessener und gerechter verteilen zu können (VatII CD Art. 28): „Rechte und Privilegien, die diese Freiheit irgendwie beschränken, werden daher abgeschafft“. Die gleiche Forderung wird im selben Dekret noch einmal mit Rücksicht auf die seelsorgliche Betreuung der Gläubigen in den Pfarreien erhoben (vgl. VatII CD Art. 31)37. Dieser Programmsatz des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde durch das Motu Proprio „Ecclesiae Sanctae“ vom 6. August 1966 geltendes Kirchenrecht. Erneut nimmt das Motu Proprio die Forderung auf, dass der Bischof wegen des bonum animarum sich einer angemessenen Freiheit bei der Verleihung von Ämtern und Benefizien an Geistliche erfreuen möge. Es lässt jedoch die generelle Aberkennung der Präsentationsrechte nicht mehr zu. Vielmehr stellt das Motu Proprio auf die unterschiedlichen Rechtstitel ab, auf denen die genannten Bevorrechtigungen beru35

Vgl. Landau, Patronat (Anm. 26), S. 111; ferner unten III.

36

Vgl. dazu Joseph Listl, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: HdbKathKR2, S. 1239 – 1255. 37

Vgl. Heinz Ewers, Hat das II. Vatikanische Konzil die Vorrechte der Patrone, insbesondere das Präsentationsrecht, aufgehoben?, in: Ius sacrum. Klaus Mörsdorf zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Audomar Scheuermann / Georg May, München / Paderborn / Wien 1969, S. 319 – 323, hier S. 320 f.

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hen. Deutlich werden die Rechtstitel der lastenfreien Privilegien (privilegia non onerosa) von den belasteten Privilegien (privilegia onerosa), die entweder auf einer Vereinbarung des Apostolischen Stuhls mit einem Staat beruhen oder auf einem Schuldverhältnis mit natürlichen oder juristischen Personen zu beiderseitigen Leistungen gegründet sind, unterschieden (vgl. EcclSanct I n. 18, §§ 1 und 2)38. Somit wird die Unterscheidung zwischen unbelasteten und belasteten Patronaten für ein Weiterbestehen von Bedeutung. Der CIC/1983 erwähnt das Patronatsrecht nicht mehr, das somit „als gemeinrechtliches Institut des katholischen Kirchenrechts aufgehoben wurde“39. Allerdings respektiert die römisch-katholische Kirche grundsätzlich die noch bestehenden Patronate. Dies wird auch, wie weiter unter zu zeigen sein wird, durch die diesbezüglichen Vereinbarungen in den Kirchenverträgen der neuen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland bestätigt. Aufgrund der Tatsache, dass Patronate auch nach Inkrafttreten des CIC/1983 weiterhin bestehen (können), hat die Österreichische Bischofskonferenz im Jahre 1984 kirchliches Partikularrecht für die Patronate erlassen40. Zu Recht kann Joseph Listl feststellen: Wenngleich bereits der CIC/1917 in c. 1488 die „Begründung neuer Patronatsrechte, die das freie Amtsverleihungsrecht des Diözesanbischofs beschränken, verboten“ hat, so bleiben bestehende Patronatsrechte als wohlerworbene Rechte weiterhin bestehen, „soweit sie mit Gegenleistungen des Patronatsherrn verbunden sind“41. Sie genießen nach wie vor den Schutz der Rechtsordnung. Das bedeutet: Wo infolge eines Patronats ein Präsentationsrecht besteht, hat es weiterhin Gültigkeit. Es muss somit nach wie vor geachtet werden. Im Interesse einer freien Ämterbesetzung ist die Ablösung eines Patronats möglich, ebenso auch im Interesse des Patrons im Blick auf den Wegfall der Verpflichtungen. So wurden gerade im deutschsprachigen Bereich, insbesondere in Bayern und Österreich, derartige Ablösungen in den letzten Jahrzehnten durch gegenseitige Vereinbarungen weithin vollzogen42. 38

Vgl. hierzu Ewers, Konzil (Anm. 37), S. 321 ff.; Ch. Lefebvre, De iure patronatus deque iuribus praesentationis, nominationis, electionis secundum m. p. „Ecclesiae Sanctae“, in: Monitor ecclesiaticus 113 (1968), S. 345 – 352. 39

Landau, Patronat (Anm. 26), S. 112.

40

ÖBK, Dekret über die Vorgangsweise bei Pfarrbesetzung, in: Abl. ÖBK Nr. 1, 25. Jänner 1984, Nr. 19, S. 8 f., insbesondere II. Vorgangsweise bei gebundener Pfarrbesetzung, hier S. 9; vgl. Zusatzprotokoll zu Art. XI § 1 ÖK; Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (= Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Beiheft 6), Essen 1992, S. 599 – 623. 41

Vgl. Joseph Listl, Das Amt in der Kirche, in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 593 – 599, hier S. 597; ders., Die Aussagen (Anm. 3), S. 1044. 42 Walter Hagel, Die Auflösung der Privatpatronate in Österreich, in: ÖAKR 24 (1973), S. 328 – 355; Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 40), S. 608 – 618.

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Für den Fall, dass der Patron nicht auf seine Rechte verzichten will, hat der Bischof diese Entscheidung zu respektieren43. III. Patronatsverhältnisse in der Gegenwart Bevor im Folgenden der Blick auf die Patronate insbesondere in Deutschland und Österreich gerichtet wird, sollen die Hintergründe dafür erörtert werden, die das Zweite Vatikanische Konzil zur Forderung des Patronatsverzichtes veranlasst haben. 1. Hintergründe für den Wandel In verschiedenen Aufsätzen und Vorträgen hat Joseph Listl sich eingehend mit der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, vor allem aber mit den Aussagen dieses Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat befasst. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Frage des Verhältnisses und der Zuordnung der Kirche zum Staat in der Gestalt der freiheitlichen und pluralistischen Demokratie insbesondere in den Auseinandersetzungen über die Annahme der „Erklärung über die Religionsfreiheit“ behandelt. Das Konzil hat mit dieser Erklärung eine deutliche Zäsur und zugleich eine neue Epoche eingeleitet. Zu Recht betont daher Listl: „Jeder sachgerechte Versuch, auf der Grundlage der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat ein Modell eines Staatskirchenrechts ... zu entwerfen, muß, wenn die Intentionen des Konzils nicht bereits im Ansatz verfehlt werden sollen, seinen Ausgangspunkt von dem durch Staat und Kirche gleichermaßen anerkannten Grundrecht der Religionsfreiheit nehmen“. Gerade das Bekenntnis zu diesem Grundrecht bilde im Unterschied zur Betrachtung und Darstellung des Staat-Kirche-Verhältnisses, wie es in den kirchenamtlichen Erklärungen der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert Ausdruck gefunden habe, „die neue Grundlage, auf die das Zweite Vatikanische Konzil seine Lehren über das Verhältnis von Staat und Kirche gestellt hat“44. Dabei umfasst der Begriff der Reli-

43

Vgl. Joseph A. Janicki, Kommentar, in: James A. Coriden / Thomas J. Green / Donald E. Heintschel, The Code of Canon Law. A text and commentary, New York / Mahwah 1985, S. 414 – 449, hier S. 423: “… in such cases the diocesan bishop must acknowledge them until they are rescinded“. 44

Joseph Listl, Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Gerhard Leibholz / Hans Joachim Faller / Paul Mikat / Hans Reis, Tübingen 1974, S. 521 – 542; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 968 – 988, hier S. 969.

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gionsfreiheit, der der Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils zugrunde liegt, wie Listl herausstellt, „nicht nur die individuelle Religionsfreiheit mit Einschluß der gemeinsamen öffentlichen Ausübung der Religion in sämtlichen Aktualisierungsformen der Bekenntnis- und Kultusfreiheit, sondern ebenso auch die korporative Religionsfreiheit, d. h. die institutionelle Kirchenfreiheit, die im deutschen Staatskirchenrecht erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ihrer vollen Anerkennung entwickelt worden ist und das Recht der Religionsgemeinschaften einschließt, ihre eigenen Angelegenheiten unabhängig von staatlicher Einmischung zu regeln und zu verwalten“45. Das Konzil spricht zugleich, ohne dass der Ausdruck in den Texten Verwendung findet, „ein klares Ja zur religiösen Neutralität des modernen demokratischen Staates“, die jedoch „nicht als Anerkennung eines staatlich dekretierten religiösen Indifferentismus oder der Areligiosität des Staates verstanden werden darf“46. Zur ersten fundamentalen Aussage, die den Konzilstexten über das Wesen und den Auftrag der Kirche entnommen werden kann, rechnet Listl die starke „Betonung des fundamentalen Wesensunterschiedes zwischen der Kirche und dem in der Pastoralkonstitution häufig als ‚communitas politica’ bezeichneten Staat“47. Dabei konnte sich das Konzil in seinen Aussagen über die Wesensverschiedenheit von Staat und Kirche auf zahlreiche Stellungnahmen Pius’ XII. sowie von Leo XIII. stützen48. Aus dem wesensmäßigen Unterschied von Staat und Kirche folgt die in mehreren Konzilsdokumenten mit aller Deutlichkeit ausgesprochene „Eigenständigkeit der Kirche gegenüber der staatlichen Gewalt und die gegenseitige Unabhängigkeit von politischer Gemeinschaft und Kirche“49. Das Konzil ist weit davon entfernt, die von ihm geforderten religiösen 45

Listl, Zweites Vatikanisches Konzil (Anm. 44), S. 972 unter Hinweis auf Vat II DH Art. 4; vgl. auch Ulrich Fülbier, Die Religionsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika unter spezieller Berücksichtigung der jeweiligen Methodik der Verfassungsinterpretation. Eine rechtsvergleichende Studie (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 40), Berlin 2003. 46

Listl, Zweites Vatikanisches Konzil (Anm. 44), S. 974 – 980, hier S. 974.

47

Listl, Zweites Vatikanisches Konzil (Anm. 44), S. 980; vgl. auch ders., Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Fides et Ius. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans / Anna Egler / Joseph Listl, Regensburg 1991, S. 455 – 490; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 989 – 1031, hier S. 995 ff. 48

Vgl. hierzu vor allem Listl, Die Lehre (Anm. 36), S. 1242 ff.; ferner auch ders., Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7), Berlin 1978. 49

Listl, Zweites Vatikanisches Konzil (Anm. 44), S. 981 unter Hinweis auf VatII GS Art. 76 Abs. 3; ferner auch ders., Teildisziplin (Anm. 47), S. 997 ff.; ders., Die Lehre

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Grund- und Freiheitsrechte als nur den Christen zustehende Privilegien zu betrachten; es versteht die Religionsfreiheit „vielmehr im Einklang mit Art. 18 der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ und den dazu später beschlossenen Konventionen der Vereinten Nationen und dem Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention als eines der fundamentalsten und vornehmsten Menschenrechte“50. „Mit kaum mehr zu überbietender Deutlichkeit“, so Joseph Listl, „hebt der Codex Iuris Canonici die Eigenständigkeit der Kirche und ihrer Rechtsordnung gegenüber dem Staat hervor“51. So nimmt die Kirche für sich, unabhängig von jeder staatlichen Gewalt, und zwar unter Berufung auf göttliche Anordnung, das Recht in Anspruch, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu regeln. Wenn „die Kirche auf dem Gebiete der kirchlichen Verwaltung für sich die volle und uneingeschränkte Ämterhoheit beansprucht“, so stellt dies einen „Ausfluß der kirchlichen Leitungsgewalt“ (vgl. cc. 129 § 1 und 135 § 1 CIC/1983) dar52. Und noch deutlicher sagt Listl: „Als Wesensbestandteil des Grundrechts der Religionsfreiheit fordert der CIC/1983, ebenso wie bereits der CIC/1917, die volle Freiheit der Kirche bei der Verleihung der kirchlichen Ämter“53. Gemäß c. 3 CIC/1983 bleiben jedoch abweichende, in Konkordaten zugesicherte Rechte und ebenso auch gemäß c. 4 CIC/1983 so genannte wohl erworbene Rechte, zu denen auch die Patronatsrechte zählen, soweit sie mit Gegenleistungen des Patronatsherrn verbundenen sind (sog. Lastenpatronate), bestehen54. Die Forderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und ebenso des Kirchlichen Gesetzbuches von 1983 sieht Listl in der Bundesrepublik Deutschland voll verwirklicht. „Unter der Herrschaft des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, das seit der staatlichen Wiedervereinigung ohne Vorbehalte auch in den neuen Bundesländern gilt, genießen die Kirchen für ihre Tätigkeit einen Freiheitsraum, wie er ihnen in diesem Umfang

(Anm. 36), S. 1244 – 1247; s. auch ders., Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche, in: EvStL3, Bd. 1, 1987, Sp. 1529 – 1539; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 945 – 956, hier S. 955. 50

Listl, Zweites Vatikanisches Konzil (Anm. 44), S. 969 f.; s. auch Entwurf der Verfassung der Europäischen Union. 51

Dazu Listl, Die Lehre (Anm. 36), S. 1247 – 1250, hier S. 1247; insgesamt auch ders., Die Aussagen (Anm. 3). 52 Listl, Die Aussagen (Anm. 3), S. 1044; ders., Teildisziplin (Anm. 47), S. 1006; Die Lehre (Anm. 36), S. 1247 f. 53 54

Listl, Das Amt (Anm. 41), S. 598.

Listl, Die Aussagen (Anm. 3), S. 1044; ders., Das Amt (Anm. 41), S. 597; s. auch ders., Die Lehre (Anm. 36), S. 1254 f.

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effektiv in früherer Zeit niemals zu Gebote gestanden hat“55. Die einander ergänzenden Fundamentalnormen des Grundgesetzes sind enthalten in dem Grund- und Menschenrecht des Art. 4 GG, der die Religionsfreiheit gewährleistet, und in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WeimRV, der das Verbot der Staatskirche enthält und das Selbstbestimmungsrecht sämtlicher Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihren eigenen Angelegenheiten garantiert56. Das im Grundgesetz in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistete Recht der freien Selbstbestimmung in ihren Angelegenheiten ist nach den religionsrechtlichen Grundvorstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils „unmittelbarer und konstitutiver Inhalt des Grundrechts der Religionsfreiheit“. Die Respektierung ist „wesentlicher Bestandteil der Gemeinwohlverwirklichung des Staates“57. Die Freiheit der Kirche bei der Errichtung und Besetzung ihrer Ämter bildet somit „einen wesentlichen Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit“58. Nach wie vor sieht Listl in den Konkordaten „den wünschenswerten und besten Weg zur Regelung gemeinsam berührender Angelegenheiten und zur dauerhaften Lösung schwebender und umstrittener Fragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche“59. So hat die Entwicklung des Vertragsrechts, wie Joseph Listl und Alexander Hollerbach bemerken, „im Zuge der

55

Joseph Listl / Alexander Hollerbach, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: HdbKathKR2, S. 1268 – 1293, hier S. 1272. 56

Grundlegend Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971; ders., Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR2 I, S. 439 – 479. 57

Listl, Zweites Vatikanisches Konzil (Anm. 44), S. 972 und S. 982.

58

Joseph Listl, Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Louis C. Morsak / Markus Escher, Zürich 1989, S. 309 – 334; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 1), S. 494 – 521, hier S. 506; zu geschichtlichen Erscheinungsformen unzulässiger Exekutivmittel staatlicher Kirchenhoheit vgl. ders., Kirchenrechtswissenschaft (Anm. 48), S. 150 – 154; ferner Ludwig Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter in den Konkordaten Papst Pius’ XI. (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 18 und 19), Bonn 1942 (Neudruck: Amsterdam 1964). 59

Vgl. Listl, Die Lehre (Anm. 36), S. 1254; ferner auch Wilhelm Rees, Konkordate und Kirchenverträge als sachgerechte Form der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Kirchenrechtliche Anmerkungen im Blick auf die Europäische Union, in: Recht und Europa 3. Ringvorlesung am Zentrum für Europäisches Recht. Hrsg. von Fritz Reichert-Facilides, Wien 1999, S. 115 – 138.

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staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands neue und kräftige Impulse bekommen60. 2. Patronate in der Bundesrepublik Deutschland Am Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr das Patronatsrecht im Preußischen Allgemeinen Landrecht (§§ 568 – 617 II 11 ALR) erstmals eine umfassende Regelung durch ein staatliches Gesetzbuch. Dadurch rückte das Patronat zugleich in den Kontext staatlichen öffentlichen Rechts61. Staatliche Stellenbesetzungsrechte wurden grundsätzlich als Patronate eingeordnet und von den sog. Privatpatronaten unterschieden. Näherhin wurde festgelegt, dass Patronate „nur durch Verleihung des Staates“ erworben werden können (§ 573 II 11 ALR), ein Kirchenpatronat im Zweifel stets ein mit Grundbesitz verbundenes dingliches Patronat sei (§ 579 II 11 ALR) und den Patron grundsätzlich eine Baupflicht treffe, da er aus eigenen Mitteln zur Erhaltung der Kirche beizutragen habe (§ 584 II 11 ALR). Im Unterschied zum kanonischen Recht war es dem Patron verwehrt, durch einseitigen Verzicht seine Rechtsstellung aufzugeben (§ 610 II 11 ALR). Für den Fall von Patronatsstreitigkeiten wurde die Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte festgelegt (§ 577 II 11 ALR). Die genannten Vorschriften bilden auch heute bei Entscheidungen von Patronatsstreitigkeiten nach wie vor die Grundlage62. Art. 83 der Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920, der jedoch niemals zur Durchführung kam, bestimmte, dass Patronate auf Antrag eines Beteiligten aufzuheben seien, sobald die vermögensrechtlichen Verpflichtungen abgelöst sind. Nach der Säkularisation von 1803 maßten sich in Deutschland die Landesherren trotz kirchlichen Widerspruchs auf Grund behaupteter Nachfolge in alle Rechte der aufgehobenen Klöster, Stifte und Bistümer auch deren ehemalige Verleihungsrechte an. So wurde vor allem in den süddeutschen Staaten (Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau) nach 1803 ein allgemeines landesherrliches Patronat in Anspruch genommen. „Während die Grundgedanken des landesherrlichen Patronats sich im protestantischen Deutschland und im josephinischen Österreich schon vor 1800 durchgesetzt hatten, gaben sie in den gemischt-konfessionellen süddeutschen Ländern jetzt die Möglich-

60

Listl / Hollerbach, Das Verhältnis (Anm. 55), S. 1282; Alexander Hollerbach, Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, in: KuR (Neuwied) 1995, S. 1 – 12 = 120, S. 1 – 12. 61

Vgl. dazu und zum Folgenden Landau, Patronat (Anm. 26), S. 109 f.; Peter Leisching, Art. Patronat, in: HRG 3, Sp. 1558 – 1564, hier Sp. 1563. 62

Vgl. Albrecht, Patronatswesen (Anm. 27), S. 59 f.

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keit, ein auf beide Kirchen anwendbares Staatskirchentum zu begründen“63. Bayern verzichtete allerdings schon im Konkordat von 1817 auf das landesherrliche Patronat, wenngleich insgesamt das Patronatsrecht im 19. Jahrhundert sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche erhebliche Bedeutung behielt. Die freie Verleihung eines Kirchenamtes durch den Bischof war eher die Ausnahme. Sie konnte sich erst durchsetzen, nachdem sich infolge von Art. 137 Abs. 3 WeimRV, der jede staatliche und gemeindliche Mitwirkung bei der Besetzung kirchlicher Ämter ausschloss, ohne die echten Patronate anzutasten, die Verbindung von Kirche und Staat nach 1918 lockerte. Hinzu kamen die diesbezüglichen Vereinbarungen in den Konkordaten mit Bayern, Preußen und Baden und im Reichskonkordat. So wurde in Art. 14 Abs. 1 RK ausdrücklich vereinbart, dass der Kirche grundsätzlich das freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden zustehe, soweit nicht in den Länderkonkordaten mit Bayern, Preußen und Baden andere Vereinbarungen getroffen worden sind64. Auch im evangelischen Bereich entfielen nach der Aufhebung des Landesherrlichen Kirchenregiments im Jahr 1918 diesbezügliche Rechte, soweit sie sich aus diesem herleiteten. Privatpatronate blieben weiter bestehen. Die Konkordate und Kirchenverträge mit Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben die landesrechtlichen Vorschriften betreffend das Patronat für die lastenfreie Patronate für außer Kraft gesetzt erklärt. Für Lastenpatronate wurde das staatliche Recht bis zu einer Aufhebung der Lasten durch die Kirche, einer kirchlichen Freistellung des Patrons oder einer Ablösung der Lasten aufrechterhalten. Der Niedersächsische Kirchenvertrag und das Niedersächsische Konkordat haben die landesrechtlichen Vorschriften über Patronate, soweit sie staatliche Normen sind, ohne Differenzierung aufgehoben65. Während im Land Brandenburg durch Verordnung im Jahre 1946 alle Patronate aufgehoben wurden66, hat das ostdeutsche Patronatsrecht die Zeit der

63

Landau, Patronat (Anm. 26), S. 110 f.

64

Vgl. Listl, Fortgeltung (Anm. 58), S. 506 – 509; Texte bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 25). 65

Vgl. hierzu m. a. N. Albrecht, Patronatswesen (Anm. 27), S. 54; ferner auch Erich Ruppel, Kirchenvertragsrecht. Eine Erläuterung des Staatskirchenrechts der neueren Kirchenverträge. Synopse des Preußischen Kirchenvertrages vom 11.5.1931, des Niedersächsischen Kirchenvertrages vom 19.3.1955, des Schleswig-Holsteinischen Kirchenvertrages vom 23.4.1957 und des Hessischen Kirchenvertrages vom 18.2.1960. Hrsg. von Jürgen Kaulitz / Arno Schilberg, Hannover 1996, S. 497 – 519. 66

Erich Meyer, Die Entwicklung des evangelischen Patronatsrechts im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, in: ZevKR 5 (1956), S. 84 – 94; 404 – 421; Mar-

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Deutschen Demokratischen Republik weithin überdauert. Die in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Deutschlands abgeschlossenen Konkordate und Kirchenverträge enthalten daher auch Bestimmungen über das Patronat67. So wurden in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern die staatlichen Patronatsrechte aufgehoben, während Sachsen68 im Kirchenvertrag zusätzlich auch die Privatpatronate beseitigte, wobei die Baulastverpflichtung bei den letzteren ohne Entschädigung entfällt. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wurde anstelle der staatlichen Patronate auch künftig eine Beteiligung des Staates an der Baulast vereinbart. Bereits im Jahr 1971 hatte Bayern die unbelasteten Patronate beseitigt. Allgemein hat sich im Bestreben, die Präsentationsrechte einzudämmen, in neuerer Zeit vielfach eine „Vorbenennung seitens des zuständigen Ortsoberhirten“ durchgesetzt. Dies geschieht in der Weise, dass der Ortsoberhirte, in der Regel der Diözesanbischof, „drei geeignete Kandidaten vorschlägt und der Patron aufgrund dieses Dreiervorschlages die Präsentation vornimmt“69. Diese kus Kapischke, Zum Fortbestand dinglicher Patronate nach der Bodenreform, in: ZevKR 48 (2003), S. 312 – 324. 67

Vgl. hierzu Landau, Patronat (Anm. 26), S. 112; Albrecht, Patronatswesen (Anm. 27), S. 64 f.; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-KircheVerhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments (= JusEccl, Bd. 62), Tübingen 2000, bes. S. 294 ff.; Claudio Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer (= JusEccl, Bd. 61), Tübingen 1999, S. 158 ff.; Axel Vulpius, Betrachtungen zu den evangelischen Kirchenverträgen in den neuen Ländern, in: Christoph Grabenwarter / Norbert Lüdecke (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht. Ergebnisse eines interdisziplinären Seminars (= FzK, Bd. 33), Würzburg 2002, S. 216 – 234; Hermann Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche in den neuen Bundesländern, in: Festschrift für Martin Heckel zum 70. Geburtstag. Hrsg. von KarlHermann Kästner / Knut Wolfgang Nörr / Klaus Schlaich, Tübingen 1999, S. 463 – 493; Stephan Haering, Die Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern aus den Jahren 1994 bis 1998, in: FS Listl (Anm. 2), S. 761 – 794, hier bes. S. 785 – 789. 68

Vgl. Stefan Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen (= AIC 18), Frankfurt am Main u. a. 2001, bes. S. 171 – 186; Klaus Weber / Rolf Raum, Die Besetzung kirchlicher Ämter nach dem katholischen Kirchenvertrag Sachsen vom 2. Juli 1996, in: AfkKR 165 (1996), S. 414 – 436; Hartmut Johnsen, Die Evangelischen Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern – ihr Zustandekommen und ihre praktische Anwendung. Ein Werkstattbericht unter besonderer Berücksichtigung des Wittenberger Kirchenvertrages von 1993, in: ZevKR 43 (1998), S. 182 – 222; zur Frage der Baulast vgl. Thomas Lindner, Baulasten an kirchlichen Gebäuden. Staatliche und kommunale Leistungspflichten für den Kirchenbau (= JusEccl, Bd. 52), Tübingen 1995; insgesamt Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat (= Schriften zum Öffentliche Recht, Bd. 945), Berlin 2004. 69

Aymans / Mörsdorf, KanR I, S. 477.

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Art der Besetzung ist durch Ergänzungsabkommen zum Bayerischen und Preußischen Konkordat auch für die auf kanonischen Rechtstiteln beruhenden Staatspatronate festgelegt worden70. Lastenfreie Patronate sind heute ausschließlich durch das Kirchenrecht geordnet und stabilisiert, wobei sowohl das katholische Kirchenrecht als auch das evangelische Kirchenrecht die Möglichkeit neuer Patronate ausgeschlossen haben. Zustimmend hat sich Listl zu einem eingehend begründeten Urteil vom 2. Dezember 1957 des Landgerichts Münster geäußert. Das Gericht hatte entschieden, dass auf lastenfreie katholische Patronate, die dem jeweiligen Patronatsherrn lediglich Patronatsrechte gewähren, ohne ihm entsprechende Patronatsverpflichtungen gegenüber den von ihm zu unterhaltenden Pfarrkirchen aufzuerlegen, das im Preußischen Allgemeinen Landrecht normierte Patronatsrecht keine Anwendung finde. Aufgrund des den Religionsgesellschaften in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts in ihren eigenen Angelegenheiten stehe den Kirchen die Patronatsgesetzgebung auf dem Gebiete der lastenfreie Patronate zu. Das Landgericht habe daher die Klage eines Patronatsherrn im Falle eines lastenfreien Patronats zu Recht als unzulässig abgewiesen. Bei Lastenpatronaten sei dagegen nach wie vor gemäß § 577 II 11 ALR der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet, da das mit Lasten verbundene Patronat in vollem Umfang dem staatlichen Patronatsrecht unterliege71. 3. Patronate in Österreich und weiteren europäischen Ländern In Österreich hat das Patronat zum Teil eine eigene Entwicklung durchgemacht. Sie lässt sich im 16. Jahrhundert, wie Walter Doskocil betont, insoweit verfolgen, als sie von dem „Bestreben des Landesherrn geleitet war, seinen Einfluss auch auf geistliche Angelegenheiten zu erstrecken“72. Partikuläre Vorschriften über Patronate bestehen in Österreich seit dem Inkrafttreten des „Tractatus de iuribus incorporalibus“ Leopolds I. vom 13. März 1679, der sich 70

Vgl. AfkKR 111 (1931), S. 647 f.; 112 (1932), S. 494 – 503; 115 (1935), S. 464 ff.; Texte in: Listl, Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 25). 71

Listl, Das Grundrecht (Anm. 56), S. 388 f.; Albrecht, Patronatswesen (Anm. 27), S. 51 mit Anm. 12. 72 Walter Doskocil, Zur Frage des Patronatsverzichtes in Österreich, in: AfkKR 139 (1970), S. 443 – 459, hier S. 446; insgesamt auch Ludwig Wahrmund, Das Kirchenpatronatrecht und seine Entwicklung in Österreich, 2 Bde., Wien 1894 und 1896; Christian Zeileissen, Der Patronatsverzicht nach österreichischem Partikularrecht, in: ÖAKR 18 (1967), S. 95 – 122, bes. S. 97 ff.; Wolfgang Hermann, Ist das Hofdekret vom 3. September 1784 betreffend den Verzicht auf den Patronat geltendes Recht?, in: ÖAKR 18 (1967), S. 456 – 460.

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jedoch weithin ganz an die Normen des damals geltenden Kirchenrechts anschloss. Abweichend davon kannte der Traktat jedoch nur Rechte, aber keine Pflichten des Patrons. Dies sollte sich in der weiteren Entwicklung ins Gegenteil wenden. Denn Joseph II. (1780 – 1790) nahm im Sinne seines rigoros aufklärerisch bestimmten Verhältnisses zwischen Staat und Kirche gravierende Änderungen im Rahmen der so genannten Pfarrregulierung vor, die auf die Schaffung einer Pfarrorganisation, die die Gläubigen möglichst gleichmäßig erfassen sollte, zielte73. Jede Kirche, zumindest jede Pfarrkirche sollte einen Patron haben, wobei die Lasten für die Errichtung neuer Kirchen und Pfarrgebäude die Patrone und Grundobrigkeiten zu tragen hatten. Der Entledigung von Patronatslasten war insofern durch Hofdekret vom 3. September 1784 ein Riegel vorgeschoben, als sich die Patrone durch Verzicht zwar von ihren Rechten, nicht aber von den Lasten befreien konnten. Die Baulast des Patrons erfuhr in der Folgezeit für die einzelnen Kronländer in eigenen Normen eine genaue Regelung. Weder das Konkordat vom 18. August 1855 noch das Katholikengesetz vom 7. Mai 1874 (RGBl. Nr. 50) hatten grundlegende Änderungen der bestehenden Ordnung des österreichischen Patronatsrechtes gebracht74. Wie bereits im Jahre 1849, als die in Wien versammelten Bischöfe in einer Eingabe an das Ministerium des Inneren Klage über die ungeheure Ausdehnung der Patronatsverhältnisse führten, wobei die freie bischöfliche Verleihung beinahe gänzlich erloschen sei, wurde auch im Jahr 1874 die endgültige Regelung der Materie einem besonderen Gesetz vorbehalten, das jedoch nicht zustande kam. Selbst die großen politischen Umwälzungen, die mit dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und dem Entstehen der Republik Österreich verbunden waren, berührten diesen Bereich nicht. Vielmehr wurde durch den Verwaltungsbeschluss vom 30. Oktober 1918 sowie durch das Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 der „Tractatus“ für die Republik Österreich rezipiert (StGBl. Nr. 1 § 16). Dies hatte zur Folge, dass der erste Titel des Tractatus, wenn auch in modifizierter Form, bis zum Jahre 1939 Gesetzeskraft behielt. Denn auch das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich vom 5. Juni 1933 / 1. Mai 1934 hatte keine grundsätzlichen Änderungen gebracht. So lautet Art. XI § 1: „Die Besetzung der kirchlichen Benefizien steht der Kirchenbehörde zu, abgesehen von besonderen Patronats- und Präsentierungsrechten, die auf kanonischen Sondertiteln beruhen. Die Besetzung jener Benefizien, auf welche der Bund oder ein öffentlicher Fonds Präsentationsrechte ausübt, wird auf Grund einer Dreierliste von Kandidaten erfolgen, welche der Diözesanordinarius nach den Vorschriften des ka73

Vgl. Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 3, Wien / München 1959, S. 309; Gradauer, Fragen (Anm. 29), S. 170. 74

Vgl. Gradauer, Fragen (Anm. 29), S. 173 f.; Franz Pototschnig, Die Entwicklung des österreichischen Patronatsrechtes im 19. Jahrhundert, in: ÖAKR 18 (1967), S. 196 – 246.

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nonischen Rechtes wählt und der staatlichen Kultusverwaltungsbehörde bekannt gibt.“ Die Aussage, dass die Besetzung der kirchlichen Benefizien, abgesehen von auf kanonischen Sondertiteln beruhenden besonderen Patronats- und Präsentationsrechten der Kirchenbehörde zusteht, entspricht ganz und gar dem Grundsatz der kirchlichen Autonomie, wie er in Art. 15 StGG verankert ist75. Ausdrücklich trifft das Zusatzprotokoll zu Artikel XI § 1 ÖK im Absatz 2 eine Regelung über die Zuständigkeit in Patronatstreitigkeiten76. Die Situation in der Zeit der Ersten Republik, also in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, war, wie Gradauer zu Recht bemerkt, „so, daß das freie bischöfliche Verleihungsrecht, wie es das kanonische Recht als Regel vorsieht, vielfach so gut wie ausgeschaltet war“77. Durch § 5 des Kirchenbeitragsgesetzes (Gesetz über die Erhebung von Kirchenbeiträgen im Lande Österreich vom 28. April 1939), das im Land Österreich mit 1. Mai 1939 in Kraft getreten ist, wurde die Verpflichtung der öffentlichen Patronate aufgehoben; die Verpflichtungen der Privaten Patronate blieben bestehen78. Eine Wiedergutmachung erfolgte im so 75

Vgl. im einzelnen zur geltenden Rechtslage Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 40), S. 596 – 623; Peter Leisching, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, in: HdbKathKR2, S. 1294 – 1308, bes. S. 1296 ff.; Herbert Kalb, Richard Potz / Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 501; 503 ff. 76 Vgl. Zusatzprotokoll zu Art. XI § 1 ÖK, in: AAS 26 (1934), S. 249 – 283, hier S. 278 f. (BGBl. 1934, S. 33 – 49): „1. Streitigkeiten über die Frage, ob eine Kirche oder eine Pfründe einem Patronat unterliege oder hinsichtlich der letzteren das freie Besetzungsrecht des Bischofs eintrete, sowie über die Frage, wem ein Kirchen- oder Pfründenpatronat zukomme, sind von der Kirchenbehörde nach den Vorschriften des kirchlichen Gesetzbuches zu entscheiden … 2. Der Heilige Stuhl stimmt zu, dass sämtliche Streitigkeiten über Leistungen, welche auf Grund eines bestehenden Patronates angesprochen werden, von den Behörden der staatlichen Kultusverwaltung im instanzmässigen Verfahren entschieden werden …“. 77

Gradauer, Fragen (Anm. 29), S. 175 m. w. N. So besetzte der Erzbischof von Wien von den über 500 Pfarreien nur 35 frei, der Bischof von Linz von den über 400 Pfarreien nur 5; vgl. auch Sebastian Ritter, Die kirchliche Vermögensverwaltung in Österreich, Salzburg 1954, S. 116 f. 78

„§ 1. Die katholische Kirche, die evangelische Kirche Augsburger und Helvetischen Bekenntnisses und die Altkatholische Kirche in Österreich sind berechtigt, nach Maßgabe von ihnen zu erlassender Kirchenbeitragsordnungen zur Deckung des kirchlichen Sach- und Personalbedürfnisses Kirchenbeiträge zu erheben… § 5. Im Hinblick auf die durch dieses Gesetz den in § 1 genannten Kirchen eröffneten Einnahmequellen werden die Verpflichtungen des Staates, der in staatlicher Verwaltung stehenden Fonds, der Gemeinden, der Kultverbände (Pfarr- und Kultusgemeinden) und der öffentlichen Patrone, zur Deckung des im § 1 genannten Bedarfes beizutragen, aufgehoben. Ebenso werden für alle anderen die Verpflichtungen zur Entrichtung regelmäßig wiederkehrender Leistungen aufgehoben, soweit sie nicht auf dem privaten Patronat oder auf Privatrechtstiteln beruhen.

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genannten Vermögensvertrag aus dem Jahre 1960 (Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen vom 23. Juni 1960; BGBl. Nr. 196 / 1960), in dem sich die Republik Österreich u. a. im Hinblick auf den Wegfall der öffentlichen Patronate zu alljährlichen Leistungen verpflichtete79. Private Patrone hatten nach wie vor die Baulast zu tragen, deren Regelung auf von Bundesland zu Bundesland verschiedenen Bestimmungen aus dem 19. Jahrhundert basieren und deren Fortgeltung sich aus dem Zusatzprotokoll zu Art. XIV ÖK ergibt80. Immer stärker rückte in Österreich die Frage in den Mittelpunkt, ob ein Privatpatronat nach österreichischem Staatskirchenrecht durch Verzicht des Patrons zum Erlöschen gebracht werden könne (vgl. c. 1470 § 1, n. 1 CIC/1917, der als Erlöschungsgrund nennt: si patronus iuri suo renuntiaverit). Der hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Kirchenbehörde und staatlicher Kultusverwaltung im Konkordat 1933 / 34 klar getroffenen Kompetenzaufteilung blieb bis zum Jahre 1967 die Durchsetzung versagt, da bis dahin staatliche Instanzen auch über den Bestand des Patronats dem Grunde nach entschieden. Erst mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1967 (Zl. 1433 / 64 – 11, 1447 / 64 – 10, 1448 / 64 – 10) wurde ausgesprochen, dass zur Entscheidung über den Bestand eines Privatpatronats dem Grunde nach nicht die staatlichen, sondern die kirchlichen Behörden zuständig seien81.

§ 6 Sämtliche diesem Gesetz entgegenstehende Bestimmungen treten außer Kraft …“. Zur Entwicklung im einzelnen Walter Hagel, Die Entwicklung des Patronatsrechtes 1939 – 1989, in: Kirchliches Finanzwesen in Österreich. Geld und Gut im Dienste der Seelsorge. Hrsg. von Hans Paarhammer, Thaur / Tirol 1989, S. 167 – 187, hier S. 169 – 172; Gradauer, Fragen (Anm. 29), S. 178 – 182. 79 Text in: AAS 52 (1960), S. 933 – 941; abgedr. in: ÖAKR 11 (1960), S. 303 – 307; vgl. im einzelnen Gradauer, Fragen (Anm. 29), S. 182 f.; Hagel, Entwicklung (Anm. 78), S. 173 f. 80 Vgl. hierzu vor allem Richard Puza, Die finanzielle Leistungspflicht des Patrons nach dem österreichischen Baulastrecht, in: ÖAKR 19 (1968), S. 13 – 61; ders., Patronat und Inkorporation nach österreichischem Staatskirchenrecht unter besonderer Berücksichtigung der Baulast, in: ÖAKR 19 (1968), S. 308 – 336; ferner Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich. Von Hans Heimerl / Helmuth Pree unter Mitwirkung von Bruno Primetshofer, Regensburg 1993, bes. S. 458 – 463. 81 Auszüge in: ÖAKR 19 (1968), S. 80 – 104; vgl. auch VwGH Zl. 2228 / 70 – 10, in: ÖAKR 23 (1972), S. 212 – 225; dazu Helmut Schnizer, Ein Richtungswechsel in der Patronatsjudikatur, in: ÖAKR 20 (1969), S. 270 – 301; abgedr. in: ders., Rechtssubjekt, Rechtswirksames Handeln und Organisationsstrukturen. Ausgewählte Aufsätze aus Kirchenrecht, Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 42), Freiburg / Schweiz 1995, S. 67 – 98; Hagel, Entwicklung (Anm. 78), S. 174 – 183.

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Der Verwaltungsgerichtshof bejahte damit die Geltung des zweiten Absatzes des Zusatzprotokolls zu Art. XI § 1 ÖK. Dies bedeutet, dass eine Entscheidung über den Bestand des Patronats dem Grunde nach seit 1967 nicht mehr von der staatlichen, sondern nur von der kirchlichen Behörde nach den Vorschriften des kirchlichen Gesetzbuches ergehen kann. In der Folgezeit gaben einige Patronatsinhaber Verzichtserklärungen auf ihre Patronate gegenüber den zuständigen bischöflichen Ordinariaten ab, in der Meinung, der Verzicht sei mit der Abgabe der Verzichtserklärung gültig und rechtswirksam und das Patronatsrecht damit seinem ganzen Umfang nach erloschen. Im Jahre 1971 ging die Kongregation für den Klerus in einem Rekursverfahren jedoch von einer kirchenrechtlich umstrittenen Annahmebedürftigkeit eines Patronatsverzichts aus und empfahl, dass die Streitparteien „in Eintracht und Bereitwilligkeit ein Übereinkommen über die Auflösung des Patronats“ eingehen82. Dies geschah vielfach, wobei für die Baulastverpflichtung des Patrons eine Ablösung geleistet wurde. Konkret wurde im Jahre 1973 bezüglich eines Verzichts auf Privatpatronate zwischen dem Hauptverband der Land- und Forstwirtschaftsbetriebe Österreichs als Vertreter der verzichtswilligen Patrone und der Österreichischen Bischofskonferenz eine Einigung über die Vorgangsweise bei der Ablösung von Privatpatronaten erzielt und Vertragsmuster für die Verzichtsannahme entworfen83. So wurde gemäß dieser Vereinbarung bis Ende der 70er-Jahre von 586 Patronaten (215 geistliche, 371 Laienpatronate) ein Patronatsverzicht auf 265 (vorwiegend Laienpatronate) durchgeführt84. Ein Verzicht auf bestehende Patronate zeichnete sich im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil auch in Südtirol ab. Am 11. Februar 1929 waren die so genannten Lateranverträge abgeschlossen worden. Diese umfassten neben dem Abkommen über die Errichtung und Anerkennung des Staates der Vatikanstadt und dem Finanzabkommen als drittes das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien, in dem auch die Frage der

82 SC Cler, Dekret vom 12.11.1971 (Prot. Nr. 136300 / I); dt. in: ÖAKR 23 (1972), S. 107. Bruno Primetshofer, Die Beendigung der Privatpatronate durch Verzicht des Patrons, in: JurBl 96 (1974), S. 553 – 562; abgedr. in: ders., Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften. Hrsg. von Josef Kremsmair / Helmut Pree (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 44), Berlin 1997, S. 937 – 956, hier S. 956, bemerkt, dass die Rechtsauffassung der Kongregation „unrichtig ist. Weder aus dem allgemeinen noch aus dem partikulären Kirchenrecht ergibt sich, daß der Patronatsverzicht annahmebedürftig und von der Leistung von Ablösebeträgen abhängig gemacht werden kann.“ 83

Vereinbarung über die Vorgehensweise bei Beendigung der Patronate vom 3. Mai 1973 und Annex zu dieser Vereinbarung, in: ÖAKR 24 (1973), S. 346 – 354; dazu Hagel, Die Auflösung (Anm. 42); Kalb, Patronat (Anm. 26), Sp. 1484; kritisch Primetshofer, Beendigung (Anm. 82). 84

Kalb / Potz / Schinkele, Religionsrecht (Anm. 75), S. 505.

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Errichtung und Anerkennung von Diözesen und Pfarreien, die Ernennung der Bischöfe und Pfarrer sowie die Vermögenswaltung geregelt war. Rasch wurde in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Italien, ähnlich wie Spanien und Portugal, die Institution „Staatskirche“ aufgehoben. Der Vertrag mit dem Heiligen Stuhl vom 18. Februar 1984, der das Laterankonkordat von 1929 modifizierte, besiegelte diesen Prozess85. Im Anschluss an die Konkordatsrevision und das darauf folgende Abkommen über die Strukturen der katholischen Kirche und deren Finanzierung vom 15. November 198486 wurden auch in Südtirol die Patronate abgelöst. Derzeit stellt sich im Fürstentum Liechtenstein im Rahmen der bereits seit mehreren Jahren diskutierten Entflechtung von Kirche und Staat87 vehement auch Frage nach der Ablösung von Patronaten88. Der Blick auf andere europäische Staaten zeigt ein differenziertes Bild, da ganz unterschiedliche Systeme, die in den einzelnen Ländern historisch gewachsen sind, die Europäische Union im Verhältnis von Staat und Kirche kennzeichnen. Das Recht der Union respektiert diese Vielfalt (vgl. Präambel und Art. 6 Abs. 3 EUV). Immer stärker zeichnet sich als Basis eines gemeinsamen Religionsrechts die Religionsfreiheit ab. Auch wird in der Erklärung Nr. 11 zur Schlussakte zu den Beschlüssen von Amsterdam, die am 2. Oktober 1997 unterzeichnet wurde, festgeschrieben, dass der Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Vorschriften genießen, nicht beeinträchtigt werden darf. Entsprechendes gilt für den Status von Weltanschauungsgemeinschaften. Diese Bestimmung, die in Art. 51 (bisher Art. 37) des Entwurfs der zukünftigen EU-Verfassung 85

Vgl. Joseph Listl / Alexander Hollerbach, Grundmodelle einer möglichen Zuordnung von Kirche und Staat, in: HdbKathKR2, S. 1256 – 1268, hier S. 1263. 86

Vgl. Josef Michaeler, Die rechtliche Stellung der Katholischen Kirche in Italien mit Berücksichtigung der Situation in Südtirol, in: Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Konrad Breitsching / Wilhelm Rees (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 46), Berlin 2001, S. 539 – 571, bes. S. 544 – 553; Michael Mitterhofer, „Inkorporierte Pfarreien“ in der Diözese Bozen-Brixen. Ein Beitrag zur Ausformung und Veränderung des Benefizialsystems (= Pontificia Universitatis Gregoriana. Facultas Iuris Canonici), Bozen 1992. 87

Vgl. Herbert Wille, Staat und Kirche im Fürstentum Liechtenstein (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 15), Freiburg / Schweiz 1972; ders. / Georges Baur (Hrsg.), Staat und Kirche. Grundsätzliche und aktuelle Probleme (= Liechtenstein. Politische Schriften, Bd. 26), Vaduz 1999. 88

Vgl. zu den Patronaten René Pahud de Mortanges, Gegenwart und Zukunft der Patronatsrechte in Liechtenstein, in: Wille / Baur, Staat und Kirche (Anm. 87), S. 151 – 162; zur Schweiz vgl. Paul Weibel, Das Selbstbestimmungsrecht der Römisch-Katholischen Kirche. Eine staatskirchenrechtliche Studie am Beispiel des Kantons Schwyz (= AIC 17), Frankfurt am Main u. a. 2003, S. 387 – 399.

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aufgenommen wurde, lässt somit die Patronatsfrage in der Zuständigkeit des jeweiligen Staates und der seiner Kirche. IV. Schluss Die Patronate haben eine wechselseitige Geschichte erfahren, die von einem übermäßigen Ansteigen bis hin zur weitreichenden Ablösung in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gekennzeichnet ist. Wenngleich Präsentationsrechte gemäß dem ekklesiologischen Selbstverständnis der Kirche weithin abgelöst werden sollen und die Kirche die freie Besetzung kirchlicher Ämter durch den zuständigen kirchlichen Oberen als dem kirchlichen Selbstverständnis gemäß favorisiert, kann die Kirche keinen Zwang in Richtung Ablösung ausüben. Joseph Listl hat in dieser Frage nicht nur das Recht der freien Ämterbesetzung und damit einer freien Kirche im freien Staat gefordert und verteidigt, sondern andererseits immer wieder auch auf die Pflicht zur Einhaltung bestehender Rechte und Vereinbarungen gedrungen. Nicht zuletzt hat er in der Frage der Patronatsrechte durch zahlreiche Stellungnahmen, durch die Mitwirkung bei der Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den neuen Bundesländern in der Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands und den Konkordatsverhandlungen in den neuen Bundesländer einen entscheidenden Beitrag sowohl für die Eigenständigkeit der Kirche als auch für ein gutes Verhältnis und Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche geleistet.

Der Bischof und der Dritte Weg Zur Bedeutung des Diözesanbischofs für das ArbeitsrechtsRegelungsverfahren der katholischen Kirche in Deutschland Von Ulrich Rhode Seit bald 30 Jahren entsteht das Arbeitsvertragsrecht für den Großteil der Beschäftigten der katholischen Kirche in Deutschland nicht durch einseitige Setzung („Erster Weg“) oder durch Tarifverhandlungen („Zweiter Weg“), sondern nach dem Modell des „Dritten Weges“. Die wesentlichen Elemente dieses Modells beschreibt die im Jahre 1993 beschlossene „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ folgendermaßen: Das Verhandlungsgleichgewicht ihrer abhängig beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Abschluß und Gestaltung der Arbeitsverträge sichert die katholische Kirche durch das ihr verfassungsmäßig gewährleistete Recht, ein eigenes ArbeitsrechtsRegelungsverfahren zu schaffen. Rechtsnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse kommen zustande durch Beschlüsse von Kommissionen, die mit Vertretern der Dienstgeber und Vertretern der Mitarbeiter paritätisch besetzt sind. Die Beschlüsse dieser Kommissionen bedürfen der bischöflichen Inkraftsetzung für das jeweilige Bistum. Das Nähere, insbesondere die jeweiligen Zuständigkeiten, regeln die KODA-Ordnungen. Die Kommissionen sind an diese Grundordnung gebunden.

Diese Beschreibung bringt die Auffassung zum Ausdruck, daß zu den Personen, die für den Dritten Weg von Bedeutung sind, nicht nur Dienstgeber und Mitarbeiter gehören, sondern auch der Diözesanbischof. Wenn man seine Bedeutung für den Dritten Weg genauer untersuchen will, hat man zu unterscheiden zwischen (I) der Bedeutung des Bischofs für die rechtliche Gestaltung des Dritten Weges und (II) der Beteiligung des Bischofs beim Zustandekommen der einzelnen Arbeitsrechtsregelungen. I. Die rechtliche Gestaltung des Dritten Weges 1. Geschichtlicher Überblick Die geschichtliche Entwicklung der Bestimmungen über den Dritten Weg und der Rolle, die der Diözesanbischof dabei einnimmt, ist in den verschiede-

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nen Bereichen der Kirche unterschiedlich verlaufen. In erster Linie ist zu unterscheiden zwischen dem „diözesanen Bereich“, der als Anstellungsträger vor allem die Bistümer, Kirchengemeinden (bzw. Kirchenstiftungen) und Kirchengemeindeverbände umfaßt, und dem „Caritas-Bereich“, d. h. dem Deutschen Caritasverband (DCV) und den ihm angeschlossenen Anstellungsträgern.1 a) Diözesaner Bereich Die Entscheidung, im diözesanen Bereich dem Dritten Weg zu folgen, fiel auf einer Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) am 5. Dezember 1977.2 Dazu wurde das Muster einer „Ordnung zur Mitwirkung bei der Gestaltung des Arbeitsvertragsrechtes durch eine Kommission für den diözesanen Bereich“ verabschiedet.3 Rechtlich gesehen handelte es sich dabei um eine Empfehlung an die Diözesanbischöfe, die von diesen nach und nach durch den Erlaß von Bistums- oder Regional-KODA-Ordnungen umgesetzt wurde.4 Im Laufe der Jahrzehnte wurden diese Ordnungen wiederholt geändert, unter anderem aufgrund neuer Empfehlungen seitens des VDD aus den Jahren 1986 und 1998.5 Zusätzlich zu den KODA-Ordnungen wurden auch verschiedene ergänzende Dokumente wie Wahlordnungen, Geschäftsordnungen und Schlichtungsordnungen erlassen. Unter den im diözesanen Bereich gebildeten Kommissionen lassen sich heute drei Arten unterscheiden: (1) Von einer „Bistums-KODA“ wird gesprochen, wenn für ein einzelnes Bistum eine eigene „Kommission zur Ordnung des diözesanen Arbeitsvertragsrechtes“ (KODA) gebildet wurde. Das ist gegenwärtig in acht Bistümern der

1

Die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die das auf dem Dritten Weg geschaffene Arbeitsvertragsrecht gilt, liegt im diözesanen Bereich gegenwärtig bei etwa 180.000, im Caritas-Bereich bei etwa 499.000 (Angabe für den diözesanen Bereich aufgrund einer Schätzung von W. Nüsse vom Juli 2003, veröffentlicht unter http://www. zentralkoda.de/wir/mitglieder.doc [besucht am 31.3.2003]; Angabe für den CaritasBereich nach: Neue Caritas 105 [2004] Heft 4, S. 39). 2

Arbeitsvertragsrecht in der Kirche (Arbeitshilfen; Bd. 16), Bonn 1980, S. 3.

3

Abgedruckt ebd., S. 17 – 22; im folgenden bezeichnet als „Muster-KODAOrdnung, von 1977“. 4

Nachweise für die Zeit bis 1980 ebd., S. 30. Im Bistum Fulda wurde eine KODAOrdnung erst im Jahre 1988 eingeführt (ABl Fulda 1988, Nr. 168), im Bistum Trier erst im Jahre 1989 (ABl Trier 1989, S. 159). 5

Nachweise der geltenden Ordnungen in: R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 4. Aufl., München 2003, S. 215, Anm. 21 und 22.

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315

Fall.6 Von ihrer Rechtsnatur her handelt es sich bei der für eine Bistums-KODA erlassenen Ordnung um ein Diözesangesetz, das der jeweilige Diözesanbischof aufgrund seiner Gesetzgebungsgewalt für seinen Zuständigkeitsbereich erläßt. (2) Die übrigen 19 deutschen Bistümer haben keine eigene „Bistums-KODA“, sondern haben sich zu vier Regionen zusammengeschlossen, in denen jeweils eine „Regional-KODA“ gebildet wurde.7 Die dafür bestehenden Ordnungen kommen dadurch zustande, daß sie aufgrund einer Übereinkunft zwischen den beteiligten Diözesanbischöfen gleichlautend als Diözesangesetze erlassen werden. Aus Sicht des kanonischen Rechts ist eine solche „Additions-Gesetzgebung“ allerdings nicht möglich. Durch ein übereinstimmendes Vorgehen mehrerer kirchlicher Gesetzgeber erlangen diese nicht eine Gesetzgebungskompetenz für die Gesamtheit ihrer Zuständigkeitsbereiche. Eine solche Gesetzgebungskompetenz könnte ihnen nur durch die höchste Autorität der Kirche, d. h. durch den Papst oder das Bischofskollegium, übertragen werden (c. 135 § 2).8 (3) Mit dem Ziel einer größeren Flexibilisierung wurde darüber hinaus seit einigen Jahren in die meisten9 KODA-Ordnungen die Möglichkeit der Bildung von Kommissionen für bestimmte Teilbereiche („Bereichs-KODA“) eingefügt.10 Diese Möglichkeit wurde für solche Rechtsträger eröffnet, die nicht die Stellung einer öffentlichen juristischen Person des kanonischen Rechts besitzen. Was die Gesetzgebungsgewalt für die Ordnung einer Bereichs-KODA angeht, gilt – je nachdem, ob sie von einem einzelnen Bischof oder überein6

Eine „Bistums-KODA“ gibt es in den (Erz-)Bistümern Freiburg, Fulda, Hildesheim, Limburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart, Speyer und Trier. 7

(1) An der „Bayerischen Regional-KODA“ sind die (Erz-)Bistümer Augsburg, Bamberg, Eichstätt, München und Freising, Passau, Regensburg und Würzburg beteiligt. (2) An der „Regional-KODA NW“ sind die (Erz-)Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster (nordrhein-westfälischer Teil) und Paderborn beteiligt. (3) An der „Regional-KODA Nord-Ost“ sind die (Erz-)Bistümer Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz, Hamburg und Magdeburg beteiligt. (4) An der „Regional-KODA Osnabrück-Vechta“ sind die Bistümer Osnabrück und Münster (niedersächsischer Teil) beteiligt. 8

Vgl. dazu J. Eder, Tarifpartnerin Katholische Kirche. Der Dritte Weg der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland aus kanonistischer Sicht (Schriften der Universität Passau; Reihe Katholische Theologie; Band 7), Passau 1991, S. 35. 9

Die Bayerische Regional-KODA-Ordnung von 2003 sieht diese Möglichkeit nicht vor.

10

Siehe z. B. Regional-KODA-Ordnung Nord-Ost, vom 2.2.1999, § 1, Abs. 2: „Diese Ordnung gilt auch für die sonstigen kirchlichen Rechtsträger unbeschadet ihrer Rechtsform, welche die Grundordnung für ihren Bereich rechtsverbindlich übernommen haben, wenn nicht der Diözesanbischof für diese Rechtsträger eine eigene Ordnung erlassen hat.“ (Hervorh. d. Verf.) Zur gegenwärtigen Praxis vgl. J. Eder, Dienstgeberfreundlicher Dritter Weg in der Katholischen Kirche, in: Die Mitarbeitervertretung (ZMV) 13 (2003) 67.

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stimmend von mehreren Bischöfen erlassen wird – dasselbe, was voranstehend über die Ordnung der Bistums- bzw. Regional-KODA gesagt wurde. Am 22. September 1993 beschloß die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (GrO). Rechtlich gesehen handelte es sich bei diesem Beschluß um eine Gesetzgebungsempfehlung an die einzelnen Diözesanbischöfe, die die GrO anschließend aufgrund ihrer Gesetzgebungsgewalt jeweils für ihr Bistum als Diözesangesetz erließen.11 Für den „diözesanen Bereich“ beansprucht die GrO unmittelbare Geltung.12 In Art. 7 enthält sie die eingangs zitierte Beschreibung des Dritten Weges. Gegenüber den im diözesanen Bereich bestehenden KODA-Ordnungen brachte Art. 7 GrO keine Veränderung der rechtlichen Situation mit sich, sondern nur eine zusammenfassende Bekräftigung der bestehenden Verpflichtung auf den Dritten Weg. b) Verband der Diözesen Deutschlands Für die wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die beim VDD angestellt sind, wurde eine eigene KODA gebildet.13 Die Ordnung dafür wurde vom VDD selbst erlassen.14 Die Vollmacht dazu beruht auf der Satzungsautonomie, die dem VDD als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach staatlichem Recht zukommt.15 c) Caritas-Bereich Für den DCV und die ihm angeschlossenen Einrichtungen und Dienststellen fiel die Entscheidung für den Dritten Weg der Sache nach bereits einige Jahre früher als im diözesanen Bereich: Am 10. April 1975 beschloß der Zentralrat des DCV, die für das Erlassen von Arbeitsvertragsrichtlinien zuständige Kommission paritätisch zu besetzen; zugleich erhielt sie den Namen „Arbeitsrechtliche Kommission“ (AK).16 Innerhalb der Struktur des DCV war das Organ, zu dem die AK

11 Nachweise in: R. Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 5), S. 57, Anm. 55. Auch veröffentlicht in: Die deutschen Bischöfe, Heft 51. 12

GrO, Art. 2, Abs. 1.

13

Vgl. J. Eder, Tarifpartnerin (Anm. 8), S. 25.

14

Abdruck der ab 1.1.1987 geltenden Fassung ebd., S. 253 – 258.

15

Vgl. ebd., S. 50 f. Daß die Geltung dieser Ordnung im Kern auf staatlichem Recht beruht, bedeutet – wie Eder aufzeigt – nicht, daß sie aus Sicht des kanonischen Rechts einfach als ein nullum anzusehen wäre. 16

Ebd., S. 23; vgl. auch R. Richardi, Ursprung und Ziel des Dritten Weges – Ein Weg ohne Alternative, in: Caritas 98 (1997) S. 313.

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317

als Kommission gehörte und bei dem die Zuständigkeit lag, der AK eine Ordnung zu geben, bis zum Jahre 2003 der Zentralrat des DCV; er wurde in der Satzung des DCV vom 16. Oktober 200317 durch den Caritasrat ersetzt. Um einen Einfluß der Bistümer auf die Arbeitsvertragsrichtlinien im CaritasBereich sicherzustellen, hatte die DBK im Jahre 1966 – also noch vor Einführung des Dritten Weges – besondere „Richtlinien“18 erlassen. Ihre rechtliche Geltung erhielten diese „Richtlinien“ dadurch, daß in die Ordnung der AK eine (statische) Verweisung darauf eingefügt wurde.19 Die im Jahre 1993 erlassene GrO geht in der Angabe ihres Geltungsbereichs auch auf den Caritas-Bereich ein. Unmittelbare Geltung beansprucht sie nur für jene Diözesancaritasverbände und deren Gliederungen, die die Stellung einer öffentlichen juristischen Person des kanonischen Rechts besitzen20; das ist in der Regel jedoch nicht der Fall.21 Über den DCV als ganzen und die „sonstigen kirchlichen Rechtsträger unbeschadet ihrer Rechtsform“ heißt es in der GrO, sie sei „darauf anzuwenden“ und die betreffenden Rechtsträger seien „gehalten, die GrO für ihren Bereich rechtsverbindlich zu übernehmen.“22 Dieser Erwartung hat der DCV dadurch entsprochen, daß er in seine Satzung vom 16. Oktober 2003 eine (dynamische) Verweisung auf die GrO einfügte.23 Auf diese Weise hat der DCV sich implizit auch an das in der GrO beschriebene Verständnis des Dritten Weges gebunden. Am 25. November 1996 hatte die Vollversammlung des VDD eine neue Fassung der „Richtlinien“ über die Beteiligung der Bistümer bei der Inkraftsetzung von Beschlüssen der AK beschlossen.24 Die Verweisung der Ordnung der 17

Satzung des DCV e. V., vom 16.10.2003, in: Neue Caritas 105 (2004) Heft 5, S. 32 – 40.

18

Die im Jahre 1966 erlassenen Richtlinien sind – allerdings fälschlich unter Angabe der Jahreszahl „1986“ – abgedruckt in: J. Eder, Tarifpartnerin (Anm. 8), S. 235 f. 19

Auch die Zentral-KODA-Ordnung von 1977, § 7, Abs. 2 (in: Arbeitsvertragsrecht [Anm. 2], S. 29) erklärte, daß im Zusammenhang mit der Ordnung der AK auch die „Richtlinien“ zu beachten waren. 20

GrO, Art. 2, Abs. 1 d).

21

Bei den Diözesancaritasverbänden dürfte es sich größtenteils um private Vereine handeln; vgl. A. E. Hierold, Organisation der Karitas, in: HdbKathKR2, S. 1033 – 1037; H. Heinemann, Die Rechtsstellung des Deutschen Caritasverbandes und der Diözesanverbände und ihre Einordnung in das Gesetzbuch der Kirche, in: AfkKR 158 (1989) S. 416 – 428. 22

GrO, Art. 2, Abs. 2.

23

Satzung des DCV vom 16.10.2003, Art. 2, Abs. 5: „Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse findet in ihrer jeweiligen im Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg veröffentlichten Fassung Anwendung.“ 24 Der genaue Name der Richtlinien und das darin beschriebene Verfahren erfuhren dabei erhebliche Änderungen. Die neuen „Richtlinien“ sind abgedruckt in den Amtsblättern fast aller deutschen Diözesen, z. B. ABl Hamburg (1997) S. 28 f. und 115 f.

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AK auf die „Richtlinien“ wurde entsprechend aktualisiert.25 Derzeit ist eine Neufassung der Ordnung der AK geplant; sie soll voraussichtlich zum 1. Juli 2004 in Kraft treten. Während im diözesanen Bereich die gesamte rechtliche Gestaltung des Dritten Weges auf der Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs beruht, sind im Caritas-Bereich nach dem voranstehend Gesagten drei Ebenen der Normierung zu unterscheiden: (1) Die grundlegende Verpflichtung auf den Dritten Weg im Caritas-Bereich ergibt sich aus der in der GrO formulierten Erwartung der Bischöfe und ihrer rechtsverbindlichen Übernahme in der Satzung des DCV. (2) Die nähere Beschreibung des Dritten Weges im Caritas-Bereich geht aus der Ordnung der AK hervor, die hinsichtlich ihrer Geltung auf der Satzungsautonomie des DCV beruht. (3) Ein einzelner konkreter Aspekt der Umsetzung des Dritten Weges, nämlich die Mitwirkung der Bischöfe beim Zustandekommen der einzelnen Arbeitsvertragsrichtlinien, ergibt sich aus der Ordnung der AK in Verbindung mit den von der DBK beschlossenen „Richtlinien“. Aus sich selbst heraus haben diese „Richtlinien“ keine rechtliche Geltung. Das ergibt sich schon aus formalen Zuständigkeitsüberlegungen: Weder besitzt die DBK auf diesem Gebiet Gesetzgebungskompetenz (vgl. c. 455), noch ist der einzelne Diözesanbischof zuständig, in das Arbeitsrechts-Regelungsverfahren des auf Ebene der DBK anerkannten privaten kanonischen Vereins „DCV“ (vgl. c. 312 § 1, 2°) einzugreifen. Die Geltung der „Richtlinien“ ergibt sich vielmehr daraus, daß die Ordnung der AK durch eine statische Verweisung darauf Bezug nimmt. Im Ergebnis ist festzustellen, daß alle drei genannten Ebenen der Normierung des Dritten Weges im Caritas-Bereich rechtlich gesehen nicht auf der Gesetzgebungsgewalt der Bischöfe oder der DBK beruhen, sondern auf der Satzungsautonomie des DCV. d) Sonstige Rechtsträger Außerhalb der bislang genannten drei Bereiche (diözesaner Bereich, VDD, Caritas-Bereich) gibt es weitere Rechtsträger, die unzweifelhaft als „kirchliche 25

In § 15 der Ordnung der AK heißt es seitdem: „Die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission sind vom Vorsitzenden zu unterzeichnen und nach Maßgabe der seit 1. Januar 1997 geltenden Richtlinien für die Inkraftsetzung der Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes in der Bundesrepublik Deutschland in der ,Caritas-Korrespondenz‘ zu veröffentlichen. Mit der Veröffentlichung treten die Beschlüsse in Kraft.“

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319

Rechtsträger“ anzusehen sind. Dazu zählen etwa Ordensgemeinschaften sowie ein Teil der Rechtsträger in kirchlichen Verbänden, die außerhalb des Caritas-Bereichs tätig sind, z. B. in der Jugendarbeit oder Erwachsenenbildung. Um ihr Arbeitsvertragsrecht nach dem Dritten Weg zu gestalten, könnten diese Rechtsträger an sich eigene Kommissionen zur Ordnung des Arbeitsrechts bilden. Angesichts des damit verbundenen Aufwandes einerseits und einer vergleichsweise geringen Zahl von Beschäftigten andererseits entscheiden sich diese Rechtsträger in der Regel jedoch zur Übernahme des Arbeitsvertragsrechts der jeweiligen Diözese oder des DCV. Ob die genannten Rechtsträger verpflichtet sind, ihr Arbeitsvertragsrecht nach dem in der GrO beschriebenen Modell des Dritten Weges zu gestalten, hängt davon ab, ob sie der Gesetzgebungsgewalt der Diözesanbischöfe in einem solchen Umfang unterstehen, daß ihnen die Anwendung der GrO auferlegt werden kann. Die Frage, inwieweit das der Fall ist, wird weiter unten bei der Untersuchung der Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt behandelt.26 e) Zentral-KODA Als sich der VDD im Jahre 1977 im Hinblick auf den diözesanen Bereich für die Einführung des Dritten Weges entschied, beschloß er zugleich, zur Förderung einer gewissen Einheitlichkeit des gesamten kirchlichen Arbeitsrechts eine für alle kirchlichen Rechtsträger Deutschlands zuständige Kommission zu errichten. Er entwickelte dazu eine „Ordnung zur Mitwirkung bei der Gestaltung des Arbeitsvertragsrechts durch eine Kommission für den überdiözesanen Bereich (Zentral-KODA)“.27 Die Ordnung wurde (mit einigen Ausnahmen) von den einzelnen Diözesanbischöfen jeweils für ihr Gebiet in Kraft gesetzt.28 Rechtlich gesehen steht diesem Vorgehen allerdings die bereits oben im Zusammenhang mit dem Erlassen der Regional-KODA-Ordnungen erwähnte Unmöglichkeit einer „Additions-Gesetzgebung“ entgegen. Für alle kirchlichen Rechtsträger vorgesehene einheitliche Arbeitsrechtsregelungen konnte die Zentral-KODA in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens nicht verbindlich beschließen, sondern nur den verschiedenen Kommissionen (KODA bzw. AK) als Empfehlung vorlegen. Ein größeres Gewicht erhielt die Zentral-KODA erst durch eine Neugestaltung ihrer Ordnung am 15. Juni 1998.29 Seitdem kann sie in bestimmten abschließend aufgezählten Angelegenheiten30 rechtlich bindende Beschlüsse fassen; in den übrigen Angelegenheiten 26

Siehe Abschnitt 2.

27

Abgedruckt in: Arbeitsvertragsrecht (Anm. 2), S. 26 – 29.

28

Nachweise ebd., S. 32.

29

Nachweise in: R. Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 5), S. 214, Anm. 20.

30

Zentral-KODA-Ordnung 1998, § 3, Abs. 1.

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kann sie nach wie vor nur Empfehlungen abgeben.31 Die Koordination zwischen der Zentral-KODA und den einzelnen Kommissionen wurde dadurch hergestellt, daß in die Bistums- und Regional-KODA-Ordnungen sowie in die Ordnung der AK des DCV Klauseln eingefügt wurden, wonach aus deren Zuständigkeit für das Erlassen von Arbeitsrechtsregelungen jene Angelegenheiten ausgenommen wurden, in denen die Zentral-KODA von ihrer Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht hat.32 2. Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt Wie der voranstehende Überblick zeigt, ist der Einfluß der Bischöfe auf die rechtliche Gestaltung des Dritten Weges bei den verschiedenen Arten von Anstellungsträgern unterschiedlich ausgeprägt. Ausschlaggebend dafür ist die Reichweite der Gesetzgebungsgewalt des Bischofs; zu berücksichtigen sind dabei sowohl die Grenzen seines Zuständigkeitsbereichs als auch die inhaltliche Begrenzung seiner Gesetzgebungsgewalt gegenüber den verschiedenen Anstellungsträgern angesichts ihrer jeweiligen kanonischen Rechtsstellung. Die Bistümer und die Pfarreien – bzw. die Kirchengemeinden, Kirchenstiftungen und Kirchengemeindeverbände als Rechtsträger der Pfarreien nach staatlichem Recht – unterliegen im Hinblick auf ihre gesamte Betätigung der Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs. Er kann sie durch den Erlaß der GrO unmittelbar zur Einhaltung des Dritten Weges verpflichten und die Einzelheiten dazu in der KODA-Ordnung und den zugehörigen Dokumenten festlegen. Der VDD unterliegt als überdiözesaner Rechtsträger nicht der Gesetzgebungsgewalt der einzelnen Diözesanbischöfe. In der GrO haben die Bischöfe den VDD aufgefordert, die GrO für seinen Bereich rechtsverbindlich zu übernehmen33; dieser Aufforderung ist der VDD bislang nicht nachgekommen.34 Beim Erlassen der Ordnung der besonderen KODA des VDD handelt es sich nicht um bischöfliche Gesetzgebung, sondern um Ausübung der dem VDD eigenen Satzungsautonomie. Was das Verhältnis kanonischer Lebensverbände (z. B. Ordensgemeinschaften) zum Diözesanbischof angeht, ist zwischen ihrer inneren Leitung und

31

Ebd., Abs. 3.

32

Siehe z. B. Regional-KODA-Ordnung Nord-Ost, vom 2.2.1999, § 3, Abs. 1; Bayerische Regional-KODA-Ordnung, von 2003, § 2 Abs. 1 S. 3; Ordnung des AK des DCV, von 1995, § 1 Abs. 3. 33 34

GrO, Art. 2, Abs. 2.

Siehe dazu: Satzung des VDD sowie Geschäftsordnung und Grundsätze zur Arbeitsweise der Kommissionen, vom 25.11.2003, in: ABl Hildesheim 2004, S. 56 – 73.

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rechtlichen Ordnung einerseits und ihrem Wirken nach außen andererseits zu unterscheiden: – Im Hinblick auf den Einfluß des Bischofs auf den Innenbereich unterscheidet das kanonische Recht zwischen Verbänden diözesanen und päpstlichen Rechts (vgl. c. 593). Beiden Arten von Verbänden, also auch denen diözesanen Rechts, sichert das kanonische Recht jedoch eine „gebührende Autonomie ihres Lebens, insbesondere ihrer Leitung“ zu (c. 586); insbesondere können sie über Gebrauch und Verwaltung ihres Vermögens selbständig Normen erlassen (vgl. c. 635). Daraus folgt, daß ein Beschäftigungsverhältnis, das nicht das Wirken eines Lebensverbandes nach außen betrifft – z. B. zwischen einem Kloster und dem von ihm angestellten Koch –, von vornherein nicht der Gesetzgebungsgewalt des Bischofs unterliegt.35 – Die Einflußmöglichkeiten des Bischofs auf das Wirken kanonischer Lebensverbände nach außen sind grundlegend in cc. 678 § 1 und 738 § 2 beschrieben. Nach c. 678 § 1 „unterstehen die Ordensleute der Gewalt der Bischöfe in dem, was die Seelsorge, die öffentliche Abhaltung des Gottesdienstes und andere Apostolatswerke betrifft.“ Entsprechendes gilt für Mitglieder von Gesellschaften des apostolischen Lebens (c. 738 § 2). Anstellungsverhältnisse, bei denen es um Seelsorge, amtlichen Gottesdienst und andere Apostolatswerke geht, unterliegen daher der Gesetzgebungsgewalt des Bischofs, allerdings nicht in jeder Hinsicht, sondern eben insofern es sich dabei um Seelsorge usw. handelt.36 Weil es bei dem anzuwendenden Arbeitsrechtsregelungsverfahren nicht um Seelsorge, Gottesdienst und Apostolat als solche geht, betrifft die durch die GrO ausgesprochene Verpflichtung auf den Dritten Weg eine Frage, die sich jenseits der bischöflichen Aufsichtsrechte bewegt. Ob eine Ordensgemeinschaft das Verhältnis zu ihren Beschäftigten nach dem Dritten Weg gestalten will, kann sie daher autonom entscheiden.37 Die gegenwärtig in der GrO und in den KODA-Ordnungen enthaltenen Aussagen über die Geltung dieser Ordnungen

35

Die seit dem Jahre 2003 geltende Bayerische Regional-KODA-Ordnung geht in § 3, Abs. 1, Nr. 1 und 3 davon aus, daß der Bischof durch den Erlaß der KODAOrdnung die kanonischen Lebensverbände diözesanen Rechts unmittelbar verpflichten kann, während das bei Verbänden päpstlichen Rechts nicht möglich sei (vgl. zu dieser Ansicht auch R. Richardi, Arbeitsrecht [Anm. 5], S. 58, Rn. 39 – 40). Mit der beschriebenen Autonomie aller kanonischen Lebensverbände ist diese Ansicht nicht vereinbar. 36

Ebenso H. Pree, Mehr Freiheit bei den Orden, in: Neue Caritas 105 (2004) Heft 2, S. 16: „Die Gewalt des Bischofs bezieht sich bei den sonstigen Apostolatswerken auf Apostolatswerke als solche, nicht auf die ihnen zugrunde liegenden finanziellen Fragen.“ 37

Vgl. ebd., S. 15 f.: „Das Vermögensrecht der Orden, zu dem die zivilrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse mit ordensrechtlichen Rechtsträgern gehören (einschließlich der ausgegliederten Rechtsträger) gehört zur Ordensautonomie. Bischöfliche Gesetze in Fragen des kirchlichen Arbeitsrechts binden daher Orden grundsätzlich nicht.“

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für alle „öffentlichen juristischen Personen des kanonischen Rechts“38 – zu denen auch die kanonischen Lebensverbände, ihre Provinzen und Häuser gehören – sind in dieser allgemeinen Form durch die Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt nicht gedeckt.39 Die Untersuchung des Verhältnisses des Bischofs zu den kanonischen Vereinen (cc. 298 – 329) – wie z. B. dem DCV40 – führt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Aufsichtsrechte des Bischofs über kanonische Vereine werden im kanonischen Recht durch eine ganze Reihe von Vorschriften konkretisiert. Vor allem sind zu nennen: die Aufsicht im Hinblick auf die Unversehrtheit von Glaube und Sitten sowie die Vermeidung von Mißbräuchen in der kirchlichen Disziplin (c. 305), die Aufsicht über die satzungsgemäße Verwendung des Vereinsvermögens (cc. 319, 325) sowie die „recognitio“ (c. 299 § 3), „probatio“ (c. 322 § 2) bzw. „approbatio“ (c. 314) der Vereinssatzungen und etwaiger Satzungsänderungen. Zumindest im Falle von privaten Vereinen – wie dem DCV – gehen die bischöflichen Aufsichtsrechte nicht so weit, daß er zur Anwendung eines bestimmten Arbeitsrechts-Regelungsverfahrens verpflichten könnte. Allenfalls bei öffentlichen Vereinen scheint eine solche Verpflichtung angesichts der in c. 319 § 1 erwähnten „Oberleitung“ der zuständigen kirchlichen Autorität über die Vermögensverwaltung des Vereins vorstellbar. Gegenüber freien Zusammenschlüssen von Gläubigen aufgrund ihrer Vereinigungsfreiheit gemäß c. 215 sind die Aufsichtsrechte des Bischofs noch eingeschränkter als bei privaten kanonischen Vereinen. Eine Verpflichtung zu einem bestimmten Arbeitsrechts-Regelungsverfahren kommt bei ihnen – ebenso wie bei privaten kanonischen Vereinen – nicht in Frage. Zusammenfassend lassen sich nach ihrem Verhältnis zur Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs zwei Arten von Rechtsträgern unterscheiden: –

einerseits solche Rechtsträger, auf die der Bischof durch den Erlaß der GrO und der KODA-Ordnung eine unmittelbare Verpflichtung ausüben kann; das gilt jedenfalls für die Bistümer und Pfarreien bzw. die ihnen zugeordneten Rechtsträger im staatlichen Rechtsbereich;



andererseits solche Rechtsträger, auf die eine solche Verpflichtung nicht ausgeübt werden kann. Das gilt für die überdiözesanen Rechtsträger wie 38

Siehe GrO, Art. 2, Abs. 1 d) und e); Regional-KODA-Ordnung Nord-Ost, vom 2.2.1999, § 1, Abs. 1, Nr. 4 und 5. 39

Ebenso H. Pree, Mehr Freiheit (Anm. 36), S. 16: „Daher entfalten Vorschriften wie die GrO im Hinblick auf Ordensgemeinschaften (sonstige öffentliche juristische Personen des kanonischen Rechts) keine Rechtswirkung.“ 40

Der DCV ist nach kanonischem Recht ein privater Verein (cc. 299, 321 – 326); siehe dazu die Satzung des DCV vom 16.10.2003, § 2, Abs. 2.

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den VDD und die Rechtsträger aus dem Bereich des kanonischen Vereinigungsrechts, wie Ordensgemeinschaften und (zumindest private) kanonische Vereine; es gilt insbesondere auch für den DCV. Alle diese Rechtsträger sind durch die GrO aufgefordert, die GrO und damit auch das darin formulierte Verständnis des Dritten Weges für ihren jeweiligen Bereich rechtsverbindlich zu übernehmen; die Diözesanbischöfe können sie dazu jedoch nicht verpflichten. Die Anpassung dieser Rechtsträger an das in der GrO beschriebene Verständnis des Dritten Weges kann geschehen durch die Bildung einer eigenen Kommission zur Ordnung des Arbeitsrechts oder durch die Übernahme der Arbeitsrechtsregelungen einer der bestehenden Kommissionen. Im folgenden ist auf eine Reihe möglicher Einwände gegen die voranstehend vorgetragene Position einzugehen: (1) Die Möglichkeit des Diözesanbischofs, auch die ihm nicht unmittelbar unterstellten Anstellungsträger auf ein bestimmtes Arbeitsrechts-Regelungsverfahren zu verpflichten, könnte man aus der in c. 394 § 1 genannten Aufgabe des Bischofs abzuleiten versuchen, alle Werke des Apostolats in seiner Diözese unter seiner Leitung zu koordinieren.41 Wenngleich der dort verwendete Begriff „Werke des Apostolats“ einen sehr weiten Sinn hat – die karitative Betätigung der Kirche gehört zweifellos dazu –, ist gegen die genannte Auslegung doch zunächst einzuwenden, daß nicht jedes mit einem kirchlichen Rechtsträger abgeschlossene Beschäftigungsverhältnis als Ausübung des Apostolats angesehen werden kann. Vor allem aber ist gegen die dargelegte Auslegung von c. 394 § 1 einzuwenden, daß die dort beschriebene Koordinierungsfunktion des Bischofs im Einklang mit den Aussagen des kanonischen Rechts über das Verhältnis des Bischofs zu den kanonischen Lebensverbänden und Vereinen gedeutet werden muß. Schon die in c. 394 § 1 enthaltene Wendung, daß die Koordination der Werke des Apostolats „unter Beachtung ihres je eigenen Charakters“ zu erfolgen hat, stellt sich einer von anderen Normen absehenden Auslegung dieser Bestimmung entgegen. Durch diesen Einschub wird vielmehr „klargestellt, daß die Befugnisse des Bischofs durch den Auftrag zur Koordination der Werke des Apostolats nicht über die an anderen Stellen vorgesehenen Rechte hinaus ausgedehnt werden. So bleibt es zum Beispiel im Blick auf private Vereinigungen von Gläubigen trotz aller notwendigen Koordinierung bei der relativen Autonomie solcher Vereinigungen gemäß [c.] 323.“42

41 42

Auf c. 394 beruft sich R. Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 5), S. 59, Rn. 40.

G. Bier, in: Münsterischer Kommentar zum CIC, zu c. 394, Rn. 5 (Dezember 1998); vgl. auch H. Hallermann, Strukturen kirchlicher Caritas im geltenden Recht, in: AfkKR 168 (1999) 448 f.: „Die in c. 394 § 1 angesprochene Verpflichtung des Diözesanbischofs, die verschiedenen Werke des Apostolats und der Caritas unter Beachtung

324

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(2) Soweit es sich um Anstellungsträger handelt, deren Statuten einer bischöflichen Genehmigung bedürfen (z. B. cc. 299 § 3, 314, 322 § 2, 595 § 1), ließe sich behaupten, daß der Diözesanbischof die Genehmigung der Statuten (bzw. ihrer Änderungen) von einer ausdrücklichen Bindung an die GrO und das darin zum Ausdruck gebrachte Verständnis des Dritten Weges abhängig machen könnte. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß die Genehmigung der Statuten nicht nach freiem Ermessen gewährt oder abgelehnt werden kann, sondern jenen Kriterien zu folgen hat, die sich aus den gesetzlich vorgesehenen Zielen der jeweiligen Genehmigung ergeben.43 Eine Verpflichtung auf ein bestimmtes Arbeitsrechts-Regelungsverfahren liegt in jedem Fall außerhalb dieser Ziele. (3) Schließlich ließe sich vortragen, auch wenn eine direkte Verpflichtung eines Anstellungsträgers auf die GrO im Bereich des kanonischen Rechts nicht möglich sei, könne sie doch auf dem Umweg über das staatliche Recht erreicht werden. Daß ein kirchlicher Anstellungsträger vom Selbstbestimmungsrecht der Kirche gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV Gebrauch mache, setze voraus, daß ihm nicht von der zuständigen kirchlichen Autorität seine „Kirchlichkeit“ abgesprochen werde. Eine solche Aberkennung sei aber möglich, wenn der betreffende Anstellungsträger eine verbindliche Übernahme der GrO und des darin formulierten Verständnisses des Dritten Weges ablehne. Eine solche Ablehnung sei also nur möglich um den Preis, im staatlichen Rechtsbereich auf die Stellung eines „kirchlichen Rechtsträgers“ und damit auf die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche zu verzichten. Diese Argumentation ist insoweit schlüssig, als es dem Staat verwehrt ist, eine von der zuständigen kirchlichen Autorität ausgesprochene Aberkennung der „Kirchlichkeit“ eines bestimmten Anstellungsträgers auf ihre spezifisch religiöse oder kirchliche Begründung hin zu überprüfen; der Staat hätte eine solche Entscheidung vielmehr einfach hinzunehmen. Was die vorgetragene Argumentation übersieht, ist aber, daß eine solche Aberkennung einen auch im kanonischen Rechtsbereich rechtserheblichen Vorgang darstellt, der den Vorgaben des kanonischen Rechts zu folgen hat und der nach Maßgabe des kanonischen Rechts im kanonischen Rechtsbereich anfechtbar ist. Darum ist es aus der Sicht des kanonischen Rechts nicht zulässig, die Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt auf dem Umweg über das staatliche Recht gleich-

ihres je eigenen Charakters unter seiner Leitung zu koordinieren, kann nur im Kontext der einschlägigen vereinsrechtlichen Bestimmungen sachgerecht interpretiert werden ... Ein unmittelbares jurisdiktionelles Eingriffsrecht der kirchlichen Autorität kann aus dieser Bestimmung ebensowenig abgeleitet werden wie ein Leitungsrecht solcher caritativer Vereinigungen.“ 43 Vgl. dazu U. Rhode, Mitwirkungsrechte kirchlicher Autoritäten im Codex Iuris Canonici, Teil II: Rechtsfolgen und Verfahrensfragen (MThSt, Kan. Abt., Bd. 56), 307 – 345 (erscheint demnächst).

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sam „auszudehnen“; im Falle einer Beschwerde müßte eine rechtswidrig ausgesprochene Aberkennung der „Kirchlichkeit“ eines Anstellungsträgers durch die zuständige übergeordnete kirchliche Autorität wieder aufgehoben werden. 3. Erlassen von Arbeitsrechtsregelungen jenseits der geltenden Ordnungen? Aus den voranstehenden Überlegungen über die Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, ob der Bischof an die geltenden Ordnungen (der KODA bzw. der AK) gebunden ist oder ob er auch unabhängig davon Arbeitsrechtsregelungen erlassen kann. a) Innerhalb der Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt In jenen Bereichen, für die der Diözesanbischof aufgrund seiner kanonischen Rechtsstellung befähigt ist, eine KODA-Ordnung zu erlassen, kann er aufgrund derselben Rechtsstellung auch einzelne Arbeitsrechtsregelungen selbständig erlassen. Faktisch hat er sich allerdings durch den Erlaß der GrO – die ihrerseits eine Verweisung auf die KODA-Ordnungen enthält – und der KODA-Ordnung daran gebunden, daß solche Regelungen nur durch das in der KODA-Ordnung beschriebene Verfahren zustande kommen können. Auch wenn diese Ordnungen es nicht ausdrücklich erklären, ist davon auszugehen, daß sie vom Sinn her eine Nichtigkeitssanktion enthalten. Das heißt, solange sie in Geltung stehen, wäre ein selbständiges, jenseits der Ordnungen vorgenommenes Erlassen von Arbeitsrechtsregelungen durch den Bischof nichtig. Als Gesetzgeber der GrO und der KODA-Ordnung hat der Bischof jedoch die Möglichkeit, diese Ordnungen außer Kraft zu setzen, sei es für dauernd oder im Einzelfall (nach Art einer sich selbst gewährten Dispens, vgl. c. 91). Unter der Voraussetzung, daß er eine solche Außer-Kraft-Setzung klar genug zu erkennen gibt, kann er auch jenseits der in den Ordnungen ggf. enthaltenen Notstandsklausel44 selbständig Arbeitsrechtsregelungen erlassen.45 Eine solche Vorgehensweise unter Außer-Kraft-Setzung von GrO und KODAOrdnung würde allerdings weitgehend wirkungslos bleiben, falls die Einbeziehungsabreden in den einzelnen Arbeitsverträgen nicht auf die diözesane Arbeitsvertragsordnung als ganze, sondern nur auf die gemäß der KODAOrdnung zustande gekommenen Beschlüsse Bezug nehmen. In diesem Fall gilt im kanonischen ebenso wie im staatlichen Rechtsbereich der Grundsatz pacta 44

Zu den „Notstandsklauseln“ über das bischöfliche „Letztentscheidungsrecht“ siehe unten Abschnitt II. 1. c). 45

Vgl. dazu ausführlich: C. Huber, Der Diözesanbischof und die KODA, in: Kirche und Recht 5 (1999) 217 – 219 (= Nr. 650, S. 85 – 87).

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sunt servanda. Eine einseitige bischöfliche Änderung bliebe dann für die betreffenden Arbeitsverhältnisse wirkungslos. Einer einseitig durch Entscheidung des Bischofs verfügten Schlechterstellung des Arbeitnehmers sind auch durch die Grundsätze des staatlichen Arbeitsrechts hinsichtlich ihrer Wirksamkeit im staatlichen Rechtsbereich enge Grenzen gesetzt. Daß dem Bischof ein Außerkraftsetzen von GrO und KODA-Ordnung verunmöglicht wird, könnte nur von einer übergeordneten Autorität so verfügt werden. In der Praxis wäre vor allem an die Möglichkeit zu denken, daß der Apostolische Stuhl der Bischofskonferenz ein mandatum im Sinne von c. 455 § 1 überträgt, durch das sie die Vollmacht erhielte, eine neue GrO (oder auch eine für ganz Deutschland einheitliche KODA-Ordnung) zu erlassen. Dadurch würde ein Außerkraftsetzen dieser Ordnungen durch den einzelnen Diözesanbischof ausgeschlossen, so daß ihm das Erlassen von Arbeitsrechtsregelungen ohne Einhaltung des in diesen Ordnungen beschriebenen Verfahrens nicht mehr möglich wäre. b) Außerhalb der Reichweite der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt Für einen Bereich, in dem der Bischof nicht befähigt ist, zur Anwendung eines bestimmten Arbeitsrechts-Regelungsverfahrens zu verpflichten, kann er auch nicht unabhängig von der dort geltenden Ordnung Arbeitsrechtsregelungen erlassen. Beispielsweise wäre es dem Bischof verwehrt, für einen in seinem Bistum als privaten kanonischen Verein verfaßten Diözesancaritasverband Arbeitsrechtsregelungen zu erlassen, die nicht gemäß der Ordnung der AK des DCV zustande gekommen sind. Ob im Falle einer Ordensgemeinschaft, die sich hinsichtlich ihrer Arbeitsverträge an das im jeweiligen Bistum geltende Arbeitsvertragsrecht hält, auch solche Arbeitsrechtsregelungen anzuwenden sind, die ohne Einhaltung der im Bistum geltenden KODA-Ordnung zustande gekommen sind, hängt davon ab, wie die Übernahme des diözesanen Rechts durch die Ordensgemeinschaft näherhin – auch in den einzelnen Arbeitsverträgen – ausgeprägt ist: Denkbar wäre sowohl eine umfassende Übernahme des diözesanen Arbeitsvertragsrechts als auch eine Übernahme des gemäß der KODAOrdnung zustande gekommenen Arbeitsvertragsrechts. II. Die Rolle des Bischofs beim Zustandekommen der einzelnen Arbeitsrechtsregelungen 1. Die Entwicklung der geltenden Bestimmungen Im Hinblick auf die Rolle des Bischofs beim Zustandekommen der einzelnen Arbeitsrechtsregelungen sind drei Aspekte zu unterscheiden: (a) die Notwendigkeit einer bischöflichen Inkraftsetzung der Kommissionsbeschlüsse, (b) die

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Möglichkeit des Bischofs, diese Inkraftsetzung abzulehnen, und (c) die Möglichkeit des Bischofs, in besonderen Situationen Arbeitsrechtsregelungen auch ohne Kommissionsbeschluß zu erlassen. a) Inkraftsetzung der Kommissionsbeschlüsse Daß die Beschlüsse der Bistums- bzw. Regional-KODA einer Inkraftsetzung durch den Diözesanbischof bedürfen, war von Anfang an so vorgesehen, seit im diözesanen Bereich der Dritte Weg eingeführt wurde. Seitdem enthalten alle Bistums- bzw. Regional-KODA-Ordnungen entsprechende Klauseln.46 Auch die GrO erwähnt die Notwendigkeit der bischöflichen Inkraftsetzung.47 Im Caritas-Bereich war bei der dortigen Einführung des Dritten Weges die Notwendigkeit einer bischöflichen Inkraftsetzung der Beschlüsse der AK des DCV noch nicht ausdrücklich vorgesehen. In den zunächst angewendeten „Richtlinien“ von 1966 war nur von einer „Veröffentlichung“ der Beschlüsse in den Amtsblättern der Bistümer die Rede. Diese Veröffentlichung war nach den Richtlinien allerdings wirksamkeitsrelevant. Zugleich war dort bestimmt, daß die Bistümer verpflichtet waren, die Beschlüsse zu veröffentlichen.48 Nachdem die 1993 erlassene GrO in allgemeiner Weise, ohne zwischen diözesanem Bereich und anderen Bereichen zu unterscheiden, die Notwendigkeit einer Inkraftsetzung der Kommissionsbeschlüsse verlangt hatte, wurde auch in den neuen „Richtlinien“ von 1996 ausdrücklich erklärt, daß die Beschlüsse der AK zu ihrer Wirksamkeit der Inkraftsetzung durch die Diözesanbischöfe bedürfen.49 Bei dieser Inkraftsetzung wurde der „Arbeitsgemeinschaft der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland für die AK des DCV“ (= AG) ein Mitwirkungsrecht eingeräumt. Ein Beschluß der AK kann demnach nur in Kraft treten, wenn zunächst die AG mit Zweidrittelmehrheit zustimmt.50 Solange Beschlüsse der Zentral-KODA nur empfehlenden Charakter hatten, war eine bischöfliche Inkraftsetzung dieser Beschlüsse nicht erforderlich. Als 46 Siehe im geltenden Recht z. B. die Ordnung der Regional-KODA Nord-Ost, vom 2.2.1999, § 14 Abs. 1; Bayerische Regional-KODA-Ordnung, von 2003, § 12 Abs. 4. 47

GrO, Art. 7, Abs. 1, Satz 3.

48

Richtlinien 1966, Nr. 8: „Die von der AK beschlossenen Regelungen treten in Kraft, wenn sie sowohl durch den Präsidenten des DCV in der ‚Caritas-Korrespondenz‘ und durch die Bistümer in deren Amtsblättern veröffentlicht sind. Die Bistümer ihrerseits sind verpflichtet, die ordnungsgemäß zustande gekommenen Regelungen entsprechend zu veröffentlichen.“ Tatsächlich kam allerdings nur ein Teil der Bistümer dieser „Verpflichtung“ nach; vgl. J. Eder, Tarifpartnerin (Anm. 8), S. 87. 49

Richtlinien 1996, Nr. 1.

50

Ebd., Nr. 2 und 8.

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der Zentral-KODA im Jahre 1998 die Vollmacht verliehen wurde, in bestimmten Angelegenheiten verpflichtende Beschlüsse zu fassen, wurde zugleich die Notwendigkeit der bischöflichen Inkraftsetzung dieser Beschlüsse vorgesehen.51 Für den Geltungsbereich der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des DCV erhält ein Beschluß der Zentral-KODA nur Geltung, falls ihn alle Diözesanbischöfe in Kraft setzen.52 Zusammenfassend ist festzustellen, daß nach geltendem Recht sowohl die Beschlüsse der Bistums- bzw. Regional-KODA und der Zentral-KODA als auch diejenigen der AK des DCV einer Inkraftsetzung durch den jeweiligen Diözesanbischof bedürfen, um rechtliche Geltung zu erlangen. b) Möglichkeit des Bischofs, die Inkraftsetzung abzulehnen Die Bistums- und Regional-KODA-Ordnungen sehen, seit es sie gibt, die Möglichkeit vor, daß sich der Diözesanbischof „nicht in der Lage sieht“, einen Beschluß in Kraft zu setzen.53 In diesem Fall kann sich der Bischof – nach einem erneuten Beratungsverfahren in der Kommission – mit seiner Ablehnung letztlich durchsetzen. Im Caritas-Bereich war eine Ablehnungsmöglichkeit seitens der einzelnen Diözesanbischöfe zunächst nicht vorgesehen. Vielmehr bestand nach den „Richtlinien“ von 1966 nur eine Art „Vetorecht“ der „Arbeitsgemeinschaft zwischen den Bistümern in der Bundesrepublik und der Arbeitsrechtlichen Kommission“. Wenn diese Arbeitsgemeinschaft einen Beschluß der AK des DCV nicht beanstandet hatte, waren die Bistümer nach den „Richtlinien“ von 1966 „verpflichtet, die ordnungsgemäß zustande gekommenen Regelungen entsprechend zu veröffentlichen“.54 Demgegenüber sieht die Neufassung der „Richtlinien“ von 1996 zwei Stufen vor, auf denen eine Ablehnung erfolgen kann: Einerseits bedürfen Beschlüsse der AK des DCV – wie schon erwähnt – einer mit Zweidrittelmehrheit gegebenen Zustimmung der AG. Andererseits wird auch, falls die Zustimmung der AG erfolgt ist, den einzelnen Diözesanbischöfen die Möglichkeit zugestanden, daß sie sich „außerstande sehen“, einen Beschluß der AK in Kraft zu setzen.55 In diesem Fall erfolgt keine neue Beratung innerhalb der AK, sondern nur innerhalb der AG, allerdings in einer er-

51

Zentral-KODA-Ordnung von 1998, § 10.

52

Ebd., Abs. 5.

53

Siehe im geltenden Recht z. B. Regional-KODA-Ordnung Nord-Ost, vom 2.2.1999, § 10, Abs. 4; Bayerische Regional-KODA-Ordnung, von 2003, § 12 Abs. 5. 54

„Richtlinien“ von 1966, Nr. 6.

55

„Richtlinien“ von 1996, Nr. 9, Satz 2.

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weiterten Zusammensetzung. Auch wenn die AG dem betreffenden Beschluß erneut mit Zweidrittelmehrheit zustimmt, kann der einzelne Diözesanbischof doch bei seiner ablehnenden Haltung bleiben; der Beschluß gilt dann in dem betreffenden Bistum nicht. Seitdem die Zentral-KODA verpflichtende Beschlüsse fassen kann, ist auch in der Zentral-KODA-Ordnung die Möglichkeit vorgesehen, daß ein Bischof sich nicht „in der Lage sieht“, einen Beschluß in Kraft zu setzen.56 In diesem Fall wird eine erneute Beratung in der Zentral-KODA erforderlich. Letztlich kann sich aber der einzelne Bischof mit seiner Ablehnung durchsetzen, so daß der Beschluß in dem betreffenden Bistum nicht in Kraft tritt. Die Ablehnung seitens auch nur eines Bischofs führt außerdem dazu, daß der Zentral-KODABeschluß nicht im Geltungsbereich der AVR des DCV Anwendung findet.57 Zusammenfassend ist festzustellen, daß im geltenden Recht alle Bistumsund Regional-KODA-Ordnungen, die Zentral-KODA-Ordnung und auch die Ordnung der AK des DCV die Möglichkeit vorsehen, daß ein Bischof die Inkraftsetzung von Kommissionsbeschlüssen ablehnt. Die Ablehnung der Inkraftsetzung eines Beschlusses kann nach den Ordnungen nicht nach dem freien Ermessen des Bischofs erfolgen, sondern sie setzt voraus, daß der Bischof sich zur Inkraftsetzung „nicht in der Lage sieht“ bzw. „außerstande sieht“. Diese Formulierungen machen deutlich, daß eine Ablehnung nur in Ausnahmefällen erfolgen soll, nämlich nur dann, wenn dem Bischof die Inkraftsetzung nicht möglich scheint. Es wird aber – abgesehen von einer Verletzung des übergeordneten kanonischen Rechts – nicht näher ausgeführt, welche sonstigen Gründe eine Ablehnung rechtfertigen können. Sicher werden dazu schwerwiegende Gründe vorliegen müssen. Aufgrund der fehlenden genaueren Bestimmung dieser Gründe wird dem Bischof mit der Ablehnungsmöglichkeit faktisch aber doch ein erheblicher Ermessensspielraum eröffnet. c) Erlassen von Arbeitsrechtsregelungen ohne Kommissionsbeschluß Als im diözesanen Bereich der Dritte Weg eingeführt wurde, sahen die KODAOrdnungen auch die Möglichkeit vor, daß der Bischof im Falle eines „unabweisbaren Regelungsbedürfnisses“ anstelle der Kommission die notwendige Entscheidung trifft.58 Ein solches Vorgehen setzte voraus, daß zunächst ein Vermittlungsverfahren ergebnislos durchgeführt wurde.59 Der Bischof hatte der KODA die Begrün-

56

Zentral-KODA-Ordnung von 1998, § 10, Abs. 2.

57

Ebd., § 10, Abs. 5.

58

Muster-KODA-Ordnung von 1977, § 15 Abs. 3.

59

Ebd., §§ 11 und 15.

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dung für das Vorliegen des „unabweisbaren Regelungsbedürfnisses“ mitzuteilen.60 „Es bestand von vornherein bei allen Beteiligten völliges Einvernehmen darüber, daß dies nur eine Regelungsbefugnis für ausgesprochene Sonderfälle darstellte, die nicht von der Verpflichtung suspendierte, trotz – einstweilen – einseitig in Kraft gesetzter Regelung nach wie vor den Konsens mit der Kommission zu suchen.“61 In den meisten Bistums- und Regional-KODA-Ordnungen besteht diese Möglichkeit des Erlassens von Arbeitsrechtsregelungen ohne vorausgegangenen KODA-Beschluß nach wie vor.62 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang häufig von einem „Letztentscheidungsrecht“ des Bischofs gesprochen.63 Allein die seit dem 1. Dezember 2003 geltende Bayerische RegionalKODA-Ordnung sieht diese Möglichkeit des Diözesanbischofs nicht mehr vor. Demgegenüber war im Caritas-Bereich ein Erlassen von Arbeitsvertragsrichtlinien ohne vorausgegangenen Beschluß der AK niemals vorgesehen. Auch im Hinblick auf Materien, in denen die Zentral-KODA von ihrer Regelungskompetenz Gebrauch gemacht hat, besitzt der Diözesanbischof keine Möglichkeit, selbständig Regelungen zu erlassen. 2. Die Frage der Notwendigkeit der bischöflichen Beteiligung im diözesanen Bereich Um die voranstehend dargestellten Bestimmungen über die Rolle des Diözesanbischofs beim Zustandekommen der einzelnen Arbeitsrechtsregelungen aus der Sicht des kanonischen Rechts zu analysieren, ist vor allem auf die Frage einzugehen, ob diese Bestimmungen aus Sicht des kanonischen Rechts notwendig sind oder nicht. Die Beantwortung dieser Frage hängt wesentlich davon ab, ob es um einen Bereich geht, der unmittelbar der Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs untersteht, oder um andere Bereiche der Kirche. Im folgenden wird deswegen zunächst nur auf den diözesanen Bereich eingegangen. Für die Ansicht, daß die geltenden Bestimmungen über die Notwendigkeit der bischöflichen Inkraftsetzung, die Ablehnungsmöglichkeit des Bischofs und die Möglichkeit eines bischöflichen Erlassens von Arbeitsrechtsregelungen

60

Ebd., § 10 Abs. 3, S. 4.

61

J. Jurina, Zur Entwicklung des Dritten Weges in der Katholischen Kirche, in: Dem Staate, was des Staates ist, der Kirche, was der Kirche ist (FS Listl), Berlin 1999, S. 528. 62 63

Siehe z. B. die Regional-KODA-Ordnung Nord-Ost, vom 2.2.1999, § 20, Abs. 3.

Der Ausdruck „Letztentscheidungsrecht“ ist allerdings nicht ganz eindeutig. Manchmal wird er auch verwendet als zusammenfassender Ausdruck für die Möglichkeit des Bischofs, die Inkraftsetzung von Kommissionsbeschlüssen abzulehnen, und die Möglichkeit, Regelungen ohne Kommissionsbeschluß zu erlassen.

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ohne Kommissionsbeschluß aus Sicht des kanonischen Rechts notwendig seien, werden in der Literatur zwei Argumente vorgebracht: (a) der Normcharakter der Arbeitsrechtsregelungen zusammen mit der alleinigen Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs und (b) die umfassende Hirtensorge des Bischofs für seine Diözese. Diese Argumente sind im folgenden auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. a) Der Diözesanbischof als alleiniger Gesetzgeber Ein häufig vorgebrachtes Argument für die Notwendigkeit einer bischöflichen Inkraftsetzung der KODA-Beschlüsse lautet: Damit diese Beschlüsse den Charakter von kirchlichen Rechtsnormen bekommen können, müssen sie als kirchliche Gesetze erlassen werden. Der einzige Gesetzgeber im Bistum ist aber der Diözesanbischof, der seine Gesetzgebungsgewalt nicht delegieren kann (cc. 135 § 2, 391 §§ 1 und 2).64 Die Nichtdelegierbarkeit der gesetzgebenden Gewalt steht außer Zweifel. Selbst wenn man die Ansicht vertritt, daß es sich bei den in Kraft gesetzten Beschlüssen nicht um Gesetze, sondern nur um Ausführungsdekrete im Sinne von cc. 31 – 33 handelt65, würde sich an der beschriebenen Problematik nichts Wesentliches ändern. Das Erlassen von Ausführungsdekreten erfordert zwar nicht gesetzgebende, sondern nur ausführende Gewalt (c. 31 § 1); sie könnten also auch vom Generalvikar oder ggf. einem Bischofsvikar erlassen werden (c. 391 § 2). Einem mehrheitlich aus Laien zusammengesetztem Gremium wie der KODA könnte aber auch ausführende Gewalt nach herrschender Lehre nicht übertragen werden (vgl. cc. 129, 274 § 1). Gleichwohl sind gegen die vorgetragene Argumentation zwei grundsätzliche Einwände vorzubringen:

64

Vgl. Arbeitshilfen, Heft 16, S. 10, Nr. 4.2: „Die von der Bistums-/Regional-KODA erarbeiteten Regelungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Inkraftsetzung durch den Bischof, da dieser in seiner Diözese das Gesetzgebungsrecht hat.“ – Ebd., S. 15, Nr. 7.1: „Das staatlicherseits garantierte Selbstbestimmungsrecht gipfelt in der alleinigen Rechtsetzungsbefugnis des Bischofs, der er sich nicht entäußern kann. Diese verfassungsrechtliche und der Verfaßtheit der Katholischen Kirche entsprechende Grenze mußte bei der Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter beachtet werden.“ Vgl. auch R. Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 5), S. 231: „Er [= der Bischof] ist in seiner Diözese der einzige Gesetzgeber. Deshalb kann er die Gestaltung des kirchlichen Dienstes nicht auf eine von ihm unabhängige Einigungsstelle übertragen.“ 65 Vgl. dazu J. Eder, Tarifpartnerin (Anm. 8), S. 201 – 203; ders., Kirchengerichtliche arbeitsrechtliche Verfahren gegen Diözesanbischöfe im Bereich des Dritten Weges, in: Kirche und Recht 5 (1999) S. 16 (= Nr. 610, S. 28).

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aa) Möglichkeit von Arbeitsrechtsregelungen ohne Normcharakter Auf das Argument von der alleinigen Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs ist erstens zu erwidern, daß es nicht zwingend notwendig ist, daß die einzelnen Arbeitsrechtsregelungen überhaupt den Charakter von kirchlichen Rechtsnormen besitzen; bei den meisten Arbeitsrechtsregelungen ist das nicht erforderlich.66 Um für die einzelnen Arbeitsverhältnisse wirksam zu sein, ist an sich die Einbeziehungsabrede in den Arbeitsverträgen ausreichend. Daß sich die Arbeitsrechtsregelungen von sich aus – auch ohne Einbeziehungsabrede – auf das Arbeitsverhältnis auswirken, ist nicht zwingend erforderlich. Neben der einzelvertraglichen Einbeziehungsabrede wäre dann freilich naheliegend, die Dienstgeber darauf zu verpflichten, Arbeitsverträge nur unter Einbeziehung der KODA-Beschlüsse abzuschließen. Eine solche Verpflichtung könnte für den diözesanen Bereich nur der Diözesanbischof durch kirchliches Gesetz auferlegen. Es würde sich bei dieser Verpflichtung dann aber um eine einzige Rechtsnorm handeln. Die einzelnen KODA-Beschlüsse würden dadurch nicht zu selbständigen Rechtsnormen. Deswegen wäre für ihr Zustandekommen auch keine kirchliche Leitungsgewalt und somit auch keine bischöfliche Inkraftsetzung erforderlich. bb) Das gesetzestechnische Mittel der dynamischen Verweisung Wenn man – was im Hinblick auf Rechtsfolgen im staatlichen Rechtsbereich wünschenswert sein könnte – am Normcharakter der einzelnen Arbeitsrechtsregelungen festhalten möchte, bietet sich an, von der Möglichkeit des gesetzestechnischen Mittels der dynamischen Verweisung Gebrauch zu machen. Aus verschiedenen Bereichen des kirchlichen Rechts ist die Möglichkeit bekannt, daß der kirchliche Gesetzgeber durch eine dynamische Verweisung Normen „kanonisiert“, die von jemand geschaffen wurden, der nicht über kirchliche Leitungsgewalt verfügt: –

So verweist der CIC in einigen Fragen auf das staatliche Recht des jeweiligen Landes. Das gilt z. B. für die Bestellung eines Vormundes (c. 98 § 2), Ersitzung und Verjährung (cc. 197, 1268), das Vertragsrecht (c. 1290), die Besitzklage (c. 1500) und für Schiedsverfahren (c. 1714).



Der CCEO verweist in indirekter Formulierung auf das Eherecht anderer christlicher Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften (cc. 780 § 2, 781).

66

Zur Frage, ob es Angelegenheiten gibt, für die praktisch nur die Gesetzesform in Frage kommt, siehe das nachstehend unter bb) Gesagte.

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Die in deutschen Bistümern geltenden Dienst- und Disziplinargesetze für Kirchenbeamte verweisen zum Teil auf das staatliche Beamtenrecht.67



Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen können ggf. Öffnungsklauseln enthalten, die auf Betriebsvereinbarungen verweisen.

Ähnlich könnte der Diözesanbischof für die Arbeitsrechtsregelungen ein für alle Mal durch dynamische Verweisung die ohne kirchliche Leitungsgewalt zustande gekommenen KODA-Beschlüsse in ihrer jeweils geltenden Fassung „kanonisieren“. Wenn diese Möglichkeit schon – wie man an den angeführten Beispielen erkennen kann – im Hinblick auf nicht-kirchliche Bestimmungen besteht, muß sie a fortiori für Bestimmungen gegeben sein, die von einem durch den Bischof geschaffenen Gremium entwickelt werden. Allerdings besteht die Möglichkeit, fremde Normen durch dynamische Verweisung zu „kanonisieren“, nicht uneingeschränkt: Zunächst ist zu beachten, daß keine Normen übernommen werden können, die dem göttlichen Recht oder übergeordnetem kanonischen Recht zuwiderlaufen (vgl. cc. 22, 135 § 2). Sodann scheidet das Mittel der Verweisung aus, wenn sich aus dem Inhalt der betreffenden Angelegenheit oder aus einer ausdrücklichen Anordnung ergibt, daß die Gesetzesform erforderlich ist: –

Von ihrer inhaltlichen Bedeutung her müssen Normen in Gesetzesform erlassen werden, je mehr sie Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung und Angelegenheiten, die eng mit der besonderen Sendung der Kirche zusammenhängen, berühren. Ob das der Fall ist, wird im Einzelfall nicht immer genau abzugrenzen sein. Im Hinblick auf das kirchliche Arbeitsrecht wird der Diözesanbischof jedenfalls das Verfahren, wie Arbeitsrechtsregelungen zustande kommen (d. h. konkret: die KODA-Ordnung), wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage nicht anders als in Gesetzesform vorschreiben können. Hingegen sind die einzelnen Arbeitsvertragsrichtlinien (oder jedenfalls der allergrößte Teil von ihnen) nicht von so grundsätzlicher Bedeutung, daß sie von sich aus die Gesetzesform erfordern würden.



Durch ausdrückliche Festlegung der Kirche dürfte sich eine Notwendigkeit, Rechtsnormen in Gesetzesform zu erlassen, aus der Bestimmung in c. 145 § 2 ableiten lassen, wonach die Pflichten und Rechte, die mit Kir-

67

Siehe z. B. Bistum Hildesheim, Dienst- und Disziplinarordnung für die kirchlichen Beamten, vom 1.6.2001, § 3 Abs. 2, in: ABl Hildesheim 2001, S. 77 – 95; Bistum Limburg, Disziplinarordnung für die kirchlichen Beamten, vom 23.4.1992, § 45 Abs. 1 bis 3, in: ABl 1992, S. 171 – 176; Bistum Osnabrück, Dienst- und Disziplinarordnung für die Beamten des Katholischen Gemeindeverbandes in Bremen, vom 26.6.2001, § 3 Abs. 1 bis 3, in: ABl Osnabrück 2001, S. 242 – 249.

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chenämtern verbunden sind, durch das Recht selbst, durch das das jeweilige Amt eingerichtet wird, oder durch Dekret der zuständigen Autorität festzulegen sind. Ein Teil derer, die aufgrund eines kirchlichen Arbeitsvertrags tätig sind, haben Kirchenämter im Sinne von c. 145 inne, nämlich Pastoral- und Gemeindereferenten/innen und von der Kirche angestellte Religionslehrer/innen. Die Bestimmungen über die mit diesen Ämtern verbundenen Pflichten und Rechte können demnach – zumindest, was ihre wesentlichen oder spezifisch kirchlichen Aspekte angeht – nur durch bischöfliche Gesetzgebung erlassen werden. Faktisch wurden solche Bestimmungen auch bislang schon nicht aufgrund von KODA-Beschlüssen erlassen.68 Demgegenüber hat die große Mehrzahl derer, die aufgrund eines kirchlichen Arbeitsvertrags tätig sind, kein Kirchenamt im Sinne von c. 145 inne. Bei ihnen besteht keine vergleichbare Notwendigkeit einer kirchlichen Gesetzgebung. Neben den aus Sicht des kanonischen Rechts zwingend notwendigen Einschränkungen, bei denen eine dynamische Verweisung auf KODA-Beschlüsse ohnehin nicht in Frage kommt, steht es dem verweisenden Gesetzgeber natürlich frei, weitere Einschränkungen vorzunehmen. b) Die umfassende Hirtensorge des Bischofs für seine Diözese Als Argument für die Notwendigkeit der geltenden Bestimmungen über die Möglichkeiten des Bischofs, die Inkraftsetzung von KODA-Beschlüssen abzulehnen oder selbständig Regelungen zu erlassen, wird vorgebracht, daß ihm für seine Diözese alle Gewalt zukommen müsse, die zur Ausübung seines Hirtendienstes erforderlich ist (c. 381 § 1), und daß er auf diese Gewalt nicht verzichten könne. aa) Möglichkeit einer einseitigen Selbstverpflichtung des Bischofs Auf diese Argumentation ist zunächst zu erwidern, daß das kanonische Recht durchaus die Möglichkeit bietet, daß eine kirchliche Autorität auf die Ausübung der ihr zukommenden Gewalt verzichtet. Ein solcher Verzicht ist nicht gleichbedeutend mit einem Verzicht einer kirchlichen Autorität auf ihre

68

Die Bayerische Regional-KODA-Ordnung von 2003, § 2, Abs. 2, nimmt diese Angelegenheiten ausdrücklich aus der Beschlußkompetenz der KODA aus: „In die Regelungen der bischöflichen Sendung für pastorale Dienste oder religiöse Unterweisung und in die Festlegung der Loyalitätsobliegenheiten sowie die Ausgestaltung der Sanktionen bei Verstößen gegen die Loyalitätsobliegenheiten gem. Art. 3 – 5 Grundordnung können die BayRK und die Lehrerkommission nicht eingreifen.“

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Gewalt als solche; auf sie kann nicht durch eigene Entscheidung verzichtet werden. Die Möglichkeit, daß der Diözesanbischof bei einer Entscheidung an das Einverständnis anderer gebunden ist, ist von den Beispruchsrechten gemäß c. 127 her geläufig. Der Papst als Gesetzgeber des CIC hat festgelegt, daß der Bischof bestimmte Entscheidungen gültig nur mit Zustimmung anderer treffen kann (z. B. cc. 1277, 1292 § 1). Solche Zustimmungsrechte können nicht nur von einer übergeordneten Autorität auferlegt werden, sondern es besteht auch die Möglichkeit, daß eine Autorität sich selbst für bestimmte Handlungen an die Zustimmung anderer bindet. Bei der zustimmungsbedürftigen Handlung kann es insbesondere auch um das Erlassen von Gesetzen gehen. Eine andere Form, wie der Diözesanbischof an Entscheidungen anderer gebunden sein kann, sind Wahl- und Präsentationsrechte für Ämter, deren Übertragung ihm (durch Bestätigung der Wahl oder Einsetzung des Präsentierten) zukommt. Wo derartige Wahl- oder Präsentationsrechte bestehen, ist es dem Bischof unter normalen Umständen nicht möglich, das betreffende Amt unter Nichtbeachtung dieser Rechte durch freie Amtsübertragung zu verleihen. Neben Zustimmungs-, Wahl- und Präsentationsrechten sind noch andere Formen der Mitwirkung bei Entscheidungen des Bischofs möglich. Das kanonische Recht sieht nämlich keinen abschließenden Katalog von Formen der möglichen Mitwirkung vor. Deswegen ist es dem Bischof auch möglich, sich durch den Erlaß einer KODAOrdnung daran zu binden, keine Arbeitsrechtsregelungen ohne einen entsprechenden KODA-Beschluß zu erlassen.69 Dabei handelt es sich um eine Form der Selbstbindung, für die es im CIC keine genaue Entsprechung gibt; das steht der Legitimität einer solchen Selbstbindung jedoch nicht entgegen. Eine solche Selbstbindung ist möglich, ohne daß der Bischof sich innerhalb der erlassenen KODA-Ordnung die Möglichkeit vorbehalten müßte, aufgrund einer „Notstandsklausel“ unter besonderen Umständen auch ohne KODA-Beschluß Arbeitsrechtsregelungen zu erlassen. Deswegen war es zulässig, daß die bayerischen Bischöfe in der Bayerischen Regional-KODA-Ordnung aus dem Jahre 2003 auf eine solche Klausel verzichtet haben. Verglichen mit der voranstehend erläuterten Möglichkeit des Bischofs, eigene Entscheidungen an das Einverständnis anderer zu binden, liegt eine weiterreichende Selbsteinschränkung vor, wenn der Bischof – wie weiter oben erläutert – auf dem Wege einer dynamischen Verweisung bestimmt, daß Arbeitsverträge nur in Übereinstimmung mit den jeweils geltenden KODA-Beschlüssen zulässig sind, ohne dabei für das Wirksam-Werden der KODA-Beschlüsse eine 69

Vgl. schon: Arbeitshilfen, Heft 16 (1980), S. 10, Abschnitt 4.2: „Durch die Inkraftsetzung der KODA-Ordnung hat sich der Bischof ... dahingehend gebunden, arbeitsvertragsrechtliche Regelungen nur nach Abschluß des in der Ordnung vorgesehenen Verfahrens in Kraft zu setzen.“

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eigene Beteiligung (wie eine Inkraftsetzung) im Einzelfall zu verlangen. Daß das kanonische Recht eine solche Selbstbeschränkung zuläßt, läßt sich an den oben genannten Beispielen für dynamische Verweisungen deutlich machen. Diese Möglichkeit, fremden Entscheidungen Wirksamkeit im kanonischen Rechtsbereich zu verleihen, besteht allerdings – wie erläutert – nur innerhalb bestimmter Grenzen. Die voranstehend erläuterten Möglichkeiten des Bischofs, auf die Ausübung seiner Gewalt zu verzichten, können nicht so weit gehen, daß er auf seine Leitungsgewalt als solche verzichten könnte. Sie können daher nicht die Möglichkeit ausschließen, daß der Bischof die von ihm erlassene GrO, die von ihm erlassene KODA-Ordnung oder eine von ihm festgelegte dynamische Verweisung auf KODA-Beschlüsse wieder außer Kraft setzt, sei es für dauernd oder im Einzelfall. bb) Möglichkeit einer vertraglichen Selbstverpflichtung Während der Bischof einen einseitigen Verzicht auf die Ausübung seiner Leitungsgewalt nach eigenem Ermessen wieder zurücknehmen kann, wäre er im Falle eines vertraglich vereinbarten Verzichts auf die Ausübung seiner Leitungsgewalt an den Grundsatz pacta sunt servanda gebunden. Auch solche Formen des Verzichts schließt das kanonische Recht nicht völlig aus, wie vor allem aus dem Gebiet des Staatskirchenvertragsrechts bekannt ist (z. B. Verträge des Heiligen Stuhls mit dem Staat über die Mitwirkung des Domkapitels bei Bischofsernennungen). Mit solchen vertraglichen Selbstverpflichtungen ist die Kirche aber aus guten Gründen sehr zurückhaltend. Was die Gestaltung des Arbeitsvertragsrechts durch KODA-Beschlüsse angeht, ist eine allgemeine vertragliche Selbstverpflichtung des Diözesanbischofs sicherlich nicht anstrebenswert. Denkbar ist aber, daß die Einbeziehungsabrede in den einzelnen Arbeitsverträgen nicht auf die kirchliche Arbeitsvertragsordnung im allgemeinen Bezug nimmt, sondern nur auf die entsprechend der KODA-Ordnung entstandenen Arbeitsrechtsregelungen. Der Diözesanbischof kann die ihm unterstellten Dienstgeber verpflichten, beim Vertragsabschluß in dieser Weise vorzugehen. Eine solche Verpflichtung könnte der Diözesanbischof zwar wieder zurücknehmen; er könnte dadurch aber nicht in den Inhalt der bereits abgeschlossenen Arbeitsverträge eingreifen. 3. Die Frage der Notwendigkeit einer bischöflichen Beteiligung im Caritas-Bereich Verglichen mit der voranstehend dargestellten Situation im diözesanen Bereich ist die Rechtslage im Caritas-Bereich grundlegend anders zu beurteilen. Der Grund dafür liegt darin, daß die Betätigung des DCV und der ihm ange-

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schlossenen Anstellungsträger – zumindest, soweit es sich nicht um öffentliche juristische Personen des kanonischen Rechts handelt – nicht im umfassenden Sinn der Gesetzgebungsgewalt der Diözesanbischöfe untersteht. Die Aufsichtsrechte des Bischofs gegenüber privaten Vereinen und freien Zusammenschlüssen von Gläubigen gehen nicht so weit, daß er von sich aus für sie Arbeitsvertragsrichtlinien erlassen könnte.70 Er ist dazu im Bereich des Arbeitsrechts ebensowenig in der Lage, wie er etwa Richtlinien für das Abschließen von Miet- oder Kaufverträgen aufstellen könnte. In Anbetracht dessen besteht aus Sicht des kanonischen Rechts keine Notwendigkeit, für das Wirksamwerden von Beschlüssen der AK des DCV eine Beteiligung der Bischöfe vorzusehen. Die Bischöfe haben nicht einmal die Möglichkeit, eine solche Beteiligung vorzuschreiben, solange ihnen nicht durch das Satzungsrecht des DCV eine solche Möglichkeit eingeräumt wird. Andererseits können an der Legitimität des geltenden Satzungsrechts des DCV, das in § 15 der Ordnung der AK den Bischöfen eine solche Möglichkeit einräumt, keine Zweifel bestehen. Diese Bevollmächtigung der Bischöfe seitens des DCV gilt – wie das gesamte Satzungsrecht des DCV – nicht nur für den staatlichen, sondern auch für den kanonischen Rechtsbereich. Sie läßt erkennen, daß zwischen den Bischöfen und dem DCV eine weitaus engere Beziehung besteht, als es von der Rechtsstellung des DCV als einem privaten kanonischen Verein her erforderlich wäre. III. Zusammenfassung Seit fast 30 Jahren folgt die katholische Kirche in Deutschland, was die Gestaltung ihres Arbeitsvertragsrechts angeht, dem Dritten Weg. Seine rechtliche Ausgestaltung erfordert nicht nur die Kenntnis der vom staatlichen Recht eröffneten Möglichkeiten, sondern auch der vom kanonischen Recht her bestehenden Rahmenbedingungen. Ein wichtiges Element bei der Gestaltung des Dritten Weges ist die Frage, welche Rolle dabei dem Diözesanbischof zukommt. Für jene Anstellungsträger, die unmittelbar der Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs unterstehen (Bistum, Kirchengemeinden usw.), ist es der Bischof, der den Dritten Weg durch seine Gesetzgebung näher ordnet. Für den Einfluß des Diözesanbischofs auf die einzelnen Beschlüsse der von ihm gebil-

70

Vgl. A. E. Hierold, Organisation der Karitas, in: HdbKathKR2, S. 1034: „Das bischöfliche Aufsichtsrecht bedeutet kein Eingriffsrecht der Bischöfe in die Entscheidungen der Organe des Verbandes und in die Geschäftsführung. Sie können Entscheidungen des Verbandes nicht durch Einspruch korrigieren, beseitigen oder in ihrem Vollzug behindern, außer es handelte sich um Beschlüsse, die die Auflösung oder eine Änderung des Grundcharakters des DCV zur Folge haben.“

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Ulrich Rhode

deten Kommissionen bestehen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Nach der GrO und den geltenden KODA-Ordnungen bedürfen diese Beschlüsse einer bischöflichen Inkraftsetzung, durch die sie Normcharakter erhalten. Alternativ dazu wäre denkbar, daß der Bischof sich auf das Erlassen einer allgemeinen Norm beschränkt, wonach Arbeitsverträge nur im Rahmen der KODA-Beschlüsse abgeschlossen werden dürfen, ohne daß dazu die einzelnen KODA-Beschlüsse Normcharakter besitzen müßten. Ebenso wäre denkbar, daß der Bischof durch eine dynamische Verweisung ein für alle Mal die jeweiligen KODA-Beschlüsse in kanonisches Recht überführt. Die genannten Alternativen zu einer bischöflichen Inkraftsetzung der KODA-Beschlüsse finden dort ihre Grenze, wo es um Angelegenheiten geht, die von ihrem Inhalt her die Gesetzesform verlangen. Das ist bei den Statuten für die pastoralen Mitarbeiter(innen) und die Religionslehrer(innen) im Kirchendienst der Fall. Inwieweit sich der Bischof die Möglichkeit vorbehält, das Wirksamwerden von KODA-Beschlüssen abzulehnen oder in besonderen Situationen auch ohne KODA-Beschluß Arbeitsrechtsregelungen zu erlassen („Letztentscheidungsrecht“), ist nicht eine Frage kirchenrechtlicher Notwendigkeiten, sondern eine Ermessensfrage. Dabei ist zu bedenken, daß der Dritte Weg tendenziell an Glaubwürdigkeit verliert, je weiter die Einflußmöglichkeiten des Diözesanbischofs ausgedehnt werden. Ein völliger Verzicht auf seine Gesetzgebungsgewalt über das Arbeitsvertragsrecht der ihm unterstellten Anstellungsträger ist dem Bischof nicht möglich; er kann nur auf die Ausübung seiner Gesetzgebungsgewalt verzichten. Daß der Bischof seine Zuständigkeit für diesen Bereich des kanonischen Rechts völlig verliert, könnte nur von einer mit den entsprechenden Vollmachten ausgestatteten übergeordneten kirchlichen Autorität verfügt werden. In einer grundsätzlich anderen rechtlichen Situation befinden sich jene Anstellungsträger, die nicht unmittelbar der Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs unterstehen. Das gilt für Ordensgemeinschaften und andere kanonische Lebensverbände sowie für kanonische Vereine, insbesondere auch für den DCV. Das kanonische Recht sieht zwar – in unterschiedlichem Umfang – Aufsichtsrechte des Diözesanbischofs über die Betätigung dieser Anstellungsträger vor; diese Aufsichtsrechte gehen aber nicht so weit, daß der Bischof ihnen die Einzelheiten ihres Arbeitsrechts-Regelungsverfahrens oder ihres Arbeitsvertragsrechts vorschreiben könnte. Die Aussagen der derzeitigen Fassungen der GrO und der KODA-Ordnungen über deren Geltungsbereich übersteigen in dieser Hinsicht die Reichweite der Gesetzgebungsgewalt des Diözesanbischofs. Die Entscheidung über das Arbeitsrechts-Regelungsverfahren der dem Bischof nicht unterstellten Anstellungsträger treffen diese – allein oder auf der Ebene ihrer Zusammenschlüsse – aufgrund ihrer Satzungsautonomie. Sie können dabei die Bildung eigener Kommissionen vorsehen oder das von anderen Kommissionen geschaffene Arbeitsvertragsrecht für ihren Bereich übernehmen. Einflußmöglichkeiten der Diözesanbischöfe auf ihre einzelnen Arbeitsrechtsre-

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gelungen sind aus Sicht des kanonischen Rechts an sich nicht erforderlich. Freilich können die genannten Anstellungsträger aufgrund ihrer Satzungsautonomie den Bischöfen solche Einflußmöglichkeiten einräumen. Der DCV hat das durch die verbindliche Übernahme der GrO und durch die Verweisung der Ordnung der AK auf die von den Bischöfen beschlossenen „Richtlinien“ über deren Mitwirkung in weitem Umfang getan. Daran wird deutlich, daß der DCV zu den Bischöfen in einem weitaus engeren Verhältnis steht, als es von seiner kanonischen Rechtsstellung als privater Verein von Gläubigen her erforderlich wäre.

Die Rechtsverbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses Historische Praxis, theologische Begründung, kanonische Geltung Von Gerda Riedl I. Das Glaubensbekenntnis – Schnittpunkt von Rechtsnorm und Glaubenswahrheit Glaubensbekenntnis(se) sollten eigentlich zu den am besten erforschten Themen theologischer Wissenschaften gerechnet werden. Leider würde eine solche Feststellung aber lediglich in kirchen- und dogmengeschichtlicher Hinsicht volle Geltung beanspruchen dürfen;1 bereits unter pastoraltheologischer Maßgabe käme ihr jedoch nur mehr eingeschränkte Gültigkeit zu.2 Und bezüglich

1

Vgl. aus der Fülle einschlägiger Arbeiten besonders Richard P. C. Hanson, Tradition in the Early Church, London 1962; Adolf M. Ritter, Das Konzil von Konstantinopel und sein Symbol. Studien zur Geschichte und Theologie des II. Ökumenischen Konzils (= FDKG, Bd. 15), Göttingen 1965; John N. D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie, Göttingen 1972 (Nachdr. Göttingen 1993); Studien zur Bekenntnisbildung (= VIEG 103), Hrsg. von Peter Meinhold, Wiesbaden 1980; Günter Lanczkowski u. a., Art. Glaubensbekenntnis(se), in: TRE, Bd. 13 (1984), S. 384 – 446; Frances M. Young, The making of the creeds, London / Philadelphia 1991; Reinhart Staats, Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologische Grundlagen, Darmstadt 1996; Wolfram Kinzig / Christoph Markschies / Markus Vinzent, Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sogenannten ‚Traditio Apostolica‘, zu den ‚Interrogationes de fide‘ und zum ‚Römischen Glaubensbekenntnis‘ (= AKG, Bd. 74), Berlin / New York 1999; Liuwe H. Westra, The Apostles’ Creed. Origin, history, and some early commentaries (= Instrumenta Patristica et Medievalia, Bd. 43), Turnhout 2002; Jaroslav Pelikan, Credo. Historical and theological guide to creeds and confessions of faith in the Christian tradition, New Haven u. a. 2003. Abkürzungen orientieren sich an: Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG2), Berlin / New York 1992. 2 Heutige pastoraltheologische Bemühungen gelten hauptsächlich dem Ringen um zeitgemäße Ausdrucks- und Inhaltsgestalten von ‚Glaubensbekenntnis(sen)‘; mit Hilfe gezielter Reformulierungsversuche erstreben sie die Intensivierung des je persönlichen Gottesbezuges in der alltäglichen Gemeindearbeit. Vgl. etwa: Mein Credo. Persönliche

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Gerda Riedl

systematischer Belange müßte noch erheblich einschränkender formuliert werden: Weder genuin dogmatische noch einschlägig kirchenrechtliche Beiträge schenkten dem Forschungsgegenstand ‚Glaubensbekenntnis(se)‘ bislang die gebührende Beachtung. Ein derartiger Befund kann im Grunde genommen nur überraschen; gerechtfertigt erscheint die systematische Vernachlässigung von ‚Glaubensbekenntnis(sen)‘ mitnichten: Schließlich repräsentieren zumindest Apostolicum (Symbolum apostolorum, Credo, Textus receptus, T) und Nicaeno-Constantinopolitanum (Symbolum patrum, Großes Glaubensbekenntnis, NC) den allseits unbestrittenen Kern des Depositum fidei und letzteres zudem eine der wenigen ökumenischen Konstanten diesseits aller trennenden Konfessionsbarrieren.3 Dogmatische Reflexionen auf die theologische Bedeutung von ‚Glaubensbekenntnis(sen)‘ oder deren eigentliche Aussageabsicht jenseits bloßer Kommentare (Explanationes) zu einzelnen Bekenntnisklauseln aus Bibel und Kirchenvätern

Glaubensbekenntnisse, Kommentare und Informationen. Publik-Forum-Buch. Hrsg. von Peter Rosien, Oberursel 1999; Norbert Scholl, Das Glaubensbekenntnis – Satz für Satz erklärt, München 2000; Das Glaubensbekenntnis – Last oder Hilfe? (= Theologie im Kontakt, Bd. 9). Hrsg. von Reinhard Göllner, Münster 2001. Entsprechende Ansätze stehen in nachkonziliarer Tradition; vgl. zusammenfassend: Leo Karrer, Der Glaube in Kurzformeln. Zur theologischen und sprachtheoretischen Problematik und zur religionspädagogischen Verwendung der Kurzformeln des Glaubens, Mainz 1978. – Demgegenüber ist Eugen Drewermann an einer Umwertung des Bekenntnis-Begriffes gelegen, wenn er das Vaterunser zum Glaubensbekenntnis des historischen Jesus deklariert; vgl. Eugen Drewermann, Jesu Glaube und das Vaterunser. Publik-Forum-Dossier, Oberursel 2002. Tragfähig scheint dieses Unterfangen schwerlich: Nicht nur, daß eine nachösterliche Glaubensformel bekenntnishaft-expressiven Zuschnitts (Glaubensbekenntnis) durch ein vorösterliches Gebetsformular bittend-appellativer Natur (Herrengebet) ersetzt wird, auch der Bezugsrahmen jedweden Glaubensbekenntnisses dürfte gesprengt sein, wenn es aus dem Bereich des durch Ruf und Nachfolge eigentlich gestifteten, dazu von Glaubensakt und Glaubensinhalt gleichermaßen bestimmten Angehörigkeitsverhältnisses in den Bezirk eines selbst verfügten Innigkeitsverhältnisses jedes Einzelchristen vor und für sich verpflanzt wird. 3

Zur ökumenischen Dimension der Bekenntnisdiskussion siehe v. a.: Glaubensbekenntnis und Kirchengemeinschaft. Das Modell des Konzils von Konstantinopel 381 (= DiKi, Bd. 1). Hrsg. von Karl Lehmann / Wolfhart Pannenberg, Freiburg u. a. 1982; Gemeinsam den einen Glauben bekennen. Eine ökumenische Auslegung des apostolischen Glaubens, wie er im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) bekannt wird. Hrsg. vom Ökumenischen Rat der Kirchen. Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, Frankfurt/M. 1991; Vom Heiligen Geist. Der gemeinsame trinitarische Glaube und das Problem des Filioque (= ProOr, Bd. 21). Hrsg. von Alfred Stirnemann, Innsbruck u. a. 1998.

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existieren dennoch kaum;4 wohl derart unbefragt, weil in entsprechenden Sammlungen5 leicht zugänglich und binnentheologischem Selbstverständnis ohnehin jederzeit eingängig, stockt die dogmatische Überlegung spätestens am Tatbestand der Auswahl besagter Bekenntnisklauseln: Daß ‚machtvolle Taten, Wunder und Zeichen‘ des historischen Jesus (Apg 2,22) darin ebenso unerwähnt bleiben wie die sozialethische Dimension seiner ‚Reich Gottes‘-Botschaft (Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe: Mk 12,28 – 31 parr Mt 22,34 – 40; Lk 10,25 – 28) oder Jesu bezeichnende Symbolhandlungen (Mahlfeier: Mk 14,22 – 25 parr Mt 26,26 – 29; Lk 22,19 f.; 1 Kor 11,23 f. u. a.), dafür aber die Person des römischen Prokurators Pontius Pilatus – womöglich anstelle eines synoptisch favorisierten Simon Petrus oder des johanneischen Lieblingsjüngers – auftaucht, wird gern unter die Rubrik schmerzvoll vermißter Desiderata subsumiert. Selbst ausgewiesene Bekenntnis (‚Symbol‘)-Forscher wie Reinhart Staats rufen angesichts derartig „merkwürdige(r) Defizite“ den theologischen Erklärungsnotstand aus: „Der einfache Christ wird nicht überfordert.“6

4

Nicht einzurechnen sind selbstverständlich jene Publikationen, die sich am Text des Nicaeno-Constantinopolitanum (NC) oder des Apostolicum (T) entlang um eine aktualisierende Darlegung heutiger Glaubensinhalte bemühen; vgl. hierzu etwa: Heinrich Vogel, Das nicaenische Glaubensbekenntnis. Eine Doxologie, Berlin u. a. 1963; Thomas F. Torrance, The incarnation. Ecumenical studies in the Nicene-Constantinopolitan creed A. D. 381, Edinburgh 1981; Wir glauben – wir bekennen – wir erwarten. Eine Einführung in das Gespräch über das Ökumenische Glaubensbekenntnis von 381. Hrsg. von Wolfgang Bienert u. a., Eichstätt 1997 [zum NC]; Theodor Schneider, Was wir glauben. Eine Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses (1985), Düsseldorf 5 1998; Hans Küng, Das apostolische Glaubensbekenntnis Zeitgenossen erklärt, München u. a. 1992 [zum T]. So verfährt übrigens auch der KKK, S. 45 – 301 (‚Erster Teil: Das Glaubensbekenntnis‘). – Dem Vorbild der antiken und mittelalterlichen ExplanatioLiteratur folgen hingegen Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse (Anm. 1), S. 133 – 165 (‚Die Lehre des altrömischen Glaubensbekenntnisses‘), 328 – 361 (‚Die Lehre und die Geschichte von C‘) sowie Staats, Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (Anm. 1), S. 218 – 278 (‚Der theologische Inhalt der Klauseln‘). 5

Vgl. etwa D 1 – 76 (‚Erster Teil. Glaubensbekenntnisse‘); Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der Alten Kirche. 3. Aufl. mit einem Anhang von Adolf Harnack. Hrsg. von Gerhard L. Hahn, Breslau 1897 (Nachdr. Hildesheim 1962); Creeds and confessions of faith in the Christian tradition. Hrsg. von Jaroslav Pelikan / Valerie Hotchkiss, 3 Bde., New Haven / London 2003. 6

Staats, Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (Anm. 1), S. 209 – 214, hier S. 209. – Ausnahmen bilden aber immerhin: Luise Abramowski, Formula and context. Studies in early Christian thought, Hampshire 1992; Martin Petzoldt, Schriftprinzip und Bekenntnishermeneutik, in: ThLZ 117 (1992), Sp. 161 – 168; Vernon K. Robbins, The dialectical nature of early Christian discourse, in: Scriptura 1996. H. 4, S. 353 – 362; Sabbas C. Agurides, Regula fidei as hermeneutical principle yesterday and today, in: DBM 18 (1999), S. 78 – 86; Gerda Riedl, Hermeneutische Grundstrukturen frühchristli-

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Kanonistische Beiträge zum Thema der Rechtsverbindlichkeit von Glaubensbekenntnis(sen) finden sich leider genauso spärlich. Einigermaßen entschieden ging in der jüngeren Vergangenheit und für den Bereich des evangelischen Kirchenrechts immerhin Dietrich Pirson das Problem an; doch selbst er scheint an den Fragen der Rechtswirkungen von Bekenntnisschriften (!) mehr interessiert denn am Thema der Rechtsverbindlichkeit von Glaubensbekenntnis(sen) selbst: Historische Dimensionen der Bekenntnisfrage jedenfalls tut er in aller Kürze ab und Aussagen zu (rechts-) theologischen Implikationen meidet er zur Gänze.7 Noch schlechter ist es um das Bekenntnisthema im Einzugsgebiet des katholischen Kirchenrechts bestellt: Abhandlungen oder gar Monographien zu Glaubensbekenntnis(sen) fehlen völlig und die einschlägigen Handbücher kommen über allgemeine Einlassungen üblichen Informationsstandards kaum hinaus: „Das Wort und die Sakramente haben eine zentrale Bedeutung als institutionalisierende Faktoren der Kirche. Die Inkarnation des göttlichen Wortes steht an der ersten Stelle in der Begründung der Kirche als Institution. Das Beispiel und die Lehre des fleischgewordenen Wortes erreichen die Menschen. Über die sakramentale Wirkung des persönlichen Kontaktes mit dem Wort hinaus stellt auch die Lehre eine die kirchliche Gemeinschaft begründende und organisierende Größe dar. Die geschichtliche Realität dieser Wirkung kann besonders in den frühchristlichen Glaubensbekenntnissen erfaßt werden. Solche Glaubensbekenntnisse erscheinen schon in den Schriften des Neuen Testamentes (vgl. z. B. 1 Kor 15,3 – 5; Röm 1,3 f.; 1 Petr 1,18 – 21; 3,18 – 22). Die Bewahrung und die Verehrung der Lehre Christi als Quellen und Regeln des Glaubens liegen als Idee schon der Verfassung der Evangelien zugrunde.“8 Unglücklicherweise erfüllt dabei keine der aufgeführten Schriftstellen die religionsphänomenologischen Anforderungen an ein genuines ‚Glaubensbekenntnis‘; vielmehr handelt es sich samt und sonders um akklamatorische Glaubensworte und proklamatorische Glaubensformeln. Der (kirchen-)rechtstheologischen Legitimation des Bekenntnisthemas schadet dies

cher Bekenntnisbildung (= Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 123), Berlin / New York 2004. 7

Vgl. Dietrich Pirson, Evangelisches Kirchenrecht und Bekenntnis, in: ZevKR 47 (2002), S. 173 – 196; siehe aber auch: Ders., Das Bekenntnis im Recht der Kirche, in: Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht 5 (2000), S. 13 – 31; Ders., ‚Firmiter credendum est‘. Gibt es eine Rechtspflicht zum Glauben?, in: Bürgerliche Freiheit und Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag. Hrsg. von Heinrich de Wall / Michael Germann, Tübingen 2003, S. 111 – 119. – Gute Ansatzpunkte der evangelisch-lutherischen Auffassung hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit von Glaubensbekenntnissen bietet aber schon: Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang. Hrsg. von Wolfgang Reinhard, München 1981. 8

Péter Erdö, Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, in: HdbKathKR2, S. 20 – 33, hier S. 29 f.

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kaum weniger denn die rasche Verkürzung der ‚Professio fidei‘-Frage auf Dimensionen der Lehr- und Forschungsfreiheit in Anbetracht eines Erlasses der Kongregation für die Glaubenslehre (1989) oder des zugehörigen Motu proprio Ad tuendam fidei (1998) sowie einschlägiger Kodexänderungen.9 Der rechtsverbindlichen Bedeutung des Glaubensbekenntnisses tut beides keinen Abbruch: Gemäß dem CIC/1983 ist die kirchensolidarische Ablegung des Glaubensbekenntnisses (Professio fidei) nicht nur notwendig, um die Übereinstimmung persönlichen Glaubens, Lehrens und Handelns mit Glauben, Lehre und Disziplin der Kirche zu gewährleisten, wenn es gilt, insbesondere Ämter in ihrem Lehr-, Heiligungs- oder Leitungsdienst zu bekleiden (cc. 833, 380, 542 CIC/1983); vielmehr sieht das liturgische Recht darüber hinaus auch die individuelle oder gemeinsame, einmalige oder wiederholte Ablegung des Glaubensbekenntnisses in seiner deklarativen (NC) oder interrogativen Form (T) anläßlich von Taufe und Firmung, Eucharistiefeier und Konversion vor. Vor allem aber ermöglicht das Glaubensbekenntnis jedem Christgläubigen die Erlangung, Erhaltung und Vertiefung vollständiger Gemeinschaft (plena communio) mit der katholischen Kirche: „Voll in der Gemeinschaft der katholischen Kirche in dieser Welt stehen jene Getauften, die in ihrem sichtbaren Verband mit Christus verbunden sind, und zwar durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung.“ (c. 205 CIC/1983) Mit anderen Worten: Die Ablegung des Glaubensbekenntnisses (Professio fidei) bezeichnet keineswegs eine randständige Rechtsmaterie einigermaßen abseits kanonistischer Rechtszwecksetzung; vielmehr bildet sie neben der Heiligen Schrift nichts weniger denn die norma normans secunda kanonischen Rechts über9 Die einschlägigen Dokumente versammelt in deutscher Sprache: Kongregation für die Glaubenslehre. Lehramtliche Stellungnahmen zur ‚Professio fidei‘(= VApS 144). Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1998. Zur gesetzgeberischen Problematik vgl. insbesondere: Heribert Schmitz, ‚Professio fidei‘ und ‚Iusiurandum fidelitatis‘. Glaubensbekenntnis und Treueid. Wiederbelebung des Antimodernisteneides?, in: AfkKR 157 (1988), S. 353 – 429. Die aktuelle Kritik bündelt: Gerhard Luf, Glaubensfreiheit und Glaubensbekenntnis, in: HdbKathKR2, S. 700 – 708. G. Luf stellt völlig richtig fest: „Da der Glaube nicht auf private Innerlichkeit beschränkt bleibt, sondern sich notwendig im öffentlichen Bekenntnis manifestiert und durch das gemeinsame Bekenntnis bestärkt und gestützt wird, erlangt die Pflicht, den Glauben zu bekennen, auch rechtliche Bedeutung. Denn das öffentliche Bekenntnis des Glaubens ist in vielen Situationen des kirchlichen Lebens notwendig, um Bedrohungen der Identität der kirchlichen Gemeinschaft abzuwehren, ihre Einheit und ihren Frieden zu gewährleisten.“ (ebd., S. 706) Freilich bleibt dies seine einzige Aussage zum Thema ‚Glaubensbekenntnis(se)‘; danach und zuvor kreisen G. Lufs Ausführungen um binnenkanonistische Form-, Verfahrens- und Formulierungsfragen. – Die Erhellung historischer Hintergründe der Professio fidei-Problematik unternahm zuletzt: Daniele Menozzi, La professione di fede del ‚motu proprio‘ in una prospettiva storica, in: Cristianesimo della storia 21 (2000), S. 7 – 35.

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haupt – Bedingung der Möglichkeit gewissermaßen, sich dem kirchlichen Leitungsdienst anvertrauen, in den Genuß des kirchlichen Heiligungsdienstes kommen, am kirchlichen Lehramt partizipieren zu können. Insofern repräsentieren Glaubensbekenntnis(se) einen regelrechten Schnittpunkt von Rechtsnormen und Glaubenswahrheiten. Dass dieser Sachverhalt außer Blick geraten konnte, erklärt sich womöglich aus der form- und praxiszentrierten Engführung des vorkonziliaren Kirchenrechts; früheren Kirchenbildern (und deren rechtstheologischem Selbstverständnis) war er jedenfalls seit den ersten Anfängen selbstverständlich gewesen. II. Rechtstheologisches Denken der (früh-)christlichen Glaubensgemeinschaft Um das dogmengeschichtliche und kanonistische Wissen hinsichtlich des frühchristlichen Rechts- bzw. Gesetzesverständnisses ist es nicht eben zum besten bestellt. Klar liegen die wissenschaftlichen Dinge für den östlichen wie den westlichen Teil des (zunehmend ehemaligen) Imperium Romanum eigentlich erst mit ausgehendem sechsten und beginnendem 7. Jahrhundert. Im romzentrierten Westen brachte es die ‚Lex Ribuaria‘ zur damaligen Zeit auf den seither allgemein akzeptierten Nenner: legem Romanam, quam ecclesia vivit.10 Und die byzantinische Osthälfte des Römischen Reiches sollte von einer bahnbrechenden Gesetzesnovelle Kaiser Justinians I. (482 – 565; Reg. seit 527) geprägt werden: „Durch eine Novelle vom März 545 ordnete er an, daß die Kanones der bis dahin einberufenen vier ökumenischen Synoden Gesetzeskraft haben sollten. Durch die auf diese Weise erfolgte Aufnahme der normativen Beschlüsse der Synoden in die staatliche Rechtsordnung wurden die heiligen Kanones formell den Kaisergesetzen gleichgestellt.“11 Mithin erhielt auch das Nicaeno-Constantinopolitanum –

10 Lex Ribuaria 61,1 (MGH Leges Nationum Germanicarum. Sectio I. III/2, S. 109). Mit biblisch-neutestamentlicher und patristischer Rechtsgeschichte im allgemeinen blieben auch die Anfänge rechtstheologischen Denkens der neuen Glaubensgemeinschaft bis in die jüngste Vergangenheit weitgehend unerforscht; vgl. aber immerhin: Alexander Beck, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian. Eine Studie zur frühen Kirchenrechtsgeschichte (= SKG.G, Bd. 7/2), Halle 1930 (Nachdr. Aalen 1967); Othmar Heggelbacher, Geschichte des frühchristlichen Kirchenrechts bis zum Konzil von Nizäa 325, Fribourg 1974; Jean Gaudemet, Le droit Romain dans la littérature chrétienne occidentale du IIIe au Ve siècle (= Ius Romanum medii aevi 1,3,2), Mailand 1978; Ders., Les sources du droit de l’Église en occident du IIe au VIIe siècle, Paris 1985; Reinhart Staats, Kanon und Kapitaldelikte. Zwei Grundbegriffe im Gesetzesverständnis westlicher Patristik, in: Das Gesetz in Spätantike und frühem Mittelalter (= AAWG. 3. Folge, Nr. 196). Hrsg. von Wolfgang Sellert, Göttingen 1992, S. 28 – 46. 11

Spyros N. Troianos, Das Gesetz in der griechischen Patristik, in: Das Gesetz in Spätantike und frühem Mittelalter (= AAWG 3. Folge, Nr. 196). Hrsg. von Wolfgang

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selbstverständlich in Ost und West – seine endgültige Approbation in kirchenwie staatsrechtlicher Hinsicht.12 Begleitet von Bekenntnisbildungsschüben (De fide catholica, 1215 [D 800 – 802]; Bekenntnisschriften reformatorischer Kirchen; Professio fidei Tridentinae, 1564 [D 1862 – 1870]; MP Sacrorum antistitum / Antimodernisteneid, 1910 [D 3537 – 3550] u. a.) blieb es bei offener oder verdeckter Verflechtung von kanonischem und weltlichem Recht auch und zumal in Bekenntnisdingen bis gegen Ende des Konfessionellen Zeitalters (im 18. Jahrhundert) sowie gelegentlich darüber hinaus.13 Zuvor freilich hatten die permanent schwelenden Bekenntniskonflikte eine immer wieder angemahnte Rechtsverbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses der Ökumenischen Konzilien von Nizäa (325; D 125 f.) und Konstantinopel (381; D 150) unter beiden Rechtsordnungen erfolgreich zu verhindern gewußt. Und jenseits des Jahres 325 schweigen die Quellen ohnehin auf breiter Front; explizite Aussagen über genuin christliches Rechtsverständnis womöglich sogar bezüglich des eigenen Bekenntnisses sind selten, implizite Schlussfolgerungen von daher der gewöhnliche Weg heutiger wissenschaftlicher Forschung. So viel freilich scheint sicher: Eine definitive Unterscheidung zwischen theologisch-philosophischem und staatlich-juristischem Rechtsverständnis läßt sich frühchristlichen Texten nicht abgewinnen; dieses Urteil gilt selbst in Anbetracht der Tatsache, daß renommierte frühchristliche Autoren (wie Cyprian von Karthago und Ambrosius von Mailand) aufgrund ihrer abgeschlossenen Ver-

Sellert, Göttingen 1992, S. 47 – 62, hier S. 61 f. Vgl. auch: Ders., Kirche und Staat. Die Berührungspunkte der beiden Rechtsordnungen in Byzanz, in: OS 37 (1988), S. 291 – 296; Ders., Nomos und Kanon in Byzanz, in: Kanon 10 (1991), S. 37 – 51. 12 Seine liturgische Verwendung kodifizierte allerdings erst Kaiser Justin II. (Reg. 565 – 578). – Zu Kaiser Justinians Bekenntnispolitik vgl. insbesondere: Jakob Speigl, Formula Iustiniani. Kircheneinigung mit kaiserlichen Glaubensbekenntnissen (Codex Iustiniani I,1,5 – 8), in: OS 44 (1995), S. 105 – 134; Elio Dovere, Il vescovo ‚teodosiano‘ quali riferimento per la normazione ‚de fide‘ (sec. IV – V), in: Illu 1 (1996), S. 53 – 74; Karl H. Uthemann, Kaiser Justinian als Kirchenpolitiker und Theologe, in: Aug. 39 (1999), S. 5 – 83; Karl L. Noethlichs, Quod possit antiquitas nostris legibus abrogare? Politische Propaganda und praktische Politik bei Justinian I. im Lichte der kaiserlichen Gesetzgebung und der antiken Historiographie, in: Zeitschrift für antikes Christentum 4 (2000), S. 116 – 132; Otto Mazal, Justinian I. und seine Zeit. Geschichte und Kultur des Byzantinischen Reiches im 6. Jahrhundert, Köln u. a. 2001. 13 Die Geschichte der späteren Bekenntnisbildung (und ihres jeweiligen Rechtsverbindlichkeits-Status) verfolgen etwa: Adolf M. Ritter / Raymond Foreville / Hans Schwarz u. a., Art. Glaubensbekenntnis(se) V. – VIII. Alte Kirche-Neuzeit, in: TRE, Bd. 13 (1984), S. 399 – 437; vgl. aber auch die einschlägigen Passagen in Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 5 Bde., München 21960 – 1970. Die Entwicklung in den Kirchen der Reformation behandelt außerdem: Pirson, Evangelisches Kirchenrecht und Bekenntnis (Anm. 7).

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waltungslaufbahn juristische Kenntnisse besessen oder (wie Minucius Felix und Tertullian von Karthago) eine Anwaltskanzlei betrieben hatten. Auf ihr juristisch durchwirktes Vorleben blickten die genannten Autoren nämlich gemeinhin mit erheblicher Reserviertheit zurück. Nicht selten findet sich daher eine – gelegentlich ausufernde – Juristenschelte: „Wohl sind die Gesetze auf den ‚Zwölf Tafeln‘ eingegraben und die Rechte aufgezeichnet auf Erzplatten, welche man offen sichtbar angebracht hat, aber inmitten der Gesetze selbst frevelt man. (...) Der Anwalt? Er treibt nur ein unredliches und trügerisches Spiel! Oder der Richter? Er verkauft seine Stimme. (...) Das Recht hat mit dem Verbrechen einen Bund geschlossen und allmählich gilt das als erlaubt, was allgemein geschieht.“14 Für gewöhnlich basiert solche Juristenschelte zudem auf einer Abwertung menschlich gesetzten (Staats-)Rechts zugunsten eines stoisch inspirierten Naturrechtsgedankens, welcher seinerseits vom göttlichen Gesetz her normiert erscheint. Durchweg polemisch weiß etwa ein Tertullian von Karthago anzumerken: „Wenn dein Gesetz irrt, – nun, ein Mensch hat es geschaffen; es ist ja nicht vom Himmel gefallen. Wundert ihr euch darüber, dass ein Mensch irren konnte, als er ein Gesetz erließ, oder dass er wieder zur Vernunft kam, als er es verwarf?“15 Positiver und nüchterner, in der Sache aber nicht anders äußert sich auch Origenes von Alexandrien: „Da es nun im allgemeinen zwei Gesetze gibt, von denen das eine das natürliche Gesetz ist, das von Gott herrührt, das andere aber das in den Staaten geltende geschriebene Gesetz, so ist es richtig, dort, wo das geschriebene Gesetz mit dem Gesetz Gottes übereinstimmt, die Bürger nicht mit neuen Gesetzen zu beunruhigen.“16 Als Inbegriff des göttlichen Gesetzes (Lex Dei) aber gilt der gesamten Frühchristenheit Jesus Christus selbst; gemäß eines gern zitierten Paulus-Wortes löst er als Neues Gesetz (Lex nova / Lex caritatis) das alttestamentliche Zeremonialgesetz (Tora; Lex vetus) ab: „Denn Christus ist das Ende (griech. telos; lat. finis) des Gesetzes (griech. nomou; lat. legis), und jeder, der an ihn glaubt, wird gerecht.“ (Röm 10,4) In diesem Sinne kann Tertullian dann sogar einer seiner bekenntnisartigen Glaubensformeln proklamatorischer Natur die bezeichnende Klausel integrieren, daß Jesus Christus als Mensch gewordenes Gotteswort ein „neues Gesetz und eine neue Verheißung des Himmelreichs verkündet“ habe.17 Diese ‚Gesetzes-Christologie‘ war der Ausprägung eines positiven Verhältnisses zum

14 Cyprian von Karthago, Ad Donatum 10 (Cyprian, Opera [CChr.SL 3A]. Hrsg. von M. Simonetti, S. 9). 15

Tertullian von Karthago, Apologeticum 4,5 f. (Tertullian, Opera. Pars 1 [CChr.SL 1]. Hrsg. von E. Dekkers, S. 93). 16

Origenes von Alexandrien, Contra Celsum 5,37 (Origène, Contre Celse [SC 147]. Hrsg. von M. Borret, S. 110 – 112). 17

Tertullian von Karthago, De praescriptione haereticorum 13 (Tertullian, Opera. Pars 1 [CChr.SL 1]. Hrsg. von R. F. Refoulé, S. 197).

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römischen Staatsrecht naturgemäß alles andere als günstig, rangierte jenes doch noch hinter dem alttestamentlich-jüdischen Zeremonialgesetz;18 auch darin wissen sich die frühchristlichen Schriftsteller durchaus einig.19 Augustinus von Hippo brachte die implizite Gesetzesdistanz selbst noch des nachkonstantinischen Christentums schließlich auf einen bekannten Nenner: Ad aedificationem autem bona est lex, si quis ea legitime utatur, quia finis eius est caritas de corde puro et conscientia bona et fide non ficta.20 Da vor dem skizzierten Hintergrund nicht wenige der frühchristlichen Autoren ihren Glaubensgeschwistern für den Fall einer Pflichtenkollision, zumal in Sachen des eingeforderten Kaiserkultes, ein recht modern anmutendes ‚Widerstandsrecht‘ konzedierten, waren Konflikte (mit nicht selten letalem Ende) unausbleiblich (Christenverfolgungen). In gemilderter Form bestand das Spannungspotential freilich selbst nach erfolgreicher Christianisierung der römischen Staatsmacht fort: Da auch ein christlicher Imperator (rechts-) theologischem Verständnis zufolge lediglich als Gesetzgeber fungieren, sich selbst aber nicht als Gesetzesquelle zu imaginieren vermochte, blieb sein Gesetzgebungsanspruch womöglich allenthalben, notwendigerweise aber mindestens in Dingen des ‚göttlichen Gesetzes‘ ein so übereinstimmungs- wie zustimmungsbedürftiger: ersteres mit den Normen des ‚göttlichen Gesetzes‘, letzteres bezüglich der kirchlichen Autoritäten (einflußreicher Patriarchate und einschlägiger Kirchenversammlungen). In den Bekenntniskonflikten des 4. und 5. Jahrhunderts sollte sich besagtes Konfliktpotential so verstörend wie zerstörerisch auswirken. Der beschriebenen Distanz des frühen Christentums zum herrschenden Rechtsbegriff und zur staatlichen Gesetzgebung korrespondiert andererseits jedoch eine ausgesprochene Loyalität staatlichen Organen gegenüber, sofern diese nur ihren Konsens mit dem ‚göttlichen Gesetz‘ (der Lex nova) fanden. Infolgedessen unterstehen sich die frühchristlichen Autoren denn auch keineswegs, besagtes ‚Widerstandsrecht‘ gegenüber weltlicher Herrschaft an und für sich zu

18 So urteilt schon Victor Hasler, Gesetz und Evangelium in der alten Kirche bis Origenes. Eine auslegungsgeschichtliche Studie, Frankfurt/M. 1953. Zum selben Ergebnis gelangen aber auch Staats, Kanon und Kapitaldelikte (Anm. 10), S. 40; Troianos, Das Gesetz in der griechischen Patristik (Anm. 11), S. 49. 19

Entsprechende Beispiele bietet Troianos, Gesetz in der griechischen Patristik (Anm. 11), S. 51 – 53. Übrigens vertritt ein anonym überlieferter Text aus dem späten 4. Jahrhundert die These der Abwertung des römischen Staatsrechts gegenüber Lex vetus (Tora) und Lex nova (Jesus Christus) sogar noch zu einer Zeit, als die römische Staatsmacht längst eine christliche geworden war; vgl. [Anonymus], Lex Dei sive Mosaicarum et Romanarum legum collectio, in: Collectio librorum anteiustiniani. Bd. 3, Hrsg. von Theodor Mommsen. Berlin 1890, S. 107 – 198. 20

Augustinus von Hippo: Confessiones 12,18 ([CChr.SL 27]. Hrsg. von L. Verheijen, S. 229).

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beanspruchen. Im Falle offenkundiger, weil auch mit dem (philosophisch deduzierbaren und theologisch normierten) Naturrecht unvereinbarer Fehlleitung gleich welcher (christlicher oder nichtchristlicher) Staatsmacht – der (mit Origenes) so genannten ‚Tyrannei des Teufels‘ – war eine Widerstands- oder Verweigerungshaltung nicht nur jedem Christen erlaubt; sie wurde sogar von ihm (oder ihr) erwartet (etwa bezüglich eventueller ‚Kaiseropfer‘). Einschlägige Sätze ‚heiligen Rechts‘ (Ernst Käsemann)21 fanden sich mit aller wünschenswerten Deutlichkeit in den Heiligen Schriften der jungen Glaubensgemeinschaft, dem griechischen Alten Testament (Septuaginta) und einem (zunehmend vervollständigten) Gefüge (später) neutestamentlicher Bücher.22 Einer von ihnen half auch das Verhältnis der frühen Gemeinden zur herrschenden Staatsmacht regeln: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser, und Gott was Gott gehört.“ (Mk 12,17 parr Mt 22,21; Lk 20,25; vgl. Spr 24,21 f.). Für den obersten Entscheidungsgrundsatz wiederum galt gemäß lukanischer Apostelgeschichte: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg 5,29; vgl. 1 Makk 2,19.21 f.) Ein Zuordnungsverhältnis freilich zu beiden Rechtsordnungen (Lex dei / Lex civilis) konzedierte das frühe Christentum – sofern nicht deviant-häretischer, sondern großkirchlicher Ausrichtung – ohne Ausnahme.23 21 Vgl. hierzu bes. Ernst Käsemann, Sätze heiligen Rechtes im Neuen Testament (1954/55), in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 2, Göttingen 1964, S. 69 – 82. E. Käsemann bezeichnet damit neutestamentliche Redeforme(l)n, die exakt im Stil formeller Rechtssätze gehalten sind. 22

Vgl. zur Problematik des ‚Kanons‘ heiliger Schriften der frühen christlichen Glaubensgemeinschaft zuletzt etwa Max Seckler, Über die Problematik des biblischen Kanons und die Bedeutung seiner Wiederentdeckung, in: ThQ 180 (2000), S. 30 – 53; Marc DeGroote, Bemerkungen zum Entstehen des Kanons in der alten Kirche, in: ZKG 112 (2001), S. 372 – 376; Ernst A. Knauf, Der Kanon und die Bibeln. Die Geschichte vom Sammeln heiliger Schriften, in: BiKi 57 (2002), S. 193 – 199; Christoph Markschies, Neue Forschungen zur Kanonisierung des Neuen Testaments, in: Apocrypha 12 (2001), S. 237 – 262; Gottfried Vanoni: Der biblische Kanon. Institutionalisierte Erinnerung, in: ThPQ 151 (2003), S. 29 – 36. 23

Vgl. zum vorhergehenden: Gerda Riedl, ‚So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört‘ (Mk 12,17). Staatsmacht und Glaubensgemeinschaft – Exemplarische Überlegungen zum Verständnishorizont frühchristlichen Rechtsdenkens, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Josef Isensee u. a. (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 33), Berlin 1999, S. 3 – 27. Mit Hilfe der heiligen Schriften regelte die frühe christliche Glaubensgemeinschaft auch ihre innerkirchlichen Disziplinar- und Liturgiebelange; siehe hierzu etwa: Georg Schöllgen, Pseudoapostolizität und Schriftgebrauch in den ersten Kirchenordnungen. Anmerkungen zur Begründung des frühen Kirchenrechts, in: Stimuli. Exegese und ihre Hermeneutik in Antike und Christentum. Festschrift für Ernst Dassmann (= JAC.E, Bd. 23). Hrsg. von Georg Schöllgen u. a., Münster 1996, S. 96 – 121.

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Konsequenterweise wußte sich ein Tertullian von Karthago bei aller Skepsis dem staatlichen Recht gegenüber durchaus zu entsprechenden Formulierungen imstande, wenn es nur – wie im Falle des Körperschafts-Status der frühen Kirche – um elementare Lebensinteressen christlicher Gemeinschaft ging: „Dementsprechend hätte man diese Gemeinschaft (secta) nicht unter die illegalen Vereinigungen (factiones illicitae) einordnen dürfen, da sie nichts dergleichen verübt, was man von illegalen Vereinigungen gewöhnlich befürchtet. Wenn ich mich nicht irre, hat deren Verbot seinen Grund in der Sorge um die öffentliche Ordnung. (...) Wir aber sind eine Körperschaft (corpus) durch das Bewußtsein der Religion, durch die Einheit unserer Disziplin und den Bund der Hoffnung.“24 Von daher darf es nicht unbedingt überraschen, daß der erklärten Distanz des frühen Christentums zu explizitem, positiv gesetztem Recht in Staat und Kirche ein Zug zu implizitem Rechtsdenken erstaunlichen Ausmaßes entspricht. Dieser Grundzug christlichen Sozial-, Liturgie- und Glaubenslebens schlägt von den frühestchristlichen Anfängen an auch auf die Bekenntnisbildung durch. III. Impliziter und expliziter Rechtscharakter frühchristlicher Glaubensbekenntnisse Allzu großer Optimismus scheint freilich nicht angesagt. Selbst der renommierte Kirchenrechtler Péter Erdö überschätzt die Aussagekraft frühchristlicher Texte erheblich, wenn er die rechtsbegründende und -setzende Macht von Glaubensbekenntnissen bis in heilige Schriften des (späteren, weil dann erst kanonisierten) Neuen Testaments zurückverfolgen möchte. „Das Wort und die Sakramente haben eine zentrale Bedeutung als institutionalisierende Faktoren der Kirche. Die Inkarnation des göttlichen Wortes steht an der ersten Stelle in der Begründung der Kirche als Institution. Das Beispiel und die Lehre des fleischgewordenen Wortes erreichen die Menschen. Über die sakramentale Wirkung des persönlichen Kontaktes mit dem Wort hinaus stellt auch die Lehre eine die kirchliche Gemeinschaft begründende und organisierende Größe dar. Die geschichtliche Realität dieser Wirkung kann besonders in den frühchristlichen Glaubensbekenntnissen erfaßt werden. Solche Glaubensbekenntnisse

24

Tertullian von Karthago, Apologeticum 38,1 f.; 39,1 (Tertullian, Opera. Pars 1 [CChr.SL 1]. Hrsg. von E. Dekkers, S. 149). Siehe zur Problemstellung insbesondere Hans G. Kippenberg, Christliche Gemeinden im Römischen Reich. Collegium licitum oder illicitum?, in: Hairesis. Festschrift für Karl Hoheisl (= JAC.E, Bd. 34). Hrsg. von Manfred Hutter u. a., Münster 2002, S. 172 – 183 sowie Hartmut Zinser, Religio, secta, haeresis in den Häresiegesetzen des Codex Theodosianus (16,5,1/66) von 438, in: Hairesis. Festschrift für Karl Hoheisl (= JAC.E, Bd. 34). Hrsg. von Manfred Hutter u. a., Münster 2002, S. 215 – 219.

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erscheinen schon in den Schriften des Neuen Testaments.“25 Von einer unverantwortlichen Unterlassung seitens der Kanonistik kann dabei allerdings keine Rede sein; Kirchengeschichte, Fundamentaltheologie und Dogmatik haben es bislang vielmehr versäumt, definitorisch tragfähige (und kirchenrechtlich transformierbare) Definitionen des vielgestaltigen Phänomens ‚frühchristlicher Glaubensbekenntnis(se)‘ zur Verfügung zu stellen.26 Selbst John N. D. Kelly etwa und seine maßgebliche Publikation ‚Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie‘ (1972), setzt – wiewohl allgemein anerkannter Bezugspunkt jedweder ‚Symbol-Forschung‘ neueren Datums – den Status quo des geltenden Bekenntnis-Standes seiner Forschung voran, statt ihn zu problematisieren: „Jahrhundertelang ist es für Christen Gewohnheit gewesen, unter dem Wort Glaubensbekenntnis eine feste Formel zu verstehen, welche die wesentlichen Artikel ihrer Religion zusammenfaßt und von der kirchlichen Autorität sanktioniert ist.“27 So einfach liegen die Bekenntnisdinge nicht; wie auch (und von welcher kirchlichen Autorität her) hätten neutestamentliche Glaubensworte (akklamatorischer Natur) – etwa das bekannte ‚Marána tha‘ (‚Unser Herr, komm!‘: 1 Kor 16,22; Offb 22,20; vgl. Didache 10,6) – sanktioniert werden sollen? Sie liefen vielmehr um innerhalb der frühestchristlichen Kommunikationsgemeinschaft und kamen auf diese Weise in Geltung. Religionswissenschaftlich – also religionsphänomenologisch, religionssoziologisch und religionspsychologisch – betrachtet, präsentiert sich der Sachverhalt konsequenterweise etwas komplizierter: Unter religionsphänomenologischen Gesichtspunkten besehen, beschreiben Glaubensbekenntnisse nämlich eine für gewöhnlich erst im Laufe der Zeit autoritativ – durch offizielle Sanktion (etwa zuständiger

25

Erdö, Theologische Grundlegung (Anm. 8), S. 29. P. Erdö nennt als Textbelege 1 Kor 15,3 – 5; Röm 1,3 f.; 1 Petr 1,18 – 21; 3,18 – 22; vgl. Anm. 8 und die zugehörige Textpassage. Leider handelt es sich bei besagten Stellen samt und sonders um proklamatorische Glaubensformeln (im Sinne religionswissenschaftlicher Theoriebildung). Ausgebildete Glaubensbekenntnisse (deklaratorischer Natur) weisen eine völlige andere Textstruktur auf; auch ist die theologische Intention um einiges differenzierter gelagert. Und dem angezielten Rechtscharakter eignet keine implizite Anspruchs-, sondern eine explizite Aussageform. 26 27

Vgl. zum folgenden jetzt: Riedl, Hermeneutische Grundstrukturen (Anm. 6).

Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse (Anm. 1), S. 9. An dieser Definitionspraxis hat sich bis heute wenig geändert: „Before we begin, it appears useful first to define what a creed is. We mean by creed a formal pledge of allegiance to a set of doctrinal statements concerning God and his relationship to his creation in general and to mankind in particular.“ (Wolfram Kinzig / Markus Vinzent, Recent research on the origin of the creed, in: JThS 50 [1999], S. 335 – 559, hier S. 336) Auch diese Definition geht vollkommen unbefragt aus von der Struktur deklaratorischer Glaubensbekenntnisse christlicher Provenienz. Ein gelungenes Definitionsbeispiel bietet hingegen: Christoph Bochinger, Art. Bekenntnis. Religionsgeschichtlich, in: RGG4, Bd. 1 (1998), Sp. 1246.

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Instanzen) oder verbürgte Botschaft (etwa heiliger Schriften) beglaubigte – dabei durchweg formelhafte Kurzfassung zentraler Glaubensinhalte einer Glaubensgemeinschaft (Religion, Konfession) mit akklamatorischer, proklamatorischer oder deklaratorischer Aussageabsicht. In kultischen wie privaten Zusammenhängen rezipiert, dienen Glaubensbekenntnisse als Zugehörigkeits- und Selbstvergewisserungsausweis mit permanent latentem Rechtscharakter; sie vergegenwärtigen religiöse Heilszuversicht im Sinne glückenden Selbstbezuges, gelingenden Gemeinschaftsbezuges oder stimmigen Wirklichkeitsbezuges und beziehen von daher ihre Bedeutung für Initiationsriten aller Art (Taufe, Eucharistiefeier etc.). Gleichzeitig fungieren Glaubensbekenntnisse häufig als Strukturprinzip der Lehrentfaltung in gelehrten wie didaktischen Zusammenhängen; diese Doppelfunktion unterscheidet sie deutlich von den literarisch ähnlichen Textsorten ‚Kurztraktat‘ und ‚Hymnendichtung‘. Sie kommen infolgedessen zwischen Lehr- und Gebetsvollzügen zu stehen. Einer intern gemeinschaftsstiftenden und gemeinschaftswahrenden Funktion so verstandenen ‚Glaubensbekenntnisses‘ – welcher religionsphänomenologischer Erscheinungsweise, welcher religionssoziologischer Modalität und welcher religionspsychologischer Bewußtseinshaltung auch immer – korrespondiert seine Abgrenzungsfunktion gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften (Religionen, Konfessionen) oder devianten (häretischen) Kleingruppen der eigenen Glaubensgemeinschaft nach außen; neben Selbstvergewisserungs-, Gemeinschafts- und Abgrenzungsfunktion kommen aber häufig auch kerygmatische, doxologische und katechetische Aufgaben von Glaubensbekenntnissen zu stehen. Dementsprechend liegt es nahe, (1) hinsichtlich des Bekenntnischarakters: die formelhafte Kurzfassung allmählich autoritativ verbürgter Glaubensinhalte mit permanent latentem Rechtscharakter und je eigentümlicher Kompositionsintention, (2) hinsichtlich der Bekenntnisfunktion: die Abgrenzungs- und Vergewisserungsweise nach innen und außen, sowie (3) hinsichtlich der Bekenntnisintention: die Vergegenwärtigung religiöser Heilszuversicht im Sinne glückenden Selbstbezuges, gelingenden Gemeinschaftsbezuges und stimmigen Wirklichkeitsbezuges für konstitutive Merkmale von Glaubensbekenntnissen anzusehen. An Beispielen derartiger Glaubensbekenntnisse erscheint die frühchristliche Überlieferung mehr als reich. Nur im ungefähren Sinne einer chronologischen Ordnung zu verstehen, entfaltet sich (früh-) christliche Bekenntnisbildung von ihren ersten nachösterlichen Anfängen her in den folgenden Texttypen: akklamatorisches Glaubenswort (Maranatha-Ruf, Christus-Monogramm, IchthysAkrostichon),28 proklamatorische Glaubensformel (Glaubensbekundungen, 28 Vgl. zu diesen beiden Erscheinungsformen akklamatorischer Glaubensworte: Franz-Josef Dölger, Ichthys. Das Fischsymbol in frühchristlicher Zeit, 5 Bde., Münster 1910 (bzw. 1922) – 1943; Victor Gardthausen, Das alte Monogramm (1924), Wiesbaden 1966; Friedrich-August von Metsch, In Bildern Gott begegnen. Die vier Symbole der Christenheit (Kreuz, Lamm, Monogramm Christi, Fisch), Holzgerlingen 2000.

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Glaubensregeln, interrogatorisches Taufbekenntnis), deklaratorisches Glaubensbekenntnis (großkirchliche oder deviante Symbola), öffentliche Glaubensbekundung (griech. ékthesis písteos; lat. professio fidei). Wenngleich dabei lediglich deklaratorisches Glaubensbekenntnis und öffentliche Glaubensbekundung als Glaubensbekenntnis (griech. symbolon; lat. symbolum) im Vollsinn des Wortes betrachtet werden dürfen, so eignet doch allen genannten Texttypen ein entweder impliziter (akklamatorisches Glaubenswort, proklamatorische Glaubensformel) oder expliziter Rechtscharakter (deklaratorisches Glaubensbekenntnis, öffentliche Glaubensbekundung). Interessanterweise macht sich besagter Rechtscharakter des Glaubensbekenntnisses bereits in den frühest greifbaren Bekenntnisworten bemerkbar. Einer allgemein akzeptierten Grundüberzeugung exegetischer Wissenschaften zufolge gilt: „Die älteste christliche Formulierung, die bekenntnisartigen Charakter hat, dürfte die Aussage sein, daß Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Sie ist in zwei Formen rekonstruierbar, einmal als Aussagesatz (vgl. Röm 10,9; 1 Kor 6,14; 15,15; 1 Thess 1,10), zum anderen als Partizipialprädikation (vgl. Röm 4,24; 8,11; 2 Kor 4,14; Gal 1,1). (...) Auch für die Christen war Gott selbstverständlich der, der Himmel und Erde gemacht und der Israel aus Ägypten geführt hat, vor allem aber glauben sie an ihn als den, der Jesus von den Toten auferweckt hat.“29 Mit Hoheitstiteln (wie ‚Herr‘, ‚Sohn Gottes‘ u. a.) verleihen die frühestchristlichen Gemeinden ihrer Glaubensüberzeugung Ausdruck; geronnen zu akklamatorischen Glaubensworten (wie ‚Maranatha‘) offenbart deren textliche Überlieferung einen durchgängig rechtsbezüglichen Charakter: „Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Vorstellung (die Auferweckungs-Vorstellung; Anm. der Verf.) in die früheste aramäisch sprechende Gemeinde zurückgeht, erweist der Maranatha-Ruf. An allen drei Stellen schließt Maranatha einen Satz heiligen Rechts ab bzw. einen Satz, der in dieser Weise stilisiert ist.“30 Nicht anders verhält es sich mit proklamatorischen Glaubensformeln neutestamentlicher 29 Klaus Wengst, Art. Glaubensbekenntnis(se). IV. Neues Testament, in: TRE, Bd. 13 (1984), S. 392 – 399, hier S. 392 (mit weiterführenden Literaturangaben). Siehe zudem v. a. Hans von Campenhausen, Das Bekenntnis im Urchristentum, in: ZNW 63 (1972), S. 210 – 253; Ivan Hafener, The credal formulae of the New Testament. A history of the scholary research and a contribution to the on-going study, München 1976; Ferdinand Hahn, Bekenntnisformeln im Neuen Testament, in: Unterwegs zur Einheit. Festschrift für Heinrich Stirnimann. Hrsg. von Johannes Brantschen u. a. Fribourg u. a. 1980, S. 200 – 214; Vernon K. Robbins, Dialectical nature (Anm. 6). Die wichtigen Zusammenhänge mit alttestamentlichen und frühjüdischen Glaubensbekenntnissen (wie dem Sch’ma Israel als Jesu Bekenntnis: Mk 12,28 – 34 parr Mt 22,34 – 40; Lk 10,25 – 28) beleuchtet u. a. Bernhard Lang, Glaubensbekenntnisse im Alten und Neuen Testament, in: Conc(D) 14 (1978), S. 499 – 503. 30

Klaus Wengst, Art. Glaubensbekenntnis(se). IV. Neues Testament (Anm. 29), S. 392.

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Herkunft; die einschlägigen Texte (Hebr 3,1; 4,14; 10,23; vgl. 2 Kor 9,13; 1 Tim 6,12 u. a.) verwenden hierfür den Begriff der ‚Homologie‘ (griech. homologia; lat. confessio31): „Dieses Verständnis der homología im Hebr [-äerbrief] beläßt dem Begriff seine festgeprägte, formale Bedeutung, die er im politischen und rechtlichen Sprachgebrauch erhalten hat. Die Homologie bezeichnet hier eine verbindliche öffentliche Erklärung, durch die ein Rechtsverhältnis vertraglich hergestellt wird. Sie hat immer dasjenige zum Inhalt, worum sich das Verhältnis zweier Partner ‚dreht‘, soll heißen: mit rechtlicher Kraft neu geordnet wird. Im Akt der Homologie wird in Freiheit ein verbindliches, definitives Ja gegeben, über das hinaus nichts gesagt werden kann, was für das nun geordnete rechtliche Verhältnis von irgendeinem Belang sein könnte. So wenig sich der Inhalt der religiösen homología jemals nach Analogie eines frei vereinbarten Vertrages verstehen läßt, so bleiben doch das Moment der Öffentlichkeit, der Verbindlichkeit, der Endgültigkeit und der Antwortcharakter der Homologie auch im religiösen Sprachgebrauch konstitutiv.“32 Während des zweiten und dritten Jahrhunderts verstärkte sich die Rechtsbezüglichkeit formelhafter, allmählich autoritativ beglaubigter Kurzfassungen zentraler Glaubensinhalte der christlichen, zunehmend konsolidierten Glaubensglaubensgemeinschaft (Proklamatorische Glaubensformeln) eher noch. Den Ausschlag gaben hierbei sowohl die dissensförderliche Expansion der großkirchlichen Gemeinde(n)organisation (Communio-Struktur) als auch steigende Devianzneigungen lokalen, regionalen und überregionalen Ausmaßes. Von akklamatorischen Glaubensworten (und ihrem Sprachgestus der Huldigung oder Lobpreisung) unterscheiden sich proklamatorische Glaubensformeln durch einen explikativen Charakter durchaus verschiedenen Umfangs, den 31

Der Terminus technicus confessio durchlief seit frühchristlichen Zeiten einen deutlichen semantischen Verschiebungsprozeß: Noch in der Spätantike begann er (Blut-) Zeugnisse der Märtyrer oder das (entweder öffentliche bzw. private) Sündenbekenntnis zu bezeichnen (vgl. Augustins Confessiones); zur Beschreibung des Glaubensbekenntnisses setzte sich dagegen das Wort Symbolon / Symbolum durch. Eine neuerliche Umwertung setzte in den Kirchen der Reformation ein; dort meint Confessio insbesondere die ‚Bekenntnisschrift‘. Das neueste evangelische Nachschlagewerk subsumiert Glaubens- wie Sündenbekenntnis einem allgemeinen Bekenntnisbegriff, was auf Kosten von Rechts- und Öffentlichkeitscharakter die innerliche und private Dimension von Glaubensbekenntnissen akzentuiert: „Der Terminus B.[ekenntnis] bezeichnet verschiedene Phänomene, u. a. das Glaubens- und das Sündenb.[kenntnis] (vgl. engl. creed bzw. confession / profession.“ (Bochinger, Art Bekenntnis. I. Religionsgeschichtlich [Anm. 27], Sp. 1246). 32

Günther Bornkamm, Das Bekenntnis im Hebräerbrief (1942), in: Ders., Studien zu Antike und Urchristentum. Gesammelte Aufsätze Band II (= BEvTh, Bd. 28), München 1959, S. 188 – 203, hier S. 192. Vgl. auch Günther Bornkamm, Homologia. Zur Geschichte eines politischen Begriffs (1936), in: Ders., Geschichte und Glaube. Erster Teil. Gesammelte Aufsätze Band III (= BEvTh, Bd. 48), München 1968, S. 140 – 156.

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Sprachgestus der zustimmungseinfordernden Verkündigung und einem additivfreizügigen Umgang mit Eckdaten (dem ‚Grund-Gesetz‘) gesamtbiblisch verbürgter Offenbarungs-Wahrheit(en); solche proklamatorische Glaubensformeln begegnen in Gestalt interrogatorischer Taufbekenntnisse (schwer bestimmbaren Alters), Glaubensbekundungen (apostolischer Väter und früher Apologeten) sowie in den Glaubensregeln (griech. kanón tes aletheías; lat. regula fidei / veritatis) führender Theologen des zweiten und dritten Jahrhunderts (Irenäus von Lyon, Tertullian von Karthago, Origenes von Alexandrien). Dabei tritt der implizite Rechtscharakter besagter Termini technici offen zu Tage. Origenes etwa nennt – zumindest seinem Übersetzer Tyrannius Rufinus von Aquileja zufolge – proklamatorische Glaubensformeln eine certa linea manifestaque regula und meint damit „jene Grundartikel (griech. paradeígmata kephalaióda), die, wenn sie geglaubt werden, den Menschen erlösen, der sie glaubt.“33 Und der ehemalige Rechtsanwalt Tertullian formuliert – neuerlich mit deutlichem Anklang an eine unverkennbar juristische Fachsprachlichkeit: „Der Glaube, heißt es, hat dich erlöst, nicht die spekulative Auslegung der heiligen Schriften (non exercitatio scripturam). Der Glaube ist in der Glaubensregel niedergelegt (fides in regula posita est); er enthält das Gesetz (legem) und enthält mittels der Befolgung des Gesetzes das Heil. Spekulative Auslegung jedoch gründet in Neuerungssucht (in curiositate) und hat ihren Ruhm allein im Streben nach Erkenntnis.“34 Zu bedenken bleibt allerdings das folgende: Den Maßstab (hebr. kanäh – griech. kanón; vgl. 2 Kor 10,13 – 15) bilden nach wie vor die heiligen Schriften (des Alten und Neuen Testaments); infolgedessen 33

Die beiden Zitate aus Origenes finden sich (in der Reihenfolge ihrer Nennung): Origenes, De principiis I Praefatio 2 (Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien. Hrsg. von Herwig Görgemanns, Darmstadt 1976, S. 84); Commentarii in evangelium Ioannis 32,16 ([GCS 10] Hrsg. von E. Preuschen, S. 450). Vgl. zur Thematik auch Albert C. Outler, Origen and the ‚Regula fidei‘, in: The second century 4 (1984), S. 133 – 141. Zu Irenäus von Lyon siehe: Joseph F. Mitros, The norm of faith in the patristic age, in: TS 29 (1968), S. 441 – 471; Norbert Brox, Die biblische Hermeneutik des Irenäus, in: Zeitschrift für antikes Christentum 2 (1998), S. 26 – 48. 34

Tertullian, De praescriptione haereticorum 14,3,4 (Tertullian, Opera. Pars I [CChr.SL Bd. 1] Hrsg. von R. F. Refoulé, S. 198). A. Beck, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian (Anm. 10), S. 52 meint unter Hinweis auf Justinians Digesta 50,17,1 (Corpus Iuris Civilis. Hrsg. von Theodor Mommsen / Paul Krüger. Bd. 1. Berlin 171963, S. 920) und ihrer Formulierung der ‚Regula iuris‘ (Regula est, quae rem quae est breviter enarrat. non ex regula ius sumatur, sed ex iure quod est regula fiat): „Als solche Quintessenz des ius divinum nähert sich die regula fidei ihrem Wesen nach der regula iuris.“ Ähnlich urteilt Staats, Kanon und Kapitaldelikte (Anm. 10), S. 34 – 40. Siehe zu Tertullian und seinem Verständnis der ‚Regula fidei‘: Louis W. Countryman, Tertullian and the Regula fidei, in: The second century 2 (1982), S. 208 – 227; den Gesamtkomplex behandelt: Heinz Ohme, Kanon ekklesiastikos. Die Bedeutung des altkirchlichen Kanonbegriffs (= AKG, Bd. 67), Berlin / New York 1998.

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eignet proklamatorischen Glaubensformeln selbst im Falle der interrogatorischen Taufbekenntnisse (vermutlich des beginnenden 3. Jahrhunderts) kein expliziter, sondern ein (nach wie vor) impliziter Rechtscharakter: „Nicht auf den Bibel-Codex als solchen bezieht sich der Begriff Kanon der Wahrheit bzw. regula fidei, sondern auf die allerdings in der heiligen Schrift befindliche Richtschnur für die ganze Wahrheit; wir müßten heute sagen: auf den ‚Kanon im Kanon‘.“35 Oder noch anders gesagt: auf die Eckdaten, das ‚Grund-Gesetz‘ gesamtbiblisch verbürgter Offenbarungs-Wahrheit(en). Deklaratorische Glaubensbekenntnisse (‚Symbola‘) im eigentlichen Vollsinn des Wortes begegnen hingegen erst mit den (einigermaßen zahlreichen) Synodalbekenntnissen des 4. Jahrhunderts; und darunter wiederum erlangte das Nicaeno-Constantinopolitanum (NC) so kanonische wie ökumenische Bedeutung, wohingegen dem Apostolicum (T) als einem Derivat des römischen Lokalbekenntnisses (Romanum; R) liturgische und kirchenrechtliche Bedeutung nur im Westen zugestanden wurde (Römisch-katholische Kirche; Kirchen der Reformation). Unbeschadet dessen wahrt schon die Bezeichnung ‚Symbolon / Symbolum‘ – eine Begriffsprägung des berühmten Neugetauften Marius Victorinus (um 291 – 365)36 – den impliziten Rechtsbezug jedweder Bekenntnisaussage christlicher Provenienz. Seither kombinierten die frühchristlichen Schriftsteller zum Zweck der Erklärung des Bekenntnisbegriffs je nach Aussageabsicht in der Regel mehrere der insgesamt vier verschiedenen Bedeutungskomponenten; dabei handelt es sich näherhin um semantische Ableitungen aus (1) Sammlung, Gemeinschaftswerk (griech. symbolé; lat. symbolum), (2) Losungswort (mit militärischem Hintergrund; griech. symbolon – lat. indicium), (3) Erkennungszeichen (mit mysterienreligiösem Hintergrund; griech. symbolon – lat. signum) sowie (4) Vertrag, Abkommen, Bündnis (griech. symbolon; lat. contractus, placitum). Wieder ist ein impliziter Rechtscharakter vor allem der – etwa von Augustinus bevorzugten – Bedeutungsvariante (4)37 unmittelbar einsichtig. Im Zuge der arianisch-großkirchlichen Bekenntniskonflikte des 4. Jahrhunderts wandelte sich der implizite Rechtscharakter infolge (so innerkirchlicher wie reichsrechtlichter) Promulgation zu einem expliziten. Den traditionsprägenden Anfang markierte dabei das Erste Ökumenische Konzil von Nizäa (des Jahres 325). Nach langen – und quellenmäßig leider recht unzurei35

Staats, Kanon und Kapitaldelikte (Anm. 10), S. 38.

36

Siehe hierzu insbesondere: Andreas Merkt, Symbolum. Historische Bedeutung und patristische Deutung des Bekenntnisnamens, in: RQ 96 (2001), S. 1 – 36 (mit weiterführenden Literaturangaben). Die entsprechende Stelle findet sich bei: Marius Victorinus, Adversus Arium 2,12 (Marius Victorinus, Opera. Pars I [CSEL Bd. 83/1] Hrsg. von P. Henry / P. Hadot, S. 190). 37

Vgl. Augustinus, Sermones 214,12 (PL 38, Sp. 1072). Siehe hierzu etwa Lucien Bescond, Signe et symbole chez Saint Augustin, in: Graphè 1996, H. 5, S. 11 – 21.

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chend, nichtsdestoweniger aber einigermaßen zuverlässig – dokumentierten Querelen beschlossen die versammelten Konzilsväter gemeinsam mit dem anwesenden Kaiser Konstantin I. (272 – 337; Alleinherrscher seit 324) die Veröffentlichung eines verbindend-verbindlichen Glaubensbekenntnisses (Symbolum Nicaenum; D 125 f.) nebst mehreren Disziplinarverfügungen, von denen zwei ihrerseits den Status der Kirchengliedschaft vermittels des (richtigen, weil großkirchlichen) Bekenntnisses regelten (cc. 8 und 19: De baptismo haereticorum; D 127 f.).38 Weitreichende Folgen besagter Synodalentscheidungen fielen zu Lebzeiten Kaiser Konstantins nicht weiter auf: Die Frage der Kirchengliedschaft war im Einklang mit früheren Entscheidungen (etwa des nordafrikanischen ‚KetzerTaufstreits‘39) geregelt worden; und als Vermittler in kirchlichen Rechtsbelangen hatte sich Konstantin anläßlich der donatistischen Spaltung schon im ersten Jahrzehnt seiner (Teil-) Herrschaft bewährt.40 Das tätige Einschreiten des Herrschers in den ausufernden arianischen Wirren des zweiten Jahrzehnts seiner (nunmehrigen Allein-) Regierung besaß demzufolge keinen besonderen Neuheitswert. Darüber hinaus wußte sich Konstantin zeitlebens konsensfördernd zu positionieren – in religiösen Angelegenheiten den Heiden seines Imperiums gegenüber als Pontifex maximus, den Christen hingegen unparteiische Schiedsinstanz für den Fall innerkirchlicher Auseinandersetzungen.41 Infolgedessen hielt der ‚staatskirchenrechtliche‘ Friede bis zum Zeitpunkt seines Ablebens, obwohl sich eine zahlenmäßig eher geringe, innerkirchlich aber einflußreiche Synodalopposition (im Osten des Römischen Reiches) weder mit (ver38

Vgl. zum Problemhorizont aus kirchenrechtlicher Perspektive: Winfried H. J. Schachten, Kirchliche Rechtsgeschichte: Das nicänische Dekret über das Taufsymbol. Vorgeschichte und Umstände seiner Verabschiedung, Inhalt sowie Bedeutung für die Geschichte von Kirche und Kirchenrecht, in: FS 71 (1989), S. 326 – 365. Über die bekenntnis- und dogmengeschichtlichen Hintergründe informieren zuverlässig: Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse (Anm. 1), S. 205 – 259; Hanns C. Brennecke, Art. Nicäa, Ökumenische Synoden. I. Ökumenische Synode von 325, in: TRE, Bd. 24 (1994), S. 429 – 441 (mit weiterführenden Literaturangaben). 39

Siehe hierzu zuletzt etwa Mireille Labrousse, La baptême des hérétiques d’après Cyprien, Optat et Augustin. Influences et divergences, in: REAug 42 (1996), S. 232 – 242. 40

Siehe hierzu (aus kirchenrechtlicher Perspektive): Johannes Mühlsteiger, Donatismus und die verfassungsrechtlichen Wirkungen einer Kirchenspaltung, in: ZSRG.K 119 (1999), S. 1 – 59. 41

Eusebius von Cäsarea überliefert in seiner Vita Constantini zudem, der Kaiser habe sich als Bischof ‚des Äußeren‘ (griech. tón ektós) verstanden; vgl. hierzu auch Eduard Schwartz, Kaiser Konstantin und die christliche Kirche. Fünf Vorträge (1936), Darmstadt 1969. Insofern entsprach (der ungetaufte) Kaiser Konstantin jenem Anforderungsprofil auf geradezu idealtypische Weise, das heute der CIC/1983 an das Apostolat der Laien stellt (c. 225); vgl. Gerda Riedl, Die Laien, in: HdbKathKR2, S. 232 – 242.

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meintlich) antiorigenistischer Stoßrichtung der mehrheitlich beschlossenen Bekenntnisformulierung, noch mit deren schriftfernen Einzelklauseln (HomousieFormel42) oder gar mit ihrer Herkunft von einem kaiserlichen Vorschlag (!) befreunden wollte.43 Unter Konstantins Nachfolger Constantius II. (317 – 361; Reg. seit 337) freilich eskalierte der schwelende Bekenntniskonflikt. Wo sich (der bis ans Sterbebett ungetaufte) Konstantin – einem jederzeit geteilten Selbstverständnis gemäß – den christlichen Bewohnern seines Herrschaftsgebietes als ‚dreizehnter Apostel Christi‘ und den nichtchristlichen Bürgern desselben Gebiets als ‚dreizehnter olympischer Gott‘ präsentierte, sich mithin den unterschiedlichen Rechtsordnungen einzupassen trachtete, da begriff sich sein (getaufter) Sohn Constantius II. als absoluter Souverän und Pontifex maximus christianus, demzufolge als unbeschränkte Gesetzesquelle – und nicht nur als konsenssuchender Gesetzgeber – in Sachen weltlichen wie göttlichen Rechts. Schwerste Auseinandersetzungen waren unausbleiblich, da Constantius die Implikationen der nizänischen Bekenntnisentscheidung für sein souverän-absolutistisches Herrscherbewußtsein alsbald erfaßte: Deren Homousie-Klausel, also die auf Wesensgleichheit von Vater und Sohn gerichtete Formulierung, fügte sich mitnichten seinen Vorstellungen von einer (platonischen) Urbild-AbbildBeziehung zwischen herrschendem Kaiser-Priester (Pontifex maximus) und waltender Gottheit; dazu wollte sich die arianische Redeweise von der Gottheit des Sohnes allein ‚aus Gnade‘ des Vaters weit besser schicken. „Constantius hat sehr klar diese letztlich rechtsphilosophischen Zusammenhänge durchschaut, die die herkömmliche Personalunion des Kaisers als Imperator, Legislator und Pontifex Maximus zerbrachen. Er war im Gegensatz zu seinem Vater Cäsaropapist nicht nur für die Heiden, er wollte es auch für die Christen sein. 42

„Mit der Einfügung des H.[omousios] (...) wurde geschichtlich erstmals ein in der Heiligen Schrift nicht zu findender philosophischer Begriff zum Schibboleth der Rechtgläubigkeit erklärt. Dies erschien einigen nizänischen und nachnizänischen Theologen als so ungeheuerlich, daß sie diesen Vorgang für geradezu einmalig hielten, geboren allein aus der Not, anders der arianischen Herausforderung nicht begegnen zu können. Denn es zeigte sich, daß die Berufung auf die Schrift allein nicht ausreichte, da auch die Arianer sich auf sie beriefen.“ (Gisbert Greshake, Art. Homo[o]usios, in: LThK3, Bd. 5 [1996], S. 253 f.) Siehe hierzu auch Frauke Dinsen, Homoousios. Die Geschichte des Begriffs bis zum Konzil von Konstantinopel (381), Kiel 1976; Colm Luibheid, The council of Nicea, Galway 1982; Martin Tetz, Zur strittigen Frage arianischer Glaubenserklärung auf dem Konzil von Nizäa (325), in: Logos. Festschrift für Luise Abramowski (= BZNW, Bd. 67). Hrsg. von Hanns C. Brennecke u. a., Berlin / New York 1993, S. 220 – 238. 43 Vgl. hierzu insbesondere: Victor C. DeClercq, Ossius of Cordova. A contribution to the history of the Constantinian period, Washington 1954; Jörg Ulrich, Einige Bemerkungen zum angeblichen Exil des Ossius, in: ZKG 105 (1994), S. 143 – 155.

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Sehr deutlich kommt dies in seiner zornigen Frage an Papst Liberius zum Ausdruck, woher er, der Papst, die Autorität nähme, dem Kaiser ins Angesicht zu widerstehen.“44 Also machte sich Kaiser Constantius mit Hilfe der ehemaligen Synodalopposition an die (wiederholt modifizierte) Formulierung und (letztlich erfolglose) Promulgierung eines neuen Bekenntnisses; anschließende Wirren reichten über die bezeichnende Veröffentlichung eines ‚Datierten Bekenntnisses‘45 bis hin zum Bekenntnis der kaiserlichen Synode von Konstantinopel (360): Es war mit einem strikten Formulierungsverbot für neue Bekenntnisse versehen, ein kaiserliches Anschreiben beigefügt und allen Bischöfen der römischen Reichschristenheit mit dem ausdrücklichen Befehl zugesandt worden, dasselbe zu unterzeichnen oder die Konsequenzen zu ziehen. Noch um 390 bemerkt Hieronymus einigermaßen entsetzt, daß „darüber die ganze Welt aufseufzte und sich zu ihrer Verwunderung als arianisch vorfand.“46 Der plötzliche Tod Kaiser Constantius‘ II., ein lähmender Kulturkampf unter seinem Nachfolger Julian Apostata (331 – 363; Reg. seit 361) und die militärisch-politischen Probleme der Folgezeit brachten das spätrömische Kaisertum von seiner souverän-absolutistischen Herrschaftsinterpretation ab. Spätestens Kaiser Theodosius I. (347 – 395; Reg. seit 379) setzte auf Konstantins Kurs ‚staatskirchenrechtlicher‘ Konsenssuche. Das Nicaenum avancierte zum Reichsgesetz und beschloß (implizit) den Codex Theodosianus, wie es später den Codex Iustinianus eröffnen sollte.47 Die Würfel waren staatlicherseits endgültig

44 Schachten, Kirchliche Rechtsgeschichte: Das nicänische Dekret über das Taufsymbol (Anm. 38), S. 337 f. Vgl. zum Zusammenhang außerdem: Klaus Martin Girardet, Kaiser Konstantius II. als ‚Episcopus episcoporum‘ und das Herrscherbild des christlichen Widerstandes, in: Hist. 26 (1977), S. 95 – 128; Richard Klein, Constantius II. und die christliche Kirche, Darmstadt 1977; Hanns C. Brennecke, Hilarius von Poitiers und die Bischofsopposition gegen Konstantius II. Untersuchungen zur dritten Phase des arianischen Streits 337 – 361, Berlin / New York 1984; Gerhard Wirth, Constantin und seine Nachfolger, in: JAC 39 (1996), S. 13 – 75. 45

Das sogenannte ‚Vierte Bekenntnis von Sirmium‘ (vom Mai 359) begann mit der gesetzestypischen Datierungszeile: „[Gegeben] Während des Konsulats der erlauchten Flavier, Eusebius und Hypatius, in Sirmium am elften Tag vor den Kalenden des Juni.“ (Athanasius, De synodis 8,3 [Athanasius, Werke. Bd. 2, Hrsg. von Hans-Georg Opitz, Berlin u. a. 1941, S. 235]) Für den kaiserlichen Anspruch ist das besagte Verhalten bezeichnend; genauso deutlich fällt (im Sinne des skizzierten Rechtsverständnisses frühchristlicher Theologie) die Reaktion der nizänischen Opposition aus: Sie diskreditiert das einschlägige Glaubensbekenntnis gerade unter Hinweis auf die vollkommene Unmöglichkeit, den christlichen Glauben (als Lex Christi) datieren zu wollen; vgl. Athanasius, De synodis 8,3 (ebd.). 46 47

Hieronymus, Dialogus contra Luciferianos 19 (PL 23, Sp. 181).

Vgl. Codex Theodosianus 16,1,2 (vom 27. Februar 380; Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis [1905]. Hrsg. von Theodor Mommsen, Berlin 1905,

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gefallen; gelegentliche Versuche späterer Kaiser, eine kirchliche Gesetzgebungshoheit bezüglich der Lex dei (im souverän-absolutistischen Sinne Kaiser Constantius‘ II.) auszuhöhlen, erlangten keine sonderliche Strahlkraft mehr. Eher ist das Gegenteil der Fall: Nach heutigem Stand der wissenschaftlichen Dinge inaugurierte Kaiser Theodosius I. mit dem Zweiten Ökumenischen Konzil von Konstantinopel (381) auch die endgültige Abfassung des einzigen ökumenischen Glaubensbekenntnisses heutiger Christenheit (NC); jedenfalls überliefern einschlägige Akten des Vierten Ökumenischen Konzils von Chalkedon (451) diese Quellenangabe und – erstmals – den authentischen Text des Nicaeno-Constantinopolitanum (NC).48 Ein Besinnungsprozeß ereignete sich jedoch auch innerhalb konfligierender Parteiungen der konstantinischen Reichskirche: Spätestens mit dem Vierten Ökumenischen Konzil von Chalkedon (451), aller Wahrscheinlichkeit nach aber bereits seit auf dem kaiserlich angeregten Konzil von Konstantinopel (381), gingen einige Bekenntnisdinge ihrer Klärung entgegen: Die Neuformulierung von (weiteren) Glaubensbekenntnissen fand immer weniger Anhänger; lieber behalfen sich die reichskirchlichen Bischöfe im Gefolge der tief verunsichernden und schwer vernarbenden Bekenntniskonflikte des 4. Jahrhunderts mit präzisierenden Einfügungen in das längst approbierte und promulgierte Nicaenum: Ohne die philosophiesprachliche und deshalb (irr-)glaubensverdächtige Homousios-Klausel anzutasten, gelang deren bibelsprachliche Ummantelung so gut wie eine innerkirchlich konsensfähige Aussage der Göttlichkeit des Heiligen Geistes vermittels Homotimie-Klausel (auf dem Konzil des Jahres 381) oder die Formulierung der Zwei-Naturen-Lehre Christi (in Chalkedon 451; D 300 – 303). Seither, eigentlich aber bereits mit dem Jahre des Ersten Ökumenischen Konzils von Nizäa (325) besaßen Glaubensbekenntnisse klare Strukturmerkmale und eindeutige theologische Konturen: Sie beschrieben vor dem Forum internum so gut wie vor einem Forum externum Gottes Heilsgeschichte mit, in und für seine Schöpfung (zwischen Anbeginn, Erlösung und Vollendung) als Wirken des drei-einen Gottes in der Geschichte, seinem Wesen jenS. 833); Codex Iustinianus 1,1,7 (aus dem Jahre 534; Corpus Iuris Civilis. Bd. 2, Hrsg. von Paul Krüger. Dublin / Zürich 141967, S. 9 f.). Weiterführende Literaturangaben enthält Anm. 12. 48

„Erstaunlich ist schon, daß sein Text erst relativ spät bezeugt wird, nämlich durch die Akten des Konzils von Chalkedon 451, auf denen die gesamte weitere Entwicklung basiert. Auch über seine Existenz gibt es für die Zeit von 381 und danach nur wenige, vage Zeugnisse.“ (Wolf-Dieter Hauschild, Art. Nicäno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis, in: TRE, Bd. 24 [1994], S. 444 – 456, hier S. 444) Siehe zum Thema auch: Ritter, Das Konzil von Konstantinopel und sein Symbol (Anm. 1); Staats, Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (Anm.1); Volker Drecoll, Wie nizänisch ist das Nicaeno-Constantinopolitanum? Zur Diskussion der Herkunft des NC durch Staats, Abramowski, Hauschild und Ritter, in: ZKG 107 (1996), S. 1 – 18.

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seits aller Geschichte sowie seiner ‚Geschichte‘ mit der Geschichte. Und entsprechenden ‚Symbola‘, vor allem aber dem Nicaeno-Constantinopolitanum (NC), eignet seitdem ein gewisses Schema: Auf den eigentlichen Bekenntnistext folgen Bekräftigungswort (‚Amen‘) und / oder Ein- bzw. Ausgrenzungsbestimmungen; über die einschlägige ‚Panzerung‘ (John N. D. Kelly)49 verfügte bereits das Nicaenum: „ (...) Und an den Heiligen Geist. Die aber sagen: ‚Es gab einmal eine Zeit, als er nicht war‘, und ‚Bevor er geboren wurde, war er nicht‘, und ‚Er ist aus nichts geworden‘, oder die sagen, Gott sei aus einer anderen Substanz oder Wesenheit, oder er sei wandelbar oder veränderlich, diese belegt die Katholische Kirche mit dem Anathema.“ (D 126). Nicht anders verfährt das Konzil von Chalkedon (451): Nach N und NC werden (Ein- bzw.) Ausgrenzungsbestimmungen wider Gegner der ‚Theotokos‘ (Gottesgebärerinnen)-Lehre, die sogenannten Pneumatomachen und eine Definition der ZweiNaturen-Lehre gegeben; darauf folgt die Sanktion: „Da dies alles von uns in jeglicher Hinsicht mit aller Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit festgesetzt wurde, beschloß das heilige und ökumenische Konzil, daß keiner einen anderen Glauben vortragen, niederschreiben, verfassen oder anders denken und lehren darf (...).“ (D 303). Winfried H. J. Schachten resümiert völlig richtig: „Das aber hatte zur Folge, daß neben dem Naturgesetz und dem sich darauf stützenden Reichsgesetz das durch die Offenbarungsgeschichte erkennbare Gesetz der ntl. [neutestamentlichen] Heilsgemeinde ernst genommen werden mußte. Die Konsequenz war, daß durch die Bewahrung der Gottmenschheit Christi im Sinne des Nicänums eine eigene Kirchengesetzgebung sanktioniert wurde, die ihre eigene Autorität hatte.“50 Anschließende Konzilien ökumenischer Akzeptanz folgten samt und sonders jener traditionsbildenden Maßgabe. Und in der Tat hängt dieses Verhalten nicht zuletzt mit der kirchenrechtsbegründenden Position des Glaubensbekenntnisses selbst zusammen: Erst das Glaubensbekenntnis sichert und ermöglicht nämlich als norma normans secunda (gemeinsam mit der Heiligen Schrift) die kanonistische Rechtsordnung unabhängig von (und / oder im Konsens mit) ‚staatskirchenrechtlichen‘ Bestimmungen. Seither definieren sich Kirchengliedschafts- und Sakramentenrecht konsequenterweise einzig und allein vom Glaubensbekenntnis her. Der Bekenntnisbildungsprozeß freilich war damit noch nicht abgeschlossen. Zu lange Schatten warf die Erinnerung an jene tief verwundenden und schwer vernarbenden Bekenntniskonflikte des vierten Jahrhunderts. Infolgedessen wurde es – ohne lange Zeit eigentliche Rechtsvorschrift zu sein – bald üblich, 49

N war – laut John N. D. Kelly – „(m)it antiarianischen Klauseln wie mit sich sträubenden Stacheln bewachsen und am hinteren Ende mit polemischen Anathematismen gepanzert (...).“ (Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse [Anm. 1], S. 252 f.). 50

Schachten, Kirchliche Rechtsgeschichte: Das nicänische Dekret über das Taufsymbol (Anm. 38), S. 362.

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bei Amtsantritt besonders bischöflicher Würdenträger diesen ein Individualbekenntnis als öffentliche Glaubensbekundung (griech. ékthesis písteos; lat. professio fidei) abzuverlangen. Sie wich bezüglich Inhalts-, Form- und Sprachstruktur zwar nicht vom ökumenisch approbierten Nicaeno-Constantinopolitanum ab, zeichnete sich aber für gewöhnlich durch einen stark erweiterten – von Autorabsicht und Devianzkontext gleichermaßen diktierten – Umfang aus. Einschlägige Textsammlungen (wie G. Ludwig Hahns und Adolfs von Harnack ‚Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der Alten Kirche‘) etwa verzeichnen bis ins Frühmittelalter hinein nicht weniger als 60 diesbezügliche Textzeugnisse,51 darunter so wirkungsgeschichtlich wichtige Dokumente wie die Fides Damasi (vom Anfang des 5. Jahrhunderts; D 71 f.) oder das PseudoAthanasianum Quicumque vult (entstanden wohl zwischen 430 und 500; D 75 f.).52 „Noch im frühen Mittelalter ist es eine feste Regel, daß jeder neugewählte Patriarch von Rom [sic!] oder Konstantinopel seine Rechtgläubigkeit durch ein eigenes Glaubensbekenntnis dokumentiert.“53 Das ausgebildete Kanonische Recht der mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirche konnte daran anschließen. IV. Die kanonische Bedeutung des Glaubensbekenntnisses nach dem CIC/1983 Unter solchen Wissens- und Verstehensprämissen lassen sich die einschlägigen Aussagen des CIC/1983 über das Glaubensbekenntnis einigermaßen konsistent verdeutlichen. Überraschend erscheint dabei zunächst und vor allem, wie exakt sich der CIC/1983 an die dogmatisch (und dogmengeschichtlich) entfaltete Sprachregelung hält. Hinsichtlich des Bekenntnisbegriffs wird innerhalb 51 Vgl. Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der Alten Kirche (Anm. 9), S. 253 – 363. 52

Selbst Professiones fidei verzichten nicht völlig auf entsprechende Abgrenzungsformeln. Die sogenannte Fides Damasi etwa schließt mit den paränetischen Worten: „Dies lies, dies halte fest, diesem Glauben unterwirf Deine Seele! So wirst Du vom Herrn Christus das Leben und den Lohn erlangen.“ (D 72). Dramatischer formuliert die sogenannte Fides catholica Sancti Augustini episcopi – auch Bekenntnis Clemens Trinitatis genannt – aus dem 6. Jahrhundert: „Und wer deshalb sagt, dem Sohn Gottes, der sowohl wahrhaftig Gott als auch wahrer Mensch, lediglich frei von der Sünde, war, habe irgendetwas entweder an seiner Menschheit oder an seiner Gottheit gefehlt, der muß als gottlos und nicht zur katholischen und apostolischen Kirche gehörend angesehen werden.“ (D 74) Das Pseudo-Athanasianum Quicumque vult schließlich beginnt mit den Worten: „Wer auch immer gerettet werden will, der muß vor allem den katholischen Glauben festhalten: Wer diesen nicht unversehrt und unverletzt bewahrt, der wird zweifellos auf ewig zugrunde gehen.“ (D 75) 53

Hans von Campenhausen, Das Bekenntnis Eusebs von Cäsarea (325), in: ZNW 67 (1976), S. 123 – 139, hier S. 138 Anm. 54.

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des CIC/1983 nämlich genau zwischen den drei Ausdrucksmöglichkeiten christlicher Bekenntnisdinge unterschieden. Danach meint Symbolum die eigentliche Wortgestalt des Glaubensbekenntnisses; der CIC/1983 setzt sie als unbestritten und identisch mit dem Großem Glaubensbekenntnis (NicaenoConstantinopolitanum; NC) voraus. Noch das MP Ad tuendam fidem (vom 30. Juni / 1. Juli 1998) sanktioniert für die Ablegung der Professio fidei nicht etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis: „Seit den ersten Jahrhunderten bekennt die Kirche bis auf den heutigen Tag die Wahrheiten über den Glauben an Christus und über das Geheimnis seiner Erlösung; diese wurden nach und nach in den Glaubensbekenntnissen zusammengefasst. Heute sind sie gemeinhin als Apostolisches Glaubensbekenntnis oder als Nizäno-konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis bekannt und werden von den Gläubigen bei der Messfeier an Hochfesten und Sonntagen gebetet. Eben dieses Nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ist in der kürzlich von der Kongregation für die Glaubenslehre erarbeiteten Professio fidei [AAS 81 (1989), S. 104 – 106] enthalten, die in besonderer Weise von bestimmten Gläubigen verlangt wird, wenn diese ein Amt übernehmen, das sich direkt oder indirekt auf die vertieftere Forschung im Bereich der Wahrheiten über Glauben und Sitten bezieht oder mit einer besonderen Vollmacht in der Leitung der Kirche verbunden ist [c. 833 CIC/1983].“54 Auf das Nicaeno-Constantinopolitanum hatte sich in derselben Absicht bereits das Tridentinum bezogen (D 1500; 1862). Von der konkreten Wortgestalt zu unterscheiden bleibt der semantische Inhalt jedes Glaubensbekenntnisses (Confessio); hier folgt der CIC/1983 den skizzierten Bedeutungsverschiebungen55 und reserviert den Confessio-Begriff folgerichtig für sämtliche semantische Nuancen des Sündenbekenntnisses (cc. 916, 960 CIC/1983 u. ö.). Professio fidei schließlich verweist ausschließlich – sowie neuerlich dogmatischen (und dogmengeschichtlichen) Vorgaben konvergierend – auf den außerliturgischen Akt der Ablegung des Glaubensbekenntnisses mit deutlich öffentlichkeitswirksamem Akzent (etwa bei Amtsübernahme). Näherhin begegnet der – vom bloßen Professio-Begriff (im Sinne einfacher Berufsausübung) und dem Vorgang einer Professio religiosa (cc. 654 – 658 CIC/1983 u. ö.) konsequent getrennt gehaltene – Terminus technicus Professio fidei in vier Kanones: Anläßlich von c. 205 beschreibt er das Glaubensbekenntnis als Norma normans secunda vollgültiger Gemeinschaft mit der katholischen Kirche. C. 380 wiederum regelt die kanonische Amtsergreifung des Bischofs und bindet sie an eine Ablegung von Glaubensbekenntnis (Professio fidei) und Treueid (Iusiurandum fidelitatis); gerade in diesem Fall gerät der Anhalt an frühchristlichen (wie tridentinischen) Traditionen besonders offensichtlich. C. 542 bestimmt außerdem, daß im Falle solidarischer Seelsorgeverantwortung für jene

54

Lehramtliche Stellungnahmen zur ‚Professio fidei‘ (Anm. 9), S. 11.

55

Vgl. die Ausführungen in Anm. 31.

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Priester, die nicht als Gemeindeleiter fungieren, an die Stelle regulärer Besitzergreifung eine Ablegung des Glaubensbekenntnisses (Professio fidei) tritt. C. 833 schließlich – identisch mit Titulus V von Buch III des CIC/1983 und entsprechend enthalten bereits im CIC/1917 (cc. 1406 – 1408) – nennt jene Personen und Personengruppen, die zur Ablegung des Glaubensbekenntnisses nach der vom Apostolischen Stuhl gebilligten Form verpflichtet sind: (1) Teilnehmer an Ökumenischen Konzilien, Partikularkonzilien, Bischofssynoden und Diözesansynoden; (2) Personen, die zur Kardinalswürde erhoben wurden; (3) Personen, die zum Bischofsamt ernannt wurden und solche, die dem Diözesanbischof gleichgestellt sind; (4) Diözesanadministratoren, Generalvikare, Bischofsvikare, Gerichtsvikare; (5) Priester, die solidarisch eine Pfarrei betreuen (vgl. c. 542 CIC/1983); (6) Rektoren sowie Professoren der Theologie und Philosophie an Seminaren, außerdem Kandidaten für die Diakonenweihe; (7) Rektoren an einer katholischen Universität sowie alle Universitätsdozenten jener Disziplinen, die Glaube und Sitten betreffen; (8) Obere in klerikalen Ordensinstituten und in klerikalen Gesellschaften des apostolischen Lebens (vgl. cc. 76, 153, 187, 220 CCEO). Wie wichtig dem CIC/1983 die Ablegung des Glaubensbekenntnisses ist, läßt sich indirekt zudem daraus ablesen, daß der ungewöhnliche Fachausdruck emittere (leisten, ablegen) nur im Zusammenhang mit dem Bekenntnisakt (Professio fidei), der Ordensprofeß und der Eidesleistung auftaucht, mithin an den Akt öffentlicher Solidaritätsbekundung gebunden erscheint. In allen vier aufgeführten Kanones ist die Anknüpfung am Professio-Begriff der frühchristlichen Glaubensgemeinschaft evident. Besagter Sachverhalt gilt selbst noch in Zusammenhang mit jenen (durchaus umstrittenen) Bestimmungen, die 1989 bezüglich einer Ablegung des Glaubensbekenntnisses per (rechtlich nur schwer bestimmbarem) ‚Erlaß‘ der Glaubenskongregation hinzutraten und 1998 (teilweise) von Papst Johannes Paul II. durch MP dem CIC/1983 integriert wurden (c. 750 § 2 CIC/1983; c. 598 §2 CCEO).56 Infolgedessen geraten die Zusätze zum Wortlaut (Symbolum) des Nicaeno-Constantinopolitanum sachlich identisch mit den Kanones 750 §1 und 2 sowie 752 und bilden gemeinsam die Professio fidei. Wichtig ist dabei zunächst, daß nur die Ablegung der Professio fidei rechtsverbindlich in den CIC/1983 aufgenommen erscheint; der Treueid (Iusiurandum fidelitatis) hingegen ist infolge eines entsprechenden Beschlusses der Deutschen Bischofskonferenz zwar seinem römi-

56

Vgl. Anm. 9. Das MP Ad tuendam fidei findet sich abgedruckt in: AAS 90 (1998), S. 457 – 461. Hierzu erschien ein lehrmäßiger Kommentar der Kongregation für die Glaubenslehre; er ist abgedruckt in: AAS 90 (1998), S. 544 – 561. Besagter ‚Erlaß‘ der Kongregation für die Glaubenslehre ist publiziert in: AAS 81 (1989), S. 104 – 106. Sämtliche Texte versammelt in deutscher Übersetzung: Lehramtliche Stellungnahmen zur ‚Professio fidei‘ (Anm. 9).

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schen Wortlaut nach für die Diözesen Deutschlands in Geltung, jedoch nicht Bestandteil der Professio fidei. Auch hier befindet sich die gültige Rechtslehre der katholischen Kirche in Einklang mit der kirchlichen Tradition nicht erst seit dem Tridentinum; erinnert sei in diesem Zusammenhang an einschlägige Anathem-Klauseln aller (außerliturgisch verwendeten) konziliaren Glaubensbekenntnisse seit dem Nicaenum. Eine gewisse Neuerung besteht allenfalls darin, daß an die Stelle ehemaliger Abgrenzungsformulierungen (mit konkreter Devianzangabe) Einforderungsformulierungen (mit allgemeiner Zielvorgabe) getreten sind. Auch die direkte Applizierung auf eine Behinderung freier Forschung und Lehre vermittels eingeforderter Professio fidei erscheint vor dem Forum von Rechtstheologie und Rechtspraxis seit frühchristlichen Zeiten einigermaßen fragwürdig, da die solidarische Bekenntnispflicht jedes Gläubigen zu seiner Kirche durchaus eingefordert werden konnte und kann. Der evangelische Staatskirchenrechtler Dietrich Pirson urteilt einigermaßen zutreffend, wenn er schreibt: „Der einzelne kann sich nicht vom Glaubensgut der Kirche persönlich dispensieren, aber sich gleichwohl zur Kirche halten. Sieht man im Glauben des einzelnen in jener Weise auch einen Akt der Solidarität mit der Kirche, könnte es sich nahe legen, in einer kirchengesetzlich verankerten Glaubenspflicht nicht die Pflicht zum intellektuellen Bejahen der Heilstatsachen zu sehen, sondern zum Bekennen gegenüber der Außenwelt. Ein solches Bekenntnis war seit der apostolischen Zeit die selbstverständliche Äußerung christlicher Glaubenshaltung. Wenn überhaupt kirchenrechtlich Vorschriften über die Verpflichtung des einzelnen im Hinblick auf den Glauben gemacht werden, wäre es denkbar, an die im Gottesdienst gebräuchlichen Bekenntnisformulierungen anzuknüpfen und die Kirchenangehörigen zu verpflichten, ihre Übereinstimmung mit diesen Texten zu bekunden. Die credenda wären dann nicht in erster Linie Rechtspflicht, sondern Reflex der Beteiligung am Gottesdienst.“57 Inne wohnte tatsächlich – den Wegen der skizzierten Bekenntnisbildung zufolge – ein impliziter Rechtscharakter (mit so gemeindeintern wie öffentlichkeitsbezogener Wirkabsicht) akklamatorischen Glaubensworten, proklamatorischen Glaubensformeln, synodalen Glaubensbekenntnissen und bei Amtsantritt erforderlichen Individualbekenntnissen (Professiones fidei) seit frühestchristlichen Anfängen; dem sollte die Einforderung einer Solidaritätspflicht gegenüber zentralen Glaubenswahrheiten nicht unbedingt entgegenstehen. Erwartet scheint demgemäß (angesichts c. 750 und 752) von einer kanonisch vorgeschriebenen Ablegung der Professio fidei (c. 833) – dem Konzilskonzept einer ‚Hierarchie der Wahrheiten‘ (UR 11 [LThK2.VatII Bd. 2, S. 86 – 89]) genau entsprechend – das unbedingte für wahr Erachten (de fide credenda) aller Auslegungen der Heiligen Schrift, sofern sie vom feierlichen Lehramt oder infolge durchgängiger Verkündigung des ordentlichen und allgemeinen Lehr57

Pirson, ‚Firmiter credendum est‘ (Anm. 7), S. 118.

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amtes vorlegt werden (c. 750 §1). Andererseits sind die Christgläubigen lediglich verpflichtet, gut aufzunehmen und zu ihrer eigenen Sache zu machen (de fide tenenda), was bezüglich der Glaubens- und Sittenlehre vom Lehramt endgültig (definitive) vorgelegt wird und einen notwendigen (impliziten), wenn auch keinen ausdrücklichen (expliziten) Anhalt in der Heiligen Schrift hat (c. 750 §2). Und einfach begreifen, halten und befolgen wollen soll jeder Christgläubige auch, was das Lehramt ohne jede endgültige Definitionsabsicht vorlegt (c. 752). Noch das Strafmaß wirkt für den Fall einer Ablehnung eher moderat formuliert: Nach hartnäckiger Ablehnung und Verwarnung ist eine gerechte Strafe auszusprechen (c. 1371 n. 1). Das Glaubensbekenntnis ist dementsprechend nicht etwa durch (innerchristlichen) Glaubenszwang bewehrt; es ist in seiner einmaligen Eigenschaft als norma normans secunda allerdings (und womöglich zurecht) geschützt. Darauf weist das liturgische Recht hin, wenn es per interrogatorischem Taufbekenntnis (etwa im Falle von Taufe, Firmung, Eucharistie oder Konversion) den impliziten Rechtscharakter jedes Glaubensbekenntnisses – in gut frühchristlicher Tradition – aufruft. Denn vom Glaubensbekenntnis – zumal ökumenischer Prägung in Form des Nicaeno-Constantinopolitanum – gilt vor allem und jedem: Es bildet gewissermaßen die Bedingung der Möglichkeit, sich dem kirchlichen Leitungsdienst anvertrauen, in den Genuß des kirchlichen Heiligungsdienstes kommen, am kirchlichen Lehramt partizipieren zu können (c. 205). Insofern repräsentiert gerade das Große Glaubensbekenntnis (NC) einen regelrechten Schnittpunkt von Rechtsnormen und Glaubenswahrheiten. Oder, um in frühchristlichen Begriffen zu reden: Es repräsentiert das ‚Grund-Gesetz‘ christlichen Glaubens, christlicher Lehre, christlicher Rechtssetzung. Und dieses ‚Grund-Gesetz‘ sollte niemand ändern wollen, ihm gegenüber bleibt christgläubige Solidaritätsverpflichtung unbedingt aufgegeben.

„Katholischer Theologe“ Kanonistische Anmerkungen zu einem vielfältig verwendeten Begriff Von Heribert Schmitz Die Fragen: Wer ist ein katholischer Theologe? Wer kann sich katholischer Theologe nennen? Wer kann als katholischer Theologe bezeichnet werden oder als solcher gelten? bedürfen im Kontext der Aberkennung dieser Bezeichnung durch die kirchliche Autorität kirchenrechtlicher Klärung. I. 1. Die Bezeichnung „katholisch“ in Bezug auf eine Person wird in der kirchlichen Rechtssprache verwendet für den getauften Christen, der gemäß c. 205 CIC voll in der Gemeinschaft der katholischen Kirche in dieser Welt steht, d. h. ihr in ihrem sichtbaren Verband mit Christus verbunden ist, und zwar durch die sogenannten drei „vincula“: das Band des Glaubensbekenntnisses, das Band der Sakramente und das Band der kirchlichen Leitung.1 2. Seit einiger Zeit ist die von der ursprünglichen Wortbedeutung abgeleitete Sprechweise vom Theologen als dem von Gott Redenden anzutreffen. Ähnlich wird auch von Volks-Theologie gesprochen. Danach wäre jede Person als Theologe zu bezeichnen, die in irgendeiner Weise von Gott spricht, indem sie z. B. über Gott, seine Existenz und sein Wirken oder über den Glauben an Gott redet oder Gottes Wort verkündet.2 Diese Sprechweise bleibt aus den nachfolgenden Überlegungen ausgeklammert, weil sie nicht weiterführt und auch umgangssprachlich nicht verwendet wird. Als Theologe3 wird für gewöhnlich jemand bezeichnet, „der Theologie 1

Vgl. Jean Werckmeister, Petit dictionnaire de droit canonique, Paris 1993, S. 48: s. v. catholique (catholicus: universel); Heinrich J.F. Reinhardt, zu c. 205, in: MKCIC, 6. Erg.-Lfg., Stand : Oktober 1987, Rd.-Nr. 1. 2

Zur Verwendung des Begriffs Theologie vgl. Siegfried Wiedenhofer, Theologie, in: LThK³, Bd. 9, Sp. 1435 – 1444, hier Sp. 1435. 3

Die Bezeichnung Theologe wird geschlechtsneutral verwendet.

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Heribert Schmitz

studiert u. beruflich [od. wissenschaftlich] tätig ist (z. B. Hochschullehrer, Pfarrer“)4, also eine Person, die mit Theologie zu tun hat aufgrund ihrer Ausbildung oder aufgrund ihres theologischen Handelns. Der Begriff „Theologe“ ist vom Begriff „Theologie“ her mit Inhalt zu füllen. Theologie ist die „wissenschaftliche Lehre von einer als wahr vorausgesetzten [christlichen] Religion, ihrer Offenbarung, Überlieferung u. Geschichte; Glaubenslehre: evangelische, katholische, islamische, jüdische T. studieren“5. 3. Katholische Theologie ist Wissenschaft, die mit wissenschaftlicher Methode nach der Erkenntnis der Wahrheit sucht. Sie ist Glaubenswissenschaft, nicht Religionswissenschaft6. Ihr geht es um tieferes Erkennen und Erfassen des der Kirche zur Bewahrung, Erforschung, Verkündigung und Auslegung anvertrauten Glaubensgutes (vgl. c. 747 § 1 CIC). Katholische Theologie ist sachnotwendig kirchenbezogene und kirchengebundene Wissenschaft. Als Glaubenswissenschaft ist ihr Ort die Kirche selbst. Sie ist daher nur in der Kirche möglich. Sie ist eine Lebensfunktion der Kirche. Ihr ist Kirchlichkeit wesensnotwendig, und zwar einmal aufgrund ihrer inneren Struktur als Glaubenswissenschaft, zum anderen aufgrund ihrer Funktion in Sendung und Leben der Kirche. Daher ist Theologie in der Kirche institutionell verankert und ihr rechtlich eingebunden. Folglich hat auch das authentische kirchliche Lehramt der Theologie gegenüber eine besondere Aufgabe. Sie besteht zunächst in der Förderung der Theologe, d. h. in der Ermöglichung von theologischer Wissenschaft, indem entsprechende Wissenschaftsinstitutionen geschaffen, unterhalten oder gefördert werden; sie besteht ferner im Schutz der Theologie dahingehend, daß ihr der notwendige Raum für Forschung und Lehre mit der entsprechenden Wissenschaftsfreiheit bei aller Bindung an das „depositum fidei“ und „magisterium authenticum“ gewährt wird.7 4. Der Begriff „katholischer Theologe“ ist also vom Bezug zur Katholischen Theologie, d. h. von seiner Ausbildung und/oder von seiner Tätigkeit her, zu bestimmen. a) Aufgrund der theologischen Ausbildung sind zu unterscheiden: der so genannte einfache katholische Theologe und der so genannte qualifizierte Theologe. 4 DUDEN. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim, Wien, Zürich 1981, Bd. 6, S. 2586. – Vgl. auch C. Dumont, Qui est théologien?, in: NRT 113 (1991), S. 185 – 204. 5

DUDEN, Bd. 6 (Anm. 4), S. 2586f.

6

Max Seckler, Glaubenswissenschaft, in: LThK³, Bd. 4, Sp. 725 – 733.

7

Vgl. Heribert Schmitz, Katholische Theologie und Kirchliches Hochschulrecht. Kommentar zu den Akkommodationsdekreten zur Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“, Bonn 1992, in: Arbeitshilfen, Bd. 100, Bonn 1992, Rd.-Nrn. 34 f.

„Katholischer Theologe“

371

Als einfacher „katholischer Theologe“ kann eine Person bezeichnet werden, die eine wissenschaftliche Ausbildung in katholischer Theologie in einem von der zuständigen Autorität der katholischen Kirche anerkannten Hochschulstudiengang mit einer Prüfung in allen Fächern des Studiums Katholische Theologie besitzt, d. h. das Studium im Diplomstudiengang Katholische Theologie an einer katholisch-theologischen Fakultät in kirchlicher oder staatlicher Trägerschaft unter Verleihung des akademischen Grades eines Diplomtheologen (Dipl.-Theol., Bacc. theol.) oder ein philosophisch-theologisches Studium an einer anderen wissenschaftlichen Hochschule abgeschlossen hat.8 Der Abschluß in Studiengängen für das Lehramt in Katholischer Religion9 oder in Magisterstudiengängen unter Verleihung des Hochschulgrades eines Magister Artium (M. A.)10 erfüllt nicht die Voraussetzung, den Hochschulabsolventen als katholischen Theologen zu bezeichnen. Als qualifizierter „katholischer Theologe“ kann aufgrund ihrer Ausbildung eine Person bezeichnet werden, die das Studium der Katholischen Theologie mit der zuvor unter Nr. 4 a [Abs. 1] genannten Prüfung abgeschlossen hat und zusätzlich den akademischen Grad eines Lizentiaten oder Doktors der Theologie (Lic. theol., Dr. theol.) oder eines entsprechenden Grades in theologieverbundenen Fächern (z. B. Lic./Dr. bibl.; Lic./Dr. hist. eccl.; Lic./Dr. iur. can.) an einer kirchlichen oder kirchlich anerkannten wissenschaftlichen Hochschule erworben hat.11 Die genannten akademischen Grade haben nach kirchlichem Hochschulrecht folgende kanonische Wirkung: Der Grad eines Lizentiaten befähigt zur Übernahme kirchlicher Ämter, für die er gefordert wird; er enthält die Lehrbefähigung für die entsprechende theologische Disziplin an Priesterseminaren oder an

8

Vgl. Art. 72 Buchst. a SapChrist.

9

Vgl. z. B. Studiengänge für das Lehramt in Katholischer Religion an Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Beruflichen Schulen beziehungsweise in der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II; vgl. Kirchliche Anforderungen an die Studiengänge für das Lehramt in Katholischer Religion, in: DDB, Bd. 33, Bonn ²1986, S. 6 – 14, mit Korrekturen zu S. 6 – 7 vom 20.02.1991. 10

Vgl. z. B. Magisterstudiengang mit Katholischer Theologie als Hauptfach oder als Nebenfach; vgl. Zur Katholischen Theologie in Magisterstudiengängen vom 22.09.1986, in: DDB, Bd. 33, Bonn 1986, S. 15f. 11

Vgl. SC InstCath, Germania occidentalis. De Facultatibus Theologicis Catholicis in studiorum universitatibus civilibus in ambitu conferentiae episcoporum Germaniae sitis, quo praescripta Constitutionis Apostolicae „Sapientia Christiana“ atque adnexarum „Ordinationum“ eisdem rite accommodantur et applicantur (= AkkommDekr) vom 01.01.1983, in: AAS 75 (1983), S. 336 – 341, dt. in: VApSt, Bd. 9, Bonn 1979/1983, Nr. 18; Art. 72 Buchst. b-c SapChrist.

372

Heribert Schmitz

einer diesen gleichwertigen Ausbildungsstätte.12 Der Grad eines Doktors enthält die Lehrbefähigung für die entsprechende Disziplin an promotionsberechtigten Institutionen (z. B. katholisch-theologischen Fakultäten).13 Nach deutschem teilkirchlichem Hochschulrecht enthalten die genannten Grade nicht die Lehrbefähigung; die Lehrbefähigung wird durch die Habilitation in einem besonderen Verfahren festgestellt, die zur Lehre in einer bestimmten Disziplin der Katholischen Theologie befähigt. b) Aufgrund der Tätigkeit ist zu unterscheiden zwischen einer Person, die sich mit Katholischer Theologie befaßt und einer Lehrperson in einer Disziplin der Katholischen Theologie. Eine Person, die in wissenschaftlicher Reflexion nur oder einfachhin Theologie betreibt, z. B. in der theologischen Wissenschaft schriftstellerisch oder forschend tätig ist, kann als „katholischer Theologe“ bezeichnet werden. Als Lehrperson in einer Disziplin der Katholischen Theologie ist eine Person zu bezeichnen, die in der Lehre der Katholischen Theologie tätig ist und dazu zusätzlich zur akademisch festgestellten Lehrbefähigung von der zuständigen kirchlichen Autorität einen Lehrauftrag (Lehrbefugnis; missio canonica; mandatum14) erhalten hat, die entsprechende Disziplin der Katholischen Theologie an einer wissenschaftlichen Hochschule im Namen der Kirche zu lehren. Nach deutschem Konkordatsrecht begnügt sich die kirchliche Seite bei der Ernennung einer mit der Lehre in Katholischer Theologie zu betrauenden Person mit der Erteilung des Nihil obstat.15 Nach deutschem Partikularrecht werden als Voraussetzungen für die Berufung in ein Lehramt der Katholischen Theologie in einer katholisch-theologischen Fakultät gefordert ein wissenschaftliches Studium der Katholischen Theologie, das „in allen notwendigen Disziplinen, d. h. in allen theologischen Hauptfächern, mit einem von der kirchlichen Autorität anerkannten Abschlußexamen abgeschlossen“ ist, und ein Doktorat.16 Gemäß Konkordatsrecht

12

Vgl. Art. 50 § 1, 2. Satzteil SapChrist.

13

Vgl. Art. 50 § 1, 1. Satzteil SapChrist.

14

Zum Verständnis des Begriffs „mandatum“ vgl. auch die Deutung von Mussinghoff/ Kahler, in: MKCIC, zu c. 812, Stand: 34. Erg.-Lfg., November 2000, Rd.-Nr. 8. 15

Vgl. Heribert Schmitz, Das Nihil obstat des Diözesanbischofs. Entstehung – Rechtsgrundlagen – Fortbildung eines Rechtsinstituts im hochschulrechtlichen Bereich, in: AfkKR 170 (2001), S. 51 – 73. 16

Vgl. Nr. 8 AkkommDekr; Artt. 41 § 1, 72 Buchst. a SapChrist; Art. 51 Nr. 1 OrdSapChrist.

„Katholischer Theologe“

373

werden die Habilitation oder gleichwertige Leistungen in einem Fach der Katholischen Theologie gefordert.17 5. Die Unterscheidungen zwischen einem nur wissenschaftlich arbeitenden „katholischen Theologen“ und einem „katholischen Theologen“ mit kirchlichem Lehrauftrag finden sich, wenn nicht explizit, so doch implizit, auch in den geltenden kirchlichen Gesetzbüchern, im Codex Iuris Canonici für die lateinische Kirche von 1983 und im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium für die katholischen Ostkirchen von 1990. Die Unterscheidungen haben ihre Quellen und Wurzeln in Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die zum Teil schon in der nachkonziliaren Zeit, also vor 1983, in unmittelbar geltendes Recht umgesetzt wurden. Auch im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 waren Ansätze enthalten, die durch die Apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus“ von 193118 präzisiert und ergänzt wurden. a) In c. 229 § 2 CIC und in c. 404 § 2 CCEO wird im Abschnitt über die Pflichten und Rechte der Laien jedem Kirchenglied das Recht zum Studium der Katholischen Theologie und der theologieverbundenen Wissenschaften, zum Erwerb einer theologischen Hochschulausbildung und von akademischen Graden zuerkannt.19 Ausgehend von der Weisung, daß sich die Laien zur Erfüllung des ihnen eigenen Auftrags in der Kirche um eine tiefere Kenntnis der geoffenbarten Wahrheiten zu bemühen haben,20 sollen die Hochschulen für die theologischen und theologieverbundenen Wissenschaften gefördert und uneingeschränkt für alle Kirchenglieder geöffnet werden.21 Daher soll auch an den

17 Vgl. z. B. Art. IV Vertrag NRW 1984, in: AAS 77 (1985), S. 294 – 304, abgedr. in: Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987, [= KuK], Bd. II, S. 297 – 306, hier S. 300 f.; Art. 5 Vertrag Saarland 1985, in: AAS 78 (1986), S. 221 – 230, abgedr. in: KuK II, S. 620 – 628, hier S. 622 f. 18

Pius XI., Const. Apost. „Deus scientiarum Dominus“ de Universitatibus et Facultatibus studiorum ecclesiasticorum [= DscD] vom 24.05.1931 mit den dazugehörenden Durchführungsbestimmungen „Ordinationes“ der Studienkongregation vom 12.06.1931, in: AAS 28 (1931), S. 241 – 261, 263 – 284. 19

Der Begriff „scientiae sacrae“ umfaßt nicht nur die theologischen Wissenschaften im engeren Sinn, sondern auch die sogenannten theologieverbundenen Wissenschaften; vgl. c. 815 CIC, c. 646 CCEO. Der im folgenden verwendete Begriff „Katholische Theologie“ umfaßt im Sinne vereinfachter Formulierung die theologischen wie die theologieverbundenen Wissenschaften. 20 21

Vgl. Art. 24 LG; ferner Art. 14 Abs. 4 DH, Art. 29 Abs. 4 AA, Art. 43 GS.

Vgl. Art. 10 Abs. 1 GE, Art. 26 AG. – Vgl. bereits die Öffnung der Studiengänge und der Promotionsmöglichkeiten für nichtkatholische Studierende durch Schreiben des Sekretärs des Hl. Offiziums vom 17.07.1961,. mit dt. Übersetzung abgedr. in: AfkKR 130 (1961), S. 484 – 486; H. Schmitz, Katholische Theologie (Anm. 7), Rd.-Nr. 262 f., mit den gegen die Entscheidung von 1961 zu erhebenden Bedenken, Rd.-Nr. 263.

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Katholischen Universitäten, die keine theologische Fakultät besitzen, ein Institut oder wenigstens ein Lehrstuhl für Theologie bestehen.22 Nachdem mit den „Normae quaedam“ der Kongregation für das Katholische Bildungswesen von 196823 den Hochschulinstitutionen die Möglichkeit zur konzilsentsprechenden Reform ihres Studien- und Promotionswesens ermöglicht war, erfolgte die Umsetzung dieser konziliaren Weisungen in unmittelbar geltendes gesamtkirchliches Recht durch die Apostolische Konstitution „Sapientia Christiana“ von 197924 über die Kirchlichen Universitäten und Fakultäten und die dazugehörenden Ausführungsbestimmungen „Ordinationes“25. Danach sind die sogenannten Kirchlichen Universitäten und Fakultäten für alle Kirchenglieder, Kleriker und Laien, allgemein zugänglich;26 die Studiengänge können mit akademischen Graden abgeschlossen werden.27 b) Gemäß c. 229 § 3 CIC und c. 404 § 3 CCEO kann jedes Kirchenglied einen Lehrauftrag in theologischen und theologieverbundenen Wissenschaften erhalten. Damit ist in Vollzug der vorgenannten konziliaren Weisungen allen Personen mit der entsprechenden wissenschaftlichen Ausbildung und Eignung der Weg in das akademische Lehramt in Katholischer Theologie geöffnet. c) Das kirchliche Gesetzbuch von 1917 enthielt nur ganz wenige Grund- und Rahmenbestimmungen für das kirchliche Hochschulwesen.28 Die Unterscheidung zwischen „katholischem Theologen“ und „Lehrperson der Katholischen Theologie“ ist ansatzweise enthalten in den Bestimmungen über das Glaubensbekenntnis. Dessen Ablegung wurde nur von den Lehrpersonen bei Amtsübernahme des akademischen Lehramtes gefordert (c. 1406 n. 7 CIC/1917); aufgrund des Statutenrechts der einzelnen Hochschulinstitution war das Glaubensbekenntnis auch im Zusammenhang mit der Verleihung akademischer Grade gefordert. Erst durch die Neuordnung des Studien- und Promotionswesens für die sogenannten Kirchlichen Universitäten und Fakultäten von 1931 wurde die 22

Vgl. Art. 10 Abs. 2 GE.

23

SC InstCath, Normae quaedam ad Constitutionem Apostolicam „Deus scientiarum Dominus“ de studiis academicis ecclesiasticis recognoscendam vom 20.05.1968, Typis Polyglottis Vaticanis 1968, abgedr. in: Ochoa, Leges Bd. 3, Roma 1972, col. 5355 – 5368, mit dt. Übersetzung in: NKD, Bd. 25, Trier 1974, S. 330 – 523. 24

Ioannes Paulus II., Const. Apost. „Sapientia Christiana“ de studiorum Universitatibus et Facultatibus ecclesiasticis [= SapChrist] vom 29.04.1979, in: AAS 71 (1979), S. 469 – 499, abgedr. in: VApSt, Bd. 9, Bonn 1979. 25

SC InstCath, „Ordinationes“ ad Constitutionem Apostolicam „Sapientia Christiana“ rite exsequendam (= OrdSapChrist) vom 29.04.1979, in: AAS 71 (1979), S. 500 – 521, abgedr. in: VApSt, Bd. 9, Bonn 1979. 26

Vgl. Art. 31 SapChrist.

27

Vgl. Art. 46 § 1 SapChrist.

28

Vgl. cc. 1375 – 1383 CIC/1917.

„Katholischer Theologe“

375

Ablegung des Glaubensbekenntnisses gesamtkirchenrechtlich vorgeschrieben, also auch von solchen verlangt, die eine wissenschaftliche Ausbildung mit einem akademischen Grad abschließen wollen.29 6. Den Kirchengliedern, die sich theologischen oder theologieverbundenen Wissenschaften widmen, sind in den einschlägigen Rechtsnormen Wissenschaftsfreiheit und das Recht zur Meinungsäußerung ausdrücklich zuerkannt. a) In c. 218 CIC und c. 21 CCEO wird den Wissenschaftlern in den theologischen und theologieverbundenen Wissenschaften Forschungs- und Meinungsäußerungsfreiheit zuerkannt, unter Wahrung des dem kirchlichen Lehramt geschuldeten Gehorsams.30 Die Wurzeln dieser Bestimmung liegen in konziliaren Weisungen zur Zuerkennung der der wissenschaftlichen Forschung eigenen Freiheit für den kirchlichen Hochschulbereich.31 Diese Freiheit des Forschens, des Denkens und die Meinung in den Bereichen zu äußern, in denen man zuständig ist, steht allen Kirchengliedern, Klerikern wie Laien zu, die Theologie studieren.32 Bei dieser Weisung des Vaticanum II handelte es sich nicht nur um ein grundlegendes Prinzip, sondern um eine unmittelbar anwendbare Fundamentalnorm, d. h. um eine echte Rechtsnorm, anwendbar seit 1965.33 In die „Normae quaedam“ von 1968 wurden entsprechende Grundsätze für die kirchliche Hochschulreform aufgenommen,34 die

29

Vgl. Art. 36 DscD.

30

Vgl. Alexander Hollerbach, Freiheit der Wissenschaft in der Kirche, in: LThK³, Bd. 4, Sp. 113 – 115, hier Sp. 114. 31

Vgl. Art. 10 Abs. 1 GE: „intendit ut singulae disciplinae propriis principiis, propria methodo atque propria inquisitionis scientificae libertate ita excolantur“. 32

Vgl. Art. 62 Abs. 7 [a. E.] GS: „agnoscatur fidelibus, sive clericis sive laicis, iusta libertas inquirendi, cogitandi necnon mentem suam in humilitate et fortitudine aperiendi in iis in quibus peritia gaudent“; vgl. auch Art. 59 Abs. 3-4 GS. – Vgl. ferner: Commissio Theologica Internationalis, De magisterii ecclesiastici et theologiae ad invicem relatione (1975), lat.-ital. abgedr. mit Kommentar von Otto Semmelroth und Karl Lehmann, in: Dies., Documenta, Documenti (1969-1985), Libreria Editrice Vaticana 1988, S. 124 – 159; dt. in: TheolPhil 52 (1977), S. 57 – 66, hier Thesen Nr. 6, 2; 7, 2; 8, 2. 33

Vgl. Heribert Schmitz, Der CIC und das konziliare und nachkonziliare Kirchenrecht, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl / Hubert Müller / Heribert Schmitz, Regensburg 1980, S. 22 – 30, hier S. 27. 34

Vgl. Principia, Nr. II Normae quaedam: „Iusta libertas in investigando et docendo“, mit Hinweisen auf die sachbedingten Grenzen der Forschungs- und Lehrfreiheit, allerdings unter unberechtigter Einschränkung der Forschungsfreiheit auf die Lehrpersonen; vgl. Heribert Schmitz, Einleitung und Kommentar zu den „Normae quaedam“, in: NKD, Bd. 25, S. 283 – 329, hier S. 296 f.

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in der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ von 1979 normativ ausformuliert sind35. In c. 606 CCEO formuliert der kirchliche Gesetzgeber – am Ende des Titels XV über das kirchliche Lehramt (cc. 595 - 606 CCEO)36 – eine Aufgabenumschreibung des Theologen, die sowohl den nur wissenschaftlich arbeitenden wie auch den Katholische Theologie im kirchlichen Auftrag lehrenden Theologen betrifft.37 Diese Theologen haben, entsprechend ihrer tieferen Einsicht in das Heilsmysterium und ihrer Kenntnis in den theologischen und theologieverbundenen Wissenschaften sowie ihrer Kenntnis neuer Fragestellungen, den Glauben der Kirche zu erklären und zu verteidigen und zum wissenschaftlichen Fortschritt in der Glaubenslehre beizutragen; dabei haben sie dem authentischen Lehramt der Kirche getreu zu gehorchen und zugleich die gebührende Freiheit zu gebrauchen (c. 606 § 1 CCEO). Ihr Auftrag ist die Auferbauung der kirchlichen Glaubensgemeinschaft und die sorgfältige Kooperation mit den Bischöfen in deren kirchlichem Lehramt (c. 606 § 2 CCEO). In c. 606 § 3 CCEO werden darüber hinaus alle Theologen, die sich in Seminarien, Universitäten und Fakultäten, den theologischen Disziplinen widmen, auf Zusammenarbeit und wissenschaftlichen Austausch verwiesen. Diese Weisung ist auch auf die in der Katholischen Theologie wissenschaftlich Tätigen zu beziehen, nicht nur auf das Lehrpersonal, wenngleich sie mittelbar den Akzent auf die in der Lehre Tätigen zu setzen scheint. Diese Bestimmung über den Theologen im Bereich der katholischen Ostkirchen kann analog auf den Bereich der lateinischen Kirche angewendet werden. b) Die Forschungsfreiheit kommt allen zu, die forschen. Sie setzt hinsichtlich von Forschungen zur Katholischen Theologie keine kirchenamtliche Beauftragung voraus. Gleichwohl ist die wahre Freiheit des Forschens notwendigerweise auf der überzeugten Annahme des Wortes Gottes gegründet. Auch sie muß von einer entsprechenden Haltung gegenüber dem authentischen Lehramt der Kirche begleitet sein, insofern diesem die Aufgabe übertragen ist, das Wort Gottes authentisch zu interpretieren.38

35

Vgl. Art. 39 SapChrist.

36

In CCEO fontium annotationes auctus, Libreria Editrice Vaticana 1995, ist Bezug genommen auf die Weisungen des Vaticanum II in Art. 44 Abs. 2 und Art. 62 GS sowie auf Art. 23 DV. 37

Vgl. auch Norbert Lüdecke, Grundnormen des katholischen Lehrrechts in den päpstlichen Gesetzbüchern und neueren Äußerungen in päpstlicher Autorität [Stand vom 30.04.1996], Würzburg 1997 (= FzK, Bd. 28), S. 411 – 414. 38 Vgl. Art. 39 § 1 Nr. 2 Buchst. b SapChrist; Art. 70 SapChrist; vgl. H. Schmitz, Katholische Theologie (Anm. 7), Rd.-Nr. 38.

„Katholischer Theologe“

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c) Das Recht zur freien wissenschaftlichen Meinungsäußerung39 steht allen wissenschaftlich in der Theologie tätigen Personen zu, begrenzt auf die Fachkompetenz, d. h. auf die Bereiche, in denen die Person über Sachkenntnis verfügt. Dieses Recht ist aber unabhängig vom kirchlichen Personenstand und unabhängig davon, ob die Person mit kirchlicher Lehrbeauftragung lehrt oder nicht. Es umgreift die Freiheit zur öffentlichen Meinungsäußerung und auch die Publikationsfreiheit, die in spezifisch kirchlicher Verantwortlichkeit auszuüben sind. Die theologisch tätigen Personen haben ihr Recht zur Meinungsäußerung unter Wahrung der Verbindlichkeit der katholischen Glaubenslehre wahrzunehmen, wozu gehört, daß sie bei ihren Äußerungen die verbindlichen Glaubenslehren von ihrer wissenschaftlichen und erst recht von ihrer privaten Meinung abheben. „Im Bereich der definierten Glaubensaussagen, des näheren in der Substanz der res fidei et morum, ist ein Recht auf Dissens kirchenrechtlich ausgeschlossen. Ein solches Recht würde gegen die primäre Grundpflicht der Christen auf Wahrung der Glaubensgemeinschaft mit Gott und mit der Kirche verstoßen (c. 209). Es würde sich auch nicht mit dem Grundrecht der Gläubigen auf unverfälschte Glaubenslehre und authentische Zuwendung der Heilsmittel vereinbaren lassen“.40 Im Bereich der nichtdefinierten Lehren ist „ein Dissens innerhalb gewisser Grenzen möglich. Die Kriterien sind die grundsätzliche Gehorsamverpflichtung gegenüber der formalen Lehrautorität …, Klugheit und Vermeidung von Skandal bzw. Verwirrung der Gläubigen“41. Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit in c. 218 CIC ist wegen des Grundsatzes der engen Interpretation, der bei Einschränkungen der freien Ausübung von Rechten gemäß c. 18 CIC anzuwenden ist, als gewährleistet anzusehen.42 d) Die Lehrfreiheit kann sachgemäß nur jenen zustehen, deren Aufgabe es ist zu lehren, also den akademischen Lehrpersonen. Sie hat notwendig ihre Grenzen am Wort Gottes, d. h. an der Offenbarung, wie sie beständig vom lebendigen authentischen Lehramt der Kirche gelehrt wird.43 Diese Grenzen werden enger, je näher die zu lehrende Disziplin zu Offenbarung und Glaube der Kirche steht. Die Lehrfreiheit ist in den Disziplinen, die Glaubens- oder Sittenlehre betreffen, auch begrenzt durch den Lehrauftrag der Lehrperson, den sie von der

39 Vgl. Helmuth Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit als Grundrecht des Christen, in: Recht als Heilsdienst. Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Schulz, Paderborn 1989, S. 42 – 85, hier S. 74 – 85. 40 H. Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit (Anm. 39), S. 83. 41 H. Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit (Anm. 39), S. 83. 42 Vgl. H. Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit (Anm. 39), S. 84. 43

Vgl. Art. 39 § 1 Nr. 2 Buchst. a SapChrist.

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kirchlichen Autorität erhalten hat und der eine rechtliche Bindung gegenüber der Kirche und ihrem Lehramt impliziert.44 7. Seit Erlaß des kirchlichen Gesetzbuchs von 1983 wurden die rechtlichen Bestimmungen über das kirchliche Lehrrecht, über die Theologie und über die Theologen präzisiert und zunehmend, Schritt für Schritt, Zug um Zug, in disziplinierender Weise eingeengt.45 Das trifft auch zu für die Vorgaben hinsichtlich der Eignungs- und Zulassungsvoraussetzungen für eine Tätigkeit in der Katholischen Theologie. In diesem Zusammenhang wird auf den Begriff „Kirchlichkeit“ (ecclesialitas) abgestellt. Dabei bleibt offen, ob diese Grenzziehungen nur für die mit kirchlicher Lehrbeauftragung tätigen Lehrpersonen der Katholischen Theologie gelten oder ob sie auch die nur wissenschaftlich tätigen Personen treffen. Es geht in den folgenden Ausführungen nur darum, die Mosaiksteine aufzuzeigen, aus denen der Apostolische Stuhl sein Bild von der Ekklesialität des katholischen Theologen zusammengefügt hat, ohne in eine kritische Auseinandersetzung einzutreten.46 a) Mit der Apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ über die Römische Kurie vom 28. Juni 198847 hat Papst Johannes Paul II. Aufgaben und Befugnisse der Kongregation für die Glaubenslehre neu definiert.48 Die Kongregation wird als „Congregatio de Doctrina Fidei“ bezeichnet; sie nennt sich aber ohne Rücksicht auf die Rechtslage weiterhin „Congregatio pro Doctrina Fidei“. In den Zuständigkeitsbereich dieser Kongregation fallen alle Fragen der Glaubens- und Sittenlehre und alles, was in irgendeinem Bezug dazu steht. Zu ihren Aufgaben gehört, Forschung und Lehre im Bereich des Glaubens zu fördern und den Bischöfen bei der Ausübung ihres authentischen Lehramtes Hilfe zu leisten. Stark betont ist ihre Zuständigkeit zur Überwachung der Glaubensverkündigung; sie kann fordern, daß Schriftwerke der kirchlichen Autorität zu einer vorgängigen Prüfung vorgelegt werden (Vorzensur), und hinsichtlich neuer Lehrmeinungen eine Lehrprüfung durchgeführt wird (Lehrprüfungsver44 Vgl. H. Pree, Die Meinungsäußerungsfreiheit (Anm. 39), S. 74 – 85; Ders., Lehrfreiheit, in: LThK³, Bd. 6, Sp. 761; Ilona Riedel-Spangenberger, Verkündigungsdienst und Lehrautorität der Kirche, in: Iuri Canonico Promovendo, Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans / Karl-Theodor Geringer, Regensburg 1994, S. 154 – 174, hier S. 170 f. 45

Vgl. die kritischen Ausführungen von Lüdecke, Grundnormen Lehrrecht (Anm. 37), passim. 46

Vgl. Severin J. Lederhilger, Kirchlichkeit der Theologie. Das Verhältnis von Theologie und Lehramt in kanonistischer Perspektive, in: Bulletin ET 11 (2000), S. 17 – 33. 47

Ioannes Paulus II., Const. Apost. „Pastor bonus“ de Romana Curia [= PastBon] vom 28.06.1988, in: AAS 80 (1988), S. 841 – 934; Korrekturen: Staatssekretariat, Rescriptum ex Audientia SS.mi vom 12.05.1995, in: AAS 87 (1995), S. 588. 48

Vgl. Artt. 48 – 55 PastBon.

„Katholischer Theologe“

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fahren)49; Mindestanforderungen für das Vorgehen sind festgelegt. Die Kongregation ist zuständig für die Behandlung von Delikten gegen den Glauben und von schweren Delikten gegen die Sitten oder bei der Feier der Sakramente, nicht nur des Bußsakramentes, und ahndet entsprechende Verstöße mit Sanktionen.50 Damit ist die Kongregation nicht nur als oberste Verwaltungsbehörde zum Schutz und vor allem zur Förderung von Glauben und Sitten in der ganzen Kirche mit einem gewissen, wenngleich nicht unmittelbar ausgesprochenen Vorrang in der Römischen Kurie ausgestattet; sie wurde auch in ihrer Eigenschaft als oberster Gerichtshof der Kirche in ihrem Kompetenzbereich bestätigt.51 b) Die Kongregation für die Glaubenslehre hat Anfang 198952 eine um drei Zusätze ergänzte neue Formel für das Glaubensbekenntnis und einen Treueid neu eingeführt, die beide ab 01. März 1989 von den in c. 833 nn. 5 - 8 CIC bezeichneten Personen bei der Übernahme eines Amtes abzulegen sind. Dazu gehören auch die Lehrpersonen der Katholischen Theologie (n. 7). Sie werden

49

Vgl. die Lehrprüfungsverfahren von 1971 (Anm. 105) und von 1997 (Anm. 56).

50

Vgl. Ioannes Paulus II., Litt. Apost. Sacramentorum sanctitatis tutela Motu Proprio datae, quibus Normae de gravioribus delictis Congregationi pro Doctrina Fidei reservatis promulgantur vom 30.04.2001, in: AAS 93 (2001), 737 – 739; Congr. DocFid, Epistula a Congregatione pro Doctrina Fidei missa ad totius Catholicae Ecclesiae Episcopos aliosque Ordinarios et Hierarchas interesse habentes: de delictis gravioribus eidem Congregationi pro Doctrina Fidei reservatis vom 18.05.2001, E Civitate Vaticana MMI, S. 1 – 6; auch in: AAS 93 (2001), S. 785 – 788. – Vgl. Heribert Schmitz, Der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltene Straftaten, in: AfkKR 170 (2001), S. 441 – 462; Ders., Delicta graviora Congregationi de Doctrina Fidei reservata, in: DPM 9 (2002), S. 293 – 312; Klaus Lüdicke, Der Glaubenskongregation vorbehalten. Zu den neuen strafrechtlichen Reservationen des Apostolischen Stuhls, in: Flexibilitas Iuris Canonici. Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Andreas Weiß / Stefan Ihli (= AIC, Bd. 28), Frankfurt a. M. 2003, S. 441 – 455. 51 Vgl. Heribert Schmitz, Die Römische Kurie, in: HdbKathKR², S. 364 – 385, hier S. 371 f. 52

Vgl. Congr. DocFid, Professio fidei et iusiurandum fidelitatis in suscipiendo officio nomine Ecclesiae exercendo von 1989, in: AAS 81 (1989), S. 104 – 106; Congr. DocFid, Rescriptum ex Audientia SS.mi formulas professionis fidei et iuris iurandi fidelitatis contingens foras datur, in: AAS 81 (1989), S. 1169. – Vgl. Heribert Schmitz, „Professio Fidei“ und „Iusiurandum Fidelitatis“. Glaubensbekenntnis und Treueid – Wiederbelebung des Antimodernisteneides?, in: AfkKR 157 (988), S. 353 – 429; Ders., Glaubensbekenntnis und Treueid der Theologieprofessoren, in: Ders., Studien zum kirchlichen Hochschulrecht, (= FzK, Bd. 8), Würzburg 1990, S. 285 – 297. – Die von der Kongregation für die Glaubenslehre entgegen der Bestimmung in c. 833 pr. CIC oktroyierten deutschen Übersetzungen von Glaubensbekenntnis und Treueid sind abgedr. in: VApSt, Bd. 144, Bonn 1998, S. 7 – 10 [Dieser Band ist erst Juni 2000 erschienen].

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dadurch stärker in Pflicht genommen als die nicht in der Lehre, sondern nur in der Katholischen Theologie wissenschaftlich tätigen Personen. c) Die Kongregation für die Glaubenslehre hat mit ihrer Instruktion „Donum veritatis“ über die kirchliche Berufung des Theologen vom 24. Mai 199053 versucht, die Verantwortung des katholischen Theologen in der Kirche deutlicher als bisher zu umschreiben. Die Instruktion hat vielfältige äußerst kritische Stellungnahmen von seiten der Theologen hervorgerufen, auf die im anstehenden Zusammenhang nicht näher einzugehen ist. Der katholische Theologe hat seine Aufgabe in der Gemeinschaft mit dem kirchlichen Lehramt zu erfüllen (vgl. Nr. 6). Dazu ist ihm die notwendige Forschungsfreiheit kirchenamtlich zuerkannt. Diese Freiheit gilt aber nur innerhalb des Glaubens der Kirche (vgl. Nr. 11 Abs. 2); ihre Grenzen werden in der Instruktion ausführlich dargelegt und dabei enger gezogen, als es bisher der Fall war (vgl. Nrn. 12, 21 - 41). In noch stärkerem Maß gilt das für die Lehrfreiheit; denn die mit kirchlichem Lehrauftrag handelnde Lehrperson der Katholischen Theologie ist gehalten, nur eine Lehre vorzutragen, „die in keiner Weise der Glaubenslehre Schaden zufügt“ (vgl. Nrn. 11 Abs. 1, 37 Abs. 2 a. E.). In der Regel ist die Lehre des kirchlichen Lehramtes wie von jedem Gläubigen so auch vom Theologen loyal anzunehmen (vgl. Nr. 29). Die Grenzen, die dem Theologen gesetzt sind, werden ihm nicht von außen auferlegt; sie kommen vielmehr „von innen, vom Wesen der Theologie selbst“54. Spannungen zwischen Theologen und kirchlichem Lehramt kann es geben. Sie sind aber auf dem Weg der persönlichen Vorstellung den kirchlichen Lehrautoritäten vorzutragen, keinesfalls über die Massenmedien und den dadurch erzeugten Druck auf die öffentliche Meinung (vgl. Nr. 30). Dissens wird als Opposition gegen das Lehramt der Kirche abgelehnt und als schädlich zurückgewiesen; ein Recht auf Dissens kann nicht mit der Freiheit des Glaubensaktes gerechtfertigt werden (vgl. Nrn. 32 - 36). Dem kirchlichen Lehramt stehen als Maßnahmen zur Verfügung: der Entzug des kirchlichen Lehrauftrags für die Lehrperson der Katholischen Theologie und die Erklärung, daß Schriften mit der Lehre der Kirche nicht in Übereinstimmung stehen; letzteres kann auch den nicht-

53

Congr. DocFid, Instructio „Donum veritatis“ de ecclesiali theologi vocatione vom 24.05.1990, in: AAS 82 (1990), S. 1550 – 1570; dt. in: VApSt, Bd. 98, Bonn 1990. – Vgl. den die Instruktion gegenüber der Kritik rechtfertigenden Kommentar von Réal Tremblay CSsR, Über die kirchliche Berufung des Theologen. „Donum veritatis“, ein Dokument, das zu denken gibt, in: OssRom (dt.) 1993, Beilage XXVIII zu Nr. 30 vom 30.07.1993, S. 7 – 10. – Vgl. N. Lüdecke, Grundnormen Lehrrecht (Anm. 37), S. 452 – 497. 54

Vgl. Alberto Bovone, Theologen-Instruktion ist kein Diktat, in: OssRom (dt.) 1990, Nr. 30/31 vom 27.07.1990, S. 1.

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381

lehrenden Theologen treffen, beides gegebenenfalls aufgrund eines Lehrprüfungsverfahrens (vgl. Nr. 37). d) Die Kongregation für die Glaubenslehre hat mit der Instruktion „Il Concilio“ über einige Aspekte des Gebrauchs der sozialen Kommunikationsmittel bei der Förderung [bei der Weitergabe] der Glaubenslehre vom 30. März 199255 zur Interpretation von cc. 822 - 832 CIC die Verantwortung der kirchlichen Autoritäten und ihre eigene Kompetenz näher bestimmt. Danach sind die Gläubigen von den zuständigen Autoritäten über ihre Pflicht zu unterweisen, gemäß c. 209 § 1 CIC „auch in ihrem Verhalten, immer die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren“ (Nr. 1 § 2 Buchst. a) und gemäß c. 218 CIC, „wenn sie sich den theologischen Wissenschaften widmen, dem Lehramt der Kirche gegenüber den geschuldeten Gehorsam zu wahren, auch wenn sie die gebührende Freiheit der Forschung und klugen Meinungsäußerung über das, was ihr Fachgebiet betrifft, besitzen“ (Nr. 1 § 2 Buchst. c). Die kirchlichen Autoritäten sind gehalten, „je nach Lage der Fälle die vom Kirchenrecht vorgesehenen Verwaltungsoder Strafmaßnahmen gegen jene anzuwenden, die unter Mißachtung der kanonischen Normen die Pflichten des eigenen Amtes verletzen, für die Gemeinschaft der Kirche zur Gefahr werden und dem Glauben oder den guten Sitten der Gläubigen Schaden zufügen (vgl. cann. 805, § 1; 194, § 1, n. 2; 1369, 1; 1389)“ (Nr. 2 Buchst. d). Sie haben alle Fragen, die ihre eigene Kompetenz überschreiten, wie auch jene, die aus irgendeinem Grund ein Eingreifen oder Befragen des Apostolischen Stuhls angeraten sein lassen, vor allem der Kongregation für die Glaubenslehre vorzulegen; sie haben ferner alles mitzuteilen, „was sie auf dem Gebiet der Lehre vom positiven oder negativen Gesichtspunkt aus für bedeutsam halten, wobei sie auch ein eventuelles Eingreifen empfehlen können“ (Nr. 6). Hinsichtlich der Empfehlung von c. 827 § 3 CIC betreffend das sogenannte Imprimatur, daß bestimmte Schriftwerke dem Urteil des Ortsordinarius unterworfen werden sollen, wird präzisierend klargestellt: Der Diözesanbischof hat gemäß c. 823 § 1 CIC das Recht zu verlangen, daß ihm solche Schriften „wann immer er besondere und spezifische Gründe hat, auch durch Befehl im Einzelfall (vgl. can. 49)“ vor der Veröffentlichung vorgelegt werden. Diese Forderung kann auch von Gruppen von Personen (Klerikern, Ordensleuten, katholischen Verlagen usw.) oder auch für bestimmte Materien verlangt werden (Nr. 8 § 2). Die zu erteilende Erlaubnis kann auch an bestimmte Bedingungen geknüpft 55

Die Instruktion „Il Concilio“ mit dem lateinischen Titel Instructio quoad aliquos adspectus usus instrumentorum communicationis socialis in doctrina fidei tradenda vom 30.03.1992 ist nicht in AAS veröffentlicht; in ital. Fassung abgedr. in: Communicationes 24 (1992), S. 18 – 27; dt. in: VApSt, Bd. 106, Bonn 1992. – Vgl. Peter Krämer, Kirche und Bücherzensur. Zu einer neuen Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre, in: ThGl 83 (1993), S. 72 – 80; Lüdecke, Grundnormen Lehrrecht (Anm. 37), S. 497 – 503.

382

Heribert Schmitz

werden (Nr. 8 § 4). Andererseits wird darauf hingewiesen, daß der Autor ein Recht auf Antwort der zuständigen Autorität hat, wenn er einen entsprechenden Antrag gestellt hat (Nr. 10 § 1). Gegen die Ablehnung des Antrags kann Rekurs (Verwaltungsbeschwerde gemäß cc. 1732 - 1739 CIC) an die Kongregation für die Glaubenslehre eingelegt werden (Nr. 10 § 3). Diese Instruktion betrifft auch alle „katholischen Theologen“, die schriftstellerisch tätig sind und publizieren. e) Mit Datum vom 29. Juni 1997 hat die Kongregation für die Glaubenslehre eine neue Verfahrensordnung zur Prüfung von Lehrfragen „Agendi ratio in doctrinarum examine“ erlassen.56 Mit den dort neu eingeführten Sanktionsmöglichkeiten wurden – durch die „in forma specifica“ erteilte Approbation des Papstes – der Kongregation besondere Kompetenzen zuteil. Wenn der in seiner Lehre beanstandete Autor die benannten Irrtümer nicht hinreichend und in adäquater Veröffentlichung korrigiert, werden Sanktionen verhängt. Kommt die Ordentliche Versammlung der Kongregation zu dem Ergebnis, daß der Straftatbestand der Häresie, der Apostasie oder des Schismas vorliegt, wird in einer Erklärung der Eintritt der betreffenden Strafe festgestellt, die der Autor sich mit Begehen der Straftat bereits zugezogen hat (poena latae sententiae);57 gegen diese Entscheidung ist ein Rekurs nicht zugelassen (Nr. 28). Wenn nach Auffassung der Ordentlichen Versammlung keiner der vorgenannten Straftatbestände, sondern nur ein lehrmäßiger Irrtum vorliegt, geht die Kongregation nach Maßgabe des allgemeinen Rechts unter Anwendung von c. 1371 n. 1 CIC oder c. 1436 § 2 CCEO vor oder wendet das ihr eigene besondere Recht an.58 Mit dieser Verfahrensordnung ist nicht nur die Vorgehensweise bei der Prüfung von Lehrfragen durch die Kongregation für die Glaubenslehre neu geregelt worden. Die Befugnisse der Kongregation zur Verhängung oder Feststellung von Strafen oder sonstigen Maßnahmen (cautiones; Art. 21 Satz 2) wurden neu definiert. Das Lehrprüfungsverfahren kann angewendet werden, nicht nur wenn die Lehren einer Lehrperson der Katholischen Theologie, sondern auch wenn ein nicht-lehrender katholischer Theologe in seinen Schriften Anlaß für eine lehrmäßige Untersuchung bietet.

56

Congr. DocFid, Agendi ratio in doctrinarum examine vom 29.06.1997 (= Agendi ratio 1997), in: AAS 89 (1997), S. 830 – 835. 57 Da das kirchliche Gesetzbuch für die katholischen Ostkirchen keine Strafen latae sententiae kennt (vgl. c. 1321 mit c. 1408 CCEO), können für diesen Bereich auch nicht, wie in Art. 28 Agendi ratio 1997 vorgesehen, Strafen latae sententiae als eingetreten festgestellt werden; sie müssen vielmehr verhängt werden. 58

Vgl. Heribert Heinemann, Schutz der Glaubens- und Sittenlehre, in: HdbKathKR², S. 708 – 721, hier S. 715 – 718 (717).

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383

Gemäß Art. 21 Agendi ratio 1997 hat die Kongregation zu entscheiden, ob und auf welche Weise der Ausgang eines Lehrprüfungsverfahren veröffentlicht wird. Eine Form der Veröffentlichung stellen die „Notificationes“ dar, welche die Kongregation seit 1997 herausbringt.59 f) Papst Johannes Paul II. hat mit Motu Proprio „Ad tuendam fidem“ vom 18. Mai 199860 den beiden kirchlichen Gesetzbüchern, CIC und CCEO, einige Normen kraft Insertionsbefehl ausdrücklich eingefügt, um die – seit der 1989 neu vorgeschriebenen Formel des Glaubensbekenntnis mit den drei Zusätzen bestehenden – Lücken zu schließen und die Sanktionen anzupassen. In c. 750 CIC und in c. 598 CCEO ist jeweils ein gleichlautender § 2 eingefügt, der dem zweiten Zusatz zur Professio fidei von 1989 entspricht, aber erweitert wie auch ergänzt ist durch die Feststellung: „daher widersetzt sich der Lehre der katholischen Kirche, wer diese als endgültig zu haltenden Sätze ablehnt“61. Durch die Einfügung als c. 750 § 2 CIC ist klargestellt, daß sich die Aussagen über Häresie, Apostasie und Schisma in c. 751 CIC nur auf die Ablehnung der in c. 750 CIC genannten Lehren beziehen, nicht jedoch auf cc. 752 - 754 CIC. Die Einfügungen in den strafrechtlichen Canones erweitern die Sanktionsmöglichkeiten. In c. 1371 n. 1 CIC wurde ein Bezug auf c. 750 § 2 eingefügt, so daß der Text lautet: „… oder eine Lehre vertritt, worüber can. 750, § 2 oder can. 752 handelt“62. In c. 1436 CCEO wird der Bezug auf c. 598 § 2 in entsprechender Weise eingefügt; der Text lautet: „Außer in diesen Fällen, soll derjenige, der eine als endgültig zu haltende vorgelegte Lehre hartnäckig ablehnt oder an einer Lehre festhält, die vom Papst oder vom Bischofskollegium in Ausübung ihres authentischen Lehramtes als irrig zurückgewiesen worden ist, und nach rechtmäßiger Ermahnung sein Unrecht nicht einsieht, mit einer angemessenen Strafe belegt werden“63.

59

Vgl. Heribert Schmitz, Notificationes Congregationis pro Doctrina Fidei. Kanonistische Anmerkungen zu den Notifikationen über den Abschluß eines Lehrprüfungsverfahrens, in: AfkKR 171 (2002), S. 371 – 399. 60

Ioannes Paulus II., Litt. Apost. „Ad tuendam fidem“ Motu Proprio datae, quibus normae quaedam inseruntur in Codice Iuris Canonici et in Codice Canonum Ecclesiarum Orientalium vom 18.05.1998, in: AAS 90 (1998), S. 457 – 461; dt. in: VApSt, Bd. 144, Bonn 1998 [2000], S. 17 – 25. 61 c. 750 § 2 CIC und c. 598 § 2 CCEO: „ideoque doctrinae Ecclesiae catholicae adversatur qui easdem propositiones definitive tenendas recusat“. 62 63

c. 1371 n. 1 CIC: „vel doctrinam, de qua in can. 750 § 2 vel in can. 752“.

c. 1436 CCEO: „Praeter hos casus, qui pertinaciter respuit doctrinam, quae a Romano Pontifice vel Collegio Episcoporum magisterium authenticum exercentibus ut definitive tenenda proponitur, vel sustinet doctrinam quae ut erronea damnata est, nec

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Heribert Schmitz

g) In einem „Lehrmäßigen Kommentar zur Schlußformel der Professio fidei“ vom 29. Juni 199864 hat die Kongregation für die Glaubenslehre die drei Absätze der 1989 neu eingefügten Schlußformel des Glaubensbekenntnisses erläutert, nachdem sie zuvor die neuen Formeln von 1989 nochmals publiziert hat65. Insbesondere hat sie sich zum zweiten Absatz über die definitiv vorgelegten und endgültig zu haltenden Lehren geäußert (Nrn. 6 - 9).66 Die Lehren von Absatz 1 „verlangen vom Gläubigen die Zustimmung mit theologalem Glauben. Wer deshalb solche Lehren hartnäckig bezweifelt oder leugnet, zieht sich die auf Häresie stehende Beugestrafe zu“ (Nr. 5 Abs. 3)67; dazu ist auf cc. 751, 1364 § 1 CIC und cc. 598, 1436 § 1 CCEO verwiesen68. Wer Lehren des Absatzes 2 leugnet, „lehnt Wahrheiten der katholischen Lehre ab und steht deshalb nicht mehr in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche“ (Nr. 6 a. E.)69. Eine Aussage, die gegen die Lehren von Absatz 3 verstößt, „ist als irrig oder bei Lehren, die Vorsichtsmaßregeln darstellen, als verwegen oder gefährlich zu qualifizieren und deshalb ‚tuto doceri non potest’“; eine Sanktionierung soll durch Verhängung einer gerechten Strafe gemäß c. 1371 CIC und c. 1436 § 2 CCEO erfolgen (Nr. 10 Abs. 3)70. Abschließend sind beispielhaft für jeden der drei Absätze einige Lehren aufgeführt (Nr. 11).

legitime resipiscit, congrua poena puniatur.“ – Die deutsche Übersetzung von c. 1436 § 2 CCEO entspricht in der Wortstellung nicht dem lateinischen Text. 64 Congr. DocFid, Professio fidei et iusiurandum in suscipiendo officio nomine Ecclesiae exercendo una cum nota doctrinali adnexa vom 29.06.1998, in: AAS 90 (1998), S. 542 – 544, 544 – 551; dt. in: VApSt, Bd. 144, Bonn 1998 [2000], S. 11 – 15. 65

Congr. DocFid, Nota doctrinalis, S. 542 – 544 bzw. S. 11 – 15.

66

Vgl. Winfried Aymans, Veritas de fide tenenda. Kanonistische Erwägungen zu den Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ im Lichte des Motu proprio „Ad tuendam fidem“, in: AfkKR 167 (1998), S. 368 – 388. 67

Nr. 5 Abs. 3: „Hae doctrinae ex omnibus fidelibus assensum fidei theologalis exigunt. Proinde, si quis de iisdem contumaciter dubitaverit seu eas negaverit, censuram haereseos subibit, sicut in canonibus Codicis canonici ad rem attinentibus indicatur.“ 68

Der lateinische Text ist insofern nicht sauber gefaßt, als er nur den CIC benennt.

69

Nr. 6 a. E.: „Si quis illas negaverit, veritatem doctrinae catholicae respuere videbitur eoque ipso in communione cum Ecclesia catholica amplius non erit plena.“ – Das Wort „videbitur“ ist in der deutschen Übersetzung nicht berücksichtigt. 70 Nr. 10 Abs. 3: „Omne propositum talibus doctrinis contrarium falsum est iudicandum vel, si de institutione praecavendi causa facta agatur, temerarium seu periculosum ideoque ‚tuto doceri non potest‘“.

„Katholischer Theologe“

385

Mit diesem lehrmäßigen Kommentar werden die drei Gruppen von Wahrheiten und Lehren gegeneinander abgegrenzt, endgültig zu haltende Lehren (Abs. 2) präzisierend aufgeführt und die entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten genannt. Die Aussagen treffen beide Gruppen von katholischen Theologen, die nur wissenschaftlich Arbeitenden wie auch die Lehrpersonen der Katholischen Theologie. h) Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika „Fides et ratio“ über das Verhältnis von Glaube und Vernunft vom 14. September 199871 die Verantwortung der Theologen und ihre Bindung an die Glaubenslehre und an die Gemeinschaft der Kirche eindringlich betont (vgl. Nrn. 92 – 99). i) Schließlich hat der Kardinalpräfekt der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Zenon Kardinal Grocholewski, in seinem Vortrag am 30. März 2001 in Würzburg72 die Kirchlichkeit der Theologie und damit die der theologisch tätigen Personen, insbesondere der Lehrpersonen, angemahnt und eingefordert, indem er die maßgeblichen theologisch-ekklesiologischen Prinzipien aufzeigt. Das besondere Profil und die Berufung des Professors der Katholischen Theologie liegt darin, daß „er nicht nur Wissenschaftler an einer staatlichen Universität, sondern ebenso und sogar in erster Linie ein kirchlich Beauftragter und Gesendeter [ist]; mit einem Wort, er ist Wissenschaftler des Glaubens und darin in seiner Funktion als Professor berufen, Zeuge des Glaubens zu sein“ (A 2 c Abs. 1). „Die Ablegung der Professio fidei bringt deutlich zum Ausdruck, dass sich der Professor in die Gemeinschaft des Glaubens der Kirche eingebunden und sich ihr verpflichtet weiß“ (ebd. Abs. 5). Die Kirchlichkeit ist vor allem bei der Erteilung des Nihil obstat des Apostolischen Stuhls zu prüfen, das im Zuge des Berufungsverfahrens vom zuständigen Diözesanbischof einzuholen ist. Die im einzelnen genannten Voraussetzungen für die Erteilung des Nihil obstat entspringen „dem Recht auf Glaubenswahrheit, die in den Veröffentlichungen des Kandidaten zum Ausdruck kommen muß. Als Professor ist der Theologe in diesem Punkt eine öffentliche und keine Privatperson“ (B 4 Abs. 5). 8. Mit den vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen und den neuen Erlassen sind für die Bezeichnung einer Person als „katholischer Theologe“ einige Vorgaben gemacht:

71

Ioannes Paulus II., Encycl. „Fides et ratio“ cunctis catholicae Ecclesiae episcopis de necessitudinis natura inter fidem et rationem vom 14.09.1999, in: AAS 91 (1999), S. 5 – 88; dt. in: VApSt, Bd. 135, Bonn 1998. 72

Zenon Grocholewski, Das kirchliche Nihil obstat. Die Berufung des Professors für Katholische Theologie, in: Bulletin ET 12 (2001), S. 51 – 64.

Heribert Schmitz

386

a) Eine Person, die in Katholischer Theologie ausgebildet ist und/oder nur einfachhin Katholische Theologie betreibt oder forschend tätig ist, kann als „katholischer Theologe“ bezeichnet und angesehen werden, wenn sie auf dem Boden der katholischen Glaubenslehre und in der Gemeinschaft der katholischen Kirche steht. Von ihr ist jedoch weder die Ablegung des Glaubensbekenntnisses noch die Leistung des Treueides gefordert, wie das in der seit 1989 vorgeschriebenen Form von näher bestimmten kirchlichen Amtsträgern verlangt wird. b) Wer dagegen Katholische Theologie in kirchlichem Auftrag und im Namen der Kirche lehrt, von dem wird ein „Mehr“ verlangt: Er benötigt ein Mandat der zuständigen kirchlichen Autorität73 und als Eignungsvoraussetzung eine größere Kirchlichkeit. Außer der Ablegung des Glaubensbekenntnisses (und des Treueides) muß die Lehrperson in voller Gemeinschaft mit dem authentischen Lehramt der Kirche und vor allem des Papstes stehen74. Aufgrund des kirchlichen Lehrauftrags ist die Lehrperson nicht nur berechtigt zur Lehre, sondern auch verpflichtet, Katholische Theologie so zu lehren, daß sie als solche angesehen und anerkannt werden kann; denn sie lehrt nicht „in eigener Autorität, sondern kraft der von der Kirche empfangenen Sendung“75. Andernfalls kann diese Person nicht als „katholischer Theologe“ bezeichnet oder angesehen werden. II. 1. Die Bezeichnung „katholischer Theologe“ unterliegt nicht den Normen des kirchlichen Namensschutzrechts. Eine Person, die in Katholischer Theologie ausgebildet ist oder die Katholische Theologie wissenschaftlich betreibt, und eine Lehrperson der Katholischen Theologie kann sich als „katholischer Theologe“ bezeichnen und kann als solcher gelten oder angesehen werden. Die Bezeichnung „katholischer Theologe“ muß nicht ausdrücklich zuerkannt sein. Die Führung dieser Bezeichnung unterliegt keinem kirchenamtlichen Genehmigungsvorbehalt. Im Gegensatz zu der andersgearteten Rechtslage bezüglich kirchlicher Unternehmungen, Vereinigungen, Vereine, Schulen und Hochschulen ist eine ausdrückliche kirchenamtliche Zustimmung zur Führung der Bezeichnung „katholischer Theologe“ rechtlich nicht gefordert.76

73

Vgl. cc. 812, 818 CIC.

74

Vgl. Art. 26 § 2 SapChrist.

75

Art. 27 § 1 SapChrist.

76

Vgl. cc. 216, 300, 803 § 3, 808 CIC. – Zur Führung der Bezeichnung „katholisch“ in diesen Fällen vgl. Heribert Schmitz, Fragen der Rechtsüberleitung der bestehenden kirchlichen Vereinigungen in das Recht des CIC, in: AfkKR 156 (1987), S. 367 – 384,

„Katholischer Theologe“

387

Die zuständige kirchliche Autorität kann jedoch die Selbstbezeichnung „katholischer Theologe“ oder die Bezeichnung eines Theologen als „katholisch“ durch andere untersagen; sie kann die Feststellung treffen, daß jemand nicht mehr als „katholischer Theologe“ gelten oder angesehen werden kann. Sie kann sich gegebenenfalls auch von der betreffenden Person öffentlich distanzieren. Dazu stehen ihr alle verwaltungsrechtlichen Mittel und disziplinarischen Sanktionen, die Lehrprüfungs- und Lehrbeanstandungsverfahren sowie die strafrechtlichen Vorgehensweisen zur Verfügung. Solange einer Person nicht von seiten der zuständigen kirchlichen Autorität die Bezeichnung „katholischer Theologe“ aberkannt ist, kann diese Bezeichnung – bei Erfüllung der ausbildungsmäßigen und/oder wissenschaftlichen Voraussetzungen – unbeschadet geführt werden. Wem jedoch die Bezeichnung „katholischer Theologe“ rechtmäßig aberkannt wurde, kann diese Bezeichnung erst wieder führen oder als „katholischer Theologe“ gelten und angesehen werden, wenn die aberkennende kirchliche Autorität ihre Entscheidung aufgehoben oder zurückgenommen hat. Hat die Kongregation für die Glaubenslehre die Entscheidung getroffen, ist deren Rücknahme, Modifizierung, Korrektur oder Überprüfung nur durch die Kongregation für die Glaubenslehre oder eine höhere Instanz möglich. 2. Die Bezeichnung „katholisch“ ist Theologen vom Apostolischen Stuhl durch die zuständige Kongregation für die Glaubenslehre im Rahmen ihrer Kompetenzen77 aberkannt worden. a) Im Fall Prof. Hans Küng stellt die Kongregation für die Glaubenslehre in der Erklärung vom 15. Dezember 197978 abschließend fest: „Professor Hans Küng weicht in seinen Schriften von der vollständigen Wahrheit des katholischen Glaubens ab. Darum kann er weder als katholischer Theologe gelten noch als solcher lehren“79. Zutreffend wird unterschieden zwischen der Bezeichnung „katholischer Theologe“ und dem „Katholische Theologie lehren“, also zwischen dem katholischen Theologen, der Katholische Theologie wissenhier 377 f.; Heribert Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche, Paderborn u.a. 1999, S. 406 f. 77

Vgl. Artt.48 – 52 PastBon.

78

Congr. DocFid, Declaratio de quibusdam capitibus doctrinae theologicae Professoris Ioannis Küng vom 15.12.1979, in: AAS 72 (1980), S. 90 – 92; abgedr. in: Congr. DocFid, Documenta inde a Concilio Vaticano Secundo expleto edita (1966 – 1985), Libreria Editrice Vaticana 1985, S. 155 – 158; AfkKR 148 (1979), S. 451 – 463. 79

Decl. [Schlußabs.]: „… haec Sacra Congregatio pro munere suo in praesens declarare cogitur Professorem Ioannem Küng in suis scriptis ab integra fidei catholicae veritate deficere, ideoque eundem nec uti theologum catholicum haberi neque qua talem munere docendi fungi posse.“

Heribert Schmitz

388

schaftlich betreibt, und dem katholischen Theologen, der Katholische Theologie im Auftrag der Kirche lehrt. An beide Theologen werden die gleichen Anforderungen gestellt: Katholische Theologie betreiben (theologiam tractare) – als Grundlage des „Katholische Theologie lehren“ (theologiam docere) – ist nur in enger Verbindung mit dem Sendungsauftrag der Kirche, die Wahrheit zu lehren, möglich.80 Der Wissenschaftsfreiheit des Theologen sind durch die Methoden der Katholischen Theologie Grenzen gesetzt, die jedoch nicht ausschließen, daß die Theologen „auf ihre Weise“ dasselbe Ziel angehen wie das authentische Lehramt.81 Die Person, die Katholische Theologie lehren will, bedarf darüber hinaus der kirchenamtlichen Lehrbeauftragung, aufgrund derer sie ihr Mandat ausübt.82 Dazu ist die volle Einheit mit dem authentischen Lehramt erforderlich83 und daß die eigenen Lehrmeinungen des Theologen in Übereinstimmung mit der authentischen kirchenamtlichen Lehre vorgelegt werden84. Ein Abweichen von der vollständigen Wahrheit des katholischen Glaubens hat zur Folge, daß der Theologe nicht mehr als „katholischer Theologe“ gelten kann.85 In Konsequenz daraus wird festgestellt: Wer nicht mehr als „katholischer Theologe“ gelten kann, wem also die Grundvoraussetzung zum „Katholische Theologie Betreiben“ abgesprochen wird oder werden muß, kann und darf folgerichtig nicht mehr „Katholische Theologie lehren“.86 b) Im Fall P. Tissa Balasuriya OMI hat die Kongregation für die Glaubenslehre mit Notifikation vom 02. Januar 199787 erklärt, sie habe sich aufgrund der

80

Vgl. Decl. [Abs. 3]: „Oportet igitur ut in doctrina catholica investiganda et docenda fidelitas erga Ecclesiae Magisterium semper eluceat, cum nemini liceat theologiam tractare nonnisi coniunctim cum munere veritatem docendi quod Ecclesiae ipsi incumbit.“ 81

Vgl. Decl. [Abs. 1]: „In sua investigatione theologi, non aliter ac ceterarum scientiarum cultores, legitima libertate scientifica gaudent, intra tamen limites methodi sacrae theologiae, nitentes ut modo sibi proprio idem ac ipsius Magisterii propositum assequi queant.“ 82

Vgl. Decl. [Abs. 5].

83

Vgl. Decl. [Abs. 6]: „in plena communione cum authentico Magisterio Ecclesiae“.

84

Vgl. Decl. [Abs. 8]: „in harmoniam cum doctrina Magisterii authentici opiniones proprias adduceret“. 85

Vgl. Decl. [Abs. 12].

86

Vgl. auch Kongregation für die Glaubenslehre, Fundamentale Glaubenssätze. Marginalien zur Erklärung der Kongregation über einige Hauptpunkte der theologischen Lehre von Prof. Hans Küng, in: OssRom (dt.) 1980, Nr. 3 vom 18.01.1980, S. 8 f. 87

Congr. DocFid, Notificazione sull’Opera „Mary and Human Liberation“ del Padre Tissa Balasuriya, OMI, in: [nicht in AAS] OR 1997, Nr.4 vom 05.01.1997, 2 (ital.). – Vgl. H. Schmitz, Notificationes (Anm. 59), S. 3 – 6; Lüdecke, Grundnormen Lehrrecht

„Katholischer Theologe“

389

Beurteilung des Werkes „Mary and Human Liberation“ gehalten gesehen festzustellen, daß der Autor von der Unversehrtheit des katholischen Glaubens abgewichen ist und nicht als katholischer Theologe angesehen werden könne. Darüber hinaus wurde amtlich der Eintritt der Tatstrafe der Exkommunikation gemäß c. 1364 § 1 CIC festgestellt.88 Die Exkommunikation wurde später nach Ablegung der Professio fidei aufgehoben.89 Damit dürfte auch die Aberkennung der Bezeichnung „katholischer Theologe“ hinfällig geworden sein. 3. In anderen Fällen ist die Kongregation für die Glaubenslehre nicht so weit gegangen und hat dem betreffenden Theologen nicht ausdrücklich die Bezeichnung „katholischer Theologe“ aberkannt. Sie hat sich vielmehr damit begnügt, in einer Notifikation bekanntzumachen, daß bestimmte Auffassungen oder Thesen des Theologen nicht mit der Lehre der Kirche übereinstimmen. Vor allem seit Erlaß der neuen „Agendi ratio in doctrinarum examine“ von 1997 scheint die Kongregation für die Glaubenslehre zurückhaltender in der Beurteilung der Person und der Aberkennung der Bezeichnung „katholischer Theologe“ zu sein und sich auf die Beurteilung und Verurteilung der Lehre zu beschränken. a) Im Fall Prof. P. Leonardo Boff OFM hat die Kongregation für die Glaubenslehre in der Notifikation vom 11. März 198590 erklärt, „daß die hier analysierten Optionen von L. Boff derart sind, daß sie die gesunde Glaubenslehre gefährden, die zu fördern und zu schützen eben die Aufgabe dieser Kongregation ist“91.

(Anm. 37), S. 494 – 496; Nikolaus Klein, Der Fall Tissa Balasuriya, in: Orientierung 60 (1996), S. 145 – 149. 88

Abs. 22: „Nel rendere pubblica la presente Notificazione la Congregazione si sente altresì obbligata a dichiarare che il P. Tissa Balasuriya ha deviato dell’integrità della verità della fede cattolica, e pertanto non può essere considerato teologo cattolico ed e inoltre incorso nella scomunica latae sententiae (can. 1364, par. 1).“ 89 Vgl. Andreas Weiß, Lehre im Brennpunkt von Freiheit und Beanstandung. Bemerkungen zur Neuordnung des Lehrprüfungsverfahrens bei der Kongregation für die Glaubenslehre vom 29. Juni 1997, in: Communio In Ecclesiae Mysterio. Festschrift für Winfried Aymans zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Karl-Theodor Geringer / Heribert Schmitz, St. Ottilien 2001, S. 669 – 697, hier: S. 691, Fn. 122 a. E., unter Berufung auf Kathpress, Tagesdienst vom 17.01.1998, S. 8. 90

Congr. DocFid, Notificatio de scripto P. Leonardo Boff, OFM, „Chiesa: Charisma e Potere“, vom 11.03.1985, in: AAS 87 (1985), S. 756 – 762 (ital.); dt. in: VApSt, Bd. 67, Bonn 1987, S. 3 – 10. 91

Notificatio, Conclusione: „Nel rendere pubblico quanto sopra la Congregazione si sente altresì obbligata a dichiarare che le opzioni di L. Boff qui analizzate sono tali da mettere in pericolo la sana dottrina della fede, che questa stessa Congregazione ha il compito di promuovere e di tutelare.“

Heribert Schmitz

390

b) Im Fall Prof. P. Edward Schillebeeckx OP hat die Kongregation für die Glaubenslehre in der Notifikation vom 15. September 198692 erklärt, sie sehe sich gehalten, aus den vorgenannten Gründen zu schließen, daß die Auffassung von E. Schillebeeckx über das kirchliche Amt in entscheidenden Punkten weiterhin nicht im Einklang mit der Lehre der Kirche stehe. Ihr Auftrag gegenüber den Gläubigen verpflichte die Kongregation, dieses Urteil zu veröffentlichen93. c) Im Fall P. Anthony de Mello SJ hat die Kongregation für die Glaubenslehre es für geboten gehalten, in der Notifikation vom 26. Juni 199894 festzustellen, daß die „dargelegten Positionen mit dem katholischen Glauben nicht vereinbar sind und schweren Schaden verursachen können“95. d) Im Fall Prof. Reinhard Meßner sah sich die Kongregation für die Glaubenslehre am 30. November 200096 verpflichtet, „unzweideutig die Glaubenslehren herauszustellen, die bei diesen Diskussionen festgehalten werden müssen, wenn eine Theologie als „katholisch“ angesehen werden soll“97. Prof. Meßner hat die Notifikation angenommen und unterzeichnet. Die in ihr enthaltenen Klarstellungen „bilden den verpflichtenden Maßstab für sein künftiges theologisches Wirken und seine Veröffentlichungen“98. Aufgrund dieser versteckten Sanktionsandrohung muß Prof. Meßner mit dem Entzug des Nihil obstat rechnen, wenn er sich nicht an die Vorgaben der Notifikation hält.

92

Congr. DocFid, Notificatio [vom 15.09.1986], in: AAS 79 (1987), S. 221 – 223; dt. in: OssRom (dt.) 1996, Nr. 40 vom 03.10.1996, S. 3. 93

Notificatio: „6. Pour ces raisons, la Congrégation pour la Doctrine de la Foi se voit obligée de conclure que la conception du ministère telle qu’elle est exposée par le Professeur Schillebeeckx demeure en désaccord avec l’enseignement de l’Eglise sur des points importants. Sa mission à l’égard des fidèles lui fait donc un dévoir de rendre public ce jugement.“ 94 Congr. DocFid, Notificatio circa scripta Patris Antonii de Mello, S.J. vom 24.06.1998, in: AAS 90 (1998), 833f.; dt. in: OssRom (dt.) 1998, Nr. 35 vom 28.08.1998, S. 3. – Vgl. Schmitz, Notificationes (Anm. 59), S. 6 – 8. 95 Notificatio [letzter Abs.]: „Praesente notificatione, ad bonum tutandum fidelium, haec Congregatio necessarium putat, ut positiones supra expositae declarentur pugnare cum fide catholica et gravium damnorum causam esse posse.“ 96 Congr. DocFid, Notificatio super Renardi Meßner scriptis: Notifikation bezüglich einiger Veröffentlichungen von Professor Dr. Reinhard Meßner vom 30.11.2000, in: AAS 93 (2001), S. 385 – 395 (dt.), S. 395 – 403 (ital.), hier 390. – Vgl. Schmitz, Notificationes (Anm. 59), S. 11f.; Winfried Löffler, Missio Canonica und Nihil Obstat: Wege des Rechtsschutzes im Konfliktfall, in: Tradition – Wegweisungen in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Konrad Breitsching / Wilhelm Rees (= KStuT, Bd. 46), Berlin 2001, 429 – 462, hier S. 457 f., Fn. 58. 97

Notificatio, S. 390.

98

Notificatio, S. 385.

„Katholischer Theologe“

391

e) Im Fall P. Jacques Dupuis SJ wird in der Endfassung der Notifikation vom 24. Januar 200199 betont, daß diese kein Urteil über das subjektive Denken des Autors zu fällen beabsichtigt; vielmehr gehe es allein darum „die Lehre der Kirche in Bezug auf einige Aspekte der genannten lehrmäßigen Wahrheiten darzulegen und gleichzeitig irrige oder gefährliche Meinungen zurückzuweisen, zu denen der Leser, unabhängig von den Absichten des Autors, auf Grund zweideutiger Formulierungen oder unzureichender Erklärungen an verschiedenen Stellen des Buches gelangen kann“100. Zielsetzung der Notifikation ist es also nicht, den Autor zu maßregeln oder zu disziplinieren, sondern drohende Gefahren für die Leser abzuwehren. f) Im Fall P. Marciano Vidal CSsR wird in der Notifikation vom 22. Februar 2001101 dargetan, man wolle „weder die Person des Autors noch seine Absicht oder sein gesamtes Werk und theologisches Wirken, sondern nur die untersuchten Schriften beurteilen und so das gegenwärtige und zukünftige Wohl der Gläubigen, der Hirten und Professoren der Moraltheologie schützen, vor allem jener, die nach der Theologie des Autors ausgebildet wurden oder sich in dessen moraltheologischen Ausführungen wiedererkennen, damit sie sich von den Irrtümern und Lücken, in denen sie ausgebildet wurden oder noch immer verharren, sowie von den praktischen Folgen dieser Positionen im pastoralen und priesterlichen Dienst lossagen“102.

99 Congr. DocFid, Notificatio de quodam scripto P. Iacobi Dupuis e Societate Jesu: Notificazione a proposito del libro Jacques Dupuis, „Verso una teologia cristiana del pluralismo religioso“ (Ed. Queriniana, Brescia 1997) vom 24.01.2001, in: AAS 94 (2002), S. 141 – 145; dt. in: OssRom (dt.) 2001, Nr. 13 vom 30.03.2001, S. 10 f.; AfkKR 170 (2001), S. 153 – 156. – Vgl. Schmitz, Notificationes (Anm. 59), S. 12 – 16. 100

Notificatio, S. 142: „La presente Notificazione non intende esprimere un giudizio nel pensiero soggettivo dell’Autore; ma si propone piuttosto di enunciare la dottrina della Chiesa a riguardo di alcuni aspetti delle suddette verità dottrinali, e nello stesso tempo di confutare opinioni erronee o pericolose, a cui, indipendentemente dalle intenzioni dell’Autore il lettore può pervenire a motivo di formulazioni ambigue o spiegazioni insufficienti contenute in diversi passi del libro.“ 101

Congr. DocFid, Notificatio super scriptis Marciani Vidal: Notificazione riguardante alcuni scritti del R. P. Marciano Vidal C.Ss.R. vom 22.02.2001, in: AAS 93 (2001), S. 545 – 555 (ital.); dt. in: OssRom (dt.) 2001, Nr. 21 vom 25.05.2001, S. 9 f. – Vgl. Schmitz, Notificationes (Anm. 59), S. 16 – 21. 102

Notificatio, Einleitung [Abs. 10]: „Questa risoluzione che non intende giudicare la persona dell’Autore, la sua intenzione né la totalità della sua opera e del suo ministero teologico. Ma soltante gli scritti presi in esame, è volta a tutelare il bene presente e futuro dei fedeli, dei pastori e dei professori di teologia morale, sopratutto di quanti si sono formati secondo la teologia dell’Autore o che comunque si riconoscono nelle stesse prospettive teologico-morali, affinché essi si allontanino dagli errori o lacune nei quali

Heribert Schmitz

392

4. Gegen die Entscheidung einer Behörde der Römischen Kurie, z. B. gegen die Aberkennung der Bezeichnung „katholischer Theologe“ durch die Kongregation für die Glaubenslehre, konnte seit Inkrafttreten der Apostolischen Konstitution Papst Pauls VI. „Regimini Ecclesiae universae“ vom 15. August 1967103 bei der Zweiten Sektion der Apostolischen Signatur Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Form des Rekurses gegen einen Verwaltungsakt einer Behörde der Römischen Kurie eingelegt werden104. Das Einlegen eines Rekurses gegen eine Entscheidung in einem Lehrprüfungsverfahren bei der Kongregation für die Glaubenslehre war durch die entsprechende Verfahrensordnung von 1971105 nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden. Da aber gemäß dieser Verfahrensordnung die Entscheidungen der Ordentlichen Versammlung der Kongregation dem Papst zur Approbation vorgelegt werden mußten106, bevor sie dem Ordinarius des Autors mitgeteilt werden, und da die Entscheidungen, die rekursfähig sind, gemäß der Geschäftsordnung der Römischen Kurie von 1968107 dem Papst zur Approbation nicht vorgelegt werden durften, bevor dreißig Tage, gerechnet von der Bekanntgabe derselben, vergangen waren108, war aufgrund einer erfolgten päpstlichen Approbation, selbst wenn diese unter Mißachtung der vorgeschriebenen Frist eingeholt worden war, ein Rekurs an die Apostolische Signatur nicht mehr möglich.109

sono stati formati o persistono tuttora, nonché dalle conseguenze pratiche che tali posizioni hanno in ambito pastorale e ministeriale.“ 103 Paulus VI., Const. Apost. „Regimini Ecclesiae universae“ de Romana Curia vom 15.08.1967 (= REU), in: AAS 59 (1967), S. 885 – 928, mit dt. Übersetzung abgedr. in: Kurienreform (= NKD, Bd. 10), Trier 1968, S. 62 – 159. 104

Vgl. Nr. 106 REU.

105

Congr. DocFid, Nova agendi ratio in doctrinarum examine vom 15.01.1971, in: AAS 63 (1971), S. 234 – 236, mit dt. Übersetzung abgedr. in: Heribert Heinemann, Lehrbeanstandung in der katholischen Kirche. Analyse und Kritik der Verfahrensordnung (= Canonistica, Bd. 6), Trier 1981, S. 82 – 87. 106

Vgl. Art. 18 Agendi Ratio 1971.

107

Secretaria Status, Normae: Ordinatio generalis Curiae Romanae approbata promulgatur. Regolamento Generale della Curia Romana vom 22.02.1968, in: AAS 60 (1968), S. 129 – 176. – Im RegolamentoCR 1999 ist in den einschlägigen Bestimmungen (Artt. 107 – 113) eine entsprechende Norm nicht enthalten; vgl. Secretaria Status, Rescriptum ex Audientia SS.mi quo Ordinatio generalis Romanae Curiae foras datur vom 30.04.1999, in: AAS 91 (1999), S. 629 f.; Regolamento generale della Curia Romana, in: AAS 91 (1999), S. 630 – 699. 108 109

Vgl. Art. 122 Abs. 2 RegolamentoCR 1968.

Vgl. z. B. Heribert Schmitz, Rechtsschutz und kanonisches Dienstrecht, in: Ius sacrum. Klaus Mörsdorf zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Audomar Scheuermann / Georg May, München / Paderborn / Wien 1969, S. 745 – 763, hier S. 756.

„Katholischer Theologe“

393

Gegen diese Rechtslage wurden erhebliche Bedenken geltend gemacht.110 Durch die Bestimmungen des CIC von 1983 und der Neuordnung der Römischen Kurie von 1987 hat sich die Rechtslage geändert. Denn gemäß c. 333 § 3 CIC ist nur gegen eine Entscheidung des Papstes, sei es in Form eines Urteils (sententia) oder eines Dekrets (decretum), eine Appellation und ein Rekurs an eine andere Instanz ausgeschlossen, da der Papst die Letztinstanz ist. Auch im Hinblick auf die Bestimmung der Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen von 1990, daß nur den „ausdrücklich“ vom Papst approbierten Dokumenten eine besondere Rechtsverbindlichkeit zukommt111, stellt sich die Frage, ob wirklich jede päpstliche Approbation einer Entscheidung einer Behörde der Römischen Kurie, die dem Papst zur Approbation vorzulegen ist112, die Möglichkeit eines Rekurses an die Apostolische Signatur ausschließt, oder ob das nur für „ausdrücklich“ approbierte Akte, also für solche Entscheidungen gilt, die „in forma specifica“ vom Papst approbiert sind, weil allein ihnen dadurch eine besondere Rechtsqualität zukommt113. Lediglich gegen Sanktionen, die von der Kongregation für die Glaubenslehre gemäß der Verfahrensordnung für die Lehrprüfung von 1997 als Tatstrafe eingetreten festgestellt wurden114, ist ein Rekurs nicht zugelassen, da diese Norm der Verfahrensordnung vom Papst „in forma specifica“ ausdrücklich approbiert worden ist.

110

Vgl. z. B. Heinemann, Lehrbeanstandung in der katholischen Kirche (Anm. 105), S. 36 – 38. 111

Art. 18 Instr. (Anm. 53).

112

Vgl. Art. 18 Abs. 1 PastBon.

113

Zur Problematik der Approbation „in forma specifica“ vgl. die kritischen Ausführungen von Bruno Primetshofer, Approbatio in forma specifica. Überlegungen zur Normentypik im kanonischen Recht, in: AfkKR 169 (2000), S. 408 – 432. 114

Vgl. Art. 28 Agendi ratio 1997.

Das Problem der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zwischen Staat und Kirche im Verwaltungsverfahren Von Nikolaus Schöch I. Die Natur der von den kirchlichen Behörden ausgeübten öffentlichen Gewalt Komplexität und Umfang der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen in den deutschsprachigen Ländern stehen staatlichen Behörden kaum nach und fallen gänzlich aus dem weltkirchlichen Rahmen1. Die Effizienz des deutschen Kirchensteuersystems machte eine solche Entwicklung erst finanzierbar. Ebenso wie andere juristische Personen öffentlichen Rechts können die katholischen Diözesen und die evangelisch-lutherischen Landeskirchen privatrechtlich handeln, in dem sie etwa Verträge abschließen. Sie können jedoch auch öffentlich-rechtlich in Ausübung ihrer öffentlichen Aufgaben tätig werden. Dabei handeln sie jedoch nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des § 90, Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BverfGG)2. Ist die Kirche nur im innerkirchlichen Bereich tätig geworden, liegt kein Akt öffentlicher Gewalt vor, gegen den der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet wäre3. So wurde die Verfassungsbeschwerde einer Kirchengemeinde gegen

1 Vgl. Klaus Lüdicke, Möglichkeit und Notwendigkeit einer partikularrechtlichen kirchlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland, in: DPM 6 (1999), S. 56. 2

Vgl. Josef Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, in: Joseph Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, hg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 25), Berlin 1996, S. 799; der diesbezügliche Artikel des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BverfGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) lautet: „Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben“. 3

Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Februar 1990, in: AkathKR 159 (1990), S. 274; Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit: über die Frage nach der staatlichen Kompetenz zur Rechtsschutzgewährung im Wirkungsbereich

396

Nikolaus Schöch

den ihre Teilung anordnenden Beschluss der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau als unzulässig verworfen, weil die Teilungsanordnung einer kirchlichen Oberbehörde eine rein innerkirchliche Maßnahme sei und im staatlichen Bereich keine unmittelbare Wirkung entfalte, weshalb sie nicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG) geprüft werden könne.4 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wird den Kirchen durch Art. 140 GG ein Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht mit der Folge garantiert, dass die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfaltenden Regelungen oder Maßnahmen der Kirchen keiner Überprüfung durch staatliche Gerichte zugängliche Akte „öffentlicher Gewalt“ i. S. von Art. 19, Abs. 4 GG sind5. Der Kernbereich der kirchlichen Tätigkeit, das religiös-sakrale Handeln, wird zwar von Kirche und Staat dem öffentlichen Recht zu geordnet6, beinhaltet jedoch nicht die Ausübung öffentlicher Gewalt im genannten Sinne, weshalb er von vorneherein der Kompetenz der staatlichen Gerichte entzogen ist7. Während im Falle eines privatrechtlichen Handelns der Diözesen oder der Landeskirchen für eine Klage die ordentlichen Gerichte zuständig sind, kann gegen das öffentlich-rechtlich gesetzte Verwaltungshandeln in Ausübung der Leitungsgewalt nach Bitte um Rücknahme der Entscheidung von Seiten der ausstellenden Behörde grundsätzlich nur der innerkirchliche Rechtsweg eingeschlagen werden. Es steht damit das Verfahren der Verwaltungsbeschwerde offen, welches für die katholische Kirche in den cann. 1732 – 1739 beschrieben ist. Die Besonderheit im Verfahren der Verwaltungsbeschwerde innerhalb der katholischen Kirche liegt darin, dass der hierarchische Rekurs gegen die Verwaltungsentscheidung nicht unmittelbar bei einem Verwaltungsgericht eingebracht werden kann, sondern zunächst als Widerspruch bei jenem Verwaltungsorgan einzulegen ist, welches die Entscheidung erließ. Im Falle der Ablehnung des Rekurses steht der Rechtweg an dessen hierarchischen Oberen, wieder ein Verwaltungsorgan, d. h. im Normalfall die nach sachlichen Ge-

der Kirchen und Religionsgemeinschaften (= Jus ecclesiasticum, Bd. 41), Tübingen 1991, S. 131. 4

Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 800.

5

Vgl. Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 316/78, Beschluss vom 28. November 1978, in: ZevKR 24 (1979), 387 – 388 und Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 356/79, Beschluss vom 6. April 1979, in: ZevKR 24 (1979), S. 389 – 390. 6

Vgl. Werner Thieme, Die Zuständigkeit staatlicher Gerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Kirchen und ihren Mitgliedern, in: Archiv für öffentliches Recht 80 (1955/56), S. 426; Wolfgang Rüfner, Zuständigkeit staatlicher Gerichte in kirchlichen Angelegenheiten, in: HdbStKirchR2, S. 1092. 7

Vgl. Wolfgang Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1086.

Problem der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zwischen Staat und Kirche

397

sichtspunkten zuständige Kongregation des Apostolischen Stuhls, offen und erst dann an das einzige auch für den deutschsprachigen Raum zuständige Verwaltungsgericht, die Apostolische Signatur. Um anfechtbar zu sein, muss der hoheitliche Verwaltungsakt im konkreten Fall die juristische Situation des Untergebenen unmittelbar verändern, was auf Dekrete und Verwaltungsbefehle sicher zutrifft, bei Reskripten jedoch fraglich ist8. Nicht auf dem kirchlichen Verwaltungsrechtsweg anfechtbar sind allgemeine Verwaltungsakte wie von einem Verwaltungsorgan erlassene allgemeine ausführende Ausführungsverordnungen und Verwaltungsverordnungen9, Satzungen und Ordnungen10. Die Kontrolle partikularrechtlicher Vorschriften oder im Ordensrecht der Normen des Eigenrechts kann nicht auf dem Weg der Verwaltungsbeschwerde erfolgen. So hat die Schlichtungsstelle einer Diözese gegenüber der damaligen Mitarbeitervertretung der Religionslehrer mit Beschluss vom 11. November 1996 die Zulässigkeit einer „abstrakten Normenkontrolle gegen ein bischöfliches Gesetz“ verneint, ebenso auf Anfrage des Beschwerdeführers das Höchstgericht der Apostolischen Signatur mit Schreiben vom 8. Februar 1997.11 Während der Rechtsweg klar ist, sofern kirchliche Einrichtungen Akte der staatlichen Verwaltung anfechten, so ist er hingegen unklar, wenn umgekehrt Entscheidungen der kirchlichen Verwaltung angefochten werden. Genau darum geht es im folgenden Beitrag. Es soll untersucht werden, wann allein der staatliche Rechtsweg, wann der staatliche oder der kirchliche alternativ und wann lediglich der kirchliche Rechtsweg eingeschlagen werden kann. Dabei sieht speziell die katholische Kirche den Weg zu staatlichen Verwaltungsgerichten gegen Entscheidungen ihrer Verwaltung als unzulässig an, was umgekehrt auf Seiten der staatlichen Gerichte nicht immer der Fall ist. Selbstverständlich ist der Verwaltungsrechtsweg nicht für privatrechtliche Streitigkeiten zulässig. Es geht bei ihm vielmehr um Entscheidungen der öffentlichen Gewalt der Kirche, was umgekehrt nach kirchlicher Auffassung noch keineswegs bedeutet, dass tatsächlich in irgendeiner Weise vom Staat abgeleitete öffentliche Gewalt ausgeübt wird. Da die Großkirchen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, liegt im Falle einer Zulässigkeit des staatlichen Rechtswegs eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von

8

Vgl. Hans Heimerl, Der hierarchische Rekurs (can. 1732 – 1739 CIC), in: ÖAKR 35 (1985), S. 159 – 160. 9

Vgl. cann. 31 – 34.

10 11

Vgl. cann. 94 – 95.

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Az. 7N97.98, Urteil vom 22. April 1998, in: ZevKR 44 (1999), S. 549.

Nikolaus Schöch

398

§ 40 der Deutschen Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 21. Januar 1960 zuletzt geändert am 20. Dezember 2001 vor12, weshalb der Verwaltungsrechtsweg einzuschlagen ist13. Nur in diesen Fällen kommen Verfassungsbeschwerden14 gegen kirchliche Rechtsakte grundsätzlich in Betracht15. Bundesgerichtshof und, mit Einschränkungen, das Bundesverwaltungsgericht halten die staatlichen Gerichte nur bei freiwilliger Annahme eines staatlichen Angebots für zuständig. Deshalb ist der Verwaltungsrechtsweg auch dann nicht gegeben, wenn das Dienstverhältnis der Geistlichen öffentlichen Rechts ist16. Zur Abgrenzung des staatlichen vom kirchlichen Rechtsweg bedient sich das Bundesverfassungsgericht rechtstechnisch der Bereichslehre: die Kirchen sind im innerkirchlichen Kernbereich an die Schranken des für alle geltenden Gesetzes nicht gebunden In anderen Fällen findet die Abwägungslehre und darüber hinaus noch die Jedermann-Klausel Anwendung: nach dieser Klausel fällt eine Rechtsnorm nur dann unter das für alle geltende Gesetz, wenn sie für die Kirche dieselbe Bedeutung hat wie für den Jedermann, d.h. „... wenn sie die Kirche nicht in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also nicht anders als den normalen Adressaten trifft“17. Trotz etwaiger äußerlicher Affinität sind die Rechts- und Gestaltungsformen der Kirchen nur formal, nicht aber materiell öffentlich-rechtlich im Sinne der Kategorien der staatlichen Rechtsordnung zu verstehen, da diese nicht ohne weiteres auf kirchenrechtliche Begriffe angewandt werden können18. Dennoch bestehen Ausnahmen im Bereich des kirchlichen Dienstrechts19, bei denen der deutsche Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertritt, dass dort die Kirche keine öffentliche Gewalt im Sinne des Grundgesetzes ausübt, weshalb Verfassungsbeschwerden nicht zugelassen wer-

12

BGBl I S. 3987.

13

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1100.

14

Vgl. Art. 93, I, Abs. 4 GG; § 90, Abs. 1 BVerfGG.

15

Vgl. Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch (= Kurzlehrbücher für das juristische Studium), München 19963, S. 375. 16

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1100.

17

Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 792.

18

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 127. 19

Unter Dienstrecht sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Kirchen, wozu auch die Geistlichen gezählt werden, gemeint. Nicht eingeschlossen sind die privatrechtlich angestellten Mitarbeiter (vgl. „Dienstrecht“, in: Creifelds Rechtswörterbuch, begründet von C. Creifelds, hg. von K. von Weber, München 151999, S. 311).

Problem der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zwischen Staat und Kirche

399

den20. Als Bestandteil ihres Selbstbestimmungsrechts können Kirchen sowohl sachlich als auch formell unabhängig vom Staat Recht setzen. Diese Befugnis ist aber eindeutig auf den Kreis ihrer Angelegenheiten beschränkt, sie bezieht sich also ausschließlich auf die Ausgestaltung der internen Rechtsordnung21. Die Tätigkeit der Verwaltung und der kirchlichen Gerichte unterliegt keinem staatlichen Einfluss und keiner staatlichen Kontrolle22. Eine allgemeine Funktionsaufsicht des Staates hinsichtlich der Wahrnehmung der öffentlichrechtlichen Handlungsmöglichkeiten ist unzulässig. Der öffentlich-rechtliche Status legitimiert keine kirchenhoheitlichen Befugnisse23. II. Die ausschließlich kirchliche Regelungskompetenz für die inneren Angelegenheiten Seit dem GG von 1949 ist die Emanzipation der Kirchen aus der Kirchenhoheit des Staates Gemeingut von Wissenschaft und Rechtssprechung24. Seit den staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen des Kirchenkampfs halten die Kirchen subordinationsrechtliche Strukturen im Staatskirchenrecht für nicht mehr zulässig und sind umgekehrt bereit, dafür auf nicht wenige staatskirchenrechtliche Privilegien zu verzichten. Dabei ist festzuhalten, dass die Kirchen gar keine grundsätzliche Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit beanspruchen. Der größte Teil der kirchlichen Streitsachen bereitet im Hinblick auf die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte zur Streitentscheidung keinerlei Probleme25. Die Trennung von Staat und Kirche bedarf, wie es in der Präambel des Kirchenvertrages von Mecklenburg-Vorpommern von 199426 heißt, vertraglicher 20

Vgl. Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 316/78, Beschluss vom 28. November 1978, in: ZevKR 24 (1979), S. 387 – 388; Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 356/79, Beschluss vom 6. April 1979, in: ZevKR 24 (1979), 389 – 390. 21

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 128. 22

Vgl. Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (= Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Beiheft 6), Essen 1992, S. 201. 23 Vgl. Alfred Albrecht, Die mittelbare Kirchenverwaltung. Rechtslehre und Staatspraxis, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist: Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, hrsg. von Josef Isensee (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 33), Berlin 1999, S. 465. 24

Vgl. Martin Heckel, Gesammelte Schriften: Staat Kirche, Recht, Geschichte, hg. von Klaus Schlaich (= Ius ecclesiasticum, Bd. 58), Tübingen 1997, Bd. 4, S. 1032. 25 26

Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 794.

Vgl. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Land Schleswig-Holstein vom

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Beziehungen im Geist freiheitlicher Partnerschaft27. Bei der Abgrenzung der innerkirchlichen Angelegenheiten ist vom Selbstverständnis der betroffenen Religionsgemeinschaft auszugehen28. Allein die Kirchen sind in ihrem Selbstbestimmungsrecht befugt, Maßstäbe für das Verhalten ihrer Mitglieder festzulegen, die sie auf Grund ihres Selbstverständnisses für erforderlich erachten29. Das Bundesverfassungsgericht geht bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung eindeutig vom Verständnis der Kirche aus. Aus dem Selbstverständnis der Kirche ergeben sich der Auftrag, die innere Ordnung sowie die Abgrenzung ihrer inneren Angelegenheiten30. Innere Angelegenheiten entspringen nicht staatlicher Hoheitsgewalt, sondern einer den Kirchen eigenen, ihrerseits originären Gewalt, die nicht staatlich ist31. „Formell ist innere und äußere kirchliche Angelegenheit das, was der Staat hiefür erklärt. Materiell ist der Staat verpflichtet, diese Festsetzung so zu treffen, dass der Kirche nicht bloß das Glaubens- und Gewissensgebiet und die Art des Gottesdienstes überlassen, sondern ihr auch für die Bereiche des äußeren Lebens und der weltlichen Einrichtungen die für eine gedeihliche Entwicklung nötige Freiheit und Selbstbestimmung gewahrt bleibt“32. Auch der österreichische Verwaltungsgerichtshof folgt bei der Interpretation von Art. 15 des Staatsgrundgesetzes von 1867 (StGG) demselben Grundsatz: „Der Bereich der ‚inneren Angelegenheiten‘ ... ist daher nur unter Bedachtnahme auf das Wesen der Religi-

22. September 1994 über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg, in: AkathKR 163 (1994), 570. 27 Vgl. Axel Frhr. v. Campenhausen, Die Trennung von Staat und Kirche in Deutschland und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, in: ZevKR 47 (2002), S. 362. 28

Vgl. Stefan Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung: die verfassungsrechtlichen Garantien religiöser Freiheit unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 29), Berlin 1997, S. 192. 29

Vgl. Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 16), S. 382. Für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der Schweiz vgl. Paul Weibel, Das Selbstbestimmungsrecht der Römisch-Katholischen Kirche: eine staatskirchenrechtliche Studie am Beispiel des Kantons Schwyz (= Adnotationes in ius canonicum, Bd. 17), Frankfurt am Main [u.a.], 2003. 30

Vgl. Willi Geiger, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, in: ZevKR 26 (1981), S. 160. 31 32

Vgl. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 22), S. 200.

Abgedruckt in: Gesetze und Verordnungen in Cultussachen : erläutert durch Motiven- und Ausschuß-Berichte der wichtigeren Reichsgesetze, die Entscheidungen des k.k. Verwaltungsgerichtshofes, des k.k. Reichsgerichtes und des k.k. Obersten Gerichtshofes / mit Benützung von theilw. ungedr. Materialien, zusammengestellt von Max Burckhard, Wien 18953, Bd. II, 18.

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onsgesellschaften nach deren Selbstverständnis erfassbar. Insbesondere zählt zu den ‚inneren Angelegenheiten‘ auch die Frage der Mitgliedschaft zur anerkannten Religionsgesellschaft“33. Die in Art. 15 StGG enthaltene Formel von der selbständigen Ordnung der inneren Angelegenheiten geht auf die Texte der Frankfurter Paulskirche aus dem Jahr 1848 zurück34. Aus dem Grundprinzip der selbständigen Ordnung der inneren Angelegenheiten, welches zweifellos auch für die Bundesrepublik Deutschland gilt, folgt, dass die staatliche Autorität weder im Wege der Gesetzgebung noch durch Akte der Vollziehung in die inneren Angelegenheiten der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften eingreifen darf35. Für Italien sieht vergleichsweise Art. 1 des Konkordats von 1984 vor, dass Staat und Kirche jeweils in ihrem eigenen Bereich unabhängig und souverän sind36. Der Staat verpflichtet sich, mit seiner gesetzgeberischer, gerichtlichen und exekutiven Tätigkeit nicht in den innerkirchlichen Bereich einzudringen37. Da die staatlichen Gerichte nicht in der Lage sind, das Selbstverständnis der einzelnen Kirche und ihre kirchenrechtlichen Normen ausreichend zu kennen, um sie entsprechend anzuwenden, obliegt ihnen kein Definitionsgebot, sondern ein Definitionsverbot.38 In der Literatur wird vielfach weniger das Selbstverständnis als der vom staatlichen Recht gelassene normfreie Raum betont, den die Kirchen mit ihrer eigenen Gesetzgebung ausfüllen können. Nur dort könne sich die kirchliche Gerichtsbarkeit ohne staatliche Einschränkung entfalten39. Dabei kann durchaus

33

Verwaltungsgerichtshof (Österreich), Geschäftszahl 98/08/0144, Erkenntnis vom 22. Januar 2003, http://www.ris.bka.gv.at/vwgh/. 34

Vgl. Deutsches Reich, Verfassung vom 28. März 1849, § 147: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“, http://www.verfassungen.purespace.de/verfassung48.htm. 35

Vgl. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 22), S. 197.

36

Vgl. Gian Paolo Montini, Il ricorso all’autorità giudiziaria civile nei processi matrimoniali canonici. Una valutazione giuridica a partire dalle disposizioni concordatarie italiane, in: Quaderni di diritto ecclesiale 16 (2003), S. 132. 37 Vgl. Sergio Lariccia, Giurisdizione ecclesiastica, in: Enciclopedia del Diritto, hrsg. von Francesco Calasso, 42 Bde., Milano 1958 – 1994, Bd. 19, S. 482. 38

Vgl. Georg Neureither, Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht: das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als Grundlage des staatskirchenrechtlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 37), Berlin 2002, S. 175. Autoren, die diese Ansicht vertreten, werden in Fußnote Nr. 178 auf Seite 176 aufgezählt. 39

Vgl. Karin Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit, in: Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven, hrsg. von Rainer

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die Auffassung geteilt werden, dass der staatliche Justizgewährungsanspruch nicht im Gegensatz zur Garantie des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen steht, sondern zu seiner Gewährung und Entfaltung innerhalb des staatlichen Rechtsschutzbereichs beiträgt40. Gänzlich der staatlichen Rechtsprechung sind Fragen der kirchlichen Lehre entzogen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. Mai 2000 nicht zugelassen, welches die Klage eines ehemaligen katholischen Priesters gegen das Erzbistum München und Freising abgewiesen hatte. Dieser hatte beantragt, es dem Erzbistum zu untersagen, sich „christlich“ zu nennen und sich als Institution auf Jesus von Nazareth zu berufen. Die Abweisung der Klage wurde damit begründet, dass sie sich auf zentrale Glaubensaussagen der katholischen Kirche beziehe, die zum kirchlichen Autonomiebereich gehörten und nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit unterlägen. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Berufung auf Jesus Christus und die Bezeichnung des Beklagten als „christlich“ wurde zu Recht dem Bereich der rein innerkirchlichen Angelegenheiten zugeschrieben. Auch das behauptete postmortale Persönlichkeitsrecht und die daraus folgende Befugnis, im Namen des Klägers zu handeln, stehe diesem nicht zu41. Die kirchliche Gerichtsbarkeit stellt kein staatliches Privileg dar, sondern es handelt sich um eigene ursprüngliche im inneren Bereich wirkende Rechtsprechung „... durch die festgestellt wird, was kraft kirchlichen Rechts zwischen der Kirche und ihren Angehörigen Rechtens ist“42. Ihr Bestand und ihre Funktion beruht auf eigenständigem Recht der Kirchen und ist nicht vom Staat abgeleitet43. Dies liegt einerseits daran, dass die Kirchen keine öffentliche Gewalt im Sinne staatlicher Gerichte ausüben, zum anderen, dass ihre Urteile im staatlichen Bereich nicht direkt vollstreckbar werden. Kirchen und damit auch ihre Gerichte verfügen über eine eigene, nichtstaatliche, originär kirchliche Gewalt44. Auch andere als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaften, wie die Jüdische, machten von diesem Recht Gebrauch und Grote - Thilo Marauhn (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 146), Berlin [u.a.] 2001, S. 474. 40

Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 482. 41

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluß vom 11. Januar 2001, Pressemitteilung vom 19. Januar 2001, http://www.vgh.bayern.de/vgh/. 42

Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 397. 43

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 167. 44

Vgl. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 22), S. 199.

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bildeten eine Gerichtsbarkeit, der ihre Mitglieder kraft Satzungsrechts unterworfen sind. Unter anderem gehört hierzu das Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Das Verfahren selbst regeln die Religionsgemeinschaften auf der Grundlage ihres Selbstbestimmungsrechts. Eine Beschwerde gegen diese Verfahrensregeln hat kaum Aussicht auf Erfolg, wie jüngste Beschlüsse staatlicher Gerichte zeigen45, selbst wenn die Verfahrensregeln durchaus von der staatlichen Verwaltungsverfahrensordnung abweichen. So verstößt etwa der Ausschluss der evangelischen Kirche nicht angehöriger Rechtsanwälte von der Vertretungsvollmacht gemäß § 61 Abs. 3 des Mitarbeitervertretungsgesetzes der evangelischen Kirche in Deutschland46 nicht gegen höherrangiges staatliches Recht, sondern ist Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses in einem Bereich, den die Kirchen aufgrund ihres von der Verfassung garantierten Selbstbestimmungsrechts nach ihren eigenen Vorstellungen ordnen und verwalten können. Die Antragstellerin müsse deshalb die Beschränkung des von ihr in Anspruch genommenen Rechts der freien Anwaltswahl hinnehmen47. III. Die Frage der Kompetenzentscheidung In der Lehre wird vielfach die Ansicht vertreten, es stehe dem staatlichen Gericht zu, festzustellen, ob eine innerkirchliche Angelegenheit betroffen sei oder nicht48. Dabei stehen das Rechtsprechungsmonopol und der Justizgewährungsanspruch des Staates nicht in normativem Gegensatz zur Garantie des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften, sondern dienen auch zu seiner Entfaltung innerhalb des staatlichen Rechtsbereichs und dessen Rechtschutzsystems49. Nicht annehmbar ist demnach die vom Gedanken der Kirchenhoheit des Staates geprägte Ansicht, wonach die Kompetenzentscheidung allein durch den Staat erfolgen kann. Diese Ansicht wird meist damit begründet, dass die Kirchen dem Staat nicht im Koordinationsverhältnis gegenüberstehen, sondern ihm im Subordinationsverhältnis unterstellt sind: „Diese ein-

45

Vgl. Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluß vom 12. Mai 1999, in: AkathKR 168 (1999), S. 262. 46

Mitarbeitervertretungsgesetz der evangelischen Kirche in Deutschland vom 6. November 1992 in der Fassung vom 6. November 1996. 47 Vgl. Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der EKD, Beschluß vom 10. Juli 1997, in: ZevKR, Band 43 (1998), S. 264 – 265. 48

Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 478. 49

Vgl. Heckel, Gesammelte Schriften (Anm. 24), Bd. 4, S. 1036.

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deutig subordinationsrechtlich geprägte Beantwortung des Problems formeller Rechtsprechungskompetenz ergibt sich zwingend aus der Einbettung der Kirchensachen in das übrige vom Grundgesetz vorgegebene System der Zuordnung von Staat und Gesellschaft, denn effektiver Rechtsschutz unter dem Grundgesetz kann nur durch staatliche Gerichte gewährleistet werden, letztlich nicht als religiöse Eigenaufgabe angesehen werden“50. Der erwähnten Ansicht nach kann auch die Letztentscheidung darüber, ob innerkirchliche Fragen sich in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes bewegen, nur durch den Staat und dessen Gerichte erfolgen. Die radikalen Vertreter dieser Ansicht gehen sogar so weit zu behaupten, dass die Ablehnung einer Klage wegen Unzulässigkeit grundsätzlich nicht möglich sei, da erst im Verfahren selbst festgestellt werden könne, ob der Staat weltliche Positionen seiner Bürger auch den Kirchen gegenüber schützen müsse oder nicht51. Zu Recht lehnt die Rechtsprechung diese restlose staatliche Kontrolle kirchlicher Verwaltungs- und Rechtssprechungstätigkeit ab52. An die Stelle der Subordination ist vielmehr ein Koordinationsverhältnis von Kirche und Staat getreten. Dies bedeutet, dass der staatliche und der kirchliche Rechtskreis mit je eigenem Geltungsanspruch einander in einer Gleichordnung gegenüberstehen. Es bedarf deshalb der wechselseitigen Respektierung und Bedachtnahme aufeinander, der Koordination, der Verständigung und der Kooperation. Unter Beibehaltung dieses Vorverständnisses sind auch die staatskirchenrechtlichen Vorschriften des GG auszulegen53. Es muss daher betont werden, dass der Inhalt des Begriffs der inneren Angelegenheiten nicht aus staatlicher Kompetenzzuweisung resultieren kann. Es ist Sache der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften, staatsfreie und staatsfremde Materien in Anspruch zu nehmen54, was nicht durch alle in gleicher Weise erfolgt. Das bedeutet keineswegs, dass die staatliche Justizhoheit durch Exemtionen, Immunitäten und Bereichstrennungen durchlöchert werden soll55. Der Staat muss die Durchsetzung der Rechtsansprüche seiner Bürger, die im

50

Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 476. 51 Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 474. 52

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, BverwG 2 C 38.81, Urteil vom 25. November 1982, in: ZevKR 28 (1983), 421. 53

Vgl. Geiger, Die Rechtsprechung (Anm. 30), S. 159.

54

Vgl. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 22), S. 199.

55

Vgl. Heckel, Gesammelte Schriften (Anm. 24), Bd. 4, S. 1045.

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weltlichen Bereich von Belang sind, gegen jedermann, auch gegen die Kirchen schützen. Von vielen kirchenrechtlichen Ansprüchen nimmt weltliches Recht nicht einmal Notiz56: z. B. Sakramentenspendung, Lehräußerungen, Organisationsakte etc. In diesem Bereich verzichten die staatlichen Gerichte grundsätzlich auf die Gewährung von Rechtsschutz. Es wäre unhaltbar, in diesen Fällen die Zulassung der Klage zu erwarten, wie manche Autoren vorschlagen, und dann erst im Verfahren selbst den innerkirchlichen Charakter des Rechtsstreits zu prüfen57. Umgekehrt gibt es zweifellos Grenzfälle bei denen durch die Verlagerung der Frage von der Begründetheitsprüfung auf die Zulässigkeitsprüfung manche staatskirchenrechtlichen Probleme nivelliert werden58. Die Frage, ob ein Pfarrer in entscheidenden Punkten die kirchliche Lehre nicht beachtete und deshalb keine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst mehr ausüben kann, bleibt im innerkirchlichen Bereich59. Auch der Hinweis, es handle sich um res mixtae, ist antiquiert. Entweder gehört eine Angelegenheit nach ihrem Verständnis in den inneren Bereich der Religionsgemeinschaft, und wird daher von ihr selbst geordnet und verwaltet, oder sie zählt nach ihrem Verständnis nicht zu ihren Angelegenheiten, dann steht sie der Regelung durch den staatlichen Gesetzgeber offen und kann nur nach Maßgabe des staatlichen Gesetzes verwaltet werden. Es gilt das Prinzip: tertium non datur.60 IV. Die Subsidiarität der staatlichen Rechtsprechung Eine Abgabe von staatlichen Kompetenzen an kirchliche Gerichte widerspricht Art. 92 GG mit dem dort verankerten Justizmonopol des Staates61, denn es kann kein kirchliches Gericht als Gericht im Sinne des Art. 92 GG betrachtet werden62. Art. 92 ist es auch nicht zu entnehmen, dass der Staat seine Rechtsprechungskompetenz an kirchliche Gerichte delegieren könne. Aus dem Justizmonopol folgt jedoch nicht, dass auch in kirchlichen Angelegenheiten kein Ausschluss staatlicher Gerichtsbarkeit bei Bestehen eines kirchlichen Rechts-

56

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1085.

57

Vgl. Heckel, Gesammelte Schriften (Anm. 24), Bd. 4, S. 1045.

58

Vgl. Heckel, Gesammelte Schriften (Anm. 24), Bd. 4, S. 1028.

59

Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 798.

60

Vgl. Geiger, Die Rechtsprechung (Anm. 30), S. 161 – 162.

61

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 169; Heckel, Gesammelte Schriften (Anm. 24), Bd. 4, S. 1039. 62

Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 483.

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wegs möglich sei63. So beschloss der zweite Senat des Verfassungsgerichtshofs am 18. September 1998: „Wenn und soweit die Kirchen die Möglichkeit geschaffen haben, Rechtsstreitigkeiten von einem kirchlichen Gericht beurteilen zu lassen, und somit die Gelegenheit besteht, die Streitigkeit im Einklang mit dem kirchlichen Selbstverständnis beizulegen, gebietet die verfassungsrechtlich geschuldete Rücksichtnahme gegenüber diesem Selbstverständnis den staatlichen Gerichten, über Fragen des kirchlichen Dienstrechts nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze und in Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs jedenfalls nicht vor Erschöpfung des insoweit gegebenen kirchlichen Rechtswegs zu entscheiden“64. Da dieses Urteil aus dem Jahr 1998 stammt, ist die Ansicht, die Subsidiaritätstheorie wäre nur von der älteren Rechtssprechung vertreten worden, unhaltbar65. Derselben Ansicht folgen auch in der jüngeren Judikatur keineswegs nur der Verfassungsgerichtshof, sondern auch der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht66. Der kirchlichen Gerichtsbarkeit, und im Fall des Dienstrechts konkret der Verwaltungsbeschwerde, kommt damit große Bedeutung zu, insofern das Rechtsschutzbedürfnis vor den staatlichen Gerichten entfallen kann, solange die Möglichkeit des innerkirchlichen Rechtsschutzes nicht in Anspruch genommen wurde. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass der kirchliche Rechtschutz innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens gewährt werden kann67. In der Lehre hingegen gehen die Meinungen zum Subsidiaritätsprinzip weit auseinander und reichen von dessen grundsätzliche Ablehnung68 bis zu dessen grundsätzlicher Annahme69. Abzulehnen ist das Subsidiaritätsprinzip für den engeren Eigenbereich der Kirchen: Dort gibt es keine Gründe, die es rechtfertigen, von einer Notzuständigkeit der staatlichen Gerichte auszugehen, da diese Entscheidungen die staatlichen Interessen nicht tangieren, sondern nur die inne63

Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 482. 64

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1476/94, Urteil vom 18.9.1998, Absatz-Nr. 29, http://www.bverfg.de/. 65

Vgl. Heckel, Gesammelte Schriften (Anm. 24), Bd. 4, S. 1033.

66

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 161. In Fußnote 7 findet sich eine Liste der einschlägigen Gerichtsentscheidungen. 67

Vgl. Axel Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 24), Berlin 1994, S. 311. 68

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1114; Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 162. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 484. 69

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1115.

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re Organisationsstruktur, die Lehre und die Ordnung des Gottesdiensts betreffen. In Bezug auf die Ordnung der jüdischen Gemeinde wies das Oberlandesgericht Frankfurt im Jahr 1999 ausdrücklich die erhobenen Verfahrensrügen gegen das Verfahren innerhalb der Religionsgemeinschaft zurück. Sollten einzelne Mängel tatsächlich zutreffen, wären sie „... innerhalb der Religionsgemeinschaft einer Reform von der Basis aus zugänglich“70. Eine konkurrierende Zuständigkeit kirchlicher und staatlicher Organe im Fall einer Verwaltungsbeschwerde würde mangels Präventionsprinzips zur schwer haltbaren Folge gleichzeitig geführter Verfahren und unter Umständen entgegengesetzter Entscheidungen führen, die im Gegensatz zum Prinzip Ne bis in idem stehen. Wegen der Vollstreckbarkeit durch staatliche Vollzugsorgane hat die staatliche Entscheidung wohl das größere Gewicht. Eine konkurrierende Zuständigkeit mit Präventionsprinzip findet sich etwa in Italien bei Streitigkeiten in Bezug auf den Klerusunterhalt. Hier rief der Oberste Kassationsgerichtshof den bekannten Grundsatz in Erinnerung: „Electa una via, non datur transitus ad alteram“. Wer bereits den kirchlichen Rechtsweg gegangen ist, kann nicht denselben Anspruch vor dem staatlichen Gericht geltend machen und umgekehrt. Ebenso wenig ist bei Zwischensachen ein Übergang zu einer anderen Jurisdiktion denkbar71. V. Kirchliche Strafbestimmungen für Klagen bei staatlichen Gerichten Gegen Verwaltungsakte für den Einzelfall bietet die kirchliche Rechtsordnung die Möglichkeit einer Verwaltungsbeschwerde gemäß cann. 1732 – 1739. In den vergangenen Jahren häuften sich im Bereich der katholischen Kirche vor allem in den USA und Deutschland Fälle, in denen die Beschwerdeführer zunächst den Zivilrechtsweg einschlugen72. Dabei wurde die Klage durch das staatliche Gericht, wenn nicht bereits bei der Zulässigkeitsprüfung, so zumindest bei der Begründetheitsprüfung abgelehnt. Erst dann schlugen die Beschwerdeführer den kirchlichen Rechtsweg ein. Die Kirche ihrerseits betrachtet die Wahl des Zivilrechtswegs bei klarer kirchlicher Zuständigkeit nicht nur nach can. 1401 als illegitim, sondern gemäß can. 1375 sogar als strafbar. Auf jeden Fall führt die Wahl des Zivilrechtswegs und die Einlegung der Verwaltungsbeschwerde erst nach dessen Scheitern zum Überschreiten der 70

Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluß vom 12. Mai 1999, in: AkathKR 168 (1999), S. 262. 71 72

Vgl. Montini, Il ricorso all’autorità giudiziaria civile (Anm. 36), S. 143.

Vgl. Frans Daneels, Soppressione, unione di parrocchie e riduzione ad uso profano della chiesa parrocchiale, in: La parrocchia, hrsg. von Raffaelo Funghini (= Studi giuridici, Bd. 43), Città del Vaticano 1997, 108.

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Fristen für die kirchliche Verwaltungsbeschwerde. Die häufige Entschuldigung bei verspäteter Einlegung des Widerspruchs, man hätte von der Möglichkeit einer kirchlichen Verwaltungsbeschwerde nicht gewusst, wird nicht anerkannt. Wer die nötige Sorgfalt für ein Zivilverfahren aufbrachte, sich einen Anwalt bestellte, die Klage rechtmäßig einlegte, die Beweise vorlegte usw. dem wird vorgehalten werden müssen, er hätte sich mit der gleichen Sorgfalt auch bei der kirchlichen Behörde nach dem möglichen Rechtsweg erkundigen können. Häufig hatten die Beschwerdeführer nicht einmal versucht, genaue Informationen über den kirchlichen Verwaltungsakt selbst und die dagegen möglichen Rechtsmittel einzuholen.73 Anlässlich der Zusammenlegung von Pfarreien in den neunziger Jahren suchten Gläubige oder spontan entstandene Interessengemeinschaften von Gläubigen besonders bei Beschwerden gegen die Aufhebung oder die Zusammenlegung von Pfarreien oder die Entwidmung von Kirchen in den USA ihr Recht nach Erlass oder Vollstreckung des bischöflichen Dekrets zur Zusammenlegung ausschließlich beim in der Sache nicht zuständigen staatlichen Gericht und unterließen bis zu dessen negativer Entscheidung sogar jeglichen Versuch, die kirchlichen Rechtsmittel wenigstens zu kennen. Zudem handelte es sich meist um Gruppen oder Komitees von Gläubigen, denen weder eine Rechtspersönlichkeit zukam noch eine Vertretungsvollmacht von Seiten des Pfarrers übertragen worden war. Eine Zurückweisung des Widerspruchs wegen Fristüberschreitung wird dann sowohl durch die Autorität, welche den Verwaltungsakt erließ, als auch im hierarchischen Rekurs durch die übergeordnete Behörde des Apostolischen Stuhls und schließlich die Apostolische Signatur erfolgen. In diesem Fall muss sich das als hierarchischer Oberer zuständige Vatikanische Dikasterium gar nicht mehr mit der Sachfrage auseinandersetzen. Tatsächlich ist die gemäß can. 1734, § 1 für den Widerspruch gesetzte Nutzfrist von zehn Tagen so kurz, dass es unmöglich ist, innerhalb dieser Frist ein bereits bei der Zulässigkeitsoder Begründetheitsprüfung gescheitertes Verfahren hinter sich zu haben. Sowohl eine Verwaltungsbeschwerde beim staatlichen Verwaltungsgericht als auch eine Zivilklage beim zuständigen staatlichen Gericht führen damit zu einem endgültigen Verlust des kirchlichen Rechtswegs. Zusätzlich sehen zur Abweisung der Beschwerde zwei Urteile der Apostolischen Signatur vom 12. Oktober 1995 ausdrücklich vor: „...recurrentes prius

73

Vgl. Gian Paolo Montini, I ricorsi amministrativi presso il Supremo Tribunale della Segnatura Apostolica. Una ricognizione a partire dai ricorsi in materia di parrocchie e di edifici sacri, in: I giudizi nella Chiesa. Processi e procedure speciali (= Quaderni della Mendola, a cura del Gruppo italiano docenti di Diritto canonico, Bd. 7), Milano 1999, S. 96.

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contra can. 1375 iudicem civilem et nonnisi postea formaliter auctoritatem ecclesiasticam adierunt“74, et: „Recursus interpositus penes auctoritatem civilem ex parte recurrentium reprobatur; Exc.mi Episcopi erit, positis ponendis et servatis servandis, sanctiones poenales adversus eosdem applicare (cf. can. 1375)“75. Die in der Praxis wohl nie durch die kirchliche Autorität verhängte Strafe gemäß can. 1375, welche die Apostolische Signatur androhte, liegt in der Einschränkung der Freiheit der kirchlichen Amtsführung begründet. Häufige Zivilklagen oder Verwaltungsbeschwerden bei staatlichen Gerichten gegen kirchliches Verwaltungshandeln könnten dieses tatsächlich bedeutend hemmen76. VI. Die Verletzung von Schrankengesetzen zur Begründung der Zuständigkeit staatlicher Gerichte Gerade angesichts der zunehmenden Verbreitung nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, die zum Teil Werte vertreten, für die kein Grundkonsens in der Gesellschaft vorhanden ist, ist gegenwärtig auf staatlicher Seite in manchen Bereichen eine neue religionshoheitliche Tendenz erkennbar. Die Einbindung der religiösen Angelegenheiten in ein staatliches Rechtssystem erscheint manchen Autoren vor allem deshalb wichtig, weil gewisse Religionen, wie der Islam, eine ganze Reihe von Vorschriften enthalten, die mit den deutschen Gesetzen unvereinbar sind: z.B. Polygamie, Verschleierung der Frau etc. Es müssen einerseits Religionsfreiheit und Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaften gewahrt bleiben, andererseits bleibt es Aufgabe der staatlichen Gerichte, die Beachtung der Grundrechte und des Rahmens des staatlichen Rechtsordnung zu wahren. Staatliche Gerichte müssen sich deshalb wieder mehr um die Kenntnis des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften bemühen und sich mehr als früher mit religiösen Inhalten auseinander setzen77. Dabei stoßen sie unweigerlich an Grenzen, denn eine detaillierte Kenntnis der kirchlichen Rechtslage im Einzelfall ist gerade im Bereich der Vereine, Bruderschaften oder Ordensgemeinschaften kompliziert und verlangt spezialisiertes, auch im kanonischen Recht ausgebildetes Personal. Der Staat kann schon gar nicht eine Normenkontrolle durch staatliche Behörden anbieten. Aus dem Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergibt sich schon generell keine Verpflichtung des Bundes oder der Länder zur allgemeinen Einführung einer 74

Supremum Signaturae Apostolicae Tribunal, Decretum, 12. Oktober 1995, Prot. N. 25500/94 CA, S. 2, Nr. 3. 75 Supremum Signaturae Apostolicae Tribunal, Decretum, 12. Oktober 1995, Prot. N. 25520/94 CA, S. 3, Nr. 8. 76 77

Vgl. Montini, Il ricorso all’autorità giudiziaria civile (Anm. 36), S. 144.

Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 491 – 492.

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Normenkontrollklage in Gestalt des § 47 VwGO. Ein solches Normenkontrollverfahren trägt weitgehend den Charakter eines objektiven Rechtsbeanstandungsverfahrens und würde dem Staat und seinen Gerichten die Möglichkeit bieten, im Wege einer Normenkontrolle in die inneren Verhältnisse der Religionsgesellschaften einzugreifen78. Nur im Fall einer Verletzung staatlicher Schrankengesetze kann tatsächlich der Antrag auf Aufhebung von Verwaltungsakten einer kirchlichen Behörde oder Entscheidungen des Schieds- und Verwaltungsgerichts einer Religionsgemeinschaft gestellt werden. Dabei handelt es sich um eine Notzuständigkeit unter ganz engen Voraussetzungen, da grundsätzlich der Rechtsweg vor die staatlichen Gerichte nicht eröffnet ist. So kam es aufgrund erheblicher Meinungsverschiedenheiten über innere Angelegenheiten der Glaubensgemeinschaft zu einer Reihe von Entscheidungen des Schieds- und Verwaltungsgerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland, das jeweils in Frankfurt am Main tagte79, doch wurde die gegen diese Entscheidungen eingebrachte Zivilklage durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. zum Rechtsweg abgelehnt, weil im konkreten Fall die Notzuständigkeit nicht begründet werden konnte. Das Oberlandesgericht betonte dabei ausdrücklich, dass Religionsgemeinschaften keiner Staatsaufsicht unterliegen.80 Eine Notzuständigkeit kann letztlich nur mit den rechtsstaatliche Grundprinzipien begründet werden, die jeder Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit entgegenstehen81. Durch den Staat erfolgt der Schutz des Persönlichkeitsrechts oder der Ehre eines Menschen von Seiten der kirchlichen Behörde82 wie etwa im Falle der Verleumdung, der Verletzung des Briefgeheimnisses durch die Ordensoberen, der Verweigerung des Unterhalts, der Verweigerung der Nachzahlung der Pensionsbeiträge beim Austritt aus einer Ordensgemeinschaft etc. Für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts gilt das Willkürverbot83, die

78

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. April 1998 (Anm. 11), S. 549. 79

Vgl. Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluß vom 12. Mai 1999, in: AkathKR 168 (1999), S. 262. 80

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1081.

81

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1082; Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 16; Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 139 – 140. 82

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1088.

83

Vgl. Art. 3 GG.

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Schranke der guten Sitten84, der deutsche ordre public85. Geht es um die Verletzung von Schrankengesetzen, kann es auch zu einem Zwischenbeschluss kommen. Mit einem solchen untersagte es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem amtsenthobenen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg vorläufig, die Kultusgemeinde nach außen zu vertreten, Handlungen für diese vorzunehmen und Wahlen zu deren Vorstand durchzuführen. Diese Regelung sollte bis zu einer abschließenden Eilentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gelten. Sie sei notwendig, weil dem Gegner im Beschwerdeverfahren noch rechtliches Gehör gewährt werden und das Gericht die Argumente beider Seiten genauer prüfen müsse, insbesondere die Frage, ob die Entscheidung des Landesschiedsgerichts des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden tatsächlich gegen fundamentale Rechtsgrundsätze verstoße. Ausdrücklich fügte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hinzu, dass nur in diesem Fall die Zuständigkeit des staatlichen Gerichts begründet werden könne86. Besonders deutlich werden die Schranken des Gesetzes im Bereich des Arbeitsrechts in Bezug auf die Modalitäten des Dienstverhältnisses, Arbeitszeiten, Gesundheitsschutz, Kündigung etc. Hier muss die Rechtsverletzung nach dem eigenen Vortrag des Klägers wenigstens möglich sein. Im Bereich des kirchlichen Dienstrechts ist die Verletzung eines für alle geltenden Gesetzes eher im vermögensrechtlichen Bereich plausibel darlegbar als in Statusfragen87. Eine solche Statusklage wurde von einem suspendierten katholischen Priester im Jahr 1992 erhoben. Er behauptete, die Zulässigkeit des staatlichen Verwaltungsrechtswegs sei gegeben, da sonst der kirchlichen Selbstbestimmung ein auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklicher Freiraum eingeräumt würde. Ein Verweis auf den kirchlichen Rechtsweg sei auch des-

84

Vgl. § 138, Abs. 1 BGB: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig“. 85 Vgl. Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1703/83, Beschluss vom 4. Juni 1985, in: ZevKR 31 (1986), S. 84; vgl. auch Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), Art. 6: „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist“. 86

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Az. 7 CE 02.1721, Beschluss vom 31. Juli 2002, http://www.vgh.bayern.de/vgh/index.html. 87

Vgl. Isak, Das Selbstverständnis (Anm. 67), S. 310. Zu Statusklagen Geistlicher vgl. Arno Schilberg, Rechtsschutz bei Pfarrern im Angestelltenverhältnis, in ZevKR 36 (1991), S. 42 ff.; Paul Mikat, Kirchliche Streitsachen vor staatlichen Verwaltungsgerichten, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, hrsg. von Helmut R. Külz / Richard Naumann, Karlsruhe 1963, Bd. 2, S. 315 – 317.

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halb nicht hinnehmbar, weil dieser nicht den Anforderungen des GG entspreche.88 Die Beschwerde wurde abgelehnt. Die Ermächtigung der Kirchen, den Kreis ihrer Amtsträger der Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts zu entziehen, ist für den Rechts- und Sozialstaat nur insoweit tragbar89, als anstelle des sonst eingreifenden sozialen Sicherungssystems ein gleichwertiger Mindeststandard an sozialem Schutz und an Fürsorge seitens des Dienstherrn gewährt wird. Dieser Mindeststandard ist vergleichsweise dem staatlichen Beamtenrecht immanent90. Klagen sind weiters wegen Verletzung der Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips91 oder des Gleichbehandlungsgrundsatzes92 zulässig93. Die Zuständigkeit eines staatlichen Verwaltungsgerichts kann auch mit dem Überschreiten des rein innerkirchlichen Bereichs begründet werden, weshalb das bayerische Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit für eine vom Freistaat Bayern eingebrachte Klage gegen die griechische Kirchengemeinde München und Bayern e. V. zur Beendigung der Widmung der im Jahre 1494 erbauten St. Salvatorkirche in München zu gottesdienstlichen Zwecken erklärte.94 Zwar sind die Widmung und als actus contrarius die Entwidmung einer Sache zum gottesdienstlichen Gebrauch unzweifelhaft zunächst dem innerkirchlichen Recht zuzuordnen. Gleichwohl wären mit der Widmung und der Entwidmung über den unmittelbar innerkirchlichen Bereich hinaus Rechtswirkungen verbunden, insofern die öffentlichrechtliche Sachherrschaft der Religionsgemeinschaft an der res sacra die privatrechtlichen Befugnisse des Sacheigentümers überlagere, indem dieser trotz seiner Rechtsstellung als Eigentümer privatrechtliche Verfügungen über die res sacra nur im Rahmen ihrer öffentlichen Zweckbestimmung vornehmen könne. Die Beseitigung dieser über den rein innerkirchlichen Bereich hinausgehenden Einschränkungen der Befugnisse des Eigentümers der 88

Vgl. Verwaltungsgericht Mainz, 7 K 113/92, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 1993, in: AkathKR 162 (1993), S. 275. 89

Vgl. Art. 20, Abs 1 und 3 GG.

90

Vgl. Christoph Link, Ruhestandsversetzung von Pfarrern wegen ‚nichtgedeihlichen Zusammenwirkens mit der Gemeinde und kirchliches Selbstbestimmungsrecht’ in: Dem Staate, was des Staates ist – der Kirche, was der Kirche ist: Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, hg. von Josef Isensee (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 33), Berlin 1999, S. 508. 91

Vgl. Art. 20 Abs. 3 GG

92

Vgl. Art. 3 Abs. 1 GG

93

Vgl. Bayrischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. April 1998 (Anm. 11), S. 549. 94

Vgl. Verwaltungsgericht München, M 4562 VII 83, Urteil vom 12. Dezember 1984 (nicht rechtskräftig), in: AkathKR 153 (1984), S. 513.

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Salvatorkirche war das Ziel der vorliegenden Klage, weshalb auch eine rein innerkirchliche Angelegenheit im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG vorliege, die der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen wäre. Es handle sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40, Abs. 1 VwGO. Das Begehren des Klägers, den Beklagten zur Entwidmung der St. Salvatorkirche zu verpflichten, wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als öffentlich-rechtliche Streitigkeit beurteilt und deshalb die Klage angenommen95. VII. Die Feststellung der Religionszugehörigkeit durch staatliche Verwaltungsgerichte Die Feststellung der Religionszugehörigkeit gehört zumindest im deutschsprachigen Raum eindeutig in den Bereich der Zuständigkeit der staatlichen Verwaltungsgerichte, auch wenn dies durch die katholischen Diözesen nicht immer anerkannt wird, wie etwa jüngst in einer durch die österreichische Diözese Linz in Österreich erhobenen Verfassungsbeschwerde. Die Diözese Linz hatte nämlich behauptet, die staatliche Behörde hätte bei der für den staatlichen Bereich getroffenen Feststellung über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche in die „inneren Angelegenheiten“ dieser Kirche eingegriffen. Der österreichische Verfassungsgerichtshof verteidigte die staatliche Behörde ausdrücklich. Ebenso wenig wie bescheidmäßige Akte der Kenntnisnahme oder Nichtkenntnisnahme innerkirchlicher Akte durch eine Staatsbehörde begrifflich zu den „inneren Angelegenheiten“ der Kirchen gehörten, seien Fragen der inneren Rechtsordnung der Kirche bei der bescheidmäßigen Feststellung über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft von Bedeutung. Daraus folge umgekehrt, dass die staatliche Feststellung für den autonomen Bereich der jeweiligen Kirche oder Religionsgemeinschaft keine Geltung erlange. Gerade die Frage, ob jemand Mitglied der einen oder der anderen Religionsgemeinschaft ist oder gar keiner Religionsgemeinschaft angehört, sei typischerweise eine solche, die gemäß Art. 15 StGG vom Staat geregelt werden muss. Davon sei nicht die innerkirchliche Rechtsstellung des Mitglieds, sondern lediglich die Folgen im Außenbereich der Religionsgemeinschaft betroffen. Es bleibe jeder Religionsgemeinschaft überlassen, für den innerkirchlichen Bereich zu anderen

95

Vgl. Verwaltungsgericht München, M 4562 VII 83, Urteil vom 12. Dezember 1984 (nicht rechtskräftig), in: AkathKR 153 (1984), S. 514; vgl. dazu auch die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 7 B 90.3798 vom 25. Oktober 1995, und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, BVerwG 7 C 9.89 vom 15. November 1990, und, in der gleichen Sache: Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1275/96, Beschluss vom 13. Oktober 1998, http://www.bverfg.de/.

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Schlussfolgerungen als die staatliche Behörde zu gelangen. Eine auf der Grundlage der erwähnten Vorschriften ergehende behördliche Feststellung über die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft – auch wenn sie im Ergebnis unrichtig wäre – greift also in das den Religionsgemeinschaften gemäß Art. 15 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nicht ein. Deshalb ist die Behauptung der Diözese, sie wäre in ihrem Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, verletzt worden, nicht haltbar96. VIII. Die Verwaltungsbeschwerde bei öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen Die Kirche hat grundsätzlich das freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden, soweit nicht durch Konkordate andere Vereinbarungen getroffen sind. Dies bedeutet nicht nur, dass die kirchlichen Ämter ohne staatliche Mitwirkung verliehen und entzogen werden dürfen, sondern auch, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften frei bestimmen können, welche Anforderungen an ihre Amtsinhaber zu stellen sind und welche Rechte und Pflichten diesen im einzelnen zukommen97. Diesbezüglich kommen dem Staat weder Gesetzgebungs- noch Vollziehungskompetenzen zu98. Sie fallen ebenso wie das damit verbundene Dienstrecht der Geistlichen in den Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen99. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 21. November 1980 fest, dass Maßnahmen, die den amts- und dienstrechtlichen Status eines Geistlichen betreffen, ausschließlich Angelegenheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften sind100 und den staatlichen Zuständigkeitsbereich nicht berühren. Das Bundesverfassungsgericht vertrat ebenso diese Auffassung101. De facto erkennt diese Rechtsprechung einen dem staatlichen Rechtsschutz entzogenen

96

Vgl. Verfassungsgerichtshof (Wien), Geschäftszahl B933/86, Erkenntnis vom 16. März 1987, http://www.ris.bka.gv.at/vfgh/. 97

Vgl. Verwaltungsgericht Mainz, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 1993 (Anm. 88), S. 277; Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 802. 98 Vgl. Verwaltungsgerichtshof (Österreich), Geschäftszahl 98/08/0144, Erkenntnis vom 22. Januar 2003, http://www.ris.bka.gv.at/vwgh/. 99

Vgl. Verwaltungsgericht Mainz, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 1993 (Anm. 88), S. 276. 100

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Nov. 1980, in: Kirche 18 (1985), S. 326 – 336. 101

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. November 1978 (Anm. 20), 387 – 388.

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Bereich an. Die Rechtsposition der Kirche hat Vorrang gegenüber der Rechtsstellung des Bürgers. Gerade im kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht wird die Abgrenzung zwischen innerkirchlichen Angelegenheiten und den Schranken des staatlichen Gesetzes am häufigsten relevant102. Die katholische und die evangelische Kirche in all ihren Erscheinungsformen wurde einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Sie entwickelten ein eigenes Dienstrecht103, welches in vollem Umfang auf dem in Art. 140 GG und Art. 137, Abs. 3 § 2 Weimarer Reichsverfassung garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen beruht. Sie schufen ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht, welches dem Bereich des reinen Kirchenrechts zugeordnet wird104 und von den Kirchen als Dienstherren auf Grund originärer Rechtsmacht geordnet wird105. § 135 Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG)106 trage dieser Grundentscheidung dadurch Rechnung, dass es den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften überlassen sei, die Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger diesem Gesetz entsprechend zu regeln107. Für die Überprüfung dieses Dienstrechts im Wege der Normenkontrolle nach § 47 VwGO sind die staatlichen Gerichte nicht zuständig108. Während das kirchliche Dienstrecht zweifellos teilweise auf dem staatlichen Beamtenrecht beruht, steht es dennoch in erster Linie im Dienst des kirchlichen Auftrags, von dem es besondere, vom Staat unterschiedene, Leitbilder und Strukturen empfängt109. Im Gegensatz hierzu gehören Fragen der Mitbestimmung im Rahmen des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts grundsätzlich zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, bei denen die staatlichen Verwaltungsgerichte zur Streitentschei102

Vgl. Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit (Anm. 39), S. 488. 103

Vgl. Lüdicke, Möglichkeit und Notwendigkeit (Anm. 1), S. 56.

104

Vgl. Link, Ruhestandsversetzung (Anm. 90), S. 504; Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 801. 105

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 129-131. 106

Beamtenrechtsrahmengesetz in der Fassung vom 31. März 1999, zuletzt geändert 21. August 2002. 107

Vgl. Link, Ruhestandsversetzung (Anm. 90), S. 507.

108

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. April 1998 (Anm. 11), S. 548; Hans Heimerl / Helmuth Pree, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, S. 831; Kordula Bernards, Die Schlichtungsstelle im Mitarbeitervertretungsrecht der katholischen Kirche, Univ.Diss., Neuwied 1991, S. 1 ff. 109 Vgl. Link, Ruhestandsversetzung (Anm. 90), S. 517; Diözese Rottenburg-Stuttgart, Kirchenbeamtenstatut vom 18. März 1987, in: AkathKR 156 (1987), S. 166 – 171, mit Verweis auf eine Reihe von Bestimmungen des deutschen Landesbeamtengesetzes.

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dung nicht befugt sind. Die Verwirklichung der Mitbestimmung für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann nämlich nicht von der Verfasstheit der Kirche, ihrem Auftrag und der kirchlichen Dienstverfassung getrennt werden, sondern umfasst vielmehr auch die „religiöse Dimension“ des Wirkens im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses.110 Die Ziele der staatlichen und der kirchlichen Verwaltung sind nicht dieselben111. Dabei müssen der Inhalt und die Reichweite des normativen Geltungsanspruchs in der einschlägigen kirchenrechtlichen Regelung enthalten sein, unter anderem, für wen die unmittelbare und zwingende Wirkung gelten soll (kirchlicher Dienst- oder Arbeitgeber, verfasste Kirche, Diakonie, Caritas, Mitglieder der Kirche oder auch kirchlich gebundene Mitarbeiter bzw. Mitglieder anderer Kirchen). Nur wenn entsprechende kirchenrechtliche Regelungen vorliegen, wird zu entscheiden sein, ob und inwieweit diese vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gedeckt sind.112 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ist es den Kirchen überlassen, vom angeblich in Art. 135, § 2 Beamtenrechtsrahmengesetz enthaltenen Angebot Gebrauch zu machen, den staatlichen Gerichten kirchenrechtliche Streitigkeiten zuzuweisen113. Diese Norm schuf die Möglichkeit, für vermögensrechtliche Streitigkeiten kirchlicher Amtsträger den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, anstelle des bislang vorgesehenen ordentlichen Rechtswegs zu wählen114. Umgekehrt stellt sich die Frage, inwieweit die staatliche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen werden kann, wenn kirchliche Verfahrensordnungen einen eigenen kirchlichen Verwaltungsrechtsweg für derartige Angelegenheiten vorsehen115. Gegen die Versetzung in den Ruhe- oder Wartestand als solchen steht bei Geistlichen lediglich der kirchliche Rechtsweg offen. Die Festlegung der Höhe des Unterhaltsbeitrages hat aufgrund kirchlicher Rechtsnormen zu erfolgen116, 110 Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. April 1998 (Anm. 11), S. 546. 111

Vgl. Link, Ruhestandsversetzung (Anm. 90), S. 508.

112

Vgl. Bundesarbeitsgericht, 4 AZR 101/01, Urteil vom 20. März 2002, http://lexetius.com/2002/10/158. 113

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, 2 C 38.81, Urteil vom 25. November 1982, in: ZevKR 28 (1983), 424. 114

Vgl. Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 15), S. 367.

115

Vgl. Bundesverwaltungsgericht, 2 C 21.78, Urteil vom 25. November 1982, in: ZevKR 30 (1985), S. 414 – 417; Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1099. 116

Vgl. Besoldung- und Versorgungsordnungen der einzelnen Diözesen (z.B. Besoldungs- und Versorgungsordnung der Diözese Görlitz vom 13 September 1991); zur Sustentationspflicht als solcher vgl. can. 281, § 1.

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wobei eine Reduktion des Gehaltes nicht notwendigerweise eine Verletzung der Sustentationspflicht mit sich bringt. Das Alimentationsprinzip wird dadurch nicht gefährdet, eventuell jedoch der Anspruch auf gerechte Entlohnung sowie jener auf Altersversorgung, welche nicht in erster Linie als Bezahlung für geleistete Arbeit, sondern vielmehr als Gegenleistung für die lebenslange Verfügbarkeit des Klerikers anzusehen sind117. In der jüngeren Judikatur der staatlichen Verwaltungsgerichte fehlt es nicht an Beispielen, in denen staatliche Gerichte Beschwerden gegen die Entlassung, die Versetzung in den Ruhestand bzw. in den Wartestand ausdrücklich ablehnten. Ein Diözesanpriester wurde mit Dekret des Generalvikars vom 28. Juli 1992 vom Priesteramt suspendiert, weil er in einer Fernsehsendung bekannt gegeben hatte, er lebe in einem eheähnlichen Verhältnis mit einer Frau und stehe nicht zu seinem Versprechen, als Priester zölibatär zu leben. Am 11. August 1992 legte er dagegen Widerspruch beim Bischof ein, der mit Bescheid vom 20. August 1992 zurückgewiesen wurde. Daraufhin erhob er Klage beim Verwaltungsgericht Mainz.118 Die Anforderungen, die durch die Auferlegung des Zölibats an den einzelnen Geistlichen gestellt würden, verstießen gegen Art. 1, 2 u. 6 GG. Jedenfalls sei der Beklagte im Rahmen seiner Fürsorge verpflichtet, den Kläger als Laienseelsorger an seinem alten Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen. Mit diesen Argumenten beantragte der Kläger, das Dekret des Beklagten vom 28. Juli 1992 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 20. August 1992 aufzuheben, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger als Laienseelsorger in der Universitätsklinik zu beschäftigen119. Das angegangene Verwaltungsgericht lehnte die Klage mit der Begründung ab, es handle sich um eine den Status des Klägers als katholischer Geistlicher berührende, aufgrund kirchenrechtlicher Bestimmungen ergehende dienstrechtliche Maßnahme. Diese falle zweifellos in den Bereich der eigenen Angelegenheiten der katholischen Kirche120. Ein exklaustrierter Ordenspriester stellte einen Vergütungsanspruch an die Diözese, in der er seelsorgliche Dienste ausübte. Das Bundesarbeitsgericht lehnte die Klage ab, da dem Kläger ausdrücklich priesterliche Aufgaben auf 117

Vgl. Heimerl / Pree, Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 108), S. 699; Heinrich J.F. Reinhardt, Kom. cc. 204 – 329, in: Klaus Lüdicke, Münsterischer Kommentar zum CIC, Essen seit 1985, Loseblattwerk, can. 281, Nr. 7, Stand: November 1996. 118

Vgl. Verwaltungsgericht Mainz, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 1993 (Anm. 88), S. 275. 119

Vgl. Verwaltungsgericht Mainz, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 1993 (Anm. 88), S. 275. 120

Vgl. Verwaltungsgericht Mainz, Gerichtsbescheid vom 22. Januar 1993 (Anm. 88), S. 277.

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ausschließlich kirchenrechtlicher Grundlage übertragen worden waren121. Ob diese Übertragung der kirchlichen Rechtsordnung tatsächlich entsprach, entzieht sich der Beurteilung durch staatliche Gerichte. Soweit dem Kläger eine Vergütung gewährt worden ist, geschah dies ebenfalls aufgrund kirchlicher Regelung122. Entgegen der Ansicht der Revision ist aus einem fehlenden Gestellungsvertrag zwischen dem Orden und dem beklagten Bistum nicht zwingend zu schließen, die Rechtsbeziehungen des Klägers zum Bistum seien arbeitsvertraglicher Natur123. Ein evangelischer Pfarrer lehnte die Taufe Unmündiger ab. Er wurde beurlaubt und schließlich in den Ruhestand versetzt. Seine Verwaltungsklagen wurden mit der Begründung abgewiesen, dass für die Überprüfung innerkirchlicher Maßnahmen der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht offen stehe. Auch seine Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos. Die Europäische Kommission wies seine Beschwerde ebenso als unzulässig zurück124. IX. Die Verwaltungsbeschwerde bei privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen Bedienen sich die Kirchen wie jedermann der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, so findet auf diese das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Allerdings können die Religionsgesellschaften sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Gestaltungsmittel des staatlichen Rechts bedienen, etwa durch den Abschluss von Arbeitsverträgen. Dann haben auch sie das für alle geltende Gesetz zu beachten, so dass arbeitsvertragliche Streitigkeiten kirchlicher Bediensteter gemäß § 2 (1) Nr. 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)125 der staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit unterliegen126. Das ist die schlichte Folge einer Rechtswahl. Bedient sich die Kirche des privatrechtlichen Instrumentes des Dienst- bzw. Arbeitsvertrages und beschäftigt sie Arbeitnehmer in abhängiger Stellung, dann ist in Folge dieser Rechtswahl, wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, auch das staatliche Arbeits- und Sozialrecht

121

Vgl. cann. 146 – 183, can. 540 CIC/1983.

122

Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Februar 1990 (Anm. 3), S. 274. Bezug genommen wurde auf die kirchliche Regelung in can. 281 §§ 1 und 2 CIC/1983. 123

Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Februar 1990 (Anm. 3), S. 274.

124

Vgl. Europäische Kommission für Menschenrechte, Urteil vom 3. Mai 1985 (Beschw. Nr. 10901/84), in: AkathKR 156 (1987), S. 198 – 199. 125

Arbeitsgerichtsgesetz in der Fassung vom 2. Juli 1979, zuletzt geändert 25. November 2003. 126

Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Februar 1990 (Anm. 3), S. 274.

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grundsätzlich anwendbar127. Für die von ihnen beschäftigten Arbeiter und Angestellten akzeptieren die Kirchen nahezu problemlos die Zuständigkeit staatlicher Arbeitsgerichte128. Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt allerdings deren Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche nicht vollständig auf, was bedeutet, dass die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium, selbst dann nicht in Frage gestellt werden darf. Weltliches Recht wird angewandt, weil die Kirche selbst staatliche Normen sogar in ihre eigene Rechtsordnung aufnimmt (vgl. zum Vertragsrecht can. 1290). Hinzu kommen zwingendes staatliches Arbeitsrecht und für alle geltende Gesetze. Kraft ihres Selbstbestimmungsrechts könnten die Kirchen in ihren karitativen und erzieherischen Einrichtungen die Voraussetzungen für die Loyalitätspflichten der im kirchlichen Dienst Tätigen festlegen129. Werden solche Loyalitätspflichten in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungskräftigen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch.130 Das folgt aus der zur Vermeidung der Unglaubwürdigkeit der Kirche gebotenen Untrennbarkeit von Dienst und Verkündigung. Doch müssen die dem Arbeitnehmer auferlegten Loyalitätspflichten der übertragenen Aufgabe entsprechen. Nicht jede Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis zur Kirche habe eine solche Nähe zu spezifisch kirchlichen Aufgaben, dass der Arbeitnehmer mit der Kirche identifiziert und deshalb die Glaubwürdigkeit der Kirche berührt werde, wenn er sich in seiner Lebensführung nicht an die prägenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre halte.131 X. Vermögensrechtliche Ansprüche von Klerikern und Religiosen Die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundesgerichtshof sieht im Fall von Statusklagen kirchlicher Amtsträger, welche die Rechtmäßigkeit oder die Gültigkeit der Verleihung und des Entzugs eines kirchlichen Amtes, aber auch Beurlaubung sowie Versetzung in den 127

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. April 1998 (Anm. 11), S. 545. 128

Vgl. Peter von Tiling, Zur Rechtsstellung der privatrechtlich angestellten Mitarbeiter der Kirche, in: ZevKR 22 (1977), S. 333 – 339. 129

Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 795.

130

Vgl. Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1703/83 und 2 BvR 1718/83; 2 BvR 856/84, Beschluss vom 4. Juni 1985, in: AkathKR 154 (1985), S. 271. 131

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. Juni 1985 (Anm. 130), S. 260.

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Warte- und Ruhestand zum Gegenstand haben, keinen Rechtsweg zu staatlichen Gerichten vor132. Der Staat hat keine Befugnis zur inhaltlichen Prüfung der diesbezüglichen kirchlichen Entscheidungen. Nur ein offensichtlich sachwidriger oder willkürlicher Entzug der Missio canonica wäre vom staatlichen Dienstherrn nicht zu beachten133. Wenn daher etwa der österreichische Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Z. 7 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG)134 in der Stammfassung am Begriff des Geistlichen bzw. in der Fassung der 29. Novelle zum ASVG an jenem der geistlichen Amtsträger der Evangelischen Kirchen anknüpft, so liegt darin nicht etwa eine eigenständige gesetzliche Begriffsbildung, sondern es wird auf die jeweilige innerkirchliche Verfassungs- und Rechtsordnung verwiesen. „Deren Auslegung, aber auch die Entscheidung über sich in diesem Zusammenhang allenfalls ergebende theologische Streitfragen, wie jene nach der Kongruenz von Geistlichem Amt und Ordination, steht nicht staatlichen Behörden, sondern ausschließlich den dazu berufenen kirchlichen Instanzen zu“.135 Betrifft eine Verfassungsbeschwerde allein die vermögensrechtliche Ausgestaltung des kirchlichen Dienstverhältnisses eines Pfarrers, ohne dass als rechtliche Vorfrage der Bestand des Dienstverhältnisses zu klären ist (keine sog. „verkappte Statusklage“), so ist vorher der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten zu erschöpfen, weil eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer solchen Klage nicht existiert. So nahm dieselbe Kammer durch Beschluss vom 22. März 1999136 eine Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtsweges nicht zur Entscheidung an, mit der sich der Beschwerdeführer direkt gegen Entscheidungen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg wandte, mit denen seine Entlassung aus dem kirchlichen Vorbereitungsdienst angeordnet und seine Zulassung zur zweiten kirchlichen Dienstprüfung abgelehnt worden waren.137 Macht der kirchliche Dienstnehmer lediglich vermögensrechtliche Ansprüche aus seinem Dienstverhältnis geltend, gerät der staatliche Rechtsschutz nicht

132

Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 789.

133

Vgl. Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 2), S. 797; Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1097. 134

BGBl.Nr. 189/1955 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2002.

135

Vgl. Verwaltungsgerichtshof (Österreich), Geschäftszahl 98/08/0144, Erkenntnis vom 22. Januar 2003, http://www.ris.bka.gv.at/vwgh/. 136 137

Vgl. Az. 2 BvR 1490/96, Beschluss vom 22. März 1999, http://www.bverfg.de.

Vgl. Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 548/96, Beschluss vom 25. Februar 1999, http://www.bverfg.de/.

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mit der Ämterhoheit in Konflikt. Die Unterscheidung, dass staatliche Gerichte in Statusangelegenheiten nie, in vermögensrechtlichen Fragen hingegen stets zuständig seien, ist dogmatisch nicht haltbar138. Obwohl in der Lehre vielfach behauptet wird, die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltungsgerichte bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Pfarrern oder Kirchenbeamten und ihren Kirchen könne durch kirchliche Rechtssetzung139 oder kirchliches Verwaltungshandeln nicht beseitigt oder eingeschränkt werden, machten Bundesverwaltungsgericht und Bundesgerichtshof in der ständigen Rechtsprechung eine derartige Rechtsschutzgewähr auch für vermögensrechtliche Ansprüche von einer ausdrücklichen oder stillschweigenden kirchlichen Rechtswegzuweisung an staatliche Gerichte gemäß § 135, Satz 2 BRRG oder vom Fehlen eines kirchlichen Rechtswegs abhängig140. Begründete der Kläger seinen vermögensrechtlichen Anspruch inzident mit der Unrechtmäßigkeit des Amtsverlustes, also im Fall einer so genannten verkappten Statusklage, so führt die Inzidententscheidung über den statusverändernden Rechtsakt dennoch nicht zu dessen Aufhebung. XI. Rekurse im Bereich der Sakramentenspendung Ein Beispiel für eine Verwaltungsbeschwerde in einer rein innerkirchlichen Angelegenheit, in welcher zweifellos kein staatlicher Rechtsweg offen steht, ist etwa jener der Eltern eines elfjährigen Mädchens gegen die Ablehnung der Firmspendung an ihre Tochter durch den Diözesanbischof. Der Diözesanbischof hatte die Bitte der Eltern um Dispens vom partikularrechtlichen Gesetz, welches das Mindestalter für die Firmung auf 16 Jahre festlegte, abgelehnt. Diese Ablehnung wurde von der angerufenen Kongregation für den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente als Verwaltungsakt für den Einzelfall angesehen. In ihrem Bescheid erklärte die Kongregation, es sei dem Urteil der Seelsorger überlassen festzustellen, ob die vom Recht geforderten Voraussetzungen gegeben sind: Taufe, Vernunftgebrauch, notwendige katechetische Vorbereitung, Fähigkeit zur Erneuerung des Taufgelöbnisses. Sowohl aus dem Gesuch ihrer Eltern als auch aus den vom Bischof gesandten Informationen ging klar hervor, dass das elfjährige Mädchen alle kanonischen Voraussetzungen erfüllte, um das Sakrament der Firmung zu empfangen. 138

Vgl. Isak, Das Selbstverständnis (Anm. 67), S. 310.

139

Vgl. Hartmut Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes: Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans-Uwe Erichsen, Köln / München [u.a.], 1985, S. 301. 140

Vgl. Verweis auf diesbezügliche Urteile bei: Link, Ruhestandsversetzung (Anm. 90), S. 505, Fußnote 8.

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Der Bischof hingegen verteidigte seine Ablehnung des Gesuchs der Eltern genau mit dem im partikularen Gesetz festgelegten Firmalter. Die Kongregation bemerkte dazu, dass die Gesetzgebung der Bischofskonferenz im Licht des CIC von 1983 zu interpretieren sei, wonach jenen, die darum bitten und entsprechend vorbereitet und nicht vom Gesetz gehindert sind, die Sakramente zu spenden seien (can. 843 § 1). Die Kongregation nahm die Verwaltungsbeschwerde der Eltern an, hob den ablehnenden Bescheid des Bischofs auf und ordnete an, dem Mädchen unverzüglich die Firmung zu spenden141. XII. Die Einrichtung von Verwaltungsgerichtshöfen auf der Ebene der Diözese und der Bischofskonferenz Die Evangelische Kirche und die Jüdische Glaubensgemeinschaft in Deutschland verfügen über eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einer eigenen Verfahrensordnung, die als Schiedsordnung bezeichnet wird. Danach sind, sofern nichts anderes bestimmt ist, die einschlägigen Vorschriften der ZPO sowie der VwGO anzuwenden. Das bedeutet aber nicht, dass die Entscheidungen des Schieds- und Verwaltungsgerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland Schiedssprüche im Sinne der ZPO sind. Es handelt sich vielmehr um Entscheidungen einer autonomen Gerichtsbarkeit der Juden, die lediglich bestimmte Verfahrensgrundsätze aus der ZPO und der VwGO übernommen hat. Nicht einmal im Falle einer ausdrücklichen Bezugnahme in der Schiedsordnung auf Verfahrensvorschriften der ZPO können staatliche Gerichte gem. § 1059 ZPO angerufen werden. Gerade aus der Schaffung einer eigenen Gerichtsbarkeit ergibt sich nämlich, dass die staatliche ausgeschlossen werden soll. Wenn die jeweilige Religionsgemeinschaft, wie im konkreten Fall die jüdische, Rechtsbehelfe jedweder Art ausschloss, so dass die Entscheidungen des Schieds- und Verwaltungsgerichts beim Zentralrat der Juden in Deutschland nach Wunsch der Religionsgemeinschaft endgültig sind, ergibt sich daraus, dass selbst der Staat kein Rechtsmittel dagegen anbietet142. In der katholischen Kirche existieren bisher nicht einmal im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts eigene auf der Diözesanebene und der Ebene der Bischofskonferenz eingerichtete Gerichte. Der Beschluss des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken am 7. Mai 1993: „Wir erwarten, dass die Deutsche Bischofskonferenz und die Diözesen in Deutschland, im Sinne des Beschlusses der Würzburger Synode‚ Ordnung für Schiedsstellen und Verwaltungsgerichte

141

Vgl. Congregatio pro Cultu Divino et Disciplina Sacramentorum, Litterae, s.d., Romae, Prot. Nr. 2607/98/L, in: Communicationes 32 (2000), S. 12 – 14. 142

Vgl. Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluß vom 12. Mai 1999, in: AkathKR 168 (1999), S. 262.

Problem der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zwischen Staat und Kirche

423

der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, § 3, eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich Schiedsstellen aufbauen“143, ist trotz sehr früher und eingehender Vorarbeiten in Deutschland144 noch nicht in die Tat umgesetzt worden, wobei dies keineswegs etwa an Vorbehalten des Apostolischen Stuhls liegt. Bereits die Bischofssynode von 1967 wünschte die Einrichtung von Verwaltungsgerichten in allen Instanzen145. Während die Einrichtung eines Verwaltungsgerichts für die gesamte Kirche sofort erfolgte, unterblieb jene erster und zweiter Instanz146. Der Vorschlag eines Instanzenzuges vom diözesanen zum nationalen Verwaltungsgericht auf der Ebene der Bischofskonferenz und dann an die Apostolische Signatur wurde nie in die Tat umgesetzt147. Die Einrichtung der Verwaltungsgerichte von Seiten der Diözesanbischöfe und der Deutschen Bischofskonferenz ist dringlich, da einerseits die Bischöfe von ihrer grundlegenden Justizgewährungspflicht keine Ausnahmen anordnen können, und andererseits weder die Mitarbeiter der Diözesangerichte noch die diözesanen Verwaltungsorgane auf die Behandlung arbeitsrechtlicher Fragen im ordentlichen Streitverfahren oder auf dem Weg der Verwaltungsbeschwerde ausreichend vorbereitet sind148. Um den Anforderungen des Sozialstaatsprinzips zu genügen,149 ist die Einrichtung der Schlichtungsstellen, die nur Empfehlungen ausarbeiten können, keineswegs ausreichend. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 25. April 1989150 eine derartige Schlichtungsstelle ausdrücklich als kirchliches Verwaltungsgericht anerkannt, welches rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genüge, doch besteht kein Rechtsweg zur Durchsetzung oder Überprüfung der Entscheidung, die gemäß 143

Vgl. Rüfner, Zuständigkeit (Anm. 6), S. 1087.

144

Vgl. Paul Wirth, Gerichtlicher Schutz gegnüber der kirchlichen Verwaltung. Modell eines kirchlichen Verwaltungsgerichtes, in: AkathKR 140 (1971), S. 29 – 73. 145 „... quod autem attinet ad recursum ad tribunalia administrativa, qui admittitur tantum ob assertam actus illegitimitatem, praevidentur, praeter Signaturam Apostolicam tamquam tribunal supremum, tribunalia inferiora primi gradus, et si casus ferat, secundi gradus, in regione uniuscuiusque Conferentiae Episcopalis“ [Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici recognoscendo: Coetus de procedura administrativa, Animadversiones praeviae ad schema canonum de procedura administrativa (4. – 9. Nov. 1971), in: Communicationes 4 (1972), S. 38]. 146 Vgl. Aurelio Sabattani, Iudicium de legitimitate actuum administrativorum a Signatura Apostolica peractorum, in: IusC 16 (1976), S. 231. 147

Vgl. John C. Meszaros, Procedures of administrative recourse, in: Jurist 46 (1986), S. 139. 148

Vgl. Lüdicke, Möglichkeit und Notwendigkeit (Anm. 1), S. 68.

149

Vgl. Link, Ruhestandsversetzung (Anm. 90), S. 517.

150

Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. April 1989, in: KirchE 27 (1995), S. 123.

424

Nikolaus Schöch

Art. 40 – 42 der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO)151 durch Kammern mit einem Vorsitzenden mit Befähigung zum staatlichen Richteramt und zwei Beisitzern erfolgt, von denen einer den Dienstnehmer, der andere die Dienstgeberseite repräsentiert152. Zusätzlich ist die Möglichkeit zu erwähnen, dass Mitarbeiter(innen), die sich in ihren Individualrechten betroffen fühlen, zunächst beim Diözesanbischof ihren Widerspruch einlegen und dann ihre Verwaltungsbeschwerde bei der zuständigen Kongregation in Rom einreichen und im Falle einer Ablehnung die Apostolische Signatur als oberstes kirchliches Gericht anrufen können153. Auch das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland erließ eine eigene Mitarbeitervertretungsordnung und richtete eine eigene Schiedsstelle ein, welche als kirchliches Gericht anerkannt wurde, das rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Das Bundesarbeitsgericht erachtete deshalb zur Entscheidung über den Klageanspruch ausschließlich die Schiedsstelle nach der Mitarbeitervertretungsordnung für zuständig154. XIII. Schlussfolgerungen Solange der Staat die Kirchenaufsicht innehatte, konnte mancherlei auf dem inneren Dienstweg geregelt werden. Die rechtliche Selbstständigkeit beider Institutionen macht entgegen der Vermutung des ersten Anscheins Absprachen und wechselseitige Koordination in einem viel höheren Maße erforderlich, als es vorher der Fall gewesen wäre. Das ist der Grund, warum in Deutschland seit 1924 zahlreiche Verträge mit der römisch-katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen, später auch mit kleinen Religionsgemeinschaften abgeschlossen wurden. Hier geht es nicht zuletzt darum, die Zusammenarbeit auf solchen Gebieten zu regeln, welche für beide Seiten von Interesse sind155. Dies gilt besonders, wenn grundrechtsberechtigte Bürger und Religionsgemein-

151

Zur Mitarbeitervertretungsordnung und deren Entwicklung vgl. Wolfgang Bartels, Leitfaden für Mitarbeitervertretungen der Katholischen Kirche und der Caritas, in: Ulrich Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht – Handbuch, Frankfurt a. M. 2002, 438 – 443. 152

Vgl. Lüdicke, Möglichkeit und Notwendigkeit (Anm. 1), S. 63.

153

Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. April 1998 (Anm. 11), S. 549. 154 Vgl. Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 456/91, Urteil vom 9. September 1992, in: AkathKR 161 (1992), S. 581 – 582. Vgl. insoweit noch auch aus neuester Zeit Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, München 19922, S. 300 – 301; Arno Schilberg, Rechtsschutz und Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche, Frankfurt a. M. 1992, S. 111, 119 ff., 242. 155

Vgl. Campenhausen, Die Trennung von Staat und Kirche (Anm. 27), S. 361.

Problem der konkurrierenden Gerichtsbarkeit zwischen Staat und Kirche

425

schaften dem grundrechtsverpflichteten Staat gegenüber stehen. Absprachen und Vereinbarungen sind hier nahe liegend. Die Kirchen werden weiters viel intensiver als bisher darauf achten müssen, dass sie in allen Bereichen, in denen ihr Wirken gemäß dem Auftrag ihres Stifters, ihrer Lehre und ihres Selbstverständnisses unverzichtbar ist, ihre eigene Ordnung schaffen, d. h. sie in kirchlichen Gesetzen niederlegen156. Derzeit besteht erst ab der zweiten Sektion der Apostolischen Signatur eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ein deutsches Diözesangericht wies kürzlich die Klage eines kirchlichen Mitarbeiters als unzulässig ab, weil er einen besoldungsrechtlichen Anspruch mit Hilfe eines ordentlichen Streitprozesses durchsetzen wollte, und begründete dies damit, dass nach Art. 10, Abs 1 GG staatliche Arbeitsgerichte zuständig seien. Zu Recht verweist Lüdicke darauf, dass nach can. 221 § 1, 1476 und 1491 jedes Recht innerhalb der kirchlichen Rechtsordnung durch kirchliche Instanzen durchgesetzt werden kann157. Das Problem der langen Verfahrensdauer bei der Verwaltungsbeschwerde durch die staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört zu den häufigsten Beanstandungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit158. Es ist daher zu wünschen, dass das als rasch konzipierte kirchliche Verwaltungsverfahren auch in der Tat schnell genug abläuft. Unterbleibt die Einrichtung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit auf diözesaner und nationaler Ebene weiterhin, wird es gerade im Bereich des Dienst- und Arbeitsrechts zu einer Zunahme der zivilrechtlichen Streitigkeiten kommen, deren Kosten jene der Einrichtung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit bei weitem übersteigen. Je häufiger Priester, Ordensleute, Laien, Diözesen und Ordensgemeinschaften Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten austragen, umso dringender wird Verbesserung der Lösungsmodelle innerhalb der Kirche durch Potenzierung der Schlichtungsstellen159 und die Einrichtung von Verwaltungsgerichten. Dies setzt die Ausbildung von entsprechend qualifiziertem Personal voraus, da die 156

Vgl. Geiger, Die Rechtsprechung (Anm. 30), S. 174.

157

Vgl. Lüdicke, Möglichkeit und Notwendigkeit (Anm. 1), S. 67.

158

Vgl. dazu die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wegen Verletzung des Art. 6, § 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention: Nr. 38249/97 vom 3. November 1999; Nr. 26242/95 vom 1. April 1999; Nr. 36932/97 vom 4. Juni 1999; Nr. 33207/96 vom 25. Januar 2000; Nr. 33989/96 vom 1. Februar 2000; Nr. 41809/98 vom 8. Februar 2000; Nr. 40493/98 vom 28. März 2000; Nr. 34986/97 vom 4. Juli 2000 etc., in: Cour européenne des droits de l’homme, Objet des affaires rendues par la Cour 1999 – 2003, http://www.echr.coe.int/Fr/Judgments.htm. 159

Vgl. John C. Meszaros, Procedures of administrative recourse, in: Jurist 46 (1986), S. 141.

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kirchlichen Verwaltungsgerichte nach kanonischem Recht, nach vom kanonischen Recht rezipiertem Zivilrecht, Konkordatsrecht, Gewohnheitsrecht, Prinzipien des positiven und natürlichen göttlichen Rechts, der Praxis der Römischen Kurie bei Gesetzeslücken, den Statuten, den Konstitutionen und Ordnungen, die von Verwaltungsorgan erlassen wurden, entscheiden müssen160, was eine umfangreiche Kenntnis des Rechts und zugleich der Besonderheiten des materiellen und formellen Verwaltungsrechts der Kirchen und Religionsgemeinschaften verlangt. Dabei bestehen zwischen der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung tiefe wesensgemäße Unterschiede nach Motivation der Errichtung, nach Grundlegung und Ausrichtung ihrer Aufgaben, nach den zu beachtenden Maßstäben sowie nach der Außenwirkung der Entscheidungen. Abschließend kann angesichts der erwähnten funktionsbezogenen Unterschiede festgestellt werden, dass das Verhältnis des staatlichen zum kirchlichen Verwaltungsrechtsweg schwerlich im Sinne einer Konkurrenz verstanden werden kann. Es muss vielmehr von einer Subsidiarität des staatlichen gegenüber dem kirchlichen Verwaltungsrechtsweg gesprochen werden, wobei im Fall der Verletzung staatlicher Schrankengesetze durch kirchliche Organe eine Notzuständigkeit staatlicher Gerichte anzuerkennen ist. Zu wünschen ist eine sachlichen Gesichtspunkten entsprechende Abschichtung der jeweiligen staatlichen bzw. kirchlichen Kompetenzen im Bereich der Verwaltungsbeschwerde und eine verbesserte Koordination, welche auch auf dem Wege neuer Vereinbarungen zwischen Kirche und Ländern zur Vermeidung von Konflikten erfolgen kann161. Voraussetzung für die Effizienz dieser Maßnahmen bleibt jedoch eine Verbesserung des kirchlichen Rechtswegs der Verwaltungsbeschwerde, was kurzfristig durch entsprechend fachlich ausgebildete Personal in den Diözesen, langfristig aber nur durch die Einrichtung von Verwaltungsgerichten auf der Ebene der Diözesen und der Bischofskonferenz mit der Apostolischen Signatur als dritter und letzter Instanz gelingen kann.

160 Vgl. Aurelio Sabattani, Iudicium de legitimitate actuum administrativorum (Anm. 146), S. 237. 161

Vgl. Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit (Anm. 3), S. 168. Zum kirchlichen Verständnis des wesensmäßigen Unterschiedes zwischen der kirchlichen und staatlichen Gewalt, Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit: vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 414; ders. Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, S. 138 – 139; Ulrich Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht, hg. von Joseph Listl (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3) Berlin 1973, S. 132, 153, 175, 318.

Unterhaltsvorsorge und christliches Armutsideal im Lichte der kirchlichen Gesetzgebung Von Hugo Schwendenwein Einerseits graviert die Kirche die Notwendigkeit, die erforderlichen Mittel für den ihr von Christus aufgetragenen Heilsdienst sicherzustellen. Anderseits steht die Kirche in der Nachfolge Jesu Christi, in dessen Heilsbotschaft der Armut ein besonderer Rang zukommt. So gesehen steht kirchliches Handeln in einem Spannungsverhältnis, das an Hand der in der Folge angeführten Beispiele beleuchtet werden soll. I. Kirche und Armut Armut im eigentlichen Sinn ist das rein soziale Phänomen der eingeschränkten Lebensmöglichkeit aufgrund des Mangels an materiellen Gütern.1 Was den religiösen Bereich betrifft, so haben 3 Aspekte der Armut besonderes Gewicht: 1° Armut als Notzustand, dessen Milderung bzw. Beseitigung geboten ist; 2° Armut als asketisches Ideal, und 3° Armut als religiös interpretierter und begründeter Zustand.2 Alle 3 Aspekte spielen beim Thema ‚Kirche und Armut‘ eine Rolle. Die Kirche des II. Vatikanischen Konzils will eine Kirche der Armen sein.3 Alle Christen sind auf den Weg der Nachfolge Jesu und zur Heiligkeit berufen (LG Art. 40). So wie Christus das Erlösungswerk in Armut vollbrachte, so weiß sich die Kirche auf den gleichen Weg gerufen, um die Heilsfrucht den Menschen, besonders den Armen, mitzuteilen (LG Art. 8, Abs. 3).4 Christi Armut wird als 1

H.J. Fabry, Armut I. Biblisch, in: LThK3, Bd. I, 1993, Sp. 1005.

2

R. Nebel, Armut, II. Religions- u. kulturgeschichtlich, in: LThK Bd. I3 1993, Sp. 1008. 3

Siehe auch G. Fahrnberger, Das Zweite Vatikanische Konzil und die Revision des kirchlichen Vermögensrechts, in: Administrator Bonorum. Oeconomus tamquam Paterfamilias. Sebastian Ritter zum 70. Geburtstag, hrsg. v. H. Paarhammer, Thaur 1987, S. 137. 4

Wie aber Christus das Werk der Erlösung in Armut und Verfolgung vollbrachte, so ist auch die Kirche berufen, den gleichen Weg einzuschlagen, um die Heilsfrucht den

428

Hugo Schwendenwein

Konsequenz der vollen Annahme der menschlichen Natur gesehen (AG Art. 3). Die Kirche als Gesandte setzt seine Sendung in den Armen fort (AG Art. 5). Das Dekret über das Laienapostolat betont die Liebe gegenüber den Armen, die auf Gerechtigkeit aufbauen und weltumfassend sein muß (AA Art. 8). Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute gewährt der Not der Armen in ihrer weltweiten Dimension einen breiten Raum (GS Art. 63 – 72) und beschreibt die Ursachen der Armut und Möglichkeiten der Solidarität (GS Art. 27 – 32). Auf die Armut stößt man beim Studium des II. Vatikanischen Konzils meistens dort, wo es um die Erneuerung der Kirche nach dem Evangelium und um ihre Sendung in der Welt von heute geht.5 Nicht nur den kirchlichen Verantwortungsträgern, sondern allen Gläubigen, auch den Laien wird der Geist der Armut als Ideal christlicher Haltung vorgestellt. Das Konzilsdekret über das Apostolat der Laien weist darauf hin, daß es nur im Licht des Glaubens und in der betenden Versenkung in Gottes Wort möglich ist, richtig zu beurteilen, welche Bedeutung und welchen Wert die zeitlichen Dinge in sich selbst und in Hinordnung auf das Ziel des Menschen haben (AA Art. 4, Abs. 3). Frei von der Sklaverei des Reichtums und auf jene Güter bedacht, die ewig währen, weihen sich die Gläubigen großmütig der Aufgabe, die Herrschaft Gottes auszubreiten und die zeitliche Ordnung mit dem Geist Christi zu durchdringen und zu vervollkommnen (Abs. 5). Da sie Jesus auch in seiner Armut nachfolgen wollen, werden sie weder durch den Mangel an zeitlichen Gütern niedergedrückt noch durch deren Fülle aufgebläht (Abs. 6, 2. Satz). Und doch ist der Gläubige nicht abgehoben von den irdischen Dingen. Nach GS Art. 37, Abs. 5 kann und muß der Mensch die von Gott geschaffenen Dinge lieben. Von Gott empfängt er sie, er betrachtet und schätzt sie als Gaben aus Gottes Hand. Er dankt seinem Wohltäter für die Gaben; in Armut und Freiheit des Geistes gebraucht und genießt er das Geschaffene; so kommt er in den wahren Besitz der Welt als einer, der nichts hat, und doch alles besitzt.6

Menschen mitzuteilen. So ist die Kirche, auch wenn sie in Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten. So wie der Herr, der vom Vater gesandt war, den Armen die frohe Botschaft zu bringen, umgibt die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwäche angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war (LG Art. 8 Abs. 3). 5

A. Böckmann, Armut, in: Praktisches Lexikon der Spiritualität, hrsg. v. C. Schütz, Freiburg / Basel / Wien 1988, S. 67. 6

„Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus und Christus Gott“ (1 Kor 3,22 – 23).

Unterhaltsvorsorge und christliches Armutsideal

429

Einbindung in die menschliche Sorge um die zeitlichen Güter. Auch die Kirche als Ganzes ist nicht aus der dem Menschen und den von Menschen gebildeten Gemeinschaften obliegenden Sorge für die irdischen Güter herausgenommen.7 Auch fallen ihr für die Menschen, die in ihrem Dienst stehen, die von der christlichen Soziallehre umschriebene Sorgepflichten des Dienstgebers zu. Aus der Entwicklung weiß man, daß nicht nur eine zu reiche Kirche Gefahren für die wesentlichen und ureigensten Aufgaben bringen kann, sondern auch eine zu arme Kirche. Der billige Appell, die Kirche solle mit Geld nichts zu tun haben, kann nicht die Lösung sein.8 Die Kirche als das neue Volk Gottes versteht sich auch ‚als sichtbares Gefüge‘, in welchem göttliche und menschliche Elemente zu einer ‚einzigen komplexen Wirklichkeit zusammenwachsen‘ (LG Art. 8 Abs. 1). Deshalb bedarf sie zu ihrem Bestand und zur Erfüllung ihrer Sendung in der Welt notwendigerweise zeitlicher Güter9, wie das II. Vatikanische Konzil ausdrücklich bestätigt: „...et ipsa Ecclesia rebus temporalibus utitur quantum propria eius missio id postulat“ ( GS Art. 76, Abs. 5). Die soziale Funktion des Eigentums, das immer auch Gemeingut zum Nutzen für andere ist (GS 69), aber auch seine individuelle Dienstfunktion zur Selbstdarstellung der Personen und Gemeinschaften (GS 71) bilden die Grundlage, daß die Kirche überhaupt eine vermögensrechtliche Autonomie für sich behaupten kann, die ihr gestattet, mit eigener Unabhängigkeit im ökonomischen Bereich kirchliche Initiativen zu entfalten in wahrer Freiheit und Erfüllung ihrer Sendung, Band zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zu sein (GS 42), und um Werke zum Dienst an allen, besonders an den Armen, in Gang zu bringen.10 7 Nach PO, Art. 17, Abs. 1, sind die geschaffenen Güter zum Reifen der menschlichen Persönlichkeit unerläßlich. 8

R. Stecher, in: Kirche und Geld – Reflexionen eines Bischofs, in: Kirchliches Finanzwesen in Österreich. Geld und Gut im Dienste der Seelsorge, hrsg. v. H. Paarhammer, Thaur / Tirol 1989, S. 12: „In die unzähligen Peinlichkeiten zwischen dem Geld und dem Heiligen mischen sich auch Finanzskandale, und unwillkürlich denkt man an das Wort: ‚Ihr könnt nicht Gott dienen und den Mammon‘ (Mt 6,24; Lk 16,13). Aber andererseits weiß man auch, daß nicht nur die zu reiche Kirche eine Gefahr für das Wesentliche ihrer ureigensten Aufgabe bringt, sondern auch die zu arme Kirche, und daß man natürlich nicht aus Mißbrauch, Fehlentwicklungen und belastenden Episoden heraus billige Appelle und großartige Grundsätze schmieden kann: Kirche soll mit dem Geld überhaupt nichts zu tun haben...“ 9

W. Schulz, in: MK, 1254 / 1.

10

Commento al Codice di Dirtto Canonico, a cura di P. V. Pinto, Pontificia Università Urbaniana, Facoltà di Diritto Canonico, Roma 1985, S. 712; siehe auch Fahrnberger, Das Zweite Vatikanische Konzil (Anm. 3), S. 137 f.

430

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Zweckbindung kirchlichen Vermögens. Der oben zitierte Konzilstext („quantum propria eius missio id postulat“) läßt auf die Zweckgebundenheit des kirchlichen Vermögens und damit auch der wirtschaftlichen Aktivitäten der Kirche schließen.11 Die Kirche darf dieses nur für die Zwecke verwenden, um deretwillen sie überhaupt zeitliche Güter besitzen darf, für den rechten Vollzug des Gottesdienstes, den angemessenen Unterhalt des Klerus, für die apostolischen und karitativen Werke (PO Art. 17, Abs. 3). Mit dieser Vorschrift hat das Konzil die damaligen Bestimmungen des kanonischen Rechtes aufgenommen (vgl. can. 1473 CIC / 1917).12 Die strikte Bindung des Vermögens an kirchliche Zielsetzungen soll die Anwesenheit des Geistes des Evangeliums in der Vermögensverwaltung sicherstellen helfen.13 In den konziliaren Äußerungen über den Umgang der Priester mit den zeitlichen Gütern spielt das Anliegen der Solidarität eine wichtige Rolle. Diesem Anliegen entspricht es, wenn die kirchlichen Vermögenswerte auch als Mittel der kirchlichen „communio“ verstanden werden. So können kirchliche juristischen Personen zu einer Abgabe für das Priesterseminar (can. 264 § 2)14 und auch zu einer allgemeinen kirchlichen Steuer im Sinne des can. 1263 herangezogen werden, wobei allerdings die letztgenannte Besteuerungsmöglichkeit für jene Rechtsträger, denen nur privater Charakter eignet, eingeschränkt ist.15 Nach CD, Art. 28, Abs. 3, sind die Priester mit den anläßlich ihres Dienstes erworbenen Vermögen auch zum Beitrag für die materiellen Werke der Diözese gehalten. Zwischen den verschiedenen Teilen der Kirche besteht nicht nur eine innige Gemeinschaft der geistlichen Güter und der apostolischen Arbeiten, sondern auch der zeitlichen Hilfsmittel (LG Art. 13, Abs. 3, Art. 23, Abs. 3; AA Art. 10, 11

Vgl. in diesem Zusammenhang auch W. Schulz, in: MK 1254 / 3.

12

M. Schmaus, Einige Bemerkungen zu dem Konzilsdekret über Dienst und Leben der Priester, in: Ecclesia et Ius. Festgabe für A. Scheuermann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. K. Siepen / J. Weitzel / P. Wirth, München / Paderborn / Wien 1968, S. 157. 13

Fahrnberger, Das Zweite Vatikanische Konzil (Anm. 3), S. 138.

14

Vgl. can. 264 § 1: Damit für die Erfordernisse des Seminars gesorgt ist, kann der Bischof neben der in can. 1266 genannten Spende in seiner Diözese eine Steuer auferlegen. § 2: Von der Seminarsteuer sind alle kirchlichen juristischen Personen betroffen, auch die privaten, die ihren Sitz in der Diözese haben, ausgenommen sind nur jene, die ausschließlich von Almosen unterhalten werden oder in denen ein Kollegium von Lernenden oder Lehrenden zur Förderung des allgemeinen Wohles der Kirche tatsächlich besteht; diese Steuer muß allgemein sein, den Einkünften der von ihr Betroffenen entsprechen und nach den Erfordernissen des Seminars bemessen sein. 15

Die Besteuerung gemäß can. 1263, 1. Satz, betrifft nur öffentliche juristische Personen. Allerdings sind in die außerordentlichen Charakter aufweisende Abgabe des can. 1263, 2. Satz und in die Seminarsteuer des can. 264 auch private Rechtsträger mit einbezogen.

Unterhaltsvorsorge und christliches Armutsideal

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Abs. 3; CD 6, Abs. 3). Schließlich bildet das Beispiel der Urgemeinde von Jerusalem, in der allen alles gemeinsam war (Apg 4,32) und jedem gegeben wurde, was er nötig hatte (Apg 5,35), eine geistliche Motivation für die vom II. Vatikanum inaugurierte Reform des Benefizialwesens und für die Neuordnung der Besoldung der Kleriker und der anderen kirchlichen Dienstnehmer und deren entsprechende soziale Vorsorge sowie für materielle Hilfen zwischen den reicheren und ärmeren Teilkirchen (PO Art. 21).16 Die kirchliche Vermögensverwaltung hat auf das evangelische Zeugnis hin ausgerichtet zu sein. Die Weisung, daß Priester die kirchlichen Güter sachgerecht und nach den Richtlinien der kirchlichen Gesetze, möglichst unter Zuhilfenahme erfahrener Laien verwalten sollen (PO Art. 17, Abs. 3), ist eingebettet in geistliche Weisungen über innere Distanz zu den irdischen Gütern überhaupt (PO Art. 17, Abs. 1) und in die ehrwürdige Richtlinie, daß über den eigenen Unterhalt hinausreichende Amtseinkünfte dem Wohl der Kirche oder guten Werken zuzuwenden sind (PO Art. 17, Abs. 3). II. Speziell die Armut akzentuierende Charismen als besondere Wege zum Heil Es gibt Charismen in der Kirche, in denen das Armutsideal besonders akzentuiert erscheint. Das II. Vatikanische Konzil sagt von der Armutsverpflichtung der Ordensleute: Die freiwillige Armut um der Nachfolge Christi willen, als deren Zeichen sie heute besonders geschätzt wird, sollen die Ordensleute mit liebenden Eifer pflegen und gegebenenfalls in neuen Formen üben. Sie ist Anteil an Christi Armut, der unseretwegen arm wurde, da er doch reich war, damit wir durch seine Entbehrung reich werden (PC Art. 13, Abs. 1). Die Ordensarmut beschränkt sich nicht auf die Abhängigkeit von den Oberen im Gebrauch der Dinge. Die Mitglieder müssen tatsächlich und in der Gesinnung arm sein, da sie ihr Besitztum im Himmel haben (PC Art. 13, Abs. 2). Alle sollen sich – jeder in seiner Aufgabe – dem allgemeinen Gesetz der Arbeit verpflichtet wissen. Im Erwerb aber dessen, was zu ihrem Lebensunterhalt und für ihre Aufgabe notwendig ist, sollen sie alle unangebrachte Sorge von sich weisen und sich der Vorsehung des himmlischen Vaters anheim geben (PC Art. 13 Abs. 3). Kollektives Zeugnis der Armut in Klöstern. Auf dem Hintergrund des Armutsverständnisses begegnen uns gesetzliche Einschränkungen der Erwerbs-, Verfügungs- und Vermögensfähigkeit, die den einzelnen Ordensangehörigen betreffen. Die Klöster bzw. die klösterlichen Verbände müssen natürlich in irgendeiner Form am wirtschaftlichen Leben teilnehmen, ihnen obliegt die

16

Vgl. in diesem Zusammenhang auch VAT II, OT Art. 20.

Hugo Schwendenwein

432

Sorge für den Unterhalt ihrer Mitglieder in gesunden und kranken Tagen und für die Werke der Genossenschaft. Sie sind in der Regel vermögensfähig und können Güter erwerben und über diese verfügen. Auch wenn das Vermögen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten verwaltet werden muß17, so ist doch zu beachten, daß der kanonische Lebensverband kein bloßes Wirtschaftsunternehmen ist; daß der Umgang des Verbandes mit den zeitlichen Gütern den besonderen Verbandszielen dienen muß und diesen nicht etwa abträglich sein darf. Nicht zuletzt mit dem Blick auf die Vorgeschichte in Europa bis hin zur Säkularisation verlangt der Gesetzgeber, daß das Verbandsvermögen nicht zu irgendwelchem Luxus, zu maßlosem Gewinn und zu Güteranhäufung führen darf (can. 634 § 2). Das Ordensdekret des II. Vatikanischen Konzils betont: Auch die Institute als ganze sollen danach trachten, ein gleichsam kollektives Zeugnis der Armut abzulegen, so wie es in ihrer Umwelt angebracht ist, und von ihrem eigenen Besitz gern etwas beitragen für andere Erfordernisse der Kirche und für den Unterhalt der Armen, wie alle Ordensleute im Herzen Christi (PC Art. 13 Abs. 5).18 Obschon die Institute, unbeschadet der Regeln und Konstitutionen, das Recht auf Besitz all dessen haben, was für ihr Leben und ihre Arbeiten notwendig ist, sollen sie doch allen Schein von Luxus von ungewohntem Gewinnstreben und von Güteranhäufung vermeiden (Abs. 6). Auch wenn den meisten Ordensgemeinschaften, ihren Provinzen und Niederlassungen die Vermögensfähigkeit eignet, so gibt es doch, wie das eben Gesagte zeigt, vom Armutsideal gespeiste Richtlinien für den Umgang mit den zeitlichen Gütern. Es gibt aber auch Ordensgemeinschaften, deren Konstitutionen nicht nur für die einzelnen Mitglieder, sondern auch für die Gemeinschaft als solche Einschränkungen oder den Ausschluß der Vermögensfähigkeit vorsehen. Bei den Mendikantenorden (Bettelorden) ist die Vermögensfähigkeit eingeschränkt; sie sollen „de certa mendicitate“, also von der Hand in den Mund leben. Während ihnen im allgemeinen der Besitz von Immobilien gestattet bleibt, sind die Kapuziner und Observanten hievon ausgeschlossen (Conc. Tridentinum sess. XXV Cap. III de regul.). Das Vermögen der Kapuziner und Observanten (z. B. Kirchen, Klostergebäude und -grundstücke, Bibliotheken) steht im Eigentum des Apostolischen Stuhles (vgl. Extr. Ioann. 14, 3).19 An den übrigen zum Gebrauch oder Verbrauch bestimmten Sachen kann Klostereigentum bestehen.20

17 W. Aymans / K. Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. II, Paderborn / München / Wien / Zürich 1997, S. 605. 18 19

Vgl. auch can. 640 CIC.

In Österreich sind die Mendikantenklöster unter dem Aspekt des staatlichen Rechtes erwerbs- und vermögensfähig (H. Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, Essen 1992, S. 596, 288 / 9; siehe auch ÖK / 1933 / 4, Art. 13). Vgl. auch J. Bom-

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III. Die Sorge der Kirche für die Armen Seit der apostolischen Zeit hat sich die Kirche als ‚Schatzmeister der Armen‘ verstanden. Die Hilfeleistung für die Bedürftigen war trotz vieler Verirrungen in der Geschichte des kirchlichen Vermögensrechts eine, um nicht zu sagen die genuin christliche Zweckbestimmung der zeitlichen Güter. Darauf macht der Passus „praesertim erga egenos“ im Dekret über Dienst und Leben der Priester (PO Art. 17 Abs. 3) aufmerksam, in welchem die Konzilsväter auf eine ursprüngliche Zweckbestimmung von kirchlichem Vermögen hinweisen wollten.21 So wie Christus das Werk der Erlösung in Armut und Verfolgung vollbrachte, so ist auch die Kirche berufen, den gleichen Weg einzuschlagen, um die Heilsfrucht den Menschen mitzuteilen. Christus Jesus hat, „obwohl er doch in Gottesgestalt war, ... sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen“ (Phil. 2,6); um unseretwillen „ist er arm geworden, obgleich er doch reich war“ (2 Kor 8,9). So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten. Christus wurde vom Vater gesandt, „den Armen die frohe Botschaft zu bringen, zu heilen, die bedrückten Herzens sind“ (Lk 4,18), „zu suchen und zu retten, was verloren war“ (Lk 19,10). In ähnlicher Weise umgibt die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen (LG Art. 8 Abs. 3). Das Gebot Jesu, den Nächsten zu lieben und dem Notleidenden zu helfen, ist an jeden einzelnen Christen gerichtet, aber es gilt auch der Kirche als ganzer und hat in der Geschichte immer wieder zu karitativen Initiativen und Werken inspiriert. Der Auftrag und die Verpflichtung der Kirche zur karitativen Diakonie resultieren nicht nur aus den die einzelnen Gläubigen gravierenden Pflichten zu karitativem Handeln, sondern fließen aus dem Wesen der Kirche selbst, die dazu bestimmt ist, die Liebe Gottes zu bezeugen und das Heil Gottes zu allen Menschen zu tragen. Darum zählt die karitative Diakonie neben der Verbiero-Kremenac, Zur Frage der beschränkten Eigentumsfähigkeit der strengen Mendikantenorden in Österreich, in: AKKR 111, 1931, S. 446. 20 Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 17), S. 604 / 5. In Deutschland steht rechtlich nichts im Wege, daß die Mendikantenorden die bürgerliche Rechtsfähigkeit einschließlich der Vermögensfähigkeit und somit Vermögen erwerben und besitzen. Das Vermögen und dessen Verwaltung kann in den Formen des bürgerlichen Rechts auf den Apostolischen Stuhl übertragen werden (ebd.). 21

W. Schulz, in: MK. 1254 / 3.

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kündigung des Wortes Gottes und dem Heiligungsdienst zu den Grundfunktionen kirchlichen Lebens und Handelns, bildet mit diesen eine unaufgebbare Einheit und dient wie diese der Heilsseelsorge für alle. Sie ist nicht gleichzusetzen mit den Aktivitäten einzelner kirchlicher karitativer Organisationen, so notwendig auch Organisationen dieser Art sein mögen. Da das Bemühen kirchlicher Diakonie das Heilsein des Menschen in seiner ganzen Dimension als leiblich-seelische Einheit intendiert, hat sie Entscheidendes gemeinsam mit der pastoralen Tätigkeit der Kirche, ohne mit ihr identisch zu sein. Sie ist eigener, integrierender Bestandteil und Ausdruck des Heilsdienstes der Kirche, wie er sich vornehmlich in Verkündigung und Liturgie ereignet, zu denen eine wechselseitige Beziehung besteht und muß daher ihren Platz im Leben jeder christlichen Gemeinde haben.22 Der Bischof23 ist Zeuge der Liebe Christi (can. 383 § 4) und hat dafür zu sorgen, daß der „spiritus caritatis“ in wohlüberlegt organisierter Durchführung karitativer Aktionen durch geeignete Werke, Initiativen und Vereinigungen realisiert wird. Can. 394 § 1 verlangt, daß alle Apostolatswerke in der Diözese – und dazu gehören u.a. auch die die Karitas und die die sozialen Dienste betreffenden Unternehmungen und Einrichtungen – unter der Leitung des Bischofs aufeinander abgestimmt werden (can. 394 § 1).24 Die Pfarrer soll, wie es in CD, Art. 30,2, Abs. 3, heißt, den Armen und Kranken seine Liebe schenken. Als Hirte soll er seiner Gemeinde mit persönlichem Beispiel vorangehen. Wie jeder Priester soll er ein einfaches Leben führen und aus seinem eigenen Einkommen die karitativen Werke unterstützen (can. 282). Zu seinen Amtspflichten zählt es, sich der Armen, Bedrängen und Einsamen in besonderer Weise anzunehmen (can. 529 § 1). Er hat bei der Verwaltung der zeitlichen Güter der Pfarrei (vgl. can. 537) diese ihrer Zweckbestimmung gemäß (can. 1254 § 2) auch für die apostolischen karitativen Werke einzusetzen.25 Die Gläubigen werden im Zusammenhang mit ihrer Verpflichtung, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten26, auch auf das Anliegen der Caritas (can. 222 § 1) hingewiesen. Sie sind, wie es in can. 222 § 1 heißt, auch 22

A. Hierold, in: HdbKathKR2, S. 1028 / 1029.

23 Das Nachsynodale Apostolische Schreiben Papst Johannes Paul II. „Pastores Gregis“ vom 16. Oktober 2003 nennt den Bischof ‚procurator pauperum‘ (Art. 20 Abs. 5), ‚Verteidiger und Vater der Armen‘ (Art. 67 Abs. 2; deutsche Übersetzung in: DBK, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 163, 2003). Es greift damit auf einen Sprachgebrauch der kirchlichen Tradition zurück. 24

A. Hierold, in: HdbKathKR2, S. 1031.

25

Hierold, ebd., S. 1031.

26

Siehe weiter unten.

Unterhaltsvorsorge und christliches Armutsideal

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verpflichtet, die soziale Gerechtigkeit zu fördern und – des Gebotes des Herrn eingedenk – aus ihren eigenen Einkünften die Armen zu unterstützen. Institutionelle Einrichtungen der Armenpflege. Was die Verwendung der kirchlichen Einnahmen anbelangt, hatten die Armen schon in der früheren Kirche einen profilierten Platz. Oblationen, die in, aber auch vor der Messe dargebracht wurden, waren ursprünglich für den Bischof und den Klerus bestimmt, doch hat es sich bald herausgebildet, sie in 4 Teile aufzuteilen: für den Bischof, für den Klerus, für die Armen und für die Kirche. Diese Verteilung wurde später in der Kirchendisziplin unterschiedlich geregelt. Im Vergleich zur urchristlichen Gemeinde haben sich im Laufe der Zeit Caritas bzw. Diakonie aus den Grunddiensten Liturgie und Verkündigung ausdifferenziert und teilweise sogar auch vom Gemeindeleben abgelöst.27 Den Diakonen, die in der frühen Kirche dem Bischof zugeordnet waren, war in besonderer Weise die Sorge für die Armen und zum Teil auch die Vermögensverwaltung aufgetragen. In der Kirchengeschichte zeigt sich immer wieder, daß nicht nur in kirchlichen Einrichtungen (z. B. in Klöstern) Armendienste geleistet (z. B. Ausspeisung usw.), sondern, daß auch kirchliche Einrichtungen (z. B. Orden und Bruderschaften) speziell für caritative Aufgaben begründet wurden. Nicht nur an der kirchlichen Basis sondern auch bei der obersten Kirchenleitung spielen speziell der Armenpflege dienende Einrichtungen eine Rolle. Das Rechtsinstitut der Kardinaldiakone hat seine Wurzeln in den Vorstehern der spätestens im 3. Jahrhundert in Anlehnung an die zivile Aufteilung der Urbs gebildeten Diakoniebezirke28, in deren Aufgabenspektrum die Armenpflege im Vordergrund steht. Die Eleemosineria Apostolica ist das Amt, welches im Namen des Papstes den Pflegedienst für die Armen erfüllt, wie es in Art. 193 der Apostolischen Konstitution „Pastor Bonus“ Papst Johannes Paul II. vom 28. Juni 198829 heißt. Der Ursprung des Amtes des päpstlichen Almosenmeisters ist sehr alt. Denn immer war die Kirche für die Betreuung und Hilfe der Armen zuständig und hat ihnen sowohl mit Geld wie mit Lebensmitteln geholfen. Als die Diakone diese ihnen besonders zugeteilte Aufgaben nicht mehr erfüllten, ging sie auf Amtsträger des päpstlichen Hofes über. Seit dem 16. Jh. ist der päpstliche Almosenmeister immer Titularbischof oder Titularerzbischof.

27

H. Pompey, Caritas. I. Begriff, in: LThK3 II, Sp. 947.

28

Diese Diakone übernahmen neben ihren adminstrativen und caritativen Aufgaben auch Dienste in der Liturgie des römischen Bischofs. 29

AAS LXXX, 1988, S. 814 – 912.

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Die Kirche hat auch auf den sozialökonomischen Umbruch der Gesellschaft seit dem neunzehnten Jahrhundert reagiert. Es sind Orden bzw. ordensähnliche Gemeinschaften mit speziell sozialpädagogischen und krankenpflegerischen Zielen, Vinzenz- und Elisabethkonferenzen und auch Solidaritätsgemeinschaften entstanden. Vor allem sei auf die auf den verschiedenen Ebenen der Kirche bestehende Organisation des Caritasverbandes verwiesen. Die Caritas. Die Ablösung der caritativen Dienste vom Gemeindeleben, die uns in der Kirchengeschichte immer wieder begegnet, hat seit Ende des 19. Jahrhunderts zur Ausbildung einer eigenen Verbandscaritas geführt, die heute auch durch Fachkräfte eine zum Teil flächendeckende und qualifizierte Sozialhilfe anbietet.30 Innerkirchlicher Finanzausgleich. Angemerkt sei, daß das Anliegen der Solidarität, das in der Sorge für die Armen so deutlich Ausdruck findet, auch innerkirchlich durch Hilfeleistung besser gestellter an ärmere Diözesen zum Ausdruck kommt. Im Zusammenhang mit der Anregung, auf teilkirchlicher Ebene den Diözesanbedürfnissen dienende Fonds zu errichten, hat das II. Vatikanische Konzil u.a. auch darauf hingewiesen, daß aus diesen Fonds auch reichere Diözesen ärmere unterstützen sollen, damit ihr Überfluß deren Mangel abhelfe (PO Art. 21, Abs. 1). Diese Norm ist auch in can. 1274 § 3 CIC / 1983 eingegangen.31 IV. Zurückhaltung bei Kodifizierung kirchlicher Besteuerungsmöglichkeiten Möglichkeiten der Deckung des kirchlichen Finanzbedarfes. Die Kirche kann, so wie jedes andere Rechtssubjekt auf jede gerechte Art des Natur- bzw. des positiven Rechtes zeitliche Güter erwerben (can. 1259). Diese Norm liegt auf der Linie von can. 1254 § 1, in welchem der Erwerb zeitlicher Güter durch die Kirche als ius nativum Ecclesiae bezeichnet wird. D.h. dieses Recht steht der Kirche unabhängig von der staatlichen Gewalt zu. Den Erwerbsmodi des Naturrechts werden die Okkupation (Inbesitznahme einer herrenlosen Sache), der Akzeß (Verbindung eines eigenen Gutes mit einer anderen Sache, z. B. Zuwachs, Früchte), der Vertrag und das Testament (oder genauer: die Verfügung von Todes wegen) zugerechnet. Die Erwerbsmodi des Zivilrechts sind je nach der staatlichen Gesetzgebung verschieden. Zu all dem 30 31

Pompey, (Anm. 27), Sp. 947.

Wenn es im Canon heißt, daß solche Fonds, soweit erforderlich eingerichtet werden müssen, so ergibt sich daraus, daß ihre Errichtung in jenen Diözesen, in denen den in can. 1274 § 3 genannten Anliegen auf andere Weise gedient ist, nicht verlangt ist. Bezüglich can. 1274 § 3 siehe weiter unten.

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kommen auch spezifische Erwerbsmodi des kirchlichen Rechtes. Verwiesen sei auf die Bestimmungen des CIC / 1983 über folgende Bereiche: ordentliche und außerordentliche Steuern (Tribute) (can. 1263); Taxen für bestimmte Akte der potestas exsecutiva gratiosa, für die Exekution von Reskripten des Heiligen Stuhles (can. 1264) und Gerichtstaxen (can. 1649); Oblationen der Gläubigen gelegentlich der Spendung von Sakramenten und Sakramentalien (can. 1264); Oblationen (can. 1261), die spontan (can. 1267) oder über Bitte bzw. Wunsch der Autorität (z. B. Sammlungen) von den Gläubigen gegeben werden (cann. 1262, 1265, 1266); bestimmte Modifikationen in betreff kirchlicher juristischer Personen (Zusammenlegung, Teilung, Erlöschen; cann. 121 – 123). Partikularrechtlich können noch andere Modi vorgesehen sein (z. B. Staatsleistungen auf vertraglicher Basis). Unter den spezifischen kanonischen Modalitäten des kirchlichen Vermögenserwerbes nehmen einen beachtlichen Teil die Beiträge bzw. Gaben der Gläubigen ein.32 Besonders genannt seien die unentgeltlichen Gaben der Gläubigen (einschließlich der bei Kollekten gegebenen Gaben), Oblationen aus Anlaß sakramentaler Vollzüge und der Spendung von Sakramentalien, Steuern bzw. Kirchenbeiträge auf Grund des Besteuerungsrechtes des Diözesanbischofs gemäß can. 1263, auf partikularrechtlicher Grundlage erhobene Steuern und Kirchenbeiträge, die Seminarsteuer und Taxen. Begrenzte Besteuerung nach dem allgemeinen Kirchenrecht. Das allgemeine Kirchenrecht (der Codex Iuris Canonici) sieht nur in sehr begrenztem Maße Besteuerungsmöglichkeiten vor. Nach can. 222 § 1 sind die Gläubigen verpflichtet, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten, damit ihr die Mittel zur Verfügung stehen, die für den Gottesdienst, die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für einen angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig sind. Die Grundform, die der Codex hiefür im Auge hat, ist in can. 1262 umschrieben: Die Gläubigen sollen der Kirche durch erbetene Unterstützung („subventiones rogatae“) – und zwar gemäß den von der Bischofskonferenz erlassenen Normen – Hilfe gewähren. Bei diesen Subventionen handelt es sich um nach Norm der Bischofskonferenz näher bestimmte, in ihren Voraussetzugen tatbestandlich umschriebene regelmäßige Zuwendungen, die mehr sind als bloße Spenden aus Freigiebigkeit, deren tatsächliche Leistung andererseits von der Freiwilligkeit desVerpflichteten abhängt und die nicht mit Sanktionen ausgestattet sind. Sie erscheinen als die gemeinrechtliche Grund- und Regelform, als das maßgebende Leitbild, das dem Gesetzgeber vorschwebte. Dem gegenüber hat die Form der Steuer und auch eine Abgabe in Form des österreichischen Kirchenbeitrages Sonder- und Ausnahmecharakter. Nach can. 1263 kann der Bischof juristischen Personen öf32

Vgl. hiezu H. Schwendenwein, Rechtsformen des kirchlichen Gütererwerbes, in: Administrator Bonorum (Anm. 3), S. 163 – 175.

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fentlichen Rechtes eine maßvolle, ihren Einkünften angemessene Steuer auferlegen.33 Natürliche (die Gläubigen) und andere juristische Personen kann er nur im Falle eines schweren Notstandes zu einer maßvollen Steuer34 heranziehen.35 Der gesamtkirchliche Gesetzgeber ist also äußerst zurückhaltend, wenn es darum geht, die Verpflichtung des can. 222 (Beitrag der Gläubigen zum kirchlichen Aufwand) in konkrete rechtlichen Formen umzusetzen. Größere Besteuerungsmöglichkeit nach dem Partikularrecht. Diesen einengenden Bestimmungen, durch die augenscheinlich ein unbegrenztes allgemeines Besteuerungsrecht vermieden werden sollte, ist bei Redigierung des derzeit geltenden kirchlichen Gesetzbuches auf Betreiben der deutschen Bischofskonferenz ein Vorbehalt zugunsten des Partikularrechts angefügt worden: Der Diözesanbischof besitzt das in can. 1263 umschriebene Besteuerungsrecht „unbeschadet der partikularen Gesetze und Gewohnheiten, die ihm weitergehende Rechte einräumen“. Diese Klausel, die auch als „clausula teutonica“ bezeichnet wird, wäre nicht notwendig gewesen, um das staatskirchenrechtlich geordnete, auf Vertrag und Gesetz beruhende deutsche Kirchensteuer- und das österreichische Kirchenbeitragssystem zu „halten“. Aber sie zeigt, daß das Beibehalten solcher Sonderformen auch unabhängig von ihrer staatskirchenrechtlichen Absicherung möglich ist.36 Insgesamt wird man sagen müssen, daß das gesamtkirchliche Recht, wenngleich die Kirche auf Mittel angewiesen ist und die Gläubigen zu entsprechenden Beiträgen auffordert, in der Frage sanktionsbewehrter Vorschreibungen zur Zurückhaltung neigt.37

33 Can. 1263, 1. Halbsatz: Der Diözesanbischof hat das Recht, nach Anhören des Vermögensverwaltungsrates und des Priesterrates, für die notwendigen Bedürfnisse der Diözese den seiner Leitung unterstellten öffentlichen juristischen Personen eine maßvolle, ihren Einkünften entsprechende Steuer aufzuerlegen. 34

Can. 1263, 2. Halbsatz: Den übrigen natürlichen und juristischen Personen (jenen, die nicht öffentliche Personenqualität haben) darf er nur im Falle großen Notstandes und unter denselben Bedingungen (Anhören des Vermögensverwaltungsrates und des Priesterrates) eine außerordentliche und maßvolle Abgabe auferlegen, unbeschadet der partikulären Gesetze und Gewohnheiten, die ihm weitergehende Rechte einräumen. 35

A. Hollerbach, in: HdbKathKR², S. 1080.

36

Hollerbach, ebd.

37

Es mag sein, daß es in manchen Ländern schwer ist, kirchliche Beitragsforderungen im staatlichen Bereich durchzusetzen, aber die Zurückhaltung des gesamtkirchlichen Rechtes betrifft auch Sanktionen im innerkirchlichen Rechtsbereich. Die Zurückhaltung betrifft die für die gesamte Kirche gegebenen Regelungen. In partikulären kirchlichen Rechtsbereichen, können sich auch sanktionsbewehrte Beitrags- oder Steuer-

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V. Die Unterhaltsvorsorge für die Priester Was die soziale bzw. finanziellen Absicherung der Angehörigen geistlicher Heimatverbände betrifft, geben das II. Vatikanum und der CIC / 1983 auch differenzierte Richtlinien. Bei den Priestern, die in ganz besonderer Weise in den Dienst der Kirche eingebunden sind, setzt die Kirche nicht nur darauf, daß Gott für sie sorgen wird, sondern sie trifft auch – im Rahmen der Möglichkeiten – Vorsorgen für ihren Unterhalt. Die kirchlichen Einnahmen dienen jenen Erfordernissen, die die Kirche, wenn sie den Heilsdienst gewährleisten will, gravieren. Unter diesen Erfordernissen nimmt der Aufwand für den Seelsorgsklerus eine zentrale Rolle ein. Can. 1254 CIC / 1983 betont, daß die Kirche zeitliche Güter besitzen darf, um der „honesta cleri aliorumque ministrorum sustentatio“ willen. Das Benefizialrecht – die „dos beneficii“ in armen Ländern. Im Laufe des Mittelalters hat sich als Versorgungssystem, das den größten Teil des Weltklerus betraf, das Benefizialsystem ausgebildet. Voraussetzung für die Errichtung einer Pfarre (bzw. eines nach dem Benefizialsystem ausgestalteten kirchlichen Amtes) war die Ausstattung mit entsprechendem Vermögen oder Fruchtbezugsrechten; der Lebensunterhalt des Amtsinhabers mußte gesichert sein. Naturgemäß war die materielle Ausstattung (dos, praebenda, Pfründe) nur ein accessorium des geistlichen Amtes, aber sie galt als mit dem geistlichen Amt dauernd verbunden und durfte nicht gemindert werden. Selbstverständlich hat man nicht darauf verzichtet, in kirchlich armen Ländern eine kirchliche Organisation aufzubauen, und man hat versucht, auch unter den Verhältnissen einer armen Kirche, die keine entsprechenden wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, den Grundsatz aufrecht zu erhalten, daß die Stelle eines Pfarrers auch einer wirtschaftlichen Ausstattung bedarf, indem man auch auf außerordentliche, auch auf normalerweise nicht zugelassene Möglichkeiten zurückgegriffen hat. In Ausnahmefällen ist man in der Interpretation dessen, was Gegenstand der „dos beneficii“ sein kann, sehr weit gegangen, mitunter bedurfte es spezieller römischer Interventionen, weil man für die Ausstattung des Benefiziums Einnahmemöglichkeiten konzipierte, die nach dem herkömmlichen Verständnis in dieser Form nicht als „dos beneficii“ gestaltet werden konnten.38 In manchen Ländern konnte man an die Lösung dieser Frage nur mit einem von großem Gottvertrauen getragenen Armutsverständnis herangehen, aber man hat dabei doch auch versucht, das unter den gegebenen Umständen

forderungen, die sich in der Vergangenheit ausgebildet haben, finden (vgl. z. B. das deutsche Kirchensteuer- und das österreichische Kirchenbeitragssystem). 38

Dies konnte soweit gehen, dass unter Umständen eine Ausnahmeregelung zur Annahme bzw. zur gleichzeitigen Applikation mehrerer Messstipendien erzielt wurde.

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Mögliche zu tun, um Sicherungen für den Unterhalt des Klerus aufzubauen, und in manchen Fällen sogar die unter besseren Verhältnissen hiefür aufgestellten Grundsätze in einer vom sonst üblichen Verständnis abweichenden Weise interpretiert. Das Benefizialsystem war zweifelsohne eine hervorragende Schöpfung der kirchlichen Rechtsgeschichte, und es erfüllte seine Aufgabe, solange es möglich war, den Lebensunterhalt vom Ertrag kleinerer Vermögen zu bestreiten. Da dies in der Folge der im 19. Jahrhundert einsetzenden Entwicklung immer schwieriger wurde, war die Kirche gezwungen, andere Formen der Finanzierung des Personalaufwandes fruchtbar zu machen; aber auch das II. Vatikanische Konzil und das kirchliche Gesetzbuch von 1983, die versuchen, an Stelle des Benefizialrechtes der neueren Entwicklung angemessene Rechtsvorschriften zu geben, legen Wert auf die Sicherung des Unterhaltes der Kleriker. Vorrang des Amtes vor der finanziellen Ausstattung. Das Priesterdekret des II. Vatikanischen Konzils betont den Vorrang des Amtes vor der finanziellen Ausstattung: Die erste Bedeutung muß dem Amt, das die geweihten Diener ausüben, zugemessen werden. Deshalb soll das sogenannte Benefizialsystem aufgegeben oder wenigstens so reformiert werden, daß der Benefiziumsteil oder das Recht auf die aus der Übergabe des Amtes fließenden Einkünfte als zweitrangig gilt und der erste Platz im Recht dem kirchlichen Amt selbst eingeräumt wird; deshalb muß künftig jegliches ständig übertragene Amt so verstanden werden, daß es zur Erfüllung eines geistlichen Zweckes verliehen ist (PO, Art. 20 Abs. 2). Praktisch gab es Bestimmungen dieser Art auch schon im Konnex des herkömmlichen Benefizialrechtes; das Priesterdekret hat im Grunde nichts Neues gesagt. Doch zeugt die Tatsache, daß die Konzilsväter diese Äußerung in das Dekret einfügten, wie wichtig diese die finanzielle Frage in den Hintergrund stellende Sicht ist. Traditionellerweise durfte niemand ohne entsprechenden Weihetitel, der ja praktisch ein Unterhaltstitel war, geweiht werden (titulus beneficii, titulus pensionis usw.). Für die Ordensleute gewährleistete der titulus paupertatis die Versorgung im jeweiligen Verband. Im Laufe der Zeit entwickelten sich neue Weihetitel (titulus mensae, titulus servitii dioecesis usw.), die auf die Versorgung durch den Landesherrn oder durch den Bischof abstellten. Dahinter stand die Überlegung, daß der Bischof seiner Verpflichtung zum Unterhalt des Geweihten dadurch genügen kann, daß er diesem eine mit entsprechenden Einnahmen verbundene kirchliche Stelle39 verleiht.40 Angesichts dessen, daß der Vorsteher des geistlichen Heimatverbandes Verantwortung für den Unterhalt der seinem Verband zugehörigen Geistlichen trägt, hat man es nicht für notwendig gehal39

Z. B. ein Benefizium.

40

Es gab auch Fälle, in denen jemand auf den Titel eines Benefiziums geweiht wurde.

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ten, das Rechtsinstitut des Weihetitels im CIC 1983 aufrecht zu erhalten. Nach can. 274 § 2 sind die Kleriker gehalten, wenn sie nicht durch ein rechtmäßiges Hindernis entschuldigt sind, eine Aufgabe, die ihnen von ihrem Ordinarius übertragen wird, zu übernehmen und treu zu erfüllen. Und can. 281 legt fest, daß die Kleriker, weil sie sich dem kirchlichen Dienst widmen, eine Vergütung verdienen, die ihrer Stellung angemessen ist; dabei sind die Natur ihrer Aufgabe und die Umstände des Ortes und der Zeit zu berücksichtigen, damit sie mit ihr (der Vergütung) für die Erfordernisse ihres Lebens und auch für eine angemessene Entlohnung derer sorgen können, deren Dienste sie bedürfen. Fonds für die Klerusbesoldung. Auch in unserer Zeit stellt sich die Frage, wie die Mittel aufgebracht werden, die für die Klerusbesoldung erforderlich sind. Das II. Vatikanische Konzil hat unter Berufung auf das Beispiel der Urgemeinde von Jerusalem41 dem Grundsatz der Solidarität einen hohen Stellenwert zugewiesen und es für angemessen gehalten, daß, wenigstens in den Gebieten, in denen die Entlohnung des Klerus ganz oder zum Teil von den Gaben der Gläubigen abhängt, die zu diesem Zweck gegebenen Gelder bei einer bestimmten Diözesanstelle gesammelt werden. Die konziliare Bestimmung über die Schaffung eines derartigen Fonds ist auch in den CIC / 1983 eingegangen. Nach can. 1274 § 1 hat es in den einzelnen Diözesen eine besondere Einrichtung zu geben, die Vermögen oder Gaben zu dem Zweck sammelt, daß der Unterhalt der Kleriker, die für die Diözese Dienst tun, gemäß can. 281 gewährleistet ist, falls nicht anders für sie vorgesorgt ist. Fonds für soziale Risiken. Die Sorge der Kirche geht aber weiter. Sie umgreift auch die sozialen Risiken. Nach can. 281 § 2 ist Vorsorge zu treffen, daß die Kleriker42 jene soziale Hilfe erfahren, durch die für ihre Erfordernisse bei Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder im Alter angemessen gesorgt ist. Die soziale Fürsorge, auf die der Kleriker ein Recht hat, umfaßt die gebührende Unterstützung kranker, invalider und alter Kleriker. Soziale Vorsorge ist die Sicherstellung der sozialen Fürsorge durch entsprechende Einrichtungen (z. B. Rücklagen, Ruhegehaltskassen, Krankenversicherungen). Aus dem Recht auf soziale Vorsorge ergibt sich, daß der Heimatoberhirte Vorsorge für den Unterhalt der kranken, invaliden und alten Kleriker zu treffen hat. Das Recht bedeutet aber nicht, daß der einzelne Kleriker dazu selbst nichts zu leisten braucht. Er ist gehalten, sich an der Vorsorge für sich und die Mitbrüder zu beteiligen (PO Art. 21 Abs. 2). Im Falle erschwerter Arbeitsbedingungen, wie sie etwa unter klimatisch andersgearteten Lebensverhältnissen gegeben sind, gehört zur sozialen Vorsorge, auf die der Kleriker einen Anspruch hat, auch die ständige

41 42

Siehe weiter oben.

Can. 281 § 2 betrifft ebenso wie can. 1274 §§ 1 und 2 nicht nur die Priester, sondern die Kleriker überhaupt.

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ärztliche Betreuung und vor Beginn des Einsatzes die Untersuchung auf die körperliche Tauglichkeit (z. B. Tropentauglichkeit).43 Zu dem hier entfalteten Zweck muß dort, wo die soziale Vorsorge für den Klerus noch nicht angemessen geordnet ist, die Bischofskonferenz dafür sorgen, daß eine Einrichtung besteht, durch welche die soziale Sicherheit der Kleriker hinreichend gewährleistet wird (can. 1274 § 2 CIC / 1983). Der CIC folgt damit einer Forderung des II. Vatikanischen Konzils, das ausführlich auf dieses Anliegen eingegangen ist: In den angesprochenen Fällen sollen durch die Bischofskonferenz unter Beobachtung der kirchlichen und zivilen Gesetze entweder Einrichtungen auf Diözesanebene, die auch untereinander zusammengeschlossen sein können, oder Einrichtungen für verschiedene Diözesen zusammen geschaffen oder eine Vereinigung für das ganze Gebiet gegründet werden, durch die unter Aufsicht der Hierarchie genügend für ausreichende Rücklagen, für Krankenversicherung und für den gebührenden Unterhalt der kranken, invaliden und alten Priester gesorgt wird. Die Priester aber sollen eine solche Einrichtung nach ihrer Gründung, angeregt vom Geist brüderlicher Solidarität, unterstützen, an der Last der anderen teilnehmen und dürfen dabei zugleich das Wissen haben, daß sie so ohne Angst vor der Zukunft, fröhlichen Sinnes, gemäß dem Evangelium, die Armut pflegen und sich ganz dem Heil der Seelen hingeben können. Die Verantwortlichen aber mögen sich darum kümmern, daß gleichartige Institute der verschiedenen Nationen sich zusammenschließen, um so größere Bedeutung und weitere Verbreitung zu erlangen (PO Art. 21 Abs. 2).44 Die Kirche hat auf diesem Wege rücksichtlich der sozialen Risken für den Klerus ähnliche Lösungsmodelle vorgelegt, wie sie die Gesetzgebung vieler Staaten in allgemeiner Weise für die Bevölkerung bzw. für weite Bereiche der Bevölkerung getroffen hat, nämlich die Einführung zentraler, speziell diesem Zweck dienender Einrichtungen (wie etwa Krankenkassen, Pensionsversicherungsanstalten usw.). Solange die Benefizien entsprechende Erträge abgeworfen haben, stellte sich das Problem der Pensionsvorsorge nicht so gravierend dar. Nach dem Tridentinum (Sess. 21, de ref., cap. 2) war der Verzicht auf ein Benefizium unzulässig, wenn das Benefizium den Ordinationstitel des Resignierenden bildete, und

43 44

Schmaus, Bemerkungen (Anm. 12), S. 150.

Während in anderen Rechtsbereichen das Konzil grundsätzliche Weichenstellungen formuliert, die der Codex detaillierter ausfaltet, ist PO Art. 21 Abs. 2 ausführlicher als can. 1274 § 2 CIC. Selbstverständlich wird durch den CIC, wenn er eine Konzilsaussage, ohne Gegenteiliges festzulegen, in verknappter Form zusammenfaßt, der Konzilstext nicht derogiert. Das Konzil bietet auch über die Vorschreibung rechtlicher Vorsorgen hinaus eine wichtige Aussage über die priesterliche Haltung in der genannten Frage.

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nicht die Substitution eines anderen Titels erfolgte. Viele Amtsinhaber sind bis zum Tod Titulare des Benefiziums geblieben und haben aus den Einkünften Koadjutoren bzw. Hilfsorgane angestellt.45 Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß die Kapläne (Vicarii paroeciales, Kooperatoren) ursprünglich vom Pfarrer in ähnlicher Weise wie Handwerksburschen vom Meister aufgenommen wurden. In manchen Gegenden gab es sogar wie bei der Bestellung von landwirtschaftlichen Mitarbeitern (Bauernknechten) einen Lostag (vielerorts der 2. Februar) für den Dienstantritt neuer Hilfspriester. Erst im Laufe der Zeit wurde die Frage des Einsatzes von Kooperatoren von den Diözesanleitungen aufgegriffen und auf Diözesanebene organisiert. Durch die wirtschaftlichen Umwälzungen wurde es immer weniger möglich, den Bedarf für die Hilfspriester aus den Einnahmen der Benefizien, die immer seltener für den Unterhalt des Benefiziuminhabers ausreichten, zu decken. So erschien es auch von dieser Seite her naheliegend, auf neue Formen der Klerusbesoldung auszuweichen. Bei alledem zeigt sich, daß man Fragen des Einkommens und der sozialen Sicherheit der Priester bevorzugt auf diözesaner Ebene regelt, statt daß man wie früher die einzelne Dienststelle mit Vermögen und Einkommen, die sich je nach den Umständen verschieden entwickeln können, verbindet. Die Frage der Versorgung der Priester soll möglichst vom individuellen Interesse losgelöst sein. Armutsideal – Gottvertrauen – Institutionelle Vorsorgen. Bei genauer Betrachtung des Textes des Priesterdekretes wird eine unentrinnbare Dialektik sichtbar. Einerseits müssen die himmlischen Gaben vom Priester ohne Entgelt weitergegeben werden. Sie können nicht mit irdischen Werten bezahlt werden. Solches zu versuchen oder zu tun, würde den Tatbestand der Simonie begründen. Andererseits muß der Priester leben. Er muß für seine Mühe entlohnt werden. Auch dies entspricht dem Neuen Testament. Der Arbeiter ist seines Lohnes wert (Mt 10,10). Das Konzil billigt ihm sogar ein „standesgemäßes“ Leben zu, ohne allerdings positiv zu erklären, was darunter zu verstehen ist. Man kann es negativ abgrenzen: Es ist verschieden von einem Bettlerdasein und von einem Luxusleben. Offensichtlich besteht innerhalb dieser Extreme eine gewisse Spannweite. Es entspricht auch der Meinung des Konzils, wenn man sagt, daß trotz wesentlicher Gleichheit die Verschiedenheit der priesterlichen Amtsaufgaben auch eine Verschiedenheit hinsichtlich des standesgemäßen Lebens bedingt.46

45

Unter Umständen wurde auch durch die kirchliche Autorität ein Koadjutor oder Administrator bestellt. J. B. Haring nennt den Fall der geistigen Erkrankung des Benefiziumsinhabers (Grundzüge des katholischen Kirchenrechtes, Graz 1910, S. 620, Anmerkung 2). 46

Schmaus, Bemerkungen (Anm. 12), S. 157.

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Wenn man die bettelnd umherziehenden Priester des Mittelalters und auch die Priesterbettler nach dem zweiten Weltkrieg in Erinnerung ruft, so erscheint es verständlich, daß das II. Vatikanum auf die standesgemäße Versorgung der Priester Gewicht legt. Aber ungeachtet dieser Gewichtung gehört eine wesentliche Sorge des Konzils der priesterlichen Armut, die nicht als Bettelarmut gedacht ist, sondern als Freiheit von eitlem Luxus.47 In diesem Sinne betont der Codex Iuris Canonici, daß die Kleriker ein einfaches Leben frei von Eitelkeit führen müssen (can. 282 § 1 CIC / 1983). In einem Weltrecht handelt es sich notwendigerweise um eine relative Gesetzesaussage, weil die Einfachheit an der jeweiligen Gesellschaft Maß zu nehmen hat. Auch das System, das das Benefizialsystem ablöst, ist offen für arme Kirchen, die nur unzureichende Einkünfte haben, die Fonds können entsprechende Einnahmen nur erwarten, wenn die kirchliche Mittel oder die Gebefreudigkeit der Bevölkerung gegeben sind.48 Die Einfachheit des Lebensstils ist nicht mit kultureller Anspruchslosigkeit zu verwechseln.49 Das Dekret des II. Vatikanischen Konzils über die Priesterbildung verlangt, daß bereits die Alumnen mit besonderer Sorgfalt im priesterlichen Gehorsam, in armer Lebensweise und im Geist der Selbstverleugnung erzogen werden, so daß sie sich daran gewöhnen, auch auf erlaubte, aber unnötige Dinge bereitwillig zu verzichten, und dem gekreuzigten Christus ähnlich zu werden (OT Art. 9, Abs. 1).50 Wenngleich also kirchliche Einkünfte für die Kleriker vorgesehen sind, so sollen sie aus diesen keine Vermögen anhäufen. Was davon übrig bleibt, nachdem für ihren angemessenen Unterhalt und die Erfüllung aller Pflichten des eigenen Standes gesorgt ist, sollten sie zum Wohl der Kirche und für Werke der Caritas verwenden (can. 282 § 2). Damit gibt der Gesetzgeber eine allgemeine Tendenz für die Verwendung kirchlicher Einkünfte vor. Zölibatäre Kleriker haben in diesem Zusammenhang das Wohl ihrer Haushälterin zu den Pflichten des eigenen Standes zu rechnen; im übrigen jedoch sollten sie die Überschüsse aus kirchlichen Einkünften nicht

47

Ebd., S. 159.

48

In manchen Ländern besteht für den Fall des Ausscheidens aus dem priesterlichen Dienst die Möglichkeit einer die Pensionsvorsorge betreffenden Nachversicherung, die sich allerdings nur auf Ausscheidende bezieht und in einer Nachzahlung von Pensionsbeiträgen für die im priesterlichen Dienst verbrachten Jahre besteht. 49 50

Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 17), S. 162.

Vgl. hiezu auch H. Schwendenwein, Priesterbildung im Umbruch des Kirchenrechts, Wien 1970, S. 175.

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445

vornehmlich zur Beglückung der eigenen Verwandschaft nutzen, sondern der Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben zuführen.51 Zurückhaltung bei bestimmten Möglichkeiten der Finanzgebarung. Die vom Kleriker erwartete Zurückhaltung bezüglich finanzieller Geschäfte geht sehr weit. Auch an sich unbedenkliche Verhaltensweisen, die dem privaten Bereich zuzuordnen sind, können für einen Kleriker unziemlich sein52, insbesondere wenn sie mit wirtschaftlichen Risiken verbunden sind.53 Hier sei auf folgende Normen des CIC / 1983 verwiesen: - Ohne Erlaubnis ihres Ordinarius dürfen die Kleriker54 die Verwaltung von Vermögen, das Laien gehört, oder weltliche Ämter nicht übernehmen, mit denen die Pflicht zur Rechenschaftsablage verbunden ist (can. 285 § 4, 1. Satz). - Die Übernahme einer Bürgschaft, mag sie auch nur das eigene Vermögen belasten, ist den Klerikern ohne Befragen des eigenen Ordinarius verboten.55 Ebenso ist es ihnen versagt, eine Wechselverpflichtung56 zu unterschreiben (can. 285 § 4, 2. Satz).57

51 Dies sollte namentlich bei der Aufstellung des Testamentes Beachtung finden (Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II [Anm. 17], S. 171). 52

Vgl. auch H. Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht – Gesamtdarstellung, Graz / Wien / Köln 21984, S. 157. 53

Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 17), S. 168.

54

Die in den beiden hier zitierten cann. (285, 286) angeführten gemeinrechtlichen Verbote betreffen die Ständigen Diakone nicht. Diese sind gem. can. 288 von den Verboten der genannten cann. ausgenommen. Ständige Diakone müssen vielfach sich und ihre Familie durch einen Profanberuf ernähren. Allerdings hat der Partikulargesetzgeber die Möglichkeit, derartige Verbote für die Ständigen Diakone festzulegen. 55

Can. 285 § 4, 2. Satz. Bei dieser Norm scheint es nicht nur um das bloße Befragen des eigenen Oberhirten zu gehen. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, daß die Erlaubnis des Oberhirten erforderlich ist. Schon can. 137 CIC / 1917 ist auf die damit verbundene Erlaubnis hin interpretiert worden; auch durch den Aufbau von can. 285 § 4 legt sich dieses Verständnis nahe. Der Sache nach erscheint diese Norm darin gerechtfertigt, daß Kleriker so eher vor Belästigungen geschützt werden; andererseits soll durch die zur Besprechung stehende Bestimmung verhindert werden, daß sie Verpflichtungen auf sich nehmen, die sie letzten Endes zum Schaden des eigenen Standes nicht erfüllen können, und daß zur Abwendung solchen Schadens der Heimatverband moralisch in die Rolle eines Erfüllungsgehilfen genötigt werden könnte (Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 17), S. 169). 56

Vgl. can. 285 § 4, 3. Satz: Auch dürfen sie keine Schriftstücke unterschreiben, in denen sie die Verpflichtung zu einer Geldzahlung ohne festgelegten Grund übernehmen (can. 285 § 4). 57

Des Näheren siehe H. Schwendenwein, in: HdbKathKR2, S. 281 / 2.

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- Gewerbe oder Handel dürfen Kleriker nicht ausüben, gleichgültig, ob in eigener Person oder durch andere, zu ihrem eigenen oder zu anderer Nutzen, außer mit Erlaubnis der rechtmäßigen kirchlichen Autorität (can. 286). VI. Die besondere Situation der ständigen Diakone Die rücksichtlich der Priester angeführten unterhaltsrechtlichen Vorschriften (siehe vor allem cann. 274 § 2, 281, 1274 §§ 1 und 2) gelten für die Kleriker, also grundsätzlich auch für die Diakone, doch bestehen, was die verheirateten Diakone, die Diakone mit Zivilberuf betrifft, wichtige Sonderregelungen, die zu beachten sind. Das Konzept, daß sie der Kirche mit ganzer Kraft dienen und die Kirche für ihren Unterhalt sorgt, ist bei den Diakonen mit Zivilberuf nicht in gleicher Weise wie bei den Priestern durchgezogen. Nach can. 281 § 3 haben verheiratete Diakone, die sich ganz dem kirchlichen Dienst widmen, Anspruch auf Vergütung, mit der sie für ihren und ihrer Familie Lebensunterhalt sorgen können; wer aber wegen seines Zivilberufes, den er ausübt oder ausgeübt hat, Vergütung erhält, hat aus diesen Einkünften für sich und die Erfordernisse seiner Familie zu sorgen. In manchen Ländern werden ständige Diakone, wenn sie sich hauptberuflich in der Kirche engagieren, nicht als Diakone, sondern in einer auch Laien zugänglichen Verwendung (z. B. als Pastoralassistenten, als Gemeindereferenten) angestellt. In Österreich sind ständige Diakone – zum Unterschied von den Priestern – in die allgemeine Sozialversicherung (nach dem allgemeinen Sozialversicherungsgesetz) einbezogen, so daß bei ihnen rücksichtlich der sozialen Risiken nicht die Kirche, sondern so wie bei Angestellten in der Privatwirtschaft die allgemeine Sozialversicherung auf den Plan tritt.58 VII. Vorsorgen für kirchliche Laiendienstträger Kirchliche Dienstnehmer (gerechter Lohn und soziale Grundsätze). Nach can. 1286 CIC / 1917 müssen die kirchlichen Vermögensverwalter bei Vergabe von Aufträgen auch das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen beachten (1°). Sie müssen denjenigen, die aufgrund eines Vertrages Arbeit leisten, einen gerechten und ange-

58

Sie sind versorgungsrechtlich in einer den kirchlichen Laienangestellten, die nicht Beamtenstatus haben, vergleichbaren Situation. Bei ihnen hat auch die Sorge für die eigene Familie und die Verwandten einen besonders hohen Stellenwert. Bezüglich der Laienangestellten muß allerdings angemerkt werden, daß in Deutschland die Möglichkeit besteht, sie im Beamtenstatus zu bestellen, was natürlich auch pensionsrechtliche Vorsorgemaßnahmen impliziert.

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messenen Lohn zahlen, so daß diese in der Lage sind, für ihre und ihrer Angehörigen Bedürfnisse angemessen aufzukommen (2°).59 Einer Anregung des II. Vatikanischen Konzils zufolge60 bestimmt can. 1274 § 3, daß in den einzelnen Diözesen, soweit erforderlich, ein allgemeiner Vermögensfonds einzurichten ist, durch welchen die Bischöfe in die Lage versetzt werden, den Verpflichtungen gegenüber den Kirchenbediensteten61 Genüge zu leisten und den verschiedenen Erfordernissen der Diözese62 nachzukommen. VIII. Die besondere Situation der Ordensleute Selbst bei Ordensleuten und den Angehörigen von ordensähnlichen Verbänden spielt die Sorge für die Einzelnen eine Rolle, die in konkreten Einzelnormen sogar den Verzicht auf bestimmte Formen finanzieller Absicherung erschwert oder gar verunmöglicht. Im Ordensrecht gilt der Grundsatz: Was ein Ordensangehöriger durch eigenen Einsatz oder im Hinblick auf das Institut erwirbt, erwirbt er für das Institut. Was ihm aufgrund einer Pension, einer Unterstützung oder einer Versicherung irgendwie zukommt, wird für das Institut erworben, sofern im Eigenrecht nichts anderes festgelegt ist (can. 688 § 3).63 Aber das Institut muß seinen Mitgliedern alles zur Verfügung stellen, was gemäß den Konstitutionen zur Erreichung des Zieles ihrer Berufung erforderlich ist (can. 670).

59 Ähnlich can. 1030 CCEO: Der Verwalter der kirchlichen Güter muß 1. bei der Vergabe von Aufträgen das weltliche Arbeits- und Sozialrecht gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen genau beachten; 2. denen, die eine Arbeit aufgrund eines Vertrages leisten, eine gebührende Vergütung zahlen, so daß sie für ihre eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse ihrer Angehörigen in angemessener Weise sorgen können. 60

Vgl. PO Art. 21, Abs. 1: Es ist auch zu wünschen, daß außerdem in den einzelnen Diözesen oder Gebieten, soweit möglich, ein gemeinsamer Fonds angelegt wird, durch den die Bischöfe Verpflichtungen gegenüber anderen, die im Kirchendienst stehen, genügen und die verschiedenen Diözesanbedürfnisse befriedigen können. 61

Can. 1274 sieht also außer den Fonds für den Unterhalt und für die soziale Sicherheit des Klerus noch einen dritten Fonds (für den Unterhalt der Laienbediensteten und andere Erfordernisse der Diözese) vor. Allerdings sind diese Fonds nur dann zu errichten, wenn eine Notwendigkeit besteht bzw. wenn nicht schon auf andere Weise für das betreffende Anliegen vorgesorgt ist. 62

Dieser Fonds kann auch dem Anliegen der Unterstützung armer Diözesen durch reichere dienen. 63 Die Gesellschaften des Apostolischen Lebens und die Säkularinstitute haben vom allgemeinen Recht zur Regelung dieser Fragen einen größeren Spielraum. Die konkreten Satzungsbestimmungen gehen meistens weniger weit als die der Religioseninstitute.

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Besonderes Augenmerk wendet das Ordensrecht dem Vermögen, das dem Ordenskandidaten bei Klostereintritt bzw. bei der Profeß eignet, zu. Die Ordensmitglieder haben vor der ersten Profeß die Verwaltung ihres Vermögens an eine Person ihrer Wahl abzutreten und, soweit die Konstitutionen nichts anderes bestimmen, über Gebrauch und Nießbrauch frei zu verfügen.64 Ein Testament aber, das auch vor dem weltlichen Recht gültig ist, haben sie zumindest vor der ewigen Profeß zu errichten (can. 668 § 1). Mit dem „status religiosus“ ist der Verzicht auf das Eigentum an eigenen Gütern nicht notwendigerweise verbunden; die weiter oben angeführten gravierenden Einschränkungen betreffen vor allem den Gebrauch derselben. Nicht für alle, die sich auf die evangelische Armut in kirchlichen Gemeinschaften verpflichten, ist der Verzicht auf das eigene Vermögen vorgesehen. Nach dem CIC / 1917 (can. 583, 1°) war es Ordensleuten mit einfachen Gelübden verboten, unentgeltlich auf ihr Vermögen zu verzichten. Für Ordensleute mit feierlichen Gelübden war ein solcher Verzicht erst mit der ewigen Profeß vorgesehen. Es spielte also auch die Überlegung eine Rolle, daß in bestimmten Grenzen finanzielle Absicherungen, soweit solche vorhanden waren, nicht verloren gehen. In der Folge des II. Vatikanischen Konzils wurde die Möglichkeit solcher Verzichtleistungen etwas ausgeweitet.65 Der CIC / 1983 überläßt eine solche Möglichkeit dem Eigenrecht.66 Verzicht auf die eigenen Güter. Das Eigenrecht eines Institutes kann den Vermögensverzicht vorschreiben oder gestatten. Herkömmlicherweise war der Vermögensverzicht mit dem feierlichen Armutsgelübde der Orden ieS verbunden. Wenn diese Frage nunmehr der Regelung durch das Eigenrecht des jeweiligen Institutes überlassen ist, so wird natürlich sehr viel darauf ankommen, wie die Armut im spirituellen Erbe des jeweiligen Institutes akzentuiert erscheint. Can. 668 § 4, 1. Satz, handelt von jenen Gemeinschaften, in denen „ex natura instituti“ der Vermögensverzicht vorgeschrieben ist. Es liegt also nicht im reinen Ermessen der das Eigenrecht normierenden Organe, ob sie den Vermögensverzicht vorschreiben. Auch reicht als „ratio“ für eine solche Vorschrift der für alle Religioseninstitute geltende Hinweis auf die ‚klösterliche Armut‘ nicht aus. Es muß ein besonderer Bezug zum geistlichen Grundverständnis der betreffenden Gemeinschaft gegeben sein. Einen solchen Bezug wird man bei 64

Um diese Verfügungen aus gerechtem Grund zu ändern und um irgendeine Rechtshandlung bezüglich ihres Vermögens vorzunehmen, bedürfen sie der Erlaubnis des nach dem Eigenrecht zuständigen Oberen (can. 668 § 2). 65

Vgl. die in Ausführung von Vat II PC Art. 13, 4 ergangene Norm des MP „Ecclesiae Sanctae“ II, 24, wonach die Konstitutionen einen solchen Verzicht erlauben oder gar vorschreiben können. 66

Siehe auch R. Henseler, in: MK, zu: can. 668.

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jenen Instituten annehmen können, in denen der Vermögensverzicht herkömmlicherweise verpflichtend war, soweit nicht im Institut selbst Überlegungen im Lichte der heutigen Rechtslage zu einer anderen sich auch im Eigenrecht niederschlagenden Position führen. Nach der heutigen Rechtslage ist es durchaus vorstellbar, daß es Orden im engeren Sinn gibt, die den Vermögensverzicht für ihre Mitglieder nicht vorschreiben. Andererseits kann es aber auch Religioseninstitute geben, die nicht Orden i. e. S. sind (Kongregationen), und im früheren Recht keine verpflichtende Norm für den Vermögensverzicht ihrer Mitglieder kannten67, aber nunmehr unter dem Recht des CIC / 198368 einen solchen vorsehen. In Religioseninstituten mit verpflichtendem Vermögensverzicht ist der Verzicht („... plene bonis suis renuntiare debet ...“), möglichst auch in einer zivilrechtlich gültigen Form, vor der ewigen Profeß zu leisten. Er tritt mit Ablegung der ewigen Profeß in Kraft (can. 668 § 4, 1. Satz).69 Der CIC / 1983 sieht aber auch für Angehörige von Religioseninstituten, in denen der Vermögensverzicht nicht vorgeschrieben ist, die Möglichkeit eines solchen vor (can. 668 § 4, 2. Satz). Hiebei handelt es sich um einen Verzicht Einzelner70, der aber an das Eigenrecht und an die Erlaubnis des höchsten Oberen gebunden ist („... qui ad normam iuris proprii bonis suis pro parte vel totaliter de licentia supremi Moderatoris renuntiare velit“).71 Der freiwillige Vermögensverzicht ist nur in Instituten möglich, deren Eigenrecht einen solchen gestattet. Während dort, wo sich die Vorschrift der „renuntiatio bonorum“ auf die Natur des Institutes („...instituti natura...“) bezieht, der Betroffene zur Gänze auf sein Vermögen verzichten muß („...plene bonis suis renuntiare debet“), ist bei den in can. 668 § 4, 2. Satz, angesprochenen Verzichtsfällen eine „renuntiatio pro parte vel totaliter“ möglich. Auch in diesen Fällen besteht die Forderung nach Erstellung eines auch im zivilen Bereiche gültigen Verzichtsdokumentes72 („ ... forma, quatum fieri po67

Weil im früheren Recht der Vermögensverzicht an den Charakter des Institutes als Orden i.e.S. geknüpft war. 68

Aufgrund der Orientierung an den spirituellen Grundlagen des Institutes.

69

Siehe auch Schwendenwein, Kirchenrecht(Anm. 52), insbes. S 276. In diesen Instituten sind alle Rechtswirkungen der feierlichen Gelübde gegeben. 70

G. Di Mattia, in: Comentario exegético, zu can. 668 / 5.

71

Can. 668 § 4: Wer aufgrund der Eigenart des Instituts ganz auf sein Vermögen verzichten muß, hat diesen Verzicht, der vom Tag der Gelübdeablegung an rechtswirksam sein soll, in einer nach Möglichkeit auch vor dem weltlichen Recht gültigen Form vor der ewigen Profeß zu leisten. 72

Can. 668 § 5: Ein Professe, der aufgrund der Eigenart des Instituts vollständig auf sein Vermögen verzichtet hat, verliert die Erwerbs- und Besitzfähigkeit und setzt infol-

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test, etiam iure civili valida ...“). In Instituten mit pflichtgemäßem Vermögensverzicht ist das Verzichtsdokument vor der ewigen Profeß, aber mit der Maßgabe der Wirksamkeit von der ewigen Profeß an zu erstellen („ ... renuntiationem ... ante professionem perpetuam faciat a die emissae professionis valituram“). Bezüglich der Institute mit freiwiligem Vermögensverzicht ist umstritten, ob der Verzicht vor der ewigen Profeß erfolgen darf oder erst nach derselben.73. Jedenfalls aber darf der Verzicht nicht schon vor der ewigen Profeß in Kraft treten.74 Es zeigt sich, daß die Kirche auch in dieser Frage auf eine gewisse individuelle Absicherung Wert legt. Der Vermögensverzicht, der ja nicht für alle Ordensleute, sondern nur für die Angehörigen bestimmter Institute vorgesehen ist, soll auch bei diesen nicht vor der ewigen Profeß wirksam werden. Wenn der Betreffende vor der ewigen Profeß aussscheidet, bleibt ihm sein Vermögen erhalten. Auch hier ist, soferne der Betreffende überhaupt ein Vermögen hatte, eine soziale Absicherung im aufgezeigten Rahmen gegeben.75 Die „Dos“ in Frauenklöstern. Nach dem früheren Recht, auch noch nach dem Recht des CIC / 1917 (cann. 547 – 50), konnten weibliche Ordensverbände von den Eintretenden eine Mitgift (dos) verlangen, deren Erträge dem Kloster zufließen, deren Substanz aber bis zum Tode der Betreffenden erhalten bleiben und im Falle des Ausscheidens aus dem Kloster zugückgegeben werden muß. Der CIC / 1917 kannte sogar den Straftatbestand der rechtswidrigen Verwendung der Dos (durch Klosteroberinnen), wobei Strafen bis zur Absetzung vorgesehen waren (can. 2412, 1°). Ausdrücklich wurde in der zitierten Strafnorm die Verpflichtung der vollständigen Restitution im Falle des Ausscheidens der Betroffenen betont. So stellte die Dos doch eine gewisse finanzielle Absicherung der Klosterfrau für den Fall des Austrittes dar.

gedessen dem Armutsgelübde widersprechende Rechtshandlungen ungültig. Was ihm aber nach der Verzichtsleistung zufällt, geht gemäß dem Eigenrecht an das Institut über. 73

B. Primetshofer (in: HdbKathKR2, S. 623) weist darauf hin, daß die Mahnung, daß auf jenes Vermögen, das im Falle des Ausscheidens des Professen zu dessen Lebensunterhalt notwendig ist, nicht verzichtet werden darf, nach wie vor in Geltung zu sein scheint (vgl. das Reskript „Cum admotae“ vom 6. 11. 1964, in: AAS 59, 1967, 377, n. I 16). 74 M. E. geht man nicht fehl, wenn man sagt, daß der in can. 668 § 4, 2. Satz, behandelte freiwillige Vermögensverzicht an keinen Termin gebunden ist, daß er aber frühestens mit der ewigen Profeß in Kraft tritt. 75 Angemerkt sei auch, daß im Recht mancher Staaten für aus ihrem Verband ausscheidende Ordensleute vorgesehen ist, daß sie in der allgemeinen Sozialversicherung des betreffenden Landes pensionsrechtlich nachversichert werden.

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Im Umfeld der behandelten Thematik stellen sich noch weitere Fragen, wie die der Stolgebühren und Meßstipendien oder die der Simoniegesetzgebung. Sie sollen in einem eigenen Aufsatz behandelt werden. Angesichts der den Umfang dieses Beitrages betreffenden Vorgaben mußten diese Ausführungen auf die zentralen Fragen des Themas beschränkt werden.

Die Missio „sui iuris“ – ein Auslaufmodell des kirchlichen Verfassungsrechts? Von Peter Stockmann Die Missio „sui iuris“ (Mission „eigenen Rechtes“), früher auch Missio independens (unabhängige Mission) genannt, wird in den bisherigen Kodifikationen des kanonischen Rechtes (CIC/1917; CIC/1983; CCEO) kein einziges Mal erwähnt. Dieser Befund ist wohl unter anderem ein Grund dafür, dass die Kanonistik die Missio „sui iuris“ – nicht zu verwechseln mit der Missio cum cura animarum1 oder der Ecclesia sui iuris2 – selten ausführlicher behandelt hat.3 Gelegentlich kam es dann im Blick auf die in jüngerer und jüngster Vergangenheit vergleichsweise kleine Zahl der im Annuario Pontificio aufgelisteten Missioni „sui iuris“ zu Urteilen wie dem folgenden: „Praktisch kommt den ´missiones sui iuris´ heute kaum noch Bedeutung zu.“4 Die vorliegenden Ausführungen versuchen, nach einer Skizze der geschichtlichen Genese (vgl. I.)

1 Vgl. Helmuth Pree, Nichtterritoriale Strukturen der hierarchischen Kirchenverfassung, in: Territorialità e personalità nel diritto canonico ed ecclesiastico. Il diritto canonico di fronte al terzo millennio. Atti dell’XI Congresso Internazionale di Diritto Canonico e del XV Congresso Internazionale della Società per il Diritto delle Chiese Orientali. Budapest, 2 – 7 Settembre 2001. Hrsg. von Péter (UG XQG3pWHUSzabó, Budapest 2002, S. 515 – 544, hier S. 528. 2

Vgl. c. 27 CCEO.

3

Vgl. Augustinus Pugliese, De Missione sui iuris eiusque Praelato, in: ComRelMiss 18 (1937), S. 37 – 44 und 175 – 184; Max Bierbaum, Die Mission sui iuris, in: Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 2 (1939), S. 70 – 73; Julio García Martín, Origen de las misiones independientes o „sui iuris“ y de sus superiores eclesiasticos, in: ComRelMiss 74 (1993), S. 265 – 324. Vgl. auch Michael Benz, Art. Missio sui iuris, in: LThK3 7 (1998), Sp. 288. 4 Hugo Schwendenwein, Die Katholische Kirche. Aufbau und rechtliche Organisation (= MK CIC. Beihefte, Bd. 37), Essen 2003, S. 329 Anm. 71. Vgl. Oskar Stoffel, Die Missionsverfassung der Kirche im Codex Iuris Canonici 1983, in: Iustitia et Modestia. Festschrift für Hubert Socha zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Hrsg. von Peter Boekholt und Ilona Riedel-Spangenberger, München 1998, S. 102 – 121, hier S. 109. Vgl. auch Ignatius Ting Pong Lee, Praefecti Apostolici privilegia, in: ComRelMiss 57 (1976), S. 39 – 48, hier S. 45 Anm. 9.

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sowie der gegenwärtigen Gestalt (vgl. II.) des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“ und unter Heranziehung hier vermutlich erstmals in gedruckter Form zusammengestellter statistischer Daten (vgl. IV.) die Frage zu beantworten, ob die Missio „sui iuris“ wirklich ein Auslaufmodell des kirchlichen Verfassungsrechts – wie etwa die Territorialabtei gemäß can. 370 CIC –5 ist oder nicht. I. Geschichtliche Genese der Missio „sui iuris“ Die historischen Anfänge des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“ liegen immer noch im Dunkeln. Bis heute ungeklärt ist etwa, in welchem genauen entstehungsgeschichtlichen Verhältnis die Missio „sui iuris“ zu den verwandten Rechtsinstituten der – von einer Diözese oder einem Apostolischen Vikariat – abhängigen Präfektur vor allem für orientalische Katholiken und der von einem Präfekten geleiteten Mission in der lateinischen Kirche steht.6 Dessen ungeachtet gilt als gleichsam offizielle Gründungsurkunde des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“ das Dekret „Excelsum“7 der Sacra Congregatio de Pro5

Vgl. Schwendenwein, Kirche (Anm. 4), S. 325 f.

6

Vgl. García Martín, Origen (Anm. 3), S. 266 – 282; Marcel Gérin, Le gouvernement des missions (= Les thèses canoniques de Laval, Bd. 1), Québec 1944, passim; Ignatius Ting Pong Lee, Praefectus Missionis – Praefectus Apostolicus, in: ComRelMiss 35 (1956), S. 353 – 358 und 36 (1957), S. 51 – 55; Xaverius Paventi, Quaestiones de iure missionali, in: EIC 3 (1947), S. 243 – 254, hier S. 243 f.; Pugliese, De Missione (Anm. 3), S. 41 – 44; Dino Staffa, Le Delegazioni Apostoliche, Roma u. a. 1959, S. 180 – 189; Stoffel, Missionsverfassung (Anm. 4), S. 103 – 106. 7

Vgl. Collectanea S. Congregationis de Propaganda Fide seu Decreta Instructiones Rescripta pro Apostolicis Missionibus II. Ann. 1867 – 1906. NN. 1300 – 2317, Romae 1907, S. 341 f. (Nr. 1953): „Decr. S. C. de Prop. F. 12 Sept. 1896. – Excelsum apostolicorum virorum munus exigit, ut hi in excolendo agro Domini ambulent omnes cum consensu, paribusque animis, in pari causa ad labores incumbant. Siquidem vel inimicus homo eodem in agro serit zizania, vel improborum hominum malitia ipsos missionarios vexat et oppugnat, vel subiti rerum casus in graves angustias ac difficultatum dumeta eosdem compellunt. Hinc patet quam utile atque adeo necessarium sit, ut iidem, praeliaturi cum vitiis et concupiscentiis hominum, cum inimicis Crucis Christi, uno veluti duce et auspice, prudenti zelo et caritate ducantur. Ita fiet ut facilius homines, pretioso Christi sanguine redemptos, at vel in tenebris infidelitatis sedentes, vel in haeresi aut schismate tabescentes, in sanctae matris Ecclesiae sinum reducant, ad salutem nutriendos aeternam. Porro SSmus D. N. Leo d. p. PP. XIII pro ea qua praestat sapientia maximaque sollicitudine omnium Ecclesiarum, praesertim orientalium, litteris motu proprio datis die 19 martii 1896, aliquot praescriptionum hortationumque capitibus suae Constitutioni Orientalium veluti adiectis, iussit, quaedam per sacrum Consilium christiano nomini propagando constitui decreto proprio, quo nonnulla ad mentem Sanctitatis Suae immutentur de iuris ordine adhuc recepto circa rationem officiorum, quae Delegatis Apostolicis intercedant cum eis qui Missionibus per orientales praesunt

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regiones. – Quibus iussis S. Congregatio libenter parens, haec declaranda ac decernenda censuit: 1. Apostolicarum Praefecturae Missionum apud orientales ecclesias, intra fines alterius Missionis aut Dioecesis institutae, quae idcirco territorium separatum non habent, abrogantur, pleno tamen iure manentibus iam fundatis Missionibus; et in Praefectorum locum sufficientur Superiores Missionum. 2. Superior Generalis religiosi Ordinis, cui aliqua apostolica Missio credita est, Sacrae huic Congr. proponet aliquem ex eodem Ordine alumnum, virtutibus apostolicis doctrinaque praestantem, quem idem sacrum Consilium tuto eidem Missioni, si ita in Domino iudicaverit, praeficiat, Superioris officio et nomine. 3. Patentes litterae seu diplomata Sacrae Congregationis ad hunc ita designatum et promotum Superiorem Missionis, una cum apostolicis facultatibus, quas eadem Sacra Congregatio eidem concedere censuerit, tradentur per Ap. Delegatum, in cuius legatione Missio ipsa instituta est. 4. Praeter Superiorem Missionis, nominabitur ab Ordinis religiosi summo Praeside Superior regularis, cuius onus et munus erit servare ac provehere assidua solertique vigilantia et cura regularem disciplinam missionariorum proprii Ordinis; item et Missionis negotia singulis pro cuiusque ingenii et corporis viribus committere, quae tamen is ne agat nisi collatis cum Superiore Missionis consiliis, ut in eam una concedant provisionem, quam magis ad catholicae rei emolumentum conferre iudicaverint. 5. Si generali religiosi Ordinis Superiori visum fuerit, in quibusdam temporum, locorum et personarum adiunctis, utilius cumulare munus Superioris Missionis cum munere Superioris regularis, perficere id poterit, non tamen sine Sacrae Congregationis auctoritate et venia. 6. Superioris Missionum erit ordinaria christianarum administratio communitatum, quae apostolicis missionariorum laboribus ab infidelitate, ab haeresi vel a schismate ad veram fidem aut primum venerint, aut reversae fuerint; quousque tamen ad Episcopos seu Ordinarios proprii ritus remitti queant. – Ipsi etiam ius esto novas fundare stationes Missionum, collatis tamen prius cum Ap. Delegato consiliis. – Eiusdem Superioris munus tandem sit statuere et peragere quidquid prudenter existimet meliori Missionum regimini profuturum. 7. Praecipuum Delegati Apostolici officium erit vigilare ut missionarii nunquam ab incepto ferientur, sed assidue ac probe suo fungantur munere. Scilicet ut apostolico ritu villulas suae subditas Missioni continenter lustrent, infirmos in fide roborent, lapsos et devios in viam salutis revocent: sic demum elaborent ad dominici agri ubertatem, ut omnes Christum lucrifaciant, suis militibus olim iustitiae coronam redditurum. – Curet praeterea Delegatus ut missionarii perquam diligenter fideliterque Sanctae Sedis mandata et institutiones servent ac expleant. 8. Item Ap. Delegatus omnem dabit operam, ut ipse et Superior Missionis plene conveniant de sententiis et rebus agendis, quae ad Missionis administrationem et progressum attinent. Et ubi contingat, eos diversa sentire in gravioribus Missionis negotiis, Delegati Ap. praevaleat iudicium, salva tamen Superiori Missionis facultate Sacram Congr. adeundi rogatum, ut quod ipsa Missionis bono conducibilius existimet, faciendum decernat.

Peter Stockmann

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paganda Fide vom 12. September 1896.8 Durch dieses für die katholischen Ostkirchen relevante Dekret, genauer dessen Norm Nr. 1, sind die bei den orientalischen Kirchen innerhalb der Grenzen einer anderen Mission oder Diözese errichteten Präfekturen der Apostolischen Missionen, die deswegen kein abgesondertes Gebiet hatten, abgeschafft worden, jedoch blieben bereits gegründete Missionen mit vollem Recht erhalten; und an die Stelle der Präfekten wurden Missionsobere gesetzt.9 Zwei Beispiele veranschaulichen die aber nach wie vor bestehenden zeitlichen und sachlichen Abgrenzungsschwierigkeiten: Einerseits nennt der Annuario Pontificio selbst eine Missio „sui iuris“ Norvegia, die am 7. August 1868, also schon knapp drei Jahrzehnte vor der Promulgation des Dekrets „Excelsum“ errichtet worden ist;10 andererseits scheint noch in der Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, mithin rund drei Jahrzehnte nach Promulgation dieses Dekrets, die definitive Gestalt des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“ zumindest in terminologischer Hinsicht nicht gefunden zu sein, da es in den Litterae Apostolicae Papst Pius´ XI. vom 15. Juli 1925 über die Missio „sui iuris“ Hudson-Bai heißt: „eamque in missionem sui iuris erigimus, Praefecturae Apostolicae Sinus de Hudson nomen ipsi facimus.“11 Der CIC/1917 enthielt – wie bereits einleitend erwähnt – keine explizit die Missio „sui iuris“ betreffende Regelung,12 obgleich in den verschiedenen Schemata13 des CIC der Leiter einer Missio „sui iuris“ „ausdrücklich als Superior missionis unter den Ordinarien aufgezählt“14 worden war. Eine Blütezeit erlebte die Missio „sui iuris“ in der Zeit zwischen 1918 und 1932, als Willem

Haec porro omnia et singula SSmo D. N. Leoni XIII relata, auctoritate sua ipse firmavit, et contrariis quibuscumque opportune derogavit, firmis ceterum aliis iuribus et officiis, quae locorum Ordinarios inter et missionarios intercedunt.“ Vgl. auch ASS 29 (1896/97), S. 437 – 440. 8

Vgl. AnPont 2003, S. 1687: „Le Missioni sui iuris sono sorte con decreto Excelsum del 12 sett. 1896.“ 9 Bagdad, Mardin, Mossul, Persia, Siria e Silicia und Trebisonda waren „die ehemaligen Präfekturen, die … durch das Dekret ([FHOVXP YRP6HSWHPEHU0LVVionsgebiete geworden sind“ (AnPont 1957, S. 874 Anm. 2). 10

Vgl. AnPont 2003, S. 480.

11

AAS 18 (1926), S. 88 f., hier S. 88. Vgl. AAS 25 (1933), S. 235 f., hier S. 235.

12

Vgl. Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 280 f.; Pugliese, De Missione (Anm. 3), S. 175; Staffa, Delegazioni (Anm. 6), S. 189. 13

Vgl. can. 99 Schema CIC 1912 (Liber II); can. 197 Schema CIC 1914; can. 197 Schema CIC 1916, can. 197. 14

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71.

Die Missio „sui iuris“

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Kardinal van Rossum15 (1854 – 1932) Präfekt der Propaganda war. In diesem Zeitraum äußerte sich die Sacra Congregatio de Propaganda Fide auch dreimal zu die Missio „sui iuris“ tangierenden Rechtsfragen, nämlich in einem Brief vom 16. April 192216, in einem Reskript vom 7. November 192917 und in einer Instruktion vom 8. Dezember 192918. Eine erhellende Antwort erging zudem am 31. August 1934, als der Sekretär der Sacra Congregatio de Propaganda Fide in einem Brief die Frage des Apostolischen Delegaten von Ostindien nach der Pflicht des kirchlichen Oberen einer Missio „sui iuris“ zur Applikation der Messe für das Volk gemäß can. 306 CIC/1917 bejahte, „weil der kirchliche Obere einer autonomen Mission als ´Ordinarius´ betrachtet werden muß. Es ist richtig, daß der Codex (wie Eure Exzellenz gut bemerken) den

15

Vgl. Arnulf Camps, Art. Rossum, Willem van, in: LThK3 8 (1999), Sp. 1316. Vgl. auch Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 244 f.; Saverio Paventi, La Chiesa missionaria. Manuale di missionologia dottrinale, Roma 1949, S. 287; Xaverius Paventi, Breviarium iuris missionalis (= Bibliotheca missionalis, Bd. 4), Romae 1952, S. 56. 16

Vgl. AAS 14 (1922), S. 287 – 307.

17

Vgl. Ochoa, Leges I, Sp. 1112 f. (Nr. 929): „Iura Praefecti Apostolici applicantur ad Superiores Ecclesiasticos Missionum, in specie ius nominandi Vicarium Generalem Pro Audientia Sanctissimi Il 6 novembre 1919 … il Santo Padre Benedetto XV di f. m. ad istanza del sottoscritto Cardinale Prefetto della S. C. de Propaganda Fide concedeva ai Vicari e Prefetti Apostolici delle missioni facoltà di poter eleggere un Vicario Delegato in luogo del Vicario Generale che essi, in forza del canone 198 del Codice di Diritto Canonico, non sembra abbiano il diritto di nominare. Ai Vicari Delegati, nominati dai Vicari e Prefetti Apostolici, Sua Santità accordava in pratica la giurisdizione e le facoltà in spiritualibus et temporalibus che secondo il Diritto Canonico, competono ai Vicari Generali. Siccome la facoltà sopradetta fu esplicitamente concessa solo ai Vicari e Prefetti Apostolici si prega il Santo Padre di volerla benignamente estendere anche ai Superiori Ecclesiastici delle Missioni autonome, vale a dire direttamente dipendenti da questa Sacra Congregazione; e, allo scopo di evitare incertezze e confusioni, dichiarare, al tempo stesso, che i Canoni del Codice di Diritto Canonico che si riferiscono alle Prefetture Apostoliche ed ai Prefetti Apostolici, possono applicarsi ´servatis servandis´, su linea generale, anche alle Missioni indipendenti ed ai loro Superiori. Nell`Udienza di stamattina il S. Padre si degnò di accogliere tanto l`una come l`altra domanda. 7 nov. 1929. – G. M. Card. van Rossum, Prefetto. (Manu Subsecretarii). Non si intendono concessi i privilegi relativi alle vesti prelatizie. Il Delegato si chiamerà ´Superiore Delegato´; come per la Prefettura Apost. dovrebbe chiamarsi ´Prefetto Delegato´.“ 18

Vgl. AAS 22 (1930), S. 111 – 115.

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‚Missionsobern‘ nicht unter den Ordinarien aufführt; doch muß beachtet werden, daß, obwohl die autonome Mission (missio sui iuris) als Rechtsinstitut nicht eine nach Promulgation des Codex entstandene Schöpfung genannt werden kann, sich dennoch erst nach Promulgation des Codex bei der Heiligen Propagandakongregation die Praxis entwickelte und behauptete, solche Missionen mit einem bestimmten Gebiet und mit einem kirchlichen Obern zu errichten.“19 Daneben existierten nur noch einige einschlägige partikularrechtliche20 sowie missions- bzw. eigenrechtliche21 Normen. Nachdem die Missio „sui iuris“ weder im CIC/1983 noch im CCEO vorkommt, kann mit den immer noch zutreffenden Worten des renommierten Experten für Missionsrecht, Xaverius Paventi, rechtsgeschichtlich resümiert werden: „Evolutio hodierna missionis sui iuris omnino repetenda est a praxi

19 Mayer, NKRS II, S. 123. Vgl. Ochoa, Leges I, Sp. 1590 f. (Nr. 1241): „Superior Ecclesiasticus Missionis tenetur celebrare Missam pro populo

31 agosto 1934 Nella Sua lettera in data 2 c. m. (n. 4008 – 34) l´E. V. Reverendissima sottopone al giudizio di questa Sacra Congregazione il dubbio, proposto dal Superiore di Bellary, se il Superiore Ecclesiastico di una Missione ´sui iuris´ sia tenuto, ex iustitia, ad applicare la Messa ´pro populo´ secondo il can. 306. La risposta di questa Sacra Congregazione è affermativa, per la ragione che il ´Superior Ecclesiasticus´ di una Missione ´sui iuris´ deve ritenersi come ´Ordinario´. E` vero che il Codice, come ben fa notare l´E. V., non elenca tra gli Ordinari il ´Superiore di Missione´, ma è da osservarsi che, sebbene la ´Missio sui iuris´ non possa dirsi, come figura giuridica, una creazione posteriore al Codice, tuttavia poichè anche prima del Codice esisteva qualche Missione ´sui iuris´, soltanto dopo la promulgazione del Codice si svolse e si è affermata presso la S. C. di Propaganda la prassi di erigere tali Missioni con territorio determinato e con proprio Superiore Ecclesiastico. – Carlo Salotti, Arciv. tit. di Filippopoli, Segretario. Cesare Pecorari, Sottosegretario.“ 20 Vgl. z. B. Primum Concilium Sinense anno 1924 a die 14 maii ad diem 12 iunii in ecclesia S. Ignatii de Zi-ka-wei celebratum. Acta-Decreta et normae-Vota, etc., Zi-kawei 1929, S. 39: „55. … Vicarii et Praefecti Apostolici necnon Superiores Missionum, ab una Apostolica Sede nominati, potestate ordinaria quidam, sed vicaria, Vicariatum, Praefecturam vel Missionem regunt.“ Vgl. auch ebd., S. 40 Anm. 2: „Nomine Vicarii Apostolici et Apostolici Vicariatus, nisi ex contextu aliud appareat, veniunt etiam Praefecti Apostolici et Praefecturae Apostolicae, necnon Superiores missionum sui iuris et territoria in missiones sui iuris erecta.“ Diese Anmerkung bezieht sich auf Titulus IV. De Vicariis ac Praefectis Apostolicis, necnon de Superioribus Missionum im ersten Teil (De clericis) des zweiten Buches (De personis et officiis) der Decreta et normae Primi Concilii Sinensis. 21 Vgl. Wilhelmus H. M. van der Marck, Statuta pro missionibus recentiora inter se ac praesertim cum iure ecclesiastico communi comparata (= MWAT, Bd. 22), Münster 1958, S. 37 f.

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459

S.[acrae] C.[ongregationis] D.[e] P.[ropaganda] F.[ide], quae per hoc iuridicum institutum putavit facilius promovere opus fidei propagationis.“22 In der historischen Entwicklung des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“ lassen sich grob drei Phasen unterscheiden (vgl. IV.): Vor 1896 wurden Präfekturen und Missionen errichtet, die als „Prototypen“ der Missiones „sui iuris“ gelten müssen: New Norcia (1859); Norvegia (1868); Zambese (1879); Antofagasta (1881); California Inferiore (1884); Caroline Occidentale (1886); Caroline Orientale (1886); Congo Belga o Indipendente (1886); I-li (1888); Koango (1892); Trebisonda (1895). Von 1896 bis 1917 sind unabhängige Missionen errichtet worden, welche nicht unbedingt ein abgegrenztes Territorium und einen eigenen kirchlichen Oberen hatten: Bagdad (1896); Mardin (1896); Mossul (1896); Persia (1896); Siria e Cilicia (1896); Uellé (1898); Lunda (1900); Magallanes (1901); Kassai Superiore (1901); Kenia (1905); Cunene (1906); Drisdale River (1910); Sant´Andrés y Providencia (1912); Putumayo (1912). Nach 1917 wurden – in der Regel auch tatsächlich so titulierte – Missiones independentes bzw. Missiones „sui iuris“ mit einem bestimmten Gebiet und einem Superior ecclesiasticus proprius errichtet: Mongolia Esteriore (1922); Hudson-Bai (1925); Miyazaki (1928); Bellary (1928); Ilan (1928); Tsitsikar (1928); Cuttack (1928); Sikkim (1929); Queenstown (1929); Hainan (1929); Changtien (1929); Yihsien (1929); Hwangchow (1929); Shaowu (1929); Tali (1929); Sinkiang (1930); Rajaburi (1930); Wuchow (1930); Bikoro (1931); Bulawayo (1931); Norvegia Centrale (1931); Norvegia Settentrionale (1931); Gambia (1931); Kienning (1931); Weihaiwei (1931); Tungchow (1931); Shihtsien (1932); Tukuyu (1932); Karafuto (1932); Kodok (1933); Bezwada (1933); Loangwa (1933); Miarinarivo (1933); Beni nel Congo Belga (1934); Gezira (1935); Guinea Portoghese (1940); Tarahumara (1950); San (1962); Abuja (1981); Funafuti (1982); Nepal (1983); Turks and Caicos (1984); Saint Helena, Ascension and Tristan da Cunha (1986); Bomadi (1991); Kano (1991); Tokelau (1992); Tadjikistan (1997); Turkmenistan (1997); Uzbekistan (1997); Kyrgyzstan (1997); Cayman Islands (2000); Baku (2000); Afghanistan (2002). Nicht Drisdale River oder Putumayo23, sondern Kenia ist 1909 die erste Missio independens, die als solche in den „Acta Apostolicae Sedis“ Erwähnung

22 23

Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 244.

Vgl. García Martín, Origen (Anm. 3), S. 279 f. mit Anm. 54; Pugliese, De Missione (Anm. 3), S. 40; Angel Santos Hernández, Misionología VII. Derecho misional (= Bibliotheca Comillensis), Santander 1962, S. 299.

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findet;24 der Begriff Missio „sui iuris“ wird in den „Acta Apostolicae Sedis“ erstmals 1926 für Hudson-Bai verwendet. Am Ende des Jahres 2003 gab es elf Missiones „sui iuris“:25 Afghanistan; Baku; Cayman Islands; Funafuti; Kyrgyzstan; Saint Helena, Ascension and Tristan da Cunha; Tadjikistan; Tokelau; Turkmenistan; Turks and Caicos; Uzbekistan. Unter den bestehenden Missiones „sui iuris“ ist Funafuti, welche 1982 errichtet wurde, die älteste, und Afghanistan, welche seit 2002 existiert, die jüngste. Im Laufe der kirchlichen Rechtsgeschichte sind Missiones „sui iuris“ in Afrika, Asien, Australien und Ozeanien, Europa sowie Nord- und Südamerika gegründet worden. Sie standen jeweils in Abhängigkeit entweder von der Kongregation für die Glaubensverbreitung (bzw. die Evangelisation der Völker) oder von der Kongregation für die orientalische(n) Kirche(n).26 Die einzelnen Missiones „sui iuris“ hatten unterschiedlich lange Bestand: Einige existierten nur wenige Monate und Jahre (z. B. Bulawayo; Congo Belga o Indipendente; New Norcia; Norvegia; San; Sikkim), andere sogar mehrere Jahrzehnte (z. B. Bagdad; Drisdale River; Mardin; Mongolia Esteriore; Mossul). Vor dem Hintergrund der aufgezeigten kirchenrechtsgeschichtlichen Aspekte ist nun das geltende Recht in den Blick zu nehmen. II. Gegenwärtige Gestalt der Missio „sui iuris“ Das geltende Recht27 der Missio „sui iuris“ vermag an dieser Stelle nur ansatzweise dargestellt zu werden, weil es ebenso komplex wie verstreut ist. So-

24

Vgl. AAS 1 (1909), S. 621 f.: „cogitationes Nostras convertimus ad Missionem, quae aliquot ante annos per decretum die XIV septembris mensis anno MDCCCCV a S. Congregatione de Propaganda Fide editum, erecta rite fuit, quae quidem Missio independens ac sub titulo de Kenia constituta“. 25

Vgl. AnPont 2003, S. 995 f.

26

Vgl. Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71. Der Kongregation für die orientalische(n) Kirche(n) unterstanden die Missiones „sui iuris“ Bagdad, Gezira, Mardin, Mossul, Persia, Siria e Silicia sowie Trebisonda. 27 Vgl. Juan Ignacio Arrieta, Chiesa particolare e circoscrizioni ecclesiastiche, in: Ius Ecclesiae 6 (1994), S. 3 – 40, hier S. 22 f.; Juan Ignacio Arrieta, Diritto dell´organizzazione ecclesiastica (= Trattati di Diritto, Bd. 3), Milano 1997, S. 358; Juan Ignacio Arrieta, Governance Structures within the Catholic Church (= Collection Gratianus Series. Section Handbooks), Montreal 2000, S. 178; Juan Ignacio Arrieta, Kommentar zu can. 371, in: Comentario exegético3 II/1, S. 696 – 702, hier S. 697 f.; Georg Bier, Kommentar zu can. 368, in: MK CIC (Stand: 25. Erg.-Lfg. April 1996). Vgl. weiterhin auch Bierbaum, Mission (Anm. 3); Josef Funk, Einführung in das Missi-

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wohl im CIC/1983 als auch im CCEO unterblieb eine Ex-integro-Ordnung des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“ gemäß can. 6 § 1, 4° CIC bzw. can. 6, 1° CCEO.28 Nicht zuletzt deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Materie der Missio „sui iuris“ betreffendes früheres Recht weiterhin Relevanz besitzt. Darüber hinaus liegen Regelungen „ad normam iuris missionalis“29 vor. Besonderer Berücksichtigung bedarf im vorliegenden Fall ferner der Kurialstil. 1. Begriff und Abgrenzung Die Missio „sui iuris“ gehört zur Missionsverfassung30 der Kirche und lässt sich definieren als ein bestimmter Teil des Gottesvolkes, und zwar ein gebietsmäßig abgegrenzter, der wegen besonderer Umstände vom Papst noch nicht als Teilkirche errichtet worden ist und dessen Betreuung einem Oberen (Superior) übertragen wird, der sie nach Art eines Ordinarius im Namen des Papstes zu leiten hat. Der Zweck der Missio „sui iuris“ ist die umfassende Seelsorge (plena animarum cura), d. h. die gesamte Sendung der Kirche, also nicht ein spezieller kirchlicher Teilzweck. Eine Sonderform der Missio „sui iuris“ stellt der Districtus ecclesiasticus sui iuris (Norvegiae centralis; Norvegiae septentrionalis) dar.31 Keine Missio „sui iuris“ ist die Missio de facto, quamvis non de iure (Ahmedabad32; Karachi33) sowie die Mission de France o Pontigny34, die zu den Gebietsprälaturen gemäß can. 370 CIC zählt. Die Errichtung einer Missio „sui iuris“ personalis hat bislang nicht stattgefunden. 2. Errichtung: Zuständigkeit und Verfahren Zuständig für die Errichtung einer Missio „sui iuris“ ist nach Art. 89 der Apostolischen Konstitution über die Römische Kurie „Pastor Bonus“ vom

onsrecht (= Veröffentlichungen des Missionspriesterseminars St. Augustin, Siegburg, Bd. 3), Kaldenkirchen 1958, S. 61 f.; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 243 f.; Pugliese, De Missione (Anm. 3); Santos Hernández, Misionología (Anm. 23), passim. 28 Vgl. can. 594 CCEO: „Territoria missionum sunt, quae Sedes Apostolica ut talia agnovit.“ 29

AAS 79 (1987), S. 122.

30

Vgl. Stoffel, Missionsverfassung (Anm. 4).

31

Vgl. Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 245 f.

32

Vgl. AAS 41 (1949), S. 483 – 486, hier S. 484.

33

Vgl. AAS 41 (1949), S. 62 – 64, hier S. 62.

34

Vgl. Gregor Siefer, Art. Mission de France, Mission de Paris, in: LThK3 7 (1998), Sp. 295 – 296.

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28. Juni 1988 die Kongregation für die Evangelisierung der Völker,35 unbeschadet der Zuständigkeit der Kongregation für die Orientalischen Kirchen gemäß Art. 85 „Pastor Bonus“36. Die Errichtung einer Missio „sui iuris“ läuft folgendermaßen ab:37 Auf eine entsprechende Initiative hin – von wem sie ausgegangen war, wurde in den älteren Errichtungsurkunden oftmals ausdrücklich erwähnt – setzt in der Römischen Kurie ein Informationsprozess ein, der einer Art Zweckmäßigkeitsprüfung („opportunum visum est“) dient und klären soll, ob die Evangelisierung in einem bestimmten Gebiet durch die Errichtung einer Missio „sui iuris“ auf dem betreffenden Territorium angemessenere und wirksamere Fortschritte machen würde („quo aptius et efficacius Evangelizationis operi consuleretur“). Dabei kommt es unter anderem auch zu einer Konsultation der Betroffenen („praehabito voto quorum interest“). Endet die anschließende Reflexionsphase („re mature perpensa“) mit einem positiven Ergebnis, so errichtet („erigit“ bzw. „constituit“) die Kongregation für die Evangelisierung der Völker kraft der vom Heiligen Vater gewährten Befugnisse („vigore facultatum sibi a Sanctissimo Domino Nostro N. N. divina Providentia Papa concessarum“) per Dekret („praesenti Decreto“) eine neue Missio „sui iuris“. 3. Verfassungsrechtliche Zuordnung bzw. Stellung Dem Errichtungsdekret, das gelegentlich in den „Acta Apostolicae Sedis“ veröffentlicht wird, ist in der Regel zu entnehmen, was für eine territoriale Umschreibung („circumscriptionem ecclesiasticam“ bzw. „territorium“) und welchen – üblicherweise der Geographie entlehnten – offiziellen Namen („nuncupatam“ bzw. „appellandam“) jene Missio „sui iuris“ hat; es dokumentiert gewöhnlich auch, ob das Gebiet der Missio „sui iuris“ vor deren Errichtung ganz oder teilweise aus einer (oder mehreren) bestehenden Teilkirche(n) ausgegliedert („distrahere“) werden musste und ob die Missio „sui iuris“ einem

35

Vgl. Art. 89 PastBon: „Derselben unterstehen die Missionsgebiete, deren Evangelisierung sie geeigneten Ordensgemeinschaften, Gesellschaften und nicht zuletzt Teilkirchen anvertraut, und für die sie alles behandelt, was sowohl die Errichtung von kirchlichen Verwaltungsbezirken oder deren Veränderung, als auch was deren Besetzung betrifft, und sie erledigt alle übrigen Aufgaben, die auch die Kongregation für die Bischöfe innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs ausübt.“ 36 37

Vgl. z. B. Art. 60 PastBon.

Vgl. z. B. AAS 74 (1982), S. 64; AAS 75 (1983), S. 171 f.; AAS 76 (1984), S. 304; AAS 79 (1987), S. 121 f.; Juan Ignacio Arrieta, Il sistema dell´organizzazione ecclesiastica. Norme e documenti. In particolare, la Chiesa in Italia e la diocesi di Roma, Roma 2000, S. 271. Vgl. auch Arrieta, Diritto (Anm. 27), S. 367 – 369.

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Ordensinstitut bzw. einer (Missions-)Gesellschaft anvertraut („concreditam“)38 wird. Daneben kann das Errichtungsdekret weitere Informationen beinhalten, z. B. ob die Missio „sui iuris“ einer bestimmten Kirchenprovinz angegliedert („aggregatur“) ist. Eine rechtmäßig errichtete Missio „sui iuris“ besitzt Rechtspersönlichkeit.39 Die Zugehörigkeit zu einer Missio „sui iuris“ wird bei Vorliegen objektiver Voraussetzungen – Wohnsitz im Gebiet der betreffenden Missio „sui iuris“ – begründet. In der Zeit ihres Bestehens kann eine Missio „sui iuris“ vielfältigen Veränderungen, beispielsweise der territorialen Umschreibung40 oder des offiziellen Namens41 – letztere werden regelmäßig in den „Acta Apostolicae Sedis“ publik gemacht – unterworfen sein. Die Missio „sui iuris“ ist die Vorform einer Teilkirche42 gemäß can. 368 CIC/1983 (Diözese; Gebietsprälatur; Gebietsabtei; Apostolisches Vikariat; Apostolische Präfektur; Apostolische Administratur) sowie can. 177 § 1 CCEO (Eparchie) bzw. can. 311 § 1 CCEO (Exarchie), um nicht zu sagen „QuasiTeilkirche“,43 und als missionsverfassungsrechtliche Interimslösung konzipiert. „Bei guter Entwicklung, d. h. bei genügender Zahl der Missionare, Gläubigen und Missionseinrichtungen“44 soll die Missio „sui iuris“ nach einem gewissen, jedoch nicht festgelegten Zeitraum zur Teilkirche erhoben werden. Es gibt aber keine Regel, welche Art der Teilkirche an die Stelle einer Missio „sui iuris“ tritt. Ideal ist es, wenn „a mission sui iuris first becomes an apostolic prefecture; this then becomes an apostolic vicariate; finally, it becomes a diocese“45.

38

Zum sog. Kommissionssystem vgl. Arrieta, Diritto (Anm. 27), S. 355 – 357.

39

Vgl. Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71; Pugliese, De Missione (Anm. 3), S. 41.

40

Vgl. z. B. AAS 32 (1940), S. 115 f.

41

Vgl. z. B. AAS 63 (1971), S. 945.

42

Vgl. AAS 43 (1951), S. 453: „exordiens Ecclesia“. Vgl. aber auch AAS 51 (1959), S. 261: „Ecclesia“. Vgl. ferner Arturo Cattaneo, Le diverse configurazioni della Chiesa particolare e le comunità complementari, in: Ius Ecclesiae 15 (2003), S. 3 – 38, hier S. 6 f. 43 Vgl. Arrieta, Chiesa (Anm. 27), S. 23: „C´è da rilevare, tuttavia, una importante differenza fra le missione sui iuris e le altre circoscrizioni missionali. … nella costituzione di queste missioni non viene creato un vero e proprio ufficio episcopale, come si deduce dalla non erezione in questi casi di una sede e Chiesa propria del titolare della circoscrizione.“ 44 45

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71.

John A. Renken, Kommentar zu den cann. 368 – 430, in: New Commentary on the Code of Canon Law. Hrsg. von John P. Beal, James A. Coriden und Thomas J. Green, New York / Mahwah 2000, S. 501 – 565, hier S. 508. Vgl. AAS 27 (1935), S. 266: „Ita aliqua sui iuris Missio, quae Evangelii praeconum opera studioque maius susceperit

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Allerdings sind neben der Erhebung einer Missio „sui iuris“ zur Apostolischen Präfektur46 auch andere Konstellationen historisch zahlreich belegt: So folgten oftmals auf Missiones „sui iuris“ wegen großer „Vermehrung der Gläubigen und Vielseitigkeit der kirchlichen Anstalten“47 unmittelbar Apostolische Vikariate48 oder sogar Diözesen49 nach. Das Ende einer Missio „sui iuris“ kann auch rechtlich markiert sein durch ihre stillschweigende, weil normalerweise nicht in den „Acta Apostolicae Sedis“ publizierte Aufhebung. 4. Leitung Die Leitung einer Missio „sui iuris“ wird einem Superior (ecclesiasticus Missionis) übertragen. Dieser Superior50 ist entweder traditionell Mitglied jenes Ordensinstituts bzw. jener (Missions-)Gesellschaft, dessen bzw. deren Sorge eine Missio „sui iuris“ anvertraut worden ist und welches bzw. welche weiteres Missionspersonal für diese Missio „sui iuris“ stellt, oder neuerdings auch Vorsteher einer Teilkirche,51 der gleichzeitig Leiter dieser Missio „sui iuris“ ist. Die Mitteilung der Ernennung eines Superior in den „Acta Apostolicae Sedis“ bleibt in jüngster Zeit oft der einzige amtliche Hinweis auf die Errichtung einer neuen Missio „sui iuris“.52 Der Superior ist Inhaber ordentlicher stellvertreten-

incrementum, iure meritoque ad apostolicae praefecturae primum et vicariatus dein gradum et dignitatem a Romano Pontifice, cui omnium ecclesiarum summa inest sollicitudo, elevatur.“ 46

Vgl. z. B. AAS 94 (2002), S. 512 f.

47

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71. Vgl. z. B. AAS 30 (1938), S. 282: „Si christifidelium numero et missionalium operum copia quaevis inter infideles gentes enascens ecclesia praecellere videatur, congruum sane et opportunum existimamus eam ad potiorem dignitatis gradum extollere, ut maius illa in dies animarum bonum assequatur.“ 48

Vgl. z. B. AAS 89 (1997), S. 272 f.

49

Vgl. z. B. AAS 81 (1989), S. 1185 f.

50

Belegt sind auch die Bezeichnungen „Superiore col titolo di Prefetto Apostolico“ (AnPont 1946, S. 618) bzw. „Moderator ecclesiasticus“ (AAS 94 [2002], S. 632). 51

Beispielsweise ist zur Zeit der Erzbischof von Detroit, Adam Joseph Kardinal Maida, Superior der Missio „sui iuris“ Cayman Islands (vgl. AnPont 2003, S. 995). 52

Vgl. z. B. AAS 94 (2002), S. 631 f.: „Ioannes Paulus divina Providentia Pp. II, latis decretis a Congregatione pro Gentium Evangelizatione, singulis quae sequuntur Ecclesiis sacros Pastores dignatus est assignare. Nimirum per Apostolicas sub plumbo Litteras praefecit: ... die 16 Maii. – R.P. Iosephum Moretti, Congregationis Clericorum Regularium S. Pauli sodalem, primum constituit Moderatorem ecclesiasticum Missionis ´sui iuris´ in Afganistania.“

Die Missio „sui iuris“

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der Gewalt (potestas ordinaria vicaria) und aufgrund des Kurialstils Ortsordinarius53. Er leitet die ihm anvertraute Missio „sui iuris“ in geistlichen und zeitlichen Angelegenheiten mit gesetzgebender, ausführender und richterlicher Gewalt innerhalb der im Recht festgesetzten Beschränkungen. „Darüber hinaus mag er noch manche delegierte Gewalt haben.“54 Da die Rechtsstellung des Superior der des Apostolischen Präfekten angeglichen wurde und ihr deswegen annähernd entspricht,55 sind analog auch die für den Apostolischen Präfekten geltenden Normen des CIC/1983 wie can. 400 § 3 (Ad-Limina-Besuch), can. 420 (Sedisvakanz56), can. 495 § 2 (Missionsrat57), can. 502 § 4 (Konsultorenkollegium) und can. 1018 § 2 (Weiheentlassschreiben) auf den Superior anzuwenden. „Ausdrücklich sei hervorgehoben, daß der Leiter der unabhängigen Mission auch berechtigt ist, einen Vicarius Delegatus zu ernennen, der praktisch die Stellung eines Generalvikars hat.“58 Die Superiores besitzen „auch die ordentliche Vollmacht ..., einen kirchlichen Gerichtshof zu errichten, bei dem sie selbst

53

Vgl. Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 72. Vgl. auch Pugliese, De Missione (Anm. 3), S. 177: „Tandem, officiose inquirens apud eamdem S. C. de Prop. Fide, hanc obtinui responsionem: Superiorem huiusmodi Ecclesiasticum Missionis sui iuris, ex praxi et stylo eiusdem S. Congregationis, revera esse veri nominis Ordinarium loci, sensu scil. a Codice intento in Can. 198, ac propterea illi demandari circumscriptionem aliquam ecclesiasticam iam bene definitam ac delimitatam, quam ut proprium territorium gubernat in spiritualibus ac temporalibus, iuxta Can. 335 § 1 – cum limitationibus tamen in iure statutis – potestate non delegata sed ordinaria, seu ex officio, nomine ac vice Romani Pontificis exercenda.“ Vgl. ferner Primum Concilium Sinense (Anm. 20), S. 39 (Nr. 55). 54

Funk, Einführung (Anm. 27), S. 61. Vgl. Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 72. Vgl. auch Ignatius Ting Pong Lee, Facultates missionariae disciplinae vigenti accommodatae, Roma 1976. Vgl. ferner L. Buijs, Facultates et privilegia Episcoporum concessa Motu proprio „Pastorale munus“, Romae 1964. 55

Vgl. Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 73: „Das folgt aus mehreren Erlassen der Propaganda, in denen die Vorsteher der unabhängigen Mission bezüglich der Pflichten in einer Reihe mit den Präfekten und Vikaren genannt werden.“ Vgl. z. B. Ochoa, Leges I, Sp. 1112 f. (Nr. 929). 56

Vgl. Julio García Martín, El superior interino de las misiones. Potestad, obligaciones y cese en el cargo, in: ComRelMiss 68 (1987), S. 359 – 378. 57

Vgl. Julio García Martín, El Consejo de misión en las circunscripciones eclesiásticas de misión aún no erigidas en diócesis, in: ComRelMiss 66 (1985), S. 307 – 324. 58

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 72 f. Vgl. Ochoa, Leges I, Sp. 1112 f. (Nr. 929). Vgl. auch Alois Hein, Der Delegierte Vikar in den Missionen, in: Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 1 (1938), S. 218 – 229. Die heute gebräuchliche Bezeichnung ist „Vicarius Delegatus“, nicht „Superior Delegatus“. Im Jahre 2003 gab es einen „Vicario Delegato“ in den Missiones „sui iuris“ Turks and Caicos sowie Uzbekistan (vgl. AnPont 2003, S. 996).

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Richter erster Instanz sind“59. „Unter die Pflichten fallen u. a. der alle fünf Jahre fällige Bericht nach Rom und die jährliche Statistik des Bezirks, die Residenzpflicht, die Visitation des Missionsfeldes, Einrichtung eines Missionsrates, jährliche Missionskonferenz, Heranbildung eines einheimischen Klerus, Aufteilung des Gebietes in dekanatsähnliche Bezirke und Quasipfarreien, Ernennung eines Pro-Leiters nach Amtsantritt.“60 Der Pro-Leiter (Prosuperior) übernimmt bei Vakanz einer Missio „sui iuris“ die Leitung.61 Ferner hat der Superior die Pflicht zur Applikation der Messe für das Volk.62 „In der Regel kann der Leiter der selbständigen Mission nicht zugleich das Amt eines Superior religiosus übernehmen, weil die beiden Ämter mehr oder weniger unvereinbar sind.“63 III. Fazit Das erkenntnisleitende Interesse der durchgeführten Untersuchung galt der Frage, ob die Missio „sui iuris“ ein Auslaufmodell des kirchlichen Verfassungsrechts ist; sie muss auf Grundlage der im Folgenden präsentierten Fakten (vgl. IV.), welche vereinzelt noch einer archivalischen Verifizierung bedürften, und im Blick auf die seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder wachsende Zahl von Missiones „sui iuris“ entschieden verneint werden. Diese regelrechte Renaissance des Rechtsinstituts der Missio „sui iuris“, die mit dem Pontifikat von Papst Johannes Paul II. einsetzt,64 lässt sich vor allem so erklären, dass offensichtlich die Errichtung einer Missio „sui iuris“ als die immer noch sinnvollste Lösung für gewisse Missionsgebiete beurteilt und die Missio „sui iuris“ nach wie vor für tauglich befunden wird, der effizienten Erfüllung des missionarischen Auftrags der Kirche (vgl. Mk 16,15 parr.; Vat II, AG;

59

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 72.

60

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 73.

61

Vgl. García Martín, Superior (Anm. 56). Mehrmals lassen sich auch Apostolische Administratoren nachweisen (vgl. z. B. AAS 29 [1937], S. 309); viele Jahre lang hatte z. B. die Missio „sui iuris“ Drisdale River einen „Amministratore Apostolico“ in der Person des Abtes der gefreiten Abtei New Norcia. 62

Vgl. Ochoa, Leges I, Sp. 1590 f. (Nr. 1241).

63

Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 72. Vgl. Julio García Martín, Relaciones entre los Ordinarios del lugar y los Superiores Religiosos en las Misiones, Roma 1984; Seraphino Masarei, De missionum institutione ac de relationibus inter superiores missionum et superiores religiosos, Roma 1940. 64 Vgl. u. a. die Enzyklika von Papst Johannes Paul II. über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages „Redemptoris missio“ vom 7. Dezember 1990 (AAS 83 [1991], S. 249 – 340).

Die Missio „sui iuris“

467

cann. 211, 747 § 1 und 781 CIC; cann. 14, 584 § 1 und 595 § 1 CCEO)65 dienen zu können: „Quo latius per orbem catholica fides propagari valeat, in iis potissimum regionibus nondum evangelica luce conlustratis, procul dubio maxime prodest novas ibi sui iuris condere missiones.“66 IV. Anhang67 1. Bestehende Missiones „sui iuris“ 1.

Afghanistan68 [Afghanistan]

Msi: 16.05.2002

2.

Baku [Aserbaidschan]

Msi: 11.10.2000

3.

Cayman Islands [Cayman-Inseln]

Msi: 14.07.2000

4.

Funafuti69 [Tuvalu]

Msi: 10.09.1982

5.

Kyrgyzstan [Kirgisistan]

Msi: 22.12.1997

6.

Saint Helena, Ascension and Msi: 18.08.1986 Tristan da Cunha70 [St. Helena]

7.

Tadjikistan71 [Tadschikistan]

Msi: 29.09.1997

65

Vgl. allgemein Julio García Martín, L´azione missionaria della Chiesa nella legislazione canonica, Roma 1993. 66

AAS 27 (1935), S. 256.

67

Vgl. ASS; AAS; La gerarchia cattolica e la famiglia pontificia; AnPont. Vgl. auch http://www.catholic-hierarchy.org/. Aufgelistet sind links die Namen der Missiones „sui iuris“ in alphabetischer Reihenfolge, spätere Namensvarianten (in runden Klammern) und die heutige geographische Lage (in eckigen Klammern), rechts die Daten der jeweiligen Errichtung als Missio „sui iuris“ (= Msi), Apostolische Präfektur (= PA), Apostolisches Vikariat (= VA), Gebietsprälatur (= PT), gefreite Abtei (= AN), Diözese (= D) und Erzdiözese (= AD) sowie der Namensänderungen (= mn) der Missiones „sui iuris“ (in runden Klammern) und gegebenenfalls der Aufhebungen (= s), ferner die heutigen Namen der kirchlichen Zirkumskriptionen (in runden Klammern). 68

Vgl. AAS 94 (2002), S. 632.

69

Vgl. AAS 75 (1983), S. 171 f.

70

Vgl. AAS 79 (1987), S. 121 f.

Peter Stockmann

468

8.

Tokelau [Tokelau]

Msi: 26.06.1992

9.

Turkmenistan [Turkmenistan]

Msi: 29.09.1997

10. Turks and Caicos72 [Turks- und Caicos-Inseln]

Msi: 10.06.1984

11. Uzbekistan [Usbekistan]

Msi: 29.09.1997

2. Ehemalige Missiones „sui iuris“ Abuja73 [Nigeria]

1. 2.

Antofagasta [Chile]

Msi: 06.11.1981 D: 19.06.1989 74

Msi: 1881 VA: 1887 AD: 28.06.1967

3.

Bagdad75 [Irak]

Msi: 12.09.1896 s: 1979

4.

Bellary76 [Indien]

Msi: 15.06.1928 D: 10.03.1949

5.

Beni nel Congo Belga77 [Kongo]

Msi: 09.04.1934 VA: 09.02.1938 (Butembo-Beni)

71

Vgl. Arrieta, Sistema (Anm. 37), S. 271.

72

Vgl. AAS 76 (1984), S. 917.

73

Vgl. AAS 74 (1982), S. 64; AAS 81 (1989), S. 1185 f.

AD: 26.03.1994 D: 03.02.1928

D: 10.11.1959

74

Vgl. Anton Freitag, Art. Antofagasta, in: LThK1 1 (1930), Sp. 508; Raul Pinto, Art. Antofagasta, in: EC 1 (1949), Sp. 1511; Anton Freitag, Art. Antofagasta, in: LThK2 1 (1957), Sp. 662. 75

Vgl. Emil Herman, Art. Bagdad, in: LThK1 1 (1930), Sp. 915 – 916; Raymond Janin, Art. Bagdad, in: DHGE 6 (1932), Sp. 198 – 201; Ignazio Ortiz de Urbina, Art. Bagdad, in: EC 2 (1949), Sp. 682; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 275 Anm. 35. 76

Vgl. AAS 20 (1928), S. 347 f.; AAS 41 (1949), S. 435 – 437; Konrad Hofmann, Art. Bellary, in: LThK1 2 (1931), Sp. 129; Anastase Van den Wyngaert, Art. Bellary, in: DHGE 7 (1934), Sp. 824; Valentino Belgeri, Art. Bellary, in: EC 2 (1949), Sp. 1183; Anton Freitag, Art. Bellary, in: LThK2 2 (1958), Sp. 162.

Die Missio „sui iuris“

6.

Bezwada78 [Indien]

Msi: 10.01.1933 D: 13.04.1937 (Vijayawada)

7.

Bikoro79 [Kongo]

Msi: 03.01.1931 PA: 25.06.1940 D: 10.11.1959 (Mbandaka-Bikoro)

8.

Bomadi80 [Nigeria]

Msi: 17.03.1991 VA: 15.12.1996

9.

Bulawayo81 [Simbabwe]

Msi: 04.01.1931 PA: 18.07.1932 D: 01.01.1955

469

VA: 28.06.1957 AD: 12.04.1975

VA: 13.04.1937 AD: 10.06.1994

10. California Inferiore82 [Mexiko]

Msi: 20.01.1884 s: 1918

11. Caroline Occidentale83 [Palau]

Msi: 15.05.1886 PA: 18.12.1905 D: 03.05.1979

VA: 01.03.1911

12. Caroline Orientale84 [Mikronesien]

Msi: 15.05.1886 PA: 18.12.1905 D: 03.05.1979

VA: 01.03.1911

77 Vgl. AAS 27 (1935), S. 256 f.; AAS 30 (1938), S. 282 f.; Walbert Bühlmann, Art. Beni, in: LThK2 2 (1958), Sp. 203. 78

Vgl. AAS 25 (1933), S. 485 f.; AAS 29 (1937), S. 415 – 417; Giovanni B. Tragella, Art. Bezwada, in: EC 2 (1949), Sp. 1535 – 1536; Anton Freitag, Art. Vijayavada, in: LThK2 10 (1965), Sp. 790 – 791. 79

Vgl. AAS 23 (1931), S. 328 f.; AAS 32 (1940), S. 538 f.; Giuseppe Monticone, Art. Bikoro, in: EC 2 (1949), Sp. 1635; Walbert Bühlmann, Art. Bikoro, in: LThK2 2 (1958), Sp. 457. 80

Vgl. AAS 89 (1997), S. 272 f.

81

Vgl. AAS 23 (1931), S. 372 f.; AAS 24 (1932), S. 400; Bierbaum, Mission (Anm. 3), S. 71; Giovanni B. Tragella, Art. Bulawayo, in: EC 3 (1949), Sp. 192; Walbert Bühlmann, Art. Bulawayo, in: LThK2 2 (1958), Sp. 763. 82 83

Vgl. Antonio Mazza, Art. California inferiore, in: EC 3 (1949), Sp. 381 – 382.

Vgl. ASS 39 (1906), S. 105; Anton Freitag, Art. Marianen, Karolinen u. Marshallinseln, in: LThK1 6 (1934), Sp. 916; Edoardo Pecoraio, Caroline e` Marshall, in: EC 3 (1949), Sp. 917; Anton Freitag, Art. Carolinen u. Marshallinseln, in: LThK2 2 (1958), Sp. 954; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 268 Anm. 9 und S. 283 – 293.

470

Peter Stockmann

13. Changtien85 [China]

Msi: 16.04.1929 PA: 01.06.1932 VA: 18.05.1937 D: 11.04.1946 (Chowtsun)

14. Congo Belga o Indipendente86 [Kongo]

Msi: 22.11.1886 VA: 11.05.1888 (Kinshasa)

15. Cunene87 [Angola]

Msi: 1881; 1906 s: 04.09.1940

16. Cuttack88 [Indien]

Msi: 18.07.1928 D: 01.06.1937 (Cuttack-Bhubaneswar)

17. Drisdale River89 (Kalumburu) [Australien]

Msi: 04.05.1910 (mn: 08.09.1971) s: 1980

18. Gambia90 [Gambia]

Msi: 06.05.1931 PA: 08.03.1951 (Banjul)

AD: 10.11.1959

AD: 24.01.1974

D: 24.06.1957

84

Vgl. ASS 39 (1906), S. 105; Freitag, Marianen (Anm. 83); Pecoraio, Caroline (Anm. 83); Freitag, Carolinen (Anm. 83); García Martín, Origen (Anm. 3), S. 268 Anm. 9 und S. 283 – 293. 85

Vgl. AAS 21 (1929), S. 653 f.; AAS 24 (1932), S. 369; Anton Freitag, Art. Tschoutsun, in: LThK1 10 (1938), Sp. 319; Adamo Pucci, Art. Chowtsun, in: EC 3 (1949), Sp. 1565; Louis Van Hee, Art. Chowtsun, in: DHGE 12 (1953), Sp. 768 – 769; Anton Freitag, Art. Chowtsun, in: LThK2 2 (1958), Sp. 1094. 86 Vgl. Giovanni Rommerskirchen, Art. Congo Belga. II. Storia dell´evangelizzazione della regione già compresa sotto il nome di C., in: EC 4 (1950), Sp. 276 – 281; Carlo Corvo, Art. Leopoldville, in: EC 7 (1951), Sp. 1181 – 1182; Anton Freitag, Art. Léopoldville, in: LThK2 6 (1961), Sp. 972. 87

Vgl. AAS 33 (1941), S. 14 – 18; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 244; Giovanni B. Tragella, Art. Angola. 2. Storia del Cristianesimo, in: EC 1 (1949), Sp. 1282 – 1283; Staffa, Delegazioni (Anm. 6), S. 189; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 267 Anm. 7. 88

Vgl. AAS 21 (1929), S. 148 f.; AAS 29 (1937), S. 467 – 469; Konrad Hofmann, Art. Katak, in: LThK1 5 (1933), Sp. 867; Valentino Belgeri, Art. Cuttack, in: EC 4 (1950), Sp. 1099 – 1100; Joseph Dehergne, Art. Cuttack, in: DHGE 13 (1956), Sp. 1121; Anton Freitag, Art. Cuttack, in: LThK2 3 (1959), Sp. 112. 89

Vgl. AAS 2 (1910), S. 410 f.; AAS 63 (1971), S. 945; Joseph Schmidlin, Art. Drysdale River, in: LThK1 3 (1931), Sp. 470 – 471; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 244; Saverio Paventi, Art. Drisdale River, in: EC 4 (1950), Sp. 1930; Staffa, Delegazioni (Anm. 6), S. 189; Ernest A. Worms, Art. Drysdale River, in: LThK2 3 (1959), Sp. 581; Jean Pirotte, Art. Kalumburu, in: DHGE 28 (2004), Sp. 809.

Die Missio „sui iuris“

471

19. Gezira, Djézireh91 [Syrien]

Msi: 04.09.1935 s: 1953

20. Guinea Portoghese92 [Guinea-Bissau]

Msi: 04.09.1940 PA: 29.04.1955 (Bissau)

21. Hainan93 [China]

Msi: 15.04.1929 PA: 25.05.1936

22. Hudson-Bai94 [Kanada]

Msi: 15.07.1925 VA: 21.12.1931 D: 13.07.1967 (Churchill-Baie d´Hudson)

23. Hwangchow95 [China]

Msi: 18.07.1929 PA: 01.06.1932 D: 11.04.1946 (Kichow)

24. Iban96 (Kiamusze) [China]

Msi: 09.07.1928 (mn: 13.04.1937) PA: 09.04.1940

D: 21.03.1977

VA: 27.01.1936

90

Vgl. AAS 24 (1932), S. 44; AAS 43 (1951), S. 453 f.; Konrad Hofmann, Art. Gambia, in: LThK1 4 (1932), Sp. 282; Carlo Corvo, Art. Gambia, in: EC 5 (1950), Sp. 1922; Josef Rath, Art. Bathurst, in: LThK2 2 (1958), Sp. 51; Roger Aubert, Art. Gambie, in: DHGE 19 (1981), Sp. 979 – 980. 91

Vgl. Georg Graf, Art. öH]vUDLQ/7K.1 4 (1932), Sp. 484.

92

Vgl. AAS 33 (1941), S. 14 – 18; Joseph A. Schweitzer, Art. Portugiesisch-Guinea, in: LThK2 8 (1963), Sp. 635; Jean Pirotte, Art. Guinée-Bissau, in: DHGE 22 (1988), Sp. 1094 – 1095. 93

Vgl. AAS 21 (1929), S. 652 f.; AAS 28 (1936), S. 453 f.; Joseph Schmidlin, Art. Hainan, in: LThK1 4 (1932), Sp. 792; Adamo Pucci, Art. Hainan, in: EC 6 (1951), Sp. 1333 – 1334; Anton Freitag, Art. Hainan, in: LThK2 4 (1960), Sp. 1326; Claude Soetens, Art. Hainan, in: DHGE 23 (1990), Sp. 101 – 102. 94

Vgl. AAS 18 (1926), S. 88 f.; AAS 24 (1932), S. 259; Étienne Van Cauwenbergh, Art. Baie d´Hudson, in: DHGE 6 (1932), Sp. 240; Konrad Hofmann, Art. Hudsonbai, in: LThK1 5 (1933), Sp. 169; Giovanni Pietsch, Art. Baia di Hudson, in: EC 2 (1949), Sp. 699; Anton Freitag, Art. Hudson-Bai, in: LThK2 5 (1960), Sp. 505. 95

Vgl. AAS 22 (1930), S. 125 f.; AAS 24 (1932), S. 368; Joseph Schmidlin, Art. Hwangtschou, in: LThK1 5 (1933), Sp. 215; Adamo Pucci, Art. Kichow, in: EC 7 (1951), Sp. 689; Anton Freitag, Art. Kichow, in: LThK2 6 (1961), Sp. 138. 96

Vgl. AAS 20 (1928), S. 349 f.; AAS 29 (1937), S. 309; AAS 32 (1940), S. 475 f.; Bonifaz Sauer, Art. Ilan, in: LThK1 5 (1933), Sp. 366; Adamo Pucci, Art. Kiamusze, in: EC 7 (1951), Sp. 687; Anton Freitag, Art. Kiamusze, in: LThK2 6 (1961), Sp. 137; Jean Pirotte, Art. Ilan, in: DHGE 25 (1995), Sp. 796 – 797.

472

Peter Stockmann

25. I-li, Kul-Dia97 [China]

Msi: 24.09.1888 s: 08.03.1922

26. Kano98 [Nigeria]

Msi: 22.03.1991 VA: 15.12.1995

27. Karafuto99 [Russland]

Msi: 18.07.1932 PA: 21.05.1938 (Yuzhno Sakhalinsk)

28. Kassai Superiore100 [Kongo]

Msi: 26.07.1901 PA: 18.03.1904 VA: 13.06.1917 AD: 10.11.1959 (Kananga)

29. Kenia101 [Kenia]

Msi: 14.09.1905 VA: 12.07.1909 AD: 21.05.1990 (Nyeri)

30. Kienning102 [China]

Msi: 06.05.1931 PA: 08.01.1938 (Kienow)

31. Koango, Kwango103 [Kongo]

Msi: 08.04.1892 PA: 31.01.1903 D: 10.11.1959 (Kikwit)

D: 22.06.1999

D: 25.03.1953

VA: 28.03.1928

97

Vgl. Johannes Thauren, Art. Ili, in: LThK1 5 (1933), Sp. 369; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 294 – 298; Jean Pirotte, Art. Ili, in: DHGE 25 (1995), Sp. 836. 98

Vgl. AAS 88 (1996), S. 833 f.; Roger Aubert, Art. Kano, in: DHGE 28 (2004), Sp. 918 – 919. 99 Vgl. AAS 24 (1932), S. 397; AAS 30 (1938), S. 400 f.; Odilo Schmidt, Art. Sachalin, in: LThK1 9 (1937), Sp. 57; Edoardo Pecoraio, Art. Karafuto, in: EC 7 (1951), Sp. 655 – 656; Anton Freitag, Art. Karafuto, in: LThK2 5 (1960), Sp. 1342; Roger Aubert, Art. Karafuto, in: DHGE 28 (2004), Sp. 964. 100

Vgl. Anton Freitag, Art. Kassai, in: LThK1 5 (1933), Sp. 863; Carlo Corvo, Art. Luluabourg, in: EC 7 (1951), Sp. 1680; Anton Freitag, Art. Luluabourg, in: LThK2 6 (1961), Sp. 1213; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 306 – 312. 101

Vgl. AAS 1 (1909), S. 621 f.; Anton Freitag, Art. Kenia, in: LThK1 5 (1933), Sp. 929; Carlo Corvo, Art. Nyeri, in: EC 8 (1952), Sp. 2046 – 2048; Anton Freitag, Art. Nyeri, in: LThK2 7 (1962), Sp. 1075 – 1076; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 312 – 318; Harry Hoeben, Art. Kenia, in: LThK3 5 (1996), Sp. 1394; Roger Aubert, Art. 1. Kenya, in: DHGE 28 (2003), Sp. 1263 – 1269; ders., Art. 2. Kenya, in: ebd., Sp. 1269. 102 Vgl. AAS 24 (1932), S. 45; AAS 30 (1938), S. 281 f.; Joseph Schmidlin, Art. Keinning, in: LThK1 5 (1933), Sp. 946; Adamo Pucci, Art. Kienow, in: EC 7 (1951), Sp. 690 – 691; Anton Freitag, Art. Kienow, in: LThK2 6 (1961), Sp. 139.

Die Missio „sui iuris“

473

32. Kodok104 [Sudan]

Msi: 10.01.1933 PA: 04.08.1938 (Malakal)

D: 12.12.1974

33. Loangwa, Lwangwa105 [Sambia]

Msi: 23.05.1933 VA: 01.07.1937 (Mpika)

D: 25.04.1959

34. Lunda106 [Angola]

Msi: 1900 s: 04.09.1940

35. Magallanes107 [Chile]

Msi: 05.04.1901 s: 04.10.1916

36. Mardin108 [Türkei]

Msi: 1842; 12.09.1896 s: 1973

37. Miarinarivo109 [Madagaskar]

Msi: 13.12.1933 VA: 25.05.1939

38. Miyazaki110 [Japan]

Msi: 27.03.1928 PA: 28.01.1935 (Oita)

D: 14.09.1955 D: 22.12.1961

103 Vgl. Carlo Corvo, Art. Koango, in: EC 7 (1951), Sp. 725 – 726; Anton Freitag, Art. Kikwit, in: LThK2 6 (1961), Sp. 143; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 299 – 306; Maurice Cheza, Art. Kikwit, in: DHGE 28 (2003), Sp. 1510. 104 Vgl. AAS 25 (1933), S. 235 f.; Joseph Schmitz, Art. Kodok, in: LThK1 6 (1934), Sp. 70; Carlo Corvo, Art. Malakal, in: EC 7 (1951), Sp. 1888 – 1889; Anton Freitag, Art. Malakal, in: LThK2 6 (1961), Sp. 1323. 105 Vgl. AAS 26 (1934), S. 16 f.; AAS 30 (1938), S. 10 – 12; Konrad Hofmann, Art. Loangwa, in: LThK1 6 (1934), Sp. 621; Carlo Corvo, Art. Lwangwa, in: EC 7 (1951), Sp. 1732; Walbert Bühlmann, Art. Abercorn, in: LThK2 1 (1957), Sp. 36. 106 Vgl. AAS 33 (1941), S. 14 – 18; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 244; Tragella, Angola (Anm. 87); Staffa, Delegazioni (Anm. 6), S. 189; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 267 Anm. 7. 107 Vgl. AAS 8 (1916), S. 406 f.; Anton Freitag, Art. Magallanes, in: LThK1 6 (1934), Sp. 773. 108

Vgl. Herman, Bagdad (Anm. 75); Janin, Bagdad (Anm. 75); Emil Herman, Art. Mardin, in: LThK1 6 (1934), Sp. 876; Ortiz de Urbina, Bagdad (Anm. 75); Guglielmo de Vries, Art. Mardin, in: EC 8 (1952), Sp. 58 – 59; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 275 Anm. 35. 109 Vgl. AAS 31 (1939), S. 309 f. und S. 365 f.; Saverio Paventi, Art. Miarinarivo, in: EC 8 (1952), Sp. 928 – 929; Anton Freitag, Art. Miarinarivo, in: LThK2 7 (1962), Sp. 390.

474

Peter Stockmann

39. Mongolia Esteriore111 (Urga, Ulanbator) [Mongolei]

Msi: 14.03.1922 (mn: 03.12.1924) PA: 30.04.2002 (Ulaanbaatar)

40. Mossul112 [Irak]

Msi: 1750; 12.09.1896 s: 1969

41. Nepal113 [Nepal]

Msi: 07.10.1983 PA: 08.11.1996

42. New Norcia114 [Australien]

Msi: 01.04.1859 PA: 07.02.1860 s: 1982

AN: 12.03.1867

43. Norvegia115 [Norwegen]

Msi: 07.08.1868 PA: 17.08.1869 D: 29.06.1953 (Oslo)

VA: 11.03.1892

44. Norvegia Centrale116 [Norwegen]

Districtus Ecclesiasticus seu Msi: 07.04.1931 PA: 10.03.1944 VA: 04.02.1953 PT: 28.03.1979 (Trondheim)

110

Vgl. AAS 20 (1928), S. 220 f.; AAS 27 (1935), S. 425 f.; Anton Freitag, Art. Mijasaki, in: LThK1 7 (1935), Sp. 183; Edoardo Pecoraio, Art. Miyazaki, in: EC 8 (1952), Sp. 1157 – 1158; Anton Freitag, Art. Oita, in: LThK2 7 (1962), Sp. 1123. 111

Vgl. AAS 14 (1922), S. 272; AAS 17 (1925), S. 23 – 25; AAS 94 (2002), S. 512 f.; Nicola Kowalsky, Art. Urga, in: EC 12 (1954), Sp. 920; Anton Freitag, Art. Urga, in: LThK2 10 (1965), Sp. 550 – 551. 112

Vgl. Herman, Bagdad (Anm. 75); Janin, Bagdad (Anm. 75); Emil Herman, Art. Mosul, in: LThK1 7 (1935), Sp. 348 – 349; Ortiz de Urbina, Bagdad (Anm. 75); Guglielmo de Vries, Art. Mossul, in: EC 8 (1952), Sp. 1481 – 1482; Raymond Janin, Art. Mosul, in: LThK2 7 (1962), Sp. 659 – 660; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 275 Anm. 35. 113

Vgl. AAS 76 (1984), S. 304; AAS 89 (1997), S. 269; Hans-Peter Hecking, Art. Nepal, in: LThK3 7 (1998), Sp. 737. 114 Vgl. Karl Streit, Art. New Norcia, in: LThK1 7 (1935), Sp. 534; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 244; Saverio Paventi, Art. Nuova Norcia, in: EC 8 (1952), Sp. 2031; Rudolf Henggeler, Art. New Norcia, in: LThK2 7 (1962), Sp. 936. 115 Vgl. Saverio Paventi, Art. Norvegia. II. Storia civile ed ecclesiastica. Vicariato e prefetture apostoliche, in: EC 8 (1952), Sp. 1947; Helmut Holzapfel, Art. Oslo, in: LThK2 7 (1962), Sp. 1263 – 1264. 116 Vgl. AAS 23 (1931), S. 430; AAS 36 (1944), S. 276 f.; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 245 f.; Paventi, Norvegia (Anm. 115); Alfred Otto, Art. Drontheim, in: LThK2 3 (1959), Sp. 576.

Die Missio „sui iuris“

475

45. Norvegia Settentrionale117 [Norwegen]

Districtus Ecclesiasticus seu Msi: 08.04.1931 PA: 10.03.1944 VA: 18.02.1955 PT: 28.03.1979 (Tromsø)

46. Persia118 [Iran]

Msi: 1840; 12.09.1896 s: 28.04.1951

47. Putumayo119 [Peru]

Msi: 04.10.1912 s: 22.02.1921

48. Queenstown120 [Südafrika]

Msi: 20.02.1929 PA: 29.03.1938 D: 11.01.1951

49. Rajaburi121 [Thailand]

Msi: 30.06.1930 PA: 28.05.1934 VA: 03.04.1941 D: 18.12.1965 (Ratchaburi)

50. San122 [Mali]

Msi: 10.04.1962 D: 29.09.1964

51. Sant´Andrés y Providencia123 [Kolumbien]

Msi: 20.06.1912 PA: 14.11.1946 VA: 05.12.2000 (San Andrés y Providencia)

VA: 09.04.1948

117

Vgl. AAS 23 (1931), S. 431; AAS 36 (1944), S. 275 f.; Paventi, Quaestiones (Anm. 6), S. 245 f.; Paventi, Norvegia (Anm. 115); Helmut Holzapfel, Art. Tromsö, in: LThK2 10 (1965), Sp. 373. 118

Vgl. Johannes Thauren, Art. Persien. II. Religion. III. Christentum. IV. Neuere Mission u. Gegenwart, in: LThK1 8 (1936), Sp. 95 – 97; Staffa, Delegazioni (Anm. 6), S. 188; Wilhelm de Vries, Art. Persien. III. Christentum. IV. Neuere Mission u. Gegenwart, in: LThK2 8 (1963), Sp. 285 – 287; Arnulf Camps, Art. Iran. V. Neuere Kirchengeschichte: 2. Römisch-katholische Kirche, in: LThK3 5 (1996), Sp. 581 – 582. 119

Vgl. AAS 5 (1913), S. 308 f.; Otto Maas, Art. Putumayo, in: LThK1 8 (1936), Sp. 568; Joseph Schmitz, Art. León, 3) San L. de Amazonas, in: LThK1 6 (1934), Sp. 506; Antonio Mazza, Art. Iquitos, in: EC 7 (1951), Sp. 183 – 184; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 279 f.; Roger Aubert, Art. Iquitos, in: DHGE 25 (1995), Sp. 1420 – 1421. 120

Vgl. AAS 21 (1929), S. 585 f.; AAS 25 (1933), S. 238 f.; Anton Freitag, Art. Kapland, in: LThK1 5 (1933), Sp. 806; Saverio Paventi, Art. Queenstown, in: EC 10 (1953), Sp. 389; Anton Freitag, Art. Queenstown, in: LThK2 8 (1963), Sp. 931. 121

Vgl. AAS 23 (1931), S. 115 f.; AAS 27 (1935), S. 266 f.; Joseph M. Wiget, Art. Radschapur, in: LThK1 8 (1936), Sp. 607; Edoardo Pecoraio, Art. Rajaburi, in: EC 10 (1953), Sp. 506 – 507; Anton Freitag, Art. Rajaburi, in: LThK2 8 (1963), Sp. 982. 122

Vgl. AAS 54 (1962), S. 474; Anton Freitag, Art. San, in: LThK2 9 (1964), Sp. 306.

Peter Stockmann

476

52. Shaowu124 [China]

Msi: 18.07.1929 PA: 21.05.1938

53. Shihtsien125 [China]

Msi: 23.03.1932 PA: 02.12.1937

54. Sikkim126 [Indien]

Msi: 15.02.1929 PA: 16.06.1931 (Darjeeling)

55. Sinkiang127 [China]

Msi: 14.02.1930 PA: 21.05.1938

56. Siria e Cilicia128 [Libanon, Syrien, Türkei]

Msi: 1628; 12.09.1896 s: 1953

57. Tali129 [China]

Msi: 22.11.1929 PA: 10.12.1934

D: 09.12.1948

58. Tarahumara130 [Mexiko]

Msi: 06.05.1950 VA: 23.06.1958

D: 20.12.1993

131

59. Trebisonda, Trabzon [Türkei]

D: 08.08.1962

Msi: 1895; 20.06.1931 s: 30.11.1990

123 Vgl. O. V., Art. Sant´ Andrés y Providencia, in: LThK1 1 (1930), Sp. 421; Saverio Paventi, Sant´Andrea e Provvidenza, in: EC 10 (1953), Sp. 1835; Anton Freitag, Art. San Andrés y Providencia, in: LThK2 9 (1964), Sp. 131. 124 Vgl. AAS 22 (1930), S. 127 f.; AAS 30 (1938), S. 336 f.; Anton Freitag, Art. Tschauwu, in: LThK1 10 (1938), Sp. 314; Adamo Pucci, Art. Shaowu, in: EC 11 (1953), Sp. 488; Anton Freitag, Art. Shaowu, in: LThK2 9 (1964), Sp. 715. 125 Vgl. AAS 24 (1932), S. 387 f.; AAS 30 (1938), S. 250 f.; Anton Freitag, Art. Schitschien, in: LThK1 9 (1937), Sp. 262; Adamo Pucci, Art. Shihtsien, in: EC 11 (1953), Sp. 492 – 493; Anton Freitag, Art. Shihtsien, in: LThK2 9 (1964), Sp. 716. 126 Vgl. AAS 21 (1929), S. 584 f.; AAS 23 (1931), S. 400; Alfons Väth, Art. Sikkim, in: LThK1 9 (1937), Sp. 553; Pompeo Borgna, Art. Sikkim, in: EC 11 (1953), Sp. 576 – 577. 127

Vgl. AAS 22 (1930), S. 478 f.; Adamo Pucci, Art. Sinkiang, in: EC 11 (1953), Sp. 702; Anton Freitag, Art. Sinkiang, in: LThK2 9 (1964), Sp. 784. 128

Vgl. AAS 32 (1940), S. 115 f.

129

Vgl. AAS 22 (1930), S. 268 f.; AAS 27 (1935), S. 395 f.; Anton Freitag, Art. Tali, in: LThK1 9 (1937), Sp. 980; Adamo Pucci, Art. Tali, in: EC 11 (1953), Sp. 1710 – 1711; Anton Freitag, Art. Tali, in: LThK2 9 (1964), Sp. 1279. 130 Vgl. AAS 43 (1951), S. 286; AAS 51 (1959), S. 261 f.; Saverio Paventi, Art. Tarahumara, in: EC 11 (1953), Sp. 1748; Anton Freitag, Art. Tarahumara, in: LThK2 9 (1964), Sp. 1298.

Die Missio „sui iuris“

60. Tsitsikar132 [China]

Msi: 09.07.1928 PA: 17.08.1931 (Tsitsihar)

61. Tukuyu133 [Tansania]

Msi: 18.07.1932 PA: 29.03.1938 D: 25.03.1953 (Mbeya)

62. Tungchow134 [China]

Msi: 03.11.1931 PA: 08.04.1935

63. Uellé135 [Kongo]

Msi: 02.05.1898 s: 18.12.1911

64. Weihaiwei136 [China]

Msi: 18.06.1931 PA: 09.02.1938

65. Wuchow137 [China]

Msi: 30.06.1930 PA: 10.12.1934 D: 11.04.1946

66. Yihsien138 [China]

Msi: 25.05.1929 PA: 09.12.1935

477

VA: 14.07.1949

VA: 20.07.1939

131 Vgl. AAS 23 (1931), S. 402 f.; AAS 83 (1991), S. 151; Georg Stadtmüller, Art. Trapezunt, in: LThK1 10 (1938), Sp. 258 – 259; Giorgio Hofmann, Art. Trebisonda, in: EC 12 (1954), Sp. 455 – 456; Georg Stadtmüller, Art. Trabzon, in: LThK2 10 (1965), Sp. 289 – 290; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 275 Anm. 35. 132

Vgl. AAS 20 (1928), S. 350 f.; AAS 24 (1932), S. 111 f.; Anton Freitag, Art. Tsitsikar, in: LThK1 10 (1938), Sp. 321; Edoardo Pecoraio, Art. Tsitsikar, in: EC 12 (1954), Sp. 592; Anton Freitag, Art. Tsitsikar, in: LThK2 10 (1965), Sp. 388. 133

Vgl. AAS 24 (1932), S. 395 f.; AAS 30 (1938), S. 332 f.; Laurentius Kilger, Art. Tukuyu, in: LThK1 10 (1938), Sp. 329; Carlo Corvo, Art. Mbeya, in: EC 8 (1952), Sp. 541; Anton Freitag, Art. Mbeya, in: LThK2 7 (1962), Sp. 220. 134

Vgl. AAS 24 (1932), S. 228 f.; AAS 28 (1936), S. 89 f.; Anton Freitag, Art. Tungtschou, in: LThK1 10 (1938), Sp. 330; Adamo Pucci, Art. Tungchow, in: EC 12 (1954), Sp. 607; Anton Freitag, Art. Tungchow, in: LThK2 10 (1965), Sp. 403. 135

Vgl. Benno Biermann, Art. Uelle, in: LThK1 10 (1938), Sp. 359 – 360; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 276 Anm. 39. 136 Vgl. AAS 23 (1931), S. 401; AAS 30 (1938), S. 312 f.; Joseph Schmitz, Art. Wiehaiwei, in: LThK1 10 (1938), Sp. 772; Adamo Pucci, Art. Weihaiwei, in: EC 12 (1954), Sp. 1660 – 1661; Anton Freitag, Art. Weihaiwei, in: LThK2 10 (1965), Sp. 980. 137 Vgl. AAS 23 (1931), S. 152 f.; AAS 25 (1933), S. 237 f.; AAS 27 (1935), S. 396 f.; Anton Freitag, Art. Wutschou, in: LThK1 10 (1938), Sp. 1003; Adamo Pucci, Art. Wuchow, in: EC 12 (1954), Sp. 1717; Anton Freitag, Art. Wuchow, in: LThK2 10 (1965), Sp. 1245.

478

67. Zambese139 [Simbabwe]

Peter Stockmann

Msi: 02.07.1879 PA: 09.03.1915 AD: 01.01.1955 (Harare)

VA: 03.03.1931

138

Vgl. AAS 21 (1929), S. 658 f.; AAS 28 (1936), S. 225 f.; Adamo Pucci, Art. Yihsien, in: EC 12 (1954), Sp. 1742; Anton Freitag, Art. Yihsien, in: LThK2 10 (1965), Sp. 1289. 139

Vgl. AAS 4 (1912), S. 473; AAS 7 (1915), S. 148; Laurentius Kilger, Art. Sambesi, in: LThK1 9 (1937), Sp. 152 – 153; Saverio Paventi, Art. Salisbury, in: EC 10 (1953), Sp. 1678 – 1679; Anton Freitag, Art. Salisbury, in: LThK2 9 (1964), Sp. 267; García Martín, Origen (Anm. 3), S. 268 Anm. 9; Harry Hoeben, Art. Simbabwe, in: LThK3 9 (2000), Sp. 590 – 591.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen Von Reiner Tillmanns Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit sind nicht immer eins. Nicht selten bleibt die Wirklichkeit hinter den Vorgaben des Rechts zurück. Selten jedoch klaffen Recht und Realität so weit auseinander wie im kanonischen Vereinsrecht. Der deutsche Verbandskatholizismus orientiert sich in der Praxis wenig an den Vorgaben des kirchlichen Rechts; und die Bischöfe lassen hingehen, was frommt und kein Ärgernis bereitet. Ein wesentlicher Grund für die geringe Beachtung des kirchlichen Rechts liegt darin, dass der Verbandskatholizismus sich historisch außerhalb des kirchlichen Rechts entwickelt und im bürgerlichen Vereinsrecht schon früh passende Organisationsformen gefunden hat. Eine weitere Ursache dürfte darin zu sehen sein, dass sich die vielgestaltigen Erscheinungsformen des katholischen Vereinswesens nicht ohne Friktionen in die abstrakten Kategorien des kirchlichen Vereinsrechts einordnen lassen.1 Zu den Bereichen, die in der verbandlichen Praxis weitgehend unbeeindruckt von den vereinsrechtlichen Vorgaben nach pragmatischen Gesichtspunkten gehandhabt werden, gehört das Recht der Mitgliedschaft. Dass ein evangelischer Christ Mitglied in einem katholischen Verein sein kann, erscheint nachgerade selbstverständlich in Zeiten, in denen dem Vereinigungswesen eine ökumenische Funktion zugeschrieben wird2. Und warum einem Ungetauften, der die Vereinsziele engagiert unterstützen möchte, die Mitgliedschaft in einem katholischen Verein verweigert werden soll, leuchtet in einer säkularisierten Gesellschaft, in der die religiöse Zugehörigkeit zunehmend irrelevant erscheint, kaum mehr ein. Die Vereinsverantwortlichen schauen bei der Aufnahme von

1

Kritisch etwa Libero Gerosa, Das Recht der Kirche, Paderborn 1995, S. 319, der grundsätzliche Zweifel hegt, ob das neukodikarische Vereinsrecht mit seinen „abstrakten Abstufungen“ einer lebendigen, stets in Entwicklung befindlichen kirchlichen Wirklichkeit gerecht wird. 2

Hubert Müller, Das konsoziative Element in seiner Bedeutung für die Ökumene, in: Winfried Aymans / Karl-Theodor Geringer / Heribert Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element in der Kirche. Akten des VI. Internationalen Kongresses für Kanonisches Recht, St. Ottilien 1989, S. 243 ff.

480

Reiner Tillmanns

Mitgliedern häufig denn auch mehr auf den guten Willen als auf die rechte Konfession. Hinter einer entsprechend liberalen Aufnahmepraxis wird man bisweilen religiöse Indifferenz zu vermuten haben, häufiger jedoch Sorge um die Zukunft des Vereins.3 Den katholischen Vereinen droht der Mitgliederschwund. Ihnen macht nicht nur die allgemeine Überalterung der Gesellschaft zu schaffen. Die Gewinnung von Mitgliedern – von jungen zumal – wird zudem durch die allgemein nachlassende Bereitschaft, längerfristig Bindungen einzugehen und gemeinwohlorientiert Verantwortung zu übernehmen,4 immer schwieriger. Das Aufbrechen der konfessionellen Milieus und die fortschreitenden Säkularisierung schränken die Rekrutierungsmöglichkeiten katholischer Vereine zusätzlich ein. Unter diesen Bedingungen ist die Idealvorstellung eines katholischen Vereins mit konfessionell homogenem Mitgliederbestand vielerorts nicht mehr zu realisieren. Auf dem Gebiet der neuen Bundesländer mit einem Katholikenanteil von weniger als 10 Prozent5 dürfte selbst die Zulassung nichtkatholischer Christen häufig keine ausreichende Mitgliederzahl mehr garantieren.6 Daher ist es für die Zukunftsfähigkeit vieler Vereine von großer, teilweise von existentieller Bedeutung, ob sie Nichtkatholiken als Mitglieder aufnehmen dürfen. Dieser Frage soll hier aus der Perspektive des kirchlichen Vereinsrechts nachgegangen werden.

3

Hierzu Hubert Tintelott, Rechenschaftsbericht – Zukunftsfähigkeit der katholischen Verbände sichern. Vor der 18. Delegiertenversammlung der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands am 11./12. Oktober 2002 in Bad Honnef, in: Generalsekretariat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (Hrsg.), Berichte und Dokumente 118, Bonn 2003, S. 27 (39 ff.). 4 Zur Verschiebung des Wertespektrums von gemeinschaftsorientierten Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu individualistischen Selbstverwirklichungswerten Reiner Tillmanns, Wehrhaftigkeit durch Werthaftigkeit – der ethische Grundkonsens als Existenzvoraussetzung des freiheitlichen Staates, in: Markus Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Tübingen 2003, S. 25 (37 f.). 5

Der Anteil der Katholiken an der Wohnbevölkerung betrug im Jahr 2002 in Brandenburg 3,5 %, in Berlin 9,1 %, in Mecklenburg-Vorpommern 3,6 %, in Sachsen 4,3 %, in Sachsen-Anhalt 5,9 % und in Thüringen 8,3 % (Quelle: http://dbk.de/daten/in_daten03-2002.html). 6 Der Bevölkerungsanteil der Christen in den neuen Bundesländern belief sich im Jahr 2002 auf durchschnittlich 28 % (Quelle: http://www.ekd.de/statistik/3217_ mitglieder.html).

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

481

I. Entwicklung und Bedeutung des katholischen Vereinigungswesens „Homines sunt natura sociabiles.“7 Der Mensch ist von Natur aus gesellig. Diese fundamentale Einsicht in das Wesen des Menschen ist alt. Sie findet sich in der Charakterisierung als „zoon politikon“ bekanntlich schon bei Aristoteles.8 Von dort wurde sie philosophisch und theologisch rezipiert und auch im kirchlichen Bereich weiter entfaltet. In neuerer Zeit leitete Papst Johannes XXIII. aus der Sozialnatur des Menschen das Recht des einzelnen ab, sich mit anderen zusammenzuschließen und Gemeinschaften zu bilden.9 Die katholischen Laien haben von diesem Recht schon immer regen Gebrauch gemacht. Vereinigungen von Gläubigen sind bereits für die Frühzeit des Christentums nachgewiesen.10 Heute gehören sie allerorten zum Normalbefund kirchlichen Lebens. Eine besonders breite und vielgestaltige Ausprägung hat das Vereinswesen im deutschen Katholizismus gefunden.11 Dies hat vor allem historische Gründe, die Joseph Listl kenntnisreich ausgeleuchtet hat.12 Der deutsche Verbandskatholizismus wurzelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Kirche durch das Staatskirchentum an freier Ent7

Papst Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in Terris, in: Acta Apostolicae Sedis (AAS) 55 (1963), S. 257 (262). 8

Aristoteles, Politik, I 2 1252b; III 6 1278 b.

9

Johannes XXIII., Pacem in Terris (Anm. 7), S. 262 f.; ebenso Alvaro del Portillo, Los Fieles y Laicos en la Iglesia, Pamplona 1969, S. 130 f. – Anders noch Philipp Hergenröther, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau 1905, S. 399 Fn. 1, der das Assoziationsrecht als ius nativum fidelium aus Mt. 18,20 herleitet. Dieser Gedanke findet sich wieder im Dekret über das Apostolat der Laien, AA, Art. 18 Abs. 1, dort unter Bezugnahme auf Papst Pius XII., Ansprache an den ersten Weltkongreß für Laienapostolat, 14. Oktober 1951, in: AAS 43 (1951), S. 788. 10

Antonio García y García, Significación del elemento asociativo en la historia del derecho de la Iglesia, in: Aymans / Geringer / Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element (Anm. 2), S. 25 (27 ff.). 11

Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind in den katholischen Vereinen derzeit mindestens 4,5 Millionen Mitglieder organisiert (Paul Becher, Bedeutung, Wirkungsmöglichkeiten und Schwierigkeiten der katholischen Verbände heute, in: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz [Hrsg.], Katholische Verbände. Studientag der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn, 21.9.1988, S. 56; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz [Hrsg.], Wort der deutschen Bischöfe zur Stellung der Verbände in der Kirche, Bonn, 7.3.1990, S. 4). 12

Joseph Listl, Die katholischen Organisationen und Verbände als gesellschaftliche Gründungen des 19. Jahrhunderts, in: Heinrich Krauss / Heinrich Ostermann (Hrsg.), Verbandskatholizismus. Verbände – Organisationen – Gruppen im deutschen Katholizismus, Kevelaer 1968, S. 9 ff.

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faltung gehindert war und nach der Säkularisation zerrüttet und verarmt danieder lag.13 In der Zeit kirchlicher Ohnmacht erhoben sich die katholischen Laien aus Resignation und Verschüchterung, griffen nach den demokratischen Kampfmitteln der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit14 und gründeten, vor allem seit den vierziger Jahren, eine Vielzahl von Vereinigungen zur Stärkung des katholischen Minderheitenbekenntnisses, zur Verfolgung kirchenpolitischer Ziele und zur Behebung sozialer Not.15 Die so entstandenen Vereine unterschieden sich grundlegend von den bis dahin verbreiteten Formen kirchlicher Vereinigungen. Während die überkommenen Bruderschaften, Confraternitäten und Sodalitäten von der kirchlichen Autorität errichtet oder als kirchliche Vereinigungen anerkannt sowie der Aufsicht des Bischofs und seinem Visitationsrecht unterworfen waren,16 verdankten sich die neuen Vereinigungen ausschließlich der freien Initiative von Laien und standen in keiner kirchenrechtlichen Beziehung zur Kirche.17 Die Distanz zur verfassten Kirche war gewollt. Sie entsprach dem Selbstverständnis der neu gegründeten Vereinigungen. Diese wollten nicht als Teil der Kirche von außen auf die Gesellschaft einwirken, sondern die Gesellschaft von innen heraus in freier Initiative mitgestalten.18 Als freie Laienvereinigungen zur Verfolgung religiöser und mit der Religion zusammenhängender Zwecke waren sie vom Kirchenrecht nicht erfasst und standen an sich nicht unter der Jurisdik-

13

Hierzu Joseph Listl, Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz, in: Josef Isensee / Wolfgang Rüfner / Wilhelm Rees (Hrsg.), Joseph Listl. Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, 1. Halbband, Berlin 1996, S. 237 (238 ff.). 14

Vorgesehen in Art. 143, 162 der Paulskirchenverfassung vom 28.3.1849; für Preußen gewährleistet durch Art. 27, 30 der preußischen Verfassung vom 31.1.1850. 15

Karl Buchheim, Der deutsche Verbandskatholizismus. Eine Skizze seiner Geschichte, in: Bernhard Hanssler (Hrsg.), Die Kirche in der Gesellschaft. Der deutsche Katholizismus und seine Organisationen im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1961, S. 30 ff.; August Franzen, Kleine Kirchengeschichte, 5. Aufl., Freiburg, Basel, Wien 2000, S. 334 ff. 16

George Phillips, Lehrbuch des Kirchenrechts, 2. Aufl., Regensburg 1871, S. 739. Die Begrifflichkeit schwankte. Hergenröther, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 9), S. 399 ff., unterscheidet unter dem Obergriff der „kirchlichen Vereine“ nach „eigentlichen Bruderschaften“, „bruderschaftsähnlichen Vereinen“, „religiösen Werken“ und „Dritten Orden“. 17

Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin 1868, S. 865. 18 Vgl. die Ausführungen Adolph Kolpings auf dem Katholikentag in Münster am 22.9.1852, zitiert bei Bernhard Hanssler, Vom katholischen Verein zum Zentralkomitee, in: ders. (Hrsg.), Die Kirche in der Gesellschaft (Anm. 15), S. 84 (87).

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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tion der Kirche. Wie in ihrer Gründung, so waren sie auch in ihrer Betätigung grundsätzlich frei von kirchlicher Einflussnahme. Soweit sie allerdings als „katholische Vereine“ in Erscheinung traten, sah die Kirche sich in der Mitverantwortung und nahm das Recht in Anspruch, etwaigen Missständen in Bezug auf die Religion, das Sittengesetz oder die kirchlichen Interessen abzuhelfen.19 Trotz ihrer formal-juristischen Unabhängigkeit standen die sog. katholischen Vereine wegen der Gemeinsamkeit der Zielsetzung rein tatsächlich aber meist in Fühlungnahme mit der kirchlichen Autorität. Der neue Vereinstypus des freien parakanonischen Zusammenschlusses mit kirchlicher Zwecksetzung erwies sich als ausgesprochenes Erfolgsmodell. Die Zahl der Laienvereinigungen wuchs in kurzer Zeit rapide an. Zusätzliche Schlagkraft gewann die Bewegung ab 1848 durch die jährlich stattfindenden Generalversammlungen der katholischen Vereine – die heutigen „Katholikentage“. Um der Gesamtbewegung eine straffere Organisation zu geben, wählten die Deputierten 1864 ein „Zentralkomitee der katholischen Vereine Deutschlands“. Diesem oblag es, die Generalversammlungen vorzubereiten, für die Ausführung ihrer Beschlüsse Sorge zu tragen sowie das katholische Vereinsleben zu fördern und in der Öffentlichkeit zu propagieren.20 Hierdurch erhielt das Vereinswesen weiteren Auftrieb und breitete sich bis ins 20. Jahrhundert zunehmend aus. Die Tätigkeit der Verbände hat den deutschen Katholizismus bis in die Gegenwart nachhaltig geprägt. Die katholischen Vereine leisten nicht nur einen wesentlichen Beitrag zum gemeinen Wohl der Gesellschaft. Ihre Tätigkeit ist auch für die verfasste Kirche von immenser Bedeutung.21 Indem die katholischen Vereine den Katholizismus in die gesellschaftlichen Strukturen hineintragen und dort behaupten, fördern sie zugleich die Entwicklung der Pfarrgemeinden und die Wirksamkeit des Lehr- und Hirtenamtes. Gerade in einer säkularisierten Gesellschaft verbreiten die Vereine christliche Überzeugungen in Bereiche, die von der Kirche selbst nicht mehr erreicht werden. Auf diese Weise wirken sie gleichsam als verlängerter Arm der Kirche und zugleich als kirchliche Sensoren für gesellschaftliche Entwicklungen22. In gewisser Weise 19

Hergenröther, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 9), S. 405.

20

Buchheim, Der deutsche Verbandskatholizismus (Anm. 15), S. 63 f.

21

Zum Folgenden Josef Homeyer, Katholische Verbände – eine Lebensäußerung der Kirche, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Katholische Verbände. Studientag der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn, 21.9.1988 (Reihe: Arbeitshilfen Nr. 61), S. 5 (9 f.); gekürzt und leicht verändert auch in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Wort der deutschen Bischöfe zur Stellung der Verbände in der Kirche (Anm. 11), S. 3 f. 22 Stefan Knobloch, zitiert von Hubert Tintelott, Rechenschaftsbericht – Zukunftsfähigkeit der katholischen Verbände sichern (Anm. 3), S. 30.

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bilden die Vereine somit kirchliche Strukturen in der Gesellschaft. Da sie zugleich gesellschaftliche Strukturen in der Kirche sind, fördern sie in umgekehrter Richtung auch den Brückenschlag der Gesellschaft in die Kirche. Zudem wird in den Verbänden und durch sie das – bisweilen spannungsreiche – Zusammenwirken von Laien, Priestern und Bischöfen eingeübt und solcherart die Einheit der Kirche gefördert. Schließlich – und nicht zuletzt – entstand der Kirche im organisierten Laienkatholizismus ein auch politisch wirkungsmächtiger Partner für die Wahrnehmung ihrer Sendung in der Welt. Die kirchlichen Autoritäten haben den großen Nutzen der freien Laienvereine früh erkannt und förderten ihre Tätigkeit durch die Freistellung von Geistlichen und die Bereitstellung geeigneter Räumlichkeiten,23 später auch finanziell. An der parakanonischen Existenz der freien Zusammenschlüsse änderte sich indes nichts. Auch im Codex von 1917 fand das seit Jahrzehnten blühende Vereinswesen keinen Niederschlag. Das Gesetzbuch regelte mit den Dritten Orden für Weltleute, den Bruderschaften und den frommen Vereinen (can. 700 CIC/1917) lediglich die traditionellen kirchlichen Vereinigungen.24 Das altkodikarische Vereinsrecht ging damit an der verbandlichen Praxis vorbei. Die meisten Laienvereine mit kirchlicher Zwecksetzung kümmerte dies indes wenig, da sie im staatlichen Recht – vor allem im bürgerlichen Vereinsrechts – geeignete Organisationsformen fanden. Ihre Anbindung an die Kirche gewährleisteten sie, indem sie der kirchlichen Autorität in der Vereinssatzung sog.

23

So etwa bei der Errichtung eines Generalsekretariats für den Verband der Katholischen Jünglingsvereinigungen Deutschlands. Hierzu Reiner Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend und seine Mitgliedsverbände. Erster Teilband: Der BDKJ in historischer und kirchenrechtlicher Betrachtung, Berlin 1999, S. 53. 24

Geschlossene Darstellungen des altkodikarischen Vereinsrechts, das hier nicht weiter ausgeführt werden kann, finden sich bei Josef Beil, Das kirchliche Vereinsrecht nach dem Codex Juris Canonici mit einem staatskirchenrechtlichen Anhang, Paderborn 1932, S. 23 ff.; Erwin Robert Bürgel, Die Beziehungen der katholischen Kirche zu ihren Vereinigungen im kirchlichen Recht und im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Köln o.J. [1982], S. 26 ff.; Heribert Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche, Paderborn u.a. 1999, S. 29 ff.; Lluís MartínezSistach, El derecho de asociación en la Iglesia, Barcelona 1973; Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, I. Band, 11. Aufl., München / Paderborn / Wien 1964, S. 564 ff.; Helmut Schnizer, Vereine, in: Joseph Listl / Hubert Müller / Heribert Schmitz (Hrsg.), Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, Regensburg 1980, S. 356 ff.; Winfried Schulz, Der neue Codex und die kirchlichen Vereine, Paderborn 1986, S. 23 ff.; ders., Das Vereinsrecht des Codex Iuris Canonici von 1917 und seine Anwendung bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Aymans / Geringer / Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element (Anm. 2), S. 373 ff.; Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (Anm. 23), S. 174 ff.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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Drittrechte25 einräumten. Der Großteil der katholischen Laienvereinigungen lebte somit ausschließlich nach weltlichem Recht. Kirchenrechtlich waren sie nicht existent. Die Unbekümmertheit, mit der dies von den Autoritäten hingenommen wurde, ist nur auf dem Hintergrund des damaligen Kirchenverständnisses zu verstehen. Die Ekklesiologie, die dem alten Codex zugrunde lag, sah die kirchliche Gemeinschaft wesentlich in der Hierarchie verwirklicht und wies den Gläubigen eine im wesentlichen passive Rolle im Leben der Kirchengemeinschaft zu.26 Dieses altkodikarische Kirchenverständnis wurde erst durch das zweite Vatikanische Konzil grundlegend revidiert. Damit kam auch das Vereinigungsrecht als Menschen- und Christenrecht zur Geltung. II. Die vereinigungsrechtlichen Kategorien des CIC von 1983 Das zweite Vatikanum hat das Recht der Laien, Vereinigungen zu gründen, zu leiten und den gegründeten Vereinigungen beizutreten, ausdrücklich anerkannt.27 Zur Begründung griff das Konzil zum einen auf die naturrechtliche Lehre von der Sozialnatur des Menschen28 zurück. Zum anderen sahen die Konzilsväter die Vereinigungsfreiheit ekklesiologisch in der gemeindlichen

25 Hierzu Reiner Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (Anm. 23), S. 180. – Als kirchliche Drittrechte kommen nach Stefan Muckel, Kirchliche Vereine in der staatlichen Rechtsordnung, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Band, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 827 (838 f.) in Betracht: Regelungen über besondere Organe des Vereins (z.B. die Einrichtung eines Verwaltungsrats, eines Beirats oder besonderer Ausschüsse); die Vereinbarung spezieller Verhaltenspflichten von Vereinsmitgliedern; Vorschriften über Beginn und Ende der Vereinsmitgliedschaft; die Bestimmung kirchlicher Amtsträger als „geborene“ Vereinsmitglieder; das Recht, Vereinsmitglieder zu benennen; Kontroll- und Mitwirkungsrechte bei der Aufstellung der Satzung, bei Satzungsänderungen oder bei der Auflösung des Vereins; die Vereinbarung von Zustimmungserfordernissen für bestimmte Rechtsgeschäfte, für die Aufnahme von Darlehen oder für die Anstellung von Mitarbeitern. 26

Luis Navarro Marfá, El fundamento y contenido del derecho de asociación en la Iglesia, in: Aymans / Geringer / Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element (Anm. 2), S. 51 (53); Alvaro Del Portillo, Ius associationis et associationes fidelium iuxta Concilii Vaticani II doctrinam, in: IusCan 8 (1968), S. 5 (6). 27

Zentral: AA, Art. 19 Abs. 4: Debita cum auctoritate ecclesiastica relatione servata, ius est laicis consociationes condere et moderari conditisque nomen dare. – Zu den Beratungen dieser Bestimmung siehe Ferdinand Klostermann, Einleitung und Kommentar zum Dekret über das Apostolat der Laien, in: Josef Höfer / Karl Rahner (Hrsg.), Lexikon der Theologie und Kirche. Das zweite Vatikanische Konzil, 2. Ergänzungsband, Freiburg, Basel, Wien 1967, S. 587 (657). 28

Hierzu oben, unter I.

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Struktur der Kirche29 verankert, wie sie besonders in den Bezeichnungen der Kirche als Volk Gottes30 und als Leib Christi31 zum Ausdruck kommt.32 Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ist das freie Vereinigungsrecht der Gläubigen somit doppelt radiziert: Als Menschenrecht wurzelt es in der Sozialnatur des Individuums; als Christenrecht wird es durch die Taufe vermittelt, die den Gläubigen in die Kirche eingliedert. Das Konzil bringt die Vereinigungsfreiheit zudem in einen sendungstheologischen Kontext, indem es den Laienvereinigungen eine wichtige apostolische Funktion zuschreibt.33 Aufgabe des neuen Codex von 1983 war es, das grundlegend neue Kirchenverständnis des zweiten Vatikanums kirchenrechtlich umzusetzen.34 Das neue Gesetzbuch lässt sich gewissermaßen als großes Bemühen auffassen, die konziliare Ekklesiologie in die kanonistische Sprache zu übertragen.35 Soweit für die Interpretation der Kanones über die kirchlichen Vereinigungen gemäß can. 17 CIC auf die mens legislatoris36 zurückzugreifen ist, erschließt diese sich daher vor allem aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanums.37

29

AA, Art. 18 Abs. 1 unter Verweis auf Mt 18, 20. Siehe ferner SC, Art. 7 Abs. 1.

30

Ebd. unter Verweis auf 1 Petr 2, 5 – 10.

31

Ebd. unter Verweis auf 1 Kor 12, 12.

32

Zum Kirchenverständnis des zweiten Vatikanischen Konzils grundlegend Joseph Listl, Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche, in: Josef Isensee / Wolfgang Rüfner / Wilhelm Rees (Hrsg.), Joseph Listl. Kirche im freiheitlichen Staat . Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, 2. Halbband, Berlin 1996, S. 945 ff.; Wilhelm Rees, Der Kirchenbegriff in katholischem und evangelischem Verständnis – Verbindendes und Trennendes aus kanonistischer Sicht, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kir-

che und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 681 (685 ff.). 33

AA, Art. 18 Abs. 1, 2; vgl. auch Art. 19 Abs. 3.

34

Joseph Listl, Codex Iuris Canonici, in: Isensee / Rüfner / Rees (Hrsg.), Joseph Listl. Kirche im freiheitlichen Staat (Anm. 32), S. 1061 (1062 f.). 35

Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Sacrae disciplinae leges“ vom 25.1.1983, in: AAS 75 (1983), Pars II, S. VII (XI). Siehe auch Rees, Der Kirchenbegriff in katholischem und evangelischem Verständnis – Verbindendes und Trennendes aus kanonistischer Sicht (Anm. 32), S. 685 m.w.Nachw. in Fn. 12. 36

Zur „Denkart des Gesetzgebers“ als Mittel der Auslegung im Kirchenrecht Georg May, Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, S. 206 ff., sowie jüngst Heinz Pack, Methodik der Rechtsfindung im staatlichen und kanonischen Recht. Relations- und Urteilstechnik im kanonischen Recht, Essen 2004, S. 103. 37

Peter Buchholz, Kirchliche Vereinigungen zwischen Freiheit und Bindung, in: Caritas. Zeitschrift für Caritasarbeit und Caritaswissenschaft 89 (1988), S. 149 (151); Bernd Th. Drößler, Bemerkungen zur Interpretationstheorie des CIC/1983, in:

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Der neue Codex verankert die Vereinigungsfreiheit grundlegend in can. 215 CIC. Hiernach ist es den Gläubigen unbenommen, Vereinigungen für Zwecke der Caritas oder der Frömmigkeit oder zur Förderung der christlichen Berufung in der Welt frei zu gründen, zu leiten und ihnen beizutreten38. Detaillierte Bestimmungen über Vereine von Gläubigen39 finden sich im zweiten Buch, Titel fünf (cann. 298 ff. CIC).40 Ein vereinsmäßiger Zusammenschluss von Gläubigen gilt nur dann als kanonischer Verein, wenn er – neben den konstitutiven Elementen des Vereinsbegriffs41 – den Anforderungen dieser Bestimmungen genügt, vor allem also eine kanonische Zielsetzung im Sinne des can. § 298 § 1 CIC verfolgt, über Statuten verfügt und einen Namen trägt (can. 304 CIC). Kanonische Vereine unterstehen der Aufsicht und Leitung durch die zuständige Kirchenautorität (can. 305 CIC). Sie können Sonderqualifikationen erlangen, insbesondere belobigt oder empfohlen werden (can. 298 § 2 CIC), die Bezeichnung „katholisch“ führen dürfen (can. 300 CIC) oder als klerikale Vereine anerkannt werden (can. 302 CIC).

AfkKR 153 (1984), S. 3 (18); Ludger Müller, Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils als Kontext zur Interpretation kirchenrechtlicher Normen, in: AfkKR 169 (2000), S. 469 (474 ff.). 38 Obwohl die Beitrittsfreiheit in can. 215 CIC – anders als in AA, Art. 19 Abs. 4 – nicht ausdrücklich erwähnt ist, wird sie nach einhelliger Meinung im kanonistischen Schrifttum als geschichtliche Verlängerung der Gründungsfreiheit von der Gewährleistung des Kanons umfasst (vgl. nur Winfried Aymans, Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Band II, Paderborn u.a. 1997, S. 102). 39

Keine kanonischen Vereine sind die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens (vgl. can. 298 § 1 CIC). Diese Vereinigungen werden in Teil III des zweiten Buches gesondert abgehandelt (cann. 573 ff. CIC). 40

Von Relevanz für das Vereinigungsrecht in der Kirche sind ferner die allgemeinen Vorschriften über Statuten und Ordnungen (cann. 94 f. CIC), über juristische Personen (can. 113 ff. CIC), über den Umfang und die Grenzen der Vereinigungsfreiheit (neben can. 215 CIC vor allem die cann. 216, 223 CIC) sowie einzelne Bestimmungen des kanonischen Vermögens- und Strafrechts. 41 Als Personengesamheit unterscheidet sich die Vereinigung von Sachgesamtheiten, durch das Merkmal einer dauerhaften inneren Ordnung von der Versammlung und durch die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft vom kirchlichen Zwangsverband (z.B. der Pfarrei). Vgl. hierzu Winfried Aymans, Das konsoziative Element in der Kirche. Gesamtwürdigung, in: Aymans / Geringer / Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element (Anm. 2), S. 1029 (1033 ff.); ders., Kirchliche Vereinigungen. Ein Kommentar zu den vereinigungsrechtlichen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici, Paderborn 1988, S. 15 ff.; ders. / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 467 ff.; Helmut Schnizer, Allgemeine Fragen des kirchlichen Vereinsrechts, in: Joseph Listl, Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., Regensburg 1999, S. 563 (564 f.); Schulz, Der neue Codex und die kirchlichen Vereine (Anm. 24), S. 17 ff.

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Jenseits der allgemeinen Anforderungen an kanonische Vereine (cann. 298 ff. CIC) unterscheidet das kirchliche Vereinsrecht grundlegend zwischen öffentlichen (cann. 312 ff. CIC) und privaten Vereinen von Gläubigen (cann. 321 ff. CIC). Öffentliche (kirchenamtliche) Vereine sind von der zuständigen kirchlichen Autorität als juristische Person errichtet (cann. 301 § 3, 312 CIC); sie handeln im Namen der Kirche (can. 313 CIC) und sind im Hinblick auf die kirchenamtlichen Aufsichts- und Leitungsrechte, die geistliche Betreuung, die Besetzung von Vereinsämtern, die Mitgliedschaft, Satzungsänderungen, die Vermögensverwaltung und die Auflösung des Vereins stärker an die Kirchenhierarchie angebunden als private Vereine. Letztere entstehen durch die freie Privatvereinbarung von Gläubigen und können Rechtspersönlichkeit erwerben (can. 322 § 1 CIC); sie genießen insgesamt mehr Autonomie als öffentliche Vereine, unterstehen gleichwohl aber der kirchenamtlichen Aufsicht und Leitung (can. 323 i.V.m. can. 305 CIC). Nach can. 299 § 3 CIC werden sie in der Kirche nur anerkannt, wenn ihre Statuten von der zuständigen Autorität überprüft42 sind. Der Codex normiert im Abschnitt über die Vereine von Gläubigen somit zwei Vereinstypen: Kirchenamtliche Gründungen sind öffentliche Vereine. Gründungen aus freier Initiative, deren Statuten gemäß can. 299 § 3 CIC kirchenamtlich überprüft sind, haben den Status eines privaten Vereins. Fraglich ist, welchem Typus Vereinigungen zuzuordnen sind, die zwar frei gegründet, deren Satzungen aber nicht durch die kirchliche Autorität überprüft sind. Mit dieser Konstellation ist keineswegs ein zu vernachlässigender Ausnahmefall angesprochen. Die große Mehrzahl der seit dem 19. Jahrhundert entstandenen Laienvereinigungen mit kirchlicher Zielsetzung hat ihre Statuten nicht zur Überprüfung vorgelegt, um einen kanonischen Status zu erlangen. Soweit in den Satzungen dieser Vereine die Pflicht zur Vorlage bei einer kirchlichen Autorität statuiert ist, handelt es sich in aller Regel um eine rein zivilrechtlich 42

Im lateinischen Urtext findet sich das Verb „recognoscere“ (hierzu Ulrich Rohde, Die recognitio von Statuten, Dekreten und liturgischen Büchern, in: AfkKR 169 [2000], S. 433 ff.), das häufig mit „genehmigen“ (vgl. Wilhelm Dütz, Kirchliche Vereine nach neuem Kirchenrecht, ThGl 1988, S. 352 [358]) oder „autorisieren“ (so in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz [Hrsg.], Kriterien für die kirchenamtliche Genehmigung von Satzungen und Satzungsänderungen von katholischen Vereinigungen vom 23.9.1993, u.a. abgedruckt in: AfkKR 162 [1993], S. 507 ff., und bei Reinhard Wenner, Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz [Loseblattsammlung], Sankt Augustin 1999 ff., Nr. 700) übersetzt wird. Das Verb „genehmigen“ bietet sich indes eher als Übersetzung für „probare“ (can. 322 § 2 CIC) an und sollte – um den Unterschied zwischen recognoscere und probare (bzw. approbare in can. 314 CIC) auch im deutschen Text deutlich werden zu lassen – im Zusammenhang mit can. 299 § 3 CIC nicht verwandt werden. Mit „autorisieren“ ist recognoscere nur unscharf wiedergegeben; näher am lateinischen Begriff ist das deutsche Wort „überprüfen“, das den Vorzug verdient.

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gesicherte Möglichkeit kirchenamtlicher Kontrolle und Einflussnahme ohne kirchenrechtliche Relevanz.43 Die Einräumung derartiger Drittrechte dürfte häufig im Zusammenhang mit der Gewährung materieller, geistiger und geistlicher Unterstützung durch die Kirche zu sehen sein.44 Die Verleihung kirchenrechtlicher Existenz war damit regelmäßig weder beabsichtigt noch erwünscht.45 Die kirchenrechtliche Einordnung dieser freien Laienvereinigungen mit kirchlicher Zielsetzung ist in der Kanonistik umstritten. Eine auf Winfried Schulz46 zurückgehende Anschauung will privat gegründete Vereinigungen mit kanonischer Zwecksetzung auch dann als private Vereine im Sinne der cann. 321 CIC einstufen, wenn ihre Satzungen nicht nach can. 299 § 3 CIC überprüft worden sind. Entscheidend für die Konstituierung eines freien Zusammenschlusses von Laien als privater Verein des kirchlichen Rechts wäre damit allein die kanonische Zwecksetzung. Damit wäre jede frei gegründete Laienvereinigung zur Realisierung von Zielen, die auch die Kirche für sich reklamiert, per se ein privater kanonischer Verein. Als kanonische Vereine wären sie den Bestimmungen der cann. 298 ff. CIC – insbesondere der kirchlichen Aufsicht und Leitung gemäß cann. 323, 305 CIC – unterworfen, selbst wenn die Mitglieder dies nicht wünschen. Damit wäre das Fundamentalrecht der Vereinigungsfreiheit in can. 215 CIC erheblich restringiert. Ein solch eingeschränktes Verständnis der kirchlichen Vereinigungsfreiheit erschiene plausibel, wenn can. 215 CIC als lediglich mittelbar wirksames Recht

43

Zu sog. Drittrechten Muckel, Kirchliche Vereine in der staatlichen Rechtsordnung (Anm. 25), S. 838 f. 44

Vgl. Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (Anm. 23), S. 180.

45

Vgl. Helmut Schnizer, Die privaten kirchlichen Vereine, in: Joseph Listl / Hubert Müller / Heribert Schmitz (Hrsg.), Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, Regensburg 1980, S. 366 (367). 46

Winfried Schulz, in: Klaus Lüdicke (Hrsg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Loseblatt), Einleitung vor 298 Rn. 4, 7 (Stand: 10. Erg.-Lfg., Mai 1989); ders., Der neue Codex und die kirchlichen Vereine (Anm. 24), S. 50 f., 64; ders., Die bestehenden kirchlichen Vereinigungen im Ordnungsgefüge des neuen Codex, in: Gerhard Krems (Hrsg.), Kirchliches Vereinsrecht. Der neue Codex und die kirchlichen Vereine (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie Schwerte, AkademieVorträge Nr. 32), Schwerte 1987, S. 24 (28); ders., Die Zuordnung der bestehenden kirchlichen Vereine zu den vereinsrechtlichen Kategorien des neuen Codex, in: ÖAKR 36 (1986), S. 306 (311); ders., Die vereinsrechtlichen Kategorien des neuen Codex Iuris Canonici, in: Klaus Lüdicke / Hans Paarhammer / Dieter A. Binder (Hrsg.), Recht im Dienste des Menschen, Festschrift für Hugo Schwendenwein, Graz / Wien / Köln 1987, S. 517 (522). Im Ergebnis ebenso Gerosa, Das Recht der Kirche (Anm. 1), S. 316 ff.

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ausgestaltet wäre, das u.a.47 im Vereinsrecht umgesetzt und damit erst anwendbar gemacht wäre. Hierfür ließe sich die weite und allgemein gehaltene Formulierung der Norm anführen. Für eine lediglich mittelbare Wirkung spricht zudem, dass can. 215 CIC – anders als die cann. 211, 212 § 3, 213, 214, 216, 217, 219, 221 § 3 CIC – nicht ausdrücklich ein Recht (ius) einräumt, sondern die freie Gründung von Vereinigungen lediglich als unbenommen (integrum) erklärt. Im Übrigen würde can. 215 CIC als nur mittelbar wirksame Norm auch keine Anormalität darstellen. So gilt etwa auch can. 221 § 1 als bloßes Rechtsschutzpostulat,48 das der prozessualen Umsetzung bedarf, um Wirksamkeit zu entfalten. Folgt man diesem Normverständnis, wäre die Freiheit des can. 215 CIC auf das beschränkt, was die cann. 298 ff. CIC an Freiheit gewähren. Die Vereinigungsfreiheit könnte nur in den Formen des privaten oder des öffentlichen Vereins praktiziert werden. Würde man unter dieser Prämisse die Anerkennung einer Vereinigung als privaten Verein an die Überprüfung der Statuten binden, bliebe für freie Zusammenschlüsse ohne geprüfte Statuten in der kirchlichen Rechtsordnung kein Raum. Sie existierten, wie schon unter dem alten Codex, schlicht parakanonisch. Eine solche Ausgrenzung ist mit der Wertschätzung, welche die Päpste49 den Laienvereinigungen entgegen bringen, ebenso wenig vereinbar wie mit der Aufwertung der Vereinigungsfreiheit durch das Konzil50. Daher liegt nahe, der Überprüfung der Satzung keine den Status eines privaten Vereins erst begründende, sondern eine den Vereinsstatus lediglich noch erhöhende Wirkung beizumessen. Damit wären die freien Zusammenschlüsse ohne Statutenüberprüfung als schlichte Privatvereine kirchenrechtlich erfasst. Die Existenz eines „privaten Vereins ohne Statutenüberprüfung“ wird in gewisser Weise durch die Textstruktur des can. 299 CIC nahe gelegt, wenn man annimmt, dass can. 299 § 1 CIC als Grundtypus des privaten Vereins den „privaten Verein ohne Statutenüberprüfung“ regelt und die folgenden Paragraphen lediglich noch qualifizierte Erscheinungsformen des Grundtypus be47 Die Institute des geweihten Lebens (cann. 573 – 730 CIC) und die Gesellschaften des apostolischen Lebens (cann. 731 – 746 CIC) bleiben im Folgenden außer Betracht. 48

Dagmar Steuer-Flieser, „Grundrechte“ im Codex Iuris Canonici von 1983 im Vergleich mit dem deutschen Grundgesetz. Eine exemplarische Untersuchung anhand der Wissenschaftsfreiheit, Baden-Baden 1999, S. 110. 49

Vgl. Johannes XXIII., Pacem in Terris (Anm. 7), S. 263: Atque, ut Nosmetipsi datis Litteris Encyclicis Mater et Magistra magnopere monuimus, omnino opus est, ut bene multa collegia seu corpora interiecta condantur, ad finem paria, ad quem homo singulus non potest tendere efficienter. Haec enim collegia et corpora veluti instrumenta longe pernecessaria sunt habenda ad tuendam humanae personae dignitatem et libertatem, incolumi praestandae rationis sensu. 50

Hierzu vorstehend unter II.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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schreiben, nämlich den belobigten oder empfohlenen (§ 2 ) und den anerkannten Privatverein (§ 3).51 Diese aus der Gesetzessystematik gewonnene Sichtweise wird dadurch bestärkt, dass can. 299 § 1 CIC den Wortlaut „Integrum est christifidelibus“ aus can. 215 CIC aufnimmt und wiederholt. Hinter der sprachlichen Parallele könnte der Wille des Gesetzgebers stehen, can. 215 CIC in Bezug auf freie Laienvereinigungen in can. 299 § 1 CIC vollständig aufgehen zu lassen. Die Deutung der recognitio statutorum als lediglich statuserhöhender Qualifikationsakt stößt sich jedoch bereits am Wortlaut des can. 299 § 3 CIC.52 Dessen Aussagegehalt lässt sich bei einem unbefangenen, am normalen Wortsinn ausgerichteten Textverständnis nur dahingehend verstehen, dass ein Verein ohne überprüfte Statuten in der Kirche als privater Verein schlechthin nicht existent sein soll. Gegen die Existenz privater Vereine ohne Statutenüberprüfung spricht auch der Zweck des can. 299 § 3 CIC. Die Bestimmung steht im Zusammenhang mit der kirchlichen Vereinsaufsicht gemäß can. 305 § 1 CIC. Die recognitio soll zunächst sicherstellen, dass die zur Vereinsaufsicht berufene Kirchenautorität von der Gründung der Vereine, die ihrer Aufsicht unterfallen, zuverlässig Kenntnis erlangt.53 Diesem Zweck wäre allerdings auch durch eine bloße Anmeldepflicht genügt.54 Can. 299 § 3 CIC bezweckt aber weiter, der kirchlichen Autorität neben der Existenz des Vereins auch dessen Satzung bekannt zu machen.55 Denn ohne Kenntnis der Satzung ist die von can. 305 § 1 CIC geforderte Aufsicht „nach Maßgabe des Rechts und der Statuten“ schlechterdings nicht auszuüben. Dieser Normzweck würde unterlaufen, wenn private Vereine von Gläubigen frei darüber entscheiden könnten, ob sie ihre Statuten der zuständigen kirchlichen Autorität zur Anerkennung vorlegen.

51 So andeutungsweise bei Georg May, Die kirchlichen Vereine nach den Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983, in: Forum katholische Theologie 3 (1987), S. 281 (283) (= in: ders., Schriften zum Kirchenrecht. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Anna Egler / Wilhelm Rees [= Kanonistische Studien und Texte 47], Berlin 2003, 323 – 340), der can. 299 CIC jedoch nicht in dem hier vertretenen Sinn (dazu: Aymans, Kirchliche Vereinigungen [Anm. 41], S. 49 mit Fn. 82) versteht. 52

So auch Helmut Schnizer, Zur Rechtsdogmatik des kanonischen Vereinsrechts. Begriff, Abgrenzung von anderen gemeinschaftlichen Aktivitäten und Fragen der Rechtsüberleitung, in: Aymans / Geringer / Schmitz (Hrsg.), Das konsoziative Element (Anm. 2), S. 421 (432). 53

Siehe Communicationes 15 (1983), S. 82 f.

54

Zutreffend Schulz, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Anm. 46), Einleitung vor 298 Rn. 7. 55

Hierzu Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (Anm. 23), S. 189 m.w.Nachw.

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Schwerer wiegt, dass den freien Zusammenschlüssen, die eine Vereinnahmung durch das Kirchenrecht ablehnen, durch die Unterwerfung aller Laienvereinigungen unter die can. 298 ff. CIC weniger Freiheit bliebe als unter der Geltung des alten Codex. Das altkodikarische Recht ließ ihnen immerhin die Möglichkeit, sich jenseits kirchenrechtlicher Reglementierung unabhängig von kirchlicher Vereinsaufsicht und Leitung zu organisieren. Das Ziel des Vatikanums, der Vereinigungsfreiheit in der Kirche mehr Geltung zu verschaffen, wäre damit verfehlt. Die Unterstellung sämtlicher Vereinigungen von Gläubigen mit kirchlicher Zielsetzung unter das kanonische Vereinsrecht läßt sich auch nicht mit der Sorge rechtfertigen, dass dubiose Laienvereinigungen sich ansonsten der kirchlichen Vereinsaufsicht entziehen und dunkle Machenschaften entfalten könnten.56 Auch wenn eine Vereinigung als solche nicht der kirchlichen Aufsicht unterliegt, so bleiben ihre Mitglieder als Einzelrechtssubjekte dennoch dem kanonischen Recht, insbesondere den Bestimmungen über die Rechte und Pflichten aller Gläubigen (cann. 208 bis 223 CIC) unterworfen und unterstehen als einzelne Christgläubige in ihren gemeinsamen Aktivitäten der allgemeinen Hirtensorge.57 Diese berechtigt und verpflichtet die zuständige Kirchenbehörde, unter Beachtung des allgemein gültigen Grundsatzes des mindesten Eingriffs58 gegen Gläubige vorzugehen, die in Ausübung ihres Assoziationsrechts aus can. 215 CIC gegen das Gemeinwohl der Kirche, Rechte anderer oder eigene Pflichten verstoßen.59 Der letztlich tragende Gesichtspunkt gegen eine zwangsweise Erfassung aller katholischen Laienvereinigungen durch das kanonische Vereinsrecht folgt aus can. 215 CIC selbst. Die Prämisse, wonach die grundlegende Verbürgung der Vereinigungsfreiheit in can. 215 CIC keine unmittelbare Rechtswirkung entfalten und erst durch das Vereinsrecht anwendbar gemacht werden soll, überzeugt letzten Endes nicht. Gegen das Wortlautargument, das auf die Verwendung des Wortes „integrum“ statt „ius“ in can. 215 CIC abhebt, ist einzu56 Angesprochen von Alexander Hollerbach, „Es geht um ein fundamentales Recht“. Ein Gespräch mit Professor Alexander Hollerbach über Probleme des neuen kirchlichen Vereinsrechts, in: Herder Korrespondenz 41 (1987), S. 473 (475). 57 Vgl.: Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 475 f. mit Fn. 11; Aymans, Das konsoziative Element in der Kirche. Gesamtwürdigung (Anm. 41), S. 1040 mit Fn. 34; ders., Kirchliche Vereinigungen (Anm. 41), S. 45; ders., Das konsoziative Element in der Kirche, in: AfkKR 156 (1987), S. 337 (349 mit Fn. 42); ders., Kirchliche Vereinigungen im Gebiet der Deutschen Bischofskonferenz, in: AfkKR 158 (1989), S. 369 (375). 58

Hierzu sowie zur „Cura associationum“ im allgemeinen: Schnizer, Zur Rechtsdogmatik des kanonischen Vereinsrechtes (Anm. 52), S. 424 ff. 59

Vgl. hierzu can. 223 § 1 CIC.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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wenden, dass sich die Formulierung „integrum est christifidelibus“ in anderer Abfolge ebenso in can. 212 § 2 CIC findet und hier einhellig als Recht, also „ius“, gelesen wird.60 Ferner verbietet sich ein systematischer Rückschluß von can. 221 § 1 CIC auf can. 215 CIC wegen der wesensmäßigen Verschiedenheit beider Verbürgungen. Die Garantie kirchlichen Rechtsschutzes bedarf notwendig, d.h.: aus sich heraus der gesetzlichen Ausgestaltung. Rechtsschutz im Sinne des can. 221 § 1 CIC ist – nicht anders als Art. 19 Abs. 4 GG im staatlichen Bereich – „rechtskonstituiert“61 und hängt zwingend von der näheren gesetzlichen Ausgestaltung ab. Nicht so can. 215 CIC. Die Vereinigungsfreiheit muss nicht erst anwendbar gemacht werden. Sie kann von Gläubigen ohne vermittelnden Gesetzgebungsakt unmittelbar ausgeübt werden. Dieser grundlegende Unterschied steht einem Rückschluss von can. 221 § 1 CIC auf can. 215 CIC entgegen. Die Konkretisierungsbedürftigkeit des can. 215 CIC lässt sich ferner nicht mit dem Standort der Norm im Katalog „De omnium christifidelium obligationibus et iuribus“ begründen. Zwar kommt den Fundamentalbestimmungen62 der cann. 208 ff. CIC kein gegenüber den sonstigen Kanones höherer Gesetzesrang zu,63 so dass eine Einschränkung des can. 215 CIC durch die cann. 298 ff. CIC nicht a priori undenkbar wäre. Dem steht allerdings der naturrechtliche Charakter des freien Vereinigungsrechts entgegen. Denn als Konkretisierung eines ius naturale eignet can. 215 CIC ein letztlich im ius divinum gründender materiellrechtlicher Vorrang vor den Normen, die ius mere eccle-

60 Vgl. nur Heinrich J. F. Reinhardt, in: Klaus Lüdicke (Hrsg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Loseblatt), Kommentierung zu can. 212 Rn. 4 (Stand: 6. Erg.-Lfg., Oktober 1987). 61

Peter Michael Huber, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Aufl., Bd. 1, München 1999, Art. 19 Rn. 379 m.w.Nachw. 62

Die Bezeichnung der Pflichten und Rechte aller Gläubigen in den cann. 208 ff. CIC variiert in der Kirchenrechtswissenschaft (Überblick bei Dagmar Steuer-Flieser, „Grundrechte“ im Codex Iuris Canonici von 1983 [Anm. 48], S. 78 Fn. 333). Aus weltlich-rechtlicher Sicht irritiert die häufig verwandte Übersetzung „Grundrechte und Grundpflichten“ und ist geeignet, die Wesensverschiedenheit der kirchlichen Rechte und der staatlichen Grundrechte zu verschleiern. Vorzugswürdig erscheint der Begriff „Fundamentalpflichten und -rechte“, zumal das Adjektiv „fundamentalis“ schon in den Entwürfen der LEF verwandt worden war. 63

Vgl. etwa Reinhild Ahlers, Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: Joseph Listl / Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., Regensburg 1999, S. 220 (224); Gerhard Luf, Grundrechte im CIC/ 1983, in: ÖAKR 35 (1985), S. 107 (108); Reinhardt, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Anm. 60), Einführung vor can. 208 Rn. 3.

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siasticum setzen.64 Da die einzelnen Regelungen zur konkreten Ausgestaltung des kanonischen Vereinsrechts nicht am naturrechtlichen Charakter teilhaben, ist can. 215 CIC in seinem naturrechtlichen Gehalt auch den cann. 298 ff. CIC vorgeordnet. Hieraus folgt zunächst, dass die Regelungen des kanonischen Vereinsrechts nicht imstande sind, can. 215 CIC einzuschränken, soweit er Naturrecht abbildet. Eine Einschränkung von Naturrecht würde durch die Unterwerfung aller freien Laienvereinigungen mit kanonischer Zielsetzung unter das kanonische Vereinsrecht freilich nicht bewirkt, da dessen Bestimmungen zur Verwirklichung der Vereinigungsfreiheit weiten Raum lassen. Aus dem Vorrang des in can. 215 CIC positivierten Naturrechts der Vereinigungsfreiheit folgt aber weiter, dass die cann. 298 ff. CIC im Lichte dieser fundamentalen Freiheitsverbürgung auszudeuten sind.65 Hieraus resultiert eine Art Wechselwirkung, wie sie aus der Dogmatik der staatlichen Grundrechte bekannt ist:66 Die das Naturrecht der Vereinigungsfreiheit reglementierenden Vorschriften des kanonischen Vereinsrechts sind ihrerseits im Lichte der naturrechtlichen Freiheitsverbürgung auszulegen. Ob der naturrechtliche Charakter der Vereinigungsfreiheit eine Interpretation des Vereinsrechts in dubio pro libertate fordert, ist zweifelhaft, zumal die Freiheit zur Vereinigung in can. 215 CIC ekklesiologisch rückgebunden wird. Aufgrund des naturrechtlichen Gehalts von can. 215 CIC sind die Normen des Vereinsrechts jedoch so zu interpretieren, dass das Vereinigungswesen zu möglichst positiver Entfaltung kommt. Insofern folgt aus dem Naturrecht ein Optimierungsgebot. Zu optimaler Entfaltung gelangt das Vereinswesen nur, wenn das Vereinsrecht den Bedürfnissen der Verbandspraxis weitgehend entspricht. Dies schließt eine Interpretation aus, durch die ein Großteil der Laienvereine in eine Vereinskategorie gedrängt werden, die ihrem gewachsenen Selbstverständnis zuwiderläuft. Eben dies ist aber die Folge, wenn man die Überprüfung der Statuten gemäß can. 299 § 3 CIC nicht als statusbegründend ansieht und damit auch jene Vereinigungen dem kanonischen Vereinsrecht unterwirft, die eine derartige Vereinnahmung durch das Kirchen64 Eugenio Corecco, Der Katalog der Pflichten und Rechte der Gläubigen im CIC, in: André Gabriels / Heinrich J. F. Reinhardt (Hrsg.), Ministerium Iustitiae. Festschrift für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 60. Geburtstages, Essen 1985, S. 179 (189 f.), jedoch ohne direkten Bezug auf can. 215 CIC. Mit konkretem Bezug auf die Vereinigungsfreiheit Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 253. 65

Vgl. Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 253, der allerdings „das Grundrecht selbst“ (scil. can. 215 CIC) zum Interpretationsprinzip erklärt. Genau betrachtet, gilt dies lediglich für den naturrechtlichen Gehalt des Grundrechts. 66 Zur sog. Wechselwirkungstheorie bei Art. 5 Abs. 1 GG Christian Starck, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner Grundgesetz (Anm. 61), Art. 5 Rn. 184 m. zahlr. Nachw. auf die Rspr. des BVerfG.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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recht ablehnen. Dies betrifft einen erheblichen Teil des deutschen Verbandskatholizismus, da die katholischen Vereine im deutschsprachigen Raum überwiegend dem Typus des nicht-kanonischen Vereins zuzuordnen sind67 und sich mit ihrer parakanonischen Existenz zumeist trefflich arrangiert haben. Die meisten Vereinigungen zeigen denn auch wenig Neigung, sich als private Vereine den Regelungen des kanonischen Vereinsrecht zu unterstellen.68 Das Optimierungsgebot fordert, dass der hierdurch manifestierte Wille vieler Laien, sich in größerer Distanz zur verfaßten Kirche unabhängig und frei zu organisieren, bei der Interpretation des kanonischen Vereinsrechts Berücksichtigung findet. Hiernach liegt nahe, die recognitio statutorum gemäß can. 299 § 3 CIC als konstituierend für die Entstehung eines privaten Vereins anzusehen. Die freien Laienvereinigungen ohne Statutenüberprüfung sind damit vom kanonischen Vereinsrecht im Sinne der cann. 298 ff. CIC ausgenommen und gründen als freie Zusammenschlüsse ausschließlich im freien Assoziationsrecht der Gläubigen. Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass sich can. 215 CIC unter Berücksichtigung seines naturrechtlichen Gehaltes nicht als nur mittelbar wirksame Verbürgung, die erst und nur69 in den Formen des privaten oder öffentlichen Vereins Gestalt annimmt, deuten lässt. Can. 215 CIC richtet sich in Art und Umfang nicht nach den Bestimmungen des kanonischen Vereinsrechts, vielmehr sind dessen Regelungen im Lichte der naturrechtlich radizierten Fundamentalverbürgung des can. 215 CIC auszulegen. Dabei ist demjenigen Normverständnis der Vorzug zu geben, welches das freie Assoziationsrecht des can. 215 CIC zu optimierter Entfaltung bringt. Das Optimierungsgebot fordert, für Vereinigungen, die sich nicht der besonderen Vereinsaufsicht oder der Leitung der zuständigen Kirchenautorität nach cann. 305, 323 CIC unterstellen wollen, auf der Basis des can. 215 CIC einen eigenen Vereinigungstypus bereitzuhalten, um ihnen eine an ihrem Selbstverständnis orientierte und ihrer praktischen Ausrichtung entsprechende Organisation zu ermöglichen. Dass es in der Kirche freie Zusammenschlüsse von Laien geben soll, die ohne Genehmigung der Hierarchie tätig werden, bestätigen die Konzilsberatungen. Noch in der letzten Beratungsphase zu Art. 19 AA war versucht worden, die Vereinigungsfreiheit als „valde periculosa“ darzustellen. Vereinzelte Stimmen forderten für alle Vereinigungen, also auch für freie Zusammenschlüsse, eine Gründung und Leitung „sub ductu hierarchiae catholicae“, zumindest aber

67 Peter Krämer, Kirchenrecht I. Wort – Sakrament – Charisma, Stuttgart 1992, S. 146. 68

Vgl. etwa Hubert Tintelott, Rechenschaftsbericht – Zukunftsfähigkeit der katholischen Verbände sichern (Anm. 3), S. 29. 69

Siehe oben, Anm. 39.

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Reiner Tillmanns

den ausdrücklichen Konsens und die Approbation der kirchlichen Hierarchie. Die Kommission folgte dem nicht und betonte, dass der Konzilstext auch für jene Vereinigungen gelte, zu deren Gründung weder eine Billigung noch eine Genehmigung erforderlich ist.70 Die freien Zusammenschlüsse von Laien, die sich nicht der kirchlichen Autorität unterstellt haben, finden zudem in Art. 24 Abs. 2 Satz 2 AA71 anerkennende Erwähnung. Dass das Konzil freie Laienvereinigungen, deren Statuten nicht geprüft waren, nicht als parakanonisch einstufte, zeigt auch die Formulierung „in ecclesia“ in Art. 24 Abs. 2 Satz 2 AA und gelangte in den Beratungen im übrigen deutlich zum Ausdruck.72 Als Ergebnis der bisherigen Überlegungen lässt sich somit festhalten, dass das neukodikarische Vereinigungsrecht drei Assoziationstypen mit kanonischer Zielsetzung unterscheidet:73 Die von einer kirchlichen Autorität gegründeten Vereine von Laien haben den Status eines öffentlichen Vereins. Frei gegründete Laienvereinigungen sind private Vereine, wenn ihre Satzung im Sinne des

70 Klostermann, Einleitung und Kommentar zum Dekret über das Apostolat der Laien (Anm. 27), S. 657. 71

„Plurima enim inveniuntur in Ecclesia incepta apostolica quae laicorum libera electione constituuntur et eorum prudenti iudicio reguntur.“ 72

Als ein Modus die Streichung der Formulierung beantragte, da diese Werke keinen juridischen Stand in der Kirche hätten, stellte die Kommission klar, dass sie „in der Kirche auch ohne eigenen juridischen Stand sein“ können (Klostermann, Einleitung und Kommentar zum Dekret über das Apostolat der Laien [Anm. 27], S. 672). 73

So im Ergebnis auch: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Kriterien für die kirchenamtliche Genehmigung von Satzungen und Satzungsänderungen (Anm. 42), in: AfkKR 162 (1993), S. 508; Stefan Muckel, Die Schwangerschaftskonfliktberatung durch den Verein „Donum vitae“ als kirchenrechtliches Problem, in: öarr 2001, 223 (226); Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 373; Dirk Künzel, Die kirchliche Vereinsaufsicht. Eine Untersuchung der Aufsicht der katholischen Kirche über Vereinigungen von Gläubigen nach dem Codex Iuris Canonici und deren Umsetzungsmöglichkeiten für eingetragene Vereine im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Diss. iur., Bonn 1999, S. 16 f.; Paul Becher, Vereine. katholische, in: Walter Kasper u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche, 10. Band, Freiburg u.a. 2001, Sp. 618; Winfried Aymans, Vereinigungswesen. kirchliches, in: Walter Kasper u.a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche, 10. Band, Freiburg u.a. 2001, Sp. 640 (641); Helmuth Pree, Confoederatio consociationum, in: Konrad Breitsching / Wilhelm Rees (Hrsg.), Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag, Berlin 2001, S. 175 (179); Adrian Loretan, Das Grundrecht der Vereinsfreiheit in der Kirche, in: Andreas Weiß / Stefan Ihli (Hrsg.), Flexibilitas Iuris Canonici. Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M. 2003, S. 165 (168 ff.); Peter Krämer, Kirchenrecht I (Anm. 67), S. 145 ff.; sowie zahlr. Nachw. bei Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (Anm. 23), S. 187 Fn. 112.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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can. 299 § 3 CIC geprüft worden ist. Anderenfalls handelt es sich um sog. freie Zusammenschlüsse auf der Grundlage des can. 215 CIC. III. Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen Da die verschiedenen Grundformen katholischer Laienvereinigungen verschiedenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, lässt sich die Möglichkeit einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken nicht pauschal beurteilen, sondern muss für jeden Vereinstyp gesondert festgestellt werden. Etwaige Sonderqualifizierungen74 spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Sie ändern weder den Grundtypus einer Vereinigung, noch wirken sie sich auf die Mitgliedschaftsverhältnisse aus. Denkbar ist allenfalls, dass die zuständige Kirchenautorität die Verleihung von Sonderqualifikationen von der Einhaltung bestimmter Auflagen in Bezug auf die Mitgliedschaft abhängig macht.75 1. Nichtkatholiken in freien Zusammenschlüssen Can. 215 CIC garantiert die Vereinigungsfreiheit als individuelles, kollektives und korporatives Recht. Als Individualrecht schützt er die konsoziative Tätigkeit des einzelnen Gläubigen, und zwar umfassend von der Vereinsgründung oder dem -beitritt über die Tätigkeit im Verein bis zur Vereinsauflösung oder dem -austritt. Als Kollektivrecht garantiert can. 215 CIC die gemeinsame Betätigung der Vereinigungsfreiheit durch mehrere Gläubige. Als Korporationsrecht gewährleistet die Norm das Handeln der Vereinigung selbst; hiervon umfasst ist etwa die Freiheit, Mitglieder aufzunehmen76. Can. 215 CIC nimmt die freien Vereinigungen von Gläubigen also als solche wahr und anerkennt damit ihre rechtliche Existenz in der Kirche. Solche Zusammenschlüsse sind heute folglich nicht mehr als parakanonisch anzusprechen.77 Der Codex bietet den freien Zusammenschlüssen eine rechtliche Grundlage, gestaltet diese Vereinigungsform aber nicht näher aus. Das Gesetzbuch enthält keine speziellen Bestimmungen über freie Zusammenschlüsse. Sie unterliegen insbesondere nicht den Vorschriften über kanonische Vereine in cann. 298 ff. 74

Zu denken ist insbesondere an eine Belobigung oder Empfehlung (can. 298 § 2 CIC), die Verleihung der Rechtsfähigkeit (can. 322 CIC) oder die Zustimmung zur Führung der Bezeichnung „katholisch“ (cann. 216, 300 CIC). 75

Vgl. Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 477.

76

Im Gegensatz zur Beitrittsfreiheit, die ein Individualrecht des Gläubigen darstellt, ist die Aufnahmefreiheit ein korporatives Recht des Vereins. 77

So aber James A. Coriden, An introduction to canon law, New York 1991, S. 59.

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CIC. Daher kommt can. 307 § 1 CIC, der die Vereinsmitgliedschaft regelt, auf freie Zusammenschlüsse nicht zur Anwendung. Der dort normierte Grundsatz, wonach die Aufnahme von Mitgliedern nach Maßgabe des Rechts und der Statuten eines jeden Vereins zu erfolgen hat, gilt jedoch allgemein. Dass die Regelung der Mitgliedschaftsverhältnisse einer jeden Vereinigung selbst zukommt, folgt bereits aus der Vereinigungsfreiheit. Und dass die statutarischen Bestimmungen über die Vereinsmitgliedschaft keine Wirksamkeit entfalten, wenn sie gegen Kirchengesetze verstoßen, ist eine Konsequenz des Anwendungsvorrangs kirchlicher Gesetze. Freie Vereinigungen von Gläubigen können in ihren Satzungen somit die Möglichkeit zur Aufnahme von Nichtkatholiken vorsehen, soweit aus dem universellen oder dem einschlägigen partikularen Recht nichts Gegenteiliges folgt. Einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken entgegenstehen könnte can. 316 CIC. Die Bestimmung befindet sich allerdings im Abschnitt über die öffentlichen Vereine und bezieht sich ausdrücklich nur auf diese. Da sich freie Zusammenschlüsse wesentlich von öffentlichen Vereinen unterscheiden, lässt sich die Vorschrift weder analog zur Anwendung bringen, noch lässt sich der in ihr enthaltene Rechtsgedanke auf freie Zusammenschlüsse übertragen. Einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in freien Zusammenschlüssen könnte allerdings entgegen stehen, dass can. 215 CIC als Adressaten der Vereinigungsfreiheit lediglich die Christgläubigen („christifideles“) nennt. Unabhängig davon, ob dieser Begriff alle Christen oder nur die katholischen Christen meint, sind Nichtchristen in keinem Fall Träger des Rechts aus can. 215 CIC und könnten deshalb von der Mitgliedschaft in freien Zusammenschlüssen ausgeschlossen sein. Die Beschränkung der Rechtsträgerschaft auf christifideles besagt aber lediglich, dass Nichtchristen sich für den Beitritt zu einem freien Zusammenschluss nicht auf can. 215 CIC berufen können. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass Nichtchristen die Mitgliedschaft in solchen Zusammenschlüssen verwehrt ist. Denn dies bedeutete zugleich eine Beschränkung der Freiheit zur Mitgliederaufnahme. Eine Beschränkung der Aufnahmefreiheit ist aus can. 215 CIC aber nicht zu folgern. Hätte der Gesetzgeber dergleichen normieren wollen, hätte er dies in can. 215 CIC, etwa durch die Formulierung „Den Christgläubigen ist es unbenommen, Vereinigungen ... untereinander frei zu gründen ...“, ohne weiteres zum Ausdruck bringen können. Eine derartige Klarstellung wäre angesichts der Vielzahl von Vereinen mit gemischt konfessionellem Mitgliederbestand auch zu erwarten gewesen, zumal die Frage der Vereinsmitgliedschaft von Nichtkatholiken dem Gesetzgeber vor Augen stand und in der Redaktionsphase kontrovers behandelt worden ist.78 Die Zulassung auch nichtkatholischer Mitglieder entspricht schließlich auch dem Wesen freier Zusam78

Siehe Communicationes 12 (1980), S. 101 f.; 15 (1983), S. 82, 84 f.; 18 (1986), S. 219 f., 290, 340 f., 356. Zur Textgenese im einzelnen unten unter III. 2.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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menschlüsse, da diese vielfach in weitgehend säkularisierten Lebensbereichen tätig sein wollen.79 Im Ergebnis hindert das kirchliche Gesetzbuch eine Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in freien Zusammenschlüssen somit nicht. Auch das Partikularrecht im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz steht einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken nicht entgegen. Einschlägig sind die „Gesichtspunkte nicht-katholischer Mitglieder in katholischen Verbänden“, welche die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung 1976 diskutiert hat.80 Der Verbindlichkeitsgrad der Gesichtspunkte ist unklar, ebenso, ob sie vorschriftsmäßig promulgiert worden sind.81 Ihre Rechtsnormqualität82 ist daher zweifelhaft. Gegen eine Qualifizierung als Kirchengesetz spricht die unjuristische Bezeichnung als „Gesichtspunkte“ und die auffallend häufige Verwendung des Modalverbs „soll“, das auf einen mehr empfehlenden Charakter hindeutet. Gegen einen Normcharakter spricht zudem, dass der ständige Rat der Bischofskonferenz sich im Nachgang zur FrühjahrsVollversammlung noch mit dem Fragenkomplex befasst hat,83 obwohl der Erlass von Beschlüssen mit allgemein verbindlicher Rechtskraft auch damals84 der Vollversammlung vorbehalten war.85 Im Übrigen fehlte es der Deutschen Bischofskonferenz an der erforderlichen Kompetenz zum Erlass rechtlich verbindlicher Bestimmungen zum Vereinsrecht. Das Statut der Deutschen Bischofskonferenz vom 2. März 1966 unterschied drei Beschlusskategorien:86 Zum einen Beschlüsse mit verbindlicher Rechtskraft, also Jurisdiktionsakte im eigentlichen Sinne. Solche Beschlüsse waren nur möglich, wenn das allgemeine kirchliche Recht entsprechende Entscheidungen vorsah, wenn der Apostolische 79

Zu den Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Mitgliedern in der säkularisierten Gesellschaft siehe oben, vor I. 80

Abdruck bei Reiner Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend und seine Mitgliedsverbände. Zweiter Teilband: Rechts- und Grundlagentexte zur katholischen Jugendverbandsarbeit, Berlin 1999, S. 424 ff. 81

Winfried Schulz, Nichtkatholische Christen als Mitglieder katholischer Vereine?, in: Theologie und Glaube (ThGl) 78 (1988), S. 334 (339 mit Fn. 21). 82 Zu den kirchlichen Rechtsnormen grundlegend Joseph Listl, Die Rechtsnormen, in: ders. / Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., Regensburg 1999, S. 102 ff. 83 Schulz, Nichtkatholische Christen als Mitglieder katholischer Vereine? (Anm. 81), S. 338 f. 84

Zum Statut der Deutschen Bischofskonferenz vom 2.3.1966 (– soweit ersichtlich – unveröffentlicht), siehe HK 21 (1967), S. 545 (548); abgelöst durch das Statut vom 23.10.1976, abgedruckt in: AfkKR 145 (1976), S. 543 ff., dort Art. 8 Buchstabe a). 85

Heute Art. 8 Abs. 1 Ziffer a) des Statut der Deutschen Bischofskonferenz vom 4.3.1998 (abgedruckt bei Wenner, Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz [Anm. 42], Nr. 1). 86

Hierzu eingehend HK 21 (1967), S. 545 (548).

500

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Stuhl von der Bischofskonferenz eine Entscheidung im Einzelfall forderte oder wenn die Konferenz den Apostolischen Stuhl ihrerseits ersuchte, einen vom allgemeinen Kirchenrecht nicht vorgesehenen Rechtsbeschluss fassen zu dürfen. Da keine der genannten Bedingungen gegeben war, konnten die Gesichtspunkte nicht als rechtsverbindliche Regelungen ergehen. Die zweite Kategorie bildeten Beschlüsse ohne strenge Rechtsverbindlichkeit. Die einzelnen Bischöfe waren an diese Beschlüsse zwar aus kollegialer Verantwortung gebunden, zu ihrer Durchführung aber nicht in jedem Fall verpflichtet.87 Eine Umsetzung der Gesichtspunkte lässt sich in einzelnen Diözesen jedoch nicht nachweisen. Daher dürften die Gesichtspunkte auch nicht als Beschluss minderer Rechtsverbindlichkeit erlassen worden sein. Die dritte Beschlusskategorie umfasste Beschlüsse rein empfehlender Art. Hierzu wird man die Gesichtspunkte zu zählen haben. Ihnen kommt mithin nicht die Wertigkeit von Rechtsnormen zu. Die dort getroffenen Bestimmungen über die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen sind rechtlich unverbindlich und beschränken die Regelungsfreiheit der Vereinigungen nicht. Selbst wenn den Gesichtspunkten rechtlicher Charakter und formelle Rechtmäßigkeit zuzusprechen wäre, stünden sie der Aufnahme nichtkatholischer Mitglieder nicht entgegen, da sie kein diesbezügliches Verbot statuieren. Die Bischofskonferenz regt zwar an, Nichtkatholiken einen „Gaststatus“ zuzuweisen (Nr. 5), schließt eine Mitgliedschaft, selbst die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben durch Nichtkatholiken (Nr. 9), aber nicht aus. Von dieser Grundposition ist die Bischofskonferenz auch nach Inkrafttreten des neuen Codex nicht abgerückt. Das zeigt die am 6. November 1987 mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken getroffene Feststellung über die Rechtsstellung der katholischen Verbände88 und wird zudem in Ziffer 4 der „Kriterien für die kirchenamtliche Genehmigung von Satzungen und Satzungsänderungen von katholischen Vereinigungen“89 vom 23. September 1993 deutlich.90

87

Verweigerte ein Bischof die Umsetzung, war er verpflichtet, seine gegenteilige Entscheidung dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz zur Kenntnis zu bringen. Dem Vorsitzenden oblag es sodann, die Vollversammlung zu unterrichten. 88

Darin „wird übereinstimmend festgestellt, dass Nichtkatholiken katholischen Verbänden dann angehören können, wenn die katholischen Verbände ihre Identität als katholische Organisation wahren. Die katholischen Verbände selbst müssen entsprechende Kriterien für die Mitgliedschaft auf der Grundlage der Stellungnahme des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ‚In der Kirche Zuhause – offen für die Gesellschaft; Zum Profil der katholischen Verbände‘ erstellen“ (zitiert nach Schulz, Nichtkatholische Christen als Mitglieder in katholischen Vereinigungen? [Anm. 81], S. 340). 89

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.); Geistliche Leitung in den katholischen Jugendverbänden (Reihe: Die deutschen Bischöfe, Nr. 59), Bonn, 25.11.1997, S. 14 ff.; zudem abgedruckt im AfkKR 162 (1993), S. 507 ff., bei Wenner,

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

501

Folglich ist die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in freien Zusammenschlüssen sowohl nach dem universalen als auch nach dem partikularen Kirchenrecht möglich.91 Sie steht im statutarischen Ermessen der jeweiligen Vereinigung. 2. Nichtkatholiken in privaten Vereinen Für kanonische Vereine gilt can. 307 CIC unmittelbar. Hiernach erfolgt die Aufnahme von Mitgliedern nach Maßgabe des Rechts und der Statuten des jeweiligen kanonischen Vereins. Aufgrund der fundamentalen Verbürgung der Aufnahmefreiheit92 in can. 215 CIC ist davon auszugehen, dass die Vereine ihre Mitglieder grundsätzlich frei auswählen können, soweit der Codex dieses Recht nicht beschränkt. Nachzuweisen ist somit nicht die Möglichkeit, sondern die Unmöglichkeit einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in kanonischen Vereinen. Eine Bestimmung, die eine solche Mitgliedschaft ausdrücklich ausschließt oder gestattet, findet sich im neuen Codex nicht.93 Dieser Regelungsverzicht überrascht angesichts der Genese der vereinsrechtlichen Bestimmungen94. Die Päpstliche Kommission für die Reform des kirchlichen Gesetzbuches hatte sich bereits in der dritten Sitzungsperiode vom 26. bis 30. März 1968 mit der Mög-

Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz (Anm. 42), Nr. 700, sowie bei Tillmanns, Rechts- und Grundlagentexte (Anm. 80), Dokument 13, S. 435 ff. 90

Text: In den in kanonischer Form bestehenden privaten oder öffentlichen Vereinigungen kann die Satzung die Mitwirkung von Nichtkatholiken vorsehen. Je nach der Zielsetzung der Vereinigung kann die zuständige Autorität bei Überprüfung der Satzung über Art und Umfang dieser Mitwirkung Auflagen machen. 91

Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 475, will als Mitglieder freier Zusammenschlüsse lediglich Christen zulassen, ohne näher zu begründen, warum Nichtchristen hiervon ausgeschlossen sein sollen. 92

Oben mit Anm. 76.

93

Anders noch der alte Codex. Nach can. 693 § 1 CIC konnten Akatholiken, ferner Katholiken, die einer verbotenen Gesellschaft angehören oder notorisch mit der Zensur behaftet sind, sowie überhaupt öffentliche Sünder nicht gültig in eine kirchliche Vereinigung aufgenommen werden. 94

Zur Textgenese eingehend Heribert Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen, in: AfkKR 153 (1984), S. 416 (417 ff.); Schulz, Nichtkatholische Christen als Mitglieder in katholischen Vereinigungen? (Anm. 81), S. 342 ff.; Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 286 ff.; Tillmanns, Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (Anm. 23), S. 207 f.

Reiner Tillmanns

502

lichkeit einer Vereinsmitgliedschaft nichtkatholischer Christen befasst.95 Der zugrunde liegende Entwurf sah in can. 7 § 3 die Mitgliedschaft nichtkatholisch getaufter Personen in katholischen Vereinigungen vor, wenn diese aufgrund eigenen Gewissensentscheids die Verfolgung des Vereinszweckes und die diesbezügliche Vorgehensweise bejahen könnten, und wenn nach dem Urteil des Ortsordinarius sichergestellt sei, dass daraus für die Ausübung des Glaubens der Katholiken kein Schaden zu befürchten sei.96 In der weiteren Diskussion wurde die Regelung auf alle Nichtkatholiken (non-catholici) ausgeweitet. Ferner wurde der Passus „wenn sie aufgrund eigenen Gewissensentscheids die Verfolgung der Vereinszwecke und die diesbezügliche Vorgehensweise bejahen können“ mit der Begründung gestrichen, der Eintritt in eine Vereinigung könne als freie Entscheidung des einzelnen vorausgesetzt werden.97 Am Ende der dritten Sessio lautete can 7 § 3 des Entwurfs somit: „Non-catholici adscribi possunt christifidelium consociationibus, dummodo iudicio auctoritatis de qua in can. 5 § 2 nullum exinde oriatur periculum ne catholicorum fides in discrimen vocetur.“98 Nach weiteren Änderungen, die ökumenischer Rücksichtnahme geschuldet waren und der Sorge um die kanonische Zielsetzung einer Vereinigung mit hohem Anteil nichtkatholischer Mitglieder Rechnung trugen, einigten sich die Mitglieder der Reformkommission in der vierten Sessio auf die Formulierung: „Non-catholici adscribi possunt christifidelium consociationibus, dummodo iudicio auctoritatis de qua in can. 5 § 2 id fieri possit sine detrimento actionis consociationi propriae atque nullum exinde oriatur periculum ne catholicorum fides in discrimen vocetur“99. Diese Fassung blieb in der fünften und sechsten Sessio substantiell unverändert und fand – sprachlich geringfügig modifiziert – als can. 46 § 3 Eingang in das Schema „De populo Dei“ von 1977.100 Bei der Rekogniszierung der Voten zum Schema 1977 mehrten sich dann jedoch die Bedenken gegen eine Mitgliedschaft von Nichtkatholiken und führten zu einer deutlich restriktiveren Regelung in can. 681 § 4 des Schemas „De populo Dei“ von 1980. Dieser Kanon schloss die Mitgliedschaft von nichtkatholischen Christen in öffentlichen Vereinen nun generell aus. In privaten Vereinen sollten nichtkatholische Christen sich nur dann ad95

Communicationes 18 (1986), S. 210 ff.

96

Communicationes 18 (1986), S. 219: Personae baptizatae non-catholicae adscribi possunt illis christifidelium consociationibus tantum, quarum finem proprium et agendi rationem secundum propriam conscientiam admittere possunt, et dummodo iudicio loci Ordinarii nullum exinde oriatur periculum ne catholicorum fides in discrimen vocetur. 97

Communicationes 18 (1986), S. 220.

98

Ibd.

99

Communicationes 18 (1986), S. 290.

100

Abgedruckt bei Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen (Anm. 94), S. 418.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

503

scribieren können, wenn dies nach dem Urteil der zuständigen Autorität ohne Schaden für die Zielsetzung des Vereins möglich war.101 Damit war an die Stelle einer grundsätzlichen Gestattung mit Verbotsvorbehalt in can. 46 § 3 CIC-E/1977 ein grundsätzliches Verbot mit Gestattungsvorbehalt getreten. Bei der Redaktion des Schemas 1980 verwarf die Kommission noch einmal den Wunsch eines Kommissionsmitglieds, die Bestimmung im Hinblick auf die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken wie im Schema 1977 positiv zu formulieren,102 und wies darauf hin, dass die zahlreichen Familienvereinigungen, in denen auch nichtgetaufte Ehepartner Mitglieder sein können, aufgrund dieser Bestimmung genug Raum im Codex fänden.103 Demgemäß sah die Kommission keine Veranlassung, die Regelung des can. 681 § 4 CIC-E/1980 inhaltlich zu ändern und übernahm sie – sprachlich geringfügig präzisiert –104 als can. 307 § 4 in das Schema „De populo Dei“ von 1982.105 Unmittelbar vor der Promulgation des Gesetzbuches wurde die Bestimmung über die Vereinsmitgliedschaft von Nichtkatholiken dann allerdings ersatzlos gestrichen, so dass der neue Codex zur allgemeinen Überraschung keine entsprechende Regelung enthält. Diese wechselhafte Textgenese bietet Ansatzpunkte für nahezu jede gewünschte Deutung. Manche Kanonisten106 interpretieren das Schweigen des Codex als consensus tacitus und sehen die Entscheidung über eine Aufnahme

101

Non-catholici christifidelium consociationibus publicis adscribi non possunt; consociationibus vero privatis ne adscribantur nisi iudicio auctoritatis competentis id fieri possit sine detrimento actionis associationis propriae et nullum oriatur scandalum (Communicationes 12 [1980], S. 101). 102

Communicationes 15 (1983), S. 84 f.

103

Communicationes 15 (1983), S. 82.

104

An die Stelle der „auctoritas competens“ trat die Formulierung „Ordinarius“, um zu verdeutlichen, dass die Kirchenautorität und nicht die Vereinsleitung gemeint ist. 105

Can. 307 § 4 CIC-E/1982, abgedruckt bei Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen (Anm. 94), S. 420. 106 Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen (Anm. 94), S. 426; Schulz, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Anm. 46), can. 307 Rdnr. 9; Schulz, Der neue Codex und die kirchlichen Vereine (Anm. 24), S. 84; ders., Nichtkatholische Christen als Mitglieder katholischer Vereine? (Anm. 81), S. 349; ders., Probleme der Rezeption des neuen Codex Iuris Canonici in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Recht als Heilsdienst. Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden, Kollegen und Schülern, Paderborn 1989, S. 144 (154); ders., Die vereinsrechtlichen Kategorien des neuen Codex Iuris Canonici (Anm. 46), S. 524 Fn. 48; ferner: Hollerbach, Es geht um ein fundamentales Recht (Anm. 56), S. 478. – Mit ähnlicher Tendenz: H. Müller, Das konsoziative Element in seiner Bedeutung für die Ökumene (Anm. 2), S. 263.

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nichtkatholischer Mitglieder in die allenfalls partikularrechtlich gebundene Entscheidung einer jeden Vereinigung gegeben. Andere verstehen den Regelungsverzicht des Gesetzgebers als Schlusspunkt einer zunehmend restriktiven Tendenz in Richtung auf ein Aufnahmeverbot.107 Letzteres überzeugt nicht. Angesichts der wechselhaften Handhabung der Mitgliedschaftsfrage in der Reformkommission wäre eine ausdrückliche Regelung zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber die Sache hätte entscheiden wollen. Dies auch deshalb, weil die Frage der Mitgliedschaft von Nichtkatholiken für die verbandliche Praxis außerordentlich bedeutsam ist und für den kirchlichen Gesetzgeber kaum abschätzbar gewesen sein dürfte, wie ein Schweigen des Gesetzbuches in Wissenschaft und Praxis ausgelegt werden würde. Der kirchliche Gesetzgeber hat auch nicht auf eine explizite Regelung verzichten können, weil die Frage, ob und mit welchem Status Nichtkatholiken kanonischen Vereinen angehören können, im Gesetzbuch an anderer Stelle implizit geklärt wäre. So ist insbesondere can. 11 CIC nicht zu entnehmen, dass die Mitgliedschaft in kanonischen Vereinen auf katholische Christen beschränkt wäre.108 Gemäß can. 11 CIC werden durch rein kirchliche Gesetze nur diejenigen verpflichtet, die in der katholischen Kirche getauft oder in diese aufgenommen worden sind. Das besagt, dass sich der Codex grundsätzlich nur an Katholiken wendet. Damit sind Regelungen in Bezug auf Nichtkatholiken, aber keineswegs ausgeschlossen, wie zahlreiche Beispiele109 belegen. Soweit eine kanonische Norm auch für Nichtkatholiken Geltung beansprucht, muß dies allerdings deutlich um Ausdruck kommen. Dass die Normen des kanonischen Vereinsrechts, in Besonderheit can. 307 § 1 CIC, nicht nur für Katholiken, sondern für alle Christen gelten, könnte durch die durchgängige Verwendung des Begriffs Christgläubige (christifideles) in den cann. 298 ff. CIC zum Ausdruck gebracht sein. Die Bezeichnung christifideles findet sich als kodikarischer Grundbegriff im Gesetzbuch vielfach. Christifideles sind nach can. 204 § 1 CIC jene, die durch die Taufe Christus eingegliedert, zum Volke Gottes gemacht und dadurch auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaftig geworden sind. Ob diese Legaldefinition im Kontext mit den cann. 204 § 2, 205 CIC zu lesen ist und nur die Christgläubigen meint, die voll in der Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, oder ob can. 204 § 1 CIC im Zusammenhang mit can. 96 CIC interpretiert werden muss und alle Getauften

107 So etwa Aymans, Kirchliche Vereinigungen (Anm. 41), S. 54 f.; ders. / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 480. 108

So aber Aymans, Kirchliche Vereinigungen (Anm. 41), S. 54; ders. / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 479 f. 109

Siehe etwa cann. 844 § 4, 874 § 2, 1124 f., 1170, 1183 § 3, 1476 CIC.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

505

anspricht, wird in der Kanonistik unterschiedlich beurteilt.110 Eine Entscheidung dieser Frage kann jedoch dahinstehen, da sich der Begriff christifideles aus can. 204 § 1 CIC nicht ohne weiteres auf die Bestimmungen des kanonischen Vereinsrechts übertragen lässt.111 Im kanonischen Vereinsrecht dürfte der Begriff christifideles ausschließlich auf katholische Christen bezogen sein. Anderenfalls wären die lebhaften Debatten über die Aufnahme nichtkatholischer Christen in kanonischen Vereinen in der Reformkommission nicht zu erklären; auch wären die besonderen Regelungen über die Mitgliedschaft von nichtkatholischen Christen in den Schemata zum CIC überflüssig gewesen,112 ihnen wäre allenfalls eine klarstellende Funktion zugekommen. Dass es der CIC-Kommission aber keineswegs nur um die Klarstellung dessen ging, was der Begriff „christifideles“ bereits zum Ausdruck bringt, zeigt der Ernst, mit dem um die Mitgliedschaftsregelungen gerungen wurde. Das kanonische Vereinsrecht richtet sich somit – wie die Überschrift zu Titel V „De Christifidelium Consociationibus“ bestätigt – grundsätzlich an katholische Christen.113 Diejenigen Kanones, die sich ausdrücklich an die Christgläubigen (christifideles) wenden, gelten jedenfalls nur für katholische Christen. So vermittelt etwa can. 299 § 1 CIC ausschließlich Katholiken die Freiheit zur Gründung kanonischer Vereine und die Freiheit zum Vereinsbeitritt. Nichtkatholiken kommen diese Freiheiten aus can. 299 § 1 CIC nicht zu. Das besagt aber nicht, dass Nichtkatholiken nicht in kanonische Vereine aufgenommen werden dürften. Denn die Beitrittsfreiheit ist von der Aufnahmefreiheit zu unterscheiden.114 Die Aufnahmefreiheit fließt aus der Leitungsfreiheit.115 Sie liegt nicht bei dem Beitrittswilligen, sondern bei der Vereinigung.116 Die Aufnahmefreiheit ist auch nicht etwa an die Beitrittsfreiheit gekoppelt. Auch wer kein eigenes Recht zum Beitritt hat, kann in einen kanonischen Verein gültig aufgenommen werden, solange kein Aufnahmehindernis entgegen steht. Gründe, die eine Vereinsaufnahme hindern, nennt can. 316 CIC. Die 110

Einen konzisen Überblick über den Meinungsstand gibt Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 323 ff. m.w.Nachw. 111

Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen (Anm. 94), S. 423; Schulz, Nichtkatholische Christen als Mitglieder katholischer Vereine (Anm. 81), S. 344 f. 112

Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen (Anm. 94), S. 423. 113 Das schließt nicht aus, dass einzelne Bestimmungen – etwa can. 308 CIC – ausnahmsweise auch Nichtkatholiken berechtigen. Dem kann im Rahmen dieser knappen Abhandlung nicht weiter nachgegangen werden. 114

Hierzu bereits oben unter III. 1.

115

Aymans, Das konsoziative Element in der Kirche. Gesamtwürdigung (Anm. 41), S. 1046. 116

Oben Anm. 76.

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Bestimmung gilt jedoch schon aufgrund ihrer systematischen Stellung nur für öffentliche Vereine und ist auf private Vereine nicht übertragbar.117 Im Recht der Privatvereine selbst findet sich keine Regelung, welche die Aufnahmefreiheit auf katholische Mitglieder beschränkt. Resümierend lässt sich somit festhalten, dass sich der Begriff „christifideles“ in den cann. 298 ff. CIC zwar ausschließlich auf katholische Christen bezieht, die Aufnahme nichtkatholischer Mitglieder in privaten Vereinen aber nicht hindert.

Da sich dem Codex auch im Übrigen keine Normen und Rechtsprinzipien entnehmen lassen, die der Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in privaten Vereinen entgegenstehen, richtet sich die Aufnahme nichtkatholischer Vereinsmitglieder gemäß can. 307 § 1 CIC nach dem jeweils einschlägigen Partikularrecht118 und den jeweiligen Vereinsstatuten. Hiergegen greift auch der mehr rechtspragmatische Einwand, dass auf gesamtkirchlicher, internationaler und nationaler Ebene keine zum Erlass mitgliedschaftspräzisierender Regelungen kompetenten Legislativorgane existierten,119 nicht durch, da die auf überdiözesaner Ebene organisierten Großverbände in aller Regel über diözesane Untergliederungen verfügen. Für diese kann der jeweils zuständige Ortsbischof eine auf überdiözesaner Ebene getroffene Mitgliedschaftsregelung ohne weiteres als diözesanes Ortsrecht in Kraft setzen. 3. Nichtkatholiken in öffentlichen Vereinen Die Aufnahme von Mitgliedern in öffentlichen Vereinen richtet sich im Grundsatz ebenfalls nach der allgemeinen Vorschrift des can. 307 CIC120. Als spezielle Regelung ist zudem can. 316 § 1 CIC zu beachten. Hiernach kann in öffentliche Vereine nicht aufgenommen werden, wer öffentlich den katholischen Glauben aufgegeben hat oder von der kirchlichen Gemeinschaft abgefallen ist oder mit der Verhängung bzw. der Feststellung der Exkommunikation bestraft ist. Die Tatbestände der öffentlichen Aufgabe des katholischen Glaubens und des Abfalls von der kirchlichen Gemeinschaft weisen auf die Delikte

117

So zutreffend Heinemann, Die Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in kirchlichen Vereinen (Anm. 94), S. 421. A.A. May, Die kirchlichen Vereine nach den Bestimmungen des Codex Iuris Canonici (Anm. 51), S. 290. Offen gelassen von Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 501 Fn. 9. 118

Hierzu bereits oben unter III. 1.

119

Vgl. Aymans, Kirchliche Vereinigungen (Anm. 41), S. 55; ders., Rez. von W. Schulz: Der neue Codex und die kirchlichen Vereine, in: AfkKR 155 (1986), S. 337 (343); ders. / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 480 f. 120

Hierzu vorstehend unter III. 2.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

507

der Apostasie, der Häresie und des Schismas121 hin, ohne sie ausdrücklich zu nennen.122 Als Akt des Abfalls von der katholischen Kirche ist, wie Joseph Listl überzeugungskräftig dargetan hat, etwa die Erklärung des Kirchenaustritts vor der zuständigen staatlichen Behörde zu bewerten.123 Da der Austritt aus der Kirche in dieser Weise öffentlich erfolgt, hindert er gemäß can. 316 CIC die Mitgliedschaft in einem öffentlichen Verein. Ein Verhalten, das den Tatbestand der Apostasie, der Häresie oder des Schismas nicht erfüllt, lässt sich nur dann als Aufgabe des Glaubens oder Abfall von der Kirche im Sinne des can. 316 CIC deuten, wenn es sich vergleichbar schwerwiegend gegen die Gemeinschaft im Glauben richtet. Zurückhaltung bei der Annahme eines öffentlichen Abfalls vom Glauben oder von der Kirche im Sinne des can. 316 § 1 CIC ist auch deshalb geboten, weil can. 316 CIC als rechtsbeschränkendes Gesetz gemäß can. 18 CIC eng auszulegen ist. Der Tatbestand des can. 316 § 1 CIC ist bei einer lediglich mangelhaften Erfüllung der einem katholischen Christen obliegenden Pflichten noch nicht gegeben.124 Nicht ohne weiteres vergleichbar mit der Apostasie, der Häresie oder dem Schisma ist etwa ein Leben im Konkubinat125 oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft126. Normadressaten sind allein katholische Christen.127 Auf nichtkatholische Christen oder Nichtchristen ist can. 316 CIC nicht unmittelbar anwendbar. Die 121

Can. 751 CIC.

122

Schulz, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Anm. 46), can. 316 Rn. 2; Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 425. 123

Joseph Listl, Die Erklärung des Kirchenaustritts, in: ders. / Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., Regensburg 1999, S. 209 (212). 124

Aymans / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 501; Aymans, Kirchliche Vereinigungen (Anm. 41), S. 58. 125 Vgl. Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 425. Eine andere Beurteilung kann im Einzelfall angezeigt sein, wenn verschärfende Umstände hinzutreten. 126 Zum Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft aus kirchlicher Sicht: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Kongregation für die Glaubenslehre: Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen vom 3.6.2003 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 162), Bonn 2003. Zu den arbeitsrechtlichen Folgen für kirchlich Bedienstete, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, grundlegend und kenntnisreich Burkhard Kämper, Eingetragene Lebenspartnerschaft und kirchlicher Dienst, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 401 ff. 127

Einhellige Meinung, vgl. S. 425; Lluís Martínez-Sistach, Las asociaciones de fieles, Barcelona 1987, S. 67; Hallermann, Kirchliche Vereinigungen im Verfassungsgefü-

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Regelung steht einer Mitgliedschaft nichtkatholischer Christen in öffentlichen Vereinen möglicherweise jedoch implizit entgegen. Wenn die Aufgabe des katholischen Glaubens nach can. 316 CIC zum Verlust der Vereinsmitgliedschaft führt, liegt nahe, das Festhalten am katholischen Glauben als notwendige Voraussetzung für die Mitgliedschaft anzusehen. Die Aufgabe des Glaubens hindert die Aufnahme in einen öffentlichen Verein nach dem Wortlaut des can. 316 § 1 CIC aber nur, wenn sie öffentlich erfolgt. Entscheidend für die Versagung der Mitgliedschaft ist folglich nicht die Glaubensaufgabe an sich, sondern erst deren Publizität. Da auch die übrigen, in can. 316 § 1 CIC aufgeführten Tatbestände öffentlichkeitsbezogen sind, ist davon auszugehen, dass die Bestimmung nicht die konfessionelle Homogenität des Mitgliederbestandes gewährleisten soll, sondern der Glaubhaftigkeit des katholischen Zeugnisses dient. Mit dieser Schutzrichtung ist can. 316 CIC im Zusammenhang mit can. 313 CIC zu lesen. Er schützt die Glaubwürdigkeit des Vereins, weil er im Namen der Kirche handelt, und damit letztlich die Glaubwürdigkeit der Kirche selbst. Dass die Glaubwürdigkeit der Kirche Schaden zu nehmen droht, wenn sie Apostaten, Häretiker oder Schismatiker unter ihrem Namen auftreten lässt, bedarf keiner näheren Begründung. Ob auch die Mitgliedschaft von nichtkatholischen Christen in öffentlichen Vereinen die Glaubwürdigkeit der Kirche und die Glaubhaftigkeit ihres Zeugnisses herabsetzt, hängt von seiner konkreten Zielsetzung ab. Rein katholische Ziele können von Nichtkatholiken kaum überzeugend vertreten werden. Deshalb dürfte die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in öffentlichen Vereinen häufig nicht in Betracht kommen. Das Tätigkeitsfeld öffentlicher Vereine ist aber keineswegs auf die rein katholische Topoi beschränkt. Die zuständige Kirchenautorität kann Vereine nach can. 301 § 1 CIC auch zur Vermittlung der christlichen Lehre und gemäß can. 301 § 2 CIC zu jedem sonstigen Zweck im Sinne des can. 298 § 1 CIC ins Leben rufen. Insbesondere christliche Vereinszwecke oder ökumenische Anliegen können ohne weiteres auch von nichtkatholischen Christen glaubhaft vertreten werden. In diesen Fällen steht can. 316 CIC einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken nicht prinzipiell entgegen. Damit unterwirft can. 316 CIC Katholiken in der Tat strengeren Restriktionen als Nichtkatholiken.128 Dies ist jedoch nicht zu beanstanden, da es für den kirchlichen Gesetzgeber wegen can. 11 CIC nicht in

ge der lateinischen Kirche (Anm. 24), Schulz, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Anm. 46), can. 316 Rn. 3; ders., Der neue Codex und die kirchlichen Vereine (Anm. 24), S. 84. 128

So der Einwand von Aymans, Kirchliche Vereinigungen (Anm. 41), S. 56; ders. / Mörsdorf, Kanonisches Recht II (Anm. 38), S. 481.

Die Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen

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Betracht kam, die Rechtsstellung von nichtkatholischen Christen in ihren Religionsgemeinschaften zu regeln.129 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Codex einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in öffentlichen Vereinen nicht entgegensteht. Da auch dem Partikularrecht im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz keine Verbotsbestimmung zu entnehmen ist,130 steht die Entscheidung im statutarischen Ermessen der jeweiligen Vereinigung und der Kirchenaufsicht. IV. Ergebnis Das kirchliche Vereinigungsrecht unterscheidet freie Zusammenschlüsse von Gläubigen auf der Grundlage von can. 215 CIC, private Vereine gemäß can. 299 § 1 CIC und öffentliche Vereine im Sinne von can. 312 § 1 CIC. Das kanonische Recht geht als Normalfall davon aus, dass diesen Vereinigungen katholische Christen als Mitglieder angehören, steht einer Mitgliedschaft von Nichtkatholiken nach der hier vertretenen Ansicht aber nicht entgegen. Die Möglichkeit, auch Nichtkatholiken aufzunehmen, erleichtert die missionarische Tätigkeit131 der Vereine in der säkularisierten Gesellschaft und steigert ihre ökumenische Wirksamkeit132, teilweise sichert sie ihre Existenz.133 Ob eine Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in katholischen Vereinigungen in Betracht kommt, ist weniger eine Frage des kanonischen Rechts als der statutarischen Zielsetzung der jeweiligen Vereinigung. Eine Mitgliedschaft von nichtkatholischen Christen oder Nichtchristen bereitet keine Probleme, wenn die Vereinsziele von nichtkatholischen Mitgliedern geteilt werden können. So kann etwa eine sozial-fürsorgerische Vereinstätigkeit von Katholiken, evangelischen Christen und Nichtchristen aus je eigenem inneren Verpflichtungsgrund gemeinsam getragen werden. Weisen solche Vereine einen hohen Anteil nichtkatholischer Mitglieder auf, bietet sich wegen der damit gegebenen Distanz zur verfassten Kirche als Vereinigungstyp der freie Zusammenschluss an. Tritt aufgrund des nichtkatholischen Mitgliederanteils der katholische Charakter der Vereinigung zurück, wird die zuständige Kirchenautorität zu bedenken haben,

129 Darauf weist Schulz, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Anm. 46), can. 316 Rn. 3 zu Recht hin. Ihm folgend Hallermann, Die Vereinigungen im Verfassungsgefüge der lateinischen Kirche (Anm. 24), S. 426 Fn. 566 a.E. 130

Hierzu oben unter III. 1.

131

Hierzu oben unter I. bei Anm. 22.

132

Vgl. oben Anm. 2.

133

Zur Zukunftsfähigkeit der katholischen Vereine oben, vor I.

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ob sie die nach can. 216 CIC134 erforderliche Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung „katholisch“ erteilen kann. Bei ausreichender Mitgliederzahl ist an eine Untergliederung oder Teilung der Vereinigung zu denken. In jedem Fall ist bei der satzungsmäßigen Ausgestaltung der Mitgliedschaftsverhältnisse darauf Bedacht zu nehmen, dass den nichtkatholischen Mitgliedern keine Pflichten und Rechte auferlegt werden, deren Erfüllung oder Wahrnehmung ihnen aufgrund ihrer religiösen Haltung nicht möglich ist. Bei Vereinen, die sich spezifisch katholischen Zwecken zuwenden, ist die Mitgliedschaft naturgemäß auf Katholiken beschränkt. Dies gilt insbesondere, wenn der Verein Ziele anstrebt, deren Verfolgung gemäß can. 301 § 1 CIC der kirchlichen Autorität vorbehalten ist. Daher scheidet eine Mitgliedschaft von Nichtkatholiken in öffentlichen Vereinen in aller Regel aus.

134 Die Bestimmung des can. 216 CIC lässt für eine analoge Anwendung des can. 300 CIC auf freie Zusammenschlüsse von Gläubigen keinen Raum (Aymans, Das konsoziative Element in der Kirche. Gesamtwürdigung [Anm. 41], S. 1049 Fn. 63; ders., Das konsoziative Element in der Kirche [Anm. 57], S. 358 Fn. 71; ders. / Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Band I: Einleitende Grundfragen. Allgemeine Normen, Paderborn u.a. 1991, S. 477; Tillmanns, Der Bund der Katholischen Jugend [Anm. 23], S. 191 Fn. 136).

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst Zur Festsetzung der Loyalitätsobliegenheiten in der Grundordnung Von Andreas Weiß

I. Einleitung Am 27. Juni 1983 hatten die deutschen Bischöfe die Erklärung zum kirchlichen Dienst1 verabschiedet und hierin erstmals das Konzept einer kirchlichen Dienstgemeinschaft2 explizit3 dargestellt. Anders als im profanen Wirtschaftsleben können – so die Erklärung 1983 – in kirchlichen Einrichtungen4 nicht Interessensgegensätze, sondern nur die gemeinsame Verantwortung von Dienstgebern und Dienstnehmern und die Identifikation beider Gruppen mit

1 Abgedr. in: DDB 35; AfkKR 152 (1983), S. 183 – 187 – folgend Erklärung 1983 genannt. 2

Zur Entwicklungsgeschichte des Begriffs vgl. Andreas Weiß, Die kirchliche Dienstgemeinschaft. Beobachtungen zu ihrer Entwicklung im Individualarbeitsrecht der katholischen Kirche Deutschlands, in: DPM 8/I (2001), S. 523 – 545. 3

Die Präambel der Ordnung zur Mitwirkung bei der Gestaltung des Arbeitsvertragsrechtes durch eine Kommission für den diözesanen Bereich (Bistums-KODA oder Regional-KODA) vom 5.12.1977 (in: Sekretariat der DBK, Arbeitsvertragsrecht in der Kirche. Die Beteiligung der Mitarbeiter an der Schaffung und Fortentwicklung arbeitsvertragsrechtlicher Regelungen [Arbeitshilfen 16], Bonn 1980) hatte bereits die beiden Aspekte der gemeinsamen Verantwortung und der Identifikation mit dem kirchlichen Auftrag hervorgehoben. Dort heißt es: „Alle an diesem Dienst Beteiligten, ob als Mitarbeiter oder als Dienstgeber, bilden eine Dienstgemeinschaft mit gemeinsam getragener Verantwortung. Damit ist das Miteinander ein Gebot für die Ordnung. Damit ist aber auch die Beteiligung begrenzt auf Mitarbeiter und Gruppen, die sich mit dem Auftrag der Kirche identifizieren und die Identifizierung arbeitsrechtlich anerkennen.“ 4

Ein sehr schillernder Begriff, unter den viele Stellen und Einrichtungen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GO fallen wie beispielsweise Generalvikariat, Pfarrbüro, Eheberatungsstelle, Verwaltungsaktuariat, aber auch Schulen, Sozialstationen, Kindergärten, Krankenhäuser etc. jeweils in katholischer Trägerschaft.

512

Andreas Weiß

dem kirchlichen Auftrag das Verhältnis zueinander bestimmen. In Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes nahm die Katholische Kirche die Befugnis in Anspruch, „den ihr angehörenden Arbeitnehmern die Beachtung jedenfalls der tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre aufzuerlegen und zu verlangen, dass sie nicht gegen die fundamentalen Verpflichtungen verstoßen, die sich aus der Zugehörigkeit zur Kirche ergeben und die jedem Kirchenmitglied obliegen“5. Im Pressebericht der Frühjahrsvollversammlung der DBK im März 1992 war dann zu lesen, dass sich die Deutsche Bischofskonferenz mit einer Neuordnung maßgeblicher Strukturelemente des kirchlichen Dienstes befasst6, u. a. mit der Festlegung von Loyalitätsobliegenheiten und Kriterien zur Kündigung von Dienstnehmern. Das Ergebnis der Neubesinnung haben die Diözesanbischöfe in der neugefassten Erklärung der Deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst vom 22. September 19937 und in der diese Programmatik normativ umsetzenden Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse8 vom gleichen Tag vorgelegt. Sie hatten damit den ihnen durch 5

BVerfG, Beschluss vom 4.6.1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83 und 2 BvR 856/84, in: BVerfGE 70, 138, 166; abgedr. auch in: KirchE 23 (1990), S. 105 – 115; AKathKR 154 (1985), S. 253 – 276. 6

Die Begründung für diesen Schritt lautete: „Die Aufgabe einer Überarbeitung [der Erklärung 1983] ... ist nicht nur wegen der bisher aufgetretenen Probleme notwendig (z. B. Profilierung der Einrichtungen, Arbeitsmarktlage, Probleme mit der Lebensführung einzelner), sondern muss auch im Zusammenhang gesehen werden mit zwei weiteren Perspektiven, die Beachtung verlangen: Das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht trifft in den neuen Bundesländern – schon durch die extreme Diasporasituation – auf eine sehr schwierige Situation, die die Umsetzung nicht erleichtert. Ein weiteres Problem ist die Vollendung des Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ab 1993. Um so notwendiger ist es, dass wir eine eindeutige, überzeugende, realitätsgerechte Regelung auf überdiözesaner Ebene haben, die im Kernbereich auch möglichst viele Gemeinsamkeiten aufweisen sollte mit der evangelischen Gestalt des kirchlichen Arbeitsrechts ...“. 7

Abgek. folgend als Erklärung, abgedr. in: DDB 51, S. 7 – 17; AfkKR 162 (1993), S. 497 – 502 (ohne „Begründung“). Die Erklärung ist rechtlich wie ihre Vorgängerin als lehramtliche Stellungnahme zu qualifizieren, die Auslegungsrichtlinien für verbindliche Festlegungen des kirchlichen Selbstverständnisses auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, wie sie in der Grundordnung erfolgt sind, enthält. 8

Im Folgenden als Grundordnung (GO) bezeichnet. Sie wurde von der DBK als einheitliche Regelung beschlossen, stellt jedoch kein Allgemeindekret im Sinne des can. 455 § 1 CIC dar, sondern musste vom einzelnen Bischof als Diözesangesetz erlassen werden. Dies geschah mit Ausnahme Fuldas in allen Diözesen zum 1.1.1994 (in Fulda zum 1.1.1995); Nachweis der Fundstellen bei Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, München 42003, S. 57, Fn. 55. Die Grundordnung ist abgedr. in: DDB 51, S. 15 – 21, die „Begründung“ der Professoren

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

513

Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährten Freiraum zur Ordnung der eigenen Angelegenheiten ausgefüllt und die „Maßstäbe der von ihr erwarteten Loyalität“9 bestimmt. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 zu Gunsten der Kirchen im Sinne einer umfassend verstandenen Wahl- und Gestaltungsfreiheit10 der eigenen Dienstverhält-

Wilhelm Dütz (zu Art. 4 – 5 und 8 – 10 GO) und Reinhard Richardi (Art. 1 – 3 und 6 – 7 GO) ebd. 23 – 38; ebenso in: AfkKR 162 (1993), S. 502 – 507; zur Grundordnung allgemein vgl. Reinhard Richardi, Die Grundordnung der katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in: NZA 11 (1994), S. 19 – 24; Wolf Klimpe-Auerbach, Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in: AuR 43 (1995), S. 170 – 177; Reinhard Richardi, Die Entstehung der Grundordnung für die Arbeitsverhältnisse in der katholischen Kirche, in: Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Heinrich de Wall / Michael Germann, Tübingen 2003, S. 143 – 158. 9

Klaus Lüdicke, Loyalität und Arbeitsverhältnis im Kirchendienst, in: engagement 4/2002, S. 236 – 249, hier S. 241; zur Loyalitätsproblematik allgemein vgl. Bernd Rüthers, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich (= Deutsch-Französische Kolloquien Kirche – Staat – Gesellschaft, Bd. 6). Hrsg. von Joseph Listl / Jean Schlick, Straßburg 1984, S. 3 – 22; Theo Mayer-Maly, Loyalitätspflichten von Arbeitnehmern im Kirchendienst, in: Im Dienst von Kirche und Staat. In memoriam Carl Holböck. Hrsg. von Franz Pototschnig / Alfred Rinnerthaler (= Kirche und Recht, Bd. 17), Wien 1985, S. 619 – 626; Josef Isensee, Kirchliche Loyalität im Rahmen des staatlichen Arbeitsrechts. Verfassungsrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsverhältnisses, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Richard Bartlsperger / Dirk Ehlers / Werner Hofmann / Dietrich Pirson, München 1986, S. 203 – 216; Bernd Rüthers, Wie kirchentreu müssen kirchliche Arbeitnehmer sein?, in: NJW 39 (1986), S. 356 – 359; Heiner Marré, Zur Loyalität im Dienst der Kirche. Das Staatskirchenrecht als Imperativ, in: ThGl 78 (1988), S. 397 – 414; Winfried Mummenhoff, Loyalität im kirchlichen Arbeitsverhältnis, in: NZA 7 (1990), S. 585 – 592; Rainer Keßler, Loyalitätspflichten kirchlicher Arbeitnehmer und Kündigungsschutz, in: Festschrift für Wolfgang Gitter zum 65. Geburtstag am 30.Mai 1995. Hrsg. von Meinhard Heinze / Jochem Schmitt, Wiesbaden 1995, S. 461 – 480; Walter Klar, Loyalitätsobliegenheiten und Kündigung kirchlicher Arbeitnehmer, Aachen 1995; Wolfgang Rüfner, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts. Die besondere Loyalitätspflicht im kirchlichen Dienst, in: HdbStKR2, Bd. 2, S. 901 – 925; Joachim Eder, Gerichtlicher Schutz im kirchlichen Arbeitsrecht, in: DPM 9 (2002), S. 211 – 244. 10

Das Bundesarbeitsgericht hatte zuvor entschieden: „Nicht jede Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis zur Kirche hat eine solche Nähe zu spezifisch kirchlichen Aufgaben, dass der die Tätigkeit ausübende Arbeitnehmer mit der Kirche identifiziert und deshalb die Glaubwürdigkeit der Kirche berührt wird, wenn er sich in seiner Lebensführung nicht an die tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre hält“

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nisse anhand kirchlicher Grundsätze mussten die deutschen Bischöfe damals handeln und u. a Loyalitätsobliegenheiten kirchengesetzlich konkretisieren. Nach zehn Jahren Grundordnung ist es Zeit, dieses Regelwerk im Lichte der Praxis einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dieser Beitrag geht deshalb der Frage nach, ob es den Bischöfen in der Grundordnung gelungen ist, eine klare und überzeugende Regelung der einstellungs- und kündigungsrelevanten Loyalitätsobliegenheiten zu finden. Abschließend soll die Frage gestreift werden, ob diese Ausfaltungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Deutschland gegenüber der europäischen Rechtsentwicklung bestehen können. II. Grundprinzipien des kirchlichen Dienstes In Art. 1 GO sprechen die Bischöfe als Gesetzgeber die Zielsetzung des kirchlichen Dienstes und den Weg zur Umsetzung derselben an. Die Norm lautet: „Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft). Alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen anerkennen und ihrem Handeln zugrunde legen, dass Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung, für die sie tätig sind, sich an der Glaubens- und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten haben.“

(BAG 34, 195, 205). Dagegen unterstrich das Bundesverfassungsgericht die Befugnis der Kirchen, im Rahmen des Arbeitsrechts eigenständig und verbindlich festzulegen, „was ‚die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihre Verkündigung erfordert‘, was ‚spezifisch kirchliche Aufgaben‘ sind, was ‚Nähe‘ zu ihnen bedeutet, welches die ‚wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre‘ sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine ‚Abstufung‘ der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit“ (BVerfGE 70, 138, 166). Kompetent zur Festlegung kirchenspezifischer Loyalitätsanforderungen sind demnach die Kirchen selbst, wobei die Obliegenheiten deren religiösem Auftrag entspringen müssen. Zur Auseinandersetzung zwischen BAG und BVerfG vgl. Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 81 – 84, Rn. 23 – 30; ebd., S. 93 – 98, Rn. 17 – 28; Erhard Spengler, Die Rechtsprechung zum Arbeitsrecht in kirchlichen Angelegenheiten – insbesondere zur Loyalitätspflicht der kirchlichen Mitarbeiter, in: NZA 4 (1987), S. 833 – 839; Keßler, Loyalitätspflichten (Anm. 9), S. 468 – 471; Joseph Listl, Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 27 (1986), S. 131 – 158, hier S. 137 ff.

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

515

1. Leitbild der christlichen11 Dienstgemeinschaft Nach der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 sind die Kirchen berechtigt, ein besonderes, über den sog. Tendenzschutz hinausgehendes Anforderungsprofil an ihre Mitarbeiter zu stellen und die Erfüllung bestimmter Obliegenheiten in Gestalt der Person sowie der privaten Lebensführung von diesen zu verlangen. „Das schließt ein, dass die Kirchen der Gestaltung des kirchlichen Dienstes auch dann, wenn sie ihn auf der Grundlage von Arbeitsverträgen regeln, das besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft aller ihrer Mitarbeiter zugrundelegen können.“12 Die Erklärung 1983 maß die Glaubwürdigkeit einer katholischen Einrichtung an der Loyalität ihrer Dienstnehmer. Jeder und jede in einer kirchlichen Einrichtung Beschäftigte musste durch sein bzw. ihr „Verhalten und Handeln die Wahrheiten und Werte des Evangeliums, welche die Kirche verbürgt und die die religiöse Grundlage des kirchlichen Dienstes ausmachen, bezeugen“13. Eigens wurde damals betont, dass nur so die Kirche „ihren Dienst an den Menschen glaubwürdig erfüllen“14 könne. Alle Dienstnehmer in einer kirchlichen Einrichtung waren nach diesem Konzept der Dienstgemeinschaft in gleichem Umfang zu Leistung und Loyalität verpflichtet, alle mussten in gleicher Weise die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche innerhalb des Dienstes beachten, aber ebenso ihr Privatleben nach kirchlichen Maßstäben ausrichten. Die Dienstgemeinschaft war in der Erklärung 1983 ausschließlich durch das glaubens- und sittenmäßige Verhalten ihrer Mitglieder definiert, davon schien allein ihre Glaubwürdigkeit nach außen abzuhängen. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Loyalitätspflicht sprach der Dienstgeber unterschiedslos eine verhaltensbedingte Kündigung aus. Gleiches galt im Falle einer Verletzung von Loyali-

11

Obgleich in der Grundordnung bzw. Erklärung durchgängig sowie in der Literatur überwiegend der Begriff „kirchliche Dienstgemeinschaft“ verwendet wird, ist es m. E. im Hinblick auf Art. 4 GO korrekter, im Anschluss an die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 11.10.1977 – 2 BvR 209/76 (in: BVerfGE 46, 73, 87) und vom 4.6.1985 (Anm. 5) vom Leitbild der „christlichen Dienstgemeinschaft“ zu sprechen. Zum Folgenden vgl. ausführlich Weiß, Dienstgemeinschaft (Anm. 2), S. 529 – 539; Johannes Falterbaum, Caritas und Diakonie. Strukturen und Rechtsfragen, Neuwied / Kriftel / Berlin 2000, S. 74 f. 12

BVerfGE 70, 138, 165; vgl. Wolfgang Rüfner, Das kirchlich rezipierte und adaptierte Dienst- und Arbeitsrecht der übrigen kirchlichen Bediensteten, in: HdbStKR2, Bd. 2, S. 877 – 900, hier S. 894 ff.; Axel Frh. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 31996, S. 200 ff.; Günter Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, München 92000, Rn. 163 ff.; Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 46 – 56. 13

Art. 8 Abs. 2 Erklärung 1983.

14

Ebd.

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tätsobliegenheiten15. Die Verantwortung des Trägers und der Leitung einer Einrichtung für das Gelingen der Dienstgemeinschaft war (noch) ausgeblendet. Einen deutlich anderen Akzent setzt die Grundordnung und die zu ihr gehörende Erklärung. Die christliche Dienstgemeinschaft, an der die Bischöfe festhalten, wird als interpretationsbedürftiger Begriff jetzt nicht mehr ausschließlich durch die Loyalität der Dienstnehmer, noch durch einen uniformen Mitarbeiterbegriff definiert, sondern durch den gestuften Beitrag aller in einer kirchlichen Einrichtung Tätigen zur Verwirklichung des Auftrages derselben. Dienstgeber und Mitarbeiter tragen „durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann“ – so Art. 1 Satz 1 GO. Ihr spezifisches Gepräge erhält die christliche Dienstgemeinschaft somit durch die Ausrichtung auf die religiöse Dimension des Auftrages der Einrichtung. Die Verantwortung für die Umsetzung desselben ist aber nicht mehr nur den Mitarbeitern auferlegt, sondern der Einrichtung als ganzer, ja nach der Erklärung sogar dem Träger und der Leitung allein16. Auf diese Weise wurde in der Grundordnung eine Position gewonnen, die nicht mehr dem Vorwurf ausgesetzt ist, man wolle die Verantwortung für die christliche Prägung einer Einrichtung ausschließlich auf die Mitarbeiter abwälzen17. Die Dienstgemeinschaft wird jetzt verstanden als „Arbeitsgemeinschaft fehlbarer und fehlgehender Menschen. [Sie] ist das, was immer mehr nach Zeichenhaftigkeit des Handelns und Lebens aller streben soll, was aber nicht durch den Erfolg dieses Strebens definiert werden kann.“18 2. Ausrichtung der Einrichtung an Lehre und Recht der Kirche Träger und Leitung haben in ihrer Verantwortung für die Einrichtung auch dafür zu sorgen, dass in dieser „geeignete Personen tätig sind, die bereit und in der Lage sind, den kirchlichen Charakter der Einrichtung zu pflegen und zu 15 Darunter werden in Rechtsprechung und Lehre stärker mit dem konkreten Dienst verbundene Anforderungen verstanden, deren Verletzung eine Person ungeeignet machen kann zur rechten Ausübung des Dienstes in einer kirchlichen Einrichtung mit der Folge einer personbedingten Kündigung (Beispiel: wiederverheiratete, in einer kirchlich ungültigen Ehe lebende Frau als Beraterin in einer kirchlichen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen); dazu Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 237 f. 16

Art. II Abs. 2 Erklärung.

17

Wilhelm Dütz, Neue Grundlagen im Arbeitsrecht der katholischen Kirche, in: NJW 47 (1994), S. 1369 – 1375, hier S. 1370; vgl. Reinhard Richardi, Die arbeitsrechtliche Bedeutung der christlichen Dienstgemeinschaft für die Arbeitsverhältnisse kirchlicher Mitarbeiter, in: ZfA 15 (1984), S. 109 – 137. 18

Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 241 f.

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

517

fördern“19. Die Grundordnung hält daran fest, dass „alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“20, das Proprium einer katholischen Einrichtung anzuerkennen und ihrem Handeln zugrunde zu legen haben. Ob dabei von allen „Beteiligten“ ein aktives Mittragen verlangt wird, oder ob das „Bejahen“21 des Propriums bereits erfüllt sein kann, wenn kein Widerspruch zu Zielsetzung und Ausrichtung der Einrichtung erfolgt, bleibt an dieser Stelle offen. Dienstgeber kommen ihrer Verantwortung für die Einrichtung insbesondere dadurch nach, dass sie nach Art. 3 GO bei der Einstellung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin dessen/deren Eignung unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchten. Die Dienstgeber müssen aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Sicherung der Eigenart des kirchlichen Dienstes darauf achten, ob der Bewerber/die Bewerberin voraussichtlich seinen/ihren Dienst so tun wird, dass die religiöse Dimension der Zielsetzung der Einrichtung umgesetzt werden kann22. Abgewogen werden muss dabei auch, ob man davon ausgehen kann, dass die in Art. 4 GO genannten Loyalitätsobliegenheiten eingehalten werden23. Eine Übernahme in den kirchlichen Dienst scheidet nach Art. 3 Abs. 4 GO bei kirchenfeindlichem Verhalten und einem erfolgten Austritt aus der Katholischen Kirche aus. Für bestimmte Dienste ist die Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche unumgänglich, für andere in der Regel, d. h. mit Ausnahmen unter Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles verlangt24. In den Bewerbungsgesprächen vor einer Einstellung kann der Dienstgeber seiner Vergewisserungspflicht durch Befragung und Aufklärung nachkommen. Allerdings wird man entsprechend den Kriterien zur Kündigungsabwägung in Art. 5 GO neben der Frage nach der Religionszugehörigkeit nur solche Fragen zur persönlichen Lebensführung stellen dürfen, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, d. h. der Wahrung der Glaubwürdigkeit der Einrichtung dienen und zugleich die zu übertragende Aufgabe im Auge behalten. III. Loyalitätsobliegenheiten in der Grundordnung Die Grundordnung hält erstmals spezifisch kirchliche Loyalitätsobliegenheiten in einem eigenen Artikel fest. Sie gehen über die in sog. Tendenzbetrieben aner-

19

Art. II Abs. 2 Erklärung.

20

Art. 1 GO; Richardi, Grundordnung (Anm. 8), S. 20.

21

II. Abs. 2 und III. Abs. 2 Erklärung.

22

Art. 3 Abs. 1 und 3 GO.

23

Art. 3 Abs. 5 GO.

24

Art. 3 Abs. 2 GO.

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kannten Obliegenheiten hinaus25 und sind nur durch den Vorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“ begrenzt, konkret durch das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), den Begriff der ‚guten Sitten‘ (§ 138 Abs. 1 BGB) und den ordre public (Art. 6 EGBGB). Man kann sie verstehen als Absicherung der geistig-religiösen Dimension des Dienstes der Kirche und der Darstellung dieses Propriums nach außen, sie haben aber auch mit Blick nach innen die Funktionalität des konkreten Dienstes im Auge. Die durch Vertragsrecht in den staatlichen Bereich transformierten kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten dienen „der Wahrung der kirchlichen Ordnung auch in der persönlichen Lebensführung, sprich dem außerdienstlichen Verhalten, und sind für die Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirchen bei der Verkündigung und ihrem gesamten Wirken in der Welt notwendig.“26 1. Erstmalige gesetzliche Festlegung Art. 4 GO lautet: „(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (2) Von nichtkatholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen. (3) Nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen. (4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.“

25 Arbeitnehmer sind bereits dort nach staatlichem Arbeitsrecht verpflichtet, die Interessen des Betriebes loyal durch entsprechendes dienstliches und außerdienstliches Verhalten wahrzunehmen und alles zu unterlassen, was den Zielen des Unternehmens entgegensteht; vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch (Anm. 12), § 53, Rn. 1, 9 und 20. 26

Gerd Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, Heidelberg 1999, S. 26.

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Seit 1993 werden also die Loyalitätsobliegenheiten im Dienst der Kirche je nach Aufgabe und Funktion des Dienstnehmers und in Abhängigkeit von seinem religiösen Bekenntnis gestuft27: •

Von Katholiken wird nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GO erwartet, dass sie „die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten“. Diese positiv formulierte Erwartung umfasst sicher die Bereitschaft, der Lehre nicht zuwiderzuhandeln. Wie jedoch die beiden Begriffe „anerkennen“ und „beachten“ genau zueinander stehen, bleibt unbestimmt. Beispiel: Wenn ein katholischer Mitarbeiter in gültiger Ehe lebt, aber die häufig anzutreffende irrige Meinung vertritt, dass die Ehe nicht unauflöslich sei – er hat keinen Vorbehalt gegen diese Wesenseigenschaft im Hinblick auf seine eigene Ehe gesetzt, erkennt aber allgemein die Unauflöslichkeit nicht als Wesenseigenschaft der Ehe an –, kann das nicht zu seiner Kündigung führen, es sei denn, er träte öffentlich gegen diesen „tragenden Grundsatz der katholischen Kirche“ auf. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass nicht alle „Loyalitätsverstöße pauschal als schwerwiegend“28 und Rechtsfolgen auslösend bezeichnet werden können.



Speziellere Anforderungen gelten nach Art. 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GO für Personen im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst, für Träger von Leitungsfunktionen und für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aufgrund einer Missio canonica beschäftigt sind29. Im Hinblick auf die Überzeugungskraft ihres Dienstes und die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Öffentlichkeit haben diese Personen wegen ihrer Vorbildfunktion die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre durch ihr persönliches Lebenszeugnis30 einzulösen31. Da die nähere Beziehung dieser Dienst-

27 Die Abstufung war innerkirchlich umstritten. Für viele kam sie generell nicht in Betracht, da die religiöse Grundverpflichtung innerhalb der verschiedenen Dienste gleich sei und diese trotz unterschiedlicher Nähe zu den zentralen Bereichen des kirchlichen Wirkens gleich zu behandeln seien. So z. B. Siegfried Marx, Die arbeitsrechtliche Kirchlichkeitsklausel im Spannungsfeld zwischen kirchlichen Anforderungen und staatlichem Recht, Frankfurt am Main 1990, S. 33 f; zur Problematik vgl. Engelbert Niebler, Abgestufte Loyalität? Probleme bei der Kündigung kirchlicher Mitarbeiter, in: AKathKR 159 (1990), S. 464 – 470. 28

Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 243 (dort auch das angeführte Beispiel).

29

Zur Differenzierung der verschiedenen kirchlichen Dienste vgl. Herbert Kalb, Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht in Deutschland und Österreich, in: HdbKathKR2, S. 253 – 264, hier S. 254. 30

Zum Begriff vgl. Hans Zilles, Loyalität in Stufen – ein Verzicht auf verfassungsrechtlich zulässige Höchstforderungen, in: KuR (1999), S. 103 – 109, hier 106 ff. 31

Die Formulierung „ist erforderlich“ überzieht freilich den Sachverhalt. Da der Arbeitsvertrag nach allgemeinem Arbeitsrecht, das auch hier gilt, keine Handlungspflich-

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nehmer zum kirchlichen Auftrag besondere Pflichten mit sich bringt, steigen die Loyalitätsobliegenheiten proportional zur Nähe32. Von dieser Personengruppe wird daher die Identifikation mit der Kirche nicht nur in allgemeiner Form gefordert, sondern in Form einer „höchstpersönlichen Zeugenfunktion“33. •

Von nichtkatholischen, aber christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird nach Art. 4 Abs. 2 GO „erwartet, dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen“. Hier fällt die Umschreibung einer Loyalitätspflicht auf, die augenscheinlich auf die Glaubwürdigkeit der Einrichtung abstellt. Allerdings hätte ich in einem Rechtstext gerne gewusst, was die „Wahrheiten und Werte des Evangeliums“ sind – ähnliches gilt von den „Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre“ in Abs. 1 Satz 1. Bei nichtkatholischen christlichen Mitarbeitern ist wie bei den Katholiken – im Vergleich zu den in einer besonderen Funktion stehenden katholischen Dienstnehmern – die erforderliche Identifikation in eine Erwartung gekleidet.



Und nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen nach Art. 4 Abs. 3 GO „bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen“. Von ihnen wird positiv die Arbeitspflicht, d. h. die Erbringung der nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Leistung eingefordert. Da dies eine Selbstverständlichkeit in jedem Arbeitsverhältnis ist und nicht eigens erwähnt werden muss, stellt sich die Frage nach der Bedeutung des „im Sinne der Kirche“. Hier ist das „Wie“ angesprochen. Auch der Nichtchrist muss seine Arbeit so verrichten, dass die Kirche ihren bekenntnismäßig geprägten Auftrag erfüllen kann. Dennoch ist diese Loyalitätsobliegenheit im Vergleich zu der von Christen deutlich abgestuft34.

ten für das außerdienstliche Privatleben auferlegen kann, kann das persönliche Lebenszeugnis in Art. 4 GO nur das Unterlassen von Handlungen verlangen, die negativ auf das Dienstverhältnis zurückwirken; so auch Dieter Reuter, Der neuralgische Dritte Weg, in: HerKorr 48 (1994), S. 194 – 200, hier S. 196. 32 Peter Krämer, Kirchliche Dienstgemeinschaft – Strukturelle Vorgaben einer Mitarbeitervertretung, in: StZ 207 (1989), S. 123 – 132, hier S. 124. 33

Joachim Eder, Tarifpartnerin Katholische Kirche? Der „Dritte Weg“ der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland aus kanonistischer Sicht, Passau 1991, S. 110. 34

Eine Stufung von Verantwortung nahm Papst Johannes Paul II. universalkirchlich vor in seiner Apost. Konst. Ex corde ecclesiae vom 15.8.1990, Normae generales Art. 4 (abgedr. in: AAS 82 [1990], S. 1475 – 1509; dt. in: Sekretariat der DBK, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 99, Bonn 1990) – dort für den Sendungsauftrag einer Katholischen Universität, an dessen Erfüllung auch konfessionsverschiedene Christen

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst



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Da alle Bediensteten den Auftrag der kirchlichen Einrichtung mittragen, haben sie nach Art. 4 Abs. 4 GO die fundamentale Verpflichtung, „kirchenfeindliche Aggressivakte zu unterlassen und religionsspezifische Unzumutbarkeiten gegenüber ihrem kirchlichen Arbeitgeber zu vermeiden“35, was in den Bereichen des dienstlichen Verhaltens und der persönlichen Lebensführung verlangt wird. Die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses der Kirche und der Einrichtung, in der sie arbeiten, darf nach der Grundordnung durch nichts infrage gestellt werden. Während die positive Forderung dieser Mindestloyalität hinsichtlich des dienstlichen Verhaltens für jedes Arbeitsverhältnis gilt und nichts Kirchenspezifisches ist, überrascht an dieser Stelle die Einbindung der persönlicher Lebensführung. Denn während Art. 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GO ein „persönliches Lebenszeugnis“ nur von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verlangen, die im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst, in Leitungspositionen oder aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist nun von etwas Ähnlichem in negativer Formulierung bei allen Bediensteten in kirchlichen Einrichtungen die Rede. „Damit wird für den Einzelfall die schwierige Aufgabe gestellt zu prüfen, wann die persönliche Lebensführung auch eines Nichtchristen die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, an der er Dienst tut, gefährdet.“36 2. Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten a) Kündigung als ultima ratio

Die Grundordnung bringt nach der Festlegung der Anforderungen an die Dienstnehmer in Form der Loyalitätsobliegenheiten als deren Kehrseite in Art. 5 die differenzierten Reaktionsmöglichkeiten des Dienstgebers zur Sprache, wenn gegen sie verstoßen wird. Dabei stellt Art. 5 Abs. 1 GO eine bindende Verfahrensnorm auf und verlangt vom Dienstgeber vor einer Kündigung die Prüfung verschiedenster Maßnahmen, die dem Obliegenheitsverstoß begegnen37 können. Bei Nichtbeachtung von Art. 5 Abs. 1 GO verstößt eine Kündi-

und Nichtchristen mitwirken können. Die Erklärung verweist in den Fußnoten ausdrücklich auf diese Parallele. 35

Wilhelm Dütz, Kirchliche Festlegung arbeitsvertraglicher Kündigungsgründe, in: NJW 43 (1990), S. 2025 – 2031, hier S. 2027. 36 37

Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 239.

Anders als bei den Loyalitätspflichten, deren Verletzung durch ein Verhalten außerhalb des Dienstes mit einer verhaltensbedingten Kündigung geahndet werden kann, kann der kirchliche Dienstgeber Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten nur mit einer personenbedingten Kündigung abwehren (vgl. Anm. 15), die strengeren Anforderungen

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gung in aller Regel gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz „mit der Rechtsfolge, dass eine außerordentliche Kündigung unwirksam und eine ordentliche Kündigung sozialwidrig ist“38. Die Norm lautet: „Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z. B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.“

Nach Theorie und Praxis der Dienstgemeinschaft in der Erklärung 1983 war im Falle eines „groben äußeren Verstoßes gegen kirchliche Grundsätze“ die außerordentliche Kündigung angesagt. Nach der Grundordnung kann bei Obliegenheitsverstößen die Kündigung nicht länger der einzige Ausweg sein, sie wird vielmehr nach einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls zur ultima ratio39, die „nicht nur arbeitsrechtlich, sondern auch im Licht der religiösen Dimension der kirchlichen Dienstgemeinschaft gerechtfertigt sein“40 muss. Wie viel an Neubesinnung allein in diesem Satz verborgen ist, verraten die in der Erklärung unmittelbar daran angeschlossenen Kriterien zur Überprüfung der Kündigungsrelevanz einer Loyalitätsverletzung. Ob ein Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden kann, hängt vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Einrichtung und damit der Kirche ab, von der Belastung der konkreten Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der ihm übertragenen Aufgabe, von deren Nähe zum Verkündigungsauftrag, der Stellung des Mitarbeiters in der Einrichtung und von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. „Vor allem ist zu unterscheiden, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkannt, aber im konkreten Fall versagt.“ 41 Dieser Kriterienkatalog steht deckungsgleich42 in Art. 5 Abs. 4 GO,

unterliegt als die verhaltensbedingte (§ 626 BGB bzw. § 1 KSchG); Angelika Berchtenbreiter, Kündigungsschutzprobleme im kirchlichen Arbeitsverhältnis. Zur Festlegung kirchenspezifischer Loyalitätspflichten und ihrer staatsgerichtlichen Kontrolle, Heidelberg 1984, S. 17; Reuter, Dritte Weg (Anm. 31), S. 196. 38

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 98, Rn. 30.

39

Allgemein Barbara Geck / Roland Schimmel, Grenzen der Kündigung kirchlicher Arbeitsverhältnisse. Glaubwürdigkeit der Verkündigung kontra Menschenwürde des Arbeitsnehmers?, in: AuR 43 (1995), S. 177 – 184. 40

III. Abs. 4 Erklärung.

41

Ebd.

42

Nur der Anfang des zweiten Satzes variiert leicht. Er lautet in der Grundordnung: „Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob ...“. Die unterschiedliche Gewichtung zwischen

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er ist demnach als Rechtsmaßstab zur ultima ratio-Prüfung vor einer Kündigung heranzuziehen. Der Beurteilungsspielraum des Dienstgebers ist damit erheblich geweitet und seine Reaktionsmöglichkeiten sind differenzierter gestaltet43 worden. b) Problematische44 Verstöße im Einzelnen Art. 5 Abs. 2 GO listet als schwerwiegend einzustufende Loyalitätsverstöße auf, die für eine „Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen“ in Betracht kommen: „Verletzungen der gemäß Art. 3 und 4 von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter zu erfüllenden Obliegenheiten, insbesondere Kirchenaustritt, öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. hinsichtlich der Abtreibung) und schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe, Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß c. 1364 § 1 i. V. m. c. 751 CIC), Verunehrung der heiligen Eucharistie (c. 1367 CIC), öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Hass und Verachtung gegen Religion und Kirche (c. 1369 CIC), Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (insbesondere gemäß den cc. 1373, 1374 CIC).“

Art. 5 Abs. 2 GO enthält einen beispielhaft typisierten Katalog45 von schwerwiegenden Loyalitätsverstößen, was durch Wendungen wie „insbesondere“ (3 mal), „vor allem“ und „z. B.“ zum Ausdruck gebracht wird. Hinzu kommt als hier nicht genannter Sachverhalt das Eingehen einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft nach staatlichem Recht46. Zu berücksichtigen sind aber

beiden Texten liegt darin, dass in der Grundordnung der „Einzelfallumstand“ des Bekämpfens oder Anerkennens, aber Versagens ein Kriterium unter anderen in der Prüfung der Frage nach der Weiterbeschäftigung des betreffenden Dienstnehmers ist, während die Erklärung durch das „vor allem“ diesem Punkt erhöhte Bedeutung beimisst. 43

So auch Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 240.

44

Im Folgenden sollen nur die Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten in Art. 5 Abs. 2 GO angesprochen werden, die gravierende Fragen aufwerfen. 45

Adolf Thiel, Zur Frage der Konkordanz zwischen Grundordnung und der MAVO, in: ZMV 3/1994, S. 110 – 112, hier S. 111. 46

Anderer Ansicht Detlef Kehlen, Europäische Antidiskriminierung und kirchliches Selbstbestimmungsrecht, Frankfurt am Main 2003, S. 195, der nicht differenziert zwischen sexueller Veranlagung und Abschluss einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft –

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ebenso die Richtlinien über persönliche Anforderungen an Diakone und Laien im pastoralen Dienst im Hinblick auf Ehe und Familie vom 28. September 199547, die nach den dazugehörenden Erläuterungen zu verstehen sind als „Konkretisierung des von den im pastoralen Dienst Tätigen geforderten persönlichen Lebenszeugnisses im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre“48 sowie als „Präzisierung“ der an verheiratete pastorale Mitarbeiter gerichteten Erwartung hinsichtlich Ehe und Familie.

nur auf letztere stellen die Bischöfe in der Norm vom Juni 2002 ab. Die „Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz zur Unvereinbarkeit von Lebenspartnerschaften nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz mit den Loyalitätsobliegenheiten nach der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ vom 24. Juni 2002 lautet: „Das neu geschaffene Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft nach dem ‚Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 (BGBl. I S. 266) widerspricht der Auffassung über Ehe und Familie, wie sie die katholische Kirche lehrt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, gleich ob sie der katholischen Kirche angehören oder nicht, die nach diesem Gesetz eine ‚eingetragene Lebenspartnerschaft‘ eingehen, verstoßen dadurch gegen die für sie geltenden Loyalitätsobliegenheiten, wie sie ihnen nach Artikel 4 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse in der geltenden Fassung auferlegt sind.“ Das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ist deshalb ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 der o.g. Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, der die dort geregelten Rechtsfolgen nach sich zieht“ (in: KABl. Rottenburg-Stuttgart Nr. 12 v. 9.8.2002, S. 155 f. – dort allerdings ohne Beschlussdatum, Ort und Unterschrift abgedruckt). Die Erklärung vom 24.06.2002 hängt freilich rechtlich in der Luft, da der Ständige Rat der DBK keine Gesetzgebungskompetenz hat. Sie ist nur in den (wenigen) Diözesen in Rechtskraft, die sie als Diözesangesetz im Amtsblatt korrekt promulgiert haben. Zum LPartG und seiner arbeitsrechtlichen Relevanz in der Kirche vgl. Andreas Weiß, Implikationen des staatlichen Lebenspartnerschaftsgesetzes für das kirchliche Recht, in: DPM 10 (2003), S. 129 – 155; Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 107 – 112, Rn. 53 – 64; Gregor Thüsing, Das kirchliche Arbeitsrecht und die Grundrechte des Arbeitnehmers, in: Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Stefan Muckel, Berlin 2003, S. 901 – 918. 47

Abgedr. in: DDB, Nr. 55; ebenso in: AfkKR 164 (1995), S. 468 – 473; vgl. dazu Andreas Weiß, Die „Richtlinien über persönliche Anforderungen an Diakone und Laien im pastoralen Dienst im Hinblick auf Ehe und Familie“ vom 28. September 1995, in: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Josef Isensee, Wilhelm Rees / Wolfgang Rüfner (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 33), Berlin 1999, S. 543 – 571. 48

DDB, Nr. 55, S. 7.

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

525

aa) Verletzung einer Obliegenheit nach Art. 3 und 4 GO Der Verweis auf Art. 3 GO ist verfehlt, denn diese Norm enthält keine Loyalitätsobliegenheiten, sondern ausschließlich Weisungen an den Dienstgeber, worauf er bei der Begründung eines Dienstverhältnisses zu achten habe. Selbst wenn in Art. 3 Abs. 4 GO kirchenfeindliches Verhalten und ein Austritt aus der katholischen Kirche als zwei Ausschlusskriterien zur Übernahme in ein kirchliches Dienstverhältnis genannt werden, die auch als schwere Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GO anzusehen sind, darf doch die Zielrichtung des gesamten Art. 3 GO nicht übersehen werden: Es geht hier ausweislich seiner Überschrift und Begründung durch Richardi um Einstellungsvoraussetzungen. bb) Kirchenaustritt Der Kirchenaustritt wird in der Grundordnung als besonders schwerwiegender Loyalitätsbruch gesehen. Unterschiedlich ist zu handhaben, ob eine aus der Kirche ausgetretene Person eingestellt werden soll, oder ob der Kirchenaustritt eines bereits angestellten Dienstnehmers als „tendenzfeindlicher Akt“ und Preisgabe der „Mindestübereinstimmung ..., die die Kirche von jedem Arbeitnehmer erwarten kann“49, mit einer Kündigung beantwortet werden soll. Da die Kirche bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter frei ist, muss sie niemanden einstellen, der durch den Austritt aus der Kirche gleichsam die formale Basis für den Beginn eines Dienstverhältnisses entzogen hat. Art. 3 Abs. 4 GO stellt unmissverständlich klar: Eine aus der Katholischen Kirche ausgetretene Person ist für keinen Dienst in der Kirche geeignet. Grundordnung wie Erklärung lassen jedoch zwei Fragen offen. Ist eine aktuell ausgetretene Person gemeint? Oder ist auch die Situation umfasst, dass jemand einst den Schritt aus der Kirche getan hatte, inzwischen aber wieder in den Schoß der Kirche zurückgekehrt ist? Da der kirchliche Gesetzgeber nicht differenziert, ist es einem Dienstgeber nicht verwehrt, eine wieder in die Kirche eingetretene Person in Dienst zu nehmen. Der- oder diejenige erfüllt das Kriterium der Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Zweite Frage: Hat der Austritt eines nichtkatholischen Bewerbers aus seiner Kirche oder Kirchlichen Gemeinschaft die Nichteinstellung zur Konsequenz? Dazu schweigt die Grundordnung. Ein Austritt aus einer anderen Kirche oder Kirchlichen Gemeinschaft ist wegen der ausdrücklichen

49

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 115, Rn. 70; zum Kirchenaustritt als Kündigungsgrund vgl. Spengler, Rechtsprechung (Anm. 10), S. 835 f.

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Hinzufügung von „katholisch“ dem Wortlaut nach nicht von Art. 3 Abs. 4 GO erfasst50. Dornenreich ist jedoch die unterschiedliche Bewertung des Kirchenaustritts in der Grundordnung während eines Beschäftigungsverhältnisses. Unter jeglicher Absehung des Motivs und der zugewiesenen Arbeitsaufgabe betrachtet Art. 5 Abs. 5 GO generell den während des Dienstes erfolgten Austritt eines Mitarbeiters aus der Katholischen Kirche als Entzug der Geschäftsgrundlage des Dienstverhältnisses durch den Arbeitnehmer, der eine Weiterbeschäftigung unzumutbar macht und eine außerordentliche Kündigung zulässt51. Der Kirchenaustritt kommt somit als anscheinend absoluter52, d. h. „prinzipiell und

50

Nicht nur „nicht ausdrücklich geregelt“, wie Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 116, Rn. 73 formuliert. Richardi meint in der Begründung zu Art. 3 Abs. 4 GO: Erfolgt der Austritt eines evangelischen Mitarbeiters „aus seiner Kirche“ „zum Übertritt in die katholische Kirche, so bedeutet diese Entscheidung eine Identifizierung mit Wesen und Auftrag der katholischen Kirche. Erfolgt er dagegen unter Abwendung von der christlichen Lehre, so handelt es sich um eine Person, bei der begründete Zweifel bestehen, ob sie bereit ist, die ihr in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen, wie es Art. 4 Abs. 3 für diesen Personenkreis verlangt“; ähnlich ders., Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 76, Rn. 6 und S. 116, Rn. 73 (mit leicht anderer Begründung) und Wolfgang Rüfner, Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst. Zum Verhältnis von Staat und Kirche im Individualarbeitsrecht, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, Köln u. a. 1988, S. 797 – 811, hier S. 809. Dem ersten Satz des Zitates von Richardi kann man wohl zustimmen, obwohl es nicht immer so sein muss und die Begründung Richardis über die Regelungsmaterie des Textes hinausgeht, nicht jedoch dem folgenden Satz. Denn das inhaltliche Substrat für den Kirchenaustritt ist in der Grundordnung weniger die Absage an die Kirche als Glaubensgemeinschaft, sondern die Aufkündigung der Solidarität gegenüber der Institution Kirche. Dies verdeutlicht der Kirchenaustritt allein z. B. zum Zweck der Einsparung der Kirchensteuer, der die gleichen Konsequenzen nach sich zieht wie der Austritt aus Glaubensgründen. Sofern sich hinter dem Kirchenaustritt eine Abkehr von der christlichen Lehre verbirgt, die begründete Zweifel entstehen lassen könnte, ob die einzustellende Person die ihr in der Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche nach Art. 4 Abs. 3 GO zu erfüllen „geeignet und befähigt“ ist, wäre die Bejahung der Zielsetzung der kirchlichen Einrichtung nach Art. 3 Abs. 1 GO zu überprüfen. 51 52

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 116, Rn. 72.

Z. B. Marré, Loyalität (Anm. 9), S. 405; Isensee, Loyalität (Anm. 9), S. 215 f.; Rüthers, Wie kirchentreu (Anm. 9), S. 359; (leicht vorsichtiger) Rüfner, Arbeitsverhältnisse (Anm. 50), S. 804 und 809, dann aber im interpretatorischen mainstream ders., Individualrechtliche Aspekte (Anm. 9), S. 919 (mit dem Hinweis in der Fußnote, dass die Grundordnung in dieser Frage doch „nicht ganz klar“ sei).

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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stets nicht mehr nachprüfbarer“53 Kündigungsgrund nach Art. 5 Abs. 5 Satz 1 GO in Betracht, aber daneben auch als „Kündigungsgrund mit enger Ausnahme“54 in Art. 5 Abs. 3 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 GO und als nach den Umständen des Einzelfalles zu gewichtender Loyalitätsverstoß nach Art. 5 Abs. 4 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 GO. Wollte man die Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 3 und 4 GO beim Kirchenaustritt ausschließen, müsste man ihn aus den „typischen Regelbeispielen“55 des Art. 5 Abs. 2 GO streichen. Damit korrespondiert die innerkirchlich umstrittene Bewertung des Kirchenaustritts56. Andererseits legt die Interpretation des Wortlautes in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 GO die Annahme eines absoluten Kündigungsgrundes nahe. Reuter weist aber mit Recht darauf hin, dass sich ein solches Verständnis nicht mit Art. 5 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 verträgt. „Wenn danach unter besonderen Umständen sogar im Falle eines Kirchenaustritts ... seitens eines unmittelbar am Verkündigungsauftrag beteiligten Mitarbeiters von einer Kündigung abgesehen werden kann, dann muss erst recht die Kündigung wegen Kirchenaustritts ... im Falle eines normalen Mitarbeiters ohne spezielle Nähe zum Verkündigungsauftrag einer Relativierung durch soziale Gegengründe zugänglich sein.“57 Als Ausnahme kann dann z. B. eine Änderungskündigung mit der „Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung unter Änderung des Vertragsinhalts“58 vorgenommen werden, ein Verbleiben am bisherigen Arbeitsplatz ist für Dienste im engeren Bereich ausgeschlossen.

53

Ulrich Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht. Handbuch, Frankfurt am Main 2002, S. 224. 54

Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 243.

55

Dütz, Begründung zu Art. 5 GO, in: DDB 51, S. 29.

56

Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich. Hrsg. von Hans Heimerl / Hellmuth Pree unter Mitwirkung von Bruno Primetshofer, Regensburg 1993, S. 794, Rn. 6/563. 57

Reuter, Dritte Weg (Anm. 31), S. 197 f. Unter den deutschen Kirchenrechtlern lehnen den Kirchenaustritt als absoluten Kündigungsgrund u. a. ab Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 243 und Pree, Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 56), S. 794, Rn. 6/565. 58

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 99, Rn. 32; Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 56), S. 790, Rn. 6/549. Sind die gesetzgebungstechnisch problematischen Normierungen in Art. 5 Abs. 3 – 5 GO etwa „Folgen einer kompromissmäßigen Annäherung“ (Wilhelm Dütz, Vortragsmanuskript, zit. nach Lüdicke, Loyalität [Anm. 9], S. 248) an das staatliche Arbeitsrecht, das keine absoluten Kündigungsgründe kennt? Ist die unklare Festlegung also weniger das Ergebnis mangelnder logischer Durchdringung als vielmehr der Entscheidung, einen Sachverhalt zu normieren, ohne ihn eindeutig regeln zu wollen?

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cc) „Öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. hinsichtlich der Abtreibung)“ Man wird Lüdicke zustimmen dürfen, dass es hier der Sache nach nichts einzuwenden gibt59. Fragwürdig ist allerdings die Formel von den „tragenden Grundsätzen der katholischen Kirche“. Im Gesetzestext selber werden keine Konkretisierungsmaßstäbe genannt; auch die Begründung wiederholt nur die Formel, ohne sie zu erhellen. Was ist gemeint? Umschließt die Formel die Ablehnung der Unfehlbarkeit des Papstes? Wohl kaum, denn das angeführte Beispiel Abtreibung zielt auf das öffentliche Eintreten gegen die Sittenlehre der Kirche. Warum sagt man das nicht präzise? Wenn die Formel zusammen mit den unmittelbar daran anschließenden „schwerwiegenden persönlichen sittlichen Verfehlungen“ als die Kehrseite der in Art. 4 Abs. 1 GO ausgesprochenen Erwartung an katholische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erscheint, die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anzuerkennen und zu beachten, wären davon nichtkatholische Bedienstete ausgenommen, was aber der Gesetzestext in Art. 5 Abs. 2 GO nicht hergibt. Selbst wenn man die Formulierung interpretiert im Sinne des öffentlichen Eintretens gegen die Sittenlehre der Kirche, bleiben noch Fragen offen. Wie lautet beispielsweise der tragende Grundsatz der Katholischen Kirche hinsichtlich der Abtreibung, um das angeführte Beispiel aufzugreifen? dd) „Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe“ Hier wie auch in der identischen Formulierung in Art. 5 Abs. 5 GO verwundert zunächst die Erwähnung des Glaubensverständnisses der Kirche. Ich sehe nicht, welche Rolle das Glaubensverständnis (wohl) der Katholischen Kirche als eigenständiges Kriterium zur Ungültigerklärung einer Ehe neben der Rechtsordnung spielen kann. Und was umfasst der Terminus „ungültige Ehe“? Geht es wirklich um die kirchenrechtliche Ungültigkeit an sich? Dann wären nach der Rechtsordnung der Katholischen Kirche z. B. eine konfessionsverschiedene Eheschließung betroffen, bei der die Dispens von der kanonischen Eheschließungsform einzuholen vergessen wurde, oder eine katholische Trauung, bei der ein unbekanntes und dispensables Ehehindernis vorgelegen hat. Die Grundordnung hat aber vermutlich etwas anders im Auge, nämlich die Eheschließung, die jemand im Wissen darum vornimmt, dass

59

Ebd., S. 243.

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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eine kirchlich gültige Ehe nicht zustande kommen kann60. Denn eine Weiterbeschäftigung könnte in diesem Fall genauso öffentliches Ärgernis erregen wie die Wiederverheiratung „nach böswilligem Verlassen von Ehepartnern und Kindern.“ ee) „Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind“ Die Formel lässt nicht erkennen, was bei den angeführten Beispielen aus dem Strafrechtsbereich der Kündigungsgrund ist. Apostasie, Häresie und Verunehrung der Eucharistie ziehen nach den in Art. 5 Abs. 2 GO aufgeführten Canones des CIC die Exkommunikation als Tatstrafe nach sich, Straftaten gegen die kirchliche Autoritäten und die Freiheit der Kirche das Interdikt. Beide Strafarten haben als Beugestrafen61 nur so lange Bestand, wie der Täter seine Gesinnung nicht ändert. Was aber soll dann Kündigungsgrund sein: dass jemand in der Distanz zur Katholischen Kirche verharrt? Oder dass er überhaupt sich von ihr distanziert hatte? Die angeführten Beispiele sind allesamt Tatbestände des kirchlichen Strafrechts. Die Aussageabsicht der Grundordnung erscheint klar: Wer als Katholik eine der Straftaten begeht, soll nicht mehr tragbar sein für den Kirchendienst. Doch wann ist das der Fall? Wer stellt die eindeutig distanzierende Handlung fest? Mit welchem Maß an Sicherheit? Bedarf es einer kirchlichen Bestrafung als Voraussetzung der Kündigung? Eines Strafurteils oder Strafdekrets? Das wäre von der Gewissheit des Tatbestandes her wünschenswert, ist aber völlig illusorisch. Die Schwierigkeit der Beurteilung einiger Tatbestände62, Schuldminderungs- oder Schuldausschließungsgründe und die Bedrohung nur mit einer unbestimmten „iusta poena“63 würden wohl selten zu einer Sicherheit über das Vorliegen eines Tatbestandes führen, die eine Kündigung rechtfertigen könnte. „Hier wie bei allen vorangegangenen Tatbeständen wäre es wohl tunlicher gewesen, abzustellen auf die Tatsache einer kirchlichen Bestrafung oder auf Tatbestände, die unabhängig vom kirchlichen Strafrecht 60

So auch Lüdicke, ebd., S. 244. Müller-Volbehr, Europa (Anm. 26), S. 28 spricht von „Verstößen gegen das kirchliche Eherecht“, wofür er pauschal die Wiederverheiratung als Beispiel anführt, ohne die Differenzierung in Art. 5 Abs. 5 GO zu beachten. 61

In can. 1312 § 1, 1° CIC als „poenae medicinales” bezeichnet, weil sie auf die Besserung des Täters zielen. 62

Beispielsweise hat es der Hl. Stuhl in fünfjährigem Bemühen nicht geschafft, in der Leugnung der Unfehlbarkeit des Papstes durch Hans Küng eine Häresie zu verifizieren; Ernst-Lüder Solte, Theologie im Konflikt. Die Causa Küng aus staatskirchenrechtshistorischer Perspektive, in: Flexibilitas Iuris Canonici. Festschrift für Richard Puza zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Andreas Weiß / Stefan Ihli (= Adnotationes in Ius Canonicum, Bd. 28), Frankfurt am Main 2003, S. 289 – 307, hier S. 290 – 292. 63

Aus den in der Grundordnung angeführten Beispielen bei Gotteslästerung und Hervorrufen von Hass und Verachtung gegen Religion und Kirche nach can. 1369 CIC.

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formuliert wären und anderen Verifizierungskriterien folgen könnten als denen des kirchlichen Strafverfahrens.“64 Das „vor allem“ lässt solche Tatbestände außerhalb des kirchlichen Strafrechts zu. c) Differenzierung der Rechtsfolgen Art. 5 Abs. 3 – 5 GO differenzieren die Folgen eines Loyalitätsverstoßes nach verschiedenen Gesichtspunkten: „(3) Ein nach Abs. 2 generell als Kündigungsgrund in Betracht kommendes Verhalten schließt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus, wenn es begangen wird von pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind. Von einer Kündigung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. (4) Wird eine Weiterbeschäftigung nicht bereits nach Abs. 3 ausgeschlossen, so hängt im übrigen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab, insbesondere vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung, von der Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der übertragenen Aufgabe, deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, von der Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung sowie von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkennt, aber im konkreten Fall versagt. (5) Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aus der katholischen Kirche austreten, können nicht weiterbeschäftigt werden. Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (z. B. nach böswilligem Verlassen von Ehepartner und Kindern).“

Nach der apodiktischen Aussage in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GO schließen die zuvor in Abs. 2 aufgelisteten, generell als Kündigungsgrund in Betracht kommenden Loyalitätsverstöße die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus, wenn sie von einem bestimmten Kreis kirchlicher Mitarbeiter begangen werden. Es handelt sich dabei um pastoral, katechetisch und leitend tätige Mitarbeiter sowie solche, die auf der Basis einer Missio arbeiten, also um Personen, die nach Art. 3 Abs. 2 GO stets, bei leitenden Mitarbeitern in der Regel der Katholischen Kirche angehören müssen. Bei diesem Personenkreis hat der 64

Lüdicke, Loyalität (Anm. 9), S. 244.

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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Dienstgeber im Falle eines in Art. 5 Abs. 2 GO genannten Loyalitätsverstoßes keinen Entscheidungsspielraum, ob er zur Kündigung schreiten soll oder nicht, sofern nicht Satz 2 greift. Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GO kann nämlich in Ausnahmefällen von einer Kündigung abgesehen werden, wenn „schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen“. Bevor also selbst bei einem Mitarbeiter, der nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 GO einer besonderen Bindung unterstellt ist, zur Kündigung geschritten werden kann, muss der Dienstgeber in jedem Fall prüfen, ob dem schwerwiegenden Loyalitätsverstoß nicht durch eine andere der in Art. 5 Abs. 1 GO genannten Maßnahmen begegnet werden kann, ob also eine Ausnahme vorliegt oder nicht. Doch wann ist eine Kündigung ausnahmsweise „unangemessen“? Wie erfolgt der Prozess des Abwägens zwischen dem Interesse des Dienstgebers an einer Bereinigung des Loyalitätsverstoßes und dem Interesse des Mitarbeiters am Erhalt seines Arbeitsplatzes? Reuter spricht in diesem Zusammenhang von einer „Zweistufenprüfung“. Demnach wäre zunächst ein Loyalitätsverstoß als schwerwiegend festzustellen, dann das Interesse des Mitarbeiters am Erhalt seines Arbeitsverhältnisses als „soziales Gegeninteresse“65 gesondert zu bewerten und mit dem Interesse des Dienstgebers an der Kündigung auszubalancieren. Unter Berücksichtigung dieses Procedere liest er die beiden Sätze des Art. 5 Abs. 3 GO in der Weise zusammen, dass einem in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GO genannten Mitarbeiter aus überwiegenden sozialen Gesichtspunkten trotz eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes nicht gekündigt werden kann im Sinne der gänzlichen Beendigung des Kirchendienstes, wenn der Verstoß auf einem anderen der in Art. 5 Abs. 1 GO genannten Wege zu beseitigen ist. Diesen Gedankengängen kann man sich nicht verschließen. Die Kriterien für die Einzelfallprüfung nennt Art. 5 Abs. 4 GO. Freilich verraten weder Grundordnung noch Erklärung, wie jene wirken. Müssen alle „Entlastungsgründe“66 für einen Mitarbeiter sprechen, damit von der Kündigung abgesehen werden kann? Genügt die Mehrheit? Oder vielleicht sogar ein oder zwei sehr gewichtige? Konkret an einem Beispiel verdeutlicht: Die von ihrem Mann, mit dem sie katholisch getraut war, verlassene und geschiedene katholische Sekretärin im Pfarrbüro verheiratet sich mit 32 Jahren zur Absicherung ihrer drei Kinder erneut – der erste Mann ist untergetaucht und entzieht sich allen Unterhaltsforderungen –, diesmal nur standesamtlich, mit einem ledigen Katholiken. Zweifellos ein Loyalitätsverstoß, der die Glaubwürdigkeit der Kirche und des 65 Reuter, Dritte Weg (Anm. 31), S. 197. Reuter entnimmt diese Möglichkeit aus der Art, wie sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 4.6.1985 (Anm. 5) mit der vorausgehenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes auseinandergesetzt hat. Im Ergebnis gleich Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 99, Rn. 32, der von „besonders gelagerten Fällen“ spricht. 66

Dütz, Begründung zu Art. 5, in: DDB 51, S. 30.

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Pfarrbüros als kirchlicher Einrichtung sowie die konkrete Dienstgemeinschaft im Pfarrhaus schwer belasten kann. Aber es fehlt die Nähe zum Verkündigungsauftrag, eine leitende Position hat sie auch nicht und es kann keine Rede davon sein, dass die Frau die kirchliche Sicht der Unauflöslichkeit der Ehe bekämpft, ganz im Gegenteil: Sie sieht sich aus praktischen Notwendigkeiten zur Wiederverheiratung im staatlichen Bereich „gezwungen“ und anerkennt ausdrücklich im Gespräch mit ihrem Pfarrer als Dienstvorgesetzten noch vor der standesamtlichen Trauung die Unauflöslichkeit der Ehe. Das kirchliche Annullierungsverfahren gestaltet sich sehr schwierig und ist schon fast zwei Jahre in I. Instanz anhängig. Muss ihr nach Art. 5 Abs. 2 GO gekündigt67 werden? Oder liegen soviel entlastende „Einzelfallumstände“ vor, dass nach Art. 5 Abs. 4 GO von einer Kündigung abgesehen werden kann? Die Abgrenzung ist nicht ganz leicht. Zunächst sind Fakten gefordert; es muss untersucht werden, ob eine reale Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Einrichtung und eine tatsächliche Belastung der konkreten Dienstgemeinschaft vorliegt. Wenn man die Loyalitätsobliegenheiten als Ausgangspunkt im Auge hat, welche die Gesamtdarstellung der kirchlichen Einrichtung nach außen sowie die Funktionalität des konkreten Dienstes nach innen absichern wollen, müsste gelten: Wenn nach einer Gesamtbeurteilung eines Einzelfalls klar ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß vorliegt, dem mit anderen Mitteln als der Kündigung nicht begegnet werden kann, und wenn das Interesse der Kirche an ihrer Glaubwürdigkeit oder an der Funktionsfähigkeit des konkreten Dienstes gegenüber dem Interesse der betroffenen Person an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt, dann ist eine Kündigung gerechtfertigt. Nicht jede Wiederverheiratung stellt ohne Rücksicht auf den Arbeitsbereich einen kündigungsrelevanten Verstoß wegen Verletzung der geschuldeten Loyalitätsobliegenheiten dar68. Bloßes Versagen des Dienstnehmers reicht nach Art. 5 Abs. 4

67

Die Kündigung ist nicht gangbar, wenn das Faktum der Wiederverheiratung dem Dienstgeber bei der Einstellung der Pfarramtssekretärin bekannt war. Würde der Dienstgeber in diesem Falle später die Wiederverheiratung als Kündigungsgrund anführen, würde er sich treuwidrig in Widerspruch zu seinem Verhalten bei der Einstellung setzen. Ein Kündigungsgrund kann aus dem gleichen Tatbestand auch nicht hergeleitet werden, wenn der Dienstgeber es versäumt hatte, sich vor Vertragsabschluss diesbezüglich zu informieren. Anderes gilt, wenn der zukünftige Mitarbeiter hierzu wahrheitswidrige Angaben gemacht hatte; Falterbaum, Caritas und Diakonie (Anm. 11), S. 77; Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 56), S. 786, Rn. 6/534. 68

Dütz, Festlegung (Anm. 35), S. 2029; Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 111, Rn. 63; Rüfner, Arbeitsverhältnisse (Anm. 50), S. 804; Thiel, Konkordanz (Anm. 45), S. 111; Christoph Grabenwarter, Die Kirchen in der Europäischen Union – am Beispiel von Diskriminierungsverboten in Beschäftigung und Beruf, in: Standpunkte im Kirchenrecht und Staatskirchenrecht. Ergebnisse eines interdisziplinären Seminars. Hrsg. von Christoph Grabenwarter / Norbert Lüdecke (= Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, Bd. 33), Würzburg 2002, S. 60 – 78, hier S. 69; weiterführend Bernd Vogler,

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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Satz 2 GO als Kündigungsgrund nicht aus, vielmehr muss eine widerkirchliche Intention hinzutreten. IV. Loyalitätsproblematik der Grundordnung und europäische Rechtsentwicklung In peripherer Wahrnehmung wurden die Kirchen von der Europäischen Gemeinschaft69 bis zum Herbst 1997 in ihrem Proprium völlig ignoriert70. Hinsichtlich rechtlicher Aussagen über Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im europäischen Vertragswerk war bis dato ein Negativbefund zu erheben; wenn überhaupt, kamen die genannten Größen nur mittelbar vor71. Erstmals wurden im Europarecht die Bereiche Religion/Weltanschauung und das Verhältnis von Union und Kirchen expressis verbis in Artikel 13 des Vertrags von Amsterdam und der dessen Schlussakte beigefügten Erklärung Nr. 11 angesprochen. 1. Art. 13 EG-Vertrag von Amsterdam Am 2. Oktober 1997 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU nach zahlreichen Konferenzen den 571 Seiten umfassenden Vertrag von Amsterdam72, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat. In den Gründungsvertrag der Gemeinschaft wurde damals Art. 13 als allgemeine Antidiskriminierungs-

Grundrechte und kirchliches Selbstbestimmungsrecht – dargestellt am Beispiel der Kündigung kirchlicher Mitarbeiter wegen Wiederverheiratung, in: RdA 46 (1993), S. 257 – 263. 69

Zum Themenkreis Europarecht und deutsches (kirchliches) Arbeitsrecht vgl. insbesondere: Harald Schliemann, Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht, in: NZA 20 (2003), S. 407 ff.; Peter Hanau und Gregor Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht. Bestandsaufnahme und Perspektiven, Baden-Baden 2001; Gerhard Robbers, Das Verbot religiöser und weltanschaulicher Diskriminierung im Recht der Europäischen Union, in: KuR (1999), S. 87 – 90; Detmar Schäfer, Das kirchliche Arbeitsrecht in der europäischen Integration, Essen 1997. 70

Hermann Reichold, Bedroht das Europäische Recht die Sonderstellung des kirchlichen Arbeitsrechts?, in: ZMV Sonderheft (2001), S. 21 – 28; Gerhard Robbers, Europa und die Kirchen. Die Kirchenerklärung von Amsterdam, in: StZ 216 (1998), S. 147 – 157, hier S. 150. 71

Markus Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: Festschrift Listl (Anm. 47), S. 29 – 47, hier S. 29 – 31; Robbers, Europa (Anm. 70), S. 149. 72

Abgedr. in: ABl.EG 1997 C 340, S. 1 ff.

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vorschrift eingefügt, in dem „erstmals die religiöse Dimension des Lebens ausdrücklich und nicht erst über vermittelnde Umwege“73 erfasst ist. Art. 13 EGV lautet: „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrages kann der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“

Die erste direkte Aussage zum Schutz religiöser Entfaltung im europäischen Vertragswerk erfolgte bezeichnenderweise als Grundrechtsgewährleistung, der dann später die Verankerung in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union folgen sollte, die von den Staats- und Regierungschefs am 8. Dezember 2000 auf dem Gipfel in Nizza feierlich proklamiert wurde74. Art. 13 EGV enthält kein Diskriminierungsverbot, mit dem eine nationale Rechtsvorschrift oder Praxis in Konflikt geraten könnte. 2. Erklärung Nr. 11 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam Die Erklärung Nr. 11 lautet: „Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise.“75

Auf der Konferenz in Amsterdam nahmen die Mitgliedstaaten die Kirchen zwar erstmals unmittelbar zur Kenntnis, begnügten sich aber damit, sie in Form einer gemeinsamen Erklärung76 zu erwähnen. Mit der Wahrnehmung von Ge73 Gerhard Robbers, Religionsfreiheit in Europa, in: Festschrift Listl (Anm. 47), S. 201 – 214, hier S. 205. 74

ABl.EG 2000 C 364, S. 1 ff.

75

ABl.EG 1997 C 340, S. 133.

76

Die beiden großen Kirchen Deutschlands hatten nach den Erfahrungen mit der Entstehung der Datenschutzrichtlinie vom 24.10.1995 (RL 95/46, in: ABl.EG 1995 L 281, S. 31 ff.) – die Übermittlung der für die Kirchensteuererhebung notwendigen Daten zwischen Staat und Kirchen stand in Gefahr – erfolglos versucht, direkt im Vertrag von Amsterdam eine Aussage über den Status und die Bedeutung der Kirchen zu verankern; hierzu Alexander Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat, Berlin – New York 1998, S. 26; Robbers, Europa (Anm. 70), S. 147 ff. Der vorgeschlagene Text hatte gelautet:

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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meinschaftsaufgaben im europäischen Einigungsprozess betraute man sie im Gegensatz zu den Wohlfahrtsverbänden nicht, noch brachte man sie mit dem gemeinsamen kulturellen Erbe der europäischen Völker in Verbindung. Die Entstehungsgeschichte wie insbesondere auch das Genus der Äußerung zeigen an, dass die sog. Kirchenerklärung ihrer Natur nach keine eigenständige Rechtsqualität77 besitzt, sondern im Sinne des Art. 31 Abs. 2 a der Wiener Vertragskonvention von 196978 als „politische Absichtserklärung“79 und „Interpretationshilfe“80 für das primäre Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen ist. Inhaltlich will das geeinte Europa nach der Erklärung die Rechtsstellung von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht auf Gemeinschaftsebene regeln, sondern den Status achten und nicht beeinträchtigen, den diese in den einzelnen Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen. In Art. 6 Abs. 3 des früheren Vertrags von Maastricht hatte sich die Union zur Achtung der „nationalen Identität“81 ihrer Mitgliedstaaten verpflichtet, die

„Die Europäische Union achtet die verfassungsrechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten als Ausdruck der Identität der Mitgliedstaaten und ihrer Kulturen sowie als Teil des gemeinsamen kulturellen Erbes.“ 77

Obwohl die Erklärung Nr. 11 sich der Sprache („achtet“, „beeinträchtigt nicht“) und Struktur nach wie ein Rechtsakt gebärdet und sie auch von allen Mitgliedstaaten einstimmig verabschiedet wurde – was ihr Gewicht im Vergleich zu einer einseitigen Erklärung natürlich erhöht –, kommt ihr nach fast einhelliger Meinung in der Kommentarliteratur doch keine rechtliche Bindungswirkung zu. Sie wurde ganz bewusst nicht als Bestandteil des Vertrages aufgenommen und ist damit auch nicht – anders als die den Verträgen beigefügten Protokolle – Teil des Primärrechts. Anderer Ansicht ist – soweit ersichtlich – nur Robbers, der meint, dass gemeinsame Erklärungen der EUMitgliedstaaten als völkerrechtliche Verträge angesehen werden könnten, da eben alle Mitgliedstaaten übereinstimmend zugesagt hätten, sich hieran künftig halten zu wollen (ders., Europa [Anm. 70], S. 154). Es wäre aber widersinnig, wenn eine im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ergangene Erklärung, der ihrer Form nach gerade kein normativer Charakter zukommen sollte, über den Umweg des Völkerrechts Rechtsverbindlichkeit erlangen würde. 78

BGBl. II 1985, S. 926 ff.

79

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 13, Rn. 33; ebenso Hermann Reichold, Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht – Auswirkungen der AntidiskriminierungsRichtlinie 2000/78/EG auf kirchliche Arbeitsverhältnisse, in: NZA 18 (2001), S. 1054 – 1060, hier S. 1054; Schliemann, Europa (Anm. 69), S. 410. 80

Grabenwarter, Kirchen (Anm. 68), S. 63; mit eingehender Begründung Heintzen, Kirchen (Anm. 71), S. 46 f. 81 Ebd., S. 33 ff.; Gerhard Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, in: EssGespr 27 (1993), S. 81 – 100, hier S. 88; Christian Starck, Das Christentum und die Kirchen in ihrer Bedeutung für die Identität der Europäischen

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sicher durch das jeweilige Staat-Kirche-Verhältnis und seine rechtliche Regelung mitgeprägt ist. 3. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG82) Am 27. November 2000 wurde von der Kommission die genannte Richtlinie verabschiedet, die in Umsetzung des Art. 13 EGV einen in den Zielen verbindlichen Rahmen für die Schaffung von gemeinschaftsweiten Mindestanforderungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen u. a. aus Gründen der Religion oder Weltanschauung setzte und nach ihrem Art. 18 bis zum 2. Dezember 2003 in mitgliedstaatliches Recht transformiert werden musste. Diese Richtlinie ist für unsere Fragestellung von besonderem Interesse, weil sie „Rechtfertigungsmöglichkeiten für Ungleichbehandlungen von Mitarbeitern der Kirchen und Religionsgemeinschaften aufgrund der Religion oder der Weltanschauung“83 beinhaltet. Die Richtlinie stellt zunächst in Art. 2 ein Diskriminierungsverbot aus Gründen der Religion oder Weltanschauung auf, das grundsätzlich auch kirchliche Arbeitsverhältnisse erfasst. Ausnahmen davon sind nach der allgemeinen Klausel des Art. 4 Abs. 1 zulässig, wenn ein einschlägiges Diskriminierungsmerkmal für einen ganz bestimmten Beruf eine wesentliche Anforderung darstellt. Des weiteren besteht für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Art. 4 Abs. 2 eine eigene Bestimmung, die der diversifizierten Situation nationalen Staatskirchenrechts entgegen kommt und mitgliedstaatlich unterschiedlichen religiösen Interessen Rechnung trägt. Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG lautet: „1Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der AnUnion und ihrer Mitgliedstaaten, in: EssGespr 31 (1997), S. 5 – 27, hier S. 21 – 24; Müller-Volbehr, Europa (Anm. 26), S. 101; Bernd Jeand’Heur und Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Stuttgart u. a. 2000, Rn. 379. 82

Folgend: RL 2000/78/EG, abgedr. in: ABl.EG 2000 L 303, S. 16 ff.; NJW, Beilage zu H. 37/2001, S. 8 ff.; dazu vgl. Jobst-Hubertus Bauer, Europäische Antidiskriminierungsrichtlinien und ihr Einfluss auf das deutsche Arbeitsrecht, in: NJW 54 (2001), S. 2672 – 2677; Reichold, Europa (Anm. 79). 83

Kehlen, Antidiskriminierung (Anm. 46), S. 111.

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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nahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. 2Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund. 3

Sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden, können die Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig i.S. des Ethos der Organisation verhalten.“

Sofern also die Tatbestandsmerkmale der Sätze 1 und 2 vorliegen, stellen Ungleichbehandlungen aus Gründen der Religion oder Weltanschauung keine Diskriminierung dar. Kirchen sind vom Wortlaut her direkt erfasst, einbezogen aber auch die ihnen zugeordneten Einrichtungen wie Caritasverband, kirchliche Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen etc., die nach kirchlichem Selbstverständnis ein Stück des Auftrags der Kirche in der Welt wahrnehmen84. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 rechtfertigt zum einen Ungleichbehandlungen im Blick auf berufliche Tätigkeiten durch Beibehaltung von Bestimmungen, die zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie in einem Mitgliedsstaat bereits geltendes Recht waren, als auch den Erlass künftiger Rechtsvorschriften, die dann allerdings die zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie bestehenden einzelstaatlichen Gepflogenheiten widerspiegeln müssen. Unter die erste der genannten Kategorien fallen die Festsetzungen der Grundordnung, freilich müssen dann immer noch die übrigen Bedingungen des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG erfüllt sein. Hier ist zuvorderst die Schlüsselpassage des Satzes 1 zu nennen, wonach die Religion oder Weltanschauung der betreffenden Person nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ darstellen muss. Vom grammatikalischen Wortlaut her ist Art. 4 Abs. 2 Satz 1 RL 2000/78/EG nicht auf alle Tätigkeiten in der Kirche in gleicher Weise anzuwenden; vielmehr kann eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung nur dann gerechtfertigt werden, wenn die konkrete Tätigkeit das Kriterium ‚Religion oder Weltanschauung‘ „angesichts des Ge84

Vgl. BVerfGE 77, 73 f. (Leitsatz 1) und die überzeugende Argumentation bei Kehlen, Antidiskriminierung (Anm. 46), S. 172 f.

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samtcharakters der jeweiligen Organisation“85 nachvollziehbar voraussetzt, also eine wesentliche und entscheidende Bedingung für die Ausübung dieses Berufs darstellt. Es ist offensichtlich, dass die Richtlinie unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte86 und auch bei kirchenschonender Auslegung der offenen Rechtsbegriffe im Gefolge der Amsterdamer Kirchenerklärung „keine ‚Generalabsolution‘ hinsichtlich sämtlicher Arbeitsverhältnisse einer Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft nach deren Eigenverständnis erteilt, sondern dass eine Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen aufgrund der Religion oder Weltanschauung stets nur für bestimmte berufliche Tätigkeiten innerhalb der Organisation in Betracht kommt, nämlich immer dann, wenn das Wesen der ausgeübten Tätigkeit („Art dieser Tätigkeiten“) oder deren Rahmenbedingungen („Umstände ihrer Ausübung“) ein solches erfordern (berufsbezogene Bedingung).“87 Eine Ungleichbehandlung in Form von Religion oder Weltanschauung ist auf der Basis von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 RL 2000/78/EG also nur dann statthaft, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, für die das Ethos z. B. der Kirche eine ganz bestimmte Anforderung hinsichtlich Religion oder Weltanschauung stellt, die zur Erreichung des Ziels (1) geeignet und (2) angemessen ist88, und insofern eine der in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 RL 2000/78/EG genannten 85

Ebd., S. 188; vgl. auch Ermächtigungsgrund Nr. 24, Satz 2 der RL 2000/78/EG.

86

Sie ist „auf die deutsche Sondersituation gemünzt“, was eine „extensive Interpretation“ (Grabenwarter, Kirchen [Anm. 68], S. 75) des Erfordernisses des auf religiösen Grundsätzen beruhenden Ethos nahe legt; Hans Michael Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit nach dem Grundgesetz. Zugleich ein Beitrag zu den Perspektiven eines Europäischen Religions(verfassungs)rechts, in: Religion und Weltanschauung im säkularen Staat. 41. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“ Potsdam 2001. Hrsg. von Andreas Haratsch / Norbert Janz / Sonja Rademacher / Stefanie Schmahl / Norman Weiß, Stuttgart u. a. 2001, S. 215 – 254, hier S. 239; Hanau / Thüsing, Europarecht (Anm. 69), S. 31 f. gehen zu weit, wenn sie im Hinblick auf die „extensive Interpretation“ und unter Betonung des kirchlichen Selbstverständnisses den konditionierenden Charakter der Merkmale „Art dieser Tätigkeit“, „Umstände ihrer Ausübung“ und „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ in Abrede stellen. 87

Kehlen, Antidiskriminierung (Anm. 46), S. 179 (Hervorhebung im Original). Die Entstehungsgeschichte dieser schwierigen Passage der Richtlinie weist zweierlei auf: Es sollte „eine faktische ‚Generalbefreiung‘ der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Vorbild des deutschen Selbstbestimmungsrechts (zumindest in der Auslegung durch das BVerfG) ebenso“ ausgeschlossen werden „wie andererseits eine zu starke Beschränkung dieser Organisationen (Rechtfertigung nur in Sonderfällen) durch die Antidiskriminierungsrichtlinie“ (Ebd., S. 181). 88

Reichold, Europa (Anm. 79), S. 1059. Da die Festlegung der materiellen Inhalte dem „Ethos der Organisation“ überlassen bleiben muss, kann ein Richter im Kündigungsschutzprozess „nicht prüfen, ob die Loyalitätsanforderung ‚als solche‘ notwendig

Die Loyalität der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst

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Ausnahmen greift. Dies wird man für den pastoralen und katechetischen Dienst sowie für leitende und repräsentative Funktionen in der Kirche in aller Regel als gegeben ansehen müssen, nicht aber für neutralere Tätigkeitsbereiche ohne nähere Begründung annehmen können89. Art. 4 Abs. 2 Satz 3 RL 2000/78/EG verdeutlicht zudem, dass prinzipiell die Kirchen und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften auch künftig ihren Arbeitsverhältnissen spezifische und über die Anforderungen sog. Tendenzbetriebe hinausgehende Loyalitätsobliegenheiten zugrunde legen können90, allerdings nur „sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden“. Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG, dessen endgültige Fassung auf die intensiven Bemühungen der deutschen Verhandlungsdelegation zurückzuführen ist, fixiert zusammengefasst einen in allen Ländern der EU geltenden Minimalstandard, der bei Diskriminierungen aufgrund von Religion oder Weltanschauung nicht unterschritten werden darf, lässt aber zugleich Raum für die konkrete Ausgestaltung gerechtfertigter Ungleichbehandlungen, die mitgliedstaatlich im gesetzten Rahmen variieren können. Ohne Zweifel stellt die Richtlinie eine „bedeutsame Weichenstellung zugunsten der Respektierung der besonderen Loyalitätsanforderungen im kirchlichen Arbeitsrecht“91 dar. V. Schluss Zusammenfassend kann festgehalten werden: Art. 5 GO bedeutete 1993 den Abschied von einer bis dahin „im wesentlichen schematischen Kündigungspraxis“92, er ermöglicht selbst bei einem groben Loyalitätsverstoß eine differenzierte Reaktion. Die Katholische Kirche hatte im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechtes festgelegt, wie sie mit der schwierigen Materie der Loyalitätsobliegenheiten künftig zu verfahren gedenkt und was aus ihrer Sicht einen Kündiund berechtigt war, sondern nur, ob die darauf gegründeten arbeitsrechtlichen Maßnahmen ‚nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung‘ geeignet und angemessen waren“ (ebd.). 89

Die Aussage, dass sich unter grammatikalischer Prämisse „die Rechtfertigung im Rahmen z. B. diakonischer oder karitativer Arbeitsverhältnisse schwierig gestalten“ dürfte (Kehlen, Antidiskriminierung [Anm. 46], S. 181), ist nicht nachvollziehbar, da nach eigenem Selbstverständnis die Kirchen in den ihnen zugeordneten karitativen Einrichtungen mit gleicher Intensität wie in der Verkündigung im engeren Verständnis ein Stück ihres Auftrags in der Welt wahrnehmen. 90

Heinig, Art. 13 EGV (Anm. 86), S. 241.

91

Reichold, Bedroht das Europäische Recht (Anm. 70), S. 4.

92

Karl Lehmann, Vorwort zur Erklärung, in: DDB 51, S. 6.

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gungsgrund darstellt. Sie hat in der Grundordnung den Versuch unternommen, das Spannungsverhältnis von theologischem Dienstbegriff und juristischem Arbeitsverhältnis unter dem Bild der Dienstgemeinschaft als „normativer juristischer Größe“93 zu erhellen und „das Leitprinzip des kirchlichen Dienstes“94 justiziabel zu konkretisieren. Dies ist nicht in allen Punkten zufriedenstellend gelungen. Im Vergleich zur Erklärung 1983 ließen sich zwar überzeugendere Einstellungs- und Kündigungskriterien finden, weil man bei den Loyalitätsobliegenheiten funktionsbezogene Abstufungen innerhalb der Dienstnehmer nach deren Nähe zum Verkündigungsauftrag sowie nach der Beeinträchtigung der kirchlichen Glaubwürdigkeit vornahm95 und differenzierte zwischen dem notwendigen Tun oder Unterlassen aller Mitarbeiter/innen, dem breit gefächerten Engagement möglichst vieler Christen in der Einrichtung und dem spezifischen Beitrag einzelner Katholiken in besonderer Stellung. Neben die Stufung der Anforderungen hinsichtlich der Loyalität trat in der Grundordnung als weiteres Prinzip einer echten kirchlichen Dienstgemeinschaft die Vergebung, die einen weniger schweren Loyalitätsverstoß nachsehen und den Abweichler in die Dienstgemeinschaft eingebunden lassen kann. In Kündigungsschutzprozessen vor staatlichen deutschen Arbeitsgerichten spielen die kirchenspezifischen Kündigungsgründe nach meinem Kenntnisstand heute kaum mehr eine Rolle, anhängige Verfahren enden oft mit einem Vergleich der Streitparteien. Ist das Umgehen einer Sachentscheidung vielleicht auch ein Indiz dafür, dass die eine oder andere Loyalitätsanforderung der Grundordnung einer inhaltlichen Neubefragung und exakteren juristischen Festlegung bedarf? Gerade in der hochsensiblen Materie der Kündigungsgründe müssen Rechtstexte sich „einer möglichst klaren, bestimmten und justiziablen Begrifflichkeit bedienen“96, um nicht die Regelungsintention zu konterkarieren. Dies gilt erst recht, wenn sich die Richter des EuGH einmal mit den für sie ungewohnten Kriterien des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts auseinandersetzen müssen. Die europäische Reise geht jedenfalls „in Richtung eines flexiblen, auch im religiösen/weltanschaulichen Bereich diskriminierungsvermeidenden und durch den EuGH voll nachprüfbaren Konzeptes ‚abgestufter 93

Weiß, Dienstgemeinschaft (Anm. 2), S. 541. Matthias Hirschfeld, Die Dienstgemeinschaft im Arbeitsrecht der evangelischen Kirche. Zur Legitimitätsproblematik eines Rechtsbegriffs, Frankfurt am Main 1999, hält im Ergebnis den theologisch geprägten Begriff der christlichen Dienstgemeinschaft für nicht auf die arbeitsrechtliche Ebene übertragbar, zum einen wegen des nicht eingelösten Anspruchs auf theologische Legitimität, zum anderen wegen eines im evangelischen Raum immer noch nicht erzielten Konsenses über seinen Inhalt. 94

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 51, Rn. 18.

95

Vgl. Zilles, Loyalität (Anm. 30), S. 109.

96

Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 56), S. 685, Rn. 6/91.

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Loyalitätspflichten‘, welches das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften und die berechtigten Gleichbehandlungserwartungen ihrer Mitglieder angemessen berücksichtigt.“97 Allerdings wird man der Richtlinie 2000/78/EG entsprechend stärker als bisher die Art der Tätigkeit und die Umstände ihrer Ausübung im Auge behalten müssen. Insofern stimme ich Kehlen zu, der für sog. neutrale Tätigkeiten in der Antidiskriminierungsrichtlinie „eine gewisse Einschränkung“98 des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in den Bereichen Religionszugehörigkeit, Handhabung des Kirchenaustritts oder des Religionsausübungsverständnisses sieht. Umfang und Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts lassen sich nicht länger isoliert auf der Basis nationaler Standards – etwa des Art. 137 Abs. 3 WRV – bestimmen. Freilich dürften sich mit Ausnahme des bisher kompromisslos gehandhabten Kirchenaustritts die praktischen Auswirkungen der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG auch bei den „neutraleren“ Tätigkeiten für die Katholische Kirche in Grenzen halten, da die Grundordnung bereits seit 1993 deutliche Abstufungen des persönlichen Anforderungsprofils der Mitarbeiter u. a. in Relation zur ausgeübten Tätigkeit kennt und die kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten als solche durch Art. 4 RL 2000/78/EG nicht angetastet werden. Einen massiven Veränderungsdruck durch die genannte Richtlinie auf das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland sehe ich nicht, vielmehr sind Grundordnung und EG-Recht in den Kernaussagen zur Loyalitätsproblematik miteinander vereinbar99. Ja man wird sogar einen gewissen Ratio-

97

Kehlen, Antidiskriminierung (Anm. 46), S. 191.

98

Ebd., S. 201; im Ergebnis auch Grabenwarter, Kirchen (Anm. 68), S. 75.

99

Richardi, Arbeitsrecht (Anm. 8), S. 57, Rn. 34; Hanau / Thüsing, Europarecht (Anm. 69), S. 27 ff. Das heißt aber nicht, dass Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG sich mit den Festlegungen des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts und der bisherigen Kündigungspraxis 1:1 deckt, wovon Hanau / Thüsing (ebd., S. 32) ausgehen. Beispielsweise dürfte die Kündigung des Hausmeisters eines katholischen Gymnasiums durch den kirchlichen Arbeitgeber wegen dessen Homosexualität kaum mehr möglich sein. Nach bisheriger herrschender Sicht (statt vieler z. B. Dütz, Festlegung [Anm. 35], S. 2027) ist das Verhalten eines Mitarbeiters auf sexuellem Gebiet von den Loyalitätsobliegenheiten im Kirchendienst mitumfasst, Verstöße wurden bisher mit einer Kündigung wegen „schwerwiegender persönlicher sittlicher Verfehlungen“ (Art. 5 Abs. 2 GO – was immer auch darunter zu subsumieren ist, von Kapitalverbrechen bis hin zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft) geahndet. Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 RL 2000/78/EG rechtfertigen aber „solche“ (d. h. wegen „Religion oder Weltanschauung“ erfolgte) Ungleichbehandlungen „keine Diskriminierung aus einem anderen Grund“ – sexuelle Orientierung ist in Art. 13 EGV eigens als Merkmal genannt. Mit Satz 2 wurde ein Korrektivmaßstab zu Satz 1 angefügt, der u. a. „im Falle der Kumulation mehrerer Diskriminierungsgründe die Anwendbarkeit des erweiterten Rechtfertigungsmaßstabs auf diesen ... Sachverhalt ausschließt. Satz 2 gestattet aufgrund dessen eine Rechtfertigung derjenigen Bestand-

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nalisierungsschub für das kirchliche Arbeitsrecht durch die „Vorlagen“ aus Brüssel nicht bestreiten können, insofern „der Kern religionsspezifischer Eigenheiten schärfer, weil europäisch-distanzierter als bisher für die Arbeitsbeziehungen in den Blick gekommen ist.“100 Eine andere Frage ist freilich, ob die Katholische Kirche in Deutschland in Zukunft noch genügend Mitarbeiter mit entsprechendem Anforderungsprofil finden kann bzw. ob die Kluft zwischen der Normierung der Loyalitätsobliegenheiten in der Grundordnung und deren praktischer Handhabung durch Dienstgeber und Gerichte – aus welchen Gründen auch immer – nicht schon zu groß geworden ist.

teile der kirchlichen Moral- und Sittenlehre nicht im Rahmen des Art. 4 Abs. 2 RL, als diese auch unter andere von der Richtlinie erfasste Diskriminierungsgründe subsumierbar sind“ (Kehlen, Antidiskriminierung [Anm. 46], S. 195; ähnlich S. 160); Grabenwarter, Kirchen (Anm. 68), S. 75 und Heinig, Art. 13 EGV (Anm. 86), S. 241 plädieren überzeugend aufgrund des Wortlauts und der „historisch-genetischen Auslegung“ für ein restriktives Verständnis von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie. 100

Reichold, Europa (Anm. 79), S. 1060.

Der Spender der Krankensalbung Zur Interpretation von Can. 1003 § 1 Von Anton Ziegenaus I. Die kirchliche Lehre: Der Priester als Spender Zur Frage nach dem Spender der Krankensalbung stellt Can. 1003 § 1 kurz und bündig fest: „Die Krankensalbung spendet gültig jeder Priester und nur er (Unctionem infirmorum valide administrat omnis et solus sacerdos).“ Die Formulierung stimmt im Hinblick auf den Spender wörtlich mit Can. 938 § 1 von CIC / 1917 überein: „Hoc sacramentum valide administrat omnis et solus sacerdos“. Die Übereinstimmung in der Formulierung belegt, dass der CIC / 1983 die Aussage des Vorgängers vollinhaltlich übernehmen wollte. Vermutlich wurde bei der Formulierung dieser Texte auf lehramtliche Entscheidungen des Konzils von Trient zurückgegriffen. Das Konzil von Florenz stellt im Decretum pro Armeniis fest: Minister huius sacramenti est sacerdos (DH 1325). Das Tridentinum, das an dieses Dekret häufig angeknüpft hat, präzisierte diese Feststellung: „Wer sagt, die Presbyter der Kirche, die nach der Ermahnung des seligen Jakobus zur Salbung des Kranken herangezogen werden sollen, seien nicht die vom Bischof geweihten Priester (sacerdotes), sondern die dem Lebensalter nach Ältesten in jeder Gemeinde, und deshalb sei der eigentliche Spender der Letzten Ölung nicht allein der Priester (ob idque proprium extremae unctionis ministrum non esse solum sacerdotem): der sei mit dem anathema belegt“ (DH 1719). Im Vergleich zur einfachen Feststellung des Decretum pro Armeniis unterstreicht das Tridentinum die exklusive Spendevollmacht des Priesters1 auf doppelte Weise, nämlich durch das proprium2 und durch das solus, das bei der

1 2

Natürlich ist hier auch der Bischof eingeschlossen: vgl. DH 1697.

„Proprius“ heißt nach Georges Wörterbuch: „jemandem ausschließlich eigen, eigentümlich, allein zugehörig, charakteristisch, wesentlich.“ Auf die philologische Fehlleistung von H. Vorgrimler u. a., es mit odrinarius zu verwechseln, so dass es auch einen minister extraordinarius gäbe, sei hier nicht näher eingegangen: vgl. A. Ziegenaus, Die

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Anton Ziegenaus

Textgestaltung im CIC Pate gestanden haben dürfte. Im Übrigen hat der CCEO (hrsg. v. L. Gerosa u. P. Krämer) die Formulierung des lateinischen Textes übernommen, allerdings im Plural (da im Osten mehrere Priester zusammen das Sakrament spenden können): Can. 739 § 1: Unctionem infirmorum valide ministrant omnes et soli sacerdotes. Das „Nur/solus (soli)“ lässt also ausschließlich den Priester die Krankensalbung gültig spenden. In diesem Sinn wurden auch die entsprechenden Canones im CIC von 19173 und von 1983 ausgelegt. II. Die unbegründete Gegenthese Diese in der Dogmengeschichte – darüber später noch mehr – seit der Zeit der Karolinger feststehende Praxis der Spendung der Krankensalbung durch Priester wurde in den kirchlichen Gesetzbüchern des 20. Jahrhunderts und auch in den Kommentaren in eindeutiger Klarheit festgehalten. So überrascht die Kommentierung von Can. 1003 § 1 in: K. Lüdicke, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici: „Mit der Festlegung, dass nur Inhaber der Priesterweihe die Krankensalbung gültig spenden, gibt 1003 eine positiv-rechtliche Festlegung wieder. Eine dogmatische Vorentscheidung in diesem Sinn besteht nicht.“ Angesichts der jahrhundertealten Praxis der Kirche, der Festlegungen des Lehramts und der Bestimmungen des Codex von 1917 und von 1983 und der übereinstimmenden Auffassung der Kommentatoren überrascht diese der Konzeption dieses Kommentars entsprechend nicht näher begründete Behauptung. Zwar muss zugunsten dieser Behauptung anerkannt werden, dass die theologische Qualifizierung von DH 1719 nicht eindeutig geklärt ist4 und die Kommentatoren des CIC nur klarstellen, dass die Gültigkeit der Spendung von der Priesterweihe abhängt, aber nicht der Frage nachgehen, ob besagte Bestimmung nur auf eine positiv-rechtliche Anordnung der Kirche zurückgeht oder de fide Frage nach dem Spender der Krankensalbung oder: Die simulatio sacramenti: ders., Verantworteter Glaube 2, Buttenwiesen 2001, 109 – 146. 3

Eichmann / Mörsdorf (Kirchenrecht, Bd. II, Paderborn 101961, 95) erklärt, welcher Priester in bestimmten Fällen zur Spendung berechtigt oder verpflichtet ist, aber die ausschließliche Zuständigkeit des Priesters als Spender steht unbestritten fest. 4

Dazu A. Ziegenaus, Ausdehnung der Spendevollmacht der Krankensalbung, in: MThZ 26 (1975), 361 f: Zwar ergeben textgeschichtliche Studien (zu den Bestimmungen des Tridentinum) keine Auskunft, weshalb erst in der Endredaktion das Wort (proprius minister) eingefügt wurde, aber die theologische Argumentation und „solus“ legen nahe, dass damit die exklusive Vollmacht des Priesters verstärkt werden soll. Trotzdem kann der Kanon nicht als de fide im strengen Sinn nachgewiesen werden.

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ist. Doch hätte K. Lüdicke die Frage der Qualifizierung offen lassen müssen, statt sie schon dezidiert zu beantworten. Vor allem aber scheint K. Lüdicke folgenden Umstand zu wenig berücksichtigt zu haben. Zur Festlegung von Can. 1003 § 1 legt er nämlich weiterhin dar: „Jeder Priester ist fähig, die Krankensalbung zu spenden. Das gilt unabhängig von seiner Rechtsstellung in der Kirche, von Ämtern und sogar von Kirchenstrafen. Sie können allenfalls die Erlaubtheit betreffen.“ Diese Feststellung ist korrekt, doch ergeben sich für die Position des Autors gewichtige Konsequenzen: Wenn es sich bei Can. 1003 § 1 nur um eine „positiv-rechtliche Anordnung“ ohne „dogmatische Vorentscheidung“ handeln würde, wäre es widersprüchlich, dass die Kirche in Notfällen um des Seelenheils willen alles ihr Mögliche erlaubt, etwa von exkommunizierten und suspendierten Priestern (sogar glaubenslosen!) die Spendung des Bußsakraments und der Krankensalbung erwartet, aber gerade bei dem Sakrament, das über Jahrhunderte als „Letzte Ölung“ bezeichnet und in extremis gespendet wurde, die Spendung nie Nichtpriestern, d.h. Diakonen oder Laien, zugestanden hätte, von denen man annehmen darf, dass sie im Gegensatz zu den genannten „Problempriestern“ im Stand der Gnade und in der Gemeinschaft mit der Kirche leben. Diese Jahrhunderte lange Praxis der Kirche fällt doch auch im Hinblick auf die Qualifizierung der exklusiven Spendevollmacht der Priester ins Gewicht. III. Der theologische Hintergrund Die Auffassung von der positiv-rechtlichen Anordnung der exklusiven Spendevollmacht des Priesters hat sich im deutschen Sprachraum nach dem Zweiten Vatikanum gebildet. Man wollte dem neu geschaffenen ständigen Diakon auf dem sozial-caritativ-pflegerischen Bereich ein abgerundetes seelsorgerliches Berufsfeld errichten. Dazu schien die Ausdehnung der Spendevollmacht für die Krankensalbung auf die Diakone wünschenswert. Das Zweite Vatikanum umschrieb in LG 29 alle Dienstaufgaben des Diakons, erwähnte jedoch dabei die Krankensalbung nicht. Diese wird vielmehr in LG 28 zu den Amtspflichten des Priesters gezählt, ebenso in PO 5. Die „Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ vertrat jedoch einige Jahre danach eine andere Konzeption: Schon in dem als Diskussionsgrundlage von der Sachkommission VII vorgelegten Papier „Schwerpunkte priesterlichen Dienstes“ heißt es hinsichtlich der Delegation im liturgisch-sakramentalen Bereich: „Der Vorsitz bei der Eucharistiefeier und die Verwaltung des Bußsakraments sind freilich nicht delegierbar“5. Dies gilt demnach offensichtlich nicht mehr von der Krankensalbung. Die Richtigkeit dieser 5

Synode 7/1971, S. 11.

Anton Ziegenaus

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Vermutung bestätigt die Vorlage „Pastorale Dienste in der Gemeinde“. Dort wird der Bischofskonferenz empfohlen, „zu prüfen, ob es theologisch möglich ist, ständigen Diakonen, die entfernt liegende Gemeinden ohne Priester am Ort leiten oder die in der allgemeinen Seelsorge tätig sind, die Vollmacht zur Spendung der Krankensalbung zu erteilen und ggf. den Papst um eine entsprechende Vollmacht zu bitten“6. Ferner wird der Diakonat der Frau empfohlen und der Papst um Zulassung von Frauen zum sakramentalen Diakonat gebeten. Dieses Thema soll hier außer acht bleiben. Es muss jedoch gestreift werden, weil zur Begründung dieser Voten und zur Erleichterung der Meinungsbildung in einer gesamtkirchlich so weitreichenden Entscheidung Gutachten in Auftrag gegeben wurden, die eine Ausdehnung der Spendevollmacht über den Diakon hinaus auch auf Laien für möglich hielten. In dem Gutachten bemerkt Y. Congar7, dass auch Laien die Krankensalbung gespendet haben. Diakon(innen) sind unter dieser Voraussetzung selbstverständlich kein Problem mehr. P. Hünermann8 erwähnt gelegentliche Spendungen durch Diakoninnen an Frauen, und beanstandet die unkritische Identifizierung der Presbyteroi von Jak 5,14 mit Priestern (daher die exklusive Zuteilung der Spendung an Priester durch das Tridentinum!). Bis zum 8. Jahrhundert hätten vorwiegend Laien das Sakrament gespendet (Mönche, Charismatiker, heiligmäßige Männer oder Frauen, die Kranken sich selbst). H. Vorgrimler9 beruft sich ebenfalls auf die Salbung durch Laien in den ersten Jahrhunderten. Ebenso wendet er sich gegen die Gleichsetzung von „sakramental geweihten Priestern“ mit den Presbyteroi von Jak 5,14. Trient weise nur die Behauptung zurück, die Presbyter seien die an Jahren Älteren und heilungsbegabte Charismatiker. Die Formulierung, proprium ministrum ... esse solum sacerdotum lege den Gedanken an einen minister extraordinarius nahe10. Diese Argumente zugunsten einer Ausweitung der Spendevollmacht haben wohl bei der Interpretation von Can. 1003 im angeführten Münsteraner Kommentar Pate gestanden. Sie müssen nun näher geprüft werden.

6

Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung (Offizielle Gesamtausgabe I), Freiburg 1976, 636. 7

Synode 7/1973, 37 – 41

8

Ebd. 42 – 47.

9

Ebd. 48 – 50.

10

Auf dieses philologische Missverständnis wurde schon oben eingegangen.

Der Spender der Krankensalbung

547

IV. Die exklusive Spendevollmacht der Presbyteroi (= Bischöfe und Priester) Die Diskussion zugunsten einer Ausweitung der Spendevollmacht reicht also auf die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück11. Gerade für einen Kanonisten müsste hier noch ins Gewicht fallen, dass der neue Codex nichts geändert, sondern die Formulierung des alten wortwörtlich übernommen hat. Im Übrigen ist auch der Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 1516) der Tradition treu geblieben. Jak 5,14 spricht ferner von „Presbytern der Gemeinde“. G. Bornkamm12 bemerkt dazu: „Deutlich sind hier Amtsträger der Gemeinde (beachte den Artikel) und nicht nur charismatisch begabte Greise gemeint; ebenso deutlich ist, dass sie kraft ihres Amtes als mit der Gabe des wirkungskräftigen Gebets Ausgestatteten gelten.“ Die vielen Zitate von Exegeten, die F. Mußner13 in seinem Kommentar anführt, bestätigen diesen Befund: Die Presbyter sind nicht speziell begabte Privatpersonen, nicht irgendwelche Gemeindemitglieder, sondern Amtsträger in der Gemeindeleitung. Das christliche Ältesteninstitut ist dabei dem jüdischen nachgebildet. Gehören zu diesen Presbytern auch Diakone, wie Hünermann behauptet, und können diese Presbyter mit den Priestern der – heutigen – zweiten Weihestufe identifiziert werden? Zur Klärung dieser Fragen14 ist zu berücksichtigen, dass die mehr judenchristliche Presbyterialverfassung ein eingliedriges Leitungssystem kollegialer 11

Nur im 17. Jh. hat J. de Launoy († 1678) die Möglichkeit einer Spendung durch den Diakon im Notfall behauptet, da er in diesem Fall auch die Eucharistie reichen dürfe. Aber der Diakon ist nicht der Spender der Eucharistie, sein Tun ist nicht sakramentskonstitutiv; er teilt die Kommunion nur aus. Die Parallele zu dieser Austeilung wäre die Sicht, die Ölweihe durch den Bischof als sakramentskonstitutiv zu betrachten; der Diakon würde dann das Öl nur anwenden. Diese Theorie, die nicht weiter verfolgt werden soll, wurde ebenfalls schon vorgetragen. – Die Verwechslung (wie H. Vorgrimler) von proprius mit ordinarius trägt 1966 bereits J. Ch. Didier vor. – Vgl. dazu M. Nicolau, La Unción de los Enfermos. Estudio histórico-dogmatico, Madrid 1975, 159 – 164. – M. Nicolau weist darauf hin, dass kein (konzilares, synodales, diözesanes) Dokument der letzten Jahrhunderte bei der Auflistung der Aufgaben des Diakons die Spendung der Krankensalbung nennt. Da es sich bei der Letzten Ölung häufig um Notfälle handelte, ist diese Tradition von theologischem Gewicht. Die vorgeschlagene Ausdehnung der Spendevollmacht hängt sicher auch mit dem nachkonziliaren Traditionsbruch zusammen. 12

G. Bornkamm, SUHYVEX, in: ThWNT VI 664.

13

F. Mußner, Der Jakobusbrief 41981, 219.

14

Vgl. A. Ziegenaus, Ausdehnung der Spendevollmacht?, 354 – 358.

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Art (presbyteroi: Mehrzahl) kannte. Daneben gab es – mehr im hellenistischen Raum – das zweigliedrige Leitungssystem: Phil 1,1 spricht von Episkopen und Diakonen (jeweils Mehrzahl!). Über ihre Funktion wird nichts gesagt, doch muss zwischen beiden ein Unterschied bestanden haben. Zwischen beiden Systemen wurde nicht immer klar unterschieden. So spricht die Apostelgeschichte von den Ältesten in Jerusalem (11,30; 15,2.4.6.22.23; 21,18), und zwar in einer Annäherung von „Apostel und Älteste“15. Aber in derselben Schrift ruft Paulus „die Presbyter der Gemeinde“ (20,17) zu sich und mahnt sie, „auf die ganze Herde zu achten, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt“ (20,28). Presbyteroi und Episkopoi sind hier identisch. Auch in den Pastoralbriefen scheinen die Aufgaben der Presbyter mit denen des Episkopos vermischt, d.h. verschmolzen und dann doch getrennt, denn einerseits ist von Presbytern die Rede, die Titus in den einzelnen Städten einsetzen soll (Tit 1,5), dann aber (Tit 1,7) folgt ein Bischofsspiegel (Singular!). Die beiden Verfassungstypen sind auch im ersten Timotheusbrief vermischt, denn 1 Tim 3,1ff bringt zunächst einen Episkoposspiegel (Singular!), dem dann ein Diakonenspiegel folgt, später (5,17) ist jedoch von Presbytern die Rede. Auch in 1 Petr (5,1.4; 2,25) scheinen die beiden Grundtypen bekannt zu sein. Die Pastoralbriefe sprechen immer von Episkopos (Singular) und Presbyteroi (Plural); daraus schließt Bornkamm, dass im bischöflichen Amt ein monarchischer, im presbyterialen ein kollegialer Akzent dominiert. Es gibt also eine Entwicklung zum monarchischen Episkopat, mit der eine Unterordnung der kollegialen Presbyter einhergeht. Diese Entwicklung zeigt sich bei Ignatius von Antiochien († ca. 116) zum ersten Mal als abgeschlossen. Der Bischof steht an der Spitze der dreigliedrigen Hierarchie, umgeben von der Ratsversammlung der Presbyter, die ihm unterstellt ist. Darunter steht die Dienststufe des Diakons, der im Gegensatz zum Presbyter nicht zur Eucharistie beauftragt ist16. An diesen Ergebnissen sollen nun die oben genannten Thesen geprüft werden: Presbyteroi von Jak 5,14 sind erstens Amtsträger. Eine Ausdehnung der Spendevollmacht auf Laien ist also von Jak 5,14 her nicht gedeckt. Demnach sind Presbyter, also Amtsträger, zu holen. Es ist zweitens richtig, dass die Presbyter des kollegialen eingliedrigen Leitungssystems, die auf der Ebene der – in heutigem Verständnis – Bischöfe stehen, nicht mit den Presbytern des dreigliedrigen Systems identisch sind. Es ist drittens falsch, dem Diakon, der im zweigliedrigen System unter dem Bischof und im dreigliedrigen auch unter den Presbytern steht, den Presbytern von Jak 5,14 gleichzustellen, die im eingliedrigen System auf der Ebene der Bischöfe stehen. 15

Diese Nähe (weshalb Bornkamm, S. 672, die Ältesten als Apostelschüler einstuft) ergibt sich auch aus 1 Petr 5,1 u. 2/3 Joh. 16

Zum Ganzen vgl.: A. Ziegenaus, Die Frage nach dem Spender, 116 f.

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In der Diskussion wird immer die altkirchliche Praxis bis zur Zeit der Karolinger als Beleg für die Spendung der Krankensalbung durch Nichtpriester angeführt. In diesem Zeitraum wurde den Gläubigen vom Bischof geweihtes Öl nach Hause mitgegeben. Dieses wurde äußerlich angewandt (salben, berühren, einreiben; ungere, tangere) oder auch getrunken, und zwar anfänglich zur Behebung körperlicher Gebrechen. Die Kirche empfahl den Gebrauch des geweihten Öls auch deswegen, um die Gläubigen davon abzuhalten, bei heidnischen Zauberern Hilfe zu suchen17. Was den „Spender“ betrifft, so waren es auch Priester und Diakone, aber in der Regel Laien, d.h. Angehörige des Kranken, charismatische Persönlichkeiten, Mönche. Auch die Selbstanwendung war üblich. Es ist schon verwunderlich, dass dogmatische Theologen (falls sie über die altkirchliche Praxis genau informiert waren) in diesen sakramentstheologisch so beliebigen Riten (Selbstsalbung, äußerliche Anwendung oder Trinken, oft kein Bezug auf die innere Gnade, Fehlen des sakramentalen Worts?) einen Traditionsbeweis anerkennen! Dies kann auch nicht tun, wer zu gute halten will, dass die Sakramentstheologie im Altertum noch vieler Klärungen bedurfte. Verwirrend wirkte der Brief von Innozenz I. aus dem Jahr 416 an Bischof Decentius von Gubbio18. Die Hintergründe der Anfrage des Decentius sind unklar; auch Innozenz hat sie offensichtlich nicht recht verstanden. Zum Verständnis des Schreibens, in dem zum ersten Mal im Westen Jak 5,14 erörtert wurde, sei die These aufgestellt, dass ohne den Jakobusbrief kein Sakrament der Krankensalbung bekannt wäre. Wer diese These annimmt, wird überrascht sein zu hören, dass der Jakobusbrief erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts im Wesen allmählich bekannt und als kanonisch anerkannt wurde. Erst Hilarius († 367) erkannte offensichtlich den Brief an, auch wenn ihn an besagter Stelle die Arianer für ihre Lehre benutzten19. So darf man schließen, dass alle vor 400 erwähnten Salbungsriten Sakramentalien sind, den Christen zur Abwehr heidnischer, abergläubischer Praktiken empfohlen. Mit dem Aufkommen des Jakobusbriefes hat sich nun in Gubbio die Frage gestellt, ob nur Presbyter (der zweiten Weihestufe!) oder auch Bischöfe die Krankensalbung vornehmen dürfen. Innozenz war noch völlig in der traditionellen Salbungspraxis (im Sinn eines Sakramentales) befangen (weshalb er auch von tangere spricht), und verstand die Frage nicht, ob auch Bischöfe die Salbung vornehmen dürfen. Er erklärt deshalb, dass „nicht nur die Priester, sondern auch alle Christen in

17

Vgl. ebd. 127 f.

18

Vgl. DH 216; A. Ziegenaus, Die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramentenlehre (L. Scheffczyk / A. Ziegenaus, Katholische Dogmatik VII), Aachen 2003, 441 – 446. 19

Vgl. A. Ziegenaus, Kanon. Von der Väterzeit bis zur Gegenwart (HdD I 3 a 2), 130 ff.

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eigener Not oder in der Not der Ihrigen“ das vom Bischof geweihte Öl benützen dürfen. Innozenz hat im Gegensatz zu Decentius nicht verstanden, dass sich mit dem Aufkommen des Jakobusbriefes auch die Spenderfrage stellt. In der Folgezeit lässt sich die ständige Spannung spüren, den Spenderkreis einerseits auf die Presbyter (= Bischöfe und Priester: DH 1697) einzuschränken und andererseits Jak 5,14 im Sinn des Innozenzbriefes auszuweiten20. Erst im 8./9. Jahrhundert führte die fränkische Theologie zu klaren Entscheidungen im Sinn von Jak 5,14: Der Spender ist der Priester und dem Ritus der mit einem Gebet verbundenen Salbung wurde allmählich die Qualität eines Sakraments zuerkannt. Die Klarstellung in der Karolinger Zeit sind keine theologischen Verengungen oder Zeugen einer zunehmenden Klerikalisierung, wie behauptet wurde, sondern belegen die allmähliche Entdeckung und Anerkennung des Jakobusbriefes als verbindlicher Schrift. Geschichtlich betrachtet waren immer die „Presbyter der Gemeinde“ die Spender der Krankensalbung, wenn dem Jakobusbrief kanonische Geltung zuerkannt war21. Bei der exklusiven Zuordnung der Spendevollmacht an Priester und Bischöfe handelt es sich keineswegs um eine rechtlich-positive Anordnung, welche die Kirche auch ändern könnte.

20 21

Vgl. A. Ziegenaus, Die Frage nach dem Spender, 133 ff.

Die Kanonizität fehlte dem Jakobusbrief im Altertum im Westen und in der Zeit der Reformatoren, die mit dem Brief auch das Sakrament der Krankensalbung abgelehnt haben.

Staatskirchenrecht

Der verfassungsrechtliche Schutz der res sacrae durch die Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV) Zugleich ein Beitrag zum öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae Von Peter Axer Der mehr als zwei Jahrzehnte dauernde Rechtsstreit um die Herausgabe der St. Salvator Kirche in München zwischen der „Griechischen Kirchengemeinde München und Bayern e. V.“ und dem Freistaat Bayern1, mit dem sich zahlreiche Gerichte und schließlich auch das Bundesverfassungsgericht zu befassen hatten2, berührt grundsätzliche Fragen nach der Reichweite des grundgesetzli-

1

Zu diesem Rechtsstreit bereits im Jahre 1979: Joseph Listl, Zur Frage der Nutzungsrechte an der St. Salvatorkirche in München. Gutachtliche Stellungnahme, Augsburg 1979, unveröffentlicht. 2

BVerfGE 99, 100 ff.; weitere gerichtliche Entscheidungen: LG München I, U. v. 16. 12. 1977, 9 O 16826/77, unveröffentlicht; OLG München, KirchE 17, 217 ff.; BayObLG, KirchE 18, 358 ff.; VG München, ZevKR 30 (1985), S. 226 ff.; BayVGH, ZevKR 33 (1988), S. 216 ff.; BVerwGE 87, 115 ff.; BayVGH, NVwZ 1996, S. 1120 ff.; BVerfG, ZevKR 42 (1997), S. 423 ff.; BVerwG, NVwZ 1997, S. 799; BayVerfGH, BayVBl. 1997, S. 238 f. – Aus dem Schrifttum zum Streit um die St. Salvator Kirche vgl. etwa: Otto Bachof, Anmerkung zum St. Salvator-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. 11. 1990, JZ 1991, S. 621 ff.; Fridtjof Filmer / Christoph Görisch, Die Reichweite des grundgesetzlichen Kirchengutsschutzes, ZevKR 45 (2000), S. 453 ff.; Rainer Mainusch, Anmerkung zum St. Salvator-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. 11. 1990, ZevKR 36 (1991), S. 68 ff.; Engelbert Niebler, St. Salvator und das Bundesverfassungsgericht, in: Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665 ff.; Dietrich Pirson, Anmerkung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 2. 1997, ZevKR 42 (1997), S. 431 ff.; ders., Kirchengut – Religionsfreiheit – Selbstbestimmung, in: Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, 1999, S. 611 ff.; Hans Reis, Die St. Salvator-Kirche in München aus der Sicht des orthodoxen Kirchenrechts sowie des bayerischen und griechischen Staatskirchenrechts, ZevKR 30 (1985), S. 186 ff.; Ludwig Renck, St. Salvator und kein Ende, BayVBl. 1991, S. 200 ff.;

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chen Schutzes kirchlichen Eigentums und Vermögens. Eine Schlüsselrolle zur Beantwortung der Fragen kommt dabei der verfassungsrechtlichen Kirchengutsgarantie in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV3 zu. Das Grundgesetz gewährleistet in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat die Kirchengutsgarantie die Aufgabe, den verfassungsrechtlich durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 137 WRV zugesagten Schutz der Stellung und der Freiheit der Kirchen in ihren sächlichen Grundlagen unabhängig von der Organisationsform der Religionsgemeinschaft zu gewährleisten4. Der Schutz der Kirchengutsgarantie erstreckt sich – so das Gericht in seiner Entscheidung zur St. Salvator Kirche – auf das gesamte zu religiösen Zwecken bestimmte Vermögen einschließlich der Besitz- und Nutzungsrechte an Immobilien, namentlich der Gebrauchsüberlassungsrechte an Kirchengebäuden5. I. Der Schutz der res sacrae Wesentlicher Bestandteil kirchlichen Vermögens sind die res sacrae. Res sacrae sind bewegliche und unbewegliche Sachen, die aufgrund kirchlicher Handlung – in der katholischen Kirche durch dedicatio oder benedictio constitutiva6, in der evangelischen Kirche durch feierliche Ingebrauchnahme – un-

ders., Religionsfreiheit, Kirchengut und die St. Salvator-Kirche in München, NVwZ 1996, S. 1078 ff. 3

Durch Art. 140 GG werden die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138, 139 und 141 GG in das Grundgesetz inkorporiert, weil sich der Parlamentarische Rat nicht auf eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche einigen konnte. Die inkorporierten Regelungen der Weimarer Reichsverfassung sind vollgültiges Verfassungsrecht, das gegenüber den anderen Vorschriften des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Ranges steht; vgl. nur: BVerfGE 19, 206 (219). – Zur Entstehungsgeschichte des Art. 140 GG und der Bedeutung der Inkorporation: Stefan Korioth, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 2003, Art. 140 GG Rn. 4 ff. 4

BVerfGE 99, 100 (120).

5

BVerfGE 99, 100 (120 f.).

6

Zur Bedeutung und Begrifflichkeit nach katholischem Kirchenrecht: Heinrich J. F. Reinhardt, Die Sakramentalien, in: Joseph Listl / Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 1999, S. 1013 ff.; ders., in: Münsterischer Kommentar zum CIC, Stand: Dezember 2002, can. 1169, Anm. 1 ff.; speziell zur Glockenweihe: Ansgar Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 80 ff.

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mittelbar gottesdienstlichen Zwecken zu dienen bestimmt sind7. Dazu zählen etwa der Altar, der Kelch, das Kirchengebäude, die Sakristei8 oder die Kirchenglocken9. Kirchenrechtlich haben die res sacrae eine herausgehobene Stellung inne10. Can. 1171 des Codex Iuris Canonici von 1983 bestimmt für die katholische Kirche11: „Heilige Sachen, die durch Weihung oder Segnung zum göttlichen Kult bestimmt sind, sind ehrfürchtig zu behandeln und dürfen nicht zum profanen oder nicht eigentlichen Gebrauch verwendet werden, auch wenn sie im Besitz von Privatleuten sind.“ 1. Res sacrae als öffentliche Sachen nach staatlichem Recht Nach staatlichem Recht unterstehen res sacrae einem besonderen öffentlichrechtlichen Rechtsregime, durch das ein zweckwidriger Gebrauch der res sacrae verhindert werden soll. Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gehören die res sacrae allgemeiner Ansicht nach12 zu den öffentlichen Sachen des staatlichen Verwaltungsrechts13. Öffentliche Sachen sind Vermögensgegenstände, die wegen ihrer öffentlichen Zweckbestimmung eine beson-

7

Ernst Forsthoff, Res sacrae, AöR 31 (1939/40), S. 209 (216 f.); Dieter Schütz, Res sacrae, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band, 2. Aufl. 1995, S. 3. – Der Begriff res sacrae entstammt dem römischen Recht. Dort bezeichnete er die zum öffentlichen Kultus einer Gottheit bestimmten Sachen. Dazu: Rainer Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, 1995, S. 8 f. 8

BayObLGZ 17, 93 ff.

9

BVerwGE 68, 62 ff.; siehe auch: Josef Isensee, Rechtsschutz gegen Kirchenglokken, in: Gedächtnisschrift für Léontin-Jean Constantinesco, 1983, S. 301 (318); jüngst: Ansgar Hense, Das Schicksal der Kirchenglocken im Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: Festschrift für Wolfgang Rüfner, 2003, S. 226 (268 ff.). 10

Vgl. dazu Schütz (Anm. 7), S. 4 f.

11

Vgl. zu dieser Bestimmung: Heinrich J. F. Reinhardt, in: Münsterischer Kommentar (Anm. 6), can. 1171, Anm. 1 f. 12 Statt vieler: Hans-Jürgen Papier, Recht der öffentlichen Sachen, in: Hans-Uwe Erichsen / Dirk Ehlers (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2002, § 41 Rn. 54; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl. 2000, § 75 Rn. 27; Schütz (Anm. 7), S. 6. 13

Teilweise werden neben den res sacrae noch weitere Gegenstände des kirchlichen Verwaltungsvermögens den öffentlichen Sachen zugeordnet, etwa kirchliche Kindergärten, Gemeindehäuser oder Alten- und Pflegeheime; vgl. dazu etwa: Axel von Campenhausen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 140 GG/Art. 137 Rn. 247; Mainusch (Anm. 7), S. 71 ff.

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dere Rechtsstellung aufweisen und daher nicht allein dem Privatrecht unterliegen, sondern zudem öffentlich-rechtlichen Regelungen unterfallen, die die Zweckbestimmung und damit die zweckgemäße Nutzung absichern14. Der Begriff der öffentlichen Sache ist eine im deutschen Verwaltungsrecht gebräuchliche Sammelbezeichnung für Sachen, die wegen ihrer öffentlichen Zweckbestimmung eine besondere, von anderen Gegenständen abgehobene Rechtsstellung aufweisen, insoweit als ihr Rechtsstatus nicht nur von der Privatrechtsordnung, sondern auch von einer verwaltungsrechtlichen Sonderrechtsordnung geprägt ist. Diese Sonderrechtsordnung ist gesetzlich etwa für die öffentlichen Sachen Straßen und Wege ausdrücklich normiert15. Nach den deutschen Straßen- und Wegegesetzen erlangen Straßen und Wege die Qualität einer öffentlichen Sache durch Widmung und unterliegen im Umfang der Widmung öffentlich-rechtlichen Regelungen. Durch privatrechtliche Verfügungen oder durch Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung oder Enteignung über die der Straße dienenden Grundstücke oder Rechte an ihnen wird die Widmung nicht berührt16, so dass die Widmung selbst bei einem Eigentümerwechsel weiter bestehen und die Nutzung der Sache im Rahmen der Widmung möglich bleibt. Als öffentliche Sache im Sinne des staatlichen Rechts qualifiziert, kommt den res sacrae damit eine rechtliche Sonderstellung zu. Zwar sind die res sacrae wie alle öffentlichen Sachen heute keine dem Rechtsverkehr entzogene res extra commercium mehr17, sondern Gegenstände des Privatrechtsverkehrs, so dass an ihnen zivilrechtliches Eigentum besteht und sie veräußert und erworben werden können, doch unterliegen sie dabei öffentlich-rechtlichen Beschränkungen. Nach der heute herrschenden Theorie des modifizierten Privateigentums18

14 Zu den öffentlichen Sachen zählen etwa Straßen, Gewässer, Grünanlagen, Bibliotheken oder Regierungs- und Gerichtsgebäude. Vgl. dazu mit weiteren Beispielen: Ulrich Häde, Das Recht der öffentlichen Sachen, JuS 1993, S. 113; Reinhard Hendler, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2001, Rn. 579 ff.; Papier (Anm. 12), § 40 Rn. 1 f.; Ernst Pappermann / Rolf-Peter Löhr / Wolfgang Andriske, Recht der öffentlichen Sachen, 1987, S. 1; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2000, § 12 Rn. 1. 15 Vgl. dazu: Thomas von Danwitz, Straßen- und Wegerecht, in: Eberhard SchmidtAßmann (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2003, 8. Kap., Rn.16 ff., 40 ff. 16

So ausdrücklich § 6 Abs. 6 Straßen- und Wegegesetz Nordrhein-Westfalen. Zu dieser Regelung: Peter Axer, Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994, S. 98 ff. 17 18

Zur Entwicklung des Rechts der öffentlichen Sachen: Axer (Anm. 16), S. 35 ff.

Dazu: Axer (Anm. 16), S. 48 f.; Michael Germann, Die „gesetzlose“ Widmung von Sachen für öffentliche Zwecke, AöR 128 (2003), S. 458 (462 ff.); Papier (Anm. 12), § 40 Rn. 18 ff.; Frauke Wernecke, Die öffentliche Sache im Widerstreit privater und

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besteht an öffentlichen Sachen im Umfang der Widmung eine öffentliche Sachherrschaft, die einer Dienstbarkeit nach den §§ 1018 ff. BGB vergleichbar auf dem Eigentum lastet und dieses überlagert. Die öffentliche Sachherrschaft wirkt somit wie ein beschränkt dingliches Recht und lässt sich als öffentlichrechtliche Dienstbarkeit charakterisieren. Die auf der Widmung beruhende öffentlich-rechtliche Sachherrschaft gewährt dem öffentlichen Sachherrn im Umfang der Zweckbestimmung ein absolutes Herrschaftsrecht an der Sache. Aufgrund der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft steht ihm das Recht zu, auf die Sache einzuwirken, sie zu benutzen und Störungen abzuwehren, selbst wenn die Sache nicht in seinenem zivilrechtlichen Eigentum steht. Aus der öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft folgt, dass bei einem Eigentumsübergang die besondere kirchliche Zweckbestimmung der res sacrae nicht verloren geht. Der neue Eigentümer muss – sofern nicht die Kirche als actus contrarius zur Widmung eine Entwidmung vornimmt – die spezifische kirchliche Bestimmung weiterhin dulden und den Gebrauch der res sacrae durch die Kirche im Rahmen der jeweiligen Widmung ermöglichen. 2. Kritik an der Qualifikation als öffentliche Sache Die Zuordnung der res sacrae zu den öffentlichen Sachen und ihr besonderer öffentlich-rechtlicher Schutz im staatlichen Recht wird zunehmend hinterfragt und kritisiert19. Gerügt wird insbesondere das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage, die aufgrund der eigentumsbeschränkenden und belastenden Wirkung der Widmung eines Gegenstandes zur res sacrae notwendig sei; Gewohnheitsrecht genüge insoweit nicht20. Es mehren sich die Stimmen in der Literatur, die eine Zuordnung der res sacrae zu den öffentlichen Sachen ablehnen und die res sacrae einem privatrechtlichen Regime unterstellen wollen. In seiner Entscheidung zur Herausgabe der St. Salvator Kirche äußert sich das Bundes-

allgemeiner Belange, AcP 195 (195), S. 445 (451 ff.); Wolff / Bachof / Stober (Anm. 12), § 77 Rn. 2 ff. 19

Vgl. etwa: Helmut Goerlich, Anmerkung zum Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. 5. 1987, BayVBl 1988, S. 182 f.; Bernhard Keihl, Das staatliche Recht der res sacrae, 1977, S. 136 ff.; Markus Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirche unter dem Grundgesetz, 1992, S. 119 ff.; Michael Kromer, Sachenrecht des Öffentlichen Rechts, 1985, S. 72; Ludwig Renck, Res sacrae und Gewohnheitsrecht, JZ 2001, S. 375 ff. 20

Vgl. insbesondere Renck (Anm. 19), S. 375 ff. im Hinblick auf Widmungen, die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgt sind. Seiner Ansicht nach können nach Inkrafttreten des Grundgesetzes keine kirchlichen Sachwerte mehr wirksam zu res sacrae gewidmet werden. Vorkonstitutionell gewidmete res sacrae sollen dagegen ihre öffentlich-rechtliche Sacheigenschaft behalten.

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verfassungsgericht zwar nicht explizit zum öffentlich-rechtlichen Schutz der res sacrae, doch gibt der Beschluss aufgrund seiner grundlegenden Ausführungen zur Kirchengutsgarantie Anlass, der Frage nachzugehen, ob und inwieweit res sacrae durch die Verfassung einen besonderen, öffentlich-rechtlichen Schutz genießen. II. Res sacrae als öffentliche Sachen aufgrund staatlicher Widmung? Eine Sache wird zur öffentlichen durch Widmung. Die staatliche Widmung, zumeist in Form eines Verwaltungsakts21, ist der Kreationsakt der öffentlichen Sache und entscheidend für das Entstehen einer öffentlichen Sache22. Ohne Widmung liegt keine öffentliche Sache vor. Die Widmung begründet den öffentlich-rechtlichen Sonderstatus und die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft. Sie ist damit das zentrale Rechtsinstitut für die öffentlichen Sachen und der Schlüsselbegriff für das Recht der öffentlichen Sachen. Den res sacrae kann im staatlichen Bereich daher nur dann ein besonderer öffentlich-rechtlicher Schutz als öffentliche Sache zukommen, wenn eine Widmung vorliegt. Doch wer widmet die res sacrae? 1. Staatliche Widmung durch kirchliches Handeln? Die Widmung der res sacrae zu öffentlichen Sachen im Sinne des staatlichen Rechts könnte in der kirchlichen Weihehandlung gesehen werden, so dass mit der kirchlichen Zweckbestimmung gleichzeitig eine Widmung im Sinne des staatlichen Rechts durch die Kirchen verfügt wird. In der kirchlichen Zweckbestimmung liegt so verstanden zugleich die staatliche Widmung zur öffentlichen Sache. Die kirchliche Handlung begründet dann den öffentlich-rechtlichen Sonderstatus, ohne dass es eines weiteren Zutuns des Staates bedarf. Bei einer solchen Konstruktion ergibt sich jedoch das Problem, inwieweit die Kirche überhaupt durch ihre Weihehandlung einen staatlichen Rechtsakt verfügen oder, allgemeiner gesagt, Rechtsfolgen im Bereich des staatlichen Rechts setzen kann und will. Während etwa für die Kirchensteuererhebung bereits das Grundgesetz die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Kirchen 21

Zu möglichen Formen der Widmung: Papermann / Löhr / Andriske (Anm. 14), S. 13 f.; Wallerath (Anm. 14), § 12 Rn. 18 ff.; Wolff / Bachof / Stober (Anm. 12), § 76 Rn. 8 ff. 22

Damit die Rechtswirkungen der Widmung eintreten, muss noch die Indienststellung hinzukommen, d. h. die Sache entsprechend ihrer Widmung tatsächlich in Dienst genommen werden. Da Widmung und Indienststellung bei den res sacrae regelmäßig zusammenfallen, kommt dem Erfordernis der Indienststellung keine praktische Bedeutung zu; vgl. Schütz (Anm. 7), S. 14.

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mit Hoheitsgewalt beleiht23, fehlt es an einer vergleichbaren Beleihung der Kirchen mit Hoheitsgewalt zur Kreation öffentlicher Sachen durch Widmung. Die Annahme einer durch dedicatio oder benedictio constitutiva verfügten Widmung nach staatlichem Recht widerspricht überdies regelmäßig der Realität und Praxis kirchlicher Weihehandlungen24. Bei Vornahme einer entsprechenden Handlung fehlt es am Willen des Bischofs oder des Pfarrers, mit der kirchlichen Zweckbestimmung gleichzeitig einen Verwaltungsakt, eine staatliche Widmung, zu verfügen25. Der Pfarrer bestimmt mit der kirchlichen Weihehandlung allein die kirchlich-religiöse Funktion einer Sache und verfügt insoweit keine staatliche Widmung im Sinne des deutschen Verwaltungsrechts. Die Weihehandlung ist kein Verwaltungsakt. 2. Die kirchliche Zweckbestimmung als Anknüpfungspunkt für den öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae Lässt sich die kirchliche Weihehandlung nicht als staatliche Widmung qualifizieren, stellt sich die Frage, ob den res sacrae nicht schon mangels staatlichem Widmungsakt der Status einer öffentlichen Sache fehlt. Doch schließt das Fehlen eines staatlichen Widmungsakts nicht die Einordnung der res sacrae als öffentliche Sachen aus, denn die kirchliche Weihehandlung bildet den Anknüpfungspunkt für die Zuerkennung eines öffentlich-rechtlichen Sonderstatus. Der Staat misst dem innerkirchlichen Akt für den staatlichen Rechtskreis die Funktion eines Widmungsakts zu mit der Folge, dass durch die kirchliche Weihe die jeweiligen Sachen einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus erhalten. Der öffentlich-rechtliche Sonderstatus entsteht dann nach katholischem Recht durch die dedicatio oder benedictio constitutiva, ohne dass es der Annahme einer gleichzeitig verfügten staatlichen Widmung bedürfte. Um der Sache einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus zu geben, genügt insoweit schon die kirchliche Handlung, weil sie kraft staatlicher Anerkennung rechtsgestaltende Wirkung für den staatlichen Bereich hat. Wenn die Kirche die Sache nach ihrem Ritus für gottesdienstliche Zwecke bestimmt, kreiert sie somit einen öffentlichrechtlichen Sonderstatus im Sinne des staatlichen Rechts. Der Staat erkennt die kirchliche Handlung als Kreationsakt an, dies natürlich nur dann, wenn die jeweilige Kirche den Willen zum Ausdruck bringt, die res sacrae unter einen speziellen Schutz, einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus zu stellen. Dieser 23

Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV. Vgl. dazu: Peter Axer, Die Kirchensteuer als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche, in: Festschrift für Wolfgang Rüfner, 2003, S. 13 (17 ff.), mit weiteren Nachweisen. 24 25

Vgl. dazu am Beispiel der Glockenweihe: Hense (Anm. 6), S. 289.

Jörg Müller-Volbehr, Körperschaftsstatus und Sachenrecht der Kirchen, ZevKR 33 (1988), S. 153 (175).

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Wille kommt für die katholische Kirche etwa in can. 1171 des Codex Iuris Canonici von 1983 zum Ausdruck26. III. Gewohnheitsrechtliche Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus Kirchengebäude, Kirchenglocken oder Monstranzen erfuhren nach weltlichem Recht von alters her eine besondere rechtliche Behandlung. Im römischen Recht waren die res sacrae als res divini iuris dem Rechtsverkehr entzogen und damit als res extra commercium nicht Gegenstand des Rechtsverkehrs27. Regelungen über die rechtliche Sonderstellung finden sich etwa im Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 und im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Während der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis hinsichtlich der Rechtsstellung der res sacrae noch auf das Kirchenrecht verwies28, traf das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten ausführliche Regelungen über die rechtliche Behandlung der res sacrae29. Die rechtliche Sonderstellung der res sacrae, die ihren Anknüpfungspunkt in der kirchlichen Handlung hat, beruht auf einer langen Tradition und ist allgemein anerkannt. „In allen Rechtskulturen findet man den res sacrae (den heiligen Gebäuden, Stätten und Geräten) eine Sonderstellung zugewiesen.“30 Die heutige öffentlich-rechtliche Sonderstellung der res sacrae besteht somit kraft Gewohnheitsrecht31. Gewohnheitsrechtlich kommt dieser öffentlich-rechtliche Sonderstatus 26

Hense (Anm. 6), S. 289 f.

27

Vgl. dazu: Christian Meurer, Der Begriff und Eigenthümer der heiligen Sachen, zugleich eine Revision der Lehre von den juristischen Personen und dem Eigenthümer des Kirchenguts, 1885, S. 159 ff.; ders., Heilige Sachen, in: Karl Freiherr von Stengel (Hg.), Wörterbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, Erster Band, 1890, S. 645 ff. 28

In Teil II Kapitel 1 § 2 bestimmt der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis: „Geweihte und zum Gottes-Dienste unmittelbar gewidmete Sachen, z. E. Kirchen, Altäre, Kelche, Monstranzen, und andere dergleichen Gottes-Geräthe werden Res Sacrae genannt, was aber nur mittelbar dahin gewidmet, und etwa zur Fundation, Dotierung oder Unterhaltung der Gottes-Häuser, Kirchen-Bedienten, oder geistlichen Personen gehörig ist, das heißt Res Ecclesiastica. In beeden soll man sich zwar nach den geistlichen Rechten, jedoch allerwegen den Concordaten oder dem Herkommen gemäß, richten.“ 29

Zur Rechtsstellung der res sacrae im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten: RGZ 31, 217 ff. mit weiteren Nachweisen. 30

Forsthoff (Anm. 7) beginnt mit diesem Satz seinen Aufsatz über die heiligen Sachen und weist im folgenden die besondere Stellung der res sacrae nach. 31

Ludwig Renck, Grundfragen des Rechts der res sacra, DÖV 1990, S. 333 (334); vgl. auch Bernhard Schlink, Neuere Entwicklungen im Recht der kirchlichen öffentlichen Sachen und der res sacrae, NVwZ 1987, S. 633; Schütz (Anm. 7), S. 9. – Zur Be-

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aber nur den res sacrae zu, nicht hingegen dem sonstigen kirchlichen Verwaltungsvermögen. Der Kindergarten, das Alten- und Pflegeheim, die Schule, der Pfarrgarten oder das Gemeindehaus besaßen keinen, den heiligen Sachen vergleichbaren besonderen Status. Sie waren Gegenstände des privaten Rechtsverkehrs und partizipieren daher heute nicht am öffentlich-rechtlichen, gewohnheitsrechtlich begründeten Sonderstatus der res sacrae32. IV. Verfassungsrechtliche Garantie des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae? 1. Die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) Gebrauch und Unterhaltung von Vermögensgegenständen durch die Kirchen, die der religiösen Betätigung dienen, stehen unter dem Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG)33. Das Grundgesetz schützt durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG das glaubensgeleitete, religionsausübende Handeln an und mit Sachen. Doch schützt und garantiert die Religionsfreiheit damit nicht einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae und ihre Einordnung in das öffentliche Recht. Der grundrechtliche Schutz durch die Religionsfreiheit richtet sich allein gegen einen Entzug oder gegen staatliche Beschränkungen der Nutzung der für die Religionsausübung erforderlichen Sachen. In welcher Weise der Schutz der res sacrae einfachrechtlich erfolgt, ob durch Zivilrecht oder durch öffentliches Recht, ist dagegen kein Thema der Religionsfreiheit, solange ein ausreichender Schutz der für die Religionsausübung not-

deutung des Gewohnheitsrechts im Staatskirchenrecht allgemein: Peter Landau, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 333 ff., speziell zu den res sacrae S. 343 mit Anm. 34. 32

Papier (Anm. 12), § 41 Rn. 55; Müller-Volbehr (Anm. 25), S. 181 f.; Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Zweiter Band, 3. Aufl. 1924, S. 55 ff.; Schlink (Anm. 31), S. 638. 33

Mainusch (Anm. 7), S. 23; vgl. auch: BVerfGE 99, 100 (118 f.); Paul Kirchhof, Die Kirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 651 (672). – Zur Bedeutung des Grundrechts der Religionsfreiheit für die Kirchen grundlegend: Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, 1971; ders., Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 439 ff.

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wendigen Sachen gewährleistet ist. Ein öffentlich-rechtlicher Sonderstatus wird daher durch das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht garantiert34. 2. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV kommt jeder Religionsgesellschaft das Recht zu, innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten35. Eine Garantie des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus für die res sacrae lässt sich jedoch der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV nicht entnehmen36. Zwar zählt die Vermögensverwaltung und der Erlass von Regelungen über die Nutzung von Vermögensgegenständen zu den durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Angelegenheiten, die von den Religionsgesellschaften selbständig geordnet und verwaltet werden können37, doch folgt daraus nicht die verfassungsrechtliche Garantie gerade eines öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae. Unterstellt eine Kirche ihre res sacrae kirchenrechtlich einem besonderen Rechtsregime, so kann dies nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV für den staatlichen Bereich nur innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze erfolgen. Insoweit sind die Kirchen im Hinblick auf ihre Vermögensgegenstände grundsätzlich an das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches als allgemeines Gesetz gebunden38, sofern nicht staatlicherseits ein besonderer öffentlich-rechtlicher Status vorgesehen ist. Einen Anspruch auf Aufrechterhaltung oder Schaffung eines öffentlichrechtlichen Sonderstatus für die res sacrae lässt sich jedoch aus dem verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht herleiten. 34

Ablehnend gegenüber einer Herleitung der Garantie eines öffentlich-rechtlichen Sonderstatus aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG: Mainusch (Anm. 7), S. 23 ff.; vgl. auch: Renck (Anm. 19), S. 375. 35

Zum Kirchlichen Selbstbestimmungsrecht: Martin Heckel, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Zweiter Band, 2001, S. 379 (409 ff.); Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 521 ff. 36

Zutreffend: Mainusch (Anm. 7), S. 38 ff.; vgl. auch: Renck (Anm. 19), S. 375.

37

Statt vieler: von Campenhausen (Anm. 13), Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 37; vgl. auch: BVerfGE 66, 1 (21). 38

Zum Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches als allgemeinem Gesetz: Mainusch (Anm. 7), S. 45 ff.

Der verfassungsrechtliche Schutz der res sacrae

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3. Der Körperschaftsstatus (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) Die Befugnis der Kirchen, durch die dedicatio, benedictio constitutiva oder feierliche Ingebrauchnahme gleichzeitig eine Widmung nach staatlichem Recht zu verfügen, wird zum Teil aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV hergeleitet39. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV bleiben die Religionsgemeinschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie es bisher waren; anderen Religionsgemeinschaften sind auf Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten40. Der Körperschaftsstatus der Kirchen, jener – wie Rudolf Smend es formulierte – „etwas rätselhafte Ehrentitel“41, bildet nach wie vor die „Crux der staatskirchenrechtlichen Problematik der Gegenwart“42. Übereinstimmung besteht allerdings darin, dass durch die Zuerkennung des Körperschaftsstatus die Kirche weder in den Staat organisch eingegliedert noch einer besonderen staatlichen Kirchenhoheit unterworfen wird. Vielmehr soll der Status die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen vom Staat sowie ihre originäre Kirchengewalt bekräftigen43: „Damit unterscheiden sich die korporierten Religionsgemeinschaften im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes, der keine Staatskirche oder Staatsreligion kennt (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV), grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Ver-

39

Mainusch (Anm. 7), S. 59 ff.; Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 2000, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 93; Werner Weber, Zur staatskirchenrechtlichen Bedeutung des Rechts der öffentlichen Sachen, ZevKR 11 (1964/65), S. 111 (121 f.). 40

Zum Körperschaftsstatus und den Voraussetzungen für dessen Zuerkennung jüngst: BVerfGE 102, 370 ff.; BVerwGE 105, 117 ff.; Axel von Campenhausen, Körperschaftsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ZevKR 46 (2001), S. 165 ff.; Christian Hillgruber, Der Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften, NVwZ 2001, S. 1347 ff.; Josef Jurina, Der Status von Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Alltag, in: Festschrift für Wolfgang Rüfner, 2003, S. 381 ff.; Stefan Muckel, Körperschaftsrecht für die Zeugen Jehovas?, Jura 2001, S. 456 ff.; Gerhard Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, in: Festschrift für Martin Heckel, 1999, S. 411 ff.; Hermann Weber, Die „Anerkennung“ von Religionsgemeinschaften durch Verleihung von Körperschaftsrechten in Deutschland, in: Festschrift für Wolfgang Rüfner, 2003, S. 959 ff.; Heinrich Wilms, Glaubensgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, NJW 2003, S. 1083 ff. 41 Rudolf Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, ZevKR 1 (1951), S. 4 (9). 42

Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, ZevKR 11 (1964/65), S. 357. 43

BVerfGE 30, 415 (428); 53, 366 (387); 66, 1 (19 f.).

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ständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht.“44 Welche Rechte mit dem Körperschaftsstatus im Einzelnen verbunden sind, ist umstritten45. Das Bundesverfassungsgericht weist dem Körperschaftsbegriff in seiner Entscheidung zu den Zeugen Jehovas46 die Funktion eines „Mantelbegriffs“ zu, der aber mehr als eine leere Form sei. Mit dem Körperschaftsstatus würden den korporierten Religionsgemeinschaften bestimmte hoheitliche Befugnisse übertragen, „sowohl gegenüber ihren Mitgliedern – etwa beim Besteuerungsrecht und der Dienstherrenfähigkeit – als auch – bei der Widmungsbefugnis – gegenüber Anderen“47. Im Schrifttum stehen sich, mit unterschiedlichen Begründungen im Einzelnen, im Wesentlichen zwei Ansichten über Umfang und Inhalt der Körperschaftsgarantie gegenüber48. Nach einer Meinung ist der Körperschaftsstatus kein universal publizistischer Gesamtstatus. Vielmehr sei im Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang die staatliche Rechtsordnung den Kirchen hoheitsrechtliche Befugnisse verliehen habe und die jeweilige korporierte Religionsgemeinschaft sie in Anspruch nehme. Dagegen nimmt eine andere Ansicht an, dass durch die Verleihung des Körperschaftsstatus die Religionsgemeinschaft nicht nur punktuell in Einzelfällen, sondern umfassend öffentlich-rechtlich handele. Soweit es sich um eine typische Lebensäußerung der korporierten Religionsgemeinschaft handele, werde sie öffentlich-rechtlich tätig und übe Hoheitsbefugnisse aus. Doch resultiert aus beiden Ansichten nicht notwendigerweise die verfassungsrechtliche Gewährleistung einer das privatrechtliche Eigentum überlagernden öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft an den res sacrae. Folgt man ersterer Ansicht, ergibt sich die Qualifikation der res sacrae als öffentliche Sache nicht aus Art. 137 Abs. 5 WRV, sondern nur aus Gewohnheitsrecht. Der Körperschaftsstatus legitimiert dann zwar eine Qualifizierung als öffentliche

44

BVerfGE 102, 370 (387 f.).

45

Dazu jüngst mit weiteren Nachweisen: Elke Dorothea Bohl, Der öffentlichrechtliche Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften, 2001, S. 41 ff. 46

BVerfGE 102, 370 (388).

47

BVerfGE 102, 370 (388).

48

Vgl. etwa: Dirk Ehlers, Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, ZevKR 32 (1987), S. 158 (165 ff); ders., in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 18 f.; Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 138 Rn. 130 ff.; Korioth (Anm. 3), Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 68, 83; Stefan Magen, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Bd. II, 2002, Art. 140 Rn. 97 ff.

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Sache, setzt sie aber nicht49. Geht man hingegen von einem öffentlichrechtlichen Gesamtstatus aus, bedeutet dies noch nicht die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Unterstellung der res sacrae unter eine öffentlichrechtliche Sachherrschaft, die das privatrechtliche Eigentum überlagert. Vielmehr hat der Gesamtstatus nur zur Folge, dass die kirchliche Handlung, die die res sacrae entstehen lässt, öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist, was aber nicht bedeutet, dass damit etwa zwangsläufig eine öffentliche Sachherrschaft entsteht. Selbst wenn mit dem Körperschaftsstatus hoheitliche Befugnisse übertragen werden, zu denen das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den Zeugen Jehovas50 explizit die Widmungsbefugnis rechnet51, ist damit noch nicht eine das Privatrecht überlagernde öffentlich-rechtliche Sachherrschaft für die res sacrae verfassungsrechtlich gewährleistet. Der Körperschaftsstatus lässt zwar dann die Ausübung von Hoheitsgewalt zu, trifft aber selbst noch keine Aussage über die anwendbaren öffentlich-rechtlichen Regeln und Vorschriften. 4. Die Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV) Die Kirchengutsgarantie besitzt eine lange historische Tradition52. Sie knüpft an die Regelung in § 63 Reichsdeputationshauptschluss von 1803 an, die „den Besitz und ungestörten Genuss“ garantiert. Trotz dieser Tradition führte die Kirchengutsgarantie bis zum Rechtsstreit um die St. Salvator Kirche in Rechtsprechung und Literatur lange Jahre eher ein Schattendasein53. Zwar finden sich nunmehr in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts breite Ausführungen zur Funktion und Reichweite der Kirchengutsgarantie, doch äußert sich das Gericht im Kontext der Kirchengutsgarantie nicht näher zum öffentlichrechtlichen Sonderstatus der res sacrae und schenkt der Kategorie der res sacrae

49

Schlink (Anm. 31), S. 637.

50

BVerfGE 102, 370 (388).

51

Kritik an der Herleitung der Widmungsbefugnis aus dem Körperschaftsstatus bei: Renck (Anm. 19), S. 376 f. 52 Zur historischen Entwicklung grundlegend Johannes Heckel, Kirchengut und Staatsgewalt, in: Festschrift für Rudolf Smend, 1952, S. 103 ff. – Siehe auch: Forsthoff (Anm. 7), S. 209 ff.; Thomas Pieter Wehdeking, Die Kirchengutsgarantien und die Bestimmungen über Leistungen der öffentlichen Hand an die Religionsgesellschaften im Verfassungsrecht des Bundes und der Länder, 1971, S. 39 ff. 53

Das Bundesverwaltungsgericht bemerkt in seiner St. Salvator-Entscheidung treffend, dass der Sinn und Zweck dieser Vorschrift in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts noch nicht vertieft behandelt worden ist (BVerwGE 87, 115 (121)). – Vgl. auch: Pirson, in: FS Listl (Anm. 2), S. 611.

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keine besondere Aufmerksamkeit54. Dies mag seinen Grund auch darin haben, dass es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für die Berechtigung des Herausgabeverlangens nicht darauf ankam, ob die St. Salvator Kirche die Eigenschaft einer öffentlichen Sache hat, denn der Umfang des Funktionsschutzes durch die Kirchengutsgarantie würde sich dadurch nicht zugunsten der beklagten Griechischen Kirchengemeinde verändern55. a) Die Kirchengutsgarantie als Funktionsgarantie In der Weimarer Zeit sah man in der Kirchengutsgarantie zumeist nur ein Verbot der entschädigungslosen Enteignung von Kirchengut56. Diese Bedeutung ergab sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des Art. 153 Abs. 2 S. 2 WRV, die eine entschädigungslose Enteignung des Eigentums zuließ. Die Kirchengutsgarantie wurde als Ausnahmeregelung zu Art. 153 Abs. 2 S. 2 WRV verstanden und richtete sich gegen entschädigungslose Enteignungen. Aber schon in der Weimarer Zeit erhob sich gegen dieses Verständnis der Kirchengutsgarantie Kritik57. Inhalt des Art. 138 Abs. 2 WRV sei nicht nur das Verbot einer Enteignung, sondern der Schutz vor Entzug von Kirchengut, das wegen seiner spezifisch öffentlichen Funktion eines besonderen Schutzes bedürfe. Die Vorschrift schütze nicht nur gegen Enteignung, sondern gegen jede Art der Säkularisation. Die Interpretation der Kirchengutsgarantie unter der Geltung des Grundgesetzgebers knüpfte daran an und wurde maßgeblich von Johannes Heckel beeinflusst58. Seiner Ansicht nach schützt Art. 138 Abs. 2 WRV die 54

Im Unterschied gerade zu den frühen Entscheidungen im Streit um die St. Salvator Kirche versickert die Problematik der St. Salvator Kirche als res sacrae im Verlauf des Rechtsstreites zunehmend. Das Bundesverfassungsgericht erwähnt den Begriff der res sacrae nur noch kurz am Ende seiner Entscheidung ohne weitere Ausführungen (E 99, 100 (129)). 55

BVerwGE 87, 115 (130 ff.). – Kritik am Offenhalten der Frage nach der Qualität als öffentliche Sache bei: Renck, NVwZ 1996 (Anm. 2), S. 1179. 56

Vgl. etwa: Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 138 Anm. 7; Martin Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Festschrift für Wilhelm Kahl, 1923, Teil IV, S. 3 (4). 57

Dazu vor allem: Ernst Rudolf Huber, Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Reichsverfassung, 1927, S. 22 ff. 58

(Anm. 52), S. 103 ff. Vgl. zu dieser Funktion des Art. 138 Abs. 2 WRV und zum Verhältnis zu Art. 14 GG: Axel von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 315 ff.; Konrad Hesse, Das neue Bauplanungsrecht und die Kirchen, ZevKR 5 (1956), S. 62 ff.; Alexander Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 139 Rn. 64 f.; Karl-Hermann Kästner, Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Vermögens, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des

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öffentliche Funktion des von ihr behüteten Gutes vor jeder Antastung durch die weltliche Gewalt und sichert so das Kirchenvermögen vor jeder Beeinträchtigung der freien kirchlichen Verfügungsmacht. Über den substanziellen und wertmäßigen Bestand des Kirchenguts hinaus gewährleiste die Kirchengutsgarantie die öffentliche Funktion kirchlichen Vermögens. „Der verfassungsrechtliche Schutz des Kirchenguts ist ein wesentlicher Bestandteil des geltenden kirchenpolitischen Systems ... Denn er bedeutet nicht weniger als die Anerkennung der öffentlichen Autorität, Selbstbestimmung und Unverletzlichkeit der Kirche nach der Seite ihres materiellen Substrats“59. Diese Sichtweise findet sich auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur St. Salvator Kirche wieder60. Danach hat die Kirchengutsgarantie die Aufgabe, die Stellung und die Freiheit der Kirchen in ihren sächlichen Grundlagen zu gewährleisten und sichert insoweit das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften: „Art. 138 Abs. 2 WRV ist Ausdruck des Gedankens, dass das Gebrauchsrecht an einer Sache des Schutzes bedarf, weil diese Sache zum materiellen Substrat der Religionsfreiheit gehört.“61 Die Interpretation des Art. 138 Abs. 2 WRV als Norm zum Schutz der religiösen Funktion von kirchlichen Vermögensgegenständen hat nicht zwingend den Sonderstatus der res sacrae zur Folge. Bei den res sacrae gelangt zwar die religiöse Funktion in besonderer Weise zur Geltung; dass dies aber nur durch einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus gewährleistet werden kann, ist nicht nachweisbar. Die religiöse Funktion kann verfassungsrechtlich auch bei einer privatrechtlichen Beurteilung der heiligen Sachen geschützt werden. Art. 138 Abs. 2 WRV würde in diesem Fall ebenfalls die res sacrae vor einer „Antastung durch die weltliche Gewalt“ schützen. b) Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV als Bestandsgarantie Eine verfassungsrechtliche Garantie des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae wäre allerdings gegeben, wenn die Kirchengutsgarantie die gewohnheitsrechtlich anerkannte Zuordnung der res sacrae zu den öffentlichen Sachen gewährleistet. Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV müsste also

Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 891 (892 ff.); ders., Die zweite Eigentumsgarantie im Grundgesetz, JuS 1995, S. 784 ff. – Siehe auch: Jörg Lücke, Die Weimarer Kirchengutsgarantie als Bestandteil des Grundgesetzes, JZ 1998, S. 534 ff., der die eigentumsrechtliche Bedeutung der Kirchengutsgarantie besonders betont. 59

Heckel (Anm. 52), S. 104 f.

60

BVerfGE 99, 100 (120 ff.).

61

BVerfGE 99, 100 (121).

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nicht nur die res sacrae vor der Antastung durch die weltliche Gewalt schützen, sondern auch die besondere Form des Schutzes der res sacrae als öffentliche Sache mit der Konsequenz einer das privatrechtliche Eigentum überlagernden öffentlichen Sachherrschaft verfassungsrechtlich garantieren62. Die Regelung in Art. 138 Abs. 2 WRV beruht auf einem von den Abgeordneten Gröber (Zentrum) und Kahl (Deutsche Volkspartei) im Verfassungsausschuss eingebrachten Antrag: „Religionsgesellschaften bleiben im Besitz und Genuss der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.“63 Im Verfassungsausschuss brachten die Abgeordneten Meerfeld (SPD) und Naumann (DDP) später einen Änderungsantrag ein, welcher lautete: „Der Anspruch auf die bisher im Eigentum der Religionsgesellschaften befindlichen, für Kultus- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds bleibt bestehen.“64 In der nachfolgenden Diskussion wurde betont, dass das sehr komplizierte kirchliche Vermögensrecht nicht, ohne den Dingen Gewalt anzutun, in das Privatrecht überführt werden könne65, und in der darauf folgenden Sitzung des Verfassungsausschusses wurde beschlossen, den Änderungsantrag zu berücksichtigen, so dass die Vorschrift den Inhalt erhielt: „Das Eigentum der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds bleibt hierdurch unberührt.“66 Später beantragte der Abgeordnete Beyerle (Zentrum), neben dem Eigentum auch die anderen Rechte der Religionsgesellschaften zu schützen. Neben dem Eigentum gebe es nämlich andere besondere kirchliche Nutzungsrechte und dingliche Rechte67. Weiterhin schlug er vor, statt „bleiben unberührt“ die Formulierung „bleiben gewährleistet“ zu verwenden. Mit der redaktionellen Änderung in „werden gewährleistet“ brachte der Abgeordnete Mausbach (Zentrum) als Berichterstatter die Norm vor das Plenum der Nationalversammlung. In seiner Rede erklärte Mausbach68 unter anderem: „Noch klarer ergibt sich – ich möchte sagen, aus dem Geist der Verfassung –, dass das wohlerworbene Ei62

Ablehnend gegenüber einer verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae in der Kirchengutsgarantie: Mainusch (Anm. 7), S. 50 ff.; Renck (Anm. 19), S. 375 f., jeweils mit weiteren Nachweisen. 63

Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 336, S. 175. 64

Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 336, S. 199.

65

So der Abgeordnete Heinze (DVP), Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 336, S. 200. 66

Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 336, S. 208.

67

Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 336, S. 519 f.

68

Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 328, S. 1645.

Der verfassungsrechtliche Schutz der res sacrae

569

gentum der Religionsgesellschaften an ihren Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitsanstalten und Vermögenswerten unangetastet bleibt.“ Die vom Verfassungsausschuss vorgeschlagene Formulierung wurde trotz kritischer Äußerungen von Naumann (DDP)69 und Kunert (USPD)70 ohne Änderung als Artikel 138 Abs. 2 WRV in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen. Die Verhandlungen des Parlamentarischen Rats liefern für die genetische Interpretation des Art. 138 Abs. 2 WRV keine weiteren Erkenntnisse. Wegen der Schwierigkeiten, die Beziehung zwischen Staat und Kirche zu regeln, entschloss man sich, die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung, von einigen Ausnahmen abgesehen, geschlossen in das Grundgesetz zu übernehmen. Art. 138 Abs. 2 WRV war nicht Gegenstand weiterer Auseinandersetzungen71. Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass durch Art. 138 Abs. 2 WRV die bestehenden kirchlichen Sonderrechte, so wie sie sich historisch entwickelt hatten, verfassungsrechtlich weiterhin gewährleistet werden sollten. Deutlich kommt dies in den Formulierungen „bleiben in Besitz und Genuss“, „bleiben unberührt“, „bleiben gewährleistet“ und in der endgültigen Fassung „werden gewährleistet“ zum Ausdruck. Art. 138 Abs. 2 WRV ist somit eine Bestandsgarantie, die die rechtliche Sonderstellung der Kirchen im Hinblick auf ihr Vermögen umfassend schützt. Nicht nur das Eigentum, sondern auch die anderen Rechte werden gewährleistet. Zu den anderen Rechten gehört vor allem die öffentliche Sachherrschaft der Kirchen, da ein öffentlich-rechtliche Sonderstatus der res sacrae von alters her durch den Staat anerkannt wurde. Für die Interpretation des Art. 138 Abs. 2 WRV als Bestandsgarantie spricht auch der Vergleich mit der Vorschrift des Art. 138 Abs. 1 WRV. Das Grundgesetz gewährleistet in Art. 138 Abs. 1 WRV die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften bis zu ihrer Ablösung. Während Art. 138 Abs. 2 WRV die gesamten Vermögensrechte und Vermögenswerte der Kirchen schützt, nimmt Absatz 1 davon einen bestimmten Teil, nämlich die Staatsleistungen, heraus72. Die aufgrund historischer Verflechtung von Staat und Kirche entstandenen Verpflichtungen des Staates, vor allem die Dotationen, können nur durch eine Ablösung besei-

69

Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 328, S. 1652 ff.

70

Stenographische Berichte (Anm. 63), Bd. 328, S. 1658 ff.

71

Siehe dazu Jahrbuch für öffentliches Recht, N. F. 1 (1951), S. 899 ff.

72

Zur Funktion des Art. 138 Abs. 1 WRV: Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, 2. Aufl. 1994, S. 1009 ff.; siehe auch: Peter Axer, Die Steuervergünstigungen für die Kirchen im Staat des Grundgesetzes, AfkKR 156 (1987), S. 460 (464 ff.).

Peter Axer

570

tigt und aufgehoben werden. Ablösung bedeutet Aufhebung des Leistungsgrundes gegen gleichwertige Entschädigung73. Die Vorschrift des Art. 138 Abs. 1 WRV erfasst nur diejenigen Staatsleistungen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Reichsverfassung am 14. 8. 1919 bestanden74. Zu den Staatsleistungen zählen die dauernden, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrenden finanziellen Zuwendungen, die auch in Form einer gesetzlichen Steuer- und Gebührenbefreiung erfolgen können. Der öffentlich-rechtliche Sonderstatus der res sacrae ist dagegen durch Art. 138 Abs. 1 WRV nicht geschützt, denn es handelt sich bei der Qualifikation der res sacrae um keine geldwerte Leistung75. Die Regelung über die Staatsleistungen in Art. 138 Abs. 1 WRV stellt eine Bestandsgarantie für die finanziellen Verpflichtungen des Staates bis zur Ablösung dar76. Es entspricht daher der Systematik des Art. 138 WRV, den Absatz 2 als Bestandsgarantie für das Eigentum und die anderen Rechte der Kirchen anzusehen. Während Absatz 1 den Bestand der finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen gewährleistet, schützt Absatz 2 das kirchliche Eigentum und den Bestand anderer kirchlicher Rechte und damit die rechtliche Sonderstellung der res sacrae. Verfassungsrechtliche Grundlage für die Qualifizierung der res sacrae als öffentliche Sache ist somit Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV. Die Kirchengutsgarantie gewährleistet die rechtliche Sonderbehandlung „anderer Rechte“, wozu die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft an den res sacrae zählt. Die Kirchengutsgarantie erweist sich insoweit als eine Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Sonderstatus der res sacrae. V. Konsequenzen für die res sacrae Res sacrae haben heute einen verfassungsrechtlich gewährleisteten öffentlich-rechtlichen Sonderstatus, soweit er ihnen gewohnheitsrechtlich zukommt. Gegenstände der Religionsgemeinschaften, die von alters her als res sacrae eine rechtliche Sonderbehandlung erfahren haben, unterliegen einem besonderen, verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz, der sich in einer das Privateigentum überlagernden öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft äußert. Dies hat zur Folge, dass die res sacrae, so wie es etwa § 6 Abs. 6 des Straßen- und Wegegesetzes Nordrhein-Westfalen für die öffentlichen Sachen Straßen und Wege 73

Isensee (Anm. 72), S. 1034 ff., mit weiteren Nachweisen.

74

Vgl. dazu: Axer (Anm. 72), S. 478 f.

75

Mainusch (Anm. 7), S. 72.

76

Zum Bestandsschutz durch Art. 138 Abs. 1 WRV: Isensee (Anm. 72), S. 1043 ff.

Der verfassungsrechtliche Schutz der res sacrae

571

formuliert, „durch privatrechtliche Verfügungen oder durch Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Enteignung“ nicht berührt werden und ihre Zweckbestimmung weiterhin bestehen bleibt. Allerdings setzt dies die zivilrechtliche Verfügungsmöglichkeit der Kirchen über die res sacrae voraus, es sei denn, dass der privatrechtliche Eigentümer der kirchlichen Zweckbestimmung mit ihren staatlichen Rechtsfolgen zugestimmt hat. Das Institut der res sacrae bietet keine Möglichkeit, bei fehlender Zustimmung das zivilrechtliche Eigentum eines Dritten zu verdrängen und diesen zu „enteignen“. Liegt eine Zustimmung des Eigentümers vor, so überlagert die durch kirchliche Handlung getroffene Zweckbestimmung das privatrechtliche Eigentum. Die Unempfindlichkeit der res sacrae gegenüber privatrechtlichen Verfügungen unterscheidet sie von anderen, nur dem bürgerlichen Recht unterliegenden Sachen. Durch die im Umfang der Zweckbestimmung bestehende öffentlich-rechtliche Sachherrschaft wird die Sache und deren Nutzung besser geschützt als durch das Zivilrecht77. Deutlich macht dies die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts im Fall der Klage auf Räumung und Herausgabe der Sakristei der Kirche St. Peter in Augsburg durch den Eigentümer78. Hier stand die kirchliche Zweckbestimmung und damit der öffentlich-rechtliche Sonderstatus dem Begehren des Klägers entgegen, so dass die Klage abgewiesen wurde. Der Einwand, der Kläger hätte sein Ziel mit einer vorherigen Klage auf Entwidmung erreichen können, hilft in diesem Fall nicht weiter, da der frühere Eigentümer der kirchlichen Handlung zugestimmt hatte und der neue Eigentümer dies wusste. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Entwidmung wäre somit abgewiesen worden und die zivilrechtliche Herausgabeklage hätte gleichfalls keinen Erfolg gehabt. Hätte die Sakristei keinen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus besessen, wäre eine zivilrechtliche Herausgabeklage womöglich begründet gewesen. Der öffentlich-rechtliche Sonderstatus der res sacrae führt allerdings nicht dazu, dass sie den Straßen und Wegen gleich behandelt werden, vielmehr ist ihre Funktion für die Kirchen vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Systems von Staat und Kirche bei ihrer rechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen. Den res sacrae kommt aufgrund ihrer kirchlichen, durch Kirchenrecht bestimmten Funktion eine besondere Stellung verglichen mit anderen öffentlichen Sachen zu79. Sie unterscheiden sich von Straßen und Wegen und lassen sich in die her-

77

Germann (Anm. 18), S. 460 f. – Anderer Ansicht: Schlink (Anm. 31), S. 639, der allerdings konstatiert, dass aus der Unterstellung der res sacrae unter das öffentliche Recht „verfahrensrechtlich eine besonders günstige Stellung“ der jeweiligen Religionsgemeinschaft resultiert. 78 79

BayObLGZ 17, 93 ff.

Forsthoff, (Anm. 7) S. 220; Otto Mayer (Anm. 32) S. 55, bezeichnet sie als eine „ganz eigenartige Gruppe von öffentlichen Sachen“.

Peter Axer

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kömmliche Gliederung eines Rechts der öffentlichen Sachen nicht einordnen. Nach der Form der Nutzung wird für das Recht der öffentlichen Sachen unterschieden zwischen öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch, Sondergebrauch, Anstaltsgebrauch und Verwaltungsgebrauch80. Res sacrae sind weder Sachen im Gemein- oder Sondergebrauch noch Sachen im Anstalts- oder Verwaltungsgebrauch. Ihre Nutzung bestimmt sich allein nach Kirchenrecht und entzieht sich daher den herkömmlichen Nutzungskategorien zur Systematisierung der öffentlichen Sachen und Gliederung eines Rechts der öffentlichen Sachen81. Das für staatliche öffentliche Sachen, etwa für Straßen und Wege mit den Regelungen über Gemeingebrauch und Sondernutzung aufgestellte Nutzungssystem82 lässt sich auf die res sacrae nicht übertragen. Sofern man überhaupt angesichts der verschiedenartigen Sachen, die zu den öffentlichen Sachen zählen und unterschiedlichen Regelungen unterliegen, von einem Rechtsgebiet „Recht der öffentlichen Sachen“ mit einheitlichen, gemeinsamen Prinzipien und Regelungen sprechen kann83, nehmen die res sacrae in einem solchen Rechtsgebiet eine Sonderstellung ein. VI. Der öffentlich-rechtliche Sonderstatus der res sacrae Res sacrae unterliegen einem öffentlich-rechtlichen Sonderstatus, der gewohnheitsrechtlich anerkannt ist und in diesem Umfang durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV verfassungsrechtlich garantiert ist. Die Kirchengutsgarantie gewährleistet insoweit den Religionsgesellschaften eine das Privateigentum überlagernde öffentlich-rechtliche Sachherrschaft über die res sacrae und schützt die res sacrae damit vor zweckwidrigem Gebrauch. Den öffentlich-rechtlichen Sonderstatus erlangen die res sacrae durch kirchliche Zweckbestimmung, an die der Staat die Rechtsfolgen einer Widmung im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Sonderstatus knüpft. Damit sind die res sacrae zwar den öffentlichen Sachen im Sinne des staatlichen Verwaltungsrechts zuzuordnen, doch nehmen sie innerhalb der öffentlichen Sachen aufgrund ihrer kirchlichen Zweckbestimmung und Funktion eine Sonderstellung ein und lassen sich nicht ohne weiteres mit anderen öffentlichen Sachen vergleichen. 80 Zur Systematisierung der öffentlichen Sachen und Gliederung des Rechts der öffentlichen Sachen nach der Form der Nutzung: Pappermann / Löhr / Andriske (Anm. 14), S. 6 ff.; Hans-Jürgen Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1998, S. 17 ff.; Wolff / Bachof / Stober (Anm. 12), § 75 Rn. 10 ff. 81

Hense (Anm. 6), S. 290 f.

82

Dazu: von Danwitz (Anm. 15), 8 Kap., Rn. 54 ff.

83

Ablehnend: Axer (Anm. 16), S. 218 ff.; vgl. auch: Dirk Ehlers, Das öffentliche Sachenrecht – ein Trümmerhaufen, NWVBl. 1993, S. 327 ff.

Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kirche und des Staates1 Von Manfred Baldus I. Bildungs- und Erziehungsziele als Gegenstand des kirchlichen und staatlichen Schulrechts 1.1 Mehr als 20 canones des Codex Iuris Canonici 1983 der Katholischen Kirche befassen sich mit dem kirchlichen Bildungswesen („de educatione catholica“ [cc. 793 – 821]). Sie behandeln das Erziehungsmandat der Kirche, Grundaussagen über das Bildungsziel und die wichtigsten Organisationsformen kirchlich getragener Bildung. Nach c. 794 § 1 CIC kommt der Kirche „in besonderer Weise ...Pflicht und Recht zur Erziehung zu, denn ihr ist von Gott aufgetragen, den Menschen zu helfen, dass sie zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen vermögen“. Inhaltlich erstrebt dieses als „wahre Erziehung“ (vera educatio) gekennzeichnete Programm „die umfassende Bildung der menschlichen Person in Hinordnung auf ihr letztes Ziel und zugleich auf das Gemeinwohl der Gesellschaft...; daher sind die Kinder und Jugendlichen so zu bilden, dass sie ihre körperlichen, moralischen und geistigen Anlagen harmonisch zu entfalten vermögen, tieferes Verantwortungsbewusstsein und den rechten Gebrauch der Freiheit erwerben und befähigt werden, am sozialen Leben aktiv teilzunehmen“ (c. 795 CIC). 1.2 Diesen hier zunächst in einem knappen Auszug vorgestellten Maximen des geltenden kanonischen Bildungsrechts korrespondieren im weltlichen Rechtskreis inhaltlich vergleichbare Rechte und Pflichten des Staates. So stellen Art. 7 Abs. 1 GG und zahlreiche deutsche Landesverfassungen das gesamte Schulwesen unter die Aufsicht des Staates. Hinter dieser Formel verbirgt sich die Innere Schulhoheit, das staatliche Recht zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens. Der weitaus größte Teil der 16 deutschen Landesverfassungen versucht, Zielvorstellungen für das Schulwesen zu beschreiben, etwa Art. 101 der Verfassung 1

Überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Verf. anlässlich einer Tagung der Katholischen Juristenarbeit Deutschlands am 5. Mai 2001 in Schmochtitz/Bautzen zum Thema „Staat und Kirche – Veränderungen seit der Wiedervereinigung Deutschlands“ gehalten hat. Die Vortragsform wurde beibehalten und demgemäß auf Anmerkungen weitgehend verzichtet.

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des Freistaates Sachsen: „Die Jugend ist zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zu Nächstenliebe, zum Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zur Heimatliebe, zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewusstsein, zu Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zu beruflichem Können, zu sozialem Handeln und zu freiheitlicher demokratischer Haltung zu erziehen.“ Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, dass die schulischen Erziehungsund Bildungsziele, die der Codex Iuris Canonici und die weltlichen Landesverfassungen vorgeben, nicht nur korrespondieren, sondern auch konkurrieren, zumal sie im Prinzip denselben Personenkreis angehen. Dies führt zu der Frage, wie nämlich jede der beiden Rechtsordnungen auf den konkurrierenden Anspruch der anderen reagiert. Das Thema dieses Beitrags ist also im Ergebnis ein kollisionsrechtliches. Beispielhaft tritt diese Konkurrenzlage im Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gemäß Art. 7 Abs. 2 u. 3 GG und – wie hier im Schwerpunkt erörtert werden soll – im Recht der Freien Schulen gemäß Art. 7 Abs. 4 und 5 GG hervor. II. Anlass der Problemdiskussion 2.1 Werteverfassung, Werteverfall und Wertewandel beschäftigen hierzulande seit geraumer Zeit die öffentliche Diskussion mit einer Heftigkeit, wie man sie zuvor selten erlebt hat. Schwerpunkte sind der Umgang mit der Hinterlassenschaft der DDR und die normativen Grundlagen des Lebensschutzes, der Gentechnologie und des Ressourcen-Managements. Schon die Tatsache, dass ein solcher Streit stattfindet, ist von nicht zu unterschätzendem Rang, handelt es sich doch um ein Indiz dafür, dass in der öffentlichen Meinung die Notwendigkeit einer abwägenden Wertorientierung erkannt und wohl auch eingesehen wird. Die Fähigkeit, die Kriterien für diese Kunst des Abwägens zu erkennen, beruht nicht zuletzt auf Bildung. Bildungs- und Erziehungsziele, so wie sie das Bildungsrecht vorgibt, sind nichts anderes als Leitlinien einer solchen Wertorientierung, und zwar gerade in einer Phase, die sich nicht bei einer Klage über Werteverlust aufhalten darf. Die aktuelle Diskussion fordert vielmehr Stellungnahmen zum Sinn und Ziel des Lebens im Ganzen heraus, Fragen also, die im Mittelpunkt sowohl des pädagogischen als auch des religiösen Handelns stehen und deren rechtliche Grundlagen im Bildungsrecht aufzusuchen sind. 2.2 Die hervorragende Rolle der Schule in diesem Diskurs liegt auf der Hand. Sie ist diejenige Institution, die von Verfassungs wegen an erster Stelle zur Entfaltung und praktischen Umsetzung von Bildungs- und Erziehungszielen berufen ist. An diese verfassungsrechtlich abgesicherte Mitverantwortung der Schule für die Gemeinschaftsethik muss nachdrücklich erinnert werden, weil staatliche Organe auf dem Wege sind, neue Instanzen der Wertorientierung zu etablieren: halbamtliche, in der Verfassung nicht erwähnte und nach dem Inte-

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resse des Auftraggebers besetzte Gremien, wie der „Nationale Ethikrat“, Aktionen zur Ausweitung der Mitverantwortung für Erziehung und Schule (wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen das „Bündnis für Erziehung“) und ähnliche „Runde Tische“. Was dort als Rat beschlossen oder praktisch erprobt wird, fließt demnächst in das Bildungs- und Erziehungskonzept des Staates für die Schule ein, beeinflusst auf dem Wege der Verfassungsauslegung die erwähnten allgemeinen Erziehungs- und Bildungsziele und berührt damit auch die Vorgaben des staatlichen Schulrechts für Freie Schulen. 2.3 Unglücklicherweise trifft nun aber der gegenwärtige Ethik-Diskurs mit einer verbreiteten Ratlosigkeit über schulische Bildungs- und Erziehungsziele zusammen. Die beeindruckende historische Konstante, die sich in den verfassungsrechtlichen Bildungszielen der alten und neuen deutschen Länder zeigt, steht in einem auffälligen Gegensatz zu der Skepsis, mit der die klassischen Erziehungs- und Bildungsträger, nämlich Eltern, Staat und Kirche, die Leistungsfähigkeit der Schule auf diesem Gebiet einschätzen. Diese Konsensdefizite in der Frage, was schulische Bildung und Erziehung überhaupt soll, sind Indizien für eine Krise dieser Erziehungsträger selbst. Schutz und Erziehung des Kindes, die traditionell zum Aufgabenbereich der natürlichen elterlichen Autorität gehören und nur im Notfall dem staatlichen Zugriff unterliegen, werden überlagert durch ein neues Konzept, nämlich das Kindesrecht auf Autonomie. Für die Schule hat Ekkehard Stein dieser Tendenz bereits 1967 Ausdruck verliehen mit dem Titel seiner Monographie „Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule“. Ein solches Kindesrecht auf Autonomie, das dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) nur noch eine funktional treuhänderische Rolle zuweist, berührt unmittelbar den der Rechtssphäre vorgelagerten Organismus der Familie. Es entsteht nämlich eine direkte Rechtsbeziehung zwischen Kind und Staat, weil sich dieser als Sachwalter eben dieser Kindesautonomie versteht. Dann wird die Möglichkeit eines regulierenden Eingriffs des Staates auch dort diskutiert, wo eine Vernachlässigung der elterlichen Erziehungs- und Schutzpflichten nicht vorliegt, aber die Entfaltungschancen des Kindes – etwa wegen des sozialen Umfelds – eingeschränkt sind. Die Rechtspolitik folgt damit einem verbreiteten Misstrauen in die elterliche Autorität, obgleich diese für die Entwicklung des Kindes notwendig ist. Kinder und Jugendliche möchten sich natürlicherweise nicht nur emanzipieren, sondern mit Eltern, Lehrern und Priestern auch identifizieren, was gleichbedeutend ist mit der Erfahrung, erwünscht und geliebt zu sein.2

2

In der internationalen Diskussion wies hierauf zuerst der japanische Familienrechtler Akira Morita. Vgl. u.a. Family Dissolution and the Concept of Childrens‘ Rights, in: Comparative Law, Annals of Toyo University Tokyo, Institute of Comparative Law,

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Die Ausrichtung der nachwachsenden Generation an Emanzipation und Selbstverwirklichung lässt Bildungs- und Erziehungswerte wie Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Hilfsbereitschaft (Art. 131 Abs. 2 BayLV), Werte, die zuerst in der Familie einzuüben sind, häufig erst gar nicht aufkommen. Wenn soziale Verhaltensmuster, die durch ein Autoritätsverhältnis mitgeprägt sind, als Fremdbestimmung diskreditiert werden, bleibt dies nicht ohne Folgen für die Akzeptanz des Religionsunterrichts, der zwar verfassungsrechtlich gewährleistet (z.B. Art. 7 Abs. 2 u. 3 GG), aber inhaltlich von der Kirche bestimmt ist. Nach ihrem Selbstverständnis als Rechts- und Heilsgemeinschaft darf die Kirche von den Gläubigen einen Gemeinsinn (communio semper servanda cum ecclesia, c. 209 CIC) verlangen, der über vergleichbare Erwartungen des Staates an seine Bürger hinausgeht. „Im Bewusstsein der eigenen Verantwortung“ (propriae responsabilitatis conscii) sollen sie in christlichem Gehorsam (christiana oboedientia) befolgen, „was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen“ (c. 212 § 1 CIC). Religionsunterricht ist auch Einübung in dieses Vivere cum Ecclesia, wobei es an dieser Stelle keiner Diskussion über die Grenzen der Gehorsamspflicht bedarf. Demgegenüber begünstigt ein weltanschaulich neutraler Ethikunterricht eher den Rückzug in eine eklektisch zusammengesuchte Privatmoral, weil die Annahme der dort vermittelten Normen des Sozialverhaltens letztenendes dem Ermessen des Einzelnen überlassen bleibt. Schließlich drängt die Überbetonung des Gleichheitsgedankens verfassungsschulrechtliche Bildungs- und Erziehungsziele wie Tüchtigkeit und Bewährung (Art. 56 Abs. 4 Hess.LV, 33 RhldPf.LV, 25 Abs. 1 SaAnh.LV, 101 Abs. 1 Sächs.LV) in den Hintergrund. Während die bisher beschriebenen Erschwernisse bei der Umsetzung verfassungsschulrechtlicher Bildungs- und Erziehungsziele vornehmlich als Akzeptanzproblem erscheinen, bezweifeln andere, ob der Staat überhaupt noch berufen ist, von Rechts wegen Bildungs- und Erziehungswerte zu vermitteln. In einer von der Kommission „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahre 1995 vorgelegten Denkschrift klingen solche Bedenken an. Zwar soll hiernach die Schule dazu befähigen, „den Anspruch auf Selbstbestimmung und die Entwicklung eigener Lebens-Sinnbestimmungen zu verwirklichen“, die nähere Aufgabenbeschreibung bleibt aber merkwürdig formal und inhaltsleer.

Nr. 35/1997. Der Autor kritisiert insbesondere die Verabsolutierung des Autonomiekonzepts in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes (1989) und verweist – als Gegenmodell – auf das in der japanischen Erziehung tief verwurzelte Amae-Prinzip, einer Freiheit in Geborgenheit; vgl. dazu Doi, Takeo, Amae – Freiheit in Geborgenheit. Zur Struktur der japanischen Psyche, dt. Frankfurt a.M. 1982.

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Zweifel an der Realisierbarkeit der vorgegebenen Bildungs- und Erziehungsziele sind im kirchlichen Bereich nicht weniger gewichtig. Die katholischen Freien Schulen leben als Minderheit in einer Schulrechtslandschaft, die durch das öffentliche Schulwesen geprägt ist. Sie sind als Ersatzschulen zur Wahrung der für alle Schulen verbindlichen Bildungs- und Erziehungsziele der Landesverfassungen (Art.12 Abs. 1, 21 BW.LV, 131 Bay.LV, 26 Brem.LV, 56 Abs. 3 – 5 Hess.LV, 15 Abs. 4 MV.LV, 7, 11 NW.LV, 33 RP.LV, 26 Abs. 1, 30 Saar.LV, 101 Abs. 1 Sächs.LV, 27 Abs. 1 SaAnh.LV, 22 Abs. 1 u. 2 Thür.LV) verpflichtet. Folglich gehört die Diskussion um das gegenüber der öffentlichen Schule abgrenzende Proprium, d.h. beispielsweise das unterscheidend Katholische, seit langem zu den Dauerthemen freier Schulträger. Allerdings bleibt der Diskurs hier nicht bei dem – mehr oder weniger gelungenen – Versuch einer normativen Erfassung des Propriums in Statuten etc. stehen, sondern geht auch der Frage nach, in welchen organisatorischen Formen und unterrichtlichen Inhalten sich die jeweilige Eigenart der kirchlichen Schule äußert. III. Legitimation, Inhalt und institutionelle Tragweite des kirchlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags 3.1 Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kirche hat seinen Ursprung im Evangelisationsgebot Jesu Christi (Mt 28, 18 ff.), das die religiöse Unterweisung der Jugend einschließt. Diese Weisung wird nicht nur kerygmatisch, sondern auch kanonistisch gedeutet. Sie begründet im Verständnis des kanonischen Rechts eine originäre, der Kirche als Institution auferlegte Rechtspflicht. Als eine solche besteht sie unabhängig von Recht und Pflicht der Eltern, ihren Kindern eine katholische Erziehung angedeihen zu lassen. Normativer Anknüpfungspunkt dieses Elternrechts als eines natürlichen und unveräußerlichen Rechts ist die Aussage des kanonischen Rechts über das Wesen der Ehe, die auf Nachkommenschaft hingeordnet ist (c. 1055 § 1 CIC). Zum weitaus größten Teil gehen die Quellen des kirchlichen Schulrechts auf das 19. Jahrhundert zurück. Vor allem unter dem Eindruck konkurrierender Ansprüche des Staates auf die Schule verwarfen die Päpste – so Pius IX. im Syllabus (1864) – vor allem das sog. staatliche Schulmonopol. Gleichwohl begnügte sich der Codex Iuris Canonici von 1917 für das Schulwesen mit einigen wenigen Grundsätzen zum Teil allgemeinster Art (cc. 1113, 1372 – 1375, 1379, 1381). Da ist die Rede im wesentlichen vom Elternrecht auf religiöse Erziehung der Kinder und vom Recht der Kirche auf Gründung von Schulen und Universitäten. Deshalb sind – historisch und aktuell – für die Auslegung des kirchlichen Schulrechts lehramtliche Verlautbarungen besonders bedeutsam, so die Enzyklika Pius‘ XI. „Divini illius Magistri“ 1929), die Erklärung über die christliche Erziehung („Gravissimum educationis“) des II. Vaticanums (1965) und die Erklärungen der deutschen Bischöfe zur Schule und zu einzelnen Fächern.

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Vergleicht man die Erziehungsenzyklika „Divini illius Magistri“ mit der Konzilserklärung „Gravissimum educationis“ und dem hierauf aufbauenden Schulrecht des Codex von 1983, dann sind zwar keine gravierenden Brüche, wohl aber Nuancen auszumachen, die eine veränderte Sichtweise offenbaren. Während in der Erziehungsenzyklika von 1929 der Vorrang der Kirche als Bildungs- und Erziehungsträger – im Verhältnis zu Eltern und Staat – aus ihrer obersten Lehrgewalt und „übernatürlichen Mutterschaft“ (Munus matris supernaturalis) abgeleitet wurde, steht nunmehr ihre Beistandspflicht im Vordergrund. Das in besonderer Weise (singulari ratione) der Kirche zustehende Erziehungsrecht begründet der Codex nämlich aus der ihr von Gott aufgetragenen Pflicht, den Menschen dabei zu helfen (adiuvare), zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen. Der Beitrag der Kirche ist hingeordnet auf das im kanonischen Grundstatus (c. 217) umschriebene Recht der Gläubigen auf eine christliche Erziehung. Eine vorzügliche Hilfe (praecipuum auxilium) bei der Erfüllung der elterlichen Erziehungsaufgabe bietet die Schule (c. 796 § 1 CIC). Katholische Eltern sollen daher ihre Kinder Schulen oder sonstigen Einrichtungen anvertrauen, in denen für eine katholische Erziehung gesorgt ist (cc. 793 § 1, 798 CIC). Selbstverständlich lässt auch der Codex – wie bereits die Erklärung „Gravissimum educationis“ des II. Vaticanums – keinen Zweifel daran, dass nicht die juristische Trägerschaft, sondern ihr geistiges Erscheinungsbild für die katholische Schule wesensbestimmend ist: Erziehung und Unterricht müssen von der katholischen Lehre geprägt sein (s. 803 § 2). Den Inhalt des Bildungsziels vertieft c. 795 CIC, wie wir schon eingangs sahen, im Blick auf die Ansprüche auch der weltlichen Gemeinschaft: Kirchlich getragenen Erziehung soll nicht in ein Ghetto führen, sondern sozial in die moderne Gesellschaft, die nicht als eine christliche oder gar katholische verstanden wird, integrieren. Diese Erziehungsziele, die noch so allgemein gehalten sind, dass sie sich von ihren Parallelen im Verfassungsrecht der deutschten Länder nicht nachhaltig unterscheiden, werden von der römischen Bildungskongregation im Rahmen von Erklärungen zur katholischen Schule vom 19. März 1977 und zur religiösen Dimension der katholischen Schulerziehung vom 7. April 1988 weiter entfaltet. Hieraus wird nun ein ganz wesentliches Prinzip ersichtlich, dass nämlich katholische Bildung und Erziehung weniger durch bestimmte Einzelmerkmale (propria) als durch ein pädagogisches Konzept bestimmt ist. Es handelt sich um einen Erziehungsprozess, der Kultur und Heilsbotschaft harmonisch verbindet. Dieser Gedanke, zunächst im katholischen Privatschulwesen Frankreichs unter dem Titel „Projet éducatif“ entwickelt, hat – wie wir noch sehen werden – längst auch im hiesigen katholischen freien Schulwesen Fuß gefasst. 3.2 Das zuvor beschriebene gemeinkirchliche Schulrecht des Codex ist ein Rahmenrecht. Deshalb erlaubt es, die Umschreibung kirchlicher Bildungs- und Erziehungsziele partikularkirchenrechtlich auszufalten. Auf diese Weise ist in

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Deutschland vor allem für Privatschulen ein umfangreiches Corpus diözesanen Schulrechts entstanden, das unter den noch zu erörternden besonderen Bedingungen des deutschen Privatschulrechts große Teile des öffentlichen Schulorganisationsrechts, Schulverwaltungsrechts und Lehrerdienstrechts für den Bereich der kirchlichen Freien Schulen verdrängt hat.3 Das schwierige Problem, die Eigenprägung des kirchlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags in einer auch rechtsdogmatisch vertretbaren Form zum Ausdruck zu bringen, lösen einige diözesane Grundordnungen in der Weise, dass sie Kernaussagen des II. Vatikanischen Konzils, der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland und der römischen Bildungskongregation über die Zielsetzung der katholischen Schule im Wortlaut übernehmen. Vielfach wird die katholische Schule beschrieben als ein Angebot für Eltern, die für ihre Kinder eine Erziehung und Bildung aus dem katholischen Glauben wünschen und in Wahrnehmung ihrer Elternrechte bejahen. Sie soll den Schüler befähigen, ein Leben aus dem Glauben zu führen und die Welt in christlicher Verantwortung zu gestalten. Dies erfordert – wie in fast allen Grundordnungen erwähnt – eine ganzheitliche Erziehung, die an Personalität, Gemeinschaftsbezogenheit und Gottbezogenheit als den Grundstrukturen des Menschen orientiert ist. Konkretisiert wird jene Zielsetzung u.a. durch den Hinweis auf die zentrale Bedeutung der religiösen Erziehung, insbesondere des Religionsunterrichts und der Schulseelsorge, aber auch ökumenischer Anliegen. Aus vielen Grundordnungen spricht das Bemühen, dem Erscheinungsbild der kirchlich getragenen Schule auch mit den Mitteln der Rechtssprache Konturen zu geben. Freilich ist auch hier zu erkennen, dass die Eindeutigkeit des rechtlichen Gehalts nicht nur unter dem hohen Abstraktionsgrad von Begriffen leiden kann, sondern ebenso unter der Weitschweifigkeit einer Beschreibung. Den Kernsatz einiger Grundordnungen bildet die Feststellung, für Unterricht und Erziehung seien die in Schrift und Tradition enthaltenen und von der katholischen Kirche vermittelten Aussagen der göttlichen Offenbarung und die daraus resultierenden Glaubens- und Wertvorstellungen über den Menschen, sein Ziel und seine Aufgabe, seine soziale und berufliche Verantwortung in Familie, Kirche und Gesellschaft verbindliche Grundlage.

3 Die Lage des deutschen katholischen Schulwesens einschließlich des Schulrechts ist aus gesamt- und partikularkirchlicher Sicht dokumentiert bei Ilgner, Rainer (Hrsg.), Handbuch Katholische Schule, 6 Bde, Köln 1992 – 1994.

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IV. Legitimation, Inhalt und institutionelle Tragweite des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags 4.1 In einer kleinen Schrift mit dem Titel „Die kulturellen Voraussetzungen der Freiheit“ (1995) macht Paul Kirchhof deutlich, dass die Freiheit als Maxime des Zusammenlebens den einzelnen und die Rechtsgemeinschaft nicht in das Belieben entlässt, sondern „rechtlich begrenzte Selbstbestimmung auf der Grundlage gemeinsamer Wertungen“ gewährt. Der freiheitliche Staat könne für fremde Kulturen offen sein, solange er sich seiner eigenen kulturellen Grundlagen sicher sei. Diese Gewissheit eigener Identität ergibt sich nicht aus dem geschriebenen Recht und kann im allgemeinen auch nicht mit den Mitteln der Gesetzesauslegung gewonnen werden. Vielmehr geht es um den kulturstaatlichen Hintergrund, vor dem sich Recht entfaltet. Dennoch ist ein Austausch, gleichsam eine Osmose zwischen Hintergrund und geschriebenem Recht, nicht zu leugnen, denn es gibt keine Rechtsordnung, die ohne einen – wie man bewusst unjuristisch sagen muss – Schatz an kulturellen Werten auskommt, in den sie eingebettet ist und den sie auch nicht der Beliebigkeit zufälliger Zeitströmungen überlassen darf. Im Schulrecht erscheinen diese Grundwerte als oberste Bildungs- und Erziehungsziele und gehören daher zur „Hintergrundinformation“ für jede Einrichtung, die als Schule im Sinne des staatlichen Schulrechts und nicht nur als Unterrichtsveranstaltung anzusehen ist. Sie sind Gegenstand des Landesverfassungsrechts, werden dort meist als Erziehungsziele bezeichnet und kehren häufig im nachgeordneten einfachen Schulrecht mehr oder weniger gleichlautend wieder. Allerdings darf man nicht übersehen, dass es bei der Aufnahme von Bildungs- und Erziehungszielen in Rechtsnormen nicht in erster Linie darum geht, Rechte und Pflichten der am Schulwesen Beteiligten festzuschreiben, etwa im Sinne eines Rechtsanspruchs auf Vermittlung bestimmter Bildungsinhalte. Bildungs- und Erziehungsziele im Schulrecht – dies gilt sowohl für den kirchlichen als auch für den staatlichen Rechtskreis – beschreiben vielmehr zunächst das geistige Klima oder den kulturellen Wurzelgrund, der für das Schulehalten, d.h. den konkreten Unterrichtsvorgang maßgebend ist. Es handelt sich also durchaus um einen Bereich, der von der Rechtsordnung mehr umhegt als geregelt wird. Was berechtigt den Staat, solche Bildungs- und Erziehungsziele aufzustellen, was legitimiert seinen Auftrag? Auch wenn man die im Verfassungsschulrecht bedeutsame historische Komponente als Legitimationsgrund beiseite lässt, spricht für die allgemeine öffentliche Schule jedenfalls das Gebot der Rationalität und praktischen Nützlichkeit. Der Staat hat die Aufgabe, die Gesellschaft durch flächendeckende und möglichst allgemeinverbindliche Bildungseinrichtungen und Bildungsinhalte zu integrieren und für die nachwachsende Generation die imma-

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terielle Daseinsvorsorge sicherzustellen. In welchem Rangverhältnis dann öffentliche und Freie Schulen stehen, mag dahingestellt bleiben. Eine Beschreibung der in den Landesverfassungen enthaltenen Bildungsund Erziehungsziele knüpft zwar in vielen Punkten an Verfassungsschulrecht der Weimarer Zeit, insbesondere Art. 148 Abs. 1 – 3 WRV, an; aber schon die Verfassungen der alten Länder nehmen auch die Erfahrung mit der Perversion von Recht und Gemeinschaftswerten im Nationalsozialismus auf. Die meisten der damals entfalteten Zielvorstellungen kehren in den Verfassungen der neuen Bundesländer wieder, mit einer einzigen wirklich signifikanten Ausnahme: die „Ehrfurcht vor Gott“, die der schulischen Erziehung in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland vorgegeben ist, findet sich in keiner der neuen Landesverfassungen. Eine solche Konkretheit religiösen Bezugs ist derzeit wohl nicht konsensfähig. Zurückhaltung beobachtet man auch bei Bildungs- und Erziehungszielen wie „Liebe zu Volk und Heimat“, „Vaterland“ u.ä., was offenbar in der für das Landesverfassungsrecht prägenden Phase der Nachkriegszeit trotz des eklatanten Missbrauchs jener Bildungswerte durch die Nationalsozialisten weniger Vorbehalte ausgelöst hat als heutzutage. Unter den persönlichkeitsbildenden Erziehungszielen finden sich Gerechtigkeit, Menschlichkeit, eigenständiges Denken, berufliche Tüchtigkeit, Arbeitswille, Selbstbeherrschung und Aufgeschlossenheit für alles Gute, Wahre und Schöne. Schon quantitativ herausragend erscheinen die mehr auf die Gemeinschaft bezogenen Erziehungsziele wie Achtung der Menschenwürde, Toleranz, Duldsamkeit, freiheitlich-demokratische Gesinnung, Nächstenliebe, Brüderlichkeit, Friedensliebe und Völkerverständigung, Verantwortung für künftige Generationen und – als eines der wenigen später nachgeschobenen Bildungs- und Erziehungsziele – die Erhaltung der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese in Rechtstexten erscheinenden Begriffe spiegeln einen bestimmten Verfassungshintergrund, der im wesentlichen durch die abendländisch-christliche Tradition, den Dreiklang von Antike, Christentum und Aufklärung bestimmt ist. Sie sind als Verfassungsvoraussetzungen oder Auslegungshilfen nicht beliebig austauschbar. So dürften beispielsweise Inhalt und Stellenwert von Toleranz in der abendländischen Kultur auf anderen Wegen zu erschließen sein als im Islam, der ein Zeitalter der Aufklärung noch nicht durchlebt hat. Freilich entfalten diese topoi ihr für die unterrichtliche Vermittlung nötiges Profil erst in Verbindung mit den eigenen Wertvorstellungen des Lehrers. Konkret erreicht ist mit der verfassungsrechtlichen Normierung von Bildungsund Erziehungszielen zumindest das Gebot einer wertgebundenen Erziehung auf der Grundlage des erwähnten kulturellen Erbes, wobei die Umsetzung einen breiten, durch die pädagogische Freiheit des Lehrers gedeckten Gestaltungsspielraum erfordert.

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Diese Erziehung ist zielbestimmt, sie soll – wie Art. 7 Abs. 1 NW.LV treffend beschreibt – das Bewusstsein für bestimmte Werte „wecken“. Sie soll aber auch einen vorhandenen gesellschaftlichen Wertekonsens sichern und ausbauen. Deshalb darf sich –und zwar von Rechts wegen – auch die Schule nicht damit begnügen, gleichsam notariell festzuhalten, dass bestimmte Erziehungsziele, z.B. die Ehrfurcht vor allem Lebendigen (Art. 101 Abs. 1 Sächs.LV) in der aktuellen Debatte über Embryonenschutz und Euthanasie, schlechte demoskopische Resultate aufweisen. 4.2 Die vom Staat in den öffentlichen Schulen vermittelte Bildung und Erziehung ist hinsichtlich des Wertekanons zwingend unvollständig. Im pluralistischen Staat reicht sie nur bis zum ethischen Minimum, einem Konsens über Grundwerte, die ein Zusammenleben trotz divergierender Auffassungen insbesondere in weltanschaulichen Fragen ermöglichen. Ein Basiselement dieses begrenzten Konsenses bildet das verfassungsrechtliche Gebot weltanschaulicher Neutralität, dem nicht nur der Gesetzgeber und die staatliche Schulbehörde, sondern auch der einzelne Lehrer für seinen Unterricht an der öffentlichen Schule unterliegt. Dieses Gebot sollte allerdings nicht zu früh ins Feld geführt werden. So fällt in der gegenwärtigen Debatte über die ethische Seite der biomedizinischen Revolution auf, dass Einwände gern als christliches, wenn nicht gar konfessionelles Sondergut dargestellt werden, während es sich in Wirklichkeit um existenzphilosophische Standards handelt, die auch für das Überleben eines völlig säkularen Gemeinwesens Geltung beanspruchen müssen. Überdies neigt die Rechtsprechung zu großer Zurückhaltung, wenn es um die Beurteilung pädagogisch relevanter Sachverhalte geht. So wissen wir seit den Schulbuch-Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 79, 298) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NVwZ 1990, S. 54), dass die verfassungsrechtlich gebotenen Bildungs- und Erziehungsziele angeblich erst durch die „Indienstnahme“ des Unterrichts für eine bestimmte weltanschauliche, ideologische oder politische Richtung, ein gezielt parteiisches Vorgehen „gleichsam mit Missionstendenz“ verfehlt werden. Ein nachhaltiger Rechtsschutz für die obersten Bildungs- und Erziehungsziele ist hiervon wohl kaum zu erhoffen. Die Schwierigkeit, landesverfassungsrechtliche Bildungsziele als Rechtssätze zu erfassen, das Balancieren dieser vorwiegend aus der philosophischen und pädagogischen Nomenklatur stammenden Texte an der Grenze des Normierbaren, der Umstand, dass sie im konkreten Fachunterricht überall und nirgendwo zum Tragen kommen können, und schließlich der auffällige pedagogical selfrestraint der Judikatur haben dazu geführt, dass ihre praktische Bedeutung nicht so hoch eingeschätzt wird, wie es ihr Verfassungsrang erwarten lässt. Damit ist zu fragen, ob die hier für den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag beschriebenen inhaltlichen Defizite durch das vom kirchlichen

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Auftrag bestimmte Bildungswesen ausgeglichen werden können. Inwieweit geben das Staatskirchenrecht und das staatliche Bildungsrecht Einflüssen aus dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kirche Raum? V. Schnittbereiche zwischen kirchlichem und staatlichem Bildungs- und Erziehungsauftrags Eingangs wurde erwähnt, dass die schulischen Erziehungs- und Bildungsziele, die der Codex Iuris Canonici und die weltlichen Landesverfassungen vorgeben, nicht nur korrespondieren, sondern auch konkurrieren, unser Thema also im Ergebnis ein kollisionsrechtliches sei. Beide Rechtsordnungen müssen für den Kollisionsfall Vorsorge treffen, wenn sie eine unüberbrückbare Konfrontation vermeiden wollen. In einem fortgeschrittenen religionsrechtlichen System, wenn es nicht mit einer Vielzahl von Denominationen zu tun hat, ist hierfür der Vertrag ein probates Hilfsmittel, denn dieser beruht auf gegenseitigem Nachgeben. Deshalb enthalten die meisten Konkordate und Kirchenverträge ausbalancierte Regelungen über Religionsunterricht, Privatschulen, Theologische Fakultäten und kirchliche Hochschulen. 5.1 Die Berücksichtigung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags im kirchlichen Recht Mit dem „endgültigen Abschied von der Idee des konfessionellen Staates“4 hat sich in der katholischen Staatslehre die Auffassung durchgesetzt, dass es nicht zu den Aufgaben des Staates gehört, konfessionelle Schulen zu betreiben. Eine solche Schule soll vielmehr prinzipiell eine Angebotsschule neben anderen Freien Schulen und neben dem öffentlichen Schulwesen sein. Um diesen Anforderungen zu genügen, verlangt der Codex, dass die Bildung an der katholischen Schule hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Standards mindestens derjenigen an den übrigen Schulen der Region entspricht (c. 806 § 2). Das staatliche Angebot von öffentlichen Bekenntnisschulen (z.B. in Nordrhein-Westfalen) erweist sich mithin nach geltender kirchenrechtlicher Doktrin als staatskirchenrechtliche Präferenz, die der weltanschaulich neutrale Staat der Kirche als einem im Bildungswesen historisch gewachsenen und bedeutsamen Träger gesellschaftlicher Wertbildung und Wertorientierung einräumt. Kirchenrechtliche Regelform ist demgegenüber die Schule in freier Trägerschaft.

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Listl, Joseph, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, S. 216.

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5.2 Berücksichtigung des kirchlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags im staatlichen Recht Das weltliche Schulrecht kennt als allgemeine Träger von Bildung und Erziehung in der Regel nur die Eltern, den Staat und die Kommunen. Eine Ausnahme bilden die Verfassungen von Baden-Württemberg (Art. 12 Abs. 2), Rheinland-Pfalz (Art. 26) und des Saarlandes (Art. 40), die die Erziehungsträgerschaft der Kirchen und Religionsgemeinschaften ausdrücklich erwähnen. Allerdings ist das Recht zur Errichtung eigener Schulen auch Gegenstand des kirchlichen Selbstordnungsrechts (Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WRV u. Landesverfassungsrecht), denn für dessen Umfang ist im Prinzip das Selbstverständnis der Kirche über ihren Auftrag in der Welt maßgebend. Andererseits bildet das staatliche Privatschulrecht eine Schranke eben dieses kirchlichen Selbstordnungsrechts. Auf diese Weise gilt für kirchliche Schulen ein doppelter, wenn auch inhaltlich deckungsgleicher verfassungsrechtlicher Schutz, nämlich aus der Privatschulfreiheit (Art. 7 Abs. 4 GG und Landesverfassungsrecht) und aus den staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen. Ob den Kirchen darüber hinaus ein etwa dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 1 u. 2 GG) vergleichbarer eigenständiger Einfluss auf die öffentliche Schule aus Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WRV zukommt, erscheint hingegen zweifelhaft. Zwar reicht – wie man aus Art. 3 der Konzilserklärung „Gravissimum educationis“ entnehmen kann – der Erziehungsanspruch der Kirche „tamquam Mater“ an die elterliche Sorge heran, findet aber in dieser Allgemeinheit keine Grundlage in der staatlichen Rechtsordnung und im Vertragskirchenrecht. Die vertrags- und verfassungsrechtliche Gewährleistung des Religionsunterrichts bildet insoweit eine auf dieses Fach begrenzte Ausnahme und gehört damit wohl zu den eben erwähnten Präferenzen des deutschen Staatskirchenrechts. Immerhin kann dem Elternrecht in der öffentlichen Schule mittelbar ein kirchlicher Flankenschutz geboten werden. Nach der vom Bundesverfassungsgericht zuerst in der Entscheidung zur hessischen Förderstufe (BVerfGE 34, 165) entwickelten Kompetenzverteilung zwischen Eltern und Staat liegt die Entscheidung über die Gesamterziehung (auf der Grundlage eines differenzierten staatlichen Schulangebots) und über die religiösweltanschauliche Erziehung im wesentlichen bei den Eltern, denen die Kirche dann einen Entscheidungsbeistand bieten kann und die sie auch verbandlich auf der Ebene der Schulmitwirkung (z.B. bei der Wahrnehmung von Anhörungsrechten durch die Katholische Elternschaft) unterstützt. Der bekenntnismäßige Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist mit dem kirchlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag insofern rechtlich verknüpft, als Lehrplan und Lehrbücher nur in Übereinstimmung mit der Kirche eingeführt werden dürfen und die Lehrkräfte, da der Unterricht auch Verkündigungscharakter hat, eine kirchliche Bevollmächtigung (Missio canonica, Vokation) nachweisen müssen.

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Religion ist in der weltanschaulich neutralen öffentlichen Schule aber auch zum Verständnis anderer Unterrichtsfächer zu thematisieren, insbesondere solcher, die als Wahlpflicht- oder Ersatzfach („Ethik“, „Werte und Normen“, „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“) von Schülern belegt werden, die entweder keiner am öffentlichen Religionsunterricht beteiligten Konfession angehören oder die Teilnahme abgelehnt haben. Die altersgemäße Heranführung an den religiös-weltanschaulichen Diskurs soll – als Bestandteil der Persönlichkeitsbildung – den Schüler befähigen, die Wirkung des Religiösen in Geschichte und Gegenwart seines, d.h. des abendländischen Kulturkreises einzuschätzen. Solche in nahezu allen Unterrichtsfächern auftretenden Bezüge verweisen zum weitaus größten Teil auf das Christentum, so daß schon aus diesem Grunde ein christliches Symbol wie das Kreuz auch in einer öffentlichen Schule seinen Platz hat. Der sog. Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 93, 1) misst freilich dem religiösen Empfinden eines einzelnen Schülers einen so hohen Stellenwert bei, daß der Staat in einem sonst nicht lösbaren Konfliktfall auf diesen Anschauungsgegenstand verzichten muß. Immerhin ermöglicht die nach dem sog. Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2003, S. 3111) in Gang gekommene Landesgesetzgebung, in der öffentlichen Schule zwischen christlichen Symbolen und solchen aus anderen Kulturkreisen zu differenzieren, unbeschadet der Offenheit, die auch letzteren im Schulprogramm und im Schulalltag entgegenzubringen ist. Wie weit dem Staat eine Einschränkung seines Bildungs- und Erziehungsauftrags im Hinblick auf die grundrechtlich gewährleistete freie Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) auch in der Schule abverlangt werden kann, wird bekanntlich schon seit längerem von islamischer Seite ausgelotet. Die Zugeständnisse bei der Befreiung muslimischer Schülerinnen vom (koedukativen) Sportunterricht (BVerwGE 94, 82) dürften nicht der letzte Schritt auf diesem Wege sein (s. OVG Nordrhein-Westfalen NJW 2003, 1754: Befreiung von Teilnahme an einer Klassenfahrt). 5.3 Insbesondere: Kirchliche Privatschulen im staatlichen Schulrecht Kirchliche Schulen sind in aller Regel sog. (anerkannte) Ersatzschulen, d.h. Einrichtungen, die ein Bildungsangebot (Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Berufsschulen/Berufskollegs, Sonderschulen) vorhalten, das inhaltlich dem öffentlichen Schulwesen entspricht, deshalb der schulaufsichtlichen Genehmigung bedürfen (Art. 7 Abs. 4 Satz 2 – 4 GG) und zu denselben Abschlüssen wie öffentliche Schulen führen. 5.3.1 Im Grundsatz reduziert der Staat seine Schulaufsicht im Sinne des Art. 7 Abs. 1 GG gegenüber einem Ersatzschulträger auf eine rechtsaufsichtliche Kontrolle nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 u. 4 GG. Danach dürfen Ersatzschulen in ihren Lehrzielen, Einrichtungen und der wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrkräfte „nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen“, und die wirtschaftliche und rechtliche Stellung des Lehrpersonals muss genügend gesi-

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chert sein. Die Klausel „Nicht-Zurückstehen-Dürfen“ wird meist im Sinne einer Gleichwertigkeitsmaxime gedeutet. An dieser Stelle ist allerdings auf eine Unschärfe dieser im Ersatzschulrecht geläufigen Abgrenzung von Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit hinzuweisen. Der verfassungsrechtliche Vorbehalt des „Nicht-Zurückstehen-Dürfens“ in Art. 7 Abs. 4 GG bezweckt nämlich weniger eine inhaltliche Angleichung des Schulwesens nach einem Mindeststandard als vielmehr den präventiven Schutz vor ungleichwertigem Schulerfolg. Der Gleichwertigkeitsstandard gilt nicht für die Durchführung von Abschlussprüfungen und die Erteilung entsprechender Zeugnisse, hier kommt vielmehr das staatliche Recht unmittelbar zur Anwendung, denn die Freie Schule ist insoweit „hoheitlich beliehener Unternehmer“. Eine unmittelbare, nicht nur nach Gleichwertigkeitsprinzipien zu beurteilende Bindung geht schließlich von den durch die Landesverfassungen vorgegebenen, bereits erwähnten allgemeinen Erziehungs- und Bildungszielen, dem Katalog der Grundrechte und den Grundsätzen des freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats aus. Dies bietet kein Konfliktpotential für Freie Schulen christlicher Träger, könnte aber bei Gründungsinitiativen islamischer Privatschulträger zu der Frage Anlass geben, wie in deren Unterrichtsprogramm das Verhältnis des Islam zu den bürgerlichen Grundrechten und zum Verfassungsstaat behandelt und Aussagen des Koran beispielsweise über die Stellung der Frau und den Umgang mit den Ungläubigen ausgelegt werden. Der Rückzug des Staates in diese Position der Privatschulaufsicht bewirkt zugleich, dass die freien Träger von der Geltung des für öffentliche Schulen geltenden staatlichen Schulrechts weitgehend freigestellt sind, so von den Schulverwaltungsgesetzen, den Schulmitwirkungsgesetzen, den Allgemeinen Schulordnungen und dem Lehrerdienstrecht. Sie können sich diese staatlichen Regelungen für ihre Schulen zu eigen machen oder durch eigenes trägerschaftliches Recht ersetzen, wie dies unter anderem für die katholischen Schulen auf der erwähnten Grundlage des kanonischen Schulrechts geschieht. Diese Ordnungen unterliegen einem Eingriff der staatlichen Privatschulaufsicht nur insoweit, als eine Verletzung der Genehmigungsvoraussetzungen nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 GG vorliegt. 5.3.2 Die Gleichwertigkeit in den Lernzielen, den Einrichtungen und den wissenschaftlichen Anforderungen an die Lehrkräfte verlangt einen Vergleichsmaßstab (Parameter) und ein konkret fassbares Vergleichsobjekt. Beides bestimmt der Staat mit seinem Schulwesen. Demgemäß vermittelt das Erscheinungsbild der Lehrziele, Einrichtungen und wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrkräfte öffentlicher Schulen die erforderlichen Indizien für die Ausfüllung des Gleichwertigkeitsmaßstabs nach Art. 7 Abs. 4 GG. Zu den dem Gleichwertigkeitsmaßstab unterliegenden sog. Einrichtungen der Freien Schule zählen nicht nur die baulichen Verhältnisse und die Leitungs-

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struktur, sondern auch der Fächerkanon, die Stundentafel und die Messzahlen für die Klassengröße. Diese „Einrichtungen“ sind überdies – ebenso wie Methode und Lehrstoff – dem Lehrziel als Kern der Privatschulfreiheit untergeordnet. Solange das Gesamtergebnis des Bildungsprozesses nicht beeinträchtigt wird, kann daher jedes dieser Indizien, mögen sie dem Lehrziel oder den Einrichtungen im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG zuzurechnen sein, vom Träger modifiziert und durch andere ersetzt werden. 5.3.3 Weil schulische Bildung zielbestimmt ist, betrifft Gleichwertigkeit das Ergebnis schulischer Bildung, verlangt also nicht eine Analogie im Bildungsprozess. Der freie Schulträger ist demgemäß nicht gehalten, die Schullaufbahn synchron zum öffentlichen Schulwesen zu gestalten. Dies mag aus Gründen der Erleichterung des Übergangs von privaten zu öffentlichen Schulen vorteilhaft sein, rechtlich geboten ist es nicht. In welchem Umfange der verfassungsschulrechtliche Rahmen bei Lehrziel und Einrichtungen der Privatschule ausgenutzt wird, bestimmt sich u.a. nach der vom Träger intendierten Nähe zum öffentlichen Schulwesen. Faktisch ist der Gestaltungsfreiraum also abhängig vom Grad der Konkordanz mit dem öffentlichen Schulwesen, den der Träger anstrebt. Das Bemühen um eigene Lehrpläne oder Rahmenrichtlinien gilt vielfach denjenigen Fächern, die mit dem Erziehungsziel der Schule eng verwoben sind (wie Philosophie, Deutsch, Geschichte, Biologie, Gesellschaftswissenschaften), bekannt sind aber auch Modelle einer komplexen Erfassung des Bildungsprogramms. Im übrigen sind auch die kirchlichen Einrichtungen der Lehrerfort- und -weiterbildung dazu bestimmt, die spezifischen Ziele kath. Schulbildung zu vermitteln. Dies dürfte auch einer der Gründe für die vertragskirchenrechtliche Anerkennung dieser Institute sein.5 Eine behutsame Handhabung dieser Gestaltungsmöglichkeiten liegt vor allem nahe, wenn sich der freie Träger allgemeinen Tendenzen im öffentlichen Schulwesen nicht entziehen kann oder will. Je mehr beispielsweise Freie Schulen Kooperationsvereinbarungen mit öffentlichen Schulen eingehen (z.B. in Nordrhein-Westfalen nach der Kooperationsverordnung vom 24.3.1995 BASS 12 – 21 Nr. 12), desto notwendiger wird es sein, im Statutenrecht die Besonderheit des eigenen Bildungsziels zu definieren und im Bildungsprogramm inhaltlich und formal zu konkretisieren. Ein kirchlicher Träger wird die Schule auch als pastorales Handlungsfeld in einem säkularisierten Gemeinwesen betrachten und Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs ausloten. So möchten die katholischen Freien Schulen im Bistum Dresden-Meißen junge Menschen befähigen, in der Begegnung von Glaube und Kultur die religiöse Dimension der Lebenswirklichkeit zu erkennen (Art. 2 Abs. 1 Grundordnung). 5 Nachweise bei Listl, Joseph (Hrsg.), Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde, Berlin 1987, hier: Bd 2, S. 811 (Register unter Stichwort).

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5.3.4 Im Bereich der Freien Schulen ist in bezug auf Lehrpläne und Rahmenrichtlinien im Laufe der Zeit vielfach eigenes Recht geschaffen worden, so im sog. Marchtaler Plan, der bis jetzt zwar erst einzelne Schulformen erfasst, aber als ein kompletter Bildungs- und Erziehungsplan für katholische Schulen konzipiert ist. Zur Realisierung seines katholischen Profils bietet das St. BennoGymnasium in Dresden u.a. eine kollegial geprägte Leitungsstruktur, pädagogische und seelsorgerliche Beratungsämter, einen festen Turnus pädagogischer Konferenzen und Wochenenden, Arbeitskreise und Lehrerfortbildungen, Formen von Freiarbeit und regelmäßige, auch tägliche Zeiten geistlicher Orientierung. Eine Sondergruppe bilden diejenigen Ordensschulen, deren Programm sich am Vorbild bestimmter Persönlichkeiten orientiert, etwa den „Franziskanischen Leitlinien“. In jüngerer Zeit wurde für katholische Freie Schulen ein Praxis- und Fachunterrichtsprojekt sozialen Lernens mit dem Titel „Compassion“ entwickelt: verpflichtende Sozialpraktika, die die Schüler in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen, Hospizen etc. absolvieren, werden mit einem projektbegleitenden Fachunterricht, der insbesondere auf eine Reflexion dieser praktisch erfahrenen Lebensbereiche aus christlicher Verantwortung Wert legt, verknüpft. Da die katholische Kirche mit weltweit etwa 40 Millionen Schülern das größte Netz schulischer Einrichtungen auf der Grundlage gemeinsamer erzieherischer und rechtlicher Leitlinien unterhält, sind für katholische Schulen internationale Schulpartnerschaften und die Beteiligung an Patenschaften und Entwicklungsprojekten für die Dritte Welt ein Anliegen, das ihren besonderen Auftrag mitprägt und im jährlichen „Welttag der Katholischen Schulen“ auch für die Öffentlichkeit bewusst gemacht wird. 5.3.5 In enger Verbindung mit der Gestaltungsfreiheit des Schulträgers hinsichtlich des Bildungsweges zu einem der öffentlichen Schule gleichwertigen Lehrziel steht das Recht der freien Schülerauswahl. Die Aufnahmebedingungen stehen im Ermessen des Schulträgers, soweit hierdurch nicht eine Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern (Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG) gefördert wird. Die anerkannte Ersatzschule darf allerdings keine Schüler aufnehmen, denen der Zugang zu einer entsprechenden öffentlichen Schule (z.B. wegen mehrfacher Nichtversetzung) verwehrt ist. Diese von der Judikatur (BverwGE 68, 185) gebilligte Auffassung kann allerdings nicht nur wegen des Übermaßverbots (vorverlegte Kontrolle der Gleichmäßigkeit des Leistungsstandes), sondern auch bei einem spezifischen pädagogischen Bildungsauftrag der Ersatzschule auf Bedenken stoßen.6 Da die katholischen Schulen in den alten Bundesländern meist vom Prinzip der konfessionellen Homogenität der Schülerschaft ausgehen, haben die dortigen Träger häufig Ausnahmeregelungen über die Aufnahme

6 Eine strikte Bindung des Ersatzschulträgers an die für öffentliche Schulen geltenden Aufnahme- und Versetzungsbestimmungen verneint VG Dresden, Urteil vom 28.3.2001 – 5 K 2736/98 – (unv.).

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anderskonfessioneller oder nichtchristlicher Schüler erlassen. In den neuen Ländern würde eine solche formalisierte Regel-Ausnahme-Praxis die Entfaltungsmöglichkeiten einer kirchlichen Schule verkümmern lassen. Freilich kehrt das Homogenitätsgebot bei der Lehrerschaft wieder und verlangt bei einem signifikanten Anteil nichtkatholischer Lehrkräfte eine sorgfältige rechtliche Konzeption der Loyalitätsobliegenheiten. 5.3.6 Angesichts der schulpolitischen Debatte um Teilautonomie der öffentlichen Schule gegenüber dem staatlich-kommunalen Träger drängt sich nichtstaatlichen Schulträgern die Frage auf, ob dieses Prinzip in den für Ersatzschulen maßgeblichen Gleichwertigkeitsmaßstab einfließen kann. Aus der Sicht kirchlicher Schulträger mag eine Reduzierung schulaufsichtlicher Regelungskompetenzen zugunsten einer größeren Selbständigkeit der Einzelschule durchaus geeignet sein, auch den erwähnten Anpassungsdruck des Staates auf die Ersatzschulen abzuschwächen. Festzuhalten ist vorab, dass eine Teilautonomie, wenn der Staat sie den öffentlichen Schulen einräumen sollte, kein Gleichwertigkeitsmerkmal für Schulen in freier Trägerschaft darstellt. In welchem Umfange der Träger seine Schule an sich bindet, unterliegt auch im Ersatzschulbereich der uneingeschränkten Privatschulfreiheit, bei kirchlichen Schulen zusätzlich dem kirchlichen Selbstordnungsrecht (Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WRV). Bereits die Idee der christlichen Erziehungsgemeinschaft (kirchlicher Schulträger, Eltern, Schüler, Lehrer, nichtlehrendes Personal), die aus katholischer Sicht das schulische Strukturmodell prägt, rückt die Einzelschule in den Mittelpunkt des kirchlichen Erziehungskonzepts. Die Mitwirkung und Mitverantwortung der verschiedenen Gruppen der Erziehungsgemeinschaft bei der Verwirklichung des Erziehungskonzepts der katholischen Schule basiert auf dem Prinzip der Subsidiarität, wobei die pädagogische Sachkompetenz besondere Beachtung verdient. Schon auf diesem Wege ist eine Profilierung der einzelnen katholischen Schule – so beispielsweise im Bistum Dresden-Meißen durch eine Beteiligung ortsschulischer Gremien in Personal- und Haushaltsangelegenheiten – zu erreichen, ohne dass es wesentlicher Kompetenzverschiebungen im Rechtsverhältnis von Träger und Schule bedarf. Allerdings entbehrt die Beziehung der katholischen Schule zur Kirche in ihrem nächsten Umfeld, insbesondere den territorialen Institutionen wie Pfarrei, Dekanat und Region, noch einer transparenten Grundlegung im partikularen Kirchenrecht. Die Erklärung der römischen Bildungskongregation zur katholischen Schule (1977) erwähnt in diesem Zusammenhang die Einbeziehung der Schule in die örtliche Pastoralplanung. 5.3.7 Die Inanspruchnahme staatlicher Finanzhilfe rechtfertigt zwar keine Verschärfung oder Ausweitung der Gleichwertigkeitsmerkmale im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG, schränkt den Gestaltungsspielraum des freien Trägers aber ein, wenn Modifizierungen des Bildungsprogramms – wie zusätzliche

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Fächer oder Unterrichtsveranstaltungen, verstärkter Fachunterricht – einen gegenüber dem öffentlichen Schulwesen höheren Kostenaufwand verursachen. Grundsätzlich gilt, dass der freie Träger die durch die besondere Zielsetzung bedingten Mehrkosten selbst zu tragen hat, weil der Finanzaufwand für eine entsprechende öffentliche Schule die Obergrenze der staatlichen Beihilfe bestimmt. Zwar ist der Anspruch auf finanzielle Zuwendungen der öffentlichen Hand dem Grunde nach als sog. staatliche Interventionsgarantie für Ersatzschulen in der Rechtsprechung (BVerfGE 75,40 [62 f.], 90, 107 [114 f.]; BVerwGE 79, 154 [156]) anerkannt, beim Streit um die Höhe aber wird man einen rechtspolitischen Spielraum des Staates anzunehmen haben. Die deutschen Länder zeigen insofern ein recht unterschiedliches Maß an Förderungsbereitschaft, vor allem was die sog. Anschubfinanzierung laufender Kosten bei Neugründung Freier Schulen angeht. Bei rückläufigem Kirchensteueraufkommen und effektiv steigenden Schulkosten vornehmlich im Sachmittelbereich wird die Bereitschaft der Eltern, zu dem Bedarf einer guten Schule für ihre Kinder einen angemessenen Beitrag zu leisten, mehr denn je gefragt sein. Manche Schulträger haben auch der Einwerbung von zweckgebundenen Drittmitteln (Sponsoring) in jüngerer Zeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 5.3.8 Zusammengefasst bestätigt die hier entworfene Skizze, dass die Freie Schule – wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 27, 195 [204]) schon 1969 festgestellt hat – im äußeren Rahmen des staatlichen Privatschulrechts „die Bildung und Erziehung weitgehend nach eigenen, vom Staat nicht geprägten Methoden, Inhalten und Zielen verwirklichen kann“. Den oft kleinlichen Querelen bei der Ersatzschulfinanzierung und der Gleichwertigkeitsfeststellung im Lehrangebot mit mehr Selbstbewusstsein zu begegnen, hat daher eine solide juristische Grundlage. VI. Perspektiven In vielen Bereichen der staatlichen Leistungsverwaltung ist heutzutage die Tendenz erkennbar, öffentliche Aufgaben ganz oder teilweise in private Hand zu überführen, weil man vom freien Wettbewerb nicht nur eine Senkung der bisher vom Steuerzahler aufzubringenden Kosten, sondern auch eine Steigerung der Effizienz erwartet. Es verwundert daher nicht, dass auch für Schulen und Hochschulen die Frage aufkommt, ob sie aus der funktionalen Trägerschaft des Staates und der Gemeinden, die traditionell die deutsche Bildungslandschaft beherrscht, in die Konkurrenz öffentlicher und privater Träger entlassen werden sollten. In dieselbe Richtung geht das Bestreben, der einzelnen öffentlichen Schule durch ein größeres Maß an Autonomie in der Personal- und Sachmittelverwaltung, aber auch im Lehrangebot Perspektiven zur Entfaltung eines eigenen Schulprofils im Vergleich mit anderen öffentlichen und Freien Schulen vor Ort zu bieten. Begünstigt werden diese Bestrebungen durch die arbeits- und dienstrechtlichen Auswir-

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kungen des Europarechts, denn dort wird das Schulehalten, eine in Deutschland traditionell hoheitliche Tätigkeit, dem marktwirtschaftlich geprägten freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 49, 50 EG-Vertrag zugerechnet. Die im vorliegenden Beitrag erörterte Konkordanz der Bildungs- und Erziehungsauftrags der Kirche und des Staates erlaubt es, einen Blick auf Chancen und Grenzen eines auf den Wettbewerb öffentlicher und freier Träger ausgerichteten Systems zu werfen. Konkurrenz lebt von der klaren Trennung der Wettbewerber, ihren innovativen Möglichkeiten und der Chancengleichheit am Markt. Marktwirtschaftliche Prinzipien sind nur eingeschränkt auf den Bildungssektor übertragbar. Das fortdauernde Interesse der Kirche an einer Präsenz auch in der öffentlichen Schule ergibt sich schon aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts (Art. 7 Abs. 3 GG und Landesverfassungen) und der damit gegebenen Möglichkeit des Zugangs zu einer ganzen Schülergeneration. Die Verdrängung des kirchlichen Auftrags aus dem öffentlichen Schulwesen könnte die Kirche auf Privatschulebene selbst bei großzügiger staatlicher Förderung nicht kompensieren. Dem in den Landesverfassungen (Art. 11 Abs. 1 BW.LV, 128 Abs. 1 Bay.LV, 20 Satz 1 Berl.LV, 29 Abs. 1 Bbg.LV, 27 Abs. 1 Brem.LV, 8 MV.LV, 4 Abs. 1 Nds.LV, 8 Abs. 1 Satz 1 NW.LV, 31 Satz 1 RP.LV, 29 Sächs.LV, 25 Abs. 1 SaAnh.LV, 20 Abs. 1 Thür.LV) propagierten Recht auf Bildung, das den Staat verpflichtet, sein Bildungswesen „auf der Höhe der Zeit“ zu halten (BVerfGE 33, 303), würde dann eine notwendige Komponente fehlen, nämlich das schutzwürdige Interesse an Geborgenheit im verkündigten Glauben, die nur ein für das gesamte Schulwesen eingeführter Religionsunterricht bieten kann. Würdigt man die Rechtslage allein nach dem verfassungsschulrechtlichen Normenbestand, dann fällt das breite Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten Freier Schulen auf. Tatsächlich aber sind die Grenzen enger gezogen. Die meisten Privatschulträger möchten auf den Austausch mit dem öffentlichen Schulwesen (Unterrichtsprogramme, Lehrer, Schüler) schon aus Gründen der Evaluation nicht verzichten. Quantitativ marktbeherrschend bleiben die öffentlichen Schulen. Für einen Privatschulanteil wie in Belgien (61 %) oder den Niederlanden (über 75 %) fehlen sowohl die historischen Voraussetzungen und bisher auch ein bildungspolitisches Interesse bei den Eltern. Es waren keine Schulkämpfe um die Freie Schule gegen eine liberal-laizistische Regierungspolitik durchzustehen, und auch in den öffentlichen Schulen behielt, abgesehen von der NS-Zeit und der DDR, das abendländisch-christliche Erbe ein so wesentliches Gewicht im Unterrichtsprogramm, dass eine religiös geprägte Erziehung im Elternhaus hierdurch hinreichend flankiert erschien. So konnte sich konfessionelle Privatschulbildung auf das Besondere, etwa das Erziehungsideal eines bestimmten religiösen Ordens, konzentrieren. Diese einigermaßen ausgeglichene Lage entspricht – wie man weiß – bereits seit längerem nicht mehr der Realität, weil die Säkularisierungstendenzen in der

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Gesellschaft selbstverständlich vor der Schule nicht haltmachen. In den neuen Bundesländern war dies von vornherein der Fall. Die Bandbreite der Motive, die Eltern veranlasst, ihr Kind einer kirchlich getragenen Privatschule anzuvertrauen, ist beträchtlich. Sie reicht vom entschiedenen Bekenntnis zu einer vom katholischen Glauben geprägten Persönlichkeitsbildung bis zur Unzufriedenheit mit den häufig wechselnden Konzepten der öffentlichen Schule. Diese unterschiedlichen Erwartungen auf der Grundlage des besonderen Trägerauftrags zu integrieren, ist eine Aufgabe, die im wesentlichen der einzelnen Schule vor Ort obliegt. Dabei darf die eindeutige Kennzeichnung des Schulprofils einschließlich seiner schulvertraglichen Anerkennung durch die Eltern nicht vernachlässigt werden, denn der in der bildungspolitischen Diskussion derzeit favorisierte Wettbewerb verlangt klare Profile der Bildungsträger. Der wachsende Zuspruch, den die Freien Schulen seit langem erfahren, darf wohl als ein Beweis für ihre Wettbewerbsfähigkeit gedeutet werden. Ob der Staat seiner delikaten Rolle, nämlich zugleich Wettbewerber und Regulierungsinstanz zu sein, gerecht wird, lässt sich derzeit kaum abschätzen; zu groß ist die Versuchung, bei einem bildungspolitischen Sinneswandel oder schlechter Haushaltslage die Konkurrenz nicht großwerden zu lassen, zumal die staatliche Privatschulfinanzierung weniger verfassungsfest ist als die Gründungsfreiheit. Das im Entstehen begriffene europäische Bildungsrecht nimmt die Gewährleistung der Privatschulfreiheit auf (Art. 14 Abs. 3 EuGrRCh = Art. II – 14 Abs. 3 Verfassungsentwurf) und wird auf längere Sicht eine Angleichung der Systeme begünstigen. Die Balance zwischen staatlichem und trägerschaftlichem (kirchlichem) Bildungs- und Erziehungsauftrag, die das deutsche Privatschul- und Staatskirchenrecht über einen langen Zeitraum entwickelt hat, kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.

PISA-2000 und katholische Erziehung Die staatlich verordnete Ausweitung der Ganztagsschule in der Bundesrepublik Deutschland und der Stellenwert katholischer Schulen Von Clemens Breuer Die Zukunft unseres Landes hängt zu einem Großteil von der Bildung der Menschen ab, was die Bevölkerung in unserem Land jedoch relativ „gelassen“ hinnimmt. In jüngster Zeit hat das Institut für Demoskopie Allensbach der deutschen Bevölkerung bescheinigt, dass sich ihr Interesse an Bildungsfragen „sehr in Grenzen hält“, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass weniger als ein Viertel der Bevölkerung Kinder im schulpflichtigen Alter hat. Auch die schlechten Ergebnisse der PISA-2000-Studie haben bei der Bevölkerung bislang keine große Aufmerksamkeit gefunden, so das Institut: „nur 21 Prozent der Bevölkerung, 32 Prozent der Eltern mit Schulkindern haben die Berichterstattung über die Pisa-Studie näher verfolgt.“1 Dagegen rangieren Themen, wie die wirtschaftliche Lage und die sozialen Sicherungssysteme weit darüber (70 bis 90 Prozent). Nur „31 Prozent der Bevölkerung würden sich gerne einen Vortrag zum Thema ‚Wie gut sind unsere Schulen?‘ anhören, von den Eltern von Schulkindern immerhin 45 Prozent.“2 Um die schulischen Leistungen in unserem Land zu verbessern, wird nun seit einigen Jahren die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule in Deutschland von verschiedenen Parteien propagiert, wobei sich auch die beiden „C“-Parteien inzwischen in den Kreis der Befürworter eingereiht haben. Schaut man nach den Gründen für das allseits zu vernehmende Interesse zugunsten der Ganztagsschule, so entsteht der Eindruck, dass dieses zu einem großen Teil auf das schlechte Abschneiden bei der PISA-2000-Studie zurückzuführen ist. Nicht wenige Politiker und in Wirtschaft und Wissenschaft Tätige sprachen von einem Schockerlebnis, dem Politiker alsbald Taten folgen lassen wollten, damit

1

Renate Köcher, Gleichmut im Umgang mit einem Schicksalsthema. Die Bildungsdiskussion leidet unter mangelnder Anteilnahme, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.08.2003, S. 5. 2

Ebd.

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in einigen Jahren Deutschland im Bereich der Bildung (wieder) zur Spitzengruppe gehören würde. Betrachten wir zunächst die wichtigsten Ergebnisse der Studie, bevor der Bezug zur Ganztagsschule hergestellt wird. I. Die PISA-2000-Studie Bei der PISA-2000-Studie ist grundsätzlich zwischen einer internationalen Studie und einer nationalen Studie der jeweilig teilnehmenden Länder zu unterscheiden. An der internationalen Studie haben 219 Schulen in der Bundesrepublik Deutschland teilgenommen. Beim nationalen Ländervergleich in der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Zahl beträchtlich erhöht, sodass insgesamt 1466 Schulen in Deutschland einem Vergleich unterzogen wurden. Erst durch diese deutliche Erhöhung der einbezogenen Schulen im nationalen Vergleich konnten statistisch abgesicherte Aussagen über die Ergebnisse in den einzelnen Ländern und in den verschiedenen Schulformen erreicht werden. In der Studie wurden drei Bereiche getestet: die Lesekompetenz, die mathematische sowie die naturwissenschaftliche Grundbildung. Die Ergebnisse waren ernüchternd, da Deutschland bei nahezu allen Auswertungen unter dem Durchschnitt der getesteten Länder lag.3 So hat die Studie ergeben, dass sich 10 Prozent der Schüler bei der Lesekompetenz auf der untersten Stufe (I) befinden. Einen höheren Prozentsatz an Schülern mit dieser Kompetenzstufe haben von den 31 teilgenommenen Staaten nur noch Lettland (ca. 13 Prozent), Luxemburg (ca. 14 Prozent), Mexiko (ca. 16 Prozent) und Brasilien (ca. 23 Prozent). Auch bei der höchsten Kompetenzstufe (V) liegt Deutschland mit 8 Prozent unter dem Durchschnitt der getesteten Länder (ca. 9 Prozent). Beschämend war der letzte Platz, den Deutschland bei dem prozentualen Anteil von Schülern einnahm, die angaben, sie würden nicht zum Vergnügen lesen. In Deutschland lag der Prozentsatz bei etwa 42.4 Am unteren Ende der Vergleichsskala lag Deutschland ebenfalls bei mathematischen Grundkenntnissen. Nahezu ein Viertel aller Schüler (ca. 24 Prozent) erreichten lediglich die niedrigste Kompetenzstufe (I). Es wurde im weiteren Verlauf der Studiendurchführung aber auch deutlich, dass ein deutliches Nord-Süd-Gefälle im Bereich der Bildung in der Bundesrepublik Deutschland besteht: „Die Ergänzungsstudie PISA-E zeigt, dass die süddeutschen, unionsgeführten Bundesländer mit einem traditionell dreigliedrigen Schulsystem wesentlich bessere Leistungen bei deutlich geringerer sozialer

3

Vgl. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Hg.): PISA 2000. Zusammenfassung zentraler Befunde. Schülerleistungen im internationalen Vergleich, Berlin 2001. 4

Ebd., S. 17.

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595

Disparität erzielen als die sozialdemokratischen ‚Gesamtschulbundesländer‘ wie Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen. So rangiert Bayern in Sachen Lesekompetenz im internationalen Ranking auf Platz 10 hinter Schweden; Bremen dagegen auf Platz 29 hinter Russland und Lettland.“5 Als Quintessenz kann festgehalten werden, dass es in Deutschland offensichtlich nicht gelungen ist, so wie in anderen Ländern, die schwachen Schüler zu fördern. Es gibt jedoch auch keine Hinweise darauf, dass Deutschland einen überdurchschnittlich großen Anteil von Schülern hätte, die Leistungen auf einem Spitzenniveau (Kompetenzstufe V) erbrächten. Im Unterschied beispielsweise zu Großbritannien gibt es in Deutschland keine ausgeprägte Elite.6 Mitte 2003 wurden die Ergebnisse des Folgeberichts der PISA-2000-Studie bekannt. Hierbei wurden die in der Studie festgelegten Kriterien auf weitere, nicht der OECD angehörige Länder, angewandt. Im Vergleich der nunmehr insgesamt 43 ausgewerteten Staaten bleibt Deutschland ebenfalls lediglich im Mittelfeld, da beispielsweise China, ein Land, das nun erst getestet und ausgewertet wurde, den Spitzenreitern der PISA-2000-Studie (Finnland, Kanada, Neuseeland) vergleichbar ist.7 II. Zur Geschichte der Ganztagsschule in Deutschland Ganztagsschulen sind bereits im 17. Jahrhundert von dem evangelischen Theologen und Pädagogen Amos Comenius (1592-1670) empfohlen worden. Mit dem Gedanken zur Reform des Schul- und Bildungswesens steht Comenius in einer Tradition, die auf Philipp Melanchthon und seine Schüler zurückgeht und der er während seiner Studienzeit in Herborn begegnet ist, nämlich dem Gedanken, die Reformation Martin Luthers durch eine „zweite Reformation“ weiterzuführen, die „Reformation des Staates und Ausbildungswesens“. Comenius will die Schule stärker in die Erfahrungs- und Lebensbezüge eingebettet sehen und spricht in Bezug auf die Schule von einer „Menschen-Werkstätte“. Zwar würdigt Comenius – die Aufklärung aufnehmend – die menschliche Vernunft und sieht im rechten Vernunftgebrauch eine entscheidende Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen. Doch folgt

5

Clauß Peter Sajak, Entschleunigen oder Durchstarten? Die katholischen Schulen zwischen TEMPI und PISA, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (2003) 3. 6 7

Vgl. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Hg.): PISA 2000, S. 30.

Vgl. Joseph Hanimann, PISA zum zweiten: auch in Asien liest man besser, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.07.2003, S. 42. Zu den deutlich schwächeren Ländern zählen Brasilien, Peru, Chile, Albanien und Mazedonien.

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er nicht dem von René Descartes sich anbahnenden Weg einer autonomen Vernunft, sondern bindet sich an den das Ganze durchziehenden Gedanken der göttlichen Weisheit und kommt auf diese Weise zu der Formel einer vernehmenden, sich selbst bescheidenden Vernunft. Bei seinen Vorstellungen bezüglich der „Ganztagsschule“ folgte Comenius einem gleichmäßigen Schulstundenmuster am Vor- und Nachmittag. Mittags gingen die Kinder in der Regel zum Essen nach Hause. Eine derartige Organisationsform der Schule kam der damals üblichen Arbeitswelt (z.B. dem Handwerk) sehr entgegen und wurde bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts beibehalten. Von dieser traditionellen Form der Ganztagsschule ist die moderne Form zu unterscheiden, die auch erzieherische, sozialpädagogische und sozialpolitische Aufgaben bei der Gestaltung des Tagesablaufs berücksichtigt.8 In diesem umfassenden Verständnis wurden Ganztagsschulen erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Wald- und Freiluftbewegung realisiert. Diese ganztägig geführten Schulen waren ursprünglich nur für Sondergruppen gesundheitlich gefährdeter Kinder gedacht. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs verschwanden derartige ganztägliche Förderungen der Kinder. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Ganztagsschulen vor allem durch die sozialistisch orientierte Richtung der Arbeitsschulbewegung propagiert.9 Die Ganztagsschule wird hier mit der Konzeption einer Gesamtschule verknüpft und erhielt die Bezeichnung „elastische Einheitsschule“. Während die Ganztagsschule dem Konzept der nationalsozialistischen Machthaber widersprach, da diese die Betonung der außerschulischen Jugendarbeit vornahmen und somit während dieser Zeit keine Rolle spielte, begann ein Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg. Am Ende dieses Neuanfangs stand in den 60er Jahren eine – wenn auch nur in geringem Umfang vorzufindende – Ganztagsschule, die ein fester Bestandteil des deutschen Schulwesens geworden war. In dieser Zeit erhielt die Ganztagsschulentwicklung durch Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats einen erheblichen Auftrieb, was zu einer deutlichen zahlenmäßigen Anhebung führte. Der Bildungsrat sprach sich dafür aus, dass die Schule eine erzieherische Komponente haben müsse, die in der Ganztagsschule am besten umgesetzt werden könne. Die Schule wird als bestmögliche

8

Vgl. Harald Ludwig, Moderne Ganztagsschule als Leitmodell von Schulreform im 20. Jahrhundert – Historische Entwicklung und reformpädagogische Ursprünge der heutigen Ganztagsschule, in: Heinz Günter Holtappels (Hg.): Ganztagserziehung in der Schule. Modelle, Forschungsbefunde und Perspektiven, Opladen 1995, S. 51. 9 Vgl. Harald Ludwig, Entstehung und Entwicklung der modernen Ganztagsschule in Deutschland, Bd. 2: Die Entwicklung der modernen Ganztagsschule in Deutschland nach dem Ende des 2. Weltkriegs bis zur Gegenwart (1945-1990), Köln u.a. 1993, S. 586 – 587.

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Organisation von Lernprozessen verstanden. Auch eine „Denkschrift für Förderung der Errichtung von Ganztagsschulen“ aus dem Jahre 1968 kommt zu dem Ergebnis, dass eine Ganztagsschule erst als Gesamtschule ihre volle Leistungsfähigkeit erlangen könne.10 Damit verbunden war die Ablösung der sechstägigen Schulwoche durch die Fünftageschule, da nun die Schüler die Nachmittage in der Schule verbrachten. Eine Standard-Begründung für die Ganztagsschule war damals, dass nur in ihr soziales Lernen garantiert sei.11 Eine gewisse Ernüchterung machte sich seit der Mitte der 70er Jahre breit, wenngleich die Konzeption des „Schullebens“ beibehalten und erneuert werden sollte. Nun wurde die Ganztagsschule jedoch wieder von der Gesamtschulkonzeption getrennt betrachtet. Zu Beginn der 90er Jahre gab es in Deutschland etwa 4000 Einrichtungen zur ganztägigen Betreuung: etwa 3200 Horte, knapp 200 Internate und Heime und etwa 680 Ganztagsschulen.12 Im Jahr 2002 sind etwa 2 Prozent aller Schulen in Deutschland als Ganztagsschulen geführt worden,13 die sehr unterschiedlich verteilt sind. In den traditionell eher von der CDU regierten Bundesländern liegt die Anzahl deutlich darunter: in Sachsen gab es im Jahr 2002 keine einzige, in Thüringen und Bayern machten sie deutlich unter einem Prozent aller Schulen aus. Im Rückblick wird erkennbar, dass es zu periodischen Vorstößen bei der Propagierung der Ganztagsschule gekommen ist. Die Geschichte zeigt aber auch, dass es nicht nur eine Form ganztägiger Schulerziehung gegeben hat und gibt, sondern eine Vielzahl von Varianten je nach unterschiedlichen Intentionen, Bedürfnissen und Möglichkeiten. III. Politische Reaktionen auf die PISA-2000-Studie und die Frage nach der Akzeptanz der Ganztagsschule in der Gesellschaft Mit dem Slogan „Auf Dauer schlauer!“ warb die SPD 2003 in zahlreichen Bundesländern für die Akzeptanz der geplanten flächendeckenden Einführung

10

Georg Rutz u.a. (Hg.): Gutachten zur Ganztagsschule. Denkschrift zur Förderung der Errichtung von Ganztagsschulen, Frankfurt / M. 1968, S. 8. 11

Vgl. Wilfried Meyer, Lernen lassen! Überlegungen für selbstverantwortetes und wirksames Lernen in der Schule nach Pisa, Frankfurt / M. 2002, S. 25. 12

Vgl. Susanne Flehmig, Institutionelle Grundlagen der Ganztagsbetreuung von Schulkindern in West- und Ostdeutschland, Bochum 1995, S. 12. 13 Vgl. Renate Hendricks, Ganztagsschulen – ein notwendiger Ruck für die Familien, in: Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes Rheinland-Pfalz (Hg.): Unterwegs zur Ganztagsschule. Ein Reader, Speyer 2002, S. 15.

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der Ganztagsschule.14 Anfang des Jahres 2003 hat die Bundesregierung vier Milliarden Euro für mehr Ganztagsschulen zugesagt, die in den kommenden Jahren für den Ausbau zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung für die Förderung einer Schule ist – so Bundesbildungsministerin Bulmahn –, dass ein „pädagogisches Konzept“ von der Schule vorgelegt wird, das sich nicht in Suppenküchen und kleinen Hausaufgabenbetreuungen erschöpfen darf. Zu den besonderen Vorzügen der Ganztagsschule zählt die SPD-Fraktion im Bayrischen Landtag auf ihrer Homepage im Internet den in der Ganztagsschule aufscheinenden „kind- und jugendgerechten Lern-, Freizeit- und Lebensraum“, der es mit sich bringt, „Raum für individuelle Förderung zu bieten, indem Leistungsschwächere gezielt unterstützt, besonders Begabte ergänzend gefördert werden.“ Ein willkommener Nebeneffekt wird sodann genannt: „Sogar die Wirtschaft sieht in Ganztagsschulen einen Standortvorteil, um nicht auf ungewisse Zeit besonders qualifizierte Arbeitskräfte zu verlieren.“ Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände ist hocherfreut über den Ausbau der Ganztagsschule und diese Grundstimmung – so die Vorstellungen nicht weniger Politiker – werde sich auch in der Bevölkerung immer weiter ausbreiten. Angeblich sind inzwischen 55 Prozent der Bundesbürger für den Ausbau von Ganztagsschulen (1991 sollen es nur 39 Prozent gewesen sein). Eine ähnlich hohe Zustimmung unter der Bevölkerung bzw. den Eltern gab es jedoch bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, da in dieser Zeit nahezu 50 Prozent der erfassten Eltern bereit waren, ihre Kinder in eine Ganztagsschule zu schicken.15 Bei berufstätigen Müttern war die Zustimmung besonders hoch (etwa 70 Prozent), da sie darin „die Lösung ihrer Kinder- und Schulsorgen erblicken.“16 Während in den 60er Jahren die Zustimmung bei Eltern, deren Kind ein Halbtags-Gymnasium besucht, eher gering ausgefallen ist (32 Prozent), lag der zustimmende Anteil in anderen Schultypen (deutlich) höher: 42 Prozent in Hauptschulen, 44,3 Prozent in Realschulen, 51 Prozent in Grund- und Hauptschulen und 53,9 Prozent in Gesamtschulen.17 Betrachtet man die jüngsten Bestrebungen der Regierung für den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschule (am Ende des Jahres 2003 sollte es 14

Vgl. www.spd.bayer...ell/presse_anzeigen (Zugriff: 16.04.2003). Vgl. auch www.spdsaar.de (Zugriff: 16.04.2003). 15

Vgl. Hans Linde, Die Tagesschule. Tagesheimschule, Ganztagsschule, Offene Schule. Ein soziologischer Beitrag zur Diskussion einer aktuellen pädagogischen Forderung, Heidelberg 1963, S. 171. 16 17

Ebd.

Vgl. Tino Bargel, Bestands- und Bedarfsanalysen zu Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten, in: Heinz Günter Holtappels (Hg.): Ganztagserziehung in der Schule. Modelle, Forschungsbefunde und Perspektiven, Opladen 1995, S. 75.

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bereits für 30 Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen ein entsprechendes Angebot geben), so liegt die Vermutung nahe, dass sich die Regierung mit ihren Maßnahmen von dem schlechten Abschneiden bei der PISA-2000-Studie „reinwaschen“ will. Doch wird die Ganztagsschule eine Verbesserung bezüglich der Bildung der Schüler im allgemeinen und deren schulischen Leistungen im besonderen mit sich bringen? Hier ist große Skepsis angeraten, wenn wir den typischen Tagesrhythmus einer Ganztagsschule betrachten, der sich etwa entsprechend der hier aufgeführten Tabelle verdeutlichen lässt:18 08.00 – 08.45

Training, Üben, körperliche Bewegung, geselliges Spiel, Gespräch

08.45 – 09.00

Pause – Wechsel – Umstellung

09.00 – 10.30

Gesteigerte Anforderung, Experimente

10.30 – 11.00

Pause – Bewegung – Entspannung

11.00 – 12.30

Mehr Rezeptivität, Zuhören, Nachdenken

12.30 – 14.00

Mittags-Freizeit

14.00 – 16.00

Motorik, Erfahrungen

18

Mathematik, Grammatik, Deutsch, Fremdsprache, Sport, Förderkurse

Naturwissenschaften, Mathematik, Sozialkunde, Geographie, langfrist. Projektarbeit

Deutsch, Fremdsprache, Geschichte, Religion, Kunst, Musik, Freizeitangebot

Literatur, Kunst, Musik, Werken, Sport, darstellendes Spiel, kurzfrist. Exkursion, Förderkurse / Freizeit

Die Tabelle ist entnommen: Hans Günter Holtappels, Ganztagserziehung als Gestaltungsrahmen der Schulkultur – Modelle und Perspektiven für ein zeitgemäßes Schulkonzept, in: Ders. (Hg.): Ganztagserziehung in der Schule. Modelle, Forschungsbefunde und Perspektiven, Opladen 1995, S. 16. Der Tagesablauf an der rheinlandpfälzischen Grundschule St. Julian (in St. Julian) sieht für die 3. und 4. Klasse für den Nachmittag folgenden Ablauf vor: 13.10-13.20 Uhr Offener Übergang von der 6. Stunde zum Mittagessen; 13.20-14.00 Uhr Mittagessen und Freizeitbereich; 14.00-14.40 Uhr Hausaufgaben / innere Differenzierung; 14.40-15.20 Uhr Systemzeit; 15.20-16.00 Uhr Unterrichtsergänzende Angebote (vgl. Auf dem Weg zur Ganztagsschule – ein Praxisbeispiel. Grundschule St. Julian, in: Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes Rheinland-Pfalz (Hg.): Unterwegs zur Ganztagsschule. Ein Reader, Speyer 2002, S. 37).

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Im Unterschied zur Halbtagsschule sind es demnach im wesentlichen zwei Stunden (von 14.00-16.00 Uhr), die eine Ganztagsschule auszeichnen, in denen Schüler individuell gefördert werden bzw. eigenen Interessen und Neigungen nachgehen können. Von Befürwortern der Ganztagsschule wird es als ein Ziel angesehen, dass die Schüler, „wenn sie von der Ganztagsschule nach Hause kommen, fertig sein [sollen] mit dem, was Schule angeht.“19 Als Begründung hierfür wird genannt, dass dieses „Fertig-Sein“ mit schulischen Angelegenheiten die Qualität von Familienleben stabilisiere und erhöhe bzw. die Institution Familie als natürliche Lebensform unserer gesellschaftlichen Ordnung stärke.20 Diese Begründung erscheint jedoch in mehrfacher Hinsicht fragwürdig und – entgegen der Behauptung – dem Familienleben keineswegs förderlich zu sein. Vielmehr entspricht es einem Grundbedürfnis nicht nur des jungen, sondern jedes Menschen, das tagsüber erlebte im Familienkreis anzusprechen bzw. gemeinsam mit einer anderen Person rekapitulieren zu lassen. Dieser Erfahrungsaustausch erscheint in jeder Hinsicht dem Familienleben förderlich zu sein, da durch den Austausch des tagsüber erlebten und die Hilfestellung von Seiten der Eltern die Kommunikation in der Familie gepflegt wird. Zur Verbesserung des Familienlebens gehört es somit wesentlich hinzu, dass Aufgaben und Schwierigkeiten – in diesem Fall Hausaufgaben etc. – miteinander besprochen bzw. gelöst werden. Dass dagegen im Familienkreis das Thema Schule sozusagen als „abgehackt“ erscheinen soll, erschwert eher das Miteinander in der Familie, als das es förderlich sein könnte oder im positiven Sinne Freiräume schaffen würde. IV. Der Besuch einer Ganztagsschule ist kein Garant für eine Verbesserung der schulischen Leistungen Vor einiger Zeit hat der Berliner Soziologe Norbert Bolz auf Hintergründe hingewiesen, die zu dem schlechten Abschneiden bei der PISA-2000-Studie beigetragen haben: die Entheiligung der klassischen Familie im rot-grünen Zeitalter.21 Höchste Wertschätzung – so Bolz – genießt das berufstätige Paar mit ganztätig betreutem Kind. Am unteren Ende der Wertskala rangiert die klassische Familie mit arbeitendem Ehemann und Mutter / Hausfrau. Letzterer gilt nur noch der Spott der derzeitigen Kulturrevolutionäre, die die Lufthoheit über den Kinderbetten längst erobert haben. Die Schule – so der Soziologe –

19

Vgl. Auf dem Weg zur Ganztagsschule, S. 25.

20

Ebd.

21

Vgl. Norbert Bolz, Produktion und Reproduktion. Über die Entheiligung der klassischen Familie im rot-grünen Zeitalter, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.02.2003, S. 8.

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mutiere in nicht wenigen Fällen zum Kinderbetreuungszentrum, in dem die Kinder nicht primär lernen sollen, sondern „betreut“ und „integriert“ würden. Das Argument, in der Ganztagsschule könnten die Schüler individueller gefördert werden, als in herkömmlichen Schulen, scheint hinterfragt werden zu müssen. Bezeichnenderweise sollte es das Markenzeichen der in den 60er und 70er Jahren eingeführten Gesamtschule sein, Schüler – besonders die schwächeren – individueller zu fördern. Das Ergebnis war, dass die Gesamtschule weithin – aber besonders im Bereich der schwächeren Schüler – versagt hat, weswegen PISA feststellt, dass die Gruppe der leistungsschwachen Kinder und Jugendlichen in Deutschland deutlich zugenommen hat. Der Rückblick auf die Erfahrungen mit der Gesamtschule ist besonders aus dem Grunde naheliegend, da die in staatlicher Trägerschaft bestehenden Gesamtschulen in der Regel als Ganztagsschulen geführt werden. Die Gesamtschule rangiert beim Leistungsvergleich der Schultypen jedoch auf den hinteren Rängen. In der PISA-2000-Studie ist sie am ehesten mit der Hauptschule vergleichbar. „Heute wissen wir, dass die Gesamtschule keine attraktive Alternative zum Gymnasium darstellt. Diejenigen, die mit großer Leidenschaft öffentlich für die Gesamtschule eingetreten sind, haben ihre eigenen Kinder auf Gymnasien geschickt.“22 Bundespräsident Johannes Rau hat im Januar 2002 vor dem „Forum Bildung“ in Berlin erklärt, dass die Ganztagsschule vor allem für die Schüler gut sei, da deren Chancen zur Teilhabe an den Bildungsangeboten steigen würden.23 Eine Begründung für diese allgemeine Aussage hat der Bundespräsident im weiteren jedoch nicht angeführt. Nein, die Einführung der Ganztagsschule dient in erster Linie nicht den Schülern, sondern den Erwachsenen auf breiter Front. Letztere tragen zum größten Teil jedoch die Schuld an der Bildungsmisere. Eltern können – auch in sozialdemokratisch geführten Bundesländern – selbst wesentlich über den Lernerfolg ihrer Kinder entscheiden. Ein sicherer Indikator hierfür ist schlicht und einfach die Zahl der zu Hause greifbaren Bücher und die dem Kind in diesem Zusammenhang geschenkte Zeit. Mit der

22 Annette Schavan, Welche Schule wollen wir? PISA und die Konsequenzen, Freiburg / Br. u.a. 2002, S. 130. Nach jüngsten Beobachtungen werden derzeit ein Großteil von Ganztagsschulen „– etwa in Baden-Württemberg – in Hauptschulen und an sogenannten sozialen Brennpunkten eingerichtet. Das ist eine Gefahr. Noch bevor diese Schulart richtig etabliert ist, wird sie das Image einer Problemschule, oder ‚Restschule‘ haben, von der sich fernhält, wer immer nur kann.“ (Lothar Kuld, Schule als Zeitschule. Ein Plädoyer angesichts der entstehenden Ganztagsschulen, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (2003) 196 – 197. 23

Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes Rheinland-Pfalz (Hg.): Unterwegs zur Ganztagsschule. Ein Reader, Speyer 2002, S. 13.

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Ganztagsschule werden Eltern diese bildungsmäßige Zuwendung zu den Kindern auf ein Minimum reduzieren, wenn nicht völlig aus dem Blick verlieren. Der Kinderarzt und Jugendpsychiater Johannes Pechstein lässt die Vorteile der Ganztagsschule für Kinder unter 12 Jahren nur aus sozialen Sondersituationen heraus gelten: Alle Institutionen der Ganztagsbetreuung von der Krippe bis zum Hort sowie die Ganztagsschule sind in Wahrheit Einrichtungen zur Hilfe für Erwachsene. „Dem Kindeswohl widersprechen sie: Je jünger die Kinder sind, desto mehr!“24 Innerlich starke und balancierte vielseitige Persönlichkeiten – so Pechstein – wachsen demgegenüber am ehesten in einer anfangs dominierten Familienerziehung mit später vertrauensvollem Halbtags-Miteinander von Familien, Kindergärten und Schulen auf. Immerhin wachsen in unserer Gesellschaft etwa drei Viertel aller 15-Jährigen in ihrer biologischen Herkunftsfamilie auf, weswegen „von einem generellen Verlust der Familienerziehung und entsprechenden Nachteilen für die Bildung von Kindern und Jugendlichen (...) in unserer Gesellschaft keine Rede sein“25 kann. Vor dem Hintergrund derartiger Aussagen entpuppt sich der Slogan „Auf Dauer schlauer!“ als Schwindel, zumal anhand der PISA-2000-Studie in keiner Weise Anhaltspunkte erkennbar sind, wonach die tägliche Dauer des Schulbesuchs über den Lernerfolg entscheiden würde. Luxemburg beispielsweise hat zumindest an drei Tagen pro Woche Nachmittagsunterricht, bei der Studie belegt das Land jedoch nur den drittletzten Platz. Eine nüchtern geführte Diskussion scheint derzeit kaum möglich zu sein. Zu sehr stehen die Verantwortlichen unter dem „Schock“ von PISA, als dass sie umfassender nach den Gründen suchen würden. Diese liegen aber nicht zuletzt in der besonders in den 60er / 70er und 80er Jahren gepredigten antiautoritären Erziehung und der seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigten Familienpolitik. Letztere hat bereits teilweise dazu geführt und wird in stark wachsendem Maße dazu beitragen, dass ganze Landstriche in der Bundesrepublik vergreisen. Während derzeit bereits Schulen in Großstädten – wie beispielsweise München – händeringend Ausschau nach Schülern halten, um ihre Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen, scheint es für viele Gebiete in den neuen Bundesländern schon zu spät zu sein. Hier werden bereits reihenweise Kindergärten und

24

Johannes Pechstein, Zu Lasten der Schwächsten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.05.2003, S. 8. 25

Jürgen Rekus, Auch die Ganztagsschule ist eine Schule, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (2003) 186. Die besondere Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung ist wissenschaftlich eindeutig erwiesen (vgl. Martina Lenzen-Schulte, Die Kraft der frühen Bindung. Forscher ergründen den Wert der Eltern-Kind-Beziehung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07.02.2004, S. 36).

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Schulen geschlossen. Was (noch) floriert ist der Bau von Alten- und Seniorenheimen. Treffend hat Konrad Adam die Situation auf den Punkt gebracht: „In Deutschland macht man Politik für alle möglichen Randgruppen, für Arbeitslose und Nichtraucher, für Kleinwüchsige und Transsexuelle, nur nicht für die mit Abstand größte Randgruppe der Gesellschaft, für Kinder.“26 Eine jahrzehntelange Vernachlässigung dieser nichtwahlberechtigten „Randgruppe“ schafft ein Ungleichgewicht, das den Fortbestand dieser Gesellschaft selbst in Frage stellt. Ein erstes Signal für ein gesellschaftliches Umdenken wäre die Einführung des Wahlrechts für Kinder, denn es besteht kein Zweifel daran, dass das Armutsrisiko für Erwachsene mit der Geburt von Kindern wächst. In ökonomischer Hinsicht ist es eindeutig, dass mit der Geburt eines jeden (weiteren) Kindes der Lebensstandard oder Wohlstand der betreffenden Familie sinkt.27 In Deutschland leben über 1 Millionen Kinder von der Sozialhilfe; jedes 14. Kind unter 10 Jahren ist auf Sozialhilfe angewiesen, wobei sich regional große Unterschiede ergeben. In manchen Großstädten und Gegenden Nord- und Ostdeutschlands sind Quoten von 20 bis 25 Prozent keine Seltenheit. „Deutschland befindet sich im oberen Mittelfeld jener europäischen Staaten, die den höchsten Anteil an Kinderarmut aufweisen.“28 Doch nicht nur in familienpolitischer Hinsicht ist manches schief gelaufen, da große Probleme ebenfalls im Bereich der Disziplin zu erkennen sind. Neben dem Bildungsnotstand droht in gleicher Weise ein Erziehungsnotstand, wobei der eine Notstand den anderen mitbedingt. Weder an die über Jahrzehnte gepredigte antiautoritäre Erziehung noch an die ideologischen Grundmythen der Gesamtschule möchten die Verantwortlichen heute gerne erinnert werden. Stattdessen „mutet man der Schule nun zu, sich erzieherisch mit Fehlentwicklungen zu befassen, die mindestens zu einem gewichtigen Teil durch verweigerte oder falsche Erziehung mitbedingt sind.“29 Es gibt Aussagen von erfahrenen Lehrern, die sich dahingehend äußern, dass in bestimmten Klassen ein einigermaßen effektiver Unterricht kaum bzw. seit längerer Zeit nicht mehr möglich ist, da sich eine Lernatmosphäre nicht mehr herstellen lässt. Hatte man in früheren Jahrzehnten noch eher geglaubt, dass 26 Konrad Adam, Die deutsche Bildungsmisere. PISA und die Folgen, München 2002, S. 25.

2

27

Vgl. Gerda Holz, Kinderarmut verschärft Bildungsmisere, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 26.05.2003, S. 4. 28 29

Ebd., S. 3.

Vgl. Jürgen Rüttgers, Lehrer als Dompteure? – Über das Verschwinden von Erziehung aus dem öffentlichen Raum, in: Bernhard Fahrholz u.a. (Hg.): Nach dem PisaSchock. Plädoyers für eine Bildungsreform, Frankfurt / M. 2002, S. 115.

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derartige Probleme – wenigstens teilweise – auf einer Durchsetzungsschwäche des Lehrers beruhen, so stimmt heute ein ganzes Lehrerkollegium immer häufiger darin überein, dass bestimmte Klassen – gelinde gesagt – generell „Problemklassen“ sind. Die Annahme des Lehrers als Autoritätsperson gehört keineswegs mehr zu den Selbstverständlichkeiten. Nicht selten werden Lehrer direkt beschimpft, teilweise bedroht, wenn sie in mündlichen oder schriftlichen Prüfungen schlechte Noten verteilen. Persönliche Beleidigungen von Lehrern kommen regelmäßig vor und tragen mit dazu bei, dass Lehrer nach relativ kurzer Zeit jeglichen Elan bei der Ausübung ihres Berufs verlieren. In einer Denkschrift zum Jahrestag des Erfurter Gewalttags hat der Deutsche Lehrerverband die Gewalt in den Medien beklagt.30 In Videos, Computerspielen und im Fernsehen seien Schüler nach wie vor Gewalt ausgesetzt, deren Wirkung unterschätzt werde. Der Umgangston unter Schülern sei rauer geworden, zugenommen hätten Vandalismus-Schäden und die Ausstattung mit Waffen wie Butterfly-Messern, Wurfsteinen und Faustmessern. Zwar sind diese nach einer Verschärfung des Waffenrechts am 1. April 2003 verboten worden, doch treten an diese Stelle nur zu leicht Schutzgelderpressung oder bewusste körperliche Gewalt. Eine im Auftrag des Bundeskriminalamtes durchgeführte Studie von Psychologieprofessoren hat ergeben, dass 7 Prozent der Schüler im ersten Halbjahr 2003 schon einmal mit einem Messer oder einer Pistole Mitschüler gedroht haben. Ebenfalls 7 Prozent berichteten, als Opfer mit einer Waffe bedroht worden zu sein.31 Etwa 5 Prozent der deutschen Jugendlichen, so die Studie, bedrohen, erpressen und misshandeln regelmäßig ihre Mitschüler, wozu zweifellos u.a. auch Gewaltfilme beitragen. Gegen derartige Fehlentwicklungen – so die Forscher – beugen am ehesten emotionale Wärme und eine konsistente Erziehung vor. V. Katholische Schulen – die bessere Alternative? Während über die PISA-2000-Studie bislang viel geschrieben und diskutiert wurde, so konnte man bislang nur sehr wenig darüber vernehmen, ob und gegebenenfalls inwieweit katholische Schulen in das insgesamt blamable Ergebnis eingeschlossen waren. Betrachtet man die große Anzahl von einbezogenen Schulen, so mag man vielleicht zunächst die Vermutung äußern, dass die zwölf

30 31

Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.04.2003, S. 9.

Es wurden 1163 Schüler der siebten und achten Klassen an allgemeinbildenden Schulen in Erlangen und Nürnberg befragt (vgl. Hans Riebsamen, Früh übt sich der Kriminelle, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.07.2003, S. 9).

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katholischen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, die darin vertreten waren und ausgewertet wurden, unauffällig „mitschwimmen“. Dies war jedoch keineswegs der Fall, da zu erkennen ist, dass die ausgewerteten katholischen Schulen alle über dem bundesdeutschen Durchschnitt lagen, weswegen das vergleichsweise schlechte Abschneiden der deutschen Schulen bei der PISA2000-Studie etwas verbessert werden konnte. So hat beispielsweise das katholische Mädchengymnasium Marienberg in Neuss bei der PISA-2000-Studie 607 Punkte im Bereich der Lesekompetenz, 568 Punkte im Bereich der Mathematischen Grundbildung und 580 Punkte im Bereich der Naturwissenschaftlichen Grundbildung erhalten, bei einem bundesdeutschen Durchschnitt aller ausgewerteten Schulen von 484 bis 490 Punkten in den jeweiligen drei Bereichen.32 Während sich somit der bundesdeutsche Durchschnitt im Bereich der Lesekompetenz im oberen Bereich der Kompetenzstufe II befindet (es gab die Leistungsstufen I bis V), konnte das Marienberg-Gymnasium die zweithöchste Kompetenzstufe (IV) erreichen. In der Sprache der PISA-2000-Studie heißt dies beispielsweise auf die Lesekompetenz bezogen, dass bei der Kompetenzstufe II unter anderem das „Verstehen von Beziehungen oder das Erfassen einer Bedeutung innerhalb eines Textteils auf der Basis von einfachen Schlussfolgerungen“ vorgenommen werden kann. Bei der Kompetenzstufe IV dagegen besteht die Fähigkeit darin, „ein akkurates Verstehen von langen und komplexen Texten“ unter Beweis stellen zu können. Betrachtet man die Frage nach der Akzeptanz und Einschätzung von katholischen Schulen bei den Eltern, so ist nicht zu übersehen, dass katholische Schulen einen guten Ruf besitzen, was sich nicht zuletzt darin ausdrückt, dass die Bewerberzahl deutlich über dem Angebot liegt. Im bundesdeutschen Durchschnitt liegt der Überhang an Bewerbern an katholischen Schulen bei 30 Prozent. Regional liegt der Überhang weit darüber. So kommen beispielsweise bei dem von Jesuiten geführten Aloisiuskolleg in Bonn auf 100 Plätze über 250 Bewerber. Am Marienberg-Gymnasium in Neuss kommen auf etwa 170 Plätze ca. 250 Bewerberinnen. Ein „Ansturm“ herrscht geradezu an katholischen Schulen in Berlin, wo der Überhang teilweise bei 300 Prozent liegt.33 Umfragen haben ergeben, dass Schulleiter katholischer Schulen als Aufnahmekriterien an vorderster Stelle die religiöse Einstellung der Eltern und den persönlichen Eindruck in einem Vorstellungsgespräch nannten. Eltern dagegen vertrauen in hohem Maße auf persönliche Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis, wobei zu erkennen ist, dass sich katholische Schulen in der Regel durch engagierte und interessierte Eltern auszeichnen. Diese Beobachtung ist umso 32

Die Angaben beruhen auf mündlichen Mitteilungen des Leiters der Zentralstelle Bildung bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn von August 2003. 33

Ebd.

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bemerkenswerter, als die PISA-2000-Studie ergeben hat, dass ein großer Teil der deutschen Eltern offensichtlich überhaupt keinen Anteil an den schulischen Leistungen ihrer Kinder nimmt. Demgegenüber erhoffen sich gerade Eltern von Kindern an katholischen Schulen eine besonders enge und intensive Zusammenarbeit mit den Lehrern. Die hohe Nachfrage – in Zeiten permanent geburtenschwacher Jahrgänge – drückt sich nicht zuletzt durch Neuerrichtungen von katholischen Schulen in den vergangenen Jahrzehnten aus, sodass die Gesamtzahl der Schüler an katholischen Schulen in diesem Zeitraum gewachsen ist. Betrug sie Ende der 60er Jahre ca. 200.000 Schüler, so stieg sie in den weiteren Jahren deutlich an, um sich in den 80er Jahren bei etwa 300.000 einzupendeln. Im Schuljahr 2002 / 2003 besuchten etwa 367.000 Schülerinnen und Schüler katholische Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (weltweit werden katholische Schulen von etwa 40 Millionen Schülerinnen und Schülern besucht).34 Damit ist die katholische Kirche nach dem Staat der zweitgrößte Träger von Schulen in Europa. Insgesamt liegt der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die in Deutschland an katholischen Schulen unterrichtetet werden etwas über 3 Prozent der Gesamtschülerschaft in unserem Land.35 Dieser – im Vergleich zu anderen Staaten – relativ geringe Anteil erklärt sich dadurch, dass es bei uns seit langer Zeit öffentliche Bekenntnisschulen gibt, die bekenntnisgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen anbieten, sodass sich für nicht wenige Eltern die Wahl einer katholischen Schule erübrigte. So sind beispielsweise 1156 öffentliche Grundschulen in Nordrhein-Westfalen katholische Bekenntnisschulen, was einem drittel aller öffentlichen Grundschulen in diesem Bundesland entspricht. Gleichwohl muss hierbei bedacht werden, dass es einen direkten kirchlichen Einfluss auf die pädagogische Gestaltung dieser Schulen nicht gibt. Zu bedenken ist ferner, dass in den letzten Jahren allmählich der Anteil an Schülerinnen und Schülern an katholischen Schulen in den neuen Bundesländern angewachsen ist. Im Bistum Magdeburg beispielsweise gab es bis zum Jahr 2003 drei Gymnasien und zwei Grundschulen in katholischer Trägerschaft. Zum Schuljahr 2003 / 2004 sind zwei weitere Grundschulen hinzugekommen, weswegen das Bistum damit der größte freie Schulträger in Sachsen-Anhalt ist.

34

Vgl. Deutsche Bischofskonferenz, Bereich Glaube und Bildung (Hg.): Statistik der katholischen Schulen in freier Trägerschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Stand: Schuljahr 2002 / 2003, März 2003. 35

Etwa 6 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in der Bundesrepublik Deutschland besuchen Privatschulen (vgl. Achim Leschinsky, Schulen in katholischer Trägerschaft – „Gegenbild“ zum staatlichen Schulwesen?, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (1999) 118).

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Umfragen Ende der 90er Jahre haben ergeben, dass Eltern als Grund für die Wahl einer katholischen Schule zu über 54 Prozent angeben, dass die Schule gute Lehrer habe.36 Am zweithäufigsten wird das Bemühen um die Erziehungsgemeinschaft von Elternhaus und Schule genannt (45,4 Prozent). Im Weiteren wird die Erziehung zu sozialem Engagement (39,3 Prozent), das hohe Ansehen der Schule (36 Prozent) und die hohe persönliche Zuwendung zu den Schülern (33,8 Prozent) aufgeführt. In einem deutlichen Abstand hierzu wird die Bedeutung von Glaubensfragen in der Schule lediglich bei 16,3 Prozent der Eltern genannt und die Einführung in die Glaubenspraxis bei 13 Prozent. Mit diesem – für spezifisch christliche Glaubensinhalte – vergleichsweise geringen Interesse von Seiten der Eltern geht die Beobachtung einher, dass die Möglichkeit der Schüler, wöchentlich an einer Eucharistiefeier in der Schule teilnehmen zu können, in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist: von 52,8 Prozent am Ende der 80er Jahre auf 18,2 Prozent am Ende der 90er Jahre. Gleichwohl wird von Seiten mancher katholischen Schule darauf hingewiesen, dass sie stattdessen Gelegenheiten zu anderen Aktivitäten der Schulpastoral (z.B. Tagen religiöser Orientierung) anbieten. Insgesamt ergaben die Umfragen, dass 43,2 Prozent der Schüler katholischer Schulen das schulpastorale Angebot als ein bedeutsames Proprium ihrer Schule ansehen. 50 Prozent der Schüler und 76,2 Prozent der Eltern sind der Auffassung, dass sich hinsichtlich der Atmosphäre und des Klimas im Umgang miteinander eine eigene Prägung in der katholischen Schule erkennen lässt. Wenn wir die Suche nach dem Spezifischen der katholischen Schule aufnehmen, so müssen wir grundlegend die Frage stellen, ob das christliche Menschenbild in ausreichendem Maße das Leben in der Schule durchdringt, wenn an nicht wenigen Schulen ein regelmäßiger Besuch der Schüler an der Eucharistiefeier nicht gewährleistet ist. An einer katholischen Schule sollte deutlich werden, dass sich ihr „guter“ Geist, der dann die ganze Schule als eine „gute“ auszeichnen wird, an der Eucharistiefeier entzündet. Wenn neben dem Religionsunterricht die Schüler die Mitfeier des Gottesdienstes jedoch nicht mehr hinreichend erfahren (können), dann bleibt das im Unterricht vermittelte Wissen Theorie, die den Einzelnen kaum berührt. Niemand will aus katholischen Schulen ausgesprochene „Missionsstationen“ machen, doch ist darauf zu achten, dass sich Werthaltungen durchsetzen, die von einer Achtung und Ehrfurcht vor Gott und den Menschen gekennzeichnet sind. Nur so kann das Wesentliche und Spezifische der katholischen Schule bewahrt werden, da hierdurch der innere Zusammenhalt aller Schulfächer erkennbar werden kann.

36 Vgl. Joachim Dikow, Katholische Schulen in freier Trägerschaft. Ergebnisse der Umfragen im Schuljahr 1997 / 1998, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (1999) 218.

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Die Sozial- und Naturwissenschaften werden in ihrer Bedeutung gewürdigt, doch werden sie nicht absolut gesetzt, da der letzte Grund nicht in ihnen selbst liegt. Die religiöse Dimension stellt die Klammer dar, die alle übrigen Fächer zusammenhält und damit im guten Sinne Freiräume schafft. Die vom II. Vatikanischen Konzil angesprochene Anerkennung der „relativen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ lässt den einzelnen Fächern ihre sachgemäße Bedeutung, ohne sie jedoch aus dem größeren religiösen Zusammenhalt zu entlassen. Darin liegt ein Schlüssel für den zukünftigen Erfolg katholischer Schulen, wobei vor allem das Lehrerkollegium von diesem Wissen durchdrungen sein muss. Auf die Frage „Wozu brauchen wir katholische Schulen?“ gab eine Oberstudiendirektorin unter anderem folgende Antwort: Die Möglichkeiten der freien Schulen müssen besser genutzt werden. „Dies bedeutet, dass wir nicht unbedingt die auf einem Minimalkonsens beruhenden dünnen Richtlinien im Fach Religion an unseren Schulen unreflektiert übernehmen, sondern klare Akzente [auch in den anderen Fächern] setzen. (...) Nicht nur in der Theoretischen Reflexion über Glaubensinhalte, sondern im praktischen Glaubensvollzug sollen die Schüler an katholischen Schulen ihren Glauben erleben. Dies ermöglicht die wöchentliche Schulmesse, in der die Schüler den Spannungsbogen des Kirchenjahres nachvollziehen lernen, und im Laufe der Zeit Verständnis dafür gewinnen, dass die Eucharistiefeier das Zentrum unseres christlichen Glaubens ist.“37 Hierin liegt die eigentliche Quelle nicht nur des katholischen Glaubens im Allgemeinen, sondern auch der katholischen Schule im Besonderen. Von hier aus wird ein „Miteinander von Lehrern und Schülern“ erfahrbar, das eine eigene Qualität besitzt und – nicht zuletzt durch ein vielfältiges soziales Engagement – auf die Umwelt ausstrahlt. Katholische Schulen sollten sich nicht unter diesem Wert „verkaufen“, damit auch in Zukunft sichergestellt ist, dass – trotz oder gerade wegen der hohen Nachfrage nach katholischen Schulen – die christlichen „Qualitäten“ erkennbar bleiben. Die katholischen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland müssen sich die Sorge um ihre Zukunft schwerlich zu eigen machen. „Ihr guter Ruf bei der Elternschaft, ihr Renommee als ‚Leistungsschulen‘ und ihr gesellschaftliches Ansehen als etablierter Ort einer alternativen Schulkultur haben in der PISADebatte keinen Schaden genommen, im Gegenteil“.38 Doch sollten wir erkennen, dass der durch die PISA-2000-Studie erkennbare gute Bildungswert katholischer Schulen auf Dauer nur bewahrt bzw. vergrößert werden kann, wenn 37

www.gymnasiummarienberg.de/marienberg.2002/index.gesamt.htm (Zugriff am: 4. Februar 2004). 38

Clauß Peter Sajak, Entschleunigen oder Durchstarten?, S. 2.

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auch die spirituelle Dimension (z.B. Eucharistiefeier) den zentralen Stellenwert beibehält bzw. wiedergewinnt. Es reicht nicht aus, wenn in katholischen Schulen die christliche Botschaft lediglich als Unterrichtsgegenstand kennen gelernt wird, sondern die Schülerinnen und Schüler müssen die religiöse Praxis als einen Lebensvollzug erfahren: „Dazu gehört das angemessene Verhalten im Kirchenraum, der Vollzug elementarer liturgischer Handlungen, die gemeinsame Feier des Kirchenjahres, die Kenntnis der Gebetstradition der Kirche, aber auch die Hinführung zu einem selbstlosen Einsatz für andere“.39 VI. Die Einstellung zur Ganztagsschule im katholischen Verbandswesen Anfang der 90er Jahre hat die „Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände für Erziehung und Schule“ eine Stellungnahme zur Ganztagsschule herausgegeben.40 Bezüglich der Grundschulzeit plädiert die Arbeitgemeinschaft dafür, die „Halbtags- wie auch die Ganztagsbetreuung in Schulen (...) auf das unbedingt notwendige Minimum zu beschränken“, wobei das Angebot in die Freiwilligkeit der Eltern gestellt sein müsse.41 Es sei zu bedenken, dass „jeder Aufenthalt in der ‚Institution‘ die Erziehungszeit und den Erziehungseinfluss der Familie nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verkürzt.“42 An dieser Stelle scheinen sich die Geister nun zu scheiden. Während manche Politiker – wie beispielsweise die ehemalige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann – sich vehement für eine frühestmögliche Betreuung von Kindern in Horten, Kindergärten und Grundschulen aussprechen, bestreitet dies die katholische Arbeitsgemeinschaft nachdrücklich und wie ich meine zu Recht. Niemand wird leugnen, dass in einer zerrütteten Familie, in der die Mutter oder engste Familienangehörige sich kaum um die Erziehung des Kleinkindes kümmern, Missstände vorherrschen können, die es angeraten erscheinen lassen, dass ein Kind besser – zumindest tagsüber – in einer Kinderbetreuungsstätte oder im Kindergarten aufgehoben wäre. Doch derartige Fälle, bei denen die elterliche Rolle versagt, können nicht als Argument für die Einführung der flächendeckenden Ganztagsschule herangezogen werden, wenngleich weitere defizitäre familiäre Konstellationen nicht verschwiegen werden sollen.

39 Karl Kardinal Lehmann, Schule als Ort wertbezogener und personal orientierter Erziehung, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (2003) 113 – 114. 40 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände für Erziehung und Schule (Hg.): Ganztagsbetreuung – Ganztagsschule. Positionen – Möglichkeiten. Stellungnahmen und Modelle der in der AKVES zusammenarbeitenden Verbände, 1992, S. 8 – 9. 41

Vgl. ebd., S. 19.

42

Ebd.

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Zum einen wachsen nicht wenige Kinder in Ein-Kind-Familien auf und zum anderen liegt die Müttererwerbstätigkeit bei etwa 50 Prozent.43 Gleichwohl müssen auch hier Differenzierungen vorgenommen werden, da bei einer EinKind-Familie die Familie in nicht wenigen Fällen nicht zwingend auf ein zweites Einkommen angewiesen ist und die Mehrheit der berufstätigen Mütter nur halbtags einen Beruf ausüben wollen. Es bleibt dabei: die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule wird den Bildungsnotstand in unserem Land nicht beheben können. Was in vereinzelten Fällen aufgrund der familiären Situation angeraten sein kann, darf nicht zur Regel werden. Wenn Politiker darauf hinweisen, dass die Akzeptanz und Nachfrage nach Ganztagsbetreuungseinrichtungen und -schulen in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, so ist diese „Gesinnungsänderung“ der Eltern nicht zuletzt aufgrund der oben angesprochenen verfehlten Familienpolitik entstanden. Die Erziehung der Kinder durch die Eltern ist durch keine andere gesellschaftliche Instanz zu ersetzen. Der Staat kann, darf und muss Hilfestellungen in vielfältiger Art und Weise anbieten, doch darf er nicht einseitig eine Politik betreiben, die es den Eltern zunehmend nicht oder kaum mehr möglich macht, ihre Kinder selber zu erziehen. Der Staat muss eine Politik betreiben, die es Elternhaus und Schule ermöglicht, in komplementärer Form eine Erziehungsgemeinschaft zu bilden. Nicht die Quantität der Schulzeit ist entscheidend, sondern die Qualität. „Nicht die Ausdehnung der Tagesschulzeit löst das auch von PISA angesprochene Problem der mangelnden Entkopplung von Herkunft und Schulleistung. Sondern die Intensivierung der Erziehungsgemeinschaft nach pädagogischen Maßstäben.“44 VII. Ausblick Im direkten Vergleich mit zahlreichen Industrieländern geben sich die öffentlichen Bildungsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland – gemessen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts – als bescheiden aus.45 Auf Dauer wäre es

43

Vgl. Susanne Flehmig, Institutionelle Grundlagen, S. 52 – 53.

44

Volker Ladenthin, Was heißt: Schule ist Erziehungsgemeinschaft für die Gestaltung von Schule?, in: Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule [ohne Bandzählung] (2003) 104. 45 Diese lagen 1999 in Deutschland bei 4,3 Prozent, während sie in nahezu allen anderen europäischen Ländern höher waren (in den nordeuropäischen Ländern im Schnitt über 6 Prozent; in Portugal, der Schweiz, Polen, Belgien, Frankreich und Finnland bei 5 bis 6 Prozent). Vgl. Manfred G. Schmidt, Ausgaben für Bildung im internationalen

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angeraten, dass der Staat den Familien finanzielle Mittel zuweisen würde, die diese zumindest teilweise in die Bildung ihrer Kinder investieren müssten. Diese Maßnahme kann in mehrfacher Hinsicht als „pädagogisch wertvoll“ gewertet werden, da zum einen Eltern dadurch ein deutlich höheres Interesse aufbringen würden, zu erfahren, ob mit den von ihnen eingesetzten Mitteln sich ein angemessener Lern- und Leistungserfolg abzeichnet. Die drohende Zweigleisigkeit durch die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule – hier ganztägig berufstätige Eltern, dort ganztägig „versorgte“ Kinder – würde somit unterbunden und es fände eine stärkeres Miteinander von Schule / Lehrern und Eltern statt. Bezeichnenderweise hat die Kultusministerin von BadenWürttemberg, Annette Schavan, in ihrer Schrift „Welche Schule wollen wir? PISA und die Konsequenzen“ nicht nur keine Empfehlung für eine Ausweitung der Ganztagsschule abgegeben, sondern die Diskussion der letzten Jahre um die Einführung der Ganztagsschule überhaupt nicht aufgegriffen!46 Die durch die PISA-2000-Studie offensichtlich gewordenen Probleme liegen auf anderen Gebieten, als das diese durch die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule gelöst werden könnten. Dies zeigt nicht zuletzt das in der Studie zu Tage getretene Nord-Süd-Leistungsgefälle innerhalb Deutschlands: Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen bilden in Deutschland die Spitzengruppe – Länder, in denen die Ganztagsschule praktisch überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Folglich sollten Untersuchungen nicht zuletzt auch bei einem detaillierten Vergleich der einzelnen Bundesländer beginnen, aus denen sich dann einzelne Kriterien für Verbesserungsvorschläge ergeben könnten. Die Deutsche Bischofskonferenz hat auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung 2003 in Freising eine Stellungnahme zur Ganztagsschule beschlossen, in der ausgeführt wird, dass Ganztagsangebote in Kindergärten und Schulen „unter klar definierten Bedingungen einen positiven Beitrag zu Erziehung und Bildung, Schulqualität, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Stützung der familialen Erziehung“ leisten.47 In trefflicher Weise wird die Berechtigung der Ganztagsschule angesprochen, jedoch ebenfalls auf eine Überschätzung bzw. Fehlleitung derselben hingewiesen: „Auf keine Fall darf [mit] (...) der in Form der ‚flächendeckenden Ganztagsschule‘ als ‚Regelschule‘ der Einstieg in eine vom Staat verwaltete Kindheit und Jugend und eine Funktionalisierung von Bildung verbunden sein. (...) Eine Investition in die Ganztagsschule ist angesichts der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien eine sinnvolle ergän-

Vergleich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 26.05.2003, S. 7. 46 47

Die Schrift von Annette Schavan ist im Jahr 2002 erschienen.

Vgl. http://dbk.de/presse/pm2003/pm2003031305.html (Zugriff erfolgte am: 4. Februar 2004).

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zende Maßnahme zur Halbtagsschule, aber kein Ersatz für die Ursachenforschung und Mängelbeseitigung im bestehenden Halbtagssystem.“48 In einem im Mai 2003 veröffentlichten Positionspapier der fünf (Erz-) Diözesen in Nordrhein-Westfalen zu Erlass und Förderrichtlinie zur „Offenen Ganztagsschule im Primarbereich“ des Ministeriums für Schule verlangen die betreffenden Bischöfe, dass sich die Ganztagsangebote an den Leitlinien der Subsidiarität, der Vielfalt und der Freiwilligkeit auszurichten haben. „Ganztagsangebote sind familienergänzend, nicht familienersetzend.“49 Diese Flexibilität muss auf jeden Fall bei einem quantitativen Ausbau der Ganztagsschulen berücksichtigt werden, die sich auch bei Umfragen bestätigt haben. „Eltern bevorzugen in starkem Maße ‚offene Ganztagsschulen‘ mit freiwilliger Teilnahme und stellen sich mehrheitlich gegen einen für alle obligatorischen Ganztagsbetrieb. (...) sie verlangen in der Nachmittagszeit der Ganztagsschule viel mehr einerseits Arbeitsgemeinschaften und spezielle Förderungen, andererseits Hausaufgabenbetreuung und vielfältige Freizeitangebote und Anregungen.“50 Den Kindern und Jugendlichen in unserem Land wäre ein schlechter Dienst erwiesen, wenn die Verantwortlichen aus dem „PISA-Schock“ ausschließlich oder überwiegend die Lehre zögen, dass ein „flächendeckender“ Ausbau an Ganztagsschulen unser Bildungswesen aus seiner schlechten Mittelmäßigkeit befreien würde.

48

Ebd.

49

Vgl. www.erzbistum-koeln.de/opencms/opencms/erzbistum/Aktuelles/index.html? cms frame=content&doctype=conttent&newsId=1104&docID=271 (Zugriff erfolgte am: 4. Februar 2004). 50

Tino Bargel, Bestands- und Bedarfsanalysen, S. 81.

Llamamiento al ordenamiento internacional de los derechos humanos en la actual diplomacia pontificia concordataria De Carlos Corral “Die individuelle und korporative Religionsfreiheit, d. h. die Kirchenfreiheit, die ohne die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat nicht verwirklicht werden kann, findet ihre letzte juristische und philosophische Begründung in der Würde des Menschen und in seiner Freiheit und Verantwortung. Der Schutz aller dieser Rechtsgüter gehört zu den obersten Pflichten des Staates” (J. Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissennschaft, Berlin, 1978, S. 228 n. 2).

En este sentido, el punto de partida no puede ser otro que la asunción, por parte de la Iglesia, en su más alta representación – el Concilio Vaticano II – de los Derechos Humanos y su Declaración Universal por las Naciones Unidas, tal como lo recordó Juan Pablo II ante la Asamblea General de la ONU el 5 de octubre de 19951. I. El respeto de los Derechos Humanos como principio informador de la actividad internacional de la Santa Sede Con todo, le precedió el Magisterio eclesial representado por Juan XXIII con su Encíclica Pacem in terris (11 abril de 1963, n. 143 s.)2. “Juzgamos, no obstante, que esta Declaración debe considerarse un primer paso introductorio para el establecimiento de una constitución jurídica y política de todos los pueblos del mundo. En dicha declaración se reconoce la dignidad de la persona 1

“Discurso ante la XL Asamblea General de las Naciones Unidas”, Nueva York, 5 de octubre de 1995. Publicado en Ecclesia (1995), p. 1574 – 1579. 2 Se trata de una Declaración no autónoma que se inserta en la Parte I (“Ordenación de las relaciones civiles”, Nº 9 – 34) de la Encíclica “Paz en la Tierra”. Y se ha de completar con el reconocimiento expreso, que se hace en la misma (nº 143), de la misión pacificadora de las Naciones Unidas y de su Declaración Universal de los derechos del hombre. El texto original es el latino y está publicado en el Boletín Oficial de Santa Sede Acta Apostolicae Sedis 55 (1963) p. 256 – 304; la versión al castellano, en Comentarios a la Pacem in terris, Madrid, BAC 1963.

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humana y se afirman todos los derechos que todo hombre tiene a buscar libremente la verdad, respetar las normas morales, cumplir los deberes de justicia, observar una vida decorosa y otros derechos íntimamente vinculados con éstos”3.

En su seguimiento, ya jamás interrumpido, el Magisterio pontificio se fue continuamente reiterando ante todos los foros internacionales, comenzando por la Sede de las Naciones Unidas, tal como lo hizo Pablo VI en su visita, el 4 de octubre de 1965. Precisamente su Mensaje para la celebración de la Jornada mundial de la paz del 1 de enero de 1969, organizada por la ONU – el segundo de los once dirigidos de forma ininterrumpida de 1968 a 1978 – lleva por título “La promoción de los derechos del hombre, camino para la paz”. Lema que, treinta años después y en términos equivalentes, va a hacer suyo Juan Pablo II en su Mensaje para el 1 de enero de 1999 bajo el título “El secreto de la verdadera paz reside en el respeto de los derechos humanos”. Ante la misma Asamblea General de las Naciones Unidas – treinta años después – Juan Pablo II (5 de octubre de 1995) llegó a decir: “Fue precisamente la barbarie cometida contra la dignidad humana lo que llevó a la Organización de las Naciones Unidas a formular, apenas tres años después de su constitución, la Declaración Universal de los Derechos del Hombre, que continúa siendo en nuestro tiempo una de las más altas expresiones de la conciencia humana”4. Como participante, la Santa Sede no había dejado de asumir y esforzarse por llevar a término, en sus relaciones bilaterales con los Estados, el solemne compromiso expresado en la Conferencia de Viena5. En efecto, la Conferencia mundial de derechos humanos (celebrada en Viena del 14 al 25 de junio de 1993) proclamaba en su Declaración y programa de acción de Viena6:

3 C. Corral / J. J. González Rivas, Código Internacional de Derechos Humanos, Madrid 1997, p. 28s. y 993 n.1). 4

“Discurso ante la XL Asamblea General de las Naciones Unidas”, Nueva York, 5 de octubre de 1995. Publicado en Ecclesia (1995), p. 1574 – 1579. 5

Como subraya V. Buonomo, I diritti umani nelle relazioni internazionali, Roma 1997, 66 (nota 17), en la IV sesión (celebrada del 19 de abril al 7 de mayo de 1993) del Comité Preparatorio de la Conferencia de Viena, fue la Santa Sede quien (el 26 abril) propuso una nueva redacción del parágrafo 2 del preámbulo con la adición de “nella sua dimensione individualle e colettiva” a continuación de “tutti i diritti umani derivano dalla dignità e del valore inerente della persona umana”. Adición que, acogida por numerosos países, no se llegó a ser acogida por la firme oposición del Reino Unido al que se juntaron otros como Estados Unidos. Pero curiosamente, después sí lo fue en los Documentos de las sucesivas Conferencias.

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“1. La Conferencia Mundial de Derechos Humanos reafirma el solemne compromiso de todos los Estados de cumplir sus obligaciones de promover el respeto universal, así como la observancia y protección de todos los derechos humanos y de las libertades fundamentales de todos de conformidad con la Carta de las Naciones Unidas, otros instrumentos relativos a los derechos humanos y el derecho internacional. [...] Los derechos humanos y las libertades fundamentales son patrimonio innato de todos los seres humanos; su promoción y protección es responsabilidad primordial de los gobiernos”.

De forma paralela se añadió la intervención directa de la Santa Sede en la Conferencia para la Seguridad y Cooperación en Europa (CSCE) en Helsinki 1973/75, en la que participó como miembro, siendo invitada en especial por Nikita Jruschev MMM. La invitación para acudir a la firma del Acta Final de 1975 en Helsinki fue cursada a Pablo VI y tal y como lo expresaba el Card. Secretario de Estado, Agostino Casaroli en Milán (20-I-1972), su aceptación se produjo con la voluntad de Santa Sede de solicitar y promover la “unión de los pueblos”, para que Europa fuera “un bastión de la paz y promotora providencial de una détente general en toda la extensión de la tierra”. Y las finalidades, por cierto, de la CSCE/OSCE colmaban adecuadamente esas intenciones de la Santa Sede7. Buena muestra de ello es su participación destacada en 1980, durante la Conferencia celebrada en Madrid (1-IX-1980 a 6-IX-1983) y en la IV Conferencia celebrada en Viena (4-XI-1986 al 19-I-1989)8. En esta última, la intervención de la santa Sede en pro de la libertad religiosa y de los demás derechos humanos fue importante y, en su tanto, decisiva, supuesto el cambio de dirección ocurrido en la vida política de la entonces URSS, con la entrada en la escena internacional de Gorvachov.9. Con ello – como subraya J. A. Carrillo, Soberanía de los Estados y Derechos humanos en derecho internacional contemporáneo (Madrid, Tecnos 1995) p. 15 – “Junto al clásico principio de la soberanía ha aparecido el principio constitucional del orden internacional contemporáneo: el de los derechos humanos.”

6

A/CONF.157/23, 25 de junio de 1993, p. 5.

En ella había participado la Delegación de la Santa Sede, formada por ocho expertos entre monseñores profesores y doctores presidida por Mons.Donato Squicciarini. 7

C. Corral, “La Santa Sede y la protección internacional de la libertad religiosa”, Libertad Religiosa, Memoria del IX Congreso Internacional de Derecho Canónico, México D.C. 1995, p. 512. 8

Cf. A. Carrascosa, La Santa Sede y la Conferencia sobre Seguridad y Cooperación en Europa, Cuenca 1990. 9

http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/messages/peace/index_sp.htm.

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Tan constante reafirmación de los derechos humanos: ¿no tendrá que encontrar explícita expresión en los Tratados bilaterales que celebre la Santa Sede con cada Estado en particular? Comprobémoslo. II. La amplia evocación de los derechos humanos fundamentales en los Acuerdos internacionales de la Santa Sede con Israel y la OLP Y dicho nuevo principio internacional ha comenzado a explicitarse en los Acuerdos contemporáneos de la Santa Sede, a partir, en especial, del Fundamental Agreement con Israel de 30 de diciembre de 199310 y de su correlato el Basic Agreement con la Organización para la Liberación de Palestina (=OLP). Pasamos a comprobarlo partiendo previamente, como presupuesto, de la actitud de la Santa Sede en sus relaciones jurídicas internacionales con los Estados. De paso y por cierto – nótese bien – se está asistiendo a una constante dinámica expansión de Tratados bilaterales de la Santa Sede con los más dispares Estados del mundo. Pero con una particularidad muy notable. A diferencia de los Tratados celebrados hasta 1993, se puede decir que no se había hecho una apelación tan amplia y concreta a los derechos humanos. Y la fecha de 1993 es clave: es precisamente la de la firma del Acuerdo fundamental (Fundamental Agreement) con el Estado de Israel, que constituye el primer acuerdo en que se proclama la vinculación con el orden internacional de los DH. Pero a la vez – no se olvide –, coincide ese año con el de la celebración por esas fechas de la Conferencia mundial de derechos humanos (14 – 25 VI 1993) con la Declaración y programa de acción de Viena11, en la que se proclama: “4. La promoción y protección de todos los derechos humanos y libertades fundamentales deben ser consideradas como un objetivo prioritario de las Naciones Unidas, de conformidad con sus propósitos y principios, en particular el propósito de la cooperación internacional. En el marco de esos propósitos y principios, la promoción y protección de todos los derechos humanos es una preocupación legítima de la comunidad internacional. Los órganos y organismos especializados relacionados con los derechos humanos deben, por consiguiente, reforzar la coordinación de sus actividades tomando como base la aplicación consecuente y objetiva de los instrumentos internacionales de derechos humanos.

10

Cf. Tibor Hajdu, “La Santa Sede promotrice dei diritti umani nelle relazioni internazionali bilaterali”, Relazioni internazionali bilaterali tra la Santa Sede e gli Stati: esperienze e prospettivi, Vaticano 2003, p. 230 – 240, spec. p. 235. 11

A/CONF.157/23, 25 de junio de 1993, p. 5.

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5. Todos los derechos humanos son universales, indivisibles e interdependientes y están relacionados entre sí. La comunidad internacional debe tratar los derechos humanos en forma global y de manera justa y equitativa, en pie de igualdad y dándoles a todos el mismo peso. Debe tenerse en cuenta la importancia de las particularidades nacionales y regionales, así como de los diversos patrimonios históricos, culturales y religiosos, pero los Estados tienen el deber, sean cuales fueren sus sistemas políticos, económicos y culturales, de promover y proteger todos los derechos humanos y las libertades fundamentales”.

Y decimos del Acuerdo fundamental con Israel, pues tuvo su reflejo a los ocho años en el Acuerdo básico con Palestina (en realidad, la OLP). Entre ambos se sitúan todos los demás Tratados. De ahí la necesidad de tener presente su contenido para establecer una comparación. 1. Acuerdo fundamental con Israel (Fundamental Agreement, de 30 de diciembre de 1993) Desde el punto de vista jurídico internacional, téngase muy en cuenta la valoración que hace el internacionalista de la Universidad hebrea de Jerusalén, Natan Lerner12: “el acuerdo contiene un claro y concreto elemento de derechos humanos, al incluir una serie de derechos de las Iglesias y sus miembros reconocidos pero no incluidos formalmente en el Derecho Internacional positivo. En ausencia de una convención internacional de derechos humanos religiosos, es importante que los Estados – particularmente un Estado sin una Constitución escrita y de carácter peculiar, como es Israel – por una parte, y entidades como la Iglesia Católica, por otra, acuerden definir y clarificar sus intereses y derechos religiosos, incluso aquellos que pertenecen a la categoría de derechos humanos religiosos”13. Días después, lo corroboraba el Romano Pontífice en el discurso dirigido al Cuerpo Diplomático acreditado ante la Santa Sede, el sábado 15 de enero de 1994, con ocasión de recibir su felicitación navideña. Al presentar una panorámica del año político-religioso recorrido, decía con referencia a Oriente Próximo: “En este marco de esperanza y fragilidad se sitúan las conversaciones que han permitido que el Estado de Israel y la Santa Sede firmaran un acuerdo

12

N. Lerner, Protecting Religious Right by lateral Agreement, p. 160, apud S. Hadas, “Las relaciones diplomáticas Santa Sede-Estado de Israel”, Política Exterior Vol. 45 – IX (1995) p. 151 – 166; C. Corral / S. Petschen, Concordatos vigentes, t. III, Madrid, F.U.E. 1996, p. 313 – 355, aquí p. 338. 13 Vide T. Scovazzi, “L’Accordo Fondamentale tra la Santa Sede e Israele: aspetti di diritto internazionale dei trattati”, Quaderni di diritto ecclesiastico e politica ecclesiastica (1995/1) p. 155 – 164.

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sobre algunos principios fundamentales que pueden regir sus relaciones mutuas y garantizar condiciones normales de existencia a la Iglesia Católica en ese país. No cabe duda que también todos los creyentes se beneficiarán de él” 14. Un primer principio es que “La Santa Sede, al igual que el Estado de Israel, se comprometen a mantener y observar la libertad de religión y de conciencia” (Art. 1), tal como está establecida en la Declaración de Derechos Humanos de 10 diciembre de 1948 y en los demás instrumentos internacionales, en los que ambos son partes. Un segundo principio consiste en que “la Santa Sede y el Estado de Israel se comprometen en conjuntar la cooperación para combatir e todas las formas de antisemitismo y todas las clases de racismo e intolerancia religiosas, y para promover la comprensión entre las naciones, la tolerancia entre las comunidades y el respeto por la vida y la dignidad humanas” (Art. 2). Un tercer principio es “el mantenimiento y respeto del statu quo en los Santos Lugares cristianos a los que se aplica, así como de los respectivos derechos de las Comunidades cristianas de allí”. Compromiso que es por igual por ambas partes (4.1). Tan es así –nótese bien- que el statu quo deberá aplicarse, prevaleciendo sobre cualquier interpretación que en sentido contrario pudiera hacerse y oponerse de cualquier artículo del dicho acuerdo (Art. 4.2). 2. Acuerdo básico (Basic Agreement, de 15 de febrero 2000) entre la Santa Sede y la Organización para la Liberación de Palestina (OLP) Este tiene lugar – como el Acuerdo fundamental con Israel – después de la Conferencia de Paz celebrada en Madrid entre el Estado de Israel y la OLP, por el que se llegó al mutuo reconocimiento en 1993 y a una limitada autonomía de Palestina en Jericó y la franja de Gaza (1994) y que en los Acuerdos de Washington (1996) se extendió a todas las ciudades y aldeas árabes en la “West Bank” (excepto Jerusalén Este). Ese mismo año de 1996 tuvieron lugar las elecciones para la elección de la Asamblea legislativa palestina, que dieron finalmente la victoria a Yassir Arafat, que acto seguido será elegido Presidente del Estado palestino. Se trata de un Acuerdo oficialmente denominado en el propio título – nótese bien – básico o de bases. Por ello, es considerado de manera expresa como “un primer acuerdo básico que proporciona una base sólida y duradera para el desarrollo continuo de sus relaciones presentes y futuras y para el fomento de la continua labor de la Comisión” (Preámbulo in fine)15. 14

Osservatore Romano, edición española (1994/3), p. 17 – 19, n. 2.

15

Vide C. Corral / S. Petschen, Concordatos vigentes, t. IV, Madrid 2004.

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Y es un Acuerdo internacional. En efecto, la OLP es aceptada como “representación del Pueblo Palestino, que actúa al servicio y en nombre de la Autoridad Palestina” (Preámbulo, initio) y reconocida internacionalmente también por la Santa Sede – que es persona de derecho internacional – en cuanto que con ella había establecido previamente relaciones oficiales el 26 de octubre de 1994 (casi al mismo tiempo que con el Estado de Israel)16. A. Los principios Vienen éstos enunciados a modo de compromisos recíprocos por ambas Partes: 1. Por parte la OLP, el compromiso permanente de apoyar y respetar el derecho humano a la libertad de religión y conciencia, tal como están establecidos en la Declaración Universal de los Derechos Humanos y en los demás documentos internacionales destinados a su aplicación (Art. 1.1). 2. Por parte de la Iglesia Católica, a su vez, el compromiso de apoyar ese mismo derecho, así como de respetar a los seguidores de otras religiones (Art. 1.2). 3. Compromiso recíproco a cooperar en la promoción de los derechos humanos, tanto los individuales como los colectivos, combatiendo la discriminación y fomentando la armonía entre naciones y comunidades; e incluso, fomentar el diálogo interreligioso (Art. 2). 4. La igualdad de los derechos sin discriminación (Art. 3). 5. El mantenimiento y la observancia del statu quo en los Santos lugares en los que fuera de aplicación (Art. 4). B. Los presupuestos Éstos – que están claramente enunciados en el Preámbulo del Acuerdo – se refieren de forma primordial a Jerusalén y a Tierra Santa. El primero señala que “una solución justa de la cuestión de Jerusalén, basada en las resoluciones internacionales, resulta fundamental para alcanzar una paz justa y duradera en el Oriente Próximo”. El segundo subraya que “decisiones unilaterales que pretendan alterar el carácter y status de Jerusalén son moral y legalmente inaceptables”. El tercero se refiere a la demanda de “un estatuto especial para Jerusalén que salvaguarde los elementos siguientes: a)

La libertad de religión y conciencia para todos.

16 Acerca de la personalidad jurídico internacional de la OLP vide C. M. Díaz Barrado, “Condición jurídico-política del pueblo palestino en la sociedad internacional”, R.E.D.I., Vol. XXXVI, nº 2, 1985, p. 449 – 464.

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b) La igualdad, ante la ley, de las tres religiones monoteístas y de sus instituciones y seguidores en la Ciudad. c)

La identidad propia y el carácter sagrado de la Ciudad, así como de su legado religioso y cultural de valor universal.

d) El respeto de los Santos Lugares, así como la libertad de acceso a ellos y de culto en los mismos. e)

El régimen de statu quo para aquellos Santos Lugares a los que fuera de aplicación (Preámbulo – párrafo. sexto).

Finalmente, el cuarto principio incide en el especial significado de Tierra Santa que “constituye un espacio privilegiado para el diálogo interreligioso entre los seguidores de las tres religiones monoteístas”. 3. Los demás Tratados bilaterales Sin el detalle y amplitud de ambos Acuerdos fundamentales, todos los demás Tratados actualmente vigentes hacen una apelación a los Derechos humanos y al orden internacional. Así, los Tratados con las cuatro regiones de la antigua Alemania Oriental (Mecklenburgo-Pomerania Anterior, Sajonia, SajoniaAnhalt y Turingia); con los tres países bálticos (Estonia, Letonia, Lituania) y Polonia; con los países danubianos: [Chequia], Croacia, Eslovaquia, Eslovenia y Hungría; con los extraeuropeos: [Georgia], Kazajstán; con los países africanos: Camerún y Gabón y la Organización de la Unidad Africana (OUA). III. El llamamiento al Orden Internacional de los Derechos humanos17 Se produce éste bien de forma genérica, bien de forma específica. 1. Las invocaciones genéricas de los derechos humanos De manera expresa y solemne así se hace por parte de la Organización de la Unidad Africana (OUA) y la Santa Sede en su Acuerdo de Cooperación de 19 de octubre de 2000, firmado en Addis Abeba (AAS 93 [2001] 15 – 18) en cuyo Preámbulo se declara: “Por cuanto la Organización de la Unidad Africana fue establecida con la finalidad, inter alia, de coordinar e intensificar la cooperación entre sus Estados miembros, impulsar la

17

Todos los acuerdos citados a continuación aparecen reproducidos y comentados en Corral / Petschen, Concordatos vigentes, t. IV, Madrid 2004.

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cooperación internacional de conformidad con su propia Carta, la Carta de las Naciones Unidas y la Declaración Universal de los Derechos Humanos”.

En forma equivalente, la República de Eslovenia y la Santa Sede firman el Acuerdo de 14 de diciembre del 2001 sobre cuestiones jurídicas en Lubliana, “teniendo presente la importancia de los derechos humanos y evocando en particular los principios internacionales reconocidos sobre la libertad de pensamiento, conciencia y religión” (AAS 95 [2003]). Igualmente la Región de Mecklenburgo-Pomerania Anterior concluye con la Santa Sede el Convenio de carácter general de 15 septiembre de 1997: “en la común tarea de respetar y proteger la dignidad humana y los derechos del hombre” (Preámbulo: AAS 90 [1998] 98 – 116). 2. Las invocaciones de específicos derechos humanos a) Las invocaciones del derecho humano de libertad religiosa Tal y como se hace por la República de Croacia, en su Acuerdo de 19 de diciembre de 1996 con la Santa Sede sobre cuestiones jurídicas (Preámbulo: AAS 89 [1997] 277 – 302), “evocando los principios internacionales sobre la libertad religiosa”. Y por la República de Eslovenia, en el Acuerdo con la Santa Sede de 14 de diciembre de 2001: “teniendo presente la importancia de los derechos humanos y evocando, en particular, los principios internacionales reconocidos sobre la libertad de pensamiento, conciencia y religión” [AAS (2003)]. Lo mismo por parte de la República de Lituania con la Santa Sede, en su acuerdo de 5 de mayo de 2000 (AAS 92 [2000] 783 – 795), “adhiriéndose al principio de la libertad religiosa incorporado en los instrumentos jurídicos internacionales”. b) Las invocaciones del derecho humano de libertad de enseñanza La República de Gabón y la Santa Sede, deseosas de fijar los elementos principales del estatuto de la enseñanza católica en Gabón, firman el Acuerdo de 26 de julio del 2001 sobre “El Estatuto de la Enseñanza Católica” (AAS 93 [2001] 839 – 844), precisamente, “recordando los principios internacionalmente reconocidos en materia de libertad de enseñanza”. La República de Croacia y la Santa Sede, en su Acuerdo de 19 de diciembre de 1996 sobre la colaboración en el campo educativo y cultural (AAS 89 [1997] 277 – 302) fijan en el Art. 1:

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“1. La República de Croacia, a la luz del principio de la libertad religiosa, respeta el derecho fundamental de los padres a la educación religiosa de los hijos y se compromete a garantizar, en el marco del plan y del programa escolar y de conformidad con la voluntad de los padres y de los tutores, la enseñanza de la religión católica en todas las escuelas públicas, elementales, medias y superiores, y en los centros preescolares, como materia obligatoria para los que la escojan, en las mismas condiciones que las otras materias obligatorias”.

IV. Los llamamientos al Orden internacional, general y sectorial18 A. – De forma genérica, se apela a los principios del Orden internacional, como lo hace Kazajstán con la Santa Sede por medio del Acuerdo de 24 septiembre 1998 sobre relaciones mutuas, “reconociendo su adhesión a las normas del derecho internacional” (Preámbulo: AAS 91 [1999] 318 – 328). B. – De forma específica, el principio Pacta sunt servanda, sin ser expresamente citado, se viene observando en los cuatro Convenios alemanes con los Länder Mecklenburgo-Pomerania Anterior, Sajonia, Sajonia-Anhalt y Turingia. Así: – Mecklenburgo-Pomerania Anterior en su Convenio de 15 de septiembre de 1997, de carácter general, firmado en Schwerin, reconoce “que continúa vigente el Concordato entre la Santa Sede y el Reich alemán de 20 de julio de 1933 y ello, sin perjuicio de la permanencia en vigor del Convenio del Estado Libre de Prusia con la Santa Sede de 14 de junio de 1929”. – El Estado Libre de Sajonia, en su Convenio de 2 de julio de 1996, firmado en Dresden (AAS 89 [1997] 613 – 650): “Considerando vigente el Concordato entre la Santa Sede y el Reich Germánico de 20 de julio de 1933, en cuanto vincula al Estado Libre de Sajonia, y respetando el Solemne Convenio del Estado Libre de Prusia con la Santa Sede de 14 de junio de 1929”. – El Convenio entre la Santa Sede y la Región de Sajonia-Anhalt, de 15 enero de 1998, de carácter general (1998 AAS 90 [1998] 470 – XXX): “Considerando vigente el Concordato entre la Santa Sede y el Reich alemán de 20 de julio de 1933, en cuanto vincula a la Región, y respetando el Convenio Solemne del Estado Libre de Prusia con la Santa Sede de 14 de junio de 1929”. – El Estado Libre de Turingia firma su Convenio con la Santa Sede el 11 de junio de 1997 (AAS 89 [1997] 756 – 795), “considerando vigente el Concordato entre la Santa Sede y el Reich de 20 de julio de 1933, en cuanto vincula a éste al Estado Libre de Turingia y respetando la Convención solemne del Estado Libre de Prusia con la Santa Sede de 14 de junio de 1929”.

18

Ibid.

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C. – Con todo – nótese bien – todas estas así llamadas “Nuevas Regiones” (Neue Länder) ya habían hecho con anterioridad apelaciones al Orden Internacional, general y sectorial, en sus Convenios plurirregionales de 1994. Y con una notable particularidad, a saber: que no sólo reconocen la vigencia del Concordato del Reich, sino también del Concordato de 1929, de una Prusia que ha dejado de existir19. – Así, en efecto, Sajonia-Anhalt, Brandeburgo y el Estado libre de Sajonia, en el Convenio de 13 de abril de 1993 sobre la erección de la Diócesis de Magdeburgo (AAS 87 [1995]), señala: “Teniendo en cuenta el vigente Concordato entre la Santa Sede y el Reich alemán de 20 de julio de 1933, en cuanto vincula a las Regiones, y respetando el Convenio del Estado Libre de Prusia con la Santa Sede de 14 de junio de 1929”20. – Similarmente, en los correspondientes Preámbulos, Brandeburgo y el Estado libre de Sajonia, en el Convenio de 4 de mayo de 1994 sobre la erección de la diócesis de Görlitz21; el Estado libre de Turingia en el Convenio de 14 de junio de 199422; y la Ciudad libre Hanseática de Hamburgo, la Región de Mecklenburgo-Pomerania Anterior y la Región de Schleswig-Holstein, sobre la erección de la Archidiócesis y Provincia Eclesiástica de Hamburgo en el Convenio de 22 de septiembre de 199423. D. – El principio Pacta, precisamente por la complejidad de su ordenamiento constitucional – carente de una Ley constitucional escrita – y de sus compromisos internacionales, al lograr la independencia, el Estado de Israel quiere dejar a salvo las obligaciones internacionales provenientes de anteriores Tratados. Así lo formula en el Acuerdo Fundamental (Art. 13 § 2): “No obstante la validez de este Acuerdo entre las Partes, y sin perjuicio de la generalidad de la norma aplicable de la ley relativa a los Tratados internacionales, las Partes acuerdan que este Acuerdo no lesionará derechos y obligaciones derivados de los Tratados existentes entre ambas Partes, o entre un Estado o Estados que sean conocidos y de hecho accesibles por ambas Partes, al tiempo de la firma de este Acuerdo”.

19 Cf. C. Corral, Iglesia y Estado en la República Federal Alemana – El caso del Gran Berlín –, Documentación Jurídica, t. XIX, nº 73, Madrid, Ministerio de Justicia 1992. 20

Para una consulta del convenio vide Corral / Petschen, Concordatos vigentes, t. III, Madrid, F.U.E. 1996, p. 158 – 162. 21

Ibid., p. 173 – 184.

22

Ibid., p. 185 – 200.

23

Ibid., p. 201 – 219.

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En forma escueta, la OLP declara (Art. 8) que “las disposiciones del presente Acuerdo se entienden sin perjuicio de cualquier acuerdo hasta ahora vigente entre cualquiera de las Partes y una tercera”. E. – Muy en particular, y teniendo en cuenta la extraordinaria importancia que reviste para la consecución de la paz en Oriente Próximo, el principio Pacta recibe una aplicación muy concreta, que es la relativa a la gravísima cuestión de Jerusalén. Comienza por hacerlo el Estado de Israel en el Acuerdo Fundamental (Art. 4 § 1): “El Estado de Israel expresa su compromiso permanente de mantener y respetar el statu quo en los Santos Lugares cristianos a los que se aplica, así como los respectivos derechos de las Comunidades cristianas afectadas por él. La Santa Sede expresa el compromiso permanente de la Iglesia Católica de respetar el mencionado statu quo y dichos derechos”. A su vez, la Organización para la Liberación de Palestina (OLP) y la Santa Sede declaran que “una solución equitativa de la cuestión de Jerusalén, basada en las resoluciones internacionales, es fundamental para una paz justa y duradera en Oriente Próximo, y que las decisiones y acciones unilaterales que alteren el especifico carácter y status de Jerusalén son moral y jurídicamente inaceptables; exigiendo, por tanto, un estatuto especial para Jerusalén, internacionalmente garantizado [que comprende: b.] “el régimen de “Statu quo” en dichos Santos Lugares donde fuera de aplicación” (Art. 4). V. Consideraciones finales Al concluir el recorrido por los Tratados bilaterales recientes en vigor de la Santa Sede con Estados expandidos por los cuatro continentes, se comprueba en ellos la asunción del “principio constitucional del orden internacional contemporáneo: el de los derechos humanos”. A la vez, y de forma colateral, viene confirmada la antes mencionada observación (supra 1.2.1.) del Prof. LERNER de que “en ausencia de una convención internacional de derechos religiosos, es importante que los Estados [...] por una parte, y las entidades como la Iglesia Católica, por otra, acuerden definir y clarificar sus intereses y derechos religiosos...”. Con todo, no hay que olvidar las disposiciones del Documento de Clausura, de 19 de enero de 1989, de la reunión de Viena de 1986 de los representantes de los Estados participantes en la CSCE24. En concreto, el amplísimo n. 16 – completado con los n.17 y 19 – por el que, “a fin de asegurar la libertad de la persona de

24

Corral / Gonzáles Rivas, op. cit., p. 131 – 139.

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profesar y practicar una religión o creencia, los Estados participantes, inter alia” se comprometen a garantizar una serie de once derechos concretos. No obstante, decisivo ha sido para ello, a nuestro parecer, la celebración del Fundamental Agreement de 1993 entre Israel y la Santa Sede, con su repercusión en el Basic Agreement de la OLP con la misma.

Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit Von Michael Germann Die nach dem Urteil Joseph Listls „überzeugende und, wie es scheint, irreversible Rechtsprechung“1 des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zum staatlichen Rechtsschutz in kirchlichen Angelegenheiten ist in Revision gekommen. Als Listl die Rechtsschutzfrage „endgültig geklärt und entschieden“2 nannte, konnte er sich auf eine über Jahrzehnte kontinuierliche Gerichtspraxis beziehen. Diese hatte Klagen in kirchlichen Angelegenheiten wegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 III WRV stets als unzulässig abgewiesen, zumindest sofern die Kirchen nicht durch Rechtswahl den „staatlichen Rechtsweg“ eröffneten.3 Hiergegen hatten zahlreiche Stimmen im Schrifttum ebenso beständig wie lange erfolglos die Justizgewährungspflicht des Staates angemahnt.4

1 Joseph Listl, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, DÖV 1989, S. 409 – 419; auch in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, hg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees, 1996 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 25), Zweiter Halbband, S. 788 – 812 (811). 2

Listl (Anm. 1), GS, S. 811.

3

BVerfGE 18, 385 – 387; BGHZ 12, 321 (325); 34, 372 (373 f.); 46, 96 (99 – 103); BGH, ZevKR 14 (1968/69), S. 156 – 158; BVerwGE 25, 226 (229 – 234); 28, 345 (347 f.); 30, 326 (327 f.). Aus jüngerer Zeit: BVerwGE 66, 241 (244 f.); BVerwG, ZevKR 28 (1983), S. 421 (424 f.); NVwZ 1993, S. 672; BVerwGE 95, 379 – 383; BAGE 51, 238 (244 f.); BAG, NJW 1990, 2082 (2083); VGH Ba.-Wü., NVwZ-RR 1994, S. 422 f.; HessVGH, DÖV 1996, S. 259; OLG Naumburg, NJW 1998, S. 3060 – 3064; OVG Magdeburg, NJW 1998, S. 3070 – 3072. 4 Axel Frhr. von Campenhausen, Staatliche Rechtsschutzpflicht und kirchliche Autonomie, ZevKR 17 (1972), S. 127 – 149 (128); ders., Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 363 – 384; Dirk Ehlers, Staatlicher Rechtsschutz gegenüber den Religionsgemeinschaften in amts- und dienstrechtlichen Angelegenheiten, ZevKR 27 (1982), S. 269 – 295 (279 f., 287 f.); Martin Heckel, Die staatliche Gerichtsbarkeit in Sachen der Religionsgesellschaften, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, hg. von Peter Badura / Rupert Scholz, 1993, S. 213 – 237; auch in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Klaus Schlaich, Bd. 4, 1997 (Jus Eccle-

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Die sich vorsichtig dieser Ansicht öffnenden Begründungen zweier Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 19985 deuteten eine grundlegende Rechtsprechungsänderung an. Darin wurden die gegen klageabweisende Urteile gerichteten Verfassungsbeschwerden zwar nicht zur Entscheidung angenommen. Doch zur Begründung dafür griff das Bundesverfassungsgericht nicht auf die bis dahin geltenden Prämissen zurück. Es setzte nämlich nicht bei der seit der „Gemeindeteilungsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts von 19656 üblichen Bereichsausnahme der „eigenen Angelegenheiten“ nach Art. 137 III WRV aus dem staatlichen Rechtsschutz an, sondern bei der staatlichen Justizgewährungspflicht. Daraufhin hat sich der Bundesgerichtshof

siasticum Bd. 58), S. 1026 – 1052; Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), S. 57 – 106 (72 – 76); Karl-Hermann Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit. Über die Frage nach der staatlichen Kompetenz zur Rechtsschutzgewährung im Wirkungsbereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften, 1991 (Jus Ecclesiasticum Bd. 41), passim; Christoph Link, Neuere Entwicklungen und Probleme des Staatskirchenrechts in Deutschland, in: Inge Gampl / Christoph Link, Deutsches und österreichisches Staatskirchenrecht in der Diskussion, 1973, S. 25 – 56 (33 – 37); Hartmut Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, hg. von HansUwe Erichsen / Werner Hoppe / Albert von Mutius, 1985, S. 285 – 304, auch in: ders., Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, 1998 (Jus Ecclesiasticum Bd. 59), S. 178 – 199; Dietrich Pirson, Das kircheneigene Dienstrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. 2, 1995, S. 845 – 875 (872 – 875); Ulrich Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, DÖV 1967, S. 585 – 593 (591); auch in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, hg. von Joseph Listl, 1973, S. 33 – 54; Hermann Weber, Der Rechtsschutz im kirchlichen Amtsrecht, NJW 1967, S. 1641 – 1646; im gleichen Sinn Karin Oellers-Frahm, Staatliche und religionsautonome Gerichtsbarkeit, in: Rainer Grote / Thilo Marauhn (Hg.), Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven, 2001 (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 146), S. 471 – 507; Erich Ruppel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der evangelischen Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 7, hg. von Joseph Krautscheid / Heiner Marré, 1972, S. 53 – 69 (67 f.); im Ergebnis auch Michael Sachs, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, DVBl. 1989, S. 487 – 495 (488 f., 494, 495); uneinheitlich Wolfgang Rüfner, Zuständigkeit staatlicher Gerichte in kirchlichen Angelegenheiten, in: Listl / Pirson, HStKR2 II (a. a. O.), S. 1081 – 1116, besonders S. 1091 einerseits, S. 1082, 1104 – 1108 andererseits. 5

Beschlüsse vom 18.9.1998, NJW 1999, S. 349 f. (2 BvR 147/94) und S. 350 (2 BvR 69/93). 6

BVerfGE 18, 385 – 388 (387 f.).

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von seiner bisher verfolgten Linie ausdrücklich abgewandt.7 In erklärtem Anschluß an die eben erwähnten Kammerentscheidungen und an die staatskirchenrechtliche Literatur hat er der Begründung des staatlichen Rechtswegs die Justizgewährungspflicht des Staates vorangestellt. Die Reichweite der formellen Justizgewährungspflicht hat er allein nach der Reichweite des bürgerlichen Rechtskreises bestimmt. Im entschiedenen Fall hatte es in einer jüdischen Gemeinde Auseinandersetzungen über die Gültigkeit der Wahl eines neuen Vorsitzenden gegeben – der klassische Fall einer herkömmlich „rein innerreligionsgemeinschaftlichen“ Streitigkeit. Gegenstand der zivilgerichtlichen Klagen waren allerdings zivilrechtliche Unterlassungsansprüche hinsichtlich der an die umstrittene Amtsstellung geknüpften Besitz-, Weisungs- und Namensrechte. Während früher solche (vor allem hinsichtlich des kirchlichen Dienstrechts erörterten) „verkappten Statusklagen“ als unzulässig behandelt worden waren, stellte der Bundesgerichtshof nunmehr für die Zulässigkeit der Klage auf die Berührung des bürgerlichen Rechtskreises ab, die sich hier aus der bürgerlichen Wirkung der religionsgemeinschaftlichen Organisation auf die Vertretungsverhältnisse im Rechtsverkehr sowie die Ansprüche auf Besitzschutz und auf Achtung des Namens ergab. Eine Einschränkung der Justizgewährungspflicht dadurch, daß „möglicherweise innergemeinschaftliche Beurteilungen oder Entscheidungen von präjudizieller Bedeutung sind für die Beurteilung des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses“, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich abgelehnt. Stattdessen hat er dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft in einer weitgehenden Bindung an die innergemeinschaftliche Selbstregulierung auf der Ebene der Prüfung der Begründetheit der Klage Rechnung getragen. Diese Entwicklung ist weithin als Abkehr von der bis dahin scheinbar unerschütterlichen Rechtsprechung begrüßt worden.8 Das Bundesverwaltungsge-

7 BGH, U. vom 11.2.2000 – V ZR 271/99 –, NJW 2000, S. 1555 – 1557 (1556): „Sollte in BGHZ 46, 96 (101) und in BGHZ 34, 372 (374) hierzu etwas anderes zum Ausdruck gekommen sein, hält der Senat (der für die Beurteilung kirchenrechtlicher Verhältnisse zuständig ist) hieran nicht fest.“ 8

Axel Frhr. von Campenhausen, Neues zum staatlichen Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, ZevKR 45 (2000), S. 622 – 625; ders., in: Hermann von Mangoldt (Begr.) / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Aufl., Bd. 3, 2001, Art. 137 WRV, Rn. 125, 161, 165, 176; Karl-Hermann Kästner, Tendenzwende in der Rechtsprechung zum staatlichen Rechtsschutz in Kirchensachen, NVwZ 2000, S. 889 – 891; ders., Vergangenheit und Zukunft der Frage nach rechtsstaatlicher Judikatur in Kirchensachen, ZevKR 47 (2003), S. 301 – 311; Hartmut Maurer, Anmerkung, JZ 2000, S. 1113 – 1115; ferner – allerdings mit geringfügigen Verzeichnungen – Achim Nolte, Durchbruch auf dem Weg zu einem gleichwertigen staatlichen Rechtsschutz in „Kirchensachen“?!, NJW 2000, S. 1844 f.; mit skeptischem Tenor noch Christian Kirchberg, Staatlicher Rechtsschutz in Kirchensachen, NVwZ 1999, S. 734 f. – Aus

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richt ist sich noch nicht einig. Nachdem sich der Siebte Senat der neuen Sicht angeschlossen hat9, ist der Zweite Senat noch einmal in die alten Bahnen zurückgeschwenkt.10 Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber ausdrücklich die neue Linie beibehalten.11 Das Bundesverfassungsgericht ist der lange mit Spannung erwarteten Stellungnahme zur Justizgewährung in kirchlichen Angelegenheiten im Januar 2004 noch einmal ausgewichen.12 Es spricht aber wenig

der Literatur nach dieser Rechtsprechung, im wesentlichen übereinstimmend: Dirk Ehlers, in: Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl., München 2003, Art. 140 GG / Art. 137 WRV, Rn. 15, 15a; Christoph Goos, Rechtsschutz in Kirchensachen – eine unendliche Geschichte?, ZBR 2004, S. 159 – 169; Stefan Korioth, in: Theodor Maunz / Günter Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Losebl., Art. 140 GG (Februar 2003), Art. 137, Rn. 56 – 58; Stefan Magen, Der Rechtsschutz in Kirchensachen nach dem materiell-rechtlichen Ansatz, NVwZ 2002, S. 897 – 903; ders., in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2002, Bd. 2, Art. 140, Rn. 79 – 83; Hermann Weber, Kontroverses zum Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Amtsrecht, NJW 2003, S. 2067 – 2070; ders., Kirchlicher Rechtsschutz und staatliche Gerichtsbarkeit, ZevKR 49 (2004), S. 385 – 404 (394 – 404). 9

BVerwG, U. vom 28.2.2002 – BVerwG 7 C 7.01 –, E 116, 86 – 92 (88); dazu insoweit die Anmerkungen von Michael Germann, DVBl. 2002, S. 988 – 990 (990), und Hartmut Maurer, JZ 2002, S. 1104 – 1106 (1104). 10

BVerwG, U. vom 30.10.2002 – BVerwG 2 C 23.01 –, E 117, 145 – 149; hiergegen Weber (Anm. 8), NJW 2003, S. 2067 – 2070. Im Ergebnis ähnlich ungerührt HessVGH, B. vom 6.11.2002 – 10 UZ 2439/00 –, DÖV 2003, S. 256 f. 11

BGH, U. vom 28.3.2003 – V ZR 261/02 –, BGHZ 154, 306 – 315. Diese Entscheidung hat die zuvor zum Teil noch unscharfen Prämissen der neuen Rechtsprechung glasklar herausgearbeitet. Zu den jüngsten Entscheidungen von Bundesverwaltungsgericht und Bundesgerichtshof auch Kästner (Anm. 8), ZevKR 47 (2003), S. 301 – 311. 12 BVerfG, Beschlüsse vom 27.1.2004, abrufbar unter (2 BvR 1978/00) und (2 BvR 496/012004): „Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen [...], weil der Beschwerdeführer im Ergebnis auch dann keinen Erfolg hätte, wenn die von ihm aufgeworfene Grundsatzfrage in seinem Sinne zu beantworten wäre. [...] Der Beschwerdeführer folgt erkennbar der Ansicht des Bundesgerichtshofs, derzufolge das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht die (staatliche) Justizgewährungspflicht einschränkt, wohl aber das Maß der Justiziabilität der angegriffenen Maßnahme [...]. Die Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall könnte indes nicht zu einem gegenüber der a-limineAbweisung der Klage günstigeren Ergebnis für den Beschwerdeführer führen. Nach dem dem Bundesverfassungsgericht unterbreiteten Streitstoff kann ausgeschlossen werden, dass die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs im Ergebnis auf einer Verkennung des Justizgewährungsanspruchs beruhen.“ Hiergegen zu Recht die Abweichende Meinung der Richterin Lübbe-Wolff: „Eine solche hypothetische Rechtmäßigkeitsprüfung verbietet sich im vorliegenden Fall schon deshalb, weil sie die

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dafür, daß sich die nunmehr wieder zumindest offene Meinungslage unter den Obergerichten in eine Rückkehr zu den alten Linien wenden wird. Einem engagierten Befürworter der früheren Rechtsprechung wie Joseph Listl mag sich diese Entwicklung wie ein Rückschlag für die kirchliche Freiheit darstellen. Schon in seiner 1971 veröffentlichten Dissertation hatte Listl die Unzuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit in kircheneigenen Angelegenheiten aus der korporativen Seite der Religionsfreiheit abgeleitet.13 Diese Ansicht hat er im eingangs zitierten Aufsatz von 1989 konsequent beibehalten und ausgeführt.14 Listl setzt bei den unbestrittenen Maßgaben der Verfassung an: Danach folgt aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV das Recht auf eine „eigene, ursprüngliche, im inneren Bereich wirkende Rechtsprechung, durch die festgestellt wird, was kraft kirchlichen Rechts zwischen der Kirche und ihren Angehörigen Rechtens ist“. Unbeschadet davon ist die Justizgewährungspflicht des Staates, nach der „die staatlichen Gerichte im Streitfall über alle in der staatlichen Rechtsordnung begründeten Ansprüche zu entscheiden haben“.15 Von ihr sollen aber „innerkirchliche Angelegenheiten“ ausgeschlossen sein, „die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten und deshalb durch staatliche Gerichte nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden dürfen, da sonst die von der Verfassung gewährleistete Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt geschmälert würde“16. Daraus folge für die Kirchen „keineswegs eine grundsätzliche Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit“17. Die Kirchen „nehmen und geben Recht vor den staatlichen Gerichten“, soweit sie am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen. Ebenso unterliegen sie der staatlichen Gerichtsbarkeit, wenn sie sich der Rechtsformen des staatlichen Arbeitsrechts bedienen oder staatlich verliehene Hoheitsgewalt ausüben.18 Zu den „innerkirchlichen“, der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogenen Angelegenheiten zählt Listl nicht nur Fragen der Glaubenslehre, der Verkündigung, der Liturgie und des Kultus, sondern auch ihre Organisation und Verwaltung, das kirchliche Prüfungs- und Ämterwesen sowie das kirchliche

Antwort auf die verfassungsrechtliche Sachfrage vorwegnimmt, über die der Senat bei Annahme der Verfassungsbeschwerde zu entscheiden gehabt hätte.“ 13

Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 397 – 422. 14

Listl (Anm. 1). Siehe auch die zustimmende Anmerkung dess., DÖV 1984, S. 587 – 589, zu einem entsprechenden Urteil des BVerwG. 15

Listl (Anm. 1), GS, S. 791.

16

Listl (Anm. 1), GS, S. 801.

17

Listl (Anm. 1), GS, S. 794.

18

Listl (Anm. 1), GS, S. 794 – 797.

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Amtsrecht und Dienstrecht der Geistlichen, einschließlich – und hierin verteidigt Listl die alte Rechtsprechung gegen die überwiegende Kritik der Lehre – alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten.19 Listls lebhafte Zustimmung zur früheren, restriktiven Rechtsprechung war in der Wissenschaft seltener geworden. Immerhin aber kann er auch für einen Teil der Verfassungsinterpreten gesprochen haben, welche ihr Einverständnis mit der gefestigten Rechtsprechung durch Schweigen ausdrücken mochten. Jedenfalls ruft das Wanken der Rechtsprechung wieder neue Verteidiger der verlassenen Linien auf den Plan.20 Ein Gefühl von „Verlust an innerkirchlicher Autonomie“ macht sich noch einmal geltend gegen die staatliche Justizhoheit, genährt vom Zweifel an der Verläßlichkeit bürgerlicher Freiheit, auf der Suche nach „Rückversicherung“ in einem Selbstbestimmungsanspruch der Kirche, der letztlich so etwas wie eine dem Staat ebenbürtige Hoheit sein will – denn „[w]irklich selbstbestimmt“ sei „nur derjenige, der das Letztentscheidungsrecht besitzt, d. h. selbst abschließend entscheiden kann, was rechtens ist und gelten soll“.21 So ist Listls Position nach wie vor präsent. Den grundsätzlichen Vorbehalten Listls und der übrigen Vertreter „Alter Schule“ gegen die Zulässigkeit von Klagen vor staatlichen Gerichten in kirchlichen Angelegenheiten schuldet die andere Auffassung Antwort. Hierfür verspricht es hilfreich zu sein zu klären, wie sich die kirchliche Selbstbestimmung und die von ihr betroffenen, in dem für alle geltenden Gesetz geschützten Belange verfassungsrechtlich zueinander verhalten (I.), welche Aspekte der staatlichen Justizgewährung in den Kriterien für die Zulässigkeit von Klagen abgebildet sind (II.), ob ein formelles Letztentscheidungsrecht über die Grenzen kirchlicher Freiheit Gegenstand kirchlicher Selbstbestimmung sein kann (III.), und schließlich, wie die kirchliche Selbstbestimmung vor staatlichen Gerichten zur Geltung gebracht werden kann (IV.).22 19 Listl (Anm. 1), GS, S. 798 – 806. Ihm nahe im Ergebnis wie im pragmatischen Ansatz: Wolfgang Rüfner, Staatlicher Rechtsschutz gegen Kirchen und kirchliches Selbstbestimmungsrecht, in: Die Macht des Geistes. Festschrift für Hartmut Schiedermair, hg. von Dieter Dörr / Udo Fink / Christian Hillgruber / Bernhard Kempen / Dietrich Murswiek, 2001, S. 165 – 179. 20

Dezidiert im Sinne einer weitgehenden „Exemtion kirchlichen Wirkens von der staatlichen Justizgewährung“: Christian Hillgruber, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und die Jurisdiktionsgewalt des Staates, in: Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, hg. von Stefan Muckel, 2003, S. 297 – 316 (297 – 316, Zitat: 314). 21 22

Hillgruber (Anm. 20), S. 298, 300.

In anderem Zusammenhang sind diese Fragen zum Teil auch Gegenstand meiner Habilitationsschrift über „Die Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche“ (Erlangen 2001, Druck in Vorbereitung).

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I. Kirchliche Selbstbestimmung und die Schutzgüter des für alle geltenden Gesetzes Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Gegenstand der staatlichen Justizgewährung ist die Verwirklichung der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Nur soweit das kirchliche Handeln einen durch das staatliche, für alle geltende Gesetz geschützten Belang berührt, kann eine Klage zum staatlichen Gericht zulässig sein. 1. Die Annahme einer wechselseitigen Ausschließlichkeit kirchlicher Selbstbestimmung und staatlicher Gemeinwohlverantwortung (Bereichslehre) Eine solche Kollision ist begrifflich ausgeschlossen, wenn man die beiden Merkmale „eigene Angelegenheiten“ und „für alle geltendes Gesetz“ komplementär versteht: Danach wäre der Bereich der eigenen Angelegenheiten von Beschränkungen völlig freigestellt, er endete aber dort, wo das für alle geltende Gesetz Regelungen trifft. Diese Auslegung schneidet aus der Lebenswirklichkeit einen „rein innerkirchlichen Bereich“ aus und sieht ihn als eigene Angelegenheit dem staatlichen Zugriff überhaupt entzogen. Das ist das Vorgehen der Bereichslehre. Dabei setzt eine an der Subordination der Religionsgemeinschaften unter den Staat orientierte Variante bei den „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ an und schließt alles Wirken der Kirche, welches die durch das staatliche Gesetz konstituierte Rechtssphäre berührt, aus dem Begriff der „eigenen Angelegenheiten“ aus. Es unterliegt der uneingeschränkten Geltung des für alle geltenden Gesetzes, zu dem jede verfassungsmäßige staatliche Rechtsnorm zählt.23 In den „rein innerkirchlichen Bereich“ fallen nur Angelegenheiten, die weltliche Belange nicht berühren; per definitionem sind sie an kein für alle geltendes Gesetz gebunden. – Dagegen setzt eine am Modell einer 23 Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat. Verfassungs- und staatstheoretische Probleme der staatskirchenrechtlichen Lehre der Gegenwart, Der Staat 1 (1962), S. 175 – 197, 289 – 320 (185, 197 und vor allem 295, 299); Hans-Jürgen Schleicher, Staatliches Rechtsprechungsmonopol und kirchliche Gerichtsbarkeit. Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 92 GG, Diss. iur. Bochum 1968, S. 97 – 101; Hermann Weber, Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, 1966 (Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 32), S. 38 – 40; ders., Weltlich wirksame Rechtsprechung der Kirchengerichte? Zum Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit, DVBl. 1970, S. 250 – 256 (251); Joachim Wieland, Die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, Der Staat 25 (1986), S. 321 – 350 (346, 350); in der Tendenz auch Sachs (Anm. 4), DVBl. 1989, S. 490 – 493.

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Koordination von Kirche und Staat24 orientierte Variante der Bereichslehre bei der Bestimmung der „eigenen Angelegenheiten“ an. Sie soll sich – gemäß der lange die Rechtsprechung prägenden Formel des Bundesverfassungsgerichts – danach richten, „was materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen ist“25. In diesem Bereich soll die Kirche überhaupt nicht an das für alle geltende Gesetz gebunden sein26. So hat die Klausel „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ keine selbständige Funktion; sie bringt nur komplementär zum Ausdruck, was „materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach“ eben nicht mehr zum innerkirchlichen Bereich gehört.27 Das anfangs der Bereichslehre folgende 24

Siehe statt aller die bündige Zusammenfassung der Koordinationslehre durch Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Karl August Bettermann / Hans Carl Nipperdey / Ulrich Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Bd. 4, Halbbd. 1, 1960, S. 111 – 243 (145 f.). Umfassende Nachweise bei Kästner (Anm. 4), S. 76, Fn. 1. 25 BVerfGE 18, 385 (387); wegweisend war offenbar Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften (Anm. 24), S. 182. 26

BVerfGE 18, 385 (388); BVerfG, KirchE 17, 120 (121), 209 (210); 21, 132 (133 f.), 171 (172 f.); BVerwGE 25, 226 (229 f.); 66, 241 (244 f.); BAG, NJW 1990, 2082 (2083); Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 13), S. 417; ders., Anmerkung (Anm. 14), DÖV 1984, S. 588; Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften (Anm. 24), S. 178 f. Trotz unklarer Bezugnahme auf die Schrankenklausel findet sich die Bereichslehre auch schon in BGHZ 34, 372 (373 f.) angelegt. Zum gleichen Ergebnis führt die frühere Ansicht Hartmut Maurers (Die Verwaltungsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, 1958, S. 151 f.; ders., Zur Anfechtbarkeit kirchlicher Verwaltungsakte vor staatlichen Gerichten, DÖV 1960, S. 749 – 753 [752]; ders., Anmerkung, DVBl. 1961, S. 625 – 627 [626]), der die Kirche zwar an das für alle geltende Gesetz gebunden sah, aber nicht im Sinne einer „unmittelbare(n) Geltung im kirchlichen Bereich“, sondern im Sinne einer – staatlicher Durchsetzung entzogenen – Pflicht „auf Grund des loyalen Partnerschaftsverhältnisses zwischen Staat und Kirche“, „die grundlegenden Prinzipien unserer Ordnung [...] nach Möglichkeit auch in ihrem Bereich zu realisieren“, und zwar im Wege einer „Transformation“ ins Kirchenrecht. Dem folgend Gert Meier, Die Entscheidung kirchlicher Angelegenheiten durch staatliche Gerichte, DVBl. 1967, S. 703 – 710 (705 f.). – Von einem wiederum ganz anderen Ausgangspunkt her kann auch Ulrich K. Preuß, in: Erhard Denninger / Wolfgang Hoffmann-Riem / Hans-Peter Schneider / Ekkehart Stein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare), 3. Aufl., Losebl., Art. 140 (Oktober 2001), Rn. 27 – 32, zur Bereichslehre gerechnet werden, der zu den „eigenen Angelegenheiten“ im Sinne des Art. 137 III WRV – in Abgrenzung von den Gegenständen der korporativen Religionsfreiheit aus Art. 4 I – II GG – nur die Merkmale ihrer „verbandlichen Eigenart“ zählt, das „Wirken in der Welt“ hingegen nicht; zu den Konsequenzen für die Rechtsschutzfrage: Rn. 52. 27

Das meint wohl BVerfGE 18, 385 (387), wenn es davon spricht, daß bei Maßnahmen der Kirche, die „in den staatlichen Bereich hineinreichen“, „ihre Selbstbestimmung eine in der Sache begründete Einschränkung erfährt“. Es folgt darin (wie auch in den

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Bundesverfassungsgericht hat bald erkannt, daß auch die kirchliche Entfaltung der eigenen Angelegenheiten durchaus in den weltlichen Rechtskreis hineinwirken kann. Diese Erkenntnis führte aber noch nicht sogleich zur Aufgabe des Bereichsscheidungspostulats, sondern motivierte eine weitere Grenzziehung, die „unmittelbare Rechtswirkungen in den staatlichen Bereich“ dem Schrankenvorbehalt unterstellt, „mittelbare“ Wirkungen jedoch für die staatliche Verantwortung ignoriert28. Das bedeutet in der Logik der Bereichsscheidung, daß einerseits die von „mittelbaren“ Wirkungen betroffenen kollidierenden Positionen schutzlos bleiben, andererseits eine kirchliche Aktivität, die „unmittelbare Rechtswirkungen in den staatlichen Bereich“ zeitigt, aus dem Begriff der eigenen Angelegenheiten herausfällt und ohne weitere Differenzierungen denselben durch das Gesetz gezogenen Bindungen unterliegt wie jede nicht religionsgemeinschaftliche Lebensäußerung. Zu ähnlichen Ergebnissen jedenfalls hinsichtlich der Bestreitung kollidierender Rechtspositionen im Bereich der „innerkirchlichen“ Angelegenheiten führt es, wenn man den „Innenbereich“ nach der freiwilligen, „mitgliedschaftlichen oder dienstlichen Eingliederung“ der betroffenen Rechtspersonen in die Religionsgemeinschaft bestimmt und aus der Freiwilligkeit dieser Eingliederung folgert: Wer sich der Religionsgemeinschaft unterordne, müsse deren Handeln gegen sich gelten lassen, ohne sich auf den Schutz durch das für alle geltende Gesetz berufen zu können.29

übrigen Formulierungen) Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften (Anm. 24), S. 178, 180. 28

BVerfGE 42, 312 (334 f.); deutlich auch in KirchE 18, 390 (391); dem folgend z. B. BVerwGE 66, 241 (245); OVG NRW, ZevKR 24 (1979), S. 177 (180, 184 f.); die Begrenzung des Geltungsbereichs des für alle geltenden Gesetzes auf „unmittelbare Rechtswirkungen“ im staatlichen Bereich ist auch in BVerfGE 18, 385 (387 f.), schon angelegt. 29 Hillgruber (Anm. 20), S. 308. Unklar ist das Verhältnis dieser Aussage zu S. 303 f., wonach „der Staat die innerkirchlichen Angelegenheiten ohne hinreichenden Außenbezug“ – hier ist zu fragen, inwiefern „innerkirchliche Angelegenheiten“ mit „Außenbezug“ noch als „innerkirchlich“ gelten sollen – „nicht eigener rechtlicher Regelung unterwerfen darf, sondern kirchlicher Selbstregulierung überlassen muss, er insoweit mithin jedenfalls nicht umfassend und abschließend“ – also doch partiell oder vorläufig? – „die maßgeblichen Rechtsfolgen festlegen kann“; ungeachtet dessen ist dann von Ansprüchen staatlichen Rechts die Rede, „die die Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaft im Einklang mit Art. 137 Abs. 3 WRV einschränken, die also aus den für alle geltenden Gesetzen folgen“ – Ansprüche, die auf S. 308 nicht mehr in den Blick kommen.

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2. Die wechselseitige Überschneidung kirchlicher Selbstbestimmung und staatlicher Gemeinwohlverantwortung und ihr Ausgleich im Wege der Abwägung Gegen die Bereichslehre ist einzuwenden, daß sie sowohl den kirchlichen Freiheitsgebrauch als auch die staatliche Gemeinwohlverantwortung verkürzt.30 Beides – kirchliche Freiheit und staatliche Verantwortung – begegnet und überschneidet sich in aller Regel in einheitlichen Lebenssachverhalten. Bei einer Kollision zwischen den Intentionen der Kirche und den Intentionen des Staates hinsichtlich desselben Sachverhalts darf der Staat zum einen nicht eine allein durch seine Gemeinwohlverantwortung bestimmte Definitionskompetenz darüber an sich ziehen, was die Kirche als eigene Angelegenheit betrachten darf. Das wird besonders deutlich, wenn die staatliche Rechtsanwendung die „Innerkirchlichkeit“ einer Angelegenheit nach der „Natur der Sache“ abgrenzen soll: Sie gerät in die Verlegenheit, Maßstäbe für die Umschreibung der kirchlichen Aufgaben anwenden zu müssen, und damit in die Gefahr, unter Verstoß gegen die religiöse Neutralität des Staates rein säkulare oder gar eigene (krypto-) religiöse Maßstäbe an die Stelle des religiösen Selbstverständnisses der Kirche über ihren Auftrag zu setzen.31 Umgekehrt darf der Staat zum anderen um seiner Gemeinwohl- und Friedensfunktion willen seine Verantwortung für einen Gegenstand nicht davon abhängig machen, ob die Kirche ihn zugleich als eigene Angelegenheit in Anspruch nimmt. Erkennt man die tatbestandliche Überschneidung der staatlichen Verantwortung und der kirchlichen Freiheitsentfaltung in den eigenen Angelegenheiten an, kann für die Bestimmung der Gegenstände, für die der Staat mittels des für alle geltenden Gesetzes seine Verantwortung geltend machen kann, an die Gesamtheit der staatlichen Rechtsordnung ohne Bereichsausnahme angeknüpft werden.32 Der Staat behält seine so bestimmte Verantwortung auch gegenüber den Wirkungen, die die Kirche bei der Gestaltung ihrer eigenen Angelegenhei-

30

Wolfgang Bock, Das für alle geltende Gesetz und die kirchliche Selbstbestimmung. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung am Beispiel des Amtsrechts der evangelischen Kirchen, 1996 (Jus Ecclesiasticum Bd. 55), S. 111 f., 181 – 184, 254 – 257; Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl / Pirson, HStKR2 (Anm. 4), Bd. 1, 1994, S. 521 – 559 (550 – 552); Kästner (Anm. 4), S. 87 f. 31

Siehe ausführlich Kästner (Anm. 4), S. 244 – 251; außerdem Goos (Anm. 8), S. 164 f. 32 Deutlich Kästner (Anm. 4), S. 174: Es „kommt – dem Grunde nach – jeder allgemein geltenden Vorschrift der staatlichen Rechtsordnung die Qualität als potentielle Schrankennorm zu“.

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ten auf den staatlich-rechtlich konstituierten Rechtskreis ausübt.33 Die Kirche wiederum kann sich auch für solche Wirkungen auf ihre Freiheit berufen.34 Der Ausgleich dieser Freiheit mit den kollidierenden, vom staatlichen Recht geschützten Rechtsgütern ist nicht im Begriff der „eigenen Angelegenheiten“ zu leisten, sondern in dem der „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“, an die die Kirche bei der Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten gebunden ist.35 Damit ist klar, daß auch gegenüber der kirchlichen Selbstbestimmung in „eigenen Angelegenheiten“ die Schutzgüter des staatlichen Rechts tatbestandlich wirksame Positionen bleiben. Das gilt nicht nur für die Rechte von „Außenseitern“36, sondern auch für die bürgerlichen Rechte von Kirchenmitgliedern und Kirchenbediensteten als natürliche Personen, ja sogar für die bürgerlichen Rechte selbständiger kirchlicher Rechtsträger untereinander. So ist eine von der Kanzel herab oder von einem kirchlichen Vorgesetzten geäußerte Beleidigung eines Kirchenmitglieds oder Kirchenbediensteten zwar dem Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zuzuordnen. Sie ist aber nicht etwa von allen Rechtsfolgen des staatlichen, straf- und zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzes exemt mit der Folge, daß das staatliche Recht die Beleidigten darauf verweisen müßte, entweder die Verletzung ihres sozialen Achtungsanspruchs schutzlos hinzunehmen oder aber vorsorglich ihre „mitgliedschaftliche oder dienstliche Eingliederung durch Austritt oder Entlassungsersuchen mit Wirkung für die Zukunft wieder [zu] beenden“37. Ebenso bleibt das bürgerliche Eigentum eines kirchlichen Rechtsträgers notwendig Gegenstand des staatlichen Eigentumsschutzes, sein Besitz Gegenstand des staatlichen Besitzschutzes, seine Verfügungsbefugnisse Gegenstand des staatlichen Sachenrechts – in vollem Respekt, ja gerade zur dadurch erst vollwertigen Verwirklichung des Respekts vor der kirchlichen Selbstbestimmung, kraft derer das kirchliche Recht im Wege innerkirchlicher Organisationsmaßnahmen mit bürgerlicher Wirkung38 Eigentumsverschiebungen anordnen oder vorsehen, Besitzrechte zuweisen und Verfügungsbefugnisse ordnen kann. Alle Schutzgüter des staatlichen Rechts bleiben demnach auch im Wirkungsfeld der kirchlichen Selbstbestimmung als Schrankengüter präsent. Ob sich in der Kollision divergierender Rechtsfolgenforderungen die des Schrankenguts oder die der kirchlichen Selbstbestimmung durchsetzt, ist im Wege einer Ab33

Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 285; Kästner (Anm. 4), S. 198 – 211.

34

Kästner (Anm. 4), S. 126, 202 f.

35

Hesse (Anm. 30), S. 540 – 544.

36

Hillgruber (Anm. 20), S. 307 f.

37

Hillgruber (Anm. 20), S. 308.

38

Nicht berücksichtigt von Hillgruber (Anm. 20), S. 309.

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wägung zu entscheiden.39 Auf der zugunsten einer Abwägungslösung schon lange angebahnten40 Abkehr von der Bereichslehre beruhen denn auch die eingangs erwähnten neuen Ansätze in der Rechtsprechung.41 Nach der Abwägungslösung ist die Kirche bei der Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenhei-

39

von Campenhausen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Anm. 8), Art. 137 WRV, Rn. 137 f., 191 – 201; Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 285; ders., Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, ZevKR 32 (1987), S. 158 – 185 (170); Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), S. 5 – 56 (43 f., 46 f.); Christian Hillgruber, Staat und Religion, DVBl. 1999, S. 1155 – 1178 (1172); Kästner (Anm. 4), S. 256; Magen, in: Umbach / Clemens (Anm. 8), Rn. 75 – 77; eingehend Georg Neureither, Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als Grundlage des staatskirchenrechtlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 2002 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 37), S. 252 – 280; Udo Steiner, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, NVwZ 1989, S. 410 – 415 (412); jetzt auch Maurer (Anm. 4), S. 293; der Sache nach jetzt auch Hermann Weber, Bindung der Kirchen an staatliche und innerkirchliche Grundrechte und das Verhältnis der Grundrechtsgewährleistungen zueinander, ZevKR 42 (1997), S. 282 – 318 (285 – 287). – Prinzipiell gegen eine Abwägung im Rahmen von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV: Rottmann in seinem Sondervotum zu BVerfGE 53, 366 (408 – 414); Willi Geiger, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, ZevKR 26 (1981), S. 156 – 174 (168 – 173); Wieland (Anm. 23), S. 347 f., 350. 40 BVerfGE 53, 366 (401); 66, 1 (22); 70, 138 (167); 72, 278 (289); die dogmatischen Fort- und Rückschritte in dieser Rechtsprechung des BVerfG stellt Bock (Anm. 30), S. 139 – 156, näher dar. Im Spagat zwischen Bereichsscheidung und Güterabwägung auch BAGE 51, 238 (242, 245 f.); ganz nach der Bereichslehre aber wieder BAG, NJW 1990, 2082 (2083). In geradezu ostentativer Kontinuität zur Bereichslehre auf dem Stand der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung von 1965: BVerwGE 117, 145 – 149. 41 BVerfG, NJW 1999, S. 349 f., erwähnt den bis dahin die gesamte Rechtsprechung mit dem Bereichsscheidungspostulat bestimmenden Gemeindeteilungsbeschluß, E 18, 385 (387 f.), bezeichnenderweise überhaupt nicht; dass., NJW 1999, S. 350, erwähnt ihn nur beiläufig („vgl. auch“) und nur für die Rechtsfolge, nicht für den Tatbestand der Zuordnung zu „rein innerkirchlichen Angelegenheiten“. BGH, NJW 2000, S. 1555 (1556), zitiert zwar noch einmal den Gemeindeteilungsbeschluß mit der Formel von der „Natur der Sache“ etc., greift dieses Kriterium aber weder auf noch füllt er es aus. In BGHZ 154, 306 (313), klingt die genannte Formel nurmehr an – unter schlichtem Bezug auf die vorausgehende Senatsentscheidung, ohne Erwähnung des Gemeindeteilungsbeschlusses, und im Aussagekern mit einer Abwägungsklausel wesentlich umgestaltet: „Inhalt und Umfang des staatlichen Rechtsschutzes hängen materiell davon ab, was der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach aufgrund einer Güterabwägung zwischen religionsrechtlichem Schutz- und Freiheitsbedürfnis der Kirche oder Glaubensgemeinschaft und allgemeinem Recht des einzelnen als eigene Angelegenheit der Kirche oder Glaubensgemeinschaft anzusehen ist“ (Hervorhebung nicht im Original).

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ten an das für alle geltende Gesetz gebunden, sie kann aber gegenüber den durch das Gesetz geschützten Rechtsgütern ihre kirchliche Freiheit in die Waagschale werfen. Beide kollidierenden Positionen sind im Einzelfall zu einem möglichst verträglichen Ausgleich zu bringen, und zwar nach Maßgabe einerseits des Gewichts des gesetzlichen Schutzguts, andererseits der Bedeutung der Angelegenheit für die religiöse Freiheitsentfaltung der Kirche nach ihrem Selbstverständnis – das kraft des vorbehaltlosen Art. 4 I, II GG besondere Beachtung verdient. Die Abwägungslehre ermöglicht es, die einander widerstreitenden Grundanliegen der beiden Varianten der Bereichslehre ins Gleichgewicht zu bringen: Weder kann die Kirche mit der Beanspruchung einer Angelegenheit als eigene einseitig über die Gemeinwohlverantwortung des Staates verfügen, noch kann der Staat durch jedwede Definition von Gemeinwohlbelangen das Selbstbestimmungsrecht der Kirche verdrängen. Mit dem Abwägungspostulat ist der Rechtsanwendung freilich keine arithmetisch berechenbare Formel für die Grenzziehung in die Hand gegeben. Es kann nicht mehr versprechen als eine Sprachform für die Kommunikation von Gründen für den letztlich immer unausweichlichen Anteil an Dezision in der Rechtsanwendung mit dem Ziel, sie im Rechtsdiskurs einsichtig zu machen. Die Berechenbarkeit, in der sich ein begriffliches Vorgehen der Abwägung überlegen glauben mag, ist demgegenüber vielleicht nur ein Anschein besserer Gewißheit. In der Komplexität der Abwägung liegt zugleich ihre Stärke. Sie ermöglicht differenzierte Lösungen im Einzelfall, wo die Begriffsabgrenzung nur der einen Seite alles, der anderen nichts geben kann. Die Abwägung kann auch flexibler auf das kirchliche Selbstverständnis eingehen und erleichtert die Trennung zwischen den religiösen Maßstäben der kirchlichen Selbstbestimmung und den säkularen Maßstäben der staatlichen Gemeinwohlverwirklichung. Freilich steht die staatliche Rechtsanwendung bei der Abwägung vor der Notwendigkeit, das kirchliche Selbstverständnis zur Kenntnis zu nehmen – und damit wiederum in der Gefahr, es in seiner Wahrnehmung neutralitätswidrig zu verzeichnen. Da sie es hier aber nicht unmittelbar als Grenze der staatlichen Verantwortung zu rezipieren hat, kommt sie nicht in die Verlegenheit, es um dieser Verantwortung willen von vornherein relativieren zu müssen. Sie kann es so, wie es von der Kirche geltend gemacht wird, den staatlichen Belangen gegenüberstellen und muß erst dann entscheiden, wie weit es sich gegen diese durchsetzen kann. Die Abwägungslehre kann an beiden Enden der Abwägungsskala durchaus auch einen Punkt anerkennen, jenseits dessen sich die kirchliche Freiheit beziehungsweise die staatliche Verantwortung jeweils ohne den Vorbehalt der Überwindbarkeit in der Abwägung durchsetzen. Auf der einen Seite sind solche Belange der Aufnahme unter die Gemeinwohlbelange durch den Staat unzugänglich, die eine religiöse Stellungnahme zum Gegenstand haben. Unter keinen Umständen kann der religiös neutrale Staat etwa die Wahrheit einer religiö-

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sen Lehre zum Gegenstand gesetzlichen Schutzes machen oder jemandem geistliche Prädikate zuschreiben. In dieser Hinsicht ist Raum für die Rede von einem Bereich, der jedem staatlichen Gesetz entzogen ist. Auf der anderen Seite kennt auch die Abwägungslehre staatliche Positionen, die unter keinen Umständen hinter einer kirchlichen Beanspruchung als eigene Angelegenheit zurückstehen können. Das Lehrbuchbeispiel vom absoluten Verbot eines Mordrituals steht für die absolute Unverfügbarkeit des Lebens. Für die systematische Stellung indisponibler staatlicher Positionen in der Garantie des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III 1 WRV gibt es zwei mögliche Ansätze: Entweder behandelt man sie als Grenze der Anerkennung eines kirchlichen Selbstverständnisses, welches sie als „eigene Angelegenheit“ in Anspruch nehmen will; oder man sieht in ihr ein unbedingt „für alle geltendes Gesetz“. Die beiden Ansätze trennt nur ein terminologischer Unterschied: Der staatliche Schutz der indisponiblen Position vor der kirchlichen Inanspruchnahme ist nach dem ersten Ansatz schon kein Eingriff, nach dem zweiten ein ausnahmslos immer gerechtfertigter Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. II. Die „Zulässigkeit“ einer Klage vor staatlichen Gerichten als Abbild des formellen Aspekts staatlicher Justizgewährung 1. Der Zugang zu den Gerichten als formeller Aspekt staatlicher Justizgewährung Die Justizgewährungspflicht des Staates ist eine Forderung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III GG) und „umfaßt den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung“42. Sie ist notwendig für die Friedensfunktion der Staatsgewalt. So wie um ihretwillen die staatliche Rechtshoheit die untereinander konkurrierenden Freiheitsansprüche der Bürger auf den rechtlichen Ausgleich in der staatlichen Rechtsordnung verweist, so nimmt das staatliche Rechtsdurchsetzungsmonopol den Staat letztlich auch für die tatsächliche Verwirklichung dieses Ausgleichs in die Pflicht. Die staatliche Justizgewährung verwirklicht sich in zwei voneinander zu unterscheidenden Vorgängen: zum einen in der Erkenntnis dessen, was rechtens ist, zum anderen in dessen letztverbindlichem Ausspruch. Der Unterschied läßt sich in eine Differenzierung zwischen materieller Rechtserkenntnis und formeller Letztentscheidung fassen. Die formelle Letztentscheidung ist die gerichtliche Sachentscheidung als verbindlicher Hoheitsakt, die materielle Rechtserkenntnis ist deren Inhalt. Der als „Zugang zum Gericht“ beschriebene Gegenstand der staatlichen Justiz42

BVerfGE 107, 395 (401).

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gewährungspflicht erfaßt nur die Pflicht zur formellen Letztentscheidung, das „Ob“. Unter dem materiellen Aspekt der staatlichen Justizgewährungspflicht hingegen geht es um die Kriterien der Rechtserkenntnis, also dafrum, „wie“ zu entscheiden ist. Sie umfassen die Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen sowie die Erkenntnis der hierfür erheblichen Tatsachen. Insoweit ist Raum für inhaltliche Bindungen der gerichtlichen Erkenntnis: etwa für Bindungen an ein unter der Beibringungsmaxime teilweise den Parteien überantwortetes Tatsachenbild, für Bindungen an die behördliche Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen, schließlich auch für Bindungen an die Selbstbestimmung und das Selbstverständnis der Parteien als Grundrechtsträger, soweit die auf den Ausgleich konkurrierender Freiheitsansprüche gerichteten Rechtsmaßstäbe darauf verweisen. Diese Kriterien für die gerichtliche Rechtserkenntnis bestimmen die Beurteilung eines Rechtskonflikts in der Sache. Sie sind es, die die hierzulande herkömmliche Prozeßrechtsdogmatik in der Beurteilung der „Begründetheit“ einer Klage darstellt. In der „Zulässigkeit“ einer Klage bilden sich demgegenüber ausschließlich die Kriterien für den Zugang zum Gericht und zur gerichtlichen Sachentscheidung ab, und damit die Kriterien für die formelle Justizgewährungspflicht des Staates. Diese Kriterien entscheiden über die Legitimität einer staatlichen Letztentscheidung in der Sache. Das ist der Grund dafür, daß die Kategorien der Zulässigkeit und der Begründetheit nicht gegeneinander austauschbar sind. Ein Gericht, das eine Bedingung seiner formellen Letztentscheidungsbefugnis lediglich für die Bestimmung des Entscheidungsinhalts berücksichtigt, verletzt die Grenzen der staatlichen Justizgewährung; umgekehrt verletzt ein Gericht, das die formelle Letztentscheidung, und damit den Zugang zum Gericht im Vorgriff auf materielle Kriterien des Entscheidungsinhalts verweigert, seine Pflicht zur Justizgewährung.43 2. Die gegenständliche Reichweite staatlicher Justizgewährung und ihre Grenzen Weil die formelle Justizgewährungspflicht des Staates die Gewährleistung des bürgerlichen Friedens, das Selbsthilfeverbot und das ihm korrespondierende Rechtsdurchsetzungsmonopol des Staates abbildet, muß ihre Reichweite nach dem Gegenstand des Rechtsdurchsetzungsmonopols bestimmt werden: Die staatlichen Gerichte haben immer dann und nur dann eine Sachentscheidung zu treffen, wenn sie wegen einer bürgerlichen Rechtsposition angerufen werden (gemäß den für das Anrufen bestimmten prozeßrechtlichen Formalia). Die formelle Justizgewährungspflicht des Staates erstreckt sich demnach auch auf Rechtsbegehren, die den Ausgleich des kirchlichen Selbstbestim-

43

Verkannt durch BVerfG, Beschlüsse vom 27.1.2004 (Anm. 12).

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mungsrechts mit einer von seiner Ausübung betroffenen anderweitigen bürgerlichen Rechtsposition (s. o. I. 2.) zum Gegenstand haben. Der Gegenschluß beschreibt die Grenzen der formellen Justizgewährungspflicht: Wo die Entfaltung der kirchlichen Selbstbestimmung kein Schutzgut des staatlichen Rechts betrifft, hat die staatliche Justizgewährung nichts auszurichten.44 Die Abgrenzung nach der bürgerlichen Rechtsposition vermag in wesentlichen Punkten die Wertungen mittelbar in sich aufzunehmen, um deren willen die restriktiveren Ansätze das kirchliche Selbstbestimmungsrecht unmittelbar als Grenze der staatlichen Justizhoheit zur Geltung bringen wollen. Sie verweist diese Wertungen aber in das materielle staatliche Recht, nämlich in die Bestimmung einer bürgerlichen Rechtsschutzposition. So mag man im Hinblick auf dienstrechtliche Statusklagen mit guten Gründen bestreiten können, daß das staatliche Recht überhaupt ein Interesse am Erhalt des dienstrechtlichen Status selbst (und nicht nur das daran geknüpfte vermögensrechtliche Interesse) schützt. Mit weiteren guten Gründen mag man dieses Ergebnis speziell für kirchliche Ämter auch unmittelbar aus der Garantie der Ämterhoheit in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III 2 WRV ableiten können. Hieran wäre dann freilich auch eine Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu messen, die ja der – weitgehend unbestrittenen – Zulässigkeit von Kündigungsschutzklagen kirchlicher Arbeitnehmer ein entsprechendes bürgerliches Recht am kirchlichen Arbeitsplatz zugrundelegen muß; aus der Wahl des arbeitsrechtlichen Gewands kann sie jedenfalls nicht darauf schließen, daß die Kirche den Stellenwert des darin gekleideten kirchlichen Amtsverhältnisses – etwa eines Pfarrers im Angestelltenverhältnis – nach ihrem Selbstverständnis mindern wollte.45 Dies alles aber kann der Auslegung des materiellen staatlichen Rechts überlassen bleiben, die hier nicht zur Debatte steht. Führt sie zur Erkenntnis einer bürgerlichen Rechtsposition, ist der Zugang zum Gericht und zur gerichtlichen Sachentscheidung offen46, anderenfalls nicht. Der Ort für den Ausgleich einer gegebenen bürgerli-

44 Anders anscheinend Magen, in: Umbach / Clemens (Anm. 8), Rn. 81 mit Fn. 273: Danach soll die staatliche Justizgewährung auch losgelöst von „Parallelansprüchen“ im staatlichen Recht auf „das im staatlichen Bereich wirksame kirchliche Recht“ gestützt werden können. Fragt man hier aber, woran man die „Wirksamkeit“ des kirchlichen Rechts „im staatlichen Bereich“ erkennen soll, stößt man doch wieder auf die Schutzgüter, mit denen eben erst das staatliche Recht den „staatlichen Bereich“ umschreibt. 45 46

Bedenkenswert: Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 286.

Deshalb konnte selbst eine Klage gegen den Ausschluß aus einer Religionsgemeinschaft vom LG Frankfurt a. M., U. vom 20.2.2003 – 2-7 O 198/02 –, NJW-RR 2003, S. 1436 f., auf den ersten Blick überraschend, aber im Ansatz zutreffend als zulässig behandelt werden. Die von der betreffenden Religionsgemeinschaft („Ahmadiyya“) gewählte Rechtsform eines eingetragenen Vereins kleidete diesen Ausschluß in die Formen des Vereinsrechts. Das LG Frankfurt a. M. hat für die Zulässigkeit der Klage darauf abgestellt, daß im staatlichen Rechtsweg zu überprüfen sei, ob das Verhalten des

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chen Rechtsposition mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ist die Prüfung der Begründetheit der Klage. Ein materiell-rechtlicher Vorrang der kirchlichen Selbstbestimmung vor dem von ihrer Entfaltung betroffenen Interesse führt zu einer Sachentscheidung, die die kirchliche Selbstbestimmung gegen das betroffene Interesse durchsetzt. III. Kirchliche Selbstbestimmung und formelle Letztentscheidung 1. Rechtsschutz und Rechtseingriff Vor dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht ist die staatliche Justizgewährung nur rechtfertigungsbedürftig, wenn sie insoweit als Eingriff zu qualifizieren ist. Ihr Eingriffscharakter scheint auf der Hand zu liegen,47 unterwirft sie den Betroffenen doch dem verbindlichen Ausspruch eines staatlichen Gerichts darüber, was rechtens sein soll. Bei näherem Hinsehen hängt diese Qualifikation aber vom Ausgang der Entscheidung ab. Nur wer in der Sache unterliegt, wird in der Entfaltung seines Willens beschränkt; indem aber die Sachentscheidung die Schranken der Freiheit nachzeichnet, ist sie ein verfassungsrechtlich gerechtfertigter Eingriff, anderenfalls verfassungswidrig nicht wegen der Inanspruchnahme einer Letztentscheidung, sondern wegen ihres rechtsverletzenden Inhalts. Wer dagegen in der Sache Recht bekommt, ist in seinem Freiheitsanspruch keinesfalls gemindert – im Gegenteil: Eine rechtskräftige gerichtliche Bestätigung seines Anspruchs sichert seine Freiheit, ist mit ihrer Bindungswirkung gegenüber anderweitigen Bestreitungen sogar eine wesentliche Bedin-

Vereins einen Straftatbestand verwirklichte. Damit ist wohl die Möglichkeit gemeint, daß einem Vereinsausschluß, welcher einen Straftatbestand verwirklicht, die bürgerliche Wirkung nach § 134 BGB versagt werden muß. Ob das Interesse am Bestand der Mitgliedschaft tatsächlich einem strafrechtlichen Schutzgut zugeordnet werden kann, erscheint fraglich, wenn auch nicht ausgeschlossen. Jedenfalls aber steht hier ein allgemeiner bürgerlich-rechtlicher Anspruch auf Wahrung des hier eben ins Vereinsrecht gekleideten Mitgliedschaftsstatus in Rede. Das LG Frankfurt a. M. hat die Klage wegen der Deckung des Ausschlusses durch das Selbstbestimmungsrecht des Vereins aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV als unbegründet abgewiesen – und damit, nota bene, das Selbstbestimmungsrecht des Vereins rechtskräftig gegen die Prätentionen des Klägers durchgesetzt. Gegen diese Entscheidung aber Goos (Anm. 8), S. 167; Weber (Anm. 8), ZevKR 49 (2004), S. 396. 47

Jörg Lücke, Zur Dogmatik der kollektiven Glaubensfreiheit. Eine Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat am Beispiel des staatlichen Rechtsschutzes gegenüber Maßnahmen der Religionsgesellschaften, EuGRZ 1995, S. 651 – 660 (653): „nicht zweifelhaft“; der Eingriffscharakter bleibt auch in den folgenden Ausführungen unbegründet (S. 655, 656 f.). Ihm folgend Hillgruber (Anm. 20), S. 301: „kann daher eigentlich keinem vernünftigen Zweifel unterliegen“.

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gung für die Freiheitsverwirklichung. Das ist offensichtlich für ein Urteil, das etwa die Klage gegen eine kirchliche Maßnahme wegen des Überwiegens der Kirchenfreiheit als unbegründet abweist, und gilt erst recht für die Sachentscheidung in Kirchensachen, in denen die Kirche selbst Rechtsschutz begehrt.48 Wenn man demzufolge erkennt, daß die grundrechtliche Gewährleistung von Privatautonomie und Vereinsautonomie „die justitielle Realisierung durch den Staat gleichsam mitdenkt“, dann kann man dieselbe Annahme für die kirchliche Selbstbestimmung nicht einem „fortgeschriebenen Vorverständnis“ zurechnen, das das Ende des Staatskirchentums „außer acht“ ließe.49 Die justitielle Realisierung durch den Staat nimmt vielmehr auch die kirchliche Freiheit als rechtlich wirksame Freiheit überhaupt erst ernst.50 So ist es kein Zufall, daß die kirchenfeindliche Politik der Ausgrenzung religiösen Wirkens aus dem öffentlichen Leben in der DDR zu ganz ähnlichen Ergebnissen in der Rechtswegfrage führte wie die kirchenfreundliche Koordinationslehre: Sie nahm Ansprüche aus kirchlichen Dienstverhältnissen von der staatlichen Justizgewährung aus, indem

48

Kästner (Anm. 4), S. 90 mit weiteren Nachweisen und einem anschaulichen Beispiel in Fn. 56. – Der Satz „volenti non fit iniuria“, mit dem Hillgruber (Anm. 20), S. 301, eine Zulässigkeit von Aktivprozessen im Gegensatz zur Unzulässigkeit von Passivprozessen in kirchlichen Angelegenheiten sowie die Möglichkeit einer „Eröffnung“ des staatlichen Rechtswegs durch Kirchengesetz begründen will, kann hier keine Rolle spielen: Staatliche Kompetenzen und Befugnisse sind indisponibel, können also auch nicht gewillkürt werden. 49 50

So aber Hillgruber (Anm. 20), S. 308 einerseits, S. 302 mit Fn. 19 andererseits.

Heckel (Anm. 39), in: VVDStRL 26 (1968), S. 45 mit Fn. 63; ders. (Anm. 4), in: FS Lerche, S. 222; Kästner (Anm. 4), S. 224 f., siehe besonders auch S. 266: „Gewährleistung realer verfassungsgemäßer kirchlicher Freiheit nicht trotz, sondern vermittels rechtsstaatlicher Justiz“; allgemein auch Goos (Anm. 8), S. 165. – Link (Anm. 4), S. 34, warnt zu Recht vor einem „Herausdrängen der Kirche und ihrer Dienstnehmer aus dem allgemeinen staatsbürgerlichen Status“. Ähnlich Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 295: „Wer nicht in das gesellschaftliche Abseits geraten will, darf Freiheiten für sich nur reklamieren, wenn er bereit ist, deren Bindungen zu akzeptieren. Tatsächlich haben die Kirchen oft genug zu erkennen gegeben, daß sie beides wünschen: Freiheit und Bindung“. – von Campenhausen (Anm. 4), ZevKR 17 (1972), S. 140, weist zutreffend darauf hin, daß die Annahme einer Rechtswegexemtion zur Ignorierung kirchlicher Belange im staatlichen Zuständigkeitsbereich führen kann; so bringe „diese mißliche Rechtsprechung die bittere Ernte ein, die mit der unkritischen Aussaat der Koordinationsvorstellung vorbereitet wurde“. Daß sich die Annahme einer Rechtswegexemtion denn auch in der Praxis schon nachteilig auf Rechtsschutzbegehren der Kirche ausgewirkt hat, berichtet dann ders., Der staatliche Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, AöR 112 (1987), S. 623 – 658 (656 f.). Anschaulich vergleicht Bock (Anm. 30), S. 209, die vom staatlichen Recht exemten Kirchen mit König Midas: „Sie können [...] diesen vermeintlich goldenen Freiraum auch dann nicht verlassen, wenn sie statt des Goldes der Freiheit von staatlicher Regelung das Brot des weltlichen Rechts ergreifen wollen.“

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sie sie schlicht zu Naturalobligationen degradierte.51 Wenn die Kirchen in der DDR demzufolge ihren eigenen Rechtsschutz auch auf vermögensrechtliche Ansprüche erstreckten, so nicht um freudig ihren Freiheitsraum auszufüllen, sondern notgedrungen, weil der Staat ihnen seine Funktion versagte.52 Die bloße Zulässigkeit des Rechtswegs – also die Tatsache einer Sachentscheidung als solche, ohne Rücksicht auf ihren Inhalt – präjudiziert in keiner Weise eine Minderung des kirchlichen Handelns und ist unter diesem Gesichtspunkt folglich kein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Sie steht deshalb auch nicht unter einem Vorbehalt der Abwägung oder der praktischen Konkordanz.53 2. Die Anerkennung der staatlichen Gemeinwohlverantwortung durch die Kirche, insbesondere im Duktus der societas-perfecta-Lehre, und ihre Konsequenzen Das formelle Letztentscheidungsrecht des Staates kann demnach nur dann mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche kollidieren, wenn die Kirche eben die formelle Letztentscheidung über den Ausgleich ihrer eigenen Freiheit mit der Freiheit anderer als eine „eigene Angelegenheit“ beansprucht. Ob ein solcher Anspruch behauptet wird, ist primär eine Sache des kirchlichen Selbstverständnisses. Ein kirchliches Selbstverständnis, das die formelle Letztentscheidung über konkurrierende bürgerliche Rechtspositionen als „eigene Angelegenheit“ dem Staat streitig machen wollte, müßte für die Kirche selbst den Anspruch einer mit der staatlichen Hoheit ebenbürtigen, souveränen Hoheitsgewalt erheben. Ein solches Selbstverständnis möchte man am ehesten in der kanonistischen Lehre des Ius Publicum Ecclesiasticum suchen, nach der „der von Jesus Chri-

51 Siehe z. B. Kreisgericht Eisenach, ZevKR 3 (1953/54), S. 416 f. Wiedergabe der Rechtsgrundlagen bei Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 295, Fn. 136. 52

Siehe die bei Erich Ruppel, Tagung der Kirchenjuristen 1962, ZevKR 9 (1962/63), S. 86 – 88 (87), wiedergegebenen Diskussionsbeiträge verschiedener Vertreter der Berliner Kirchenbehörden; sowie von Campenhausen (Anm. 4), ZevKR 17 (1972), S. 133, Fn. 24; ders. (Anm. 50), AöR 112 (1987), S. 649, Fn. 145; Frank, Diskussionsbeitrag zu Ruppel (Anm. 4), in: Essener Gespräche, Bd. 7 (1972), S. 88; Ulrich Scheuner, Grundfragen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZevKR 6 (1957/58), S. 337 – 364 (357), auch in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 441 – 467; Weber (Anm. 4), NJW 1967, S. 1644. – Dieser Umstand hat dazu beigetragen, „die Kirchen in eine ihrem Öffentlichkeitswirken abträgliche Sonderstellung zu drängen“: Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 295. 53

So aber zum Beispiel Goos (Anm. 8), S. 166 f.; Rüfner (Anm. 19), S. 166 f.

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stus gestifteten Kirche gegenüber dem Staat der Charakter einer rechtlich ‚vollkommenen Gesellschaft‘ (‚societas perfecta‘, oder besser und zutreffender ‚societas iuridice perfecta‘) mit vorstaatlicher und von der Rechtsordnung des Staates unabhängiger Befugnis zu eigener Gesetzgebung, Verwaltung (Exekutive) und Rechtsprechung zukommt“54. Die zeitungebundene Intention dieser Lehre über die römisch-katholische Kirche hat Joseph Listl auf die theologische Aussage hin formuliert, „daß die Kirche im Sinne einer einzigen komplexen Realität gleichermaßen geistgewirkte Gemeinschaft (communitas spiritualis) und Geheimnisvoller Leib Christi (Mysticum Christi Corpus) und in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet (in hoc mundo ut societas constituta et ordinata) ist“.55 Aus der Einsicht in die Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat „folgt mit logischer Notwendigkeit die Eigenständigkeit der kirchlichen Leitungsgewalt und die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und staatlich-politischer Macht“56. Auf dieser Grundlage erkennt die Kirche aber die Verantwortung des Staates für das zeitliche Gemeinwohl an, zu dem sowohl die Religionsfreiheit und Eigenständigkeit der Kirche als auch inbesondere die „Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person“ gehören.57 Den Anspruch der societas-perfecta-Lehre auf kirchliche Eigenrechtsmacht verteidigt Listl engagiert gegen das „Mißverständnis“, als verfolge sie eine „moderne Zweischwerterlehre“: So entschieden sie sich auch gegen eine Überordnung des Staates über die Kirche wende – die „richtig verstandene Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta zielt weder auf eine parallele Zuordnung der Kirche zum Staat noch auf eine Überordnung der Kirche über den Staat“. So beanspruche auch das nachkonziliare Kirchenrecht „im Gegensatz zu der vorkonziliaren Doktrin des Ius Publicum Ecclesiasticum bei fehlendem Einvernehmen zwischen Kirche und Staat über eine gemeinsame Angelegenheit von 54 Joseph Listl, Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Fides et Ius. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag, hg. von Winfried Aymans / Anna Egler / Joseph Listl, 1991, S. 455 – 490; auch in: ders., Schriften (Anm. 1), Zweiter Halbband, S. 989 – 1031 (999). Siehe zu dieser Lehre umfassend dens., Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, 1978 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 7), S. 104, 167 – 169; dens., Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: ders. / Heribert Schmitz (Hg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl., 1999, S. 1239 – 1255 (1245 – 1247); ferner Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: Listl / Pirson, HStKR2 I (Anm. 30), S. 111 – 155 (131 – 133, 144, 145 – 148, 153 f., 154 f.). 55

Listl (Anm. 54), GS, S. 992 – 995, 1017, 1031 (dort das Zitat, unter Bezugnahme auf die Dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“). 56

Listl (Anm. 54), GS, S. 997.

57

Listl (Anm. 54), GS, S. 998.

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Staat und Kirche an keiner Stelle wegen eines postulierten Vorrangs der spirituellen vor den temporellen Zwecken für die Kirche das Recht zur Letztentscheidung (‚Kompetenzkompetenz‘).“58 Diese wichtigen Klarstellungen machen deutlich, daß die societas-perfectaLehre in ihrer nachkonziliaren Gestalt die Eigenrechtsmacht der Kirche nicht in einer formellen Letztentscheidungskompetenz über bürgerliche Rechte sucht. Darin zeigt sich im Ergebnis eine grundsätzliche Übereinstimmung der römisch-katholischen und der evangelischen Ausprägung des christlichen Staatsverständnisses. Wenn die Kirche demnach die Gemeinwohlverantwortung des Staates anerkennt und anmahnt, dann erkennt und fordert sie vom Staat, daß er ihren Anspruch auf eine selbständige, staatsunabgeleitete Entscheidungskompetenz über ihr Handeln als Teil ihres „bürgerlichen“ Freiheitsstatus, maßgeblich ausgeformt im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, gelten läßt. Des weiteren kann sie auch den Ausgleich von Konflikten zwischen diesem ihrem eigenen bürgerlichen Status auf der einen Seite und dem bürgerlichen Status der von seiner Entfaltung Betroffenen auf der anderen Seite als Gegenstand der staatlichen Verantwortung anerkennen. Dieser Ausgleich ist es, der in dem „für alle geltenden Gesetz“ jeweils materielle Gestalt gewinnt. In der Konsequenz dieses Gedankens liegt es, daß sich die Kirche insoweit dann auch der staatlichen Ordnungsfunktion der formellen Letztentscheidung unterstellt, mit der die staatlichen Gerichte diesen Ausgleich zur Geltung zu bringen haben.59 Damit liefert sie nicht ihr Wirken überhaupt der Fremdbestimmung durch staatliche Instanzen aus: Unberührt bleibt ihr Anspruch, das eigene Selbstverständnis und damit den Gehalt ihrer eigenen bürgerlichen Freiheitsposition materiell selbst zu bestimmen und innerhalb der staatlichen Ordnung auch gegen kollidierende Belange geltend zu machen. Nicht aber schwingt sie sich zum letztinstanzlichen Richter über die hiervon betroffenen bürgerlichen Rechte anderer auf, um sich ihr eigenes bürgerliches Recht selbst zu verschaffen. Keine falsche Bescheidenheit, sondern der Respekt vor der Friedensfunktion des Staates ist es, der die Kirche von der Inanspruchnahme eines formellen Letztentscheidungsrechts als „eigene Angelegenheit“ Abstand nehmen läßt. Mit der Zulassung von Rechtsstreitigkeiten über die bürgerliche Wirkung ihres Handelns zur Sachentscheidung durch ein staatliches Gericht erleidet sie vor dem Hintergrund dieses kirchlichen Selbstverständnisses keinen Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht. Hinzu kommt, daß sich die Kirche mit dem vermeintlichen Zugewinn an Freiheit durch die Rechtswegexemtion unter Umständen unerwartet neue Bin-

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Listl (Anm. 54), GS, S. 1014 – 1017, zit.: 1016.

Im Grundsatz ebenso Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, ZevKR 7 (1959/60), S. 225 – 273 (257 mit Fn. 90); auch in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 121 – 168.

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dungen einhandelt. Nicht von ungefähr wurde die möglichst getreue Übernahme rechtsstaatlicher Konzepte oft mit den Erwartungen begründet, die die staatliche Rechtsprechung an einen rechtswegverdrängenden innerkirchlichen Rechtsschutz hegte. Hinter solchen Erwartungen können sich aber empfindliche Übergriffe in das kirchliche Selbstverständnis verstecken. Die vermeintlich notwendige Anpassung an den geforderten Rechtsschutzstandard erweist sich als Einfallstor für alle möglichen im staatlichen Vorbild vorgefundenen Strukturelemente – etwa auch für Grundrechte, für Gewaltenteilung, für Demokratie –, ohne sie noch auf eine kirchenrechtliche Legitimität prüfen zu müssen. Das Selbstbestimmungsrecht droht in eine Pflicht umgemünzt zu werden.60 3. Die Unbedingtheit der staatlichen Justizgewährungspflicht Die staatskirchenrechtliche Betrachtung muß freilich damit rechnen, daß die Kirchen oder sonstige Religionsgemeinschaften ein formelles Letztentscheidungsrecht doch als „eigene Angelegenheit“ beanspruchen wollen – sei es aufgrund einer anderen Sicht des Verhältnisses von Staat und Kirche, oder sei es, weil sie nicht zwischen ihrem materiellen Selbstbestimmungsrecht und der formellen Letztentscheidung differenzieren. Der Staat kann ein solches Selbstverständnis nicht durch sein „besseres“ Verständnis von dem, was die Religionsgemeinschaft etwa „materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach“ ihre eigene Angelegenheit nennen sollte, überspielen. Er kann aber in der dargelegten Weise die Minimalbedingungen zur Erfüllung seiner Friedensfunktion seinerseits als indisponible Position gegen den religionsgemeinschaftlichen Anspruch behaupten. Zu diesen Minimalbedingungen gehört nun auch das formelle Letztentscheidungsrecht als die Befugnis, über die Reichweite

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Klar ausgesprochen in dem – auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV bezogenen – Diktum: „Kompetenzen sind Rechte und Pflichten zugleich. Der Staat geht davon aus, daß die Kirche von dem, was ihre Pflicht ist, auch Gebrauch macht.“, bei Geiger (Anm. 39), S. 163 f.; übernommen von Wilhelm Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Essener Gespräche, Bd. 18, hg. von Heiner Marré / Johannes Stüting, 1984, S. 67 – 112 (104). Ebenso bezeichnend Hillgruber (Anm. 20), S. 310, der die – nach eigenem Urteil für die kirchliche Selbstbestimmung doch allein entscheidende – „Wohltat der Rechtswegexemtion“ an die Bedingung knüpft, daß die Kirche ihre Gerichtsbarkeit der staatlichen assimiliert: In dieser „Obliegenheit“ drücke sich eben der „unauflösliche Zusammenhang von Freiheit und Bindung aus: Selbstbestimmung ist ohne Selbstverantwortung praktisch nicht vorstellbar“. Diese euphemistische Formel birgt weitaus mehr Fremdbestimmungspotential als die Inpflichtnahme der staatlich-gerichtlichen Sachentscheidung für den flexiblen Ausgleich der kirchlichen Freiheitsentfaltung mit den jeweils betroffenen staatlichen Schutzgütern. Dieser kann es gleichgültig sein, ob etwa der römisch-katholische Bischof gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt vereinigt – jener nicht.

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jeder bürgerlichen Rechtsposition eine verbindliche Sachentscheidung zu treffen. Auch aus dieser Perspektive bleibt unberührt, daß der freiheitliche Staat in den Maßstäben der Sachentscheidung auf die Selbstbestimmung durch die Träger bürgerlicher Freiheit verweist und ihnen insoweit materielle Letztentscheidungen über ihren Freiheitsgebrauch überläßt. Das formelle Letztentscheidungsrecht des Staates läßt darüber hinaus sogar Raum dafür, die Dichte der Maßstäbe für die Sachentscheidung nach der Dichte einer von den Freiheitssubjekten etwa unternommenen Selbstregulierung zu differenzieren und insoweit die Herrschaft über das Rechtserkenntnisverfahren zu teilen (dazu gleich). Doch wo der Staat die Verfahrensherrschaft über die Abgrenzung und den Ausgleich konkurrierender Freiheitsansprüche restlos61 aus der Hand gäbe, verließe er die Stellung, aus der heraus allein er seine Aufgabe als Garant des Rechtsfriedens erfüllen kann. Insofern zielt die Frage „quis iudicabit?“ auf ein Judikat mit dem Anspruch derjenigen Verbindlichkeit, die letztlich allein die gewaltsame Selbstdurchsetzung der Einzelnen zu delegitimieren imstande ist. Die Antwort auf diese Frage kann nicht lauten „jeder für sich selbst“ (also der jeweils Stärkere) oder – was das gleiche ist – „niemand“62, sondern hier bleibt die staatliche Hoheit in der Pflicht. Eine Exemtion der Religionsgemeinschaften von der formellen staatlichen Justizgewährleistung würde so etwas wie die alte „geistliche Immunität“ wiederaufleben lassen, die mit der Durchsetzung der inneren Souveränität des modernen Staates überwunden worden ist.63 Das formelle Letztentscheidungsrecht ist demnach für den Staat unaufgebbar64 und einer Abwägung mit religionsgemeinschaftlichem Exemtionsstreben65 entzogen. Im Ergebnis trifft sich diese Einsicht mit der Auffassung, daß es den Religionsgemeinschaften nicht als „eigene Angelegenheit“ zugestanden werden kann, formell letztverbindlich über den von ihrem Wirken betroffenen bürgerli-

61 Eine Inkonsequenz der Exemtionslehre wird deutlich, wenn die Forderung nach einem formellen Letztentscheidungsrecht der Religionsgemeinschaften über die Grenzen ihrer Freiheit unter den Vorbehalt der „Letztverantwortung des Rechtsstaates für das Gemeinwohl als Begründung einer Reservekompetenz für staatliche Jurisdiktion in kircheneigenen Angelegenheiten“ gestellt wird, so Hillgruber (Anm. 20), S. 309 – 312; gleiches gilt für den gedanklichen Sprung von der staatlichen Verantwortung, die die staatliche Pflicht zur Anerkennung der bürgerlichen Wirkung kirchlichen Rechts unter den Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes und des ordre public stelle, zum Postulat der „Letztentscheidungsbefugnis der Kirche“, S. 303. 62

So Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, 1956, S. 76. 63

von Campenhausen (Anm. 4), ZevKR 17 (1972), S. 128; ders. (Anm. 8), ZevKR 45 (2000), S. 623. 64

Link (Anm. 4), S. 33 f.

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Vgl. nochmals oben Fn. 53.

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chen Rechtskreis zu verfügen.66 Demzufolge greift die formelle Justizgewährung durch staatliche Gerichte nicht in das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV ein. Gleichwertig (s. o. I. 2. a. E.) kann sie dahin ausgedrückt werden, daß das formelle Letztentscheidungsrecht des Staates als ein unbedingt „für alle geltendes Gesetz“ die Zulassung des staatlichen Rechtswegs hinsichtlich der bürgerlichen Wirkungen religionsgemeinschaftlichen Handelns ausnahmslos rechtfertigt.67 IV. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vor staatlichen Gerichten 1. Die bürgerliche Wirkung kirchlicher Entscheidungen als Tatbestandswirkung Im Unterschied zur formellen Justizgewährungspflicht ist die Reichweite der materiellen Justizgewährung durch staatliche Gerichte einer abwägenden Differenzierung in der Dichte des Entscheidungsmaßstabs zugänglich. Die „bürgerliche Wirkung“ kirchlicher Entscheidungen kann sich zu einer materiellen Bindung staatlicher Gerichte nach Art einer Tatbestandswirkung verstärken, die die Kontrolldichte der anschließenden Überprüfung durch das staatliche Gericht hinsichtlich bestimmter Vorfragen mindert.68 Beispiele69 für solche Vorfragen sind der Verstoß gegen Loyalitätspflichten oder die ordnungsgemäße Beteili66

Kästner (Anm. 4), S. 73, 149, 167 f., 258 – 260; ähnlich Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 283 f.; Maurer (Anm. 4), S. 299 f.; a. A. Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 13), S. 397, 405. 67

Heckel (Anm. 4), in: FS Lerche, S. 231; Kästner (Anm. 4), S. 257.

68

von Campenhausen (Anm. 4), ZevKR 17 (1972), S. 131; Dütz (Anm. 60), S. 106; Hans-Ulrich Evers, Das Verhältnis der kirchlichen zur staatlichen Gerichtsbarkeit, in: Festschrift für Erich Ruppel zum 65. Geburtstag, hg. von Heinz Brunotte / Konrad Müller / Rudolf Smend, 1968, S. 329 – 353 (349 f., 351); Goos (Anm. 8), S. 168 f.; Heckel (Anm. 4), in: FS Lerche, S. 228; Kästner (Anm. 4), S. 164; Magen (Anm. 8), NVwZ 2002, S. 902 f.; ders., in: Umbach / Clemens (Anm. 8), Rn. 82; Maurer (Anm. 4), S. 296 f.; Rüfner (Anm. 4), S. 1114; Erich Ruppel, Die Gemengelage von staatlichem und kirchlichem Recht und der kirchliche Rechtsbegriff, in: Festschrift für Karl Michaelis, hg. von Hans-Martin Pawlowski / Franz Wieacker, 1972, S. 267 – 280 (280); ders., Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der evangelischen Kirche (Anm. 4), S. 68; Arno Schilberg, Rechtsschutz und Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche. Zum Rechtsschutz bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten in den evangelischen Kirchen und ihren Diakonischen Werken in der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 109. Jetzt auch BGH, NJW 2000, S. 1555 (1556 f.); BGHZ 154, 306 (315); bestätigend von Campenhausen (Anm. 8), ZevKR 45 (2000), S. 624 f.; Kästner (Anm. 8), NVwZ 2000, S. 890 f. 69

Weitere Beispiele bei Kästner (Anm. 4), S. 64 f.

Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit

651

gung der Mitarbeitervertretung im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozeß70, oder die Wirksamkeit einer kirchlichen Disziplinarmaßnahme oder sonstigen dienstrechtlichen Maßnahme in einem Streit um den Anspruch auf dienstrechtliche Bezüge71. Eine „bürgerliche Wirkung“ nichtstaatlicher Entscheidungen ist keine Besonderheit der kirchlichen Freiheitsausübung, sondern ist auch für andere Felder grundrechtlich geschützten Wirkens bekannt. Vor allem für Maßnahmen von Vereinen und Verbänden wird sie respektiert: Nichts anderes als die Anerkennung einer „bürgerlichen Wirkung“ bedeutet es nämlich, wenn sich die staatliche Rechtsprechung bei der Überprüfung von Maßnahmen, die ein Verband, insbesondere ein Verein, in Ausübung seiner Verbandsautonomie trifft, besondere Zurückhaltung auferlegt. Um den staatlichen Rechtsweg gegen Verbandsmaßnahmen, insbesondere Vereinsstrafen, war zu einem großen Teil mit ganz ähnlichen Argumenten gestritten worden wie um den Rechtsweg in Kirchensachen72 – mit dem Ergebnis, daß er heute anerkannt ist. Die Rücksicht auf die Verbandsautonomie gehört auch dort also in die Begründetheitsprüfung. 2. Die Bestimmung der Grenzen der bürgerlichen Wirkung kirchlicher Entscheidungen unter Wahrung der kirchlichen Selbstbestimmung Die rechtsstaatlichen Mindestbedingungen für die Bindung staatlicher Gerichte an autonome Verbandsentscheidungen sind mit dem „ordre-publicVorbehalt“ in Verbindung gebracht worden, den Art. 6 EGBGB und § 328 I Nr. 4 ZPO für die Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen normieren.73 Eben der Begriff des „ordre public“ – zusammen mit dem Willkürverbot (Art. 3 I GG) und den guten Sitten (§ 138 I BGB) – ist es denn auch, der die Grenze der Anerkennung kirchlicher Entscheidungen markieren soll.74

70 BVerfGE 70, 138 (166); Dütz (Anm. 60), S. 106; Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, 4. Aufl. 2003, § 7, Rn. 26, § 20, Rn. 2 f., § 21, Rn. 3; Schilberg (Anm. 68), S. 58 f., 63, 85 – 96, 107 – 109. 71 OVG NRW, ZevKR 18 (1973), S. 405 (409 – 412); ZevKR 24 (1979), S. 177 (186 f.). 72

Übersicht bei Dieter Reuter, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hg. von Kurt Rebmann / Franz Jürgen Säcker / Roland Rixecker, 4. Aufl., Bd. 1 2001, § 25, Rn. 33 – 39. 73

Reuter (Anm. 72), Rn. 41.

74

BVerfGE 70, 138 (168); BGH, NJW 2000, S. 1555 (1557); BGHZ 154, 306 (313,

315).

652

Michael Germann

Wenn die gesetzlichen Positivierungen dieser Mindestanforderungen auch nicht unmittelbar auf kirchliche Entscheidungen anwendbar sind, so sind sie doch zur Veranschaulichung zu gebrauchen, soweit sie sich als Ergebnis der gebotenen Abwägung zwischen der Kirchenfreiheit und den Schutzgütern des für alle geltenden Gesetzes im Rahmen des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV darstellen lassen.75 Diese Abwägung bleibt jedenfalls der verfassungsrechtliche Ausgangspunkt, von dem her die staatliche Kontrolldichte gegenüber kirchlichen Entscheidungen und damit komplementär die Reichweite der „bürgerlichen Wirkung“ kirchlicher Entscheidungen zu entwickeln ist. Auf der Seite der Kirchenfreiheit sind spezifisch kirchliche Bewertungen in die Abwägung einzustellen. Da Organe des säkularen und neutralen Staates spezifisch kirchliche Bewertungen selbst nicht vornehmen oder ersetzen können76, müssen sie die maßgeblichen kirchlichen Äußerungen ermitteln, zur Kenntnis nehmen und in der Abwägung berücksichtigen. Die entsprechende Formulierung und Bewertung der kirchlichen Belange sind jedoch in den Abwägungsvorgang eng eingeflochten. Eine staatliche Entscheidung, die auf die Vermittlung isolierter kirchlicher Wertungen mit dem Abwägungsvorgang angewiesen ist, findet sich so einer besonderen Gefahr von Fehlgewichtungen ausgesetzt. Das macht es zur Wahrung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erforderlich, zunächst der Kirche selbst Gelegenheit zu geben, ihre Freiheit gegen die davon betroffenen Rechtsgüter gerecht abzuwägen,77 und dann die Intensität der – im Hinter75 von Campenhausen (Anm. 50), AöR 112 (1987), S. 635; ders., in: von Mangoldt / Klein / Starck (Anm. 8), Art. 137 WRV, Rn. 137 f.; Dirk Ehlers, Der staatliche Gerichtsschutz in kirchlichen Angelegenheiten, JuS 1989, S. 364 – 373 (372 f., Fn. 81); allgemein zu den Grenzen der Parallelen zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Verbandsautonomie Kästner (Anm. 4), S. 142 f. Auch Peter Schlosser, Vereinsund Verbandsgerichtsbarkeit, 1972, S. 136, betont, daß sich die Stellung der Verbandsgerichtsbarkeit nicht einfach auf die kirchliche Gerichtsbarkeit übertragen läßt, sondern daß es hier allein auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV ankommt. 76

Kästner (Anm. 4), S. 182; die Inkompetenz staatlicher Stellen zu theologischen Erwägungen betonen allgemein Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, 1986 (Jus Ecclesiasticum Bd. 31), S. 26 f., 151, 165 – 167, 194 f.; Hesse (Anm. 30), S. 556. 77

Einen ganz entsprechenden Ansatz hat – von der verfassungsrechtlichen Garantie der Verbandsautonomie her – Klaus Vieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, 1990, S. 178 – 181 und 182, für die staatliche Kontrolle von Verbandsentscheidungen entwickelt: Aufgrund eines für die Bestimmung der Verbandsautonomie heranzuziehenden Auslegungsprinzips der Subsidiarität staatlicher Ingerenz müsse der Staat den Verbänden eine „Chance zur endgültigen Selbstregulierung“ der auftretenden Konflikte geben. Ähnlich auch BGHZ 49, 396 (398), wenn er einem Verein eine vereinsinterne Entscheidung erst dann zurechnen will, wenn er sie sich „im Wege einer Geschäftsordnung [...] oder eines auf eine verbindliche Regelung der streitigen Frage abzielenden Einzelbeschlusses“ zueigen macht. Da jedenfalls die

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653

grund immer bereitstehenden – staatlichen Kontrolle davon abhängig zu machen, ob und wie die Kirche von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht hat. Das hat zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz so ausgesprochen.78 3. Die Funktion des kirchlichen Rechts und der kirchlichen Gerichtsbarkeit für die Entfaltung kirchlicher Selbstbestimmung vor staatlichen Gerichten Die kirchlichen Belange sind in ihrem Kern, nämlich was ihre theologischen Prämissen, ihre „Richtigkeit“ und ihren Rang angeht, der Formulierung durch staatliche Gerichte ganz entzogen. Insoweit sind die staatlichen Gerichte darauf verwiesen, der Berücksichtigung kirchlicher Belange die einschlägigen kirchlichen Äußerungen zugrundezulegen.79 Die grundsätzlichen Entscheidungen über ihre Belange – und zwar zum einen hinsichtlich ihrer authentischen Definition, zum anderen hinsichtlich ihres Ausgleichs mit kollidierenden Belangen im Wege einer Selbstregulierung – trifft die Kirche in ihrer eigenen Rechtsordnung. In dieser Funktion ist auch das Kirchenrecht von den staatlichen Gerichten zu beachten und so zur Geltung zu bringen im Sinne seiner bürgerlichen Wirksamkeit, insofern also anzuwenden.80 Es handelt sich für die staatlichen

kirchliche Freiheit nicht nur im Verhältnis zu den Kirchengliedern, sondern auch im Verhältnis gegenüber „Dritten“ geltend gemacht werden kann, ist eine „Chance zur Selbstregulierung“ nicht bloß in Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis geboten; so aber in Parallele zu der im Vereinsrecht überwiegenden Meinung (und wohl auch mangels Differenzierung zwischen Vereinsgerichten und Vereinsschiedsgerichten) Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 278; ähnlich Sachs (Anm. 4), DVBl. 1989, S. 490 f. 78

BVerfG, NJW 1999, S. 349 (350): „Wenn und soweit die Kirchen die Möglichkeit geschaffen haben, Rechtsstreitigkeiten von einem kirchlichen Gericht beurteilen zu lassen, und somit die Gelegenheit besteht, die Streitigkeit im Einklang mit dem kirchlichen Selbstverständnis beizulegen, gebietet die verfassungsrechtlich geschuldete Rücksichtnahme gegenüber diesem Selbstverständnis den staatlichen Gerichten, über Fragen des kirchlichen Amtsrechts nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze und in Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs jedenfalls nicht vor Erschöpfung des insoweit gegebenen kirchlichen Rechtswegs zu entscheiden.“ Dem folgend BGHZ 154, 306 (312 f.). 79

BVerfGE 70, 138 (166, 167 f., 170 – 172); von Campenhausen (Anm. 50), AöR 112 (1987), S. 656; Heckel (Anm. 4), in: FS Lerche, S. 228 f.; Richardi (Anm. 70), § 7, Rn. 22 – 28; § 21, Rn. 3; Steiner (Anm. 39), NVwZ 1989, S. 413; Hermann Weber, Streit über die richtige Theologie im Zivilprozeß, in: Rechtsstaat Kirche Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, hg. von Richard Bartlsperger / Dirk Ehlers / Werner Hofmann / Dietrich Pirson, 1986, S. 263 – 272 (269 f.). 80

von Campenhausen (Anm. 8), ZevKR 45 (2000), S. 624 f.; Heckel (Anm. 4), in: FS Lerche, S. 227, 237; Kästner (Anm. 4), S. 177; Magen (Anm. 8), NVwZ 2002, S. 899 – 901;

654

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Gerichte um fremdes Recht und dessen Anwendungsgrundsätze, für deren Ermittlung § 293 ZPO – ggf. über § 173 VwGO oder entsprechende Verweisungen – ihnen alle Erkenntnisquellen eröffnet.81 Bei der Auslegung und Anwendung kirchlichen Rechts ist wiederum zu beachten, daß das Verständnis der zur verbindlichen Rechtsanwendung berufenen kirchlichen Stellen Vorrang hat.82 Hierbei kommt außer dem kirchlichen Normtext in erster Linie die Möglichkeit kirchlicher Gutachten zum eigenen Recht in den Blick.83 Daneben erscheint durchaus auch die kirchenrechtliche Begründung der kirchlichen Entscheidung selbst als geeignet, dem staatlichen Gericht Aufschluß über die zugrundezulegende spezifisch kirchliche Sichtweise zu geben.84 Schon die primäre kirchliche Entscheidung kann das leisten, wenn sie die maßgeblichen Vorfragen deutlich genug herausarbeitet. Eine kirchliche Gerichtsbarkeit kann sie im Streitfall noch weiter auf die Auseinandersetzung mit den betroffenen und geltend gemachten Positionen zuspitzen und so dem staatlichen Gericht eine noch besser brauchbare Vorgabe für die konkrete Abwägung der Kirchenfreiheit mit den Schranken des für alle geltenden Gesetzes liefern. Damit vergrößert sie die Chance, daß die spezifisch kirchlichen Gesichtspunkte vor dem staatlichen Gericht im gebotenen Maß zur Geltung kommen. Die Pflicht des Staates, der Kirche zunächst Gelegenheit zur Selbstregulierung zu geben, führt prozeßrechtlich zu einer Vorschaltung des kirchlichen vor den staatlichen

Richardi (Anm. 70), § 21, Rn. 2; Rüfner (Anm. 4), S. 1091; Ruppel (Anm. 68), in: FS Michaelis, S. 280; ders., Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der evangelischen Kirche (Anm. 4), S. 67. – Im Ansatz ablehnend Pirson (Anm. 4), S. 863 f., 873, der allerdings eine Heranziehung kirchenrechtlicher Vorschriften, „die keinen Bekenntnisbezug aufweisen“, für möglich hält, soweit sie in das staatliche Recht „rezipiert“ worden sind. 81

Kästner (Anm. 4), S. 180, 181. – Die Kenntnisnahme und – insoweit – „Anwendung“ des Kirchenrechts als eines authentischen Ausdrucks kirchlicher Selbstbestimmung in der Abwägung mit dem Schutzgut des „für alle geltenden Gesetzes“ hat nichts damit zu tun, daß der Staat sich „die Rolle eines Hüters der kirch(enrecht)lichen Ordnung anmaßen“ soll; unberechtigt ist daher der entsprechende Vorwurf von Hillgruber (Anm. 20), S. 312 mit Fn. 52. 82

In diese Richtung Rüfner (Anm. 4), S. 1091: Staatliche Gerichte sind befugt, „eine kirchenrechtlich zweifelhafte Vorfrage nach den Maßstäben des Kirchenrechts zu entscheiden, mindestens dann, wenn eine endgültige und verbindliche Entscheidung im Bereich der Kirche mangels eines dafür vorgesehenen Verfahrens nicht möglich ist“. 83

Kästner (Anm. 4), S. 184, mit Hinweis auf das Beispiel des ArbG Würzburg, KirchE 17, 227 (233 f.): Vorbildlich ermittelt dieses Urteil die Bewertung eines Konkubinats nach katholischem Kirchenrecht unter voller Wahrung seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität. 84 Ebenso etwa für die Begründung der Kündigung eines kirchlichen Arbeitnehmers Winfried Mummenhoff, Loyalität im kirchlichen Arbeitsverhältnis, NZA 1990, S. 585 – 592 (588 f.).

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655

Rechtsweg. Die gleiche Rücksicht, aus der die Rechtsprechung zur Vereinsautonomie schon immer eine Inanspruchnahme staatlicher Gerichte vor der zumutbaren Ausschöpfung vereinsinterner Rechtsbehelfe abgelehnt hat,85 verdient ebenso die kirchliche Gerichtsbarkeit.86 Die kirchliche Gerichtsbarkeit ist somit geeignet, die Position der kirchlichen Freiheit mit Blick auf den staatlichen Rechtsschutz in kirchlichen Angelegenheiten zu verbessern. Freilich vermag ihre Einrichtung den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten unter keinen Umständen zu verdrängen. Kirchengerichtliche Entscheidungen entfalten jedoch eine besondere Bindungswirkung, die die kirchlichen Belange und die spezifisch kirchlichen Wertungen vor den staatlichen Gerichten in bestmöglicher Weise zur Geltung bringt; dies schafft sie nicht auf Kosten der betroffenen Belange, sondern indem sie die staatlichen Gerichte vor Fehlabwägungen auf Kosten der Kirchenfreiheit bewahrt, denen diese als religiös inkompetente Organe des neutralen und säkularen Staates sonst zu erliegen drohten. Das geltende staatliche Prozeßrecht eröffnet der Kirche die Gelegenheit, kirchengerichtliche Entscheidungen zur Herstellung dieser Bindungswirkung dem staatlichen Rechtsweg vorzuschalten.87 Wenn die kirchliche Gerichtsbarkeit diese Wirkungen haben soll, muß sie die Gewähr einer gerechten Abwägung der Belange nach Maßgabe des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV bieten. V. Kirchliche Freiheit in einem „iustus ordo publicus“ In dem Anliegen einer gemeinsamen Verwirklichung sowohl der kirchlichen Freiheit als auch der staatlichen Gemeinwohlverantwortung finden die hier vorgetragenen Überlegungen guten Anschluß an diejenigen, mit denen Joseph Listl an die für die Kirche selbstverständliche Anerkennung der „Postulate des 85

RGZ 85, 355 (356 – 358); BGHZ 13, 5 (15 f.); 36, 105 (109); 47, 172 (174); 49, 396 (398 f.). Ebenso Helmut Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., München 2004, § 25, Rn. 19; Schlosser (Anm. 75), S. 126 – 129; Vieweg (Anm. 77), S. 187. 86 von Campenhausen (Anm. 4), ZevKR 17 (1972), S. 141 – 145; gegen Kritik verteidigt durch dens. (Anm. 50), AöR 112 (1987), S. 638 – 640; ebenso Kästner (Anm. 4), S. 142; Rüfner (Anm. 4), S. 1115. – A. A. Maurer (Anm. 4), S. 300; Hermann Weber, Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, NJW 1989, S. 2217 – 2227 (2226); ohne Bezug auf die Verbandsgerichtsbarkeit ders. (Anm. 23), DVBl. 1970, S. 256; mangels Differenzierung zwischen Verbandsgerichten und Verbandsschiedsgerichten auch Ehlers (Anm. 4), ZevKR 27 (1982), S. 278; ders., (Anm. 75), JuS 1989, S. 367 f. 87 Siehe bereits die Nachweise Anm. 78, 86; ferner von Campenhausen, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Anm. 8), Art. 137 WRV, Rn. 148; Steiner (Anm. 39), NVwZ 1989, S. 415.

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durch das Grundgesetz konstituierten Sozialstaates, die als vorstaatliche Grundrechte sowohl dem staatlichen wie dem kirchlichen Recht vorgegeben sind“, erinnert.88 Wenn nun die neuere Tendenz in der Rechtsprechung auch nicht mehr dem von Listl befürworteten konstruktiven Weg folgt, so muß sie doch – das will das Vorstehende deutlich gemacht haben – dasselbe Ziel nicht verfehlen: die volle Entfaltung kirchlicher Freiheit in einem „iustus ordo publicus“89.

88

Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 13), S. 422 mit Fn. 231.

89

Listl, ebd.

Die Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg nach der jüngsten Reform des Studienrechts Von Johann Hirnsperger Mit dem am 1. August 1997 in Kraft getretenen Bundesgesetz über die Studien an den Universitäten (Universitäts-Studiengesetz – UniStG)1 wies der österreichische Gesetzgeber den Universitäten die Aufgabe zu, die Studien weitgehend autonom zu ordnen, und leitete damit einen neuen Abschnitt in der Entwicklung des universitären Studienrechts in Österreich ein. Die Umsetzung dieses Gesetzes nahm mehrere Jahre in Anspruch und führte im Ergebnis dazu, dass an die Stelle der bisher aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen weithin einheitlich zu gestaltenden Studiengänge nach Universitäten und Fakultäten differenzierte und zum Teil sehr unterschiedliche Studiensysteme getreten sind. An der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz wurden die neuen Studienpläne mit Beginn des Studienjahrs 2001/2002 in Kraft gesetzt, die Theologischen Fakultäten in Wien und Innsbruck folgten ein Jahr später. In Salzburg wurden das Diplomstudium und das Doktoratsstudium der Philosophie an der Theologischen Fakultät bereits mit 1. Oktober 1998 neu geordnet, die Studienpläne der übrigen Studienrichtungen erlangten mit 7. bzw. 28. Juni 2002 Rechtskraft. Wenn in diesem Beitrag das Salzburger Modell ausgewählt wird, dann vor allem deswegen, weil sich Professor Joseph Listl seit vielen Jahren mit dieser Fakultät persönlich eng verbunden weiß. Dankbar ist sein Mitwirken in fakultären Kommissionen in Salzburg hervorzuheben. I. Kirchliches und staatliches Studienrecht Was das Studienrecht der lateinischen Kirche angeht, bestimmen die cc. 815 bis 821 CIC, die Apostolische Konstitution „Sapientia Christiana“ vom 15. April 19792 und die dazugehörigen Ordinationes der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 29. April 19793 sowie weitere ergänzend hinzukom1

Vgl. BGBl. I Nr. 48/1997 i.d.g.F.

2

Vgl. AAS 71 (1979), S. 469 – 499. Vgl. AAS 71 (1979), S. 500 – 521.

3

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mende Normen die gegenwärtige universalkirchliche Rechtslage.4 Nach Art. 8 von „Sapientia Christiana“ gelten die Bestimmungen dieser Konstitution auch für die staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten, wenn sie kirchlich anerkannt sind und akademische Grade verleihen, die auch im kanonischen Rechtsbereich Gültigkeit haben, was für die staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten Österreichs zutrifft. Studienrechtliche Sonderbestimmungen für Österreich enthalten das Dekret der Kongregation für das katholische Bildungswesen zur ordnungsgemäßen Anpassung und Anwendung der Vorschriften der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ und der beigefügten „Ordinationes“ (Akkommodationsdekret) vom 1. November 19835 sowie die Rahmenordnung für die Priesterausbildung der Österreichischen Bischofskonferenz vom 15. April 1989.6 Aufgrund der staatskirchenrechtlichen Vorgaben orientiert sich in Österreich das Studienrecht der staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten an den kirchlichen Studienvorschriften.7 Das Österreichische Konkordat besagt diesbezüglich in Art. V § 1 Abs. 3: „Die innere Einrichtung sowie der Lehrbetrieb der vom Staate erhaltenen Katholisch-Theologischen Fakultäten wird grundsätzlich nach Maßgabe der Apostolischen Konstitution ‚Deus scientiarum Dominus‘ ... und der jeweiligen kirchlichen Vorschriften geregelt ...“8 Die praktische Durchführung der Konkordatsbestimmungen wird seit jeher so gehandhabt, dass die kirchlichen Studienvorschriften für den staatlichen Bereich nicht unmittelbar rechtswirksam werden, sondern der Umsetzung in 4 Vgl. bes. G. May, Die Hochschulen, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. v. J. Listl, H. Schmitz, 2., grundlegend neu bearbeitete Aufl., Regensburg 1999, S. 749 – 777. Siehe dazu auch H. Schwendenwein, Aktuelle Rechtsfragen theologischer Fakultäten in Österreich 1969 – 1993, in: Iuri Canonico Promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. W. Aymans / K.-Th. Geringer, Regensburg 1994, S. 477 – 495, bes. 479 – 483. 5

Vgl. AAS 76 (1984), S. 616 – 621; deutsch: Abl. der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 2 vom 1. Juni 1984, S. 22 – 24. 6

Vgl. Abl. der Österreichischen Bischofskonferenz Nr. 3 vom 15. April 1989, S. 27 – 40.

7

Vgl. H. Schwendenwein, Das staatliche theologische Studienrecht in Österreich, in: Theologia et Jus Canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung des 70. Lebensjahres. Hrsg. v. J. F. Reinhardt, Essen 1995, S. 339 – 354, 340f. Vgl. ders., Hohe Schulen und Akademien für die theologische Ausbildung in Österreich. Die Priester- und Religionslehrerausbildung in Österreich, in: 5LMþNLTeološki ýDVRSLV(SKHPerides Theologicae Fluminenes 5 (1997), S. 309 – 324. 8

AAS 26 (1934), S. 249 – 282, 254. Im Konkordatstext heißt es weiter: „Jene Durchführungsmaßnahmen, die sich hiebei im Hinblick auf den besonderen Charakter dieser Fakultäten bzw. ihre Stellung im Universitätsverbande als notwendig erweisen, werden jeweils im Einvernehmen mit der zuständigen kirchlichen Behörde getroffen.“

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

659

staatliches Recht bedürfen. Folgerichtig kommt es den staatlichen Stellen zu, die Studienvorschriften einschließlich der Studienpläne für das Studium der Theologie bzw. Philosophie an den staatlichen Fakultäten zu erlassen. Die kirchliche Mitwirkung wird dadurch sichergestellt, dass die staatlichen Organe vor dem Erlass einschlägiger Normierungen das Einverständnis des kirchlichen Vertragspartners einholen.9 Die Erteilung des Einverständnisses bedeutet, dass nach dem Urteil der kirchlichen Stellen die staatlichen Vorschriften den Erfordernissen, die sich aus der Bindung an das kirchliche Studienrecht ergeben, hinreichend Rechnung tragen. Die gegenwärtig geltenden rechtlichen Regelungen für die Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg ergeben sich aus dem österreichischen Bundesgesetz über die Studien an den Universitäten (UniStG)10 und aus den Studienplänen, die auf der Basis dieses Gesetzes von den zuständigen Studienkommissionen an der Theologischen Fakultät erlassen wurden und nach Erhalt der kirchlichen Approbation in Kraft traten. Die Studienpläne für die philosophischen Studien wurden am 24. September 1998 amtlich publiziert und erhielten mit 1. Oktober 1998 Rechtsgültigkeit.11 Der Studienplan für das Doktoratsstudium Katholische Theologie wurde

9

Dies entspricht der langjährigen österreichischen Rechtstradition: Über Wunsch des Kaisers arbeiteten die österreichischen Bischöfe die Regelungen für das Theologiestudium aus, die dann in Form von Verordnungen des Ministers für Kultus und Unterricht vom 30. Juni 1850, RGBl. Nr. 319/1850, und vom 29. März 1858, RGBl. Nr. 50/1858, als staatliches Recht erlassen wurden. Die genannten beiden Verordnungen enthielten studienrechtliche Vorschriften, die zum Teil bis herauf zum Bundesgesetz über katholisch-theologische Studienrichtungen vom 10. Juli 1969, BGBl. Nr. 293/1969, in Geltung waren. Vgl. H. Schwendenwein, Grundfragen der Entwicklung des theologischen Studienrechtes in Österreich seit Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Domus Austriae. Eine Festgabe Hermann Wiesflecker zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. W. Höflechner / H. J. Melzer-Andelberg / O. Pickl, Graz 1983, S. 371 – 380, bes. 372 f. 10

Vgl. BGBl. I Nr. 48/1997 i.d.g.F. Die wenigen studienrechtlichen Vorschriften, die das Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten vom 26. November 1993 (UOG 1993) enthält, wurden im Wesentlichen in das UniStG eingearbeitet. Vgl. BGBl. Nr. 805/1993 i.d.g.F. Das Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien vom 9. August 2002 (Universitätsgesetz 2002), das auch das UniStG ablöst, hat zunächst keine Auswirkungen auf die Studien in Salzburg. Vgl. BGBl. I Nr. 120/2002 i.d.g.F. Aufgrund der Übergangsbestimmungen in § 124 Abs. 1 dieses Gesetzes bleiben die am 1. Oktober 2003 bestehenden Studien weiterhin eingerichtet, nachdem die Universität Salzburg keine gegenteilige Entscheidung getroffen hat. Die Studienpläne sind in der geltenden Fassung anzuwenden. 11 Vgl. Mitteilungsblatt der Universität Salzburg, Studienjahr 1997/1998, 44. Stück vom 24. September 1998 (Sondernummer), Nr. 289: Diplomstudium der Philosophie und Doktoratsstudium der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät.

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Johann Hirnsperger

am 27. Juni 2001 und am 13. Februar 2002 beschlossen und trat am 7. Juni 2002 in Kraft.12 Die Studienpläne für die übrigen Diplomstudien wurden von der Studienkommission am 27. Juni 2001, 13. Februar 2002 und am 27. Juni 2002 beschlossen und am 28. Juni 2002 in Kraft gesetzt,13 allerdings bereits am 4. bzw. 18. Juni 2003 abgeändert und traten in der revidierten Version mit 30. Juni 2003 in Kraft.14 Was die Gliederung nach Studiengängen betrifft, schließt das UniStG an das Bundesgesetz vom 10. Juli 1969 über katholisch-theologische Studienrichtungen (GkathTheol)15 an und sieht wieder vier Studienrichtungen bei den Diplomstudien sowie zwei Doktoratsstudien vor: Katholische Fachtheologie16 (entspricht der früheren fachtheologischen Studienrichtung); Katholische Religionspädagogik17 (vormals selbstständige religionspädagogische Studienrichtung); Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Reli-

12

Vgl. Mitteilungsblatt der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Studienjahr 2001/2002, 47. Stück vom 7. Juni 2002 (Sondernummer), Nr. 188: Doktoratsstudium Katholische Theologie. 13

Vgl. Mitteilungsblatt der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Studienjahr 2001/2002: 59. Stück vom 28. Juni 2002 (Sondernummer), Nr. 206: Katholische Fachtheologie; 60. Stück vom 28. Juni 2002 (Sondernummer), Nr. 207: Katholische Religionspädagogik; 61. Stück vom 28. Juni 2002 (Sondernummer), Nr. 208: Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion. 14

Vgl. Mitteilungsblatt der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Studienjahr 2002/2003: 55. Stück vom 30. Juni 2003 (Sondernummer), Nr. 203: Katholische Fachtheologie; 54. Stück vom 30. Juni 2003 (Sondernummer), Nr. 202: Katholische Religionspädagogik; 56. Stück vom 30. Juni 2003 (Sondernummer), Nr. 204: Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion. Studierende, die vor dem In-Kraft-Treten der neuen Studienpläne die Studien begonnen haben, sind berechtigt, das Studium nach den früheren Studienplänen fortzusetzen, bzw. bestehen Übergangsregelungen. Vgl. §§ 80 bis 80b UniStG. Zur zuletzt geltenden Fassung der vormaligen Studienpläne siehe: Mitteilungsblatt der Universität Salzburg, Studienjahr 1994/1995, 37. Stück vom 4. September 1995 (Sondernummer), Nr. 262: fachtheologische Studienrichtung und selbständige religionspädagogische Studienrichtung; Mitteilungsblatt der Universität Salzburg, Studienjahr 1993/1994, 28. Stück vom 11. Mai 1994 (Sondernummer), Nr. 213 und 214: kombinierte religionspädagogische Studienrichtung und Studium zur Erwerbung des Doktorates der Theologie; Mitteilungsblatt der Universität Salzburg, Studienjahr 1992/1993, 33. Stück vom 14. Juli 1993 (Sondernummer), Nr. 295: philosophische Studienrichtung und Studium zur Erwerbung des Doktorates der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät. 15

Vgl. BGBl. 293/1969 i.d.g.F.

16

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.6.

17

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.7.

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

661

gion18 (ersetzt die kombinierte religionspädagogische Studienrichtung); Doktoratsstudium der katholischen Theologie19 (früher Studium zur Erwerbung des Doktorates der Theologie an Katholisch-Theologischen Fakultäten genannt); Diplomstudium der Philosophie an Katholisch-Theologischen Fakultäten20 und das Doktoratsstudium der Philosophie an einer Katholisch-Theologischen Fakultät21 (vormals philosophische Studienrichtung und Studium zur Erwerbung des Doktorates der Philosophie an Katholisch-Theologischen Fakultäten). An der Katholisch-Theologischen Fakultät in Salzburg sind alle gesetzlich vorgesehenen Studiengänge eingerichtet. Mit dem UniStG erhielten die Universitäten die Kompetenz, in den Studienplänen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die Studien autonom zu ordnen. Die inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten sind beträchtlich, da der Gesetzgeber nur wenige Eckpunkte fixiert, die sich bei den katholisch-theologischen Studien auf folgende Materien beschränken: Festlegung der Aufgabenstellung, Anrechnung von an kirchlichen theologischen Lehranstalten erbrachten Studien, Benennung der Studienrichtungen mit Normierung ihrer Dauer und des Gesamtstundenrahmens, Anzahl der Semesterstunden, Benennung der Doktoratsstudien und Festlegung ihrer Dauer, akademische Grade.22 Die erweiterte Autonomie gewährleistet einerseits, dass die Fakultäten entsprechend den Intentionen des Gesetzgebers ein eigenes Profil in Lehre und Forschung entwickeln können, was aber andererseits zur Folge hat, dass die Studiengänge an den einzelnen Studienorten in höherem Maß divergieren als im früheren Studienrecht, das aufgrund der gesetzlichen Vorschriften bzw. der Studienordnungen eine weitgehende Einheitlichkeit garantierte.23 Ein gewisses

18

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 3.2c.

19

Vgl. §§ 18 u. 76 UniStG i.V.m. Anlage 2 Z 2.3.

20

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.8.

21

Vgl. §§ 18 u. 76 UniStG i.V.m. Anlage 2 Z 2.8.

22

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 3.2c u. Z 7.1 bis 7.8; §§ 18 u. 76 UniStG i.V.m. Anlage 2 Z 2.3 u. Z 2.8. 23

Durch das UniStG wurden außer Kraft gesetzt: Bundesgesetz über katholischtheologische Studienrichtungen vom 10. Juli 1969, BGBl. Nr. 293/1969 i.d.g.F.; Studienordnung für die fachtheologische Studienrichtung und für die selbstständige religionspädagogische Studienrichtung vom 18. Februar 1971, BGBl. Nr. 86/1971 i.d.g.F.; Studienordnung für die kombinierte religionspädagogische Studienrichtung vom 18. Februar 1971, BGBl. Nr. 87/1971 i.d.g.F.; Studienordnung für die philosophische Studienrichtung und für das Studium zur Erwerbung des Doktorates der Philosophie an Katholisch-Theologischen Fakultäten vom 18. Februar 1971, BGBl. Nr. 88/1971 i.d.g.F.; Studienordnung zur Erwerbung des Doktorates der Theologie an Katholisch-Theologischen Fakultäten vom 18. Februar 1971, BGBl. Nr. 89/1971 i.d.g.F.

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Johann Hirnsperger

Maß an Übereinstimmung bleibt allerdings insofern gesichert, als sich die universitären Stellen bei der Erstellung der Studienpläne am kirchlichen Studienrecht orientieren müssen. Spezielle, auf das UniStG abgestimmte kirchliche Weisungen, die natürlich auch Angleichungen bei den Studienplänen vorsehen könnten, wurden bisher nicht erlassen. Parallelen im strukturellen Aufbau der Studien ergeben sich aus den gesetzlichen Bestimmungen zur Gestaltung der Studienpläne:24 Diplomstudien sind in zwei oder drei Studienabschnitte zu gliedern, wobei der erste Abschnitt die Aufgabe hat, in das Studium einzuführen und die Grundlagen zu erarbeiten, und die weiteren Abschnitte der Vertiefung und speziellen Ausbildung dienen. Studienzweige können erst ab dem zweiten Abschnitt eingerichtet werden. Der Studienplan hat u.a. auch die Studieneingangsphase zu normieren und das Stundenausmaß der freien Wahlfächer25 anzugeben. Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Salzburg wählte bei der Neufassung der Studienpläne einen mittleren Weg in der Weise, dass im Sinn der Wahrung von Kontinuität die bisherige Struktur der Studien als Orientierung diente und gleichzeitig neue Elemente Eingang fanden. Die bereits traditionelle Betonung der biblischen Fächer wurde beibehalten. Das bei der jüngsten Organisationsreform entwickelte Profil der Fakultät kam studienrechtlich in der Einführung des neuen Faches „Theologie Interkulturell und Studium der Religionen“ zum Tragen, „Theologische Frauen- und Geschlechterforschung“ erhielt den Rang eines Pflichtfachs. Die Studieneingangsphase wurde neu konzipiert. Vor allem wegen der für die freien Wahlfächer zu reservierenden Stunden musste bei einigen Fächern die Stundenanzahl gegenüber früher reduziert werden. II. Diplomstudium und Anerkennung von an kirchlichen Anstalten absolvierten Studien Die Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Salzburg sind entsprechend den Bestimmungen des UniStG sowohl in den theologischen Studienrichtungen als auch im Lehramtsstudium als Diplomstudien konzipiert, die sich auch nach der Neuordnung der Studien jeweils in zwei Studienabschnitte

24 25

Vgl. § 13 Abs. 1 bis 6 UniStG.

Freie Wahlfächer sind jene Fächer, die Studierende aus den Lehrveranstaltungen von anerkannten inländischen und ausländischen Universitäten und Hochschulen frei auszuwählen haben und über die Prüfungen abzulegen sind. Eine Einschränkung auf theologische Fächer besteht nicht. Vgl. § 4 Z 25 UniStG. Im Studienplan sind freie Wahlfächer innerhalb eines Rahmens von 10 bis 15 Prozent der Gesamtstundenanzahl des betreffenden Studiums festzulegen. Vgl. § 13 Abs. 4 Z 6 UniStG.

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

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gliedern, von denen ein jeder mit einer Diplomprüfung endet. Die Diplomprüfungen stellen keine Gesamtprüfungen über den dem jeweiligen Studienabschnitt zugeordneten Stoff dar, sondern bestehen so wie schon bisher aus dem positiven Abschluss der einzelnen, im Studienplan ausgewiesenen Pflicht- und Wahlfächer des jeweiligen Studienabschnitts.26 Im zweiten Studienabschnitt ist die abschließende Prüfung in kommissioneller Form abzulegen. Voraussetzung für die Zulassung zu diesem Teil der zweiten Diplomprüfung ist die Vorlage einer Diplomarbeit, die der Approbation bedarf. Das Thema der Diplomarbeit wird von der bzw. vom Studierenden selbst vorgeschlagen oder kann aus einer Anzahl von Vorschlägen der fachzuständigen Universitätslehrerinnen oder -lehrer ausgewählt werden. Nur Lehrende mit universitärer Lehrbefugnis27 sind berechtigt, Diplomarbeiten zu betreuen und zu beurteilen, Lehrende ohne Venia dürfen nur ausnahmsweise unter bestimmten, gesetzlich festgelegten Voraussetzungen damit betraut werden.28 Den berufsqualifizierenden Abschluss bildet der Diplomgrad, der bei den Absolventinnen und Absolventen der Studienrichtungen Katholische Fachtheologie und Katholische Religionspädagogik „Magistra bzw. Magister der Theologie“, lateinisch „Magistra bzw. Magister theologiae“, abgekürzt „Mag. theol.“, lautet.29 Studierende, die das Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion absolviert haben, erlangen den theologischen Grad nur, wenn das Thema der Diplomarbeit einem Fach dieser Studienrichtung zugehört. Wird die Diplomarbeit in einem anderen Fach erstellt, so verleiht die Fakultät, der dieses Fach zugeordnet ist, den akademischen Grad.30 Beim Diplomstudium der Philosophie an Katholisch-Theologischen Fakultäten heißt der akademische Grad „Magistra bzw. Magister der Philosophie der Theologischen Fakultät“, lateinisch „Magistra bzw. Magister philosophiae facultatis theologiae“, abgekürzt „Mag. phil. fac. theol.“31 Die Graduierung geschieht jeweils durch Verleihungsbescheid der Studiendekanin bzw. des Studiendekans.32

26

Zur Prüfungsordnung siehe Studienpläne (Anm. 14): §§ 13 bis 22 Katholische Fachtheologie; §§ 13 bis 22 Katholische Religionspädagogik; §§ 13 bis 22 Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion; §§ 5 bis 23 Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11). 27

Gemeint ist die Lehrbefugnis gemäß § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a bis e UOG 1993.

28

Zu Erstellung, Betreuung und Beurteilung von Diplomarbeiten vgl. § 61 UniStG.

29

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.2.

30

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 3.7.

31

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.8.

32

Vgl. § 66 UniStG.

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Während für das Studium an den Universitätsfakultäten die staatlichen Studienvorschriften gelten, besteht bezüglich der Gestaltung der Studien an den kirchlichen Lehranstalten gemäß Art. V § 1 Abs. 2 des Österreichischen Konkordats eine ausschließliche Zuständigkeit der Kirche.33 In Österreich war man schon seit jeher bestrebt, die Studien an den kirchlichen Lehranstalten, selbst wenn sie keine akademischen Grade verleihen, an jene der Universitätsfakultäten nach Möglichkeit anzugleichen. Das staatliche Studienrecht hat dem bereits vor der Einführung des Gradstudiums in der Weise Rechnung getragen, dass Studien anerkannt wurden, wenn sie an entsprechend ausgestatteten kirchlichen Lehreinrichtungen zurückgelegt worden waren.34 Das als Studienabschluss vorgesehene Absolutorium, das an einer kirchlichen Lehranstalt erlangt wurde, war dem an der theologischen Fakultät erworbenen weitestgehend gleichgestellt und berechtigte so wie das staatliche Absolutorium für das Doktoratsstudium an einer universitären Theologischen Fakultät. Was die Anrechenbarkeit kirchlicher Studien angeht, übernimmt das UniStG in den wesentlichen Punkten die einschlägigen Bestimmungen des GKathTheol: Unter der Voraussetzung, dass die Prüferinnen und Prüfer über die geforderten Qualifikationen verfügen, sind die an den kirchlichen Studienanstalten abgelegten Prüfungen als Ergänzungsprüfungen für das universitäre Studium anzurechnen.35 Bei entsprechender Bestellung oder Bevollmächtigung der Prüferinnen und Prüfer werden auch die Diplomprüfungen anerkannt,36 Diplomarbeiten aber nur, wenn sie von einer Universitätsprofessorin oder einem Universitätsprofessor der Katholisch-Theologischen Fakultät bzw. einer Dozentin oder

33

AAS 26 (1934), 254: Diese Anstalten „unterstehen in ihrer Einrichtung ausschließlich der kirchlichen Oberbehörde“. 34

In der Zeit der Monarchie wurden die Dotierung der kirchlichen Lehranstalten und der Zutritt ihrer Absolventen zu Stellen, die aus den Religionsfonds dotiert waren, davon abhängig gemacht, dass sie einen den staatlichen Fakultäten angenäherten Standard nachweisen konnten. Vgl. u. a. H. Schwendenwein, Grundfragen der Entwicklung des theologischen Studienrechtes (Anm. 9), S. 372. 35 Gemäß § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.3.1 ist für die Anerkennung von Ergänzungsprüfungen verlangt, dass a) die Prüferin oder der Prüfer die Lehrbefugnis gemäß § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a bis e UOG 1993 für das betreffende Fach besitzt oder dass b) eine Katholisch-Theologische Fakultät sie bzw. ihn für die Abnahme dieser Prüfungen bevollmächtigt hat. Vgl. § 13 Abs. 1 u. 2 GkathTheol. 36

Nach § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.3.2 sind Diplomprüfungen anzuerkennen, wenn sie a) vor einer Universitätsprofessorin bzw. einem Universitätsprofessor, die bzw. der von der Katholisch-Theologischen Fakultät dazu bestellt wurde, oder b) vor einem sonst von der Fakultät Bevollmächtigten abgelegt wurden. Vgl. § 13 Abs. 3 GkathTheol.

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

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einem Dozenten der betreffenden Anstalt approbiert worden sind.37 Bei Ausschöpfung aller im Anerkennungsrecht vorgesehenen Möglichkeiten kann daher das gesamte Diplomstudium an der kirchlichen Lehranstalt absolviert werden, sofern die betreffende Einrichtung über den gesetzlich vorgeschriebenen Standard verfügt. Die Verleihung des Magistra- bzw. Magister-Grades geschieht aber immer durch die Universitätsfakultät. Auch im Fall der Durchführung der Studien an einer kirchlichen Lehranstalt bietet der erfolgreiche Abschluss des Diplomstudiums die Voraussetzung für das Doktoratsstudium an der Katholisch-Theologischen Fakultät. III. Diplomstudien 1. Aufgabe und Zielsetzung Das UniStG legt für die Diplomstudien der theologischen Studienrichtungen folgende Aufgabenstellungen fest: die wissenschaftliche Berufsvorbildung des geistlichen Nachwuchses, die Vorbereitung auf Tätigkeiten im kirchlichen Dienst oder Auftrag sowie für sonstige Tätigkeiten, die Kenntnisse der Bibel und der kirchlichen Institutionen bzw. Dogmen erfordern. Das Studium der Philosophie dient der philosophischen Ausbildung, bei der an der Theologischen Fakultät den religiösen Grundfragen des Menschen besonderes Gewicht zukommt.38 Die Aufgabe des Lehramtsstudiums umfasst die fachliche, fachdidaktische und pädagogisch-wissenschaftliche oder wissenschaftlich-künstlerische Berufsvorbildung mit Einschluss der schulpraktischen Ausbildung von jeweils zwei Unterrichtsfächern für das Lehramt an höheren Schulen.39 Die Konkretisierung und Spezifizierung der Ziele für die einzelnen Studienrichtungen geschieht in den jeweiligen Studienplänen.40

37

Gemäß § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.4 ist die Graduierung von der Theologischen Fakultät vorzunehmen, wenn a) die abgelegten Prüfungen anerkannt wurden und b) die entsprechend den gesetzlichen Vorgaben erstellte Diplomarbeit von einer fachzuständigen Universitätsprofessorin bzw. von einem Universitätsprofessor der Katholisch-Theologischen Fakultät oder von einer fachzuständigen Dozentin bzw. einem Dozenten der betreffenden Lehranstalt positiv beurteilt wurde. Vgl. § 14 GkathTheol. 38

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.1.

39

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 3.1.

40

Gemäß § 12 Abs. 5 UniStG sind die Studienpläne auf der Basis der Qualifikationsprofile zu erlassen. Zu den Aufgabenstellungen und Qualifikationsprofilen vgl. Studienpläne (Anm. 14): § 1 Katholische Fachtheologie; § 1 Katholische Religionspädagogik; § 1 Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion; Qualifikationsprofil Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11).

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Beim Diplomstudium Katholische Fachtheologie und Katholische Religionspädagogik sowie beim Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion nennen die Salzburger Studienpläne bei den Aufgaben an erster Stelle übereinstimmend die Qualifizierung zu einem rational und wissenschaftlich verantwortbaren Umgang mit dem christlichen Glauben in Kirche und Gesellschaft.41 Was die wissenschaftliche Berufsvorbildung angeht, stehen bei der Katholischen Fachtheologie kirchliche Berufe im Vordergrund wie z. B. Priester, Pastoralassistentin und Pastoralassistent sowie Tätigkeiten in der kategorialen Seelsorge und sonstigen kirchlichen Berufsfeldern.42 Das Diplomstudium Katholische Religionspädagogik dient in erster Linie der Vorbereitung für das Lehramt an Schulen und für Berufe im kirchlichen Bildungsbereich. Aber auch andere Tätigkeitsfelder wie Medienjournalismus, Erwachsenenbildung, außerschulische Kinder- und Jugendarbeit u.ä. werden schwerpunktmäßig aufgezählt.43 Das Lehramtsstudium hat als primäres Ziel die Berufsvorbildung für die Erteilung des schulischen Religionsunterrichts, bereitet aber auch auf andere pädagogische bzw. pastorale Tätigkeiten vor.44 Ziel des Diplomstudiums der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg ist, durch Reflexion zu eigener Einsicht in die Voraussetzungen menschlichen Erkennens, Sprechens und Handelns und auf diese Weise zu verantwortlichem Urteilen und Entscheiden zu befähigen. Die religiösen Grundfragen des Menschen haben besondere Bedeutung. Konkrete Berufsfelder nennt der Studienplan nicht.45 2. Studiendauer und Semesterstunden Die Regelstudiendauer beträgt bei den Diplomstudien Katholische Fachtheologie und Katholische Religionspädagogik jeweils zehn und im Lehramtsstudium neun Semester.46 In Salzburg sind die Studien in zwei Abschnitte untergliedert, von denen der erste bei jeder der drei Studienrichtungen vier, der

41

Vgl. Studienpläne (Anm. 14): § 1 Abs. 1 Katholische Fachtheologie; § 1 Abs. 1 Katholische Religionspädagogik; § 1 Abs. 1 Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion. 42

Vgl. § 1 Abs. 5 Studienplan: Katholische Fachtheologie (Anm. 14).

43

Vgl. § 1 Abs. 5 Studienplan: Katholische Religionspädagogik (Anm. 14).

44

Vgl. § 1 Abs. 5 Studienplan: Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion (Anm. 14). 45

Vgl. Qualifikationsprofil Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11).

46

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.6 u. 7.7 bzw. Z 3.4.

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

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zweite sechs bzw. im Lehramtsstudium fünf Semester umfasst.47 Das Diplomstudium der Philosophie, bei dem der Gesetzgeber eine Regelstudiendauer von acht Semestern vorsieht,48 gliedert sich ebenfalls in zwei Abschnitte mit einer Dauer von jeweils vier Semestern.49 Die Anzahl der Semesterstunden, über die Prüfungen abzulegen sind, beträgt bei der Katholischen Fachtheologie insgesamt 170 (72 im ersten Studienabschnitt, 81 im zweiten, 17 aus den freien Wahlfächern), in der Studienrichtung Katholische Religionspädagogik ebenfalls 170 (76 im ersten Abschnitt, 77 im zweiten, 17 aus den freien Wahlfächern) und im Lehramtsstudium 107 (51 im ersten Abschnitt, 44 im zweiten, 12 aus den freien Wahlfächern).50 Beim Diplomstudium der Philosophie beträgt die Gesamtstundenzahl 120 (59 im ersten Abschnitt, 46 im zweiten und 15 aus den freien Wahlfächern).51 3. Die einzelnen Diplomstudien a) Katholische Fachtheologie Die Lehrveranstaltungen in der Studieneingangsphase, die nach Möglichkeit in den ersten beiden Semestern des Studiums zu absolvieren ist, haben einführenden Charakter, wobei auch ausgewählte Themen aus den zentralen Inhalten der christlichen Heilsbotschaft in das Blickfeld kommen müssen und praxisrelevante Aspekte besonders zu berücksichtigen sind.52 Schwerpunkte bilden im ersten Abschnitt neben den traditionell in diesem Teil des Studiums verorteten

47 Vgl. Studienpläne (Anm. 14): § 4 Katholische Fachtheologie; § 4 Katholische Religionspädagogik; § 4 Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion. 48

Vgl. § 13 Abs. 1 UniStG i.V.m. Anlage 1 Z 7.8.

49

Vgl. § 1 Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11).

50

Vgl. Studienpläne (Anm. 14): § 5 Katholische Fachtheologie; § 5 Katholische Religionspädagogik; § 5 Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion. Im Rahmen der freien Wahlfächer werden eigene Module angeboten. Im Hinblick auf die internationale Anerkennung geben die Studienpläne die Studienleistungen in ECTS-Einheiten (European Credit Transfer System-Einheiten) an. Ihre Gesamtzahl beträgt bei den Diplomstudien Katholische Fachtheologie und Katholische Religionspädagogik 300 Punkte, im Lehramtsstudium 135. Vgl. Studienpläne (Anm. 14): § 9 Katholische Fachtheologie; § 9 Katholische Religionspädagogik; § 9 Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion. 51

Vgl. § 1 Abs. 2 Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11). Angaben zu den ETCS-Punkten fehlen. 52

Zur Studieneingangsphase vgl. § 38 Abs. 1 UniStG.

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philosophischen Disziplinen das Studium der Bibel, der Religionen und theologisch-interkulturelle Fragen sowie jetzt auch die Kirchengeschichte. Vorgesehen sind ferner Lehrveranstaltungen aus Dogmatischer Theologie, Christlicher Gesellschaftslehre, Moraltheologie, Praktischer Theologie, Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie sowie Frauen- und Geschlechterforschung. Seminare sind im ersten und/oder zweiten Studienabschnitt im Umfang von mindestens acht Semesterstunden zu belegen. –

Im ersten Studienabschnitt zu absolvierende Fächer:53 Studieneingangsphase: 1. Grundkurs: Einführung in den christlichen Glauben (4 St.), 2. Theologie/ Glaube im biographischen und gesellschaftlichen Kontext (2 St.), 3. Einleitung in die Bibel (2 St.), 4. Einführung in die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens (2 St.); Pflichtfächer: 1. Philosophie: a. Einführung in das philosophische Denken und Geschichte der Philosophie (4 St.), b. Logik, Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie (4 St.), c. Philosophische Anthropologie und Philosophische Ethik (6 St.), d. Philosophische Gotteslehre (2 St.), 2. Alttestamentliche Wissenschaft: a. Fundamentalexegese Altes Testament (7 St.), b. Einführung in das Judentum (2 St.), 3. Neutestamentliche Wissenschaft: Fundamentalexegese Neues Testament (7 St.), 4. Theologie Interkulturell und Studium der Religionen: a. Religionswissenschaft (2 St.), b. Theologie Interkulturell (4 St.), 5. Dogmatische Theologie (2 St.), 6. Christliche Gesellschaftslehre (4 St.), 7. Moraltheologie (2 St.), 8. Praktische Theologie: Pastoraltheologie (2 St.), 9. Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie (2 St.), 10. Kirchengeschichte und Patrologie (6 St.), 11. Theologische Frauen- und Geschlechterforschung (2 St.); Weitere Fächer: 1. Einführung in die Methoden der Bibelauslegung (2 St.), 2. Wahlweise Hebräisch oder Alttestamentliche Zeitgeschichte oder Neutestamentliche Zeitgeschichte (2 St.); Freie Wahlfächer (17 St., im ersten und/oder zweiten Studienabschnitt).

Im zweiten Studienabschnitt, der vertieften Studien dient, liegen die Schwerpunkte im Bereich der biblischen Fächer, der Dogmatischen Theologie, der Moraltheologie, der Fundamentaltheologie und Ökumenischen Theologie, der Praktischen Theologie sowie beim Studium der Religionen und Theologie Interkulturell. Hinzukommen Lehrveranstaltungen aus philosophischen Teilgebieten, Spiritueller Theologie, Liturgiewissenschaft einschließlich Sakramententheologie, Kirchengeschichte und aus dem kirchlichen Recht. –

Im zweiten Abschnitt zu absolvierende Fächer:54 Pflichtfächer: 1. Philosophie: a. Metaphysik (2 St.), b. Philosophische Gegenwartsfragen (2 St.), c. Philosophie und moderne Naturwissenschaften (2 St.), 2. Alttestamentliche Wissenschaft: a. Alttestamentliche Bibeltheologie (2 St.), b. Exegese Altes Testament 53

Vgl. § 11 Studienplan: Katholische Fachtheologie (Anm. 14).

54

Vgl. § 12 Studienplan: Katholische Fachtheologie (Anm. 14).

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

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(4 St.), 3. Neutestamentliche Wissenschaft: a. Neutestamentliche Bibeltheologie (2 St.), b. Exegese Neues Testament (4 St.), 4. Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie: a. Fundamentaltheologie (6 St.), b. Ökumenische Theologie (4 St.), 5. Theologie Interkulturell und Studium der Religionen (4 St.), 6. Dogmatische Theologie (11 St.), 7. Moraltheologie (8 St.), 8. Spirituelle Theologie (2 St.), 9. Praktische Theologie: a. Pastoraltheologie (4 St.), b. Katechetik (2 St.), c. Homiletik (2 St.), d. Fach nach Wahl aus Praktischer Theologie (2 St.), 10. Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie (6 St.), 11. Kirchengeschichte (3 St.), 12. Kirchenrecht (6 St.), 13. Recht der Religionen (1 St.); Weitere Fächer: Alttestamentliche oder Neutestamentliche Bibeltheologie (2 St.); Diplomarbeit. b) Katholische Religionspädagogik Der erste Studienabschnitt orientiert sich im Aufbau und in der Fächerkonstellation am Studium der Katholischen Fachtheologie. Schwerpunkte bilden die philosophischen und die biblischen Fächer, das Studium der Religionen und Theologie Interkulturell, die Kirchengeschichte sowie die pädagogischen und didaktischen Fächer, die für dieses Studium kennzeichnend sind. Ergänzend dazu nennt der Studienplan wieder Lehrveranstaltungen aus den systematischtheologischen und den praktisch-theologischen Disziplinen sowie Frauen- und Geschlechterforschung. Seminare sind im ersten und/oder zweiten Studienabschnitt im Umfang von mindestens acht Semesterstunden zu absolvieren. Im ersten Abschnitt zu absolvierende Fächer:55 Studieneingangsphase: 1. Grundkurs: Einführung in den christlichen Glauben (4 St.), 2. Theologie/ Glaube im biographischen und gesellschaftlichen Kontext (2 St.), 3. Einleitung in die Bibel (2 St.), 4. Einführung in die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens (2 St.), 5. Einführung in die Schulpädagogik (2 St.); Pflichtfächer: 1. Philosophie: a. Einführung in das philosophische Denken und Geschichte der Philosophie (4 St.), b. Logik, Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie (4 St.), c. Philosophische Anthropologie und Philosophische Ethik (6 St.), d. Philosophische Gotteslehre (2 St.), 2. Alttestamentliche Wissenschaft: a. Fundamentalexegese Altes Testament (5 St.), b. Einführung in das Judentum (2 St.), 3. Neutestamentliche Wissenschaft: Fundamentalexegese Neues Testament (5 St.), 4. Theologie Interkulturell und Studium der Religionen: a. Religionswissenschaft (2 St.), b. Theologie Interkulturell (4 St.), 5. Dogmatische Theologie (2 St.), 6. Christliche Gesellschaftslehre (4 St.), 7. Moraltheologie (2 St.), 8. Praktische Theologie: Pastoraltheologie (2 St.), 9. Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie



55

Vgl. § 11 Studienplan: Katholische Religionspädagogik (Anm. 14).

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(2 St.), 10. Kirchengeschichte und Patrologie (6 St.), 11. Theologische Frauen- und Geschlechterforschung (2 St.), 12. Fachdidaktik: a. Grundriss der Religionsdidaktik (2 St.), b. Grundkurs Fachdidaktik (2 St.), c. Medienpädagogik (1 St.), d. Medien im Religionsunterricht (1 St.); Weitere Fächer: 1. Einführung in die Methoden der Bibelauslegung (2 St.), 2. wahlweise Hebräisch oder Alttestamentliche Zeitgeschichte oder Neutestamentliche Zeitgeschichte (2 St.); Freie Wahlfächer (17 St., im ersten und/ oder zweiten Studienabschnitt). Im zweiten Abschnitt liegt der Akzent neben den philosophischen und biblischen Fächern vor allem auf den systematisch-theologischen und den praktischtheologischen Disziplinen sowie auf den theologisch-interkulturellen Studien und dem Studium der Religionen. Das eigenständige Profil der Studienrichtung tritt im zweiten Teil durch Schwerpunktsetzungen bei den didaktischen und pädagogischen Fächern deutlich hervor. Im zweiten Abschnitt zu absolvierende Fächer:56 Pflichtfächer: 1. Philosophie: a. Metaphysik (2 St.), b. Philosophische Gegenwartsfragen (2 St.), c. Philosophie und moderne Naturwissenschaften (2 St.), 2. Alttestamentliche Wissenschaft: a. Alttestamentliche Bibeltheologie (2 St.), b. Exegese Altes Testament (2 St.), 3. Neutestamentliche Wissenschaft: a. Neutestamentliche Bibeltheologie (2 St.), b. Exegese Neues Testament (2 St.), 4. Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie: a. Fundamentaltheologie (4 St.), b. Ökumenische Theologie (4 St.), 5. Theologie Interkulturell und Studium der Religionen (4 St.), 6. Dogmatische Theologie (8 St.), 7. Moraltheologie (8 St.), 8. Spirituelle Theologie (2 St.), 9. Praktische Theologie: a. Pastoraltheologie (4 St.), b. Katechetik (2 St.), c. Religionspädagogik (2 St.), 10. Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie (4 St.), 11. Kirchenrecht (2 St.), 12. Fachdidaktik: a. Fachdidaktik nach Wahl (3 St.), b. Fachdidaktische Begleitung des AHS-Praktikums (1 St.), c. Fachdidaktische Begleitung des Pflichtschulpraktikums (1 St.); Weitere Fächer: Alttestamentliche oder Neutestamentliche Bibeltheologie (2 St.); Allgemeine Pädagogik: a. Theorien für den Unterricht (2 St.), b. Planung von Unterricht (1 St.), c. Reflexion eigener Schulerfahrung (1 St.), d. Didaktisch-kommunikative Fähigkeiten (2 St.), e. Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie (2 St.), f. Schulentwicklung (2 St.), g. Wahlpflichtfach (2 St.); Schulpraktische Ausbildung (12 Wochen); Diplomarbeit.



56

Vgl. § 12 Studienplan: Katholische Religionspädagogik (Anm. 14).

Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg

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c) Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion Bezüglich des Fächerkanons herrscht im ersten Abschnitt ein weitgehender Gleichklang mit dem Diplomstudium Katholische Religionspädagogik. Die Anzahl der den einzelnen Fächern zugeordneten Stunden ist aber deutlich herabgesetzt, um zu ermöglichen, dass das Lehramtsstudium zugleich mit dem Studium des Kombinationsfachs durchgeführt werden kann. Sechs Semesterstunden sind im ersten und/oder zweiten Studienabschnitt als Seminare zu belegen. Im ersten Abschnitt zu absolvierende Fächer:57 Studieneingangsphase: 1. Grundkurs: Einführung in den christlichen Glauben (4 St.), 2. Theologie/ Glaube im biographischen und gesellschaftlichen Kontext (2 St.), 3. Einleitung in die Bibel (2 St.), 4. Einführung in die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens (2 St.), 5. Einführung in die Schulpädagogik (1 St.); Pflichtfächer: 1. Philosophie: a. Einführung in das philosophische Denken und Geschichte der Philosophie (4 St.), b. Philosophische Anthropologie und Philosophische Ethik (2 St.), c. Philosophische Gotteslehre (2 St.), 2. Alttestamentliche Wissenschaft: Fundamentalexegese Altes Testament (4 St.), 3. Neutestamentliche Wissenschaft: Fundamentalexegese Neues Testament (4 St.), 4. Theologie Interkulturell und Studium der Religionen: a. Religionswissenschaft (2 St.), b. Theologie Interkulturell (2 St.), 5. Dogmatische Theologie (2 St.), 6. Christliche Gesellschaftslehre (2 St.), 7. Moraltheologie (2 St.), 8. Praktische Theologie: Pastoraltheologie (2 St.), 9. Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie (2 St.), 10. Kirchengeschichte und Patrologie (4 St.), 11. Theologische Frauen- und Geschlechterforschung (1 St.), 12. Fachdidaktik: a. Grundriss der Religionsdidaktik (2 St.), b. Grundkurs Fachdidaktik (2 St.), c. Medienpädagogik (1 St.), d. Medien im Religionsunterricht (1 St.); Freie Wahlfächer (12 St., im ersten und/ oder zweiten Studienabschnitt).



Ähnlich wie beim Studium der Katholischen Religionspädagogik sieht der zweite Abschnitt vertiefte Studien im Bereich der Philosophie vor, bei der biblischen Theologie, der systematischen Theologie mit Schwerpunkten in Dogmatik und Moraltheologie sowie in den praktisch-theologischen Fächern und in Theologie Interkulturell. Der wissenschaftlich-pädagogischen und der fachdidaktischen Berufsvorbildung kommt bei dieser Studienrichtung naturgemäß besonderes Gewicht zu.

57

Vgl. § 11 Studienplan: Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion (Anm. 14).

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Im zweiten Abschnitt zu absolvierende Fächer:58 Pflichtfächer: 1. Philosophie: Metaphysik (1 St.), 2. Alttestamentliche Wissenschaft: Alttestamentliche Bibeltheologie (2 St.), 3. Neutestamentliche Wissenschaft: Neutestamentliche Bibeltheologie (2 St.), 4. Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie: a. Fundamentaltheologie (2 St.), b. Ökumenische Theologie (2 St.), 5. Theologie Interkulturell und Studium der Religionen: Theologie Interkulturell (4 St.), 6. Dogmatische Theologie (7 St.), 7. Moraltheologie (4 St.), 8. Praktische Theologie: a. Katechetik (1 St.), b. Religionspädagogik (1 St.), 9. Kirchenrecht (2 St.), 10. Fachdidaktik: a. Fachdidaktik nach Wahl (5 St.), b. Fachdidaktische Begleitung des AHS-Praktikums (1 St.), c. Fachdidaktische Begleitung des Pflichtschulpraktikums (1 St.), d. Religionsunterricht in der Pflichtschule (2 St.); Allgemeine Pädagogik: a. Theorien für den Unterricht (2 St.), b. Planung von Unterricht (1 St.), c. Reflexion eigener Schulerfahrungen (1 St.), d. Didaktisch-kommunikative Fähigkeiten (2 St.), e. Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie (2 St.), f. Schulentwicklung (2 St.), g. Wahlpflichtfach (2 St.); Schulpraktische Ausbildung (12 Wochen); gegebenenfalls Diplomarbeit.



d) Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Der erste Studienabschnitt führt in das Studium der Philosophie ein und dient vor allem der Erarbeitung der historischen und systematischen Grundlagen sowie dem Erwerb der methodischen Kenntnisse. Inhaltliche Schwerpunkte bilden die Geschichte der Philosophie, Philosophische Anthropologie, Metaphysik mit Philosophischer Gotteslehre und Philosophische Ethik. Die Teilnahme an wenigstens einem Seminar ist vorgeschrieben. Im ersten Abschnitt zu absolvierende Fächer:59 Studieneingangsphase: 1. Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten (2 St.), 2. Philosophische Anthropologie I (2 St.), 3. Metaphysik I (2 St.), 4. Geschichte der Philosophie (4 St.), 5. Sprachphilosophie (2 St.); Pflichtfächer: 1. Philosophische Anthropologie (6 St.), 2. Metaphysik mit Philosophischer Gotteslehre (10 St.), 3. Philosophische Ethik: a. Allgemeine Ethik (2 St.), b. Angewandte Ethik (2 St.), c. Sozialethik (2 St.), 4. Geschichte der Philosophie (12 St.), 5. Logik und Sprachphilosophie (4 St.), 6. Erkenntnistheorie und Hermeneutik (4 St.), 7. Einführung in das naturphilosophische Denken (4 St.), 8. Psychologie (6 St.), 9. Pädagogik (1 St.), 10. Einführung in das wissenschaftli-



58

Vgl. § 12 Studienplan: Lehramtsstudium für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion (Anm. 14). 59

Vgl. § 3 Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11).

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che Arbeiten (2 St.), 11. Wahlfach (4 St.); Freie Wahlfächer (15 St., im ersten und/oder zweiten Studienabschnitt). Der zweite Studienabschnitt dient dem vertieften Eindringen in die philosophische Forschung und dem Studium der Grundfragen der Philosophie und ausgewählter Grenzgebiete. Mindestens fünf Seminare sind vorgeschrieben. Im zweiten Abschnitt zu absolvierende Fächer:60 Pflichtfächer: 1. Grundfragen der systematischen Philosophie (14 St.), 2. Philosophische Problemgeschichte (14 St.), 3. Interpretation philosophischer Texte (4 St.), 4. Religionswissenschaft (6 St.), 5. Gesellschaftslehre (4 St.), 6. Wahlfach (4 St.); Diplomarbeit.



IV. Doktoratsstudien 1. Zu den gesetzlichen Vorgaben Was die Gestaltung der Doktoratsstudien betrifft, enthält das UniStG nur mehr wenige Vorgaben: Als Bildungsziele werden die Heranführung zur Fähigkeit genannt, durch selbstständige Forschung zur Entwicklung der Wissenschaften beizutragen, und die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.61 Das Doktoratsstudium umfasst vier Semester und ist nicht in Abschnitte gliederbar.62 Gesetzliche Regelungen betreffen ferner die Dissertationen63, Rigorosen64 und die akademischen Grade65. Im Studienplan ist der Studiengang zu normieren; u.a. sind die Gesamtstundenanzahl zu fixieren, Pflicht- und Wahlfächer auszuweisen und die Prüfungsmodalitäten zu umschreiben.66 Bei der inhaltlichen Gestaltung der Studien haben die zuständigen Studienkommissionen der Katholisch-Theologischen Fakultäten Autonomie, sind aber an die Vorgaben des kirchlichen Studienrechts gebunden. Besonders wegen der Profilbildung und Schwerpunktsetzung an den Universitäten ist damit zu rechnen, dass auch die theologischen Doktoratsstudien im Aufbau und in den Anforderungen an den einzelnen Standorten z. T. erheblich divergieren werden. Dem zu starken Auseinandertriften könnte auch hier durch interfakultäre Ab-

60

Vgl. § 4 Studienplan: Diplomstudium der Philosophie (Anm. 11).

61

Vgl. § 2 Abs. 2 Z 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 UniStG.

62

Vgl. § 19 Abs. 2 UniStG.

63

Vgl. §§ 62 bis 65 UniStG.

64

Vgl. §§ 51 u. 52 UniStG.

65

Vgl. §§ 66 bis 69 UniStG i.V.m. Anlage 2 Z 2.3 u. Z. 2.8.

66

Zu den Studienplänen vgl. bes. §§ 19 bis 22 UniStG.

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sprachen oder einschlägige kirchliche Vorschriften gesteuert werden, etwa durch den Erlass einer Rahmenordnung. In Salzburg wurde bei der Neugestaltung der Doktoratsstudien insofern Kontinuität gewahrt, als sich die Studienkommissionen an den bisherigen Studienplänen für die Doktorate orientierten. Neue Akzente wurden u. a. im Bereich der Religionswissenschaften und von Theologie Interkulturell gesetzt. 2. Doktoratsstudium Katholische Theologie a) Aufgabe, Zulassung, Dauer Das Doktoratsstudium dient der Befähigung zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit und der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Katholisch-Theologischen Fakultäten. Seine Zielsetzung geht somit über die Vermittlung theologischer Bildung bzw. die wissenschaftliche Berufsvorbildung, wie sie den Diplomstudien als Aufgabe eigen ist, wesentlich hinaus.67 Die Zulassung zum Doktoratsstudium setzt den Abschluss des Diplomstudiums der Katholischen Fachtheologie oder der Katholischen Religionspädagogik bzw. den Abschluss eines gleichwertigen in- oder ausländischen Studiums voraus. Die Zulassung von Absolventinnen und Absolventen des Lehramtsstudiums für das theologische Unterrichtsfach Katholische Religion ist möglich, unterliegt aber bestimmten Einschränkungen, die in speziellen Richtlinien der Studienkommission geregelt werden.68 Nach dem früheren Recht stand der Zugang zum Doktoratsstudium nur jenen offen, die den Abschluss der fachtheologischen oder der selbstständigen religionspädagogischen Studienrichtung bzw. einen gleichwertigen Studienabschluss vorweisen konnten.69 Die Regelstudiendauer beträgt nach den gesetzlichen Vorgaben beim Doktoratsstudium vier Semester.70 b) Lehrveranstaltungen, Dissertation, Rigorosum Das Doktoratsstudium der Katholischen Theologie umfasst in Salzburg insgesamt 16 Semesterstunden.71 Wenigstens sechs davon sind in Form von Lehr-

67

Vgl. § 1 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12).

68

Vgl. § 2 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12).

69

Vgl. § 15 Abs. 1 lit. a GkathTheol.

70

Vgl. § 3 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12).

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veranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter zu absolvieren, vier Stunden im Dissertationsfach, zwei im Wahlfach. Der Kanon der Fächer, die als Wahlfach in Betracht kommen, deckt sich mit jenem der Dissertationsfächer, umfasst aber zusätzlich auch Philosophie.72 Das Dissertationsthema ist einem der folgenden Fächer zu entnehmen oder hat in Zusammenhang damit zu stehen: Alttestamentliche Wissenschaft, Neutestamentliche Wissenschaft, Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie, Theologie Interkulturell und Studium der Religionen, Dogmatische Theologie, Christliche Gesellschaftslehre, Moraltheologie, Spirituelle Theologie, Pastoraltheologie, Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Religionspädagogik und Katechetik. In der Doktorarbeit ist nachzuweisen, dass die Dissertantin bzw. der Dissertant in einer über die bei der Diplomarbeit zu stellenden Anforderungen hinausgehenden Weise befähigt ist, selbständig wissenschaftliche Problemstellungen zu erkennen und zu lösen. Dissertationen können nur von Universitätslehrerinnen bzw. -lehrern betreut werden, die über eine facheinschlägige Venia verfügen. Für die Erstellung des Erstgutachtens wird ebenfalls die facheinschlägige Lehrbefugnis verlangt, für das zweite bzw. dritte Gutachten genügt im Bedarfsfall die Venia in einem dem Dissertationsfach nahe verwandten Fach. Die Arbeit gilt als approbiert, wenn sie in zwei Gutachten positiv bewertet wurde.73 Das Doktoratsstudium wird mit einer Gesamtprüfung abgeschlossen, die in Form einer öffentlichen kommissionellen Prüfung vor dem Prüfungssenat abzulegen ist. Dieser ist so zusammenzusetzen, dass ihm Universitätslehrerinnen und -lehrer mit einer das jeweilige Prüfungsfach umfassenden Lehrbefugnis angehören. Voraussetzungen für die Zulassung zum Rigorosum sind die Absolvierung der Lehrveranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter und die Approbation der Dissertation. Das Rigorosum ist mündlich abzuhalten. Es umfasst die Verteidigung der Dissertation (Defensio) und die Prüfungen im Dissertationsfach bzw. im Wahlfach und gilt als bestanden, wenn jeder Prüfungsgegenstand positiv beurteilt wurde.74

71 Vgl. § 4 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12). Nach § 7 des Studienplans wird die im Doktoratsstudium zu erbringende Studienleistung mit 120 ECTS-Punkten bewertet. 72

Vgl. § 5 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12).

73

Zur Dissertation vgl. § 8 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12). 74

Zum Rigorosum vgl. § 9 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12).

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c) Akademischer Grad An die Absolventinnen und Absolventen des Doktoratsstudiums wird der akademische Grad „Doktorin der Theologie“ bzw. „Doktor der Theologie“, lateinisch „Doctor theologiae“, abgekürzt „Dr. theol.“, verliehen. Die Verleihung geschieht durch Bescheid der Studiendekanin bzw. des Studiendekans.75 3. Doktoratsstudium der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät a) Zielsetzung, Zulassung, Dauer Das Doktoratsstudium der Philosophie dient der Vermittlung der Fähigkeit, durch selbständige Forschung zur Entwicklung der philosophischen Wissenschaft beizutragen, wobei die religiösen Grundfragen des Menschen besonders zu beachten sind.76 Die Zulassung zum Doktoratsstudium setzt die Absolvierung des Diplomstudiums der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät oder den Abschluss eines gleichwertigen in- oder ausländischen Studiums voraus.77 Auch das Doktoratsstudium der Philosophie dauert vier Semester.78 b) Lehrveranstaltungen, Dissertation, Rigorosum Während des Doktoratsstudiums sind insgesamt 24 Semesterstunden zu absolvieren, 14 Stunden im Pflichtfach – gemeint ist der systematische und problemgeschichtliche Gesamtbereich, dem die Dissertation angehört – und 10 Stunden aus dem Wahlfach. Gewählt werden kann nur ein Fach, das im Studienplan für das Diplomstudium der Philosophie genannt wird und sinnvoll mit dem Dissertationsfach kombinierbar ist. Im Doktoratsstudium sind zwei Seminare zu absolvieren.79 Das Thema der Dissertation ist einem der im Studienplan für das Diplomstudium der Philosophie genannten Fächer zu entnehmen oder hat in sinnvol-

75

Vgl. § 10 Studienplan: Doktoratsstudium Katholische Theologie (Anm. 12).

76

Vgl. § 1 Abs. 1 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11).

77

Vgl. § 1 Abs. 2 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11).

78

Vgl. § 1 Abs. 3 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11).

79

Zum Aufbau des Studiums vgl. § 2 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11). Angaben über ECTS-Punkte fehlen im Studienplan.

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lem Zusammenhang damit zu stehen. Die Doktorarbeit muss eine selbständige wissenschaftliche Arbeit sein und einen beachtlichen Beitrag zum Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse erbringen. Für die Betreuung und Beurteilung kommen nur Universitätslehrerinnen und -lehrer mit einschlägiger Venia in Betracht. Nur im Bedarfsfall darf für das Zweit- bzw. das Drittgutachten jemand herangezogen werden, der die Venia in einem nahe verwandten Fach besitzt. Die Dissertation gilt als approbiert, wenn sie in zwei Gutachten positiv beurteilt wurde.80 Voraussetzung für die Zulassung zum Rigorosum sind die Absolvierung der im Doktoratsstudium vorgeschriebenen Seminare und die Approbation der Doktorarbeit. Das Rigorosum umfasst Prüfungen aus dem Pflicht- und dem Wahlfach, den beiden Seminaren sowie die Defensio der Dissertation. Die gründliche Vertrautheit mit den Hauptthemen der Prüfungsfächer ist nachzuweisen. Das Rigorosum gilt als bestanden, wenn alle Prüfungen bzw. Prüfungsteile positiv beurteilt wurden.81 c) Akademischer Grad An die Absolventinnen und Absolventen des Doktoratsstudiums der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät wird der akademische Grad „Doktorin bzw. Doktor der Philosophie einer Theologischen Fakultät“, lateinisch „Doctor philosophiae facultatis theologiae“, abgekürzt „Dr. phil. fac. theol.“ verliehen. Die Verleihung geschieht durch Bescheid der Studiendekanin bzw. des Studiendekans.82 V. Universitätslehrgang „Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess“ 1. Zu den rechtlichen Grundlagen Die österreichischen Universitäten haben nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Aufgabe der Weiterbildung der Absolventinnen und Absolventen. Diesem Zweck dient vor allem die Einrichtung der Universitätslehrgänge.83 Das Fakultätskollegium bzw. das Universitätskollegium ist berechtigt, durch Ver80

Zur Dissertation vgl. §§ 8 bis 10 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11). 81

Zum Rigorosum vgl. §§ 11 u. 12 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11). 82

Vgl. § 15 Studienplan: Doktoratsstudium der Philosophie (Anm. 11).

83

Vgl. § 2 Abs. 2 Z 4 UniStG.

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ordnung Lehrgänge dieser Art zu errichten, muss aber zugleich mit der Verordnung den Finanzierungsplan vorlegen. Das Bundesministerium ist u.a. dann verpflichtet, den Lehrgang zu untersagen, wenn die Rektorin bzw. der Rektor die Bestätigung der Kostendeckung nicht erteilt hat. Im Studienplan sind u.a. festzulegen: Zielsetzung des Universitätslehrgangs, Dauer und Gliederung, Zulassungsvoraussetzungen, Pflicht- und Wahlfächer, Bezeichnung und Stundenausmaß der Prüfungsfächer und Prüfungsordnung.84 Sofern Zulassungsbedingungen, Umfang und Anforderungen mit jenen ausländischer Masterstudien vergleichbar sind, ist das Bundesministerium berechtigt, im jeweiligen Fach international gebräuchliche Mastergrade festzulegen, die an die Absolventinnen und Absolventen der Universitätslehrgänge zu verleihen sind. Ist die Vergabe von Mastergraden nicht intendiert, besitzt das Fakultäts- bzw. Universitätskollegium die Befugnis, die Bezeichnung „Akademische...“ bzw. „Akademischer...“ mit einem den Lehrgang charakterisierenden Zusatz zu verleihen, vorausgesetzt der betreffende Lehrgang umfasst wenigstens 30 Semesterstunden.85 Der Universitätslehrgang „Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg wurde durch Verordnung der Fakultät am 6. November 2001 eingerichtet.86 Auch nach dem In-Kraft-Treten des Universitätsgesetzes 2002 kann dieser Lehrgang in unveränderter Form durchgeführt werden. Denn die am 31. Dezember 2003 nach UniStG eingerichteten Universitätslehrgänge bleiben aufgrund der Übergangsbestimmungen in § 124 Abs. 3 des Universitätsgesetzes 2002 weiterhin eingerichtet. Die geltenden Studienpläne sind unverändert anzuwenden. 2. Aufbau und Struktur a) Errichtung, Rechtsträger, Durchführung Als Gründe für die Errichtung des Universitätslehrgangs nennt die fakultäre Verordnung: a. Mangel an Instituten und akademischen Ausbildungsgängen für spirituelle Theologie im deutschen Sprachgebiet bei gleichzeitigem Anwachsen der Bedeutung dieses Zweiges der Theologie; b. Trend in Richtung einer stär84

Zur Errichtung von Universitätslehrgängen und zu den Studienplänen vgl. §§ 23 bis 25 UniStG. 85 86

Zu den akademischen Graden und Bezeichnungen vgl. § 26 UniStG.

Die Verordnung ist publiziert im Mitteilungsblatt der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Studienjahr 2001/2002, 26. Stück vom 26. Februar 2002 (Sondernummer), Nr. 120.

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ker pluralistisch orientierten Religiosität; c. Förderung von Dialog und Zusammenarbeit zwischen Theologie und Psychotherapie; d. Bewährung von Spiritualität in sozialer und politischer Hinsicht.87 Rechtsträger des Universitätslehrgangs ist die Katholisch-Theologische Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg.88 Die Durchführung obliegt dem Institut für Theologie Interkulturell und Studium der Religionen der Katholisch-Theologischen Fakultät und geschieht in Zusammenarbeit mit dem katholischen Bildungshaus St. Virgil, Ernst-GreinStraße 14, A-5026 Salzburg-Aigen, und mit dem Religionspädagogischen Institut der Erzdiözese Salzburg, Mirabellplatz 5/3, A-5020 Salzburg. Der Dekan der Fakultät bestellt den Lehrgangsleiter, dem drei Leitungsbeiräte zur Seite stehen.89 b) Zulassung und Taxen Der Lehrgang ist als berufsbegleitende Fortbildung konzipiert und wendet sich primär an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Bildung, Kirchen und helfenden bzw. heilenden Berufen. Zulassungsvoraussetzungen sind ein abgeschlossenes Studium oder eine vergleichbare Qualifikation, Englischkenntnisse sowie die Bereitschaft zur vollständigen Teilnahme am Lehrgang.90 Die Höhe der Taxen wird in der Verordnung nicht konkret beziffert, ist aber so anzusetzen, dass damit die Kosten des Lehrgangs abgedeckt werden können. Die Zulassung inkludiert u.a. die Verpflichtung, das Unterrichtsgeld für den ganzen Lehrgang zu entrichten.91 c) Zielsetzung und Dauer Die synergetische Vernetzung folgender Komponenten wird angestrebt: a. Kontemplative bzw. liturgisch-rituelle Praxis, Selbsterfahrung und Gebetsübung; b. Spirituelle Theologie; c. Philosophisch-theologische Grundlagenforschung; d. Interreligiöse Studien und Lernprozesse.92

87

Vgl. § 1 Z 1 bis 4 Verordnung: Universitätslehrgang Teil A (Anm. 86).

88

Vgl. § 2 Verordnung: Universitätslehrgang Teil A (Anm. 86).

89

Vgl. §§ 1 u. 3 Verordnung: Universitätslehrgang Teil A (Anm. 86).

90

Vgl. § 4 Verordnung: Universitätslehrgang Teil A (Anm. 86).

91

Vgl. § 5 Verordnung: Universitätslehrgang Teil A (Anm. 86).

92

Vgl. § 1 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86).

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Der Universitätslehrgang dauert sechs Semester und umfasst Lehrveranstaltungen im Umfang von insgesamt 40 Semesterstunden.93 d) Inhaltliche Struktur: Die vier Lernfelder Die Inhalte gliedern sich in vier Lernfelder: Lernfeld 1: Exercitium: Psychotherapeutisch begleitete Selbsterfahrung, meditative Praxis, die soziale Dimension von Spiritualität. Module: Einstiegsseminar; Stille und authentische Bewegung; Wilderness-Retreat; Zwischenreflexion; Zen-Sesshin; die in den Seminaren und Workshops integrierten Übungsformen, Gebete, Meditationen und Liturgiefeiern; gesellschaftliche Konkretisierungen.94 Lernfeld 2: Grundlagenreflexion. Module: Grundfragen der Religionsphilosophie und -theologie; Hermeneutische Grundfragen der Mystikforschung; Systematische Ansätze spiritueller Theologie im 20. Jahrhundert. Lernfeld 3: Geschichte: Beiträge aus der Tradition christlicher Mystik zur heutigen (interreligiösen) Theorie und Praxis der Spiritualität. Module: Frühes Mönchstum; Hesychasmus; Mittelalter; Neuzeit. Lernfeld 4: Interreligiöse Spiritualität. Module: Leitfiguren interreligiöser Spiritualität; Spirituell-theologische Impulse aus der Begegnung mit dem Hinduismus I und II; Spirituell-theologische Impulse aus der Begegnung mit dem Buddhismus. e) Pflichtfächer Der Universitätslehrgang will sowohl theoretisches Grundlagenwissen als auch praktische Befähigungen vermitteln. Dementsprechend konzentriert sich der Fächerkanon auf die geschichtlichen und systematischen Grundlagen der spirituellen Theologie, die persönliche Entwicklung und Praxis im Bereich der Spiritualität und auf die interreligiöse Dimension.

93 94

Vgl. § 2 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86).

Vgl. § 3 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86). Der in der Verordnung integrierte Studienplan trifft nähere Regelungen bezüglich der wechselseitigen Zuordnung der Module sowie der methodischen Struktur und der Abfolge, in der die Lehrveranstaltungen durchgeführt werden. Vgl. § 4 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86).

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Folgende Pflichtfächer sind zu absolvieren:95 1. Einstiegs-Seminar und Zwischenreflexion (5,5 St.); 2. Stille und authentische Bewegung (3 St.); 3. Wilderness-Retreat („Vision Quest“) (5 St.); 4. Religionstheologische und – philosophische Grundlagen, Leitfiguren interreligiöser Spiritualität, dogmatische Ansätze (4,5 St.); 5. Christliche Mystik: Hermeneutik, Mystik I-IV (10 St.); 6. Begegnung mit dem Hinduismus (I-II) (4,5 St.); 7. Begegnung mit dem Buddhismus (I-II) (4,5 St.); 8. Gesellschaftliche Konkretisierungen (3 St.). f) Abschluss Für den ordentlichen Abschluss werden folgende Voraussetzungen gefordert: a. Teilnahme an den Seminaren und Workshops; b. Führung des Kursbuches; c. Erfüllung der gestellten Aufgaben; d. Positive Beurteilung der MasterThesis; e. Erfüllung der Prüfungserfordernisse.96 Das Kursbuch setzt sich zusammen aus Protokollen, Kommentaren und Reflexionen zu den Workshops/Seminaren und Teilnahmebestätigungen. Die Master-Thesis ist eine etwa 40 Seiten umfassende Abschlussarbeit zu einer einschlägigen Thematik. Der Prüfungsreferent, der die Arbeit zu beurteilen hat, wird vom Prüfungssenat bestellt. Die kommissionelle Schlussprüfung ist vor dem Prüfungssenat abzulegen, der vier Mitglieder umfasst und dem nur Personen angehören, die Pflichtfächer im Universitätslehrgang vertreten. Die Prüfung umfasst die zentralen Lernfelder (Grundlagenreflexion, Geschichte, interreligiöser Dialog) und die Verteidigung der Abschlussarbeit (Master-Thesis). Das Kursbuch wird in das Examen einbezogen. Vorgesehen ist eine Gesamtbeurteilung in den Kategorien: „mit Auszeichnung bestanden“, „bestanden“, „nicht bestanden“. In der Prüfungsordnung wird angekündigt, dass sich die KatholischTheologische Fakultät der Universität Salzburg beim zuständigen Bundesministerium um die Genehmigung des akademischen Grades „Master of Advanced Studies – MAS (Spiritual Theology)“ bemühen werde.97 Zur Frage, in welcher Form der positive Abschluss des Lehrgangs bis zum Vorliegen der ministeriellen Genehmigung bestätigt wird, macht die Verordnung keine Angaben.

95

Vgl. § 5 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86).

96

Zur Prüfungsordnung vgl. §§ 6 bis 8 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86). 97

Vgl. § 6 Z 5 Verordnung: Universitätslehrgang Teil B (Anm. 86).

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VI. Schlussbemerkungen Der österreichische Gesetzgeber räumt im UniStG den Universitäten weitgehende Autonomie bei der inhaltlichen Gestaltung der Studien ein. Die zuständigen Studienkommissionen der Katholisch-Theologischen Fakultät der ParisLodron-Universität Salzburg ließen sich bei der Neufassung der Studienpläne vom Prinzip der Wahrung der Kontinuität bei der Weiterentwicklung des Studienrechts leiten. Die einschlägigen Fakultätsprofile wirken sich studienrechtlich vor allem in der Weise aus, dass „Theologie Interkulturell und Studium der Religionen“ als neues Fach aufscheint. Mit der Einführung des Universitätslehrgangs „Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess“ eröffnet die Fakultät Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich ihrer Schwerpunkte. Da den Diplomstudien die primäre Aufgabe zukommt, die wissenschaftliche Berufsvorbildung zu leisten, scheint die Frage berechtigt zu sein, ob bei der konkreten Gestaltung der einzelnen Studiengänge die spätere berufliche Tätigkeit der Absolventinnen und Absolventen nicht noch stärker berücksichtigt werden müsste. So sind z. B. für den Priesterberuf und seine Ausübung sehr spezielle, nach Zeit und Ort vielfach unterschiedliche Qualifikationen erforderlich, deren Vermittlung in der bisherigen universitären Ausbildung meiner Meinung nach noch nicht in befriedigender Weise geschieht. Man könnte in diesem Konnex etwa an die Schaffung einschlägiger Qualifikationsbereiche oder Studienzweige denken. Nach der jüngsten Reform des Studienrechts steht in Österreich jedenfalls ein rechtliches Instrumentar zur Verfügung, das die Einrichtung höchst differenzierter Modelle universitärer Berufsvorbildung ermöglicht. Die wünschenswerte Diversität im Studienrecht führt notwendig dazu, dass sich die wechselseitige Kompatibilität verringert, was u.a. den Wechsel des Studienortes erschwert. Um negative Auswirkungen in Grenzen zu halten, müssten sich die Studienkommissionen darauf einigen, für die einzelnen Studiengänge einen Kernbestand an Fächern mit entsprechender Stundenanzahl österreichweit verpflichtend vorzuschreiben. Der gleiche Effekt könnte durch den Erlass einer einschlägigen kirchlichen Rahmenordnung erzielt werden.

Die Kirchensteuerräte der deutschen Diözesen Von Josef Jurina Die Errichtung von Gremien, die bei der Festsetzung der Kirchensteuer und der Verabschiedung der Haushaltspläne der deutschen Diözesen beteiligt sind, ist eine relativ neue Entwicklung im deutschen partikularen Kirchenrecht. Sie steht in Zusammenhang mit der durch das II. Vatikanische Konzil angestoßenen innerkirchlichen Reformdiskussion und den Beratungen der Gemeinsamen Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland, die in ihrem Beschluss „Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“ die Mitverantwortung der Laien auch für die finanziellen Angelegenheiten der Kirche anordnete: „Für die Aufgaben der kirchlichen Vermögens- und Finanzverwaltung besteht ein Finanzgremium, das unter Berücksichtigung der vom Diözesanpastoralrat beschlossenen pastoralen Grundsätze selbständig entscheidet. Es beschließt den Haushalt und überwacht seine Durchführung“. In einem Arbeitspapier stellte die Synode fest, es gebe inzwischen in einer Reihe von Diözesen Beispiele für „(Mit-)Entscheidungsgremien über Höhe und Verwendung der Kirchensteuer“. Als Modell wurde auf die Satzungen der Kirchensteuerräte der Diözesen in Nordrhein-Westfalen hingewiesen1. Die Ausführungen des Arbeitspapiers sind in historischer Hinsicht nicht vollständig, da Mitentscheidungsgremien bezüglich der Erhebung der Kirchensteuer und der kirchlichen Haushalte in verschiedener Form bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestanden2, diese Gremien also nicht so neu sind, 1

Vgl. Heiner Marré, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: HdbStKirchR I, 2. Aufl. 1994, S. 1101, 1144 ff; dort auch das Zitat aus dem Synodenbeschluss. Das Arbeitspapier ist auszugsweise wiedergegeben bei Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart, 31991, S. 95. 2

So hat die Kirchensteuervertretung der Erzdiözese Freiburg im Jahr 2000 das 100jährige Jubiläum ihres Bestehens gefeiert, vgl. hierzu Paul Kirchhof, Der Auftrag der Kirchen und ihre Finanzierung, in: Freiburger Diözesanarchiv, 121. Band (2001), S. 189 und Josef Jurina, Die konstituierende Sitzung der ersten Kirchensteuervertretung der Erzdiözese Freiburg am 6. November 1900, in: Freiburger Diözesanarchiv, 123. Band (2003), S. 71. Allgemein zur geschichtlichen Entwicklung siehe Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung in Deutschland vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, in: ZRG.Kan.Abt. 85, S. 448 ff.

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wie dies in der Formulierung „inzwischen“, die die Synode verwendete, anklingt. Die folgenden Ausführungen werden sich daher einleitend wenigstens kurz mit der historischen Entwicklung befassen, um anschließend einen Überblick über die heute bestehenden Gremien und ihre Kompetenzen geben. I. Die Einführung von kirchensteuerlichen Mitwirkungsgremien in den deutschen Diözesen 1. Die Verleihung des Rechts zur Erhebung von Kirchensteuern, zunächst für die örtlichen kirchlichen Bedürfnisse, hing aus der Sicht des Staates von zwei Voraussetzungen ab: Es mussten erstens die kirchlichen Steuerverbände, denen das Besteuerungsrecht zukommen sollte, entsprechend den Maßstäben des staatlichen Rechts definiert werden. Zu diesem Zweck wurden den örtlichen Seelsorgebezirken, also den Pfarreien, die Rechtsstellung einer Kirchengemeinde und damit verbunden die Rechte einer öffentlichen Korporation verliehen. Als weitere Voraussetzung für die Steuererhebung wurde verlangt, dass eine Vertretung der Steuerpflichtigen geschaffen wurde, die die kirchengemeindlichen Befugnisse im Bereich der Besteuerung ausübte. Die Mitglieder dieser Vertretung wurden durch Wahl bestimmt. Wahlberechtigt waren in der Regel die männlichen Angehörigen des jeweiligen Bekenntnisses, die im Territorium der jeweiligen Kirchengemeinde wohnten. Diese Regelungen waren, wie Friedrich Giese bemerkt, „vordem der katholischen Kirche ein unbekanntes, fremdartiges Element“3. Es handelte sich also um einen staatlichen Oktroi, der von der katholischen Kirche hingenommen werden musste, wenn man von dem durch den Staat angebotenen Besteuerungsrecht Gebrauch machen wollte. Diese Regelungen des Staates sind aber auch in der katholischen Kirche – den evangelischen Landeskirchen fiel dieser Schritt aufgrund ihrer anderen kirchenverfassungsrechtlichen Struktur leichter – relativ bald akzeptiert worden: „Die Macht der Tatsachen und der fortschreitenden Entwicklung hat aber auch in ihr (sc. der katholischen Kirche) dieses Gebilde und diesen Begriff zur Anerkennung gebracht“4. So wurden von den katholischen Diözesen mit der Einführung der Ortskirchensteuer neben der neuen Rechtsstellung der Pfarreien als Kirchengemeinden von Anfang an auch Vertretungsgremien der „Kirchengenossen“ akzeptiert, denen maßgebende Entscheidungen über die Kirchensteuer oblagen5.

3

Friedrich Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht, 1910, S. 505, Anm. 1, auch S. 18.

4

Friedrich Giese a.a.O. (Anm. 3), S. 505, Anm.1 sowie S. 580 ff.

5

Vgl. Friedrich Giese a.a.O. (Anm. 3), S. 18, 511 und 515 f.; ferner Walter Erasmy, Entstehung und Entwicklung der Kirchensteuer in Baden bis 1945, 1995, S. 144 f.

Die Kirchensteuerräte der deutschen Diözesen

685

2. Schwerer fielen der katholischen Kirche die notwendigen Änderungen in Bezug auf die Bistümer. Auch hier forderte der Staat als Voraussetzung für die Einführung einer diözesanen Kirchensteuer die Schaffung einer Vertretung der Steuerpflichtigen. Dies griff aber nachhaltiger als auf der Pfarreiebene in die Verfassungsstruktur der katholischen Kirche ein, weil solche Gremien die nach Kirchenrecht prinzipiell unbeschränkte Jurisdiktionsgewalt der Diözesanbischöfe direkt einschränkten. Ferner mussten die Bistümer wie die Pfarreien eine Rechtssubjektivität innerhalb des staatlichen Rechts erhalten, um das Besteuerungsrecht ausüben zu können. Auch dies bereitete Schwierigkeiten, weil die Diözesen nach dem damaligen Kirchenrecht keine eigene Rechtspersönlichkeit besaßen. a) Die einzelnen staatlichen Gesetze fanden für die Benennung der steuerberechtigten kirchlichen Körperschaft verschiedene Auswege: - Das hessische Kirchensteuergesetz von 1875 verlieh in seiner Grundsatzregelung das Besteuerungsrecht an „die evangelische und katholische Kirche“. Speziell für die diözesane Kirchensteuer war dann aber von der „Gesamtheit einer Kirche oder einer aus verschiedenen einzelnen Gemeinden bestehenden Religionsgemeinschaft“ die Rede, so dass also eine genaue Bezeichnung der steuerberechtigten Körperschaft vermieden wurde6. - Das badische Gesetz von 1892 nannte als zur Steuererhebung befugte Rechtssubjekte die „Kirchen“7, eine Formulierung, die nicht ausdrücklich, aber in der Sache die Rechtsfigur der „Landeskirche“ aufgriff, die aber der katholischen Kirche völlig fremd war. Wegen des Widerspruchs zum kanonischen Recht spricht Giese in diesem Zusammenhang deshalb von „Quasilandeskirchen“8. b) Eine diözesane Vertretungskörperschaft wurde dort eingeführt, wo den Diözesen unmittelbar für ihre Bedürfnisse ein eigenes Besteuerungsrecht verliehen wurde. aa) Das geschah zunächst im Großherzogtum Hessen durch das Gesetz von 1875, das für die katholische Kirche schrittweise eingeführt wurde. Für die Diözese Mainz erfolgte die Anordnung der Erhebung einer allgemeinen Kir6

Art. 1 und 5 des Gesetzes, das Besteuerungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften betreffend vom 23. April 1875, Hessisches Regierungs-Blatt 1875, S. 262; abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Band II, 1976, S. 759. 7

Art. 1 des Gesetzes, die Besteuerung für allgemeine kirchliche Bedürfnisse betreffend vom 18. Juni 1892, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1892, S. 279; abgedruckt bei E. R. Huber / W. Huber a.a.O. (Anm. 6), Band III, 2. Aufl. 1990, S. 95. 8

Friedrich Giese a.a.O. (Anm. 3), S. 508 f.

Josef Jurina

686

chensteuer ab dem Jahr 1900 durch ministerielle Verfügung von 1899. Zur Ermöglichung dieser Besteuerung erließ die bischöfliche Behörde ein Statut für die Bildung eines „Diözesan-Kirchenvorstandes“9, dem die Entscheidungen hinsichtlich der neuen diözesanen Steuer oblagen. In der Präambel dieser Regelung tritt deutlich die kirchliche Zurückhaltung gegenüber diesem neuen Gremium hervor: - Es wird mit der Formulierung, dass gemäß Verfügung des Großherzoglichen Ministeriums des Innern für bestimmte Zwecke eine allgemeine Steuer von den Katholiken des Bistums erhoben werden „soll“, deutlich darauf hingewiesen, dass die Initiative zur Steuererhebung nicht bei der Diözese, sondern beim Großherzogtum lag. - Derselbe Hinweis findet sich hinsichtlich des neuen Kirchenvorstandes: „Ueber die Höhe dieser Steuer, über die Art ihrer Erhebung und Verwendung sollen alljährlich Vertreter des Laienstandes berathen und beschliessen“. - Wohl als Hinweis auf die Vereinbarkeit der Bildung des Kirchenvorstandes mit dem Kirchenrecht ist der Hinweis zu verstehen, dass diese „Vertretung des Laienstandes ... nach dem Vorbilde der einzelnen Gemeinden den Namen Diözesan-Kirchenvorstand führen“ soll. Die Wahl des neuen diözesanen Gremiums erfolgte durch Wahlmänner aus den gemeindlichen Kirchenvorständen. Diese wählten dann dekanatsweise die Mitglieder des Diözesan-Kirchenvorstandes. Dieses Gremium wählte selbst einen ersten und zweiten Vorsitzenden. Die Vorlagen für die Beratung wurden allerdings von einer eigenen Bischöflichen Kommission, bestehend aus drei Mitgliedern des Ordinariats, drei Dekanen und drei Laien, die „sämmtlich vom Bischof zu ernennen“ waren, erstellt. Die Beschlüsse des Diözesan-Kirchenvorstands erlangten Rechtskraft durch die Zustimmung des Bischofs. bb) Besonders gut belegt ist die innerkirchliche Diskussion über die Bildung eines ähnlichen Gremiums im Großherzogtum Baden, der „Kirchensteuervertretung“ für den badischen Teil der Erzdiözese Freiburg10. Hier wurde die Möglichkeit für die Erhebung einer Steuer für Bedürfnisse der Kirchen selbst, also im katholischen Bereich für die Aufgaben der Diözese, durch Gesetz vom 18. Juni 1892 geschaffen11. Dieses Gesetz überließ die Entscheidung über die Einführung einer solchen Steuer den Kirchen: Nach § 1 war

9 Statut für die Bildung des Diözesan-Kirchenvorstandes im Bisthum Mainz, vom Großherzoglichen Ministerium des Innern bekannt gemacht am 26. Oktober 1899, abgedruckt in: Archiv des katholischen Kirchenrechts Bd. 80 (1900), S. 163. 10

Dazu Josef Jurina a.a.O. (Anm. 2).

11

Vgl. Anm. 7.

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687

ihnen „auf ihren Antrag zur Erhebung von Steuern für allgemeine kirchliche Bedürfnisse die Hilfe der Staatsgewalt“ zu gewähren, allerdings nur „unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der Bestimmungen“ des staatlichen Gesetzes. Zur Erhebung der Steuer bedurfte es danach u.a. „eines auf Vorschlag der betreffenden obersten Kirchenbehörde gefassten Beschlusses einer kirchlich geordneten und staatlich anerkannten, aus Wahl der Kirchengenossen hervorgegangenen Vertretung derselben“. Die Kirchen selbst mussten also eine solche Vertretung einführen, sich diese staatliche Bedingung somit gewissermaßen zu eigen machen. Dies stellte auch für die Erzdiözese Freiburg ein großes Problem dar, weil die Schaffung eines solchen Gremium einen Eingriff in die kirchenrechtlich geordnete Verfassung bedeutete. Dies wird durch zahlreiche Aktenstücke belegt, die sich ausführlich mit der Möglichkeit der Errichtung einer kirchensteuerlichen Vertretungskörperschaft befassten. Die innerkirchlichen Überlegungen sowie die Verhandlungen mit dem Staat über die Konkretisierung seiner Vorgaben zogen sich daher lange hin, so dass die Einführung der diözesanen Kirchensteuer erst ab dem 1.1.1900 erfolgte; die Kirchensteuervertretung der Erzdiözese Freiburg wurde durch Erzbischöfliche Verordnung vom 27. Dezember 1899 errichtet. Die Argumente für diesen letztlich gefassten Entschluss sind ausführlich in einem im Druck erschienen Vortrag des damaligen Freiburger Diözesanjustitiars ausgeführt12, mit dem er sich vor allem an die Geistlichen der Erzdiözese wandte. Er begründete zunächst pragmatisch, warum die Errichtung der Kirchensteuervertretung sinnvoll und mit dem kirchlichen Recht vereinbar ist: Jede Besteuerung setze unabweisbar „notwendige Bedürfnisse“ voraus. Da sie ferner einen Eingriff in das Privateigentum der Mitglieder der Gemeinschaft darstelle, so finde sie auch an dem Privateigentumsrecht eine gewisse Schranke. Es ergebe sich somit die Rechts- und Gewissenspflicht, „all diese Voraussetzungen einer gerechten Besteuerung zu beachten und lieber zu wenig als zu viel zu heischen“. Andererseits ergebe sich für die Steuerzahler das Recht, das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu prüfen, und der Anspruch auf einen Rechtsweg, „um Zweifel über die Rechtmäßigkeit der erhobenen Anforderungen auszutragen“. Diese Umstände legten es nahe, Mittel und Wege zu suchen, um von vornherein die Notwendigkeit und Gerechtigkeit der angeforderten Steuern außer Zweifel zu setzen. Die Mittel und Wege, um das „Odium der Kirchensteuer“ zu vermindern, seien doppelter Art: „Aufklärung des Volkes durch Belehrung und Prüfung der Notwendigkeit und Gerechtigkeit der Steuer durch Leute aus der Mitte der Steuerzahler“. 12

E. Kreuzer, Referat über die Allgemeine Kirchensteuer, Erstattet auf der Diözesanconferenz zu Freiburg i. Br. am 6. Februar 1900, Freiburg i. Br. 1900.

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Es sei also durchaus im Interesse der Kirche, dass die Notwendigkeit und Gerechtigkeit der von ihr verlangten Steuern zum Voraus geprüft und anerkannt sei. Es gebe dann nur ein Mittel: Man müsse der Kontrolle der Öffentlichkeit von vornherein in Steuerfragen freie Bahn lassen und diese Kontrolle geradezu kraft bischöflicher Autorität organisieren. Dem könne ein kirchenrechtliches Bedenken nicht entgegenstehen, „wenn das Prinzip entschieden gewahrt ist, dass in der Kirche den einzelnen Gliedern weder direkt noch indirekt durch Vertreter eine Teilnahme an der Legislative zusteht und dass es lediglich die grundsätzlich widerrufliche Autorisation durch den Bischof ist, kraft deren die Steuervertretung besteht, tagt und Beschlüsse fasst. Da in Steuerfragen thatsächlich immer zwei verschiedene Rechtssphären beteiligt sind, die des kirchlichen Gemeinwesens und die des Privateigentums, so ist nicht einzusehen, weßhalb der Weg der Verständigung mit einer Vertretung der Steuerzahler nicht zu rechtfertigen wäre“. Bei einer solchen Einrichtung bestehe (allerdings) die Gefahr, dass Begriffe und Anschauungen bewusst oder unbewusst sich im kirchlichen Leben zur Geltung bringen wollen, „welche mit der Idee des Constitutionalismus zusammenhängen und durch die Beschäftigung mit Staatsangelegenheiten den Leuten in Fleisch und Blut übergegangen sind“. Es sei daher auch hier „Pflicht des Klerus, klar und bestimmt bezüglichen Irrthümern und Tendenzen durch Darlegung des kirchlichen Standpunktes entgegenzutreten und den Leuten klarzumachen, dass die kirchliche Standpunkt, die Wahrung der Autorität der rechtmäßigen kirchlichen Oberen göttlichen Rechtes, dass also die Frage schlechterdings nicht diskutierbar ist, ob im kirchlichen Leben demokratische und parlamentarische Tendenzen Berechtigung hätten“. Aber natürlich genügten nicht solche „Belehrungen“, vielmehr müsse bei der Organisation der Kirchensteuervertretung selbst unzweideutig zum Ausdruck gebracht und rechtlich festgelegt werden, „dass die Basis der Organisation nicht ein allgemeines Volksrecht auf Antheil an der kirchlichen Legislative ist, und welches die unübersteiglichen Schranken für die Wirksamkeit der neuen Vertretung sind“. Als Basis, aus welcher die deutliche Mehrheit der Kirchensteuervertretung gebildet wird, erscheine in der Verordnung „die längst eingelebte, vom Hl. Stuhle zugelassene und bewährte Einrichtung der katholischen Stiftungsräthe. Diese haben in der Gemeinde eine ganz entsprechende Aufgabe, wie die neue Vertretung in der Diöcese, dem Volk eine Gewähr zu bieten für die Erhaltung und gerechte Verwendung der den kirchlichen Bedürfnissen des Volkes dienenden materiellen Hilfsmittel. So ist denn auch die Allgemeine Kirchensteuervertretung gedacht als ein kraft bischöflicher Autorität, nicht kraft Volksrechtes, geschaffenes Organ, als eine Art Gesamtstiftungsrath“. Die Stiftungsräte seien keine Organe, welche das Volk auf dem Boden eines Selbstverwaltungsrechts bestelle. „Wenn sie auch durch Wahl des Volkes bestellt sind, so erhalten sie hierdurch nicht die Ausübung eigener Rechte des Volkes übertragen. Nur ihre Person wird so bestimmt; ihre Rechte gründen sich einzig und

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allein auf die im Prinzip jederzeit widerrufliche Anordnung des Bischofs, dass Vertreter der Pfarrangehörigen zur Behandlung der kirchlichen Vermögensangelegenheiten beizuziehen seien“. Für die Kirchensteuervertretung selbst seien folgende Punkte prinzipiell wichtig, „da durch sie deren Stellung im Sinne der kirchlichen Verfassung umschrieben erscheint“: Die Vertretung sei beschränkt auf die Erörterung von Kirchensteuerfragen. Insbesondere Fragen des Dogmas, der Verfassung, der Disziplin und der Liturgie seien von der Erörterung ausgeschlossen. „Die Vertreter der Kirchenregierung haben das Recht, falls die Diskussion einen kirchenverfassungswidrigen Charakter annehme, zu verlangen, dass Gegenstände, deren Erörterung in der Vertretung hiernach nicht statthaft wäre, von der Besprechung ausgeschlossen werden, und eventuell würde über die Zulässigkeit einer solchen Erörterung in letzter Instanz und inappellabel der Hochwürdigste Ordinarius entscheiden.“ Der auf dieser Grundlage formulierten kirchlichen Verordnung über die Kirchensteuervertretung erteilte der badische Staat seine Zustimmung; die konstituierende Sitzung des neuen Gremiums fand am 6. November 1900 statt. Mit gewissen rechtlichen Anpassungen, in der Grundkonzeption jedoch unverändert besteht diese Vertretung bis heute fort. cc) Sehr interessant ist auch die Entwicklung in den bayerischen Diözesen. Eine allgemeine Regelung über die Erhebung von Kirchensteuern erfolgte in Bayern erst relativ spät, nämlich durch das Religionsgesellschaftliche Steuergesetz von 1921. Dieses verlieh „Religionsgesellschaften und Religionsgemeinden“ des öffentlichen Rechts die Befugnis, Steuern als Zuschläge zu den Reichs- und Landessteuern zu erheben. Zur Frage der Rechtssubjektivität der steuererhebenden Körperschaft stellte das Gesetz klar, dass die hierzu befugten Religionsgesellschaften – „in der katholischen Kirche die Diözesen“ – Steuerverbände bilden. Es wurde ferner vorgeschrieben, dass jeder Steuerverband eine Vertretung haben muss, für deren Satzung das Gesetz Mindestanforderungen formulierte13. Unter Bezugnahme auf diese Gesetzesbestimmungen wurde am 4. November 1924 für die bayerischen Bistümer die „Satzung für die kirchlichen Steuer-

13

Religionsgesellschaftliches Steuergesetz vom 27. Juli 1921, Gesetz- und Verordnungsblatt für Bayern 1921, S. 459; auszugsweise abgedruckt bei E. R. Huber / W. Huber a.a.O. Anm. (6), Band IV, 1988, S. 187. Vgl. ferner Eugen Kleindienst, Kirchenfinanzierung, Historische Entwicklung und künftige Herausforderungen, Festveranstaltung der Katholischen Akademie Speyer am 17. Mai 2002, hg. vom Bischöflichen Ordinariat Speyer.

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verbandsvertretungen in den bayerischen Diözesen“ erlassen14. Hier war ausdrücklich bestimmt, dass neben dem Diözesanbischof als Vorsitzendem und zwei vom Diözesanbischof berufenen Mitgliedern dem Steuerausschuss gewählte geistliche und weltliche Mitglieder angehörten, wobei die Zahl der weltlichen Vertreter die dreifache Anzahl der zwei bis vier geistlichen Mitglieder zu betragen hatte. Auf diese Weise war also sichergestellt, dass die weltlichen Mitglieder die Mehrheit im neuen Gremium besaßen. Die Satzung von 1924 ist, wie noch darzustellen sein wird, nach wie vor die Grundlage der heute in den bayerischen Bistümern geltenden Regelungen. 3. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die heute bestehenden Kirchensteuerräte zwar größtenteils erst in neuerer Zeit, im Zusammenhang mit dem II. Vatikanischen Konzil, entstanden sind. Die Entwicklung zur Errichtung solcher Vertretungskörperschaften hat aber schon deutlich früher begonnen. II. Kirchensteuerräte im geltenden Recht der deutschen Diözesen In den Diözesen der katholischen Kirche in Deutschland ist mittlerweile die Existenz von Vertretungsgremien, die bei Entscheidungen hinsichtlich der Kirchensteuer und bei der Beschlussfassung über die diözesanen Haushalte mitwirken, zu einer Selbstverständlichkeit geworden. In allen 27 Diözesen bestehen solche Gremien15.

14

Auszugsweise abgedruckt bei Eugen Kleindienst a.a.O. (Anm. 13), S. 19.

15

Fundstellen der diözesanen Regelungen über Kirchensteuerräte etc.:

Bayerische (Erz-)Diözesen, d.h. Augsburg, Bamberg, Eichstätt, München und Freising, Passau, Regensburg, Würzburg : Satzung für die gemeinschaftlichen kirchlichen Steuerverbände in den bayerischen (Erz-)Diözesen (DStVS) vom 1. Juli 1988, Amtsblatt für die Diözese Augsburg S. 312, abgedruckt in: Sebastian Anneser / Eugen Kleindienst / Josef Binder, Ordnung für kirchliche Stiftungen, 15. Aufl. 2000, S. 56. Diözese Aachen: Satzung des Kirchensteuerrats der Diözese Aachen in der Fassung vom 17. November 1998, ABl. S. 204; Erzdiözese Berlin: Satzung des Diözesanvermögensverwaltungsrats (DVR) im Erzbistum Berlin vom 10. November 2003, ABl. S. 150; Diözese DresdenMeissen: Satzung des Kirchensteuerrates des Bistums Dresden-Meissen vom 10. September 1992, ABl. S. 160; Diözese Erfurt: Satzung des Kirchensteuerrates des Bistums Erfurt vom 1. Januar 1994, ABl. 1993, Nr. 11. Die ab 1. Januar 2000 geltenden Änderungen sind nicht veröffentlicht; Diözese Essen: Satzung des Kirchensteuerrates der Diözese Essen in der Fassung vom 23. Februar 1978, ABl. S. 43; Erzdiözese Freiburg: Kirchensteuerordnung der Erzdiözese Freiburg in der Fassung vom 23. Juni 1994, ABl. S. 420; Diözese Fulda: Satzung für den Diözesan-Kirchensteuerrat des Bistums Fulda in der Fassung vom 1. September 1995, ABl. S. 65; Diözese Görlitz: Kirchensteuerrat des Bistums Görlitz - Satzung vom 4. November 1996, ABl. Nr. 14, S. 6; Erzdiözese Hamburg: Satzung des Kirchensteuerrates der Erzdiözese Hamburg vom 3. Februar 1998,

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Ihre Kompetenzen im Einzelnen sind zwar, wie noch zu zeigen sein wird, in manchen Punkten unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie Ausdruck des nach dem II. Vatikanischen Konzil in der Katholischen Kirche generell wiederentdeckten Prinzips der Beteiligung der Kirchenmitglieder an sie betreffenden Grundsatzentscheidungen sind, das z.B. in c. 228 CIC Ausdruck gefunden hat. Diese Gremien können also nicht mehr als durch „oktroi“ des Staates den Kirchen vorgegebene Bedingung für die Erhebung der Kirchensteuer betrachtet werden. Sie haben auch nicht mehr nur den Charakter einer Vertretung der „Steuerzahler“, die ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt an den finanziellen Entscheidungen der Körperschaft, die die Steuer erhebt, beteiligt werden. Kirchensteuerräte können – oder besser gesagt: müssen – heute vielmehr innerkirchlich als Teil der durch die Ekklesiologie des II. Vaticanums geprägten eigenen Ordnung der Katholischen Kirche betrachtet werden. Insofern könnte man sie – bei allen gegen diesen Begriff im Kirchenrecht bestehenden Vorbehalten – auch als Teil der „Verfassung“ der deutschen Bistümer bezeichnen. 1. Die Mitwirkungsgremien der katholischen Kirche, mit denen sich dieser Beitrag beschäftigt, tragen in vielen Diözesen den Namen „Kirchensteuerrat“. Dies gilt in erster Linie für die Bistümer, in denen solche Räte in neuerer Zeit entstanden sind. In anderen Diözesen sind alte Bezeichnungen beibehalten Beilage 4. Jahrgang, Nr. 2 vom 15. Februar 1998 zum Kirchlichen Amtsblatt; Diözese Hildesheim: Neufassung der Satzung des Kirchensteuerrates der Diözese Hildesheim vom 1. Januar 1995, ABl. S. 64; Erzdiözese Köln: Neufassung der Satzung des Kirchensteuerrates der Erzdiözese Köln vom 8. Dezember 1998, ABl. 1999 S. 11; Diözese Limburg: Synodalordnung für das Bistum Limburg in der Fassung vom 27. Juni 2002, ABl. S. 75 und Verordnung über die Aufgaben des Diözesankirchensteuerrates und des Vermögensverwaltungsrates vom 9. November 1983, ABl. S. 219; Diözese Magdeburg: Satzung und Wahlordnung für den Kirchensteuer- und Vermögensverwaltungsrat in der Fassung vom 1. März 1999, Anlage zum ABl. 1999, Nr. 3; Diözese Mainz: Verordnung über den Diözesan-Kirchensteuerrat des Bistums Mainz in der Fassung vom 21. Juni 1988, ABl. S. 151; Diözese Münster: Satzung des Kirchensteuerrates für den in Nordrhein-Westfalen gelegenen Teil der Diözese Münster in der Fassung vom 17. Juli 1969, ABl. S. 107 sowie § 10 der Satzung für den Diözesanrat im Bistum Münster in der Fassung vom 22. Februar 2002, ABl. S. 64; Diözese Osnabrück: Satzung des Kirchensteuerrates der Diözese Osnabrück in der Fassung vom 1. Dezember 2000, ABl. S. 143; Erzdiözese Paderborn: Satzung des Kirchensteuerrates für den im Lande NordrheinWestfalen gelegenen Teil der Erzdiözese Paderborn in der Fassung vom 1. Dezember 1994, ABl. 1995 S. 3; Diözese Rottenburg-Stuttgart: Kirchensteuerordnung der Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Fassung vom 12. März 1986, ABl. S. 449 sowie Satzung für den Diözesanrat in der Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Fassung vom 12. März 1986, ABl. S. 449; Diözese Speyer: Satzung für den Steuerrat in der Diözese Speyer in der Fassung vom 20. Dezember 1979, ABl. 1980 S. 17 ; Diözese Trier: Satzung des Kirchensteuerrats der Diözese Trier in der Fassung vom 27. Juni 1978, ABl. S. 118.

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worden, so in der Erzdiözese Freiburg der Name „Kirchensteuervertretung“, in den bayerischen Diözesen und im Bistum Speyer der Name „Diözesansteuerausschuss“. In dem eigenen Überlegungen folgenden Konzept der Diözese Rottenburg-Stuttgart entscheidet auch über den Haushalt und über Fragen der Kirchensteuer der Diözesanrat. In der neuesten Ordnung, der des Erzbistums Berlin, obliegen die Entscheidungen über die Kirchensteuer und den Haushalt dem Diözesanvermögensverwaltungsrat, dessen Kompetenzen im Bereich der Kirchensteuer, anknüpfend an die früheren Berliner Regelungen, als die eines „Kirchensteuerbeirats“ bezeichnet werden. Am meisten verbreitet ist also die Bezeichnung „Kirchensteuerrat“, die deshalb aus Gründen der Vereinfachung generell auch in diesem Beitrag verwendet wird, soweit er sich nicht im einzelnen mit einem bestimmten Gremium anderen Namens befasst. Man kann versucht sein, aus der Bezeichnung Rückschlüsse auf die rechtliche Stellung des jeweiligen Gremiums bzw. seine Kompetenzen zu ziehen. Das ist aber nur bedingt möglich, am ehesten noch dann, wenn durch die Bezeichnung „Kirchensteuerbeirat“ in erster Linie die beratende Funktion unterstrichen wird. Genaueres hierzu wird aber erst die Analyse des jeweiligen Kompetenzkatalogs ergeben. 2. Die Kirchensteuerräte der deutschen Diözesen beruhen durchweg auf eigenen kirchlichen Regelungen. In einigen staatlichen Kirchensteuergesetzen finden sich zwar nach wie vor Bestimmungen, durch die die Errichtung von Mitwirkungsgremien vorgeschrieben oder mindestens vorausgesetzt wird16. Man wird heute eine Befugnis des Staates zum Erlass einer solchen Vorschrift jedoch nicht mehr bejahen können. Zwar sind die Kirchen, wenn sie von der ihnen verliehenen Befugnis, eine Kirchensteuer zu erheben, Gebrauch machen, an eine Reihe staatlicher Regelungen gebunden. Hierdurch wird aber die grundsätzliche Geltung der Garantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auch im Bereich der Kirchensteuererhebung nicht aufgehoben. Auf Grund dessen kann der Staat den Kirchen keine Vorschriften über das innerkirchliche Verfahren hinsichtlich der Erhebung der Kirchensteuer machen17. Deshalb hat auch z.B. das nordrhein-westfälische Kirchensteuergesetz seit seiner Neufassung aus

16

So das baden-württembergische Kirchensteuergesetz in § 2 Abs. 2 und das bayerische Kirchensteuergesetz in Art. 5, der allerdings allgemeiner als das baden-württembergische Gesetz von der Notwendigkeit spricht, dass jeder Steuerverband eine Vertretung haben muss, für die Mindestanforderungen genannt werden. 17

Hierzu Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 246 ff., 407 ff., vgl. auch Josef Jurina, Staatliche Einflussnahme auf die kirchliche Vermögensverwaltung, in: Verfassung – Philosophie – Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 842 f.

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dem Jahr 1962 auf eine frühere Vorschrift, die die Beteiligung eines „kirchlicherseits zu bildenden Beirats“ vorschrieb, verzichtet und die Bestimmung der für die Kirchensteuerbeschlüsse zuständigen Stellen den Kirchensteuerordnungen der Diözesen überlassen18. Soweit entsprechende staatliche Vorschriften in anderen Bundesländern fortbestehen, wird man sie als historische Reminiszenz, vielleicht auch, weil in der Sache Übereinstimmung mit den Kirchen bestand, als eine Art „paktierter“ Gesetzgebung betrachten können. Eine aus staatlichem Recht folgende Verpflichtung der Kirchen, bestimmte Mitwirkungsorgane als Voraussetzung der Erhebung einer Kirchensteuer einzurichten, wird man jedoch nicht mehr annehmen können. 3. Die Zusammensetzung der jeweiligen Räte ist bei aller Ähnlichkeit der einzelnen Lösungen doch recht unterschiedlich. Das hängt z. T. mit dem Entstehungszeitpunkt der jeweiligen Regelung, aber auch mit eigenen Traditionen bzw. Konzeptionen für in der Diözese vorhandene Beteiligungsgremien zusammen. Dennoch lassen sich gewisse Gruppen ähnlicher Regelungen zusammenstellen. a) Eine einheitliche Regelung gilt in den sieben bayerischen Diözesen aufgrund der Satzung für die gemeinschaftlichen Steuerverbände in den bayerischen (Erz-)Diözesen vom 1.Juli 1988, die von den jeweiligen Diözesanbischöfen für ihren Bereich gleichlautend erlassen wurde19. Danach besteht der einzelne Diözesansteuerausschuss aus dem Diözesanbischof, dem Finanzdirektor, drei gewählten geistlichen, neun gewählten weltlichen Vertretern sowie zwei vom Diözesanbischof ernannten Mitgliedern (Art. 6). Es handelt sich also – gemessen an der Größe jedenfalls einzelner bayerischer Bistümer – um ein relativ kleines Gremium, in dem die gewählten Mitglieder und unter ihnen die „weltlichen“ Mitglieder, also die Laien, die Mehrheit haben. b) Aus historischen Gründen gehörte zu diesem bayerischen Rechtskreis das Bistum Speyer, für das ursprünglich auch die Vorgängersatzung über den Diözesansteuerausschuss von 1924 galt20. Inzwischen hat sich im Bistum Speyer aber eine eigene Entwicklung ergeben, die sich auch in der neuen Bezeichnung des Gremiums als Diözesansteuerrat niederschlägt. Die Zusammensetzung knüpft jedoch – mit eigenen Akzenten – an die frühere Regelung an: Dem Steuerrat gehören an der Bischof als Vorsitzender, drei gewählte, im aktiven

18

Vgl. Heiner Marré a.a.O. (Anm. 1) sowie Heiner Marré / Paul Hoffacker, Das Kirchensteuerrecht im Land Nordrhein-Westfalen, 1969, S. 129 f. 19

Vgl. die Fundstelle in Anm. 15.

20

Vgl. die Fundstelle in Anm. 14.

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Dienst stehende Diözesanpriester, zehn gewählte Laienmitglieder, zwei vom Bischof berufene Mitglieder sowie ein Vertreter des Diözesanpastoralrates21. c) Große Ähnlichkeiten bei der Zusammensetzung der Kirchensteuerräte weisen die Regelungen der nordrhein-westfälischen Diözesen Köln, Münster, Paderborn, Aachen und Essen auf22. Das Grundmodell findet sich in der Satzung für das Erzbistum Köln. Danach gehören dem Kirchensteuerrat an der Generalvikar oder ein von ihm benannter Vertreter als Vorsitzender, der Leiter der Finanzabteilung, ein vom Diözesanbischof berufener Mitarbeiter des Generalvikariats, der Volljurist ist oder sonst die Voraussetzungen für den höheren Verwaltungsdienst besitzt, zwei amtierende Pfarrer, einundzwanzig Laien, die nicht Kirchenbedienstete sind, sowie bis zu fünf vom Diözesanbischof berufene Mitglieder. Die Priester werden vom Priesterrat, die Laienmitglieder von den Kirchenvorständen durch Wahlmänner gewählt23. Unterschiede in den Satzungen der anderen Bistümer NordrheinWestfalens betreffen vor allem die Zahl der Laienvertreter, wohl entsprechend der jeweiligen Größe der Diözese. In einigen Satzungen wird ein Teil der Laien vom Diözesanbischof berufen; die Zahl der Berufenen wird dann auf die Gesamtzahl der Laienmitglieder angerechnet. Interessant ist, dass nach dem nordrhein-westfälischen Modell der Vorsitz nicht beim Diözesanbischof, sondern beim Generalvikar liegt. Auf diese Weise wird, falls der Bischof einen von seiner Zustimmung abhängigen Beschluss des Kirchensteuerrates nicht billigt, für das sich anschließende Verfahren eine zusätzliche Instanz gewonnen. d) An die Vorschriften der nordrhein-westfälischen Satzungen über die Zusammensetzung der Kirchensteuerräte lehnen sich die Regelungen zahlreicher anderer Bistümer an, nämlich die Satzungen der Bistümer Osnabrück, Hildesheim und Trier sowie neuerdings von Hamburg, Erfurt und Dresden-Meißen24. Unterschiede bestehen meist bei der Zahl der Berufenen und vor allem der von bestimmten Instanzen entsandten Mitglieder. So werden im Bistum Trier die im Kirchensteuerrat vertretenen Priester nicht gewählt, sondern vom Bischof „in Würdigung“ einer vom Priesterrat erstellten Vorschlagsliste berufen25. Bei der Satzung der Diözese Hildesheim fällt die relativ große Zahl der Mitglieder kraft Amtes und der berufenen Mit-

21

Satzung Speyer a.a.O. (Anm. 15), § 2.

22

Vgl. die Fundstellen in Anm. 15.

23

Satzung Köln a.a.O.(Anm. 15), § 1.

24

Vgl. die Nachweise der Satzungen in Anm. 15.

25

Satzung Trier a.a.O. (Anm. 15), § 2 Abs. 2.

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glieder auf26. Im Kirchensteuerrat des Bistums Dresden-Meißen überwiegt die Zahl der Mitglieder kraft Amtes bzw. der Berufenen27. e) Einige Diözesen haben bei der Zusammensetzung ihres Kirchensteuergremiums andere Akzente gesetzt. So besteht der Diözesankirchensteuerrat des Bistums Mainz aus dem Diözesanbischof als Vorsitzendem, dem Generalvikar und dem Finanzdezernenten als Mitgliedern kraft Amtes, Laienvertretern aus den Dekanaten sowie acht Vertretern der Diözesanversammlung, nämlich vier Geistlichen und vier Laien des Katholikenrates. Ferner kann die Vollversammlung des Kirchensteuerrates im Einvernehmen mit dem Bischof bis zu sechs Personen hinzuwählen28. Im Bistum Fulda sind Mitglieder im Kirchensteuerrat acht Laien als Vertreter der Kirchengemeinden, vier vom Katholikenrat gewählte Mitglieder, also ebenfalls Laien, sieben Mitglieder der Abteilungsleiterkonferenz des Generalvikariats, die in der Satzung größtenteils im einzelnen bestimmt sind, und weitere hinzugewählte Mitglieder29. Hervorzuheben ist, dass der Kirchensteuerrat seinen Vorsitzenden selbständig wählt, und zwar aus den in der Aufzählung der Mitglieder zuerst genannten zwölf Laienvertretern30. Dem Diözesankirchensteuerrat für die Diözese Limburg31 gehören an zehn gewählte Mitglieder, die von Vertretern der Laien im Diözesansynodalrat nach einer eigenen Ordnung gewählt werden, als geborene Mitglieder der Generalvikar, der Finanzdirektor und der Justitiar sowie zwei Mitglieder der Verwaltungskammer, die vom Bischof auf deren Vorschlag berufen werden, sowie schließlich drei von den bisher genannten Personen hinzugewählte Mitglieder, die besondere Kenntnisse und Erfahrungen im Finanz-, Steuer- und Rechtswesen haben und nicht im kirchlichen Dienst im Bereich des Bistums stehen. Zu den Sitzungen sind einzuladen der Bischof sowie der Präsident der Diözesanversammlung, die jederzeit das Wort ergreifen können.

26

Satzung Hildesheim a.a.O. (Anm. 15), § 1 Abs. 1, Nr. 1 und 2: Neben fünf konkret benannten Mitgliedern stehen „die“, also alle Mitglieder des Vermögensverwaltungsrates; gewählt werden 16 Mitglieder. 27

Satzung Dresden a.a.O. (Anm. 15), § 1 Abs. 1, Nr. 1 und 2: Es werden fünf konkret bezeichnete Mitglieder kraft Amtes genannt und außerdem „die“ Mitglieder des Vermögensverwaltungsrates. Gewählt werden vier Mitglieder. Außerdem kann der Bischof nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis zu drei Mitglieder zusätzlich berufen. 28

Verordnung Mainz a.a.O. (Anm. 15), § 2 Abs. 1 und 2.

29

Satzung Fulda a.a.O. (Anm. 15), §§ 1 und 2.

30

Ebd. § 8.

31

Synodalordnung Limburg a.a.O. (Anm.15), § 88 Abs. 1-3.

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Die Zusammensetzung des Kirchensteuerrates des Bistums Görlitz ist stark geprägt von Amtsträgern und anderen Mitgliedern kraft Amtes. Zusätzlich ist aber jedes Dekanat durch einen Laien vertreten. Das Bistum Magdeburg hat einen kombinierten Kirchensteuer- und Vermögensverwaltungsrat. Er besteht aus dem Bischof als Vorsitzendem, dem Generalvikar und dem Finanzreferenten, je einem vom Priesterrat bzw. vom Katholikenrat entsandten Mitglied, zwei vom Bischof berufenen Mitgliedern sowie aus weiteren zehn durch Vertreter der Kirchenvorstände gewählten Mitgliedern, die nicht Priester sein dürfen32. f) Eine eigene, inzwischen mehr als hundertjährige Tradition als für Kirchensteuerfragen zuständiges Gremium hat die Kirchensteuervertretung der Erzdiözese Freiburg. Mitglieder sind der Generalvikar oder ein vom ihm benannter Stellvertreter, ein vom Erzbischof bestellter Vertreter des Erzbischöflichen Ordinariats aus dem Bereich der Vermögensverwaltung, neun gewählte Geistliche und sechsundzwanzig gewählte, nicht im Dienst der Erzdiözese stehende Laien sowie drei vom Erzbischof zu berufende weitere Mitglieder. Diese Zusammensetzung ergibt ein ganz deutliches Übergewicht der gewählten Mitglieder und insbesondere der Laien, was dadurch unterstrichen wird, dass in den letzten Jahrzehnten auch die berufenen Mitglieder durchweg Laien gewesen sind. Die Selbständigkeit der Kirchensteuervertretung zeigt sich auch daran, dass dieses Gremium selbst aus seiner Mitte den Vorsitzenden und einen Stellvertreter wählt33. g) Der vom Bistum Rottenburg-Stuttgart beschrittene Weg zur Regelung der Mitwirkung in Kirchensteuerfragen ist von der durch die Würzburger Synode der deutschen Bistümer angestoßenen Entwicklung geprägt. Er hat das Ziel, die verschiedenen Räte in einem Gremium zusammenzufassen, um so jeweils eine Gesamtsicht der zu entscheidenden Fragen zu fördern. Es wurde daher kein eigener Kirchensteuerrat geschaffen. Vielmehr ist Diözesansteuervertretung der Diözesanrat, der gemäß seiner Satzung zugleich Diözesanpastoralrat und Katholikenrat im Sinne des Konzildekrets über das Apostolat der Laien ist34. Hierbei werden allerdings die Besonderheiten der Wahrnehmung kirchensteuerlicher Aufgaben gesehen: Es wird in der Satzung für den Diözesanrat daher ausdrücklich hervorgehoben, dieser sei Steuervertretung in dem Umfang, wie er in der Kirchensteuerordnung festgelegt ist35. Daher nehmen an den Beschlüssen des Diözesanrats als Diözesansteuervertretung auch nicht alle Mitglieder, sondern nur die in der Kirchensteuerordnung ausdrücklich genannten Personen teil. 32

Satzung Görlitz a.a.O. (Anm. 15), § 1; Satzung Magdeburg a.a.O.(Anm. 15), § 1.

33

Kirchensteuerordnung Freiburg a.a.O. (Anm. 15), § 5 Abs. 1 und 2 sowie 5.

34

Satzung Diözesanrat Rottenburg a.a.O. (Anm. 15), § 1, Einleitung sowie Kirchensteuerordnung Rottenburg a.a.O. (Anm. 15), § 6. 35

Ebd. § 1 Nr. 9.

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Es handelt sich um den Bischof oder seinen Vertreter, den Generalvikar, die zehn Vertreter der Regionen sowie fünf Vertreter der Pfarrer und Pfarrverweser im Diözesanpriesterrat, die gewählten Laienvertreter aus den Dekanaten, die sieben Vertreter der Arbeitsgemeinschaft katholischer Organisationen und Verbände der Diözese, die zwei Vertreterinnen der Arbeitsgemeinschaft der weiblichen Ordensgemeinschaften der Diözese sowie die zwei Vertreter der katholischen ausländischen Mitbürger36. Es handelt sich also um ein recht großes Gremium, dessen Zusammensetzung deutlich von seiner Herkunft aus dem Diözesanrat geprägt ist. Aus diesem Grunde ist die Existenz und Arbeit des Finanzausschusses des Diözesanrates besonders wichtig, der hinsichtlich seiner Zusammensetzung nicht als Ausschuss der – separat gar nicht existierenden! – Steuervertretung konstruiert ist, der vielmehr aus den Mitgliedern des Diözesanrates gebildet wird37. h) Einen für die deutschen Diözesen neuen Weg hat jüngst das Erzbistum Berlin beschritten. Hier wurde die Aufgabe der Steuervertretung – „des bisher bestehenden Kirchensteuerbeirats“ – dem auf der Grundlage von c. 492 CIC errichteten Diözesanvermögensverwaltungsrat übertragen; dieser „wirkt“ als Kirchensteuerbeirat38. Bis zu drei Mitglieder dieses Rates kann der Erzbischof frei ernennen. Vier Mitglieder werden gewählt, und zwar je eines von der Dekanekonferenz, von der Vertretung der Kirchengemeinden, von der Vollversammlung des Diözesanrats und vom Pastoralrat. Ihre Berufung bedarf aber der (freien) Bestätigung durch den Erzbischof. Die Mehrheit der Mitglieder soll nicht im kirchlichen Dienst stehen39. Vorsitzender des Rats ist der Erzbischof, der allerdings kein Stimmrecht hat40. Diese Regelung, die die diözesane Steuervertretung ganz in die Organstruktur einer Diözese nach dem Codex Iuris Canonici einfügt, weicht von den bislang in Deutschland üblichen und, wie sogleich hinzugefügt sei, bewährten Regelungen grundlegend ab. Eine wertende Stellungnahme hierzu wird erst zum Schluss dieses Beitrags möglich sein. 4. Die wichtigste, allen Kirchensteuerräten zugewiesene Aufgabe besteht im Beschluss über die Höhe der Kirchensteuer, d.h. über den Kirchensteuerhebesatz, sowie über den Haushalt der jeweiligen Diözese. Beide Beschlüsse werden als aufeinander bezogen betrachtet, d.h. der Haushaltsbeschluss gilt als Grundlage, z.T. als Begründung für den Steuerbeschluss, der deshalb immer für

36

Kirchensteuerordnung Rottenburg a.a.O. (Anm. 15), § 6 Abs. 1 Unterabs. 1.

37

Ebd. § 6 Abs. 1 Unterabs. 2.

38

Satzung Berlin a.a.O. (Anm. 15), § 1 Satz 2.

39

Ebd. § 2 Abs. 1 bis 3.

40

Ebd. § 3 Abs. 1.

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den Zeitraum der Geltung des Haushaltsplans gilt. In vielen Satzungen bzw. Ordnungen der einzelnen Diözesen ist die Kompetenz für den Beschluss über den Hebesatz der Kirchensteuer und für den Beschluss über den Diözesanhaushalt generell, ohne einen diese Kompetenz einschränkenden Zusatz genannt41. In einigen Diözesen finden sich modifizierende Zusätze, deren Gewicht jedoch schwer zu beurteilen ist42. Vom Hebesatzbeschluss ist zu unterscheiden der Beschluss darüber, in welcher Form, d.h. im Rahmen welcher Steuerart eine Kirchensteuer erhoben wird. Nach den Kirchensteuergesetzen der Länder stehen hierfür vor allem die Kirchenlohn – bzw. Kircheneinkommensteuer, die Kirchengrundsteuer und das – allgemeine und besondere – Kirchgeld zur Verfügung. Die Regelungen über die in der einzelnen Diözese zu erhebenden Steuern finden sich aber durchweg in der Kirchensteuerordnung der Diözese, die vom jeweiligen Diözesanbischof erlassen wird und nicht zu den festgelegten Kompetenzen der Kirchensteuerräte zählt43. Allerdings schließt das die Möglichkeit, den Entwurf einer Änderung der Kirchensteuerordnung insbesondere dann, wenn die Einführung einer neuen Steuerart ansteht, im Kirchensteuerrat zu behandeln, sicher nicht aus. Die Praxis der einzelnen Bistümer in diesem Punkt wird allerdings wohl unterschiedlich sein. Neben den beiden Kernkompetenzen – Steuerbeschluss und Haushaltsbeschluss – finden sich in den Ordnungen verschiedene weitere Aufgaben der Kirchensteuerräte: In der Regel wird hier die Jahresrechnung der Diözese festgestellt44. In vielen Bistümern werden Beschlüsse über die Verteilung der Kirchensteuer, insbesondere wohl zwischen dem Bistum und den Kirchengemein41

Vgl. Satzungen Aachen § 5; Essen § 5; Freiburg §§ 9 und 10; Hildesheim § 4; Köln § 5; Limburg, Synodalordnung § 93; Mainz § 1; Münster § 4; Rottenburg-Stuttgart § 6; Speyer § 1, jeweils a.a.O. (Anm. 15). 42

In einigen Diözesen wird die Zuständigkeit hinsichtlich des Haushalts (lediglich?) als „Mitwirkung“ bezeichnet, so Dresden § 4 Abs.1 Nr. 1; Erfurt § 4 Nr. 1, ebenso Hamburg und Magdeburg, wo der Kirchensteuerrat aber auch beim Hebesatzbeschluss (lediglich ?) „mitwirkt“(Hamburg § 2 Abs. 1 Nr. 2, Magdeburg § 2). In Fulda gilt die Zuständigkeit für den Haushalt nur, soweit der darin ausgewiesene Finanzbedarf durch die Kirchensteuer gedeckt wird (§ 9 Abs.1, Buchst. a). In Hamburg und Osnabrück ist der Kirchensteuerrat beim Haushaltsbeschluss zur Berücksichtigung der vom Bischof festgelegten pastoralen Grundsätze verpflichtet, Hamburg § 2 Abs.1 Nr. 2 und Osnabrück § 2 Abs. 1. Vgl. die jeweiligen Fundstellen der diözesanen Satzungen in Anm. 15. 43

Eine Ausnahme gilt im Bistum Speyer: Hier beschließt der Diözesansteuerrat über die Erhebung eines besonderen Kirchgeldes, vgl. Satzung Speyer § 1 Nr. 1, a.a.O. (Anm. 15). 44

Vgl. z.B. Mainz § 1 Nr. 3 und die bayerischen Bistümer Art. 7 Abs. 1 Nr. 7; zu den Fundstellen der Satzungen vgl. Anm. 15.

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den, genannt45. Eine solche Kompetenz liegt zumindest nahe, weil die Kircheneinkommensteuer durchweg als gemeinsame Steuer der Diözese und der Kirchengemeinden erhoben wird und die Verteilung des Kirchensteueraufkommens auf alle Kirchensteuergläubiger deshalb zu den praktisch besonders bedeutsamen Fragestellungen in der Finanzwirtschaft einer Diözese gehört. Schließlich werden vor allem im nordrhein-westfälischen Bereich auch Entscheidungen über den Erlass oder die Stundung der Kirchensteuer zu den Aufgaben des Kirchensteuerrates gezählt, wobei diese Kompetenz einem ständigen Erlassausschuss übertragen werden kann, was regelmäßig auch geschieht46. In einigen Diözesen finden sich interessante Abweichungen vom „Standard“ der Kompetenzkataloge für die Kirchensteuerräte. So fehlt für die Diözesansteuerausschüsse in Bayern die Zuständigkeit für die Festlegung des Hebesatzes, da hierüber einheitlich für die bayerischen Diözesen der Gemeinsame Steuerausschuss entscheidet47. Nach einem eigenen Konzept sind auch die Kompetenzbeschreibungen der Kirchensteuerräte der Diözesen Görlitz und Osnabrück gestaltet, ohne dass sich aber letztlich gravierende inhaltliche Besonderheiten ergeben48. Relativ kompliziert ist die Beschreibung der Aufgaben im Rahmen der Neuregelung des Erzbistums Berlin. Hier beschließt der Diözesanvermögensverwaltungsrat als Kirchensteuerbeirat die Kirchensteuerordnung, den „Kirchensteuertarif“ und die Finanzzuweisungen an die Kirchengemeinden. Er stellt den jährlichen Haushaltsplan auf, allerdings gemäß c. 493 CIC „nach Weisung“ des Erzbischofs; zugleich bedarf der Haushaltsplan jedoch der Zustimmung des Vermögensverwaltungsrates. Schließlich prüft und genehmigt der Rat die Jahresrechnung des Erzbistums Berlin. Zusätzlich wirkt der Rat beratend mit bei der Aufstellung längerfristiger Investitions-, Finanz- und Stellenpläne (die eigentlich Teil seiner Haushaltskompetenz sind?) sowie bei der Erhöhung der Zahl von Planstellen49. Zur oben erwähnten, durchweg durch staatliches Recht vorgeschriebenen Befristung des jeweiligen Steuerbeschlusses ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es sich hierbei um eine staatskirchenrechtlich mittlerweile überholte Praxis aus der Zeit der Einführung der Kirchensteuer handelt, die zusam-

45 So z. B. Köln § 5 Nr. 2 und die bayerischen Bistümer Art. 7 Abs. 1 Nr. 5; zu den Fundstellen der Satzungen vgl. Anm. 15. 46

Vgl. Köln § 5 Nr. 3, aber auch Dresden-Meißen § 4 Abs. 1 Nr. 3 und Hildesheim § 4 Abs. 1 Nr. 3; zu den Fundstellen der Satzungen vgl. Anm. 15. 47

Bayern § 7 a.a.O. (Anm. 15).

48

Görlitz § 7 und Osnabrück § 2, jeweils a.a.O. (Anm. 15).

49

Vgl. Berlin §§ 5 – 8 a.a.O. (Anm. 15).

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men mit der ebenfalls vorgeschriebenen staatlichen Genehmigung des Steuerbeschlusses ein heute nicht mehr nachvollziehbares Element einer laufenden staatlichen Aufsicht begründet. Es wäre durchaus möglich, unbefristete Steuerbeschlüsse zu fassen und eine Genehmigung, falls sie für notwendig gehalten wird, nur für die jeweilige Änderung oder Neufassung des Beschlusses vorzusehen50. Nicht mehr angemessen sind ferner die Regelungen, die den jeweiligen Diözesanhaushalt als auch rechtlich notwendige Grundlage des Steuerbeschlusses betrachten und ebenfalls einem staatlichen Genehmigungsvorbehalt unterstellen51. Dies stellt eine Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts dar, das durch die hierin enthaltene Garantie einer selbständigen kirchlichen Finanzverwaltung auch die eigenverantwortliche Gestaltung der kirchlichen Haushalte und deren Vollzug als eigene kirchliche Angelegenheit erscheinen lässt. Unter welchen Gesichtspunkten sollte denn von einer staatlichen Behörde ein kirchlicher Haushalt geprüft werden? Etwa hinsichtlich der Angemessenheit der von der Kirche für notwendig gehaltenen Personalausstattung oder hinsichtlich der Notwendigkeit oder gar der Angemessenheit etatisierter Investitionen? Oder soll im Falle finanzieller Schwierigkeiten einer Diözese wie bei den Kommunen eine Möglichkeit staatlicher Behörden bestehen, die Genehmigung des diözesanen Haushalts zu verweigern oder nur unter bestimmten Auflagen zu erteilen? Diese Beispiele zeigen deutlich, dass die genannten staatlichen Genehmigungsvorbehalte Reste einer früheren staatskirchenrechtlichen Ordnung sind, die überholt ist. 5. Nach der Kirchenverfassung der katholischen Kirche ist Inhaber der Jurisdiktionsgewalt in einer Diözese der Diözesanbischof. Ihm obliegen also alle maßgebenden Entscheidungen. Für die Kirchensteuerräte stellt sich daher die Frage, ob sie nach den für sie geltenden Bestimmungen endgültig entscheiden oder ob die Rechtsgültigkeit der Beschlüsse von der Zustimmung des Diözesanbischofs abhängt. In den einschlägigen Ordnungen finden sich hierzu in einem gewissen Umfang unterschiedliche Regelungen, die einen interessanten Einblick in die durchaus vorhandene Vielfalt des partikularen Kirchenrechts in Deutschland geben. a) Für den Bereich der sieben bayerischen Diözesen ist der Satzung für die Steuerverbände zu entnehmen, dass jedenfalls die Beschlussfassung über den Haushalt und über den „Umlagensatz“, also den kirchensteuerlichen Hebesatz, letztlich der Zustimmung der Bischöfe bedarf. Für den Haushaltsbeschluss ergibt sich dies daraus, dass für die gemeinschaftlichen kirchlichen Steuerverbände, also die Diözesen, generell die Vorschriften des CIC und im besonderen die cc. 492 – 494 CIC gelten und überdies gemäß einem Beschluss der bayeri-

50

Vgl. Felix Hammer a.a.O. (Anm. 17), S. 137 f.

51

Vgl. Josef Jurina a.a.O. (Anm. 17), S. 843.

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schen Bischöfe der jeweilige Diözesansteuerausschuss, soweit u.a. Kirchensteuermittel seiner Zuständigkeit unterliegen, zugleich Vermögensverwaltungsrat i.S. des c. 492 § 1 CIC ist52. Nach c. 493 CIC ist aber der Haushalt der Diözese „nach den Weisungen des Diözesanbischofs“, also im Einvernehmen mit diesem, aufzustellen. Zu dem Haushaltsbeschluss ist daher letztlich die Zustimmung des Diözesanbischofs notwendig. Bezüglich des Umlagesatzes kann der Diözesansteuerausschuss ohnehin nur einen Antrag auf Änderung zu stellen. Die Entscheidung fällt im Gemeinsamen Steuerausschuss der bayerischen (Erz-)Diözesen, der aus den sieben bayerischen Diözesanbischöfen und je einem von den sieben Steuerausschüssen delegierten weltlichen Mitglied besteht. Da dieser Gemeinsame Ausschuss seine Beschlüsse einstimmig fasst, kann auch hier eine Entscheidung nicht ohne Zustimmung der Bischöfe fallen53. b) In den Ordnungen der Kirchensteuerräte der Diözesen Aachen und Köln ist lediglich geregelt, dass die ordnungsgemäß gefassten Beschlüsse dem Diözesanbischof zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Weitere Aussagen fehlen. Aufgrund der allgemeinen kirchenrechtlichen Lage ist jedoch zu schließen, dass der Bischof frei entscheiden kann, ob er den Beschluss durch Unterzeichnung billigt oder nicht. Klarer formulieren die Ordnungen der Diözesen Hamburg, Osnabrück, Paderborn und Speyer, indem sie die Notwendigkeit der abschließenden Entscheidung bzw. Zustimmung des Diözesanbischofs ausdrücklich hervorheben. c) Das Erfordernis der Zustimmung des Bischofs findet sich auch in der Ordnung des Bistums Mainz. Hinsichtlich des Haushalts gilt allerdings die zusätzliche Regelung, dass dieser, wenn der Bischof seine Zustimmung versagt, dem Kirchensteuerrat erneut zur Beschlussfassung vorzulegen ist. Der hierzu anzuberaumenden Sondersitzung geht mit dem Ziel des gütlichen Ausgleichs eine gemeinsame Beratung des Bischofs mit dem Haushalts- und Finanzausschuss voraus. Bei letztlich nicht möglicher Einigung bleibt es allerdings bei dem bischöflichen Entscheidungsrecht54. Ähnlich sind die Regelungen in den Bistümern Dresden, Erfurt, Görlitz, Hildesheim und Magdeburg55: Findet hier ein Beschluss des Steuerrates nicht die Billigung des Bischofs, hat im Steuerrat eine erneute Beratung stattzufinden. Wird der Beschluss nicht geändert, entscheidet der Bischof endgültig. Eine etwas andere Variante gilt im Bistum Trier56. Hier kann der Vor52

Vgl. bayerische Diözesen Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und Anmerkung 7 zu Art. 7 Abs. 1 Nr. 1, a.a.O. (Anm. 15). 53

Vgl. bayerische Diözesen Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 39 Abs. V, Satz 2 a.a.O. (Anm. 15). 54

Mainz § 8 a.a.O. (Anm. 15).

55

Dresden-Meißen § 7 Abs. 3, Erfurt § 7 Abs. 3, Görlitz § 8 Abs. 2, Hildesheim § 7 Abs. 3 Unterabs. 2, Magdeburg § 2 Abs. 3 a.a.O. (Anm. 15). 56

Trier § 11, a.a.O. (Anm. 15).

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sitzende, d. h. der Generalvikar, einen Beschluss des Steuerrates beanstanden und die Ausführung aussetzen, wenn der Steuerrat nach Ansicht des Vorsitzenden seine Befugnisse überschritten oder kirchliche Interessen verletzt hat. Bleibt der Steuerrat bei seinem Beschluss, ist die endgültige Entscheidung des Bischofs einzuholen. Nach der Regelung der Diözese Osnabrück schließlich ist für den Fall, dass der Haushaltsbeschluss des Kirchensteuerrates nicht die Billigung des Bischofs findet, die Angelegenheit in einer weiteren Sitzung zu beraten. Wenn der Kirchensteuerrat mit einer Zweidrittel-Mehrheit seinen Beschluss bestätigt und dieser Beschluss aus pastoralen Gründen erneut nicht die Billigung des Bischofs findet, entscheidet der Bischof endgültig und ersetzt die von ihm beanstandete Festsetzung im Haushaltsplan durch eine eigene. Beim Hebesatzbeschluss gilt ein ähnliches Verfahren, allerdings mit dem Unterschied, dass nach der erneuten Beratung eines beanstandeten Beschlusses der Bischof, wenn er das Beratungsergebnis des Kirchensteuerrates nach wie vor nicht billigt, selbst frei entscheiden kann57. d) Schließlich gibt es Diözesen, in denen ein gegen einen Beschluss des Steuerrates eingelegter Einspruch durch einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschluss überstimmt werden kann. Nach der Satzung für die Diözese Münster kann der Bischof zu einem Beschluss des Kirchensteuerrates Gegenvorstellungen erheben, über die binnen eines Monats zu beraten ist. Bestätigt aber der Kirchensteuerrat seinen Beschluss mit einer Zweidrittel-Mehrheit der anwesenden Mitglieder, wird das Verfahren der Inkraftsetzung fortgesetzt, ist also der Beschluss auch für den Bischof verbindlich. Kommt die genannte Mehrheit nicht zustande, entscheidet der Bischof endgültig58. Eine entsprechende Regelung gilt in den Diözesen Fulda und Limburg, deren Satzungen sogar ausdrücklich hervorheben, dass ein mit Zweidrittel-Mehrheit erneut gefasster Beschluss des Kirchensteuerrates endgültig ist59. Nach der Kirchensteuerordnung der Erzdiözese Freiburg kann gegen Beschlüsse, die den Haushaltsplan betreffen, das Erzbischöfliche Ordinariat Einspruch einlegen. Dieser Einspruch kann von der Kirchensteuervertretung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder zurückgewiesen werden; die Entscheidung ist dann also endgültig. Ein Einspruch hinsichtlich des Steuerbeschlusses ist nicht vorgesehen60. Auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart kann nur der Beschluss über den Haushaltsplan vom Diözesanbischof an den Diözesanrat zur erneuten Beratung zurückverwiesen werden. Der Beschluss wird aber „ohne Zustimmung

57

Osnabrück § 2 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 2 Unterabs. 2, a.a.O. (Anm. 15).

58

Münster § 8 Abs. 2, a.a.O. (Anm. 15).

59

Fulda § 14 Abs. 1 und 2, Limburg Synodalordnung § 96, a.a.O. (Anm. 15).

60

Freiburg § 8 Abs. 3, a.a.O. (Anm. 15).

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des Bischofs rechtskräftig“, wenn er von zwei Dritteln der Mitglieder bestätigt wird61. e) Im Erzbistum Berlin ist die nunmehr geltende Regelung hinsichtlich der endgültigen Entscheidungsbefugnis des Bischofs naturgemäß von der Einbeziehung der Aufgabe des Kirchensteuerrates in die Kompetenz des Diözesanvermögensverwaltungsrates bestimmt. Der Haushaltsplan bedarf der Zustimmung des Vermögensverwaltungsrates, ein ansonsten geregeltes Einspruchsrecht des Bischofs ist ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings ist der Haushaltsplan, wie schon erwähnt, nach Weisung des Erzbischofs aufzustellen, so dass letztlich der Haushalt ohne Zustimmung des Bischofs nicht zustande kommen kann. Gegen andere Beschlüsse des Diözesanvermögensverwaltungsrates, also auch gegen Beschlüsse im Kirchensteuerbereich, kann der Bischof Einspruch einlegen; dieser Einspruch hat „aufhebende“ Wirkung. Über den Beschlussgegenstand ist dann erneut zu beraten und einvernehmlich zu beschließen62. III. Die Bedeutung der Kirchensteuerräte für die deutschen Diözesen Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Regelungen über die den Kirchensteuerräten übertragenen Entscheidungsbefugnisse zwar recht verschieden sind. Das Gewicht der Kirchensteuerräte in der praktischen Arbeit der Diözesen ist aber in jedem Falle groß. Weil die Mehrheit der Mitglieder des Rates sich durchweg auf eine Legitimation durch Wahl berufen kann, wird die Diözesanleitung zögern, sich gegen einen Beschluss dieses Gremiums zu stellen. Regelmäßig wird der Ausgleich verschiedener Positionen schon im Vorfeld der Beschlüsse, insbesondere in den Beratungen eines meistens dem Plenum der Kirchensteuerräte vorgeschalteten Ausschusses, gesucht werden. Diesem Ziel dient es auch, dass in einigen Diözesen ausdrückliche Regelungen über ein bei Meinungsverschiedenheiten einzuhaltendes, der Vermittlung dienendes Verfahren festgelegt wurden. Die Kirchensteuerräte sind heute also ein selbstverständlicher Teil der diözesanen Organisation und eines der wichtigsten Gremien für die Wahrnehmung von Mitverantwortung in der Kirche geworden, auch deshalb, weil in ihnen Geistliche und Laien zusammenwirken. Es ergeben sich zwar immer wieder Spannungen daraus, dass die Gestaltung eines kirchlichen Haushalts pastorale Entscheidungen voraussetzt und der vor allem hierfür nach dem II. Vatikanischen Konzil auf diözesaner Ebene geschaffene Rat, der Diözesanpastoralrat, nicht unmittelbar an den Beratungen und Beschlüssen des Kirchensteuerrates beteiligt ist. Es gibt verschiedene Versuche, durch spezielle Regelungen in den Satzungen 61

Rottenburg § 6 Abs. 4, a.a.O. (Anm. 15).

62

Berlin § 5 Abs. 2 und § 10 Abs. 6, a.a.O. (Anm. 15).

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eine Verbindung zwischen beiden Gremien herzustellen63. Dieses Anliegen ist berechtigt. Gleichzeitig zeigt aber die Erfahrung, dass ein Mitwirkungsgremium, dem speziell die Verantwortung für die finanziellen Entscheidungen übertragen ist, eine sehr sachgerechte Lösung darstellt. Diese ist Teil der auf der Kirchensteuer beruhenden eigenen Finanzverfassung der Katholischen Kirche in Deutschland, die durch c.1263 CIC universalrechtlich ausdrücklich anerkannt und durch die Partikularnorm Nr. 17 der Deutschen Bischofskonferenz bekräftigt worden ist. In den Regelungen einiger Diözesen wird auf diese kirchenrechtliche Verortung des Kirchensteuerrates ausdrücklich hingewiesen64. Auf diesem Hintergrund muss man die neuerdings in Berlin getroffene Entscheidung, die Aufgaben des Kirchensteuerrates dem Diözesanvermögensverwaltungsrat zu übertragen, mit einer gewissen Skepsis betrachten. Eine solche Regelung ist natürlich möglich, vielleicht, im Gesamtzusammenhang des universalen Kirchenrechts betrachtet, sogar folgerichtig65. Sie gibt aber wesentliche Vorteile des in der ganz überwiegenden Zahl der anderen Diözesen geltenden Systems, nämlich die breite Beteiligung von gewählten Vertretern der Kirchenmitglieder an den finanziellen Entscheidungen einer Diözese, auf. Die Bedeutung dieses Gedankens gerade auch für die Weiterentwicklung des Kirchenrechts sollte man nicht unterschätzen.

63

Interessant ist die neue Regelung des Bistums Münster: Hier ist im neu gefassten § 10 der Satzung für den Diözesanrat ausdrücklich geregelt, dass die Aufgaben eines Ausschusses für Vermögen und Finanzen des Diözesanrats durch den „eigenständig verfassten“ Kirchensteuerrat wahrgenommen werden. Ferner wählt aber der Diözesanrat in Ergänzung des § 1 der Satzung des Kirchensteuerrates weitere vier Mitglieder des Kirchensteuerrates, von denen mindestens zwei dem Diözesanrat angehören müssen; vgl. die Novellierung der Satzung für den Diözesanrat vom 22. Februar 2002, ABl. S. 64. 64

Vgl. Bayern Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 und besonders deutlich Limburg, Verordnung 1983, Einleitung“: „Can. 1263 CIC enthält einen Vorbehalt zugunsten der partikularen Gesetze und Gewohnheiten auf dem Gebiet des Kirchensteuerrechts. Zu den Partikulargewohnheiten im Bereich der Bundesrepublik Deutschland gehört es, dass Diözesankirchensteuerräte über den Diözesanhaushalt, die Diözesanjahresrechnung und über die Hebesätze für die Diözesankirchensteuer beschließen. Aufgrund dieser Vorschrift ordne ich daher folgendes an:“ (Es folgt die Regelung, dass der Diözesankirchensteuerrat seine bisherigen Kompetenzen beibehält). Vgl. die Fundstellen der Texte a.a.O. Anm 15. 65 Hierzu Günter Etzel, Der Diözesanvermögensverwaltungsrat, 1994, S. 191 f. und Heribert Schmitz, Organe diözesaner Finanzverwaltung, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, 163. Band (1994), S. 121, 134.

Aufgaben und Stellung der Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat und in der pluralistischen Gesellschaft Von Christoph Link Joseph Listl hat sein wissenschaftliches Lebenswerk wie sein Wirken in staatlichen und kirchlichen Ämtern (hier besonders in der langjährigen Leitung des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands) allem voran der Freiheitlichkeit des Staatskirchenrechts gewidmet. Freiheitlichkeit verstand und versteht er dabei nicht als Möglichkeit selbstgenügsamer Entfaltung des innerkirchlichen religiösen Lebens, sondern gerade auch als Freiheit der Kirchen, ihren Auftrag für die Welt und in der Welt, in und für Staat und Gesellschaft verantwortlich zu erfüllen, ohne dabei unter politische Kuratel gestellt zu werden. Immer wieder hat er sich dabei auf die Aussagen des II. Vaticanums berufen, daß der Dienst von Kirche und Staat den gleichen Menschen gilt, daß beide der Schaffung einer gerechten, menschenwürdigen, grundrechtssichernden und sittlich bestimmten Gemeinschaftsordnung verpflichtet sind1. Daher liegt es nahe, gerade in einer ihm gewidmeten Festschrift diesem Aspekt der Religionsfreiheit nachzugehen. Dem Beitrag liegt ein überarbeiteter, auf einer öffentlichen Veranstaltung des Goethe-Instituts in Thessaloniki/Griechenland gehaltener Vortrag2 zugrunde. Ich bin zuversichtlich, daß ich dabei auch im Sinne von Joseph Listl gesprochen habe.

1 Vgl. nur: Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, jetzt in: J. Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, hg. v. J. Isensee / W. Rüfner i.V.m. W. Rees, Berlin 1996, 2. Halbbd. S. 968 ff. (980 – 987); ders., Staat und Kirche nach katholischem Verständnis, ebd. S. 957 ff. (964); s. a. dens., Disk.beitrag in: EssG 25 (1991), S. 91, 151 ff. 2

Die Vortragsform wurde gleichwohl i. w. beibehalten.

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I. Kirche – Staat – Gesellschaft 1. Vorbemerkung zum Thema Wenn ich mich hier zu den kirchlichen Aufgaben in Staat und Gesellschaft zu äußern habe, so ist das für den Juristen ein ebenso ungewohntes wie heikles Thema. Und dies in doppelter Hinsicht: Zum einen ist es das Amt des Juristen, vom Staat her zu denken, d. h. die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürgern zu bestimmen – oder aber die Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern, die durch staatliche Gesetze geordnet werden. Damit hängt das andere zusammen: Für den Juristen ist „die Gesellschaft“ eigentlich kein Gegenstand seiner fachwissenschaftlichen Reflexion. Für ihn besteht die Gesellschaft aus Individuen, Gruppen und Institutionen, denen die staatliche Ordnung jeweils eine konkret bestimmte Rechts- und Pflichtenstellung zuweist. Er hat über die Zulässigkeit eines rechtlich relevanten Handelns zu befinden, nicht darüber, ob es erwünscht ist, ob es einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten will oder leisten kann. Aber gerade darum ist es für den Juristen auch reizvoll, einmal die Perspektive zu wechseln und nach Motivationen und Wirkungen gesellschaftlichen Handelns zu fragen, und zwar nach Wirkungen in Staat und Gesellschaft. Dem Juristen fehlt dabei das psychologische oder sozialwissenschaftliche Intrumentarium, das solche Motivationen analysiert und die sozialen Wirkungen des Handelns quantifizierend mißt; aber er bleibt doch insofern bei seinem Leisten, als er den verfassungsrechtlichen Rahmen abstecken kann, in dem sich solches soziales Handeln vollzieht, der es legitimiert und begrenzt. Und da es hier um kirchliches Handeln geht, vermag auch der Jurist sich als Christ zu derjenigen Motivation zu äußern, die alles kirchliche Handeln letztlich zu legitimieren hat, nämlich die Erfüllung des kirchlichen Auftrags in der Welt und an der Welt. 2. Staat und Gesellschaft im freiheitlichen Gemeinwesen Bevor ich darauf eingehe, bedarf es noch einer begrifflichen Klärung: Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist ein Grundelement jeder freiheitlichen Verfassungsordnung. In einer Gesellschaft ohne Staat gilt das Recht der Stärkeren; ein Staat, der die Gesellschaft okkupiert, ist eine totalitäre Diktatur3. Im liberalen Verfassungsstaat ist die Gesellschaft nicht nur die Summe der Bürger in ihrer individualistischen Vereinzelung, sondern in ihr verbinden sich diese Bürger auch in Gruppierungen zur gemeinschaftlichen Wahrung ihrer Belange, zu organisierten Interessen. Die Gesellschaft ist der Bereich grundrechtsgesicherter, aber auch 3 So auch J. Listl, Der sozialkritische Imperativ der Kirche – Zu dem Buch „Kirche und Öffentlichkeit“ von Wolfgang Huber, jetzt in: Ders., Kirche im freiheitlichen Staat (Anm. 1), S. 780 ff. (785 f.).

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rechtsgebundener Freiheit und Eigenverantwortung. Gegenüber den in der Gesellschaft um Einfluß ringenden Partikularinteressen ist die Herrschaftsorganisation des Staates dem Gemeinwohl verpflichtet. Freilich bestimmt der demokratische Staat dieses Gemeinwohl nicht kraft höherer Einsicht in eigener Machtvollkommenheit, wie es Hegel sah, vielmehr konkretisiert er die Gemeinwohlerfordernisse im demokratischen Willensbildungsprozeß am Maßstab der Verfassung – und er legitimiert sich damit ständig neu aus der Gesellschaft. Gesellschaft und Staat sind also im demokratischen Gemeinwesen durch ständige Interaktion ineinander verzahnt, sie sind zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat es so formuliert: Der Staat als Herrschaftsverband ist die Gesellschaft „in einem anderen Aggregatzustand“. Und: der demokratische Staat ist grundrechtsgebunden und damit in seiner Herrschaftsgewalt prinzipiell beschränkt. Seine Eingriffsmöglichkeiten in gesellschaftliche Freiheiten enden an den individuellen und kollektiven Grundrechten, die nur nach Maßgabe der Verfassung einschränkbar sind und ihren letzten gemeinsamen Bezugspunkt in der unbeschränkbaren Menschenwürde haben. 3. Die Kirche als Teil der Gesellschaft und die Religionsfreiheit In diesem System demokratischer Gemeinschaftsordnung sind die Kirchen Teil der Gesellschaft. Sie stehen nicht mehr auf der Seite des Staates und üben weder originäre Hoheitsgewalt noch eine solche in einem Kondominium mit dem Staat aus, sie müßte sich ja demokratisch von allen Staatsbürgern her legitimieren. Dies gilt auch für überkommene Staatskirchentümer in Europa. Wo die Kirche hier, aber auch in Trennungssystemen wie in Deutschland, noch einige – im übrigen unbedeutende – Hoheitsrechte ausübt (Kirchensteuer), beruht dies auf staatlicher Delegation. Leistungen der Kirche für die Gemeinschaft können also nur gesellschaftliche sein, nicht staatliche – sieht man von Randerscheinungen wie etwa der gelegentlich noch vorkommenden kirchlichen Führung der Personenstandsbücher und ähnlichem ab. Damit ist kirchliches Handeln auch Gebrauchmachen von grundrechtlicher Freiheit, es gründet sich darauf, unterliegt aber auch deren Schranken. Ich werde dies noch an Beispielen erläutern. Allerdings kann die Kirche nicht ohne Einschränkung als Verband unter anderen gesellschaftichen Verbänden angesehen werden. Durch ihr Handeln macht sie – jedenfalls dort, wo es um zentrale Fragen geht – Gebrauch vom Grundrecht der Religionsfreiheit. Dieses Grundrecht hat insofern eine besondere Bedeutung, als es eine dem freiheitlichen Staat prinzipiell gezogene Grenze markiert. Der freiheitliche Staat ist säkularer Staat, er greift nicht mehr nach der Seele des Menschen, er beschränkt sich darauf, weltliche Aufgaben mit weltlichen Mitteln zu erfüllen. Ihm ist es deshalb grundsätzlich verwehrt, das Gebiet des Religiösen oder Weltanschaulichen ordnend und gestaltend zu betreten. Während andere Grundrechte dem Staat in säkularen Bereichen Gren-

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zen ziehen, die an sich und wesensmäßig seiner Ordnungsgewalt nicht prinzipiell entzogen sind, verweist die Religionsfreiheit auf eine dem Staat seinem Selbstverständnis nach unzugängliche Dimension menschlicher Existenz. Dies rechtfertigt es, kirchliches Wirken nicht allein am Maßstab des staatlichen Verbandsrechts zu messen. II. Die Vorläufigkeit menschlicher Ordnungen im Lichte des Evangeliums 1. Entmythologisierung des Staates Und damit bin ich auch schon beim ersten, vielleicht wichtigsten und entscheidenden Dienst, den die Kirche Staat und Gesellschaft zu leisten vermag: Nämlich die Entmythologisierung des Staates. Gegenüber aller Selbstvergötzung weltlicher Gewalt, die uns ja nicht nur im Anspruch des römischen Kaisertums und seiner christlich-byzantinischen Fortsetzer entgegentritt, sondern – schrecklicher und aktueller durch ideologische Überhöhung – in den Weltanschauungsdiktaturen des 20. Jahrhunderts, muß die Kirche die Vorläufigkeit aller menschlicher Ordnungen betonen, ihr Verhaftetsein in Schuld und Irrtum der gottentfremdeten Welt. Auch der „gute“ Staat ist eine menschliche Zweckschöpfung zur Erfüllung begrenzter Aufgaben nach dem Maß und in den Grenzen menschlicher Vernunft. Er hat die schwierige und in den konkreten Situationen immer neu zu findende Balance zwischen Freiheit und Bindung seiner Bürger zu wahren; er ist dem irdischen Wohl seiner Bürger verpflichtet, zunächst dem der hier und jetzt lebenden Menschen; diese Gegenwart ist nicht nur Durchgangsstufe zu künftigen irdischen Paradiesen, mit deren Verheißung die Weltanschauungsdiktaturen alle Nöte der Gegenwart rechtfertigten. Eine solche Entmythologisierung entzaubert irdische Heilsversprechen im Lichte der Heilszusage Gottes, sie erkennt aber auch den demokratischen Staat in seinem Ringen um Kompromisse, um praktikable, konsensfähige und finanzierbare Lösungen an und erwartet von ihm keine „unbegrenzte Gerechtigkeit“. Der Staat kann nicht das Reich Gottes auf Erden schaffen, weder im christlichen (oder sonst religiösen) Sinn, noch in seiner säkularisierten Form als klassenlose Gesellschaft, in der das Böse verschwindet und die gesellschaftlichen Gegensätze enden. Seit ihren Anfängen verleiht die Kirche einer solchen nüchternen Sicht irdischer Herrschaft durch das Gebet für die Obrigkeit Ausdruck. Indem sie für die Herrschaftsträger betet, erkennt sie diese als sündige Menschen, die der Fürbitte vor Gott in ihrem Amt bedürfen. 2. Die Entmythologisierung der Gesellschaft Was für den Staat gilt, gilt auch für die Gesellschaft: Auch in ihr gibt es ja Macht – häufiger den einzelnen wirksamer bestimmend als die Staatsgewalt –

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und damit auch die Versuchung des Machtmißbrauchs. Die Gesellschaft ist in ihren Formationen weder eine statische, gottgegebene Ordnung, wie es dem mittelalterlichen Menschen erscheinen mochte, noch entwickelt sie sich nach ideologisch vorgegebenen Regeln hin zu einem Endziel, an dem der Mensch, frei vom Zwang der Verhältnisse, seinen Egoismus, die Erbsünde abstreift, edel, hilfreich und gut wird und darum der Erlösung nicht mehr bedarf. 3. Loyalität und Engagement der Christen im demokratischen Staat Aber mit dieser Entmythologisierung von Staat und Gesellschaft ist der kirchliche Dienst nicht abschließend beschrieben. Das Neue Testament erkennt in weltlichen Herrschaftsformen auch eine ordinatio divina, eine göttliche Verheißung und ruft zur Loyalität ihnen gegenüber auf. Sofern sie ihre ihnen zugewiesene Aufgabe erfüllen und eben nicht nach der Seele des Menschen greifen, erfüllen sie eine unverzichtbare Ordnungsaufgabe in dieser Welt. Dann ist dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und der „Obrigkeit“ ist Gehorsam geschuldet. Im demokratischen Staat bedeutet dies aber auch, daß „Kaiser“ und „Obrigkeit“ nicht einfach von außen gesetzt sind, sondern daß der Souverän, das Volk, auf Zeit in diese Leitungsämter beruft. Demokratische Herrschaft beruht also auf der Mitverantwortung der Bürger, die auch dem Christen aufgegeben ist. Zu einer solchen demokratischen Mitarbeit und Mitverantwortung hat in Deutschland gerade die Evangelische Kirche in ihrer Demokratiedenkschrift von 1985 aufgerufen. Allerdings ist dieses christliche Engagement an die Grenzen des demokratischen Prozesses gebunden: Der demokratische Staat ist ein Staat der Christen und Nichtchristen, d. h. er bietet Christen nur die Chance, nach dem Maß ihres Einsatzes und in den Grenzen der Grundrechte anderer ihre Wertvorstellungen in die demokratische Willensbildung einzubringen. Als säkulares Gemeinwesen ist der demokratische Staat Heimstatt aller Bürger ohne Unterschied von Religion und Weltanschauungen, er ist deshalb religiös und weltanschaulich neutral. Eine institutionelle Christlichkeit ist ihm versagt. Dem scheint zu widersprechen, daß eine Reihe von Verträgen zwischen deutschen Bundesländern und der Evangelischen Kirche von einer „gemeinsamen Verantwortung“ von Staat und Kirche für die Bürger des Landes sprechen und den Kirchen ihren Öffentlichkeitsauftrag gewährleisten. Man darf daraus keine zu weitreichenden Folgerungen ziehen. Daß der Christ auch Bürger ist und deshalb in einer doppelten Loyalitätsbeziehung steht, ist eine Trivialität – und das öffentliche Reden und Handeln der Kirche garantiert bereits die Religionsfreiheit. Viel mehr als daß der Staat das Wort der Kirche ernst nimmt und sie als besonders wichtige gesellschaftliche Gruppe respektiert, wird man diesen Bekundungen nicht entnehmen können.

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III. Der Dienst der Kirche durch ihr Zeugnis 1. Der kirchliche Öffentlichkeitsanspruch: Grund und Grenzen kirchlichen Redens Damit komme ich zu einem zweiten Bereich kirchlichen Dienstes an Staat und Gesellschaft, der freilich mit dem ersten eng zusammenhängt. Es ist der des öffentlichen, auch an die Öffentlichkeit gerichteten christlichen Zeugnisses. Es besteht in der Verkündigung der in Jesus Christus geschehenen Erlösung, im Doppelgebot des Gottes- und Nächstenliebe. Diese Botschaft hat einschneidende soziale und politische Konsequenzen, sie schärft die Gewissen und entfaltet ihre Wirkung in Staat und Gesellschaft. Dies gilt vor allem in existentiellen Situationen; problematischer wird es bei kirchlichen Äußerungen zu politischen Tagesfragen. Dabei verkenne ich nicht, daß auch hier Entscheidungen gewissensrelevant sind. Aber hier werden auch christlich gebundene Gewissensentscheidungen vielfach unterschiedlich ausfallen können. Ich erwähne nur die – auch in kirchlichen Kreisen – kontroversen Probleme der Gentechnik, der Forschungen an embryonalen Stammzellen, von Rentenkonzepten, der Präimplantationsdiagnostik, der friedliche Nutzung der Atomenergie, der Globalisierung, der Militäreinsätze und der Terrorbekämpfung. Ich will mich hier nicht inhaltlich zu diesen Fragen äußern. Die deutsche Erfahrung zeigt mir nur, daß die Gefahr einer Inflationierung kirchlicher Stellungnahmen droht, die noch dazu vielfach widersprüchlich sind. Dabei handelt es sich regelmäßig um hochkomplexe Probleme, deren Lösung zunächst einmal Sachkenntnis voraussetzt. Sie ist bei kirchlichen Gruppen, die dazu Papiere erarbeiten, meist kaum vorhanden; gute Gesinnung ersetzt dann den Sachverstand. Radikale Forderungen werden erhoben, ohne daß nach politischer Durchsetzbarkeit oder gar nach Finanzierbarkeit gefragt wird. Alles das läßt kirchliches Reden oft zum Gerede werden, das zwar medienwirksam ist, aber folgenlos bleibt. Aber auch dort, wo sich Bischöfe und Synoden kompetenter eines Themas annehmen, zeigt sich regelmäßig, daß die Fronten gegensätzlicher Auffassungen auch durch die Kirche gehen. Kirchliche Worte tragen dann häufig genug das Stigma innerkirchlich gerade noch konsensfähiger Kompromißformeln an sich und verlieren sich damit im Unverbindlichen. Manche evangelische Denkschriften geben davon Zeugnis. Vollends unerträglich wird es, wenn Pfarrer im Talar an Demonstrationen teilnehmen und ihre politischen Auffassungen so mit dem Zeugnis der Kirche in eins setzen. Die Grenze zwischen Bezeugen des Evangeliums und klerikaler Bevormundung der Politik ist schwer zu finden und wird oft genug überschritten. 2. Wertvermittlung im pluralistischen Gemeinwesen Nur wenn die Kirche im Bewußtsein solcher Gefahren Schweigen, Reden und Handeln klug dosiert, ist ihr Zeugnisdienst für Staat und Gesellschaft unverzicht-

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bar. Nach dem vielzitierten Wort des früheren Bundesverfassungsrichters Bökkenförde lebt gerade das freiheitliche, demokratische Gemeinwesen von ethischen Voraussetzungen, die es selbst nicht zu schaffen und zu garantieren vermag. Es bedarf eines Wertkonsenses, der in tieferen personalen Schichten wurzelt als nur in derjenigen politischer Rationalität und der Furcht vor Sanktionen. Diese Werte, deren vornehmster die Menschenwürde ist – und damit auch das Recht des Nächsten –, sind natürlich nicht nur auf christlichem Boden gewachsen. Aber sie sind in unserem Kulturkreis doch in einer ganz spezifischen Weise auch christlich imprägniert und haben von hier aus auch eine ganz spezifische Verbindlichkeit erhalten. Das gilt auch für die Menschenrechte, gegen deren Anerkennung insbes. die katholische Kirche lange Front gemacht hat und die doch – auch – in der christlichen, nie ganz verschütteten Überlieferung, namentlich im älteren christlichen Naturrechtsdenken ihren Ursprung haben. Freilich: Indem die Kirche sich für solche Werte einsetzt, wird sie nicht etwa zur Sinnstiftungs- und Wertvermittlungsagentur des Staates oder der Gesellschaft degradiert. Das Fundament ihrer Wertordnung ist im Evangelium gelegt, und dieses transzendiert deshalb alle irdischen Ordnungen. Aber von den Früchten einer christlichen Individual- oder Sozialethik lebt eben zu einem Teil auch unser staatlich-gesellschaftliches Gemeinwesen. Zu diesen Werten zählt nicht zuletzt auch die Scheidung des Regnum Christi vom Reich dieser Welt, die zur Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre geführt hat. Sie steht diametral der Begründung eines Gottesstaates und damit einem Fundamentalismus entgegen, der Säkularität und Neutralität des modernen Verfassungsstaates bekämpft und das Gottesreich auch in staatlichen Strukturen abbilden will. Es bedarf keines Hinweises auf die Aktualität gerade dieses Themas. 3. Insbesondere: Die christliche Erziehung Einer solchen Wertvermittlung dient in besonderer Weise auch die christliche Erziehung. Im freiheitlichen Staat kann sie nur auf freiwilliger Basis geschehen. Aber unter diesem Vorbehalt gehört die Erziehung zu den unaufgebbaren Aufgaben der Kirche. Besonders nach dem 11. September 2001, aber nicht erst seit diesem Datum, steht der lange als anachronistisches Privileg angegriffene Religionsunterricht wieder auf der gesellschaftlichen Prioritätenliste. Plötzlich ist wieder ins Bewußtsein getreten, daß hier – in Deutschland in einem staatlich eingerichteten, aber inhaltlich von den Religionsgemeinschaften verantworteten Unterricht – etwas vermittelt wird, das auch für die Rechtsgemeinschaft aller Staatsbürger von Belang ist, nämlich die Erziehung in eben jenem Wertbewußtsein, die die Schule sonst, mit ihren durch das Neutralitätsprinzip begrenzten Mitteln, nur unvollkommen zu leisten vermag. Ähnliches gilt für kirchliche Schulen und Erwachsenenbildung. Ich beschränke mich auch hier aus Zeitgründen auf diesen Hinweis.

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IV. Der Dienst der Kirche durch ihr diakonisches Handeln 1. Gesamtgesellschaftliche Diakonie? Zum kirchlichen Dienst an Staat und Gesellschaft gehört schließlich auch die praktizierte Nächstenliebe, die Diakonie. Man mag den Dienst der Verkündigung auch als gesamtgesellschaftliche Diakonie bezeichnen. Hierher gehört auch das Bemühen der Kirchen, schwachen oder wenig organisierten Gruppen ihre Stimme zu leihen, die sonst im Widerstreit gesellschaftlicher Interessen kaum Gehör finden. Diese Stimme der Schwachen in der Gesellschaft zu sein, ist natürlich Teil des kirchlichen Öffentlichkeitsauftrags. Aber er hat auch konkrete Ausprägungen erhalten. Die deutschen Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender und die Versammlungen der Landesmedienzentralen, die die Aufsicht über die Privatsender führen, setzen sich jeweils aus Vertretern der gesellschaftlich relevanten Gruppen zusammen. Dazu zählen auch Repräsentanten der großen Kirchen und der jüdischen Kultusgemeinden. Dabei wollten die Kirchen – anders als die anderen Gruppierungen – nicht primär ihre eigenen Belange vertreten, sondern sie verstanden sich, namentlich war dies das Selbstverständnis der Evangelischen Kirchen, als Anwalt derjenigen, die in diesen Gremien keine Stimme hatten. Engagement ohne Eigennutz war die Devise. Praktisch bedeutete das, daß es der Kirche nicht primär um die Chance ging, die elektronischen Medien in den Dienst der Verkündigung zu stellen. Inzwischen ist diese Einseitigkeit, die den Missionsauftrag der Kirche ignorierte, zum Glück im Sinne eines „sowohl, als auch“ korrigiert. Sie zeigt aber die allgemeine Gefahr, daß sich die Kirche selbst säkularisiert, wenn sie im diakonischem Eifer nicht mehr die zentrale Mitte ihrer Botschaft und ihres Glaubens zu bekennen wagt. 2. Diakonie als Dienst am Nächsten Dies gilt selbst dort, wo es um Diakonie im eigentlichen Sinne geht, nämlich um den Dienst am Einzelnen, einen Dienst, in dem sich Nächstenliebe ganz konkret verwirklicht. Hier sind die Verhältnisse im europäischen Vergleich in Deutschland ganz einzigartig: Die Kirchen unterhalten ein dichtes Netz von Krankenhäusern, Altenheimen, Pflegeeinrichtungen für Behinderte, Kindergärten, Sozialstationen, Drogenhilfen u. a. m. Damit sind sie nach dem Staat der weitaus größte Arbeitgeber. Im deutschen Sozialwesen verwirklicht sich am reinsten das sog. Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, daß der Staat nur dort solche Einrichtungen bereitstellt, wo die gesellschaftlichen Kräfte, allen voran die Kirchen, das nicht in ausreichendem Maße tun. Dementsprechend sind die sog. Freien Träger fest in die kommunale und regionale Bedarfsplanung einbezogen. Damit leisten die Kirchen einen Dienst, den in Eigenregie zu überneh-

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men Staat und Gemeinden personell und finanziell überfordern würde. Aber gerade in seinen Umfang liegen auch die Probleme. Einmal unterliegen die Kirchen damit wie andere gesellschaftliche Träger der nivellierenden staatlichen Gesetzgebung, kirchliche Krankenhäuser etwa den Landeskrankenhausgesetzen, ebenso im Prinzip für ihre Bediensteten dem staatlichen Arbeitsrecht. Hier hat freilich das Bundesverfassungsgericht den Kirchen einen Freiraum eröffnet, der es ihnen ermöglicht, ein Eigenprofil zu wahren. Es hat dem verfassungsrechtlich verbürgten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht den Vorrang gegenüber Einzelbestimmungen der staatlichen Gesetze eingeräumt, aber auch gegenüber allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen. So können die Kirchen von ihren Arbeitnehmern eine besondere kirchliche Loyalität fordern. Auf die damit verbundenen Probleme kann ich hier nicht eingehen. Damit gibt der Staat der Kirche eine Gestaltungsfreiheit, die sie in der Praxis freilich nur beschränkt wahrzunehmen vermag. Ein kirchliches Krankenhaus, das sich nicht mehr erkennbar von einem nichtkirchlichen unterscheidet, ist ein sozialer Dienstleistungsbetrieb wie andere auch. Ihm eine eigene, unverwechselbare Prägung zu geben, stellt Anforderungen an Leitung, Ärzte, Schwestern und andere Mitarbeiter, die vielfach nicht mehr vorausgesetzt werden können. Besonders in den östlichen Bundesländern, aber nicht nur dort, ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, genügend Mitarbeiter zu finden, die sich dem kirchlichen Auftrag verbunden wissen, ja die überhaupt Kirchenmitglieder sind. Der Kirche fehlt m. a. W. die geistliche Kraft, diesen von ihr verantworteten, überdimensionierten diakonischen Bereich mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen, der Mantel ist ihr zu weit geworden. Auch hier besteht die Gefahr, daß die Kirche sich selbst säkularisiert, indem sie sich der Welt gleich macht, d. h. zu einer beliebigen Sozialagentur unter vielen anderen wird. Ich will aber nicht zu pessimistisch sein: Natürlich gibt es in diesen Einrichtungen durchaus Christen, die sich weit über die formalen Erfordernisse des Arbeitsrechts einsetzen und die damit auch deren Geist prägen. Ich kenne viele Beispiele und ich hoffe, daß dies auch so bleiben wird. V. Schlußbemerkung Ich könnte noch eine Vielzahl weiterer Dienste der Kirche für Staat und Gesellschaft ansprechen, die jeweils ihre eigenen Chancen und Probleme haben. Ich nenne als Beispiele die Militär- und Gefängnisseelsorge, das nur kurz gestreifte kirchliche Schulwesen, die kirchlichen Friedhöfe, die Wissenschaftspflege an den Theologischen Fakultäten, nicht zuletzt aber auch die Kulturleistungen der Kirche in Kunst und Denkmalschutz. Aber ich breche hier ab und möchte nur noch eine Schlußbemerkung machen. Ich habe zu zeigen versucht, daß sich der Kirche als gesellschaftlicher Kraft im freiheitlichen Staat eine Fülle von Möglichkeiten bietet, auf der Basis der Religionsfreiheit ihren Auf-

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trag nicht nur gegenüber ihren Mitgliedern, sondern auch gegenüber dem religiös neutralen Staat und der in ihm zusammengeschlossenen pluralistischen Gesellschaft zu erfüllen, biblisch gesprochen, das Salz der Erde zu sein. Diesen Auftrag erfüllt sie aber nur, wenn sie ihren Herrn nicht verleugnet, wenn sie in Reden und Handeln das Evangelium von Jesus Christus bezeugt, wenn sie damit deutlich macht, daß das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist. Das heißt aber, daß sie nicht in dieser Welt aufgeht, daß sie unterscheidbar bleibt, nicht zu einer pressure group unter anderen wird. Und das heißt, daß sie nicht nur Forderungen an Staat und Gesellschaft stellt, sondern daß sie selbst durch ihr Vorbild Zeichen der Hoffnung setzt. Letztlich ist es aber nicht die Institution Kirche, die das leisten kann, sondern es sind die Christen gerufen, durch ihr Engagement Zeugnis von der befreienden Kraft des Evangeliums zu geben. An ihrer geistlichen Kraft hängt der Dienst der Kirche. Um im Bild des Salzes zu bleiben: Die Erde salzen müssen die Christen selbst, niemand kann ihnen das abnehmen.

Wann ist eine Gemeinschaft Religionsgemeinschaft? Überlegungen zum Begriff der Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG unter besonderer Berücksichtigung muslimischer Dachverbände Von Stefan Muckel I. Problemaufriss Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt, Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG. Diese Vorschriften, die nicht zuletzt durch wissenschaftliche Arbeiten aus der Feder von Joseph Listl1 erschlossen wurden, sind wie das deutsche Staatskirchenrecht insgesamt offen für neue Entwicklungen, werfen dann aber bei ihrer Anwendung und Konkretisierung immer neue Fragen auf. Zu den z. Z. noch ungelösten neueren Problemen zählt das des Religionsunterrichts für muslimische Schüler an öffentlichen Schulen in Deutschland. Seine Einführung scheiterte bislang vor allem daran, dass die zuständigen staatlichen Stellen keine muslimische Religionsgemeinschaft erkennen konnten, um die Grundsätze i.S. von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG zu formulieren, nach denen der Unterricht inhaltlich erteilt werden soll. In einem Verwaltungsrechtsstreit, in dem mit Urteil vom 2.12.2003 das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in zweiter Instanz entschieden hat, sind zwei prominente muslimische Verbände – der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. und der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland/Islamischer Weltkongress Deutschland e.V. – mit ihrer Klage auf Einführung von

1

Vgl. nur Joseph Listl, Der Religionsunterricht, in: Joseph Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. 2. Halbbd., 1996, S. 675 – 693; ders., Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftlicher Status und gegenwärtige praktische Bedeutung, ebd., S. 336, 343 f.; ders., Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung 1989 bis 1994, ebd., S. 355, 381 ff.

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Religionsunterricht unterlegen.2 Wesentliche Erwägung in den Entscheidungsgründen des OVG NRW ist dabei, dass die Kläger keine Religionsgemeinschaften i.S. von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG seien. Bei ihnen handele es sich um Dachverbände, deren Mitglieder nicht bzw. nur formal natürliche Personen, sondern nur Personenvereinigungen angehörten.3 Die Entscheidung bietet Veranlassung, der Frage näher nachzugehen, ob (muslimische) Dachverbände Religionsgemeinschaften sein können. II. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Kooperation des Staates mit einer Religionsgemeinschaft nach Art. 7 Abs. 3 GG 1. Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates Die Bestimmung des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, die die Erteilung des Religionsunterrichts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften verlangt, ist im Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes vor dem Hintergrund der Neutralität des Staates in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu verstehen. Sie ist Ausprägung des auf mehreren verfassungsrechtlichen Säulen ruhenden Neutralitätsgrundsatzes. Das an den Staat gerichtete Gebot zur Neutralität in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht folgt aus verschiedenen Verfassungsbestimmungen, die das Verhältnis des Staates zu Fragen der Religion bzw. Weltanschauung betreffen und den Neutralitätsgedanken inhaltlich konkretisieren. Vor allem ist dabei auf die Grundrechte der Religions- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu verweisen,4 2

OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 – 19 A 997/02 (zum Abdruck in NWVBl. vorgesehen); vgl. auch die im Ergebnis gleichlautende Entscheidung der Vorinstanz: VG Düsseldorf, NWVBl. 2002, 196. 3

OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 25 ff. der Entscheidungsgründe; soweit das OVG NRW sich dabei auf Ausführungen des Verf. dieser Zeilen beruft, ist dies allerdings zumindest insoweit nicht ganz korrekt, als ich in dem in JZ 2001, 58 ff., publizierten Beitrag zu Islamischem Religionsunterricht und Islamkunde an öffentlichen Schulen in Deutschland Dachverbänden nicht per se die Qualifikation als Religionsgemeinschaft abgesprochen habe, vgl. ebd. S. 60 f. 4 Vgl. nur BVerfGE 93, 1, 16 f.; BVerwGE 107, 75, 80; auf eine breitere normative Grundlage hat das BVerfG den Neutralitätsgedanken mit Recht in seinem Urteil zum Kopftuch der muslimischen Lehrerin an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg gestellt: BVerfG, NJW 2003, 3111, 3112 f.; vgl. auch Axel v. Campenhausen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, 4. Aufl. Bd. 3, 2001, Art. 140 Rn. 19; Matthias Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, 1989, S. 204; Klaus Schlaich, Radikale Trennung und Pluralismus – zwei Modelle der weltanschaulichen Neutralität des Staates, in: Paul Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat in der neueren Ent-

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aber auch auf das Verbot der Staatskirche in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV,5 sowie das Verbot der Benachteiligung und Bevorzugung des Bürgers aus religiösen Gründen in Art. 3 Abs. 3 GG und die Unabhängigkeit des bürgerlichen sowie staatsbürgerlichen Individualstatus und der öffentlichen Ämter vom Bekenntnis gemäß Art. 33 Abs. 3 GG.6 Aus den verschiedenen normativen Grundlagen des Neutralitätsgrundsatzes lassen sich – ungeachtet dessen, dass seine materielle Bedeutung in Rechtsprechung und Literatur nicht abschließend geklärt ist – einige Gesichtspunkte ableiten, die zum gesicherten Bestand religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates zählen: Eine Staatsreligion oder Staatsweltanschauung ist von Verfassungs wegen ausgeschlossen; der Staat ist nicht in der Lage, den Glaubensinhalt eines religiösen Bekenntnisses zu bestimmen; er soll „Heimstatt aller Staatsbürger“ sein.7 Deshalb darf er sich nicht mit einer religiösen Position identifizieren oder eine oder mehrere privilegieren. Das für den Neutralitätsgedanken auf der Basis der Grundgesetzes zentrale Gebot der Nichtidentifikation verwehrt dem Staat, in den Wahrheitsfragen zwischen den Konfessionen und Weltanschauungen Partei zu ergreifen. Der Staat darf weder eine eigene Verbundenheit mit einer Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft noch einem bestimmten Glauben oder einer Weltanschauung zum Ausdruck bringen. Auch ist es ihm nicht erlaubt, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten.8 Aus diesem verfassungsrechtlichen Neutralitätsverständnis zieht Art. 7 Abs. 3 GG die Konsequenzen. Weil der religiös-weltanschaulich neutrale, säkulare Staat in religiöser Hinsicht keine inhaltliche Kompetenz hat, kann er

wicklung, 1980, S. 427, 446; Stefan Huster, Die ethische Neutralität des Staates. Eine liberale Interpretation der Verfassung, 2002, S. 12 ff., pass. 5

Vgl. statt vieler Böckenförde, Kreuze (Kruzifixe) in Gerichtssälen? Zum Verhältnis von staatlicher Selbstdarstellung und religiös weltanschaulicher Neutralität des Staates, in: ZevKR 20 (1975), S. 119, 130. 6

Vgl. Joseph Listl, Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Joseph Listl, Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. 1. Halbbd., 1996, S. 3, 44 ff.; Martin Heckel, Staat Kirche Kunst. Rechtsfragen kirchlicher Kulturdenkmäler, 1968, S. 207 f.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Kreuze (Anm. 5), S. 129; Juliane Kokott, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2003, Art. 4 Rn. 5. 7 8

BVerfG, NJW 2003, 3111, 3112 f. m.w.N.

Vgl. BVerfG, NJW 2003, 3111, 3112 m.w.N. zu der Rspr. d. BVerfG; zum Ganzen auch Joseph Listl, Die Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 44 ff.; Stefan Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung. Die verfassungsrechtlichen Garantien religiöser Freiheit unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen, 1997, S. 73 ff., jeweils m.w.N.

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zwar die äußeren Voraussetzungen und den Rahmen des Religionsunterrichts bestimmen, nicht aber seinen Inhalt, also das, was gelehrt wird9. Der in Art. 7 Abs. 3 GG gemeinte Religionsunterricht verlangt – im Gegensatz etwa zu einer bloßen Religionskunde und einem Unterricht in Religions- oder Bibelgeschichte – eine Identifikation der Lehrperson mit einer ganz bestimmten Religion. Im Religionsunterricht werden nicht nur Informationen über eine Religion referiert, wie im Geschichtsunterricht historische Zusammenhänge vorgetragen werden mögen. Im Religionsunterricht hat der Lehrer keine vergleichbare Distanz zu dem betreffenden Bekenntnis, sondern gestaltet den Unterricht aus dem Glauben heraus.10 Auch aus diesem Grunde können die Inhalte des Unterrichts nur von den Religionsgemeinschaften bestimmt werden. Wenn Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG die Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften verlangt, so erklärt sich dies als zwangsläufige Folge der religiösweltanschaulichen Neutralität des Staates einerseits und der Entscheidung der Verfassung für Religionsunterricht im Gegensatz zu einer bloßen Religionskunde andererseits. 2. Religionsunterricht als konfessionsgebundener Unterricht Dadurch, dass Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG den schulischen Religionsunterricht an die Grundsätze der Religionsgemeinschaften knüpft, wird zugleich deutlich, dass Gegenstand des Unterrichts nur eine bestimmte Religion, ein bestimmtes Bekenntnis sein soll, nicht eine anthropologisch definierte Allgemeinreligion, eine Religionskunde, Religionskritik11 oder eine die konfessionellen Unterschiede überspielende und deshalb inhaltlich fragwürdige Lehre von dem Chris-

9

Vgl. OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 18 der Entscheidungsgründe; Hartmut Maurer, Die verfassungsrechtliche Grundlage des Religionsunterrichts, in: Hartmut Maurer, Abhandlungen zum Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, 1998, S. 234, 236; Martin Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem, 2002, S. 27 ff., 30: „in vorbildlicher Neutralität – durch die Regelungen des Religionsunterrichts nach Art. 7 III GG“; zur praktischen Umsetzung dieses Gedankens Simone Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an deutschen Schulen, 2003, S. 52 f., 86 ff. 10

Vgl. Arnulf Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2003, Art. 7 Rn. 40; Maurer, Die verfassungsrechtliche Grundlage (Anm. 9), S. 236 f.; prägnant Bernhard Grom, Islamischer Religionsunterricht, in: Stimmen der Zeit 1999, 505, 506: „Religion läßt sich nicht neutral unterrichten.“ 11

Vgl. Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), GG (Anm. 10), Art. 7 Rn. 39 m.w.N.

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tentum oder dem Islam.12 Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG wird erteilt „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“13 als konfessionsbezogener Unterricht oder kürzer: konfessioneller Unterricht.14 Die auf die Konfessionalität des Religionsunterrichts bezogene normative Forderung nach Übereinstimmung der Inhalte des Fachs mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG steht – ungeachtet der Möglichkeit, dass die von den Religionsgemeinschaften formulierten Grundsätze im Laufe der Zeit die konfessionellen Unterschiede abschwächen mögen – nicht zur Disposition der zuständigen staatlichen Stellen oder der Kirchen und Religionsgemeinschaften.15 3. Kein Bedeutungswandel der normativen Vorgaben aus Art. 7 Abs. 3 GG durch Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen Das verfassungsrechtliche Konzept, in das Art. 7 Abs. 3 GG eingebettet ist und das schon der nahezu wortgleichen Vorschrift in Art. 149 Abs. 1 Satz 2 WRV zugrunde lag, wurde zu einer Zeit vom Grundgesetz rezipiert, als religiöses Leben in Deutschland weit weniger heterogen und plural war, als dies heute der Fall ist. Zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes 1948/49 gehörte nahezu die gesamte Bevölkerung einer der beiden christlichen Großkirchen an. Im Jahre 1961 gehörten nach einer damals durchgeführten Volksbefragung noch 94,6 % der Menschen in Deutschland der römisch-katholischen oder evangeli12

Vgl. Christoph Link, Religionsunterricht in Deutschland, in: ZevKR 47 (2002), S. 449, 461, mit dem zutreffenden Hinweis, dass es den Islam ebenso wenig gibt wie das Christentum (Hervorhebungen im Original). 13

BVerfGE 74, 244, 252, in Anlehnung an Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 149 Anm. 4 (S. 691), mit Blick auf die mit Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG weitgehend übereinstimmende Regelung in Art. 149 Abs. 1 Satz 2 WRV; vgl. auch OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 17 der Entscheidungsgründe. 14

Vgl. dazu aus dem jüngeren Schrifttum Karl-Hermann Kästner, Die Konfessionalität des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen zwischen Religionspädagogik und Jurisprudenz, in: Heinrich de Wall/Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, 2003, S. 301, 303. 15

Vgl. Kästner, Die Konfessionalität des Religionsunterrichts (Anm. 14), S. 307 m.w.N.; ferner Christoph Link, Konfessioneller Religionsunterricht in einer gewandelten sozialen Wirklichkeit? – Zur Verfassungskonformität des Hamburger Religionsunterrichts „für alle“, in: ZevKR 46 (2001), S. 257, 263, der mit Recht betont, dass der Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG insgesamt nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers oder der Religionsgemeinschaften steht.

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schen Kirche an, während schon 1996 die Quote nur noch bei 67,3 % lag.16 Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Staatskirchenrechts haben sich in unübersehbarer Weise verändert. Die nachlassende Bindungskraft der Kirchen, das Aufkommen neuer Religionen in Mitteleuropa, allen voran des Islam, aber auch sog. (Jugend-)Sekten, kurz: die Pluralisierung des religiösen Lebens in Deutschland,17 haben zu Veränderungen geführt, die das Staatskirchenrecht von seinen gesellschaftlichen Grundlagen her zu beeinflussen begonnen haben. Es unterliegt Wandlungen „unter den Herausforderungen der Moderne“18, die die von Rudolf Smend kurz nach Erlass des Grundgesetzes angestoßene Debatte über den Bedeutungswandel staatskirchenrechtlicher Normen haben wieder aufkommen lassen.19 In diesem Zusammenhang wird auch die bisher gefestigte Interpretation der verfassungsrechtlichen Garantie des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG hinterfragt. Über den in erster Linie rechtspolitisch gemeinten Aufruf zu einer Ablösung der als überholt, „orthodox, monokonfessionell-herrschaftlich“ empfundenen Auslegung des Art. 7 Abs. 3 GG zugunsten von religionskundlichen Konzepten nach dem Vorbild des brandenburgischen Fachs „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ und der in Nordrhein-Westfalen im Schulversuch befindlichen „Islamischen Unterweisung“20 hinaus könnte die Figur des Verfassungswandels den Hebel für eine neue Deutung der Regelungen in Art. 7 16

Vgl. Dirk Ehlers, Die Lage des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: ZevKR 45 (2000), S. 201, 213 f. m. Nachw. 17 Dazu statt vieler Rüfner, Staatskirchenrecht im pluralistischen Staat, in: Bohnert / Gramm / Kindhäuser / Lege / Rinken / Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach, 2001, S. 691 m.w.N.; Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat, 1998, S. 8 f. 18

Martin Heckel, Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts unter den Herausforderungen der Moderne, in: ZevKR 44 (1999), S. 340. 19 Dirk Ehlers, Der Bedeutungswandel im Staatskirchenrecht, in: Bodo Pieroth (Hrsg.), Verfassungsrecht und soziale Wirklichkeit in Wechselwirkung, 2000, S. 85. 20

Vgl. Martin Stock, Islamunterricht: Religionskunde, Bekenntnisunterricht oder was sonst?, 2003, S. 90 f. (Zitate s. S. 91); zu „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ statt vieler Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2003, Art. 141 Rn. 10 m.w.N.; zum Schulversuch „Islamische Unterweisung“ in Nordrhein-Westfalen Axel Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen. Dargestellt anhand des nordrhein-westfälischen Schulversuchs „Islamische Unterweisung“, 2003, pass.; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 231 ff.; mit Blick auf die islamische religiöse Unterweisung auch in anderen Bundesländern Thorsten Anger, Islam in der Schule. Rechtliche Wirkungen der Religionsfreiheit und der Gewissensfreiheit sowie des Staatskirchenrechts im öffentlichen Schulwesen, 2003, S. 299 ff., jeweils m.w.N.

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Abs. 3 GG bieten. Eine solche Überlegung basiert auf der Einsicht, dass zwar das Verfassungsrecht die Verhältnisse und Entwicklungen im staatlichen wie gesellschaftlichen Bereich zu steuern hat, dass es aber umgekehrt auch durch sie beeinflusst wird.21 Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen, auf die eine Verfassungsnorm hin ausgerichtet ist, können zu einem Verfassungswandel und damit zu einer Rechtsfortbildlung führen, die für die betreffende Verfassungsnorm eine gewandelte Bedeutung mit sich bringt. So wird z.B. nicht ausgeschlossen, dass im Zuge einer stärkeren ökumenischen Zusammenarbeit die Konfessionsgebundenheit des Religionsunterrichts gelockert und Formen eines überkonfessionellen Religionsunterrichts auch unter der Geltung von Art. 7 Abs. 3 GG in die Schulpraxis Eingang finden. Die Möglichkeit eines Verfassungswandels wird im Hinblick gerade auf die Garantie des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG bestätigt durch das Diktum des BVerfG, der Begriff des Religionsunterrichts sei nicht in jeder Hinsicht festgelegt, sondern müsse wie der übrige Inhalt der Verfassung „in die Zeit hinein offen“ bleiben, um die Lösung von zeitbezogenen und damit wandelbaren Problemen zu gewährleisten.22 Doch hat das BVerfG auch betont, dass sich eine Veränderung des Fachs in seiner besonderen Prägung, seinem verfassungsrechtlich bestimmten Kern, verbiete. Ausdrücklich schließt das Gericht eine Gestaltung des Religionsunterrichts als allgemeine Konfessionskunde aus. Dies werde vom Begriff des Religionsunterrichts nicht mehr gedeckt und falle daher auch nicht unter die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG.23 Dem ist in der Literatur mit Recht hinzugefügt worden, dass unter der Geltung des Grundgesetzes ein Verfassungswandel jedenfalls dort seine Grenze findet, wo es um den Bestand der Norm geht. In der vom Grundgesetz geformten verfassungsrechtlichen Ordnung ist es Aufgabe des verfassungsändernden Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben und ob dies eine Korrektur der Verfassung erforderlich macht. Etwas anderes könnte nur für den Fall in Betracht kommen, dass der Gegenstand einer Norm weggefallen und die Verfassungsnorm selbst damit obsolet geworden ist. Das könnte im Hinblick

21

Vgl. Maurer, Die verfassungsrechtliche Grundlage (Anm. 9), S. 247 f., auch zum Folgenden; grundlegend zur Rechtsfigur des Verfassungswandels gerade mit Blick auf die Garantie des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG Markus Ogorek, Geltung und Fortbestand der Verfassungsgarantie staatlichen Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Verfassungswandel, Diss. Köln 2001 (im Erscheinen). 22

BVerfGE 74, 244, 252 f., unter Hinweis auf Axel v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Rückwirkungen der Reform der gymnasialen Oberstufe, DVBl. 1976, 609, 611; vgl. auch Link, Konfessioneller Religionsunterricht (Anm. 15), S. 268 f. 23

BVerfGE 74, 244, 253.

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auf Art. 7 Abs. 3 GG dann anzunehmen sein, wenn kein Schüler oder nahezu kein Schüler mehr am Religionsunterricht teilnähme; dies aber ist ganz offensichtlich nicht der Fall.24 Aus diesen Gründen besteht auch keine verfassungsrechtlich solide Basis für die von manchen Stimmen im Interesse einer „zukunftsorientierten Weiterentwicklung“ des Rechts geforderte „offene, kreative und innovative Auslegung des geltenden deutschen Verfassungsrechts“25. Für die Frage, ob für eine bestimmte religiöse Richtung Religionsunterricht i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG eingeführt werden kann, kommt es darauf an, ob die Voraussetzungen dieser Norm des geltenden Verfassungsrechts erfüllt sind. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach Auslegung der Norm und Subsumtion entsprechend den Regeln der juristischen Methodik. Mit Versuchen „der Abschottung und Verteidigung des eigenen traditionell geprägten Horizonts“26 hat das nichts zu tun. III. Der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG 1. Kein einheitlicher Rechtsbegriff Die Rechtsordnung setzt an verschiedenen Stellen das Bestehen einer Religionsgemeinschaft voraus. Neben Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ist dies auf verfassungsrechtlicher Ebene insbesondere in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 bis 7, Art. 138 Abs. 1 und 2 sowie Art. 141 WRV der Fall, wobei hier allerdings das inhaltsgleiche Wort „Religionsgesellschaft“ verwendet wird.27

24

Vgl. Maurer, Die verfassungsrechtliche Grundlage (Anm. 9), S. 248 m.w.N.; die Zurückhaltung von Rechtsprechung und h.L. gegenüber einem Bedeutungswandel bei Art. 7 Abs. 3 GG wird bestätigt dadurch, dass andere Normen des Grundgesetzes, insbesondere solche, die Kriegsfolgen betreffen, inzwischen für die Praxis weitgehend bedeutungslos geworden sind, ohne dass ein wie auch immer denkbarer Verfassungswandel in Betracht gezogen wird, vgl. mit Blick auf die Regelungen zu Flüchtlingen und Vertriebenen in Art. 119 GG etwa Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2003, Art. 119 Rn. 1; Stefan Muckel, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Aufl., Bd. 3, 2001, Art. 119 Rn. 39, 42, jeweils m.w.N. 25

Heike Jochum, Islam in der staatlichen Schule, in: Andreas Haratsch u.a. (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat. 41. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 101, 111 f., unter Hinweis auf Klaus Gebauer, Islamische Unterweisung in deutschen Klassenzimmern, RdJB 1989, 263, 269. 26 27

Jochum, Islam in der staatlichen Schule (Anm. 25), S. 112.

Vgl. zur inhaltlichen Identität der Begriffe „Religionsgemeinschaft“ und „Religionsgesellschaft“ Schmitt-Kammler, in: Sachs (Hrsg.), GG (Anm. 10), Art. 7 Rn. 41 m.w.N.; Gerhard Robbers, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. I, 4. Aufl. 1999,

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Schon der Text der Verfassung deutet an, dass der Begriff der Religionsgemeinschaft in verschiedenen Vorschriften unterschiedliche Bedeutung haben kann. Das zeigen etwa die Regelungen in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 und 6 WRV, wonach Religionsgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und dann das Recht zur Erhebung von Steuern haben. Demgegenüber geht es in den Vorschriften des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 bis 4 WRV mit ihren Bestimmungen über die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 2 WRV), das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften (Art. 137 Abs. 3 WRV) und ihre Rechtsfähigkeit nach bürgerlichem Recht (Art. 137 Abs. 4 WRV) nicht um Religionsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts hoheitliche Befugnisse haben. Es ist rechtslogisch nicht zwingend, aber doch zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Begriff der Religionsgemeinschaft schon innerhalb von Art. 137 WRV in einzelnen Facetten unterschiedliche Bedeutung hat. In jedem Falle aber besteht aufgrund der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung keine einheitliche Bedeutung des Begriffs der Religionsgemeinschaft im Verhältnis von (Bundes-) Verfassungsrecht einerseits und einfachem Bundes- sowie Landesrecht andererseits. So hat das BVerwG im Zusammenhang mit Religionsunterricht im Land Berlin entschieden, dass wegen der sog. Bremer Klausel in Art. 141 GG und ihrer Geltung für ganz Berlin der Begriff der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 BerlSchulG a.F., jetzt § 13 BerlSchulG v. 26.1.2004 (GVBl. 2004, S. 26) nicht in dem Sinne auszulegen sei, wie Art. 7 Abs. 3 GG dies vorgebe; einer weiten Auslegung des landesrechtlichen Begriffs der Religionsgemeinschaft stehe Bundesverfassungsrecht nicht entgegen.28 Mit Blick auf das rituelle Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung (sog. Schächten), das nach § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG u.a. dann ausnahmsweise zugelassen werden darf, wenn zwingende Vorschriften von Religionsgemeinschaften das Schächten vorschreiben, haben BVerwG und BVerfG entschieden, dass mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft i.S. dieser Vorschrift nicht eine Gemeinschaft verlangt werde, die die Voraussetzung für die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV erfülle oder gem. Art. 7 Abs. 3 GG berechtigt sei, an der

Art. 7 Rn. 149, der mit Recht darauf hinweist, dass das Grundgesetz mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG in positiverer Weise das Selbstverständnis der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften aufnimmt als die Terminologie der Weimarer Reichsverfassung, die einen für die betroffenen Organisationen häufig inadäquaten Vereinscharakter nahelegt. 28

BVerwGE 110, 326 (Ls. 2), 337 ff.

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Erteilung von Religionsunterricht mitzuwirken. Ausreichend sei vielmehr eine Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbinde29. Unabhängig davon, ob nun der Begriff der Religionsgemeinschaft in seiner inhaltlichen Bedeutung changiert30 oder ob es sich um einen einheitlichen Begriff handelt, der überall im Recht dieselbe Bedeutung hat, aber im unterschiedlichen normativen Kontext aufgrund verschiedener Voraussetzungen aus anderen Normen oder Normbestandteilen im Ergebnis unterschiedlich zu verstehen ist,31 ist es jedenfalls unerlässlich, im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht den Begriff der Religionsgemeinschaft gerade im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG zu bestimmen. 2. Keine Verengung auf Körperschaften des öffentlichen Rechts Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird die Auffassung vertreten, Religionsgemeinschaften i.S. von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG müssten über die Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts verfügen. Der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule führe als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Religionsgemeinschaften zur engsten Verknüpfung, weil es um Fragen der Erziehung gehe. Er verlange bei beiden Partnern dieses Unterrichts einen entsprechenden „status cooperationis“, der auf Seiten der Religionsgemeinschaft nur in der Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 137 Abs. 5 WRV zum Ausdruck komme.32 Diese Ansicht hat sich aber zu Recht nicht durchsetzen können. Das Grundgesetz kennt Regelungen, die nur für solche Religionsgemeinschaften gelten, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 3 und Abs. 6 WRV), und andere, bei denen diese ein-

29

BVerwGE 112, 227, 235; BVerfGE 104, 337, 354.

30

So BVerwGE 110, 326, 337 ff.; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 105, die aber, S. 106, auf Verfassungsebene an einem einheitlichen Begriff festhalten möchte. 31 So Bodo Pieroth / Christoph Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“?, in: JuS 2002, 937, 940. 32

Stefan Korioth, Islamischer Religionsunterricht und Art. 7 III GG. Zu den Voraussetzungen religiöser Vielfalt in der öffentlichen Pflichtschule, NVwZ 1997, 1041, 1046 f., unter Hinweis auf Reinhard Schmoeckel, Der Religionsunterricht. Die rechtliche Regelung nach Grundgesetz und Landesgesetzgebung, 1964, S. 176 ff.; vgl. auch Bernd Jeand’Heur / Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn. 324 (S. 222 f.); zustimmend Christian Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport. Die Antwort des Grundgesetzes auf eine religiöse Herausforderung, in: JZ 1999, 538, 546.

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schränkende Voraussetzung nicht aufgestellt wird (u.a. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3, Art. 138 Abs. 1 und 2 sowie Art. 141 WRV). Wegen der besonderen Bedeutung dieser Rechtsform knüpft auch das einfache Recht in ganz unterschiedlichen Sachbereichen an den Körperschaftsstatus an (z.B. in § 75 Abs. 3 SGB VIII, § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 6 BauGB, § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 JuSchG; § 10 BSHG; § 15 Abs. 4 BDSG; § 19 MRRG) oder verzichtet darauf (z.B. in § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG; § 112 BPersVG). Die Rechtsordnung unterscheidet exakt zwischen korporierten Religionsgemeinschaften und anderen. Schon vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorschrift des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG mit „Religionsgemeinschaften“ nur solche mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus meint. Der Textbefund lässt keinen Spielraum für die gegenteilige Ansicht.33 Im Übrigen ist durchaus vorstellbar, dass eine Religionsgemeinschaft diese Organisationsform ablehnt, ohne jedoch auf die Möglichkeit schulischen Religionsunterrichts verzichten zu wollen.34

33 H.M., vgl. nur BVerfGE 102, 370, 396 – obiter dictum; VG Düsseldorf, NWVBl. 2001, 110, 112; VG Düsseldorf, NWVBl. 2002, 196, 198; Martin Stempel, Zwischen Koran und Grundgesetz. Religiöse Betätigung muslimischer Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Hamburg 1986, S. 364; Martin Heckel, Religionsunterricht für Muslime? Kulturelle Integration unter Wahrung der religiösen Identität. Ein Beispiel für die komplementäre Natur der Religionsfreiheit, in: JZ 1999, 741, 752; Christine Langenfeld, Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten: Eine Herausforderung für das deutsche Schulwesen – Einführung in einige grundrechtliche Fragestellungen, in: AöR 123 (1998), S. 375, 401; Matthias Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven, 2001, S. 162 f.; ders., Rechtliche Perspektiven eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland, ZRP 2000, 207, 209; Ibrahim Cavdar, Islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen, RdJB 1993, 265, 267; Hans Markus Heimann, Materielle Anforderungen an Religionsgemeinschaften für die Erteilung schulischen Religionsunterrichts, in: Andreas Haratsch u.a. (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat. 41. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 81, 85; ders., Alternative Organisationsformen islamischen Religionsunterrichts, DÖV 2003, 238, 241; Christoph Link, Konfessioneller Religionsunterricht (Anm. 15), S. 280 f.; Heiner Marré, Der Islam in Deutschland – Historische, politische und rechtliche Überlegungen zu einem komplexen Thema, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 553, 572; Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde (Anm. 20), S. 216 f.; Jochum, Islam in der staatlichen Schule (Anm. 25), S. 111; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 122 f., jeweils m.w.N. 34

Vgl. Christoph Link, Religionsunterricht, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 2. Aufl. 1995,

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Wegen des insoweit eindeutigen Wortlauts von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG kann es auch nicht darauf ankommen, dass die Religionsgemeinschaft materiell die Voraussetzungen für die Verleihung der Körperschaftsrechte nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV erfüllt, wenn sie auch formal nicht in dieser Rechtsform organisiert ist.35 3. Der Begriff der Religionsgemeinschaft als Rechtsbegriff unter dem Einfluss des Selbstverständnisses Der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG ist ein Begriff des (staatlichen) Verfassungsrechts. Die letztverbindliche Entscheidung darüber, ob seine Voraussetzungen erfüllt sind, obliegt den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten.36 Allerdings haben die zuständigen staatlichen Stellen bei der Entscheidung darüber, ob eine Gemeinschaft sich zu einer Religion bekennt und eine Religionsgemeinschaft ist, keine freie Bestimmungsmacht. Sie haben vielmehr die von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der jeweiligen Verbürgung entsprechenden Begriffe zugrundezulegen.37 Wie das BVerfG ausdrücklich zugesteht, bleiben Spielräume für das religiöse Selbstverständnis der betreffenden Gemeinschaft und ihrer Mitglieder. Das betrifft aber in erster Linie die Frage, ob die Gemeinschaft eine Religion (oder ggf. eine Weltanschauung) vertritt. Eine abschließende Definition der Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ mit Hilfe objektiver Kriterien, also gänzlich unabhängig vom Selbstverständnis des Rechtsträgers, ist aus vielfältigen verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.38

S. 439, 500; Uta Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht, 2000, S. 225; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 371 m.w.N. 35

Vgl. Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 371 f.; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 123 ff., 138; a.A. Wolfgang Loschelder, Der Islam und die religionsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Marré / Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 20 (1986), S. 149, 171; Jörg Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen, 2001, S. 88; Christian Hillgruber, Über den Sinn und Zweck des staatskirchenrechtlichen Körperschaftsstatus, in: Grabenwarter / Lüdecke (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht. Ergebnisse eines interdisziplinären Seminars, 2002, S. 79, 95 f.; Stefan Mückl, Staatskirchenrechtliche Regelungen zum Religionsunterricht, in: AöR 122 (1997), S. 513, 552. 36

BVerfGE 83, 341, 353.

37

Vgl. BVerfGE 83, 341, 353.

38

Näher Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung (Anm. 8), S. 131 ff., 138; zu den Schwierigkeiten von subjektiver und objektiver Betrachtungswei-

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Die weitere Frage, ob eine Personenvereinigung, wenn sie denn für eine Religion oder Weltanschauung einsteht, als Religionsgemeinschaft bzw. Weltanschauungsgemeinschaft im Verfassungssinne anzusehen ist, hängt in weit geringerem Maße vom Selbstverständnis der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder ab, als dies beim Begriff der Religion bzw. Weltanschauung der Fall ist. Eine Vereinigung wird nicht durch ein entsprechendes Selbstverständnis zur Religionsgemeinschaft im Sinne des Verfassungsrechts. Aus dem im Grundgesetz angelegten Gegenüber von säkularem Staat und Religionsgemeinschaften folgt, dass die Religionsgemeinschaften für den Staat definierbar sein müssen.39 Auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage besteht trotz gegenteiliger Behauptung einer Gruppierung die Möglichkeit, ihr den Charakter als Religionsgemeinschaft nicht zuzuerkennen.40 4. Die Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG Nach der in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig zugrunde gelegten, inzwischen als klassisch zu bezeichnenden Definition von Gerhard Anschütz handelt es sich bei einer Religionsgemeinschaft um einen Verband, der die Angehörigen eines und desselben Glaubensbekennnisses – oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse – für ein Gebiet zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst.41 Auf

se jetzt auch Georg Neureither, Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als Grundlage des staatskirchenrechtlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 2002, S. 201 ff. 39

Ralf Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz. Zum verfassungsrechtlichen Begriff der Religionsgemeinschaft, in: Der Staat 39 (2000), S. 49, 55 f. m.w.N. 40

Vgl. Josef Jurina, Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1994, S. 689, 695, unter Hinweis auf BVerfGE 83, 341, 353. 41

Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Anm. 13), Art. 137 Anm. 2 (S. 633); aus der Rechtsprechung BVerwGE 99, 1, 3 f.; aus der jüngeren Literatur vgl. statt vieler Axel v. Campenhausen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 16 (S. 2762); Bodo Pieroth, Muslimische Gemeinschaften als Religionsgesellschaften nach deutschem Recht, in: Janbernd Oebbecke (Hrsg.), Muslimische Gemeinschaften im deutschen Recht, 2003. S. 109, 111; Pieroth/Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 938; Paul Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1994,

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der Grundlage dieser Definition ergeben sich aus dem Wortlaut der Verfassung, aus der Begriffsgeschichte, aus Sinn und Zweck der Vorschriften in Art. 7 Abs. 3 GG sowie aus dem verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhang, in den das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes die Forderung nach Übereinstimmung des Religionsunterrichts mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften gem. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gestellt hat, Anhaltspunkte dafür, was in dieser Verfassungsnorm unter einer Religionsgemeinschaft zu verstehen ist. a) Religiöser Konsens Mit dem gemeinsamem Bekenntnis, auf das die Begriffsbestimmung in der Folge von Anschütz abstellt, verlangt sie einen religiösen Konsens,42 der in der Literatur neuerdings auch mit dem Wort von der „Homogenität des Bekenntnisses“ erfasst wird.43 Der erforderliche religiöse Konsens besteht nur, wenn die Mitglieder der Gemeinschaft stets hinsichtlich des der Gemeinschaft zugrunde liegenden Bekenntnisses übereinstimmen. Das setzt nicht voraus, dass sich die Mitglieder in allen Glaubensfragen einig sein müssen. Zu den religiösen Überzeugungen, auf die die Gemeinschaft sich gründet, müssen sich jedoch alle bekennen.44

S. 651, 680 f.; Neureither, Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht (Anm. 38), S. 221 f.; Hans Michael Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften. Studien zur Rechtsstellung der nach Art. 137 Abs. 5 WRV korporierten Religionsgesellschaften in Deutschland und in der Europäischen Union, 2003, S. 65 f.; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 355. 42

Vgl. statt vieler Dirk Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2003, Art. 140 Rn. 5; Stefan Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/Art. 137 WRV (Stand: Februar 2003), Rn. 14 (S. 170); Pieroth, Muslimische Gemeinschaften als Religionsgesellschaften (Anm. 41), S. 109, 111; Pieroth / Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 938; Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 60; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 110; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 356, jeweils m.w.N. 43

Bernhard Schlink, Revisionsbegründung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in: Rolf Busch (Hrsg.), Integration und Religion. Islamischer Religionsunterricht an Berliner Schulen, 2000, S. 52, 59 ff.; Ralf Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 60; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), 2003, S. 110. 44

Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 111 f. m.w.N.

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b) Umfassende Pflege der Religion Das Grundgesetz kennt Religionsgemeinschaften und die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV ausdrücklich genannten religiösen Vereine. Religiöse Vereine haben hinsichtlich der Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder nur eine partielle Zielsetzung, sie nehmen nur einzelne religiöse Aufgaben wahr, z.B. in Caritas, Mission, Jugend- oder Bildungsarbeit.45 Bei ihnen handelt es sich nicht um Religionsgemeinschaften, die den religiösen Konsens umfassend bezeugen und die religiös motivierten Aufgaben umfassend wahrzunehmen sich bemühen.46 Die Religionsgemeinschaft unterscheidet sich also dadurch vom religiösen Verein, dass sie sich der Pflege einer Religion nicht nur in einzelnen Aspekten, sondern – im Sinne einer Formulierung im jüngeren Schrifttum – in ihrer „Totalität“ widmet.47 Diese Unterscheidung hat insbesondere für die Erteilung von Religionsunterricht aktuelle Bedeutung, da in letzter Zeit manche (islamischen) Vereine eigens gegründet worden sind zu dem Zweck, religiöse Schulen zu betreiben und Religionsunterricht an öffentlichen Schulen anzubieten. Dabei handelt es sich entsprechend der nur partiellen Zielsetzung der Vereinigung – trotz eines mitunter abweichenden religiösen Selbstverständnisses – um religiöse Vereine, nicht um Religionsgemeinschaften. Sie können daher nicht i.S. von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG die Grundsätze bestimmen, nach denen Religionsunterricht an der öffentlichen Schule erteilt werden soll, und haben kein Recht auf Einführung von Religionsunterricht.48 Demgegenüber geht eine in der Literatur neuerdings vertretene Auffassung davon aus, dass Religionsgemeinschaften i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG auch religiöse Vereine sein können, die sich mit dem Ziel bilden, schulischen Religionsunterricht zu initiieren. Zur Begründung wird geltend gemacht, der Verfassunggeber habe zwar die beiden großen in Deutschland verbreiteten Kirchen

45

Vgl. Stefan Muckel, Kirchliche Vereine in der staatlichen Rechtsordnung, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1994, S. 827 f. m.w.N. 46

Vgl. statt vieler OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 27 ff. der Entscheidungsgründe; Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 GG/Art. 137 WRV (Anm. 42), Rn. 14 (S. 170); Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 362 f.; Pieroth / Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 939; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 113 f., jeweils m.w.N. 47

Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 59; vgl. auch Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), 2003, S. 113. 48

So mit Recht Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 60.

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vor Augen gehabt, als er Art. 7 Abs. 3 GG statuiert habe, doch habe sich, wie auch die bekenntnisneutrale Formulierung zeige, seine Intention nicht auf Religionsunterricht für diese allein beschränkt, sondern sich auf alle relevanten religiösen Strömungen erstreckt. In Art. 7 Abs. 3 GG sei der Begriff der Religionsgemeinschaft deshalb als „Religionsunterrichtsgemeinschaft“ zu verstehen, der auch religiöse Vereine erfasse.49 Diese Sichtweise setzt sich über den insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG hinweg und verkennt, dass der Begriff der Religionsgemeinschaft auch in der Gegenüberstellung zum religiösen Verein bekenntnisneutral ist. Hätte der Verfassunggeber in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG auch religiöse Vereine mit einbeziehen wollen, wäre dies durch eine entsprechende Fassung der Norm ohne weiteres möglich gewesen.50 In seiner Entscheidung vom 2.12.2003 hat das OVG NRW den klagenden Verbänden nicht attestieren können, dass ihre Zielsetzung die umfassende Pflege der Religion sei. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (Kläger zu 1) diene in großem Maße Informations- und Repräsentationsaufgaben; er nehme in einem weiten Sinne die Interessen der Muslime in der Öffentlichkeit wahr. „Auch wenn insofern eine Beschränkung auf gesellschaftliche, kulturelle und (integrations-) politische Themen und Gegenstände nicht anzunehmen sein mag, vielmehr vielfältige religionsbezogene Belange zur Sprache kommen und seine Funktionen den islamischen Gemeinden dienen mögen, erschließt sich daraus nicht, dass der Kläger zu 1. selbst, in eigener Verantwortung und mit eigenem Wirken, die allseitige Pflege des religiösen Lebens der Religionsangehörigen verfolgt und die Gesamtheit der den Religionsangehörigen aus Gründen des religiösen Glaubens gestellten Aufgaben erfüllt.“51 Auch in Bezug auf den Islamrat (Kläger zu 2) konnte das OVG NRW nicht feststellen, dass er der umfassenden Glaubensverwirklichung der Muslime diene. „Nach seinem in der Satzung und in der vorgelegten Selbstdarstellung zum Ausdruck gebrachten Selbstverständnis wurde er als Koordinierungsinstanz und gemeinsames Beschlussorgan ‚islamischer Religionsgemeinschaften‘ gegründet und betrachtete sich als Brücke zwischen Deutschland und der islamischen Welt.“ Es gehe ihm um Funktionszuschreibungen und Aufgaben- sowie Tätigkeitsfelder, die integrationspolitische Anliegen, die Interessenvertretung, die Kooperation und die

49

Hans Markus Heimann, Alternative Organisationsformen islamischen Religionsunterrichts, DÖV 2003, 238, 242. 50

So im Ergebnis auch Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen (Anm. 20), S. 158 f. 51

OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 31 ff. der Entscheidungsgründe (Zitat: S. 32 f.).

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Öffentlichkeitsarbeit zum Gegenstand haben, nicht aber um die Pflege des religiösen Lebens in den islamischen (Moschee-)Gemeinden.52 c) Religion als zentraler Gegenstand Religionsgemeinschaften können neben religiösen auch wirtschaftliche, politische oder kulturelle Aktivitäten entfalten. Das legt schon das Erfordernis der umfassenden, allseitigen Erfüllung der durch das religiöse Bekenntnis gestellten Aufgaben (oben b) nahe. Gleichwohl muss das Religiöse im Zentrum aller Aktivitäten stehen. Das sonstige wirtschaftliche, politische oder kulturelle Engagement muss der religiösen Bekenntnispflege in der Weise dienen, dass ein Zusammenhang mit der religiösen Zielsetzung erkennbar ist, die das Endziel jeglichen Handelns der Gemeinschaft sein muss.53 Danach liegt keine Religionsgemeinschaft vor, wenn im Zentrum von Organisation und Praxis der Vereinigung weltliche, wirtschaftliche, politische, nationale oder sonstige Interessen stehen, die Pflege des Bekenntnisses dagegen nur einen begleitenden, dienenden, peripheren Charakter hat. Gefordert wird die „Zentralität des Bekenntnisses“54. Daran dürfte es z.B. regelmäßig fehlen bei Organisationen, die sich dem sog. politischen Islam verschrieben haben und – wenn auch mit religiösen Motiven – eine Änderung der politischen Verhältnisse im In- oder Ausland anstreben.55

52

OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 33 ff. der Entscheidungsgründe (Zitat: S. 33 f.). 53

Vgl. Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 63; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 363. 54

Schlink, Revisionsbegründung (Anm. 43), S. 70 ff.; Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 64; vgl. auch Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 113 ff., 116. 55

Zum politischen Islam vgl. etwa Reinhard Schulze, Zum Hintergrund islamischer politischer Bewegungen, in: Bahman Nirumand (Hrsg.), Im Namen Allahs. Islamische Gruppen und der Fundamentalismus in der Bundesrepublik Deutschland, 1990, S. 9 ff.; Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Dialog mit einer neu etablierten religiösen Minderheit in NRW, türkische Muslime und deutsche Christen im Gespräch, 2. Aufl., 1995, S. 36 ff.; Jaschke, Fundamentalismus in Deutschland. Gottesstreiter und politische Extremisten bedrohen die Gesellschaft, 1998, S. 121 ff.; André Stanisavljevic/Ralf Zwengel (Hrsg.), Religion und Gewalt. Der Islam nach dem 11. September, 2002.

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d) Klare Regelung der Mitgliedschaft Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG ist ordentliches Lehrfach und unterliegt demgemäß der Schulpflicht, ist also Pflichtfach. Zwar können die Erziehungsberechtigten die Schüler, mit Eintritt der Religionsmündigkeit die Schüler sich selbst, vom Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 2 GG abmelden. Solange dies jedoch nicht geschehen ist, verlangt die Schulpflicht, dass der Schüler am Religionsunterricht teilnimmt, und knüpft dazu an die Mitgliedschaft in der betreffenden Religionsgemeinschaft an. Das setzt voraus, dass über die Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft Klarheit besteht. Deshalb muss die Religionsgemeinschaft über exakte Regelungen der Mitgliedschaft verfügen.56 Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Notwendigkeit klarer Mitgliedschaftsregelungen zu den begrifflichen Voraussetzungen der Religionsgemeinschaft i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG gezählt werden muss. Die Forderung nach klaren mitgliedschaftlichen Regelungen ergibt sich, wie dargelegt, aus den Besonderheiten des Religionsunterrichts in seiner verfassungsrechtlichen Ausgestaltung als ordentliches Lehrfach durch Art. 7 Abs. 3 GG. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass es sich bei dem Erfordernis klarer Mitgliedschaftsregelungen (wie im Übrigen auch bei dem Erfordernis eines legitimierten Ansprechpartners, dazu unten f) nicht um ein Begriffsmerkmal der Religionsgemeinschaft, sondern um eine aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften in Art. 7 Abs. 3 GG folgende Anforderung handelt, der die als solche identifizierte Religionsgemeinschaft unterliegt. In der jüngeren Literatur wird teilweise in diesem Sinne argumentiert und geltend gemacht, der Begriff der Religionsgemeinschaft solle nicht mit Anforderungen vermischt werden, die im Hinblick auf bestimmte Formen der Kooperation von Staat und Religion erforderlich seien. So setze der Begriff der Religionsgemeinschaft nicht voraus, dass alle Personen, die der Gemeinschaft nach deren religiösem Selbstverständnis zugehörten, auch nach staatlichem Recht Mitglieder des eingetragenen Vereins seien. In ihm könne auch nur das Leitungsgremium organisiert sein, wenngleich etwa Religionsunterricht nur für die identifizierbaren Mitglieder der Gemeinschaft erteilt werden könne.57

56

Vgl. Heckel, Religionsunterricht für Muslime? (Anm. 33), S. 753; Stefan Muckel, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde an öffentlichen Schulen in Deutschland, JZ 2001, 58, 61; grundlegend zur Rechtsstellung der Schüler, Erziehungsberechtigten und Lehrer Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, 1986, S. 264 ff. 57

Stefan Magen, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2002, Art. 140 Rn. 60; vgl. auch Pieroth, Muslimische Gemeinschaften als Religionsgesellschaften (Anm. 41), S. 113 f.; Pieroth / Gö-

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Die Überlegung, zwischen den begrifflichen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft und weiteren Anforderungen, denen sie als Religionsgemeinschaft im Rahmen von Art. 7 Abs. 3 GG unterliegt, zu unterscheiden, hat durchaus ihre Berechtigung. Das wird etwa deutlich, wenn in der Literatur mitunter auch gefragt wird, ob nicht die „Forderung nach Verfassungstreue und Respekt vor staatlichen Bildungszielen ... der Anerkennung islamischer Guppierungen als Religionsgemeinschaften entgegenstehen“.58 Hier werden in der Tat die begrifflichen Voraussetzungen und die weiteren Anforderungen an die als solche bestehende Religionsgemeinschaft vermischt. Nur eine Religionsgemeinschaft, die als solche besteht, kann mit dem Erfordernis der Verfassungstreue konfrontiert werden. Demgegenüber handelt es sich bei einer Reihe von Anforderungen, die sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften über den Religionsunterricht ergeben, um Erfordernisse, die die Struktur der Gemeinschaft unmittelbar betreffen. Dazu zählt die Forderung nach klaren Mitgliedschaftsregelungen ebenso wie die Notwendigkeit einer Instanz, die den staatlichen Stellen verbindlich über die Inhalte des religiösen Bekenntnisses Auskunft geben kann (dazu unten f). Es wäre gekünstelt, diese Anforderungen rechtlich neben die Voraussetzungen zu stellen, die eine Vereinigung erfüllen muss, um begrifflich Religionsgemeinschaft zu sein. Gleichwohl ist zuzugeben, dass insoweit eine andere Bewertung rechtslogisch möglich ist.59 Festzuhalten bleibt, dass der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG auch durch die Forderung nach klaren mitgliedschaftlichen Strukturen konstituiert wird.60 Die Regelungen der Gemeinschaft über die Mitgliedschaft müssen so ausgestaltet sein, dass die zuständigen staatlichen Stellen ohne weiteres erkennen

risch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 939; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 370, 372, 375 f.; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 133 f., die insoweit von der „Verfassung“ der Religionsgemeinschaft spricht. 58

Jochum, Islam in der staatlichen Schule (Anm. 25), S. 115.

59

Entsprechende Vorschläge in der Literatur wollen durch möglichst geringe Anforderungen an den Begriff der Religionsgemeinschaft ein einheitliches Begriffsverständnis auf Verfassungsebene ermöglichen, vgl. Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 102 ff., 106. Dieses rechtstheoretisch anzuerkennende Ziel dürfte sich aber nicht verwirklichen lassen, vgl. oben III. 1. 60

Vgl. VG Düsseldorf, NWVBl. 2001, 110, 112; VG Düsseldorf, NWVBl. 2002, 196, 198 f., mit Blick auf eine „organisatorische Verfestigung“ im dem Sinne, dass dem Staat ein Ansprechpartner zu Verfügung steht; ferner Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht (Anm. 34), S. 225 f.; wohl auch Heckel, Religionsunterricht für Muslime? (Anm. 33), S. 753.

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können, welche Schüler im Rahmen der Schulpflicht – vorbehaltlich der Befreiungsmöglichkeit aus Art. 7 Abs. 2 GG – verpflichtet sind, am Religionsunterricht teilzunehmen. Die Mitgliedschaft des Schülers oder zumindest des Erziehungsberechtigten in der Religionsgemeinschaft muss durch zweifelsfreie, vom Staat nachprüfbare Rechtsformen und Rechtsakte begründet und bekundet werden. Es genügt nicht, dass eine religiöse Instanz von sich aus kraft ihrer religiösen Autorität Anspruch auf (Allein-) Vertretung und geistlichen Gehorsam gegenüber den muslimischen Schülern und Erziehungsberechtigten erhebt.61 Bei islamischen Religionsgemeinschaften, die vereinsrechtlich organisiert sind, kommt es auf die Zugehörigkeit zum Verein an. Kinder, deren Eltern dem Verein angehören, sind zur Teilnahme an dem Unterricht verpflichtet.62 e) Exkurs: Verhältnis der Religionsgemeinschaft zur staatlichen Rechtsordnung sowie Dauer ihres Bestandes – keine Anforderungen aus dem Begriff der Religionsgemeinschaft Demgegenüber kann das Verhältnis der Religionsgemeinschaft zur verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes und zur Rechtsordnung im Allgemeinen nicht zu den Anforderungen gerechnet werden, die begrifflich eine Religionsgemeinschaft ausmachen.63 Mit der Struktur der Religionsgemeinschaft als solcher ist die Einstellung der Gemeinschaft zur rechtlichen (Grund-)Ordnung Deutschlands nicht untrennbar verbunden. Aus demselben Grund zählt auch die Gewähr einer gewissen Dauer des Bestands der Religionsgemeinschaft nicht zu den begrifflichen Voraussetzungen, wenn auch die verfassungsrechtliche Berechtigung einer entsprechenden Prüfung vor Einrichtung des Religionsunterrichts unerlässlich ist.64

61

Vgl. Heckel, Religionsunterricht für Muslime? (Anm. 33), S. 754.

62

Vgl. Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 376, der mit Recht die Aufassung von Matthias Rohe, Rechtliche Perspektiven eines islamischen Religionsunterrichts in Deutschland, ZRP 2000, 207, 210, Regelungen seien nur hinsichtlich der Kinder aus gemischt-konfessionellen Beziehungen erforderlich, ablehnt. 63

A.A.: Jochum, Islam in der staatlichen Schule (Anm.. 25), S. 115. Für die Frage, ob – in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft – letztlich Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG eingerichtet werden kann, ist freilich zu fordern, dass die Inhalte des Unterrichts, die aus der Lehre der Religionsgemeinschaft gespeist werden, nicht in einem prinzipiellen Widerspruch zu den Grundlagen der staatlichen Ordnung stehen, vgl. Muckel, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde (Anm. 56), S. 62 m.w.N. 64

Zu dem Erfordernis eines dauerhaften Bestandes VG Düsseldorf, NWVBl. 2002, 196, 198 f., 199 r.Sp., 200; Heckel, Religionsunterricht für Muslime? (Anm. 33), S. 753: „in fester und umfassender Dauerorganisation“; Emenet, Verfassungsrechtliche Proble-

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f) Ansprechpartner des Staates Nach inzwischen gefestigter Auffassung benötigt die jeweils zuständige staatliche Stelle für die Einrichtung und den weiteren Ablauf des Religionsunterrichts einen legitimierten Ansprechpartner auf Seiten der Religionsgemeinschaft. Andernfalls wäre es nicht möglich, den Unterricht, wie von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gefordert, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft durchzuführen. Die Religionsgemeinschaft muss demgemäß zur Kooperation mit dem Staat bereit und in der Lage sein. Die Gemeinschaft muss deshalb so organisiert sein, dass sie über eine Institution verfügt, die für den Staat als Ansprechpartner dient und befugt ist, für die Gemeinschaft verbindliche Erklärungen abzugeben und Aufgaben wahrzunehmen.65 Ob die betreffende Instanz der Religionsgemeinschaft berechtigt ist, mit Wirkung für die Eltern und Schüler die Unterrichtsinhalte zu formulieren, hängt davon ab, ob die Schüler oder Eltern der Religionsgemeinschaft – in welcher Form auch immer – ein Mandat erteilt haben, die Grundsätze eines Religionsunterrichts zu bestimmen. Dazu ist erforderlich, aber auch hinreichend, dass erkennbar ist, welche natürlichen Personen sich von der bestellten Vertretungsinstanz tatsächlich vertreten lassen und die inhaltlichen Festlegungen für und gegen sich gelten lassen wollen. Es reicht insbesondere aus, dass die Mitglieder der Gemeinschaft sich durch die Bekundung ihrer Mitgliedschaft der Festlegung der Unterrichtsgrundsätze durch die Religionsgemeinschaft bzw. durch das von ihr dazu bestellte Organ unterwerfen.66

me einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen (Anm. 20), S. 225 f.; Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht (Anm. 34), S. 226: „Mindestmaß ... an zeitlicher Beständigkeit“; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 374 f.: „zu erwartende längere Existenz“; anders Pieroth / Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 939: „Ziel längeren Bestehens“. 65

Vgl. statt vieler OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 18 f. der Entscheidungsgründe; VG Düsseldorf, NWVBl. 2002, 196, 198 f., 199 l.Sp.; Wolfgang Rüfner, Anmerkung zu VG Düsseldorf, Beschl. v. 18.7.2000 – 1 L 1224/00, NWVBl. 2001, 110, in: NWVBl. 2001, 114 f.; Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht (Anm. 34), S. 226; Muckel, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde (Anm. 56), S. 61 f.; Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde an öffentlichen Schulen (Anm. 20), S. 213 ff., der die Notwendigkeit einer entsprechenden Organisation aber nicht zu den begrifflichen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft rechnet (S. 213); Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 373 f., jeweils m.w.N. 66

Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S.135, die im Übrigen mit Recht ausdrücklich auf die rechtliche Verbindung zwischen dem Erfordernis eines vertretungsberechtigten Ansprechpartners und dem klarer Mitgliedschaftsregelungen hinweist (S. 137).

Stefan Muckel

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g) Natürliche Personen als Mitglieder – Dachverbände als Religionsgemeinschaften aa) Religionsgemeinschaften als Zusammenschlüsse natürlicher Personen Religionsgemeinschaften sind, wie die Definition von Anschütz67 schon nahelegt, Zusammenschlüsse natürlicher Personen. Dieses Verständnis geht zurück auf die sog. Kollegialtheorie, die auf der Grundlage des rationalen Naturrechts der Aufklärung die Kirche wie andere Verbände auch als Gesellschaft von Menschen, also als Religionsgesellschaft, verstand.68 Dies schlug sich schon im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 nieder, das in einer „Religionsgesellschaft“ eine Verbindung „mehrerer Einwohner des Staates zum Zwecke der Religionsausübung“ sah (§ 10 II 11 PrALR). Dass sich diese Sichtweise bis heute nicht grundlegend geändert hat, zeigt etwa Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV, wenn danach die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften neben anderem von der Zahl der Mitglieder abhängt.69 Der Begriff der Religionsgemeinschaft wie auch der der Weltanschauungsgemeinschaft setzt daher voraus, dass zumindest ein „gewisses persönliches Substrat“ vorhanden ist.70 bb) Dachverbände als Religionsgemeinschaften Problematisch sind vor diesem Hintergrund Dachverbände, deren Mitglieder Personenzusammenschlüsse sind. Mehrere bedeutende muslimische Vereinigungen in Deutschland sind Dachverbände und verstehen sich auch als solche. Das kommt mitunter schon im Namen der Organisation zum Ausdruck, wie etwa in dem der Islamischen Föderation, die in Berlin, wo nach Art. 141 GG die Vorschriften des Art. 7 Abs. 3 GG nicht zur Anwendung kommen, gerichtlich durchgesetzt hat, den landesrechtlich (in § 23 Abs. 1 BerlSchulG a.F., jetzt § 13 BerlSchlG v. 26.1.2004, GVBl. 2004, S. 26) vorgesehenen religiösen 67

Oben Anm. 13.

68

Vgl. Axel v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 22 ff., auch zum Folgenden; ferner Jörg Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen, 2001, S. 19. 69

Vgl. bereits Stefan Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, 311, 312; ders., Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde (Anm. 56), S. 60 m.w.N.; zust. etwa OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 22 der Entscheidungsgründe; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften (Anm. 41), S. 72 f. 70

Hermann Weber, Die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften. Grundätzliche und aktuelle Probleme, in: ZevKR 34 (1989), S. 337, 347.

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Unterricht an Berliner Schulen abhalten zu dürfen.71 Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. versteht sich als Dachverband; im Ergebnis ist auch der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland/Islamischer Weltkongress Deutschland e.V. als Dachverband zu qualifizieren.72 Die Satzungen mancher Dachverbände sehen vor, dass die Mitglieder der Mitgliedsverbände automatisch Mitglieder des Dachverbandes sind. So verfügt der Dachverband dann formal über natürliche Personen als Mitglieder.73 'LH5HFKWVSUHFKXQJ]XPXVOLPLVFKHQ'DFKYHUEänden Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen solche Verbände Religionsgemeinschaften i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG sind, wird bislang sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Während das Oberverwaltungsgericht Berlin in dem erwähnten Streit um muslimischen Religionsunterricht – aufgrund der Bremer Klausel des Art. 141 GG außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 7 Abs. 3 GG – ohne weiteres davon ausging, dass ein Dachverband Religionsgemeinschaft i.S. von § 23 Abs. 1 BerlSchulG a.F. sein kann, lehnt das Oberverwaltungsgericht für das Land NordrheinWestfalen dies weitgehend ab.74 Nur soweit das OVG NRW im Einzelnen die organisatorische Struktur des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland/Islamischer Weltkongress Deutschland e.V. (Kläger zu 2 des Klageverfahrens vor dem OVG) auf die Bedeutung der Mitgliedschaft natürlicher Personen untersucht, können seine Ausführungen so verstanden werden, dass auch Dachverbände – ausnahmsweise – Religionsgemeinschaften sein können.75 Demgegenüber hatte das VG Düsseldorf als Vorinstanz betont, dass die Organisation in Dachverbänden der Qualifikation als Religionsgemeinschaft „nicht von vornherein“ entgegenstehe, sie „nicht per se“ ausschließe. Das VG Düsseldorf hatte allerdings verlangt, dass mit der Gemeinschaft ein Ansprechpartner gegeben sei, der über ein Mandat für die Festlegung von inhaltlichen Grundsätzen des Religionsunterrichts verfüge, das legitimiert sei durch die natürlichen Personen, die sich zu einer Religionsgemeinschaft zusammengeschlossen hätten.

71

BVerwGE 110, 326; Vorinstanz: OVG Berlin, DVBl. 1999, 554 m. Anm. Muckel; zur Rechtslage in Berlin bereits oben III. 1. 72

Zu diesen Verbänden OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 3 f., 21 ff. der Urteilsausfertigung. 73

Vgl. dazu Muckel, Muslimische Gemeinschaften (Anm. 69), S. 312; ders., Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde (Anm. 56), S. 60, jeweils mit Beispielen. 74 OVG Berlin, DVBl. 1999, 554, 555 f.; OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 21 – 25 der Entscheidungsgründe; dazu auch oben Anm. 3. 75

OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 27 der Entscheidungsgründe.

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Stefan Muckel

Es müsse eine durchgehende „Legitimationskette“ vom Ansprechpartner zur Basis der Religionsgemeinschaft gegeben sein.76 In der Tat wird man einen völligen apriorischen Ausschluss von Dachverbänden aus dem Begriff der Religionsgemeinschaft verfassungsrechtlich nicht überzeugend vertreten können. Die Verfassung selbst geht in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 3 WRV davon aus, dass ein Dachverband, der aus Religionsgemeinschaften besteht, selbst Körperschaft des öffentlichen Rechts werden kann, also Rechte erhält, die nur Religionsgemeinschaften zustehen und rechtlich somit zumindest wie eine Religionsgemeinschaft behandelt wird. Im Übrigen lassen sich weder aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 GG, aus der Geschichte des Begriffs der Religionsgemeinschaft, aus Sinn und Zweck der Vorschriften über den Religionsunterricht und aus dem Gesamtzusammenhang des vom Grundgesetz geformten Staatskirchenrechts durchgreifende Gründe dafür ableiten, Dachverbände per se nicht als Religionsgemeinschaften anzusehen. Die in eine andere Richtung weisenden Überlegungen des OVG NRW in seinem Urteil vom 2.12.200377 können möglicherweise damit erklärt werden, dass die Kläger dieses Verwaltungsstreitverfahrens, der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. und der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland/Islamischer Weltkongress Deutschland e.V., in ihren gegenwärtigen Strukturen in der Tat nicht als Religionsgemeinschaften i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG in Betracht kommen. Dieses Ergebnis könnte dem OVG NRW klarer vor Augen gestanden haben als dem VG Düsseldorf, das in erster Instanz zu entscheiden hatte. 'LH/LWHUDWXU]XPXVOLPLVFKHQ'DFKYHUEänden In der Literatur wird heute, soweit ersichtlich, nicht mehr ausgeschlossen, dass auch Dachverbände Religionsgemeinschaften sind. Dabei findet sich in jüngerer Zeit zunehmend eine Sichtweise, die muslimische Dachverbände generell als Religionsgemeinschaften i.S. von Art. 7 Abs. 3 GG ansieht,78 oder 76

VG Düsseldorf, NWVBl. 2002, 196, 200.

77

OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 21 ff. der Entscheidungsgründe.

78

Janbernd Oebbecke, Islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen – Aktuelle Fragen und Problemstellungen, epd-Dokumentation 2/00, S. 3, 10; Heckel, Religionsunterricht für Muslime? (Anm. 33), S. 752; Pieroth, Muslimische Gemeinschaften als Religionsgesellschaften (Anm. 41), S. 118 f.; Pieroth/Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 941; Magen, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG (Anm. 57), Art. 140 Rn. 60; Anger, Islam in der Schule (Anm. 20), S. 360 f., 368; früher schon Gerhard Eiselt, Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, DÖV 1981, 205, 206, der aber nicht auf das Fehlen natürlicher Personen eingeht; Cavdar, Islamischer Religionsunterricht (Anm. 33), S. 269, mit

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ihnen jedenfalls die Funktion des Ansprechpartners für die Einrichtung von Religionsunterricht zuweist79. Diese, islamischen Dachverbänden weit entgegenkommende Auffassung ist mit dem überkommenen Verständnis von Religionsgemeinschaften, das, wie dargelegt, dem Grundgesetz zugrunde liegt, nicht vereinbar. Soweit die großzügige Sichtweise sich zur Begründung auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, mit dem auch das Selbstorganisationsrecht verbunden ist, stützt,80 vertauscht sie Voraussetzungen und Folgen des Selbstbestimmungsrechts. Denn es ist zwar nicht zu bestreiten, dass den Religionsgemeinschaften das Recht der Selbstorganisation aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zukommt. Doch setzt dies gerade voraus, dass es sich um Religionsgemeinschaften handelt. Auch in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV wird ein verfassungsrechtlicher Begriff der Religionsgemeinschaft gefordert, dessen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das Selbstbestimmungsrecht überhaupt ins Feld geführt werden kann.81 Vorzugswürdig ist deshalb eine engere Ansicht, die an dem traditionellen Begriff der Religionsgemeinschaft festhält und die demgemäß davon ausgeht, dass Religionsgemeinschaften aus natürlichen Personen bestehen. Daraus folgt zunächst zwangsläufig, dass reine Dachverbände, also Verbände, denen nur juristische Personen beitreten können, keine Religionsgemeinschaften sein können.82

Blick auf den früheren „Islamischen Arbeitskreis in Deutschland“ und späteren Zentralrat der Muslime in Deutschland, wobei allerdings ebenfalls der zentrale Aspekt, die Mitgliedschaft natürlicher Personen, nicht problematisiert wird. 79 Wolfgang Bock, Verfassungsrechtliche Probleme der Einführung islamischen Religionsunterrichts, RdJB 2001, 330, 340. 80

Pieroth, Muslimische Gemeinschaften als Religionsgesellschaften (Anm. 41), S. 118 f.; Pieroth/Görisch, Was ist eine „Religionsgemeinschaft“? (Anm. 31), S. 941; Heckel, Religionsunterricht für Muslime? (Anm. 33), S. 752. 81

Vgl. OVG NRW, Urt. v. 2.12.2003 (Anm. 2), S. 24 der Entscheidungsgründe; zur Maßgeblichkeit des vom Grundgesetz vorausgesetzten Begriffsverständnisses BVerfGE 83, 341, 353, wo das BVerfG betont, dass es auf den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten Begriff der Religion ankommt, und damit dem Selbstverständnis im Hinblick auf den Begriff der Religion, aber ausdrücklich auch der Religionsgemeinschaft Grenzen aufzeigen möchte. 82

Vgl. bereits Muckel, Muslimische Gemeinschaften (Anm. 69), S. 312; zustimmend Frank Fechner, Zur Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften, Jura 1999, 515, 516; Reiner Tillmanns, Islamischer Religionsunterricht in Berlin. Anmerkungen zu einem langjährigen Rechtsstreit, RdJB 1999, 471, 476; Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport (Anm. 32), S. 545; Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde (Anm. 20), S. 173 f.;

740

Stefan Muckel

Für muslimische Dachverbände, die nicht nur aus juristischen Personen, sondern auch aus natürlichen Personen – insbesondere in der Form, dass nach der Satzung des Dachverbandes die natürlichen Personen, die Mitglieder der Unterverbände sind, auch Mitglieder des Dachverbandes sind – bestehen, führt diese Sichtweise zu differenzierten Anforderungen und Ergebnissen, die im Folgenden skizziert werden sollen.83 'DFKYHUEände als gelebte Gemeinschaften natürlicher Personen oder Zusammenschlüsse religiös homogener Mitgliedsvereine Allein auf die Satzung kann es nicht ankommen. Eine lediglich formale Mitgliedschaft natürlicher Personen im Dachverband genügt nicht. Zu fordern ist auf der Basis dessen, dass es sich bei Religionsgemeinschaften gerade um Zusammenschlüsse natürlicher Personen handelt, eine gelebte Gemeinschaft der natürlichen Personen, und zwar auf der Ebene des Dachverbandes, wenn dieser die Religionsgemeinschaft sein soll. Als Religionsgemeinschaft muss der Dachverband selbst über das „persönliche Substrat“84 verfügen. Welche Anforderungen an das Gemeinschaftsleben im Dachverband zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Anhaltspunkte bietet das religiöse Leben in den angeschlossenen Vereinen. Wird in den Vereinen eine intensive religiöse Gemeinschaft gepflegt, so prägt sie den Charakter der Gemeinschaft mit der Folge, dass für die Ebene des Dachverbandes Vergleichbares zu fordern ist. Bleibt das religiöse Leben im Dachverband demgegenüber deutlich hinter dem religiösen Leben in den Vereinen zurück, liegt die Vermutung nahe, dass die natürlichen Personen ihre religiöse Heimat ausschließlich in den Vereinen sehen. Das heißt: Je intensiver die religiöse Gemeinschaft in den angeschlossenen Vereinen gepflegt wird, umso höhere Anforderungen wird man an das Gemeinschaftsleben im Dachverband stellen dürfen. Das gilt aber, worauf Si-

in der Sache wohl auch Schlink, Revisionsbegründung (Anm. 43), S. 61; Poscher, Totalität – Homogenität – Zentralität – Konsistenz (Anm. 39), S. 62; Heinig, Öffentlichrechtliche Religionsgesellschaften (Anm. 41), S. 70; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 108. 83

Vgl. bereits Muckel, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde (Anm. 56), S. 60 f.; weitgehend zustimmend neuerdings Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 108 ff.; Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde (Anm. 20), S. 173 ff. 84

H. Weber, Die Verleihung der Körperschaftsrechte (Anm. 70), S. 347; vgl. bereits oben III. 4. g. aa.

Wann ist eine Gemeinschaft Religionsgemeinschaft?

741

mone Spriewald mit Recht hingewiesen hat,85 nur, soweit die einzelnen Mitgliedsverbände im Dachverband wenig homogen sind; bei großer religiöser Homogenität liegen geringere Anforderungen an die gelebte Gemeinschaft im Dachverband nahe. Wenn die Mitgliedsverbände in ihrer religiösen Ausrichtung und in ihrem religiösen Leben sehr ähnlich sind und sich demgemäß vom Dachverband nur in allenfalls geringem Maße unterscheiden, genauer: unterscheiden können, dann bedarf es keiner besonderen Anforderungen an eine gelebte Gemeinschaft gerade im Dachverband. Besteht unter den angeschlossenen Vereinen weitgehende religiöse Übereinstimmung, ist der Dachverband gar nicht erfoderlich, um die einzelnen Vereine in inhaltlicher Hinsicht zu einer Gemeinschaft zu verklammern. Aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe sind die einzelnen Vereine ohnehin schon eine Einheit im Glauben. Diese religiöse Einheit kann noch einmal auf der Ebene eines Dachverbandes abgebildet werden. Das hat dann aber nur formale rechtlich-organisatorische Bedeutung oder den Zweck, einen mitgliederstarken Verband zu bilden. Dann bedarf es keines intensiven religiösen Lebens auf der Ebene des Dachverbandes, um den Gesamtverband als Einheit erscheinen zu lassen. Sind die angeschlossenen Vereine in ihrer religiösen Ausrichtung hingegen weniger homogen, wird man erhöhte Anforderungen an das verbindende gemeinsame Leben im Dachverband stellen müssen, damit der Gesamtverband noch als Einheit erscheint. Es kommt also auf die religiöse Homogenität der Mitgliedsverbände an.86 Dachverbände, die in diesem Sinne ein hohes Maß an Homogenität der in ihnen zusammengeschlossenen Vereinigungen aufweisen, können mangels entgegenstehender Gesichtspunkte, wie ausdrücklicher Bekundungen einzelner Mitgliedsverbände, als Religionsgemeinschaft der in den Unterverbänden zusammengeschlossenen natürlichen Personen angesehen werden, wenn das Satzungsrecht des Dachverbandes dies vorsieht. Bei Dachverbänden, die nicht über eine weitgehende Homogenität der Mitgliedsverbände in religiöser Hinsicht verfügen, kommt es darauf an, ob eine gelebte Gemeinschaft auch und gerade auf der Ebene des Dachverbandes erkennbar ist. Keine dieser beiden Alternativen wird von den meisten muslimischen Dachverbänden in Deutschland erfüllt. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass eine Reihe muslimischer Gemeinschaften sich mit Erfolg darum bemüht, Religionsgemeinschaft im Rechtssinne, insbesondere i.S. von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG zu werden. Darüber hinaus darf nicht unbeachtet bleiben, dass Religionsgemeinschaften durchaus nicht unbedingt über Mitgliederzahlen 85

Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 116, 86 Vgl. Muckel, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde (Anm. 56), S. 61; Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht (Anm. 9), S. 115 f.

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im fünf- oder sechsstelligen Bereich verfügen müssen. Auch kleinere Einheiten können Religionsgemeinschaften sein87. Allerdings stößt der Wunsch kleiner Religionsgemeinschaften auf Einführung von Religionsunterricht auf praktische Schwierigkeiten, die mitunter kaum überwindbar sein dürften.

87

Emenet, Verfassungsrechtliche Probleme einer islamischen Religionskunde (Anm. 20), S. 200 ff., 207.

Die Zentrale Gutachterstelle der Deutschen Bischofskonferenz für das kollektive Arbeitsrecht Von Reinhard Richardi I. Einführung Bereits in der ersten ihm gewidmeten Festschrift wurde hervorgehoben, dass das Verhältnis von Kirche und Staat das wissenschaftliche Lebenswerk Joseph Listls1 prägt. Stets ging und geht es ihm darum, die Freiheit der Kirche im Staat zu sichern. Dabei fällt dem kirchlichen Dienst eine Schlüsselrolle zu; denn es sind Menschen, durch die die Kirche ihren Auftrag in der Welt erfüllt. Unter den Bedingungen, wie sie vor allem in der freien Wohlfahrtspflege eingetreten sind, handelt es sich dort fast ausschließlich um einen Personenkreis, der auf Grund eines Vertrags mit dem Rechtsträger einer kirchlichen Einrichtung Dienstleistungen erbringt. Da der kirchliche Rechtsträger sich wie jedermann der Privatautonomie bedient, findet das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Die Einbeziehung in die staatliche Rechtsordnung beseitigt jedoch nicht das Selbstbestimmungsrecht der Kirche innerhalb der staatlichen Ordnung. Es ist ihr im Gegenteil durch das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes verfassungsrechtlich garantiert (Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV). Der Staat muss deshalb der Kirche eigene Wege offen halten, damit sie von der zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässlichen Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung Gebrauch machen kann.2 Die Arbeitsverfassung der Bundesrepublik Deutschland wird vor allem durch das kollektive Arbeitsrecht bestimmt, das Gestaltungsbefugnisse für die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen einer Gruppenautonomie zuweist. Sowohl das Tarifvertragssystem mit arbeitskampfrechtlicher Konfliktlösung als auch die gesetzliche Mitbestimmungsregelung haben deshalb Auswirkungen

1

Vgl. Richardi, Preisgabe kirchlicher Einrichtungen durch Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft, in: FS Listl, 1999, S. 481 ff. 2

BVerfGE 53, 366 (401); 57, 220 (224); 70, 138 (164).

Reinhard Richardi

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auf die Ordnung, deren Gestaltung zu den eigenen Angelegenheiten einer Religionsgesellschaft gehört. Im Fall Goch hat das Bundesverfassungsgericht erkannt, dass den Kirchen verfassungsrechtlich gewährleistet ist, darüber zu bestimmen, „ob und in welcher Weise die Arbeitnehmer und ihre Vertretungsorgane in Angelegenheiten des Betriebs, die ihre Interessen berühren, mitwirken und mitbestimmen“.3 Entsprechend sind die Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen aus dem Geltungsbereich der staatlichen Gesetze über eine institutionelle Mitbestimmung ausgenommen (§ 118 Abs. 2 BetrVG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG, § 112 BPersVG, § 1 Abs. 4 MitbestG, § 81 Abs. 2 BetrVG 1952). Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts sichert den Kirchen weiterhin, ihre Arbeitnehmer an der Festlegung der Arbeitsentgelte und der Regelung ihrer Arbeitsbedingungen nach dem Modell des „Dritten Weges“ zu beteiligen. Art. 7 der für den Bereich der katholischen Kirche kirchengesetzlich geltenden Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse bestimmt, dass die katholische Kirche das Verhandlungsgleichgewicht ihrer abhängig beschäftigten Mitarbeiter bei Abschluss und Gestaltung der Arbeitsverträge durch ein eigenes Arbeitsrechtsregelungsverfahren sichert. Entsprechend ist daher festgelegt, dass wegen der Einheit des kirchlichen Dienstes und der Dienstgemeinschaft als Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge abschließen. Es gelten vielmehr die kirchengesetzlich geschaffenen Ordnungen über die paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen, die sog. KODA-Ordnungen. Sowohl für die KODA-Ordnungen wie auch für das kirchengesetzlich geschaffene Mitarbeitervertretungsrecht stellt sich die Frage nach dem Rechtsschutz, wenn in diesem Bereich Rechtsstreitigkeiten auftreten. II. Gerichtsschutz bei Streitigkeiten aus dem kollektiven Arbeitsrecht der Kirche 1. Rechtsweg zu den staatlichen Arbeitsgerichten Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts umfasst mit der Kompetenz zur Rechtsetzung in eigenen Angelegenheiten die Befugnis zur Kontrolle des selbstgesetzten Rechts.4 Daraus hat das Bundesarbeitsgericht die Konsequenz für Streitigkeiten aus dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht gezogen: Die Abgrenzung richtet sich nach dem Streitgegenstand. Handelt es 3 4

BVerfGE 46, 73 (94).

Vgl. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1991, Art. 140 Rn. 113 mit weit. Nachw. aus dem Schrifttum.

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sich um eine Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis, so entscheiden über sie die staatlichen Arbeitsgerichte (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG). Sie sind auch zuständig, wenn die Entscheidung von der Anwendung des auf den Fall anwendbaren Kirchenrechts abhängt. Sie haben also insoweit die Kompetenz zur Inzidentkontrolle.5 Sie müssen das kirchliche Recht anwenden, wenn nicht durch Kirchengesetz festgelegt ist, dass zur Klärung der Vorfrage ein kirchliches Gericht zuständig ist.6 Daraus folgt zugleich, dass es staatliche Judikatur zum Kirchenrecht gibt. Die Rechtslage ist prinzipiell anders, wenn der Streitgegenstand nicht eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis, sondern eine Streitigkeit über Gestaltung und Anwendung des kircheneigenen Arbeitsrechtsregelungsverfahrens oder der kirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetze betrifft. Es geht in diesen Fällen ausschließlich um die Rechtsposition innerhalb einer kircheneigenen Regelung. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits mehrfach klargestellt, dass für eine Streitigkeit aus dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten verschlossen ist.7 Wer zur kirchlichen Mitarbeitervertretung wählbar ist, ob eine kirchliche Mitarbeitervertretung in einer Angelegenheit mitzubestimmen hat und ob ihr Kosten zu erstatten sind, können daher staatliche Gerichte nicht entscheiden. 2. Kircheneigene Rechtskontrolle Damit stellt sich die Frage nach dem Gerichtsschutz, die in einem Rechtsstaat nicht unbeantwortet bleiben kann. Das Bundesarbeitsgericht meinte, sie aber gleichwohl offen lassen zu können, weil die in den kirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetzen zur Entscheidung von Mitbestimmungsstreitigkeiten vorgesehene Schlichtungsstelle als kirchliches Gericht anzusehen sei, das rechtsstaatlichen Anforderungen genüge.8 Entscheidend sei, dass „die in den Mitarbeitervertre-

5

So bei einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Kündigung für die Prüfung, ob der Arbeitgeber die Mitarbeitervertretung beteiligt hat, BAG AP Nr. 41 zu Art. 140 GG; BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB Kirchendienst; bereits vorher BAG, in: Der Personalrat 1992, 478 ff.; BAG, in: Die Mitarbeitervertretung (ZMV) 1992, 247 ff.; BAG vom 21.5.1992 – 2 AZR 49/92 (nicht veröffentlicht). 6 Ebenso Dütz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), 67 (106). 7

BAGE 51, 238 ff. = AP Nr. 25 zu Art. 140 GG; BAGE 61, 376 ff. = AP Nr. 34 zu Art. 140 GG; BAGE 71, 157 ff. = AP Nr. 40 zu Art. 140 GG. 8

BAGE 61, 376 (384).

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tungsordnungen vorgesehenen Schlichtungsstellen aus der Sicht des Staatskirchenrechts auch als besondere kirchliche Gerichte tätig werden“.9 Die Besetzung der Schlichtungsstellen entspricht in der katholischen Kirche nicht den Anforderungen, die dort an ein Gericht gestellt werden (vgl. cc. 1420 ff. CIC). Außerdem war ursprünglich nicht richtig erkannt, dass die Zuständigkeit der Schlichtungsstellen sich nicht nur auf Interessensstreitigkeiten, die zu schlichten sind, sondern auch auf Rechtsstreitigkeiten bezog, über die zu richten ist. Nach dem Vorbild, wie es ursprünglich auch für die staatlichen Gesetze bestand, waren die Zuständigkeitsfälle abschließend aufgeführt. Den letzteren Mangel beseitigte die von den Bischöfen als Kirchengesetz erlassene „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“, die in ihrem Art. 10 Abs. 2 die folgende Anordnung trifft: „Für Rechtsstreitigkeiten auf den Gebieten der kirchlichen Ordnungen für ein Arbeitsvertrags- und des Mitarbeitervertretungsrechts werden für den gerichtlichen Rechtsschutz unabhängige kirchliche Gerichte gebildet.“ Da diese Aufgabe, soweit es um das Mitarbeitervertretungsrecht geht, bisher von den Schlichtungsstellen wahrgenommen wird, haben die Bischöfe für diesen Bereich das bisher geltende Enumerationsprinzip durch eine Generalklausel ersetzt. Die Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) bestimmt in § 41 Abs. 2, dass die Schlichtungsstelle in allen Rechtsstreitigkeiten mitarbeitervertretungsrechtlicher Art einschließlich solcher des Wahl- und Schlichtungsverfahrens angerufen werden kann. Soweit es um die Rechtsstreitigkeiten aus dem KODA-Bereich geht, wurden ebenfalls Übergangslösungen getroffen, die den Gerichtsschutz einer mitarbeitervertretungsrechtlichen Schlichtungsstelle zuweisen.10 Gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle ist derzeit, auch soweit es um Rechtsfragen geht, kein Rechtsmittel gegeben. Diesen Mangel wird erst die geplante kirchliche Arbeitsgerichtsordnung beheben. Die Gerichtsbarkeit soll in erster Instanz durch Kirchliche Arbeitsgerichte und in zweiter Instanz durch den Kirchlichen Arbeitsgerichtshof ausgeübt werden. Die Deutsche Bischofskonferenz hat dem Heiligen Stuhl mit dem Entwurf einer „Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung“ die Frage vorgelegt, ob von Seiten des Apostolischen Stuhls Bedenken bestünden, wenn man nach der vorgelegten Ordnung verfahre. Die zuständige Apostolische Signatur hat dazu in einem Votum der Versammlung ihres Obersten Gerichtshofes vom 18. Februar 2003 darauf hingewiesen, dass die Errichtung eines überdiözesanen Gerichtes, wie es für die zweite Instanz vorgesehen ist, der Mitwirkung des Heiligen Stuhles bedarf. Sie hat aber den 9

BAGE 61, 376 (384 – Hervorhebung durch das BAG).

10

Vgl. zu den Einzelheiten Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 4. Aufl. 2003, S. 372 und dort Fn. 19.

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Entwurf mit Monita gebilligt und empfohlen, dass die Bischofskonferenz für die Promulgation der Verfahrensordnung bei dem Heiligen Stuhl ein besonderes Mandat (i. S. von can. 455 § 1 CIC) beantragt. Da die vorgelegte Ordnung als Grundlage des Mandats gebilligt wird, werden nach ihrer Verabschiedung unter Einbeziehung der vorgeschlagenen Monita durch die Bischofskonferenz und der Genehmigung der Apostolischen Signatur kirchliche Arbeitsgerichte erster und zweiter Instanz errichtet. Ein kirchlicher Gerichtsschutz ist dann auch formal umfassend gewahrt. 3. Bildung und Funktion der Zentralen Gutachterstelle Zur Sicherung der Rechtseinheit und Heranbildung einheitlicher Rechtsgrundsätze für den KODA-Bereich und die kircheneigene Betriebsverfassung hat der Verband der Diözesen Deutschlands bereits 1988 eine Zentrale Gutachterstelle eingerichtet. Organisation und Funktion sind kirchengesetzlich geregelt.11 Nach § 1 der Ordnung hat die beim Verband der Diözesen Deutschlands bestehende Zentrale Gutachterstelle die Aufgabe, auf Antrag einer zuständigen Schlichtungsstelle schriftliche Gutachten über die Auslegung der KODAOrdnungen bzw. der Mitarbeitervertretungsordnung zu erstellen, wenn entweder die Schlichtungsstelle in ihrer Entscheidung von der Entscheidung einer anderen Schlichtungsstelle abweichen will oder wenn es sich um einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung handelt und die Rechtsfrage für den vorgelegten Fall Bedeutung hat. III. Ausgewählte Beispiele aus den Rechtsgutachten der Zentralen Gutachterstelle Die Zentrale Gutachterstelle hat seit ihrer Errichtung eine Vielzahl von Rechtsgutachten erstattet. Der Funktion nach handelt es sich um eine richterliche Tätigkeit, wie sie von den Revisionsgerichten ausgeübt wird. Obwohl es überwiegend um spezifisch arbeitsrechtliche Probleme ging, wird dadurch ein Beitrag geleistet, um die Eigenständigkeit kirchlichen Rechts innerhalb einer pluralistisch verfassten Gesellschaftsordnung zu sichern. 1. Personelle Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung Nach § 34 MAVO bedarf die Einstellung von Mitarbeitern der Zustimmung der Mitarbeitervertretung. Diese kann die Zustimmung aber nur aus eng umris-

11

Vgl. z. B. Ordnung für die Zentrale Gutachterstelle, ABl. Limburg 1997, 115.

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senen Gründen verweigern. Daher stellte sich die Frage, ob der Dienstgeber die Mitarbeitervertretung über alle Mitbewerber zu unterrichten hat. Zu der vergleichbaren Bestimmung im staatlichen Recht, dem § 99 BetrVG, wird die Auffassung vertreten, dass bei einer geplanten Einstellung dem Betriebsrat die erforderlichen Bewerbungsunterlagen aller Bewerber vorzulegen sind und Auskunft über deren Person zu geben ist.12 Was zu § 99 BetrVG richtig ist, braucht nicht festgestellt zu werden; denn der kirchliche Gesetzgeber hat durch den eindeutigen Gesetzestext festgelegt, dass eine Pflicht des Dienstgebers zur Unterrichtung über die Personen der Mitbewerber ausscheidet. Entsprechend kam daher die Zentrale Gutachterstelle in ihrem Gutachten vom 24. August 1996 zu dem Ergebnis, dass der Dienstgeber die Mitarbeitervertretung bei einem Einstellungsverfahren nur über die Person des Einzustellenden, nicht aber auch über die (internen und externen) Mitbewerber zu unterrichten hat. Zum Bereich der personellen Mitbestimmung zählt, dass die Mitarbeitervertretung auch bei der Eingruppierung von Arbeitnehmern ein Zustimmungsverweigerungsrecht hat (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 MAVO). Das Mitbestimmungsrecht bezweckt hier eine Richtigkeitskontrolle. Es stellte sich deshalb die Frage, ob der Wechsel des Vergütungssystems einen Zustimmungsverweigerungsgrund bildet. Die Zentrale Gutachterstelle gelangte zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes schon deshalb nicht als Zustimmungsverweigerungsgrund in Betracht kommt, weil er keine Schranke der Vertragsfreiheit ist, soweit es sich nicht um zwingende Gleichstellungsgebote handelt. Der Wechsel des Vergütungssystems berechtigt daher die Mitarbeitervertretung nicht, die Zustimmung zur Eingruppierung zu verweigern. Die Zentrale Gutachterstelle stellte aber klar, dass ein Verstoß i. S. des § 35 Abs. 2 Nr. 1 MAVO vorliegt und daher einen Zustimmungsverweigerungsgrund bildet, „wenn ein der Kirche zugeordneter Dienstgeber, wie dies für die Mitglieder des Caritasverbandes zutrifft, ein Vergütungssystem zugrunde legt, das nicht kirchengesetzlich legitimiert ist, also – im Gegensatz zu den Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR) – auf keiner KODA-Ordnung beruht“.13 2. Informationspflicht des Dienstgebers gegenüber der Mitarbeitervertretung Die veränderte finanzielle Situation erfordert Umstrukturierungen nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern erfasst auch die karitativen Einrichtungen.

12

Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 99 BetrVG 1972; bestätigt durch BAGE 35, 287 = AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972. 13

Zentrale Gutachterstelle: Gutachten über die Zugrundelegung des BAT Bund/Land bei Neueinstellungen vom 16. August 2001; abgedruckt in: ZMV 2002, 188 ff.

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Deshalb spielt eine erhebliche Rolle, ob und in welchem Umfang der Dienstgeber Informationspflichten gegenüber der Mitarbeitervertretung hat. Meinungsverschiedenheiten ergeben sich aus der missverständlichen Formulierung in der Mitarbeitervertretungsordnung. So heißt es in § 27 Abs. 2 MAVO Speyer: „Der Dienstgeber informiert die Mitarbeitervertretung insbesondere über Änderungen und Ergänzungen des Stellenplanes“. Mit dieser Bestimmung steht in einem systematischen Zusammenhang die zuvor enthaltene Bestimmung in § 26 Abs. 2 Satz 1 MAVO Speyer, nach der der Mitarbeitervertretung auf Verlangen die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen vorzulegen sind. Daraus ergibt sich, dass ein abstrakter Stellenplan (Sollzustand), soweit er vorhanden ist, zu den Unterlagen gehört, die der Mitarbeitervertretung vorzulegen sind.14 Er braucht aber nicht erstellt zu werden, um der Vorlagepflicht zu genügen. In jedem Fall müssen aber die Unterlagen über den Istzustand vorgelegt werden, die Angaben zu der Zahl der Stellen und deren Zuordnung zu den Vergütungsgruppen enthalten. In einem zweiten Gutachten hat die Zentrale Gutachterstelle klargestellt, dass eine namentliche Benennung der jeweiligen Stelleninhaber nicht verlangt werden kann; etwas anderes gilt nur, wenn ohne sie die Angaben im Sinne der Aufgabenerfüllung der Mitarbeitervertretung nicht transparent und nachvollziehbar sind, so dass diese nicht prüfen kann, ob – z. B. im Fall einer Eingruppierung – ein Zustimmungsverweigerungsgrund in Betracht kommen kann.15 3. Problem der Vollstreckbarkeit Ein bisher nicht gelöstes Problem ist die Durchsetzung von Sprüchen der Schlichtungsstelle. Wenn der Dienstgeber sie nicht beachtet, liegt es nahe, dass die Mitarbeitervertretung versucht, durch erneute Anrufung der Schlichtungsstelle durchzusetzen, was bereits festgestellt ist. Doch ist in einem derartigen Fall der Antrag der Mitarbeitervertretung unzulässig, weil die Schlichtungsstelle nicht die Funktion eines Vollstreckungsgerichts erfüllt. Die Mitarbeitervertretungsordnungen sehen zwar für die Regelung des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle besondere vom Diözesanbischof zu erlassende Verfahrensordnungen vor; diese Verfahrensordnungen enthalten aber keine Regelungen, die sich auf die Vollstreckung beziehen.

14

Vgl. Zentrale Gutachterstelle: Stellenplangutachten vom 16. August 2001, abgedruckt in: ZMV 2002, 186 ff. 15

Zentrale Gutachterstelle: Gutachten über die Informationspflicht nach § 31 Abs. 1 MAVO Trier vom 28. August 2002.

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4. Rechtsstellung des Diözesanbischofs in den KODA-Ordnungen Der Erlass der KODA-Ordnungen fällt in die Gesetzgebungsbefugnis der Diözesanbischöfe. Wie die von ihnen als Kirchengesetz erlassene „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ berücksichtigen die KODA-Ordnungen, dass die Gesetzgebungsbefugnis des Bischofs kirchenrechtlich begrenzt sein kann und dass insbesondere bei verselbständigten Einrichtungen in privatrechtlicher Form eine Zuordnung zur Kirche durch die Satzung abgesichert sein muss. Da staatskirchenrechtlich die Sonderstellung innerhalb der Arbeitsrechtsordnung aber nicht auf der Satzungsautonomie, sondern auf dem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht der Kirche beruht,16 sind Rechtsträger, für die der Bischof die KODA-Ordnung nicht unmittelbar in Kraft setzen kann, gehalten, sie für ihren Bereich rechtsverbindlich zu übernehmen. Die KODA-Ordnung Nordrhein-Westfalen17 ermöglicht, dass kirchliche Einrichtungen, die nicht zur verfassten Kirche gehören, eigene Arbeitsrechtliche Kommissionen bilden (§ 1 Abs. 3). Für diesen Fall genügt, die Bildung der Kommission dem bischöflichen Generalvikariat anzuzeigen. Wird dieser Weg beschritten, so findet die KODA-Ordnung Nordrhein-Westfalen gleichwohl auf die Zusammensetzung und das Verfahren der Kommission Anwendung. Zu den Bestimmungen, von denen nicht abgewichen werden kann, gehört, wie die Zentrale Gutachterstelle festgestellt hat, das Beanstandungs- und das Letztentscheidungsrecht des Diözesanbischofs.18 Davon zu unterscheiden ist, dass bei einer Einrichtung in privatrechtlicher Organisationsform eine Arbeitsrechtliche Kommission auf Grund einer eigenen Ordnung gebildet wird. Soll die Zuordnung zur katholischen Kirche gewahrt bleiben, so muss die Ordnung auch in diesem Fall als Kirchengesetz ergehen. Ihr Erlass kann kirchenrechtlich nicht an eine Gesellschafterversammlung delegiert werden, wie die Zentrale Gutachterstelle klargestellt hat.19 Nach can. 391 § 2 CIC übt der Bischof die gesetzgebende Gewalt selbst aus. Soweit die Arbeitsrechtliche Kommission innerhalb des „Dritten Weges“ eine Funktion erhalten soll, muss sie, wie Art. 7 Abs. 1 der Grundordnung es verlangt, mit Vertretern der Dienstgeber und mit Vertretern der Mitarbeiter paritätisch besetzt sein. Dabei kann offen bleiben, ob es kirchenrechtlich geboten ist, dass der

16

BAG, AP Nr. 41 zu Art. 140 GG.

17

Vgl. KirchlABl. Münster 1997, S. 167.

18

Zentrale Gutachterstelle: Gutachten über Inhalt und Reichweite des § 1 Abs. 3 KODA-Ordnung NW vom 11. August 2003. 19

Zentrale Gutachterstelle: Gutachten über Inhalt und Reichweite des § 1 Abs. 3 KODA-Ordnung NW vom 11. August 2003.

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Diözesanbischof ein Beanstandungs- oder Letztentscheidungsrecht erhält. In jedem Fall wird aber die Parität preisgegeben, wenn innerhalb einer Ordnung an die Stelle des Diözesanbischofs die Gesellschafterversammlung gesetzt wird; denn sie ist der Arbeitgeberseite zugeordnet. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu einer kirchenrechtlich gebotenen Einschaltung des Diözesanbischofs. Die Bischöfe haben bereits in ihrer Erklärung zum kirchlichen Dienst vom 27. Juni 1983 zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass der Bischof, der die umfassende Verantwortung für das Heil der ihm anvertrauten Gläubigen trage, nicht einfach als „Arbeitgeber“ verstanden werden könne.20 Soweit der Bischof sich in der KODA-Ordnung ein Letztentscheidungsrecht vorbehält, konnte die Zentrale Gutachterstelle offenhalten, wie dieses Recht sich zur Gesetzgebungsbefugnis des Diözesanbischofs verhält. Da er die gesetzgebende Gewalt ausübt, die er nicht auf andere Gremien delegieren kann, erlässt er die KODA-Ordnung als kirchliches Gesetz. Entsprechend ist er auch befugt, sie wieder außer Kraft zu setzen. Solange sie aber zur Verwirklichung des „Dritten Weges“ besteht, darf die in ihr dem Bischof eingeräumte Befugnis nicht mit dessen Gesetzgebungsbefugnis verwechselt werden. Wenn und soweit ihm nach der KODA-Ordnung ein Beanstandungs- oder Letztentscheidungsrecht zufällt, muss beachtet werden, dass er in der Gestaltung der Arbeitsentgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen sich auf die Ebene der Privatautonomie begibt, deren Ordnung nicht der bischöflichen Gesetzgebungsbefugnis unterliegt. Ein innerhalb der KODA-Ordnung eingeräumtes Letztentscheidungsrecht darf daher nicht als eine „Wiederherstellung“ der Gesetzgebungsbefugnis des Bischofs interpretiert werden, sondern es geht ausschließlich um seine Befugnis innerhalb der von ihm kirchengesetzlich festgelegten Regelung des „Dritten Weges“. IV. Schlussbemerkung Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass die von den Bischöfen eingerichtete Zentrale Gutachterstelle durch ihre Spruchtätigkeit einen Beitrag dazu leistet, innerhalb des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland für die Gestaltung der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen die Eigenständigkeit der katholischen Kirche zu sichern. Dabei handelt es sich um die Wahrnehmung eines Freiheitsrechts, das die Kirche davor bewahrt, in der Gestaltung ihres Dienstes einer Fremdbestimmung ausgeliefert zu werden. 20

So unter 4. der Erklärung, abgedruckt in: Hirtenschreiben und Erklärungen der Deutschen Bischöfe, Heft 35, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1983; siehe auch BAG, AP Nr. 11 zu § 12 AVR Caritasverband (am Ende); Eder, Tarifpartnerin Katholische Kirche?, 1991, S. 78 ff.; zum Problem ausführlich Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 4. Aufl. 2003, S. 230 ff.

Der Dialog zwischen der Europäischen Union und den Kirchen Von Gerhard Robbers I. Mit der Verfassung für Europa, die in Brüssel vorgelegen hat, besitzt die Europäische Union nun auch eine bewusste und klare Religionsverfassung. Zahlreiche Normen der Verfassung beziehen sich unmittelbar und ausdrücklich auf religiöse Zusammenhänge. Von der Religionsfreiheit über die religionsrechtliche Gleichbehandlungspflicht spannt sich der Bogen bis hin zu ausdrücklicher Achtung religiöser Vielfalt1. In Art. 51 der Verfassung für Europa findet sich einer der zentralen Dreh- und Angelpunkte dieses europäischen Religionsrechts. Diese Norm steht in vielfältigen Bezügen zu anderen religionsverfassungsrechtlichen Regelungen, die ihre Interpretation mit bestimmen. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit in Art. II-10 setzt dabei den Grundton. Das Verbot religiöser Diskriminierung in Art. II-22 ebenso wie der allgemeine Gleichheitssatz und das Gebot der Nichtdiskriminierung in Art. II-23 und II-21 verpflichten zu religionsrechtlicher Gleichbehandlung. Dabei lenkt Art. 51 zunächst den Blick auf die institutionelle Dimension des Religiösen. In Art. 51 erkennt die Verfassung für Europa Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften als Institutionen an und nimmt sie als eigenständige Größe wahr. Mit ihrer ausdrücklichen Nennung erhalten Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften insoweit Verfassungsrang. Art. 51 Abs. 1 und 2 hebt zunächst in verfassungsrechtliche Verbindlichkeit, was der Sache nach in der Erklärung Nr. 11 zur Schlussakte des Vertrages von Amsterdam bereits bisher rechtserhebliche Wirkung im Bereich europäischen Religionsrechtes besaß. Damit ist der Weg frei für eine zukünftige, bewusste Religionspolitik der Europäischen Union, die das gewachsene und sich entwikkelnde Religionsrecht der Mitgliedstaaten respektiert und mit den zwingenden Erfordernissen des Unionsrechtes verbindet. 1 Entwurf: Vertrag über eine Verfassung für Europa, vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen am 13. Juni und 10. Juli 2003 dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom überreicht – 18. Juli 2003 –.

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II. Besondere Aufmerksamkeit verdient Art. 51 Abs. 3. Diese Bestimmung ist die eigentliche Neuerung der Verfassung in der Grundlegung eines europäischen Religionsverfassungsrechts. „Die Union pflegt in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrags dieser Kirchen und Gemeinschaften einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen“. Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besitzen mit dieser Norm einen eigenen Ort in der Verfassung. Sie sind von Verfassungs wegen nicht bloßer Teil einer Zivilgesellschaft. Für solche gesellschaftlichen Institutionen sieht Art. 46 eigene Regelungen vor. Art. 51 gibt den religiösen Institutionen demgegenüber einen eigenen Ort und betont schon darin ihre Besonderheit. Mit der Neuregelung werden die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in ihrer Stellung als Partner und als Gegenüber der Union bestätigt. Entgültig vorbei sind die Zeiten, in denen Vertreter der Kirchen sich Presseausweise besorgen mussten, um am Informationsfluss der europäischen Organe teilhaben zu können. Die Europäische Union nimmt damit auch von Rechts wegen Religion ein Stück angemessener wahr. 1. Die Verfassungsnorm nennt Kirchen, religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften und weltanschauliche Gemeinschaften in Abs. 1 und 2. Art. 51 Abs. 3 bezieht sich auf alle diese Institutionen mit dem Bezug auf „diese Kirchen und Gemeinschaften“. Damit finden sich die Kirchen entsprechend gemeineuropäischer Kulturprägung besonders benannt und herausgehoben. Die Verfassung knüpft an einen allgemein bestehenden, staatlich-verfassungsrechtlichen Kirchenbegriff an. Einzelne kirchenspezifische Kirchenbegriffe, die von den jeweiligen besonderen Wahrheits- und Geltungsansprüchen geprägt sind, und die von hier aus verständlich bleiben, kann das Recht der Europäischen Union nicht zugrunde legen. Dem europäischen Verfassungsrecht gilt als Kirche, was sich als Kirche versteht und was nach dem allgemein bestehenden Verständnishorizont des Rechts als Kirche angesehen werden kann. Zugleich vermeidet es die Verfassung für Europa, religiöse Vereinigungen und Institutionen dem Begriff der Kirche zuzuordnen, die dies aus ihrem Selbstverständnis heraus nicht oder kaum akzeptieren können. Kirche ist ein gemeinhin ausschließlich christlicher Begriff. Jüdische ebenso wie muslimische Glaubensgemeinschaften oder jede andere nichtchristliche Glaubensgemeinschaft finden sich hier angenommen und aufgenommen und nicht vereinnahmt. Das Versprechen der Achtung der Vielfalt der Religionen, wie es Art. II-22 normiert, findet hierin einen Ausdruck. Aufgenommen – und gleichgestellt – sind auch solche Gemeinschaften, die sich nicht als religiös verstehen, aber die der Pflege einer umfassenden Weltsicht gewidmet sind: solche Gemeinschaften, die im deutschen Verfassungsrecht und in der deutschen Verfassungstradition als Weltanschauungsgemeinschaften bekannt sind.

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Die Europäische Union muss sich auf dieser Grundlage einen eigenen Verfassungsbegriff von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften schaffen. Er wird von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten geprägt sein. Dies bedeutet letztlich anzunehmen, dass zu diesen Kirchen und Gemeinschaften alle diejenigen Vereinigungen und Institutionen gehören, die in einem der Mitgliedstaaten als solche anerkannt oder respektiert sind. Eine wesentliche Voraussetzung des Dialogs ist aber, dass diese Kirchen oder Gemeinschaften aus sich heraus dialogbereit sind. 2. Die rechtlichen Strukturen und praktischen Erfahrungen, die in der Europäischen Union mit dem Institut des Dialoges bereits gemacht worden sind, können für die Strukturierung des Dialoges mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften fruchtbar gemacht werden. Ein ähnlicher Dialog, wie ihn Art. 53 Abs. 3 für den Bereich religiös geprägter Institutionen vorsieht, hat bereits bisher in Ansätzen bestanden. Gegenüber den bisherigen Dialogen bestehen allerdings erhebliche und bemerkenswerte Unterschiede. Ins Auge springt, dass nunmehr der Dialog zwischen der Union und den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besteht. Der Dialog der Sozialpartner nach Art. 138, 139 EU war dagegen in erster Linie ein Dialog der Sozialpartner untereinander. Der Dialog ist zudem nicht strukturiert, sondern als „offen, transparent und regelmäßig“ beschrieben. Immerhin sind mit diesen Beschreibungen erste, auszufüllende und fortzuentwickelnde Strukturen bezeichnet. a) Mit der Beschreibung des Dialoges als „offen“ sind mehrere Dimensionen angesprochen. Zunächst gilt, dass die Art und Weise des Dialoges nicht in bestimmten Verfahren vorgeprägt ist. Vielmehr bleibt es den Dialogpartnern überlassen, die näheren Modalitäten des Dialoges in gutem Einvernehmen festzulegen. Schon die letztliche Ausgestaltung des Dialoges ist damit Teil des verfassungsrechtlich vorgesehenen Dialoges. Damit behält der Dialog eine große Flexibilität auch in der Zukunft. Nach den jeweiligen Erfordernissen können die Strukturen des Dialoges stets neu und in gutem Einvernehmen gestaltet werden. Der Dialog muss darüber hinaus in einer offenen Atmosphäre stattfinden. Die im Dialog gegebenen Informationen, die Art und Weise des Umgangs miteinander müssen von Offenheit geprägt sein und damit auch im Vertrauen zueinander, letztlich in Freundschaft geführt werden. Damit klingen die Freundschaftsklauseln an, die die Staatskirchenverträge in der deutschen Tradition enthalten. Zudem ist ein offener Dialog durch Ergebnisoffenheit gekennzeichnet. Die Partner sollen sich von Verfassungs wegen auf die jeweiligen Bedürfnisse des anderen in Offenheit einlassen. Sie sollen andererseits nicht gezwungen sein, bestimmte Ergebnisse von vornherein mitzutragen.

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Offenheit des Dialoges bedeutet auch Offenheit in der Informationspolitik. Vorbehaltlich der Wahrung von Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitsbedürfnissen müssen relevante Informationen zugänglich sein. Ein offener Dialog ist endlich auch dadurch gekennzeichnet, dass er nicht auf einzelne engbegrenzte Institutionen der Partner beschränkt sein darf. Die Kirchen müssen deshalb Zugang zu allen relevanten Institutionen, Behörden und Ebenen der Europäischen Union haben. b) Der Dialog muss transparent sein. Er muss deshalb Regeln unterliegen, die es erlauben, mit sachkompetenten und entscheidungserheblichen Institutionen in Beziehung zu treten. Der Dialog muss transparent sein auch für Außenstehende. Das Erfordernis der Transparenz verlangt dabei jedenfalls nach Regeln und Strukturen, die nachweisbar und praktisch handhabbar sind. c) Der Dialog muss regelmäßig sein. Auch hier zeigt sich eine gewisse Vorstrukturierung des Dialoges nach Verfassungsrecht. Die Kontakte dürfen nicht lediglich sporadisch und zufällig bleiben. Von Verfassungs wegen ist Konstanz der Dialogführung verlangt. Im Vergleich zu Art. 46 ergeben sich bemerkenswerte Übereinstimmungen, Parallelitäten und Differenzierungen. Diese Norm verpflichtet auf die Pflege eines offenen, transparenten und regelmäßigen Dialoges mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft. Der Dialog mit Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften folgt damit den gleichen Grundsätzen wie der mit Verbänden und Einrichtungen der Gesellschaft. Sie dürfen gegenüber diesen nicht schlechter gestellt sein. Schon die Tatsache der besonderen Erwähnung von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften hebt diese aber ab von bloßen gesellschaftlichen Organisationen. Die Union erkennt damit an, dass Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht Verbände unter Verbänden sind, dass Religion eine besondere Stellung besitzt und nicht lediglich partikulares Interesse neben anderen partikularen Interessen ist. Es sind zudem – anders als in Art. 46 Abs. 2 im Blick auf die Verbände und die Zivilgesellschaft – nicht lediglich die Organe der Union, die die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften achten und den Dialog mit ihnen pflegen müssen. Gemäß Art. 51 Abs. 3 ist es vielmehr die Union als ganze, die dieser Verpflichtung unterliegt. Auch hiermit sind Kirchen und entsprechende Gemeinschaften besonders herausgehoben. Art. 46 Abs. 3 verpflichtet die Kommission auf die Durchführung umfangreicher Anhörungen der Betroffenen. In Art. 51 ist eine solche Bestimmung nicht noch einmal ausdrücklich enthalten. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von solchen umfangreichen Anhörungen ausgeschlossen wären. Im Gegenteil be-

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stimmt Art. 46 Abs. 3, dass Anhörungen mit den Betroffenen durchzuführen sind, um Kohärenz und Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten. Zu solchen Betroffenen gehören Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in den geeigneten Fällen auch. Ebenso schließt Art. 46 Abs. 4 nicht aus, dass eine erhebliche Anzahl von Bürgern in religionsbezogenen Angelegenheiten ein Bürgerbegehren initiieren können. 3. Der Dialog der Europäischen Union mit den Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird zusätzlich geprägt von der Achtung der Identität der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften: „Die Union pflegt in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrags dieser Kirchen und Religionsgemeinschaften einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen.“ Diese Wendung betont die besondere Identität des Religiösen. Sie hebt religiöse Institutionen hervor und anerkennt ihre Besonderheit gegenüber gesellschaftlichen, partikularen Gruppen. Religion betrifft alle Lebensbereiche. Sie kann nicht auf einzelne Interessen oder Verhaltensweisen, auf einzelne Lebensbereiche reduziert werden. Das unterscheidet sie wesentlich von gesellschaftlichen Interessenverbänden. Zugleich verpflichtet die Wendung zur Achtung der jeweiligen Identität jeder einzelnen Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft. Jede einzelne von ihnen trägt einen umfassenden und ausschließlichen Wahrheitsanspruch in sich. Kraft ihrer verfassungsrechtlichen gebotenen religiösen und weltanschaulichen Neutralität kann die Europäische Union mit keiner einzelnen dieser Kirchen, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft sich identifizieren. Sie muss deren jeweilige Identität auch als Differenz zu sich selbst begreifen. Art. 51 Abs. 3 trägt deshalb auch das allgemeine religionsrechtliche Neutralitätsgebot. Die Achtung der Identität der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verpflichtet auch zu Achtung der jeweiligen internen Strukturen und Hierarchien. Achtung der Identität sichert das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Die Identität jeder einzelnen Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft wird wesentlich davon geprägt, wie sie sich aus theologischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen strukturiert. Ihre jeweilige Lehre macht ihre Identität wesentlich aus. Die Europäische Union muss dies von Verfassungs wegen achten. Die Identität der religiösen Institutionen ist vom Selbstverständnis des Religiösen wesentlich geprägt. Die Europäische Union muss deshalb auch achten, dass zahlreiche Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ihre soziale, kulturelle und auch politische Wirksamkeit als untrennbaren Bestandteil ihrer Religionsausübung empfinden. Caritas und Diakonie ebenso wie Bil-

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dung sind Ausdruck der Religion und müssen als solche von der Europäischen Union respektiert werden. Die Identität einzelner Kirchen besitzt bisweilen rechtlich besonders anerkannte Strukturen. So ist der Heilige Stuhl Völkerrechtssubjekt. Dieser Aspekt der Identität der Römisch-Katholischen Kirche muss von der Europäischen Union respektiert werden. Damit ist der Heilige Stuhl auch möglicher völkerrechtlicher Vertragspartner. Art. 51 Abs. 3 verbürgt die Möglichkeit eines Konkordates zwischen den Heiligen Stuhl und der Europäischen Union. Damit ist zugleich die Möglichkeit eröffnet, mit den anderen Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in vertragliche Bemühungen zu treten. Dies ist vom Gleichbehandlungsgebot ebenso getragen wie von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Alle Mitgliedstaaten kennen und besitzen formelle oder informelle, auf Vereinbarungen beruhende, oft in förmlicher Vertragsform begründete Beziehungen zu Kirchen, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Die Achtung der Identität der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besteht auch dort, wo einzelne dieser Institutionen staatskirchliche Züge tragen. Dies gilt dann, wenn sie dies aus ihrem Selbstverständnis heraus tun. Die Europäische Union mischt sich in solche Verhältnisse nicht ein. Art. 51 Abs. 3 bestätigt insofern die Grundaussage des Art. 51 Abs. 2 und 3. 4. Der besondere Beitrag der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften findet seine ausdrückliche Bestätigung in Art. 51 Abs. 3. Dieser Begriff ist umfassend und würdigt den historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Beitrag dieser Institutionen in der jeweils ihnen zukommenden faktischen Relevanz. Dass dabei die Kirchen wie im gesamten Art. 51 besonders benannt sind, spiegelt deren faktische Bedeutung für Europa und betont den christlichen Zusammenhang, in dem diese Verfassung und mit ihr Europa steht. Zugleich zeigt die Aufnahme anderer Religionsgemeinschaften die Offenheit der Europäischen Union. III. Eine besondere Aufgabe der nächsten Zukunft wird sein, dem offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit der Europäischen Union verfahrensrechtliche Regelungen zu geben und ihn so dauerhaft zu stabilisieren. Hierbei werden die Bedürfnisse der Europäischen Union ebenso zum Tragen zu bringen sein wie die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften. Der Dialog wird sich bei seiner eigenen Gestaltung besonders zu bewähren haben. Die Ausgestaltung dieses Dialoges muss die Maßgaben der Achtung der Identität und des besonderen Beitrages der Kirchen- und Religionsgemeinschaften besonders berücksichtigen.

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Das schließt aus, von Seiten der Europäischen Union durch mehr oder weniger sanften Druck oder gar Zwang eine einheitliche Plattform vorzusehen, auf der alle Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Vertreter entsenden würden. Eine solche Art von „Religionsparlament“ wäre nicht ganz ohne Vorbilder. So hat die Stadt Rom eine Art „Religionsparlament“, die „Consulta delle religioni nella Citta’ di Roma“, eingerichtet. Die Katholische Kirche ist hierbei lediglich mit einem Beobachter vertreten. Solche Plattformen können Gelegenheit zu Informationsaustausch bieten, und bisweilen mögen sie auch zu gemeinsamer Meinungs- und Willensbildung führen können. Gewiss auch können sie die Kommunikationswege der Europäischen Union erleichtern. Gleichwohl muss von der Bedeutung einer „Plattform der Religionen“ auf europäischer Ebene abgeraten werden; sie würde in die Irre führen. Solche Plattformen oder Religionsparlamente spiegeln eine faktische Gleichheit an sozialer, gesellschaftlicher und politischer Relevanz vor, die tatsächlich nicht besteht. Sie wäre Ausdruck eines von Staats oder von Europas wegen verordneten Ökumenismus und eines verordneten Religionsdialoges. Eine „Plattform der Religionen“ kann nur und allenfalls von den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in vollständiger Selbstbestimmung und allgemeiner Übereinstimmung geschaffen werden. Ein „Parlament der Religionen“ würde schon begrifflich verfehlt sein, weil es die Religion in den Bereich des Staatlichen strukturell integrieren, sie der Tendenz nach verstaatlichen und vereinnahmen würde. Das sollte nicht geschehen. Ökumene und Religionsdialog sind von zentraler Bedeutung und unverzichtbar. Sie dürfen aber von Staats und von Europas wegen nicht direkt oder indirekt erzwungen werden. Die Europäische Union kann hierzu ermutigen, sie kann zu einem solchen Religionsdialog auch fördernd hinzutreten. Ihr eigener Dialog mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften muss aber unter voller Wahrung der jeweiligen Identität jeder einzelnen dieser Institutionen erfolgen. Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften müssen zu allen relevanten Institutionen im Rahmen der Europäischen Union angemessenen Zugang haben. Das schließt nicht aus, dass diese europäischen Institutionen besondere Stellen einrichten, in denen solche Kontakte gebündelt werden. Ein offener Dialog schließt aber aus, dass eine einzige oder wenige solche Stellen den Dialog beherrschen und andere Kontakte ausschließen würden. Art. 51 Abs. 3 verpflichtet zu freundschaftlichem Umgang miteinander, er lädt dazu ein. Auf dieses Ziel hin muss der Dialog ausgestaltet werden.

Problemas actuales de la Enseñanza de la Religión en las escuelas públicas españolas De María J. Roca I. Introducción Dedicaremos nuestra contribución al libro en homenaje al Prof. Listl, profundo estudioso de la jurisprudencia constitucional en materia de Derecho eclesiástico1, a los problemas actuales de la enseñanza de la Religión en las escuelas públicas españolas2. El nombramiento de los profesores de Religión católica en las escuelas estatales, previsto en el art. III del Acuerdo sobre enseñanza y asuntos culturales firmado entre la Santa Sede y el Estado Español, es objeto de recurso ante el Tribunal constitucional, todavía no resuelto. La enseñanza islámica, prevista en el art. 10 del Acuerdo celebrado entre el Estado español y las Comunidades Islámicas de España (CIE), constituye igualmente una materia de viva actualidad y encendido debate en el Derecho español. La exposición de estos dos temas en el Derecho español pretende ser un afectuoso y agradecido reconocimiento al Prof. Listl, que explicó los aspectos de actualidad del Derecho eclesiástico alemán a los estudiosos de estos temas de habla española3.

1

J. Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, 1971. 2

Otra materia, a cuyo estudio el Prof. Listl ha contribuido no sólo por sus aportaciones personales, sino también a través de trabajos dirigidos por él. Cfr.: W. Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg, 1986. 3

Cfr. J. Listl, La garantía constitucional y la aplicación práctica del derecho de libertad religiosa así como de la libertad de las Iglesias, al amparo de la Ley Fundamental, en „Salmanticensis“, 25, 1978, pp. 177 y ss. Idem, La acción de la Iglesia en un Estado libre, en „Simposio Sudamericano-Alemán sobre Iglesia-Estado“, Quito, 1980, pp. 93 y ss. Idem, El impuesto religioso en la República Federal de Alemania, en M. J. Roca (ed.), La financiación de la Iglesia católica en España, Santiago de Compostela, 1994, pp. 131 – 152. C. Corral / J. Listl (eds.), Constitución y Acuerdos Iglesia-Estado. Actas del II Simposio Hispano-Alemán, Madrid, 1988.

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II. Problema actual en la enseñanza de la Religión católica 1. Introducción Las cuestiones generales relativas a la enseñanza de la Religión en España o a los problemas más recientes surgidos en la Aplicación de los Acuerdos entre la Santa Sede y el Estado Español4, así como las coordenadas generales del Derecho eclesiástico del Estado en el Reino de España, han sido objeto de estudio en lengua alemana. Por ello, estudiaremos a continuación exclusivamente los argumentos del Auto de 8 de julio de 2002 del Tribunal Superior de Justicia de las Islas Canarias5, que plantea la inconstitucionalidad del Acuerdo (apartado 2.), para exponer brevemente unas consideraciones finales (apartado 3.). 2. Idoneidad de los profesores de religión Para la mejor garantía en la transmisión de los contenidos de la asignatura de religión, la normativa relativa al nombramiento del profesorado de Religión, prevé en el caso de la enseñanza religiosa católica en el art. III del Acuerdo sobre Enseñanza y asuntos culturales que „la enseñanza religiosa será impartida por las personas que, para cada año escolar, sean designadas por la autoridad académica entre aquellas que el Ordinario diocesano proponga para ejercer esta enseñanza“6. Similares previsiones se recogen en los respectivos Acuerdos con las minorías evangélica, hebrea e islámica.7

4 C. Corral Salvador, Staat und Kirche in Spanien. Grundlinien ihres bishirigen Verhältnissen und neuere Entwicklungstendenzen, en „Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche“, 18, 1984, pp. 156 y ss. G. Robbers (Hrgs.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, Baden-Baden, 1995. M. J. Roca, Das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen in Spanien im Vergleich zum deutschen Staatskirchenrecht, en „Europäische Zeitschrift des öffentlichen Rechts“, vol. 10, n. 2, 1998, pp. 341 y ss. 5

Con posterioridd, se han planteado otras cuestiones de incostitucionalidad por este mismo Tribunal (números 785/2004 y 786/04, anunciadas en el BOE de 22 de marzo de 2204), que también afectan al Art. III del Acuerdo sobre Enseñanza y Asuntos culturales, pero cuyo texto aún no se ha publicado. 6 Cfr.: Convenio de 26 de febrero de 1999, celebrado entre el Ministerio de Justicia y de Educación y Cultura y la Conferencia Episcopal Española sobre el régimen económico laboral de las personas que, no perteneciendo a los Cuerpos de funcionarios docentes, están encargadas de la enseñanza de la Religión católica en los centros públicos de Educación infantil, primaria y secundaria (BOE de 20 de abril de 1999). 7

Art. 10, 2 del Acuerdo de cooperación del Estado español con la Federación de Entidades Religiosas Evangélicas de España: „La enseñanza religiosa evangélica será

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Pues bien, la jurisprudencia ha venido a confirmar la autonomía de las iglesias en este aspecto. Así, la Sentencia del Tribunal Superior de Justicia de Murcia de 23 de julio de 20008, resolvió un recurso interpuesto por un grupo de profesores de Religión que habían sido despedidos. El profesor de religión requiere el mandato del Ordinario del lugar para la enseñanza autorizada de la disciplina. Ese mandato entraña una relación de confianza entre el mandante y el mandatario9. El mandante es libre de otorgarla o retirarla según su criterio10. Se trata de un reconocimiento civil de los requisitos eclesiásticos para enseñar religión, en el que la propuesta del Obispo es condición de validez del contrato de trabajo y la retirada provoca su automática extinción11. Esta había sido hasta ahora la respuesta de los tribunales a los conflictos planteados por los profesores de religión que habían dejado de ser considerados idóneos por Ordinarios de las Diócesis correspondientes12, hasta que el Tribunal Superior de Justicia de las Islas Canarias planteó la cuestión de constitucionali-

impartida por profesores designados por las iglesias pertenecientes a la Federación de Entidades Religiosas Evangélicas de España“. Art. 10, 2 del Acuerdo de cooperación del Estado español con la Federación de Comunidades Israelitas de España: „La enseñanza religiosa judía será impartida por profesores designados por las comunidades pertenecientes a la Federación de Comunidades Israelitas, con la conformidad de ésta“. Art. 10, 2 del Acuerdo de cooperación del Estado español con la Comisión Islámica de España: „La enseñanza religiosa islámica será impartida por profesores designados por la comunidad pertenecientes a la Comisión Islámica de España, con la conformidad de la Federación a la que pertenezcan“. Sobre el nombramiento del profesorado de la enseñanza islámica en España, puede verse: J. Mantecon Sancho, El Islam en España, en „Conciencia y Libertad“,13, 2001, pp. 82 – 86. M. J. Roca, Las minorías islámicas. Aspectos jurídicos de su diversidad e integración desde una perspectiva comparada, en „Anuario de la Facultad de Derecho de Ourense“, II, 2003, pp. 315 – 319, con referencias comparadas al Derecho alemán. 8

Aranzadi Social, 2000, 2811.

9

J. Otaduy, Relación laboral y dependencia canónica de los profesores de Religión, en „Aranzadi Social“, 14, 2000, p. 37. 10

J. Otaduy, Relación laboral, p. 38.

11

J. Otaduy, Relación laboral, p. 38.

12

Las contradicciones en la jurisprudencia sobre el tema se centraban en si la competencia para el conocimiento de las pretensiones formuladas por los profesores de religión en centros públicos era competencia del orden social de la jurisdicción o del contencioso administrativo. En I. Moreno González-Aller, Algunas consideraciones en relación al Acuerdo entre el Estado Español y la Santa Sede, en „Revista del Poder Judicial“, 56, 1999, pp.425 – 425, puede verse la posición de los distintos Tribunales Superiores de Justicia.

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dad del Acuerdo sobre Enseñanza y Asuntos culturales13, por entender que de la correcta aplicación de la normativa de desarrollo del artículo III de este Acuerdo, se produce una violación de diversos preceptos de la Constitución14, luego el Acuerdo mismo debe ser inconstitucional, entiende el TSJ de Canarias. Cuanto se dice en el Auto acerca del concepto de enseñanza de la religión católica y concepto de idoneidad, nos parece que es correcto. Por ello, se abordarán exclusivamente aquellos aspectos formulados en las dudas de constitucionalidad en los que o bien no se han tomado en consideración algunos elementos o bien se ha atendido a ellos sólo parcialmente. a) La decisión totalmente libre de las autoridades eclesiásticas La primera cuestión que se plantea es la constitucionalidad de los contratos de naturaleza laboral para los profesores de religión en los centros públicos.15 Entiende el TSJ que la naturaleza laboral del contrato y el carácter público de la Administración contratante, no permiten el „condicionamiento de su contratación por la Administración Educativa y mantenimiento de su empleo a una decisión totalmente libre de las autoridades eclesiásticas“. Puesto que los derechos fundamentales tienen vigencia en el seno de la relación laboral, no puede la autoridad eclesiástica discriminar a un profesor o profesora de religión por su estado civil o su vida íntima. Por otra parte, el Estado Español por medio de la legislación pacticia se obliga a no intervenir en la decisión del Ordinario. La decisión del Ordinario sobre la competencia del profesor a la hora de hacer su propuesta se configura como totalmente libre y no judicializable, eximiéndosele de la aplicación del Derecho español. Ello sólo sería posible si se dieran las condiciones de „punto de conexión“ y „elemento de extranjería“ que exige el Derecho internacional privado. Ahora bien, „un elemento religioso no es un elemento de extranjería que pueda utilizarse como punto de conexión a favor de la jurisdicción eclesiástica“.

13 Hemos podido consultar ese Auto a través de la publicación en internet, el 23 de Octubre de 2002, por el Equipo Nizkor y Derechos Human Rights. 14

De los diversos preceptos que se verían conculcados y la extensa argumentación del Auto, se tendrán aquí presentes exclusivamente los que atañen al objeto de nuestro estudio: la vinculación de las iglesias a los derechos fundamentales del Estado, y su derecho de autonomía en la propuesta de idoneidad (y retirada de la misma) de los profesores de religión. 15

Razonamiento jurídico tercero del auto del TSJ de Canarias planteando la inconstitucionalidad del Acuerdo.

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Cuando el TSJ de Canarias emplea en el mencionado Auto, de 8 de julio de 2002, la expresión „decisión totalmente libre de las autoridades eclesiásticas“, el término „libre“ se refiere a „libre de la aplicación del Derecho español“, pues como el propio Auto expone con extensión y acierto, la declaración de idoneidad está sometida al Derecho canónico. Por tanto, decir que no está sometida al Derecho del Estado español, no significa que sea arbitraria; ni siquiera discrecional, desde el punto de vista del Derecho canónico. aa) Consideración de categorías dogmáticas ausentes en los razonamientos del Auto del TSJ de Canarias, de 8-VII-02 Cabe preguntarse si todos los actos que constituyen la base de una relación jurídica con la Administración pública, ya sea funcionarial o laboral, son plenamente revisables por los tribunales de justicia del Estado. Pues bien, en la doctrina constitucional y administrativa, la respuesta dista mucho de ser rotundamente afirmativa. En todos los casos de discrecionalidad técnica los órganos del poder judicial no pueden revisar las decisiones de la Administración. Los tribunales revisan los actos formales, el cumplimiento del marco legal, pero no pueden sustituir su juicio por el de la Administración. No es éste el único ejemplo en el que una decisión no es revisable ante los tribunales de justicia. Además de aquel elemento de un acto administrativo que queda dentro de la discrecionalidad técnica, puede citarse también el nombramiento de cargos de libre designación, dentro de la Administración, y los actos políticos de gobierno. En los supuestos de nombramiento de cargos de libre designación y de actos políticos de gobierno16, se trata de actos que realiza un sujeto que ejerce el poder público. No es este el caso del Ordinario de Diócesis, pues, aunque las Diócesis tengan en el Derecho español personalidad jurídica pública, no por ello se integran en los poderes públicos, ni ejercen poder público. La similitud se encuentra, más bien, con un supuesto de discrecionalidad técnica, como es la evaluación de unas pruebas para el acceso a un puesto de funcionario, o el juicio técnico sobre un determinado plan urbanístico. Se viene llamando „discrecionalidad técnica“ a aquella actuación administrativa que tiene un componente técnico acusado, que implica una apreciación

16

Sobre los actos políticos de gobierno, véase la STS de 2 de octubre de 1987. Comentarios críticos a esta sentencia, pueden verse en E. García Llovet, Control del acto político y garantía de los derechos fundamentales, en „Revista Española de Derecho Constitucional“, 36, 1992, especialmente, pp. 278 – 279. A. Saiz Arnaiz, Los actos políticos de gobierno en la jurisprudencia del Tribunal Supremo, en „Revista de Administración Pública“, 134, 1994, pp. 225 y ss.

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o juicio técnico.17 En tales casos, el control judicial es menor, limitándose a los elementos reglados del acto y a la eventual existencia de desviaciones de poder. Ir más allá, supondría invadir un ámbito de competencias que es propio de la Administración18. No obstante, este planteamiento no se acepta en todas las sentencias de modo coherente y uniforme19. La doctrina oscila, y hay quien adopta una postura de máximo control de las decisiones administrativas, afirmando que en „todas las actuaciones administrativas que terminan en una denegación o en un otorgamiento de un derecho subjetivo a un ciudadano, no 17

T.R. Fernandez, De la arbitrariedad de la Administración, 2ª ed., Madrid, 1997, pp. 34 – 35. 18 El TC afirma que el control judicial puede encontrar en algunos casos límites determinados y „así ocurre en cuestiones que han de resolverse por un juicio fundado en elementos de carácter exclusivamente técnico, que sólo puede ser formulado por un órgano especializado de la Administración y que en sí mismo escapa, por su propia naturaleza, al control jurídico que es el único que pueden ejercer los órganos jurisdiccionales y que, naturalmente, deberán ejercerlo en la medida en que el juicio afecte al marco legal en que se encuadra, es decir, sobre cuestiones de legalidad“ STC de 17 de Mayo de 1983, sobre esta Sentencia puede verse Fernandez, De la arbitrariedad, p. 36 y la bibliografía allí citada. Igualmente, este Tribunal en su Sentencia 97/1993, de 22 de marzo, recogiendo la doctrina de la discrecionalidad técnica, sentada en la STC 39/1983, subraya que la revisión judicial no alcanza lo que propiamente es discrecionalidad técnica. „Otra cosa más que un control de legalidad, supondría la superposición del juicio discrecional del Tribunal sobre el del órgano técnico“. No obstante, cabe el control judicial „para la comprobación del fundamento fáctico del juicio técnico“. Es decir, cabe un control de la discrecionalidad a través de los „hechos determinantes“. El TC en su Sentencia 353/1993, de 29 de noviembre, reafirma que el control jurisdiccional está excluido de la discrecionalidad técnica, pero al mismo tiempo precisa que procede la fiscalización cuando se acredite que el órgano administrativo calificador „ha incurrido en error grave o manifiesto fundado en malicia o en desconocimiento inexcusable de la materia juzgada y, en consecuencia, fuera apreciable en su actuación atisbo de arbitrariedad o desviación de poder“. El mismo Tribunal en su Sentencia 34/1995, de 6 de febrero, nuevamente sobre discrecionalidad técnica, matiza que el sometimiento pleno de la Administración a la ley y al Derecho (Art. 103) y el principio de interdicción de la arbitrariedad (Art. 9,3) tiene en los supuestos de discrecionalidad técnica una excepción justificada por „una presunción de certeza o de razonabilidad administrativa, apoyada en la especialización y la imparcialidad de los órganos establecidos para realizar la calificación“. Esta presunción, por ser iuris tantum, puede ser atacada. El control jurisdiccional sobre el fondo del asunto es posible, por lo tanto, si se acredita la existencia de infracción del ordenamiento jurídico o que el órgano calificador ha procedido de modo irrazonable, bien por desviación de poder, arbitrariedad o ausencia de toda posible justificación del criterio adoptado (J. A. Tardío Pato, La función calificadora de los alumnos universitarios y su control jurisdiccional, en „Revista de Administración Pública“, 139, 1996, pp. 391 y ss.). 19

Fernandez, De la arbitrariedad, pp. 34 – 35.

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existe el más mínimo ámbito o reducto propio de la apreciación libre por parte de la Administración que esté protegido por una supuesta discrecionalidad técnica“ (...). „Todas las ponderaciones administrativas sobre el interés público, las circunstancias del caso, etc. están sometidas al control pleno e integral por parte de los jueces de lo contencioso administrativo.“20 Sea cual fuere la posición que se adopte acerca del mayor o menor grado de control de los tribunales sobre la discrecionalidad técnica, hay un dato que conviene tener presente. Las posturas que sostienen la necesidad de un control absoluto de todos y cada uno de los elementos del acto administrativo, se basan en el presupuesto de que el resultado final de ese acto sea la denegación y el otorgamiento de un derecho subjetivo a un ciudadano. En el caso del nombramiento de un profesor de religión, no se puede decir que se tenga un derecho subjetivo a mantener el nombramiento. ¿Puede decirse que la declaración de idoneidad es un juicio de „discrecionalidad técnica“? Se trataría de un juicio técnico – pero en el que „técnico“ no incluye sólo conocimientos teóricos sino que incluye exactamente tres aspectos: recta doctrina, testimonio de vida cristiana y aptitud pedagógica21 – que debe realizar el correspondiente organismo (en este caso el Obispo) con los conocimientos específicos en la materia, y de acuerdo con las reglas previstas en el Derecho canónico. No faltan supuestos en el Derecho alemán22, por ejemplo, en los que se atribuyen a comisiones técnicas determinadas facultades decisorias dentro del proceso de formación de un acto administrativo complejo.

20 Así, Gallego Anabitarte, quien fundamenta esta tesis en el art. 106, 1 de la CE y en los principios inmanentes a un Estado de Derecho que somete la actuación administrativa „a la ley y al Derecho“, citado por M. Beltrán de Felipe, Discrecionalidad administrativa y Constitución, Madrid, 1995, pp. 192 – 193. En cambio, Beltrán de Felipe piensa que la simple apelación a los arts. 103,1 y 106, 1 de la CE no son suficientes para avalar tal planteamiento (Ibidem, p. 195). 21

Razonamiento jurídico segundo del Auto de 8 de julio de 2002, del TSJ de Canarias, citando los cánones 804: „Cuide el Ordinario del lugar de que los profesores que se destinan a la enseñanza de la religión en las escuelas, incluso en las no católicas, destaquen por su recta doctrina, por el testimonio de su vida cristiana y por su aptitud pedagógica“ y 805: „El Ordinario del lugar dentro de su Diócesis, tiene el derecho a nombrar o aprobar los profesores de religión, así como de remover o exigir que sean removidos cuando así lo requiera una razón de religión o de moral“. 22

Sobre los gremios técnicos que actúan como sustitutivos más que como órganos consultivos de la Administración en el Derecho alemán, cfr. el sugerente estudio de W. Brohm, Situative Gesetzesanpassung durch die Verwaltung, en „Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht“, 1988, pp. 794 y ss.

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Aunque, como hemos visto, haya todavía en la doctrina sobre la discrecionalidad técnica23ciertas oscilaciones, ésta es, en mi opinión la categoría dogmática dentro del Derecho público que quizá mejor se adecua, al supuesto en el que nos encontramos. Un juicio técnico emitido por un sujeto que no forma parte de la Administración pública, y que condiciona un acto jurídico de ésta. En este caso, no un acto administrativo, sino una relación de empleo público, y que no concede, sin embargo, un derecho subjetivo al destinatario. Dentro de estas categorías dogmáticas, la Administración educativa puede asumir la declaración de idoneidad del Ordinario correspondiente. El Estado se atendría así a los principios de neutralidad, evitando cualquier injerencia en los asuntos propios de la confesión de que se trate, y de libertad religiosa, facilitando a los padres que así lo deseen que sus hijos reciban la educación religiosa y moral que esté de acuerdo con sus propias convicciones. Ciertamente, la declaración de idoneidad que hace el Obispo no es exclusivamente un juicio técnico sobre los conocimientos teóricos del profesor, ni el Obispo es un funcionario público. Ahora bien, resulta válida la analogía en la medida en que no es cierto que todos los elementos de un acto con relevancia jurídica son revisables en el fondo por los tribunales. Y esto, aunque no se trate de actos que en virtud de un „punto de conexión“ estén sometidos al Derecho extranjero. Podría alegarse que la doctrina de la discrecionalidad técnica no es del todo aplicable al supuesto que nos ocupa, no sólo por las razones apuntadas, sino también porque como declaró en su día el Tribunal Supremo24, la relación de los profesores de religión con la Administración es de carácter laboral25 y no 23 Sobre discrecionalidad técnica, al hilo de los supuestos concretos en los que se plantea esta cuestión, cfr., J. Delgado Barrio, El control de la discrecionalidad del planteamiento urbanístico, Madrid, 1993. J. M. Penarrubia Iza, El control de la discrecionalidad administrativa en la función militar, (La STC 97/1993, de 22 de marzo), en „Revista de Administración Pública“, 133, 1994, pp. 287 y ss. J. A. Tardio Pato, La función calificadora..., pp. 373 y ss. E. Coca Vita, También la discrecionalidad técnica bajo el control último de los tribunales, en „Revista de Administración Pública“, 108, 1985, pp. 205 y ss. Se pronuncia a favor de que no se sustituyan los juicios de la comisión juzgadora por los de los Tribunales A. Nieto, Reducción jurisdiccional de la discrecionalidad en materia disciplinaria, en „Revista de Administración Pública“, 44, 1964, pp. 147 y ss. 24

S. de la Sala 4ª del TS, de 30 de abril de 1997, cfr. un estudio al respecto, con jurispruduencia posterior en González-Aller, Algunas consideraciones, pp. 427 – 426. 25

Convenio sobre el régimen económico-laboral de las personas que, no perteneciendo a los cuerpos de funcionarios docentes, estén encargadas de la enseñanza de la religión católica en los centros docentes de educación infantil y educación primaria y educación secundaria, de 26 de febrero de 1999, publicado por Orden de 9 de abril (BOE de 20 de abril de 1999), cláusula quinta, 1: „Los profesores encargados de la enseñanza de la religión católica a los que se refiere el presente convenio prestarán su

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funcionarial. No obstante, como en el Auto del TSJ de Canarias, los problemas de constitucionalidad que se suscitan se deben a la naturaleza de empleo público que tiene la relación del profesor de religión con la Administración, nos parece que pueden resultar útiles estas consideraciones. bb) El recurso a una instancia externa (el Ordinario) y la neutralidad del Estado Por lo que se refiere a la posible lesión de la neutralidad del Estado por recurrir a una instancia externa para la contratación de personal que desempeña un puesto que tiene la naturaleza de empleo público, entiendo que más bien la situación es a la inversa: la neutralidad del Estado obliga a éste a no sustituir a las confesiones religiosas en los juicios sobre idoneidad, ni a interferir en ellos. La interpretación sobre la autonomía de las confesiones religiosas que las dos últimas sentencias del Tribunal Europeo de Derechos Humanos han hecho, pueden arrojar luces en este sentido. El Tribunal Europeo de Derechos Humanos en las sentencias de 26 de octubre de 2000, y de 14 de diciembre de 1999, en las que se planteaba la posible violación del art. 9 del convenio por injerencia de los poderes públicos en los asuntos internos de las comunidades islámicas, falló en ambos casos a favor de la autonomía de la comunidad musulmana. En el primer caso, la Corte europea consideró que el Estado no tiene necesidad de adoptar medidas para garantizar que las confesiones religiosas estén sometidas a una dirección única26. Siguiendo su propia doctrina anterior, el Tribunal reitera que la injerencia de los poderes públicos en los asuntos de las confesiones contraviene lo dispuesto en el art. 9, excepto cuando tal injerencia estuviera prevista por la ley y fuera necesaria en una sociedad democrática para atender a un fin legítimo27. Además, las previsiones legales deben responder a las exigencias de precisión y previsibilidad28. En el segundo caso mencionado (Serif contra Grecia), la Corte entendió que el Estado no podía interferir en la elección de un ministro de culto, porque ello iría en contra de la autonomía de la comunidad religiosa. En este supuesto,

actividad, en régimen de contratación laboral, de duración determinada y coincidente con el curso o año escolar a tiempo completo o parcial y quedarán encuadrados en el régimen de la seguridad social, al que serán incorporados los profesores de educación infantil y educación primaria que aún no lo estén. A los efectos anteriores la condición de empleador corresponder a la respectiva Administración educativa“. 26

Asunto Hassan et Tchaouch c. Bulgaria, de 26 de octubre de 2000, parágr. 78, citando a Serif c. Grecia, de 14 de diciembre de 1999, parágr. 52. 27

Asunto Hassan et Tchaouch c. Bulgaria, de 26 de octubre de 2000, parágr. 83.

28

Ibidem, parágr. 86.

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se trataba de la elección de un muftí musulmán. Éste no es elegido por un procedimiento democrático, pero una vez elegido, es competente, a tenor del Derecho griego, para dirimir en ciertos litigios entre musulmanes en materia familiar y en materia sucesoria.29 cc) La imposición de una decisión judicial en un determinado sentido Ciertamente, los supuestos de hecho de las dos decisiones del Tribunal de Estrasbugo mencionadas y el supuesto de la declaración de idoneidad son distintos. Sin embargo, la doctrina jurisprudencial de la corte europea acerca de la no injerencia resulta plenamente aplicable. Los poderes públicos no pueden obligar a las confesiones religiosas a que apliquen dentro de su propio ámbito los criterios estatales acerca del derecho a la igualdad y no discriminación. Otra cuestión es si el Estado está obligado a asumir la propuesta confesional, o si su propia Constitución le impide asumirla, como entiende el TSJ de Canarias. Por lo que se refiere al argumento alegado de la vulneración del art. 24 de la Constitución30, porque el art. III del Acuerdo sobre asuntos culturales y la normativa de desarrollo imponen una decisión judicial en un determinado sentido, cabe anotar que no sólo este precepto, sino otros muchos del ordenamiento jurídico imponen una decisión judicial en un determinado sentido. Hasta tal punto es así que hay quien, siguiendo las ideas de Hobbes y Montesquieu entiende que el juez es la bouche de la loi. Quizá la reducción del juez a „boca de la ley“ sea exagerada. Pero en todo caso, resulta claro el sometimiento del juez a la ley. En la aplicación de un convenio colectivo, de las cláusulas de un contrato, etc. el juez está vinculado por el texto de lo convenido o lo pactado, sin que por ello quepa entender lesionado el art. 24 de la Constitución. La lesión del art. 24 se produce, según se argumenta en el Auto, por considerar que de la adecuación a Derecho de la declaración de idoneidad pueden conocer los tribunales canónicos y no los tribunales estatales, a pesar de que de la declaración de idoneidad se hayan producido efectos en el ámbito del Derecho estatal (constituye una conditio sine qua non para el nombramiento como profesor). Pues bien, esta situación se produce en otros muchos supuestos. Por ejemplo para juzgar de la validez de la ordenación de un sacerdote, sólo es competente la jurisdicción eclesiástica. Sin embargo, el hecho de ser sacerdote,

29

Sobre los últimos pronunciamientos del Tribunal Europeo acerca del derecho de libertad religiosa, cfr.: J. Martinez-Torron, The permissible scope of legal limitations on the freedom of religion or belief: The European Convention on Human Rights, en http://www.bepress.com/gj/advances/vol3/iss2/art3. 30

Razonamiento jurídico tercero del Auto de 8 de julio de 2002, del TSJ de Canarias.

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es también requisito necesario para validez del nombramiento de un capellán31, para asistir como ministro cualificado a un matrimonio canónico con efectos civiles, etc. Realmente, no parece conforme a la neutralidad religiosa del Estado el pretender que los tribunales de justicia revisen la conformidad al Derecho estatal de actos jurídicos canónicos que constituyen la base de una ulterior relación laboral en el ámbito del Estado. Si, por el contrario, se pretendiera que la neutralidad del Estado obliga a éste a prescindir de cualquier tipo de relación jurídica en la pudiera darse esta situación, entonces el Estado podría contravenir el principio constitucional de libertad religiosa y de cooperación con las confesiones, así como su deber de remover los obstáculos, para que los padres puedan dar a sus hijos la educación religiosa y moral que esté de acuerdo con sus propias convicciones32. Casi podría decirse que lo que plantea el Auto de TSJ de Canarias es una especie de „recurso de contrafuero“ de las decisiones canónicas en el ámbito civil. Tan extraño a los principios de neutralidad y de libertad religiosa resultaría pretender excluir de la jurisdicción del Estado a todo el proceso de nombramiento del profesorado de religión a partir de la declaración de idoneidad, como someter a revisión ante los mismos tribunales el juicio de idoneidad . dd) Síntesis conclusiva La analogía entre la declaración de idoneidad y el juicio de discrecionalidad técnica como elemento de un acto jurídico complejo – que además no concluye con una decisión de otorgamiento o denegación de un derecho subjetivo para el destinatario del nombramiento como profesor de religión – permite que el juicio acerca de la idoneidad no sea revisable por la jurisdicción estatal. Una eventual revisión de los tribunales del Estado conforme a su propio Derecho de la declaración de idoneidad efectuada por el Ordinario supondría una 31

Cfr.: J. A. Alberca de Castro, Personal al servicio de la promoción de la libertad religiosa. Estudio legislativo de Derecho comparado España-Francia, Cádiz, 1999, passim. Z. Combalia, Vinculación jurídica de los capellanes en el acuerdo marco de asistencia religiosa hospitalaria de 1985, en „Anuario de Derecho Eclesiástico del Estado“, 6, 1988, pp. 375 y ss. 32

Art. 27, 3 de la Constitución: „los poderes públicos garantizan el derecho que asiste a los padres para que sus hijos reciban la educación religiosa y moral que esté de acuerdo con sus propias convicciones“. Art. 3 de la Ley órgánica 10/2002, de 23 de diciembre, de calidad de la educación, 1 „los padres, en relación con la educación de sus hijos, tienen los siguientes derechos (…)“: c) „A que reciban la educación religiosa y moral que esté de acuerdo con sus propias convicciones“.

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injerencia estatal en la autonomía de las iglesias contraria a la doctrina jurisprudencial del TEDH, y una vuelta al histórico „recurso de contrafuero“. El Estado, para la garantía de los derechos del ciudadano, deberá asegurarse únicamente de que el profesor nombrado conoce las condiciones de su nombramiento, para evitar que se produzca dolo o fraude. El principio de neutralidad religiosa del Estado no puede interpretarse y aplicarse de modo aislado , sino en conexión con el principio de cooperación y el derecho de libertad religiosa, así como con el deber de los poderes públicos de remover los obstáculos para que el ejercicio de los derechos fundamentales sea real y efectivo. b) Condicionamiento del acceso y mantenimiento de empleos públicos a criterios de índole religiosa aa) El profesorado de religión no es un asalariado en una empresa de tendencia Ciertamente el profesorado de religión no puede equiparase al personal asalariado en una empresa de tendencia, porque la Administración educativa contratante (estatal o autonómica) no tiene el carácter de empresa ideológica33. El Tribunal Constitucional en 1985, aun después de declarar la eficacia inmediata de los derechos fundamentales entre particulares, ha afirmado que el derecho de libertad religiosa no alcanza a permitir la modificación unilateral de las condiciones contractuales por un cambio de creencias religiosas34. En la mencionada sentencia, se trataba de un cambio de creencias religiosas que no permitió modificar la relación laboral en una empresa no ideológica. Diríamos aquí mutatis mutandis que el cambio sobrevenido en la vida privada del profesor de religión no permite que éste pueda exigir al Obispo una modificación de los parámetros sobre las cuales fue declarado idóneo. El Auto del TSJ de Canarias recuerda que la causa del contrato laboral es el salario. En efecto, la causa jurídica del contrato es el salario. Ahora bien, la causa de la propuesta de nombramiento es la idoneidad. Por ello, si por una circunstancia sobrevenida (voluntaria o involuntaria) con posterioridad a la primera propuesta faltase la idoneidad, lo que debería plantear más bien el 33 J. Otaduy, Las empresas ideológicas: aproximación al concepto y supuestos a los que se extiende, en „Anuario de Derecho Eclesiástico del Estado“, 2, 1986, pp. 311 y ss. Sobre la aplicación concreta a la relación laboral, pp. 331 – 332. Para los aspectos procesales, puede consultarse, A. Baylos Grau, Medios de prueba y derechos fundamentales, en „Cuadernos de Derecho Judicial“, 23, 1997, pp. 17 y ss. 34

STC 19/1985, Fundamento Jurídico 1º.

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Tribunal Superior de Justicia no es si puede la Administración escolar someterse a un criterio confesional, sino si puede la Administración pública mantener una relación laboral con una duración exclusiva de un año. Dicho de otro modo, ¿tiene el Estado el deber de mantener en su empleo de por vida a un profesor de religión, al que no se le exigió para su nombramiento nada más que la declaración de idoneidad, aun cuando con posterioridad tal idoneidad faltase? ¿Es ello una exigencia de la neutralidad religiosa del estado? En mi opinión, no. bb) Nombramiento del profesorado de religión no es integración voluntaria en una confesión religiosa Otro de los argumentos del Auto del Tribunal Superior de Justicia de Canarias es que mediante el nombramiento como profesor de religión35, que da lugar a un contrato de empleo público, no puede serle „dispensado el tratamiento que correspondería a quien se integra voluntariamente en la organización de una determinada confesión religiosa, puesto que tal aspecto queda al margen de la relación laboral por definición“. La jurisprudencia constitucional se ha ocupado con anterioridad de distinguir entre la inserción en una confesión y el contrato de trabajo36. Si esto se aplicaba a una empresa de tendencia, con mayor razón a la relación de empleo público con la Administración, que no es empresa ideológica. Ahora bien, el hecho de que la relación laboral no sea una inserción voluntaria en la confesión, no significa que la pertenencia voluntaria a la confesión no haya sido tomada en consideración a la hora de declarar idóneo a un profesor. El criterio ex-ante y ex-post no puede ser distinto. Si la condición de idóneo no es considerada en el momento del nombramiento como una discriminación positiva en beneficio del profesor de religión contraria a Derecho, no puede aducirse este argumento como discriminación negativa en el caso de la no renovación.

35

Razonamiento jurídico cuarto del auto del TSJ de Canarias planteando la inconstitucionalidad del Acuerdo. 36

Así en la STC 106/1996, de 12 de junio, se trataba de un conflicto entre un empresario, que era un centro con ideario propio (Hospital de San Rafael de Granada, del que es titular la Orden Hospitalaria de San Juan de Dios), y una trabajadora que consideraba lesionado su derecho fundamental a la libertad de expresión (art. 20, 1 a de la CE), al haber sido despedida por proferir palabras improcedentes e irrespetuosas durante un acto de culto celebrado en el centro hospitalario. El Tribunal concede el amparo solicitado.

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cc) Los centros de educación pública no son centros con ideario propio A tenor de la vigente ley de Calidad de la Enseñanza existe en España la posibilidad de optar la asignatura de „Cultura, Religión y Sociedad“ en su opción no confesional37, y en su opción confesional. Esta última permite a su vez elegir entre la Religión católica, la evangélica, la hebrea y la islámica. Si bien es cierto que los centros educativos públicos no tienen ideario propio, también es claro que la asignatura de religión católica, sí tiene ideario propio, o dicho más técnicamente, tiene carácter confesional. Por ello, pensamos que al profesor de religión deben poder aplicársele al menos los límites que tiene el docente en un centro con ideario propio38. Pues bien, en la doctrina del respeto al ideario propio del centro educativo por parte de los docentes, „subyace la premisa de que el respeto al ideario del centro por parte de un profesor está en directa conexión con el tipo de tarea que éste cumple en el propio centro, esto es, la docencia. De suerte que es el propio carácter de la prestación laboral que los docentes desarrollan en los centros de educación – especialmente cuando ésta consiste en transmitir aspectos propiamente educativos o formativos de la enseñanza – el que impone la necesidad de compatibilizar su libertad docente con la libertad del centro, del que forma parte el ideario“.39 Además, el Tribunal Constitucional, recogiendo jurisprudencia anterior, señala que el contrato entre trabajador y empresario genera „un complejo de derechos y obligaciones recíprocas que condiciona, junto a otros, también el ejercicio del derecho a la libertad de expresión, de modo que manifestaciones del mismo que en otro contexto pudieran ser legítimas no tienen por qué serlo en el ámbito de dicha relación“40. Y añade que de la relación laboral 37

A raíz del cambio de orientación política derivada de las elecciones de 14 de marzo de 2004, se ha anunciado la vuelta a la situación previa a la Ley de Calidad de la enseñanza; esto es, no habrá opción no confesional, y la opción confesional no será evaluable en el curriculum del alumno. 38 Ciertamente el TC ha declarado que no resulta de aplicación la doctrina relativa a los centros educativos con ideario propio, a cualquier tipo de empresa de tendencia STC 106/1996, FJ 3, pero ya hemos visto que la Administración educativa pública no es una empresa de tendencia, y que la asignatura de religión tiene carácter confesional. Sobre los límites del docente en los centros educativos con ideario, cfr.: STC 5/1981, FJ 10. Cfr.: J. Otaduy, La extinción del contrato de trabajo por razones ideológicas en los centros docentes privados, Pamplona, 1985. M. Moreno Anton, Vida privada de los docentes e ideario del centro educativo en el Derecho español, en „Anuario de Derecho Eclesiástico del Estado“, 5, 1989, pp. 163 y ss. 39 40

STC 106/1996, FJ 3.

STC 120/1983, FJ 2. Sobre el tema, cfr.: R. Cantero Ribas, Los derechos inespecíficos de la relación laboral: libertad de expresión, libertad ideológica y derecho a la intimidad, en „La Ley“, vol. 18, 1997, pp. 1847 y ss.

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surge un „limite adicional“ en el ejercicio de los derechos, que „se deriva del principio de buena fe entre las partes en el contrato de trabajo y al que éstas han de ajustar su comportamiento mutuo.“41 En suma, el carácter confesional de la asignatura de religión permite una cierta analogía del profesor de religión respecto de la confesión, cuya doctrina imparte en el centro público, con el docente de un centro con ideario propio respecto de ese ideario. Si la vinculación del docente al ideario está en estrecha relación con la transmisión de los aspectos propiamente educativos o formativos de la enseñanza – aunque haya de distinguirse entre aspectos teóricos y vida privada, y deban de ser tenida en cuenta, según el TC , la edad de los alumnos –, en el caso del profesor de religión esa vinculación alcanzará no solamente a los aspectos teóricos que enseña en la clase, sino también a su vida privada en la medida en que la religión que imparte no tenga sólo contenidos doctrinales o dogmáticos, sino que contenga también una enseñanza moral o modelo de vida para quienes pertenezcan a ella. 3. Consideraciones conclusivas La integración de la declaración de idoneidad dentro del proceso de nombramiento del profesorado de religión, atendiendo a las categorías de la discrecionalidad técnica y a los principios de neutralidad y libertad religiosa del Estado, es conforme a Derecho, aún cuando no sea revisable por los tribunales del Estado. El largo período de vigencia del Acuerdo sobre enseñanza y asuntos culturales, ciertamente, no es por sí mismo una garantía de constitucionalidad. No obstante, el que se suscite ahora esta cuestión, a mi juicio, a lo que apunta no es tanto a la inconstitucionalidad de la norma pactada cuanto al cambio personal de los profesores de religión demandantes. Al respecto, cabe anotar que no parece suficiente punto de apoyo para declarar la inconstitucionalidad el criterio subjetivo del destinatario de la norma. III. Problema actual en la enseñanza de la Religión islámica En primer término, conviene tener presente que los derechos reconocidos en España a los musulmanes se derivan en gran medida de las normas de carácter general, como son la Constitución, la Ley Orgánica de libertad religiosa, y la ley de extranjería. Sin embargo, es cierto, que en virtud del Acuerdo del Estado Español con la CIE, se atribuyen o se concretan algunos derechos a los islámi-

41

STC 106/1996, FJ 5, recogiendo abundante jurisprudencia anterior. Cantero Riabas, Los derechos inespecíficos, pp. 1850 y ss.

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cos, no necesariamente derivados de las mencionadas leyes.42 En todo caso, la enseñanza de la religión islámica en las escuelas públicas es quizá el aspecto de lo acordado en 1992 que mayores problemas prácticos ha planteado, y en cuya solución se aprecia quizá de modo más claro la progresiva interpretación favorable al Islam que las Administraciones públicas han ido haciendo del Acuerdo de 1992. ¿Cuáles son las dificultades para la efectiva enseñanza de la religión islámica en la escuela que ha habido hasta ahora para la aplicación de las medidas de garantía previstas en los Acuerdos con la CIE? ¿Cuáles son los logros alcanzados? Las principales dificultades para la aplicación de los derechos reconocidos en el Acuerdo de 1992 tienen su origen en la falta de entendimiento entre las dos entidades que lo integran. Por lo que se refiere a la enseñanza religiosa islámica43, el marco legal tiene dos pilares básicos: Por un lado, la propia Ley Orgánica de Ordenación General del Sistema Educativo de 1990 (LOGSE), a tenor de la cual la enseñanza religiosa en el sistema educativo público se realizará según lo establecido en los Acuerdos con las distintas Confesiones. Y por otro lado, el Acuerdo con la CIE (art. 10) que establece: „se garantiza a los alumnos musulmanes, a sus padres y a los órganos escolares de gobierno que lo soliciten, el ejercicio del derecho de los primeros a recibir enseñanza religiosa islámica en los centros docentes públicos y privados concertados, siempre que, en cuanto a estos últimos, el ejercicio de aquél derecho no entre en contradicción con el carácter propio del Centro, en los niveles de educación infantil, educación primaria y educación secundaria“. La forma concreta de satisfacer este derecho consiste en que: „los centros docentes públicos y privados concertados […] deberán facilitar los locales adecuados para el ejercicio del derecho que en este artículo se regula, sin que pueda perjudicar el desenvolvimiento de las actividades lectivas“. A

42

Como por ejemplo el reconocimiento a las comunidades islámicas, pertenecientes a la CIE, „del derecho a la concesión de parcelas reservadas para enterramientos islámicos en los cementerios municipales“ (art. 2, 5º del Acuerdo de 1992), que ha dado lugar a problemas en la práctica. Cfr.: A. González-Varas Ibáñez, Libertad religiosa y cementerios: incidencia del factor religioso sobre las necrópolis, en „Ius Canonicum“, 82, 2001, pp. 685 – 687 y la bibliografía allí citada. 43

Cfr. J. Mantecon, L'enseignement de la religion dans le système éducatif espagnol: réference spéciale à l'enseignement religieux évangélique et islamique, en F. Messner / A. Vierling (coord.), „L'enseignement religieux à l'école publique“, Estrasburgo 1998, pp. 119 – 128; J. M. Marti, La enseñanza de la religión islámica en los centros públicos docentes, en „Il Diritto Eclesiástico“, 2000, pp. 809 y ss.

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este sistema se le ha llamado por la doctrina de „libre acceso“44; es decir, aún existiendo el derecho a recibir enseñanza religiosa islámica, ésta no queda integrada en el currículo del alumno con carácter obligatorio, ni se equipara a las disciplinas fundamentales45. Los profesores tenían que ser designados por las Comunidades integradas en la CIE, con la conformidad de la Federación a la que pertenecieran. Por lo que se refiere al contenido de la enseñanza lo debían establecer las respectivas Comunidades, con la conformidad de la CIE. El control del contenido de la enseñanza religiosa, al ser el Estado español neutral en materia religiosa46 (art. 16, 3 de la Constitución Española), no puede corresponder a los poderes públicos, sino que se atribuye en cada caso a las autoridades de la confesión religiosa de que se trate47. El 12 de marzo de 1996 los Ministros de Justicia y Educación y los representantes de la CIE firmaron un Convenio sobre designación y régimen económico de los profesores de enseñanza religiosa islámica.48 El Convenio se refiere únicamente a los centros públicos de Educación Primaria y Secundaria. En él se recoge un principio ya previsto en otras normas de carácter general49: los padres o tutores (o los propios hijos, si fueran mayores de edad) pueden manifestar al Director del Centro, al comienzo de cada etapa o nivel educativo, su deseo de cursar la enseñanza religiosa islámica. Dicha elección es suscepti-

44

M. Rodríguez Blanco, El régimen jurídico de los profesores de religión en los centros docentes públicos, en „Il Diritto Ecclesiástico“, 2001, p. 561, y la bibliografía citada en la nota 223. 45

La publicación de los curricula de enseñanza religiosa islámica correspondientes a la educación primaria, educación secundaria obligatoria y bachillerato, se dispuso en la Orden de 11 de enero de 1996 (BOE n. 16, de 18 de enero). 46

Cfr.: M. J. Roca, La neutralidad del Estado. Orígenes doctrinales y situación actual en la jurisprudencia, en „Il Diritto Ecclesiastico“, 1997, pp. 405 y ss. 47 R. D. 2438/1994, de 16 de Diciembre por el que se regula la enseñanza de la religión (BOE de 26 de Enero de 1995), art. 4, 3º.: „Las decisiones sobre utilización de libros de texto y materiales didácticos, y, en su caso la supervisión y aprobación de los mismos corresponde a las autoridades de las respectivas confesiones religiosas, de conformidad con lo establecido en los respectivos Acuerdos suscritos con el Estado Español“. 48

Resolución de 23 de abril de 1996, de la Subsecretaría del Ministerio de la Presidencia por la que se dispone la publicación del Convenio (BOE de 3 de mayo). 49

R. D. 2438/1994, de 16 de diciembre, art. 3, 1º.

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ble de modificarse al principio de cada curso escolar50. Los Centros docentes transmiten esta información a las Comunidades islámicas locales. A su vez, las Comunidades islámicas locales proponen los profesores, que han de recibir previamente la conformidad de la CIE. La CIE ha de comunicar a las Administraciones educativas competentes las personas que considere idóneas para impartir la enseñanza religiosa islámica. La designación de los profesores debe recaer, necesariamente, en personas propuestas por las Comunidades islámicas locales51. Las Administraciones educativas y la CIE se comprometen a adoptar las medidas necesarias para que los alumnos puedan recibir la enseñanza solicitada y, para que cada profesor pueda atender el mayor número posible de alumnos en los centros docentes de un mismo ámbito territorial. Así, la Administración asume el deber de agrupar a los alumnos del mismo nivel educativo que soliciten la enseñanza religiosa islámica. En el caso de que el grupo formado fuera inferior a diez, se prevé la posibilidad de agrupar a los alumnos de los diferentes niveles de una misma etapa educativa. El Estado asumiría el pago del profesorado, cuando el número de alumnos que reciban esta enseñanza fuera igual o superior a diez en cada clase. Sin embargo, las cantidades adeudadas no se abonarían directamente a los profesores, sino a la CIE. Esta situación cambió en 199852, a partir de esa fecha la Administración educativa competente contrata y paga directamente a los profesores. La falta de entendimiento entre las dos Federaciones que integran la CIE, ha impedido en ocasiones la aplicación de lo previsto en el Convenio. Cada Federación – y no cada Comunidad, según lo establecido en el Convenio – ha presentado listas distintas de profesores, y la CIE ha sido incapaz de alcanzar el

50

Sobre la compatibilidad de este tipo de manifestaciones con el art. 16, 2 de la Constitución, cfr.: M. J. Roca, La declaración de la propia religión o creencia en el Derecho español, Santiago de Compostela, 1992, pp. 256 – 262. 51

Sobre acceso al cargo de profesor, naturaleza jurídica de su relación, y aspectos como su retribución seguridad social e integración en el centro escolar, puede verse, Rodríguez Blanco, El régimen jurídico, pp. 563 y ss. 52

Mediante la Ley de Medidas Fiscales, Administrativas y de Orden Social, de 30 de diciembre de 1998 (Cfr. art. 93 de la Ley 50/1998 (BOE de 31 de diciembre), se añadió un nuevo párrafo a la Disposición Adicional Segunda de la LOGSE, en el que se establece que los profesores que, no perteneciendo a los Cuerpos de funcionarios docentes, impartan enseñanzas de religión en los centros públicos lo harán en régimen de contratación laboral por una duración coincidente con el curso escolar, a tiempo completo o parcial. Estos profesores percibirán las retribuciones que correspondan en el respectivo nivel educativo a los profesores interinos.

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acuerdo de los dos Secretarios Generales, es decir de las dos Federaciones53. Las autoridades públicas no pueden sustituir en su decisión a los representantes confesionales, precisamente por el carácter no confesional del Estado español, como ya se ha apuntado. Actualmente, se está impartiendo enseñanza religiosa islámica en los lugares donde se ha producido un acuerdo para la elección de profesores (p. ej.: Madrid y Melilla). Desde el punto de la integración y la diversidad de las minorías islámicas, resulta de especial relevancia el contenido de la enseñanza religiosa islámica. Dicho de otro modo, ¿en qué medida la doctrina islámica respeta los principios del sistema general educativo español? A tenor de la reciente Ley de Calidad de la Enseñanza, la enseñanza de la disciplina „Sociedad, cultura y religión“, puede ser no confesional o confesional. En el caso de que se elija una opción confesional, su contenido debe ajustarse a las doctrinas propias de la confesión respectiva. Si bien el Estado es neutral, las confesiones no lo son, ni tienen por qué serlo. No obstante, „los libros y materiales curriculares de la enseñanza religiosa deberán respetar en sus textos e imágenes los preceptos constitucionales y los principios a que se refiere el art. 2.3. de la Ley Orgánica 1/1990, de 3 de octubre, de ordenación general del sistema educativo“ (art. 4, 2 del R.D. 2438/1994, de 16 de diciembre). Por su parte, el art. 2, 3, de la Ley Orgánica de Ordenación General del sistema educativo prevé que „la actividad educativa se desarrollará atendiendo a los siguientes principios: (...) c) la efectiva igualdad entre sexos, y el rechazo a todo tipo de discriminación, y el respeto a las culturas“. Puesto que los contenidos propios del Islam incluyen aspectos que eventualmente pueden entrar en conflicto la igualdad de sexos, tal como es interpretada en el ordenamiento español, resulta prioritario conocer que prevalece en estos supuestos de conflicto. A juicio de algunos autores, la igualdad habrá de interpretarse tal como 53

Un ejemplo de las dificultades para llegar a un acuerdo entre los distintos representantes del Islam, es el escrito enviado al Ministerio de Educación, el 28.XI – 2001, por los representantes de la Comisión Islámica de Melilla, en el que se rechaza el plan propuesto para la enseñanza religiosa islámica por el Director General de Asuntos Religiosos. En dicho escrito, la Comisión Islámica de Melilla – además de expresar su malestar por la actitud de la Dirección provincial del MEC en Melilla –, hace partícipe al Secretario General de Educación de que es objeto de marginación por una de las Secretarías de la CIE (Riaj Tatary). Asimismo, protesta por el nombramiento de profesores sin consultarle, insistiendo en que „la Comisión Islámica de Melilla es la única interlocutora válida de los musulmanes de la ciudad en cualquier tema que afecte al cumplimiento del Acuerdo de cooperación de 1992“, y en que se trata de „evitar toda interferencia de las Secretarías generales de la CIE de la Consejería de Educación y Presidencia de la ciudad de Melilla“ (cfr.: webislam.com/12 – 12 – 03.HTM, 29.5.2002).

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es entendida en el ordenamiento español54. Por lo que se refiere al derecho de las confesiones a fijar el contenido de la enseñanza de la religión, el Tribunal Constitucional ha declarado que „si la enseñanza de la religión no forma parte de la programación general de la enseñanza al haber pasado a ser una asignatura voluntariamente optada por el alumno, es evidente que el claustro de profesores y las asociaciones de padres de alumnos carecen de capacidad para desarrollar el curriculo de los diferentes niveles educativos, de las diferentes confesiones que al amparo del art. 3,3, pueden establecer enseñanzas alternativas o complementarias, competencias que escapan al control del consejo escolar que tiene carácter laico, o no confesional y no debe intervenir“55. Puede decirse, por tanto, que la facultad para fijar los contenidos de la enseñanza de la religión, es una manifestación del derecho de autonomía de las comunidades islámicas, reconocida a las confesiones religiosas en el art. 6 de la LOLR. Un ejemplo más del respeto a la autonomía de la comunidad islámica en el Derecho español, es que el propio Acuerdo con la CIE reconoce el rito matrimonial islámico, como forma válida de celebración del matrimonio, y, en tal rito, necesariamente los testigos han de ser varones que hayan alcanzado la pubertad56. Resulta clara, pues, la discriminación de sexos en una norma islámica, a la que se le reconoce eficacia civil. Con mayor motivo el ordenamiento jurídico español deberá respetar la enseñanza de los contenidos propios de una religión, aunque su concepción de las relaciones entre sexos no se atenga a los principios de la igualdad garantizada en nuestro Derecho. IV. Consideraciones finales Lo expuesto en los apartados anteriores sobre los problemas actuales de la enseñanza de la religión católica pone de manifiesto cómo en algunos sectores de la sociedad española, la descristianización lleva a estimar la coherencia de vida que se requiere para la enseñanza de la Religión en las escuelas públicas como una exigencia exagerada . Se considera sospechosa de inconstitucionalidad esta prescripción del Derecho canónico, que tiene efectos en el Derecho del Estado, en virtud de lo acordado con la Santa Sede. Este requisito no lesiona los

54

J. M. Martí, La enseñanza de la religión..., p. 814. A. Motilla, L’Accordo di cooperazione tra la Spagna e la Commisione islamica. Bilancio e prospettive, en S. Ferrari (ed.), Musulmani in Italia. La condizione giuridica delle comunità islamiche, Bologna, 1999, pp. 257 – 259. 55 56

STC, de 1 – IV – 1988, FJ 3.

M. López Alarcón / R. Navarro-Valls, Curso de Derecho Matrimonial canónico y concordado, 6ª ed., Madrid, 2001, p. 497.

Problemas actuales de la Enseñanza de la Religión en las escuelas públicas

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principios constitucionales de neutralidad y libertad religiosa, sino que más bien contribuye a garantizarlos. En cambio, puede decirse hoy, que, en el plano jurídico, la resolución de los problemas para una efectiva aplicación del Acuerdo firmado entre la CIE y el Estado, depende en mayor medida de que se alcance un adecuado entendimiento dentro del propio Islam, que de la falta de voluntad de los poderes públicos. Ello se pone de manifiesto en las medidas adoptadas para que se imparta enseñanza islámica en las escuelas públicas (sobre todo en Madrid y Melilla). Así, según el régimen vigente, las Administraciones públicas asumen el pago de los profesores de religión, si se dan determinadas condiciones, y ello va más allá de lo previsto en el Acuerdo de 1992. No obstante, si sigue aumentando la proporción de la población musulmana en España, las perspectivas de la integración de su cultura será previsiblemente muy distinta, pues la doctrina islámica no conoce la separación entre la religión y la política o el Derecho. Esta separación constituye un pilar fundamental del sistema jurídico español.

Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen Von Wolfgang Rüfner Josef Listl hat sich, insbesondere im Zusammenhang mit der Wahl des derzeitigen Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner, eingehend mit Problemen der Bischofsbestellung befaßt. Den juristischen Ertrag seiner damaligen praktischen Tätigkeit als kirchlicher Berater hat er in seinem Beitrag „Die Besetzung der Bischofsstühle“ in der Festschrift für Bischof Josef Stimpfle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht1. Die hier behandelte Frage der politischen Klausel ist dort mehrfach angesprochen, auch wenn sie damals nicht im Vordergrund seines Interesses stand. In vielen Konkordaten der neueren Zeit findet sich die sog. politische Klausel, die dem Staat ermöglicht, politische Bedenken gegen einen Kandidaten für ein Bischofsamt geltend zu machen. Die ältesten Beispiele bieten die Konkordate mit Montenegro (1886), Kolumbien (1887) und Serbien (1914), zahlreiche die Konkordate nach dem Ersten Weltkrieg. Der Ausdruck geht wohl auf die preußische Ministerialbürokratie zurück und ist im Umkreis des „Preußenkonkordats“ von 1929 (Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl) und des preußischen evangelischen Kirchenvertrags von 1931 entstanden2.

1

Josef Listl, Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland, in: Sendung und Dienst im bischöflichen Amt. Festschrift der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg für Bischof Josef Stimpfle zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Anton Ziegenaus, St. Ottilien 1991, S. 29 – 68, auch abgedruckt in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat. Hrsg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees, 2. Halbband, Berlin 1996, S. 886 – 917. Aus der letztgenannten Publikation wird nachstehend zitiert. 2

Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten, Hamburg 1939, S. 31; Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, Berlin und München 1949, S. 11. Beide weisen darauf hin, daß der Ausdruck erstmals in der Regierungsbegründung zum preußischen evangelischen Kirchenvertrag nachweisbar ist.

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I. Geschichte Die katholische Kirche hat sich in der Vergangenheit immer mit Mitspracheansprüchen der Staaten bei der Auswahl der Bischöfe auseinander setzen müssen. Der Investiturstreit ist dafür das herausragende ältere Beispiel. Weitgehende Mitwirkungsrechte der Staaten bei der Auswahl der katholischen Bischöfe erhielten sich bis in das 20. Jahrhundert. In der Zeit der Monarchie gab es zugunsten katholischer Landesherrn Vorschlags- und Benennungsrechte3, die in manchen Ländern (so in Frankreich4) sogar auf republikanische Staatsoberhäupter übergingen. Im Deutschen Reich von 1871 hatten nur die beiden katholischen Könige, der König von Bayern und der König von Sachsen (für den Apostolischen Vikar), Nominationsrechte5. Die evangelischen Landesherren6 in Deutschland beanspruchten aber ein Vetorecht gegen minder genehme Kandidaten7. Die Kirche konnte sich gegen diese Ansprüche in der Zeit der Monarchie nicht erfolgreich zur Wehr setzen, obwohl sie prinzipiell für den Hl. Stuhl das Recht der freien Auswahl der Bischöfe forderte und dies in can. 329 § 2 CIC von 1917 als Grundsatz ausdrücklich festlegte. Die Einräumung eines Erinnerungsrechts gegen politisch ungenehme Kanididaten für das Bischofsamt war aus kirchlicher Sicht ein Zugeständnis, das den Staaten den Verzicht auf weitergehende Mitwirkungsrechte erleichtern sollte. Die politische Klausel war, wie W. Weber formulierte, die konkordatsrechtlich eingefangene Ausmündung des großen politischen Kampfes zwischen Kirche und Staat um 3

Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 12; Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 59. 4

Dazu Adolf Kindermann, Das landesfürstliche Ernennungsrecht, Warnsdorf 1933, S. 184 ff., speziell zu Elsaß-Lothringen, S. 205 ff. 5

Kindermann, Landesfürstliches Ernennungsrecht (Anm. 4), S. 212 ff.; Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 16 f.; ausführlich zu Bayern Anton Scharnagl, Das königliche Nominationsrecht für die Bistümer in Bayern 1817 – 1918, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung XVII, 1928, S. 228 – 263. 6

Die Aussage, die evangelischen Fürsten hätten kein Nominationsrecht beansprucht, ist insbesondere für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mit erheblichen Einschränkungen zu versehen, die in der Literatur ausführlich dargestellt wurden. Dazu Emil Friedberg, Der Staat und die Bischofswahlen in Deutschland, Leipzig 1874; A. Rösch, Der Einfluß der deutschen protestantischen Regierungen auf die Bischofswahlen, Freiburg i.B. 1900; Beda Bastgen, Die Besetzung der Bischofssitze in Preußen in der ersten Hälfte des 19., Jahrhunderts, hrsg. von Reimund Haas, München 1978 (Neudruck der zweibändigen Ausgabe von 1941 in einem Bande); Ludwig Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter in den Konkordaten Papst Pius’ XI., Bonn 1942, S. 239 ff. (speziell zu Preußen). 7

Zu diesem Veto gegen Personae minus gratae Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 19 ff., 28 ff., 59 ff.

Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen

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die Besetzung der Bischofsstühle8. Die Ernennung von Bischöfen, die aus politischen Gründen als untragbar gelten, ist allerdings auch aus kirchlicher Sicht in der Regel unzweckmäßig9. Es gab sogar Fälle, in denen die Kurie mit Regierungen ohne konkordatäre Verpflichtung Fühlung aufnahm10. Die Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg brachten das bisherige System zu Fall. Eine Nomination durch den neutralen demokratisch-parlamentarischen Staat war nicht mehr zeitgemäß und entsprach auch nicht den neuen Verfassungen, welche den Kirchen die Auswahl ihres Personals überließen11. Im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche Konkordate mit politischen Klauseln geschlossen12. Sie finden sich – mit Ausnahme des Vertrags zur Errichtung des Erzbistums Hamburg – in allen Verträgen, welche der Hl. Stuhl mit deutschen Ländern nach 1918 geschlossen hat, und sogar in Verträgen evangelischer Kirchen mit deutschen Ländern. Die Klauseln geben dem Staat Einwirkungsrechte, die aber deutlich hinter dem zurückbleiben, was früher mit dem Recht des Ausschlusses minder genehmer Personen13 oder gar mit dem Nominationsrecht verbunden war. II. Übersicht über die in Deutschland vereinbarten Regelungen 1. Katholische Kirche Art. 14 § 1 des Bayerischen Konkordats von 1924 schreibt vor, daß der Hl. Stuhl vor der Publikation der Ernennungsbulle mit der Regierung in Verbindung tritt, 8

Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 9 f.; Alexander Hollerbach, Staat und Bischofsamt, in: Gisbert Greshake (Hrsg.) Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, München, Zürich 1991, S. 51, 52 ff., der die Frage in einer gewaltigen historischen Dimension sieht; Ludwig Renck, Die Bischofsernennung in den Konkordaten, BayVBl. 1995, 682, spricht von einem historischen Rechtsbestand. 9

Diese Feststellung Webers, Politische Klausel (Anm. 2), S. 100, gilt trotz gegenüber 1939 grundlegend veränderter politischer und verfassungsrechtlicher Zustände noch heute. 10

Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 25 und 159.

11

Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 13; Scharnagl, Königliches Nominationsrecht (Anm. 5), S. 262; Kindermann, Landesfürstliches Ernennungsrecht (Anm. 4), S. 217 ff., die beide für Bayern auf den persönlichen Charakter des königlichen Privilegs hinweisen. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 892, berichtet, daß die bayerische Staatsregierung nach dem Ersten Weltkrieg versuchte, das Nominationsrecht auf den bayerischen Ministerpräsidenten zu übertragen. Dies scheiterte am Widerstand des Hl. Stuhles. 12

Dazu Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 21 f.; Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 69 ff.; Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 8), S. 73 f. 13

Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 34.

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„um sich zu versichern, daß gegen den Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht obwalten“. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 3 und Art. 7 des Preußischen Konkordats von 1929 wird der Hl. Stuhl zum (Erz)Bischof oder Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge „niemand ernennen, ohne vorher durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt zu haben, daß Bedenken politischer Art gegen den Kandidaten nicht bestehen“. Art. III Abs. 2 des Badischen Konkordats von 1932 enthält eine ähnliche, aber präzisierte Formel: Nur Bedenken allgemein-politischer, nicht aber parteipolitischer Art sollen erheblich sein. Im Zusatzprotokoll wird klar gestellt, daß bei Bedenken ein Einigungsversuch gemacht, der Hl. Stuhl aber frei sein soll, falls dieser erfolglos bleibt. Art. 14 Abs. 2 Nr. 2 des Reichskonkordats sieht vor, daß die Bulle für die Ernennung von (Erz)Bischöfen und Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge erst ausgestellt wird, „nachdem der Name des dazu Ausersehenen dem Reichsstatthalter in dem zuständigen Lande mitgeteilt und festgestellt ist, daß gegen ihn Bedenken allgemein politischer Natur nicht bestehen.“ Nach dem Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 2 Nr. 2 sollen Bedenken innerhalb kürzester Frist geltend gemacht werden, nach Ablauf von 20 Tagen ist der Hl. Stuhl zu der Annahme berechtigt, daß keine Bedenken bestehen. Ausdrücklich wird vermerkt: „Ein staatliches Vetorecht soll nicht begründet werden“14. Die neueren Verträge haben diese Regelungen bestätigt. Art. 3 Abs. 1 des niedersächsischen Konkordats von 1965 verweist auf das Preußenkonkordat und erstreckt die Möglichkeit, „Bedenken allgemeinpolitischer Natur“ geltend zu machen, auf die Ernennung des Stellvertreters des Bischofs von Münster im ehemaligen Oldenburg. Die Bistumserrichtungsverträge, die 1994 zur Gründung der Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg geschlossen wurden, verweisen auf die Regelung des Preußenkonkordats, stellen aber im Schlußprotokoll jeweils klar, daß das freie Besetzungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV unberührt bleibt, also ein Vetorecht des Staates nicht begründet wird. Nach Art. 6 Abs. 2 und 3 des Hamburger Bistumserrichtungsvertrages von 1994 nebst Schlußprotokoll ist der Hl. Stuhl nur zur Information über die Person des gewählten Erzbischofs bzw. des vorgesehenen Koadjutors verpflichtet. Auf eine politische Klausel wurde verzichtet. Im Sächsischen Vertrag mit dem Hl. Stuhl von 1997 wird auf die Bistumserrich14

Anders, aber selbst nach der damaligen verfassungsrechtlichen Lage schwerlich vertretbar Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 101 ff., der meint, die letzte Entscheidung des Vatikans über die politische Zuverlässigkeit von Bischöfen sei nur in solchen Ländern denkbar, in denen – wie in Baden und Österreich zur Zeit der Konkordatsabschlüsse (gemeint sind das badische Konkordat von 1932 und das nach Ansicht Webers (S. 28) gegenstandslos gewordene österreichische Konkordat von 1934) – die Kirche die politischen Entscheidungen ohnehin maßgebend mitbestimme. Weber weist außerdem auf die Freundschaftsklausel hin.

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tungsverträge betr. die Bistümer Görlitz und Magdeburg, im übrigen auf das Reichskonkordat verwiesen (Art. 13 Abs. 1 und 2). 2. Evangelische Kirchen In evangelischen Kirchenverträgen finden sich politische Klauseln in Art. 29 des Bayerischen Vertrags mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche rechts des Rheins und Art. 22 des Bayerischen Vertrags mit der Pfälzischen Landeskirche von 1924. Art. 7 des Preußischen Kirchenvertrags von 1931 enthält eine Klausel, welche der des Preußenkonkordats nachgebildet ist. Im Schlußprotokoll wird aber präzisiert: Bedenken politischer Art sind nur staatspoltiische, nicht kirchliche oder parteipolitische Bedenken. Eine Ernennung im Sinne des Art. 7 liegt nicht vor, wenn der Vorsitz der Behörde mit einem synodalen Amt als solchem verbunden ist. Art. II Abs. 2 des Badischen Kirchenvertrags von 1932 nebst Schlußprotokoll enthält eine dem Konkordat entsprechende Regelung. In der Nachkriegszeit wird diese Linie fortgesetzt. Nur staatspolitische, nicht kirchliche oder parteipolitische Bedenken sind erheblich, die Klausel ist nicht anwendbar auf Ämter, die durch Wahl besetzt werden (so Art. 7 des niedersächsischen Kirchenvertrags von 1955; Art. 9 des Schleswig-holsteinischen Kirchenvertrags von 1957 nebst Zusatzvereinbarung; Art. 9 des Vertrags des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen von 1960). Die nach der Wende abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträge der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthalten keine einschlägigen Bestimmungen. 3. Militärbischöfe Für die Militärbischöfe gelten besondere Regeln. Nach Art. 27 Abs. 2 S. 2 des Reichskonkordats ist zum Militärbischof ein in der Bundesrepublik residierender Diözesanbischof im Einvernehmen mit der Bundesregierung zu ernennen. Die Statuten für die Katholische Militärseelsorge von 1965 verweisen in Art. 6 auf diese Bestimmung15. Der evangelische Militärbischof wird vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ernannt. Vor der Ernennung tritt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland mit der Bundesregierung in Verbindung, um sich zu versichern,

15

Päpstliche Statuten für den Jurisdiktionsbereich des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr vom 23.11.1989, abgedruckt in Verordnungsblatt des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr 1990, S. 1 ff., Art. 2 i.V.m. Art. 27 des Reichskonkordats.

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daß vom staatlichen Standpunkt aus gegen den für das Amt des Militärbischofs vorgesehenen Militärgeistlichen keine Einwendungen erhoben werden. Auf Wunsch wird die Bundesregierung die Gründe für ihre Bedenken mitteilen16. Die Regelung liegt auf der Linie der politischen Klausel17. III. Heutige rechtliche Bedeutung der politischen Klauseln 1. Verfassungsrechtliche Fragen Mit dem Zugeständnis einer politischen Klausel verzichten die Kirchen auf einen ihnen eindeutig zustehenden Teil ihres Selbstbestimmungsrechts. Ob und inwieweit das nach deutschem Verfassungsrecht zulässig ist, ist umstritten18. Berechtigte Bedenken bestehen dann, wenn dem Staat – wie im Preußenkonkordat19 – ein Vetorecht gegen die Ernennung eines Bischofs eingeräumt wird20. Der Grundsatz „volenti non fit iniuria“ wird damit überdehnt. Für die Militärbischöfe, welche zwar keine staatlichen Beamten sind, mit denen aber der Staat in einem eindeutig ihm zuzurechnenden Bereich eng zusammenarbeiten muß, kann und muß man dies anders sehen21.

16

Art. 11 (nebst Schlußprotokoll zu Art. 11) des Vertrages der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge vom 1.8.1957, abgedruckt bei bei Josef Listl, Konkordate und Kirchenverträge, 2 Bde., Berlin 1987, hier Band 1, S. 96 ff.; Axel Frh. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl., München 1996, S. 232, versteht diese Klausel als bloßes Erinnerungsrecht, nicht als Vetorecht, anders die Regierungsbegründung (BTDrs. II/3500, abgedruckt bei Listl, S. 108, hier 113), welche von einem auf schwerwiegende Einwendungen beschränkten Vetorecht spricht. 17

Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 8), S. 69.

18

Dezidiert gegen die Verfassungsmäßigkeit Renck, Bischofsernennung (Anm. 8), S. 683; auch Dirk Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl. München 2003, Art. 137 WRV Rn. 9. 19

So für das Preußenkonkordat, Klaus Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle unter besonderer Berücksichtigung des Listenverfahrens, Bonn, Köln, Berlin 1933, S. 138 f., der aber verfassungsrechtliche Bedenken äußert; Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 179 ff.; ihm folgend Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1965, S. 135. 20

Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 265; Hollerbach, Verträge (Anm. 19), S. 135, hält im Anschluß an E.R. Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, Breslau 1930, S. 191, staatliche Vetorechte aus verfassungsrechtlichen Gründen für unwirksam. 21

Hollerbach, Verträge (Anm. 19), S. 135 f.

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Keine durchgreifenden Bedenken bestehen gegen ein bloßes Erinnerungsrecht, das bei Nichteinigung der Kirche die Freiheit der Ernennung läßt22. Selbst wenn der Staat aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen Rechtsgewinn aus dem in staatliches Recht transformierten Vertrag gewinnen kann23, kann er doch Rechte wahrnehmen, die ihm das Kirchenrecht zubilligt, und zwar auch im Interesse der Kirche. Die Kirche hat regelmäßig ein eigenes Interesse daran, einen Kandidaten auszuwählen, der dem Staat nicht ungenehm ist24. Der Staat seinerseits übt in der Verfassung zwar Machtverzicht. Sein Interesse an der kirchlichen Personalpolitik ist aber nicht beseitigt25. 2. Probleme des Bund-Länderverhältnisses Nach dem Grundgesetz ist der Bund für Materien der Kirchenverträge grundsätzlich nicht mehr zuständig. Ausgenommen ist die Militärseelsorge, die wegen der Bundeskompetenz nach Art. 73 Nr. 1 GG Sache des Bundes ist, soweit staatliche Regelungen erforderlich sind. Das Reichskonkordat hatte nach dem damaligen Verfassungsrecht die Kraft, Landesrecht zu derogieren. Grundsätzlich ist deshalb anzunehmen, daß die Regelung des Reichskonkordats in allen Ländern in Kraft getreten ist und dem Landesrecht vorgeht. Die Subsidiaritäsklausel in Art. 2 Abs. 1 RK greift nicht, weil Art. 14 RK die früher getroffenen Regelungen ergänzt. Art. 14 RK nebst dem zugehörigen Schlußprotokoll enthält wichtige Klarstellungen: Nur Bedenken allgemein politischer Natur sind einschlägig. Wenn das Reichskonkordat diese Formulierung aus dem badischen Konkordat aufgreift, ist anzunehmen, daß auch die dortige Erläuterung gelten soll: Parteipolitische oder kirchliche Bedenken sind unerheblich. Außerdem wird festgestellt, daß ein Vetorecht nicht begründet wird. Auch insoweit folgt das Reichskonkordat dem Badischen Konkordat. Neu, aber ebenfalls als Ergänzung zu betrachten ist die Fristrege22

So Hollerbach, Verträge (Anm.19), S. 135; Ernst-Lüder Solte, Staatskirchenrecht und Kirchenkonflikte, in: Eine Kirche – ein Recht. Hrsg. von Richard Puza und Abraham P. Klostermann, (Hohenheimer Protokolle, Bd. 34), Stuttgart 1990, S. 155, hier 168; ders., Die Ämterhoheit der Kirchen, in: HdbStKirchR2 I, S. 561, hier 570; die Begründungen zum Badischen Konkordat und zum Badischen Kirchenvertrag, abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 16), Bd. 1, S. 163 und 239 berufen sich für die dort vorgesehenen staatlichen Mitwirkungsrechte auf den Grundsatz „volenti non fit iniuria“. 23

So das Argument Rencks, Bischofsernennung (Anm. 8), S. 682.

24

Markus H. Müller, Die Mitwirkung des Staates bei der Besetzung kirchlicher Ämter, BayVBl. 1996, 644, hier 645 f. 25

Dietrich Pirson, Der Verfassungsstaat der Gegenwart und die Bischofsernennungen, BayVBl. 1996, 641, hier 642.

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lung. Man kann daher annehmen, daß das Reichskonkordat die einschlägigen abweichenden Regelungen der Länderkonkordate verdrängt hat26. Wichtig aus den Länderkonkordaten sind hinsichtlich der politischen Klauseln im Grunde nur noch die Bestimmungen darüber, wer, der Hl. Stuhl oder das wählende Kapitel, die Anfrage an die Regierung zu richten hat27. Die Anwendung der politischen Klausel muß sich allerdings an den veränderten verfassungsrechtlichen Verhältnissen ausrichten: Der Bund wäre heute weder für die Vereinbarung noch für deren Durchführung zuständig. Reichsstatthalter in den Ländern gibt es nicht mehr. Art. 14 RK ist heute als Landesrecht zu betrachten, das von den Ländern durchzuführen ist. Den Ländern ist die Wahl oder beabsichtigte Ernennung (Bayern und ehemals bayerische Pfalz) eines Bischofs anzuzeigen. Die Länder müssen eventuelle Bedenken binnen 20 Tagen vorbringen. Da die einschlägigen Bestimmungen des Reichskonkordats als Landesrecht fortgelten, sind die Länder und der Hl. Stuhl als Vertragspartner Herren der Verträge und in der Lage, sie abzuändern oder auch auf einzelne Rechte zu verzichten. Ältere Verträge sind also durch das Reichskonkordat modifiziert, neuere gehen, soweit Differenzen bestehen, dem Reichskonkordat vor. Im evangelischen Bereich gibt es nur Länderverträge, über welche die Länder und die beteiligten Kirchen frei verfügen dürfen. Soweit neuere Verträge alte Verträge aufheben oder modifizieren, gilt der Vorrang des jüngeren Rechts. Im übrigen kommt den Klauseln nur noch im Bereich von Baden und Bayern sowie der ehemals bayerischen Pfalz Bedeutung zu28. Die anderen Verträge 26

So Link, Besetzung der kirchlichen Ämter (Anm. 6), S. 265 ff.; Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 39 ff.; ihm folgend Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 75 ff.; Link (S. 267) und Kaiser (S. 76), begründen dies damit, daß sonst die Bestimmungen des Reichskonkordats keinen Anwendungsbereich hätten, da fast das gesamte Reichsgebiet bereits mit Konkordaten überzogen war und Art. 14 Abs. 1 des Reichskonkordats die Regelungen für das Erzbistum Freiburg auf die Bistümer Rottenburg, Mainz und Meißen übertragen hatte. 27

Link, Besetzung der kirchlichen Ämter (Anm. 6), S. 271. Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 909, meint mit Recht, daß dann, wenn das Domkapitel infolge des Devolutiveffekts nach can. 165 CIC verloren hat, vor der Ernennung des Bischofs eine förmliche Mitteilung durch den Vertragspartner und Kontaktaufnahme erforderlich sei. Die Anfrage wegen etwaiger politischer Bedenken ist dann, so ist die Bemerkung zu verstehen, Sache des Hl. Stuhls, nicht des nach dem Preußenkonkordat grundsätzlich zuständigen Domkapitels. Ähnlich schon Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht (Anm. 19), S. 139 f. 28 Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 8), S. 67 f., berichtet, daß das Erinnerungsrecht in Bayern und in Baden-Württemberg in bezug auf die Landesbischöfe praktiziert wird.

Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen

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enthalten Vorbehalte für Wahlämter. Da derzeit die in Frage kommenden Ämter der evangelischen Kirchen sämtlich Wahlämter sind, sind die Regelungen (abgesehen von Baden und Bayern einschließlich der früher bayerischen Pfalz) gegenstandslos29, wie für Berlin in Abschnitt XII des abschließenden Protokolls vom 2.7.1970 trotz Weitergeltung des einschlägigen Art. 7 des preußischen Kirchenvertrags geklärt wurde30. 3. Inhalt der politischen Klausel Die politische Klausel ist auf ein Erinnerungsrecht, ein Recht, Bedenken vorzubringen, reduziert. Ein Vetorecht des Staates besteht – abgesehen vom Sonderfall des Militärbischofs – nicht. Dies galt schon nach den Verträgen aus der Zwischenkriegszeit und ergab sich entweder aus der Formulierung (in den bayerischen Verträgen ist nur von Erinnerungen die Rede) oder aus ausdrücklichen vertraglichen Bestimmungen. Ein Vetorecht konnte allenfalls aus dem Preußenkonkordat und aus dem preußischen evangelischen Kirchenvertrag abgeleitet werden. Da das Preußenkonkordat durch das Reichskonkordat modifiziert ist, die politischen Klauseln in den Verträgen mit den evangelischen Kirchen wegen des Vorbehalts für Wahlämter gegenstandslos sind und in den nach der Wende abgeschlossenen Verträgen mit der katholischen Kirche ein Vetorecht ausgeschlossen wurde, könnten Zweifel allenfalls noch hinsichtlich des niedersächsischen Konkordats auftreten, das auf das Preußenkonkordat, nicht auf das Reichskonkordat verweist. Es ist aber anzunehmen, daß auf das Preußenkonkordat in der durch das Reichskonkordat modifizierten Form verwiesen wird, zumal die Geltung des Reichskonkordats in der Präambel des Konkordats ausdrücklich anerkannt wird. Ein weiteres Argument für diese Auffassung liegt in den begründeten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen

29

Hermann Weber, Der Wittenberger Vertrag – Ein Loccum für die neuen Bundesländer?: NVwZ 1994, 759, hier 765. Die Begründung zu Art. 7 des Niedersächsischen Kirchenvertrags vom 1955 (abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 2 [Anm. 16] S. 119, hier 122), vermerkt aber, die dort vereinbarte Anzeige einer Vakanz ermögliche, daß die Landesregierung mit synodalen Kreisen Fühlung aufnehme, um etwaige politische Gesichtspunkte gegen einzelne Kandidaten zur Geltung zu bringen; dazu Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 8), S. 68. 30

Abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1 (Anm. 16), S. 676, hier 690 f. Die staatliche Seite beharrt auf der Fortgeltung des Art. 7 des Kirchenvertrags, ist aber damit einverstanden, daß die Kirchenleitung die Neubesetzung nur anzeigt. Dazu Roman Herzog, Die Berliner Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen, in: ZevKR 16 (1971), S. 268, hier 277.

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ein staatliches Vetorecht31. Eine verfassungskonforme Auslegung des niedersächsischen Konkordats wird ein Vetorecht nicht anerkennen können. Eine Begründung der Einwendungen des Staates ist in den Vertragstexten nicht ausdrücklich vorgesehen32. Trotzdem wird eine Pflicht zur Begründung allgemein angenommen33. Nicht nur Ehre und Eigenständigkeit der Kirche fordern die Angabe von Gründen34. Der Hl. Stuhl kann ohne Begründung nicht erkennen, warum und welche Bedenken gegen einen Kandidaten geltend gemacht werden. Da nach dem neueren Konkordatsrecht ein staatliches Vetorecht nicht mehr besteht, wäre eine Beanstandung ohne Begründung sinnwidrig und ließe nicht erwarten, daß der Hl. Stuhl von einer Ernennung mit Rücksicht auf staatliche Einwendungen Abstand nähme35. Schließlich liegt es im Sinne einer einvernehmlichen Regelung nach der in allen Konkordaten enthaltenen Freundschaftsklausel, staatliche Bedenken gegen einen Kandidaten zu begründen36. Die politischen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg haben dazu geführt, daß heute sehr viele Diözesen von Landesgrenzen durchschnitten werden. Die Anfrage nach politischen Bedenken ist in solchen Fällen an alle beteiligten Länder zu richten37. Inhaltlich sind die politischen Klauseln durch die Begrenzungen auf Bedenken allgemein politischer Natur wesentlich entschärft. Politisch im Sinne der politischen Klauseln ist, „was in einer eigentümlichen Wesensbeziehung zum Staat steht, nicht solches, das heute den Staat berühren und das ihn morgen gleichgültig lassen kann“38. Mit „allgemein politisch“ soll genau das ausgedrückt werden. „Allgemein politisch“ sind somit Bedenken, die man vielfach auch als „staatspolitisch“ bezeichnet. Bedenken sind danach nur relevant, wenn ein Kandidat sich in die politische Ordnung des Landes grundsätzlich nicht einordnen will, etwa den Bestand des Staates oder die Grundsätze seiner verfassungsrechtlichen Ordnung in Zweifel zieht. Nur wenn ein Kandidat Zweifel an seiner Loyalität zum Staat und seiner Ordnung erweckt, sind „allgemein

31

Dazu o. 3 a.

32

Abgesehen vom evangelischen Militärseelsorgevertrag, dazu o. Anm. 16.

33

So schon Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht (Anm. 19), S. 137 zum preußischen Konkordat. 34

Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 152.

35

Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 153.

36

So schon Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 85 f.; ausführlich Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 151 ff. 37

Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 903.

38

Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 101.

Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen

793

politische“ Bedenken begründet. Seine politische Einstellung und seine parteipolitischen Präferenzen sind unerheblich39. IV. Politische Bedeutung der politischen Klauseln Mit der Reduktion der Bedenken auf solche allgemein politischer Natur unter Ausschluß von parteipolitischen und kirchlichen Gesichtspunkten sind schwere Konflikte – jedenfalls bei beiderseitiger Loyalität der Partner – sehr unwahrscheinlich40. Schon im Interesse des religiösen Friedens wird der Hl. Stuhl keinen Kandidaten ernennen wollen und können, der etwa mit extremen Auffassungen, sei es in kirchenpolitischer, sei es in allgemein politischer Hinsicht, hervorgetreten ist. In normalen Zeiten, in denen der demokratische Rechtsstaat funktioniert, wird es daher kaum zu Schwierigkeiten kommen. Angesichts möglicher grundlegender Wertungsdifferenzen zwischen Staat und Kirche (z.B. in Fragen des Lebensschutzes) sind sie aber auch nicht für alle Zeit auszuschließen. Beispiele für staatliche Beanstandungen finden sich in der nationalsozialistischen Zeit bei der Besetzung der bischöflichen Stühle in Fulda (1936, Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge41) und in Aachen (nach dem Tode von Bischof Vogt 193742). In beiden Fällen hat der Hl. Stuhl schließlich auf die Ernennung des ursprünglich in Aussicht genommenen Kandidaten verzichtet43. In der Nachkriegszeit sind keine Fälle bekannt geworden, in denen von staatlicher Seite politische Bedenken gegen die Bestellung eines Bischofs geltend gemacht wurden. Bei der Wahl von Kardinal Meisner zum Erzbischof von Köln im Jahre 1988 war nicht die politische Klausel das Problem44. Politische Bedenken gegen Kardinal Meisner konnten nicht ernsthaft geltend gemacht werden, seine kirchlich-theologisch eher konservative Grundhaltung 39

In diesem Sinne Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 101 f., der in der Formel „allgemein politisch“ keine Änderung, sondern nur eine Präzisierung sieht; jedenfalls für den nationalsozialistischen Staat wollte Weber, Politische Klausel (Anm. 2), S. 60 ff. der Unterscheidung von politisch und allgemein politisch die Bedeutung absprechen. Zur heutigen Rechtslage anschaulich Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 8), S. 78 ff. 40

Listl, Besetzung der Bischofsstühle (Anm. 1), S. 894, berichtet, daß in Bayern seit dem Abschluß des bayerischen Konkordats von 1924 nie politische Bedenken geäußert wurden. 41

Dazu Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 36 ff.

42

Dazu Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), S. 160 ff.

43

Dazu Kaiser, Politische Klausel (Anm. 2), wie vorst. Anm. 41 und 42.

44

Wenn Solte, Staatskirchenrecht und Kirchenkonflikte (Anm. 22), S. 166, meint, der staatliche Eingriff sei unter Berufung auf die politische Klausel gefordert worden, bezieht er sich auf juristisch nicht fundierte Äußerungen in der öffentlichen Meinung, die es allerdings gegeben hat.

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Wolfgang Rüfner

konnte Bedenken allgemeinpolitischer Natur nicht begründen. Die Schwierigkeiten lagen allein in der Wahl durch das Kapitel, und zwar deshalb, weil dessen Statuten eine Mehrheit der Stimmen für den Kandidaten erforderten. Als dieses Erfordernis außer Kraft gesetzt worden war, konnte entsprechend dem Konkordat gewählt werden45. Die beteiligten Ministerpräsidenten erklärten sofort nach der Wahl, daß politische Bedenken gegen Kardinal Meisner nicht bestünden46. Gegenüber den evangelischen Kirchen sind die politischen Klauseln – abgesehen von den Gebieten der bayerischen Verträge, des badischen Vertrags und der Militärseelsorge – gegenstandslos, weil Wahlämter nicht betroffen sind. Auch gegenüber der Katholischen Kirche messen ihnen die deutschen Länder, wie der Verzicht im Fall des Erzbistums Hamburg mit drei beteiligten Ländern zeigt, keine große Bedeutung zu. Die Kirche wird in ihrem Bestreben, weltliche Einflüsse auf die Auswahl der Bischöfe auszuschließen, auf lange Sicht auf eine Abschaffung der politischen Klauseln hinarbeiten. Die völlige rechtliche Freiheit von staatlichen Einwirkungen ist nach Kirchenrecht und auch nach deutschem Verfassungsrecht der Normalzustand. Gleichwohl bleibt eine Grundidee der politischen Klausel richtig: Der Hl. Stuhl ist gut beraten, wenn er bei der Auswahl der Bischöfe die politische Situation des jeweiligen Landes berücksichtigt. Das bedeutet nicht notwendig, daß sich eine formelle oder informelle Anfrage bei der Regierung empfiehlt. Die politische Opportunität einer Bischofsernennung kann der Hl. Stuhl auch auf andere Weise erkunden und, soweit keine rechtliche Verpflichtung besteht, mag die Anfrage bei der Regierung in kritischen Fällen sogar unzweckmäßig sein. In der Regel wird der Hl. Stuhl aber vermeiden, einen Kandidaten auszuwählen, der sich nicht in das politische System des Landes (in der Bundesrepublik Deutschland eher: das politische System des Gesamtstaats als des einzelnen Landes) einfügt. Es kann aber Länder und Zeiten geben, in denen eine politische Konfrontation zwischen Staat und Kirche besteht und gerade die Ernennung eines Bischofs opportun erscheint, der im Sinne früherer Vorstellungen „minder genehm“ wäre. Aus der Sicht der Kirche bedeutet dies: Die Berücksichtigung der politischen Verhältnisse bei der Auswahl eines Kandidaten ist immer geboten. Die Ernennung eines Bischofs, gegen den politische Bedenken erhoben werden können, empfiehlt sich regelmäßig nicht, sie kann 45

Dazu Gerhard Hartmann, Der Bischof. Seine Wahl und Ernennung, Graz / Wien / Köln 1990, S. 132 ff., mit eingehender Schilderung der Vorgänge. Konkordatsfragen wurden nur insoweit aufgeworfen, als die Frage einer Devolution nach can. 165 CIC diskutiert wurde. Dazu auch Hollerbach, Staat und Bischofsamt (Anm. 8), S. 75 f. 46

Hartmann, Der Bischof (Anm. 45), S. 145.

Zur „Politischen Klausel“ in Konkordaten und Kirchenverträgen

795

aber je nach Situation ausnahmsweise sinnvoll oder sogar notwendig sein. Wird dies alles bedacht, erscheint eine rechtliche Bindung der Kirche durch eine wie immer formulierte „politische Klausel“ lästig, obwohl der Hl. Stuhl Gesichtspunkte der politischen Opportunität und des Einvernehmens mit dem Staat, in dem der Bischof sein Amt ausüben soll, nie vernachlässigen wird.

Staatskirchenrecht in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Von Balázs Schanda Am 1. Mai 2004 werden sich der Europäischen Union zehn neue Mitgliedstaaten angeschlossen haben. Die „Osterweiterung“ der Union gilt als die bisher größte Erweiterung der wichtigsten europäischen Integrationsorganisation. Während mit Malta und Zypern zwei kleine Inselstaaten zur Union stoßen, mit der Aufnahme der acht ostmitteleuropäischen Kandidaten werden fast alle europäischen Länder, deren Geschichte vom westlichen Christentum geprägt ist, Mitglieder der Union (die Schweiz und Norwegen bzw. Kroatien bleiben Ausnahmen). Die Osterweiterung wird allerdings voraussichtlich fortgesetzt werden: Mit Bulgarien und Rumänien werden Aufnahmeverhandlungen geführt, und sogar die Türkei wurde bereits als Beitrittskandidat anerkannt. Das Staatskirchenrecht der neuen Mitglieder, besonders der Länder, die für Jahrzehnte unter kommunistischer Herrschaft standen, und keine Religionsfreiheit genossen haben, zeigt bemerkenswerte Gemeinsamkeiten, aber auch charakteristische, landesspezifische Unterschiede. Wie von Joseph Listl festgestellt wurde, ist die grundsätzliche Neutralität des Staates Voraussetzung für die Gewähr individueller und korporativer Religionsfreiheit.1 Die kommunistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa waren in dieser Hinsicht nicht neutral.2 Zwar wurde Religionsausübung in unterschiedlichem Maß geduldet, von Freiheit konnte man in diesen Ländern aber nicht sprechen. Mit der Wende sind weltanschaulich durchaus neutrale freiheitlichdemokratische Staaten entstanden, die alle zur Kooperation mit der (den) Kirche(n) bereit sind, wenn auch in unterschiedlichen Formen. Die ostmitteleuropäischen Staaten haben somit den europäischen Mittelweg, den des Kooperationsmodells, eingeschlagen: Einerseits sind keine Staatskirchen entstanden, anderseits aber wurde auch der Kooperationsmangel der feindlich-laizistischen Staaten überwunden. Dabei kann von einer Konkurrenz des süd- und des mitteleuropäischen Kooperationsmodells gesprochen werden: Hinsichtlich staats-

1

HdbKathKR, 2. Auflage, 1257.

2

HdbKathKR, 1. Auflage, 1043.

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Balázs Schanda

kirchenrechtlicher Modelle bzw. der Regelung konkreter Rechtsinstitute haben Deutschland und Italien prägende Wirkung in der Region. I. Konfessionelle Dimensionen der Erweiterung Mit der Osterweiterung der Europäischen Union geht eine Verschiebung der religiösen bzw. konfessionellen Verhältnisse in der Union einher. Von den zehn Beitrittskandidaten der ersten Erweiterungsrunde sind mit der Ausnahme Zyperns alle Staaten vom westlichen Christentum geprägt und weichen insofern nicht von der Mehrheit der heutigen EU-Mitgliedstaaten ab. Die später anstehende Aufnahme von Bulgarien und Rumänien wird die gegenwärtige Lage jedoch deutlich verändern, insofern als das östliche Christentum nach dem Beitritt dieser Länder nicht mehr allein durch Griechenland vertreten sein wird. Der Protestantismus ist in den Beitrittsländern nicht bestimmend: Eine traditionelle evangelische Mehrheit gibt es nur in Estland; stark etablierte protestantische Minderheiten gibt es außerdem in Lettland, Ungarn und der Slowakei. Die Orthodoxie ist in den baltischen Staaten die Konfession der russischen Minderheit; auch in Siebenbürgen decken sich konfessionelle und ethnische Grenzen (hier ist die rumänische Mehrheitsbevölkerung orthodox). Eine nennenswerte muslimische Bevölkerung gibt es nur in Bulgarien und Zypern: In beiden Ländern handelt es sich um die türkische Minderheit; soziologisch unterscheidet sich ihre Religion stark von dem durch Gastarbeiter und Immigranten bestimmten westeuropäischen Islam. In Polen, Litauen, Malta, Slowenien und der Slowakei ist die römisch-katholische Kirche prägend. Mit der Aufnahme dieser Länder wird der Anteil der Katholiken in der gesamten Union zunehmen. Die Entkirchlichung betrifft die Gesellschaften der einzelnen Beitrittsländer in unterschiedlichem Ausmaß. Tschechien wird (neben den neuen Bundesländern Deutschlands) der am meisten säkularisierte Staat der Union sein: Die Mehrheit der Bevölkerung ist hier konfessionslos. Auch die bulgarische, die estnische und die lettische Gesellschaft kann nicht als überwiegend religiös betrachtet werden. Die Entwicklung der Religiosität bzw. der Kirchengebundenheit unterscheidet sich von den Prozessen Westeuropas: In Ungarn beispielsweise ist seit den 70er Jahren – nach einer raschen und erzwungenen Entkirchlichung – eine Tendenz zu langsam zunehmender Religiosität zu beobachten; die zwei bevölkerungsstärksten Beitrittskandidaten, Polen und Rumänien, gelten als stark religiös geprägte Länder.3 Von den zehn neuen Mitgliedstaaten zählen neun zu den kleinen bzw. mittelgroßen Staaten: Jeder zweite neue Unionsbürger ist polnisch.

3

Miklós Tomka / Paul Zulehner , Religion in den Reformländern Ost(Mittel)Europas, Ostfildern 1999, 27.

Staatskirchenrecht in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union

799

II. Konkordatsrecht in den neuen Mitgliedstaaten Der Heilige Stuhl spielt seit der Wende in Ostmitteleuropa eine aktive Rolle in der Gestaltung des Staatskirchenrechts in den betreffenden Ländern. Wie alle „alten“ Unionsmitgliedstaaten, unterhalten auch alle neuen Mitglieder diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl. Die Länder mit katholischer Tradition (Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien und Ungarn) sowie das mehrheitlich orthodoxe Rumänien gewähren dem Nuntius auch den Ehrenvorrang, Bulgarien, Estland, Lettland und Zypern dagegen nicht. Es ist bemerkenswert, dass, während die Mehrheit der Staaten der EU-15 keine konkordatsrechtlichen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl hat, unter den neuen Mitgliedstaaten Zypern der einzige Staat ist, der keinen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl geschlossen hat (dies gilt freilich auch für die Kandidaten mit orthodoxer Tradition, Bulgarien und Rumänien). Bei den gewählten Formen herrscht eine große Vielfalt zwischen Notenwechsel (Estland) und Konkordat (Polen), das Konkordatsrecht gilt aber durchgehend als wichtiger Faktor in den StaatKirche-Beziehungen der neuen Mitglieder. Die konkrete Lage in den einzelnen EU-Beitrittsländern ist wie folgt: Im Fall von Malta haben konkordatsrechtliche Lösungen eine lange Tradition.4 Ein Konkordat – einen ausdrücklich so bezeichneten, auf die Dauer gerichteten, umfassenden und feierlichen Vertrag – hat nur Polen abgeschlossen.5 Die Slowakei hat einen Grundlagenvertrag,6 und später einen Vertrag über die Militärseelsorge,7 und einen Vertrag über die katholische Erziehung mit dem Heiligen Stuhl geschlossen8 (ein Vertrag über die Kirchenfinanzierung ist auch vorgesehen). Litauen hat (wie auch Spanien und Kroatien) drei, in ihrer Gesamtheit umfassende Verträge geschlossen.9

4

So zum Beispiel die Vereinbarung über den katholischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen vom 16. 11. 1989: AAS (1998) 30 – 41, die Vereinbarung über die katholischen Schulen und über immobilienrechtliche Fragen: AAS (1993) 558 – 568; AAS (1993) 569 – 588 (diese beiden Vereinbarungen wurden am 28. 11. 1991 unterzeichnet und am 18. 2. 1993 ratifiziert); die Vereinbarung über das Eherecht (unterzeichnet am 3. 2. 1993 und ratifiziert am 25.3.1995): AAS (1997) 679 – 694. 5

Das Konkordat wurde im Jahre 1993 unterzeichnet, doch erst in der nachfolgenden Legislaturperiode, im Jahre 1998, ratifiziert: AAS (1998) 310 – 329. 6 Der Grundlagenvertrag wurde am 24. 11. 2000 unterzeichnet und bereits am 18. 12. ratifiziert: AAS (2001) 136 – 155. 7

Unterzeichnet und ratifiziert in 2002.

8

Unterzeichnet in 2003, ratifiziert in 2004.

9

Getrennte Verträge wurden über rechtliche Fragen, über die Zusammenarbeit im Unterrichtswesen und im Bereich der Kultur sowie in der seelsorgerischen Betreuung von Soldaten geschlossen. Alle drei Verträge wurden am 5. 5. 2000 unterzeichnet und am 16. 9. ratifiziert: AAS (2000) 783 – 794; 795 – 808; 809 – 816.

Balázs Schanda

800

Lettland10 und Slowenien11 haben mit dem Heiligen Stuhl einen umfassenden Vertrag geschlossen. Estland hat die Lage der kleinen katholischen Gemeinschaft in einem Notenwechsel geregelt.12 Nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes über die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften hat auch die Tschechische Republik einen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen; die Ratifizierung steht hierbei allerdings noch aus (soweit wurde dies vom Parlament abgelehnt). Auch Ungarn hat drei Teilabkommen mit den Heiligen Stuhl geschlossen: das erste, in der Region bahnrechende am 9. Januar 1990 über die diplomatischen Beziehungen, das auch festlegt, dass die eventuelle gemeinsamen Angelegenheiten im gegenseitigen Einvernehmen geregelt werden. Über die Errichtung des Militärordinariates, wurde ein Vertrag im 1994 unterzeichnet, während die finanziellen Angelegenheiten (Rückerstattung der enteigneten kirchlichen Immobilien, Staatsleistungen, Teilzweckbindung der Einkommenssteuer, Finanzierung gemeinnütziger kirchlicher Aktivitäten) in einem sehr pragmatischen Vertrag 1997 geregelt wurden.13 Für die generelle Bevorzugung konkordatsrechtlicher Lösungen in den EUBeitrittsländern können verschiedene Gründe benannt werden. In manchen Staaten, die schon vor der kommunistischen Zeit ein Konkordat mit dem Vatikan geschlossen hatten, spielte die Tradition eine Rolle. In einigen neuen Staaten, wie etwa der Slowakei, stellt die Beziehung zur katholischen Kirche einen bedeutenden Faktor der nationalen Identität dar. Ein wichtiger Faktor war auch die den gesamtem Raum kennzeichnende Übergangslage mit der damit teils einhergehenden mangelnden Rechtssicherheit. Der Heilige Stuhl suchte keine Privilegien, sondern versuchte, die Kirche vor tagespolitischer Unsicherheit zu bewahren, und oft auch nur, bereits gesetzlich zugesicherte Rechte auch vertragsrechtlich zu sichern.

10

Das Abkommen wurde am 8. 11. 2000 unterzeichnet.

11

Das Abkommen wurde am 14. 12. 2001 unterzeichnet; in den folgenden zwei Jahren wurde es von dem slowenischen Verfassungsgericht geprüft, das am 19. 11. 2003. in einer interpretativen Entscheidung festgestellt hat, dass in Konfliktfällen weiterhin das staatliche Recht vor dem Kirchenrecht Vorrang hat und auf diese Weise der Vertrag nicht verfassungswidrig ist. Das Parlament Sloweniens hat darauffolgend den Vertrag am 28. 01. 2004 ratifiziert. 12

13

Vgl. AAS (1999) 414 – 418.

Péter (UG , Accord bilatéraux entre le Saint-Siège et la Hongrie, in Revue d’éthique et de théologie morale „Le Supplément“, 199 (décembre 1996, Quand le Saint-Siège signe des concordats) S. 121 – 128.; Ders., Accordo tra la Santa Sede e la Repubblica d’Ungheria, in: Ius Ecclesiae 10 (1998) S. 652 – 659.

Staatskirchenrecht in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union

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III. Staat und Kirche in den Verfassungen der neuen Mitgliedstaaten Neben der Anerkennung der Religionsfreiheit reflektieren die Verfassungen der neuen EU-Mitglieder mehr oder weniger auch nationale Traditionen und legen zugleich staatskirchenrechtliche Grundprinzipien fest. Die Verfassung von Slowenien (1991) enthält, wie auch die ungarische Verfassung, eine ausdrückliche Anerkennung des Rechts, die religiöse Überzeugung nicht kundzugeben. Eine weitere Besonderheit der slowenischen Verfassung ist, dass das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß ihren Überzeugungen zu erziehen, durch die Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit des Kindes eingeschränkt ist.14 In dieser Hinsicht folgt die slowenische Verfassung dem Geist der New Yorker Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, und nicht den früheren Menschenrechtskonventionen. Die slowakische Verfassung (1992) beruft sich in der Präambel auf das geistige Erbe von Cyrill und Methodius. Artikel 1 der Verfassung legt jedoch fest, dass die Slowakische Republik nicht an Ideologien und Religionen gebunden ist. Die Verfassung behandelt die Religionsfreiheit recht detailliert, die positive wie auch die negative Religionsfreiheit werden anerkannt. Im Zusammenhang mit der kollektiven Religionsfreiheit wird auch die Selbständigkeit von Kirchen und Religionsgemeinschaften anerkannt;15 ebenso wird das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen gewährt.16 Die tschechische Verfassung (1993) enthält kein Grundrechtskapitel, deklariert jedoch die Anerkennung der Menschenrechte.17 Die ratifizierten und verkündeten Menschenrechtskonventionen haben Vorrang vor dem Gesetz und gelten unmittelbar18. Die Grundrechtscharta enthält die positive wie auch die negative Religionsfreiheit, das Recht der Wehrdienstverweigerung aus Glaubens- oder Gewissensgründen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, und in ihr wird auf die Möglichkeit des schulischen Religionsunterrichts hingewiesen.19 Die polnische Verfassung (1997) beruft sich in der Präambel auf die verfassunggebende Nation, also auf „alle Staatsbürger der Republik, sowohl diejenigen, die an Gott als die Quelle von Wahrheit, Gerechtigkeit, des Guten und des 14

Art. 41.

15

Art. 24.

16

Art. 25.

17

Art. 1.

18

Art. 10.

19

Art. 15.

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Schönen glauben, als auch diejenigen, die diesen Glauben nicht teilen, sondern diese universellen Werte aus anderen Quellen ableiten.“ Die Verfassung deklariert die Gleichberechtigung aller Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Behörden müssen sich in bezug auf persönliche Überzeugungen unparteiisch verhalten. Nach italienischem Muster bestimmt die Verfassung, dass die Beziehung zur katholischen Kirche durch einen völkerrechtlichen Vertrag und Gesetz geregelt wird, während für die anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften paktierte – aufgrund von zwischen dem jeweiligen religiösen Verband und dem Ministerrat zustandegekommene Vereinbarungen – Gesetze gelten.20 Die lettische Verfassung (1922 – Generalrevision 1998) sorgt für die Trennung von Staat und Kirche.21 Im Gesetz über religiöse Verbände (1995) wird die negative Religionsfreiheit ausdrücklich anerkannt. Es ist zu bemerken, dass das Grundgesetz über die Rechte und Pflichten der Bürger (1991) die negative Religionsfreiheit unterstreicht und dass die religiösen und weltanschaulichen Gründe nicht von den staatsbürgerlichen Pflichten und der Rechtstreue entbinden. Eine Art Vorbehalt gegen Religionen spiegelt sich auch darin wider, dass die positive Religionsfreiheit ausdrücklich nur als Kultusfreiheit anerkannt wird.22 Auch die litauische Verfassung (1992) verbietet religiösen Zwang; zudem bestimmt sie, dass die Religionsausübung keine Straftat oder Rechtswidrigkeit legitimiert.23 Neben der Anerkennung der Religionsfreiheit deklariert die estnische Verfassung (1992) die Trennung von Staat und Kirche.24 Die Verfassung von Malta (1964 – mit zahlreichen Änderungen) anerkennt die katholische Religion als die Religion von Malta;25 daneben wird die Religionsfreiheit der Bürger voll gewährleistet.26 Der heiklen völkerrechtlichen Lage Zyperns zufolge bestimmt die religiöse Zugehörigkeit der Bürger auch ihre öffentlich-rechtliche Zugehörigkeit zu einer der „Gemeinschaften“. Die Orthodoxen sind automatisch Mitglieder der griechischen Gemeinschaft und die Muslime der türkischen Gemeinschaft, während Anhänger anderer Konfessionen zwischen den Gemeinschaften frei wählen können. Der Staat, der seine Souveränität de facto nur auf dem griechischen 20

Art. 25.

21

Art. 99.

22

Art. 35.

23

Art. 26 – 27.

24

Art. 40.

25

Art. 2.

26

Art. 40.

Staatskirchenrecht in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union

803

Teil der Insel ausübt, gewährt die Religionsfreiheit und die Gleichheit aller Bürger. Neben der autokephalen orthodoxen Kirche und der muslimischen Religionsgemeinschaft haben auch die Armenier, die Maroniten und die „Lateiner“ (d. h. die römisch-katholische Kirche) einen anerkannten Status. Die Verfassung von Rumänien (1991) deklariert die positive wie auch die negative Religionsfreiheit. Die Gewissensfreiheit muss im Geist der Toleranz und des gegenseitigen Respekts ausgeübt werden; im Verhältnis der Religionsgemeinschaften ist jede Form der Aufwiegelung zum Hass untersagt. Die Verfassung deklariert die Selbständigkeit der Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat und bestimmt, dass der Staat die Religionsgemeinschaften, insbesondere die Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen, unterstützt.27 Die bulgarische Verfassung (1991) legt fest, dass die religiösen Verbände vom Staat getrennt tätig sind. Religiöse Gemeinschaften und Einrichtungen sowie religiöse Überzeugungen dürfen nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Auch wird deklariert, dass die traditionelle Religion in Bulgarien die Orthodoxie ist – ohne dass deswegen der orthodoxen Kirche Vorrechte gewährt würden. Eine Aussage über die Trennung von Staat und Kirchen ist in den Verfassungen Ungarns, Bulgariens, Estlands und Lettlands zu finden. Die slowakische und die rumänische Verfassung deklarieren die Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften vom Staat. Eine Besonderheit der Verfassungen der neuen Demokratien Ostmittel- und Südosteuropas ist die ausdrückliche Erwähnung der negativen Religionsfreiheit, d.h. des Rechts, die religiöse Überzeugung nicht kundzugeben bzw. sich jeglicher Religionszugehörigkeit zu enthalten. Darin mag eine gewisse Sorge laizistischer Kräfte zu entdecken sein, die Freiheit von Religion zu sichern. IV. Einzelne Bereiche des Staatskirchenrechts in den neuen Mitgliedsstaaten 1. Die rechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften Die meisten EU-Beitrittsländer gewähren den Religionsgemeinschaften eine besondere Rechtsstellung. In einigen Staaten, so in Polen, Slowenien und Ungarn, haben alle Religionsgemeinschaften grundsätzlich gleiche Rechte. In diesen drei Staaten können bereits hundert Personen eine Religionsgemeinschaft registrieren lassen. Ein wichtiger Unterschied zwischen diesen Staaten ist jedoch, dass die Eintragung in Ungarn als formeller gerichtlicher Registrierungsakt erfolgt, während in Polen und Slowenien die Exekutive über die An-

27

Art. 29.

804

Balázs Schanda

erkennung der jeweiligen Religionsgemeinschaft entscheidet.28 Auch in der Tschechischen und der Slowakischen Republik29 sowie in Lettland30 liegt diese Kompetenz bei der Exekutive. In Estland wurde die Registrierungskompetenz vor kurzem von der Exekutive an die Gerichte übertragen. Die Mindestzahlen zur Gründung einer Religionsgemeinschaft sind in Estland auf zwölf und in Lettland auf 25 Personen festgesetzt. In Litauen wird zwischen traditionellen und nicht-traditionellen Religionsgemeinschaften unterschieden. Als traditionelle Religionsgemeinschaften gelten die auf litauischem Boden seit über dreihundert Jahren heimischen neun Religionsgemeinschaften. Die neueren Religionsgemeinschaften können nur als Vereine eine Rechtspersönlichkeit erlangen. Nach Auffassung des litauischen Verfassungsgerichts handelt es sich dabei um eine Tatsachenfeststellung und nicht um die Privilegierung der traditionellen Kirchen.31 Das geltende rumänische Gesetz (1948) unterscheidet zwischen anerkannten Kulten und religiösen Vereinen. Ein neues Gesetz ist seit Jahren in Vorbereitung; im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht die Anerkennung der orthodoxen Kirche als Nationalkirche und die Gleichstellung verschiedener Religionsgemeinschaften. Eine mittlerweile zurückgezogene Regierungsvorlage vom Februar 2001 sah zur Anerkennung eine Mitgliederzahl von 0,5% der Bevölkerung vor. Auch in der Tschechischen Republik und der Slowakei wird zwischen anerkannten Kirchen und auf Weltanschauungen basierenden Vereinen unterschieden. Um eine neue Religionsgemeinschaft als solche registrieren lassen zu können, müssen dieser in der Slowakei mindestens 20.000 Mitglieder angehören.32 In der Tschechischen Republik genügen einem neuen Gesetz zufolge zur Gründung 300 volljährige Staatsbürger (zuvor waren 10.000 bzw. für Mitgliedskirchen des Weltkirchenrates 500 Personen erforderlich). Zur Anerkennung einer Religionsgemeinschaft muß dem Kultusministerium eine detaillierte Dokumentation vorgelegt werden. Nach dem zehnjährigen Bestehen einer eingetragenen Kirche oder Religionsgemeinschaft kann diese – wenn sie jährlich einen Tätigkeitsbericht vorlegt hat, ihren Verpflichtungen gegenüber dem Staat sowie gegenüber Dritten nachgekommen ist und eine Mitgliederzahl von min28

Siehe Art. 9 Abs. 33 des Gesetzes vom 17. 5. 1989 über die Freiheit des Gewissens und der Religion. 29

Wolfang Wieshaider / Peter Mulík (Hg.), Recht und Religion in Mittel- und Osteuropa, Bd. 1: Slowakei, Wien 2001, 57. 30 Ringolds Balodis, State and Church in Latvia, in: ders. (Hg.), State and Church in the Baltic States: 2001, Riga 2001, 13; 25.

5 WD äLOLXNDW  / Donatas Glodenis, State and Church in Lithuania, in: Balodis (Hg.), State and Church in the Baltic States (Anm. 30), 67; 76. 31

32

Wieshaider / Mulík (Hg.), Recht und Religion in Mittel- und Osteuropa (Anm. 29), 51.

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destens einem Tausendstel der Bevölkerung aufweist – Trägerin besonderer Rechte werden (z. B. die Trägerschaft von Schulen, das Erteilen schulischen Religionsunterrichts, der Erhalt finanzieller Mittel vom Staat und die Anerkennung der kirchlichen Eheschließungen durch den Staat).33 Mit dieser neuen, zweistufigen Regelung ist man hinsichtlich der Rechtslage der Religionsgemeinschaften in Tschechien zu einer Lösung gekommen, die der in Österreich praktizierten ähnlich ist. Die ungarische (und seit neuem auch in Estland praktizierte) Lösung der formellen gerichtlichen Eintragung von Religionsgemeinschaften ist einzigartig in Europa. Die meisten Staaten, die einen besonderen Rechtsstatus anbieten, gewähren diesen durch die Exekutive (wie dies einst nach dem Gesetz XLIII/1895 auch in Ungarn gehandhabt wurde). Gegen die Entscheidung der Exekutive steht der Gerichtsweg offen. In mehreren Ländern ist das Ministerium für Kultur Organ der Kultusverwaltung,34 in manchen Ländern ist hingegen das Justiz-35 oder Innenministerium36 oder aber eine Behörde mit einer eigenen besonderen Rechtsstellung zuständig.37 Eine weitere Besonderheit der ungarischen Regelung ist, dass die zu registrierende Organisation ihre religiöse Doktrin nicht kundgeben muß, sondern allein zu erklären hat, dass sie gemeinsame Glaubenssätze habe, zum Zwecke der Religionsausübung gegründet werde und gesetzestreu handle. Hinsichtlich der Anerkennung der internen rechtlichen Einheiten der Kirchen sind die EU-Beitrittsländer im Allgemeinen großzügig. In vielen Ländern sind alle Einheiten, die nach eigenem Kirchenrecht (dem kanonischen Recht) eine kirchenrechtliche Rechtssubjektivität haben, auch durch das staatliche Recht anerkannt. Einige Staaten verlangen die Eintragung dieser Einheiten, um ihnen Rechtspersönlichkeit zu gewähren (so etwa Lettland oder Litauen von den „nichttraditionellen“ Religionsgemeinschaften), in anderen Staaten müssen diese bekanntgegeben werden (so etwa in Polen, Slowenien, der Slowakei oder in Litauen im Fall der traditionellen Religionsgemeinschaften). Über Anerkennung bzw. Eintragung entscheidet die staatliche Kultusverwaltung. Zu Konflikten in diesem Zusammenhang ist es in der Tschechischen Republik gekommen, wo die neue gesetzliche Regelung es nicht ermöglicht, dass kirchliche Verbände wie z. B. die Caritas weiterhin als solche anerkannt werden, so dass diese zukünftig als Zivilverbände tätig werden müssen.

33

Gesetz Nr. 3/2002, durch das Parlament der Tschechischen Republik verabschiedet am 27.11.2001. 34

In der Tschechischen Republik, der Slowakei und seit kurzem auch in Rumänien.

35

In Litauen.

36

In Estland.

37

In Lettland und Slowenien.

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2. Fragen des Kirchenvermögens und der Kirchenfinanzierung In allen ehemaligen sozialistischen Staaten ist die Lage des Kirchenvermögens eine heikle Angelegenheit. In Polen und in der Slowakei wurde zuvor enteignetes Vermögen an die Kirchen in breitem Umfang zurückgegeben. In anderen Ländern – wie etwa in Ungarn – wurden Kompromisse gefunden. Zu Spannungen hat die Frage des Kirchenvermögens in der Tschechischen Republik und Rumänien geführt, bei letzterem besonders gegenüber den Minderheitskirchen: Vor kurzem ist hier zwar eine gesetzliche Regelung zur Restitution ehemaligen kirchlichen Eigentums verabschiedet worden, die mangelnde Rechtssicherheit gibt jedoch hinsichtlich ihrer Implementierung Anlaß zu Zweifeln. In keinem der osteuropäischen EU-Beitrittsländer ist zur Finanzierung der Kirchen ein Kirchensteuersystem eingeführt worden. Ungarn hat – mit einigen Abweichungen – das in Spanien und Italien praktizierte System der Teilzweckbindung der Einkommenssteuer etabliert. In Rumänien, der Slowakei und der Tschechischen Republik wird den Seelsorgern der anerkannten Kirchen ein staatliches Gehalt gewährt. In mehreren Staaten werden die Kirchen auch vom Staat unmittelbar finanziell unterstützt. In praktisch allen osteuropäischen EU-Beitrittsländern erhalten die kirchlichen Schulen staatliche Subventionen. Das Prinzip der gleichen Finanzierung gilt in Litauen, Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn, aber auch Lettland trägt zum kirchlichen Schulwesen finanziell bei. Da die staatlichen und kirchlichen Budgets in den einzelnen Ländern unterschiedliche Kategorien umfassen, können über den Umfang der Kirchenfinanzierung in den EU-Beitrittsländern kaum vergleichende Aussagen getroffen werden. Einige Kosten etwa werden in manchen Ländern überhaupt nicht bei den Kirchen verbucht, da diese unmittelbar vom Staat getragen werden (so etwa die theologische Bildung und den Religionsunterricht betreffend). Die katholische Kirche in Malta bzw. die orthodoxe Kirche in Zypern verfügen über erhebliches Vermögen. In den ehemaligen Ostblockländern ist die Ausgangslage davon deutlich verschieden; daher ist die finanzielle Unterstützung der Kirchen durch den Staat praktisch zur Notwendigkeit geworden, um die Religionsfreiheit zu gewährleisten. In Polen kann die katholische Kirche ihre Funktionen traditionell auch finanziell unabhängig vom Staat ausüben. 3. Religionsunterricht Die Anerkennung des Rechts der Eltern, ihre Kinder entsprechend ihrer Weltanschauung zu erziehen, bedeutete für alle ehemaligen Ostblockstaaten eine große Herausforderung, war doch in den kommunistischen Diktaturen die Verbreitung der Staatsideologie insbesondere die Aufgabe der Schulen bzw. Lehrkräfte.

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Gegenwärtig können die Kirchen in der Tschechischen Republik und in Ungarn Religionsunterricht in den Schulen auf freiwilliger Basis – zusätzlich zum ordentlichen Schulunterricht – erteilen. In der Tschechischen Republik erhält der Religionslehrer sein Gehalt von der Schule;38 in Ungarn steht er jedoch in einem Arbeitsverhältnis mit seiner Kirche, immerhin erhalten die Kirchen hier eine staatliche Subvention zur Vergütung des Lehrpersonals. In den anderen Ländern wird der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach anerkannt, aber er ist fakultativ (die Schüler müssen an-, aber nicht abgemeldet werden). In Estland wird auf fakultativer Basis Religionskunde unterrichtet; Religionsunterricht findet dort in den öffentlichen Schulen nicht statt.39 Auch in Slowenien findet an den öffentlichen Schulen kein Religionsunterricht statt – es sei denn, die Kirche hätte keine geeigneten Räume für die Durchführung des Unterrichts.40 In denjenigen Ländern, wo der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist – so etwa in Malta, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei – müssen die kirchlichen Befugnisse im Hinblick sowohl auf die Lehrkräfte als auch auf das Lehrmaterial sehr genau umschrieben werden. In bezug auf die katholische Kirche enthält das Vertragsrecht üblicherweise folgende Regelungen: –

der Staat anerkennt die Rechte der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten auf die Erziehung ihrer Kinder gemäß ihrer Überzeugung (ab einem gewissen Alter wird dem Kind teilweise ein eigenständiges Recht eingeräumt),



die Teilnahme (oder Nichtteilnahme) am Religionsunterricht darf nicht zu einer Benachteiligung führen (da die Vereinbarungen die Möglichkeit des katholischen Religionsunterrichts betreffen, werden Alternativen nicht erörtert),



die Vereinbarungen bestimmen den Status des Religionslehrers; normalerweise soll er dem Status anderer Lehrer entsprechen,



das Recht der Kirche, einem Lehrer die Lehrbefugnis (missio canonica) zu entziehen, wird anerkannt; dadurch wird der Kirche ermöglicht, die betreffende Person, obwohl sie nicht in einem arbeitsvertraglichen Verhältnis zur Kirche steht, aus ihrem Amt zu entfernen,



die Lehrpläne und Lehrmaterialien werden normalerweise von den Bischofskonferenzen festgelegt; sie müssen den staatlichen Stellen (dem jeweiligen Unterrichtsministerium) zur Billigung vorgelegt werden,

-L tRajmund Tretera, Church Autonomy in the Czech Republic, in: Gerhard Robbers (Hg.), Church Autonomy. A Comparative Survey, Frankfurt am Main 2001, 633; 640. 38

39

Merilin Kiviorg, State and Church in Estonia, in: Francis Messner (Hg.), Le statut des confessions religieuses des états candidats à l’Union Européenne, Milano 2002, 115; 133. 40

Lovro Šturm, The State and Church Relationship in Slovenia, in: Messner (Hg.), Le statut des confessions religieuses (Anm. 39), 157; 178.

Balázs Schanda

808 –

der Staat beteiligt sich an der Finanzierung der Lehrmaterialien,



der Religionsunterricht gilt als gemeinsame Angelegenheit von Kirche und Staat, wobei sein Inhalt ausschließlich unter kirchlicher Aufsicht steht. 4. Theologische Bildung

In Ungarn gibt es der verfassungsrechtlich gebotenen Auffassung der Neutralität zufolge an staatlichen Universitäten keine theologischen Fakultäten. Religionswissenschaft kann an staatlichen Einrichtungen,41 Religion aber nur an nichtstaatlichen Institutionen gelehrt werden. Daher sind die theologischen Hochschulen und Fakultäten notwendigerweise in kirchlicher Trägerschaft, da diese sich mit einer Religion identifizieren. Um die Gleichbehandlung aller Studierenden zu gewährleisten, trägt der Staat die Kosten einer gewissen Anzahl von Studienplätzen. Mit dieser strikten Auslegung der Trennung steht Ungarn allein unter den EU-Beitrittsländern, und auch in der gesamten mitteleuropäischen Region. In den anderen Ländern wurden die theologischen Fakultäten in die staatlichen Universitäten (re-)integriert, so etwa an der Prager Karlsuniversität (hier gibt es eine katholische, eine lutherische und eine hussitische Fakultät), in Olmütz und Budweis, in Laibach (katholisch), Preßburg (katholisch und evangelisch) und Tartu (evangelisch). An manchen Universitäten wurden neue Fakultäten gegründet: So gibt es in Polen neben den kircheneigenen Einrichtungen mehr als zehn neu gegründete katholisch-theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten. In Klausenburg gibt es an der %DEHú%RO\DL8QLYHUVLWlW QHX gegründete Fakultäten der römisch-katholischen, griechisch-katholischen, rumänisch-orthodoxen und protestantischen Kirche. Auch an der Universität Bukarest gibt es eine orthodoxe und eine katholische Fakultät (die katholische Fakultät ist auf Hochschulebene akkreditiert). Der St. Kliment-OhridskiUniversität in Sofia wurde 1991 die im Jahre 1950 abgetrennte theologische Fakultät wieder eingegliedert. An der Universität von Klaipeda gibt es eine evangelische, an der Vytautas-Magnus-Universität in Kanuas eine katholische Fakultät. An der Universität von Lettland ist die theologische Fakultät überkonfessionell. Die kircheneigenen katholischen, evangelischen und orthodoxen Einrichtungen wurden hier nicht akkreditiert, den am Großen Seminar in Riga belegten Kursen und erworbenen Diplomen verspricht das Abkommen mit dem Heiligen Stuhl aber die Anerkennung;42 ferner sieht dieses Abkommen weitere Verhandlungen über die Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät an 41

So unterhält die Universität Szeged einen Lehrstuhl für Religionswissenschaft (siehe http://www.vallastudomany.hu). 42

Art. 20. § 4.

Staatskirchenrecht in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union

809

der Universität vor.43 Auch der Universität von Malta wurde die theologische Fakultät eingegliedert.44 Eine bedeutende Frage ist, ob auch die kircheneigenen Hochschulen vom Staat anerkannt werden: In Tschechien45 und Rumänien ist dies nicht der Fall, in Polen dagegen stellt dies kein Problem dar. Im Hinblick auf die Stellung der theologischen Fakultäten in den neuen EU-Mitgliedsländern Ostmitteleuropas ist die Dominanz des im deutschsprachigen Raum vorherrschenden staatskirchenrechtlichen Modells auffällig: In den lateinischen Staaten Südeuropas sind die katholischen Hochschuleinrichtungen grundsätzlich unabhängig vom Staat, während im deutschen Sprachraum die theologische Bildung der Volkskirchen in die staatlichen Universitäten eingegliedert bzw. nicht ausgegliedert worden ist. Es scheint, dass sich die mitteleuropäischen Länder – mit der Ausnahme von Ungarn – am deutschen Modell orientiert haben. 5. Anerkennung der kirchlichen Eheschließung Nach den neuen Vereinbarungen des Heiligen Stuhls mit Litauen, der Slowakei und Kroatien46 hat die kanonische Ehe von der Eheschließung an zivilrechtliche Wirkungen; ebenso können auch Ehenichtigkeitsurteile der kirchlichen Gerichte sowie eine kirchliche Auflösung des Ehebandes zivilrechtliche Folgen haben.47 In dieser Hinsicht ähnelt die Rechtslage der italienischen48 und der spanischen.49 Das slowakische nationale Recht bestimmt die staatliche Registrierung kanonischer Ehen; auch die Rechtsfolgen der Ehenichtigkeitserklärung werden zivilrechtlich geregelt. Die kirchliche Eheschließung wird seit der Wende auch in Ländern ohne katholische Mehrheit wie Lettland50 oder

43

Art. 21.

44

Die betreffende Übereinkunft wurde 1988 unterzeichnet, doch erst im Jahre 1995 ratifiziert: AAS (1998) 24 – 30. 45

Tretera, Church Autonomy in the Czech Republic (Anm. 38), 633; 639.

46

Eine Vereinbarung mit dem Heiligen Stuhl wurde durch Kroatien am 19. 12 1996, durch Litauen am 5. 5. 2000 und durch die Slowakische Republik am 24. 11. 2000 geschlossen. 47

AAS 89 (1997) 283 – 284.

48

Silvio Ferrari, Staat und Kirche in Italien, in: Gerhard Robbers (Hg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, Baden-Baden 1995, 185; 205 – 208. 49

Rafael Navarro-Vals, L’efficacité civile du mariage religieux dans le droit espagnol, in: Marriage and Religion in Europe, Milano 1993, 25 – 59. 50

Balodis, State and Church in Latvia (Anm. 30), 13; 39.

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Tschechien51 anerkannt. Ausnahmen sind Rumänien und Ungarn, wo schon vor der kommunistischen Machtübernahme die obligatorische Zivilehe galt. In Polen hat das Eherecht zu großen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Konkordats geführt. Nach dem Konkordatsrecht müssen die zivilrechtlichen Folgen einer Eheschließung von den Brautleuten ausdrücklich gewünscht sein, und die standesamtliche (rückwirkende) Registrierung stellt ein Gültigkeitserfordernis dar. Hinsichtlich des weiteren möglichen Verlaufs der Ehe werden kirchliche Entscheidungen staatlicherseits nicht mehr anerkannt: Ehenichtigkeitserklärungen entfalten keine Wirkung im staatlichen Recht, so dass unabhängig vom kirchlichen Prozeß ein Scheidungsverfahren geführt werden muß.52 V. Bewertung In keinem der ehemaligen Ostblockländer ist nach der politischen Wende ein Staatskirchenwesen wiederhergestellt worden – nicht einmal in Polen oder Bulgarien, wo die katholische bzw. die orthodoxe Kirche in der Verfassung jeweils ausdrücklich erwähnt wird. Andererseits folgte auch keines dieser Länder den Weg der radikalen Separation. Die gesellschaftliche Rolle von Religion hat nirgends zu scharfen Konflikten geführt. Umstrittener war die Frage, wie weit der Staat in der Wiedergutmachung kommunistischen Unrechts gehen solle. In der stark säkularisierten Tschechischen Republik zeigte sich eher ein Mangel an Verständnis für kirchliche Belange denn eine kulturkämpferische Feindseligkeit, und Ähnliches gilt auch für Lettland und zum Teil auch für Slowenien. Die EU-Beitrittsländer folgen dem europäischen Mittelweg, der durch die Kooperation von Staat und Kirche gekennzeichnet ist; man könnte auch von einer für eine Zusammenarbeit offene Trennung von Staat und Kirche sprechen. Besonders in Polen, Litauen, der Slowakei, Ungarn (und auch in Kroatien, dessen rascher Anschluß an die Gruppe der Beitrittsländer einer weiteren EU-Erweiterungs-runde zu erwarten ist) wurden Bedingungen geschaffen, die ein weitgehendes Engagement der Kirchen in der Gesellschaft ermöglichen und fördern. Trotz aller Unterschiede im Detail kann von diesen Ländern zusammenfassend gesagt werden, dass sie die Trennung von Kirche und Staat mit einer starken und vielfältigen Kooperation von Staat und Kirche verbinden.

-L tRajmund Tretera, Church and State in the Czech Republic, in: European Journal for Church and State Research 7 (2000), 299; 313. 51

52 %URQLVáDZ Zubert, Az állam és az egyház viszonya Lengyelországban az új konkordátum alapján, in: Tamás Forrai (Hg.), Az állam és az egyház elválasztása, Budapest 1995, 71, 77 – 79.

Dienstgemeinschaft trotz konfessioneller Verschiedenheit Zu den arbeitsrechtlichen Konsequenzen ökumenischer Trägerschaften im karitativen und diakonischen Bereich Von Gregor Thüsing I. Die äußeren und die inneren Grenzen des kirchlichen Arbeitsrechts Im Blickfeld derjenigen, die sich mit den Besonderheiten des Arbeitsrechts im kirchlichen Dienst beschäftigten, standen in jüngerer Zeit vor allem die Außengrenzen dieses Rechtsgebiets: Wo hört der kirchliche Dienst auf, wo beginnt der rein weltliche? Auch Pater Listl gehört zu denen, die hier Antworten gegeben haben, an denen sich die Praxis orientieren kann;1 Reinhard Richardi steuerte daher der Festschrift zum 70. Geburtstag des Jubilars einen Beitrag zur „Preisgabe kirchlicher Einrichtungen durch Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft“ bei. Fünf Jahre später soll es nicht um die Außengrenzen des kirchlichen Arbeitsrechts gehen, sondern um seine Binnengrenzen, die sich zuweilen als nicht minder problematisch erweisen. Denn die Vorgaben des kirchlichen Arbeitsrechts sind verschieden bei katholischer und bei evangelischer Trägerschaft; durch das jeweilige Kirchenrecht wird den Besonderheiten des jeweiligen Bekenntnisses Rechnung getragen. Was aber gilt, wenn sich beide Konfessionen zusammentun und ein Krankenhaus, ein Altenheim, einen Kindergarten gemeinsam unterhalten wollen? Kann es einen ökumenischen Dienst in arbeitsrechtlicher Hinsicht geben? Oder konkreter: Gilt die Exemption des kirchlichen Dienstes von Teilen des staatlichen Arbeitsrechts (insb. § 118 Abs. 2 BetrVG) nur für allein einer Religionsgemeinschaft zugeordnete Einrichtungen oder bleibt sie erhalten, wenn sich zwei Religionsgemeinschaften, die jeweils für sich die Autonomie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV in Anspruch nehmen können, in einer Einrichtung organisatorisch verbinden und sie gemeinsam tragen? Die Frage ist bislang in Schrifttum und Rechtsprechung nur vereinzelt angesprochen worden und auch da nur kursorisch erörtert. Weil dem Jubilar stets auch die ökumenische Seite des (Staats-)Kirchenrechts am Herzen lag, seien ihm die folgenden Zeilen in Verbundenheit und Verehrung in den Korb der Geburtstagsgaben gelegt. 1

Siehe nur die Beiträge im JbchristlSozwiss 27 (1986), 131 und in den gesammelten Schriften „Kirche im freiheitlichen Staat“, 1996, S. 703 ff.

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II. Gründe und Ziele eines ökumenischen Arbeitsrechts Gründe, den kirchlichen Dienst ökumenisch auszugestalten, gibt es viele – heute mehr denn je. Die Kirchen stehen in unseren Tagen in einer Gesellschaft, deren immer stärkere Säkularisation die ehemaligen Grenzlinien der Auseinandersetzung verschoben haben: Nicht eine Konfession gegenüber der anderen, sondern das Christliche gegenüber dem religiös Neutralen oder Gleichgültigen. Das Verbindende ist stärker geworden, Trennendes verliert an Bedeutung.2 Mehr als vierzig Jahre ist es her, dass Papst Johannes XXIII. in seiner ersten Enzyklika „Ad Petri Cathedram“ die Verpflichtung der ganzen Kirche zum Aufbau der Einheit im Glauben und in der Kirche ausgesprochen und diesen Auftrag allen Gliedern der Katholischen Kirche bewusst gemacht hat.3 Das Zweite Vaticanum hat diesen Auftrag angenommen und die Wiederherstellung der Einheit im Glauben und in der Kirche als eines der wichtigsten Ziele der Kirche herausgestellt.4 Beide Konfessionen empfinden heute stärker denn je die Notwendigkeit, die Einheit der Christen wiederzugewinnen, oder doch da, wo gemeinsames Wirken möglich ist, diese Gemeinsamkeit auch tatsächlich zu realisieren. Dieses Streben nach Gemeinsamkeit hat bereits im Kernbereich kirchlichen Wirkens Spuren hinterlassen. Gemeinsame nicht-sakramentale gottesdienstliche Feiern sind möglich und werden „als ein wirksames Mittel, um die Gnade der Einheit zu erflehen“ und als „ein echter Ausdruck der Bande, durch welche die Christen im Glauben miteinander verbunden sind“, gewürdigt und empfohlen.5 Insbesondere aber die Caritas und die Diakonie sind Felder, in denen eine Annäherung möglich ist, auch nach dem eigenen Glaubensverständnis. Der Liebesdienst am Nächsten als Auftrag der Christen in dieser Zeit ist überkonfessionell derselbe. Rechtfertigungslehre, Abendmahlsverschiedenheit, Sakramentenlehre, die Rolle des Papstes – all diese Unterschiede im Glauben und Kirchenverständnis sind im Altersheim, am Krankenbett, in der ambulanten Pflege oder auch im Sterbehospiz ohne Relevanz. Mehr noch: Keine soziale Einrichtung der Kirchen leistet heute Dienst allein an den Angehörigen der 2 Siehe etwa zum Jahrhunderte alten Streit um die Rechtfertigungslehre, wo in jüngster Zeit eine ehedem ungeahnte Nähe festgestellt werden konnte – die Gemeinsame Erklärung zwischen der Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre, 1999. 3

Aufgegriffen und fortgeschrieben durch Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika Ut unum sint von 1995. 4 Maßgebend war das Konzilsdekret „Über die Wiederherstellung der Einheit der Kirche“ vom 21.11.1964 (AAS 57 (1965), S. 90 ff.). Siehe etwa auch die 1975 erschienenen Richtlinien des Sekretariats für die Einheit der Christen zur „Ökumenischen Zusammenarbeit auf nationaler, regionaler und örtlicher Ebene“ (VapSt, H. 27, 2. Aufl. Bonn 1980. 5

Verlautbarungen des Ökumenischen Direktoriums, Nr. 109 – 111, 1993.

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eigenen Konfession, sondern stets wird auch Christen des jeweils anderen Bekenntnisses geholfen. Eine Einrichtung, die gemeinsam von beiden Konfessionen getragen wird, bietet die Chance, den Angehörigen beider Konfessionen eine geistige Heimat zu geben, sie unmittelbar auch in ihrer religiösen Dimension anzusprechen. Die Kirchen heben dies selber in ihren amtlichen Verlautbarungen deutlich hervor: „Caritas und Diakonie sind ein bewährtes Feld der Ökumene geworden“ heißt es in einer Erklärung der Kommission für karitative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz,6 und nicht anders sieht man es auf evangelischer Seite. Dem Auftrag Christi fühlen sich beide Kirchen gleich verpflichtet: „Er sandte sie aus, das Reich Gottes zu verkünden und Kranke zu heilen“ (Lk 9,2). Die karitative Hinwendung zum Kranken ist für Christen wesensnotwendig, der Dienst am Nächsten schlechthin konstitutiv. Nächstenliebe ist Gottesliebe: „Ich war krank und ihr habt mich besucht ... Was ihr getan habt einem von meinen geringsten Brüdern, habt ihr mir getan“ (Lk. 9,6).7 Was aus dem Glauben heraus sinnvoll und wünschenswert sein kann,8 das wird durch wirtschaftliche Überlegungen bestätigt. Insbesondere kleinere kirchliche Einrichtungen sehen sich einem Kostendruck ausgesetzt, mit den größeren Einrichtungen nicht-kirchlicher Träger zu konkurrieren. Nicht nur in der Diaspora der neuen Bundesländer, in der die Christen beider Konfessionen eine – manchmal nur sehr kleine – Minderheit ausmachen, ist ein Zusammenschluss kirchlicher Einrichtungen erforderlich, um den Schwellenwert der Wirtschaftlichkeit und Tragbarkeit zu überschreiten. Größere Einrichtungen können effektiver auf die Bedürfnisse des Kranken und zu Pflegenden eingehen. Größere Abteilungen mit mehr Oberärzten bedeuten umfangreichere Spezialisierung und breiteres Know-how. Größere Einrichtungen können mehr Medizintechnik anbieten, die eine effektive Diagnose und Behandlung von Krankheiten ermöglicht. Diesem Trend können sich auch kirchliche Träger nicht verschließen, gerade wenn sie der Funktionalisierung und Professionalisierung profaner Träger das Zeichenhafte des christlichen Dienstes weiterhin erfolgreich entgegenhalten wollen.9 Deshalb gibt es bereits jetzt verschiedene Formen der Kooperation kirchlicher Einrichtungen; der Zusammenschluss wäre ein weiterer 6

Caritas als Lebensvollzug der Kirche und als verbandliches Engagement in Kirche und Gesellschaft, 1999. 7

Siehe auch Depenheuer, in: Listl / Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, S. 763. 8 Siehe Wanke, Ökumenisches Hainich Klinikum, Ansprache zum 90-jährigen Bestehen der Klinik, 6. 12. 2002. Z. Zurückhaltender freilich Hengsbach, Essener Gespräche Bd. 17 (1983), S. 96. 9 Zur Zukunft des kirchlichen Krankenhauses angesichts der fortschreitenden Ökonomisierung des Sozialen Depenheuer, in: Listl / Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, S. 786.

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Schritt in diese Richtung. Der Dienst am Leidenden als gemeinsame Aufgabe von Caritas und Diakonie wird verbessert. Das Ziel bleibt das gleiche, die Mittel werden effektiver. Dem entspricht es, dass im Ausland dieser Schritt schon gegangen wurde. In der Schweiz existieren bereits seit einiger Zeit ökumenische Krankenhäuser, und ein Großteil der Alters- und Pflegeheime wird auf ökumenischer Basis geführt.10 III. Modelle eines ökumenischen Arbeitsrechts Kommt es zu einer ökumenischen Einrichtung, so müsste auch als Konsequenz das Arbeitsrecht ökumenisch ausgestaltet werden. Hier sind verschiedene Modelle denkbar; keines davon ist bislang auf seine rechtliche Zulässigkeit geprüft worden. 1. Nicht katholisch, nicht evangelisch - Eigenständige Regelungen Eine Perspektive wäre die Schaffung gänzlich eigenständiger Regelungen für ökumenische Einrichtungen. Nicht die MAVO und nicht das MVG.EKG, sondern ein eigens für ökumenische Einrichtungen geschaffenes Mixtum könnte die arbeitsrechtlichen Beziehungen der Dienstnehmer solcher Einrichtungen ordnen; nicht AVR Caritas oder AVR Diakonie, sondern AVR Ökumenischer Dienst. Ein solcher Schritt wäre wohl die konsequenteste Fortschreibung des ökumenischen Ansatzes, aber auch diejenige, die mit dem größten Aufwand verbunden ist. Ihn in Ansehung bloß vereinzelter Einrichtungen zu realisieren erschiene unverhältnismäßig. Die Definitionsmacht hätten zudem auch hier nicht die einzelnen Einrichtungen, sondern allein die Kirchen selbst. Berechtigt, die Maßstäbe zur Bestimmung der Grenzen des kirchlichen Arbeitsrechts vorzugeben, sind in erster Linie die durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV Berechtigten, und damit die Kirchen selber, nicht ihre einzelnen Einrichtungen. Die einzelne Einrichtung steht nur insoweit unter dem Schutz der Verfassung, als sie der Kirche zugeordnet wird. Mit dieser Zuordnung akzeptiert sie die arbeitsrechtlichen Grenzziehungen. Der einzelne Rechtsträger hat also allein die Wahl, sich der Kirche nicht zuzuordnen und damit eine Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts zu vermeiden oder aber als Einrichtung der Kirche zu wirken und damit dem kirchlichen Arbeitsrecht zu unterfallen. Eigenes kann er nicht schaffen, wo ihn seine Kirche hierzu nicht ermächtigt. Einen solchen Schritt hin zu einem genuin ökumenischen Arbeitsrecht zu versuchen, wäre eine lohnende Aufgabe. Die Kirchen würden sich durch ihre Gesetzgebung nach außen deutlich sichtbar für die Möglichkeit eines ökumenischen Dienstes entscheiden; sie würden geordnete, systemstimmige Bahnen 10

Fuchs, Essener Gespräche Bd. 17 [1983], S. 95.

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bereiten, auf denen der neue Weg gegangen werden könnte. Gleichzeitig würden Modelle geschaffen werden, an denen sich andere orientieren können. Anschauungsmaterial für ein ökumenisches Kirchenrecht gibt es freilich bislang jedoch noch nicht – auch außerhalb des Arbeitsrechts. Es gibt kirchenrechtliche Regelungen, die der Besonderheit ökumenischer Situationen Rechnung tragen, nicht aber ein genuin ökumenisches Recht. Das kann es als einheitliches Recht in einem einzigen, gemeinsamen Rechtsakt der Kirchen auch nicht geben, sondern es kann nur durch eine parallele Gesetzgebung realisiert werden: Die beteiligten Konfessionen erlassen, jede für sich, gleichlautende Vorschriften und werten damit den Bereich, für den sie gesetzgeberisch tätig werden, als nicht allein sich, sondern auch der anderen Konfession zugehörig. Ist dieser Weg noch zu weit, kann an anderen Modellen Maß genommen werden. Denkbar wären Dispensregelungen im Hinblick auf ökumenische Einrichtungen. Das hat entferne Parallelen im gegebenen Kirchenrecht. Der Katholik in konfessionsverschiedener Partnerschaft kann in der Eheschließung andere Regeln befolgen, als sein Glaubensbruder, der einen katholischen Partner heiratet, und dennoch befindet er sich im Einklang mit den Vorgaben seiner Kirche, erhält er denn eine Dispens vom Formgebot.11 Genauso schiene es denkbar, durch Dispensregeln für Einrichtungen mit Beteiligung der jeweils anderen Seite eigenständige arbeitsrechtliche Maßstäbe zu schaffen. Die Dispens würde dann dem jeweiligen Dienstgeber erteilt und könnte mit Auflagen verbunden werden, bestimmte Mindestgewährleistungen der Kirchlichkeit einzuhalten. 2. Katholisch und evangelisch – Kumulation beider Regelungswerke Diese letzte Möglichkeit führt direkt zu einem weiteren Modell: Dort, wo arbeitsrechtliche Regelungen des katholischen Bistums und der evangelischen Landeskirche sich nicht widersprechen, kann es zu einer Kumulation der Regelungen kommen. Die Einrichtung ist dann ganz katholisch und ganz evangelisch, weil den Besonderheiten beider Kirchen Rechnung getragen wird. Als entfernte Parallele kommt die Taufe in den Sinn: Sie kann gültig sein sowohl nach evangelischem als auch katholischem Recht, soweit sich die Anforderungen an den Taufritus beider Kirchen decken. Ob ein Protestant oder Katholik die Taufe spendet, und ob er den Willen zur Aufnahme in die katholische oder eine evangelische Kirche hat, ist aus der Sicht des Kirchenrechts irrelevant. Eine solche Kumulation ist freilich im kirchlichen Arbeitsrecht nicht immer möglich, denn schon die MAVO und das MVG.EKD sind Regelungen, die sich 11

Siehe hierzu Heinemann, in: Listl / Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts, S. 975 f.

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widersprechen, aber dennoch uneingeschränkt Anwendung in katholischen respektive evangelischen Einrichtungen beanspruchen; eine parallele Anwendung scheidet aus. Einzig bei den Loyalitätspflichten des kirchlichen Dienstes scheint ein solche Kumulation möglich, denn es gibt zwar zahlreiche Verpflichtungen, die nur die katholische Kirche von ihren Dienstnehmern einfordert und damit über die Loyalitätspflichten der evangelischen Kirche hinausgeht, jedoch wird keine der Pflichten, die auferlegt werden von der anderen Seite als nach ihren Maßstäben pflichtwidrig gewertet. Eine Kumulation wäre also nur in Teilbereichen möglich und würde doch im Einzelfall zu seltsamen Konstellationen führen: Der Übertritt zur evangelischen Kirche wäre eine Loyalitätspflichtverletzung nach katholischem Recht, denn sie führte ebenso wie der Kirchenaustritt zur Apostasie, Häresie oder zum Schisma.12 Art. 5 Abs. 5 Grundordnung schafft hier unmissverständlich einen absoluten Kündigungsgrund. Der Arbeitnehmer müsste also entlassen werden, obwohl die Einrichtung auch von der Kirche getragen wird, der er nun angehört. 3. Teils katholisch, teils evangelisch – Differenzierende Modelle Sinnvoll könnte daher eine dritte Möglichkeit der gemeinsamen Gestaltung des arbeitsrechtlichen Rahmens sein. Keine Kumulation der verschiedenen Regelungssysteme, sondern ihre alternative Anwendung. Die durch die Katholische Kirche formulierten Loyalitätspflichten etwa treffen nur die katholischen Dienstnehmer, die der evangelischen nur die evangelischen Dienstnehmer. Es würde damit eine Unterscheidung weiter geführt, die sich in Ansätzen bereits im jetzigen Kirchenrecht wiederfindet. So formuliert die Grundordnung für den kirchlichen Dienst nicht in jeder Hinsicht die gleichen Pflichten für katholische wie nicht-katholische Dienstnehmer. Was dem Protestanten nach seinem Sakramentenverständnis möglich ist, soll ihm grundsätzlich nicht als Pflichtwidrigkeit auferlegt werden. So kann er anders als sein katholischer Kollege als Geschiedener wieder heiraten, ohne dass dies pflichtwidrig wäre, s. Art. 5 GrO. Auch diese alternative Anwendung hat freilich ihre Grenzen und Schwierigkeiten. Praktisch undurchführbar wäre bereits die Anwendung der AVR Caritas auf den katholischen Dienstnehmer verbunden mit der Anwendung der AVR Diakonie auf die evangelischen Dienstnehmer. Rechtlich unmöglich wäre die Anwendung des MVG.EKD auf evangelische Dienstnehmer und der MAVO auf katholische. Hier könnte eine alternative Anwendung des kirchlichen Rechts nur in einer Anwendung etwa der MAVO verbunden mit den AVR Diakonie oder auch des MVG.EKD verbunden mit den AVR Caritas bestehen. 12

Ausführlich Listl, in: Listl / Schmitz, Handbuch des katholischen Kirchenrechts, S. 212 ff.

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Das wäre ohne innere Rechtfertigung – welches Recht angewendet wird, wäre Gegenstand beliebiger Wahl –, und auch dies würde Zusammengehöriges trennen, sind doch die jeweiligen Regelungswerke der Arbeitnehmervertretung und des Dritten Wegs aufeinander bezogen, etwa durch Öffnungsklauseln für eine Mitarbeitervertretung nach jeweils eigenem Recht (s. § 38 Abs. 2 MAVO, Anlage 1 Abschn. XVI AVR und § 36 Abs. 1 MVG.EKD). Der so geschaffene Rahmen wäre kaum praktikabel und sähe sich zudem dem Vorwurf ausgesetzt, Unterscheidungen ohne hinreichenden Grund vorzunehmen. IV. Verfassungsrechtliche Anerkennung ökumenischer Einrichtungen Eben dieser letzte Gedanke führt auch zum nächsten Schritt im Gang der Prüfung. Bei allen Modellen eines kirchlichen Arbeitsrechts stellt sich nicht nur die Frage nach der tatsächlichen Realisierbarkeit und der kirchenrechtlichen Zulässigkeit, sondern vor allem nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die solchen Gestaltungen Grenzen ziehen könnten. Diese Vorbedingungen kirchlicher Gestaltung sollten schrittweise dargestellt werden ausgehend von den allgemeinen Anforderungen, die Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV an den Begriff der Religionsgesellschaft stellt, hin zu den Folgerungen, die sich hieraus für Kooperationen ergeben. 1. Religionsgesellschaft i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV Den Ausgangspunkt gibt die Verfassung vor: Eine Religionsgesellschaft i.S.d. Art. 137 Abs. 3 WRV ist ein die Angehörigen eines Glaubensbekenntnisses für ein Gebiet zusammenfassender Verband zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben. Hiervon zu unterscheiden sind religiöse Vereine und Gesellschaften, also Zusammenschlüsse, denen das Merkmal der „allseitigen Erfüllung“ fehlt – nach Art. 124 Abs. 1 S. 3 WRV zählten sie zu den durch die Vereinigungsfreiheit geschützten Vereinen und Gesellschaften, nicht zu den Religionsgesellschaften.13 Grundsätzlich kommt mithin das Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV nur Religionsgesellschaften zu, im kirchlichen Bereich also den verfassten Kirchen und deren rechtlich selbständigen Untergliederungen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG umfasst dieser Bereich jedoch auch „alle den Kirchen in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, bei deren Ordnung und Verwaltung die Kirche grundsätzlich frei ist, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem 13

Siehe Hesse, in: Listl / Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd. I, S. 534.

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Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen“ – und damit auch die Mitgliedsunternehmen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände.14 Neben dieser organisatorischen Erweiterung lässt sich schon früh eine inhaltliche Erweiterung des Begriffs feststellen: Schon Gerhard Anschütz stellte in seinem Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung mit Hinweis auf die unierten evangelischen Landeskirchen fest, dass eine Religionsgesellschaft auch von Angehörigen mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse gebildet werden könne.15 Dies entspricht auch der weiteren Verfassungspraxis, die den unierten Landeskirchen ohne Diskussion auch den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zubilligt. Daneben galt stets Art. 137 Abs. 1 S. 2 WRV, wonach der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets keinen Beschränkungen unterliegt; sind die Religionsgemeinschaften Körperschaften öffentlichen Rechts, dann ist es gemäß Art. 137 Abs. 3 S. 3 WRV auch der Zusammenschluss. Wiederum war anerkannt, dass sich damit auch verwandte, jedoch bekenntnisverschiedene Religionsgemeinschaften zusammenschließen konnten und so die gleichen Rechte in Anspruch nehmen konnten wie die Zusammenschlüsse nur eines Bekenntnisses.16 Von Anfang an enthielt also die Gewährleistung des kirchlichen Selbststimmungsrecht Ansatzpunkte einer – wenn auch begrenzten – Ökumene: Schon der Begriff der Religionsgemeinschaft ist nicht auf die Gemeinschaft eines Bekenntnisses beengt. 2. Folgerungen für ökumenische Einrichtungen Dieser Befund schafft ein Tendenzargument für die staatskirchenrechtliche Privilegierung auch der ökumenischen Einrichtungen, denn wenn es den Religionsgemeinschaften möglich ist, verschiedene Bekenntnisse in sich selbst zu vereinen, so muss es erst recht möglich sein, dass verschiedene Religionsgemeinschaften zusammenwirken können, ohne die Privilegierung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zu verlieren. a) Das spärliche Schrifttum Dies ist dann auch die Meinung derjenigen Stimmen im Schrifttum, die sich bislang dieser Frage zugewandt haben. So stellte Engelhardt bereits vor einigen

14 BVerfG v. 11.10.1977 – 2 BvR 209 / 76, BVerfGE 46, 73 (Leitsatz 1 und S. 85 ff.) = NJW 1978, S. 581. Siehe auch BVerfG v. 4.6.1986 – 1 BvL 7 / 85, BVerfGE 70, 138, 162 = NJW 1987, S. 179. 15

Anschütz, WRV, 10. Aufl. 1929, Art. 137, Abschn. 2, S. 548.

16

Anschütz, WRV, 10. Aufl. 1929, Art. 137, Abschn. 10, S. 558.

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Jahren in einem Diskussionsbeitrag auf den Essener Gesprächen zur Frage der ökumenischen Dimension des christlichen Krankenhauses fest: „Caritas und Diakonie haben ja in der Geschichte der ökumenischen Bewegung eine besonders wichtige Rolle gespielt als ein Bestandteil christlichen Lebens, in dem man insbesondere in den Anfängen ... angenommen hat, dass ein besonderes Maß an Gemeinsamkeit besteht, dass besondere Möglichkeiten gemeinsamen Handelns gegeben seien ... Die Gefahr, dass eine solche Ordnung staatskirchenrechtlich zu Schwierigkeiten führen kann, sehe ich eigentlich kaum; denn sicherlich kann der Staat einer Kirche und auch mehreren Kirchen wohl kaum verwehren, auf der Basis ihres Selbstbestimmungsrechts auch gemeinsam Caritas auszuüben.“17 Dem entspricht die klare Feststellung Pottmeyers: „Natürlich wäre ein ökumenischer Träger eines Krankenhauses denkbar“.18 Leisner ergänzt: „Vom Staatskirchenrecht her ... würde ich grundsätzlich keine Bedenken sehen, wenn es zu einer ökumenischen Trägerschaft eines Tages käme. Denn hier ist ja doch das Selbstverständnis der beiden sich zusammenschließenden Kirchen maßgebend. Wenn sie beide dieselben Lösungen sich zu eigen machen, warum sollten ihnen dann gemeinsame Aktionen unmöglich sein? Das würde ja darauf hinauslaufen, dass sich von Staatskirchenrechts wegen die evangelische und die katholische Kirche niemals in Deutschland vereinigen dürften. Da aber sei Gott vor!“19 b) Anklänge in der Rechtsprechung des BVerfG Diese Feststellungen des Schrifttums bleiben in ihrer Begründungsarmut mehr Wegweiser zum argumentativen Ziel als Nachweis des richtigen juristischen Wegs. Das Gesagte findet Anklänge jedoch auch in der Rechtsprechung des BVerfG. Zum einen ist auffällig, dass das Gericht in der Ausdeutung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und der Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche nicht konfessionell argumentiert, sondern sich an zahlreichen Stellen auf das gemeinsam Christliche stützt. Eine Einrichtung kann sich auf das Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV berufen, wenn sie „teilhat an der Verwirklichung eines Stücks Auftrag der Kirche im Geist christlicher Religiosität im Einklang mit dem Bekenntnis der christlichen

17

Engelhardt, Essener Gespräche Bd. 17 (1983), S. 95.

18

Pottmeyer, Essener Gespräche Bd. 17 (1983), S. 96.

19

Leisner, Essener Gespräche Bd. 17 (1983), S. 97.

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Kirche ...“.20 Auch betont das Gericht stets das Selbstverständnis der Kirchen, das für die Zuordnung maßgeblich ist. Wenn aber nach dem Selbstverständnis der Kirchen eine ökumenische Gestaltung möglich ist, wenn also eine Einrichtung den Auftrag beider Kirchen verwirklicht, weil dieser Auftrag von den verschiedenen beteiligten Trägern übereinstimmend verstanden wird, dann hat auch diese Einrichtung nach dem Wortlaut und Ziel der Entscheidungen des BVerfG Teil an der Freistellung von staatlicher Regelung. c) Entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte? Einschlägige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zur Zulässigkeit eines ökumenischen, aber dennoch kirchlichen Trägers liegen bislang nicht vor. Auch andere fachgerichtliche Entscheidungen zur Zulässigkeit eines ökumenischen Dienstes sind selten. Eine Ausnahme bildet eine Entscheidung des BSG vom 5.11.1997. Das Gericht hatte § 311 Abs. 2 S. 2 SGB V in der Fassung vom 21.1.1992 auszulegen und zu beurteilen, ob ein ehemals katholisches Krankenhaus, dass auf eine von beiden Kirchen gehaltene GmbH übertragen wurde, eine „kirchliche Fachambulanz“ im Sinne dieser Norm war. Es sollte sich um ein – so § 7 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages – „Christliches Krankenhaus der evangelischen und katholischen Kirche“ handeln. Das Gericht erkannte in seiner Argumentation nicht die Möglichkeit einer ökumenischen Trägerschaft an, sondern wertete als privilegiertes Krankenhaus nur eine solche Einrichtung, die entsprechend den eingangs dargestellten Kriterien einer einzigen Kirche zuzuordnen ist. Das Gericht griff damit entschieden zu kurz, setzte es sich mit der Möglichkeit einer ökumenischen Trägerschaft noch nicht einmal auseinander. Ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft liegt jedoch schon nach dem Wortlaut auch vor, wenn mehrere Kirchen das Krankenhaus tragen – denn wenn nur Kirchen die Einrichtung tragen und säkulare Träger fehlen, wie wollte man sagen, es sei in nicht-kirchlicher Trägerschaft? Bisher sind Stellungnahmen zu der Entscheidung ausgeblieben, wohl auch aufgrund der sehr speziellen und inzwischen durch Gesetzesänderung überholten Rechtsfrage. Diese Spezialität und auch die nur unvollkommene Argumentation machen jedoch deutlich, dass es sich hierbei nicht um ein richtungsweisendes Grundsatzurteil, sondern um eine Einzelfallentscheidung ohne Grundlage der Verallgemeinerung handelt. Das BSG wollte zur Zulassung einer Fachambulanz an der kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgung entscheiden, nicht aber eine grundlegende Weichenstellung des Staatskirchenrechts vorbereiten. Es wollte das gegebene Staatskirchenrecht anwenden, nicht aber weiterbilden.

20 BVerfG v. 11.10.1977 – 2 BvR 209 / 76, BVerfGE 46, 73 = NJW 1978, S. 581; siehe auch BVerfG v. 25.3.1980 – 2 BvR 208 / 76, BVerfGE 53, 366, 392 = NJW 1980, S. 1895.

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d) Vertiefende Betrachtung Die Gründe, die für den weiten Ansatz sprechen, gilt es also darzulegen. Neben den bereits dargelegten Argumenten können eine teleologische Deutung des Art. 137 Abs. 3 WRV und auch eine spezifisch arbeitsrechtliche Argumentation das Ergebnis stützen. aa) Der Zweck der Freistellung Der arbeitsrechtliche Freiraum, der den Kirchen eingeräumt wurde, dient wie eingangs dargestellt der Wahrung der Eigenständigkeit und der Besonderheiten des kirchlichen Dienstes, dessen erster Zweck nicht wirtschaftlich ist, sondern dem Auftrag Christi in dieser Welt zu folgen, das Evangelium zu verkünden und durch praktizierte Nächstenliebe eine Ahnung zu geben von der Liebe Gottes zu den Menschen. Eben wegen dieser Sonderheiten wären das Tarifvertragsrecht, die Betriebsverfassung und das Kündigungsschutzrecht kein „für alle (gleichermaßen) geltendes Gesetz“, würde es nicht hierauf Rücksicht nehmen. Diese Besonderheiten aber bleiben bestehen, wenn zwei Religionsgemeinschaften sich zusammentun, um eine Einrichtung zu gründen, die nach beider Vorstellung spezfisch kirchlichen Zwecken dient. Der Zweck des Gesetzes, Freiraum zur religionsspezifischen Gestaltung zu geben, greift auch hier, und das staatliche Interesse, hier die eigenen Regelungen durchzusetzen, ist nicht größer als bei allein einer Kirche zugeordneten Einrichtungen – und damit ebenso nachrangig wie dort. bb) Verfassungsrechtliche Argumente Dies spiegelt sich in einer verfassungsrechtlichen Sicht der Dinge. Der Freiheitsraum, der den Kirchen eingeräumt wurde, ist ihnen zur Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten überlassen. Diese Freiheit ist auch eine Freiheit zum Zusammenschluss. Denn das selbständige Ordnen und Verwalten umfasst nach der Rechtsprechung des BVerfG „alle Maßnahmen, die in Verfolgung der vom kirchlichen Grundauftrag her bestimmten diakonischen Aufgaben zu treffen sind, z.B. Vorgaben struktureller Art, die Personalauswahl und die mit all diesen Entscheidungen untrennbar verbundene Vorsorge zur Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses.“21 Wenn es also die Kirchen für richtig erachten, zur besseren Verfolgung ihres kirchenspezifischen Zwecks gemeinsame Strukturen aufzu21 BVerfG v. 5.2.1981 – 2 BvR 646 / 80, BVerfGE 57, 200, 243 = NJW 1981, S. 1943 m.w.N. hierzu auch Hesse, in: Listl / Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts Bd. II, S. 540.

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bauen, dann ist das durch das Selbstverständnis jedes der beteiligten Träger gedeckt. Wollte man anders entscheiden, dann müsste das weltliche Gericht dieses Selbstverständnis bewerten und feststellen, dass ein ökumenischer Zusammenschluss nicht mehr mögliches Mittel der kirchlichen Zweckverfolgung sein kann. Dazu bedarf es eines sentire cum ecclesia; das kann nicht Aufgabe eines weltlichen Gerichts sein. Für die staatskirchenrechtliche Zulässigkeit institutionell verankerter Ökumene spricht damit ein zwingendes logisches Argument: Wenn zwei Gemeinschaften ein Freiraum eingeräumt wird, den sie nach eigenen Vorstellungen ausfüllen können – eben dies macht Autonomie aus –, dann kann dieser Freiraum nicht dadurch gemindert werden, dass sie ihn gemeinsam ausüben. Der Zusammenschluss erweitert zwar nicht den Zirkel der Freistellung, er verengt ihn aber auch nicht. Andernfalls müssten bereits Bedenken gegen die Kooperation verschiedener Religionsgemeinschaften erhoben werden. Erhebt man diese nicht – und zwar zu Recht –, dann ist auch der nächste Schritt der institutionellen Verbindung vom Selbstbestimmungsrecht gedeckt; dieser ist dann nur noch eine graduelle, nicht aber wesensverschiedene Fortentwicklung. Ebenso wie der Zusammenschluss zu Verbänden unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Rechte, den Art. 137 Abs. 2 S. 2 WRV ausdrücklich garantiert, schon aus Art. 137 Abs. 3 WRV folgt,22 folgt daraus auch die Zulässigkeit des Zusammenschlusses „im Kleinen“ bezogen auf einzelne Handlungsfelder und Institutionen. Das eine ist als Geringeres im Größeren enthalten. cc) Spezifisch arbeitsrechtliche Argumente Spezifisch arbeitsrechtliche Argumente führen zum selben Schluss. Das BAG lässt es für eine Einbeziehung in den Bereich des § 118 Abs. 2 BetrVG ausreichen (und damit für eine Freistellung vom BetrVG, die als pars pro toto den gesamten Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts umschreibt), dass die Kirche Einflussmöglichkeiten hat, „um ... einen etwaigen Dissens in religiösen Angelegenheiten zwischen ihr und der Einrichtung zu unterbinden“23 – ohne Vorgaben zur Art dieser Einflussmöglichkeiten zu machen. Hiermit und mit dem Wortlaut des § 118 Abs. 2 BetrVG verträgt sich auch die Trägerschaft einer Einrichtung durch mehrere Religionsgemeinschaften. Wenn es hier heißt, das Gesetz finde keine Anwendung auf „Religionsgemeinschaften und ihre ... Einrichtungen“, dann heißt dies nicht, dass die Einrichtung gerade nur einer 22

Siehe bereits Anschütz, WRV, Art. 137 Abschn. 3, 10, S. 549, 558; weitgehend noch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG / Art. 137 WRV Rn. 24: ganz von Art. 4 GG erfasst. 23

BAG v. 30.4.1997 – 7 ABR 60 / 95, AP Nr. 60 zu § 118 BetrVG 1972 = NZA 1997, S. 1240.

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Religionsgemeinschaft zugeordnet werden könnte. Möglich sind auch Religionsgemeinschaften und ihre gemeinsamen Einrichtungen. Mögen hier auch die Loyalitätsanforderungen an die Belegschaft abweichend von anderen Einrichtungen normiert werden, so können doch die verbleibenden Pflichten – bei entsprechender Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags – durchgesetzt werden. Ebenso wie die Beteiligung eines weltlichen Dritten die Zuordnung zum kirchlichen Dienst nicht ausschließt, wenn die Kirche weiterhin den bestimmenden Einfluss hat und gegenüber dem Mitgesellschafter die Erfüllung des kirchlichen Propriums sicherstellen kann, muss es erst recht unschädlich sein, wenn der Hinzutretende kein Dritter, sondern auch Religionsgemeinschaft i.S.d. § 118 Abs. 2 BetrVG ist. Wenn die jeweilige Kirchenleitung der Einrichtung bescheinigt, als karitative Einrichtung den Auftrag Christi an seine Kirche in dieser Welt zu verwirklichen, dann ist das Ermessen, das in dieser Einschätzung liegt, als Ausfluss des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu akzeptieren. Das Selbstbestimmungsrecht gilt nicht nur in den abstrakten Vorgaben, sondern auch in der konkreten Einschätzung, denn die kirchlichen Vorgaben interpretiert authentisch nur die Kirche. Die Einrichtung wäre dann nach den Maßstäben des § 118 Abs. 2 BetrVG sowohl eine Einrichtung der katholischen als auch der evangelischen Kirche. Dies ist möglich, solange ausgeschlossen ist, dass über die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes zwischen den Beteiligten ein Dissens besteht. Eben diese Besonderheiten können einvernehmlich zwischen den beiden beteiligten Trägern festgelegt werden. Deshalb ist es sinnvoll, dass in der Satzung einer gemeinsam getragenen Gesellschaft selbst festgestellt wird, dass die Gesellschaft teilnimmt an der Erfüllung des kirchlichen Auftrags beider Kirchen und sich als Teil beider Kirchen begreift. Das scheint auch spezifisch betriebsverfassungsrechtlich begründbar. Es leuchtet intuitiv ein, dass ein gemeinsamer Betrieb zweier Religionsgemeinschaften nicht unter das BetrVG fällt.24 Ein gemeinsamer Betrieb liegt gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG u.a. vor, wenn zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von verschiedenen Unternehmern gemeinsam eingesetzt werden. Hier handelt es sich dann um eine Belegschaft aus Arbeitnehmern, die jeweils direkt einer der beteiligten Kirchen zugeordnet werden können, und die in dieser Einrichtung einem spezifisch kirchlichen Zweck nachgehen können. Die Tatsache, dass man eine gemeinsame Organisation gefunden hat, um ein gemeinsames Ziel zu realisieren, ändert nichts daran, dass hier die Arbeitnehmer genauso wie andere kirchliche Arbeitnehmer den spezifischen Loyalitätspflichten des jeweiligen Arbeitgebers unterliegen. Dem folgt dann auch das Recht der Arbeitnehmervertretung, denn die Trennlinie zwischen kirchlichem Dienst und weltlichem Dienst vollzieht sich 24

Zum Begriff des gemeinsamen Betriebs siehe Richardi, BetrVG, 9. Aufl. 2004, § 1 Rn. 66; Fitting, BetrVG, 22. Aufl. 2004, § 1 Rn. 75.

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einheitlich für alle Teilbereiche des Arbeitsrechts. Entweder eine Einrichtung ist kirchlich oder sie ist es nicht, aber sie ist es nicht allein im Hinblick auf das Individualarbeitsrecht, nicht aber im Hinblick auf das Kollektivarbeitsrecht. Wenn dem aber so ist, dann kann betriebsverfassungsrechtlich nichts anderes gelten, wenn sich die Religionsgemeinschaften zusammentun und einen gemeinsamen Rechtsträger bilden. Die Wertungen für die Freistellung vom staatlichen Recht sind hier die gleichen, und die bloße Vereinheitlichung des Rechtsträgers kann den Grund der Herausnahme – der Widerspruch zwischen Dienstgemeinschaft und Betriebsverfassung – nicht ändern. 3. Fazit aus staatskirchenrechtlicher Sicht Zieht man die Summa aus dem Gesagten, so muss die gemeinsame Trägerschaft einer Einrichtung durch Religionsgemeinschaften i.S. des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV in Bezug auf die Zulässigkeit eines spezifisch kirchlichen Arbeitsrechts genauso behandelt werden wie die alleinige Trägerschaft. Auch eine solche Einrichtung ist damit eine Einrichtung i.S. des § 118 Abs. 2 BetrVG, solange die beteiligten Kirchen sicherstellen können, dass die Loyalität der Einrichtung und deren Mitarbeiter zu den von den Kirchen gesetzten Vorgaben durchgesetzt werden kann, ein Dissens zwischen Mitarbeitern und Kirchen also im gemeinsamen Sinne der Träger entschieden wird. V. Kirchenrechtliche Einordnung ökumenischer Einrichtungen Was staatskirchenrechtlich zulässig wäre, muss von den Kirchen gewollt sein. Ihre Gesetzgebung gibt vor, inwieweit es ein ökumenisches Arbeitsrecht geben soll. Derzeit fehlt es daran noch. So wäre aus kirchenrechtlicher Perspektive etwa die Anwendung von Grundordnung, MAVO und AVR verbindlich, wenn auch die gemeinsam mit der evangelischen Seite getragene Einrichtung eine Einrichtung i.S. dieser Regelwerke wäre. So bestimmt Art. 2 Abs. 2 GrO (und entsprechend § 1 Abs. 2 MAVO) eine Anwendung auch „im Bereich der sonstigen kirchlichen Rechtsträger [d.h. neben der verfassten Kirche] und ihrer Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform sowie des Verbandes der Diözesen Deutschlands und des Deutschen Caritasverbandes“. Es besteht prima facie also eine Pflicht auch außerhalb des Caritasverbandes, die Grundordnung rechtsverbindlich zu übernehmen, und ein Recht des Bischofs, dies durchzusetzen. Das wäre nicht der Fall, wenn man hierunter „nur-katholische“ Einrichtungen fassen würde, nicht aber solche, deren Träger mit gleicher Berechtigung der evangelischen Seite zugeordnet werden können. Es würde letztlich davon abhängen, ob man eine ökumenische Einrichtung als genuin christliche oder als gleichzeitig katholische und evangelische Einrichtung verstehen wollte. Sinnvoll wäre hier eine klarstellende Ergänzung der Grundordnung, etwa dahinge-

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hend, dass für ökumenische Einrichtungen eigenständige Regelungen geschaffen werden können, vorbehaltlich der Genehmigung durch den Ordinarius. Aber auch solange eine solche Regelung fehlt, wird man nicht von einer Rechtswidrigkeit einer modifizierten Anwendung der Grundordnung ausgehen müssen. § 1 Abs. 2 GrO ist auszulegen, can. 17 CIC. Der Kontext gibt keinen Hinweis auf Einrichtungen unter gleichberechtigter Teilnahme evangelischer Träger. Der kirchliche Gesetzgeber hatte bei Schaffung der Grundordnung ökumenische Einrichtungen nicht im Sinn, und es kann ihm nicht unterstellt werden, für diese eine abschließende Regelung treffen zu wollen für diese ganz grundlegende Frage. Die Zulässigkeit und Grenzen ökumenischer Einrichtungen gleichsam en passant und stillschweigend mit zu regeln, trifft nicht die Intention des kirchlichen Gesetzgebers, eine einheitliche Grundlage für den katholischen Dienst zu treffen. Der Wortlaut der Grundordnung und der MAVO ist daher einzuschränken, wie nicht anders als in Bezug auf die wirtschaftlichen Einrichtungen der Kirchen, die ebenfalls nicht der Grundordnung unterfallen, obwohl der Wortlaut des Kirchengesetzes dies nicht erwähnt.25 Es liegt daher zumindest im Ermessen des Ordinarius, angesichts dieser Rechtslage auf die Einhaltung der Pflicht zur Übernahme der Grundordnung und der MAVO in ökumenischen Einrichtungen zu verzichten. Die Nichtanwendung wäre damit wenn schon nicht kirchenrechtlich zutreffend, so doch sanktionslos. Für die evangelische Seite fällt hier die Antwort noch leichter: Hier bestimmt § 1 Abs. 1 MVG.EKD die Reichweite des Kirchengesetzes: „Dienststellen kirchlicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Gliedkirchen sowie ihrer Zusammenschlüsse und der Einrichtungen der Diakonie“. Dies lässt Einrichtungen außerhalb des Diakonischen Werks außen vor. Zumindest also, wenn der Träger der ökumenischen Einrichtung nicht in ein Diakonisches Werk eintritt, ist ein Konflikt zu kirchenrechtlichen Vorgaben nicht zu befürchten. Ein solcher Beitritt wäre aus staatskirchenrechtlicher Sicht nicht erforderlich für eine Zuordnung zum kirchlichen Dienst. So hat auch die Rechtsprechung des BAG in der Vergangenheit die Mitgliedschaft in einem konfessionellen Wohlfahrtsverband zwar als Indiz dafür gewertet, dass es sich um eine Einrichtung der jeweiligen Kirche handelt, diese Mitgliedschaft jedoch nicht zur conditio sine qua non gemacht. Sie ist weder notwendige noch ist sie hinreichende Bedingung.26

25 Ausführlich Dütz, in: Festschrift für Stahlhacke, 1995, S. 101; siehe auch Hanau / Thüsing, KuR 2002, S. 9. 26

BAG v. 6.12.1977 – 1 ABR 28 / 77, AP Nr. 10 zu § 118 BetrVG 1972 = DB 1978, S. 943; ausführlich begründend BAG v. 30.4.1997 – 7 ABR 60 / 95, AP Nr. 60 zu § 118 BetrVG 1972 = NZA 1997, S. 1240; jüngst auch BAG v. 23.10.2002 – 7 ABR 59 / 01, EzA § 118 BetrVG 2001 Nr. 1 = AuR 2003, S. 238.

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VI. Schlussfolgerungen Sucht man nach Schlussfolgerungen für die praktische Gestaltung, so ist der Kompromiss zwischen dem staatskirchenrechtlich Zulässigen und dem kirchlich Gewollten zu formulieren. Verschiedene Wege sind denkbar. 1. Loyalitätspflichten In der Festlegung der Loyalitätspflichten ist zuerst an eine Kumulation der Pflichten zu denken, die die evangelische Seite und die katholische Seite an ihre Arbeitnehmer stellt. Dies mag auf den ersten Blick zu einer Kombination führen, die über das von der jeweils einzelnen Kirche Geforderte hinausgeht. Die Trägerschaft verschiedener Konfessionen würde dazu führen, dass den Arbeitnehmern die Einhaltung von Pflichten auferlegt wird, die in ihrer Summe keiner der Beteiligten für erforderlich hält. Man könnte zweifeln, ob dies tatsächlich zulässig ist. Denn die Autonomie, auf die sich das kirchliche Arbeitsrecht stützt, ist wie dargestellt kein Freiraum zur Beliebigkeit. Den Kirchen ist allein erlaubt, den Freiraum zu nutzen, um das für ihren Dienst erforderliche Maß an Loyalität sicherzustellen. Wenn aber keiner der Beteiligten diese Pflichten insgesamt für erforderlich hält, dann mag man argumentieren, dies gehe über das Erforderliche hinaus und sei damit unzulässig. Dies wird insbesondere deutlich, wenn mehr als zwei Träger vorhanden sind: Würden zehn Religionen eine Einrichtung tragen, müssten die Arbeitnehmer sich dann loyal im Sinne aller zehn Träger verhalten, die Gebote aller beteiligten Träger beachten? Das Argument ist nicht ohne jegliche Berechtigung, vermag jedoch bei einer Einrichtung in gemeinsamer evangelisch-katholischer Trägerschaft nicht zu überzeugen. Dies liegt vor allem daran, dass der Sache nach keine echte Kumulation vorliegt, denn die evangelische Seite verlangt keine größere Loyalität, als dies die katholische Seite verlangt. Alles, was nach evangelischer Seite eine Loyalitätspflichtverletzung darstellt, ist es de facto auch nach katholischer Auffassung, auch wenn nicht alles, was nach katholischer Auffassung eine Loyalitätspflichtverletzung ist, auch nach evangelischer Seite ebenso eingeordnet wird. Es würde daher ausreichen, die Loyalitätspflichten der Grundordnung für alle Arbeitnehmer festzuschreiben. Dieser einheitlichen Regelung stünde dann auch nicht entgegen, dass hier mehr verlangt würde als nach evangelischer Seite erforderlich. Die Kirchen haben hier durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV den Freiraum zur eigenverantwortlichen Gestaltung und können ihn nutzen, wie es die Besonderheit der ökumenischen Einrichtung erfordert. Die Schranke, die hier das BVerfG errichtet hat, ist weit. Die Autonomie und die aus ihr resultierenden kirchlichen Vorgaben dürfen sich nicht in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung stellen, wie dem all-

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gemeinen Willkürverbot, der Wahrung der guten Sitten und dem ordre public.27 Ein solcher Verstoß wäre hier nicht gegeben, denn willkürlich sind die Vorgaben nicht, auch wenn die katholische Seite nicht alleiniger Träger ist, sondern die evangelische Seite gleichrangig beteiligt ist. Der Kompromiss auf bestimmte Loyalitätspflichten ist erforderlich und lässt sich mit diesem Erfordernis praktizierter Ökumene begründen– und ist daher zulässig. Für den evangelischen Teil der Belegschaft wären damit nicht die gleichen Pflichten wie für den katholischen Teil verbunden, denn die Grundordnung trifft hier selber – wie dargestellt – eine differenzierende Regelung. So dürfen geschiedenen evangelische Arbeitnehmer wieder heiraten, ohne dass dies eine Verletzung der Loyalitätspflicht wäre. Daneben gäbe es als alternatives Modell die Möglichkeit, für die katholischen Dienstnehmer die Geltung der Grundordnung zu vereinbaren, für die evangelischen Dienstnehmer die Loyalitätspflichten festzuschreiben, die die jeweilige evangelische Kirche vorgibt. Auch diese alternative Anwendung wäre zulässig, und sie wäre wohl auch der praktikabelste Weg. Zusätzlich müsste dann freilich ein Maßstab der Loyalität nichtchristlicher Arbeitnehmer festgelegt werden. Hier bietet es sich an, an die Formulierung der Grundordnung anzuknüpfen (Art. 5 Abs. 4 und 5): „Nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der gemeinsamen Ziele der katholischen und der evangelischen Kirche zu erfüllen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirchen und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden.“ Diese alternative Anwendung von Loyalitätspflichten hätte zur Folge, dass etwa evangelische Christen, deren Kirche wie dargestellt die Lebenspartnerschaft nicht ablehnt, einen solchen Bund schließen könnten, ohne das Risiko der Kündigung eingehen zu müssen. Ein gewisses Unbehagen bleibt auch bei dieser Lösung. Der Übertritt eines Katholiken zur evangelischen Kirche bliebe ein absoluter Kündigungsgrund – ein Grund also, nach dem der Dienstgeber unabhängig von der Position des Dienstnehmers keine Möglichkeit hätte, das Arbeitsverhältnis fortzuführen: „Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die aus der katholischen Kirche austreten, können nicht weiterbeschäftigt werden“ (Art. 5 Abs. 5 GrO). Auch diese Strenge muss aber dem Geist der Ökumene nicht widersprechen, denn der Wille, gemeinsam im christlichen Auftrag zu wirken,

27

BVerfG v. 4.6.1985 – BvL 7/85, BVerfGE 70, S. 138, 168; ausführlich hierzu Thüsing, in: Feschrift Rüfner, 2003, S. 901.

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geht nicht notwendig mit dem Willen einher, Proselytentum zu fördern oder zu billigen. Staatskirchenrechtlich wäre es jedoch auch zulässig, für die ökumenisch getragene Einrichtung eine Modifizierung der Grundordnung zu vereinbaren, etwa in dem Sinne, dass Art. 5 Abs. 5 GrO dahingehend ergänzt wird, dass der Übertritt zu einer anderen christlichen Gemeinschaft hiervon nicht erfasst wird. Dies wäre freilich kirchenrechtlich ein sehr großer und u.U. irritierender Schritt und müsste durch den Gesetzgeber der Grundordnung selber erfolgen. Er sollte gründlich überdacht werden. 2. Mitarbeitervertretung Das Gesagte stellt auch die Weichen für mögliche Modelle einer Mitarbeitervertretung. In der Wahl, die MAVO oder das MVG.EKD anzuwenden, stünden die am ökumenischen Träger beteiligten Kirchen frei – jedenfalls soweit die Einrichtung nicht Mitglied des Caritasverbandes würde, der regelmäßig eine Verpflichtung zur Anwendung der MAVO bestimmt. § 1 Abs. 2 MAVO erfordert die Anwendung der MAVO genauso wenig wie der entsprechende Art. 1 Abs. 4 GrO die Anwendung der Grundordnung verlangt. Es kann nicht unterstellt werden, dass der Gesetzgeber der MAVO, der hier den Text der Grundordnung schlicht übernahm, eine Vorgabe gerade auch für ökumenische Einrichtungen hat treffen wollen. Dies bedeutet freilich nicht, dass auch auf jede Form der Arbeitnehmervertretung verzichtet werden könnte. Die Freistellung beinhaltet den Auftrag an die Kirchen, die entstandene Lücke mit eigenen Regelungen zu schließen.28 Gut wäre es, die Kirchen würden hier eine einheitliche Vorgabe geben; solange die fehlt, sind sie frei für den Einzelfall zu entscheiden, ob die evangelische oder die katholische Regelung anzuwenden ist.

28 Im jüngsten arbeitsrechtlichen Regelwerk mit einer Exemption des kirchlichen Bereichs, der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung vom 25.6.2001, wird die Kirchenklausel daher wie folgt gefasst: „Diese Verordnung findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen, soweit sie eigene gleichwertige Regelungen schaffen“ (§ 1 Abs. 2). Dies entspricht durchaus auch dem traditionellen Verständnis des kirchlichen Arbeitsrechts. In einem nicht veröffentlichten Rechtsgutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD vom 18. 9. 1951 kam Smend zu dem Ergebnis: „Die vom Bund zu erlassenden Betriebsverfassungsgesetze sind kein allgemeines Gesetz i.S. des Art. 137 Abs. 3 WRV. Jedoch sind die Kirchen als verpflichtet anzusehen, kirchengesetzlich eine Regelung des Rechts ihrer Arbeitnehmer auf Beteiligung und Mitbestimmung in den Betrieben und Verwaltungen zu schaffen.“

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3. Arbeitsvertragsgestaltung Die Entscheidung im Bereich der Mitarbeitervertretung sollte dann auch die Entscheidung für das anzuwendende Regelwerk des Dritten Wegs bestimmen. Wird das MVG.EKD befolgt, dann sollten auch die AVR Diakonie vereinbart werden, wird eine Mitarbeitervertretung nach MAVO errichtet, dann sollten auch die AVR Caritas vereinbart werden. Dies ist nicht zwingend, jedoch scheint es schon deshalb sinnvoll, weil beide Regelungen aufeinander bezogen sind – so sind Öffnungsklauseln für Dienstvereinbarungen mit der nach MAVO gebildeten Mitarbeitervertretung möglich nach Anlage 1 XVI der AVR Diakonie, eine Vorschrift, die sich in § 38 Abs. 2 MAVO spiegelt. Vergleichbares gilt umgekehrt für § 36 Abs. 1 MVG.EKD, der in der Zulassung von Öffnungsklauseln auf die Regelungen nach den Arbeitsrechtsregelungsgesetzen der evangelischen Kirche Bezug nimmt. Stellt man im Arbeitsvertrag klar, dass mit diesen Öffnungsklauseln auch die Regelungsinstrumente nach dem jeweils fremden Kirchenrecht gemeint sind, dann wäre eine Kombination freilich möglich – wenn auch gefragt werden sollte, ob sie erforderlich oder auch nur sinnvoll ist. Als Alternative wäre zu erwägen, ob denn der ökumenische Träger eine tarifvertragliche Gestaltung seiner Arbeitsverhältnisse anstreben sollte. Es sind jedoch bei Einführung eines Tarifvertragsmodells die Gründe zu beachten, die einst zur Hinwendung zum Dritten Weg geführt haben. a) Vorgaben der Dienstgemeinschaft für die kollektive Festlegung von Arbeitsbedingungen Die Dienstgemeinschaft muss auch in den Verfahrensstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zum Ausdruck kommen. Der Abschluss von Tarifverträgen als solcher wäre kein Widerspruch zur Dienstgemeinschaft.29 Tarifverträge im kirchlichen oder diakonischen Dienst kamen in der Vergangenheit vor,30 und es gibt sie auch heute in der Katholischen Kirche31 wie in den evangelischen Kirchen – jüngstes Beispiel ist hier der Kirchliche Tarifvertrag Diakonie vom 15.8.2002 für den Bereich Nor-

29

Siehe bereits Thüsing, Die Kirchen als Tarifvertragsparteien, ZevKR 1996, S. 52 –

66. 30 So schloss etwa das Erzbistum Köln in der Weimarer Zeit Tarifverträge ab, siehe Gerhard Wacke, Das Dienstrecht der Behördenangestellten, 1933, S. 71. Im Dritten Reich galt für den öffentlichen Dienst das Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben, dem Pendant des AOG. Hiervon wurden auch die Kirchen erfasst, siehe Hueck / Nipperdey, AOGÖ, 4. Aufl. 1943, § 1 Rn. 3, 22. 31

So für die Caritas in Österreich, siehe Richardi / Thüsing, AuR 2002, S. 94.

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delbien.32 Der kirchliche Arbeitgeber ist tariffähig nach § 2 Abs. 1 TVG. Das gilt auch für seine Zusammenschlüsse. Allerdings kann es nach kirchlichem Selbstverständnis einen Arbeitskampf im kirchlichen und diakonischen Bereich nicht geben. Die Dienstgemeinschaft ist so sehr durch das Miteinander im Dienste Gottes und seines Auftrags an die Kirche geprägt, dass die Gemeinsamkeit des Ziels und der Aufgabe es ausschließen, durch offenen Druck gegeneinander die Änderung der Arbeitsbedingungen erzwingen zu wollen. Sie gäbe ihren Sendungsauftrag preis, wollte sie ihre Glaubensverkündigung und die Werke der Nächstenliebe unter den Vorbehalt der wechselseitigen Druckausübung zur Wahrung der eigenen Vermögensinteressen stellen.33 Zumindest die Dienstgeberseite wäre damit nicht arbeitskampfwillig. Dies steht ihrer Tariffähigkeit jedoch nicht entgegen, wie auch die Ablehnung des Arbeitskampfs der Eigenschaft als tariffähige Koalition nicht entgegensteht. In seiner Entscheidung zu den Katholischen Hausgehilfinnen hat das BVerfG anerkannt, dass es sich hierbei um eine tariffähige Koalition handelt, obwohl sie den Streik für sich ausschloss. Gleiches muss dann auch für die Dienstgeberseite gelten.34 Dass ohne Streik abgeschlossene Tarifverträge der Dienstgemeinschaft nicht widersprechen, zeigt sich nicht nur an der bisherigen Praxis im kirchlichen Dienst, in dem Tarifverträge vorkommen, sondern auch an den Stellungnahmen zum Tarifvertrag durch die evangelischen Kirchen und die Katholische Kirche: „Gesellschaft und Staat müssen für ein angemessenes Lohnniveau sorgen, das dem Arbeiter und seiner Familie den Unterhalt sichert und die Möglichkeit zum Sparen erlaubt. (...) Hier liegt die entscheidende Aufgabe der Gewerkschaften, die Mindestlohn und Arbeitsbedingungen aushandeln.“35 Der Tarifvertrag kann einen interessengerechten Ausgleich zwischen Dienstnehmer- und Dienstgeberseite gewährleisten. Friktionen zu den Vorgaben der Dienstgemeinschaft ergeben sich nicht aus dem bloßen Vorhandensein eines wie auch immer gearteten Tarifvertrags, sondern aus seinem möglichen Inhalt.

32 Abrufbar unter http://webspace.st-michaelsbund.de/diag-miav/Verhandlungsgrundlage Verguetungsreform2005.pdf. 33

Zur rechtlichen und theologischen Begründung der kirchlichen Dienstgemeinschaft vgl. die Nachweise bei Thüsing, in: ZevKR 1996, S. 52, 53, Fn. 5. 34

BVerfG v. 6.5.1964 – 1 BvR 79 / 62, NJW 1964, S. 1267 = BVerfGE 18, 18, Leitsatz und S. 26; hierzu Däubler / Peters, TVG, § 2 Rn. 27. 35

Enzyklika Johannes Paul II., Centesimus annus, Abschnitt 15, in: Verlautbarungen des apostolischen Stuhls, Nr. 101, S. 20; vgl. hierzu auch Reuter, RdA 1995, S. 1 ff.

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b) Ausschluss des Arbeitskampfs und verbindliche Schlichtung Auch wenn es zur Vereinbarung von Tarifverträgen kommen wird, muss es bei der Unzulässigkeit eines Streiks bleiben, denn der Dienstgemeinschaft widerspricht wie dargestellt die offene, gegenseitige Druckausübung zur Durchsetzung eigener Interessen. Sich von dieser Vorstellung zu distanzieren, die seit Jahrzehnten zum Kernverständnis des kirchlichen Arbeitsrechts gehört, würde zu einer umfassenden Infragestellung der rechtlichen Besonderheiten eines Arbeitsverhältnisses zu kirchlichen Dienstgebern Anlass geben. Wenn eine Kirche konzediert, dass es einen Streik geben darf, dass sich der Arbeitnehmer also in eine Auseinandersetzung nicht der Argumente, sondern der wirtschaftlichen Durchsetzungsmacht mit seiner Kirche einlassen darf, dann ist es nur ein kleiner Schritt zu fragen, ob denn nicht auch die Sonderstellung im Mitarbeitervertretungsrecht hiermit überholt ist, und ob denn besondere Loyalitätspflichten des kirchlichen Dienstnehmers wirksam von der Dienstgeberseite eingefordert werden können. Das jetzige System ist in sich stimmig und ist wie dargestellt aus dem Wesen der Dienstgemeinschaft herzuleiten. Der Abschied von der absoluten Friedenspflicht im kirchlichen Dienst wäre es nicht. Es wäre sinnvoll, den Ausschluss des Arbeitskampfes ausdrücklich in einen künftigen Tarifvertrag oder eine hierauf bezogenen Schlichtungsvereinbarung aufzunehmen. Dies ist in der Vergangenheit nicht durchgehend geschehen. So verzichtete die Dienstgeberseite auf einen solchen Ausschluss im Tarifvertrag für die Diakonie Nordelbien. Daraus folgt jedoch nicht die Zulässigkeit des Arbeitskampfes, denn seine Unzulässigkeit ergibt sich nicht aus dem Tarifvertrag, sondern aus den dargelegten staatskirchenrechtlichen Erwägungen. Wird der Ausschluss des Arbeitskampfes jedoch mit der Gewerkschaft vereinbart, so folgt daraus ein weiterer Grund für die Unzulässigkeit von Streik und Aussperrung, die auch bei Zweifel über die staatskirchenrechtlichen Vorgaben Streit und Streik vermeiden helfen. Auch zur Verdeutlichung der kirchlichen Position empfiehlt sich daher eine entsprechende Regelung. Der Ausschluss des Arbeitskampfes bei gleichzeitigem Abschied vom kircheneigenen Regelungsverfahren legt freilich weitere Schritte nahe. Bliebe es dabei, dann könnte die Dienstnehmerseite ihre Vorstellungen von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen nicht effektiv und institutionell abgesichert einbringen. Der kirchliche Dienst wäre von wesentlichen Funktionsmechanismen des allgemeinen Arbeitsrechts ausgenommen, ohne eine gleichwertige, kirchenkonforme Alternative anzubieten. Vieles spricht daher dafür, eine zwingende Schlichtung zwischen den Tarifvertragsparteien zu vereinbaren. Wie diese im Einzelnen ausgestaltet ist, ist dabei nicht zwingend vorgegeben. Möglich erscheint es sowohl, sich am Modell der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg zu orientieren und die einfache Mehrheit einer Schlichtungskommission ausreichen zu lassen, als auch dem Vorbild Nordelbiens zu folgen und

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eine Zweidrittelmehrheit zu fordern. Vorzugswürdig scheint es wohl, die einfache Mehrheit ausreichen zu lassen, weil sie die Handlungs- und Anpassungsfähigkeit erleichtert. Dass dabei das letzte Wort bei einem neutralen Vorsitzenden der Schlichtungskommission liegen kann und nicht bei der Kirche selber, ist nichts, was dem kirchlichen Arbeitsrecht der evangelischen Kirche fremd ist. Ein solches Letztentscheidungsrecht nicht der Synode, sondern eines Schlichtungsausschusses mit neutralem Vorsitzenden gibt es bereits jetzt innerhalb des kirchlichen Arbeitsrechts-Regelungssystems.36 c) Pflicht zur Gleichbehandlung der Dienstgemeinschaft Als weitere Besonderheit des kirchlichen Dienstes ist die Verpflichtung zur einheitlichen Behandlung der Dienstnehmer unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit festzuhalten. Allerdings sind gemäß § 3 Abs. 1 TVG grundsätzlich nur Gewerkschaftsmitglieder aus dem Tarifvertrag berechtigt und verpflichtet. Der Arbeitgeber darf daher nach fast allgemeiner Meinung einen nichtgewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer zu anderen und schlechteren Bedingungen beschäftigen – auch wenn er es in der Praxis kaum tun wird, will er doch keinen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt geben.37 Dem kirchlichen Arbeitgeber ist ein solches Differenzieren nicht erlaubt, denn es widerspräche der Einheit des kirchlichen Dienstes. Die Gewerkschaftszugehörigkeit ist nach kirchlichem Selbstverständnis kein legitimer Grund zur unterscheidenden Festlegung der Arbeitsbedingungen. Die Praxis einer allgemeinen Anwendung der Regeln, die durch das kirchenspezifische Arbeitsrechts-Regelungsverfahren zustande gekommen sind, ist auch beim Tarifvertrag beizubehalten.

36 37

Siehe den Überblick bei Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 14 Rn. 12, S. 212.

BAG v. 30.9.1998 – 4 AZR 547 / 97, AP Nr. 159 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG v. 3.12.1997 – 10 AZR 563 / 96, AP Nr. 149 zu § 242 Gleichbehandlung.

Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern Anmerkungen zum Entscheid vom 18. Dezember 2002 des Schweizerischen Bundesgerichts zum so genannten Kirchenaustritt (AZ 2P.16/2002/mks) und zu Eigenheiten des Schweizer Staatskirchenrechts Von Markus Walser Joseph Listl hat 1991 die Rezension eines Buches1 über die historischen und rechtlichen Grundlagen des Verhältnisses von Kirche und Staat im Kanton Luzern zum Anlass genommen, einen kritischen Artikel zu diesem Thema zu schreiben.2 Seine damaligen Aussagen und Schlussfolgerungen haben bis heute nichts von ihrer Gültigkeit und Wichtigkeit eingebüßt, wie der in seinem Eventualstandpunkt als Fehlurteil zu bezeichnende Entscheid des Schweizer Bundesgerichts vom 18. Dezember 2002 zur Frage des Kirchenaustritts zeigt, der relativ große Aufmerksamkeit fand. Einige fühlen sich durch dieses Urteil in ihrer Annahme bestätigt, dass das Bezahlen der so genannten Kirchensteuer in der Schweiz zu den (kirchlichen) Pflichten des Katholiken gehört, ansonsten er nicht mehr im vollen Sinn zur katholischen Kirche zu zählen wäre oder wenigstens grob gegen die Pflichten eines katholischen Christen verstößt3 und

1 Pius Hafner, Staat und Kirche im Kanton Luzern. Historische und rechtliche Grundlagen. Freiburg / Schweiz 1991. 2

Joseph Listl, Keine Gewährleistung der Kirchenfreiheit nach der schweizerischen Bundesverfassung. Das Verhältnis von Staat und Kirche im Kanton Luzern, in: AfkKR 160 (1991) 89 – 101. 3

Vgl. Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz, Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustrittserklärung in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Kirchenrechtliche und staatsrechtliche Aspekte. Erklärung des Präsidiums der RKZ, 29. Oktober 2003, S. 5, Quelle: http://www.kath.ch/news/upload_rkz/kirchenmitgliedschaft29.10.2003.pdf (15.01. 2004); René Pahud de Mortanges. Die Erklärung des Autritts [sic!] aus der römischkatholischen Kirche. Kirchenrechtliche und staatsrechtliche Konsequenzen. Studie erstellt im Auftrag der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, S. 31 – 33, Quelle: http://www.kath.ch/news/ upload_rkz/gutachten_mitgliedschaft.pdf (15.01.2004).

Markus Walser

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bezeichnen das Urteil als „wegweisend“4. Andere wiederum sehen im ergangenen Urteil gewichtige Argumentationsfehler, nämlich eine unzulängliche und rechtlich nicht haltbare Verknüpfung von staatlichem mit kirchlichem Recht, welche die Natur der Kirchengliedschaft und das Selbstverständnis der Kirche nicht genügend berücksichtigt, ja sogar pervertiert und insofern nach einer Klarstellung des kirchlichen Lehramts verlangt.5 I. Der Sachverhalt gemäß dem Bundesgerichtsurteil Eine im Kanton Luzern wohnhafte römisch-katholische Frau erklärte mit schriftlicher Eingabe vom 9. Dezember 2000 dem Kirchenrat der Kirchgemeinde, in der sie Wohnsitz hat, mit dem Betreff „Partieller Kirchenaustritt“, „dass dieser Austritt nur die Staatskirche des Kantons Luzern betrifft und nicht etwa die Röm.-Kath. Kirche, zu der ich mich als Katholikin nach wie vor zugehörig fühle“.6 Der Präsident der Kirchgemeinde antwortete, dass ein „partieller Kirchenaustritt“ aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei, und verwies hierzu auf die §§ 12 und 13 der Verfassung der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 25. März 1969.7 Nach mehrfachem Korrespondenzwechsel mit der Kirchgemeinde gelangte die Frau mit Schreiben vom 31. Juli 2001 an den Synodalrat8 der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern mit dem Antrag festzustellen, „dass die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 4

Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz, Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustrittserklärung (Anm. 3), S. 5. 5

Vgl. Martin Grichting, Landeskirchen: Die Doppelzüngigkeit muss endlich aufhören. Zum neuesten Bundesgerichtsurteil betreffend Kirchenaustritt, in: Katholische Wochenzeitung 9 / 2003, S. 3; Martin Meier, „Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ – Ein fataler Entscheid des Bundesgerichts wirft Fragen auf, in: Katholische Wochenzeitung 8 / 2003, S. 7. 6 Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 2. Kopie des OriginalUrteils in den Akten des Verf. 7

㤠12 Katholikinnen und Katholiken

Wer nach kirchlicher Ordnung der römisch-katholischen Kirche angehört, gilt für Landeskirche und Kirchgemeinden als Katholikin oder Katholik, solange sie oder er dem zuständigen Kirchenrat am gesetzlich geregelten Wohnsitz nicht schriftlich erklärt hat, der römisch-katholischen Konfession nicht mehr anzugehören. § 13 Mitgliedschaft (1) Mitglied der Kirchgemeinde ist jede Katholikin und jeder Katholik, die oder der in ihrem Gemeindegebiet den gesetzlich geregelten Wohnsitz hat. (2) Wer einer Kirchgemeinde angehört, ist zugleich Mitglied der Landeskirche.“ 8

Der Synodalrat ist Exekutivorgan der Landeskirche, vergleichbar mit der Regierung im staatlichen Bereich.

Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern

835

10. Dezember 2000 nicht mehr Mitglied der Römisch-katholischen Kirchgemeinde“9 ihres Wohnorts ist. Mit Entscheid vom 19. Dezember 2001 lehnte der Synodalrat das Begehren mit der Begründung ab, das Rechtsmittel sei nicht fristgerecht eingereicht worden. Darauf hat die Klägerin am 12. Januar 2002 gleichzeitig beim Verwaltungsgericht, beim Regierungsrat und beim Bildungsdepartement des Kantons Luzern Rechtsmittel erhoben und am 19. Januar 2002 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, der Entscheid der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 19. Dezember 2001 sei aufzuheben und festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nicht mehr Mitglied der Römisch-katholischen Kirchgemeinde ihres Wohnortes ist. Nachdem die kantonalen Instanzen (Verwaltungsgericht, Regierungsrat und Bildungsdepartement) mangels Zuständigkeit nicht auf die bei ihnen erhobenen Rechtsmittel eingetreten sind, hat das Bundesgericht das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde am 13. Juni 2002 wieder aufgenommen. II. Das Bundesgerichtsurteil und seine Begründung In seinem Urteil kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag an den Synodalrat der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern nicht fristgerecht gestellt hat und dieser somit zu Recht abgelehnt wurde. Für den Fristenlauf seien mangels eigener Bestimmungen der Landeskirche das Luzerner Gemeindegesetz, andernfalls andere kantonale oder eidgenössische Fristen einschlägig, die aber alle vor Einreichung der Beschwerde an den Synodalrat abgelaufen waren.10 In einem zweiten Teil geht das Bundesgericht, nachdem die Ablehnung der Beschwerde aus formalen Gründen feststeht, auf den materiellen Eventualstandpunkt der Landeskirche ein und stellt fest, dass eine kantonalkirchliche Regelung, die einen Austritt nicht nur aus der Kirchgemeinde oder Landeskirche, sondern aus der Religionsgenossenschaft überhaupt fordert, rechtlich unbedenklich ist. Dabei erwähnt das Bundesgericht zwar, dass die Doktrin in dieser Frage gespalten ist, also nicht wenige Autoren die Möglichkeit eines partiellen Kirchenaustritts bejahen,11 übernimmt dann aber in argumentativ nicht stringenter Weise die These, dass im Kanton Luzern die Erklärung des Austritts aus der Religionsgemeinschaft, d.h. konkret aus der römischkatholischen Kirche als solcher, erforderlich ist, damit die Mitgliedschaft in

9

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 2.

10

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 4 – 6 (Erwägung 2.1. und 2.2.). 11

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 7 (Erwägung 3.3).

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Kirchgemeinde und Kantonalkirche und die damit verbundene Steuerpflicht erlöschen. III. Kritik des Bundesgerichtsurteils Konkret begründet das Bundesgericht die Ablehnung der Beschwerde mit dem Faktum, dass die Klägerin die entsprechenden Fristen versäumt hat. In diesem Punkt ist das Urteil wohl nicht zu beanstanden und aus kirchlicher Sicht nur insofern von Bedeutung, als nicht einmal das Bundesgericht in der Lage ist, definitiv festzustellen, welche Fristen nun gelten – zehn Tage (Luzerner Gemeindegesetz § 91 Abs. 2), zwanzig Tage (Luzerner Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege VRG/LU § 119, 130) oder dreissig Tage (im Bund geläufige Frist)12. Bemerkenswert ist aber, dass für die Fristbemessung allein auf staatliches Recht Bezug genommen wird und der Gedanke, dass im kirchlichen Recht festgelegte Fristen einschlägig sein könnten, nicht einmal in Erwägung gezogen wird. Der zweite Teil des Bundesgerichtsurteils zum materiellen Eventualstandpunkt des Synodalrats der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern hingegen verlangt geradezu nach einer Klarstellung durch das kirchliche Lehramt. Denn er hält einer kritischen Betrachtung nicht stand und ist schlicht als Fehlurteil zu bezeichnen, da staatliche Gesetze und ekklesiologische Grundsätze in unzulänglicher und nicht konsequenter Weise vermischt werden. Die Klägerin hat in ihrer Beschwerde dargelegt, die Kantonalkirche würde von ihr im Falle eines Austritts ein „Anti-Bekenntnis“ verlangen, was das Bundesgericht verneint. Dabei ist es in der Ablehnung dieser Aussage dem Fehler verfallen, die katholische Kirche mit der Landeskirche gleichzusetzen, wenn es schreibt: „Von der Beschwerdeführerin wird nicht verlangt, dass sie sich gegen die römisch-katholische Religion ausspricht („Anti-Bekenntnis“). Bekennt sie sich aber zu dieser Religionsgemeinschaft, die im Kanton Luzern als öffentlichrechtliche Institution anerkannt ist, ist sie auch an die insoweit vorgesehene Organisation gebunden.“13 In der hier erfolgten Gleichsetzung der römisch-katholischen Kirchgemeinden und der Kantonalkirche mit der römisch-katholischen Religion bzw. Religionsgemeinschaft liegt der grundsätzliche Fehler der bundesgerichtlichen Argumentation, der die gesamte Argumentation des Bundesgerichts hinfällig werden lässt. Die römisch-katholische Kirche ist im Kanton Luzern vom Staat nicht als solche anerkannt, sondern anerkannt sind die vom Kanton aufgrund kantonalen Rechts geordneten Kirchge-

12

Vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 6 (Erwägung

2.2.). 13

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 8 (Erwägung 3.4.).

Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern

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meinden mit der entsprechenden kantonalkirchlichen Organisation. Das Bundesgerichtsurteil selbst belegt durch die Tatsache, dass es sich für die Beschwerde gegen die Entscheidung des Synodalrats der Landeskirche Luzern für zuständig erklärt, dass es sich beim Synodalrat der Landeskirche Luzern um eine staatliche Einrichtung handelt.14 Kirchgemeinden und Kantonalkirche beruhen also nicht auf kirchlichem, sondern auf staatlichem Recht. Einen Hinweis darauf findet man im weiteren darin, dass das Bundesgericht bei der Frage des Fristenlaufs nur auf staatliches Recht Bezug nimmt. In noch viel grundsätzlicherer Weise jedoch belegen dies die Genese der entsprechenden Gesetze bzw. die Rechtsquelle der entsprechenden Normen. Wohl wird bei der Frage der Mitgliedschaft in der Kantonalkirche auf das kirchliche Recht verwiesen, doch war und ist der kirchliche Gesetzgeber in keiner Weise bei der Rechtssetzung involviert. Auch die bundesgerichtliche Begründung der staatlichen Anerkennung belegt diese Auffassung: „Denn nach dem schweizerischen Verfassungsverständnis können die Kantone gestützt auf Art. 72 Abs. 1 BV die Organisation und die Mitgliedschaft in den von ihnen anerkannten Kirchen regeln.“15 Diese Auslegung von Art. 72 Abs. 116 der Schweizer Bundesverfassung darf nicht unwidersprochen bleiben, weil sie die Freiheit der katholischen Kirche und jeder anderen so genannten staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft in nicht sachgerechter Weise beschneidet, indem sie in genuin innerkirchliche Bereiche eingreift. Wenn diese Auffassung des Bundesgerichts nämlich zuträfe, würde das bedeuten, dass der Staat aufgrund der geltenden Bundesverfassung bestimmen kann, wer zu einer Religionsgemeinschaft gehört und wer nicht. Das wird aber weder dem Verfassungstext, der die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche, nicht jedoch innerkirchliche Fragen wie die Mitgliedschaft oder die Organisation in die Kantonshoheit stellt, noch einem zeitgemäßen Verständnis der Religionsfreiheit gerecht. Im erwähnten Punkt wird auch die grundlegende Problematik der Staatskirchenhoheit der Schweizer Kantone deutlich: Die Klägerin wollte – um es mit den Worten des Bundesgerichts zu sagen – nicht mehr Mitglied der vom Kanton Luzern geregelten Organisation namens römisch-katholische Kirchgemeinde und römisch-katholische Kantonalkirche sein und von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen, daraus auszutreten.17 Dass sie dabei nicht nur aus der vom Kanton geregelten Organisation austreten muss, sondern von 14

Vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 3 (Erwägung 1.1.).

15

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 8 (Erwägung 3.4.).

16

Art. 72 Abs. 1 der Bundesverfassung lautet: „Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig.“ 17 Vgl. Bundesverfassung vom 18. Dezember 1998, Art. 15 Abs. 4: „Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen.“

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ihr – wiederum aufgrund eines staatlichen Gesetzes, das vom Großen Rat (Kantonsparlament) des Kantons Luzern genehmigt wurde – verlangt wird, dass sie aus der römisch-katholischen Kirche als solcher austreten muss, zeigt die Perversion dieses staatskirchenrechtlichen Konstrukts. Das Bundesgericht argumentiert hier folgendermaßen: „Der Nexus, eine Regelung, die die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft und zu ihren lokalen Verbänden als Einheit betrachtet, ist aber grundsätzlich zulässig. Dies muss jedenfalls solange gelten, als die Organe der Religionsgemeinschaft eine Verknüpfung nicht ablehnen, sondern sie – allenfalls stillschweigend – akzeptieren, wovon hier auszugehen ist.“18 Diese Argumentation macht eine Klarstellung, dass Kantonalkirche und Kirchgemeinde für die katholische Kirche keine ekklesiologischen oder theologischen Größen sind, unumgänglich, insbesondere wenn man bedenkt, wie gerade die Luzerner Kantonalkirche in jüngerer Zeit ihre Aufgabe versteht. Die Synode der Luzerner Kantonalkirche, d.h. das entsprechende Kirchenparlament, hat in der Sitzung vom 5. November 2003 folgende Forderungen, die über den Diözesanbischof an die Schweizer Bischofskonferenz weiterzuleiten sind, aufgestellt: „1. Aufhebung der Zölibatsverpflichtung. 2. Rehabilitierung der Priester, die wegen der Verletzung des Pflichtzölibats dispensiert wurden.“ „Ordination [scil. Priesterweihe] von Frauen“19. Die Fortsetzung der Argumentation des Bundesgerichts zeigt wiederum die Vermischung staatlicher und ekklesiologischer Daten: „Es wäre auch in gewissem Sinne widersprüchlich, der Kirchgemeinde seines Wohnsitzes nicht angehören zu wollen, wohl aber der entsprechenden kirchlichen Dachorganisation.“20 Wenn diese Aussage zuträfe, wären das Bistum bzw. der Apostolische Stuhl Dachorganisation der Kantonalkirche und der Kirchgemeinden, was sie jedoch mindestens dahingehend nicht sind, als sie gegenüber der so genannten Dachorganisation nicht weisungsgebunden sind. Diesbezüglich stellte Eugenio Corecco schon 1970 zutreffend fest, dass die „Landeskirche“ allenfalls „formell“ durch eine „deklaratorische Aussage“, „nicht aber institutionell dem kano18

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 9.

19

Vgl. Erklärung der Synode der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 5. November 2003 zu drängenden seelsorgerlichen Fragen, Quelle: http:// www.lu.kath.ch/welcome.html (15.01.2004). Allerdings scheinen die Synodalen wenigstens beim Wortgebrauch nicht ganz sattelfest zu ein. Heißt es doch im Bericht von der Herbstsession der Synode der römischkatholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 5. November 2003: „Die Traktandenliste enthielt neben Wahlen, Beratungen bezüglich Budget, Lastenausgleich und Anpassung bei der Pensionskasse eine Dringende Erklärung mit der Forderung zur Aufhebung des Pflichtzölibats und der Einführung des Frauenordinariats [sic!].“ 20

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 9.

Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern

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nischen Recht unterstellt ist“21. Auch Josef Listl hat unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die katholische Kantonalkirche im Kanton Luzern nicht in die kirchliche Organisation nach römisch-katholischem Kirchenrecht eingegliedert ist, sondern „dass durch die Schaffung einer derartigen kantonalen ,Gegenkirche‘ die auf dem ius divinum beruhende Leitungsgewalt des Diözesanbischofs, die für diesen unverzichtbar ist, zu einem erheblichen Teil ausgeschaltet und im Grunde beseitigt wird. Diese Behinderung der Ausübung der Leitungsgewalt des Diözesanbischofs stellt eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit der katholischen Kirche im Bistum Basel und im Kanton Luzern dar.“22 Im konkreten Fall wäre es nicht einmal widersprüchlich, sondern höchst konsequent, wenn ein Katholik im Kanton Luzern ein ernstes Interesse daran hätte, wohl dem Apostolischen Stuhl und dem Diözesanbischof untergeordnet zu sein, aber nicht der Kantonalkirche, falls er im Gehorsam zum Papst die Meinung teilt, dass die Kirche nicht die Kompetenz hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden. Dass das Argument des Bundesgerichts, die Kirchgemeinde und Kantonalkirche hätten eine kirchliche Dachorganisation, aber gar nicht zutrifft, ergibt sich schon allein aus der Verwendung der Steuereinnahmen der Kirchgemeinden und Kantonalkirchen. Wird bei der Steuereintreibung bezüglich der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche noch Bezug auf das Recht der Kirche genommen,23 so entfällt dieser vollends bei der Verwendung der entsprechenden Steuermittel. Diese werden ohne irgendwelche Aufsichts- ge-

21

Eugenio Corecco, Katholische „Landeskirche“ im Kanton Luzern. Das Problem der Autonomie und der synodalen Struktur der Kirche, in: AfkKR 139 (1970) 3 – 42, hier 21. 22

Joseph Listl, Keine Gewährleistung der Kirchenfreiheit nach der schweizerischen Bundesverfassung. Das Verhältnis von Staat und Kirche im Kanton Luzern, in: AfkKR 160 (1991) 96. 23

Vgl. Verfassung der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern in der Ausgabe vom 01.01.2002, § 12: „Wer nach kirchlicher Ordnung der römischkatholischen Kirche angehört, gilt für Landeskirche und Kirchgemeinde als Katholikin oder Katholik, solange sie oder er dem zuständigen Kirchenrat am gesetzlich geregelten Wohnsitz nicht schriftlich erklärt hat, der römisch-katholischen Konfession nicht mehr anzugehören.“ Andere Kantonalkirchen kennen ähnliche Regelungen, vgl. z.B.: Verfassung der Römisch-Katholischen Landeskirche des Kantons Nidwalden vom 26.10.1975, Art. 9: „Glied der Landeskirche ist jeder römisch-katholische Kantonseinwohner, solange er nicht durch schriftliche Erklärung an den Präsidenten der Kirchgemeinde aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist.“ Organisationsstatut der Römisch-katholischen Kantonalkirche Schwyz vom 08.04. 1998, § 2: „Jede Person, die ihren Wohnsicht im Kanton hat, nach Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche angehört und nicht ausdrücklich ihren Austritt oder ihre Nichtzugehörigkeit schriftlich erklärt hat, ist Mitglied der Kantonalkirche und der Kirchgemeinde ihres Wohnsitzes“.

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schweige denn Beispruchsrechte des Bischofs oder des Apostolischen Stuhls verwendet – im Gegenteil: Der Bischof muss bei Kirchgemeinden und Kantonalkirchen eigentlich als Bittsteller für Beiträge zur Ausübung seines Amtes auftreten.24 Dass die so genannten Kantonalkirchen sich nicht einfach als Finanzierungsinstrumente für das „zugeordnete“ Bistum verstehen, sondern zunehmend sich auch in lehramtliche und personelle Fragen „einbringen“,25 wurde nicht nur in der Frage der Priesterweihe der Frau, sondern in vielleicht noch deutlicherer Form im Falle der Auseinandersetzung um den früheren Bischof von Chur, Msgr. Wolfgang Haas, ersichtlich. Die Kantonalkirchen der zum Bistum Chur gehörenden Kantone haben ihre Beiträge an das Bistum weitgehend gestrichen mit der Absicht, dadurch den Bischof in die Knie zu zwingen. Damit ist hinreichend belegt, dass es sich bei der erwähnten Aussage, die Kantonalkirchen seien im eigentlichen Sinn keine kirchlichen Institutionen, sondern staatliche Organe zur Finanzierung gewisser kirchlicher Aufgaben, die sie nach ihren eigenen Kriterien bestimmen, nicht nur um eine rechtstheoretische sondern auch um eine tatsächlich zutreffende Aussage handelt. Insofern ist in der Schweiz auch c. 1263 CIC („clausula teutonica“) in keiner Weise einschlägig. Aus der Sicht des Kirchenrechts entbehrt also die Schweizer Kirchgemeindesteuer oder Kantonalkirchensteuer, auch wenn sie vielerorts „Kirchensteuer“ genannt wird, einer kirchenrechtlichen bzw. kodikarischen Rechtsgrundlage, weil das entscheidende Kriterium, nämlich dass dem Diözesanbischof Rechte eingeräumt werden, fehlt. Daran ändert auch nichts, wenn fast gebetsmühlenartig von gewissen Kreisen immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Wenn das Bundesgericht dann weiter ausführt, „die Organe vor Ort sind zugleich Organe der Dachorganisation bzw. handeln in ihrem Interesse und Auftrag“, ist dies ebenso wenig zutreffend wie die vorgängige Argumentation und 24

Vgl. Kurt Koch, Der Bischof als erster Verkünder, Liturge und Leiter der Ortskirche, in: SKZ 168 (11 / 2000) 177 – 180; Daniel Kosch, Arme reiche Kirche. Einblicke in die finanzielle Situation der katholischen Kirche. Referat von Daniel Kosch an der Studientagung von Migratio (24. September 2003), S. 8 – 9, Quelle: http://www.kath. ch/news/upload_rkz/finanzierung%20der%20kath.%20kirche%20in%20der%20schweiz .pdf (16.01.2004). 25

Der ehemalige RKZ-Präsident Moritz Amherd hat dies unumwunden zum Ausdruck gebracht, als er feststellte, dass Kantonalkirchen und Kirchgemeinden sich von „Verwaltern zu Gestaltern“ gewandelt haben. „RKZ und Kantonalkirchen wurden von beschaulichen Obrigkeitsgremien zu aktiven Führungsgremien.“ Er geht noch weiter, wenn er schreibt, den staatskirchenrechtlichen Organen komme „ein Stück weit die Rolle zu, die eigentlich dem Bischof vorbehalten wäre, nämlich ein umfassendes Dach für alle Gläubigen zu bilden“ (Moritz Amherd, Die Entwicklung und Bedeutung der staatskirchenrechtlichen Strukturen in der Schweiz nach dem II. Vatikanum. Einige Erfahrungen und Gedanken, in: U. Fink / R. Zihlmann [Hrsg.], Kirche – Kultur – Kommunikation. Peter Henrici zum 70. Geburtstag, Zürich 1988, S. 259).

Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern

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wird spätestens mit dem oben erwähnten Beschluss der Synode der Kantonalkirche Luzern widerlegt, der den Diözesanbischof aufforderte, sich für die vom Heiligen Vater („Dachorganisation“) definitiv abgelehnte Einführung der Priesterweihe der Frau zu verwenden. Im Weiteren ist anzuführen, dass das Bundesgericht keinerlei Beleg dafür anführt, dass die Kantonalkirche und die Kirchgemeinden „im Interesse und Auftrag“ des Bistums und des Apostolischen Stuhls handeln; denn gerade daran scheiden sich in jüngerer Zeit bisweilen und zunehmend die Geister. Die Widersprüchlichkeit des Bundesgerichtsurteils zeigt sich wiederum, wenn es heißt: „Gewiss kann die Person von den Behörden nicht verpflichtet werden, auch eine Austrittserklärung bezüglich der Religionsgemeinschaft abzugeben. Es ist jedoch auf dem Boden von rechtlichen Grundlagen wie den im Kanton Luzern geltenden auch nicht verfassungswidrig, wenn die Behörden eine Austrittserklärung wie die vorliegende als unvollständig und damit unbeachtlich betrachten.“26 Wenn also eine Austrittserklärung gegenüber der Kirchgemeinde doch keine Austrittserklärung bezüglich der Religionsgemeinschaft ist bzw. sein muss, wie kann man dann weiter oben behaupten, die Kirchgemeinde sei unter der „Dachorganisation“ der Kirche und handle in ihrem Auftrag? IV. Das Urteil des Bundesgerichts im Kontext der Diskussion um den so genannten Kirchenaustritt in der Schweiz Schon seit längerem wird die Frage der Rechtsnatur der Kirchgemeinden und Kantonalkirchen in der Schweiz und damit zusammenhängend die Frage der Qualifikation eines Austritts aus diesen Körperschaften kontrovers diskutiert.27 Es würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, die gesamte Diskussion darstellen zu wollen. Doch kommt man nicht umhin, auf ein paar wesentliche Elemente der letzten Jahre hinzuweisen. Bischof Kurt Koch hat in einem grundlegenden Artikel zum Amt des Bischofs auf die nicht unbedeutenden Widersprüche zwischen den Schweizer staatskirchenrechtlichen Strukturen einerseits und der Ekklesiologie und der

26 27

Schweizerisches Bundesgericht, Urteil 2P.16 / 2002 / mks, S. 9.

Hier sei im Besonderen verwiesen auf: Corecco, Katholische „Landeskirche“ (Anm. 21), 3 – 42. In diesem Artikel kommt Corecco für den Kanton Luzern zum Schluss, dass „man durch das Institut der ,Landeskirche‘ versucht hat, der katholischen Kirche ein staatskirchenrechtliches System aufzuzwingen, das ihrer eigenen Struktur völlig fremd ist.“ (S. 20). Die unvermeidliche Folge davon „ist das mittelbare Übergreifen des Staates durch die ,Landeskirche‘ in die innerkirchlichen Angelegenheiten“ (S. 21).

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Umschreibung des Bischofsamts durch das Zweite Vatikanische Konzil andererseits hingewiesen.28 Seither beeilen sich die Verfechter dieser staatskirchenrechtlichen Strukturen darzustellen, dass letztere der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils besser entsprächen als das geltende Recht der katholischen Kirche, dass jene ein notwendiger Beitrag seien, den „Reformstau“ in der katholischen Kirche (Frauenordination, Aufhebung des Zölibats usw.) abzubauen, und im übrigen Partikularrecht der katholischen Kirche in der Schweiz seien. In diesen Zusammenhang ist auch die Tatsache einzuordnen, dass sich das Bundesgericht zum Eventualstandpunkt der Möglichkeit eines Austritts aus Kantonalkirche und Kirchgemeinde ohne einen Austritt aus der römischkatholischen Kirche als solcher äußert. Denn der konkrete Prozessgegenstand hätte diese Ausführungen gar nicht erfordert, da die Beschwerde in materialrechtlicher Hinsicht aufgrund nicht fristgerechter Eingaben der Klärgerin beim Synodalrat abgewiesen wurde. Einige Monate nach dem Bundesgerichtsurteil wurde eine von der RömischKatholischen Zentralkonferenz der Schweiz29 zur Frage des Kirchenaustritts beim Institut für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht der Universität Freiburg (Schweiz) in Auftrag gegebene Studie publiziert, die von Prof. Dr. René Pahud de Mortanges erstellt wurde30 und deren Inhalt sich die Römisch-katholische Zentralkonferenz in ihrer Erklärung vom 29. Oktober 2003 zu eigen gemacht hat. Das Phänomen des Kirchenaustritts ist insofern von Bedeutung, als im Kanton Zürich in den letzten zehn Jahren jährlich zwischen etwa einem halben und einem Prozent der Mitglieder der römisch-katholischen Kantonalkirche ihren Austritt erklärten. In der Schweiz dürfte es bei etwa 3 Millionen Katholiken jährlich ca. 20'000 Kirchenaustritte geben.31 Auch in dieser Studie geht Pahud de Mortanges von der falschen Voraussetzung aus, die „römisch-katholische Kirche“ hätte in vielen Kantonen der Schweiz, namentlich der Deutschschweiz, „einen öffentlich-rechtlichen Status“. Dieser öffentlich-rechtliche Status, der sich insbesondere durch ein Steuerrecht auszeichnet, kommt in keinem

28

Koch, Bischof (Anm. 24), 174 – 180.

29

„Die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) ist der Zusammenschluss der kantonalkirchlichen Organisationen. Sie dient der Zusammenarbeit und dem Austausch zwischen ihren Mitgliedern und trägt massgeblich zur Finanzierung der Tätigkeiten der katholischen Kirche auf gesamtschweizerischer Ebene und in den Sprachregionen bei. Die RKZ unterhält eine Geschäftsstelle, zu deren Hauptaufgaben die Administration dieser Gelder und die Steuerung des Mitteleinsatzes gehört. Ein weiterer Tätigkeitsbereich der RKZ ist das Religions- und Staatskirchenrecht.“ (Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz RKZ, Broschüre, März 2003, S. 3 bzw. Prospekt, März 2003, S. 2). 30

Quelle: http://www.kath.ch/news/upload_rkz/gutachten_mitgliedschaft.pdf (15.01.2004).

31

Vgl. Alfred Dubach, Volkszählung 2000, in SKZ 171 (35 / 2003) 596 – 598.

Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern

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Kanton der Schweiz der römisch-katholischen Kirche mit den ihr eigenen Organen zu, wie dies in Deutschland oder Österreich der Fall ist, sondern jeweils nur den gemäß kantonalen Gesetzen geordneten Kirchgemeinden und Kantonalkirchen. In keinem Kanton der Schweiz sind die für die Kirchgemeinden und Kantonalkirchen maßgeblichen Gesetze und Normen als kirchliche zu betrachten, da sie in keinem Fall von einem Gesetzgeber der katholischen Kirche erlassen wurden. Dies zeigt sich auch eindeutig im kritisierten Bundesgerichtsurteil, das einzig auf staatliches Recht Bezug nimmt. Dieses Phänomen wurde auch jüngst im Kanton Zürich bei der vom Stimmvolk abgelehnten Änderung der Kantonsverfassung offenbar. Wohl hieß es im abgelehnten Verfassungsvorschlag, die katholische Kirche sei anerkannt,32 doch beeilte sich der Kantonsrat sogleich, in der offiziellen Abstimmungsbotschaft zu betonen, dass diese Anerkennung rein deskriptiv und ohne Rechtswirkung sei.33 Der Zürcher 32

Vgl. Art. 64 Abs. 4 der in der Volksabstimmung vom 30. November 2003 abgelehnten Änderung der Verfassung des Kantons Zürich: „Die evangelisch-reformierte Kirche, die römisch-katholische Kirche und die christkatholische Kirche sind staatlich anerkannt. Die evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden, die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden sowie die christkatholische Kirchgemeinde sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die kirchlichen Körperschaften sind im Rahmen des kantonalen Rechts autonom. Die Gesetzgebung regelt die Grundzüge ihrer Organisation, ihre Kompetenz zur Besteuerung der natürlichen und juristischen Personen sowie die staatlichen Beiträge. Die Oberaufsicht des Staates bleibt vorbehalten.“ (Amtsblatt des Kantons Zürich, Nr. 43 / 2003 vom 24.10.2003, Quelle: http://www.amtsblatt.zh.ch/main/t100.cfm?IREC=3917 [16.01.2004]). 33

„Die Anerkennung der Kirchen im ersten Satz von Abs. 4 ist lediglich beschreibender Natur und bringt zum Ausdruck, dass der Staat die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen achtet und als wertvoll einschätzt. Davon zu unterscheiden ist die Wirkung der im zweiten Satz ausgesprochenen Anerkennung. Diese ist von rechtlicher Bedeutung, da hier der Status einer öffentlichrechtlichen Körperschaft verliehen wird. Im Gegensatz zur evangelisch-reformierten und zur christkatholischen Kirche handelt es sich sodann bei der römisch-katholischen Kirche bzw. Körperschaft in den Sätzen eins und zwei um verschiedene Rechtssubjekte.“ (Amtsblatt des Kantons Zürich, Nr. 43 / 2003 vom 24.10.2003, Quelle: http://www.amtsblatt.zh.ch/main/ t100.cfm?IREC=3917 [16.01.2004]) Der zuständige Diözesanbischof gab am 24. Oktober 2003 in seiner Abstimmungsempfehlung folgende Einschätzung der vorgeschlagenen Verfassungsänderung bekannt: „Im Verfassungsartikel 64 wird im Kanton Zürich zum ersten Mal die staatliche Anerkennung der römisch-katholischen Kirche als solcher ausgesprochen. Damit können in Zukunft die Beziehungen zwischen dem Bistum Chur und dem Kanton Zürich auf eine offizielle Basis gestellt werden“ (Wort des Diözesanbischofs zur Abstimmung am 30. November 2003 im Kanton Zürich, Quelle: http://www.bistum-chur.ch/am_dioezesanbischof_025.htm [02.11.2003]). Wie man zu dieser Einschätzung kommt, ist logisch schwer nachvollziehbar: Stand nicht im oben zitierten Amtsblatt, die Anerkennung all jener Institutionen der römisch-katholischen Kirche, die nicht kantonalkirchliche Körperschaft und Kirchge-

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Kantonsrat sagt es also klar und deutlich: Er nimmt zur Kenntnis, dass es eine römisch-katholische Kirche gibt; doch Rechtsbedeutung haben für ihn nur die von ihm geschaffene kantonale Körperschaft und ihre Kirchgemeinden, die – so der Kantonsrat wörtlich – von der römisch-katholischen Kirche „verschiedene Rechtssubjekte“ sind. Diese Auffassung des Kantonsrats trifft auch auf die jetzt bestehende Kantonalkirche mit ihren Kirchgemeinden zu; denn an deren Rechtsnatur hätte die abgelehnte Verfassungsnovellierung nichts geändert. Falls die Verfassungs- und Gesetzesänderungen jedoch angenommen worden wären, hätte dies für die katholischen Kirchgemeinden im Kanton Zürich die Möglichkeit gegeben, auch Nicht-Schweizern in ihren Angelegenheiten ein Stimmrecht zu gewähren. Aufgrund der Ablehnung sind Einwohner ohne Schweizer Pass im Kanton Zürich weiterhin in Angelegenheiten der römisch-katholischen Kirchgemeinden und der Kantonalkirche nicht stimmberechtigt, was an sich skandalös ist, da die katholische Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten nicht zwischen Bürgern verschiedener Nationen unterscheidet. Auch dieser Vorgang zeigt, dass Kirchgemeinden und Kantonalkirchen nicht zur kirchlichen Rechtsordnung, sondern zur staatlichen gehören. Möchten sie allen Katholiken unabhängig von der Staatsbürgerschaft Mitwirkungsrechte gewähren, können sie dies nicht autonom entscheiden, sondern sind auf die Zustimmung der Stimmbürger gemäß den im Kanton geltenden Gesetzen (also nicht nur der Katholiken!) angewiesen. Selbst wenn in einzelnen Kantonen noch eine Art rechtlicher Anerkennung der katholischen Kirche als solcher erfolgt, so hat sie doch nie den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung, wie dies in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Die kirchlichen Institutionen verfügen in keinem Kanton der Schweiz über ein Steuerrecht, wie dies beispielsweise bei den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Hinsichtlich des von der Gesetzgebung der Kantone bzw. Kantonalkirchen im Hinblick auf die staatlich zu gewährende Religionsfreiheit ermöglichten so genannten Kirchenaustritts bleibt nach wie vor festzuhalten, dass diese Möglichkeit mit der aus theologischer Sicht bestehenden Unmöglichkeit eines Kirchenaustritts kollidiert, was auch von der Studie von René Pahud de Mortanges

meinde sind, hätte keinerlei Rechtswirkung? Von dem vom Bischof im weiteren gepriesenen deutlicheren Ausdruck der „Selbständigkeit der Kirchen gegenüber dem Staat“ konnten in der vorgeschlagenen Verfassungsänderung kaum Spuren gefunden werden. Wenn man jedoch bedenkt, dass der Diözesanbischof auf Gelder der Zürcher Kantonalkirche angewiesen zu sein scheint, deren Synode und Exekutive das Vorhaben begrüssten, lässt sich diese Abstimmungsempfehlung als theologisch wenig reflektierte finanzpolitische Äußerung allenfalls nachempfinden.

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eingestanden wird.34 Aber auch er begibt sich in den gleichen nicht aufzuhebenden Widerspruch wie das Bundesgericht, wenn er den Kantonalkirchen und Kirchgemeinden zugesteht, für einen rechtswirksamen Austritt verlangen zu dürfen, dass sich die Austrittserklärung „auf die Kirche als Ganzes bezieht“.35 Bezeichnenderweise begründet Pahud de Mortanges seine These unter anderem mit dem oben kritisierten Bundesgerichtsurteil. Wenn im Folgenden Pahud de Mortanges auf die kirchlichen bzw. kirchenrechtlichen Konsequenzen eines Kirchenaustritts eingeht, so müsste er vorgängig unterscheiden, aus was die entsprechende Person austritt bzw. wem die entsprechende Person künftig keine Steuer oder keinen Kirchenbeitrag mehr zahlen will: In Deutschland oder Österreich ist es das Bistum, zu dem sie aufgrund der Kirchengliedschaft und des kirchlichen Wohnsitzes gehört, in der Schweiz jedoch die Kirchgemeinde und mittelbar die Kantonalkirche, die künftig keine Kirchensteuer mehr erhalten. Insofern ist der gesamte von Pahud de Mortanges aufgestellte Katalog von Konsequenzen der „Austrittserklärungen im kirchlichen Recht“ nicht ohne weiteres einschlägig bzw. nur insofern einschlägig, falls der Austritt aus der Kirchgemeinde bzw. Kantonalkirche auch mit einem kirchlichen Straftatbestand einhergeht, d.h. die in der Ordnung der Kirche umschriebene Beziehung zu Pfarrei, Bistum oder Universalkirche tangiert. Nicht zulässig ist es folglich, die von Joseph Listl für Deutschland aufgestellte Liste der Rechtsfolgen ohne weiteres auf die Schweiz zu übertragen, wie dies das Gutachten von Pahud de Mortanges wenigstens insinuiert. In der Gleichsetzung eines in der Schweiz aufgrund der geltenden kantonalen oder kantonalkirchlichen Gesetze erfolgten Kirchenaustritts mit demjenigen in Deutschland oder Österreich liegt denn auch eine entscheidende Schwäche des Gutachtens, die seine Aussagekraft bezüglich der kirchlichen Rechtsfolgen eines so genannten Kirchenaustritts in der Schweiz in Frage stellt. Auch die Ausführungen zum schismatischen Verhalten sind reichlich diffus: Wenn in Deutschland allenfalls die These vertreten werden kann, der Kirchenaustritt sei die Aufkündigung der Unterordnung unter den Diözesanbischof und den ihm übergeordneten Papst, so ist in der Schweiz der Austritt nicht ohne weiteres so qualifizierbar, da die Kirchensteuergelder der Kontrolle des Bischofs entzogen sind. Wendet man die Systematik von Pahud de Mortanges konsequent an, müsste eher davon gesprochen werden, dass Kantonalkirchen insofern ein schismatisches Potential aufweisen, als die Verwendung ihrer Steuermittel jeglicher Kontrolle durch den Diözesanbischof und den diözesanen

34

Vgl. René Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 15. 35

Vgl. René Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 19.

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Vermögensverwaltungsrat entzogen ist. Zu Recht stellt Pahud de Mortanges im Folgenden fest, dass eine „Rechtsunsicherheit“ besteht, ob ein Kirchenaustritt mit einem Schisma gemäß c. 751 CIC gleichzusetzen ist.36 Deshalb fordert er: „Um die hier bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen, wäre m.E. ein klarer partikularrechtlicher Erlass erforderlich“37 und stellt fest, dass zur Zeit keine „klare partikularrechtliche Pönalisierung“38 besteht. Wenn Pahud de Mortanges zum Schluss der diesbezüglichen Ausführungen festhält: „Nach dem Gesagten ist für die Schweizer Diözesen gegenwärtig als Regelfall davon auszugehen, dass der Austritt aus einer staatskirchenrechtlichen Körperschaft kein Schisma darstellt“39, aber eine partikularrechtliche Klärung fordert, könnte der Leser zum Schluss kommen, dass er eine entsprechende Pönalisierung befürwortet. Welch anderen Sinn könnte denn eine Erklä36

Vgl. Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römischkatholischen Kirche (Anm. 3), S. 23. Leider wurde im Eherecht des CIC (1983) mit dem formalen Akt des Abfalls von der Kirche (cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC) ein Tatbestand eingeführt, der dem Kirchenaustritt ähnlich zu sein scheint und von manchen auch mit diesem gleichgesetzt wird. Dieser Tatbestand ist nicht nur der Rechtssicherheit im Bereich des Eherechts abträglich, weil nicht klar ist, was einen formalen Akt des Abfalls von einem nicht formalen Akt konkret unterscheidet, sondern könnte auch die ekklesiologisch nicht haltbare These nahelegen, die katholische Kirche würde doch einen Kirchenaustritt kennen, wobei dann partikularrechtlich festzulegen wäre, wann die entsprechende Form des Abfalls erfüllt ist. 37 Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 23. Allerdings ist fraglich, ob die von Pahud de Mortanges angeregte partikularrechtliche Klärung „z. B. in der Form einer Erklärung der Schweizerischen Bischofskonferenz“ (S. 24) den formalrechtlichen Anforderungen an nationales Partikularrecht genügen würde, da eine Gesetzgebungskompetenz der Bischofskonferenzen auf diesem Gebiet aus den kodikarischen Normen nicht abgeleitet werden kann. 38

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 26. 39

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 25. Die von Pahud de Mortanges vertretene Auffassung, dass ein Schismatiker nach kanonischem Recht nicht heiraten „kann“ (S. 26), ist im übrigen falsch, ebenso wie die Aussage, gemäss c. 1086 § 1 CIC liege für denjenigen, der durch einen formalen Akt von der katholischen Kirche abgefallen sei, ein „Ehehindernis für die Eheschliessung vor“. C. 1086 § 1 CIC legt im Gegenteil fest, dass ein durch einen formalen Akt von der katholischen Kirche Abgefallener nicht mehr der Formpflicht unterliegt und folglich auch ohne Einhaltung der kirchlichen Eheschließungsform gültig heiraten kann. Pahud de Mortanges übersieht hier den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer ungültigen und unerlaubten Rechtshandlung. C. 1331 § 1 n. 2 CIC, der Exkommunizierten untersagt („vetatur“), Sakramente zu spenden und zu empfangen, ist keine inhabilitierende Norm, da sie keine ausdrücklich inhabilitierende Bestimmung enthält (vgl. c. 10 CIC).

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rung der Bischöfe oder der Bischofskonferenz haben, als den Austritt als schismatischen Akt zu deklarieren?40 Das Gegenteil braucht bei der jetzigen Rechtslage wohl nicht erklärt zu werden.41 Pahud de Mortanges geht im weiteren auf den so genannten partiellen Kirchenaustritt ein und hält fest: „Nach staatlichem Recht ist eine partielle Austrittserklärung unbeachtlich. Erklärt also eine Person, sie wolle zwar aus der staatskirchenrechtlichen Körperschaft austreten, aber weiterhin der katholischen Kirche angehören o.ä., liegt kein Austritt vor“. Diese Aussage ist nicht für alle Kantone uneingeschränkt gültig. Im Kanton Zürich ist eine Austrittserklärung aus der Kirchgemeinde und Kantonalkirche ohne eine ausdrückliche Erklärung des Austritts aus der katholischen Kirche als solcher im Gegensatz zu anderen Kantonen (wie Luzern) rechtswirksam.42 Pahud de Mortanges begründet seine These mit der „konzeptionellen Einheit des Eintritts in, wie des Austritts aus der staatskirchenrechtlichen Körperschaft“43. Dieses auch im besprochenen Bundesgerichtsurteil verwendete Argument entbehrt auch bei Pahud de Mortanges der notwendigen logischen Konsequenz bzw. Konsistenz. Denn wenn der Staat hinsichtlich des Eintritts auf die kirchliche Ordnung verweist, entspräche es der konzeptionellen Einheit diese auch für den Austritt anzuwenden, den die katholische Kirche ja gar nicht kennt. Der von Pahud de Mortanges im weiteren geltend gemachte „rechtliche Konnex zwischen diözesaner Kirche vor Ort und staatskirchenrechtlicher Organisation“44 existiert in der Schweiz nicht und ist somit als Argument nicht einschlägig. Auch die darauf folgende Aussage: „Letztere wird mit Willen der Diözesanleitung und

40

Vgl. Martin Grichting, Kirchensteuer und Kirchentreue, in: Neue Zürcher Zeitung, 18.12.2003, Nr. 294, S. 46. 41 Insofern wirkt die „Gegendarstellung“ des Generalsekretärs der RKZ, Pahud de Mortanges spreche sich in seiner Studie gegen eine Pönalisierung des Kirchenaustritts aus, reichlich künstlich (vgl.: Daniel Kosch, Kirchenaustritt als Verstoss gegen die kirchliche Gemeinschaft, 18. Dezember 2003, Quelle: http://www.kath.ch/aktuell_detail.php?meid=18709 [16.01.2004]; Martin Grichting, Stellungnahme zur „Richtigstellung“, 19. Dezember 2003, Quelle: http://www.kath.ch/aktuell_kommentar.php?meid=18730 [16.01.2004]). 42

Vgl. Gesetz über das katholische Kirchenwesen vom 7. Juli 1963 § 4 Abs. 1: „Als Mitglied der römisch-katholischen Körperschaft wird jeder auf Grund der kirchlichen Ordnung der römisch-katholischen Konfession angehörende Kantonseinwohner betrachtet, der nicht ausdrücklich seinen Austritt oder seine Nichtzugehörigkeit erklärt hat“ (Zitiert nach: Jakob Frey [Hrsg.], Schweizerische Kirchenrechtsquellen. I: Kantonales Recht, Schweizerischen Jahrbuch für Kirchenrecht, Beiheft 2, Bern 1999, S. 393). 43

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 32. 44

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 32.

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des Stimmvolkes geschaffen, um für erstere administrative und finanzielle Aufgaben wahrzunehmen“, spottet jedem Vergleich mit der Realität: Erstens ist kein Partikulargesetz oder Dekret bekannt, das die Schaffung von Kantonalkirchen approbiert; zweitens kann in keiner Weise davon die Rede sein, dass die Kantonalkirchen „administrative und finanzielle Aufgaben“ der Diözesanleitung zu übernehmen hätten oder auch nur tatsächlich in kirchlich korrekter Weise übernehmen würden. Wohl kann nicht geleugnet werden, dass sich die Kantonalkirchen in jüngerer Zeit immer mehr Aufgaben angeeignet haben, die eigentlich zum bischöflichen oder päpstlichen Lehramt gehören, worauf weiter oben bereits hingewiesen wurde. Auch die Aussage „Wer also am Leben der Kirche teilhaben will, hat die damit verbundenen staatskirchenrechtlichen Pflichten, namentlich die Kirchensteuerpflicht zu akzeptieren“45 bedarf eine Klärung. Wer am kirchlichen Leben teilnehmen will, muss oder müsste die Pflichten erfüllen, die ihm von der Ordnung der Kirche auferlegt werden.46 Es ist nicht bekannt, dass es eine nach der 45 Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 33. 46

Diese Pflichten beschränken sich ja nicht auf die materielle Unterstützung der Kirche, die der Katechismus der katholischen Kirche als fünftes Gebot der Kirche nennt und dabei aber auch nicht auf einen materiellen bzw. finanziellen Beitrag beschränkt („Du sollst der Kirche in ihren Erfordernissen beistehen“ – Katechismus der Katholischen Kirche [KKK], München 2003, S. 562, Nr. 2043). Bei dieser Gelegenheit sei auch auf die anderen Gebote der Kirche hingewiesen: Erstes Gebot: „Du sollst am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen der heiligen Messe andächtig beiwohnen und dich knechtlicher Arbeiten enthalten“ (KKK 2042). Zweites Gebot: „Du sollst deine Sünden jährlich wenigstens einmal beichten“ (KKK 2042). Drittes Gebot: „Du sollst wenigstens zur österlichen Zeit sowie in Todesgefahr die heilige Kommunion empfangen“ (KKK 2042). Viertes Gebot: „Du sollst die von der Kirche gebotenen Fast- und Abstinenztage halten“ (KKK 2043). Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass die vier ersten Kirchengebote aus der Sicht der Kirche keine geringere Bedeutung haben als das fünfte. Erstaunlicherweise wurde in der ganzen Diskussion um den so genannten Kirchenaustritt in der Schweiz nie der Frage nachgegangen, ob nicht die Nichterfüllung beispielsweise des ersten Gebotes der Kirche, was die kirchliche Gemeinschaft betrifft, viel gravierender ist, als die Nichterfüllung des fünften Gebotes in genau der Form, welche die Kantonalkirchen vorschreiben. Es müsste mindestens ebenso als unsolidarisch bezeichnet werden, die sonntägliche Gebetsgemeinschaft bei der Feier des Herrenmahls nicht einzuhalten, als seinen finanziellen Beitrag nicht zu leisten. Rein statistisch gesehen würden unter diese Kategorie etwa 90% der Mitglieder der Schweizer Kantonalkirchen fallen. Oder hat vielleicht eine rein finanzielle und materialistische Sichtweise der Kirchenzugehörigkeit Überhand gewonnen?

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Ordnung der katholischen Kirche verbindliche Norm gibt, die staatskirchenrechtliche Pflichten in der Schweiz zu den Pflichten des Katholiken zu zählen. Es ist bezeichnend, dass Pahud de Mortanges für die Untermauerung seiner These hier vor allem auf Art. 2 des Schweizer Zivilgesetzbuchs ZGB Bezug nimmt und auf keine kirchliche Rechtsquelle.47 Es gibt ohne weiteres Gelegenheiten, in der Schweiz (selbst „staatskirchenrechtlich legal“) an katholischen Gottesdiensten teilnehmen zu dürfen, ohne der staatskirchenrechtlichen Steuerpflicht zu unterliegen, z.B. indem man als Tourist eines „kirchensteuerfreien“ Landes in der Schweiz weilt, indem man als nicht-lateinischer Katholik in Ermangelung einer Seelsorge im eigenen Ritus im lateinischen Ritus praktiziert usw. Im Weiteren ist es falsch, aus c. 222 § 1 CIC in Verbindung mit c. 1260 CIC eine „Abgabenpflicht“48 im Sinne einer Steuerpflicht zu konstruieren. Wie jede Norm des CIC ist auch c. 222 § 1 im Gesamtkontext der kirchlichen Rechtsordnung auszulegen (vgl. c. 17 CIC). Hier ist insbesondere auf c. 1263 CIC zu verweisen, der ausdrücklich festlegt, dass natürlichen Personen nur im Falle großen Notstands und unter Einhaltung der in c. 1263 CIC vorgeschriebenen Vorgehensweise eine außerordentliche und maßvolle Steuer auferlegt werden darf. Die angefügte salvatorische Klausel, auch „clausula teutonica“ genannt, ist für die Schweiz eindeutig nicht einschlägig, was Pahud de Mortanges übersieht bzw. missachtet, wenn er schreibt: „Dass in der Schweiz das Besteuerungsrecht nicht, wie in Deutschland und Österreich, direkt beim Bischof, sondern bei staatskirchenrechtlichen Organen liegt, ist im vorliegenden Kontext unerheblich: in beiden Fällen geht es um Modelle der Kirchenfinanzierung mittels staatlichem Verwaltungszwang.“49 In Österreich und Deutschland ist es eben gerade erheblich und keinesfalls unerheblich, dass der Kirchenbeitrag bzw. die Kirchensteuer in der Verfügungsgewalt des Diözesanbischofs steht. Das ist eine unabdingbare Bedingung, um die Kirchensteuer als kirchenrechtlich legale Abgabe bezeichnen zu können. Andererseits ist das von Pahud de Mortanges verwendete und in seiner Argumentation ausschlaggebende Kriterium „Verwaltungszwang“ weder rechtlich noch faktisch das entscheidende, wie ein Blick auf Österreich zeigt. Denn der Kirchenbeitrag in Österreich wird bei

47

Vgl. Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römischkatholischen Kirche (Anm. 3), S. 33. 48

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 34. 49

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 35.

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Nichtbezahlen nicht auf dem Weg des Verwaltungszwangs beigebracht, sondern muss vom Bistum auf gerichtlichem Weg eingeklagt werden.50 Der Auffassung der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, die staatskirchenrechtlichen Institutionen seien Partikularrecht oder wenigstens partikuläre Rechtsgewohnheit sowie der Auffassung von Pahud de Mortanges, aufgrund einer konkludenten Zustimmung der Schweizer Diözesanbischöfe zu den entsprechenden kantonalen Kirchensteuerrechten sei dieses zum Partikularrecht der entsprechenden Diözesen geworden, widersprechen die für Gewohnheit bzw. Gewohnheitsrecht einschlägigen Normen des CIC. Da es sich bei der Schweizer Kirchgemeinde- bzw. Kantonalkirchensteuer um eine Gewohnheit handelt, die universalrechtlichen Bestimmungen, konkret c. 1263 CIC, widerspricht, wäre selbst eine ausdrückliche Zustimmung des partikularrechtlichen Gesetzgebers unerheblich, da er allgemeines Recht nicht außer Kraft setzen kann.51 Eine Zustimmung des höchsten kirchlichen Gesetzgebers ist jedoch 50

Vgl. Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart. Die Kirchensteuer im internationalen Umfeld kirchlicher Abgabensysteme und im heutigen Sozial- und Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland, Essen 31991, S. 22. 51

Es soll nicht verschwiegen werden, dass manche Schweizer Bischöfe wohl auf die Widersprüche zur kirchlichen Rechtsordnung hinweisend, den Stimmbürgern dennoch eine Annahme der entsprechenden kantonalen oder kantonalkirchlichen Gesetze empfahlen bzw. empfehlen, weil sie dadurch eine Möglichkeit sahen oder sehen, ihre diözesanen Aufgaben besser zu finanzieren. Als Beispiel aus früherer Zeit sei der Hirtenbrief von Bischof Josephus Meile vom 16. November 1939 erwähnt, den Bischof Ivo Fürer in seiner Handreichung Kirche und „Kirchenaustritt“ vom 20. Oktober 2003 zitiert (Quelle:http://www.bistum-stgallen.ch /_download/dokumente/Kirchenaustritt.pdf [16.01.2004]). Auch der St. Galler Bischof Ivo Fürer befürwortet in der erwähnten Handreichung Kirchgemeinden und Kantonalkirche sowie die entsprechenden Steuern, wenn er auch ausdrücklich betont, dass die Mitgliedschaft in Konfessionsteil und Kirchgemeinde „nicht identisch ist mit der Zugehörigkeit zur Kirche“ (S. 7). Hingegen ist es abwegig, die Kantonalkirche als die in c. 1274 § 1 CIC vorgesehene Einrichtung zur Klerikerbesoldung zu sehen und sie auf diesem Weg als „Institution des kirchlichen Partikularrechts“ zu betrachten. Denn die Kantonalkirche verdankt ihre Existenz und Handlungsweise staatlichem Recht, während die in c. 1274 CIC vorgesehenen Einrichtungen kirchliche Einrichtungen sind. Schon die Tatsache, dass der Katholische Konfessionsteil nur den Kanton St. Gallen umfasst, zum Bistum wenigstens als Administrationsgebiet auch die beiden Appenzell gehören, die nicht in die St. Galler Kantonalkirche involviert sind, weist auf die Kurzsichtigkeit der These hin, die Kantonalkirche sei die in c. 1274 CIC erwähnte Institution. Bischof Fürer bezeichnet den Kirchenaustritt in seinem Bistum zusammenfassend als „Verstoss gegen die kirchliche Gemeinschaft und eine Verletzung diözesanen Rechtes“, bleibt allerdings die Auskunft schuldig, welche konkrete diözesane Rechtsnorm damit verletzt sein soll, außer seine nicht zutreffende Auffassung, die Kantonalkirche sei die diözesane Institution zur Klerikerbesoldung gemäß c. 1274 § 1 CIC.

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bisher nicht bekannt. Im weiteren ist darauf hinzuweisen, dass eine dem geltenden kanonischen Recht widersprechende Gewohnheit („consuetudo vigenti iuri canonico contraria“) nur dann Gesetzeskraft erhält, wenn sie rechtmäßig dreißig ununterbrochene und volle Jahre geübt wurde, was seit Inkrafttreten des CIC am 27. November 1983 noch nicht eingetroffen sein kann (c. 26 CIC). Schließlich ist noch auf c. 5 § 1 CIC hinzuweisen, demgemäß den Vorschriften des CIC widersprechendes partikulares Gewohnheitsrecht mit Inkrafttreten des CIC grundsätzlich aufgehoben ist.52 In diesem Punkt bedarf es einer eindeutigen Klärung, zumal Pahud de Mortanges in der Zusammenfassung seiner Studie nochmals festhält: „In der Schweiz besteht ein unter Mitwirkung der Diözesanbehörden entstandenes System der Kirchenfinanzierung mittels kantonaler Kirchensteuern, welches für die Gläubigen damit verbindlich ist.“53 Somit ist festzuhalten, dass derjenige, der keine Kirchgemeindesteuer bezahlt, aus diesem Grund in kirchenrechtlicher Hinsicht nicht als „unrechtmässiger Trittbrettfahrer“54 bezeichnet werden kann; sofern er der in c. 222 CIC aufgestellten Pflicht, einen Beitrag für die Kirche zu leisten, anderweitig nachkommt, ist es auch im moralischen Sinn nicht gerechtfertigt, von einem „Trittbrettfahrer“ zu sprechen. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass in den meisten Schweizer Kantonen auch die (zivilen) juristischen Personen, also beispielsweise Aktiengesellschaften und andere Rechtsformen von Firmen, kirchensteuerpflichtig sind.55 Dies ist eine Steuer, die in keiner Weise der kirchlichen Rechtsordnung

Eugenio Corecco hat hingegen klar dargelegt, dass ein gegenüber einer Kantonalkirche oder einer Kirchgemeinde deklarierter so genannter Kirchenaustritt für die katholische Kirche grundsätzlich bedeutungslos ist, weil er als „res inter alios“ zu bezeichnen ist und nicht „in facie ecclesiae“ geschieht (Eugenio Corecco, Dimettersi dalla chiesa per ragioni fiscali, in: Eugenio Corecco, Ius et communio. Scritti di Diritto Canonico, hrsg. von Graziano Borgonovo / Arturo Cattaneo, Bd. I, Lugano 1997, S. 387 – 429, hier 418. 52

Allenfalls ist eine Duldung von widergesetzlichem partikularrechtlichem Gewohnheitsrecht möglich, wenn es hundertjährig oder unvordenklich ist und nach dem Urteil des Ordinarius den örtlichen und persönlichen Umständen entsprechend nicht beseitigt werden kann (vgl. cc. 5 § 1 und 28 CIC). Somit entbehrt mindestens in den Kantonen, die eine Kirchgemeindesteuer nach 1883 eingeführt haben, diese einer kirchlichen Rechtsgrundlage. Eine Kantonalkirchensteuer ist vor 1883 nicht bekannt und kennt somit keine kirchliche Rechtsgrundlage. 53

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 41. 54

Pahud de Mortanges, Die Erklärung des Au[s]tritts aus der römisch-katholischen Kirche (Anm. 3), S. 46. 55

Diese Kirchensteuer wird dann, verkürzt gesagt, im Verhältnis der Mitgliederzahl der Kantonalkirchen auf die verschiedenen Konfessionen aufgeteilt.

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standhält. Die katholische Kirche kennt nur eine Besteuerung ihrer eigenen juristischen Personen (wie Pfarreien, allenfalls kirchliche Stiftungen), die naturgemäß eine kirchliche Ausrichtung haben. Eine Kirchensteuer auf Gewinn und Vermögen rein zivilrechtlicher juristischer Personen ist in jedem Fall verfehlt, da diese grundsätzlich keinerlei Bezug zu Religionsgemeinschaften haben. Die Besteuerung zivilrechtlicher juristischer Personen ist ein weiterer klarer Hinweis darauf, dass die Kirchensteuer in der Schweiz nicht mit der kirchlichen Rechtsordnung im Einklang steht. V. Zusammenfassung Angesichts der in manchen Publikationen vertretenen irrigen Auffassung, bei der Kirchgemeinde- und Kantonalkirchensteuer handle es sich um eine nach kirchlichem (Gewohnheits-)Recht von einem in der Schweiz wohnhaften römisch-katholischen Kirchenglied geschuldete Steuer, ist als Ergebnis festzuhalten: –

Das Leisten eines Beitrags der Gläubigen an die materiellen Bedürfnisse der römisch-katholischen Kirche ist eine, aber keinesfalls die einzige Pflicht der Gläubigen.



Für das Gebiet der Schweiz kann kirchenrechtlich nicht verbindlich festgelegt werden, dass dieser Pflicht das Bezahlen der Kirchgemeinde- bzw. Kantonalkirchensteuer entspricht bzw. dass diese Pflicht nicht auch in anderer Weise erfüllt werden könnte, weil die Kirchgemeinde- bzw. Kantonalkirchensteuer den Anforderungen an die in c. 1263 CIC ermöglichte Besteuerung natürlicher Personen nicht entspricht bzw. nicht genügt.



Solange die Diözesanbischöfe keine Rechte an der Kirchgemeinde- oder Kantonalkirchensteuer haben, widerspricht eine solche den in c. 1263 CIC aufgestellten Normen der Kirchenfinanzierung und könnte höchstens als dem kirchlichen Recht widersprechende Gewohnheit unter den dafür festgesetzten Regeln kirchliche Rechtskraft erhalten. Auch wenn die Bistümer finanzielle Beiträge der Kantonalkirchen erhalten, ist aufgrund der entsprechenden Rechtslage wie auch der Praxis eindeutig, dass die Diözesanbischöfe keine weiterreichenden Rechte an den Kirchgemeinde- und Kantonalkirchensteuern haben.



Folglich ist ein der Kirchgemeinde oder Kantonalkirche gegenüber erklärter Kirchenaustritt für die Gliedschaft in der katholischen Kirche nur dann relevant, wenn diesem Austritt ein kirchlicher Straftatbestand, insbesondere derjenige der Apostasie oder des Schismas, entspricht. Nur dann treten die für diesen Tatbestand einschlägigen kirchlichen Rechtsfolgen ein.



Insofern ist in der Schweiz jeder so genannte „Kirchenaustritt“ individuell in seiner ekklesiologischen bzw. strafrechtlichen Dimension zu beurteilen.

Autorenverzeichnis Assenmacher, Günter, Dr. iur. can., Erzbischöflicher Offizial in Köln, Domkapitular; Burgmauer 1, D-50667 Köln. Axer, Peter, Dr., Professor der Universität Trier, Fachbereich V – Rechtswissenschaft; Universitätsring 15, D-54286 Trier. Baldus, Manfred, Dr. iur., Vorsitzender Richter am Landesgericht Köln a.D., Honorarprofessor für Kirchen-, Schul- und Bildungsrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln; Schimmelsweg 4, D-53894 Mechernich/Eifel. Brandmüller, Walter, Dr. theol., em. o. Universitätsprofessor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Augsburg, Präsident des Pontificio Comitato di Scienze Storiche; Piazza Pio XII/3, I-00120 Città del Vaticano. Breuer, Clemens, Dr. theol. habil., Privatdozent, Oberassistent am Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Augsburg; Universitätsstraße 10, D-86135 Augsburg. Carlen, Louis, Dr. iur. utr., em. Universitätsprofessor der Rechte an der Universität Freiburg / Schweiz; Sonnenstraße 4, CH-3900 Brig. Corral Salvador Carlos, Dr. iur., Dr. iur. can., Universidad Complutense de Madrid, Facultad de cc. Políticas y Sociología, Estudios Internacionales; Carretera de Pozuelo a húmera s/n, E-28040 Madrid. de Wall, Heinrich, Dr. iur., Professor, Direktor des Hans-Liermann-Instituts für Kirchenrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Hindenburgstraße 34, D-91054 Erlangen. Egler, Anna, Dr. phil., Akademische Direktorin am Fachbereich Katholische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Rotkehlchenweg 8, D-55126 Mainz. Erdö, Péter, Dr. theol., Dr. iur. can., Dr. SC, em. Professor für Kirchenrecht, Kardinal, Erzbischof von Esztergom-Budapest; Úri u. 62, H-1014 Budapest. Germann, Michael, Dr. iur., Professor für Öffentliches Recht, Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Martin-Luther-Universität Halle; Universitätsplatz 5, D-06108 Halle. Güthoff, Elmar, Dr. iur. can. habil., Dr. theol., Professor für Kirchenrecht, insbesondere Eherecht, Prozeß und Strafrecht sowie Staatskirchenrecht an der

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Autorenverzeichnis

Universität München, Fachvertreter Kirchenrecht an der Universität Augsburg; Universität München, Geschwister-Scholl-Platz 1, D-80539 München. Haering, Stephan Bernhard OSB, Dr. theol., Dr. iur. can. habil., M.A., Universitätsprofessor, Ordinarius für Kirchenrecht, insbesondere für Verwaltungsrecht sowie kirchliche Rechtsgeschichte; Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München; GeschwisterScholl-Platz 1, D-80539 München. Hirnsperger, Johann, Dr. theol., Mag. theol., o. Universitätsprofessor für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-FranzensUniversität Graz; Attemsgasse 8/2, A-8010 Graz. Jurina, Josef, Dr. iur., Erzbischöflicher Oberrechtsdirektor a. D.; Keltenstraße 3, D-79117 Freiburg. Link, Christoph, Dr. iur., Dr. theol. h.c., Honorarprofessor an der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, em. o. Universitätsprofessor für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Rühlstraße 35, D-91054 Erlangen. Maier, Hans, Dr. phil., Dr. h.c. mult., em. Universitätsprofessor; Meichelbeckstraße 6, D-81545 München. Marré, Heiner, Dr. iur., Professor für Staatskirchenrecht an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Justitiar des Bistums Essen i.R.; Obere Schillerstraße 39, D-45964 Gladbeck. May, Georg, Dr. theol., Lic. iur. can., em. Professor für Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht; Fränzenbergstraße 14, D-55257 Budenheim. Michaeler, Josef, Dr. iur. can., Generalvikar i.R.; Hofburgplatz 1, I-39042 Brixen. Muckel, Stefan, Dr. iur, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht, Direktor des Institutes für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsgeschichte an der Universität zu Köln; Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln. Müller, Ludger, Dr. theol., Dr. iur. can. habil., M.A., Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Vorstand des Institutes für Kanonisches Recht; Schottenring 21, A-1010 Wien. Paarhammer, Hans, Dr. theol., o. Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Katholisch-Theologische Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Generalvikar a.D. der Erzdiözese Salzburg, Domkapitular, Prälat; Kaigasse 17, A-5020 Salzburg. Piegsa, Joachim, Dr., em. Professor für Moraltheologie; Krippackerstraße 11, D-86391 Stadtbergen b. Augsburg. Pirson, Dietrich, Dr. iur., Dr. theol., em. o. Universitätsprofessor, Institut für Politik und Öffentliches Recht, Ludwig-Maximilians-Universität München; Geschwister-Scholl-Platz 1, D-80539 München.

Autorenverzeichnis

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Potz, Richard, Dr., o. Universitätsprofessor, Vorstand des Institutes für Recht und Religion; Freyung 6/2/2/4, A-1010 Wien. Rees, Wilhelm, Dr. theol. habil., o. Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Institut für Praktische Theologie, Theologische Fakultät der Leopold-FranzensUniversität Innsbruck; Karl-Rahner-Platz 1, A-6020 Innsbruck. Rhode, Ulrich, SJ, Dr. iur. can., Professor für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main; Offenbacher Landstraße 224, D-60599 Frankfurt am Main. Richardi, Reinhard, Dr. iur. Universitätsprofessor am Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht, Bürgerliches Recht und Handelsrecht der Universität Regensburg, Vorsitzender der Zentralen Gutachterstelle beim Verband der Diözesen Deutschlands; Universitätsstraße 31, D-93040 Regensburg. Riedl, Gerda, Dr. theol. habil., Privatdozentin, Oberassistentin an der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Augsburg, Fach Kirchenrecht; Leonhardstraße 19, D-86415 Mering. Robbers, Gerhard, Dr. iur., Universitätsprofessor für öffentliches Recht, Kirchenrecht, Staatsphilosophie und Verfassungsgeschichte an der Universität Trier; Universitätsring 15, D-54286 Trier. Roca, María J., Prof. Dr. iur., Dr. iur. can., Universitätsprofessorin an der Catedrática de Derecho eclesiástico de la Universidad de Vigo; Facultad de Derecho de la Universidad de Vigo, Campus Universitario, E-32004 Orense. Rüfner, Wolfgang, Dr. iur., em. Universitätsprofessor für öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Universität zu Köln, Leiter des Institutes für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands; Adenauerallee 19, D-53111 Bonn. Schanda, Balázs, Phd. iur., lic. iur. can., Univ.-Doz. an der Pázmány-Péter Katholische Universität, Beirat am Verfassungsgericht der Republik Ungarn; Pázmány Péter Katolikus Egyetem, Szentkirályi u. 28., H-1088 Budapest. Schlief, Karl Eugen, Dr. iur., Justitiar des Bistums Münster i.R.; Finkenstraße 75, D-48147 Münster. Schmitz, Heribert, Dr. iur. can., Professor em., Ordinarius für Kirchenrecht; Neukeferloh, Harthausener Straße 6/I, D-85630 Grasbrunn. Schöch, Nikolaus, Dr. theol. habil., Anwalt der Römischen Tora, Professor und Dekan der kirchenrechtlichen Fakultät am Pontificium Athenaeum Antonianum in Rom, Univ.-Doz. an der theol. Fakultät der Universität Salzburg, Referendarius an der Apostolischen Signatur und Kommissär an der Kongregation für den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente für die Auflösung der Ehe wegen Nichtvollzugs und für die Dispens vom priesterlichen Zölibat, Vizerektor des Pontificio Ateneo Antonianum, Konsultor an der Kongregation für den Klerus; Pontificio Ateneo Antonianum, Via Merulana 124, I-00185 Roma.

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Schwendenwein, Hugo, Dr., em. Universitätsprofessor für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz; Attemsgasse 8/2, A-8010 Graz. Stockmann, Peter, Dr. theol., Lic. iur. can., Diözesan- und Vernehmungsrichter am Bischöflichen Offizialat Eichstätt; Luitpodstraße 4, D-85072 Eichstätt. Thüsing, Gregor, Dr., Universitätsprofessor an der Hochschule für Rechtswissenschaft in Hamburg; Postfach 301030, D-20304 Hamburg. Tillmanns, Reiner, Dr. iur., wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsgeschichte der Universität zu Köln; Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln. Walser, Markus, Dr. iur. can., Lic. theol., B.A. phil., Generalvikar und Offizial des Erzbistums Vaduz, Richter am Kirchlichen Gericht Chur, Dozent für Kirchenrecht an der Theologischen Hochschule in Chur; Fürst-Franz-JosefStraße 112, FL-9490 Vaduz. Weiß, Andreas, Dr. iur. can., Dr. theol. habil., Universitätsprofessor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, ständiger Diakon, Diözesanrichter am Bischöflichen Offizialat Rottenburg, Mitglied des Disziplinargerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Katholische Universität EichstättIngolstdt, Pater-Philipp-Jeningen-Platz 6, D-85072 Eichstätt. Ziegenaus, Anton, Dr. phil., Dr. theol., Ordinarius für Dogmatik an der Universität Augsburg; Heidelberger Straße 18, D-86399 Bobingen.