"Nationes", "Gentes" und die Musik im Mittelalter 3110337037, 9783110337037, 9783110336900

Die im musikbezogenen Schrifttum des Mittelalters immer wieder begegnenden Gemeinschaftsbegriffe mit regionaler Komponen

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"Nationes", "Gentes" und die Musik im Mittelalter
 3110337037, 9783110337037, 9783110336900

Table of contents :
Hans-Werner Goetz / Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen in der nordalpinen Geschichtsschreibung des 9. bis 11. Jahrhunderts 1
Rosamond McKitterick / Music, identity and community in the Frankish realms in the eighth and ninth centuries: the 'Musica enchiriadis' and its implications 33
Alheydis Plassmann / Intentionale Deutungen von 'Gentes'-Namen 53
Jürgen Strothmann / Wer ist das Reich? Überlegungen zur Funktionsweise des karolingischen Ordnungsgefüges 73
Marie Winkelmüller / Die 'mos... veteranorum cantorum' des Aurelianus Reomensis und die Stellung der gallikanischen Liturgie im Westfrankenreich des späten 9. Jahrhunderts 89
Andreas Haug / Noch einmal: Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden 103
Uta Goerlitz / Perspektivierung – Differenzierung. Voraussetzungen und Spezifika der frühen Verwendung von 'diut(i)sch' in der deutschen Literatur des Mittelalters: Forschungsimpulse der Germanistischen Mediävistik 147
Frank Hentschel / Johannes Boen und die zweifelhaften Gesangskünste der 'Alemanni' 173
Giancarlo Andenna / Il concetto di Longobardo e di Lombardo in Italia meridionale tra IX e XII secolo. La complessità di una situazione territoriale 187
Klaus-Jürgen Sachs / Zwischen 'Gentes' und musiktheoretischen Lehren. Zur Stellung des Anonymus codicis Pragensis 203
Gunnar Wiegand / 'Itali' und 'Longobardi' in den musiktheoretischen Schriften Theogers von Metz und Aribos 225
Jörg W. Busch / Wir und die Anderen. 'Lonbardi' und 'Langobardi' bei lombardischen Geschichtsschreibern des 11. bis 13. Jahrhunderts 265
Joseph Dyer / St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 287
Barbara Haggh-Huglo / Modes, Tenors, Scribes, and Stems: The Hispanic Features of Two Hispanic Manuscripts, Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 20486, and Las Huelgas, Santa María la Real, Ms. IX. 341
Susan Rankin / Identity and Diversity: The Idea of Regional Musical Notations 375
Oliver Huck / 'Inter Italicos et Gallicos est magna differentia in modo proportionandi notas semibreves'. Der 'modus cantandi' im Musikschrifttum und in der musikalischen Praxis 395
Margaret Bent / Jacobus de Ispania? – Ein Zwischenbericht 407
Michel Huglo / Hieronymus de Moravia: 'frère morave' ou 'Scottish Blackfriar'? 423
Wolfgang Hirschmann / Musikalische Klimazonen. Über ein 'Gentes'-Theorem im 'Liber artis musice' (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Ashburnham 1051, fol. 89–95v) 435
Register 455

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Frank Hentschel, Marie Winkelmüller (Hrsg.) Nationes, Gentes und die Musik im Mittelalter

Nationes, Gentes und die Musik im Mittelalter Herausgegeben von Frank Hentschel und Marie Winkelmüller

ISBN 978-3-11-033703-7 e-ISBN 978-3-11-033690-0 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Satz: Wiebke Sophie Elisabeth Rademacher, Köln © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Londoner Psalterkarte. British Library Add. Ms. 28681 f. 9r / Wikimedia Commons / Public Domain Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

In Erinnerung an Michel Huglo (†)

Vorwort Die im musikbezogenen Schrifttum des Mittelalters immer wieder begegnenden Gemeinschaftsbegriffe mit regionaler Komponente sind bislang nie einer eingehenderen Erforschung unterzogen worden. Dabei vermögen sie nicht nur das Bild von der mittelalterlichen Musik um geografische, kulturgeschichtliche und politische Facetten zu bereichern, sondern erschließen auch der geschichtswissenschaftlichen Forschung ein bislang nicht ausgewertetes Quellenkorpus für die Interpretation mittelalterlicher Gemeinschaftsbegriffe. Im September 2011 fand zu diesem Thema unter dem Titel „Nationes, Gentes und die Musik im Mittelalter“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen eine internationale Tagung statt, an der Historiker, Musik- und Literaturwissenschaftler zusammenarbeiteten. Die Tagung wurde von uns zusammen mit Gunnar Wiegand organisiert und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie ferner der Gießener Hochschulgesellschaft unterstützt. Ihnen möchten wir auch an dieser Stelle nochmals sehr herzlich danken. Die Tagung konzentrierte sich auf drei zentrale Begriffsfelder: Franci und Galli, Alemanni, Germani und Teutonici sowie Itali, Langobardi und Lombardi. Die aus dieser Tagung hervorgegangenen Beiträge werden im vorliegenden Band versammelt. Dabei bot es sich an, die Reihenfolge der Vorträge weitgehend beizubehalten, denn ihr lag ein Konzept zugrunde, das für die Auswahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen ausschlaggebend war. So leiten den Band einige Beiträge mit grundsätzlicheren Fragestellungen ein; ihnen folgen Beiträge zu den oben genannten zentralen Wortfeldern, bevor dann regional spezifische Aufschreibepraktiken thematisiert werden. Zwei Beiträge rücken die geografischen Beinamen von Musiktheoretikern in den Fokus, darunter der Beitrag des während der Redaktion verstorbenen Michel Huglo, dem der Band gewidmet ist. Am Ende steht ein Beitrag, der den Ausblick in die jüngere Geschichte öffnet, indem er die Klimatheorie anhand eines mittelalterlichen Textes diskutiert. Abschließend möchten wir Wiebke Rademacher für ihre unendliche Mühe und Sorgfalt beim Redigieren und Setzen des Bandes danken.

Frank Hentschel und Marie Winkelmüller, Köln im Januar 2014

Inhalt Hans-Werner Goetz Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen in der nordalpinen Geschichtsschreibung des 9. bis 11. Jahrhunderts   1 Rosamond McKitterick Music, identity and community in the Frankish realms in the eighth and ninth centuries: the Musica enchiriadis and its implications   33 Alheydis Plassmann Intentionale Deutungen von Gentes-Namen 

 53

Jürgen Strothmann Wer ist das Reich? Überlegungen zur Funktionsweise des karolingischen Ordnungsgefüges   73 Marie Winkelmüller Die „mos … veteranorum cantorum“ des Aurelianus Reomensis und die Stellung der gallikanischen Liturgie im Westfrankenreich des späten 9. Jahrhunderts   89 Andreas Haug Noch einmal: Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden 

 103

Uta Goerlitz Perspektivierung – Differenzierung. Voraussetzungen und Spezifika der frühen Verwendung von diut(i)sch in der deutschen Literatur des Mittelalters: Forschungsimpulse der Germanistischen Mediävistik   147 Frank Hentschel Johannes Boen und die zweifelhaften Gesangskünste der Alemanni 

 173

Giancarlo Andenna Il concetto di Longobardo e di Lombardo in Italia meridionale tra IX e XII secolo. La complessità di una situazione territoriale   187 Klaus-Jürgen Sachs Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren. Zur Stellung des Anonymus codicis Pragensis   203

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 Inhalt

Gunnar Wiegand Itali und Longobardi in den musiktheoretischen Schriften Theogers von Metz und Aribos   225 Jörg W. Busch Wir und die Anderen. Lonbardi und Langobardi bei lombardischen Geschichtsschreibern des 11. bis 13. Jahrhunderts   265 Joseph Dyer St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy   287 Barbara Haggh-Huglo Modes, Tenors, Scribes, and Stems: The Hispanic Features of Two Hispanic Manuscripts, Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 20486, and Las Huelgas, Santa María la Real, Ms. IX.   341 Susan Rankin Identity and Diversity: The Idea of Regional Musical Notations 

 375

Oliver Huck „Inter Italicos et Gallicos est magna differentia in modo proportionandi notas semibreves“. Der modus cantandi im Musikschrifttum und in der musikalischen Praxis   395 Margaret Bent Jacobus de Ispania? – Ein Zwischenbericht 

 407

Michel Huglo (†) Hieronymus de Moravia: « frère morave » ou « Scottish Blackfriar » ? 

 423

Wolfgang Hirschmann Musikalische Klimazonen. Über ein Gentes-Theorem im Liber artis musice (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Ashburnham 1051, fol. 89–95v)   435 Register 

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Hans-Werner Goetz

Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen in der nordalpinen Geschichtsschreibung des 9. bis 11. Jahrhunderts Als Historiker dem Projekt „Gemeinschaftsbegriffe im Musikschrifttum des Mittelalters“ ein Repertoire möglicher Deutungen und Anwendungen solcher Begriffe bieten zu wollen, setzte voraus, dass die Geschichtswissenschaft das Thema anhand ihrer Quellen bereits aufgearbeitet hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Der folgende Beitrag kann daher lediglich ein kurzes Referat der bisherigen geschichtswissenschaftlichen Ansätze zum Thema bieten, die sich, um das gleich vorwegzunehmen, jedoch sämtlich nicht mit Gemeinschaftsbegriffen um ihrer selbst willen befassen, sondern sich in andere Forschungsperspektiven einordnen. Ich werde diese frühmittelalterlichen Perspektiven daher kurz vorstellen und versuchen, die für unser Thema relevanten Ergebnisse herauszufiltern, bevor ich das Thema in einem letzten Schritt an einem (einzigen) Fallbeispiel des 11. Jahrhunderts, nämlich der Chronik Hermanns von Reichenau, veranschauliche und zeitlich etwas weiterführe. Ich habe dieses Beispiel nicht nur gewählt, um den zeitlichen Rahmen gegenüber den eigenen, bisher auf das Frühmittelalter beschränkten Arbeiten auszuweiten, sondern vor allem auch deshalb, weil Hermann bekanntlich nicht nur seine Chronik, sondern auch Schriften zum Quadrivium, nämlich zu Astrolabien sowie eben einen Musiktraktat, verfasst hat (in dem er allerdings nur wenige Gemeinschaftsbegriffe benutzt).

1 Geschichtswissenschaftliche Forschungsansätze und Forschungsstand zur Verwendung von Gemeinschaftsbegriffen im Mittelalter Die Frage des Gebrauchs von Reichs-, Volks- und Stammesnamen schließt prinzipiell zwei miteinander verbundene Aspekte ein: zum einen die Funktion allgemeiner Begriffe für solche Gemeinschaften (wie gens oder natio oder auch regnum und provincia usw.), zum anderen die konkreten Bezeichnungen für bestimmte Gemeinschaften (wie Franken oder Deutsche). Beides ist folglich zu berücksichtigen. Die mediävistische Geschichtswissenschaft hat sich mit solchen

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 Hans-Werner Goetz

Gemeinschaftsbegriffen vor allem in zwei Forschungskontexten befasst, nämlich einmal im Rahmen der Entstehung des deutschen Reiches sowie, nachdem wir die nationalistische Brille endlich abgelegt haben und internationaler geworden sind, der Entstehung der europäischen Nationen (nicht zuletzt in einem, wie man wohl sagen darf, wegweisenden, „Nationes“ betitelten Projekt) und zum andern im Kontext der nicht minder bahnbrechenden Ethnogeneseforschung zur Völkerwanderungszeit und zum frühen Mittelalter. Wenn ich beides kurz skizziere, beschränke mich auf die für die Thematik dieses Bandes relevanten Aussagen und Ergebnisse. 1. Bei der Frage nach der Entstehung des Deutschen Reiches hat man schon früh die terminologische Perspektive einbezogen und untersucht, seit wann dieses Reich denn als „deutsch“ bezeichnet wurde, und sich dabei auf die Begriffe theodisk und, lateinisch, teutonicus konzentriert. Das muss hier nicht im Einzelnen referiert werden, doch bleibt als Ergebnis der damaligen Diskussion auch für die hiesigen Belange interessant, dass gerade die frühen Belege für theodisk, das erstmals 786 bezeugt ist,1 erstens nicht auf Deutschland im geografischen Sinn bezogen sind, sondern beispielsweise Langobarden und Angelsachsen betreffen, und dass sie sich zweitens nicht auf die Menschen, sondern auf die Sprache beziehen und die „Volkssprache“ vom Lateinischen (und dann auch von den romanischen Sprachen) abheben.2 Der politischen Bedeutung ist 1970 grundlegend der DDR-Historiker Eckhard Müller-Mertens nachgegangen, und auch seine Ergebnisse sind interessant: Regnum teutonicum als Begriff (und damit ein Bewusstsein von einem neuen politischen Gebilde) kam erst am Ende des 10. Jahrhunderts, und zwar außerhalb des Reichs, in Italien, auf – Gregor VII. bezeichnet den deutschen König dann bewusst (und provokativ) mehrfach als rex Teutonicorum und stellt ihn damit auf eine Stufe mit anderen Königen – und wurde erst im späteren 11. Jahrhundert, vielleicht bezeichnenderweise von papstnahen Autoren,

1  Alkuin, ep. 3, hg. von Ernst Dümmler, Berlin 1895 (MGH Epistolae 4), S. 28. 2  Vgl. an neueren Arbeiten: Deutsch – Wort und Begriff, hg. von Wolfgang Haubrichs (Lili [Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik] 24 [1994]); Jörg Jarnut, „Teotischis homines (a. 816). Studien und Reflexionen über den ältesten (urkundlichen) Beleg des Begriffes ‚theodiscus‘ “, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 104 (1996), S. 26–40. Zu den wichtigsten Belegen vgl. Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln und Wien 1990, S. 181–242; Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, 3. Aufl., München 2010 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 31), S. 41ff. Eine Abhebung vom Romanischen ist zuerst MGH Capitularia regum Francorum 1, Nr. 98, c. 3, S. 205, von 801, bezeugt.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

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auch im Reich selbst aufgegriffen.3 Aus der Begrifflichkeit der Zeitgenossen suchte auch Wolfgang Eggert den Charakter des ostfränkischen Reiches zu ermitteln.4 Aufkommen und Verbreitung neuer Begriffe werden jedenfalls als Indizien einer Nationsbildung gewertet;5 sie belegen einen – bereits vollzogenen – Bewusstseinswandel (der sich natürlich nicht ausschließlich an den Begriffen festmachen lässt). Das werdende Frankreich etwa berief sich auf die karolingische Tradition und auf das alte regnum Francorum.6 Der daran anknüpfende Begriff Francia beschränkte sich zunächst vor allem auf die Königslandschaft der Île-de-France und dehnte sich erst im 12. Jahrhundert mit der Ausweitung der monarchischen Gewalt auf ganz Frankreich aus.7 Ein anderes, weitreichendes Ergebnis der Nationenforschung8 ist nicht minder in­teressant, nämlich das Verhältnis von „Nation“ und „Volk“: Hatte die frühere Forschung unbesehen vorausgesetzt, dass „Völker“ gewissermaßen Naturgebilde waren, die, wenn sie stark genug waren, zwangsläufig eine Nation ausbilden würden – so war es keine Frage, ob, sondern nur wann die deutsche Nation sich ausgebildet hatte –, so kehrte sich dieses Verhältnis nun um: „Nationen“ als politische Einheiten sind das Resultat einer langen

3  Eckhard Müller-Mertens, Regnum Teutonicum. Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter, Berlin 1970 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 15). Der vieldiskutierte frühe Beleg in den Salzburger Annalen wird wegen seiner Problematik (Entstehung im 12. Jahrhundert auf Rasur) in seiner Beweiskraft heute durchweg bestritten. 4  Wolfgang Eggert, Das ostfränkisch-deutsche Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen, Berlin 1973 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 21); ders. und Barbara Pätzold, WirGefühl und Regnum Saxonum bei frühmittelalterlichen Geschichtsschreibern, Weimar 1984 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 31); zu den schwankenden Bezeichnungen für das ostfränkisch-deutsche Reich und den „diffizilen Prozeß“ einer Namensfindung für dieses Gebilde vgl. ders., „Ostfränkisch – fränkisch – sächsisch – römisch – deutsch. Zur Benennung des rechtsrheinisch-nordalpinen Reiches bis zum Investiturstreit“, in: Frühmittelalterliche Studien 26 (1992), S. 239–273. 5  Gegen ein solches Vorgehen sind aber auch Vorbehalte geäußert worden, da ihnen politischverfassungsgeschichtliche Wandlungen bereits vorausgegangen seien. Das ist etwa die Position von Carlrichard Brühl. 6  Vgl. dazu Bernd Schneidmüller, Karolingische Tradition und frühes französisches Königtum. Untersuchungen zur Herrschaftslegitimation der westfränkisch-französischen Monarchie im 10. Jahrhundert, Wiesbaden 1979 (Frankfurter Historische Abhandlungen 22). 7  Vgl. Bernd Schneidmüller, Nomen patriae. Die Entstehung Frankreichs in der politisch-geografischen Terminologie (10.–13. Jahrhundert), Sigmaringen 1987 (Nationes 7). 8  Vgl. dazu den instruktiven, zusammenfassenden Band von Ehlers, Entstehung (wie Anm. 2) sowie Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hg. von dems., Sigmaringen 1989 (Nationes 8).

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 Hans-Werner Goetz

historischen Entwicklung; das „deutsche Volk“ ist nicht Voraussetzung, sondern Folge der Nationsbildung. Damit erklärt sich aber auch, weshalb die Terminologie so unabgeschlossen und uneinheitlich wirkt, wie Carlrichard Brühl in seinem umfangreichen Buch über die Entstehung Deutschlands und Frankreichs immer wieder feststellt: „Francia habe sich als ein vielfältig schillernder, in seiner genauen Bedeutung häufig nicht sicher bestimmbarer Begriff erwiesen“,9 und Ähnliches konstatiert Brühl für die Begriffe Gallia und Germania,10 die schon vorher Eugen Ewig und Margret Lugge untersucht hatten.11 Noch am Ende des 9. Jahrhunderts seien die Bezeichnungen für die Teilreiche alles andere als eindeutig, stellt Ewig als Ergebnis fest; „merkwürdigerweise“ bezeichne Francia nicht das Gesamtreich.12 Solche Schlüsse resultieren aus der ausschließlichen Suche nach den zeitgenössischen Termini für die politischen Einheiten (Reich und Nation). Man kann aber auch fragen, ob das nicht der falsche Ansatz ist. Die Terminologie ist schließlich nur ein Aspekt des Nationsbildungsprozesses. Will man hingegen alle Eigenarten der Gemeinschaftsbe­griffe erfassen, muss man sich vor allem von der (zu engen) Frage der Nationsbildung lösen, zumal diese sich, wie Bernd Schneidmüller es ausdrückt, auf regionaler Ebene in eine Vielfalt gleichzeitiger Ethnogenesen auf deutschem Boden eingliedert.13 Wegen solcher Überlagerungen wird man daher auch eher von einem „Reichs-“ als von einem „Nationalbewusstsein“ sprechen können.14

9  So Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 2), S. 129. 10  Ebd., S. 130–180. 11  Eugen Ewig, „Beobachtungen zur politisch-geografischen Terminologie des Fränkischen Grossreichs und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts“, in: Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964, hg. von Konrad Repgen und Stephan Skalweit, Münster 1964, S. 99–140; Margret Lugge, „Gallia“ und „Francia“ im Mittelalter. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen geografisch-historischer Terminologie und politischem Denken vom 6.-15. Jahrhundert, Bonn 1960 (Bonner Historische Forschungen 15). 12  So Ewig, „Beobachtungen“ (wie Anm. 11), S. 138. 13  Bernd Schneidmüller, „Reich – Volk – Nation. Die Entstehung des Deutschen Reiches und der deutschen Nation im Mittelalter“, in: Mittelalterliche nationes – neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, hg. von Almut Bues und Rex Rexheuser, Wiesbaden 1995 (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 2), S. 73–101, hier S. 98f. 14  Zum Problem vgl. Ehlers, Entstehung (wie Anm. 2), S. 69ff., der allerdings ein supragentiles Bewusstsein bestreitet (ebd., S. 99). Ein Reichsbewusstsein wird sich dagegen kaum bezweifeln lassen, auch wenn es nach den Ergebnissen von Eggert, Das ostfränkisch-deutsche Reich (wie Anm. 4), im 9. Jahrhundert erst schwach ausgebildet war. Zu ähnlichen Ergebnissen war schon Wolfgang Heßler, Die Anfänge des deutschen Nationalgefühls in der ostfränkischen Geschichtschreibung des neunten Jahrhunderts, Berlin 1943, Nachdr. Vaduz 1965 (Historische Studien 376), gelangt.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

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2. Der zweite große Forschungsansatz resultiert aus der Ethnogeneseforschung und betrifft sowohl die Gemeinschaftsbegriffe selbst als auch die konkreten Völkernamen. Hatte die frühere Forschung (wie auch das Mittelalter) die Existenz solcher „Völker“ vorausgesetzt – die ältere Forschung hatte noch von „Stämmen“ gesprochen und diese als ethnische Abstammungsgemeinschaften verstanden –, so ist ein wesentliches Ergebnis der seit dem Anstoß von Reinhard Wenskus15 von der „Wiener Schule“ um Herwig Wolfram und Walter Pohl,16 in Amerika um Walter Goffart,17 aber auch andernorts betriebenen Ethnogeneseforschung18 die Feststellung der Diskrepanz zwischen ethnischer Benennung und tatsächlicher Komplexität der Ethnie: Die Völker der Wanderzeit waren schon bei ihrem ersten historischen Auftreten stets Völkergemische und seither in dauerndem Wandel begriffen, also ständig veränderliche Einheiten: Die als gentes oder auch nationes bezeichneten

15  Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln und Graz 1961. 16  Vgl. Herwig Wolfram, Geschichte der Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München 1979, 5. Aufl. 2009; Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. Berichte des Symposions der Kommission für Frühmittelalterforschung, 27. bis 30. Oktober 1986, Stift Zwettl, Niederösterreich, Teil 1, hg. von Herwig Wolfram und Walter Pohl, Wien 1990 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 201); Ethnogenese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung, hg. von Karl Brunner und Brigitte Merta, München 1994 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 31); Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, hg. von Walter Pohl mit Helmut Reimitz, Leiden u. a. 1998 (The Transformation of the Roman World 2). 17  Vgl. Walter Goffart, Barbarians and Romans A.D. 418–584: the techniques of accomodation, Princeton 1980; ders., Barbarians, Maps and Historiography: Studies on the Early Medieval West, Ashgate 2009; After Rome’s Fall. Narrators and Sources of the Early Medieval History. Essays presented to Walter Goffart, hg. von Alexander Callander Murray, Toronto u. a. 1998; On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, hg. von Andrew Gillett, Turnhout 2002. 18  Vgl. After Empire. Towards an Ethnology of Europe’s Barbarians, hg. von Giorgio Ausenda, Woodbridge 1995 (Studies in Historical Archaeoethnology); Stefano Gasparri, Prima delle nazioni. Popoli, etnie e regni fra Antiquità e Medioevo, Rom 1997 (Studi superiori NIS 323); Medieval Europeans. Studies in Ethnic Identity and National Perspectives in Medieval Europe, hg. von Alfred P. Smyth, Basingstoke 1998; Patrick J. Geary, The Myth of Nations. The Medieval Origins of Europe, Princeton 2002 (dt. Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen, Frankfurt a. M. 2002); Identité et ethnicité: Concepts, débats historiographiques, exemples (IIIe–XIIe siècle), hg. von Pierre Bauduin u. a., Turnhout 2007.

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 Hans-Werner Goetz

„Völker“19 – beide Begriffe werden in den Quellen synonym verwendet20 – sind tatsächlich Produkte politischer Herrschaft einerseits und eines – damit zusammenhängenden – Gemeinschaftsbewusstseins andererseits (als „Traditionsgemeinschaften“). Deshalb ist der Begriff „Identität“ bei Walter Pohl und seinen „Schülern“ ganz in den Mittelpunkt gerückt. Damit schmilzt aber auch die Differenz zwischen Volks- und Nationsbildung weithin zusammen. Beides sind politische Prozesse. Wenn man Nationsbildung und Ethnogenese oft auch weiterhin als Prozesse unterschiedlicher Qualität voneinander abhebt,21 so sind doch beide nicht nur durch dieselben Faktoren, eben die politische Qualität und das Gemeinschaftsbewusstsein, gekennzeichnet, sondern im Frankenreich werden tatsächlich alle Ebenen, Gesamtreich, Teilreich und Provinzen, als „Reich“ (regnum) bezeichnet, wie Karl Ferdinand Werner immer wieder betont hat.22 Zwar überlagert das Reich die Provinzen, in der ethnisch-territorialen Wahrnehmung der Zeitgenossen gibt es hier jedoch offenbar keinen terminologischen und qualitativen Unterschied. Ein wichtiger Aspekt ist deshalb das (komplizierte) Verhältnis von gens und regnum, von Volk und Reich.23 Wenn Ethnogenese immer auch ein poli-

19  Zur Entwicklung der Begriffe vgl. Benedykt Zientara, „Populus – Gens – Natio. Einige Probleme aus dem Bereich der ethnischen Terminologie des frühen Mittelalters“, in: Nationalismus in vorindustrieller Zeit, hg. von Otto Dann, München 1986 (Studien zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Abhandlung der Forschungsabteilung des Historischen Seminars der Universität zu Köln 14), S. 11–20. 20  Vgl. Benedykt Zientara, Frühzeit der europäischen Nationen. Die Entstehung von Nationalbewußtsein im nachkarolingischen Europa, Osnabrück 1997 (Deutsches Historisches Institut Warschau. Klio in Polen 1), S. 25ff. Die polnische Ausgabe erschien zuerst in Warschau 1985, die 2. Aufl. 1996. 21  So noch Ehlers, Entstehung (wie Anm. 2), S. 46. 22  Vgl. Karl Ferdinand Werner, „Von den ‚Regna‘ des Frankenreichs zu den ‚deutschen‘ Landen“, in: Deutsch (wie Anm. 2), S. 69–81; ders., „Völker und Regna“, in: Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, hg. von Carlrichard Brühl und Bernd Schneidmüller, München 1997 (Beihefte der Historischen Forschung, n. F. 24), S. 15–43. 23  Vgl. für die römischen Nachfolgestaaten: Regna and Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World, hg. von Hans-Werner Goetz u. a., Leiden 2003 (The Transformation of the Roman World 13). Bei der „Reichsgründung“ spielt auch die „Landnahme“ eine Rolle: vgl. Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters. Methodische Grundlagendiskussion im Grenzbereich zwischen Archäologie und Geschichte, 2 Bde., hg. von Michael Müller-Wille und Reinhard Schneider, Sigmaringen 1993–1994 (Vorträge und Forschungen 41). Zu wichtigen Aspekten um Völker, Reiche und ihre Bezeichnungen zuletzt: Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter, hg. von Matthias Becher und Stefanie Dick, München 2010 (MittelalterStudien 22), S. 255–277.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

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tischer Prozess ist, der Herrschaftsbildung voraussetzt, dann rücken auch diese beiden Begriffe enger zusammen. Es gab zwar schon Völker vor den (uns bekannten Groß-) Reichen, es gab „Franken“ beispielsweise schon vor Chlodwigs Reichsbildung, doch sind sie ihrerseits bereits das Ergebnis politischer Prozesse, während das Frankenreich sich aus verschiedenen Kulturen (Romanen, Germanen), Völkern und Reichen (Westgoten- und Burgunderreich, Alamannen, Thüringern, Bayern und Sachsen) zusammensetzte. Das ist auch den zeitgenössischen Autoren bewusst: Wenn Gregor von Tours berichtet, der Thronprätendent Gundowald habe „die gentes versammelt, über die sein Vater herrschte“ (regnum tenuerat),24 dann wird der enge Bezug zwischen regnum und gens auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen sehr deutlich: Das Reich besteht hier aber aus mehreren Völkern. Wenn Ethnogenese aber kein „objektiver“ Sachverhalt, sondern auch eine Frage des Bewusstseins ist, sich einem Volk zugehörig zu fühlen, dann kommt der Terminologie erneut eine große Bedeutung zu. Das lässt sich wiederum am Frankenbegriff veranschaulichen:25 Der Volksbegriff Franci wurde zwar ethnisch, allerdings nicht in modernem Sinne als „germanisch“ verstanden – schließlich glaubten die Franken selbst nach der berühmten, bei Fredegar überlieferten Herkunftssage daran, aus Troja zu stammen –, nahm aber schon bald (wenn nicht von vornherein) politische Dimensionen an: Im polyethnischen Frankenreich wurde Franci – schon früh und im 9. Jahrhundert endgültig vorherrschend – zum Begriff für die Bewohner dieses Reichs, um sich von hier aus noch weiter anzupassen und sich zunächst vom Gesamtreich zum Teilreich (zu Francia orientalis und occidentalis, im Westen heißt letzteres aber nur Francia) und schließlich auf beiden Seiten hin zu neuen Regionen zu verschieben: zu Rhein-/Mainfranken im Osten und Franzien im Westen.26 Regnum Francorum wurde dabei von fast allen Autoren weit häufiger verwendet als gens Francorum.27 Diese Mehrschichtigkeit zeigt noch

24  Gregor von Tours, Historiae 5,1, hg. von Bruno Krusch und Wilhelm Levison, Hannover 1951 (MGH Scriptores rerum Merovingicarum 1), S. 194: „Gundovaldus dux [...] collectisque gentibus super quas pater eius regnum tenuerat.“ 25  Vgl. dazu Hans-Werner Goetz, „Zur Wandlung des Frankennamens im Frühmittelalter“, in: Integration und Herrschaft. Ethnische Identitäten und soziale Organisation im Frühmittelalter, hg. von Walter Pohl und Maximilian Diesenberger, Wien 2002 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 301; Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 3), S. 133–150. 26  Vgl. Lugge, „Gallia“ (wie Anm. 11), S. 108ff., 151ff.; Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 2), S. 83–130. 27  Vgl. Goetz, „Zur Wandlung des Frankennamens“ (wie Anm. 25), Abb. 1, S. 146.

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 Hans-Werner Goetz

einmal, dass die „Gemeinschaftsbegriffe“ weder ausschließlich im Kontext der Nationsbildung noch der Ethnogenese betrachtet werden dürfen (wobei letztere zumindest breiter gefächert ist), sondern im Kontext aller Volksnamen analysiert werden sollten. 3. Fragen wir daher drittens nach dem Forschungsstand hinsichtlich der Form, Funktion und Anwendung solcher Gemeinschaftsbegriffe an sich, dann gibt es dazu bislang, soweit ich sehe, kaum Vorarbeiten.28 Für eine solche Untersuchung, die Frage: „Wo spielen Gemeinschaftsbegriffe in der mittelalterlichen Historiografie eine Rolle, wie werden sie verwendet und worin liegt ihre Bedeutung?“ gäbe es verschiedene Ansatzpunkte einer Erforschung (aber eben noch keine entsprechenden Forschungen). Ein Anhaltspunkt sind Weltbeschreibungen, wie sie verschiedenen Chroniken vorangestellt sind, so schon bei Orosius im 5. wie noch Otto von Freising im 12. Jahrhundert: Während Orosius die einzelnen Länder mit ihren Grenzen benennt und die Zahl ihrer Völker und einige Namen aufzählt,29 beschränkt sich Otto auf die drei Erdteile.30 Das kann hier nur angedeutet werden. In eine ähnliche Richtung zielen die manchen Geschichtswerken vorangestellten oder inserierten ethnografischen Beschreibungen des eigenen Berichtslandes: Sachsens bei Widukind von Corvey und Adam von Bremen, des Slawenlandes bei Helmold von Bosau. Adam von Bremen fügt seiner Hamburger Bistumsgeschichte bekanntlich ein viertes ethnografisch-historisch-bekehrungsgeschichtliches Buch über die einzelnen Länder und Regionen Skandinaviens an, das – jedenfalls seinem und der Erzbischöfe von Hamburg-Bremen Anspruch nach – die Kirchenprovinz seines Erzbistums bildete, und entsprechend interessieren Adam neben der Charakterisierung der Bewohner vor allem Missionsaktivitäten und Bistumsgründungen. Auf diese Weise beschreibt er, deutlich intentionsbezogen, Dänemark, die Ostseeinseln, Schweden mit seinen Völkern, Norwegen und die Nordseeinseln.31 Hier lassen sich auch die sogenannten „geografischen Exkurse“ in Chroniken einordnen, die Hans Joachim Witzel in seiner Dissertation untersucht

28  Dazu zählt etwa, auf Gallia und Francia beschränkt, die Arbeit von Lugge, „Gallia“ (wie Anm. 11). 29  Orosius, Historiae adversum paganos 1,2, hg. von Carl Zangemeister, Wien 1882 (CSEL 5), S. 9–40. 30  Otto von Freising, Chronicon 1,1, hg. von Adolf Hofmeister, Hannover 1912 (MGH Scriptores rerum Germanicum 1912), S. 36f. 31  Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum 4, hg. von Bernhard Schmeidler, Hannover 1917 (MGH Scriptores rerum Germanicum 7), S. 226–280.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

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hat,32 auf die ich jedoch ebenfalls nicht näher eingehen kann, zumal es sich nicht eigentlich um „geografische“, sondern um „ethnografische Exkurse“ handelt, die immerhin zum wesentlichen Bestandteil von Chroniken werden können (also auch nicht eigentlich „Exkurse“ sind).

2 Gebrauch und Funktion der Gemeinschaftsbegriffe in der frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung Nur den dritten Ansatz führe ich weiter aus: die Untersuchungen zu Anwendung, Funktion und Entwicklung der Gemeinschaftsbegriffe. Überblicken wir das Vorhandene, dann stehen am Anfang, noch nicht ganz „wertfrei“, die bereits erwähnten Arbeiten von Eugen Ewig und Margret Lugge über Gallia und Francia. Nimmt man noch Italia hinzu, dann hat man mit den geografischen Begriffen im Kern erneut die sich aus dem Frankenreich entwickelnden Teil- und Nachfolgereiche. Zwar sind die geografischen Grenzen – zwischen Gallien und Germanien ist das, in römischer Tradition seit Caesar, der Rhein, bei Italia und Germania sind es die Alpen – nicht mit den politischen Grenzen identisch, doch ließen sich die Begriffe entsprechend anpassen.33 Gallia konnte dann sowohl das Westfränkische Reich als auch die linksrheinischen Gebiete des ostfränkisch-deutschen Reiches bezeichnen, die Germania konnte im Westen am Rhein enden oder auch das ganze ostfränkische Reich umschreiben. Gemeinschaftsbegriffe, so darf man folgern, wandeln sich in ihrem Inhalt gemäß der politischen Entwicklung. Ein gutes Beispiel für eine politische Namensbildung bildet auch Lothringen, aus dessen nach dem Herrscher eines Teilreichs benannten Namen, nämlich dem regnum Lotharii (Lothars II.), sich noch im Verlauf des späten 9. und vor allem des 10. Jahrhunderts ein Volksbegriff (Lutheringi/Lotharingi, Lotharii oder Lotharienses) und bald darauf auch ein Territorialname (Lotharingia) entwickelte (die dann auch rückwirkend auf eine Zeit angewandt wurden, in der Lothringen noch gar nicht existierte).34 Das hatte zweifellos mit dem Herzogtum als neuer politischer Struktur zu tun.

32  Hans Joachim Witzel, Der geographische Exkurs in den lateinischen Geschichtsquellen des Mittelalters, Diss., Frankfurt a. M. 1952. 33  Vgl. Lugge, „Gallia“ (wie Anm. 11), zusammenfassend S. 216ff. 34  Vgl. dazu Hans-Werner Goetz, „La perception de l’espace politico-géographique de la Francia Media dans l’historiographie médiévale“, in: De la Mer du Nord à la Méditerranée: Francia

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 Hans-Werner Goetz

Können wir auf der einen Seite daher Neu- und Weiterentwicklungen beobachten, so steht dem tatsächlichen Wandel auf der anderen Seite eine erstaunliche Konstanz der Begriffe gegenüber, die sowohl dem mittelalterlichen Geschichtsbewusstsein, das nach einer möglichst weit zurückreichenden Herkunft der Völker verlangte,35 als auch der seit Isidor von Sevilla so beliebten etymologischen Deutung entspricht, die aus Ähnlichkeiten der Namen genealogisch-historische Verknüpfungen konstruierte: So verfolgten, um nur ein bekanntes Beispiel zu nennen, die „Gesta Treverorum“ die Ursprünge Triers wegen der scheinbaren Namensgleichheit des Volksnamens Treveri mit dem Ninussohn Trebetas auf assyrische Ursprünge und in die Zeit Abrahams zurück (diese zeitliche Koinzidenz schien durch die synoptischen Geschichtstabellen der Chroniken des Eusebius und Hieronymus gewährleistet): Trebetas sei, von seiner Stiefmutter Semiramis vertrieben, an Rhein und Mosel gekommen und habe hier Trier gegründet.36 Hinter einer solchen Deutung steht natürlich die Vorstellung, dass der Gründer seiner Gründung seinen Namen „vermachte“ (wie die Franken sich laut Fredegar begrifflich von ihrem sagenhaften König Francio ableiten). Für die Zeitgenossen aber war die Konstanz des Namens gewissermaßen ein Programm. Das spanische Westgotenreich war seit 711 durch die Eroberung der Araber vernichtet bzw. in die kleinen christlichen Reiche in Nordspanien abgedrängt worden, die sich aber schon bald – und immer wieder – auf die gotische Tradition beriefen. Ein schönes Beispiel bilden auch die Hunnen, die bald nach dem Sieg über Attila von der historischen Spielfläche verschwanden. Als aber bereits im 6. Jahrhundert die Awaren und im späten 9. Jahrhundert dann die Ungarn ebenfalls aus den asiatischen Steppen ins Donaubecken kamen und hier Reiche errichteten, kannten die christlichen Geschichtsschreiber zwar ihre Namen. Dennoch wurden Awaren und Ungarn häufig auch als Hunni bezeichnet. Notker der Stammler bezeichnet (wie viele andere auch) die Awaren nicht nur durchweg als „Hunnen“, sondern

Media, une région au cœur de l’Europe (c. 840–c. 1050). Actes du colloque international (Metz, Luxembourg, Trèves, 8–11 février 2006), hg. von Michèle Gaillard u. a., Luxemburg 2011 (Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d’Études Médiévales [CLUDEM] 25), S. 111–129, mit den entsprechenden Quellenbelegen. Vgl. neben anderen Beiträgen in diesem Band jetzt vor allem Jens Schneider, Auf der Suche nach dem verlorenen Reich. Lotharingien im 9. und 10. Jahrhundert, Köln u. a. 2010 (Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d’Études Médiévales 30). 35  Zu den Origines gentium vgl. zuletzt Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006 (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 7), und Magali Coumert, Origines des peuples. Les récits du Haut Moyen Âge occidental (550–850), Paris 2007. 36  Gesta Treverorum 1ff., hg. von Georg Waitz, Hannover 1848 (MGH Scriptores 8), S. 130ff.



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führt sogar den Awarenschatz noch auf die riesige Beute der (echten) Hunnen zurück.37 Aber auch der (gleiche) Raum verlieh Konstanz. So schreibt Regino von Prüm seitenweise den Bericht des römischen Historikers Justinus über die Skythen aus, um die Ungarn seiner Zeit zu charakterisieren.38 Dieselbe Konstanz der Völkernamen findet sich im übrigen auch in mittelalterlichen Weltkarten, wo beispielsweise bis ins hohe Mittelalter hinein Goten vermerkt sind.39 Um solche Vorstellungen an einem Textbeispiel zu verdeutlichen, greife ich auf eine vieldiskutierte Stelle aus der Translatio Alexandri zurück: Saxonum gens, sicut tradit antiquitas, ab Anglis Brittanniae incolis egressa per Oceanum navigans Germaniae litoribus studio et necessitate quaerendarum sectium appulsa est in loco, qui vocatur Hadulhoa, eo tempore, quo Thiotricus rex Francorum contra Irminfridum generem suum ducem Thuringorum dimicans terram eorum crudeliter ferro vastavit et igni. Das Sachsenvolk ist nach einer alten Überlieferung von den Angeln, den Bewohnern Britanniens, ausgewandert und nach der Fahrt über den Ozean mit dem Ziel und unter dem Zwang, Wohnsitze zu suchen, an der Küste Germaniens gelandet, an einem Ort namens Hadeln in der Zeit, als der Frankenkönig Thiodrich im Kampf gegen seinen Schwager Irminfrid, den Fürsten der Thüringer, deren Land mit Feuer und Schwert grausam verwüstete.40

Die Sachsen verhelfen dann den Thüringern zum Sieg, um sie anschließend zu überlisten und ihr Land in Besitz zu nehmen. Das alles wird positiv bewertet. Natürlich sind das Legenden, sind nicht die Sachsen aus England, sondern sind Angeln, Sachsen und Jüten (wer immer das genauer war), die späteren „Angelsachsen“, vom nördlichen Kontinent aus nach Britannien gekommen. Die Stelle gibt uns jedoch einigen Aufschluss über Gebrauch und Verständnis von Gemeinschaftsbegriffen: Sie bestätigt erstens das Denken in Völkern – die Sachsen sind eine gens –, die von alters her unveränderlich scheinen, aber sehr wohl beweglich sind und ihre Wohnsitze verlagern oder sich ausdehnen können (hier ist beides der Fall). Zweitens werden Völker- und Raumnamen zwar unterschieden, aber einander zugeordnet: die Angeln Britannien, die Sachsen Germanien. Das sind drittens aber die Großregionen, innerhalb deren sich verschiedene Völker

37  Notker Balbulus, Gesta Karoli magni imperatoris 2,1, hg. von Hans F. Haefele, 2. Aufl., Berlin 1980 (MGH Scriptores rerum Germanicum, Nova series 12), S. 49f. 38  Regino von Prüm, Chronicon a. 889, hg. von Friedrich Kurze, Hannover 1890 (MGH Scriptores rerum Germanicum 50), S. 131ff. 39  Vgl. dazu Ingrid Baumgärtner, „Völker und Reiche in Raum und Zeit. Zur Vorstellungswelt mittelalterlicher Universalkarten“, in: Völker, Reiche und Namen (wie Anm. 23), S. 359–394. 40  Rudolf von Fulda, Translatio Alexandri 1, hg. von Bruno Krusch, Göttingen 1933 (Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Klasse 2,13), S. 423.

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 Hans-Werner Goetz

tummeln. Ein Volk ist darin viertens kein (bloßer) „Personenverband“, sondern bewohnt ein – veränderbares, aber klar abgegrenztes – Gebiet. Im Folgenden benennt der Bericht nämlich die Nachbarn der Sachsen: im Süden die Franken und Thüringer, im Norden die Normannen, im Westen die Abodriten. Dieses Land wiederum muss fünftens dauernd gegenüber diesen Nachbarn verteidigt werden. Damit kommt ein mobiles Element in die scheinbar starren Vorstellungen hinein.41 Bei einer systematischen Analyse der Gemeinschaftsbegriffe lassen sich zwei „Stoßrichtungen“ unterscheiden: eine entwicklungsgeschichtliche und eine perspektivische, nämlich das Verhältnis von Personenverbands- (sprich: Völker-) und Territorialnamen, das Verhältnis also von Alamanni und Alamannia, Saxones und Saxonia etc. Hat die Forschung, soweit sie nicht einem bestimmten Namen nachgegangen ist, vor allem Völker- und Reichsnamen betrachtet, so lassen sich hier tatsächlich wiederum – mindestens – vier Ebenen unterscheiden: auf der oberen Ebene die Begriffe für die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa – und bereits die sich wandelnde Bedeutung des Europabegriffs ist interessant 42 –, darunter innerhalb der Kontinente die Begriffe für die einzelnen Völker, Länder oder Reiche, auf einer dritten Ebene innerhalb der Reiche die Be­griffe für die „Provinzen“ (Herzogtümer, Fürstentümer) und darin schließlich die Begriffe für Regionen und Landschaften wie auch für einzelne Orte und ihre Bezirke (auch das sind Gemeinschaften, und in römischer Zeit waren die civitates sogar die Kerngebiete, bevor sie zu Provinzen zusammengefügt wurden). Die „Provinzen“ entsprechen im Deutschen Reich in erster Linie den Herzogtümern Alamannien, Bayern, Schwaben und Sachsen sowie dann, künstlich geschaffen, Lothringen (die im übrigen keine „Stammesherzogtümer“ sind), in Frankreich den Fürstentümern. Über allen Streitigkeiten um Herzogtümer und Fürstentümer 43 sollten wir

41  Vgl. unten Anm. 64. 42  Vgl. dazu Jürgen Fischer, Oriens – Occidens – Europa: Begriff und Gedanke „Europa“ in der späten Antike und im frühen Mittelalter, Wiesbaden 1957 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. Universalgeschichte 15). 43  Hatte Walter Kienast, Der Herzogstitel in Frankreich und Deutschland (9.–12. Jahrhundert). Mit Listen der ältesten deutschen Herzogsurkunden, München und Wien 1968, zu zeigen versucht, dass Herzogtümer sich auch in Frankreich nur in den Stammesgebieten (wie Bretagne, Normandie, Aquitanien) ausbildeten, so wies Karl Ferdinand Werner, „La genèse des duchés en France et en Allemagne (1981)“, abgedr. in: ders., Vom Frankenreich zur Entfaltung Deutschlands und Frankreichs. Ursprünge – Strukturen – Beziehungen. Ausgewählte Beiträge. Festgabe zu seinem sechzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1984, S. 278–310, und ders., „Les duchés ‚nationaux‘ d’Allemagne au IXe au Xe siècle (1979)“, in: ebd., S. 311–328 (mit weiteren wichtigen Aufsätzen), umgekehrt darauf hin, dass die deutschen Herzogtümer keine Stämme, sondern ebenfalls Fürstentümer waren, die sich ihrerseits jeweils aus karolingischen Teilreichen entwickelten (und



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nicht vergessen, dass „Stämme“ ebenfalls sich wandelnde und weithin politisch motivierte Einheiten sind. Was immer die Alemannen also ursprünglich waren: im ostfränkisch-deutschen Reich werden sie zu den Bewohnern des Herzogtums Alamannien, die Sachsen zu Bewohnern Sachsens44 (usw.). Gegenüber früheren Ansichten wird man heute außerdem feststellen dürfen, dass es im Hinblick auf die Wahrnehmung als Herzogtum keine prinzipiellen Unterschiede zwischen den süddeutschen, bereits auf ältere „Stammesherzogtümer“ zurückgehenden Herzogtümern und den norddeutschen, erst später eingegliederten (wie Sachsen)45 oder gar „künstlich“, nämlich rein politisch ohne Stammesgrundlage geschaffenen (wie Lothringen)46 gegeben hat. Neben den Herzogtümern gibt es zudem noch andere Großlandschaften (wie Friesland oder Thüringen), die zwar keine politischen Einheiten (mehr) waren, ansonsten aber ähnlich behandelt wurden. Hinsichtlich der Verwendung solcher Gemeinschaftsbegriffe sei auf zwei frühere Aufsätze über die zeitgenössische Terminologie und Wahrnehmung der gentes bei ausgewählten Chronisten des 6. bis 9. Jahrhunderts (im ehemaligen Frankenreich) zurückgegriffen.47 Auf das hiesige Thema bezogen, betreffen die

das würde es erlauben, Lothringen zwanglos einzubeziehen). Beides erscheint mir allerdings zu eingleisig. Ich selbst habe argumentiert, dass die Herzogtümer keine Stammesherzogtümer, sondern politische Einheiten waren (Hans-Werner Goetz, „Dux“ und „Ducatus“. Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung des sogenannten jüngeren Stammesherzogtums an der Wende vom neunten zum zehnten Jahrhundert, Bochum 1977), eine Ansicht, die dann auch Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 2), besonders S. 303–329, trotz seines vehementen Widerspruchs zu meiner Arbeit, vertreten hat. 44  Das betont dezidiert Matthias Becher, „Rex“, „Dux“ und „Gens“. Untersuchungen zur Entstehung des sächsischen Herzogtums im 9. und 10. Jahrhundert, Husum 1996 (Historische Studien 444), S. 18 und S. 29. 45  Zu Sachsen vgl. ebd.; außerdem Hans-Werner Goetz, „Das Herzogtum der Billunger – ein sächsischer Sonderweg?“, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 66 (1994), S. 167–197. 46  Zum Herzogtum Lothringen vgl. Walter Mohr, Geschichte des Herzogtums Lothringen, Teil 1 (900–1048), Saarbrücken 1974; Matthias Werner, „Der Herzog von Lothringen in salischer Zeit“, in: Die Salier und das Reich, Bd. 1: Salier, Adel und Reichsverfassung, hg. von Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 367–473; jetzt vor allem: Schneider, Auf der Suche nach dem verlorenen Reich (wie Anm. 34), und De la Mer du Nord à la Méditerranée, hg. von Michèle Gaillard (wie Anm. 34). 47  Hans-Werner Goetz, „Gentes. Zur zeitgenössischen Terminologie und Wahrnehmung ostfränkischer Ethnogenese im 9. Jahrhundert“, in: MIÖG 108 (2000), S. 85–116; ders., „Gens. Terminology and Perception of the ‘Germanic’ Peoples from Late Antiquity to the Early Middle Ages”, in: The Construction of Communities in the Early Middle Ages. Texts, Resources and Artefacts, hg. von Richard Corradini u. a., Leiden und Boston 2003 (The Transformation of the Roman World 12), S. 39–64.

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 Hans-Werner Goetz

wichtigsten Ergebnisse zum einen das mittelalterliche Verständnis von einer gens,48 zum andern das Verhältnis von Volk und Raum (Territorium). Schon bei Isidor von Sevilla konstituiert sich eine gens vor allem aus vier Kriterien: dem Recht, der Sprache, der Herkunft (Ursprung) und der Gewohnheit,49 und dieses Kriterienbündel wird in der Folgezeit immer wieder aufgegriffen.50 Dennoch bleiben diese Kriterien unscharf.51 So ist (nach Isidor) eine gens zwar durch die Sprache geeint, doch lediglich am Anfang (das heißt: bei der Babylonischen Sprachverwirrung)52 habe es so viele Sprachen wie Völker gegeben; später konnten mehrere gentes dieselbe Sprache sprechen.53 Gentes grenzen sich nicht nur gegeneinander ab,54 sie sind für die mittelalterlichen Chronisten selbstverständliche, feste Einheiten,55 die weithin das mittelalterliche Denken bestimmen, so dass man geradezu von einem „gentilen Denken“ gesprochen hat.56 Der Begriff selbst ist hingegen breit anwendbar: Man macht keinen (begrifflichen) Unter-

48  Vgl. Goetz, „Gentes“ (wie Anm. 47), S. 96–104, mit Belegen; ders. „Gens“ (wie Anm. 47), S. 42–52. 49  Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiae 5,6; ebd. 9,1f. Zur Herkunft ebd. 9,2,1: „Gens est multitudo ab uno principio orta, sive ab alia natione secundum propriam collectionem distincta”. Zu den Bräuchen ebd. 9,2,97: „Horum plurimae gentes, variae armis, discolores habitu, linguis dissonae et origine vocabulorum incertae.“ Mittelalterliche Autoren sprechen häufig vom mos bestimmter Völker. 50  Beispielsweise von Beda Venerabilis, De linguis gentium, hg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1850 (PL 90), Sp. 1179, im 8., Hrabanus Maurus, De rerum naturis 16,1f., hg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1864 (PL 111), Sp. 435–445, im 9. und Regino von Prüm, Chronicon (1890), S. XX (im Brief an Erzbischof Hatto von Mainz) im frühen 10. Jahrhundert: „diversae nationes populorum inter se discrepant genere moribus lingua legibus." Vgl. dazu Wolfgang Haubrichs, „Differenz und Identität − Sprache als Instrument der Kommunikation und der Gruppenbildung im frühen Mittelalter“, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, hg. von Walter Pohl und Bernhard Zeller, Wien 2012 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 426, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20), S. 23–38. 51  Vgl. ausführlich Walter Pohl, „Telling the Difference: Signs of Ethnic Identity”, in: Strategies of Distinction, hg. von dems., Leiden u. a. 1998 (The Transformation of the Roman World 2), S. 16–69. 52  Zum Sprachenverständnis des Mittelalters immer noch grundlegend: Arno Borst, Der Turmbau zu Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Völker, 4 Bde., Stuttgart 1957–1963. 53  Isidor von Sevilla, Etymologiae (wie Anm. 49), 9,1,1: „Initio autem quot gentes tot linguae fuerunt, deinde plures gentes quam linguae; quia ex una lingua multae sunt gentes exortae“. 54  Vgl. Goetz, „Gentes“ (wie Anm. 47), S. 100. 55  Das bedeutet jedoch nicht, dass man etwaige Wandlungen durch Wanderung, Landnahme oder Konnubium nicht wahrgenommen hätte; vgl. Goetz, „Gentes“ (wie Anm. 47), S. 104. 56  Vgl. Walter Pohl, Art. „Gentile Ordnungen“, in: Enzyklopädie des Mittelalters Bd. 1, hg. von Gert Melville und Martial Staub, Darmstadt 2008, S. 171–175.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

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schied zwischen Stamm und Volk57 oder zwischen christlich-kultivierten Franken und heidnischen Normannen:58 Für die karolingischen Geschichtsschreiber bilden beide eine gens.59 Heiden mögen Barbaren sein und negativ bewertet werden, aber sie sind doch in Völkern organisiert,60 und zwar von Anfang an, denn die Völker werden wiederum mit Vorliebe von den biblischen Generationen abgeleitet (wie die „Sarazenen“ von Abrahams Frau Sara); die Abendländer verstehen auch die Muslime tatsächlich als gens Saracenorum!, die nicht vom Kalifen, sondern von einem König (rex Saracenorum) geleitet wird. Völkernamen bilden also ein wichtiges Mittel ethnisch-politischer Differenzierung, und sie sind (erneut) eng mit Reichen verbunden.61 Politisch konnten sie sich auf verschiedenen Ebenen organisieren, als Reich wie auch außerhalb und innerhalb von Reichen: Das Fränkische Reich bestand nach Regino von Prüm aus gentes und regna.62 (Dennoch hat man die neuen Teilreiche – noch – nicht als gentes empfunden.) Betrachtet man als zweiten Aspekt das Verhältnis zum Territorium, dann bestätigt sich dieser Eindruck. Das gentile Denken des frühen Mittelalters spiegelt sich in dem Überwiegen der Volksnamen wider. Wenn in den Fränkischen Reichsannalen aber von der terra der gens Francorum63 und in der Translatio s. Alexan-

57  Das wiederum betont zu Recht Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 2), vgl. S. 243–267, zum Begriffsgebrauch. 58  Das betont zu Recht Johannes Fried, „Gens und regnum. Wahrnehmungs- und Deutungskategorien politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers“, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hg. von Jürgen Miethke und Klaus Schreiner, Sigmaringen 1994, S. 73–104, der allerdings folgert, es sei eine Fehleinschätzung der Franken gewesen, die Dänen bereits als „Volk“ zu begreifen, und damit dem mittelalterlichen Verständnis doch nicht genügend Beachtung schenkt. 59  Vgl. etwa Annales regni Francorum a. 811, hg. von Friedrich Kurze, Hannover 1895 (MGH Scriptores rerum Germanicum 6), S. 134. 60  Vgl. Einhard, Vita Karoli 7, hg. von Oswald Holder-Egger, Hannover, Leipzig 1911 (MGH Scriptores rerum Germanicum 25), S. 9. Ebd. 15, S. 18, berichtet Einhard, Karl habe alle wilden und barbarischen Völkerschaften unterworfen, die Germanien zwischen Rhein und Weichsel und zwischen Donau und Meer bewohnten (womit er nicht zuletzt die Slawen meinte). Vgl. dazu Goetz, „Gentes“ (wie Anm. 47), S. 106ff.; Andreas Mohr, Das Wissen über die Anderen. Zur Darstellung fremder Völker in den fränkischen Quellen der Karolingerzeit, Münster 2005 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 7), S. 86f. 61  Vgl. oben S. 6f. 62  Regino von Prüm, Chronicon a. 880 (1890), S. 116, zu Karl III., dessen Herrschaft sich über „non solum Francorum, verum etiam diversarum gentium regnorumque“ erstreckte. 63  Annales regni Francorum a. 787 (wie Anm. 59), S. 76, zum Bayernherzog Tassilo: „nisi in omnibus oboediens fuisset domno regi Carolo et filiis eius ac genti Francorum, ut ne forte sanguinis

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 Hans-Werner Goetz

dri, wie schon erwähnt, von Grenzen und Nachbarn der Sachsen die Rede ist, vor denen sie ihre Gebiete schützten,64 dann wird beides erneut nicht als Gegensatz empfunden: Der gens ist vielmehr ein (bestimmter) Raum zugeteilt. Volks- und Gebietsname werden tatsächlich vollkommen parallel verwendet.65 Wenn Karl III. den Fuldaer Annalen zufolge ein Heer aus diversis provinciis, nämlich aus den Franken, Alamannen, Thüringern und Sachsen, aufstellt,66 dann sind diese „Völker“ offensichtlich die (oder zumindest bestimmte, kriegsfähige) Bewohner der gleichnamigen Provinzen. Gleichzeitig bleibt es auffällig, dass die Territorialbegriffe im 8. und 9. Jahrhundert weit häufiger werden, auch wenn sie die Volksbegriffe noch nicht überflügeln. Sind sie in den Reichsannalen aus dem späten 8. und frühen 9. Jahrhundert noch weit seltener als die Volksbegriffe, so halten sie sich in den Fuldaer Annalen des späteren 9. Jahrhunderts (teilweise) schon die Waage, um bei Regino von Prüm am Anfang des 10. Jahrhunderts sogar leicht zu überwiegen (vgl. Grafik 1). Doch selbst hier muss man nach Regionen differenzieren, denn auch diese Gesamtzahl täuscht (vgl. Grafik 2): Überwiegen im 9. Jahrhundert bei den Fremdvölkern sowie bei Völkern im Ostfrankenreich die Volksnamen (hier allerdings wiederum nur bei Franken und Sachsen), so hat sich das Verhältnis für das Westfrankenreich und für Italien, aber auch bei den anderen ostfränkischen Provinzen aus der Sicht ostfränkischer Geschichtsschreiber bereits umgekehrt.67 „Intern“ (im Frankenreich) überwiegen also die Raumbegriffe. Entsprechend häufiger werden die Namen jetzt auch mit Begriffen wie fines, termini, regio oder provincia verbunden, die sämtlich auf ein territoriales Verständnis weisen (vgl. Grafik 3). Das gentile Denken des frühen Mittelalters, so lässt sich folgern, wird zunehmend überlagert von politischen und geografisch-territorialen Wahrnehmungsmustern, doch bleiben beide stets aufeinander bezogen. Fines verbin-

effusio provenisset vel lesio terrae illius“. 64  Rudolf von Fulda, Translatio Alexandri 1 (wie Anm. 40), S. 423: „A meridie quidem Francos habentes et partem Thuringorum, quos praecedens hostilis turbo non tetigit, et alveo fluminis Unstrotae dirimuntur. A septentrione vero Nordmannos, gentes ferocissimas: Ab ortu autem solis Obodritos, et ab occasu Frisos, a quibus sine intermissione vel foedere vel concertatione necessario finium suorum spacia tuebantur.“ 65  Zu Belegen vgl. Goetz, „Gentes“ (wie Anm. 47), S. 105 Anm. 126 und 127. 66  Annales Fuldenses a. 882, hg. von Friedrich Kurze, Hannover 1891 (MGH Scriptores rerum Germanicum 7), S. 98. 67  Vgl. Goetz, „Gentes“ (wie Anm. 47), S. 105f., zum Verhältnis von Gentil- und Territorialnamen: Ostfränkisches Reich: 378 : 292 Westfränkisches Reich: 40 : 145 Italien: 66 : 261 Fremdvölker: 288 : 39



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

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det sich durchaus auch mit dem Volksnamen: Nicht nur die Provinz, auch das Volk hatte ein festes Gebiet. Hingegen wird gens (im Gegensatz zu populus) ausschließlich mit dem Volksnamen verknüpft.68 Wir können an der Terminologie hier einen Wandel des mittelalterlichen Verständnisses ablesen, den die mittelalterlichen Autoren selbst nicht wahrgenommen haben.

200

Territorialname Volksname

195

180 160

139

140

123

122

120 100 80 60

47

42

40 20 0

Annales regni Francorum

Annales Fuldenses

Regino von Prüm

Grafik 1: Häufigkeit von Volks- und Territorialbegriffen in ostfränkischen Chroniken

400

Territorialname

378

Volksname

360 320

292

288

280 240 200 145

160

116

120 80

40

40 0

Ostfranken

Westfranken

39

26

Italien

außerhalb

Grafik 2: Regionale Verteilung der Volks- und Territorialbegriffe in ostfränkischen Chroniken

68  Vgl. ebd., S. 106.

18 

 Hans-Werner Goetz

40

36

Territorialname Volksname

35 29

30

25

23

24

23

22

20

10

8

10

9 6 6

4 0

7

5

7

8

1

0 dux, marchio fines etc.

gens

6

4

primores etc.

pars

populus

provincia rex/princeps

regio

regnum

terra

Grafik 3: Verteilung der Attribute auf Volks- und Territorialnamen in ostfränkischen Chroniken

Die Verwendung von Volks- und Territorialbegriffen hängt aber auch mit der jeweiligen Funktion zusammen (vgl. Grafik 4): So werden im Kontext von Reichsversammlungen und Heereseinheiten vorwiegend die Volksnamen verwandt, im Kontext von Reisen, Geografie und Herkunft Gebietsnamen bevorzugt (allerdings nicht ausschließlich, so dass sich auch darin wieder die Überschneidungen zeigen).69 Die häufige Nennung bestimmter Gebiete und ihrer Bewohner, nämlich im ostfränkischen Reich vor allem der Herzogtümer, in der Geschichtsschreibung zeigt zugleich deren politische Bedeutung an: Tatsächlich handelt es sich hier um die wichtigsten geografischen und politischen Einheiten, die offenbar recht klar gegeneinander abgegrenzt waren.70

69  Vgl. ebd., Grafik 2, S. 114. 70  Vgl. ebd., S. 108–110.



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Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

Die Tendenz zu Territorialnamen setzt sich im 10. Jahrhundert anscheinend nur bedingt fort und ist daher keineswegs unumkehrbar, wie die Beispiele Widukinds von Corvey, Liudprands von Cremona und Thietmars von Merseburg zeigen, wo – insgesamt und im ostfränkisch-deutschen Reich, aber mit Unterschieden zwischen den Autoren – weiterhin die Volksbegriffe überwiegen (vgl. Tabelle 1, unten S. 28, und Grafik 5).71

Territorialname Volksname

400 360 320

320

280

241

240 200 160 120 73

80 40 0

12 Reiseziel

8 Geografische Lage

27

12

Herrschaft

15

0

Herkunft

10 Heer

42

26 0 Versammlungen

0

3

10

Politische Gesandtschaften Handlungen

Grafik 4: Verteilung der Funktion auf Volks- und Territorialnamen in ostfränkischen Chroniken

71  Adalbert verbindet den Dux-Titel stets mit dem Volksnamen, ducatus aber mit dem Gebietsnamen und schafft hier eine klare Zuordnung. Bei Widukind wird das hingegen vermischt. Liudprand bevorzugt in Deutschland die Volks-, in Italien die Territorialbegriffe. Das Ganze bestätigt sich in einer Untersuchung, die ich über die Entwicklung des Sachsenbegriffs angestellt habe: Hans-Werner Goetz, „ ,Sachsen‘ in der Wahrnehmung fränkischer und ottonischer Geschichtsschreiber“, in: Von Sachsen bis Jerusalem. Menschen und Institutionen im Wandel der Zeit. Festschrift für Wolfgang Giese, hg. von Hubertus Seibert und Gertrud Thoma, München 2004, S. 73–94, hier Tabelle 2, S. 92. Auch hier überwiegt im 10. Jahrhundert noch der Volksname Saxones gegenüber dem Territorialbegriff Saxonia. Beide werden aber erneut vollkommen parallel gebraucht und aufeinander bezogen (ebd., S. 84f.). Was sich deutlich (aber nicht verwunderlich) ändert, ist die Wertung: Aus den Feinden werden nach der Integration die gleichberechtigten Teilnehmer am Heer und an den Reichsversammlungen des ostfränkischen Reiches. Unter ottonischer Herrschaft treten sie sogar in den Vordergrund (ebd., S. 80).

20 

 Hans-Werner Goetz

423

Territorialname

420

Territorialname das ostfränkisch-dt. Reich betreffend Volksname Volksname das ostfränkisch-dt. Reich betreffend

360

300

300

256

240

207

180 120 60 0

158

146 116

103 74

129 92

88 51

Contin. Reginonis

69

72

37

Widukind von Corvey

Liudprand von Cremona

Thietmar von Merseburg

Grafik 5: Verteilung von Territorial- und Volksnamen in Chroniken des 10. Jahrhunderts

3 Der Begriffsgebrauch in der Chronik Hermanns von Reichenau Hier lässt sich nun, wie angekündigt, mein Fallbeispiel Hermann von Reichenau anfügen und das Vorgetragene damit in das 11. Jahrhundert fortführen. Dabei beschränke ich mich auf die zeitgenössischen, nicht bereits von anderen schriftlichen Quellen abhängigen Partien der Chronik der Jahre 901 bis 1054.72 In diesen, in der MGH-Ausgabe knapp 23 Druckseiten im Folioformat umfassenden Berichten gebraucht Hermann 302 Gemeinschaftsbegriffe (zuzüglich einiger weniger, davon abgeleiteter Adjektive) für 39 Gemeinschaften, die sich wie folgt verteilen (Grafik 6):

72  Hermann von Reichenau, Chronicon, hg. von Georg Heinrich Pertz, Hannover 1844 (MGH Scriptores 5), S. 67–133, die selbstständigen Teile ebd., S. 111–133.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

 21

200 180 160

149

140 120 100

87

80

66

60 40 20 0

Deutschland

Italien und Gallien

andere

Grafik 6: Geografische Verteilung der Gemeinschaftsbegriffe in der Chronik Hermanns von Reichenau

Hermanns Blickwinkel ist also deutlich auf das Deutsche Reich, und hier vor allem auf Alamannien (43) und Bayern (38), zentriert, gefolgt von Burgund (19) und Sachsen (15) (vgl. Tabelle 2, unten S. 28f.). Neben den sechs Herzogtümern (einschließlich Franken und Kärnten) und Burgund sind nur noch Thüringen und Flandern, das Elsass und Friesland genannt. Für Alamannien / Schwaben (Alamanni, Suevi) und Bayern-Noricum gibt es jeweils zwei Begriffe. Gallien-Frankreich tritt aus der Perspektive des Alemannen Hermann nur als Ganzes und nicht allzu häufig (11mal) auf; einzelne Landschaften werden hier nicht unterschieden, wohl aber in Italien, das 25mal als Ganzes und mit weiteren sieben Provinzen (vor allem Campanien, dann Kalabrien, Benevent, Istrien, Tuszien, Venedig und Samnien) vertreten ist; außerdem sind 9mal die Römer genannt. Von den Gebieten außerhalb des ehemaligen Frankenreichs stechen deutlich die Ungarn mit mehr als der Hälfte aller Belege (52) hervor; Slawen sind insgesamt 22mal mit sechs Einzelvölkern erwähnt (Abodriten, Böhmen, Liutizen, Mährern, Polen und Sorben). Normannen und Dänen sind 7mal, Sarazenen dreimal (davon einmal als Agareni), Griechen zweimal, Angelsachsen und Schotten je einmal bezeugt. Territorialnamen sind wieder häufiger als Volksnamen anzutreffen (im Verhältnis 168 : 134 = 55,6 %), doch ist hier erneut nach den Regionen zu differenzieren (Grafik 7): Während Territorialbegriffe im Deutschen Reich (im Verhältnis 102 : 47 = 68,5 %) und in Italien (im Verhältnis 42 : 13 = 76,4 %) bei weitem über-

6

22 

 Hans-Werner Goetz

wiegen und für Frankreich sogar ausschließlich verwendet werden (Galli kennt Hermann nicht), verhält es sich außerhalb des ehemaligen Frankenreichs umgekehrt, denn hier überwiegen – noch weit deutlicher – die Volksnamen (im Verhältnis 74 : 13 = 85,1 %). Hier nahm man offenbar eher Völker als Reiche wahr. Eine Region Hungaria kennt Hermann zwar noch nicht, bezeichnet mit dem römischen Provinzbegriff Pannonia in der Regel jedoch immerhin das Land der Ungarn. Daneben gibt es lediglich für Böhmen (Boemia) einen vom Volksbegriff abgeleiteten Provinznamen.

180

Territorialnamen Volksnamen

168

160 134

140 120

102

100

74

80 60

47

40

42

20 0

55,62%

44,37%

Gesamt

68,45%

31,54%

Deutsches Reich

76,36%

13

13

23,63%

14,94%

Italien/Gallien

85,05%

Andere

Grafik 7: Geografische Verteilung der Territorial- und Volksnamen bei Hermann von Reichenau

Im Reich wiederum (Grafik 8) dominieren die Territorialbegriffe deutlich für Alamannien (im Verhältnis 34 : 2 = 94,4 %) – während für Schwaben (Suevi) der Volksname überwiegt (im Verhältnis 6 : 1 = 85,7 %); zusammen ergibt das 35 : 8 = 81,4 % –; dann auch für Bayern (im Verhältnis 29 : 6 = 82,9 %) – auch hier wird Norici ausschließlich als Volksname verwendet, obwohl es sich vom römischen Provinzbegriff Noricum ableitet –, Franken (im Verhältnis 5 : 1, einschließlich der Francia orientalis), Sachsen (im Verhältnis 13 : 2 = 86,7 %) wie auch Burgund (im Verhältnis 14 : 5 = 73,7 %). Die übrigen Nennungen bleiben numerisch Ausnahmen. Interessant ist aber die Beobachtung, dass ausgerechnet für das Herzogtum, das auf keiner ethnischen Grundlage beruht, nämlich für Lothringen, ausschließlich der Volksname verwendet wird (7mal), und das Gleiche gilt für Flandern, das eigentlich ein Landschaftsbegriff ist, allerdings nur



 23

Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

einmal Anwendung findet. Hingegen wird Kärnten (Carantanum) stets als Territorialbegriff verwendet. Für die anderen Regionen erübrigen sich entsprechende Differenzierungen. Insgesamt werden Volks- und Reichsbegriffe also unterschiedlich häufig verwendet, wobei Binnen- und Außenperspektive nicht nur die Häufigkeit, sondern auch den Charakter (Volk, Reich, Territorium) bestimmen.

Territorialnamen Volksnamen

40 35

34

29

30

20 14

13 10

6 2

0

Alamannien

8

6

5 1

1 Schwaben Alam.+Schwaben

Bayern

7

5 2

Franken

Sachsen

0 Burgund

Lotharingen

TN:

94,4 %

14,3 %

81,4 %

82,9 %

83,8 %

86,7 %

73,7 %

0%

VN:

5,6 %

85,7 %

18,6 %

17,1 %

16,7 %

13,3 %

26,3 %

100 %

Grafik 8: Verteilung der Territorial- und Volksnamen in den Reichsregionen bei Hermann von Reichenau

Schließlich sind noch zwei Begriffe erwähnenswert, die auf die eingangs referierte Problematik einer Begriffsbildung für das entstehende Deutsche Reich verweisen: Nur ein einziges Mal verwendet Hermann, in deutlich räumlicher Bedeutung, den Begriff Germania, als Heinrich II. von Italien in Germaniam zurückkehrt,73 dreimal, und zwar sämtlich im Jahresbericht 1053, aber den bereits zum Volksbegriff stilisierten Terminus Theutonici, der sich ebenfalls klar erkennbar von Italia bzw. Itali absetzt, also offensichtlich auf die nordalpinen Gebiete bezieht.74

73  Ebd. a. 1022, S. 120. 74  Ebd. a. 1053, S. 132. Auf dem Romzug begleiten Heinrich III. plurimi Theutonicorum. In der

24 

60

50

 Hans-Werner Goetz

TN

Summe Dt. Reich Summe Italien Summe andere Summe insgesamt

VN

40 TN

VN

TN

VN

30

20

10

0

fines/termini

regnum/ducatus

rex/dux/princeps

Grafik 9: Verteilung der Attribute auf Volks- und Territorialnamen bei Hermann von Reichenau

Aufschlussreich könnte wieder eine Betrachtung des Kontextes sein, in dem die Gemeinschaftsbegriffe verwendet werden. Hier scheint auch Hermann, trotz aller deutlichen Bezüge und Querverbindungen von Volks- und Territorialbegriffen, zwischen personalen und territorialen Perspektiven zu unterscheiden. So werden Volksbegriffe beispielsweise für das Heer verwendet oder stehen im Kontext von Schlachten oder Königserhebungen (a. 1046), aber auch von Rebellionen, während die Territorialbegriffe verwendet werden, wenn Völker (wie die Ungarn), Heere oder Könige Provinzen verwüsten (vastant), durchqueren (pervadere, percurrere), über sie zurückkehren (per N. redire), dorthin gehen oder sich dort aufhalten (morari). Gemeinschaftsbegriffe werden mit folgenden 9 Attributen verknüpft (Tabelle 3, S. 29f., und Grafik 9): ganz selten (jeweils nur einmal) mit Amtsbezeichnungen (wie Bischof oder Graf, als Territorialbezeichnung in Gallien) und mit Gebietsbezeichnungen (wie provincia, terra, regio, mit Volksnamen bei den Sorben). Öfter schon, nämlich jeweils achtmal, verbinden sie sich zum einen mit Raum- und Grenzbegriffen (wie fines oder termini), und zwar überwiegend (siebenmal) mit Territorial- und nur einmal mit dem Volksnamen (bei den Ungarn), zum andern mit regnum oder ducatus (als Land- wie auch

Schlacht gegen die Normannen siegten die Theutonici, während die Itali flohen.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

 25

als Herrschaftsbezeichnung), und zwar ausschließlich mit den Territorialbegriffen. Sehr häufig ist hingegen die Verbindung mit den Herrschern selbst, nämlich rex, princeps oder dux (einmal auch tyrannus), die insgesamt 96mal vorkommt, sich mehrheitlich aber ebenfalls mit den Territorialbegriffen verbindet (im Verhältnis 57 : 39). (Auch das ließe sich wieder nach den Kategorien innerhalb und außerhalb des Reichs und nach Provinzen und Völkern differenzieren, würde zwangsläufig aber zu den schon oben erläuterten Beobachtungen führen.) Eine klare Trennung beider Begriffstypen gibt es jedenfalls nicht. Das erscheint mir bezeichnend und bestätigt deren engen Zusammenhang: Völker und Provinzen sind eng aufeinander bezogen. Für die von anderen Vorlagen abhängigen Partien der Chronik Hermanns von Reichenau von Christi Geburt bis zum Jahr 900 habe ich eine detaillierte Auswertung der insgesamt 1137 Belege nicht mehr vorgenommen, sondern beschränke mich auf drei Bemerkungen: Erstens wechseln die Begriffe mit den Jahrhunderten (Grafik 10): In der Römerzeit (1. und 2. Jahrhundert) überwiegt die Nennung von Römern und Juden, vom 3. bis 6. Jahrhundert dominieren die Germanenvölker, seit dem 6. Jahrhundert treten Angeln (und Britannien), seit dem 7. Jahrhundert Sarazenen und Mauren sowie vor allem Slawen hinzu, die sich im 8. Jahrhundert in verschiedene Volksnamen „aufspalten“. Jetzt kommen noch die Hunnen (Awaren und Ungarn), im 9. Jahrhundert die Normannen und Dänen hinzu. Im 8. und 9. Jahrhundert überwiegen aber eindeutig die Provinzen des Frankenreichs. Zweitens dominieren zunächst klar die Volksnamen; Territorialbegriffe werden erst im 8. und 9. Jahrhundert häufiger als vorher. Beide sind oft für dieselbe Gemeinschaft anwendbar (wie bei Juden und Judäa und dann wieder für die Provinzen im Frankenreich), verteilen sich aber oft auch auf die Gemeinschaften: Volksbe­griffe etwa für die germanischen (und anderen) Völker, Territorialbegriffe für Gallien, Italien, Afrika etc. Drittens ist der räumliche Horizont Hermanns interessant (den ich für einen früheren Aufsatz einmal kartiert habe):75 Im abhängigen Teil ist Hermanns Weltbild wahrhaft universal. Die Gemeinschaftsbegriffsbelege umfassen nahezu ganz Europa, mit klaren Schwerpunkten in Frankreich, Deutschland und Italien, den Vorderen Orient bis nach Afrika. Ganz anders nimmt sich das im selbstständigen Teil aus: Hermanns Horizont beschränkt sich jetzt fast ganz auf Deutschland und Italien, mit deutlichen Schwerpunkten in „seiner“ Bodenseegegend. Zur Gegenwart hin wird sein Blickwinkel auf andere Weltregionen also immer beschränkter.

75  Vgl. Hans-Werner Goetz, „On the Universality of Universal History“, in: L’historiographie médiévale en Europe, hg. von Jean-Philippe Genet, Paris 1991, S. 247–261, hier S. 249ff., sowie Figure 1, S. 250, und Figure 2, S. 252.

26 

 Hans-Werner Goetz

1. Jh.

2. Jh.

Römer/Juden

6. Jh. Sarazenen/ Mauren Slawen

3. Jh.

4. Jh.

Germanenvölker

7. Jh.

8. Jh.

5. Jh. Britannien Angeln

9. Jh.

10. Jh.

Hunnen Normannen/ Dänen Awaren Ungarn Fränkische Provinzen

Grafik 10: Chronologische Verteilung der Gemeinschaftsbegriffe im ersten Teil der Chronik Hermanns von Reichenau

4 Resümee Was lässt sich nun aus solchen Beobachtungen für die in diesem Band gestellten Fragen folgern? Sie sollten zunächst natürlich einen kleinen Einblick in den historiografischen Umgang mit Gemeinschaftsbegriffen geben. Diese spielen insgesamt (und quantitativ) eine große Rolle und sind den Autoren gewissermaßen 10 „selbstverständlich“, denn sie werden kaum je explizit reflektiert (allenfalls durch eine geografische Einordnung bei noch unbekannten Völkern). Sie erlauben ansonsten nur wenig konkrete Auskünfte, spiegeln jedoch immerhin den Horizont des Autors wider und lassen eine zunehmende Tendenz zu Territorialbegriffen, oft aber auch eine reflektierte, funktionsbezogene Verwendung von Volksund Gebietsbegriffen erkennen, die grundsätzlich aufeinander bezogen sind. Die alten Begriffe erweisen sich – in historisierender Wahrnehmung – als erheblich langlebiger als die historische Wirklichkeit, können sich dieser aber inhaltlich anpassen. Anfangs sind es oft Fremdbezeichnungen (wie aus französischer Sicht die „Alamannen“ zu „Deutschen“ werden). Die politische Nomenklatur, mit der sich die bisherige Forschung fast ausschließlich befasst hat, beschränkt sich tatsächlich auf einige wenige Begriffe (und bleibt oft unklar, ist jedoch ebenfalls anpassbar). Wie sich nun der einzelne Beleg im Musikschrifttum darin einordnet, wäre letztlich in jedem Einzelfall zu klären, zumal umfassende geschichtswissenschaftliche Untersuchungen dazu nicht vorliegen.



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

 27

Auf einen wichtigen Aspekt des Tagungskonzepts bin ich bisher nur ganz am Rande eingegangen, nämlich auf die mit den Begriffen verbundenen Wertungen. Meinem Eindruck nach verbinden sie sich nicht generell mit bestimmten Gemeinschaftsbegriffen, die im allgemeinen „neutral“ geografisch-ethnisch verwendet werden, und sind auch selten „stereotyp“ auf bestimmte Völker bezogen, sondern eher allgemein durch Fremdheit gekennzeichnet: als kulturelle Fremdheit (durch Kennzeichnung als Barbaren), als religiöse Fremdheit (durch Kennzeichnung als Heiden) und als politische Fremdheit (durch Kennzeichnung als Reichsfremde). Zwei Beispiele mögen das abschließend verdeutlichen: Wie fast alle Völker Germaniens, so charakterisiert Einhard in seiner Karlsvita die Sachsen, waren diese „von wilder Natur, dem Dämonenkult ergeben, dem wahren Glauben feindlich gesonnen, und sie hielten es nicht für unehrenhaft, göttliches und menschliches Recht zu verletzen und zu übertreten.“ 76 Und Adam von Bremen schreibt anlässlich der Christianisierung Skandinaviens, dass die wildesten Völker der Dänen, Norweger und Schweden, die früher nur barbarisch krächzen konnten, jetzt das Halleluja zum Lobe Gottes zu singen wüssten; die Seeräuber, die einst alle Gegenden Frankreichs und Deutschlands verwüstet hätten, begnügten sich jetzt mit ihren Gegenden, und Kirchen seien an die Stelle der Altäre der Götzen getreten.77 Das Christentum hat in Skandinavien demnach einen dreifachen Wandel bewirkt und nicht nur die Heiden zu Christen, sondern auch die Barbaren zu Menschen und die Seeräuber zu Staatsmännern gemacht. Beide Beispiele zeugen deutlich von der Abwertung des Fremden wie auch von einer möglichen Integration. Über solche pauschalen Zuordnungen hinaus sind die Wertungen jedoch eher autorspezifisch und daher wieder im Einzelfall auszudeuten. Bis zu einer wirklich umfassenden, geschichtswissenschaftlichen Analyse der Gemeinschaftsbegriffe ist es jedenfalls noch ein weiter Weg.

76  Einhard, Vita Karoli 7 (wie Anm. 60), S. 9: „quia Saxones, sicut omnes fere Germaniam incolentes nationes, et natura feroces et cultui daemonum dediti nostraeque religioni contrarii neque divina neque humana iura vel polluere vel transgredi inhonestum arbitrabantur“. 77  Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum 4, 44 (wie Anm. 31), S. 280: „Ecce illa ferocissima Danorum sive Nortmannorum aut Sueonum natio, quae iuxta verba beati Gregorii ‚nihil aliud scivit nisi barbarum frendere, iam dudum novit in Dei laudibus alleluia resonare‘ “ (nach Gregor dem Großen, Moralia in Iob 27,11, zu den Angelsachsen). „Ecce populus ille pyraticus, a quo totas olim Galliarum et Germaniae provintias legimus depopulatas, suis nunc finibus contentus est [...]. Ecce patria illa horribilis [...], deposito iam naturali furore predicatores veritatis ubique certatim admittit, destructisque demonum aris ecclesiae passim eriguntur, et nomen Christi communi ab omnibus effertur preconio. Nimirum ‚haec est mutacio dexterae Excelsi‘, et tam velociter currit sermo omnipotentis Dei, ut ‚a solis ortu et occasu, ab aquilone et mari‘ laudabile sit nomen Domini, ‚et omnis lingua confiteatur, quia dominus Iesus Christus in gloria est Dei patris‘, cum spiritu sancto vivens et regnans per omnia secula seculorum.“

28 

 Hans-Werner Goetz

Anhang: Tabellen Tabelle 1: Gemeinschaftsbegriffe in Chroniken der Ottonenzeit (in Klammern die das ostfränkisch-deutsche Reich betreffenden Begriffe)

Continuator Reginonis Widukind von Corvey Liudprand von Cremona Thietmar von Merseburg

Volksname

Territorialname

103  (51) 300 (158) 423  (92) 256  (72)

116 (74) 146 (88) 207 (37) 129 (69)

Tabelle 2: Gemeinschaftsbegriffe bei Hermann von Reichenau Volksname ∑ Deutsches Reich

Alamanni Suebi Baioarii Norici Franci

∑ Italien

Territorialname 47* 2 6 6 3 1

Lotharingii Saxones Carantani Thuringi

7 2 9 –

Burgundiones Flandri Theutonici

5 1 3

Itali Romani Calabri Beneventani

13 1 9 1 2

Alamannia Suevia Baiaoria Francia

102 34 1 29 3

Fr. orientalis Lotharingia Saxonia

2 – 13

Thuringia Alsatia Fresia Burgundia

1 3 2 14

Germania

1

Italia Campania Calabria Beneventum Hystria Tuscia Venetia Samnia

42 24 9 2 2 2 1 1 1



Zur Funktion und Anwendung von Volks-, Reichs- und Nationsbegriffen 

 29

Tabelle 2: (fortgeführt) Volksname

Territorialname

∑ Frankreich

11 11

Gallia

∑ Andere

74 Angli

1

Greci

2

Nordmanni Dani

5 2

Sclavi Abodritae Boemani/Boemenses Bolani Leutici Marahenses Sorabi

13

2** 1 4 4 3 3 1

Saraceni Agareni

Scottia

1

Boemia

4

Pannonia

9

2 1

Ungari

43

∑ Gesamt

134

168

*  Davon 2x im Singular für eine einzelne Person. **  Zuzüglich drei Nennungen mit dem spezifischen Volksnamen (Sclavi Bolani etc.).

Tabelle 3: Begrifflicher Kontext der Gemeinschaftsbegriffe

Alamanni/  Suevi Baioarii/  Norici Franci Saxones Lotharingii

rex/dux/ princeps

regnum/ ducatus

episcopus/ comes

provincia/ terra/regio

fines/ termini

VN

TN

VN

TN

VN

TN

VN

TN

VN

TN

5

17



2















20



2











1

– – 5

– – –

– – –

– – –

– – –

– – –

– – –

– – –

– – –

– 2 –

30 

 Hans-Werner Goetz

Tabelle 3: (fortgeführt) rex/dux/ princeps

regnum/ ducatus

episcopus/ comes

provincia/ terra/regio

fines/ termini

VN

TN

VN

TN

VN

TN

VN

TN

VN

TN

Thuringii Carantani Burgundio nes

– – 1

– 6 8

– – –

– – 2

– – –

– – –

– – –

– – –

– – –

– 2 –

∑ Dt. Reich

11

51



6











5

Italia Romani Campania Calabria Hystria

– – – – –

– – 2 – 1

– – – – –

1 – – – –

– – – – –

– – – – –

– – – – –

– – – – –

– – – – –

– – – 1 –

∑ Italien



3



1











1

∑ Gallien



3







1









Ungarn Normannen Slawen

10 2 6

– – –

– – –

1 – –

– – –

– – –

– – 1

– – –

1 – –

1 – –

∑ Andere

18





1





1



1

1

∑ Gesamt

39

57



8



1

1



1

7

Rosamond McKitterick

Music, identity and community in the Frankish realms in the eighth and ninth centuries: the Musica enchiriadis and its implications The theme of music, nationes and gentes in the Frankish realms in the eighth and ninth centuries has to be considered against the backdrop of both Carolingian political expansion east of the Rhine and the establishment and consolidation of Christian institutions within the newly incorporated regions. That such a backdrop included a steady process of acculturation and assimilation of Roman and Christian culture in the Carolingian realm has certainly been acknowledged.1 Yet that very process of cultural assimilation itself involved an essential recognition of exciting new ideas and new conceptual frameworks conveyed by the then available resources of the past. It therefore merits further analysis. Every encounter on the part of those newly introduced to the Christian faith and to the educational and intellectual tradition that went with it offered the potential for new interpretations. The European Science Foundation’s magnificent project on the Transformation of the Roman World (1992–1997) identified and explored many crucial strands of continuity and transmission between late antiquity and the barbarian successor states of western Europe in the early middle ages.2 The series of volumes produced by those participating in the project focussed on issues of identity and community,3 political and social development,4 perceptions of

1  See, for example, Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, ed. Dieter Hägermann et al., Berlin and New York, 2004 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 41). 2  For a useful report see Ian N. Wood, “Report: The European Science Foundation’s Programme on the Transformation of the Roman world and Emergence of early Medieval Europe”, in Early Medieval Europe 6 (1997), pp. 217–28, and also East and West: Modes of communication, ed. Evangelos Chrysos and Ian Wood, Leiden, 1999. 3  Strategies of distinction: the construction of ethnic communities, 300–800, ed. Walter Pohl and Helmut Reimitz, Leiden, 1998; The Construction of communities in the early middle ages: texts, resources and artefacts, ed. Richard Corradini et al., Leiden, 2003. 4  Kingdoms of the empire: the integration of barbarians in late antiquity, ed. Walter Pohl, Leiden, 1999; Regna and gentes: the relationship between late Antique and early Medieval peoples and kingdoms in the transformation of the Roman World, ed. Hans-Werner Goetz et al., Leiden, 2003.

34 

 Rosamond McKitterick

space,5 economic change,6 and manifestations of power and ritual.7 Unfortunately the strands of that project devoted to cultural transformation were dispersed and never published as a separate volume. An exploration of some aspects of the cultural transformations attendant upon the transformation of the Roman world and formation of early medieval Europe, however, has been incorporated into the current ESF HERA project, Cultural memory and the resources of the past, c.400–1000, in which I am involved, together with Walter Pohl, Mayke de Jong and Ian Wood. Our aims are both to determine the role played by the resources of the past in forming the identities of the communities of early medieval western Europe, and to identify the process by which the new discourses, ethnic identities and social models of early medieval Europe have come to form an essential part of modern European national and transnational identities.8 There has sometimes been too much of a tendency hitherto to homogenize the end results of such transformative processes, namely, the new cultural centres that emerged throughout western Europe and the Carolingian empire, rather than to explore how the reception and absorption of many diverse elements could come about, the new forms cultural assimilation might take, and how a sense of identity or of multiple cultural identities might form in consequence. Work on the formation of Fulda’s library and scriptorium, however, offers one important exception.9 Herrad Spilling long ago demonstrated how the early scripts at Fulda were developed on the basis of both insular and Continental examples and teachers;10 the charters and the early cartulary of Fulda demonstrated how the

5  The idea and ideal of a town between late antiquity and the early middle ages, ed. Gian Pietro Brogiolo and Bryan Ward Perkins, Leiden, 1999; The transformation of frontiers: from late antiquity to the Carolingians, ed. Walter Pohl et al., Leiden, 2001; Towns and their territories between late antiquity and the early middle ages, ed. Gian Pietro Brogiolo et al., Leiden, 2000. 6  The Sixth Century: production, distribution and demand, ed. Richard Hodges and William Bowden, Leiden, 1998; The long eighth century: production, distribution and demand, ed. Inge Lyse Hansen and Chris Wickham, Leiden, 2000; The making of feudal agricultures, ed. Miquel Barceló and François Sigaut, Leiden, 2004. 7  Topographies of power in the early middle ages, ed. Mayke de Jong et al., Leiden, 2001; Rituals of power: from late antiquity to the early middle ages, ed. Frans Theuws and Janet Nelson, Leiden, 2000. 8  See the HERA CMRP website: [URL: http://cmrp.oeaw.ac.at/index.htm]. 9  Mittelalterliche Bücherverzeichnisse des Klosters Fulda und andere Beiträge zur Geschichte der Bibliothek des Klosters Fulda im Mittelalter, ed. Gangolf Schrimpf et al., Frankfurt, 1992; Kloster Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen, ed. Gangolf Schrimpf, Frankfurt, 1996. 10  Herrad Spilling, “Angelsächsische Schrift in Fulda”, in Von der Klosterbibliothek zur Landesbibliothek. Beiträge zum zweihundertjährigen Bestehen der Hessischen Landesbibliothek Fulda, ed. Artur Brall, Stuttgart, 1978, pp. 47–98.



Music, identity and community in the Frankish realms in the 8th and 9th centuries 

 35

monastic community embraced literate modes of legal record from its foundation onwards,11 and most recently Janneke Raaijmakers has traced the formation of Fulda’s sense of community in the ninth century.12 Further, as I hope to demonstrate in this paper, the case of Werden offers distinctive material for an exploration of how particular identities, whether linked with an understanding of origins related to a gens or natio or to a wider sense of cultural belonging, might manifest themselves in the extant evidence. More particularly, texts relating to music of Werden provenance, if not origin, such as the Musica enchiriadis considered below, prompt consideration of the role of music as a component part of the resources of the past in the formation of the cultural memory of a particular group of people. Music needs to be considered in addition to the various manifestations of a sense of identity and community in the extant textual sources from the early middle ages, for it involved oral communication as well as texts. The Musica enchiriadis makes this explicit in its statement that it offers basic information about musical art for the adornment of ecclesiastical songs (superficies quaedam artis musicae) and its first sentence, with letters described as the “elementary and indivisible constituents of speech (vox articulata)” compared with “phtongi / soni which are the roots of song (vox canora)”.13 The cultural and intellectual context in which the Musica enchiriadis was produced and used, moreover, may enable us to determine how the particular uses of the past evident in this text, and the cultural affiliations thereby created, may be combined to form a sense of identity that overrides, and is ultimately more enduring than, any limited association with a particular gens or natio.14 The monastery of Werden on the Ruhr was manifestly a place where a number of different cultural traditions coincided. Werden was founded c. 799 by the Frisian missionary Liudger, in a region then but recently conquered by Char-

11  Codex diplomaticus Fuldensis, ed. Ernst F. J. Dronke, Kassel, 1850; Urkundenbuch des Klosters Fulda, ed. Edmund E. Stengel, Marburg, 1913–1958, and Die Klostergemeinschaft von Fulda, 3 vols, ed. Karl Schmid, Munich, 1978 (Münstersche Mittelalter-Schriften 8). 12  Janneke Raaijmakers, The making of the monastic community of Fulda, c. 744 – c. 900, Cambridge, 2012. See also Bonifatius – Leben und Nachwirken. Die Gestaltung des christlichen Europa im Frühmittelalter, ed. Franz J. Felten et al., Mainz, 2007 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 121). 13  Hans Schmid, Musica et scolica enchiriadis una cum aliquibus tractatulis adiunctis, Munich, 1981, p. 3; Musica enchiriadis and Scolica enchiriadis, trans. Raymond Erikson and ed. Claude V. Palisca, New Haven and London, 1995, p. 30. 14  Essential discussion of these concepts is to be found in Walter Pohl, “Introduction: strategies of distinction”, in Strategies of distinction (see note 3), pp. 1–16, and Texts and identities in the early middle ages, ed. Richard Corradini et. al., Vienna, 2006 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 12).

36 

 Rosamond McKitterick

lemagne, but generally lumped together with areas further east as ‘Saxony’ by the authors of the Frankish narrative sources. Liudger himself had been trained in Utrecht in Frisia and York in Northumbria, and became the first bishop of the newly-established see of Münster in 805. He and his family played a crucial role in the introduction of Christianity in the Ruhr district, the diocese of Münster, the area south of Deventer in Frisia, and northeast Frisia.15 The names in the Werdener Urbar,16 as well as in the charters extant from Werden in the cartulary compiled in the middle of the ninth century, reveal a remarkable degree of devotion and support given to this new foundation in their midst by the surrounding Frankish and Saxon population; donations of land and moveable goods to the monastery were made by many of the family and kin groups of the region.17 The establishment of a new religion and new religious institutions in the Ruhrgebiet and the newly created diocese of Münster inevitably brought people from outside Saxon Westphalia to assist with the new enterprise alongside Saxon converts. As their names, their orthography in the charters, and many vernacular glosses added to the manuscripts indicate, these immigrants came from Frisia, England, and elsewhere, mostly from the Frankish realms ruled by the Carolingians.18 Migrants are perforce hybrids. Any consideration of their identity, let alone

15  St. Liudger und die Abtei Werden, ed. Victor H. Elbern and Basilius Senger, Essen, 1962; 805: Liudger wird Bischof. Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster, ed. Gabriele Isenberg and Barbara Rommé, Mainz, 2005; Eckhard Friese, “Liudger und das Kloster Werden. Über Gründerväter, Gründerjahre und Gründungstradition”, in Das Jahrtausend der Mönche. Werden 799–1803, ed. Jan Gerchow, Cologne, 1999, pp. 59–64. On the chronology of Charlemagne’s conquests see Rosamond McKitterick, Charlemagne: the formation of a European identity, Cambridge, 2008, pp. 103–6. 16  Rheinische Urbare: Die Urbare der Abtei Werden a. d. Ruhr, ed. Rudolf Kötzschke, Bonn, 1906. 17  Heinrich Tiefenbach, “Werden und die Anfänge der altniederdeutschen Sprachgeschichte”, in Das Jahrtausend (see note 15), pp. 212–7, at p. 216; Heinrich Tiefenbach, Xanten-Essen-Köln. Untersuchungen zur Nordgrenze des Althochdeutschen an niederrheinischen Personennamen des neunten bis elften Jahrhunderts, Göttingen, 1984; Erich Wisplinghoff, Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1100, Düsseldorf, 1994 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 57, 2); Karl Eduard Verhoeff, Das Cartularium Werthinense: Geschichte der Stiftung der Ehemaligen Benediktiner-Abtei in Werden an der Ruhr im 8. und 9. Jahrhundert, Münster, 1848; Dirk P. Blok, Een diplomatisch Onderzoek van de oudste particuliere oorkonden van Werden, Ph.D. Universiteit Amsterdam, Akademische proefschrift, Assen, 1960, pp. 156–219, later published under the same title in Amsterdam, 1966; Theodor Lacomblet, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins 1, Düsseldorf, 1840, pp. 2–64; and Rosamond McKitterick, “The uses of literacy in Carolingian Europe: literate conventions of memory”, in Scrivere e leggere nell’alto medioevo, Spoleto, 2012 (Settimane di studio del centro Italiano di Studi sull’alto medioevo LIX), pp. 179–208. 18  For the Frisian context of Liudger see Wilhelm Levison, England and the Continent in the



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ethnicity, needs to be described as a synthesis of identities in a migrant context.19 The many new Christian centres throughout Saxony, established by the Carolingian rulers and the Carolingian clergy in the course of the ninth century, created special concentrations of migrants, with potentially multiple identities, drawn together by a common purpose.20 This extraordinary situation raises many questions pertinent to the themes of gentes and nationes but common to all migrants: what sense of belonging might these migrants have had, displaced from their homelands by an idea, and set to live amidst a community who knew nothing at first of the cultural contexts whence the new arrivals came? To what extent did the missionary and monastic migrants in their turn feel displaced, lose their acceptance in their homelands, and lose their own sense of belonging to those who were left behind, even should they ever return? Undoubtedly they were changed by their experience and might be expected to deploy a different kind of language and frames of reference that had little to do with those of their homelands. This deployment of new registers of communication may have acted both as a strategy of assimilation in their new home and, at the same time, as an expression of their new identity. In what precise ways did the Christian religion contribute to this new identity? That is, to what degree did being a Christian become part of one’s identity and how dominant was the Christian religious affiliation in the new identity of the foreign mis-

eighth century, Oxford, 1946, p. 62; and Marco Mostert, “The early history of written culture in the Northern Netherlands”, in Along the Oral-Written Continuum. Types of texts, relations and their implications, ed. Sleavica Rankovic et al., Turnhout, 2010 (Utrecht Studies in Medieval Literacy, 20), pp. 449–88 at 462–6. 19  I am indebted to Jennifer Scappettone, “shop talk” (that is, research report) American Academy in Rome 21st April 2011 on the post-Fascist and post World War II Italian poets Villa and Rosselli for discussion of the hybridity of migrant identities. The poet Rosselli, for example, was an Italian, anti-Fascist refugee to Vichy France, whose father had been assassinated on Mussolini’s orders. She then went to England after the war and studied Music, subsequently emigrated to America, and then returned to Rome. She wrote poetry in both English and Italian. 20  A useful survey of the wider context with earlier literature cited is Arnold Angenendt, “Die Christianisierung Nordwesteuropas”, in 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, 3 vols, ed. Christoph Stiegemann and Matthias Wemhoff, Mainz, 1999, vol. 2, pp. 420–33 and the associated exhibits, pp. 434–91. On the consolidation of Frankish ecclesiastical organisation see Peter Johanek, “Der Ausbau der sächsischen Kirchenorganisation”, ibid., pp. 494–506, the exhibits pp. 507–91, Christopher Carroll, “The bishoprics of Saxony in the first century after Christianisation”, in Early Medieval Europe 8 (1999), pp. 219–46, and Hedwig Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter, Stuttgart, 2002 (Beihefte der Francia 48).

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sionaries? Is there any justification for the assumption, sometimes maintained in modern scholarship, that the ethnic identity predominated? Many communities, besides that linked to Werden, yoked together different linguistic traditions and a complex cultural legacy in service of the new religion within the Frankish realm. Paradoxically enough, Latin, an adopted second language for many of those involved in the enterprise, became the principal vehicle for amalgamation or acculturation within the Frankish realm as a whole.21 As the language in which most individuals in these centres chose to write, Latin was a potential means for voicing or expressing identities, and most crucially of all, the means by which all these migrants gained access to the textual resources of the past. If they wrote in their borrowed language were they then accepted and assimilated or did they remain hybrids, neither fully foreign nor fully native? In the context of efforts to communicate the new religion and Latin culture within Saxony, however, Werden (together with Essen) was also a centre for the development of written forms of Old Saxon as well as a place where Old High German was to be found.22 It is entirely appropriate that the Heliand,23 and the Werden Glossary have been associated with Werden. The Heliand, which has been characterized as an epic poem in alliterative verse about Christ ‘the Saviour’, accommodating the Gospel story to the understanding of his public, is in Old Saxon. The bulk of the text’s surviving 5,983 lines is extant in two manuscripts in Munich and London, though the latter’s language has been judged to be closer to Franconian than that of the former, and the text itself apparently circulated in different and

21  See McKitterick, Charlemagne (see note 15), pp. 315–20; German trans. Karl der Große, Darmstadt, 2008, pp. 273–7, Wolfgang Haubrichs, “Die Angelsachsen und die germanischen Stämme des Kontinents: Sprachliche und literarische Beziehungen”, in Irland und die Christenheit – Ireland and Christendom, ed. P. Ní Catháin and Michael Richter, Stuttgart, 1987, pp. 387–412, and for interesting comments on how the “programme of the Carolingian Renaissance” might have spilled over from Latin to the vernaculars’ see Theodore M. Andersson, “A Carolingian pun and Charlemagne’s languages”, in Along the Oral-Written Continuum (see note 18), pp. 357–69. 22  Tiefenbach, “Werden und die Anfänge” (see note 17) and Steffen Krogh, Die Stellung des Altsächsischen im Rahmen der germanischen Sprachen, Göttingen, 1996. 23  Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 25 (s.IX) and London, British Library, Cotton Caligula A VII (s.X). The Heliand has also been associated with Corvey, Fulda and other centres as well as Werden. Heliand und Genesis, ed. Otto Behagel, Tübingen, 1984; Heliand: text and commentary, ed. James Cathey, Morningtown, 2002; Ronald G. Murphy, The Heliand. The Saxon Gospels, Oxford, 1992; Robert Priebsch, The Heliand Manuscript Cotton Caligula A.viii in the British Museum. A Study, Oxford, 1925. See also Liudger, ed. Isenberg and Rommé (see note 15), p. 77, and Richard Drögereit, Werden und der Heliand. Studien zur Kulturgeschichte der Abtei Werden und zur Herkunft des Heliand, Essen, 1951, pp. 93–110.



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independent recensions.24 Some fragments of other copies, possibly one of which may be from Werden, also survive.25 The case for the Werden glossary’s origin is less problematic and more conclusive than that for the Heliand. The Werden Glossary survives in scattered leaves.26 Like other Latin glossaries surviving from the eighth and ninth centuries, the Werden Latin glossary, a collection of Latin word definitions, was apparently designed to enhance the knowledge of Latin. The Werden glossary appears to fill in gaps in Latin glossaries from the Cologne region known as Erfurt II and III, and comprises three different alphabetical glossaries, in ‘AB- order’.27 But the glossary also reflects the interests of readers with knowledge of Old Saxon and Old English. The scribe of the Werden glossary indicated Saxon vernacular words with the abbreviation sax or a horizontal line above the word, and others with the abbreviations pop(ulariter) and mem(orande).28 The Glossary also contains many quite rare Latin words as well as basic terms. Baccula, for example, is glossed as

24  Still a useful summary of the text and its transmission history, at least up to 1976 is in John Knight Bostock, A Handbook on Old High German Literature, Oxford, 1976, pp. 168–86. See also Hans J. Hummer, Politics and power in early medieval Europe. Alsace and the Frankish realm, 600–1000, Cambridge, 2005, pp. 137–143. 25  Heliand-Fragment P, Leipzig, Universitätsbibliothek, c. 830. This can be compared with Berlin, Deutsches Historisches Museum, Heliand-Fragment P (Acc. No. R56/2537). See Hans U. Schmid, “Ein Neues ‘Heliand’ Fragment aus der Universitätsbibliothek Leipzig”, in Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 135 (2006), pp. 309–23; Gesine Mierke, Memoria als Kulturtransfer: Der altsächsische ‘Heliand’ zwischen Spätantike und Frühmittelalter, Cologne, 2008; and the suggestions made by Timothy B. Price, The Old Saxon ‘Heliand’ manuscript (MS L): New evidence concerning Luther, the poet, and Ottonian heritage, PhD Dissertation, University of California, Berkeley: [URL: http://gradworks.umi.com/34/13/3413462.html], consulted 30th April, 2011. 26  Now in Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K10: Z 9/1 + Werden, Propsteiarchiv, Fragm. 2 + Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 187 III (e.4) + Münster, Universitätsbibliothek, 271 (719) + Köln-Rath, Sammlung Dr C.Füngling, s.IX 1/3. See Klaus Zechiel-Eckes, Katalog der frühmittelalterlichen Fragmente der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf. Vom beginnenden achten bis zum ausgehenden neunten Jahrhundert, Wiesbaden, 2003, p. 62, and see also Das Jahrtausend (see note 15), p. 316. 27  Bernhard Bischoff et. al., The Epinal, Erfurt, Werden and Corpus Glossaries: Epinal, Bibliothèque Municipale 72(2), Erfurt, Wissenschaftliche Bibliothek Amplonianus 2°42, Düsseldorf, Universitätsbibliothek, Fragm. K 119:Z 9/1, Munich, Bayerische Staatsbibliothek cgm 187 III (e.4), Cambridge, Corpus Christi College 144, Copenhagen, 1988 (Early English Manuscripts in Facsimile 22). Compare Henry Sweet, The Epinal Glossary, Latin and Old English of the eighth century, London, 1883, who printed each page of the glossary faced by his transcription thereof. 28  On the Werden glossary see also Klaus Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 62, who dates the manuscript to the first third of the ninth century and locates it in the Rhineland, near Cologne, though its provenance is Werden.

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vitula and cu caelf. The gloss for Buccula, fol. 5v, the round boss in the middle of a shield, is glossed with Latin umbo and the word randbaeg.29 This word, because it is not exclusive to Old English but is also used in Frankish and Old Saxon raises further questions about the role and identity of those who made or needed the vernacular glosses in this collection. Both the glossary and the Heliand poem witness relatively straightforwardly to the linguistic diversity of the Werden community. The presence of the Gothic Bible in the astonishingly sumptuous sixth-century copy known as Codex Argenteus,30 if indeed it was in Charlemagne’s library and subsequently acquired by Liudger, may be a further intriguing manifestation of the linguistic interests and cultural diversity of the community, quite apart from its illustrious connections.31 If these three texts offer an ample indication of Werden’s linguistic range, the other texts that can be associated with the monastery in the light of the discovery of many new ninth-century fragments of Werden origin or provenance over the past three decades transform our understanding of Werden’s significance as a place where many different cultural traditions were assembled. Wilhelm Strüwer’s survey of material relating to Werden for his entry in Germania sacra in 1980, for example, built substantially on the earlier work of Drögereit.32 The exhibition devoted to Werden in 1999, which included Gerhard Karpp’s survey of Werden’s early medieval library and Jan Gerchow’s assembly of twenty-five manuscripts brought from England or associated with Liudger and Werden at the beginning of its history, have done much to augment our knowledge.33 The most decisive contribution, however, was the discovery and documentation of many more fragments, often parts of bindings of later books, catalogued in 2003 by the late Klaus Zechiel-Eckes. In consequence, I have now been able to assemble a list of no fewer than eighty-two texts (sometimes in more than one copy and with some of the

29  Klaus Zechiel-Eckes, “Corpus glossarum”, in Kunst und Kultur der Karolingerzeit (see note 20), vol. 2, pp. 490–1. 30  Uppsala, Universitets Bibliotek, DG 1 + Speyer, Dombibliothek, fragment s.n., s.VI. A full digital facsimile is now available on line see [URL: www.ub.uu.se/codexargenteus]. 31  See Bernhard Bischoff, “Die Hofbibliothek Karls des Grossen”, in idem, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, vol. 3, Stuttgart, 1981, pp. 149–171, at p. 155. 32  Das Erzbistum Köln 3. Die Reichsabtei Werden a.d. Ruhr, ed. Wilhelm Stüwer, Berlin and New York, 1980 (Germania sacra N.F. 12) and Drögereit, Werden und der Heliand (see note 23). See also Sigrid Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, 2 vols., Munich, 1989 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz: Ergänzungsband), vol. 2, pp. 826–8. 33  Gerhard Karpp, “Die Bibliothek der Benediktinerabtei Werden im Mittelalter”, in Das Jahrtausend (see note 15), pp. 241–7 and Jan Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen”, in ibid., pp. 49–58, at pp. 55–7.



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prayers and confessions amalgamated into one item) for which a case, however tentative, for a Werden connection can be made. This corpus of texts includes manuscripts and fragments in a variety of insular, Continental insular, and Continental caroline minuscule hands.34 Although it is not the place here to do a full palaeographical analysis, it should at least be emphasized that the books in this corpus actually produced at Werden, as distinct from and in addition to being acquired from elsewhere, indicate the speedy adoption of the whole range of scribal techniques available in Carolingian Francia.35 Such an acquisition of literate skills can be seen as a further manifestation of Werden’s receptiveness to Carolingian and Christian culture.36 Any future study of the scriptorium of Werden notwithstanding, the current set of texts of Werden provenance and probably part of the monastery’s library in the ninth century reflects something at least of the textual riches Werden once enjoyed.

34  I have attempted to list these in the Anhang to Rosamond McKitterick, “Werden im Spiegel seiner Handschriften”, in Festschrift Hans-Werner Goetz, ed. Steffan Patzold, Munich, 2012, where I have collated the material currently available, from that originally offered in Drögereit, Werden und der Heliand (see note 23), modified by Bernhard Bischoff, “Review of Drögereit, Werden und der Heliand”, in Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 66 (1952), pp. 7–12; Bernhard Bischoff, “Panorama der Handschriften. Überlieferung aus der Zeit Karls des Großen”, in Karl der Grosse. Lebenswerk und Nachleben, vol. 2: Das geistige Leben, ed. idem, Düsseldorf, 1965, pp. 233–54, and revised in Bernhard Bischoff, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, vol. 3, Stuttgart, 1981, 5–38, at p. 7 note 8, in the light of information in Elias Avery Lowe, Codices Latini Antiquiores (hereafter CLA), vol. 8, Oxford, 1959, and vol. 12 (1971); the English translation by Michael Gorman in Bernhard Bischoff, Manuscripts and libraries in the Age of Charlemagne, Cambridge, 1994, pp. 20–55, at p. 22 note 8, supplies full shelf marks for the manuscripts. See also Bernhard Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), vol. I: Aachen–Lambach, Wiesbaden, 1998. Further information is in Stüwer, Die Reichsabtei (see note 32), pp. 61–9; Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), and Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33) (who incorporates the comments of Bruce Barker-Benfield, “The Werden Heptateuch”, in Anglo-Saxon England 20 (1991), pp. 43–64. Others may I hope be able to augment this list further. 35  See the pertinent observations in Barker-Benfield, “The Werden Heptateuch” (see note 34), pp. 59–62, and for the wider context Rosamond McKitterick, “The Anglo-Saxon missionaries in Germany: reflections on the manuscript evidence”, in Transactions of the Cambridge Bibliographical Society 9 (1989), pp. 291–329, repr. in Rosamond McKitterick, Books, scribes and learning in the Frankish kingdoms, 6th–9th centuries, Aldershot, 1994, Chapter IV. 36  Of the many studies of this process see Akkulturation, ed. Hägermann (see note 1); Michel Banniard, Genèse culturelle de l’Europe V–VIIIe siècle, Paris, 1989; Rosamond McKitterick, The Carolingians and the written word, Cambridge, 1989; eadem, History and memory in the Carolingian world, Cambridge, 2004; La culture du haut moyen âge. Une question d’élites?, ed. François Bougard et al., Turnhout, 2009 (Collection Haut moyen âge 7).

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Even the surviving range of texts makes it possible now to assess the cultural and intellectual milieu of the Scolica enchiriadis’s earliest manuscript and its implications in relation to the theme of this volume. Werden’s cultural diversity is charted by the texts that can be linked with the abbey. They encompass first of all the basic biblical and liturgical books necessary for Christian worship and religious teaching one would expect from a monastery whose abbot was also a bishop and engaged in missionary work. From the biblical fragments extant it is clear that the abbey had access from its foundation to the most crucial biblical texts. The Heptateuch, for example, was arguably one of the earliest books owned by the abbey. It is extant now only in fragments in Düsseldorf and Toyko37 and may be the fruit of Abbot Liudger’s early associations with York. Similarly the Werden copy of the Psalms was part of the abbey’s early biblical resources.38 The Major and Minor prophets, written in a St Amand hand and subsequently in Münster on the other hand, can only be securely placed in Werden at the turn of the ninth century.39 Remnants of the most crucial books for readings during the liturgy as well as Christian teaching, however, have been proposed as products of Liudger’s own hand. The Gospels,40 and the letters of St Paul,41 are written in a distinctive insular minuscule. Liudger’s brother Hildigrim, bishop of Châlon sur Marne 820–827, has been credited with another copy of St Paul’s Epistles,42 as well as a copy of Gregory the Great’s Homiliae in Ezekielem.43

37  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K16: Z 1/1, CLA 12, 1685, formerly Staatsarchiv, Z 4/4; Z 4/3; Z 1/1; Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 49; Düsseldorf, Universitätsund Landesbibliothek, A.19, s.VIII/IX, CLA 12, 1685, and see Barker-Benfield, “The Werden Heptateuch” (see note 34). 38  Hannover Kestner-Museum, final leaf, c. 800, Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 19. 39  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, A 6, s.IXin. See Gerhard Karpp, “Die Bibliothek der Benediktinerabtei Werden”, in Das Jahrtausend (see note 15), pp. 241–7, at p. 243. 40  Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. qu. 139, s.IX1/3 and s.IX/X. This also has a pericope lists and relic list: Bischoff, Katalog (see note 33), Nr. 473, p. 100. Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 21. An additional Werden Gospel Book is indicated by Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol 359, s.X. 41  Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 366, s.IX1/4, Bischoff, Katalog (see note 34), Nr. 463, p. 98. “Gerchow, Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 20. 42  Hannover, Kestner-Museum, Codex Culemann Nr. 1, s.VIII/IX, Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 23 describes this as written by Hildigrim, brother of Liudger. 43  Berlin, Staatsbibliothek, Preussischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 356, s.IX1/4; Bischoff, Katalog (see note 34), Nr. 97, p. 97. Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 22.



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In the early tenth century Werden also appears to have possessed a copy of the Apostolic letters.44 The glosses in the latter are a further indication of their being studied. The liturgical fragments witness to the celebration of public liturgy as well as the monastic office. The possession of a mass book in the so-called Gelasian version is a firm indication of the monasterys Frankish affiliations, though the arguments relating to Anglo-Saxon knowledge of this Sacramentary should also be noted. The Gelasian Sacramentary was widely disseminated across Francia alongside newer compilations such as the eighth-century Gelasian and the Gregorian Sacramentary in the Frankish version promoted by Charlemagne and his advisers.45 The construction of a litany, the composition of prayers, and the importation of hymns, prayers and reflections on the psalms attributed Bede and Alcuin, all suggest Liudger’s active contribution of texts he had encountered at York. These prayers and hymns, gathered together in the compilation in Köln, Dombibliothek, MS 106, and attributed to Werden by Gerchow following the identification by Drögereit, in this respect has double weight as historical evidence.46 Firstly, the compilation in itself is a precious witness to decisions made and choices selected to form the volume as a whole. The compiler drew on existing, some near contemporary texts to form a sequence within a handbook, as distinct from weaving older ideas from texts into a new intellectual whole and exposition as in the Musica enchiriadis. Secondly, these same selections indicate the range and availability of other texts from which the extracts were chosen. The compilation as a whole merits more detailed consideration than can be given here therefore, and in the compass of this paper it has not been possible to pursue all the questions these texts raise. I hope others will be able to explore the implications of their representation in the Cologne compilation in the relevant contexts.47 Written in alternating insular and continental minuscule script

44  Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 481. 45  Cyrille Vogel, Medieval Liturgy. An introduction to the sources, Washington, 1986, still offers essential guidance. See also Yitzhak Hen, The royal patronage of the liturgy in Frankish Gaul, London, 2001; Éamonn Ó Carragáin, “The periphery rethinks the centre: inculturation, ‘Roman’ liturgy and the Ruthwell Cross”; and Yitzhak Hen, “The Romanization of the Frankish liturgy: ideal, reality, and the rhetoric of reform”, in Rome across time and space: Cultural transmission and the exchange of ideas, c. 500–1400, ed. Claudia Bolgia et al., Cambridge, 2011, pp. 63–83 and 111–23. 46  Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 25. Compare Bischoff, Katalog (see note 34), p. 398 Nr. 1919, who more cautiously places it in the “nördliches Rheinland”. 47  For Köln, Dombibliothek, MS 106 see the website Codices electronici Colonienses for a full

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and dated to the first third of the ninth century, the codex may represent more than one phase of compilation, for it now contains a Litany, Libellus precum, some extra hymns, Confessiones, and the Notitia provinciarum ecclesiae, all from the ninth century, in addition to the dozen items attributed to Alcuin and Bede recorded in the contemporary Table of contents on fol. 6r and headed IN HUIUS CODICELLI CORPORE CONTINENTUR. Some of these texts are also included in other devotional handbooks from the ninth century.48 The Notitia provinciarum Galliae on fols 71v–72v is a list of ecclesiastical provinces under their Roman names and includes in Germania Prima the Latin and the local names for Mainz, Strasbourg, Speyer, and Worms. The Litany, fols 73r–74v, includes Liudger as well as other Anglo-Saxon saints such as Boniface, Lebuin and Willibrord, but there is also a host of north Frankish saints listed, such as Bavo, Amand, Remaclus, Arnulf, Medard, Vedast, Eligius, Genovefa, and Geretrudis, besides the standard Roman ones. Judging from the number of insular books of possibly English origin as well as those written in insular script but possibly of Continental origin in the Werden corpus, a number of texts are usually surmised to have been brought from England by Liudger or his companions (or sent by colleagues).49 These include the Gelasian Sacramentary,50 John Chrysostom,51 Jerome’s commentary on Galatians,52 Cassiodorus’s Expositio in Psalmorum,53 Lathcen’s Ecloga moralium,54 the

description of contents and facsimile, accessed 9th August 2011. See also the comments by Barker-Benfield, “The Werden Heptateuch” (see note 34), p. 58. 48  Donald Bullough indicated, unfortunately with no further discussion that he “would like to attribute (Cologne Dombibl. 106) to scribes gathered at the Aachen Court in the last years of Charlemagne’s reign, although there are difficulties” in Alcuin. Achievement and reputation, Leiden, 2004, p. 107, note 270. For notes concerning other manuscripts in which one or more of the Köln 106 texts occur see ibid., p. 178, note 142, pp. 181–2 note 15, p. 321–2 note 222. On hymns see Els Rose, Ritual memory. The Apocryphal Acts and liturgical commemoration in the early medieval West (c. 500–1215), Leiden, 2009, pp. 18–20. 49  Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33). 50  Universitätsbibliothek Münster, Fragm. IV 8, s.VIII/1, proposed as a possible Werden manuscript by Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 55, Nr. 2. 51  John Chrysostom, De reparatione lapsi, Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 1 B 215, s.VIIImed, and De compunctione cordis, Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 1 B 215 + K 15: 009 + K 19: Z 8/8, s.VIIImed. See CLA 8, 1187 (see note 34) and Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), pp. 27–8, 47, 60. 52  Kloster Gerleve, Bibliothek, s.n., s.VIII/2, CLA Addenda, 1826 (see note 34), proposed by Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 10. 53  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 16; Z 3/1, s.VIII1/2, CLA 12, 1786 (see note 34), Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 50–2. 54  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 1: B 212 s.VIII/1 + Werden, Pfarrarchiv, s.n.



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Mandatum of Pastor Hermae,55 the Vitae Sanctorum,56 Dionysius Exiguus, Easter Cycle,57 Isidore’s Etymologiae and De ortu et obitu patrum,58 Orosius, Historiarum adversus paganos libri VII 59 and Bede’s Historia ecclesiastica.60 Other books appear to be the outcome of the links formed with centres in west and northwest Francia and Frisia, notably Utrecht, Corbie, Tours and St Amand, as well as with monasteries nearby such as Essen, or further to the east such as Fulda. These include the Major and Minor Prophets already mentioned above, Gregory the Great’s Moralia in Job and his Letters (the latter written in Corbie), and Caesarius of Arles’s Ammonitiones.61 It is likely that Hildigrim, Liudger’s brother, who was bishop of Châlons sur Marne, may have been in a position to acquire further texts. The scriptorium of Werden, as already indicated, also made its own copies of texts, such as the Heptateuch, the Dialogues of Gregory,62 Bede’s Homilies on the Gospels,63 the texts of Bede’s hymns and Alcuin’s moral and

+ New York, Columbia University, Plimpton 54, CLA 8, 1185 (see note 34); Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), pp. 24–5. 55  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 2: C 118, Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), pp. 30–1. 56  Berlin, Staatsbibliothek, theol. lat. fol. 355 binding fragment, s.VIII/2, CLA 9, 1068 (see note 34); Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 9. 57  Münster, Stadtarchiv, Msc. I 243, fols 3–10 s.VIII (Jarrow) / VIIIex (Fulda) / s.IXin (Werden) CLA 9 (see note 34), 1233–4 and Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56, Nr. 24. 58  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 17: 017 + K 19: Z8/7b, S.VIII1/2, CLA 8, 1189 (see note 34) (formerly Düsseldorf, Staatsarchiv, fragm. 28); Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), pp. 48 and 59 and Isidore of Seville, De ortu et obitu partum, Düsseldorf, Universitätsund Landesbibliothek, K 1: B 210 (formerly B 210), s.VIII/2 + San Marino, Huntington Library, RB 99513, CLA 8, 1184 (see note 34); Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 23. 59  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, M 041 + Hauptstaatsarchiv, Z 11/1, s.VIII/2, formerly Z 4, nr 2, CLA 12, 1687 (see note 34), Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 64. 60  Bede, Historia ecclesiastica gentis anglorum Münster, Universitätsbibliothek, Fragm. I 3, CLA Addenda, 1848 (see note 34), proposed as a possibility by Gerchow, “Liudger, Werden und die Angelsachsen” (see note 33), p. 56 Nr. 11. 61  Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 354, s.VIII/2, Bischoff, Katalog (see note 34), No. 457a, pp. 96–7; Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 322. s.IX2/3, Bischoff, Katalog (see note 34), no. 453, p. 95; Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. fol. 355, s.IX2/3, Bischoff, Katalog (see note 34), Nr. 459, p. 97; see also Karpp, “Die Bibliothek Werden” (see note 39). 62  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 1: B 213 s.VIII/IX + Bonn, Universitätsbibliothek, S 366, fol. 34, 41, CLA 8, 1070 and 1186 (see note 34); Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 26. 63  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 16: Z 4/2, s.VIII/IX, CLA 12, 1688 (see note 34).

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devotional treatises incorporated into Köln, Dombibliothek, MS 106, and canon law in the Collectio Quesnelliana.64 Werden very rapidly moved on from such basic provision for instruction in the Christian faith and liturgical celebration to the study of theology, patristic exegesis and moral treatises. Even allowing for how much has got lost, the range of texts and patristic authors such as Jerome, John Chrysostom, Augustine, Gregory the Great, Bede, and Caesarius of Arles, is both impressive and similar to the range to be found in Carolingian libraries elsewhere.65 Although biblical texts, biblical exegesis, theology and hagiography predominate, history (Orosius and Bede), as well as the principal texts for the transmission of classical knowledge to the early middle ages, such as Isidore of Seville’s Etymologiae, were among the earliest texts acquired. In the tenth-century the range of texts was extended with older texts such as the Thebaid of Statius,66 Vergil’s Aeneid,67 Bede’s school text on computus (De ratione temporum),68 Isidore of Seville’s De viris illustribus, Prudentius’ Carmina,69 as well as contemporary authors such as Regino of Prüm, De disciplinis ecclesiasticis70 and the Scholica enchiriadis de arte musica. These texts are a storehouse of a millennium of learning.71 They witness, moreover, to a network of places from which exemplars were acquired in Britain as well as on

64  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 2: E 32, s.VIIIex, CLA 8, 1188 (see note 34); Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), pp. 32–3. See also Lotte Kéry, Canonical collections of the early middle ages (ca. 400–1140). A Bibliographical guide to the manuscripts and literature, Washington, 1999 (History of Medieval Canon Law), pp. 27–9. 65  Rosamond McKitterick, The Carolingians and the written word, Cambridge, 1989, pp. 165–210. 66  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, fragments; Stüwer, Die Reichsabtei Werden (see note 32), Nr. 27, p. 66. On the transmission of Statius see Leighton D. Reynolds, Texts and Transmission. A Survey of the Latin Classics, Oxford, 1983, pp. 394–6. 67  Aeneid with glosses, Bucolica, Georgica: Budapest, Nationalmuseum, MS CLMAE, s.X/XI. 68  Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, s.X; Stüwer, Die Reichsabtei Werden (see note 32), p. 68, no. 35, gives no shelf mark and it does not appear to correspond to any of the manuscripts of the De temporum ratione listed by the editor in Bedae venerabilis Opera Pars VI. Opera Didascalica 2, ed. Charles Jones, Turnhout, 1977 (Corpus Christianorum, series Latina 123B), p. 243. 69  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, MS F 1, s.IX 3/3; Stüwer, Die Reichsabtei Werden (see note 32), Nr. 39, p. 69 dates this s.Xex but compare Bischoff, Katalog (see note 34), Nr. 1073, p. 231. 70  Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, E 3, s.X. 71  I adapt here the notion explored in the Groningen-Leiden-Palermo research project, “Storehouses of wholesome learning”; see Foundations of Learning. The transfer of encyclopaedic knowledge in the early middle ages, ed. Rolf H. Bremmer Jr and Kees Dekker, Leuven, 2007 and Practice in Learning: The transfer of encyclopaedic knowledge in the early middle ages, ed. Rolf H. Bremmer and Kees Dekker, Leuven, 2010.



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the Continent with which Werden and its abbots had been or remained in communication. The Musica and Scolica enchiriadis, of course, offers a fully articulated demonstration of how such a storehouse was assimilated. This famous ninth-century music treatise presents an account of music that adjusts received musical theory in the light of ninth-century Frankish singing practice. The earliest fragment of this treatise, now Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, K 3: H3, is generally accepted as of Werden provenance and possibly Werden origin.72 There are sufficient indications that Werden was also the place where the text itself was composed.73 The treatise’s adaptation of its intellectual and practical resources to suit a particular community’s musical requirements thus provides a further demonstration of the way the resources of the past could be deployed within a community. The hymns in Cologne, Dombibliothek, MS 106, as well as Gerchow’s suggestion that an eighth-century fragment of a Sacramentarium Gelasianum could also be from Werden, moreover, provide textual evidence of sung portions of the liturgy that enhances the appropriateness of Werden as a place which might have produced the Musica and Scolica enchiriadis. The Scolica enchiriadis is designed for teaching the chant and accommodates the needs of a singer.74 Although it draws on earlier texts as indicated below, the Scolica enchiriadis is nevertheless original in content and form and appears to reflect specific practice. In particular, its presentation of tetrachords differs in significant ways from the Greek system.75 The Scolica enchiriadis and its associated treatise the Musica enchiriadis contain the earliest use of fixed pitch notation,

72  Zechiel-Eckes, Katalog (see note 26), p. 33; Dieter Torkewitz, Das älteste Dokument zur Entstehung der abendländischen Mehrstimmigkeit. Eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: Das Düsseldorfer Fragment, Stuttgart, 1999 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 44), pp. 11–6 (who argues firmly for Werden); Michael Walter, “Das Düsseldorfer Fragment der Scolica enchiriadis. Ein musiktheoretischer Traktat aus der Abtei Werden um 900”, in Das Jahrtausend (see note 15), pp. 218–22 with illustrations of fols. 1v and 4r; and Susan Rankin, “XI.47 Musiktraktat (Fragment der Scolica enchiriadis)”, in Kunst und Kultur der Karolingerzeit, vol. 2, ed. Christoph Stiegemann and Matthias Wemhoff, Mainz, 1999, pp. 858–60, also with an illustration of fols. 1v and 4r. Compare Bernhard Bischoff, Katalog (see note 34), Wiesbaden, 1998, p. 231, Nr. 1074 (who prefers the wider “Nordwestdeutschland”). 73  See below, pp. 49–50. 74  I apply here the notion of “coherent music thinking” in conjunction with “empirical practice” relating to those writing chants from c.900 described by Christopher Page, The Christian West and its singers. The first thousand years, New Haven, 2010, p. 415. I am grateful to Chris Page and Calvin Bower for discussing the Musica enchiriadis and Scolica enchiriadis with me. 75  See Charles Atkinson, The Critical Nexus. Tone system, mode and notation in early medieval music, Oxford, 2009 (American Musicological Society Studies in Music), pp. 118–36.

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 Rosamond McKitterick

a form of a stave to indicate ascending notes, and stepped-pyramid diagrams to help visualize tones and semi-tones, with the latter described as holding the melody together “in sweetness and concord”.76 Tones and semi-tones were also demonstrated vocally, with both Master and the pupil in the dialogue recorded as singing particular combinations of notes and the pupil singing back what he had learnt. The so-called daseian notation used by the scribe / author of the text serves as a means to represent the tetrachords. There are notated versions of the chants cited (rather than merely verbal incipits of the chants), a description of polyphonic singing, and a technical discussion of plainchant modal theory. This included a departure from purely parallel part singing in fifths and octaves to include singing in a harmony of fourths. Most pertinent to the theme of this volume is the way the author draws on earlier music theory but adapts these to the chant in ways that are distinctive for early medieval Francia. Indeed, the author of the Scolica’s particular way of thinking in relation to chant and his discussion of the modes in this treatise are also different from later discussions, such as Guido d’Arezzo’s. The author’s work seems to merit designation as a distinctively Carolingian and Frankish approach to music. The treatise is thus a pioneering instance of the extraordinary creativity in liturgical music with which the Carolingians are credited, including major contributions to the musical repertoire, new melodies and new genres of chant such as tropes and sequences, a special skill in performance of texts, a theory of the modes, rules for singing polyphony, and of course musical notation.77 The Scolica enchiriadis and its associated treatise the Musica enchiriadis, in short, are peculiarly Frankish contributions to the history of western music. Let us consider further the implications of the origin of the Scolica enchiriadis. The treatise itself, together with its companion piece in all extant manuscripts, the Musica enchiriadis, has since 1895 most usually been attributed to Hoger († 906), abbot of Werden between 898 and 902. Despite maintaining that they are by different and unidentified (even unidentifiable) authors, Erickson concedes that both treatises are “products of a single intellectual and musical milieu”.78 The

76  Musica et scolica enchiriadis (see note 13), p. 65; Musica enchiriadis, trans. Erickson (see note 13), pp. 38–9. 77  See the useful summaries by Erickson, Musica enchiriadis (see note 13), p. liv and Susan Rankin, “Carolingian music”, in Carolingian culture: emulation and innovation, ed. Rosamond McKitterick, Cambridge, 1994, pp. 274–316. 78  Germain Morin, “Un essai d’autocritique”, in Revue Bénédictine 12 (1895), pp. 385–96, at p. 394; Torkewitz, Das älteste Dokument (see note 72), pp. 12–3, summarises the discussion about authorship. On Hoger see Heinrich Engel, Ruhrchristen. Geschichte und Geschichten von Ludgerus und den Liudgeriden, von Reichsäbten und Pfarrern in Werden an der Ruhr, Essen, 1997. Erickson,



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attribution to Hoger has the benefit of support in two tenth-century manuscripts of the Scolica enchiriadis and its accompanying text, the Musica enchiriadis, from St Amand and Canterbury respectively.79 The Werden connection is further reinforced by another copy of the same version of the text represented in the Düsseldorf fragment from Werden mentioned above, also made at Werden c. 1000, and now in Bamberg.80 Confidence in the attribution of the Musica enchiriadis and Scolica enchiriadis to Werden has been weakened in the past by the lack of sufficient knowledge of Werden’s cultural and intellectual activity. The production there of such a distinctive pair of treatises has not hitherto seemed plausible. Too little was known about either the teaching or the literary and scribal production at Werden, for some scholars readily to accept that the Musica and Scolica enchiriadis were in themselves crucial evidence for both the scholarly learning and teaching activity of the monastery. It is significant how many classical and late antique works were used by the author, whether or not it was Hoger of Werden. These included Augustine’s De musica, Plato’s Timaeus in the Latin translation by Chalcidius, Fulgentius’ Milologiae, Censorinus De die natali, Cassiodorus Institutiones, Boethius, De Musica and De arithmetica, Isidore of Seville’s Etymologiae, and standard grammars such as Donatus.81 It was presumably at Werden that the author was able to consult some at least of these texts, though it is notable how important the connections with St Amand appear to have been. The earliest extant manuscript of Boethius’ De musica is from St Amand and was written c. 820, as is the earliest

Musica and scolica enchiriadis (see note 13), pp. xxii–xxiii, prefers to think in terms of two different authors, both anonymous, and usefully summarises the differences he perceives in style between the two texts. 79  Valenciennes, Bibliothèque Municipale, 337 (335), and Cambridge, Corpus Christi College Library, MS 260. See Torkewitz, Das älteste Dokument (see note 72), p. 13. 80  Bamberg, Staatsbibliothek, MS HJ.IV.20 (Var. 1), discussed by Hartmut Hoffmann, Bamberger Handschriften des 10. und des 11. Jahrhunderts, Hannover, 1995 (MGH Schriften 39), p. 15. 81  Marie-Elisabeth Duchez, “Jean Scot Erigène premier lecteur du De institutione musica de Boèce”, in Eriugena. Studien zu seinen Quellen, ed. Werner Beierwaltes, Heidelberg, 1980, pp. 165–87, though her extrapolation of the date of the treatise from this information is debateable. Compare John Caldwell, “The De Institutione Arithmetica and the De Institutione Musica”, in Boethius. His life, thought and influence, ed. Margaret Gibson, Oxford, 1981, pp. 135–54. On the role of grammar see Charles Atkinson, “Glosses on music and grammar and the advent of music writing in the west”, in Western plainchant in the first millennium, Studies in the Medieval Liturgy and its music, ed. Sean Gallagher et. al., Aldershot, 2003, pp. 199–216; Charles Atkinson, “De accentibus toni oritur nota quae dicitur neuma: Prosodic accents, the accent theory and the palaeofrankish script”, in Essays on medieval music in honor of David G. Hughes, ed. Graeme M. Boone, Cambridge, MA, 1995, pp. 17–42, and Page, Singers (see note 74), pp. 364–5.

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complete copy of the Musica enchiriadis and Scolica enchiriadis and copy of Aurelian of Reomé’s Musica disciplina.82 The Chalcidian translation of Plato’s Timaeus is also known in a St Amand manuscript from the ninth century.83 St Amand’s musical activity, culminating in Hucbald’s teaching, is well known.84 The composition of the Musica and Scholica enchiriadis, together with the compilation of the liturgical miscellany in Köln, Dombibliothek, moreover, witness in their different ways to the reception and assimilation of both classical and Christian elements of a newly available literary inheritance, and the stimulus these provided for the creation of new handbooks and new types of text. The works cited in the Musica enchiriadis and Scolica enchiriadis, furthermore, if used at Werden, would enable us to augment Werden’s ninth-century library very substantially. Yet my principal point about Werden is not so much quantitative as qualitative. All the texts and books associated with Werden in the early middle ages need to be seen as part of the cultural identity of the monastery along with the Vitae of Liudger, the Cartulary, the charters, the glossary, the early medieval inscriptions in leonine meter, the possible compositions of the Heliand and other fragments of literary and liturgical texts. Quite apart from augmenting our knowledge of Werden’s intellectual resources and connections, the music treatises in particular show us not only how a ninth-century scholar and practitioner of chant could make sense of his own cultural inheritance but also why it mattered: the same guiding principle that controls the concord of pitches regulates the natures of mortals. Through these numerical relationships by which like sounds concord with each other, the eternal harmony of life and of the conflicting elements of the whole world are united as one with material things… Those aspects of the art which thanks to God we understand, let us use in the praise of the Lord; and in rejoicing celebrating, [and] singing let us adopt those things which have been discovered for us by the laborious investigations of the ancients.85

82  Paris, BNF lat 7201, Valenciennes, Bibliothèque Municipale, 337 (325) and Valenciennes, Bibliothèque Municipale, 148. See Susan Rankin, “XI.46, 47, 48 Musiktraktate” (see note 72), pp. 857–62. See also the reference to the copy of the Major and Minor Prophets written at St Amand above, note 39. 83  Rosamond McKitterick, “Knowledge of Plato’s Timaeus in the ninth century: the implications of Valenciennes, Bibliothèque Municipale, MS 293”, in From Athens to Chartres. Neoplatonism and medieval thought, ed. Heijo Jan Westra, Leiden, 1992, pp. 85–95, repr. in Rosamond McKitterick, Books, scribes and learning in the Frankish kingdoms, 6th–9th centuries, Aldershot, 1994, Chapter X. 84  See Karpp, “Die Bibliothek der Benediktinerabtei Werden” (see note 39). 85  Musica and scolica enchiriadis (see note 13), pp. 56–8: “quod eiusdem moderationis ratio, quae concinentias temperat vocum, mortalium naturas modificet, quodque isdem numerorum partibus, quibus sibi collati inaequales soni concordant, et vitae cum corporibus



Music, identity and community in the Frankish realms in the 8th and 9th centuries 

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The content of the written tradition within any one region at a particular time has been explored in this paper with reference to Werden. Even without a ninth-century catalogue of its holdings such as exists for Lorsch, Reichenau, Murbach, St Gallen or Fulda,86 the heartrendingly fragmentary remains of Werden’s library, in binding fragments, palimpsests, and spare leaves as well as occasionally in entire codices, allow us to gain an inkling at least of the means by which memories, wisdom, and knowledge from the past were transmitted and preserved. Like the books and texts from elsewhere in the Frankish kingdoms in the eighth and ninth centuries, the Werden evidence exposes the bedrock of the biblical past, the Roman past, and the Christian faith on which community identities were constructed in the early middle ages. New cultural and religious models were adopted, and new texts created, not least the Scolica enchiriadis and Musica enchiriadis. The rapidity with which these texts and models were adopted and adapted, moreover, from the level of local rural priests up to the royal court, is remarkable.87 This paper has addressed how a sense of identity and community might manifest itself in the extant sources from the early middle ages. A variety of sources may throw light on how any one group was able to develop a sense of identity, and express it in ways which made sufficient impact for subsequent generations to acknowledge it. Historical narratives, saints’ lives, libri memoriales, and cartularies are all familiar manifestations of community identity.88 I have argued in this paper, however, that a community’s cultural memory, its particular use of the resources of the past, and the cultural affiliations thereby proclaimed, together offer one major element of identity. I have suggested that the resources of the

et compugnantiae elementorum totiusque mundi concordia aeterna coierit… Igitur quae in hac arte Deo donante sapimus, utamur eis tantum in laudibus Dei, et ea, quae laboriosa veterum indagatione nobis inventa sunt, assumamus in iubilando, celebrando, canendo”; Erickson, Musica enchiriadis (see note 13), c. 19, pp. 30–2. 86  See McKitterick, Carolingians and the written word (see note 65), pp. 178–95. 87  See for example, Yitzhak Hen, “Knowledge of canon law among rural priests: the evidence of two Carolingian manuscripts from around 800”, in Journal of Theological Studies 50 (1999), pp. 117–34, idem, “Educating the clergy: canon law and liturgy in a Carolingian handbook from the time of Charles the Bald”, in De Sion Exibit Lex et Verbum Domini de Hierusalem. Studies on Medieval Law, Liturgy and Literature in Honour of Amnon Linder, ed. idem, Turnhout, 2001, pp. 43–58; Carine van Rhijn, Shepherds of the Lord: priests and episcopal statutes in the Carolingian period, Turnhout, 2007 (Cultural encounters in late Antiquity and the Middle Ages 6). On the royal court see McKitterick, Charlemagne (see note 15), pp. 292–380. 88  See Rosamond McKitterick, History and memory in the Carolingian world, Cambridge, 2004; Bücher des Lebens – lebendige Bücher, ed. Peter Erhart and Jakob Kuratli Hüeblin, St Gallen, 2010, and Hans Werner Goetz’s contribution to this volume.

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 Rosamond McKitterick

past available to and deployed by the monastery of Werden, explored here as a case study, have demonstrated the distinctiveness of its specific contributions to the understanding and knowledge of music. But the texts gathered together for the use of the community of Werden in the course of the ninth century are also helpful in determining the extent to which a community’s cultural memory actually overrides, as well as interacts with, notions of natio or gens. Werden, with its Frisian, Westphalian, north Frankish, Saxon, Anglo-Saxon and possibly Irish connections, its speedy adoption of Carolingian Christian culture, its manuscripts of ancient, biblical and Christian texts, its combinations of both insular and Continental script traditions and of Germanic vernaculars with Latin, and its deployment of the literate conventions of memory for its legal records, is far from unique in the Carolingian world in its uses of the written word, the transmission of ideas, and its extended communication over time and space by means of texts and melody. The example of Werden, therefore, offers a new perspective from which to assess not only the particular literary and musical contribution of the Franks within the intellectual and cultural milieux of other centres throughout Europe in the early middle ages, but also the relative importance of ethnic identity.

Alheydis Plassmann

Intentionale Deutungen von Gentes-Namen Nisi enim nomen scieris, cognitio rerum perit. „Wenn Du den Namen nicht weißt, geht die (Er)kenntnis der Dinge verloren.“1 Dieser Ausspruch von Isidor von Sevilla macht grundsätzlich deutlich, welchen Wert man Namen im Mittelalter zuschrieb. Namen sind nicht vom Zufall bestimmt, sondern geben Hinweise auf die Ordnung der Dinge und bieten Erklärungen für die Welt. Indem Isidor die Namen erklärt und ihren Hintergrund darlegt, verortet er das Benannte in der Ordnung der Welt. Der etymologische Ursprung gibt nicht nur Hinweise auf die Entstehung des Benannten, sondern zugleich auch auf den Zweck, der ihm in der göttlichen Ordnung zukommt.2 Namen sind also in dem Sinne intentional, dass an ihnen die Intention Gottes deutlich gemacht werden kann. Nomen est omen, sagen wir auch heute. Wenn wir uns im Folgenden die Namen von gentes und deren Benennungen sowie die Erzählungen über ihre Benennungen ansehen, so sind diese in zweierlei Hinsicht als intentional zu deuten. Zum einen haben die mittelalterlichen Autoren, die sich mit gentes und deren Herkunft und Benennung auseinandersetzen, die Vorstellung, dass die Namen der gentes eine Bedeutung haben und dass an dieser Bedeutung der Kern der gens, ihre Haupteigenschaft, oder im Idealfall sogar Gottes Intention mit der jeweiligen gens offenbar werden kann. Zum anderen interpretieren die Autoren nicht nur das, was sie vorfinden, sondern erfinden auch das, was sie als Deutung der Namen präferieren. Die Etymologie der Namen ist von der causa scribendi vorgegeben. Es gilt, die Intention Gottes durch Deutung des Namens herauszufinden. Also sind Deutungen der Namen von gentes intentional, weil sie von den mittelalterlichen Schreibern als Schlüssel zur Entschleierung der göttlichen Zweckgerichtetheit gelten und sie sind aus heutiger Sicht intentional, weil eine bestimmte Zuschreibung zu einer gens durch den

1  Isidor von Sevilla, Etymologiae, hg. von Wallace M. Lindsay, Oxford 1911, I, vii, S. 1. 2  Zu Isidor und seinen Etymologien vgl. kürzlich den Kommentar von John Henderson, The Medieval World of Isidore of Seville. Truth from Words, Cambridge u. a. 2007. Prägnante Beispiele für diese Art von Etymologien etwa: Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1) IX, ii, 104: „Galli a candore corporis nuncupati sunt. Γάλά enim Graece lac dicitur“; IX, ii, 64: „Amazones dictae sunt, seu quod simul viverent sine viris, quasi ἅμα ζῶν, sive quod adustis dexterioribus mammis essent, ne sagittarum iactus inpediretur, quasi ἅνευ μαζῶν. Nudabant enim quam adusserant mammam. Has Titianus Unimammas dicit. Nam hoc est Amazon, quasi ἅνευ μαζοῦ, id est sine mamma“; IX, ii, 65: „In partes Asiaticae Scythiae gentes, quae posteros se Iasonis credunt, albo crine nascuntur ab adsiduis nivibus; et ipsius capilli color genti nomen dedit. Et inde dicuntur Albani“; IX, ii, 122: „…licet Mauri ob colorem a Graecis vocentur. Graeci enim nigrum maìron vocant.“

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 Alheydis Plassmann

Autor dessen Interpretation deutlich macht, nämlich seine Vorstellung von Gottes heilsgeschichtlichem Ratschluss mit der jeweiligen gens. Natürlich sind die Suche nach Deutung und die bewusste Auswahl von Namen im Einzelnen nicht immer voneinander zu trennen. Man sollte sich aber darüber klar sein, dass ein mittelalterlicher Autor, der über den Namen und den Ursprung einer gens schreibt, sich nie als Bewahrer einer mündlichen Überlieferung versteht, sondern dass die Erzählungen, die er auswählt, die Art und Weise, wie er sie erzählt, immer auf seinen Zweck hin ausgerichtet ist.3 Seine Erzählung soll die Identität der gens und die Intention Gottes verdeutlichen, so wie er sie versteht. Daher werden für etymologische Deutungen auch unterschiedliche Sprachen herangezogen. Gerne bezog man sich natürlich auf das Griechische, dessen würdige Stellung schon von Augustinus betont worden war, oder auf das Lateinische,4 aber wenn es auskam, hatte man auch wenig Hemmungen Vokale auszutauschen, nur einzelne Silben zu interpretieren, oder auf barbarische Volkssprachen zurückzugreifen.5 Mit moderner Sprachwissenschaft und der Suche nach tatsächlichen etymologischen Bedeutungen von Völkernamen hat das natürlich nichts zu tun. Dass die Namen der gentes unterschiedliche Deutungen erfahren, ist daher nicht nur von der Überlieferung bestimmt, sondern oftmals auch Ergebnis einer bewussten Auswahl. Wenn man Vorstellungen der Geschichtsschreiber über gentes und ihre Namen auf den Punkt bringen möchte, könnte man sagen: Der Name ist Programm. Im Folgenden sollen die Möglichkeiten der Namensdeutung vorgestellt werden und die Intentionen herausgearbeitet werden, die sich hinter ihnen verbergen konnten. Neben der einfachen und schlichten Erklärung der Namen in einer Pseudo-Etymologie finden wir die Anknüpfung an Troja und Rom oft über sogenannte Heroi eponymoi, namengebende Helden, deren Name die gens prägte, und schließlich einen Ursprung in Skandinavien. Ein Aspekt der Ausarbeitung der Deutungen ist dabei besonders wichtig: Neben der Auswahl einer bestimmten Deutungstradition kann nämlich auch die Art und Weise der Darstellung einer

3  Vgl. hierzu allgemein Alheydis Plassmann, „Origo gentis“. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006 (Orbis Medievalis – Vorstellungswelten des Mittelalters 7), S. 18–24 sowie 362–377. 4  Aurelius Augustinus, De civitate Dei, hg. von Bernhard Dombart und Alphons Kalb, Turnhout 1955 (Corpus Christianorum. Series Latina 47 und 48), hier VIII, 10, Bd. 1, S. 227: „Nam et Graeci, quorum lingua in gentibus praeeminet, eas magna praedicatione celebrarunt, et Latini permoti earum uel excellentia uel gloria, ipsas libentius didicerunt atque in nostrum eloquium transferendo nobiliores clarioresque fecerunt.“ 5  Zur Etymologie vgl. Joachim Gruber und Günther Bernt, Art. „Etymologie, Etymologica“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München u. a. 1989, hier Sp. 60f.



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Herkunftserzählung auf unterschiedliche Intentionen hinweisen. Ein weiterer Aspekt der Intention der Autoren ist schließlich die Frage, inwieweit sie sich einer Eigen- oder Fremdbenennung der gentes bewusst waren. Als erstes konkretes Beispiel seien die Franken genannt, weil für sie alle drei Interpretationsmöglichkeiten belegt sind, von der Namenserklärung, über die Troja-Abkunft bis zur Herkunft aus Skandinavien: Isidor von Sevilla leitet ihren Namen von ihrer Wildheit, lat. ferocitas, her.6 Er reiht die Franken damit in die barbarischen gentes ein, die sich vor allen Dingen durch ihre kriegerischen Taten hervortun. Direkt vorher nennt Isidor nämlich die Sachsen, die deshalb so heißen, weil sie hart sind.7 Dabei hat er wohl saxum = Stein im Hinterkopf, ohne dies explizit zu nennen. Die Bestimmung eines Volkes durch solche Eigenschaften legt den Kurs, den die gens im Lauf ihrer Geschichte einschlägt, einigermaßen fest. Ähnlich verfährt der Autor des Liber Historiae Francorum im 8. Jahrhundert: Die Benennung der Franken legt er dem römischen Kaiser Valentinian in den Mund, der die Franken wegen ihrer Wildheit so benannt habe.8 Die genaue griechische Etymologie für diese Deutung nennt der Autor des Liber nicht. Eugen Ewig hat eine Verbindung zu Libanios im 4. Jahrhundert und einem griechischen φρακτόι hergestellt. Das bedeutet die Gepanzerten und ist zwar nicht mit lateinisch ferus = wild, aber mit lateinisch ferreus = eisern zu übertragen, eine Verwechslung die nahe liegt.9 Die kriegerische Tüchtigkeit wird so zur Haupteigenschaft der Franken. Die Benennung hat prophetischen

6  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 101: „Franci a quodam proprio duce vocari putantur. Alii eos a feritate morum nuncupatos existimant. Sunt enim in illis mores inconditi, naturalis ferocitas animorum.“ 7  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 100: „Saxonum gens in Oceani litoribus et paludibus inviis sita, virtute atque agilitate habilis. Unde et appellata, quod sit durum et validissimum genus hominum et praestans ceteris piraticis.“ 8  Liber Historiae Francorum, hg. von Bruno Krusch, Hannover 1888 (MGH Scriptores rerum Merovingicarum 2), S. 215–328, hier cap. 2, S. 243: „Tunc apellavit eos Valentinianus imperator Francos Attica lingua, hoc est feros, a duritia vel audacia cordis eorum.“ Zum Liber vgl. Richard A. Gerberding, The Rise of the Carolingians and the „Liber Historiae Francorum“, Oxford 1987 (Oxford Historical Monographs); Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 174–188; Magali Coumert, Origines des peuples. Les récits du Haut Moyen Âge occidental (550–850), Paris 2007 (Collection des Études Augustiniennes. Série Moyen Âge et Temps Modernes 42), S. 325–339. 9  Eugen Ewig, „Trojamythos und fränkische Frühgeschichte“, in: Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/497), hg. von Dieter Geuenich, Berlin und New York 1998 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 19), S. 1–30, hier S. 20f.; Eugen Ewig, „Troja und die Franken“, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 62 (1998), S. 1–16, hier S. 11.

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Charakter, wie der Autor des Liber an der Geschichte der Franken immer wieder exemplifiziert.10 An der Benennungserzählung des Liber ist indes nicht nur die kriegerische Tüchtigkeit der Franken von Bedeutung, die sie im Kampf gegen einen Erzfeind bewiesen haben, sondern auch die Tatsache, dass sie ehrenvoll von einem römischen Kaiser so genannt werden. Sie erhalten so eine Legitimierung durch eine römische Autorität, die es ihnen ermöglicht, in die Fußstapfen der Römer zu treten, weil sie von ihnen anerkannt werden. Der Frankenname wird den Franken von Valentinian nicht eigentlich gegeben, sondern in seiner Bedeutung enträtselt. Eine andere Verortung hatten die Franken in der Fredegar-Chronik im 6. Jahrhundert erhalten. Hier wird die Bedeutung des Namens der Franken nicht aufgeschlüsselt. Vielmehr erhalten sie ihren Namen von einem Heros eponymos, eine sehr übliche Methode. Auch Isidor kannte den dux Francio schon als alternative Erklärung für den Frankennamen.11 Die Intention der Benennung wird in einem solchen Fall durch die Herkunft des Heros eponymos bestimmt. Die Verwandtschaft des Heros Eponymos ist dann sinnstiftendes Element für die gens. Francio war ein Sohn des Trojanerkönigs Priamos, dem die Flucht aus Troja gelang.12 Auch bei Fredegar erhalten die Franken also wie im Liber Historiae Francorum durch Valentinian eine Verbindung zu den Römern, hier aber von anderer Qualität, nämlich verwandtschaftlicher Art. Die Verwandtschaft wird allerdings nirgendwo explizit gemacht. Indes dürfte dem mit Vergil durchaus vertrauten Publikum bewusst gewesen sein,13 dass Francio als Nachfahre des Priamos einen edleren Stammbaum hatte, als Aeneas, der Urvater der Römer, der ja ein Untertan des Priamos war. Aus Francio leitet sich eine Bestimmung der hegemonialen Stellung der Franken ab. Ähnliches geschieht in der sogenannten fränkischen Völkertafel, wo die Verknüpfung von Francus mit einem Bruder Romanus eine Aussage über den Status der Franken enthält.14 Ermoldus Nigellus hingegen

10  Dazu Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 184–186. 11  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 101: „Franci a quodam proprio duce vocari putantur“. An anderer Stelle nennt er als typische Waffe der Franken die francisca, leitet aber die Waffe vom Völkernamen her: Isidor XVIII, vi, 9: „Secures signa sunt quae ante consules ferebantur; quas Hispani ab usu Francorum per derivationem Franciscas vocant.“ 12  Fredegar, Chronik, hg. von Bruno Krusch, Hannover 1888 (MGH Scriptores rerum Merovingicarum 2), S. 1–193, hier II, 4–6, S. 45f. Zu Fredegar vgl. Coumert, Origines (wie Anm. 8), S. 295–324; Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 147–174. 13  Zur Rolle Vergils vgl. Paul Klopsch, u. a., Art. „Vergil im Mittelalter. A: Überlieferung, Kommentare, Viten, Rezeption“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München u. a. 1997, Sp. 1522–1529. 14  Walter Goffart, „The Supposedly ‚Frankish‘ Table of Nations: An Edition and Study“, in: Frühmittelalterliche Studien 17 (1983), S. 98–130, Edition S. 109–112, hier S. 111f.



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im 9. Jahrhundert schlug einen neuen Weg ein und verknüpfte die Franken verwandtschaftlich mit den Dänen, verortete sie also im Norden, im Vorgriff auf ein dänisch-fränkisches Bündnis.15 Francio kennt er nicht und auch nicht die trojanische Herkunft der Franken, wohl aber ihre Wildheit.16 Es gibt also drei verschiedene Exegesen des Frankennamens: die Verknüpfung mit der Eigenschaft der Wildheit, die Verwandtschaft zu den Römern und eine skandinavische Herkunft, die teilweise miteinander vermengt wurden. Die Troja-Herkunft der Franken zog indes die weitesten Kreise und wurde später für die sogenannte Translatio Imperii in Dienst genommen, die Vorstellung einer Weiterführung des römischen Imperium erst unter fränkischer und dann deutscher Ägide.17 Kommen wir jetzt zu den gentes, die sich hauptsächlich auf Troja und Rom bezogen und ihre Deutung durch eine Berufung auf die Römer erfahren. Als erstes seien die Briten genannt: In der Historia Brittonum aus dem 9. Jahrhundert, deren Motive von Galfried von Monmouth im 12. Jahrhundert wirkmächtig wieder aufgegriffen wurden, ist von einer trojanischen Abkunft der Briten die Rede. Ihr Heros eponymos heißt Brutus und stammt aus dem Geschlecht des Aeneas, wird allerdings ins Exil geschickt.18 Während in Francio die Überlegenheit der Franken über die Römer angelegt ist, wird mit Brutus eine engere Verbindung zu den Römern geknüpft, die ihren Widerhall in einem fast gleichberechtigen Verhältnis der Briten zum imperator und den Römern findet.19 Im Ursprung ist hier nicht die Hegemonie angelegt, sondern die schicksalhafte Trennung von den Römern nach dem Abzug der römischen Truppen aus Britannien im Jahr 410, die zu Gleichwertigkeit führt. Beeinflusst ist die Einführung von Brutus möglicherweise durch die Deutung von Isidor, dass die Britanni deshalb so hießen, weil

15  Ermoldus Nigellus, In honorem Ludowici, hg. von Ernst Dümmler, Berlin 1884 (MGH Poetae Latini aevi Carolini 2), S. 5–79, hier lib. IV, S. 59 Z. 18: „Unde [von den Normannen her] genus Francis adfore fama refert.“ 16  Ermoldus (1884), lib. I, S. 15, Z. 344: „Francus habet nomen a feritate sua.“ 17  Zur Translatio vgl. Heinz Thomas, Art. „Translatio Imperii“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München u. a. 1997, Sp. 944–946; zur Berufung der Franken auf die Römer: Ian N. Wood, „Die Franken und ihr Erbe: Translatio imperii“, in: Die Franken: Wegbereiter Europas. Austellungskatalog Mannheim: vor 1500 Jahren: König Chlodwig und seine Erben, hg. von Alfried Wieczorek, Mainz 1996, S. 358–364. 18  Historia Brittonum cum Additamentis Nennii, hg. von Theodor Mommsen, Berlin 1898 (MGH Auctores antiquissimi 13), S. 111–212, hier cap. 10–11, S. 149–153, zur Historia Brittonum vgl. Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 85–107, zur insbesondere von Galfried fortgeführten Merlin-Erzählung, vgl. ebd., S. 100ff. 19  Historia Brittonum (1898), cap. 19 und 27, S. 162–167, vgl. dazu Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 89f.

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sie bruti seien.20 Dem konnte man mit Brutus entgegenwirken. Es mag sich auch schlicht um ein Missverständnis gehandelt haben, da man bruti auch als Genitiv zu Brutus deuten konnte.21 In der Historia Brittonum wird also die Verwandtschaft zu den Römern explizit gemacht und mit ihr die Stellung der Briten in der Welt erklärt oder zumindest die Stellung die ihnen nach Meinung des Autors der Historia Brittonum zustand. Ein weiteres Beispiel für eine Anbindung an die Römer finden wir bei den Burgundern. Deren Herkunftserzählung ist nur bruchstückhaft überliefert,22 aber immerhin hat sich die Deutung ihres Namens erhalten und ist aus nahezu zeitgenössischen Quellen des Frühmittelalters zu gewinnen und nicht von den Burgundern selbst aufgezeichnet worden. Die Burgunder hätten sich mit den Römern verbündet und für sie Burgen besetzt und in römischem Namen verteidigt. Von diesen Burgen würde sich ihr Name ableiten.23 Im Namen der Burgunder, der sich

20  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 102: „Brittones quidam Latine nominatos suspicantur, eo quod bruti sint, gens intra Oceanum interfuso mari quasi extra orbem posita.“ 21  So Arno Borst, Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, Bd. 2: Ausbau, Stuttgart 1958, S. 473. 22  Hierzu vgl. Ian Wood, „Ethnicity and the Ethnogenesis of the Burgundians“, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern. Berichte des Symposions der Kommision für Frühmittelalterforschung, 27. bis 30. Oktober 1986, Stift Zwettl, Niederösterreich, hg. von Herwig Wolfram und Walter Pohl, Wien 1990 (Veröffentlichungen der Kommision für Frühmittelalterforschung 12), S. 53–69; Ian Wood, Art. „Origo gentis. Burgunden“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 22, Berlin und New York 2003, S. 195–199; ders., „Misremembering the Burgundians“, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hg. von Walter Pohl, Wien 2004 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Denkschriften 8), S. 139–148; Reinhold Kaiser, Die Burgunder, Stuttgart u. a. 2004, S. 13f.; Roland Zingg, „Motive der burgundischen Herkunftsmythen in spätantik-frühmittelalterlichen Quellen“, in: Die Burgunder. Ethnogenese und Assimilation eines Volkes. Dokumentation des 6. wissenschaftlichen Symposiums der Nibelungenliedgesellschaft Worms e.V. und der Stadt Worms vom 21. bis 24. September 2006, hg. von Volker Gallé, Worms 2008, S. 285–324. 23  Ammianus Marcellinus, Res Gestae, hg. von John C. Rolfe, London 1963–1964 (The Loeb Classical Library), hier Bd. 3, XXVIII, 5, 11, S. 166: „Gratanter ratione gemina principis acceptae sunt litterae: prima quod iam inde a temporibus priscis subolem se esse Romanam Burgundii sciunt…“ zur vermuteten Verwandtschaft der Burgunder mit den Römern Orosius, Historiae adversus paganos, hg. von Carl Zangemeister, Wien 1882 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 5), VII, 32,11–12, S. 514: „Burgundionum quoque nouorum hostium nouum nomen, qui plus quam octoginta milia, ut ferunt, armatorum ripae Rheni fluminis insederunt. Hos quondam subacta interiore Germania a Druso et Tiberio, adoptiuis filiis Caesaris, per castra dispositos in magnam coaluisse gentem atque ita etiam nomen ex opere praesumpsisse, quia crebra per limitem habitacula constituta burgos uulgo uocant, eorumque esse praeualidam et perniciosam manum Galliae hodieque testes sunt, in quibus praesumpta possessione consistunt“. So später dann auch Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 99: „Burgundiones quondam, a Romanis



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aus der von den Römern gestellten Aufgabe ergibt, steckt also eher ein Abhängigkeitsverhältnis. Möglicherweise ist der recht frühzeitige Foederatenstatus der Burgunder im Frühmittelalter verantwortlich für diese Deutung, die uns römischerseits überliefert ist. Liutprand von Cremona im 10. Jahrhundert möchte die Burgunder über eine Verballhornung zu gurguliones als gurgelnde Sprecher oder Gefräßige deuten, obwohl er die Anbindung an die Burgen kennt.24 Kommen wir nun zu der Interpretation von Namen als Bestimmung für die gens. Ein aufschlussreiches Beispiel für die Möglichkeiten, die sich damit den Autoren auftaten, bieten die Sachsen, auf die aus diesem Grunde näher eingegangen werden soll. Wie bereits erwähnt, heißen sie laut Isidor Sachsen, weil sie so hart sind, eine Anspielung auf das Wort saxum für Stein, die Isidor gar nicht explizit macht.25 Diese Deutung, die auf eine Charakterisierung als kriegerisches Volk hinweist, wird von anderen Autoren nicht aufgegriffen, aber die Sachsen als Krieger finden sich auch anderswo. Sowohl in der Historia Brittonum aus dem 9. Jahrhundert als auch bei Widukind von Corvey aus dem 10. Jahrhundert ist eine Erzählung überliefert, die die Sachsen nicht nur mit einer Waffe, dem Sax, eine Art Kurzschwert verbindet, sondern ihnen auch gleichzeitig bescheinigt, dass sie wenig Skrupel bei der Anwendung der Waffe kennen: Die Sachsen luden ihre Feinde, in einem Fall die Briten, im anderen die Thüringer zu einem gemeinsamen Mahl ein, das einen Friedensschluss besiegeln sollte. Als die Feinde angemessen betrunken sind, nehmen die Sachsen auf einen Ruf des Anführers hin ihre Saxe und metzeln die wehrlosen Feinde nieder.26 Die Sachsen erweisen sich

subacta interiori Germania, per castrorum limites positi a Tiberio Caesare in magnam coaluerunt gentem, atque ita nomen ex locis sumpserunt; quia crebra per limites habitacula constituta burgos vulgo vocant“. 24  Liutprand von Cremona, „Antapodosis“, in: ders., Opera, hg. von Joseph Becker, Hannover und Leipzig 1915 (MGH Scriptores rerum Germanicarum 41), S. 1–158, hier lib. III, cap. 45, S. 98. Nachdem er die Erzählung von den Burgen und ihrer Benennung der Burgunder berichtet hat, fährt er fort: „Ego tamen secundum mihi traditam fronesin, id est sapientiam, Burgundiones eos quasi gurguliones apello, vel quod ob superbiam toto gutture loquantur, vel, quod verius est, edacitati, quae per gulam exercitur, nimis indulgeant.“ Dazu Borst, Der Turmbau, Bd. 2 (wie Anm. 21), S. 562f. 25  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 100: „Saxonum gens in Oceani litoribus et paludibus inviis sita, virtute atque agilitate habilis. Unde et appellata, quod sit durum et validissimum genus hominum et praestans ceteris piraticis.“ 26  Historia Brittonum (wie Anm. 18), cap. 46, S. 188, Widukind von Corvey, Rerum gestarum Saxonicarum libri tres, hg. von Hans-Eberhard Lohmann und Paul Hirsch, Hannover 1935 (MGH Scriptores rerum Germanicarum 60), hier I, 6, S. 7; Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 99 und 271f., argumentiert für eine sächsische Überlieferung, die beide Autoren verwendet haben, anders Matthias Springer, Die Sachsen, Stuttgart 2004, S. 122–130.

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als militärisch überlegen und listig. In der Historia Brittonum erweist sich die Eigenschaft der List im Laufe der Geschichte der Sachsen ebenso immer wieder als hervorstechend wie bei Widukind. In der Historia Brittonum indes, die die Sachsen als Feinde der Briten sieht, ist sie eine negative Bestimmung, die die verwerflichen Handlungen der Sachsen immer wieder begleitet,27 bei Widukind eine immer wieder zum Nutzen der gens eingesetzte positive Eigenschaft.28 In beiden Fällen wird eine Verbindung zu den Römern nicht gesucht. Eine solche martialische Deutung der gens ließ sich aber bei Bedarf umgehen. Der im 8. Jahrhundert tätige angelsächsische Gelehrte Beda Venerabilis schildert die Herkunft der diversen gentes auf seiner Heimatinsel, eine Benennungsgeschichte liefert er indes ausführlich nur für die Angeln und nicht für die Sachsen. Ob er die Erzählung der Benennung der Sachsen kannte, ist nicht eindeutig zu klären. Da es zumindest Indizien gibt, dass er sie kannte, mag man vermuten, dass er diese Erzählung absichtlich nicht erwähnte.29 Auf jeden Fall war ihm Isidors Deutung der Sachsen als hart vertraut, auf die er ebenso wenig zurückgriff. Für die Angeln als weiteren Stamm in Britannien nutzte er nicht die ihm bekannte Deutung der Angeln als derjenigen, die wörtlich im letzten Winkel (angulus) der Welt leben, die in den Briefen Papst Gregors I. auftauchte.30 Nein, Beda griff auf eine lokale Tradition über den Heiligen zurück: Gregor I. habe auf dem Sklavenmarkt in Rom einige Angli gesehen und ausgerufen, dass solche Menschen bekehrt werden müssten und zu Engeln, Angeli, werden sollten.31 Die im Namen inhärente Bestimmung der Angeln wird bei Beda zu einem überaus ehrgeizigen Programm. Die im Namen offenbarte Ordnung wird durch den Namen und durch den Benenner auf das wichtigste Ziel des Himmelreiches ausgerichtet. Es ist bezeichnend für die Angelsachsen, dass sich unter Alfred dem Großen, dem König der Westsachsen, die Gesamtbezeichnung Angli für seine angelsächsischen

27  Hierzu Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 96–100. 28  Hierzu ebd., S. 282–284. 29  Ebd., S. 66f. und S. 71f. 30  Gregor, Registrum epistularum, hg. von Dag Norberg, Turnhout 1982 (Corpus Christianorum Series Latina 140 und 140a), hier VIII, 29, Bd. 2, S. 551: „…gens Anglorum in mundi angulo posita…“; hierzu insgesamt Michael Richter, „Bede’s Angli: Angels or English?“, in: Peritia 3 (1984), S. 99–114. 31  Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum, hg. von Bertram Colgrave und Roger A. B. Mynors, Oxford 1969 (Oxford Medieval Texts), II, 1, S. 132/134; hierzu Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 68–70, und dies., „Beda Venerabilis – Verax Historicus. Bedas Vera lex historiae“, in: Wilhelm Levison: Ein jüdisches Forscherleben zwischen wissenschaftlicher Anerkennung und politischem Exil, hg. von Matthias Becher und Yitzak Hen, Bonn 2009, S. 123–143, hier S. 129ff.



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Untertanen durchsetzte und eben nicht die der Sachsen.32 Der König der Westsachsen wurde zum rex Anglorum.33 Eine solche heilsgeschichtlich überhöhte Deutung wird außerhalb der Eigeninterpretation einer gens, wenig verwunderlich, nicht unbedingt nachvollzogen. Widukind kannte Beda und sieht die AnguliSaxones in Britannien, deren Verwandtschaft mit seinen Sachsen er betont, als die Sachsen, die im Winkel leben und eben nicht als Engel.34 Der Sachsenname und seine martialische Interpretation blieb bezeichnenderweise nur bei den Feinden der Sachsen in Wales erhalten – im Übrigen bis heute, während unter Alfred dem Großen und seinen Nachfolgern eine Umtaufe der germanischsprachigen gentes in Britannien auf den heilsgeschichtlich ausgerichteten Angelnamen erfolgte und dies angesichts der Instrumentalisierung Bedas unter Alfred sicher mit Absicht. In der fränkischen Völkertafel erhalten die Sachsen mit Wandalen und Bayern nicht ganz so illustre Verwandtschaft wie die Franken, die Angeln tauchen gar nicht auf.35 Kommen wir nun zur Ableitung von einem Heros eponymos,36 der entgegen dem was das Beispiel der Franken nahelegt, nicht zwangsläufig zu den Römern führen muss. Die Bayern etwa leiten sich im 12. Jahrhundert als Norici von einem Norix, dem Sohn des Herkules ab,37 während Cosmas von Prag im 11. Jahrhun-

32  Patrick Wormald, „Engla Land: the Making of an Allegiance“, in: Journal of Historical Sociology 7 (1994), S. 1–24; Sarah Foot, „The making of Angelcynn. English Identity before the Norman Conquest“, in: Transactions of the Royal Historical Society. 6th series 6 (1996), S. 25–49; Anton Scharer, „Die Rolle der Kirche bei der Identitätsbildung der Angelsachsen“, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hg. von Walter Pohl, Wien 2004 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Denkschriften 8), S. 255–260; Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 66–72 sowie S. 99f. 33  Erster König von Wessex, der sich rex Anglorum in einer Urkunde nannte: Edgar der Ältere im Jahr 823: Vgl. dazu Anglo-Saxon Charters: [URL: http://ascharters.net/charters?range=227-357] (eingesehen am 5. März 2012), S. 271, dann erst häufiger unter Alfred, ebd., S. 343a, 346 und 347 und 348 (gleichzeitig auch als rex Saxonum), 351 (basileus Anglorum), 353, 354 und 355 und 356 (rex Angulsaxonum). 34  In angulo maris als Deutung für die Bezeichnung Angulisaxones bei Widukind, Rerum gestarum Saxonicarum (wie Anm. 26), I, 8, S. 10. 35  Goffart, „Table of Nations“ (wie Anm. 14), S. 111, in der einen Variante sind die Sachsen Verwandte der Goten, Wandalen und Gepiden, in der anderen von Wandalen und Bayern. 36  Zum Heros eponymos: Hermann Reichert, Art. „Heros Eponymos“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 14, Berlin und New York 1999, S. 428–432. 37  Heinrich von Tegernsee, Passio Sancti Quirini, hg. von Johann Weißensteiner, in: ders., Tegernsee, die Bayern und Österreich. Studien zu Tegernseer Geschichtsquellen und der bayerischen Stammessage; mit einer Edition der Passio secunda S. Quirini, Wien 1983, S. 219–291. In der Passio findet sich ein sogenanntes Norikerkapitel, S. 257–259, mit dem heros eponymos, hierzu Alheydis Plassmann, „Zur Origo-Problematik unter besonderer Berücksichtigung der Bayern“, in: Die An-

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dert die Besiedlung und Benennung Böhmens recht uninspiriert einem Boemus zuschreibt, der allerdings in Anlehnung an Aeneas bei der Einwanderung in Böhmen seine Penaten mitführt.38 Die Großpolnische Chronik sieht im 13. Jahrhundert einen slawischen Urvater Pan (aus Pannonien), von dem Lech für die Polen, Rus für die Russen und Cech für die Tschechen abstammten.39 Bei Galfried von Monmouth finden sich dann im 12. Jahrhundert die Völker der britischen Insel in einem von heroi eponymoi bestimmten Verwandtschaftsverhältnis, das hierarchisch die Stellung der Völker Britanniens ausdrückt: Loegrus sei Vorfahre der Engländer und der älteste Sohn des Brutus gewesen, hier steckt die britischwalisische Bezeichnung Loegr für England im Namen. Daher haben seine Nachfahren das Recht auf die Vormachtstellung auf der Insel. Albanactus war der Vorfahre der Schotten, wohl von Alba als einer alternativen Bezeichnung für den Norden Britanniens, und Camber der Vorfahre der Waliser, von Cambria.40

fänge Bayerns. Von Raetiun und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiuvaria, hg. von Hubert Fehr und Irmtraut Heitmeier (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1), St. Ottillien 2012, S. 245–264. 38  Cosmas von Prag, Chronica Boemorum, hg. von Bertold Bretholz, 2. Aufl., Berlin 1955 (MGH Scriptores rerum Germanicrum, Nova series 2), hier lib. I, cap. 2, S. 5–7. Deutsche Literatur zu Cosmas: Norbert Kersken, Geschichtsschreibung im Europa der „nationes“. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter, Köln u. a. 1995 (Münstersche Historische Forschungen 8), S. 573–582; Marie Bláhová, „Die Anfänge des böhmischen Staates in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung“, in: Von Sacerdotium und Regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag, hg. von Franz-Reiner Erkens und Harmut Wolff, Köln u. a. 2002 (Passauer Historische Forschungen 12), S. 67–76; Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 321–356; und demnächst Martin Wihoda, „Macht und Struktur der Herrschaft im Herzogtum Böhmen. Grundlagen, Legitimierung und zeitgenössische Vorstellungen“, in: Macht und Spiegel der Macht. Herrschaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik. Konferenz des Deutschen Historischen Instituts in Warschau in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Universität Hamburg, hg. von Norbert Kerksen und Grischa Vercamer (im Druck). 39  Chronica Poloniae maioris, hg. von Brygida Kürbis, Warschau 1979 (Monumenta Poloniae historica. Series nova 8), Prolog, S. 4; dazu Frantisek Graus, Lebendige Vergangenheit. Überlieferungen im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln und Wien 1975, S. 91f. 40  Galfried von Monmouth, Historia Regum Britanniae, Bern, Burgerbibliothek MS. 568, hg. von Neil Wright, Cambridge 1985, cap. 23, S. 15: „Cognoverat autem Brutus Ignogeg uxorem suam et ex ea genuit tres inclitos filios quibus errant nomina Locrinus, Kamber, Albanactus… Locrinus, qui primogenitus fuerat, possedit partem insule que postea de nomine suo appellata est Loegria. Kamber autem partem illam que est ultra Sabrinum flumen que nunc Glia uocatur; que de nomine ipsius postmodum Kambria multo tempore dicta fuit. Unde adhuc gens patrie lingua Britannica sese Kambro appellant. At Albanactus iunior possedit patriam que lingua nostra his temporibus appellatur Scotia et nomen ei ex nomine suo Albania dedit.“



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Schließlich ist noch die Herkunft aus dem Norden als Motiv zu nennen, das in unserem ersten Beispiel mit dem Heros eponymos verknüpft wird und nebenbei die gens auf einen heilsgeschichtlichen Pfad setzt. Seit Isidor ist die Deutung der Goten als Abkömmlinge des alttestamentarischen Magog verbreitet, der Isidor als ein Sohn Japhets und damit als Enkel Noahs gilt.41 Diese Interpretation verortet die Goten und ihre Herkunft fest im Norden und weist ihnen die Rolle von wilden Völkern zu, wieder eine martialische Einordnung, die aber die Bekehrung der Goten keinesfalls ausschließt. Ja, die gleichzeitige Einordnung in das Heilsschema, indem Magog zum Enkel Noahs wird, stilisiert sie geradezu als verlorene Söhne und Sünder, deren Verworfenheit zwangsläufig zur Erlösung durch Christus führen muss.42 An die antike Tradition werden sie angeknüpft, indem sie durch eine Vokalverschiebung mit den Geten gleichgesetzt werden und so die gesamte antike Überlieferung über die Geten auf sie bezogen werden kann.43 Auch in Jordanes’ Gotengeschichte werden die Goten so eingeordnet. Dort werden auch die Hunnen zu Verwandten der Goten. Ihre Stammmütter sind die von den Goten verstoßenen Hexen, die Halirunnae. Hunnen werden so gleichzeitig zu Fremden und zu verlorenen Verwandten, eine Deutung, die das Verhältnis zumindest zwischen den Ostgoten, für die Jordanes schreibt, und den Hunnen ziemlich adäquat wiedergibt. Die Ostgoten waren lange Jahre Bündnispartner der Hunnenkönige und lösten sich erst nach Attilas Tod aus diesem Vielvölkerverbund.44 Die Gepiden

41  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii. 26: „Item tribus filiorum Iafeth. Filii igitur Iaphet septem nominantur: Gomer, ex quo Galatae, id est Galli. Magog, a quo arbitrantur Scythas et Gothos traxisse originem…“ 42  Dies wird noch deutlicher in Isidors Gotengeschichte, Isidor von Sevilla, Historia Gothorum, Vandalorum et Suevorum, hg. von Cristóbald Rodríguez Alsonso, León 1975, cap. 1, S. 172 und cap. 66, S. 282. Zu Isidor vgl. Kersken, Geschichtsschreibung (wie Anm. 38), S. 22–27; Luis A. García Moreno, Urbs cunctarum gentium victrix gothicis triumphis victa. Roma y el reino visigodo, Roma fra Oriente e Occidente, 19–24 aprile 2001, Spoleto 2002, S. 239–322; Wolfram Drews, „Goten und Römer als Gegenstand der Historiographie bei Isidor von Sevilla“, in: Saeculum 53 (2002), S. 1–20; Andrew H. Merrills, History and Geography in Late Antiquity, Cambridge 2005, S. 170–228; ders., „Comparative histories: the Vandals, the Sueves and Isidore of Seville“, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, hg. von Richard Corradini u. a., Wien 2006 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 12; Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Philosophisch-historische Klasse 344), S. 35–45; Coumert, Origines (wie Anm. 8), S. 103–124; Ulrike Nagengast, Gothorum florentissima gens. Gotengeschichte als Heilsgeschichte bei Isidor von Sevilla, Frankfurt a. M. 2011 (Classica et neolatina 4). 43  Vgl. zum spätantiken Kontext der Gleichsetzung von Geten und Goten vor allem Coumert, Origines (wie Anm. 8), S. 33–142. 44  Jordanes, Getica, hg. von Theodor Mommsen, Berlin 1882 (MGH Auctores antiquissimi 5), S. 53–183, hier XXIV, 121f., S. 89f, zur Interpretation dieser Stelle Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer

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werden bei Jordanes ebenfalls zu Goten. Sie befanden sich im dritten Schiff, das aus dem Norden aufbrach, und trödelten. Gepiden käme von gepanta, einem gotischen Wort und bedeute träge, so Jordanes. Die Gepiden sind also träge Goten und als solche natürlich unterlegen.45 Goten, Gepiden und Hunnen kommen also aus dem Norden und finden ihre Identität unabhängig von Rom. Die Erzählung der Herkunft einer gens aus dem Norden zielt auf eine andere Bestimmung der gens als die Verortung im trojanisch-römischen Kontext, wie wir sie bei Franken und Briten beobachten konnten. Sie ist nicht so eindeutig positiv besetzt, da laut dem Propheten Jeremiah, die Völker, die das auserwählte Volk Israel bedrängen, aus dem Norden kommen. Gog und Magog sind eben Plagen für das auserwählte Volk. Im Gegenzug wird aber Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der gens betont, die so unabhängig von Rom gedacht werden kann. Aber auch eine solche Interpretation auf die wilden Völker des Nordens konnte von der Bedeutung umgedreht werden. Lange nach Isidor berief man sich – zu Unrecht wie sich die Forschung einig ist – auf der iberischen Halbinsel auf die Goten, als Vorfahren in Abgrenzung zu den muslimischen Herrschaften.46 Gog und Magog werden dann in Asturien schon im 9. Jahrhundert positiv besetzt, auch wenn sie weiterhin als wütende Krieger gelten. Das Volk zu dessen Vernichtung sie bestimmt sind, sind die heilgeschichtlich verworfenen Muslime.47 Die Anknüpfung an die Trojaner-Römer oder an eine mythische Herkunft aus dem Norden mit oder ohne einen Heros eponymos mag durchaus eine Entscheidung der jeweiligen Autoren gewesen sein. Eine Verknüpfung ließ sich oft leicht ziehen und ob man die Franken von ihrer Wildheit her interpretierte oder ihnen eine trojanische Abstammung gab, oder gar beides miteinander verknüpfte, konnte unterschiedliche Schlüsse über den Charakter der gens zulassen. Inwieweit die Autoren bei der Auswahl ihrer jeweiligen Herkunftserzählung tatsächlich vollständig frei waren, lässt sich kaum entscheiden. Die Deutung des Namens einer gens einmal in der Welt konnte dann nicht immer übergangen werden. Derjenige, der zuerst die Goten als Geten sah, gewann eine gut zu verwendende antike Überlieferung für ein noch traditionsloses Volk, die dann aber kaum noch ignoriert werden konnte.

historischen Ethnographie, 3. Aufl., München 1990 (Frühe Völker), S. 259. 45  Jordanes, Getica (wie Anm. 44), XVII, 95, S. 82. 46  Zum sogenannten Neogotismus vgl. Hans Messmer, Hispania: Idee und Gotenmythos. Zu den Voraussetzungen des traditionellen vaterländischen Geschichtsbildes im spanischen Mittelalter, Zürich 1960 (Geist und Werk der Zeiten 5); Alexander Pierre Bronisch, Reconquista und heiliger Krieg. Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12. Jahrhundert, Münster 1998 (Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft. Zweite Reihe 35). 47  Dazu Borst, Der Turmbau, Bd. 2 (wie Anm. 21), S. 553.



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Nachdem wir die verschiedenen Möglichkeiten von Benennungsgeschichten vorgestellt haben, ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das „wie“ einer Erzählung eine große Rolle spielen konnte. Denn die Autoren hatten bei hoher Bekanntheit einer Herkunftserzählung möglicherweise nicht immer die Wahl zwischen unterschiedlichen Namen oder auch Benennungsgeschichten. Trotzdem ließ sich mit der Art und Weise wie eine solche Geschichte erzählt wurde, ebenfalls eine Aussage über die Intention des Namens machen, die diametral entgegengesetzt sein konnte und ich möchte hierfür als Beispiel die Langobarden nennen. In der Origo gentis Langobardorum wie auch in einer Variante bei Fredegar ist uns erstmals die bekannte Geschichte überliefert, wie die Langobarden zu ihrem Namen kamen, wenn auch Isidor die Langobarden schon als Langbärte deutet,48 also auf eine lange Tradition dieser Etymologie weist. Konsequent erhalten die Langobarden in der Origo gentis Langobardorum vor ihrer Neubenennung den Namen Winniler. Im Kampf mit den Wandalen, ihren Erzfeinden, fürchten die Winniler ihre Niederlage und überlisten gemeinsam mit Freia den Göttervater Wodan, der den Wandalen den Sieg schenken möchte. Am Morgen, als sich Wodan aus dem Bett erhebt, und wie seiner Frau versprochen, das Volk ansehen möchte, dem er den Sieg zu schenken beabsichtigt, können die Langobarden die Aufmerksamkeit des Gottes durch einen Trick auf sich lenken: Ihre Frauen haben sich ihre Haare als Bärte vorgebunden, so dass Wodan ausruft: „Wer sind diese Langbärte?“ Freia sieht in dieser „Benennung“ die Zusage zum Sieg, woran sich Wodan dann auch hält.49 In der Origo ist diese Erzählung so überliefert, wie man es in einer positiven Grundeinstellung zur eigenen gens erwarten sollte. Den Winnilern gelingt es mit List und Erfindungsreichtum, einer aussichtslosen Lage zu entkommen. Die heidnischen Bezüge der Erzählung, die man als Hinweis auf eine mündliche Überlieferung verstehen kann, werden von der Origo nicht ausdrücklich benannt, so dass insgesamt eine positive Benennungserzählung berichtet wird. In der später entstandenen Langobardengeschichte des Paulus Diaconus wird die Geschichte indes mit vielen Fragezeichen versehen. Er bezeichnet die Langobarden als Barbaren, die Italien geplagt hätten50 und die Erzählung von den

48  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 95: „Langobardos vulgo fertur nominatos prolixa barba et numquam tonsa.“ 49  Origo gentis Langobardorum, hg. von Annalisa Bracciotti, Rom 1998 (Biblioteca di Cultura Romanobarbarica diretta da Bruno Luiselli 2), hier cap. 1, S. 106f. Fredegar, Chronik (wie Anm. 12), lib. III, cap. 65, S. 110. 50  Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, hg. von Ludwig Carl Bethmann und Georg Waitz, Hannover 1878 (MGH Scriptores rerum Germanicarum 48), hier lib. I, cap. 1, S. 52f.: Die Winniler (die späteren Langobarden) gehören zu den feroces et barbarae nationes.

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Langbärten vor Wodan sieht er als eine lächerliche Geschichte, ridicula fabula. Von dieser Geschichte der Langbärte ist nach Paulus nichts zu halten und sie sei nur Gelächter wert.51 Explizit erwähnt er, dass die Deutung der Langobarden als Langbärte alleine schon ausreichend ist, ohne dass man auf diese Geschichte Bezug nehmen müsste.52 Er wagte aber offenbar nicht, die Geschichte ganz wegzulassen. Sie war vielleicht so bekannt, dass Paulus Diaconus sie nicht umgehen konnte. Aber er sieht in dieser Herkunftserzählung gerade nicht die Bestimmung der Langobarden offenbar werden, er entwertet sie geradezu. Das wird zusätzlich dadurch hervorgehoben, dass Paulus Diaconus im Umfeld der LangobardenOrigo eine ganze Menge an anderen Herkunftserzählungen etwa für italienische Städte bietet53 und schon damit die Bedeutung der Benennungsgeschichte relativiert. Eine ursprünglich sicher zur Hervorhebung der Sonderstellung der Langobarden gedachte Benennung wird bewusst negativ konnotiert. Dies passt dazu, wie Paulus Diaconus insgesamt auch späterhin Erzählungen, die einen transzendentalen Bezug haben könnten oder die heilsgeschichtliche Relevanz der Langobarden oder ihrer Könige hervorheben könnten, in Zweifel zieht und ihres Nimbus entkleidet.54 Dieselbe Erzählung kann also auf unterschiedliche Ziele ausgerichtet werden. Daher kann etwa aus der Verwendung einer trojanischen Herkunft, aus einer Anknüpfung an Gog und Magog oder einem Hinweis auf eine Herkunft aus Skandinavien nicht einfach und gleichsam evident auf die Intention, die ein Autor in der Deutung des Namens verbarg, rückgeschlossen werden. Nur selten machte man sich Gedanken darüber, ob eine Bezeichnung eine Fremd- oder Eigenbezeichnung ist. Der Hinweis darauf erfüllt jedoch auch einen Sinn. Isidor von Sevilla behauptet, dass die Saracenen sich selber so genannt hätten, weil sie glaubten, von Sara, der Frau Abrahams abzustammen, der Name Hagareni, von Hagar der Konkubine Abrahams ist hingegen in seinen Augen die richtige Bezeichnung.55 Damit sagt Isidor gleichzeitig einiges über die falsche Eigendeutung der Sarazenen aus. Gerald von Wales im 12. Jahrhundert sieht die Bezeichnung „Waliser“ als falsch an, weil sie ihnen von den Engländern aufge-

51  Ebd., I, 8, S. 58. 52  Ebd., I, 9, S. 58f. 53  Ebd., II, 14–24, S. 95–102. 54  Ausführliche Aufstellung der entsprechenden Stellen bei Plassmann, „Origo gentis“ (wie Anm. 3), S. 215–233. 55  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), IX, ii, 57: „Saraceni dicti, vel quia ex Sarra genitos se praedicent, vel sicut gentiles aiunt, quod ex origine Syrorum sint, quasi Syriginae. Hi peramplam habitant solitudinem. Ipsi sunt et Ismaelitae, ut liber Geneseos docet, quod sint ex Ismaele. Ipsi Cedar a filio Ismaelis. Ipsi Agareni ab Agar; qui, ut diximus, perverso nomine Saraceni vocantur, quia ex Sarra se genitos gloriantur.“



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nötigt wurde und das Wort „welsch“ fremd bedeutet. Fremd sind die Waliser aber ja gerade nicht, weil sie die Ureinwohner Britanniens seien. Die bei Galfried von Monmouth für die Waliser namengebende Königin Gwendolyn verwirft er als unhistorisch. Die Waliser nennt Giraldus daher konsequent Cymrer oder Briten. Er hält es für möglich, dass die Cymrer sich von camgroeg ableiten, schrägem Griechisch, weil die Einwohner von Wales eine dem griechischen verwandte Sprache sprechen, was wiederum als Beweis für ihre trojanische Abkunft herhalten kann. Die Bezeichnung Cymrer wird von Gerald daher nicht so sehr als Eigenbezeichnung vorgezogen, sondern eher deshalb, weil sie auf Troja deutet.56 Widukind war die Eigenbezeichnung der Angeln nach der Gregor-Legende bekannt, er zieht aber die Erklärung der Winkelbewohner der der Engel vor, ohne dies indes zu erläutern.57 Man kann sicher davon ausgehen, dass ihm die Verwandtschaft mit den festländischen Sachsen, auf die er Wert legte, diese Interpretation der Anguli-Saxones nahelegte. Die unterschiedlichen Intentionen, die trojanisch-römische Anbindung, die heilsgeschichtliche-alttestamentarische Verortung und die Eigenständigkeit einer nördlichen gens lassen sich vielfältig in weiteren Überlieferungen finden und werden oft miteinander verknüpft. Der Name der gentes wird dabei zum Teil ausgelegt, zum Teil von einem Heros eponymos abgeleitet. Für diese Mischung möchte ich kursorisch noch aus ein paar Beispielen einen bunten Strauß zusammenstellen: Eine heilsgeschichtliche Ausrichtung findet sich etwa auch bei den Schotten, die von der Pharaonentochter Scota abstammten, die als einzige gegen die schlechte Behandlung des auserwählten Volkes protestiert hatte. Ganz nebenbei kommt dann noch der Ehemann dieser Scota aus Skythien, so dass die Schotten gleich zweifach in alten ehrwürdigen Geschichten verankert werden.58 In mehreren Überlieferungen stammen die Bayern aus Arme-

56  Giraldus Cambrensis, Descriptio Cambriae, hg. von James F. Dimock, London 1868 (Giraldi Cambrensis Opera 6. Rolls Series 21), S. 155–227, hier I, 7, S. 178f. 57  Vgl. oben Anm. 34. 58  Zu den schottischen fiktionalen Historien im Kontext der Unabhängigkeitskriege gegen England vgl. William Matthews, „The Egyptians in Scotland: The Political History of a Myth“, in: Viator 1 (1970), S. 289–306; Edward J. Cowan, „Myth and Identity in Early Medieval Scotland“, in: The Scottish Historical Review 63 (1984), S. 111–135; Dauvit Broun, „The Origin of Scottish Identity“, in: Nations, Nationalism and Patriotism in the European Past, hg. von Claus Bjørn u. a., Kopenhagen 1994, S. 35–55; ders., „The Birth of Scottish History“, in: Scottish Historical Review 76 (1997), S. 4–22; ders., The Irish identity of the kingdom of the Scots in the twelfth and thirteenth centuries, Woodbrigde 1999 (Studies in Celtic History 18). In der Historia Brittonum (1898), cap. 15, S. 156ff., ist von einem namenlosen Edlen aus Scythia die Rede, der auf dem Umweg über Ägypten, wo er dem Pharao begegnet, der die Israeliten vertreibt, und Spanien nach Schottland kommt. Hier ist von einer Scota noch nicht die Rede. Diese findet sich in der irischen Über-

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nien von dem Berg an dem Noahs Arche landete.59 Die Anknüpfung an Troja und die Römer findet sich bei den Normannen in Frankreich. Dudo von Saint-Quentin verballhornt die Dani kurzerhand zu Daci, um eine recht fadenscheinige Anknüpfung an Troja zu ermöglichen. Gleichzeitig sind die Normannen als Nordleute wie die Goten in Parallelität zu den alttestamentarisch prophezeiten Völkern aus dem Norden zu sehen, was ihre Wildheit und ihr anfängliches Heidentum erklärt.60 Ähnlich wie die Sachsen laden die Tschechen ihre Feinde zu einem Gastmahl, bei dem sie in einem Präventivschlag die Gäste ermorden. Nur sind in der Reimchronik des Dalimil die Deutschen die überlisteten Gäste und der Ruf, mit dem die Tschechen zum Handeln aufgefordert werden, lässt meines Wissens keine etymologische Deutung auf die Tschechen zu.61 Weil er die Ungarn nicht mit den Häretikern Gog und Magog gleichsetzen will, deren Erlösungspotential er abstreitet, sieht Remigius von Auxerre im 9. Jahrhundert ihren Namen kurzerhand als das Ergebnis einer schrecklichen Hungersnot, die sie einstmals erduldet hätten.62

lieferung: Leabhair Gabhala Erenn, hg. von Robert Alexander Stewart MacAlister, Dublin 1938– 1956 (Irish Texts Society 34, 35, 39, 41 und 44), cap. 18, Bd. 1, S. 38f. 59  Annolied, hg. von Max Roediger, Hannover 1895 (MGH Deutsche Chroniken 1,2), S. 63–132, hier Verse 20/16–20/24, S. 122; Vita Altmanni Episcopi Pataviensis, hg. von Wilhelm Wattenbach, Hannover 1856 (MGH Scriptores 12), S. 226–243, hier cap. 28, S. 237, und Kaiserchronik, hg. von Edward Schröder, Hannover 1895 (MGH Deutsche Chroniken 1,1), hier Verse 298–324, S. 85–87. 60  Dudo von St-Quentin, De moribus et actis primorum Normanniae ducum, hg. von Jules Lair, Caen 1865 (Mémoires des la societé des antiquaires de Normandie 23. Série 3,2), lib. I, cap. 1–2, S. 129f. Zu Dudo vgl. Dudone di San Quintino, hg. von Paolo Gatti und Antonella Degl’Innocenti, Trient 1995 (Labirinti. Collona del Dipartimento di Scienze Filologiche e Storiche 16); Leah Shopkow, History and Community. Norman Historical Writing in the Eleventh and Twelfth Centuries, Washington, D. C. 1997, S. 181–189; Emily Albu, The Normans in their histories: Propaganda, Myth and Subversion, Woodbridge 2001; Leah Shopkow, „The Man from Vermandois. Dudo of St-Quentin and His Patrons“, in: Religion, Text, and Society in Medieval Spain and Northern Europe. Essays in honor of J. H. Hillgarth, hg. von Thomas E. Burman u. a., Toronto 2002 (Papers in Mediaeval Studies 16), S. 302–318; Plassmann, „Origo gentis“, S. 243–264. 61  Dalimil, Reimchronik (Bohemiae Chronicon), hg. von Josef Jireček, Prag 1878 (Fontes rerum Bohemicarum 3), hier cap. 72, S. 152–155; dazu Frantisek Graus, „Böhmen und Altsachsen. Zum Funktionswandel einer Sagenerzählung“, in: Festschrift für Walter Schlesinger, hg. von Helmut Beumann, Köln und Wien 1974 (Mitteldeutsche Forschungen 74,2), S. 354–365, S. 362ff. zum Ruf Variemus nos. 62  Remigius von Auxerre, Epistola I ad episcopum Virdunensem, hg. von Jacques-Paul Migne, in: Patrologia Latina, Bd. 131, Sp. 963–968, hier Sp. 968: „Tali modo innumerabilis eorum crevit exercitus, et a fame quam patiebantur Hungri vocati sunt.“ Hierzu Borst, Der Turmbau, Bd. 2 (wie Anm. 21), S. 531.



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Bei Isidor erhalten die Germanen ihren Namen von ihrer Fruchtbarkeit her; germinare, zeugen läge dem Namen Germania zugrunde.63 Das ist offenbar durch die Vorstellung bedingt, dass die Germanen ein gänzlich unzivilisiertes Volk seien. Im Frühmittelalter erfahren die Germanen keine Neudeutung, weil die Bezeichnung so gut wie gar nicht vorkommt. Erst als Germanen als Name für die Deutschen aufkam, war es wieder an der Zeit, neue Deutungen vorzunehmen. Ganz besonders ungewöhnlich ist hier eine Variante der Großpolnischen Chronik aus dem 14. Jahrhundert. Die Deutschen heißen Germani, was sich von germo „Joch“ herleitet, weil sie so wunderbar mit den Slawen zusammenarbeiten, dass ihre Harmonie so gut ist, wie die von zwei Ochsen unter dem Joch.64 In Bezug auf die Altehrwürdigkeit der gens gelang den Einwohnern von Trier im 11. Jahrhundert geradezu ein Husarenstück. Die Treverer leiteten sich von Trebetas ab, einem Sohn des Assyrerkönigs Ninus, der im siebten Jahr Abrahams und 1250 Jahre vor Rom die Stadt an der Mosel gründete.65 Das Spektrum der Benennungsarten, der Benennungserzählungen und der Verschiedenartigkeit der Deutungen ist also außerordentlich groß. Eines aber ist den Benennungen gemeinsam. Namen gelten als erklärungsbedürftig und werden gedeutet, weil sich anhand von ihnen etwas über bestimmende Elemente und Eigenschaften der gens aussagen lässt. Und die Identifizierung der gens bedeutet gleichzeitig das Aufdecken des Zweckes, der in der Geschichte, im Extremfall im Heilsplan Gottes, für genau diese gens vorgesehen ist. Die im Ursprung und der Benennung angelegte Identität und die Eigenschaften der gens bewähren sich im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder und kommen immer wieder zur Anwen-

63  Isidor, Etymologiae (wie Anm. 1), XIV, iv, 4: „Germania post Scythiam inferiorem a Danubio inter Rhenum fluvium Oceanumque conclusa cingitur a septentrione et occasu Oceano, ab ortu vero Danubio, a meridie Rheno flumine dirimitur. Terra dives virum ac populis numerosis et inmanibus; unde et propter fecunditatem gignendorum populorum Germania dicta est“. 64  Chronica Poloniae maioris (wie Anm. 39), hier Prolog, S. 6: „Item alia interpretacio Germanorum: dicuntur a german, quia unus alterum fraternitatis consanguineitate attingebat. Nam germo est quoddam instrumentum in quo duo boves simul iuncti trahendo aratrum seu plaustrum indecunt, sic et Theutunici cum Slauis regna contigua habentes simul conversacione incedunt, nec aliqua gens in mundo est sibi tam communis et familiaris veluti Slaui et Theutonici.“ Zum Kontext vgl. Jerzy Strzelczyk, „Die Wahrnehmung des Fremden im mittelalterlichen Polen“, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposiums des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu, hg. von Odilo Engels und Peter Schreiner, Sigmaringen 1993, S. 203–220, besonders S. 215. 65  Gesta Treverorum, hg. von Georg Waitz, Hannover 1848 (MGH Scriptores 8), S. 111–260, hier cap. 1, S. 130. Vgl. dazu ausführlich Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter, Berlin 1999 (Orbis medievalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 1), S. 222ff.

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dung, so dass eine Kontinuität der gens mit sich selbst gegeben ist und über die Zeiten bewahrt wird. Die Autoren deuten die Namen der gentes ausgerichtet an dem Zweck, den sie in der Geschichte für die gens ausmachen. Die etymologische erklärende Deutung der Namen suggeriert dabei zugleich, dass es sich nicht um eine vom Autoren gesetzte, sondern um eine gefundene Intention handelt, um ein Aufdecken des Geschichtsablaufes, das mit der Exegese eines Namens gelingen kann. Auf welche Art und Weise die Intention mit der Benennung verknüpft wurde, kann dabei durchaus sehr unterschiedlich sein. Die etymologische Deutung des Namens versteht sich als Erklärung einer schon vorhandenen, aber noch nicht sichtbaren Verortung in der Weltordnung. Im Heros eponymos erfährt die gens eine Personalisierung, anhand deren eine Einordnung ins Weltgeschehen leichter fällt, weil die Verbindungen und Verwandtschaften der gens deutlich gemacht werden können. In der legendenhaften Benennung der gens in einer ausführlichen Erzählung kommen Charaktereigenschaften zum Tragen, die den Beginn einer Tradition darstellen. Der Name einer gens ist exegetisch auszulegen. Etymologie vom Griechischen, Lateinischen oder aus anderen Sprachen ist dabei ebenso ein zweckmäßig einzusetzendes Werkzeug wie der Rückgriff auf antike Traditionen, auf biblische Muster, vielleicht auch auf mündliche Überlieferungen der jeweiligen gens. Was das Ergebnis der Exegese ist, ist bei aller Abhängigkeit von gelehrten Deutungen und schon vorhandenen Erklärungen und Herkunftserzählungen dennoch im Großen und Ganzen der Phantasie unserer Autoren überlassen. Der Erfolg, den unsere Autoren mit ihren Deutungen hatten, ist oft jahrhundertelang zu merken. Die Engländer heißen noch heute so, auch wenn die heilsgeschichtliche Bedeutung des Namens in den Hintergrund getreten ist. Im Königreich Asturien in Spanien griff man die Goten-Legenden gerne wieder auf, um sich auf das Gotenreich zu berufen und hat damit auch die heilsgeschichtliche Deutung der zeitweiligen Verwerfung der Goten und deren bevorstehender Erlösung übernommen. Die trojanische Abkunft der Franken und Merowinger wurde noch von Maximilian I. für eigene Zwecke dienstbar gemacht.66 Polydore Vergil versuchte im England des 16. Jahrhunderts vergeblich die Troja-Herkunft der Briten zu widerlegen.67 Andere Deutungen erwiesen sich als weniger langlebig. In

66  Dazu Gerd Althoff, „Studien zur habsburgischen Merowingersage“, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 87 (1979), S. 71–100; Marianne Pollheimer, „Wie der jung weiß kunig die alten gedechtnus insonders lieb het. Maximilian I., Jakob Mennel und die frühmittelalterliche Geschichte der Habsburger in der Fürstlichen Chronik“, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, hg. von Richard Corradini u. a., Wien 2006 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 12; Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Philosophisch-historische Klasse 344), S. 165–176. 67  Polydor Vergil, Anglica Historia (1555 version), hg. von Dana F. Sutton, [URL: http://www.



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Norditalien geriet die Bedeutung der Langobarden soweit in Vergessenheit, dass man sie unter die vielen barbarischen Eindringlinge zählte und die Lombarden im Unterschied zu den Langobarden gar als Ureinwohner der Po-Ebene deutete.68 Die Benennungen der gentes unterliefen ganz unterschiedliche Entwicklungen, die so sehr von den jeweiligen historischen Verhältnissen bestimmt waren, dass sich eine Gemeinsamkeit im Umgang mit den Deutungen im späteren Verlauf der Geschichte nicht bestimmen lässt. Hier mag der Hinweis genügen, dass die Namen von gentes und deren inhärente Intention bis weit in die Neuzeit eine große Rolle spielen und immer wieder Beachtung fanden und ausgelegt wurden.

philological.bham.ac.uk/polverg/] (eingesehen am 12. März 2012), lib. I, cap. 19, vgl. dazu auch Frank Rexroth, „Polydor Vergil als Geschichtsschreiber und der englische Beitrag zum europäischen Humanismus“, in: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, hg. von Johannes Helmrath, Göttingen 2002, S. 415–435. 68  Vgl. dazu Jörg W. Busch, „Die Lombarden und die Langobarden. Alteingesessene und Eroberer im Geschichtsbild einer Region“, in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), S. 289–311 und seinen Beitrag in diesem Band.

Jürgen Strothmann

Wer ist das Reich? Überlegungen zur Funktionsweise des karolingischen Ordnungsgefüges Gemeinschaftsbegriffe wie „Franken“, „Basken“, „Bayern“ und „Langobarden“ haben in besonderer Weise eine rechtliche Qualität. Sie bezeichnen eben nicht eine bloße Ansammlung von Menschen, sondern zumeist einen – das legen die Rechte der gentes nahe – rechtlichen Zusammenhang,1 der neben der darin geregelten sozialen Ordnung auch eine politische Ordnung nach sich zieht. Es ist nach den Forschungen von Hans-Werner Goetz und anderen keine Frage mehr, dass die Franken als eine dem Frankenreich zugehörende Gruppe anzusprechen sind, deren genetische Herkunft bald völlig bedeutungslos wurde, auch wenn sie den Zeitgenossen bewusst sein konnte. Das Frankenreich ist ein politischer Raum, der den Franken zugehört.2 Die einleitende Frage des Beitragstitels „Wer ist das Reich“ ist inspiriert von einer zentralen Frage des Althistorikers Walter Eder: „Who Rules?“.3 Eder hat in dem so überschriebenen Aufsatz die informellen Wege der Herrschaft nachvollzogen. Ähnlich müssen wir auf der Suche nach den relevanten Gemeinschaftsbegriffen und den dahinter stehenden Handlungsträgern informelle Strukturen ebenso berücksichtigen wie solche der Institutionen.4

1  Zu diesen früher als „Volksrechte“ bezeichneten Sammlungen von Rechtsregeln gehören die in der Karolingerzeit zusammengestellten bzw. redaktionierten Texte der „lex Alamannorum“, der „lex Baiuvariorum“ sowie auch der „lex Saxonum“ und „lex Frisionum“. Diese Regeln können jedoch nicht den Anspruch erheben, umfassende Kodifikationen des Rechts darzustellen. Zentral sind Wergeldbestimmungen, also Bestimmungen über Kompensationsleistungen für anderen Personen zugefügte Schäden. – Siehe nun die neuere Forschung zu den leges in: Leges Gentes Regna. Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur, hg. von Gerhard Dilcher und Eva-Marie Distler, Berlin 2006. 2  Hans-Werner Goetz, „Zur Wandlung des Frankennamens im Frühmittelalter“, in: Integration und Herrschaft. Ethnische Identitäten und soziale Organisation im Frühmittelalter, hg. von Walter Pohl und Max Diesenberger, Wien 2002 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 3), S. 133–149, S. 145. 3  Walter Eder, „Who Rules? Power and Participation in Athens and Rome“, in: City States in Classical Antiquity and Medieval Italy, hg. von Anthony Molho u. a., Stuttgart 1991, S. 169–196. 4  Die Forschung hat inzwischen ihr Hauptaugenmerk auf die informellen Regeln gelegt, siehe dazu parte pro toto Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter, Darmstadt 1997. – Die Funktionalität von Institutionen zu beurteilen, ist ausgesprochen schwierig. Vgl. dazu unten zu

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 Jürgen Strothmann

Denn es ist ja keineswegs evident, wer das Reich ist und mittelbar, wer im Frankenreich herrscht. Zunächst – folgt man einer gebräuchlichen Anschauung – herrscht der König über die Franken, und das Reich ist seine Herrschaft, regnum nämlich. Eine virulente Frage etwa ist, ob regnum überhaupt transpersonal aufzufassen ist oder immer auf die Herrschaft des Königs verweist.5 Es ist meines persönlichen Erachtens nach unter anderem von Hans-Werner Goetz nachgewiesen, dass dieser Begriff zumindest im 9. Jahrhundert und im Westfrankenreich etwas anderes als die Herrschaft des Königs bezeichnen kann – und auch in der Weise benötigt und gebraucht wird.6 Eine andere Frage ist die, ob das „regnum“ handeln kann, durchaus im Sinne eines syntaktischen Subjekts. Das ist meines Erachtens so nicht zu beobachten. Handelnde im Sinne der Quellen sind der König und die Großen. Das ist aber auch der Punkt, an dem ich die Route der Forschung in dieser Frage verlassen möchte. Denn – so wichtig die Frage nach der Reflexion der Zeitgenossen über ihre politische Gemeinschaft auch ist7 – so zentral ist die Frage

den Reichsversammlungen und Kapitularien (Anm. 13–15). 5  Wie Johannes Fried, „Der karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. zwischen ‚Kirche‘ und ‚Königshaus‘“, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 1–43, in aller Deutlichkeit postuliert hat. Seine Position ist weit verbreitet, siehe programmatisch Gerd Althoff, Die Ottonen. Herrschaft ohne Staat, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 2005. 6  Hans-Werner Goetz, „Regnum. Zum politischen Denken in der Karolingerzeit“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung 104 (1987), S. 110–189. – Vgl. zur Diskussion die Entgegnung Frieds (Johannes Fried, „Gens und Regnum. Wahrnehmungsund Deutungskategorien politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers“, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994, S. 73–104), die Stellungnahme von Jörg Jarnut, „Anmerkungen zum Staat des frühen Mittelalters: Die Kontroverse zwischen Johannes Fried und Hans-Werner Goetz“, in: Akkulturation – Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, hg. von Dieter Hägermann u. a., Berlin und New York 2004 (RGA Ergänzungsbände 41), S. 504–510, Nachdr. in: Dilcher und Distler, Leges Gentes Regna (wie Anm. 1), S. 197–202, und zahlreiche weitere Beiträge, von denen sich mehrere in zwei aktuellen Wiener Tagungsbänden finden: Staat im frühen Mittelalter, hg. von Stuart Airlie u. a., Wien 2006 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11) und Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven, hg. von Walter Pohl und Veronika Wieser, Wien 2009 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16). Vgl. im Letzteren auch eine umfassende Stellungnahme von Hans-Werner Goetz: „Erwartungen an den ‚Staat‘: die Perspektive der Historiographie in spätkarolingischer Zeit“, in: ebd., S. 471–485. Vgl. die Einlassung von Christoph H. F. Meyer, „Zum Streit um den Staat im frühen Mittelalter“, in: Rechtsgeschichte 17 (2010), S. 164–175. 7  Das ist eine zentrale Frage der eng mit Hans-Werner Goetz verbundenen Vorstellungsgeschichte; siehe dazu Hans-Werner Goetz, Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, hg. von Anna Aurast u. a., Bochum 2007.



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nach dem Charakter der politischen Gemeinschaft selbst.8 Die Frage gilt also der Bewertung der Gemeinschaft als faktischer Kategorie der sozialen und politischen Ordnung, formuliert in der Frage: Wer ist das Reich und wer herrscht eigentlich? Konsensuale Herrschaft ist die einzige funktionale Möglichkeit zur Bewältigung einer Ordnung, die einen Raum umfasst, der etwa 1000 mal 1000 km groß ist und der nicht anstaltsstaatlich zu kontrollieren ist, weil dafür schlicht die Voraussetzungen fehlen.9 Wenn es heute möglich scheint – wohl gemerkt scheint! –, ein Land wie Afghanistan, das kaum über eigene Infrastruktur und wenig politische Selbstverwaltung verfügt, zu kontrollieren, dann nur deshalb, weil große Mobilität und schnelle Kommunikation möglich sind. Dafür gibt es Automobile, Telefon, Internet und auch Luftüberwachung. Und selbst diese modernen Herrschaftsmittel – moderne Waffen nicht zu vergessen – genügen nicht, ein ähnlich großes Gebiet wie das Frankenreich im 9. Jahrhundert zu kontrollieren.10 Das politische System des Frankenreiches, das solches erlaubt, muss also andere Mechanismen kennen, um über lange Zeit in wechselnden teilräumlichen Konstellationen einen so großen Raum zu verwalten. Ein solches Reich kann nur vor Ort beherrscht werden, und das setzt eine Ordnung voraus, die in der Lage ist, die jeweiligen vor Ort Handelnden und ihr Tun zu koordinieren. Da aber eine umfassende Kontrolle des Handelns vor Ort

8  Das ist die Frage nach den sozialen Realitäten und ihren politischen Konsequenzen; siehe dazu im Hinblick auf den hier behandelten Gegenstand Jürgen Strothmann, „Karolingische politische Ordnung als Funktion sozialer Kategorien“, in: Pohl und Wieser, Der frühmittelalterliche Staat (wie Anm. 6), S. 51–61. Vgl. zur Frage nach der politischen Realität Roman Deutinger, Königsherrschaft im Ostfränkischen Reich. Eine pragmatische Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Ostfildern 2006 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 20). 9  Schon Fritz Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, Darmstadt 1954 (erste Aufl. 1914), wusste im Grunde genommen um die große Bedeutung des Konsenses für die Königsherrschaft, übrigens auch schon Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte. Die Verfassung des Fränkischen Reiches, Bde. 3 und 4, Berlin 1883–1885 (1. Aufl. 1861). Zum eigentlichen Thema der Forschung hat ihn in jüngerer Zeit Jürgen Hannig, Consensus fidelium. Frühfeudale Interpretationen des Verhältnisses von Königtum und Adel am Beispiel des Frankenreiches, Stuttgart 1982 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 27) gemacht. Bernd Schneidmüller hat in zahlreichen Arbeiten die Grundsätzlichkeit des Prinzips konsensualer Herrschaft herausgearbeitet (siehe hier stellvertretend Bernd Schneidmüller, „Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter“, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit, Festschrift Peter Moraw, hg. von Paul-Joachim Heinig u. a., Berlin 2000, S. 53–87). Siehe jüngst Burkhard Apsner, Vertrag und Konsens im früheren Mittelalter. Studien zu Gesellschaftsprogrammatik und Staatlichkeit im westfränkischen Reich, Trier 2006 (Trierer Historische Forschungen 58). 10  Das ist das sich längst abzeichnende Ergebnis vor allem der US-Amerikanischen Interventionen in Afghanistan und im Irak, aber auch schon in Korea und in Vietnam.

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nicht möglich gewesen sein dürfte und ja auch eine Zentrale vorausgesetzt hätte, die über ausreichende Machtmittel hätte verfügen müssen, Abweichungen vom Herrscherwillen grundsätzlich aus eigener (zentraler Macht) heraus sanktionieren zu können,11 muss eine Mitwirkung der Handelnden vor Ort an der Politik des Reiches angenommen werden.12 Das ist in der Sache in der Forschung auch unbestritten, aber nicht immer in allen Konsequenzen bewusst. Sinnfällig wird die Mitwirkung der Großen an den politischen Entscheidungen in den Kapitularien, die keinesfalls als eigentlich herrscherliche Erlasse gelten können.13 Aus ihrer verbreiteten Nichtbeachtung wurde geschlossen, dass es dem Promulgator an der Fähigkeit zur Durchsetzung seiner „Gesetze“ gemangelt habe, und gelegentlich wurden sogar die Kapitularien eher als unverbindliche Wünsche des Herrschers gedeutet.14 Aber bereits die Struktur der als Kapitularien bekannten Texte macht deutlich, dass sie in der Regel nicht aus einem Guss sind, sondern Resultat umfangreicher Beratungen, deren Ergebnisse einigermaßen ungeordnet – oder geordnet nach dem Rang, den ihnen die beratende Versammlung zumaß – verabschiedet wurden.15 Dabei handelt es sich eben um die Versammlungen, die Hinkmar von Reims in seinem De ordine palatii beschreibt, die Reichsversammlungen nämlich, von denen zunächst eine kleine abgehalten wird, in der unter den maßgeblichen Akteuren des Reiches das Vorgehen abgesprochen wird. In einer

11  Auch für das römische Reich zeichnet sich immer mehr ab, dass es eine solchermaßen beschaffene Zentrale nicht gab; vgl. etwa Lokale Autonomie und römische Ordnungsmacht in den kaiserzeitlichen Provinzen vom 1. bis 3. Jahrhundert, hg. von Werner Eck, München 1999. 12  Vgl. für Rom die Rolle der civitates und die Funktion persönlicher Bindungen von Honoratioren an den Kaiser, siehe grundsätzlich etwa François Jacques und John Scheid, Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit. 44. v. Chr. – 260 n. Chr., Bd. 1: Die Struktur des Reiches, Stuttgart Leipzig 1998, S. 368–370. – Siehe dazu ausführlich für das kaiserzeitliche Kleinasien Eckhard Stephan, Honoratioren, Griechen, Polisbürger. Kollektive Identitäten innerhalb der Oberschicht des kaiserzeitlichen Kleinasien, Göttingen 2002 (Hypomnemata 143), S. 222ff. 13  Noch François Louis Ganshof, Was waren die Kapitularien?, Darmstadt 1961, sah die Kapitularien als reguläre Gesetze des Königs an; siehe nun die grundlegenden Forschungen von Hubert Mordek, zu einem großen Teil versammelt in: Hubert Mordek, Studien zur fränkischen Herrschergesetzgebung. Aufsätze über Kapitularen und Kapitulariensammlungen, ausgewählt zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. u. a. 2000. 14  Wilfried Hartmann, „Karl der Große und das Recht“, in: Karl der Große und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, Bd. 1: Wissen und Weltbild, hg. von Paul Leo Butzer u. a., Turnhout 1997, S. 173–192, S. 185f., scheint die Kapitularien tatsächlich auf Karl zu beziehen und betont die relative Wirkungslosigkeit der promulgierten Regeln. 15  Siehe nun auch pointiert Steffen Patzold, „Normen im Buch. Überlegungen zu Geltungsansprüchen so genannter ,Kapitularien‘“, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2007), S. 331–350.



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weiteren umfassenden Versammlung des Reiches werden dann die vorbereiteten Entscheidungen getroffen.16 Die monarchische Herrschaft des Königs ist eine notwendige Fiktion, weil die Ekklesiologie nach einer irdischen Entsprechung himmlischer Ordnung verlangt.17 Das ist später noch das Problem der entstehenden italienischen Kommunen, dass sie eben in einer monarchisch gedachten Welt agieren und sich in diese einpassen müssen. Besonders für die karolingische Gesellschaft ist das Königtum des Alten Bundes theoretisches Vorbild; und so wird das kommunizierte Bild vom König mehr vom Königtum Davids und Salomos bestimmt18 als von der Notwendigkeit, ständig den Konsens unter den Akteuren zu aktualisieren. Aber was kann der König wirklich? Wofür ist er zuständig, bzw. wofür nicht? Dazu sind ein paar Fragen zu stellen, die den wesentlichen Ereignissen gelten:

1 Wer entscheidet über Krieg und Frieden? Nach den verschiedenen Annalen sind es die Großen, die aktiv oder passiv einem Krieg zustimmen müssen. Da es zur Zeit Karls des Großen aber meist lukrative Unternehmungen sind, ist eine Zustimmung leicht zu bekommen und findet dann auch oft keinen Niederschlag in den historiografischen Quellen. Die nötige Zustimmung der Großen zu Kriegen ist auch Jürgen Weitzel aufgefallen, der ein

16  Hinkmar von Reims, De ordine palatii, hg. von Thomas Gross und Rudolf Schieffer, Hannover 1980 (MGH Fontes iuris in usum scholarum 3); zu den Stellen vgl. Anm. 30–32. 17  Zum Prinzip der Bedingtheit von Himmel und Erde vgl. Günter Dux: „Die Genese der Sakralität von Herrschaft. Zur Struktur religiösen Weltverständnisses“, in: Das Frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen, hg. von Franz-Reiner Erkens, Berlin und New York 2005 (RGA Ergänzungsbände 49), S. 9–21. Siehe zur Monarchie des Augustus und der Rolle des Apoll im Hinblick auf eine notwendige Kongruenz von Himmel und Erde Meret Strothmann, „Himmel und Erde im Einklang. Augustus und der eine Gott“, in: Zwischen Monarchie und Republik. Gesellschaftliche Stabilisierungsleistungen und politische Transformationspotentiale in den antiken Stadtstaaten, hg. von Bernhard Linke u. a., Stuttgart 2010 (Historia Einzelschriften 217), S. 213–229. 18  Siehe Eugen Ewig, „Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter“, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, hg. von Theodor Mayer, Lindau und Konstanz 1956 (Vorträge und Forschungen 3), S. 7–73; Mary Garrison, „The Franks as the New Israel? Education for an identity from Pippin to Charlemagne“, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, hg. von Yitzhak Hen und Matthew Innes, Cambridge 2000, S. 114–161 und Mayke De Jong, „Ecclesia and the early medieval polity“, in: Pohl und Wieser, Der frühmittelalterliche Staat (wie Anm. 6), S. 113–132, S. 120.

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dinggenossenschaftliches Prinzip bereithielt, das, wenn doch nicht unbedingt germanisch, so aber doch nicht römisch sei und nach dem im Gerichtsverfahren das Urteil von der Gesamtheit zu fällen sei.19 Dieses Prinzip dient Weitzel zur Erklärung des umfassenden karolingischen Konsensprinzips.20 Aber braucht man dafür ein durch die Forschungsgeschichte hochbelastetes mutmaßliches Rechtsinstitut, das gebraucht zu haben man den Zeitgenossen unterstellt?

2 Wie entstehen Regeln politischer Ordnung? Die Frage, wie Regeln politischer Ordnung entstehen, ist oben bereits angerissen worden. Die Karolinger generieren eine eigene Form, in der Regeln erlassen werden, was gewiss nicht einer theoretischen Überlegung entsprang, sondern Ausdruck einer besonderen politischen Situation war. Die sogenannten Kapitularien, mit denen politische Regeln promulgiert wurden, sind nur aus dieser spezifischen politischen Situation heraus zu verstehen. Es gibt eine lange Debatte über den Charakter der Kapitularien, als deren vorläufiges Ergebnis sich abzeichnet, dass der Herrscher zwar als Promulgator in Erscheinung tritt, die einzelnen Kapitel aber Ausdruck eines breiten Konsenses sind.21 Manche Kapitularien betonen diesen Konsens ausdrücklich.22 Und es ist eben dieser Konsens, der auch das Königtum der Karolinger überhaupt erst möglich machte. Zum Verständnis dieser besonderen Situation von 751 und ihrer unmittelbaren Vorgeschichte in den 40er Jahren des 8. Jahrhunderts ist ein kurzer Blick zu werfen auf die Bedingungen, die die voraufgehende Dynastie der Merowinger in ihrer Herrschaft in der Gallia legitimierten. Die Franken und ihre erste königliche Dynastie kamen als Eroberer, nämlich eines bestehenden Reiches, nach Gallien. Sie traten die Herrschaft in einem ehemaligen römischen und konsolidierten politischen Raum an. Die Herrschaftsstrukturen waren im Grunde klar. Die Merowinger waren in ihrem jeweiligen Eroberungs-

19  Jürgen Weitzel, Dinggenossenschaft und Recht. Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deutschen Mittelalter, 2 Bde., Köln und Wien 1985 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 15), explizit S. 909f. 20  Jürgen Weitzel, „Die Bedeutung der Dinggenossenschaft für die Herrschaftsordnung“, in: Dilcher und Distler, Leges Gentes Regna (wie Anm. 1), S. 351–366. 21  Siehe neben bzw. nach der in Anm. 13 und 15 genannten Literatur mit einigen Belegen Daniel Eichler: Fränkische Reichsversammlungen unter Ludwig dem Frommen, Hannover 2007 (MGH Studien und Texte 34). 22  Vgl. etwa Hannig, Consensus (wie Anm. 9), S. 183.



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raum die herrschende Familie, weil sie im Vorfeld zur Führung gelangt waren. Nach jüngeren Einschätzungen bestanden die politischen Strukturen Galliens in unterschiedlicher Dichte durchaus fort.23 Das heißt, dass der politische Raum nach wie vor einigermaßen konsolidiert war. Die Karolinger fanden nun diesen politischen Raum vor, der aber von ihnen spätestens seit der Schlacht von Tertry 687 neu geordnet wurde, weil sie als Konkurrenzgewalt zu den Merowingern schlicht nicht deren Herrschaftsstrukturen übernehmen konnten,24 zumal diese im Laufe des 7. Jahrhunderts wegzubrechen begannen.25 Seit dem ausgehenden 7. Jahrhundert spielten die civitates, einst Basis politischer Ordnung Galliens, kaum noch eine Rolle. Die landständischen Eliten, unter ihnen die Arnulfinger / Karolinger, schufen im Laufe des 7. Jahrhunderts neue politische Strukturen, vor allem mit der Gründung von Klöstern und einem Ausbau der Grundherrschaft. Folge dieser Entwicklung war ein Wandel der Eliten26 und damit eine Verlagerung der Strukturen von institutionellen ehemals römischen politischen Mechanismen zu informellen Formen von politischer Ordnung. Mag der regelmäßig aktualisierte Konsens der maßgeblichen Kräfte auch bereits in römischer und merowingischer Zeit eine gewisse Rolle gespielt haben, so wird dieser Mechanismus der regelmäßigen Aktualisierung von Konsens zum tragenden politischen Prinzip. Das heißt, dass das neue Königtum der Karolinger zwar stark war, wegen der Zustimmung der Großen zur Königserhebung und der Sanktion durch das Papsttum,27 es aber

23  Siehe exemplarisch die Geschichte des antiken Freigelassenenpatronats, die weit über das frühe Mittelalter hinausweist: Stefan Esders, Die Formierung der Zensualität. Zur kirchlichen Transformation des spätrömischen Patronatswesens im früheren Mittelalter, Ostfildern 2010. Vgl. auch Von der Spätantike zum frühen Mittelalter: Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde, hg. von Theo Kölzer und Rudolf Schieffer, Ostfildern 2009 (Vorträge und Forschungen 70). Siehe aber vor allem die Bände der Reihe The Transformation of the Roman World. – Vgl. auch Jean Durliat, Les Finances publiques de Diocletian aux Carolingiens (284–889), Sigmaringen 1990 (Beihefte der Francia 21). 24  Dazu gehört die bis in das 7. Jahrhundert (leidlich) funktionierende Steuererhebung und damit der Zugriff auf die civitates sowie die Kontrolle über die Besetzung der Bischofsstühle (zur Praxis im Merowingerreich siehe Odette Pontal, Die Synoden im Merowingerreich, Paderborn u. a. 1986, S. 226). 25  Siehe hierzu den bald erscheinenden Band Die Merowingischen Monetarmünzen als Quelle zum Verständnis des 7. Jahrhunderts in Gallien, hg. von Jörg Jarnut und Jürgen Strothmann (MittelalterStudien 27), München 2013 (im Druck). 26  Vgl. dazu v. a. die mit Régine Le Jan verbundenen Bände Les Élites. 27  Die mutmaßliche Anfrage Pippins an Papst Zacharias, ob nicht derjenige König sein solle, der über die faktische Macht verfügt (Annales Regni Francorum, hg. von Fridericus Kurze, Hannover 1895, ad annum 749), wird heute in Frage gestellt. Tatsächlich aber bedeutet die Königserhebung Pippins unter Mitwirkung Roms in den Jahren 751 und 754 die Sicherung der neuen Dynastie der Karolinger. Siehe Der Dynastiewechsel von 751: Vorgeschichte, Legitimations-

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eben nicht über den Grad an Institutionalisiertheit des Politischen verfügte, wie das Königtum der Merowinger noch in der Mitte des 7. Jahrhunderts. Hinkmar von Reims schildert auf der Basis einer älteren Quelle28 das Prozedere der Entscheidungsfindung in der karolingischen politischen Ordnung.29 Wie oben bereits angedeutet, steht am Anfang dieses Prozederes eine Versammlung des Königs „cum senioribus tantum et praecipuis consiliariis“,30 in dem die wesentlichen Fragen des kommenden Jahres umrissen und diskutiert werden. Die Ergebnisse bleiben „ab omnibus alienis incognitum“.31 In der allgemeinen Reichsversammlung des darauffolgenden Frühjahrs ist das Reich durch seine maßgeblichen Akteure vollständig repräsentiert – „In quo placito generalitas universorum maiorum, tam clericorum quam laicorum, conveniebat“.32 Während diese Versammlung den Konsens herzustellen hat, der für ein gemeinsames Vorgehen von König und Großen notwendig ist, das ja auch in den verschiedenen karolingischen Annalen unterschiedlich oft ausdrücklich genannt wird, repräsentiert die kleine Versammlung sowohl die mächtigsten Akteure, vergleichbar einem Rat, als auch die Ratgeber, die aber in der Regel selbst über Einfluss verfügen, zumindest aber wirtschaftlich und persönlich unabhängig sein müssen.

3 Wer führt solche Regeln aus bzw. überwacht ihre Ausführung? Aus demselben Grund, aus dem heraus die maßgeblichen Kräfte an der Herstellung der politischen Regeln angemessen beteiligt waren, sind es auch sie, die letztlich Ausführende dieser Entscheidungen sind, wenngleich einige Akteure aufgrund ihrer weniger mächtigen Position eher mehr Ausführende sein sollten als Urheber der Regeln. Das legen auch die Angaben eines Kapitulars von 743

strategien und Erinnerung, hg. von Matthias Becher und Jörg Jarnut, Münster 2004; siehe als neueren Ausschnitt aus der umfangreichen Diskussion Jürgen Strothmann, „Das Königtum Pippins als Königtum der Familie und die Bedeutung der Clausula de unctione Pippini“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung 125 (2008), S. 411–429, mit der hier nicht weiter verfolgten Diskussion der verschiedenen Standpunkte in der Literatur. 28  Nämlich eine Schrift Adalhards von Corbie, nach Hinkmar von Reims, De ordine palatii (wie Anm. 16), cap. 3, S. 54f. 29  Hinkmar von Reims, De ordine palatii (wie Anm. 16), cap. VI–VII, S. 82–97. 30  Ebd., cap. VI, S. 84, Z. 480. 31  Ebd., cap. VI, S. 84, Z. 494f. 32  Ebd., cap. VI, S. 82–84, Z. 473–475.



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nahe, das von den Großen spricht, die Bestimmungen einer Versammlung zugestimmt hatten und nun aufgefordert werden, dies auch umzusetzen.33

4 Wer entscheidet über die Herrschaftsnachfolge, und was ist ein ius paternum in dieser Sache wert? Grundsatzlich ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass positive Rechte, die in der Forschung immer dann angenommen wurden, wenn es in bestimmten Situationen häufiger zu bestimmten Ergebnissen gekommen war, oft Fiktionen der Forschung sind, wie etwa bei dem Tod eines merowingischen Konigs, der selbst Sohne, aber auch königliche Bruder hat, das Anwachsungsrecht der Bruder gegen das Eintrittsrecht der Sohne gestellt wird.34 Auch ein in den Quellen bezeichnetes ius paternum, nach dem der König das Recht hat, die Herrschaftsnachfolge zu regeln, kann nicht als ein positives Recht verstanden werden, sondern allenfalls als ein Anspruch, dem zu entsprechen die Großen bereit sein können, aber natürlich nicht müssen.35 Bei Herrscherwechseln sind die Großen diejenigen, die eine Nachfolgeregelung mitgestalten, wie bei der divisio regnorum Karls des Großen von 806,36 sie akzeptieren, etwa nach dem Tod Pippins des Jüngeren (768),37 oder aber sie letztlich nicht mittragen, wie die Regelung Ludwigs des Frommen in der ordinatio imperii (817), die ohne breiten Konsens der Großen

33  Concilium Liftinense (743), hg. von Alfred Boretius, Hannover 1883 (MGH Capitularia regum Francorum I,1), cap. 1, Nr. 11, S. 26–28 und in Concilia mediae aevi, hg. von Albert Werminghoff, Hannover und Leipzig 1906 (MGH Concilia II,1), Nr. 2, S. 5–7, cap. 1, S. 7: „prioris synodus iudicium sustineant“. 34  Matthias Becher, „Vater, Sohn und Enkel. Die Bedeutung von Eintritts- und Anwachsungsrecht für die Herrschaftsnachfolge im Frankenreich“, in: Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, hg. von Brigitte Kasten, Köln u. a. 2008 (Norm und Struktur 29), S. 301–319. 35  Matthias Becher, „Dynastie, Thronfolge und Staatsverständnis im Frankenreich“, in: Pohl und Wieser, Der frühmittelalterliche Staat (wie Anm. 6), S. 183–199, S. 198. 36  Zum Text: Divisio regnorum, hg. von Alfred Boretius, Hannover 1883 (MGH Capitularia regum Francorum I,1), Nr. 45, S. 126–130; zur voraufgehenden Beratung mit den Großen Annales regni Francorum, hg. von Friedrich Kurze, Hannover 1895, ad annum 806, S. 121: „…conventum habuit imperator cum primoribus et optimatibus Francorum de pace constituenda et conservanda inter filios suos et divisione regni facienda in tres partes…“. 37  Annales Mettenses priores ad annum 768, hg. von Bernhard von Simson, Hannover 1905, S. 55f.: „regnum Francorum iure paterno divisit“. Die Söhne traten dann „cum consilio omnium Francorum“ die Nachfolge an, ebd., S. 56.

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zustande kam,38 dann mit der sich aus der Geburt Karls des Kahlen ergebenden Ergänzung nicht nur für die Söhne zum Problem wurde und schließlich in die Kämpfe der 30er Jahre mündete.39 Dass es den Anschein hat, der König regelte seine Nachfolge selbst, liegt daran, dass es einen Grundkonsens unter den Großen gibt, dass die Familie des Königs nahezu alternativlos ist und so regelrechte Nachfolgekrisen vermieden werden können. Diese Beobachtung findet ihre zeitgenössische Begründung in der sogenannten Clausula de unctione Pippini, die einige Momente der Königserhebung der Familie Pippins sinnfällig zusammenfasst und behauptet, dass künftige Herrscher nur den „Lenden“ Pippins und Bertradas entstammen dürften, was ja auch recht lange faktisch funktionierte.40 Wenn die oben gestellten Fragen nicht schlicht pragmatisch beantwortet werden sollen, sondern eine Erklärung gesucht wird, dann steht als Konzept die mutmaßliche Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft im Raum. Danach würden sich herrschaftliche Elemente mit genossenschaftlichen Strukturen treffen, und aus einem Ringen beider Kräfte entstünde dann die Herrschaftswirklichkeit. Verlockend zur Erklärung der Befunde ist eben das Konzept von der Dinggenossenschaft als ein grundsätzliches Prinzip karolingischer Herrschaft. Gerichtsentscheide beruhten danach wie auch ein damit verwandtes politisches Handeln auf genossenschaftlichen Strukturen. Die Dinggenossenschaft geht aber auf dieselben theoretischen Ansätze zurück wie die Annahme der Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft, nämlich auf eine grundsätzliche Unähnlichkeit, ja Gegensätzlichkeit im Denken und Handeln Roms und der Barbaren.41 In der Annahme, dass die römische Ordnung sich von der mittelalterlichen politischen Ordnung grundsätzlich unterscheide, hat man die Strukturen, die

38  Ludwig schildert in der Vorrede der Ordinatio imperii, hg. von Alfred Boretius, Hannover 1883 (MGH Capitularia regum Francorum I,1), Nr. 136, S. 270–273, S. 270, den Rat der Großen und stellt fest, dass er ihn bewusst nicht befolgt habe. 39  Siehe die Darstellung bei Egon Boshof, Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996, S. 182ff. 40  Text in: Alain J. Stoclet, „La ,Clausula de unctione Pippini regis‘: mises au point et nouvelles hypothèses“, in: Francia 8 (1980), S. 1–42; siehe dazu die Überlegungen von Olaf Schneider, „Die Königserhebung Pippins 751 in der Erinnerung der karolingischen Quellen. Die Glaubwürdigkeit der Reichsannalen und die Verformung der Vergangenheit“, in: Becher und Jarnut, Der Dynastiewechsel von 751 (wie Anm. 27), S. 243–275, S. 268–275 und Strothmann, „Das Königtum Pippins“ (wie Anm. 27). 41  Vgl. paradigmatisch Heinrich Mitteis, Der Staat des Hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehnszeitalters, Köln und Wien 1986 (1. Aufl. 1940), etwa S. 31ff. Rudolf Buchner, „Das merowingische Königtum“, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Lindau und Konstanz 1956 (Vorträge und Forschungen 3), S. 143–154, S. 147ff., setzte beide Elemente voraus, sah aber im Handeln der Merowinger bereits eine Verschmelzung beider Konzepte.



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man nicht als römisch erkennen konnte, mit dem Wenigen in Zusammenhang gebracht, was man von der germanischen Welt in Erfahrung bringen konnte oder aber postulierte, nämlich auf der Basis weitaus späterer Strukturen in völlig anderen Regionen Europas, nämlich in den Ländern Skandinaviens.42 Die Gewissheit von einem grundsätzlichen Unterschied zwischen Antike und Mittelalter sitzt so tief im Bewusstsein auch der modernen Mediävistik, dass neuere Einschätzungen und Erkenntnisse, die eine Entstehung des europäischen Mittelalters aus der römischen Antike erklären,43 keinen Nachhall in der Konzeption mittelalterlicher Herrschaft finden.44 Nach dieser – fast vergessenen, weil kaum neu reflektierten – Grundüberlegung, die besonderes von Otto von Gierke ausgeführt und begründet wurde,45 geht die Genossenschaft als Ordnungsprinzip auf die germanische Welt und die Herrschaft auf die römische Welt zurück. Dass das nach den modernen Erkenntnissen der Alten Geschichte, die sich neuerdings wieder intensiver mit der Spätantike auseinandersetzt, so nicht stimmt,46 hat kaum ein Mediävist reflektiert. Auch die römische Herrschaftsordnung kennt neben der monarchischen Spitze Formen von Mitwirkung, ganz ähnlich wie im frühen Mittelalter, im Unterschied zu diesem jedoch auf einem höheren zivilisatorisch-organisatorischen Niveau.47 Schließlich ist zu bedenken, dass der römische Staat ein sehr dünnes Gebilde ist, das im Inneren kaum Kompetenzen hat, diese zwar zunehmend einfordert, aber letztlich nicht bezahlen kann.48 Herrschaft ist

42  Vgl. als signifikanten Ausschnitt einer umfangreichen Fragestellung etwa Wilhelm Grönbech, Kultur und Religion der Germanen, 2 Bde., Darmstadt 1978 (1. Aufl. 1961), und dazu Walter Pohl, „Vom Nutzen des Germanenbegriffes zwischen Antike und Mittelalter: eine forschungsgeschichtliche Perspektive“, in: Hägermann, Akkulturation (wie Anm. 6), S. 18–34, S. 19ff. 43  Siehe dazu besonders die 12 Bände der Reihe The Transformation of the Roman World. 44  Diese Feststellung gilt für die allermeisten Arbeiten der letzten Jahre, einzelne Schriften hier zu nennen, wäre unangemessen. 45  Otto Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., Berlin 1868ff., bes. Bd. 1. 46  Siehe hier vor allem Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich, Frankfurt 1992; zusammenfassend Jacques und Scheid, Rom und das Reich (wie Anm. 12), S. 119; vgl. zu einem Wandel zur Bürokratisierung und damit zur Hierarchisierung in der Spätantike Peter Eich, Zur Metamorphose des politischen Systems in der römischen Kaiserzeit. Die Entstehung einer personalen Bürokratie im langen dritten Jahrhundert, Berlin 2005 (Klio Beihefte NF 9); zum spätantiken kaiserlichen Recht als Ausdruck vielfachen Konsenses siehe Jill Harries, Law & Empire in Late Antiquity, Cambridge 2001 (1. Aufl. 1999), S. 213. 47  Das gilt besonders für die civitates; vgl. dazu die inschriftlich erhaltenen spanischen Stadtrechte, etwa der Colonia Iulia Genetiva, „Lex Coloniae Genetivae“, in: Roman Statutes, hg. von Michael H. Crawford, 2 Bde., London 1996, Bd. 1, S. 393–454, mit englischer Übersetzung. 48  Bis zu zwei Drittel der Steuereinnahmen wurden für das Militär benötigt, Aufstellungen bei Reinhard Wolters, Nummi Signati. Untersuchungen zur römischen Münzprägung und Geldwirtschaft, München 1999 (Vestigia 49), S. 223.

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schlicht kein römisches Ordnungsprinzip, und ob die Genossenschaft als germanisch gelten kann, ist nach der Quellenlage ohnehin zweifelhaft. Im Übrigen gibt es in der römischen Welt unterhalb der monarchischen Spitze durchgehend Strukturen, die auf „genossenschaftlicher“ Basis funktionieren.49 Es scheint so, dass die Feststellung von Mitwirkung an der königlichen Herrschaft bzw. an der Regierung keine Abgrenzung von der römischen Welt bedeuten kann. Es ist vielmehr zu fragen, inwieweit soziale Grundbedingungen zu diesem oder jenem „Ordnungsprinzip“ führen. Dabei ist festzustellen, dass die Franken bei der Übernahme Galliens einen bestehenden Herrschaftsraum vorfanden, den sie vermutlich weitgehend in römischer Weise organisierten.50 Die Ablösung der Merowinger durch die Karolinger dann korrespondiert mit einer Veränderung in den politisch-sozialen Strukturen Galliens. Auf der Basis grundherrschaftlicher Strukturen wird das Reich im Grunde neu organisiert.51 Die neuen Basiskräfte sind nun der landständische Adel, die Klöster und die Bischöfe. Das erscheint bereits mittelalterlich, lässt sich aber ganz ohne germanisches Denken herleiten. Wenn nun also das Reich der Karolinger ein politischer Raum ist, der unter diesen zum Teil neuen Bedingungen zu verwalten ist, dann ist klar, dass der König kein Vertreter eines herrschaftlichen Prinzips ist, das dem genossenschaftlichen Ordnungsprinzip der Großen entgegengesetzt würde, sondern dass König und Große gemeinsam das Reich verwalten, wobei dem König als gewähltem bzw. erwähltem Vertreter der Gesamtheit eine Ordnungsfunktion zukommt, die der eines Verbandsvorstehers entspricht und für die von „eigenem“ Herrschaftsrecht des Königs keine Rede sein kann.52 Während für das erste karolingische Jahrhundert die Fiktion von der monarchischen Herrschaft des Königs als Königsherrschaft nach Gottes Willen weitgehend auch von den Quellen aufrechterhalten wird, lässt die Krise der 30er Jahre

49  Neben den civitates sind dies v. a. die Kultgemeinschaften und Priesterkollegien, vgl. dazu hier nur Mary Beard, „Römische Religion. Kaiserzeit“, in: Einleitung in die lateinische Philologie, hg. von Fritz Graf, Stuttgart und Leipzig 1997, S. 492–519, S. 509–512. 50  Das gilt sichtbar für die Steuererhebung, Reinhold Kaiser, „Steuer und Zoll in der Merowingerzeit“, in: Francia 7 (1979), S. 117; siehe besonders auch Stefan Esders, „,Öffentliche‘ Abgaben und Leistungen im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter: Konzeptionen und Befunde“, in: Kölzer und Schieffer, Von der Spätantike zum frühen Mittelalter (wie Anm. 23), S. 189–244. – Vgl. auch die Studie von Durliat, Les Finances publiques (wie Anm. 23). 51  Chris Wickham, Framing the Early Middle Ages, Oxford 2006 (1. Aufl. 2005), S. 286ff. 52  Hier ist an Stelle zahlreicher Quellenbelege auf die eigene, noch ungedruckte, Siegener Habilitationsschrift zu verweisen: Confaederatio totius regni. Das karolingische Frankenreich als Verband der Verbände. Ein Versuch der Konzeptionalisierung von politischer Ordnung im Frühmittelalter.



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des 9. Jahrhunderts erstmalig die Bedingungen königlicher Herrschaft etwas klarer sichtbar werden. Vor allem aber im Westfrankenreich wird die Transparenz der politischen Ordnung zum Strukturprinzip und erlaubt so weitergehende Beobachtungen zum Charakter des Reiches als Verband. Das geläufige Konzept des Personenverbandstaates meint jedoch etwas anderes; dort liegt der Schwerpunkt auf „Person“. Das heißt, dass das Reich gedacht wird als eine Angelegenheit von Personen, die über Freundschaft und Verwandtschaft miteinander verbunden sind.53 Der Begriff beinhaltet keine Transpersonalität, obwohl der Verbandsbegriff dies eigentlich erwarten ließe. Für unsere Frage ist es jedoch nutzlos, die Rolle der Personen für frühmittelalterliche Reiche zu untersuchen.54 Ein solches Vorgehen erklärte nicht die Dauerhaftigkeit solcher Verbände und schon gar nicht eine innere Struktur, weil diese vom Handeln der Personen individuell abhängig schiene und bei Wechsel des Personals durch Tod und Nachfolge eine solchermaßen konstituierte Gruppe wesentlich verändert würde. Wenn hier von „Verband“ die Rede ist, dann liegt das Augenmerk auf der inneren Ordnung eines solchen Verbandes, dessen Mitglieder nicht personal zu denken sind, sondern selbst strukturierte Gruppen darstellen, in der und für die wohl Personen agieren, die aber in ihrem Bestand durch den Wechsel des Personals keinesfalls gefährdet sind. Das sind Familien und Kirchen. Im Falle der Kirchen ist ohnehin klar, dass sie transpersonal sind und sein müssen, allein schon wegen des Erhaltes von Kirchengut, das eben nicht den Akteuren gehört, sondern der jeweiligen Gesamtheit respektive Gott.55 Wenn nun ein Blick auf das Reich Karls des Kahlen geworfen werden soll, so ist klar, dass es keinen zwingenden Beweis gibt, der erlaubte, die dort gewonnenen Erkenntnisse auf andere frühmittelalterliche Herrschaftsverbände zu übertragen. Doch ist meines Erachtens das Westfrankenreich Karls des Kahlen kaum anders strukturiert als dasjenige zur Zeit Karls des Großen, und die Transparenz

53  Zur Kategorie des Personenverbandsstaates siehe Theodor Mayer, „Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im Hohen Mittelalter“, in: Historische Zeitschrift 159 (1939), 457ff., sowie in: Herrschaft und Staat im Mittelalter, hg. von Hellmut Kämpf, Darmstadt 1956 (Wege der Forschung 2), S. 284–331. 54  Das ist nach wie vor ein breites Forschungsfeld, vgl. zu Ludwig dem Frommen Philippe Depreux, Prosopographie de l’entourage de Louis le Pieux (781–840), Sigmaringen 1997 (Instrumenta 1). 55  Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien, Paderborn u. a. 1989, S. 458–462; zur res Deo dicata siehe Concilium Parisiense (829), hg. von Albert Werminghoff, Hannover 1908 (MGH Concilia II,2), cap. 15, Nr. 50, S. 622f. und als antike Quelle für diesen Gedanken Justinian im Corpus Iuris Civilis, Novellae, hg. von Rudolf Schoell, Berlin 1904, VII,8.

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ist einer anderen Machtkonstellation zwischen König und Großen geschuldet, nicht aber Ausdruck einer grundsätzlichen Andersartigkeit.56 Im Jahr 843, nach dem Vertrag von Verdun, in dem endgültig die Nachfolge Ludwigs des Frommen geregelt worden war, kam es in Coulaines zu einer convenientia der Großen des Westfrankenreiches unter Führung des Grafen Warin mit dem König Karl dem Kahlen,57 die in moderner Deutung sehr vorsichtig bewertet wird, etwa als Manifestation eines „Vertragsgedankens“.58 Dabei steht in dem Kapitular, das Karl der Kahle in der Folge unter großer Transparenz promulgierte, doch viel mehr, als dass es einen geordneten Konsens gab, der die ordines des Reiches umfasste. Es geht wesentlich um das Ziel „regis ac regni stabilitate et utilitate“59 und um „totius populi communem profectum et tranquillitatem“,60 so jedenfalls das Prooemium. Alle Beteiligten, nämlich aus der Sicht Karls „fideles nostri, tam in venerabili ordine clericali quam inlustres viri in nobili laicali habitu constituti“ sollten diesen Vertrag unterzeichnen. Diese hatten sich nicht bloß „versammelt“, wie es in einer modernen Übersetzung heißt, sondern „venientes in unum“,61 was ja eher so viel bedeutet, wie „kamen überein“.62 Außerdem sollten die verschiedenen Kräfte, denen nun auch der König zugerechnet wird, zusammenarbeiten.63 Ein politisches Handeln außerhalb dieser bzw. gegen diese hergestellte Einung wird untersagt,64 womit die convenientia die Herrschaft über das Gebiet und die Bevölkerung exklusiv für sich beansprucht und eigentlich eine Art

56  Man möge diese Schwäche, die die Schwäche eines kurzen Beitrags sein muss, im Hinblick auf eine größere Studie zur Fragestellung zunächst nachsehen (siehe Anm. 52). 57  Vertrag von Coulaines (843), hg. von Wilfried Hartmann, Hannover 1984 (MGH Concilia III), Nr. 3, S. 10–17, nachgedr. und übers. von Adelheid Krah, Die Entstehung der potestas regia im Westfrankenreich während der ersten Regierungsjahre Kaiser Karls II (840–877), Berlin 2000, S. 209–212 und S. 217–220. Zur Rolle Warins siehe Apsner, Vertrag und Konsens (wie Anm. 9), S. 48–73. – Siehe zur Einordnung des Vertrages Janet Nelson, „The Intellectual in Politics: Context, Content and Authorship in the Capitulary of Coulaines, November 843“, in: The Frankish World, 750–900, hg. von ders., London 1996, S. 155–168. 58  Der Vertrag von Coulaines nimmt im Werk von Apsner, Vertrag und Konsens (wie Anm. 9) eine zentrale Stelle ein (S. 42–88). 59  Vertrag von Coulaines (wie Anm. 57), Vorrede, S. 15, Z. 5f. 60  Ebd., S. 15, Z. 6f. 61  „Quapropter venientes in unum fideles nostri…“, Vertrag von Coulaines (wie Anm. 57), Vorrede, S. 14, Z. 25f.; Übersetzung von Krah, Die Entstehung der „potestas regia“ (wie Anm. 57), S. 210. 62  Siehe hierzu schon Nelson, „The Intellectual in Politics“ (wie Anm. 57), S. 161. 63  Vertrag von Coulaines (wie Anm. 57), cap. 1, S. 15: „Eisdem vero regalis potestas et inlustrium virorum strenuitas seu rei publicae administratores, ut suum mynisterium competenter exequi valeant, in omnibus rationabiliter et iuste concurrant“. 64  Vertrag von Coulaines (wie Anm. 57), cap. 2, S. 16.



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Gesellschaftsvertrag begründet. Auch wird ausdrücklich die Treue zu dieser convenientia über die zu Familie und Verwandtschaft gestellt65 und damit eine Gesellschaftsform geschaffen, die wie im Falle der Kirchen die Gemeinschaft entpersonalisiert bzw. in einem eigentlichen Sinne transpersonalisiert. Die Forderung, die Gemeinschaft nicht wegen individueller Interessen zu schädigen („ne aliquis pro quacumque privata commoditate aut reicienda cupiditate sive alicuius consanguinitatis vel familiaritatis seu amicitiae coniunctione…“)66, ist aus dem kirchlichen Bereich bekannt, vor allem, wenn es um den Schutz des Kirchengutes und die Bischofswahl geht. Dort ist die Absicht der Schutz der transpersonalen Gemeinschaft vor der Person und ihren Interessen. Es geht in diesem Vertrag nicht bloß um die Sicherung des Friedens und des Wohlergehens des gesamten Volkes, sondern auch darum, dass – aus der Sicht Karls „noster honor et potestas regia inconvulsa permaneat“, wofür die fideles des Königs, als die sich in diesem Vertrag alle Großen ausweisen – wohlgemerkt willentlich –, eintreten wollen und sollen.67 Auch wird geregelt, dass die Großen gegebenenfalls das königliche Handeln zu korrigieren haben.68 Die königliche Herrschaft, für frühmittelalterliche Verhältnisse alternativlos, wird hier nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als Voraussetzung für ein Funktionieren des Reiches, was ja auch klar benannt wird. „Regni stabilitas“ könnte ohne den Zusammenhang auch schlicht die Festigkeit der Herrschaft des Königs bedeuten. Die Mühe aber, die darauf verwandt wird, eben dieses regnum zu sichern, zu schützen und mit dem Wohl des totus populus zu verbinden, sagt etwas anderes. Hier geht es um die Sicherung eines Verbandes aus König und Großen, sowohl weltlichen als auch geistlichen, zur Herstellung von Ordnung in einem in Verdun im selben Jahr bereits fest umrissenen Raum, in dem trotz einer offensichtlich herausragenden Stellung des Grafen Warin es einen Konsens gibt, den zur Verfügung stehenden Karolinger auch unabhängig von der Nachfolgeregelung Ludwigs des Frommen und den Verträgen mit den Brüdern als Oberhaupt zu konstituieren. Es handelt sich um einen willentlichen Akt der Großen dieses Reiches, die sich zuerst ohne den König zusammenfanden, um die Bedingungen ihres Zusammenwirkens zu besprechen, um dann eine convenientia einzugehen, der Karl beitrat,69 die im Wesentlichen für die nächsten 30 Jahre das politische

65  Ebd., cap. 4, S. 16. 66  Ebd. 67  Ebd., cap. 2, S. 16. 68  Ebd., cap. 5, S. 16. 69  Apsner, Vertrag und Konsens (wie Anm. 9), S. 42.

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System des Westfrankenreiches vor allem in seiner Transparenz maßgeblich begründen sollte. Ohne hier von dem inkriminierten Begriff „Staat“ sprechen zu wollen, muss doch von einer politischen Gemeinschaft ausgegangen werden, die in Coulaines für das Westfrankenreich konstituiert wurde und die den Anspruch hat, das Reich in toto zu repräsentieren und die sich selbst als transpersonale Größe begründet. Die politische Sprache ist der Kirchenorganisation entlehnt; deren Fähigkeit zur Abstraktion und zur theoretischen Reflexion entstammt aller Wahrscheinlichkeit nach der antiken Vorstellungswelt und politischen Theorie, die politische Wirklichkeit aber, die ebenso transpersonal ist, aber nicht immer in dieser Weise reflektiert wurde, ist ein Ergebnis der politisch-sozialen Bedingungen des Frankenreiches und ganz ähnlich auch anderen vergleichbar strukturierten politischsozialen Systeme. Diese politische Gemeinschaft, die in Coulaines besonders sichtbar wird, besteht aus den Großen und dem König, besitzt einen zugehörigen klar umrissenen Herrschaftsraum und konstituiert eine Regierung für die diesem Raum zugehörige Bevölkerung. Sie erhebt damit den Anspruch auf die Regelung der politischen Angelegenheiten und auf die Exklusivität ihres Handelns als das einer hoheitlichen Größe. Diese politische Gemeinschaft könnte mit ihrem zugehörigen Herrschaftsraum heute Mitglied der UNO werden.70

70  Vgl. diese Kriterien bei Jörg Jarnut, „Der langobardische Staat“, in: Pohl und Wieser, Der frühmittelalterliche Staat (wie Anm. 6), S. 23–29, S. 29. – Zu den verschiedenen Möglichkeiten, einen Staat zu definieren siehe die Anschauung von Karl Brinkmann, Verfassungslehre, 2. Aufl., München und Wien 1994, und seine Einlassungen zu anderen Konzeptionen in: ebd., S. 7–18.

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Die „mos … veteranorum cantorum“ des Aurelianus Reomensis und die Stellung der gallikanischen Liturgie im Westfrankenreich des späten 9. Jahrhunderts Gemeinschaftsbegriffe aus dem Musikschrifttum des Mittelalters begleiten oft Beschreibungen von musikalischen Gepflogenheiten, bei denen sie zur tatsächlichen oder vermeintlichen geografischen Abgrenzung des vorgestellten Phänomens dienen. Ein solcher Fall findet sich auch in der Musica Disciplina des Aurelianus Reomensis, im fünfzehnten Kapitel des Traktats, d. h. im siebenten des Tonars, mitten in der Darstellung des sechsten Modus (Tritus plagalis). An dieser Stelle ist die folgende Bemerkung zu lesen: Interea mos considerandus est veteranorum cantorum, praesertim Gallias degentium, qui non omnem toni sequentes auctoritatem, versus responsoriorum aliter ac aliter quam sonoritas tonorum sese habeat, prepediente multitudine syllabarum, in diversam mutavere partem.1 Es ist jedoch die Sitte der alten, besonders in den gallischen Gebieten lebenden Sänger zu beachten, die, indem sie nicht jeglicher Autorität des Kirchentons folgten, die Verse von Responsorien an unterschiedlichen Stellen bald auf die eine Weise bald auf die andere verändert haben, [und zwar anders] als sich die Klanglichkeit der Kirchentöne verhält, denn die vielen Verse waren ihnen hinderlich.

Dieser inhaltlich knappe Satz legt dar, dass Sänger die Verse der Responsorien auf unterschiedliche Weise veränderten. Allerdings enthüllt er nicht, worin diese Veränderungen bestanden haben. Stattdessen wird zum einen die Konsequenz der Vorgehensweise erwähnt: Die Melodien weichen aufgrund der Veränderungen von den durch die Theoretiker festgelegten modalen Kategorien ab (quam sonoritas tonorum sese habeat). Zum anderen wird die Ursache der Veränderung genannt: Die vielen Silben, hier wahrscheinlicher die vielen Verse, waren den Sängern lästig (prepediente multitudine syllabarum). Neben Hinweisen auf die Gesangspraxis enthält die Textstelle außerdem eine relativ klare Ortsangabe, nach der diese vor allem in einem geografischen Gebiet namens Gallien (praesertim Gallias degentium) verbreitet war, sowie die

1  Lawrence Gushee, Aureliani Reomensis Musica Disciplina, Rom 1975 (CSM 21), S. 105.

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recht ungenaue Zeitangabe, dass zur Zeit der Niederschrift dieses Satzes die dargestellte musikalische Gepflogenheit keine Gültigkeit mehr besaß (veteranorum cantorum). Die in der Musica disciplina vorgestellte Gesangspraxis besteht in der Veränderung des Versus, d. h. des Verses, der nach dem Einsatz des durch den gleichen Begriff bezeichneten Hauptteils des Responsoriums gesungen wird.2 Hinweise auf ein ähnliches Verfahren finden sich im Prolog des Liber de ordine antiphonarii des Amalarius von Metz.3 Obwohl es ihm darin primär darum geht, das folgende Werk, die Hintergründe seines Verfassens sowie seine Vorzüge vorzustellen, beschreibt Amalarius die Art und Weise, wie das Responsorium zu seiner Zeit „bei uns“ aufgeführt wurde, und stellt sie jener Aufführungspraxis aus Rom gegenüber. 12. Notandum est necessarium nobis esse ut alteros versus habeat noster antiphonarius quam romanus, quoniam altero ordine cantamus nostros responsorios quam Romani. Illi a capite incipiunt responsorium, finito versu, nos, versum finitum, informamus in responsorium per latera eius, ac sic facimus de duobus corporis unum corpus. Ideo necesse ut hos versus quaeramus, quorum sensus cum mediis responsorium conveniat, ut fiat unus sensus ex verbis responsorii et verbis versus.4 12. Es ist zu bemerken, dass unser Antiphonar notwendigerweise andere Verse aufweist als das römische, da wir unsere Responsorien nach einer anderen Anordnung singen als die Römer. Sie wiederholen das Responsorium von Anfang an, wenn der Vers fertig gesungen ist. Wir bilden das Ende des Verses im Responsorium durch seine Flanken, und so machen wir aus zwei einen Körper. Darum ist es notwendig, dass wir Verse aussuchen, deren Sinn zur Mitte des Responsoriums passt, so dass ein einheitlicher Sinn aus dem Text des Responsoriums und des Verses entsteht.

Die Veränderung der Responsoriumverse besteht laut Amalarius darin, dass die Sänger im Frankenreich den Vers nicht vollständig wiederholen wie die römischen Sänger, sondern nur von ihrer Mitte ab. Dies verursache einen Bruch in

2  Versus bezeichnet im Lateinischen in der Regel sowohl den Vers nach dem Ende des Responsoriums als auch einen beliebigen Vers eines Gedichts, bzw. hier des Responsoriumstextes. Hier ist jedoch die erstere Bedeutung zu wählen, da der Autor der Textstelle terminologisch zwischen ersterem Begriff, den er eindeutig „Versus“ nennt, und letzterem Terminus, den er mit dem Wort „syllaba“ ausdrückt, unterscheidet. 3  Amalarii episcopi opera liturgica omnia, Bd. 1: Introductio – Opera minora, hg. von Johannes Michael Hanssens SJ, Cità del Vaticano 1948 (Studi e testi 138), S. 361–363. 4  Ebd., S. 362.



Die „mos … veteranorum cantorum“ des Aurelianus Reomensis 

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der Verbindung der beiden Texte, der sowohl die Verständlichkeit als auch die theologische Richtigkeit der vermittelten Botschaft beeinträchtige.5 In dieser Darstellung weicht Amalarius von jener Beschreibung aus der Musica Disciplina ab, indem er primär auf die Folgen der Gesangspraxis für die Einheitlichkeit des Textes geht; im Gegensatz dazu bleibt im Musiktraktat die textliche Vorlage unbeachtet. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf dem musikalischen, modalen Zusammenhalt der Melodielinie. Aber von welchem melodischen Bestandteil aus auch immer betrachtet, bleiben beide Autoren in einem Punkt einig: Ihre beiden Darstellungen laufen auf eine Kürzung des Gesangs hinaus. Die inhaltliche Verbindung zwischen Aurelianus und Amalarius lässt an dieser Stelle einen Bezug des ersteren zum letzteren Autor vermuten und erlaubt, die Textstelle aus der Musica disciplina in ihr geistiges Umfeld zu setzen und damit näher zeitlich einzuschätzen. Amalarius setzt sich im Liber de ordine antiphonarii mit dieser besonderen Responsorialpraxis auseinander, um Lösungen für die Probleme im Bereich Verständlichkeit und vermittelter Botschaft vorzuschlagen. Er war damit nicht der erste, seine eigene Arbeit ordnet er bewusst in eine Diskussion ein, die von Helisachar eingeleitet wurde.6 Dieser war mit fränkischen Gelehrten unter seiner Führung als erster an diese Probleme herangetreten7 und hatte das von Rom übernommene Antiphonar so überarbeitet, dass die Unstimmigkeiten zufriedenstellend aus der Welt geschafft werden konnten. Um die von der Responsorialpraxis verursachten falschen Aussagen zu vermeiden, suchte er neue Verse für die Responsorien aus, die trotz der Kürzung beider Texte reibungslos ineinander übergehen konnten. Wie später Amalarius, versuchte er damit allerdings, einem Zustand entgegenzutreten, dessen Wurzeln in einer der einschneidendsten Veränderungen in der Geschichte des christlichen Ritus lagen. Ausgangspunkt des Wandels war die von den Karolingern (vorwiegend

5  Vgl. hierzu Helmuth Hucke, „Das Responsorium“, in: Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen. Gedenkschrift Leo Schrade, hg. von Wulf Arlt u. a., Bern und München 1973, S. 160f. 6  Amalarii episcopi (wie Anm. 3), S. 362: „10. In versibus, quos pene mutatos reperiet, […] laboravit et sudavit sacerdos Dei Elisagarus, adprime eruditus, et studiosissimus in lectione et divino cultu, necnon et inter priores primus palatii excellentissimi Hludovici imperatoris. Non solum ille, sed et quoscumque de eruditis ad se potuit convocare, in praesenti negotio sudaverunt.“ – „10. Die Verse, die sich ziemlich als verändert erwiesen haben, bearbeitete der Priester Gottes, Helisachar, der in hohem Maße kenntnisreich und eifrig in der Lesung und in der göttlichen Verehrung sowie der Erste unter den Besten im Palast des vortrefflichsten Kaisers Ludwig war, und er schwitzte dabei, aber nicht er allein, denn er hat auch andere kenntnisreiche Menschen zu sich rufen können, die bei dieser Aufgabe geschwitzt haben.“ 7  Vgl. hierfür Kenneth Levy, „Abbot Helisachar’s Antiphoner“, in: JAMS 48 (1995), S. 171–186, insb. S. 177–184, in denen Levy den Brief Helisachars übersetzt und kommentiert.

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Pippin dem Kurzen und seinem Sohn Karl dem Großen) erwirkte Übernahme der Liturgie, wie sie in Rom praktiziert wurde – ein liturgischer Wandel also, der die ältere, gallikanische Tradition zu überdecken hatte.8 Die Sänger mussten sich in kürzester Zeit nicht nur ein neues Repertoire aneignen (was immerhin das Erlernen von ca. 3000 Gesängen9 nach ihnen völlig unbekannten melodischen Prämissen und mit z. T. abweichenden Texten bedeutete), sondern auch in erster Linie das alte, gewohnte Repertoire vergessen.10 Mit der Zeit, durch die Ablehnung des römischen Repertoires sowie das Fehlen einer Gedächtnisstütze durch ein brauchbares Notensystem noch verstärkt, schlichen sich in den neuen Ritus alte Geflogenheiten ein, darunter jene in der Musica disciplina beschriebene Gesangspraxis. Dieser liturgische Wandel fand in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts statt; Helisachars Überarbeitung des Antiphonars datiert aus den Jahren um 820,11 wie ein das vervollständigte Antiphonar einleitender Brief an Nedibrius, Erzbischof von Narbonne, belegt.12 Die Niederschrift von Amalarius’ Liber de ordine antiphonarii ist für den Zeitraum zwischen 838 und 84413 anzusetzen. Da aber in der Textstelle aus der Musica disciplina von „veteranorum cantorum“ die Rede ist, besaß die beschriebene Responsorialpraxis nicht mehr die Aktualität, die sie noch in den 840er Jahren aufzuweisen schien. Daher dürfte diese Textstelle nach der Jahrhundertmitte, in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts entstanden sein. Die Forschung hat für den gesamten hier besprochenen Traktat bislang drei Thesen zur Datierung aufgestellt. Gushee stützt sich auf den Widmungsträger des

8  Vgl. hierzu Cyrille Vogel, La réforme culturelle sous Pépin le Bref et sous Charlemagne, Nachdr. Graz 1965, und Theodor Klauser, „Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche vom achten bis zum elften Jahrhundert“, in: Historisches Jahrbuch 53 (1933), S. 169–189. 9  Philippe Bernard, Du chant romain au chant grégorien (IVe–XIIIe siècle), Paris 1996, S. 10. 10  Dom Jean Claire, „L’évolution modale dans les répertoires liturgiques occidentaux“, in: Revue grégorienne 40 (1962), S. 200. 11  Michel Huglo, „Les remaniements de l’Antiphonaire grégorien au 9e siècle: Helisachar, Agobard, Amalaire“, in: Culto cristiano e politica imperiale carolingia: atti del XVIII congreso del Centro di studi sulla spiritualità medievale, hg. vom Centro di studi sulla spiritualità medievale, Todì 1979, Nachdr. in: Les sources du plain chant et la musique médiévale, Aldershot 2004, XI., S. 99. 12  Edition des Briefes mit Kommentaren zur Entstehung und zum geistigen Umfeld in: Edmund Bischoff, Liturgica historica. Papers on the Liturgy and Religious Life of the Western Church, Oxford 1918. Weitere Besprechung in: Huglo, „Les remaniements“ (wie Anm. 11), S. 97f. sowie Levy, „Abbot Helisachar’s Antiphoner“ (wie Anm. 7), S. 177–184. 13  Anna Morelli, ‚Musica disciplina’ di Aureliano di Réôme. Fondamenti teorico-disciplinari dell’Ars musica nel IX secolo, Udine 2007, S. 57f.



Die „mos … veteranorum cantorum“ des Aurelianus Reomensis 

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Werkes, einen Abt Bernard, der das Stammkloster des Aurelianus, St. Johannes in Réôme bzw. Réômé,14 von der Mitte der 840er bis zur Mitte der 850er Jahre leitete.15 Bernhard hingegen machte ein Zitat der Miracula S. Germani ausfindig, die von Heiric von Auxerre erst um 876 vollendet wurde. Er verlegte folglich die Datierung Gushees um etwa dreißig Jahre später.16 Phillips differenzierte die Ergebnisse ihrer Vorgänger aus. Sie sieht im Traktat weniger einen einheitlichen Text als eine Kompilation von mindestens zwei Schichten, die einerseits Materialien aus der Spätantike (Boethius, Cassiodor, Isidor von Sevilla), andererseits Werke aus dem 9. Jahrhundert auswertet und zusammenstellt.17 Haggh schließlich bringt eine weiterführende und tiefer ins Detail gehende Synthese der drei Hypothesen vor und schlägt dabei drei Entstehungsphasen vor. Die erste zwischen 843 und 856 geschriebene Textschicht entspricht Aurelianus Originaltraktat; ihm folgt eine zwischen 859 und 861 vorgenommene Überarbeitung, die in den 870er Jahren durch verschiedene Interpolationen erweitert wurde.18 Man fragt sich, zu welcher Textschicht die genannte Textstelle, auf die Barbara Haggh speziell nicht eingeht, gehören mag. Fügt man den der Textstelle folgenden Absatz im fünfzehnten Kapitel hinzu, lässt sie sich noch genauer datieren:

14  Heute noch eine kleine Gemeinde in der Nähe von Sémur en Auxois, in der Mitte zwischen Dijon und Auxerre. 15  Lawrence Gushee, The ‚musica disciplina‘ of Aurelian of Réôme. A critical Text and Commentary, PhD. Yale Univ. 1962, S. 11. 16  Michael Bernhard, „Textkritisches zu Aurelianus Reomensis“, in: Musica Disciplina 40 (1986), S. 60. 17  Nancy Philips, „Notationen und Notationslehren von Boethius bis zum 12. Jahrhundert“, in: Die Lehre vom einstimmigen liturgischen Gesang, hg. von Thomas Ertelt und Frider Zaminer, Darmstadt 2000 (GMTh 4), S. 545. Die Quellen aus dem 9. Jahrhundert wurden z. T. in der Zwischenzeit ausfindig gemacht: Zum einen greift der Autor der Musica disciplina auf einen Alcuin zugeschriebenen und den Metzer Tonar (vgl. hierzu Michel Huglo, Les tonaires. Inventaire, analyse, comparaison, Paris 1971, S. 49) zurück; zum anderen übernimmt er Auszüge aus einem in einer Mainzer Handschrift überlieferten Brief (Epistola de quibusdam regulis modulationem; vgl. hierzu Michael Bernhard und Michele C. Ferrari: „Aliquid super quibusdam regulis modulationum. Eine unbekannte musiktheoretische Schrift Aurelians von Réôme (?) in einer Mainzer Handschrift der Jahrtausendwende (Gotha, Forschungsbibliothek, Memb. I. 58)“, in: Musik des Mittelalters und der Renaissance. Festschrift Klaus Jürgen Sachs zum 80. Geburtstag, hg. von Rainer Kleinertz u. a., Hildesheim und Zürich 2010 [Studien zur Geschichte der Musiktheorie 8], S. 42f.). 18  Barbara Haggh, „Traktat ‚Musica Disciplina‘ Aureliana Reomensis. Proweniencja I datowanie“, in: Muzyka 45 (2000), engl. Zusammenfassung S. 78f.

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Unde in hoc responsorio quod quidam asserunt in ecclesia non debere cantari eoquod in historiis minime repperiatur, et ob venerationem sanctae genetricis Dei Mariae, simul et ob Iudeorum insaniam ac hereticorum refutandam protervam superstitionem in ecclesia canitur. Taliter acutum invenies quamvis in ipsa Romana urbe dicatur esse compositus. En adest: Responsorium Gaude Maria virgo; Versus Gabrihelem archangelum. Responsorii autem istius, sicuti relatu didici, auctor extitit quidam Romanus nomine Victor, a nativitate caecus, qui, cum memoriter a cantoribus cantilenarum didicisset melodias, quadam die ante altare residens Sanctae Marie quae Domus Rotunda dicitur, divino favente nutu, hoc composuit responsorium ac statim lumine quo privatus erat multo iam tempore illuminari meruit atque iubare potiri genuin[o].19 Von diesem Responsorium haben gewisse [Leute] gesagt, dass es nicht in der Kirche gesungen werden darf, weil dessen Text nicht der Bibel entstammt. Es wird in der Kirche gesungen zur Verehrung der Hl. Mutter Gottes, zugleich auch zur Tollheit der Juden und zur Zurückweisung des unverschämten Aberglaubens der Häretiker. Du findest es so hoch (acutum), auch wenn es von ihm heißt, es sei in Rom komponiert worden. Es ist dieses: Responsorium Gaude Maria virgo – Versus Gabrihelem archangelum. Der Autor des Responsoriums, von dem hier die Rede ist, ein gewisser Römer namens Viktor, von Geburt an blind, der, als er aus dem Gedächtnis den Sängern Melodien der Gesänge beibrachte und eines Tages vor dem Altar in Santa Maria, die als runde Kirche bezeichnet wird, verweilte, mit Gottes Gunst dieses Responsorium komponierte, und er verdiente sofort, mit Licht erleuchtet zu werden, das ihm solange gefehlt hatte, und des echten leuchtenden Glanzes teilhaftig zu werden.

Mit der Bemerkung, dass das benannte Responsorium Gaude Maria virgo nicht in der Kirche gesungen werden darf, nimmt der Autor der Textstelle Bezug auf einen anderen Ansatz aus dem theologischen Diskurs zum römischen Antiphonar in seiner Rezeption im Frankenreich. Formuliert wird dieser in einem Brief von Agobardus, Erzbischof von Lyon, an den Klerus seines Erzbistums20 (zu dem das Kloster St. Johannes Reomensis gehörte). Er geht darin vom gleichen Sachverhalt aus wie ihrerseits Helisachar und Amalarius, schlägt aber drastischere Maßnahmen vor, unter anderem alle Gesänge aus dem Antiphonar zu verbannen, soweit ihre Texte nicht aus der „Historia“, aus der Bibel stammen.21 Damit überträgt Agobardus auf das Fränkische Antiphonar Gegebenheiten, die er aus der Litur-

19  Aureliani Reomensis Musica Disciplina (wie Anm. 1), S. 105. 20  „Agobardus Lugdunensis archiepiscopus ecclesiae suae cantoribus de modo recte canendi in ecclesia secundum patrum auctoritatem exponit figmentis recentioribus reiectis“, editert in: Epistolae Karolini Aevi, hg. von Ernst Dümmler, Berlin 1899, Bd. 3, S. 232–238; Besprechung dieses Briefes in: Huglo, „Les remaniements“ (wie Anm. 11), S. 102–113. 21  Ebd., S. 237. Vgl. hierzu Huglo, „Les remaniements“ (wie Anm. 11), S. 105.



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gie seiner Heimat, der iberischen Halbinsel, kannte.22 Tatsächlich findet sich das erwähnte Responsorium Gaude Maria virgo nicht im Antiphonar von Lyon.23 Dass der Autor der Textstelle die römische Herkunft des Gesangs und die Verbindung seiner Komposition mit einem Wunder so sehr betont (auch wenn dieser in keiner römischen Quelle zu finden ist),24 kann in diesem kirchenpolitischen Kontext als Rettungsversuch dieses Gesangs und als Rechtfertigung seiner fortdauernden Pflege verstanden werden – trotz der Forderungen des Erzbischofs an das Antiphonar von Lyon, aber auch trotz der ins Frankenreich übernommenen Liturgie, zu deren Grundstock der Gesang nicht gehört. Das Responsorium Gaude Maria virgo ist der Gottesmutter Maria gewidmet, was seine Entstehung unmittelbar an die Regierungszeit Karls des Kahlen heranrücken lässt. Marienfeste wurden seit dem frühen 8. Jahrhundert im Westen gefeiert und im Frankenreich im Zuge der Einführung der römischen Liturgie breitflächig rezipiert; allerdings auf dieser Seite der Alpen nicht in einem von Rom vorgesehenen, von den wesentlichen Festen des Kirchenjahrs abgesonderten und weitgehend selbstständigen Zyklus. „Trotz der ungebrochenen Kontinuität monialer Direktionsliteratur mariologischer Ausrichtung und der zunehmenden Verbreitung des Marienpatroziniums bei den fürstlichen Nonnen- und Kanonissenstiften umhüllte die Hagiografie vom ausgehenden 7. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts die Figur der Jungfrau mit Schweigen. Zumindest partiell hing dieses Schweigen mit der Zurückhaltung zusammen, welche die karolingischen Kirchenväter der Heiligenverehrung entgegenbrachten“.25 Erst mit Karl dem Kahlen und angeregt durch diesen „souverain dévoué à la Vierge“26 begannen die westfränkischen Gelehrten sich mit marianischen und mariologischen Fragen auseinanderzusetzen.27 Verfasst wurden Schriften wie etwa De

22  Michel Huglo, „D’Helisachar à Abbon de Fleury“, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 229. 23  Barbara Haggh, „From Auxerre to Soissons: The Earliest History of the Responsory Gaude, Maria Virgo in Gautier de Coinci’s Miracles de Notre Dame“, in: Gautier de Coinci: Miracles, Music, and Manuscripts, hg. von Kathy M. Krause und Alison Stones, Turnhout 2006 (Medieval Textes and Cultures of Northern Europe 13), S. 178. 24  Ebd., S. 180. 25  Gabriela Signori, Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt. Hagiogarphische und historiographische Annäherungen an eine hochmittelalterliche Wunderpredigt, Sigmaringen 1995, S. 63. 26  Dominique Iogna-Prat, „Le culte de la Vierge sous le règne de Charles le Chauve“, in: L’art et la société à l’époque carolingienne, Actes des XXIIIe Journées Romanes de Cuxa, 10–18 juillet 1991, hg. von der Association culturelle de Cuxa, Perpignan 1992 (Les cahiers de Saint-Michel de Cuxa), S. 100. 27  Ebd., S. 98f.

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partu virginis von Paschasius Radbertus oder De eo quod Christus ex virgine natus von Ratramnus von Corbie.28 Dieses Interesse für die Gottesmutter schlug sich auch in der Architektur nieder, denn in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts gab der westfränkische König zahlreiche Rotundae in Auftrag, die ihr Vorbild in Santa Maria Maggiore zu Rom, „Zentrum der Marienverehrung im Westen“29 und – der Textstelle aus der Musica disciplina nach – Schauplatz der wundersamen Heilung des blinden Sängers Viktor, hatten. Der Hinweis sowohl auf eine runde Kirche als auch auf das Responsorium Gaude Maria virgo rückt diesen Abschnitt des Traktats in die zeitliche Nähe zweier während der Regierungszeit Karls des Kahlen errichteter Kirchen. Haggh sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Wunder und der Krypta von Auxerre, die am Dreikönigsfest des Jahres 859 unter Anwesenheit des Königs eingeweiht wurde. Sie begründet diese Hypothese mit der Parallelität der sich in der Textstelle befindlichen Mirakelgeschichte mit dem Wunder, das Heiric von Auxerre in der Miracula S. Germani erzählt und sich vor dem Bau der Kirche 841 ereignet hat: „When [Count] Conrad [brother in law of Louis the Pious] prayed at the tomb of St. Germain sight returned to his eyes blinded by Glaucoma“.30 Legt man die Betonung weniger auf die Mirakelgeschichte als auf das Responsorium selbst, kann die Marienkirche der Pfalz zu Compiègne ebenfalls in Erwägung gezogen werden, die – 870 begonnen – im Mai 877 geweiht wurde. Zu diesem Anlass wurde ein Antiphonar kompiliert, das zusammen mit der Musica disciplina die älteste überlieferte Quelle des Responsoriums Gaude Maria virgo darstellt.31 Zudem diente die Pfalz zu Compiègne und die Kirche mit ihr, im Gegensatz zu Auxerre, über das religiöse Symbol hinaus auch zu politischen Zwecken und wurde nach dem Vorbild des Aachener Oktogons in einer Zeit errichtet, in der Karl der Kahle nach dem Kaisertitel strebte. Damit bekämpfte er seinen Bruder Ludwig um die Herrschaft über Familie und Reich sowie um das Vermächtnis des Großvaters. Er versuchte, ihm die Kaiserkrone und das Machtzentrum der Karolinger in Aachen abzunehmen, was ihm nur zum Teil gelang. Durfte er erstere zumindest einige Jahre tragen, erreichte er sein zweites Ziel nicht und baute sich gewisserweise als Ausgleich nach altehrwürdigem politischen Muster eben diese Pfalz. Aus diesem Grunde wurde die Errichtung der Anlage von zahlreichen

28  Ebd., S. 100. 29  Heiner Grote, Art. „Maria/Marienfrömmigkeit. II. Kirchengeschichtlich“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 22: Malaysia-Minne, hg. von Gerhard Müller u. a., Berlin u. a. 1992, S. 124. 30  Haggh, „From Auxerre to Soissons“ (wie Anm. 23), S. 189. 31  Ebd., S. 173.



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repräsentativen Schriften32 begleitet, zu denen das Prachtantiphonar gehört. Dass in Zusammenhang mit diesem politischen Ereignis ein neues Responsorium entstanden ist, kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Die Verbindung zum einen oder anderen Ort zieht eine andere Datierung der Textstelle nach sich: Wird Auxerre bevorzugt, muss sie in der Zeit zwischen 856 (wahrscheinlicher 859 nach Fertigstellung der Krypta) und 861 entstanden sein und gehört gemäß Haggh zur revidierten Fassung des Traktats;33 wird stattdessen Compiègne mehr Gewicht verliehen, fällt der untersuchte Absatz hingegen in die 870er Jahre, weshalb er zu den späteren Interpolationen zu zählen wäre.34 Jede Datierung zwingt ihn in einen anderen historischen Kontext. Gallia(e) ist seit der Herrschaft der Karolinger ein primär geografischer Begriff, den man von der Antike, insbesondere Julius Caesar (in der Tradierung von Isidor von Sevilla,35 dessen Etymologiae die Musica disciplina noch an anderen Stellen zitiert36), aber auch Plinius und Tacitus37 übernommen hatte. Für die Römer erstreckte sich Gallien vom Atlantik bis zum Rhein und vom Ärmelkanal bis zum Mittelmeer, wobei sie von den benachbarten iberischen und italischen Halbinseln durch die Pyrenäen und die Alpen getrennt war.38 Die geografische Bestimmung erfolgte unabhängig von den auf diesem Gebiet lebenden Menschen, die sich in unterschiedliche Volksgruppen unterteilten39 und sich Kelten nannten.40 Der Begriff wurde als Fremdbezeichnung im Singular Gallia von den Römern geprägt.

32  Wie etwa das Karl dem Kahlen gewidmete Gedicht Aulae siderae des Johannes Scottus Eriugena, vgl. hierzu Dermot Moran, The Philosophy of John Scottus Eriugena. A Study of Idealism in the Middle Ages, Cambridge u. a. 1989, S. 18. 33  Haggh, „Traktat ,Musica Disciplina‘“ (wie Anm. 18), S. 78. 34  Ebd., S. 78. 35  Margret Lugge, „Gallia“ und „Francia“ im Mittelalter. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen geographisch-historischer Terminologie und politischem Denken vom 6.–15. Jahrhundert, Bonn 1960, S. 12. 36  Phillips, „Notationen und Notationslehren“ (wie Anm. 17), S. 340, und Barbara Haggh, „Aurelian’s Library“, in: Cantus planus. Papers Read at the 9th Meeting, Esztergom & Visegrad 1998, Budapest 2001, S. 291. 37  Lugge, „Gallia“ und „Francia“ (wie Anm. 35), S. 39. 38  Wolfgang Schmale, Geschichte Frankreichs, Stuttgart 2001, S. 22. 39  Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart u. a., 3. Aufl., 2001, S. 169. 40  Schmale, Geschichte Frankreichs (wie Anm. 38), S. 22.

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Im Zuge seiner Dreiteilung in Gallia belgica, Gallia aquitania und Gallia celtica41 sowie Gallia cis- und transalpina42 zur Zeit Julius Caesars bzw. der erneuten Teilung in zwölf große Diözesen durch Diokletian43 wurde das Territorium nicht mehr als eine Einheit, sondern als eine Fülle von Provinzen angesehen. Damit entstand die Pluralform Galliae, die sich gegen solche adjektivische Fügungen wie Gallia tota oder Gallia omnis 44 abhob, und drückte damit den Unterschied zwischen Gallia als rein geografischem Terminus und Galliae als Widerspiegelung der Verwaltungsstrukturen aus. Die Konkurrenz dieser beiden Formen führte letztlich zu ihrer Gleichsetzung, die ebenfalls von den karolingischen Gelehrten übernommen wurde. Der Rückgriff auf die antike Terminologie erfolgte angeblich ohne besondere Reflexion und wurde selten an die Gegebenheiten der Zeit angepasst, in der die verschiedenen Autoren lebten.45 Das mag aber weniger eine Frage der kritischen Fähigkeit der Gelehrten oder Verfasser gewesen zu sein, als vielmehr an dem Gehalt des Begriffs selbst liegen. Gallia(e) entsprach in der Regierungszeit Karls des Kahlen keinem politischen Herrschaftsgebiet und wurde auch nicht mit einem solchen identifiziert. Politischer Terminus schlechthin war Franci. Zusammen mit dem Substantiv Regnum umfasste er die Gesamtheit der beherrschten Territorien und den gesamten Machtbereich des Königs bzw. Kaisers, auch wenn dieser aus verschiedenen, gesondert bezeichneten Gebieten und Regionen (wie etwa Gallien) oder Völkerschaften bestand. Nach den zahlreichen Spaltungen des Reiches, die nicht zuletzt während der Regierungszeit Karls des Kahlen stattfanden, stand der Terminus regnum francorum über den angestrebten Kaisertitel und die Erbschaftsansprüche hinaus in erster Linie für das einheitliche Reich des Vaters und Großvaters, das es wieder unter einer einzigen Krone zu vereinigen galt. Tatsächlich aber beherrschte Karl folgende Gebiete: Karl fiel [nach der Spaltung von Verdun 843] das Land um Laon, Soissons und Paris zu. Dort lagen in den Flußtälern der Oise und Aisne unter anderem die Pfalzen Samoussy, Quierzy, Compiègne, Verberie und Ver. […] Die Grenze zwischen Lothar und Karl folgte den Flußläufen von Schelde und Maas, sie ließ Lothar aber im Besitz der Diözese Cambrai. Weiter im Süden wurde die Grenze im wesentlichen durch die Flüsse Saône und Rhône gebildet, aber Lothar erhielt die Grafschaft Forez und das Gebiet um Vivers. Damit wurde das fränki-

41  Gaius Iulius Caesar, De bello Gallico/der Gallische Krieg, hg. von Marieluise Deißmann, Stuttgart 2008, S. 4. 42  Lugge, „Gallia“ und „Francia“ (wie Anm. 35), S. 10. 43  Bernhard Maier, Die Kelten. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2000, S. 110. 44  Lugge, „Gallia“ und „Francia“ (wie Anm. 35), S. 10. 45  Pierre Riché, Die Welt der Karolinger, Stuttgart, 2. Aufl., 1999, S. 18.



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sche Teilreich Burgund einfach zerschnitten, denn Troyes, Langres, Sens, Auxerre, Nevers, Autun, Macon und Châlon gingen an Karl.46

Nach der zweiten Spaltung des Reiches, also nach jener von Merssen erweiterte Karl der Kahle sein Reich wie folgt: [875] hatte Karl größeren Erfolg in Italien, das er besetzen konnte, als Kaiser Ludwig II. starb. Dazu gewann er noch jenen Teil des Königreichs Provence, der 863 beim Tod Karls von der Provence unter die Herrschaft Ludwigs II. gefallen war. Am Weihnachtstag 875, dem Jahrestag der ersten Kaiserkrönung eines Karolingers, ließ sich Karl der Kahle von Papst Johannes VIII. die Kaiserkrone aufsetzen.47

Diese Territorien hießen für ihn und seine Chronisten nach wie vor regnum francorum;48 sie wurden im Westfrankenreich jedoch nicht mit Gallien in Verbindung gebracht.49 Gallia(e) wurde in einer Zeit starker politischer Umbrüche vor allem von der Kirche als ein nicht politischer Begriff verwendet.50 Ausgangspunkt dieses Sprachgebrauchs stellte die von Pippin dem Kurzen und Karlmann eingeleitete, von Karl dem Großen zum Abschluss gebrachte und von Chrodegang und Bonifatius durchdachte Reform der Kirchenverwaltung51 dar, die für die Organisation der Gebiete in Diözesen auf die von der Antike überlieferten Verhältnisse zurückgriff  52 – und damit auch auf ihre spezielle Begrifflichkeit. Sie erwies sich während des Zerfalls des karolingischen Reiches, der schließlich ebenso zur Teilung der Diözese über mehrere Staaten hinweg führte, als sehr wertvoll, denn sie erlaubte eine Beschreibung administrativer Vorgänge und innerkirchlicher Angelegenhei-

46  Karl Ferdinand Werner, Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000, Stuttgart 1989 (Geschichte Frankreichs 1), S. 433. 47  Ebd., S. 442. 48  Eugen Ewig, „Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts“, in: Eugen Ewig: Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesamte Schriften (1952–1973), hg. von Hartmut Astma, München 1976 (Beihefte der Francia 3/1), Band 1: S. 346. 49  Anders im Ostfrankenreich, in dem „bei nicht-amtlichen Berichterstattung“, ohne jegliche Gegenliebe entgegenzubringen, Karl als„tyrannus Galliae“ bezeichnet wurde (Lugge, „Gallia“ und „Francia“ [wie Anm. 35], S. 64); bei offiziellen Historiografien als Gallia, regnum Karoli, regnum Gallicanum etc. 50  Ebd., S. 50f. 51  Vgl. hierzu Henri Leclercq, Art. „Gallicane (Église)“, in: Dictionnaire d’Archéologie chrétienne et de liturgie, Bd. 6: G-Gotha, hg. von Fernand Cabrol und Henri Leclercq, Paris 1924, Sp. 449–456. 52  Ewig, „Beobachtungen“ (wie Anm. 48), S. 326.

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ten ohne Rücksicht auf die sich wandelnden politischen Gebilde.53 Besonders für einen Menschen aus dem Erzbistum Lyon (wie den Autor der Textstelle), das von 843 an zwischen dem Reich Karls und Lothars, von 875 an zwischen dem Reich Karls und Ludwigs geteilt war, konnte die kirchliche Terminologie nützlich und hilfreich sein. Die Ausdehnung des geografischen Begriffs Gallia(e) wird außerdem durch die Wirkungsstätte der verschiedenen, sich am theologischen Diskurs zur Responsorialpraxis beteiligten fränkischen Gelehrten bestätigt. Helisachar war Abt des Klosters Saint Aubain in Angers, also in der Nähe der Atlantikküste, und Saint Riquier,54 unweit des Ärmelkanals; Nedibrius leitete das Erzbistum Narbonne55 am Fuß der Pyrenäen; Agobardus war Erzbischof von Lyon56, nahe der Alpen, und wurde in dieser Funktion zeitweise von Amalarius abgelöst,57 der außerdem die gleiche Stelle in Trier58 innehatte, das ebenfalls linksrheinisch ist. Eine kurze Untersuchung der überlieferten Antiphonare vervollständigt dieses Bild; in der Textstelle aus der Musica disciplina wird zwar Gallien erwähnt, doch „praesertim Gallias degentium“, also „vor allem in den gallischen Gebieten“. Tatsächlich findet sich die Responsorialpraxis in aquitanischen Antiphonaren, in denen die Repetenda mit dem verkürzten Vers mit einem P (presa) markiert wird.59 Damit steht sie noch auf gallischem Gebiet. Außerdem ist sie in Norditalien (im Antiphonar von Lucca aus dem 12. Jahrhundert60) sowie auf der iberischen Halbinsel in abweichender Form (im Antiphonale Hispaniae vetus61) belegt. Die Quellen umfassen folglich jenen Bereich, in dem früher die sogenannte ambrosianische Liturgie gepflegt wurde, eine Liturgie, die sich von Mailand aus über Gallien bis zur iberischen Halbinsel erstreckte und die Grundlage der sogenannten hispanischen und – wichtiger – der sogenannten gallikanischen Lokaltradi-

53  Lugge, „Gallia“ und „Francia“ (wie Anm. 35), S. 50f., 192. 54  Huglo, „Les remaniements“ (wie Anm. 11), S. 97. 55  Ebd., S. 93. 56  Egon Boshof, Erzbischof Agobard von Lyon. Leben und Werk, Köln 1969 (Kölner historische Abhandlungen 17), S. 31f. 57  Ebd., S. 266f.; Huglo, „Les remaniements“ (wie Anm. 11), S. 114. 58  Ebd., S. 114. 59  Huglo, „D’Helisachar à Abbon de Fleury“ (wie Anm. 22), S. 228, und ders., „Les remaniements“ (wie Anm. 11), S. 98. 60  Lucca, Bibl. capit. 601, vgl. hierzu: Dom André Mocquereau, Antiphonaire monastique du 12e siècle, Codex 601 de la Bibliothèque capitulaire de Lucques (Paléographie musicale 9), Bern 1974, S. 11*f. 61  Antiphonale Hispaniae vetus (S. XXI) Biblioteca de la Universidad de Zaragoza, hg. von der Institución Fernando el Católico, Zaragoza 1986. In dem Antiphonar von Silos und von León wird die Repetenda auch verkürzt, allerdings auf andere Weise.



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tion bildete. Der Autor der Textstelle hat daher primär auf das gallikanische Substrat angespielt, sich damit aber auch die gesamte sogenannte ambrosianische Tradition vor Augen geführt. Er bezeugt deshalb, dass sie in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, wenn sie auch nun nicht mehr gepflegt wurde, doch in den Erinnerungen noch sehr lebendig war, insbesondere im Umfeld, in dem er sich bewegte und in dem die späten Handschriften zu dieser Tradition überliefert sind (Luxeuil, Mutterkloster von S. Johannes Reomensis, Autun, Auxerre).

Andreas Haug

Noch einmal: Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden Aus der Perspektive unserer Tagung kommentiert dieser Beitrag noch einmal1 die schon oft erörterten2 Passagen musikbezogenen Inhalts in den folgenden vier Geschichtsquellen des späten 9. und frühen 11. Jahrhunderts:3

1  Siehe die beiden in Anm. 2 mitaufgeführten Veröffentlichungen des Verfassers, auf die in diesem Beitrag gelegentlich zurückgegriffen wird. Für Auskünfte zur Überlieferung der sogenannten Reichsannalen danke ich Rosamond McKitterick, für wertvolle Übersetzungsvorschläge Frank Hentschel. 2  Die wichtigsten Beiträge in chronologischer Abfolge: Rombaut Van Doren, Étude sur l’influence musicale de l’abbaye de Saint-Gall, Brüssel 1923, S. 49–56 et passim; Helmut Hucke, „Die Einführung des gregorianischen Gesangs im Frankenreich“, in: Römische Quartalschrift 49 (1954), S. 172–187; ders., „Die Entstehung der Überlieferung von einer musikalischen Tätigkeit Gregors des Großen“, in: Die Musikforschung 8 (1955), S. 259–264; Stephen J. P. Van Dijk, „Papal Schola versus Charlesmagne“, in: Organicae voces: Festschrift J. Smits Van Waesberghe, hg. von Pieter Fischer, Amsterdam 1963, S. 21–30; Leo Treitler, „Homer and Gregory: The Transmission of Epic Poetry and Plainchant“, in: Musical Quarterly 60 (1974), S. 471–491; Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im Lateinischen Mittealter, Bd. 2: Karolingische Biographie 750–920, Stuttgart 1991; Andreas Haug, „Zum Wechselspiel von Schrift und Gedächtnis im Zeitalter der Neumen“, in: International Musicological Society Study Group Cantus Planus. Papers read at the Third Meeting, Tihany, Hungary 19–24 September 1988, Budapest 1990, S. 33–43, S. 377–379 und 393–395; Michael Walter, Grundlagen der Musik des Mittelalters. Schrift – Zeit – Raum, Stuttgart und Weimar 1994; Susan Rankin, „Ways of Telling Stories“, in: Essays on Medieval Music in Honor of David G. Hughes, hg. von Graeme M. Boone, Cambridge, MA 1995, S. 371–376; Max Haas, Mündliche Überlieferung und Altrömischer Choral, Bern 1997, S. 141–145; Anton von Euw, „Karl der Große als Förderer des Kirchengesanges. Das gregorianische Antiphonar, seine Überlieferung in Wort und Bild“, in: Jahrbuch der Berliner Museen, Neue Folge 42 (2000), S. 85–91 (belastet durch den für die Datierung folgenschweren Irrtum, Ademar habe seine Geschichte aus den Annales Einhardi übernommen, in die sie interpoliert ist); Kenneth Levy, „A New Look at Old Roman Chant II“, in: Early Music History 20 (2001), S. 173–197; Andreas Haug, „Der Beginn europäischen Komponierens in der Karolingerzeit: Ein Phantombild“, in: Die Musikforschung 58 (2005), S. 225–241; Christopher Page, The Christian West and its Singers. The First Thousand Years, New Haven und London 2010, S. 256, 289 et passim. 3  Die betreffenden Textabschnitte bei Johannes, Notker, Andreas, Ademar und Ekkehart sind im Anhang abgedruckt, teils in neuer Edition, durchweg mit neuer deutscher Übersetzung, angelehnt an vorliegende Übersetzungen Berschins, Haefeles und von Euws; im Anhang auch bibliografische Angaben zu Ausgaben der Texte.

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1. der Vita Gregorii Magni des Johannes Diaconus († 880 / 882), entstanden zwischen 873 und 876 im Auftrag von Papst Johannes VIII. (Buch II, Kapitel 6–9) [=Anhang Text I], 2. den Gesta Karoli Notkers I. von Sankt Gallen († 912), auf Anregung Karls III. nach dessen Besuch der Abtei am Bodensee 883 begonnen und anscheinend nach dem Sturz des Kaisers 887 abgebrochen (Buch I, Kapitel 10) [= Anhang Text II],4 3. der Historia [Francorum] (= Chronicon) Ademars von Chabannes († 1034), geschrieben zwischen 1025 und 1028 auf der Grundlage der Reichsannalen (Annales Regni Francorum), in deren Eintrag für den Ostersonntag 787 Ademars „Musikkapitel“ später interpoliert worden ist (Buch II, Kapitel 8) ist [= Anhang Text III], sowie 4. den Casus Sancti Galli Ekkeharts IV. († nach 1057) von Sankt Gallen, geschrieben unter Abt Norbert (1034–1072), deren Darstellung eigentlich nur die Zeit von den Äbten Salomon III. (890–919) bis Notker (971–975) umspannt und die in den Tagen Papst Hadrians und Kaiser Karls sich zutragenden Begebenheiten als Rückblick von der Zeit Abt Hartmanns (922–925) aus erzählt (Kapitel 47) [= Anhang Text IV]. Zu diesen Texten weisen zwei weitere Quellen inhaltliche Affinitäten auf und werden deshalb zusätzlich herangezogen: 5. die Historia [Langobardorum] (=Chronicon) des Andreas von Bergamo (Kapitel 4), nach 877 entstanden als Fortsetzung der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus [= Anhang Text V], 6. die Interpolation Ademars von Chabannes zur Vita Papst Hadrians II. in seiner Redaktion des Liber pontificalis (in Paris, BNF, lat. 2400 als Autograf überliefert), worin Ademar die gleiche Strategie gegenwartsbezogener historischer Sinnbildung verfolgt wie in seiner Frankengeschichte [= Anhang Text VI]. Teil 1 (Ereignis, Erinnerung, Erzählung) des Beitrags bündelt Beobachtungen zur Relation zwischen Ereignis und Erzählung, zu den unterschiedlichen Distanzen

4  Eine bearbeitete Fassung dieses Kapitels findet sich in der Handschrift Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, 69 = cod. theol. 4° 242, fol. 121–122 (Zwiefalten, 12. Jh.), in der Notkers Werk unter dem Titel Gesta Karoli Regis Francorum (fol. 116) überliefert ist. In diese Fassung aus dem Kontext der Hirsauer Reform sind Textteile aus Kapitel 47 von Ekkeharts IV. Casus Sancti Galli (unten, Text IV) interpoliert, wodurch in die Sicht des 9. Jh.s auf die geschilderten Vorgänge die Sicht des 11. (und 12.) Jh.s eingeblendet wird. Vgl. den Apparat der Ausgabe: Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni Imperatoris, hg. von Hans. F. Haefele, Berlin 1959 (MGH Scriptores, Nova Series XII), S. 12–15.



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zwischen „Ereigniszeit“, „erzählter Zeit“ und „Erzählzeit“ und zur narrativen Struktur der Texte. Teil 2 (Begriffe, Vorstellungen) konzentriert sich zum einen auf die Funktion der in den Quellen vorkommenden Begriffe für gentes, regna, provintiae und loci, zum andern auf den in den Texten geführten Diskurs über kulturelle Differenzen und Rivalitäten zwischen den Europae gentes innerhalb des durch die Entstehungsdaten der Texte abgesteckten Beobachtungszeitraums von 870 bis 1050. In Teil 3 (Romanitäten) wird die Bilanz der Beobachtungen diskutiert.

1 Ereignis, Erinnerung, Erzählung 1. Dass die musikbezogenen Passagen bei Johannes, Notker, Ademar und Ekkehart zu den am häufigsten herangezogenen Textdokumenten zur Musikgeschichte des Frühmittelalters zählen, hat leicht ersichtliche Gründe: Ein fast ganz im Dunkeln liegender, von wenigen zeitgenössischen Zeugnissen nur spärlich beleuchteter, unüberschaubarer, historischem Erzählen entzogener Prozess, über dessen Rekonstruktion bis heute kein wissenschaftlicher Konsens erzielt werden konnte, bietet sich in diesen literarisch geformten Texten als eine erzählbare Geschichte dar, in der Päpste und Könige „Musikgeschichte machen“ und dabei Dinge tun und Dinge sagen, die wir zu verstehen glauben. Ihre trügerische Konkretheit machte diese Quellen attraktiv für so manche musikhistorische „Auswertung“, die – über die Zuverlässigkeit einzelner „Informationen“ oder die „Informiertheit“ der Autoren spekulierend – unterhalb des geschichtsmethodischen Niveaus unterwegs ist, auf dem Historiker sich heutzutage solchen Quellen nähern.5 Man denke etwa an den „vorstellungsgeschichtlichen“ Ansatz, den Hans-Werner Goetz 1981 in seiner Interpretation von Notkers Gesta Karoli verfolgte, um „die historische Aussagekraft einer eher literarischen Quelle exemplarisch vorzuführen“, eben jener „für Kaiser Karl III. angefertigten Anekdotensammlung über die Person und die Regierung Karls des Großen“, die „zwar wenig verlässliches über den großen Kaiser zu berichten weiß, aber um so mehr in den Vorstellungen der eigenen, ostfränkisch-spätkarolingischen Zeit wurzelt“.6 Das gilt

5  Ein kurioser Extremfall: James Grier, „Adémar de Chabannes, Carolingian Musical Practices, and Nota Romana“, in: Journal of the American Musicological Society 56 (2003), S. 434–498. 6  Hans-Werner Goetz, Strukturen der spätkarolingischen Epoche im Spiegel der Vorstellungen eines zeitgenössischen Mönchs. Eine Interpretation der „Gesta Karoli“ Notkers von St. Gallen, Bonn 1981.

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auch für die musikbezogene Anekdote in diesem Werk. Oder man denke an Patrick Geary, der auf ein historisches Phänomen aufmerksam gemacht hat, das er in seinem gleichnamigen Buch von 1996 Phantoms of Remembrance nannte: Phantome geschichtlichen Erinnerns, wie sie Geschichtsschreiber namentlich des elften Jahrhunderts erzeugt haben, um dadurch die Erinnerung vergangenen Geschehens den Bedürfnissen einer Gegenwart anzupassen, in deren Dienst das Erinnern wie das Vergessen von Vergangenem stand.7 Auch auf die „musikgeschichtlichen“ Geschichten Ademars und Ekkeharts trifft in frappanter Weise zu, was Geary von der Geschichtsschreibung des elften Jahrhunderts generell behauptet: „Much of what we think we know about the early Middle Ages was determined by the changing problems and concerns of eleventh-century men and women, not by those of the more distant past.“8 Und für eine gedächtniskritisch informierte Lektüre aller vier Erzählungen sind selbstverständlich auch Johannes Frieds grundlegende Einsichten in die, wie er sagt, „Modulationen“ vorauszusetzen, denen das historische Gedächtnis allenthalben unterliegt.9 Auch Walter Berschins Klassifikation des unter Aufbietung von Gentes-Stereotypen gegen die Franken polemisierenden Kapitels VII bei Johannes als literarische Satire10 wird eine musikhistorische Interpretation klugerweise einkalkulieren, die unbegründete Erwartungen und unproduktive Fragen von den Texten fernhalten möchte.  Zu den produktiven Fragen an die vier Transfergeschichten gehört – nicht nur im Kontext dieser Tagung – die Frage nach den in den Texten artikulierten Vorstellungen von Differenzen zwischen den Europae gentes bezüglich ihrer Praxis einer vokalen Performanz sakraler Texte: Differenzen, die Gruppen kulturell einander fremd erscheinen lassen, die politisch miteinander verbunden sind: die im regnum Francorum vereinten Galli und Germani und die politisch-religiös mit diesen alliierten Romani.11

7  Patrick J. Geary, Phantoms of Remembrance. Memory and Oblivion at the End of the First Millennium, Princeton 1994. 8  Ebd., S. 7. 9  Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004. Siehe auch ders., The Veil of Memory. Anthropological Problems When Considering the Past (German Historical Institute London, The 1997 Annual Lecture), London 1998. 10  Berschin, Biographie und Epochenstil (wie Anm. 2), S. 377–379. 11  Zum Verhältnis zwischen gentes und regna vor 1000: Karl Ferdinand Werner, „Völker und Regna“, in: Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, hg. von Carlrichard Brühl und Bernd Schneidmüller, München 1997 (Historische Zeitschrift. Beiheft 24), S. 15–43.



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2. Johannes, Notker, Ademar und Ekkehart erinnerten ihre Leser oder Hörer durch einfache Erzählungen kleinen Formats an einen komplexen Vorgang von enormem Ausmaß: an den transalpinen Transfer des römischen Kirchengesangs ins Frankenreich mit der Folge einer vollständigen und dauerhaften Verdrängung einheimischer Gesangstraditionen nördlich der Alpen durch den ordo psallendi der Kirche Roms als Teil der von den karolingischen Königen verfolgten Romanisierung der liturgischen Praxis in der fränkischen Kirche.12 Wenn der Befund der wenigen verfügbaren Quellen uns nicht ein von Grund auf entstelltes Bild vermittelt, ging dieser Transfer innerhalb einer Zeitspanne vonstatten, die sich vom Treffen zwischen König Pippin III. und Papst Stephan II. 754 in Ponthion bis zum Tode Karls des Großen 814 erstreckte. Ob die Einführung von Roms Gesang im Reich der Franken wesentlich vor der entsprechenden Meldung bei Walahfrid Strabo um 84013 abgeschlossen war, wissen wir nicht. Gesicherte Erkenntnisse über den genaueren Verlauf des transalpinen Transfers der cantilena Romana, über seine Medien und seine Träger sind aus der erhaltenen Handvoll zeitgenössischer Hinweise kaum zu gewinnen, und so ist auch die faktische Verlässlichkeit fast aller Einzelheiten, mit denen die späteren Erzählungen aufwarten und durch die sie sich signifikant voneinander unterscheiden, nicht anhand früherer Quellen kontrollierbar. Zielgruppe dieses Kulturtransfers waren, wie es scheint, die Kantoren fränkischer Bischofskirchen und Klöster, seine Objekte teils ein Repertoire von circa 600 Antiphonen und Responsorien, teils die zu dessen effektivem Einsatz erforderlichen musikalischen Kompetenzen. Repertoire (die Gesänge römischer Herkunft) und performative Kompetenzen (das Singen auf römische Art und Weise) ließen sich unter den Bedingungen einer schriftlosen Überlieferung der Melodien, in der das Gesungene von den Singenden sich nicht trennen lässt, zwar prinzipiell unterscheiden, aber wohl nicht voneinander unabhängig vorstellen. Die Erzählungen tun es nicht. Sie stellen den Modus des Transfers als eine Folge wiederholter Akte des Lehrens und Lernens und als wiederholt vollzogene Maßnahmen der Fehlerdiagnose und der Fehlerkorrektur dar (deren Effekt nie von Dauer war). Dabei akzentu-

12  Dazu immer noch der klassische Aufatz von Theodor Klausser, „Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche vom achten bis zum elften Jahrhundert“, in: Historisches Jahrbuch 53 (1939), S. 169–189, sowie: Cyrille Vogel, Medieval Liturgy: An Introduction to the Sources, übers. und revidiert von William Storey und Niels Rasmussen, Washington 1986, und Rosamond McKitterick, The Frankish Church and the Carolingian Reform, 789–895, London 1977. 13  Libellus de exordiis et incrementis, Kapitel 26 (Libellus de exordiis et incrementis quarundam in observationibus eclesiasticis rerum, hg. von Alice L. Harting-Correa, Leiden etc. 1996, S. 168).

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ieren die Autoren abwechselnd das „was“ (das Repertoire) und das „wie“ (die Modi seiner Performanz), ohne die beiden Momente immer nachvollziehbar auseinander zu halten. 3. Der transalpine Transfer des römischen Gesangs ins Reich der Franken erscheint aus heutiger historischer Perspektive als eine Art „Urszene“ europäischer Musikgeschichte, deren langfristigen Konsequenzen leichter zu erkennen sind als die Konfiguration der sie auslösenden, begünstigenden und hemmenden Faktoren. Wir wissen letztlich nicht, warum die Karolinger den Ritus der fränkischen Kirchen einer kompromisslosen Romanisierung unterworfen haben.14 Welche Bedeutungen der ferne Vorgang des Transfers, so wie er durch die vier Geschichten aus wachsender zeitlicher Distanz und mit wachsender Distanz in immer schärferen Details vergegenwärtigt wurde, für die Adressaten der Erzählungen im neunten und elften Jahrhundert angenommen haben mag, ist ebenfalls nicht klar. Doch kommt es nicht auf eine Überprüfung der Details, sondern auf die Rekonstruktion dieser Bedeutungen an, wenn wir begreifen wollen, was sich aus den narrativen Retrospektiven überhaupt begreifen lässt: nicht die Handlungen und Intentionen von Akteuren des achten, sondern Intentionen, Projektionen und Interessenhorizonte von Autoren und Adressaten des neunten und elften Jahrhunderts. Schon für zeitgenössische Leser und Hörer dürfte die Bedeutung des Erzählten kaum darin gelegen haben, worin die Texte mit textexternen Realitäten übereinstimmen mochten, sondern in dem, worin sich die Texte voneinander unterscheiden: weniger in einem gewiss schon damals kaum noch abgrenzbaren „faktischen“ Kern vergangenen Geschehens als in den „fiktiven“ oder „legendarischen“ Momenten des in immer neuen verformenden Wiederholungen gemeinschaftlich Erinnerten. 4. Das beträchtliche Maß an Übereinstimmungen zwischen den Geschichten hinsichtlich ihrer narrativen Struktur und ihres Motivbestands ist anscheinend auch weniger einem gemeinsamen Tatsachenkern geschuldet als intertextuellen Abhängigkeitsverhältnissen: Notker (um 885), Ademar (um 1025) und Ekkehart (um 1050) beziehen sich direkt, teils explizit und jeweils voneinander unabhängig auf Johannes (um 875), und nichts deutet daraufhin, dass diesen drei Autoren noch in irgendeiner Form verbürgtes Wissen zugänglich war, das über das hinausging, was sie nach eigenem Bekunden bei Johannes gelesen haben.15 Eine Ausnahme ist vielleicht der von Johannes unabhängige

14  Die Feststellung „Why liturgy was Romanized is still not completely clear“ bei Vogel, Medieval Liturgy (wie Anm. 12), S. 149, trifft bis heute zu. 15  Dass Notker den Passus bei Johannes kannte, ergibt sich schon daraus, dass er (wenn die



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Bericht des Andreas von Bergamo (um 880), den Notker gekannt und ausgewertet haben könnte: Seine bis 877 fortgeführte Geschichte der Langobarden lag zu Notkers Lebzeiten in einer Sankt Galler Handschrift des ausgehenden neunten Jahrhunderts vor.16 Dass die Erzähler als Beobachter von Ereignissen in der erzählten Zeit voneinander nicht unabhängig genug waren, um verlässliche Zeugen abzugeben, schmälert jedoch in keiner Weise den Wert dessen, was uns ihre Erzählungen über die Verhältnisse in der jeweiligen Erzählzeit (um 875, um 885, um 1025, um 1050) erkennen lassen. 5. Allen vier Erzählungen gemeinsam ist die Verknüpfung der geschilderten Ereignisse mit Karl dem Großen. Auch diese Übereinstimmung bedeutet nicht, dass dies den Tatsachen entspräche, und Indizien innerhalb der Texte deuten darauf hin, dass das nicht der Fall ist. a. Bei Johannes, Ademar und Ekkehart spielen sich die geschilderten Begebenheiten zwischen 772 und 795 ab, innerhalb der langen Amtszeit Hadrians I., des einzigen zu Lebzeiten Karls des Großen amtierenden Papstes dieses Namens: Ihm lässt der Frankenkönig bei Johannes zwei seiner Sänger zur Ausbildung in Rom, und „lange Zeit danach“ nach deren Tod entsendet er zwei römische Sänger in den Norden. Ademar legt den in Rom ausgebrochenen Streit zwischen römischen und fränkischen Sängern, der „bald danach“ die Abreise zweier römischer Sänger ins Frankenreich zur Folge hat, auf April 787, Karls Osteraufenthalt in Rom, also ebenfalls in die Zeit Hadrians I. Und auch bei Ekkehart, der nur eine Reise zweier römischer Sänger ins Frankenreich schildert und eine frühere Bitte des Königs um römische Sänger lediglich erwähnt, wendet sich Karl mit seiner neuerlichen Bitte an diesen Papst. b. Karl ist auch bei Andreas und Notker die zentrale handelnde Figur. Indessen deuten Unstimmigkeiten in ihren Texten auf eine zeitliche Transposition der Transferinitiativen innerhalb der Erzähltradition: Andreas verbindet das Einsetzen der Lehrtätigkeit römischer Sänger in

Identifikation seiner Hand durch Rankin, „Ways of Telling Stories“ [wie Anm. 2], S. 376, zutrifft) an der Sankt Galler Abschrift der Vita Gregorii innerhalb des fraglichen Passus als Schreiber beteiligt war (Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Codex 578, pag. 373, linke Spalte, bis Zeile 14). Dass Ekkehart den Passus gelesen hatte, belegt die von seiner Hand stammende Marginalglosse zur Stelle „duos in Galliam cantores emisit“ auf der gleichen Seite des Codex (dazu Rankin, S. 373f.): „Sub audis: Petrum et Romanum. Sed Romanum febre infirmum. nos Sancti Gallenses quidem retinuimus. Qui nos cantilenas Karolo iubente edocuit. et antiphonarium e suo exemplatum. In cantario. sicut Rome est. Iuxta apostolorum aram edocuit.“ Die Glosse entspricht Formulierungen in seinen Casus Sancti Galli (siehe Anhang Text IV). 16  Sankt Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, Ms. 317, fol. 79v–80.

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Metz, wie aus den von ihm genannten Umständen klar erkennbar ist, noch mit der Begegnung zwischen Papst Stephan II. (752–757) und König Pippin III. (741–768) im Winter 754 in der Pfalz Ponthion. Doch ersetzt er deren Namen umstandslos durch die Papst Leos III. (795–816) und Karls des Großen (768–814). Dadurch verschiebt er die Begebenheiten auf die Jahre um 800. Bei Notker ist der Papst, zu dem Karl später zwei seiner Sänger sendet, ebenfalls Leo III. Der Papst namens Stephan aber, der Karl zuvor 12 seiner Sänger überlassen hatte, müsste Stephan II. (752– 757) sein, wenn er denn Karl, wie Notker sagt, gesalbt und, wie Notker (darin vermutlich der Vita Karoli Einhards folgend17) ebenfalls erwähnt, Childerich III. (den letzten König aus dem Geschlecht der Merowinger) abgesetzt und kahlgeschoren haben soll, und nicht etwa Stephan III. (768–772). Demnach würde aber der Beginn der Erzählung noch in die Zeit Pippins III. fallen, was Notker nicht gemeint haben kann. c. Dass bei Andreas und bei Notker handelnde Personen, deren Identität aus dem Kontext erkennbar ist, unter falschen Namen auftreten, ist eine Fehlleistung, die es nicht zu korrigieren, sondern zu interpretieren gilt. Sie lässt sich als Indiz darauf deuten, dass die allen Erzählungen gemeinsame erzählte Zeit nicht die reale Zeit der erzählten Ereignisse ist, sondern bereits das Resultat einer nachträglichen Adaption des Erinnerten an die Bedürfnisse der Erinnernden und an die veränderten Erwartungshorizonte der Erzählzeit: Durch ihre zeitliche Transposition werden die Vorgänge von der ferneren Gestalt des Vaters abgelöst und auf den in der Erinnerung dominanten, wohl schon dank der Gesta Karoli Einhards (um 770–840) im kulturellen Gedächtnis nachhaltiger präsenten Sohn übertragen. Für spätkarolingische Hörer dürfte die Erzählung dadurch an Interesse, die erzählten Begebenheiten an Plausibilität gewonnen haben.18

17  Einhardi Vita Karoli Magni, cap. 1, hg. von Oswald Holder-Egger, 6. Aufl., Hannover 1911 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum ex separatim editi), S. 2f. 18  Die Quellen aus dem unmittelbaren Umkreis des Hofes Karls des Großen nennen ausdrücklich Pippin III. als den Initiator und lassen Karl als Fortsetzer und Vollender der programmatischen Romanisierung des ordo psallendi erscheinen. So die Admonitio generalis, cap. 78 (Die Admonitio generalis Karls des Großen, hg. von Hubert Mordek u. a., Hannover 2012, S. 230) und die Libri Carolini I, 6 (Opus Carolis regis contra Synodum [Libri Carolini], hg. von Ann Freeman, Hannover 1998 [MGH Concilia II, Supplementum I], S. 135f.). Ebenso bringt Walahfried Strabo in seinem Libellus de exordiis et incrementis 26 (wie Anm. 13) die Initiative mit dem Besuch Papst Stephans bei Pippin in Verbindung, von den späteren Autoren Andreas von Bergamo (siehe Anhang Text VI).



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6. Eine andere zeitliche Transposition der Transfergeschichte, und zwar um 200 Jahre, aus der Zeit Papst Gregors I. auf die Zeit Karls des Großen, ist bei Johannes innerhalb des Textes zu verfolgen. Die in Kapitel VII zunächst quasi als zeitloses Problem beschriebenen kulturellen Barrieren, die eine Rezeption der römische Gesangspraxis bei den nicht-römischen gentes Europas behindern, werden in den Kapiteln VIII bis X auf vier verschiedenen Ebenen erzählter Zeit exemplarisch demonstriert. a. Auf der ersten Zeitebene – im ausgehenden sechsten Jahrhundert – geschieht dies am Beispiel eines angeblich zu Lebzeiten Gregors I. einsetzenden Transfers der cantus Gregoriani nach England, in Verbindung mit der 595/596 angetretenen Missionsreise des Römers Augustinus († 605). Johannes bringt mit dieser Reise Sänger in Zusammenhang, die über das Zielgebiet des Transfers, den „Westen“ (per occidentem), verteilt (dispersi) die dort ansässigen „Barbaren“ unterrichteten („barbaros insigniter docuerunt“). Die „ausgezeichnete“ Lehrleistung war von einem Lernerfolg gekrönt, der den Tod der Lehrer allerdings nicht überdauerte. Denn nach dem Ableben der Sänger dieser ersten Expedition „entstellten die westlichen Kirchen den empfangenen Wohlklang der Melodien“ („susceptum modulationis organum vitiarunt“). Die Missionsreise des Augustinus kannte Johannes aus Bedas Kirchengeschichte, Buch I, Kapitel 25, wo allerdings weder von römischem Gesang und mitreisenden Sängern die Rede ist noch von einer Absicht, in England römische Gesangspraxis zu verbreiten. Im Gegenteil: In der bekannten Antwort Papst Gregors I. (von Beda in Buch I, Kapitel 27, mitgeteilt) auf die Anfrage des Augustinus, warum es in Kirchen gleichen Glaubens unterschiedliche gottesdienstliche Gepflogenheiten (diversae consuetudines) gebe, namentlich in der Kirche Galliens eine andere consuetudo missarum als in der römischen, hat der Papst erklärt, Augustinus dürfe in England getrost die Praxis Roms, Galliens oder irgendeiner anderen Kirche verbreiten, solle man doch Sachen nicht der Orte, sondern Orte guter Sachen wegen lieben („non enim pro locis res, sed pro bonis rebus loca amanda sunt“). Von solch gelassener Toleranz gegenüber regionalen Differenzen ritueller Praxis sind die Karolinger später weit entfernt.19 Indem Johannes den Beginn der europäischen Ausbreitung der von ihm mit Papst Gregor I. verbundenen Gesänge Roms auf dieser ersten, fernen Ebene erzählter Zeit beginnen lässt, stattet er nicht nur die Gesänge,

19  Beda [Venerabilis], Historia ecclesiastica gentis Anglorum, hg. von John Edward King, London 1930, Bd. I, S. 120.

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sondern auch das karolingische Projekt ihres Transfers in Gegenden jenseits der Alpen mit der Autorität Papst Gregors aus. b. Auf der zweiten Zeitebene – nach der Mitte des siebten Jahrhunderts – entsendet Papst Vitalian (657–672) zwei römische Sänger namens Johannes und Theodorus erneut per Gallias in Britannia. Dort brachte Johannes den Gesang der „umliegenden Kirchen“ – ob nur die Englands oder auch die auf dem Weg dorthin gelegenen Galliens ist nicht klar – zu seiner „vormaligen Süße“ zurück. Und es gelang ihm, diesen Transfererfolg längerfristig abzusichern, durch eigenen Einsatz oder mithilfe von Schülern. Auch diese Reise, den Namen des ersten seiner beiden Sänger sowie Modalitäten des Transfers übernimmt Johannes von Beda (Buch IV, Kapitel 18). Dort konnte er lesen, dass der Sänger Johannes, Abt des Martinus-Klosters in Rom und archicantor ecclesiae sancti apostoli Petri, auf Wunsch Benedict Biscops von Papst Agatho (678–681) nach England entsendet und damit betraut worden war, im Kloster Wearmouth den der Praxis von Sankt Peter in Rom entsprechenden jährlichen cursus canendi zu lehren, und dass auch aus weiteren Klöstern der Provinz Gesangskundige zusammenströmten, um ihn zu hören, und ihn in ihre Klöster einluden.20 c. Erst auf der dritten und vierten Zeitebene – im letzten Drittel des achten Jahrhunderts – wird die frei nach Beda modellierte Erzählung – zwei zeitlich auseinander liegende Expeditionen ins gleiche Zielgebiet – mit Karl dem Großen verbunden. Der Abstand zwischen dritter und vierter Zeitebene liegt innerhalb der Grenzen der – ungewöhnlich langen – Amtszeit Papst Hadrians I. (772–795). Die narrativen Strukturparallelen zwischen Kapitel VIII und den Kapiteln IX und X (erste Reise römischer Sänger = Zeitebene 1, deren Tod / zweite Reise römischer Sänger = Zeitebene 2 ­­– Romaufenthalt fränkischer Sänger = Zeitebene 3, deren Tod / Reise römischer Sänger ins Frankenreich = Zeitebene 4) sind durch Formulierungen ähnlichen Wortlauts markiert: „ad pristinam cantilenae dulcedinem revocans“ (VIII) – „ad suavitatem modulationis pristinae revocavit“ (IX). d. Die historisch fixierten, strukturanalogen Erzählungen in den Kapiteln VIII bis X erfüllen die Funktion historischer Exempla: Sie belegen die zentrale Behauptung in Kapitel VII, wonach Galli und Germani die dem cantus Gregoriani eigentümliche dulcedo modulationis zwar Erlernen (discere) und Wiederlernen (rediscere), aber nicht intakt bewahren

20  Ebd., Band II, S. 98.



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(servare) konnten, was eben ein wiederholtes Wiederlernen erforderlich machte. Es sind analog strukturierte Geschichten des Aneignens, des Verlustes und des Wiederaneignens. e. Wieweit Johannes als römischer Dekan aus ihm zugänglichen Akten der römischen Kurie Kenntnis hatte von realen liturgisch-musikalischen Transferinitiativen im achten Jahrhundert, wissen wir nicht. Immerhin können ihm Dokumente zugänglich gewesen sein wie der uns erhaltene, auf die Zeit zwischen 758–763 zu datierende Brief Papst Pauls I. (757–767) an Pippin III. (741–768), der eine in zwei Phasen verlaufende Instruktion fränkischer Kleriker durch einen römischen Sänger bezeugt: Zuerst lehrte dieser im Frankenreich, danach sollten fränkische Sänger in Rom von ihm lernen.21 Auch vom Tod eines – römischen – Sängers ist die Rede. Falls Johannes diesen Brief gekannt und verwertet hat, könnten die darin verhandelten Vorgänge den geschichtlichen Kern seiner und somit indirekt auch aller folgenden Transfergeschichten bilden. Johannes hätte dann in die Regierungszeit Pippins III. fallende Vorkommnisse 1. mit Erzählungen in Bedas Kirchengeschichte verschmolzen, 2. die ursprüngliche Bindung der Begebenheiten an Pippin gelöscht und diese 3. in zwei Richtungen zeitlich transponiert: „vorwärts“ in die Regierungszeit Karls des Großen, wodurch er sie in einen seinem Publikum präsenteren Kontext rückte, und „rückwärts“ in die Amtszeit Gregors des Großen, wodurch er die Verbreitung des römischen Gesangs außerhalb Roms durch diesen Papst initiiert und autorisiert erscheinen lässt. 7. Der Schlüsselbegriff der dulcedo modulationis (oder suavitas) bezeichnet jene Qualität, die Johannes gewissermaßen als die ästhetische Essenz römischen Gesangs und römischen Singens betrachtet: Um der affektiven und spirituellen Wirkung (compunctio)22 dieser musikalischen dulcedo willen (propter musicae compunctionem dulcedinis) habe Papst Gregor überhaupt den antiphonarius cento zusammengestellt und die schola cantorum gegründet. Und gerade diese essenielle dulcedo ist und bleibt jene Dimension romanischrömischer Vokalität, die nicht-römischen gentes letztlich fremd und uner-

21  Epistolae Merowingici et Karolini aevi (I), hg. von Ernst Dümmler u. a., Berlin 1892 (MGH Epistolae 3), Brief Nr. 41, S. 553–554. 22  Anders Ekenberg, Cur cantatur? Die Funktionen des liturgischen Gesanges nach den Autoren der Karolingerzeit, Stockholm 1987, S. 129, spricht von einem „schwer zu übersetzenden Schlüsselbegriff patristisch-frühmittelalterlicher Spiritualität“. Hrabanus Maurus, De ecclesiastica disciplina III (Patrologia Latina 112, Sp. 1257) definiert im Abschnitt De compunctione die compunctio cordis (in Anlehnung an Isidor von Sevilla) als humilitas mentis, in der ein desiderium aeternae vitae zum Ausdruck kommt; dazu Ekenberg, Cur cantatur, S. 129–132.

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reichbar war. Sie haben sie niemals als etwas Eigenes empfunden, sondern immer nur als etwas Angeeignetes, etwas Übernommenes, aber auch Auferlegtes (suscepte modulationis dulcedo, susceptum modulationis organum). Das rediscere der römischen dulcedo gelingt Nicht-Römern nicht aus eigener Kraft. Römer „rufen“ sie zu ihr „zurück“ (revocans, revocavit). Als etwas Übernommenes, Auferlegtes und stets nur unvollständig Angeeignetes begründet die dulcedo modulationis in der von Johannes vertretenen römischen Sicht die musikkulturelle Zweitrangigkeit und Unterlegenheit der Franken und ihr auch von fränkischer Seite grundsätzlich eingeräumtes Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den Römern.

2 Begriffe, Vorstellungen Wenn der historische Gehalt der Texte nicht in ihrer Referenz auf eine textexterne Realität gesucht werden soll, sondern in den historisch bedingten Differenzen zwischen den Texten, sind diese miteinander zu vergleichen, und zwar 1. hinsichtlich der Begrifflichkeit für Gruppen und Reiche und der in den Texten gebildeten Oppositionen zwischen Gruppen, 2. hinsichtlich der Attribute, die in den Texten den Angehörigen einzelner Gemeinschaften zugeschrieben werden, 3. hinsichtlich der in den Texten verhandelten kulturellen Rivalitäten, 4. hinsichtlich der Vorstellungen von den Trägern, Medien und Mechanismen des interregionalen Transfers eines Corpus von Gesängen, 5. hinsichtlich der Rolle der Römer und des Römischen und der in den Texten greifbaren Bedeutungsdimensionen von Romanität in einem musikhistorischen Kontext. 1. Hinsichtlich der in den Texten vorkommenden Eigenbezeichnungen und Fremdbezeichnungen für Gemeinschaften oder Gruppen (gentes), Reiche (regna), Regionen (Stammesgebiete), (kirchliche) Provinzen (provintiae) und Orte (loci) lässt sich beobachten: a. Als Gruppenbezeichnung findet sich Romani bei Notker und bei Ademar. Bei Notker sind sie (zusammen mit den Greci) die notorischen politischen und kulturellen Rivalen der Franci. Bei Ademar heißen die päpstlichen Sänger Romani, doch wie es scheint im Hinblick auf den Ort und die Institution, an der sie tätig sind, nicht auf ihre Herkunft oder GentesZugehörigkeit.



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b. Bei Johannes und Ekkehart kommt Romanus nur adjektivisch vor, als Attribut von Personen, Institutionen oder Praktiken römischer Provenienz. c. Die Regnum-Bezeichnung Francia und die Bezeichnung Franci für die in diesem Reich vereinten gentes verwenden nur die drei nicht-römischen Autoren, der römische lediglich als Bestandteil des Königstitels rex Francorum. Die von seiner Polemik Betroffenen spricht Johannes also an keiner Stelle als Franci an. Er nennt sie in Kapitel VII Galli et Germani, während er im Exemplum von Kapitel IX und X sich ganz auf die Galli fixiert. d. Umgekehrt spricht Notker nirgends von Germani und nur einmal von Galli. Sein Gebrauch von Franci schwankt. Außerhalb des GesangsKapitels spricht Notker von Galli vel Franci, Galli sive Franci und Galli et Franci. Das entspricht der Feststellung von Hans-Werner Goetz, wonach „Notkers fränkisches Bewusstsein … in erster Linie nicht ein Reichs-, sondern ein (erweitertes) Stammesbewusstsein“ ist.23 Innerhalb des Gesangs-Kapitels verteidigt Notker jedoch die Franci gegen römische Angriffe, die nicht gegen Franci, sondern gegen Galli und Germani gerichtet waren. Hier müssen also die Franci über die gentilen Franken hinaus alle in der Francia, dem Reich der fränkischen Könige, ansässigen gentes umfassen. Das entspricht der vielbeachteten Stelle innerhalb des Gesangs-Kapitels, an der Notker erläutert, er meine mit omnes cisalpinas provincias das Reichsgebiet des regum Francorum und nicht nur das Stammesgebiet der Franken. e. Nur als politischer oder kultureller, nicht als gentiler Franke konnte sich Notker von der Kritik eines Römers an den gesanglichen Leistungen der Gallier überhaupt betroffen und zur literarischen Gegenoffensive herausgefordert fühlen. Notker ersetzt die von Johannes gebildeten Oppositionen Romani – Germani / Galli und Romani – Galli durch Romani – Franci. Er verteidigt Angehörige des Reichs der Franken, die Johannes nicht als solche, sondern als Angehörige einzelner im Frankenreich ansässiger gentes angegriffen hatte. Er verlagert die Argumentation von der gentilen auf die politische Ebene. f. Von dieser Verlagerung der Argumentation von der gentilen auf die politische Ebene ist auch die Bedeutung betroffen, die der Bezeichnung „Römer“ und das Attribut des „Römischen“ bei Notker zukommt. Denn die Römer sind dann nicht mehr nur – als die Bewohner der Stadt Rom –

23  Goetz, Strukturen der spätkarolingischen Epoche (wie Anm. 6), S. 73.

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Angehörige einer den Galli und Germani „wesensfremden“ gens, sondern auch, als Erben römisch-antiken Kultur, die politisch-kulturellen Rivalen der Franken, Rivalen, die auf dem Gebiet ihres eigenen Gesangs durchaus kulturelle Überlegenheitsansprüche geltend machen können. Aus der Perspektive des Johannes sind Galli und Germani kulturell unterlegene Nordeuropäer. Dieser Vorwurf kultureller Unterlegenheit war aus fränkischer Sicht nicht umkehrbar. Ein anderer Vorwurf musste an seine Stelle treten, eben der Vorwurf des Neids (dazu unten 2b). g. Auch der Franke Ekkehart spricht nur von Franci und Romani, nie von Galli. Die kulturelle Rivalität zwischen Römern und Franken ist bei ihm aber nicht mehr virulent. h. Ademar verwendet Franci / Francia neben Galli /Gallia. Innerhalb der musikbezogenen Passagen ist kaum erkennbar, inwiefern sich die Begriffe voneinander abgrenzen lassen. Bernd Schneidmüller zufolge unterscheidet der Aquitanier Ademar innerhalb seines Geschichtswerks „für seine eigene Gegenwart die Franci und die Francia strikt von den Aquitani und Aquitania wie von anderen Stämmen und Provinzen“.24 In seiner Vorstellung werde „die politische Geschichte des regnum … von den Franci geprägt, die von den Aquitani unterschieden sind“.25 Das wird deutlich, wenn Ademar von Francorum et Aquitanorum animositates spricht. Innerhalb des musikbezogenen Kapitels ist bei Ademar ein Übergang von der Opposition Romani – Galli zur Opposition Romani – Franci zu beobachten: In den in Rom spielenden Eingangsszenen heißen die Sänger König Karls cantores Gallorum oder Galli, in den späteren, in der Francia spielenden Szenen heißen die dort beheimateten Sänger Franci. Diese Francia ist nicht näher bestimmt als durch die im Text genannten Orte Metz und Soissons. Generell meint Ademar auf seine eigene Zeit bezogen mit Francia Schneidmüller zufolge „das nordfranzösische Gebiet“.26 Auch wenn die musikalischen Gegenspieler der Römer auf diesem Gebiet von Ademar nicht wie in Rom als Galli, sondern als Franci bezeichnet werden, können nicht Nordfranzosen im Unterschied zu Aquitaniern gemeint sein, sondern in sozusagen historisierender Terminologie die Einwohner des Reiches Karls des Großen zu dessen Zeit,

24 Bernd Schneidmüller, Nomen patriae. Die Entstehung Frankreichs in der politisch-geographischen Terminologie (10.–13. Jahrhundert), Sigmaringen 1987, S. 68. 25  Ebd., S. 68, Anm. 36. 26  Ebd., S. 68, Anm. 37.



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denn dass Ademar hier die im Kontext des Musikkapitels unproduktive Opposition Aquitani – Franci ins Spiel bringt, ist nicht anzunehmen. 2. Differenzen zwischen den miteinander konfrontierten, rivalisierenden und kooperierenden Gemeinschaften beidseits der Alpen werden in den Texten durch Fremdzuschreibungen gekennzeichnet: a. Aus der Sicht des römischen Verfassers werden den transalpinen gentes eine Eigenschaft und eine Einstellung zugeschrieben, die ihnen eine Rezeption römischer Gesangspraxis – ein über das bloße discere und rediscere hinausreichendes servare der dulcedo modulationis – erschweren: –– erstens eine als feritas naturalis oder barbara feritas bezeichnete Verfassung, die sich im fragor naturalis einer ungestümen, ungehobelten, „unromanischen“ Vokalität manifestiert, –– zweitens ein als levitas animi oder Gallorum levitas bezeichneter Habitus latenter Resistenz gegenüber der oktroyierten Romanisierung, aus dem heraus die Galli kulturell Eigenes (proprium) den fremden Gregoriani cantus beimengen (miscerunt). Unter diesem proprium mögen Momente der abgeschafften regionalen Praxis (der laut Admonitio generalis von Pippin „beseitigten“ [tulit], als cantus Gallicanus umschriebenen Praxis)27 zu verstehen sein, an der die Galli festhielten oder von der sie nicht loskamen.28 Johannes berichtet, die Gallier hätten in Rom versucht, sich durch Angriff zu verteidigen und den Vorwurf eines unachtsamen und leichtsinnigen Umgangs mit den Gesängen Gregors gegen die Römer zu richten: Die

27  Admonitio generalis (wie Anm. 18), S. 230: „quando Gallicanum tulit“ („als er [sc. Pippin] den gallikanischen [Gesang] abschaffte“). 28  Hinweise auf Widerstände gegen die Romanisierung des Ritus und einen nur begrenzten Erfolg des Programms bei Walahfrid Strabo (wie Anm. 13): „pene tota Francia diligit“, ein (weniger klares) pene auch bei Andreas von Bergamo (Anhang Text VI): „ut per totam Franciam Italiamque pene multae civitates ornamentum ecclesiae usque hodie consonant“. Am deutlichsten lassen die Verse „de cantu Romano vel Ambrosiano“ einen Widerstand gegen den römischen Gesang erkennen, die im Codex Montecassino 318 um die Mitte des elften Jh.s zwischen zwei Tonaren eingetragen worden sind, von denen aber Angelo Rusconi, „L’ordalia della croce per il primato del cantus Romanus sull’ Ambrosianus nel cod. 318 di Montecassino“, in: Musica e Stroria 13 (2005), S. 5–23, neuerdings mit überzeugenden Gründen vermutet, sie seien in Norditalien und möglicherweise noch im 9. Jh. entstanden. Verse 15–17 lauten: „Insignis Karolus romanum pangere carmen / Omnibus ecclesiis iussit ubique sacris. / Unde per Italiam crevit contemptio multa“, auch wenn die Sententia (Vers 30) am Ende konstatiert „Hoc [sc. romanum carmen] itaque pangunt Europa et Gallia tota.“ Zitiert nach der Edition bei Rusconi, „L’ordalia della croce“, S. 22f.

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Römer hätten sie durch nenie verdorben. Ob mit dem mehrdeutigen Wort Trauerlieder oder Kinderlieder, Kindereien oder Possen, Unfug gemeint ist: Der Ausdruck zielt im Kontext der in Rom entfachten Auseinandersetzung auf eine ästhetische Abwertung der römischen Praxis durch Gallier, eine Abwertung, die aus römischer Sicht als unverschämt und anmaßend empfunden werden musste. b. Die feritas ist naturgegeben (naturalis) und insofern gegen Lernprozesse resistent. Als ein in körperlicher Verfassung (Alpina corpora) wurzelnder „unromanischer“ Gestus kann sie nicht einfach abgelegt werden. Das gelingt nicht einmal den Metzer „Musterschülern“, die sola naturali feritate das römische Ideal, wenn auch nur geringfügig (paulolum), verfehlen. Als angeborener Makel ist die gallische feritas in den Augen des Römers weniger verdammenswert als amüsant. Sie allein, und nicht die levtitas animi, ist Zielscheibe römischen Spotts. Freilich wird auf die feritas auch das diskriminierende Attribut barbara angewendet. Es überträgt die schroffe Fremdbezeichnung barbari – ­ einen jener „asymmetrischen Gegenbegriffe“, deren historisch-politische Semantik Reinhard Koselleck in seiner klassischen Studie29 untersucht und als eine Sprachfigur erkannt hat, die „immer zur Verfügung stand, um die jeweils eigene Position per negationem abzuschirmen oder expansiv auszubreiten“30 – auf die Galli und Germani. Johannes hatte sie nicht auf die Franken der Tage Karls des Großen bezogen, sondern auf die Bewohner der Britannia in vorkarolingischer Zeit. c. Die levitas animi gilt Johannes nicht als angeboren; sie ist eine kulturelle Haltung. Sie zeigt sich als Festhalten am Eigenen oder in einer Nachlässigkeit gegenüber der Differenz zwischen dem Eigenen und dem angeeigneten Fremden. Den Galli ist diese Haltung nur schwer abzugewöhnen; den Metenses gelingt es, während in allen anderen Kirchen (omnes [Gallicana ecclesias]) die levitas den Gesang korrumpiert. Johannes spricht von der indiscussa levitas, wo er am Ende von Kapitel X seinen Exkurs zur Rezeptionsgeschichte des „gregorianischen“ Gesangs nördlich der Alpen als ein Exemplum gallischer levitas animi motiviert.

29  Reinhart Koselleck, „Zur politisch-historischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe“, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik historischer Zeiten, Frankfurt 1989, S. 211–259. Dazu neuerdings Peter Strohschneider, „Fremde in der Vormoderne. Über Negierbarkeitsverluste und Unbekanntheitsgewinne“, in: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren, hg. von Anja Becker und Jan Mohr, Berlin 2012, S. 387–416. 30  Koselleck, „Zur politisch-historischen Semantik“ (wie Anm. 29), S. 229.



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d. Die Eigenschaft, die Notker den Römern zuschreibt, ist ihr notorischer (ut semper) Neid auf den Ruhm der Franken, den die Römer mit den Griechen teilen („Greci et Romani invidia Francorum gloriae“). Sie handeln von Missgunst verblendet (invidentia caecati), wenn sie die von Karl erstrebte unitas et consonantia eius in regno et provincia non suo zu sabotieren trachten: Dazu „verabredeten sie, wie alle Griechen und Römer immer vom Neid auf den Ruhm der Franken zerfressen, untereinander, auf welche Weise sie den Gesang (bei seiner Verbreitung im Frankenreich) so verändern könnten, dass er (Karl) sich niemals der Einheit und des Gleichklangs in seinem Reich und den Provinzen, die nicht die seinen waren, erfreue.“ Vom Neid der Römer war bereits in Einhards Vita Karoli die Rede, dort im Hinblick auf die politische Macht der Franken: „Erat enim semper Romanis et Grecis Francorum suspecta potentia.“31 Wenn die Franken den Römern auf kulturellem Gebiet invidia und invidentia vorwerfen, sind das nicht bloße Gentes-Stereotypen, zielt der Vorwurf nicht nur auf einen den Römern zugeschriebenen negativen Charakterzug. Denn die Franken gaben ihrer eigenen Selbsteinschätzung nach aufgrund ihrer herausragenden Kulturleistungen Anlass zu begründetem Neid. In Notkers Vorwurf der Missgunst ist auch nicht nur ein Abwehrreflex gegenüber römischer Überheblichkeit zu sehen. Der Vorwurf verdrängt auch die fränkische Einsicht in die tatsächliche eigene kulturelle Zweitrangigkeit auf dem Gebiet des römischen Gesangs. So ist Notkers Sabotage-Geschichte nicht in erster Linie als Exemplum für ein GentesStereotyp zu sehen, sondern als Element einer narrativen Strategie kultureller Selbstbehauptung. e. Die Gruppenoberhäupter Papst und König sind frei von negativen Eigenschaften der jeweiligen Gruppe, der sie selber angehören und über die sie gebieten. Sie beurteilen die eigene Gruppe „neutral“ (neutra parte) oder aus der Perspektive der jeweils anderen: Der Frankenkönig teilt bei Johannes und bei Ademar die Kritik der Römer am Gesang der Franken und zollt der Autorität der Römer Anerkennung. Umgekehrt teilt bei Notker der Papst die negative fränkische Sicht auf römisches Verhalten, wenn er seine römischen Sänger verdächtigt, Karl erneut hinters Licht führen zu wollen. Die Oberhäupter der Gruppen, die für die musikkulturelle Konfliktsituation zwischen den Gruppen sozusagen die politische Verantwortung tragen, sind über den Konflikt erhaben.

31  Einhardi Vita Karoli Magni (wie Anm. 17), cap. 16, S. 20.

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f. Bei Ekkehart scheint sich der Vorwurf der invidia erledigt zu haben. Er operiert mit einem anderen Gentes-Stereotyp: der emulatio, einem den Römern zugeschriebenen Hang zum Rivalisieren. Er ist nach Ekkeharts Vorstellung nicht durch kulturelle oder politische Konstellationen bedingt, sondern den Römern angeboren: Naturali gentis sue more wetteifern die beiden römischen Sänger auf fränkischem Gebiet um Ruhm und Ehre („emulabantur pro laude et gloria“), und zwar nicht mit den Franken, sondern miteinander. g. Auch bei Ademar hat sich der Akzent römischer Galli-Kritik gegenüber Johannes verlagert. Er hält zwar fest an den Motiven der feritas naturalis und der vox barbara, und verbindet sie miteinander, wenn er von der vox barbara naturalis spricht. Die Galli singen bei Ademar nicht nur (melodisch) falsch (corrupte cantare), sondern (stimmlich) schlecht: Sie „zerfleischen den heilen Gesang“ („sanam cantilenam destruendo dilacerare“), und „eher als sie vollkommen auszudrücken, brechen sie die Töne in der Kehle“ („frangentes in gutture voces potius quam exprimentes“). Demnach scheitern die Gallier gesanglich an den naturbedingten Grenzen ihres stimmlichen Vermögens. Doch hebt Ademar deutlicher als Johannes die Bildungsdefizite der Galli gegenüber ihren natürlichen Handicaps hervor: Die Römer diskriminieren sie als stultos et rusticos et indoctos, und ihre Diskriminierung bei Johannes als unzivilisierte barbari überbietet Ademars Vergleich mit Tieren (velut bruta animalia). Wenn er sagt, die Römer hätten nicht nur den Gesang und das Singen, sondern auch die Gesangbücher der Franken verbessert, erweitert Ademar die Optik römischer Kritik auf eine Vernachlässigung musikalischer Textpflege.­Die Korrektur der Bücher betrifft ja schriftkulturelle Defizite. Auch dadurch verleiht er dem Kulturgefälle stärkeres Gewicht als angeborenen „stimmphysiologischen“ Nachteilen. 3. Die Optik der Kritik und die von den Texten reflektierten Rivalitäten haben sich zwischen neuntem und elftem Jahrhundert signifikant verändert: a. Bei Ekkehart tritt an die Stelle der Gentes-Perspektive eine lokale Perspektive und an die Stelle der alten Rivalität zwischen Romani und Franci eine Rivalität zwischen verschiedenen loci innerhalb der Francia: die emulatio locus zwischen der Abtei Sankt Gallen und der Bischofskirche von Metz, der allseits anerkannten Hochburg erfolgreich nachvollzogener Romanität auf dem Gebiet des Gesangs. Schon im achten Jahrhundert hatte der lombardische Geschichtsschreiber Paulus Diaconus = Paul Warnefrid (circa 720–799) die Rolle dieser Kirche beim Import der lege divina Romana cantilena unter Bischof Chrodegang (742–766) hervorgehoben, einem Onkel Pippins III. Und auch Andreas von Bergamo



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– dessen in Sankt Gallen überlieferte Langobarden-Geschichte Ekkehart gekannt zu haben scheint – preist die civitas quae dicitur Meties als locus optimus, an dem die römischen Sänger im Gefolge Papst Stephans sich niedergelassen hatten, und dessen Leistungen auf dem Gebiet des Gesangs weit über den Ort hinaus ausstrahlten. b. Auch Johannes stellt die metropolis Metensis als primären Einsatzort der in Rom ausgebildeten Sänger heraus, an dem diese erfolgreich wirkten, und dessen Praxis die römischen Sänger der zweiten Expedition später als ein innerfränkisches Modell gesangsbezogener Romanität bestätigen. c. Notker anerkennt den musikalischen Primat von Metz, dem Zielort eines der in Rom ausgebildeten Franken. Den anderen hat Karl „bei sich“ (an seinem Hof) behalten (secum retinuit), den anderen auf Verlangen seines Sohnes Drogo (801–855) – tatsächlich erst seit 823 Bischof von Metz – an dessen Kirche gesendet. Sankt Gallen kommt in der Erzählung des Sankt Gallers gar nicht vor. d. Nachdem aus der auf wechselseitige Schuldzuweisung zielenden Geschichte fränkischer Misserfolge eine Erfolgsgeschichte geworden war, hat Ekkehart seine Erzählung darauf angelegt, der eigenen Abtei neben Metz einen denkwürdigen Anteil an diesem Erfolg zu sichern. Dabei wirkt römisches Konkurrenzstreben als Motor fränkischer Kulturentwicklung. Indem er einen der beiden nach Metz entsendeten Sänger unterwegs nach Sankt Gallen umlenkt und dort tätig werden lässt, macht er Metz seine singuläre Stellung als fränkisches Verteilerzentrum römischen Gesangs nördlich der Alpen streitig, die in den beiden älteren Geschichten konkurrenzlos ist. Und zwar konkurrieren die Römer an fränkischen Zentren und zu deren Vorteil bei der passiven und der produktiven Rezeption des römischen Gesangs im Frankenreich. Sie überbieten einander gegenseitig bei der Verbreitung wie auch bei der kompositorischen Erweiterung des Repertoires durch eine neue Musikform: durch Sequenzmelodien (die später Notker textiert habe). e. Ademar relativiert die Position von Metz ebenfalls, indem er die beiden römischen Sänger auf zwei Orte im fränkischen Zielgebiet ihrer Mission verteilt (Metz und Soissons). 4. Die Texte des neunten und die des elften Jahrhunderts unterscheiden sich signifikant hinsichtlich der darin waltenden Vorstellungen von den Medien und Mechanismen des Transfers. An diesen Differenzen lässt sich die wachsende Bedeutung von Büchern für den räumlichen Transfer und für das Tradieren von Musik ablesen und auch der mediengeschichtliche Übergang zu Büchern mit Notation. Da dies an anderer Stelle detaillierter dargelegt

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 Andreas Haug

worden ist, kann der Textbefund hier unter weitgehendem Verzicht auf Quellenzitate zusammengefasst werden.32 a. Bei Johannes und Notker sind keine Bücher an der Übermittlung des Gesangs beteiligt. Notker erwähnt keinen antiphonarius, bei Johannes verweisen die Römer auf ihren antiphonarius nur in Rom. Von einem Einsatz solcher Bücher im Frankenreich ist in keinem der beiden älteren Autoren die Rede. b. Bei Ekkehart führen die Sänger auf dem Weg in den Norden zwei Antiphonare mit, von denen der eine nach Metz, an das Primärziel der Mission gelangt, der andere nach Sankt Gallen. Diese Antiphonare enthalten eine Notation. Sie ist römischer Herkunft, auch wenn das nicht hervorgehoben wird. Nördlich der Alpen kommen nur die Zusatzbuchstaben hinzu, die der Römer Romanus eigens für Sankt Gallen erfindet. Die Funktion der Notation des in der Kirche aufgestellten Gesangbuches ist die eines „Fehlerspiegels“ und einer Entscheidungsinstanz, für den Fall, dass über die mit der römischen Norm konformen Tonverläufe unter den Kantoren des Klosters kein Konsens besteht. c. Bei Ademar nehmen Bücher und Notation noch breiteren Raum ein: Den Theodor und Benedikt genannten römischen Sängern hatte der Papst Antiphonare mit auf den Weg in den Norden gegeben. Diese Antiphonare hatte einst noch Gregor der Große „selbst“ mit einer „römischen“ Notation versehen („ipse notaverat nota Romana“). Die Herkunftsbezeichnung autorisiert die Praxis des Notierens. d. Die nach ihrer Herkunft römisch genannte Notation wird im Frankenreich nach der Region ihrer Verwendung in fränkische umbenannt („nunc vocant notam Franciscam“). Diese Umbenennung bezeichnet allem Anschein nach das Sich-zu-Eigen-Machen der angeblich von Rom übernommenen Praxis des Notierens durch die Franken. Ob das Attribut „fränkisch“ sich tatsächlich auf das Königreich der Franken (im Unterschied zu Rom) und den fränkischen „Kulturbereich“ bezieht oder vielleicht doch auf das Stammesgebiet der Franken im Unterschied zu Aquitanien oder auf „nordfranzösisches Gebiet“ ist nach dem oben ausgeführten (1.h) nicht sicher zu entscheiden. Gegen die Annahme einer historisierenden Terminologie (karolingisch-politisch-kulturelle, nicht aktuell-gentile Bedeutung von „fränkisch“) könnte das nunc sprechen. Jedenfalls deutet alles darauf hin, dass Ademar mit seiner Darstellung

32  Haug, „Zum Wechselspiel von Schrift und Gedächtnis“ (wie Anm. 2), S. 33–43.



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der Notation als ursprünglich römisches Phänomen das Medium autorisieren möchte (siehe 5.b). e. Der Kulturtransfer umfasst bei Ademar eine Korrektur fränkischer Gesangspraxis und Notationspraxis, also ein Zusammenwirken von Elementen mündlicher und schriftlicher Überlieferung: –– das Erlernen römischer Gesangspraxis (discere cantare) in den civitates Franciae, –– die Korrektur fränkischer A ­ ntiphonare durch römische Sänger („antiphonarios ad corrigendum tradere“, „correcti sunt antiphonarii Francorum“), da diese durch willkürliche Zusätze oder Weglassungen („pro arbitrio addens vel munuens“) verfälscht (viciaverat) sind, –– das Erlernen der römischen Notation durch fränkische Sänger („Francorum cantores didicerunt notam Romanam“). 5. In den älteren Texten sind die römischen Sänger Überlieferungsagenten des cantus Romanus, deren Mission und Autorisierung sich darauf beschränkt, die sozusagen passive Rezeption des römischen Gesangs an den Kirchen des Frankenreichs zu konsolidieren und zu kontrollieren. In den jüngeren Texten treten sie darüber hinaus als Überbringer oder Erfinder musikalischer Innovationen auf, die – ­ nach allem, was wir historisch wissen – faktisch genuin fränkische Praktiken darstellen. Offensichtlich handelt es sich um eine Strategie der Erzähler, im Frankenreich ausgeübte nicht-römische und nicht durch römische Autorität gedeckte, mit einem Odium der Illegitimität behaftete musikalische Praktiken durch eine mehr oder weniger direkte Rückbindung an römische Autorität zu legitimieren. a. Bei Ekkehart treten die römischen Agenten römischen Gesangs im Frankenreich mit der Lizenz zum Komponieren auf. Auch das wurde an anderer Stelle bereits eingehend erörtert33 und braucht hier nur skizziert zu werden: Sie erfinden die fränkische Gattung Sequenz und begründen deren Erfolgsgeschichte im Frankenreich. Sie schaffen römische Vorbilder, auf die fränkische Komponisten sich berufen können. Indem die Erzählungen den fränkischen Praktiken römische Herkunft attestieren, bescheinigen sie ihnen Unbedenklichkeit. b. Die gleiche Strategie lässt sich bei Ademar beobachten.34 Während bei Ekkehart aber die im Frankenreich befindlichen Römer als Urheber einer

33  Haug, „Der Beginn europäischen Komponierens“ (wie Anm. 2), S. 225–241. 34  Dazu Andreas Haug, „On Tropes“, in: The New Cambridge History of Medieval Music, hg. von Marc Everist und Thomas Kelly, Cambridge (in Druck).

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 Andreas Haug

neuen fränkischen Praxis aktiv werden, schreibt Ademar zwei Praktiken direkten römischen Ursprung zu: –– der römisch genannten Notation (nota Romana), die kein Geringerer als Gregor der Große in die Bücher eingetragen habe (ipse notaverat); –– der Technik zweistimmigen Singens (ars organandi) – eine im Kontext der Erzählung seltsam unvermittelt geäußerte Behauptung, zu der es aber bei Ademar Parallelen gibt. c. Auch in seiner durch offenbar fiktive Interpolationen angereicherten Version der Vita Hadrians II. in Ademars Redaktion des Liber pontificalis schreibt er diesem Papst und seinem Vorgänger gleichen Namens scheinbar willkürlich die Etablierung und Sanktionierung fränkischer Gesänge, Gattungen und Praktiken zu. ­Darauf ist hier einzugehen, weil es die Interpretation der Zuschreibungen im Chronicon-Kapitel im Sinne von Legitimationsstrategien bestätigt: –– Papst Hadrian I. (772–795) schreibt Ademar die obligatorische Einführung (strictissime confecerat) eines in den Messen am ersten Adventsonntag gesungen vorgetragenen (decantandum) Prologs in Hexameterform zu (offenbar eine Version des Gregorius presul),35 –– Papst Hadrian II. (867–872) die Einführung (instituit) einer weiteren, gleich beginnenden (similiter incipit), aber längeren („pluribus constat versibus“) Form dieses Prologs, –– demselben Papst die Einführung (constituit) von Tropen (himnos interstinctos) zum Gloria der Messe, die man laudes nennt, sowie von –– Tropen (inserta cantica) zum Introitus („in psalmis daviticis quos introitus dicunt“), die von den Römern festivae laudes, von den Franken tropi genannt werden, –– die Einführung des Singens (concinendas traditit) von Sequenzen („melodias ante Evangelium quas dicunt sequentias“) – diese Praxis habe Hadrian II. eigentlich nur bestätigt (corrobatae sunt), da schon Papst Gregor I. selbst und nach ihm Hadrian (es muss wieder Hadrian I. gemeint sein, ein Zeitgenosse Alkuins) zusammen mit Alkuin sie eingeführt und schon Karl der Große an ihr Gefallen gefunden habe –,

35  Bruno Stäblein, „ ‚Gregorius presul‘, der Prolog zum römischen Antiphonale“, in: Musik und Verlag. Karl Vötterle zum 65. Geburtstag, hg. von Richard Baum und Wolfgang Rehm, Kassel 1968, S. 537–561, und James McKinnon, „Gregorius presul composuit hunc libellum musicae artis“, in: The Liturgy of the Medieval Church, hg. von Thomas J. Heffernan und E. Ann Matter, Kalamazoo 2001, S. 673–694.



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–– wiederum Hadrian II. die Autorisierung der Buchgattung des Tropars (troparius) neben dem Antiphonar (antiphonarius), wodurch die im Tropar enthaltenen Gesänge wie die des Antiphonars als cantilenae honestae gelten können. –– Nach welchen Kriterien Ademar die Autorisierung verschiedener Gattungen und Praktiken auf die beiden Päpste gleichen Namens (und damit auf die Zeit Karls des Großen und die seiner Enkel) verteilt und ob diese Aufteilung verschiedene Grade von Autorisierung markieren soll, ist nicht erkennbar.

3 Romanitäten Die in Gentes-Kategorien ausgetragene Polemik zwischen Römern und Franken lässt sich als literarische Bearbeitung eines durch politische Konstellationen bedingten kulturellen –nämlich: interkulturellen – Problems mit den Mitteln geschichtlichen Erzählens interpretieren. Die Erzählungen spiegeln Vorstellungen eines doppelten Wertgefälles zwischen Römern und Franken. Sie entfalten narrative Strategien, um dieses Gefälle mithilfe von Gentes-Stereotypen entweder zu erklären oder es zu verleugnen, indem die Autoren-Ichs oder die in den Texten zu Wort kommenden Handlungsträger den an den Ereignissen beteiligten gentilen und politisch-kulturellen Gemeinschaften beidseits der Alpen negative Haltungen und Eigenschaften zuschreiben. Aus fränkischer Perspektive wird ein Wertgefälle zwischen der Gesangspraxis Roms und der eigenen einheimischen Praxis wahrgenommen. Ein solches Wertgefälle wurde auch seitens der Franken grundsätzlich anerkannt. Sie hatten es einst selbst erzeugt, als sie den römischen Gesang im Frankenreich zur Norm erhoben und durchsetzten und dadurch ihren eigenen Gesang entwerteten und preisgaben. Und sie hatten dieses Gefälle dadurch noch steiler gemacht, dass sie den römischen Gesang mit Ideen befrachteten, durch die er zusätzlich aufgewertet wurde: mit der I­ dee der Autorschaft Papst Gregor I. und der Idee göttlicher Eingebung, die von den Schriften des Papstes auf das Corpus der mit seinem Namen verbundenen Gesänge übertragen worden war.36 Aus römischer Perspektive bestand ein Wertgefälle zwischen der melodischen Lesart und der vokalen Realisation des römischen Gesangs in Rom und

36  Dazu Stäblein, „Gregorius presul“ (wie Anm. 35), S. 537–561, sowie von Euw, „Karl der Große als Förderer des Kirchengesanges“ (wie Anm. 2).

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durch Römer und seiner im Frankenreich verbreiteten Lesarten und seiner Realisation durch Franken. Deren – gemessen an der römischen – defizitäre Praxis konnte durch stimmlich-physische Handicaps transalpiner Völker oder durch ein zivilisatorisches Gefälle zwischen den Erben antiker Bildung und den zu politischer Macht gelangten Völkern nördlich der Alpen erklärt werden. Indem die Römer die Franken als musikalische Barbaren bestimmen, setzen sie einen asymmetrischen Gegenbegriff im Sinne Kosellecks ein, den die durch ihn diskriminierten Franken nicht auf sich selber anwenden können. Aber nicht allein aus römischer, sondern, weitaus prekärer noch, auch aus fränkischer Perspektive musste der Anspruch von Nichtrömern, innerhalb einer genuin römischen Kulturpraxis den Römern Gleichwertiges zu leisten, ein Anspruch, in dem sich das fränkische Streben nach musikalischer Romanität erfüllen würde, und der sich zugleich mit dem kulturellen Selbstwertgefühl der Franken vereinbaren ließe, nur schwer einlösbar erscheinen. Die Rezeption des römischen Gesangs, die sich die Franken selber auferlegt hatten, war die Aneignung von etwas kulturell Fremdem. Es verlangte die Aneignung und Anerkennung des Gesangs der Anderen, verbunden mit der Preisgabe und Entwertung des Eigenen. Dadurch hatten sich die Franken in eine Position musikkultureller Zweitrangigkeit versetzt, die unvereinbar war mit der Idee der gloria Francorum, der Idee der Ebenbürtigkeit fränkischer Kulturleistungen mit denen der Römer.37 Die kollektive Kränkung ließ sich mit dem Gedanken abwehren, die Römer verweigerten den Franken die Anerkennung ihrer musikalischen Leistung und ihres musikkulturellen Transfererfolgs objektiv zu Unrecht, nämlich aus habituellem Neid. Ein Exemplum dieses Neids bietet die von Notker vorgebrachte satirische Erzählung von Römern, die sich neidgeplagt verschwören, vorsätzlich den Musiktransfer, mit dem man sie beauftragt hatte, durch falsches Singen zu vereiteln. Die Preisgabe der eigenen Gesangspraxis im Frankenreich konnte durch musikalische Neuproduktion kompensiert werden. Doch da befanden sich die Franken erneut in einem Dilemma: Sie konnten, wo sie Ungleichartiges, aber tatsächlich Gleichwertiges leisteten wie die Römer, mit dieser Leistung nicht auftrumpfen. Denn die Neuproduktion litt an einem Legitimationsproblem. Fränkischen Praktiken (Notation, Tropus, Sequenz, Organum) mangelte es an

37  Zum Motiv der gloria Francorum in Otfrids (althochdeutschem) Evangelienbuch und zur „Lebendigkeit des Gedankens einer Rivalität zwischen Griechen / Römern und Franken“ siehe Gisela Vollmann-Profe, Kommentar zu Otfrids Evangelienbuch, Teil I: Widmungen. Buch I, 1–11, Bonn 1976, S. 140f, die auch auf das bekannte Frankenlob im Prolog zur Lex Salica (MGH Leges nationum Germanicarum IV, 1, S. 2–5) verweist (Gens Francorum inclita). Dazu auch Page, The Christian West (wie Anm. 2), S. 315.



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politisch-religiöser Autorität. Zumal das fränkische Weiterkomponieren am römischen Gesang musste als ein Komponieren in Konkurrenz mit römischer Autorität erscheinen. Es war mit einem Odium von Illegitimität behaftet. Dieser Mangel an Legitimität ließ sich durch die Zuschreibung eigener musikalischer Leistungen an Römer beheben, also durch ein Verschleiern und Verleugnen fränkischer Urheberschaft. Der in den Erzählungen Ademars und Ekkeharts vollzogene Übergang von einer passiven in eine produktive, rekontextualisierende Rezeption des römischen Gesangs nördlich der Alpen, bei der sich dessen römische Agenten in Erfinder fränkischer Praktiken verwandeln, bietet Beispiele für eine solche Überlassung fränkischer Urheberschaftsansprüche an die Römer. Während die zwei Erzählungen des neunten Jahrhunderts mittels Schuldabwehr durch Schuldumkehr primär das fränkische Trauma eines kulturellen Scheiterns an den ästhetischen und gesangstechnischen Anforderungen des römischen Gesangs bearbeiten, das Problem einer kulturellen Transferbarriere und eines musikkulturellen Süd-Nord-Gefälles, bearbeiten die zwei Erzählungen des elften Jahrhunderts primär die Ambivalenzen erfolgreicher Romanisierung: die Last einer von den Franken für die eigene kirchliche Musikpraxis beanspruchten und in der Zwischenzeit in erheblichem Umfang auch verwirklichten musikalischen Romanität, die aber nur um den Preis einer gewissen kulturellen Selbstverleugnung zu haben war. Dabei thematisieren die Geschichten im Verhältnis zwischen mittelalterlichen Gemeinschaften Aspekte einer ganz anderen Weise von Romanität im Sinne des Konzepts von Remi Brague: Dieser versteht unter Romanität eine Position kultureller Zweitrangigkeit gegenüber einer anderen, als überlegen anerkannten Kultur, für die in der Antike das kulturelle Unterlegenheits- und Abhängigkeitsverhältnis der Römer zu den Griechen das Paradigma darstelle. Romanität in diesem Sinne bestimme aber auch das Verhältnis des Christentums zum Judentum und das der Neuzeit zum Altertum. Die so verstandene Romanität sei konstitutiv für die, wie Brague es nennt, „exzentrische Identität“ Europas.38 Auf dem Gebiet des im modernen Sinne Musikalischen wäre in der Karolingerzeit also zu unterscheiden zwischen 1. der auf seiner – vermutlich tatsächlichen, jedenfalls geglaubten – (stadt-) römischen Herkunft beruhenden Romanität des von den Franken rezipierten und praktizierten Gesangs, 2. seiner erst als fränkische Zuschreibung musikhistorisch virulent werdenden Romanität, die durch die kultisch-religiöse Autorität der kirchlichen Metropole Rom bedingt war und durch die fränkische Wahrnehmung der Römer als begünstigte Erben römisch-antiker Kultur mitbedingt gewesen

38  Remi Brague, Europa, eine exzentrische Identität, Frankfurt 1993.

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 Andreas Haug

sein könnte, und 3. einer „Romanität“ im Sinne Bragues, die in der musikkulturellen Zweitrangigkeit der Franken gegenüber den auf dem Gebiet des römischen Gesangs als überlegen anerkannten Römern bestand und wahrgenommen wurde. Unter diesem Blickwinkel gelesen laden die hier kommentierten Texte dazu ein, die ambivalenten und exzentrischen Momente der in der Karolingerzeit geformten musikkulturellen Identität Europas genauer zu erkunden.

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1

Deinde in domo domini, more sapientissimi Salomonis, propter musicae compunctionem dulcedinis, antiphonarium centonem studiosissimus nimis utiliter compilavit. Scholam cantorum, quae hactenus eisdem institutionibus in sancta Romana eccelsia modulatur, constituit. Eique cum nonullis praediis duo habitacula, scilicet alterum sub gradibus basilicae beati Petri apostoli, alterum vero sub Lateranensis patriarchii domibus fabricavit, Ubi usque hodie lectus eius, in quo recubans modulabatur, et flagellum ipsius, quo pueris minabatur, veneratione congrua cum authentico antiphonario reservantur. Quae vidilicet loca per praecepti seriem sub interpositione anathemis ob ministerii quotidiani utrobique gratiam subdivisit.

VI Alsdann stellte der Allereifrigste im Hause des Herrn nach dem Vorbild des allerweisesten Salomon, wegen der von der Süße der Musik geweckten Andacht, höchst nützlich ein aus Bibelstellen bestehendes Antiphonar zusammen. Die Sängerschule, die bis heute nach denselben Anweisungen in der römischen Kirche singt, begründete er (auch). Er besorgte ihnen mithilfe einiger Besitztümer zwei Wohnungen, die eine bei den Stufen der Basilika des Apostels Petrus, die andere aber unterhalb des Gebäudes des Patriarchen am Lateran. Dort wird bis heute sein Bett, auf dem er im Liegen sang, und seine Geißel, mit der er den Knaben drohte, in gebührender Verehrung zusammen mit dem authentischen Antiphonar aufbewahrt. Auf diese beiden Örtlichkeiten verteilte er nämlich durch eine Reihe von Verordnungen unter Androhung des Kirchenbanns um des täglichen Gottesdienstes willen seine Gunst.

Text I: Johannes Diaconus (†880 / 882), Vita Gregorii Magni, Lib. II, cap. 6–10 (873–876)

Anhang

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   129

crebroque rediscere insigniter potuerunt. Incorruptam vero tam levitate animi quia nonulla de proprio Gregorianis cantibus miscuerunt, quam feritate quoque naturali, servare minime potuerunt, Alpina siquidem corpora, vocum suarum tonitruis altisone perstrepentia suscepte modulationis dulcedinem proprie non resultant. Quia bibuli gutturis barbara feritas dum inflexionibus et repercussionibus mitem nititur edere cantilenam, naturali quodam fragore, quasi plaustra per gradus confuse sonantia rigidas voces iactat. Sicque audientium animos, quos mulcere debuerat, exasperando magis ac obstrependo conturbat.

1

Hinc est quod huius Gregorii tempore cum Augustino tunc Britanniam adeunte,

VIII

5

4

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2

1 Huius modulationis dulcedinem inter alias Europae gentes Germani seu Galli discere

VII

Text I (fortgeführt)

Aus diesem Grund haben zu Gregors Zeit, damals, als Augustinus nach Britannien ging,

und vorzüglich immer wieder neu erlernen. Sie aber unverdorben bewahren konnten sie, sowohl aus Leichtsinn, aus dem sie einiges von Eigenem den gregorianischen Gesängen beimischten, als auch wegen ihrer natürlichen Wildheit, keineswegs, weil ja ihre alpenländischen, mit ihren Stimmen wie Donner laut lärmenden Körper die Süße der übernommenen Melodik nicht auf die ihr eigentümliche Weise hervorbringen. Denn während die barbarische Wildheit der Säufergurgeln durch Beugungen und Wendungen einen sanften Gesang herauszubringen sich bemüht, schleudert sie aufgrund ihres natürlichen Getöses, wie über Pflasterstufen krachende Lastwagen, (nur) raue Töne heraus. Und so, statt die Gemüter der Zuhörer milde zu stimmen, wühlt sie diese auf, belästigt und verstört sie.

Die Lieblichkeit dieser Musik konnten unter den anderen Völkern Europas die Germanen oder Gallier lernen

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1

cum Gallorum procacitas cantum a nostratibus quibusdam naeniis argumentaretur esse corruptum, nostrique e diverso authenticum antiphonarium probabiliter ostentarent, interogasse fertur, quis inter rivum et fontem

Sed et Karolus noster patricius, rex autem Francorum, dissonantia Romani et Gallicani cantus Romae offensus,

Aber auch unser Schutzherr Karl, der König der Franken, nahm an der Verschiedenheit von römischem und gallikanischem Gesang Anstoß; als die Gallier in ihrer Unverschämtheit behaupteten, der Gesang werde von den Unseren durch Kinderlieder (Kindereien) verdorben, und die Unseren dem entgegen glaubhaft das authentische Antiphonar vorlegten, soll er gefragt haben, ob für gewöhnlich im Bach oder an der Quelle

(dann) aber Erzbischof von York, von Papst Vitalian über Gallien nach Britannien entsandt wurde. Indem er die Söhne der umliegenden Kirchen zur vormaligen Süße des Gesangs zurückbrachte, hielt er, ebenso durch eigenes Zutun wie durch seine Schüler, über viele Jahre den Maßstab römischer Lehre aufrecht.

sed Eburaci archiepiscopo, per Gallias in Britannias a Vitaliano sit praesule destinatus. Qui circumquaque positarum ecclesiarum filios ad pristinam cantilenae dulcedinem revocans, tam per se, quam per suos discipulos multis annis Romanae doctrinae regulam conservavit.

ut Iohannes quidam Romanus cantor cum Theodoro aeque cive Romano,

VIIII

3

2

im Westen auch Sänger der römischen Schule die Barbaren vorzüglich unterrichtet. Als diese verstorben waren, entstellten die westlichen Kirchen die (klangliche) Ordnung der empfangenen Musik derart, dass ein gewisser Johannes, ein römischer Sänger, zusammen mit Theodorus, ebenso ein römischer Bürger,

per occidentem quoque Romanae institutionis cantores dispersi, barbaros insigniter docuerunt. Quibus defunctis occidentales ecclesiae ita susceptum modulationis organum vitiarunt,

Text I (fortgeführt)

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   131

zur Süße der vormaligen Melodien zurück. Durch sie verbesserte er sein ganzes Gallien.

ad suavitatem modulationis pristinae revocavit. Per illam totam Galliam suam correxit.

3

2

1

Adrianus papa permotus, duos in Galliam cantores emisit. Quorum iudicio

Sed cum multa post tempora, defunctis his, qui Romae fuerant educati, cantum Gallicanarum ecclesiarum a Metensi discrepare prudentissimus regum vidisset, ac unumquemque ab alterutro vitiatum cantum iactantem adverteret, „iterum“, inquit, „redeamus ad fontem.“ Tunc regis precibus, sicut hodieque quidam veridice astipulantur,

Als lange Zeit danach jene in Rom Erzogenen gestorben waren, sah der klügste aller Könige, dass der Gesang der gallikanischen Kirchen von dem Metzer abwich, und bemerkte, dass jeder keck behauptete, der andere habe den Gesang verfälscht, sprach er, „nochmals müssen wir zukehren zur Quelle.“ Alsbald ward durch die Bitten des Königs, wie noch heute wahrhaftig versichert wird, Papst Hadrian dazu bewogen, zwei Sänger nach Gallien zu entsenden. Aus deren Urteil

das reinere Wasser sei. Als sie erwiderten: „an der Quelle“, fügte er klug hinzu: „Also müssen auch wir, die wir bis jetzt aus dem Bach verdorbenes Wasser getrunken haben, zum ursprünglichen Wasser der ewigen Quelle zurückkehren.“ Hernach ließ er zwei seiner eifrigen Kleriker dem damaligen Bischof Hadrian [I.] zurück. Als diese endlich fein genug unterrichtet waren, brachte er die Hauptstadt Metz

limpidiorem aquam conservare soleret. Resondentibus „fontem“, prudenter adiecit: „Ergo et nos, qui de rivo corruptam limpham usque hactenus bibimus ad perennis fontis necesse est fluenta principalia recurramus.“ Mox itaque duos suorum industrios clericos Adriano tunc episcopu dereliquit. Quibus tandem satis eleganter instructis, Metensem metropolim

cap. X

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3

2

Text I (fortgeführt)

132   Andreas Haug

Diese Vorkommnisse aber wollte ich, (auf Zukünftiges) vorgreifend, berichten, um nicht den unerschütterlichen Leichtsinn der Gallier unerwähnt zu lassen.

erkannte der König, dass gewiss alle (gallikanischen Kirchen) die Süße des römischen Gesangs durch Leichtsinn verdorben hatten, und sah, dass auch die Metzer nur aus natürlicher Wildheit geringfügig (von Rom) abwichen. Überhaupt wird bis heute von jenen, welche die reine Wahrheit lieben, bestätigt, dass der Metzer Gesang dem römischen gegenüber um genauso viel abfällt, wie der Gesang der gallikanischen und germanischen Kirchen gegenüber dem Metzer.

Gloriosissimus itaque Karolus per totum regnum suum studia litterarum florere conspiciens,

Also sah der ruhmreiche Karl in seinem ganzen Reich die Studien aufblühen,

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1

cap. 9

Text II: Notker von Sankt Gallen († 912): Gesta Karoli Magni (883–887), Lib. I, cap. 9 und 10

Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Codex 578, pag. 52–55 (Sankt Gallen, spätes 9. Jh.) VI 1 centonem] centonem cantorum PL | X3 (gallicanas ecclesias)] oberhalb der Zeile eingefügt |X 4 meram] veram (meram PL) VIII 1 Gregorii: Papst Gregor I. (590–604). Augustino: Augustinus († 605) s. LMA I, Sp. 1229–30. Britanniam adeunte: Missionsreise des Augustinus nach England 595 / 96. | VIII 2 Theodoro … Eburaci archiepiscopo: kein Erzbischof von York dieses Namens ist historisch belegt. Vitaliano: Papst Vitalian (657–672). | VIII 1 Karolus: Karl der Große (768–814) | VIIII 3, X 2 Adriano, Adrianus: Papst Hadrian I. (772–795).

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rex omnes (gallicanas ecclesias) quidem, corrupisse dulcedinem romani cantus levitate quadam cognovit, Met[t]enses vero sola naturali feritate paulolum quid dissonare praevidit. Denique usques hodie quantum Romano cantui Metensis cedit, tantum Metensi cedere Gallicanarum ecclesiarum Germanicarumque cantus, ab his qui meram veritatem diligunt comprobatur. Haec ergo per anticipationem retulerim, ne indiscussam Gallorum levitatem videar praeterisse.

Text I (fortgeführt)

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1

Referendum hoc in loco videtur, quod tamen a nostri temporis hominibus difficile credatur, cum et ego ipse qui scribo propter nimiam dissimilitudinem nostrae et Romanorum cantilenae non satis adhuc credam, nisi quia patrum veritati plus credendum est quam modernae ignavae falsitati. Igitur indefessus divinae servitutis amator Karolus, voti sui compotem quantum fieri potuit in litterarum scientia effectum se gratulatus,

cap. 10

sed ad maturiatatem patrum praecedentium non pervenire condolens et plus quam mortale laborans, in hanc tediatus vocem erupit: „O utinam haberem XII clericos ita doctos, ut fuerunt Hieronimus et Augustinus!“ Ad quod doctissimus Albinus, ex ipsorum comparatione merito se indoctissimum iudicans, in quantum nullus mortalium in conspectu terribilis Karoli audere praesumeret, maxima indignatione concepta sed parumper ostensa respondit: „Creator celi et terre similes illis plures non habuit, et tu vis habere XII?“

Text II: (fortgeführt)

An dieser Stelle erscheint es angebracht, etwas zu berichten, was freilich bei Menschen unserer Zeit schwer Glauben finden wird, da doch ich selbst, der ich es schreibe, es wegen der allzu großen Verschiedenheit unserer Singweise und der der Römer noch kaum glauben könnte, wenn nicht der Wahrheit der Väter mehr zu glauben wäre als der modernen falschen Feigheit. Also konnte sich Karl, der unermüdliche Liebhaber göttlichen Dienstes, beglückwünschen, dass es in der Kenntnis der Wissenschaften, soweit möglich, nach seinem Wunsch gegangen war,

aber dass es nicht die Reife der Väterzeit erreichte, schmerzte ihn, und übermenschlich leidend brach er verdrossen in diese Worte aus: „O hätte ich doch 12 so gelehrte Kleriker, wie Hieronymus und Augustinus waren!“ Darauf antwortete der gelehrteste Albinus (=Alkuin), der sich selber im Vergleich zu diesen als äußerst ungelehrt erachtete, was sonst kein Sterblicher im Angesicht des Schrecken erregenden Karl zu sagen sich vermaß, von größtem Unmut erfasst, von dem er aber wenig zeigte: „Der Schöpfer des Himmels und der Erde hat ihresgleichen nicht mehr, und du willst 12 davon?“

134   Andreas Haug

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sed adhuc omnes provintias immo regiones vel civitates in laudibus divinis, hoc est in cantilenae modulationibus, ab invicem dissonare perdolens, a beate memorie Stephano papa, qui deposito et decalvato ignavissimo Francorum rege Hilderico se ad regni gubernacula antiquorum patrum more perunxit, aliquos carminum divinorum peritissimos clericos impetrare curavit. Qui bonae illius voluntati et studiis divinitus inspiratis assensum praebens, secundum numerum XII apostolorum de sede apostolica XII clericos doctissimos cantilenae ad eum direxit in Franciam. Franciam vero interdum cum nominavero, omnes cisalpinas provincias significo, quia, sicut scriptum est: „In die illa apprehendent X viri ex omnibus linguis gentium fimbriam viri Iudei“, in illo tempore propter excellentiam glorisissimi Karoli et Galli et Aquitani, Edui et Hispani, Alamanni et Baioarii non parum se insignitos gloriabantur, si vel nomine Francorum servorum censeri mererentur. Cum ergo supradicti clerici Roma digrederentur, ut semper omnes Greci et Romani invidia Francorum gloriae carpebantur, consiliati sunt inter se, quomodo ita cantum variare potuissent,

Text II: (fortgeführt) dass aber immer noch alle Provinzen oder Regionen und Städte im Lob Gottes, das heißt in den Melodien des Gesangs, von einander abwichen, schmerzte ihn sehr, und er bemühte sich, von Papst Stephan seligen Angedenkens – der ihn, nachdem er den feigen Frankenkönig Hilderich abgesetzt und geschoren hatte, nach alter Väter Weise zur Herrschaft des Reichs gesalbt hatte – einige in den göttlichen Gesängen sehr erfahrene Kleriker zu bekommen. Seine gute Absicht und von Gott eingegebenen Studien billigend, sandte er nach der Zahl der zwölf Apostel vom apostolischen Sitz zwölf des Gesangs sehr kundige Kleriker zu ihm ins Frankenland. Wenn ich bisweilen von „Frankenland“ rede, so bezeichne ich damit alle Gebiete diesseits der Alpen, denn wie geschrieben steht: „An jenem Tage werden zehn Männer aus allen Sprachen der Völker (Heiden) den Gewandsaum eines Juden ergreifen“, so rühmten sich zu jener Zeit wegen des Glanzes des ruhmreichen Karls Gallier und Aquitaner, Häduer und Hispanier, Alemannen und Bayern, sie seien nicht zu gering ausgezeichnet, wenn sie (nur) den Namen „Knechte der Franken“ zu tragen verdienten. Als die genannten Kleriker also von Rom auszogen, verabredeten sie, wie alle Griechen und Römer immer vom Neid auf den Ruhm der Franken zerfressen, untereinander, auf welche Weise sie den Gesang so verändern könnten,

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   135

ut numquam unitas et consonantia eius in regno et provincia non sua laeteratur. 6 Venientes autem ad Karolum, honorifice suscepti et ad praeminentissima loca dispersi, et singuli in locis singulis diversissime, et quam corruptissime poterant excogitare, et ipsi canere et sic alios docere laborabant. 7 Cum vero ingeniosissimus Karolus quodam anno festivitates nativitatis et apparitionis domini apud Treverense vel Mettense opidum celebrasset et vigilantissime immo acutissime vim carminum deprehendisset vel potius penetrasset, sequenti anno easdem sollempnitates Parisii vel Turonis ageret et nihil illius soni audisset, quem priori anno in supradictis locis expertus fuerat, sed et illos, quos ad alia loca direxerat, cum tempore procedente ab invicem discrepare comperisset, sanctae recordationis Leoni papae, succesori Stephani, rem detulit. 8 Qui vocatos Romam vel exilio vel perpetuis damnavit ergastulis et dixit illustri Karolo: 9 „Si alios tibi praestitero, simili ut anteriores invidentia caecati non praetermitterent illudere tibi. 10 Sed hoc modo studiis tuis satisfacere curabo: da mihi de latere tuo duos ingeniossisimos clericos,

Text II: (fortgeführt) dass er (Karl) sich niemals der Einheit und des Gleichklangs in seinem Reich und den Provinzen, die nicht die seinen waren, erfreue. Sie kamen also zu Karl, wurden ehrenvoll aufgenommen und auf die bedeutensten Orte verteilt, und jeder strengte sich an, an jeweils seinem Ort so verschieden und so verderbt, wie nur auszudenken war, sowohl selbst zu singen, als es auch anderen so beizubringen. Als aber der klügste Karl, als er in einem Jahr die Feste der Geburt und der Erscheinung des Herrn in den Städten Trier und Metz gefeiert, und auf das wachste, ja genaueste die Eigenart der Gesänge aufgefasst, oder, besser noch, durchdrungen hatte, und im folgenden Jahr die gleichen Feste in Paris und Tours beging, und nichts von den Tönen hörte, die er im Vorjahr an den vorgenannte Orten erfahren hatte, sondern dass auch diejenigen, die er an andere Orte entsandt hatte, mit der Zeit voneinander abwichen, da trug er Papst Leo heiligen Angedenkens, dem Nachfolger des Stephanus, die Sache vor. Der rief sie nach Rom, verurteilte sie zu Verbannung oder lebenslanger Strafarbeit, und sprach zum edlen Karl: „Wenn ich dir andere gebe, werden sie es gleich den vorigen blind vor Neid nichts unterlassen dich zu täuschen. Doch auf folgende Weise will ich versuchen, deine Bestrebungen zu unterstützen: Gib mir deinerseits zwei ganz besonders begabte Kleriker,

136   Andreas Haug

ohne dass meine Leute merken, dass sie zu dir gehören, und sie werden, so Gott will, vollkommene Kenntnis in der Sache, die du forderst, erlangen.“ Und so geschah es. Und siehe da, nach kurzer Zeit sendete er sie bestens ausgebildet, zurück zu Karl. Der behielt einen bei sich, den anderen schickte er auf Bitten seines Sohnes Drogo, des Bischofs von Metz, zu dieser Kirche. Dessen Tüchtigkeit begann nicht nur an diesem Ort zu wirken, sondern sich so über das ganze Frankenreich auszubreiten, dass heute noch bei denen, die in diesen Gegenden die lateinische Sprache gebrauchen, der Kirchengesang als der „von Metz“ bezeichnet wird, bei uns aber, die wir die teutonische oder deutsche Sprache sprechen, entweder einheimisch „met“ oder „mette“ oder vom Griechischen abgeleitet „mettisca“ genannt wird.

Hannover, LB XIII 858, fol. 61 (1. Drittel 12. Jh.) Text auf Basis des Apparats der Ausgabe: Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni Imperatoris, ed. Hans. F. Haefele, Berlin 1959, S. 12–15 (MGH Scriptores NS XII) cap. 9: 1 Karolus: Karl der Große (868–814) | 3 Albinus: Alkuin (um 730–804) | cap. 10: 2 Stephano: Papst Stephan III. (768–772). Hilderico: König Hilderich. | 7 Leoni: Papst Leo III. (795–816). | 13 Trougone: Drogo (801–855), seit 823 Bischof von Metz.

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ut non advertant qui mecum sunt, quod ad te pertineant, et perfectiam scientiam deo volente in hac re, quam postulas, assequentur.“ Factumque est ista. Et ecce post modicum tempus optime instructos remisit ad Karolum. Qui unum secum retinuit, alterum vero petente filio suo Trougone, Mettensi episcopo, ad ipsam direxit ecclesiam. Cuius industria non solum in eodem loco pollere, sed et totam Franciam in tantum coepit propagari, ut nunc usque apud eos, qui in his regionibus Latino sermone utuntur, ecclesiastica cantilena dicatur „Mettensis“, apud nos autem, qui Theutonica sive Teutisca lingua loquimur, aut vernaculae „met“ aut „mette“ vel secundum Graecam derivationem usitato vocabulo „mettisca“ nominetur.

Text II: (fortgeführt)

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   137

Dicebant se Galli melius cantare et pulchrius quam Romani, dicebant se Romani doctissime cantilenas ecclesiasticas proferre, sicut docti fuerant a sancto Gregorio papa, Gallos corrupte et cantilenam sanam destruendo dilacerare.

Que contentio ante domnum regem Karolum pervenit. Galli vero propter securiatem domni regis Karoli valde exprobrabant cantoribus Romanis, Romani vero propter auctoritatem magnae doctrinae eos stultos et rusticos et indoctos velut bruta animalia adfirmabant, et doctrinam sancti Gregorii preferebant rusticitate eorum. Et cum altercatio de neutra parte finiret, ait domnus piissimus rex Karolus ad suos cantores: „Dicite palam quis purior est et quis melior, aut fons vivus aut rivuli eius longe decurrentes?“ Responderunt omnes una voce, fontem velut caput et originem puriorem esse, ruvulos autem eius, quanto longius a fonte recesserint,

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Et reversus est piissimus Karolus et celebravit Rome Pascha cum domno Apostolico. Ecce orta est contentio per dies festos Pasche inter cantores Romanorum et Gallorum.

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787 Apr. 8

Die Gallier sagten von sich, sie sängen besser und schöner als die Römer; die Römer sagten von sich, sie trügen die kirchlichen Gesänge aufs kundigste vor, so wie sie von dem heiligen Papst Gregor gelehrt worden waren, die Gallier (sängen) verderbt und zerfleischten den gesunden Gesang zerstörerisch. Dieser Streit kam vor den Herrn König Karl. Die Gallier aber, um den Herrn König Karl in Sicherheit zu wiegen, machten den römischen Sängern schwere Vorwürfe; die Römer aber wegen der Gewähr der größeren Lehre erklärten jene für dumm und ungeschliffen und unwissend wie wilde Tiere und sagten, sie zögen die Lehre des heiligen Gregors deren Plumpheit vor. Und um das Gezänk von neutralem Standpunkt aus zu beenden, sprach der frömmste Herr König Karl zu seinen Sängern: „Sagt offen, was ist reiner und was besser, der lebendige Quell oder seine lang hinabrinnenden Bäche?“ Sie antworteten alle einhellig, dass die Quelle als Haupt und Ursprung reiner sei, ihre Bäche aber, je weiter sie sich von der Quelle entfernen,

Und der frömmste Karl kehrte zurück und feierte in Rom das Osterfest mit dem Papst. Und da erhob sich ein Streit während der Osterfesttage zwischen den Sängern der Römer und der Gallier.

Text III: Ademar von Chabannes († 1034): Historia [Francorum] = Chronicon (1025–1028)

138   Andreas Haug

und alle Sänger des Frankenlandes lernten die Notation, die man die fränkische Notation nennt, außer dass die Franken die bebenden und lieblichen und stoßenden und schneidenden Töne im Gesang nicht vollkommen auszudrücken vermochten, die mit ihrer von Natur aus barbarischen Stimme die Töne in der Kehle mehr brachen als ausdrückten.

die das Frankenland im Gesang berichtigten. Jener gab ihm Theodoricus und Benedictus, bestens ausgebildete Sänger der römischen Kirche, die vom heiligen Gregor erzogen worden waren, und gab ihnen Antiphonare des heiligen Gregor mit, die dieser selbst in römischer Notation notiert hatte. Der Herr König Karl aber kehrte zurück ins Frankenland, sandet einen Sänger in die Stadt Metz, den anderen in die Stadt Soisson, und wies aus allen Städten des Frankenlands die Schulmeister an, ihnen ihre Antiphonare zum Verbessern zu geben und von ihnen das Singen zu erlernen. Und somit wurden die Antiphonare der Franken verbessert, die ein jeder nach seinem Gutdünken verfälscht hatte durch Hinzufügen oder Weglassen;

et omnes Franciae cantores didicerunt notam, quam vocant notam franciscam, excepto quod tremulas vel vinnolas sive collisibiles vel secabiles voces in cantu non poterant perfecte exprimere Franci, naturali voce barbarica, frangentes in gutture voces potius quam exprimentes.

Bald erbat der Herr König Karl von Papst Hadrian Sänger,

qui Franciam corrigerunt de cantu. 12 At ille dedit ei Theodoricum et Benedictum Romanae ecclesiae doctissimos cantores qui a sancto Gregorio eruditi fuerant, tribuitque antiphonarios sancti Gregorii quos ipse notaverat nota romana. 13 Domnus vero rex Karolus revertens in Franciam, misit unum cantorem in Metis civitatem, alterum in Suessionis civitatem, precipiens de omnibus civitatibus Franciae magistros scolae antiphonarios eis ad corrigendum tradere et ab eis discere cantare. 14 Correcti sunt ergo antiphonarii Francorum quos unusquisque pro arbitrio suo viciaverat vel addens vel minuens,

denn offenbar habt ihr den kirchlichen Gesang verdorben.“

11 Mox petiit domnus rex Karolus ab Adriano papa cantores

„Lasst uns zurückkehren zur Quelle des heiligen Gregor,

quia manifeste corrupistis cantilenam ecclesiasticam.“

Und der Herr König Karl sagte:

desto aufgewühlter und schmutziger und verunreinigter und verdorbener.

„Revertimini vos ad fontem sancti Gregorii,

10 Et ait domnus rex Karolus:

tanto turbulentos et sordibus et immundiciis corruptos.

Text III: (fortgeführt)

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   139

So behielt aber die führende Rolle im Singen die Stadt Metz inne, und um soviel die römische führende Rolle in der Kunst des Singens die von Metz übertraf, um soviel übertraf der Metzer Gesang die anderen Schulen der Gallier. Gleichermaßen bildeten die römischen Sänger die Sänger der Franken in der Kunst des zweistimmigen Singens aus.

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Metensem aecclesiam ut priores adituri.

Mittuntur secundum regis peticionem Petrus et Romanus et cantuum et VII libe|ralium artium paginis admodum inbuti

1 Karolus imperator cognomine Magnus cum esset Romae, aecclesias cisalpinas videns Romane aecclesiae multimodis in cantu, ut et Iohannes scribit, dissonare, rogat papam tunc secundo quidem Adrianum, cum defuncti essent, quos ante Gregorius miserat, ut item mittat Romanos cantuum gnaros in Franciam.

Als Kaiser Karl mit dem Beinamen der Große in Rom war, bemerkte er, dass die Kirchen diesseits der Alpen, im Gesang in vieler Hinsicht von der römischen – wie auch Johannes schreibt – abwichen; er bat ein zweites Mal den Papst, damals Hadrian, dass er ihm des Gesanges kundige Römer ins Frankenreich entsenden möge, nachdem diejenigen gestorben seien, die zuvor Gregor geschickt hatte. Gemäß der Bitte des Königs wurden Petrus und Romanus geschickt; sie waren sowohl in der Kunst des Gesangs als auch in den sieben freien Künsten gut ausgebildet, und wie die vorigen sollten sie an die Kirche von Metz kommen.

Text IV: Ekkehard IV. von Sankt Gallen (†1057): Casus sancti Galli (1034–1072), cap. 47

Paris, BNF, lat. 5927, fol. 232–232v (Mitte 11. Jh.). Text der Ausgabe Ademari Cabannensis Opera Omnia. Pars I (Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis, Band 129), Turnhout 1999, S. 88–90. 1 Karolus: Karl der Große (768–814) | 3 Gregorio: Gregor I. (590–604) | 11 Adriano: Papst Hadrian I. (772–795)

15 Maius autem magisterium cantandi in Metis civitate remansit, quantumque magisterium Romanum superat Mentense in arte cantilenae, tanto superat Metensis cantilena ceteras scolas Gallorum. 16 Similiter erudierunt Romani cantores supradicti cantores Francorum in arte organandi.

Text III: (fortgeführt)

140   Andreas Haug

Qui cum in Septimo lacuque Cumano aere [&re ms] Romanis contrario quaterentur, 3 Romanus febre correptus vix ad nos usque venire potuit. Antiphonarium vero secum, Petro renitente, vellet nollet, cum duos haberet, unum sancto Gallo attulit. 4 In tempore autem domino se iuvante convaluit. Mittit imperator celerem quendam, qui eum, si convalesceret, nobiscum stare nosque instruere iuberet. 5 Quod ille quidem patrum hospitalitati regratiando libentissime fecit. 6 „Quatuor“, inquiens, „mercedes vos, sancti domini, in me uno acquisistis. Hospes erat, et in me eum collegistis; infirmus, et visitastis. Esurivit in me, et dedistis mihi in eo manducare; sitivit, et dedistis ei bibere.“ 7 Dein uterque fama volante studium alter alterius cum audisset, emulabantur pro laude et gloria naturali gentis sue more, ut alterum transcenderet. 8 Memoriaque est dignum,

Text IV: (fortgeführt) Da ihnen auf dem Septimer und dem Comersee das Römern abträgliche Klima zusetzte, vermochte Romanus, von Fieber befallen, kaum bis zu uns zu gelangen. Das eine Antiphonar aber, brachte er – mochte sich dem Petrus widersetzen oder nicht –, da er zwei besaß, mit sich zum Heiligen Gallus. Mit der Zeit genas er, da der Herr ihm beistand. Der Kaiser sandte einen Boten, der ihn anwies, falls er genesen sollte, bei uns zu bleiben und uns zu unterrichten. Und so die Gastfreundschaft der Väter vergeltend tat er das gern. „Vierfachen Lohn“, sprach er, „habt ihr euch, ihr Heilige des Herrn, allein an mir erworben. Er war fremd, und ihr habt ihn in mir aufgenommen; krank, und ihr habt ihn besucht; er war hungrig in mir, und ihr habt ihm zu essen gegeben; durstig, und ihr habt ihm zu trinken gegeben.“ Als danach die beiden durch das fliegende Gerücht vom Eifer des je anderen hörten, wetteiferten sie um Ruhm und Ehre nach der natürlichen Art ihres Volks, dass jeder den andern überbiete. Es ist der Erinnerung wert,

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   141

quem ipse attulit exemplato antiphonario. 17 In quo usque hodie, in cantu si quid dissentitur, quasi in speculo error eiusmodi universus corrigitur.

14 Romane sedis honorem sancti Galli cenobio ita quidem inferre curavit. 15 Erat Rome instrumentum quoddam et theca ad antiphonarii authentici publicam omnibus adventantibus inspectionem, repositorium quod a cantu nominabant cantarium. 16 Tale quidem ipse apud nos ad instar illius circa aram apostolorum cum authentico locari fecerit,

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quantum hac emulatione locus uterque profecerit et non solum in cantu, sed et in ceteris doctrinis excreverit. Fecerat quidem Petrus ibi iubilos ad sequentias, quas metenses vocat. Romanus vero Romane nobis econtra et Amene de suo iubilos modulaverat. Quos quidem post Notker, quibus videmus, verbis ligabat. Frigdore | autem et Occidentanae, quas sic nominabat, iubilos, illis animatus, etiam ipse de suo excogitavit. Romanus vero, quasi nostra prae Mentensibus extollere fas fuerit,

Text IV: (fortgeführt) wie sehr dank dieses Wetteiferns die beiden Orte gediehen und sich nicht nur im Gesang, sondern auch auf anderen Gebieten entfalteten. Es schuf Petrus dort [in Metz] Sequenzmelismen, die er metzische nannte. Romanus aber formte umgekehrt für uns aus eigenem Vermögen die Melismen der Romana und Amoena. Sie hat später Notker, wie wir sie sehen, mit Worten verbunden. Aber die Melismen der Frigdora und Occidentana, die er so nannte, hat er [Notker], durch jene angeregt, gleichfalls aus eigenem Vermögen selbst erdacht. Romanus aber, als wäre ihm vom Schicksal bestimmt gewesen, unser Ansehen über das der Metzer zu erhöhen, ließ die Zierde des römischen Sitzes folgendermaßen in das Kloster des Heiligen Gallus bringen. Es gab in Rom eine Vorrichtung und Ablage, um in das urschriftliche Antiphonar allen, die dahinkamen, öffentlichen Einblick zu geben, ein Pult, das von „cantus“ „cantarium“ genannt wurde. Genau eine solche Vorrichtung ließ er [Petrus] bei uns neben dem Altar der Apostel aufstellen, mit der Urschrift [des Antiphonars] darauf, von dem er selbst eine Abschrift hergebracht hatte. Und darin wird bis heute, wenn im Gesang etwas nicht übereinstimmt, gleichsam wie in einem Spiegel, jede Art von Irrtum richtiggestellt.

142   Andreas Haug

In ihm hat Romanus sich als erster ausgedacht, bedeutungstragende Buchstaben aus dem Alphabet an den Notenzeichen, wie man sieht, sei es oberhalb, sei es unterhalb, sei es davor, sei es danach anzubringen. Diese [Buchstaben] hat später Notker der Stammler einem darum bittenden Freund erklärt, wie auch Martianus, den wir seiner Nuptiae wegen bewundern, ihre Eigenschaften zu beschreiben versuchte.

Francorum gens haec audiens, magno gavisi sunt gaudio. Karolus cum suis obviam eius adventum pedibus venerunt, Ei optimum consedere locum fecerunt, civitatem quae dicitur Meties. Qui ibidem per annos tres resedentes,

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Als das Volk der Franken das hörte, freuten sie sich sehr. Sie kamen Karl und sein Gefolge ihm zu Fuß entgegen. Sie ließen ihn am besten Ort sich niederlassen, in der Stadt namens Metz. Dort residierten sie drei Jahre lang,

Zu dieser Zeit stand Papst Leo der römischen Kirche vor, und er erlitt vielerlei Unterdrückung durch die Langobarden. Er verließ seinen Sitz und zog sich ins Frankenreich zurück mit vielen seiner hervorragenden Gelehrten, vor allem Sängern.

Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden 

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His temporibus ecclesiae Romanae Leo papa regebat, et oppressiones a Langubardis multa patiebat. Ex sede propria exiens Francia repedavit cum multis sapientissimis ars litterarum, maxime cantores.

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Text V: Andreas von Bergamo (2. Hälfte des 9. Jh.s): Historia [Langobardorum] (nach 877)

Sankt Gallen, Stiftsbibliothek, Codex 615, pag. 141–143 (Sankt Gallen, 12. Jh.)

cum et Martianus, quem Nuptiis miramur, virtutes earum scribere molitus sit.

notulis, quibus visum est, aut susum, aut iusum, aut ante, aut retro assignari excogitavit. 19 Quas poestea cuidam amice querenti Notker Balbulus dilucidavit,

18 In ipso quoque primus ille literas alphabeti significativas

Text IV: (fortgeführt)

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und dort leisteten die Sänger so Großartiges, dass im ganzen Frankenreich und in fast ganz Italien viele Städte bis heute (zur) Zierde der Kirche übereinstimmend singen.

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Hadrian, der 108. Papst, regierte 5 Jahre; er war gebürtiger Römer, sein Vater war Iulius. Er veranlasste viel wertvollen Schmuck für die Kirchen. Er stärkte das Gregorianische Antiphonar wie schon der frühere Hadrian an vielen verschiedenen Orten, und er führte ein, dass ein zweiter Prolog in Hexameter-Versen zur Hauptmesse am ersten Sonntag im Advent gesungen werde, der gleich begann wie der Prolog des früheren Hadrian, von dem jener strengstens verfügt hatte, dass man ihn zu allen Messen an diesem ersten Sonntag im Advent singen solle; doch bestand dieser aus mehr Versen. Er führte ein, dass in Klöstern zur Hauptmesse

Adrianus papa CVIII sedit ann. V, natione Romanus, patre Iulio. Hic ecclesiis ornamenta multa preciosa superadministravit. Hic antiphonarium Gregorianum

sicut anterior Adrianus diversa per loca corrobavit et secundum prologum versibus exametris ad missam maiorem in die primo adventus domini nostri Iesu Christi decantandum instituit, similiter incipit sicut anterioris Adriani proemium quod ille ad omnes missas in eadem dominica prima adventus domini decantandum strictissimum confecerat; sed pluribus iste constat versibus. Hic constituit per monasteria ad missam maiorem

Text VI: Ademar von Chabannes († 1034): Interpolation zur Vita Papst Hadrians II. im Liber pontificalis

Sankt Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, Ms. 317, fol. 79v–80 (Sankt Gallen, spätes 9. Jh.) Vgl. MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX, S. 224. 2 repedavit] repetavit | 5 optimum] obtimum | 6 ornamentum] ornamentum ornamentum 1 Leo: Leo III. (795–816) fälschlich anstelle von Stephan II. (768–772). | 4 Karolus: Karl der Große (768–814) fälschlich anstelle von Pippin III. (741–768).

tanta quidem dignitatem cantores ibi fecerunt, ut per totam Franciam Italiamque pene multae civitates ornamentum ecclesiae usque hodie consonant.

Text V: (fortgeführt)

144   Andreas Haug

hervorgehobener Feste nicht nur zum Engelshymnus „Gloria in excelsis deo“ eingeschobene Hymnen gesungen werden, die man Laudes nennt, sondern auch, dass zu den Psalmen Davids, die man Introitus nennt, eingeschobene Gesänge gesungen werden, welche die Römer Fest-Laudes, die Franken Tropen nennen, was figürliche Ornamente zum Lobe Gottes bedeutet. Auch Melodien, die vor dem Evangelium zu singen sind, führte er ein, die Sequenzen (Folgen) heißen, weil auf sie das Evangelium folgt. Und weil diese Festgesänge von Papst Gregor I. und hernach von Hadrian gleichzeitig mit Abt Alkuin, dem vom großen Kaiser Karl Geschätzten, eingeführt und zusammengestellt worden waren, und sie, obschon der genannte Kaiser Karl sich sehr an ihnen erfreute, nun von der Nachlässigkeit der Sänger übergangen zu werden scheinen, wurden sie vom heiligen Bischof selbst, von welchem wir hier sprechen, derart verstärkt zum Lob und zur Ehre unseres Herrn Jesus Christus, dass durch die Sorgfalt gelehrter Leute mit dem Antiphonar zugleich auch das Tropar an Festtagen zur Hauptmesse voller würdiger Gesänge war.

Paris, BNF, lat. 2400, fol. 151 (Autograf Ademars). Wiedergabe nach der Ausgabe: Le liber pontificalis: Text, introduction et commentaire, ed. Louis Duchesne, Paris 21955–57, Band I, S. CLXXXII. 1 Adrianus: Papst Hadrian II. (868–872) | 3 anterioris Adriani: Papst Hadrian I. (772–795) | 9 Gregorio primo: Papst Gregor I. (590–604). Alcuino: Alkuin (um 730–804). Caroli: Karl der Große (768–814).

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in sollempnitatibus praecipuis non solum in himno angelico „Gloria in excelsis deo“ canere himnos interstinctos quos „laudes“ appellant, verum etiam in psalmis daviticis quos „introitos“ dicant, inserta cantica decantare, quae Romani „festivas laudes“, Franci „tropos“ appellant, quod interpretatur figurata ornamenta in laudibus dei. Melodias quoque ante evangelium concindendas tradidit quas dicunt sequentias quia sequitur eas evangelium. Et quia a domno papa Gregorio primo et postmodum ab Adriano una cum Alcuino abbate, delicioso magni imperatoris Caroli, hae cantilenae festivales constitutae ac compositae fuerant, multum in his delectato supradicto Caesare Carolo, sed neglegentia cantorum iam intermitti videbantur, ab ipso almifico praesule de quo loquiumur ita corrobatae sunt ad laudem et gloriam domini nostri Iesu Christi, ut diligentia studiosorum cum antiphonario simul deinceps et troparius in sollempnibus diebus ad missam maiorem cantilenis frequentetur honestis .

Text VI: (fortgeführt)

 Roms Gesang und die Gemeinschaften im Norden   145

Uta Goerlitz

Perspektivierung – Differenzierung. Voraussetzungen und Spezifika der frühen Verwendung von diut(i)sch in der deutschen Literatur des Mittelalters: Forschungsimpulse der Germanistischen Mediävistik Die Geschichte der heutigen Volks- und auch Sprachbezeichnung deutsch mit ihren frühen Vorläufern sowie die Untersuchung des betreffenden Wort- und Begriffsfeldes gehören zu denjenigen Forschungsgegenständen der Germanistik, die bis heute immer wieder diskutiert werden.1 Größere Klarheit konnte dabei erst in den drei letzten Jahrzehnten aufgrund wesentlich veränderter theoretischer Ansätze und methodischer Zugriffsweisen in den beteiligten Sprach- und Literatur- sowie Geschichtswissenschaften erlangt werden, deren enge Zusammenarbeit auf diesem Gebiet in besonderer Weise gefordert ist. Dabei hat sich gezeigt, wie tiefgreifend der semantische Wandel auf dem Weg vom (west-)germanischen Sprachadjektiv *theodisk zum Ethnonym deutsch der Gegenwart ist und wie sehr er in der Neuzeit den Blick auf die Geschichte von Wort und Begriff deutsch verstellt hat, angefangen von den Reflexionen der deutschen Humanisten um 1500 zur Sprache und Kultur ihrer Vorfahren über die historisch-philologische Forschung des 19. Jahrhunderts bis weit in das 20. Jahrhundert hinein und außerhalb der Fachkreise darüber hinaus bis heute. Im folgenden Beitrag zur Tagung Nationes, Gentes und Musik im Mittelalter, die nach der Funktion mittelalterlicher „Gemeinschaftsbegriffe mit regionaler Komponente“ fragt, liegt der Fokus aus sprach- und literaturwissenschaftlicher Sicht auf einigen Voraussetzungen und Spezifika der Verwendung von diut(i)sch bzw. seinen Vorläufern in der deutschen Literatur des frühen und hohen Mittel-

1  Zu nennen sind hier und zum Folgenden u. a. die wegweisenden zeitübergreifenden Sammelbände von Andreas Gardt (Hg.), Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin und New York 2000, und von Heinrich Beck u. a. (Hg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanisch – deutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen, Berlin und New York 2004 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 34). Vgl. desweiteren unten, vor allem Anm. 27. – Für die freundliche Gegenlektüre des vorliegenden Beitrags danke ich Wolfgang Haubrichs.

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 Uta Goerlitz

alters von den Anfängen bis um 1100.2 Den Ausgangspunkt bilden einige Äußerungen deutscher Gelehrter im Zeitalter des Humanismus über die vermeintlich „deutschen“ Schriftsteller der Karolingerzeit, die auf die angesprochenen Probleme des semantischen Wandels und seiner Erforschung verweisen. Es folgt eine grobe Skizze des heutigen Kenntnisstandes zur (Vor-)Geschichte von diut(i)sch im Interferenzfeld von Volkssprache und Latinität für die Zeit bis ins 11. Jahrhundert. Anschließend wird das Annolied in den Fokus gerückt, in dem die vieldiskutierten Frühbelege zu diut(i)sch aus der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert enthalten sind. Zu ihrer Interpretation ist die Zusammenführung unterschiedlicher sprach- und textanalytischer Ebenen notwendig, was zugleich eine historisch kontextualisierte Erweiterung der linguistischen Problematik um eine literaturwissenschaftliche Perspektive impliziert. Daraus ergeben sich methodische Impulse auch über den engeren fachlichen Rahmen der Germanistischen Mediävistik hinaus. Kurz vor der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert verfasste der Sponheimer Benediktinerabt Johannes Trithemius unter dem Einfluss des Humanismus einen lateinischen Schriftstellerkatalog, den man nicht unzutreffend als die „ ‚erste deutsche Literaturgeschichte‘ “3 bezeichnet hat. Sie erschien 1495 unter dem programmatischen Titel Cathalogus illustrium virorum germaniam suis ingenijs et lucubrationibus omnifariam exornantium.4 Der benediktinische Humanist verzeichnet darin, angefangen mit einem von ihm im 4. Jahrhundert

2  Zur Periodisierung der deutschen Literatur des Mittelalters vgl. in diesem Zusammenhang etwa die von Joachim Heinzle herausgegebene Reihe: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, Bd. 1: Von den Anfängen zum hohen Mittelalter, Teil 1: Wolfgang Haubrichs, Die Anfänge: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700–1050/60), 2., durchges. Aufl., Tübingen 1995, und Teil 2: Gisela Vollmann-Profe, Wiederbeginn volkssprachiger Schriftlichkeit im hohen Mittelalter (1050/60–1160/70), 2., durchgesehene Aufl., Tübingen 1994. 3  Klaus Arnold, Johannes Trithemius (1462–1516), 2., bibl. und überlieferungsgesch. neu bearb. Aufl., Würzburg 1991 (Quellen und Forschungen zur Ge­schichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23), S. 132. Vgl. ders., „De viris illustribus. Aus den Anfängen der humanistischen Literaturge­schichtsschreibung: Johannes Trithemius und andere Schriftstellerkataloge des 15. Jahrhunderts“, in: Humanistica Lovaniensia 42 (1993), S. 52–70. 4  Johannes Trithemius, Cathalogus illustrium virorum germaniam suis ingenijs et lucubrationibus omnifariam exornantium […], [Mainz: Peter Friedberg, nach 14. VIII. 1495] (H 15615/ GW M47516), im Folgenden zitiert als Cat. ill. vir. nach dem digitalisierten Exemplar in der Herzog AugustBibliothek Wolfenbüttel: [URL: http:// diglib.hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm] (Permalink). Siehe auch den Nachdruck Catalogus illustrium virorum germaniam […] exornantium […], in: Johannis Trithemii Spanheimensis […] Opera historica […], Bd. 1, hg. von Marquard Freher, Frankfurt a. M. 1601 (Nachdr. Frankfurt a. M. 1966), S. 121–183. Vgl. dazu Arnold, Johannes Trithemius (wie Anm. 3), S. 132–137.



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angesiedelten Mainzer Bischof Maximus, all jene scriptores, die moribus tamen et lingua germani sunt und die mit ihren Werken die literarisch-kulturelle Leistung germanice nationis (fol. ij v) belegt hätten.5 Unter den frühmittelalterlichen Autoren, die in dem Cathalogus aufgeführt sind, findet sich unter anderen auch ein von Trithemius hervorgehobener musicus und poeta (fol. vj v), der bis heute berühmte Notker I. von St. Gallen (Notker Balbulus bzw. Notker der Stammler, ca. 840–912).6 Trithemius streicht hervor, dass er Notkers opus originale prosarum siue sequentiarum, den kunstvollen Liber Ymnorum, gesehen habe (Vidi, fol. vijr), und mit Stolz auf die Leistungen des illustren vir Germaniae erläutert er, dass der Dichter aus St. Gallen multos et varios hymnos, cantus, antiphonas et responsoria que vsque hodie in ecclesie dei frequentantur laudibus (ebd.) verfasst habe.7 Nicht minder beeindruckt geht der Sponheimer Abt in einem anderen Abschnitt seines Cathalogus auf Notkers älteren Zeitgenossen Otfrid von Weißenburg (um 800–um 870) ein:8 Otfrid knüpfte in seinen Augen in vorbildlicher Weise an die Bemühungen Karls des Großen um die Beseitigung der barbaries theotonice nostre lingue an und schuf multa et miranda lingua materna […] metro seu carmine (fol. vij v).9 Seine Werke seien bewunderns- und lesenswert, weil Otfrid damit in theotonico sermone orthografische und grammatikalische Regeln aufgestellt habe et quasi

5  Johannes Trithemius, prefatio zum Cat. ill. vir. (wie Anm. 4) an Jakob Wimpfeling, ebd. [URL: http:// diglib.hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00028]. 6  Siehe hier und im Folgenden den Abschnitt des Cat. ill. vir. (wie Anm. 4) zu Notker I. von St. Gallen, [URL: http:// diglib.hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00036] und [URL: http:// diglib.hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00037]. 7  Im obigen Zusammenhang ist Notker Balbulus auch wegen einer aus dem Rahmen fallenden, frühen Verwendung des zu seiner Zeit im mittelalterlichen Sprachgebrauch noch neuartigen Adjektivs teutonicus in einem erweiterten, nicht mehr nur sprachbezogenen „geografischen“ Sinn zu erwähnen; vgl. den Fließtext unten bei Anm. 43ff. (Zitat: Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, 2., verb. Aufl., Köln und Wien 1995, S. 208f.; vgl. Ingo Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, hg. von Werner Besch u. a., 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl., Bd. 3, Berlin und New York 2003 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2,3), S. 2191–2205, hier S. 2196). 8  Im digitalisierten Exemplar des Cat. ill. vir. (wie Anm. 4) abrufbar unter [URL: http:// diglib. hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00038] und [URL: http:// diglib.hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00039]. 9  Vgl. den Abschnitt des Cat. ill. vir. (wie Anm. 4) zu Karl dem Großen, fol. iiij vf. [URL: http:// diglib.hab.de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00032] und [URL: http:// diglib.hab. de/ inkunabeln/ 115-4-quod-4/ start.htm?image=00033]).

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in versibus pedes et numeros custodiuit, d. h. „in seiner Verstechnik in gewisser Weise metrische und rhythmische Gesetze“10 befolgt habe (fol. viij r).11 Der benediktinische Humanist wendet sich mit seinem Cathalogus illustrium virorum Germaniam exornantium gegen das italienische Barbarenverdikt, zu dessen Abwehr Jakob Wimpfeling im vorangestellten Brief von 1492 auf die alten Handschriftenschätze in Germanorum bibliothecas12 verweist. Analog zu den Ausführungen des Johannes Trithemius über Notker hebt Wimpfeling mit Bezug auf mittelalterliche Handschriften im Kloster St. Gallen hervor: quorum auctores fuerunt Theutones und ergänzt: Non defuerunt Caroli Magni filiorumque eius temporibus Germanie doctissimi viri.13 Die beiden bekannten Gelehrten der Frühen Neuzeit verwenden hier Volks-, Sprach- und Landesbezeichungen, die für den Diskurs der Humanisten über die deutsche Nation und deren Geschichte und Kultur bezeichnend sind.14 In

10  So die Übersetzung der an dieser Stelle gleichlautenden Passage zu Otfrid aus Johannes Trithemius’ Liber de scriptoribus ecclesiasticis (1494) von Theresia Payr: „Otfrid (1494/1495/1559)“, in: Otfrid von Weißenburg, hg. von Wolfgang Kleiber, Darmstadt 1978 (Wege der Forschung 419), S. 10–17, hier Nr. II, S. 15. 11  Vgl. zur Otfrid-Rezeption bei Johannes Trithemius im obigem Zusammenhang grundlegend Ernst Hellgardt, „…nulli suo tempore secundus. Zur Otfridrezeption bei Johannes Trithemius und im 16. Jahrhundert“, in: Sprache – Literatur – Kultur. Studien zu ihrer Ge­schichte im deut­schen Süden und Westen. Wolfgang Kleiber zu seinem 60. Geburtstag gewidmet, hg. von Albrecht Greule und Uwe Ruberg, Stuttgart 1989, S. 355–375, und in letzter Zeit vor allem Norbert Kössinger, Otfrids „Evangelienbuch“ in der Frühen Neuzeit. Studien zu den Anfängen der deutschen Philologie, Tübingen 2009 (Frühe Neuzeit 135), besonders S. 3–8 und S. 21–32. 12  „Epistola magistri Iacobi Vympfelingi Sletstetensis ad reuerendum patrem dominum Joannem Tritemium abbatem Spanhemensem in addiciones cathalogi Germanorum“, dat. Speyer, 17. IX. 1492, in: Johannes Trithemius, Cat. ill. vir. (wie Anm. 4), fol. O Ir–O IIIv, hier zitiert nach der Ausgabe: Jacob Wimpfeling, Briefwechsel. Erster Teilband, eingeleitet, kommentiert und hg. von Otto Herding und Dieter Mertens, München 1990 (Jacobi Wimpfelingi opera selecta III,1), Nr. 33, S. 201–209, hier S. 205 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 13  Ebd. in Bezug auf St. Gallen zitiert Wimpfeling Enea Silvio Piccolomini, siehe den Nachweis in der Ausgabe ebd., Anm. 7. 14  Angesichts der Fülle an Literatur zu diesem Thema beschränke ich mich im Folgenden auf die unmittelbaren Nachweise und nenne daneben im obigen Kontext nur ganz wenige ausgewählte, weiterweisende Arbeiten der letzten rund zehn Jahre: Herfried Münkler u. a., Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland, Berlin 1998 (Politische Ideen 8), S. 163–308; Joachim Knape, „Humanismus, Reformation, deutsche Sprache und Nation“, in: Nation und Sprache (wie Anm. 1), S. 103–138; Dieter Mertens, „Die Instrumentalisierung der Germania des Tacitus durch die deutschen Humanisten“, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch – deutsch“ (wie Anm. 1), S. 37–101; Caspar Hirschi, Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Göttingen 2005, S. 251–301; und Uta Goerlitz, Literarische Konstruktion (vor-)nationaler



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den Jahrzehnten um 1500 vollzog sich in der Ausbildung eines deutschen Nationsbewusstseins ein großer „Schub“ im Sinne einer „aktive[n] Phase[ ]“,15 die weitreichende Auswirkungen hatte. Der Begriff der deutschen Nation erweiterte sich politisch zur „Reichsnation“; gleichzeitig wurde er sprachlich-kulturell aufgeladen sowie historisch fundiert.16 Mit diesem Prozess ging die programmatische Gleichsetzung der Deutschen der Gegenwart mit den Germanen der Antike einher. Während die Bezeichnungen Germani und Germania im Mittelalter im Anschluss an den seit Caesar üblichen antiken Wortgebrauch insbesondere von der Kirche stets mit „strikt geographische[m]“17 Bezug auf die Gebiete östlich des Rheins verwendet wurden, erhielten sie nun eine neue Dimension. Dementsprechend wurde der mittelalterliche Sprach- und Volksname Teutonici oder Teutones durch den antiken Namen Germani ersetzt. Parallel dazu erfolgte die Ablösung auch des Adjektivs Teutonicus durch Germanicus. Bei Johannes Trithemius ist sie deutlich im Nebeneinander der Ausdrücke sermo teutonicus im Cathalogus illustrium virorum Germaniam exornantium und an anderer Stelle entsprechend lingua germanica erkennbar18 – wobei es ebenso ungewöhnlich wie für seine Zeit innovativ ist, dass der benediktinische Humanist in seinem auf Schriftsteller der Germania konzentrierten Cathalogus ansatzweise wie hier auch volkssprachiges Schrifttum würdigt.19

Identität seit dem „Annolied“. Analysen und Interpretationen zur deutschen Literatur des Mittelalters (11.-16. Jahrhundert), Berlin und New York 2007 (Quellen und Forschungen zur Literaturund Kulturgeschichte 45), S. 287–315. 15  Karl Ferdinand Werner, „Volk, Nation, Nationalismus, Masse. [Abschnitt:] Mittelalter“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner u. a., Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 161–281, hier S. 243. Mit Werner können im „langwierigen Prozeß der Ausbildung einer [supragentilen] deutschen Großnation […], was ihre Bewußtwerdung angeht, drei ‚Schübe‘, aktive Phasen“ unterschieden werden, die von 1050 bis 1250, von 1450 bis 1550 und „seit 1750/1800“ anzusetzen sind (ebd.). 16  Siehe Bernd Schönemann, „Volk, Nation, Nationalismus, Masse. [Abschnitt:] Frühe Neuzeit und 19. Jahrhundert“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. von Brunner u. a. (wie Anm. 15), S. 281–380, hier S. 282. Vgl. Richard Stauber, „Nationalismus vor dem Nationalismus? Eine Bestandsaufnahme der Forschung zu ‚Nation‘ und ‚Nationalismus‘ in der Frühen Neuzeit“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47,3 (1996), S. 139–165, hier S. 144. 17  Karl Ferdinand Werner, „Deutschland. A. Begriff; geographisch-historische Problematik; Entstehung“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München und Zürich 1986, Sp. 781–789, hier Sp. 783. Vgl., auch im Folgenden, Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2199. 18  Siehe Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2199. 19  Vgl. außer den oben, Anm. 11, genannten Titeln auch Ernst Hellgardt, „Originalität und Innovation. Konzepte der Reflexion auf Sprache und Literatur der deutschen Vorzeit im 16. Jahrhundert“, in: Innovation und Originalität, hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübin-

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In den folgenden Jahrhunderten „gewann“ der „neue[ ], geographisch engere[ ] Begriff von der Nation als Sprach- und Kulturgemeinschaft“, der den humanistischen Diskurs über die Deutschen prägte, „an Boden“.20 Im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert verband er sich mit dem durch Johann Gottfried Herder profilierten Begriff des Volkes im Sinne eines natürlichen „Kollektivindividuums“21 und erhielt im Gefolge der Französischen Revolution und der Eroberungspolitik Napoleons zusätzlich eine staatspolitische Dimension, die die Forderung nach Verwirklichung implizierte. Die Gleichsetzung von Germanen und Deutschen bekam dadurch eine neue Dynamik, und humanistische Geschichtskonstruktionen um die Teutones oder Teutschen des Altertums und deren vorgeblichen Heros Eponymos Teutanes oder Teuto – seinerseits Nachkomme eines in der Bibel unbekannten Adoptivsohnes des Noah namens Tuisco(n) oder, in einer deutschen Variante, Tuitscho – erhielten neue Geltung.22 Entsprechend anachronistisch interpretierte man seit den Anfängen der Germanistik die frühesten Belege zur Geschichte von Wort und Begriff deutsch. Dass es zur Zeit eines Notker I. von St. Gallen oder Otfrid von Weißenburg im 9. Jahrhundert, wie Ingo Reiffenstein es in seinem konzisen Forschungsbericht zu den Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache im Jahr 2003 formuliert hat, „noch keine d[eu]t[sche] Sprache und noch weniger Deutsche“ gab, „sondern

gen 1993, S. 162–174, sowie in letzter Zeit weiterweisend: Norbert Kössinger, „Die Anfänge der Mittelalterphilologie. Zur Wiederentdeckung und Edition deutschsprachiger Texte des Mittelalters in der frühen Neuzeit. Mit einer Fallstudie zu Johann Schilters Thesaurus antiquitatum Teutonicarum (Ulm 1726–1728)“, in: Erfindung des Mittelalters, hg. von Wolfgang Haubrichs und Manfred Engel, Stuttgart und Weimar 2008 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 151), S. 32–51; Uta Goerlitz, „…sine aliquo verborum splendore… Zur Genese frühneuzeitlicher Mittelalter-Rezeption im Kontext humanistischer Antike-Transformation: Konrad Peutinger und Kaiser Maximilian I.“, in: Historiographie des Humanismus: Literarische Verfahren, soziale Praxis, geschichtliche Räume, hg. von Johannes Helmrath u. a., Berlin und Boston 2013 (Transformationen der Antike 12) S. 85–110, passim und in Bezug auf Johannes Trithemius ebd. S. 94ff., und Johannes Klaus Kipf, „Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption? Vergleichende Beobachtungen zu Rezeptionsweisen volkssprachiger und lateinischer mittelalterlicher Literatur (ca. 1450–1600)“, in: Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur, hg. von Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki, Berlin und Boston 2012 (Trends in Medieval Philology 27), S. 15–49, hier S. 31–47. 20  Stauber, „Nationalismus vor dem Nationalismus?“ (wie Anm. 16), S. 145. 21  Schönemann, „Volk“ (wie Anm. 16), S. 317; vgl. zum Folgenden ebd., S. 312–379. 22  Vgl. dazu zusammenfassend in letzter Zeit insbesondere Mertens, „Die Instrumentalisierung der ‚Germania‘ des Tacitus“ (wie Anm. 14), S. 84–91, und Hirschi, Wettkampf der Nationen (wie Anm. 14), S. 326–331, 349. Vgl. hier auch Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2198.



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[…] die gentes der Franken, Alemannen, Baiern, Thüringer, Sachsen und südlich der Alpen die Langobarden und deren je verschiedene Stammessprachen oder -dialekte“,23 stand wie auch schon für die Humanisten in der frühen Neuzeit außerhalb des Denkhorizontes – mit weitreichenden Folgen. So hat man beispielsweise im Bereich der Literaturgeschichtsschreibung erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts systematisch damit begonnen, anstatt weiterhin von der „althochdeutschen“ Literatur besser – frei von neuzeitlichen Konnotationen – von den „theodisken“ („volkssprachigen“) Literaturen des Frühmittelalters zu sprechen.24 Gleichzeitig ist von sprachhistorischer Seite in Bezug auch noch auf das hohe und späte Mittelalter hervorgehoben worden, dass entgegen einer verbreiteten, irrtümlichen Annahme „den innerhalb des deutschen Sprachraums herrschenden Sprachverhältnissen wenig nationale Einigungskraft“25 zugesprochen werden könne und die Sprache „für Kaiser und Reich keine besondere Rolle spielte“.26 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Geschichte von Wort und Begriff deutsch im Mittelalter heute deutlicher und teils auch anders dar als noch vor Kurzem.27 Sie beginnt mit dem erstmaligen Auftreten des mittellateinischen

23  Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2191. 24  So richtungsweisend z. B. die zuerst 1988 erschienene Literaturgeschichte des frühen Mittelalters von Haubrichs, Die Anfänge (wie Anm. 2). 25  Peter Wiesinger, „Regionale und überregionale Sprachausformung im Deutschen vom 12. bis 15. Jahrhundert unter dem Aspekt der Nationsbildung“, in: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hg. von Joachim Ehlers, Sigmaringen 1989 (Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter 8), S. 321–343, hier S. 336. 26  Rolf Bergmann, „Deutsche Sprache und römisches Reich im Mittelalter“, in: Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa. Internationale Tagung zur 29. Ausstellung des Europarates und Landesausstellung Sachsen-Anhalt: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters, hg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Dresden 2006, S. 162–184, hier S. 178. 27  Die folgende Darstellung resümiert den Forschungsstand nach den konzisen Bestandsaufnahmen von Wolfgang Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch – drei Ethnonyme, drei Forschungsbegriffe. Zur Frage der Instrumentalisierung und Wertbesetzung deutscher Sprach- und Volksbezeichnungen“, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch – deutsch“ (wie Anm. 1), S. 199–227; und auch Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7); für die Zeit vom 11. Jahrhundert an siehe Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), bes. auch S. 25–38 mit weiteren Literaturhinweisen. Aus der Fülle des Materials verweise ich hier außerdem insbesondere auf: Werner, „Volk“ (wie Anm. 15); Deutsch – Wort und Begriff, hg. von Wolfgang Haubrichs, Göttingen 1994 (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 94); Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 7), bes. S. 181–242; Heinz Thomas, „Sprache und Nation. Zur Geschichte des Wortes deutsch vom Ende des 11. bis zur Mitte

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Sprachadjektivs theodiscus (theudiscus, thiudiscus) im späten 8. Jahrhundert. Nach heutigem Kenntnisstand handelt es sich um ein Lehnwort, dem das lautgeschichtlich rekonstruierbare, (west-)germanische Adjektiv *theodisk zugrunde liegt;28 die volkssprachige Bezeichnung tritt in der Überlieferung aber erst spät und nur vereinzelt auf der Sprachstufe des Althochdeutschen um 1000 auf (diutisk; auch asächs. thiudisk), insbesondere bei Notker III. von St. Gallen (Notker Labeo, Notker Teutonicus),29 und danach vor allem in demgegenüber etwas erweitertem Zusammenhang am Ende des 11. Jahrhunderts im frühmittelhochdeutschen Annolied (diut[i]sch). Das Lehnwort theodiscus bedeutet wie das volkssprachige Lexem „ ‚zur theota gehörig‘ “,30 zum „Volk“ im Sinne der führenden Schichten – d. h. des jeweiligen „populus aller gentes der karolingischen Welt“31 – dies jedoch in einer ausschließlich sprachbezogenen Hinsicht in Abgrenzung von den Sprechern vor allem des Lateinischen sowie daneben insbesondere auch romanischer Sprachen: „[P]ositiv beschrieben bezog sich also theodiscus auf alle gentes, die Sprachen besaßen, die wir heute als ‚germanisch‘ bezeichnen würden.“32 Mit dieser Einschränkung auf die germanischen Sprachen kann theodiscus als appellativisches Sprachadjektiv mit supragentiler Extension mit „volkssprachig“ übersetzt werden. In entsprechender, „über den späteren

des 15. Jahrhunderts“, in: Nation und Sprache (wie Anm. 1), S. 47–101; Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, 3., um einen Nachtrag erw. Aufl., München 2010 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 31), S. 41–55, 94–104 und dazu den Forschungsnachtrag für die Jahre 1995 bis 2009, S. 111–126. 28  Bis vor rund zehn Jahren wurde dies bisweilen von historischer Seite (Heinz Thomas) bezweifelt, doch lässt sich sprachgeschichtlich rekonstruieren, dass die in den frühmittelalterlichen Texten belegte Variation von mlat. theodiscus durch die Formen theudiscus und thiudiscus „die nur althochdeutsch mögliche Lautentwicklung [eu] > [eo] > [iu]“ spiegelt, was „die Existenz eines althochdeutschen Adjektivs *theudisk > *thiudisk voraus[setzt] […]“ (Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ [wie Anm. 27], S. 201f.). Aufgrund des Lautwandels muss dieses „Adjektiv […] bereits spätestens im 7. Jahrhundert existiert haben“ (ebd., S. 202). 29  An der Existenz der volkssprachigen Bezeichnung auch schon vor der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert und dabei bereits auf früheren Sprachstufen „kann aber nicht gezweifelt werden“ (Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ [wie Anm. 7], S. 2196). Siehe außerdem ebd., S. 2197, dort auch zu Notkers III. formelhafter Wendung in diutiskun; in Bezug auf die altsächsische Isidorglosse aus Straßburg (Germania thiudisca liudi) aus der Zeit vor 1029 vgl. auch Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 99 mit Anm. 172 u. S. 302f. 30  Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ (wie Anm. 27), S. 201. Haubrichs betont in diesem Zusammenhang die eng verwandte Semantik der volkssprachigen Bezeichnung *thiudisk und des mittellateinischen theodiscus / thiudiscus, die aufgrund des „engen Kontakt[es]“ der beiden in ihrer Lautwentwicklung „interdependente[n]“ Wörter gesichert ist (ebd., S. 202). 31  Ebd., S. 202. Vgl. Werner, „Volk“ (wie Anm. 15), S. 184ff. und 214ff. 32  Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ (wie Anm. 27), S. 202.



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deutschen Sprachraum hinausweisende[r] Verwendung“33 findet sich noch im 9. Jahrhundert, um 840, bei dem Reichenauer Abt Walahfrid Strabo auch die substantivierte Sprachbezeichnung Theotisci. Gemeint sind die Sprecher germanischer Sprachen, in dem von Walahfrid angesprochenen Kontext im Besonderen des Gotischen sowie des Fränkischen, in Abgrenzung vom Lateinischen und im Weiteren auch von den Sprachen der Greci und Hebrei.34 Die supragentile Extension des Ausdrucks wird aber beispielsweise auch bei Walahfrids Zeitgenossen Otfrid von Weißenburg deutlich, dessen Leistung als solche für die volkssprachige Literatur Johannes Trithemius im oben zitierten Abschnitt völlig zu Recht herausstellt.35 Otfrids Terminologie ist oftmals missverstanden worden, doch ist sie, wie jüngst von Wolfgang Haubrichs dargelegt worden ist, sehr differenziert.36 In der lateinischen Vorrede zum althochdeutschen Evangelienbuch (Liber evangeliorum) von ca. 863/871 an den Mainzer Erzbischof Liutbert nimmt der Weißenburger Mönch mit den Adverbien theotisce und francisce auf die Sprache seiner Evangelienharmonie Bezug und verwendet damit im ersten Fall (theotisce) den supragentilen Oberbegriff, der auf das Unterfangen einer volkssprachigen Umsetzung der Evangelien als solches verweist. Im zweiten Fall (francisce) macht er dagegen vom intragentilen Unterbegriff Gebrauch, der spezifisch die fränkische Volkssprache meint.37 Auf diese bezieht sich Otfrid als Franke mit der Bezeichnung frenkisg auch in der althochdeutschen

33  Ebd., S. 211. 34  Walafrid Strabo, Libellus de exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum, hg. von Alfred Boretz und Victor Krause, Hannover 1897, Nachdr. 2001 (MGH Capitularia regum Francorum 2), S. 473–516, hier c. 7, S. 481f. Vgl. Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 7), S. 188f.: „theotisci sind für ihn [sc. Walahfrid] die ‚Volkssprachigen‘ “ (S. 188) und „beileibe nicht ‚die Deutschen‘ “ (ebd., Anm. 59); vgl. auch Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ (wie Anm. 27), S. 202 mit Anm. 14. 35  Vgl. die Zitate oben bei Anm. 9ff. 36  Siehe zum Folgenden Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ (wie Anm. 27), S. 204ff.; vgl. hier kurzgefasst auch Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2197. 37  Otfrid [von Weißenburg], Evangelienbuch, hg. von Oskar Erdmann, 5. Aufl., besorgt von Ludwig Wolff, Tübingen 1965 (Altdeutsche Textbibliothek 49), Widmungsvorrede „Ad Liutbertum“, S. 4–7, Z. 10, 56, 102 (theotisce) bzw. Z. 24 (francisce). Vgl. jetzt auch die handschriftennahe Neuausgabe des Liber evangeliorum: Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch. Bd. I: Edition nach dem Wiener Codex 2687. Teil 1: Text, Teil 2: Einleitung und Apparat, hg. von Wolfgang Kleiber und Rita Heuser, Tübingen 2004; sowie die kommentierte Übertragung von Hartmann: Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch. Bd. 1: Widmungsbriefe, Liber primus. Aus dem Althochdeutschen übertr. und mit einer Einf., Anm. und einer Auswahlbibl. versehen von Heiko Hartmann, Herne 2005.

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Vorrede zum Evangelienbuch.38 Demgegenüber kommt das theodiscus entsprechende, althochdeutsche Sprachadjektiv *thiutisg (*diutisk) in der volkssprachigen Vorrede nicht vor. Der Grund dafür liegt in den semantischen Relationen zwischen *thiutisg und frenkisg: Für die Verwendung des supragentilen *thiutisg –„volkssprachig“ gab es in der Volkssprache selbst keinen Bedarf. Aus intragentiler Perspektive, die der fränkische Autor des Evangelienbuches einnimmt, wenn er auf (Rhein-)Fränkisch schreibt (in frenkisgon bzw. in frenkisga zungun),39 erübrigt sich die supragentile Abgrenzung vom Lateinischen (und Griechischen). Aus dieser Perspektive ist Otfrid vielmehr daran gelegen, die speziellen Vorzüge der zungun der Franken (Frankono thiot) hervorzuheben.40 Haubrichs weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „[d]ie Koexistenz von supragentilem Begriff theodiscus und anderen[,] intragentilen Begriffen […] auch die Varianz“ erklärt, die „in den Außenbezeichnungen der Nachbarvölker für das ‚Deutsche‘ und die ‚Deutschen‘, die als solche noch nicht existieren, also für die theodisken gentes“, feststellbar ist.41 Die Außenbezeichnungen resultieren entweder aus der Übernahme des supragentilen theodiscus oder germ. *peudisk (> ahd. *diutisk), beispielsweise im Fall von tedesco, oder sie orientieren sich an intragentilen, teils auch „spezifisch extragentilen“42 (etwa lateinischen) Bezeichnungen einzelner gentes wie im Beispiel Sachsen, die dann in neuer, supragentiler Bedeutung verwendet werden. Zwischen dem späten 9. und dem 11. Jahrhundert wurde das lateinische theodiscus zunehmend durch das in seiner Bedeutung daran anschließende, aus dem Wortschatz der Antike übernommene Sprachadjektiv teutonicus abgelöst, das damit künftig an Stelle von theodiscus neben die volkssprachige Form

38  Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch (wie Anm. 37), I,1 „Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit“ (siehe zu den Stellennachweisen die beiden folgenden Anmerkungen). 39  Ebd. I,1, V. 34, 46, 126 bzw. V. 114, 122. 40  Ebd. I,1, V. 124f.; vgl. V. 122–126 insgesamt: „Nu frewen sih es alle, so wer so wola wolle, / joh so wer si hold in muate Frankono thiote, / Thaz wir Kriste sungun in unsera zungun, / joh wir ouch thaz gilebetun, in frenkisgon nan lobotun!“ Vgl. dazu auch Almut Schneider, „…in tiutsche sprâche rihten. Argumentationsmuster bei der Herausbildung einer eigenständigen deutschen Sprache und Literatur vom 8. bis ins 16. Jahrhundert“, in: Abgrenzung – Eingrenzung. Komparatistische Studien zur Dialektik kultureller Identitätsbildung, hg. von Frank Lauterbach u. a., Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philosophischhistorische Klasse 3, 264), S. 229–282, hier S. 233–236. 41  Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ (wie Anm. 27), S. 207. Vgl. resümierend auch Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2200f. 42  Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch“ (wie Anm. 27), S. 206; vgl. auch ebd., S. 205.



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treten sollte.43 Die appellativische Bedeutung von teutonicus, „volkssprachig“, überwog dabei „in Übereinstimmung mit theodiscus“ noch bis „weit ins 10. Jh.“44 Der erweiterte Bezug auf die germanischen Sprachen ist allerdings nur für theodiscus belegt.45 Teutonicus bezog sich demgegenüber enger „auf Varietäten des A[lt]h[och]d[eutschen] und A[lt]sächs[ischen]“.46 Seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts erfolgte dann der „Übergang des Sprachadj[ektivs] zum Sprach-und Volksnamen (Teutonici, Teutones)“.47 Wichtig ist dabei allerdings einschränkend die von der jüngeren sprachhistorischen und geschichtswissenschaftlichen Forschung hervorgehobene Beobachtung, dass die „Mehrzahl der Belege bis zum Jahr 1000 […] aus Italien [stammt] oder Italien-Bezug“hat:48 Das Gros der Belege ist aus einer Außenperspektive heraus formuliert – womit im Übrigen, das ist hinzuzufügen, nicht notwendigerweise der Standort des Verfassers gemeint sein muss, sondern aus sprach- und literaturwissenschaftlicher Sicht auch an die Möglichkeit innertextueller Perspektivierung zu denken ist.49 Welche textanalytischen Implikationen eine solche Feststellung hat, wird am Beispiel des Annoliedes noch zu sehen sein. Während des 11. Jahrhunderts „festigt sich der Gebrauch von Teutonicus (Adj. und Subst.), Teutones als Sprach- und Volksname“.50 Eine zentrale Rolle kommt dabei, wie die historische Forschung seit den 1970er Jahren herausgearbeitet und seitdem profiliert hat, der Terminologie Papst Gregors VII. im Zusammenhang des Investiturstreites zu.51 Gregor VII. verweigerte seinem Gegenspieler Heinrich IV.

43  Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2192. Eine Ausnahme bilden Glossenhandschriften, in denen theodiscus „noch bis ins 12./13. Jh.“ (ebd.) auftritt. 44  Ebd., S. 2196. 45  Ebd. Vgl. S. 2192: „Bis fast zum Ende seines Vorkommens ist theodiscus ausschließlich appellativisches Sprachadj. […]. Es bezieht sich auf Varietäten des Ahd. und Asächs. oder auf ihre Gesamtheit (in gelehrten Texten gelegentlich erweitert auf historische germ. Sprachen) und stellt die Volkssprache vor allem dem Lat. (‚nicht-lat.‘) gegenüber, auf der Ebene der Volkssprachen daneben der lingua romana ([…], so auch im Letztbeleg von ca. 1050 […]), der lingua Sclavanisca (970 […]) und seit 845 dem Langob.“; vgl. auch S. 2194: „Die Bedeutung von theodiscus ist bis ins 10. Jh. ‚germ.-volkssprachlich‘ “. 46  Ebd., S. 2196. 47  Ebd. 48  Ebd. Vgl. hierzu von historischer Seite resümierend Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches (wie Anm. 27), S. 39–48, sowie ergänzend und modifizierend den Nachtrag zur neuesten Forschung, S. 113ff. und 125f. 49  Vgl. hier Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), bes. auch S. 55–63. 50  Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2196. 51  Vgl., auch im Folgenden, den Forschungsbericht von Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches (wie Anm. 27), S. 21f., 41–48, 55–62, und dazu S. 94–100, 105–110, sowie den

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die Titulatur rex bzw. imperator Romanorum und bezeichnete ihn stattdessen betont als rex Teutonicorum oder rex Teutonicus und dessen Reich als regnum Teutonicum. Die neue päpstliche Terminologie diente dem Ziel, „Heinrich IV. auf die Ebene christlicher Nationalkönige hinabzustufen“.52 Sie beruht damit dezidiert auf einer südalpin-kurialen Außenperspektive. Aus der Binnenperspektive des vom Papst so genannten regnum Teutonicum werden dessen „Teilvölker“53 dagegen im Lateinischen erstmals am Ende des 11. Jahrhunderts durch Abt Norbert von Iburg in der Vita des Bischofs Benno II. von Osnabrück als universa gens Teutonica54 zusammengefasst. Der Zusatz universa bringt dabei deutlich den supragentilen „Charakter der die Teilvölker umfassenden (Groß-)gens zum Ausdruck“.55 Bezeichnenderweise stellt deren Existenz für Norbert allerdings gerade nicht ein Faktum seiner Zeit dar, sondern im Gegenteil einen „Idealzustand“ friedlicher Koexistenz, den er politisch über den Zusammenschluss unter einem gemeinsamen König definiert und „gegen die Verhältnisse, wie er sie zu seiner Zeit vorfand“, in die Regierungszeit Karls des Großen zurückprojiziert.56 Das festzustellende Nebeneinander von Außenbezeichnungen und Eigenbezeichnungen, von supragentilem Begriff und intragentilen Begriffen und damit von unterschiedlichen Konzepten und Perspektiven macht deutlich, dass zur Interpretation der in den Texten auftretenden Ausdrücke die verschiedenen inner- und extratextuellen Ko- und Kontexte zu beachten sind, in denen die Lexeme jeweils verwendet werden, womit im Besonderen auch text- bzw. literaturwissenschaftliche Fragen angesprochen sind. Das daraus resultierende Postulat einer genauen Differenzierung in jedem einzelnen Fall gilt prinzipiell ebenso für lateinische wie für volkssprachige Texte. Es schließt die Beachtung der je

Forschungsnachtrag, S. 113f., 121f.; vgl., ihrerseits weiterweisend, vor allem auch Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 7), S. 224ff.; Thomas, „Sprache und Nation“ (wie Anm. 27), S. 50ff.; im engeren vorliegenden Kontext siehe außerdem Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 99ff. 52  Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches (wie Anm. 27), S. 21. 53  So in diesem Kontext Werner, „Volk“ (wie Anm. 15), S. 178, Anm. 16. 54  Nortbertus Iburgensis, Vita Bennonis II. episcopi Osnabrugensis 13, hg. von Harry Bresslau, Hannover und Leipzig 1902 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi [56]), S. 16. Vgl. hier und auch im Folgenden Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 55 und S. 119 mit Anm. 59. 55  Werner, „Volk“ (wie Anm. 15), S, 178, Anm. 16. 56  Wolfgang Eggert, „Die gens Teutonica in der Vita Bennos von Osnabrück“, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 55 (1999), S. 193–198, hier S. 197, in Modifikation der Interpretation durch Karl Ferdinand Werner, der den begriffsgeschichtlichen Stellenwert der Passage höher bewertet als Eggert, vgl. ebd., S. 194 mit Anm. 5, sowie, in Bezug auf Werner, den obigen Fließtext mit Anm. 55.



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unterschiedlichen Sphären von lateinischem und volkssprachigem Diskurs bei deren gleichzeitiger Interferenz ein. Auf dieser Basis stellt sich deshalb auch die Frage nach der frühen Verwendung von diut(i)sch im Annolied noch einmal neu. Die sprach- und geschichtswissenschaftliche Forschung hat hervorgehoben, dass der Wortgebrauch des Annoliedes am Ende des 11. Jahrhunderts „nicht mehr“ nur „strikt auf die Bezeichnung der Sprache fixiert“ ist wie noch bei Notker III. Teutonicus um 1000 n. Chr., ohne dass damit jedoch auch schon Klarheit über die Semantik von diut(i)sch im Annolied gewonnen wäre.57 Diesem Problem bin ich an anderer Stelle aus einem primär literatur- und kulturwissenschaftlichen Ansatz heraus im größeren Zusammenhang der Frage nach narrativen Konstruktionsweisen (vor-)nationaler Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters seit dem Annolied ausführlich nachgegangen.58 Einige der dabei gewonnenen Ergebnisse, die für die Fragestellung des vorliegenden Beitrages relevant sind, sind im Folgenden in den Grundlinien nachzuzeichnen.59

57  Zitat: Heinz Thomas, „Julius Caesar und die Deutschen. Zu Ursprung und Gehalt eines deutschen Geschichtsbewußtseins in der Zeit Gregors VII. und Heinrichs IV.“, in: Die Salier und das Reich, Bd. 3, hg. von Stefan Weinfurter unter Mitarb. von Hubertus Seibert, Sigmaringen 1991, S. 245–277, hier S. 259; vgl. entsprechend ders., „Sprache und Nation“ (wie Anm. 27), S. 55f.; und außerdem u. a. Wolfgang Haubrichs, „Plenumsvortrag. die tiutsche und die andern zungen: Von der Vielfalt und Entwicklung eines Sprach- und Volksbegriffs“, in: Vielfalt der kulturellen Systeme und Stile, hg. von Johannes Janota, Tübingen 1993 (Vorträge des Augsburger Germanistentags 1991. Kultureller Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik 1), S. 21–41, hier S. 29; sowie Reiffenstein, „Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache“ (wie Anm. 7), S. 2198. – Thomas, der der Annolied-Forschung insgsamt wichtige Anstöße gegeben hat, vertritt, besonders in dem genannten Aufsatz von 1991, in diesem Zusammenhang die These einer origo gentis Teutonicorum im Annolied, die in der Forschung über das Lied zunächst übernommen worden ist wie auch in dem Forschungsbericht zum Annolied von Mathias Herweg, der diese These gleichzeitig zuspitzt (ders., Ludwigslied, De Heinrico, Annolied. Die deutschen Zeitdichtungen des frühen Mittelalters im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Rezeption und Erforschung, Wiesbaden 2002 [Imagines Medii Aevi 13], S. 281–296, 450–457, 500–502; siehe in diesem Zusammenhang die Rezension von Uta Goerlitz in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 131 [2009], S. 156–159, hier S. 157 mit Anm. 2). Von Seiten der Geschichtswissenschaften wurde die These von Thomas allerdings schon früh in aller Kürze von Karl Ferdinand Werner zurückgewiesen (Werner, „Volk“ [1992], S. 210 mit Anm. 103). Werners diesbezügliche Kritik an Thomas bestätigt sich von germanistisch-mediävistischer Seite bei Erweiterung der Textanalyse um linguistische und narratologische Aspekte und außerdem im diachronen Vergleich mit späteren Texten, siehe Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), hier vor allem explizit auch S. 55, 69, 103f., 145–147, 276ff. Implizit zeigt das auch die folgende Darstellung. 58  Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 45–104, zum anfänglichen Forschungsstand im obigen Kontext vor allem S. 52–71. 59  Die Fußnoten beschränken sich in der folgenden Darstellung zum Annolied auf den Beleg von Zitaten und im Übrigen, von Ausnahmen abgesehen, auf die Angabe der entsprechenden

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Das Annolied entstand vermutlich schon bald nach dem Tod des Kölner Erzbischofs Anno II. im Jahr 1075 im Kloster Siegburg bei Köln.60 Es handelt sich um einen in seiner Art singulären Text, der in eigenständiger Weise an unterschiedliche lateinische und volkssprachige Erzähltraditionen anbindet und deshalb literaturgeschichtlich nur schwer einzuordnen ist. Das Lied ist in 878 Reimversen verfasst, die sich auf 49 Strophen unterschiedlicher Länge verteilen. Der Text gliedert sich in drei Teile, denen in Strophe 1 ein Prolog vorangestellt ist. Der erste Teil reicht bis zu Strophe 7 und gibt einen Abriss der Heilsgeschichte, der mit der Schöpfung beginnt und unter starker Raffung auf die Heiligen Kölns und den Episkopat Annos II. hinlenkt. Der Erzbischof wird dabei als Heiliger apostrophiert, obwohl seine Kanonisierung erst sehr viel später, rund einhundert Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1183, erfolgte. An den ersten Teil des Annoliedes schließt sich in den Strophen 8 bis 33 der auf die profane Weltgeschichte konzentrierte, zweite Teil an. Indem er an die Theorie von den Vier Weltreichen anbindet und dabei insbesondere die Anfänge des Römischen Kaisertums thematisiert, läuft er erneut auf das Wirken Annos II. in Köln zu, der nicht nur kirchen-, sondern auch reichspolitisch überaus einflussreich war. Der dritte und letzte Teil in den Strophen 34 bis 49 konzentriert sich dann auf die eigentliche Heiligenvita des Kölner Erzbischofs. Zu den sechs volkssprachigen Frühbelegen von diut(i)sch im Annolied gehört zum einen die Verbalphrase diutischin sprecchin (AL 20,22). Zweimal kommt das Adjektiv außerdem in demgegenüber erweiterter Verwendung als Attribut zum Plural liuti bzw. zu man vor (AL 28,12 und 28,17). Die drei übrigen Belege zeigen diut(i)sch, ebenfalls attributiv, in Verbindung mit lant im Plural oder auch, was erst kürzlich nachgewiesen worden ist,61 in einer transnume-

Abschnitte bei Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), denen auch die detaillierten Begründungen und Nachweise zu entnehmen sind. 60  Im Folgenden liegt die Ausgabe Das Annolied. Mittelhochdeutsch und neuhochdeusch, hg., übers. und kommentiert von Eberhard Nellmann, 5., bibliogr. erg. Aufl., Stuttgart 1999 (Universal-Bibliothek 1416), zugrunde (im Folgenden zitiert als AL). Vgl. den Forschungsbericht zum Annolied von Herweg, Ludwigslied, De Heinrico, Annolied (wie Anm. 57), S. 271–511, resümierend zur Datierung S. 356, und außerdem Stephan Müller, Vom Annolied zur Kaiserchronik. Zu Text- und Forschungsgeschichte einer verlorenen deutschen Reimchronik, Heidelberg 1999 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), mit der Rezension von Gisela Vollmann-Profe in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 125 (2003), S. 356–359, sowie Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 45–104. 61  Uta Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland. Zur Geschichte des Namens Deutschland und ihren sprachhistorischen Voraussetzungen im indogermanischen Genussystem und mittelalterlichen Grammatikalisierungsprozessen“, in: Sprachwissenschaft 35,2 (2010), S. 187–218, hier bes. S. 194–204; vgl. auch schon dies., Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 56–63 und



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ralen Form mit der Bedeutung des Plurals (AL 7,4; 18,12; 24,8). Die Frage nach der Bedeutung dieser Ausdrücke stellt sich nach dem Gesagten auf mehreren Ebenen, darunter im Besonderen auf derjenigen der lexikalischen Semantik und außerdem auf der außerhalb der Linguistik kaum beachteten Ebene der grammatischen Semantik.62 Die lexikalische Semantik betrifft die Bedeutung autosemantischer, lexikalischer Einheiten. Die grammatische Semantik hingegen gilt der Bedeutung, die beispielsweise durch grammatische Kategorien wie Artikel und Numerus indiziert wird. Mit ihr sind weitere Fragen wie die nach der jeweiligen nominalen Aspektualisierung und der Perspektivierung verbunden, die Auswirkungen auf die semantische Interpretation der Wörter in ihren jeweiligen Ko(n)texten haben. Die aufgezählten Belege zu diut(i)sch im Annolied kommen mit einer Ausnahme, die hier außer Betracht bleiben kann,63 im zweiten, profangeschichtlichen Teil des Liedes in den Strophen 18 bis 28 vor. Diese Strophen enthalten eine zentrale Episode, in der von Caesars Aufstieg zum ersten Kaiser Roms erzählt wird und in diesem Zusammenhang auch von seinen Feldzügen nördlich der Alpen. In den Kommentaren und Interpretationen zu dieser Episode liest sich das „regelmäßig“64 wie selbstverständlich als Kampf Caesars in „Deutschland“ gegen „die Deutschen“, mit deren Hilfe Caesar anschließend die um Pompeius versammelten Römer besiegt habe. Weder die Verwendung des Landesnamens noch die des Volksnamens entspricht jedoch dem Sprachgebrauch des Annoliedes am Ende des 11. Jahrhunderts; zu dieser Zeit sind beide Namen noch nicht belegt.65

S. 64ff. 62  Siehe hier Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 29–38, 52–71. Zur linguistischen Terminologie vgl. im Folgenden generell Fachlexika wie z. B. das Lexikon der Sprachwissenschaft, 4., durchges. und bibliogr. erg. Aufl., hg. von Hadumod Bußmann unter Mitarb. von Hartmut Lauffer, Stuttgart 2008; oder das Metzler Lexikon Sprache, 4., akt. und überarb. Aufl., hg. von Helmut Glück, Stuttgart und Weimar 2010; und insbesondere die einschlägigen Handbücher wie namentlich Semantics. An International Handbook of Natural Language Meaning, Bde. 1–2, hg. von Klaus von Heusinger u. a., Berlin und Boston 2011 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 33,1–2); sowie Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl., hg. von Werner Besch u. a., Bd. 3, Berlin und New York 2003 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2,3). 63  AL 7,4 kann im Folgenden ausgeblendet bleiben, weil ein strukturell und semantisch identischer Beleg auch in den im Folgenden näher betrachteten Strophen 18 bis 28 vorkommt und unten analysiert wird. Vgl. zu AL 7,4 Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 73ff., und vgl. unten, Anm. 79. 64  Ebd., S. 52–56, hier S. 54, mit Beispielen. 65  Der substantivierte Volksname begegnet erstmals um 1150 in der Kaiserchronik – wobei auch

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Mit beiden verbinden sich moderne Konnotationen, die den Blick auf die Komplexität des Textes und die Eigenheiten seiner Darstellung unbemerkt verstellen.66 Die Episode beginnt mit der Erzählung von der Entsendung des edelin Caesar zum Kampf wider diutsche lant, gegen die „deutschen Lande“ (AL 18,9–12). Gleichzeitig wird hervorgehoben, dass nach Caesar „noch heute die Könige ‚Kaiser‘ heißen“ (dannin noch hiude kuninge heizzint keisere, AL 18,10). Die Verwendung des (Akkusativ) Plurals diutsche lant – hier in seiner mitteldeutschen Ausprägung – entspricht der für den Gebrauch der Verbindung von diut(i)sch und lant „bis ins 13. Jahrhundert üblichen Norm, derzufolge der Ausdruck nur im Plural verwendet wird“,67 so dass er angemessenerweise mit „deutsche Lande“ oder „deutsche Länder“ zu übersetzen ist.68 Erst im Spätmittelalter setzte die Uminterpretation des artikellosen Plurals diut(i)sch-iu / diut(i)sch-e lant in seiner endungslosen Variante Nom. / Akk. Pl. diut(i)sch-Ø lant zum Singular „im Sinne eines individualisierten Konkretums“ ein.69 Auch trat der zusammengeschriebene Landesname Deutschland bzw. Teutschland erst auf der Grundlage des sprachlich-kulturell entfalteten und historisch-politisch begründeten Nationsbewusstseins der

in diesem Fall auf die genauen Verwendungszusammenhänge zu achten ist, um die Bedeutung im Text zu erfassen; siehe dazu Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 130f. (Übersicht über die Lemmata), und den Abschnitt zur Kaiserchronik S. 105–201 passim. In Bezug auf den Landesnamen Deutschland siehe im Folgenden. 66  Siehe dazu Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 52–71, und jetzt auch dies., „Sprache und Identität – Text und Interpretation: Ambivalenzen narrativer Identitätskonstruktion in der frühmittelhochdeutschen Geschichtsdichtung“, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter. Internationales Symposion, Wien, 15.-17. Januar 2009, hg. von Walther Pohl und Bernhard Zeller, Wien 2012 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters), S. 239–250, hier S. 239–244. 67  Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 78. Siehe zur (Sprach-)Geschichte des Landesnamens Deutschland hier und im Folgenden Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland“ (wie Anm. 61), hier besonders S. 199–206. 68  Im Folgenden übersetze ich diut(i)schiu lant stets mit „deutsche Lande“. „Der morphologische Wandel des mhd. Nom. / Akk. Plural ‚lant‘ zu nhd. ‚Lande‘ erfolgt parallel zum Wandel zu nhd. ‚Länder‘ und vollzog sich beim Übergang vom Mittel- zum Frühneuhochdeutschen. […] Alle drei Pluralformen können bis in die Neuzeit ohne Bedeutungsunterschied verwendet werden […]. Potentielle semantisch-stilistische Differenzierungen sind hingegen kontextabhängig und stehen auch mit der Artikelsetzung in Zusammenhang. Letztere ist im Nhd. wegen der teils gegenüber früheren Sprachstufen veränderten Funktion der grammatischen Kategorie Artikel oftmals notwendig, wo sie in den mittelalterlichen Texten aus Gründen der nominalen Aspektualisierung ausbleibt […]“ (Goerlitz, Literarische Konstruktion [wie Anm. 14], S. 61, Anm. 56). Vgl. Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland“ (wie Anm. 61), S. 202ff. 69  Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland“ (wie Anm. 61), S. 202. Vgl. zur Erläuterung ebd., S. 201: Erst „im Spätmittelalter“ treten „mit dem definiten Artikel gebildete Syntagmen“ der Verbindung von diut(i)sch und lant „im Singular“ auf.



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deutschen Humanisten70 öfter und erstmals „auch […] unmittelbar im Kontext des werdenden Nationsbegriffs der Frühen Neuzeit in Erscheinung“.71 Die „eindeutig[e]“72 Durchsetzung des Landesnamens erfolgte jedoch nicht vor der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Im Genaueren habe ich die Entstehung des Landesnamens Deutschland an anderem Ort nachgezeichnet,73 was auszuführen hier zu weit führen würde. Mit Blick auf den Plural-Ausdruck diut(i)sch-iu/-e lant im Annolied, der dem davon abgeleiteten Singular Deutschland zeitlich so weit vorausgeht, ist an dieser Stelle aber dessenungeachtet auf ein Charakteristikum einzugehen, das die konzeptuellen Differenzen der beiden Bezeichnungen erklärt und deutlich macht, warum beide Ausdrücke entgegen der traditionellen Interpretationspraxis74 nicht gleichgesetzt und als Indiz einer frühen Artikulation deutschen Nationalstolzes im Annolied gedeutet werden können. Unter dem Aspekt der grammatischen Semantik lassen sich unterschiedliche Funktionen des Plurals unterscheiden. Beim Plural diut(i)sch-iu/-e lant handelt es sich um eine spezifische Art des Plurals, den sogenannten Sortenplural.75 Er entsteht, wenn Nomina, die eigentlich keine Numerusdistinktion aufweisen wie die sogenannten Massennomina und im engeren Sinn die Stoffnomina – zum Beispiel nhd. Wasser – dennoch pluralisiert werden. Dies erklärt sich durch die für Massennomina kennzeichnenden Merkmale, zu denen unter anderem die Nichtzählbarkeit gehört, die aus der kontinuativen Bedeutung dieser Nomina resultiert. Massennomina sind daher transnumeral, so dass eine Numerus-Unterscheidung von Singular und Plural in semantischer Hinsicht nicht greift. Wird zu einem solchen transnumeralen Nomen trotzdem eine Pluralform gebildet, dann erhält das betreffende Wort eine neue, lexemspezifische Bedeutung, die Sorten bezeichnet: im Fall von nhd. Wasser – pluralisiert Wässer – zum Beispiel Quellen,

70  Siehe die entsprechende Formulierung von Stauber, „Nationalismus vor dem Nationalismus?“ (wie Anm. 16), S. 144: „Der dritte zu nennende sachlich-zeitliche Parallelvorgang im Nationalisierungsschub der Jahrzehnte um 1500 ist das sprachlich-kulturell entfaltete, historisch-politisch begründete Nationsbewußtsein der Humanisten im Reich“; vgl. im Übrigen den Fließtext oben zu Anm. 14ff. 71  Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland“ (wie Anm. 61), S. 205. 72  Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, unveränderter reprografischer Nachdr. der 5. Aufl., Wien 1965, Darmstadt 1990, S. 182. 73  Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland“ (wie Anm. 61), und im weiteren Rahmen literarischer Konstruktion (vor-)nationaler Identität örtlich auch in der gleichnamigen Monografie (Goerlitz, Literarische Konstruktion [wie Anm. 14]). 74  Siehe oben, Anm. 66. 75  Siehe zum Folgenden Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 56–63, und vor allem auch dies., „Von den diutischen landen zu Teutschland“ (wie Anm. 61), hier S. 194–199.

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Flüsse oder Seen. Ein solches Massennomen liegt ursprünglich auch mit dem Neutrum lant (< germ. *landa) vor, was man noch heute im Neuhochdeutschen an einer formelhaften artikellosen präpositionalen Wendung im transnumeralen Dativ wie zu Wasser und zu Lande erkennen kann.76 Der Ausdruck wider diutsche lant im Annolied, der ankündigt, wohin sich Caesar von Rom aus zum Kampf begeben wird, bezeichnet dabei im Kontext des Annoliedes metonymisch die Völker bzw. die Fürsten und deren Kriegsgefolge in ihren jeweiligen Ländern, auf die Caesar jenseits der Alpen treffen wird. Die Verwendung des Sortenplurals diutsche lant zeigt, dass diese Völker und ihre Länder im Annolied gerade nicht als eine homogene Gruppe gefasst werden, wie es eine Übersetzung mit „die Deutschen“ oder „Deutschland“ suggerieren würde, sondern dass sie im Gegenteil dezidiert als inhomogen konzeptualisiert sind. Das zeigt sich deutlich auch daran, dass sie, wie weiter unten noch im Näheren zu sehen sein wird, im Annolied kurz darauf explizit einzeln, Volk für Volk, in den Blick gerückt werden. Als diut(i)sch werden demnach in AL 18,12 unterschiedliche von Caesar bekämpfte Völker in verschiedenen Ländern supragentil zusammengefasst, so dass „der politisch-territoriale Bedeutungsgehalt“77 der Präpositionalphrase wider diutsche lant hervortritt. Signifikanterweise erfolgt diese Bezeichnung im Text nicht aus der Binnenperspektive dieser Länder, sondern aus der Außenperspektive Roms. Das ist zu betonen und festzuhalten. Allein aus dieser cisalpinen Perspektive erfährt man in derselben Strophe 18 des Annoliedes im Folgenden, dass Caesar seine Gegner in den „deutschen Lan­den“ nie biduingan, „nie bezwingen“, konnte, weil sie so „ungewöhnlich tapfere“ Krieger, meinstreinge man, waren (AL 18,15f.). Nur ci gedinge, „zu einem Vertrag“, konnte er sie gewinnen, so wird erzählt, und dadurch sollte er cin êrin, „zu Ruhm“,78 gelangen (AL 18,17f.). Der Hinweis auf den Beitrag der Fürsten aus den „deutschen Landen“ zu Caesars Aufstieg zum Kaisertum in Strophe 18 des Annoliedes deutet auf die Strophen 24 bis 28 voraus. In ihnen wird unter Wiederaufnahme der supragentilen Außenperspektive Roms, die in den dazwischenliegenden Strophen in bezeichnender und noch zu analysierender Weise verlassen wird, erzählt, wie Caesar im

76  Vgl. unten, Anm. 79. 77  Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 78. Siehe zur Interpretation der Strophen 18 und 24 bis 28 des Annoliedes im Folgenden weiterhin ebd., S. 76ff., 84–89 und 91f. 78  Nellmann übersetzt êrin im Kommentar zu AL 18,18, S. 92, ebenfalls mit „Ruhm“ („Das sollte ihm Ruhm verschaffen“), im edierten Text jedoch im Vorgriff auf den Fortgang der Erzählung alternativ mit „Herrschaft“ („Das sollte ihn zur Herrschaft führen“).



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Kampf gegen seine Gegenspieler in Rom von den heirren („Herren“ / „Fürsten“, AL 24,11) aus den „deutschen Landen“ Unterstützung erhält. Wie in Strophe 18 ist die Inhomogenität dieser Fürsten und ihrer lande profiliert: Caesar sucht sie in den „deutschen Landen“ (AL 24,8) auf,79 um sie um Hilfe zu bitten und den heliden vili gût, den „vortrefflichen Helden“ (AL 24,10),80 gegebenenfalls Entschädigung für die zwischenzeitlich gegen sie erfolgten Kämpfe anzubieten (diese Kämpfe sind in den noch zu betrachtenden dazwischenliegenden Strophen geschildert worden). Es kommt zu einer Versammlung, und wie in Strophe 18 angekündigt, erhält Caesar die erbetene Unterstützung. Sie wird ihm durch scarin manige zuteil, „viele Kriegsscharen“, die vzir Gallia unti Germânia nach Rom ziehen (AL 25,3f.): von links des Rheins und rechts des Rheins, wie es in diesem Kontext in Aufnahme der erwähnten, im Mittelalter beibehaltenen geografischen Terminologie der Antike heißt.81 Auf diese Weise greift der Annolied-Dichter zugleich die kirchenrechtliche Terminologie auf, die vor dem Investiturstreit in der päpstlichen Kanzlei gebräuchlich war,82 bevor sie von Papst Gregor VII. in die oben umrissene

79  Wörtlich lautet die oben von mir mit „in den deutschen Landen“ übersetzte Präpositionalphrase an dieser Stelle des Annoliedes (AL 24,8) ci diutischimo lante (vgl. entsprechend auch AL 7,4: in diutischemi lande). Bei dem – im Neuhochdeutschen aufgrund des seither eingetretenen Sprachwandels nicht in derselben Weise wiederzugebenden – artikellosen (!) Dativ diutischimo lante handelt es sich, wie ich auf der Basis der jüngeren linguistischen Forschung zur Semantik gezeigt habe, „gerade nicht um einen Dativ Singular, sondern um eine transnumerale Form“ bzw. im Genaueren um einen „transnumeralen Massenterm im Dativ“, der seine spezifische grammatische „Entsprechung im [bis ins 13. Jahrhundert] dominant auftretenden (Sorten-)Plural diut(i)sch-iu/-e/-Ø lant hat. Er korreliert mit dem Sortenplural als grammatischer Ausdrucksform einer sekundären Numerus-Differenzierung, ohne zu diesem in Opposition zu stehen. Aus diesem Grund ist der Massenterm in den benannten, formelhaften präpositionalen Wendungen im Neuhochdeutschen angemessenerweise jeweils mit dem Plural zu übersetzen. Mit dem lexemspezifischen Sortenplural aber ist […] explizit die Vorstellung der Inhomogenität der diutischen lande aufgerufen“ (Uta Goerlitz, „Von den diutischen landen zu Teutschland“ [wie Anm. 61], S. 200f.); vgl. die ausführlichen Erklärungen ebd., passim; als „Massenterm“ bezeichne ich mit Manfred Krifka eine Nominalphrase auf der Basis eines Massennomens, siehe ders., „Massennomina“, in: Semantik, hg. von Arnim von Stechow und Dieter Wunderlich, Berlin und New York 1991 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 6), S. 399–417, hier S. 399; vgl. jetzt auch Peter Lasersohn, „Mass nouns and plurals“, in: Semantics (wie Anm. 62), Bd. 2, S. 1131–1153). Vgl. den Abschnitt oben im Fließtext bei Anm. 75f. und im Übrigen zur Analyse der betreffenden Passage im Annolied Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 84–87, 89–92. 80  Die Nominalphrase ist in AL 24,10 mit dem Indefinitpronomen manic im Akk. Sg. konstruiert. 81  Vgl. oben mit Anm. 17. 82  Vor dem Investiturstreit verwendete die päpstliche Kanzlei die Bezeichnungen Gallia et Germania oder auch nur Germania, siehe im obigen Zusammenhang weiterführend Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 100.

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regnum Teutonicum-Terminologie abgeändert wurde, durch die der Papst den römisch-imperialen Herrschaftsanspruch Heinrichs IV. in Frage stellte.83 Aus römisch-cisalpiner Perspektive und nur aus dieser kommen daraufhin in den folgenden Versen auch der zweite Beleg der Verbindung von diut(i)sch und lant in dieser Episode sowie die beiden Lemmata diutischi liuti und diutschi man im Annolied vor: Als Caesar schließlich mit Hilfe der unterschiedlichen Heeresabteilungen aus den „deutschen Landen“ den innerrömischen Machtkampf gewinnt und als Sieger in Rom einzieht, führen die Rômêre (AL 28,5) zu seiner Ehre den Plural maiestatis ein. In diesem Zusammenhang lässt der Erzähler wissen, dass Caesar den neuen Brauch auch diutischi liuti lêrin ließ (AL 28,12).84 „Terminologisch ist der Plural liut(e) dabei auf lant [Pl.] bezogen“ und meint „deren (rechtsfähige) Bewohner“; durch den Ko(n)text scheint er an dieser Stelle „als Individuativum (‚Leute‘) ausgewiesen“ (und nicht als ansonsten ebenfalls möglicher Plural des Kollektivums liut – „Volk“).85 In demselben Zusammenhang erfährt man, dass der siegreiche Feldherr sînin holdin, „seinen Getreuen“ (AL 28,15), kostbare Seidenstoffe und Gold geschenkt habe. Seitdem seien „deutsche Mannen“, wie die Formulierung im Kollektivplural lautet, in Rom außerordentlich geschätzt: sidir wârin diutschi man / ci Rôme lîf unti wertsam. (AL 28,17f.). Mit diesen Worten in Strophe 28 ist die Vorausdeutung der Strophe 18 erfüllt: Caesar hat die Alleinherrschaft erlangt, und aufgrund der herausragenden Hilfe der unbezwingbaren, tapferen Mannen aus den „deutschen Landen“ genießen diese man beim Kaiser hohes Ansehen. Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass in den dazwischenliegenden Strophen 19 bis 23, in denen von Caesars erster, kriegerischer Begegnung mit den Völkern in den „deutschen Landen“ erzählt wird, eine andere Perspektive als in den eben betrachteten Strophen vorherrscht.86 In ihnen tritt die schon vorher erkennbare87 Inhomogenität dieser Völker nun ganz in den Vordergrund. Die vor und nach diesen Strophen eingenommene Außenperspektive ist aufgegeben zugunsten einer Darstellung, die die Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken im Kampf gegen Caesar, wie bereits angedeutet,88 Volk für Volk, in der mittelhochdeutschen Terminologie des Annoliedes: liut für liut und lant für lant, einzeln

83  Vgl. den Fließtext oben bei Anm. 51ff. 84  Siehe dazu den Kommentar von Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 91 mit Anm. 159. 85  Ebd., S. 85. 86  Siehe im Folgenden zur Interpretation dieser Strophen im Genaueren ebd., S. 79–84 und S. 92–104. 87  Vgl. oben im Fließtext bei Anm. 75ff. 88  Oben nach Anm. 76.



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in den Vordergrund stellt und dabei jeweils deren gentile Herkunft und Eigenarten konturiert. Eine völkerübergreifende, supragentile Zusammenfassung dieser lande und liute unter dem Oberbegriff diut(i)sch ist in diesen Strophen deshalb gegenstandslos. Zuerst werden die Suâben in den Blick gerückt (AL 19), dann die Bewohner des Beirelandes (AL 20 [im Nom.]); daraufhin wendet sich der Erzähler den Sahsin zu (AL 21) und schließlich, in zwei weiteren Strophen, den Franken (AL 22f.). Die Konstruktion der Identität der einzelnen Völker folgt jedesmal demselben Muster. Im Zentrum stehen die jeweilige Ursprungsfabel und, damit verbunden, die (volks)etymologische Herleitung der einzelnen Volksnamen. Beide Merkmale gelten in der Forschung als wesentliche Konstituenten kollektiver Identitätsstiftung im Mittelalter. Sie besitzen eine kennzeichnende mythische Qualität, die sich darin manifestiert, dass dem Ursprungsereignis ein substantieller Charakter eingeschrieben ist, durch den sich Gegenwart und Vergangenheit unmittelbar zusammenschließen. Um die interpretatorischen Konsequenzen deutlich zu machen, die sich aus der Darstellung des Annoliedes im vorliegenden Zusammenhang ergeben, ist es notwendig, diese origines gentium etwas genauer zu betrachten.89 Was die jeweilige Namensherleitung anbetrifft, so wird im Annolied zunächst der Name der Suâben erklärt, der auf den Berg Suêvo zurückgeführt wird (AL 19,7f.). Der Name der Bayern, lateinisch Norici, wird dagegen von der Bezeichnung Noricus ensis für das bayerische bzw. „norische Schwert“ (AL 20,9) abgeleitet. Analog dazu führt der Erzähler den Namen der Sachsen, die als Gefolgsleute des Weltherrschers Alexander des Großen vorgestellt und so mit der Weltmonarchie der Griechen in Verbindung gebracht werden,90 in Anlehnung an die

89  Siehe zu den origines gentium im Annolied im Folgenden Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 79–84 und S. 92–96 mit den dortigen Kommentaren und Literaturhinweisen. Aus der Forschungsliteratur seien hier nur genannt: der grundsätzliche mythentheoretische Artikel von Aleida und Jan Assmann, „Mythos“, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, hg. von Hubert Cancik u. a., Bd. 4, Stuttgart u. a. 1998, S. 179–200, und außerdem in Bezug vor allem auf die Herkunftsfabel der Franken Susanne Bürkle, „Erzählen vom Ursprung. Mythos und kollektives Gedächtnis im Annolied“, in: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Udo Friedrich und Bruno Quast, Berlin und New York 2004 (Trends in Medieval Philology 2), S. 99–130 (soweit sich Bürkle dabei auf die oben erwähnte These von Thomas bezieht, vgl. modifzierend oben, Anm. 57); sowie, zu den lateinischen origines gentium des Früh- und Hochmittelalters im Besonderen auch der Franken und Sachsen, neuerdings Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006 (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 7). 90  Zur Frage, inwieweit entsprechende typologische Korrespondenzen zwischen Volk und Welt-

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Sage auf das sächsische Langschwert sahs zurück (AL 21,17–24). Die Franken hingegen werden entsprechend der im Mittelalter bekannten Troja-Fabel auf den namengebenden Trojaner Franko zurückgeführt (AL 23,17) und damit als alte mâge, als „alte Verwandte“, von Caesar und den Römern ausgewiesen (AL 22,2 [im Dat.]). Die Franken erscheinen dabei als das vornehmste der von Caesar bekämpften transalpinen Völker. Die Sachsen dagegen sind im Annolied als wankelmütig (Der Sachsin wankeli mût, AL 21,1) und treulos (mit untrûwin, 21,21) am anderen Ende der Skala angesiedelt, während sich die Schwaben insbesondere als Ratgeber auszeichnen (ci râdi vollin gût, AL 19,9) und die Bayern als ganz besonders kampftüchtig gelten. Bei ihnen wird zudem, was in diesem Zusammenhang aufschlussreich ist, darauf hingewiesen, dass sie aus Armenien eingewandert seien. Dort gebe es „noch heute“ (noch) Leute, die dir diutischin sprecchin (AL 20,22). Offensichtlich schwingt in diut(i)sch an dieser Stelle noch die supragentile sprachbezogene Bedeutung „germanisch“ mit. In der gängigen Übersetzung von Eberhard Nellmann ist die Verbalphrase demgegenüber mit „deutsch sprechen“ wiedergegeben; im Kommentar dazu wird allerdings dessen ungeachtet angemerkt, dass „[v]ermutlich […] das Krimgotische“ gemeint sei.91 Aus sprachgeschichtlicher Sicht lässt sich das unter Verweis etwa auf die entsprechende Verwendung von theotiscus im 9. Jahrhundert bei Walahfrid Strabo bekräftigen: Der Reichenauer Abt bezieht sich in dem oben bereits zitierten Libellus de exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum mit den Worten nostrum, id est Theotiscum, sermonem habuerint auf die Goten, deren Sprache er in Abgrenzung vom Griechischen (und Lateinischen) supragentil mit anderen germanischen Sprachen wie seinem eigenen Idiom zusammenfasst.92 Ein weiteres Merkmal der transalpinen Völker, das in den Strophen 19 bis 23 des Annoliedes über deren Herkunft profiliert wird, ist die Kampfkraft. Sie zeichnet die vier liut(e) je für sich in unterschiedlicher Intensität alle aus und bereitet Caesar bei seinen Feldzügen jeweils große Schwierigkeiten. Die Schwaben waren gůde rekkin […], / woli vertig vnti wîchaft, d. h. sie waren „hervorragende Krieger“, immer zum Feldzug bereit und „kämpferisch“ (AL 19, 12f.). Die Bayern, die gleich mehrfach wegen ihrer Tapferkeit gepriesen werden, vûrin ie ci wîge gerno, „zogen

reich wie im Fall der Sachsen und der Weltmonarchie der Griechen im Annolied auch in Bezug auf die drei anderen Völker hergestellt werden, siehe Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 79f. mit Anm. 124 sowie weiterhin S. 79–84 insgesamt. 91  Komm. zu AL 20,21–20,23, S. 94. 92  Walafrid Strabo, Libellus de exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum (wie Anm. 34), cap. 7, S. 481, vor allem Z. 35f.; vgl. hier Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 81f. Vgl. den Fließtext oben bei Anm. 33f.



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stets gerne in den Kampf“ (AL 20,24), so dass Caesar hohen Blutzoll zahlen musste. Die Sachsen sind im Krieg schwer berechenbar und wissen von ihren erwähnten Schwertern Gebrauch zu machen. Ähnliches gilt prinzipiell auch für die Schilderung der Franken, bei denen allerdings die behauptete gemeinsame Verwandtschaft mit den Römern und Caesar und die Siedlungsnahme Frankos am Rhein im Vordergrund stehen. Aber auch bei ihnen heißt es ausdrücklich, dass sie dem Feldherrn Caesar im Kampf „Sorge bereiteten“: si wâren imi îdoch sorchsam (AL 23,26). Trotz dieser betonten Kampfkraft der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken ist am Ende eines jeden Abschnittes zu den einzelnen Völkern zu erfahren, dass Caesar schließlich aber dennoch den, so beispielsweise der Wortlaut in der Strophe über die Bayern, sigin […] an un gewan, „den Sieg […] über sie errang“ (AL 20,25), wenn auch nur mit hohen Verlusten. Das steht im Gegensatz zur Vorausdeutung von Strophe 18 vor dem Einschub der Strophen 19 bis 23 über die Herkunft der vier Völker. Wie oben zitiert, wurde in Strophe 18 in Bezug auf Caesars Zug wider diutsche lant ausdrücklich hervorgehoben, dass der römische Feldherr seine Gegner in den „deutschen Landen“ nie biduingan konnte (AL 18,16), sondern dass er sie lediglich unbesiegt auf vertraglichem Wege für sich zu gewinnen vermochte; und nur auf dieser Basis helfen die Fürsten dieser Länder in den Strophen 24 bis 28 Caesar auch, wie gesehen,93 auf seinem Weg zur römischen Alleinherrschaft. Als Ergebnis der Analyse der Strophen 18 bis 28 in ihrer Gesamtheit lässt sich daher festhalten, dass sich im Annolied in signifikanter Weise zwei unterschiedliche Perspektiven überlagern, die sich nicht bruchlos integrieren lassen: In den Strophen 18 und 24 bis 28 dominiert die cisalpine Außenperspektive Roms und Caesars. Der durch sie vorgegebene Wahrnehmungshorizont ist römisch-imperial. Nur in dieser Sicht sind die Völker in der von Caesar bekämpften Region nördlich der Alpen supragentil unter dem Begriff diut(i)sch subsumierbar, ohne dass sie aber deshalb auch als eine homogene Gruppe in Erscheinung treten würden; im Gegenteil sind die von diesen Völkern bewohnten Länder durch den Sortenplural diutsche lant explizit als inhomogen konzeptualisiert. Aus dieser römisch-imperialen Perspektive bleiben die diut(i)schen liut(e) bzw. diut(i)schen man unbezwungen und verhelfen Caesar als freiwillige Bundesgenossen zum Kaisertum. Dagegen liegt der narrative Fokus in den Strophen 19 bis 23 in den transalpinen Ländern selbst. Der Wahrnehmungshorizont ist primär durch die Blickrichtung der Suâben, Beiere, Sahsen und Franken bestimmt. Aus dieser Sicht ergibt sich ein anderes Bild, indem die vier genannten Völker nicht gemeinsam, sondern je für

93  Oben bei Anm. 77ff.

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sich nacheinander im Mittelpunkt stehen. Dementsprechend haben sie alle einen eigenen Namen und eine spezifische origo gentis; zugleich zeichnet sich eine Hierarchie ab, bei der die Franken an der Spitze stehen. Solange diese, auf die gentes fokussierte Perspektive vorherrscht, erscheint der zukünftige Kaiser als Gegner, dem die vier Völker betont hohe Verluste beibringen, der am Ende eines jeden der vier Abschnitte dann aber „doch“ (îdoch, vgl. oben) als Sieger dasteht. Diese Interferenz divergierender Perspektiven, die im vorliegenden Rahmen nur in groben Zügen nachgezeichnet werden konnte,94 wurde in der bisherigen Annolied-Forschung übersehen.95 Sie ist für die Verwendung von diut(i)sch in diesem frühen Beispiel mittelhochdeutscher Geschichtsdichtung aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert kennzeichnend. Durch sie erhalten die Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken ihr Profil gleichzeitig als Sieger und als Besiegte, je nachdem, ob sie supragentil unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Entstehung des Römischen Kaisertums oder aber primär in ihrer jeweiligen gentilen Eigenart fokussiert werden. Dabei korrespondieren die „gegenläufigen Perspektivierungstendenzen […] mit unterschiedlichen Ebenen des politischen Diskurses um 1100“,96 ohne deshalb auch unmittelbar auf diesen beziehbar zu sein. Vielmehr führt der narrative Entwurf des Annoliedes die unterschiedlichen Ebenen in einer charakteristischen Weise zusammen, in der sie sich gerade nicht harmonisieren lassen. „Daraus resultiert eine Ambivalenz, die sich für das im Annolied vorliegende Konzept der römerzeitlichen helide aus den diut(i)schen landen als konstitutiv erweist.“97

94  An dieser Stelle sei noch einmal auf die ausführlichen Analysen und Interpretationen im größeren literatur- und kulturwissenschaftlichen Rahmen der Darstellung von Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 45–104 und an dieser Stelle vor allem S. 72–104, verwiesen. 95  Vgl. dazu oben mit Anm. 57. 96  Goerlitz, Literarische Konstruktion (wie Anm. 14), S. 98. Vgl. dazu ebd., S. 97–104, und auch oben mit Anm. 51ff. 97  Ebd., S. 98. In diesem Zusammenhang ist auf die parallele Caesar-Episode der frühmittelhochdeutschen Kaiserchronik aus der Zeit um 1150 hinzuweisen (Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hg. von Edward Schröder, Hannover 1892 [MGH Deutsche Chroniken 1,1] V. 247–602). In ihr ist das „Potential kollektiver Identitätsstiftung“ auf der Ebene der je einzelnen lande der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken, das den Herkunftsmythen der vier Völker inhärent ist, „der Tendenz nach zurückgenommen. Erreicht wird das durch die intensivere Perspektivierung auf Caesar hin. Dadurch ist der über die Figur Caesars modellierte imperiale Rombezug stärker ausgeprägt, der als maßgeblicher integrativer Faktor völkerüberwölbender ‚deutscher‘ Identität fungiert.“ (Goerlitz, Literarische Konstruktion [wie Anm. 14], S. 200; vgl. zur Caesar-Episode in der Kaiserchronik insgesamt ebd., S. 132–147 [dort auch die ältere Literatur]). Erkennbar ist diese Tendenz unter anderem auch an der Umstellung des biblischen Traumes des Danihel (AL 11,2), bzw. des Nabuchodonosor (Kaiserchronik, wie oben, V. 528); dieser Traum wird



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Abschließend verweist diese Ambivalenz noch einmal auf das zu Beginn dieses Beitrags formulierte Postulat, bei der Analyse mittelalterlicher Gemeinschaftsbezeichnungen, wie sie im vorliegenden Sammelband zur Tagung Nationes, Gentes und Musik im Mittelalter anvisiert werden, genau zu differenzieren, indem die Fragen nach Bedeutung und Bedeutungswandel auf mehreren Ebenen gestellt werden. Der semantische Wandel lexikalischer Einheiten stellt dabei, wie gesehen, nur eine Ebene dar. Aus dem Blickwinkel der Deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters, der hier eingenommen wurde, ist insbesondere auch die Wichtigkeit der grammatischen Semantik hervorzuheben. Am Beispiel des Annoliedes erweist sich darüber hinaus die Bedeutsamkeit der damit verbundenen Fragen nach der Darstellungsweise im je konkreten Textzusammenhang und nach der Perspektivierung des Erzählten. Diese Probleme stellen sich bei einem literarischen Text wie dem frühmittelhochdeutschen Lied über den Kölner Erzbischof Anno II. mit seiner charakteristischen Überlagerung von heils- und weltgeschichtlichen Zügen mit Erzählelementen aus der Hagiografie und mit seiner spezifischen literaturgeschichtlichen Situierung im Interferenzfeld von volkssprachiger und lateinischer Literatur mit besonderem Nachdruck. Prinzipiell aber besitzt die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen unterschiedlichen Ebenen der Bedeutungskonstitution, wie die vorliegenden Ausführungen über einige Voraussetzungen und Spezifika der Verwendung von diut(i)sch im frühen Mittelalter deutlich gemacht haben dürften, auch für benachbarte mediävistische Fächer Relevanz, die aus einem je anderen disziplinären Erkenntnisinteresse heraus verwandte Fragen verfolgen.

in der Kaiserchronik in einer spezifischen Weise gemäß der Lehre von den Vier Weltmonarchien ausgedeutet und erst „nach der Begründung des römischen Kaisertums durch Caesar mit Hilfe der ‚Deutschen‘ “ eingefügt (Goerlitz, wie oben, S. 144). Im „Annolied“ steht dieser Abschnitt dagegen vor der Caesar-Episode. Siehe im Einzelnen Goerlitz, wie oben, hier im Besonderen S. 76–79, 142–145, 183–186. Vgl. auch Goerlitz, „Sprache und Identität“ (wie Anm. 66).

Frank Hentschel

Johannes Boen und die zweifelhaften Gesangskünste der Alemanni Breitet man die Fundstellen über Gemeinschaftsbegriffe im mittelalterlichen Musikschrifttum aus der Zeit von ca. 900 bis 1400 vor sich aus, so entsteht der Eindruck, die Verwendung von Gemeinschaftsbegriffen habe stetig zugenommen. Doch muss die Anzahl der Belegstellen zum Umfang des überlieferten Schrifttums in Relation gesetzt werden. Geschieht dies, so wird deutlich, dass es in Wirklichkeit keine signifikanten, am hier in den Fokus gerückten Quellenkorpus nachweisbaren, quantitativen Änderungen gegeben hat. Wohl lassen sich Änderungen qualitativer Art demonstrieren: Die historisch-geografische Informiertheit eines Anonymus IV im späten 13. Jahrhundert, der fast soziologisch zu nennende Blickwinkel eines Johannes de Grocheio aus der Zeit um 1300, die psychologischen Überlegungen des vielleicht etwas jüngeren Traktates Guidos von Saint-Denis und die autobiografischen Einsprengsel in der Musica des Johannes Boen von 1357 zeugen von einem breiteren, vielleicht kulturwissenschaftlich zu nennenden Interesse, das bei früheren Autoren im Bereich des Musikschrifttums so m. E. nicht vorhanden war. Bei Anonymus IV, Guido von Saint-Denis und Johannes Boen schlägt sich dieses Interesse auch in Bezug auf die Erwähnung von Gemeinschaftsbegriffen nieder. Der folgende Beitrag beschränkt sich auf die Schrift Johannes Boens und rückt dabei den Begriff der Alemanni in den Vordergrund. Die Verwendung von Gemeinschaften steht bei Boen unter anderem im Kontext der Beobachtung kultureller Differenz, und es ist bemerkenswert, dass Boen die Differenzen der musikalischen Praxis unterschiedlicher Gemeinschaften analog zu Differenzen behandelt, die sich aus historischen Distanzen ergeben. So bemerkt Boen, dass […] gemäß der Verschiedenheit der Zeiten und Gegenden […] allmählich viele Neuheiten und viel Ungehörtes entstehen können, wie vielleicht die Ausführung des Kommas und dreier kleiner semitonia und vieles Ähnliche, das, wenigstens bislang, nicht gehört ist, im Laufe der Zeit durch neue Instrumente und Fähigkeiten der Stimmen später gehört werden wird, so wie es vor Pythagoras keine solche Feinheit im Gesang gab, wie sie heute gebräuchlich ist.1

1  Johannes Boen, Musica, hg. von Wolf Frobenius, Johannes Boens Musica und seine Konsonanzlehre, Stuttgart 1971 (Freiburger Schriften zur Musikwissenschaft 2) (im Folgenden Ioh. Boen mus.), S. 45, 25f.; vgl. auch S. 76, 162–164: „[…] secundum diversitatem temporis et regionum multa

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Gewiss liegt in dieser Aussage das Augenmerk trotz der Nennung der „Gegenden“ auf dem historischen Aspekt, doch gibt es andere Formulierungen, in denen es umgekehrt auf dem regionalen Aspekt liegt. Dies wird an einem autobiografisch geprägten Passus deutlich, in dem Boen eine Eigenheit der Angli hervorhebt: Denn in unterschiedlichen Regionen wird unterschiedlicher Gesang ausgeführt. Dessen bin ich – als ich in den Schulen von Oxford in Anglia wohnte, einer Region, die von der Grafschaft Holland, dem Ort meiner Geburt, nur das Meer trennt – in der folgenden Hörerfahrung gewahr geworden: dass dort nämlich sowohl das gewöhnliche Volk als auch alle Geistlichen, alte und junge Menschen ununterschieden, den Terzen und Sexten eine solche Zuneigung entgegenbrachten und dass sie diese, Oktaven und Quinten hintangesetzt, immer nur jene sangen, so als würden sie sie anbeten.2

Boen fügt an diese Beobachtung einen Ausruf des Erstaunens: „Heftig verblüfft staunte ich anhaltend über die Unterschiedlichkeit derart benachbarter Regionen.“3 Dieses Staunen ist aufschlussreich aufgrund der Akzente, die es setzt: Wenn konstatiert wird, dass es eine geografisch derart nahe liegende, eben eine benachbarte Gemeinschaft gibt, deren Eigenheiten von denjenigen der anderen derart deutlich abweichen, so wird damit implizit auch konstatiert, dass es der Gemeinschaft immanente Ursachen sind, die für diese Eigenheiten verantwortlich sind – und nicht etwa klimatheoretische Aspekte.4 Welche dies sind, lässt sich aufgrund dieser Aussage nicht erschließen. Die beiden Gemeinschaf-

nova et inaudita poterunt suboriri, sicut forte pronuntiatio commatis et trium semitoniorum minorum ac multorum similium, que, licet hactenus non audita sunt, forte tractu temporis per nova instrumenta et vocum habilitates posterius audientur, sicut nec ante Pitagoram fuit tanta subtilitas in cantu, quanta hodiernis temporibus est in usu […]“. 2  Ebd., S. 76, 163: „Diverse namque regiones diversos cantus exigunt, ut in hoc experimento – dum scolas Oxonienses in Anglia colui, quam regionem a Comitatu Hollandie, loco mee nativitatis, solum mare discriminat – audito, quod layci ibidem et clerici, senes, iuvenes et indifferenter omnes tertiis et sextis tantam atribuebant affectionem quodque, duplis et quintis postpositis, ipsas solas invocantes quasi adorare videbam“. – Eine kursorische Durchsicht „englischer“ mehrstimmiger Musik aus dem 14. Jh. scheint zu bestätigen, dass diese Neigung zu Terz- und Sext-Klängen nachweisbar ist, wie auch Ernest H. Sanders in der Einleitung zu Band XVII der Serie Polyphonic Music of the Fourteenth Century, Les Remparts, Monaco 1986 (S. IX) bestätigt; siehe auch Peter M. Lefferts, „The Motet in England in the 14th Century“, in: Current Musicology 28 (1979), S. 55–75, hier S. 55 und 65. Eine zuverlässigere Prüfung dieser These steht trotz Nicky Losseffs Mahnung aber noch aus (Nicky Losseff, The Best Concord. Polyphonic Music in Thirteenth-Century Britain, New York 1994, S. 14f.). 3  Ioh. Boen Mus., S. 76, 164: „Vehementer attonitus de tam vicine regionis diversa natura continue ammirabar“. 4  Siehe dazu den Beitrag von Wolfgang Hirschmann im vorliegenden Band.



Johannes Boen und die zweifelhaften Gesangskünste der Alemanni 

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ten sind im einen Fall sicher und im anderen Falle vermutlich politisch definiert, nämlich als Grafschaft Holland bzw. Königreich England. Doch diese politische Konturierung der Gemeinschaften steht in keiner direkten Beziehung zur musikalischen Praxis. Impliziert ist offenbar, dass der politischen Einheitsbildung eine kulturelle entspricht, die die sozialogische Dimension überschreitet: In Bezug auf Anglia hebt Boen hervor, dass das gewöhnliche Volk, Geistliche, alte und junge Menschen dieselbe Neigung teilten.5 In Bezug auf die Alemanni, denen sich Johannes Boen zugehörig fühlte, lassen sich weitere Informationen über den Zusammenhang von Gemeinschaft und musikalischer Eigenart beziehen. Dazu sind zwei Textstellen genauer zu inspizieren:

1 „qui adeo subtiliter cantare nequeunt“ Zu Beginn seiner Musica erläutert Boen seinen Lesern die Solmisation und verweist dabei auch auf den Hymnus Ut queant laxis resonare. Er bezieht sich auf Johannes dictus Cotto sive Affligemensis und macht in diesem Zusammenhang eine überaus instruktive Bemerkung: [G-ut] wird deswegen als tiefste clavis bezeichnet, weil sie es verdient, in der Tiefe den ersten Platz zu erhalten. Und unter den vorgenannten sechs Noten trat im obengenannten Hymnus die Note ut als niedrigste in Erscheinung, obwohl – vielleicht aufgrund derjenigen, die so gar nicht fein zu singen vermögen (ich nenne sie nicht Alemanni, damit ich nicht mein eigenes Gesicht mit Schamesröte überdecke) – der Gesang jenes Hymnus heutzutage verändert ist.6

Das lateinische Wort „immutatus“ ist doppeldeutig: Es kann als Adjektiv, gebildet aus in und mutatus, „unverändert“ bedeuten oder aber als Partizip im Perfekt (PPP), gebildet aus immutare, das Gegenteil meinen, nämlich „verändert“. Dafür, dass diese zweite Bedeutung gemeint ist, sprechen – abgesehen davon,

5  Da unser Forschungsprojekt zu den Gemeinschaftsbegriffen (siehe Vorwort zum vorliegenden Band) des mittelalterlichen Schrifttums noch nicht abgeschlossen ist, kann an dieser Stelle der Begriff Anglia sowie der mit ihm verknüpfte Überlieferungsbefund mehrstimmiger Musik nicht weiter verfolgt werden. 6  S. 33, 10–12: „Gravissima eo dicitur, quia in gravitate locum primum meruit optinere. Et nota ut inter sex notas predictas in supradicto ymno inferior reperta exstitit, licet – forte propter illos, qui adeo subtiliter cantare nequeunt (non dico Alemanos, ne faciem propriam rubore perfundam verecundie) – cantus eiusdem ymni hodiernis temporibus exstat immutatus“.

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dass der Satz ansonsten keinen Sinn ergäbe – mehrere Indizien. Die Londoner Handschrift aus dem 15. Jahrhundert präzisiert die Aussage geradezu, indem sie formuliert: „quamvis cantus illius ymni postea variatus sit“. Eine Aussage von Jacobus von Lüttich bezeugt ebenfalls, dass der Hymnus in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in veränderter Form kursierte.7 Welche Variante Johannes Boen speziell im Blick hat, lässt sich nicht rekonstruieren. Es trifft auch keineswegs zu, dass nur Hymnus-Versionen aus dem deutschsprachigen Raum Varianten liefern bzw. andere Melodien verwenden würden.8 Allerdings ist nicht bekannt, welche Kenntnis Boen von der Überlieferung des Hymnus außerhalb seines Umfeldes gehabt haben mag. In jedem Falle ist es bemerkenswert, dass er die ihm vorliegenden Versionen mit den mangelhaften Gesangsfähigkeiten der Alemanni in Verbindung bringt. Dabei lässt sich nicht entscheiden, wie viel Spiel, Humor oder Ernst diese Aussage konstituieren und an welche Adressaten sie gerichtet gewesen sind. Doch zu welcher Lesart man auch immer neigen mag, steht doch so viel fest, dass die Aussage die Existenz einer entsprechenden Auffassung voraussetzt – ob Boen selbst von ihr überzeugt war oder nicht, ob sie als Topos kursierte oder ob sie lediglich die Überzeugung eines Individuums darstellte. Wer aber waren nun diese Alemanni? Johannes Boen rechnete sich jedenfalls der Gemeinschaft der Alemanni zu, und wir wissen, dass er aus Noordwijk stammte,9 das sich im Comitatus Hollandiae befand,10 also einer Grafschaft, die zum Reich Karls IV. gehörte.11 Mit diesen Koordinaten ist indes noch nichts darüber ausgesagt, welcher Gemeinschaftsbegriff dem Zitat zugrunde lag. Es ist auszuschließen, dass der Name Alemanni die Schwaben meint; vielmehr ist er in einer bereits älteren, von Italien ausgehenden und ins 10. Jahrhundert zurückreichenden Tradition auf die nordalpinen (und eventuell die germanischsprachigen) Teile des – damals ottonischen – Reichs zu beziehen.12 In der zweiten

7  Vgl. den textkritischen Apparat von Wolf Frobenius, Johannes Boens Musica und seine Konsonanzlehre (wie Anm. 1), S. 34. 8  Dies belegen die in den Monumenta Monodica Medii Aevi, Bd. I (hg. von Bruno Stäblein, Kassel und Berlin 1956) verzeichneten Quellen, z. B.: Hymnar von Nevers, 12. Jh. (Mel. 1511, S. 94), Hymnar aus Clermont-Ferrand, 14. Jh. (Mel. 258, S. 158), Hymnar aus Verona, 11. Jh. (Mel. 1514, S. 393), Hymnar aus Gaeta, 12. Jh. (Mel. 5324, S. 429). – Zur Entstehung und Überlieferung des Hymnus und seiner Melodien siehe auch Jacques Chailley, „Ut queant laxis et les origines de la gamme“, in: Acta musicologica 56/1 (1984), S. 48–69. 9  Siehe Wolf Frobenius in der Einleitung seiner Edition, S. 7. 10  Ioh Bon. Mus., S. 76, 163. 11  Großer Historischer Atlas, Zweiter Teil: Mittelalter, hg. vom Bayerischen Schulbuch-Verlag, Redaktion: Josef Engel, 2., überarb. Aufl., München 1979, S. 66. 12  Vgl. Thomas Zotz, „Ottonen-, Salier- und frühe Stauferzeit (911–1167)“, in: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 1, hg. von Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarz-



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Hälfte des 12. Jahrhundert setzte sich im kirchlichen Bereich der Ausdruck Alemannia gegen Germania durch.13 Der Begriffsgebrauch ist aber nicht einheitlich: Keinesfalls sind Germania und Alemannia immer deckungsgleich.14 Am Ende des 13. Jahrhunderts wird der Begriff des regnum Teutonicum vom Begriff des regnum Alemmaniae abgelöst.15 Hinter beiden Termini konnte immer noch der auf das 11. Jahrhundert zurückgehende Versuch stehen, das „deutsche“ Herrschaftsgebiet auf ein nordalpines regnum zu beschränken, ihm also das südalpine Gebiete mit umfassende imperium Romanum streitig zu machen.16 Es ist daher höchst unwahrscheinlich, dass Boen das gesamte römisch-deutsche Reich im Auge hatte, zumal er an der weiter unten zu behandelnden Stelle die Alemanni von den Lumbardi unterscheidet und damit nahelegt, dass die Alpen eine für den Begriff relevante Grenze bildeten. Geografisch wurden um 1270 in der Descriptio Theutoniae eines elsässischen Predigermönchs die Grenzen der Alemannia, die hier mit Germania und Teutonia identisch ist, mit Lübeck, den Alpen, Freiburg (in der heutigen Schweiz) und Wien bezeichnet.17 Für die deutschsprachige Bevölkerung war die Sprache ein besonders wichtiger, gemeinschaftsbildender Faktor;18 dennoch nannte sich die französischsprachige Bevölkerung Lothringens und Burgunds, die zum regnum Alemanniae gehörten, zum Teil schon im 13. Jahrhundert Alemans.19 Wann immer Johannes Boen auf die „deutsche“ Sprache anspielt, spricht er von Teutonici,20 doch lässt

maier, Stuttgart 2001, S. 381–528, hier S. 460; Heinz Thomas, „Die Wahrnehmung der ‚Anderen‘ im Spiegel schwäbischer und oberitalienischer Schriftzeugnisse des 10. und 11. Jahrhunderts“, in: Schwaben und Italien im Hochmittelalter, hg. von Helmut Maurer, Stuttgart 2001, S. 53–81, hier S. 62 und 72; vgl. auch Wolfgang Haubrichs, „Theodiscus, Deutsch und Germanisch – drei Ethnonyme, drei Forschungsbegriffe. Zur Frage der Instrumentalisierung und Wertbesetzung deutscher Sprach- und Volksbezeichnungen“, in: Zur Geschichte der Gleichung „germanischdeutsch“, hg. von Heinrich Beck u. a., Berlin 2004, S. 199–227, hier S. 207. 13  Margret Lugge, „Gallia“ und „Francia“ im Mittelalter. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen geographisch-historischer Terminologie und politischem Denken vom 6.–15. Jahrhundert, Bonn 1960 (Bonner Historische Forschungen 15), S. 190; Gerd Tellenbach, „Zur Geschichte des mittelalterlichen Germanenbegriffs“, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 7 (1975), S. 144–165, hier S. 153. 14  Rüdiger Schnell, „Deutsche Literatur und deutsches Nationsbewußtsein in Spätmittelalter und früher Neuzeit“, in: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hg. von Joachim Ehlers, Sigmaringen 1989 (Nationes 8), S. 247–319, hier S. 262. 15  Ebd., S. 283. 16  Ebd., S. 282–294. 17  Ebd., S. 265. 18  Ebd., S. 265 und 269 sowie 294–307. 19  Ebd., S. 270f. 20  Siehe Ioh. Boen Mus., S. 61, 167; S. 65, 9.

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sich daraus nicht schließen, dass für ihn die Sprache kein wichtiges Kriterium für die Bildung der Gemeinschaft der Alemanni war. Der Begriff der Teutonici hing traditionellerweise enger mit sprachlichen Gegebenheiten zusammen. Ob für Johannes Boen geografische, politische oder sprachliche Kriterien im Vordergrund standen, lässt sich nicht klären. Wohl kann man der Aussage Boens entnehmen, dass sich sein Gemeinschaftsbegriff nicht auf die geografischen, sprachlichen oder politischen Kriterien beschränkte – welche auch immer im Vordergrund standen. Denn die angeblich mangelhafte Gesangsfähigkeit der Alemanni stellt ihrerseits ein gemeinschaftsstiftendes Merkmal dar. Johannes Boen begreift die Alemanni also durchaus als eine gens oder natio, die nicht bloß mit politischen oder geografischen Koordinaten zusammenfällt, aber auch über ein Merkmal wie das der Sprache hinausreicht. Die Mitglieder der Gemeinschaft teilen zumindest auch kulturelle, möglicherweise sogar weiterreichend gedachte Eigenschaften miteinander. Durch diese werden sie im Sinne von Inklusion einerseits als Gemeinschaft konstituiert, andererseits im Sinne von Exklusion von anderen abgegrenzt. Es kommen damit Elemente zum Tragen, die schon Regino von Prüm in seiner Epistola ad Hathonem archiepiscopum ansprach und mit den Termini genus und mos bezeichnete – die Stelle ist immer wieder zitiert worden: Und sicher muss auch dies zur Kenntnis genommen werden, dass so, wie unterschiedliche nationes der Völker unter sich durch Abstammung (genus), Sitten (mos) und Sprache divergieren, so auch die gesamte heilige Kirche, die auf den ganzen Erdkreis verstreut ist, dennoch durch kirchliche Gewohnheiten in sich unterschieden ist, obwohl sie durch die Einheit des Glaubens verbunden ist.21

Die Begriffe genus und mos belegen, dass die Vorstellung von einer natio über die Merkmale der Sprache oder der politischen Grenzen hinausging. Aufgrund ihrer relativen semantischen Offenheit sind die Begriffe in der Lage, alle möglichen Faktoren zu umschließen, die eine natio konstituieren soll. Welche Faktoren dies für Johannes Boen gewesen sein mögen, muss weitestgehend offen bleiben. Doch bietet er ein musikbezogenes Beispiel dafür, wie eine solche Konstitution funktioniert: Allen den Alemanni zugehörenden Individuen wird die Eigenschaft zugeschrieben, nicht fein singen zu können. Dass sich diese Eigenschaft weder

21  „Nec non et illud sciendum, quod, sicut diversae nationes populorum inter se discrepant genere moribus lingua legibus, ita sancta universalis aecclesia toto orbe terrarum diffusa, quamvis in unitate fidei coniungatur, tamen consuetudinibus aecclesiasticis ab invicem differt“ („Epistola Reginonis ad Hathonem archiepiscopum missa“, in: Reginonis abbatis Prummiensis Chronicon cum continuatione Treverensi, hg. von Friedrich Kurze, Hannover 1890 [MGH Scriptores rerum Germanicarum], S. XX.)



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auf die politischen Grenzen noch auf die Sprache22 zurückführen lässt, liegt auf der Hand. Deshalb ist es eindeutig, dass Johannes mit den Alemanni mehr assoziierte als nur eine politische oder sprachliche Gemeinschaft. Ohnehin lässt diese sich nicht restlos auf ihre Konstitutionskriterien als bloß abstrakte Größen zurückführen; vielmehr zeigt Boens Text in aller Deutlichkeit, dass zu ihr auch eine emotionale Bindung zwischen Individuum und Gemeinschaft gehörte. Wie stark sie war, geht aus dem sicherlich nicht ohne Koketterie entworfenen Bild hervor, das Boen ausmalt: Die gesangliche Unfähigkeit der Alemanni droht bei ihm, Schamesröte auszulösen. Und das heißt nichts Geringeres, als dass das Individuum Boen mit seiner Gemeinschaft derart eng verschmolz, dass es gleichsam für die Eigenschaften dieser Gemeinschaft mit Verantwortung trug. Es ist keine stellvertretende Scham, die Boen anspricht, sondern eine Scham, die ihn als Teil einer Gemeinschaft direkt überkommt. Scham ist ein Gefühl, das einen Menschen befällt, wenn er in einer Weise gehandelt hat oder, wie hier, eine Eigenschaft erkennbar werden lässt, durch die er sich eine Blöße gibt. In Bezug auf Fähigkeiten und Kenntnisse tritt Schamgefühl nur auf, wenn bei der betroffenen Person ein Verschulden vorliegt: Einer Wissenslücke kann man sich nur dann schämen, wenn aufgrund von gültigen Normen erwartet werden darf, dass man über das betreffende Wissen verfügt. Mit Blick auf Boens Gemeinschaftsverständnis sind diese Beobachtungen deshalb relevant, weil sie die Kraft der Gruppenzugehörigkeit zu illustrieren vermögen. Obwohl das Individuum Johannes Boen die Gesangsfähigkeiten der Alemanni nicht verschuldet hat, empfindet es Scham. Die Gruppenzugehörigkeit ist die Ursache für das Schuldgefühl.

2 „nec talem nos in cantu facimus fracturam“ Johannes Boen kommt noch ein anderes Mal auf die Gesangspraktiken der Alemanni zu sprechen. Allerdings werden sie diesmal nur per negationem bezeichnet. Die Alemanni nutzten, so äußert er sich dort, keine solche fractura wie die Anglici, Gallici oder Lumbardi.23 Boen spricht hier freilich nur von nos, doch scheint es aufgrund des Kontextes eindeutig zu sein, dass er die Alemanni meint.

22  Über die Sprache ließe sich eventuell streiten, doch wird der Zusammenhang von Boen nirgends angedeutet. 23  Ioh. Boen. Mus., S. 45, 26: „Nec talem nos, qualem Anglici, Gci vel Lumbardi in cantu facimus fracturam“. Die beiden Handschriften weisen „Greci“ auf; die Konjektur durch Wolf Frobenius (Gallici) ist jedoch sehr plausibel.

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Denn er hatte an der vorhin besprochenen Stelle seine Zugehörigkeit zu den Alemanni deutlich signalisiert, und es findet sich im gesamten Text kein Indiz dafür, dass mit der Gemeinschaft der Alemanni eine andere konkurrieren würde, die Boen nun im Auge hätte. Offenbar differenziert er trotz seiner Zugehörigkeit zum Comitatus Hollandiae die Alemanni nicht. Der Ausdruck fractura bezieht sich auf die Unterteilung der Notenwerte. Boen hat eine Mehrstimmigkeit vor Augen, bei der in stärkerem Maße unterschiedliche Notendauern gegeneinander gesetzt werden. Damit muss er keineswegs speziell Werke besonderer Komplexität im Auge gehabt haben, wie sie später missverständlich mit dem Begriff der ars subtilior versehen wurden, sondern Formen polyphoner Musik, wie sie u. a. in den Gattungen der Motette, Ballade, Rondeau, Ballata, Madrigal usw. konstitutiv und insbesondere aus dem heutigen Frankreich und Italien bekannt sind. Dass die Alemanni keine solche fractura nutzten wie die übrigen genannten Gemeinschaften, scheint indes nicht zu besagen, dass sie eine andere Form der fractura nutzten. Vielmehr ist anzunehmen, dass Boen mit seiner Formulierung die Tatsache umschreibt, dass es in den nordalpinen Reichtsteilen keine komplexere Mehrstimmigkeit gab. Und dies entspricht durchaus dem musikhistorischen Überlieferungsbefund. Neben der Tradierung älterer Formen von Mehrstimmigkeit, also Organa, finden sich in den Wimpfener Fragmenten vereinfachte Versionen französischer Motetten und im Kodex Engelberg 314 Motetten eigenständiger, aber einfacherer Mehrstimmigkeit, die sehr deutlich in orale Traditionen eingebunden waren und Spuren einer Ad hoc-Praxis aufweisen.24 Die Eigenschaft, keine rhythmisch differenzierte Polyphonie zu praktizieren, teilten die Alemanni freilich mit anderen Gemeinschaften, ohne dass Boen sich dazu geäußert hätte. Die Überlieferungslage für die Königreiche Dänemark, Polen und Ungarn, die an das Territorium der Alemanni angrenzten, scheint derjenigen der Alemanni durchaus ähnlich zu sein. Offenbar akzentuiert Boen lediglich den Gegensatz zwischen seiner eigenen Gemeinschaft und jenen Gemeinschaften, deren musikalische Praxis signifikant verschieden war.

24  Die Provenienz der Wimpfener Fragmente ist allerdings nicht gänzlich geklärt; siehe Rudolf Flotzinger, „Zur Herkunft der Wimpfener Fragmente“, in: Speculum musicae artis. Festgabe für Heinrich Husmann zum 60. Geburtstag am 16. Dezember 1968, München 1970, S. 147–151. Zu den mehrstimmigen Stücken des Kodex Engelberg siehe Wulf Arlt, „Repertoirefragen ‚peripherer‘ Mehrstimmigkeit: das Beispiel des Codex Engelberg 314“, in: Atti del XIV congresso della Società internazionale di musicologia: Round tables, Turin 1990, S. 97–123, und Joseph Willimann, „Strophische Formung in den Motetten des Codex Engelberg 314“, in: Der lateinische Hymnus im Mittelalter, hg. von Andreas Haug u. a., Kassel u. a. 2004, S. 345–379.



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Warum Kastilien und Aragonien keine Berücksichtigung finden,25 ist allerdings nicht zu entscheiden. Mit den Gallici dürften vor allem die Bewohner des Königreichs Frankreich gemeint gewesen sein,26 zumal gerade von Paris aus die Entwicklung der polyphonen Musik vorangetrieben wurde. Das Herrschaftsgebiet des englischen Königs – zur Dynastie der Plantagenets gehörig – bestand lang genug, um die Anglici als Bewohner des entsprechenden Territoriums zu begreifen. Dass die durch den beginnenden Hundertjährigen Krieg bedingten territorialen Unsicherheiten irgendeinen Einfluss auf Boens Begriff der Anglici bzw. Gallici hatte, ist nicht anzunehmen. Vor größere Probleme wird man freilich durch den Begriff der Lumbardi gestellt: Dieser besaß in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts längst keine politische Relevanz mehr und verwies lediglich auf ein eher unscharf geografisch einzugrenzendes Gebiet.27 Immerhin ist es aufschlussreich, dass die Musik des Trecento tatsächlich in den nördlich gelegenen Regionen der Halbinsel entstand: neben Florenz in der heute als Oberitalien bezeichneten Gegend.28 Die politische Tatsache, dass große Teile dieses Gebietes zum Reich Karls IV. gehörten, scheint für Boen ohne Belang gewesen zu sein. In dem „nos“ waren die Lumbardi nicht enthalten. Alemanni sind lediglich die Bewohner der nordalpinen Reichsteile; und nur mit ihnen verband Boen das starke Gemeinschaftsgefühl. * Einem „deutschen“ Autor des 19. Jahrhunderts wie August Reißmann kamen antike und mittelalterliche Zeugnisse, die die sängerische Unfähigkeit der Deutschen beklagten, gerade recht, denn sie passten in das Autostereotyp der Derbheit, Plumpheit und Ungeschicklichkeit, das sich die Deutschen in beeindruckender Konsistenz damals zuschrieben. So negativ dieses Stereotyp erscheint, so sehr diente es doch dazu, den deutschen Nationalcharakter aufzuwerten: Denn zum einen galten die Italiener ihrer Natur nach als die vollkommenen Sänger und Melodiker, von denen die Tiefe und der harmonische Reichtum der deutschen

25  Siehe dazu Carmen Julia Gutiérrez, Art. „Spanien“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Sachteil, Bd. 8, , Kassel u. a. 1998, Sp. 1633f.; vgl. zu den „spanischen“ Quellen der Mehrstimmigkeit auch den Beitrag von Barbara HagghHuglo im vorliegenden Band. 26  Vgl. Bernard Guenée, „État et nation en France au Moyen-Âge“, in: Revue Historique 237 (1967), S. 17–30, hier S. 21 und 27f. 27  Giancarlo Andenna, Storia della Lombardia Medievale, Turin 1999, S. 17f. 28  Dietrich Kämper, Art. „Italien“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (wie Anm. 25), Sachteil, Bd. 4, Sp. 1246.

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Musik abzusetzen war, und zum anderen gehörten Eleganz und Leichtigkeit, die aber auch mit höfischer Unehrlichkeit assoziiert waren, zu den Stereotypen der Franzosen. Die Deutschen hingegen galten als schwerfällig, aber dafür aufrichtig.29 Wie dem auch sei, glaubte Reißmann, die sängerische Unfähigkeit der Deutschen schon bei Geschichtsschreibern des ersten und zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, bei Polybios, Diodor und Livius zu finden. Zwar verschweigt er nicht, dass bei diesen Autoren von Galliern und Germanen die Rede sei, doch macht sich die Neigung, die Gallier zu unterschlagen, bei seiner Paraphrasierung eines Passus aus den Casus Sancti Galli von Ekkehard IV (11. Jahrhundert) bemerkbar: Diesem zufolge sei es „keinem Volk, den Gregorianischen Gesang zu erlernen, so schwer [geworden] als gerade den Deutschen“.30 Bei Ekkehard ist jedoch nur von den ecclesiae cisalpinae die Rede;31 er spielte auf den berühmten Bericht des Johannes Diaconus an,32 der freilich wiederum von Germani seu Galli gesprochen hatte, was als Sammelbezeichnung für die unmittelbar jenseits der Alpen liegenden Völkerschaften aufzufassen ist, wie es das seu signalisiert und wie es weit mehr den historischen Gegebenheiten entsprach.33 Den Vorwurf der Gesangsunfähigkeit bezog Reißmann demnach in einem selbstauferlegten Stereotyp auf seine eigene Nation, identifizierte dabei die Germanen mit den Deutschen, blendete die Gallier ganz aus und schränkte so das Stereotyp auf die Deutschen ein. Damit war die bekannte mythische Kontinuität zwischen Germanen und Deutschen hergestellt und die Existenz eines deutschen Volkes mit eigenem Charakter spätestens ins 9. Jahrhundert verlegt, obwohl der Quelle nicht der leiseste Hinweis darauf zu entnehmen war.34 Andererseits befinden wir uns mit Johannes Boen bereits im 14. Jahrhundert, und es ist ja nicht ausgeschlossen, dass das Stereotyp in dieser Zeit bereits existierte. Denn verblüffend ist die Schamesröte Boens durchaus. Und in der Tat kann

29  Frank Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik. Politik der Musikgeschichtsschreibung in Deutschland 1776–1871, Frankfurt a. M. und New York 2006, S. 342–347. 30  August Reißmann, Allgemeine Geschichte der Musik, 3 Bde., München 1863–1864, hier Bd. I, S. 96, vgl. auch S. 88 und 93. 31  Ekkehard IV, Casus Sancti Galli, hg. von Georg Heinrich Pertz, Hannover 1829 (MGH 2: Scriptores 2), S. 102; neue Ausgabe von Hans F. Haefele, Darmstadt 1980, S. 106. 32  Siehe dazu den Beitrag von Andreas Haug im vorliegenden Band. 33  Johannes Diaconus, S. Gregorii Magni Vita, in: Patrologia Latina, Bd. 75, Paris 1862, Sp. 59–242, hier Sp. 90f. 34  Zum Ursprung dieses Mythos siehe Karl Ferdinand Werner, Art. „Volk, Nation III–V“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner u. a., Stuttgart 1972–1978, Bd. 7, S. 171–281, 186–214 und 243.



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man in der Theorica musice des aus Lodi stammenden und in Mailand tätigen Franchinus Gaffurius im späten 15. Jahrhundert lesen: Die Anglici jauchzen nämlich zusammenklingend. Die Galici singen. Die Hyspani lassen laute Weheklagen erschallen, die Germani wildes Heulen. Einige der Itali wie die Genueser und diejenigen, die an ihren Ufern leben, haben die Eigenschaft zu meckern. Den anderen aber (was ich mit Schmerzen ertrage) schreiben die Barbaren das Bellen zu.35

Bonnie Blackburn hat gezeigt, dass sich das iubilare der Anglici eventuell durchaus mit tatsächlichen Gesangspraktiken in Verbindung bringen lässt.36 Wie aber steht es mit dem Heulen, dem Meckern und dem Bellen? Die animalische Rhetorik mahnt selbstverständlich zur Vorsicht, wenn es darum geht, hinter solchen Beschreibungen sachliche Umstände, also bestimmte Gesangspraktiken, zu vermuten. Tierische Laute sind auch nicht ein spezifisches Merkmal der „Deutschen“. Ausgerechnet die Italiener kommen ebenfalls nicht besser weg. Doch lässt ein Zitat aus dem späten 15. Jahrhundert ohnehin noch keinen Rückschluss darüber zu, ob bei Johannes Boen bereits ein Autostereotyp im Spiel war. Es gibt jedoch ein von Boen völlig unabhängiges, aber sehr zeitnahes anderes Dokument, das eine genauere Betrachtung verdient, zumal Wolf Frobenius es in seiner Boen-Ausgabe als Querverweis in den Fundstellenapparat gesetzt hat. Nur kurze Zeit nach der Entstehung von Boens Musica wurde nämlich die „Nationalität“ der Sänger an der Pariser Universität zu einem Problem, das in der Aufforderung gipfelte, man solle voce Almanica singen, so schön es eben ginge. Möglicherweise fügt sich demnach doch alles zu einem Stereotyp, auf das Boen bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückgreifen konnte. Aber derart verkürzt, verfälscht man den Kontext ganz wesentlich: Bei dem Fest des Heiligen Edmund, das die natio Anglicana an der Universität Paris an jedem 20. November feierte, waren die Sänger im Jahre 1370 unangenehm aufgefallen. In seiner Eigenschaft als Procurator forderte Jordanus de Clivis deshalb vorsichtig, dass „für das Fest des Heiligen Edmund, und zwar für die Messe, einige gute Sänger wegen der größeren Feierlichkeit des Festes herbeigeschafft“ werden möchten – und zwar „auf Kosten der natio“. Denn „bei der Vesper“ sei

35  Franchinus Gaffurius, Theorica musice, Liber V, Mailand 1492, Nachdr. New York 1967, f. kvr: „Anglici enim concinendo iubilant. cantant Galici. Hyspani ploratus promunt. Germani ululatus. Italorum nonnullos ut genuenses et ad eorum littora resident caprizare ferunt. Aliis autem (quod egre fero) latratum attribuunt Barbari“. – Die Aussage wurde häufig kolportiert (Bonnie Blackburn, „Music and Festivities at the Court of Leo X: A Venetian View“, in: Early Music History 11 [1992], S. 1–37, hier S. 12–17). 36  Ebd., S. 12–17.

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„wegen der Mangelhaftigkeit“ oder wegen des „Fehlens“ (?) (propter defectum) „der Sänger keine geringe Konfusion entstanden“, die sogar zur „Verspottung der natio oder jedenfalls der Singenden bzw. Heulenden“ (ululantes) geführt habe.37 Indes darf nicht übersehen werden, dass es sich um die natio im Sinne universitärer Landsmannschaften handelte, die international zusammengesetzt waren. In der natio Anglicana waren neben Angli, die sich in der Überzahl befanden, auch Scoti und Alemanni untergebracht. Eine Verspottung der natio bezog sich also eher darauf, dass sich die Landsmannschaft keine guten Sänger leistete. Nationale Vorurteile waren nicht enthalten. Um guten Festgesang zu gewährleisten, wurden in den Folgejahren denn auch auf Kosten der natio Anglicana fremde und spezialisierte Sänger einbestellt.38 Doch diese Kosten sollten 10 Jahre später, 1380, wieder eingespart werden: Des Weiteren wurde bezüglich der Organisation des Festes des Heiligen Edmund, nämlich was die Sänger, den Schmuck, die Speisen und das für das Fest bereitgestellte Geld betrifft, auf der am 24. November abgehaltenen Versammlung der nacio Anglicana durch Schwur beim Heiligen Julianus, dem Armen, vom größeren Teil der nacio, sofern sie auf der Versammlung vertreten war, beschlossen, dass man es nicht zustande bringe, fremde und besondere (professionelle?) Sänger auf Kosten der nacio zu besorgen, sondern dass ein jeder mit der vox Alamanica singe, so gut er kann, und dass der Bedellus bezüglich des Schmucks zusehe, ob es ihm gelinge, diesen von woanders ohne Kosten der nacio zu erhalten (concedere).39

Es war aber nicht etwa die Rede von der vox Almanica, weil diese, wie es bei Boen schien, für schlechten Gesang sprichwörtlich gewesen wäre. Der Hintergrund ist ein ganz anderer: Als sich das proportionale Verhältnis der Binnennationalitäten – Angli, Scoti, Alemanni – zu Gunsten der Alemanni verschob, wurde die ehema-

37  Auctarium Chartularii Universitatis Parisiensis, hg. von Henri Denifle, Bd. 1: Liber Procuratorum Nationis Anglicanae [Alemanniae], Paris 1894, Sp. 373, 38–43: „Item proposui an expediret pro die beati Edmundi, scilicet missa, adducere aliquos bonos cantores propter majorem solempnitatem festi sub remuneratione nationis, cum in vesperis propter defectum cantorum confusio non modica facta fuerat, et nationis vel cantantium seu ululantium derisio“. 38  Ebd., S. LV, und insbes. die Angaben von 1374 (Sp. 460, 22), von 1375 (Sp. 479, 20), und von 1376 (Sp. 508, 19). 39  Ebd., Sp. 595, 1–5: „Item quartadecima die Novembris facta congregacione nacionis Anglicane per juramentum apud Sanctum Julianum pauperem ad ordinandum de festo Sancti Edmundi, scilicet de cantoribus, de ornamentis, de prandio et de pecunia habendo pro festo, deliberatum fuit per majorem partem nacionis tunc in congregacione existentis, quod non expediret habere cantores alienos et speciales sub expensis nacionis, sed quod quilibet voce Alamanica cantaret, quanto dulcius sciret, et quod bedellus videret de ornamentis si poterit aliunde concedere absque expensis nacionis“.



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lige natio Anglicana in Almanica umgetauft. Das war offiziell 1378 geschehen.40 Die Bezeichnung vox Almanica dürfte also wohl lediglich die der natio eigenen Sänger gemeint haben. Dass im unmittelbaren Umfeld nach wie vor der Name natio Anglicana gebraucht wird, hat vermutlich lediglich den Grund, dass es einige Zeit dauerte, bis man sich an die Verwendung des neuen Namens gewöhnte.41 Aufgrund dieser Zusammenhänge verlieren die Bemerkungen Johannes Boens keineswegs an Gewicht; im Gegenteil verdienen sie um so ernster genommen zu werden: Ein Stereotyp wird dort offenbar nicht kolportiert, sondern der Beobachtung kultureller Eigenheiten Ausdruck verliehen. Dennoch bleibt die pauschale, wenn auch einigermaßen humorvolle, Nennung der geringen Gesangskünste der Alemanni verblüffend, gerade weil offenbar noch kein Stereotyp existierte, das Johannes hier bediente – jedenfalls kein schriftlich fixiertes.

40  Ebd., S. XIV. 41  Ebd.

Giancarlo Andenna

Il concetto di Longobardo e di Lombardo in Italia meridionale tra IX e XII secolo. La complessità di una situazione territoriale Il monaco cassinese Erchemperto,1 nel dedicare la sua opera al principe beneventano Aione (884–890),2 tratteggia in versi l’ultima rinascita della città di Benevento, il cui mito egli riassume entro due parole pregnanti: Ticinum geminum, « la città gemella di Pavia », l’antica capitale del regno longobardo che un tempo fu ricca di chiese e di monasteri, di luce della fede cristiana, ma anche di un palatium regis, ove i reges della Langobardorum gens risiedevano. L’elegante composizione, in distici elegiaci, un tempo attribuita dall’editore dei Monumenta Germaniae Historiae all’età ottoniana, è stata riportata da Ulla Westerbergh al suo legittimo autore, Erchemperto, come parte integrante della sua opera Ystoriola Langobardorum Beneventum degentium.3 In questo scritto il benedettino cassinese intende mostrare, nel momento dell’ultimo guizzo della fiamma longobarda, gli eventi accaduti alla sua gente dopo le eroiche imprese narrate nella grande storia da Paolo Diacono. Se il maggiore storico della gens Langobardorum aveva cantato il dominio e la potenza di Liutprando, il monaco Erchemperto, in modo più modesto, intende narrare non lo splendore, ma il tramonto, non la felicità, ma l’infelice rovina, non come i Longobardi abbiano progredito, ma come si siano ritirati, non come abbiano vinto gli altri popoli, ma come siano stati vinti.4

1  Sulla figura di Erchemperto rimando alla bella voce di Massimo Oldoni, « Erchemperto », in Dizionario Biografico degli Italiani 43 (1993), pp. 66–71. 2  Sulla vita di questo principe beneventano si veda Nicola Cilento, « Aione », in Dizionario Biografico degli Italiani I (1960), Roma, pp. 534–535. 3  Ulla Westerbergh, « Erchempert, a Beneventan poet and partisan », in Beneventan ninth century poetry, edidit Ulla Westerbergh, Stockholm 1957 (Studia latina Stockholmiensia, IV), pp. 8–29. In questo saggio la studiosa svedese ha dimostrato che il carme era stato indirizzato al principe di Benevento Aione II († 890), e, sulla base di un’approfondita indagine di critica interna e di confronto filologico, ha provato che esso è opera di Erchemperto e costituisce l’introduzione dedicatoria della stessa Ystoriola, il cui testo è ancora da ricercarsi in Erchemperti Historia Langobardorum Beneventanorum, a cura di Georg Waitz, Hannoverae 1878 (MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX), pp. 231–264, e successivamente in Poëtae Latini Medii Aevi, V, 2, a cura di Karl Strecker, Lipsiae 1939 (MGH Antiquitates I), pp. 413–414. Un nuovo studio sul Carmen è stato edito di recente da Alfonso Michele Lotito, « Il ‘Carmen ad Aionem principem’ di Erchemperto », in Quis ut Deus 1 (2008), pp. 115–138. 4  Erchemperti (come n. 3), pp. 234–235: « compulsus a compluribus, ego Erchempert … ystoriolam condere Langobardorum Beneventum degentium, de quibus quia his diebus nil

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La sua storia è dunque una « piccola storia » (Ystoriola), rispetto alla poderosa storia di Paolo, ed è la storia di Benevento e non di Pavia. Eppure la città di Benevento alla metà del IX secolo, per il poeta operante nel cenobio cassinese, era soggetta ai superbi, e così, « piena di rovi e di erbacce era divenuta fatiscente e, abbandonata dai cittadini (civibus), era frequentata dagli animali selvaggi ».5 Eppure all’attento lettore desta grande interesse la secca dichiarazione in prima persona, « Ego Erchempert … ystoriolam condere », che esprimeva la volontà di narrare gli eventi negativi per spiegare agli altri cosa fosse accaduto, in quanto l’autore aveva da tempo preso coscienza del suo essere longobardo, di trovarsi come testimone entro i fatti e di avere l’obbligo di scriverli, perché gli altri li potessero conoscere. Per queste ragioni egli sentiva in modo chiaro sia di essere sulla scia di Paolo Diacono, sia anche di elaborare una storiografia in progress, come ha giustamente affermato Massimo Oldoni, rispetto a quella del suo grande maestro.6 La sua tuttavia era una storia, così scriveva Erchemperto, di cose non tanto viste con gli occhi, ma sentite con le orecchie, seguendo gli esempi degli evangelisti Luca e Marco, che scrissero i loro testi sacri non sulla base di ciò che videro, ma di ciò che ascoltarono.7 In lui operava dunque una prevalenza dell’udito sulla vista. Il suono della parola e l’orecchio trasmettono la fides, che porta poi alla veritas, come avveniva nelle esperienze religiose dell’Oriente.8 Nel carmen per Aione l’autore mostra di possedere sofisticate conoscenze teologiche,

dignum ac laudabile repperitur, quod veraci valeat stilo exharari, idcirco non regimen eorum set excidium, non felicitatem set miseriam, non triumphum set perniciem, non quemadmodum profecerint set qualiter defecerint, non quomodo alios superaverint set quomodo superati ab aliis ac devicti fuerint. » 5  Westerbergh, « Erchempert » (come n. 3), p. 9: « Ticinum geminum, heu, viduata manens / iudicibus tumuit sive subiecta superbis; / hostibus innumeris hinc spoliata gemit. / Sentibus et ramnis tabefactaque tota fatiscit, / civibus exuta atque referta feris. » Si veda inoltre l’interpretazione di Ticinum geminum a p. 12. 6  Oldoni, Erchemperto (come n. 1), pp. 69–71, ma anche id., Anonimo Salernitano del X secolo, Napoli 1972, pp. 87–93 e passim, id., « Intellettuali cassinesi di fronte ai Normanni », in Miscellanea di storia italiana e mediterranea, a cura di Nino Lamboglia, Genova 1978, pp. 95–153, in particolare pp. 106–115. Si veda inoltre per questa coscienza del dolore per la triste situazione della gens longobarda e dei monaci di Montecassino anche il bel saggio di Giorgio Falco, « Erchemperto », in Albori d’Europa. Pagine di storia medievale, a cura di Giorgio Falco, Roma 1947, pp. 264–292. 7  Erchemperti (come n. 3), p. 235: « non tantum ea quae oculis, set magis ea quae auribus ausi narrare me fateor, imitatus ex parte dumtaxat Marci Lucaeque evangelistarum preconiis, qui auditus potius quam visus evangelia descripserunt ». 8  Il concetto di fides ex auditu è reperibile in Rom 10, 17–18, « Dunque, la fede viene dall’ascolto e l’ascolto riguarda la parola di Cristo », concetto derivato da Ps 18, 5, nel quale gli stessi cieli narrano a chi sa ascoltare la gloria di Dio.



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quali la dottrina delle gerarchie celesti di Dionigi lo Pseudo Areopagita, recepita da Giovanni Scoto Eriugena, e di aver letto i poeti carolingi, come Ermoldo Nigello, Rabano Mauro e Valafrido Strabone.9 Se si segue il testo del Carmen il principe Aione (884–890), di stirpe longobarda, con la potenza delle sue armi aveva proiettato una nuova luce di speranza e aveva dato a Benevento una rinnovata forza. Sotto la protezione di Dio l’antico principato longobardo aveva ritrovato la sua unità, sottoponendo Capua alla città di Benevento, che era stata il centro della penetrazione dei Longobardi nel Mezzogiorno. Ma subito il tema religioso affiora nella scrittura del monaco: i cittadini avevano esultato cantando, poiché erano ora guidati da un pio principe, che affidava il suo governo alla protezione di Dio e della Vergine Maria, degli stessi Apostoli e dei santi. Tutte queste forze spirituali avrebbero concesso ad Aione la vittoria contro i nemici pagani (gente profana), i Saraceni, che continuavano ad insidiare con la loro presenza militare il popolo cristiano. Il Carmen infine si conclude con un paragone, che apre la strada al trascendente, tra la forza del principe, destinato a dominare in letizia sulle sue terre, e la felicità celeste che egli otterrà di sicuro dopo la morte. Si tratta di una composizione che intende celebrare la superiorità di Benevento sulla rivale Capua, e quindi implicitamente anche sulla città longobarda di Salerno, che in quel momento era sede di un altro principato longobardo.10 In questo modo Erchemperto volle stabilire una precisa gerarchia tra le città della Langobardia meridionale. Il criterio della superiorità fu dunque fissato, in modo implicito, sia con l’attribuzione della dignità di capitale dei longobardi meridionali all’urbs beneventana, sia con l’ardito paragone di proclamarla « gemella di Pavia », la vecchia capitale di Agilulfo, di Rotari, di Liutprando, di Astolfo e di Desiderio.11 In quel momento Pavia, posta sotto il dominio dei Franchi, avrebbe benissimo potuto cedere la palma e l’onore alla città di Benevento, ancora retta da principi longobardi.

9  Oldoni, Erchemperto (come n. 1), p. 69. 10  Su questi problemi il rimando è all’eccellente lavoro di Huguette Taviani-Carozzi, La principauté lombarde de Salerne, IXe–XIe siècle. Pouvoir et société en Italie lombarde méridionale, 2 volumi, Rome 1991 (Collection de l’École Française de Rome 152), e a quelli di Vera von Falkenhausen, « I Longobardi meridionali », in Storia d’Italia, diretta da Giuseppe Galasso, Vol. III: Il Mezzogiorno dai Bizantini a Federico II, Torino 1983, pp. 249–384. 11  Sulle varie capitali dei Longobardi rimando a Gian Pietro Brogiolo, « Capitali e residenze regie nell’Italia longobarda », in Sedes regiae, a cura di Gisela Ripoll et al., Barcellona 2000, pp. 135–162, ora riedito in Alto Medioevo Mediterraneo, a cura di Stefano Gasparri, Firenze 2005, pp. 233–250.

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Vorrei qui annotare la pluralità delle espressioni relative al canto e alle liturgie della gioia, che emergono da questo testo di un monaco della fine del IX secolo, di cultura longobarda. La restaurazione della luce nella città che germoglia (gemmea) è accompagnata dall’esultanza degli abitanti, che si esprime nei canti, a tratti anche roboanti (« exultans urbs cantibus … canendo boat »). Mentre la ritrovata unità del territorio è festeggiata dall’aere, dalla terra, dalle onde del mare e dai cieli, che cantano per amore la lode della città con l’Alleluia (« Alleluia canant laudis amore tue »). Ma ancora, per concludere, il poeta definisce la sua composizione come un carmen plebeium, un canto popolare, che egli offre al principe pio e potente, per chiedere la sua protezione. Il poeta crea qui un duplice ordine musicale, quello celeste, degli elementi, che con la gloria di Dio cantano anche le lodi di Aione, e quello terreno, del popolo, di Erchemperto, che con la pietas sottolinea anche la forza militare del principe. Come la terra, le stelle e il mare cantano l’Alleluia per celebrare l’essere capitale di Benevento, così il poeta Erchemperto si presenta ad Aione, con un canto non sacro, ma popolare, per affidargli la sua composizione, l’Ystoriola. Lo scritto dovrà dare ai cittadini di Benevento, ai Longobardi della nuova capitale, paragonata a Pavia, la dignità perduta nel passato, ma che l’urbs aveva già raggiunto al tempo del defunto duca Arechis II, il marito di Adelperga, figlia di re Desiderio.12 Arechis, dopo la sconfitta e la prigionia del suocero e dopo il successivo trasferimento a Bisanzio del cognato Adelgis, l’erede di re Desiderio, decise nel 774 di attribuirsi il titolo di principe, ponendosi come guida dei residui gruppi della nazione longobarda (« suae gentis reliquias rexit nobiliter et honorifice »). Infatti nel più tardo Prologo alle leggi del duca Adelgis, scritto nell’866, Arechis è descritto come un capo che seguiva i vestigia regum, poiché aveva aggiunto ai suoi titoli di governo, quello di gloriosus princeps, capace di legiferare per assicurare il trionfo della giustizia nel suo territorio.13 Si può invece dubitare che egli abbia

12  Su questo periodo della storia di Benevento e sulla figura del principe Arechi II rimando a Tommaso Indelli, Arechi II. Un principe longobardo tra due città, Salerno 2011, ma anche a Paolo Bertolini, « Arechis II », in Dizionario Biografico degli Italiani 4 (1962), pp. 71–78, Stefano Gasparri, « Il ducato e il principato di Benevento », in Storia del Mezzogiorno, Vol. II.: Il Medioevo, a cura di Giuseppe Galasso, Napoli 1988, pp. 83–146, e infine al lungo saggio di Stefano Palmieri, « Duchi, principi e vescovi nella Longobardia meridionale », in Longobardia e longobardi in Italia meridionale. Le istituzioni ecclesiastiche, a cura di Giancarlo Andenna et al., Milano 1996, pp. 43–99. 13  Il Prologo è stato edito con il titolo Incipit Capitula domni Adelchis principis, edidit Friedrich Bluhme, Hannoverae 1868 (MGH Leges Langobardorum), pp. 207–225, in particolare p. 210, una edizione italiana delle leggi longobarde è stata fatta in Le leggi dei Longobardi. Storia, memoria e diritto di un popolo germanico, a cura di Claudio Azzara e Stefano Gasparri, Milano



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utilizzato il diadema e lo scettro e che abbia effettuato la cerimonia dell’unzione, come afferma Leone Marsicano.14 Insomma, pur senza l’unzione, che rendeva sacro il principe, egli si arrogava le prerogative dei sovrani, anche perché aveva creato un palatium a Benevento15 e legiferava senza il concorso dell’assemblea. Il testo del più tardo duca Adelgis testimonia in modo chiaro che Arechis II aveva emanato delle leggi con suoi specifici decreti.16 E come un re egli concedeva la sua tuitio ai monasteri, alle chiese e al popolo, operava da princeps Catholicus

1992. Il testo latino, p. 207, dice: « Incipit capitula domni Aregis principis », ma nel Prologo di Adelchis, p. 210, « ducatum tunc Beneventi gubernabat Arechis dux, per omnia catholicus atque magnificus; qui imitator existens maiorum, suae gentis reliquias rexit nobiliter et honorifice, et sequens vestigia regum, quaedam capitula in suis decretis, sollerter corrigere seu statuere curavit, ad salvationem et iustitiam suae patriae pertinentia ». Sulla autoproclamazione di Arechi II rimando a Hans H. Kaminsky, « Zum Sinngehalt des Princeps-Titels Arichis II von Benevent », in Frühmittelalterliche Studien 8 (1974), pp. 81–92, ma anche Huguette Taviani, « L’image du souverain lombard de Paul Diacre à la Cronique de Salerne (VIII–X siècle) », in Longobardi e Lombardia. Aspetti di civiltà longobarda, Atti del VI Congresso internazionale di Studi sull’Alto Medioevo, Milano, 21–25 ottobre 1978, a cura di Clelia Alberici, Spoleto 1980, tomi due, pp. 744, pp. 679–693. 14  Chronica monasterii Casinensis. Die Chronik von Montecassino, edidit Hartmut Hoffmann, Hannoverae 1980 (MGH Scriptores 34), p. 37: « principem se appellari iussit […] et ab episcopis ungi se fecit et coronam sibi imposuit atque in suis cartis scriptum in sacratissimo nostro palatio, in finem scribi praecepit. » Dimostrano dubbi sulla affermazione di Leone, in rapporto all’unzione e alla corona, espressione che risente di influenze successive legate al mondo degli Ottoni, Taviani, L’image du souverain (come n. 13), pp. 680–683, ead., « Caractères originaux des institutions politiques et administratives dans les principautés lombardes de l’Italie méridionale aux Xe siècle », in Il secolo di ferro: mito e realtà del secolo X, Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’Alto medioevo, Spoleto 1991, pp. 286–291, Hartmut Hoffmann, « Chronik und Urkunde in Montecassino », in Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 51 (1972), pp. 93–205, Gasparri, Il ducato e il principato di Benevento (come n. 12), p. 109. 15  Sul concetto di palatium come sede del potere sovrano, rimando a Carlrichard Brühl, « Palatium e Civitas in Italia dall’epoca tardo antica fino all’epoca degli Svevi », in I problemi della civiltà comunale, Atti del Congresso Storico Internazionale di Bergamo per l’ottavo centenario della Lega Lombarda (Bergamo, 4–8 settembre 1967), a cura di Cosimo Damiano Fonseca, Bergamo, pp. 157–163. 16  Incipit Capitula domni Adelchis principis (come n. 13), p. 210, ma al testo già riportato il principe Adelchi aggiunse: « sequentes praephati Arechis excellentissimi ducis aegregium exemplum, ad imitationem eius quaedam instituere providimus capitula ad amputandas quorumdam nequitias congrua. »

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con i vescovi e gli abati17 ed infine batteva moneta con il proprio nome.18 La sua casa divenne un sacrum palatium, centro dell’amministrazione del principato dei Longobardi del Mezzogiorno. Nell’epitaffio, inserito nel Chronicon Salernitanum, Paolo Diacono al momento della morte di Arechis II nel 787, ricorda non solo le virtù personali del principe e la sua cultura, ma anche le sue opere: « Ornasti patriam doctrinis, moenibus, aulis » e per questo la sua lode rimarrà imperitura.19 Il principe è infatti colto nello sforzo di costruire le forti mura della città di Salerno e il monastero di Santa Sofia in Benevento. Ma Paolo sa che esiste una graduatoria tra le città del principato e subito indica la priorità di Benevento, che davanti a tutte le altre mostra il suo dolore per la morte del suo signore: « et ante omnes tu Benevente doles ». Salerno al contrario geme per aver perso colui che l’ha resa città cingendola di alte mura.20 Nell’epitaffio non appare mai l’aggettivo longobardus, emerge invece l’opera del duca intento ad unificare le varie nationes presenti nel suo principato, Apulus et Calaber, Vulgar (forse Bulgaro, o forse Bavaro), Campanus et Umber, gruppi stanziati sui grandi fiumi, il Sele e il Tevere, il Po e il Danubio. Insomma Paolo Diacono pensa che Arechis abbia svolto più una funzione imperiale, come quella di Carlo Magno, nel dare unità a diversae gentes, e non tanto un compito di principe longobardo.21

17  I vescovi non ebbero tuttavia alcuna funzione pubblica; essi erano solo autorevoli esponenti delle aristocrazie longobarde di Sud e intervenivano a corte per dare maggiore solennità alle cerimonie sacre e politiche. Si veda ad esempio la figura del presule Davide, che nel 787 svolse per Arechi II funzioni diplomatiche a Capua presso Carlo Magno cfr. Luca Bellingeri, « Davide, vescovo di Benevento », in Dizionario Biografico degli Italiani 33 (1987), pp. 152–155, e Lauro Maio, « Davide beneventano: un vescovo della Longobardia meridionale », in Samnium 55 (1982), pp. 197–221, 56 (1983), pp. 77–101. Sui vescovi e sul loro rapporto con i principi rimando al lavoro di Palmieri, Duchi, principi e vescovi (come n. 12). 18  Si veda a proposito Philip Grierson e Mark Blackburn, Medieval European Coinage (MEC). Volume 1: The Early Middle Ages (5th–10th Centuries), Cambridge 2007, pp. 66–72. 19  Chronicum Salernitanum 747–974, in Annales, Chronica, Historiae aevi Saxonici, edidit Georg Heinrich Pertz, Hannoverae 1839 (MGH Scriptores III), pp. 467–561, il testo di Paolo Diacono è alle pp. 482–483. Una nuova edizione della fonte è Chronicum Salernitanum, a critical edition with studies on literary and historical sources, and on languages, edidit Ulla Westerbergh, Stockholm 1956 (Acta Universitatis Stockholmiensis. Studia Latina Stockholmiensia 3), pp. 21–22. 20  Ibid., p. 482: « Nec minus excelsis nuper quae condita muris, / structorem, orbe, tuum, clara Salerne, gemis. » 21  Si tratta di un concetto tipico del mondo carolingio, ben espresso in seguito da Agobardo di Lione, secondo il quale la forza del principe consiste nell’unificare le varie nationes, eliminando le diverse esperienze dei diritti personali, sulla traccia di quanto scrive san Paolo ai Colossesi: « Qui non c’è Greco o Giudeo, circoncisione o incirconcisione, barbaro, Scita, schiavo, libero, ma Cristo è tutto e in tutti » (col. 3.11). Si veda la lettera dell’817 a Ludovico il Pio, Agobardi



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Eppure nel Versus de Arichi duce di Paolo Diacono, dedicato anche all’esaltazione delle mura della città di Salerno, completamente ristrutturata ampliata e resa potente dallo stesso Arechis II, il poeta definisce il principe con l’espressione di Bardorum et culmen.22 Il sostantivo Bardus è inoltre ben presente nell’epitaffio del figlio di Arechis, il giovane Romoald, morto qualche mese prima del padre.23 Nei primi due distici elegiaci della composizione Benevento e i Longobardi sono strettamente uniti: Benevento è triste, poiché la sua alta gloria è ora racchiusa in un tumulo e ciò deve essere di monito alle forze militari longobarde (vae tibi Barda cohors!). Nel sarcofago dorme il figlio del grande Arechis, unica speranza della patria longobarda di Benevento, che avrebbe potuto essere muro e arma di difesa per i suoi cittadini, come lo era stato durante il viaggio diplomatico per incontrare Carlo Magno e le sue milizie, in modo da ottenere il rispetto dei confini del territorio beneventano. Con la sua morte i Longobardi hanno perso una speranza e la stessa Benevento un sicuro e colto difensore.24 D’altra parte l’Anonimo autore del Chronicon Salernitanum, nel secolo X, insiste molto sull’essere longobardo di Arechis II, anche quando egli è protagonista di un fatto profetico, avvenuto nella chiesa costantiniana di Santo Stefano di Capua Vetere,25 ove gli fu predetta la sua futura carriera di principe.26 L’episodio deve essere qui riferito, poiché lega la tradizione militare della gens longobarda al mondo religioso e a quello del canto ecclesiastico. L’Anonimo narra che il giovane

archiepiscopi lugdunensis Epistula 3, de unitate legis Christi, ad Ludovicum I inperatorem, edidit Ernst Dümmler, Berolini 1899 (MGH Epistolae Karolini aevi III), pp. 158–159. Cfr. anche Stefano Gasparri, Prima delle nazioni. Popoli, etnie e regni fra antichità e Medioevo, Roma 1997. 22  Pauli Diaconi Versus de Arichi duce, edidit Ernst Dümmler, Berolini 1881 (MGH Antiquitates, Poetae Latini aevi Carolini I), pp. 44–45, un commento in Francesco Stella, « La poesia di Paolo Diacono: nuovi manoscritti e attribuzioni incerte », in Paolo Diacono. Uno scrittore fra tradizione longobarda e rinnovamento carolingio, Atti del Convegno Internazionale di Studi, Cividale del Friuli – Udine, 6–9 maggio 1999, a cura di Paolo Chiesa, Udine 2000, pp. 551–574. 23  Pauli Diaconi, Alta ruit subito Beneventi (come n. 22), pp. 782–783. 24  Ibid., la pulcherrima proles di Arechis II è lodata per essere stata « unica spes patriae, murus et arma suis », per essere stato sostegno per la senectus del padre e della madre, per aver posseduto una preparazione nella grammatica, nelle leggi civili (mundana lege togatus) e in quelle religiose (divina instructus). L’aver difeso Benevento con l’ambasceria a Carlo è rammentato nel distico « Obvius occurrit regi innumeraeque falangi, / munivit fines, o Benevente, tuos ». 25  Chronicum Salernitanum 747–974 (come n. 19), p. 481, Chronicum Salernitanum, a critical edition (come n. 19), p. 19: « dum cum suo principe in ecclesia beati protomartiris Stephani – que sita est in veterrima urbe Capua ab imperatore, Elenae filio, Costantino, eamque in honore omnium apostolorum dedicari decrevit, licet postea a beatissimo Germano, eiusdem episcopo urbis, collatas ab imperatore reliquias beati protomartiris Stephani et beatae Aghatae virginis, proinde eam in honorem protomartiris Stephani vocari iussit ». 26  Palmieri, Duchi, principi e vescovi (come n. 12), p. 79.

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Arechis, recatosi insieme al suo duca e ad altri giovani longobardi nella chiesa del protomartire, mantenne lo scramasax al suo fianco, come era costume dei Longobardi (« Langobardorum sicuti mos est »). E così armato si mise a pregare, mentre dalle sue labbra usciva il canto del salmo Miserere mei Deus (labiis impressis canere cepit). Appare molto interessante che il giovane guerriero conosca e canti il salmo a memoria, infatti nel momento di cantare il versetto Spiritus principalis confirma me, egli sente l’arma che ha al fianco tremare, come se la forza del Paraclito lo avesse invaso.27 Un principe della natio Langobarda doveva essere scelto da Dio, prima ancora che dagli uomini. Ma il longobardo Arechis II seppe anche svolgere una sua funzione religiosa specifica entro la città di Benevento. Dopo il matrimonio con Adelperga, figlia di re Desiderio, sposata nel 768, dunque prima della rovinosa sconfitta dei Longobardi, Arechis intendeva dedicare alla Santa Sapienza (Santa Sofia) un tempio in cui le vergini della nobiltà longobarda potessero vivere servendo Dio. La fondazione era a imitazione della medesima istituzione di Giustiniano a Bisanzio.28 Paolo Delogu ha ben dimostrato che i due sposi conferirono un alto significato ideologico all’iniziativa, fortemente sottolineato dai successivi trasferimenti di reliquie di martiri nella basilica monastica femminile.29 Noi possediamo infatti la Translatio di San Mercurio, avvenuta nel 768,30 mentre nella seconda metà dell’XI secolo Alfano di Salerno compose un poema sul trasporto delle reliquie dei Dodici Fratelli martiri e sulla loro deposizione nella basilica di Santa Sofia, atti realizzati al tempo di Arechis II e in particolare nel 760.31 Inoltre nel 763 il medesimo duca di Benevento, qui detto celeberrimus princeps Longobardorum, accettò entro le mura della città le reliquie di sant’E-

27  Chronicum Salernitanum 747–974 (come n. 19), p. 481, Chronicum Salernitanum, a critical edition (come n. 19), p. 19. 28  Erchemperti (come n. 3), p. 236: « sanctimoniale coenobium statuit idique sub iure beati Benedicti in perpetuum tradidit permanendum ». Il riferimento alla basilica di Giustiniano a Bisanzio è in Translatio sancti Mercurii, in: MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum (come n. 3), pp. 576–577: « perfecta iam sanctae Sophiae basilica, quam ad exemplar illius condidit Iustiniane ». 29  Paolo Delogu, Mito di una città meridionale. Salerno secoli VIII–XI, Napoli 1977, pp. 21–23, ma anche Hans Belting, Studien zur beneventanischen Malerei, Wiesbaden 1968 (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 7), pp. 152–156. 30  Translatio sancti Mercurii (come n. 28), pp. 576–580. 31  Sanctorum translationes Beneventi factae, Carmen de translatione duodecim martyrum, a cura di Georg Waitz, Hannoverae 1878 (MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX), pp. 574–576. Rimando comunque per tutte le questioni relative a questa complessa fonte all’articolo di Antonio Vuolo, « Agiografia beneventana », in Longobardia e longobardi in Italia meridionale (come n. 12), pp. 199–237.



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liano, che il suo gastaldo Gualteris aveva ottenuto dall’imperatore di Bisanzio al termine di una legazione. In questo caso era stato il santo stesso, durante una tempesta da lui sedata, a chiedere al gastaldo di essere trasportato da Costantinopoli a Benevento.32 Arechis intese dunque affermare con questi atti, realizzati da lui o dai suoi ufficiali prima della sconfitta di Desiderio, una sua autonomia entro il territorio ducale beneventano, ben distinta sul piano delle forme liturgiche e santorali dal potere dei sovrani del Nord Italia. Nel racconto della traslazione di San Mercurio si dice chiaramente che Arechis, dopo aver costruito Santa Sofia, ad imitazione di quella innalzata da Giustiniano (« ad exemplar illius condidit Iustinianus »),33 e dopo aver deposto nella chiesa le reliquie dei Dodici Fratelli martiri, il sovrano decise di ricercare le spoglie mortali del martire Mercurio da Cesarea, che la tradizione affermava essere state portate nel Sannio, per ordine dell’imperatore di Bisanzio, Costante II,34 da tre monaci durante la sua campagna militare nell’Italia meridionale, affinché il santo lo assistesse nelle operazioni belliche.35 Postosi ad assediare Benevento, l’imperatore bizantino fu dai Longobardi del luogo costretto alla fuga e il corpo del martire Mercurio rimase deposto in una basilica innalzata dai tre monaci nella località di Quintodecimo, ad altrettante miglia distante da Benevento. Le spoglie di Mercurio furono nascoste sotto al pavimento dell’edificio sacro e i tre religiosi posero una « lapidem pro signo corporis ». Passarono più di novantacinque anni da quel momento e nessuno si ricordava del martire, ma il luogo conservava ancora le testimonianze della sua presenza (« sed signis eius celebratur locus iste »). Solo il duca Arechis II, che desiderava associare ai Dodici Fratelli le spoglie del martire Mercurio, si pose alla ricerca, insieme al metropolita di Benevento, delle reliquie, che furono trovate dopo due giorni di scavi nel 768 e portate in Santa Sofia.36

32  Translatio Sancti Heliani, in: MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum (come n. 3), pp. 581–582, Vuolo, « Agiografia beneventana » (come n. 31), pp. 213–217. 33  Si veda la precedente n. 28. 34  Su questa spedizione e sulla sua incidenza in Italia meridionale rimando a Pasquale Corsi, « La spedizione in Italia di Costante II: fonti e problemi », in Nicolaus 3/2 (1975), pp. 362–370. 35  Su questa campagna militare si veda il racconto di Pauli Diaconi Historia Langobardorum, edentibus Georg Waitz et al., (come n. 3), pp. 146–147, dal quale le translationes di san Mercurio in parte dipendono. 36  Translatio sancti Mercurii (come n. 23), pp. 577–578. Anche in questo caso il ritrovamento del corpo santo avvenne per una apparizione notturna del martire al vescovo di Benevento, a cui rivolse l’ammonimento di continuare nelle ricerche e il suggerimento di dove scavare. I santi manifestano la volontà di essere venerati in Santa Sofia e in questo modo rendono l’edificio punto di eccezionale dignità e di grande fervore in rapporto al territorio circostante.

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La località di Quintodecimo corrispondeva all’antico centro di Aeclanum e Hippolyte Delehaye ha trovato testimonianze liturgiche molto antiche che permettono di sapere che il 26 agosto in quel luogo era celebrata la memoria di uno sconosciuto martire di nome Mercurio. In quella data nell’VIII secolo fu posto il ricordo della translatio di questo santo da Aeclanum a Benevento; in altre parole il bollandista ha sostenuto che un oscuro martire locale fu confuso con il più famoso santo di Cesarea, le cui reliquie si favoleggiò che fossero state portate in Italia dall’imperatore Costante II al seguito delle armate di Bisanzio.37 Il periodo di Arechis II fu pertanto caratterizzato da una precisa volontà di imitazione di quanto avveniva a Bisanzio, sia nella creazione della basilica a pianta centrale di Santa Sofia, sia nella concentrazione in essa di numerose reliquie, a cui fu attribuita dai poeti una derivazione orientale. Anche in questo caso va sottolineato il fatto che Arechis II desiderava fare di Benevento la capitale del suo ducato e pensava, utilizzando i corpi di due martiri onorati dai Bizantini, di essere l’erede del mondo greco nell’Italia del Mezzogiorno dominata dai Longobardi. Ma va anche detto che prima di Arechis II, al tempo del duca Romualdo, i guerrieri germanici si erano impadroniti del Monte dell’Angelo, luogo molto venerato in Oriente, e avevano adottato l’arcangelo Michele come protettore della stirpe longobarda in Italia. Di tali eventi il Liber de apparitione Sancti Michaelis in monte Gargano fu l’espressione, in quanto scritto tra la fine del IX e gli inizi del secolo X.38

37  Hippolyte Delehaye, « La translatio sancti Mercurii Beneventum », in Mélanges Godefroid Kurth, vol. I, Liegi 1908, pp. 17–24, riedito in seguito nei Mélanges d’hagiographie grecque et latine, a cura di Hippolyte Delahaye, Bruxelles 1966 (Subsidia Hagiografica, 42), pp. 189–195. 38  Liber de apparitione sancti Michaelis in monte Gargano, edidit Georg Waitz, Hannoverae 1878 (MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum), pp. 540–543. Sul problema del Gargano e del culto michaelico, per il quale esiste un’ampia bibliografia, rimando a Giorgio Otranto, « Per una metodologia della ricerca storico-agiografica: il Santuario michaelico del Gargano tra Bizantini e Longobardi », in Vetera Christianorum 25 (1988), pp. 381–405, Nicholas Everett, « The ‘Liber de apparitione sancti Michaelis in monte Gargano’ and the Hagiography of dispossession », in Analecta Bollandiana 120 (2002), pp. 364–391, Vito Sivo, « Un nuovo testo sul culto di San Michele », in Vetera Christianorum 32 (1995), pp. 395–400, Jean-Marie Martin, « Le culte de saint Michel en Italie Méridionale d’après les actes de la pratique (VIe-XIIe) », in Culto e insediamenti micaelici fra tarda antichità e medioevo, Atti del Convegno internazionale, Monte Sant’Angelo, 18–21 novembre 1992, a cura di Carlo Carletti, Bari 1994, pp. 375–403, in particolare pp. 389–390, Giorgio Otranto, « Note sulla tipologia degli insediamenti micaelici nell’Europa medievale », in Culto e santuari di san Michele nell’Europa medievale, Atti del Congresso internazionale di studi, Bari-Monte Sant’Angelo, 5–8 aprile 2006, a cura di Pierre Bouet et al., Bari 2007, pp. 385–415. Per la diffusione del culto anche in aree della Lombardia medievale Giancarlo Andenna, « Di un nuovo centro di culto micaelico nell’Italia settentrionale: ‘Olegium qui dicitur Langobardorum’  », in Vetera Christianorum 40 (2003), pp. 225–249, riedito anche in Profili giuri-



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Ma se leggiamo con attenzione le due Translationes di Mercurio e di Eliano, scritte entro la prima metà del IX secolo, possiamo notare che gli autori illustrano in modo particolare le cerimonie delle processioni che accompagnavano l’elevatio, il trasporto e la depositio dei corpi santi entro le mura beneventane. « Cum subito martiris venitur ad tumulum et loculo elevato et lectice imposito Beneventum cum tripudio remeatur. Hinc melos et cantica, hinc ymni et iubili, clero populoque dulci modulamine decantantibus, celum faciunt resonare. »39 Ma non solo il duca, anche un suo gastaldo, Gualteris, funzionario amministrativo di un territorio del ducato, dopo aver ricuperato il corpo di Eliano, avendolo ottenuto dall’imperatore di Bisanzio, lo depositò entro una chiesa da lui costruita in città, trasformandola in un sacrario ove avvenivano i miracoli. Nel caso di Gualteris la processione, che seguiva le spoglie benedette del santo, era descritta in modo talmente preciso da poterla quasi vedere: la folla procedeva lentamente con ceri, lampade e profumi, ottenuti bruciando essenze odorose (Thimiamatum), e nel frattempo tutti, clero e popolo, cantavano inni e salmi.40 Il canto sacro rappresentava dunque una parte indispensabile della cerimonia religiosa, un momento di piena compartecipazione dell’umano al sacro, poiché la musica, la melodia era considerata espressione dello spiritus, momento rivelatore della sacralità. Infine il testo che mostra tutta la forza, con i cui i Longobardi di Mezzogiorno, o meglio di Benevento, espressero la coscienza storica della loro evoluzione verso il cattolicesimo, tanto da sentirsi poi per secoli non solo i gemelli di Pavia, ma anche i veri eredi della Chiesa Apostolica, è la Vita sive Passio Beati Barbati episcopi et martiris, scritta tra la fine del IX e i primi decenni del X secolo, ma che racconta fatti relativi agli anni Sessanta-Settanta del VII secolo.41

dici e storia dei santuari cristiani in Italia, a cura di Gaetano Dammacco e Giorgio Otranto, Bari 2004 (Quaderni di ‘Vetera Christianorum’ 29), pp. 137–163. 39  Translatio sancti Mercurii (come n. 28), p. 577. 40  Translatio sancti Heliani (come n. 32), p. 582: « Cumque Beneventi meniis propinquasset, cum cereis et lampadibus ac diverso Thimiamatum genere omnis turba confluxit per stadiorum aliqua spatia; et sic cum ymnis et canticis introductum sanctissimum corpus, honorifice situm est in basilica. » 41  La Vita Barbati è ancora reperibile in Vita Barbati episcopi Beneventani, edidit Georg Waitz, Hannoverae 1878 (MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum), pp. 555–563, per la datazione seguo quanto scritto da Jean-Marie Martin, « À propos de la ‘Vita’ de ‘Barbatus’, évêque de Bénévent », in Mélanges de l’École Française de Rome. Moyen Âge – Temps Modernes 86 (1984), pp. 137–164, pur tenendo conto di quanto aggiungono Carmelo Lepore, « L’Église de Bénévent et la puissance publique: relations et conflicts des origines au XIIe siècle », in La Cathédrale de Bénévent, a cura di Thomas F. Kelly e Francesco Bove, Paris 1999 (Esthétique et rituels des Cathédrales d’Europe 1), pp. 47–65, che la pone alla fine del IX secolo, e Emore Paoli, « Tradizioni agio-

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A quell’epoca i longobardi erano solo formalmente cristiani, ma conservavano ancora forti legami con la loro primitiva religione totemica, quali l’idolatria per la vipera (« bestiae simulacro, quae vulgo vipera nominatur, flectebant colla »), o per il grande albero fuori le mura di Benevento, nel luogo detto Votum ove si svolgevano cerimonie dedicate al loro dio Wodan.42 L’intervento del prete Barbato mirava ad estirpare tali residui di paganesimo e a introdurre, con l’attività missionaria, il culto cristiano, sfruttando il pericolo creato dallo sbarco a Taranto, in Puglia, di Costante II, imperatore di Bisanzio, che nel giro di breve tempo pose l’assedio a Benevento. L’intervento di Barbato in quel momento difficile fu decisivo, poiché le sue preghiere favorirono l’aiuto della Vergine Maria, che apparve sulle mura della città in funzione di protettrice, tanto che i Bizantini, atterriti, dovettero abbandonare l’assedio. Barbato divenne così vescovo, ampliò la sua diocesi sino a Siponto e alla grotta garganica e di persona abbatté l’albero sacro a Wotan. I Longobardi perdevano i loro usus bellorum e il culto per le loro antiche consuetudini religiose, ma si inserivano così nel sistema della cattolicità romana. E Barbato poteva essere pensato come un vescovo defensor civitatis, anche se il termine non appare nella Passio seu Vita.43 Proprio mentre i chierici redigevano la Vita Barbati, nella Benevento del periodo posteriore ad Arechis, dominata dai principi Sicone e Sicardo, uomini violenti e corrotti, secondo il racconto di Erchemperto, avvenivano due translationes importantissime, quella del martire Gennaro di Napoli e quella dell’apostolo Bartolomeo. Il trasporto del martire Gennaro da Napoli a Benevento fu attuato durante il governo del principe Sicone. Le reliquie furono sottratte con la violenza ai Napoletani. Conosciamo l’episodio poiché è stato narrato da un anonimo

grafiche dei Ducati di Spoleto e Benevento », in I Longobardi dei ducati di Spoleto e Benevento, Spoleto 2003, pp. 289–315, che ritiene più probabile una datazione al pieno X secolo, e Federico Corrubolo, « Una nuova ipotesi di datazione della Vita Barbati episcopi beneventani », in Rivista Storica del Sannio 25 (2006), pp. 47–62, incline a collocarla alla fine del X secolo. Per una valutazione generale sugli studi agiografici di questa zona rimando a Thomas Granier, in Les saints et l’histoire. Sources hagiographiques du Moyen Âge, edidit Anne Wagner, Rosny-sous-Bois 2004, pp. 150–151, nonché Antonio Vuolo, Agiografia d’autore in area beneventana. Le ‘Vitae’ di Giovanni da Spoleto, Leone IX e Giovanni Crisostomo (secoli XI–XII), Firenze 2010, pp. LV–LVI. 42  Sul rapporto votum – Wodan rimando a Taviani-Carozzi, La principauté lombarde de Salerne (come n. 10), p. 162, ma anche a Karin Priester, Geschichte der Langobarden: Gesellschaft, Kultur, Alltagsleben, Darmstadt 2004, p. 142. 43  Sulla funzione dei vescovi nell’età di Arechis II e dei suoi successori rimando a Palmieri, Duchi, principi e vescovi (come n. 12), pp. 76–86, Vuolo, Agiografia beneventana (come n. 31), pp. 219–220, e in generale Alba Maria Orselli, « Il santo patrono cittadino tra tardo antico e Alto Medioevo », in La cultura in Italia fra Tardo Antico e Alto Medioevo, Atti del convegno tenuto a Roma, Consiglio nazionale delle ricerche, dal 12 al 16 novembre 1979, Roma 1981, pp. 771–784.



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agiografo beneventano, testimone diretto dei fatti, che si impegnò a nascondere il carattere violento della espropriazione, sottolineando come il santo avesse pienamente accondisceso al ritorno nella città di cui era stato vescovo. Infatti egli affermò direttamente di voler ritornare a Benevento perché « Beneventum plebs enim mea est ».44 Dopo la traslazione del santo vescovo in città, durante la quale si pregava cantando,45 il popolo poté assistere a una profonda trasformazione del culto patronale cittadino, poiché Gennaro non fu più posto nella basilica di Santa Sofia, la chiesa del principe, come ai tempi di Arechis II il miles Mercurio e i Dodici Fratelli, ma nella nuova cattedrale dedicata alla Vergine, presso la quale aveva abitato Gennaro e in quel momento risiedevano i presuli.46 Era un atto di grande importanza simbolica, poiché era spia della presenza di un episcopato della Langobardia minor più consapevole delle proprie funzioni, capace quindi di staccarsi dalla corte del principe. Ma la separazione tra i due poteri era ancora difficile e complessa da realizzare, poiché l’anonimo autore della Translatio sancti Januarii, che fu testimone diretto dei fatti narrati, sostenne che il principe fece costruire nella chiesa cattedrale una rutilante cappella marmorea dove egli non solo depose i resti del vescovo sottratto a Napoli, ma sul cui altare collocò una corona d’oro, simbolo del suo potere, quasi volesse riconoscerlo signore della città (« coronam auro optimo […] de capite suis manibus deposuit et super altarium beati Januarii martyris locavit »).47 Eppure a partire dal X secolo, secondo gli studi di Herbert Zielinski, i presuli di Benevento, da poco tempo divenuti arcivescovi, formalizzarono i loro documenti ufficiali ad imitazione delle charte dei duchi e dei principi del territorio. Infatti, seppur scritti da chierici diocesani, i precetti episcopali furono caratterizzati dalla sigillatura, introdotta da un complesso formulario, e divennero così

44  Translatio sancti Januarii, in Acta Sanctorum, Septembris, VI, pp. 888–889, mentre Sicone assediava Napoli, Gennaro apparve ad una donna e disse: « Ego migro de isto loco. Quem cum faemina percontaretur, quo ire vellet, illi respondit: Beneventum, plebs enim mea est. Hactenus pro urbe hac deprecatus sum, sed ferre illorum mala jam non valeo, maxime cum super tumulum meum tot periuria perpetrent. » 45  Ibid., p. 889: « omnis urbs cum lampadibus et himnis obvia illi facta est, laudantes dominum ac dicentes: Benedictus qui venit in nomine domini, quia post tot tempora Patrem suum recipere meruerit. » 46  Ibid.: « Nam iuxta basilicam Dei Genitricis Mariae semperque Virginis, basilica quae Hierusalem cognominabatur, fuit, in qua etiam sedes antiquorum episcoporum et illius fuit. » 47  Ibid., pp. 889–890. Nella cattedrale rinnovata miro opere, il principe fece innalzare « cameram marmoream elegantius constructam in quo corpora sanctorum martirum locarentur, Januarii videlicet, Festi et Desiderii ».

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roborea precepta, vale a dire documenti pubblici. Ma se da una parte l’attenzione degli arcivescovi di Benevento era rivolta al mondo dei principi, per la stesura dei documenti aventi valore pubblico, dall’altra essi prestavano attenzione, sempre nel corso del X secolo, alla documentazione papale, romana, con l’adozione, graficamente ben esposta, del Bene Valete, accanto al sigillo, in funzione di augurio finale. Gli arcivescovi insomma iniziavano a imitare gli usi formali dello scriptorium papale per questi aspetti della comunicazione del loro potere ecclesiastico sul territorio dell’antico ducato beneventano.48 Ma ritorniamo al problema dei corpi santi: nell’838 i Longobardi beneventani, guidati dal principe Sicardo, sottrassero all’isola di Lipari il corpo dell’apostolo Bartolomeo: la primitiva Translatio, scritta subito dopo l’evento, non si è conservata, al contrario possiamo oggi leggere l’evoluzione della vicenda nel racconto del sacerdos et monacus Martino, che scrisse alla metà dell’XI secolo. Sicardo era intenzionato a costruire una chiesa per dare sepoltura alle spoglie di Bartolomeo, temporaneamente collocato in una chiesa extra muranea. Il suo desiderio non ebbe alcuna realizzazione per l’improvvisa morte del principe. Ma la chiesa fu ultimata e ospitò le reliquie dell’apostolo, perché il vescovo della città, Orso, volle concludere l’opera, ma nel contempo collegò il nuovo edificio religioso con la cattedrale, rendendo comunicanti le due costruzioni.49 Il fulcro del potere cittadino a Benevento si spostava sempre più nell’ambiente e nello spazio episcopale; i presuli ormai erano intenzionati a concentrare nelle loro mani la gestione del culto patronale cittadino. Mezzo secolo più tardi, nell’anno 870, un nuovo vescovo di nome Aione chiese ad Anastasio Bibliotecario la traduzione latina dell’encomio, scritto da Teodoro Studita, per l’apostolo Bartolomeo. I presuli longobardi del territorio stavano avvicinandosi senza alcun dubbio, ma in modo cauto, alla Chiesa di Roma e alla sua liturgia e ciò rappresentò un pericolo per il canto beneventano.50

48  Per tutti questi aspetti rimando agli approfonditi studi di Herbert Zielinski, « Fra ‘charta’ e documento pubblico », in Longobardia e longobardi (come n. 12), pp. 149–175, nonché Le Chartae dei Ducati di Spoleto e di Benevento, a cura di Herbert Zielinski, Roma 1986 (Fonti per la Storia d’Italia 66), e I diplomi dei duchi di Benevento, a cura di Herbert Zielinski, Roma 2003. 49  Per le complesse vicende della translatio sancti Bartholomei e per la pluralità delle fonti rimando al lavoro Translatio corporis sancti Bartholomei apostoli Beneventum et miracula, edidit Ulla Westerbergh, Stockholm 1963, pp. 10–17, ma anche Anastasius Bibliothecarius sermo Theodori Studitae de sancto Bartholomeo apostolo, edidit Ulla Westerbergh, Stockholm 1963, pp. 49–52, 130–137. La redazione del monaco Martino è stata edita da Stefano Borgia, Memorie istoriche della pontificia città di Benevento, Vol. I, Roma 1763, pp. 333–348, Translatio sancti Bartolomei Liparim et inde Beneventum. 50  Anastasius Bibliothecarius sermo Theodori Studitae de sancto Bartholomeo apostolo, edidit



Il concetto di Longobardo e di Lombardo in Italia meridionale tra IX e XII secolo 

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Infatti gli influssi romani, possiamo ora chiamarli gregoriani, produssero un lento, ma costante, cambiamento nella liturgia del territorio longobardo meridionale, provato dal fatto che i testi contenenti la commemorazione di Bartolomeo si legarono progressivamente alla liturgia della Chiesa di Roma, anche attraverso il canto cosiddetto gregoriano. Thomas Forrest Kelly ha sostenuto con ragione che nella messa in onore di Bartolomeo i canti sono in stile gregoriano, una modalità nuova di canto per il mondo beneventano, che in questo periodo si affiancava a quella tradizionale della città, o, se vogliamo, latamente longobarda. Inoltre lo stesso Kelly nella sua ampia ricerca sul canto beneventano, ha dimostrato che cosa vi fosse di longobardo in quella liturgia, che le fonti denominavano anche con il termine di canto Ambrosiano.51 Insomma i chierici meridionali del IX secolo e dei secoli successivi, sino alla metà dell’XI, continuarono a definire Ambrosiano il canto liturgico del territorio della Langobardia minor. Kelly ha sostenuto che tutta la liturgia regionale beneventana, prima dell’arrivo del canto gregoriano, aveva così numerosi elementi di rassomiglianza a quella settentrionale da permettere di ipotizzare che un tempo le zone longobarde di nord e di sud avessero dei riti liturgici e una musica comune. La parola Ambrosiano serviva dunque a riconoscere lo stretto legame esistente tra le grandi città di Milano e di Pavia e l’intera area religiosa dominata da Benevento, ma nel contempo proteggeva anche il canto locale, quello dei longobardi meridionali, che per resistere allo sforzo, tipicamente carolingio, di unificazione di tutte le liturgie, di tutte le preghiere recitate o cantate, furono costretti a porsi sotto l’autorità del metropolita milanese, Ambrogio, capace di contrastare gli influssi liturgici romani. In fondo il metropolita milanese era pure un dottore della Chiesa e la sua Chiesa continuava a Benevento ad avere una liturgia propria. Furono gli uomini della riforma gregoriana dell’XI secolo a eliminare per sempre il canto Lombardo-Ambrosiano della metropolitica di Benevento e Kelly lo ha dimostrato senza alcun dubbio di sorta. Eppure nello stesso periodo il termine lombardo nelle fonti europee della prima crociata non indicava, come Aldo Settia ha ben provato, un cittadino della regione padana, ma un miles della Langobardia minor.52 Nella pianura padana non ci si sentiva più longobardi, mentre nel Sud

Ulla Westerbergh, Stockholm 1963. 51  Thomas F. Kelly, « La liturgia beneventana e la sua musica come testimonianza della cultura longobarda », in Longobardia e longobardi in Italia meridionale (come n. 12), pp. 239–254, ma soprattutto id., The Beneventan chant, Cambridge 1989, e infine proprio sul problema del canto Ambrosiano si veda il volume miscellaneo Ambrosiana at Harvard: new sources of Milanese chant, edidit Thomas F. Kelly, Cambridge MA e London 2010. 52  Aldo Angelo Settia, « Un Lombardo alla prima crociata. Tecnologie militari tra Oriente ed Occidente », in Società, istituzioni, spiritualità. Studi in onore di Cinzio Violante, a cura di Cin-

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Italia si rivendicava la cultura ‘longobarda’ di quel territorio e di quei principi di VIII e IX secolo di fronte a tutti i popoli europei. Insomma, e il collega Jörg W. Busch lo ha scritto in un suo interessante lavoro dal titolo Die Lombarden und die Longobarden, i Lombardi del Nord Italia tra XII e XIII secolo non si sentivano più eredi dei Longobardi, ma pensavano di essere una gens lombarda a se stante.53 Il mito della continuità dei Longobardi nella storia d’Italia, sino alla formazione del regno normanno nel Mezzogiorno, si radicò nelle terre del Sud e in particolare sul territorio dei principati antichi di Benevento e di Salerno. Non per nulla Roberto il Guiscardo, nel momento della sua ascesa politica e prima di ottenere la legittimazione del suo titolo ducale da parte del pontefice Niccolò II con l’accordo di Melfi (1061), ripudiò la normanna Alberada, per sposare la longobarda Sichelgaita (1058), erede dei principi di Salerno.54 I Longobardi di Sud potevano ancora offrire alla fine dell’XI secolo con la loro tradizione culturale e con il loro mito, creato nel IX secolo da Erchemperto e da Arechi II, una forza di legittimazione alle imprese dei maledetti Normanni.

zio Violante, Spoleto 1994 (Collectanea 1), pp. 843–855, ripubblicato in Comuni in guerra. Armi ed eserciti nell’Italia delle città, Bologna 1993 (Biblioteca di Storia Urbana Medievale 7). 53  Jörg W. Busch, « Die Lombarden und die Langobarden. Alteingesessene und Eroberer im Geschichtsbild einer Region », in Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), pp. 289–311. Per la successiva coscienza di essere longobardi, acquisita dalle classi colte del Nord Italia nella seconda metà del XIII secolo si veda Giancarlo Andenna, Storia della Lombardia medievale, Torino 1999, pp. 3–19. 54  Su Roberto e Sichelgaita, due personaggi importanti della unità normanno-longobarda nel Mezzogiorno rinvio a Huguette Taviani-Carozzi, La Terreur du Monde: Robert Guiscart et la conquête normande en Italie, Paris 1996, e a Valerie Eads, « Sichelgaita of Salerno. Amazon or Trophy Wife? », in Journal of Medieval Military History 3 (2003), pp. 72–87.

Klaus-Jürgen Sachs

Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren. Zur Stellung des Anonymus codicis Pragensis Der Text, um den es geht,1 ist eines der frühesten musiktheoretischen Zeugnisse für Gentes-Namen in den beiden unterschiedlich einzustufenden historischen Blickrichtungen: auf die vorangegangene Tradition – der Graeci, vor allem mit ihren antiken Tonartbezeichnungen2 – , und auf die damalige Gegenwart – von Itali und Suevi. Doch nicht nur hierin öffnet er mehrere Perspektiven. Er zeigt auch das Bestreben, musikalische Lehrgrundlagen unter möglichst vielen greifbaren Aspekten zusammenzutragen, selbst aus Vorlagen, die einander widerstreiten. Dieser Zug zur umfassenden Darstellung von Lehrinhalten führt jedoch nicht zu bloßem Summieren von Aussagen, sondern erweist sich als kalkuliert, und kann – so das Fazit der folgenden Erörterung – rechtfertigen, den anonymen Text, auf den die bisherige Forschung nur beiläufig einging, „zwischen“ die maßgebenden Musiktraktate seiner Zeit zu rücken. Datierung und Herkunft des Textes lassen sich durch Quelle und TraktatInhalt relativ deutlich eingrenzen. Die einzige Quelle (Prag, Národní Knihovna České Republiky, XIX.C.26, fol. 28v–34r) überliefert durchgehend von einer Hand auch Hucbalds De harmonica institutione (fol. 19r–28r) und vor allem die glossierte Musica des Boethius (fol. 41r–135v), ferner einen Tonar (fol. 1r–11r) sowie anonyme

1  Quemadmodum vocis articulatae elementatiae atque individuae partes sunt litterae, hg. von Hans Schmid, in: Musica et scolica enchiriadis una cum aliquibus tractatulis adiunctis, München 1981, S. 224–232. 2  Boethius erwähnt Graeci und Latini fast ausnahmslos im Blick auf sprachliche Herkunft oder Übersetzung von Fachausdrücken (z. B. De institutione arithmeticae, hg. von Gottfried Friedlein, Leipzig 1867, Nachdr. Frankfurt a. M. 1966, II, 25, S. 115, 1; De institutione musicae, hg. von Gottfried Friedlein, Leipzig 1867, Nachdr. Frankfurt a. M. 1966, I, 1, S. 182, 6; II, 30, S. 263, 22). Aurelian, der ähnlich verfährt (siehe Lawrence Gushee, Aureliani Reomensis Musica Disciplina, Rom 1975 [CSM 21], VIII, 8, S. 78; VIII, 43, S. 82; IX, 3, S. 84 u. ö.), bezieht die Hebrei für die dritte Bibelsprache mit ein (XX, 16, S. 130). Die Texte des Musica enchiriadis-Kreises (außer dem Anon. Prag.) begnügen sich mit Graeci wie Latini und heben (ähnlich wie Anon. Prag., Z. 152) hervor, die antiken Tonartennamen seien ex gentium vocabulis gewonnen (Schmid, Musica et scolica enchiriadis [wie Anm. 1], S. 22, 20). Auch bei Hucbald (siehe Yves Chartier, L’Œuvre musicale d’Hucbald de Saint-Amand, Paris 1995, § 17, 9, S. 154) und in Reginos Epistola (siehe Michael Bernhard, Clavis Gerberti, München 1989 [VdMK 7], öfters in XIV, etwa 5, 13, 22, oder in XV, 2–3, S. 60–62, 64) beziehen sich Graeci – seltener sind Latini – auf Terminologisches.

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 Klaus-Jürgen Sachs

Mensurtexte und Exzerpte – jedenfalls ein Repertoire, das sich, wie auch geringfügige Nachträge anderer Hand (fol. 34r–35r, 135v–136r), als klar vor-guidonisch erweist. Die Niederschrift des Anonymus ist eine Kopie, zudem Fragment, denn sie bricht mitten im Satz ab. Paläografisch werden Haupthand wie Schreiber der Zusätze auf „spätes 11. Jahrhundert“3 oder „ca. 1100“4 geschätzt. Der Inhalt kreist um zwei Kern-Themen: symphoniae (die konsonanten, systemtragenden Intervalle) und modi oder toni (im Sinn von Tonarten). Der Text, soweit erhalten, lässt sich in vier Teile gliedern: I: Einleitung (Z. 1–13)5, II: symphoniae (Z. 13–147), III: Überleitung von symphoniae zu modi oder toni mit Blick auf organum-Techniken (Z. 148–212), IV: modi oder toni (Z. 212–307, dort abbrechend). Ein rasches, auswählendes Durchmessen dieser Teile soll nun die Gentes-Erwähnungen wie jene „Zwischenstellung“ beleuchten.

Teil I: Einleitung (Z. 1–13) Die Einleitung setzt an bei dem verbreiteten Topos, die Elemente der Musik seien denen der Grammatik analog. Da das Incipit „Quemadmodum vocis articulatae elementariae atque individuae partes sunt litterae, ex quibus …, ita…“ (Z. 1–3) an die Eröffnung der Musica enchiriadis [ME] „Sicut vocis articulatae elementariae atque individuae partes sunt litterae, ex quibus …, sic…“6 erinnert, geriet der Text in deren Nachbarschaft und Edition, obwohl er, wie Hans Schmid feststellte, ansonsten mit der Musica enchiriadis „nullo modo consentit“.7 Denn nur die Vergleichsformel für jenen Topos ist verblüffend ähnlich. Sie aber war gängig; man findet sie – sprachlich abgewandelt, doch topos-bezogen – in den Scolica enchiriadis [SE] wie bei Hucbald, aber auch bereits bei spätantiken Vorläufern (Calcidius, Favonius):8

3  RISM B III5, S. 16–19 (Christian Meyer). 4  Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), S. 85. 5  Nach durchgehender Zeilenzählung der in Anm. 1 genannten Edition. 6  ME, I, Z. 1–3; S. 3. 7  In der Edition Schmid, Musica et scolica enchiriadis (wie Anm. 1), S. IX. Vgl. auch Nancy Phillips, Art. „Musica enchiriadis“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Sachteil, Bd. 6, Kassel u. a. 1997, hier Sp. 662. 8  Von griechischen Entsprechungen mit καθάπερ – όΰτως (etwa bei Theon) sei hier abgesehen.



Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren 

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Sicut vocis… partes sunt litterae …, sic … ptongi … origines sunt…9 sicut loquela litteris, ita constat ptongis armonia.10 quemadmodum litterarum elementis sermonum cuncta multiplicitas coarctatur, … ita …immensitas cantilenarum…11 quemadmodum locutione intelligibilia uerba redduntur, ita … decidunt soni…12 quem ad modum … partes nomina et verba … syllabae … ita etiam canorae vocis … partes …systemata.13 Sicut … partes … nomina et uerba … litterae syllabarum …, ita canorae uocis … principales portiones … συστήματα.14

Im Unterschied zu den Vergleichsbeispielen, deren Formulierungsnuancen hier unberücksichtigt bleiben,15 entfaltet die Einleitung den Analogiegedanken in vier Gliedern einer syntaktischen Wiederholungsfigur mit den korrelativen Adverbien quemadmodum / veluti / sicut / tamquam – ita (Z. 1–13): Quemadmodum … litterae, ex quibus … compositio…, ita ptongorum musico rum … rata coaptio… veluti orationis … litterae, ita ptongi … in … musica… sicut oratio per cola … comma … periodo, ita … melos … per arsim … thessim … tono. tamquam illa partibus , ita musica symphoniis.

Dieses vierfache Parallelisieren verstärkt die These der Elementen-Analogie zwischen Musik und Sprache.16 Zwar ist die Vergleichskette nicht ganz stringent

9  ME, I, Z. 1–4, S. 3. 10  SE, I, Z. 16–17, S. 61. 11  Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum, hg. von Martin Gerbert, Sankt Blasien 1784, Nachdr. Hildesheim 1963, Bd. 1, S. 108a, und Chartier, L’Œuvre musicale (wie Anm. 2), § 15, 7–9, S. 152. 12  Ebd., § 16, 14–15. 13  Jan H. Waszink, Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus, London 1962 (Corpus platonicum medii aevi 4), S. 92, Z. 10–16. 14  Roger-E. van Weddingen, Favonii Eulogii Disputatio de Somnio Scipionis, Brüssel 1957 (Collection Latomus 27), S. 37, 39. 15  Von ihnen her wurden Abhängigkeiten erwogen und ausführlich interpretiert (Mathias Bielitz, Musik und Grammatik. Studien zur mittelalterlichen Musiktheorie, München und Salzburg 1977 [Beiträge zur Musikforschung 4], S. 58). 16  Calcidius und die Musica enchiriadis begnügten sich mit je einer syntaktischen Vergleichswendung (quemadmodum – ita; sicut – ita; vgl. auch Klaus-Jürgen Sachs, „Musikalische Elementarlehre“, in: Rezeption des antiken Fachs im Mittelalter, Darmstadt 1990 [GMth 3], S. 105–161, hier S. 109–111). Die vierfache Vergleichskette (mit sicut – ita) in Oddos Musica

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 Klaus-Jürgen Sachs

entwickelt – denn sie lenkt vom Allgemeinen (compositio / coaptio) zu den Einzelbausteinen (litterae / ptongi), dann zu deren Verbindung (periodus / tonus), schließlich zu einer unscharfen Gegenüberstellung (partes / symphoniae) – , aber dass sie gezielt und auf dem Wege so eindringlichen Analogisierens das für den Textfortgang bestimmende Stichwort symphonia ansteuert, liegt vor Augen.

Teil II: symphoniae (Z. 13–147) Hier werden die 6 symphoniae erörtert,17 – wie bei Aurelian,18 bei Boethius unter Vorbehalt,19 in der ME,20 in anderer Reihenfolge in den SE21 – und zwar gegliedert in simplices und compositae, – so ME,22 Hucbald23 – in der Abfolge von der kleinsten (diatesseron) zur größten (disdiapason),

(Scriptores ecclesiastici [wie Anm. 11], Bd. 1, S. 275b–276a) stellt Schichten des Zusammenfügens analoger Partikeln von den Elementen des Sprachlichen (littera) und des Musikalischen (vox) aus bis hin zur jeweiligen „Buchform“ (volumen – antiphonarium) nebeneinander, bietet aber eher eine quantitative als eine wesensmäßige Veranschaulichung. Dass die Analogie dennoch im Sinn einer exakt mathematischen Entsprechung aufgefasst werden konnte, legt Boethius’ Quemadmodum – sic-Formulierung für die armonica medietas nahe (De institutione musicae [wie Anm. 2], II, 48, S. 155, 10–11, zitiert in der Alia musica, in: Scriptores ecclesiastici [wie Anm. 11], Bd. 1, S, 125 b bzw. Jacques Chailley, Alia musica. Traité de musique du IXe siècle, Paris 1965, S. 99, § 1). 17  Die skizzenhafte Zusammenfassung soll andeuten, wie der Anonymus möglichst viele Kriterien aus der Lehre summiert und welche seiner vermutlichen Vorlagen (Boethius, Isidor, Aurelian, Hucbald, Regino, Scolica und Musica enchiriadis, vielleicht auch Alia musica) entsprechende Aussagen enthalten. 18  Aureliani Reomensis Musica Disciplina (wie Anm. 2), VI, 9, S. 71. 19  Boethius, De institutione arithmeticae (wie Anm. 2), II, 48, S. 155–158; Boethius, De institutione musicae (wie Anm. 2), II, 27, S. 259–260. 20  ME, X–XI, S. 23–28. 21  SE, II, S. 90. 22  ME, X, 6, S. 23, und XI, 1, S. 28. 23  Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 107a; Chartier, L’Œuvre musicale (wie Anm. 2), § 13, S. 148.



Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren 

 207

– Aurelian;24 vgl. ME25 – sodann definiert als modulationis temperamentum ex gravi et acuto concordantibus sonis, – so Isidor,26 ähnlich Aurelian27 – ferner sogleich auf die beiden Bereiche musica naturalis und artificalis bezogen. – so Regino28 – Und zur Darstellung dienen die Buchstaben der Reihe A–P,29 – so Boethius,30 Hucbald,31 SE32 – , dazu die arithmetischen Intervall-Proportionen sowie ihre Namen, – sie sind Allgemeingut der lateinischen musiktheoretischen Texte seit Boethius, werden aber besonders in den SE, II und SE, III33 entfaltet sowie in der Alia musica34 für die Tonartenlehre herangezogen.35 Eine Darstellung ohne Ganztonproportion anhand der numeri 3, 4, 6 bietet Aurelian.36 – Ausgelöst durch Isidors symphonia-Definition (temperamentum … ex concordantibus sonis) und seine Klassifikation der Tonerzeuger (Z. 18: pulsu, flatu)

24  Aureliani Reomensis Musica Disciplina (wie Anm. 2), VI, 9, S. 71. 25  ME, X–XI, S. 23–28. 26 Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive originum libri XX, hg. von Wallace M. Lindsay, Bd. 1, Oxford 1911, III, XX, 3. 27  Aureliani Reomensis Musica Disciplina (wie Anm. 2), V, 4, S. 69. 28  Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 3, S. 232–236, und Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), S. 42–51). 29  Vgl. dazu Nancy Phillips, „Notationen und Notationslehren von Boethius bis zum 12. Jahrhundert“, in: Die Lehre vom einstimmigen liturgischen Gesang, hg. von Thomas Ertelt und Frider Zaminer, Darmstadt 2000 (GMTh 4), S. 293–623, hier S. 316–321; Charles M. Atkinson, The Critical Nexus. Tone-System, Mode, and Notation in Early Medieval Music, Oxford 2009 (AMS Studies in Music), S. 135–136. 30  IV, 17, S. 347, 20 bis S. 348, 3. 31  Chartier, L’Œuvre musicale (wie Anm. 2), § 27, S. 166, 252. 32  SE, II, 16–17, descr. 1, S. 90–91, und III, 534–549, descr. 5, S. 146–147. 33  Ebd., II, 202–258, S. 109–113, und III, 85–118, 176–267, 290–404, 429–455, S. 120–122, 126–130, 132–141. 34  Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 145b–147b, 141a, und Chailley, Alia musica (wie Anm. 16), § 181–187, 155–156, S. 85–98. 35  Vgl. dazu besonders Atkinson, The Critical Nexus (wie Anm. 29), S. 175–183. 36  Aureliani Reomensis Musica Disciplina (wie Anm. 2), VI, 12–26, S. 72–74.

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 Klaus-Jürgen Sachs

kommt es zur ersten Gentes-Erwähnung,37 und zwar angestoßen durch den doppeldeutigen Terminus organum, der einerseits die frühmehrstimmige Gattung, andererseits das Orgel-Instrument bezeichnet: [a] …in flatu follium, sicut apparet in organo fistulari; quod ut vocaretur organum, vulgaris et non propria obtinuit consuetudo Graecorum. [b] Quamquam etiam ibi non per diatesseron simphoniam succinat vel per diapente concinat organum (quod supra consonantiam diximus), quod proprium vocis est organum in naturali musica, quod et ibi pro libitu posset fieri, tamen per diapason et diapason ibi artificaliter canitur (quod et supra aequisonantiam nominavimus) (Z. 18–25).

Aussage [a] besagt: das organum fistulare mit Balgbetrieb (flatu follium), also die Pfeifenorgel, „organum“ zu nennen, entspricht landläufiger (vulgaris), aber nicht eigentlicher (propria) Gepflogenheit der Griechen – wahrscheinlich denkt der Autor, wie auch Hucbald, an „Hydraulis“ als übliche Bezeichnung. Dahinter aber steckt ein Passus bei Isidor:38 Secunda divisio … spiritu reflante … ut sunt tubae, calami, fistulae, organa… Organum vocabulum est generale vasorum omnium musicorum. Hoc autem, cui folles adhibentur, alio Graeci nomine appellant. Vt autem organum dicatur, magis ea vulgaris est Graecorum consuetudo.

Er besagt [Z. 2]: Organum ist die Sammelbezeichnung aller musikalischen „Gefäße“ (vasorum). [Z. 3] Die balgbetriebene „Orgel“ hieß bei den Griechen anders (alio nomine, wohl Hydraulis?). [Z. 4] Und dass man sie organum nennt, ist eine eher volkstümliche Gepflogenheit der Griechen (vulgaris consuetudo Graecorum). Graeci also sind die Exponenten (spät-)antiker Tradition, ein Verständnis, das der Anonymus, da er Isidor zitiert, teilte. Verzwickter jedoch ist die Aussage [b] mit ihren vier relativischen quodSätzen39 und einem dreifachen, nicht ganz eindeutigen ibi. Sie meint anschei-

37  Zu diesem durchaus problematischen Passus vgl. auch Fritz Reckow, Art. „Organum“, in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Freiburg 1971, S. 2b, 7b; Fritz Reckow, „Organum-Begriff und frühe Mehrstimmigkeit“, in: Forum Musicologicum, Basler Studien zur Muskgeschichte I (1975), S. 31–167, hier S. 144, 156–158; KlausJürgen Sachs, Mensura fistularum, Bd. 2, Murrhardt 1980, S. 234. 38  Etymologiarum sive originum libri (wie Anm. 26), III, XXI, 1–2. 39  Vielleicht stammen die beiden eingeklammerten aus Glossen, denn der Bezug des „ut supra consonantiam diximus [… aequisonantiam nominavimus]“ auf die „non solum consonam, sed et aequisonam … armonicam“ (Z. 7–9) wirkt recht locker.



Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren 

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nend dies: Wenngleich dort (auf der „Orgel“) das organum weder in Quarte noch Quinte erklingt (Klammer: was wir consonantia nannten), – Parenthese: dies ist das eigentliche organum in musica naturalis (also in Gesangsmusik), das dort aber auch beliebig anders ausführbar ist – , (Fortsetzung: tamen per diapason) kann es dennoch in Oktave und Doppeloktave dort (auf der Orgel) auch artificaliter (also instrumental) gespielt werden. Mit anderen Worten: von den Arten des organum, in Quarten, Quinten und Oktaven, ist die letzte, nämlich oktavierend in Äquisonanzen, auf dem Orgelinstrument ausführbar. Hier ist von aktueller Musik, der Organum-Praxis, die Rede, und den Verständnis-Hintergrund bildet Reginos Unterscheidung von naturalis musica („sola natura docente … fit aut in celi motu aut in humana voce“) und artificalis musica („arte et ingenio humano excogitata … in quibusdam consistit instrumentis“).40 Indem Regino diese beiden Felder des Gesamtbereichs der musica anhand einer Zuweisung von Grundkategorien, die er toni nannte, unterschied,41 bestätigte er dem Anonymus die beiden Hauptaspekte für dessen Traktat: Denn hinter Reginos Aussage Siquidem toni naturalis musicae sunt quattuor principales [die vier Tonarten mit ihrer Differenzierung in authentische und plagale], toni vero artificalis musicae sunt quinque et duo semitonia [die Ganz- und Halbtonschritte als Repräsentaten von intervallisch bestimmter Skala und gesamtem Tonsystem]42

verbergen sich die beiden Kernthemen unseres anonymen Textes, nur in umgekehrter Folge: die symphonie aus den intervallischen Elementen der artificalis musica in Teil II, die tonartlichen modi oder toni als die Sphäre der naturalis musica in Teil IV. Auch der enge Lehr-Zusammenhang beider Felder – und damit jener Kernthemen – ist bei Regino zwingend begründet:

40  Die hier bruchstückhaft zitierten Passagen aus cap. V (5, 92–93) finden sich mit ihrem Kontext in Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 233b, 236b, sowie bei Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), S. 45, 51. 41  Zu Voraussetzungen, Inhalt und Reichweite von Reginos Musica naturalis / musica artificialisUnterscheidung in seiner Epistola de armonica institutione (nach 899) vgl. die ausführlichen Partien bei Philipp Jeserich, Musica naturalis. Tradition und Kontinuität spekulativ-metaphysischer Musiktheorie in der Poetik des französischen Spätmittelalters, Stuttgart 2008 (Text und Kontext 29), S. 232–245. 42  Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 232a, sowie Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), S. 43: cap. IV, 2.

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 Klaus-Jürgen Sachs

Omni autem notitiam huius artis habere cupienti sciendum est, quod, quamquam naturalis musica longe praecedat artificalem, nullus tamen vim naturalis musicae recognoscere potest, nisi per artificalem,43

was gewiss die „anschauliche Konkretion abstrakter zahlenharmonikaler Beziehungen“44 als Zweckbestimmung einschließt, überdies aber an den wesensgemäß doppelten Zugang zur Musik durch sensus und ratio erinnert. Auch dass der Anonymus die Doppeldeutigkeit der musikalischen Bezeichnung organum hervorhebt, gehört in seine zielgerichtete Argumentation. Denn nachdem er seine Absicht bekräftigt hat, Namen (nomina), Eigenart (vis) und Erklärung (interpretatio) der symphoniae zu behandeln (Z. 25–28), betont er, Isidor folgend:45 weil der sonus invisibilis … quamvis sensibilis auditu sei (Z. 29) und praeterfluit, nisi memoria inprimatur (Z. 30), müsse man diesem verfließenden, aufs Gedächtnis angewiesenen Wesen des Klingenden dadurch begegnen, dass man die Intervalle – und symphoniae gehören zu ihnen – arithmetisch bestimmt, und zwar per artificalem musicam, id est per fistulas, also an Orgelpfeifen, ausdrücklich übrigens im quadrivialen Rahmen (arithmetica, geometria, astronomia werden erwähnt; Z. 32–37). Das Veranschaulichen des Tonsystems an fistulae (oder chordae, meist wiedergegeben an der einen Saite des Monochords) hielt sich an die seit Boethius46 verbreitete Pythagoras-Legende sowie an die Instrumentenklassifikation Cassiodors47 bzw. Isidors; auch Hucbald, Regino und die Scolica enchiriadis48 beziehen sich auf diese typischen Ton-Erzeuger. Vor der weiteren Betrachtung des Textes aber sei in Übersicht 1 die ausführlich erläuterte Lehre von den symphoniae beim Anonymus tabellarisch zusammengefasst, um den Fundus seiner Gesichtspunkte zu zeigen.

43  Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 236b, sowie Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), S. 51: cap. V, 98. 44  Jeserich, Musica naturalis (wie Anm. 41), S. 237. 45  III, XV, 2. 46  I, 10–11, S. 196–198. 47  Cassiodori Senatoris Institutiones, II, V, 6, hg. Roger A. B. Mynors, von Oxford 1937, S. 144. 48  Besondere Aktualität aber fand das Verfahren durch Erwähnungen in den SE, II (237–259), III (314, 364, 369, 373–377, 512–534, 597), bei Hucbald, auch bezogen auf ydraulia (Chartier, L’Œuvre musicale [wie Anm. 2], § 18, S. 156; § 21, S. 160; § 25, S. 164; § 34, S. 178). Regino erwähnt fistulae nach Boethius (V, 96, S. 51; XII, 13–14, S. 58) und Vergil (XVII, 3–4, S. 69), demonstriert aber (s. u.) anhand der chordae.

t

B

t

C diat.

D

t

diape.

E

9

V

c

c

sesqui- sesquitertia altera

s

8

IV

t F

t G

s

ae

dupla

diapa.

H

12

VIII

[t I

t K

L

t M

18

XII

t

*

tripla

diapa. simul et diape. et diape.

s

16

XI

[N

t O]

P

ae

quadrulpa

disdiapa.

s]

24

XV

Übersicht 1: Tonbuchstaben-Skala und Zuordnung der symphoniae

Ausgangsebene ist die Skala der fettgedruckten Tonbuchstaben A–P (Z. 42, 58–59, 71, 94–96, 106–111, 125–129, 181), aufwärtsgerichtet und im Sinn unserer Doppeloktave c–c’’. Die Stufen (als soni / phthongi) sind durchgezählt (Z. 111, 143), I–XV, ihre Binnen-Intervalle als t = tonus, s = semitonium bestimmt (Z. 181). Den Tonbuchstaben zugeordnet wurden die sechs symphoniae mit den griechisch entlehnten Intervallnamen diatessaron, diapente usw. (oben teils abgekürzt), dazu als numeri arithmetici (Z. 33–34, 86) die Zahlen, zwischen denen sich die musiktheoretisch grundlegenden pythagoreischen Intervallproportionen ergeben, mit ihren lateinischen Bezeichnungen („dicitur in arithmetica“, Z. 48, 63), doch nur für die symphoniae im vielfachen Verhältnis (dupla, tripla, quadrupla, von denen zwei als aequisonantiae gelten, Z. 80, 125–126) und in den naheliegenden überteiligen Proportionen (sesquitertia, sesquialtera, die consonantiae, Z. 22); das andersartige Zahlenverhältnis der umstrittenen Oktavquart (siehe Sternchen in der Kolumne von XI) wird separat erläutert (Z. 111, 118–119).

* = duplex superbipartiens

consonantia/ aequisonantia

dicitur in arithmetica

symphoniae

Tonbuchstaben

A

6

numeri arithmetici

tonus/semitonium

I

soni/ptongi (gezählt)

 Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren   211

212 

 Klaus-Jürgen Sachs

Das erwähnte Demonstrieren der symphoniae an Orgelpfeifen erfolgt, indem der Autor jeweils den „Ort“ (locus) für eine intervallentsprechende fistula nennt und ihre Proportion zum Ausgangspunkt angibt; z. B. für diatessaron: Fistula enim quaecumque distans quarto ab alia loco, si constare debebit duobus tonis et semitonio, continebit maior minorem semel et eius tertium, vel tantundem continebitur minor a maiore (Z. 51–54).

Regino machte das ähnlich, nur mit chordae.49 Doch bei dieser Veranschaulichung unterläuft ein historisch interessanter Irrtum. Indem der Autor die pythagoreische Intervallproportionalität (ratio numerorum, Z. 142) an der Längenmessung von Orgelpfeifen (fistularum … dimensio, Z. 57, 142–143) zeigen will, vernachlässigt er, dass die Reihe A–P als melodisch ansteigende Skala eine „subtraktive“ Mensur, nicht eine „additive“ erfordert, denn: je höher die Tonstufe, desto kürzer die Länge der klingenden Körper (fistulae wie chordae). Doch weil es beim Zuordnen der Proportionen vage bleibt, ob beispielsweise sesquitertia als 4:3 (von der maior quantitas aus) oder als 3:4 (der minor quantitas aus) gemeint ist, fällt die Diskrepanz, wie schon bei Regino,50 kaum auf, wird aber deutlich an einem Satz wie: Fistula quoque XIIma triplo metitur primam, dupla Vtam, sesquialtero octavam; subepitrito vero metietur a XVma (Z. 132–134),

wenn man ihn paraphrasiert: Die Pfeife am XII. Platz (bei Buchstabe M) misst die erste (Buchstabe A) dreifach, die V. (Buchstabe E) doppelt, die VIII. (Buchstabe H) im sesquialter (= als Quinte); sie [die XII.] aber werde von der XV. aus (Buchstabe P) im subepitrito gemessen (als ¾ von P).

49  Scriptores ecclesiastici (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 242b–243; Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), S. 64–66: cap. XV, 6, 9, 13, 15, 17, cap. XVI, 1, allerdings ohne die undecima! 50  Die Quart-Fistula als epitrito maior steht quarto loco, die sesqualtero longiorem Quint-Fistula setzt dieser Text quinto loco ein usw. Dementsprechend formuliert der Anon. Pragensis beide Fälle als distans quarto ab alia loco (Z. 51–52) und quinto ab alia loco (Z. 66), und die Analogie zu Reginos Veranschaulichung an den chordis ist eindeutig. – Hier setzt der Anonymus ratio numerorum und dimensio fistularum gleich (Z. 142–143), verkennt also, dass der zunehmenden Zahlenreihe der Proportionen für die Buchstabenfolge A–P eine Serie von Pfeifen abnehmender Länge entsprechen muss. – Ein ähnlicher Ansatz findet sich in den SE, III (258–267, S. 130), dort allerdings anhand der Proportionszahlen (XXIIII–VI) dargestellt, nicht, wie im Passus des Anon. Prag. (Z. 142–147), anhand der durchgezählten ptongi = fistulae.



Zwischen Gentes und musiktheoretischen Lehren 

 213

Diese Verwechslung von additiver und subtraktiver Mensur ist aus der Geschichte der Mensurberechnung bekannt:51 Als Musterbeispiel dienen kann die Mensur (für chordae sive fistulae) aus den Scolica enchiriadis III mit dem Incipit Atsi mensionum.52 Dass dieser Irrtum überhaupt unterlaufen konnte, zeigt nun aber den primär theoretisch-abstrakten Charakter einer solchen „Veranschaulichung“ von Konsonanzproportionen an Tonerzeugern.

Teil III: Überleitung (Z. 148–212) Beim Überleiten von den sechs symphoniae im Rahmen der 15 soni oder ptongi zu den – letztlich acht – Tonarten (modi)53 kommt es zur zweiten GentesErwähnung: die griechisch-antiken Tonarten von ypodorius bis yperlidius seien benannt a gentium vocabulis, und eine Parenthese vermerkt: „suis enim quaeque gens delectatur modis“ (Z. 148–156). Dies klingt nach landläufiger Redensart – „einem jeden Volk gefällt die eigene Lebensweise“ – , hat hier aber eine musikalische Pointe: Da die alten Tonarten-Namen auf die Gesangsweise (den modus) einer bestimmten gens zurückgeführt werden, spiegelt sich in musikalischen „Charakter“-Zügen etwas von der Wesensart verschiedener Stämme, Völker, Nationen; musikalischer Ausdruck gilt demnach als abhängig von sozialen Gruppen, nicht als Äußerung eines Einzelnen. Die anschließende Bemerkung (Z. 157–161) streift nun die bereits aus Regino zitierte zeittypische Doppeldeutigkeit54 des Terminus tonus, der mit modus konkurriert,55 nämlich sowohl das Intervall als auch eine Tonart meinen kann: hic cum audis tonum, omnium musicorum sonorum exceptis semitoniis intellegas minimum … [Intervall], non eum, de quo postea dicturi sumus, qui in vocis accentu vel tenore consistit et non solum ptongis, sed etiam una vel pluribus constat symphoniis [Tonart].

51  Dazu im Blick auf die hier betroffenen Texte ausführlich Sachs, Mensura fistularum (wie Anm. 37), S. 151–154, 161–166. 52  SE, S. 145–146: Z. 512–525. 53  Vgl. Aureliani Reomensis Musica Disciplina (wie Anm. 2), VI, 7, S. 71: „Constat autem omnis musica simphoniis sex, sonitibus quindecim, tenoribus octo“. 54  Vgl. auch ME, V, 1–5 (Tonart), mit IX, 7–8 (Intervall), ähnlich Hucbald in: Chartier, L’Œuvre musicale (wie Anm. 2), § 26, S. 164 („modorum, qui toni nunc appellantur) und § 11, S. 146 (intervallisch, wie auch sonst weit überwiegend). 55  Vgl. Charles M. Atkinson, Art. „Modus“, in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Freiburg 1995, S. 14–16.

214 

 Klaus-Jürgen Sachs

Dieser Klärungsversuch deutet in die neue Richtung des Textes (de quo postea dicturi sumus), die das Intervallische der „Theorie“ mit dem Tonartlichen der „Praxis“ verknüpft – ein Zug, der in der latenten Bipolarität von artificalis musica und naturalis musica aus Reginos Epistola angelegt ist. Als Brücke dient die Frage nach dem Bezug zwischen den 15 Systemstufen und den „nur“ sechs symphoniae. Sie wird beantwortet durch den Hinweis, dass sich symphoniae bloß an passenden Stellen der Skala, nicht „überall“ in ihr ergeben („monstrentur … per loca aptatae et non ubique“, Z. 163). Die verfeinernde Unterscheidung zwischen aequisonum und consonum innerhalb der Möglichkeiten des symphonum (Z. 164–166) führt nun zum Erörtern von Techniken der Organumpraxis. Während der Autor die „aequisonen“ Arten in parallelen Oktaven und Doppeloktaven – die beim gleichzeitigen Singen von Knaben und Männern zwangsläufig entstehen – lediglich streift (Z. 166–169), nennt er für die „konsonen“ Arten zunächst vier Ausprägungen je nach intervallischer Lage der beiden „Stimmen“ des Organums in Quarten oder Quinten (Z. 169–172): nämlich mit vox organalis (hinzugefügter Stimme) in Unterquart zur vox principalis (dem gegebenen cantus) in Oberquint in Unterquint in Oberquart

humilius consonat sesquitertio altius concinit sequialtero gravius consonat sequialtero altius concinit sesquitertio

Dies sind abstrakte Möglichkeiten,56 zweifellos der Unterscheidung von Einzelklängen, nicht unbedingt von parallelgeführten Klangverbindungen. Denn erst anschließend äußert sich der Autor zur progrediendi potestas, die für Quinte und Quarte – und dies ist ein Kernstück der Organum-Lehre – gerade nicht gleich sei (Z. 175–176). Um dies zu entfalten, führt er nun die beiden entscheidenden Kategorien ein: das (uneingeschränkte) Parallel-Organum in Quinten, angesprochen als besonders leicht (facilior) und als weitverbreitet bei Itali und Suevi – hier also die dritte Gentes-Erwähnung – , sowie das organum sesquitertiale als Form nicht ständig parallelgeführter Zweistimmigkeit in Quarten: in diapente … facilior est organalis cum principali … quod organum vulgare apud Italos et Suevos viget maxime (Z. 176–182). organum sequitertiale, quod omnibus magis est rationale, semitonium nullum dignatur transcendere, sed circa finalem ad semitonia usque pervagare… (Z. 188–192).

56  Da die vier Ausprägungen bereits alle Spielarten „konsoner“ Zuordnung erschöpfen, liegt der Verdacht nahe, dass die Bemerkung vel conversim (Z. 172) aus einer Glosse stammt.



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Damit sind die beiden in der Musica enchiriadis57 vorrangig gelehrten Techniken in den Text eingeführt, die auch als „usuelles“ und „artifizielles“ organum58 unterschieden wurden. Der Autor demonstriert den Unterschied an der Buchstabenreihe A bis K: In Quinten vermag eine vox principalis von E aus zusammen mit der in A einsetzenden vox organalis konsonierend fortzuschreiten, denn beiden gemeinsam ist der am dritten Platz folgende Halbtonschritt (tertio loco semitonium [C–D, G–H]; Z. 180); bei den Quarten hingegen – und hier wird vorausgreifend der Normalumfang authentischer Tonarten (Dezime) und plagaler (Quinte) erwähnt (Z. 182–184), der anscheinend die A–K-Begrenzung rechtfertigt – sperrt sich das System gegen ein simultanes Mitsingen im gleichen Intervall, denn quarto enim loco organali distante a principali misslingt es, die concordia tonorum et semitoniorum zu schaffen (Z. 186–188), da ein Tritonus entsteht. Doch weder wird dieser Sachverhalt vom Grundsatz her so vor Augen geführt wie in der Musica enchiriadis,59 noch kommt die dort behandelte Technik zur Sprache, jene inconsonantia60 zu umgehen, indem man „Grenztöne“61 und die von ihnen gelenkten „schweifenden Abschnitte“ (vagantes particulae62) beachtet. Der Anonymus deutet lediglich an (Z. 188–192), circa finalem müsse die organale Zusatzstimme ad semitonia usque pervagare, denn semitonium nullum dignatur transcendere; daher fordere dieses organum sesquitertiale mehr das verstandesmäßige Vorgehen als andere Techniken (omnibus magis est rationale). Was nun folgt, wirkt wie eine Abschweifung. Doch den Hinweis auf Intervalle, die kleiner sind als ein semitonium, hält der Autor ausdrücklich für keineswegs überflüssig, offenbar weil es hier um eine zusätzliche Klärung der Skalenstruktur für symphoniae geht. Denn diese werde hinfällig – falle weder „conson“ noch „aequison“, demnach „symphon“, sondern „diaphon“ aus – , sobald außer den genannten Intervallen auch Ganzton-Teilungen wie tristemoricum (ein Drittel des tonus) und tetrastemoricum (ein Viertel des tonus) ins Spiel kommen (Z. 192–196).63 Die hier gebrauchten, seltenen Termini gehen zurück über Reginos

57  ME, XIII–XV, XVII–XVIII. 58  Hans Heinrich Eggebrecht, „Die Mehrstimmigkeitslehre von ihren Anfängen bis zum 12. Jahrhundert“, in: Die mittelalterliche Lehre von der Mehrstimmigkeit, hg. von Thomas Ertelt und Frieder Zaminer, Darmstadt 1984 (GMth 5), S. 9–87, hier S. 27–28. 59  ME, XII, 25, S. 36. 60  Ebd., XVII, 21, S. 49. 61  Eggebrecht, „Die Mehrstimmigkeitslehre“ (wie Anm. 58), S. 28. 62  ME, XVIII, 1–4, S. 50. 63  Schematische Verdeutlichung der tonus-Teilungen bei Michael Bernhard, Studien zur Epistola de armonica institutione des Regino von Prüm, München 1979 (VdMK 5), S. 63.

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Epistola64 und deren Vorlage bei Remigius bis zu Martianus Capella, der mit den beiden Ausdrücken die signifikanten Maße von chromatischem und enharmonischem Genus bezeichnete. Auch wenn für den Anonymus eine solche Verbindung nicht unmittelbar offenlag, war ihm die boethianische Lehre der Tonus-Teilungen doch zumindest von Regino65 her vertraut. Und er konnte sie indirekt so deuten, dass die Organumpraxis wie die gesamte Lehre seines Textes allein dem diatonischen Genus zukam. In diesem aber gilt, dass dessen Semitonium-[minus]66Intervall die bene moratam musicam (Z. 199) unverzichtbar mitbestimmt. Dies wird zwar nicht eigens am organum sesquitertiale entfaltet, aber durch die geradezu überspitzte Kontrastvorstellung einer halbtonlosen Skala mit der Oktave als 7. Stufe und der Doppeloktave als 13. eingeschärft (Z. 200–208) – eines Gebildes also, das überhaupt keine symphonia superpartikularer Proportionen (wie Quinte oder Quarte) enthält. Unerlässliche Bedingung einer rata ac delectabilis modulatio ist somit der wechselnde Einsatz eines semitonium zwischen mehreren toni, sei es am ersten, zweiten, dritten oder zuweilen auch vierten Platz, wobei zwischen tonos correptos et productos (unmittelbar benachbarten und durch Halbton getrennten) Ganztönen unterschieden wird (Z. 208–211).67 Das hier Ange-

64  Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), IV, 7, S. 44. Die Termini changieren in der Überlieferung auffällig: bei Regino als direkter Quelle des Anonymus tristemoria, tetrastemoria (ebd.), entfernter dort auch tritemoria, tetrastimoria (ebd., XVI, 22; S. 67); in Reginos Vorlage bei Remigius tritemoria, tetratemoria (auch tetramoria) (Commentum in Martianum II, hg. von Carol Lutz, Leiden 1962, Bd. 1, S. 152); im eigentlichen „Grundtext“ bei Martianus Capella tritemoria, tetartemoria (Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii, hg. von Adolf Dick, Leipzig 1925, IX, 930, 959, S. 494, 19–23, 512), auf den Regino anscheinend nicht zurückgriff (vgl. Bernhard, Studien zur Epistola de armonica [wie Anm. 63], S. 35–36). – Es handelt sich um die speziellen Tetrachordteilungen nach Aristoxenos, die als weich chromatisch [⅓ + ⅓ + 15/6] und enharmonisch [¼ + ¼ + 2] eingestuft wurden. Vgl. auch Günther Wille, Musica Romana. Die Bedeutung der Musik im Leben der Römer, Amsterdam 1967, S. 644, 650. 65  Bernhard, Clavis Gerberti (wie Anm. 2), XVI. 66  Der Bezug zur Erwähnung des semitonium als aliqua pars toni, nicht als dessen dimidium (Z. 75–76), ist undeutlich, aber grundsätzlich. Beim zuvor (Z. 73–74) skizzierten Oktav-‚Inhalt‘ (Ve tonos et IIo semitonia) wird ergänzt: unum maius alterumque minus, eine Notiz, die als Standard-Topos ungleicher Tonus-Teilung seit Boethius (De institutione musicae [wie Anm. 2], I, 16, 11, S. 203) auch bei Regino zitiert wird (Bernhard, Clavis Gerberti [wie Anm. 2], XVI, 18, S. 67). Dass sie im überlieferten Text des Anonymus sachlich fehlgeht, könnte sich so erklären: Entweder stammt sie aus einer Glosse, oder aber ein Kopist verwechselte diese gängige Aussage mit einer prononciert gegensätzlichen, die Identität beider semitonia unterstreichenden Lesart, wie sie Hans Schmid vorschlug. 67  Den Gegensatz von correptus oder corruptus (kurz, eng, zusammengedrängt) und productus (ausgedehnt, gestreckt) beziehen musiktheoretische Quellen in der Regel auf Silbenlängen (z. B. SE, I, S. 384–404, S. 86–88).



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deutete ist nichts anderes als die Lehre der Species von Quarte und Quinte. Diese Lehre bereitet nun den Boden für die Behandlung der Tonarten, denn deren proprietates beruhen auf den unterschiedlichen Semitonium-Positionen innerhalb der durch symphoniae bemessenen Skalenausschnitte.

Teil IV: modi oder toni (Z. 212–307) Hier aber zieht der Autor das sogenannte Dasia-System mit signa vel caracteres (Z. 213–214) samt seiner der Musica enchiriadis entnommenen Skala heran,68 und zu fragen ist: Warum verlässt er das oktavidentische System der boethianischhucbaldschen Reihe A–P und wechselt über zum speziellen System für das parallele Quint-Organum? Offenbar suchte er die jeweils beste, weil instruktivste LehrGrundlage. Denn während sich nur eine oktavidentische Skala wie die Reihe A–P dazu eignete, die sechs symphoniae an den 15 Stufen des überkommenen Tonsystems mit Proportionszahlen und Binnen-Intervallen anschaulich zu machen, bot sich für die Erörterung der Tonarten das eigenartige Dasia-System vordringlich an, weil es den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Tonarten und ihren Finalstufen unterstreicht. Dies sei an einem Diagramm skizziert, dessen DasiaZeichen, Binnenabstände, Stufen- und Tetrachordnamen dem Text (in Z. 228) eingefügt sind und das hier erweitert wiedergegeben wird (Übersicht 2, folgende Seite).69 Bezugstetrachord ist das (zweitunterste) der finales (mit den Stufen: D, E, F, G); seine Struktur aus „Ganzton-Halbton-Ganzton“ ist Modell für alle Tetrachorde (siehe die Winkelzeichen mit der Abkürzung ST = hier semitonium). Diese folgen unverbunden aufeinander, d. h. haben je einen Ganztonschritt zwischen sich (siehe Kästchen). Die Stufennamen sind in allen Tetrachorden identisch – protos, deuteros, tritos, tetrardos (in der kopierten Vorlage mit lateinischen Endungen) –, entsprechen den vier fundamentalen Tonartennamen protos, deuteros, tritos, tetrardos und bezeichnen im Tetrachord der finales exakt die Finaltöne der vier (authentischen wie plagalen) Tonarten. Auch die Namen der Tetrachorde sind sprachlich auf diese finales bezogen, denn am tetrachordum finalium70 orientieren sich das der gravium (der darunterliegenden ptongi), das der superiorum (der

68  ME, Cap. I, descr. 2/3, S. 5. 69  Sie ist – mit Genehmigung der Oxford University Press – aus Atkinson, Critical Nexus (wie Anm. 29), S. 122, entnommen. 70  (Z. 264–270). Hucbald kennt zwar auch diese finales (Chartier, L’Œuvre musicale [wie Anm. 2], § 49, S. 200), bleibt aber den griechischen Stufennamen verhaftet.

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darüberliegenden), das der excellentium (der jenes noch übertreffenden ptongi), sowie zwei Stufen, die aus Ambitusgründen als restliche (residui) oder „über Bord werfende“ (iacentes, Z. 301) gelten.

Übersicht 2: Dasia-Skala mit Stufennamen, Signa und Gliederung

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Die vier fundamentalen Tonartennamen protos, deuteros, tritos, tetrardos kehren also im Quintabstand das ganze System hindurch wieder, bilden demnach die Finalstufenfolge sequenzierend ab. Somit sind Tonartenname und Finalstufenbezug stets gegenwärtig. Auch die zusätzliche Differenzierung der Ambitus-Verläufe in je vier authentici und plagales zu insgesamt acht Formen gehorcht diesem System, und man kann die Faustregel herausziehen: quattuor toni in naturali musica = octo modi in carminibus (Z. 248–250). Die vier griechisch benannten Tonarten der Gesangsmusik (in naturali musica) bilden als Emanation der gleichlautenden vier Skalenstufen die Systemgrundlage, erhalten aber für die musikalische Praxis den Zusatz, sich entsprechend ihren jeweiligen Melodie-Umfängen, die in den konkreten Gesänge (in carminibus) begegnen, auf acht modi aufzuteilen, wie sie sich durchgezählt (abwechselnd authentisch und plagal) mit allen im Text benutzen Alternativbezeichnungen so skizzieren lassen (Z. 250–254):71 1., 3., 5., 7. 2., 4., 6., 8.

als als

autentici, auctorales, maiores, magistri laterales, iuniores, minores, subiugales.

Und als Pointe ergibt sich, dass nun auch die normalen oder zugelassen erweiterten Melodie-Umfänge mit Hilfe namensgleicher Stufen (von der Finalis aufwärts =↑, abwärts =↓) bestimmt oder bemessen werden (Z. 254–260): minores ↑ bis eine Stufe über der namensgleichen im tetrachordum superiorum = Sexte maiores ↑ bis eine Stufe über der namensgleichen im tetrachordum excellentium = Dezime beiden Arten ↓ bis zur namensgleichen Stufe im tetrachordum gravium = Quinte.

Aufgrund dieser Durchregulierung anhand der Tetrachordstufen resümiert der Autor: Gesangsmusik besteht, wie wir lehrten, nur in vier Tonarten wie auch in ebenso vielen Finalstufen (Z. 262–263: „IIIIor tantum musicam naturalem diximus consistere tonis veluti totidem finalibus ptongis“). Obwohl hier nur von Umfängen einstimmiger Melodien die Rede ist, scheint die Bemerkung, dass in den maiores die vielfachen (multiplices) numeri et symphoniae, in den minores die überteiligen (superpariculares) geeignet seien, auf entsprechende Organum-Intervalle anzuspielen und sie zu empfehlen (Z. 271–272). Die Lehre von den zulässigen Umfängen der Tonarten erfährt besonderen Nachdruck, sowohl durch Wiederholungen (Z. 254–260, 273–275), als auch,

71  Statt des heutzutage vertrauteren plagalis benutzt der Text, ebenso wie Musica und Scolica enchiriadis, plagis.

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indem vom Überschreiten dieser Grenzen gehandelt wird, das die Ohren der Artes-Kenner verletze und den Gesang – hier abermals charakterisierende Gegensätze wie zuvor (Z. 193–196) – absonus non consonus, dissonus … non aequisonus … non euphonus, sed … diaphonus mache (Z. 277–279). Und in dem Maße, in dem eine Grenze überschritten wird, tendiere der Gesang zu einem anderen tonalen Zentrum, denn mit veränderter finalis ändere sich auch der tonus (Z. 279–283). Doch von gewissen Kennern werde akzeptiert, bei manchen Gesängen, besonders Sequenzen in plagalen Tonarten, bis zur zehnten oder elften Stufe anzusteigen; hier aber setze man die finalis in der namensgleichen Stufe des um eine Quinte höherliegenden Tetrachords an, verändere also den ordo tetrachordorum, weshalb den vier Tetrachorden ein zusätzliches dicordum iacientium anzufügen war (Z. 283–295).72 Der Autor veranschaulicht dies an der westfränkischen Prose Christi hodierna pangamini omnes (im 9. Jahrhundert belegt),73 die möglicherweise der Notker’schen Textierung Congaudent angelorum chori als Modell diente, melodisch jedenfalls für den Liber hymnorum (um 880) vorlag.74 Ihre Melodie des plagalen Tetrardus besitze zwei finales, die eine, regulär, im tetrardos finalium, die andere eine Quinte höher im tetrardos superiorum, so dass beim Anstieg zur fünften, sechsten oder gar siebenten Stufe beide Plätze der iacentium erforderlich seien (Z. 295–302). Die Wiedergabe dieses Gesangs bei Richard Crocker75 zeigt das im Text Gemeinte: In den Zeilen 1–4 ist die finalis g (tetrardos finalium), in allen Folgezeilen d’ (tetrardos superiorum), als Spitzenton erscheint a’ (tetrardos excellentium), als tiefster Ton f, so dass der Umfang eine Dezime beträgt. In den letzten Zeilen vor seinem Abbrechen (Z. 302–306) steuert der Text auf das Fazit seiner Argumentation zu: Ut tandem, quod dicimus, fiat planum …, wird eine figura der quatuor lateralium angekündigt, in qua et concordiam naturalis et artificalis monstremus armoniae per abcdarium et seriem ptongorum in ratione tonorum et semitoniorum. Diese nicht mehr überlieferte Figur sollte offenbar veranschaulichen, wie die Singpraxis der naturalis musica mit ihrer lehrmäßigen Fundierung durch artificalis musica übereinstimmt, und sollte dies zeigen anhand der beiden zuvor eingesetzten Darstellungsarten von – umgekehrt genannt – Alphabetbuchstaben (abcdarium) und Dasia-Zeichen (dass diese mit

72  Steigt man vom tetrardos der finales, dem Ton g, zur elften Stufe an, so gelangt man zum deuteros am obersten Ende. 73  Vgl. Alejandro Enrique Planchart, „Prose in the Sources of Roman Chant, and their Alleluias“, in: The Study of Medieval Chant. Paths and Bridges, East and West. In Honor of Kenneth Levy, hg. von Peter Jeffery, Cambridge 2001, S. 323. 74  Richard L. Crocker, The Early Medieval Sequence, Berkeley u. a. 1977, passim und bes. S. 187f. 75  Ebd., S. 184f.

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der series ptongorum gemeint sind, ist zwar nicht eindeutig, aber wahrscheinlich76). Beides solle nach Aufweis (ratio) von Ganz- und Halbtönen erfolgen und wahrscheinlich77 auch die Ausdehnung (dimensio) der symphoniae einschließen, aus denen jede der Tonarten sich zusammensetzt (Z. 302–306). Es ist eine reizvolle Herausforderung, das hier Angedeutete versuchsweise zu rekonstruieren. Wenn das im folgenden Vermutete zutrifft, dürfte dem Anonymus eine kluge Synthese aus den verschiedenen ihm vorliegenden Lehren gelungen sein.

graves

finales

superiores II. IV. VI. VIII.

Übersicht 3: Vermutete Skalen-Synthese zur Darstellung der modi

Für den Raum der vier plagalen Tonarten (IIIIor lateralium) gelingt es in der Tat, die Buchstabenreihe A–P als abcdarium und die Dasia-Skala als series ptongorum miteinander in Parallele zu setzen, wenn auch mit einer geringfügigen, aber signifikanten Einschränkung. Bei den genannten Normalumfängen der laterales (Quinte unter der finalis, Quinte bis Sexte über ihr) fügen sich die vier PlagalTonarten (II., IV., VI., VIII.) in einen Gesamtambitus von Duo- bzw. Tredezime, bleiben also innerhalb des traditionellen Doppeloktavsystems A–P. In ihm ist das maßgebende Tetrachord der finales (der Töne modern d, e, f, g) binnenintervallisch leicht auszumachen in den Buchstaben F, G, H, I. Exakte Entsprechungen mit dem abcdarium ergeben sich auch für das Tetrachord der graves (B, C, D, E). Die einzige Abweichung entsteht dadurch, dass im abcdarium das anschließende Tetrachord der superiores (modern a bis d’) „verbunden“ statt „unverbunden“

76  Die series sonorum wird in Musica und Scolica enchiriadis selbstverständlich an DasiaZeichen demonstriert, doch vorwiegend im Quart- oder Quintrahmen, nicht im ganzen System. 77  Dies im Sinne der Konjektur durch Schmid, Musica et scolica enchiriadis (wie Anm. 1) in Z. 305.

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folgt, und dies betrifft – ausgerechnet – die ohnehin changierende „Doppelstufe“ b/h (bei L). Indem der Tiefton A (modern F) unter die Dasia-Skala hinausgreift,78 ergibt sich als Folie auch die Monochordmensur Sit ergo chorda intensa aus den Scolica enchiriadis79 mit den Signa A–P (im Sinn von F–f–f’). Und die erwähnten symphoniae, die in den angegebenen Normal-Ambitus der Plagaltonarten zu erkennen sind, stimmen schließlich mit den Quintspecies und ihrer Zählung (pentacordum primum bis quartum) in den Scolica enchiriadis80 überein. Aus dieser Inhaltsbetrachtung der Schrift des Anonymus ergibt sich für die Datierung des Archetypus die Eingrenzung einerseits durch die Kenntnis der frühen Fachtexte – Aurelian, Musica und Scolica enchiriadis sowie der um 900 anzusetzenden Musikschriften von Hucbald und Regino –, andererseits durch das Fehlen jeder Spur guidonischen Einflusses. Aus jenen Texten wird eine Lehre der Symphoniae und Tonarten im Blick auf Orgelpfeifenmessung und Organumpraxis synthetisiert, wie dies in den Vorlagen nur sehr entfernt und ansatzweise geschah. In der Pfeifenmessung deutet die noch „naive“ Gleichsetzung von Saiten und Pfeifen auf eine Zeit vor den ersten Zeugnissen für ein Ergänzen von „Durchmesser-Anteilen“, das um 980 (Gerbert) sowie mit den Überarbeitungen einer SE-Mensur (Si fistulae) und mit der Longissimam-Gruppe (an der auch Notker Labeo beteiligt war) anzusetzen ist.81 Diese Anzeichen wie auch die Erwähnung der Prosa Christi hodierna, dazu der Überlieferungskontext in der einzigen Quelle sprechen dafür, dass der Text im Laufe des 10. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Die Lokalisierung ist weniger greifbar. Das Manuskript, das die torsohafte Kopie (mit nur wenigen und sich wie von selbst ergänzenden AuslassungsFehlern) singulär überliefert, entstand vermutlich in Lothringischen (Lüttich und Saint-Hubert in den Ardennen bieten Vergleichbares82). Über den anonymen Autor selbst wird man sagen dürfen: Er war kundig, wie die Entlehnungen erweisen, er verfolgte ein selbstständiges Konzept, wie der Argumentationsgang zeigt, und er nahm auch wahr, was außerhalb seines Umkreises musikalisch geschah. Denn hierzu müssen die Itali und Suevi gehört haben, deren kräftig blühendes und sehr einfaches Parallel-Organum in Quinten

78  Der dadurch gewählte Mensurbeginn resultiert aus der historisch bezeugten Umkehrung „additiver“ Mensuren in „subtraktive“; vgl. Sachs, Mensura fistularum (wie Anm. 37), S. 156, 158, 169. 79  Schmid, Musica et scolica enchiriadis (wie Anm. 1), III, 534–550, S. 146f. 80  Ebd. I, 81–86, S. 64f. 81  Diese Einschätzung nach den bei Sachs, Mensura fistularum (wie Anm. 37), S. 166–204, entfalteten Indizien. 82  Siehe Anm. 3.



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zweifellos nicht – oder zumindest nicht allein – die dem Autor vertraute eigene Praxis verkörperte. Nimmt man nun „außerhalb“ der Suevi und Itali liegende, wenn auch vage Indizien aus dem Text selbst hinzu – die Wirkensorte Hucbalds und Reginos (St.-Amand in Flandern, Prüm in der Eifel, alles nahe dem oder im alten Lotharingien) – oder auch aus der ihn überliefernden Quelle, so dürfte der Standort des Verfassers jedenfalls nördlich der Suevi und Itali gelegen haben. Über solche eher tastenden als tragfähig hypothetischen Erwägungen hinaus aber bleiben lauter Fragen offen: welchem Kloster der Autor angehört haben könnte, welche Verbindungen dieses besaß, ob er selbst Ortswechsel erlebte (und welche), auch wo er herstammte, wo er seine musiktheoretischen Kenntnisse erworben hat, welche Praxis des organum sesquitertiale ihm vertraut war… Gleichwohl ist sein Textfragment ein wichtiges, wenn auch für unser Verstehen noch allzu isoliertes Zeugnis.

Gunnar Wiegand

Itali und Longobardi in den musiktheoretischen Schriften Theogers von Metz und Aribos Einleitung Im Repertoire des gregorianischen Gesangs gibt es bestimmte Varianten, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts von Musikwissenschaftlern in „Choraldialekte“ eingeteilt wurden. Im Anschluss an die Untersuchungen der Gesangspraxis wurde versucht, diese Dialekte in lateinischen Musiktraktaten des Mittelalters nachzuweisen und auf die Musikpraxis zu applizieren. Die verschiedenen Autoren machten diverse Textstellen ausfindig, an denen die Theorie der Choraldialekte eine vermeintliche begriffliche und theoretische Bestätigung erfuhr. Neben Aurelian von Réôme1 und Jacobus von Lüttich2 wurden insbesondere zwei Traktate, nämlich De Musica von Aribo und Musica von Theoger von Metz zur Bestätigung der Dialekt-Theorie Peter Wagners herangezogen.3 Die Adjektive des „Germanischen“ und „Romanischen“ wurden von der Forschung mit den Substantiven der Teutonici und der Itali, Romani bzw. Longobardi – wie bestimmte Gemeinschaften in beiden Musiktraktaten benannt werden – gleichgesetzt.4 Durch dieses sekundärliterarische begriffliche Netz entsteht zudem der

1  Vgl. Peter Wagner, Neumenkunde. Palaeographie des Gregorianischen Gesanges nach den Quellen dargestellt und an zahlreichen Facsimiles aus den mittelalterlichen Handschriften veranschaulicht, Fribourg 1906, S. 68f., und Bruno Stäblein, „Einführung“, in: Die Gesänge des altrömischen Gradual : Vat. lat. 5319, Kassel 1970 (Monumenta monodica medii aevi 2), S. 73* und S. 148*, und ders., Schriftbild der einstimmigen Musik, Leipzig 1975 (Musikgeschichte in Bildern 3: Musik des Mittelalters und der Renaissance), S. 192f. 2  Vgl. Dominicus Johner, Wort und Ton im Choral, Leipzig 1953, S. 111, und Walther Lipphardt, „Über Alter und Ursprung des deutschen Choraldialekts“, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 2 (1956), S. 104–110, hier S. 105. 3  Vgl. Bruno Stäblein, Art. „Deutschland. B. Mittelalter“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Friedrich Blume, Bd. 3, Kassel und Basel 1954, Sp. 273, und Karl-Werner Gümpel, Art. „Theoger, Dietger, von Metz“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 16, Kassel u. a. 2006, Sp. 736f. 4  Peter Wagner, „Der germanische Dialekt des Gregorianischen Gesanges“, in: Das Graduale der Sankt Thomaskirche zu Leipzig (14. Jahrhundert) als Zeuge deutscher Choralüberlieferung

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 Gunnar Wiegand

Eindruck, dass es sich bei beiden lateinischen Textstellen um denselben musiktheoretischen Sachverhalt handelt. Nach zwei einführenden Kapiteln zum Forschungsstand des Choraldialekts (1.) und der historischen Einordnung Theogers und Aribos (2.), soll gezeigt werden, dass die beiden Texte unterschiedliche musikalische Praktiken beschreiben (3.–5.). Gleichzeitig werden die Gemeinschaftsbegriffe genauer beleuchtet und geografisch verortet. Gerade der Vergleich der Gemeinschaftsbegriffe in den beiden Traktaten zeigt, dass eine Applikation auf die neuzeitliche Theorie des Dialekts nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen ist.

1 Der Forschungsstand zu den Choraldialekten im 11. Jahrhundert Die Einteilung des gregorianischen Gesangs in „Choraldialekte“ durch Peter Wagner lieferte nachhaltige begriffliche Ordnungskriterien für die Beschreibung regionaler Gesangspraktiken.5 Schon in seiner Neumenkunde unterschied Wagner zwischen einer „gotischen“ oder „deutschen“ und einer „lateinischen“ Choraltradition, die er einerseits auf der Ebene der Notenschrift identifizierte und andererseits mit bestimmten Wendungen im Melodieverlauf.6 Er konstatierte, dass „wo die lateinischen Codices von den beiden um einen halben Ton abstehenden diatonischen Stufen die untere wählen, […] die deutschen die obere [haben].“ „Hier“ – so Wagners Beobachtung weiter – „entspricht also dem e und h (zuweilen auch b) der Handschriften Frankreichs und Italiens f, b und c in den Handschriften, die nördlich von den Alpen hergestellt worden sind.“7 In den Einführungskapiteln der Faksimile-Ausgabe des Graduale der Thomaskirche zu Leipzig8 werden schließlich die Begriffe der „gotischen“ und „lateinischen Choraltradition“ durch die Begriffe des „germanischen“ und „romanischen Choraldialekts“ ersetzt und anhand eines Vergleichs des Leipziger Graduale mit der aus Montecassino stam-

1.: Von Advent bis Christi Himmelfahrt, Leipzig 1930, S. V–XXXIV, und Bruno Stäblein, Art. „Deutschland“ (wie Anm. 3), Sp. 273. Hierin kritisiert Stäblein Wagners Begriff des „Germanischen“, da hiermit der Kulturraum „Englands“ nicht erfasst sei. „Engländer“ seien zu den „Germanen“ zu rechnen (ebd.). In seinem Buch Schriftbild der einstimmigen Musik (wie Anm. 1), S. 192, erklärt Stäblein das Auftreten des „germanischen“ Choraldialekts in Nordfrankreich durch den Begriff der „Germanisierung“. 5  Wagner, Neumenkunde (wie Anm. 1). 6  Ebd., S. 291–293. 7  Ebd., S. 282. 8  D-LEu Ms. Thom. 391 und die Edition in Wagner, Graduale (wie Anm. 4), 2 Bde.



Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

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menden Handschrift des Codex Vaticanus 60829 im Detail erläutert. Wagner vermeint anhand seiner Beobachtungen ein prinzipielles Muster zu erkennen, wonach „die germanischen Sänger durch eine ihrer musikalischen Veranlagung innewohnende Neigung getrieben wurden, wenn die melodische Linie sich in der Nähe eines diatonischen Halbtones bewegt, mehrfach sich anders zu verhalten, als die Romanen.“10 Der diatonische Halbschritt e–f, h–c und a–b werde vom germanischen Sänger umgangen, indem er statt d–e d–f und statt a–h a–c singe.11 Die Rezeption der Wagner’schen Theorie konzentrierte sich im Wesentlichen darauf, einerseits die räumliche Verbreitung der Dialekte zu untersuchen, den zeitlichen Entstehungsursprung der verschiedenen Traditionen zu ermitteln und in diesem Zusammenhang Erklärungsmuster für ihre Etablierung zu liefern.12 Schon in den frühen Folgestudien deutete sich an, dass sich dialektale Ordnungsstrukturen – wie sie bei sprachlichen Dialekten auftreten – nicht aufrechterhalten ließen. Vielmehr gelangte die Forschung zur Erkenntnis, dass die von Wagner als romanisch identifizierten Lesarten durchaus auch nördlich der Alpen verbreitet waren und umgekehrt.13 Maria-Elisabeth Heislers Verdienst war es schließlich, die zwei hauptsächlichen Probleme der Wagner’schen Theorie zu benennen. Zum einen wies sie darauf hin, dass Wagner die Theorie des Choraldialekts im Wesentlichen auf eine einzige Quelle im „germanischen“ Dialektbereich stützt, nämlich das Leipziger Graduale, und einige wenige Quellen im „romanischen“

9  I-Rvat Vat. lat. 6082. 10  Wagner, Graduale (wie Anm. 4), Sp. XXVI 11  Ebd., Sp. XXV, und Maria-Elisabeth Heisler, Studien zum ostfränkischen Choraldialekt, Univ. Diss., Frankfurt a. M. 1987, S. 68. 12  Vgl. Johann Baptist Klein, Der Choralgesang der Karthäuser in Theorie und Praxis, Berlin 1910, und Erik Abrahamsen, Eléments romans et allemands dans le chant grégorien et la chanson populaire en Danemark, Kopenhagen 1923; Peter Wagner, Art. „Germanisches und Romanisches im frühmittelalterlichen Kirchengesang“, in: Bericht über den Musikwissenschaftlichen Kongreß der deutschen Musikgesellschaft in Leipzig 1925, Leipzig 1926, S. 21–34; Carl Allen Moberg, Über schwedische Sequenzen, Uppsala 1927; Jacques Handschin, „Die Rolle der Notation in der Musikgeschichte“, in: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft 5 (1931), S. 4f.; Heinrich Besseler, Die Musik des Mittelalters und der Renaissance, Potsdam 1931 (Handbuch der Musikwissenschaft 1), S. 83; Otto Ursprung, Die katholische Kirchenmusik, Potsdam 1931 (Handbuch der Musikwissenschaft 2); Ewald Jammers, Das Karlsofficium „Regali natus“, Straßburg 1934, S. 13; Karl G. Fellerer, Art. „Gregorianischer Gesang im deutschen Mittelalter“, in: Musica Sacra (1936), S. 230–234; ders., Der Gregorianische Choral im Wandel der Jahrhunderte, Regensburg 1936; ders., Deutsche Gregorianik in Frankreich, Regensburg 1941; Paul Beyer, Studien zur Vorgeschichte des Dur-Moll, Kassel 1958; Theodor Bernhard Rehmann, Art. „Aachen“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Friedrich Blume, Bd. 1, Kassel und Basel 1949, Sp. 1, und Helmut Hucke, Art. „Germanischer Choraldialekt“, in: Das große Lexikon der Musik, Bd. 3, Freiburg 1980. 13  Heisler, Choraldialekt (wie Anm. 11), S. 58.

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Dialektbereich und aus diesen Einzelfällen auf ein allgemeines Prinzip schließt.14 Zum anderen problematisiert Heisler die von Wagner eingeführte Terminologie der Gemeinschaftsbegriffe „romanisch“ und „germanisch“: Peter Wagner hat die verschiedenen Überlieferungsversionen mit „romanisch“ und „germanisch“ bezeichnet. Einige Fragen an diese Terminologie […] hatten gezeigt, daß diese Begriffe dem Sachverhalt nicht gerecht werden. Beide Begriffe beinhalten eine ethnologische, eine geographische und eine linguistische Interpretation. Der große Zeitraum, dem die Terminologie gerecht werden muß, verursacht im wesentlichen diese Vieldeutigkeit.15

In ihrer Studie plädiert Heisler zunächst dafür, die beiden gregorianischen Dialekt-Versionen „neutral“ mit A und B zu benennen, wobei A für die von Wagner als germanisch bezeichnete Fassung steht und B für die romanische Fassung.16 Die aus der Sequenzen- und Tropen-Forschung stammende Unterscheidung zwischen ost- und westfränkischer Choraltradition scheint schließlich für Heisler ein adäquates begriffliches Synonym für die verschiedenen Dialekte zu sein.17 Eine neuere begriffliche Alternative stellt David Hileys Ersatz der Gemeinschaftsbegriffe durch Himmelsrichtungen dar.18

2 Die Gemeinschaften der Itali, Longobardi und Teutonici im Musikschrifttum des 11. Jahrhunderts Bis auf die Ausnahme einer Erwähnung der Gemeinschaft der Itali in dem Organal-Traktat Quemadmodum vocis19 des Anonymus Tetschensis in der zweiten

14  Ebd. 15  Ebd. S. 138. 16  Ebd. S. 59. 17  Nach meinem Dafürhalten wird aber durch die erneute Rückkoppelung der beiden DialektVersionen an regionale Begriffe die Tatsache ihrer Parallelexistenz innerhalb einer Region – wie ausführlich in Heislers Studie dargelegt – nicht Rechnung getragen. Zudem scheint Francia keinesfalls ein Begriff zu sein, der durchgehend die von Heisler konstatierte Neutralität in ethnischer, sprachlicher und politischer Hinsicht besaß (vgl. ebd., S. 139). Entgegen Heislers Annahme (ebd. S. 138) konnte der Begriff Romani durchaus auch lateinisch-sprechende Bevölkerung im Allgemeinen widergeben (vgl. meine Ausführungen in Kapitel 3.7). 18  David Hiley, Western Plainchant. A handbook, Oxford 2005, S. 573. 19  CS-Psk MS. XIX.C. 26, fol. 28v–34r. Edition in: Klaus-Jürgen Sachs, Mensura fistularum…, Teil I, Stuttgart 1970, S. 45–48 (Schriftenreihe der Walker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung) und Anonymus cod. Pragensis (ol. Tetschensis), „Quemadmodum vocis…“, in: Musica et scolica enchiriadis una cum aliquibus tractatulis adiunctis, hg. von Hans Schmid, München 1981



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Hälfte des 10. Jahrhunderts,20 finden sie sich erst in mehreren Schriften des 11. Jahrhunderts wieder. Dabei handelt es sich um vier Texte klösterlich-benediktinischer Provenienz, jedoch aus unterschiedlichen Gegenden: Guidos von Arezzo Epistula de ignoto cantu directo, Johannes Affligemensis De musica, Aribos De musica und Theogers von Metz Musica. Die Texte der drei letzteren Autoren waren mit der Lehre Guidos vertraut.21 Mehrfach wurde auf die inhaltliche Vergleichbarkeit der Schriften in Hinblick auf die Species-Theorien hingewiesen.22 Die Schriften Aribos und Theogers lassen zwar beide Verbindungslinien zum nördlichen Alpenvorland erkennen, gehörten aber offensichtlich den beiden entgegengesetzten politisch-theologischen Strömungen ihrer Zeit an. Theogers Schrift entstammt dem geistigen Umfeld der benediktinischen Reformklöster auf der Insel Reichenau23 und in Hirsau.24 Theoger trat 1079/80 in das Kloster Hirsau ein, in dem Wilhelm von Hirsau seit 1069 Abt war.25 Wilhelm unterstützte Theogers Einsetzung als Abt von St. Georgen. Aribo hingegen widmete De Musica dem Bischof Ellenhard von Freising,26 der im Investiturstreit auf Seiten Kaisers Heinrich IV. stand.27 Auch wenn es keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Erwähnung der Gemeinschaftsbegriffe bei den beiden Autoren gibt – wie noch zu zeigen ist – so ist zumindest bemerkenswert, dass sie durch die Erwähnung musikalischer Phänomene ihrer Zeit dennoch beide um eine Verortung bei verschiedenen Gemeinschaften bemüht waren.

(Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Musikhistorischen Kommission 3), S. 224–232. Vgl. auch den Aufsatz von Klaus-Jürgen Sachs im vorliegenden Band. 20  Sachs nimmt eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 10. Jh.s an (Mensura fistularum [wie Anm. 19]). 21  Vgl. neben verschiedenen direkten Verweisen auf Guido in den Originaltexten z. B. Nancy Phillips, „Notationen und Notationslehren von Boethius bis zum 12. Jahrhundert“, in: Die Lehre vom einstimmigen liturgischen Gesang, hg. von Thomas Ertelt und Frieder Zaminer, Darmstadt 2000 (GMth 4), S. 293–624, hier S. 579f. 22  Z. B. Karl-Heinz Schlager, „Ars cantandi – ars componendi“, in: Die Lehre vom einstimmigen liturgischen Gesang (wie Anm. 21), S. 105–161, hier S. 147f. 23  Vgl. z. B. Michael Klaper, Die Musikgeschichte der Abtei Reichenau im 10. und 11. Jahrhundert. Ein Versuch, Wiesbaden 2003. 24  Vgl. z. B. Wolfgang Irtenkauf, Hirsau. Geschichte und Kultur, Konstanz 1978. 25  Fabian Christian Lochner, Dietger (Theogerus) of Metz and his Musica, Ann Arbor 1995, S. 78. 26  Aribo, De musica, hg. von Joseph Smits van Waesberghe, Rome 1951 (CSM 2), S. 1. 27  Vgl. Johanna Autenrieth, Art. „Ellenhardus“, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 454f. [Onlinefassung]: [URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd133631400.html].

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3 Die Gemeinschaftsbegriffe bei Theoger von Metz 3.1 Die Itali, Romani und Teutonici im Textzusammenhang der Musica Die Gemeinschaftsbegriffe der Itali, Romani und Teutonici tauchen folgendermaßen in Theogers Text auf: Decachordum secundi et exempla ejus. (Exempla secundi sunt haec) Responsorium Rorate coeli. Responsorium Qui vicerit. Responsorium Angelus Domini. Responsorium Tentavit Deus, et antiphona In spiritu humilitatis. Hoc decachordum secundi a plerisque Teutonicis maxime frequentatum vitant Itali vel Romani, continentes se in b. molli; quos imitantur quidam Teutonici.28

Nach einigen kürzeren Anfangskapiteln zum Monochord, zur Monochordmensur, der Monochordteilung, zu den modi, den Proportionen und Tetrachorden, folgen mehrere Kapitel zur Theorie der species.29 Den weitaus größten Teil der Schrift umfasst jedoch eine umfassende Darlegung der Theorie der tropi.30 Es werden die vier Grundmodi (tropi), protus, deuterus, tritus und tetrardus mit ihren jeweiligen authentischen und plagalen Pendants erläutert.31 Neben der finalis als Zielpunkt der tropi werden diese auch über die species definiert, welche aus einem diapason, zusammengesetzt aus diatessaron und diapente, besteht.32 Darüber hinaus erwähnt Theoger die Möglichkeit, dass die species des diapason um einen tonus über- bzw. unterschritten werden können.33 Zur Veranschaulichung liefert er folgendes Schema:

28  Zitiert nach Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum, hg. von Martin Gerbert, St. Blasien 1784; Nachdr. Hildesheim 1963), Bd. 2, S. 183–196, hier S. 195. Neuere kritische Edition in: Lochner, Dietger (wie Anm. 25). – Übersetzungsvorschlag: „Das Decachordum des zweiten Tons | Die Beispiele des zweiten sind folgende: […] Dieses decachordum des zweiten Tons ist bei einer großen Anzahl an Teutonici am allermeisten im Gebrauch, Itali oder Romani vermeiden es, indem sie sich auf b-Molle beschränken, welche von gewissen Teutonici nachgeahmt werden.“ 29  Theoger, Musica (wie Anm. 28), S. 188f. 30  Ebd., S. 190f. 31  Ebd. 32  Ebd. und Abb. 1. 33  Ebd., z. B. S. 192f. für den ersten und zweiten Ton.



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Abbildung 1: Teilungsverhältnisse im zweiten Ton.

Neben dieser regulären Erweiterung des diapason beschreibt Theoger außerdem auch den Fall der Überschreitung des Oktavraums nach oben um zwei toni; er leitet diesen von Beispielen aus der Musikpraxis ab.34

Abbildung 2: Dekachord des zweiten Tons.

Durch die Ausdehnung des Oktavraums um zwei weitere toni ergibt sich ein neuer Tonraum von zehn Tönen, den er als decachordum bezeichnet.35 Dieser neue Tonraum lässt sich in jeweils drei konjunkte Quarträume unterteilen, wobei

34  Ebd. 35  Ebd., S. 195.

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die finalis (in den authentischen Bereichen) an der ersten Position stehen kann oder (in den plagalen Bereichen) an der Übergangsstelle zwischen erstem und zweitem Quartraum (wie in den Grundtropi am Übergang von Quart- und Quintraum). Somit gestaltet sich ein Dekachord aus drei konjunkten Diatesseron-Räumen: A–D–G–c. Theoger beobachtete offenbar in der Gesangspraxis der Teutonici, dass sie die Melodien der erwähnten liturgischen Gesänge im zweiten tropus bis zum Hochton c ausführen. Darüber hinaus scheint es, dass es einige wenige Teutonici gab, die vom gängigen Usus abwichen und wie die Itali oder Romani sangen. Diese stießen nur bis auf das b-Molle vor. Die Verwendung des b-Durum scheint für Theoger keine Rolle zu spielen. Durch die Nennung von fünf Gesängen, die Theoger dem Dekachord zuordnet, kann ein Vergleich mit der mittelalterlichen Musikpraxis getätigt und somit überprüft werden, inwieweit sie in den verschiedenen Gegenden Europas verbreitet war. Unter Berücksichtigung der bei Theoger genannten Gesangscharakteristika – zweiter Ton und Dekachord – müsste es sich um die Melodien der folgenden Cantus-ID-Nummern (cao) handeln:36 –– –– –– –– ––

cao7553 Rorate coeli cao7486 Qui vicerit cao6098 Angelus Domini cao7762 Tentavit Deus Abraham cao3288 In Spiritu humilitatis

36  Bei der folgenden Handschriftenanalyse, die diesen Befund nachzeichnen will, gilt es zwei Einschränkungen zu beachten: Zum einen handelt es sich nur um Handschriften, die die bei Theoger angeführten Text-Incipits als Gesänge im zweiten Ton wiedergeben und die im Würzburger Bruno-Stäblein-Archiv sowie online einsehbar sind. Zum anderen wird keine zeitliche Einschränkung auf bestimmte Jh. der Handschriftenentstehung Rücksicht vorgenommen. Die Beobachtungen zu diesen Musikpraktika sind daher nur Annäherungen. Bei den erheblichen zeitlichen Verschiebungen hinsichtlich der Entstehung der Handschriften, ist nicht auszuschließen, dass es auch Veränderungen der Praxis an den jeweiligen liturgischen Zentren gegeben hat. Auf der anderen Seite ist auch nicht auszuschließen, dass sich bestimmte liturgische Traditionen an den verschiedenen Orten über längere Zeiträume erhalten haben, bis sie schließlich verschriftlicht wurden. (Freilich gilt im Einzelfall einer zeitlich näher an Theoger stehenden Handschrift ggf. ein höheres Maß an Autorität einzuräumen). – Über die Cantus-ID-Nummern lässt sich ein Großteil der Handschriftenüberlieferung auf der Cantus-Hompage der University of Waterloo unter der folgenden Homepage ausfindig machen: [URL: http://cantusdatabase.org/ masterchants].



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3.2 cao7553 Rorate coeli (vgl. Tabellen I–V) Der volle Text des vorwiegend in der Adventszeit verwendeten Responsoriums aus Jesaja 45,8 lautet: „rorate caeli desuper et nubes pluant iustum aperiatur terra et germinet salvatorem.“37 Die für die Beobachtung des Dekachords relevante Stelle befindet sich im Melisma über dem Wort „aperiatur“, an welcher das „Hervorsprießen“ des Heilands aus der geöffneten Erde musikalisch nachgezeichnet wird. Von den 25 untersuchten Handschriften geben 17 Aufschlüsse darüber, welche Version am jeweiligen Kloster oder der jeweiligen Kathedrale praktiziert wurde oder zumindest als Abschrift vorhanden war. In der Gegend des nördlichen Alpenvorlands, Augsburg, Klosterneuburg und St. Lambrecht war in der Zeit zwischen dem 12. Jahrhundert und dem 16. Jahrhundert die Lesart a–c verbreitet. Lediglich im Kloster Einsiedeln gab es im 14. Jahrhundert eine Fassung, die eindeutig mit der Kennzeichnung des b-Molle versehen war. Im nordalpinen Raum war neben der Fassung a–c zumindest im westlichen Teil, in Augsburg und Zwiefalten, auch die Tradition a–h verbreitet. Möglicherweise wurde hier auch a–b gesungen, allerdings ohne dass dies in der Handschrift eigens vermerkt wurde. Diese Variante taucht auch in einer Handschrift der Kathedrale von Notre Dame in Paris auf. Benediktinische Handschriften aus dem Pariser Raum, Lothringen Aquitanien, Tuscien und Rom notieren eine Variante, die nicht in den DekachordRaum ausbricht und sich auf den Hochton des zweiten tropus a’ beschränkt. Bemerkenswert an diesen Fassungen ist, abgesehen von der Handschrift mit dem Ursprung in Salzinnes, die zeitliche Nähe zur Entstehung des Traktats von Theoger bis ins 11. Jahrhundert. Theoger erwähnt zwar im Zusammenhang der diskutierten Textstelle nicht explizit die Versionen, die sich auf den Ambitus des regulären zweiten tropus beschränken, allerdings kann man annehmen, dass er diese Möglichkeit dadurch berücksichtigt, dass er die Dekachord-Ausnahmen im Rahmen der Theorie zu den regulären Tönen diskutiert. Die Ordens- bzw. Kapitel-Provenienz scheint keinen Einfluss auf die Gestalt der Versionen gehabt zu haben. So gibt es z. B. in benediktinischen Klöstern alle vier möglichen Varianten. Im Fall von Rorate caeli scheint die b-Molle-Variante

37  Zitiert nach Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem, hg. von Robert Weber und Roger Gryson, 4. Aufl., Stuttgart 1994, S. 1143. In diesem Beispiel wird der biblische Wortlaut im Responsorium eins zu eins widergegeben. Die Schreibweise einzelner Wörter weicht in den einzelnen Musikhandschriften deutlich voneinander ab. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wird im Aufsatz auf die zitierte Version der Vulgata zurückgegriffen. – Übersetzungsvorschlag: „Träufelt, ihr Himmel, von oben und die Wolken regnen das Gerechte. Die Erde möge aufgetan werden und der Heiland sprieße hervor.“

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eher eine Ausnahmeerscheinung gewesen zu sein. Anhand der untersuchten Quellen lässt sich keinesfalls von einem eigenständigen Dialekt in einer bestimmten Region sprechen. Die b-Molle-Variante taucht bei den untersuchten Handschriften nicht bei den „Itali vel Romani“ auf. Dagegen ist auffällig, dass die a-c-Variante in der Tat lediglich in nordalpinen Quellen auftaucht, die a-aVariante (reiner zweiter Tropus) nur in südalpinen bzw. westfränkischen Quellen. Die Variante a–h wurde offenbar parallel zur Version a–c vor allem nördlich der Alpen gebraucht.

3.3 cao7486 Qui vicerit (vgl. Tabellen VI–X) Das Responsorium Qui vicerit wird in den meisten Quellen dem Tag des Evangelisten Johannes zugeordnet. Dass es sich hierbei um einen Text-Ausschnitt aus der Offenbarung handelt, zeigt, dass bis in die Neuzeit der Evangelist Johannes – zugleich der Lieblingsjünger Jesu – mit dem Autor der Offenbarung gleichgesetzt wurde.38 Der volle Vulgata-Text im Buch der Offenbarung 3,12 lautet: Qui vicerit faciam illum columnam in templo Dei mei et foras non egredietur amplius et scribam super eum nomen Dei mei et nomen civitatis Dei mei novae Hierusalem.39

Die Vision des Johannes im Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia wird im Responsorium gekürzt und zu einer direkten Rede Gottes umformuliert: Qui vicerit faciam illum columnam in templo meo dicit dominus et scribam super eum nomen meum et nomen civitatis novae Jerusalem.40

38  Diese Deutung wird schon von zahlreichen Kirchenvätern, darunter Papias, Justin dem Märtyrer, Tertullian, Irenäus von Lyon, Clemens von Alexandria und Origenes vertreten. In der heutigen neutestamentlichen Exegese wird von verschiedenen Verfassern ausgegangen; siehe Jürgen Roloff, Die Offenbarung des Johannes, 3. Aufl., Zürich 2001 (Zürcher Bibelkommentare), S. 16. 39  Zitiert nach Biblia sacra vulgata (wie Anm. 37). – Übersetzungsvorschlag: „Wer den Sieg erlangt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er wird nicht mehr weit nach außen hinausgehen. Auch werde ich auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalems.“ 40  Textversion: [URL: http://cantusdatabase.org/id/007486]. – Übersetzungsvorschlag: „Wer den Sieg erlangt, den werde ich zu einer Säule in meinem Tempel machen – sagt der Herr –, und ich werde auf ihn meinen Namen und den Namen der Stadt des neuen Jerusalems schreiben.“



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Die Überschreitung des Okatvambitus des zweiten Tons in das Dekachord erfolgt hier auf dem Wort „scribam“, welches das einleitende Verb des zweiten Teilsatzes ist und somit etwa in der Mitte des Satzes steht. Von den 26 untersuchten Handschriften lassen sich bei 15 die genauen Tonhöhen rekonstruieren. Wie schon im vorhergehenden Fall lässt sich die Variante mit dem Sprung a–c im Wesentlichen auf den nordalpinen Raum einschränken. Eine Ausnahme stellt hier die Handschrift aus der Kathedrale von Notre Dame in Paris dar. Während Rorate caeli hierin die a-h-Fassung aufweist, schreitet Qui vicerit den vollen Dekachord-Raum aus. Die b-Molle-Variante findet sich – neben der bereits im vorhergehenden Fall erwähnten Einsiedler Handschrift – auch in zwei Handschriften Benediktinischer Klöster im westfränkischen Raum, in St. Maur-des-Fosses und St. Amand de Coly. Deutlich weniger Handschriften als im vorhergehenden Beispiel sind hier in der Fassung a–h überliefert. Alle drei Fälle scheinen auch aus dem Raum nördlich der Alpen zu stammen, jedoch aus unterschiedlichen Regionen. Nur die Fassung der Handschrift aus der Utrechter Marienkirche bricht nicht in den Dekachord-Raum aus. Insgesamt ist auffällig, dass die b-Molle-Fassungen aus Einsiedeln und dem Gebiet des westfränkischen Reichs stammen. Die beiden adiastematischen Handschriften aus Vallombrosa in Tuscien und San Sisto bei Rom scheinen in der Fassung a–h notiert zu sein (in jedem Fall fehlt in beiden Handschriften eine b-Molle-Kennzeichnung). Es zeigt sich auch hier, dass sich die Varianten weder auf ein exaktes räumliches Gebiet, noch auf eine bestimmte Ordens- oder Kleriker-Tradition eingrenzen lassen. Außerdem wird schon an diesem zweiten Fall deutlich, dass dieselben Handschriften bei den unterschiedlichen Gesängen, die Theoger nennt, verschiedene Varianten aufweisen können.

3.4 cao6098 Angelus Domini (vgl. Tabellen XI–XVI) Bei dem vorliegenden Responsorien-Text handelt es sich um die Zusammenfassung zweier Bibel-Verse im Buch Genesis 22,11–12. In der Vulgata steht: 11 et ecce angelus Domini de caelo clamavit dicens Abraham Abraham qui respondit adsum 12 dixitque ei non extendas manum tuam super puerum neque facias illi quicquam nunc cognovi quod timeas Dominum et non peperceris filio tuo unigenito propter me.41

41  Biblia sacra vulgata (wie Anm. 37), S. 30. – Übersetzungsvorschlag: „Und siehe, der Engel des Herrn rief vom Himmel und sprach: ‚Abraham, Abraham‘, dieser antwortete: ‚hier bin ich‘, er [der Engel] sagte zu ihm: ‚du sollst deine Hand nicht an den Knaben legen, du sollst ihm nichts tun. Jetzt weiß ich, dass du den Herren fürchtest und dass du nicht einmal deinen einzigen Sohn

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Der Vers 11 wird im Responsorium zu einer Einleitung der wörtlichen Rede des Engels zusammengefasst. Die Antwort Abrahams wird weggekürzt. Die wörtliche Rede des Engels wird schließlich nur ausschnittsweise aus dem Vers 12 widergegeben. Angelus domini vocavit Abraham dicens ne extendas manum tuam super puerum eo quod timeas dominum.42

Der Gesang wird in den meisten liturgischen Formularen der Matutin am Sonntag Quasimodogeniti zugeordnet. Auch hier unterstreicht die Melodieführung die Aussage des Satzes: Der Hochton des Dekachords erklingt auf dem Wort „extendas“, dem „Ausstrecken“ der Hand Abrahams, das durch die Intervention des Engels unterbrochen wird. Danach fällt die Melodielinie wieder in die tiefen Ton-Bereiche ab und kehrt schließlich vor dem Ende in der Lage der finalis zurück. Die 23 analysierten Beispiele weisen ein breites Spektrum an Varianten auf. Die nordalpinen Handschriften aus Klosterneuburg und St. Lambrecht sowie eine in Fribourg aufbewahrte Handschrift verwenden die Lesart a–c. Auch in diesem Fall handelt es sich um Handschriften aus drei verschiedenen Traditionen: Augustiner-Chorherrn, Benediktiner und Franziskaner. Bei der franziskanischen Quelle handelt es sich um eine frühe Handschrift des Ordens, der sich ja erst zur Mitte des 13. Jahrhunderts im nordalpinen Raum etablierte. Die beiden Handschriften mit der Variante a–b stammen aus dem Pariser Raum, dem Dominikaner-Kloster Poissy und abermals der Kathedrale von Notre Dame. Die Variante a–h findet sich in vier Handschriften südlich, westlich und nördlich der Alpen wieder. Aus allen diesen Gegenden sind zudem Handschriften überliefert, die den Gesang in einer auf a transponierten Variante aufweisen. In diesem Fall entspricht das e dem eigentlichen h und das f dem eigentlichen c. Die Dekachord-Variante d–f findet sich in der Augustiner-Chorherren-Handschrift von Vorau wieder, die Variante d–e hingegen in der Kathedrale von Sens und in Augsburg.

meinetwegen verschonen würdest.‘ “ 42  Textversion: [URL: http://cantusdatabase.org/id/006098]. – Übersetzungsvorschlag: „Der Engel des Herrn rief Abraham und sprach: ‚Du sollst deine Hand nicht über diesen Knaben ausstrecken, weil du den Herrn fürchtest.‘ “



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3.5 cao7762 Tentavit Deus Abraham (vgl. Tabellen XVII–IXX) Der meist als Responsorium für die Matutin oder Vesper des Sonntags Quinquagesimae verwendete Gesang über den Text Tentavit Deus Abraham befindet sich in vielen Handschriften in unmittelbarer Nähe zum Responsorium Angelus Domini. Dies liegt an der systematischen Ordnung der Breviere, die sich an der biblischen Textordnung des Buchs Genesis orientieren. Während der Text der Erlösung des Sohnes Abrahams als Sinnbild für die Auferstehung Jesu gedeutet wurde und somit Eingang in die Officiumsliturgie des ersten Sonntags der Osterzeit gefunden hat, steht im Text des Tentavit Deus Abraham die Versuchung und die zu erwartende Opferung des Knaben noch aus. In gewisser Hinsicht handelt es sich somit um das passionszeitliche Pendant zu Angelus Domini. Der Text steht ebenfalls in Genesis 22, 1–2: 1 quae postquam gesta sunt temptavit Deus Abraham et dixit ad eum Abraham ille respondit adsum 2 ait ei tolle filium tuum unigenitum quem diligis Isaac et vade in terram Visionis atque offer eum ibi holocaustum super unum montium quem monstravero tibi.43

Auch hier handelt es sich um eine textliche Zusammenfassung der zwei Verse, wobei v. a. auf die detaillierten Ortsangaben des Bibeltextes verzichtet wurde: Tentavit deus Abraham et dixit ad eum tolle filium tuum quem diligis Isaac et offerres illum ibi in holocaustum super unum montium qui dixero tibi.44

In diesem Gesang wird der Dekachord-Raum gleich an mehreren Stellen ausgereizt. Einmal über dem Wort „Abraham“, als Reperkussion über dem Wort „filium“ und schließlich über „tuum“. Möglicherweise sollen hierdurch die zwei Protagonisten der Opfergeschichte musikalisch hervorgehoben werden. Zugleich ist jedoch auffällig, dass es auch bei diesem Gesang eine Bandbreite an Varianten gibt. Während fast alle Handschriften die c’-Reperkussion über dem Wort „filium“ widergeben, kann man den Melodie-Verlauf über dem Namen Abraham

43  Biblia sacra vulgata (wie Anm. 37), S. 29. – Übersetzungsvorschlag: „[die später Kriegsschauplatz wurden.] Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm: ‚Abraham!‘, er antwortete: ‚Hier bin ich‘, er [Gott] sprach zu ihm: ‚nimm deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, Isaak, und geh’ ins Land Visio [im Hebräischen: Morija – der Tempelberg in Jerusalem; es wäre zu überlegen, ob man Visio nicht wörtlich als ‚das Land der Erscheinung‘ übersetzt] und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir zeigen werde.‘ “ 44  Textversion: [URL: http://cantusdatabase.org/id/007762]. – Übersetzungsvorschlag: „Gott versuchte Abraham und sprach zum ihm: ‚Nimm deinen Sohn, den du lieb hast, Isaak, und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem der Berge, wie ich es dir sagen werde.‘ “

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in zwei grundlegende Varianten einteilen. Zum einen in die Handschriften, die den Dekachord-Raum bis zum c’ ausschreiten und zum anderen in die Handschriften, die die Melodie auf b oder h begrenzen. Auch hier lassen sich keine einheitlichen dialektalen Ordnungskriterien entwickeln. Es tauchen alle Varianten in verschiedenen Jahrhunderten, unterschiedlichen Orten und quer durch die verschiedenen Cursus der Orden und Kirchen auf. Eine Ausnahme stellt die Handschrift aus Salzinnes dar, in der beide Stellen auf das b begrenzt werden. Diese Handschrift stammt aus dem Jahr 1554, also zeitlich weit entfernt von der Entstehung von Theogers Schrift. Offenbar wurde das Dekachord erst in späterer Zeit als theoretisches oder praktisches Problem wahrgenommen und geglättet. Wie eine Augsburger Handschrift von 1580 zeigt, wurde das Dekachord aber auch noch im 16. Jahrhundert praktiziert. In den vorhergehenden Beispielen konnten fünf verschiedene Fälle unterschieden werden: 1. Der Sprung a–c und der damit verbundene Dekachord-Raum. 2. Die Fortschreitung der Melodie a–b. 3. Die Fortschreitung der Melodie a–h. 4. Transposition von a nach d. 5. Beschränkung auf den regulären zweiten Ton bis a. Tentavit Deus Abraham ist das erste Beispiel, bei dem – von einer Ausnahme abgesehen – in allen Quellen der Dekachord-Raum ausgeschritten wird und zugleich die Melodie nach der Reperkussion auf dem Wort „filium“ in Ganz- bzw. Halbtönen gleichmäßig nach unten verläuft. Dies betrifft insbesondere auch fast alle Quellen des 12. Jahrhunderts. Die einzige Ausnahme bildet die Handschrift aus St. Maur-des-Fosses. Hier schließt sich an die Reperkussion bei „filium“ ein Sprung von c’ nach a an. Sie wäre für cao7762 die einzige Quelle, die die Praxis der Teutonici im Sinne Theogers widerspiegelt.

3.6 cao3288 In Spiritu humilitatis (vgl. Tabellen XX–XXIV) In Spiritu humilitatis ist in den meisten Handschriften als Antiphon für die Laudes des ersten Fastensonntags (1. Dominica Quadragesimae bzw. Invocavit) ausgewiesen. Der zugrunde liegende Text ist ein Ausschnitt aus dem Gebet des Asarjas im Buch des Propheten Daniel und gehört somit zum Sondergut der LXX bzw. der Vulgata.45 Auch hierbei handelt es sich um eine textliche Kompilation aus

45  Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, hg. von Jan Christian Gertz, 4. Aufl., Göttingen 2010, S. 507f.



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zwei Teilversen von Dan 3,39b und 40b. Nach Daniel wurde Asarja mit zwei weiteren jüdischen Männern von Nebukadnezar in einen Feuerofen geworfen, da sie sich weigerten, das von ihm errichtete goldene Bild anzubeten. Auch wenn die Männer im Lauf der Erzählung von den Flammen auf wundersame Weise verschont bleiben, betet Asarja, dass sie selbst stellvertretend für ihr Volk als Opfer von Gott aufgenommen werden mögen. Es handelt sich um eine von zwei alttestamentarischen Stellen, die die Idee des stellvertretenden Sühneopfers eines Menschen – wie später Christus – äußert.46 Hierdurch wird auch der Bezug zur Passion deutlich. Der biblische Text lautet: 39 ut possimus invenire misericordiam sed in anima contrita et spiritu humilitatis suscipiamur 40 sicut in holocaustum arietum et taurorum et sicut in milibus agnorum pinguium sic fiat sacrificium nostrum in conspectu tuo hodie ut placeat tibi quoniam non est confusio confidentibus in te.47

Neben der textlichen Umstellung im ersten Teilsatz, verzichtet der Text des Responsoriums v. a. auf die Details der Opferbräuche. „Domine deus“ ist ein Textzusatz. In spiritu humilitatis et in animo contrito suscipiamur domine a te et sic fiat sacrificium nostrum ut a te suscipiatur hodie et placeat tibi domine deus.48

Auch an diesem Gesang wird deutlich, wie der Melodieverlauf die dramatische Aussage des Textes unterstreicht. Während sich die Melodie zu Beginn auf den Worten des „demütigen Geistes“ und dem „zerknirschten Herzen“ im unteren Bereich des zweiten Tons bewegt, steigt sie auf „werde unser Opfer“ flehentlich in die Höhen des Dekachords und kehrt am Ende zum Finalton d zurück. Der Sprung in den Dekachord-Raum wird auf dem Wort fiat vollzogen. Die meisten Handschriften lassen den Sprung a–c’ erkennen. Im vorliegenden Beispiel stammen alle Handschriften dieser Melodie-Variante aus Kirchen und Klöstern nördlich der Alpen. Die Beschränkung a–b findet sich in der bene-

46  Ebd., S. 509. 47  Biblia sacra vulgata (wie Anm. 37), S. 1349. – Übersetzungsvorschlag: „[… damit wir die Barmherzigkeit erlangen können], sondern in einer zerknirschten Seele und im Geist der Demut lass es uns ertragen, wie beim Brandopfer der Widder und Stiere und wie bei den Tausend fetten Schafen, so sei unser Opfer in deinem Angesicht und es gefalle dir.“ 48  Textversion: [URL: http://cantusdatabase.org/id/003288]. – Übersetzungsvorschlag: „Im Geist der Demut und mit einem zerknirschten Herzen lass uns, Herr, von dir aufgenommen werden; und so werde unser Opfer, dass es heute von dir aufgenommen werde, damit es dir gefalle, Herr, Gott.“

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diktinischen Handschrift aus St. Maur-des-Fosses, die Beschränkung a–h in der benediktinischen Handschrift aus Salzinnes. Immerhin gibt es auch vier Fassungen, die den Ambitus des zweiten Tons a–a nicht überschreiten. Mit Ausnahme der Handschrift der Kathedrale von Notre Dame stammen auch diese Quellen aus dem nordalpinen Bereich. Die beneventanische Handschrift lässt nicht erkennen, ob der Hochton als h oder c’ zu lesen ist. Immerhin kann bestätigt werden, dass hier der Oktavraum a–a überschritten wird. Dasselbe gilt für die Handschrift aus der Kathedrale von Marseille.

3.7 Zusammenfassung und Auswertung (vgl. Tabelle XXV) Insgesamt wurden in 34 Handschriften 115 Belegstellen untersucht. In sieben Handschriften konnten die Beispiele aufgrund ihrer adiastematischen Notation bzw. unleserlichen Kopie keine Aufschlüsse über die Melodieverläufe geben. In acht Handschriften aus St. Lambrecht, Klosterneuburg, Vorau, Augsburg und Bamberg sind die Melodie-Variante des Dekachords unter Auslassung des Zwischenschritts h/b mit dem Terzsprung a–c notiert. Nur eine einzige Handschrift, allerdings nur mit einer Belegstelle, nämlich aus Poissy, verwendet die MelodieVariante a–b, also ausdrücklich nur mit b-Molle. Zwei Handschriften aus Augsburg, St. Ulrich und Afra notieren ausschließlich die Variante a–h. Die Beschränkung auf den Ambitus des zweiten Tons a–a findet sich, allerdings auch nur mit einer Belegstelle, in einer Handschrift aus Rom. Alle anderen Handschriften notieren verschiedene Varianten, also sowohl a–c und a–b oder a–h. Tendenziell taucht hierunter die Variante a–h bevorzugt in nordalpinen Quellen, also z. B. Fribourg oder Augsburg häufiger auf; die Variante a–b hingegen im französischen Raum,49 z. B. in St. Maur-des-Fosses, Paris Notre Dame, St. Amand – allerdings auch in einer Einsiedler Handschrift. Was bedeuten diese Einsichten für das Verständnis der Bemerkung Theogers? (1.) Es zeigt sich, dass Theoger ein genauer Beobachter der praktischmusikalischen Gepflogenheiten der verschiedenen liturgischen Zentren seiner Zeit war. Theoger formuliert seine Theorie an zwei Stellen mit der sachgemäßen Differenzierung. Er schreibt, dass das Dekachord bei einer Vielzahl von Teutonici am meisten gepflegt wurde („a plerisque Teutonicis maxime frequentatum“). Er formuliert seine Aussage als Tendenz. Offenbar war ihm durchaus bewusst, dass nicht bei allen Teutonici der Dekachord-Raum ausgeschritten wurde – die Gesangsquellen zeigen ja, dass es überall auch Ausnahmen gab. Zugleich kannte

49  Im Bereich des heutigen politischen Frankreichs.



Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

 241

er offenbar Quellen bzw. Praktiken wie diejenige in Poissy, die sich beim Gesang auf das b-Molle beschränkten. Theoger trifft keine Beobachtung darüber, ob beim Dekachord der Tonschritt b/h ausgelassen wurde – wie für die Belegstellen des „Choraldialekts“ von der musikwissenschaftlichen Forschung diskutiert. Die h– Variante (b-Durum-Variante) kannte er offenbar nicht. (2.) Durch die Kombination des Gemeinschaftsbegriffs der Teutonici und den musikpraktischen Belegstellen für das Dekachord kann nun ein ungefährer geografischer Bereich definiert werden, dem nach Theoger – und möglicherweise auch sein personelles Umfeld – die Teutonici zuzuordnen sind. Hierzu gehörten zunächst insbesondere liturgische Zentren der Herzogtümer Schwaben, Bayern (einschließlich der bayerischen Ostmark) und Kärnten. Darüber sollte jedoch im Blick behalten werden, dass das Dekachord auch südlich der Alpen, im Königreich Burgund und im Königreich Frankreich praktiziert wurde. (3.) Schließt man sich Hlawitschkas Beobachtung an, dass in Folge des 10. Jahrhunderts Itali im weitesten Sinn als Bewohner der geografischen Halbinsel Italiens bezeichnet werden konnten, so wäre Theogers definitive Aussage, sie mieden das Dekachord und beschränkten sich auf b-Molle („vitant Itali vel Romani“), zu hinterfragen. Möglicherweise besaß Theoger zu wenig Kenntnis der südalpinen Praxis der Gregorianik, um eine Aussage hierüber zu treffen. Es könnte natürlich sein, dass sich das Dekachordum erst in späterer Zeit auch in den südalpinen Raum verbreitet hat. Zu hinterfragen wäre auch der Gemeinschaftsbegriff der Romani. Eigentlich bezeichnet er zunächst ausschließlich die Bewohner der Stadt Rom. Er könnte darüber hinaus, im Sinne Hlawitschkas, zusammen mit den Itali – nämlich als fixer Terminus „Itali vel / et Romani“50 – als Synonym für das nördliche Reichsterritorium oder als Gesamtheit der italischen Halbinsel aufgefasst werden. Ob Theoger dabei die politischen Vorgänge in den südlichen Gebieten bei der sich vollziehenden Eroberung der Normannen51 im Blick hatte, ist nicht zu beantworten. Die Untersuchung der Gesangsquellen hingegen lässt überlegen, ob der Begriff der Romani nicht unter einem gänzlich anderen Licht zu sehen sein könnte: Romani als Sprecher der lateinischen Sprache und somit die Bewohner Italiens und der Gebiete westlich der Alpen (wie weit hier der Verständnisbereich zu ziehen ist, ist nicht genau zu

50  Eduard Hlawitschka, Franken, Alemannen und Burgunder in Oberitalien (774–962), Freiburg i. Br. 1960 (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 8), S. 93f. Das mittellateinische Glossar von Edwin Habel und Friedrich Gröbel gibt für Romanus die deutsche Bedeutung „oströmisch“ an (Mittellateinisches Glossar, hg. von Edwin Habel und Friedrich Gröbel, Paderborn 1989, Sp. 345). Auch wenn es sich hierbei um ein Glossar ohne terminologische Hintergrundinformation handelt, so gäbe es ein Indiz dafür, dass auch die byzantinischen Gebiete der Halbinsel unter dem Begriffspaar eingeschlossen wären. 51  Siehe dazu Donald Matthew, The Norman Kingdom of Sicily, Cambridge 1992.

242 

 Gunnar Wiegand

ermitteln). Jedenfalls würde dies den musikpraktischen Quellenbefund stützen. Dass der Gemeinschaftsbegriff Romani auch sprachlich aufgefasst werden konnte, zeigt z. B. das erste Kapitel von Quintilians Institutionis oratoriae liber decimus52 – was dann natürlich eine entsprechende Kenntnis des einflussreichen klassischen Werks durch Theoger voraussetzen würde. (4.) Dass Theoger die Variante a–a nicht eigens zum Dekachord in Relation setzt, könnte daran liegen, dass er sie bereits im Kapitel zum regulären zweiten Ton als ausreichend behandelt empfand. Es könnte auch sein, dass er keine Kenntnis der abweichenden Fälle gehabt hat, die vermehrt ohnehin erst in späteren Quellen auftauchen und somit – im Sinn einer Lectio difficilior – vermutlich Vereinfachungen in theoretischer und / oder praktischer Hinsicht darstellen.

4 Die Gemeinschaftsbegriffe bei Aribo Wie oben erläutert, liegt es historisch und rezeptionsgeschichtlich nahe, die Verwendung der Gemeinschaftsbegriffe Teutonici und Longobardi in Aribos Schrift De Musica im Zusammenhang mit Theogers Gemeinschaftsbegriffen zu erläutern. Aribo erwähnt die Gemeinschaften folgendermaßen: Omnes saltatrices laudabiles, sed tamen nobis generosiores videntur quam longobardis. Illi enim spissiori, nos rariori cantu delectamur.53

Auf den ersten Blick ist der Begriff der „saltatrix“ unverständlich. Daher soll die Stelle zunächst im näheren Textzusammenhang erklärt werden. Wie der folgende Textausschnitt zeigt, werden – neben der genannten „saltatrix“ – auch „spissiori“ und „rariori“ von Aribo als Theoriebegriffe aufgefasst. Hierzu folgendes Zitat: Protus autentus, id est, primus tonus quinque species diatesseron includit, unam primam formalem, unam secundam formalem, unam terciam naturalem, unam terciam formalem, unam primam naturalem. Quarum quinque unaquaeque tres habet mutationes, saltatricem, continuam vel spissam, ternariam. Saltatrix duas ultimas tangit chordas, continua

52  Marcus Fabius Quintilianus, Institutionis oratoriae liber decimus, hg. von Georg August Herbst, Halle an der Saale 1834, S. 85. 53  Aribo, De Musica (wie Anm. 26), S. 55. – Übersetzungsvorschlag: „Alle saltatrices sind löblich, aber sie erscheinen uns edler als den Longobardi. Jene erfreuen sich nämlich am engeren Gesang, wir hingegen am weiteren.“



Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

 243

cunctas, ternaria tres. Saltatrix ex spissa duplices sunt intendendo et remittendo. Ternaria quadrupla, utpote duplex intendendo, duplex remittendo.54

Auch wenn der blumige Begriff saltatrix (= Tänzerin / Springerin) im ersten Moment keine arithmetische Analyse- bzw. Kompositionsmethode erahnen lässt, so wird dies spätestens bei der Verbindung des Wortes mit dem Begriff ternaria deutlich. Die drei Begriffe saltatrix, continua / spissa, ternaria werden zunächst auf den Begriff der Quartspezies55 bezogen und dann mit Erweiterung um die quaternaria auf die Quintspezies.56 Was verbirgt sich nun hinter den Begriffen? Es handelt sich um alle drei bzw. vier Kombinationsmöglichkeiten von Einzeltönen innerhalb einer Spezies.57 Die Kombination der Einzeltöne kann entweder aufwärts (intensio) oder abwärts (remissio) erfolgen.58 Saltatrix steht für den Sprung vom tiefsten zum höchsten bzw. vom höchsten zum tiefsten Ton einer Spezies (man würde heute vom Intervallsprung sprechen). Spissa, auch als continua bezeichnet, steht für den linearen schrittweisen Auf- bzw. Abstieg einer Tonreihe innerhalb einer Spezies (man würde heute von einer Tonleiter sprechen). Ternaria steht ebenfalls für den Auf- bzw. Abstieg von Tönen, im Gegensatz zur spissa jedoch auf die Weise, dass jeweils nur drei der vier Töne erklingen. Der

54  Ebd. – Übersetzungsvorschlag: „Der protus autentus, der auch primus tonus genannt wird, beinhaltet fünf Quint-Spezies, eine prima formalis, eine secunda formalis, eine tertia naturalis, eine tertia formalis, eine prima naturalis. Von diesen fünf besitzt eine jede drei Möglichkeiten der Veränderung (mutationes): saltatrix [wörtl. Springerin], continua [wörtl. fortsetzend] oder spissa [wörtl. eng], ternaria [wörtl. dreiteilig]. Die saltatrix berührt die beiden letzten, die continua wenige und die ternaria drei Saiten. Die saltatrix und die spissa liegen in zweifacher Gestalt vor: intendendo [wörtl. in eine Richtung zielend] und remittendo [wörtl. zurückkehrend], die ternaria vierfach, nämlich zweimal intendendo und zweimal remittendo.“ 55  Die Erläuterung der Theorie erfolgt im Kapitel zum protus autentus und wird hier an der Quartspezies vorgenommen. 56  Die Anwendung auf die Quintspezies kann man verschiedenen Schaubildern, insbesondere in den Codices Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, 1988, und Salzburg, St. Peter, a. V2 (10) entnehmen. 57  Species könnte als formaler oder ideeller Begriff bezeichnet werden. Im ideellen Raum einer species (formalis oder naturalis) können die praktischen bzw. konkreten Gestalten der mutationes und neuma entfaltet werden (Aribo, De Musica [wie Anm. 26], S. 55.) 58  Würde man Aribos Theorie auf „traditionelle“ Gruppenneumen beziehen, so könnten der pes (intensio) oder die clivis (remissio) (nur als Quartsprung) als saltatrices bezeichnet werden, scandicus (intensio) und climacus (remissio) innerhalb eines Quarttonraumes als ternariae. Ausgeschlossen wären jedoch Neumen wie torculus oder porrectus, da sie in ihrem Tonverlauf wieder eine Gegenbewegung vollziehen. – Dass Aribo bei der Entfaltung seiner Theorie offenbar an den Bezug auf eine Neumensystem gedacht hat, lässt sich dem späteren Textverlauf des Kapitels entnehmen, Aribo, De Musica (wie Anm. 26), S. 55: „[…] quia neumae ex praedictis mutationibus natae non sunt omnes in eadem generositate […]“.

244 

 Gunnar Wiegand

ausgelassene Ton kann entweder der zweite oder dritte sein. Die gleiche Vorgehensweise – die nur auf die Quintspezies anwendbar ist – steht hinter dem Begriff der quaternaria. Hier können bei einem Auf- bzw. Abstieg mindesten vier Töne erklingen, wobei innerhalb des gesamten Quinttonraums entweder der zweite, dritte oder vierte Ton ausgelassen werden kann. In den Handschriften wird die Theorie anhand des folgenden Schemas veranschaulicht:

Abbildung 3: Die vier mutationes der Quintspezies und die Verteilung der neumae.

Wie auch der Begriff des Dekachords im zweiten Ton bei Theoger, so hat der Begriff saltatrix bei Aribo eine sehr konkrete Bedeutung als Quart- oder Quintsprung im ersten Ton (protus autentus). Im unmittelbaren Zusammenhang der Textstelle wird deutlich, dass Aribo die einzelnen neumae (also saltatrix, spissa, ternaria und quarternaria) mit bestimmten ästhetischen Qualitäten verbindet. In diesem Fall ist es die saltatrix, die „ihm“ bzw. der Gemeinschaft um ihn, als edel erscheint. Wie dann ein Überblicksschaubild in den Handschriften zeigt, wird deutlich, dass unter nos auch hier die Teutonici zu verstehen sind (siehe Abbildung 4). Die Longobardi hingegen bevorzugen einen Gesang, der die Quart- oder Quintsprünge durch gleichmäßige Skalenläufe ausfüllt. Freilich ist nicht gänzlich auszuschließen, dass Aribo hier besondere Varianten cis- und transalpiner gregorianischer Gesänge intendierte. Der radikale Gegensatz jedoch zwischen großem Intervallsprung bei den Teutonici und gleichförmiger skalischer Bewegung bei den Longobardi scheint tatsächlich zwei verschiedene Arten des Gesangs zu beschreiben. Für die von Aribo intendierte Praxis der Longobardi drängt sich der ambrosianische Gesang Mailands auf.59 Dieser Gesang ist in der Tat über weite Strecken durch skalische Bewegungen charakterisiert. In diesem Fall wäre die Bedeutung für Longobardi, als den Repräsentanten der ambrosianischen Tradi-

59  Hierauf hat bereits u. a. Stäblein hingewiesen. Vgl. Stäblein, Art. „Deutschland“, (wie Anm. 3), Sp. 273.



Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

 245

tion, möglicherweise in Mailand und Umgebung selbst oder in der beneventanischen Longobardia, recht wahrscheinlich. Auch wenn Michel Huglo nachgewiesen hat, dass es offenbar keine strikte Koinzidenz zwischen der ambrosianischen Gesangstradition und der kirchenprovinziellen Struktur Mailands gegeben hat, so lässt sich doch immerhin konstatieren, dass dieser Gesang gewisse zentrale Kerne der Erzdiözese repräsentierte.60 War es offenbar die Mailänder Kirchenprovinz, die zur wesentlichen Trägerin der politischen Idee der vom Chaos des Investiturstreits heimgesuchten Longobardia geworden war,61 so war es insbesondere die einstige südliche Longobardia um die Zentren Benevent oder Montecassino, die zur Trägerin der Longobardischen Memoria wurde.62 Eine eindeutige Entscheidung für eine der beiden Territorien scheint mir für die vorliegende Stelle bei Aribo nicht möglich zu sein. Aufgrund der räumlichen Nähe Mailands zu den Wirkungsgebieten Aribos scheint jedoch eine Bezugnahme auf die ambrosianische Tradition als wahrscheinlich.

Abbildung 4: Die Verbindung der mutationes mit den Gemeinschaftsbegriffen.

60  Michel Huglo, Fonti e paleografia del canto ambrosiano, Mailand 1956, S. XX. 61  Vgl. z. B. Annamaria Ambrosioni, „Chiesa e società lombarda alla fine dell’XI secolo“, in: Deus non voluit. I lombardi alla prima crociata (1100–1101). Dal mito alla ricostruzione della realtà, hg. von Giancarlo Andenna und Renata Salvarani, Mailand 2003, S. 105–120, hier S. 106. 62  Vgl. Walter Pohl, Werkstätte der Erinnerung. Montecassino und die langobardische Vergangenheit (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg. Bd. 39), Wien 2001.

246 

 Gunnar Wiegand

Hierdurch wird auch deutlich, dass Theogers Theorie nicht mit der von Aribo vergleichbar ist. Im einen Fall handelt es sich um Varianten des gregorianischen Gesangs, im anderen Fall um gänzlich verschiedene Kompositions- bzw. Analyseverfahren in unterschiedlichen Regionen. Immerhin verrät Aribos Theorie, dass es in den verschiedenen Regionen zwar verschiedene Gesangsformen gab, allerdings können sie unter demselben theoretischen Begriff des protus autentus dargestellt werden.

Resümee In den beiden Texten liegen zwei grundsätzlich verschiedene Beschreibungen musikalischer Praktiken vor. Freilich tauchen die Teutonici in beiden Theorien auf. Sie werden jedoch in gänzlich unterschiedlicher Weise entfaltet. Im einen Fall praktizieren die Teutonici das Dekachord, im anderen Fall tendieren die Teutonici dazu, in Terzen, Quarten und Quinten zu singen. Zuletzt spiegelt sich diese Unterschiedlichkeit auch in den verschiedenen Referenzgemeinschaften des südalpinen Raums wider. Einmal haben wir es mit Itali vel Romani zu tun, die ihre gregorianischen Gesänge im Dekachord des zweiten Tons nur bis zum b-Molle in die Höhe führen und einmal haben wir es mit Longobardi zu tun, die beim Musizieren von Gesängen im ersten Ton (protus autentus) Quart- oder Quinträume durch Skalenbewegungen ausschreiten. Während man für den ersten Fall überlegen könnte, ob Theoger eine spezifische dialektale Variante der Gesänge intendierte, so wenig lässt sich die Stelle für die durch Peter Wagner angestoßene Theorie des Choraldialekts verwenden. Zwar ließ sich an den analysierten Beispielen durchaus zeigen, dass es im nordalpinen Raum Fälle gab, die den Zwischenton b/h übersprungen haben, allerdings scheint es Theoger nicht darum zu gehen, diese Eigenheit generell darzustellen. Er wollte lediglich betonen, dass die Teutonici den Ambitus des Dekachords im zweiten Ton aussangen. Über die Praxis des Tons h gibt Theogers Text weder Hinweise in Bezug auf die Verwendung als Hochton im Enneachord-Ambitus, noch in Bezug auf die Zwischenstufe a–h–c im Dekachord. Während sich für Theogers Musica durchaus eine Landkarte der verschiedenen Praktiken nördlich, westlich und südlich der Alpen nachzeichnen lässt, wirft Aribos De Musica v. a. in Hinblick auf die Teutonici Fragen auf. Wenn Theogers Beobachtung differierender Praktiken der Gregorianik nördlich und südlich der Alpen zutreffen, warum subsummiert dann Aribo die Gregorianik als Ganze unter dem Begriff der Teutonici? Zwar sangen die Itali vel Romani nach Theoger keine Dekachorde, aber Quart- und Quintsprünge gibt es durchaus auch in Quellen



Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

 247

südlich der Alpen. Es drängt sich einerseits die Vermutung auf, dass Aribo nur unzureichend über die Praxis auf der Apenninenhalbinsel informiert war. Möglicherweise war ihm nicht bekannt, dass die Gregorianik auch im Süden der Alpen verbreitet war. Andererseits könnte es auch sein, dass in der Tat der longobardische Spissae-Gesang dominierend für weite Teile des Südens war. Dies wäre durch weitere Quellenstudien zu überprüfen. In diesem Fall wäre Theogers Beobachtung zu den Gemeinschaften weniger Bedeutung beizumessen. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

248 

 Gunnar Wiegand

Anhang Vorbemerkung zu den Tabellen Die Tabellen sind pro Gesangsbeispiel in der Reihenfolge a–c, a–b, a–h, Transposition nach d (erster Ton) und zweiter Ton a–a geordnet. Die Einzeltabellen sind dann jeweils alphabetisch nach Bibliotheksstandort sortiert. Die runden Klammern in der Buchstabenwiedergabe kennzeichnen nicht die tatsächlichen Neumen, sondern optische Gliederungseinheiten in den Neumenketten (meist auf einer Wortsilbe). Ziel dieser Übertragung ist nicht die exakte neumenkundliche Darstellung, sondern die Kennzeichnung des Ambitus. Die Vorlagen wurden sämtlich über die CANTUS-Datenbank1 oder über Scans im Würzburger Bruno-Stäblein-Archiv eingesehen. Die Datierungen der Handschriften wurden aus der Datenbank übernommen. Vertiefende Informationen zu den einzelnen Handschriften können über die Datenbank eingeholt werden.

1  [URL: http://cantusdatabase.org/].

14. Jh. 12. Jh. 14. Jh. 12. Jh. ca. 1580

A-Gu 29 A-KN 1010 A-KN 1011 A-KN 1013 DK-Kk 3449 80 I

St. Lambrecht, Benediktiner Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Augsburg

Provenienz

14. Jh.

CH-E 611

Einsiedeln, Benediktiner

Provenienz

Datierung

nach 1260

Quelle

CH-Fco 2

f–(f–g–a–g–a–h–a)–g–(f–e)–g

Töne über „aperiatur“

f–(f–g–a–g–a–b–a)–g–(f–e)–(f–g)

Töne über „aperiatur“

f–(f–g–a–g–a–c’–a)–g–(f–e)–(f–g) f–(f–g–a–g–a–c’–a)–g–(f–e)–(f–g) f–(f–g–a–g–a–c’–a)–g–(f–e)–(f–g) f–(f–g–a–g–a–c’–a)–g–(f–e)–(f–g) f–(f–g–a–g–a–c’–a)–g–(f–e)–(f–g)

Töne über „aperiatur“

Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

Ursprung unbekannt, Franziskaner

Provenienz

Tabelle III: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–h

Datierung

Quelle

Tabelle II: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–b

Datierung

Quelle

Tabelle I: Erkennbare Lesart Dekachord mit Sprung a–c

Tabellen zu cao7553 Rorate coeli

  249

1459 1459 1501 nach 12. Jh. ca. 1300

Augsburg, St. Ulrich und Afra, Benediktiner Augsburg, St. Ulrich und Afra, Benediktiner Augsburg, St. Ulrich und Afra, Benediktiner Zwiefalten, Benediktiner Paris, Kathedrale von Notre Dame

1554–55 12. Jh. 12. Jh.

12. Jh. nach 11. Jh.

CDN-Hsmu M2149.L4 F-Pn lat. 12044 F-VAL 114

I-Fl conv sopr. 560 I-Rval C.5

Datierung

– ca. 990–1000

Quelle

CH-SGs 388 CH-SGs 390

Töne über „aperiatur“

f–(f–g–a–g–a–h–a)–g–(f–e)–g f–(f–g–a–g–a–h–a)–g–(f–e)–g f–(f–g–a–g–a–h–a)–g–(f–e)–g f–f–g–(a–g)–a–(h–a)–g–(f–e)–(f–g) f–(g–a)–a–(h–g–g–e)–(f–g)

Salzinnes, Zisterzienser f–(f–g–a)–a–(a–g–g–e)–(f–g) St. Maur-des-Fosses, Benediktiner f–(f–g–a)–a–(a–g–g–e)–(f–g) St. Amand de Coly, Benediktiner oder Augustiner f–(f–g–a)–a–(a–g)–(f–g) Chorherren Vallombrosa, Benediktiner f–(f–g–a)–a–(a–g–g–e)–g Italien, Rom Benediktiner-Abtei San Sisto, Via Appia f–(f–g–a)–(a–g–e)–(f–g)

Provenienz

St. Gallen St. Gallen

Provenienz

Tabelle V: Adiastematische Notation oder unleserliche Kopie

Datierung

Quelle

Tabelle IV: Erkennbare Lesart des regulären zweiten Tons, ohne Lizenzen, mit Beschränkung auf a

D-Mbs Clm 4303 D-Mbs Clm 4305 D-Mbs Clm 4306 D-KA Aug. LX F-Pn lat. 15181

Tabelle III: (fortgeführt)

250   Gunnar Wiegand

ca. 1020–1023 ca. 1095 1090 13. Jh. nach 12. Jh. 12. Jh.

Datierung

14. Jh. 12. Jh. 14. Jh. 12. Jh. nach 12. Jh. ca. 1580 ca. 1580 ca. 1300

Quelle

A-Gu 29 A-KN 1010 A-KN 1011 A-KN 1013 D-KA Aug. LX DK-Kk 3449 80 II DK-Kk 3449 80 XVI F-Pn lat. 15181

St. Lambrecht, Benediktiner Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Zwiefalten, Benediktiner Augsburg Augsburg Paris, Kathedrale Notre Dame

Provenienz

(f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a (f–g–a–g–a–c’)–a

Töne über „scribam“

Sant Sadurní de Tavèrnoles, wahrscheinl. kopiert für Abt Ponç am königlichen Hof Sanchos des Großen Toledo, Kathedrale Marseille, Kathedrale Süddeutschland Würzburg Benevent, für nicht-monastischen Gebrauch

Tabelle VI: Erkennbare Lesart Dekachord mit Sprung a–c

Tabellen zu cao7486 Qui vicerit

E-Tc 44.1 E-Tc 44.2 F-Pn lat. 1090 GB-Ob Can. Lit 202 GB-Ob Laud misc. 284 I-BV 19

Tabelle V: (fortgeführt)

 Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos   251

12. Jh. 12. Jh.

14. Jh.

F-Pn lat. 12044 F-VAL 114

CH-E 611

St. Maur-des-Fosses, Benediktiner St. Amand de Coly, Benediktiner oder Augustiner Chorherren Einsiedeln, Benediktiner

Provenienz

1554–55 ca. 1260 1459

CDN-Hsmu M2149.L4 CH-Fco 2 D-Mbs 4303

Salzinnes, Zisterzienser Ursprung unbekannt, Franziskaner Augsburg, Benediktiner-Abtei St. Ulrich und Afra

Provenienz

Datierung

12. Jh. und spätere Zusätze

Quelle

NL-Uu 406

Utrecht, Marienkirche

Provenienz

Tabelle IX: Erkennbare Lesart des regulären zweiten Tons, ohne Lizenzen, mit Beschränkung auf a

Datierung

Quelle

Tabelle VIII: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–h

Datierung

Quelle

Tabelle VII: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–b

(f–g–a–g–a–a)–a

Töne über „scribam“

(f–g–a–g–a–h)–a (f–g–a–g–a–h)–a (f–g–a–g–a–h)–a

Töne über „scribam“

(f-g-a-g-a-b)-a

(f-g-a-g-a-b)-a (f-g-a-g-a-b)-a

Töne über „scribam“

252   Gunnar Wiegand

1. Hälfte 14. Jh. 12. Jh. ca. 990–1000 ca. 1095 1090–1200 13. Jh. nach 12. Jh. 12. Jh. spätes 12. Jh. 12. Jh. ca. 1200

A-VOR 287 CH-SGs 388 CH-SGs 390 E-Tc 44.2 F-Pn lat. 1090 GB-Ob Can. Lit 202 GB-Ob Laud misc. 284 I-BV 19 I-Fl conv. sopp. 560 I-MC 542 I-Rval C.5

Salzburg St. Gallen St. Gallen Toledo, Kathedrale Marseille, Kathedrale Süddeutschland Würzburg Benevent, für nicht-monastischen Gebrauch Vallombrosa, Benediktiner Montecassino, Benediktiner Rom, Benediktiner-Abtei San Sisto, Via Appia

Provenienz

Datierung

13. Jh. 12. Jh. 14. Jh. 12. Jh. ca. 1260

Quelle

A-Gu 29 A-KN 1010 A-KN 1011 A-KN 1013 CH-Fco 2

St. Lambrecht, Benediktiner Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Klosterneuburg, Augustiner Chorherren Franziskaner

Provenienz

Tabelle XI: Erkennbare Lesart Dekachord mit Sprung a–c

Tabellen zu cao6098 Angelus Domini

Datierung

Quelle

Tabelle X: Adiastematische Notation oder unleserliche Kopie

g–(g–a–c’–a)–(g–a–e–f–e)–(e–d) g–(g–a–c’–a)–(g–a–f–e)–(f–d) g–(g–a–c’–a)–(g–a–f–e)–(f–d) g–(g–a–c’–a)–(g–a–f–e)–(f–d) g–(g–a–c’)–(c’–a–g–f–a–f–e–d)

Töne über „extendas“

 Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos   253

Paris, Kathedrale Notre Dame

ca. 1300

1459 12. Jh. spätes 12. Jh.

D-Mbs Clm 4303 160v F-Pn lat. 12044 I-Fl c. s. 560

Datierung

ca. 1580 14. Jh. 13. Jh.

Quelle

DK-Kk 3449 80 IV A-VOR 287 F-Pn n. a. lat. 1535

Augsburg Vorau, Augustiner-Chorherren Kathedrale von Sens

Provenienz

Einsiedeln, Benediktiner Anm.: expl. Kennzeichnung mit b-Quadratum Augsburg, Benediktiner-Abtei St. Ulrich und Afra St. Maur-des-Fosses, Benediktiner Vallombrosa, Benediktiner

14. Jh.

CH-E 611(89) 52r

Tabelle XIV: Sonderfall der Transposition nach d

Provenienz

Datierung

Quelle

Tabelle XIII: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–h

Poissy, Dominikaner

1335–1345

AUS-Mslv Ms *096.1 R66A F-Pn lat. 15181

Provenienz

Datierung

Quelle

Tabelle XII: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–b

c’–(c’–d–e–d–c’–d–a–a)–(a–e) c’–(c’–d–f–c’–d–c’–b–a)–a c’–(c’–d–e–d–c’–d–a–b–a–a–g)–(a–g)

Töne über „extendas“

g–(g–a–h–g–f–g–e)–(f–d) g–(g–a–h–a–g–a–e–f–e–d)–e g–g–(a–h–a)–(g–a–e–f–e–e–d)–d–e–d

g–(g–a–h–a)–(g–a–e–f–e–e–d)–(e–d)

Töne über „extendas“

g–(g–a–b–a–g–a–e–f–e)–(e–d)

g–(g–a–b–a–)–(a–e–f–e–e)–(e–d)

Töne über „extendas“

254   Gunnar Wiegand

12. Jh. ca. 1200

St. Amand de Coly, Benediktiner Rom, Benediktiner-Abtei San Sisto, Via Appia

1554–1555 nach 1190

CDN-Hsmu M2149.L4 F-Pn lat. 1090

Salzinnes, Zisterzienser Marseille, Kathedrale

Provenienz

Datierung



Quelle

CH-SGs 388

g–(f–g–a–e–f–e–d)–(e–d) f–(f–g–a–g–f–g)–(d–e–d–d)

Töne über „extendas“

d–(d–e–g–[e]–d–e)–(c’–h)–h–a–(h–a) Ambitus d–g’ Über dem Wort „extendas“: schwer zu interpretierende Stelle. Der c-Schlüssel am Beginn der Notenzeile lässt vermuten, dass die Töne über „extendas“ mit d beginnen. Allerdings wird die erste Ligatur mit dem Hochton auf eine Hilfslinie gelegt, die sich als c-Linie liest. In diesem Fall wäre der Hochton als d’ zu interpretieren. Wenn die Linie jedoch immer als (rote!) F-Linie zu deuten ist, dann müsste es ein g sein. Vgl. F-VAL 114.

Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

St. Gallen

Provenienz

Tabelle XVI: Adiastematische Notation oder unleserliche Kopie

Datierung

Quelle

Tabelle XV: Erkennbare Lesart des regulären zweiten Tons, ohne Lizenzen, mit Beschränkung auf a

F-VAL 114 I-Rval C.5

Tabelle XIV: (fortgeführt)

  255

nach 980 nach 1020 13. Jh. nach 12. Jh.

Datierung

14. Jh.

12. Jh.

14. Jh.

12. Jh.

Quelle

A-Gu 29

A-KN 1010

A-KN 1011

A-KN 1013

Klosterneuburg, Augustiner Chorherren

Klosterneuburg, Augustiner Chorherren

Klosterneuburg, Augustiner Chorherren

St. Lambrecht, Benediktiner

Provenienz

Tabelle XVII: Erkennbare Lesart Dekachord mit Sprung a–c

Über dem Wort „Abraham“: a–(f–c’–g–f–f–g–d)–d, über den Worten „filium tuum“: a(–c’–c’–c’–b–a)– a–(a–c’–a) Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a)–(c’–f)–(e–f–d– f–g)–d, über den Worten „filium tuum“: a–(a–c’–c’ –c’–b–a)–a–(a–b–c’–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–c’–g)–(e–f–d– f)–d–g–g, über den Worten „filium tuum“: (a–c’)– c’–c’–h–g)–a–(a–h–c’–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–f–(a–c’–g)–(e–f–d– f)–g/a?, über den Worten „filium tuum“: a(–c’–c’– c’–b–a)–a–(a–c’–a)

Zitat

St. Gallen Sant Sadurní de Tavèrnoles, wahrscheinl. kopiert für Abt Ponç am königlichen Hof Sanchos des Großen Süddeutschland Würzburg

Tabellen zu cao7762 Tentavit Deus Abraham

CH-SGs 390 E-Tc 44.1 GB-Ob Can. Lit. 202 GB-Ob Laud. misc. 284

Tabelle XVI: (fortgeführt)

256   Gunnar Wiegand

14. Jh.

ca. 1260

1459

Text: spätes 12. Jh. Musik: 13./14. neugeschrieben ca. 1580

zwischen 1190–1200

12. Jh.

ca. 1300

12. Jh.

CH-E 611

CH-Fco 2

D-Mbs Cl 4303

D-KA Aug. LX

DK-Kk 3449 80 IV

F-Pn 1090

F-Pn lat. 12044

F-Pn lat 15181

F-VAL 114

Tabelle XVII: (fortgeführt)

St. Amand de Coly, Benediktiner

Paris, Kathedrale von Notre Dame

St. Maur-des-Fosses, Benediktiner

Marseilles, Kathedrale

Augsburg

Zwiefalten, Benediktiner

St. Ulrich und Afra Augsburg, Benediktiner

Franziskaner

Einsiedeln, Benediktiner

Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–c’–g)–(e–f–d– e–f–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’)–c’– (c’–b–a)–a–(a–b–c’–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–f–(a–h–g–f–f–g–f–f– d–e–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’)–c’– (c’–a)–a–(a–h–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–h–g–f)–(f–g– f–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’–c’–h– a)–(a–h–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–g–a–b)–(g–f–e– d–d–f–g–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’)– c’–c’–b–a–a–(a–b–c’–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–a–g)–(f–f–d–f– f), über den Worten „filium tuum”: (a–c’)–c’–c’–(c’– b–a)–a–(a–b–c’–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–f–(a–h–g–f–f–d–e– f–g–g), über den Worten „filium tuum“: a–c’–c’–c’– h–a–a–(a–h–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a)–b–f–(f–d–f–g– d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’)–c’–c’–b– a–a–(a–b–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–f–(a–b–g)–f–(f–d)– (f–g)–(g–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’)– c’–b–a–a–(a–b–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–b–g–f–f–d)– (f–f–g–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c’)– c’–a–(a–h–h–a)–a

 Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos   257

nach 12. Jh.

NL-Uu 406

Utrecht, Marienkirche

Vallombrosa, Benediktiner

1554/55

CDN-Hsmu M2149.L4

Salzinnes, Zisterzienser

Provenienz

Datierung

12. Jh. nach 980 ca. 1020–1023

Quelle

CH-SGs 388 CH-SG 390 E-Tc 44.1

St. Gallen St. Gallen, Benediktiner Sant Sadurní de Tavèrnoles, wahrscheinl. kopiert für Abt Ponç am königlichen Hof Sanchos des Großen

Provenienz

Tabelle IXX: Adiastematische Notation oder unleserliche Kopie

Datierung

Quelle

Tabelle XVIII: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–b

12. Jh.

I-Fl Con soppr. 560

Tabelle XVII: (fortgeführt)

Zitat

Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–h–g–f–f–d–d– f–g–d)–d, über den Worten „filium tuum“: (g–b)– (b–b–a)–(g–a)–(a–b–a)–a

Zitat

Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–h/c’–g–f–f–d– g–d), über den Worten „filium tuum“: (a–c‘)–(c‘–c’– c’–h–a–a)–(a–h–h–a)–a Über dem Wort „Abraham“: a–(f–a–c’–g–f–f–d–f– g–d), über den Worten „filium tuum“: a(–c’–c’–c’– c’–b–a)–a–(a–b–c’–a)–a

258   Gunnar Wiegand

ca. 1095 12. Jh. nach 12. Jh. 12. Jh. 11. Jh. nach 11. Jh.

Toledo, Kathedrale Süddeutschland Würzburg Benevent, für nicht-monastischen Gebrauch Chiavenna, cursus cathedralis Italien, Rom Benediktiner-Abtei San Sisto, Via Appia

Datierung

14. Jh. 14. Jh. 12. Jh. 14. Jh. 12. Jh. 14. Jh. 13. Jh.

Quelle

A-Gu 29 A-VOR 287 A-KN 1010 A-KN 1011 A-KN 1013 CH-E 611 D-BAs lit. 25

St. Lambrecht, Benediktiner Vorau, Augustiner-Chorherren Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren Einsiedeln, Benediktiner Bamberg, Kathedrale

Provenienz

Tabelle XX: Erkennbare Lesart Dekachord mit Sprung a–c

Tabellen zu cao3288 In Spiritu humilitatis

E-Tc 44.2 GB-Ob Can. Lit 202 GB-Ob Laud misc. 284 I-BV 19 I-CHV s.n. I-Rval C.5

Tabelle IXX: (fortgeführt)

(f–g–a–g–a–c’)–(a–g) (f–g–a–g–a–c’)–(a–g) (f–g–a–g–a–c’)–(a–g) (f–g–a–g)–(a–c’)–(a–g) (f–g–a–g–a–c’)–(a–g) (f–g–a–g–a–c’)–(a–g) (f–g–a–g–a–c’)–(a–g)

Töne über „fiat“

Über „filium tuum“ wahrscheinl. (a–c’)–(c’–c’–c’– h–a)–a–(a–h–h–a)–a

 Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos   259

12. Jh.

F-Pn lat. 12044

St. Maur-des-Fosses, Benediktiner

Provenienz

1554–55

CDN-Hsmu M2149.L4

Salzinnes, Zisterzienser

Provenienz

(f–g–a–g–a–h)–(a–g–g)

Töne über „fiat“

(f–g–a–g–a–b)–(a–g–g)

Töne über „fiat“

Datierung

nach 1260 1459 ca. 1580 ca. 1300

Quelle

CH-Fco 2 D-Mbs Clm 4303 DK-Kk 3449 80 IV F-Pn lat. 15181

Franziskaner Augsburg, St. Ulrich und Afra, Benediktiner Augsburg Paris, Kathedrale Notre Dame

Provenienz

(f–g–a–g–f–g)–(g–f) (f–g–a–g–f–g)–(g–f) (f–g–a–g–a)–(a–g) (f–g–a–g–f–g)–(g–f)

Töne über „fiat“

Tabelle XXIII: Erkennbare Lesart des regulären zweiten Tons, ohne Lizenzen, mit Beschränkung auf a

Datierung

Quelle

Tabelle XXII: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–h

Datierung

Quelle

Tabelle XXI: Erkennbare Lesart Enneachord mit Lizenz a–b

260   Gunnar Wiegand

– nach 980 ca. 1095 nach 1190 12. Jh.

CH-SG 388 CH-SG 390 E-Tc 44.2 F-Pn lat. 1090 I-BV 19

IIIII

IIIII

IIIII

I

A-KN 1010

A-KN 1011

A-KN 1013

A-VOR 287

II

CH-Fco 2

I

II

a–a

I

Transpos. nach d

f–a–g–a–h/c’–h–a–a (f–a–g–a)–h/c’–(a–g)

Töne über „fiat“

I

Nicht erkennbar

Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos 

II

I

II

CH-E 611

II

I

I

a–b

CDN-Hsmu M2149.L4

AUS-Mslv Ms *096.1 R66A

IIIII

A-Gu 29

a–c

a–h

St. Gallen, Benediktiner St. Gallen, Benediktiner Toledo, Kathedrale Marseille, Kathedrale Benevent, für nicht-monastischen Gebrauch

Provenienz

Tabelle XV: Anzahl der Belege in den Einzelhandschriften

Datierung

Quelle

Tabelle XXIV: Adiastematische Notation oder unleserliche Kopie

  261

I

II

F-Pn lat. 12044

F-Pn lat. 15181

F-Pn lat. 1535 II

I

I

II

I

I

I

III

F-Pn lat. 1090

I

IIII

E-Tc 44.2

I

DK-Kk 3449 80XVI

I

Nicht erkennbar

III

I

DK-Kk 3449 80IV

I

Transpos. nach d

E-Tc 44.1

II

DK-Kk 3449 80II

I

D-Mbs Clm 4306

I

D-Mbs Clm 4303 I

I

D-KA Aug. LX

D-Mbs Clm 4305

I

D-BAs lit. 25 I

a–a

IIIII

a–h

CH-SGs 390

a–b IIIII

a–c

CH-SGs 388

Tabelle XV: (fortgeführt)

262   Gunnar Wiegand

I

II

I I

I-Rval C.5

NL-Uu 406

I

I

I

I-Mc 542

I-Fl conv. sopr. 560

I

I

I

I-CHV s.n.

Nicht erkennbar

IIII

I

Transpos. nach d

I-BV 19

I

a–a

IIII

I

a–h

GB-Ob Laud. misc. 284

I

a–b

IIII

I

a–c

GB-Ob Can. Lit. 202

F-VAL 114

Tabelle XV: (fortgeführt)

 Itali und Longobardi in den Schriften Theogers von Metz und Aribos   263

Jörg W. Busch

Wir und die Anderen.* Lonbardi und Langobardi bei lombardischen Geschichtsschreibern des 11. bis 13. Jahrhunderts Hagen Keller zum 2. Mai 2014 Der Gemeinschaftsbegriff für die Bewohner der zentralen Po-Ebene, für die Lombarden, bietet einen Sonderfall, weil er in einem bestimmten hochmittelalterlichen Umfeld schlicht verleugnete, dass er auf die Eroberer dieser Region, auf die frühmittelalterlichen Langobarden, zurückging. Wiewohl bereits bekannt, seien „die Lombarden und die Langobarden“ noch einmal vorgestellt, um einige philologische Aspekte zu vertiefen,1 vor allem aber um Nachfragen bei

*  Im Vorgriff auf die Tätigkeit der vollelektronischen Plagiatspolizei sei mitgeteilt, dass ausweislich der Jahresberichte für deutsche Geschichte zahllose Beiträge vor allem zur neueren Geschichte den Gegensatz „Wir und die Anderen“ nicht nur thematisieren, sondern so auch wörtlich in ihren Titel aufnehmen, beispielhaft für das Mittelalter sei angeführt Anna Aurast, „Wir und die Anderen. Identität im Widerspruch bei Cosmas von Prag“, in: Produktive Kulturkonflikte, hg. von Felicitas Schmieder, Berlin 2005 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 10.2), S. 28–37. Einschlägig für die hier behandelte Thematik hingegen ist der wechselseitige Blick über die Alpen von Heinz Thomas, „Die Wahrnehmung der ‚Anderen‘ im Spiegel schwäbischer und oberitalienischer Schriftzeugnisse des 10. und 11. Jahrhunderts“, in: Schwaben und Italien im Hochmittelalter, hg. von Helmut Maurer u. a., Stuttgart 2001 (Vorträge und Forschungen 52), S. 53–81. 1  Daher kann der Anmerkungsapparat entlastet werden, indem für die Sache verwiesen wird auf Jörg W. Busch, „Die Lombarden und die Langobarden. Alteingesessene und Eroberer im Geschichtsbild einer Region“, in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), S. 289–311, und für quellenkundliche Nachweise zu einzelnen lombardischen Geschichtswerken auf dens., Die Mailänder Geschichtsschreibung zwischen Arnulf und Galvaneus Flamma. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit im Umfeld einer oberitalienischen Kommune vom späten 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert, München 1997 (Münstersche Mittelalter-Schriften 72), vor allem S. 256–259 im Register der zitierten Autoren und Werke unter dem betreffenden. Zum anderen wird generell auf das Stichwort Lango-, Lom-, Longo-, Lon-bar-dia / -dus verwiesen, das die Namensregister zu den MGH-Editionen einzelner lombardischer Geschichtswerke bieten, nicht hingegen alle in den Rerum Italicarum Scriptores². Um die Vertiefung der philologischen Aspekte abzusichern, werden vergleichend die MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 1–6 und 8–10, Hannover 1879–1990, herangezogen, wobei Einzelurkunden nach mediävistischer Gepflogenheit abgekürzt mit ihrer Nummer zitiert sind, also DF. I. 369 für Diploma Friederici I. Nr. 369.

266 

 Jörg W. Busch

anderen Gemeinschaftsbegriffen anzuregen, ob diese als Eigen- oder als Fremdbezeichnungen aufkamen. Die Gruppenbezeichnung Lon- oder Lombardi2 jedenfalls bietet, wie zu zeigen ist, den Fall, dass zunächst Auswärtige eine von den Lango- oder Longobardi herrührende Einwohner-, dann Regionalbezeichnung zu benutzen begannen, die in der Folge von den so Benannten nur verschleiernd und widerwillig unter bestimmten Umständen, aber nach Möglichkeit gar nicht gebraucht wurde. Die Abneigung der so Bezeichneten, den von außen an sie herangetragenen Gemeinschaftsbegriff zu benutzen, lag hauptsächlich darin begründet, dass die Landnahme der namengebenden Langobarden, die sich 568 als letzte der völkerwanderzeitlichen Großgruppen dauerhaft in Ober- und Mittelitalien niederließen,3 in der späteren Erinnerung mit beispiellosen Gewalttaten verbunden wurde, die in den zeitgenössischen Quellen aber nicht bezeugt sind.4 Die Erinnerung an die gleichsam barbarische Brutalität, mit der die Langobarden 568 die eigene Heimat überzogen haben sollen, bewirkte, dass bestimmte Geschichtsschreiber des Hohen Mittelalters in ihrem zentralen Siedlungsgebiet, von dem die heutige italienische Regione Lombardia nur noch einen Teil bildet, seine Herleitung von den einstigen Eroberern schlichtweg verleugneten.5

2  Vgl. in sprachgeschichtlicher Hinsicht Marguerite Zweifel, Untersuchung über die Bedeutungsentwicklung von Langobardus – Lombardus mit besonderer Berücksichtigung französischer Verhältnisse, Halle an der Saale 1921. 3  Zu der Frühgeschichte der Langobarden und ihrem Einfall in Italien sei neben der von Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 291, Anm. 8, S. 295, Anm. 20, und S. 297, Anm. 29, zitierten älteren Literatur jetzt auf Walter Pohl, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration, Stuttgart u. a. 2002, S. 186–201, und auf dens., „Langobardische Reichsbildung zwischen Imperium Romanum und Frankenreich“, in: Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter, hg. von Matthias Becher und Stefanie Dick, München 2010 (MittelalterStudien 22), S. 223–243, verwiesen sowie auf die umfangreiche Bibliografie von Walter Pohl und Peter Erhart (Hg.), Die Langobarden. Herrschaft und Identität, Wien 2005 (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 329, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9), S. 573–638. 4  Vgl. Pohl, „Langobardische Reichsbildung“ (wie Anm. 3), S. 224–226 zu den zeitgenössischen Wahrnehmungen und S. 226–231 zu „Deutung und Legendenbildung“. 5  Bei der ‚lombardischen‘ Ausdeutung hatte sich Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), fast ganz auf die Seite derjenigen konzentriert, die im 12. und 13. Jh. gegen die Staufer kämpften. In sehr instruierender Weise blickt nun auch auf die Seite ihrer lombardischen Verbündeten Christoph Friedrich Weber, „Das Kommunikationsgeschehen der Privilegierung als Ort der Inszenierung Reichsitaliens im Hochmittelalter, oder: Wie die Staufer zu Nachfolgern des Langobardenkönigs Liutprand wurden“, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2008), S. 185–206. Wie schon bei Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), Anm. 4, S. 290, wird auch hier wiederum nur erwähnt, „dass das Wort [Lombarde] im 13. Jh. nördlich der Alpen vor allem zur Bezeichnung



Wir und die Anderen 

 267

Denn die Geschichtsschreiber der zentralen Po-Ebene mit Mailand in der Mitte verbündeter und verfeindeter Städte begriffen vom 11. bis zum 13. Jahrhundert Vergangenheit und Gegenwart ihrer engeren Heimat mit Hilfe des grundlegenden Gegensatzes zwischen Einwohnern und Eroberern. Nun war und ist es nicht ungewöhnlich, Vergangenheit und Gegenwart mit diesem Gegensatzpaar „Wir und die Anderen“ zu begreifen. Wir, die Mailänder, und die Anderen, die Pavesen (die Bewohner von Pavia), sind nur ein lombardisches Beispiel inniger Abneigung und Abgrenzung, das in vielen Regionen und zu allen Zeiten wiederkehrt.6 Wir, die Lonbardi, und die Anderen, die Theotonici, mag hier nur als ein Beispiel dienen für die immer wieder zu findende Abgrenzung von Gemeinschaften, die sich auch sprachlich nicht verstanden.7 Hingegen dürfte der Gegensatz Wir, die Lonbardi, und die Anderen, die Langobardi, einmalig sein, denn die Einwohner grenzten sich von denen ab, die ihnen eigentlich den Namen gaben, von den einstigen Eroberern ihrer Heimat. Um in Grundzügen veranschaulichen zu können, wie dieser merkwürdige Gemeinschaftsbegriff zustande kam, seien zunächst nur kurz, weil systematisch die Autoren genannt, die zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert in Mailand und seinen verbündeten Städten Geschichte schrieben. Dann ist gleich die Chance zu nutzen, die diese im Vergleich mit anderen italienischen Städten einzigartige Reihe von Geschichtswerken bietet, nämlich über drei Jahrhunderte hinweg zu verfolgen, wie die durchgängige Darstellung der Vergangenheit mit Hilfe des Gegensatzpaares „Wir und die Anderen“ eine Abgrenzung der Lonbardi von den Langobardi in einem bestimmten Umfeld bewirkte, während sich dieses in seiner politisch-gesellschaftlichen Verfasstheit vom „Erzbistum“ über die „Kommune“ zur „Signorie“ wandelte. Doch ist die Chance, einen merkwürdigen

italienischer Geldhändler diente“, wozu jetzt auf die Studien von Winfried Reichert zu verweisen ist, insbes. auf dens., Lombarden in der Germania-Romania, Bd. 1: Atlas, Bd. 2: Dokumentation Aachen – Marly, Bd. 3: Dokumentation Marny – Zutphen, Trier 2003 (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 2). 6  Zu regionalen Geschichtsvorstellungen und damit Identitäten vgl. über die bei Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 290, Anm. 3, genannte ältere Literatur hinaus jetzt auch Identité régionale et conscience nationale en France et en Allemagne du moyen âge à l’époque moderne. Actes du colloque organisé par l’Université Paris XII, Val de Marne, l’Institut universitaire de France et l’Institut Allemand à l’Université Paris XII et à Fondation Singer-Polignac, les 6, 7 et 8 octobre 1993, hg. von Rainer Babel und Jean-Marie Moeglin, Sigmaringen 1997 (Beihefte der Francia 39), und Spätmittelalterliches Landesbewusstsein in Deutschland, hg. von Matthias Werner, Ostfildern 2005 (Vorträge und Forschungen 61). 7  Für die Sicht der „Italiener“ auf ihre nördlichen Nachbarn sei verwiesen auf die ausbaufähige Materialsammlung von Fritz Vigener, Bezeichnungen für Volk und Land der Deutschen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, Heidelberg 1901, Nachdr., hg. von Helmut Beumann, Darmstadt 1976.

268 

 Jörg W. Busch

Gemeinschaftsbegriff in seiner Herausbildung zu verfolgen, mit einem schweren Mangel verbunden. Denn die hier herangezogenen Mailänder Geschichtswerke des 11. bis 13. Jahrhunderts liegen sämtlich nicht in Handschriften ihrer jeweiligen Entstehungszeit vor, vielmehr sind sie alle nur in teils sehr späten Abschriften überliefert.8 Um daher zu näherungsweise verlässlichen Aussagen zu gelangen, wie die einzelnen Schreibweisen Longo-, Lon- oder Lombardi von ihrer Zeitstellung, aber auch von dem Standpunkt ihrer ursprünglichen Benutzer her anzusetzen sind,9 werden vergleichend die Urkunden der über Oberitalien herrschenden Könige und ihrer Gegner im 12. Jahrhundert herangezogen, weil ein Rückgriff auf die reichhaltige, ungedruckte Mailänder Urkundenüberlieferung im vorliegenden Rahmen nicht möglich war. Die Serie der Geschichtswerke, die in Mailand, in seinen verbündeten und verfeindeten Nachbarstädten zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert entstanden, setzt mit insgesamt vier Texten ein, deren Autoren wie im frühen und hohen Mittelalter üblich Geistliche waren. Diese beschrieben zwischen um 1075 und gegen 1140 die fernere und jüngere Vergangenheit vor allem ihrer kultischen Gemeinschaft, des Erzbistums Mailand.10 Dieses war ein besonderes, weil es sich

8  So sind die beiden Geschichtswerke, die später den Namen einer Historia Mediolanensis erhielten, nämlich das des sogenannten älteren und des jüngeren Landulf (wie Anm. 10), nur in zwei Textzeugen aus der Zeit um 1400 erhalten, vgl. Arnulfi Mediolanensis Liber gestorum recentium (wie Anm. 10), S. 47 und 50. Zu der ebenfalls sehr späten Überlieferung der lombardischen Laiengeschichtswerke aus den 1160er Jahren, siehe Anm. 37 und 40. 9  Erschwerend kommt hinzu, dass hier überwiegend nur die Editionen herangezogen werden konnten, deren Verlässlichkeit gerade bei den älteren nicht außer Zweifel steht. Als Beispiel sei genannt: Ariprandi Brevis Langobardorum Historia, hg. von Georg Waitz, in: MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum, Hannover 1878, S. 592–596, deren zweite Spalte dem Druck von August Anschütz, „Über die historischen Einleitungen der Lombarda-Commentare“, in: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 11 (1858), S. 228–247, S. 232a–236a, folgend durchweg die Lesart Lombardia bietet. Die Handschrift Paris, BNF, lat. 4931, fol. 55b– 56a, weist aber die gekürzte Form Lo_bardia auf, was jedoch Lonbardia zu lesen ist, weil der Abschreiber an den wenigen Stellen der Handschrift, an denen er nicht kürzt, diese „Piacentiner“ Lesart bietet, dazu unten Anm. 32. 10  (Nach 1072 / 1077) Arnulfi Mediolanensis Liber gestorum recentium, hg. von Claudia Zey, Hannover 1994 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 67), (gegen 1075) Libellus de situ civitatis Mediolani, de adventu Barnabe apostoli et de vitis priorum pontificum Mediolanensium, hg. von Alessandro und Giuseppe Colombo, Bologna 1942 (Rerum Italicarum Scriptores² 1.2), (wenig nach 1075) Historia Mediolanensis quae dicitur Landulfi senioris, hg. von Alessandro Cutolo, Landulphi senioris Mediolanensis Historiae libri quattuor, Bologna 1942 (Rerum Italicarum scriptores2 4.2), und (1136 / 1137) Landulphi junioris sive de sancto Paulo Historia Mediolanensis ab anno 1095 usque ad annum 1137, hg. von Carlo Castiglioni, Bologna 1934 (Rerum Italicarum scriptores2 5.3).



Wir und die Anderen 

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auf den Kirchenvater Ambrosius zurückführte, weshalb die geistlichen Autoren sich stolz der Ambrosianischen Kirche zurechneten, die während des sogenannten Investiturstreites in einen Konflikt mit dem römischen Primatsanspruch geriet.11 Somit bestand der Gegensatz „Wir und die Anderen“ zwischen den Angehörigen der Ambrosianischen Kirche einerseits und den gregorianischen Reformern, aber auch einer einheimischen sozial-religiösen Bewegung, der Pataria, andererseits. Während dieser Auseinandersetzungen formierte sich in Mailand wie andernorts in Oberitalien keimhaft ein neuartiger weltlicher Verband, die Kommune.12 Die Kommune löste sich nach 1140 von ihrem Zusammenwirken mit den geistlichen Institutionen, sie schuf sich eigene Einrichtungen und rekrutierte zugleich eigenes Personal, unter dem schriftkundige Richter und Notare aus dem Laienstand besondere Bedeutung gewannen. Denn diese wandten sich, als die frühe Kommune nach 1154 in einen existenzbedrohenden Konflikt mit Friedrich I. Barbarossa geriet,13 der Zeitgeschichtsschreibung zu.14 So beschrieben zwei lombardische Laienautoren nach dem grundlegenden Gegensatz „Wir und die Anderen“, wie die Schwurgenossen der Kommunen gegen den Kaiser und seine Theotonici kämpften.15 Nachdem Kaiser und Kommunen ihren Streit 1184

11  Zu diesem Gegensatz in der Überschau der Jahre 1061 bis 1187 vgl. Nicolangelo D’Acunto, „Institutionalisierung und Zentralisierung. Die römische Kirche und die Kirche der Lombardei im 11. und 12. Jahrhundert“, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville, hg. von Franz J. Felten u. a., Köln u. a. 2009, S. 183–191. 12  Literatur zur frühen Kommune nennt Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 303f., Anm. 59; eine Skizze der stauferzeitlichen Verhältnisse bietet Nicolangelo D’Acunto, „Oberitalien: Politik, Kommunen, Wirtschaft“, in: Verwandlungen des Stauferreichs. Tagungsband zu der Ausstellung ‚Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa‘, hg. von Bernd Schneidmüller u. a., Darmstadt 2010, S. 76–85; im gesamtitalienischen Vergleich und unter starker Berücksichtigung der Wirtschaft ordnet die Kommune in die gesamte mittelalterliche Entwicklung ein Stephan R. Epstein, „The Rise and Fall of Italian City States“, in: A Comparative Study of Thirty City-state Cultures, hg. von Mogens Herman Hansen, Copenhagen 2000, S. 277–293. 13  Zur Auseinandersetzung mit Mailand vgl. Ferdinand Opll, Stadt und Reich im 12. Jahrhundert (1125–1190), Wien u. a. 1986 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta imperii 6), S. 317–342. 14  Zu den ersten laikalen Geschichtsschreibern außerhalb der Lombardei vgl. jetzt Richard Engel, „Geschichte für kommunale Eliten. Die Pisaner Annalen des Bernardo Maragone“, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 89 (2009), S. 63–112, und Frank Schweppenstette, Die Politik der Erinnerung. Studien zur Stadtgeschichtsschreibung Genuas im 12. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 2003 (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge 12). 15  Aus der Sicht einer mit Friedrich I. verbündeten Kommune berichtet (zwischen 1160 und 1168)

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im Konstanzer Frieden beigelegt zu haben schienen und die Kommune vollends ausgebildet war, schrieb ein lombardischer Laienautor im frühen 13. Jahrhundert auch Vergangenheitsgeschichte, in die er als Erfahrung der Barbarossazeit den Gegensatz „Wir und die Anderen“ zurückprojizierte,16 bevor der Gegensatz dann nach 1226 wieder aktuell wurde in dem Konflikt zwischen den späten Kommunen und Kaiser Friedrich II. Doch blieb ein großes Mailänder Annalenwerk dieser Zeit nicht unmittelbar erhalten, es lässt sich nur aus seiner Rezeption durch einen enzyklopädisch arbeitenden Dominikaner des 14. Jahrhunderts erschließen.17 Die kommunalen, und nicht bloß städtischen Geschichtswerke der Barbarossazeit waren, wie noch hervorzuheben ist, die ersten von Nichtgeistlichen verfassten im lateinischen Europa, seitdem letztmals im frühen 9. Jahrhundert mit Einhard und Nithard Laien Geschichte geschrieben hatten.18 Während der Stauferzeit dominierten in Mailand, in seinen verbündeten und verfeindeten Nachbarstädten Laien die Geschichtsschreibung, nämlich in der frühen Kommune um 1160, in der ausgebildeten um 1220 und in der späten gegen 1250. Ungefähr mit diesem Jahr aber setzte eine Entwicklung ein, die in weiten Teilen

Ottonis et Acerbi Morenae et continuatoris Historia Frederici I., hg. von Ferdinand Güterbock, Das Geschichtswerk des Otto Morena und seiner Fortsetzer über die Taten Friedrichs I. in der Lombardei, Berlin 1930 (MGH Scriptores rerum Germanicarum N. S. 7); die Mailänder Position vertritt (1162 / 63) der Anonymus der (wie das Werk heute genannt wird) Narratio de Longobardie obpressione et subiectione, in: Italische Quellen über die Taten Kaiser Friedrichs I. in Italien und der Brief über den Kreuzzug Kaiser Friedrichs I., hg. von Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1986 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17a), S. 240–294, weil aber dort der Variantenapparat fehlt, ist für die philologische Feinarbeit auf die ältere Ausgabe zurückzugreifen, die vorliegt unter dem Titel Gesta Federici I. imperatoris in Lombardia auctore cive Mediolanensi, hg. von Oswald Holder-Egger, Hannover und Leipzig 1892 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 27). 16  (Zwischen 1218 und 1223 entstanden) Iohannis Codagnelli Liber rerum gestarum, Paris, BNF, lat. 4931, fol. 1a–55b, beschrieben und teilweise hg. von Oswald Holder-Egger, „Über die historischen Werke des Johannes Codagnellus von Piacenza“, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 16 (1891), S. 312–346 und 475–505. Zu seiner Arbeitsweise im Vergleich mit den Vorhumanisten 100 Jahre später Jörg W. Busch, „Von der Rückprojektion zur Tatsachenermittlung. Die Wiederentdeckung der Vergangenheit in den oberitalienischen Kommunen des 13. und frühen 14. Jahrhunderts“, in: Building the Past. Konstruktion der eigenen Vergangenheit, hg. von Rudolf Suntrup und Jan R. Veenstra, Frankfurt a. M. u. a. 2006 (Medieval to Early Modern Culture. Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 7), S. 33–51. 17  Zu den verlorenen großen Mailänder Kommunalannalen vgl. Busch, Die Mailänder Geschichtsschreibung (wie Anm. 1), S. 107–117. 18  Zu Einhard und Nithard vgl. die Literaturverweise bei Jörg W. Busch, Die Herrschaften der Karolinger 714–911, München 2011 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 88), S. 74f. und 87.



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Oberitaliens dazu führte, die selbstständige Kommune durch die neue Herrschaftsform abzulösen, durch die Signorie.19 Die Signorie als Herrschaft eines einzelnen Herren, eines Signore, löste die Herrschaft Aller in der Kommune ab und nahm zum 14. Jahrhundert hin eindeutig fürstliche Züge an. Geschichtsschreibung war nun auf den Hof des Signore, später des Fürsten, konzentriert, auch vervielfältigte sie sich in ihren Formen. Denn neben Annalen und Chroniken, die zuvor Geistliche wie Laien geschrieben hatten, traten nun „höfische“ Erzählung, Geschichtsdichtung, um 1300 dann Ansätze der späteren historischen Kritik und schließlich Geschichtsenzyklopädien, die um 1340 alles Vorherige in sich aufnahmen und zugleich als grundlegende Erfahrung der Mailänder den Gegensatz „Wir und die Anderen“ weitergaben.20 Auf dieser Grundlage bauten dann die auch humanistischen Geschichtsschreiber auf, die im Umkreis des Herzogshofes wirkten, denn 1395 war der Signore von Mailand, Giangaleazzo Visconti, zum Herzog erhoben worden.21 Nachdem die lombardischen Geschichtswerke überblickt und zugleich grob ihre jeweiligen Entstehungsumstände skizziert sind, ist der eigentlichen Frage nachzugehen: Wie bezeichneten geistliche Autoren im „Erzbistum“ Mailand bis 1140, Laiengeschichtsschreiber in der frühen Kommune um 1160, in der ausgebildeten um 1220 und in der späten gegen 1250 sowie schließlich sowohl geistliche wie Laienautoren unter der „Signorie“ von 1250 bis 1340 ihre Gemeinschaft? Grundsätzlich verstand sich der Mailänder wie jeder andere Geschichtsschreiber in der ausgeprägten städtischen Kultur Oberitaliens zunächst einmal als Einwohner seiner eigenen Stadt: Sowohl die Geistlichen im „Erzbistum“ bis

19  Zu der Entstehung der Signorie sei neben der von Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 309, Anm. 77, zitierten älteren Literatur jetzt verwiesen auf Philip Jones, The Italian City-State. From Commune to Signoria, Oxford 1997, insbes. S. 521–650. 20  (Zwischen 1264/67 und 1275 entstanden) Chronica Danielis, hg. von Adolfo Cinquini, „Una cronica milanese inedita del secolo XIII. La Chronica Danielis“, in: Miscellanea di storia e cultura ecclesiastica 4 (1905–1906), (im zweiten Jahrzehnt des 14. Jh.s) Joseph R. Berrigan, „Benzo d’Alessandria and the Cities of Northern Italy“, in: Studies in Medieval and Renaissance History 4, hg. von William M. Bowsky, Lincoln 1967, S. 127–192, (bis 1322) Iohannis de Cermenate notarii Mediolanensis Historia de situ Ambrosianae urbis et cultoribus ipsius et circumstantium locorum ab initio et per tempora successive et gestis imperatoris Heinrici VII., et de his quae gesta sunt post eius adventum in Italia, praecipue per Mediolanenses, hg. von Luigi Alberto Ferrai, Rom 1889 (Fonti per la storia d’Italia 2) und (stellvertretend für seine ungedruckten, 1338 bis 1342 entstandenen, enzyklopädischen Chroniken) Galvanei Flammae Manipulus florum sive Historia Mediolanensis ab origine urbis ad annum circiter 1336. Ab alio continuatore producta ad annum usque 1371, hg. von Ludovico Antonio Muratori, Mailand 1727 (Rerum Italicarum Scriptores1 11), Sp. 537–740. 21  Dazu unten Anm. 63.

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1140 und unter der „Signorie“ nach 1250 wie auch die Laienautoren der kommunalen und der signorilen Zeit sahen sich in allererster Linie als Mediolanenses, ebenso die mit ihnen meist verbündeten Placentini, aber auch die ihnen stets verfeindeten Cremonenses und Papienses.22 Der lombardische Geschichtsschreiber huldigte mithin einem ausgeprägten Campanilismo und sah nur dann Anlass, eine übergreifende Bezeichnung zu benutzen, wenn sich die einzelnen Städte einer gemeinsamen Bedrohung von außen gegenübersahen. Solche Situationen des „Wir und die Anderen“ boten, wie bereits erwähnt, im 11. Jahrhundert der Konflikt des „Erzbistum“ mit der gregorianischen Reform sowie im 12. und 13. Jahrhundert der Streit der „Kommune“ mit den Stauferkaisern. Die Geistlichen im „Erzbistum“ des 11. Jahrhunderts sahen sich vor allem als Mediolanenses den Anderen gegenübergestellt und bildeten keine Einwohnerbezeichnung, die alle Angehörigen der Mailänder Kirchenprovinz umgriff. Vielmehr gebrauchten sie Wendungen mit Hilfe der spätantiken Regionalbezeichnung Liguria, griffen also auf erlerntes Bildungsgut zurück, zu dem auch der geografische Begriff Italia gehörte.23 Rechtlich und tatsächlich unterstanden die Mailänder wie alle anderen Oberitaliener einem rex Langobardorum. Dieser war zwar nördlich der Alpen erhoben, herrschte aber dennoch zugleich in Oberund Mittelitalien, seit Otto der Große 951 das von Karl dem Großen 774 eroberte Herrschaftsgebiet der Langobarden wieder übernommen hatte.24 Die Mailänder lebten also unter einer Herrschaft, die auch nach den Eroberungen von 774 und 951 eine eigenständige politische Einheit bildete, so die Erinnerung an die Langobarden in den Urkunden der Herrscher aus dem Norden wachhielt,25 doch von

22  Wie Anm. 1 angekündigt, werden Feststellungen wie die oben getroffene künftig durch den generellen Verweis auf die betreffenden Lemmata jener Namensregister abgestützt, die aber für die Werke des 11. Jh.s (wie Anm. 10) nur für Arnulfi Mediolanensis Liber (wie Anm. 10) vorliegen und die für die späten (wie Anm. 20) die hier interessierenden Stichworte nicht aufweisen. 23  Einzelnachweise zur Verwendung von Liguria und Italia bei den in Anm. 10 genannten geistlichen Autoren des 11. und frühen 12. Jh.s bei Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 304, Anm. 61; zu der Wortverbindung regnum Italicum siehe unten Anm. 26f. 24  Zum Ende der langobardischen und dem Beginn der fränkischen Herrschaft vgl. neben der von Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 295f., Anm. 23f., zitierten älteren Literatur jetzt Busch, Die Herrschaften (wie Anm. 18), S. 20–22, und zur ottonischen Italienpolitik Hagen Keller und Gerd Althoff, Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888–1024, Stuttgart 2008 (Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., 3). 25  Eine Wortverbindung wie Longobardicum regnum, von dem Bonizonis episcopi Sutrini Liber ad amicum 5, hg. von Ernst Dümmler, in: MGH Libelli de lite imperatorum et pontificum 1, Hannover 1891, S. 568–620, S. 590, Z. 8, zum Jahr 1055 spricht, war keine gleichsam offizielle Bezeichnung (dazu die nächste Anm. 26). Denn die wenigen Belege für solche Zusammensetzungen in den MGH Diplomata (wie Anm. 1) finden sich erst in späten Abschriften, nämlich DH. II. 322



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diesen meist mit dem geografischen Begriff regnum Italicum bezeichnet wurde.26 Dennoch nannten sich die Mailänder Autoren selbst nicht Itali oder Italici und lehnten es erst recht ab, sich selbst als Langobardi27 zu bezeichnen. Die Abneigung, die eigene Region, wiewohl sie einst und auch gegenwärtig im Zentrum der oberitalienischen Königsherrschaft lag, Langobardia und sich selbst als Einwohner dieser Region Langobardi zu nennen, wurzelte eindeutig in dem zutiefst negativen Bild, das die gebildeten Geistlichen von den Anderen, von den frühmittelalterlichen Eroberern ihrer Heimat, überlieferten. Mit dem Wissen, die Langobarden hätten bei ihrem Einfall 568 weder Jünglinge noch Greise geschont und den hohen Mailänder Klerus zur Flucht nach Genua gezwungen, stand ein

(1016?, Abschrift des 12. Jh.s) S. 408b, Z. 6: regnum Longbardicum; DL. III. 103 (o. D., Kopie des 13. Jh.s) S. 167, Z. 2: regnum Longobardie, und DL. III. 115 (1137 April 9, Abschrift des 14. Jh.s) S. 185, Z. 31: regnum Longobardiae (zu dem Aufkommen der Regionalbezeichnung Langobardia ohne regnum unten Anm. 34f.). Dennoch erinnerten die Herrscher des 10. und 11. Jh.s daran, indem sie bis zu den DD H. II. noch häufiger, dann nur noch in DK. II. 52 (1026) S. 60, DK. II. 64 (1026) S. 78 und DH. III. 26 (1040) S. 34, selbst als rex Francorum et Langobardorum titulierten. Weiter hielten sie die Erinnerung an die Langobarden insofern wach, als sie sich auf einzelne ihrer reges, vor allem aber auf ihre leges beriefen. 26  Die Kaiser- und Königsurkunden des 10. bis 12. Jh.s vor allem für italienische Empfänger benutzen ausweislich der Namensregister in den MGH Diplomata (wie Anm. 1) mit wenigen spät überlieferten Ausnahmen (dazu die vorherige Anm. 25) durchgängig die Bezeichnung regnum Italicum, und zwar in etwa 46 DD O. I., II. und III. sowie in etwa 39 DD von H. II. bis F. II. Dem Sprachgebrauch der Herrscherurkunden folgend, verwendet Bonizonis Liber 3 (wie Anm. 25) S. 579, Z. 22, als die fränkische Herrschaft endete, und Liber 4, S. 581, Z. 27, mit einem Zitat sowie wiederum eigenständig Liber 6, S. 593, Z. 5 und 9, S. 596, Z. 4f., sowie Liber 7, S. 601, Z. 21, die Bezeichnung Italicum regnum (an den letzten Stellen ist genauer von dem Italici regni cancellarius die Rede). 27  Longobardi als Handelnde im regnum des 11. Jh., nicht aber als Mailänder kennt Arnulfi Mediolanensis Liber (wie Anm. 10), vgl. ebd. S. 263b die sechs Nachweise unter Langobardus, aber auch Thomas, „Die Wahrnehmung“ (wie Anm. *), S. 73, für den Arnulf eine gewisse Distanz gegenüber den Langobardi gewahrt zu haben scheint. Das regnum seiner Zeit versteht Arnulf, dem Sprachgebrauch der Herrscherurkunden folgend, als regnum Italicum oder Italie, so wörtlich Arnulfi Mediolanensis Liber (wie Anm. 10), 1.5, S. 124, Z. 7, 2.14, S. 160, Z. 4, und 3.19 S. 195, Z. 12. Italia wird geradezu mit dem regnum gleichgesetzt, wenn er ebd., 5.8, S. 228, Z. 6–8, Gregor VII. Ende 1076 von Rom nach Italien reisen lässt, um in Canossa mit Heinrich IV. zusammenzutreffen. Entgegen diesem Italienverständnis, das auch die Historia Mediolanensis quae dicitur Landulfi senioris (wie Anm. 10), 2.26, S. 66, Z. 3, erkennen lässt, wenn sie die Königsherrschaft auf Roma cum Italia bezieht, unterscheidet Arnulfi Mediolanensis Liber (wie Anm. 10), 2.13, S. 158, Z. 14, nur einmal auf Seiten Konrads II. Teutones und Itali. Seine concives in urbe Mediolano oder die compatriotae in regno Italico (so wörtlich die Praefatio, S. 117, Z. 8–10) durchgängig Itali(ci) zu nennen, findet sich bei Arnulf ebenso wenig wie bei den anderen geistlichen Autoren, die vor allem die cives Mediolanensis civitatis sahen, so die Historia Mediolanensis quae dicitur Landulfi senioris (wie Anm. 10), 3.16, S. 99, Z. 29.

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Mailänder Anonymus, der um 1075 seine Ambrosianische Kirche gegen die römische Reform und andere Irrlehren verteidigte, keineswegs allein.28 Denn auch ein aus der Lombardei gebürtiger Anhänger Gregors VII., für die Mailänder Geistlichen also ein Anderer, tradierte das Bild von den „grausamen“ Langobarden.29 Dennoch lebte in dieser Zeit das Recht der frühmittelalterlichen Langobarden gerade in der zentralen Po-Ebene weiter. Doch obwohl im 11. Jahrhundert viele freie Männer, die von den einstigen Eroberern abstammten, deren Recht als ihr persönliches Recht vor Gericht bekannten,30 verweigerten gebildete Mailänder Geistliche den Mitbewohnern ihrer Stadt und den Landsleuten in ihrem Umkreis den Namen der einstigen Eroberer. Vielmehr propagierten die Geistlichen ein Einwohnerbewusstsein, das in der von Rom unabhängigen Gründung Mailands durch den Gallier Brennus, in Mailands Christianisierung durch einen eigenen, von Petrus unabhängigen Apostel namens Barnabas und schließlich in der prägenden Gestalt des Kirchenvaters Ambrosius wurzelte.31 Dieses Einwohnerbewusstsein, das die Langobarden unter die Anderen rechnete, blieb keineswegs nur ein geistliches, auch die Laien besaßen es, als sie sich nach 1140 politisch von den geistlichen Institutionen lösten und den eigenständigen Verband ihrer frühen Kommune schufen. Als der erste Mailänder Laienautor auf die Trümmer seiner Heimatstadt blickte, die Friedrich I. Barbarossa 1162 hatte zerstören lassen, erklärte dieser Anonymus in einer annalistischen Darstellung der jüngsten Vergangenheit, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, und ordnete sie ein, indem er in einer kleinen Vorrede an alle Unterdrücker der Longobardia vor Barbarossa, namentlich an Römer, Wandalen, Goten, Winiler, Franken, Ungarn und schließlich Theotonici, erinnerte.32

28  Historia Mediolanensis quae dicitur Landulfi senioris (wie Anm. 10), 2.2, S. 29, Z. 26–31. Dieses Bild der Langobarden wie auch das der Anm. 29 basiert nicht auf den Ereignissen von 568 zeitnahen Zeugnissen, dazu oben Anm. 4. 29  Bonizonis episcopi Sutrini Liber (wie Anm. 25), 2, S. 577, Z. 8–10, gibt das Mailänder Bild von den grausamen Langobarden wieder, wie dort betont ihre „Wildheit, Raserei“ (rabies) eiusdem Liber 2, S. 575, Z. 35, und Liber 3, S, 579, Z. 36, sowie die Tyrannei ihrer Könige eiusdem Liber 3, S. 577, Z. 20, und S. 579, Z. 23. 30  Zu dem langobardischen Rechtsbekenntnis bis zum 11. Jh. vgl. Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 296f., Anm. 26. 31  Auf Barnabas konzentriert sich der Libellus de situ (wie Anm. 10), der auch die Galliergründung kennt, hingegen finden sich alle Ursprungsvorstellungen in der Historia Mediolanensis quae dicitur Landulfi senioris (wie Anm. 10), vgl. im Einzelnen Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 298–301, und zur Betonung des romunabhängigen Ursprungs dens., „Mailand und Rom. Das antike Rom in lombardischen Geschichtsvorstellungen“, in: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002), S. 379–396, S. 381f. 32  Die Lesart Longobardia der Narratio (wie Anm. 15), S. 240 = Gesta Federici I. (wie Anm. 15),



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Der erste Mailänder Laienautor benutzte tatsächlich einleitend den von den Langobarden herrührenden Namen Longobardia für seine Heimatregion. Doch entgegen dem ersten Anschein sah sich der Anonymus keineswegs stolz als Nachfahre der Langobarden, wie damals Gebildete nördlich der Alpen meinten.33 Vielmehr gebrauchte der Anonymus lediglich eine bei den Anderen, vor allem bei den Theotonici34 gängig gewordene Regionalbezeichnung,35 um Mailands

S. 16, Anm. a, muss nicht zwingend die „gelehrte“ Schreibweise des 17. Jh.s sein (dazu unten Anm. 37), denn sie wurde an dieser Stelle (nach 1226) übernommen von Iohannis Codagnelli Libellus tristitie et doloris, angustie et tribulationis, passionum et tormentorum, Paris, BNF, lat. 4931, fol. 58b–70c, teilweise im Paralleldruck der Gesta Federici I. (wie Anm. 15), S. 14–64, S. 15f., wobei der Schreiber dieser Handschrift am Ende des 13. oder Beginn des 14. Jh.s überwiegend Lo Kürzungsstrich bardi/a verwandte. Diese Kürzung muss Lonbardi oder Lonbardia gelesen werden, und zwar weniger weil die ebenso geschriebenen frühmittelalterlichen Lo Kürzungsstrich gobardi, wenn sie fol. 43a, 44c und 44d gemeint sind, unschön mit Lomgobardi wiedergegeben wären, als vielmehr weil der Schreiber selbst deutlich machte, dass er an der Stelle des Kürzungsstriches ein n sehen wollte, schrieb er doch fol. 44d und 49b ungekürzt castra Lonbardorum und regnum Lonbardorum, vgl. Oswald Holder-Egger, „Über die historischen Werke“ (wie Anm. 16), S. 479 und 491. 33  So in einer Beschreibung Oberitaliens und seiner Bewohner Ottonis episcopi Frisingensis et Rahewini Gesta Frederici seu rectius Chronica, hg. von Franz-Josef Schmale, 3. Aufl., Darmstadt 1986 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom SteinGedächtnisausgabe 17), 2.14, S. 308. Das Werk benutzt, auch in seinen Abschriften, (fast) konsequent die bis in das 11. Jh. unter Geschichtsschreibern übliche und im Spätmittelalter dann wieder „gelehrte“ Schreibweise Longobardia; hingegen ließ Friedrich I. selbst in seinen original überlieferten Urkunden (wie Anm. 34) die Lesart Lombardia ebenso wie in jenem Brief benutzen, den er, von dem ersten Italienzug berichtend, an seinen Halbonkel Otto von Freising sandte und den dieser seinem Werk voranstellte, vgl. Ottonis episcopi Frisingensis Gesta (wie oben), S. 82, Z. 29, und S. 86, Z. 2. 34  Die Regionalbezeichnung tritt in den MGH Diplomata (wie Anm. 1) im 11. und frühen 12. Jh. noch deutlich hinter die Einwohnerbezeichnung (dazu unten Anm. 44) zurück. Wenn es aber gilt, den exakten Sprachgebrauch in den Herrscherurkunden dieser Zeit zu ermitteln, erhebt sich wiederum das Problem, das die älteren Mailänder Geschichtswerke bieten: Die meisten Urkunden sind (wie beispielsweise DDH. IV. 331 und 443 in höchst zweifelhafter Form) erst spät überliefert, so dass die genaue Schreibweise bis in das 12. Jh. hinein nicht sicher zu ermitteln ist. Daher sind erst DL. III. 113 (1137 o. D.), S. 181, Z. 35, und DK. III. 71 (1142 Februar/März), S. 127, Z. 5, im Original erhalten und verwenden die ältere (weil dem Ursprungswort Langobardus nähere) Lesart Longobardia, die bereits ein Originalentwurf des Bischofs Leo von Vercelli nicht vor Ende 1016, allerdings in der korrupten Form Langbardia verwendet (DH. II. 322, S. 407a, Z. 10) und die später auch die „gelehrte“ Lesart sein sollte (dazu unten Anm. 37). Hingegen bieten bereits die Originale DF. I. 362 (1162 Mai 11), S. 212, Z. 31f., und DF. I. 369 (1162 Juni 13), S. 228, Z. 27, die staufische Verkürzung Lombardia, dazu auch unten Anm. 45. 35  Auch wer wie die Mönche von Monte Amiata aus (DH. IV. *506, S. 695, Z. 18f.) oder wie die Päpste von Rom aus nach Norden blickte, sah dort im späteren 11. Jh. die Longobardia und

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Unglück als das Unglück der ganzen Region zu erweisen. Denn die Langobarden stehen weiter in der eben zitierten Reihe aller Unterdrücker der Longobardia, nämlich als Winiler, wie ein alter, früher Name der Langobarden lautete.36 Das Einwohnerbewusstsein des Mailänder Anonymus rechnete also die namengebenden Langobarden weiter unter die Anderen, unter die Fremden und Unterdrücker. Das Einwohnerbewusstsein bekannte sich nicht stolz zu ihnen, was auch bald die verkürzende und daher verschleiernde Schreibweise Lonbardia zeigen sollte.37 Doch nahm das Einwohnerbewusstsein insofern Rücksicht auf diejenigen Schwurgenossen, die auch im 12. Jahrhundert noch das Recht der Langobarden vor Gericht bekannten,38 indem es die Anderen, die Langobarden, nur unter ihrem Tarnnamen Winiler auftreten ließ. Der harte, bis zu Mailands Vernichtung geführte Kampf mit dem Kaiser war 1162 nicht zu Ende, denn Friedrich I. Barbarossa stieß nach seinem Sieg mit seiner neuartigen Herrschaft auch auf den Widerstand seiner einheimischen Ver-

die Bischöfe der Longobardi, vgl. beispielsweise die Registereinträge zu Gregorii VII. Registrum, hg. von Erich Caspar, Berlin 1920–1923 (MGH Epistolae selectae 2.1–2), S. 663a. Diesen Blick von außen machte sich im frühen 12. Jh. auch ein Mailänder zu eigen, indem Landulphi junioris sive de sancto Paulo Historia Mediolanensis (wie Anm. 10), cap. 64, S. 37, Z. 33f., als Zeitzeuge angibt imperator Lotarius ... venit in Longobardiam oder cap. 41, S. 26, Z. 13, päpstliche Legaten per Longobardorum provintiam entsandt sieht; wenn aber cap. 54, S. 34, Z. 19, Lonbardia et Tuscia unterschieden werden, so erweckt die „Piacentiner“ Lesart Lonbardia (dazu oben Anm. 32) den Argwohn, erst im Laufe der Überlieferung Eingang in den sehr späten Textzeugen gefunden zu haben (dazu oben Anm. 8). 36  Pauli Historia Langobardorum, hg. von Georg Waitz, Hannover 1878 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 48), 1.1 und 1.9, S. 53 und 58f. 37  Die Abschrift der Narratio (wie Anm. 15) aus dem 17. Jh. benutzt durchgängig an den 16 Stellen, an denen die Überlieferung von Iohannis Codagnelli Libellus tristitie (wie Anm. 32) Lo Kürzungsstrich bardia verwendet, die Lesart Longobar-di/a, so dass es sich anders als bei der ersten Verwendung des Wortes in der Narratio (wie Anm. 15), S. 240 = Gesta Federici I. (wie Anm. 15), S. 16, Anm. a, (dazu oben Anm. 32), an 11 Stellen um spätere „gelehrte“ Verbesserung von Lo Kürzungsstrich bardi/a in Longobardi/a handeln dürfte, während dreimal die sogar in noch ältere Zeit weisende Lesart Logombardi/a und zweimal die in der Piacentiner Überlieferung vorherrschende, sozusagen „antistaufische“ Variante Lonbardia (dazu oben Anm. 32) übersehen, weil nicht korrigiert wurden. Möglicherweise spiegelt sich in der ersten, originalen Verwendung von Longobardia am Anfang der Narratio noch jene tastende Suche nach der Schreibweise, die auch in den frühen Urkunden der societas Lombardiae vorzuliegen scheint, dazu unten Anm. 49. 38  Allerdings ist das langobardische Rechtsbekenntnis in Mailand und Piacenza bereits früh, nämlich 1169, letztmals urkundlich bezeugt, vgl. Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 308, Anm. 75. Weil die Kommunen zum 13. Jh. hin ein einheitliches Recht für alle Schwurgenossen schufen, hielten sich damals nur noch im Privatrecht Relikte der langobardischen Rechtstradition, vgl. ebd., S. 307f. mit Anm. 70–74.



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bündeten.39 Zu diesen zählten die Schwurgenossen der 1111 von den Mailändern zerstörten Stadt Lodi. Dort entstand das andere frühe lombardische Laiengeschichtswerk, das Vater und Sohn Otto und Acerbus Morena quasi als literarische Gegenspieler des Mailänder Anonymus schufen. Allerdings eigneten sich die Mailänder dieses Werk in den 1220er Jahren an und gaben ihm in der Zeit der ausgebildeten Kommune eine mailändische Tendenz.40 Doch unabhängig von ihrem jeweiligen Standpunkt sahen sich alle Autoren der Barbarossazeit durch den Kampf gegen bzw. mit Friedrich I. dazu gezwungen, von der jeweils eigenen Kommune abzusehen und einen gemeinsamen Begriff für alle Kommunen zu bilden. Die lombardischen Laienautoren der Barbarossazeit verstanden sich nämlich zunächst einmal wie die Geistlichen des 11. Jahrhunderts als Einwohner ihrer Stadt und die Laien als Schwurgenossen ihrer Kommune. Deshalb handeln in den Laiengeschichtswerken des 12. Jahrhunderts vor allem Mediolanenses und Laudenses. Die Laudenses standen zusammen mit Cremonenses und Papienses auf Seiten des Kaisers und seiner Theotonici gegen die Mediolanenses und ihre Verbündeten, die Cremenses, Placentini, Terdonenses et alii. Die Namensaufzählung sollte verwirren und so deutlich machen, dass bereits die Laienautoren und ihre Schwurgenossen nach der Mitte des 12. Jahrhunderts gezwungen waren, einen gemeinsamen Begriff zu finden für die, die auf Seiten des Kaisers

39  Zur kaiserlichen Beherrschung der Lombardei am Beispiel von Piacenza vgl. Pierre Racine, Frédéric Barberousse (1152–1190), Paris 2009, S. 241–244, oder Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), S. 261–263 und 319; knapper Ferdinand Opll, Friedrich Barbarossa, 4. Aufl., Darmstadt 2009 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 193f. 40  Die ursprüngliche Lodeser Fassung der Morenae Historia (wie Anm. 15) wird allerdings nur in Handschriften des 15./16. Jh.s überliefert, weshalb anzunehmen ist, dass die dort fast durchweg gebrauchte Schreibweise Longobardi/a (außer S. 172, Z. 4 Lumbardi) ebenso eine humanistisch-neuzeitliche „gelehrte“ Korrektur ist, wie sie die sehr späte Abschrift der Narratio aufweist, dazu oben Anm. 37. Hingegen liegt die zweite, in Mailand um 1221 entstandene Fassung der Morenae Historia in Handschriften des 13./14. Jh.s vor und gebraucht durchweg die „staufische“ Lesart Lombardi/a (dazu auch Anm. 34 und 45), was insofern zu ihrer Bearbeitungszeit passt, als die Mailänder damals auf einen Ausgleich mit dem 1220 zum Kaiser gekrönten Friedrich II. hofften.

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kämpften,41 und für die, die gemeinsam gegen den Kaiser kämpften.42 Die Zeitgenossen fanden ihre Gemeinschaftsbezeichnung nicht in dem zwar bekannten, aber nur sehr spärlich benutzten geografischen Begriff Italia, vielmehr fanden die Laienautoren ihre Gemeinschaftsbezeichnung in der von außen43 an sie her-

41  Ottonis Morenae Historia (wie Anm. 15), S. 85, Z. 11f. und 32, S. 89, Z. 20 und 40, S. 95, Z. 9 und 30, sowie S. 103, Z. 5f. und 23f., gebraucht durchweg die Verbindung Teutonici et Longo- (= erste Zeilenangabe der spät überlieferten Lodeser) bzw. Lombardi (= zweite Zeilenangabe der älter überlieferten Mailänder Fassung, dazu oben Anm. 40) jeweils dann, wenn die Männer Friedrichs I. gemeinsam mit ihren italienischen Verbündeten handelten. Auch Acerbi Morenae Historia (wie Anm. 15), S. 154, Z. 11 und 28, S. 163, Z. 4 und 23, sowie S. 171, Z. 3 und 20, benutzt diese Wortverbindung, allerdings finden sich S. 133, Z. 2 und 22, S. 136, Z. 9 und 33, S. 137, Z. 3 und 23, S. 138, Z. 6 und 26, S. 161, Z. 2 und 21, sowie S. 172, Z. 4 und 22, Longo- bzw. Lombardi auch einzeln genannt, doch sind, da meist auch Cremonenses und Papienses erwähnt werden, wiederum jeweils diejenigen gemeint, die wie auch S. 170, Z. 8 und 28, der Longobardus Wilhelm von Monferrat auf der Seite Friedrichs I. kämpften, allerdings S. 176, Z. 4 und 11, im Jahr 1164 schon sehr zögernd. In der Zeit des Aufbegehrens nach 1167 kennt die Continuatio Morenae Historiae (wie Anm. 15), S. 194, Z. 15 und 33, S. 195, Z. 7 und 32, sowie S. 197, Z. 11 und 30f., noch gemeinsam kämpfende Teutonici et Longo- bzw. Lombardi und S. 213, Z. 13 und 25, solche auf Seiten Friedrichs I. 42  Gemäß des Vorsatzes der Narratio (wie Anm. 15), S. 240 = Gesta Federici I. (wie Anm. 15), S. 14–16, nach der Stadtzerstörung von 1162 das Unglück Mailands als das der ganzen Longobardia herauszustellen, kennt der Text nur alle Longobardi (zu der späteren, „gelehrten“ Schreibweise Anm. 37); lediglich Narratio (wie Anm. 15), S. 240 = Gesta Federici I. (wie Anm. 15), S. 16, werden solche auf Seiten Friedrichs I. erkennbar, während die ab 1167 genannten eindeutig die gegen den Kaiser verbündeten sind, nämlich Narratio (wie Anm. 15), S. 288, 290 und 292 = Gesta Federici I. (wie Anm. 15), S. 61, 62, 63 und 64. Hingegen bezeichnet Morenae Historia (wie Anm. 15), mit Longo- bzw. Lombardi durchweg die auf der Seite Friedrichs I. stehenden (dazu die vorherige Anm. 41); doch ihr gemeinsamer Fortsetzer, der die kaiserliche Beherrschung der Lombardei nach Mailands Zerstörung erlebte (dazu oben Anm. 39), nennt nunmehr übergreifend die darunter Leidenden: Continuatio Morenae Historiae (wie Anm. 15), S. 178, Z. 15 und 31, S. 179, Z. 21 und –, S. 180, Z. 15 und –, S. 181, Z. 10 / 12 und 30 / 32, sowie schließlich die 1167 aufbegehrenden S. 184, Z. 6 und (25), sowie S. 196, Z. 5 und –. 43  Die „Auswärtigen“ gebrauchten bis in die Frühstauferzeit vor allem die Regionalbezeichnung, wozu neben den Anm. 33–35 genannten noch verwiesen sei auf das erste Genueser Laiengeschichtswerk (dazu Schweppenstette, Die Politik der Erinnerung [wie Anm. 14]): Cafari Annales a. 1099–1163, in: Annali genovesi di Caffaro e de’ suoi continuatori dal MXCIX al MCCXCIII, 1–5, hg. von Luigi Tommaso Belgrano und Cesare Imperiale di Sant’Angelo, Genua und Rom 1890–1929 (Fonti per la storia d’Italia 11–14bis), 1, S. 1–75, benutzen nur die Regionalbezeichnung, während sein unmittelbarer Nachfolger (Oberti cancellarii Annales a. MCLXIV–MCLXXIII, ebd. S. 151–269) als Zeitgenosse des „Ersten Lombardenbundes“ bereits Einwohner- und Regionalbezeichnung im Verhältnis 7 zu 5 gebraucht, die Nachweise im Einzelnen bietet Annali genovesi di Caffaro, 5, S. 215a. Ein anderer bis 1178 berichtender Zeitgenosse, der von Unteritalien nach Norden blickte, sah um Mailand herum ganz selbstverständlich die Lombardia, gebrauchte allerdings doppelt so häufig die Personenbezeichnung Lombardi, nämlich Romualdi Salernitani Chronicon, hg. von Carlo Alberto Garufi, Città di Castello 1909–1935 (Rerum Italicarum Scriptores² 7.1), S. 365a–b



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angetragenen Regionalbezeichnung Lonbardia, weniger fanden sie ihre Benennung in der Einwohnerbezeichnung Lombardi,44 die ihr Gegner Friedrich I. Barbarossa zu benutzen begann.45 Hingegen verkürzten die Laienautoren schon bald

Lombardi und S. 365b Lombardia. Ein dritter Zeitgenosse des „Ersten Lombardenbundes“ aus Pisa (vgl. Engel, „Geschichte für kommunale Eliten“ [wie Anm. 14]) hingegen benutzte konsequent nur die Regionalbezeichnung, allerdings sowohl mit der „Piacentiner“ Lesart Lonbardia (dazu oben Anm. 32) als auch mit der älteren Schreibweise Longobardia, nämlich Bernardi Maragonis Annales Pisani ab anno 1004 usque ad annum 1175, hg. von Michele Lupo Gentile, Gli Annales Pisani di Bernardo Maragone, Bologna 1936 (Rerum Italicarum Scriptores² 6.2), S. 149b, die Einzelnachweise. 44  Die Einwohnerbezeichnung ist in den MGH Diplomata (wie Anm. 1) im 11. und frühen 12. Jh. vorwiegend im Zusammenhang mit den leges und reges Langobardorum bezeugt (dazu oben Anm. 25). Auf die Einwohner allein bezogen, tritt Langobardus nicht auf, die Anrede Omnibus Longobardis überliefert DH. III. 293 (1052 Juni 17), S. 398, Z. 32f., nur in einer Abschrift des 13. Jh.s, während Longobard(ic)us als Adjektiv erst in dem abschriftlich aus dem 13. bzw. 14. Jh. erhaltenen DH. IV. 334 (1081 Juni 23) S. 438, Z. 32 und 48, sowie seiner ebenso spät überlieferten Nachurkunde DH. IV. 357 (o. D.) S. 472, Z. 19 und 47, bezeugt ist, doch kann die Verwendung des Adjektivs am Ende des 11. Jh.s als gesichert gelten, weil damals DK. II. 275 (o. D.) S. 381 mit Z. 33 Longobardi iudices und Z. 35 reus Longobardus abgeschrieben wurde. Hingegen bietet bereits das Original DF. I. 362 (1162 Mai 11) S. 213, Z. 23, die staufische Verkürzung Lombardi, dazu auch die folgende Anm. 45. 45  Einhergehend mit dem intensiveren Einwirken auf Oberitalien (vgl. dazu auch Jörg W. Busch, „Die Diplome der Salier als Spiegel ihrer Italienpolitik“, in: Die Salier, das Reich und der Niederrhein, hg. von Tilman Struve, Köln u. a. 2008, S. 283–302) steigen die Belege für die Einwohnerbezeichnung in den DDF. I. deutlich an. Unter Außerachtlassung der erst später abschriftlich überlieferten Stücke ergibt sich, dass folgende Schreibweisen bezeugt sind: – die „gelehrte“ Schreibweise Longobardi (dazu oben Anm. 37) bieten die gleichzeitige Abschrift in der Admonter Briefsammlung DF. I. 317 (nach 1160 August 8) S. 140, Z. 18 und 30, das außerhalb der Kanzlei verfasste DF. I. 645 (1175 gegen Ende) S. 146, Z. 27, das in Cremona verwahrte Original einer protokollarischen Niederschrift DF. I. 660 (1176 Dezember 12) S. 167, Z. 27 und 43 sowie S. 168, Z. 1, 10, 16, 17 und 18; – die staufische Verkürzung Lombardi wie in Friedrichs I. Brief an Otto von Freising (dazu oben Anm. 33) bieten die im Original erhaltenen DF. I. 362 (1162 Mai 11) S. 213, Z. 23, und DF. I. 653 (1176 Juli 29) S. 158, Z. 31 und 38f., sowie die gleichzeitige Kopie der Abmachung von Anagni DF. I. 658 (1176 November) S. 163, Z. 24, 25 und 28 sowie S. 65, Z. 18, das Original DF. I. 663 (wohl 1176) S. 171, Z. 34, und die gleichzeitige Abschrift der Bedingungen für den Frieden von Venedig DF. I. 687 (1177 Juli 22) S. 205, Z. 23, 24, 33 und 36; – die „Piacentiner“ Variante Lonbardi (dazu oben Anm. 32) bietet die gleichzeitige unbeglaubigte und in Piacenza verwahrte Abschrift der Erklärung, den Vertrag von Montebello einhalten zu wollen, DF. I. 650 (1176 Ende Juni oder Juli) S. 155, Z. 10, 12 und 17. Stünde der Platz zur Verfügung, ließe sich zeigen, dass alle drei Lesarten auch in den von kommunalen Libri iurium des 13. Jh.s überlieferten DDF. I. auftreten (dazu auch unten Anm. 49); hier sei nur noch darauf verwiesen, dass der Vertrag von Montebello (= Atti, Nr. 94 [wie Anm. 48] S. 132f.), den das Registrum magnum von Piacenza überliefert, konsequent

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die ältere Schreibweise Lango- oder Longobardia, die von außen an sie herangetragen worden war und die erst wieder in die spätmittelalterlich-neuzeitlichen Abschriften ihrer Werke gleichsam als gelehrte Lesart übernommen wurde. Zu Zeiten der Stauferkaiser sowohl Friedrichs I. Barbarossas als seines Enkels Friedrichs II. hingegen schrieben die Kaisergegner das Wort Lonbardia, der Kaiser und seine oberitalienischen Verbündeten hingegen Lombardia. Beide Lesarten aber verkürzten eindeutig das auf seinen Ursprung verweisende Wort Longobardia und verschleierten damit, dass die Benennung der Region auf die frühmittelalterlichen Langobardi zurückging, wie noch weiter zu begründen ist. Für die Abneigung, sich nicht nur auf Seiten der Kaisergegner von den einstigen Eroberern herzuleiten, spricht auch der statistische Befund, den die ersten Laiengeschichtswerke liefern: Wie bei seinen literarischen Gegenspielern aus Lodi die Regionalbezeichnung Lombardia tritt bei dem Mailänder Anonymus und 60 Jahre später bei seinem Piacentiner Bearbeiter Johannes Codagnellus die Regionalbezeichnung Lonbardia weitaus häufiger auf als die Einwohnerbezeichnung Lombardi in Lodi oder Lonbardi in Mailand.46 Gegen das Auszählen von Lesarten mögen sich Bedenken erheben, weil die bloße Statistik zu wenig Rücksicht nimmt auf die literarischen Verwendungszusammenhänge. Deshalb sei als ein deutliches Argument dafür, dass die Bewohner der zentralen Po-Ebene sich in der Barbarossazeit keineswegs stolz der namengebenden Langobardi erinnerten, die Selbstbezeichnung herangezogen, die sie wählten, nachdem

(nämlich DF. I. 638 [1175 April 16/7] S. 136, Z. 24, 30 und 34 sowie S. 138, Z. 12 und 14) die „Piacentiner“ Lesart Lonbardi bietet. 46  Ganz ausgeprägt überwiegen in der Morenae Historia (wie Anm. 15) 45 Erwähnungen der Longobardia bzw. in der Mailänder Fassung der Lombardia gegenüber 15 Nennungen der Longobardi bzw. Lombardi. Bei Vater Otto Morena, dem ersten Autor, beträgt das Verhältnis zwischen Regional- und Personenbezeichnung allerdings deutliche 18 zu 4, während bei seinem Fortsetzer und Sohn Acerbus beide Bezeichnungen ausgewogen, nämlich 12mal, auftreten, hingegen beträgt bei ihrer beider Fortsetzer, der vielleicht wieder der Vater gewesen sein könnte, das Verhältnis zwischen Regional- und Personenbezeichnung wieder 15 zu 9 und entspricht fast dem von 10 zu 7 in der Mailänder Fassung der Narratio (wie Anm. 15) = Gesta Federici I. (wie Anm. 15). Dieses Verhältnis, dass die Personen- nur 60–70 Prozent der Regionalbezeichnungen ausmachen, wird mit 20 zu 12 auch in der Piacentiner Überarbeitung der Narratio (wie Anm. 15), Iohannis Codagnelli Libellus tristitie (wie Anm. 32), beibehalten, die gegenüber der ursprünglichen Fassung doppelt so oft Lonbardia zusätzlich einfügt wie Lonbardi. Bezeichnend für die Zurückhaltung des Johannes Codagnellus bei der Verwendung der Personenbezeichnung ist, dass er pax ... per totam Lonbardiam an Stelle von Narratio (wie Anm. 15), S. 260 = Gesta Federici I. (wie Anm. 15), S. 34, inter omnes Lomgobardos pax setzt. Mit einem Verhältnis von 37 zu 16 tritt die Regional- gegenüber der Personenbezeichnung schließlich deutlich in den Vordergrund von Iohannis Codagnelli Annales Placentini, hg. von Oswald Holder-Egger, Hannover und Leipzig 1901 (MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 23).



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sich 1167 Kaisergegner mit den vormals Kaisertreuen in einer überkommunalen Schwurvereinigung zusammengeschlossen hatten. Diese wird zwar heute allgemein Lombardenbund genannt, doch ist diese Bezeichnung nicht zeitgenössisch. Ebenso wenig folgt die italienische Version Lega Lombarda dem Sprachgebrauch der Barbarossazeit.47 Denn die Schwurgenossen von 1167 nannten sich eben nicht societas Longobardorum oder societas Lombardorum, eben nicht Gemeinschaft der Langobarden oder Bund der Lombarden,48 sie gaben sich vielmehr den Namen societas Lonbardiae, Bund der Lombardei, der auf kaiserlicher Seite als societas Lombardiae 1177 Anerkennung fand.49

47  Zum „Ersten Bund der Lombardei“ von 1167 vgl. die ältere Literatur bei Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 293, Anm. 14. Zu dem angeblichen, noch von der jüngeren italienischen Politik herangezogenen Schwur von Pontida am 7. April 1167, vgl. die Verweise von Opll, Stadt und Reich (wie Anm. 13), S. 335, Anm. 146, der zugleich betont, dass der Bund schon im März 1167 bestand, was durch Atti, Nr. 50 (wie Anm. 48) belegt ist, so auch Gianluca Raccagni, The Lombard League 1167–1225. A British Academy Postdoctoral Fellowship Monograph, Oxford und New York 2010, S. 40. Zum Sprachgebrauch des „Ersten Bundes der Lombardei“ vgl. auch Giancarlo Andenna, „Il concetto geografico-politico di Lombardia nel Medioevo“, in: Vita e pensiero 79 (1996), S. 653–668, S. 655–661. 48  Weil die Storia diplomatica della Lega Lombarda, hg. von Cesare Vignati, Mailand 1866, nicht zur Verfügung stand, werden herangezogen Gli atti del comune di Milano fino all’anno MCCXVI, hg. von Cesare Manaresi, Mailand 1919, um zu belegen, dass unter den Schriftstücken des „Bundes der Lombardei“ nur die Abmachungen mit Friedrich I. oder seine Verlautbarungen überhaupt die Einwohnerbezeichnung benutzen: Atti Nr. 94 (1175 April 16/7: der Vertrag von Montebello) S. 132f. = DF. I. 638 (wie Anm. 45) S. 136 und 138 Lonbardi, Atti Nr. 95 (1175 April: beiderseitiger Eid) S. 134, Z. 32f. = MGH Constitutiones 1, S. 342, Z. 2, Nr. 243 Lonbardi, Atti Nr. 113 (1177 Oktober 22) S. 156, Z. 5f., Transumpt von DF. I. 712 (1177 September), S. 247, Z. 20 Lombardi, Atti Nr. 136 (1183 April 30: gegenseitiger Friedensschwur von Piacenza) Überlieferung D S. 192, Z. 44 = MGH Constitutiones 1, S. 406, Z. 31, Nr. 291 Lonbardi, Atti Nr. 139 (1183 Juni 25: Konstanzer Frieden) S. 198, Z. 31 und S. 204, Z. 8 = DF. I. 848, S. 72, Z. 3 und S. 76, Z. 1 Lombardi, Atti Nr. 140 (1183 November 22: Treueid der lombardischen Gesandten) S. 206, Z. 30f. societas Lombardorum = MGH Constitutiones 1, S. 419, Z. 21, Nr. 294. 49  Das Schriftgut, das der „Bund der Lombardei“ zu seinen gleichsam inneren Angelegenheiten hervorbrachte, benutzte konsequent die Regionalbezeichnung, die zu den consules, dann rectores und zu den civitates, homines, illi, nobiles, partes sowie zu der societas hinzugesetzt wurde; alle Stellen verzeichnen die Atti (wie Anm. 48) S. 626c–627a. Diese Schriftstücke sind wie die einschlägigen DDF. I. (wie Anm. 45) überwiegend in die kommunalen Libri iurium eingetragen worden: Die für die Piacentiner Geschichtsüberlieferung (wie Anm. 32) so kennzeichnende Lesart Lonbardia findet sich vor allem mit den Atti Nrr. 95f., 132–134, 137, 147 und 191 in dem Modeneser Registro dei privilegi aus dem Anfang des 13. Jh.s, während das ebenfalls in dieser Zeit entstandene Registrum magnum von Piacenza nur mit dem Montebello-Vertrag (wie Anm. 45) = Atti Nr. 93 und mit Atti Nr. 163 Lonbardia bietet, hingegen die von der anderen Seite formulierten Atti Nr. 136 und 182 Lombardia. Das ebenfalls im frühen 13. Jh. angelegte Bologneser Registro grosso benutzt mit den Atti Nr. 78f., 89, 100, 110, 113 und 147 die „staufische

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Wir, die Bewohner der Lonbardia, nicht wir, die Langobardi, höchstens verschleiernd wir, die Lonbardi, auf der einen Seite und auf der anderen eben die Anderen, die aus der Toskana, aus der Romagna, aus der Mark Trevisio50 und vor allem die aus dem Norden, die Theotonici, so zu unterscheiden, wurde in der Zeit nach 1167 auch in der zentralen Po-Ebene geläufiger. Doch zerbrach die Gemeinschaft der Lombardei, nicht der Lombarden, bald nach 1184, bald nach dem Frieden von Konstanz. Die ausgebildeten Kommunen verfielen wieder in ihre uralten Rivalitäten, man verstand sich wieder vor allem und zunächst als Schwurgenosse der eigenen Kommune; der Gemeinschaftsbegriff Lonbardi fand keine Anwendung mehr für einander bekämpfende Städtekoalitionen.51 Zugleich lebte im Einwohnerbewusstsein das von den Geistlichen des 11. Jahrhunderts grundgelegte Wissen weiter, dass die grausamen Langobarden einst die eigene Heimat angegriffen hatten, dass aber die seit undenklichen Zeiten eigenständigen Einwohner der Lonbardia die, was man geflissentlich verdrängte, namengebenden Langobardi abgewehrt hatten wie alle anderen Angreifer, wie

Lesart“ Lombardia (dazu oben Anm. 46). Der Lodeser Liber iurium von 1284 bietet Schriftstücke aus der Frühzeit des „Bundes der Lombardei“, die (wenn es sich nicht um einen Zufall der Überlieferung handeln sollte) ein Tasten bei der Schreibweise erkennen lassen, wie auch Andenna, „Il concetto geografico-politico“ (wie Anm. 47), S. 657, bemerkt hat, bieten doch Atti Nr. 63 (1168) und Nr. 77 (ca. 1170) Longobardia, hingegen Atti Nr. 69f. (1169) und Nr. 83 (1172 o. D.) Lombardia. Im Original erhalten sind nur vier Urkunden, wobei die frühen Atti, Nr. 86 (1173 Februar 20) S. 122, Z. 27, und Nr. 98 (1175 Juli bis Dezember) S. 139, Z. 16, aus dem Archiv des Kloster Chiaravalle die „staufische Lesart“ Lombardia aufweisen, während die späten Atti Nr. 122 (1180 Dezember 28) S. 169, Z. 28, ausgestellt von einem Mailänder Notar, in dem Lodeser Bischofsarchiv und Nr. 389 (1215 Juni 20) S. 516, Z. 33, entstanden unter Mailänder Vermittlung, in dem Vercelleser Kommunalarchiv dann die „Piacentiner“ Variante Lonbardia bieten. Ohne auf die Schreibweisen dieses Wortes einzugehen, stellt Raccagni, The Lombard League (wie Anm. 47), S. 74–80, die hier genannten Überlieferungsträger vor. 50  Der Zusammenschluss von Venecia et civitates Marchie, et Lombardie et Romanie, so erstmals Atti (wie Anm. 48) Nr. 69 (1169 Oktober 24) S. 99, Z. 42f., firmierte bereits damals als societatis Lombardie et Marchie et Romanie et Venetie, so Atti Nr. 70 (1169 ca.) S. 100, Z. 27, und in der Folge als societas Lombardie, Marchie et Romanie, so Atti Nr. 79 (ca. 1170) S. 116, Z. 21f.; die weiteren Belege verzeichnen die Atti, S. 709c unter societas, S. 631a unter Marchia, S. 664c unter Romania und S. 677a unter Venetia. 51  Iohannis Codagnelli Annales Placentini (wie Anm. 46) bieten die Regional- wie die Einwohnerbezeichnung überhaupt nicht in der Zeit um 1200 und von 1213 bis 1225, als inner- und zwischenkommunale Konflikte vorherrschten, nur bei ihrem Friedenschluss 1194 finden ebd. S. 22, Z. 4, die civitates Lonbardie Erwähnung. Erst als sich die zweite societas Lonbardie formierte (dazu unten Anm. 57), finden sich in Iohannis Codagnelli Annales Placentini (wie Anm. 46) wieder die Begriffe Lonbardi (letztmals zu 1185, S. 13, Z. 10) und Lonbardia (zuvor allerdings immer dann, wenn ein Herrscher oder sein Gesandter in Lonbardiam erschien: 1187, S. 15, Z. 10, 1194, S. 22, Z. 6f., 1209, S. 37, Z. 10 und 22f., sowie 1212, S. 39, Z. 14).



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transalpine Gallier, wie rohe Theotonici, wie treulose Ungarn, wie Römer und Franken.52 Die Geschichte von dem großen Abwehrkampf der Lonbardi gegen die Langobardi ist für den kritischen Historiker hanebüchen, doch spiegelt sie auf das deutlichste wieder, dass die kommunalen Schwurgenossen im Kampf gegen die Staufer zwar, wenn nötig, bereit waren, sich nach der von außen an sie herangetragenen Bezeichnung ihrer Region zu benennen, den eigentlichen Ursprung dieses Namens aber schlicht leugneten. Die eben erwähnte Geschichte von dem großen Abwehrkampf der Lonbardi gegen die Langobardi findet sich um 1220 in den Geschichtserzählungen des Johannes Codagnellus aus Piacenza, einer mit Mailand traditionell verbündeten Stadt.53 Die nach modernen Maßstäben abstrusen Geschichtsvorstellungen des Piacentiner Notars gingen ein in die heute verlorenen großen Mailänder Kommunalannalen, die nur noch in den Geschichtsenzyklopädien des Mailänder Dominikaners Galvaneus Flamma zu erkennen sind, der gegen 1340 unter der Signorie wirkte. Mit seinen Enzyklopädien aber war der Gegensatz „Wir, die Lonbardi, und die Anderen, die Eroberer, die Langobardi“ gleichsam für die Zukunft festgeschrieben.54 Schon bevor Galvaneus Flamma unter der Herrschaft des Signore seine großen Enzyklopädien kompilierte, rückten die frühmittelalterlichen Langobarden in ein etwas günstigeres Licht, denn der Signore beanspruchte ihren letzten König Desiderius, den man fälschlich für den ersten christlichen König der Langobarden hielt, als seinen eigenen Vorfahren.55 Nach 1250 aber, als die

52  Iohannis Codagnelli Liber rerum gestarum (wie Anm. 16), fol. 43a bzw. S. 475. 53  Ebd. fol. 44c–45a bzw. S. 479f., oder die Paraphrase von Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 289. Die dort folgende Deutung der Erzählung haben aufgegriffen Thomas, „Die Wahrnehmung“ (wie Anm. *), S. 73f., sowie Andenna, „Il concetto geografico-politico“ (wie Anm. 47), S. 653f., und Walter Pohl, „Memory, Identity and Power in Lombard Italy“, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, hg. von Yitzhak Hen und Matthews Innes, Cambridge u. a. 2000, S. 9–28, der S. 27f. betont, dass sich die historische Überlieferung nicht unbegrenzt verformen lasse, mithin die Lombarden über die Langobarden hätten siegen müssen, weil die Erinnerung an sie im Namen der zentralen Po-Ebene fortlebte. Doch genau gegen diese Herleitung schrieb Johannes Codagnellus vehement an, der auch die Ableitung des Namens selbst nirgends ansprach, denn was in der Handschrift mit seinen Werken fol. 56a–57a zu lesen ist, stammt nicht von ihm, dazu unten Anm. 58. 54  Die Geschichte von der Abwehr der Langobarden durch die Lombarden (wie Anm. 53), die Iohannis Codagnelli Liber rerum gestarum (wie Anm. 16), fol. 43a–52c bzw. S. 476–499, mit den anderen erfolgreichen Abwehrkämpfen beschreibt, wird aufgegriffen von Galvanei Flammae Manipulus florum (wie Anm. 20), cap. 51, Sp. 574Cf. 55  Erstmals greifbar wird diese Herleitung, als die Signorie noch zwischen Torriani und Visconti umkämpft war, in der zwischen 1264 / 1267 und 1275 entstandenen Chronica Danielis (wie Anm.

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 Jörg W. Busch

Signorie noch umkämpft war, traten die Regionalbezeichnung Lombardia und die Einwohnerbezeichnung Lombardi deutlichst in den Hintergrund,56 nachdem sie, wie bereits erwähnt, während des großen Abwehrkampfes gegen den letzten Stauferkaiser Friedrich II. in den Jahren zwischen 1226 und 1250 noch einmal wiederaufgelebt waren,57 als nämlich der Gegensatz „Wir, die Einheimischen, und die Anderen, die Unterdrücker“ letztmals tagesaktuell war. Fünfzig Jahre später unter der als Herrschaftsform etablierten Signorie standen die laikalen Protohumanisten, die kurz nach 1300 historisch-kritisch zu arbeiten begannen, der auf die Langobarden zurückgehenden Regional- wie der Einwohnerbezeichnung

20), S. 165–191 und 376–391. 56  Wiewohl die Geschichtserzählungen der Chronica Danielis (wie Anm. 20), cap. 9f., S. 173–176, mit ihrer Darstellung des Desiderius einer positiveren Bewertung der einstigen Eroberer als Vorfahren des sich etablierenden Signore Vorschub leisten, verorten sie aber dessen Herrschaft eindeutig im regnum Italicum (cap. 9, S. 173, Z. 235) bzw. im regnum Italie (cap. 11, S. 176, Z. 372), das cap. 10, S. 175, Z. 309–315, umschrieben wird mit der angeblichen Abgrenzung von Einflusssphären zwischen dem Langobardenkönig Desiderius und dem Frankenkönig Karl. Die Erzählungen von den Vorfahren des Signore, die Friedrich I. Barbarossa fast vollständig vernichtet habe, gebrauchen die Einwohnerbezeichnung Lombardi überhaupt nicht, die Regionalbezeichnung nur einmal bezogen auf zehntpflichtigen Grundbesitz (cap. 25, S. 183, Z. 706: de terris Lombardie). Zu dem Verschwinden des politischen Begriffs der Lombardia nach 1250 vgl. mit weiteren Beispielen Andenna, „Il concetto geografico-politico“ (wie Anm. 47), S. 665–668. Auch anhand der Annali genovesi 1–5 (wie Anm. 43), die den Zeitraum vom ausgehenden 11. bis zu dem ausgehenden 13. Jh. abdecken, lässt sich zeigen, dass die Einwohner- nur dann die Regionalbezeichnungen teils deutlich überwogen, wenn Mailands Verbündete sich in ihrer societas zusammengeschlossen hatten, also während des Ersten Bundes (dazu oben Anm. 43) und während des Zweiten, über den Bartholomei scribae Annales Ianuenses a. 1225–1248 berichten, vgl. Registernachweise zu diesem Teil ebenso bei Imperiale di Sant’Angelo, Annali genovesi 5, S. 215a, wie für die übrigen Teile, in denen die Einwohnerbezeichnung deutlich zurücktritt, nämlich 1174–1224 = Annali genovesi 2; 1251–1279 = Annali genovesi 4 und 1280–1293 = Annali genovesi 5. 57  Zu dem „Zweiten Bund der Lombardei“ von 1226, den Raccagni, The Lombard League (wie Anm. 47), erklärtermaßen nicht mehr behandelt, vgl. die Literatur bei Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 293, Anm. 15, sowie zu seinem Sprachgebrauch auch Andenna, „Il concetto geografico-politico“ (wie Anm. 47), S. 661–665. Der Zusammenschluss nannte sich selbst societas Lonbardie, wie der Piacentiner Propagandist lombardischer Eigenständigkeit in seiner Zeitgeschichtsdarstellung bezeugt: Iohannis Codagnelli Annales Placentini (wie Anm. 46), S. 83, Z. 20, S. 87, Z. 26, S. 89, Z. 31, S. 93, Z. 39, S. 99, Z. 19, S. 101, Z. 18f., S. 103, Z. 11 und 27, S. 109, Z. 9, S. 110, Z. 32, und S. 111, Z. 26. Seine Darstellung bot die Grundlage für die heute verlorenen großen Mailänder Kommunalannalen (dazu Busch, Die Mailänder Geschichtsschreibung [wie Anm. 1], S. 107–117), die wiederum Verwendung fanden für Galvanei Flammae Manipulus florum (wie Anm. 20), beispielsweise cap. 263f., Sp. 671A–E, die oben zitierten Stellen von Iohannis Codagnelli Annales, wobei allerdings nun die Mailänder als Haupthandelnde in Erscheinung treten, die societas nicht mehr, deren Lesart Lombardia im Manipulus angesichts seines Druckes von 1727 nicht überinterpretiert werden sollte.



Wir und die Anderen 

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unbefangener gegenüber,58 zogen aber eindeutig, ihrer Beschäftigung mit der Alten Welt entlehnt, Liguria und Ligures vor,59 wenn sie denn einmal die Städte übergreifend einen Gemeinschaftsbegriff benutzten, den sie damals aber, als die Signorie zwischen einzelnen Familien noch umkämpft war, meist in den Parteibezeichnungen Guelfen und Ghibellinen,60 Torriani und Visconti, Papst- und Reichstreue, fanden. Als der 1395 zum Herzog erhobene Signore Giangaleazzo Visconti, der die namengebenden Langobarden zu seinen Vorfahren und Vorgängern rechnen ließ, nach einer Königsherrschaft im Umfang der alten langobardischen strebte, ergab sich, wie nur noch kurz erwähnt werden kann, eine neue Konstellation für

58  Iohannis de Cermenate […] Historia (wie Anm. 20), cap. 5, S. 14, Z. 4–9, vermerkt erstmals als Mailänder Autor ausdrücklich, dass die terra ihren Namen Lombardia von den Longobardi erhalten habe, die unter Alboin in Italia eingefallen waren und die terra besetzt hatten. Zwar bietet auch die Handschrift Paris, BNF, lat. 4931, fol. 56a–57a, an ihrem Schluss, wie Holder-Egger, „Über die historischen Werke“ (wie Anm. 16), S. 506f., angibt, eine Istoria Longobardorum, hg. von Georg Waitz, in: MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum, Hannover 1878, S. 196f., welche ebd. S. 196, Z. 7–13, die Lombarden von den Langbärten herleitet, doch ist dieses Stück nicht von Johannes Codagnellus bearbeitet, sondern später seinen Werken hinzugefügt worden. 59  Wiewohl der Protohumanist Johannes de Cermenate der Regional- wie der Einwohnerbezeichnung Lombardia bzw. Lombardi unbefangen gegenüberstand (dazu die vorherige Anm. 58), zog er doch, belehrt durch seine Beschäftigung mit der Alten Welt, die dort herrührenden Benennungen Liguria bzw. Ligures vor: Dabei bezeichnet eiusdem Historia, cap. 29 (wie Anm. 58) S. 65, Z. 211f., Städte wie Lodi, Cremona und Brescia als Ligurum urbes, auch setzt cap. 18, S. 40, Z. 14, und cap. 34, S. 77, Z. 11, Ligures et Lombardi gleich. Nicht so häufig werden Italia und Italicus benutzt, wobei sich auch hier jenes deutlich „oberitalienische Italienverständnis“ verrät, das schon die älteren Autoren besaßen (dazu oben Anm. 27), so werden cap. 16, S. 36, Z. 203, die dortigen Parteienkämpfe als Italicum malum bezeichnet. – Der Protohumanist Benzo von Alessandria erstellte eine Enzyklopädie der alten Welt, so dass zwangsläufig, auch in dem hier nur ausgewerteten Teil zur Frühgeschichte der Stadt Mailand (Benzo d’Alessandria, hg. von Joseph R. Berrigan [wie Anm. 20], S. 141–165), die Bezeichnung Italia vorherrscht, nämlich 24mal gegenüber zweimal Liguria und dreimal Ligures. Allerdings blickte Benzo auch weit in das Mittelalter aus, so kennt er die frühmittelalterlichen Langobardi, ihre Könige und ihren Geschichtsschreiber Paulus (S. 143, 153, 161 und 162). Daher spiegelt seine einleitende Definition die Kenntnis aller Bezeichnungen: Mediolanum in Italia olim Ligurum nunc Langobardorum florentissima et opulentissima civitas (est, S. 141). Die Longobardi hingegen kennt Benzo nur in einer Liste der Eroberer (S. 165) und die Lombardi nur im Zusammenhang mit jenem comes Italie, den die Chronica Danielis (wie Anm. 20) in die Welt setzte (S. 158). Die heimische Regionalbezeichnung fließt ihm nur einmal in die Feder, als er von planum Lombardiae spricht (S. 143). 60  Beispielsweise Iohannis de Cermenate […] Historia (wie Anm. 20), cap. 16, S. 30, Z. 26f. Zu den Parteienbezeichnungen vgl. Peter Herde, „Guelfen und Ghibellinen“, in: Friedrich II. Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994, hg. von Arnold Esch und Norbert Kamp, Tübingen 1996 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), S. 50–66.

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den Gegensatz „Wir und die Anderen“. Die Anderen waren im Spätmittelalter nicht mehr die Theotonici, sondern vor allem die Florentiner, die stolz ihren römischen Ursprung behaupteten und gegen die barbarische Tyrannei des Visconti agierten.61 Bereits Dante Alighieri hatte den Barbarenvorwurf gegen den Norden Italiens erhoben,62 so dass sich lombardische Autoren auch des Spätmittelalters nicht gerne an die namengebenden Langobarden erinnerten. Vielmehr betonten sie wie schon die Geistlichen im 11. Jahrhundert, wie erst recht die kommunalen Autoren der Stauferzeit und schließlich die Autoren unter der Signorie einen eigenständigen, Rom gleichrangigen, dann vorrömischen und schließlich sogar biblischen Ursprung ihrer Heimat.63 Die langobardische Phase der Geschichte ihrer Heimat schrumpfte zu einer Episode, während gleichzeitig alle Welt von den Geld wechselnden und leihenden Lombarden64 sprach, die sich selbst aber nicht gerne daran erinnern ließen, dass ihnen die barbarischen Langobarden den Namen gegeben hatten.

61  Zu der auch propagandistischen Auseinandersetzung zwischen Florenz und Mailand vgl. die Verweise von Busch, „Die Lombarden“ (wie Anm. 1), S. 310, Anm. 83, dems., „Von der Rückprojektion“ (wie Anm. 16), S. 51, oder dems., „Die vorhumanistischen Laiengeschichtsschreiber in den oberitalienischen Kommunen und ihre Vorstellungen vom Ursprung der eigenen Heimat“, in: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, hg. von Johannes Helmrath u. a., Göttingen 2002, S. 35–54, S. 53. 62  Vgl. beispielsweise Dantis Alagherii Epistola 5.4, in: Le lettere di Dante. Testo, versione, commento e appendici, hg. von Arnaldo Monti, Mailand 1921, S. 92–124, S. 104. 63  Letzterer blieb allerdings nicht unumstritten, vgl. beispielsweise Jörg W. Busch, „Certi et veri cupidus.“ Die Behandlung geschichtlicher Zweifelsfälle und verdächtiger Dokumente um 1100, um 1300 und um 1475. Drei Fallstudien, München 2001 (Münstersche Mittelalter-Schriften 80), S. 218 und S. 223, Anm. 95. 64  Vgl. dazu Reichert, Lombarden in der Germania-Romania (wie Anm. 5).

Joseph Dyer

St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy The first part of my title echoes that of a modern book by Barbara Rosenwein about the Burgundian abbey of Cluny and its exemption from local episcopal control, a privilege first granted by Pope John XI in 932 and later confirmed and extended to Cluny’s daughter houses by Pope John XIX (1024–1032).1 The exemption allowed the abbey to realize its reforming goals without the interference of bishops whose integrity could often be in doubt. The allusion to St. Peter also evokes an ideology promoted by popes of the eighth century (and occasionally earlier), who personified themselves as “St. Peter” or his vicar, a characterization that was extended to include the city of Rome and its inhabitants.2 Both of these allusions serve merely to introduce my topic: an exploration of the liturgical and musical heritage shared by St. Peter and his immediate “neighbors,” mainly the Lombards of the duchy of Benevento south of Rome.3 At first, the borrowings flowed from Rome to the periphery, but before the turn of the millennium that direction was reversed, though the exact trajectory taken by texts and music cannot always be determined.

The Popes and the Lombards The period during which the liturgy of Rome and other dioceses of Italy took definitive shape was one of almost constant political turmoil and distress in Italy. The Gothic Wars (535–554) had left hardly any corner of the peninsula untouched by devastation. Whatever belligerency did not lay waste fell victim to the plagues

1  To Be the Neighbor of Saint Peter: The Social Meaning of Cluny’s Property, 909–1049, Ithaca, 1989. 2  In the frescoes (ca. 1240) of the San Silvestro Chapel attached to the Roman church of SS. Quattro Coronati the face of St. Peter appearing to the emperor Constantine in a dream and that of Pope Silvester (314–335) are the same. The frescoes are most recently discussed in Ronald B. Herzman and William A. Stephany, “Dante and the Frescoes at Santi Quattro Coronati,” in Speculum 87 (2012), pp. 95–146. 3  This restriction imposes itself due to the virtual disappearance of the ancient rites observed in Ravenna, Aquileia, Milan, Naples, and Capua – to name just the most important Italian ecclesiastical centers.

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and natural disasters that followed the cessation of hostilities. The bitter conflict between Goths and Byzantines that lasted from 535 to 554 was followed by the Lombard invasion of the peninsula and further turmoil. The Lombards established a kingdom in northern Italy with Pavia as its capital.4 To the South, the duchy of Rome, still under imperial jurisdiction, was hemmed in by the Lombard duchies of Spoleto and Benevento. Difficulties arose over territorial claims to lands over which the popes exercised limited authority in the name of the emperor as well as over the Patrimony of St. Peter in Tuscany and southern Italy. The narrow route of communication between Rome and Ravenna was frequently imperiled, as was the security of the vast landholdings of “St. Peter” north of Rome and in central and southern Italy. In his letters and in the Dialogues, Pope Gregory the Great (590–603) portrayed the desperate conditions that ensued upon the arrival in Italy of the effera Langobardorum gens: “cities have been depopulated, fortresses razed, churches burned down, monasteries of men and women destroyed, estates have been abandoned by the population, and the fields deprived of their cultivators.”5 In 592, Gregory managed to reach a truce with Duke Ariulf of Spoleto (ca. 591–600), but the very next year he had to dissuade King Agilulf (590–616) to spare Rome by offering bribes and promise of tribute. On top of territorial crises, Gregory had also to care for the stream of refugees who had fled to Rome for protection against

4  On the early decades of the Lombard presence see Jan T. Hallenbeck, Pavia and Rome: The Lombard Monarchy and the Papacy in the Eighth Century, Philadelphia, 1982 (Transactions of the American Philosophical Society 72.4), pp. 5–19. The classic survey is Ottorino Bertolini, Roma e i Longobardi, Rome, 1972 (Istituto di Studi Romani), pp. 13–42. Of the many treatments of Lombard history, I have found most valuable Stefano Gasparri, “Il regno longobardo.” in Il regno dei Longobardi in Italia, Spoleto, 2004 (Istituzione e Società 4), pp. 1–92; and in the same volume Jean-Marie Martin, “La longobardia meridionale,” pp. 327–65. See also Caludio Azzara, “Spoleto e Benevento e il regno longobardo d’Italia,” in I Longobardi dei ducati di Spoleto e Benevento, Spoleto, 2003, 2 vols., pp. 105–204 (Atti del XVI Congresso Internazionale di Studi sull’Alto Medioevo: Spoleto, 20–23 agosto 2002, Benevento, 24–27 agosto 2002); Paolo Delogu, “Lombard and Carolingian Italy,” in The New Cambridge History of the Middle Ages, vol. 2, ed. Rosamond McKitterick, Cambridge, 1995, pp. 290–319 and 938–40; Neil Christie, The Lombards: The Ancient Longobards, Cambridge, 1995, pp. 69–108. See also the studies by Giancarlo Andenna and Jörg W. Busch in the present volume. 5  Grégoire le Grand: Dialogues, ed. Adalbert de Vogüé, 3 vols., Paris, 1978–1980 (Sources Chrétiennes, 251, 260, 265), vol. 2, p. 430 [3.38]: “Nam depopulatae urbes, eversa castra, concrematae eccelsiae, destructa sunt monasteria virorum atque feminarum. Desolata ab hominibus praedia atque ab omni cultore destituta in solitudine vacat terra.” Cf. Gregory’s letter to Emperor Maurice (5.37), which applies the apocalyptic tone more broadly to Europe as a whole (S. Gregorii Magni Registrum epistularum, ed. Dag Norberg, 2 vols., Turnhout, 1982 [Corpus Christianorum Series Latina 140–140A], vol. 1, pp. 308–11).



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Lombard plundering of the countryside.6 Is it any wonder that he developed a less than favorable view of them? There is no evidence, however, that Gregory (or any other pope) was ever physically threatened by Lombard rulers.7 Imperial authorities, bent on asserting their authority over a subject of the Empire who refused his assent to heretical doctrines preached from Constantinople, presented a more ominous peril. To cite only one extreme example, Pope Martin I (649–653) was abducted by the exarch Kalliopis and died in the Crimea from maltreatment he had received in captivity. By the early eighth century the situation had changed dramatically. When Gregory II (715–731) was threatened with death by the exarch Eutychius for refusing to submit to the iconoclast heresy, “Roman and Lombards [i.e., Spoletans and Beneventans] bound themselves together like brothers in the bond of faith, all of them willing to undergo a glorious death in the pontiff’s defense.”8 At the time the Lombards migrated into Italy they were mostly pagan, though some of the nobility had converted to Arianism for pragmatic reasons when allying themselves with the Goths.9 A ninth-century vita of St. Barbatus, bishop of Benevento (d. 682), reports that the saint discovered Lombard nobles involved in snake worship, and pagan practices continued in the countryside almost to the end of the Lombard kingdom (and presumably beyond).10 Whatever ecclesiastical organization existed before the Lombards’ arrival in Italy might have consisted of only a bishop or two and a few priests. There is little evidence of competition between Arians and the Catholic hierarchy, firmly established on the

6  Peter Llewellyn, Rome in the Dark Ages, New York, 1993, pp. 87–108 and 199–228 (“Rome and the Lombards”). 7  John Norman Davidson Kelly, The Oxford Dictionary of the Popes, Oxford and New York, 1986; Horace K. Mann, The Lives of the Popes in the Early Middle Ages, 18 vols., London, 1925–1932, vol. 1; Ferdinand Gregorovius, History of the City of Rome in the Middle Ages, trans. Annie [Mrs. G. W.] Hamilton, 8 vols. in 13, London, 1906, repr. NY, 1967, vol. 2, pp. 16–256; Eamon Duffy, Saints and Sinners: A History of the Popes, New Haven, 1997, pp. 57–72; Lidia Capo, Il “Liber pontificalis,” i Longobardi e la nascita del domino territoriale della chiesa romana, Spoleto, 2009 (Istituzione e Società 12), pp. 215–39. 8  Louis Duchesne, Le Liber Pontificalis. Texte, introduction et commentaire, 2 vols., Paris, 1886–1892, compl. by Cyrille Vogel, Additions et Corrections, Paris, 1957, vol. 1, p. 406; trans. Raymond Davis, The Lives of the Eighth-Century Popes, Liverpool, 1992 (Translated Texts for Historians 13), p. 13. 9  The idea that large numbers of Lombards had converted to Arianism is rejected by Steven C. Fanning, “Lombard Arianism Reconsidered,” in Speculum 52 (1981), pp. 241–58; see also Gina Fasoli, I Longobardi in Italia, Bologna, 1965, pp. 91–126 (“La ‘conversione’ dei Longobardi”). 10  Vita Barbati episcopi Brixensis, ed. Georg Waitz, Hannover, 1878 (MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX), pp. 557–63.

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peninsula for centuries. Paul the Deacon’s claim that there were in each city of the kingdom two bishops, one Catholic and the other Arian, has been doubted by modern scholars, though such an arrangement may have prevailed in some places.11 Confrontations between the Lombards and the papacy had nothing to do with questions of spiritual authority. The popes did not even launch campaigns to convert their (pagan) neighbors to orthodox Christianity, but entrusted this to local bishops and missionaries.12 After difficult times during the early years of the Lombards’ presence in Italy – Monte Cassino was destroyed in 580 – monastic foundations began to flourish in Lombard territory in the seventh century. Their establishment under the patronage of Lombard aristocrats may have been due as much to devotion as to the desire to create visible testaments of their authority.13

Roman Liturgical Manuscripts of the Middle Ages As the Anglican bishop and liturgical scholar Walter Howard Frere commented in his history of the anaphora, “it would be natural to start from Rome; but the obscurities surrounding that centre are specially many.”14 Indeed they are. Virtually nothing of what must once have been a reasonably ample supply of liturgical texts held by the Roman basilicas, tituli, larger chapels, monasteries and the churches of the suburbium has survived from before the last half of the eleventh century.15 Consequently, what “St. Peter” contributed to his neighbors in the way

11  Pauli Historia Langobardorum, ed. Ludwig Bethmann and Georg Waitz, Hannover, 1878 (MGH Scriptores rerum Germanicarum 48), p. 169 (4.42); trans. William D. Foulke, Philadelphia, 1979, p. 194; Jacques Zeiller, “Étude sur l’ancienne arianisme en Italie à l’époque ostrogothique et à l’époque lombarde,” in Mélanges d’archéologie et d’histoire 25 (1905), pp. 127–46; Gian Piero Bognetti, “La continuità delle sede episcopali e l’azione di Roma nel regno Lombardo,” in Le chiese nei regni dell’Europa occidentale e i loro rapporti con Roma sino all’800, Spoleto, 1960 (Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo 7), pp. 415–54. 12  Assuming a late date for the conversion of the Lombards, Ottorino Bertolini began the history of the Catholic “Lombard churches” with the reign of Aripert II (701–712); “Le chiese Lombarde dopo la conversione al cattolicesimo ed i loro rapporti con il papato,” in Le chiese nei regni dell’Europa occidentale, 455–92 (see previous note); reprinted in Bertolini, Scritti scelti di storia medievale, 2 vols., Livorno, 1968, vol. 1, pp. 95–123. 13  Philibert Schmitz, Geschichte des Benediktiner Ordens, trans. Ludwig Räber, 2 vols., Einsiedeln, 1947, vol. 1, pp. 68–70. 14  Walter Howard Frere, The Anaphora or Great Eucharistic Prayer: An Eirenical Study in Liturgical History, London, 1938, p. 95. 15  On the dearth of books in tenth-century Rome see Cyrille Vogel, Medieval Liturgy: An Introduction to the Sources, rev. and trans. William Storey and Niels Rasmussen, Washington, 1986,



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of liturgical practice can be inferred mostly on the basis of what survives outside Rome. The majority of extant medieval Roman liturgical manuscripts of the Middle Ages are books for the Office: about forty homiliaries and legendaries among them. The usefulness of such books transcended changes in liturgical practice: any cleric could read with profit the homilies and sermons of the Fathers or be inspired by edifying stories of the lives of the saints.16 The earliest substantial Roman liturgical manuscript of any kind to survive is the eighth-century Homiliary of Agimond (BAV, Vat. lat. 3835/3836), named after its scribe, but only volumes 2 and 3 remain of the original three.17 Absent from the very earliest sources is any book that can be associated with the chant repertoire.18 There must have once existed Roman books with texts of the Mass chants that resembled those communicated to Francia in the late eighth century, but with the introduction of notation to Rome in the eleventh century they and their descendants became obsolete and did not survive. Easily localized to Central Italy, if not to Rome itself, are manuscripts written in the distinctive “Roman miniscule” (minuscola romana) script identified by Paola Supino Martini, but in many cases only a general (and not always secure) attribution to “Rome” can be made.19 This does not mean that manuscripts in ordinary caroline or gothic hands are not Roman, but in these cases origin and provenance must depend on (rarely present) internal evidence (kalendar, feasts given special importance, statement of ownership). The disappearance of medieval Roman liturgical books outside of Rome presents a considerable disadvantage for research on the dissemination of Roman

p. 247, n. 271. 16  A few groups of manuscripts have been preserved, but not necessarily intact: the legendaries of St. Peter’s (BAV, Archivio San Pietro, A2, A4, A5), three volumes of a four-volume lectionaryhomiliary from the Ospedale del Santissimo Salvatore (Rome, Archivio di Stato, 996, 994, 995). For an overview see Réginald Grégoire, Homéliaires liturgiques médiévaux: Analyse des manuscrits, Spoleto, 1980 (Biblioteca degli “Studi Medievali” 12), pp. 3–37; Henri Barré, “Homéliaires latins,” in Dictionnaire de Spiritualité, vol. 7/1, (1969), cols. 600–6. 17  Antoine Chavasse, “Le sermonaire de Saints-Philippe-et-Jacques et le sermonaire de SaintPierre,” in Ephemerides liturgicae 69 (1955), pp. 17–24. The homiliary is inventoried in Grégoire, Homéliaires liturgiques médiévaux (see previous note), pp. 343–92, esp. 380–3 (nos. 37–49). 18  The existence of a fully notated exemplar at the end of the eighth century was proposed by Kenneth Levy, “Charlemagne’s Archetype of Gregorian Chant,” in Journal of the American Musicological Society 40 (1987), pp. 1–30 (reprinted in idem, Gregorian Chant and the Carolingians, Princeton, 1998, pp. 82–108). 19  Paola Supino Martini, Roma e l’area grafica romanesca (secoli X–XII), Alessandria, 1987 (Biblioteca di scrittura e civiltà 1).

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liturgy and chant.20 Such books were certainly transported from the city. The collecting activities of Benedict Biscop are well attested, and the ubiquitous presence of Roman prayer formularies beyond the Alps confirms the presence of Roman books or close copies thereof in these regions. Most Roman liturgical books of the Middle Ages now in libraries outside of Rome made their way there through the book and manuscript trade during the eighteenth and nineteenth centuries.

Roman Chant Books for the Mass The three extant Old Roman chant books for the Mass (Table 1, rows 1–3) represent a miraculous survival, given the loss of medieval Roman liturgical books just described. None is complete but, taken together, they preserve all the music for the Temporale and Sanctorale (see Table 1). The Gradual of Santa Cecilia in Trastevere (Cologny-Genève, Bibl. Bodmeriana, ms. C 74) is a rarity among medieval books, inasmuch as it can be precisely dated to the year 1071, thanks to a colophon in which the scribe, Iohannes presbyter, identifies himself as a priest of S. Cecilia.21 It enjoys the additional distinction as the first surviving music book notated on lines (red for F, yellow for c). A considerable portion of the manuscript is lost: the sanctoral feasts break off after Sts. John and Paul (26 June), and the Sundays after Pentecost are missing, too.22 Though the oldest Roman chant book, it is the most “gregorianized,” a point to be taken up later in the present essay. The second oldest Roman gradual (BAV, Vat. lat. 5319; 11–12c) has been attributed by Andreas Pfisterer to the schola cantorum.23 As much would be sus-

20  For a listing see Joseph Dyer, “Prolegomena to a History of Music and Liturgy at Rome During the Middle Ages,” in Essays on Medieval Music in Honor of David G. Hughes, ed. Graeme M. Boone, Cambridge, 1995, pp. 87–115. 21  His name appears in other documents related to S. Cecilia. 22  Max Lütolf has drawn attention to a note in the manuscript that seems to imply that it once formed part of a pair that included a (now lost) antiphoner for the Office: Das Graduale von Santa Cecilia in Trastevere (Cod. Bodmer 74), 2 vols., Cologny-Genève, 1987, vol. 1, p. 49. The antiphoner, which had 154 folios, seems to have disappeared between the middle of the eighteenth and the middle of the nineteenth century. 23  Andreas Pfisterer, Cantilena Romana: Untersuchungen zur Überlieferung des gregorianischen Chorals, Paderborn, 2002 (Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik 11), pp. 107–8, 232–4. A transcription of the manuscript by Margarete Landwehr-Melnicki is published in Bruno Stäblein, Die Gesänge des altrömischen Graduale Vat. lat. 5319, Kassel, 1970 (Monumenta Monodica Medii Aevi 2); hereafter MMMA.



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

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pected from the inclusion of splendid Vespers for Easter and the following week, but Pfisterer has also pointed to the presence of separate Masses “in ordinatione pontificis” for the ordination of the pope and “in ordinatione episcopi,” for use when the pope consecrated diocesan bishops. A third gradual (BAV, Archivio San Pietro, F 22), is less complete, lacking offertory verses, for example, but there can be no doubt about its connection with St. Peter’s or that Old Roman chant was still being sung there at the beginning of the thirteenth century. Unfortunately, survival of the complete musical corpus is not complemented by a comparable corpus of contemporary Roman sacramentaries or missals.

Table 1: Old Roman Graduals, Fragments, and “Indirect Witnesses” Manuscript

Typology

Provenance

Cologny-Genève, Bibliotheca Bodmeriana, C 74

Old Roman Gradual (1071)

S. Cecilia in Trastevere

BAV, Vat. lat. 5319

Old Roman Gradual (11–12 c.)

Schola cantorum

BAV, Arch. S. Pietro, F 22

Old Roman Gradual (late 12 c.)

St. Peter’s

Sárospatak, Tiszáninenni Református Egyhazkerület Nagykönvitár, Analecta 4814

Gradual fragment (8 c.) Old Roman order of pieces Wednesday before Palm Sunday to Friday in Easter Week

Central Italy?

Kassel, Landesbibl., Theol. Fol. 36, frag. 2 (lost)

Gradual index: fragment (9 c.) Fulda St. John Evangelist to Vigil of St. Lawrence (Temporale and Sanctorale)

Munich, Bayer. Staatsbibl., clm 29164c

Gradual fragment (ca. 900) Old Roman order of chants, but with Gregorian melodies Sundays 1 and 2 after Epiphany

BAV, Barb. lat. 560

Missal (11 c.2)

Central Italy (unnotated)

Rome, Bibl. Vallic. B 8

Missal (11 c.2)

S. Eutizio di Norcia (unnotated)

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 Joseph Dyer

“Indirect Witnesses” to Old Roman Chants of the Mass Evidence for the dissemination of Old Roman chant among St. Peter’s neighbors is virtually non-existent. No complete Roman chant books for Mass or Office have been discovered anywhere in Italy that testify unmistakably to the singing of Old Roman chant outside Rome. In 1954, however, only a few years after Bruno Stäblein had directed attention to the singular importance of the manuscripts with “altrömischer Gesang,” Michel Huglo sought to fill in this gap by drawing up a comprehensive list of what he called “témoins indirects” of Old Roman chant (by definition unnotated), as opposed to “témoins directs,” the chant manuscripts just mentioned. The five items italicized in Table 1 (rows 4–8), only one of which has notation, are the most important of those identified as “indirect witnesses” to the Roman chant repertoire, a distinction based on: (1) the content of the manuscript, (2) the wording of the chant texts, or (3) an order of chants that corresponds to the Roman arrangement, as opposed to the Gregorian. Huglo’s findings were reexamined at length by Dom Georges Frénaud, who analyzed three of the proposed indirect witnesses: the ninth-century index of a gradual written at Fulda (Kassel, Landesbibl., Theol. Fol. 36), the central Italian missal BAV, Barb. lat. 560 (10–11 c.), and a late eleventh-century missal from S. Eutizio di Norcia (Rome, Bibl. Vallic., B 8).24 Frénaud intended to prove that these were not the “indirect witnesses” that Huglo claimed. While his argumentation is too detailed to review here, Frénaud’s conclusions about the sources pointed in two different directions: that Old Roman and Gregorian chant potentially jostled each other in the same manuscript. Some features imply the Gregorian melodic tradition, while many others point to the Roman tradition. The entire matter merits further review more than fifty years after the publication of Frénaud’s study, since his criticisms did not entirely invalidate the concept of an “indirect witness.” Two of the indirect witnesses listed in Table 1 were unknown when Huglo’s and Frénaud’s studies were published in the 1950s. The fragment (bifolio) of a gradual preserved in the library of the reformed seminary in Sárospatak

24  “Les témoins indirects du chant liturgique en usage à Rome aux IXe et Xe siècles,” in Études grégoriennes 3 (1959), pp. 41–74. On these manuscripts see the comments of Philippe Bernard, Du chant romain au chant grégorien (IVe–XIIIe siècle), Paris, 1996, pp. 35–40, 45–50. Bernard says that Theol. Fol. 36 “se rattache à la liturgie de la Ville, non à la tradition grégorienne” (p. 37), but he considered B 8’s relationship more distant: “ce manuscrit, riche et complexe, se révèle très grégorianisé” (p. 40).



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

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(Hungary) was studied in detail by Peter Jeffrey, who confirmed a dating to the eighth century on the basis of its uncial script, and he published an edition of the contents.25 Like the missal from S. Eutizio discussed by Frénaud, the fragment “appears to straddle the Old Roman and Gregorian streams of tradition.” Distinctively Old Roman is the choice of the tract Qui habitat in adiutorio for Good Friday (instead of the Gregorian Eripe me).26 The archaic nature of the Sárospatak source and its probable Roman origin is further confirmed by the absence of the four Gregorian mode-eight tracts for the Easter Vigil (Cantemus domino, Vinea facta est, Attende caelum, Sicut cervus). These tracts, likely introduced to Rome in conjunction with a revised “Gregorian” system of Vigil readings, replaced the conclusions of the traditional lectiones cum cantico. These are preserved with notation in two Roman epistolaries, one from S. Cecilia in Trastevere (Yale University, Beinecke Rare Book Library, MS 1000, fols. 19v–22, 22v–27v), the other from S. Saba (Rome, Bibl. Angelica, ms. 1383, fols. 75v–77v, 79–86).27 Absence of the tracts is not at all exceptional in a chant book (Sárospatak) from a period when these cantica were still the responsibility of the lector.28 How this unique, very early witness to the liturgy of Rome made its way to the library of a Protestant seminary in Hungary is anyone’s guess. Another indirect witness to Old Roman chant, not considered by Huglo or Frénaud, a single leaf in the Bayerische Staatsbibliothek (Clm 29164c), exemplifies the pitfalls of the “indirect witness” concept.29 Were one to judge solely from

25  “The Earliest Witness to the Text of the Roman Graduale,” in Cantus Planus: Papers Read at the Twelfth Meeting of the IMS Study Group – Lillafüred/Hungary, 2004, August 23–28, ed. László Dobszay, Budapest, 2006, pp. 197–205. 26  Amalar of Metz confirms that this tract was sung on Good Friday “iuxta morem antiquum romanae ecclesiae” Liber de ordine antiphonarii 7.8–9, Amalarii episcopi opera liturgica omnia, ed. Jean Michel Hanssens, 3 vols., Vatican City, 1948–50 (Studi e Testi 138–140), vol. 3, pp. 36–7; cf. Liber officialis 34.4 (ed. Hanssens, vol. 2, p. 514). Assignment could be fluid, however; Domine audivi is assigned to Holy Thursday in the Beneventan tradition. 27  Joseph Dyer, “The Eleventh-Century Epistolary of Santa Cecilia in Trastevere,” in Archiv für Liturgiewissenschaft 46 (2004), pp. 311–50. To be added to the list of notated sources of the Jonah prayer (Table 2) is a fragment of a missal at Montecassino (Compactiones VI); see Alban Dold, “Umfangreiche Reste zweier Plenarmissalien des 11. und 12. Jahrhunderts aus Monte Cassino,” in Ephemerides Liturgicae 53 (1939), pp. 111–67, at p. 116. 28  Jeffery’s conclusion that “there was a Roman tradition of having no chants at all for Holy Saturday” or that “perhaps … some churches did not celebrate the Paschal Vigil” is misleading, for reasons explained in my “Voices from the Belly of the Whale and the Fiery Furnace: Lectionary and Canticle Tones in the Santa Cecilia Epistolary,” which directly follows Jeffery’s paper in the Cantus Planus-Lillafüred publication (see note 25). 29  The text of the fragment was edited by Klaus Gamber, “Die mittelitalienisch-beneventanischen Plenarmissalien,” in Sacris erudiri 9 (1957), pp. 268–72; the claim that it was an indirect

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the order of the chants, i.e., placement of the offertory Jubilate deo omnis terra on the second Sunday after Epiphany instead of Jubilate deo universa terra, one would qualify this fragment as an “indirect” witness of Old Roman chant, save for the fact that its unheighted neumes indicate unmistakably that the melodies are Gregorian! Peter Jeffrey’s comment about the Sárospatak fragment, that “instead of pointing toward the solution of the central problem of Gregorian chant [the relationship between Old Roman and Gregorian chant], seems to make it worse,” is a comment may be applied to this fragment as well. It likewise summarizes the status quaestionis regarding “indirect witnesses.”

Roman Chant Books for the Office There are two surviving witnesses to the music of the Office in Old Roman chant. Archivio San Pietro, B 79 is a late-twelfth-century antiphoner of the basilica,30 but the provenance of the other Old Roman antiphoner (London, BL, ms. add. 29988; 12 c.) has yet to be clarified. It could not have been in use at St. Peter’s, because the system of psalmody (i.e., the repertoire of differentiae to which the Office psalmody was chanted) is so different that the two books could never have been used in the same choir.31 Within the past fifteen years, notated fragments of three other Old Roman chant antiphoners have come to light in places outside Rome (Bologna, Fronsinone, Sutri), but they do not necessarily represent evidence of the singing of Old Roman chant by St. Peter’s neighbors in the places where they are now preserved. Fragments, reduced usually to the indignity of binding material, travel a route different from that traveled by complete books, and it is unlikely that these fragments were transported from Rome for the sake of their musical and liturgical contents. Table 2 lists the two main sources of the

witness was first made by Helene Wagenaar-Nolthenius, “Ein Münchener Mixtum: Gregorianische Melodien zu altrömischen Texten,” in Acta Musicologica 45 (1973), pp. 249–55. 30  For a facsimile see Bonifacio Giacomo Baroffio and Soo Jung Kim, Biblioteca Apostolica Vaticana, Archivio San Pietro B 79: Antiphonario della Basilica di S. Pietro (Sec. XII), 2 vols., Rome, 1995 (Musica Italiae Liturgica 1). This source is indexed in CANTUS [URL: www.cantusdatabase.org]. 31  As knowledgeable an authority as Giacomo Baroffio observed that, among witnesses of the medieval Roman musical tradition, “i suoi testimoni divergono in modo molto più accentuato di quanto avvenga tra le migliaia di codici gregoriani” in “Un nuovo testimone della tradizione musicale romana,” in Rivista storica del Lazio 4 (1996), pp.23–8. For an illustration of this principle see Joseph Dyer, “The Singing of Psalms in the Early Medieval Office,” in Speculum 64 (1989), pp. 535–77.



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Office along with the three recently discovered fragments (rows 3–5). (Since all of them contain musical notation, their witness is not “indirect.”) Table 2: Old Roman Antiphoners / Fragments Manuscript

Description

Provenance

BAV, Arch. S. Pietro, B 79

Old Roman Antiphoner (c. 1181–87)

St. Peter’s

London, BL, add. 29988

Old Roman Antiphoner (12 c.)

Rome

Sutri, Archivio communale, Framm. teologici 141/141bis

Antiphoner fragment (2 bifolios) with Old Roman chant (late 11 c.); Sexagesima to Ash Wednesday (incomplete)

Rome?

Fronsinone, Archivio di Stato, Raccolta delle Pergamene, 82 (99)

Antiphoner fragment (4pp) with Old Roman chant (late 12 c.); John the Evangelist

Rome? / Lazio

Bologna, Civico Museo Bibl. Mus., Q 3, frammento 19

Antiphoner fragment (bifolio) with Old Roman chant (13 c.); Sts. Ermete, Balbina, Sabina, Beheading of John the Baptist

Rome?

Thomas Kelly published an informative study of the liturgical problems presented by an Old Roman antiphoner fragment of the late eleventh century in the Archivio Storico Notarile at Sutri (frammento 141bis [frammenti teologici 40] and frammento 141 [frammenti teologici 41]).32 The manuscript has been known since 1987, when Paola Supino Martini published a brief note about fragments at Sutri of an “elegante Antiphonario, vergato in calligrafica romanesca, con tipiche iniziali ornate, delineate in rosso e toccate di verde.”33 The fragment, closely related to the St. Peter’s Antiphoner, begins with the responsory Ubi est Abel, usually the last responsory of Septuagesima matins, but here apparently assigned to Sexagesima.34 The (3) responsories of Noah, generally sung at matins on Sexagesima Sunday and during the following week, are absent there, but three

32  Thomas Forrest Kelly, “Old-Roman Chant and the Responsories of Noah: New Evidence from Sutri,” in Early Music History 26 (2007), pp. 91–120; see also László Dobszay, “Historia de Noe,” in Sine musica nulla disciplina …: Studi in onore di Giulio Cattin, ed. Franco Bernabei and Antonio Lovato, Padua, 2006, pp. 137–62. 33  Roma e l’area grafica (see note 19), p. 233, n. 83; Luisa Miglio and Paola Supino Martini, Frammenti: Storia di codici e notai nell’Archivio communale di Sutri, Rome, 1997, p. 8 (there called a graduale; the two facsimiles are too small to be useful). 34  See, however, the list of other arrangements in Kelly, “Old-Roman Chant,” pp. 106–7 (see note 32), especially the liturgical uses that had an “alleluia” Matins on Septuagesima.

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 Joseph Dyer

responsories de Noe were inserted near the end of the St. Peter’s Antiphoner: Dixit dominus ad Noe, Noe vir iustus, and Per memetipsum iuravi (fols. 190–190v). Kelly maintained that these were “probably adaptations from Frankish sources” to fill the gap, and he demonstrated how the musical adaptation was carried out.35 The borrowings were not literal: “this case is more complicated, and more interesting, because these additional Noah responsories look entirely Roman in Rome,” which they very much do. They are significant additions to our knowledge of how Roman singers interacted with their neighbors by “romanizing” borrowed chants. That the capability to transform a piece of music into the local idiom still existed in the twelfth century seems to confirm the vitality of Roman (and central Italian) musical traditions. The Fronsinone fragment (Fronsinone, Archivio di Stato, Coll. perg. 82 [99]) is a bifolio preserved in the binding of notarial acts, whose script (minuscola romana) Paola Supino Martini assigned to the “ultimi anni del secolo XII,” but it cannot be localized more narrowly than “Rome or Lazio.” Only two of the four pages of the bifolio are legible. They preserve music for parts of the feasts of John the Evangelist, Holy Innocents and Epiphany.36 Textual variants link this fragment also with the St. Peter’s Antiphoner as opposed to the antiphoner in the British Library. Another fragmentary witness to the Old Roman antiphoner is a single leaf, once in the possession of Padre Martini (Bologna, Civico Museo Bibliografico Musicale, Q 3 [frammento 19]), with chants for the feasts of S. Ermete, S. Balbina, S. Sabina, and the Beheading of St. John Baptist; these are found as well in B 79 and BL, add. 29988 with variants.37 One trait stands out: the simplification of cadential passages in which a single punctum replaces the pes or clivis of B 79 and 29988.

35  Kelly offers transcriptions of the responsories Quadraginta dies, Noe vir iustus, and Per memet ipsum iuravi. Noah responsories may have been present in the Sutri antiphoner on the first Sunday of Lent, as Amalar observed in Roman books of his time, though he preferred the ordering of the “modernos in nostra ecclesia” (Liber de ordine antiphonarii 33 [see note 26], vol. 3, p. 70–1). 36  The facsimiles on page 28 of “Il nuovo testimone” show the feasts of St. John Evangelist (top) and Holy Innocents (bottom). 37  Giacomo Baroffio, “L’antifonario romano antico: una reliquia del IV testimone,” in Rivista Internazionale di Musica Sacra 23 (2002), pp. 145–7; the author provides an inventory of the manuscript with cross references to the presence of the chants in B 79 (B) and BL, add. 29988 (L). In an Appendix are transcribed the antiphon Dignitas vero celestis (S, Ermete; B 79, fol. 190’), the responsory Ego Sabina (absent from the other antiphoners but authentically Old Roman in musical style), and the antiphon Gaude et letare dei genitrix angelorum.



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

 299

Roman and Beneventan Chant The Beneventan liturgy cannot be reconstructed in anything resembling its entirety due to the absence of a complete gradual, missal, or ordo describing the course of the Mass from beginning to end. The shape of the Office is even less susceptible to reconstruction: was it monastic or secular? The earliest Beneventan liturgical books to survive date from the late tenth and early eleventh centuries. The two principal sources containing Beneventan chant, neither complete, are Benevento, Bibl. cap., mss. 38 and 40 of the late and first half of the eleventh century, respectively.38 These are Gregorian books into which Old Beneventan chants deemed too precious to abandon were slipped as doublets or alternatives to chants already provided for in the standard Gregorian repertoire. Saints especially venerated at Benevento have the Gregorian Mass followed immediately by chants of an Old Beneventan Mass for the same feast.39 Considered especially worthy of preservation were Old Beneventan chants of Holy Week, the Easter Vigil, and feasts of the paschal cycle (Ascension, Pentecost). Four chants for Good Friday are bi-lingual (transliterated Greek and Latin) in Benevento 40 (fols. 10v–11).40 Not unexpectedly for central Italian neighbors, Old Roman and Beneventan chant share markedly similar approaches to the elaboration of surface detail and deeper structure. Example 1 is the Beneventan offertory Inter natos mulierum (also serving as a communion in Ben 38, fol. 110v).41 In the Solesmes flyleaves

38  Although there is no facsimile edition of either source, the pages with Beneventan chant have been published in Les Témoins manuscrits du chant bénéventain, ed. Thomas Forrest Kelly, Solesmes, 1992 (Paléographie Musicale 21; [hereafter PM]), plates 115–151 (Ben 38) and 165–219 (Ben 40); the editor also furnishes brief commentary on the images. 39  Some examples are Sts. Michael (8 May), John the Baptist (24 June), Peter and Paul (29 June), Apollinaris (23 July; office only), Nazarius (28 July; office only), Twelve Brothers (1 September; relics at Benevento; Mass and many office chants), Simon and Jude (28 October), All Saints (1 November), Martin (11 November), Andrew (30 November). 40  Facsimiles in PM 21, pls. 169–70. For a complete listing with facsimile pages see Les Témoins manuscrits du chant bénéventain (see note 38), 413–24 (index); the list has been updated in idem, “New Evidence of the Old Beneventan Chant,” in Plainsong and Medieval Music 9 (2000), pp. 81–93. For descriptions of the sources see Kelly, The Beneventan Chant, Cambridge, 1989, pp. 298–319 (hereafter TBC); idem, “La musique de la cathédrale de Bénévent,” in La cathédrale de Bénévent, ed. Thomas F. Kelly, Ghent, 1999, pp. 99–131. 41  The Beneventan version has also been found (as an antiphon) in the “Solesmes fragments” and BAV, Ottob. lat. 145 (fol. 124); see Thomas Forrest Kelly, “Une nouvelle source pour l’office vieux-bénéventain,” in Études Grégoriennes 22 (1988), pp. 5–23; for facsimiles see PM 21: pls. 300 (Solesmes) and 307 (Ottoboni 145). The core Beneventan source is Ben 38, fol. 89v (PM 21, pl. 199

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 Joseph Dyer

it is a Vesper antiphon for the feast of John the Baptist (with an apparent versus ad repetendum), while in the “Missale Casinense” (BAV, Ottob. lat. 145; S. Sofia, but based on Cassinese materials) it is one of the antiphons sung at the weekly claustral mandatum.42

Example 1: Offertory (also communion and antiphon). Inter natos mulierum. Benevento, Bibl. cap. 40, fol. 89v

The piece begins with a typically Beneventan podatus recitation, and features an equally characteristic oscillating motion at “natos,” “est,” “minor,” etc. Example 1 displays Inter natos in a way that renders evident the repetition / variation structure. Lines 1 and 2 are very similar, but the second phrase (“maior prophetis…”) avoids the cadence by reverting to variants of motifs heard in the first line before coming to rest on a final cadence that replicates the music of the first line’s “baptiste.” Since the Old Beneventan Inter natos has no cognate as a responsory in either the Old Roman or the Gregorian traditions, a comparison could not be included in Example 1. There is, furthermore, a remarkable concinnity in the technique of Melodiebildung that unites Beneventan chant with its Roman neighbor: especially the “recycling” of melodic materials (normally shorter in length than an entire phrase)

[offertory]), also reproduced in TBC, pl. 27. 42  In this I follow Klaus Gamber and Sieghild Rehle, who supply the rubric “Ad mandatum in diebus sabbatorum” that precedes these antiphons in Vat. lat. 4928 (fol. 299), a twelfth-century breviary from Santa Sofia of Benevento; see Manuale Casinense (Cod. Ottob. 145), Regensburg, 1977 (Textus Patristici et Liturgici 13), p. 91. John Boe (without reference to Gamber-Rehle) placed them on Holy Thursday in “A New Source for Old Beneventan Chant: The Santa Sophia Maundy in MS Ottob. lat. 145,” in Acta Musicologia 52 (1980), pp. 122–33.



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in the crafting of large-scale melodies.43 Given the relatively small number of Old Beneventan chants of substantial length that have survived (discounting the alleluias, which are all based on the same melody), one cannot be absolutely certain how pervasive this technique was, but the surviving pieces imply that it was a major structural resource. In structure and style the Beneventan practice exemplified by Inter natos recalls in particular that of the Old Roman offertory repertoire. Example 2, the response of the Old Roman offertory Benedictus qui venit demonstrates the flexibility with which two subphrases were variously combined to create the respond.44 The textual similarity of “Benedictus” and “benediximus” elicits a similar melodic gesture, which also recurs at “de domo” and “deus do[minus].” Similarly, “domini” (lines 1 and 3) prompts an identical musical setting. This economical way in which a melody develops from the free reiteration of musical material is a trait that links Rome and its Beneventan neighbors.45

Example 2: Offertory. Benedictus qui venit. Cologny-Genève, Bibl. Bodmeriana, C 74, fol. 87

43  For several striking examples of this procedure see the ingressa Maria vidit angelum (Ex. 4.9), the three melodically related ingressae Petrus dormiebat, Surge propera, Gaudeamus (Ex. 4.10), and the Easter communion Qui manducaverit (Ex. 4.15); Maria vidit angelum and Qui manducaverit demonstrate its operation on a grand scale. References are to the musical examples chapter of The Beneventan Chant entitled “General style.” 44  The cadential phrase stands outside the scheme. 45  The phenomenon was studied in my “Tropis semper variantibus: Compositional Strategies in the Offertories of Old Roman Chant,” in Early Music History 17 (1998), pp. 1–60. On the offertories see the authoritative treatment of Rebecca Maloy, Inside the Offertory: Aspects of Chronology and Transmission, Oxford, 2010.

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An aspect of Beneventan chant that sets it apart from the practice of “St. Peter,” is the facility with which entire chants could be shifted from one function to another. At Benevento ingressae could be reemployed as offertories, communion chants, or antiphons (e.g., Inter natos; Ex. 1). With the exception of a few Old Roman communions reused as responsories, this kind of flexibility is unknown to the Old Roman and Gregorian repertoires, in which each genre presupposes a set of compositional conventions and conventional levels of melodic elaboration: few Old Roman or Gregorian communions could be mistaken for an offertory or a gradual.

Roman Liturgical Archaisms in the Beneventan Liturgy Only fragmentary evidence survives, preserved virtually by accident, of the liturgy encountered by the Lombards as they converted to the Catholic faith over the course of the seventh century. As mentioned above, there were no “barriers of belief” that separated Lombards from orthodox Catholics in central Italy; the Lombard population moved (however slowly) from paganism to Christianity without an intermediate Arian phase.46 A mid-sixth-century epistle list from Capua (south of Rome) that represents the Campanian liturgy before the arrival of the Lombards has been preserved only because it arrived in England (perhaps brought by Archbishop Theodore in 668) and was subsequently taken to the continent by Boniface, who left it to the church at Fulda (ca. 745).47 Two famous English manuscripts of the eighth century, the Lindisfarne Gospels (London, BL, MS Nero D IV) and an illuminated Anglo-Saxon Gospels (London, BL, Royal 1 MS B VII) copied from a Neapolitan exemplar of the same period, have almost identical lists of gospel readings for Mass.48 The marginal notes in the Burchard Evangeliary (ca. 700) are Italian but influence by the earlier Roman model of ca. 645.49 From these survivals it is possible to reconstruct the pre-Lombardic litur-

46  See the study of Ottorino Bertolini cited in note 12. 47  Fulda, Landesbibliothek, Codex Bonifatianus 1 (Codex Fuldensis), copied about 545 for Bishop Victor of Capua; Klaus Gamber, “Die kampanische Lektionsordnung,” in Sacris Erudiri 13 (1962), pp. 326–52, at 326–34; Vogel, Medieval Liturgy (see note 15), pp. 335–8. 48  Germain Morin, “La liturgie de Naples au temps de saint Grégoire,” in Revue Bénédictine 8 (1891), pp. 481–93, 529–37; on the manuscript see Michelle P. Brown, The Lindisfarne Gospels: Society, Spirituality and the Scribe, Toronto, 2003. 49  Würzburg, Universitätsbibl., M. p. th. f. 68; Germain Morin, “Les notes liturgiques de l’évan-



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gical kalendar, which differs only in minor details from the Roman order of the mid-seventh century.50 Alas, no extant sacramentary, much less a book with texts intended to be sung, complements these precious survivals of the early liturgy of Campania. Recourse to the Roman liturgy in the region would have been logical and appropriate, since the bishop of Rome exercised ecclesiastical jurisdiction over the areas in the South controlled by the Lombards, but confirming evidence is lacking. Beneventan sources enshrine a number of Roman practices that had become virtually obsolete in the Roman liturgy itself by the beginning of the ninth century, a proof that they hearken back to a period as early as the earliest sacramentaries, lectionaries, and the (unnotated) chant sources published by JeanRené Hesbert as Antiphonale Missarum Sextuplex.51 Dom Hesbert identified and discussed many of these archaic liturgical features in his lengthy introduction to the facsimile edition of the Beneventan gradual, BAV, lat. 10673.52 An archaic practice is very often attested by the absence of something rather than its presence. For example, certain days of the Temporale in the Roman kalendar, mainly during Lent, were “aliturgical” in the sense that Mass was not celebrated on these days. They were later supplied with Mass formularies, but the persistence of a “vacat” rubric in a given source attests to an archaism. Saturday after Ash Wednesday, absent from the Sextuplex sources, also lacks a Mass in the Beneventan gradual, VL 10673.53 It remained aliturgical in the Old Roman

géliaire de Burchard,” in Revue Bénédictine 10 (1893), pp. 113–26; Klaus Gamber, “Die kampanische Lektionsordnung” (see note 47), pp. 334–42. On the Roman gospel list see note 65 below. 50  Gamber, ibid., pp. 342–52 (“Rekonstruktion der kampanischen Lektionsordnung vom 1. Fastensonntag bis Pfingsten”). 51  Antiphonale Missarum Sextuplex, Brussels, 1935; hereafter AMS. On the earliest liturgical sources see Klaus Gamber, Codices Liturgici Latini Antiquiores, 2nd ed., 2 vols., Freiburg, 1968 (Spicilegii Friburgensis Subsidia 1); Ergänzungs- und Registerband, ed. Bonifacio Baroffio et al., Freiburg, 1988, (Spicilegii Friburgensis Subsidia 1a); Vogel, Medieval Liturgy, passim (see note 15). 52  PM 14, pp. 124–44 (repr: pp. 32–52); TBC, pp. 19–21. See the review of PM 14 by Theodor Klauser in Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 14 (1938), pp. 463–4. When PM 14 was reprinted, many pages were omitted and the introduction repaginated; the page numbers in parenthesis are those of the abbreviated reprint; references without this double citation refer to the plates of the edition. One of the presumed Beneventan archaisms, use of the Roman Psalter for chanted psalm verses instead of the Hexaplaric (“Gallican”) Psalter, may have been a regional preference. 53  Other Beneventan (and Gregorian) sources prescribe that the Mass of the previous Thursday (Dum clamarem) be repeated. Two of them (Ben 35 and 38) have a different Mass with an original, neo-Gregorian introit, Converte nos, transcribed in PM 14, pp. 241–2 (repr.: pp. 105–6).

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gradual of St. Peter’s.54 The following Saturday, eve of the second Sunday of Lent, was originally observed at Rome as a vigil “in xii lectionibus” that carried over into the early hours of Sunday morning. There was no proper Sunday Mass formulary, since Mass was celebrated at the close of the vigil. All of the Sextuplex manuscripts call this Sunday a “dominica vacat.”55 The much later Old Roman graduals of S. Cecilia and St. Peter cue the Mass of the preceding Wednesday (Intr. Liberator meus). Benevento, not having received this Mass as part of the early transmission, had to create a largely original Mass from Gregorian chant motifs and adaptations: “un formulaire nouveaux conçu avec un sens évident de la composition grégorienne,” according to Dom Hesbert.56 Also “vacat” was the Saturday before Palm Sunday, a day that the pope devoted to the distribution of alms (“sabbato vacat quando papa elemosinam dat,” as rubricked in the Antiphoner of Compiègne). In order to devote himself entirely to this work of charity, the pope did not celebrate a public Mass on that day.57 Not finding this Mass in their Roman model, Beneventan cantors had to provide a formulary by adapting older pieces, an indication (as it has been asserted) that the “creative phase” of Beneventan chant had come to an end.58 In the late-eighth-century Antiphoner of Mont-Blandin (Brussels, Bibl. Royale, ms. 10127–10144) the Mass for the seventh Sunday after Pentecost, beginning with the introit Omnes gentes, is prefaced by the remark “ista ebdomada non est in antefonarios romanos.”59 The sources from which the Beneventan manuscripts were copied did not have this Mass either. Of the nine manuscripts discovered by Dom Hesbert that lacked the Mass most are Beneventan (or in two cases – BAV, Vat. lat. 6082 and Ottob. lat. 576 – possibly Cassinese).60 Andreas Pfisterer

54  An addition to VL 5319 (fol. 41v) cues for this Saturday (station at S. Trifone) the Mass of the second Sunday of Lent, as does the S. Cecilia Gradual (fol. 39v) but with the gradual, Domine deus noster. 55  AMS, pp. 60–1 (no. 46bis); Rheinau directs that the Mass of Saturday be repeated (“item ad missam sicut iam supra scriptum est in sabbato”). All of the Old Roman chant manuscripts have been supplied with a Mass on this day. 56  PM 14, pp. 234–7 (repr: 98–101). Except for the tract Confitemini, the Gregorian and Beneventan chant formularies differ. 57  AMS, pp. 86–7 (no. 72bis). 58  Hesbert was less impressed with the Beneventan Mass for the Saturday before Palm Sunday (PM 14, pp. 238–40 [repr: pp. 102–4, also 84–5, table]. Gregorian sources often call for repetition of the previous day’s Mass without the tract Domine non secundum. 59  AMS, p. 180 (no. 179) and pp. lxxii–lxxix. See PM 14, pp. 33–7. René-Jean Hesbert, “La messe ‘Omnes gentes’ du VIIe dimanche après la Pentecôte et ‘l’Antiphonale Missarum’ romain,” in Revue Grégorienne 17 (1932), pp. 81–9, 170–9; 18 (1933), pp. 1–14. 60  Louis Duval-Arnould, “Un missel du Mont-Cassin chez les chanoines du Saint-Sauveur de



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drew attention to the fact that in a number of sources the Omnes gentes Mass was inserted at the end of the post-Pentecost Masses.61 When this Sunday (Dom. III post oct. apostolorum) was assigned a Mass at Rome (Intr. Suscepimus deus), the whole post-pentecostal series of Masses was moved back one week. The same was probably true already by the eleventh century, but this part of the S. Cecilia manuscript has been lost. The oldest Roman lectionaries with epistle and prophetical readings (Alcuin, Würzburg) have two readings for the Saturday before Passion Sunday (the fifth Sunday of Lent),62 but that number was reduced to one at Rome at an early date for, with the exception of the Rheinau gradual, the Sextuplex sources (no. 66) and the Old Roman graduals have a single chant (Tibi domine) to be sung between the prophetical readings and the gospel.63 (The omitted reading, Isaiah 55:1–11, provided the text for the Introit, Sitientes.) On the other hand, three Beneventan sources (Ben 33, 34, and VL 10673) still have two graduals: Tibi domine and Ad dominum (cued), thus corresponding to the most ancient Roman lectionary tradition.64 Finally, the Beneventan system of post-Pentecost gospel readings follows the oldest surviving Roman system (ca. 645) rather than the Comes of Murbach (late 8 c.), which became the norm for the Roman liturgy until 1970.65 The indebtedness of the Beneventan liturgy to the Roman is confirmed by the presence and persistence of these archaic features.

Bologne (Vat. lat. 6082),” in Rivista di storia della Chiesa in Italia 35 (1981), pp. 450–5. 61  Cantilena Romana, pp. 80–1 (see note 23). 62  André Wilmart, “Le lectionnaire d’Alcuin,” in Ephemerides Liturgicae 51 (1937), pp. 136–97, at p. 154 (reprinted as Bibliotheca “Ephemerides Liturgicae” 2, Rome, 1937); Germain Morin, “Le plus ancien comes ou lectionnaire de l’Église romaine,” in Revue Bénédictine 27 (1910), pp. 41–74, at p. 53. The source of Alcuin is a Roman list of ca. 626; the Würzburg list is dated to just before the middle of the seventh century. 63  Rheinau has in addition Bonum est confiteri. The Old Roman books have the new station at S. Nicola in Carcere, not the original one at S. Lorenzo fuori le mura. 64  Ben 33 reverses the order given. Hesbert discovered two graduals (Tibi domine and Venite filii) in the tenth-century noted missal, VL 4770, which he attributes to Subiaco. 65  This is the Π family of Theodor Klauser, Das römische Capitulare evangeliorum, Münster, 1935 (Liturgiegeschichtliche Quellen und Forschungen 28). André Wilmart, “Le comes de Murbach,” in Revue Bénédictine 30 (1913), pp. 25–69; Vogel, Medieval Liturgy (see note 15), pp. 342–4. For both lists see Gaston Godu, “Évangiles,” in Dictionnaire d‘Archéologie Chrétienne et de Liturgie, 5/1, cols. 901–14 and the following “remarques” (cols. 914–23); PM 14, pp. 129–44 (repr: pp. 37–52).

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Old Roman Music in non-Roman Sources The present scholarly consensus (not universally shared, it must be admitted) assumes that Roman chant of the eighth century, of which no notated examples remain (if any ever existed), was transmitted to the Franks as part of a royal program to unify the liturgy of the Carolingian realm. There it was transformed into the familiar repertoire known as “Gregorian” chant. Later, it has been argued, when Charlemagne conquered the Lombard kingdom, he replaced local usage at Benevento with this substantially franco-roman chant. Such a “political” explanation might be too hasty. The independent attitude of Prince Arechis II (774–787) towards the Carolingian conquerors, was predicated on the assumption that they were incapable of projecting their power effectively so far to the South. Accordingly, one should not overestimate the impact of Carolingian pressure in the introduction of Roman liturgy and music to south Italy. The Beneventans may have come to realize that the Roman liturgy, prayer formularies and music (as codified in Francia) provided a comprehensive corpus that supplied for every requirement of the liturgical year, something very possibly lacking in their own tradition, and made a pragmatic decision to adopt a foreign, albeit not purely Roman, custom. Recently, Luisa Nardini has proposed that a very few Roman chants that constituted part of the eighth-century “core” repertoire and preserved in the Roman graduals, but absent from the Sextuplex manuscripts, might represent “an uncommon case of direct transmission of Roman chants outside of Rome … without any form of Frankish intermediation.”66 She proposes as pieces that came from St. Peter directly to his southern neighbors without twice traversing the Alps the chants listed in Table 3. The evidence is not conclusive; my intention here is merely to supplement her observations on the basis of information from the early Roman lectionary tradition (see Table 3). The communion Sint lumbi vestri for the feast of Sts. Felix, Faustinus, and Beatrice (29 July) in VL 5319 serves as a communion chant of the commune sacerdotum in the Old Roman Gradual of St. Peter’s, which lacks this feast.67 It was used for a wider range of liturgical observances in Benevento.68 With the sole exception of this “gospel communion” all of the other chants for this Mass derive from the feast of St. Silvester (31 December). Apparently the Roman sources of the

66  Luisa Nardini, “Roman Intruders in non-Roman Chant Manuscripts: The cases of Sint lumbi vestri and Domine si tu es,” in Acta Musicologica 82 (2010), pp. 1–20, at p. 2. 67  A reference to this piece in the St. Peter’s Gradual was inadvertently omitted in the index of MMMA. The part of the S. Cecilia Gradual that would have contained this feast has been lost. 68  The sources are listed in Nardini, “Roman Intruders” (see note 66), p. 4 (Ex. 1).



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Sextuplex manuscripts did not have this piece, so one was supplied – the communion Beatus servus (Mt.-Blandin) or Justorum anime (Corbie, Senlis), the latter more appropriate for a feast of several martyrs. There was some confusion about the names of the saints commemorated on this day, not to mention the identity of “Beatrice,” for whom the introit Sacerdotes eius would hardly be appropriate. (A sampling of the variety may be examined in the Antiphonale Missarum Sextuplex, no. 129). Judging from the collect and postcommunion prayers of the Mass in the Gregorian sacramentary, which mention only St. Felix, the feast may have originally been his alone. The secret likewise assumes the feast of single saint (“pro cuius sollemnitate”).69 Table 3: Old Roman Chants in non-Roman Manuscripts Chant

Non-Roman Sources

Roman Sources

Com. Sint lumbi vestri (Sts. Felix, Simplicius, Faustinus, Beatrix)

Many Beneventan witnesses; also Montecassino Ben 33, fol. 123 (PM 20) Ben 34, fol. 234 (PM 15)

BAV, VL 5319, fol. 119v BAV, ASP, F 22, fol. 97 MMMA 492

Off. Beatus es Simon Petre (Octava Apostolorum)

Rome, Bibl. Angelica 123, fol. 54v (PM 18); Domine iube me (modeled after Ave Maria) Ben 35, fol. 134 Ben 39, fol. 126v (both modeled after Angelus domini)

BAV, VL 5319, fol. 117 BAV, ASP, F 22, fol. 82v MMMA 374

Com. Domine si tu es (Octava Apostolorum)

Rome, Bibl. Angelica 123, fol. 54v (unnotated; Bologna, before 1039) Ben 35, fol. 134 (incipit only)

BAV, VL 5319, fol. 117v BAV, ASP F 22, fol. 82v MMMA 489

MMMA = Bruno Stäblein, Die Gesänge des altrömischen Graduale Vat. lat. 5319, Kassel, 1970 (Monumenta Monodica Medii Aevi 2).

For the feast of Sts. Felix, Simplicius, Faustinus and Beatrix prescribes the pericope from Luke (12:35–40) that begins with the words, “sint lumbi vestri praecincti et lucernae ardentes in manibus vestris,” exactly the wording of the communion.70 Since this gospel reading was already in place by 650, Sint lumbi could

69  Jean Deshusses, Le sacramentaire grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits, 3 vols., Freiburg, 1971 (19923), 1979 (19882), 1982 (19922) (Spicilegium Friburgense 16, 24, 28), vol. 1, p. 251. 70  Theodor Klauser, Das römische Capitulare Evangeliorum (see note 65), p. 33 (no. 160).

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have been composed at any time in the later seventh century contemporary with the other gospel communions, and there is no reason to believe that it is later than these.71 Its presumed direct transmission to Benevento did not exempt it from undergoing adaptation by Beneventan cantors (Ex. 3). The adaptation adhered to the familiar Italianate chant style – a fascinating example of one Italianate musical idiom reinterpreted by another.

Example 3: Communion. Sint lumbi vestri. BAV, Vat. lat. 5319, fol. 119v; Benevento, Bibl. Cap., 34, fol. 234

Beatus es Simon Petre, the offertory for the Octave of the Apostles in the Old Roman sources, Benevento 35 and the gradual-troper of Bologna (Rome, Bibl. Ang. 123, fol. 54v), is also absent from the Sextuplex sources, which have for this day a “generic” chant formulary for feasts of martyrs.72 Sometime after the trans-

71  They are not Carolingian, as Andreas Pfisterer has proven: “James McKinnon und die Datierung des gregorianischen Chorals,” in Kirchenmusikalisches Jahrbuch 85 (2001), pp. 31–53. 72  This date was not vacat at Rome in the seventh and eighth centuries, as assumed by Maloy, Inside the Offertory (see note 45), p. 86. Four of the AMS manuscripts have a formulary for this day (no. 125), and it is present in the earliest Roman gospel list (Π); Klauser, Das römische Capitulare Evangeliorum (see note 65), p. 19 (no. 146). For a concise but thorough discussion of the problems surrounding Beatus es (to which I am indebted) see Inside the Offertory (see note 45), pp. 136–9. The subject is treated in greater detail by Luisa Nardini, “The St. Peter Connection and the Acquisition of a Roman Offertory in Bologna and Benevento,” in Mediaeval Studies 72 (2010), pp. 39–74.



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mittal to Francia, Roman (and later Beneventan) cantors decided to upgrade and “properize” the observance of the Octave, though in fact all the chants with the exception of the gradual (In omnem terram, applied to Apostles generally) refer exclusively to Peter. Beatus es is not based on the pericope of the day (Mt 14:22–33) but on the gospel reading of the feast of Sts. Peter and Paul (Mt 16:13–19). It may have been originally assigned to that day, as opposed to the octave.73 While a Roman origin seems very likely, the chant was adapted differently by St. Peter’s Beneventan neighbors and by those at a distance in Bologna, when they incorporated it into their respective repertoires.74 The Roman version of Beatus es begins like the offertory Angelus domini but does not continue along that track. As Rebecca Maloy has observed, “the melodic similarities between Angelus domini and [the Old Roman offertory] Ave Maria eventually influence the melodic course of Beatus es.”75 After similar beginnings, both respond and verse develop a kind of free paraphrase of the two source melodies, Angelus domini and Ave Maria, the Old Roman version exhibiting “the ever-present Roman tendency toward formulaicism and repetition.” Comparison of the Roman and Gregorian versions of Beatus es reveals a few similarities, but far more differences. The placement of melismas, though there about the same number in each version, does not coincide. In this respect, the Bologna source (in unheighted neumes, so impossible to transcribe) appears to resemble the Roman version more than the Beneventan. In Maloy’s opinion both text and music of Beatus es were part of the transmission to Benevento, where it was subjected to significant revision. Instead of combining elements of two different offertories, the Beneventan version of Beatus es simply contrafacts Angelus domini. (Verse 1 of Beatus es is based on verse 2 of Angelus.) The case for an early dating of the communion Domine si tu es, also for the Octave of the Apostles, receives some support from the presence of the chant text in the gospel pericope for the commemoration (Mt 14:22–33; Christ rescuing Peter from drowning).76 The collect for the day in the Old Gelasian and Gregorian sac-

73  Also in natale papae (Klauser, Das römische Capitulare Evangeliorum (see note 64), p. 44 (no. 252). 74  Other sources use it on the feast of St. Peter’s Chair (Bibl. Angelica, 123) and the feast of Sts. Peter and Paul (Ben 39). 75  Maloy, Inside the Offertory (see note 45 above), p. 137. 76  Klauser, Das römische Capitulare Evangeliorum (see note 65), p. 31 (Π, no. 145; Λ and Σ, nos. 167 and 165): “in octabas apostolorum.” Though lacking a date, it comes immediately after the feast of Sts. Processus and Martinianus (2 July). Assigned to 6 July, the octave of the feast of St. Peter in Roman sources, it was celebrated at Rome from at least the middle of the seventh century as a commemoration of all the apostles.

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ramentary traditions refers specifically to “Petrum apostolum ambulantem in fluctibus” as well as to Paul’s rescue from shipwreck (Table 4, column 3).77 Like the Würzburg gospel list, the sacramentary traditions reach back into the seventh century; hence this correspondence gives some support to Nardini’s placement of the piece before the transmission of the Roman repertoire to Francia. Left unanswered, nevertheless, is the question as to why this piece failed to form part of that transmission. Table 4: Domine si tu es (OR Communion and Gregorian Collect) BAV, VL 5319, fol. 117v BAV, ASP, F 22, fol. 76

Rome, Bibl. Angelica 123, fol. 54v (without notation)

Old Gelasian Sacramentary Gregorian Sacramentary

Domine si tu es iube me venire ad te super aquas; et extendens manum apprehendit eum et dixit Hiesus modice fidei quare dubitasti

Domine iube me venire Deus cuius dextera [Greg: +beatum] ad te super aquas; et extendens Petrum apostolum ambulantem in manum adprehendit ei [sic] fluctibus ne mergeret erexit et modice fidei quoapostolum [i.e., coapostolum] quare dubitasti eius Paulum tertio [Gr: tertium] naufragantem de profundo pelagi liberavit

Both of the Roman sources of Domine si tu es are notated, but neither of the non-Roman ones is. Bibl. Angelica 123 (11 c., from Bologna) has the complete text,78 but Ben 35 has merely an incipit. Apparently, neither scribe had access to the music of this chant.79 (Since other chants in the Angelica manuscript contain notation, the manuscript cannot be considered an “indirect witness.”) If Domine si tu es came directly from Rome, as Nardini believes, it is difficult to understand why the text was compressed, leaving out “si tu es” and “et dixit hiesus” (underlined in Table 4) – a process reminiscent of the kind of editorial adaptation that created chant “lyrics” in the first place but hardly essential in this instance.80 Still, it is

77  Cunibert Mohlberg, Liber sacramentorum Romanae aeclesiae ordinis anni circuli, Rome, 1960, 2nd ed., 1968 (Rerum Ecclesiasticarum Documenta, Series maior: Fontes 4), p. 148 (2.36); Le sacramentaire grégorien (see note 69), p. 248 (no. 607). 78  Le manuscrit 123 de la Bibliothèque Angelica de Rome, XIe siècle: Graduel et Tropaire de Bologne, PM 18, fol. 54v. 79  Both Rome and Benevento prescribe this communion for the Octave of the Apostles. Bologna’s placement is different but logical: the feast of St. Peter’s Chair (22 February), for which occasion it is also cued in BAV, Archivio San Pietro, F 22, fol. 76. 80  The placement of “ei” (wich does not make grammatical sense) so close to “modicum” in the manuscript could have occasioned a misreading. Perhaps the scriptural text, “apprehendit eum



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not likely that completely independent redactional activity would have produced virtually the same text in two different places. Did the Bolognese cantors sing this piece at all? Or did they improvise a melody to accompany the text without consigning it to notation? In the absence of a Roman singer who had Domine si tu es committed to memory the piece could not be communicated to Bologna. Though only marginally relevant to my central topic, curious examples of Old Roman chants with dissemination outside Rome are three Old Roman antiphons for the transfer of relics that Michel Huglo identified in northern manuscripts of the Pontifical of the Curia, a book compiled at Rome during the pontificate of Innocent III (1198–1216).81 In the seven notated sources of the Pontifical that he examined there were three antiphons (Ecce populus, Cum iocunditate, and Ambulate sancti dei ingredimini) with Old Roman melodies, not the expected Gregorian ones.82 In VL 5319 (fols. 135–6) they form part of a group of antiphons rubricked “in dedicatione ecclesia.”83 The antiphons were transmitted to Francia along with the Mass chants and presumably adapted there, but they are present in only to three of the Sextuplex antiphoners (Compiègne, Corbie, and Senlis) as “antiphonas ad reliquias ducendas,” though Corbie has only Cum iocunditate and Ecce populus (in that order).84 In 1903, the melodies of two of the dedication / relic antiphons, Cum iocunditate and Ambulate … ingredimini, were restored by the monks of Solesmes to the revised rite for the dedication of a church. These short pieces represent the unique examples of Old Roman chant sung outside Rome, however rarely, over the centuries.85

et ai illi,” was somehow confused with the chant text. 81  Le Pontifical romain au moyen age, 4 vols., 1. Le Pontifical romain du XIIe siècle; 2. Le Pontifical de la Curie romaine au XIIIe siècle; 3. Le Pontifical de Guillaume Durand; 4. Tables alphabétiques, ed. Michel Andrieu, Vatican City, 1938–1941 (Studi e Testi 86–88, 99), vol. 2, p. 433 (text only but with indication of manuscripts with notation). 82  Michel Huglo, “Les antiennes de la Procession des Reliques: Vestiges du chant ‘Vieux-Romain’ dans le Pontifical,” in Revue Grégorienne 31 (1952), pp. 136–9; although Huglo cites only the first word of the antiphon Ambulate, it is clear that Ambulate … ingredimini is meant, not Ambulate ad locum. All three are found without notation in a manuscript now at Cologne from the first quarter of the ninth century (Diözesan- und Dombibliothek, cod. 138, fols. 40–40v). My thanks to Dr. Thomas Kozachek for this information. 83  MMMA 552–6. In the only surviving source from Rome of the Pontifical of the Curia, Barb. lat. 549 (13 c.), musical variants are minimal, except that the first phrase of Ecce populus begins a tone lower than the VL 5319 version. 84  AMS, pp. 219–20 (no. 212); as usual, Senlis has only incipits for these “antiphonas ad reliquias.” 85  Ritus Consecrationis Ecclesiae juxta Pontificale Romanum, Tournai, 1925, pp. 63–5.

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Unless a considerable number of sources has been lost, the remarkably small number of pieces of Old Roman chant (really or potentially) exported from Rome after the eighth century demonstrates how little interest there was among St. Peter’s neighbors in what Roman singers were singing. Indirect witnesses are, moreover, fragile evidence. The Sárospatak fragment and even the rare fragments of music for the Office discovered in Bologna, Fronsinone, and Sutri were probably not used where they are found today. This lack of dissemination should not be surprising: Roman chant had little new to offer after its initial transmission in the late eighth century, and its idiom was distant from that of Gregorian chant, the musical standard of the day. Music for new feasts or for local saints were furnished by local cantors, either by contrafacting extant pieces or by creating new works in neo-Gregorian style, as happened at Benevento. Rome’s maintenance of an oral tradition turned it into a musical backwater that limited its zone of influence in a musical culture that had begun to depend on (and expect) notated exemplars.

Rome and Benevento: Shared Texts and Music It is only to be expected that the Old Roman repertoire would share biblical texts with Beneventan chants, but the two repertoires also share texts centonized by editing and paraphrasing scriptural passages.86 These texts are so close in what they select, omit and paraphrase as to exclude utterly the possibility of chance. A direct transmission from Rome to Benevento, or vice versa, cannot be decisively confirmed, given the possibility of a common source from which both drew. Of the thirty-two Beneventan texts shared with Rome identified by Thomas Kelly, only a very few have a melodic correspondence with Roman chant, and among these there exists but a single functional (though not liturgical) correspondence: the tract Domine audivi for Good Friday (Rome) or Holy Thursday (Benevento). Beneventan pieces with an Old Roman textual and musical analogue are listed in Table 5, arranged according to the Roman liturgical order.

86  For a list see TBC, pp. 164–5 (Table 5.1), which also indicates Beneventan texts shared with Milanese chant.



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Table 5: Old Roman / Gregorian and Beneventan Chants: Textual and Musical Relationships Old Roman / Gregorian

Beneventan

Communion. Dominus Hiesus MMMA 447; GrRom 201 (Holy Thursday)

Mandatum ant. Dominus Hiesus Ben35/62v; Ben40/6 v (Holy Thursday)

Tract. Domine audivi MMMA 228; GrRom 206

Tract. Domine audivi Ben38/44; Ben40/15v; VL10657/2v (palimpsest), etc. (Holy Thursday)

(Good Friday) Communion. Factus est repente MMMA 50; GrRom 296 (Pentecost) Antiphon (GR). Adhesit anima mea  (Antiphonale Monasticum 1006) Responsory (OR). In craticula  (B79/147; 29988/116v) (St. Lawrence)

Ingressa. Factus est repente Ben38/99 (palimpsest); Ben40/79v; Monte Cassino 361/143 (palimpsest) (Pentecost) Offertory. Adhesit anima mea.  Vs. In craticula (Ben40/112v) (St. Lawrence)

GrRom = Graduale Romanum … de tempore et de sanctis, Paris and Tournai, 1957

Ben 40 has two Masses for Holy Thursday, the Gregorian Mass of the day and the traditional Beneventan Mass formulary.87 The communion of the Gregorian Mass is Dominus hiesus, as it remained until the middle of the twentieth century, when the mandatum ceremony was inserted into the Mass liturgy and the communion chant was relocated as a mandatum antiphon. Dominus hiesus, a centonized text that is identical in all three repertoires, quotes verbatim and adroitly paraphrases a passage from the thirteenth chapter of the Gospel according to John (vv. 2–5, 12, 13 15; Jesus’ washing of his disciples’ feet).88 Though the Roman and Gregorian melodies are related – as one would expect – they are likewise related to the

87  Ben 38 is not available for comparison, since the Holy Thursday portion of the manuscript is missing. 88  The Gospel text and antiphon are compared in René-Jean Hesbert, “L’‘Antiphonale Missarum’ de l’ancien rite bénéventin: Le jeudi saint,” in Ephemerides Liturgicae 58 (1944), pp. 69–95, at p. 91. The Old Roman sources of the communion are: C 74, fol 75v, VL 5319, fol. 79, F 22, fol. 49v; for a facsimile of the Beneventan version see PM 21, p. 168 (Ben 40, fol. 6v) and 97 (Ben 35, fol. 62v).

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slightly more florid Beneventan version.89 The setting of the phrase “lavit pedes eorum” is identical in the Gregorian and Beneventan versions. Nevertheless, all three versions may be described as “issues exactement de la même source,” as Dom Hesbert said of the Gregorian-Beneventan connection of Dominus hiesus.90 The relative lateness of the Roman formulary for the Mass commemorating the institution of the Eucharist on the Thursday before Easter (as opposed to the Mass for the consecration of the holy oils) argues against an origin of Dominus hiesus as a Mass chant.91 When a communion was needed for the Mass, perhaps the presence of the phrase “postquam cenavit” near the beginning of the text suggested its placement.92 Dominus hiesus made the transition from part of a semi-private act of devotion to a privileged place in the Mass in the Old Roman and Gregorian traditions, but that transition did not occur in the Beneventan sphere. It is difficult to imagine the reverse process (communion to mandatum) taking place, for by itself the music does not reveal the direction of the borrowing.93 The tract Domine audivi, sung in the Beneventan tradition on Holy Thursday, is a curious conflation of Old Roman / Gregorian and Beneventan, as even a single glance at Dom Hesbert’s analytical transcription of the music will demonstrate.94 The first incise (“Domine”) begins like the Gregorian melody (and very close to the Old Roman one95) but then departs on a Beneventan-style continuation. The remaining seven Beneventan verses are set to a bi-partite formula with cadences adapted to the accent patterns of the text. The recitational podatus characteristic of Beneventan chant is much in evidence here, especially in the eighth (last) verse, which closes with a melodic flourish (Ex. 4).

89  See TBC, Ex. 5.1, where all three versions are compared. 90  Hesbert, “L’‘Antiphonale Missarum’ … Le jeudi saint” (see note 88), p. 90. 91  Dominus Ihesus is the communion in all of the Sextuplex manuscripts (no. 77). The introit, Nos autem gloriari, and the offertory, Dextera domini, are borrowed from other Masses. 92  The foot washing originally took place outside of Mass, in some cases weekly, in the monastic or canonial cloister, Thomas Schäfer, Die Fusswaschung in monastischen Brauchtum und in der lateinischen Liturgie: Liturgiegeschichtliche Untersuchung, Beuron, 1955 (Texte und Arbeiten, Abteilung 1, Heft 47). 93  The twentieth-century displacement did not remove the chant from the Mass but advanced it to an earlier point just after the gospel. Dominus hiesus was replaced by the communion Hoc corpus. 94  PM 14, pp. 362–3 (repr: pp. 226–7). The first verse of all three traditions is compared in Kelly, TBC, Ex. 5.3. 95  C 74, fol. 75v; VL 5319, fol. 79v; F 22, fol. 50; MMMA 228.



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Example 4: Tract. Domine audivi: vs. 8. Benevento, Bibl. cap. 38, fol. 44v (PM 14: pl. xxvi)

The first verse of the Beneventan tract adheres to the Old Latin, pre-Vulgate text of Habakkuk (3:2ff.), then switches to the Vulgate for the remaining seven verses. All five verses of the Gregorian and Old Roman tract, on the other hand, employ the older text form, which strongly argues in favor of this as the primitive version, as does the Beneventan “quotation” of the music of the first verse of the Gregorian tract.96 Although the Gregorian tract (sung on Good Friday) was obviously known at Benevento, a decision was made not to adopt it in toto, but to replace all verses after the first with a current biblical translation and a quasi-psalmodic musical formula. Factus est repente, an ingressa in the Beneventan and Milanese traditions, but a communion in Old Roman and Gregorian chant, is set to a centonized text that combines and adapts fragments of verses 2, 4, and 11 of the second chapter of Acts. There is also an offertory, Factus est repente, found mainly in manuscripts from the Beneventan area, but which Kenneth Levy considers a “gallo-gregorian” piece.97 It begins with the same words, but adheres strictly to the biblical text: Ingr / Com. Factus est repente de celo sonus

advenientis spiritus vehementis ubi erant sedentes

alleluia Offertory.

Factus est repente de celo sonus tamquam advenientis in spiritu vehementis et repleti sunt omnes spiritu sancto loquentes magnalia dei, alleluia, alleluia [OR + alleluia]. et replevit totam domum ubi erant sedentes,

alleluia.

96  The texts are compared in PM 14, p. 364 (repr: p. 118); cf. AMS, pp. 92–3 (Wednesday in Holy Week), where the chant is called a “resp[onsorium] grad[uale];” for the music see Liber Usualis (editions 1950 and before), pp. 695–6. 97  One of the noted sources of the offertory is the Canosa Missal (Walters Art Gallery, MS 6), a source discussed in Levy, “Charlemagne’s Archetype of Gregorian Chant” (see note 18).

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Both the textual identity of the incipits and the upward leap of a fifth at the beginning of three of the ingressa / communion chants (Gregorian, Beneventan, Milanese) imply a connection. (The Old Roman version begins with an ascending fourth.) This similarity seems to be carried through in the Roman, Gregorian, and Milanese versions.98 The Beneventan Factus, however, is generally more florid than the other three which, apart from a flourish or two in the Old Roman version, are syllabic-neumatic. For the feast of St. Lawrence, a saint venerated especially at Rome, there is a text correspondence with Benevento: Adhesit anima mea post te, a Beneventan offertory with a single verse, In craticula, the presence of a verse being an exception among the extant Beneventan offertories. It corresponds to two separate chants in the Roman and Gregorian traditions (Table 5).99 The neumatic-melismatic Beneventan offertory refrain contrasts markedly with the syllabic Roman and Gregorian antiphons. The Beneventan version could be a melodic elaboration of either the Gregorian or the Roman version. The Beneventan verse, In craticula, consists of a twice-repeated phrase (a–a’), an indigenous procedure encountered several times heretofore, but Kelly finds in the Beneventan version “little reference to the characteristic formulas of Beneventan chant.” The Old Roman, Gregorian, and Milanese versions of In craticula are, in turn, rather closely related. Clearly, in this instance, given the prominent cult of Lawrence at Rome, one must (even if only provisionally) accord precedence to that city as the original source of Adhesit anima mea and In craticula.

Chants Based on Greek Texts The Beneventan chant repertoire has a number of chants sung to transliterated Greek texts, mainly for Holy Week, in a few cases paired with notated Latin versions.100 This was not a feature of the Roman chant repertoire and need not be considered in the present essay, with the exception of the seven alleluias with transliterated Greek verses sung at Easter Vespers and the following Week and

98  For a comparison of all four versions see TBC, Ex. 5.4. 99  BAV, ASP, B 79, fol. 147v; Lucca 601 (PM 9), pp. 440 (ant. Adhesit) and 441 (Mag. In craticula). The Roman, Gregorian and Beneventan melodies of Adhesit are compared in Kelly, TBC, Ex. 5.6 (the Milanese version has only the [Beneventan] verse In craticula); plate 28 is a facsimile of offertory and verse in Ben 40, fol. 112v. 100  For an overview see TBC, pp. 207–17.



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the “sequentia graeca,” Pascha ieron, sung during the reception following Easter Vespers Table 6: Old Roman / Gregorian and Beneventan Chants based on Greek Texts Old Roman / Gregorian

Beneventan

Responsory. Lavi pedes  Vs. Homo pacis mee  B79/96v; BL 29988/66 (Holy Thursday)

Mandatum responsory. Lavi pedes  Vs. Homo unanimis dux meus  Sources: TBC, p. 279 (Holy Thursday)

Responsory. Vadis propitiatus (OR / some GR) propitiator (GR)  GR sources listed in PM 278 [142]  OR: B79/99; BL 29988/69 (Good Friday)

Gradual. Vadit propitiator  Ben40/5  VL10657/2 (palimpsest)

Improperia. Popule meus MMMA 517; GrRom 211 (Good Friday)

Offertory. Popule meus Ben38/38 (Palm Sunday); cued for Holy Thursday in Ben40/5

Easter Vespers alleluias Deute galliasometha O pimenon Prosechete laos Y urani

––––

Pascha ieron (“sequentia graeca” for Easter; Liber politicus, ca. 1140)

Pascha ieron (Easter)  Ben40/28v

(Holy Thursday)

The first-person, direct address text of Lavi pedes, characterized by Dom Hesbert as “une apostrophe au traître,” implies a Greek origin, though the source has not been identified, as far as I am aware.101 The Roman version of the respond reads: “I washed your feet; I made you a witness of my sacrament; I prepared a banquet; you ate my bread, and why do you without reason thirst after my blood.” The Beneventan version, widely disseminated in that tradition,102 maintains the direct discourse of its Roman counterpart, adding the address “discip-

101  B 79, fol 96v; BL, add. 29988, fol. 66. See Hesbert, “L’‘Antiphonale Missarum’ … Le jeudi saint” (see note 88), pp. 92–5. In Old Roman chant it appears as a matins responsory for Holy Thursday: B 79, fol 96v; BL, add. 29988, fol. 66. 102  See the index in PM 21, p. 414.

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ule” at the end of the first line. The verses of this non-biblical responsory are psalmic, but they differ in their text choices: Psalm 40:10 (Rome) vs. Psalm 54:14– 15a (Benevento). Though the texts of the two responds are virtually identical, the melodies to which they are set are unrelated. Lavi pedes thus seems to be another example of a text that travelled more easily than did its music, but the direction of the borrowing is difficult to determine. Vadis / Vadit propitiator / propitiatus, a Beneventan gradual and a Roman responsory, is another text borrowed from the Byzantine liturgy and adapted for a Latin musical setting. The original text is a kontakion on the Passion attributed to Romanos (though not found in the cantica genuina edited by Maas).103 The kontakion consists of 18 troparia, of which the fourth served as the principal model for the Latin responsory. The Latin adaptation reflects the manner in which biblical texts intended for musical setting were adapted: all or part of twelve of the twenty-one lines of the troparion strophe were extracted to form the Latin text.104 Since the passage is taken out of context, it is not immediately evident from either the Old Roman or the Gregorian version that it is Mary who speaks to her son on the way to Calvary. The text editor anticipated this problem, substituting “propitiatus” (one who has atoned) for the Greek σπλάγχνον (lit. “entrails,” but better rendered as a term of affection by the English “dear heart”).105 Direct discourse is maintained until the end, where a phrase adapted from the second troparion (“who kept me chaste, my son and my God”) was inserted to identify the speaker: the Virgin Mary. There are a number of other lines which recast the original in a creative way: the blunt πρὸς ἄδικον φόνον (to an unjust murder) in the second line is recast in theological terms by the Latin: “ad immolandum pro omnibus” (Table 7).

103  The first line of the kontakion is Τόν δι’ ήμᾶς σταυρωθέντα. it closes with the refrain of the succeeding troparion: ὁ υἱός καὶ Θεός μου. 104  The Greek text (with a Latin translation of the same) is compared with the chant texts in PM 5, p. 7, and discussed on pp. 5–7 and 25–7; see also Hesbert, “L’‘Antiphonale Missarum’ … Le jeudi saint” (see note 88), pp. 73–8. 105  The word occurs in Philemon 12 as a term of affection, the meaning of which the German (Du aber wollest ihn [the slave Onēsimos], das ist, mein eigen Herz, annehmen) and Swedish (Denne sänder jag här tillbaka till dig; och när jag så gör, är det såsom sände jag åstad mitt eget hjärta) translations reflect far better than does a literal English translations (KJV: “bowels”).



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Table 7: Vadis propitiatus / Vadit propitiator Greek Troparion (relevant lines only)

Old Roman / Gregorian Text

Beneventan Text

Ὑπάγεις ὦ σπλάγχνον πρὸς ἄδικον φόνον Οὐ συνέρχεται Πέτρος ὁ εἰπών σοι κἄν ἀποθνήσκω Θωμᾶς ἔλιπε σε, ὁ βοήσας Μετὰ σοῦ θάνωμεν πάντες οὐδεὶς ἐκ τῶν πάντων ἀλλ’ εἷς ὑπὲρ πάντων θνήσκεις, τέκνον, μόνος [ὁ ἁγνὴν τηρήσας με (str. II.20)] ὁ υἱὸς καὶ Θεός μου

R. Vadis propitiatus (a) ad immolandum pro omnibus Non tibi ocurrit Petrus qui dicebat mori tecum reliquid te Thomas qui aiebat omnes cum eo moriamur et ne unus ex illis solus duceris

R. Vadit propiator ad immolandum pro omnibus non ei occurrit Petrus qui dicebat pro te morior Reliquid eum Thomas qui clamabat dicens omnes cum eo moriamur et nullus de ipsis sed ipse solus ducitur

qui castam me confortasti filius et deus meus.

qui nos omnes redemit dominus et deus noster.

Vs. Promittentes tecum in carcerem et in mortem ire relicto fugerunt.

Vs. Venite et videte omnes populi deum et hominem extensum in cruce.

(a) GR: propitiator

The Beneventan version of the text converts the direct discourse of the original to a narration and further modifies the Latin text. (It seems improbable that Beneventan cantors would have had access to the Greek text.) Derivation of the Beneventan text from the Greek without the intermediary of the Latin text of the Old Roman and Gregorian sources seems an impossibility. (As can be seen in Table 7, Rome is much closer to the original Greek than Benevento.) The ending had necessarily to be altered, the phrase “qui nos omnes redemit” replacing “qui castam me confortasti.”106 The replacement phrase echoes a phrase (ἀνθ’ ὧν πάντας ἔσωσας) from Greek text of the fourth strophe. After the text had been reworked, a Beneventan cantor set about clothing it in a richly neumatic melody with three sets of corresponding cadences. Despite the striking text connection, a musical comparison shows very little similarity, an indication that the text circulated without music.107 Given the many textual changes necessitated by the

106  The Roman and Beneventan verses, neither of which has a Greek equivalent, differ as well. The sole legible Beneventan source is Ben 40, fol. 5. The chant has been recognized in a palimpsest, BAV, Vat. lat. 10657, the contents of which are listed in TBC, p. 317; see Kelly, “Montecassino and the Old Beneventan Chant,” in Early Music History 5 (1985), 53–83, at 61–4. 107  The Old Roman (B 79, fol. 99; BL, add. 29988, fol. 69) and Milanese versions are compared

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conversion to the third-person, adherence to a pre-existent melody would have presented more than a few challenges. The verses called “Improperia” (Popule meus, Quia eduxistis, and Quid ultra debui) were not part of the ancient Roman liturgy of Good Friday. They are not cited in any of the Ordines Romani, and Amalar of Metz, who would have mentioned chants linked to the veneration of the cross on Good Friday, seems not to be familiar with them in a Roman context. (Singing of the Aius, alternating Greek and Latin, before the chanting of the prophetic reading was already a feature of the sixth-century Gallican Mass liturgy as described by pseudo-Germanus.108) The papal liturgy of Good Friday was a somber assembly for the reading of Scripture passages (Hosea, Deuteronomy), the chanting of the Passion, and the orationes solemnes. Originally it had neither a veneration of the Cross nor communion; hence there was some indecision about how to integrate the veneration into the papal Good Friday liturgy. Various solutions (concurrent with the liturgy, during communion, etc.) are revealed in the Ordines Romani that describe the ceremonies of this day (Ordines 23, 24, 27, 31, 32, 33), but none of them mention Popule meus.109 An origin in Francia (text and music) cannot be entirely excluded. They draw on very ancient text traditions, the most remote being the Bible itself – the prophecy of Micah (esp. 6:3–4) and the opening chapter of the apocryphal IV Ezra (vss. 7–21), both passages in which God expresses his bitter disappointment with Israel and reproaches the entire nation for its repeated acts of unfaithfulness in the face of the divine favors it has received.110 A dramatic Easter

in PM 5, p. 27, and the Beneventan version transcribed by Dom Hesbert in PM 14, pp. 277–8 (repr: pp. 146–7). The source of the Gregorian version with the incipit Vadit propitiator prepared by Dom Pothier for publication in the Processionale Monasticum, Solesmes, 1893, p. 188, has not been identified. In addition to the St. Peter’s Antiphoner the CANTUS database identifies two sources the Vadis propitiatus: Worcester, Cathedral, Music Library, F 160, fol. 122, and Monza, Bibl. cap. e Tesoro, 15/79, fol. 99v. 108  Germanus of Paris, Expositio antiquae liturgae gallicanae, ed. Edward C. Ratcliff, London, 1971 (Henry Bradshaw society 98), p. 4. 109  Michel Andrieu, Les Ordines Romani du haut moyen-âge, 5 vols., Louvain, 1931–1961 (Spicilegium Sacrum Lovaniense 11, 23–24, 28, 29), vol. 3, pp. 270–2, 291–4, 355–8, 496–8, 518–30, 531–2. 110  The chant text and its sources in Micah, Deuteronomy (8:2–2, 7), Isaiah (5:4), Jeremiah (2:21), and Psalm 68:22 are compared in Hermann Schmidt, Hebdomada Sancta, 2 vols., Rome and Freiburg, 1957, vol. 2, p. 794–5, as part of a general treatment of the adoratio crucis. The Vulgate and three parallel English translations of IV Ezra (as 2 Esdras) are reproduced in The Parallel Apocrypha, ed. John R. Kohlenberger III, Oxford, 1997, pp. 1088–91; on the biblical sources see Werner Schütz, “ ‘Was habe ich dir getan, mein Volk?’ Die Wurzeln der Karfreitagsimproperien in der alten Kirche,” in Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 13 (1968), pp. 1–38.



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homily, delivered between 160 and 170 by Bishop Melitos of Sardis, placed these accusations in the mouth of the crucified Jesus.111 The line of descent that leads to the Latin Improperia can be traced back to twelve troparia in the Jerusalem liturgy of the early seventh century (if not before) through the lectionary-kondakar that preserves this (Greek) liturgy in Georgian translation.112 The Greek texts of the troparia appear in the Great Week liturgy described in the Typikon of the Anastasis Church in Jerusalem (1122), which reflects the Holy Week rites of Jerusalem before the eleventh century.113 Anton Baumstark illustrated how the third troparion of the series (Ἐν λέγει Κύριος τοῖς Ἰουδαίοις: Λαός μόυ, τί ἐποίησά σοι) and phrases from two other troparia (8 and 12) were conflated to create the Latin Improperia.114 At a later date the Trisagion (Agios o theos – Sanctus deus) was associated with the Improperia as a quasi-refrain between verses 1 and 2 and at the end.115 This alternation is also prescribed in the eleventh-century Breviarium sive Ordo officiorum of Monte

111  The homily, discovered in 1940, survives only in two papyri. It has been edited as Sur la Pâque et fragments, ed. Othmar Perler, Paris, 1966 (Sources chrétiennes 123), pp. 100–13 (nos. 72–91); see also Georg Röwekamp, s.v. “Melito of Sardis,” in Dictionary of Early Christian Literature, ed. Siegmar Döpp and Wilhelm Geerlings, trans. Matthew O’Connell, New York, 2000, pp. 419–20 (with comprehensive bibliography). 112  Le grand lectionnaire de l’église de Jérusalem (Ve–VIIIe siècle), ed. Michel Tarchnischvili, 2 vols., Louvain, 1959 (Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium 188–189 = Scriptores Iberici 9–10, vol. 10, pp. 97 (no. 668), 101 (no. 682), and 104 (no. 697). The twelve dasdebeli are translated into German from the Georgian in Helmut Leeb, Die Gesänge im Gemeindegottesdienst von Jerusalem vom 5. bis 8. Jahrhundert, Vienna, 1970 (Wiener Beiträge zur Theologie 28), pp. 256–9. 113  Analecta Hierosolymitikes Stachyologias, ed, Athanasios Papadopoulos-Kerameus, 2 vols., St. Petersburg, 1894, vol. 2, pp. 128 and 151 (Τάδε λέγει), 153 (Ὅτε τῷ στρυρῷ), 150 (Ἑλκόμενος ἐπὶ σταυροῦ). 114  Anton Baumstark, “Der Orient und die Gesänge der Adoratio crucis,” in Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 2 (1922), pp. 1–17, at pp. 10–1. The Greek texts of the twelve troparia with German translation are published in Adolf Rücker, “Die Adoratio Crucis am Karfreitag in den orientalischen Riten,” in Miscellanea Liturgica in honorem L. Cunibert Mohlberg, 2 vols., Rome, 1948 (Bibliotheca “Ephemerides Liturgicae” 22), vol. 1, pp. 378–408; for the Greek text of troparia 3, 8 and 12 with English translation see Egon Wellesz, Eastern Elements in Western Chant: Studies in the Early History of Ecclesiastical Chant, Copenhagen, 1947, p. 23. For the liturgical context see The Lenten Triodion, London, 1977, trans. Mother Mary and Kallistos Ware, p. 606. 115  The Greek-Latin alternation is prescribed in the Romano-Germanic Pontifical (ca. 963); Le pontifical romano-germanique du dixième siècle, ed. Cyrille Vogel and Reinhard Elze, 3 vols., Vatican City, 1963–1972 (Studi e Testi 226–227, 269), vol. 2, p. 90 (99.330). The Gregorian version (alternating with Hagios o theos) is available in any edition of the Graduale Romanum or Liber Usualis. For the Greek liturgical background see Iohannes Michael Hanssens, Institutiones liturgicae de ritibus orientalibus: De missa rituum orientalium, 3 vols. + Appendix, Rome, 1932, vol. 3, pp. 96–156; longer Greek passages are translated into Latin in the Appendix volume, pp. 92–7.

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Cassino for the veneration of the cross, but in this context only the Greek acclamations are mentioned.116 Benevento also knew the text, but as the offertory for Palm Sunday with no connection to the adoratio crucis. This placement is not illogical, inasmuch as the day did not originally include the festive procession with palms that introduced a celebratory tone absent from the Mass liturgy. A close comparison of the Beneventan, Old Roman and Gregorian versions demonstrates considerable melodic affinity. The melodies of the Roman and Gregorian versions are strikingly similar to each other, more than is usually the norm. The Roman melody gives the appearance of being a version of the Gregorian melodically adapted to bring it in line with local style. Both agree in omitting a prominent melisma that appears in both halves of the Beneventan melody (“aut in quo” and “parasti”). On the basis of such a comparison Thomas Kelly opted for a transmission from Benevento to Rome as a more probable explanation. An argument for this direction might be seen in the parallel structure of the Beneventan melody: “essentially the same melody twice, with adjustments for varying lengths and accents in the text,” a technique associated the central Italian musical esthetic.117 The Old Roman version (ABC / ABBD) approximates this bi-partite structure, the point of division occurring at the phrase that begins “quia eduxi.” Alternatively, one might hazard the suggestion that the Beneventans “regularized” a chant they had received from Rome.

Roman Easter Vespers and Pascha ieron When Amalar of Metz visited Rome in 831 to acquire authentic Roman liturgical books for the imperial chapel, he witnessed the “gloriosum officium” that marked the celebration of Vespers on Easter Day and throughout the following Week at the Lateran basilica and neighboring oratories. While he did not offer a full description of this weeklong celebration of the Resurrection, he did remark on the fact that during the Vespers alleluias were sung “cum omni supplemento et excellentia versuum et sequentiarum” and that “multi versus alleluia greca lingua in memorato officio canantur.”118 Fortunately, Amalar’s reference does not have to

116  The Ordinal of Montecassino and Benevento: Breviarium sive Ordo officiorum. 11th Century, ed. Thomas Forrest Kelly, Fribourg, 2008 (Spicilegium Friburgense: Texts Concerning the History of Christian Life 45), p. 380 (no. 435). 117  TBC, p. 171 and Ex. 5.2. 118  Liber de ordine antiphonarii 51; ed. Hanssens (see note 26), vol. 3, pp. 83–5.



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remain a tantalizing allusion to a vanished custom. There exist two corroborative and complementary sources: (1) rubrics for the Vespers in Ordo Romanus 27 and (2) music for the Vespers preserved complete in the Old Roman Gradual, VL 5319.119 The shape and content of the Easter Vespers in the late seventh century are firmly attested by Ordo 27, which also offer valuable clues to points of musical structure and performance that concord precisely with the musical source. The structure of the Easter Vespers is extraordinary, especially the presence of so many alleluias and the “stational” format that assigned successive stages of the ceremony to different locales, dividing them among the Lateran, the adjoining baptistery, the oratory of S. Johannes ad vestem, and the (no longer extant) oratory of S. Andrew ad crucem.120 The Gregorian sacramentary, a papal sacramentary whose origins can be dated to the first half of the seventh century, contains prayers for these stations rubricked: (1) ad sanctum iohannem, (2) ad fontes, (3) ad sanctum Andream, exactly what one would expect to find on the basis of the later rubrical and musical sources.121 On could not hope for a better correspondence between a seventh-century ordo and a much more recent musical source. Of interest in the present context is the question of the origin of the “multi versus alleluia graeca lingua.” Were the Greek-texted alleluias taken over from Byzantine “neighbors” in Rome or central Italy, or were Roman melodies fitted with Greek texts by members of the papal schola cantorum, the choir that plays a leading role in the Vespers of Easter Week? Christian Thodberg, who studied the alleluias from the Byzantine chant perspective, identified a “Vesperstil” to which several of the Greek-texted alleluias (Deute galliasometha, O pimenon, Prosechete laos, Y urani) were set.122 All the texts are psalmic and hence readily available, East and West, so any questions of obvious borrowing on that level can

119  Ordo 27.76–94; ed. Andrieu (see note 109), vol. 3, pp. 362–72. 120  The Roman Easter Vespers have attracted wide attention from liturgical scholars and musicologists. See especially Bruno Stäblein, Die Gesänge des altrömischen Graduale (see note 23), pp. 84*–140*; Joseph Smits van Waesberghe, “De glorioso officio … dignitate apostolica … (Amalarius): Zum Aufbau der Gross-Alleluia in den päpstlichen Ostervespern,” in Essays Presented to Egon Wellesz, ed. Jack Westrup, Oxford, 1966, pp. 48–73; Steven J. P. Van Dijk, “The Medieval Easter Vespers of the Roman Clergy,” in Sacris Erudiri 19 (1969/70), pp. 261–363; John Kenneth Brooks-Leonard, “Easter Vespers in Early Medieval Rome: A Critical Edition and Study,” Ph.D. diss., 1988 (University of Notre Dame). 121  Le sacramentaire grégorien, ed. Deshusses (see note 69), p. 193 122  Christian Thodberg, Das byzantinische Alleluiarionzyklus: Studien im kurzen Psaltikonstil, Copenhagen, 1966 (Monumenta Musicae Byzantinae, Subsidia 8), pp. 168–95, at p. 137 (Ex. 145). Philippe Bernard, “Les alleluia mélismatiques dans le chant romain: recherches sur la genèse de l’Alleluia de la messe romaine,” in Rivista Internazionale di Musica Sacra 12 (1991), pp. 286–362; idem, “Les versets des Alleluia et des offertoires,” in Musica e Storia 3 (1995), pp. 5–40.

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be dismissed.123 Since several of the Latin alleluias of the Vespers are set to the same Vesperstil melody, there is no reason to conclude that Greek “neighbors” had to have had a major hand in crafting these alleluias, except insofar as they facilitated access – presumably oral – to the Greek psalm text.124 The musical language of the alleluias is Roman. For example, Laetatus sum combines the Vesperstil (vs. 1) with the torculus reciting figure so characteristic of the Old Roman offertory repertoire. Roman cantors had no need to strip away Byzantine melodies and replace them with Roman ones – they merely had to have the Greek texts of the desired psalms read to them. Philippe Bernard, who emphasized the melodic correspondences between the melodies of these alleluias and genuinely Roman chants, also doubted their Byzantine origins, concluding that the Vesperstil amounted to “l’expression d’un ethos régional.”125 The “Greek” alleluias of the Pascal Vespers thus turn out to be a conflation of an esteemed language tradition and an indigenous musical style, not a borrowing from St. Peter’s neighbors. At the conclusion of the Easter Vespers the attending clergy were invited to a wine reception during which the Greek “sequence,” Pascha ieron, was sung. The text survives in transliterated form in the Liber politicus of Canon Benedict of St. Peter’s (ca. 1140).126 It is an excellent rendition of the Greek text, to which was added as the final line a prayer that Christ would protect the pope: “kenon papan Christe fulaxon” – not likely a sentiment that emanated from Constantinople! Oliver Strunk transcribed the Greek stichēron from two Byzantine sources (Iviron 953 and Sinai 1471, fol. 273), correcting the transliteration of the final line by emending “kenon” (“new”) to “και νυν” (“and now”).127 In the Beneventan

123  Das byzantinische Alleluiarionzzyklus (previous note), p. 173: “In den erwähnten vier griechischen Versen erinnert mit anderen Worten nur der Text ans Griechische [emphasis original].” 124  The resemblances can be seen in the transcriptions of these G–mode pieces, Greek and Latin, in MMMA, pp. 188ff. 125  Philippe Bernard, Du chant romain au chant grégorien (see note 24), pp. 610–27. 126  Edited in Le Liber Censuum de l’Église romaine, ed. Paul Fabre and Louis Duchesne, Paris, 1910 (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, 2 sér., vi/1–2), vol. 2, p. 151. For a recent evaluation of the source see John F. Romano, “The Ceremonies of the Roman Pontiff: Rereading Benedict’s Twelfth-Century Liturgical Script,” in Viator 41 (2010), pp. 133–49. 127  Smits van Waesberghe, “De glorioso officio” (see note 120), pp. 60–1 and 73. Greek sources are listed in Constantin Floros, Universale Neumenkunde, 3 vols., Kassel, 1970, vol. 3, p. 24. A facsimile from Paris, BNF, gr. 242, fol. 207, is published in Specimina notationum antiquorum, ed. Oliver Strunk, Copenhagen, 1966 (Monumenta Musicae Byzantinae 7) and another from Vatopedi 1488 (fol. 127) in Triodion Athoum, ed. Enrica Follieri and Oliver Strunk, Copenhagen, 1975 (Monumenta Musicae Byzantinae 9). My thanks to Dr. Neil Moran (Toronto) for advice on this topic. For a performance of the stichēron visit: [URL: www.scribeserver.com/NEUMES/help/ orthodox-chant_help.htm#kontakion].



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sphere the transliterated chant is found (without notation) after the Beneventan Easter Mass (Ben 40, fol. 28v).128 The absence of syllabic division in that source indicates that the scribe believed the musical setting to be syllabic, though apparently no one at Benevento knew the music. Unlike the Roman version, the Beneventan transliteration is about what one would expect from a scribe who had no idea of what he was writing. Given the better text quality in the Liber politicus and the prominence of this piece in the Roman celebration of Easter, Pascha ieron seems to be a perfect candidate for a transmission from St. Peter to his southern neighbors, though the music did not accompany the text on this journey.

A Chant for Ember Saturday On folio 7 of the S. Cecilia Gradual (Saturday in Ember Week of Advent) a later hand has inserted the newer Gregorian setting of the canticle Benedictus es domine deus patrum nostrorum; filling up the right and bottom margins of the page. This insertion “frames” the traditional Roman music sung at this point in the liturgy: the gradual Benedictus es in firmamento celi and the canticle Benedicite omnia opera domini domino (based on selected verses from Daniel 3:57–88).129 The chants would have been preceded by a reading from Daniel that ended with the words “in fornace dicentes.” The Gregorian Benedictus es inserted in the S. Cecilia Gradual is of much simpler design than the chant it was intended to replace: all twelve verses are sung to the same single-phrase melody reciting on d that resembles a seventh-mode psalm tone.130 It is slightly more developed, however, with a podatus employed to emphasize accented syllables. Each verse closes with the refrain “et laudabilis/e/i et gloriosus in secula.” The quality of the scribe’s work falls significantly below that of Johannes, the main scribe of the S. Cecilia Gradual. The beginning is particularly faulty: not until the third verse does he manage to have the final fall on the correct pitch (a). The insertion concludes at the bottom of the page with the incipit of the Gloria patri. The reason for this curious and redundant insertion is

128  Facsimile of Ben 40, fol. 28v in PM 21, p. 189. It appears as a communion (with traces of notation) in the palimpsest, Florence, Bibl. Medicaea-Laurenziana, MS 29.8 (fol. 77v) and 33.31 (fol. 45); Kelly, “New Evidence,” 91. 129  A cue at the end of the canticle in the S. Cecilia Gradual calls for a repeat of Benedictus es. 130  It is analyzed in Paolo Ferretti, Esthétique grégorienne ou traité des formes musicales du chant grégorien, trans. Armandus Agaësse, Solesmes, 1938, pp. 212–4.

326 

 Joseph Dyer

difficult to fathom. Perhaps it dates from a period when Old Roman chant began to be neglected at S. Cecilia.

Beneventan, Gregorian, and neo-Gregorian Chant in Roman Chant Manuscripts During the eleventh century, a large number of chants were imported to Rome from Benevento and from other close neighbors of St. Peter in central Italy. These include: (1) melodies for the Ordinary of the Mass, (2) the same melodies cum versibus or tropes,131 (3) tropes for the Proper chants of the Mass, (4) Alleluia prosulae, and (5) sequences.132 The verses associated with Kyrie melodies and Alleluia prosulae add no new music as tropes do, but only text to a textless melisma.133 It remains a disputed question as to whether the textless versions of the Kyries invariably preceded those with text. In many cases it is obvious that text and music were conceived simultaneously.

Chants of the Ordinary of the Mass in Roman Manuscripts What one may broadly call the “trope” repertoire for chants of the Ordinary in the Old Roman graduals consists of 160 versus.134 An overview of the repertoire of chants for the Ordinary of the Mass (Kyrie, Gloria, Sanctus, Agnus dei) in Roman

131  The collection of Sanctus tropes in C 74 is introduced by the rubric “Sanctus, sanctus, sanctus cum versibus” (fol. 121). 132  I would like to acknowledge my debt in what follows to the researches of Alejandro Planchart, John Boe, Viatcheslav Kartsovnik, Gabor Kiss, and Gunilla Iversen. 133  It remains a disputed question as to whether the textless versions invariably preceded those with text. 134  Viatcheslav Kartsovnik, “Proper Tropes in the Old Roman Gradual of Santa Cecilia in Trastevere (A.D. 1071),” in Chant and its Peripheries: Essays in Honour of Terence Bailey, ed. Bryan Gillingham and Paul Merkley, Ottawa, 1998 (Musicological Studies 72), pp. 62–109; Gunilla Iversen, “Nostris tu parce ruinis: On Tropes in the Gradual of Santa Cecilia in Trastevere,” in Roma, magistra mundi, Itineraria culturae medievalis: Mélanges offerts au Père L. E. Boyle à l’occasion de son 75e anniversaire, Louvain-la-Nueve, 1998 (Textes et Études du Moyen Âge 10/1), pp. 439–81. The article contains an edition of the texts of all the Proper and Ordinary tropes and versus in the S. Cecilia Gradual. I wish to thank Prof. Iversen for making available to me a copy of this article, The tropes are indexed line by line in Lütolf, Das Graduale von Santa Cecilia (see note 22), vol. 1, pp. 115–41.



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

 327

manuscripts (with and without verses) is given in Table 8. Column 1 identifies the Ordinary chants by liturgical assignment or first line of the related versus, which in the case of a Kyrie would be followed by an additional eight lines of text interspersed between the nine successive Kyrie-Christe-Kyrie supplications. Prosulae or tropes linked to specific feasts (Christmas, Easter, St. John Baptist, St. Lawrence, BVM) “properize” the neutral texts of the Ordinary chants. The numbers in brackets refer to the standard catalogues of Ordinary melodies.135 Column 2 provides the folio numbers of the chants in the three Old Roman sources: two graduals and the Antiphoner of St. Peter’s.136 Column 3 indicates equivalents in Beneventan manuscripts. Column 4 indicates the liturgical destination and in very general terms how well attested the piece is elsewhere (+ / ++ = many / very many sources). Column 5 indicates page numbers in the Beneventanum Troporum Corpus where an edition of the piece can be found; numerical references are to page numbers in the series Beneventanum Troporum Corpus 2: Ordinary Tropes for the Mass from Southern Italy, A. D. 1000–1250, Parts 1–3, ed. John Boe (all published as of 2012). Boldface type indicates a piece apparently unique to Rome. The Beneventan references are not meant to be exhaustive. Table 8: Ordinary Melodies in Old Roman and Beneventan Chant Manuscripts Name

C 74 VL 5319 B 79

Ben 34/ Ben 35

Liturgical Destination

Beneventanum Troporum Corpus

Ky. In sabbato sancto [deest Melnicki; BTC-Ky 4]

79/ –

–/–

Easter Vigil (added)

Kyrie 4

Ky. Incarnatum quoque [45]

116/ –

–/–

Christmas (+ sources) Kyrie 110

135  Margaretha Landwehr-Melnicki, Das einstimmige Kyrie des lateinischen Mittelalters, Regensburg, 1955 (Forschungsbeiträge zur Musikwissenschaft 1); Detlev Bosse, Untersuchung einstimmiger mittelalterlicher Melodien zum “Gloria in excelsis Deo,” Regensburg, 1955 (Forschungsbeiträge zur Musikwissenschaft 2); Tadeusz Miazga, Die Melodien des einstimmigen Credo der römisch-katholischen lateinischen Kirche. Eine Untersuchung der Melodien in den handschriftlichen Überlieferungen mit besonderer Berücksichtigung der polnischen Handschriften, Graz, 1976; Martin Schildbach, Das einstimmige “Agnus Dei” und seine handschriftliche Überlieferung vom 10. bis zum 16. Jahrhundert, Erlangen, 1967; Peter Josef Thannabaur, Das einstimmige Sanctus der römischen Messe in der handschriftlichen Überlieferung des 11. bis 16. Jahrhunderts, Munich, 1962 (Erlanger Arbeiten zur Musikwissenschaft 1). 136  The Gradual of St. Peter’s (BAV, ASP, F 22) can be left out of consideration, since it has no Ordinary chants or any other textual-musical additions to the standard chants.

328 

 Joseph Dyer

Table 8: (continued) Ky. Hodie Christus resurrexit [209] 116v/148v

123v/182

Ky. Auctor celorum [52]

117/147

32, 121, 129, no rubric (++ sources) Kyrie 28 278v/180v

Ky. Omnipotens stelligeri [46]

117v/146

– /180v

Ky. Devote canentes [77]

117v/146v

276,286/183 no rubric

Kyrie 74

Ky. Pater excelse [27]

118/ –

275/180

no rubric

Kyrie 176

Ky. Laudes pangamus [2]

118 /150

286 / –

St. John the Baptist

Kyrie 146

Ky. Adest reducta [49]

119/149

– /183

St. Lawrence

Kyrie 18

Ky. Ad laudem summae Trinitatis 119 /149 [98]

–/–

no rubric

Kyrie 2

Ky. Christe celorum rex [215]

120/ –

276v, 286v/182

Easter

Kyrie 54

Ky. [untitled] [151]

B/149v

–/–

12–c. addition to colphon page (B) of C 74

[Vat. XVIII] MMMA 2:598 (lines 2–3)

Ky. Agie atque benigne [119]

– /145v

–/–

no rubric

Kyrie 105

Ky. Deus excelse (aaa bbb ccc) [76] – /147v

–/–

no rubric

Kyrie 84

Ky. [untitled] [63]

– /149

–/–

no rubric

Kyrie 200

Ky. In cotidianis diebus [23]

B 79, fol. 196 – / –

Feriae

Kyrie 198

Ky. In festivitatis diebus [204]

B 79, fol. 196 – / –

Feasts

Kyrie 204

Ky. In dominicis diebus [25]

B 79, fol. 196 – / –

Sundays

Kyrie 200

Ky. [untitled] [deest Melnicki]

B 79, fol. 196v

–/–

no rubric



Gl. In sabbato sancto [39]

78v/82v

–/–

Easter Vigil

Gloria 110 (Roman version of “Gloria A”)

Gl. Quem patris ad dexteram [51] 120v/ 151 (untroped)

17/ –

no rubric

Gloria 162 (Vat. XI)

Gl. In sabbato sancto

– /189v

Easter Vigil (add. over erasure) (++ sources)



v

v

v

v

– /82v

v

v

Easter

no rubric (Montecassino)

Kyrie 6

Kyrie 162



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

 329

Table 8: (continued) Gl. [untitled] [12]

– /150v

Gl. [untitled] [51]

no rubric (++ sources)



– /151

no rubric



Gl. In dominicis diebus [deest Bosse]

B 79, fol. 196 – / –

Sundays



Sa. Deus pater ingenitus [154=152]  H2 Prosula. Qui venisti

121/ –

285/ –

no rubric (++ sources) Sanctus 38 (Vat. I)

Sa. Deus fortis [154=152]

121v/ –

–/–

no rubric (+ sources)

Sanctus 30

Sa. Quam pulchra est casta [62]

122/ –

– /198v

Blessed Virgin

Sanctus 90

Sa. Hodie dominus Iesus  (Verses following Hosanna2) [deest Thannabaur]

122 / –

–/– Ben 38, fol. 64v

Easter; inserted after untroped Sanctus

Sanctus 131

Sa. Altissimeque rector [92]  H2 Prosula. Conditor alme   domine

123/ –

283/196

no rubric (++ sources) Sanctus 12

Sa. Invisibiliter penetravit [64?] [deest Thannabaur]  H2 Prosula. Hosanna cuncta   procedens

123v/ –

181/ –

no rubric

Sa. Quem cherubim atque seraphim [63]

124/ –

282v/ –

no rubric (++ sources) Sanctus 93

Sa. Pax in celo permanet [60]

124/ –

– /198

no rubric

Sa. Ammirabilis splendor [74]  H2 Prosula. Indifessas voces

124v/ –

20/197

no rubric (++ sources) Sanctus 3

Sa. In sabbato sancto [81]

– /83 B 79, fol. 196v

–/–

Easter Vigil (add. over erasure); untitled in B 79



Sa. [untitled] [deest Thannabaur] B 79, fol. 196v

–/–

no rubric



Ag. In sabbato sancto [98]

– /83 B 79, fol. 196v

–/–

Easter Vigil (add. over erasure); untitled in B 79

Ag. Ad dexteram patris [236]

125/ –

–/–

no rubric (++ sources)

Ag. O lucis splendor [95]

125/ –

241/199

no rubric (++ sources)

v

– /193

Sanctus 48

Sanctus 76

330 

 Joseph Dyer

The St. Cecilia Gradual has a comprehensive Ordinary repertoire that includes 12 Kyries, 2 Glorias, 9 Sanctus, and 2 Agnus. As can be seen from the folio numbers in column 2 of Table 8 (to the left of the forward slash), all of these are gathered into a Kyriale towards the end of the manuscript (fols. 116–125). VL 5319 has a separate collection of 11 Kyries, 9 with verses (fols. 145v–151; numbers to the right of the forward slash in col. 2). Unfortunately, because of a lacuna the Sanctus and Agnus chants that must have once been present in this manuscript have been lost. The single Sanctus and Agnus in VL 5319 are found earlier in the manuscript as components of the Easter Vigil. Both melodies are unique to Rome, shared only by the Antiphoner of St. Peter’s (in bold print towards the bottom of Table 8: “In sabbato sancto”). An Office antiphoner is a peculiar place to find Ordinary chants, but B 79 has a small collection of 4 Kyries, 1 Gloria, 2 Sanctus, and 1 Agnus. Two very simple Ordinary chants might be designated “archaic”: the Agnus for the Easter Vigil in VL 5319 (Example 5) and the Gloria “in sabbato sancto” of S. Cecilia.

Example 5: Agnus dei. BAV, Vat. lat. 5319, fol. 83

In a comprehensive analysis of the Ordinary melodies of the Old Roman repertoire, Gabor Kiss demonstrated the existence of a consistent Roman Ordinary “style.”137 Virtually every one of the Kyries is in G–mode, and their stepwise melodic motion is confined mostly to the tetrachord G–c. They could almost be described as variations on a theme. (See Example 6 for representative examples.) Several of the melodies are shared with Benevento and other regions.

137  Gabor Kiss, “Ordinary Melodies in the Context of the ‘Old Roman’ Question,” in Essays in Honor of László Somfai on his 70th Birthday: Studies in the Sources and the Interpretation of Music, ed. László Vikárius and Vera Lampert, Lanham, 2005, pp. 19–44, at pp. 35–9; this article also contains an insightful summary of the Old Roman-Gregorian question. The contents of B 79 are: Kyrie 25, 73, 129, x2; Gloria x2; Sanctus 81, x3; Agnus 98.



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

 331

Example 6: Kyries. Cologny-Genève, Bibl. Bodmeriana, C 74, fols.116, 117v, 117

Another distinctive feature of the Roman Kyries is the repetition of the same melody for all nine invocations. In fact, if one were to take the texted versions of a melody into account, the same melody would be heard eighteen times – a phenomenon that harks back to the origin of the Kyrie as a response to the petitions of a litany.138 The single exception, Kyrie deus excelse, has the not uncommon form aaa bbb ccc. Eight of the nineteen Kyries are present in Beneventan manuscripts. Since all of these have prosulae, they almost certainly originated outside Rome, most likely in the Beneventan sphere itself.

Versus, Prosulae, and Tropes for Chants of the Ordinary of the Mass Most of the Ordinary chants in the S. Cecilia Gradual (Table 8 cols. 1 and 2) have added verses or tropes: 10 Kyries, 1 Gloria, 9 Sanctus, and 2 Agnus.139 Seven of the nine sets of Kyrie verses in VL 5319 are shared with the S. Cecilia Gradual (col. 2), an overlap that seems to establish a common Roman corpus, even if imported from elsewhere. Quite a bit of this repertoire was taken over from St. Peter’s “neighbors,” as can be seen from columns 3 and 4. The scribe of VL 5319 apparently had access to something like the S. Cecilia collection as he went to work, but there must have been an alternative source for the Kyrie versus special to VL 5319: Agie atque benigne and Deus excelse. Example 7 is the text of a Kyrie with a festal versus honoring John the Baptist (June 24).140

138  Some Roman Kyries repeat the entire melody to the word “amen.” 139  Of the ten Kyrie tropes in the S. Cecilia manuscript, eight occur there for the first time. 140  The music is transcribed by John Boe, “Italian and Roman Verses for Kyrie leyson in the mss Cologny-Genève, Biblioteca Bodmeriana 74 and Vaticanus latinus 5319,” in La tradizione dei tropi liturgici. Atti del convengo sui tropi liturgici, Parigi (15–19 ottobre 1985) and Perugia (2–5 Settembre 1987), ed. Claudio Leonardi and Enrico Menestò, Spoleto, 1990, pp. 337–84, at Ex. 10.

332 

 Joseph Dyer

Kyrie eleyson. Laudes pangamus baptiste Iohannis, / Let us spread abroad the praises of John the Baptist Kyrie Qui intra vulvam cum lateret matris / Who, while still hidden in his mother’s womb, Kyrie Matris salutem domini jam sensit. / Sensed already the greeting of the mother of the Lord. Christe eleyson. Vaticinavit ante ortus Christi / He prophesized before the coming of Christ, Christe Christi adventum existens praeconem. / being the herald of Christ’s coming. Christe Ortus est Christus; baptizavit eum. / Christ appeared [and] he baptized him, Kyrie eleyson. Dicens en iste, qui tollit crimina, / saying: “Behold, this is he who takes away sins, Kyrie Qui regnum prebet eternum celestem, / who offers an eternal, heavenly kingdom Kyrie In quo cum Christo regnemus in secla. / in which let us reign with Christ forever.” Amen. [set to the entire melody of the Kyrie] Example 7: In sancti Iohannis Baptiste: Kyrie with versus (C 74 fol. 118v; VL 5319, 150)

Each line has exactly eleven syllables, a good indication that text and melody were conceived simultaneously. A single troped Gloria survives in the S. Cecilia Gradual. While VL 5319 has the melody of this Gloria (Vatican XI), it has no trope with it. All but one of the S. Cecilia Sanctus tropes are widely represented in Italian sources, particularly those from Benevento and Montecassino, and there are concordances from other regions.141 Also known from sources outside Rome are the two Agnus tropes, Ad dexteram patris and O lucis splendor. Quite a few unica (shown in bold in Table 8) are found among the Ordinary melodies and tropes in the Roman graduals, including the Kyries Ad laudem summae Trinitatis, Agie atque benigne, Deus excelse, and the Agnus trope Ad dexteram patris. Half the untroped unica melodies occur in the supplement to the Antiphoner of St. Peter’s. Tropes or versus known hitherto only from urban Roman sources may be part of an indigenous Roman production of tropes, as John Boe has suggested, but there is no way of confirming this.142

141  From Kiss’s list of Sanctus, I subtract S 64, 65, and 66. In the Old Roman version “Laudatur trina maiestas” is the second verse of the trope Pax in caelo (C 74, fol. 124–124v); Iversen, “Nostris tu parcis ruinis” (see note 134), p. 479. 142  John Boe, “Italian and Roman Verses for Kyrie leyson” (see note 140), passim. The five



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

 333

Given the extent of other identifiable Roman borrowings, it seems rather unlikely, and Gunilla Iversen has argued (correctly, I believe) that the Roman trope repertoire is fundamentally Italian, and preponderantly Beneventan.

Tropes for the Proper of the Mass Tropes for the Proper chants of the Mass seem to have held little interest for the S. Cecilia community of canons. Only the great feasts of Christmas and Easter were so embellished.143 A total of five Proper trope elements are present in the S. Cecilia Gradual: four for Christmas, and one for Easter. The Christmas trope, Puer natus est nobis is a “paraphrase” trope that draws its vocabulary from the text of the introit itself, adding no independent theological reflection on the words of the introit. (Example 8 shows the trope elements in italic.) The trope is entered on folio 11 of the S. Cecilia Gradual, trope elements alternating with cues to successive lines of the introit, which is entered on fol. 12, following a large capital “P” elaborately adorned with the familiar central Italian interlace decoration. The final trope element, De sede patris, follows the Gloria patri and concludes with a cue that invites the repetition of the antiphon (gaudentes dicamus). Its position, function, and musical style are reminiscent of the versus ad repetendum. The trope to the Easter introit Resurrexi follows the two psalm verses (“Domine probasti me” and “Ecce tu domine”144) of the introit.145 Melodically it too resembles a versus ad repetendum.

Puer natus est nobis filius Dei, rex magnus. Puer natus est nobis . Cuius imperium semper manet sine fine in perpetuum. Cuius imperium .

“Kyries found only in MSS from Rome” in Boe’s Table 2 (p. 345) must be reduced to three with the omission of Laudes pangamus (Ben 34, fol. 286v) and Incarnate quoque (Turin, Bibl. Naz., F. IV.18, fol. 160v; from Bobbio). The former is, moreover, not original but a compilation of preexistent verses. The Kyrie prosula Adest reducta dies for the feast of the Roman martyr Lawrence cannot be claimed as a specifically Roman product either. 143  Brian Møller Jensen, “Unique Compositions Among the Italian Christmas Tropes,” in Ecclesia Orans 12 (1995), pp. 43–56. 144  The latter is the reading of verse 5 in the Roman Psalter: “ecce tu domine cognovisti omnia novissima et antiqua…;” the reading of the Gallican (Hexaplaric) Psalter reverses the second and third words: “ecce domine tu cognovisti.” 145  For editions of both texts see Iversen, “Nostris tu parce ruinis” (see note 134), pp. 468–9, and Kartsovnik, “Proper Tropes” (see note 134), pp. 65–9.

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 Joseph Dyer

Magni consilii angelus, eia, ipse vocabitur puer et, eia, psallite domino, jubilate dicentes, eia, Magni consilii angelus.

Music of the introit Puer natus est followed by the trope versus [ad repetendum?]: De sede patris descendit in thalamo Marie. Christus procedens ex virgine. De quo omnes gaudentes dicamus: Puer natus est nobis … Example 8: Introit Trope for Christmas (C 74, fols. 11–12)

Alleluia Prosulae in the Old Roman Chant Manuscripts Another sign of the S. Cecilia Gradual’s openness to new trends that were scarcely new to St. Peter’s “neighbors” when the Gradual was written in 1071, is the inclusion of a rather large repertoire of alleluia prosulae, texts set to pre-existent alleluia melodies, to the (wordless) jubilus on the final “a” of “alleluia” and sometimes including the preceding syllables (“allelui-“).146 Example 9 (All. Dulce lignum, P[ro]s[u]la. O alma crux) is a representative specimen.

Example 9: Alleluia. Dulce lignum and the prosula O alma crux. Cologny-Genève, Bibl. Bodmeriana, C 74, fols. 98–98v

It would have been a simple matter, if desired, to underlay text to any of the traditional Old Roman alleluia melismas; surprisingly, this was not done. Most of the imported alleluias with prosulae are Gregorian ones, but there are also a few attached to neo-Beneventan or more broadly “Italian” melodies as well.147 Some

146  Corpus troporum VI: Les prosules limousines de Wolfenbüttel, ed. Eva Odelman, Stockholm, 1986. There are no alleluia prosulae in VL 5319. 147  Alejandro Enrique Planchart, “Proses in the Sources of Roman Chant and their Alleluias,” in The Study of Medieval Chant: Paths and Bridges East and West, In Honor of Kenneth Levy, ed. Peter Jeffery, Woodbridge, 2001, pp. 313–39, Example 13.3; to Planchart’s list may be added



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

 335

of the alleluias have multiple prosulae (Dulce lignum [3], Regnavit [2], Tu es sacerdos [2], Ne timeas [3], Iustus est palma [5], O quam pulchra [2]). To these should be added a single offertory prosula: Mundo praesenti pro Christo for the offertory for the feast of St. Agnes, Diem festum virginis sacrum hodie colimus (fol. 31v), a rare offertory shared with Ben 34 (fol. 50v). Given that melismas of the Old Roman chant alleluias were ignored, it seems counterintuitive that Gregorian or neo-Beneventan alleluias would be introduced to Rome merely for the purpose of creating a prosula there. Rather, it is to be assumed that the alleluias were imported along with their prosulae – an instance of “neighbors” coming to St. Peter’s rescue. Of the 32 alleluia prosulas in the S. Cecilia manuscript about half (15), a not inconsiderable proportion, are unrecorded elsewhere.148 The S. Cecilia Gradual thus represents a unique source of the Italian (though not Roman) prosula repertoire.

Sequences The S. Cecilia Gradual has a large repertoire, twenty-one in number, of non-Roman alleluias followed by sequences, twenty-one in number.149 These are spread throughout the manuscript for special days and feasts from the first Sunday of Advent to the feast of John the Baptist (24 June), the end of the manuscript in its present state.150 VL 5319 has far fewer alleluias with sequences (8), which are collected in a small sequentiarium at the end of the manuscript (fols. 151v–158). The repertoires of the two manuscripts are completely independent of each other, an indication that the compilers had separate sources at their disposal and that there was no exclusively Roman corpus.151 The alleluias with sequences introduced to the liturgical practice of S. Cecilia in the late eleventh century did not in every case substitute for already existing

two prosulas to the Alleluia. Pretiosa for the feast of St. Philipp (1 May): Cui plebs tota and In sua magestate [sic]. A few (Sancti tui regnum, Alme fortis domine) occur in Beneventan sources (Ben 35, 38, 39, 40). 148  Giacomo Baroffio, “Le prosule alleluiatiche del graduale Bodmer 74,” in Hortus Troporum: florilegium in honorem Gunillae Iversen, Stockholm, 2008, pp. 155–61 (text edition with brief commentary). 149  Lance Brunner, “Catalogo delle sequenze in manoscritti di origine italiana,” in Rivista Italiana di Musicologia 20 (1985), pp. 191–276, at p. 220. 150  Lütolf, Das Graduale von Santa Cecilia (see note 22), vol. 1, p. 127 151  The Alleluia. Multifarie has a sequence in VL 5319 (fol. 152; MMMA, pp. 202, 606); in C 74 it has no sequence but a prosula (fol. 18v–19).

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 Joseph Dyer

alleluias but supplemented the local repertoire. In more than half the cases (11 of 20) the traditional Old Roman alleluia of the feast is followed by a second alleluia (Gregorian, Old Beneventan, neo-Beneventan) to which the sequence belongs, and then the sequence itself.152 In some cases (Advent III, Agnes, Agatha, Monday in Easter Week, Dominica in albis, Finding of the Cross, Ascension,153 Urban, John the Baptist) the Old Roman alleluia for the feast, attested in the other two Old Roman graduals, has been discarded and replaced by a Gregorian or neo-Beneventan alleluia with its sequence. It is interesting to note that, in contrast to Beneventan practice, the traditional repertoire is given pride of (first) place. Although there are four venerable Notkerian sequences and five pieces from the West Frankish repertoire (BNF, lat. 1084 and 1240) in the S. Cecilia collection, the majority of the pieces (14) are Italian, a pattern of borrowing with which we are already familiar.154 With the exception of Ecce iam sancta Agnes, all of the Italian sequences have Beneventan concordances, and most are found in Cassinese sources as well. Three of the added sequences for the most important feasts are attached to Old Beneventan alleluia melodies: Hodie natus est / Ecce annuntio vobis (Christmas), Hodie baptizatus est / Gaudent omnes celicole (Epiphany), and Resurrexit tamquam dormiens / Quem queritis mulieres (Easter).155 Nothing could be clearer proof of the Beneventan origin of the sequence repertoire of C 74. Virtually none of the sequences in the Old Roman sources can be even speculatively attributed to the city of Rome itself. Here again, the Roman repertory proves itself to be essentially Italian and permeable to works from centers of greater creativity.156 Romans were quite content to borrow from their neighbors, lacking either local interest or local talent to produce indigenous prosulae and sequences for their own alleluias. The presence of so many “foreign” pieces in the S. Cecilia Gradual has been reasonably attributed to its cardinal priest Desiderius, a Beneventan, abbot of

152  Planchart, “Proses in the Sources of Roman Chant and their Alleluias,” passim (see note 147). 153  Ascension is a more complex case: two Gregorian Alleluias are followed by two Roman ones (also in VL 5319, fol. 105v), followed by another Gregorian one (Viri Galilei), an Italian(?) Alleluia Cernentibus discipulus, and two prosulae: Ascendit deus in iubilo and Rex omnipotens die hodierna (C 74, fols. 100–101). 154  Example 13.4c. I add to Planchart’s list (Example 13.4b) the inadvertently omitted Alleluia. Ingressa Agnes with its sequence Ecce iam sancta Agnes (fol. 26v–27); Planchart discusses this piece on p. 336. 155  Thomas Forrest Kelly, “A Beneventan Borrowing in the Saint Cecilia Gradual,” in Max Lütolf zum 60. Geburtstag: Festschrift, ed. Bernhard Hangartner and Urs Fischer, Basel, 1996, pp. 11–20. 156  Planchart, “Proses in the Sources of Old Roman Chant” (see note 147), p. 322.



St. Peter and His Neighbors: Reflections on Roman and Italian Chant and Liturgy 

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Monte Cassino from 1058, and created a cardinal by Nicholas II in 1059. When Pope Stephen IX forbade the singing of “Ambrosian” chant at Monte Cassino in 1058, it fell to Desiderius to enforce the papal wishes. How he did this, we do not know, but he certainly would have become familiar with the Italian repertoire of Gregorian chant with its various supplements (tropes, sequences, etc.). Desiderius’s titular church continued to be a stronghold of Roman chant, but it opened itself to contributions from St. Peter’s neighbors.157 The prominence of Cassinese sources in the imported chants of the S. Cecilia gradual argues for the intervention of Desiderius.

Conclusion The early indebtedness of Benevento to Rome, attested by shared liturgical archaisms, gave way to a period marked by more complex and not easily defined interrelationships involving text and music, sometimes separately. Depending on the case, Benevento may have chosen to draw either on its Roman neighbor or on the cosmopolitan Gregorian tradition. As far as one can determine from the fragmentary evidence, the Beneventan cantors engaged “foreign” music, whether Gregorian or Roman, the latter a style very much akin to their own central Italian musical dialect, on their own terms, transforming the melodies in ways that mask their origin. While they might choose to emulate their neighbors on occasion, they had no desire to be seen as mere imitators of them. Unless many sources have been lost, the remarkably small number of pieces of Old Roman chant that may have been exported from Rome after the eighth century demonstrates how little interest there was among St. Peter’s neighbors – near and far – in what Roman singers were singing. Indirect witnesses are fragile evidence. Neither the Sárospatak fragment nor the fragments of music for the Office discovered in manuscripts presently at Bologna, Fronsinone, and Sutri were probably used where they are found today. This lack of dissemination should not surprise us. Roman chant had little new to offer after its initial transmission in the late eighth century and, once the mature Gregorian style had evolved, its idiom would have seemed quite foreign to musical standards prevailing outside Rome. Local cantors, either by contrafacting extant pieces or by creating new

157  Lütolf, Das Graduale von Santa Cecilia in Trastevere (see note 22), vol. 1, pp. 36–44; for a brief overview of the church’s history and its scriptorium see Dyer, “The Eleventh-Century Epistolary of Santa Cecilia in Trastevere” (see note 27), pp. 311–6.

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 Joseph Dyer

works in neo-Gregorian style, as happened at Benevento, created music for new feasts or for local saints as necessity arose. The Gradual of S. Cecilia in Trastevere, so remarkable a witness to the urban liturgy of Rome, is extraordinary for its receptivity to contributions from Beneventan and central Italian “neighbors,” but we will never know how broadly that spirit of receptivity was shared by the many other churches in the city of Rome.158

158 A related study appeared as the present article was in press: Alejandro Enrique Planchart, “What the Beneventans Heard and How They Sang,”  in Plainsong and Medieval Music 22 (2013), pp. 117–52.

Barbara Haggh-Huglo

Modes, Tenors, Scribes, and Stems: The Hispanic Features of Two Hispanic Manuscripts, Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 20486, and Las Huelgas, Santa María la Real, Ms. IX. At the center of the historiography of thirteenth-century organa, clausule and early motets is the city of Paris and its intellectual world, yet Anonymous IV, an aged musician remembering this repertory, if we follow Rob Wegman,1 refers to Hispanic (and other) persons and locations outside of Paris, and there is agreement that two important sources of the thirteenth-century polyphonic repertory were copied on the Iberian peninsula – the Madrid codex (here MA), and the Las Huelgas codex (here HU), as well as numerous fragments with polyphony and music theory manuscripts contemporary to them.2 Consequently, my purpose

1  Rob C. Wegman, “The World According to Anonymous IV,” Colloquium Presented at Case Western Reserve University on 18 March 2010. 2  On the two manuscripts, see, most recently, El Códice de Las Huelgas, ed. Juan Carlos Asensio Palacios and Josemi Lorenzo Arribas, Madrid, 2001; El Códice de Madrid: Polifonías del Siglo XIII, ed. idem, Madrid, 1997; Nicolas Bell, “The Compilation and Notational Style of the Las Huelgas Codex,” Ph.D. diss., University of Cambridge, 2000; idem, El Códice musical de Las Huelgas: un estudio complementario del facsímil, Madrid, 2004; idem, “The Ordering and mise-en-page of the Las Huelgas Codex,” in Fuentes musicales en la peninsula ibérica (ca. 1250–ca. 1550), eds. Maricarmen Gómez Muntané and Màrius Bernadó, Lleida, 1996, pp. 97–108; Maricarmen Gómez Muntané, La música medieval en España, Kassel, 2001; eadem, “Review of Bell, El Códice musical de Las Huelgas”, in Revista de musicología 26 (2003), pp. 730–5; and especially Mary E. Wolinski, “The Case of the Disappearing Rests: A New Look at the Spanish In seculum Hocket in Madrid, BNE, Ms. 20486,” paper presented at the Conference on Medieval and Renaissance Music in Barcelona, 6 July 2011, forthcoming in Recent Research in Early Iberian Music in an International Context, eds. Tess Knighton and Emilio Ros-Fábregas (Papers from the Medieval and Renaissance Music Conference, Barcelona, 5–8 July 2011). (I thank Professor Wolinski for sending me a copy of her paper in advance of publication). There is no up-to-date repertory of the fragments, and they will not be discussed here, but pertinent studies include Gregorio Bevilacqua, “Conductus or Motet? A New Source and a Question of Genre,” paper presented at the Conference on Gothic Polyphony at Princeton University, November 2011, and forthcoming in Musica disciplina (I thank Dr. Bevilacqua for making his text available to me); Ismael Fernández de la Cuesta, “Fragmento polifónico del Ars antiqua en Castilla,” in Revista de musicologia 7 (1984), pp. 453–66; Jesús Martin Galán, “Un fragmento polifónico de Ars antiqua en Castilla: transcripcion y fuentes paralelas,” in Revista de musicología 13 (1990), pp. 579–614; El Códice Ca-

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 Barbara Haggh-Huglo

here is to move the spotlight away from Paris3 to the Iberian peninsula and to look

lixtino y la música de su tiempo, eds. José López-Calo and Carlos Villanueva Abelairas, La Coruña, 2001; Fuentes musicales en la peninsula ibérica (ca. 1250–ca. 1550), eds. Gómez Muntané and Bernadó (cited above); Maricarmen Gómez Muntané, “El Ars Antiqua en Cataluña,” in Revista de musicología 2 (1979), pp. 197–255, and 3 (1980), pp. 279–84; eadem, “Acerca de las vias de difusión de la polifonia antigua en Castilla y León: Del Códice Calixtino al Códice de Las Huelgas,” in El Códice Calixtino y la música de su tiempo, eds. José López-Calo and Carlos Villanueva, La Coruña, 2001, pp. 163–80; Maricarmen Gómez Muntané, “Deux nouveaux fragments polyphoniques antérieurs à l’Ars nova dans un manuscript du monastère de Santa María de Vallbona,” in Aspects de la musique liturgique au Moyen Age, ed. Christian Meyer, Paris, 1991, pp. 177–90; Maricarmen Gómez Muntané et al., “Fragmentos de musica medieval en astorga: catalogacion de fragmentos y hojas de guarda de manuscritos liturgico-musicales conservados en el Archivo Diocesano,” in Archivos Leoneses 91–92 (1991), pp. 399–423; Kathleen E. Nelson, “A Fragment of Medieval Polyphony in the Archivo Historico Provincial of Zamora,” in Plainsong & Medieval Music 2/2 (1993), 141–151; and Thomas Payne, “The Organa of Silos, Santo Domingo de Silos, Biblioteca de Monasterio, Fragmentos Musicales 27,” in prep. for publ. in Fragmenta libri organorum. Le Magnus liber organi de Notre-Dame de Paris 8, Les Remparts and Monaco. Theory treatises in Hispanic manuscripts: an early fourteenth-century Tractatus de cantu organico is E-Bc Misc. 23–1 (RISM BIII5, p. 60); the sixteenth or eighteenth-century E-Bbc 1325 includes an Arte de melodia sobre canto lano y canto d’organo (RISM BIII5, pp. 70–71); the fourteenth-century or ca. 1400 E-Bbc M.883 includes Anonymous La Fage I and other short discantus treatises, as well as “Hic est ars motetorum …” and excerpts from Johannes de Garlandia (RISM BIII5, pp. 72–8); the mid fourteenth- to early fifteenth-century E-Sc 5–2–25 has De modo organiçandi (RISM BIII5, pp. 111–20); E-Tc 98–28 has Al-Farabi De ortu scientiarum and six thirteenth-century conductus and motets (RISM BIII5, pp. 127–8); and the fifteenth-century E-Tp 329 has vernacular text on canto de organo (RISM BIII5, pp. 128–130); updated descriptions of these sources are in RISM BIII6. Some digitizations of these sources can be found in DIAMM or at [URL: www.clep.es]. Also see [URL: http://es.wikipedia.org/ wiki/ Fuentes_musicales_medievales_de_ Espana] and the subdivision “Fuentes de ars antiqua.” Some of the fragments are discussed in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see above), pp. 83, 90, and in Gómez Muntané, La música medieval (see above), provides discussion on pp. 141–54, who gives a list of ars antiqua sources on pp. 142–3. Compositions in MA are ed. with their concordances in Hans Tischler, The Earliest Motets (to circa 1270), 3 vols., New Haven, 1982. 3  Michel Huglo informed me of a text suggesting that Toledo was more attractive than Paris to some English students: Daniel Morley wrote circa 1180, so during the lifetime of Leonin, that there were ignorant beasts teaching in Paris, which is why he decided to go to Toledo. Ricardo Garcia Villoslada, L’Historia de la Iglesia en España, ed, vol. II/1: La Iglesia en la España de los siglos VIII–XIV, Biblioteca de autores cristianos, Maior, 17, Madrid, 1982, p. 460. This text is cited by Charles Burnett in his The Introduction of Arabic Learning into England, London, 1997, p. 61: “Cum dudum ab Anglia me, causa studii, excepissem et Parisiis aliquandiu moram fecisse, videbam quosdam bestiales in scholis gravi auctoritate sedem ocupasse… Qui dum propter in scientiam suam statuae tenerent, tamen volebant sola taciturnitate videri sapientes.” (“When formerly I had succeeded to leave England for the purpose of study and I had delayed in Paris for a fairly long time, I used to see certain beasts occupy the seat in the schools with weighty authority… The men, who, while they followed the statutes according to their ignorance, nevertheless



Modes, Tenors, Scribes, and Stems  

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closely at certain features of the two codices, especially through the lens of Anonymous IV’s text.4 As we shall see, Hispanic musician-scribes usually did not just copy, but “translated” or actively recomposed the repertories they transmitted, in some cases producing their own syntheses derived from Iberian and Aquitanian, as well as Parisian practices. That MA and HU were written in Spain has never been doubted, and recent scholarship has advanced our knowledge of their codicology, paleography, and content.5 Both manuscripts give evidence of Parisian influence, but Hispanic execution.6 An abbess of Las Huelgas has even been proposed as composer of polyphony in HU.7 There is little direct relationship between the two repertories. Table 1 shows the list of eighteen concordances; no two compositions appear successively in both manuscripts. MA has 101 compositions; HU has 185. Table 1: Concordances, MA and HU (2v = two different vocal parts)8 MA 36 MA 37 MA 47 MA 57 MA 58 MA 64 MA  68

2v 2v 2v 2v 2v 2v 2v

HU 147 HU 146 HU 155 HU  98 HU 131 HU 153 HU 154

2v 2v 2v 2v 2v 3v 3v

Flos de spina procreatur Quod promisit ab eterno Sursum corda elevate [HU: Ergo agnus] Ad celi sublimia/ Et regnabit Deo confitemini/ Domino Ave maris stella virgo Mater patris et filia

Conductus Conductus Conductus Motet Conductus/Motet Conductus Conductus

used to want only to be seen to be wise men from their silence.”) . 4  Higini Anglés was first to emphasize the Hispanic elements in these manuscripts: cf. El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 18, and José Lopez-Calo, “El ars antiqua en la obra de monseñor Anglés,” in Higini Anglès i la musicologia hispànica: [Actes del congrès internacional], Barcelona and Tarragona, 26–29 de setembre de 1988, Barcelona, 1992 (Recerca musicologica, 9–10), pp. 37–57. The text of Anonymous IV is discussed, ed., and transl. into German by Fritz Reckow, Der Musiktraktat des Anonymus 4, 2 vols., Wiesbaden, 1967, and it was transl. into English by Jeremy Yudkin, The Music Treatise of Anonymous IV: A New Translation, [Rome], 1985. 5  See the two ed. by Juan Carlos Asensio Palacios and Nicolas Bell’s El Códice musical de Las Huelgas (see note 2). 6  See especially, Wolinski, “The Case of the Disappearing Rests” (see note 2). 7  See El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 26–9; and Josemi Lorenzo Arribas, “¿Una atribución a una compositora castellana de principios del siglo XIV? Nuevas interpretaciones para una polémica en torno al Códice de la Huelgas,” in Revista de musicología 28 (2005), pp. 86–101. The abbess in question is María Gundissalvi de Aguero. 8  MA numbers in El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), where the numbers of HU concordances are wrong; HU numbers from El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2).

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 Barbara Haggh-Huglo

Table 1: (continued) MA  72 MA  85 MA  86

2v 2v 3v

HU 105 HU  83 HU  93

2v 3v 3v

MA  87 MA  88 MA  89 MA  91 MA  92 MA  93 MA  96 MA 101

2v 2v 2v 2v 2v 2v 2v 2v

HU  86 HU  94 HU  85 HU  95 HU 115 HU  88 HU 116 HU 102

3v 3v 3v 3v 2v 2v 2v 2v

Parit preter morem Alpha bovi / Domino Hypocrite pseudo pontifices / O quam sancta / Et gaudebit Veni, vena venie / Et in fines Honor triumphantis / Hodie Maria Gaude chorus omnium / Angelus Domini Patrum sub imperio / Patribus Divinarum scripturarum / Audi filia Mulier misterio sterilis / Mulierum Omnipotens fecit / Plaudite Novus miles sequitur

Conductus Conductus/Motet Motet Conductus/Motet Conductus/Motet Conductus/Motet Conductus/Motet Motet Motet Motet Conductus

MA, a portable compilation from the third quarter of the thirteenth century,9 is only about the size of a small hand, 166 x 115 mm (justification circa 122 x 90 mm).10 It is smaller than F, W1, or W2, but larger than the Winchester Troper. It is much smaller than contemporaneous notated liturgical books from Paris, the Aquitaine, or the Iberian peninsula. Organized into gatherings by number of voices, as was common, MA does not follow liturgical order, but can be considered a selective compilation after a model like F or that described by Anonymous IV: after a binion with an unicum, the three-voice conductus Praeter rerum seriem, MA opens in the middle of a fascicle, whose first gatherings are missing, with a gathering of troped organa and then a second gathering that is incomplete with the signature quadrupla attributed to Perotinus by Anonymous IV.11 There follow four fascicles with 61 conductus and 33 motets, almost all for two voices

9  El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 14, gives ca. 1260–65, reporting “los musicólogos”; Edward Roesner in Le Magnus liber organi de Notre-Dame de Paris, eds. id. and Michel Huglo, vol. 1, Les Quadrupla et Tripla de Paris, Les Remparts, Monaco, 1993, p. xxxii, and Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), p. 118, following him, give “mid-thirteenth century.” 10  This is close to the size of the Frankfurt conductus fragments, which are not Iberian. Within their binding, those fragments measure 18,4 x 11,7 cm and have a writing surface of 6 x 11 cm. See Eva M. Maschke, “Neue Conductus-Fragmente aus Frankfurt a. M.,” Studi musicali, Nuova serie 1/2 (2010), pp. 295–312, here pp. 299–300. 11  See, most recently Wolinski, “The Case of the Disappearing Rests” (see note 2), but also Roesner, Le Magnus liber (see note 9), vol. 1, p. xxxii, for a description of the gathering structure of MA. For the text of the well-known passage attributing quadrupla optima to Perotin, see Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 1, p. 46 (Latin edition), and Yudkin, The Music Treatise (see note 4), pp. 39–40 (Engl. transl.).



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and many with counterparts in F, but including some unica and newly-composed voices.12 Anonymous IV remarks in chapter 6, where he describes the “volumes” or fascicles of manuscripts with Parisian repertory: “And there is a fifth volume of quadruple, triple and duple [conductus] without caude, which used to be much used by minor singers, and similar things.”13 Although the MA repertory is predominantly for two voices, most of its conductus do have caude. Jutta Pumpe has examined the motets in MA and their relationship to the versions in non-Iberian sources. Her discussion makes it clear that often voices were omitted or recomposed, but that this had a logical musical basis. For example, in the motets Mors morsu (MA 55) and Mens fidem (MA 84), new texts were underlaid to their tripla to fit the music better, and if tripla were removed, as in the motet Ad solitum vomitum (MA 78), it was because they were musically independent and not paired with the motetus.14 Such changes, of which yet other examples are given below, were almost certainly made in Spain. Comments in the vernacular were added to MA as they were to HU.15 There is a reference in Castilian to the tenor voice of a two-voice motet, tenura de Mors morsu on fol. 105r, copied to the right and running into the margin in the middle of the textless melody before the next piece, Ave Maria. This may have been a reminder to the reader of the copy of the very same tenor earlier in the manuscript, where it appears on fol. 21r-v in the only four-voice clausula in the Parisian repertory from which the motet was derived – the tenor copy is indistinguishable from that of the other voices here. That clausula follows the quadruplum Sederunt principes.16 In HU the word tenura was added seven times (see Table 2). HU lacks some tenors, but not as many as MA. When HU included them, they often lacked texts, so it was necessary to signal that the voice in question was singing a tenor.17

12  Table of contents in El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 563–73. MA does not place conductus and motets in separate fascicles. 13  Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 1, p. 82; Yudkin, The Music Treatise (see note 4), p. 73 (Engl. transl.). 14  Jutta Pumpe, Die Motetten der Madrider Notre-Dame Handschrift, Tutzing, 1991, pp. 41 and 72–74, and especially eadem, “Das Reduktionsprinzip bei den Motetten der Madrider Notre-Dame Handschrift,” in Aspects de la musique liturgique au Moyen Age (see note 2), pp. 191–200. 15  Those of HU are transcribed in its table of contents, given by Bell in El Códice musical de Las Huelgas (see note 2), pp. 43–64. 16  The tenor is from the Alleluia verse Alleluia, Christus resurgens. See the discussion in El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 18 and 20–1. 17  Discussion in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 153–4.

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Whether these indications of the tenura were a predilection of the scribe or time, or a feature of Iberian musicianship, is considered further on. Table 2: Additions of the Word “Tenura” in HU 82r–83r 83r–84v 94v 115r 116v–117r 119r 152v,166r-v

Belial vocatur Dum superbit O quam sancta Celi domina/ Ave virgo virginum Amor vincens/ Marie preconio Deo confitemini Mellis stilla

tenura [Domino] tenura [Domino] tenura [Et gaudebit] tenura [Et super] tenura [Aptatur]

unicum unicum tenor altered many concordances with different texts with concordances

tenura [Domino] tenura [Domino]

also in MA but closest to W2 with concordances

Returning to MA, there is also the evidence of its Hispanic provenance. A book that could be MA is described in a library inventory of the first half of the fourteenth century. Found among papers from Toledo Cathedral, this inventory was assumed to be from the Cathedral. MA also bears a number of later shelfmarks of that library, where it was demonstrably kept until it was confiscated by decree in 1869 to become the property of the National Library in Madrid.18 Finally, the unica in MA and the even larger number in HU,19 and works with concordances only in Iberian manuscripts are also most likely Hispanic (see Tables 3 and 4). Such unica were sometimes grouped together, as were three twovoice motets near the end of MA: no. 97 Ioanne Elizabeth, no. 98 Ovibus pastoris, and no. 99 Ave gloriosa. Eleven pieces in HU are concordant with MA; six pieces in MA are only concordant with HU: Ad celi sublimia, Divinarum, Honor triumphantis, Mulier misterio, Omnipotens, and Patrum sub imperio (see Table 1).20 A composition that may be the work “made” by “quidam Hispanus” according to Anonymous IV is the unique version of the three-voice hocket, In seculum, which was added to the end of the fifth gathering of MA by scribe A, according to Mary Wolinski.21

18  See El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 14–9, on the history of the codex in the libraries of Toledo Cathedral and Madrid. 19  See the table of motets that are unica in HU in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 71–3. 20  Pumpe, Die Motetten (see note 14), p. 109, on unica and pieces only in MA and H; none of the unica are related to known clausulas. 21  Wolinski, “The Case of the Disappearing Rests” (see note 2), makes the argument that the scribe was Roesner’s A, not Roesner’s E. Cf. Le Magnus liber (see note 9), vol. 1, p. xxxii.



Modes, Tenors, Scribes, and Stems  

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Table 3: Unica in MA and HU Divided by Genre (numbering of MA from Asensio Palacios and of HU from Bell) Alleluia Agnus Dei tropes Benedicamus Domino Benedicamus Domino with tropes Conductus Conductus/Motet Gradual Kyrie without or with tropes Motet Planctus Prosa Sanctus with or without tropes Solfège Textless fragments

HU 8 HU 20, 22, 24–28 HU 29–37, 39, 42–45 HU 174, 178, 186 MA 33, 50, 100; HU 91–92, 134 (with vernacular annotation), 145, 151, 156, 159, 161, 167 HU 81, 82, 84 (triplum), 87, 99 HU 46 HU 1–5 MA 97, 98; HU 109–112, 117, 119, 129, 130, 132, 135, 139, 141, 143 HU 163, 165, 169–172 HU 51–54, 56–61, 63, 65, 68, 70–74, 76, 79 HU 13–14, 17–19, 48 HU 177 MA 4

Table 4: Unica in MA and HU that are Conductus, Conductus-Motets, or Motets Conductus MA  33 MA  50 MA 100 HU  91 HU  92 HU 134 HU 145 HU 151 HU 159 HU 161 HU 167

Adest annus iubileus Salve sancta parens, enixa Salve sancta parens patrie Surrexit de tumulo Splendidus regis/ Leo bos/ Kyrie Casta catholica/ Da dulcis Domina Da [sic] castitatis thalamum O gloriosa Dei genitrix Omnium in te Christe Audi pontus audi tellus Iesu clementissime

2v 2v 2v 2v 3v 2v 2v 2v 1v 1v 1v

Belial vocatur/ Domino Dum superbit impius/ Domino Sicut a prophetis/ Sicut audivimus Mundi dolens de iactura/ [unidentified] Ave caro splendida/ Omnes

4v 3v 3v 3v 3v

Conductus-Motets HU  81 HU  82 HU  84 HU  87 HU  99

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Motets MA  97 MA  98 MA  99 HU 100 HU 109 HU 111 HU 112 HU 117 HU 119 HU 129 HU 130 HU 132 HU 135 HU 139 HU 141 HU 143

Iohanne Elizabeth/ Iohanne Ovibus pastoris/ Pro ovibus Ave gloriosa plena gratie/ [unidentified] Virgo parit/ Nova salus/ Domino Et florebit lilium/ Et florebit Tres sunt causa conferendi/ [unidentified] Virgo virginum/ Virgo Dei genitrix Tu claviger etheris/ Tuis In seculum artifex/ In seculum supra mulieres/ In seculum O plangant nostri prelati/ Omnes Salve porta/ Salve salus/ Salve sancta parens Ex illustri … sponsa/ Ex illustri … et nobilis/ [unidentified] Ave verum corpus/ Ave vera caro/ [unidentified] O plena gracia/ Omnes Clama ne cesses/ Alleluia Ecclesie princeps/ Et confitebor

2v 2v 2v 3v 2v 2v 2v 2v 3v 2v 3v 3v 3v 2v 2v 2v

HU, which is still kept at the convent of Santa María la Real de Las Huelgas just west of Burgos, is a plain book on parchment of poor quality, in stark contrast to other beautifully decorated manuscripts prepared for the convent. It lacks any trace of having ever been outside of this convent. Its copying was accomplished before 1340 with additions made until 1350, according to Nicolas Bell; to Maricarmen Gómez Muntané, the work of the main scribe dates from ca. 1300, but the additions were made in the first half of the fourteenth century.22 The corrections and additions show that HU was used at Las Huelgas for decades, according to Bell, by what were perhaps French chaplains who sang at services for the women.23 The corrections show use of the book for singing; sometimes different scribes emended the same piece.24 There is also HU 176 (fol. 154v), an incomplete two-voice piece with an opening phrase set entirely to solmization syllables and a text referring to the nuns.25 At the same time, HU, measuring 261 x 178 mm,

22  Founded in June 1187 for King Alfonso VIII and Queen Eleanor of England, Las Huelgas was the location of the tombs of the Castilian royal family. Its association with Cîteaux dates from after 1199. On the date of the codex, see El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 82, and Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), pp. 128, 130. 23  Nevertheless, El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 39–40, points out that the scribe did not know who Thomas Becket was, writing in HU 129 “Come,” instead of “Thome”. 24  See El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 21–32, for an extended discussion of music at Las Huelgas. 25  See ibid., p. 17 and pp. 31–2 (edition); Bell assigns this piece the number 177 (El Códice mu-



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which is much larger than MA and indeed the size of smallish chapel missals, seems also to have served as a practical book for the mass. It has a much roomier page layout than most liturgical books, and there is evidence that its scribe was working from an even larger book.26 HU’s script is somewhat comparable to that of MA, though Bell did not find it in any archival documents from Las Huelgas.27 The initials are unlike those of MA, and Bell could not find any trace of a possible surviving model for any aspect of HU. The sacred repertory of HU follows liturgical order and includes 45 monophonic works and 141 polyphonic works for the Ordinary and Proper of the mass (in liturgical order),28 sequences (by liturgical themes), motets (by styles), conductus (polyphonic then monophonic) and 10 Benedicamus tropes, as well as, among the additions, the Credo of the Mass of Tournai.29 Of 186 compositions in the manuscript, 97 are unica (see Tables 3 and 4); 23 have Hispanic concordances not including MA; and 10 have concordances only in MA and in non-Hispanic sources, but not in Hispanic fragments. Clearly, HU’s organization and repertory are far removed from those of the earlier codices of Parisian polyphony, including MA. HU has many distinctive characteristics, of which most are Hispanic. Even though Las Huelgas was a Cistercian foundation, HU contains examples of Dominican influence, and this order often preached for royalty. Its scribe always used custodes, as are found in Dominican manuscripts; there are no custodes in F, W1, W2, or MA.30 And it has 23 sequences in the meter of the Stabat mater,31

sical de Las Huelgas [see note 2], p. 63), and notes that it is the only piece in HU copied in two columns. 26  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 80–1, discusses the question of the model for HU, admitting that it was either compiled from different models or copied from an existing compilation, though he favors the former scenario. 27  Discussed in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 28–32. 28  That ordinaries and propers are grouped together has no counterpart in liturgical books; ordinaries were first grouped into separate masses by Franciscans in the thirteenth century. 29  Table of contents in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 43–64. 30  See Michel Huglo (trans. Barbara Haggh), “Dominican and Franciscan Books: Similarities and Differences between their Notations,” in The Calligraphy of Medieval Music, ed. John Haines, Turnhout, 2011, pp. 195–202, here p. 199, and compare Kenneth Levy, “A Dominican Organum Duplum,” in Journal of the American Musicological Society 27 (1974), pp. 183–211, especially the facsimile pp. 192–3, showing the custodes that were used intermittently in I-Rvat lat. 14179, fol. 320v–321r. 31  On the sequence and their notation, see El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 127–51; a list is on p. 69. Also see Bryan Gillingham, “Modal Rhythm and the Medieval Sequence,” Studies in Music from the University of Western Ontario 1 (1976), pp. 105–23.

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the latter whose two earliest manuscript sources are from Bologna, one from a Dominican nunnery.32 Very significant in HU are the group of planctus unica copied by the main scribe near the end of the manuscript, beginning with no. 168, Rex obiit (HU 169), for the founders of Las Huelgas, King Alfonso VIII (+ 1214) and his wife.33 There follow no. 169 Quis dabit, for Alfonso VII (+ 1157), no. 170 O monialis concio, for Maria Gundissalvi de Aguero, an abbess who died ca. 1325 and was proposed recently as a composer,34 and no. 171 Plange Castella misera, for King Sancho III (+ 1158). Preceeding these planctus are a group of conductus with concordances in F, most from fascicle ten: nos. 146–150, 152, 153, 155, 158, 160, 162, 163, 165, 166. The planctus recall the occasional conductus in the last part of F.35 Especially intriguing are the entries in the vernacular that were added to HU, though their language cannot be traced to a single Iberian location. Even the Latin orthography has Castilian variants, but they are not exclusively Castilian.36 The additions of the terms “manera francessa” and “manera hespanona” are discussed below. As Table 2 showed, the word tenura appears in seven places in HU. Two of these instances, on fol. 148r, are intriguing. The first, written by the main scribe under the tenor melody that follows the other voices, reads “Esta tenura es de mellis still[a].” The second, just below it in red ink, is a rectangle with the inscription “Iohan[n]es roderici me fecit” inside it.37 Since Mellis stilla was widely disseminated, and the phrase “Johannes roderici me fecit” appears numerous times in HU, the consensus is that “me fecit” means that Roderici adapted or emended,

32  Cesarino Ruini, “Un antico versione dello Stabat Mater in un graduale delle Domenicane bolognesi,” in Deo è lo scrivano ch’el canto à ensegnato: Segni e simboli nella musica al tempo di Iacopone, Atti del Convegno internazionale, Collazzone, 7–8 luglio 2006, ed. Ernesto Sergio Mainoldi and Stefania Vitale (Philomusica On-line, 9, no. 3, 2010). 33  See El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 17, and Wulf Arlt, “Musik, Schrift und Interpretation: Zwei Studien zum Umgang mit Aufzeichnungen ein- und mehrstimmiger Musik aus dem 14. und 15. Jahrhundert,” in Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 4 (1980), pp. 91–114, and El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 169–71. 34  See note 7, and Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), p. 128. 35  On the occasional conductus in F, see Barbara Haggh and Michel Huglo, “Magnus liber – maius munus, Origine et destinée du manuscrit F,” in Revue de musicologie 90 (2004), pp. 193–230, here pp. 210–5. 36  On vernacular texts in HU (HU 110, 111, and 151), see El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 39, and El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 7–10. 37  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 34–6 on Roderici and p. 76 on Mellis stilla. See Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), pp. 130–1.



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but did not compose the tenor in question.38 Nevertheless, this is an unusual interpretation of the word “fecit,”39 and the phrase is evidently a later addition. Furthermore, James H. Cook constructed a stemma of Mellis stilla, claiming that HU and four other sources independently descended from its original. The version in HU is the only one with an old-fashioned conductus-style triplum; the other versions treat the text as a motet, whether for two or three voices. So even if HU was a later source, nothing in the stemma excludes the possibility that the scribe should be taken at his word, at least for this composition.40 An array of idiosyncrasies in HUs notation – which combines modal notation and Franconian mensural practices with a variety of incises, stems, and dots – includes what are surely Iberian if not local inventions.41 Bell thinks the scribe knew the Parisian notation, but “translated” and updated the notation to assist performers at Las Huelgas.42 One finds many added and sometimes unnecessary stems, even stems at the end of a series of currentes,43 usually signaling shorter lengths if ascending, longer lengths if descending (as in Italian trecento notation).44 The scribe of HU included double instead of single incises, as are also found in MA, in Mors, for example.45 In F, they occur when the tenor rests are a ternary long followed by a duplex long, as in the Regnat clausulas on fol. 167v.46 The HU scribe frequently uses duplex longs or longs with tails at both ends, usually in tenor voices, as on fol. 22r (duplex longs), 129r (sustained tenor

38  Listed in El Códice de la Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 9, and discussed pp. 9–10, also in idem, “Compositor, enmendador, acordador… El papel de Johannes Roderici en el Códice de las Huelgas,” in Campos interdisciplinares de la musicologia, ed. Begoña Lolo, 2 vols., Madrid, 2001, pp. 597–620. 39  Rob C. Wegman, “From Maker to Composer: Improvisation and Musical Authorship in the Low Countries, 1450–1500,” in Journal of the American Musicological Society 49 (1996), pp. 409–79. 40  James H. Cook, “Manuscript Transmission of Thirteenth-Century Motets”, Ph.D. diss., University of Texas at Austin, 1978, p. 139 (stemma) and pp. 134–43 (discussion). 41  Gordon A. Anderson, “The Notation of Bamberg and Las Huelgas,” Musica disciplina 32 (1978), pp. 19–67, in his Table, pp. 49–60, presents the notational figures which appear regularly in HU. Also see El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 11–8, and El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 77–118. 42  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 77, 80–1; on the performance of polyphony at the monastery, see El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 18–20. 43  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 113, 136. See HU, fol. 41v and 59r. 44  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 80, 95, 105, 107. 45  The double incises are in HU on fol. 12v and elsewhere. See El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 116–7. 46  I thank Rebecca Baltzer for this comment.

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pitches indicated by extended rectangles),47 and 132v (an extended rectangle with stems at both ends).48 Such duplex longs are discussed in book VI, chapters 25–28, in Speculum musicae, which Margaret Bent recently attributed to Jacobus de Ispania.49 The scribe of HU also uses dots with tenor notes to indicate perfections.50 Distinctive ligatures in HU include c.o.p. ligatures with diagonal upward strokes (on fol. 59r and 80r), breves with upward stems on the left as on 40v and 41r, or upward stems in the middle of a ligature as on 140v.51 And one also finds plicas placed just before the final note of a ligature or on single notes, as in HU 52, 53, 61, and 156.52 We can see the difference the plicas make by comparing HU 40, 25v–26r, a Benedicamus composed as a rondellus, with its incomplete counterpart in F, at 47v. Finally, Asensio Palacios has observed that unusual chromatic alterations were made in HU.53 Common to MA and HU are absences. Both manuscripts lack tenors, as was noted earlier. This is clear evidence that the tenors in these manuscripts were not understood by the scribes of these manuscripts, who felt they could edit what were presumably ‘more correct’ exemplars. Missing tenors are not common in F, W1 or W2. Texting is also lacking or changed, not just in tenor voices.54 And neither source contains polyphony for Hispanic saints or for the pilgrimage to Santiago.55

47  See the discussion of extended longas in Fritz Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 2, pp. 46–7. 48  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 100–3. 49  On the treatise, see Karen Desmond, “Behind the Mirror: Revealing the Contexts of Jacobus’s Speculum musicae”, Ph.D. diss., New York University, 2009. – For the authorship of the Speculum musicae see Margaret Bent’s article in this volume. 50  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 33, 158, 167–9, and see note 46 above, where added dots are discussed. 51  Ibid., pp. 105–6, 114. 52  HU 52, 61, 150; El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 105–107, 114. 53  Juan Carlos Asensio Palacios, “Falsa musica en el Codex Las Huelgas: Alteraciones cromaticas no usuales en los manuscritos de transicion del ars antiqua al ars nova,” in Revista de musicología 32/2 (2009), pp. 709–20. 54 On absent tenor texts and missing or substituted tenors in HU, see El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 153–4, pp. 158–60; on MA see Jutta Pumpe, Die Motetten (see note 14), summarized in Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), pp. 121–3. On tenors in MA with substitute Latin or vernacular texts, see Gordon Anderson, “A Unique Notre-Dame Motet Tenor Relationship,” Music and Letters 55/4 (1974), pp. 398–409. 55  Santiago and Toledo were in different diocesan sees. Pointed out in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 70.



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In short, these two plain codices give evidence of the coexistence, but also tension between an influential Gallic repertory and homegrown Hispanic musical styles. An unexpected witness to this relationship is Anonymous IV. Anonymous IV uses the word “Hispanic” twice. The first passage occurs in chapter two, where he discusses the notation of music cum littera: Iterato duae ligatae cum proprietate et imperfectione supra unam sillabam cum longa una sequenti reducuntur ad tres ligatas cum proprietate et perfectione, vel cum brevi et longa sequentibus simili modo reducuntur ad tres etc. Iterato tres ligatae cum proprietate et imperfectione cum longa proxima sequente ad tres reducuntur cum proprietate et perfectione. Sic etiam intelligimus de quatuor, quinque vel sex etc. cum proprietate et imperfectione: cum prima longa sequente super alteram sillabam ad tres ligatas reducuntur. Sed in libris quorundam antiquorum non erat materialis significatio talis significata. Sed solo intellectu procedebant semper cum proprietate et perfectione operatoris in eisdem ut in libris Hyspanorum et Pampilonensium et in libris Anglicorum, sed diversimode secundum maius et minus etc. Gallici vero Parisius habebant omnes istos modos supradictorum, prout in libris diversis a diversis notatoribus plenius patet, ad cognitionem quorum sic procedimus.56

Again two notes in ligature with propriety and imperfection above one syllable with one long following are reduced to three notes in ligature with propriety and perfection, or with a breve and long following are reduced in similar fashion to three, etc. Again, three notes in ligature with propriety and imperfection with the next long following are reduced to three with propriety and perfection. We also understand the same about four, five, or six, etc., with propriety and imperfection: with the first long following above the second syllable they are reduced to three notes in ligature. But in the books of certain of the antiqui they did not have notation with these meanings. But they proceeded by understanding alone, always with propriety and perfection of the performer in those books, for example in the books of the Spanish and the Pampilonenses and in the books of the English, but in different ways [with the lengths] either shorter or longer, etc. But the French truly in Paris57 had all the modes mentioned above, as can be seen more fully in different books by different notators, and we now proceed to an understanding of those modes.58

What Anonymous IV is saying is that two two-note ligatures, each followed by a long (BB–L BB–L), can be “reduced” to two three-note ligatures (BBL BBL) by incorporating the long into the ligature. Thus, “reduction” here is a matter

56  Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 1, p. 51. 57  Rob Wegman’s transl., which recognizes the use of the less common genitive of position here; Yudkin, The Music Treatise (see note 4), p. 45, has “[and] the Parisian.” 58  Ibid., p. 45.

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of combining separate shapes into a single one. Any number of successive ligatures can be reduced in this way. Anonymous IV explains that the books of the antiqui did not have notation with these meanings, and indeed, the ligatures he describes must be those of Franconian notation, not those of the rhythmic modes, since none have a 2 + 2 + 1 ligature pattern. Anonymous IV next refers to the books of some earlier musicians, giving as examples those of the Hispanics (Castilians), people of Pamplona (Navarrese), and of the English, without mention of Galicians or Aragonese. He tells us that these books had the propriety and perfection of the performer, which seems to mean that the performers in those countries sang short-long patterns, but Anonymous IV qualifies this, explaining that the lengths were either shorter or longer, but keeping the same rhythm. That contrasts with the books of the Gallici, truly in Paris. They had all of the modes in different books by different notators. Thus, the presence of more rhythmic modes came with the plurality of ways of notating in use in the major city. Given that Anonymous IV’s text here concerns cum littera polyphony, the comparison seems to be between pre and post-Franconian notations. Presumably ligatures with the full range of meanings were only found at the time in Paris. The different degrees of shortness or length mentioned by Anonymous IV are of interest, because if one looks at the manuscripts of Parisian polyphony, like F and W1, they nowhere include the shape that would later be defined as the breve, i.e. a square without a tail. Chant manuscripts of the first half of the thirteenth century and even of later date use tailed puncta exclusively, i.e. longa shapes, not the squares without tails that would later be considered breves. Thus, I have claimed that just as the poetic meters mimicked by the rhythmic modes did not have specific lengths for short or long syllables, so were the rhythmic modes at first not predicated on specific lengths for “long” and “short” values. Put in another way, prior to the longa and brevis taking on a specific relationship to one another, there was no concept of a brevis of a definite length, only of a length relatively shorter than that of the longa. Thus, what Anonymous IV may have meant was that the relationships between “longs” and “short notes” in England and Spain differed; a situation comparable to that of the Baroque period, with its different practices of overdotting.59

59  Argument first presented in Barbara Haggh, “The Meeting of Chant and Polyphony in Monophonic Square Notation from Cambrai Cathedral 1250–1550,” in The Calligraphy of Medieval Music, ed. John Haines, Turnhout, 2011, pp. 253–72, here pp. 261–2. An overview of overdotting is in Stephen E. Hefling, “Dotted Rhythms,” in Grove Music Online.



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What then was the typical Hispanic rhythm of performance? A ligature with propriety and perfection sounds short-long, but could be part of a mode one or a mode two rhythm. Nicolas Bell has discussed compositions in HU in which the scribe changed the model to replace passages in mode two with mode one.60 Indeed, Bell noticed that the overwhelming majority of motets in HU are in mode 1.61 The situation is different in MA. For example, the motet In Bethleem in MA begins in F’s mode 2.62 Rebecca Baltzer determined that the mode two version was the earlier version, since its vertical intervals line up better.63 Nevertheless, MA has the hocket passage of W1, which F does not, although in MA it is in mode two whereas in W1 it is in mode 1.64 So, MA, the earlier manuscript keeps the earlier mode 2 in this motet. In another passage, Anonymous IV describes how books of organum were copied in different regions and describes the custos, which is used in HU but not MA:65 Sed tales libri apud organistas in Francia, in Hyspania et Ragonia et in partibus Pampiloniae et Angliae et multis aliis locis non utuntur secundum quod plenius patet in suis libris. Sed utuntur regulis rubeis unius coloris vel nigris ex incausto factis. Sed in principio ponunt

60  See El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 98–9, on pieces in modes 1–2. Bell also wants to open the door to recognizing different modes in the same piece, but the example he gives is not Spanish; a better example of this is Mater Patris et Filia as in HU, discussed below, especially because the change of mode, but from 1 to 2, comes at the word hespanona. 61  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 155, points to HU 113, which has the note “tenura de ‘Mulierem’ et cantasse por natura” meaning that it is sung the natural way or in mode 1. Think of the fact that the later trecento via natura was the minor semibreve preceding the major semibreve, equivalent to the older pattern of the binaria in rhythmic mode 1. 62  In Bethleem Herodes iratus / [In Bethleem] is MA 75, 125v; transcr. in El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 508–9, concordances listed pp. 570–1. Pumpe, Die Motetten (see note 14), p. 77, notes that In Bethleem in F and W2 is a discant to the organum Laus tua in mode 2, but a clausula in mode 1 in W1. On hocketing in In Bethleem, see Mary Wolinski, “Hocketing and Imperfect Modes in Relation to Poetic Expression in the Thirteenth Century,” in The Gothic Revolution: Music in Western Europe, paper presented 6 November 2011. Also see Vincent Corrigan, “Modal Transmutation in the Thirteenth Century,” in Orbis musicae 12 (1998), pp. 83–106, here p. 105, note 38, where he calls In Bethleem a motet transformed into a monophonic Latin song and included among conductus in MA. 63  Rebecca Baltzer, “Notation, Rhythm, and Style in the Two-Voice Notre Dame Clausula,” Ph.D. diss., Boston University, 1974, pp. 181–8. 64  Ibid., transcriptions on p. 182; cf. p. 184. 65  See the important discussion of this text in John Haines, “Anonymous IV as an Informant on the Craft of Music Writing,” in The Journal of Musicology 23 (2006), pp. 375–425, here pp. 384–6 and passim.

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unum signum sicut c vel f vel g et in partibus bene ponunt d. Sed quidam antique ponebant punctum unum loco signi, et hoc diversi mode, quod quidem nunc apud nos non est in usu. Sed in fine lineae quatuor linearum ponebant unum ut in cantu plano propter cognitionem primi puncti alterius lineae quatuor linearum.66 But these kinds of books amongst composers of organum in France, Spain, and Ragonia [ = Aragon] and in parts of Pampilonia and England and in many other places do not use this [lines ruled with hard metal, as in the books of the Carthusians and in many other places67], according to what can be clearly seen in the books. But they use red lines ruled in one color or black lines made from ink. But in the beginning they put one sign like a c or f or g and in parts they properly put a d. But certain antiqui used to put one note in place of a sign in different ways, but this is something that we do not use now. But at the end of a line of four lines they used to put one [note] as in plainsong, so that they could recognize the first note of the next line of four lines.68

MA uses red lines exclusively, but lacks the custos. Through fol. 24v a rastrum is used; after that, not. The texts are written with black ink, now brown.69 HU uses red lines, no rastrum, black ink for the notation, and has red and black initials. A few sentences later, Anonymous IV discusses rests and the problem that semibreve rests of the same appearance can represent both a longer and a shorter semibreve: Exemplum pausationis semibrevis patet eis, qui sciunt reducere vel facere mutando de uno modo alium ut illi, qui dicunt secundum modum de quinto et reducunt superiorem vel superiores ad eundem modum secundum, ut quidam Parisienses fecerunt et adhuc faciunt de In seculum, le hoket Gallice, quod quidam Hyspanus fecerat etc.70 The example of a semibreve rest is clear to those who know how to reduce or change one mode into another, like those who sing the second mode out of [ = derived from] the fifth and reduce the upper voice or voices to the same second mode, as certain Parisians have made and still make out of In seculum, the Gallic hocket which a certain Spaniard had made, etc.71

66  Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 1, p. 60. 67  Explained just prior to this text. John Haines suggests that the “hard metal object” was what the Carthusian prior Guido I called a “ruling post” ca. 1125 (Ibid. (see note 65), p. 385, note 39); also see ibid., pp. 381–2 on Carthusian scribes. On Carthusian notation, see Olivier Cullin, “Notations in Carthusian Liturgical Books: Preliminary Remarks,” in The Calligraphy of Medieval Music, ed. John Haines, Turnhout, 2011, pp. 175–94. 68  Yudkin, The Music Treatise (see note 4), pp. 53–4. 69  On notation in MA, see El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 24. 70  Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 1, p. 61; Yudkin, The Music Treatise (see note 4), pp. 54–5. 71  My transl. alters that of Yudkin (The Music Treatise [see note 4], pp. 54–5) by translating “dicere” as “to sing” and “facere” as “to make,” a word typically used for conscious composition rather than improvisation, however informed.



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Anonymous IV explains that some know how to use semibreve rests to change upper voices in the fifth mode to the second in singing as do Parisians, and as they did to In seculum, the Gallic hocket, which quidam Hispanus made.72 Anonymous IV’s use of the pluperfect tense for the hocket by quidam Hispanus makes it clear that this is the oldest of the versions he describes, and prior to the reduction of one or more upper voices to mode two. Thus, it was surely the In seculum longum in mode five, prior to its reduction to mode two, that was by quidam Hispanus.73 MA 71, with the tenor in mode 5 and only the duplum reduced to mode 2 with semibreves, certainly is a candidate for being that work, though Anonymous IV’s text raises the question of whether an In seculum existed that was prior to the invention of this reduction. That seems unlikely, though, because it would then not have been a hocket Two other Iberian In seculums do not qualify as the Hispanic composer’s work. MA 2, the beginning of a two-part In seculum not transcribed by Asensio Palacios and with an upper voice, if it is that, unlike the voices of MA 71, has a tenor beginning a fifth lower than does MA 71, which is in mode five, with the ternarias divided by breve rests, but differs from the MA 71 tenor at the fifth and sixth (written a third too high) and eighth and ninth (completely different) ternarias. And a fourteenth-century fragment from Toledo now in Salzburg has a four-voice In seculum with the tenor participating in the hocketing, so not in mode five.74 Finally, HU has a double motet for three voices, In seculum artifex /

72  Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), pp. 125–7, argues that Gallice cannot mean Galicia. On the procedure of changing modes, see Marie Louise Martinez-Göllner, “Mode and Change of Mode in the Thirteenth-Century Motet,” in eadem., Essays on Music and Poetry in the Late Middle Ages, Tutzing, 2003, pp. 131–44; and Vincent Corrigan, “Modal Transmutation in the Thirteenth Century,” in Orbis musicae 12 (1998) [Essays in Honor of Hans Tischler], pp. 83–106. 73  The rubrics In seculum longum (tenor in mode five) and In seculum breve (tenor reduced to mode 2) are found in the Bamberg Codex on fol. 63v and 64r respectively. (Notice that the first rhythmic mode of Lambertus / Quidam Aristoteles is effectively a mode five. Next follow modes 1 and 2.) On the hocket In seculum in MA, see especially Wolinski ,“The Case of the Disappearing Rests” (see note 2), and also Juan Carlos Asensio Palacios, “Aproximación al Hoquetus In seculum (quod quidam hispanus fecerat),” in Anuario musical 53 (1998), pp. 13–28; El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 21–3, transcr. pp. 500–1 and 570; Gómez Muntané, La música medieval (see note 2), on In seculum, pp. 125–7; David Rothenberg, “The Marian Symbolism of Spring, ca. 1200–ca. 1500: Two Case Studies,” in Journal of the American Musicological Society 59 (2006), pp. 329–354, and the list of sources in Hendrik Van der Werf, Integrated Directory of Organa, Clausulae, and Motets, Rochester, 1989, pp. 29–35, especially p. 31, where he explains the four different In seculum rubrics. 74  On the Salzburg fragment (Universitätsbibliothek, MS M II 345), see Peter Jeffery, “A FourPart In seculum Hocket and A Mensural Sequence in an Unknown Fragment,” in Journal of the

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In seculum supra mulieres / [In seculum] based on the In seculum tenor, transcribed by Asensio Palacios in mode 1.75 Thus, different In seculums were known in Toledo and Las Huelgas, but only MA 71 fits Anonymous IV’s description of the oldest version of In seculum, that by quidam Hispanus. That an Hispanic musician should have taken an interest in this cantus firmus, whether it was already in a hocket or not, is perhaps not surprising. It sets a melisma within the verse Confitemini Domino to the Easter gradual Haec dies. Certainly, Easter was significant to every Christian, but Michel Huglo has shown the extent to which the Mozarabic liturgy was permeated with texts not just from the Bible, but especially from the book of Revelation, which is imbued with Resurrection and Eternity, as is Easter. This focus on Revelation is also seen in characteristic Hispanic illuminations, such as those of Beatus of Liebana. Thus, the Easter liturgy would have been especially dear to Hispanics.76 Comparison of the melisma of MA 71 to the Haec dies chant melody edited by Michel Huglo from his main source, F-Pn lat. 1112, 105v, and to the Graduale Triplex shows that the two Parisian sources give identical readings to MA 71 through the F that begins the first of the last three three-note groups; at the sixth three-note unit, which is b natural–a–a in MA 71 and in Huglo’s edition, the Graduale Triplex has aa but is otherwise identical.77 Application of the method of cantus-firmus comparison used by Anne Walters Robertson to Iberian and Parisian chant manuscripts and all sources of the In seculum hocket might help to determine the source of the last eight pitches of the melisma in MA 71, and thus if this cantus firmus was in any way Gallic or Hispanic, contributing to the history of this fascinating work.78 Anonymous IV describes or names the hocket “Gallice,” but attributes it to a Hispanic composer, who was for that very reason probably working in Paris

American Musicological Society 37 (1984), pp. 1–48. Jeffery’s transcription in ¾ produces a mode 1 rhythmic pattern. 75  HU, 112v, El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 423 (transcription); El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 57. 76  Michel Huglo, “Les Chants liturgiques tirés de l’Apocalypse dans les liturgies hispaniques et romano-franques,” in El Antifonario de León, el Canto Mozárabe (Viejo-Hispánico) y su entorno litúrgico musical, ed. Ismael Fernández de la Cuesta (in press). 77  Le Magnus liber, eds. Roesner and Huglo (see note 9), vol. 1, p. 298 (no. 28), and the critical notes, p. 357. Also see the Graduale Triplex, ed. Monks of Solesmes, Solesmes, 1979, p. 201. 78  Anne Walters Robertson, “The Mass of Guillaume de Machaut in the Cathedral of Reims,” Plainsong in the Age of Polyphony, ed. Thomas Forrest Kelly, Cambridge, 1992, pp. 100–39; eadem, “Which Vitry? The Witness of the Trinity Motet from the Roman de Fauvel,” in Hearing the Motet: Essays on the Motet of the Middle Ages and Renaissance, ed. Dolores Pesce, New York and Oxford, 1997, pp. 52–81.



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or at least France.79 There were other individuals qualified as Hispanus in thirteenth-century Paris, notably Petrus Hispanus, author of the standard thirteenth-century textbook on logic,80 but Jacobus de Ispania, author of the sevenbook Speculum musicae, who studied in Paris and discusses hockets and duplex longas at length, is the only known musician with this name.81 Hispanic Dominicans or Cistercians could have resided with the communities of the Dominican convent of St. Jacques or the Cistercian College of St. Bernard. An early fourteenth-century hocket on Manere transcribed by Mary Wolinski survives in a Dijon fragment associated with the Cistercian college of St. Bernard in Paris. The fragment includes a hocket in both modes five and two, which is cited by the Anonymus of St. Emmeram as an example of reduction or transmutation. To Mary Wolinski, the version in mode five is the earlier, as seems to have been the case for the In seculum hocket.82 William Dalglish situated the origin of hocketing among singers of the Cistercian order,83 of which there would have been plenty in Paris and on the Iberian peninsula. What we take from all of this is the undeniable fact that different In seculum hockets were known in Spain, and that Anonymous IV knew the Hispanic composer by reputation. Other added vernacular texts in HU refer to what appear to be French and Hispanic styles, as does Anonymous IV. The first texts were added to the three-voice conductus, HU 154, Mater patris et filia, on fol. 147r–150r, which includes examples of reduction as did In seculum, discussed above.84 It is significant that they appear precisely in the locations in the conductus where the readings in MA and HU differ. On fol. 152v the words “manera francessa” were written above the tenor part at the beginning of a line of text at “mulierum leticia,” and on “muLIerum” there is a stemmed rhomboid note-shape called an elmuarifa by Anonymous IV.85 This passage beginning with “mulierum” is set to rhythmic mode 2 (and may have been reduced from mode 5, with fractio modi). The tenor part has ligatures with

79  Gallice cannot mean Galician because Anonymous IV uses the term in three other locations, always referring to the French (Gomez Muntane, La música medieval [see note 2], p. 125). 80  Summulae Logicales: Logische Abhandlungen, ed. Wolfgang Degen, Munich, 1986. 81  See Margaret Bent’s contribution here, “Jacobus de Ispania? Ein Zwischenbericht.” 82  Mary Wolinski and Barbara Haggh, “Two Thirteenth-Century Hockets on Manere Recovered,” in Early Music 38/1 (2010), pp. 43–57. 83  William Dalglish, “The Origin of the Hocket,” in Journal of the American Musicological Society 31 (1978), pp. 3–20; his hypothesis is not accepted by Ernest Sanders in Grove Music Online, s.v. Hocket. 84  On this composition, see Asensio Palacios, El Códice de Las Huelgas (see note 2), p. 17 and pp. 509–13 (transcription). 85  See below, pp. 361–2.

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propriety and without perfection. Another “manera francessa” is written above the text of a new line on fol. 152v, which Asensio Palacios transcribes correctly in duple meter; the rest of the conductus here continues in duple meter. There are evident groups of two breves here (compare Anonymous IV’s repeated BBLs) that set the text misericordie syllabically. In MA, this is a third-mode transmutation of an earlier second mode section On fol. 148r, “hespanona” was added just after the word “suspiria” after the end of the fourth text line, under the lowest of three voices at the beginning of a sine littera passage exclusively in mode 2 here, reduced from mode 5.86 This mode 2 passage in HU is presumably the Hispanic version of a French counterpart in MA 68, where it appears on fol. 117v–118v with the word “suspiria” on 118r.87 Both are in second mode, but HU has an added triplum, and plicas appear in different locations in the two manuscripts. As Jacques Handschin noticed, the difficulty with these added words is that similar passages exist in other conductus but without those words. Past scholars have considered these terms as binary oppositions: thus, Angles thought “French” meant “binary” and “Spanish” “ternary.” Bell preferred the opinion of Handschin that the Spanish method was to set one syllable per perfection or perfections as in the conductus, whereas the French method would be that of motets, with syllables set to longs or breves as appropriate. The problem with this idea is that the word hespanona appears only once, at the sine littera passage. David Wulstan thought the terms were an error for French vs. Italian notation.88 In my opinion, manera francessa indicates heterogeneous French features, which include the elmuarifa, a shape known in Paris as shall be explained, and the series of breves and longs. The single use of the augmentative adjective “hespanona” without the noun “manera” suits the lengthy sine littera polyphony, whose origin, perhaps in the mode 5 version, should probably be sought on the Iberian peninsula. Or, perhaps the “Hispanic” element is the added triplum, or mode 2 and its series here of two-note ligatures with propriety and perfection – in any case, the rhythm is startling in the context of the piece, which begins in a first-mode breakdown of the ternary long. The French manner would be that allowing for reduction of mode and for modes without propriety and perfection.

86  See Mark Everist, “Tails of the Unexpected: The Punctus organi and the Conductus cum caudis,” in Musik des Mittelalters und der Renaissance. Festschrift Klaus Jürgen Sachs, ed. Christoph Flamm et. al., Hildesheim, 2010, pp. 161–95. 87  Version edited by El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 487–513. 88  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 173.



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This conclusion would fit the descriptions of Anonymous IV discussed above perfectly. These passages in Mater patris et filia also include diamond-shaped notes described by Anonymous IV using terms which might be thought to be associated with the Iberian peninsula, because they are Latin transliterations of Arabic geometrical terms, elmuahim and elmuarifa. In his second chapter on how to draw ligatures, Anonymous IV uses the term elmuahim four times and elmuarifa once.89 He describes the elmuahim as a rhomboid-shaped lozenge, with four sides of equal length, worth a semibreve that is half or a third of a breve which can be found in currentes; an elmuarifa is a trapezoidal lozenge with opposite sides of equal length and an oblique downward stem to the left, worth a breve and a half. These signs, among the total of seventeen discussed by Anonymous IV, were reconstructed by John Haines, who claims that Anonymous IV’s reference to an elmuarifa “which can be called irregular” gives evidence that, in Haines’s words, “he knew of the debate [in Paris] between Albert the Great and Roger Bacon on the elmuarifa’s irregularity and the power of geometry to describe the world.”90 Examples of both signs are found in HU; of the latter at and near the two manera francessa passages.91 They do not appear in MA.92 Charles Burnett identified these signs as taken from a manuscript group “Adelard II,” which includes the manuscript GB-Obl Auct. F.5.28. That source has the writings of Adelhard of Bath, a twelfth-century English scholar. Adelhard

89  Passages also cited in Michael Bernhard, Lexicon musicum latinum medii aevi, vol. II, fasc. 9, Munich, 2007, p. 18 (entries elmuahim and elmuarifa). 90  Haines, “Anonymous IV as an Informant” (see note 65), pp. 375–425, with his catalogue of seventeen note shapes on pp. 392–6 (shapes 4, 12, and 14 are elmuahim; shape 5 is an elmuarifa) and extensive discussion of the two terms on pp. 397–411. 91  Three successive currentes in HU are an example of elmuahim, fol. 61r (Ex. 7.11, p. 135 in El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell [see note 2]). The elmuarifa is found in HU, fol. 59r and 132v, and also in GB-Lbl Egerton 274 (LoB), fol. 28v, 43r, and 45r (communication from Rebecca Baltzer on LoB, May 14, 2013), and according to Michel Huglo (personal notes), the shape of the elmuarifa appears in a climacus in a Cluniac manuscript from St. Martin des Champs, Paris, BNF lat. 17716, fol. 14 and passim, and in a notated manuscript of Notre Dame cathedral, Paris, BNF lat. 1112, fol. 236r. The shape is also found in the rota Sumer is icumen in. On these shapes, also see Alexander Rausch’s review of Musiktheorie im Mittelalter in Revue de musicologie 86 (2000), pp. 337–41, and Nicky Losseff’s review of Le Magnus liber, eds. Roesner and Huglo (see note 9), vol. 1, in Journal of the American Musicological Society 50 (1997), pp. 181–91, esp. p. 187. 92  On their presence in MA, see El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 24, col 2, note 151, and idem, “Aproximación” (see note 73), p. 22, who finds three in In seculum in MA (fol. 122v). While the shape is similar, these elmuarifas are part of three-pitch ligatures, and not individual notes. They cannot have the meaning given by Anonymous IV.

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transliterated the terms, which he saw in an Arabic translation of the Elements of Euclid made around 1120. Adelhard did pass through Tours and Laon, but not Paris, during his lifetime.93 Clearly then, the terms were not of Hispanic or even of Parisian origin. Yet Haines has shown that these signs were well-known in Paris and to Anonymous IV. In any case, their use in MA and HU provides another link between his text and the two Hispanic manuscripts. Anonymous IV also describes the books of organum with the Parisian repertory in chapter two:94 Et nota, quod magister Leoninus, secundum quod dicebatur, fuit optimus organist, qui fecit magnum librum organi de gradali et antifonario pro servitio divino multiplicando. Et fuit in usu usque ad tempus Perotini Magni, qui abbreviavit eundem et fecit clausulas sive puncta plurima meliora, quoniam optimus discantor erat, et melior quam Leoninus erat. […] Ipse vero magister Perotinus fecit quadruple optima sicut Viderunt, Sederunt cum habundantia colorum armonicae artis; […].95 And note that Master Leonin, according to what was said, was the best composer of organa, who made the great book of organum from the gradual and antiphonary to elaborate the divine service. And it was in use up to the time of Perotin the Great, who edited it and made very many better clausulae or puncta, since he was the best composer of discant, and better than Leonin. […] But Master Perotin himself made excellent quadrupla, like Viderunt and Sederunt, with an abundance of colors of the harmonic art; […].96

The quadrupla Anonymous IV cites with the only four-voice clausula of the repertory made their way to Spain, but were misunderstood by the Hispanic scribe of MA, and by the time HU was copied, they were outdated and so not included. The quadrupla in MA were copied from a Parisian model, but this model was certainly not like F (see Table 5).

93  Charles Burnett, “Use of Geometrical Terms in Medieval Music: elmuahim and elmuarifa and the Anonymous IV,” in Sudhoffs Archiv 70 (1986), pp. 198–206. Jerome designates the lozenge as a tesseromata: see Hieronymus de Moravia, Tractatus de musica, ed. Simon M. Cserba, Regensburg, 1935 (Freiburger Studien zur Musikwissenschaft, vol. 2), p. 181. The term elmuahym is still used by John Hothby in Calliopea legale, ed. Raymund Schlecht, Trier, 1874, p. 18, n. 42, and p. 19, n. 46. 94  See Haines, “Anonymous IV as an Informant” (see note 65), pp. 378–9. 95  Reckow, Der Musiktraktat (see note 4), vol. 1, p. 46. 96  Yudkin, The Music Treatise (see note 4), p. 39.



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Table 5: Location of Quadrupla in MA, F, and W1 MA MA 7 Viderunt MA 8 Sederunt MA 9 Clausula Mors

F

13 –17 17r–20v 21–21v v

r

W1

1 –4 4r–7v 7v–8r r

r

3r–v 3v–6v 6v–7r

In F and presumably in W1, which lacks opening folios, Viderunt originally began the codex at the top of the page with a decorated initial, but in MA, Viderunt begins in the middle of the gathering on the bottom system of a page.97 Sederunt follows Viderunt in MA, as in F and W1, but if we compare Sederunt in MA with F, it is clear that the MA scribe knew the work better than the scribe of F, even if he was negligent. In MA, the scribe omitted the ordo that is three ordines before the syllable “runt” in the quadruplum in F. To compensate for the insufficient pitches, he squeezed the superfluous notes of the lower voices, necessarily out of alignment with the quadruplum, which nevertheless end in the margin. But then the MA scribe showed he knew the work, because he left space for an initial; the F scribe had left no such break, obliging the illuminator to place the initial below the upper parts. Even with the copying slips, MA has unique variants of Viderunt, Sederunt, and Mors, which receives a new text for its triplum that fits its music better.98 When all of the variants in the quadrupla in MA are considered, MA shares more with LoA than any other source. In LoA, the quadrupla are in fascicle III, which was possibly copied in Paris at the atelier that produced F and around the same time, so in the mid thirteenth century and about a decade before MA; the compilation is attested in Beauvais in the fifteenth century. Sederunt is not in LoA, however; its version in MA is unlike that of F and agrees more with W1 and sometimes with W2; that version may be closer to the Sederunt Anonymous IV knew.99

97  On the date and page preparation of W1 see Rebecca Baltzer, “The Manuscript Makers of W1: Further Evidence for an Early Date,” in Quomodo cantabimus canticum? Studies in Honor of Edward H. Roesner, ed. David Butler Cannata et al., Middleton, 2008, pp. 103–20. 98  See El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 13–4 on Viderunt and Sederunt. On Mors, see Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 21–6. 99  I am grateful to Meghan Sommers, my research assistant, and to the University of Maryland, College Park for her assistance. She prepared a list of variants between these sources. LoA is GBLbl Egerton 2615: the first and last sections are securely dated to circa 1230 and the middle section is from the mid thirteenth century (I thank Rebecca Baltzer for this information). It is edited by Mark Everist in French Thirteenth-Century Polyphony in the British Library: A Facsimile Edition

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Two troped organa, De Stephani roseo / [Sederunt] and Adesse festina / [Adiuva me, Domine] precede Viderunt in MA, their only concordances being their duplum voices in W2.100 The trope for St. Stephen, thought to be the work of Philip the Chancellor, consists of biblical texts, in keeping with the former Old Hispanic liturgy, which was characterized by its exclusive use of Biblical texts.101 The MA scribe adjusted the upper voices of the Sederunt trope to the motetus voice, using different rhythms produced by removed or filled-in pauses, but nevertheless kept the sound the same. Yet Handschin considered these pieces formless, because they were not broken up by clausulae, and thought that this was the reason why they were not diffused.102 Anonymous IV nowhere discusses tenors, but a striking feature that separates MA, HU and some Iberian fragments from the Parisian manuscripts is their frequent omission of the tenor voices of compositions.103 Such omissions also occur in W1, which we think is significant, given the English presence on the French continent in the thirteenth century, to which I will return later. Some examples are instructive. The motet Deo confitemini, which was widely disseminated, is followed in F (fol. 383v) by Laudes referat and Gaudeat devotio. Each receives a large initial there, and each has its tenor notated after the other two voices. In W1 however (fol. 107 [98]r), the first two pieces run together and the tenors of both are omitted. In MA (fol. 106v), both tenors are omitted, but space is left for the initial “L” for Laudes referat. HU also has Deo confitemini, but without the triplum that is in MA.104 The motet MA 70, Serena virginum / [Manere], also

of the Manuscripts Additional 30091 and Egerton 2615 (fol. 79–94v), London, 1988, also see Mark Everist, Polyphonic Music in Thirteenth-Century France, Aspects of Sources and Distribution, New York, 1989, chap. 2, pp. 37–96, and the inventory and concordances pp. 355–6; and Nicolas Bell, Music in Medieval Manuscripts, London, 2001, pp. 33–7. Also see the description in Le Magnus liber, eds. Roesner and Huglo (see note 9), vol. 1, pp. xxxi–xxxii. 100  On these two tropes, see El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 22 and 26, and pp. 111–29 (transcriptions). 101  See Juan Carlos Asensio Palacios, “Procedimientos de adaptación en los Quadrupla Tropados del ms. Madrid BN 20486,” in Revista de musicología 20/1 (1997), pp. 51–60, and Louis Brou and Jose Vives, Antifonario Visigotico Mozarabe de la Catedral de Leon: Edicion del Texto, Notas e Indices, Barcelona and Madrid, 1959 (Monumenta Hispaniae Sacra, Serie Liturgica, V, 1), where every biblical source of the antiphoner of León is given. 102  Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 16–21. 103  On the tenor problems, see El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 21; Pumpe, Die Motetten (see note 14), p. 27; and eadem, “Das Reduktionsprinzip bei den Motetten der Madrider Notre-Dame Handschrift,” in Aspects de la musique liturgique au Moyen âge (see note 2), pp. 191–200. 104  On these works, see Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 44–53, and El Códice de Madrid,



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has its tenor copied at the very end of the polyphony in F, but appears in W1 and MA without the tenor.105 In LoA, it appears twice, with all three voices but no texts in fascicle I (fol. 74v) and in fascicle II (fol. 92r) without the tenor. In HU, many motets lack tenor texts but not their chant. Only four motets in HU give tenor texts; three motets lack their tenors, HU 90, 109, and 110.106 Bell thinks texts were omitted because they were not generally sung to tenors, but words from upper voices were sometimes applied to the tenor to keep the voices together, as in HU 101 Salve virgo and HU 103 O Maria Virgo. HU, like MA, does contain some tenors only found in Hispanic sources: HU 88 (tenor Mulierum; cf. MA 93) and HU 98 (tenor Et regnabit; cf. MA 57). For example, the well-known clausula tenor, Et gaudebit kept its text, but was entirely recomposed in HU 93, apparently to restrict its ambitus and possibly to make it playable on an organ.107 One can easily imagine a scribe not understanding these tenors placed at the ends of motets in sources like F and omitting them.108 Motets were new in the time of W1, whereas conductus were established, so scribes might not have recognized tenors.109 Indeed, Rebecca Baltzer, in her review of Jutta Pumpe’s book, suggested that the scribes of MA acted to turn the received pieces into conductus by arranging them so that the same text would be sung by all voices in homorhythm.110 That the scribes mix conductus and motets does indeed suggest that in their Hispanicized form they were regarded the same way, i.e. as conductus. Moreover, scribes used to the Hispanic emphasis on Biblical texts would have classified the

ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 23–4. 105  Edited in El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 494–9, with the tenor added; Bevilacqua, “Conductus or Motet?” (see note 2) discusses its copying. Also see Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 49–53, on the careful changes made to improve its text-setting in MA. 106  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 153–4. 107  Compare F, fol. 45v–46r. On this question, see Christian Meyer, “Organica efficit reciprocation: La théorie de l’inversion des intervalles: vestiges d’un enseignement à l’attention des organists et des carillonneurs des XIe et XIIe siècles,” in Acta musicologica 84/1 (2012), pp. 5–17. Cf. Rebecca Baltzer, “The Polyphonic Progeny of an Et gaudebit: Assessing Family Relations in the Thirteenth-Century Motet,” in Hearing the Motet, ed. Dolores Pesce (see note 78), pp. 17–27. 108  In the Stary Sacz fragments (PL-SS Muz 9), the tenors are placed in circles in the corners of pages (as in Baude Cordier’s Tout par compas in the Chantilly Codex). See Katarzyna Grochowska, “Messy Polyphonic Collections and Chant Tonaries,” paper presented at the Conference on Gothic Polyphony, Princeton University, November 2011. 109  Cf. Donald D. Colton, “The Conducti of Ms. Madrid 20486,” Ph.D. diss., Indiana University, 1964. 110  See Rebecca Baltzer’s review of Pumpe, Die Motetten (see note 14), in Notes, 2nd series, 51 (1994), p. 579.

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Parisian motets and conductus immediately as paraliturgical works. In short, the manuscripts W1, MA, and HU give witness to a misunderstanding of tenors outside of Paris that seems to have survived in HU. Above all, the missing tenors provide an interesting link between W1 (St. Andrew’s) and the Iberian peninsula to which we will return. Also largely absent in MA and HU are clausulas. This was not merely a matter of date, because all of the other main Notre Dame sources with organa quadrupla have them. Most likely, this genre was simply not understood – neither its manner of performance, nor the tenors. Since the tenors were from melismas at the ends of chants, the Hispanic singers were even less likely to recognize the texts, so they also transformed clausulas into conductus-like pieces.111 Even though many tenors are omitted, a number of the melodies at least were included. Some are still unidentified. Asensio Palacios points out that the tenors of the motets Mulier misterio / [Mulierum, in MA and HU, and Iohanne Elizabeth / [Iohanne], only in MA, both taken from the Alleluia verse Alleluia, Inter natos mulierum, are found only in these Hispanic manuscripts.112 Tables 6 and 7 present all of the the tenors in MA and HU, ordered by tenor text in alphabetical order. Their rhythmic modes are given, following conventional numbering, but those that consist of irregular, complex, or longer repeated patterns are represented by numbers: 6 = duplex long, 3 = perfect long, 2 = value of two breves, 1 = value of one breve, r = a rest of one breve. It is instructive to compare these tables to the nine rhythmic modes of Lambertus / Quidam Aristoteles, because in a large section in the first part of his treatise, he borrows the structure and principles from a treatise on the division of philosophy of Dominicus Gundissalinus, a Hispanic philosopher. His table of nine modes, with mode five placed first, aligns well with the chronology of the hocket In seculum described by Anonymous IV.113 Even if this ordering of nine modes might also be pedagogical or systematic, following Lambertus / Quidam Aristoteles’s exposition of the note values in descending length, it is relevant that all six usual rhythmic modes are found in the tenors of MA and HU and one motet in HU also has semibreves in its tenor; Lambertus /Quidam Aristoteles’s last three modes include semibreves.114

111  See Rebecca Baltzer, “Notation, Rhythm, and Style in the Two-Voice Notre Dame Clausula,” Ph.D. diss., Boston University, 1974, who discusses the transformation of the clausula into the motet. 112  El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 21. 113  See note pp. 357–8 above. 114  A critical edition of the treatise of Lambertus / Quidam Aristoteles by Christian Meyer with an English transl. by Karen Desmond (Royal Musical Association Monographs, Ashgate) is forthcoming.



Modes, Tenors, Scribes, and Stems  

 367

What we see in Tables 5 and 6, however, is no predominance of any one rhythmic mode. Table 6: Tenors in MA MA  6 MA 89 MA 94 MA 80 MA 58 MA 85 MA 95 MA 54 MA 76 MA 89 MA 57 MA 87 MA 74 MA 92 MA 81 MA 75 MA 84 MA  2 MA 90 MA 71 MA 97 MA 56 MA 70 MA  9 MA 53 MA 93 MA 86 MA 98 MA 91 MA 59 MA 53 MA 77 MA 78 MA  8 MA 52 MA  7

Adiuva me, Domine Angelus Docebit Domine Domino Domino Domino quoniam Et florebit Et gaudebit Et gaudebit Et regnabit Et super Et tenuerunt Filia Gloria In Bethleem In odorem In seculum In seculum In seculum Iohanne Latus Manere Mors Mors Mulierum Plaudite Pro ovibus Pro patribus Quoniam Regnat Regnat Regnat Sederunt Tanquam Viderunt omnes

Held or 3 3 3 3 etc. Mode 1 Mode 5 Mode 5 3.2r.21.2r Mode 5 3.2r.21.2r 3.12.3.rrr 6.3.rrr.3.3.3.rrr 6.3.rrr.3.3.3.rrr 21.3.3.2r Mode 5; at repeat mode 1 Mostly 3 or 2r Mode 5 Mode 5 Varies, mostly 3.2r.21.2r Mode 5 Mode 5 21.2r.3.2r Mode 5 3.2r.21.2r 3.3.3.rrr.6.3.rrr Mode 5 3.rrr.3.3.3.rrr 3.rrr.3.3.3.rrr Mode 1 Mode 1 and 3.3 but varies 6.6.3.3.3.rrr Mode 1 3.2r.21.2r 6.6.6.6.3.rrr 6.3.rrr.3.3.3.rrr 3.12.3.rrr Held notes and discant 3.12.3.rrr Held notes and discant

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 Barbara Haggh-Huglo

Table 7: Tenors in HU Two-voice Works HU 111 HU 141 HU  85 HU 115 HU 142 HU 131 HU 143 HU 109 HU 110 HU  90 HU  93 HU  98 HU  96 HU  88 HU 114 HU 113 HU 129 HU 139 HU 116 HU 117 HU 140 HU 112

[Tenor] Alleluia Angelus Audi filia Brumas est mort Domino Et confitebor Et florebit Et florebit Et gaudebit Et gaudebit Et regnabit In seculum Mulierum Mulierum Mulierum Omnes Omnes Plaudite Tuis Veritatem Virgo Dei genitrix

Mode 1 Mode 1 3.12.rrr Mode 5 3.12.3.rrr 3.2r.21.2r Mode 6 Mode 1 21.2r.3.3.3.444 Mode 5 Mode 5 21.3.3.2r Mode 5 sometimes broken up Mode 1 Mostly 3 Mode 1 Mode 5 in Bs Mode 2 Mode 1 and 3s Mostly 6 Mode 5 Mostly 3

[Tenor] [Tenor] [Tenor] Agmina Alleluia Alma Aptatur Aptatur Aptatur Aptatur Domino Domino Domino Domino Domino Domino Et confitebor Et super

Mode 1 Mode 5 Duple meter 12.12.3.rrr Mode 1 3.12.rrr.3.3.3.rrr Mode 5 12.1rr Mode 5 Mode 1 Mode 1 3.2r.21.2r.3.3.2r Mode 1 21.2r.3.2r Mode 5 Mode 5, also broken up 3.12.3.12 Mode 1

Three-voice Works HU  87 HU 135 HU 132 HU  89 HU 107 HU 121 HU 106 HU 127 HU 123 HU 108 HU  83 HU 157 HU 100 HU  82 HU 103 HU 101 HU 122 HU 124



HU  86 HU 120 HU 118 HU 128 HU 126 HU  94 HU 119 HU  92 HU 125 HU  99 HU 136 HU 138 HU  95 HU 130 HU  84 HU 133 HU 137

Modes, Tenors, Scribes, and Stems  

Et super-Et in fines Et veritate Et vide Ex semine Flos filius Hodie Maria In seculum Kyrie Neuma Omnes Omnes Omnes Patribus Salve sancta parens Sicut audivimus ita et vidimus Solem Veritatem

Mode 5 Mode 5 Mode 1 Mode 5 Mode 1 Mode 1 Mode 1 3s Mode 5 Mode 1 Mode 1 Mode 1 Mode 1 3s Mode 1 Mode 5 Mode 5

Domino Veritatem

Mode 1 Mode 5

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Four-voice Works HU  81 HU 104

Rarely present but giving evidence of intervention with Parisian music are the tripla in MA and HU, which the scribes often removed, recomposed, or added.115 There is agreement that the two-voice settings in MA that are three-voice settings elsewhere are reductions. Jutta Pumpe concluded that only tripla that were not essential, that is, that were independent of the other voices and thus real tripla, were not included in MA.116 For example, a new triplum found only in MA was added to n MA 89, O quam sancta / [Et gaudebit], a piece surviving in thirteen sources as a2, a3, and a4.117 Another example is the conductus-motet MA 87, Veni vena venie (a2), which is a3 in HU 86, the latter a version which Tischler described as a local work lacking polish. HU gives the same text to the top two voices. The high tessitura (for female singers?) and the lack of unisons or voice crossing are unusual, as is the distance between the two voices; the composer effectively created a motetus, as Pumpe pointed out. The active tenor of this work is very

115  Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 88–91. 116  Ibid., pp. 107–8. 117  On the complex of motets on the tenor Et gaudebit, see Rebecca Baltzer, “The Polyphonic Progeny of an Et gaudebit: Assessing Family Relations in the Thirteenth-Century Motet,” in Hearing the Motet, ed. Dolores Pesce (see note 78), pp. 17–27. She lists clausula sources and motets on p. 19, most which include texts that are unica. Cf. Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 67–72.

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 Barbara Haggh-Huglo

different from others in MA.118 Another example receiving a new triplum in HU is a work found only in MA and HU, MA 91 Patrum sub imperio. The version a2 in MA is based on a clausula in F and has a narrow ambitus, voice crossing and a motetus melody independent of the tenor but rhythmically regular and parallel. The version of HU 95 keeps only the motetus, has a free tenor voice, and adds a new triplum.119 Tischler considers the motet MA 85 Alpha bovi as Hispanic; Pumpe thinks that version has the work’s original texting. In Alpha bovi (HU 83) the discantus was replaced with a new melody lacking colores.120 But MA 78 Ad solitum leaves off the triplum. Jutta Pumpe noticed that the tripla in MA tended to represent an older way of composing, seeking the homogeneity of parts. Often they mirrored the motetus and consisted of long, clear melodic phrases without irregularities.121 The Hispanic tampering with French repertory in MA and HU also extends to the texts. Asensio Palacios discusses several contrafacta of Latin conductus voices in MA.122 There is also abundant evidence in MA of texts being adapted to fit the music better; MA often has the best text-setting of concordant versions.123 These and other changes made to existing compositions confirm that there was no place for improvisation in the repertory recorded here,124 but that what we see is recomposition based on local compositional principles. In this context, it is significant that in MA the Parisian quadrupla studied by Guillaume Gross were transmitted faithfully enough to keep the subtle and meticulous rhetorical procedures he identified in the music.125 In short, the Hispanic character of these two manuscripts resides in the way the scribes received the foreign repertory in writing, but also in the active recasting of the music prior to its writing, and the translation of the unfamiliar Parisian notation to something that would be familiar to Hispanic musicians. Whether

118  Edited in El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 536, and El Códice de Las Huelgas, ed. idem (see note 2), pp. 365–6; Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 88–91. 119  Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 91–2. 120  Ibid., pp. 126–7 on whether or not texting is original. 121  Ibid., pp. 97–9 and p. 134. 122  El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 19–20. 123  Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 122–141, on motets with two different Latin texts; El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 27–8 on adaptation of text to music. 124  Cf. Anna Maria Busse Berger, Medieval Music and the Art of Memory, Berkeley, 2005. 125  Guillaume Gross, Chanter en polyphonie à Notre-Dame de Paris aux 12e et 13e siècles, Turnhout, 2007; idem, “Organum at Notre-Dame in the Twelfth and Thirteenth Centuries: Rhetoric in Words and Music,” in Plainsong and Medieval Music 15/2 (2006), pp. 87–108.



Modes, Tenors, Scribes, and Stems  

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these changes took place before the works reached Toledo or Las Huelgas or afterwards is the question now. Nicolas Bell concludes that the scribe of HU could not possibly have had all of the necessary exemplars available for the repertory he copied and emphasizes that he does not seem to have copied from models, but translated from them. The many unica in HU, whose past is unknown, suggest that the scribe also copied from memory or performance, which in turn implies that there was a tradition of performing such compositions in Spain, which the earlier MA and fragments support.126 That MA and HU, unlike other codices with this repertory, are plain manuscripts suggests that they likely belonged to musicians. Similar performing sources were probably lost; and such manuscripts would have been even more representative of the diffusion of the Notre Dame repertory than the finer codices, such as F. Keep in mind that the thirteenth century required the diffusion of texts as none before: by the mendicant orders and university students in particular. There is, however, the contrary argument that these manuscripts were exceptional and made for a specific purpose – to introduce the French royal repertory elsewhere. The scribes of MA and HU were associated with leading churches. Both codices do have French or royal associations. MA dates from a few decades after 1226, when construction began on Toledo’s new Gothic cathedral, begun in 1226, the first cathedral in the new style on the Iberian peninsula. Modeled on Bourges cathedral, that of Toledo shares its five-aisled nave design not only with Bourges cathedral, but also with the cathedrals of Le Mans and Notre Dame of Paris.127 The convent of Santa María la Real de Las Huelgas was founded in 1187 by Alfonso VIII and his wife, Eleanor of England, the daughter of Eleanor of Aquitaine. It became the burial place of Castilian royalty. Its “Master of Burgos” was trained in Bourges.128

126  El códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 177–8; cf. El Códice de Las Huelgas, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 118. 127  See the last chap. of Robert Branner, The Cathedral of Bourges and its Place in Gothic Architecture, New York and Cambridge, MA, 1989, and also Maury I. Wolfe and Robert Mark, “Gothic Cathedral Buttressing: The Experiment at Bourges and its Influence,” in Journal of the Society of Architectural Historians 33 (1974), pp. 17–26. Toledo Cathedral had a chapel dedicated to St. Blaise, who was venerated at the Sainte-Chapelle of Paris and in Bourges. Note that Maurice de Sully and his nephew Odo de Sully were both canons of Bourges Cathedral. St. William of Bourges (d. 1209) had been a canon in the chap. of Notre Dame of Paris and was revered by the royals. (I thank Rebecca Baltzer for this last observation.) 128  Wolfe and Mark, “Gothic Cathedral Buttressing” (see previous note), p. 22.

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 Barbara Haggh-Huglo

And whatever their deficiencies, the scribes had some basic knowledge. MA is the work of several scribes and is often exceptionally carefully copied – Jutta Pumpe singled out many examples of careful underlay. Although HU, which was copied by one scribe, is filled with deficient calligraphy, textual errors, missing rests at ends of phrases, longs replaced by breves through inattention, errors in cleffing and misreading of clefs, Nicolas Bell has shown that the scribe did know mensural notation and Latin, but was simply negligent and parochial. Bell asks if the errors came from mishearings or from reducing the page layout of the model.129 In a recent article, I suggested that composers and music scribes often belonged to different ecclesiastical or social classes due to the status of copying as a kind of manual labor.130 Such a class difference could explain the curious errors of inattention that occur in HU. In any case, such errors can in no way be considered Hispanic. My point is that MA and HU are in fact probably not the tip of an iceberg, but select compilations, fortunate to survive, of which a few others may have perished. This study of the Hispanic qualities in MA and HU has shown that the repertory from Paris was successfully transmitted and performed far away, well into the fourteenth century in the case of HU,131 but with a substantial number of revisions, omissions, and additions, not just of voices in the latter case, but also of local compositions. The revisions included notational emendations; the additions explanatory “glosses” in the vernacular.132  We have also shown the proximity of the repertory of MA to W1 rather than F, and recognized the primacy of two-part polyphony in MA and HU. This includes Benedicamus extensions to conductus in MA,133 and a number of Benedicamus domino settings in HU, scattered throughout the codex and especially at the end. For example, HU 40, is a three-voice Benedicamus setting also in F beginning with voice-exchange in all three parts; HU 148, Columbe simplicitas, includes a

129  El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), pp. 40, 117–8. 130  Barbara Haggh, “Composer-Secretaries and Notaries of the Middle Ages and Renaissance: Did They Write?” in Musik – Raum – Bild. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dorothea Baumann, ed. Antonio Baldassarre, Bern, 2011, pp. 27–42. 131  HU received additions until the mid-fourteenth century, according to El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 24. Cf. Rebecca Baltzer, “How Long was Notre-Dame Organum Performed?” in Beyond the Moon: Festschrift Luther Dittmer, ed. Bryan Gillingham and Paul Merkley, Ottawa, 1990, pp. 118–43. 132  See El Códice musical de Las Huelgas, ed. Bell (see note 2), p. 34, who gives a list of the compositions to which additions were made. 133  El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), p. 20, col. 1.



Modes, Tenors, Scribes, and Stems  

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Benedicamus cauda.134 This is noteworthy, because troped and polyphonic Benedicamus domino settings were developed and cultivated in the Aquitaine before they reached the Benedictine Abbey of St. Maur-des-Fossés, a center where early organum was composed about seven and a half miles southeast of the center of Paris, and Paris itself.135 Indeed, some such works in HU may not have been associated with Paris or with Notre Dame Cathedral at all. HU 34 Qui nos fecit, a Benedicamus trope on fol. 23r-v is an unicum, but other versions of it survive in Venice, Perugia, Parma, even in a Dalmatian fragment, and from a Franciscan milieu, but not in Parisian sources.136 Given that Anonymous IV’s writings concord on several points with the evidence of the two Hispanic codices,137 we should be encouraged to give more attention to the Aquitaine, a region ruled by the Plantagenet House throughout the Gothic Revolution.138 Perhaps more can be learned from contacts between English and Hispanic musicians that might not just have taken place in Paris.139

134  Pumpe, Die Motetten (see note 14), pp. 54–5. 135  See Barbara M. Barclay, “The Medieval Repertory of Polyphonic Untroped Benedicamus Domino Settings,” Ph.D. diss, University of California, Los Angeles, 1977. Wulf Arlt shows that the two-voice Benedicamus in Las Huelgas takes a responsory melisma for Nicholas found in F-Pn n.a. lat. 1535(5), in “Benedicamus devotis mentibus – Eia pueri iubilo,” in Bearbeitung in der Musik: Colloquium Kurt von Fischer zum 70. Geburtstag, ed. Dorothea Baumann, Bern, 1986, pp. 21–40. On the Benedicamus of the Parisian region in chant and polyphony, see Anne Walters Robertson, “Benedicamus Domino: The Unwritten Tradition,” in Journal of the American Musicological Society 41 (1988), pp. 1–62; and Michel Huglo, Chant grégorien et musique medieval, Aldershot, 2005 (Variorum Collected Studies Series, CS 814), article XVIII: “Les débuts de la polyphonie à Paris: Les premiers organa parisiens,” first published in Forum musicologicum 3 (1982), pp. 93–163. 136  Hana Breko Kustura, “Examples of Liturgical Polyphony from Dalmatia,” in International Musicological Society Study Group Cantus Planus, Papers Read at the 16th Meeting, Vienna, Austria, 2011, ed. Robert Klugseder et al., Vienna, 2012, pp. 66–71. 137  On Anonymous IV and other theorists whose writings pertain to the repertory in MA, see El Códice de Madrid, ed. Asensio Palacios (see note 2), pp. 24–6. 138  See Rebecca Baltzer, “Music in the Life and Times of Eleanor of Aquitaine,” in Eleanor of Aquitaine: Patron and Politician, ed. William W. Kibler, Austin, 1976, pp. 61–80. 139  I am grateful to Rob Wegman for giving me the opportunity to present this paper at the conference “The Gothic Revolution: Music in Western Europe, 1100–1300,” Princeton University, 4–6 November 2011, which led to improvements to this text.

Susan Rankin

Identity and Diversity: The Idea of Regional Musical Notations Let the order now be turned to musical notes, those which placed by each of the strings offer much fruit to the one studying melody. These are used for that purpose, that just as through letters the sounds and dictions of words are recognized in writing such that they mislead no one reading through dubious judgment, in the same way every melody notated with these [notes], even without someone teaching, can be sung, [and the melody] afterwards will be immediately recognized. But by these notes [i.e., neumes] that practice has now handed down, and which for the sake of a variety of places are nonetheless delineated by various shapes, although they may be useful for some assistance with recall, it [this practice] is able to be only minimally effective.1

This is from a musical treatise composed by Hucbald of St Amand; the actual date of his writing this musical study is not known, but let us say circa 900. Hucbald’s interest in musical notations is marked: he makes repeated references to notation, considers at least three different kinds of notation, and often uses notations to illustrate what he otherwise explains in words. The earliest surviving copy of the Musica and Scolica enchiriadis treatises, Valenciennes, Bibliothèque municipale, 337, dateable to the late ninth or early tenth century, was made at St Amand, and must surely, at some stage, have been in Hucbald’s hands.2 This manuscript is full of notated demonstrations, using diagrams which are in effect

1  Hucbald, De harmonica institutione, in L’Œuvre musicale d’Hucbald de Saint-Amand, ed. Yves Chartier, Montréal and Paris, 1994, cap. 44, p. 194: “Nunc ad notas musicas quae unicuique cordarum appositae sunt, non minimum studiosis melodiae conferunt fructum, ordo vertatur. Hae autem ad hanc utilitatem sunt repertae, ut sicut per litteras, uoces et dictiones uerborum recognoscuntur in scripto, ut nullum legentem dubio fallant iudicio, sic per has omne melos adnotatum, etiam sine docente, postquam semel cognitae fuerint, ualeat decantari. Quod his notis quas nunc usus tradidit quaeque pro locorum uarietate diuersis nichilominus deformantur figuris, quamuis ad aliquid prosint rememorationis subsidium, minime potes contingere.” This English translation by Calvin Bower. For a published translation see Hucbald, Guido and John on Music: Three Medieval Treatises, trans. Warren Babb, ed. with introductions by Claude V. Palisca, New Haven, 1978, p. 36. 2  The time of composition of these treatises of music theory is not known. On this manuscript and the copying of music theory texts at St Amand in the ninth century see “XI.48 Musiktraktate (Musica enchiriadis, Scolica enchiriadis und andere)”, in 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit, ed. Christoph Stiegemann and Matthias Wemhoff, vol. 2, Mainz, 1999, pp. 860–2. The two treatises are ed. in Hans Schmid, Musica et scolica enchiriadis una cum aliquibus tractatulis adiunctis, Munich, 1981.

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 Susan Rankin

musical notations, to substantiate concepts of tonality,3 ways of measuring out series of tones,4 and ways of organizing the sound of two separate voices singing together.5 But when Hucbald spoke of the “notes [i.e., neumes] that practice has now handed down, and which for the sake of a variety of places are nonetheless delineated by various shapes”, did he have in mind the palaeofrankish neumes found in Aurelian’s Musica disciplina which probably came to St Amand in the late ninth century?6 Or neumes of the kind usually described as Breton, written in fragments of a late ninth-century gradual, now bound into a St Amand book (Valenciennes, Bibliothèque municipale, 407)? Or neumes of the kind written at nearby Corbie?7 Or neumes like those written into the margins of a ninth-century copy of the works of Gregory of Nazianze (Valenciennes, Bibliothèque municipale, 150, fol. 36r), a book which probably arrived at St Amand at some time in the late ninth century? (See Plate 1.) These different kinds of neumatic notation – the so-called “palaeofrankish”, “Breton”, “central” or “northern French”, and, in the final example, neumes described by Hourlier and Huglo as “palaeofrankish”,8 but which represent some

3  As cap. I descr. 2/3, in Musica, ed. Schmid (see note 2) p. 5. 4  Ibid., cap. VIII descr. 2. 5  Ibid., cap. XII descr. 1, and many following diagrams. 6  In Valenciennes, Bibliothèque municipale, 148; these neumes are reproduced in Aureliani Reomensis Musica Disciplina, ed. Lawrence Gushee, Rome, 1975 (CSM 21), Plates I–III (under the siglum V). On this source see also Michael Bernhard, “Textkritisches zu Aurelianus Reomensis”, in Musica disciplina 40 (1986), pp. 49–61; “XI.46 Musiktraktat (Aurelianus Reomensis, Musica disciplina)”, in 799 Kunst und Kultur, vol. 2 (see note 2), pp. 857–8; Barbara Haggh, translated by Katarzyna Naliwajek, “Traktat Musica disciplina Aureliana Reomensis: Proweniencja i datowanie [Musica disciplina Aureliani Reomensis and the Problem of the Date and Origin of the Treatise]”, in Muzyka (Journal of the Institute of Musicology, Polish Academy of Sciences, Warsaw) 45 (2000), pp. 25–78 (with English summary); and eadem, “Aurelian’s Library”, in International Musicological Society Study Group Cantus Planus: Papers Read at the 9th Meeting: Esztergom & Visegrád, 1998, ed. László Dobszay, Budapest, 2001, pp. 271–300; Michael Glatthaar, “Bernard von Réome und die Datierung der Musica disciplina Aurelians”, in Revue bénédictine 121 (2011), pp. 357–81. 7  At this stage I merely surmise the existence of neumes at Corbie in the late ninth century; although there are plenty of examples of musical notation written at the Abbey in the late tenth and eleventh centuries, none can be dated to the ninth century. For a list of examples see Solange Corbin, Die Neumen, Cologne, 1977 (Palaeographie der Musik 3), p. 3.120; to these should be added Paris, BNF, lat. 12051, fol. 5v. But see now Marie-Noël Colette, “Les fragments et additions marginales notés dans les anciens manuscrits de Corbie conservés à la Bibliothèque nationale de France”, in Études grégoriennes 39 (2012), pp. 13–32. 8  Jacques Hourlier and Michel Huglo, “Notation paléofranque”, in Études grégoriennes 2 (1957), pp. 212–19.



Identity and Diversity: The Idea of Regional Musical Notations 

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kind of very early writing which is not easily categorized into one of the identified families – might all have been known to Hucbald. In the late ninth and early tenth centuries St Amand was undoubtedly a leading educational centre, Hucbald himself an outstanding musical figure;9 nonetheless, St Amand was only one of many such centres scattered across the late Carolingian empire.10 And at St Amand in this period, it was evidently possible to see, to experience, a variety of ways of writing musical notation.

Plate 1: Valenciennes, Bibliothèque municipale, 150, section of fol. 36r

9  On this see Chartier, L’Œuvre musicale d’Hucbald (see note 1) and idem, “Clavis Operum Hucbaldi Elnonensis: Bibliographie des oeuvres d’Hucbald de Saint-Amand”, in Journal of Medieval Latin 5 (1995), pp. 202–24, in which he attempts to list all materials which might have been composed by Hucbald, and their sources and editions; also Sarah Fuller, “Interpreting Hucbald on Mode”, in Journal of Music Theory 52 (2008), pp. 13–40. 10  The literature on education in the Carolingian period is immense: a good starting point is John Contreni, “The Carolingian Renaissance: Education and Literary Culture”, in The New Cambridge Medieval History, ed. Rosamond McKitterick, vol. 2: c.700–c.900, Cambridge, 1995, pp. 709–57.

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 Susan Rankin

Let me now turn from images of ninth-century notations to ways in which they have been treated by modern scholars. Tables of neume shapes have become a staple element in studies of neumatic notation. Presenting a series of different pitch patterns – from one to three or four notes long – on one axis, and regions (or occasionally individual places) on the other, such tables show how individual neumes (punctum, virga, and so on),11 were differently drawn in different places. In Solange Corbin’s Die Neumen, published posthumously in 1977,12 the names of individual neumes are set beside symbols in square notation along the horizontal axis, with the names of regions / places, and references to reproductions in the same volume along the vertical axis. This is a useful and practical guide. There are comparable tables in Stäblein’s Schriftbild der einstimmigen Musik of 1975 (this being the most detailed example),13 in The New Grove Dictionary of 1980 (there compiled by David Hiley),14 and in Leo Treitler’s “The Early History of Music Writing in the West” published in 1982,15 and as recently as 2000 in the fourth volume of the Geschichte der Musiktheorie, by Nancy Phillips.16 Such tables are designed in a way which aids fast identification of origin: indeed, the implication of their design is that the relation between specific ways of drawing neumes and regions or places is quite clear and fixed. The idea of “regionality” in relation to music writing had been brought to the fore by monks of Solesmes and then Corbin in the 1950s: studies by Jacques Hourlier on Messine notation and by Michel Huglo on Breton notation included long lists of sources notated in these

11  These names are only directly and easily applicable to German neumes, being drawn from a series of German descriptions, the earliest dating from the eleventh century: on these see Michel Huglo, “Les noms des neumes et leurs origins”, in Études grégoriennes 1 (1954), pp. 53–67, and Michael Bernhard, “Die Überlieferung der Neumennamen im lateinischen Mittelalter”, in Quellen und Studien zur Musiktheorie des Mittelalters, ed. idem, vol. 2, Munich, 1997, pp. 13–91. 12  Corbin, Die Neumen (see note 7). 13  Bruno Stäblein, Schriftbild der einstimmigen Musik, Leipzig, 1975 (Musikgeschichte in Bildern III/4), between pp. 32 and 33. 14  “Neumatic Notations”, in The New Grove Dictionary of Music and Musicians, ed. Stanley Sadie, 20 vols., London, 1980, vol. 13, p. 131. 15  Leo Treitler, “The Early History of Music Writing in the West”, in Journal of the American Musicological Society 35 (1982), pp. 237–79. 16  Nancy Phillips, “Notationen und Notationslehren von Boethius bis zum 12. Jahrhundert”, in Die Lehre vom einstimmigen liturgischen Gesang, hg. von Thomas Ertelt und Frider Zaminer, Darmstadt 2000 (GMTh 4), pp. 293–623, at p. 543.



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types of script;17 then Corbin’s doctoral thesis of 1957 dealt with notation in the “quatre provinces lyonnaises: Lyon, Rouen, Tours et Sens”.18 In her 1977 book Corbin laid out a basic tool for determining the area of origin of a manuscript through musical script – by examining the axes of neumes, the angle at which the pen was pulled upwards and then pulled downwards.19 Beside this, as a way of dealing with the fact of scripts which did not fit the categories represented in the table of neume shapes, she worked with a model of “pure” and “mixed” scripts, these latter including “Kontaktneumen”:20 in her words, “pure” neume scripts had been developed in the most important scriptoria, but with time and distance from their place of origin, scripts changed and could absorb signs from other script types. Even if Corbin began this explanation of the phenomenon of regional “Neumenfamilien” with an overt statement that the different neume forms of ninth-century scripts did not follow geographical or political criteria, she then went on to strengthen the sense of regional areas of influence by speaking about the relation between singers of a region and the notational practices to which they were used.21 Set beside Corbin’s surprisingly rigid regional model, how can the variety of material available at St Amand circa 900 be understood? Is the contact with many different ways of writing music at St Amand just an exception which proves the rule of Corbin’s sense of regional development and influence? Is the sense that the monks of St Amand could choose from multiple possibilities, could use those possibilities to design a new notation, simply wrong – or was St Amand too unusual to help a more general survey of the relation between musical notations and regions? The problem which sits at the centre of this confrontation of historical models is history itself – since it is the poverty of the individual models, above all the lack of chronological layers, which renders these neume tables so problematic. Of course, Corbin had chosen to represent the vast variety of graphic patterns of neumes in a way which gave her table the greatest geographical scope, over the longest possible period, much of the tenth and all of the eleventh century

17  Jacques Hourlier, “Le domaine de la notation messine”, in Revue grégorienne 30 (1951), pp. 96–113, 150–8; Michel Huglo, “Le domaine de la notation bretonne”, in Acta musicologica 35 (1963), pp. 53–84; rev. with plates and index as Britannia Christiana, vol. 1, eds. Jean-Leuc Deuffic and Annie Dennery, Daoulas, 1982. 18  Solange Corbin, La notation musicale neumatique des quatre provinces lyonnaises: Lyon, Rouen, Tours et Sens, diss., U. of Paris, 1957. 19  “Die Schriftrichtung”, in Corbin, Die Neumen (see note 7), p. 3.10–11. 20  Ibid., p. 3.42: “Hier sei von den ‘reinen’ Neumenschriften die Rede, die man den ‘gemischten’ oder auch den ‘Kontakt’-Neumen entgegenzusetzen pflegt”. 21  Ibid.

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– that is, once the establishment of ways of writing became relatively fixed (which must have happened at different times in different places). In electing to concentrate on the phenomenon of regional neumatic notations, Corbin was setting aside historical evidence of which she was well aware. It was already well established that there were clear links underlying those ways of writing neumes which emerged in more fixed form in the regional families typical of tenth and eleventh-century notations: in 1957 Hourlier and Huglo had published a diagram to illustrate their understanding of the development of neume families, determined by the by then well-known division into “neumesaccents”, “neumes-points”, and “neumes-mixtes”.22 Read as a model of change, however, this diagram is relatively limited in its historical meaning, since the stemma paradigm is itself too simplistic to allow for the idea of individual scribal modifications and multiple interchanges between scribes. Two other models which each seek to represent the growth of neumatic notations in a chronological diagram have been published, one by Bruno Stäblein, the other by Kenneth Levy. Both of these scholars built chronology and change into their surveys in significant ways, not only allowing for the idea of development per se, but also attempting to trace development from specific types of notation to others. In Levy’s diagram, the separation of regional notations post 900 remains strongly present;23 but it is what he places before 900 which seems really to have interested him. Even if there is little agreement about his reasoning – the idea that a notated archetype of Gregorian chant was available during Charlemagne’s lifetime24 – nevertheless, the way in which he points to the period between 800 and 900 as a time of development is instructive; an awareness of change in notated materials in the period up to 900 is kept in the forefront of this discussion. There is one significant aspect of Levy’s model which sets it aside from the others by Hourlier and Huglo, and by Stäblein, and this is the fact it was produced not as the result of palaeographical work on notations, but following his research on musical transmission, on the melodic content of various separate traditions and on historical circumstances.

22  Hourlier and Huglo, “Notation paléofranque” (see note 8), p. 218. 23  Kenneth Levy, “On the Origin of Neumes”, in Early Music History 7 (1987), pp. 59–90; reprinted in his Gregorian Chant and the Carolingians, Princeton, 1998, pp. 109–40, at p. 118. Although this diagram has the caption “Gregorian propers: three-branch stemma”, Levy describes this diagram in his text as “a representation of neumatic beginnings” and “a stemma of three branches [of Latin neumes] that coexist during a period of some centuries” (p. 116). 24  Kenneth Levy, “Charlemagne’s Archetype of Gregorian Chant”, in Journal of the American Musicological Society 40 (1987), pp. 1–30; reprinted in his Gregorian Chant (see note 23), pp. 82–108.



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It is in the diagram presented by Stäblein in 1975 that we see the most detailed attempt to work out how neumatic scripts developed on the basis of palaeographical work.25 He sets the palaeofrankish notation as the earliest neumatic notation, leading to a “Breton” type, which in turn leads to a whole series of others – with a very large group, including Spanish, central French, insular, Italian and German notations all together in a box: this enormous group he named the “zentraleuropäische Familie”, thereby appearing to make a claim about its origin. Unfortunately there is much in this diagram for which he did not provide any supporting material, above all, why he believed that the palaeofrankish notation preceded (and partly led to the development of) the “Breton” notation. There are parts of his conception which are easy to follow, and others which remain opaque: unfortunately a further study – “Neumenkundliches” – to which he refers as “in Vorbereitung” was never published, and no written material for it survives in his Nachlass.26 In summary: the idea of regionally defined scripts is useful and extensively valid for the study of musical notation written in the later tenth and eleventh centuries. For the study of notation written before 900, before those notations became classicized,27 to read any one neumatic script as dependent on regional archetypes is potentially misleading. It is not only that we are forcefully made aware of the factor of choice by Hucbald’s words, but also that we simply do not have any clearly argued case for the ways in which musical notation was developed in the ninth century, and in what places such developments might have been fostered. A starting point other than “regions” is needed. In this paper I shall explore the relation between diversity of script and identity. While the “regional model” and its possible ethnic basis has to be set aside before I start, the “Nationes, Gentes” banner has proved a useful investigative tool in more than one respect.28 *

25  Stäblein, Schriftbild (see note 13), p. 27. 26  Ibid., p. 30, n.235. 27  On the idea of classicized, “school” scripts, see Wulf Arlt, “Anschaulichkeit und analytischer Charakter: Kriterien der Beschreibung und Analyse früher Neumenschriften”, in Musicologie médiévale : notations et séquences : actes de la Table Ronde du CNRS à l’Institut de recherche et d’histoire des textes, 6–7 Septembre 1982, ed. Michel Huglo, Paris, 1987, pp. 29–55. 28  In the early middle ages it was well understood that ethnic identity represented a construct which could depend on a variety of different and competing factors (place of origin, customs, language, law): the scholarly discussion of identity, most particularly ethnic identity, is now substantial. For an insightful overview see Patrick J. Geary, “Ethnic Identity as a Situational Construct in the Early Middle Ages”, in Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW), 113 (1983), pp. 15–26.

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Perhaps the most essential initial question faced by anyone considering how different neumatic scripts emerged in the ninth century is whether musical notation was invented in one place and altered in its passage from one institution to another, or represents a new habit of script developed in separate institutions as a result of the Carolingian “Zeitgeist” and grammatical models. Max Haas, in particular, has used the idea of “elementarer Sozialisation” as a basis to argue that “Neumen können als grammatikalisch gefilterte Umsetzungen von Musik verstanden werden, die an verschiedenen Orten unabhängig voneinander geschrieben werden.”29 The results of palaeographical work which reveals some ways to answer that question are presented in this second section. As ever, the results point in both directions, but the interesting information is in the details. A first example shows passages of notation for the Gradual Adiuuabit eam from the late ninth- or early tenth-century book Chartres 47, notated in “Breton” notation, and from Laon 239, made in the last quarter of the ninth century, and notated in “Messine” notation (Figure 1).30 The Chartres book has at present no securely identified origin, beyond western France; the Laon book is from Laon. The point of isolating these individual passages is simply to focus attention on the graphic similarity of these two notations for the Gradual. If the special and unique sign for a single note in the Laon 239 notation (uncinus) is replaced each time with a short stroke, as in Chartres 47 (tractulus), the graphic similarity between these two passages appears even more pronounced. Then the graphic differences are very limited, consisting mainly of the choice between virga (long diagonal stroke) or tractulus (short horizontal stroke) for a single note, and the joining of longer signs. That there is a strong link between the “Breton” (Chartres 47) and “Messine” (Laon 239) types of notation has long been appreciated: the strongest advocate of their affiliation, Bruno Stäblein, described it in this way: “Noch mehr als in der aquitanischen Schrift leben Reste der alten Bretonische Notation in der Metzer Schrift weiter, so daß man diese getrost als deren Nachfolgerin und Erbin bezeichen darf.”31

29  Max Haas, art. “Neumen”, in Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2nd ed., Sachteil, vol. 7, Kassel et al., 1997, cols. 296–317: “Neumes can be understood as grammatically filtered conversions of music, which were written independently of one another in different places”. 30  Antiphonale missarum sancti Gregorii (Xe siècle): codex 47 de la Bibliothèque de Chartres, Paléographie musicale 11, introd. by Amand Ménager, Tournai, 1912; Antiphonale missarum sancti Gregorii (IXe–Xe siècle): codex 239 de la Bibliothèque de Laon, introd. by Gabriel Beyssac, Tournai, 1909 (Paléographie musicale 10); Laon 239 can also be found online at [URL: http://manuscrit.ville-laon.fr/_app/index.php?type_recherche=cote&choix_secondaire=Ms%20239&tri=] accessed 20.4.12. 31  “Even more than in the Aquitanian script, the remains of the old Breton notation live on in



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| | | A - diu -

va

-

bit

e - am

de - us …

in

me

-

di - o …

Figure 1: Notations for the Gradual Adiuvabit eam deus from Chartres 47 (p. 19) and Laon 239 (fol. 14v)

Crossing over to another script family, we can consider three notations written in the first quarter of the tenth century for Alleluia V. Deus iudex (Figure 2). On the top line are neumes from a source now in Graz (Graz, Universitätsbibliothek, 748, boards at front and back): these fragments, used as pastedowns at front and back of a book from Seckau, were written circa 900 in western Francia.32 On the second line are neumes from Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. I 93, a book containing the theory treatise of Regino of Prüm, as well as a notated tonary Freitag, 13. Dezember 13 and a collection of Alleluias: recent considerations of this source place it in Metz or close to Trier.33 Below this is shown notation from the St Gallen Cantatorium, Stiftsbibliothek Sankt Gallen, 359, copied at Sankt Gallen in the first quarter of the century. So we have here notations for the same Alleluia and verse in three sources made in the same period but in very distant situations – one from a west

the Messine script, so that one may safely describe this [latter] as the real follower and inheritor” (Stäblein, Schriftbild [see note 13], p. 41). 32  See Bernhard Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen): vol. I: Aachen-Lambach, vol. II: Laon-Paderborn, Wiesbaden, 1998–2004, vol. I, no. 1457. 33  On this source see Michel Huglo, Les Tonaires. Inventaire, Analyse, Comparaison, Paris, 1971, pp. 74–7; Michael Bernhard, Studien zur Epistola de armonica institutione des Regino von Prüm, Munich, 1979 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Musikhistorischen Kommission 5), pp. 14–5; and Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, 2 vols., Stuttgart, 1986, p. 447. On the basis of the tonary, Huglo places the source between Aachen and Trier; on the basis of content at the front of the manuscript Bernhard places it in Metz, and on the basis of palaeography Hoffmann puts it within the orbit of St Maximum of Trier.

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Frankish centre, one from an area immediately west of the Rhine, and one from St Gallen, far to the south.

1

2

3 Al- le- lu-

ia

1

2

3 De- us iu- dex ius-

tus for- tis

1

2

3 et pa-ti-

ens num- quid i-

ra-

sce-

tur

Figure 2: Notations for the Alleluia V. Deus iudex from Graz 748 (back pastedown), Leipzig, Rep. I 93 (fols. 37v–38r) and Sankt Gallen 359 (p. 145).



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If we consider specific passages – the neumes for “-lu”, for “fortis”, and for “patiens”– the fundamental graphical similarity of the three notations is very clear: this likeness extends beyond the individual graphic signs, to the way in which those signs are placed in relation to each other, and even to the axes of script – which are not identical but are not wildly dissimilar. In fact, the differences in terms of axes are better described in terms of variation from a general approach than as noticeably different. Obvious as the affiliation of these western and eastern Frankish notations might seem when they are seen juxtaposed in this way, the question of the regional home and thus identity of the script type which underlies all three of these examples is never directly treated in the literature, being rather the cause of confusion and error.34 The Graz fragments – written somewhere in western Francia – were described by musicologists as having notation “of the St Gall type”.35 Indeed, the familiarity of the St Gall sources and their notation is so deeply ingrained in musicological writing that many simply assume this kind of script to have been created at the abbey of St Gallen. Working with closer knowledge of neumed sources and ways of thinking about them, Michel Huglo revealed the extent to which the notation in the Leipzig source confused him: “il est fort difficile de décider si nous avons affaire à une notation allemande ancienne, probablement de l’Ouest, ou à une notation de type français, telle qu’elle a parfois été pratiquée dans la région liégeoise.”36 This binary opposition of “old German” and “French” reveals the extent to which the regional model for thinking about types of neumatic script has simply got too far under the skin of musicological thinking. Without question individualised forms of this script developed in specific localities – in St Gallen famously, and in northern French centres, but also in northern Italy, England and in the Iberian peninsula: the very widespread use of related script types was recognized in Stäblein’s denomination “zentraleuropäische Familie”.37 But imposition of the wealth of later evidence on earlier sources can be unhelpful and downright misleading, since it is now clear that at an early stage, ideas about how to write musical signs travelled fast across large distances. And, of course, the significance in relation to the subject of this paper is not difference, as many have attempted to discover, but similarity

34  On this see further in Susan Rankin, “Typologies of Ninth-Century Music Notations”, in Études grégoriennes 39 (2012), pp. 33–48. 35  See Musikgeschichte Österreichs, vol. 1: Von den Anfängen zum Barock, ed. Rudolf Flotzinger and Gernot Gruber, Graz and Vienna, 1977, p. 65 and Plate 9. 36  Huglo, Les Tonaires (see note 33), p. 75. 37  Stäblein, Schriftbild (see note 13), p. 27.

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– the fact that it is possible to show that there is a direct graphic relation between scripts written in distant centres at the end of the period of Carolingian rule. So far I have been able to show – in concrete ways – the graphic relations between scripts usually recognised as belonging to larger families – on the one hand the Breton and Messine scripts, and on the other, Stäblein’s “zentraleuropäische Familie”. Now I show one further juxtaposition which considers the relation between these two families of scripts: it is a juxtaposition which stakes a greater claim than the previous two, although I imagine it represents the kind of work with which Stäblein was involved just before his death. In Figure 3a passages from the Breton notation in Chartres 47 are set beside passages from Sankt Gallen 359. Apart from the choice of a virga in the SG notation against a punctum in the Chartres notation (elevamini), and virgae rather than puncta for ascendet in montem the visual similarity in the two phrases is unmistakeable. With another example (Figure 3b), the same categories of difference as had appeared in the juxtaposition of Breton and Messine notations can be observed: the alternative choices of virga and tractulus (Benedictus), the choice of joined or separated signs (A domino). Again it is not the differences but the similarities which are really striking: in nomine, A domino, Factum.

Tol - li - te por - tas

|

|

|

|



et

e - le-va - mi - ni



quis

as - cen-det

in

mon - tem

Figure 3a: Notations for the Gradual Tollite portas from Sankt Gallen 359 (p. 28) and Chartres 47 (p.4)

Be- ne - dic - tus

Freitag, 13. Dezember 13

|

|

|

|

|

|

… in no - mi - ne

… A

do - mi - no …

fac

-

tum

est …

Figure 3b: Notations for the Gradual Benedictus qui venit from Sankt Gallen 359 (p.39) and Chartres 47 (p.7)



Identity and Diversity: The Idea of Regional Musical Notations 

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These juxtapositions demonstrate in an immediately tangible way the kinship of two supposedly separate early notations of Gregorian chant: at some level there is a direct correspondence between the Breton and the St Gallen notations, a sharing of graphic patterns, a level at which one sign in one notation will correspond to something graphically similar in another. And it matters here to emphasize the tangibility of the link – the existence of graphic correspondence beyond a general level of similarity. This is a relation which goes far beyond Haas’s suggestion of “grammatically filtered conversions from music, which were written independently of one another in different places”.38 The roots of the scripts written in these late Carolingian sources lie close to each other, not apart. In contrast to the clear phenomenon of separate, regional families of musical scripts written in the later tenth century and eleventh centuries, all the indications about ninth-century practice point in the opposite direction to a sharing – not just of the idea that musical sounds could be represented in writing, but also of ways of writing them. Up to this point it has been possible to demonstrate the connection on graphic levels of all the early script types except one: I have so far left out of this account the palaeofrankish – which would simply take too long to deal with here. But if there was a stage of independent creation of music scripts in different localities, it must lie at a very early point in the story. * Having been able to put something tangible between an imagined creation of ways of representing sounds in writing and the regional scripts which emerge as differentiated types in the tenth century, I can now ask the really interesting questions about early musical notations interrogated from a “nationes / gentes” standpoint. How could ways of writing which so clearly have shared roots become different and why? What drove the changes? Were developments the outcome of a desire to differentiate identity by writing in a specific way? Or does the reason for difference lie somewhere beyond the writing? An important aspect of musical activity in the Carolingian period was the establishment of a liturgy fit for Christian worship; whether we think of that liturgy as directly “recovered from Rome” or as a new construct fashioned according to Carolingian ideas about correct expression, it remains the case that new liturgical books were made, and that, at some point in the ninth century, cantor-scribes began to integrate musical notation into their liturgical books. For this reason it would be easy to try to associate the dissemination of ways of notating

38  See note 29 above.

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music with the dissemination of ways of celebrating the liturgy: or to say it in another way, to imagine that the way in which musical notation was learnt about in a locality in which it had not previously been used was by copying ways of writing out the melodies for the Roman-Frankish or Gregorian chant repertory. While this may indeed have been the case in some localities, it is not, I think, a primary force in respect of the transmission of ideas about how to write notation. The most important case to support this view is notation written in the Iberian peninsula. Recent palaeographical assessment of the León antiphoner (León, Archivo Capitular, 8) by Manuel Díaz y Díaz sets it in the first decades of the tenth century; so we are still working with a notation written in a relatively early period.39 That this very distinctive notation can firmly be set into this period is underlined by a set of fragments from another antiphoner also associated with León (Paris, BNF, n.a.l. 2199, fols. 14–16).40 When notations from these two sources are set beside each other, notational characteristics inherited from models as well as new, Hispanic, elements can be isolated. The basic principles of the notation as well as most of the individual signs can be recognised as coming from the north, but not all; the punctum, virga, square and round forms of pes, and clivis are all familiar. But three signs are absolutely distinctive: these include another form of pes, a joined-up or cursive form of scandicus (for three rising notes), and a sign consisting of two curves written back to back. Even in the northern Italian notations which share many of the script habits displayed here, these three signs are not found.41 The character of a script is not determined solely by individual signs, but by the way in which ways of writing are worked out. For example, the calligraphic possibility of writing loops is used here extensively; the cursive – joined up – signs for descending groups of notes which we see otherwise in sources from the Loire and Burgundian regions, are very prominent; finally a marked freedom in the angles at which successive strokes are written reminds us of a similar variety in the Graz fragments. Were it possible to compare these León notations with pitched melodies, we might learn even more about them; but, due to royal intervention at a critical

39  Manuel C. Díaz y Díaz, “Some Incidental Notes on Music Manuscripts”, in Hispania Vetus, ed. Susana Zapke, Bilbao, 2007, pp. 93–111, at p. 95; see also ibid., 252–3, and for a colour facsimile, Librum Ikilani Abbati, León, 2011. 40  Hispania Vetus, ed. Zapke (see note 39), pp. 250–1 (description by Miguel C. Vivancos). 41  On northern Italian notations see Dom Grégoire Suñol, Introduction à la paléographie musicale grégorienne, Paris et. al., 1935, pp. 174–203; Corbin, Die Neumen (see note 7), pp. 3.150–171; and Giacomo Baroffio, “Music Writing Styles in Medieval Italy”, in The Calligraphy of Medieval Music, ed. John Haines, Turnhout, 2011, pp. 101–24.



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point in the late eleventh century, none of the Old Hispanic chant repertory survives in pitched notations. That said, much of relevance to my own questions can be drawn from these sources. Since the chant repertory of the Old Hispanic Rite is distinctive and different from the Gregorian, it follows that a generation of Spanish cantor-scribes who wished to provide notations could not passively copy the notations provided by others, but would have had to understand the principles of how musical sounds could be associated with visual signs in the system they adopted. Of course, it may have been the specific qualities of their own melodic repertory and ways of singing that inspired the creation of new signs. The usefulness of the Spanish example is the degree to which it forces us to think about the moment of peripeteia from the memory of a series of sounds to a series of written symbols. Seen close to this moment of transformation, the degree to which the written symbols are not fixed and immutable, but representative of a living practice, has to be incorporated into our model. It is not merely that ways of singing a chant would change in the mouths and hands of different cantors, but something even more fundamental: in the moment of thinking about how to “write” neumes for a chant, a cantor-scribe could fix on diverse elements of the sound in his memory and could privilege certain elements over others. No neumatic notation comes close to self-sufficiency: all neumatic notations, however nuanced in detail, depend on being able to help a reader to find in his memory a way of moving through a series of sound patterns – having once found a starting point for the memory, the reader can follow the ductus of the remembered melody, word by word, melodic phrase by melodic phrase, in his mind, guided by visual, written signs. And how one scribe might choose to use writing to direct his memory could very easily differ from another. By emphasizing this personal dimension in the act of making notations, I hope to offer one part of an answer to the question of why notations became different – because it was inevitable that, in the hands of scribes spread across western Europe, who must have sung in many different ways (whatever they believed they were singing), scripts would be changed and developed, and therefore that they would come to look different. It is not only a question of inevitable change, however. Even if it is far from easy to reconstruct layers of notational practice which preceded extant examples, it is possible to work out some aspects of change, and to consider processes which led to change. To demonstrate, briefly, a way of burrowing under the surface of extant notations, I take an example which considers ways of writing signs for two ascending notes: the notations written in Figure 4 are by scribes working close to the year 900, writing Breton, Messine and St Gallen notations.42 The method of

42  From Sankt Gallen 359 (p. 74), Chartres 47 (facsimile p. 36) and Laon 239 (fol. 30r).

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comparison used here has been to juxtapose notations for the same melody, and only to use for comparison neumes written at similar points in those melodies, thus neumes placed in the same contexts. In Figure 4, at et and at psallere there are signs for two rising notes, written in SG 359 in one graphic sign with an angled turn (“square pes”), and in separated marks by the scribes of the Chartres and Laon books. Then at nomini there are again signs for two rising notes, but written in SG 359 in a round rather than square shape (“round pes”) and in Chartres and Laon as single graphic strokes, rather than two separate marks.

Bo - num

est …

et

psal - le - re

no - mi - ni

tu

-

o …

Figure 4: Notations for the Gradual Bonum est confiteri from Sankt Gallen, 359 (p.74), Chartres 47 (p.36), and Laon 239 (fol. 30r)

This set of correspondances can be demonstrated in many other melodies: specific signs in SG 359 match specific signs in Chartres and Laon, and there are two dominant ways of writing the musical gesture of a rising interval (see Figure 5).

Freitag, 13. Dezember 13

Figure 5: The main forms of pes in Chartres 47 (1st column), Laon 239 (2nd column) and Sankt Gallen 359 (3rd column) Montag, 28. Oktober 13



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Thus, while all three notations share a graphic sign for two rising notes – the square form of pes – these comparisons of notations for the same melodies show that graphic shape as having come to sit in different places in terms of meaning: the musical sound indicated by a square sign in the St Gallen script corresponds to a sign written in two separate strokes in the Messine script, while the musical sound indicated by a round sign in the St Gallen script corresponds to the single, square, sign in the Messine notation. From semiological study we have learned to associate the Sankt Gallen round pes and Messine square pes with a light or rapid delivery, the Sankt Gallen square pes and Messine separated signs with a more extended or emphasized delivery.43 The contrast between, on the one hand, the Breton / Messine pair of signs, and on the other, the St Gallen (or German) pair, highlights two different techniques used by ninth-century scribes for extending the range of meaning of neumatic notations. With the Breton / Messine pair, we see how separated and continuous strokes are differentiated: it is the procedure of splitting the strokes, rather than writing continuously which has meaning. On the Sankt Gallen / German side, to achieve a similar result, we see evidence of the creation of new graphic forms — here the round pes. In order to express two different ways of singing two rising notes a scribe has created a recognisably related but modified graphic sign, the ductus of the new sign being round rather than square. Both of these processes – the separation of strokes and the creation of new graphic forms – can be followed at some length in these sources: in the St Gallen notation the invention of a series of forms incorporating the oriscus (pressus maior, pressus minor, virga strata, pes quassus) provides an extremely interesting case for the consideration of calligraphy rather than meaning as a determining factor of change; in the Messine notation as written at Laon the extent to which the strategy of joining and separating graphic signs is worked out by one late ninth-century scribe suggests a highly developed concern with control of melodic articulation. Indeed, to summarise a great deal of information of this kind very quickly, the development of ninth-century notations can be analysed in a way which sets pitch and interval apart from other sound qualities: there are no signs of development in ways to indicate intervals in the ninth-century records of practical notations, whereas there are many signs of the development of ways of indicating length, intensity, and articulation – and these are the elements of sound which

43  Dom Eugène Cardine, “Sémiologie grégorienne”, in Études grégoriennes 11 (1970), pp. 1–158, at p. 19, and Luigi Agustoni and Johannes Berchmans Göschl, Einführung in die Interpretation des gregorianischen Chorals, 3 vols., Regensburg, 1987–1992, vol. II, p. 19–41.

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 Susan Rankin

relate to the delivery of a remembered melodic pattern.44 The implication is that the melody sat more firmly in the memory, while other elements of expression needed more support. It is therefore possible to argue that it was the detail of delivery, the moment to moment expression of a text, which drove the transformation of graphic signs and strategies in this period. In answer to my questions about how early musical notations could be interrogated from a “nationes / gentes” standpoint, I believe I have now offered both a “how” and a “why”: a widespread concern with delivery constitutes the primary motivation, the “why”, while the efforts of individual cantor-scribes, resulting in scripts which look different, can be considered a concomitant result of that need to develop the potential of systems of notation, thus, the “how”. * In this short study I have proposed a model of neumatic notation as a new and changing practice in the first 100 years of its use. The pronounced variety of graphic forms and strategies for their deployment which characterises notations of circa 900 must be read as the outcome of many initiatives, of the work of scribes based in individual localities. Hence my earlier question about identity – whether or not developments were the outcome of a desire to differentiate identity by writing in a specific way. Now, however, I could judge my opening suggestion about differentiation of identity to be completely wrong-headed. For the desire to control delivery in such careful ways as the notations indicate surely belongs within the context of Carolingian concern about how God should be addressed. Charlemagne and his advisors, fearing God’s displeasure, and believing that the Christianity of their times could be improved, had set in place a programme of “correctio”; this would ensure that the generations that followed addressed God correctly, and help their prayers to reach him. In liturgical chant this correctio programme had a far-reaching impact on textual content. I believe that what we find in these neumatic scripts reflects another aspect of “correctio”, since delivery is a significant factor in the communication of words in the right way, to express their correct meaning. Seen from this point of view, the development of neumatic scripts to the extent that they ended up “looking different” by 900 may be interpreted not as

44  On these topics see Susan Rankin, “On the Treatment of Pitch in Early Music Writing”, in Early Music History 30 (2011), pp. 105–75, and “Capturing Sounds: the Notation of Language”, in Cantus scriptus. Technologies of Medieval Song, ed. Lynn Ransom and Emma Dillon, Piscataway, NJ, 2012, pp. 10–41.



Identity and Diversity: The Idea of Regional Musical Notations 

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intended to achieve diverse identities, but for the common purpose of correctly addressing God. And I adopt shamelessly a way of reading Carolingian interests in identity described by the historian Helmut Reimitz. Writing about ways in which “Franks” were identified, and what it meant to be a Frank in the ninth century, Reimitz came to the conclusion that “the fundamental strategy of identity construction ... seems not to be the effort to differentiate, but to integrate. Herein lies the essential difference between the early medieval adoption of history and its modern instrumentalization ...”.45 As an element in cultural expression, and thus identity formation, the neumatic scripts which by circa 900 had come to look different may actually have resulted from parallel attempts to achieve the same end – integration into a community with a shared Christian identity, an ideal driven by the elite of the Carolingian empire.

45  Helmut Reimitz, “Omnes Franci. Identifications and Identities of the Early Medieval Franks”, in Franks, Northmen and Slavs. Identities and State Formation in Early Medieval Europe, eds. Ildar H. Garipzanov et al., Bergen, 2008, pp. 51–68, at p. 67.

Oliver Huck

„Inter Italicos et Gallicos est magna differentia in modo proportionandi notas semibreves“. Der modus cantandi im Musikschrifttum und in der musikalischen Praxis Obwohl in der Musikpraxis aufgrund der durchgehenden Kaudierung der Minimen in den Handschriften ab der Mitte des 14. Jahrhunderts die Kenntnis des modus cantandi zunehmend an Bedeutung verloren hat, notierte sich Franchino Gaffurio noch um 1474 die Regeln des modus gallicus und des modus italicus für die Ausführung unkaudierter Semibreven im tempus imperfectum in seinen ungedruckten Extractus parvus musicae und bewahrte die Differenzierung des modus cantandi durch Gemeinschaftsbegriffe damit ein letztes Mal und zu einem Zeitpunkt, zu dem sie weder für die Notation noch für den Gesang eine Rolle spielte.1 Die Unterscheidung zwischen einem mos gallicus und einem mos italicus ist in der Folge für die unterschiedliche Praxis des Kommentierung des corpus juris civilis und des corpus juris canonici im 16. Jahrhundert, jene zwischen einem modus italicus und einem modus parisiensis für die unterschiedlichen Lern- und Wohnsystems der spätmittelalterlichen Universitäten, für die Bologna und Paris exemplarisch stehen, belegt. Die Verwendung des Begriffspaars modus gallicus und modus italicus im Musikschrifttum des 14. Jahrhunderts, die im Folgenden zu beschreiben ist, scheint jedoch nicht auf der Übernahme aus einem anderen Wissensbereich zu basieren. Die Handschriften mit weltlicher mehrstimmiger Musik, die in Oberitalien im 14. und frühen 15. Jahrhundert entstanden sind, enthalten neben Vertonungen italienischer Lyrik auch Kompositionen französischer sowie mehrsprachiger Texte. So ist in dem in der Mitte des 14. Jahrhunderts im Raum Verona / Padua geschriebenen Codex Rossi das Madrigal L’anticho dio Biber überliefert,2 dessen

1  Franchini Gafurii, Extractus parvus musice, hg. von Franco Alberto Gallo, Bologna 1969 (Antiquae musicae italicae scriptores 4), S. 203ff. 2  Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Codex Rossi, 215, und Ostiglia, Opera Pia Greggati [mus. rari B 35], vgl. das Faksimile in Il codice Rossi 215, hg. von Nino Pirrotta, Lucca 1992 (Ars nova 2), fol. 22v–23r. Zur Handschrift vgl. Die mehrfach überlieferten Kompositionen des frühen Trecento, hg. von Oliver Huck und Sandra Dieckmann, Hildesheim u. a. 2007 (Musica mensurabilis 2), Bd. 1, S. XXVIII.

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 Oliver Huck

Text zweisprachig italienisch und französisch ist.3 Ein bemerkenswertes musikalisches Detail ist zu Beginn des ersten, italienischen, und des zweiten, französischen, Verses zu finden, wo ein ähnliches Melisma einmal mit sechs unkaudierten Semibreven (T. 4) und einmal mit sechs aufwärts kaudierten Semibreven (T. 34) notiert ist.4 Die Notation in T. 34 ist in der zu Beginn durch ein .o. angezeigten Mensur – der diviso octonaria – nicht sinnvoll zu lesen, sondern entspricht eindeutig jener divisio, die in Italien als senaria inperfecta5 bzw. senarius gallicus6 bezeichnet wurde. Die Mensur zu Beginn der zweiten Strophe entspricht damit der französischen Sprache im Text, die geografische Assoziation der senaria gallica ist offenbar dem Komponisten und den Rezipienten vertraut. Für die Ausführung der Notation in T. 4 muss zumindest der Sänger der Oberstimme zudem mit den Regeln der Ausführung grafisch nicht durch caudae differenzierter Semibreven vertraut sein, für die im italienischen Musikschrifttum ein modus gallicus und ein modus italicus unterschieden werden. Aufgrund der Divisobezeichnung .o. ist hier der modus italicus zugrunde zu legen, so dass auch hier die Beziehung von Sprache des Verses und geografischer Assoziation des modus cantandi gegeben ist. Zwei Aspekte sind es damit, die mit der Differenzierung des modus cantandi in einen modus gallicus und einen modus italicus verbunden sind: –– der modus cantandi als eine unterschiedliche Ausführung von grafisch nicht differenzierten Semibreven, –– der modus cantandi als ein regional konnotiertes, rhythmisches Profil. Wenn ich hier und im Folgenden von „modus cantandi“ spreche,7 so verwende ich den Begriff, wie er im Pomerium des Marchetto da Padua und in den Rubrice breves8 in Verbindung mit den beiden Gemeinschaftsbegriffen Galli und Itali zur

3  Vgl. Franco Alberto Gallo, „Bilinguismo poetico e bilinguismo musicale nel madrigale trecentesco“, in: Atti del 3° congresso internazionale Siena‑Certaldo 1975, hg. von Agostino Ziino, Certaldo 1978 (L’ars nova italiana del Trecento 4), S. 237–243, hier S. 238f. 4  Vgl. die Edition in Il codice Rossiano 215, hg. von Tiziana Sucato, Pisa 2003 (Diverse voci 1), S. 143–145. Zu dieser Edition vgl. hier und im Folgenden die Corrigenda in Oliver Huck, Die Musik des frühen Trecento, Hildesheim u. a. 2005 (Musica mensurabilis 1), S. 360–363. 5  „Fragmentum de mensuris“, in: Franco Alberto Gallo, Mensurabilis musicae tractatuli, Bologna 1966 (Antiquae musicae italicae scriptores 1), S. 51. 6  Giuseppe Vecchi, „Anonimi Rubrice breves“, in: Quadrivium 10 (1969), S. 125–134, hier S. 131, und Marchetti de Padua Pomerium, hg. Giuseppe Vecchi, Rom 1961 (CSM 6), S. 188. 7  Vgl. auch meinen früheren Beitrag „Modus cantandi und Prolatio. Aere ytalico und aere gallico im Codex Rossi 215“, in: Die Musikforschung 54 (2001), S. 115–130. 8  Vgl. Pomerium (wie Anm. 6), S. 172, und Rubrice breves (wie Anm. 6), S. 129.



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Anwendung kommt. Die Ars musice mensurate secundum Guidonem und die Marchetto zugeschriebene Brevis compilatio sprechen in dieser Verbindung nur von modus.9 Das Capitulum de vocibus applicatis verbis als ein poetologisch-musikologischer Traktat verwendet abweichend die Bezeichnung aere.10 Ich möchte zunächst die Verwendung des Begriffs und seine Differenzierung durch Gemeinschaftsbegriffe in diesen ausnahmslos in Italien entstanden Traktaten kurz zusammenfassen. Das Capitulum de vocibus applicatis verbis, ein nach 1332 zu datierender Text,11 nennt in der Beschreibung der musikalischen Machart der Vertonungen von Ballata, Rotundellus, Motette, Caccia, Madrigal und Sonus ein aere ytallico und ein aere gallico als Untergliederungen des tempus perfectum und des tempus imperfectum.12 Der Traktat definiert jedoch weder den Begriff aere noch werden die Unterschiede zwischen aere ytallico und aere gallico beschrieben, sondern als bekannt vorausgesetzt. Während die dezidiert italienischen Gattungen Ballata und Sonus sowie Madrigal einen Wechsel des aere als Merkmal aufweisen, stehen die Rotundelli als canciones francigene13 im tempus imperfectum mit aere gallicus. Die Rubrice breves beschreiben die divisio der Brevis in Semibreven unterschiedlicher Qualität. Das System der Mensuren ist dabei durch unterschiedliche Qualitäten des Tempus (tempus plusquamperfectum, tempus recte, tempus minus und tempus minimum) gekennzeichnet. Der modus cantandi bezeichnet die

9  „Ars musice mensurate secundum Guidonem“, in: Mensurabilis musicae tractatuli (wie Anm. 5), S. 36, und Giuseppe Vecchi, „Su la composizione del Pomerium di Marchetto da Padova e la Brevis Compilatio“, in: Quadrivium 1 (1956), S. 153–205, hier S. 196. 10  Thorsten Burkard und Oliver Huck, „Voces applicatae verbis. Ein musikologischer und poetologischer Traktat aus dem 14. Jh. (I-Vnm, Lat. Cl. XII.97 [4125])“, in: Acta musicologica 74/1 (2002), S. 1–34, hier S. 14. Zum Capitulum vgl. auch dies., „Die Edition von mittelalterlicher Fachprosa als interdisziplinäre Aufgabe“, in: Schrift – Text –Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag, hg. von Christiane Henkes u. a., Tübingen 2003 (Beihefte zu editio 19), S. 97–112 (mit einer diplomatischen Edition). Die Bezeichnung aere für den modus cantandi verwendet auch Nicolò de’ Rossi in seinen auf den Musiker Checolino da Manzolino bezogenen Gedichten En la citade del senno, Bologna und Io vidi ombre, vgl. Nicolò de’ Rossi, Canzoniere sivigliano, hg. von Mahmoud Salem Elsheikh, Mailand und Neapel 1973 (Documenti di filologia 18), S. 190 und 198. Das erste Gedicht enthält den Namen Checolinos als Akrostichon, ohne aere dabei näher zu spezifizieren. Das zweite hingegen stellt einen Bezug von aere zum tempus und zur Mensuralmusik her (ebd., S. 190): „Sopra costoro venne Checholino, | plen d’ayre nuovo a tenpo et a mesura, | lo cuy sono par celeste e devino“. 11  Vgl. Elena Abramov-van Rijk, „Evidence for a revised dating of the anonymous fourteenthcentury Italian treatise Capitulum de vocibus applicatis verbis“, in: Plainsong and Medieval Music 16 (2007), S. 19–30. 12  Vgl. Burkard und Huck, Voces applicatae verbis (wie Anm. 10), S. 14, 16 und 18. 13  Vgl. ebd., S. 14.

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 Oliver Huck

Teilung einer semibrevis maior, die entweder eine ternäre Teilung als modus gallicus oder eine zweimalige binäre Teilung als modus italicus erfährt. Eine Teilung des tempus perfectum „in duodecim“, also in drei semibreves maiores, sechs semibreves minores und zwölf semibreves minimae wird als „modus cantandi italicus“14 verstanden. Eine Teilung des tempus perfectum „in novem“, also in drei semibreves maiores und neun semibreves minimae, wird als „modus cantandi gallicus“15 verstanden. Analog dazu wird das tempus imperfectum „modi Italici divisum“16 mit seiner Teilung in zwei semibreves maiores, vier semibreves minores und acht semibreves minimae vom tempus imperfectum „modi Gallici“17 mit seiner Teilung in zwei semibreves maiores und sechs semibreves minimae unterschieden.18 Modus italicus und modus gallicus entsprechen damit nicht einfach der prolatio minor und der prolatio maior. Vielmehr werden hier die beiden mit der prolatio minor vergleichbaren Mensuren, das „tempus perfectum minus divisum in sex“ und das „tempus imperfectum minus“19 weder mit dem modus italicus, noch mit dem modus gallicus in Verbindung gebracht. Nur dort, wo eine semibrevis maior in mehr als zwei weitere semibreves minimae unterteilt werden kann, kommt der modus cantandi zur Anwendung, bei einer Teilung in drei semibreves minimae der modus gallicus, bei einer Teilung in vier semibreves minimae der modus italicus. Marchetto da Padua führt in seinem zwischen 1318 und 1326 geschriebenen Pomerium20 die Unterschiede zwischen dem modus cantandi im tempus imperfectum in dem Kapitel „De distantia et differentia modi cantandi de tempore imperfecto inter Gallicos et Italicos“ (Lib. 2, III.5) aus: „Sciendum est autem quod inter Italicos et Gallicos est magna differentia in modo proportionandi notas semibreves in modo cantandi de tempore imperfecto. Nam Italici semper attribuunt perfectionem a parte finis [...] Gallici vero attribuunt perfectionem a parte principii“.21 Als Erklärungsmodelle für diese Praxis sieht Marchetto da Padua im Falle der Galli die Annahme eines prinzipiellen Unterschiedes zwi-

14  Vgl. Rubrice breves (wie Anm. 6), S. 128. 15  Ebd. 16  Ebd. 17  Ebd., S. 132. 18  Vgl. auch ebd., S. 131: „Tempus perfectum minimum divisum in tribus“. 19  Ebd., S. 130 und 133. 20  Die Brevis compilatio bezeichnet wie das Pomerium nur im tempus imperfectum die unterschiedlichen Teilungen als modus gallicus und modus italicus, nicht jedoch im tempus perfectum, vgl. Vecchi, Su la composizione, (wie Anm. 9), S. 194ff.; die Angaben zur Ausführung von Gruppen mit drei bis sechs Semibreves entsprechen jenen im Pomerium. 21  Pomerium (wie Anm. 6), S. 172.



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schen tempus perfectum mit der perfectio am Ende und tempus imperfectum mit der perfectio zu Beginn. Im Falle der Itali hingegen eine Abhängigkeit des tempus imperfectum vom tempus perfectum, indem es dessen Prinzip der perfectio übernimmt. Neben Regeln, wie Gruppen von drei bis acht Semibreven im modus gallicus und im modus italicus auszuführen sind, führt er die Buchstaben .G. und .Y. ein, mit denen in einem Notat der jeweilige modus cantandi bezeichnet werden soll.22 Die Ars musice mensurate secundum Guidonem führt für das tempus imperfectum die gleichen Regeln für den modus gallicus und den modus italicus aus wie das Pomerium23. Im Gegensatz dazu und in Übereinstimmung mit der Klassifikation in den Rubrice breves wird auch die Ausführung von vier und mehr Semibreven im tempus perfectum explizit als modus gallicus bezeichnet.24 Die Teilung der Brevis, zumal jene in mehr als drei Semibreven, die in Aufzeichnungen von mehrstimmiger Musik seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert praktiziert wurde, stellte für die Musiktheorie eine Herausforderung dar. Während im Gefolge der mit Franco von Köln assoziierten Ars cantus musica mensurabilis alle überlieferten Traktate in der Beschreibung einer rationalen Theorie des Verhältnisses von Brevis und Longa und der damit verbundenen Notationspraxis übereinstimmen, werden die Noten und Notenwerte, die kleiner als eine Brevis sind, in Theoriemodelle erst einbezogen, nachdem die Minima als eigener Notenwert und als eigenes Notenzeichen etabliert ist. In der französischen Musiktheorie ist dies in den quatre prolations, in der italienischen Musiktheorie in den divisiones in je unterschiedlicher Weise der Fall. Mutmaßlich handelt es sich dabei um den Versuch, eine zuvor nicht in der Notation durch eine Unterscheidung der Notenzeichen festgehaltene, in Aufführungen aber auf der Basis regionaler Praktiken etablierte, je unterschiedliche rhythmische Ausführung kleiner Notenwerte theoriefähig zu machen. Dass die Bezeichnung modus gallicus tatsächlich eine französische Ausführungspraxis beschreibt, lassen die Darstellungen in den vermutlich in Frankreich entstandenen Traktaten mit den Incipits „Quoniam per ignorantiam artis musicae“ und „Si quis artem musice“ vermuten. Denn diese decken sich mit der Beschreibung des modus gallicus in der Ars musice mensurate secundum Guidonem, sind jedoch vermutlich später als diese entstanden.25 In der Philippe

22  Ebd., S. 179f. 23  Vgl. Ars musice mensurate (wie Anm. 9), S. 35ff. Zur Ausführung vgl. Huck, „Modus cantandi und Prolatio“ (wie Anm. 7). 24  Vgl. ebd., S. 32ff. 25  Trad. Phil. II, F-Pn lat. 15128, fol. 127r–129r, hg. von John Gray [URL: http://www.chmtl.

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de Vitry zugeschriebenen Ars nova wird lediglich die Ausführung unkaudierter Semibreven im tempus imperfectum in dieser Weise erklärt, jedoch ausdrücklich angemerkt: „Et sic debent proferri omnes semibreves in quolibet tempore perfecto sive imperfecto quando non signantur“.26 Bestätigt wird diese Lesart in der Notation von Konkordanzen späterer Handschriften zu acht Motetten mit dem in Frankreich entstandenen Repertoire des Roman de Fauvel, die den modus gallicus explizierende caudae aufweisen.27 Sie stehen alle im tempus imperfectum und möglicherweise liegt hierin der Grund, warum Marchetto da Padua den modus cantandi nur im tempus imperfectum erörtert. Keine dieser Motteten ist in einer italienischen Handschrift überliefert, so dass aus den musikalischen Quellen eine Lesart im modus italicus für dieses Repertoire nicht belegt ist. Hervorzuheben ist jedoch, dass mit Tribum que non / Quoniam secta / Marito hec patimus eine dieser Motetten in dem von Johannes Wolf edierten Compendium totius artis motetorum als Beispiel für die prolatio minor zitiert wird, dort also eine Ausführung im modus italicus angenommen wird.28 Die Beschreibung in einem in Kenntnis der Schriften von Marchetto da Padua, Philippe de Vitry und Johannes Vetulus de Anagnia und damit wohl erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben Traktat De musica zeigt, dass es sich tatsächlich um einen modus cantandi gehandelt haben könnte, mithin einen Usus, der entweder zunächst nicht kodifiziert oder zunehmend weniger verbindlich war. Hier werden bei der Beschreibung der andernorts als modus gallicus

indiana.edu/tml/14th/ANO3COMP_MPBN1512.html], Zugriff am 22. Februar 2012: „Quoniam per ignorantiam artis musicae“, und Anon. Paris. II, F-Pn lat. 15128, fol. 129r–130v, hg. von Oliver B. Ellsworth [URL: http://www.chmtl.indiana.edu/tml/15th/ANO4SQA_MPBN1512.html] Zugriff am 22. Februar 2012: „Si quis artem musice“. Vgl. auch De musica [URL: Ps.-Theodon., I-Rvat Barb. 307, fol. 21r–27r], hg. von Oliver B. Ellsworth [URL: http://www.chmtl.indiana.edu/ tml/14th/ANOMUSI_MBAVB307.html], Zugriff am 22. Februar 2012, vgl. dazu auch Irmgard Lerch, „Mensuralnotation zwischen Ars Antiqua und Ars Nova“, in: Musica disciplina 54 (2009), S. 5–38, hier S. 10ff. 26  Philippi de Vitriaco, Ars nova, hg. von Gilbert Reaney u. a., o.O. 1964 (CSM 8), S. 23. 27  Vgl. Irmgard Lerch, „Zur Messung der Notenwerte in den jüngeren Fauvel-Motetten“, in: Musica disciplina 45 (1991), S. 277–287, besonders S. 280–283. Sechs Motetten weisen in B-Br 19606 eine Explikation des modus gallicus auf, je eine in F-Pn 67, F-CA(n) und I-Trent 87. 28  Vgl. Johannes Wolf, „Ein anonymer Musiktraktat aus der ersten Zeit der Ars nova“, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 21 (1908), S. 34–38, hier S. 37. Dieser Traktat behandelt auch die Ausführung unkaudierter Semibreven, wobei das Fraktioprinzip im tempus perfectum angewandt wird, vgl. S. 35: „Quando quatour, tunc primae duae valent semibrevem et aliarum duarum quaelibet valet semibrevem“. Ob jedoch die ersten beiden Semibreven egal (modus italicus) oder inegal (modus gallicus) ausgeführt werden sollen, wird nicht thematisiert.



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bezeichneten Praxis Alternativen der Ausführung angegeben und in das Belieben der Sänger gestellt. Am Beispiel von vier Semibreven im tempus perfectum beschreibt der Autor zwei verschiedene Möglichkeiten der Ausführung der ersten beiden Semibreven: „si quatuor due prime pro tertia parte quarum prima est minima secunda altera minima uel prima semibreuis imperfecta et secunda minima hoc ad uoluntatem cantantis et aliarum duarum quelibet tertiam partem temporis scilicet semibreuem“.29 Diese beiden Möglichkeiten gibt er auch für die entsprechenden Gruppen von je zwei Semibreven bei mehr als vier Semibreven an und bezeichnet ihre Ausführung jeweils als „modo antedicto“.30 Im tempus imperfectum sind für die Ausführung von drei Semibreven drei Möglichkeiten beschrieben31 und in Beispielen angegeben, von denen keine den Erklärungen der übrigen Traktate entspricht. Analog stellt sich die Situation auch in Italien dar, wo in dem Traktat De diversis maneriebus in musica mensurabili für das tempus imperfectum neben der dem modus gallicus entsprechenden senaria die octonaria beschrieben wird, jedoch für grafisch nicht differenzierte Semibreven eine Ausführung angegeben wird, die zwar die mit dem modus italicus assoziierte Teilung jeder semibrevis maior in zweimal zwei semibreves minores und semibreves minimae aufweist, jedoch für die Ausführung von drei, fünf, sechs und sieben Semibreven andere Regeln als Marchetto da Padua und die Ars musice mensurate secundum Guidonem angibt.32 Wenn im Codex Rossi in Pyançe la bella Yguana präsumtiv aufgrund der Form des Stücks identische Takte unterschiedlich notiert sind, so ist vom Schreiber dieser Handschrift oder jenem seiner Vorlage an beiden Stellen eine jeweils unterschiedliche Kaudierung grafisch nicht differenzierter Semibreven vorgenommen worden,33 die die Frage nach der Verbindlichkeit des modus cantandi

29  De musica [Ps.-Theodon., I-Rvat Barb. 307, fol. 21r–27r], hg. von Oliver B. Ellsworth [URL: http://www.chmtl.indiana.edu/tml/14th/ANOMUSI_MBAVB307.html], Zugriff am 22. Februar 2012. In den Notenbeispielen sind die semibreves minimae aufwärts kaudiert und es ist jeweils nur die zweite Möglichkeit dargestellt. 30  Ebd. 31  Vgl. ebd.: „Si tres prima est minima et secunda altera uel prima semibreuis imperfecta et secunda minima et tertia semibreuis sed aliqui pronuntiant predictas tres scilicet primam semibreuem perfectam secunda minimam tertia alteram minimam siue semibreuem imperfectam et hoc ad uoluntatem cantantis“. 32  Vgl. De diversis maneriebus in musica mensurabili, hg. von Gilbert Reaney, Neuhausen 1982 (CSM 30), S. 60 f. Dass es sich dabei um eine Ausführungspraxis handelt, die der Autor lediglich aus einer älteren Praxis übernommen hat, wird daran deutlich, dass er diese auch bereits in dem Kapitel „De semibrevibus in brevi manerie“ (S. 54) zugrunde legt, das eine Praxis der Ausführung von Semibreven beschreibt, ohne die Kategorien tempus oder divisio vorauszusetzen. 33  Vgl. Sucato, Il Code Rossiano 215 (wie Anm. 4), S. 116–117, T. 19 und 57.

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aufwerfen. Mit dem Codex Rossi ist es vor allem eine Handschrift, die eine Notation enthält, die eine Kenntnis der Regeln des modus cantandi zur Lesung erfordert. Die Notation setzt dieses Wissen jedoch keineswegs durchgehend voraus, da die Semibreven überwiegend durch caudae verdeutlicht sind. Anzunehmen ist, dass hier vielfach aus einer Vorlage kopiert wurde, in der deutlich weniger caudae gesetzt waren und der modus cantandi durchgehend zur Lesung erforderlich war. Gruppen unkaudierter Semibreven, die semibreves minimae enthalten, sind nicht in allen Stücken notiert. In den mit dem modus italicus verbundenen divisones octonaria und duodenaria stellen unkaudierte semibreves minimae die Ausnahme dar. In der duodenaria kommen sie nur in Gruppierungen vor, die auch ohne Kenntnis des modus cantandi eindeutig zu lesen sind.34 In der octonaria werden entsprechend Gruppen von acht Semibreven, die eindeutig als semibreves minimae erkennbar sind, durchgehend ohne caudae notiert. Andere Gruppierungen mit unkaudierten semibreves minimae sind in der octonaria selten.35 Die Notation differiert in der senaria gallica zwischen den einzelnen Stücken stärker als in der octonaria. Während etwa in Suso quel monte bei vier Semibreven stets der modus gallicus durch caudae expliziert ist,36 ist in La desiosa brama nur eine einzige aufwärts kaudierte Semibrevis notiert (T. 8), der modus gallicus jedoch zu Beginn durch die Bezeichnung der s.[enaria] g.[allica] indiziert.37 Die Divisiobezeichnung .g. steht im Codex Rossi in Cum altre uccele und La bella stella in der senaria zur Unterscheidung zwischen senaria gallica und s.[enaria] y.[talica]38 – ein Begriff, der in den Traktaten nicht verwendet wird – sowie in La bella stella und Seguendo un me sparver zur Unterscheidung von modus gallicus und dem als octonaria bezeichneten modus italicus im tempus imperfec-

34  In Du’ ochi ladri zwölf Semibreven in T. 14 und 47 (ursprünglich auch in T. 5) und neuen in T. 49, vgl. Sucato, Il Code Rossiano 215 (wie Anm. 4), S. 108–110, sowie in Nascoso el viso zwölf Semibreven in T. 9, vgl. Huck und Dieckmann, Die mehrfach überlieferten Kompositionen (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 30–33, und Bd. 2, S. 68. 35  Vgl. fünf Semibreven in I’ vidi a l’umbra T. 16, vgl. Sucato, Il Code Rossiano 215 (wie Anm. 4), S. 152–153, sechs Semibreven in Su la rivera T. 26, L’anticho dio Biber T. 4, Canta lo gallo, T. 9, 13, 18, 22, 27–28, 33 und 35, sowie A l’alba una maitina, T. 14, 16, 18, 20–22 und 31–32, vgl. ebd., S. 115, 143–145, 156–157 und 164–165. In E com’ chavalché T. 43 besteht kein Grund zu einem Wechsel des modus cantandi wie ihn ebd., S. 162–163, vornimmt. 36  Vgl. ebd. S. 124, T. 20, 31, 40–42 und 44, auch T. 49 ist im modus gallicus zu lesen (semibrevis minor – semibrevis minima – semibrevis minor – semibrevis minima). 37  Vgl. ebd., S. 160–161. 38  Vgl. ebd., S. 137–139, T. 1, 6, 9, 12–13, 31–32 und 52–53 bzw. Huck und Dieckmann, Die mehrfach überlieferten Kompositionen (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 25–29, und Bd. 2, S. 61 (T. 84), 63 (T. 99) und 64 (T. 106).



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tum.39 In Non formo cristi, wo in der duodenaria mitten in der divisio ein Wechsel zu einer quasi-novenaria anzeigt wird,40 bezeichnet .g. damit keine divisio einer Brevis, sondern eine Ausführungsvorschrift für eine Gruppe von Noten. Die Verwendung unterscheidet sich damit von den Angaben im Pomerium. Die Bezeichnung des modus gallicus mit .g. ist nicht auf das tempus imperfectum beschränkt, .y. bezeichnet den modus italicus gerade nicht im tempus imperfectum, sondern im tempus perfectum. In einem Handschriftenfragment aus dem Archivio di Stato in Reggio nell’Emilia steht die Bezeichnung .g. in der Caccia Chiama il bel papagallo im Wechsel mit .q. und bezeichnet damit faktisch die Proportio sesquialtera bei Minimen,41 ebenso in dem Madrigal Un bel sparver im Codex Reina.42 Die Konkordanzen zum Codex Rossi, zu denen mit einem heute in Sevilla aufbewahrten Fragment43 auch eine weitere Handschrift zu zählen ist, die eine Notation enthält, die eine Kenntnis der Regeln des modus cantandi zur Lesung erfordert, sind weniger geeignet, eine Anwendung des modus cantandi auf Gruppen unkaudierter Semibreven im tempus imperfectum und ggf. auch im tempus perfectum durch eine Notation mit caudae zu verifizieren oder zu falsifizieren, sondern zeigen vielmehr, dass die Wahl des modus cantandi keineswegs eindeutig war. In Giovanni da Firenzes vor 135444 entstandenem Madrigal La bella stella etwa differieren nicht nur die Kaudierung und der modus cantandi zwischen den einzelnen Textzeugen, sondern auch die Abfolge der divisiones ist unterschiedlich.45

39  Vgl. Huck und Dieckmann, Die mehrfach überlieferten Kompositionen (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 25–29, und Bd. 2, S. 52 (T. 13), bzw. Sucato, Il Code Rossiano 215 (wie Anm. 4), S. 104–105, T. 52 und 62. 40  Vgl. Sucato, Il Code Rossiano 215 (wie Anm. 4), S. 146, T. 29 und 31. Für einen Wechsel des modus cantandi in T. 3–5 besteht kein Anlass, zur Lesung im modus italicus vgl. Huck, Die Musik des frühen Trecento (wie Anm. 4), S. 362. 41  Archivio di Stato in Reggio nell’Emilia, Appendice, Frammenti di codici musicali [Nr. 16], fol. Br, vgl. Marco Gozzi und Agostino Ziino, „The Mischiati Fragment: a new source of Italian Trecento music at Reggio Emilia“, in: Kontinuität und Transformation in der italienischen Vokalmusik zwischen Due- und Quattrocento, hg. von Sandra Dieckmann u. a., Hildesheim u. a. 2007 (Musica mensurabilis 3), S. 281–305, hier S. 295–296 sowie das Faksimile (Abb. 9) und die Übertragung S. 312–314. 42  Vgl. Huck und Dieckmann, Die mehrfach überlieferten Kompositionen (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 136, und Bd. 2, S. 389. 43  Vgl. ebd., Bd. 1, S. XXXIII. 44  Vgl. ebd., Bd. 1, S. 164. 45  Vgl. dazu auch meinen früheren Beitrag „Der Editor als Leser und der Leser als Editor. Offene und geschlossene Texte in Editionen polyphoner Musik des Mittelalters“, in: Musikedition. Mittler zwischen Wissenschaft und musikalischer Praxis, hg. von Helga Lühning, Tübingen 2002 (Beihefte zu editio 17), S. 33–47, sowie Huck und Dieckmann, Die mehrfach überlieferten Kompositionen (wie Anm. 2), Bd. 1, S. LI–LIV, sowie die Edition Bd. 1, S. 25–29 und Bd. 2, S. 51–66.

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Die geografische Bindung des modus cantandi in den Theoretika verweist jedoch darauf, dass von einer unterschiedlichen Interpretation eines Notentextes an unterschiedlichen Orten bereits zu seiner Entstehungszeit ausgegangen werden muss, wobei Italien und Frankreich hier weniger im rein geografischen als im kulturellen Sinne zu verstehen ist. In der Überlieferung mehrstimmiger Musik lässt sich jedoch kein einziger Beleg dafür finden, dass ein Stück in der gleichen Notation von den Itali und den Galli unterschiedlich gesungen wurde. Hingegen gibt es zahlreiche Belege dafür, dass sowohl die Galli als auch die Itali nicht nur jeweils einen verbindlichen modus cantandi kannten, sondern Ausführungen individuell unterschiedlich erfolgten. Geht man davon aus, dass Marchettos Pomerium der erste Beleg für den modus cantandi ist, so hätte sich Marchetto bei der Beschreibung des modus gallicus auf jene Anschauung der französischen Musik stützen können, die er möglicherweise 1317 bei seinem Aufenthalt in Avignon gewonnen46 und ab dem folgenden Jahr als Mitglied der Kapelle von Robert d’Anjou in Neapel und 1319 erneut in Avignon vertieft hat.47 Auf welches Repertoire sich Marchetto für den modus italicus stützt, muss jedoch insofern offen bleiben, als seine eigene Motette Ave regina celorum / Mater innocencie / Ite missa est im tempus perfectum steht und keine musikalischen Quellen aus der Zeit vor dem Pomerium überliefert sind, die eine Verwendung von acht Semibreven im tempus imperfectum bezeugen. Der Anlass dafür, den modus gallicus zu beschreiben und zwei mit den Gemeinschaftsbegriffen Galli und Itali konnotierte Modi einander gegenüber zu stellen, dürfte jedoch nicht zuletzt maßgeblich darin zu suchen sein, dass Marchetto das Pomerium Robert d’Anjou gewidmet hat. Robert d’Anjou ist selbst als Komponist des sogenannten Credo regis bezeugt,48 in dem die Brevis jedoch nur in zwei Semibreven geteilt wird und eine Kenntnis des modus cantandi damit nicht erforderlich ist. Als König von Neapel und Graf von Provence hingegen verkörperte er jedoch zumal in jener Zeit, in der er eine Reihe von oberitalienischen Signorien in seinen Herrschaftsbereich brachte, einen doppelten Anspruch französischer und italienischer Herrschaft. Entsprechend sind modus gallicus und

46  Zu dem Dokument vom 14. Juni 1317, das die Anwesenheit in Avignon bezeugt vgl. Luca Gianni, „Marchetto da Padova e la scuola capitolare di Cividale. Un documento inedito del 1317 conservato a Udine“, in: Musica e storia 7 (1999), S. 47–57. 47  Zu Marchettos Präsenz in der Kapelle von Robert de Anjou vgl. Carla Vivarelli, „‚Di una pretesa scuola napoletana‘: sowing the seeds of the Ars nova at the court of Robert of Anjou“, in: The Journal of musicology 24 (2007), S. 272–296, hier S. 282ff. 48  Vgl. Marco Gozzi, „I prototipi del canto fratto: Credo regis e Credo cardinalis“, in: Cantus fractus italiano: un’antologia, hg. von Marco Gozzi, Hildesheim u. a. 2012 (Musica mensurabilis 4), S. 137–154.



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modus italicus bei Marchetto da Padua wie auch bei anderen Autoren ausdrücklich als Koexistenz unterschiedlicher Ausführungsweisen von grafisch nicht differenzierten Semibreven konzipiert.

Margaret Bent

Jacobus de Ispania? – Ein Zwischenbericht* Jacobus Leodiensis, Jacques de Liège, Jacobus de Montibus – die Identität des produktivsten Musiktheoretikers des Spätmittelalters wirft noch viele Fragen auf. Einige bestehende Hypothesen werden mangels konkurrierender Beweise für Tatsachen gehalten. Doch was wissen wir mit Gewissheit über Jacobus? Lediglich, dass die Anfangsbuchstaben der sieben Bücher des Speculum seinen Namen buchstabieren, wie Jacobus am Ende des Proemiums schreibt: „Si cui autem huius operis compilatoris nomen scire placet, librorum septem partialium litteras simul iungat capitales“ – JACOBUS.1 Weder gibt es weiteren Aufschluss über den Namen, noch finden sich Hinweise in den überlieferten Handschriften. Es war letztlich die Mitteilung Willibald Gurlitts an Heinrich Besseler in Bezug auf das Akrostichon, das Walter Grossmann entdeckt, aber nicht gelöst hatte,2 die Edmond de Coussemakers Zuschreibung des Textes an Johannes de Muris korrigierte – eine Zuschreibung, die deswegen unbeabsichtigt ironisch war, weil Johannes das eigentliche Ziel der Kritik im Speculum darstellt.3 Coussemakers

*  Ich danke einigen Kolleginnen und Kollegen für Ihr Interesse an meinem Projekt sowie ihren sachkundigen Kommentaren: Calvin Bower, David Catalunya, Gabriela Ilnitchi Currie, Karen Desmond, María del Carmen Gómez, Carmen Julia Gutiérrez, Max Haas, Barbara Haggh, Frank Hentschel, Michel Huglo, Christopher Page, Gilles Rico, Margaret Louise Switten. Besonderen Dank an Jonas Löffler und Frank Hentschel, die meinen Text freundlicherweise ins Deutsche übersetzt haben. 1  Jacobi Leodiensis Speculum musicae, hg. von Roger Bragard, o.O. 1955–1973, (CSM 3) Lib. I, cap. 1: proemium, S. 13. 2  Heinrich Besseler, „Studien zur Musik des Mittelalters I. Neue Quellen des 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts“, in: Archiv für Musikwissenschaft 7 (1925), S. 167–252, hier S. 180f., Anm. 2. Walter Gurlitt hatte vermutlich aufgrund der Freiburger Dissertation von Walter Grossmann, Die einleitenden Kapitel des Speculum musicae von Johannes de Muris, Leipzig 1924, Kenntnis von dem Akrostichon. Grossmann schließt, dass die Summa musicae nicht vom selben Autor stammen kann wie das Speculum, zog aber nie die Autorschaft des Johannes de Muris in Zweifel und musste daher zwei Personen desselben Namens annehmen. Er wies auf das Akrostichon hin, doch gelang es ihm entweder nicht, es zu lösen, oder war nicht gewillt zu akzeptieren, dass mit ihm die Autorschaft des Johannes de Muris widerlegt würde, S. 45: „eine direkte Nennung oder Angabe über den Verfasser läßt sich, abgesehen von einer sehr versteckten, vorläufig noch nicht lösbaren Anspielung auf den Namen des Verfassers (Ende des ersten Kapitels), vorläufig nicht nachweisen“. 3  Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina altera, hg. von Charles Edmond Henri de Coussemaker, 4 Bde., Paris 1864–1876; Nachdr. Hildesheim 1963, Bd. 2, nur Bücher VI und VII.

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 Margaret Bent

Fehler lässt sich zurückführen auf eine Zuschreibung der Schrift an Johannes de Muris aus dem 16. Jahrhundert. Sie findet sich am Anfang und am Ende des Manuskripts Paris, BNF, lat. 7207, das fünf Seiten der Musica speculativa von Johannes de Muris enthält im Anschluss an die einzig vollständige Quelle des Speculum. Was die Beschäftigung mit den Inhalten angeht, ist viel geschehen, seit Willi Apel 1958 in einer vorläufigen Besprechung von Roger Bragards monumentaler Edition des Speculum musice beklagte, dass „the book offers so little of real interest and importance to the music historian“.4 Diese Auffassung lässt sich aus heutiger Sicht gewiss nicht mehr teilen, doch scheint diese außerordentliche und allumfassende Abhandlung in ihrer Zeit nur in sehr begrenztem Maße verbreitet gewesen zu sein und kaum sichtbaren Einfluss ausgeübt zu haben. Das Speculum bleibt auch heute in mancherlei Hinsicht rätselhaft; erst vor Kurzem fand es die Beachtung, die ihm zusteht und die unser Verständnis von Inhalt und intellektuellem Kontext der Abhandlung vertieft hat.5 Aufgrund der Tatsache, dass heute viel mehr theoretische Texte verfügbar und auch einfacher recherchierbar sind als zur Zeit von Bragards Editionsarbeit, werden inzwischen mehr Verbindungen zu anderen theoretischen Schriften deutlich. Das Speculum ist der ausführlichste und umfassendste Musiktraktat des 14. Jahrhunderts, ja des gesamten späteren Mittelalters, und darüber hinaus der einzige, der klare Unterschiede zwischen ars antiqua und ars nova darlegt. Und dennoch liegt nur eine sehr lückenhafte Überlieferungstradition vor: eine einzige vollständige Quelle, eine unvollständige, der die Bücher VI und VII fehlen, sowie

4  Speculum 33 (1958), S. 97f.; zu diesem Zeitpunkt war lediglich Buch I ediert. 5  Insbesondere sind zu nennen: Max Haas, Musikalisches Denken im Mittelalter. Eine Einführung, Bern u. a. 2005; ders.„Studien zur mittelalterlichen Musiklehre I: Eine Übersicht über die Musiklehre im Kontext der Philosophie des 13. und frühen 14. Jahrhunderts“, in: Forum musicologicum 3 (1982), S. 323–456, hier Abschnitt 7.2: „Das Speculum des Jacobus von Lüttich und De ortu scientiarum von Robert Kilwardby“, S. 402–408; Fabrizio Della Seta, „Utrum musica tempore mensuretur continuo, an discreto. Premesse filosofiche ad una controversia del gusto musicale“, in: Studi musicali 13 (1984), S. 169–219; Sandra Pinegar, Textual and conceptual relationships among theoretical writings on measurable music of the thirteenth and early fourteenth centuries, Ph.D. dissertation, Columbia University, 1991; Dorit Esther Tanay, Noting Music, Marking Culture: The Intellectual Context of Rhythmic Notation, 1250–1400, Holzgerlingen 1999 (Musicological Studies & Documents 46); Frank Hentschel, „Der Streit um die Ars nova – nur ein Scherz?“, in: Archiv für Musikwissenschaft 58 (2001), S. 110–130; Karen Desmond, Behind the Mirror: Revealing the Contexts of Jacobus’s ‚Speculum musicae‘, Ph.D. dissertation, New York University, 2009; George A. Harne, Theory and Practice in the ‚Speculum musicae‘, Ph.D. dissertation, Princeton University, 2008; ders., „The Ends of Theory and Practice in the Speculum musicae“, in: Musica disciplina 55 (2010), S. 5–31.



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einige Auszüge in einem weiteren Manuskript.6 Alle drei Quellen sind offenbar italienischen Ursprungs, wahrscheinlich toskanisch; alle stammen aus dem mittleren oder späten 15. Jahrhundert und sind somit mehr als ein Jahrhundert nach der vermutete Niederschrift des Traktates in den 1320er oder 1330er Jahren entstanden. Paris wird fünf Mal erwähnt (und das nahegelegene St. Denis, Sancto Dionisio iuxta Parisius7) und Lüttich vier Mal. Hinweise auf Paris stehen im Plusquamperfekt und sind über alle Teile der Abhandlung verteilt: auf die Bücher I, II, IV, VI und VII. Der Autor scheint also vor einer langen Zeit Student in Paris gewesen zu sein, wo er die ersten beiden Bücher von Boethius gelesen oder „gehört“ hat.8 Er zitiert Boethius über 600 Mal (aus De consolatione philosophiae, De institutione arithmetica und De institutione musica) und erinnert sich an Dinge aus der fernen Vergangenheit. Franco wird fast 50 Mal erwähnt (gewöhnlich als „Magister Franco teutonicus“). Die Hinweise, die eine Aktivität in Paris implizieren sind beherrschender und überzeugender als jene, die auf Lüttich hindeuten. Diese sind beschränkt auf Buch VI und kritisieren ausnahmslos die musikalisch-liturgischen Praktiken des Lütticher Weltklerus, insbesondere die fehlerhafte Transposition der Gesänge. Besseler beschrieb 1925 das auktoriale Akrostichon und assoziierte es mit Lüttich. Diese Verbindung wurde in der Folge von Bragard verstärkt, der zusammenfasste: „There is no doubt that our treatise was written in Liège by one Jacobus and that the author not only knew well the musical treatises originated in Liège but also certain musical practices particular to the churches of Liège.“9 Aus der Tatsache, dass Jacobus um diese Praktiken wusste, schloss man, dass Jacobus gegen Ende seines Lebens in Lüttich lebte. Der einzige direkte Hinweis auf seine senectus findet sich im Proemium, das möglicherweise zuletzt verfasst wurde: „stilo simplici de musica tractare disposui, quae inter ceteras scientias a iuventute mihi grata fuit et in senectute non me deseruit, sed tenuit quasi raptum

6  Die Handschriften, ihre Provenienz und ihre Verwandtschaften werden beschrieben von Roger Bragard, „Le speculum musicae du compilateur Jacques de Liège I“, in: Musica disciplina 7 (1953), S. 59–104. Siehe auch Jacobi Leodiensis Speculum musicae, Bd. I, S. IX–XX. Dort werden die italienische Herkunft und die italienischen Besitzverhältnisse dargelegt; die unvollständige Papierhandschrift Paris, BNF, MS lat. 7207A weist norditalienische Wasserzeichen auf. 7  Lib. I, cap. 25, S. 79. 8  Lib. II, cap. 56, S. 136. 9  Jacobi Leodiensis Speculum musicae, Bd. 1, S. VII; vgl. Roger Bragard, „Le speculum musicae du compilateur Jacques de Liège II“, in: Musica Disciplina 8 (1954), S. 1–17, wo er schreibt über „La question de l’origine liégeoise du Speculum musicae et de son auteur“.

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et possessum.“10 Bragard bemängelte, dass Besseler zu wenig Anhaltspunkte für die weitergehende Hypothese vorgebracht hatte, Jacobus sei in hohem Alter an seinen Geburtsort zurückgekehrt, und führte daher weitergehende Indizien an, die ihm überzeugend erschienen. Johannes de Muris galt fortan nicht mehr als Autor; stattdessen war jetzt von Jacobus „Leodiensis“, Jacobus „von Lüttich“, Jacques „de Liège“ usw. die Rede, womit seine Herkunft in Lüttich impliziert wurde. * Drei Argumentationsstränge wurden hauptsächlich verfolgt, um die Annahme der Lütticher Herkunft von Jacobus zu erhärten: die Wahl der zitierten Choräle, die theoretischen Traditionen, auf die er sich beruft, und Varianten in den Quellen seiner Musikbeispiele. Jacobus zitiert ihm vertraute Praktiken und „de quibus locuntur actores quos vidi suis in tonariis“. Die Praktiken, auf die er sich bezieht, schließen solche der nicht-klösterlichen Kirchen von Lüttich ein, sind darauf aber keinesfalls beschränkt; Jacobus war ebenso vertraut mit monastischen Praktiken (denjenigen der Zisterzienser und der Dominikaner) wie auch mit anderen nicht-klösterlichen Praktiken tam romanis quam gallicanis, in Rom und in Paris. Er war bekannt mit einer Vielfalt von Choraltraditionen, teils aufgrund von eigener Erfahrung in Kirchen, die er besucht hatte, teils aufgrund des Studiums von Tonarien in Buchform.11 Bragard neigt zu der Ansicht, Jacobus habe einem Orden und nicht dem Weltklerus angehört, weil er diesen mehrfach kritisiert.12 1. Michel Huglo hat gezeigt, dass die Gesänge, die im Tonar von Buch VI des Speculum enthalten sind, mit dem Wissen über Lütticher Choräle vereinbar sind, doch hat er gleichzeitig aufgrund seines unübertroffenen Überblicks über die Musiktheorie um 1300 nachgewiesen, dass das Tonar auch die Kenntnis von psalmodischen Formeln bezeugt, die in Paris und Italien vorherrschten.13 Bragard war der Meinung, auch Buch VI könne in Paris geschrieben

10  Lib. I, proemium, S. 10. 11  Lib. VI, cap. 85: „Sed nequeo omnes enarrare, nec expedit. Sufficiant igitur quae positae sunt, quia videntur celebriores, et quibus nec amplius utuntur ecclesiae in quibus conversatus sum, et de quibus loquuntur actores quos vidi suis in tonariis“; Coussemaker, Scriptores, Bd. 2, Sp. 333A liest „conservatus sum“. 12  Bragard, „Le speculum musicae II“ (wie Anm. 9), S. 16. 13  Michel Huglo, Les Tonaires: Inventaire, analyse, comparaison, Paris 1971, S. 430. Huglo nahm damals an, dass Jacobus mit Jacques d’Audenaerde zu identifizieren sei und er die ersten fünf Bücher in Paris geschrieben habe, bevor er nach Lüttich, den Ort seiner mutmaßlichen Herkunft,



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worden sein, wo Jacobus als langjähriger Kleriker an der Universität sowohl von Pariser Chorälen umgeben gewesen wäre als auch Klerikern aus Lüttich begegnet wäre.14 Huglo vertrat wie viele andere die Auffassung, Jacobus sei als Kanoniker seiner Heimatstadt in den Ruhestand getreten, dies vor allem mit der Tatsache begründend, dass seine Erinnerung an Lütticher Choräle wie etwa Magna vox (für den Lütticher Heiligen Lambert) von einer früheren dort verbrachten Zeit herrührt.15 Karen Desmond legt nahe, dass das Tonar präskriptiv sei und dass die Institution, der Jacobus angehörte, im Gegensatz zu den nicht-klösterlichen Praktiken, die er kritisierte, ihre Intonationspraxis in Übereinstimmung mit dominikanischen Initiativen reformiert hatte.16 2. Bragard argumentiert, dass Jacobus mit Abhandlungen vertraut war, die ihm in Lüttich verfügbar gewesen wären, vor allem mit jenen, die nun zusammengestellt sind in der Handschrift Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, MS 1988.17 Diese werden seit dem 17. Jahrhundert in der Benediktinerabtei St. Jacques in Lüttich aufbewahrt, und Bragard vermutet, bei diesen Zeugnissen handle es sich um die Quellen, aufgrund deren Jacobus Kenntnis folgender Schriften besaß: die anonymen Questiones de musica, den Dialogus von Pseudo-Odo (dort Guido zugeschrieben, wie es auch Jacobus tut), Guidos Micrologus, Prologus und Epistola ad Michaelem, alle in einem Teil der Handschrift aus dem 12. Jahrhundert (B), und Ausschnitte aus Aribos De musica, aus Bernos Tonar sowie aus dem Anonymus Wolf in einem Teil der Handschrift aus dem 11. Jahrhundert (C).18 In Speculum, lib. VI, cap. 33 wird auf eine von Hermann von Reichenau geprägte Lehre verwiesen, die sich als ein wörtliches Zitat aus Anonymus Wolf herausstellt, einer Abhandlung, die sich stark auf Hermann bezieht und nur in Darmstadt überliefert ist. Gabriela Ilnitchi beobachtet, dass der Großteil des von Jacobus in Buch VI verwendeten, von Aribo entlehnten Materials sich zwar tatsächlich in den Questiones und den Ausschnitten aus Aribos De musica findet, die im Darmstädter Manuskript enthalten sind, dass Jacobus darüber hinaus aber auch

zurückgekehrt sei, wo er die letzten beiden verfasst habe. 14  Bragard, „Le speculum musicae II“ (wie Anm. 9), S. 4. 15  Huglo, Les Tonaires (wie Anm. 13), S. 432: „…l’antienne liégeois Magna vox, qui fait pencher la balance en faveur de Liège plutôt que de Paris.“ 16  Desmond, Behind the Mirror (wie Anm. 5), S. 66f. 17  Inhalt und kodikologischer Befund werden vollständig beschrieben von Gabriela Ilnitchi, The play of meanings: Aribo’s De musica and the hermeneutics of musical thought, Lanham, MD, 2005, S. 20–22 und 24. 18  Johannes Wolf, „Ein anonymer Musiktraktat des elften bis zwölften Jahrhunderts“, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 9 (1893), S. 21–37.

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mit Aribo zusammenhängendes Material verwendet, das sich nicht in dieser Quelle findet. Daher legt sie nahe, dass das Darmstädter Manuskript zwar eine wichtige, aber keineswegs die einzige Quelle für Jacobus war. Ein Teil des Materials, das er benutzte, finde sich in der vollständigen Version von De musica aber weder in den Questiones noch in den Ausschnitten aus De musica, die im Darmstädter Manuskript überliefert sind; daher könne dieses Manuskript nicht die einzige Quelle sein, aus der Jacobus Kenntnis von der Lehre des Aribo besaß. Bei seiner Vorlage, so Ilnitchi, handelte es sich vermutlich um ein ähnliches Manuskript, das ebenso Guido, Berno, PseudoOdo und Anonymus Wolf enthalten habe und das gleichfalls Textabschnitte Guido zuschrieb, die eigentlich von Pseudo-Odo stammten.19 Smits van Waesberghe warf die These auf, einige dieser Abhandlungen seien in Lüttich als Teil einer frühen Theoretikerschule entstanden.20 Brüssel, Bibliothèque royale, MS 10162/66, ist eine Abschrift des Darmstädter Manuskripts aus dem späten 15. Jahrhundert, die in einem anderen Benediktinerkloster Lüttichs, in St. Laurent, hergestellt wurde und drei nur darin überlieferte neuere kurze Abhandlungen (aus dem 14. Jahrhundert) enthält, die Berührungspunkte und Übereinstimmungen mit dem Speculum aufweisen. Bragard behauptete, dass diese Abhandlungen frühe Werke des Jacobus seien und edierte sie entsprechend.21 Diese Zuschreibung wurde ebenfalls in Frage gestellt oder zurückgewiesen.22 Desmond vermutet, dass die Brüsseler Abhandlungen von einer Quelle herzuleiten sind, aus denen Jacobus

19  Siehe Ilnitchi’s Diskussion von Speculum, lib. VI, cap. 28 und die caprea- und figura circularis-Diagramme in The play of meanings (wie Anm. 17), S. 52–55. 20  Joseph Smits van Waesberghe, „Some Music Treatises and their Interrelation: a School of Liège (c. 1050–1200)?“, in: Musica disciplina 3 (1949), S. 25–31, 95–118. Diese Ansicht wurde entkräftet von Joseph Kreps, „Aribon de Liège, une legend“, in: Revue belge de musicologie 2 (1948), S. 138–143, aber erneut aufgegriffen von Huglo, Les Tonaires (wie Anm. 13), S. 294–297. David Hiley zieht die zentrale Rolle von Lüttich in Bezug auf Musiktheorie in Frage in: Western Plainchant: A Handbook, Oxford 1993, S. 471. 21  Jacobi Leodiensis Tractatus de consonantiis musicalibus, Tractatus de intonatione tonorum, Compendium de musica, hg. von Joseph Smits van Waesberghe u. a., Buren 1988 (Divitiae Musicae Artis A.IXa). 22  Die Zuschreibung dieser anderen Traktate (B-Br 10162/66) an Jacobus wurde in Zweifel gezogen durch Christian Meyer, „Le Tractatus de consonantiis musicalibus I (CS I Anonyme 1 / Jacobus Leodiensis, alias De montibus): Une ‘Reportatio’?“, in: Revue belge de musicologie 49 (1995), S. 5–25; Frank Hentschel, Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie. Strategien der Konsonanzwertung und der Gegenstand der musica sonora um 1300, Stuttgart 2000, S. 268–270; Karen Desmond, „New light on Jacobus, author of Speculum musicae“, in: Plainsong and Medieval Music 9 (2000), S. 19–40, hier S. 23f.



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eher selbst geschöpft haben könnte, als dass er deren Autor war. Sie ist der Ansicht, dass das Darmstädter Manuskript sowie die Vorlage für das zweite Faszikel des Brüsseler Manuskripts die Quellen für den größten Teil des sechsten Buches bilden. Sie macht darauf aufmerksam, dass Jacobus Zitate aus jenen Abhandlungen mit „alii dicunt“ eingeleitet werden – eine unwahrscheinliche Formulierung, wenn er selbst der Autor der Zitate wäre.23 3. In Buch VII werden zwei Motetten zitiert, die implizit Petrus de Cruce zugeschrieben werden; Petrus wird immer wieder im Verlauf der Abhandlung erwähnt und anerkennend mit Franco verknüpft. Es wurde gesagt, dass die Texte dieser Motettenauszüge Elemente des Wallonischen Dialekts und Schreibweisen aufweisen (ewist und dewisse), die große Ähnlichkeit mit den Versionen in Turin, Biblioteca reale, MS Vari 42 (Tu) besitzen. Diese wiederum wurde zuvor in St. Jacques in Lüttich aufbewahrt. Besselers Behauptung, die Auszüge seien direkt aus diesem Manuskript abgeschrieben worden (von Bragard erweitert) kann auf der Grundlage derart kleiner Auszüge nicht aufrechterhalten werden – tatsächlich ähneln manche Varianten eher Montpellier, Bibliothèque Inter-Universitaire, Section Médicine, H 196 (Mo), darüber hinaus sind einige Textvarianten und eine musikalische Differenz Tu und Mo gemeinsam, finden sich hingegen nicht in der einzigen Jacobus-Handschrift, die den entsprechenden Passus enthält. In den zwei kurzen Auszügen aus den Motetten S’amours eust point und Aucun ont trouve treten ebenso viele geringfügige Varianten aus Mo auf wie aus Tu. Bei keiner der beiden Handschriften kann es sich um eine direkte Quelle für Jacobus handeln. Tatsächlich gibt es Verbindungen nach Lüttich, aber nicht nur dorthin; und die Verbindung nach Lüttich hat zur Missachtung weiterer Hinweise auf Orte geführt, die einen weiteren geografischen Bezugsrahmen implizieren. Die vorherrschende Hypothese, gut dargelegt von Desmond, lautet, dass Jacobus um 1260 wahrscheinlich in oder nahe der Diözese von Lüttich geboren wurde und dass er im späten 13. Jahrhundert in Paris studierte. Dort widmete er sich einer breitgefächerten Lektüre musikbezogener und nicht-musikbezogener Schriften. Darunter befanden sich auch die ersten beiden Bücher der De institutione musica des Boethius; die übrigen lernte Jacbobus, wie er selbst berichtet, später kennen. Er kehrte nach Lüttich zurück, um „im hohen Alter“ die abschließenden Bücher VI

23  Desmond, „New light“ (wie Anm. 22), S. 23f., z. B. lib. I, cap. 22: „Alii dicunt quod haec sola ratione distinguuntur“, und lib. II, cap. 38: „Alii dicunt quod tonus est perfectum spatium duarum vocum…“.

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und VII fertigzustellen.24 Die aktuelle Forschung hat nie die Hypothese in Frage gestellt, Jacobus sei nördlicher Herkunft. Bislang liegen drei Ansätze zur Identifikation des Jacobus vor, wobei der dritte eine Fortführung des zweiten ist: 1. Smits van Waesberghe schlug vor, ihn mit einem Jacobus de Oudenaerde oder Audenaerde zu identifizieren, einem Kanoniker der Kathedrale von Lüttich (St. Lambertus) und Unterzeichner einer an den Papst gerichteten Petition, mit der gegen eine 1313 für die Studenten der Universität von Paris erhobene Steuer protestiert wurde.25 Bei ihm handelt es sich um den einzigen Jacobus aus Lüttich, der im Pariser Universitätschartularium erwähnt wird; er starb vor 1361. Dass er eine Beziehung zur Musik besessen hätte, ist nicht nachzuweisen; allerdings kann ein solcher Nachweis in einem solchen archivarischen Kontext auch nicht unbedingt erwartet werden. Die Annahme, der Autor des Traktates stamme „aus“ Lüttich, hatte sich schon derart zur Tatsache verhärtet, dass van Waesberghe annahm, es müsse sich bei ihm um jenen „Jacobus de Oudenarde, canonicus majoris ecclesiae Leodiensis“ handeln. Diese Behauptung wurde von Suzanne Clercx zurückgewiesen und von Desmond stark entkräftet mit dem Argument, dass es keine annähernd ausreichend Beweisgrundlage für die Identifikation des Theoretikers mit einem Jacobus gäbe, der zufällig in Paris lebte und außerdem ein Kanoniker in Lüttich war.26 2. Richard Crocker und Oliver B. Ellsworth vermuteten, dass der in der vierten Abhandlung von Berkeley, MS 744 (datiert 1375) erwähnte „Jacobus de Montibus“ der Autor des Speculum sein könnte:27

24  Bragard demonstriert, welch tiefe Wurzeln die Annahme des Lütticher Ursprungs geschlagen hat, indem er eine bezeichnende Akzentverschiebung vornahm: Während zunächst aus der Vermutung, Jacobus habe sich in hohem Alter in Lüttich aufgehalten, die weitergehende Vermutung abgeleitet wurde, dies sei sein Geburtsort, argumentiert Bragard nun, der Geburtsort des Jacobus habe dessen Rückkehr dorthin gerechtfertigt: „Que Jacques, dans sa vieillesse, ait pris la décision de revenir a Liège pour y terminer sa vaste encyclopédie, cela n’a rien d’étonnant. Il est dans la nature humaine d’aimer a finir ses jours dans le coin de terre où l’on est né“ („Le speculum musicae II“ [wie Anm. 9], S. 16). 25  Smits van Waesberghe, „Some Music Treatises“ (wie Anm. 20), S. 107–108; ebenfalls erwähnt bei Frederick Hammond, Art. „Jacques de Liège“, in: New Grove 1980, Bd. 9, S. 453. 26  Suzanne Clercx, „Jacques d’Audenarde ou Jacques de Liège?“, in : Revue belge de musicologie 7 (1953), S. 95–101, und Desmond, „New light“ (wie Anm. 22), S. 21–22. Bragard, „Le speculum musicae II“ (wie Anm. 9), S. 16, ist nicht geneigt, diese Hypothese zu akzeptieren, weil er es vorzieht, in Jacobus einen Mönch zu sehen. 27  Richard Crocker, „A New Source for Medieval Music Theory“, in: Acta musicologica 39 (1967), S. 161–171, hier S. 166; The Berkeley Manuscript, hg. und übers. von Oliver B. Ellsworth, Lincoln



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Regularis et irregularis monocordi differencias et species speculative quoad practicam circulariter depingam; numeraciones et divisiones, causa brevitatis, ad Boecium seu ad Iacobum de Montibus, si reperiatur, remitto, scilicet, cromatis, quod est B rotunda, ennarmonii, quod est cantus naturalis, dyatonici, quod est B quadrata. Mit Hilfe eines runden Diagramms werde ich theoretisch (und soweit es die Praxis betrifft) die Differenzierungen und verschiedenen Arten des regulären und irregulären Monochords darstellen; um der Kürze willen verweise ich an dieser Stelle auf Boethius oder Jacobus de Montibus (falls dieser gefunden wird) hinsichtlich der Zahlenverhältnisse und Teilungen des Chromatischen (d. h. B rotundum), des Enharmonischen (d. h. des natürlichen Gesangs) und des Diatonischen (d. h. B quadratum).28

Karen Desmond zeigt auf überzeugende Weise, dass dies tatsächlich ein Verweis auf das Speculum ist, wo „book 5 (chapters 29–52) contains extensive computations and analyses of the proportions of the three genera, and does so to a degree not found in any other medieval treatise on music theory, not even in Boethius himself.“29 Sie fährt fort: But beyond this, the content of the fourth treatise of the Berkeley manuscript, in both the selection and ordering of its subject matter, has close parallels with Book 5 of Speculum musicae. Table I shows, in summary fashion, the breakdown of topics in both of these treatises. Both texts rely heavily on Boethius, in particular, on De institutione musica 1.20–27, 4.4–12 and 5.13–19. They do not, however, observe the order found in Boethius, but instead follow a different path, paralleling each other in their linking of the topics of the history of stringed instruments, the divisions of the monochord, and the three genera of tetrachords.

Ihre Übersicht stellt die relevanten Abschnitte einander gegenüber und entwickelt starke Argumente, die die Annahme einer Beziehung zwischen den beiden Abhandlungen stützen, und folgert, dass Jacobus, der Autor des Speculum, identisch sei mit Jacobus de Montibus. 3. Desmond entwickelt im Weiteren die These, Jacobus de Montibus seit mit Jakeme de Mons zu identifizieren, dem Magister Jacobus de Montibus Anonie aus Mons (Hainaut). Sie legt die Biografie dieses Jacobus dar, eines Kanonikers der Stiftskirche St. Paul in Lüttich, der ab 1316 dort seine Pfründe

1984 (Greek and Latin Music Theory 2), S. 9. Christoper Page schreibt den Traktat auf der Basis eines Akrostichons Jean Vaillant zu; siehe „Fourteenth-century Instruments and Tunings: A Treatise by Jean Vaillant“, in: Galpin Society Journal 32 (1980), S. 17–35. 28  The Berkeley Manuscript (wie Anm. 27), S. 226–228, und S. 213, nr. 23. 29  Desmond, „New light“ (wie Anm. 22), S. 25f., zitiert Parallelstellen im Speculum musicae, lib. V, cap. 1–7, 8–15, 16–28, 29–45, 46–52, zum Berkeley Manuskript, Traktat 4, cap. 1–5.

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bekam und ab 1322, als er zwei monatliche Zuwendungen erhielt, teilweise dort wohnte und für einen weiteren Monat im Jahr 1323; er war allerdings noch nicht Vollzeitbewohner des Stifts. Aus den folgenden Jahren sind keine entsprechenden Dokumente überliefert; erst aus dem Jahr 1336 liegen wieder Informationen vor. In diesem Jahr erhielt Jacobus Zuwendungen für elf Monate. Er scheint zwischen 1337 und 1343 gestorben zu sein, denn für dieses Jahr gibt es nach einer Lücke wieder Aufzeichnungen, aber er ist nicht mehr präsent. Es gibt keine Hinweise auf musikalische Aktivitäten des Kanonikers, es sei denn, er wäre tatsächlich mit dem Theoretiker Jacobus de Montibus zu identifizieren. Das einzige Amt, dass er in St. Paul ausgeübt haben könnte, war das des magister scholarum, einer untergeordneten Lehrposition, die eher mit einem jüngeren Mann zu assoziieren wäre. Der Autor des Speculum kritisiert die musikalisch-liturgische Praxis der nicht-klösterliche Kirchen in Lüttich, an der jener Kanoniker wahrscheinlich teilhatte, und befand sich damit wahrscheinlich in der Position, diese Praxis zu verbessern. Mit anderen Worten, Jacobus de Montibus könnte gerade eine jener Personen sein, über die sich Jacobus, der Theoretiker, beklagt. Darüber hinaus hatte dieser Jacobus trotz der angenommen musikalischen Qualifikationen und des ehrwürdigen Alters des Theoretikers kein hohes musikalisches Amt an seiner Stiftskirche inne, die noch nicht einmal eine der großen Kirchen der Stadt war; Audenaerde war immerhin Kanoniker an einer wichtigeren Kirche. Allerdings wird Jacobus von Mons magister genannt und schien eine Verbindung nach Paris gehabt zu haben: Eine Anfrage über Pfründe für Jacobus de Montibus Anonie war Teil eines nun verlorenen Rotulus mit Anträgen, der 1316 von der Pariser Universität an Papst Johannes XXII. gesandt wurde und mit dem man sich bemühte, Universitätsmitgliedern, insbesondere neuen Absolventen Zugang zu kirchlichen Pfründen zu verschaffen.30 Wenn es sich hierbei um den Theoretiker handelte, bedürfte Huglos Annahme, Jacobus sei schätzungsweise um 1280 als Studienanfänger in Paris gewesen, einer Revision.

30  Gilles Rico, Music in the Arts Faculty of Paris in the Thirteenth and Early Fourteenth Centuries, Oxford University, D. Phil thesis, 2005, S. 32. Eine Rekonstruktion des fragmentarischen Rotulus mit Anträgen ist zu finden in Rotuli Parisienses, Supplications to the Pope from the University of Paris, vol. I: 1316–1349, hg. von William J. Courtenay, Leiden 2002, S. 23–38. Die Passage lautet in der Edition von Courtenay, S. 26: „Jacobo de Montibus Anonie, providemus canonicatus sub expectatio prebendae in ecclesia Sancti Pauli Leodiensis, in eodem modo, Abbas monasterio Latigniacensis, Parisiensis diocesis, Nicolas de Ceccano Atrebatensis ac Magister Galtero de Auxiaco Noviomensis ecclesis canonicis“. Zu den Rotuli mit Anträgen und anderen Formen von Bittschriften der Universität siehe ebd., S. 1–17.



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Wir könnten immer noch annehmen, dass die zwei Jacobus dieselbe Person meinen, ohne ihn dabei notwendigerweise mit dem Kanoniker von Mons zu identifizieren. Außerdem ist Mons keinesfalls der einzige Ort in Europa, der „de montibus“ nach sich ziehen kann; dieser Ausdruck ist sicherlich nicht einzig in Mons anzutreffen, sondern kann sich auf alle bergigen Regionen beziehen und benötigt weitere geografische Spezifizierung. Es ist sehr gut möglich, dass der Theoretiker Jacobus in hohem Alter sich in Lüttich zur Ruhe setzte. Doch von hieraus lässt sich nicht ohne Weiteres zu dem Schluss springen, er stamme von dort oder er sei mit Jacobus de Montibus aus Mons in Hainaut zu identifizieren. Meine neuen, im Folgenden zu präsentierenden Anhaltspunkte stellen gerade die nördliche Herkunft in Frage. * Im April 1419 stellte Matteo da Brescia, Kanoniker in Vicenza und Komponist einer Motette in Bologna Q15 (Jesus postquam monstraverat), sein Testament auf und starb kurz darauf. Er hinterließ seine Musica und seinen Liber de cantu dem Kapitel von Vicenza, und er veranlasste die Einrichtung einer Stelle für einen Sänger-Priester, vermutlich mit dem Ziel, die musikalische Tradition fortführen sollte, von der sein Interesse an Theorie und Praxis Zeugnis ablegt. Bei der Musica handelte es sich zweifellos um eine Schrift zur Musiktheorie, von der ich selbst und andere annahmen, es handle sich um ein Standardwerk wie etwa De institutione musica des Boethius.31 Aber der von Matteo hinterlassene Band ist in einem späteren Inventar der Sakristei von Vicenza, datiert 1457, näher beschrieben: Item liber in quo continetur musica magistri Jacobi de Ispania partitus in septem libris quorum litere prime faciunt hoc nomen Jacobus copertus corio rubeo, et duabus azulis argenteis, et clavis de auricalcho pulcris, relictus per dominum Matheum de brixia canonicum.

Dies ist also „mea musica“, die von dem Musiker und Kanoniker Matteo da Brescia dem Kapitel von Vicenza 1419 überlassen wurde. Es muss ein vollständiges Exemplar gewesen sein, da es offensichtlich alle sieben Bücher mit dem Akrostichon enthielt, das vielleicht mit dekorierten Initialen hervorgehoben wurde wie im vollständigen Florentiner Manuskript, Paris, Bibliothèque Natio-

31  Das Dokument wurde aufgefunden und freundlicherweise mitgeteilt von Vittorio Bolcato, bei dem ich mich sehr für den anhaltenden Austausch über unsere Funde in Vicenza bedanke. Seine Studie über diese Inventorien erscheint unter dem Titel „Gli inventari quattrocenteschi della cattedrale di Vicenza“, in: Musica & Storia 15 (2009).

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nale de France, MS lat. 7027. Der kunstvolle Einband legt nahe, dass das Buch des Matteo ein ähnlich prachtvolles Manuskript gewesen ist. Die Herkunft des Autors und vielleicht auch das Akrostichon scheinen im Band von Vicenza so prominent platziert gewesen zu sein, dass sie die Aufmerksamkeit des Sakristans geweckt haben, dessen Pflicht es war, das Inventar zusammenzustellen. Der Terminus ante quem von 1419 macht dieses Exemplar zur ältesten dokumentierten Kopie der Schrift von Jacobus, und zwar um wenigstens eine Generation. Unter der Annahme, dass Matteo sie schon eine Zeit lang besaß und nicht erst am Ende seines Lebens erwarb, könnte sie weit ins 14. Jahrhundert hinein zu datieren sein. In Anbetracht des Mangels an existierenden Quellen ist der Präzision der Beschreibung und der chronologischen Präzedenz einige Bedeutung zuzusprechen. Der Eintrag ist nicht nur der früheste bekannte Verweis auf die Schrift, sondern er impliziert auch eine Zirkulation und einen Lesekreis unter Musikern eines höchst intellektuellen Milieus.32 Darüber hinaus unterstützt das Dokument die Annahme einer vorwiegend italienischen Verbreitung des Textes. Es wurde wenig betont, dass Jacobus sich mehrere Male auf Römische Liturgien (im Gegensatz zu Gallikanischen) bezieht und auf seinen Helden Boethius als Mitglied der römischen „Nation“.33 Wäre dieses Dokument vor einem Jahrhundert bekannt gewesen, hätte man etwas mehr Vorsicht walten lassen, bevor man die Lütticher Herkunft des Jacobus als gegeben hingenommen hätte. Aber „de Ispania“? Geografische Bezeichnungen sind in dieser Zeit oft wenig präzise. Im Veneto des 15. Jahrhunderts schien „de francia“ alles Nördliche von Frankreich bis Flandern abzudecken und überlappte sich oft mit „de flandria“. „De Alemania“ deckte alles „Germanische“ ab, manchmal auch (wenn es spezifischer als „Alemania bassa“ gekennzeichnet wurde) Teile Flanderns. Aber was wurde mit „de Ispania“ konnotiert? Zur antik-römischen Zeit wie zu Zeiten des Mittelalters war Hispania eine geografische Einheit, nämlich die Iberische Halbinsel. Im 13. Jahrhundert beinhaltete es das muslimische Granada und die christlichen Königreiche von Castilla-León, Navarra, Galicia-Portugal und die Krone von Aragon (die viele andere Gebiete außerhalb des heutigen Aragon beinhaltete, darunter das Land von Barcelona und Teile Frankreichs inklusive Roussillon).34 Kam Jacobus von

32  Zu Bartolomeos Büchern siehe Margaret Bent, „Pietro Emiliani’s Chaplain Bartolomeo Rossi da Carpi and the Lamentations of Johannes de Quadris in Vicenza“, in: Il Saggiatore musicale 2 (1995), S. 5–16. 33  Lib. VI, cap. 113, S. 310: „Non sit etiam ambiguum quin, pro tempore suo, Romani, de quorum natione Boethius erat, tonis aliter et cantibus ac musicis notis uterentur quam secundum modum quem recitat Boethius“. 34  Carmen Julia Gutiérrez war besonders hilfreich bei der Klärung zahlreicher Aspekte, die



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einem dieser spanischen Königreiche oder ihrer Territorien? Wurde er nach dem berühmtesten Iberischen Heiligen benannt? Nur eine Generation vor Jacobus benutzte Dante „Yspani“ nicht um eine Nationalität oder ein geografisches Gebiet zu beschreiben, sondern für die Sprecher des Okzitanischen: Totum vero quod in Europa restat ab istis, tertium tenuit ydioma, licet nunc tripharium videatur: nam alii oc, alii oil, alii sì affirmando locuntur, ut puta Yspani, Franci et Latini. Signum autem quod ab uno eodemque ydiomate istarum trium gentium progrediantur vulgaria, in promptu est, quia multa per eadem vocabula nominare videntur, ut Deum, celum, amorem, mare, terram, est, vivit, moritur, amat, alia fere omnia.

Und: ... Hoc etiam Yspani usi sunt – et dico Yspanos qui poetati sunt in vulgari oc: Namericus de Belnui, Nuls hom non pot complir adrechamen.35

Bernui ist ein katalanisches Dorf, nahe Sort; Namericus war ein katalanischer Troubadour, der der damaligen Praxis folgte, indem er Okzitanisch als Literatursprache nutzte, wie es auch Dante in einigen Canzone tat. Senleches bezieht sich später auf Königin Elienor von Kastilien als „la royone d’espaingne“, wo die Literatursprache und die Sprache der Cantigas Galizisch und nicht Okzitanisch war.36 Die Langue d’oc war die Literatursprache in Aragon bis weit in das 14. Jahrhundert, während die Langue d’oïl die Sprache des Trouvère-Königs Thibaut von Navarra war. Das Musikbeispiel im Buch VII des Speculum beinhaltet altfranzösische und okzitanische Textformen: A l’entrade d’avrillo d’una dimanche matinado trovai gaio rise. Bergiero blonde cum or affinado. C’est entrade en un jardin sou l’ombre d’un pumero. O bel ot le vis et clero.

Sprache, Nationalität und Geografie betreffen. Ich danke Maria Carmen Gómez auch für Ihre Kommentare. 35  De Vulgari Eloquentia, I, viii und II, xii, in: Dante Alighieri, Opere minori, Bd. II, hg. von Pier Vincenzo Mengaldo, Mailand und Neapel 1979. Eine Ausgabe mit englischer Übersetzung hat Steven Botterill vorgelegt: Dante: De vulgari eloquentia, Cambridge 1996. 36  Fuions de ci, Chantilly, Musée Condé, MS 564, fol. 17. Auf diesen Text wurde ich aufmerksam gemacht von David Catalunya.

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Plaignant plaignant e sospirando. Li dis bien soies tu vengtiudo. Topina de haberelade [oder kaberelade] se clamando. Et dist que non aurie le deduit o. Non ne mi plage ne fuelle ne flour. Car de dolour moriro pour mon mari que j’am trop.37

Diese linguistischen Einzelheiten hätten mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, hätte die Lüttich-Hypothese nicht schon so tiefe Wurzeln geschlagen. Man muss allerdings beachten, dass Bragard der Oudenaerde-Identifikation skeptisch gegenüberstand und wahrscheinlich ähnlich skeptisch dem Kanoniker aus Mons gegenübergestanden hätte: „Des contacts de Jacques avec le sud de la France doivent avoir existés si l’on juge par le hoquet A l’entrade d’avrillo qu’il reproduit.“38 Bragard folgte nicht dieser Argumentationslinie, die vermutlich die nördliche Herkunft des Jacobus in Frage gestellt hätte; sie legt es nahe, die nach Süden und die nach Norden weisenden Indizien gegeneinander abzuwägen. „De Ispania“ eröffnet die Möglichkeit, dass Jacobus de Montibus aus anderen Bergregionen stammte, inklusive der Pyrenäen-Regionen, in der eine große linguistische Vielfalt herrschte. * Was bedeutet dies nun für die Kreise von Musikliebhabern, zu denen die Kapitel von Padua und Vicenza sowie die familia eines Bischofs gehörten? Die Verbindung des Johannes Ciconias mit Vicenza ist durch die Widmung von De proportionibus dem Kanoniker Giovanni Gasparo, preclarus cantor belegt. Matteo da Brescia ist in notariellen Aufzeichnungen dieser Zeit weitestgehend abwesend, war aber wenigstens teilweise in einem Gebäude der Canonica wohnhaft, wo er sein Testament aufzeichnete und der Kathedrale und der Sakristei von Vicenza großzügig seine Hinterlassenschaften zusprach, die auf ein großes Interesse an der Institution und seiner Musik hindeuten. Matteo schätzte offensichtlich sein Exemplar der Musica und bestellte als Testamentsvollstrecker seinen Kanonikerkollegen und Musiker, denselben Giovanni Gasparo, der nach Matteos Tod gemeinsam mit dem Musiker Bartolomeo Rossi da Carpi im Paduaner Haus des Bischofs Pietro

37  Lib. VII, cap. 34, mit Faksimile und diplomatischer Transkription, S. 70f. Ich danke Christopher Page der als erster meine Aufmerksamkeit auf diesen Text lenkte, und Margaret Louise Switten, die dessen okzitanische Elemente analysierte. 38  Bragard, „Le speculum musicae II“ (wie Anm. 9), S. 16f.



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Emiliani war, um dort einen Kredit zu erlangen, der Matteos letzten Willen nach einem Sänger-Priester finanzieren sollte. Es gibt starke Hinweise auf ein Interesse an Musiktheorie in den Kapiteln von Vicenza und Padua: Matteos Besitz des Speculum, Giovanni Gasparos mutmaßlichen Besitz der ihm gewidmeten Schrift De proportionibus, Ciconias Traktate Nova musica und De proportionibus sowie die Beschreibung des Prosdocimus, wie er mit Luca de Lendinara verschiedene Musiktheoriebände las und die Fehler von Marchettus identifizierte. Luca war Sänger und folgte Ciconia nach seinem Tod auf einen Posten als Custos. Wenn er der Komponist D. Luca war, teilt er mit Ciconia und Matteo nicht nur das Interesse an Theorie, sondern alle sind auch als Komponisten in Q15 vertreten. Daher ist es erstaunlich, dass sich in Ciconias Traktat bislang keine Hinweise haben finden lassen, dass sein Autor das Speculum kannte, und ebenso erstaunlich ist es, dass Marchettos Lucidarium in der Nova musica zwar zitiert, aber nicht namentlich genannt wird. In Anbetracht dieses Netzwerks ist davon auszugehen, dass Matteo zumindest mit mit Ciconias musikalischen und theoretischen Werken vertraut war. Der ausgelöschte Hinweis „habet presbiter Jo...“ (Name unklar) am Seitenrand neben dem Inventarshinweis auf das Speculum zeigt, dass der Traktat des Jacobus in der Sakristei zirkulierte, so wie Matteo es sich erhofft hatte. Was würden wir nicht dafür geben, dieses Buch zu haben! * Ich behaupte also, dass uns jetzt ein Zeugnis aus dem sehr frühen 15. Jahrhundert, wenn nicht sogar dem 14. Jahrhundert, vorliegt, das eine Verbindung oder eine Herkunft des Jacobus aus jener Region, die damals unter dem Namen „Ispania“ firmierte, nahelegt. Eine solche Herkunft des Theoretikers ist vollständig kompatibel mit Studien in Paris und weiterer Reiseaktivität in Europa, die Lüttich und Italien und den Kontakt mit einer Reihe von Choraltraditionen einschließt und die vielleicht für die Verbreitung seiner Schrift in Italien mitverantwortlich ist. Für die Identität des Autors des Speculum mit dem Theoretiker des Berkeley Manuskripts, Jacobus de Montibus, wurde stichhaltig argumentiert. Hinter beiden könnte sich Desmonds Jacobus de Montibus Anonie verbergen; doch wenn dem so wäre, könnte er nicht zugleich Jacobus de Ispania sein. Denn da das Wort „de“, wie mich Michel Huglo informiert, den Ort der Taufe anzeigt, so kann er nicht aus („de“) zwei verschiedenen Orten sein. „De Montibus“ ist geografisch nicht präzise und bedarf einer weiteren Spezifizierung. Daher müsste, wenn die „de Ispania“-Aussage akzeptiert würde, entweder „de Montibus“ auf eine andere Bergregion außerhalb von Mons in Hainaut hinweisen oder der Jacobus de Montibus des Berkeley-Manuskripts ist nicht auch der Autor des Speculum. Mir scheint

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aber, dass das neue Dokument die Hypothese schwächt, wenn nicht disqualifiziert, dass „Jacques“ „de Liège“ oder sogar aus Mons kommt. Sollten wir stattdessen nun seinen Namen als Jacòbo de España festschreiben?

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Hieronymus de Moravia: « frère morave » ou « Scottish Blackfriar » ? La tâche la plus difficile pour un éditeur d’encyclopédie ou de dictionnaire de musique est d’éradiquer les erreurs tenaces concernant les auteurs de compositions musicales et les traités de musique.

Cette réflexion de François Lesure,1 Directeur du Département Musique de la Bibliothèque nationale de France de 1970 à 1988, a souvent inspiré mes recherches sur les théoriciens de la musique, le Pseudo-Odon, Jean Cotton dit d’Afflighem, Adelbold d’Utrecht, et d’autres. Mais parmi les Maîtres-enseignants de l’Université de Paris au XIIIe siècle, c’est bien Jérôme de Moravie qui suscita mon intérêt en raison de son remarquable Tractatus de musica, comprenant le tonaire du chant dominicain et son précieux témoignage sur Jean de Bourgogne et Francon.2 Cependant, la question de son origine ne s’est posée que plus tard, au cours des travaux sur le Tractatus de musica de Jérôme de Moravie entrepris par Marcel Pérès à Royaumont en 1985. Après avoir exposé l’état des recherches entreprises de 1700 à 2000 sur fr. Jérôme, de l’Ordre des Frères Prêcheurs et sur son œuvre, suivi d’un retour sur le début et la fin de l’unique manuscrit de son traité, il sera possible d’établir une conclusion définitive sur l’origine de l’Auteur.

1 État de la question (1700–2000) La première mention du traité de Hieronymus de Moravia date du 2 Décembre 1700, lorsque le dominicain Jacques Echard, alerté par une brève mention du bibliographe Julius Simmler (1530–1577), vint à la Sorbonne pour examiner le manuscrit 124, intitulé Tractatus de musica compilatus a fratre jeronimo moravo ordinis fratrum praedicatorum. De ce titre et du contenu du traité, les dominicains Quétif, Coulon et Echard, élaborèrent une notice sur la personne et l’œuvre de

1  Peu de temps après la publication de l’Encyclopédie de la Musique par François Michel, Paris 1958–1961, à laquelle François Lesure avait apporté sa collaboration. 2  Michel Huglo, Les Tonaires : Inventaire, analyse, comparaison, Paris 1971, p. 334–336; id., « Recherches sur la personne et l’œuvre de Francon », in: Acta musicologica 71 (1999), p. 1–18.

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Jérôme pour leur catalogue des Scriptores ordinis Praedictorum: « Hieronymus de Moravia e Regno scilicet seu Principatu hujus nominis Boemiam et Hungariam situ ortus… ».3 En 1828, François-Louis Perne, qui s’intéressait à l’histoire des instruments de musique plutôt qu’à la polyphonie, traduisait les passages du chapitre 28 du Tractatus concernant le rebec et la vielle, d’après le manuscrit no 1817 du fonds de la Sorbonne, entré à la Bibliothèque nationale en 1796.4 Après le rétablissement de l’Ordre des Frères Prêcheurs en France par Lacordaire, le Père Jandel, Maître général des Dominicains, publia en 1854 le Cantus Missarum juxta ritum Sacri Ordinis Praedicatorum ad fidem antiquorum codicum restitutum, dans lequel il cite trois fois le chapitre 25 du Tractatus de musica de Jérôme de Moravie. Une trentaine d’années plus tard, Charles-Edmond de Coussemaker (1805–1876) entreprit de compléter la collection de traités de musique édités en 1784 par Dom Martin Gerbert, Prince-Abbé de Saint-Blaise-en-Forêt Noire, ouvrage basé en majeure partie sur des manuscrits de l’Est de l’Europe: connaissant bien les manuscrits de la Bibliothèque impériale de Paris, Coussemaker publia le traité de Jérôme à la tête de son premier tome des Scriptorum de Musica Medii Aevi novam seriem a Gerbertina alteram, publié à Paris en 1864. Il édita les textes sur deux colonnes, conformément au manuscrit, en ajoutant parfois un titre aux chapitres qui n’en avaient pas reçu de l’Auteur, par exemple au chapitre 18: De campanarum in horologiis musicum sonum debite exprimentium formationibus, titre tiré du contexte de ce chapitre, faisant état de la fonction nouvelle des cloches pour sonner les heures dans les horloges mécaniques inventées au XIIIe siècle. En 1932, Amédée Gastoué, Président de la Société française de musicologie, publiait son étude sur « Un dominicain professeur de musique au XIIIe siècle: Fr. Jérôme de Moravie et son œuvre »:5 il estimait que le Tractatus de Jérôme avait été composé entre 1255 et 1264 et que, par conséquent, le tonaire du chapitre 21, Inc. Omnis [igitur] cantus ecclesiasticus, avait été transféré au début de l’Antiphonaire

3  Tomus I, Paris 1719, p. 159. 4  François-Louis Perne, « Notice sur un manuscrit du XIIIe siècle », in: Revue musicale 2 (1828), p. 457–467 et 481–490. Je dois cette référence à mes collègues Guy Lobrichon, Christian Meyer et Marcel Pérès qui ont préparé l’édition critique du Tractatus et sa traduction française (voir plus bas, p. 427–428 et l’édition Hieronymi de Moravia Tractatus de musica, ed. Christian Meyer et Guy Lobrichon, avec Carola Hertel-Geay, [Corpus Christianorum, Continuatio mediaevalis 250], Turnhout 2012). 5  In: Archivum Ordinis Fratrum Praedicatorum, Vol. II, Rome 1932, p. 232–257. Je remercie ici le Fr. Innocent Smith, O. P. (Washington, DC) pour m’avoir communiqué la copie de cet article, ainsi que celle du Cantus Missarum de 1854, cité plus haut.



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officiel des Frères Prêcheurs promulgué en 1255. Consciemment ou non, Gastoué suivait sur ce point l’opinion de Franz-Xaver Mathias6 qui, dans sa thèse de 1903, estimait que le tonaire dominicain avait été établi d’après le tonaire inséré au milieu du chapitre 22 du Tractatus. Enfin, Gastoué faisait remarquer que la mélodie de quelques pièces de chant citées dans ce tonaire n’était pas toujours conforme à la version retenue par Humbert de Romans dans l’Antiphonaire dominicain de 1255. Dans ma thèse sur Les Tonaires (1971), je faisais constater que Gastoué n’avait pas tenu assez compte des deux citations des travaux de Thomas d’Aquin et que la datation du Tractatus après 1272 implique que c’est Jérôme qui a inséré le tonaire dominicain au milieu de son chapitre 21, en le raccordant moyennant un enclitique au début de ce chapitre: «  Omnis igitur cantus ecclesiaticus… ». En 1981, je revenais incidemment sur le problème,7 car Jérôme est le premier témoin du traité d’Ars cantus mensurabilis qui, « selon l’opinion commune est de Francon de Cologne », alors que selon le témoignage oral de Jean de Bourgogne à Jérôme, c’est ce dernier qui aurait élaboré les figures de notation mesurée sur un diagramme en forme d’arbre:8 son témoignage tire sa valeur historique du fait de la qualité de témoin auriculaire de Jérôme. A partir de 1985, Marcel Pérès, diplômé du Conservatoire de Nice, vivement intéressé par l’Ars antiqua durant ses recherches à l’École Pratique des Hautes Études, prit l’initiative de traduire le traité de Jérôme de Moravie, afin de mieux comprendre les chapitres relatifs au chant monodique et à la polyphonie: son équipe se composait de Christian Meyer, pour la restitution d’un texte plus correct que celui des éditions de Coussemaker et de Cserba, Esther Lachapelle, Professeur de Latin classique, et enfin Guy Lobrichon, alors au Collège de France, puis professeur à l’Université d’Avignon. Quatre ans plus tard, les 3, 4, et 5 juillet, Marcel Pérès organisait à Royaumont un Congrès sur « Jérôme de Moravie, un théoricien de la musique dans le milieu intellectuel parisien du XIIIe siècle », auquel participèrent plusieurs historiens de l’Université, un théologien dominicain, le Père Pierre-Marie Gy, des musicologues et, bien entendu, les traducteurs du Tractatus de musica qui présentèrent leur travail en cours et des remarques sur les

6  Franz Xaver Mathias, Die Tonarien, Graz 1903 (Inaugural-Dissertation Leipzig); cf. Huglo, Les Tonaires (op. cit., voir note 2), p. 335, n. 2 et p. 466. 7  Michel Huglo, « De Francon de Cologne à Jacques de Liège », in: Revue belge de musicologie 34–35 (1980–1981), p. 56 (Mélanges offerts à Roger Bragard, éditeur du Speculum musicae). Sur le problème d’identification de l’Auteur du Speculum musicae, voir la contribution de Margaret Bent dans ce volume. 8  Sur cette curieuse déclaration, voir Huglo, « Recherches sur la personne » (op. cit., voir note 2), p. 2 et p. 9–11.

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problèmes de traduction rencontrés. Cette communication ne fut pas reproduite dans les Actes du Congrès, puisque ce sujet devait être amplement repris plus tard dans les préfaces de l’édition critique du Tractatus par Christian Meyer et de sa traduction annotée par Guy Lobrichon, Esther La Chapelle et Marcel Pérès.9 Le 8 mars 1993, Bernhard Hangartner, Assistant du Professeur Max Lütolf à l’Université de Zürich, lançait à ses collègues une invitation à collaborer à la Festschrift qu’il préparait à l’occasion du 60e anniversaire de son maître. Connaissant Max Lütolf depuis notre rencontre à la Biblioteca comunale d’Assise en 1967, j’acceptais cette invitation en proposant un sujet en relation avec le chant des Frères Prêcheurs, que Max Lütolf avait étudié dix ans plus tôt dans la postface du Graduel des sœurs dominicaines de Katharinenthal: « Jérôme de Moravie ou Jérôme de Moray ? », titre à vrai dire provoquant, qui fut réduit à la demande des éditeurs de la Festschrift Max Lütolf à « La Musica du Frère Prêcheur Jérôme de Moray ».10 L’idée directrice de mon « hypothèse Moray » était venue à la lecture de l’article d’Edward Roesner, sur l’origine du manuscrit de polyphonie parisienne W1, dans lequel il citait le Registrum episcopatus Moraviensis;11 la consultation de l’Orbis Latinus sur Moravia: Mähren [Moravie]; Moravia Scotiae: Moray Schottland,12 semblait d’autant plus acceptable pour Moravia: Moray du fait que, selon Roesner, la polyphonie parisienne avait été introduite à la cathédrale St Andrew, au temps de l’épiscopat de David Bernham (1239–1253) ou encore mieux, suivant Mark Everist,13 durant le régime de son prédécesseur, le français Guillaume Mauvoisin (1202–1238). Intéressé par l’‹ hypothèse Moray ›, Edward Roesner me communiqua en avril 1993 plusieurs références concernant le prénom du clergé écossais, ainsi que la mention de Jeronimus persona de Culicuden qui confirme son témoignage dans un acte de 1226 publié dans le Registrum episcopatus Moraviensis.14

9  Hieronymi de Moravia Tractatus de musica, ed. Christian Meyer et Guy Lobrichon, avec Carola Hertel-Geay (op. cit., voir note 4), Traduction en préparation. 10  In: Max Lütolf zum 60. Geburtstag. Festschrift, éd. par Bernhard Hangartner et Urs Fischer, Basel 1994, p. 113–116. Cet article a été reproduit dans Michel Huglo, La théorie de la Musique antique et médiévale, Aldershot 2005, Article XV. 11  Edward Roesner, « The Origins of W1 », in: JAMS 29 (1976/3), p. 374, n. 176. 12  Johann Georg Theodor Graesse, Orbis Latinus. Lexikon lateinischer geographischer Namen des Mittelalters und der Neuzeit, Braunschweig 1972 (en ligne depuis le 15 août 2000). 13  Mark Everist, « From Paris to St. Andrews. The Origins of W1 », in: JAMS 43 (1990/1), p. 1–42. 14  Ici, persona désigne un dignitaire laïc ou ecclésiastique: cf. Jan Frederik Niermeyer, Mediae latinitatis lexicon minus, Leiden 1976, p. 791, # 15.



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Le problème serait sans doute resté sans importance, si l’article Hieronymus de Moravia des grands dictionnaires encyclopédiques anglais et allemand avait été déjà rédigé. Ce fut d’abord Edward Roesner qui, en Mai 1996, dut prendre position pour composer cet article à destination du New Grove Dictionary of Music and Musicians. Au début de son draft (ll. 12–14), Roesner exposait brièvement la situation: « The explicit of his treatise refers to him as ‹ Jeronimus de Moravia ›, but the incipit states that the treatise was compiled ‹ a fratre ieronimo Moravo ›, Jerome Moravus (Moray). Rather than the Dominican community in Moravia, the convent founded c. 1235 at Elgin in Moray, Scotland, is likely to have been the house from which Hieronymus went to Paris (Huglo, 1994) ». Les pages suivantes concernaient en détail la théorie de la musique exposée dans sa compilation. L’article Hieronymus de Moravia (Hieronymus Moravus, Jerome of Moravia, Jerome of Moray) parut en 2001, dans le Volume 11 (p. 486–488) du New Grove, sous la double signature de Frederick Hammond / Edward H. Roesner, mais sans les lignes citées plus haut. Le 19 mars 2002, Christian Meyer avait achevé l’article Hieronimus de Moravia pour Die Musik in Geschichte und Gegenwart: sa position était solidement assurée par sa connaissance éprouvée du dossier, suite à son édition du texte critique du Tractatus de musica pour le Corpus Christianorum continuatio medievalis. Après avoir cité l’incipit du Tractatus compilatus a fratre Jeronimo moravo et l’explicit (musica fratris Jeronimi de moravia), Meyer ajoutait: « Seine Ursprünge bleiben dabei unklar. Den Konventionen der Onomastik des 13. Jahrhundert zufolge bezeichnet das Adjektiv ‹ moravus › Hieronymus als böhmischen Dominikaner, die Wendung ‹ de Moravia › verweist hingegen auf einen Ort, aus dem er stammt. In diesem Fall aus Moray im Schotland (Huglo, 1994) ».15 Entretemps, c’est-à-dire en 1998, Guy Lobrichon, avec la collaboration de Christian Meyer et de Marcel Pérès, avait terminé sa magistrale préface de la traduction du Traité de Jérôme de « Moravie » (sic), afin de la soumettre avant impression à la relecture des membres de la Section latine de l’Institut de Recherche et d’Histoire des Textes. Une fois encore, c’est la dualité d’appellation au début et à la fin du Tractatus qui faisait obstacle à la solution du problème d’origine de l’Auteur.

15  Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2e ed., éd. par Ludwig Finscher, Personenteil, vol. 8, Kassel 2002, col. 1519–1521. Dans son édition critique du « Tonaire des Frères Prêcheurs » (Archivum Fratrum Praedicatorum 76 [2006], p. 117–156), Christian Meyer, maintenant sa position objective sur « Jérôme de Moravie (ou de Moray) » (p. 118), démontrait que le tonaire dominicain était une recension « scolaire » (p. 138) du tonaire rédigé au début de l’Antiphonaire, VIIIe livre officiel de l’Exemplar rédigé à Saint-Jacques en 1255.

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 Michel Huglo (†)

L’examen de la Préface de Guy Lobrichon fut pris en compte par Jacques Dalarun, Directeur de l’Institut de Recherche et d’Histoire des Textes, spécialisé par ses recherches personnelles dans l’histoire des Ordres Mendiants. Dans sa lettre manuscrite en date du 19 janvier 2003, il m’écrivait à propos de la dualité d’appellation en question: (2) […] de Moravia est ambigu sans aucun doute; mais vous accordez moins d’attention à l’appellation de frater Ieronimus moravus. Or cet adjectif me paraît relever d’une attache nationale et non civique. Dans ce dernier cas, on attendrait moraviensis (cf. le titre du Registrum episcopatus moraviensis). La forme moravus me ferait incliner pour une ‹ nationalité › morave, en conformité aux exemples que vous citez (teutonicus, lombardus, mais encore anglicus, batavus…). (3) L’identification de notre Jérôme à Jeronimus de Culicuden me paraît fragile. Le raisonnement est un peu tautologique […]  En ce qui concerne la publication de la Musica, je serais d’avis de laisser la forme latine de Moravia, qui est parfaitement explicite par rapport à la leçon reçue […].

Enfin, Jacques Dalarun décidait d’en référer à Olga Weijers qui, justement à cette date, préparait le quatrième volume de son répertoire des Maîtres ès arts:16 en fait, la notice sur Hieronymus de Moravia ne traite en trois lignes que de sa carrière universitaire, conformément au profil de la collection. De son coté, Guy Lobrichon décidait avec prudence que, « faute d’arguments décisifs en faveur de la proposition de Michel Huglo, [on admettra] que le dominicain Jérôme est, plus vraisemblablement qu’écossais, originaire de Moravie […] ». Dans une telle situation, les discussions sur la dualité de signification pourraient encore durer très longtemps, car elles reposent sur l’édition à deux colonnes de Coussemaker et celle de Cserba à longues lignes. Aussi, pour tenter un nouvel essai de solution, il est nécessaire de retourner au manuscrit pour chercher d’où pourrait bien procéder cette dualité de termes. En effet, l’expérience acquise au contact direct avec les sources révèle qu’il faut se défier des initiatives des chefs d’atelier et copistes chargés de transcrire des traités de musique, souvent anonymes ou dépourvus de titre. Ainsi, par exemple, la simple Musica d’Hucbald emprunte à Réginon son titre plus brillant De harmonica institutione; le traité de Francon (sur la musica mensurabilis), sans titre dans la copie du ms. latin 16663, deviendra plus tard un traité dû à Franco Theutonicus, Francon de Cologne, Chapelain du Pape, Précepteur des Hospitaliers de Saint-Jean-de-Jérusalem,17 etc. Il

16  Olga Weijers, Le travail intellectuel à la Faculté des arts de Paris: textes et maîtres (ca. 1200– 1500), 4: H–J, Johannes C., Turnhout 2001 (Studia Artistarum 9), p. 83. 17  Huglo, « Recherches sur la personne » (op. cit., voir note 2).



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est bien inutile d’ajouter à ces deux mentions d’autres exemples aussi éloquents avant d’examiner la source unique du Tractatus.

2 Retour au manuscrit du Tractatus, Paris, BNF, lat. 16663 Il est maintenant établi que le manuscrit du Tractatus de Musica n’est pas un exemplar déposé chez un stationnaire pour être recopié pecia par pecia par les étudiants: il a été composé par un ‹ lecteur › pour son enseignement oral à la Faculté des arts.18 L’écriture « du dernier quart du XIIIe siècle »,19 a été revue par deux correcteurs, l’un d’eux étant Pierre de Limoges, maître ès arts à partir de 1260. Après sa mort en 1306, le manuscrit du Tractatus fut légué au Collège de Sorbonne et fut enchaîné dans la Grande Librairie du collège jusqu’en 1615.20 Grâce au site web Gallica,21 la lecture directe du manuscrit permet d’analyser de près l’écriture et d’examiner pour quelle raison l’adjectif dans la forme moravo aurait pu être écrit dans le titre du Tractatus et par contre de Moravia dans l’explicit à la dernière page. Il s’agit sans doute d’une raison de mise en page: comme le Tractatus a été copié non pas à longues lignes, mais sur deux étroites colonnes, le rubricateur était contraint à limiter strictement le titre rubriqué du traité sur trois lignes courtes: Incipit tractatus de musica ? pilat’a fre Jeronimo moravo; ordinis frm p[re]dicatorum

soit 28 signes et espacements soit 28 signes et espacements soit 22 signes + 6 espacements

L’examen de la disposition de la première colonne montre que le nombre de signes et d’espacements de chaque ligne oscille de 25 à 29, avec une seule exception, à la

18  Voir Michel Huglo, « La place du Tractatus de Musica dans l’histoire de la théorie musicale au XIIIe siècle: étude codicologique », in: Jérôme de Moravie. Un théoricien de la musique dans le milieu intellectuel parisien du XIIIe siècle, éd. par Christian Meyer, Paris 1992 (Collections Rencontres à Royaumont 2), p. 33–42. 19  D’après Marie-Thérèse d’Alverny (citée par Huglo [op. cit., voir note 18], p. 35), qui, en outre, avait reconnu dans plusieurs corrections la main de Pierre de Limoges, ibid. 20  Le ms. latin 16663 est encore une fois cité en tant qu’exemplar par Giovanna Murano, Opere diffuse per exemplar e pecia, Turnhout 2005, p. 526, no 480. Le système de l’exemplar ne concerne pas en principe les ouvrages de « mathématiques ». 21 [URL: http://gallica.bnf.fr/?&lang=FR.]

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 Michel Huglo (†)

onzième ligne totalisant 32 lettres et espacements: par conséquent, la moyenne d’espacements disponibles pour la première colonne est de 27 espacements, ce qui s’explique suivant la fréquence des lettres « longues » (g ou m, par exemple) et des lettres « courtes » (tels l’i ou le f). Revenons à la deuxième ligne du titre: elle compte 28 signes et espacements. Si le copiste avait écrit de moravia, la ligne aurait compté 32 signes et espacements, entraînant un fâcheux débordement sur l’espace blanc ménagé entre les deux colonnes; même « débordement » avec moraviense, d’où, ultime solution, moravo. Par contre, au dernier feuillet, le copiste pouvait transcrire à l’aise le nom correct de Jeronimus de Moravia qui vient en début de ligne au pied de la dernière colonne: Explicit t[ra]ctat ? de musica fr[atr]is Jeronimi de moravia ordi-

nis fr[atru]m p[re]dicator.

soit 31 signes et espacements soit 22 signes + espacements soit 14 signes + espacements

De la comparaison des deux inscriptions, il ressort que dans le titre initial, le terme moravus a été écrit par le rubricateur, contraint et forcé, à la seule fin de ne pas détruire sa mise en page dès le début de son travail. Par contre, l’explicit à l’encre noire tracé par le copiste révèle une absence totale de souci pour l’équilibre des lignes, puisque son labeur est terminé: « Sicut navigantibus dulcis est portus, sic scriptori novissimus versus ».

3 Essai de coordination des sources L’élimination de l’adjectif moravus réduit singulièrement la marge de discussion relative au prénom et au nom de l’auteur du tractatus, puisque maintenant il n’est plus question que de Jeronimus de Moravia, un prénom et un nom. 1. Au sujet du prénom, un trait de la vie de Gilles de Roye, abbé de Royaumont de 1454 à 1459, nous renseigne sur le choix du nom de baptême au Moyen Age: « Né le 31 octobre de l’année 1415, il aurait dû être baptisé sous le patronage de saint Quentin, fêté ce jour-là en Picardie, mais d’après le témoignage de sa mère, son père Gilles Cordier exigea que son fils portât son prénom ».22 Ainsi,

22  Michel Huglo et Barbara Haggh, « Gilles de Roye, abbé de Royaumont (1454–1459) et David de Bourgogne », in: Miscellanea in Memoriam Pierre Cockshaw (1938–2008), éd. par Frank Daelemans, Bruxelles 2009, p. 195.



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le prénom de Jérôme, très rare au Moyen Age,23 implique soit qu’il est né un 30 septembre, fête de saint Jérôme, soit qu’il a porté le prénom de son père. 2. Le nom des clercs et religieux des Universités médiévales indique en principe – mais avec bien des exceptions – le lieu de leur baptême:24 ce nom est évidemment traduit en latin, dans la mesure du possible, sinon on les inscrit en indiquant le nom de la Province d’où ils proviennent: ainsi, le théologien auteur des quatre livres des Sentences, Pierre Lombard, né vers 1095 à Lunelungo près de Novara, sera appelé Petrus Lombardus; plus tard, sacré évêque de Paris en 1159, son nom d’origine fera place à son nom de fonction: Petrus Parisiensis. Autre exemple, le dominicain Pierre de Tarentaise, né à Champigny en Savoie, sera appelé frater Petrus dans l’incipit de son Commentaire des Sentences, mais de tarentasia fratrum predicatorum parisiensium dans l’explicit de son manuscrits du Commentaire des Sentences.25 Il est par ailleurs nommé une seule fois Petrus de Tharenta dans le Catalogue des livres de la Sorbonne,26 suite à une fâcheuse confusion de copiste entre la ville de Tarente en Italie du sud et la province de Tarentaise, dans la Haute-vallée de l’Isère. Enfin, dernier exemple, Vincent de Beauvais (mort en 1264), auquel Jérôme a emprunté sa définition de la Musique selon Al-Farabi,27 était nommé Vincentius Bellovacensis en raison de sa fonction de prieur du couvent dominicain de Beauvais, mais aucun document n’indique qu’il serait né dans cette ville. Moravia est également un nom amphibologique: selon l’Orbis latinus, Moravia désigne ou bien la Province de Moravie en Bohème, ou bien la petite ville de Moray, en Écosse. L’amphibologie ne peut être levée que par des éléments extrinsèques: ainsi, par exemple, la brève mention du chanoine de Paris Johannes de Moravia, décédé en 1407, rend sa nationalité incertaine, mais sa biographie indiquant qu’il est né à Olmütz (Olomouc), intraduisible en latin, le doute est levé. La situation de Pierre de Limoges, possesseur du Tractatus de Jérôme, est analogue:

23  Par exemple dans les listes épiscopales: Girolmo, 52e évêque d’Arezzo de 1142 à 1175. 24  La signature de Louis IX, Louis de Poissy, est aussi bien l’expression de sa foi, que conformité aux usages courants de son temps. 25  Paris, BNF, lat. 15830 (Sorbonne 713), cathenatus, f. 114v. Pierre de Tarentaise, élu pape en janvier 1276 prit le nom d’Innocent V et mourut en juin de la même année. 26  Léopold Delisles, Le Cabinet des manuscrits de la Bibliothèque nationale, Tome III, Paris 1881, p. 29. 27  Gottfried Göller, Vincent von Beauvais O. P. (um 1194–1264) und sein Musiktraktat, Regensburg 1959, p. 70–72. Marcel Pérès, « Jérôme de Moravie et le chant dominicain », in: Lector et compilator. Vincent de Beauvais, Frère Prêcheur. Un intellectuel et son milieu au 12e siècle, éd. par Serge Lusignan et Monique Palmier-Foucart, Royaumont 1995 (Collection Rencontres à Royaumont 9).

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 Michel Huglo (†)

né à Douzenac, dans le diocèse de Limoges, son patronyme étant intraduisible en latin sera celui de sa province d’origine, le Limousin: Petrus Lemovicensis. Maintenant donc, si Moravia désigne la ville natale de l’Auteur du Tractatus de musica, tout un contexte de circonstances se dévoile en faveur de Jérôme de Moray. En effet, cette ville était le siège épiscopal rattaché à celui d’Elgin après 1225. En 1233–1234, le roi d’Écosse Alexandre II y fonda le couvent dominicain Saint-Jacques.28 Au cours de la même période, soit vers 1230, la polyphonie parisienne était introduite à la cathédrale de St. Andrews – ville située à 30 lieues au Sud-est d’Elgin – par l’évêque français Guillaume Mauvoisin (1202–1238). Après avoir assisté aux fêtes de Noël de l’an 1200, Mauvoisin aurait rapporté à St. Andrews des fascicules d’organum et de conduits, qui furent recopiés un peu plus tard dans le manuscrit W1.29 Le deuxième évêque de Moray, Andreas de Moravia (1224–1242), érigea en cathédrale de son diocèse l’église de la Trinité à Elgin. Le dixième évêque de Moray, David Moray, élu en 1299, est le fondateur du Collège des Scots à Paris en 1325. Ces échanges entre France et Grande Bretagne ne sont pas limités à la polyphonie: la même « osmose » a été observée par Guy Beaujouan dans le domaine du Quadrivium,30 et plus particulièrement pour la lecture du De institutione musica de Boèce, avant le Décret de la Faculté des Arts du 19 mars 1255, prescrivant uniquement la lecture des œuvres d’Aristote. En effet, dès le milieu du XIIe siècle, la lecture commentée de Boèce était à Paris et à Oxford limitée aux deux premiers livres du traité: ainsi d’après Thierry de Chartres dans son Heptateuchon; d’après Jacques, auteur du Speculum musicae, évoquant ses premières années d’études à Paris (II, lvj 17), mais surtout d’après les six textes normatifs édités par Guy Beaujouan, entre autres le passage de la Divisio scientiarum d’Arnoul de Provence (ca 1250): « Sunt autem quinque libri Musicae quam tractavit Boetius, quorum duo sunt de forma Parisius ».31 Enfin, en pratique à l’Université d’Oxford, trois manuscrits de la Bodleian Library ont seulement recopié les deux premiers livres

28  Sur l’histoire du diocèse de Moray et du premier couvent dominicain, voir Medieval Religious Houses: Scotland, éd. par Ian B. Coway et David E. Eassun, 2e éd., Londres 1976. 29  Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 627: cf. Rebecca A. Baltzer, « The Manuscript Makers of W1. Further Evidence for an Early Date », in: Quomodo cantabimus canticum ? Studies in Honor of Edward H. Roesner, éd. par David Butler Cannata et al., Middleton 2008, p. 105–120. 30  Isabelle Draelants, in: Bulletin codicologique de Scriptorium 55 (2001/2), no 459, compte-rendu de l’article de Guy Beaujouan, « Le quadrivium et la Faculté des arts », in: L’enseignement des disciplines à la Faculté des Arts (Paris et Oxford, XIIIe–XVe siècles), éd. par Olga Weijers et Louis Holtz, Turnhout 1997, p. 186–194. 31  Ibid., p. 190.



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du De institutione musica.32 Il convient de noter à ce propos que Jérôme cite en plus de ces deux premiers livres des passages des Livres III, IV et V.33 Le motif du départ de Jérôme pour Paris n’est pas l’achèvement de ses études de théologie à Saint-Jacques de Paris, puisqu’un couvent d’études – érigé en Studium generale par décision du Chapitre général de Paris en 1246 – avait été fondé à Oxford en 1221 pour les Blackfriars de la Province d’Angleterre, mais aussi pour les frères écossais, du moins jusqu’au XVe siècle.34 Comme le Chapitre général de l’Ordre des Frères Prêcheurs avait été tenu à Londres en 1250, il n’est pas impossible que le Prieur du couvent de Moray ait recommandé le fr. Jérôme au Maître général Jean le Teutonique, soucieux de l’unification du chant dominicain, afin que ce frère se prépare à enseigner aux 200 étudiants du Couvent Saint-Jacques de Paris, les normes du chant qui devaient être fixées cinq ans plus tard par Humbert de Romans. Cette hypothèse expliquerait pourquoi la mélodie de certaines pièces du Tractatus ne sont pas conformes à celles de l’exemplar parisien de 1255, comme c’est le cas dans d’autres manuscrits de chant des Frères Prêcheurs.35 D’autre part, le chapitre 25, concernant la polyphonie parisienne pratiquée par le clergé séculier (cantus ecclesiasticus), mais strictement interdite aux dominicains depuis les chapitres généraux de Bologne (1242) et de Paris (1250), « tourne court, tout à coup »,36 comme si il avait achevé une première rédaction. Il est donc possible que les cinq « positions » du chapitre 26, concernant le cantus mensurabilis auraient pu être ajoutées au Tractatus après 1260. Mais comme le manuscrit du Tractatus est seulement la copie de l’original, il est impossible d’en tirer davantage au sujet de cette dernière partie. A l’autre extrémité de l’Europe, en ce milieu du XIIIe siècle, la situation de l’Ordre des Frères Prêcheurs de Moravie est beaucoup moins brillante, car aucun couvent dominicain n’a été fondé en Bohème et en Hongrie avant 1250.37 D’autre

32  Christian Meyer, « Un abrégé universitaire des deux premiers livres du De institutione musica de Boèce », in: Archives d’Histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 65 (1998), p. 91–121. 33  Cf. Christian Meyer, « Lecture(s) de Jérôme de Moravie. Jérôme de Moravie, lecteur de Boèce », in: Jérôme de Moravie. Un théoricien de la musique dans le milieu intellectuel parisien du XIIIe siècle, éd. par Christian Meyer, Paris 1992, p. 55–74. 34  D’après la communication du fr. Beda Bailey, archiviste du couvent des Blackfriars d’Edinburgh (lettre du 10 novembre 2000). 35  Philippe Gleeson, « Dominican liturgical manuscripts from before 1254 », in: Archivum Fratrum Praedicatorum 42 (1972), p. 81–135. 36  Gastoué, in: Archivum Ordinis (op. cit., voir note 5), p. 239. 37  Cf. Atlas historique de l’Église, éd. par Hubert Jedin et al., Turnhout 1990, (traduit de l’édition allemande, Freiburg im Breisgau 1987), Carte 59: M. Lobrum, L’expansion des Dominicains

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part, il n’y a aucune évidence en faveur de la pratique de l’Ars antiqua dans les cathédrales de Bohème avant 1300. En définitive, il n’y a plus maintenant aucune ambiguïté au sujet de moravus et de Moravia: moravus est l’expédient spontanément improvisé par un rubricateur exigeant, désireux de soigner la mise-en-page du titre de son ouvrage, quitte à substituer au nom trop long de son auteur Jeronimus de Moravia un adjectif de sept lettres: moravus. Par contre, le copiste du traité, arrivé à la fin de son labeur, n’a pas le même souci pour écrire le nom exact de l’auteur, Jeronimus de Moravia. Ce terme désigne effectivement la Moravie et la ville épiscopale de Moray en Écosse, mais Moray est la seule place encadrée par un ensemble social, religieux et culturel qui répond en tous points au contexte du Tractatus de musica de frère Jérôme de Moray de l’Ordre des Frères Prêcheurs.

jusqu’en 1500, avec bibliographie à la p. 43*.

Wolfgang Hirschmann

Musikalische Klimazonen. Über ein Gentes-Theorem im Liber artis musice (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Ashburnham 1051, fol. 89–95v) In seinem Vergleich zwischen der Musik der Antike und der zeitgenössischen Musik (De Musurgia Antiquo-moderna) erörtert Athanasius Kircher 1650 auch Unterschiede zwischen den Musikkulturen verschiedener nationes und begründet diese Unterschiede mit gleichsam zur zweiten Natur gewordenen Gewohnheiten der Völker („à consuetudine longo vsu introducta, tandem in naturam degenerante“), vor allem aber mit der Vorstellung, dass die inclinatio naturalis – also die natürliche Prägung der verschiedenen Himmelsgegenden, kurz das Klima – den Völkern eine bestimmte Grundhaltung, bestimmte Vorlieben und Abneigungen gegenüber musikalischen Phänomen mitgegeben habe: Qui quidem diuersarum nationum diuersus in musica stylus non aliunde prouenit, nisi vel à genio, & inclinatione naturali, vel à consuetudine longo vsu introducta, tandem in naturam degenerante […].1

Kircher exemplifiziert diese klimatheoretische Begründung der Nationalstile, die gleichsam von verschiedenen musikalischen Klimazonen ausgeht, anhand der deutschen, französischen, spanischen und italienischen Nation, wobei allerdings die Hispani wegen mangelnder musikalischer Kultiviertheit nicht direkt in den Vergleich einbezogen werden.2 Bei den Germani, den Deutschen, die unter einem kalten Himmel geboren seien („coelo frigido nati“), habe sich eine entsprechende complexio gravis, eine schwere, starre Verfasstheit von Körper und Seele, ausgeprägt, die einen „stylum grauem, remissum, modestum, & πολύφωνον“, einen schweren, gelassenen, bedächtigen und polyphonen Musikstil, fördere und favorisiere; die Deutschen

1  Athanasius Kircher, Musurgia universalis, Rom 1650, Nachdr. Hildesheim 2006, Buch VII: De Musurgia Antiquo-moderna, Erotema V, S. 543: „Vtrum recensita Veterum musica perfectior, & praestantior fuerit musica modernorum.“ Die nachfolgenden Zitate ebd. 2  Ebd.: „Hispani, vti non tanti musicae cultores extiterunt, ita quoque nihil adeo dignum habent, quod cum alijs comparari possit. Si duos insignes vnum in theoria, Salinam, alterum in practica Christophorum Moralem, quibus aliquam in musica laudem compararunt, excipias.“

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 Wolfgang Hirschmann

würden zudem die Vorliebe der meridionales populi, der südlichen Völker, für helle, hohe Stimmen nicht teilen und tiefe Stimmen bevorzugen: Germani, vt plurimum, coelo frigido nati, complexionem acquirunt grauem, firmam, constantem, solidam, laboriosam, quibus qualitatibus stylus musicus conformis est; & sicuti voce grauiori constant, quam meridionales populi, ad acutiores autem sonos difficilis illis concedatur ascensus, hinc naturali inclinatione illud, quod optimè praestare possunt, eligunt, scilicet stylum grauem, remissum, modestum, & πολύφωνον.

Die Galli, denen eine größere mobilitas (Unbeständigkeit, Schnelligkeit) zu eigen sei und die daher eine heitere und lebhafte Gemütsverfassung besäßen, würden vor allem die Tanzmusik und das damit verbundene hüpfende Wesen schätzen: Galli contra plus mobilitatis habentes vtpotè complexionem hilarem, viuacem, & contineri nesciam sortiti, stylum similem amant: vnde, vt plurimum hyperchematico stylo, id est choreis, saltibus, similibusque tripudijs aptissimo (vti cantiunculae, quas Galliardas, Passamezzos, Currentes ostendunt) indulgent.

Italien schließlich sei die Musiknation schlechthin und habe die bedeutendsten Musiker hervorgebracht; dafür sei das äußerst gemäßigte und ausgeglichene Klima, clima temperatissimum Italiens verantwortlich, aus dem eine musikalische Schreibart von größter Vollkommenheit und Ausgeglichenheit hervorgegangen sei („perfectissimum, temperatissimum naturae eorum congruum stylum“), die weder die tänzerische Laszivität der französischen Musik noch die Vorliebe für das Tiefe und Schwere (der deutschen Musiker) allzu sehr betone („nec hyporchematico tripudio nimium lasciuientem, nec hypatodico vilescentem nacti sunt“), sondern jeden Stil angemessen und mit dem besten Urteilsvermögen anwenden würde („omni stylo oportunè, & optimo cum iudicio vtentes“); die Italiener seien daher wahrhaft für die Musik geboren („verè ad musicam nati“): Italia denique meritò musicae sibi principatum ab initio praescripsit, ex hac enim nullo non tempore viri omni exceptione maiores musicam ad stuporem vsque rarissimis operibus illustrarunt; Qui sicut clima temperatissimum nacti sunt, ita omnium quoque perfectissimum, temperatissimum naturae eorum congruum stylum, nec hyporchematico tripudio nimium lasciuientem, nec hypatodico vilescentem nacti sunt, omni stylo oportunè, & optimo cum iudicio vtentes, verè ad musicam nati.

Hier klingt der Gedanke an, dass die wahre und beste Musik im Konzert der europäischen Völker diejenige sei, die aus einem jeden Stil die besten Elemente entnehme und eine vollkommene „Musik der Mitte“ schaffe. Diesen Gedanken macht Kircher an einer späteren Stelle seiner Abhandlung explizit, wenn er kritisiert, dass die zeitgenössischen Komponisten sich zu wenig mit fremder, vor allem aus-



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ländischer Musik auseinandersetzen würden; er empfiehlt ihnen, sich verstärkt der imitatio, der produktiven Nachahmung, zu bedienen. Kircher gebraucht das altehrwürdige Bienengleichnis – wie die Bienen müssten die Komponisten fleißig den Nektar von den verschiedenen Blüten sammeln und in Honig verwandeln – und auch die bekannte Zeuxis-Anekdote. Wenn es den Musikern gelinge, von den Franzosen die exquisite Tanzmusik, den Engländern die vielfältige und liebliche Instrumentalmusik, von den Deutschen das geistreiche mehrstimmige Gefüge zu lernen, dann könne ein Komponist eine in jeder Hinsicht vollkommene Harmonie („harmoniam omnibus numeris absolutissimam“) schaffen, so wie aus den ebenmäßigsten Elementen verschiedener Bildnisse das vollkommene Bild der Helena entstanden sei. Kircher sieht also im vermischten Stil, in der eklektischen Verbindung der besten Elemente der verschiedenen Nationalstile, den kompositorischen Königsweg der Zukunft: Ante omnia [hodierni musici, W. H.] hanc sibi regulam seruandam putent, vt omnes sibi quà scriptos quà impressos Authores comparent, singulos examinent, atque instar apis argumentosae meliorem florum succum in mel conuertant, non facilè quemuis exterum contemnant. […] Est enim hoc imitationis studium idem quod apud poetas & Oratores multae lectionis studium. […] Discent à Gallis stylum hyporchematicum & exoticis triplis tumidum, ab Anglis symphoniacum instrumentorum mira varietate floridum, à Germanis harmoniosum multarum vocum ingeniosumque contextum. Sic Helenae imago ex proportionatissimis omnium aliarum imaginum membris concinnata, harmoniam omnibus numeris absolutissimam exprimet.3

An anderer Stelle habe ich gezeigt, dass Kirchers Bestimmung im frühen 18. Jahrhundert von Johann Mattheson aufgegriffen und auf die Musik der Deutschen übertragen wurde, auf den vermischten deutschen Stil oder – wie dann das ästhetische 18. Jahrhundert formuliert – den vermischten Geschmack.4

3  Kircher, Musurgia universalis (wie Anm. 1), Buch VII, S. 564: De Musurgia Antiquo-moderna, Caput V: „De defectibus & abusibus modernorum Melothetarum, siue quos Componistas vulgò vocant”. 4  Wolfgang Hirschmann, „Polemik und Adaption. Zur Kircher-Rezeption in den frühen Schriften Johann Matthesons“, in: Neues Musikwissenschaftliches Jahrbuch 5 (1996), S. 77–91, sowie zusammenfassend „ ‚Musicus ecclecticus‘ – Überlegungen zu Nachahmung, Norm und Individualisierung um 1700“, in: Musikalische Norm um 1700, hg. von Rainer Bayreuther, Berlin und New York 2010 (Frühe Neuzeit 149), S. 97–107. Den im vorliegenden Beitrag thematisierten weiteren historischen Zusammenhang habe ich erstmals entfaltet in: „Vermischter Geschmack, nationale Stile und europäisches Denken. Oder: Kann ein Politiker aus der Musikgeschichte lernen? / ‚Gusto misto‘, stili nazionali e pensiero europeo. Ovvero: Può un politico imparare dalla storia della musica?“, in: Studi Italo-Tedeschi / Deutsch-Italienische Studien XXI, Meran 2000, S. 73–91.

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Wann hat diese Zukunft begonnen? Das ist die Frage, die mich im Folgenden interessiert und die das Tagungsthema ganz unmittelbar tangiert. Wann sind die beiden gerade explizierten Denkfiguren – klimatheoretische Begründung der nationalen Musikstile und das damit verbundene Theorem eines vermischten Stils als Königsweg der Komposition – erstmals greifbar in der europäischen Musiktheorie? Oder anders gesagt: Welche historische Tiefe besitzen die beiden Konzepte? Sind sie Kennzeichen der Neuzeit in der Musikgeschichte oder wurzeln sie im Mittelalter? Ist das Mittelalter in dieser Hinsicht Fremd- oder Herkunftskultur? Oder bewegen sich auffindbare Belege und Dokumente jenseits dieser Alternative? * Der früheste mir bekannte Beleg für die beiden Denkfiguren begegnet in einem Text, der in der Handschrift Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ashburnham 1051, auf fol. 89–95v überliefert ist und dort als Liber artis musice bezeichnet ist. Sein Verfasser ist unbekannt. Die Handschrift Ashburnham 1051 ist in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben worden, wahrscheinlich in Südfrankreich oder in Oberitalien.5 Der Codex könnte mit dem Musikerzirkel um Ludovicus Sanctus (Lodewijk Heyligen) und Francesco Petrarca in Verbindung stehen, da in ihm die Sentencia subiecti in musica sonora des Ludovicus Sanctus singulär überliefert ist.6 Ludovicus Sanctus oder Lodewijk Heyligen

5  The Theory of Music, Bd. VI: Manuscripts from the Carolingian Era up to c. 1500. Addenda, Corrigenda, Descriptive Catalogue by Christian Meyer, München 2003 (RISM B III6), S. 478–481; Traditio Iohannis Hollandrini, hg. von Michael Bernhard und Elżbieta Witkowska-Zaremba, Bd. I: Die Lehrtradition des Johannes Hollandrinus, München 2010 (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Musikhistorischen Kommission 19, in Kooperation mit Polska Akademia Nauk), S. 258f. 6  Ambrogio Amelli, „Di uno scritto inedito di S. Lodovico Vescovo di Tolosa intorno alle musica“, in: Archicum Franciscanum Historicum 2 (1909), S. 378–383 (Edition des Textes auf S. 379f.); Henry Cochin, „Sur le Socrate de Pétrarque. Le musicien flamand Ludovicus Sanctus de Beeringhen“, in: Mélanges d’Archéologie et d’Histoire 37 (1919), S. 3–32 (Edition des Textes auf S. 31f.); Andries Welkenhuysen, „Louis Sanctus de Beringen, ami de Pétrarque, et sa Sentencia subiecti in musica sonora rééditée d’après le ms. Laur. Ashb. 1051“, in: „Sapientiae Doctrina“. Mélanges de théologie et de littérature médiévales offerts à Dom Hildebrand Bascour O. S. B., Leuven 1980, S. 386–427 (Ed. und franz. Übers. des Textes auf S. 416–420, ausführliche Beschreibung des Codex auf S. 401–412, zu seiner Datierung in die zweite Hälfte des 14. Jh.s S. 399). – Der Text gehört in den Zusammenhang der Debatten um die musica sonora innerhalb der universitären Aristoteles-Rezeption des 13. und 14. Jh.s; vgl. Frank Hentschel, Sinnlichkeit und Vernunft in der mittelalterlichen Musiktheorie. Strategien der Konsonanzwertung und der Gegenstand



Musikalische Klimazonen. Über ein Gentes-Theorem im Liber artis musice 

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(um 1304–1361) war ab 1330 in Avignon im Haus des Kardinals Giovanni Colonna († 1348) als Sänger und Sekretär (cantor ac familiaris) sowie als Musikmeister (magister in musica) tätig, wo er Francesco Petrarca (1304–1374) kennenlernte; beide verband eine intensive Freundschaft, die durch Briefe dokumentiert ist. Eigentümlich ist in diesem Zusammenhang die Zuschreibung des Musiktraktats des Johannes (Affligemensis oder Cotto) in dieser Handschrift an einen Papst Johannes (fol. 75v); möglicherweise ist damit Johannes XXII., der zweite der in Avignon residierenden Päpste, gemeint.7 Andries Welkenhuysen nimmt an, dass der erste Besitzer des Codex im Umfeld Petrarcas zu suchen sei; „c’est ce que peut suggérer en tout cas, en plus de certains détails du contenu, la présence surprenante de Louis parmi les ‹ classiques › de la littérature musicographique“.8 Auch der Liber artis musice ist als vollständiger Text singulär in Ashburnbam 1051 überliefert; allerdings ist das 20. Kapitel des Traktats „De numeris qui musice retinent consonancias“ in einer um 1400 in Paris geschriebenen Handschrift (heute in der Stiftsbibliothek St. Paul als Codex 264/4 aufbewahrt, fol. 29v–30)9 enthalten und wird dort einem Ptolomaeus aus Paris („secundum ptholomeum de parisius [sic]“) zugeschrieben. Man muss freilich deshalb nicht die gesamte Abhandlung diesem Ptolomaeus zuschreiben, denn es handelt sich um einen Kompilationstraktat, und das genannte Kapitel samt Titel könnte von dem Verfasser des Liber artis musice durchaus auch aus einem anderen Text übernommen worden sein. Die Entstehungszeit des Liber ist schwer genauer festzulegen; er gehört wohl ins 13. oder frühe 14. Jahrhundert. Jedenfalls muss der Text um die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits weit verbreitet gewesen sein, denn die in England entstandenen Quatuor principalia musicae entlehnen großzügig aus der Abhandlung;10 und noch im 15. Jahrhundert bildet die Kompilation einen wichtigen Quellentext für die Gruppe der osteuropäischen Traktate, die sich auf die Lehre des Johannes Hollandrinus beziehen; in diesen Texten findet sich dann auch die Autorzuweisung „Pt(h)olemeus“ (oder „Tholomeus“) wieder.11

der musica sonora um 1300, Stuttgart 2000 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 47), vor allem S. 137–146. 7  Wolfgang Hirschmann, Art. „Johannes, gen. Cotto oder Afflig[h]emensis“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 9, Kassel und Stuttgart 2003, Sp. 1077–1081, hier Sp. 1078. 8  Welkenhuysen, „Louis Sanctus de Beringen“ (wie Anm. 6), S. 400. 9  Vgl. The Theory of Music, Bd. VI (wie Anm. 5), S. 56. 10  Nachweise in: Johannes Affligemensis, De musica cum tonario, hg. von Joseph Smits van Waesberghe, Rom 1950, S. 8. 11  In der Edition der Traditio Iohannis Hollandrini wird der Text unter der Sigle PTOLOM.

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Der zentrale Bezugstext für den Liber artis musice und zugleich sein Dispositionsmodell ist Guidos Micrologus; neben dem Micrologus spielt auch Material aus der Institutio musica des Boethius eine gewisse, wiewohl insgesamt untergeordnete Rolle.12 Die nachfolgende Synopse verdeutlicht die Beziehungen zwischen dem Aufbau des Liber artis musice und der durch den Micrologus vorgegebenen Gliederung. Die rechte Spalte nennt außerdem in Klammern Kapitel oder Stellen des Micrologus (mit Textziffern) und anderer Traktate, auf die sich der Text in Allusion, Paraphrase oder Zitat bezieht (siehe Tabelle 1).13 Der gesamte Text lässt sich als eine großangelegte Micrologus-Paraphrase begreifen. Guidos Abhandlung dient hier nicht nur als Dispositionsmuster, sondern auch als nahezu einziges Reservoir für die wesentlichen Inhalte und Gedanken der Abhandlung. Abgesehen von dem konsequent ausgesparten 16. Kapitel enthält der Liber artis musice Entlehnungen aus allen Kapiteln des Micrologus. Teilweise werden dem Mustertext ganze Kapitel in Paraphrase entnommen; dies ist z. B. der Fall beim 5. und 12. Kapitel des Micrologus (vgl. Liber artis musice, Kapitel 9 und 15); der parallele Aufbau des Liber wird auch in der wörtlichen oder paraphrasierenden Übernahme von Kapiteltiteln deutlich (vgl. Micrologus, Kapitel 3 / Liber artis musice, Kapitel 6, oder die Kapitel 12 und 15 oder 15 und 18 in beiden Texten).

geführt. – Konstantin Voigt (Würzburg), dem ich für die freundliche Mitteilung seiner Forschungsergebnisse zu dem Codex und der Abhandlung danke, bereitet die Edition des Textes in Band VI der Traditio Iohannis Hollandrini vor. 12  Siehe die ausführliche Darstellung in meiner ungedruckten Habilitationsschrift Auctoritas und Imitatio. Studien zur Rezeption von Guidos „Micrologus“ in der Musiktheorie des Hoch- und Spätmittelalters, Erlangen 1999, S. 170–179. Fritz Reckow hat die Mehrstimmigkeitslehre des Traktats detailliert behandelt: „Guido’s Theory of Organum after Guido: Transmission – Adaption – Transformation“, in: Essays on Medieval Music in Honor of David G. Hughes, hg. von Graeme M. Boone, Cambridge, MA, und London 1995, S. 395–413, vor allem S. 407–411. 13  M = Guido von Arezzo, Micrologus, hg. von Joseph Smits van Waesberghe, o. O. 1955 (CSM 4); Epistola = Guido von Arezzo, Epistola ad Michaelem (Epistola de ignoto cantu), in: Guido d’Arezzo’s Regule rithmice, Prologus in antiphonarium, and Epistola ad Michahelem. A critical text and translation with an introduction, annotations, indices, and new manuscript inventories, hg. von Dolores Pesce, Ottawa 1999 (Musicological Studies 73), S. 437–531; Prologus = Guido von Arezzo, Prologus in Antiphonarium, in: Ebd., S. 405–435; Boethius = Anicius Manlius Severinus Boethius, De institutione arithmetica libri duo. De institutione musica libri quinque, hg. von Gottfried Friedlein, Leipzig 1867, Nachdr. Frankfurt a. M. 1966; Pseudo-Odo = Pseudo-Odo, Dialogus de musica, in: Martin Gerbert, Scriptores ecclesiastici: de musica, St. Blasien 1784, Nachdr. Hildesheim 1990, Bd. 1, S. 252–264.



Musikalische Klimazonen. Über ein Gentes-Theorem im Liber artis musice 

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Tabelle 1 Guido, Micrologus

Anonymus, Liber artis musice

Prologus

1. De potencia et utilitate musice artis. (Boethius, I, 1; M 14, 16) 2. De cantu cur in ecclesia sit constitutus et intencione musice. (Boethius, I, 1) 3. De invencione eius ex malleorum ponderibus. (Pseudo-Odo, 256a–b; M 20, 2–7; M 1, 5) 4. De elementis musice et quod sit consonancia. (Boethius, I, 8; M 4, 12–13)

1. Quid faciat qui se ad disciplinam musicae parat. 2. Quae vel quales sint notae vel quot. 5. De vocibus que in monocordo figurantur. (M 2, 3–7) 3. De dispositione earum in monochordo. 6. De disposicione earum in monocordo. (M 3, 2–5) 7. De monocordi firmissima divisione. (M 6: 2–5, 13, 17) 4.Quod sex modis sibi invicem voces iungan- 8. De consonanciis factis ex sonorum coniunccitur. one. (M 4, 2–10; M 6 : 6–11, 15) 5. De diapason, et cur septem tantum sint 9. De consonancia diapason quod principalis sit notae. omnium (M 5: 5–18, 24; M 6, 6; M 8, 3–6) 6. Item de divisionibus et interpretatione earum. 10. De .b. rotunda firma demonstracio. (M 8, 10–12) 11. Quod eadem .b. ostendat semitonium non esse toni medietatem. (M 8, 13; M 18, 49) 7. De affinitate vocum per quattuor modos. 12. De modis qui nascuntur ex dissimilitudine vocum. (M 7, 4–7; M 9, 2–6; M 10: 2, 13) 8. De aliis affinitatibus et .b. et .h. 9. Item de similitudine vocum, quarum diapason sola perfecta est. 10. Item de modis et falsi meli agnitione et correctione. 11. Quae vox et quare in cantu obtineat 13. De modorum diversitate et voce finali. principatum. (M 11: 2, 7, 20–22; M 10, 3–4) 14. De .IIII. literis finalibus et elevacione vel depressione sonorum. (M 11, 23–25)

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Tabelle 1: (fortgeführt) 12. De divisione quattuor modorum in octo

13. De octo modorum agnitione acumine et gravitate. 14. Item de tropis et vi musicae.

15. De divisione .IIII. modorum in .VIII. et eorum differenciis. (M 12, 2–12; M 13: 11–14, 16–20, 22, 25–26; M 15, 5)

16. De diversis gentibus quod variis utuntur modulacionibus. (M 14, 2–6; M 17, 38–40) 17. De falsitate cantus quemadmodum cognoscatur. (M 10, 5–8) 15. De commoda vel componenda modulati- 18. De componenda cantus modulacione. one. (M 15: 48, 50–51, 61; M 17, 35) 16. De multiplici varietate sonorum et neumarum. 17. Quod ad cantum redigitur omne quod dicitur. 19. De ignoto et inaudito cantu inveniendo. (Epistola, Z. 89ff.; Prologus, Z. 42–88.; M 13, 8–9) 20. De numeris qui musice retinent consonancias. (M 20, 7) 18. De diaphonia id est organi praecepto. 21. De duplici symphonia id est organo. (M 18; M 19) 19. Dictae diaphoniae per exempla probatio. 20. Quomodo musica ex malleorum sonitu sit inventa. 22. Brevis recapitulacio superiorum.

Innerhalb dieser denkbar engen Anlehnung an den Modelltext begegnen Differenzierungen, Erweiterungen und Straffungen, gedankliche Neukombinationen und Umakzentuierungen. Ähnlich wie in Johannes’ De musica14 steht am Beginn des Textes eine Einführung in die ars, die im Wesentlichen an den Ausführungen des Boethius im Proemium und im 8. Kapitel des 1. Buches von De institutione musica anschließt; der anonyme Verfasser bedient sich aber an geeigneter Stelle auch einiger Entlehnungen aus dem Micrologus: Im 1. Kapitel wird Guidos aus der Bibel gezogener Hinweis auf die Heilung Sauls durch das Kitharaspiel Davids (M 14, 16) den heidnisch-antiken Beispielen für die vis musicae hinzuge-

14  Zum Charakter der Micrologus-Nachahmung des Johannes vgl. meine Darstellung in: „Kritische Aktualisierung eines Modells. Der Musiktraktat des Johannes als imitatio von Guidos Micrologus“, in: Florilegien – Kompilationen – Kollektionen, hg. von Kaspar Elm, Wiesbaden 2000 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 15), S. 209–241.



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sellt, die der Kompilator nach Boethius zitiert. Die Frage nach dem Ursprung der ars wird durch die Pythagoras-Legende in der Version Guidos unter Hinzunahme einer Partie aus dem Pseudo-Odonischen Dialogus beantwortet.15 Für die Vorgehensweise des Anonymus ist zweierlei bezeichnend: zum einen eine Technik der Herauslösung von Textteilen aus ihrem ursprünglichen Umfeld und ihre Integration in neue Zusammenhänge, zum anderen eine Methode der systematisierenden Fortführung guidonischer Ansätze mit der Absicht, die Lehre noch stringenter und schlüssiger erscheinen zu lassen. Ein derartiges Vorgehen setzt eine genaue Analyse des Vorlagetextes voraus, der gezielt segmentiert und gemäß den intendierten Modifikationen neu kombiniert wird. Hinzugefügtes Material dient dazu, den Lehrstoff zu erweitern und weitere Bedeutungsebenen des Textes aufzuschließen. Für unser Thema ist die Verarbeitung von Guidos 14. Kapitel durch den Anonymus bedeutsam, das von der vis musicae, den großartigen Wirkungen der Musik, handelt. Da der Kompilator des Liber artis musice, wie erwähnt, bereits im 1. Kapitel von der Macht und dem Nutzen der ars musica handelt und dabei auch Guidos Beispiel des kitharaspielenden David heranzieht, konzentriert er sich in seinem 16. Kapitel, das in der Gliederung dem 14. Kapitel des Micrologus entspricht, auf die Kommentierung und gedankliche Weiterführung des guidonischen Diversitas-Konzepts, das dieser im ersten Drittel des 14. Kapitels erläutert (M 14, 5–6): Atque ita diversitas troporum diversitati mentium coaptatur ut unus autenti deuteri fractis saltibus delectetur, alius plagae triti eligat voluptatem, uni tetrardi autenti garrulitas magis placet, alter eiusdem plagae suavitatem probat; sic et de reliquis.16

15  Liber artis musice, fol. 90: „Ante inuencionem uero huius artis homines naturaliter cantibus utebantur canebatque sic illud hominum genus sicut modo plerique uiri et mulieres quamuis omnino artis expertes mira tamen concinunt suauitate. Quos si interroges, que consonancie sint in cantu illo quem cantant, omnino se ignorare fatebuntur. Sic itaque cum antiquitus esset cantus nec tamen ulla eius firma uel expedita scientia, extitit Pythagoras iam dictus philosophus, qui multo tempore in hoc laborauit, ut certum aliquid de arte hac inuenire potuisset.“ Vgl. Pseudo-Odo, Dialogus de musica (wie Anm. 13), S. 256: „Illos itaque cantores si de aliquo cantu interrogaveris, cuius modi sit, illico respondent, quod nesciunt, ac si perfecte cognoscerent.“ Guido, Micrologus (wie Anm. 13), Kapitel 20, S. 228f.: „Erant antiquitus instrumenta incerta et canentium multitudo, sed caeca; nullus enim hominum vocum differentias et symphoniae descriptionem poterat aliqua argumentatione colligere, neque posset unquam certum aliquid de hac arte cognoscere“. 16  Guido, Micrologus (wie Anm. 13), S. 159.

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Der Verfasser führt Guidos Gedanken insofern weiter, als er dessen Analogiebildung zwischen der diversitas mentium und der diversitas modorum auf die diversitas gentium überträgt. Er ist dabei offensichtlich beeinflusst von Guidos Feststellung zu Beginn des 14. Kapitels, dass ein erfahrener Musiker die verschiedenen Tonarten erkennen könne wie ein peritus gentium die verschiedenen Völker (M 14, 2–4): Horum quidam troporum exercitati ita proprietates et discretas ut ita dicam, facies extemplo ut audierint, recognoscunt, sicut peritus gentium coram positis multis habitus eorum intueri potest et dicere: hic Graecus est, ille Hispanus, hic Latinus est, ille Teutonicus, iste vero Gallus.17

Außerdem zieht der Kompilator eine Partie aus dem 17. Kapitel des Micrologus (M 17, 38–40) hinzu, in der Guido die unterschiedlichen seelischen Dispositionen einzelner Menschen und die daraus resultierende Bandbreite von Rezeptionshaltungen erläutert; an dieser Stelle spricht Guido explizit von der diversitas gentium ac mentium, allerdings ohne die ethnisch-regionale Komponente näher zu erläutern: Illud praetera scire te volo quod in morem puri argenti cunctus cantus quo magis utitur, coloratur, et quod modo displicet, per usum quasi lima politum postea collaudatur, ac pro diversitate gentium ac mentium, quod huic displicet ab illo amplectitur, et hunc oblectant nunc consona ille magis probat diversa; iste continuationem et mollitiem secundum suae mentis lasciviam quaerit, ille utpote gravis, sobriis cantibus demulcetur; alius vero ut amens in compositis et anfractis vexationibus pascitur; et unusquisque eum cantum sonorius multo pronuntiat, quem secundum suae mentis insitam qualitatem probat.18

Dieser Komplex von teilweise eher andeutenden, teilweise genauer erläuternden Partien in Guidos Text19 wird von dem Kompilator in eine geschlossene und Schritt für Schritt voranschreitende Darstellung überführt, die vom ethnischen Aspekt zum personal-individuellen voranschreitet und in die Lehre vom Tonartenethos einmündet (die nachfolgende Synopse enthält links den Text des Liber und ordnet rechts die Vorlagen und Bezugsstellen aus Guidos Micrologus zu):

17  Ebd., S. 158f. 18  Ebd., S. 194f. 19  Zu deren Deutung unter dem Aspekt mittelalterlicher Gemeinschaftsbegriffe vgl. Frank Hentschel, „ ‚Ille Teutonicus, iste vero Gallus‘: Volksgruppen und Mentalität bei Guido von Arezzo“, in: Musik des Mittelalters und der Renaissance. Festschrift Klaus-Jürgen Sachs zum 80. Geburtstag, hg. von Rainer Kleinertz u. a., Hildesheim u. a. 2010 (Studien zur Geschichte der Musiktheorie 8), S. 49–57.



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Tabelle 2 Anonymus, Liber artis musice, Kapitel 16 (fol. 93):

Guido, Micrologus:

„De diversis gentibus quod variis utuntur modulacionibus. Sciendum quoque est, quia sicut diuerse gentes ita etiam Kap. 14, 2–4: „Horum quidam troporum exercitati diuersis modis utuntur et uariis cantibus delectantur.

ita proprietates et discretas ut ita dicam, facies

Omnes enim orientales gentes lenioribus modis et

extemplo ut audierint, recognoscunt, sicut peritus

quasi femineis cantibus gaudere noscuntur,

gentium coram positis multis habitus eorum

occidentales uero asperis et fractis cantilene saltibus

intueri potest et dicere: hic Graecus est, ille

pascuntur, ut ille per planiciem, iste per aspera

Hispanus, hic Latinus est, ille Teutonicus, iste

moncium iuga ferri uideantur. Mediterranee autem

vero Gallus.“ – Kap. 17, 38: „[…] ac pro

gentes nec nimis asperis nec nimis lenibus

diversitate gentium ac mentium, quod huic

modulacionibus oblectantur, sed quadam modulacione

displicet ab illo amplectitur, […].“

habita ex utraque parte temperatus efficitur cantus, ut nec femineas resonent blandicias nec barbaricis uexantur asperitatibus. Non solum autem tam diuerse gentes sed etiam unius gentis homines pro insita sibi qualitate uariis pascuntur modulacionibus. Unus enim nichil in cantu nisi

Kap. 17, 38–40: „[…] et hunc oblectant nunc con-

molliciem et lasciuiam iuxta habitum sue mentis

sona ille magis probat diversa; iste continua-

desiderat. Alius grauibus tantum et sobriis

tionem et mollitiem secundum suae mentis lasci-

cantibus demulcetur. Alius uero ut amens

viam quaerit, ille utpote gravis, sobriis cantibus

in compositis uexacionibus pascitur. Et iste grauibus,

demulcetur; alius vero ut amens in compositis

ille uero acutis discurrere gaudere. Et hunc oblectant

et anfractis vexationibus pascitur; et unusquisque

similia ille laudat diuersa. Atque unusquisque eum

eum cantum sonorius multo pronuntiat, quem se-

cantum sonorius modulatur quem secundum

cundum suae mentis insitam qualitatem

insitam naturam conspicit sue menti placere.

probat.“

Proinde sicut est diuersitas gencium et

Kap. 17, 38: „[…] ac pro diversitate gentium ac

mencium ita etiam diuersitate modorum gaudere

mentium, […].“ – Kap. 14, 5–8: „Atque ita diversitas troporum diversitati mentium coaptatur,

uidentur. Inuenies enim, qui delectetur saltibus

ut unus autenti deuteri fractis saltibus delectetur,

deuteri autenti, alius sexti modi eligat

alius plagae triti eligat voluptatem, uni tetrardi

uoluptatem, tercius autenti tetrardi garrulitate

autenti garrulitas magis placet, alter eiusdem

pascatur, quartus gaudeat suauitate plage

plagae suavitatem probat; sic et de reliquis. Nec

eiusdem. Nec mirum, si uarietate sonorum

mirum si varietate sonorum delectatur auditus,

delectatur auditus, cum uarietate colorum

cum varietate colorum gratuletur visus, varietate

gratuletur uisus et reliqui corporis sensus

odorum foveatur olfactus, mutatisque saporibus

pulcritudinis uarietate congaudeant. Modorum

lingua congaudeat.“

igitur diuersitas diuersis gentibus et plurimorum

Kap. 17, 38: „[…] ac pro diversitate gentium

mentibus apta esse dinoscitur.“

ac mentium, quod huic displicet ab illo amplectitur, […].“

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Der nachstehende Übersetzungsversuch kann vielleicht die inhaltliche Dichte und Komplexität dieses Kapitels zusätzlich verdeutlichen: Verschiedene Völker gebrauchen unterschiedliche Gesänge Man muss wissen, dass so, wie es verschiedene Völker gibt, diese auch verschiedene Tonarten gebrauchen und von unterschiedlichen Gesängen ergötzt werden. Alle östlichen (orientalischen) Völker nämlich werden bekanntlich von weicheren Tonarten und gleichsam weiblichen Gesängen erfreut, die westlichen (okzidentalen) aber durch raue und sprungreiche Gesänge unterhalten, so wie jene durch die ebene Landschaft, diese durch die rauen Gebirgskämme geprägt sind. Die mediterranen Völker aber ergötzen sich weder an allzu rauen noch an allzu weichen Melodien, sondern durch eine aus beiden Seiten gefügte Melodiegestaltung wird ein gemäßigter Gesang hervorgebracht, so dass sie weder weibliche Schmeicheleien singen noch durch ungehobelte Wildheiten geplagt werden. Nicht nur freilich werden die verschiedenen Völker, sondern auch die Menschen eines jeden Volkes gemäß der ihnen innewohnenden Beschaffenheit durch verschiedene Melodien unterhalten. Der eine nämlich wünscht sich im Gesang nur Weichheit und Ausschweifung gemäß seiner Gemütsbeschaffenheit. Der andere wird allein durch würdevolle und gemäßigte Gesänge erfreut. Wieder ein anderer aber ergötzt sich wie besinnungslos an heftigen, zusammengesetzten Bewegungen. Und dieser lässt sich gerne durch tiefe, jener durch hohe Gesänge zerstreuen. Diesem gefällt das Ähnliche, jener lobt das Verschiedene. Und so singt jeder denjenigen Gesang besonders klangvoll, von dem er gemäß seiner ihm innewohnenden Natur erkennt, dass er seinem Gemüt gefalle. Daher scheinen sich die Völker und Menschen, so verschieden sie sind, an verschiedenen Tonarten zu erfreuen. Du findest den einen, der durch die Sprünge des 3. Modus erfreut wird, während der andere die Wollust des 6. Modus wählt, der dritte durch die Geschwätzigkeit des 7. Modus ergötzt und der vierte sich an der Lieblichkeit des 8. Modus erfreut. Es ist aber auch nicht weiter verwunderlich, dass das Gehör durch die Verschiedenheit der Klänge ergötzt wird, da ja auch der Gesichtssinn die verschiedenen Farben freudig begrüßt und die anderen Sinne sich an den vielfältigen Schönheiten erfreuen. So wird deutlich, dass die Verschiedenheit der Tonarten den verschiedenen Völkern und den vielen Gemütern der Menschen Rechnung trägt.

Das 16. Kapitel des Liber artis musice lässt sich so als Beleg für ein kreatives Weiter- und Zuendedenken guidonischer Setzungen begreifen, die durch eine für die Kompilationstechnik grundlegende analytisch-segmentierende Haltung gegenüber dem autoritativen Text ermöglicht wird. Neu gegenüber Guido ist vor allem die klimatheoretische Ausdifferenzierung verschiedener regionaler Musikstile: Omnes enim orientales gentes lenioribus modis et quasi femineis cantibus gaudere noscuntur, occidentales uero asperis et fractis cantilene saltibus pascuntur, ut ille per planiciem, iste per aspera moncium iuga ferri uideantur. Mediterranee autem gentes nec nimis asperis nec nimis lenibus modulacionibus oblectantur, sed quadam modulacione



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habita ex utraque parte temperatus efficitur cantus, ut nec femineas resonent blandicias nec barbaricis uexantur asperitatibus.

Die östlichen, orientalischen Völker fänden eher an zarten Tonarten und weich gestimmten Gesängen Gefallen („lenioribus modis et quasi femineis cantibus gaudere noscuntur“), während die Bewohner westlicher, okzidentaler Regionen rauhe und sprungreiche Melodien vorzögen („asperis et fractis cantilene saltibus pascuntur“); beides sei aus den landschaftlichen Eigenheiten beider Regionen erklärbar („ut ille per planiciem, iste per aspera moncium iuga ferri uideantur“). Die mediterranen Völker würden nun aber Gesänge wertschätzen, die weder allzu zart noch allzu rau seien und eine aus beiden Stilen maßvoll zusammengesetzte ‚Musik der Mitte‘ („ex utraque parte temperatus [...] cantus“) repräsentierten; sie würden daher weder weichliche Schmeicheleien singen („nec femineas resonent blandicias“) noch durch ungehobelte Wildheiten geplagt werden („nec barbaricis uexantur asperitatibus“). Bei den Beschreibungen der Musikstile der drei Regionen fällt auf, dass der Anonymus auch hier auf ein Formulierungsangebot aus dem Micrologus zurückgreift: Die fracti saltus, die den Okzidentalen so zusagen, stammen aus Guidos Charakteristik des 3. Modus. Bei den leniores modi et quasi feminei cantus, den femineae blandiciae der Orientalen wäre zu erwägen, ob die Beschreibung nicht durch Guidos Formulierung aus dem 17. Kapitel „iste continuationem et mollitiem secundum suae mentis lasciviam quaerit“ (siehe oben) inspiriert worden ist. Man sieht, dass die neuen Inhalte auf der Basis der autoritativen Texttradition, gleichsam durch diese Tradition hindurch formuliert werden und so als „Er-füllung von Tradition“20 erscheinen. Welche Regionen und Völker der Anonymus mit mediterraneae, orientales und occidentales nun genau meint, ist unklar. Immerhin lässt sich aber zeigen, dass die von ihm verwandte Dreiteilung in zwei extreme Klimazonen und eine ideal-gemäßigte mittlere Zone auf antiken Traditionen basiert. Maßgeblich waren hier zwei Schriften antiker Mediziner, die Abhandlung De aere aquis locis

20  Klaus-Jürgen Sachs, „Tradition und Innovation bei Guido von Arezzo“, in: Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Veröffentlichung der Kongreßakten zum Freiburger Symposion des Mediävistenverbandes, hg. von Willi Erzgräber, Sigmaringen 1989, S. 233–244, hier S. 244.

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aus dem Corpus Hippocraticum und Galens Schrift Quod animi mores corporis temperamenta sequantur.21 In De aere aquis locis22 wurde ein Modell präsentiert, das seine Anziehungskraft auf die Anhänger der Klimatheorie seit der Antike nicht verfehlt hat: die Aufgliederung der Welt in große Räume, deren Bewohner sich aufgrund atmosphärisch-meteorologischer Bedingungen voneinander in wichtigen Punkten unterscheiden. In dem dreigeteilten Schema lag das Land der Scythen in der nördlichen Zone, ein Teil Asiens, Ägypten und Libyen in der südlichen und zwischen beiden eine begünstigte Mittelzone, in die Griechenland und ein Teil Kleinasiens fielen. Den Bewohnern der weiten Ebenen des Nordens wurden ein kräftiger Körperbau, aber mindere geistig-intellektuelle Talente zugeschrieben, den Völkern des Südens ebenso wie ihrem Lebensraum eine besondere Fruchtbarkeit, aber den Menschen ein Mangel an Ausdauer und Tapferkeit. Zwischen diesen äußerlich und in ihren Anlagen so verschiedenen Völkern wohnten in einem reich gegliederten Land die Griechen, die wegen des Fehlens nachteiliger Bedingungen besondere Vorzüge entwickelten.23

Dieses Modell unterscheidet sich zunächst durch seine Großräumigkeit von den sieben (oder acht) parallel zum Äquator verlaufenden Klimata der bewohnbaren Welt, die in der griechischen Antike seit Eratosthenes beschrieben und wirkungsmächtig von Isidor von Sevilla, Cassiodor und Martianus Capella der europäischen Tradition eingeschrieben wurden.24 Hinzu kommt, dass der dem Siebenzonenmodell zugrunde liegende antike Klimabegriff Orte zusammenfasst, die durch den gleichen Neigungswinkel der einfallenden Sonnenstrahlen gekennzeichnet sind; bestimmte Witterungsverhältnisse sind zunächst nicht impliziert. Die durch Lehrbücher wie des Johannes de Sacrobosco De sphaera ins Spätmittelal-

21  Ausgaben: Hippocratis De aere aquis locis / Hippocrates. Über die Umwelt, hg. und übers. von Hans Diller, Berlin 1970 (Corpus medicorum Graecorum I 1, 2); Hippocratis De aere aquis locis, mit der alten lat. Übers. hg. von Gotthold Gundermann, Berlin 1929 (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 77). – Galens Schrift liegt in der Gesamtausgabe von Carl Gottlob Kühn vor: Medicorum Graecorum opera quae extant. Claudii Galeni opera omnia, 20 Bde., Leipzig 1821–1833, Nachdr. Hildesheim 2001, hier Bd. 4, Leipzig 1821. Vgl. auch: Galens Traktat „Dass die Kräfte der Seele den Mischungen des Körpers folgen“, in arabischer Übers. hg. von Hans Hinrich Biesterfeldt, Wiesbaden 1973 (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes 40, 4). 22  Ausgabe Gundermann (wie Anm. 21), S. 27–29 und ff., Ausgabe Diller (wie Anm. 21), S. 55–57 und ff. 23  Waldemar Zacharasiewicz, Die Klimatheorie in der englischen Literatur und Literaturkritik von der Mitte des 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert, Wien und Stuttgart 1977, S. 24. 24  Grundlegende Darstellungen dazu bei Ernst Honigmann, Die sieben Klimata und die poleis episemoi, Heidelberg 1929; John Kirtland Wright, The Geographical Lore of the Time of the Crusades, New York 1925; Anna-Dorothee von den Brinken, „Finis Terrae“. Die Enden der Erde und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten, Hannover 1992.



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ter übermittelte und dann auch an der Artistenfakultät gelehrte Einteilung in die sieben Klimata wird in den geosteten Zonenkarten des Hoch- und Spätmittelalters hinsichtlich bestimmter Völker und Regionen konkretisiert: Johann von Wallingfords Karte etwa verortet die Klimata Indorum, Ethioporum sive Maurorum, Egiptiorum, Jerosolimitarum, Graecorum, Romanorum und Francorum. Petrarca hat sich in seiner Canzone „Qual più diversa et nona“ auf dieses Modell bezogen, und Marc Föcking zufolge deutet sich in diesem Gedicht „der ‚Systemraum‘ der Renaissance an, dessen Vermessung und Repräsentation stets ein mobiles, relatives Zentrum im organisierenden Subjekt braucht“ und dem eine „objektive metaphysische Mitte“ abhanden gekommen ist.25 Das klimatische Modell des Liber artis musice scheint indes nicht diesem Traditionsstrang, sondern dem hippokratisch-galenischen Vorstellungsbereich anzugehören; dies zeigt sich nicht nur im dreigliedrigen Modell der idealen Mitte, sondern auch in der Selbstverständlichkeit, wie hier Verbindungen zwischen klimatisch-geografischen Bedingungen und menschlichen Anlagen hergestellt werden. Da eine intensive Rezeption der beiden Hippocrates und Galen zugeschriebenen Texte erst im 16. Jahrhundert „mit der Wiederentdeckung des ganzen Opus der erwähnten antiken Mediziner“ einsetzte,26 bleibt fraglich, auf welchem Weg ein Autor des 13. oder frühen 14. Jahrhunderts dieses Konzept kennenlernen konnte. Genauere Studien zur Frage mittelalterlicher Traditionslinien liegen, soweit ich sehe, nicht vor, weil einschlägige Untersuchungen sich auf die frühe Neuzeit und Renaissance sowie einzelne Autoren dieses Zeitraums wie etwa Jean Bodin27 konzentrieren. Zu erwägen wäre eine Vermittlung über den Aristotelismus des 13. und 14. Jahrhunderts. Im 7. Buch der Politica (VII, 7, 1327b) hatte Aristoteles das hippo-

25  Marc Föcking, „ ‚Stranio clima‘. Petrarca und die Liebe zur Geographie (Canzoniere Nr. 135)“, in: Petrarca-Lektüren. Gedenkschrift für Alfred Noyer-Weidner, hg. von Klaus Hempfer, Stuttgart 2003 (Text und Kontext. Romanische Literaturen und Allgemeine Literaturwissenschaft 17), S. 13–37, hier S. 34, zu den Klimazonen vor allem S. 19–24. 26  Zacharasiewicz, Die Klimatheorie (wie Anm. 23), S. 20f. 27  Vgl. etwa Marian J. Tooley, „Bodin and the Mediaeval Theory of Climate“, in: Speculum 28 (1953), S. 64–83; Frank Lestringant, „Europe et théorie des climats dans la seconde moitié du XVIe siècle“, in: ders., Écrire le monde à la Renaissance. Quinze études sur Rabelais, Postel, Bodin et la litterature géographique, Caen 1993, S. 255–276; Marie-Dominique Couzinet, Histoire et méthode à la Renaissance. Une lecture de la ‚Methodus ad facilem historiarum cognitionem‘ de Jean Bodin, Paris 1996, vor allem Kapitel 9, S. 205–222 („Le modèle cosmographique de l’histoire universelle. De l’écriture à la lecture des histoires“). – Jörg Dünne (Erfurt) danke ich in diesem Zusammenhang für freundliche Hinweise und Ratschläge.

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kratische Modell auf Europa (kalte Zone), Asien (heiße Zone) und Griechenland (gemäßigte Zone) übertragen: Quae quidem enim in frigidis locis gentes, et quae circa Europam sunt quidem plenae animositate, intellectu autem et arte magis deficientes; propter quod liberae quidem perseverant magis, non politizare autem et vicinis principari non potentes. Quae autem circa Asiam, intellectivae quidem, et artificiosae secundum animam, sine animositate autem; propter quod subjectae quidem et servientes perseverant. Genus autem Graecorum, sicut mediat secundum loca, ita ambobus participat. Etenim animosum et intellectivum est, propter quod quidem liberum perseverat, et maxime politizans, et potens principari omnibus una sortiens politia. Eamdem autem differentiam, et graecorum gentes adinvicem, hae quidem enim habent naturam monocolam, hae autem bene mixtae sunt ad utrasque potentias has.28

Immerhin wird hier der Bereich der ars in die Argumentation einbezogen, und die räumliche Ausrichtung Europa – Griechenland – Asien entspricht dem vom Anonymus zitierten Modell Westen – Mittelmeer – Osten besser als die auf eine Nord-Südachse bezogene Einteilung bei Hippocrates und Galen. Dass sich in der mittelalterlichen Kommentarliteratur zur Politik des Aristoteles Material findet, das noch näher an die Formulierungen des Liber artis musice heranführt, ist denkbar, scheint aber wenig plausibel. Es bestand ja, anders als beim 8. Buch der Politica,29 für Kommentatoren kein Anlass, eigens auf die musica einzugehen. Schließlich wäre noch darauf hinzuweisen, dass eine Passage aus dem Proemium von Boethius’ Institutio musica sowohl mit Guidos Setzungen wie auch denen des Anonymus verwandt ist: Cum ergo per eas rythmi modique ad animum usque descenderit, dubitari non potest, quin aequo modo mentem atque ipsa sunt afficiant atque conforment. Id vero etiam intellegi in gentibus potest. Nam quae asperiores sunt, Getarum durioribus modis delectantur, quae vero mansuetae, mediocribus; quanquam id hoc tempore paene nullum est. Quod vero lascivum ac molle est genus humanum, id totum scenicis ac theatralibus modis tenetur.30

28  Lateinische Übers. des Guillelmus de Moerbeke, zitiert nach S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici In Libros Politicorum Aristotelis Expositio, hg. von Raymundus M. Spiazzi, Turin und Rom 1951, S. 361. 29  Siehe dazu Max Haas, „Musik und Affekt im 14. Jahrhundert: Zum Politik-Kommentar Walter Burleys“, in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft, Neue Folge 1 (1981), S. 9–22; KlausJürgen Sachs, „Zur Funktion der Berufungen auf das achte Buch von Aristoteles’ ‚Politik‘ in Musiktraktaten des 15. Jahrhunderts“, in: Musik – und die Geschichte der Philosophie und Naturwissenschaften im Mittelalter. Fragen zur Wechselwirkung von ‚musica‘ und ‚philosophia‘ im Mittelalter, hg. von Frank Hentschel, Leiden u. a. 1998 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 62), S. 269–290. 30  Boethius, De institutione arithmetica (wie Anm. 13), S. 181.



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Wir finden hier den Hinweis auf die Disposition des einzelnen (mens) und den Gedanken einer Übertragung auf Volksgruppen (gentes) wieder; und Boethius arbeitet ähnlich wie der Anonymus des Liber artis musice mit einer Dreiteilung, hier in gentes asperiores – duriores modi, gentes mansuetae – mediocres modi, lascivum ac molle genus – scenici ac theatrales modi. Allerdings bleiben die Gemeinsamkeiten trotz der lexikalischen Übereinstimmungen (asper, lascivus, mollis) doch sehr im Allgemeinen. So wird man bis auf Weiteres davon ausgehen können, dass der Anonymus des Liber artis musice die musikbezogene Adaption des dreigliedrigen Modells mit seinem Ideal einer temperierten Mitte aus den Vorgaben bei Guido (und vielleicht Boethius) sowie unter Berücksichtigung der gerade skizzierten antikmedizinischen, vielleicht auch aristotelischen Traditionslinie selbstständig ausgeformt hat. * Es ist erstaunlich, wie dicht die Gedankengänge und Formulierungen des anonymen Liber artis musice an denen des Athanasius Kircher aus der Mitte des 17. Jahrhunderts liegen: Nicht nur die klimatheoretische Argumentation ist hier voll ausgeprägt, sondern auch die Konzeption einer Musik der Mitte, die zwischen den östlichen und westlichen Extremen vermittelt und auf glückliche Weise die Waage hält: Der cantus temperatus der mediterraneae findet seine Entsprechung in Kirchers Ausführungen zur Musik der Itali, und insgesamt wird die Dreigliederung des im Liber artis musice greifbaren Modells orientales, occidentales, mediterraneae bei Kircher konkret in die drei Nationen Germania, Gallia, Italia gefasst. Auffällig sind auch Parallelen in einzelnen Beschreibungsdetails, wie etwa die Unterscheidung zwischen weiblichen (hohen) und männlichen (tiefen) Stimmen, mit denen beide Autoren arbeiten, oder die Hinweise auf musikalische lascivia und auf die Bedeutung der saltus, die freilich in unterschiedlichen Zusammenhängen in beiden Texten auftreten. Halten wir aber fest, dass die eingangs genannten Denkfiguren – klimatheoretische Ausdifferenzierung verschiedener National- oder Regionalstile und die daran gekoppelte Konzeption einer gemäßigten „Musik der Mitte“ als idealer Ausgleich zwischen den Extremen – im Liber artis musice bereits begegnen als Ausformungen eines kreativen Weiterdenkens und Weiterformulierens von Theoremen und Positionen, die Guidos Micrologus als zentrales mittelalterliches Textbuch der musica anbietet.

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Zweifelsohne ist auch dieser Text ein Beleg dafür, „dass dem mittelalterlichen Denken Gemeinschaftskonstruktionen mit ideologischen Komponenten“ keineswegs „fremd waren“;31 es steht außer Frage, dass hier die Musikpraxis eines (nicht näher bestimmten) mediterranen Kulturraumes zur eigentlichen und maßstabsetzenden Form des Musikmachens erhoben wird. Dürfen wir aber darüber hinaus hier einen Aspekt der Grundlegung der europäischen Musikkultur im Mittelalter sehen, ein theoretisches Dokument einer zentralen Weichenstellung,32 zu deren weitreichenden Konsequenzen die Diskussionen des 18. Jahrhunderts um die nationalen Stile und einen gemischten Idealstil sowie die aggressiven Chauvinismen der Nationalmusikdebatten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gehörten? Dürfen wir hier, kurz gesagt, ein Stück „Modernes Mittelalter“33 bestaunen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach, weil sie von den wissenschaftlichen Beschreibungsmodellen für historischen Wandel abhängt. Geht man davon aus, dass sich im Mittelalter eine „Grundlegung“ der europäischen Musikkultur ereignet habe und dass dort die entscheidenden „Weichenstellungen“ für einen europäischen Sonderweg in der Musikgeschichte vorgenommen worden seien, dann könnte man in Guidos Gentes ac mentes-Theoremen sowie ihrer Zusammenfassung und Interpretation im Liber artis musice mit Blick auf Kircher und die neuzeitlichen Nationalstildiskussionen eine solche „Grundlegung“ und „Weichenstellung“ erkennen. Freilich hängt die Frage nach dem Wandel in der europäischen Musikgeschichte auch daran, wann bestimmte Denkfiguren, wenn man so will, geschichtsmächtig werden, wann sie also europaweite Geltung erreichen und eine historische Struktur von langer Dauer und einflussreichem Gewicht ausprägen. Unter diesem Gesichtspunkt wird man die historische Bedeutung der genannten mittelalterlichen Theoreme vielleicht nicht ganz so hoch veranschlagen können. Dass diese Konzeptionen als „Angebote“ formuliert worden sind,

31  Frank Hentschel, „Volksgruppe und Mentalität“ (wie Anm. 19), S. 56. 32  Vgl. Fritz Reckow, „Zur Formung einer europäischen musikalischen Kultur im Mittelalter“, in: Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongreß Bayreuth 1981, hg. von Christoph-Hellmut Mahling und Sigrid Wiesmann, Kassel u. a. 1984, S. 12–29, hier S. 13: „[…] die prägenden Entscheidungen und Weichenstellungen für die Formung der europäischen musikalischen Kultur sind – auch im Blick auf ihre Geschichtlichkeit – im Mittelalter getroffen worden.“ 33  Zu diesem nach wie vor attraktiven historiografischen Konzept, an dem die musikbezogene Mittelalterforschung allerdings nicht partizipiert hat, vgl. Joachim Heinzle, „Einleitung: Modernes Mittelalter“, und Peter von Moos, „Gefahren des Mittelalterbegriffs. Diagnostische und präventive Aspekte“, in: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, hg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. und Leipzig 1994, S. 9–29 und 33–63.



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heißt noch nicht, dass sie das musikbezogene Denken oder gar die musikalische Praxis entscheidend geprägt hätten. Diese Problematik rührt an grundsätzliche Fragen der musikbezogenen Mittelalterforschung: Das Mittelalter, so scheint es, hat eine Fülle von verschiedenen Denkmustern und Haltungen, auch gestalterischen Verfahren entdeckt und bereit gehalten, aber entscheidend ist doch letztlich, wann sich jene Auswahlvorgänge, Verengungen und Konzentrationen ereignet haben, die die moderne europäische Musikkultur ermöglicht haben. Um bei unseren Texten zu bleiben: Der Anonymus des Liber artis musice hat sowohl die einstimmige wie die mehrstimmige Musik (letztere sicherlich als Ornatus-Alternative) in ihrer ganzen Breite im Blick, Kircher allerdings nur die mehrstimmige Kunstmusik. Nichts könnte dies besser zeigen als die AuctoresReihe, die er als Beleg für die Dominanz der italienischen Musik in Europa anführt: Guidoni Aretino Italo primam, vt alibi dictum est, figuratae polyphonaeque musicae, vti & polyplectrorum instrumentorum inuentionem: Praenestino Ecclesiasticae musicae decorem, & incomparabile in attemperandis harmonijs studium; Iulio Cacino recitatiui styli Veteribus vsitati resuscitationem; Ludouico Viadanae tabulaturae, bassique continui inuentum, acceptum ferimus. Ioanni Muris Gallo artem parasematicam, vtpotè, qui notarum musicarum figuras, ualorem, temporisque proportiones primus ex duobus h, b, ut alibi dictum est, figuris inuenit. Quibus deficientibus non uideo quomodo, quidquam in musica figurata laude dignum confici possit.34

Guido von Arezzo wird nicht wegen seines Micrologus genannt, sondern weil er die kunstvolle mehrstimmige Musik und die mehrsaitigen Instrumente erfunden habe; es folgen Giovanni Pierluigi da Palestrina (16. Jahrhundert) wegen seiner maßvoll regulierten mehrstimmigen Kirchenmusik, Giulio Caccini (um 1600) wegen seiner Wiederentdeckung des antiken rezitativischen Gesangs, Ludovico Viadana (um 1600) wegen der Erfindung der Intavolierung und des Generalbasses sowie Johannes de Muris (14. Jahrhundert) wegen der Begründung der musica mensurabilis – allesamt Phänomene, die im Bereich der mehrstimmigen Kunstmusik („musica figurata“) angesiedelt sind. Hier hat sich eine geschichtsmächtige Verengung des Musikdenkens und Musikmachens auf die Mehrstimmigkeit vollzogen, die selbstverständlich auch die nationalstilistischen Differenzierungen Kirchers prägt.

34  Athanasius Kircher, Musurgia universalis (wie Anm. 1), Rom 1650, Buch VII: De Musurgia Antiquo-moderna, Erotema V, S. 543f.: „Vtrum recensita Veterum musica perfectior, & praestantior fuerit musica modernorum“.

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Jenseits der Erwägung, dass „eine sektorielle Geschichte der Musik ohne Renaissance oder Epochenwende nicht verboten ist“,35 bleibt daran festzuhalten, dass der „Rise of European Music“ nichts ist, das sich mit automatischer Selbstverständlichkeit aus einer mittelalterlichen „Grundlegung“ ableiten ließe36 – das Mittelalter hielt viele Optionen auf eine mögliche Zukunft parat. Wann musikalische Klimazonen im skizzierten Sinne zu einer geschichtsmächtigen „Zukunft“ wurden, ist meines Erachtens unklar und wäre durch weitere Recherchen zu erhellen. Vielleicht kann der vorliegende Beitrag einen ersten Anstoß dazu geben.

35  Reinhard Strohm, „Gibt es eine Epochenwende in der Musikgeschichte?“, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 12 (2000), S. 229–238, hier S. 236. 36  Vgl. Reinhard Strohm, The Rise of European Music, 1380–1500, New York 1993, S. 1–10.

Register Das Register ist auf antike und mittelalterliche Personennamen, einschließlich anonymer Schriften (1), Orte, Gentes- bzw. Nationes-Begriffe und geografische Bezeichnungen, einschließlich damit zusammenhängender Termini (2), Gesänge (3) sowie Handschriften (4) beschränkt.

1 Personennamen und anonyme Schriften Abraham 10, 15, 66, 69, 232, 235–238, 256–258 Adam von Bremen 8, 27 Adel(h)ard von Bath 361 Adelgis 190, 191 Adelperga 190, 194 Ademar von Chabannes 103–109, 114, 116, 117, 120–125, 127, 138, 140, 144, 145 Admonitio generalis 110, 117 Aeneas 56, 57, 62 Agilulf 189, 288 Agobardus 94, 100 Aione 187–190, 200 Alberada 202 Albertus Magnus 361 Alcuin, Alkuin 2, 43–45, 93, 124, 134, 137, 145, 305 Alfanus von Salerno 194 Al-Fârâbî 342, 431 Alfons VII. 350 Alfons VIII. 348, 350, 371 Alfred (der Große) 60, 61 Alia musica 206, 207 Amalarius von Metz 90–92, 94, 100, 295, 298, 320, 322, 323 Ambrosius 269, 274 Ammianus Marcellinus 58 Andreas de Moravia 432 Andreas von Bergamo 104, 109, 110, 117, 120, 143 Annales Mettenses priores 81 Annales regni Francorum 15–17, 80, 81, 103, 104 Anno II. 160, 171 Annolied 68, 148, 154, 157–171 Anonymus IV 173, 342–346, 353–364, 366, 373

Anonymus codicis Pragensis (Tetschensis) 203–223, 228, 229 Anonymus Wolf 411, 412 Antiphonale Hispaniae vetus 100 Antiphonale Missarum Sextuplex 303, 307 Aribo 225, 226, 229, 242–247, 411, 412 Arichis II. 190–196, 198, 199, 202, 306 Aristoteles 432, 438, 449–451 Aristoxenos 216 Ariulf von Spoleto 288 Arnulfus Mediolanensis 268, 272, 273 Arnulfus Provincialis 432 Ars musice mensurate secundum Guidonem 397, 399, 401 Asarja 238, 239 Astolfo 189 Attila 10, 63 Augustinus 46, 49, 54, 130, 133, 134 Aurelianus Reomensis 50, 89–91, 93, 203, 206, 207, 222, 225, 376 Baude Cordier 365 Bartolomeo Rossi da Carpi 418, 420 Benedikt (Liber politicus) 317, 324, 325 Benno II. 158 Benzo von Alessandria 285 Berno Augiensis 411, 412 Bertrada 82 Boen siehe Johannes Boen Boethius 49, 93, 203, 206, 207, 210, 216, 217, 409, 413, 415, 417, 418, 432, 440–443, 450, 451 Bonifatius 99 Bonizon 271, 273, 274 Burchard-Evangeliar 301 Caccini, Giulio 453

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 Register

Caesar, Julius 9, 97, 98, 151, 161, 162, 164–166, 168–171 Caesarius von Arles (Caesarius von Châlon) 45, 46 Calcidius 204, 205 Capitulum de vocibus applicatis verbis 397 Cassiodor 44, 49, 93, 210, 448 Censorinus 49 Childerich III. 110 Chlodwig (Clodovechus, Clovis) 7 Chrodegang 99, 120 Chronica Danielis 271, 283–285 Chronicum Salernitanum 192–194 Ciconia siehe Johannes Ciconia Clausula de unctione Pippini 80, 82 Clemens von Alexandria 234 Codagnelli, Iohannes 270, 275, 276, 280, 282–284 Codex Argenteus 40 Collectio Quesnelliana 45 Compendium totius artis motetorum 400 Concilium Liftinense 81 Concilium Parisiense 85 Continuator Reginonis 20, 28 Cordier siehe Baude Cordier Cosmas von Prag 61, 62 Dalimil 68 Daniel 238, 239, 325 Dante Alighieri 286, 419 David 77, 442 David de Bernham 426 David Moray 432 Desiderius 189, 190, 194, 195, 199, 283, 284, 336, 337 Dietger siehe Theoger Diodor 182 Diokletian 98 Dionysius Exiguus 45 Divisio regnorum 81 Dominicus Gundissalinus 366 Donatus 49 Dudo von Saint-Quentin 68 Edgar der Ältere 61 Egidius de Roya 430 Einhard (Einhart) 15, 27, 103, 110, 119, 270

Ekkehart IV. 104–109, 115, 116, 120–123, 127 Eleanor von England 348, 371 Eleonore von Kastilien 419 Ellenhard von Freising 229 Emiliani siehe Pietro Emiliani Epistola de quibusdam regulis modulationem 93 Erchempert von Montecassino 187–190, 194, 198, 202 Ermoldus Nigellus 56, 57, 189 Euklid 362 Eusebius von Kaisereia 10 Favonius 204, 205 Fiamma, Galvaneo 265, 271, 283, 284 Franco de Colonia (Franco teutonicus) 399, 409, 413, 423, 425, 428 Fredegar (Fredegarius Scholasticus) 7, 10, 56, 65 Freia 65 Friedrich I. Barbarossa 269, 274–277, 279, 281, 284 Friedrich II. 270, 277, 284 Fuldaer Annalen 16, 17 Fulgentius 49 Gaffurius, Franchinus 183, 395 Galen 448–450 Galfried von Monmouth 57, 62, 67 Gerald von Wales 66, 67 Gesta Treverorum 10, 69 Geten 63, 64 Gilles de Roye siehe Egidius de Roya Giovanni Colonna 439 Giovanni da Firenze 403 Giovanni Gasparo 420, 421 Gog 64, 66, 68 Gombaud siehe Gundowald Gregor I. („der Große“) 27, 42, 43, 45, 46, 60, 67, 104, 111–113, 117, 122, 124, 125, 129, 130, 133, 138–140, 145, 288, 289 Gregor II. 289 Gregor VII. 2, 157, 165, 273, 274, 276 Gregor von Nazianz (Gregorius von Nazianzus) 376 Gregor von Tours (Grégoire de Tours) 7 Großpolnische Chronik 62, 69

 Guido Aretinus (Guido von Arezzo) 48, 204, 222, 229, 411, 412, 440–447, 450–453 Guido de Sancto Dionysio 173 Guillaume Mauvoisin 426, 432 Gundissalinus siehe Dominicus Gundissalinus Gundowald (Gundobald, Gombaud) 7 Gwendolyn 67 Hadrian I. 104, 109, 112, 124, 132, 133, 139, 140, 144, 145 Hadrian II. 104, 124, 125, 144, 145 Hatto von Mainz 14 Heinrich II. 23 Heinrich III. 23 Heinrich IV. 157, 158, 166, 229, 273 Heinrich von Tegernsee 61 Heiricus von Auxerre 93, 96 Heliand 38–41, 50 Helisachar 91, 92, 94, 100 Helmold von Bosau 8 Herder, Johann Gottfried 152 Herkules 61 Hermann von Reichenau (Hermannus Contractus, Hermann der Lahme) 1, 20–26, 28, 411 Hieronymus 10, 44, 46, 134 Hiernoymus de Moravia 362, 363, 423–434 Hildigrim 42, 45 Hinkmar von Reims 76, 77, 80 Hippocrates 448–450 Historia Brittonum 57–60, 67 Hoger 48–49 Hrabanus Maurus 14, 113, 189, 449 Hucbald von St.-Amand 50, 203, 204, 206–208, 210, 213–217, 222, 223, 375–377, 381, 428 Humbert de Romans 425, 433 Innozenz III. 311 Irenäus von Lyon 234 Irminfrid 11 Isidor von Sevilla (Isidorus Hispalensis) 10, 14, 45, 46, 49, 53, 55–60, 63–66, 69, 93, 97, 113, 206–208, 210, 448 Jacobus de Montibus 407, 414–417, 420, 421

Register 

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Jacobus de Oudenaerde 410, 414 Jacobus von Lüttich / Jacobus de Ispania 176, 225, 352, 359, 407–422, 433 Jacques d’Audenaerde siehe Jacobus de Oudenaerde Japhet 63 Jeremiah 64, 320 Johannes VIII. 99, 104 Johannes IX. 287 Johannes XIX. 287 Johannes XXII. 416, 439 Johannes Affligemensis siehe Johannes Cotto sive Affligemensis Johannes Boen 173–185 Johannes Chrysostomos 44, 46 Johannes Ciconia 420, 421 Johannes Cotto sive Affligemensis 175, 229, 424, 439, 442 Johannes de Cermenate 271, 285 Johannes de Grocheio 173 Johannes de Moravia 431 Johannes de Muris 407, 408, 410, 453 Johannes de Sacrobosco 448 Johannes Diaconus 104, 129, 182 Johannes Hollandrinus 439 Johannes Scotus Eriugena 189 Johannes Teutonicus 433 Johannes Trithemius (Johannes Heidenberg, Johannes Zeller) 148–152, 155 Johannes Vetulus de Anagnia 400 Johannes von Burgund 425 Johann von Wallingsford 449 Jordanes 63, 64 Jordanus de Clivis 183 Justin der Märtyrer 234 Justinian 194, 195 Justinus, Marcus Junianius 11 Kaiserchronik 68, 161–162, 170, 171 Karl I. (der Große) 15, 27, 77, 81, 92, 99, 105, 107, 109–113, 116, 118, 119, 121, 124, 125, 131, 133–140, 143–145, 149, 158, 192, 193, 272, 284 Karl II. (der Kahle) 82, 85–87, 95–100 Karl III. 15, 16, 104, 105 Karl IV. 176, 181

458 

 Register

Karlmann 99 Kicher, Athanasius 435–437, 451–453 Konrad II. 273 Konstans II. 195, 196, 198

114, 115, 119, 121, 122, 126, 133, 137, 142, 143, 149, 150, 152, 220, 336 Notker III. (Notker Labeo, Notker Teutonicus) 154, 159, 222

Lambertus / Quidam Aristoteles 357, 366 Landulf (Landulph) 268, 273, 274, 276 Lathcen 44 Leo III.  110, 136, 137, 143, 144 Leoninus 342, 362 Libanios 55 Libri Carolini 110 Liudger 35, 36, 40, 42–45, 50 Liudprand (Liutprand) von Cremona 19, 20, 28, 59, 187, 189 Liutbert (Erzbischof von Mainz) 155 Livius 182 Lothar 9, 98, 100 Luca de Lendinara 421 Ludovicus Sanctus 438 Ludwig I. (der Fromme) 81, 82, 86, 87, 91 Ludwig II. (der Deutsche) 96, 99, 100

Oddo 205 Origines 234 Orosius, Paulus 8, 45, 46, 58 Otfrid von Weißenburg 126, 149, 150, 152, 155, 156 Otto I. (der Große) 272 Otto von Freising 8, 275

Magog 63, 64, 66, 68 Marchettus de Padua 396–398, 400, 401, 404, 405, 421 Maria Gundissalvi de Aguero 350 Martianus Capella 143, 216, 448 Martinus I. 289 Matteo da Brescia 417, 418, 420, 421 Maximilian I. 70 Maximus (Bischof von Mainz) 149 Melito von Sardes 321 Monte Amiata 275 Musica enchiriadis 33, 35, 43, 47–51, 204–206, 215, 217, 375; siehe auch Scolica enchiriadis Napoleon 152 Nedribius 92, 100 Nicolò de’ Rossi 397 Nikolaus II. 202, 337 Noah 63 Norbert (Abt von St. Gallen) 104 Norbert von Iburg 158 Notker I. (Notker Balbulus, Notker der Stammler) 10, 11, 103–105, 107–110,

Palestrina 453 Papias 234 Pastor Hermae 45 Paulus I. 113 Paulus Diaconus 65, 66, 104, 120, 187, 188, 192, 193, 195, 290 Perotinus 344, 362 Petrarca, Francesco 438, 439, 449 Petrus de Cruce 413 Petrus de Tharenta 431 Petrus Lemovicensis (Pierre de Limoges) 429, 431 Petrus Lombardus 431 Philippe de Vitry 400 Philippus Cancellarius (Philipp der Kanzler) 364 Pierre de Tarentaise siehe Petrus de Tharenta Pietro Emiliani 420–421 Pippin III. (der Kurze, der Jüngere) 79, 81, 82, 92, 99, 107, 110, 113, 117, 120, 144 Placentini 272, 277 Platon 49, 50 Plinius 97 Polybios 182 Priamos 56 Prosdocimus de Beldemandis 421 Prudentius 46 Ps.-Dionysius Areopagita 189 Ps.-Odo 411, 412, 423, 440, 441, 443 Ptolomaeus 439 Pythagoras 173, 210, 443 Quatuor principalia musicae 439 Quidam Hispanus 346, 357, 358



Register 

Quintilian 242

Stephan IX. 337

Ratbert von Corbie siehe Paschasius Radbertus Ratramnus von Corbie 96 Regino von Prüm 11, 14–17, 46, 178, 203, 206, 207, 209, 211–216, 222, 232, 283, 428 Reichsannalen siehe Annales regni Francorum Reißmann, August 181, 182 Remigius von Auxerre 68, 216 Robert d’Anjou 404 Roger Bacon 361 Roman de Fauvel 400 Romualdo 196 Rossi da Carpi siehe Bartolomeo Rossi da Carpi Rudolf von Fulda (Translatio Alexandri; De miraculis sancti Alexandri) 11, 15, 16

Tacitus 97 Tertullian 234 Theodor Studites 200 Theoger von Metz 225, 226, 229–247 Thierry de Chartres 432 Thietmar von Merseburg 19, 20, 28 Thiodrich, Thiotricus 11 Thomas von Aquin 425 Translatio Sancti Heliani 195, 197 Translatio sancti Januarii 199 Translatio Sancti Mercurii 194–197 Trebetas 10, 69 Trithemius siehe Johannes Trithemius

Sacramentarium Gelasianum 43, 44, 47, 310 Sacramentarium Gregorianum 307, 310, 323 Salomo 77, 129 Salomon III. (Abt von St. Gallen) 104 Sancho III. 251, 256, 258, 350 Scolica enchiriadis 42, 46–51, 204, 206, 210, 213, 219, 221, 222, 375 Senleches 419 Sicardo von Benevent 198, 200 Sichelgaita 202 Sicone I. 198, 199 Silvester I. 287 Statius 46 Stephan II. 107, 110, 145 Stephan III. 110, 137

 459

Valentinian 55, 56 Venite filii 305 Vergil 46, 56, 210 Viadana, Ludovico 453 Vincent de Beauvais 431 Visconti, Giangaleazzo 271, 285 Vita Altmanni Episcopi Pataviensis 68 Vitae Sanctorum 45 Vitalian 112, 131, 133 Wala(h)fried Strabo 107, 110, 117, 155, 168, 189 Warin 86, 87 Widukind von Corvey 8, 19, 20, 28, 59–61, 67 Wilhelm von Hirsau 229 Wilhelm von Montferrat 278 Wimpfeling, Jakob 149–150 Wotan (Wodan) 65, 66, 198

2 Orte, Gentes- bzw. Nationes-Begriffe und geografische Bezeichnungen Aachen 44, 96, 383 Abodriten 12, 21, 29 Aegypti siehe Egipti Aethiopi siehe Ethiopi Afrika 12, 25 Agareni 21, 29, 66

Aisne 98 Alamanni, Alemanni 7, 12, 16, 26, 28, 29, 73, 135, 173–185 Alamannia, Alemannia 12, 13, 21–23, 28, 29, 135 Albani 53

460 

 Register

Alpen 1, 9, 23, 95, 97, 98, 100, 107, 108, 112, 115, 117, 118, 121, 122, 125–127, 130, 135, 140, 143, 153, 158, 161, 164, 166, 168, 169, 176, 177, 180–182, 226, 227, 229, 233–236, 239–241, 244, 246, 247, 265, 266, 272, 275, 283, 292, 306 Alsatia, Elsass 21, 28 Angeln 11, 25, 26, 60, 61, 67 Angelsachsen 2, 11, 21, 43, 44, 52, 60, 61, 67, 302 Angers 100 Angli, Anglici, Anglia 11, 29, 60, 174, 175, 179, 181, 183–185, 342, 353, 355, 428, 437; siehe auch Britannia Annales regni Francorum 15, 17, 79, 81 Apulus 192 Aquileia 287 Aquitanien, Aquitania 12, 98, 100, 116, 117, 122, 135, 233, 343, 344, 371, 373, 382 Araber 10, 361, 362 Aragonien 181, 354–356, 418, 419 Ärmelkanal 97, 100 Armenien 67, 168 Asien, asiatisch 10, 53, 12, 76, 448, 450 Asturien 64, 70 Atlantik 97, 100 Attila 10, 63 Augsburg 233, 236, 240, 249–252, 254, 257, 260 Autun 99 Auxerre 97, 97, 99, 101 Avignon 404, 439 Awaren 10, 11, 25, 26 Baioarii 28, 29, 135; siehe auch Bayern, Norici Bamberg 49, 240, 259, 357 Barbaren 15, 27, 33, 54, 55, 65, 71, 82, 111, 117, 118, 120, 126, 130, 131, 139, 149, 150, 183, 266, 286, 445, 447 Basken 73 Bayern, Baiern 7, 12, 21–23, 61, 67, 73, 135, 153, 166–170, 241; siehe auch Norici Benevent 21, 28, 187–202, 240, 245, 251, 253, 259, 261, 287–289, 299, 300–338 Bobbio 334 Bodensee 25, 104

Boemia, Böhmen 21, 22, 29, 62, 424 Bolani 29 Bologna 296, 307, 309–312, 337, 350, 395 Bourges 371 Bretagne 12, 432 Bretonisch 376, 378, 381, 382, 386, 387, 391 Britanni, Britannia, Britannien 11, 25, 26, 46, 57, 60–62, 67, 112, 118, 130, 131, 133; siehe auch Angeln, Angelsachsen, Anglia Burgund, Burgunder 7, 21–23, 28, 30, 58, 59, 99, 177, 241, 287, 388 Byzanz 190, 194–198 Calabria, Calaber, Kalabrien 28, 30, 192 Cambria 62 Campania, Campanien, Campanus 21, 28, 30, 192, 302, 303 Canossa 273 Canterbury 49 Capua 189, 192, 193, 287, 302 Carantum, Caranti, Kärnten 21, 23, 28, 30, 241 Châlon 42, 45, 99 Civitas, civis 12, 76, 79, 83, 84, 117, 121, 123, 135, 139, 140, 143, 144, 188, 198, 234, 281, 282, 285 Cluny 287 Compiègne 96–98, 304, 311 Corbie 45, 80, 307, 311, 376 Coulaines 86, 88 Cremonenses 272, 277, 278 Cymrer 67 Dalmatien 373 Dänemark, Dänen 8, 15, 21, 25–27, 57, 180 Dani 68 Deutsch 2, 3, 4, 9, 12, 26, 57, 68, 69, 137, 147–171, 176, 177, 181–183, 226, 435–437 Deutschland 2, 4, 19, 21, 25, 27, 47, 160–164 Deventer 36 Donau 10, 15, 69, 192 Douzenac 432 Egipti 449 Eifel 223 Einsiedeln 233, 235, 249, 252, 254, 257, 259

 Elsass siehe Alsatia England, englisch, Engländer 11, 36, 40, 44, 62, 66, 70, 111, 112, 133, 175, 226, 302, 354, 356, 385, 437, 439; siehe auch Angeln, Angelsachen, Angli, Britanni Essen 38, 45 Ethiopi 448 Ethnie, ethnisch 2, 4–9, 15, 22, 27, 34, 37, 38, 52, 147, 228, 381, 444 Europa 2, 12, 25, 33, 34, 52, 83, 105, 106, 108, 111, 116, 117, 127, 128, 130, 201, 202, 232, 270, 381, 385, 386, 389, 417, 419, 421, 424, 433, 436, 437–439, 448, 450, 452–454 Flandern, Flandri 21, 22, 28, 223, 418 Florenz 181, 286 Forez 98 Francessa 350, 359–361 Franci 7, 10, 28, 29, 55–57, 98, 114–117, 120, 139, 145, 419 Francia 3, 4, 7, 9, 22, 28, 41, 43, 45, 48, 115–117, 120, 123, 135, 137, 139, 140, 143, 144, 228, 291, 306, 309–311, 320, 355, 383, 385, 418 Francigenae, Francigeni 397 Francisce 155 Franken 1, 7, 10, 12, 15–17, 21–23, 55–57, 61, 64, 70, 73, 74, 78, 84, 106–108, 114–116, 118–122, 124–128, 131, 135, 139, 140, 143, 145, 153, 156, 166–170, 189, 274, 283, 393 Frankenreich 6, 7, 9, 13, 16, 21, 22, 25, 73–75, 85, 86, 88, 89, 90, 94, 95, 99, 107, 109, 112, 113, 115, 119, 121–123, 125, 126, 137, 140, 143, 144 Fränkisch, Fränkisches Reich 3, 15, 26, 33–52, 56, 57, 61, 91, 94, 100, 107–109, 112–116, 119–127, 139, 155, 156, 272, 273, 298, 306, 336, 376, 381, 384, 385, 387, 388 Frankreich, französisch 3, 4, 12, 21, 22, 25–27, 29, 68, 116, 122, 180, 181, 226, 240, 348, 353, 356, 359, 360, 364, 370, 371, 376, 381, 382, 385, 395, 396, 399, 400, 404, 418, 420, 432, 435, 436, 438 Freiburg (heutige Schweiz) 177, 236, 240

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Friesland, Fresia, Frisia 13, 16, 21, 28, 35, 36, 45, 52, 73 Fronsinone 296, 312, 337 Fulda 34, 35, 38, 45, 51, 293, 294, 302 Galizien, Galizier 354, 357, 359, 418, 419 Galli, Gallici 22, 53, 63, 106, 112, 115–118, 120, 130, 133, 135, 138, 140, 165, 179, 181, 182, 274, 283, 353, 354, 395, 404, 436, 437 Gallice 356, 357, 359 Gallicus 395–404 Gallia, Gallien 4, 9, 29, 44, 78, 79, 84, 89, 97–100, 109, 111, 112, 116, 117, 131, 132, 165, 353, 358, 451 Gallikanisch 89, 92, 99–101, 117, 118, 131–133, 303, 320, 333, 410, 418 Gebiet 9, 12, 16–19, 21, 23, 24, 26, 75, 86, 89, 97–100, 111, 112, 114–116, 119–122, 127, 128, 135, 142, 147, 151, 177, 181, 235, 241, 245, 266, 272, 418, 419 Gens 1, 5–7, 11, 13–18, 34, 35, 37, 52, 53–71, 73, 74, 105, 111, 113–117, 119, 120, 122, 125, 126, 130, 143, 153–156, 158, 164, 167–170, 178, 187, 192, 193, 202, 203, 204, 213, 288, 304, 305, 387, 392, 445, 446, 450–452 Gepiden 61, 63, 64 Germanen 7, 25, 26, 69, 130, 151, 152, 182, 226 Germani 69, 106, 112, 115, 116, 118, 130, 149, 151, 182, 183, 435–437 Germania, Germanica 4, 9, 11, 23, 27, 28, 40, 44, 58, 59, 69, 133, 148–151, 165, 177, 451 Germanisch 7, 25, 52, 61, 78, 83, 84, 133, 147, 154, 157, 168, 176, 196, 226–228, 418 Gesta Treverorum 10, 65 Goten 11, 61, 63, 64, 68, 70, 168, 274, 287 Gotisch 10, 64, 155, 168, 226 Graeci, Greci 29, 53, 54, 114, 119, 135, 155, 179, 203, 208, 444, 445, 449, 450 Griechen 21, 119, 127, 135, 137, 168, 208, 324, 448 Hadeln, Hadulhoa 11 Hagareni siehe Agareni

462 

 Register

Hebrei 155, 203; siehe auch Juden Herzogtum 9, 12, 13, 18, 21, 22, 241 Hespanona 350, 355, 360; siehe auch Hispania, Spanien Hirsau 104, 229 Hispani 135, 435 Hispania, Hispanisch 56, 100, 135, 183, 184, 341–343, 346, 349, 350, 352–454, 355, 357–360, 362, 364–366, 370, 372, 373, 388, 389, 418; siehe auch Hespanona, Spanien Hollandia, Holland 174–176, 180 Hungaria 22, 424; siehe auch Ungarn Hunnen 10, 11, 25, 26, 63, 64 Hystria 28, 30 Iberisch, Iberische Halbinsel 64, 95, 97, 100, 341–344, 346, 350, 351, 357–361, 364, 366, 371, 385, 388, 418, 419; siehe auch Hispanisch, Spanien Indi 448 Irland, irisch 52, 67 Israel 64, 67, 320 Istrien 21 Itali, Italici 23, 24, 28, 183, 203, 214, 222, 223, 225, 228, 230, 232, 234, 241, 246, 273, 399, 404, 451 Italia, Italicus 9, 23, 28, 30, 117, 144, 272, 273, 278, 285, 396, 398, 400, 401, 403, 404, 405, 436, 451 Italien, italienisch 2, 16, 17, 19, 21–25, 28, 30, 65, 66, 71, 77, 99, 100, 144, 150, 157, 176, 180, 181, 183, 187, 195, 196, 202, 226, 241, 250, 259, 266–269, 271–273, 275, 278–281, 286, 287–291, 293, 294, 298, 299, 302, 306, 308, 322, 326, 332–338, 351, 360, 381, 385, 388, 395–397, 400, 401, 404, 409, 410, 418, 421, 435, 436, 438, 453 Italische Halbinsel 97, 241 Jerusalem 234, 237, 321, 448 Juden 25, 26, 94, 127, 135; siehe auch Hebrei Jüten 11 Kaiser 34, 55, 56, 76, 91, 98, 104, 105, 140, 141, 145, 153, 160–162, 164, 166, 169–171,

229, 269, 270, 272, 273, 276–278, 280, 281, 284, 287–289, 377, 393 Kalabrien siehe Calabria Kärnten siehe Carantum 21, 23, 241 Kastilien 181, 345, 348, 350, 354, 371 Kelten 97, 98 Kirchenprovinz 8, 44, 114, 245, 272; siehe auch Provincia, Provinz Klosterneuburg 233, 236, 240, 249, 251, 253, 256, 259 Köln 39, 43, 160, 171 König, Königtum, Königreich 2, 3, 10, 11, 15, 24, 56, 60, 61, 63, 66, 67, 69, 70, 74, 77, 79–88, 96, 98, 99, 105, 107, 109, 110, 115, 116, 119, 122, 131, 132, 135, 137–140, 158, 162, 175, 180, 241, 251, 256, 266, 268, 273, 283–285, 288–290, 306, 348, 350, 404, 418, 419 Konstantinopel 195, 289, 324 Landschaft 3, 12, 13, 21, 22, 446, 447 Langobardi, Langobarden, Longobardi 2, 65, 66, 71, 73, 109, 121, 143, 153, 187–202, 225, 228, 242, 244–247, 265–267, 272–286, 288, 289; sie auch Lombardi Langres 99 Laon 98, 362, 382, 383, 390, 391 Las Huelgas 343, 348, 349, 351, 358, 371, 373 Latini 54, 148, 203 Lech 62 León 100, 364, 388, 418 Liguria 272, 285 Limoges 432 Liutizen, Leutici 21, 29 Loire 388 Lombardi, Lumbardi, Lombarden 71, 120, 177, 179, 181, 187, 196, 201, 202, 265–286, 287–290, 302, 303, 306, 428 Lorsch 51 Lotharingia 9, 23, 28, 223 Lotharingii 9, 28, 29 Lothringen 9, 12, 13, 22, 177, 233 Lübeck 177 Lucca 100 Lüttich 222, 409–422 Luxeuil 100 Lyon 94, 95, 100, 379

 Maas 98 Macon 99 Mähren 21, 426 Mailand 100, 183, 201, 244, 245, 267–286, 287, 312, 315, 316, 319 Mainz 14, 44, 149, 155 Marahenses 29 Mauri, Mauren 25, 26, 53 Mediolanenses 272, 277 Mediterran 445–447, 451, 452 Melfi 202 Merssen 99 Metz, Metzer 93, 110, 116, 118, 120–123, 132, 133, 136, 137, 139, 140, 142, 143, 378, 382, 383, 386, 389, 391 Mons 415–417, 420–422 Montecassino 117, 188, 226, 245, 253, 290, 295, 307, 313, 319, 328, 332, 337 Moray 426, 427, 431–434 Mosel 10, 69 Münster 36, 42 Murbach 51, 305 Narbonne. 92, 100 Natio 1, 4, 5, 34, 35, 37, 52, 144, 149, 178, 183–185, 192, 194, 418, 435 Nation, Nationalismus, Nationalstil 3, 4, 6, 8, 34, 150–153, 158, 159, 162, 163, 181, 182, 184, 419, 428, 431, 435, 437, 438, 451–453 Navarra 354, 418, 419 Neapel 198, 199, 287, 404 Nevers 99 Nordseeinseln 8 Noordwijk 176 Norici 21, 22, 28, 29, 61, 167; siehe auch Bayern, Baioarii Normandie 12 Normannen, Nordmanni, Normannia 12, 15, 16, 21, 24–26, 29, 30, 57, 68, 202, 241 Northumbria 36 Norwegen 8 Notre Dame 233, 235, 236, 240, 250, 251, 254, 257, 260, 361, 366, 371, 373 Oceanus 11, 55, 58, 59, 69 Oise 98

Register 

 463

Olmütz 431 Osnabrück 158 Ostseeinseln 8 Oxford 174, 432, 433 Padua 395, 420, 421 Pampilonia, Pampilonenses 353, 355, 356 Pannonia 22, 29, 62 Papienses 272, 277, 278 Paris 98, 136, 181, 183, 233, 235, 236, 240, 250, 251, 254, 257, 260, 341–345, 349, 351, 353, 354, 356, 357, 359–362, 364, 366, 369–373, 395, 409–411, 413, 414, 416, 421, 423, 425–427, 429, 431–433, 439; siehe auch Notre Dame Parma 373 Paschasius Radbertus (Ratbert von Corbie) 96 Pavia 188–190, 197, 201, 267, 288 Perugia 373 Philadelphia 234 Po, Po-Ebene 71, 192, 265, 267, 274, 280, 282, 283 Poissy 236, 240, 241, 254 Polen 21, 62, 180 Ponthion 107, 110 Portugal 418 Provence 99, 404 Provincia, Provinz 1, 6, 12, 16–18, 21, 22, 24–27, 29, 30, 44, 89, 105, 112, 115, 116, 119, 135, 136, 276, 379, 431–433; siehe auch Kirchenprovinz Prüm 223 Pyrenäen 97, 100, 420 Quierzy 98 Quintodecimo 195, 196 Raum 11, 14, 16, 23–25, 73, 75, 78, 79, 82, 84, 87, 88, 121, 153, 155, 176, 226, 227, 233, 235, 236, 240, 241, 246, 395, 448, 450, 452 Ravenna 287, 288 Regio, Region 4, 7, 8, 11, 12, 16–18, 21–25, 29, 30, 34–36, 39, 51, 83, 98, 111, 114, 117, 122, 135, 137, 169, 173, 174, 181, 201, 226, 228, 234, 235, 246, 265–267, 272,

464 

 Register

273, 275, 276, 278–285, 292, 303, 324, 330, 332, 355, 373, 375, 378–381, 385, 387, 388, 396, 399, 417, 420, 421, 444, 446, 447, 449, 451 Regnum 1, 2, 3, 6, 7, 9, 15, 18, 24, 27, 29, 30, 74, 81, 86, 87, 98, 99, 104–106, 114–116, 119, 133, 135, 136, 158, 166, 177, 187, 202, 273, 275, 284, 424; siehe auch König, Königtum, Königreich Regnum Teutonicum 2, 158, 166, 177; siehe auch Teutonicus Reich, Deutsches, ostfränkisch-deutsches Reich 9, 12, 13, 19, 20–23, 28, 151, 177; siehe auch Regnum Teutonicum Reich, Fränkisches siehe Fränkisch Reich, Ostfränkisches 3, 9, 16–18 Reich, Westfränkisches 9, 16, 95, 96, 220, 228, 234, 235 Reichenau 51, 155, 168, 229 Reichsannalen siehe Annales regni Francorum Rex 2, 11, 15, 18, 24, 25, 29, 30, 61, 115, 131, 133, 138, 139, 158, 272, 273 Rhein 7, 9, 15, 34, 39, 97, 100, 151, 156, 165, 169, 384 Rheinau 304, 305 Rhône 98 Rom 57, 60, 64, 69, 76, 79, 82, 90–96, 103, 107, 109, 111–113, 115, 117, 118, 121, 122, 125, 127, 132, 133, 135, 136, 138, 140, 142, 161, 164–166, 169, 170, 200, 201, 233, 235, 241, 273–275, 286, 287, 288, 291, 294–298, 301–306, 309–312, 316, 318, 319, 322, 323, 330–332, 335–338, 410 Romani, Romanus 28, 30, 58, 90, 106, 107, 114–128, 129, 131, 133–135, 138–144, 228, 230, 232, 234, 241, 242, 246, 410, 418, 449 Romanen, romanisch 2, 7, 113, 117, 118, 154, 225, 227, 228 Römer, römisch 21, 25, 26, 56–61, 63, 64, 68, 90, 94, 97, 114–128, 134, 135, 138, 140, 141, 144, 145, 158, 160, 161, 166, 168–171, 200, 201, 274, 283, 287, 289–338, 388 Roussillon 418 Royaumont 430

Ruhr 35, 36 Russen 62 Sachsen siehe Saxones Salerno 189, 192–194, 202 Salzinnes 233, 238, 240, 250, 252, 255, 258, 260 San Sisto 235, 250, 253, 255, 259 Sankt… siehe St.… Saône 98 Samnia, Samnien 21, 28 Samoussy 98 Santiago 352 Sarazenen, Saracenes 15, 21, 25, 26, 29, 66, 189 Saxones, Saxonia, Sachsen 7, 8, 11–13, 16, 19, 21–23, 27, 28, 36–40, 52, 55, 59–61, 67, 68, 153, 156, 166–170 Schelde 98 Schotten siehe Scoti Schwaben 12, 21–23, 166, 168–170, 176, 241; siehe auch Alamannia, Suevia Schweden 8, 27 Sclavi, Slawen 8, 15, 21, 25, 26, 29, 30, 62, 69 Scoti, Schotten 21, 29, 62, 67, 184, 423, 426, 427, 432 Sele 192 Semiramis 10 Semur en Auxois 93 Senlis 307, 311 Sens 99, 236, 254, 379 Siegburg 160 Silos 100 Skandinavien 8, 27, 54, 55, 57, 66, 83 Skythen 11, 67 Slawen siehe Sclavi Soissons 98, 116, 121 Sorabi, Sorben 21, 24 Spanien, spanisch 10, 67, 70, 83, 181, 343, 345, 353–356, 359, 360, 362, 371, 381, 389, 419, 422, 435; siehe auch Hispanisch, Iberisch Speyer 44 Spoleto 288 Stamm 1, 5, 12, 13, 15, 60, 63, 114–116, 122, 153, 213

 St.-Amand 42, 44, 45, 49, 50, 223, 240, 375–377, 379 St.-Amand-de-Coly 235, 250, 252, 255, 257 St.-Denis 409 St. Gallen 51, 109, 120–122, 133, 140, 143, 144, 150, 250, 253, 255, 256, 258, 261, 383–387, 389, 391 St. Georgen 229 St. Lambrecht 233, 236, 240, 249, 251, 253, 256, 259 St.-Maur-des-Fosses 235, 238, 240, 250, 252, 254, 257, 260, 373 St.-Riquier 100 Straßburg 44, 154 Suevi, Suâben, Suebi, Suevia 21, 22, 28, 29, 167, 169, 203, 214, 222, 223 Sutri 296, 312, 337 Syri 66 Tassilo 15 Terra 11, 15, 16, 18, 24, 29, 30, 69, 285, 288, 419 Territorium 6, 9, 12, 14–26, 28, 29, 98, 99, 164, 180, 181, 187, 190, 193, 195, 197, 199, 200–202, 241, 245, 288, 290, 419 Teutonicus, Theutonicus, Theotiscus 2, 23, 24, 28, 69, 137, 149–151, 154–159, 177, 178, 225, 228, 230, 232, 238, 240–242, 244, 246, 267, 269, 274, 275, 277, 282, 283, 288, 428, 444, 445; siehe auch Regnum Teutonicum Theodisk 2, 147, 153–157 Thuringii, Thüringer 7, 11–13, 16, 21, 28, 30, 59, 153 Tiber 192 Toledo 342, 346, 352, 357, 358, 371 Tours 45, 136, 362, 379 Treveri 10, 69 Trier 10, 69, 100, 136, 383 Troja 7, 54–57, 64–68, 70, 168

Register 

Troyes 99 Tschechen 62, 68 Tuscia, Tuszien 21, 28, 233, 235, 276, 288 Umber 192 Ungarn 10, 11, 21, 22, 24–26, 29, 30, 68, 180, 274, 283, 295, 424; siehe auch Hungaria Unstrut 16 Utrecht 36, 45, 235, 252, 258 Vallombrosa 235, 250, 253, 254, 258 Vandalen siehe Wandalen Venedig 279, 373 Venetia 28 Verberie 98 Verdun 86, 87, 89 Verona 176, 395 Vicenza 417, 418, 420, 421 Vivers 98 Volk 1–29, 54–56, 59, 62–65, 67–69, 97, 98, 126, 130, 135, 141, 143, 147, 150–152, 154, 157, 158, 161, 164, 166–170, 178, 182, 213, 239, 435, 436, 444, 446–449 Vorau 236, 240, 254, 259 Wales, Waliser 61, 62, 66, 67 Wallonisch 413 Wandalen 61, 65, 274 Wearmouth 112 Weichsel 15 Welsch 67 Werden 35, 52 Wessex 61 Westfalen 36, 52 Westgoten 7, 10 Wien 177 Win(n)iler 65, 274, 276 Worms 44 York 36, 42, 43, 131, 133

3 Vokalmusik: Text-Incipits Ad celi sublimia 343, 346 Ad dexteram patris 329, 332 Adesse festina 364

 465

Adest reducta dies 334 Ad Dominum 305 Adest annus iubileus 347

466 

 Register

Adest reducta 328, 333 Adhesit anima mea 313, 316 Adiuvabit eam deus 383 Adiuva me, Domine 365, 367 Ad laudem summae Trinitatis 328, 332 Ad solitum vomitum 345 Agie atque benigne 328, 331, 332 Agmina 368 A’lentrade d’avrillo 420 Alma 368 Alpha bovi 344, 370 Altissimeque rector 329 Ambulate sancti dei ingredimini 311 Ammirabilis splendour 329 Amor vincens 346 Angelus 367, 368 Angelus domini 230, 232, 235, 237, 253, 307, 309, 344 Aptatur 346, 368 Auctor celorum 328 Aucun ont trouve 413 Audi filia 344, 368 Audi pontus audi tellus 347 Ave caro splendida 347 Ave gloriosa 346, 348 Ave Maria 307, 309, 345 Ave maris stella virgo 343 Ave regina celorum 404 Ave vera caro 348 Ave verum corpus 348 Ave virgo virginum 346 Beatus es Simon Petre 307, 308, 309 Beatus servus 307 Belial vocatur 346, 347 Benedicamus 349, 352, 372, 373 Benedicamus Domino 347, 372, 373 Benedictus es 325 Benedictus qui venit 199, 301, 386 Bonum est confiteri 305, 390 Brumas est mort 368 Casta catholica 347 Celi domina 346 Chiama il bel papagallo 403 Christe celorum rex 328 Clama ne cesses 348

Columbe simplicitas 372 Conditor alme domine 329 Converte nos 303 Credo regis 404 Cum altre uccele 401 Cum iocunditate 311 Da castitatis thalamum 347 Da dulcis Domina 347 Deo confitemini 343, 346, 364 De sede patris 333, 334 De Stephani roseo 364 Deus excelse 328, 331, 332 Deus fortis 329 Deus iudex 383, 384 Deus pater ingenitus 329 Deute galliasometha 317, 323 Devote canentes 328 Divinarum scripturarum 344, 346 Dixit dominus ad Noe 298 Docebit 367 Domine audivi 295, 312, 313, 314, 315 Domine iube me 307, 310 Domine si tu es 307, 309, 310, 311 Domino 343, 344, 346, 347, 348, 367, 368, 369 Domino quoniam 367 Dominus Hiesus 313, 314 Dulce lignum 334, 335 Dum superbit 346, 347 Ecce annuntio vobis 336 Ecce iam sancta Agnes 336 Ecce populous 311 Ecclesie princeps 348 Ergo agnus 343 Et confitebor 348, 368 Et florebit 348, 367, 368 Et florebit lilium 348 Et gaudebit 344, 346, 365, 367, 368, 369 Et in fines 344, 369 Ex illustri … et nobilis 348 Ex illustri … sponsa 348 Et regnabit 343, 365, 367, 368 Et super 346, 367, 368, 369 Et tenuerunt 367 Et veritate 369 Et vide 369

 Ex semine 369 Factus est repente 313, 315 Filia 367 Flos de spina procreator 343 Flos filius 369 Fuions de ci 419 Gaudeamus 301 Gaudeat devote 364 Gaude chorus omnium 344 Gaude Maria Virgo 94–96 Gaudent omnes celicole 336 Hae dies 358 Hodie baptizatus est 336 Hodie Christus resurrexit 328 Hodie dominus Iesus 329 Hodie Maria 344, 369 Hodie natus est 336 Homo pacis mee 317 Homo unanimis dux meus 317 Honor triumphantis 344, 346 Hosanna cuncta Procedens 329 Hypocrite pseudo pontifices 344 Iesu clementissime 347 In Bethleem 355, 367 Incarnatum quoque 327, 333 In cotidianis diebus 328 In craticula 313, 316 In dominicis diebus 328, 329 In festivitatis diebus 328 In odorem 367 In omnem terram 309 In sabbato sancto 327, 328, 329, 330 In seculum 346, 348, 356–359, 361, 366, 369 In seculum artifex 348, 357 In seculum supra mulieres 348, 358 In Spiritu humilitatis 230, 232, 238–240, 259–263 Inter natos mulierum 299, 300–303, 366 Invisibiliter penetravit 329 Iohanne 348, 366, 367 Io(h)anne Elizabeth 346, 348 Ite missa est 404 Iustus est palma 335

Register  Jesus postquam monstraverat 417 Justorum anime 307 La bella stella 401, 402, 403 La desiosa brama 401 Laetatus sum 324 Latus 367 Laudes pangamus 328, 332, 333 Laudes referat 364 Lavi pedes 317, 318 Leo bos 347 Manere 359, 364, 367 Maria vidit angelum 301 Marie preconio 346 Marito hec patimus 400 Mater innocencie 404 Mater patris et filia 343, 355, 359, 361 Mellis stilla 346, 350, 351 Mens fidem 345 Mors morsu 345, 351, 363, 367 Mulier misterio sterilis 344, 346, 366 Mulierum 344, 367, 368 Multifarie 335 Mundi dolens de iactura 347 Mundo praesenti pro Christo 335 Ne timeas 335 Neuma 369 Noe vir iustus 298 Non formo cristi 403 Nova salus 348 Novus miles sequitur 344 O alma crux 334 O gloriosa Dei genitrix 347 O lucis splendour 329, 332 O Maria Virgo 365 Omnes 348 Omnes gentes 304, 305 Omnipotens fecit 344, 346 Omnipotens stelligeri 328 Omnium in te Christe 347 O monialis concio 350 O pimenon 317, 323 O plangant nostri prelate 348 O plena gracia 348

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O quam pulchra 335 O quam sancta 344, 346, 369 Ovibus pastoris 346, 348 Parit preter morem 344 Pascha ieron 317, 322, 324, 325 Pater excels 328 Patribus 344, 369 Patrum sub imperio 344, 346, 370 Pax in celo permanent 329, 332 Per memetipsum iuravi 298 Petrus dormiebat 301 Plange Castella misera 350 Plaudite 344, 367, 368 Popule meus 317, 320 Praeter rerum seriem 344 Pretiosa 335 Pro ovibus 348, 367 Pro patribus 367 Prosechete laos 317, 323 Puer natus est nobis 333, 334 Pyançe la bella Yguana 401 Quam pulchra est casta 329 Quem cherubim atque seraphim 329 Quem patris ad dexteram 328 Quem queritis mulieres 336 Qui manducaverit 301 Quis dabit 350 Qui nos fecit 373 Qui venisti 329 Qui vicerit 230, 232, 234, 235, 251–253 Quod promisit ab eterno 343 Quoniam 367 Quoniam secta 400 Regnat 351, 367 Resurrexit tamquam dormiens 336 Rex obit 350 Rorate coeli 230, 232–235, 249–251 Sacerdotes eius 307 Salve porta 348

Salve salus 348 Salve sancta parens 347, 348, 369 Salve virgo 365 S’amours eust point 413 Sederunt principes 345, 362, 363, 364, 367 Seguendo un me sparver 401 Serena virginum 364 Sicut a prophetis 347 Sicut audivimus 347, 369 Sint lumbi vestri 306, 307, 308 Sitientes 305 Solem 369 Splendidus regis 347 Surge propera 301 Surrexit de tumulo 347 Sursum corda elevate 343 Suscepimus Deus 305 Suso quel monte 401 Tanquam 367 Tentavit Deus Abraham 230, 232, 237, 238, 256–259 Tibi domine 305 Tollite portas 386 Tout par compas 365 Tres sunt causa conferendi 348 Tribum que non 400 Tu claviger etheris 348 Tu es sacerdos 335 Tuis 348, 368 Ubi est Abel 297 Ut queant laxis resonare 175 Vadis propitiates 317, 318, 319, 320 Veni, vena venie 344, 369 Veritatem 368, 369 Viderunt omnes 362–364, 367 Virgo Dei genitrix 348, 368 Virgo parit 348 Virgo virginum 348 Y urani 317, 323



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4 Handschriften Bamberg, Staatsbibliothek – HJ. IV. 20 (Var. 1): 49 – lit. 25: 259, 262 – lit. 115: 357 Benevent, Biblioteca Capitolare – 19: 251, 253, 259, 261, 263 – 33: 305, 307 – 34: 305, 307, 308, 327, 333, 335 – 35: 303, 307, 310, 313, 327, 335 – 38: 299, 313, 329, 313, 316, 319, 325 – 39: 307, 309 – 40: 299 – 44: 313 Berkeley, University of California, Music Library, 744: 414 Berlin, Deutsches Historisches Museum, R56/2537: 39 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz – theol. lat. fol. 322: 45 – theol. lat. fol. 354: 45 – theol. lat. fol. 355: 45 – theol. lat. fol. 356: 42 – theol. lat. fol. 359: 42 – theol. lat. fol. 366: 42 – theol. lat. fol. 481: 43 – theol. lat. qu. 139: 42 Bologna, Civico Museo, Biblioteca Musicale, Q 3, frammento 19: 297, 298, 312 Bonn, Universitätsbibliothek, S 366: 45 Brüssel, Bibliothèque Royale – 10127–10144: 304 – 10162/66: 412 – 19606: 400 Cambrai, Bibliothèque Municipale, B. 1328: 400 Cambridge, Corpus Christi College Library, 260: 49 Chantilly, Musée Condé, MS 564: 365, 419 Chartres, Bibliothèque Municipale, 47: 382, 383, 386, 389, 390 Chiavenna, Tresoro della Collegiata di S. Lorenzo, Museo Capitolare, n. s.: 263

Cologny-Genève, Bibliotheca Bodmeriana, C 74: 292, 293, 301, 313, 314, 326, 327, 328, 331, 332, 334, 335, 336 Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek – 1988: 243 – 3471: 180 Düsseldorf, Hauptstaatsarchiv, Z 11/1: 45 Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek – A 6: 42 – A 19: 42 – E 3: 46 – K 1: B 210: 45 – K 1: B 212: 44 – K 1: B 213: 45 – K 1: B 215: 44 – K 2: C 118: 45 – K 2: E 32: 46 – K 3: H 3: 47 – K 10: Z 9/1: 39 – K 15: 009: 44 – K 16: Z 1/1: 42 – K 16: Z 3/1: 44 – K 16: Z 4/2: 45 – K 17: 017: 45 – K 19: Z8/7b: 45 – K 19: Z 8/8: 44 – Fragm. K 119:Z 9/1: 39 – M 041: 45 – F 1: 46 Einsiedeln, Musikbibliothek, 611: 249, 252, 254, 257, 259, 261 Engelberg, Stiftsbibliothek, 314: 180 Florenz, Biblioteca Medicea-Laurenziana – Pluteus 29.1 (F): 344, 349, 350, 352, 354, 355, 363, 364, 365, 371, 372 – 29.8: 325 – 33.31: 325 – Ashburnham 1051: 435, 438 – conv sopr. 560: 250, 253, 254, 258, 263

470 

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Freiburg (Schweiz), Bibliothèque des Cordeliers, 2: 249, 252, 253, 257, 260, 261 Fronsinone, Archivio di Stato, Raccolta delle Pergamene, 82 (99): 297, 298, 312

– Cotton Caligula A VII: 38 – Egerton 274: 361 – Egerton 2615: 363, 365 – MS Nero D IV: 302 – Royal 1 MS B VII: 302

Gerleve, Benediktinerabtei, Bibliothek, s.n.: 44 Graz, Universitätsbibliothek – 29: 249, 251, 253, 256, 259, 261 – 748: 383, 384

Madrid, Biblioteca Nacional, 20486: 341–373 Melbourne, State Library of Victoria, *096.1 R66A: 254, 261 Montecassino, Monumento Nazionale di Montecassino, Biblioteca – 318: 117 – 542: 253, 263 Montpellier, Bibliothèque Inter-Universitaire, Section Médicine, H 196: 413 Monza, Biblioteca capitolare e Tesoro, 15/79: 320 München, Bayerische Staatsbibliothek – Cgm 25: 38 – Cgm 187 III (e.4): 39 – Clm 4303: 250, 252, 254, 257, 260, 262 – Clm 4305: 250, 262 – Clm 4306: 250, 262 – Clm 29164c: 293, 295 Münster, Stadtarchiv, msc. I 243: 45 Münster, Universitätsbibliothek – 271 (719): 39 – Fragm. I 3: 45 – Fragm. IV 8: 44

Halifax, Patrick Power Library, Saint Mary’s University, M2149.L4: 250, 252, 255, 258, 260, 261 Hannover, Kestner-Museum, Codex Culemann Nr. 1: 42 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Aug. LX: 250, 251, 257, 262 Kassel, Landesbibliothek, theol. fol. 36, frag. 2: 293, 294 Klosterneuburg, Augustiner Chorherrenstift – 1010: 249, 251, 253, 256, 259, 261 – 1011: 249, 251, 253, 256, 259, 261 – 1013: 249, 251, 253, 256, 259, 261 Köln, Diözesan- und Dombibliothek – 106: 43, 46, 47, 50 – 138: 311 Köln-Rath, Sammlung Dr C. Füngling, s.IX 1/3: 39 Kopenhagen, Det Kongelige Bibliotek – 3449 80 I: 249 – 3449 80 II: 251, 262 – 3449 80 IV: 254, 257, 260, 262 – 3449 80 XVI: 251, 262 Laon, Bibliothèque Municipale, 239: 382, 383, 389, 390, 391 Las Huelgas, Santa María la Real, IX: 341–373 Leipzig, Universitätsbibliothek – c. 830: 39 – Rep. I 93: 383, 384 – Thom. 391: 226 León, Archivo Capitular, 8: 388 London, British Library – add. 29988: 296, 297, 298, 313, 317, 319

New York, Columbia University, Plimpton 54: 45 Ostiglia, Fondazione Greggiati, mus. rari B 35: 395 Oxford, Bodleian Library – Can. Lit 202: 251, 253, 256, 259, 263 – Laud misc. 284: 251, 253, 256, 259, 263 Paris, Bibliothèque nationale – coll. Picardie 67: 400 – gr. 242: 324 – lat. 1084: 336 – lat. 1090: 251, 253, 255, 257, 261, 262 – lat. 1112: 358, 361 – lat. 1240: 336 – lat. 2400: 104, 145 – lat. 4931: 268, 270, 275, 285

 – lat. 5927: 140 – lat. 7027: 417–418 – lat. 7201: 50 – lat. 7207: 408 – lat. 7207A: 409 – lat. 12044: 250, 252, 254, 257, 260, 262 – lat. 12051: 376 – lat. 15128: 399, 400 – lat. 15181: 250, 251, 254, 257, 260, 262 – lat. 15830 (Sorbonne 713): 431 – lat. 16663: 429–430 – lat. 17716: 361 – n.a.f. 6771 (Codex Reina): 403 – n.a.l. 1535: 254, 262, 373 – n.a.l. 2199: 388 Prag, Narodni Knihovna Česke Republiky, XIX.C.26: 203, 228 Reggio nell’Emilia, Archivio di Stato, Appendice, Frammenti di codici musicali [Nr. 16]: 403 Rom, Archivio di Stato – 996: 291 – 994: 291 – 995: 291 Rom, Biblioteca Angelica – 123: 307, 308, 309, 310 – 1383: 295 Rom, Biblioteca Apostolica Vallicelliana – B. 8: 293, 294 – C. 5: 250, 253, 255, 263 Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana – Barb. 307: 400, 401 – Barb. lat. 560: 293, 294 – lat. 3835: 291 – lat. 3836: 291 – lat. 4770: 305 – lat. 4928: 300 – lat. 5319: 292, 293, 304, 306, 307, 308, 310, 311, 313, 314, 323, 327, 330, 331, 332, 334, 335, 336 – lat. 6082: 227, 304 – lat. 10657: 313, 317, 319 – lat. 10673: 303, 305 – lat. 14179: 349 – Ottob. lat. 145: 299, 300 – Ottob. lat. 576: 304

Register 

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– Rossi, 215: 395, 401, 402, 403 – Archivio San Pietro, A 2: 291 – Archivio San Pietro, A 4: 291 – Archivio San Pietro, A 5: 291 – Archivio San Pietro, B 79: 296, 297, 298, 316, 317, 319, 327, 328, 329, 330 – Archivio San Pietro, F 22: 293, 307, 310, 313, 314, 327 Salzburg, Erzabtei St. Peter, a V 2: 243 Salzburg, Universitätsbibliothek, M II 345: 357 San Marino, Huntington Library, RB 99513: 45 Sárospatak, Tiszáninenni Református Egyhazkerület Nagykönvitár, Analecta 4814: 293, 294, 312 Speyer, Dombibliothek, fragment s.n.: 40 St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, 317: 109, 144 St. Gallen, Stiftsbibliothek – 359: 383, 384, 386, 389, 390 – 388: 250, 253, 255, 258, 261, 262 – 390: 250, 253, 256, 258, 261, 262 – 578: 109, 133, 143 – 615: 143 St. Paul, Stiftsbibliothek, 264/4: 439 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, 69 = cod. theol. 4° 242: 104 Sutri, Archivio communale, Framm. teologici 141/141bis: 297, 312 Toledo, Catedral, Archivo y Biblioteca Capítulares – 44.1: 251, 256, 258, 262 – 44.2: 251, 253, 259, 261, 262 Trento, Museo Provinciale d’Arte, 87: 400 Turin, Biblioteca Nazionale, F. IV.18: 333 Turin, Biblioteca Reale, Vari 42: 413 Uppsala, Universitets Bibliotek, DG 1: 40 Utrecht, Universiteitsbiliotheek, 406: 252, 258, 263 Valenciennes, Bibliothèque Municipale – 114: 250, 252, 255, 257, 263 – 148: 50, 376 – 150: 376, 377

472 

 Register

– 337 (335): 49, 50, 375 – 407: 376 Vorau, Chorherrenstift, 287: 253, 254, 259, 261 Werden, Pfarrarchiv, s.n.: 44 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek – Guelf. 628 Helmst. (W1): 344, 349, 352, 354, 355, 363, 364, 365, 366, 372, 426, 432

– Guelf. 1099 Helmst. (W2): 344, 346, 349, 352, 355, 363, 364 Worcester, Kathedrale, F 160: 320 Würzburg, Universitatsbibliothek, m. p. th. fol. 68: 302 Yale University, Beinecke Rare Book Library, 1000: 295