"Der Russe Kandinsky": Zur Bedeutung der russischen Herkunft Vasilij Kandinskijs für seine Rezeption in Deutschland, 1912-1945 [1 ed.] 9783412520779, 1914192164, 9783412520755

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"Der Russe Kandinsky": Zur Bedeutung der russischen Herkunft Vasilij Kandinskijs für seine Rezeption in Deutschland, 1912-1945 [1 ed.]
 9783412520779, 1914192164, 9783412520755

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Das östliche Europa: Kunst- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Robert Born, Michaela Marek †, Ada Raev Band 12

Sebastian Borkhardt

„DER RUSSE K ANDINSKY“ Zur Bedeutung der russischen Herkunft Vasilij Kandinskijs für seine Rezeption in Deutschland, 1912–1945

Böhlau Verlag WIEN Köln Weimar

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, des Schroubek-Fonds Östliches Europa und von Prof. Dr. Ada Raev, Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen im Sommersemester 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Vasilij Kandinskij: Helles Bild (Ausschnitt), Dezember 1913, Öl und Naturharz auf Leinwand, 77,8 x 100,2 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Solomon R. Guggenheim Founding Collection, By gift (vgl. S. 163, Abb. 17) Korrektorat: Constanze Lehmann, Berlin Satz: Bettina Waringer, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52077-9

 

Inhalt

Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vasilij Kandinskij – ein Protagonist der Moderne. . . . . . . . Zur Erforschung der russischen Aspekte in Kandinskijs Werk . Zur Konzeption der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Vorkriegszeit Grundzüge und kontextuelle Bedingungen der Rezeption Kandinskijs am Ende seiner Münchner „Geniezeit“, 1912–1914.. 1.1 Die Polemik des Hamburger Fremdenblatts gegen „diesen Russen Kandinsky“ und der Protest im Sturm 1913 . . . . . . . . . . 1.2 Wilhelm Hausenstein: Die bildende Kunst der Gegenwart (1914): Von der „russischen Seele“ Kandinskijs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Paul Fechter: Der Expressionismus (1914): Kandinskij und die „alte gotische Seele“ der Deutschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Kontextuelle Bedingungen der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Das Wissen über russische Kunst und Kultur. . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1.1 Die russische Kultur als terra incognita. . . . . . . . . . . . . . 1.4.1.2 Beispiel Ikone: Die In-Bezug-Setzung von Kandinskijs Abstraktion zur altrussischen Malerei . . . . . . . . . . . . 1.4.1.3 Herwarth Walden als Vermittler der russischen Avantgarde . . . 1.4.2 „Mutter-Moskau“: Kandinskijs Selbstdarstellung als russischer Künstler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Die Aktualität Wilhelm Worringers für die Rezeption Kandinskijs. . . .

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Inhalt

2 Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit Kandinskijs Bedeutung für die Verortung des Expressionismus zwischen Ost und West während seiner Abwesenheit aus Deutschland, 1914–1921. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.1 Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917): Das „asiatische Erbe“ als tertium comparationis zwischen der deutschen und der russischen Kultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.1.1 Fritz Burger als Typus des „wissenschaftlichen Expressionisten“: Zum Problem einer Kunstgeschichte der Gegenwart. . . . . . . . . . . 65 2.1.2 Kunst und Krieg in Burgers Einführung: Deutschland und Russland als Vorkämpfer einer neuen Kultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1.2.1 Illustrationen zu Burgers Vision einer geistigen „Auferstehung“: Kandinskijs Schaffen und die altdeutsche Kunst. . . . . 71 2.1.2.2 Kultur versus Zivilisation: Die europäischen Großmächte im Wettstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.1.2.3 Russland und die Rolle des Nationalen bei Burger. . . . . . . . 88 2.2 Eckart von Sydow: Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920): Die neue Kunst im Spannungsfeld zwischen westlichem Naturalismus und östlicher Abstraktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2.3 Rückblick: Kandinskij in den Augen deutscher Autoren – der Repräsentant russischer Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3 Neue Bekanntschaften Die Präsentation Kandinskijs in den ersten Bestandsaufnahmen der russischen „Revolutionskunst“, 1920–1922. . . . . . . . . . 106 3.1 Perspektivenwechsel: Kandinskij in den Augen des sowjetrussischen „Kunstbotschafters“ Konstantin Umanskij (1920) – ein Repräsentant russischer Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.1.1 „Russischer Messias“? Kandinskij als Wegbereiter und Außenseiter. . . 111 3.1.1.1 Schwanengesang auf die Abstraktion oder: Die „Rückkehr zum Gegenständlichen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.1.1.2 Partizipation contra Passivität: Kandinskij als Verkörperung des „überflüssigen Menschen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3.1.2 Kandinskij als Tür Sowjetrusslands zum Westen. . . . . . . . . . . . 123 3.2 Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin: Die Relativierung Kandinskijs im Kontext der russischen „Revolutionskunst“ . . . . . . . . . 125 3.2.1 Die Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.2.2 Das Ausstellungskonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

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3.2.3 Die Teilnahme Kandinskijs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Kandinskij im Spiegel der Rezensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Wahrnehmungs- und Deutungsmuster ungegenständlicher Kunst. . . 3.2.6 Bilanz und Ausblick: Warum Kandinskij auch nach 1922 im Gespräch blieb – und die meisten sowjetischen Avantgardisten nicht. . . . . . . 4 Weimarer Republik Der Blick auf Kandinskij als Europäer, als Russe und als Künstlerindividuum während seiner Bauhauszeit, 1922–1933. 4.1 Der kulturelle Essenzialismus in Kandinskijs Kunsttheorie. . . . . . . . . . 4.1.1 Das „Nationale“ als Gegenstand einer neuen „Kunstwissenschaft“. . . 4.1.2 „Romanentum, Germanentum, Slawentum“ im Aufsatz „Abstrakte Kunst“ (1925). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Vom „slawischen Prinzip“ zur Abstraktion?. . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Jubiläums-Ausstellung 1926/27: Kandinskij – ein moderner Il’ja Muromec. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa 1927 in Mannheim: Die Abstraktion als „Willensrichtung europäischer Kunst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Repräsentanz russischer Kunst in der Ausstellung . . . . . . . . . 4.3.2 Abstraktion als Zeitphänomen versus Individualisierung Kandinskijs.. 4.3.3 Pressereaktionen: Stellenwert der Abstraktion und Beurteilung Kandinskijs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 „Unter anderen Sternen geboren“: Will Grohmann über Kandinskij. . . . . 4.4.1 „Pan-Europa“ und seine Länder: Grohmanns Sicht auf die Gegenwartskunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Kandinskijs Herkunft – „nicht entscheidend“! Der Cicerone-Artikel (1924). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Kandinskijs ‚ostasiatisches‘ Erbe: Die Monographie der Éditions Cahiers d’Art (1930). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Eine Frage des Maßstabs: Carl Einstein über Kandinskij. . . . . . . . . . . 4.5.1 Einsteins Kritik an Kandinskij – ein interkulturelles Missverständnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Die Rolle von „Landschaft und Menschenart“ in Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Die russische Kunst als europäisches Faktum. . . . . . . . . . . . . . 4.6 Gegenwind von rechts: Kandinskij als Antityp des ‚deutschen‘ Künstlers .. 4.6.1 Der „Kunstbolschewist“ Kandinskij. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.6.2 Kandinskij – Lehrer am Bauhaus, der „bestgehaßten Institution des neuen Deutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4.6.3 Rassistische Kunstkritik und Kunstpolitik . . . . . . . . . . . . . . . 243 4.6.4 Exkurs: Kandinskij als „Jude“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 5 Nationalsozialismus Über den Umgang mit Kandinskij im Kampf um die moderne Kunst, 1933–1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5.1 ‚Nordische‘ Abstraktion? Zur Problematik einer Verteidigungsstrategie . . . 265 5.2 Kandinskijs Schaffen im promodernen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.2.1 Ausblendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 5.2.1.1 Alois Schardt als Förderer Kandinskijs in der Weimarer Republik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 5.2.1.2 Die (Nicht-)Repräsentation Kandinskijs im Kronprinzenpalais: Schardt als Nachfolger Ludwig Justis an der Nationalgalerie 1933. . . 278 5.2.1.3 Kandinskijs (Nicht-)Ort in Schardts Texten zur Kunst. . . . . 285 5.2.1.4 Nachtrag zur Überlieferung von Schardts Hängung im Kronprinzenpalais. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 5.2.2 Verfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 5.2.2.1 ‚Deutsch‘ | ‚undeutsch‘: Zur Konstruktion zweier Modernen.. 294 5.2.2.2 Kandinskij versus Marc?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 5.2.2.3 Zwischen Nähe und Distanz: Max Sauerlandts Vorlesung „Deutsche Malerei und Plastik der letzten 30 Jahre“, Sommer 1933 .. 305 5.2.2.4 Der Blaue Reiter – ‚überfremdet‘: Sauerlandts Referat auf der Mainzer Tagung des Deutschen Museumsbundes, August 1933 . . . . 312 5.2.3 Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5.2.3.1 Wilhelm van Kempens Vortrag über „Die Malerei im 20. Jahrhundert“, März 1933: Kandinskij im Rahmen des ‚nordischen‘ Expressionismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 5.2.3.2 Werner Haftmanns „Abhandlung zur Frage des West-Östlichen“ in der Zeitschrift Kunst der Nation, Oktober 1934 .. 324 5.2.3.3 „Der große Anstoß“: Paul Ferdinand Schmidt über Kandinskijs Wirkung im Umfeld des Blauen Reiters, Oktober 1934 .. 329 5.3 Kandinskijs Schaffen im antimodernen Diskurs. . . . . . . . . . . . . . . 332 5.3.1 „Fremdkörper“: Klaus Graf von Baudissin ‚verwertet‘ und entwertet ein Gemälde von Kandinskij . . . . . . . . . . . . . . 333

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5.3.2 Die Verfemung Kandinskijs in der Ausstellung Entartete Kunst 1937 in München. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.1 Die Präsentation Kandinskijs. . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.2 Stellenwert in der Rezeptionsgeschichte Kandinskijs. . 5.4 Schlussbetrachtung: Über die (Un-)Möglichkeit einer Rezeption Kandinskijs in Deutschland zwischen 1937 und 1945. . . . . . . . Zusammenfassung. . . . . . . . . Vorkriegszeit. . . . . . . . . . . . . . Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit . Neue Bekanntschaften . . . . . . . . Weimarer Republik. . . . . . . . . . Nationalsozialismus. . . . . . . . . .

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Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Tafeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440

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Dank Der vorliegende Band ist die Druckfassung meiner kunstgeschichtlichen Dissertation, die im Sommersemester 2019 von der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Ich hoffe, dass das Lesen dieses Buches nur annähernd so erhellend ist wie für mich das Schreiben: nicht allein mit Blick auf die Vergangenheit, sondern auch auf gegenwärtige Diskurse über das „Eigene“ und das „Fremde“. Neben die Freude über das Getane tritt die Dankbarkeit, in der ich einer Reihe von Personen und Einrichtungen verbunden bin. An erster Stelle danke ich meiner Doktormutter, Prof. Dr. Eva Mazur-Keblowski, die mich durch das Hauptstudium, die Magisterprüfung und die Zeit der Promotion begleitet hat. Sie bestärkte mich darin, das literaturintensive Thema der KandinskijRezeption im Rahmen einer Dissertation anzugehen. Mein aufrichtiger Dank gebührt in gleichem Maße Prof. Dr. Ada Raev (Bamberg), die als meine Zweitbetreuerin den Fortgang der Untersuchung mit großer Anteilnahme und immer gutem Rat verfolgte. Prof. Dr. Sergiusz Michalski erklärte sich freundlicherweise bereit, das Drittgutachten zu meiner Dissertation zu verfassen. Verschiedene Menschen waren mir bei den Bemühungen um ein Stipendium behilflich. Stellvertretend möchte ich Prof. Dr. Schamma Schahadat (Tübingen) und Prof. Dr. Dietrich Beyrau (Tübingen) nennen. Für konstruktive Kritik an meinem Exposé bedanke ich mich außerdem bei Prof. Dr. Verena Krieger (Jena). Ich weiß mich glücklich zu schätzen, bei meiner Arbeit durch Promotionsstipendien der Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg und der Studienstiftung des deutschen Volkes finanziell unterstützt worden zu sein. Der Studienstiftung bin ich darüber hinaus für die ideelle Förderung und den reichen Erfahrungsschatz, der sich daran knüpft, zu Dank verpflichtet. Peter-Michael Berger und Sarah Tziolas standen mir bei der Anfertigung des Manuskripts durch ihre aufmerksame und geduldige Lektüre zur Seite. Für ihre Hilfsbereitschaft und ihren ausgesprochen reflektierten Umgang mit meinem Text spreche ich ihnen meinen besonderen Dank aus. In der Endphase der Niederschrift hat mir Adrian Răzvan Șandru mit seinem Scharfsinn und klaren Urteilsvermögen überaus wertvolle Dienste erwiesen. Meine Anerkennung gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Bibliotheken, Archiven, Museen und Hochschulen, die mir inhaltliche und praktische Auskünfte erteilten und von mir benötigte Materialien zur Verfügung stellten. Danken möchte ich ferner allen Kolleginnen und Kollegen, die sich in den wissenschaftlichen Kolloquien meiner Betreuerinnen sowie anlässlich der Tagungen, auf denen ich meine Ergebnisse präsentierte, auf eine kritische Auseinandersetzung mit meinem Thema einließen. Namentlich erwähnt

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| Dank

seien an dieser Stelle Dr. Louise Hardiman und Dr. Nicola Kozicharow, die mich 2012 unter die Redner der Konferenz „On the Spiritual in Russian Art“ an der University of Cambridge aufnahmen und die anschließende Ausarbeitung meines Vortrags zu einem Aufsatz engagiert begleiteten. Im Frühjahr 2013 initiierte Prof. Dr. Isabel Wünsche an der Jacobs University Bremen die Russian Art and Culture Group als eine internationale Plattform für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in ihrer Forschung mit russischer Kunst und Kultur beschäftigen. Ihr wie auch allen Mitgliedern und Beteiligten danke ich für die gemeinsam durchgeführten Projekte und den regen fachlichen Austausch. Dass meine Dissertation in der Reihe Das östliche Europa: Kunst- und Kulturgeschichte ihren Platz gefunden hat, geht auf den Vorschlag von Prof. Dr. Ada Raev zurück. Sie unterstützte mich zudem mit einem Druckkostenzuschuss aus ihren Forschungsmitteln an der Universität Bamberg. Ihr sowie dem Mitherausgeber Dr. Robert Born (Leipzig) sei herzlich für die Aufnahme in die Reihe und allen Einsatz gedankt. Ohne die gleichfalls großzügige Förderung der Publikation durch die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und den Schroubek-Fonds Östliches Europa hätte meine Studie in dieser Form nicht erscheinen können. Dem Böhlau Verlag danke ich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Drucklegung, Constanze Lehmann für das sorgfältige Korrektorat. Ein sehr persönlicher Dank richtet sich an meine Freunde: den alten für ihr Interesse und den Zuspruch, den sie mir durch die Wechselfälle der Promotionszeit hindurch gaben; den neuen – aus Syrien, dem Irak und Eritrea geflohenen – dafür, dass sie mich immer wieder aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm herausholten. Den stärksten Rückhalt erhielt ich zweifelsohne von meiner Familie – bis zu ihrem Tod auch von meinen Großeltern, derer ich hier gedenke. Für seelischen und moralischen Beistand danke ich von Herzen meiner Schwester. Mein größter Dank gebührt aber meinen Eltern: für das in mich gesetzte Vertrauen und die Freiheit, die sie mir stets gewährten, für ihre Präsenz und unschätzbare Unterstützung in allen Lebenslagen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

Vorbemerkungen Russische, also in der Ausgangssprache kyrillisch geschriebene Namen, Titel und Bezeichnungen sowie Zitate aus dem Russischen werden im Folgenden in wissenschaftlicher Transliteration wiedergegeben. Hierbei kann es zu Abweichungen von der im Deutschen geläufigen Form kommen. So heißt es „Vasilij Kandinskij“ statt „Wassily Kandinsky“ (wie sich der Künstler selbst schrieb) oder „Mark Šagal“ statt „Marc Chagall“. Ausgenommen davon sind Herrscher- und Städtenamen, bei denen die eingedeutschte Form verwendet wird, z. B. „Peter I.“, „Moskau“. Innerhalb von Zitaten sind alternative Schreibweisen wie „Kandinsky“ oder „Kandinski“ selbstverständlich belassen worden. Übersetzungen aus dem Russischen stammen, sofern nicht anders vermerkt, von mir. Hervorhebungen in Zitaten finden sich in der Regel im Original; wo nicht, wird dies entsprechend gekennzeichnet. Halbe Anführungszeichen markieren, abgesehen von Zitaten im Zitat, gewöhnlich einen der folgenden Fälle: (1) Ein Ausdruck ist einer zitierten Quelle entnommen, wurde von mir aber durch Beugung, Substantivierung o. Ä. abgewandelt (z. B. „fremd“  etwas ‚Fremdes‘). (2) Ein Ausdruck bezieht sich auf den Sprachgebrauch eines oder mehrerer behandelter Autoren und ist mit einem spezifischen – aus heutiger Sicht oft problematischen – Sinngehalt belegt (z. B. ‚nordisch‘). Sind solche Wörter durch Kursivsetzung hervorgehoben, entfallen die halben Anführungszeichen. Der Eigenname „Sturm“ erscheint im Text kursiv, wenn er die 1910 von Herwarth Walden gegründete Zeitschrift Der Sturm bezeichnet; andernfalls bezieht er sich auf Waldens gleichnamigen Verlag, die Galerie oder das Unternehmen Der Sturm als Ganzes. Die Prinzipien, die bei der Erstellung des Literaturverzeichnisses und des Personenregisters zur Anwendung kamen, sind in den dortigen einleitenden Hinweisen genannt.

Einleitung Bei der historischen Untersuchung der Produktion und Rezeption von Gegenständen, die als Kunstwerke entstanden und als solche beurteilt worden sind, ist häufig festzustellen, daß ästhetische Objekte nicht eigentlich als Artefakte der sinnlichen Auffassung, sondern als Beispiel oder Zeugnis für etwas anderes bezeichnet und bewertet wurden. […] Neben die Anwendung gesellschaftlicher Vorstellungen von Moral, Sitte und Anstand, auf die Betrachtung von ästhetischen Gegenständen und auf die Bestimmung von Kunst, trat in Europa seit dem 18. Jahrhundert die Betrachtung unter nationalen Gesichtspunkten.1

Auch die Rezeption des Malers, Graphikers und Kunsttheoretikers Vasilij Kandinskij (1866–1944) war stark von nationalen Gesichtspunkten geprägt, wie sich im Laufe dieser Arbeit zeigen wird. Im Zentrum steht hier die Frage, welchen Stellenwert Kandinskijs Zeitgenossen seiner russischen Herkunft beimaßen.2 In seiner Wahlheimat Deutschland, auf die im Folgenden das Augenmerk gerichtet wird, war Kandinskij als Russe „markiert“. Es wird sich herausstellen, dass die Bewertung dieses Umstands von Zeit zu Zeit und von Person zu Person erheblich variierte. Anhand dieser Vielfalt an Betrachtungsweisen soll deutlich gemacht werden, wie sehr die Wahrnehmung von Kandinskijs Schaffen nicht nur von ästhetischen, sondern auch von kulturellen, politischen und ideologischen Determinanten bestimmt war.3 Bevor unsere Fragestellung weiter entfaltet und konkretisiert werden soll, seien zunächst einige für das Verständnis dieser Arbeit grundlegende Daten der Künstlerbiographie genannt.

1 Syndram 1988, 231. 2 Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildete das Hauptseminar „Kandinsky – Schriften zur Kunst, Teil  II“, das Prof. Dr. Eva Mazur-Keblowski im Wintersemester 2008/09 am Kunsthistorischen ­Institut in Tübingen veranstaltete. Bei der Vorbereitung einer Hausarbeit über die russischen Aspekte in Kandinskijs Buch Über das Geistige in der Kunst stieß ich auf frappierende Lücken und Einseitigkeiten in der Forschungsgeschichte. Dies betraf, wie noch auszuführen ist, besonders Kandinskijs russische Kontexte. Der Schwerpunkt meines Interesses verlagerte sich in der Folge von Kandinskijs Werk auf seine Rezeption. In meiner Seminararbeit beschäftigte ich mich erstmals mit Fragestellungen, die die Grundlage für mein späteres Promotionsvorhaben bildeten. 3 Einzelne Aspekte der vorliegenden Dissertation wurden in dem Beitrag Borkhardt 2017 vorab veröffentlicht.

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| Einleitung

Vasilij K andinskij – ein Protagonist der Moderne Vasilij Kandinskij gehört zu den innovativsten und einflussreichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. 1896 verließ er seine Heimatstadt Moskau, um in München Malerei zu studieren. Hier entwickelte er als zentrale Gestalt des Expressionismus um 1910/13 eine abstrakte Bildsprache, für die er mit seiner Schrift Über das Geistige in der Kunst (1912) die interpretatorische Grundlage lieferte. 1911 tat er sich mit Franz Marc zusammen, um gemeinsam mit ihm den berühmten Almanach Der Blaue Reiter (1912) herauszugeben und Ausstellungen zu organisieren. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Kandinskij aus dem Bewusstsein der deutschen Kunstöffentlichkeit nicht mehr wegzudenken. Seine Bekanntheit nahm auch nicht ab, nachdem er 1914 als Angehöriger eines feindlichen Staates nach Moskau zurückgekehrt war und man in Deutschland für viele Jahre keine neuen Arbeiten von ihm zu Gesicht bekam. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vollzog sich in Russland ein künstlerischer Aufbruch, dessen führende Akteure heute unter dem Begriff der „russischen Avantgarde“ subsumiert werden. Nach der Oktoberrevolution bekleidete die Avantgarde bei der Ausgestaltung des sowjetischen Kunstlebens entscheidende Positionen. Kandinskij übte sowohl bedeutende organisatorische als auch pädagogische Tätigkeiten aus. Dies bewahrte ihn jedoch nicht vor starkem Gegenwind vonseiten seiner jüngeren Kollegen und der Kunstkritik. Ende des Jahres 1921 verließ Kandinskij Sowjetrussland und übernahm einige Monate später einen Lehrauftrag am Staatlichen Bauhaus in Weimar, der progressivsten Kunstschule im damaligen Deutschland. Kandinskijs Stil der Bauhausjahre stand im Zeichen der geometrisch-abstrakten Tendenzen jener Zeit. Gleichwohl distanzierte er sich vom Konstruktivismus, dessen russische Vertreter das deutsche Publikum auf der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 in Berlin kennenlernte. Im Vergleich zu der vorigen Dekade zeichnete sich in den 20er-Jahren ein günstigeres Klima für die abstrakte Kunst ab, deren Wegbereiter Kandinskij anlässlich seines 60. Geburtstags 1926 mit einer Jubiläums-Ausstellung geehrt wurde. Indes verstummte die Kritik an Kandinskij nicht, sondern radikalisierte sich vielmehr. Auch das Bauhaus sah sich von gesellschaftlicher und politischer Seite heftigen Angriffen ausgesetzt. 1925 war es zum Fortgang aus Weimar gezwungen, 1932 vertrieb man es auch aus seiner zweiten Heimat Dessau. Nach der „Machtergreifung“ wurden Kandinskijs Werke als ‚undeutsch‘ aus den öffentlichen Sammlungen Deutschlands entfernt und das Bauhaus an seinem letzten Wirkungsort Berlin geschlossen. Erhoben sich in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur noch einige Stimmen für die moderne Kunst (namentlich den Expressionismus), so war der Kampf um ihre Anerkennung 1937 endgültig verloren, als die berüchtigte Ausstellung Entartete Kunst in München ihre Türen öffnete. Kandinskij, der sich unter den in der Femeschau gebrandmarkten Malern befand, war bereits Ende

Zur Erforschung der russischen Aspekte in Kandinskijs Werk  |

1933 aus Deutschland ausgereist und hatte sich in dem Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine niedergelassen. Bis zu seinem Tod 1944 arbeitete er hier an seinem Spätwerk im biomorphen Stil, mit dem die deutsche Öffentlichkeit erst nach dem Ende der NS-Herrschaft bekannt werden sollte. Der von den Nazis diffamierte Kandinskij wurde in der jungen Bundesrepublik Deutschland zu einer künstlerischen Galionsfigur erhoben. Seine Bedeutung als ein Protagonist der Moderne und Begründer der abstrakten Malerei fand ihren Widerhall in einer Vielzahl von Publikationen und Ausstellungen in Westeuropa und in den USA. Demgegenüber war der Künstler in der Sowjetunion seit den 1930er-Jahren dem systematischen Vergessen anheimgefallen: Bis zur Perestrojka galt seine Abstraktion als inkompatibel mit der Doktrin des Sozialistischen Realismus. Die politischen Spannungen, die zwischen Ost und West bestanden, blieben nicht ohne Konsequenzen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kandinskij.

Zur Erforschung der russischen Aspekte in K andinskijs Werk Ein Forschungsbericht im eigentlichen Sinne kann in dieser Einführung nicht gegeben werden, da nur vereinzelt Studien vorliegen, die sich dezidiert mit der zeitgenössischen Rezeption Kandinskijs in Deutschland befassen.4 Auf eine forschungsgeschichtliche Hinführung zur Fragestellung der Dissertation soll dennoch nicht verzichtet werden. Ausgangspunkt ist die Wiederentdeckung des „russischen“ Kandinskij. Der durch den Eisernen Vorhang versperrte Blick auf die russische Kultur hatte bedauerliche Folgen für die Wissensproduktion. Zwar betonte Will Grohmann 1958 in seinem Standardwerk über Kandinskij dessen innere Verbundenheit mit Westeuropa und mit Russland („er blieb Russe bis zu seinem Tode“).5 Nichtsdestotrotz wurde Kandinskijs Œuvre von der nachfolgenden Forschung fast ausschließlich im westlichen Kontext untersucht. Dabei blieb die fundamentale Rolle der russischen Kultur für Kandinskij weitgehend unbeachtet. Dies änderte sich in den 1980er-Jahren. Seitdem haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA, in Deutschland, Russland und andernorts Kandinskijs tiefe Verwurzelung in der Kultur seines Geburtslandes nachgewiesen. Schwerpunkte bildeten hierbei Kandinskijs Beziehungen zur russischen Ikone,

4 Eine wesentliche Ausnahme und Grundlage für meine Untersuchung ist der hervorragende Überblick bei Haxthausen 1984. Vgl. auch Zweite 1982; Droste 1984a; Barnett 1996; Illetschko 1997 (mit Ausführungen zur Kandinskij-Rezeption bei Will Grohmann und im Nationalsozialismus); Hopfengart 2000; Fleckner 2006, 87–98 („Der Solipsist und sein Kritiker. Wassily Kandinskys Werk im Urteil Carl Einsteins“); Haxthausen 2015. 5 Grohmann 1958, 9.

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zur russischen Volkskunst, zur russischen Religionsphilosophie, zum russischen Symbolismus und zur russischen Avantgarde. Die Erforschung der russischen Aspekte bei Kandinskij ist, ausgehend von den USA, untrennbar mit den Namen John E. Bowlt und Rose-Carol Washton Long verbunden. 1980 edierten sie gemeinsam The Life of Vasilii Kandinsky in Russian Art.6 Der Band enthält unter anderem zwei Aufsätze der Herausgeber, in denen sie versuchen, „to trace the links between Kandinsky’s artistic practice and theory and the philosophical and esthetic ambience of Moscow and St. Petersburg“7, wobei Washton Long diese Verbindungen im gesamteuropäischen Zusammenhang behandelt8. Mit ihrer Publikation wiesen die beiden Forscher den Weg für die Suche nach den russischen Bezügen in Kandinskijs Schaffen.9 In der Heimat des Künstlers begann man erst in den 1980er-Jahren – verstärkt dann in den 1990er-Jahren –, ihm öffentlich die Geltung einzuräumen, die er im Westen seit Langem innegehabt hatte.10 Das Konfliktpotenzial, das die Beschäftigung mit Kandinskij hier noch zu Beginn der 80er-Jahre in sich barg, verdeutlichen die lavierenden Worte, die die Redaktion des Jahrbuchs Pamjatniki kul’tury [Denkmäler der Kultur] einem Aufsatz von Evgenij Kovtun beifügte: Es steht außer Zweifel, dass die abstrakte Malerei Vasilij Kandinskijs der Entwicklung der realistischen Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entgegenstand. Nichtsdestotrotz wäre das Bild vom russischen Kunstleben dieser Jahre ohne sein Schaffen unvollständig. Dies veranlasst uns, Vasilij Kandinskij einen spezifischen Platz in der Weltmalerei zuzuweisen und seine nationalen Quellen wie auch den übernationalen Charakter seines späteren Schaffens11 zu würdigen. Durch diesen [übernationalen Charakter; S. B.] erklären sich die Versuche westeuropäischer und amerikanischer Forscher, das Schaffen Vasilij Kandinskijs in eine Reihe mit den Werken des deutschen Expressionismus zu stellen, wodurch die Rolle der russischen Malerei dieser Zeit innerhalb der weltweiten Kunstentwicklung geschmälert wird.12 6 Im Folgenden zitiert nach der zweiten Auflage: Bowlt/Washton Long 1984. 7 Bowlt 1984, 1. 8 Vgl. Washton Long 1984. 9 Vgl. auch Washton Long 1980; sowie den instruktiven Aufsatz Lee 1982. Eine ethnographische Forschungsreise, die Kandinskij 1889 in den Norden Russlands unternahm, diente Peg Weiss als Schlüssel für eine „schamanistische“ Interpretation seines Werks, vgl. Weiss 1995b. 10 Als ein Meilenstein ist Kandinskijs erste sowjetische Retrospektive anzusehen, die 1989 in Moskau, Frankfurt und Leningrad gezeigt wurde. Vgl. Ausst.Kat. Frankfurt 1989; dazu die Rezension Hahl-Koch 1989. 11 Der Begriff pozdnee tvorčestvo („späteres Schaffen“, „Spätwerk“) irritiert hier, scheint er sich doch dem Kontext nach auf Kandinskijs abstrakt-expressive Werke der Vorkriegszeit zu beziehen. 12 „Nesomnenno, čto abstraktnaja živopis’ V. V. Kandinskogo zaderžala razvitie realističeskogo iskusstva načala XX v. Tem ne menee bez ego tvorčestva kartina russkoj chudožestvennoj žizni tech let budet nepolnoj. Ėto i zastavljaet nas iskat’ dlja V. V. Kandinskogo opredelennoe mesto v mirovoj živopisi,

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Die Erwähnung der „nationalen Quellen“ Kandinskijs in diesem Zitat ist bezeichnend; denn in der Tat ging die Rehabilitierung des Künstlers in Russland mit einer Herausstellung seiner russischen Wurzeln einher. Einschlägige Publikationen dazu wurden von Wissenschaftlern wie Dmitrij Sarab’janov, Natalija Avtonomova, Valerij Turčin und Boris Sokolov vorgelegt.13 Auch in der Bundesrepublik kam es um 1990 zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den russischen Aspekten in Kandinskijs Werk. 1992 publizierte Noemi Smolik ihre Dissertation Von der Ikone zum gegenstandslosen Bild, worin sie zentrale Gemeinsamkeiten Kandinskijs mit anderen russischen Künstlern und Denkern nachwies.14 Im Jahr darauf erschien die umfassende Kandinskij-Monographie von Jelena Hahl-Koch, die es sich als profunde Kennerin der russischen Kultur zur Aufgabe gemacht hat, „den Künstler in seiner Zeit und in seinem Kulturkreis zu verankern“15. Einen Schwerpunkt auf die Rolle der religiösen Tradition Russlands für die Entstehung der Abstraktion setzten Verena Krieger (1998) und Eva Mazur-Keblowski (2000) in ihren Untersuchungen.16 Ich möchte meinen forschungsgeschichtlichen Überblick an dieser Stelle mit einer Beobachtung beenden, die Mazur-Keblowski um die Jahrtausendwende festhielt: „Allmählich scheint die Frage nach dem Stellenwert der russischen Tradition für die Welt- und Kunstanschauung Kandinskijs in den Vordergrund zu treten.“17 In Anbetracht der großen Bedeutung, die die Forschung (oder vielmehr ein Teil der Forschung) seit den 1980er-Jahren Kandinskijs russischen Bezügen beimaß, stellte sich mir die Frage, welche Rolle diese Bezüge für Kandinskijs zeitgenössische Rezipienten gespielt haben. Es kristallisierte sich jedoch heraus, dass diese Frage zu eng gefasst war. Denn das Gros der Veröffentlichungen, die zu Kandinskijs Lebzeiten erschienen sind, trägt zu einem Verständnis seiner kulturellen Quellen – etwa den Parallelen zwischen

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ocenivat’ ego nacional’nye istoki i vnenacional’nyj charakter pozdnego tvorčestva. Poslednim ob’’jasnjajutsja popytki zapadnoevropejskich i amerikanskich issledovatelej rassmatrivat’ tvorčestvo V. V. Kandinskogo v rjadu proizvedenij nemeckogo ėkspressionizma, čto umaljaet rol’ russkoj živopisi ėtogo vremeni v mirovom chudožestvennom processe.“ Redaktionelle Anmerkung zu: Kovtun 1981 (ebd., 399). Ich danke Tanja Malycheva und Sarah Tziolas für Hinweise zur Übersetzung. Vgl. insb. Sarab’janov/Avtonomova 1994. (Die Verfasser verabsolutieren die russischen Quellen Kandinskijs nicht, sondern versuchen vielmehr darzulegen, wie sie sich mit seinen deutschen Quellen verbanden, vgl. ebd., 6.) Ferner u. a. Sarab’janov 1997 sowie die Beiträge im Sammelband zu einer 1994 in der Tret’jakov-Galerie abgehaltenen Tagung: Avtonomova/Sarab’janov/Turčin 1998. Smolik 1992. Hahl-Koch 1993, 8. Bereits einige Jahre zuvor war die Autorin mit einem entsprechenden Artikel hervorgetreten, vgl. Dies. 1980. Krieger 1998a, insb. 107–120; Mazur-Keblowski 2000. Einen Teil ihrer Studien veröffentlichte Mazur-Keblowski zuvor in: Dies. 1993. Mazur-Keblowski 2000, 12.

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Kandinskijs abstrakten Bildern und der Ikonenmalerei – nicht bei.18 Die Formulierung des Themas musste folglich breiter ansetzen. Sie durfte nicht mehr von den Erkenntnissen der jüngeren Forschung geleitet sein, sondern musste auf die Bedeutung von Kandinskijs russischer Herkunft schlechthin zielen, soll heißen: auf den rezeptionsgeschichtlichen Stellenwert der bloßen Tatsache, dass Kandinskij Russe war.

Zur Konzeption der Arbeit Aufgrund der ausgesprochen breiten Rezeption Kandinskijs schon zu Lebzeiten wird in der vorliegenden Studie keine Vollständigkeit erstrebt. Vielmehr macht die Fülle und Komplexität des rezeptionsgeschichtlichen Materials über Kandinskij neben einer thematischen Fokussierung (hier: auf den Stellenwert seines russischen Hintergrundes) eine räumliche und zeitliche Eingrenzung erforderlich. So beschränkt sich die Dissertation auf Kandinskijs zweite Heimat Deutschland, die für seine zeitgenössische Rezeption die bedeutendste Rolle spielte.19 Zeitlich setzt die Arbeit in den Jahren um 1912 an, der sogenannten „Geniezeit“20 Kandinskijs. Sie ist von Kandinskijs Durchbruch zur Abstraktion geprägt, der mit einer rezeptionsgeschichtlichen Zäsur einherging. Wie Armin Zweite ausführt, stehen die meisten Rezensenten dem Frühwerk bis etwa 1907 mehr oder minder positiv gegenüber, um Kandinskys Schritt zur Abstraktion desto heftiger angreifen und den Maler mit den auch damals üblichen Verbalinjurien belegen zu können. Ließen nämlich die ersten Bilder noch Zusammenhänge mit Jugendstil und Symbolismus erkennen, so erschien vielen der Bruch mit den Codes seiner Zeit, wie er in Kandinskys Œuvre ab etwa 1910 immer deutlicher zu Tage trat, ebenso radikal wie sinnlos.21

Andererseits fällt in diese Zeit eine Reihe von Ereignissen, die Höhepunkte in Kandinskijs Laufbahn darstellten und ihm zu größerer Bekanntheit verhalfen: Ende 1911 die Erste Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter und die Veröffentlichung von Über das Geistige in der Kunst (Impressum 1912); 1912 die Zweite Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter, 18 Die Gründe hierfür werden in Kap. 1.4.1 („Das Wissen über russische Kunst und Kultur“) beleuchtet. 19 Die offene Formulierung „Rezeption in Deutschland“ (im Unterschied zu „deutsche Rezeption“) wurde im Titel dieser Arbeit bewusst gewählt. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass auch eine Schrift aus russischer Feder wie Konstantin Umanskijs Neue Kunst in Rußland (Potsdam/München 1920) in die Untersuchung Eingang gefunden hat. 20 Mit dem Begriff „Geniezeit“ kennzeichnete Will Grohmann (1958) Kandinskijs Schaffensphase von etwa 1910 bis 1914. 21 Zweite 1982, 142. Vgl. auch Thürlemann 1986, 41–52.

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die Herausgabe des Almanachs Der Blaue Reiter und die von dem Berliner Galeristen Herwarth Walden organisierte Kandinskij-Retrospektive, die bis 1914 in mehreren deutschen und europäischen Städten zu sehen war; 1913 die Publikation des Albums Kandinsky 1901–1913 in Herwarth Waldens Verlag Der Sturm, das neben zahlreichen Abbildungen auch Kandinskijs autobiographische Schrift „Rückblicke“ enthält. Jelena Hahl-Koch zufolge, die sich auf Aussagen von Kandinskijs Zeitgenossen beruft, war es vor allem Über das Geistige in der Kunst, das ihn „auf einen Schlag berühmt gemacht hat, mehr als seine Bilder“22. – Zur Gegenwart hin markiert das Jahr 1945 den zeitlichen Rahmen der Untersuchung. Diese Grenzsetzung findet ihre Begründung darin, dass Kandinskijs Tod 1944 und das Ende des Nationalsozialismus 1945 einen signifikanten Einschnitt in der Rezeptionsgeschichte des Künstlers bedeuteten.23 Verschiedene Umstände machen die Rezeption Kandinskijs in Deutschland als Forschungsgegenstand besonders interessant und bestimmen die näheren Fragestellungen dieser Arbeit: Zum einen war Deutschland keine Durchgangsstation für Kandinskij, sondern bildete von 1896 bis 1914 und von 1922 bis 1933 den Mittelpunkt seines Wirkens. Umgekehrt spielte Kandinskij für das Kunstleben in Deutschland eine so herausragende Rolle wie kein anderer russischer Maler der Moderne (mit Ausnahme vielleicht von Mark Šagal24). Es tut sich vor diesem Hintergrund eine Reihe von Fragen auf: Wie wurde Kandinskij – als eine Schlüsselfigur des Expressionismus in Deutschland – von Autoren dargestellt, die den Expressionismus als eine genuin deutsche Kunst zu vereinnahmen suchten? Inwieweit beeinflusste das jeweilige Russlandbild die Wahrnehmung seines Schaffens? Und wie prägte umgekehrt Kandinskij die Vorstellungen von russischer Kunst? In welcher Abhängigkeit stand die Rezeption Kandinskijs von der Sicht der Deutschen auf sich selbst? Und wie wurde Kandinskijs russische – respektive slawische, östliche, ausländische – Herkunft dazu benutzt, um Verständnis für sein Schaffen zu wecken oder aber dessen Ablehnung zu begründen? Zum Zweiten galt Kandinskij schon seinen Zeitgenossen als Erfinder und Hauptvertreter der abstrakten Kunst.25 In ihm konzentrierte sich das Problem der Abstraktion, also

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Hahl-Koch 1993, 174. Zur Kandinskij-Rezeption in Deutschland nach 1945 vgl. Hergott 1999. Zur deutschen Šagal-Rezeption vgl. Schmidt 1987; Hille 2005a; Lampe 2013. Um der hohen Variabilität des historischen Sprachgebrauchs gerecht zu werden, müssen die Begriffe „abstrakt“ und „Abstraktion“ möglichst breit gefasst werden. In der Mannheimer Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa etwa waren 1927 so verschiedene Künstler wie Kandinskij, Mondrian, Picasso, Delaunay, Schlemmer und Moholy-Nagy vertreten. So wird „Abstraktion“ im Folgenden nach Monika Wagner als ein Sammelbegriff für „nicht-abbildende künstlerische Verfahren

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die Frage, „was […] den fehlenden Gegenstand ersetzen [soll]“26. Diese Frage stellte sich nicht nur dem Künstler selbst, sondern auch seinem Publikum – und namentlich denen, die sich professionell mit seiner Kunst befassten. Will Grohmann, ein Hauptinterpret Kandinskijs, wies auf die schwierige Lage hin, in der sich die Kritiker des Blauen Reiters angesichts der abstrakten Bilder befanden: […] wo sollten sie einsetzen, wenn 1910 die Wirklichkeit in ihrer optischen Erscheinungsform wegfiel, was konnten sie noch interpretieren? […] Die Vergleichbarkeit von Kunst und Natur hatte Maßstäbe an die Hand gegeben, wenn auch nicht alle, die Historie hatte Eselsbrücken gebaut.27

Es überrascht nicht, dass Kandinskijs russische Abstammung häufig als eine Eselsbrücke fungierte, um die semantische Kluft zu überwinden, die der fehlende Gegenstand hinterlassen hatte. In Verbindung damit zeichnete sich bei verschiedenen Autoren ein kulturelles Modell ab, bei dem die Abstraktion – mit Kandinskij als dem prominentesten Vertreter – russisch oder östlich konnotiert war. Mit dem internationalen Durchbruch der geometrischen Abstraktion bzw. des Konstruktivismus in den 1920er-Jahren ergeben sich weitere Fragestellungen. In Bezug auf diese Tendenzen, die auch in Kandinskijs Kunstproduktion zutage traten, soll danach geschaut werden, ob oder inwiefern sie den Blick auf sein Schaffen veränderten. Zum Dritten betätigte sich Kandinskij auch als Kunsttheoretiker und legte mit seinen Büchern und Artikeln eine Basis für die Deutung seines künstlerischen Schaffens. In Anbetracht der enormen Herausforderung, die seine ungegenständlichen Bilder gerade auch für das schreibende Publikum darstellten, kommt diesem Umstand eine umso größere Wichtigkeit zu. Es ist im Rahmen dieser Studie mithin unerlässlich, danach zu fragen, wie sich Kandinskij selbst über das Nationale und dessen Bedeutung für die Kunst (bzw. für seine Kunst) geäußert hat. Das inhaltliche Profil der vorliegenden Abhandlung wird nicht allein durch den Künstler und die an seine Rezeption herangetragenen Fragestellungen bestimmt, sondern ganz wesentlich auch durch die Auswahl, die Anordnung und den Umgang mit dem Quellenmaterial. Die Materialauswahl gestaltet sich bei einer rezeptionsgeschichtlichen Arbeit über Kandinskij als eine besonders delikate Angelegenheit. Denn man hat es mit einem der (Abstrahieren)“ sowie für „deren Ergebnisse (abstrakte Kunst)“ verstanden, vgl. Wagner 2011, 5. Zu Kandinskijs Abstraktionsbegriff vgl. Haldemann 2001, 13–29. 26 Kandinsky [1913] 2004b, 38. 27 Grohmann 1960, 66.

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am häufigsten behandelten Künstler der Klassischen Moderne zu tun. Nach Wolfgang Kemp lassen sich generell drei Rezeptionswege unterscheiden, die ihre jeweils eigenen Materialien mit sich bringen:28 (1) Die künstlerische Rezeption, also die Rezeption durch Künstlerinnen und Künstler in Form neuer Kunstwerke. Sie steht nicht im Fokus dieser Untersuchung. (2) Die institutionelle Rezeption, also die Rezeption durch Institutionen des Kunstbetriebs wie Galerien oder Museen. Sie spielt hier eine bedeutende Rolle und hängt eng mit der literarischen Rezeption (Ausstellungskataloge, Rezensionen) zusammen. (3) Die literarische Rezeption, also die Rezeption durch das Kunstpublikum in Form schriftlicher Dokumente. Auf ihr liegt im Folgenden das Hauptaugenmerk.29 Grundsätzlich kommen dabei vielerlei Quellen in Betracht, vom Tagebucheintrag bis hin zum wissenschaftlichen Opus magnum. Angesichts der Beschränkung auf die Zeit vor 1945 tritt das dezidiert forschungsgeschichtliche Moment in dieser Arbeit zurück.30 Dafür erhalten die Kunstkritik und die Kunstschriftstellerei ein besonderes Gewicht.31 Was zu Kandinskijs Lebzeiten über ihn publiziert wurde, entstand aus einer Unmittelbarkeit heraus. „[M]an lebt in einer Zeit“, gab Wilhelm Hausenstein in Die bildende Kunst der Gegenwart (1914) zu bedenken, „in der gekämpft wird, in einer Zeit, in der man selber mit Dingen, mit Personen und mit sich selber streitet.“32 Und sein Kollege Paul Fechter postulierte im Schlusswort seines Expressionismus-Buches (1914): „Worauf es zurzeit ankommt, ist nicht[,] wissenschaftlich oder sonstwie begrifflich Stützpunkte für das

28 Vgl. Kemp 1992, 20–22. 29 In der Klassifikation von Hannelore Link entspräche dem die reproduzierende Rezeption, worunter „alle Bemühungen um Vermittlung eines primären Rezeptionsgegenstands“ zu verstehen sind, „meist durch Herstellung eines weiteren sekundären Rezeptionsgegenstands“. Abzugrenzen davon ist nach Link die produktive Rezeption, „die sich schließlich in der Schaffung eines neuen Kunstgegenstandes dokumentiert“ (= künstlerische Rezeption), und die passive Rezeption durch die von Otfried Ehrismann so bezeichnete „Schicht der reinen Rezipienten“, die „schweigende Mehrheit“. Link 1976, 85–112 (Zitate auf S. 89, 86 und 98). 30 Auf das Problem des historischen Abstands und das damit verbundene schwierige Verhältnis der universitären Kunstgeschichte zur Gegenwartskunst wird im Zusammenhang mit Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst noch eingegangen, vgl. unten Kap. 2.1.1. 31 Kunstkritik und Kunstschriftstellerei lassen sich nicht scharf voneinander trennen. Nach Dieter Sulzer ist die Tätigkeit des Kunstschriftstellers gekennzeichnet durch: „das Gegenwartsinteresse, die Aktualisierung der Geschichte aus seiner Perspektive (worin sich ein wesentlicher Unterschied zum Kunstkritiker manifestiert), die literarische Form der Vermittlung, einer aktuellen Kunstströmung wird ihre Geschichte geschrieben, um sie zu unterstützen[,] d. h. zu propagieren: historische, kritische, kunstpolitische und kunstpädagogische Funktionen durchdringen sich. In ihrem ständigen Wechsel sind sie neben dem Buch entscheidend an das Medium der Kunst- und Kulturzeitschrift gebunden.“ Sulzer 1982, 57. 32 Hausenstein 1914b, IX.

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Kunstwollen der Zeit zu finden, sondern das Gefühlsverhältnis des heutigen Menschen zur Welt bewußt gefühlsmäßig nachspürend zu bestimmen.“33 Um Entwicklungen, Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Rezeption Kandinskijs ersichtlich zu machen, ist dieser Arbeit eine chronologische Struktur zugrunde gelegt.34 Bei der Einteilung in größere Zeitabschnitte orientiere ich mich in der Hauptsache an den Lebensstationen Kandinskijs und, damit eng verbunden, an den großen politischen Umbrüchen. Bei der Feingliederung versuche ich, „Brennpunkte“ festzulegen, auf die sich die Aufmerksamkeit konzentriert. Damit gemeint sind bedeutende Interpreten Kandinskijs wie der Kritiker Will Grohmann (Kap. 4.4), einschlägige Veröffentlichungen wie Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (Kap. 2.1), wichtige Ausstellungsereignisse wie die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin (Kap. 3.2), aber auch Vorgänge wie die Umgestaltung der Neuen Abteilung der Berliner Nationalgalerie durch Alois Schardt 1933 (Kap. 5.2.1) sowie zusammenfassende Analysen – etwa der Diskreditierung Kandinskijs „von rechts“ in der Weimarer Republik (Kap. 4.6) –, die unterschiedliche Facetten der Rezeption Kandinskijs repräsentieren und unter dem hier behandelten Gesichtspunkt besonders aufschlussreich sind. Die einzelnen Brennpunkte stehen jeweils für sich, sind aber durch den spezifischen Fokus auf der Bedeutung der russischen Herkunft Kandinskijs miteinander verbunden.35 Der Umgang mit dem Material ist in der vorliegenden Untersuchung von einer Prämisse geleitet, die Karoline Hille in ihrer rezeptionsgeschichtlichen Dissertation Spuren der Moderne. Die Mannheimer Kunsthalle von 1918 bis 1933 formuliert hat. Es geht Hille – und so auch mir – nicht primär darum, Belege für eine übergeordnete These zusammenzutragen; stattdessen sollen Tendenzen der Moderne, innere Zusammenhänge […] sichtbar gemacht werden, ohne daß gleich nach Ergebnissen gefragt wird, denn nur so bleiben Gegensätze und Widersprüche bestehen und werden nicht sofort nivelliert durch den Anspruch, alles verstehen und erklären zu können, weil man meint, heute von ‚oben‘ herab den geschichtlichen Verlauf überblicken zu können. […] Das vielleicht wichtigste Ergebnis aus der Beschäftigung mit dem Thema liegt in der Erkenntnis, daß, je tiefer man in die Materie eindringt, je intensiver die Quellen 33 Fechter 1914, 49. 34 Mit Rücksicht auf die inhaltliche Kohärenz sind thematische Bündelungen sowie zeitliche Vor- und Rückgriffe jedoch unabdingbar, weshalb von einer strengen Chronologie abgesehen werden muss. 35 Manche Schriften (bzw. Personen oder Ausstellungen), die die Rezeption Kandinskijs prägten, werden in dieser Arbeit nicht oder nur in verhältnismäßig geringem Umfang behandelt. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der rezeptionsgeschichtliche Stellenwert nicht in allen Fällen mit der Relevanz für die hier verfolgte Fragestellung übereinstimmt. Der selektive Blick, der die Auswahl des Materials und seine Analyse bestimmt, muss bei der Lektüre der Dissertation stets mitberücksichtigt werden.

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auf ihre tatsächliche Bedeutung hin befragt werden, desto komplizierter und mehrdeutiger die Sachverhalte erscheinen […].36

Um die Rezeption Kandinskijs in ihrer Komplexität und Mehrdeutigkeit begreiflich zu machen, werden ihre diversen Aspekte im Folgenden umfassend in den Blick genommen und kontextualisiert. Zwar bildet Kandinskij in den hier behandelten Schriften und Ausstellungen häufig nur einen – wenn auch zentralen – Gesichtspunkt; ohne eine Kenntnis der größeren Zusammenhänge (Sinn-, Gesamtzusammenhänge), in denen sein Name erscheint, kann seine Rezeption jedoch nicht angemessen verstanden werden. Dasselbe gilt in Bezug auf die historischen Kontexte. Es ist daher erforderlich, den Fokus immer wieder auf die Voraussetzungen zu richten, unter denen Kandinskij in seiner Zeit wahrgenommen wurde.

Zum Aufbau Im ersten Teil der Arbeit, der sich mit der Zeit von 1912 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs befasst, werden zunächst anhand von drei prominenten Fällen – dem Verriss einer Kandinskij-Retrospektive im Hamburger Fremdenblatt sowie Wilhelm Hausensteins und Paul Fechters frühen Darstellungen zur modernen Kunst – grundlegende Tendenzen der Rezeption Kandinskijs aufgezeigt, die die Relevanz seiner russischen Herkunft deutlich machen. Im Anschluss daran gilt es, die Bedingungen zu klären, unter denen Kandinskijs abstrakte Kunst mit Russland in Bezug gesetzt wurde: Dazu gehört eine Erhellung dessen, was (oder wie wenig) man in Deutschland überhaupt über die russische Kultur wusste. Am Beispiel der Ikone soll veranschaulicht werden, in welch bescheidenem Maße man innerhalb des gesamten Untersuchungszeitraums den Zusammenhang zwischen Kandinskijs Malerei und seinen kulturellen Wurzeln konkretisierte. Mit Herwarth Walden als dem maßgeblichen Förderer und Fürsprecher Kandinskijs in den 1910er-Jahren wird daraufhin eine weitere rezeptionsgeschichtliche Voraussetzung in Augenschein genommen; allerdings repräsentiert Walden im Rahmen dieser Arbeit eine Ausnahme, insofern er eine europäische Perspektive einnahm und von nationalen Zuordnungen weitgehend absah. Ein spezielles Augenmerk wird schließlich auf die konstitutive Rolle gerichtet, die Kandinskijs eigene Texte und die bahnbrechenden Schriften des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer für die Deutung abstrakter Kunst – und Kandinskijs Kunst im Besonderen – als Manifestation einer russischen bzw. östlichen Spiritualität spielten.

36 Hille 1994, 13 f.

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Die Tendenz, in Kandinskijs Abstraktion eine spezifisch russische Erscheinung zu erblicken, setzte sich fort in zwei Publikationen, die die Aktualität des Künstlers auch während seiner kriegsbedingten Abwesenheit aus Deutschland von 1914 bis 1921 dokumentieren: Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917) – seinerzeit ein kunsthistorischer Bestseller – und Eckart von Sydows Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920). Analysiert und hinterfragt werden soll die herausgehobene Position, die Kandinskij, als Stellvertreter Russlands, in der Darstellung des deutschen Expressionismus sowohl bei Burger als auch bei Sydow erhält. Für beide Autoren wird Kandinskijs Freundschaft und enge Zusammenarbeit mit Franz Marc zum sinnfälligen Beleg einer inneren Verbundenheit der deutschen Kunst mit der russischen (als Inbegriff von Ursprünglichkeit, Mystik und Abstraktion) – und gleichzeitig zu einer Funktion ihrer Kontrastierung mit der französischen Kunst (als Inbegriff von technischer Verfeinerung, Rationalität und Naturalismus). Die Vorstellungen von Kandinskij als dem Protagonisten der neuen russischen Kunst, wie sie sich bei Burger und Sydow äußerten, wurden zu Beginn der 20er-Jahre einer teilweisen Revision unterzogen; diese steht im Mittelpunkt des dritten Teils. Im Zuge der Bemühungen, die kulturelle Blockade zu überwinden, die seit 1914 zwischen Russland und Deutschland bestanden hatte, gab der sowjetrussische „Kunstbotschafter“ Konstantin Umanskij 1920 in einer Reihe von Artikeln und einer Buchveröffentlichung den Deutschen erstmals einen Überblick über die neuesten Entwicklungen, die die russische Kunst parallel zu Kandinskij und über ihn hinaus genommen hatte. 1922 konnte das deutsche Publikum die sogenannte „Revolutionskunst“ dann endlich im Original betrachten: In der Ersten Russischen Kunstausstellung in Berlin wurden Kandinskijs Werke in einem neuen Zusammenhang präsentiert, der die abstrakten Richtungen des Suprematismus und des Konstruktivismus mit einschloss. Galt Kandinskij manchen Ausstellungsbesuchern als von den Vertretern dieser Strömungen überholt, so wird in einem Ausblick zu erläutern sein, weshalb seine Rezeption in Deutschland auch in den folgenden Jahren die seiner russischen Kollegen überragte. Ein wesentlicher Grund für die anhaltende Präsenz Kandinskijs im Bewusstsein der Deutschen war seine Tätigkeit am Bauhaus von 1922 bis 1933. Diesem Zeitraum ist der umfangreichste Teil der Untersuchung gewidmet. In ihrer Summe veranschaulichen die Themen dieses Blocks das Spannungsfeld, das in den 20er-Jahren zwischen den konkurrierenden Sichtweisen auf Kandinskij als Russe, als Europäer und als singuläre Künstlererscheinung bestand. Anhand von Kandinskijs Aufsatz „Abstrakte Kunst“ (1925) wird zunächst dargelegt, wie der Künstler selbst eine Verbindung zwischen der Abstraktion und seiner russischen Heimat herstellte und damit an die nationale Deutung seines Werks anknüpfte. Demgegenüber versuchte die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa 1927 in Mannheim erstmalig, ein Gesamtbild der Abstraktion als einer dezidiert europäischen Kunstrichtung zu vermitteln. Infrage steht

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hier, wie Kandinskij – der von allen Teilnehmern die meisten Exponate beisteuerte – im Kontext der internationalen Abstraktion wahrgenommen wurde. Sodann wird die Aufmerksamkeit auf zwei Zentralfiguren der deutschen Kunstkritik gerichtet, für die Kandinskijs Abstammung eine sehr unterschiedliche Relevanz besaß: Will Grohmann und Carl Einstein. Während Grohmann Kandinskijs Werk auf fernöstliche Ursprünge zurückführte und die Ansicht vertrat, man könne ihm mit westlichen Maßstäben allein nicht gerecht werden, wurde Kandinskij von Einstein ganz selbstverständlich in einem europäischen Zusammenhang verortet. Ausführlich kommen auch die „rechten“ Attacken zur Sprache, die sich bereits in der Weimarer Republik gegen den Russen, abstrakten Maler und Bauhauslehrer Kandinskij richteten. Sie leiten über zum letzten Teil dieser Arbeit, der sich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Vor dem Hintergrund der akuten Bedrohung, unter der die moderne Kunst und ihre Befürworter in Hitlers Deutschland standen, wird ein differenziertes Bild der Rezeption Kandinskijs nach 1933 gezeichnet, das über seine bloße Verfemung als ‚undeutsch‘ und ‚bolschewistisch‘ hinausgeht. So schürten Widersprüche in der nationalsozialistischen Kunstpolitik die Hoffnung, es handle sich bei dem Vorgehen gegen die Avantgarde um momentane Verirrungen, zu deren Beseitigung man durch eine Betonung der ‚deutschen‘ Wurzeln vor allem des Expressionismus beitragen könne. Gefragt werden soll nach der Behandlung Kandinskijs innerhalb des diskursiven Spielraumes, der in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ noch bestand. Hierzu wird einleitend mit Blick auf Kandinskijs russische Herkunft der Ansatz problematisiert, moderne (auch abstrakte) Kunst durch ihre Germanisierung zu verteidigen. Auf dieser Basis wird anschließend Kandinskijs prekäre Stellung im promodernen Diskurs eingehend beleuchtet. Das Gewicht liegt dabei auf den Aktivitäten der progressiven Kunsthistoriker Alois Schardt, Max Sauerlandt und Werner Haftmann. Im Kampf um die Kunst vertraten sie verschiedene Umgangsweisen mit Kandinskij, die unter den Begriffen „Ausblendung“, „Verfremdung“ und „Integration“ untersucht werden. Danach wird der antimoderne Diskurs in den Gesichtskreis gerückt, der, wie sich herausstellen wird, bei der „Machtergreifung“ inhaltlich schon voll ausgeprägt war. Neu war indes die Tragweite, die dieser Diskurs durch seine Institutionalisierung im NS-Staat erhielt. Mit der Aktion „Entartete Kunst“ schob Propagandaminister Joseph Goebbels 1937 allen Sympathiebekundungen für die Avantgarde endgültig einen Riegel vor. Als eine Folge davon liegen für die Zeit bis 1945 keine für diese Studie signifikanten Quellen mehr vor. Auf diesen Umstand wird in einer abschließenden Betrachtung eingegangen.

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1 Vorkriegszeit Grundzüge und kontextuelle Bedingungen der Rezeption Kandinskijs am Ende seiner Münchner „Geniezeit“, 1912–1914 „Warum wurde die Vaterschaft der Abstraktion gerade Kandinsky zugeschrieben?“, fragt Cor Blok in seiner Geschichte der abstrakten Kunst.1 Gab es doch eine Reihe von Künstlern, die um dieselbe Zeit wie Kandinskij, das heißt um 1910/13, oder schon früher Werke schufen, in denen sie vom Gegenstand absahen.2 Blok beantwortet die von ihm aufgeworfene Frage, indem er die Entschiedenheit und Schöpferkraft unterstreicht, mit der Kandinskij über Jahrzehnte hinweg sein abstraktes Œuvre entwickelte. Daneben erwähnt Blok noch weitere Faktoren, die Kandinskijs „Vaterschaft“ begründet haben: Er war 1910 schon 44 Jahre alt und hatte eine fast zehnjährige Laufbahn als Maler hinter sich, die ihm eine gewisse Autorität verlieh. Außerdem wohnte er in einer ‚Hauptstadt der Kunst‘: München, wo er einen Verleger für sein Buch Über das Geistige in der Kunst und Ausstellungsraum für seine Werke und die seiner Mitkämpfer fand. Über das Geistige in der Kunst, 1910 geschrieben, aber erst 1912 veröffentlicht, ist die erste umfassende Schrift zum Thema der gegenstandslosen Kunst. Im gleichen Jahr wie das Buch erschien der von Kandinsky und Franz Marc redigierte Almanach Der Blaue Reiter, eine Sammlung von Aufsätzen zur modernen bildenden Kunst und Musik. Unter der Fahne der ‚Redaktion des Blauen Reiters‘ wurden schon Ende 1911, dann nochmals 1912 und 1913 Ausstellungen mit Werken der im Almanach vertretenen Künstler veranstaltet, die auch ins Ausland gelangten.3 Alle diese Umstände waren dazu geeignet, Kandinsky als Haupt der neuen ‚Schule‘ bekannt zu machen.4

1 Blok 1975, 25. 2 Vgl. ebd., 16, 25. Die Bezeichnung eines Künstlers als der Vater (oder, im Fall der schwedischen Künstlerin Hilma af Klint, als die Mutter) der abstrakten Kunst erscheint in Anbetracht der Komplexität des Phänomens Abstraktion freilich als zu simpel. In Abgrenzung dazu wurden im Rahmen der Ende 2012 eröffneten Schau Inventing Abstraction des New Yorker Museum of Modern Art die „Erfindung“ der Abstraktion und ihre Verbreitung nicht als das Verdienst einzelner Künstler dargestellt, sondern auf ein Netzwerk von Akteuren zurückgeführt, in dem Kandinskij einen Hauptknotenpunkt gebildet habe. Vgl. Dickerman 2013, 18–22; Bätschmann 2013. 3 Tatsächlich kam es nur zu zwei Ausstellungen der Redaktion Der Blaue Reiter (München 1911 und 1912), deren erste – mit wechselndem Bestand – bis 1914 durch Deutschland und Europa wanderte. Vgl. Lüttichau 1988a, 109, 116 f.; Wedekind 2000, 109. 4 Blok 1975, 25.

Vorkriegszeit |

Die genannten Faktoren lassen sich noch um einen weiteren Gesichtspunkt ergänzen: Kandinskijs russische Herkunft. Sie bot einen Anknüpfungspunkt, um die Herausforderungen einer nicht-mimetischen Kunst diskursiv zu bewältigen. Hierdurch wurde die von Kandinskij selbst für sich in Anspruch genommene Vaterrolle gefestigt. Mithilfe seiner Unterstützer und Mitstreiter eroberte sich Kandinskij bis zum Ende seiner Münchner Jahre (1914) „eine exponierte Stellung“5 im deutschen Kunstbetrieb. Diese war freilich nicht allein mit Beifall für seine Innovationen verbunden. 1908/09 war Kandinskijs Malerei an einem Wendepunkt angelangt. Es entstanden Bilder, die eine zunehmend freie Behandlung der Farbe sowie eine allmähliche Auflösung gegenständlicher Formen zeigen. Diesen – keineswegs linear verlaufenden – Weg zur Abstraktion verfolgte Kandinskij in seinen Impression, Improvisation und Komposition genannten Arbeiten weiter.6 Ein Rezensent der zweiten Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München im Jahr 19107 bezeichnete die dort gezeigte Komposition  II (1910, zerstört) als „farbiges Tohuwabohu“, eine „wahllose Farbenanhäufung“, die man besser „‚Farbenskizze für einen modernen Teppich‘“ betitelt hätte (vgl. Taf. 1).8 Es handelt sich um nur eine von vielen Kritiken, in denen Kandinskijs Abstraktion auch in den folgenden Jahren (und Jahrzehnten) mit Unverständlichkeit, Willkür oder kunstgewerblicher Ornamentik gleichgesetzt wurde. Sie steht beispielhaft dafür, dass die Beschäftigung mit Kandinskij auf einer sehr grundsätzlichen Ebene stattfand. Dies ist kaum verwunderlich, stellte Kandinskij mit Werken wie der Komposition II gefestigte Vorstellungen darüber, was ein Bild sei und nach welchen Kriterien die Qualität eines Bildes zu bemessen sei, doch radikal infrage. Auch die fortschrittlicheren Kritiker sahen sich mit dem Problem konfrontiert, ob und wie nach der Loslösung vom Gegenstand eine Verständigung zwischen Künstler und Betrachter noch stattfinden könne.9 5 Haxthausen 1984, 73. Vgl. ergänzend Barnett 1996. Für eine detaillierte Auflistung der Einzel- und Gruppenausstellungen Kandinskijs vgl. Illetschko/Katz 1992. 6 Vgl. hierzu Hahl-Koch 1993, 110–129, 159–171; Wiese 1994; Brucher 1999; Haldemann 2001. 7 Die Ausstellung fand vom 1. bis 14. September in der Modernen Galerie Thannhauser in München statt. – Die Neue Künstlervereinigung München war 1909 u. a. von Adolf Erbslöh, Aleksej Javlenskij, Kandinskij, Alexander Kanoldt, Alfred Kubin, Gabriele Münter und Marianna Verefkina gegründet worden. 8 Wolf 1910, 70. Vgl. Thürlemann 1986, 45 f.; Barnett 1996, 85. 9 Kandinskij strebte in seiner Kunst nach weit mehr als Ornamentik, vgl. Ders. [1912] 2006, 119. Desgleichen wollte er keine Kunst um der Kunst willen gestalten im Sinne eines „l’art pour l’art“ (ebd., 29). Seine Bilder sollten stattdessen Medium einer geistigen Botschaft sein. Dieses kommunikative Anliegen war für Kandinskij von zentraler Bedeutung, wenngleich es die Gegner seiner abstrakten Kunst als zum Scheitern verurteilt erklärten und ihre Befürworter es nicht selten verkannten. Vgl. dazu ausführlich Haxthausen 1984. Auch in Zeiten, in denen die abstrakte Kunst eine breitere Akzeptanz erfuhr, blieb die Frage nach ihrer Verständlichkeit aktuell. So konstatierte ein Kurator in den 1980er-Jahren:

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Bei der Auseinandersetzung mit Kandinskijs Abstraktion brauchte seine russische Herkunft nicht notwendig eine Rolle zu spielen; in vielen Fällen tat sie es jedoch, teilweise auch unausgesprochen. Drei solcher Fälle, bei denen unterschiedliche Grundzüge des Umgangs mit dem Russen Kandinskij zutage treten, werden in den nachfolgenden Abschnitten behandelt.

1.1 Die Polemik des Hamburger Fr emdenbl atts gegen „diesen Russen K andinsk y“ und der Protest im Stur m 1913 Im Herbst 1912 eröffnete in Herwarth Waldens Galerie Der Sturm in Berlin die Kandinsky Kollektiv-Ausstellung, die in veränderter Form nach Rotterdam, Hamburg, Groningen, Brüssel, Wiesbaden, Frankfurt, Aachen, München, Magdeburg, Stuttgart und in andere Städte wanderte.10 Anfang des Jahres 1913 war die Kollektiv-Ausstellung bei Louis Bock & Sohn in Hamburg zu sehen. Der Schriftsteller und Feuilletonist Kurt Küchler (1883–1925)11 nahm dies zum Anlass einer polemischen Kritik, in der er verkündete, daß wir heute diesen Russen Kandinsky rasch und ohne Aufregung erledigen können. Wenn man vor dem greulichen Farbengesudel und Liniengestammel […] steht, weiß man zunächst nicht, was man mehr bewundern soll: die überlebensgroße Arroganz, mit der Herr Kandinsky beansprucht, daß man seine Pfuscherei ernst nimmt, die unsympathische Frechheit, mit der die Gesellen vom ‚Sturm‘, die Protektoren dieser Ausstellung, diese verwilderte Malerei als Offenbarungen einer neuen und zukunftsreichen Kunst propagieren, oder den verwerflichen Sensationshunger des Kunsthändlers, der seine Räume für diesen Farben- und Formenwahnsinn hergibt.12

„Abstrakte Kunst bleibt von der Mehrzahl ihrer Betrachter unverstanden. Die meisten halten sie für sinnlos.“ Tuchman 1988, 17. Diese Beobachtung hat ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren. 10 Vgl. Illetschko/Katz 1992, 501. Die Kollektiv-Ausstellung wird meist als Kandinskijs erste Einzelausstellung bezeichnet, so bei Hoberg 2008, 24. Dagegen führen Illetschko und Katz (1992, 496) schon für das Jahr 1905 eine Einzelausstellung Kandinskijs an, die in München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Köln gezeigt worden sei. Vgl. auch Barnett 1996, 82, wo als Beleg für diese Ausstellung auf Briefe und Notizen Kandinskijs verwiesen wird. 11 Zu Küchler vgl. die Artikel R. W. 1950 und HA 1958. Im letztgenannten Beitrag ist von dem „heute leider zu Unrecht vergessenen Werk“ Küchlers die Rede. 12 Küchler 1913. Eine Besprechung der Kollektiv-Ausstellung erschien auch im Hamburgischen Correspondent. Ihr Verfasser Carl Müller-Rastatt nahm darin eine sachlichere und aufgeschlossenere Haltung ein. Küchlers Reaktion gleichsam antizipierend, schrieb er: „Kandinsky hat in den Gemälden, die dem Besucher der Ausstellung zuerst in die Augen fallen, mit jeder Tradition gebrochen, und seine Schöpfungen müssen daher jedem, der seinen Begriff vom Gemälde aus der bisherigen Malerei geschöpft hat, als wirre Ausgeburten eines irren Hirns erscheinen.“ Nach Ansicht Müller-Rastatts musste man



Die Polemik des Hamburger Fremdenblatts |

Küchlers Verriss erscheint mir aus drei Gründen bezeichnend. Erstens: Für Küchler ist Kandinskijs Malerei ein Dokument der „Pfuscherei“ und der Idiotie, bar eines jeden revelatorischen oder sonstigen Gehaltes – und damit geistlos. Zweitens: Die Präsentation von Kandinskijs Bildern als verheißungsvolle Kunst zeugt für ihn von der Profitgier und dem mangelnden Berufsethos der Galeristen.13 Drittens: Küchler verbindet die Aburteilung abstrakter Kunst – zumindest unterschwellig – mit nationalen Ressentiments, indem er Kandinskij als „diesen Russen“ apostrophiert.14 Herwarth Walden (1878–1941), ein Hauptförderer expressionistischer Bestrebungen in Kunst und Literatur, reagierte auf Küchlers Artikel in seiner Zeitschrift Der Sturm. Unter dem Motto „Für Kandinsky“ arrangierte er einen Protest, den über 80 Persönlichkeiten vor allem des kulturellen Lebens aus dem In- und Ausland unterzeichneten.15 Zusammen auf diesem Standpunkt aber nicht verharren – sofern man dazu bereit sei, umzulernen: „Und umlernen muß man in seiner Kunstanschauung, die Tradition völlig bei Seite schieben, bevor man Kandinskys Versuch, die Grenzen der Malerei zu verschieben, zustimmend begrüßen kann.“ Müller-Rastatt 1913. 13 Es handelt sich dabei um Vorwürfe gegen die moderne Kunst und den Kunsthandel, die bereits im Rahmen des Bremer Künstlerstreits von 1911 zur Sprache kamen. Stein des Anstoßes war ein Gemälde von Vincent van Gogh, welches die Kunsthalle Bremen zum Preis von 30.000 Mark erwarb. In dem Pamphlet Ein Protest deutscher Künstler wandte sich der Worpsweder Maler Carl Vinnen, unterstützt von zahlreichen Kollegen und Kritikern, gegen die vermeintliche „Überfremdung“ der deutschen Kunst durch die französische. Wenig später erschien bei Piper in München eine Gegenschrift unter dem Titel Im Kampf um die Kunst, an der auch Marc und Kandinskij beteiligt waren. Indes muss Magdalena Busharts Darstellung relativiert werden, nach der Marc und Kandinskij die Antwort auf den Protest deutscher Künstler initiiert haben, vgl. Bushart 1990, 46 f. Tatsächlich kam es zu verschiedenen Initiativen, die in einer gemeinsamen Antwort mündeten. Vgl. Nierhoff 2002a; Dies. 2002b. 14 Dass sich Küchler in erster Linie an Kandinskijs Abstraktion stieß (und nicht an dessen Herkunft), geht aus seiner Bemerkung hervor, dass Kandinskij, „wie ein paar frühere Bilder erweisen, vor der Verdüsterung schöne und edle malerische Formen schaffen konnte“ (Küchler 1913). Dass aber ein Russe auch mit „einer solchen Pseudo-Kunst“ (ebd.) in Deutschland reüssieren konnte, mag von Küchler als besondere Provokation empfunden worden sein; jedenfalls wurde seine Äußerung aus zeitgenössischer Sicht als chauvinistisch interpretiert (s. u.). – Auch in der oben zitierten Kritik der zweiten Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München (vgl. S. 29) werden (lokal)patriotische Töne gegen Kandinskij und seine Mitstreiter angestimmt: „Der schöne und in Kunstdingen so voll klingende Name München muß einer aus romanischen und slavischen Elementen gemischten Künstlergesellschaft, die obendrein der Münchner Kunsttradition fremd und feindlich gegenübersteht, als Aushängeschild dienen.“ Wolf 1910, 68. 15 Vgl. Walden [1913] 1970c. Die Aktion wurde neu abgedruckt (mit einigen Auslassungen und Lapsus) in: Kandinsky 2004a, 178–187. Zum Protest vgl. Strauss 1983, 32–34; Haxthausen 1984, 73; Bilang 2007, 54–57; Dies. 2012, 246–248; sowie den Briefwechsel zwischen Walden und Kandinskij vom 16. Februar bis Mitte April 1913 und vom 23. Oktober 1913 in: Kandinsky/Münter/Walden 2012, 50–64, 112–114. – Waldens eigenem Bekunden nach galt der Protest nicht so sehr Küchlers Invektiven als vielmehr der „Tatsache, daß einem Unwissenden von einer großen Tageszeitung die Gelegenheit gegeben wird, sich an dem hochbedeutenden Künstler Kandinsky so zu vergreifen“ (Walden [1913] 1970d).

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mit den Namen der Protestierenden veröffentlichte Walden mehrere Stellungnahmen, deren ausführlichste von dem Kunstschriftsteller Wilhelm Hausenstein (1882–1957) stammte.16 In seiner Zuschrift beanstandet Hausenstein den „eignen Ton“, mit dem Küchler Kandinskij „als ‚diesen Russen‘ der nationalen Verachtung anempfiehlt“.17 Dem stellt er seine eigene Wertschätzung Kandinskijs als Person und Künstler entgegen. Hausenstein macht in Kandinskijs Malerei zwei Pole ausfindig: „die absolute Logik der Formen und Farben“ einerseits, und andererseits „eine Fülle der irrationalsten Sinnlichkeit […] einer Sinnlichkeit, die spiritualisiert ist“.18 Diesen Dualismus zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen unterzieht Hausenstein in seinem Ende 1913 abgeschlossenen Überblickswerk Die bildende Kunst der Gegenwart (1914) einer kulturellen Zuordnung: Kandinskijs Schaffen erscheint dort im Spannungsfeld zwischen einer westlichen Rationalität und einer russischen Mystik.

1.2 Wilhelm Hausenstein: Die bildende Kunst der Gegenwart (1914): Von der „russischen Seele“ K andinskijs In Fortsetzung seiner im Sturm publizierten Darlegungen kritisiert Hausenstein in Die bildende Kunst der Gegenwart „die tolle Anmaßung, mit der Leute […] Kandinsky […] als Bluffer oder Irrsinnigen abtun“19. „Daß die Erscheinung Kandinskys auf den ersten Anblick befremdet“, ist ihm gleichwohl verständlich; einen möglichen Grund sieht er „im Nationalen“:20

16 Zu Hausenstein vgl. Sulzer 1982; Haxthausen 1990; Werner 2005; Feist 2007b; Müller 2007. 17 Hausenstein [1913] 1970, 278. Aufschlussreich im Hinblick auf die Verbreitung nationaler Ressentiments ist Hausensteins Feststellung, es sei „ganz im Allgemeinen gewöhnlich, chauvinistische Instinkte zu reizen“; in diesem Zusammenhang spöttelt Hausenstein, „ein Herr Fahrenkrog in Barmen“ habe unlängst „im Kampf gegen die neue Kunst […] die Höhe der deutschnationalen Noblesse und des kritischen Scharfsinns erklommen, indem er die Münchener Maler Alexei von Jawlensky und Wladimir von Bechtejeff als ‚Polacken‘ qualifizierte. (Weshalb nicht lieber gleich auch als Juden? […].)“ (Ebd.). – Aleksej Javlenskij und Vladimir Bechteev waren wie Kandinskij um die Jahrhundertwende aus Russland nach München gekommen, um Malerei zu studieren. Sie gehörten hier zum näheren Umkreis Kandinskijs. Die Anerkennung, die Javlenskij und Bechteev seitens des Barmer Kunstvereins zuteilgeworden war, war von dem Maler Ludwig Fahrenkrog mit der Forderung quittiert worden, die Werke dieser „Pollacken“ aus den Schauräumen des Vereins zu entfernen. Vgl. Aust 1984, 139. 18 Hausenstein [1913] 1970, 278. 19 Hausenstein 1914b, 298. Vgl. zum Folgenden auch den „W. H.“ gezeichneten Artikel, der anlässlich der im Januar 1914 in München gastierenden Kandinsky Kollektiv-Ausstellung in der Zeitschrift Kunstchronik erschien. Aufgrund seiner Parallelen zu dem Kandinskij-Abschnitt in Die bildende Kunst der Gegenwart kann der Beitrag zweifelsfrei Hausenstein zugeschrieben werden, vgl. Hausenstein 1914a. 20 Hausenstein 1914b, 298.



Wilhelm Hausenstein: Die bildende Kunst der Gegenwart (1914) |

Nicht in dem Sinn, daß man den subjektiven nationaldeutschen Bedenken gewisser germanischer Kunstphilister gegen den Russen auch nur das Geringste einräumen könnte; wohl aber in dem Sinn, daß sich das Nationale, die Rasse als objektiver kultureller Gegensatz dazwischenschiebt. Kandinsky ist Slawe. Das bedeutet mancherlei.21

Wie stellt sich der behauptete kulturelle Gegensatz für Hausenstein dar? Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die (vermeintliche) Traditionslosigkeit und Rückständigkeit der russischen Malerei, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „allenfalls russifiziertes Westländertum“ hervorgebracht habe.22 Das „eigentlich Russische“, die „ursprünglichsten Werte“ verkörpert für ihn die russische Volkskunst; sie allein würde allerdings „niemals zureichen, um eine russische Malerei zu entwickeln“; der Grund: „Rußland ist längst so sehr mit westeuropäischen Zivilisationsformen – man möchte sagen leider [!] – durchtränkt, daß die Russen […] heute das kosmopolitischste Volk Europas sind.“23 Diese „Verquickung ursprünglicher russischer Instinkte mit den Formen westlicher Anschauung“ könne aber „naturgemäß nur etwas Problematisches ergeben“, woraus denn auch „der verzweifelte Radikalismus der besten Russen und ganz besonders der unerhörte Radikalismus ihrer Dialektik“ hervorgegangen sei.24 Eben darin erkennt Hausenstein „die Voraussetzungen der Persönlichkeit und der Kunst des Moskowiters Kandinsky“25. Die „Formen westlicher Anschauung“, das rationale Element, das Hausenstein bei Kandinskij wahrnimmt, wertet er auf Basis seiner vorangegangenen Betrachtungen als das Uneigentliche ab. Die wesentliche Qualität der Texte und Bilder Kandinskijs führt er auf ein anderes Element zurück, auf Kandinskijs russische Prägung: Es muß ohne weiteres zugegeben werden: ‚das Geistige in der Kunst‘ ist nach unserem literarischen Maßstab eine schwache Leistung, und das, was wir unter dem Sinn eines Gedichtes verstehen, ist in Kandinskys ‚Klängen‘26 nicht – auch wenn wir sehr tolerant sind. Aber das ist es gerade, daß wir nicht das Recht haben, an diese Dinge den gewohnten Maßstab anzulegen, der auch im besten Fall noch immer etwas westeuropäisch Rationelles hat und für die Mystik, die unsinnige Mystik, das unverständliche Stammeln der russischen Seele nicht zureicht. Genau besehen sind Kandinskys literarische Leistungen wirklich schwach nur im Rationalen. 21 Ebd. Hervorh. S. B. 22 Ebd. 23 Ebd., 298 f. 24 Ebd., 299. 25 Ebd. 26 Bei den Klängen handelt es sich um ein 1912/13 bei Piper verlegtes, bibliophil ausgestattetes Album in einer Auflage von 300 Exemplaren. Darin sind Prosagedichte Kandinskijs in Kombination mit farbigen und Schwarz-Weiß-Holzschnitten des Künstlers abgedruckt, vgl. Roethel 1970, 445–449. Zum Dichter Kandinskij vgl. Brinkmann 1980; Emmert 1998.

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Aber dabei muß man nicht stehen bleiben. Man muß den eigentlichen Wert dieser Dinge, nicht ihre allzu offenbare Schwäche herausholen. Mit einem Satz: man muß an Kandinsky überhaupt – wie an aller russischen Kunst von dem ungeheuren Dostojewskji [sic] bis zu den Kleineren, bis zu Tschechow, Gorkji [sic], Andrejew – vor allem die Vegetation der russischen Psyche, das seltsam Wuchernde, das Objektive sehen, jenes Mystische, Irrationale, Unsinnige, Kindisch-Märchenhafte und Kindisch-Krasse, das über alle subjektive Verständigung erhaben ist und gerade darum immer so merkwürdig groß bleibt.27

Vergleichbar äußert sich Hausenstein über Kandinskijs Malerei: Ohne Zweifel: auch das Geordnete ist in seiner Malerei. In den Bildern, die er Kompositionen nennt, ist eine aufbauende Arbeit, die ans Akademische grenzt. In seinen Schriften ist – man stellt es immer wieder fest – ein rationalistischer Zug. Aber der letzte Grund der Malerei Kandinskys, das, was wir an seinem Schaffen als Reichtum empfinden, ist jene wundervolle russische Seele, die zugleich mystisch und radikal, zugleich pedantisch dialektisch und schlechthin unbewußt, zugleich exzessiv individualistisch, subjektiv bis zum Nihilismus und unvergleichlich objektiv, zugleich besonnen zurückhaltend und voll von schmelzender Hingebung, zugleich kraftvoll bis zum Fanatismus und schwärmend bis zur Schwäche ist. Kandinsky ist vielleicht die größte Verkörperung dieser Psyche unter den lebenden russischen Bildnern. Aber in allen den modernen Russen ist etwas von seiner Art.28

Hausensteins Apologie besitzt interessanterweise einen gemeinsamen Nenner mit Küchlers Polemik: Es ist ein vor Kandinskijs Werken empfundenes Verständnisproblem. Doch während Küchler eine Auseinandersetzung mit diesem Problem dadurch umgeht, dass er Kandinskijs Abstraktion für reinen Unsinn erklärt, ist für Hausenstein das Problem Folge einer kulturellen Differenz, die sich aus der Eigenart der „russischen Seele“29 ergebe. Kandinskijs Bilder sind nach Hausensteins Auffassung keineswegs gegenstandslos: Nur sei ihr Gegenstand geistiger, nicht physischer Natur.30 Das Verständnisproblem resultiert Hausenstein zufolge in erster Linie daraus, dass sich die russische Mystik mit den Maßstäben westlicher Rationalität nicht messen lasse. Seine Argumentation beruht

27 Hausenstein 1914b, 299 f. 28 Ebd., 302 f. 29 Die Idee einer „Volksseele“ geht wohl auf das späte 18. Jahrhundert zurück. Im 19. Jahrhundert formten russische Autoren das Bild einer „russischen Seele“, die – im Unterschied zu der mit dem Westen assoziierten einseitigen Rationalität – mit Vorstellungen von Ganzheitlichkeit, Ursprünglichkeit und Gefühlstiefe verbunden war; diese Vorstellungen prägten auch das deutsche Russlandbild im 20. Jahrhundert. Vgl. Franz 2002b; sowie Kopelew 2000, 31 f., 84, 89. 30 Vgl. Hausenstein 1914b, 302, sowie Ders. [1913] 1970, 278.



Wilhelm Hausenstein: Die bildende Kunst der Gegenwart (1914)  |

zum Teil auf einer Vorstellung, die Ada Raev als kennzeichnend für die Rezeption russischer Kunst um 1900 in Deutschland erachtet, nämlich daß Rußland im Ergebnis seiner historischen Entwicklung vom übrigen Europa abgetrennt sei und einen Antipoden zur europäischen Kultur darstelle. In den kulturtheoretisch-philosophischen, von Nietzsche mitgeprägten Kategorien der Zeit wurden Begriffe wie ‚Geist‘, ‚Verstand‘, das ‚Intellektuelle‘, das ‚Rationale‘ dem westeuropäischen Lebens- und Denkmodell zugeordnet, während Begriffe wie ‚Leben‘, ‚Instinkt‘, ‚Sinnlichkeit‘ und das ‚Irrationale‘ mit der Definition eines ‚russischen‘ oder ‚slawischen Charakters‘ in Verbindung gebracht wurden.31

In den zitierten Passagen aus Die bildende Kunst der Gegenwart konkretisieren sich kulturelle Stereotype, die das Denken Hausensteins und anderer Autoren dieser Zeit durchwirkten. Für Hausenstein ist in Kandinskijs Schaffen etwas spezifisch Russisches am Werke, das er in Begriffe fasst wie das „Nationale“, die „Rasse“, die „Seele“ und die „Psyche“.32 Bei der Beschreibung dieses Russischen nimmt Hausenstein einen zweifachen Standpunkt ein: So akzentuiert er auf der einen Seite das Irrationale der „russischen Seele“ als das Eigentliche, andererseits vereint sie für ihn gerade den Gegensatz von Irrationalem und Rationalem (wobei das rationale Element als europäischer Einfluss erscheint). So problematisch Hausensteins essenzialistischer Ansatz aus heutiger Perspektive ist, sollte die konkrete Absicht, die er damit verfolgte, nicht außer Acht gelassen werden: Hausenstein verließ einen normativ wertenden Standpunkt und erklärte die herkömmlichen (hier: westlichen) Maßstäbe der Kunstbetrachtung im Hinblick auf Kandinskij für unzulänglich. Er forderte eine Rezeptionshaltung, bei der die Irritation, die Kandinskijs Werke auslösten, nicht als Beweis für deren mindere Qualität angesehen werden sollte, sondern als eine (auch) kulturell bedingte Reaktion. Darüber hinaus behandelte Hausenstein die neue russische Kunst als eine eigenständige kulturelle Leistung, die für die Entwicklung im Westen von hoher Bedeutung sei. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, verlief die künstlerische Rezeption nicht mehr nur in eine Richtung: Es ist auch keineswegs ein Zufall, daß diese Russen in den jüngsten Kunstbewegungen so zahlreich und so wichtig sind. Die deutschen Kunstpädagogen sehen in dieser Zahl natürlich die Anmaßung einer russischen Invasion. In Wirklichkeit liegen die Dinge so, daß der geistige Zustand Europas dieser russischen Vitalität entgegenkommt, daß er sich ihr verwandt fühlt und ihrer aus Sinnlichkeit und Abstraktion, aus rationalistischer Überlegenheit und lyrischer

31 Raev 2000b, 699. 32 Es bedürfte einer genaueren Untersuchung, um zu klären, inwieweit sich diese Begriffe bei Hausenstein inhaltlich voneinander unterscheiden. Einstweilen kann von einer weitgehenden Bedeutungsüberlagerung ausgegangen werden.

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Schwärmerei, aus Verstand und uralter Religiosität zusammengesetzten Seele einen kommenden Triumph prophezeit – bedenklichen deutschen Kunstvereinsbürgern und Zeichenlehrern zum Trotz.33

Hausenstein hielt in seinem Buch den Umbruch fest, der sich in der Kunst seiner Zeit vollzogen hatte – hin zum Expressionismus. Das „Ende“ des Äußerlichen, des Naturalismus und des Materialismus, mit dem er diese Entwicklung verband,34 sah er in den Werken Kandinskijs und anderer russischer Künstler deutlich konsequenter verwirklicht als bei ihren deutschen Kollegen: Nicht nur entsprach die „russische Seele“ in Hausensteins Konzeption den „modernen Vorstellungen“, sprich: dem neuen künstlerischen Zeitgeist; Hausenstein zufolge kam dieser bei den Russen auch unmittelbarer zum Ausdruck, und zwar deshalb, weil sie „im 19. Jahrhundert keine eigene Tradition gehabt“ hätten, durch die sie hätten gehemmt werden können.35 Die besondere Anlage der Russen, ihre „Seele“, und der „Radikalismus“36, mit dem sie dem Neuen Vorschub leisteten, machten sie aus Hausensteins Sicht für Europa so interessant und bedeutsam.37

1.3 Paul Fechter: Der Expressionismus (1914): K andinskij und die „alte gotische Seele“ der Deutschen Zu den frühen Darstellungen des Expressionismus gehört die 1914 im Piper Verlag erschienene Monographie des Publizisten Paul Fechter (1880–1958): Der Expressionismus.38 Kandinskij nimmt in Fechters Buch einen herausgehobenen Platz ein. Um das Spek­ trum des Expressionismus39 zu umreißen, unterscheidet Fechter darin zwischen einem 33 34 35 36 37

Hausenstein 1914b, 303. Ebd., 286. Ebd., 303 f. Ebd., 303. Es sei hier nur angedeutet, dass Hausenstein seine Einstellung der modernen Kunst gegenüber später grundlegend revidierte, vgl. dazu Haxthausen 1990, 182–191. Davon betroffen war auch sein Verhältnis zu Kandinskij. Wenige Tage vor seinem Tod, am 24. Mai 1957, notierte Hausenstein in sein Tagebuch: „Ich bin mehr und mehr der Meinung, daß Kandinsky nichts ist – oder, damit nicht zu viel (oder zu wenig) gesagt sei, nicht viel mehr als nichts. […] Daß ich auf diese Dinge einmal reagieren konnte, begreife ich nicht mehr […].“ Hausenstein 1969, 221 f. 38 Fechter 1914. Vgl. Werenskiold 1984, 50–52; Bushart 1990, 102–105; Zeising 2015. G. C. Perkins (1971, 3) bezeichnet Fechters Schrift als das „erste größere Werk über den Expressionismus“. Zu Fechter vgl. Frommholz 1961; Becker 2003. 39 Fechter verwendet den Begriff „Expressionismus“ im engeren Sinn für die neue Ausdruckskunst, die „das Gefühlserlebnis und seine möglichst intensiv konzentrierte Gestaltung“ (Fechter 1914, 22) in den Mittelpunkt rücke; in einem weiteren Sinn – und dieser entspricht der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs bei seinem Aufkommen in Deutschland um 1911 – subsumiert er darunter „die ganzen



Paul Fechter: Der Expressionismus (1914)  |

„intensiven“, allein auf das innere Gefühlsleben gerichteten, und einem „extensiven“, die Außenwelt gefühlsmäßig durchdringenden Expressionismus.40 Die letztgenannte Richtung repräsentiert Fechter zufolge Max Pechstein, die erstere – Kandinskij: Kandinsky […] nimmt zum Ziel nichts als den Ausdruck seiner selbst. Was er geben will, ist die menschliche Gefühlsexistenz, isoliert von der Umwelt, von allen Beziehungen zur Natur und ihren Formen abgelöst. Er findet das künstlerisch Verwertbare, Unmittelbare rein nur in sich, in der Versenkung in die Tiefe der eigenen Seele, in die weder Vorstellung, noch Begriff einen Zugang haben, in der das farbige Chaos herrscht und das Erlebte noch ungeformt, gestaltlos, ferne jedem vorstellenden Verstand […] rein als seelisches Material zu finden ist. Eine vielleicht hauptsächlich musikalisch empfindende Seele […] sucht den Grenzen des Transzendenten durch Ausschalten alles Äußeren so nahe wie möglich zu kommen […].41

Mit der Tiefe der Seele und der Verstandesferne sind zentrale Topoi genannt, die auch Hausensteins Blick auf Kandinskij charakterisieren. Doch anders als bei Hausenstein, wo diese Vorstellungen mit Kandinskijs russischer Herkunft verknüpft sind, spielt diese bei Fechter keine explizite Rolle. Das heißt nicht, dass Fechter in seinem Buch auf nationale Deutungen verzichten würde. Auch er spricht von einer Volksseele, die in der expressionistischen Kunst zum Vorschein komme; allerdings handelt es sich bei ihm nicht um die „russische Seele“, sondern um die „gotische Seele“ der Deutschen. Fechter schreibt: […] der Wille, der innerhalb der eben umschriebenen Bestrebungen [des Expressionismus; S. B.] am Werke ist, ist im Grunde genommen gar nichts Neues, sondern der gleiche Trieb wie der, der in der germanischen Welt von je wirksam gewesen ist. Es ist die alte gotische Seele, die trotz Renaissance und Naturalismus noch immer fortlebt, […] die unverwüstlich trotz allem Rationalismus und Materialismus immer wieder ihr Haupt erhebt. Dem uralten metaphysischen Bedürfnis der Deutschen […] hat auch der naturwissenschaftliche Aberglaube des Jahrhunderts nichts anhaben können: die ganze junge Bewegung in der bildenden Kunst beweist das so gut wie die neuen Versuche auf rein geistigem Gebiet. Die Gotik ist nicht umsonst wieder Mode geworden […].42 Gegenwartsströmungen“ (ebd., 24). Diese terminologische Unschärfe spiegelt sich in der Anlage des Buches wider: Es ist Der Expressionismus betitelt, behandelt aber den Expressionismus (als deutsche Bewegung) in einem eigenen Unterkapitel (III.1.) vor Kubismus (III.2.) und Futurismus (III.3.). Mein Fokus liegt auf Fechters Darstellung des Expressionismus im engeren Sinne. Zum Expressionismusbegriff und seiner internationalen bzw. nationalen Ausrichtung vgl. Werenskiold 1984, 35–39, 48–55; Bushart 1990, 93–106; Haxthausen 1990, 170–172. 40 Fechter 1914, 24–28. 41 Ebd., 25. 42 Ebd., 28 f.

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Mit der Berufung auf die „alte gotische Seele“ verleiht Fechter dem Expressionismus einen nationalen Anstrich.43 Dieser Befund korrespondiert mit Magdalena Busharts Feststellung, der Expressionismus habe sich „[b]ei Kriegsausbruch […] bereits die Aura eines künftigen deutschen Nationalstils erworben, der angetreten sei, das Erbe des Mittelalters zu übernehmen“44. Es wirft sich eine Frage auf. Wenn Fechter einerseits Kandinskij als einen Protagonisten des Expressionismus vorstellt und andererseits den Expressionismus in dem „uralten metaphysischen Bedürfnis der Deutschen“ begründet sieht: In welcher Beziehung stehen für ihn dann Kandinskijs russische Herkunft und die „alte gotische Seele“ zueinander? – Bezeichnenderweise geht Fechter darauf nicht ein.45 Nun ließe sich einwenden, dass man die konstatierte Diskrepanz (russischer Maler – deutscher/germanischer/gotischer Expressionismus) nicht überbewerten dürfe; schließlich relativiert Fechter die Bedeutung des Nationalen, indem er die neue Kunst in erster Linie als ein Zeitphänomen begreift: In seinem Schlusswort spricht er von dem „Zeitwillen“ und der „Weltseele“, die sich in der Gegenwartskunst manifestieren, von einem „Gesamt-Ich, das all die Einzelexistenzen einer Epoche umspannt“, von dem „Zwang allgemeiner Zeitkräfte“ und so weiter.46 Durch derlei Wendungen wird der Expressionismus in einen übergreifenden Bezugsrahmen gestellt, der das nationale Moment als sekundär erscheinen lässt. Doch so einfach ist das Problem nicht erledigt. Denn Fechter schließt in seinem Buch die „Weltseele“ mit der „gotische[n] Seele“ kurz, die er in der oben zitierten Passage mit einem germanischen bzw. deutschen „Trieb“ gleichsetzt. „Die Sehnsucht der Zeit“,

43 Vgl. Werenskiold 1984, 50–52. Die hier vorgenommene Germanisierung des Expressionismus findet ihre Entsprechung auf dem Buchumschlag: Darauf abgebildet ist der Kopf eines Heiligen von Pechsteins Hand. Er repräsentiert die von Fechter proklamierte Trias von Expressionismus, deutschem Künstlertum und „gotische[r] Seele“. Vgl. Bushart 1990, 105. 44 Ebd., 8. Bushart betrachtet Fechters Rezension der Kölner Sonderbundausstellung von 1912 als „den eigentlichen Beginn der völkischen Interpretation des Expressionismus“ (ebd., 103). Damals hatte Fechter notiert, es lasse sich in der neuen Kunst „ein lebendig Gefühltes“ wahrnehmen, „etwas Verwandtes zu Strebungen, die […] irgendwie doch wohl wirklich mit den in der Gotik sich am reinsten ausdrückenden Grundtendenzen der germanischen Seele zusammenhängen“. Paul Fechter: Die Ausstellungen des Sonderbundes in Köln. In: Vossische Zeitung (4.7.1912). Zit. nach: ebd. Vgl. auch Bushart 1991. 45 Auch bei Bushart 1990 wird diese Frage nicht erörtert. Dasselbe gilt für den Aufsatz Washton Long 1988. So verweist Washton Long (ebd., 207. Hervorh. S. B.) auf die Akzentuierung der „deutsche[n] Tradition des Expressionismus“ durch Fechter, nach dessen Auffassung Pechstein und Kandinskij „die klassische Renaissancetradition […] durch die metaphysische Tradition der Gotik [ersetzt]“ hätten. Inwieweit sich aber Kandinskijs russische Herkunft mit Fechters Versuch, den Expressionismus als deutsch zu markieren, vertrug, wird von Washton Long nicht thematisiert. 46 Fechter 1914, 47–55 (Zitate auf S. 49 f., 53).

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behauptet er, „ist eine neue Gotik“.47 Daraus ergibt sich die führende Rolle, die Fechter dem Expressionismus – als einer dezidiert deutschen Richtung – unter den damals aktuellen Kunstströmungen zuschreibt.48 Bushart formuliert den Sachverhalt wie folgt: Kubismus und Futurismus wertet er [= Fechter; S. B.] als französische bzw. italienische Varianten von Bestrebungen, die am eindringlichsten und klarsten von deutschen Künstlern vertreten würden. Auch dafür hat Fechter eine Erklärung parat: alles Transzendentale entspreche der nationalen Mentalität der Deutschen; im Expressionismus vollzögen sie lediglich die Rückkehr zu dem ‚uralten metaphysischen Bedürfnis der Deutschen‘49.

Der zeitliche Aspekt ist bei Fechter also mit dem nationalen verschränkt, und die Frage bleibt bestehen, worauf er den besonderen Rang des Russen Kandinskij innerhalb des Expressionismus als der ‚gotischsten‘ aller zeitgenössischen Kunstbewegungen zurückführte. Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass Fechter, so wie er Kubismus und Futurismus dem Expressionismus unterordnet, den „intensiven“ Expressionismus Kandinskijs dem „extensiven“ Expressionismus Pechsteins gegenüber zurücksetzt. Zwar wird Kandinskij als Hauptexponent des „intensiven“ Expressionismus herausgehoben; doch diese Richtung stellt bei Fechter nicht einfach eine Seite des expressionistischen Spektrums dar, sondern die weniger aussichtsreiche: Indem Kandinskij „eine Fortbildungsmöglichkeit des malerischen Selbstausdrucks in ihre letzten Konsequenzen verfolgt, wird seinem Unternehmen“, so Fechter, „selbst wenn es unfruchtbar bleiben muß, eine Bedeutung [zuteil; S. B.], die über die nur persönlichen Werte ins allgemein Bedeutsame hinüberführt“.50 Dass Fechter dem „extensiven“ Expressionismus Pechsteins den Vorzug gibt, wird auch deutlich in den Vergleichen, die er zwischen den beiden Künstlern anstellt. Kandinskijs Position wird dabei tendenziell als unterlegen beschrieben: Kandinsky erlebt die wesentliche Wirklichkeit nur in der Beschränkung auf sich, Pechstein in der Ausdehnung auf das Ganze […]. […] Pechsteins Gefühlsverhältnis zum Wesen der Welt […] ist viel zu stark, als daß er imstande wäre, den Ausdruck dafür wie Kandinsky ohne Zusammenhang mit der Erscheinung zu geben. Kandinsky sucht den einen Faktor des Lebens, 47 Ebd., 39. 48 So bemerkt Fechter (ebd., 13) an einer Stelle, dass „die Führung langsam wieder mehr und mehr auf die germanische Seite übergegangen“ sei, nachdem die Deutschen „de[n] französische[n] Vorsprung eingeholt“ hätten. Demgemäß bezeichnet er den französischen Kubismus als „eine Variante des Expressionismus“ (ebd., 30), und im italienischen Futurismus kommt für ihn lediglich „ein Teilwillen der Zeit […] zum Ausdruck“ (ebd., 42). 49 Bushart 1990, 104. 50 Fechter 1914, 25. Hervorh. S. B.

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das Nicht-Ich, soweit als möglich überhaupt auszuschalten; Pechstein besitzt Gefühlskraft genug, auch dieses Draußen einfühlend zu durchdringen und in sein Leben hineinzureißen. In ihm liegen die seelisch geistigen Energien, Wille, Gefühl, Intellekt so nahe beisammen, und das gefühlte Können bleibt in einer so engen Verbindung mit ihnen, daß vielleicht bei keinem zweiten heute soviel im besten Sinne menschliche Harmonie zu finden ist.51

Pechstein war nach Fechters Ansicht „nicht umsonst der Führer der ‚Brücke‘“; und Dresden, wo sich die Künstlervereinigung Die Brücke 1905 formiert hatte, ist für ihn „die Vaterstadt des Expressionismus“.52 Der Blaue Reiter und sein internationales Umfeld werden von Fechter hingegen nicht eigens erwähnt. Ihm genügt der Hinweis, Franz Marc sei „unter den Münchnern der reinste Maler“53. Die weiteren Künstler, die er unter dem Schlagwort des Expressionismus (im engeren Sinne) anführt, sind die Brücke-Mitglieder Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff sowie der Österreicher Oskar Kokoschka. Man kann sich schwerlich des Eindrucks erwehren, Fechter habe Kandinskij zwar einen gebührenden Platz in seinem Expressionismus-Kapitel einräumen wollen,54 die abstrakte Kunst des Russen aber zugunsten des figürlichen Expressionismus eines Max Pechstein an die zweite Stelle verwiesen – um auf diese Weise den Expressionismus deutsch zu zentrieren. Offenbar galt Fechters primäres Augenmerk nicht dem Expressionismus in Deutschland, sondern einem deutschen Expressionismus. In der überarbeiteten und ergänzten Auflage des Expressionismus-Buches von 1920 behält Fechter diesen Tenor bei; indes heißt es nun: „Um Pechstein steht der Kreis des norddeutsch-sächsischen, um Kandinsky der des süddeutsch-münchnerischen Expressionismus. Dresden und München teilen sich in den Ruhm, die Vaterstädte der neuen Kunst zu sein.“55 Doch zum einen wird nicht Kandinskij, sondern seinem deutschen Mitstreiter Franz Marc attestiert, er sei „die stärkste Erscheinung“ des Münchner Kreises gewesen.56 Zum zweiten finden inzwischen zwar weitere russische Maler namentlich Erwähnung; 51 Ebd., 26 f. Der ungleiche Stellenwert, den die von Kandinskij und Pechstein repräsentierten Richtungen für Fechter hatten, wird auch von Andreas Zeising (2015, 99) unterstrichen: „Mehr als im Falle des ‚Blauen Reiters‘ registrierte Fechter […] im Expressionismus der ‚Brücke‘ Anzeichen für eine ‚neue Gotik‘“. 52 Fechter 1914, 28. 53 Ebd. 54 Andernfalls hätte sich Fechter einer verzerrenden Darstellung verdächtig gemacht – zumal Der Expressionismus im Piper Verlag erschien, der in einer Verlagsanzeige am Ende des Buches die zweite Auflage des Almanachs Der Blaue Reiter, die dritte Auflage von Über das Geistige in der Kunst sowie Kandinskijs Gedichtband Klänge bewarb. Vgl. Fechter 1914, [57]. 55 Fechter 1920, 27 f. 56 Ebd., 29.



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allerdings wird ihr Expressionismus – wie auch derjenige Kandinskijs – von Fechter als eine „östlich orientierte Abart“ klassifiziert: Neben weiteren Deutschen, wie Kanoldt, Erbslöh u. a., standen in den Anfängen der Münchner Bewegung eine Anzahl Ausländer, zumeist Russen, Jawlensky, Bechtejeff, Burljuk, Marianne von Werefkin. Wesentlicher als sie ist für die östlich orientierte Abart des Expressionismus neben Kandinsky Marc Chagall. Seine frühen Arbeiten haben etwas von der dumpfen Primitivität russischen Bauernlebens; das Weltgefühl Munchs ist gleichsam ins Analphabetische verschleppt.57

Küchler, Hausenstein und Fechter repräsentieren drei Positionen zu Kandinskij, denen wir im Verlauf dieser Arbeit in unterschiedlichen Ausprägungen wiederbegegnen werden. Hausensteins Text steht exemplarisch dafür, dass Kandinskijs russische Herkunft nicht zuletzt ins Feld geführt wurde, um zu begründen, was an seinem Schaffen als charakteristisch, different, fremdartig oder befremdlich wahrgenommen wurde. Der Verweis auf „diesen Russen“ Kandinskij konnte aber auch, wie bei Küchler, der Abwertung seiner abstrakten Malerei dienen, indem nationale Ressentiments geschürt wurden.58 Bei Fechter wiederum wird die neue Kunst national vereinnahmt; interessant an seinem Fall ist das – bei ihm noch ungelöste – Spannungsverhältnis, in dem Kandinskijs Herkunft zum Versuch einer Germanisierung des Expressionismus steht.

1.4 Kontextuelle Bedingungen der R ezeption 1.4.1 Das Wissen über russische Kunst und Kultur 1.4.1.1 Die russische Kultur als terra incognita Bei der Auswertung des frühen Schrifttums über die neue Kunst muss im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit das damals eher begrenzte Wissen über die russische Kunst und Kultur mit in Betracht gezogen werden. Wie Hausensteins Beispiel belegt, bot Kandinskijs russische Herkunft einen Anknüpfungspunkt, um seine als befremdlich und unverständlich empfundene Abstraktion gedanklich einzuordnen; dass dabei schnell Klischeevorstellungen wie die „russische Seele“ zur Sprache kamen, erstaunt nicht, wenn 57 Ebd., 30 f. 58 Zu den nationalistischen Tendenzen im deutschen Kunstleben der Vorkriegszeit vgl. auch Kandinskijs „Brief aus München“ („Pis’mo iz Mjunchena“), den er für die russische Zeitschrift Apollon (Nr. 7, April 1910) verfasste. Darin beklagte er den „derzeitigen Patriotismus“ der Deutschen, der sich vor allem gegen die Franzosen richte und in manchen Künstlervereinen mit „unschönen und naiven Maßnahmen“ gegen Ausländer einhergehe (zit. nach: Mazur-Keblowski 2000, 156).

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man davon ausgeht, dass eine adäquate kulturelle Verortung nur stattfinden kann, wenn die betreffende Kultur auch hinreichend bekannt ist. Dies war, was Russland betrifft, zu jener Zeit aber nicht der Fall. So hatte die Zeitung Der Tag noch 1906 die „völlige Unwissenheit“ konstatiert, „in der die Welt sich über die Entwicklung der russischen Kunst befindet“.59 Ein Grund für diese Unwissenheit waren sprachliche Barrieren, die auch den meisten Gebildeten eine Lektüre russischer Bücher und Zeitschriften verwehrten. Das Schulfach Russisch wurde in Deutschland erst nach 1945 etabliert,60 und auch an den deutschen Universitäten spielte die Slavistik zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine untergeordnete Rolle.61 „Ein Stiefkind der deutschen Wissenschaft“ lautet die Überschrift eines 1901 in der Kölnischen Zeitung veröffentlichten Beitrags, in welchem dieser Sachverhalt beanstandet wurde.62 Der Byzantinist Karl Krumbacher bediente sich 1908 einer ähnlichen Metaphorik, als er die Slavische Philologie als „das Aschenbrödel unserer Universitäten und Akademien“63 bezeichnete. Krumbacher setzte sich nachdrücklich für die Institutionalisierung der Slavischen Philologie an der Universität München ein.64 Die Kenntnis des Russischen schien ihm „[u]nentbehrlich für alle Disziplinen, deren Objekte innerhalb des russischen Reiches oder seines Einflußkreises liegen und daher von den russischen Gelehrten besonders beachtet werden“65. Bezogen auf die Kunstgeschichte findet diese Aussage ihre Bestätigung in Richard Muthers Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (1893–1894). Deren dritter Band enthält immerhin ein Kapitel über die russische Malerei. Die Niederschrift überließ Muther jedoch dem Petersburger Aleksandr Benua (Benois), da seine eigenen Kenntnisse fachlicher und sprachlicher Art hierfür nicht zureichten.66 Noch im Jahr 1915 konstatierte der Übersetzer Aleksandr Ėliasberg, es handle sich bei der

59 W. von Oettingen: Die Russische Kunstausstellung in Berlin. In: Der Tag Nr. 638 (16.12.1906). Zit. nach: Raev 2000b, 751. 60 Vgl. Busch 1983, 119–127. 61 Vgl. ebd., 121 f.; Schaller 2002, 24 f.; Deutscher Slavistenverband 2017. 62 [Anonym]: Ein Stiefkind der deutschen Wissenschaft. In: Kölnische Zeitung Nr. 883 (11.11.1901), 1. Zit. in: Schaller 1981, 10. 63 Krumbacher [1908] 1981, 115. 64 Sein Engagement zeitigte indes erst posthum Erfolg, als 1911 ein Seminar für Slavische Philologie in München gegründet wurde, vgl. Schaller 1981, 129. 65 Krumbacher [1908] 1981, 108. 66 Vgl. Raev 2010, 1. – Von den 90 Einträgen im Literaturverzeichnis zu Benuas Russland-Kapitel sind rund zwei Drittel in russischer Sprache publiziert, das restliche Drittel in deutscher, französischer und englischer Sprache. Vgl. Muther 1894, 666–670. Zur Präsenz russischer Kunst in deutschsprachigen Veröffentlichungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Bringmann 1989.



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russischen Kunst „um ein Gebiet, das bisher nur selten ein Forscher betreten hat und über das eine Literatur in deutscher Sprache überhaupt noch nicht vorliegt“67. Die marginale Bedeutung des Russischen als Fremdsprache und die geringe Kenntnis der russischen Kunst lassen sich mit dem kulturellen Selbstverständnis der Deutschen respektive ihrer kulturellen Orientierung in Verbindung bringen: „Vor dem Hintergrund einer langfristig wirksamen, mit der Antikenrezeption verbundenen Italienzentrierung geriet das östliche Europa und namentlich Russland in der deutschen Kunstgeschichtsforschung erst allmählich in den Blick.“68 Dass die russische Kunst als rückständig galt und, im Zuge ihrer Europäisierung seit Peter I. (reg. 1682–1725), als Nachahmerin des Westens,69 war einer eingehenden Beschäftigung mit ihrer Geschichte und Gegenwart nicht unbedingt förderlich. Selbst Karl Krumbacher, der sich gegen die Ignoranz und das Superioritätsgefühl seiner deutschen Landsleute gegenüber den Slawen aussprach70 und für den „Kulturwert des Slawischen“ plädierte, kam nicht umhin zu bemerken: „Auf dem Gebiete der bildenden Künste hingen die Slawen bis in die neueste Zeit von der Fremde ab, teils von der byzantinischen und auch sonstigen orientalischen, teils von der deutschen und italienischen Kunst.“71 Das Moment der Rückständigkeit wurde auch von dem progressiven russischen Maler David Burljuk ins Feld geführt, der in seinem Beitrag für den Almanach Der Blaue Reiter schrieb: „[…] so weit hinten ist die russische

67 Eliasberg 1915, 5. Ein paar Seiten weiter heißt es: „In Nachschlagebüchern findet man die russische Kunst recht stiefmütterlich behandelt und mit der allgemeinen Feststellung, daß sie nur ein Abklatsch der byzantinischen und später der westeuropäischen gewesen sei, daß es eine eigentliche russische Kunst niemals gegeben habe, abgetan. Und was das Durchschnittspublikum von russischer Kunst kennt, sind die wenig charakteristischen Werke eines Wereschtschagin und Antokolskij; […]. Die Geschichte der russischen Kunst ist in Rußland selbst ein ganz neu erschlossenes Gebiet […].“ Ebd., 9. Zu Ėliasberg vgl. Sippl 2004. – Eine Ausnahme von der Regel bildete auch das 1913 in Heidelberg veröffentlichte Buch des Historikers Karl Stählin Über Rußland, die russische Kunst und den großen Dichter der russischen Erde, das eine ausführliche Abhandlung über „Die Galerien Petersburgs und Moskaus und die russische Kunst“ enthält. 68 Raev 2010, 1. Vgl. Drengenberg 1980, 886–889. Drengenberg (ebd., 886) spricht in diesem Zusammenhang von einem „überwiegend ‚okzidentierten‘“ Bildungsinteresse der Deutschen. Vgl. auch die Bemerkung Wolfgang Stephan Kissels und Dirk Uffelmanns: „Sprachen und Literaturen Osteuropas galten und gelten in Westeuropa als exotisch, werden selten erlernt, gehörten nicht zum ‚klassischen Bildungskanon‘.“ Kissel/Uffelmann 1999, 14. 69 Vgl. Raev 2000b, passim, und ergänzend Kissel/Uffelmann 1999, 15, 20–23; Ebert 2010, 16, 21 f. 70 Vgl. Krumbacher [1908] 1981, 104. 71 Ebd., 105. Dagegen betonte Aleksandr Ėliasberg (1915, 12 f., 18, 36) in Bezug auf die altrussische Malerei und Architektur, sie habe die von ihr empfangenen Einflüsse selbständig weiterentwickelt. Ganz anders wiederum bewertete Ėliasberg die jüngere Entwicklung: „[…] was die neuere Malerei betrifft, so folgt sie im allgemeinen bescheiden den jeweiligen westeuropäischen Meistern, ohne sie jedoch an Bedeutung zu erreichen.“ Eliasberg 1915, 117 f.

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Kunst geblieben, daß z. B. Muther von dieser Kunst überhaupt keine Notiz genommen hat (was Benois wieder ‚gutmachte‘).“72 Ein weiterer Faktor, welcher einer vertieften Auseinandersetzung mit russischer Kunst im Wege stand, war die geringe Präsenz der Originale. Die direkte Begegnung mit Kunstwerken stellt zwar keine notwendige Voraussetzung für die Beschäftigung mit ihnen dar, jedoch ist sie als ein wichtiger Motor dafür anzusehen. In den öffentlichen und privaten Kunstsammlungen Deutschlands waren Russen aber kaum vertreten; überhaupt wurden Ausstellungen in Deutschland vermehrt erst seit dem späten 19. Jahrhundert mit russischer Kunst beschickt.73 (Dass deutsche Autoren nach Russland reisten, um sich ein Bild von dem dortigen Kunstgeschehen zu machen und darüber zu berichten, war wohl eher die Ausnahme.74) In Anbetracht der Tatsache, dass die russische Kultur für Kandinskijs deutsche Rezipienten eine terra incognita darstellte, ist es wenig verwunderlich, dass das Gros der zu seinen Lebzeiten erschienenen Veröffentlichungen zu einer Erhellung seiner russischen Quellen und Kontexte nicht beiträgt. Am Beispiel der Ikone, die für Kandinskijs Schaffen eine so zentrale Rolle spielte,75 soll diese Behauptung im Folgenden konkretisiert werden. 1.4.1.2 Beispiel Ikone: Die In-Bezug-Setzung von Kandinskijs Abstraktion zur altrussischen Malerei Den zeitlichen Rahmen der Vorkriegsjahre bewusst überschreitend, will ich in diesem Abschnitt die mangelnde Berücksichtigung der Beziehungen Kandinskijs zur Ikonenmalerei durch seine frühen Rezipienten wie Hausenstein in ein relativierendes Licht rücken. Denn es zeigt sich, dass diese Beziehungen innerhalb des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit überhaupt erst spät, vereinzelt und nur in unzureichender Weise thematisiert wurden. 72 Burljuk [1912] 2004, 45, 47. In einer redaktionellen Fußnote heißt es dazu: „Der russischen Ausgabe der Mutherschen Kunstgeschichte wurde ein von Benois geschriebener Extraband beigegeben, welcher die russische Kunst behandelt […].“ Ebd., 47, Anm. 1. 73 Vgl. Raev 2000b, 695. Auf den folgenden Seiten ihres Aufsatzes stellt Ada Raev diese Entwicklung ausführlich dar. 74 Vgl. Raev (ebd., 704 f.), die einen 1896 im Kunstwart veröffentlichten Artikel von Leopold Weber über dessen Besuch in der Moskauer Tret’jakov-Galerie zitiert. – Ein von Gert Robel verfasster historischer Überblick über Reisen nach Russland reicht leider nur bis in die Zeit Alexanders II. (reg. 1855–1881), vgl. Robel 1991. 75 Vgl. dazu u. a. Smolik 1992; Krieger 1998a; Sarab’janov 1998; Mazur-Keblowski 2000. – Zu Beginn seiner Tätigkeit am Weimarer Bauhaus soll Kandinskij seinem dortigen Kollegen Lothar Schreyer gegenüber geäußert haben: „Ich schätze keine Malerei so hoch wie unsere Ikonen. Das Beste, was ich gelernt habe, habe ich an unseren Ikonen gelernt, nicht nur das Künstlerische, sondern auch das Religiöse.“ Schreyer 1956, 230.



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Einen unmittelbaren Anlass, sich mit dem Verhältnis der abstrakten Werke Kandinskijs zur Ikonenmalerei zu befassen, lieferte 1921 die russische Ausstellung, die die Galerie von Garvens in Hannover veranstaltete. Hier wurde – meines Wissens zum ersten Mal in Deutschland – moderne russische Kunst in direktem Zusammenhang mit Ikonen präsentiert.76 Paul Erich Küppers, der die Ausstellung in der Kunstzeitschrift Der Ararat rezensierte, nahm in den Ikonen dezidiert russische Qualitäten wahr, die er bei Šagal und Kandinskij wiederzufinden glaubte: […] in einem besonderen Raum sieht man zahlreiche Heiligenbilder und Hausaltäre des 16. und 17. Jahrhunderts und hier fühlt man wieder den Urstrom des Russentums rauschen. Da sind die Heiligen mit den wallenden Bärten, die wir im ersten Augenblick als die Ahnen chagallscher Rabbiner erkennen, da sind die Häuser und Kirchen wie wir sie heute in seinen Bildern wiederfinden. Da sind Kompositionen, die in der Musik ihres Linienschwunges auf die Improvisationen Kandinskys vorausweisen. Diese alten Maler der Nowgoroder und Moskauer Schule haben die Einflüsse von Byzanz in sich aufgenommen, doch darf man nicht übersehen, daß unter der byzantinischen Maske das russische Antlitz verborgen ist.77

Küppers stand bei der Niederschrift seiner Besprechung unter dem Eindruck eines Vortrags, den die aus Litauen stammende Kunsthistorikerin Fannina Halle (1881–1963) im Rahmen der Ausstellung gehalten hatte.78 Halle ist hinsichtlich der hier behandelten Frage von besonderem Interesse, da sie sich wissenschaftlich mit altrussischer Kunst beschäftigte, daneben aber auch für moderne Kunst viel übrighatte. 1920 veröffentlichte sie in der Reihe Orbis pictus das Bändchen Alt-Russische Kunst, das neben einer 22-seitigen Einführung 48 Abbildungen enthält.79 Halles Buch gilt als die erste deutschsprachige

76 Vgl. Ausst.Kat. Hannover 1921. – In der von Sergej Djagilev organisierten russischen Kunstausstellung, die 1906 in der Berliner Galerie Schulte stattfand, wurden zwar auch Ikonen gezeigt; allerdings bildeten sie dort den Auftakt eines historischen Überblicks. Der ästhetische Wert und die Aktualität der Ikone standen damals, wie es scheint, noch nicht im Vordergrund. Dies wird durch Ada Raevs (2000b, 753) Hinweis untermauert, dass es sich bei den Exponaten um „offensichtlich ungesäuberte Beispiele in undifferenzierter brauner Farbigkeit“ handelte. 77 Küppers [1921] 1975, 138. 78 Die Veranstaltung wurde als Lichtbild-Vortrag unter dem Titel „Einführung in die russische Kunst“ angekündigt, vgl. Ausst.Kat. Hannover 1921, 13. – Halle wurde 1881 in Panevėžys in Litauen (Russland) geboren und war des Russischen mächtig; dies befähigte sie zur Vermittlerin der russischen Kultur. Zu Halles Biographie vgl. Bentchev 2009, 11–13. Ich danke Dr. Eva Haustein-Bartsch (Ikonen-Museum Recklinghausen) für die freundliche Zusendung des Artikels. 79 Halle 1920a. Ein Textauszug mit vier Abbildungen wurde im Kunstblatt abgedruckt, vgl. Dies. 1920b. – Zu der von Paul Westheim herausgegebenen Reihe Orbis pictus, die sich an eine breite Leserschaft richtete, vgl. Windhöfel 1995, 284–289; Neundorfer 2003, 95 f.

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Monographie über das Thema80 und erreichte bis 1922 drei Auflagen in einer Gesamthöhe von 14.000 Exemplaren; hinzu kommen Übersetzungen ins Italienische und Französische.81 Charakteristisch für Halles Herangehensweise (Wendy Salmond spricht von „mystical lyricism“82) ist die geistige Brücke, die sie von der altrussischen Kunst zu Kandinskij schlägt: Die altrussische Kunst ist nicht der Ausdruck einer sensuellen, sondern ausschließlich religiösen Weltanschauung. Ihr Wollen, besser gesagt, ihr Müssen, ihre ‚innere Notwendigkeit‘ ist Abstraktion, Überweltlichkeit. Ihr Endziel ist dem unserer modernen Expressionisten nahe verwandt. Weshalb es vielleicht mehr als ein bloßer Zufall ist, daß Kandinsky, einer der ersten Wortführer und Verkünder der herannahenden ‚Epoche des großen Geistigen‘, aus Rußland, vielleicht sogar direkt aus den weltentrückten Fernen der altrussischen Kunst seine künstlerische Abstammung herleitet.83

Im darauffolgenden Jahr behandelte Halle in der Wiener Zeitschrift Die bildenden Künste das Verhältnis zwischen Kandinskij und der altrussischen Malerei eingehender. Unter anderem heißt es da: Mit Augen […], die nur Westeuropäisches kennen und gesehen haben, ist es nicht gut denkbar, einer Erscheinung wie Kandinsky völlig gerecht zu werden. Dazu ist unbedingt eine nähere Bekanntschaft mit dem Wesen der älteren russischen Malerei erforderlich […]. […] Ob bewußt oder unbewußt: diese Welt war es vor allem, die Kandinsky durch viele Jahre hindurch in sein Innerstes aufgenommen, mit seinem tiefsten Sehnen, Suchen und Wachstum verknüpft und als gereifte Frucht dem erstaunten Europa gebracht hat. Denn was dieser Künstler uns durch seine ‚Improvisationen‘, die eigentlich gemalte Musik oder symphonische Farbigkeit bedeuten, und wie Musik nicht beschrieben, sondern nur erlebt werden können, Neues gebracht hat, war eigentlich im Osten weit mehr in der Luft gelegen als im Westen. Weil es im Grunde genommen, nur eine Art Erweiterung dessen darstellt, was den altrussischen Malern in jahrhundertelanger Übung und einer bis zum höchsten Raffinement gediehenen Kultur des Auges und Geschmacks letztes Ziel und Streben war: eine völlige Abstraktion der Malerei, die bloß durch Form, Linie und Farbigkeit wirken will.84

80 Verhältnismäßig früh aber hatte schon Aleksandr Ėliasberg in seiner Russischen Kunst (1915, 29–44) ein Kapitel über die altrussische Malerei mit elf Abbildungen publiziert. 81 Vgl. Windhöfel 1995, 286, Anm. 87; Bentchev 2009, 12. 82 Salmond 2017, 177. 83 Halle 1920a, 4. Bemerkenswerterweise führt Halle in ihrem Literaturverzeichnis (ebd., 24) auch Kandinskijs Über das Geistige in der Kunst an. 84 Halle 1921, 178 f.



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Kandinskijs Werk ist laut Halle nur aus der spezifisch russischen, der altrussischen Maltradition heraus zu verstehen, in der sein Schritt in die Abstraktion bereits angelegt gewesen sei. Innerhalb des untersuchten Zeitraums werden solche Überlegungen zwar wieder aufgegriffen;85 es lassen sich in Deutschland jedoch keine Versuche nachweisen, sie weiterzuverfolgen bzw. anhand von Bildvergleichen zu konkretisieren. Dazu muss gesagt werden, dass die Beschäftigung mit der altrussischen Kunst in Deutschland erst ab der Mitte der 20er-Jahre Auftrieb gewann.86 Die erhebliche Verzögerung, mit der dieser Prozess aus heutiger Perspektive stattfand, relativiert sich allerdings, wenn man bedenkt, dass man in Russland selbst erst damit begonnen hatte, die eigene Kunstgeschichte aufzuarbeiten. So stellte der russische Forscher Michail Alpatov in einem 1927 im Kunstblatt erschienenen Artikel fest, dass „die altrussische [Kunst] bis auf unsere Tage völlig unbekannt [blieb]“87. 1.4.1.3 Herwarth Walden als Vermittler der russischen Avantgarde Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Rezeptionshindernisse und des damit verbundenen Informationsdefizits wird die zentrale Bedeutung der Vermittlungsinstanzen ersichtlich, die das deutsche (bzw. westeuropäische) Publikum mit der russischen Kunst und Kultur bekannt machten und die dabei deren Wahrnehmung – durch Prozesse der Selektion und Formen der Präsentation – maßgeblich prägten.88 Es waren nicht zuletzt die Russen selbst, die sich um die Anerkennung ihrer Kulturleistungen im Westen bemühten, so mit dem russischen Pavillon auf der Pariser

85 Noch 1936, als ein Bekenntnis zur Avantgarde ernste Konsequenzen haben konnte, stellte Alois Schardt die Rezeption der Ikone seitens russischer Maler wie Kandinskij, Javlenskij und Verefkina als einen Versuch dar, die „verlorengegangene Heimat der Farbe wiederzufinden und sie in das Land neugewonnener Erkenntnisse zu überführen“ (Schardt 1936, 67), vgl. dazu unten Kap. 5.2.1.3. 86 Vgl. die bibliographischen Übersichten bei Ettinger 1930 und Drengenberg 1980, 888 f. Mitte/ Ende der 20er-Jahre erwarben Martin Winkler und Heinrich Wendt auch die ersten Ikonen für ihre Sammlungen, die den Grundstock für das 1956 in Recklinghausen eröffnete Ikonen-Museum bilden sollten, vgl. Haustein-Bartsch 2007. Hervorzuheben ist ferner die vom russischen Volkskommissariat für Bildungswesen organisierte Ikonenausstellung Denkmäler altrussischer Malerei, die im Frühjahr 1929 durch Deutschland wanderte und „auch für viele Kunstkenner eine Überraschung [war]“ (Luther 1930). 87 Alpatoff 1927, 35. Zur Wiederentdeckung der Ikone vgl. Eliasberg 1915, 29–34; Krieger 1998a, 67–85; Dies. 1998b, 31–33; Belting 2004, 30–32; Dorontchenkov 2009; Salmond 2017. 88 Vgl. auch Ebert (2010, 36), die mit Blick auf die Literaturrezeption zu bedenken gibt: „Die mangelnde Kenntnis der slawischen Sprachen in Westeuropa hat zur Folge, dass diese Literaturen in Westeuropa fast ausschließlich in Übersetzungen präsent sind. Die Rolle der Übersetzer und Kulturmittler ist – was häufig übersehen wird – deshalb kaum zu überschätzen. Von ihnen hängt es ab, welche slawischen Autoren wir wahrnehmen und in welchem Licht sie uns erscheinen.“

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Weltausstellung von 190089: Im neorussischen Stil erbaut und ausgestattet, vermittelte er seinen Besucherinnen und Besuchern einen Eindruck von moderner russischer „Volkskunst“90. Von Bedeutung ist ferner das Wirken Sergej Djagilevs (1872–1929), der als Organisator russischer Kunstausstellungen und als Leiter der Ballets Russes im Westen für Aufsehen sorgte.91 Die Sichtbarkeit russischer Avantgarde-Kunst in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg verdankte sich insbesondere der Ausstellungs- und Publikationstätigkeit Kandinskijs und Herwarth Waldens. Zu Kandinskijs Aktivitäten: Einmal abgesehen von den Münchner Russen selbst, gehörten zu den russischen Teilnehmern der zweiten Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München im Jahr 1910 auf Einladung Kandinskijs die Brüder David und Vladimir Burljuk, die auch einen Text für den Katalog beisteuerten. Werke der Brüder Burljuk waren ebenfalls Ende 1911 auf der Ersten Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter zu sehen, und unter den Exponaten der Zweiten Ausstellung Anfang 1912 befanden sich solche von Natalija Gončarova, Michail Larionov und Kazimir Malevič.92 Im Almanach Der Blaue Reiter waren die Russen mit Textbeiträgen, Zitaten und Abbildungen vertreten. Über die Vorbereitungen zum Almanach schrieb Kandinskij im Rückblick: „Ich besorgte die Russen (Maler, Komponisten, Theoretiker) und übersetzte ihre Artikel.“93 Zu Waldens Aktivitäten: In dem von Walden veranstalteten Ersten Deutschen Herbstsalon 1913 bildeten die Russen – darunter Kandinskij, Javlenskij, Verefkina, Šagal, Archipenko, Larionov und Gončarova – die zahlenmäßig drittstärkste Nation.94 Einzelausstellungen 89 Vgl. Raev 2000b, 715–719. 90 Der aus dem 19. Jahrhundert stammende Begriff der Volkskunst bezeichnet einen undeutlich umrissenen Gegenstandsbereich und ist in wissenschaftlichen Kontexten nur bedingt anwendbar. Vgl. den Eintrag „Volkskunst“ in: Olbrich (u. a.) 2004c, 663–665. Zudem war und ist vieles, was als Volkskunst kursiert, mit falschen Vorstellungen verbunden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die russische Schachtelpuppe: Entgegen der verbreiteten Ansicht, es handle sich um ein altes, in der Volkskultur verankertes Spielzeug, wurde die matreška 1891 von dem Künstler Sergej Maljutin in Anlehnung an ein japanisches Vorbild ersonnen. Vgl. Figes 2003, 290 f. 91 Vgl. Raev 2000b, 710–715, 750–756; Dies. 2012, 388–391. Zu den Ballets Russes vgl. auch Figes 2003, 289–306; Gassner 2009. 92 Vgl. Grohmann 1958, 62–68; Hahl-Koch 1980, 86–88; Jooss 1998. 93 Kandinsky 1930, 59. In ihrer Untersuchung über den Almanach Der Blaue Reiter konstatiert Jessica Horsley: „Die Rolle des Almanachs als Vermittler zwischen Russland und dem Westen – besonders zu einer Zeit als der künstlerische Einfluss meist in umgekehrter Richtung erfolgte – ist hoch einzuschätzen. Durch die Veröffentlichung der übersetzten russischen Texte im Almanach konnte sich der Leser im Westen mit aktuellen Entwicklungen und Ideen der Kunstszene in Russland vertraut machen, die sonst hinter der Sprachbarriere versteckt geblieben wären.“ Horsley 2006, 90. 94 Vgl. Dmitrieva 2007, 151 f.; sowie Bilang 2007, 54. Kandinskij war Walden bei der Kontaktaufnahme zu den russischen Künstlern behilflich. – Der Erste Deutsche Herbstsalon war die wohl ambitionierteste Ausstellung, die Herwarth Walden realisierte: Mit 366 Arbeiten von 90 Künstlerinnen und Künstlern bot sie einen umfassenden Überblick über die internationale Avantgarde. Vgl. Walden 1963, 70;



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der Galerie Der Sturm wurden 1912 für Kandinskij, 1913 für Archipenko, 1914 für Javlenskij und Šagal eingerichtet95 – und damit für die Künstler, die die Vorstellungen von neuer russischer Kunst auch in den folgenden Jahren in Deutschland bestimmten. Auf Waldens Rolle für die Rezeption Kandinskijs und für unsere Fragestellung im Speziellen sei hier näher eingegangen. Waldens Einsatz für Kandinskij ist kaum hoch genug einzuschätzen.96 Seit seiner Besprechung der vierten Ausstellung der Berliner Neuen Secession 1911, wo Kandinskij mit stark abstrahierten Arbeiten wie der Komposition  IV (1911) vertreten war, brachte Walden dem Künstler die größte Wertschätzung entgegen.97 Im Frühjahr 1912 eröffnete Walden die erste Ausstellung des Sturm (Der Blaue Reiter. Franz Flaum. Oskar Kokoschka. Expressionisten) und machte die Abstraktion zu einem Schwerpunkt seiner Galerietätigkeit. Hervorzuheben ist hier die ab Oktober 1912 in mehreren deutschen und europäischen Städten gezeigte Kandinsky Kollektiv-Ausstellung. Tatkräftig förderte Walden Kandinskij auch mit seinem Sturm-Verlag: Darin erschien 1913 das Album Kandinsky 1901–1913, das neben zahlreichen Abbildungen auch Texte von Kandinskij enthält, darunter seine autobiographischen „Rückblicke“. Darüber hinaus bot die Sturm-Zeitschrift Kandinskij eine Plattform, um die Öffentlichkeit mit seiner Kunst und Theorie näher bekannt zu machen.98 Wie bereits ausgeführt wurde, setzte sich Walden in der Zeitschrift für Kandinskij auch zur Wehr, wenn er „seinen“ Künstler von der Kritik ungerecht behandelt sah.99 Dass Walden im Folgenden nicht die Hauptrolle spielt, die ihm in einer allgemeinen Darstellung der Rezeptionsgeschichte Kandinskijs und der abstrakten Kunst gebührte, ist der spezifischen Themenstellung dieser Arbeit geschuldet. Es liegen mir keine Belege Lüttichau 1988b. Kandinskij, der im Herbstsalon u. a. mit der großformatigen Komposition VI (1913) vertreten war, wird in einem Bericht von Paul Fechter am „äußersten Pol“ einer Tendenz angesiedelt, bei der „das Heil im Hinabsteigen in die Tiefen des noch Ungeformten, Unterbewußten“ gesucht werde, vgl. Fechter 1913, 1764 f. 95 Vgl. Pirsich 2000, 259 f., 263. Nicht enthalten in Pirsichs Auflistung sind diejenigen Ausstellungen des Sturm, die Walden außerhalb seiner Berliner Galerie im In- und Ausland zeigte. 96 Beste Quelle für die Zusammenarbeit zwischen Walden und Kandinskij ist der Band Kan­dinsky/Münter/Walden 2012. Darin enthalten sind auch ein Vorwort von Jelena Hahl-Fontaine (= Dies. 2012a) sowie ein Aufsatz der Herausgeberin (= Bilang 2012). Vgl. ferner Strauss 1983; Bilang 2007; Marchi 2009. 97 Vgl. Walden [1911] 1970a, 688: „Die reinsten Kunstwerke zeigt Wassily Kandinsky. So etwas Reinmalerisches ist noch nicht gesehen worden.“ Die Auflösung des Pseudonyms „Trust“ (= Herwarth Walden), unter dem die Besprechung erschienen ist, entnehme ich Bilang 2012, 240. 98 Drei Artikel von Kandinskij erschienen 1912/13 im Sturm: „Formen- und Farben-Sprache“ (Nr. 106, April 1912), „Ueber Kunstverstehen“ (Nr. 129, Oktober 1912) und „Malerei als reine Kunst“ (Nr. 178/79, September 1913). Bei den im Sturm abgebildeten Werken von Kandinskij handelt es sich um sechs Holzschnitte, fünf Zeichnungen und zwei Aquarelle. Vgl. Bilang 2007, 58 f. 99 Vgl. oben Kap. 1.1 zum Sturm-Protest gegen den Verriss im Hamburger Fremdenblatt; sowie Walden [1912] 1970b, 182.

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dafür vor, dass Kandinskijs russische Herkunft für Walden in irgendeiner Weise ausschlaggebend war. Sein Blick war auf die gesamteuropäische Avantgarde gerichtet, auf das allgemein Künstlerische.100 Walden erkannte in Kandinskij den führenden Vertreter der neuen Kunst, wie er ihm in einem Brief vom 15. September 1912 versicherte: „Ich halte […] Sie für die bedeutendste europäische Erscheinung der Gegenwart.“101 In einem weiteren Schreiben an Kandinskij vom 2. Oktober 1912 bezeichnete er dessen Schaffen als „[d]as stärkste, was Europa heute bietet“102. Der Fremdheitsaspekt, der hinsichtlich Kandinskijs Abstraktion und seiner Herkunft häufig zum Tragen kam, ist bei Walden nicht auszumachen. Dass er die neue Kunst (primär) nicht unter nationalen Gesichtspunkten betrachtete, wird auch an der Konzeption des Katalogs zum Ersten Deutschen Herbstsalon deutlich – hätte ihm dieses Vorhaben doch den besten Anlass dazu gegeben, die beteiligten Nationen in einen Vergleich zueinander zu stellen. In seiner Vorrede begreift Walden die präsentierten Werke jedoch als eine Einheit, und auch sonst wird im Katalog auf nationale Kennzeichnungen und Kategorisierungen verzichtet: Die Namen der ausgestellten Künstler sind in alphabetischer Reihenfolge wiedergegeben, ergänzt um den jeweiligen Wohnsitz (nicht die Nationalität); ebenso sind die Abbildungen alphabetisch nach Künstlernamen sortiert.103 Der nachrangige Stellenwert, den Walden dem Nationalen beimaß, scheint seinem Bild von sich selbst entsprochen zu haben. So beschrieb Waldens zweite Ehefrau Nell ihn wie folgt: Wenn mich jemand fragte: Wer war Herwarth Walden?, dann müßte ich mit seinem eigenen Wort antworten: ein Europäer. Er kannte und anerkannte keine traditionellen Bindungen. Er fühlte sich nie als Jude, aber auch nicht als Deutscher. Er liebte zwar Berlin, aber nicht, weil er dort geboren war, sondern weil ihm die Art der Berliner gefiel […]. Die deutsche Landschaft war ihm ebenso gleichgültig wie irgendeine andere auf der Welt. […] Walden gehörte ganz sicher zu den wenigen Juden in Deutschland, die kein Heimatgefühl für ihr Vaterland aufbrachten. Denn er fühlte sich – ich erwähnte es schon – weder als Jude noch als Deutscher, sondern als Europäer. Er war weder heimatlos noch irgendwo beheimatet. Er stand, wie er selbst oft sagte, jenseits dieser Begriffe.104

Zwar hatte Walden nach Aussage von Nell „immer eine große Vorliebe für das russische Volk. Er bewunderte die großen russischen Künstler, Dichter, Schriftsteller und

100 Vgl. Alms 2000; Beloubek-Hammer 2000. 101 Zit. nach: Kandinsky/Münter/Walden 2012, 21. 102 Zit. nach: ebd., 30. 103 Ausst.Kat. Berlin [1913] 1988a. Vgl. Moeller 1988. 104 Walden 1963, 16, 30.



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Musiker.“105 Dass ihn an den Russen ein „besonderer Charakterzug“ faszinierte, wie Nell annahm, ist möglich, indes nicht durch Waldens eigene Worte belegt.106 Walden hat Kandinskijs russische Herkunft nicht besonders markiert, vielmehr behandelte er die russische Kunst als selbstverständlichen Teil der europäischen.107 Waldens Verdienst ist es, zu den frühesten und eifrigsten Förderern der Avantgarde gehört zu haben: Mit dem Sturm gab er Kandinskij und anderen bahnbrechenden Künstlern eine Bühne in Deutschland – und legte so ein Fundament für ihre breitere Rezeption. Anders als Walden deuteten viele seiner Zeitgenossen die russische Kunst jedoch gerade unter nationalen Gesichtspunkten. Als eine wesentliche Grundlage erwies sich hierbei die Literatur des russischen Realismus.108 Sie verschaffte Russland einen Platz in der „Weltliteratur“ und wirkte sich entscheidend auf das deutsche Russlandbild aus. Vor allem in der Auseinandersetzung mit den Werken Fedor Dostoevskijs (1821–1881), die ab den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts in deutscher Übersetzung herauskamen, formte sich die Vorstellung von der „russischen Seele“, deren Manifestationen man auch in der bildenden Kunst zu finden hoffte.109 Wissens- und Erfahrungslücken wurden mit Fiktion kompensiert und ließen Russland zu einer Projektionsfläche individueller und kollektiver Sehnsüchte und Erwartungen werden.110 Die Hervorhebung des Irrationalen und Urwüchsigen der russischen Art konnte deutschen Autoren nicht nur als Bestätigung der eigenen kulturellen Fortschrittlichkeit (Überlegenheit) dienen, sie entsprang auch dem Bedürfnis nach einer exotischen Gegenwelt, das zur gleichen Zeit den Blick auf den „Orient“ und die sogenannten „primitiven“ Kulturen bestimmte. Was als spezifisch russisch wahrgenommen wurde, war ein mystischer, barbarischer oder asiatischer Zug. Entsprechend versah Hausenstein 105 Ebd., 32. 106 „Waldens Familie stammte aus Ostdeutschland. Wahrscheinlich war sie vor langen Jahren aus Rußland eingewandert. […] Das Mystisch-Romantische, ein besonderer Charakterzug der Russen, die Schwermut, die überraschend und unvermittelt in Ausgelassenheit und Feststimmung umschlagen kann, müssen Walden sehr gefesselt haben; es waren vielleicht ihm verwandte Wesenszüge.“ Ebd., 29. Marina Dmitrieva (2007, 156) scheint sich auf diese eher vage Charakterisierung zu stützen – und nicht auf Äußerungen von Walden selbst –, wenn sie als Fazit ihres Aufsatzes über „Die Russen und ‚Der Sturm‘“ konstatiert: „Seine [= Waldens; S. B.] Vorstellung von russischer Kunst blieb märchenhaft-romantisch, er schätzte an ihr die Verbindung von Schwermut mit Ausgelassenheit und von Dekorativität mit Formvereinfachung. Diese Vorlieben Herwarth Waldens überführten das schablonenhafte, exotische Bild des ‚russischen Künstlers‘ und seiner Bildwelten in den Kontext der europäischen Avantgarden.“ 107 In seiner Haltung zum Nationalen scheint Walden mit dem Kritiker Carl Einstein (vgl. unten Kap. 4.5) vergleichbar, wenn auch beide in Bezug auf Kandinskij konträre Ansichten vertraten. 108 Vgl. Raev 2000b, 697. 109 Vgl. ebd., 697–700; Dodd 2000. Erstmals war 1864 ein Buch von Dostoevskij auf Deutsch veröffentlicht worden (Aus dem todten Hause), vgl. Kopelew 2000, 71. 110 Vgl. Raev 2000b; Dodd 2000; Ebert 2010, 37.

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die „russische Seele“ mit Attributen wie ‚mystisch‘, ‚radikal‘, ‚irrational‘, ‚kindisch‘ und ‚märchenhaft‘. Bezeichnend ist vor diesem Hintergrund Ada Raevs Hinweis, dass es [i]n Deutschland […] um die Jahrhundertwende unmöglich [war], einen Verleger für eine umfassende Arbeit über russische Kunst mit wissenschaftlichem Anspruch zu finden […]. […] Der kunstinteressierte deutsche ‚Durchschnittsleser‘ wurde dagegen […] immer wieder mit vagen Betrachtungen über die angeblich orientalische, exotische Färbung der russischen Kunst und die ihr vermeintlich immanente Widerspiegelung der mystischen ‚russischen Seele‘ konfrontiert, was in Einzelfällen zu recht willkürlichen Interpretationen führen konnte […].111

Diese Sicht auf die russische Kultur war allerdings kein ausschließlich deutsches bzw. westliches Konstrukt; sie entsprach vielmehr dem Bild, das russische Intellektuelle und Künstler selbst von sich kreierten. Kandinskij bildete davon keine Ausnahme. 1.4.2 „Mutter-Moskau“: Kandinskijs Selbstdarstellung als russischer Künstler Dem deutschen „Exotismus“ kam ein kultureller Selbstfindungsprozess auf russischer Seite entgegen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die Russen, sich verstärkt den eigenen nationalen Traditionen zuzuwenden. Eine maßgebliche Rolle spielten dabei die Künstlerkolonien von Abramcevo und Talaškino. Anfang des 20. Jahrhunderts dienten Ikonen und Werke der sogenannten Volkskunst den Vertretern der russischen Avantgarde als Vorbilder beim Beschreiten neuer Pfade und untermauerten zugleich deren Anspruch auf künstlerische Eigenständigkeit gegenüber dem Westen.112 Einige Bekanntheit erlangten die Worte, mit denen die Malerin Natalija Gončarova 1913 diesem Anspruch Ausdruck verlieh: Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich alles studiert, was der Westen mir geben konnte, aber im Grunde hat mein Land alles hervorgebracht, was nun aus dem Westen wieder dorthin zurückfließt. Nun schüttle ich den Staub von meinen Füßen und lasse den Westen hinter mir […] Mein Weg führt zu der Quelle aller Kunst, dem Osten. Die Kunst meines Landes ist unvergleichlich tiefer als alles, was ich im Westen kenne.113 111 Raev 2000b, 735. 112 Vgl. Ausst.Kat. Baden-Baden 1993, darin die Beiträge Gusew 1993; Petrowa 1993; Misler/Bowlt 1993; Basner 1993; Boguslawskaja 1993. Außerdem Krieger 1998b; Mazur-Keblowski 2000, passim; Dorontchenkov 2009. 113 N. Gončarova: [Vorwort]. In: Vystavka kartin Natalii Sergeevny Gončarovoj, 1900–1913 [Ausstellung von Gemälden Natalija Sergeevna Gončarovas, 1900–1913]. Ausst.Kat. Moskva 1913, 1. Zit. nach: Misler/Bowlt 1993, 15.



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Im Katalog zur zweiten Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München hatten die Brüder David und Vladimir Burljuk bereits 1910 erklärt, dass das Neue in der neuen russischen Kunst nicht äußerlich von den Franzosen übernommen worden sei (wie oft behauptet wurde), sondern vollkommen in der schöpferischen Seele unseres Volkes vorhanden [ist]. Man erinnere sich nur an unsere Kirchenfresken, an unsere Volksblätter (Lubkî), Heiligenbilder (Ikôni) und schließlich an die wundervolle Märchenwelt der skythischen Plastiken, an schreckliche Götzen, welche in der Roheit ihrer nirgend sonstwo gesehenen Form überzeugend sind und echte, monumentale Größe offenbaren.114

Mit der Vorstellung von der überzeitlichen „schöpferischen Seele“ der Russen wird hier eine wesentliche Tatsache übergangen: dass nämlich die Verbindung der Avantgarde zur Tradition auf einer „bewußte[n] Handlung von aus der Tradition entlassenen modernen Individuen“ beruhte, auf einem „Akt der produktiven Aneignung und selbstbewußten Gestaltung von Geschichte“.115 Die Besinnung respektive Berufung auf die ‚östlichen‘ Quellen als Grundlage der eigenen Künstlerschaft prägte auch Kandinskijs Werk. Zu Recht macht Charles Haxthausen auf Kandinskijs eigenen Anteil an dem „Bild eines selbstversunkenen russischen Mystikers“ und der nationalen Lesart seiner Bilder aufmerksam.116 Haxthausen macht dies an dem autobiographischen Text „Rückblicke“ aus dem Album Kandinsky 1901–1913 (1913) fest, wo Kandinskij die genuine Verbindung zwischen seiner Kunst und seiner Herkunft prononcierte. Über den aus Ostsibirien stammenden Vater teilt Kandinskij mit: „Seine tiefe menschliche und liebevolle Seele verstand den ‚moskowischen Geist‘ und nicht weniger kennt er das äußere Moskau.“117 Eine regelrechte Verklärung erfährt Moskau aber bei der Charakterisierung von Kandinskijs Mutter: Meine Mutter ist eine geborene Moskowitin und vereint in sich die Eigenschaften, die für mich Moskau verkörpern: äußere, auffallende, durch und durch ernste und strenge Schönheit, feinrassige Einfachheit, unerschöpfliche Energie, eigenartig aus starker Nervosität und imponierender, majestätischer Ruhe und heldenhafter Selbstbeherrschung geflochtene Vereinbarung von Tradition mit echtem Freigeist. Kurz – in menschlicher Gestalt die ‚weißsteinige‘, ‚goldhäuptige‘ ‚Mutter-Moskau‘. Moskau: Die Doppeltheit, die Kompliziertheit, die höchste

114 Burljuk/Burljuk [1910] 1982. 115 Krieger 1998b, 40. 116 Haxthausen 1984, 74. 117 Kandinsky [1913] 2004b, 50.

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Beweglichkeit, das Zusammenstoßen und Durcheinander in der äußeren Erscheinung, die im letzten Grunde ein eigenes, einheitliches Gesicht bildet, dieselben Eigenschaften im inneren Leben, was dem fremden Auge unverständlich ist […] und was doch ebenso eigenartig und im letzten Grunde vollkommen einheitlich ist – dieses gesamte äußere und innere Moskau halte ich für den Ursprung meiner künstlerischen Bestrebungen.118

Moskau bedeutet hier weit mehr als die faktische Heimatstadt des Künstlers. Durch die Art und Weise, in der Kandinskij seine innige Verbundenheit mit Moskau mit seinen Familienbanden verflicht, schreibt er sich in jenen literarischen Stadtmythos ein, der in der Forschung teilweise unter der Bezeichnung des „Moskauer Textes“ (moskovskij tekst) behandelt wird. Zu diesem Mythos gehört der Entwurf Moskaus als russische, weibliche (mütterliche) und heilige Stadt – in scharfem Gegensatz zu Sankt Petersburg.119 „MutterMoskau“, so erfahren wir aus Kandinskijs emphatischen Worten, gebar ihn nicht nur als Mensch, sondern auch als Künstler. Die „Rückblicke“ sind daher im Sinne von Hans Konrad Roethel nicht einfach als ein autobiographischer Tatsachenbericht zu werten, sondern als „poetische Evokationen“, als „Rückblicke auf eine dichterisch verklärte Vergangenheit biographischen Charakters“.120 Anders als in den „Rückblicken“ sucht man in Über das Geistige in der Kunst vergeblich nach Aussagen über Kandinskijs russische Ursprünge. Nichtsdestotrotz ist diese Abhandlung mit Worten gespickt, die für das damalige Publikum Signalbedeutung hatten: Kandinskij misst der Kunst eine „weckende prophetische Kraft“ bei; er schreibt vom Hunger nach dem „geistigen Brot“, vom „Reich von morgen“ und von „mystischen Notwendigkeiten“; es ist die Rede von einer „genialen Offenbarung“ und der „Epoche des großen Geistigen“.121 Obwohl Russland in Kandinskijs kunsttheoretischem Hauptwerk nicht eigens thematisiert wird, fügten sich derartige Wendungen nahtlos in das

118 Ebd. 119 Vgl. Falk 2005; sowie Werenskiold 1989. 120 Roethel 2004, 14. – Katsuo Suzuki interpretiert das gesamte Kandinsky-Album, in dem die „Rückblicke“ erschienen sind, einschließlich des vorangestellten umfangreichen Abbildungsteils, als einen Versuch von Kandinskij, „to emphasize the ‚Russian element‘ lurking in his art“ (Suzuki 2002, 187). Allerdings erscheint mir Suzukis Argumentation in einigen Punkten zu einseitig und nicht zwingend. 121 Kandinsky [1912] 2006. Die zitierten Stellen befinden sich auf den Seiten 30, 34, 43, 84, 89 und 147.



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mystifizierende Russlandbild ein, das allenthalben gezeichnet wurde.122 Kandinskij tritt implizit als spiritueller Führer auf.123 Kandinskijs deutsche Leserschaft fand in Über das Geistige in der Kunst und in den „Rückblicken“ verbreitete Russlandklischees von ihm selbst bestätigt. Es darf somit nicht Wunder nehmen, wenn dem mythopoetischen und selbstinszenatorischen Charakter dieser Schriften in der Vergangenheit nicht genügend Beachtung geschenkt wurde. Vor dieser Folie erscheint vieles von dem, was Hausenstein in Die bildende Kunst der Gegenwart behauptet, als von Kandinskij vorformuliert.124 Kandinskijs schriftlichen Äußerungen kommt – dies ist in einer rezeptionsgeschichtlichen Arbeit über den Künstler stets mitzubedenken – im Vergleich zu denen seiner gegenständlich arbeitenden Kollegen eine besondere Rolle zu. Dazu Felix Thürlemann: Mit dem Aufkommen der abstrakten Kunst […] hat sich die Aufgabe des Interpreten radikal neu gestellt: Der Diskurs über die Kunst konnte mit dem alltäglichen Diskurs, der dem Menschen zur Bewältigung der Realität zur Verfügung steht, kaum mehr etwas gemeinsam haben. Es war Kandinsky selber, der sich als einer der ersten ernsthaft bemühte, eine neue Sprache für die von ihm praktizierte neue Kunstform zu entwickeln. […] Der Grossteil der professionellen Kunstkritiker, die nach 1912 zu Kandinskys Malerei Stellung nehmen, weist sich auch als Leser 122 Einen ähnlichen Befund ergibt die Durchsicht von Kandinskijs Aufsatz „Über die Formfrage“ (= Kandinsky [1912] 2004c). Kandinskij spricht hier u. a. von der „neuen Offenbarung des Geistes“ (ebd., 137), der „inneren Notwendigkeit“ (ebd., 142), einer „großen geistigen Epoche“ (ebd., 143), dem „inneren Klang“ (ebd., 145), dem „Kosmos der geistig wirkenden Wesen“ (ebd., 168) und von den „Vibrationen“ der Seele (ebd., 181). 123 In Über das Geistige in der Kunst äußert sich Kandinskij über den Künstler als Propheten, wobei der Bezug auf sich selbst – den höheren Zwecken dienenden, von vielen unverstandenen Kandinskij – offensichtlich ist: „Da kommt aber unfehlbar einer von uns Menschen, der in allem uns gleich ist, aber eine geheimnisvoll in ihn gepflanzte Kraft des ‚Sehens‘ in sich birgt. Er sieht und zeigt. Dieser höheren Gabe, die ihm oft ein schweres Kreuz ist, möchte er sich manchmal entledigen. Er kann es aber nicht. Unter Spott und Haß zieht er die sich sträubende, in Steinen steckende schwere Karre der Menschheit mit sich immer vor- und aufwärts.“ Kandinsky [1912] 2006, 31. Reinhard Zimmermann versammelt im Dokumentationsteil seiner Habilitationsschrift weitere Belege für die Verbindung von Künstler- und Prophetentum bei Kandinskij. Vgl. Zimmermanns (2002b) Einführungen und die Kandinskij-Zitate u. a. zu den Stichwörtern „Kunst und Künstlertum allgemein“ (ebd., 71–91), „Religiosität, Mystik“ (ebd., 408–417) und „Offenbarung“ (ebd., 417–420). Vgl. ferner Krieger 2007, 83–86. – Ein eindrückliches Zeugnis für die Fremdwahrnehmung Kandinskijs als Prophet ist ein 1917 in der Züricher Galerie Dada gehaltener Vortrag von Hugo Ball, vgl. Ball [1917] 1984. Vgl. dazu Wacker 2013, 1–7. 124 Dies ist etwa der Fall, wenn Hausenstein der als westlich markierten ratio für das Verständnis von Kandinskijs Schaffen eine untergeordnete Bedeutung zuweist (s. o.). Man vergleiche damit Kandinskijs Kommentar zum römischen Recht, das ihn zwar „durch die feine, bewußte, hochraffinierte ‚Kon­ struktion‘ bezauberte, das mich, den Slawen, aber schließlich als eine viel zu kalte, viel zu vernünftige, unbiegsame Logik nicht befriedigen konnte“ (Kandinsky [1913] 2004b, 31. Hervorh. S. B.).

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seiner Schriften aus. […] Überraschend ist […], wie schnell Kandinskys ästhetische Konzepte in die kunstkritische Literatur eingehen. Es kann daraus geschlossen werden, dass Kandinskys Theorie – auch wenn sie historisch betrachtet das eigentliche Verständnis seiner Werke nicht unbedingt förderte – zumindest ein begierig aufgenommenes Mittel zu deren diskursiven [sic] Bewältigung bereitstellte.125

Auch von kunsthistorischer Seite waren in dieser Zeit Anregungen gekommen, die die Interpreten der neuen Kunst dankbar aufgriffen. Es hatte sich hier um 1900 ein fundamentaler Wandel in der Betrachtung und Bewertung künstlerischer Erscheinungen vollzogen, die mit klassischen Schönheitsidealen und naturalistischen Darstellungsprinzipien nicht in Einklang zu bringen waren: Man hatte nach neuen Maßstäben gesucht.126 Einen herausragenden Stellenwert erlangten in diesem Zusammenhang Wilhelm Worringers Schriften Abstraktion und Einfühlung und Formprobleme der Gotik. 1.4.3 Die Aktualität Wilhelm Worringers für die Rezeption Kandinskijs Wilhelm Worringer (1881–1965) hatte die Hand am Puls der Zeit, als er 1906 in Bern seine kunsthistorische Dissertation Abstraktion und Einfühlung vorlegte.127 Im Münchner Piper Verlag, der die Arbeit 1908 in den Buchhandel brachte, erreichte sie bis 1921 zwölf Auflagen.128 In seinem „Beitrag zur Stilpsychologie“, so der Untertitel, opponiert Worringer gegen eine Auffassung von der Kunstentwicklung als einer „Geschichte des Könnens“, die eine „Annäherung an das Naturvorbild“ als Ziel aller bildkünstlerischen Tätigkeit voraussetze; stattdessen begreift er die Kunst in Anlehnung an den Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl als Ausdruck eines bestimmten „Wollens“, das sich – ebenso wie die religiöse Veranlagung129 – aus dem „psychischen Zustand“ ergebe, „in dem die Menschheit jeweilig

125 Thürlemann 1986, 15, 52. 126 Dieser Wandel ist im Hinblick auf die Mitte des 19. Jahrhunderts geborene Generation mit Namen wie Franz Wickhoff (1853–1909), Alois Riegl (1858–1905), Conrad Fiedler (1841–1895) und August Schmarsow (1853–1936) verbunden. Vgl. Kultermann 1996, 152–156, 162–166; Ehringhaus 1996, 83–114. 127 In den vergangenen Jahren ist viel über Worringer geforscht und geschrieben worden. Stellvertretend hierfür seien die drei Sammelbände Donahue 1995a, Böhringer/Söntgen 2002 und Gramaccini/Rössler 2012 angeführt. 128 Vgl. Grebing 2007, 7. Im Folgenden zitiere ich nach der zweiten Auflage: Worringer 1909. – Eine profunde Einführung in Worringers Hauptwerk unter Berücksichtigung verschiedener Zeitkontexte liefern Lang 2002 und Öhlschläger 2007. 129 Worringer 1909, 97–100.



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sich dem Kosmos gegenüber, den Erscheinungen der Außenwelt gegenüber befindet“.130 Ist das Verhältnis zur Außenwelt harmonisch, wie es Worringer der klassischen Antike unterstellt, führe dies zu einer pantheistischen Diesseitsreligion und einer „im Sinne des Organisch-Naturalistischen“ geschaffenen Kunst; ist dieses Verhältnis aber gestört, so habe dies „transzendente Vorstellungen in religiöser Beziehung“ und ein entsprechendes „Abstraktionsbedürfnis in künstlerischer Beziehung“ zur Folge.131 Für Worringer ist Abstraktion eine „Stilabsicht, die das, was sie will, auch kann“132. Abstraktion/Stil auf der einen und Einfühlung/Naturalismus auf der anderen Seite bilden die beiden Pole eines Feldes, innerhalb dessen sich nach Worringer die gesamte Kunstentwicklung abspielt.133 Ihre idealtypischen Ausprägungen findet diese Polarität in der „primitiven“ respektive „orientalischen“/ägyptischen Kunst (Abstraktion) und in der klassischen/griechischen Kunst (Einfühlung). Auf Basis seiner in Abstraktion und Einfühlung entwickelten Theorien habilitierte sich Worringer 1909 mit einer Studie über Formprobleme der Gotik. Sie wurde ab 1911 auch von Piper verlegt und erfreute sich ebenfalls großer Popularität.134 Worringer erhebt in seinem Buch die Gotik zu einem nicht zeitgebundenen, „spezifisch nordischen“ „Formwillen“, der bereits in der vorgotischen Kunst Nord- und Mitteleuropas „unterirdisch tätig“ gewesen sei („geheime Gotik“), der in der gleichnamigen mittelalterlichen Epoche aber seine volle Entfaltung erreicht habe.135 Trägerin dieses 130 Ebd., 7–13 (Zitate auf S. 8 f., 12). – Alois Riegl leistete um 1900 einen wegweisenden Beitrag zu einem neuen Kunstverständnis, indem er Abweichungen vom klassischen Ideal nicht mehr als ein Zeichen des Unvermögens oder des Verfalls deutete, sondern als „das Resultat eines bestimmten und zweckbewußten Kunstwollens“ (zit. nach: Feist 2007c, 346). Er tat dies in Abgrenzung zu Gottfried Semper (1803–1879), der das Kunstwerk auf die Faktoren Gebrauchszweck, Rohstoff und Technik zurückgeführt hatte. Vgl. Ehringhaus 1996, 90–100; Kultermann 1996, 153–156; Lang 2002, 89–93, 100; Öhlschläger 2007, 19 f. 131 Worringer 1909, 97–100 (Zitate auf S. 99). 132 Ebd., 68. 133 Ebd., 45. 134 Worringer 1911. Grundlegend für mein Erkenntnisinteresse ist das Kapitel „Das Wesen der Gotik wird neu entdeckt: Wilhelm Worringers Formprobleme der Gotik“ in: Bushart 1990, 18–52. Vgl. ebd., 21, Anm. 15, die Hinweise zu den Neuauflagen. 135 Worringer 1911, 27–29 (Zitate auf S. 27). Zwar erklärt Worringer (ebd., 29), er habe nicht die Absicht, „ein einzelnes Volk zum Träger der [gotischen; S. B.] Entwicklung [zu] machen“ und „Rassenromantik im Chamberlainschen Sinn [zu] treiben“; doch bezeichnet er die „Germanen“ als „die conditio sine qua non der Gotik“. Vgl. auch ebd., 96 f., 126 f. Worringers Äußerungen über den Stellenwert der „Rasse“ sind „gewunden“, wie Wolfgang Kemp feststellt, vgl. Kemp 2002, 14. Dieser Umstand macht sie in einem rassistischen bzw. nationalistischen Sinne zumindest auslegbar. Die Frage, inwieweit eine solche Auslegung dem Denken Worringers entspricht, ist umstritten. Helga Grebing (2007, 9) verneint sie entschieden und verweist darauf, dass der Begriff „Rasse“ vor dem Ersten Weltkrieg gemeinhin

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gotischen „Formwillens“ sei die „abstrakte organisch ungemilderte Linie“.136 Folglich hält Worringer die Gotik für „ihrem innersten Wesen nach irrationell, überrationell, transzendental“137. Im Unterschied allerdings zur geometrischen, ‚toten‘ und ‚ausdruckslosen‘ Abstraktion des „primitiven“ und des „orientalischen“ Menschen beschreibt Worringer die abstrakte Linie des „gotischen“ (oder „nordischen“) Menschen aufgrund von dessen „innere[r] Disharmonie“ als ‚lebendig‘, ‚bewegt‘, ‚rastlos‘, ‚gebrochen‘, ‚zuckend‘, ‚suchend‘, ‚zackig‘, ‚drängend‘, ‚pathetisch‘ usf.: Der abstrakte Ausdruck bilde demnach das Charakteristikum der Gotik.138 Mit der Renaissance, der „Invasion des fremden Kunstideals“139, habe jedoch die „Rationalität klassischer Harmonie und klassischer Gesetzmässigkeit“ über die Gotik obsiegt.140 Damit schließt sich der Kreis zu Worringers anfänglicher Bemerkung, das „klassische Kunstideal“ sei das bis in die Gegenwart maßgebliche.141 In seinen kunsthistorischen Qualifikationsschriften ging es Worringer nicht um einzelne, konkrete Kunstwerke, sondern um Stilphänomene und deren (kollektiv-)psychologische Grundlagen.142 Er entwickelte ein einfaches dualistisches Modell von universellem Geltungsanspruch, das sich auf verschiedene Gegenstände anwenden und leicht den jeweils eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen anpassen ließ. Worringers Modell war nicht auf weit zurückliegende Erscheinungen beschränkt: Der konstitutive Gegensatz von Stil und Naturalismus und die Konzeption einer zeitlosen Gotik ließen sich ohne Weiteres auf die eigene Gegenwart übertragen.143 Es war nicht zuletzt die (so empfundene) Aktualität der Worringer’schen Thesen, die seinen Veröffentlichungen beim kunstinteressierten Publikum, bei Künstlern und Kritikern exzeptionelle Erfolge bescherte, während seine

synonym mit „Volk“ oder „Nation“ verwendet worden sei. Vgl. dagegen Bushart 1995, 74. Zu den Begriffen „germanisch“ und „nordisch“ vgl. Ehringhaus 1996, 14 f., 18. 136 Worringer 1911, 49. 137 Ebd., 77. Vgl. ebd., 48: „Wo die abstrakte Linie der Träger des Formwillens ist, da ist die Kunst transzendental […].“ 138 Ebd., 31–35, 49 f. Die Expressivität der gotischen Abstraktion ergibt sich aus einer „unreinliche[n] und gewissermassen unheimliche[n] Verquickung“ von Abstraktions- und Einfühlungstendenzen, die die Gotik für Worringer zu einer „Zwittererscheinung“ macht (ebd., 31). 139 Ebd., 61. 140 Vgl. ebd., 76–80 (Zitat auf S. 77). 141 Vgl. ebd., 5–10 (Zitat auf S. 8). 142 Vgl. Donahue 1995b, 2; Lang 2002, 91; Öhlschläger 2007, 19. 143 Schon in seiner Monographie Lukas Cranach (München/Leipzig 1908, 36) hatte Worringer geschrieben: „Doch es scheint, als ob unsere heutige psychische Verfassung uns wenigstens indirekt gotischen Werten wieder näher bringe.“ Zit. nach: Bushart 1990, 19. Vgl. Lang 2002, 111 f.



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Thesen von den Fachkollegen insbesondere Zurückhaltung und Ablehnung ernteten (sofern sie denn von dieser Seite überhaupt beachtet wurden).144 Das Kunstschaffen der Avantgarde spielte weder in Abstraktion und Einfühlung noch in Formprobleme der Gotik eine Rolle; hier wie da sucht man vergebens nach einer Erwähnung expressionistischer Künstler.145 Nichtsdestotrotz wurden die beiden Bücher als historische, vor allen Dingen wissenschaftliche Rechtfertigung oder gar als Programmschriften des Expressionismus gelesen;146 damit bildeten sie eine Grundlage auch für die Beurteilung von Kandinskijs Schaffen. Von besonderer Relevanz erscheinen mir diesbezüglich drei Aspekte:

144 Vgl. Bushart 1990, 20–25; Dies. 1995, 70; Donahue 1995b, 1–3; Waite 1995, 19; Grebing 2007, 8. Die Widerstände, die Worringers Methode bei seinen Kollegen hervorrief, erschwerten ihm offenkundig die akademische Laufbahn, vgl. Grebing 2002, passim. Hilmar Frank findet in Worringers Buch Die Anfänge der Tafelmalerei (Leipzig 1924) indes einen Beleg dafür, dass Worringer selbst implizit das „Mißlingen dieses [= seines früheren; S. B.] hypothetischen Schließens [eingestanden hat]“ (Frank 2002, 69). Vgl. auch ebd., 71. 145 In Abstraktion und Einfühlung nennt Worringer (1909) die Bildhauer Auguste Rodin (ebd., 81) und Adolf von Hildebrand (ebd., 2, Anm. *, und 22, 81, 86, v. a. mit Bezug auf dessen Schrift Das Problem der Form in der bildenden Kunst) sowie den Schweizer Maler Ferdinand Hodler (ebd., 10, Anm. *); in Formprobleme der Gotik hebt Worringer (1911, 79) Hans von Marées hervor, den „wir nordischen Menschen […] mit seiner grossen fragmentarischen, problematischen Kunst verehren“. Bushart (1990, 23 f. [Zitat auf S. 23]) bezeichnet die sich in Worringers Veröffentlichungen abzeichnende Kunstauffassung, deren Ideal von Hildebrand und Marées verkörpert worden sei, als „überraschend konservativ“. Vgl. auch Dies. 1995, 72–79; Frank 2002, 78; Lang 2002, 112–115. Bushart (1990, 23 f.; 1995, 71 f.) und Lang (2002, 87 f., 112) gehen davon aus, dass Worringer während der Arbeit an seinen Hochschulschriften (1905/06 und 1908/09) vom Expressionismus der Brücke (gegr. 1905) und der Neuen Künstlervereinigung München (gegr. 1909) kaum schon Notiz genommen haben wird. 146 Vgl. Bushart 1990, 20–25, 48 f.; Dies. 1995, 70 f., 80; Lang 2002, 113; Öhlschläger 2007, 21–25. Alle drei Autoren zitieren in diesem Zusammenhang August Mackes Witwe Elisabeth, die auf die überaus positive Aufnahme von Worringers Schriften unter den modernen Künstlern hinwies und sie folgendermaßen erklärte: „Endlich einmal ein Akademiker, der diesen neuen Ideen aufgeschlossen und verständnisvoll gegenüberstand, der vielleicht für sie eintreten und sie verteidigen würde gegen so viele konservativ eingestellte Kunsthistoriker, die von vornherein alles Neue, Ungewohnte ablehnten und sich gar nicht erst damit beschäftigten.“ Erdmann-Macke 1962, 211. Etwas provokant bezeichnet Oskar Bätschmann diese und ähnliche Äußerungen über die einschlagende Wirkung von Worringers Publikationen als „freie[.] Erfindungen“ (Bätschmann 2012, 116). Was die zeitgenössische Kunstpublizistik betrifft, ist Worringers Einfluss jedoch nicht von der Hand zu weisen, vgl. Haxthausen 1990, 176 f. Sowohl Hausenstein (1914b, 3) als auch Fechter (1914, 4) nehmen in ihren frühen Schriften auf Worringer Bezug; im Katalog zur Kandinsky Kollektiv-Ausstellung (= Ausst.Kat. München 1912, o. S.) findet sich Abstraktion und Einfühlung in einer Liste von „Literatur über die neue Kunst“ an erster Stelle; und auch in Eckart von Sydows Expressionismus-Buch (vgl. unten Kap. 2.2) sind Abstraktion und Einfühlung und die Formprobleme als „Bücher über den Expressionismus“ verzeichnet, vgl. Sydow 1920, 149.

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(1) Zum einen ebnete Worringer den Weg für eine breitere Akzeptanz und Wertschätzung der Abstraktion: Er wies ihr einen genuinen, notwendigen und eigenständigen Platz in der kunstgeschichtlichen Entwicklung zu und machte sie damit für die Kunstpublizistik leichter „handhabbar“. Im selben Zug schloss er eine Beurteilung (Verurteilung) nicht-mimetischer Kunstwerke anhand von Kriterien aus, die sich am klassischen Kanon orientierten. Worringer stellte der bisherigen, von ihm als einseitig betrachteten Ausrichtung der Ästhetik ein überindividuelles, unwillkürliches Wollen entgegen, das von den jeweiligen psychischen Voraussetzungen eines Volkes bzw. einer Epoche abhängig sei und sich zwischen den Polen von Abstraktion und Einfühlung bewege. Für Publizisten und Theoretiker der neuen Kunst wie Paul Fechter und Wilhelm Hausenstein stellte diese Herangehensweise einen intellektuellen Befreiungsschlag dar. „Das Verdienst, das Relative des klassischen Ideals zuerst nachdrücklich nachgewiesen zu haben“, schreibt Hausenstein, „gebührt dem Kunstpsychologen Wilhelm Worringer. Seine Gedanken bedeuten eine erste Umwälzung der Kunstgesinnung, die durch Generationen als selbstverständlich galt […].“147 Hausenstein, der forderte, an Kandinskij einen Maßstab anzulegen, welcher der Andersheit der „russischen Psyche“ gerecht werde, befand sich damit in der Tradition Worringers. Während der Kritiker Kurt Küchler mit Kandinskijs Abstraktion nichts anderes anzufangen wusste, als sie – aufgrund seines persönlichen Kunstempfindens – abzuwerten, bemühte sich Hausenstein um einen objektiveren Standpunkt. Er versuchte, sie aus ihren eigenen Voraussetzungen heraus zu verstehen, – und gelangte zu einem positiven Urteil über Kandinskijs „Liniengestammel“ (Küchler), indem er es auf „das unverständliche Stammeln der russischen Seele“ zurückführte. (2) Worringer ging über die bloße Relativierung des Mimesis-Prinzips jedoch hinaus. Er beschrieb die Abstraktion nicht nur als Ausdruck eines anders gelagerten „Kunstwollens“, sondern schuf gleichzeitig ein Identifikationsmoment zwischen der Abstraktion als einer ‚transzendentalen‘, ‚irrationellen‘ Kunstform und dem „nordischen“/„gotischen“ Menschen bzw. den Germanen.148 Dabei kam es zu einer semantischen Inversion: Die 147 Hausenstein 1914b, 3. Vgl. Paul Fechters spätere Bemerkungen über seine erste Lektüre von Abstraktion und Einfühlung: „Ich las das Buch nicht nur, ich fraß es; ich schleppte am nächsten Tag von der Königlichen Bibliothek im Japanischen Palais Alois Riegls Riesenwerk von der Spätrömischen Kunstindustrie [= Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (Teil 1. Wien 1901); S. B.] nach Hause und fraß es ebenfalls. Ich war beglückt, denn da war das, was wir alle längst gesucht, uns gewünscht und nirgends bisher gefunden hatten. […] wir bekamen von Wilhelm Worringer […] endlich Boden unter die Füße, für die ständigen Begegnungen mit den Problemen der modernen Kunst, die wir als unsere Kunst, als die Kunst unserer Generation der achtziger Jahre empfanden und werteten.“ Fechter 1955, 292. 148 Sibylle Ehringhaus (1996) unterstreicht in ihrer Studie Germanenmythos und deutsche Identität den Kon­ struktcharakter der Begriffe „Germanen“ bzw. „germanisch“: „Besonders für die deutsche Geschichte könnte man Germanen und germanisch als Indikatoren nationaler Befindlichkeit heranziehen.“ Ebd.,



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Abstraktion (das eigentlich Fremde) erschien als die ursprüngliche Gestaltungsart der Deutschen149, während die bis dahin normativen Werte der Antike und Renaissance (das eigentlich Vertraute) zu einem ursprünglich fremden Element gestempelt wurden. Die Abstraktion, im weiteren Sinne einer nicht-abbildenden Kunst verstanden, konnte so für nationale Zwecke vereinnahmt werden.150 Dies ist der Fall, wenn Paul Fechter den Expressionismus von einem „Trieb“ herleitet, „der in der germanischen Welt von je wirksam gewesen ist. Es ist die alte gotische Seele […].“151 Dass Fechter Kandinskij in dieses „gotische“ Expressionismus-Konzept integrierte, ohne hierbei einen inhärenten Widerspruch zu erkennen (oder erkennen zu wollen), scheint mir aus der Abgrenzung zu Renaissance und Naturalismus heraus verständlich: Vom Gegenbild des Naturalismus, des Klassischen her gedacht, konnte Kandinskijs abstrakte (expressive, geistige) Kunst, auch wenn sie von einem Russen stammte, in eine Reihe mit dem eigenen deutschen „Kunstwollen“ gestellt werden. À propos Abgrenzung: Für das Verständnis eines Großteils der in dieser Arbeit untersuchten Texte ist es wichtig, sich klarzumachen, dass die Deutschen ihre Identität traditionell in Kontrast zur französischen Kultur bestimmten. Ereignisse wie die Reichsgründung 1871 und der Erste Weltkrieg verstärkten den Wunsch, der tonangebenden französischen Kultur etwas eigenes Deutsches entgegenzusetzen. Worringers Antithese von Abstraktion und Einfühlung – oder von Nord und Süd oder von Gotik und Klassik 152 – konnte, was für den Erfolg beim Publikum sicher nicht unerheblich war, im Sinne dieses deutschfranzösischen Gegensatzes und der damit verbundenen Klischees aktualisiert werden.153 15. Wie Ehringhaus (ebd., 33–51) weiter ausführt, brachte die Reichsgründung 1871 augenscheinlich den Bedarf an einer nationalen, deutschen Kunstgeschichtsschreibung mit sich, an deren Beginn einige Autoren die „Germanen“ stellten. Als „germanisch“ galt ein Hang zur Abstraktion und zur Flächenhaftigkeit, wie er sich in der Ornamentik offenbarte. War die Kunst der „Germanen“, gemessen an der Antike, zuvor als mangelhaft beschrieben worden, so erhielt sie etwa in Wilhelm Luebkes, von Max Semrau neu bearbeitetem Grundriss der Kunstgeschichte (121901) einen eigenwertigen Status. 149 Cordula Hufnagel weist auf den bedeutsamen Umstand hin, dass Worringer „– historisch ungenau – nicht zwischen einer ‚germanischen‘ und einer ‚deutschen Frühzeit‘ [unterscheidet]“ (Hufnagel 2002, 48, Anm. 14). 150 Vgl. Bushart 1995, 80. 151 Fechter 1914, 28. 152 Vgl. z. B. Worringer 1911, 74. 153 Zum Frankreichbild in der Kunstkritik des Deutschen Reiches vgl. den Band Holleczek/Meyer 2004, darin besonders Gaehtgens 2004, 9–13, 16 f.; Meyer 2004, 28–30, 34; Holleczek 2004. Holleczek fasst die seinerzeit in der deutschen Kritik kursierenden Stereotype über deutsche und französische Kunst in nuce zusammen: „Deutsche Kunst sei im Gegensatz zur französischen nicht rationalistisch, sondern gefühlsbetont; nicht klassisch, sondern romantisch; nicht sinnenverhaftet, sondern am geistigen Gehalt interessiert. Sie strebe nicht den äußeren Effekt an, sondern die tiefe Empfindung; ihr fehle es zwar an Geschmack und an technischer Vollkommenheit, dafür sei sie von ursprünglicher Echtheit, ja in einem geradezu positiven Sinn barbarisch.“ Ebd., 85. Solche Vor-

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In Abgrenzung zu Frankreich rückte das deutsche Selbstbild aber näher an den Osten, wie wir am Beispiel der Kunsthistoriker Fritz Burger, Eckart von Sydow und Werner Haftmann noch sehen werden. (3) Worringer verlieh dem „Orient“ den Status, die Abstraktion vor allen klassischen Einflüssen am reinsten bewahrt zu haben: Bei dem Orientalen ist die Tiefe des Weltgefühls, der Instinkt für die aller intellektuellen Beherrschung spottende Unergründlichkeit des Seins größer und das menschliche Selbstbewußtsein entsprechend kleiner [als bei dem Griechen; S. B.]. Die Grundnote seines Wesens ist demzufolge ein Erlösungsbedürfnis. Das führt ihn in religiöser Beziehung zu einer trübgefärbten, von einem dualistischen Prinzip beherrschten Transcendenzreligion, in künstlerischer Beziehung zu einem ganz auf ’s Abstrakte gerichteten Kunstwollen. Der Armseligkeit rationalistischen Erkennens bleibt er sich stets bewußt. Was konnte einem solchen Jenseitsmenschen griechische Philosophie sagen? Wie sie nach dem Orient vordrang, sah sie sich einer viel profunderen Weltanschauung gegenüber, von der sie dann auch teils restlos und geräuschlos verschlungen, teils bis zur Unerkenntlichkeit assimiliert wurde. Und dasselbe Schicksal erlebte die griechische Kunst mit ihrem Naturalismus.154

Worringers Charakterisierung des „Orientalen“ erhält ihre mögliche Relevanz für die Rezeption Kandinskijs durch die östliche Herkunft des Künstlers. Zwar ist Russland stellungen kennzeichneten auch die Gegenüberstellung des französischen Impressionismus und des deutschen Expressionismus. – Die Malerei der französischen Fauves, namentlich Matisses, und ihr Einfluss auf die deutschen Expressionisten bildeten freilich eine Schwachstelle bei der Polarisierung deutscher und französischer Kunst. Wie man diese durch eine Hilfskonstruktion dennoch aufrechtzuerhalten versuchte, zeigt Worringers Artikel „Künstlerische Zukunftsfragen“, der am 24. Dezember 1915 in der Frankfurter Zeitung erschien. Dort heißt es: „Das Ungestüm-Expressionistische im Gegensatz zu ruhiger geläuterter Naturbescheidung lag stets im inneren Wesen deutscher Kunst. Wenn nun Frankreich das Thema der neuen Ausdruckskunst formuliert und Deutschland es zur eigentlichen Verarbeitung übernimmt, so wiederholt sich bei diesem entwicklungsgeschichtlichen Vorgang nur im kleinen, was sich im großen bei der Rezeption der Gotik abgespielt hatte. Auch die Gotik, deren innerste Stilenergien von aller romanischen Kunstauffassung mit Notwendigkeit fortführen mußten, hatte ihre erste und wohl auch glänzendste Formulierung in Frankreich erfahren, fand dann aber die eigentliche Resonanz in Deutschland.“ Zit. nach dem Wiederabdruck des Textes: Worringer [1915] 2004, 68. Damit greift Worringer eine Argumentationsfigur wieder auf, die er im Hinblick auf die Gotik bereits in den Formproblemen verwendet hatte, vgl. Ders. 1911, 96 f. Im Übrigen wird in dem Beitrag für die Frankfurter Zeitung deutlich, dass für Worringer letztlich alle abstrakte, nicht-klassische Kunst in einem (wahl)verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stand: „Die wachsende Kenntnis primitiver, ostasiatischer und orientalischer Kunst gab der neuen Bewegung [des Expressionismus; S. B.] das Bewußtsein ihres großen Ahnenreichtums und damit die Festigung ihres instinktiven Entwicklungsgefühls.“ Worringer [1915] 2004, 67. 154 Worringer 1909, 46 f. Vgl. ebd., 16, 98 f.; Ders. 1911, 24–27, 120.



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nicht geradewegs mit dem Orient gleichzusetzen; unbestreitbar ist jedoch, dass Kandinskijs Heimatland sowohl der kulturellen Fremdwahrnehmung als auch dem Selbstverständnis nach orientalische „Anteile“ besaß.155 Auf der anderen Seite zeichnet sich der Vorstellungskomplex, der mit dem schillernden Begriff des Orients verbunden war, durch eine Heterogenität und Variabilität aus, die im Hinblick auf den historischen Sprachgebrauch jeden Versuch einer exakten Definition (und einer Abgrenzung vom „Osten“) von vornherein scheitern lässt.156 Wir finden die Verknüpfung von Abstraktion und Orient (bzw. Osten) – nun mit Bezug auf Kandinskij und in unterschiedlicher Ausprägung – bei den nachfolgend behandelten Kunsthistorikern Fritz Burger und Eckart von Sydow wieder.157 Ohne in diesem Punkt einen direkten Einfluss Worringers behaupten zu wollen, bleibt festzuhalten, dass Worringer in seinen epochalen Schriften eine Vorstellung fixierte, die sich für die genannten Autoren in Kandinskijs Werk bestätigte. Umgekehrt schien diese Vorstellung der Koinzidenz, dass Kandinskij Russe war und abstrakt malte – dies waren aus deutscher Sicht seine hervorstechenden Merkmale –, einen übergeordneten, ja geradezu schicksalhaften Sinn zu verleihen. Sie trug damit gleichermaßen zur Legitimation von Kandinskijs Abstraktion wie zur „Veröstlichung“ seiner Person und seines Schaffens bei.

155 Vgl. das Kapitel „Orientalismus im Osten?“ in: Ebert 2010, 103–116. In diesen Kontext gehört auch das Klischee von den Russen als „(Halb-)Asiaten“, vgl. dazu Kopelew 2000, 33, 42, 52 f., 67; Raev 2000b, passim. 156 „‚Orient‘ war schon immer ein Begriff ohne geographische Eindeutigkeit gewesen, der je nach ­Perspektive und Interessenanlage [sic] unterschiedlich definiert wurde.“ Koppelkamm 1987, 5. 157 Sie erscheint dort im Rahmen eines weltgeschichtlichen Modells, innerhalb dessen, wie Sydow (1920, 136) es formulierte, „dem überwiegenden Naturalismus des Westens die radikale Abstraktheit des Ostens gegenübersteht“.

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2 Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit Kandinskijs Bedeutung für die Verortung des Expressionismus zwischen Ost und West während seiner Abwesenheit aus Deutschland, 1914–1921 Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 musste Kandinskij als russischer Staatsbürger Deutschland verlassen. Er verbrachte zunächst einige Monate in der Schweiz, von wo aus er sich im November auf den Weg zurück nach Moskau machte. Infolge der Ausreise minderte sich Kandinskijs Bekanntheitsgrad in Deutschland jedoch keineswegs. Charles Haxthausen spricht sogar davon, Kandinskij habe während seiner Abwesenheit bis Ende des Jahres 1921 an Renommee gewonnen, wobei sich die Rezeption freilich auf die vor Kriegsbeginn entstandenen Bilder und Schriften beschränkt habe.1 Über 70 Arbeiten Kandinskijs verblieben bei Herwarth Walden,2 der sie mehrfach ausstellte.3 Gemälde Kandinskijs aus der Zeit nach 1914 bekam das deutsche Publikum im Original erstmals 1922 zu Gesicht.4 Kandinskijs nachhaltige Rolle im deutschen Kunstleben erweist sich darin, dass er auch dann noch im Gespräch war, als man jahrelang nichts Neues von ihm gehört oder gesehen hatte. Sein abstraktes Bildkonzept polarisierte weiterhin die Kunstwelt. So schrieb der 1 Vgl. Haxthausen 1984, 74 f. Eine Ausnahme bildet Hugo Zehders Monographie Wassily Kandinsky (= Zehder 1920). Sie enthält sieben Abbildungen von Gemälden und Arbeiten auf Papier, die zwischen 1916 und 1918 datiert sind. Offenbar wurden diese aus Kandinskijs Tekst chudožnika. Stupeni [Text eines Künstlers. Stufen], der 1918 in Moskau publizierten russischen Ausgabe seiner „Rückblicke“, übernommen. Ein Teil der Abbildungen wurde noch einmal 1921 in der Dresdner Zeitschrift Menschen (4/3 [1921]. Reprint. Nendeln/Liechtenstein 1978, 43–46) reproduziert. 2 Vgl. Hoberg 2008, 25. Das Gros der Bilder, die Kandinskij 1914 in Deutschland zurückließ, wurde aber von Gabriele Münter verwahrt. 3 1916 eröffnete in der Galerie Der Sturm die Einzelausstellung Kandinsky: Gemälde und Aquarelle mit 41 Exponaten, außerdem zeigte Walden Werke von Kandinskij in verschiedenen Sturm-Gesamtschauen und Sonderausstellungen wie Expressionisten (1916), Marc Chagall, Kandinsky, William Wauer (1918) und Russische Expressionisten (1918). Daneben war Kandinskij in Ausstellungen der Kestner-Gesellschaft Hannover (1920, 1921), der Galerie Hans Goltz in München (1917), der Dresdner Galerie Ernst Arnold (1919), auf der Darmstädter Mathildenhöhe (1920), der Galerie Nierendorf in Köln (1921) und der Galerie von Garvens in Hannover (1921) vertreten. Vgl. Illetschko/Katz 1992, 503–506; Pirsich 2000, 263–270. Der Katalog zur letztgenannten Ausstellung verzeichnet unter der Nummer 81 immerhin ein Aquarell Kandinskijs, das 1915, also nach seinem Fortgang entstanden ist, vgl. Ausst.Kat. Hannover 1921, 7. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um das „Aquarell 1915/16“, das in Paul Erich Küppers’ Rezension abgebildet ist, vgl. Küppers [1921] 1975, 136. Vgl. Barnett 1992, 375, Nr. 428. 4 Vgl. Haxthausen 1984, 75.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

Kritiker Paul Westheim 1919 über Kandinskij (der schon fünf Jahre außer Landes war), er sei „innerhalb der heutigen Malerei eine der umstrittensten Erscheinungen“5. Auf der anderen Seite feierte der Expressionismus in dieser Zeit seinen Siegeszug. Publikationen wie Wilhelm Worringers Abstraktion und Einfühlung und Formprobleme der Gotik, Paul Fechters Der Expressionismus und Wilhelm Hausensteins Die bildende Kunst der Gegenwart, die ihren Anteil an diesem Siegeszug hatten, wurden neu aufgelegt; parallel dazu kamen Erstveröffentlichungen auf den Markt, die sich der jüngsten Kunst widmeten. Zumindest was die Auflagenzahlen anbelangt, nahm Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917) unter ihnen einen der ersten Ränge ein. Am Beispiel des Münchner Kunsthistorikers Fritz Burger, der Kandinskij eine führende Rolle im damaligen Kunstleben zusprach, wird im Folgenden zunächst dem Spannungsverhältnis zwischen der Kunstgeschichte als historischer Wissenschaft bzw. universitärer Disziplin und der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst nachgegangen. Daraus soll sich eine Antwort auf die grundsätzliche Frage ergeben, weshalb sich in Burgers Zeit – und darüber hinaus – die wenigsten akademischen Kunsthistoriker auf eine eingehende Auseinandersetzung mit der Moderne einließen. Anschließend erfolgt eine Analyse von Burgers Einführung in die moderne Kunst. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Kandinskij inmitten des Ersten Weltkriegs und als Angehöriger eines feindlichen Staates zur deutschen Kunst und Kultur in Beziehung gesetzt wurde.

2.1 Fr itz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917): Das „asiatische Er be“ als tertium compar ationis zwischen der deutschen und der russischen Kultur 2.1.1 Fritz Burger als Typus des „wissenschaftlichen Expressionisten“: Zum Problem einer Kunstgeschichte der Gegenwart Fritz Burger (1877–1916)6 gehört zu den wenigen Kunsthistorikern, die sich in den 1910erJahren dezidiert um ein wissenschaftliches Verständnis der zeitgenössischen Kunst bemühten. Den Herausforderungen, die die Moderne stellte, waren die bestehenden Methoden 5 6

Redaktionelle Vorbemerkung zu: Kandinsky 1919b (ebd., 172). Nach einem (nicht zu Ende geführten) Architekturstudium in seiner Heimatstadt München schrieb sich Fritz Burger 1900 in Heidelberg für Kunstgeschichte ein. Dort promovierte er bei Henry Thode mit einer Arbeit über Die Entstehung und Entwicklung des Trecentograbmals in Mittelitalien (Straßburg 1904). Im Anschluss an seine Habilitation über den Quattrocento-Bildhauer Francesco Laurana lehrte Burger ab dem Wintersemester 1906/07 als Privatdozent in München. – Rolf M. Hauck legte 2005 erstmals eine umfassende Monographie über Fritz Burger vor. Sie ist, trotz einiger Schwächen, von großem Wert, da Hauck neben Burgers Veröffentlichungen auch zahlreiche Materialien aus dessen

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des Faches Kunstgeschichte seiner Auffassung nach nicht gewachsen: Wie konnte man einer Kunst beikommen, die sich der „sinnlichen Wiedergabe eines rein geistigen Inhaltes selbst jenseits aller Gegenstands- und Raumwirklichkeit“ verpflichtet hat – und bei der „das vernünftige Denken und die empirische Wirklichkeit als Grundlage des Urteils ausgeschaltet wird“?7 In Anlehnung an die Thesen Conrad Fiedlers (1841–1895) betrachtete Burger das künstlerische Gestalten als eine Erkenntnisart sui generis und ging mit der Frage um, wie diese Erkenntnis im Rahmen einer Wissenschaft erfasst und vermittelt werden könnte.8 Bereits im Wintersemester 1909/10 las Burger als Privatdozent an der Universität München über „Kunst- und Kulturprobleme der Gegenwart“;9 es ist nicht unwahrscheinlich, dass er sich in diesem Zusammenhang auch mit der Neuen Künstlervereinigung auseinandersetzte, deren Ausstellungen in München für Furore sorgten. Rückblickend auf eine Vorlesung des Jahres 1913 erinnert sich der Dichter und Übersetzer Hermann Buddensieg, Burger habe „frei über die damals moderne Malerei“ gesprochen, „die mit Kandinsky, Marc und Macke an der Spitze, geradezu revolutionär wirkte. Burger sprach hinreissend […] beschwingt durch sie deutete er ihre Werke aus ihrem innersten Geist heraus.“10 Das für einen damaligen Universitätslehrer außergewöhnliche Engagement für die moderne Kunst belegt auch Burgers Teilnahme an dem Protest „Für Kandinsky“, den Herwarth Walden im Frühjahr 1913 anlässlich einer vernichtenden Kritik der in Hamburg gastierenden Kandinskij-Retrospektive initiiert hatte (s. o.). Burgers Stellungnahme, die im Sturm abgedruckt wurde, richtet sich dabei weniger gegen den negativen Befund des Kritikers als gegen dessen Unwillen, sich auf Kandinskij einzulassen:

Nachlass einbezieht. Vgl. Hauck 2005. Eine knappe und lesenswerte Einführung zu Burger gibt Kräubig 1986. 7 Burger 1917, 21 f. 8 Vgl. Kräubig 1986, 11 f.; Burkhardt 1996, 73–77; Dies. 1998; Müller-Lentrodt 2003, 68–71; Hauck 2005, 54–65, 76–89; Filippi 2008, 143, 145. In seinem Buch Cézanne und Hodler. Einführung in die Probleme der Malerei der Gegenwart (= Burger 1913b, 13) gibt Burger einen der zentralen Gedanken Fiedlers wieder: „‚Der Künstler faßt eine Seite der Welt, die nur durch seine Mittel zu fassen ist[,] und gelangt zu einem Bewußtsein der Wirklichkeit, das durch kein Denken jemals erreicht werden kann.‘“ Fiedler stellt hier die künstlerische Tätigkeit der wissenschaftlichen Tätigkeit als eine komplementäre Form der Weltaneignung und Welterkenntnis an die Seite, ordnet sie dem diskursiven Denken also nicht mehr unter. Über die Autonomie des Kunstwerks hinaus leitet Burger (ebd., 12) daraus – als denkbar „letzte Konsequenz“ – die Überwindung der Gegenstandsdarstellung ab. Das Fiedler-Zitat stammt aus dessen Abhandlung Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit (1887), vgl. Fiedler [1887] 1977, 200. 9 Vgl. die Auflistung von Burgers Lehrveranstaltungen an der Universität München in: Hauck 2005, 280–282, hier: 280. 10 Hermann Buddensieg: Fritz Burger und die freie deutsche Jugendbewegung. Zit. nach: Hauck 2005, 203.

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Man mag ehrlich bekennen, daß man Kandinskys Schaffen für verfehlt hält, aber das Wesen jeder Kritik besteht darin, daß man sich in der Welt oder auf dem Boden desjenigen bewegt, der kritisiert werden soll, um innerhalb seiner Ideen zuzustimmen, oder zu verurteilen. Das mag im vorliegenden Fall schwer sein, enthebt aber die Kritik nicht von dieser selbstverständlichen Verpflichtung.11

Obwohl Burger hier für Kandinskij Partei ergreift, bekundet er doch unverkennbar eigene Vorbehalte gegenüber Kandinskijs Schaffen. Diese führt er in seinem Buch Cézanne und Hodler (1913) näher aus, mit dem er sich weithin den Ruf eines Verteidigers der neuen Kunst erwarb.12 Burger vergleicht darin Kandinskij mit Cézanne. In beider Werk spürt er die Absicht, dem Mystischen einen Ausdruck zu verleihen, bei Kandinskij noch stärker als bei Cézanne. Diese Absicht entspricht dem von Burger konstatierten Zeitwillen, welcher sich in einer Abkehr von der Wiedergabe des Stofflichen manifestiere, mithin auch in dem Verzicht auf die Darstellung benennbarer Gegenstände. Kandinskij und die Maler in seinem Umkreis hätten „mit fast mephistophelischer Konsequenz die modernen Theorien und künstlerischen Gestaltungsweisen zu Ende gedacht“. Allerdings müsse Kandinskij in dem Bestreben, vermittels einer „Farbensymbolik“ das Geistige frei von allen Konventionen zu versinnlichen, „notwendig unverständlich bleiben, da jede Mitteilung konventioneller Gestaltungen nicht entraten kann“. Im Unterschied dazu dränge Cézanne den Gegenstand nur so weit zurück, als er noch erkennbar bleibe.13 Ungeachtet dieser Vorbehalte empfand Burger eine besondere geistige Nähe zu Marc und Kandinskij, vertraten sie doch konsequent – wenn auch in einer für ihn damals noch zu radikalen Form –, was er als das Signum seiner Zeit wahrnahm.14 „Ich habe mit großem Interesse Ihr Buch nun noch mal gelesen und bin auf so viel Gemeinsames 11 Burger [1913] 1970. 12 Das Werk erschien im Münchner Delphin-Verlag in fünf Auflagen: 1913, 1918, 1919, 1920 und 1923. Es geht von der Idee aus, dass Paul Cézanne (1839–1906) und Ferdinand Hodler (1853–1918) zwei Brennpunkte bilden, um die herum sich die aktuellen künstlerischen Erscheinungen gruppieren lassen. Vgl. Burger 1913b, 6. Cézanne und Hodler setzt sich zusammen aus einem Textband und einem Abbildungsband, die beide auf dem Prinzip des Bildvergleichs (z. T. mit alten Meistern) beruhen. Zu Cézanne und Hodler vgl. Hauck 2005, 135–152. 13 Burger 1913b, 119. Beim Vergleich mit der zweiten, von Walter Dexel redigierten Auflage von 1918 fällt auf, dass der Wortlaut zu Kandinskijs Gunsten geglättet wurde: Aus Kandinskijs „fast mephistophelischer Konsequenz“ wird schlicht seine „Konsequenz“; und Burgers Hinweis, Kandinskij müsse aufgrund seiner radikalen Abstraktion „notwendig unverständlich bleiben“ wird mithilfe einer Ergänzung relativiert zu einem: „muß […] notwendig vielen vorläufig unverständlich bleiben“. Burger 1918a, 107 f. Hervorh. S. B. 14 Vgl. hierzu Hauck 2005, 188–195. Ein enges freundschaftliches Verhältnis Fritz Burgers zu den Künstlern des Blauen Reiters, insbesondere zu Franz Marc, ist verschiedentlich behauptet worden, ohne diese Behauptung jedoch hinreichend zu konkretisieren bzw. durch Belege zu stützen. Vgl. Jantzen 1982, 51; Burkhardt 1998, 170; Müller-Lentrodt 2003, 69.

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gestoßen“, schreibt Burger 1914 an Kandinskij und bittet ihn darum, ihm ein oder zwei seiner Bilder zu einem Sonderpreis zu überlassen.15 Bei dem erwähnten Buch handelt es sich um Über das Geistige in der Kunst,16 aus dem Burger, wie auch aus dem Almanach Der Blaue Reiter, häufig zitierte. Zu beiden Schriften veranstaltete er private Abendkollegien, darüber hinaus besuchte er Kandinskij in Murnau „gelegentlich auch in studentischer Begleitung“.17 Burgers Kollegen verfolgten seine Umtriebigkeit auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst mit Argwohn. Stellvertretend hierfür sei Walter Friedlaenders Artikel „Zur Kunstgeschichtsschreibung der Moderne“ aus dem Jahr 1919 angeführt.18 Er beginnt mit der Diagnose: „Den meisten unserer Kunsthistoriker erscheint eine eingehende Beschäftigung mit der gegenwärtigen und jüngstvergangenen Kunstentwicklung unfruchtbar und ‚unwissenschaftlich‘.“19 Als mögliche Ursachen für diese Einstellung nennt Friedlaender zum einen die Schnelllebigkeit und Zersplitterung der zeitgenössischen Kunst, zum anderen die (dadurch erhöhte) Schwierigkeit, „mitten im Flusse stehend“ zu einem Urteil zu gelangen, also „die bedeutsamen Linien, Bewegungen und Richtungen der Entwicklung zu sehen und die bestimmenden und hemmenden Kräfte zu erkennen“.20 Trotz des fehlenden historischen Abstandes ist nach Friedlaender eine wissenschaftliche Erforschung auch der Gegenwartskunst nicht undenkbar – vorausgesetzt, sie erfüllt zwei

15 Brief von Burger an Kandinskij (Abschrift), ohne Datumsangabe [Anfang 1914(?)]. Zit. nach: Hauck 2005, 190. Kandinskij kam Burgers Wunsch offenbar entgegen und bot ihm zwei Aquarelle zum Kauf an, vgl. Hauck 2005, 191. 16 Vgl. ebd., 195. 17 Burkhardt 1996, 100. Burkhardt beruft sich auf einen Brief Walter Dexels an Burgers Witwe Clara vom Herbst 1922. 18 Friedlaender 1919. Der Aufsatz erschien, wie es in einer Anmerkung heißt, anlässlich Burgers Einführung in die moderne Kunst und der Neuauflage von Cézanne und Hodler (21918). Er enthält jedoch einige grundsätzliche Überlegungen, die sich gegen die Art expressionistischer Kunstschriftstellerei richten, wie sie Burger vertrat. Friedlaender entsagt dabei nicht gänzlich einem polemischen Tonfall, nichtsdestotrotz zeigt er sich um eine inhaltlich-sachliche Argumentation bemüht, die die Probleme bei der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst offen benennt. – Als der Artikel im Herbst 1919 veröffentlicht wurde, war Burger bereits seit drei Jahren verstorben. Es ist aber davon auszugehen, dass Burger mit den darin vorgetragenen Kritikpunkten zu Lebzeiten konfrontiert gewesen war. 19 Friedlaender 1919, 286. Das Beharren auf der Historizität des Untersuchungsgegenstandes, das Friedlaender konstatiert, ist vor dem Hintergrund der Etablierung der Kunstgeschichte als einer autonomen wissenschaftlichen Disziplin im 19. Jahrhundert zu verstehen. Eine Öffnung einzelner universitärer Fachvertreter für die neuere und neueste Kunst zeichnete sich ab den 1890er-/1900erJahren ab und ist an erster Stelle mit dem Namen Richard Muther (München) verbunden, ferner – neben Fritz Burger selbst – mit Max Semrau (Greifswald), Paul Clemen (Bonn), Carl Neumann (Heidelberg) und Konrad Lange (Tübingen). Vgl. Burkhardt 1996, 92–107. 20 Friedlaender 1919, 286.

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Bedingungen: die „exakt-kritische, ‚archivalische‘ Sichtung und Festlegung des vorhandenen zu bearbeitenden Materials“ und die „Konstruktion, das erkennende Gestalten der historischen Objekte und ihrer genetischen Zusammenhänge“.21 Dem trage Burger aber keinerlei Rechnung.22 An die Stelle einer historisch abgesicherten Methodik setze er einen „anarchisch-expressionistischen Subjektivismus“23. Den Publikumserfolg, den „so esoterische und schwer verdauliche Bücher, wie die von Burger“ feierten, erklärt Friedlaender mit dem Bedürfnis breiter Gesellschaftskreise, einen Zugang zu der ihnen verschlossenen Kunst der Moderne zu erhalten – ein Bedürfnis, das bislang von keiner wissenschaftlichen Überblicksdarstellung befriedigt werde.24 Dass sich Burger mit seinen Positionen in der Defensive sah, geht aus dem Vorwort zu Cézanne und Hodler klar hervor. Darin bestreitet Burger die Ansicht, wissenschaftliches Arbeiten erfordere zwangsläufig einen „‚historischen Abstand‘“: Eine rein historische Sichtweise beschränke die Wissenschaft lediglich auf die „Einordnung des Kunstwerks in bestimmte durch Persönlichkeiten, Zeiten oder Stilbegriffe umschriebene Kategorien“, von denen man zu Werturteilen gelange, „die mit dem Kunstwerk selbst wenig oder gar nichts zu tun haben“.25 Kunstwissenschaft in Burgers Sinne hatte stattdessen systematisch die Grundlagen des Schaffensprozesses offenzulegen – unabhängig davon, aus welcher Zeit ein Kunstwerk stammt. Dass eine solche Grundlagenforschung nur über eine Annäherung an die Kunstpraxis erfolgen könne, stand für Burger außer Frage. Diese Überzeugung ließ ihn zu einem Grenzgänger werden, „der die Sachlichkeit des Gelehrten mit der Intuition des Künstlers verband“26. Die Anfechtung fachlicher Konventionen hatte negative Folgen für Burgers akademische Karriere: Der erhoffte Ruf auf einen Lehrstuhl blieb aus.27 In einem Entwurf für einen Brief an seinen Kollegen Heinrich Wölfflin, von dem sich Burger Beistand in dieser

21 Ebd., 287. 22 Ebd., 288–291. Friedlaender macht sein Urteil etwa daran fest, dass Burger in seinen Schriften auf die Datierung von Kunstwerken verzichtet. Ebenso wenig nachvollziehbar erscheint Friedlaender Burgers Künstlerauswahl. Aus heutiger Sicht irrt Friedlaender freilich, wenn er den von Burger favorisierten Franz Marc als ‚zufällige Lokalgröße‘ abstempelt. Dieses Beispiel demonstriert sehr eingängig die von Friedlaender selbst angesprochene Problematik, einen Kanon zeitgenössischer Kunst zu formulieren. 23 Ebd., 289. 24 Ebd., 288–290 (Zitat auf S. 289). Diesem Anspruch leisten Friedlaender zufolge auch Richard Muthers Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (3 Bde. München 1893–1894) und Julius Meier-Graefes Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst (3 Bde. Stuttgart 1904) nicht Genüge, vgl. ebd., 288, Anm. 1. 25 Burger 1913b, 6 f. Vgl. auch Burgers Standpunktverteidigung im Vorwort zu seiner Einführung in die moderne Kunst (1917, V–VII). 26 Dexel 1918, 5. Vgl. Burkhardt 1998, 170 f.; Hauck 2005, 61. 27 Vgl. Hauck 2005, 65–69. Bei der Angabe von Liane Burkhardt (1996, 55), Burger habe kurz vor der Einberufung zum Kriegsdienst 1914 einen Ruf nach Basel erhalten, muss es sich um ein Missverständnis handeln.

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Sache erhoffte, gesteht er ein, „dass ich mich in einer unglücklichen Lage befinde, da ich einerseits die fundamentalen Leitsätze der Zunft bekämpfe und andererseits durch meine ausgedehnte literarische Tätigkeit […] ihr zuviel Angriffs- und Wirkungsfläche biete“28. Das Dilemma, das Burger in seinem Brief schildert, erlangt im Kontext der vorliegenden Arbeit eine zentrale Bedeutung. Denn es liefert eine Erklärung dafür, warum die hier untersuchten Quellen mehr dem Bereich der Kunstkritik und der Kunstschriftstellerei zuzuordnen sind als dem der Kunsthistorik: Die Gegenwartskunst war in jener Zeit kein anerkanntes Forschungsfeld, mit dem man sich an der Universität einen Namen hätte machen können.29 Dies bestätigen nicht zuletzt Burgers eigene frühe Schriften, mit denen er auf dem wissenschaftlichen Parkett reüssierte: Mit der Geschichte des florentinischen Grabmals (1904), dem Quattrocento-Bildhauer Francesco Laurana (1907)30 und den Villen des Andrea Palladio (1909)31 behandelten sie den aus damaliger Sicht soliden Themenkreis italienischer Renaissancekunst.32 Demgegenüber riefen Burgers verstärkte Hinwendung zur modernen Kunst um 1909 und seine spezifische Herangehensweise, die an die Schriften Marcs und Kandinskijs anknüpfte, Zweifel an seiner Wissenschaftlichkeit hervor. Stärker noch als auf den Stil von Cézanne und Hodler trifft die Charakteristik eines „anarchisch-expressiven Subjektivismus“ (Friedlaender) auf Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917) zu, die er unter dem Eindruck des Krieges verfasste. Der Herausgeber 28 Brief von Burger an Heinrich Wölfflin (Entwurf ), auf Pariser Hotelbriefpapier, wahrscheinlich 1913. Zit. nach: Hauck 2005, 67. Als 1909 die Professur für Kunstgeschichte in Basel neu zu besetzen war, hatte sich Wölfflin von Berlin aus für Burger ausgesprochen. Mit der Zeit wurde sein Verhältnis zu Burger aber reservierter. Zwar empfahl Wölfflin 1914, inzwischen als Lehrstuhlinhaber in München, die Beförderung Burgers zum außerordentlichen Professor (welche 1915 erfolgte); er tat dies jedoch nicht ohne in seinem Gutachten auf den „Mangel an wissenschaftlicher Disziplin“ (zit. nach: ebd., 69) bei seinem jüngeren Kollegen hinzuweisen. Vgl. ebd., 66–69; sowie Burkhardt 1996, 205, Anm. 90, und 215, Anm. 160. 29 Der Burger-Schüler Benno Reifenberg erinnert sich: „Die akademischen Lehrer hatten – mit Ausnahme jenes Fritz Burger, der 1916 bei Verdun gefallen ist – das Thema moderne Kunst nicht behandelt.“ Benno Reifenberg: Julius Meier-Graefe. In: Die neue Rundschau 73 (1962), 746. Zit. nach: Hauck 2005, 56. Vgl. auch Boehm 1985. 30 Es handelt sich hierbei um die erweiterte Fassung von Burgers Habilitations-Schrift (Univ. München 1906). Dass sich Burger über Vitruv und die Renaissance habilitiert habe, wie Peter H. Feist (2007a, 48) und Matthias Müller-Lentrodt (2003, 68) angeben, ist ein Irrtum. Burger hielt 1906 eine Probevorlesung mit dem Titel „Vitruv und die Renaissance“ und publizierte 1909 einen gleichnamigen Aufsatz in der Zeitschrift Repertorium für Kunstwissenschaft. Vgl. Filippi 2008, 151, Anm. 79. 31 Vgl. dazu Filippi 2008. 32 Burgers Geschichte des florentinischen Grabmals wurde von der Fachöffentlichkeit sehr positiv aufgenommen, vgl. Hauck 2005, 28 f. Auch Heinrich Wölfflin äußerte sich 1909/10 in zwei Empfehlungsschreiben und in einer Rezension überaus angetan von Burgers literarischer Produktion, vgl. ebd., 66; Filippi 2008, 141 f. – Die italienische Renaissance bildete überdies auch ein wiederkehrendes Thema von Burgers Lehrveranstaltungen, vgl. ebd., 149, Anm. 41.

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des Buches, Albert Erich Brinckmann, beschreibt in seinem Nachwort Burgers Vorgehensweise wie folgt: Jedes historische Material, das er aufgriff, wurde ihm zum geistigen Ausdruck, mußte sich ihm beugen. Statt als Historiker zu objektivieren, subjektivierte er mit höchster Kraft. Er schuf den Typ des wissenschaftlichen Expressionisten, ohne zu argwöhnen, daß in diesem Titel das Beiwort vom Hauptwort zerätzt wird […]. Immer wieder schreckt historisches Denken seinen Ausführungen gegenüber zurück mit einem: ‚So war es nicht‘. […] Keine Geschichte der modernen Kunst wurde geschrieben, wohl aber ein Tagebuch vom Erleben moderner Kunst.33

Hinsichtlich der Behandlung Kandinskijs lässt Burgers Einführung in die moderne Kunst eine entscheidende Veränderung erkennen: In Cézanne und Hodler wird Kandinskij als Repräsentant eines „spirituellen Anarchismus“34 nur mehr charakterisiert und problematisiert – ohne dass ein Bezug zu seiner Herkunft hergestellt würde. Demgegenüber erscheint Kandinskij in der Einführung als „Fall des jungen künstlerischen Rußlands“35, das an der Seite Deutschlands für eine neue Menschheitskultur kämpft. Womit sich Burgers Vorstellung von Russland und damit von Kandinskijs Rolle für die Moderne verband, soll im Folgenden erläutert werden. 2.1.2 Kunst und Krieg in Burgers Einführung: Deutschland und Russland als Vorkämpfer einer neuen Kultur 2.1.2.1 Illustrationen zu Burgers Vision einer geistigen „Auferstehung“: Kandinskijs Schaffen und die altdeutsche Kunst Seit 1912 arbeitete Burger an der Verwirklichung seines ambitioniertesten Vorhabens, dem Handbuch der Kunstwissenschaft, das er ab 1913 herausgab. Das zunächst auf zwanzig Bände (plus Ergänzungsbände) angelegte Werk sollte, von Kapazitäten auf dem jeweiligen Gebiet verfasst, das kunstgeschichtliche Wissen der Zeit auf dem aktuellen Stand widerspiegeln. Gleichzeitig wurde auf einen lebendigen Stil Wert gelegt, da das Zielpublikum sowohl Fachleute als auch interessierte Laien umfasste. Infolge des Kriegsausbruchs und des frühen Todes von Fritz Burger († 1916) jedoch hat das Handbuch der Kunstwissenschaft die ursprünglich projektierte Gestalt nicht annehmen können. 1917 bis 1939 unter der Leitung von Albert Erich Brinckmann fortgeführt, erreichte das 33 Brinckmann 1917, 135. Zu dem von Brinckmann angesprochenen Problem des ‚wissenschaftlichen Expressionismus‘ bei Fritz Burger vgl. Kräubig 1986. 34 Burger 1913b, 126. 35 Burger 1917, 131.

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Handbuch trotz erheblicher Beeinträchtigungen personeller, wirtschaftlicher, terminlicher und – seit 1933 – politischer Art ein Niveau, das ihm den Rang eines kunstgeschichtlichen Referenzwerks einbrachte.36 Neben der Edition der Gesamtausgabe hatte Burger für sich die Autorschaft an mehreren Bänden des Handbuchs vorgesehen. Dazu gehörte ein Teilband über „Die Malerei und Plastik des 19. und 20. Jahrhunderts“, an dem Burger auch nach seiner Einberufung bei Kriegsbeginn eifrig schrieb.37 Die erste Lieferung erfolgte 1915. Zur Fertigstellung kam es indes nicht, denn Burger fiel am 22. Mai 1916 vor Verdun. Offenbar war sein Manuskript aber so weit gereift, dass es posthum als Einführung in die moderne Kunst veröffentlicht werden konnte.38 Bald schon gehörte die Einführung zu den gefragtesten Kunstbüchern der Zeit.39 Auch wenn unklar bleibt, wie stark der Redaktionsprozess bei der Veröffentlichung von Burgers Aufschrieben tatsächlich eingegriffen hat,40 stellt die Einführung in der uns vorliegenden Gestalt ein aufschlussreiches Dokument für eine vom Kriegsgeschehen berührte Kunstgeschichtsschreibung dar. Bereits im Vorwort wird darauf Bezug genommen: Der Feuerzauber des Krieges zeichnet den blutigen weltgeschichtlichen Hintergrund für seine [= Deutschlands; S. B.] neue nationale Größe und seine neue weltgeschichtliche Mission. Diese Not und Größe der Zeit verlangt nach neuen und tiefergreifenden Symbolen, nach einer Einkehr auf allen Gebieten. Deshalb soll aber ein deutsches Buch eine gerechte Sache sein und Geschichte der Kunst auch nicht vom deutschen, sondern heute mehr denn je vom weltgeschichtlichen Gesichtspunkte aus betrieben werden. Über den frischen Gräbern hinweg wird der deutsche Geist die versöhnenden Fäden selber ziehen mit seinen ererbten adelnden Symbolen und wie am Anfang des Jahrhunderts mit Beethovens ‚Seid umschlungen, Millionen‘ auch heute wieder stärker, fester, stolzer den Völkern zurufen als Parole einer neuen Zeit: Menschheitsgemeinschaft.41

36 Vgl. Kräubig 1986, 4 f.; Burkhardt 1996, 96–99; Hauck 2005, 158, 162–176, 298–301. 37 Vgl. Hauck 2005, 212 f. 38 Das Buch erschien als Teil- bzw. Ergänzungsband des Handbuchs der Kunstwissenschaft sowie in einer separaten Ausgabe. Zu Burgers Einführung in die moderne Kunst vgl. Hauck 2005, 169, 222–238. 39 „Die Einführung erreichte bis 1931 eine Gesamtauflage von fast 50 000 Exemplaren und wurde damit wohl zum seinerzeit am weitesten verbreiteten deutschen Buch über die neuen Kunstauffassungen.“ Feist 2007a, 49. 40 Vgl. Hauck 2005, 222, Anm. 1, und 240. Nach den Worten des Herausgebers Albert Erich Brinckmann (1917, 134) wurde bei der Drucklegung von Burgers Einführung auf ein „stärkeres Formen am Text“ bewusst verzichtet. 41 Burger 1917, VII.

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Abb. 1: Seite VII aus Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917), mit der Reproduktion eines Holzschnitts aus den Illustrationen zur Apokalypse von Hans Holbein d. J. (um 1523) Abb. 2: Seite 135 aus Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917), mit der Reproduktion des Holzschnitts Versöhnung (1912) von Franz Marc

Krieg, Kunst und Kunstgeschichtsschreibung werden in dieser Passage an ein Fatum gebunden, das der deutschen Nation eine „weltgeschichtliche Mission“ verheißt. Burger beschreibt den Krieg als ein Übel, ein notwendiges Übel allerdings, das paradoxerweise das Fundament für eine zukünftige „Menschheitsgemeinschaft“ legen soll. Für ihren Aufbau und Zusammenhalt aber werde der „deutsche Geist“ mit seinen „ererbten adelnden Symbolen“ sorgen.42 Interessanterweise finden diese Äußerungen ihren Widerhall in den Illustrationen von Burgers Einführung. Direkt unter dem Vorwort ist ein Holzschnitt aus dem 42 Die hoffnungsvolle Deutung des Kriegs als eines kathartischen Akts, in dem sich eine neue, bessere Kultur gebiert, teilte Burger mit anderen Intellektuellen und Künstlern seiner Zeit wie z. B. Franz Marc. Vgl. Erbsmehl 1989, 58 f. Am 10. September 1914 schrieb Kandinskij an Paul Klee: „Was für ein Glück das sein wird, wenn die schreckliche Zeit vorüber ist. Was kommt danach? Ich glaube eine große Entfesselung der inneren Kräfte, die auch für die Verbrüderung sorgen werden.“ Zit. nach: Poling 1984, 9 f.

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Apokalypse-Zyklus (um 1523) von Hans Holbein d. J. abgebildet (Abb. 1), eines jener „ererbten adelnden Symbole[.]“ der Deutschen, von denen soeben die Rede war. Die Reproduktion des Drucks mit seiner endzeitlichen Thematik verweist auf die grauenvolle Realität des Kriegs, stellt sie zugleich aber in einen metaphysischen Kontext und kommentiert sie im Sinne der zitierten Passage als Teil einer Vorsehung. Blättert man an das Ende des Buches, so gewahrt man dort einen weiteren deutschen Holzschnitt, diesmal aber einen zeitgenössischen von Franz Marc aus dem Jahr 1912 (Abb. 2). Sein Titel ist Programm: Versöhnung. Durch die spezifische Positionierung der Abbildungen in Verbindung mit dem Wortlaut des Textes wird Marc als Erbe Holbeins ausgewiesen und der Expressionismus als eine Kunstform bestätigt, in welcher der „deutsche Geist“ nach dem verheerenden Krieg die „versöhnenden Fäden“ ziehen wird. Die Evidenz, die Burgers Ausführungen durch eine subtile Bildrhetorik verliehen wird, ist repräsentativ für die Gesamtanlage des Buches. Auf sie gilt es auch bei der Analyse des ersten Kapitels „Stil und Geist des 19. und 20. Jahrhunderts“ zu achten, in dem Kandinskijs Schaffen einen herausragenden Platz einnimmt. Durchwirkt mit Zitaten aus Friedrich Nietzsches (1844–1900) Also sprach Zarathustra (1883–1885)43 erzählt Burger von einem „Geschlecht“, das „nach der neuen großen, weiten Heimat des menschlichen Geistes“ sucht und am Ende „ein neues kosmisches Leben“ findet: „Das Materielle und alles Fleischliche versinkt vor der Urkraft und dem Ursinn des Daseins, in der Götterdämmerung der Vergangenheit feiert das Geistige der Seele eine große Auferstehung.“44 Illustriert ist Burgers Erzählung, bei der es sich um eine Art Parabel auf die moderne Kultur handelt, bis zu dieser Stelle mit drei altdeutschen Holzschnitten, drei Holzschnitten von Kandinskij und Kandinskijs Komposition VI von 1913 (Abb. 3–6). Die Wiedergabe von Kandinskijs Arbeiten an dieser prominenten Stelle und ihre Kombination mit altdeutschen Holzschnitten verdient eine nähere Betrachtung, nicht zuletzt, da ihre Auswahl und Anordnung offenbar von Burger selbst konzipiert wurde.45 Der Grund für diese auffällige Inszenierung Kandinskijs kann zunächst in dessen vorbildgebender Rolle gesehen werden, und zwar auf drei Ebenen:

43 Zur Nietzsche-Rezeption im Kontext des Ersten Weltkriegs vgl. Erbsmehl 1989, 59; Hauck 2005, 106–111. 44 Burger 1917, 1–6, hier: 1, 6. 45 Zu Ostern 1915 schrieb Burger an seine Frau Clara aus Straßburg, wo er seit Anfang des Jahres stationiert war: „Heute habe ich den ganzen Tag zu Hause gearbeitet an meiner Einleitung. Es ist schade, daß sie Deinen Beifall gar nicht finden wird, denn es wechseln deutsche Holzschnitte mit Kandinskyschen zur Illustration des Textes ab.“ Zit. nach: Hauck 2005, 213.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  | Abb. 3: Seite 1 aus Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917), mit der Reproduktion des Holzschnitts Täuflinge (1911) von Kandinskij

Text-Text: Burgers visionäre Rede vom Untergang des Materiellen und vom Triumph des Geistes findet ihre Entsprechung in Kandinskijs kunsttheoretischen Äußerungen. So prophezeit Kandinskij in der Einleitung zu Über das Geistige in der Kunst: „Nach der Periode der materialistischen Versuchung, welcher die Seele scheinbar unterlag und welche sie doch als eine böse Versuchung abschüttelt, kommt die Seele, durch Kampf und Leiden verfeinert, empor.“46 Text-Bild: Kandinskijs Komposition VI (die in Burgers Einführung auf dem Kopf stehend wiedergegeben ist, vgl. Abb. 6), kann als ein anschaulicher Beleg für die „Sintflut unendlicher Gestaltenfülle“ gedeutet werden, von der Burger schreibt, es forme sich aus

46 Kandinsky [1912] 2006, 26.

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Abb. 4: Doppelseite 2/3 aus Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917), mit Reproduktionen des Holzschnitts zu dem Gemälde „Reiterweg“ (1911) von Kandinskij und zweier altdeutscher Holzschnitte

ihr „feierlich und groß der neue Kosmos des Geistes“.47 Diese Interpretation korreliert mit Kandinskijs Sicht auf das Chaos als Ausgangspunkt der Werk- und Weltgenese.48 Bild-Bild: Die Gegenüberstellung mittelalterlicher und moderner Kunstwerke ist im Almanach Der Blaue Reiter vorgeprägt; zweifellos diente er auch als Fundus bei der Auswahl der in Burgers Einführung abgedruckten Bildbeispiele.49 47 Burger 1917, 5. Einen ähnlichen Sinngehalt maß Burger (ebd., 10) Franz Marcs stark abstrahiertem Wasserfall im Eis (1913, zerstört) bei (Abb. 7): „Es wachsen aus wirbelndem Chaos kristallene Säulen […]. […] das Auge ordnet nicht mehr die Dinge zu klarer Unendlichkeit mit oben und unten, hinten und vorne.“ Nach Ansicht von Hansdieter Erbsmehl (1989, 58 f.) erfüllen die Reproduktionen von Kandinskijs Komposition  VI und Marcs Wasserfall im Eis in Burgers Buch komplementäre Rollen, indem sie die Zerstörung (Kandinskij) und den Wiederanfang (Marc) symbolisieren. 48 Vgl. Kandinsky [1913] 2004b, 41. Zur Bedeutung des Chaos bei Kandinskij als „höhere Ordnung“ vgl. Mazur-Keblowski 2000, 135 f. 49 So sind zwei der drei altdeutschen Holzschnitte, die in der Einführung mit Holzschnitten Kandinskijs kombiniert werden, im Almanach Der Blaue Reiter im Zusammenhang mit Kandinskijs Bühnenkomposition Der Gelbe Klang abgebildet. Alle drei Holzschnitte finden sich schon in Wilhelm Worringers Veröffentlichung Die altdeutsche Buchillustration (1912, 51, Abb. 22; 70, Abb. 36; 112,

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

Abb. 5: Doppelseite 4/5 aus Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917), mit Reproduktionen eines altdeutschen Holzschnitts und des Holzschnitts zu dem Gemälde „Komposition II“ (1911) von Kandinskij

Eine hinreichende Begründung für die visuelle Präsenz von Kandinskijs Arbeiten auf den ersten Seiten der Einführung, zumal für ihre Kombination mit altdeutscher Druckgraphik, ist damit aber nicht gegeben, wenn man bedenkt, dass Burger im Vorwort noch betonte, „daß Deutschland und seine Kunst in den Mittelpunkt der modernen Kunstbewegung führend getreten ist“50. Eine solche Begründung liefert erst das folgende Kapitel („Der Anteil der Nationen“), in dem Burger auf völkerpsychologischer Basis die Anteile Englands, Frankreichs, Deutschlands und Russlands an der Kultur der Moderne untersucht.51 Die argumentative Richtung, die Burger dabei verfolgt, deutet sich in den Sätzen an, die er als Überleitung an das Ende des ersten Kapitels stellt: Abb. 69), aus der Marc und Kandinskij ihrerseits Bildmaterial für den Almanach geschöpft hatten. Vgl. Kandinsky/Marc [1912] 2004a, 244, Anm. 1. 50 Burger 1917, VII. Kandinskij war für Burger hingegen ein durch und durch russischer Künstler. 51 Vgl. ebd., 39–52. Wie Burger (ebd., 39 f.) hervorhebt, zielt seine Aufgabenstellung nicht auf einen „Zeitgeist“ ab; es gehe ihm vielmehr darum, das überzeitliche geistige „Besitztum“ einer Nation zu charakterisieren. Wie und auf welcher Basis dieses „Besitztum“ extrahiert werden kann, lässt Burger allerdings in der Schwebe. Stattdessen bewegt er sich auf dem brüchigen Eis nationaler Stereotype.

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|  Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit Abb. 6: Seite 6 aus Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917), mit der Reproduktion des Gemäldes Komposition VI (1913) von Kandinskij

Abb. 7: Franz Marc:   Wasserfall im Eis, 1913, Malpappe, 113,5 x 80,5 cm,    zerstört

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

Die Welt, die der europäische, zivilisatorische Geist, die akademische, blutleere Schulweisheit des praktischen Intellektes zu einer Einheit hat meistern wollen, erscheint im 20. Jahrhundert als eine Fülle von Welten. Der Kosmopolitismus und Internationalismus wird von der Idee eines Universalismus abgelöst, der die Natur und Liebesgemeinschaft des Geistigen im Organismus des Kosmos sucht. Europa entdeckt sich selbst, die Enge seines kulturellen Geistes und die Mutter der Zivilisation und stößt auf die asiatische Wurzel ihrer Kultur. Der Weltkrieg bereitet die erste große Auseinandersetzung zwischen Europa und Asien vor und, wenn wir die Zeichen der Kultur und Kunst richtig zu lesen verstehen, kämpft sie um die Idee einer metaphysischen Verankerung des Einzeldaseins jenseits aller europäisch-anthropologischen Orientierung, dem asiatisch-indogermanischen Erbe. Das Ziel des Weltkrieges ist deshalb auch kulturell symbolisch zu nehmen: man kämpft um die heilige Pforte, die Asien eröffnet. Soll der, der ihre goldenen Schlüssel erhält, auch das Palladium moderner Kultur erhalten?52

Der zitierte Abschnitt veranschaulicht, welche Hindernisse einer verständigen Lektüre von Burgers Einführung in den Weg gestellt sind. Erklärungsbedürftige Behauptungen und Begriffe werden bisweilen aneinandergereiht, ohne die ihnen zugrunde liegenden Annahmen aufzudecken. Burgers Buch erscheint so voller Prämissen und impliziter Referenzen,53 deren Verständnis durch sprachliche Ungenauigkeiten zusätzlich erschwert 52 Ebd., 38. 53 In Burgers Gedankengängen blitzen Motive und Anschauungen auf, die einen wesentlichen Bestandteil jenes „kulturellen Kompost[s]“ bilden, als den Moritz Baßler und Hildegard Châtellier den diskursiven Nährboden der Moderne beschreiben, vgl. Dies. 1998b, 23. Dazu gehören neben Rückgriffen auf geschichtsphilosophische Topoi deutscher (romantischer, idealistischer) Prägung auch Reflexe auf die mannigfaltigen esoterischen Tendenzen der Zeit. Die präzise Rekonstruktion der Quellen, aus denen sich Burgers Überlegungen speisten, diesen gordischen Knoten zu entwirren, soll und kann hier nicht geleistet werden. Über die textimmanente Analyse der Einführung hinaus werde ich jedoch geistesgeschichtliche Bezüge aufzeigen und bei Unklarheiten auf Burgers weitere Veröffentlichungen querverweisen. Im Hinblick auf Burgers Zivilisationskritik, die unter dem Banner eines ‚universalen‘, ‚geistigen‘, ‚kosmischen‘ Seins, sprich: der Sehnsucht nach Totalität stand, sei fürs Erste ganz allgemein auf das mit esoterischen Ideen angereicherte Klima um 1900 hingewiesen. Dass bei der Wiederentdeckung der Zusammenhänge zwischen Moderne und Mystik/Esoterik/Okkultismus in den vergangenen Jahrzehnten die Kunstgeschichte eine führende Rolle innehatte, liegt nicht zuletzt an der Bedeutung, die man diesen neureligiösen Strömungen für die Entstehung und Legitimierung der abstrakten Kunst beimaß. Mag das genaue Gewicht dieser Bedeutung im Einzelnen auch umstritten sein – dies zeigt die Diskussion um etwaige theosophische Einflüsse bei Kandinskij –, so vermitteln die Beiträge in den Bänden Das Geistige in der Kunst. Abstrakte Malerei 1890–1985 (= Tuchman/Freeman 1988) und Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian, 1900–1915 (= Ausst.Kat. Frankfurt 1995) doch aus unterschiedlichen Perspektiven die geistige Atmosphäre, in der die abstrakte Kunst und das sie begleitende Schrifttum gedeihen konnten. Lesenswert für eine Kontextualisierung Fritz Burgers in den metaphysischen Strömungen der Jahrhundertwende in Deutschland ist der Aufsatz „Expressionismus, Abstraktion und die Suche nach Utopia in Deutschland“ von Rose-Carol Washton Long (1988), die Burger selbst allerdings unerwähnt lässt. Angeführt seien ferner die von Beat Wyss

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Abb. 8: Ferdinand Hodler: Der Tag, 1899/1900, Öl auf Leinwand, 160 x 352 cm, Kunstmuseum Bern

wird54. Nicht ohne Grund kritisiert Friedlaender Burgers Veröffentlichungen als „esoterische und schwer verdauliche Bücher“ (s. o.), und selbst Burgers Schüler Walter Dexel machte aus dessen oft kryptischer Ausdrucksweise keinen Hehl und räumte ein, dass „der Überreichtum Burgerschen Geistes […] der ‚Klarheit und Verständlichkeit‘ seiner Werke gelegentlich hindernd im Wege [stand]“55. Obwohl der angeführte Passus also mehr Fragen aufwirft, als er zu beantworten vermag, lässt er ein paar inhaltliche Grundzüge von Burgers Argumentation erkennen: (1) Die Gegenwart zeichnet sich für Burger durch eine Abkehr von der europäischen Zivilisation aus, die er als beengt, fad und intellektualistisch beschreibt. (2) Dieser Prozess geht einher mit dem Streben nach einer universalen Kultur, die sich in einer kosmischen „Liebesgemeinschaft des Geistigen“ verwirklicht. (3) Der Weg zu diesem Ziel führt über eine Rückbesinnung auf die asiatischen Wurzeln der europäischen Kultur. (4) Diese Rückbesinnung, mithin die Erweiterung der europäischen Kultur durch eine Rückeroberung besorgte Textsammlung Mythologie der Aufklärung. Geheimlehren der Moderne (= Wyss 1993), der von Moritz Baßler und Hildegard Châtellier herausgegebene Band Mystik, Mystizismus und Moderne in Deutschland um 1900 (= Bassler/Châtellier 1998a) mit dem terminologisch grundlegenden Aufsatz „Mystik, Esoterik, Okkultismus: Überlegungen zu einer Begriffsdiskussion“ von Bettina Gruber (1998) sowie stellvertretend für die jüngere Forschung die literaturwissenschaftlichen Dissertationen von Priska Pytlik (2005) und Gabriela Wacker (2013). 54 Dies gilt z. B. für die Verwendung der Pronomen „seines“ und „ihrer“ im Satz: „Europa entdeckt sich selbst, die Enge seines kulturellen Geistes und die Mutter der Zivilisation und stößt auf die asiatische Wurzel ihrer Kultur.“ Beide Possessivpronomen scheinen sich sinngemäß auf Europa zu beziehen, haben aber unterschiedliche Genera. 55 Dexel 1918, 5. In einer zeitgenössischen Rezension wird Burgers Einführung auch „ein schwer lesbares Buch über Kunst“ genannt, vgl. Schwaiger 1918, 294.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

ihres asiatischen Erbes, bildet Burgers Auffassung nach eine Triebfeder des Krieges. (5) Die abschließende Frage ist als eine rhetorische aufzufassen, denn für Burger steht von vornherein fest, dass „das Palladium moderner Kultur“ nirgendwo anders zu stehen hat als in Deutschland.56 Dieser Eindruck bestätigt sich bei der Lektüre des zweiten Kapitels, in dem Burger England, Frankreich, Deutschland und Russland – und damit die im Krieg befindlichen Großmächte – auf ihre Eignung für die moderne Kultur hin überprüft.57 2.1.2.2 Kultur versus Zivilisation: Die europäischen Großmächte im Wettstreit Burgers Ansicht nach kann England zwar den größten zivilisatorischen Fortschritt auf seiner Seite verbuchen, kulturell gesehen stehe es aber aufgrund seiner „insularen Abgeschlossenheit“ und seines nationalen Konservatismus dem „modern europäischen Geist“ fremd gegenüber.58 Bei der Beschreibung des französischen Charakters operiert Burger mit topischen Wendungen wie „formale Einheitlichkeit“, „Harmonie“, „Sinnlichkeit“, „Klarheit“, „Logik“ und „Rationalismus“.59 Auch diese Eigenschaften lassen sich für ihn mit dem neuen Geist nicht auf einen Nenner bringen: „Der Franzose steht im Grunde genommen fremd gegenüber jener von der modernen Zivilisation sich ablösenden modernen künstlerischen Kultur.“60 In Abgrenzung zur vorgeblichen „Abgeschlossenheit“ Englands und zur Selbstgenügsamkeit Frankreichs beschreibt Burger das deutsche Wesen als „ganz und gar expansiv“61: Nirgends tritt wie hier in Literatur und Kunst so sehr der Kampf um den ideellen Besitz der gesamten geistigen und künstlerischen Leistungen der Menschheit und ihre geordnete 56 Dies geht aus dem Vorwort zur Einführung klar hervor (s. o.) und wird darüber hinaus bildrhetorisch gestützt: Auf der zitierten Seite, welche die Überschrift „Das geistige Europa und der Orient“ trägt (vgl. Burger 1917, 38), ist eine Abbildung von Ferdinand Hodlers Monumentalgemälde Der Tag (1899/1900, Kunstmuseum Bern) (Abb. 8) platziert – und zwar unter dem Titel Der Morgen. Die Reproduktion des Bildes könnte in diesem Kontext auf die besondere Beziehung Deutschlands – für das Hodler bei Burger steht – zum „Orient“ (dem Morgen-Land) anspielen. 57 Es fehlt bei dieser Aufzählung Österreich-Ungarn. Wie die Schweiz, so wird auch Österreich von Burger unter „Deutschland“ subsumiert. In Übereinstimmung mit der völkerpsychologischen Ausrichtung seiner Argumentation ist sein Deutschlandbegriff also weniger am Staat als am ‚Volk‘ orientiert. Vgl. Burger 1917, 128, wo der Österreicher Gustav Klimt und der Schweizer Ferdinand Hodler Deutschland zugerechnet werden: „Dem ‚Jugendstile‘ nahe stehen in Deutschland Klimt, in Frankreich Odilon Redon […].“ „Die eigentlich entscheidende Tat, durch die die künstlerischen Grundlagen der neuen Zeit geschaffen wurden, hat in Frankreich Cézanne, in Deutschland Hodler vollbracht.“ Zu den verschiedenen Bedeutungskomponenten des Begriffs „deutsch“ vgl. Berschin 1993, 140–142. 58 Burger 1917, 40 f. 59 Ebd., 43. 60 Ebd., 44. 61 Ebd., 47.

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Vermittlung in den Vordergrund des Denkens.62 […] Nun greift die deutsche Kunst wieder auf den Ausgangspunkt der europäischen Kultur zurück und entdeckt im Wesen des Mittelalters jenen weltumfassenden Geist, von dem sie sich selber getragen fühlte. Ist die französische Kunst kosmopolitisch-international, so ist die deutsche national ihrer Form, ihrem Inhalte nach universeller kosmischer Natur.63

Burger führt hier den von Autoren wie Wilhelm Worringer und Paul Fechter geprägten Diskurs fort, der den Expressionismus als ein Erwachen der „nordischen“ bzw. „gotischen Seele“ der Deutschen interpretiert. Wie bei Fechter fällt dabei der deutsche („nordische“, „gotische“) mit dem „weltumfassenden Geist“ in eins.64 Da sich nun aber die deutsche Kultur nach Burger gerade durch ihr Streben nach geistiger Erweiterung auszeichnet, durch ihr Bedürfnis, in die Welt auszugreifen und sie sich ideell anzueignen, könne man „deutsches Wesen nicht schlimmer mißverstehen, als in nationalistischen Anwandlungen von der Gegenwart zu fordern, sich abzuschließen von allem Welschen und Fremden, um eine national-deutsche Kunst rein zur Entfaltung zu bringen“65. Die Bedeutung Deutschlands für die zukünftige Menschheitsgemeinschaft liegt für Burger darin begründet, dass sein nationaler Geist nach einer Verschmelzung mit dem Weltgeist trachtet. Hier nun kommt Russland ins Spiel. Während Burger bei der Darstellung Englands und Frankreichs in Relation zu Deutschland das Trennende akzentuiert (allerdings vor der Folie einer gemeinsamen europäischen Tradition), ist es bei der Darstellung Russlands das Verbindende (vor der Folie einer traditionellen Distanz Russlands zu Europa): Das Volk, das sich in den jüngsten Äußerungen seiner künstlerischen Kultur, wenn auch national gefärbt, stark an den deutschen Geist anlehnt, ist das russische. Das russische Volk

62 Durch die Herausgabe des Handbuchs der Kunstwissenschaft, das den umfassenden Anspruch einer Weltkunstgeschichte besaß, bestätigte sich Burger in seiner Arbeit gewissermaßen selbst. 63 Burger 1917, 47. Ein Unterschied, den Burger zwischen der kosmopolitisch-internationalen Natur der französischen und der kosmischen Natur der deutschen Kunst sieht, besteht darin, dass erstere trotz ihrer Ausstrahlungskraft „kreisend in sich selbst Genüge“ finde (ebd., 43). Diesen Sachverhalt bringt Burger einige Seiten später auf die Formel: „Die französische Kunst […] hatte fast die ganze Welt befruchtet, ohne doch selbst von dieser übrigen Welt Notiz zu nehmen.“ Ebd., 95 f. 64 Das Gegenbild dazu ist die Renaissance, mit der Italien und Frankreich verbunden werden, vgl. ebd., VII, 47. Die Divergenz von Gotik und Renaissance und die Nähe der Gegenwart zur Gotik hatte Burger bereits in früheren Publikationen thematisiert, vgl. Burger 1913b, 144–148, und Hauck 2005, 96–99. 65 Burger 1917, 51. Das Adjektiv „welsch“ bedeutete allgemein „fremd“ bzw. „ausländisch“, in einem spezifischeren Sinn bezog es sich auf die Romanen (Italiener, Franzosen). Vgl. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon 1911. Bd. 2, 969.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

ist dasjenige, das heute vielleicht am stärksten asiatischen Geist in europäischen Formen sich erhalten hat. Darin liegt wohl seine größte Bedeutung für die Kultur Europas.66

Dass Russland aufgrund seiner Nähe zum „asiatischen Geist“ für Burger eine Schlüsselfunktion innehat, ist vor dem Hintergrund seiner oben zitierten Aussagen über die „asiatische Wurzel“ der europäischen Kultur zu sehen. Wie lässt sich dies aber mit der Idee in Einklang bringen, die Deutschen hätten „im Wesen des Mittelalters jenen weltumfassenden Geist“ entdeckt, der doch eigentlich den „Ausgangspunkt der europäischen Kultur“ bildet? Anders gefragt: In was für einem Verhältnis stehen Asien und das europäische Mittelalter für Burger? Die Antwort muss man wie ein Puzzleteil an anderer Stelle suchen: Burgers Auffassung nach fußt ebenjener mittelalterliche Geist zum Teil auf dem asiatischen. Der „nordische, gotische Geist und in ihm die Rudimente der überlieferten asiatischen Welt“, so Burger, verliehen der deutschen Kunst ihr besonderes Gepräge.67 Erst durch diesen argumentativen Baustein wird einigermaßen verständlich, was Burger meint, wenn er schreibt: Deutschland und Russland „treten in den Kreis moderner Kultur Seite an Seite ein. Das, was sie bindet, ist asiatisches Erbe […].“68 Eine weitergehende Begründung der Verwandtschaft, die Burger zwischen „Asien“ und dem europäischen Mittelalter bzw. der deutschen Kultur behauptet, bleibt aus. Es ist aber anzunehmen, dass sie für Burger auf dem „orientalischen“ Ursprung der jüdisch-christlichen Tradition beruht.69 Dieser Gesichtspunkt ließ sich mit der über das 19. Jahrhundert hinaus verbreiteten Auffassung von „Asien“ bzw. dem „Orient“ als Wiege der europäischen Völker und Kulturen verknüpfen.70 Die Anhänger dieser Überzeugung sahen sich durch sprachwissenschaftliche Forschungen bestätigt: Die Entdeckung der Ähnlichkeit zwischen indischen 66 Burger 1917, 51. 67 Ebd., 102. Vgl. Burgers Vorwort (ebd., VII), in dem er behauptet, das „nordische[.] Denken“ habe das „orientalische“ teilweise zur Grundlage. 68 Ebd., 52. 69 Bereits in seiner Schrift Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, deren Grundgedanken in der Einführung wiederkehren, wies Burger darauf hin, dass die Bibel den Deutschen „morgenländischen Geist“ vermittelt hat (Burger 1913a, 63), und bezeichnete „die deutsche Renaissance als das Bindeglied zwischen der orientalischen und mittelalterlich-nationalen Welt einerseits und der Neuzeit andererseits“ (ebd., 59). Vgl. dazu Kräubig 1986, 6–8. In dem posthum herausgegebenen Band Weltanschauungsprobleme und Lebenssysteme in der Kunst der Vergangenheit (= Burger 1918b, 85) führte Burger darauf „die weltgeschichtliche Bedeutung deutschen Geistes und deutscher Kunst“ zurück: „Kein Volk ist den philosophischen Weltanschauungen der Bibel so sehr auf den Grund gegangen […]. Durch die Bibel hat das deutsche Volk somit orientalischen Geist in der europäischen Kultur erhalten und aus ihm gewann es den nationalen Inhalt und die Formen seines Denkens.“ 70 Vgl. Wiwjorra 2006, 74–96, insb. 76–84. Zu den Hauptvertretern dieser These gehört der in Burgers Einführung mehrfach erwähnte Johann Gottfried Herder (1744–1803), vgl. Wiwjorra 2006, 76.

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und europäischen Sprachen hatte zu der Annahme ihrer gemeinsamen Abstammung von einer indogermanischen bzw. indoeuropäischen Protosprache geführt, die man im 19. Jahrhundert wissenschaftlich zu rekonstruieren begann. Burgers Rede von dem „asiatisch-indogermanischen Erbe“ (s. o.) deutet auf diesen Kontext hin. Obwohl der linguistische Terminus „Indogermanen“ streng genommen nichts weiter bezeichnet als die Träger einer gemeinsamen Ursprache, setzte man die Indogermanen häufig mit einem hypothetischen Urvolk gleich, das sich von Osten nach Westen ausgebreitet habe – eine Vorstellung, die in enger Verbindung mit dem romantischen Blick auf Asien als der vagina populorum stand.71 Hinzu kommt ein weiteres Moment: Burger scheint „indogermanisch“ weniger als einen Klammerbegriff zu verstehen (in dem die Bestandteile indo- und -germanisch die äußeren Ränder des Verbreitungsgebiets dieser Sprachfamilie indizieren), denn als einen Brückenbegriff zwischen dem Orient (namentlich Indien) und Deutschland. Dabei konnte er auf eine im 19. Jahrhundert geläufige Ansicht aufbauen, nach der die Germanen „die legitimen Erben orientalischer Bildung“ gewesen seien.72 Es soll nun die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen werden: Zugespitzt auf die Präsentation Kandinskijs in der Einführung wird danach gefragt, worauf Burgers Ansicht gründet, die Russen hätten „vielleicht am stärksten asiatischen Geist in europäischen Formen sich erhalten“73. Anschließend wird das Verhältnis von Deutschland und Russland in der Einführung etwas genauer in Augenschein genommen, um möglichst präzise die Bedeutung zu umreißen, die Burger der Reproduktion von Kandinskijs Arbeiten im ersten Kapitel beimaß. Burgers Kulturbegriff, den er im Rekurs auf „Asien“ bzw. den „Orient“ und auf das europäische Mittelalter entwickelte, ruht insbesondere auf zwei Säulen: (1) der Vergeistigung und (2) der Vereinigung der Menschheit hin zu einer universalen Gemeinschaft. 71 Vgl. Häusler 2002, 5–7. Die Frage nach der „Urheimat“ der Indogermanen wurde bereits im 19. Jahrhundert sehr unterschiedlich beantwortet und ist bis heute Gegenstand einer fachlichen Diskussion. Vgl. Scherer 1968; Haarmann 2010, 15–24; Kausen 2012, 41–49 („Zur Geschichte der Indogermanistik“), und 49–57 („Die Urheimat der Indogermanen“). 72 Wiwjorra 2006, 84–91, hier: 84. Wiwjorra zufolge wurde durch dieses Konstrukt der Mythos vom östlichen Ursprung des Menschen, seiner Religion und seiner Kultur („ex oriente lux“) mit den nationalen Geltungsbedürfnissen der Deutschen harmonisiert. – In diesem Zusammenhang sei noch einmal aus Burgers Schrift Weltanschauungsprobleme und Lebenssysteme zitiert, in der es über die Inder heißt, „dieser indogermanische Kulturkreis [ist] der wirkliche Ahne germanisch-deutscher Kultur bis auf ihre jüngsten Ausläufer in neuester Zeit“ (Burger 1918b, 38). Auf welch breiter Front Burger seine Genealogie des „deutschen Geistes“ letztlich betreibt, wird deutlich, wenn er am Ende seines Buches zunächst auf die jüdisch-christliche Tradition (Bibel) verweist, um dann festzustellen: „Die Ahnen der französischen Kunst sind in der Renaissance oder der griechischen Zeit, die der deutschen vielmehr in Ägypten [!] und im Orient zu suchen.“ Ebd., 85. 73 Burger 1917, 51.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

Außerhalb Deutschlands macht Burger die entschiedensten Vorkämpfer dieser neuen Kultur unter den Russen aus. So verweist Burger am Ende der Einführung auf Dostoevskij, in dessen Werken die materielle Wirklichkeit nur mehr den „Durchgangspunkt für eine höhere Geistigkeit“ bilde (ad 1).74 Die „Idee der Liebesgemeinschaft der Menschen“ sei von Tolstoj formuliert und von Hodler erstmals gestaltet worden (ad 2).75 Die Russen hätten von dieser Idee schließlich alle Bezüge zur alltäglichen Realität abgestreift, wofür erneut Tolstoj Pate steht: ‚Ich kenne mich selbst als die Kraft des Lebens, die durch mich hindurchgeht.. aber was ist denn diese ganze unendliche Kraft? Ein ewiges Geheimnis. Ich weiß nur, daß uns der Tod dabei nicht furchtbar ist. Die Isolierung des Geistes, die von der Form herrührte, durch die ich ging, hört auf und ich vereinige mich mit allem!‘ 76

Darin erkennt Burger denn auch „die kulturellen Wurzeln der Kunst der jungen Russen, voran Kandinskys“77. Die Befreiung des Geistes, von der Tolstoj spricht, wird hier offenbar mit der Auflösung der Form in Kandinskijs Bildern parallelisiert. Letztere nehmen für Burger somit einen folgerichtigen Platz in der russischen Kulturentwicklung ein. – Kehren wir zum zweiten Kapitel der Einführung zurück, so stellen wir fest, dass sich Kandinskij und seine Landsleute in Burgers Augen gerade dort als Erben „asiatischer“ Geistigkeit erweisen, wo es ihnen vorgeblich an Zivilisation gebricht. Wie schon in Cézanne und Hodler betrachtet Burger Kandinskijs Abstraktion – vertreten durch die Komposition  VI – als eine der „radikalsten Gestaltungen moderner Ideen“78. Diese Radikalität wird nun aber nicht mehr infrage gestellt; vielmehr findet Burger in ihr seine Überzeugung bestätigt, dass bei den Russen die „elementare Gewalt ursprünglicher Instinkte […] nicht wie bei den Völkern des Westens durch zivilisatorische Ketten gefesselt [ist], sie greift viel leichter, freilich wohl auch leichtsinniger in die Welt kosmischer Weiten hinein“79. Das Schaffen Kandinskijs und auch Javlenskijs wird als Ausdruck von etwas ‚Elementarem‘, ‚Ursprünglichem‘ betrachtet,80 das nicht zufällig 74 Ebd., 132. 75 Ebd. 76 Zit. nach: ebd., 132 f. Vgl. ebd., 24. Burger hatte diese Gedanken Tolstojs bereits in Cézanne und Hodler (Burger 1913b, 178) angeführt. Sie finden sich in einem Tagebucheintrag Tolstojs vom 11. Dezember 1889 (dem 23. Dezember neuen Stils), vgl. Tolstoj 1952, 191 f. 77 Burger 1917, 133. 78 Ebd., 52. 79 Ebd. 80 Dem Russland-Abschnitt von Burgers Einführung (ebd., 51 f.) ist ein Gemälde („Männerkopf“) von Aleksej Javlenskij vorangestellt; im Text selbst wird auf die Komposition VI von Kandinskij verwiesen. Beide Werke, die für den Primitivismus und für die Abstraktion stehen, sollten exemplarisch Burgers sehr allgemein gehaltene Ausführungen über „die“ Russen veranschaulichen.

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bei den Russen seine stärkste Ausprägung gefunden hat: „Mehr als anderwärts liegen da verschwistert die edelsten religiösen Instinkte der Europäer mit roher animalischer Gewalt beisammen […].“81 Wie aus dem bisher Gesagten zu schließen ist, gewahrte Burger just in diesen Eigenschaften das „Asiatische“ in der russischen Kultur – und ihren Wert für die Zukunft. Dass in Burgers Darstellung der primitivistische Diskurs seiner Zeit widerhallt, ist kaum zu überhören: Die moderne Kultur, für die Deutschland und Russland kämpfen, steht für Burger in einem Gegensatz zur Zivilisation, die England und Frankreich repräsentieren. In diesem Lichte scheint die Reihenfolge, nach der in Kapitel 2 die einzelnen Nationen abgehandelt werden: England – Frankreich – Deutschland – Russland, nicht einfach geopolitisch motiviert zu sein, sondern darüber hinaus einen geistigen Richtungswechsel zu reflektieren: Während England und Frankreich laut Burger zur neuen Menschheitskultur nichts Grundlegendes beizutragen haben, gewissermaßen passé sind, weisen die Zeichen der Zeit nach Osten. Der Blick nach Osten ist für Burger aber gleichbedeutend mit dem Blick zurück auf die eigenen kulturellen Quellen, deren Sprudeln er in der Kunst seiner Gegenwart vernimmt. Die Kombination von Kandinskijs Werken mit altdeutschen Holzschnitten erhält vor dieser Folie ihre Begründung: Wie Burger feststellt, „beginnen die künstlerischen Leistungen jener Zeiten für uns erhöhtes Interesse zu gewinnen, in denen der heilige Glaube an eine höhere Kultur und Geistesgemeinschaft die Differenziertheit des persönlichen Wissens und Wollens nie zum leitenden Kulturfaktor hat werden lassen: die Welt des Mittelalters und der orientalischen Kulturen“ 82. Kandinskijs Holzschnitte und seine Komposition VI repräsentieren den „asiatischen Geist“ in zeitgenössischem Gewand: nicht als das Andere, sondern als eine Wurzel, auf die sich der Expressionismus wie die deutsche Kultur insgesamt besinnt. Mögen die Kandinskij’schen und die altdeutschen Holzschnitte auch eine komplementäre Funktion erfüllen (Russland, Orient, Gegenwart – Deutschland, Mittelalter, Vergangenheit), so konvergieren sie doch letztlich auf einer höheren Ebene in ihrer Bedeutung: Für Burger bezeugen sie unisono die von ihm propagierten Kulturideale: Vergeistigung und Vereinigung. Burgers Verhältnis zur Abstraktion stellt sich in der Einführung als ein wesentlich anderes dar als noch in Cézanne und Hodler. Die Frage lautet nicht mehr wie 1913: Ist eine abstrakte Kunst möglich?, sondern: „Wie ist es möglich, rein Geistiges zu versinnlichen, ohne es im Gegenstande oder einer Handlung zu materialisieren und zu verstofflichen?“83 Von einer veränderten Haltung zur Abstraktion zeugen auch Burgers eigene künstlerische 81 Ebd., 51 f. 82 Ebd., 115 f. 83 Ebd., 22. Hervorh. S. B.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

Abb. 9: Fritz Burger: Es werde Licht!, 1916, Pastell, ca. 50 x 90 cm, Privatbesitz

Versuche, insbesondere das wenige Wochen vor seinem Tod entstandene Pastell Es werde Licht! (1916) (Abb. 9).84 Es steht unter dem deutlichen Einfluss des visionär-abstrakten Malstils, den Franz Marc um 1913 entwickelt hatte (vgl. S. 78, Abb. 7). Burger selbst bezeichnete das Bild als seine wohl beste Arbeit; er habe sich „ganz von allem [sic] empirischen Raum- und Gegenstandsvorstellungen losgelöst“85 und sei „ein Mittelding darin von Kandinsky und Marc, ohne mich mit einem der beiden vergleichen zu wollen“86. Die deutsch-russische Verbindung, die Burger postulierte und die sich in seinem eigenen künstlerischen Schaffen niederschlug, schien in der engen Freundschaft von Marc und Kandinskij ihren sinnfälligen Ausdruck gefunden zu haben.87 Umgekehrt spricht einiges dafür, dass Burger seine Gedankengänge gerade infolge der intensiven Beschäftigung mit Marc und Kandinskij entwickelte. Da sich seine Kunstauffassung in hohem Maße an den Ideen und Idealen des Blauen Reiters orientierte, musste er sich im Rahmen eines völkerpsychologischen Ansatzes beinahe zwangsläufig mit dem Verhältnis 84 Das Werk wurde als Farbreproduktion in Burgers Einführung (ebd., Taf.  VI) aufgenommen. Zu Fritz Burger als Künstler vgl. Hauck 2005, 195–203, zu Es werde Licht! insb. 198, 201 f. 85 Brief von Fritz an Clara Burger, 6.3.1916. Zit. nach: Hauck 2005, 201, Anm. 61. 86 Brief von Fritz an Clara Burger, März 1916. Zit. nach: Hauck 2005, 201. 87 „Der Fall Marc: der Fall des jungen künstlerischen Deutschland. Wie Kandinskys anarchische Weltensymbolik der Fall des jungen künstlerischen Rußlands.“ Burger 1917, 131.

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zwischen Deutschland und Russland befassen und dabei nach Übereinstimmungen suchen: stammte mit Kandinskij doch einer der beiden Hauptakteure des Blauen Reiters und mehrere Personen aus dessen Umkreis aus Russland. (Die starke Ausrichtung am Blauen Reiter unterscheidet Burger von Paul Fechter, dessen Bild von der neuen Kunst durch die Brücke bestimmt war.) Burgers Argumentation nimmt damit freilich die Gestalt eines circulus vitiosus an: Er schließt von dem Besonderen (Marc, Kandinskij) auf das Allgemeine – um in einem zweiten Schritt das Verallgemeinerte anhand derselben Künstler bestätigt zu finden. So ist auch Burgers Sichtweise auf die russische Kunst in erster Linie von dem Eindruck geprägt, den das Schaffen Kandinskijs bei ihm hinterließ; umgekehrt wird Kandinskij von Burger als Inbegriff der russischen Kunst gehandelt – womit sich der Kreis schließt. 2.1.2.3 Russland und die Rolle des Nationalen bei Burger Die Tatsache aber bleibt bestehen, dass für Burger Deutschland, und nicht (auch) Russland den Dreh- und Angelpunkt der modernen Kultur darstellt. Auch diese Position besitzt eine Ahnenreihe in der deutschen Geistesgeschichte: Sie reicht zu so illustren Denkern wie Herder und vor allem Hegel zurück, die die Germanen respektive die Deutschen „an das Ende einer historischen Aufwärtsentwicklung stellten“88 und damit den kulturellen Führungsanspruch des „Nordens“ ideell unterfütterten.89 Augenscheinlich ist die geistige Wendung nach Osten in Burgers Verständnis nicht mit einer Schwerpunktverlagerung in den Osten zu verwechseln. Burgers Gewissheit über die kommende Größe Deutschlands mag dessen Stellung als Zentralmacht geschuldet sein, deren Geist okzidentales und orientalisches Denken zu verbinden vermag.90 Demnach wäre Burgers starke Akzentuierung des „asiatischen Erbes“ vor dem Hintergrund einer von ihm als zu einseitig empfundenen Ausrichtung an der klassischen Antike zu verstehen, die nicht 88 Wiwjorra 2006, 83–91, hier: 91. 89 Vgl. ebd., 86: „Das ‚germanische Reich‘ betrachtete er [= Hegel; S. B.] als den vorläufigen Endpunkt kulturhistorischer Fortentwicklung, zu dem sich der ‚Weltgeist‘ laut einer zwingenden Dialektik erhoben habe. Hegel nannte diese Stufe ‚das nordische Prinzip‘. Sein Germanenbegriff ging hier freilich über den frühgeschichtlichen Kontext weit hinaus und umschrieb mehr ein identitätsstiftendes geistiges als ein machtpolitisches Potential. Allerdings griff Hegel hierbei zu Formulierungen, die einer geschichtsphilosophisch begründeten Legitimierung von Überlegenheitsansprüchen das Wort redeten. So sprach er dem aktuell herrschenden Volk ein ‚absolutes Recht [zu], Träger der gegenwärtigen Entwicklungsstufe des Weltgeistes zu seyn‘, gegenüber dem ‚die Geister der andern Völker rechtlos‘ sind.“ Wiwjorra zitiert hier aus Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts (Erstdruck: Berlin 1821). 90 In Menschliches, Allzumenschliches I (1878) hatte Friedrich Nietzsche bezüglich der von ihm vorausgesagten „Mischung“ und „Verschmelzung“ der europäischen Nationen notiert, es wäre die „alte bewährte Eigenschaft“ der Deutschen, „Dolmetscher und Vermittler der Völker zu sein“. Nietzsche [1878] 1999, 309. Vgl. auch Hauck 2005, 110 f.

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

verworfen, sondern erweitert, ergänzt werden soll. Aufschluss gibt in diesem Zusammenhang Walter Dexels Vorwort zur zweiten, posthum veröffentlichten Auflage von Cézanne und Hodler, in der Dexel das ursprüngliche Vorhaben Burgers schildert: In der zweiten Auflage hätte er [= Burger; S. B.] auf weltgeschichtlicher Basis den grandiosen Kampf zwischen Griechentum und Orient vor uns erstehen lassen, der das geistige und künstlerische Denken des 19. Jahrhunderts erfüllt, hätte uns gezeigt, wie beide Weltanschauungen durch ihre Verschmelzung in der modernen Kunst ein neues Weltbild von nie dagewesener Größe ahnen lassen.91

Man hat Burgers Einführung in die moderne Kunst ideologiekritisch daraufhin untersucht, inwiefern sie nationalistische Auffassungen transportiere. Die konträren Meinungen der Forschung in dieser Frage92 spiegeln eine Inkonsistenz in Burgers Gedankenführung wider: Burgers Behandlung des Nationalen im Allgemeinen sowie der einzelnen Nationen im Besonderen ist in der Einführung vage, bisweilen widersprüchlich. Eine Ursache hierfür kann in der Überlagerung unterschiedlicher Argumentationsstränge gesehen werden: Einerseits bleibt Burger in völkerpsychologischen Kategorien stark verhaftet und entwickelt seine Gedanken im Sinne einer Konvergenz der modernen Kultur geradewegs mit dem, was er als kennzeichnend für den „deutschen Geist“ empfindet. Andererseits entwirft Burger die moderne Vision eines „kosmischen Lebens“ und untersucht die einzelnen Künstler im Hinblick auf ihren Beitrag zur Verwirklichung dieser Vision. Dieser auf eine übernationale Zukunft gerichtete Standpunkt bewahrt Burger letztlich vor apodiktischen, chauvinistisch gefärbten Ab- und Ausgrenzungsversuchen, weshalb er neben deutschen Künstlern an vorderster Stelle auch Cézanne, Rodin, Kandinskij und Archipenko als Künder des Neuen anführt, ohne sie auf ihre Nationalität zu reduzieren.93 91 Dexel 1918, 5. 92 Hansdieter Erbsmehl (1989, 58 f.) beschreibt Burgers Einführung in die moderne Kunst als „mit nationalistischem Pathos“ und einem „übersteigerten Patriotismus“ durchsetzt. Magdalena Bushart (1990, 197 f.) sieht Burger zusammen mit Paul Fechter als Vertreter einer „völkische[n] Sicht auf den Expressionismus“. Zu einem gegenteiligen Befund gelangen Liane Burkhardt (1998, 172), Reinhard Zimmermann (2002a, 62, Anm. 49) und Rolf M. Hauck (2005, 110 f., 115–119, 228–231, 260–262). – Beide Seiten berufen sich auf Zitate Burgers, die ihre jeweiligen Positionen unterstützen, anstatt die Zweigleisigkeit von Burgers Argumentation in Bezug auf nationale respektive nationalistische Aspekte zu untersuchen. 93 Cézanne und Hodler, Picasso und Marc repräsentieren für Burger zwar künstlerische Gegensätze, die er völkerpsychologisch zu untermauern versucht. Es darf dabei aber nicht das übergeordnete Gemeinsame aus den Augen verloren werden, das er in ihren Werken sieht: den neuen ‚Zeitwillen‘. Die angeführten Künstler stehen bei Burger somit für die zwei Seiten einer Medaille (= der modernen Kunst). – Burgers Ambiguität bezüglich der Rolle der Nation ist bereits in Cézanne und Hodler vorgeprägt: So weist er am Anfang seines Buches darauf hin, dass das „national bedingte am Kunstwerk

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Überaus treffend hat Jens Kräubig „die Verzahnung einer Apologie moderner Kunst mit einer Apologie deutschen Geistes“ als das „Spezifikum“ der Schriften Burgers bezeichnet.94 Um diese Verzahnung zu erreichen, bedient sich Burger eines Paradoxons, wonach die Transzendierung nationaler Grenzen hin zu einer allumfassenden Gemeinschaft durch den „deutschen Geist“ bewerkstelligt werde. Daraus folgert er die führende Rolle Deutschlands in Gegenwart und Zukunft. Die Grenzen zwischen kulturell-geistigen und politischen Zielvorstellungen verschwimmen dabei freilich: sieht Burger doch in den künstlerischen und in den kriegerischen Auseinandersetzungen seiner Zeit eine gemeinsame Schicksalsmacht am Werk – und sich selbst als deren „Instrument“.95 Die Überlegung, Burger habe den Kampf an der Front auf dem Papier fortgesetzt, liegt demnach nicht fern. Sie wird durch die unvorteilhaften Darstellungen Englands und Frankreichs sowie die martialische Beschreibung Deutschlands in der Einführung nur mehr bestätigt.96 Der Blick auf die Darstellung Russlands, namentlich Kandinskijs, kann indes vor einer voreiligen Festlegung Burgers bewahren. Russland, gegen das Deutschland Krieg führte, nimmt in Burgers Schrift eine positiv konnotierte Rolle ein, mehr noch: es wird ideell an die Seite Deutschlands gestellt.97 Man vergegenwärtige sich

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[…] das Vergängliche ist“, denn: „In ihrem Reich sind alle Künstler Brüder.“ Burger 1913b, 10 f. Am Ende versucht Burger dennoch, die künstlerischen Unterschiede zwischen Cézanne und Hodler anhand ihrer Zugehörigkeit zu Frankreich bzw. Deutschland zu erklären, und gerät dabei auf das Geleis völkerpsychologischer Plattitüden. Vgl. ebd., 211–217. Kräubig 1986, 13. Burger [1916] 1982, 54. In der Einführung begründet Burger den Weltkrieg mit dem Widerstand Europas, die neue Weltkultur und mit ihr Deutschland als den berufenen Hauptträger zu akzeptieren: „Erst jetzt beginnt die Zeit von einer intereuropäischen zu einer Weltkultur und Weltkunst fortzuschreiten. Es liegt in der Natur der Sache, daß das junge Geschlecht gegen die Welt europäischer Kultur, ihre satte Zufriedenheit und die Selbstgefälligkeit ihres durch das Erbe geheiligten Wissens Sturm läuft. Der Gegendruck kommt gewissermaßen politisch durch den Weltkrieg zum Ausdruck, in dem sich die neue Zentralmacht als der berufene Träger der neuen Kultur von ganz Europa, wo nicht befehdet, so doch verleugnet sieht. Die deutsche Nation hatte hier im Herderschen Weltreich des Geistes längst von einer Menschheitskultur geträumt […].“ Burger 1917, 116 f. Am klarsten tritt dieser Aspekt bei der Charakterisierung des deutschen Impressionismus in Abgrenzung zum französischen hervor: „Man fühlt die Männer der Tat. Auch da[,] wo Frankreichs Kunst Pate gestanden hat, bei Liebermann, Uhde und ihren Epigonen, spürt man das Leidenschaftliche einer brutalen Willensenergie, die sich an der Blitzartigkeit des Momentanen entzückt.“ Speziell über Liebermann heißt es: „Solche Figurensilhouetten, wie mit dem Beil roh zurecht geschlagen, wird man in der französischen Kunst nicht finden, Manets Umrisse erscheinen daneben von einer sanftmütigen Weichheit.“ Ebd., 97, 99. Der nationale Diskurs wird hier begleitet von einem gender-Diskurs: Deutschland ist dabei männlich markiert („Männer der Tat“), Frankreich weiblich („sanftmütige[.] Weichheit“), was durch die spezifische Bildauswahl zusätzlich unterstrichen wird. Es ist Magdalena Bushart (1990, 107) daher nicht restlos zuzustimmen, wenn sie Fritz Burger einer Denkweise zuordnet, die sich nach Kriegsbeginn „ausschließlich auf die Tugenden des Deutschen, auf seine Dichter, Denker und seine Kunstdenkmäler“ konzentriert habe. Ihr eigenes Abbildungs-

Fritz Burger: Einführung in die moderne Kunst (1917)  |

demgegenüber die östlichen Feindbilder, die zur gleichen Zeit in der deutschen Presse kursierten: Sie waren von einer rassistischen Geringschätzung geprägt, die einherging mit der Assoziation von mangelnder Hygiene und der missionarischen Überzeugung, die ‚zurückgebliebenen‘ Slawen in den besetzten Gebieten würden durch die Deutschen endlich mit Kultur in Berührung gebracht.98 Anders Burger: Für ihn galt es, im Osten die eigenen kulturellen Wurzeln wiederzuentdecken, womit für ihn Deutschland und Russland einander nahe rückten. Das alte Klischee vom ‚primitiven‘, ‚barbarischen‘ und ‚(halb)asiatischen‘ Charakter der Russen, welches in der Feindbildsemantik der deutschen Presse seine Aktualisierung fand,99 wurde von Burger aber nicht einfach aufgegeben; vielmehr integrierte er es in einen neuen Kulturbegriff, der das ‚Primitive‘ nicht mehr als Negativfolie verwandte, sondern damit kokettierte – und sich im selben Zug von der Zivilisation lossagte. Mit einem positiven Vorzeichen versehen, verband das ‚Primitive‘ deutsches mit russischem ‚Wesen‘. In dem „‚metaphysischen Krieg‘“ 100, in dem sich Burger wähnte, waren die Russen keine Feinde, sondern Verbündete. Wie ist Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst im Vergleich mit den zuvor behandelten Schriften Worringers, Hausensteins und Fechters zu charakterisieren? Burger steht in vielen seiner Auffassungen Paul Fechter nahe, insbesondere in der Lesart des Expressionismus als einer wesenhaft deutschen Kunst: Anknüpfend an Worringers Ahnenbeschau identifizieren beide die überzeitliche „gotische Seele“ mit der „Weltseele“ und erklären Deutschland damit zum spiritus rector einer im Anbruch befindlichen Weltkultur. Im Zentrum dieser zugleich nationalen und übernationalen Expressionismus-Konzeption stehen bei Fechter und Burger allerdings unterschiedliche Künstlerkreise: die Brücke bei

material liefert den Gegenbeweis: Über einem Abschnitt mit der Titel „Expressionismus als völkerpsychologisches Phänomen“ bildet Bushart eine jener Doppelseiten aus Burgers Einführung ab, auf der ein Holzschnitt Kandinskijs einem altdeutschen Holzschnitt gegenübersteht (vgl. S. 77, Abb. 5). Dass dabei das deutsche Mittelalter mit dem Schaffen eines russischen Künstlers in Beziehung gesetzt wird, wird von Bushart nicht mitbedacht. Vgl. Bushart 1990, 117–120, hier: 117. 98 Vgl. Reimann 2000, 210 f., 218 f. 99 Ein konstitutives Element dieser Feindbildsemantik war die strikte Unterscheidung zwischen der Kultur Europas und der „Barbarei“ des Ostens. So erregte es den besonderen Unmut eines Journalisten, dass „Frankreich, die westliche ‚Kulturmacht‘, sich mit den Barbaren der Steppen Asiens und Halbasiens verbündet“ (Kölnische Volkszeitung [3.8.1914], Abendausgabe. Zit. nach: Reimann 2000, 173). Mit der Fokussierung insbesondere auf Russland als dem äußeren Feind wurde in der deutschen Publizistik nicht zuletzt das Ziel verfolgt, ex negativo einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zu erzeugen und damit die eigenen innenpolitischen Zerwürfnisse zu übertünchen. Vgl. Reimann 2000, 170, 172 f., 190, 195. 100 Vgl. das Vorwort zu Weltanschauungsprobleme und Lebenssysteme, in dem Clara Burger (1918c, 7) aus einem Brief ihres Mannes von Ostern 1916 zitiert.

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dem in Dresden und in Berlin tätigen Journalisten, der Blaue Reiter bei dem Münchner Kunsthistoriker. Die Frage nach dem russischen Beitrag zum Expressionismus war für Fechter nicht in dem Maße von Belang wie für Burger. Dessen Russlandbild ähnelt in mancher Hinsicht dem von Wilhelm Hausenstein: Hier wie dort unterstreicht ein selektiver Blick die Mystik, Primitivität und Radikalität, sprich: den „orientalischen“ Anteil der russischen Kunst, als deren bezeichnendsten Vertreter beide Kandinskij sehen. Hinsichtlich der Bedeutung Russlands für die neue Kunst bleiben Hausenstein und mehr noch Fechter aber unbestimmt. Erst in Burgers Einführung wird diese in aller Deutlichkeit ausgesprochen (wenn auch nicht hinreichend begründet). Dabei konnte Burger auf der Idee einer Verwandtschaft des „primitiven“ bzw. „gotischen Geistes“ mit dem „asiatischen“ bzw. „orientalischen“ aufbauen, die Worringer – unter einer anderen Blickrichtung – vorskizziert hatte. Die deutschen und die russischen Künstler verfolgten in Burgers Augen nicht nur dieselben Ziele, sie standen für ihn auch auf einem gemeinsamen kulturellen Fundament: Es ist das „asiatische“ Erbe, das laut Burger in beiden Kulturen zum Tragen kommt – bei den Russen freilich am stärksten. Was an dieser Deutschland und Russland miteinander verbindenden Konstruktion vielleicht am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass Burger sie über die Gräben des Krieges hinweg errichtete.101 Die Vorstellung einer deutsch-russischen Seelenverwandtschaft fand auch nach 1918 ihren Weg in die Kunstpublizistik, wie Eckart von Sydows Buch über Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920) belegt. Am Beispiel Marcs, Kandinskijs und Matisses lotete der Autor das Verhältnis der deutschen zur russischen und französischen Kunst weiter aus. Der „Feuerzauber des Krieges“ (Burger) hatte sich freilich als ein Purgatorium entpuppt, an dessen Ende die erhoffte gesellschaftliche und kulturelle Läuterung ausgeblieben war. An ihrer statt stand für Sydow die Erkenntnis von der „Infamie unserer Welt“: „Ekel, Ekel trieft nun mit einem Male von allen Ecken der Geistigkeit, und Eiter zerfrißt unsere verelendeten Seelen.“102 101 Zum Vergleich sei Franz Marcs Brief vom 23. Oktober 1914 zitiert, in dem Marc ungeachtet seiner fortdauernden Wertschätzung für Kandinskij seiner Frau gegenüber eingesteht, „daß wir ihn [= Kandinskij; S. B.] menschlich u. ‚auf gut deutsch‘ mißverstehen. Er ist uns im höchsten Grade fremdrassig, nur westeuropäisch maskirt. Mit einem gleichbedeutenden Chinesengeist würden wir uns auch nie verstehen.“ Marc 1982, 24. In einem zehn Tage zuvor datierten Brief hatte Marc den „unersetzlichen Verlust“ Kandinskijs bedauert, den er nicht allein der räumlichen Trennung infolge des Krieges zuschrieb, sondern auch einer innerlichen, national bedingten Distanzierung: „Er wird in Rußland bleiben u. dort predigen; od. in der Schweiz, – ich selbst bin aber mehr Deutscher geworden als je.“ Ebd., 19. 102 Sydow 1920, 116.

Eckart von Sydow: Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920)  |

2.2 Eck art von Sydow: Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920): Die neue Kunst im Spannungsfeld zwischen westlichem Natur alismus und östlicher A bstr aktion Fritz Burgers Überlegungen über die Nähe der deutschen zur russischen Kultur fanden eine Fortführung bei Eckart von Sydow (1885–1942), der 1920 ein Buch über Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei veröffentlichte.103 Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät, dass es Sydow, ähnlich wie Paul Fechter, primär nicht um den Expressionismus in Deutschland ging, sondern um den Expressionismus der Deutschen: Unter den 13 Künstlern, die im vierten Kapitel in Einzelporträts vorgestellt werden, befindet sich weder Kandinskij noch Aleksej Javlenskij (von dem ein Ölbild über Sydows Schreibtisch hing104) – von Marianna Verefkina ganz zu schweigen. Und doch bildet Kandinskij eine zentrale Referenz in Sydows Buch, weshalb sein Name zu den meistgenannten darin gehört. Sydow will den deutschen Expressionismus nicht als ein rein deutsches Phänomen verstanden wissen. So beginnt er mit der Feststellung, die Kunst des deutschen Expressionismus habe „ihre Anregung vielfältig im Auslande gefunden, um sie dann ihrerseits in eine eigene deutsche Form zu gießen“; zu den „außerdeutschen Wurzelungen“ zählt er auch „Dostojewskij und Kandinsky in Rußland“.105 Ohne an Kandinskijs Geltung zu rütteln, problematisiert Sydow dessen theoretisches und künstlerisches Schaffen jedoch. So apostrophiert er Über das Geistige in der Kunst als „das Programmbuch der Expressionisten“, macht zugleich aber auf die Gefahr der Fehllektüre aufmerksam, welche 103 Nach einem Studium der Kunstgeschichte und Philosophie promovierte Eckart von Sydow 1912 in Halle mit einer Arbeit über den figuralen Schmuck mittelalterlicher Antependien und Retabeln. In der Folgezeit widmete er sich weiter künstlerischen und philosophischen Themen, über die er publizierte. Sein 1920 erschienenes Buch über den deutschen Expressionismus hatte er laut eigenen Angaben bereits Anfang 1919 fertiggestellt (vgl. Sydow 1920, 149). Es bildete sicherlich einen der Gründe, aus denen man Sydow 1922 zum künstlerischen Leiter der Kestner-Gesellschaft in Hannover ernannte, die sich der neuen Kunst verschrieben hatte. Sydows Tätigkeit in der Kestner-Gesellschaft war geprägt durch die Förderung expressionistischer und konstruktivistischer Tendenzen: Er führte Ausstellungen von Ėl’ Lisickij, Kandinskij, Karl Schmidt-Rottluff und László Moholy-Nagy durch, gab die Kestner-Mappen heraus (mit jeweils sechs Lithographien, beginnend mit Lisickijs berühmter Proun-Mappe) und plante einen Vortrag von Kandinskij (unter dem Titel „Abstrakte Kunst“ gehalten am 16. Dezember 1924). Bereits 1923 musste Sydow seinen Posten jedoch aufgeben, da sich die Kestner-Gesellschaft infolge der Inflation keinen hauptamtlichen Leiter mehr leisten konnte. In den 20er- und 30er-Jahren spezialisierte sich Sydow auf dem Gebiet der ethnologischen Kunstforschung. Vgl. Heydrich 1944; Schmied 1966, 252, 287; Stoeber 1992, 211 f.; Eintrag „Sydow, Eckart von“ in: Vierhaus 2008, 850. Vgl. auch Verzeichnis der Schriften von Eckart v. Sydow 1954. 104 Vgl. Sydow 1920, 52. 105 Ebd., 7.

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von „jener eigentümlichen Vieldeutigkeit“ herrühre, „die russischen Denkvorgängen und Mitteilungen sozusagen metaphysischer Art eigen ist“.106 Sydows Auffassung nach potenziert sich diese Vieldeutigkeit in Kandinskijs Bildern und öffnet sich dabei zu einem „Abgrund der grenzenlosen Ausdeutungsmöglichkeit“107. – Es ist kein neues Problem, das Sydow hier anspricht. Umso interessanter erscheinen jene Stellen seines Buches, an denen er eine Rechtfertigung für Kandinskijs Position anbietet: Anders als viele seiner Kollegen stellt Sydow die ausschließliche Verwendung von „Arabeskenformen“ nicht nur als Konsequenz einer „rein subjektive[n] Kunst“ dar; er zieht auch in Betracht, dass es sich dabei um die einzige Möglichkeit handeln könnte, um in der Malerei das Göttliche, das Absolute als solches auszudrücken: Das rein Subjektive und das Absolute fielen demnach zusammen.108 Hinsichtlich der Begegnung mit Kandinskijs Gemälden heißt es denn auch versöhnlicher: „Es gehört die Intuition einer guten Stunde dazu, um sich einzufühlen. Gelingt es, so gewinnt man diesen Meister bewundernd lieb.“109 Sydow ordnet Kandinskij einem „arabeskenhaften Expressionismus“110 zu und kennzeichnet ihn im Verhältnis zu den übrigen Vertretern dieser Richtung – darunter Lyonel Feininger, Paul Klee und der späte Franz Marc – als den „mächtigste[n]“111. Die Schöpfergewalt Kandinskijs und seine herausragende Stellung innerhalb der Gruppe „arabeskenhafter“ Maler wird nun – zunächst implizit, später explizit – zu seinen russischen Wurzeln in Beziehung gesetzt. Unterschwellig ist dies der Fall, wenn Sydow den Maler 106 Ebd., 55. 107 Ebd., 54. 108 Ebd., 121. Es muss unterstrichen werden, dass Sydow an dieser Stelle den Konjunktiv verwendet („Es ließe sich wohl denken.“) und damit signalisiert, dass es sich bei dem Gesagten um eine berechtigte Sichtweise handelt, die aber nicht (bzw. nicht zwangsläufig) mit seiner eigenen Meinung übereinstimmt. – Die Gleichzeitigkeit einer subjektivierten Bildsprache und des Anspruchs, eine absolute, universelle Wahrheit darzustellen, ist eines der zentralen Probleme, die im Zusammenhang mit der abstrakten Kunst allgemein diskutiert werden. 109 Ebd., 122. 110 „Arabeskenhaft“ ist hier nicht mit „abstrakt“ gleichzusetzen, da der „abstrakte Expressionismus“ in Sydows Systematik eine eigene Richtung bildet, der u. a. Alexander Kanoldt, Franz Marc und Karl Schmidt-Rottluff angehören. Während der „abstrakte Expressionismus“ „auf das Absolute und auf das Weltliche hin“ ausgerichtet ist, mithin deutliche Gegenstandsreferenzen aufweist, formt sich der „arabeskenhafte Expressionismus“ „aus der einfacheren Blickrichtung auf das Absolute allein“. Ebd., 73. „Arabeskenhaft“ ist hier also im Sinne von „ungegenständlich“, „rein abstrakt“ zu verstehen. Des Weiteren betont Sydow (ebd., 123, Anm. 1) den Unterschied zwischen Arabeske und Ornament: „Ornament ist eine Kunstform, die zum Schmuck von Gebrauchsgegenständen dient und vom Willen zur Ausgeglichenheit, zur Schönheit beherrscht wird. Die Arabeske als freie Kunstform kann viel mehr ausdrücken: allen innerlichen Neigungen (im Guten und Schönen, wie im Bösen und Häßlichen) folgen.“ 111 Ebd., 122. Sydow betrachtet Kandinskij offenbar als Initialzünder bei der Herausbildung dieser Richtung in Deutschland. So sieht er die künstlerischen Werdegänge von Franz Marc und Paul Klee unter dem Einfluss Kandinskijs. Vgl. ebd., 108, 126.

Eckart von Sydow: Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920)  |

Adolf Hölzel (1853–1934)112 mit Kandinskij vergleicht. Hölzel, ein Pionier der Abstraktion und bis heute „verkannte[r] Revolutionär“113, tritt hier eindeutig in der Rolle des Unterlegenen auf: Ihm fehle, so Sydow, „die zeugende Kraft des großen Russen“, denn: „Das Metaphysische der Gesinnung und Ausdrucksfähigkeit ward ihm vom Schicksal versagt, das den Russen gerade mit diesen Tendenzen so überreich begabte.“114 Hölzels Ansatz sei technisch orientiert und intellektualistisch, weshalb er „des Willens zum Ausdruck urweltlicher Primitivität“ entbehre.115 Wenn Hölzel nicht an Kandinskij als Kandinskij gemessen wird, sondern an Kandinskij als dem Russen, so scheinen generalisierende Erklärungsmuster mitzuschwingen: „Das Metaphysische der Gesinnung“, „Ausdrucksfähigkeit“ und eine Nähe zu „urweltlicher Primitivität“ (vs. technische Fundierung und Intellektualismus), lautet dann die subkutane Logik, sind bei einem Russen eben stärker veranlagt. Es lässt sich bis hierher feststellen, dass Sydow – wie bereits Hausenstein – das Verstehen von Kandinskijs Kunsttheorie aufgrund der ihr zugrunde liegenden „russischen Denkvorgänge[.]“ und der „Mitteilungen sozusagen metaphysischer Art“ als störanfällig beschreibt. Ähnliches gilt für Kandinskijs Malerei, der man sich nach Sydow nur einfühlend nähern kann, wofür es der „Intuition einer guten Stunde“ bedürfe. Die Anerkennung von Kandinskijs Leistungen geht Hand in Hand mit einem Restgefühl von Befremdung, das Sydow durch den Hinweis auf kulturelle Differenzen zu substantiieren versucht. Andererseits bringt Sydow Kandinskijs russische Abstammung mit künstlerischen Qualitäten in Verbindung, die er auf einer zweiten Textschiene als Eigenschaften des deutschen Expressionismus ausweist.

112 Als Adolf Hölzel 1906 seine Professur an der Stuttgarter Kunstakademie antrat, begann ein neues Kapitel in der Geschichte der modernen Kunst. Mit seiner monochromen Komposition in Rot I hatte er 1905 einen ersten Versuch in Richtung einer abstrakten Malerei unternommen – ein Ansatz, den er später in Stuttgart wieder aufgriff. Mit seinem pädagogischen Talent scharte Hölzel einen Kreis bedeutender Schüler um sich, zu denen Willi Baumeister und die späteren Bauhauslehrer Johannes Itten und Oskar Schlemmer gehörten. Die Kestner-Gesellschaft Hannover widmete Hölzel 1918 eine große Einzelausstellung, deren Katalog Eckart von Sydow in seinen Literaturnachweisen anführt. Vgl. Maur 2003; Leistner 2009. 113 So der Titel einer jüngeren Hölzel-Monographie, vgl. Maur 2003. Darin geht die Autorin auch der Frage nach, weshalb Adolf Hölzel im Vergleich zu Kandinskij nur ein kunsthistorisches Schattendasein führt, vgl. ebd., 170–173. In einem 2009 erschienenen Aufsatz zu derselben Frage vertritt Noemi Smolik die These, dass sich Hölzels Œuvre mit einem von Kunsthistorikern und Kuratoren wie Alfred H. Barr und Werner Haftmann propagierten Moderne-Verständnis nicht vereinbaren ließ, vgl. Smolik 2009. – Selbst in dem umfassenden Katalog zur Ausstellung Inventing Abstraction, die das Museum of Modern Art im Dezember 2012 eröffnete, wird Hölzels früher Beitrag zur Abstraktion nur am Rande und mit Blick auf seine Farbtheorie gewürdigt, vgl. Tattersall 2013, 301 f. und 304, Abb. 363. 114 Sydow 1920, 122 f. 115 Ebd., 123.

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Der zuletzt genannte Aspekt, also die Konvergenz deutscher und russischer Kulturmerkmale, macht sich im weiteren Verlauf der Lektüre verstärkt bemerkbar, namentlich in einem Abschnitt über den „Unterschied des deutschen, französischen und russischen Expressionismus“.116 Denn anders als es die Überschrift nahelegt, unterscheidet Sydow darin nicht drei Gruppen, sondern zwei: Marc und Kandinskij werden als deutschrussisches Gespann dem Franzosen Henri Matisse gegenübergestellt.117 Anhand eines Vergleichs von programmatischen Äußerungen der drei Künstler gelangt Sydow zu dem Schluss: So scheint eine tiefe Kluft zu walten zwischen den deutschen, deutsch-russischen Bekennern und dem französischen Maler. Bei jenen: lebensvolle Spannung zwischen Wirklichkeit und metaphysischer Wahrheit; – bei dem Franzosen: das Streben zur Ausgeglichenheit, das Ideal der Ruhe, Bequemlichkeit fast.118

Evidenz für seine Behauptung findet Sydow auch in der Art und Weise, wie die einzelnen Künstlerbekenntnisse vorgetragen werden: Während Matisse mit seinen „Notes d’un peintre“ (1908) einen „klargeschriebenen Aufsatz“ und „eine Reihe technisch interessanter Winke“ vorgelegt habe, enthielten die Schriften Marcs und Kandinskijs „allgemeinst, metaphysisch gehaltene, vielfältig deutbare Formulierungen“.119 Die zuvor noch als „russisch“ identifizierte Vieldeutigkeit wird nun gleichermaßen auf Franz Marc bezogen, der hier stellvertretend für den deutschen Expressionismus steht. (Ihren Widerhall findet die enge Beziehung, die in dieser Passage zwischen deutschen und russischen Künstlern hergestellt wird, in der Bezeichnung Kandinskijs als „Deutsch-Russen“120.) Ergänzend bemerkt Sydow zwar, die Mitglieder der Berliner Neuen Secession121 seien „etwas technisch überlegender gewesen“ als Marc und Kandinskij – doch auch bei

116 Vgl. ebd., 133–136. 117 Vgl. dazu Werenskiold 1984, 54 f. 118 Sydow 1920, 134. 119 Ebd. Sydow bezieht sich auf Kandinskijs Über das Geistige in der Kunst, auf Marcs Beiträge „Geistige Güter“ und „Die ‚Wilden‘ Deutschlands“ im Almanach Der Blaue Reiter sowie auf dessen Aufsatz „Die konstruktiven Ideen der neuen Malerei“ in der Zeitschrift Pan (= Marc [1912] 1975). 120 Sydow 1920, 133. 121 Die Neue Secession hatte sich 1910 von der Berliner Secession abgespalten und zählte neben Berliner Expressionisten u. a. auch die Brücke-Maler zu ihren Mitgliedern. Sydow (ebd., 129) zufolge steuerte die Brücke die „wesentlichsten Bilder“ zu den Ausstellungen der Neuen Secession bei. Allerdings geht Sydow irrtümlich von nur drei Ausstellungen aus (vgl. ebd., 127 f.). Die Brücke nahm aber noch an der IV. Ausstellung. Gemälde (1911/12) teil – wie übrigens auch die Neue Künstlervereinigung München. Für eine Übersicht über die in den Ausstellungen der Neuen Secession vertretenen Künstlerinnen und Künstler vgl. Daemgen 2011.

Eckart von Sydow: Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920)  |

jenen findet er das „Pathos des Monumentalen“, das sein Bild von der deutschen Kunst kennzeichnet:122 Die Meinungen des französischen Malers [= Matisses; S. B.] und der anderen [= der deutschen Expressionisten; S. B.] gehen eben doch im Kernpunkte auseinander. In Frankreich war es (in der Nachfolge Cézannes) der Wille zur Veränderung der Kunstform, der sich geltend machte […]. Der gefühlsmäßige Lebensinhalt aber bleibt der gleiche, wie vordem. […] Man will also jenseits des Rheines nur ein altes Gleichgewicht in neuer Formensprache ausdrücken […]. In Mittel- und Osteuropa aber ist es ein ganz neues Gefühl der Vertiefung der Innerlichkeit und ein neuer Wille zu neuer Religiosität […].123

Vor dem Hintergrund der äußeren, stilistischen Verwandtschaft, die Sydow zwischen dem Expressionismus einerseits der Franzosen und andererseits der Deutschen und Russen erkennt, unterstreicht er die innere Grundverschiedenheit beider Gruppen. Er verzichtet zwar nicht darauf, seiner Argumentation ein Fundament zu verleihen, indem er sie auf Aussagen der betreffenden Künstler aufbaut.124 Dabei geht Sydow aber äußerst selektiv-verallgemeinernd vor und vernachlässigt seiner Beweisführung zuwiderlaufende Tatsachen wie etwa Kandinskijs Absicht einer systematischen Farb- und Formenlehre. Die von Sydow ermittelte Gegensätzlichkeit (Marc und Kandinskij vs. Matisse) erlangt so den Anschein einer durch die Volkszugehörigkeit bedingten Naturgegebenheit (Deutsche und Russen vs. Franzosen).125 Sydow hält weiter an dem bipolaren Bild einer westlichen Ratio und einer östlichen Mystik fest, dessen Umrisse Autoren wie Wilhelm Worringer und Fritz Burger bereits

122 Sydow 1920, 134. 123 Ebd., 134 f. 124 Wer von dem Harmoniestreben der Franzosen schrieb, konnte sich etwa – wie Sydow – auf den folgenden Satz von Matisse berufen: „Mein Traum ist eine Kunst voll Gleichgewicht, Reinheit, Ruhe ohne beunruhigende oder die Aufmerksamkeit beanspruchende Sujets, die für jeden geistig Arbeitenden, für den Künstler, ein Linderungsmittel ist, ein geistiges Beruhigungsmittel, etwas Ähnliches wie ein guter Lehnstuhl, der ihm von seiner physischen Ermattung Erholung gewährt.“ Matisse [1908] 1955, 24. Vgl. Sydow 1920, 133. 125 Bei der Besprechung einzelner Künstlerpositionen verfährt Sydow deutlich weniger schematisch. Es wurde bereits auf Adolf Hölzel hingewiesen, dessen Kunst Sydow (1920, 122 f.) mit Begriffen umschreibt, die traditionell auf die französische Malerei angewandt wurden (‚technisch‘, ‚gesetzhaft‘, ‚intellektuell‘). Darüber hinaus stellt Sydow (ebd., 87–104, 135) bei den Vertretern des von ihm so bezeichneten „konkreten Expressionismus“ wie Oskar Moll und Max Pechstein berechtigterweise eine Abhängigkeit von der „Neupariser Kunst“, vornehmlich Matisse’scher Prägung fest. – Den Kern der deutschen Ausdruckskunst bildet für Sydow der „abstrakte Expressionismus“, angeführt von Karl Schmidt-Rottluff und Franz Marc, vgl. ebd., 105–120, 132.

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vorgezeichnet hatten. Er sieht die deutsche Kunstentwicklung inmitten eines jahrhundertealten Spannungsfeldes: Daß das Deutschtum vom Romanentum durch seinen Abstraktionismus getrennt wird, ist eine alte Erfahrung und gehört leider mit in die deutsche Tradition herein. […] Schon im 12. Jahrhundert verlor sich der Sinn für Plastik im Gewirr von Linien und Relieffalten, wenn er vom Westen zum Osten hin drang. Schon damals war das deutsche Wesen stark abstrahierend eingestellt. Denn die Projektion des Dreidimensionalen auf die Fläche ist schon eine Art strenger Abstraktion, – eine Vergeistigung, die vom Objektiven sich entfernt, ohne seine Bewältigung zu versuchen. Es ist nur logisch zu denken: daß wer noch weiter zum Osten hin schritte, dort eine rein lineare Kunst finden werde. Und in der Tat ist dem so: Kandinsky ist der Meister der Arabeske geworden. Theoretisch hat er seine Kunstart mehrfach verfochten. Aber nicht auf diese Begründung und ihre eventuelle Kritik kommt es hier an, sondern auf die Feststellung der Tatsache, daß dem überwiegenden Naturalismus des Westens die radikale Abstraktheit des Ostens gegenübersteht: kampfbereit und propagandistisch. Zwischen beiden eingekeilt lebt die deutsche Seele, schwankend zwischen zwei Extremen: weder so selig in der Süßigkeit überlieferter Harmonie, noch so rauh in die Vielgestalt des eigenen Innern versenkt.126

Mit der besonderen Lage Deutschlands als „Gebiet der Vermittlung, des Überganges“127 ist implizit auch die prinzipielle Empfänglichkeit der Deutschen für die „arabeskenhafte“ Kunst erklärt. Zwischen dem „abstrakten Expressionismus“, der als Hauptrichtung des deutschen Expressionismus vorgestellt wird,128 und dem östlich konnotierten „arabeskenhaften Expressionismus“ besteht für Sydow ein fließender Übergang, den er in der künstlerischen Entwicklung Paul Klees, Franz Marcs und auch der niederländischen Malerin Jacoba van Heemskerck widergespiegelt sieht.129 – Doch gerät Sydow nicht in einen Widerspruch, wenn er Deutschland einerseits als zwischen den Stühlen kennzeichnet, es andererseits aber mit Russland zusammenfasst, um es anschließend von Frankreich abzugrenzen? Um diesen Widerspruch aufzulösen, gilt es, die Blickrichtung zu beachten, die Sydows Argumentation eingeschrieben ist: Die Tendenz des deutschen Expressionismus zur „östlichen“ Abstraktion ist demnach die akzentuierte Information. Die einseitige Hervorhebung der Abstraktion ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die vorexpressionistische Malerei der Deutschen mehr am Naturvorbild orientiert war. Obwohl der „abstrakte Expressionismus“ in Sydows Verständnis zwischen Naturalistik

126 Ebd., 135 f. 127 Ebd., 136. 128 Vgl. ebd., 74, 76, 81. 129 Vgl. ebd., 105, 122.

Eckart von Sydow: Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920)  |

und reiner Abstraktion steht,130 kann der nunmehr stärkere Einfluss des abstrakten Elements als eine Entfernung von der französischen und eine Annäherung an die russische Kunst interpretiert werden. Die Gegenüberstellung eines westeuropäischen Naturalismus und einer mittel- und osteuropäischen Abstraktion erweckt bei der Lektüre von Sydows Buch aber nicht den Eindruck einer absichtsvollen, geflissentlichen Abgrenzung Deutschlands von Frankreich: Die kulturelle Demarkationslinie, die die Abstraktion zwischen beiden Ländern zieht, wird von Sydow weniger affirmiert denn konstatiert, das heißt als ein Faktum begriffen, das er an manchen Stellen sogar bedauert („leider“).131 Festzuhalten bleibt, dass Sydow der deutschen expressionistischen Kultur seiner Gegenwart einen inneren Hang zur Abstraktion und zur Mystik132 bestätigt, welcher wiederum in Russland seine reinste Ausprägung findet: Wo aber geschieht heute in moderner Weltzeit der Durchbruch abstrakter Tendenzen? Welches Volk gebiert sich neu? In russischem Geiste erwuchs die neueuropäische Religiosität: Dostojewskij und Tolstoi! Aus russischer Künstlerschaft erhub sich die Sehnsucht zur reinen Arabeske als Ausdruckskunst: Kandinsky! In russischem Lande wird die Bekämpfung der beiden größten Plagen der Menschheit am konsequentesten geführt: des wirtschaftlichen und des politischen Despotismus! – Und nun: ist nicht der russische Geist die Zufluchtsstätte mystischer Geistigkeit aller ihrer Arten und Abarten? So schließt sich, scheint es, auch von dieser Seite her der Kreis des Beweises: in abstrakter Kunst dokumentiert sich äußerlich das mystische Weltbewußtsein.133

Es sind dies die Schlusssätze von Sydows Buch. Die herausgehobene Bedeutung, die ihnen damit zukommt, wird durch ihr rhetorisches Pathos unterstrichen (Ausrufungszeichen, semantisch-syntaktische Parallelismen). ‚Russischer Geist‘, ‚russische Künstlerschaft‘, ‚russisches Land‘: Wie ein Echo hallt das Adjektiv „russisch“ nach. Dies überrascht in einer Publikation, die ausdrücklich den deutschen Expressionismus zum Gegenstand hat. Man würde am Ende doch eher einen Ausblick erwarten, eine Stellungnahme über die

130 Vgl. ebd., 122, 136. 131 Sydows Befangenheit im Umgang mit einer von ihm als rein abstrakt wahrgenommenen Kunst wurde am Beispiel Kandinskijs bereits erläutert. Sie macht sich auch in den folgenden Worten über Paul Klee bemerkbar: „Er ist die reinste Sublimierung der deutschen expressionistischen Seelenschar. Die Gleichheit zu Odilon Redon. Ich weiß nun nicht recht, ob ich ihn lieber habe als den Franzosen, – meine Naturliebe steht mir da leider im Wege […].“ Ebd., 125. 132 Vgl. den Abschnitt über „Das religiöse Bewußtsein des Expressionismus“ in: ebd., 28–31. Die mystische bzw. metaphysische Komponente wird von Sydow allerdings vor allem mit dem Blauen Reiter in Verbindung gebracht, und weniger mit der Brücke, die „niemals solche metaphysische Pathetik [hatte], wie die Münchener Gruppe“ (ebd., 129). 133 Ebd., 143 f.

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Zukunft der deutschen Kunst. Oder ist eine solche Stellungnahme mit dem mehrfachen Hinweis auf Russland implizit gegeben – in dem Sinne, dass der deutschen Kunst ein Licht im Osten aufgegangen ist? Eine klare Antwort darauf wird man in Sydows Buch nicht finden, was unter Berücksichtigung zweier Zeitumstände leicht einzusehen ist: (1) Sydow verfasste sein Buch in dem Bewusstsein eines neuerlichen künstlerischen Kurswechsels. Dieser stand nicht mehr im Zeichen der (östlichen) Abstraktion: „Man kann mit gutem Gewissen davon reden, daß der abstrakte Expressionismus sich durchgesetzt hat. Aber nicht nur dies. Er hat vielleicht schon den Höhepunkt seiner Wirksamkeit und Gültigkeit überschritten.“134 Symptomatisch steht hierfür die Beobachtung, daß die alte Generation wieder der Naturalistik sich nähert. Heckel, Kirchner, Kokoschka, ja selbst Schmidt-Rottluff und Otto Müller fixieren ihren neuen Standpunkt so, daß von ihm aus eine Formulierung des Werkes sich ermöglichen wird, die vom Anti-Naturalistischen des abstrakten Expressionismus sich weit entfernt.135

(2) Russlands Bedeutung für die Zukunft der deutschen Kunst war um 1919, als Sydow die Arbeit an seinem Buch beendete, aber auch deshalb kaum einzuschätzen, weil sich das dortige kulturelle Leben infolge der Oktoberrevolution in einem Prozess der Umwandlung und Neustrukturierung befand. Die einschneidenden künstlerischen Entwicklungen, die sich seit 1914 in Russland vollzogen hatten, waren in Deutschland mangels Informationen allenfalls gerüchteweise bekannt. – Diese Situation begann sich Anfang der 1920er-Jahre mit der Veröffentlichung von Konstantin Umanskijs Buch Neue Kunst in Rußland (1920) und der Veranstaltung der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 in Berlin zu ändern. Schrift und Schau machten die deutsche Bevölkerung erstmals umfassend mit den Entwicklungen bekannt, die die russische Kunst seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs genommen hatte. Mit der beginnenden Rezeption des Suprematismus und des Konstruktivismus in Deutschland wurde Kandinskij in den 20er-Jahren aber in einen neuen Bewertungszusammenhang gestellt. Bevor wir diesen neuen Zusammenhang in Augenschein nehmen wollen, sei zunächst ein erweitertes Resümee aus den ersten beiden Teilen der vorliegenden Arbeit gezogen.

134 Ebd., 132. 135 Ebd.

Rückblick: Kandinskij in den Augen deutscher Autoren   |

2.3 Rückblick: K andinskij in den Augen deutscher Autor en – der R epr äsentant russischer Kunst Als ein Ergebnis der bisherigen Untersuchung lässt sich festhalten, dass Kandinskijs Werk eine Projektionsfläche und zugleich einen Kristallisationspunkt dessen bildete, was russische Kunst in den Augen deutscher Autoren auszeichnete. Für Wilhelm Hausenstein, Fritz Burger und Eckart von Sydow verkörperte Kandinskij den russischen Künstler par excellence. Vier Hauptgründe dafür seien resümierend angeführt: Erstens: Im Laufe seines langjährigen Aufenthaltes in München und Murnau hatte Kandinskij eine überragende öffentliche Präsenz in Deutschland erlangt, die aufgrund der Verbreitung seiner Schriften und der Zugänglichkeit seiner Bilder – und sei es in Form von Reproduktionen – sowie der kontinuierlichen publizistischen Auseinandersetzung mit seinem Werk auch nach seiner Ausreise 1914 nicht nachließ. Eine tragende Rolle spielte dabei die Tatsache, dass Kandinskijs Name zu einer Marke für die Abstraktion geworden war. Er war die maßgebliche Referenz – im Positiven wie im Negativen –, wenn die Sinnhaftigkeit einer sich vom Gegenstand emanzipierenden Malerei zur Debatte stand.136 Zweitens: Kandinskijs künstlerische Position wurde ihrem Charakter nach nicht nur als etwas radikal Neuartiges, sondern auch als etwas ausnehmend Fremdartiges empfunden. In dem stark national ausgerichteten Denken jener Zeit lag es auf der Hand, die künstlerische Eigenart Kandinskijs mit seiner russischen Herkunft kurzzuschließen (Stichwort: „russische Seele“). Den zeitgenössischen Betrachtern schien in Kandinskijs Schaffen offenbar besonders klar zum Ausdruck zu gelangen, wonach sie bei einem russischen Maler unwillkürlich suchten: das Unterscheidende, das Befremdliche, das Andere.137 Drittens: Der von Kandinskij entwickelte Stil einer expressiven Abstraktion und seine Rede vom ‚Geistigen‘ in der Kunst ließen sich in bestehende kunst- und kulturhistorische sowie völkerpsychologische Modelle integrieren. Kandinskijs Abstraktion konnte 136 Wenn Rose-Carol Washton Long (1988, 206) Kandinskijs anhaltende Bekanntheit in Deutschland während seiner Abwesenheit zwischen 1914 und 1921 damit begründet, sein Werk sei „häufig als Beispiel für den Transzendentalismus des Expressionismus angeführt“ worden, so greift diese Erklärung meines Erachtens zu kurz. Entscheidend scheint mir, dass Kandinskijs Malerei einen künstlerischen Extremfall darstellte, bei dem dieser Transzendentalismus dem Zeitempfinden nach auf die Spitze getrieben wurde. 137 Erhellend sind in diesem Zusammenhang zwei Erkenntnisse der Stereotypenforschung. Hermann Bausinger merkt über das Zustandekommen von Stereotypen an, dass „das auffallende Verhalten einzelner“ – und Kandinskijs abstrakte Malerei darf als eine solche ‚Auffälligkeit‘ gelten – „oft schnell als nationale Eigenart interpretiert“ wird; entsprechend beschreibt Bausinger die Typisierung als ein „Kontrastprogramm“, das auf einer beobachteten „Abweichung von der eigenen Norm“ beruht. Eine weitere wichtige Feststellung lautet, dass Pauschalisierungen „keine Etiketten [sind], die nachträglich irgendwelchen Beobachtungen und Erfahrungen aufgeklebt werden, sondern Steuerungselemente der Wahrnehmung selbst“. Bausinger 2009 (Zitate auf S. 15, 18, 20).

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mit gängigen Konzepten des „Orients“ bzw. „Asiens“ assoziiert werden und schien so das dichotomische Ost-West-Paradigma zu bestätigen: Abstraktion vs. Naturalismus, Spiritualität vs. Rationalität usf. (Die deutsche Selbstsetzung changierte zwischen diesen Polen, wobei die Alterität des „Ostens“ wie bei Fritz Burger in einem Aneignungsprozess zu einem Teil der eigenen Identität umgeformt werden konnte.) Die drei angeführten Gesichtspunkte überlagern sich partiell und sind daher nicht losgelöst voneinander zu betrachten: Gemeinsam begründeten sie die Wahrnehmung Kandinskijs als führender russischer Künstler und als Inbegriff russischen Künstlertums. Während aber der zuerst genannte Gesichtspunkt (Kandinskijs große Publizität als der abstrakte Maler) auf seine generelle Prominenz innerhalb des künstlerischen Spektrums in Deutschland verweist, zielen die beiden anderen (das Befremdliche seiner Abstraktion und ihre Kompatibilität mit kulturellen bzw. völkerpsychologischen Modellen) mehr auf den spezifisch „russischen“ Charakter ab, den Kandinskijs Zeitgenossen seinem Werk zuschrieben. Beide Blickrichtungen kreuzen sich in einem vierten Punkt: Kandinskijs Auftreten als spiritueller Führer. Kandinskijs prophetischer Anspruch äußerte sich in den visionären, apokalyptischen Inhalten seines bildkünstlerischen Schaffens, aber auch in seinen Schriften. Zu nennen sind hier neben den autobiographischen „Rückblicken“ insbesondere Über das Geistige in der Kunst und sein Aufsatz „Über die Formfrage“ im Almanach Der Blaue Reiter. Kandinskijs Selbstinszenierung als russischer Maler-Prophet fügte sich mit der seinerzeit beliebten Mystifizierung des Ostens zusammen. Es erscheint nicht übertrieben, im Hinblick auf das Jahrzehnt nach 1911/12 (mit der Veröffentlichung von Über das Geistige in der Kunst, den beiden Ausstellungen und dem Almanach der Redaktion Der Blaue Reiter sowie der Kandinsky Kollektiv-Ausstellung als Marksteinen) von Kandinskij als einem deutschen Synonym für neue russische Kunst zu sprechen. Gewiss waren außer ihm noch weitere russische Künstler in Deutschland zu einiger Prominenz gelangt, in vorderster Reihe Mark Šagal, Aleksej Javlenskij und der Bildhauer Aleksandr Archipenko. In diesem Zusammenhang lässt sich die etwas paradoxe, wenngleich einleuchtende Beobachtung machen, dass die in Deutschland kursierenden Vorstellungen von russischer Gegenwartskunst fast ausschließlich von dem Wirken der Auslandsrussen geprägt waren, die sich für längere Zeit in Deutschland oder Paris niedergelassen hatten. In Russland ansässige Malerinnen und Maler, die in ähnlicher Weise zu idealtypischen Verkörperungen russischer Künstlerschaft hätten stilisiert werden können, waren im Bewusstsein der Deutschen nicht oder kaum präsent. Man denke an das Künstlerpaar Michail Larionov und Natalija Gončarova, die um 1907 den Neoprimitivismus und um 1912 den abstrakten Rayonismus (russ.: lučizm) begründet hatten und deren Schaffen somit zwei Komponenten beinhaltete, die auch im Fokus

Rückblick: Kandinskij in den Augen deutscher Autoren   |

der deutschen Kandinskij-Rezeption standen: Primitivismus und Abstraktion. Allein: Sie arbeiteten nicht in München, sondern in Moskau!138 Schon vor dem Ersten Weltkrieg war es um die Möglichkeiten der deutschen Öffentlichkeit, sich über das aktuelle Kunstgeschehen in Russland zu informieren, eher dürftig bestellt gewesen. Neben Herwarth Walden hatte Kandinskij einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, die russische Avantgarde in Deutschland bekannt zu machen. So war Kunst aus Russland auf den Ausstellungen der Neuen Künstlervereinigung München (1910) und der Redaktion Der Blaue Reiter (1911 und 1912) zu sehen gewesen; darüber hinaus enthält der Almanach Der Blaue Reiter (1912) Reproduktionen von Werken Natalija Gončarovas und der Brüder David und Vladimir Burljuk sowie einen Aufsatz von David Burljuk, in dem die „Wilden“ Russlands als Teil des künstlerischen Aufbruchs in Europa vorgestellt werden. Diese Initiativen reichten jedoch nicht aus, um den in Russland lebenden Künstlern eine dauerhafte Resonanz zu verschaffen und sie im Gedächtnis der Deutschen zu verankern: Nachdem infolge des Kriegsausbruchs 1914 die künstlerischen Verbindungen zwischen Deutschland und Russland gekappt worden waren, erloschen die bisherigen, nur punktuellen Eindrücke wie ein Feuer, das nicht ausreichend Nahrung erhält. Einen anschaulichen Beleg für das damalige Informationsdefizit liefert Karl Woermann, der in seiner 1922 erschienenen Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker notiert: „Von den in Rußland lebenden jungen russischen Malern nennt D. Burljuk in seinem Aufsatz im ‚Blauen Reiter‘ […] außer sich selbst z. B. Larionow, Kuznezow, Sarjan, Denissow, Kantschalowsky und Jakulow, über die wir nichts weiter berichten können.“139 Wenn Woermann nun behauptet, die bekanntesten russischen „Vertreter der ‚absoluten‘ und ‚expressionistischen‘ Malerei“ seien, „wenn sie auch meist durch Paris hindurchgegangen, in Deutschland ansässig gewesen oder noch ansässig“,140 so eignet diesem Satz eine gewisse Naivität, scheint Woermann hier doch den direkten Zusammenhang, der zwischen der Bekanntheit dieser Künstler und ihrer Anwesenheit in Deutschland bestand, für eine bloße Koinzidenz auszugeben. Woermann macht an dieser Stelle nicht explizit, dass sein Blick auf die neue russische Kunst äußerst beschränkt ist – beschränkt nämlich auf eben jene ihrer Repräsentanten, die für längere Zeit ins westliche Ausland gegangen sind und dort Plattformen (wie den Sturm) und Anerkennung für ihre Arbeit gefunden haben.

138 Maßgeblich für meine Überlegung sind die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, in denen Gončarova und Larionov in Moskau an der Speerspitze der frühen russischen Avantgarde standen. 139 Woermann 1922, 482. Gemeint sind Michail Larionov (1881–1964), Pavel Kuznecov (1878–1968), Martiros Sar’jan (1880–1972), Vasilij Denisov (1862–1922), Petr Končalovskij (1876–1956) und Georgij Jakulov (1884–1928). Vgl. die entsprechenden Einträge in: Borisovskaja 2001. 140 Woermann 1922, 482.

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Da Kandinskij, Šagal, Archipenko und Javlenskij auch heute zu den bekanntesten russischen Künstlern der Klassischen Moderne gehören, gerät leicht aus dem Blick, dass es sich bei diesem Sachverhalt nicht ausschließlich um eine Frage der künstlerischen Qualität handelt, die gleichsam kontextunabhängig für sich bestünde, sondern auch um das Ergebnis einer spezifischen Rezeptionsgeschichte oder präziser: spezifischer Rezeptionsgeschichten. Es ist daher notwendig, ein Bewusstsein dafür zu erlangen, dass es sich bei der Gleichung moderne russische Kunst ≈ Kandinskij + Šagal + Archipenko (ggf. ergänzt um einzelne weitere Namen wie Javlenskij) um eine relative Sichtweise handelt, die sich in Deutschland in den 10er-Jahren des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat und eine große Persistenz aufwies.141 Dass sich diese Sichtweise aus der Perspektive eines russischen Autors des Jahres 1920 recht schief ausnehmen musste, belegt die folgende Stellungnahme von Konstantin Umanskij: Derjenige, der den heutigen Zustand der neuen russischen Kunst mit dem um 1912–1914 identifizierte, würde nach einer näheren Berührung mit dem modernen russischen Kunstleben zweifellos eine gewisse Enttäuschung erfahren. Wenige in der Vorkriegszeit bekannte Namen junger russischer Künstler, die hier als Führer galten, reichen heute zur Charakteristik der neuen Kunst Rußlands aus.142

Es war der gerade einmal 18 Jahre junge Konstantin Umanskij (1902–1945)143, der dem deutschen Publikum 1920 einen ersten größeren Überblick über die Entwicklungen gab, die die russische Kunst seit 1914 genommen hatte.144 In einer Artikelserie für die Kunst141 Davon zeugen auch verschiedene Besprechungen der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 in Berlin (vgl. unten Kap. 3.2.4), in denen Kandinskij, Šagal und Archipenko – teils in einem Atemzug – als die in Deutschland bekannten Vertreter der neuen russischen Kunst angeführt werden. So in der Rezension von Curt Glaser (1922): „Man will uns, nachdem die Namen einzelner in Deutschland geläufig geworden sind, zeigen, daß es auch andere Maler gibt als Kandinsky und Chagall, andere Bildhauer als Archipenko […].“ 142 Umanskij [1920] 1975d, 28. Vgl. Ders. 1920, 19: „Kandinskij, Archipenko, Burljuk, Jawlenskij, Chagall, das sind die wenigen, hier [= im Ausland; S. B.] geläufigen Namen junger russischer Künstler.“ 143 Über Konstantin Umanskij als Propagandist des sowjetrussischen Kunstbetriebs sind in der Forschungsliteratur nurmehr verstreute Informationen zu finden. Die umfassendste mir bekannte Lebensbeschreibung Umanskijs stammt von A. I. Sizonenko (1986). Allerdings gilt Sizonenkos Augenmerk vor allem Umanskijs diplomatischer Karriere in den 30er- und 40er-Jahren. Vgl. auch den Eintrag „Umanskij Konstantin Aleksandrovič“ in: Diplomatičeskij slovar’ 1986, 498. 144 Davor hatte es nur vereinzelte Nachrichten gegeben, so von dem Russland-Korrespondenten der Frankfurter Zeitung, Alfons Paquet. Dieser berichtete über die Festdekorationen in Moskau anlässlich des ersten Jahrestags der Revolution 1918, Kandinskij habe mit seinen Schülern an der Bretterwand eines Bauzauns „Kübel voll Farbe […] leergemacht, sie führten ihre Pinsel und Besen mit orgiastischer Armbewegung, malten Jünglingsgestalten von elegant verschrobener Magerkeit, marschierende

Rückblick: Kandinskij in den Augen deutscher Autoren   |

zeitschrift Der Ararat und in Umanskijs Buch Neue Kunst in Rußland wurde Kandinskij erstmals nach dem Krieg in den Kontext der neuesten Kunstströmungen in Russland gestellt. Dabei wurde Kandinskij ein Platz zugewiesen, der in deutlichem Kontrast zu seiner Prädominanz in der deutschen Auffassung von russischer Gegenwartskunst stand. Wesentlich ist dabei, dass Kandinskij von Umanskij als Teil der russischen Kunstwelt dargestellt wurde, der bei Weitem nicht mehr für das Ganze stand.

Gestalten, wirbelnde Räder, sprühende Kanonenschlünde, prismatisch auseinandergerissene Lichter, und über einem schwarzen Eisenleib mit glühenden Laternenaugen die Inschrift: Die Revolution ist die Lokomotive der Geschichte.“ Paquet 1919, 198. Zu Paquet vgl. Merz 1995. Den Seltenheitswert solcher Neuigkeiten illustriert ein Brief Oskar Schlemmers an Otto Meyer-Amden vom 25. Januar 1919: „Von Rußland ist endlich Nachricht da. Moskau soll in Expressionismus getaucht sein. Kandinsky und die Modernen sollen ganze Stadtviertel in Farbe tauchen, leere Wände, Häuserwände, bilden die Flächen moderner Bilder.“ Zit. nach: Schlemmer 1958, 73 f., hier: 74. Im April 1919 veröffentlichte die Zeitung Die Freiheit. Berliner Organ der unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands unter der Überschrift „Kunstfrühling in Rußland“ einen Auszug aus einem Brief Kandinskijs an einen nicht genannten Adressaten. Dort ist von Entwicklungen in den Bereichen des Ausstellungswesens, der Kunstvermittlung und -publizistik, der Architektur, der Bildhauerei und des Theaters die Rede sowie von einer neu eröffneten Photowerkstatt, die Kandinskij selbst leite. Der Brief vermittelt allerdings kaum mehr als den Eindruck eines regen Kulturbetriebs, der um die Inklusion der Arbeiterschaft bemüht ist. Hinweise auf einzelne Künstler oder Kunstrichtungen fehlen darin gänzlich. Vgl. Kandinsky 1919a. – Darüber hinaus informierten einige Publikationen über die Theorie des Proletkults. Hervorzuheben sind Anatolij Lunačarskijs Die Kulturaufgaben der Arbeiterklasse (Berlin-Wilmersdorf 1919) und Aleksandr Bogdanovs Die Kunst und das Proletariat (Leipzig/Wolgast 1919), vgl. Sheppard 1979, 64 f.

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3 Neue Bekanntschaften Die Präsentation Kandinskijs in den ersten Bestandsaufnahmen der russischen „Revolutionskunst“, 1920–1922

3.1 Perspektivenwechsel: K andinskij in den Augen des sowjetrussischen „Kunstbotsch afters“ Konstantin Um anskij (1920) – ein R epr äsentant russischer Kunst Umanskij kam in offiziellem Auftrag nach Deutschland. Das Mitteilungsblatt der Abteilung für Bildende Künste (Otdel izobrazitel’nych iskusstv, kurz: IZO) des Volkskommissariats für Bildungswesen (Narodnyj komissariat po prosveščeniju, kurz: NARKOMPROS) meldete Anfang September 1919, Umanskij werde vom Internationalen Büro des IZO „als ‚Kunstbotschafter‘ […] nach Deutschland und Österreich-Ungarn1“ entsandt, „um den internationalen Verkehr zwischen den Künstlern wieder in Gang zu bringen“.2 Das Internationale Büro (Meždunarodnoe bjuro), in dessen Leitungskommission sich neben dem Volkskommissar für Bildungswesen Anatolij Lunačarskij (1875–1933) und anderen auch Kandinskij befand, war 1918 gegründet worden und strebte nach einem „Zusammenschluss der führenden Kämpfer der neuen Kunst zum Zweck der Errichtung einer neuen globalen künstlerischen Kultur“3. Als übergeordnetes Ziel wird in derselben Mitteilung die „Verwirklichung des Weltsozialismus“ („osuščestvlenie mirovogo socializma“)

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Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn existierte freilich schon seit Herbst 1918 nicht mehr. Am 21. März 1919 war in Ungarn eine Räterepublik ausgerufen worden, die allerdings nur bis August desselben Jahres Bestand hatte. „Meždunarodnoe Bjuro otpravljaet v kačestve ‚poslov iskusstva‘, dlja nalaživanija internacional’noj svjazi chudožnikov tov. Kampa v Italiju i tov. K. Krajnego (Umanskogo) v Germaniju i Avstro-Ven­ griju.“ Meždunarodnoe Bjuro 1919b. – Dagegen heißt es bei Sizonenko (1986, 92), Umanskij sei im Frühling 1920 nach Deutschland geschickt worden. Dies war aber offenkundig nicht der Fall, denn der Text von Umanskijs Buch Neue Kunst in Rußland ist „München, Februar 1920“ datiert (Umanskij 1920, 56). Demnach befand sich Umanskij bereits im Winter in Deutschland. „Ob’’edinenie peredovych bojcov novogo iskusstva vo imja stroitel’stva novoj vsemirnoj chudožestvennoj kul’tury – obščaja cel’ Meždunarodnogo Bjuro v ego mirovoj rabote.“ Meždunarodnoe Bjuro 1919a. Vgl. Umanskij 1920, 56, Anm. 1; Lodder 1983a, 233 f.

Perspektivenwechsel |

angeführt; kraft ihres Völker und Gesellschaften vereinigenden Potenzials stelle die Kunst hierfür eine „mächtige Waffe“ („mogučim orudiem“) dar.4 Dass man im NARKOMPROS auf Umanskij aufmerksam wurde und ihn trotz seines jungen Alters nach Deutschland delegierte, hatte wohl mehrere Gründe: Umanskij beherrschte die deutsche Sprache, nahm lebhaften Anteil am kulturellen Zeitgeschehen, arbeitete parallel zu seinem Studium für die Russische Telegrafenagentur (ROSTA) und war seit 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei.5 Den Aussagen seiner Zeitgenossen nach zu urteilen, besaß Umanskij zudem ein ausgesprochen gewinnendes Wesen: Im Rückblick auf einen literarischen Abend, den Umanskij 1919 in den Räumen des Moskauer Sowjets organisierte, beschreibt ihn der Maler und Graphiker Jurij Annenkov als einen „gewandte[n] und überaus sympathische[n] junge[n] Mann“ („rastoropnyj i črezvyčajno simpatičnyj junoša“) mit einer „Liebe zur Kunst“ („ljubov’ k iskusstvu“).6 Der Schriftsteller Il’ja Ėrenburg bestätigt diesen Eindruck in seinen Memoiren. Darüber hinaus hebt er die außergewöhnliche Sprachbegabung Umanskijs hervor, der seine 1920 von Gustav Kiepenheuer in Potsdam und Hans Goltz in München gemeinschaftlich verlegte Schrift Neue Kunst in Rußland auf Deutsch niedergeschrieben habe.7 Auf 56 Seiten erteilt Umanskij Auskunft über die künstlerischen Strömungen in Russland, wobei der Hauptakzent, dem Titel gemäß, auf der „neuen“ Kunst liegt (= Expressionismus im weiteren Sinne). Diese wird in einen Gegensatz zur „alten“ Kunst gestellt, worunter Umanskij „alle nichtfortschrittlichen Gruppen der heutigen Kunst“ versteht, „gleichgültig ob sie der naturalistischen, impressionistischen oder einer anderen Schule angehören“.8 Die Attribute „alt“ und „neu“ beziehen sich also nicht allein auf die chronologische Herausbildung der einzelnen Richtungen, sondern vor allem auf den unterschiedlichen Innovationsgrad der zeitgleich bestehenden Richtungen. In der damaligen Terminologie entsprach dieser Gegenüberstellung die Unterscheidung zwischen „rechten“ (konservativen) und „linken“ (avantgardistischen) Künstlern.9 Betont Umanskij auch mehrfach sein Anliegen, „so objektiv wie möglich den deutschen Leser in die russische

4 Meždunarodnoe Bjuro 1919a. 5 Vgl. Sizonenko 1986, 92. 6 Annenkov 1991, 62 f. 7 Vgl. Ėrenburg 1967, 358–363. Es handelt sich demnach bei dem Text von Umanskijs Buch nicht um eine Übersetzung aus dem Russischen. Dies bestätigen kleinere sprachliche Auffälligkeiten, die auf einen Nicht-Muttersprachler schließen lassen. 8 Umanskij 1920, 7. Zum Impressionismus zählt Umanskij (ebd., 10–12) auch Tendenzen des Symbolismus und des Jugendstils. 9 Vgl. Richter 1988, 125, Anm. 46.

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Kunstwelt ein[zu]führen“10, ergreift er doch unmissverständlich Partei für die „linken“ Gruppierungen11 – wenngleich er sie von Kritik nicht verschont. Neben den verschiedenen künstlerischen Strömungen liegt ein weiterer Schwerpunkt von Umanskijs Darstellung auf der Organisation des sowjetrussischen Kunstbetriebs. Umanskij erkennt in ihm einen möglichen „Prototyp der Ordnung des künftigen Kunstlebens“, und zwar von internationaler Tragweite; in diesem „Prototyp“ will Umanskij „die Abspiegelung der Zukunft suchen“.12 Jurij Annenkov charakterisierte Umanskijs Neue Kunst in Rußland als ein „sehr gescheites, wenn auch etwas dilettantisches Buch“ („knigu […] očen’ tolkovuju, chotja i neskol’ko diletantskuju“)13. Eine gewisse Unzulänglichkeit lag wohl von vornherein in der Natur des Vorhabens begründet, durchlief das russische Kunstleben doch eine so rasante Entwicklung, dass eine Momentaufnahme, wie sie Umanskij im Sinn hatte, zwangsläufig ihre Unschärfen besaß. Dem eigenen Anspruch nach war Neue Kunst in Rußland daher nicht mehr als der Versuch, unter den gegebenen Bedingungen eine erste Orientierung zu bieten und so eine Grundlage für die Neubelebung der künstlerischen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland zu schaffen. Umanskij beschreibt das Ergebnis bescheiden als „eine Zusammenfassung von rohem Informationsmaterial, dessen Bearbeitung und Ergänzung erst durch die Wiederherstellung des internationalen Kunstverkehrs bedingt ist“14. Der provisorische Charakter des Buches zeigt sich auch im Anhang: Er enthält neben Übersichten über diverse Akteure, Institutionen und Ereignisse des russischen Kunstlebens15 einen Abbildungsteil, der aber, wie es in einer Besprechung zu Recht heißt, 10 Umanskij 1920, 2. Vgl. ebd., 9, 44. Mit der Betonung seiner Objektivität will Umanskij möglicherweise auch dem Vorwurf zuvorkommen, seine Darstellung sei propagandistisch gefärbt. Tatsächlich aber beschreibt er auch aus seiner Sicht problematische Seiten des sowjetrussischen Kunstlebens, etwa, dass die Kunst aufgrund des staatlichen Mäzenatentums „vom Tendenziösen und Offiziösen nicht gesichert ist“ (ebd., 34). Vgl. ebd., 38. Paul Westheim griff diese Punkte in seinem Artikel „Nachdenksames aus Rußland“ auf, vgl. Westheim 1920. 11 Umanskij (1920, 6) sieht die künstlerischen Umbrüche seiner Zeit im Zeichen eines „unvermeidliche[n] progressive[n] Evolutionsgang[s]“. In Russland habe die Jugend den Sieg über die älteren Künstlergenerationen und Traditionen davongetragen (ebd., 4). Die „alte“ Kunst der Realisten und Impressionisten wird von Umanskij als überlebt gekennzeichnet: „Erschreckt durch den steten unvermeidlichen Gang der Geschichte und durch die unaufhaltsam andrängenden frischen Kräfte, den nahenden Tod spürend, verteidigen die ablebenden Menschen in ihrer Agonie trotzig die Rechte auf weiteres Leben […].“ Ebd., 7. 12 Ebd., 4 f. (Zitate auf S. 5). 13 Annenkov 1991, 63. 14 Umanskij 1920, 68. 15 Vgl. ebd., 57–67. Aufgelistet sind: (I.) die führenden „linken“ Künstler; (II.) die führenden Ausstellungsvereine; (III.) Gewerkschaftsvereine; (IV. und V.) Museen und Sammlungen; (VI.) neue Kunstlehranstalten; (VII.) bedeutende Ausstellungen, (VIII.) Monumente und (IX.) Theateraufführungen der letzten Jahre; (X.) führende Kritiker, (XI.) Dichter und (XII.) Komponisten; (XIII.–XV.) Kollegien des NARKOMPROS; (XVI.) neue Kunstbücher.

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„so gut wie nichts Neues bringt“16. So ist von Kandinskij lediglich ein Gemälde aus der Vorkriegszeit reproduziert, von Tatlin oder Malevič überhaupt keine Arbeit. Die Illus­ trationen kompensierten damit nur in sehr begrenztem Umfang, was Umanskijs knappe Schilderungen nicht leisteten. Ein präzises Bild von der russischen Kunst nach 1914 vermochte Umanskijs Buch mithin nicht zu vermitteln – seine Bedeutung als einmalige Informationsquelle bleibt davon unberührt. In ihrer Rezension notierte Rosa Schapire: Eine Entwicklungsgeschichte der neueren russischen Kunst wird in diesem Buch [= Neue Kunst in Rußland; S. B.] nicht erstrebt. Umanskij, der dieser Aufgabe[,] wie seine Versuche[,] einzelne Kunstrichtungen oder Künstler zu charakterisieren, erweisen, nicht gewachsen sein dürfte, bringt lediglich Tatsachenmaterial. Dieses aber ist so interessant, zeigt die veränderte Stellung von Kunst und Künstlern seit der Revolution in einem so neuen Licht, daß man […] mit größter Spannung liest.17

Der Publikation von Neue Kunst in Rußland vorausgegangen war eine Serie von vier Artikeln über „Neue Kunstrichtungen in Rußland“, die Umanskij für die im Verlag Hans Goltz18 erschienene Zeitschrift Der Ararat verfasste.19 Leider liegt die Vorgeschichte der Veröffentlichung von Umanskijs Aufsätzen und seines Buches weitgehend im Dunkeln.20 16 Dexel 1921. Walter Vitt vermutet, dass diese Besprechung von Grete (und nicht von Walter) Dexel verfasst wurde, vgl. Vitt 1995, 352. 17 Schapire 1920. 18 Hans Goltz (1873–1927) schrieb Kunstgeschichte, als er 1912 in den Räumen über seiner Münchner Buchhandlung die Zweite Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter ausrichtete. Im Herbst desselben Jahres eröffnete er seine Galerie Neue Kunst, deren Namen er zum Programm machte. Auch verlegerisch bot Goltz der internationalen Gegenwartskunst ein Forum, namentlich mit seiner Zeitschrift Der Ararat. Glossen, Skizzen und Notizen zur neuen Kunst (1920–1921). (Ihr Redakteur Leopold Zahn schrieb auch das Vorwort für Umanskijs Neue Kunst in Rußland.) Vgl. Lochmaier 1992; Dies. 1993; Dies. 1997. 19 Umanskij [1920] 1975a; Ders. [1920] 1975b; Ders. [1920] 1975c; Ders. [1920] 1975d. 20 Katrin Lochmaier (1997) geht in ihrer Dissertation nicht näher darauf ein. Auch erste eigene Recherchen förderten diesbezüglich keine positiven Erkenntnisse zutage. Der Enkel von Hans Goltz verkaufte den kleineren Teil des umfangmäßig bescheidenen Nachlasses der Firma „Neue Kunst – Hans Goltz“ 2009 an das Kunstarchiv Werner J. Schweiger in Wien – dieser Teil befindet sich seit 2016 im Eigentum der Berlinischen Galerie in Berlin – und den größeren Teil an eine Privatperson in der Schweiz (E-Mail von Thomas Goltz an den Verf., 17.9.2013; E-Mails von Stefan Frey an den Verf., 9.12.2013 und 16.9.2017). Wie mir Stefan Frey (Bern) erklärte, enthält der Nachlass Goltz keine Dokumente zu Umanskij. Als Grund nannte er die rudimentäre Überlieferung infolge der Verluste während des Zweiten Weltkriegs; im Nachlass seien keine Geschäftskorrespondenzen aus dem Tätigkeitszeitraum von Hans Goltz überliefert (Telefonat des Verf. mit Stefan Frey, 19.9.2013). Auch eine Anfrage beim Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, in dem das Archiv des Gustav Kiepenheuer Verlags verwahrt wird (Sign. 21097 – Gustav Kiepenheuer Verlag und Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Leipzig; im Folgenden: Archiv Kiepenheuer), zeitigte keine Erfolge. Laut Mitteilung von Dr. Thekla Kluttig

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Es scheint jedoch so, als habe Umanskij die Texte in Deutschland verfasst.21 In Ermangelung anderweitiger Informationsquellen standen Umanskijs Veröffentlichungen seinerzeit einzigartig da.22 – Es soll nun in den engeren Problembereich dieses Kapitels eingestiegen (Staatsarchiv Leipzig) „ist aus der Zeit vor 1945 nur wenig Archivgut des Verlags Gustav Kiepenheuer erhalten“; so konnte sie im Findbuch keine Einträge zu Konstantin Umanskij, Hans Goltz oder der Neuen Kunst in Rußland aus der Zeit um 1920 ausmachen. Eine im Anschluss durch einen Praktikanten des Staatsarchivs vorgenommene Sichtung von Prospekten, Rezensionen und Pressemeldungen im Archiv Kiepenheuer (Inv.-Nr. 383, 388, 393, 412, 413, 417, 448) erbrachte ebenfalls keinen nennenswerten Befund (E-Mails von Dr. Thekla Kluttig an den Verf., 10.10.2013 und 21.11.2013). – Im Nachwort zu Neue Kunst in Rußland bedankt sich Umanskij (1920, 68) bei „den Herren Alexander Eliasberg, Johannes von Guenther und Dr. Leopold Zahn“. Es ist möglich, dass man in Briefen oder Aufzeichnungen genannter Personen Hinweise zu Umanskijs Buch findet. Eine weitere Spur führt zu Paul Westheim: Cornelia Funke zufolge „entstand auf seine Anregung hin 1920 eine Zusammenarbeit [des Kiepenheuer Verlags; S. B.] mit dem Verlag des Münchner Galeristen Hans Goltz, aus welcher der gemeinsam veröffentlichte Band Neue Kunst in Russland 1914–1919 […] hervorging[..].“ Funke 1999, 51. Allerdings verdankt sich diese Aussage wohl einer Fehllektüre; denn Lutz Windhöfel (1995, 281), auf den sich Funke beruft, schreibt an betreffender Stelle, dass Westheim am Zustandekommen von Umanskijs Buch „keinen [!] nachgewiesenen Anteil hat[te]“. Das Archiv Kiepenheuer enthält zwar Akten zu Westheim und Zahn aus den Jahren um 1920, die Frau Dr. Kluttig freundlicherweise für mich durchsah (Inv.-Nr. 55, 212, 214); jedoch konnte sie auch daraufhin keinen positiven Befund vermelden (E-Mail von Dr. Thekla Kluttig an den Verf., 5.12.2013). Um eventuell Licht ins Dunkel zu bringen, bedarf es umfassenderer Nachforschungen, die hier nicht geleistet werden konnten. Ich bedanke mich bei Thomas Goltz, Stefan Frey und Dr. Thekla Kluttig für ihre bereitwilligen Auskünfte und weiterführenden Hinweise. 21 Dass Umanskij sein Buch Neue Kunst in Rußland in Deutschland zu Papier gebracht hat, legt neben der Datierung des Textes „München, Februar 1920“ (Umanskij 1920, 56) sein Hinweis im Nachwort nahe, er habe seinen Bericht „trotz des Mangels an wichtigen Materialien – russischer Kunstliteratur, Reproduktionen etc.“ zustande bringen können (ebd., 68). – Immerhin ein paar Informationen zur Publikationsgeschichte von Umanskijs Neue Kunst in Rußland liefern die Mitteilungen, die Hans Goltz in eigener Sache im Ararat veröffentlichte (die folgenden Belegstellen beziehen sich alle auf Goltz 1920). So kündigte er in der März-Ausgabe (Nr. 5/6, 44) an, das Buch werde „Anfang April […] im Goltzverlage in kleiner Auflage“ erscheinen. Offenbar bahnte sich kurz darauf die Zusammenarbeit mit dem Kiepenheuer Verlag an, die in der April-Ausgabe (Nr. 7, 67) bekanntgegeben wurde; eine Rezension des Buches erschien in der Oktober-Ausgabe (Nr. 9/10, 114 f.), eine Annonce in der darauffolgenden Dezember-Ausgabe (Nr. 11/12, 185). Da sich in der Juli-Ausgabe in den Mitteilungen des Goltz-Verlages kein Hinweis auf die Neue Kunst in Rußland findet (Nr. 8, 81) und Rosa Schapires Rezension im September-Heft des Kunstblatts gedruckt wurde, ist die Veröffentlichung des Buches im Juli oder August anzusetzen. Vgl. dagegen Lochmaier (1993, 70, Anm. 38), die schreibt, dass Neue Kunst in Rußland „[z]u Beginn des Jahres 1920 erschienen“ sei. 22 Das Deutsche Bücherverzeichnis für die Jahre 1915 bis 1920 listet unter dem Stichwort „Kunst nach Ländern. Rußland“ lediglich vier Publikationen auf: A. A. Bobrinskijs Volkstümliche russische Holzarbeiten (Leipzig 1913), Aleksandr Ėliasbergs Russische Kunst (München 1915), das in der Reihe Orbis pictus erschienene Bändchen Alt-Russische Kunst von Fannina Halle (Berlin 1920) sowie Umanskijs Neue Kunst in Rußland. Vgl. Deutsches Bücherverzeichnis 1924, 871. Es gab also nichts, was Umanskijs Buch in Thematik und Aktualität gleichgekommen wäre. (Bei Ėliasberg endet die Darstellung der

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werden, der sich um die Frage dreht, welche Änderungen und Korrekturen das deutsche Kandinskij-Bild bei Umanskij erfährt. 3.1.1 „Russischer Messias“? Kandinskij als Wegbereiter und Außenseiter Der letzte der vier Artikel, die Umanskij 1920 im Ararat veröffentlichte, ist „Kandinskijs Rolle im russischen Kunstleben“ gewidmet. Umanskij verwebt darin zwei konträre Argumentationsfäden miteinander: Kandinskijs Bedeutung wird pointiert und relativiert. Umanskij beginnt seine Ausführungen damit, dass er den unterschiedlichen Stellenwert Kandinskijs in Deutschland und in Russland hervorhebt: Der blaue Reiter, der vom Osten kam und siegreich Europa durchzog, dessen Spuren besonders hier in Deutschland noch sichtbar sind, bleibt in Rußland bis heute fremd und einsam. Wer heute in Moskau ehrfurchtsvoll nach Kandinskij fragen würde, ihn sich als Führer und ‚Kunstpapst‘ denkend, würde feststellen können, daß Kandinskij in seiner Heimat nicht so populär ist wie in Deutschland.23

Nicht einmal „die Abstrakten“, berichtet Umanskij weiter, würden sich bereitwillig auf Kandinskij als Autorität berufen; gemeint sind hier die Suprematisten um Kazimir Malevič – „die einzige Künstlergruppe, die als Nachfolge Kandinskijs in Betracht käme“.24 Umanskij erwähnt zwar noch eine weitere Gruppe: die „unmittelbaren Kandinskij-Imi­ tatoren“, doch erachtet er sie für „nicht nennenswert“ und lässt konsequenterweise im

russischen Kunst mit dem Kreis des Mir iskusstva [Welt der Kunst]; die sich um 1910 formierende Avantgarde bleibt unberücksichtigt.) Vgl. auch Herzogenrath 1996, 54–56. – Die Reichweite und Wirkung von Umanskijs Artikeln und seines Buches ist schwer zu ermessen. Der erste Jahrgang des Ararat erschien laut einer Anzeige zwar in geringer Auflage (vgl. Goltz 1920, Nr. 11/12, 186), doch kann von einer Rezeption der Zeitschrift seitens wichtiger Vertreter, Förderer und Multiplikatoren der zeitgenössischen Kunst in Deutschland ausgegangen werden, mit denen Goltz als Händler und Verleger in Kontakt stand. Vgl. hierzu die Hinweise bei Lochmaier 1997, Bd. 1, 119. Hinsichtlich des Buches sei erwähnt, dass zu seinen Lesern der amerikanische Kunsthistoriker und spätere Gründungsdirektor des New Yorker Museum of Modern Art Alfred H. Barr gehörte, der es während seiner Europareise 1927/28 in Deutschland erwarb. Vgl. Kantor 2002, 183. 23 Umanskij [1920] 1975d, 28 f. 24 Ebd., 29. Der Suprematismus (russ.: suprematizm) ist eine um 1915 von Kazimir Malevič (1879–1935) entwickelte Richtung der ungegenständlichen Malerei. Stilistisch zeichnet sie sich durch geometrische Farbflächen aus, die in einem monochromen, als unendlich konzipierten Bildraum zu schweben scheinen (vgl. Taf. 2). Vgl. Gorjatschewa 2008, 16 f. Wie Kandinskijs Kunstbegriff ist auch Malevičs suprematistische Theorie metaphysisch-intuitionistisch geprägt, wovon sich die späteren Konstruktivisten distanzierten. Vgl. Gassner/Gillen 1979, 68.

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Unklaren, um wen es sich dabei handelt.25 – Wie sehr muss es die Leserinnen und Leser des Ararat überrascht haben, von Kandinskij als einem Außenseiter in seiner eigenen Heimat zu lesen! – Doch schon im nächsten Moment lenkt Umanskij ein und vollzieht eine rhetorische Kehrtwende, bei der er den soeben abgesonderten Kandinskij kurzerhand zum Ausgangspunkt der gesamten neueren Kunstentwicklung in Russland erklärt: Seine [= Kandinskijs; S. B.] befruchtende Anregungskraft und sein Einfluß auf die jungen russischen Künstler ist aber für alle diejenigen sichtbar, die nicht die neue Kunst nach Programmen oder in isolierte Fraktionen einteilen, sondern eine innere geistige Nachfolge der formal entgegengesetzten Richtungen erblicken können. Von diesem Standpunkte aus gesehen, führen sämtliche junge russische Kunstrichtungen auf Kandinskij zurück, – mit verschiedenen Graden der kritischen Umgestaltungsfähigkeit.26

Ohne eine Erläuterung versehen, worin die behauptete „innere geistige Nachfolge“ Kandinskijs besteht, wirkt der zitierte Passus wie nachgeschoben. Unzweifelhaft benutzt Umanskij das Renommee Kandinskijs in Deutschland hier als eine Art Trittbrett, um bei seinen Lesern ein Interesse auch für die jüngsten künstlerischen Errungenschaften in Russland zu befördern, deren Initiatoren hierzulande noch unbekannt waren. Kandinskijs Name fungierte als Garant für das innovative Potenzial seiner ‚geistigen Nachfolger‘. Zugleich wird durch die Feststellung (respektive Behauptung) dieser Nachfolge Kandinskijs Zugehörigkeit zur russischen Künstlerschaft bekräftigt. Die Informationen, die Umanskij in seinem Buch Neue Kunst in Rußland über Kandinskij gibt, entsprechen in ihrem Tenor dem Inhalt des Ararat-Artikels, sie fallen lediglich etwas knapper aus.27 Wiederholt wird Kandinskijs Stellung in Russland hervorgehoben und relativiert. Dieser argumentative Zickzack sei im folgenden Zitat durch die Kursivierung der jeweils gegenläufigen Aussagen verdeutlicht: 25 Umanskij [1920] 1975d, 29. In ihrer Monographie Kandinsky begegnet Jelena Hahl-Koch (1993, 410, Anm. 46) der verbreiteten Ansicht, „Kandinsky habe in Rußland keine ‚Schule‘ hinterlassen“, mit dem Hinweis auf ein „soeben“ ins Leben gerufenes internationales Forschungsprojekt, in dem dieses Desiderat offenbar angegangen werden sollte. Um welches Projekt es sich dabei handelte, entzieht sich meiner Kenntnis. – Clark Poling (1984, 19), der die von Hahl-Koch infrage gestellte Position vertritt, erwähnt als seltene Beispiele für die künstlerische Rezeption Kandinskijs in Russland die seines Erachtens „zweitklassigen“ Kandinskij-Schüler Vasilij Bobrov (1899–1970) und Konstantin Vjalov (1900–1976). In der Tat gibt es Werke der beiden Künstler aus dem Jahr 1921, die stark an Kandinskijs Stil in dieser Zeit erinnern. Vgl. Rudenstine 1982, 80, 488–493; Ausst.Kat. Frankfurt 1992, 780; Bowlt 2002; Ausst.Kat. Berlin/Wien/Thessaloniki 2004, 384, 394; Avtonomova 2013, 72 (Abb. auf S. 120); Rakitin 2013, 168 f. (Abb. auf S. 192). 26 Umanskij [1920] 1975d, 29. 27 Vgl. Umanskij 1920, 20, 22.

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Wassilij Kandinskijs Schaffen ist hier in Deutschland nicht weniger bekannt und geschätzt als in Rußland. Kandinskij reicht aber nicht zur Charakterisierung der neuen russischen Kunst aus […]; er ist ein glänzendes Dokument für das Tempo selbst der russischen Kunst und für die fast prophetische Rolle, die sie in der Entwicklung der Weltkunst spielt […]. Wenn einer, so verdient Kandinskij den Beinamen des ‚russischen Messias‘. Sein Einfluß im russischen Kunstleben und das Kontingent seiner Epigonen ist aber nicht so bedeutend, wie es sich anscheinend den deutschen Kandinsky-Freunden aufdrängt. […] Mit seinem Schaffen hat er den Sieg absoluter Kunst vorbereitet, – die gegenstandslose Malerei geht aber heute einen anderen Weg.28

Es macht den Eindruck, als strebe Umanskij nach einer Balance, indem er auf die eine Waagschale Kandinskijs (Bedeutungs-)Gewicht legt, um es sofort mit einem Gegengewicht auszugleichen. Dieses Vorgehen verstehe ich als Folge einer zweifachen Diskrepanz, mit der Umanskij umzugehen hatte. Die erste Diskrepanz ergab sich aus der unterschiedlichen Wahrnehmung Kandinskijs in Deutschland („siegreich“) und in Russland („fremd und einsam“), die zweite aus Kandinskijs schwierigem Status innerhalb des russischen Kunstlebens selbst, wo man ihm mit Anerkennung, aber auch mit starker Ablehnung begegnete.29 Bei alledem muss in Rechnung gestellt werden, dass Umanskij nicht der neutrale Beobachter war, der zu sein er vorgab. Er knüpfte an Kandinskijs Bekanntheit in Deutschland an und stellte ihn in den Kontext der neuen russischen Kunst – um aber die Aufmerksamkeit seiner Leser von Kandinskij weg und hin auf den besagten Kontext zu lenken. Umanskij versuchte, ein Bild von der neuen Kunst in Russland zu vermitteln, in das sich Kandinskij nicht problemlos einfügen ließ. Dies soll anhand zweier Punkte näher erläutert werden: dem Stellenwert der Abstraktion und der Rolle des Künstlers im neuen Sowjetstaat. 3.1.1.1 Schwanengesang auf die Abstraktion oder: Die „Rückkehr zum Gegenständlichen“ Was erfuhren die Leserinnen und Leser des Ararat und der Neuen Kunst in Rußland über Kandinskijs künstlerischen Werdegang zwischen 1915 und 1919? Im Grunde genommen nicht viel. Was sich seit Kandinskijs Weggang aus München verändert hat, sind laut Umanskij die Rahmenbedingungen, unter denen er seine Kunst schuf – nicht aber seine Kunst selbst. Zumindest benennt Umanskij nichts, was auf stilistische oder konzeptionelle 28 Ebd., 20. Hervorh. S. B. 29 Der bedeutende Kunstkritiker und Fürsprecher der Avantgarde Nikolaj Punin (1888–1953) z. B. attackierte Kandinskij 1919 mit den Worten: „Ich protestiere auf das schärfste gegen Kandinskys Kunst […] all seine Gefühle, all seine Farben sind einsam, entwurzelt und erinnern an Mißbildungen. Nein, nein! Nieder mit Kandinsky! Nieder mit ihm!“ N. Punin: O knigach [Von Büchern]. In: Iskusstvo kommuny [Die Kunst der Kommune] Nr. 9 (1919), 3. Zit. nach: Bowlt 1989, 75. Vgl. auch ebd., 73.

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Abb. 10: Vasilij Kandinskij: Landschaft mit Regen, Januar 1913, Öl auf Leinwand, 70,2 x 78,1 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York

Veränderungen bei Kandinskij hindeuten würde. Auch visuell boten Umanskijs Veröffentlichungen keine neuen Eindrücke von Kandinskijs Schaffen. Der Artikel über Kandinskij im Ararat ist unbebildert; das Buch enthält zwar die Reproduktion eines Ölgemäldes von Kandinskij, allerdings handelt es sich dabei um die 1913 (!) gemalte Landschaft mit Regen (Abb. 10), die bereits im Sturm-Album Kandinsky 1901–1913 abgebildet war.30 Auf eine künstlerische Weiterentwicklung Kandinskijs während der Kriegs- und Revolutionsjahre 30 Kandinsky 1913, 10. Das Gemälde ist bei Umanskij (1920, Beilagen, 23) als „Komposition“ betitelt. Da den Abbildungen in Umanskijs Buch i. d. R. keine Datierungen beigefügt sind, kann man die Wiedergabe der Landschaft mit Regen in dieser Abhandlung, deren Fokus auf dem Zeitraum von 1914 bis 1919 liegt, geradezu als irreführend bezeichnen: Wer das Bild nicht als ein Werk von 1913 kannte, musste doch annehmen, es stamme aus Kandinskijs jüngster Schaffensphase. Entsprechendes gilt für das auf der gegenüberliegenden Seite reproduzierte Gemälde von Mark Šagal Russland, den Eseln und

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war somit weder aus Umanskijs Ausführungen noch aus den beigegebenen Abbildungen zu schließen. Kandinskij ist bei Umanskij im Wesentlichen der Kandinskij des Blauen Reiters geblieben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Kandinskijs Kunstproduktion unmittelbar nach 1914 stark nachgelassen hatte. Dies hing einerseits mit den schwierigen Lebensumständen zusammen, in denen er sich seit seiner Rückkehr nach Moskau befand,31 andererseits mit den verantwortungsvollen kunstpolitischen und pädagogischen Aufgaben, die er im postrevolutionären Russland wahrnahm.32 Ein forcierter Klärungsprozess, der von der expressionistischen Bildsprache der Münchner Zeit hin zu einer Geometrisierung der Bildelemente und ihrer überschaubareren Anordnung führte, zeichnete sich erst seit etwa 1919 ab, um dann am Weimarer Bauhaus ab 1922/23 reifere Früchte zu tragen.33 Einschlägige Werke, die diese Entwicklung dokumentieren, wie Rotes Oval von 192034 und die 1921 entstandenen Gemälde Roter Fleck II (Taf. 3) und Bunter Kreis hatte Umanskij bei der Niederschrift seiner Texte, die im Herbst/Winter 1919/20 anzusetzen ist, noch nicht vor Augen gehabt. Es ist allerdings fraglich, ob Umanskij die Veränderungen in Kandinskijs Stil als Zeichen einer originären Entwicklung aufgefasst oder ob er sie nicht vielmehr als eine Anpassung Kandinskijs an sein künstlerisches Umfeld ausgegeben hätte. Denn Kandinskij ist Umanskij zufolge von den Vertretern einer geometrischen

den Andern, das bereits 1911 entstanden war (heute Musée national d’art moderne, Centre Pompidou, Paris). 31 Vgl. Tupitsyn 2006, 20. 32 Vgl. Poling 1984, 12; Hahl-Koch 1993, 256. In einem Brief, den Kandinskij Ende Februar 1919 schrieb, heißt es: „Ich arbeite viel, leider aber nicht an Bildern.“ Kandinsky 1919a. – 1918 wurde Kandinskij Mitglied im Moskauer Kollegium des IZO NARKOMPROS. Seit Herbst desselben Jahres lehrte er an den Freien Staatlichen Kunstwerkstätten (Svobodnye gosudarstvennye chudožestvennye masterskie, kurz: SVOMAS ) in Moskau. 1919 wurde er Direktor des Moskauer Museums für Malkultur (Muzej živopisnoj kul’tury, kurz: MŽK ). Darüber hinaus war er an der Gründung und Ausstattung von 22 Regionalmuseen beteiligt. 1920 arbeitete Kandinskij ein Programm für das von ihm mitbegründete Institut für Künstlerische Kultur (Institut chudožestvennoj kul’tury, kurz: INC hUK ) aus. Im darauffolgenden Jahr wurde er zum Vizepräsidenten der Russischen Akademie der Kunstwissenschaften (Rossijskaja Akademija chudožestvennych nauk, kurz: RAC hN) ernannt. Vgl. ausführlich Sarab’janov/Avtonomova 1994, 142–151; ferner Andersen 1966, 99–110; Poling 1984, 18 f.; Avtonomova 1989; Bowlt 1989, 73–75; Hahl-Koch 1993, 256; Post 2007; Hoberg 2008, 27 f. – Nebenbei sei bemerkt, dass Kandinskij im Dezember 1921 offiziell im Auftrag der RAChN nach Deutschland reiste, wo er im Rahmen eines sechsmonatigen Aufenthaltes Kontakt mit bedeutenden Institutionen und Persönlichkeiten des künstlerischen Lebens aufnehmen sollte, vgl. Sarab’janov/Avtonomova 1994, 151. 33 Eine konzise Darstellung dieser Entwicklung findet sich bei Poling 1984, 9–16. 34 Kandinskij malte Rotes Oval wahrscheinlich im Frühjahr oder Sommer 1920. Vgl. hierzu die Argumentation bei Weiss 1995b, 242, Anm. 49.

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Abstraktion überholt worden: Im Suprematismus habe seine Kunst „die notwendige Ergänzung“ gefunden.35 Bei näherer Betrachtung stellt sich die „notwendige Ergänzung“ Kandinskijs durch die Suprematisten jedoch als eine Vollendung heraus – im Sinne einer folgerichtigen Zu-Ende-Führung der abstrakten Malerei. Umanskij beschreibt den Suprematismus als einen „Prozeß analytischer Subtraktion“, der sich auf „den Nullpunkt der Kunst“ zubewege.36 Ein Bild aus Malevičs Serie Weiß auf Weiß dient ihm hierfür als Paradebeispiel.37 Eine Weiterentwicklung der russischen Kunst allein aus den Mitteln des Suprematismus ist für Umanskij undenkbar, die Suprematisten „machen […] Halt an der Schwelle der künftigen Kunst“38. Wenn „die Abstrakten“, wie Umanskij schreibt, „am besten die neue russische Kunst kennzeichnen“39, so kann damit also nur ein vorläufiger Zustand gemeint sein. Mit dem Suprematismus ist der „absolute“ oder „gegenstandslose Expressionismus“ in einer Sackgasse gelandet, hat sein Potenzial erschöpft. Die Abstraktion in ihrer Gesamtheit scheint für Umanskij in absehbarer Zeit Geschichte zu sein: Viele Anzeichen scheinen dafür zu sprechen, daß der gegenstandslose Expressionismus seine letzten Konsequenzen bereits gezogen hat und auf einem toten Punkt angelangt ist. Eine Rückkehr zum Gegenständlichen scheint unvermeidlich. In einer gegenständlichen Kunst also, die sich die expressionistischen Prinzipien und Errungenschaften zu nutze macht, wird die Neue Kunst ihren Weg ins Ewige, Absolute, Klassische finden.40

Es geht aus dem Kontext nicht klar hervor, was Umanskij unter der „Rückkehr zum Gegenständlichen“ verstand. Eine Darstellungsweise im Sinne der präavantgardistischen 35 Umanskij 1920, 22. 36 Ebd. Die Rede vom „Nullpunkt“ geht auf Malevičs suprematistische Theorie zurück, vgl. Gor­jatschewa 2008, 17. – Ein paar Jahre zuvor noch hatte Fritz Burger (1913b, 119) über Kandinskij geschrieben, er habe „mit fast mephistophelischer Konsequenz die modernen Theorien und künstlerischen Gestaltungsweisen zu Ende gedacht und aber auch die Kunst ans Ende gebracht“. 37 Vgl. Umanskij 1920, 22, Anm. 1. Die 10. Staatliche Ausstellung Ungegenständliches Schaffen und Suprematismus (Bespredmetnoe tvorčestvo i suprematizm, Moskau 1919), in der Malevičs Serie Weiß auf Weiß gezeigt wurde, markierte tatsächlich Malevičs Abkehr von der Malerei. Allerdings bedeutete dies mitnichten das Ende des Suprematismus als solchem, der fortan eine utopisch-utilitaristische Ausrichtung erhielt. Vgl. Gorjatschewa 2008, 19–21. 38 Umanskij 1920, 22. Umanskijs Abgesang spiegelt seine eigene kritische Haltung gegenüber dem Suprematismus als einer Richtung, die a) mit Malevičs Weiß auf Weiß den „[ä]ußerste[n] Nihilismus der russischen Kunst“ hervorgebracht habe (ebd., 22, Anm. 1), und die b) „aus Mangel an wahrer Gestaltungs- und Erfindungskraft bald in langweiliger Selbstwiederholung der programmatisch festgesetzten zweidimensionalen Schablonen erstarrte“ (Umanskij [1920] 1975d, 29). 39 Ebd. Vgl. Umanskij 1920, 15. 40 Umanskij 1920, 24, 26.

Perspektivenwechsel | Abb. 11: Vladimir Tatlin: Konterrelief (Materialauswahl), 1916, lackiertes Rotholz, Eisenblech, verzinktes Eisen, Zink, 100 x 64,5 x 27 cm, Staatliche Tret’jakov-Galerie, Moskau (historische Aufnahme)

Kunst meinte er sicherlich nicht. Umanskij, dessen Sympathien grundsätzlich den progressiven Künstlerinnen und Künstlern galten, kann es nicht darum gegangen sein, für eine Rück-Entwicklung zu plädieren. Die zukünftige Kunst werde sich ja, wie er ausdrücklich schreibt, der „expressionistischen Prinzipien und Errungenschaften“ bedienen. Gewiss kommt man Umanskijs Aussageintention daher näher, wenn man die „Rückkehr zum Gegenständlichen“ als eine „Rückkehr des Gegenständlichen“ liest. Womit aber noch immer die Frage im Raum steht, worum es sich bei diesem „Gegenständlichen“ handelte. Eine Möglichkeit bildet die sogenannte „Maschinenkunst“ des „Tatlinismus“, die Umanskij in seinem ersten Beitrag für den Ararat vorstellte.41 Sie geht zurück auf Vladimir Tatlin (1885–1953) und seine erstmals 1914 ausgestellten Konterreliefs (Abb. 11). Dabei handelt es sich um protokonstruktivistische, die Grenze zwischen Malerei und Skulptur überschreitende Objekte aus einfachen Materialien wie Holz, Blech, Pappe und Glas, die keine außerbildliche Realität darstellen, sondern die Beschaffenheit des Materials 41 Umanskij [1920] 1975a. Vgl. Ders. 1920, 19 f.

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und seine Anordnung selbst in den Fokus rücken.42 Obwohl es sich also auch bei den Konterreliefs um eine nicht-mimetische Kunstform handelt, zählt Umanskij sie nicht zum „absoluten Expressionismus“, in dem – ganz im Gegensatz zu Tatlins Konterreliefs – „[d]as ‚Geistige in der Kunst‘ triumphiert“43. Mit dem „Gegenständlichen“ könnte somit eine Materialkonstruktion im Tatlin’schen Sinne gemeint sein.44 Tatlins Reliefs, ihre „Ästhetik der realen Materialien im realen Raum“ (Vasilij Rakitin), zeitigten im russischen Kunstschaffen eine nachhaltige Wirkung.45 Umanskij könnte aber auch an eine gegenständliche(re) Darstellungsweise innerhalb der Staffeleimalerei gedacht haben, wie sie sich seinerzeit in den Stillleben verschiedener Avantgarde-Künstler manifestierte. Dabei wurden Gegenstände mithilfe kub(ofutur)ist­ischer, suprematistischer oder konstruktivistischer Verfahren im Bild organisiert. So schuf Ivan Puni (1892 oder 1894–1956) 1919 eine Reihe von Werken, die einzelne figürliche Elemente oder Buchstaben in Kombination mit geometrischen Farbflächen zeigen (Taf. 4). Der Eindruck von Flächigkeit und Schwerelosigkeit, den diese Gemälde vermitteln, rekurriert auf den Suprematismus, während die grobkörnige Oberflächenbehandlung (Faktur) auf das kubofuturistische und konstruktivistische Interesse für Materialität verweist.46 Von David Šterenberg (1881–1948), Natan Al’tman (1889–1970) und Vladimir Lebedev (1891–1967) sind ebenfalls Stillleben aus dieser Zeit überliefert, in denen sich die Künstler an einer Synthese von geometrisch-abstrakter und figurativer Gestaltung versuchten (vgl. S. 136, Abb. 14).47 In diesen Stillleben könnte bereits jene „Versöhnung mit den geltenden Traditionen der Kunst und den Relationen zwischen Künstler und Betrachter“ vorweggenommen sein, die Umanskij für die Zukunft erwartete.48 42 Vgl. Gorjatschewa 2008, 16 f. 43 Umanskij 1920, 20. 44 Diese Vermutung wird dadurch erhärtet, dass sich Il’ja Ėrenburg (1967, 359) im Hinblick auf die frühen 20er-Jahre an Umanskij als einen „jungen Enthusiasten“ („molodogo ėntuziasta“) erinnert, der „sich für den Konstruktivismus [begeisterte]“ („uvlekalsja konstruktivizmom“). Allerdings führt Ėrenburg hierfür keine konkreten Belege an. 45 Vgl. Rakitin 1992 (Zitat auf S. 23); Gorjatschewa 2008, 17 f. 46 Vgl. Hansen-Löve 1989; Marcadé 1993. Punis Stillleben. Rote Violine (Taf. 4) wurde in der Ersten Staatlichen Freien Kunstausstellung (Pervaja Gosudarstvennaja svobodnaja vystavka proizvedenij iskusstva) 1919 in Petrograd gezeigt, die Umanskij (1920, 19, 60) in seinem Buch erwähnt und möglicherweise auch besucht hat. 47 Zu den in Deutschland wenig bekannten Künstlern vgl. Thierse 1982; Lazarev 2006, hier: insb. 29–42; Etkind 1984, hier: insb. 55–61; Christ 2004, hier: insb. 56, 72–86. 48 Umanskij 1920, 30. Letztlich bleibt aber unklar, ob Umanskij bei der „Rückkehr zum Gegenständlichen“ an die genannten Künstler gedacht hat. Puni, Al’tman und Šterenberg werden in seinem Buch zwar erwähnt, allerdings in anderen Zusammenhängen. So wird Puni, der Mitglied der 1916 gegründeten Gruppe Supremus um Malevič war, lediglich unter den „Nachfolgern Malewitschs“ angeführt (ebd., 22; es ist dort fälschlich von „Nikolai Puni“ die Rede, wohl eine Verwechslung mit dem Kunstkritiker Nikolaj Punin).

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Doch ganz gleich, welcher der beiden vorgeschlagenen Lesarten des „Gegenständlichen“ man den Vorzug geben möchte: Kandinskij vertrat weder die eine noch die andere Möglichkeit. Er blieb konsequent bei seiner abstrakten Malerei und stand damit abseits der von Umanskij prognostizierten Entwicklung. Abgesehen von der „Rückkehr zum Gegenständlichen“ manifestiert sich der prekäre Status des „absoluten Expressionismus“ auch in einer inneren Widersprüchlichkeit von Umanskijs Ausführungen, was nun herausgearbeitet werden soll. Im „absoluten Expressionismus“ triumphiere, so Umanskij, das „‚Geistige in der Kunst‘“,49 er sei die „Offenbarung der russischen, östlich radikalen Abstraktheit“50. In Übereinstimmung mit diesem Bild von der Abstraktion äußert sich Umanskij im Ararat über die Persönlichkeit ihres Schöpfers Kandinskij wie folgt: Wenn auch Kandinskij, wegen seiner langjährigen ausländischen Tätigkeit im Moskauer Milieu oft als westliches Element eingeschätzt wird, so zweifle ich doch nicht an seinem rein slavischen Ursprung, an seinem orientalisch radikalen Streben nach endgültiger Entfeßlung aus materiellen Banden, an seiner rein russischen Humanität und Allmenschlichkeit.51

Um ein Vielfaches pointierter heißt es im Buch: „Wenn einer, so verdient Kandinskij den Beinamen des ‚russischen Messias‘.“52 So beifällig diese Worte klingen, so problematisch erscheint die hier vollzogene „Spiritualisierung“ und „Russifizierung“ Kandinskijs und der Abstraktion im Gesamtzusammenhang. Umanskij äußert sich hier nämlich im Sinne jener westlichen Auffassung von russischer Kunst, die er doch zu korrigieren angetreten ist. Geradezu programmatisch beginnt das erste Kapitel von Neue Kunst in Rußland mit den Worten: Über die russische Kunst war man im Westen immer sehr mangelhaft unterrichtet. In der Vorstellung Europas lebte der orientale Künstler als ein von aller ‚höheren‘ Kultur unberührter Barbar oder als ein Messias, umgeben von der Gloriole schöpferischer Urkraft (‚ab oriente lux‘).53

49 Ebd., 20. 50 Umanskij [1920] 1975d, 29. 51 Ebd. 52 Umanskij 1920, 20. 53 Ebd., 3.

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Damit bezieht Umanskij Position gegen das von Hausenstein, Burger, Sydow und anderen verbreitete Image von russischer Kultur (Primitivität und Spiritualität), das bezeichnenderweise in Leopold Zahns Vorwort zu Umanskijs Buch aktualisiert wird.54 Indem Umanskij das von ihm verworfene Klischee von russischer Kunst im Hinblick auf Kandinskij und die abstrakte Malerei perpetuiert, werden beide aus dem Zentrum dessen verdrängt, was Umanskij idealiter als die neue Kunst in Russland verstanden wissen will. Diese ist nicht primär „russisch“ im Sinne einer östlichen Primitivität oder Spiritualität, sie ist vor allem international.55 Darüber hinaus scheint für Umanskij das „Geistige“ als künstlerischer Wert nicht mehr zeitgemäß zu sein. Zum Vergleich sei erneut auf den „Tatlinismus“ hingewiesen, den er antithetisch zum „absoluten Expressionismus“ als „Triumph des Intellektuellen und Materiellen“, als „Verneinung der Rechte des Geistes auf isolierte Autonomie“ beschreibt.56 Während der „Tatlinismus“ nach Umanskijs Auffassung mit der kulturellen Entwicklung Schritt zu halten vermag, bleibt das „Geistige“ in der Kunst dahinter zurück: Die Gesamtentwicklung der neuen Kunst in Rußland und in anderen Ländern überzeugt uns, daß eben diese Kunst der Maschine genug Vorteile hat, um Rechte auf die Zukunft zu gewinnen und sogar neben jüngeren Richtungen stets progressiv bleibt. Die Reaktion gegen diesen intellektuellen Materialismus – sei es Kandinskys reine Kunst und die Entfeßlung des Geistes oder andere gegenstandslose Richtungen oder Rückblicke ins Ewigreligiöse und das

54 Vgl. Zahn 1920. Ebd., V, heißt es z. B.: „Rußland: Was ist es denn eigentlich? Über China sind wir besser im Bilde wie über dieses osteuropäische Monstrum. Rußland ist etwas Diffuses, Werdendes, Gestaltsuchendes. (Man sagt auch Barbarenland, aber mit einigem Recht nur dann, wenn man mit Flaubert fühlt, daß es nichts Komplizierteres gibt, als einen Barbaren.) […] Dostojewskij hat ein neues Evangelium der Menschenliebe verkündet. Seitdem wir es verstanden zu haben glauben, haben wir unseren Hochmut aufgegeben und sprechen von einem russischen Messianismus. Die geistige und künstlerische Bedeutung der russischen Frage (wenn wir sie ganz erfassen: die religiöse Bedeutung) überwiegt heute für uns das politische Moment […]. So sehen wir heute mit einer viel innerlicheren Spannung auf Rußland. Wir erwarten ‚ab oriente‘ neue Offenbarungen – geistige und künstlerische, zu denen wir uns schon zu alt fühlen.“ Und in seiner ebenfalls 1920 erschienenen Monographie Paul Klee schrieb Zahn: „Kompromißlose Abstraktion wagt als erster Kandinsky; ihm als Russen eignet der orientalische Zug zu mystischer Versenkung und jene Stoßkraft ungebrochener Instinkte, die zur radikalsten Verwirklichung einer Idee ausreicht.“ Zit. nach: Zahn [1920] 1984, 426. 55 „Die Entwicklung der modernen Kunst hat mit genügender Anschaulichkeit bewiesen, daß die staubigen Archive der nationalen Kulturen nicht in das Programm der neuen Kunst aufgenommen werden, – denn sowohl das nationale, wie das individuelle Moment werden auf dem Wege zur großen, allmenschlichen Kunst an Bedeutung verlieren. […] Je mehr wir uns der Neuen Kunst nähern, desto schwerer fällt es uns, von nationaler Kunst zu reden. […] je mehr sich die heutige Kunst in ihre eigenen künstlerischen, oft experimentalen Aufgaben vertieft, desto unnützer erscheint uns eine […] nationale Differenzierung.“ Umanskij 1920, 2, 10. 56 Umanskij [1920] 1975a, 12.

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nur scheinbare Wiederaufleben ‚alter Weistümer, alter Gesänge, frommer Gebärden, ewiger Mysterien‘ – hat nicht den festen Boden des heutigen kulturellen Momentes in der Entwicklung der Menschheit, hat nicht jenen Vorteil des Einklangs mit dem siegreichen Materialismus der Gegenwart.57

Trotz seiner „revolutionär-deformierenden Kraft“58 haftet dem „absoluten Expressionismus“ aus Umanskijs Sicht also etwas Unzeitgemäßes an.59 – Wo aber nicht das Geistige, sondern die Maschine den Bezugspunkt der Kunst und ihrer Betrachtung bildet, ist freilich auch ein anderer Typ von Künstler gefragt, als ihn Kandinskij repräsentierte. 3.1.1.2 Partizipation contra Passivität: Kandinskij als Verkörperung des „überflüssigen Menschen“ Dass Kandinskij in Deutschland als Hauptakteur der neuen russischen Kunst wahrgenommen wurde, musste Umanskij aus zwei Gründen korrekturbedürftig erscheinen: Mit seiner expressiven Abstraktion vertrat Kandinskij für ihn zum einen eine Kunstrichtung, die in Russland keine Schule bildete und die sich, wie überhaupt die abstrakte Malerei, in einer Sackgasse befand. Zum zweiten stand Kandinskij aber auch für ein bestimmtes Künstlerbild, das für Umanskij nicht zukunftsträchtig war. Der russische Künstler der Gegenwart war für Umanskij ein solcher, der als aktiv wirkendes Mitglied der Gesellschaft sozial zu leben beginnt, organisch mit seiner Zeit verbunden ist, von den Höhen des Parnasses in die Tiefen des Lebens hinabsteigt, seine Rechte proklamiert, den Beschauer zu einem intensiven Miterleben seiner Schöpfungen ruft und so eine reelle Anwendung seiner Kunstideale gefunden hat […]60.

Gesellschaftliches und gewerkschaftliches Engagement, Gegenwarts-, Lebens- und Publikumsnähe sind für Umanskij die Grundpfeiler des neuen künstlerischen Berufsethos. Nach Umanskijs Darstellung leistete Kandinskij diesen Ansprüchen jedoch nicht Genüge. Wer einen Blick in den Anhang der Neuen Kunst in Rußland warf, konnte zwar erfahren, dass sich Kandinskij im Kollegium des IZO NARKOMPROS befand, dem Internationalen Büro angehörte und bei der Gründung staatlicher Museen mitwirkte.61 Indes lesen sich insbesondere die im Ararat publizierten Ausführungen über Kandinskij mehr 57 Ebd., 12 f. Vgl. Umanskij 1920, 20. 58 Umanskij 1920, 22 f. 59 Umanskijs Rede von der neuen Kunst in Russland ist auch sub specie futuri zu verstehen, d. h. sie ist nicht nur registrativ auf die Gegenwart bezogen, sondern auch projektiv auf die Zukunft gerichtet. 60 Umanskij 1920, 4. 61 Vgl. ebd., 64.

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wie ein Gegenentwurf zum Ideal des engagierten Künstlers: „Eine gewisse Passivität stellt ihn [= Kandinskij; S. B.] in die letzten Reihen jener kämpfenden Künstler, denen Rußland heute die gewagtesten – aber glänzend durchgeführten – kulturellen Reformen zu verdanken hat.“62 Ein ähnliches Bild ergibt sich laut Umanskij für den pädagogischen Bereich: „Kandinskij […] bleibt der einzige bedeutende russische Künstler, der nicht kampfbereit und propagandistisch seine erzieherische Kraft im Wettstreit mit seinen Genossen auf die jungen Maler ausüben will.“63 So entsteht der Eindruck, als verbleibe Kandinskij durchaus lieber in den „Höhen des Parnasses“.64 Interessanterweise führt Umanskij Kandinskijs angebliche Passivität in kunstpolitischen Angelegenheiten auf dessen russische Prägung zurück; Kandinskij erweise sich darin nachgerade als „charakteristischer Russe“65: [E]r [= Kandinskij; S. B.] erinnert an jene idealistischen russischen Literaturtypen (Rudin, Lawretzkij, Tschulkaturin bei Turgenjew, andere bei Gontscharow, Dostojewskij u. a.), die von der russischen Öffentlichkeit schon längst als ‚überflüssige Menschen‘ gebrandmarkt wurden. […] Kandinskij ist also beinahe der ‚Überflüssige‘ und ist nicht imstande, zur Realisierung wirtschaftlicher und geistiger Ideale des russischen Kunstlebens ebenso beizutragen, wie es seine Kollegen […] in dreijähriger fieberhaft intensiver Arbeit versuchen.66

Der „überflüssige Mensch“ (russ.: lišnij čelovek) ist eine Begriffsbildung des russischen 19. Jahrhunderts und bezeichnet jene „Menschen, die in der damaligen russischen Gesellschaft keinen Platz für sich und keinen Platz für eine ‚vernünftige‘ Betätigung finden

62 Umanskij [1920] 1975d, 29. 63 Ebd. Desgleichen behauptet Umanskij (ebd.), Kandinskij sei „nicht Meister in den neuen russischen ‚Freien staatlichen Kunst- [u]nd Dekorationswerkstätten‘“, was aber nicht den Tatsachen entsprach: Kandinskij übte dort schon seit Herbst 1918 eine Lehrtätigkeit aus. Vgl. Bowlt 2002, 117; Turchin 2005, 361–368. Zu den Freien Staatlichen Kunstwerkstätten (Svobodnye gosudarstvennye chudožestvennye masterskie, kurz: SVOMAS) und den aus ihnen hervorgegangenen Höheren Staatlichen Künstlerisch-Technischen Werkstätten (Vysšie gosudarstvennye chudožestvenno-techničeskie masterskie, kurz: VC hUTEMAS) vgl. Adaskina 1992. 64 Es ist hinlänglich bekannt, dass sich Kandinskij – ganz im Unterschied zu den russischen Konstruktivisten (vgl. Krieger 2007, 72–77) – nicht als Mitgestalter der sozialistischen Gesellschaft verstand. Seine Witwe Nina erinnert sich: „Eines Tages kam Tatlin, der im Kommissariat für Volksaufklärung [= NARKOMPROS; S. B.] arbeitete und von Lunatscharski geschickt worden war, zu Kandinsky. […] Tatlin bat Kandinsky, seine Kräfte für die Kunst einzusetzen und Mitglied des Kommissariats zu werden. Kandinsky sagte zu, unterstrich jedoch ausdrücklich, daß er mit Politik nichts zu tun haben wolle. Tatlin sicherte ihm daraufhin zu, daß seine Tätigkeit ausschließlich künstlerischer Natur sein werde.“ Kandinsky 1987, 86. Vgl. auch Poling 1984, 9. 65 Umanskij [1920] 1975d, 29. 66 Ebd., 30.

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konnten“67. Ohne Tatkraft, unfähig oder nicht willens zur Veränderung des Status quo, stellte dieser Sozialtypus ein Gegenbild zu den revolutionären Kräften des 19. und 20. Jahrhunderts dar. Die wohl eindrücklichste literarische Verkörperung des „überflüssigen Menschen“ schuf Ivan Gončarov mit seinem titelgebenden (Anti-)Helden Oblomov (1859). Dessen phlegmatischen Charakter deklarierten die Interpreten des Romans bald zu einem „Produkt des russischen Lebens“ (Nikolaj Dobroljubov); in der sozialkritischen Rezeption wurde Oblomov mithin „zur populärsten Figur der negativen Eigenbestimmung des Russischen“.68 – Umanskijs Bezugnahme auf den Topos des „überflüssigen Menschen“ im Hinblick auf Kandinskij käme fast einer sarkastischen Spitze gleich, würde er am Ende seines Artikels nicht ein weiteres Mal einlenken und nachdrücklich die Anerkennung betonen, die Kandinskij im jungen Sowjetrussland zuteil werde.69 3.1.2 Kandinskij als Tür Sowjetrusslands zum Westen Umanskijs Ausführungen können als ein Widerschein der besonderen Stellung Kandinskijs im sowjetrussischen Kunstleben betrachtet werden: Kandinskij nahm darin eine Spitzenposition ein, stand jedoch mit seiner apolitischen Haltung und seiner abstrakten, am „Geistigen“ orientierten Malerei im Konflikt mit Tendenzen, die Umanskij beschrieb und propagierte.70 Umanskij musste diese Diskrepanz umso problematischer erscheinen, als Kandinskij vom deutschen Publikum mit der russischen Gegenwartskunst identifiziert wurde. Dementsprechend war er bemüht, dieses Bild zurechtzurücken – ohne es aber um 180 Grad zu drehen. Denn es war gerade Kandinskijs Ruf in Deutschland, der bei dem Versuch, ein deutsch-russisches Netzwerk herzustellen, als Anknüpfungspunkt diente. Umanskij hatte somit zwei divergierende Ziele zu verbinden: Er musste Kandinskijs Rolle

67 Tschižewskij 1967, 63. 68 Lachmann 1993 (Zitate auf S. 283 und 281). Die „Oblomoverei“ (russ.: oblomovščina) ging als geflügeltes Wort in den russischen Sprachschatz ein und findet sich bis heute in den Wörterbüchern. 69 So verweist Umanskij ([1920] 1975d, 30) u. a. auf die Veröffentlichung von Kandinskijs „Rückblicken“ in einer russischen Übertragung – das „erste Buch, das vom Kollegium der Bildenden Künste [= IZO; S. B.] verlegt wurde“. Die Schrift erschien 1918 unter dem Titel Tekst chudožnika. Stupeni [Text eines Künstlers. Stufen] in Moskau. Kandinskij selbst übersetzte den deutschen Text von 1913 ins Russische, wobei er Ergänzungen und Änderungen vornahm, vgl. Roethel 2004, 15–17. Die Veränderungen sind im Anmerkungsteil von Kandinsky 2004a, 147–171, verzeichnet. 70 Dass Kandinskij diesen Konflikt zu entschärfen versuchte, geht aus Christopher Shorts Ausführungen über die nach der Revolution in Russland verfassten Texte Kandinskijs hervor. Short beobachtet darin „a shift in vocabulary and emphasis“, was sich äußerte in „the marginalisation, at times complete negation of the spiritual/mystical language that was so important prior to the revolution“ und, im Gegenzug, „the adoption of overtly political terms“. Short 2010, 93–116 (Zitate auf S. 93, 105). Dass es sich dabei um ein Zugeständnis handelte, verdeutlichen u. a. die von Short (ebd., 112 f.) konstatierten sprachlich-inhaltlichen Spannungen (tensions) innerhalb der Texte Kandinskijs.

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im russischen Kunstleben relativieren, dies aber nur so weit, als Kandinskijs grundlegende Bedeutung und sein Ansehen bei der deutschen Leserschaft unangetastet blieben. Das Wissen um diese zweifache Intention hilft, das schillernde Bild zu verstehen, das Umanskij von Kandinskij zeichnete. Dieses war nicht zuletzt Kandinskijs Scharnierfunktion zwischen Russland und Deutschland geschuldet. Kaum ein Künstler eignete sich so sehr wie Kandinskij dazu, die Verbindungen zwischen beiden Ländern zu erneuern, spielte er doch sowohl im russischen als auch im deutschen Kunstleben eine bedeutende Rolle. Obwohl Umanskij offenbar ein von Kandinskij abweichendes Verständnis von Kunst und der Rolle des Künstlers vertrat, stimmte er in einem zentralen Anliegen mit Kandinskij überein: der „Wiederherstellung der Internationale der Kunst“71. Das Anliegen, Sowjetrussland aus der kulturellen Isolation herauszuführen, bildet auch den Schlussakkord von Umanskijs Buch über Neue Kunst in Rußland, wenn er darauf hinweist, daß sämtliche russische Künstlergruppen sich in der ungeduldigen Sehnsucht nach der Wiederaufnahme des internationalen Kunstverkehrs vereinigen, um endlich der sechsjährigen (!) Abgeschlossenheit der russischen Kunst ein Ende zu schaffen. Abgehend von allen politischen und wirtschaftlichen Momenten, rechnen wir besonders auf einen Austausch geistiger und künstlerischer Werte zwischen Deutschland und Rußland.72

Selbstverständlich standen hinter dem Wunsch nach künstlerischem Austausch nicht nur kulturelle Interessen. Die Kunst versprach eine Tür in den Westen aufzutun, durch die man das neue Russland aus seiner außenpolitischen Isolation befreien und Sympathisanten für den „Weltsozialismus“73 gewinnen konnte. Der „Revolutionsdichter“ Vladimir Majakovskij bekräftigte diese politisch-ideologische Funktion (oder Funktionalisierung) der Kunst und die damit verbundenen Erwartungen, indem er notierte: „Europa, das sich unserem politischen Einfluß zu entziehen sucht, vermag jedoch nicht, das Interesse an Rußland zu unterdrücken, und bemüht sich deshalb, diesem Interesse ein Ventil auf dem Gebiet der Kunst zu öffnen.“74 Die Entsendung von „Kunstbotschaftern“ wie Konstantin Umanskij war nicht die einzige Maßnahme, mit der Sowjetrussland um die Gunst Europas warb. Majakovskij schrieb die eben angeführten Worte aus Anlass einer weiteren solchen Unternehmung:

71 72 73 74

Umanskij [1920] 1975d, 30. Zu Kandinskijs Internationalismus vgl. Short 2010, 93–105. Umanskij 1920, 55 f. Vgl. die oben zitierte Mitteilung des IZO NARKOMPROS: Meždunarodnoe Bjuro 1919a. M. [= V. Majakovskij]: Ausstellung bildender Kunst der RSFSR in Berlin. In: Krasnaja niva [Roter Acker] Nr. 2 (1923), 25. Zit. nach: Lapschin 1985, 562. Das originale Zitat lautet: „Pytajuščajasja otstranit’sja ot nas političeski Evropa ne v silach sderživat’ interesa k Rossii, staraetsja dat’ vychod ėtomu interesu, otkryvaja otdušiny iskusstva.“ Majakovskij [1923] 1957, 263.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

Die Rede ist von der Ersten Russischen Kunstausstellung, die 1922 in der Berliner Galerie van Diemen eröffnet wurde.

3.2 Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Ber lin: Die R el ativierung K andinskijs im Kontext der russischen „R evolutionskunst“ Rußland hat durch seine Dichtung die Welt erobert. […] In der Tonkunst ist der Einfluß schon geringer trotz bedeutender Meister und der internationalen Geltung, die gerade die jüngste russische Musik gewonnen. Am schwächsten aber war stets die Wirkung der bildenden Kunst. Wir wußten eigentlich nie viel von ihr und in anderen Ländern wußte man noch weniger. Nur einige hübsche Talente waren bekannt, wie Repin oder Somoff. Als man – vor etwa 15 Jahren – bei Schulte eine große retrospektive russische Kunstausstellung zu sehen bekam, fand man vorzügliche Maler […], aber kaum eine große bezwingende Persönlichkeit.75 […] Durch den Krieg wurde die ohnehin schon schwache Beziehung vollkommen abgeschnitten. Unser Interesse für russische Kunst wuchs aber im Zusammenhang mit der Liebe zur russischen Dichtung. Wir beschäftigten uns mit der altrussischen Malerei, die in ihren Ikonen uralte Ueberlieferung festgehalten hat, mit der derben, kraftvollen, naiv mystischen Volkskunst[,] mit der Baukunst, die bei aller Abhängigkeit vom Westen eine eigene Größe besitzt. Auch einige moderne russische Künstler, der wundersame Symboliker und Erzähler Chagall, der Farbensinfoniker Kandinski, der preziöse Bildhauer Archipenko, entzückten, fanden Nachahmer. Als nach der Revolution die Flucht der russischen Bourgeoisie immer stärker einsetzte, kamen viele russische Maler zu uns. Russisches machte sich nicht nur in unserm Gesellschaftsleben und Theater, sondern auch in unsrer jüngsten Kunst geltend. Allmählich aber hörte man von der unterdessen unter dem Sowjetstern heranblühenden Kunst die wundersamsten Dinge. Alle Augenblicke entstand hier eine neue Richtung, ein neuer Stil, ein neues Genie. Sollte wirklich die bis dahin schlummernde bildnerische Kraft des russischen Volkes entbunden sein und die Welt mit einer großen Kunst beglücken? Die erste russische Kunstausstellung, die von dem Volkskommissariat für Kunst und Wissenschaft in den schönen neuen Räumen der Galerie van Diemen Unter den Linden veranstaltet wird, befriedigt nun wenigstens etwas unsere Neugier […].76

Nach dem großen Bruch durch Krieg und Revolution war die am 15. Oktober 1922 in Berlin eröffnete Erste Russische Kunstausstellung „der erste Versuch [von russischer und von deutscher Seite; S. B.], zu einer Völkerverständigung mit den Mitteln der bildenden 75 Es wird hier Bezug genommen auf die 1906 in der Berliner Galerie Schulte präsentierte Ausstellung Zwei Jahrhunderte russischer Kunst. Vgl. dazu Raev 2000b, 750–756. 76 Landau 1922.

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Kunst zu gelangen“77, und zugleich die erste Überblicksschau sowjetrussischer Kunst im Westen. Was Konstantin Umanskij auf dem Papier nur behelfsmäßig hatte vermitteln können: nämlich welchen Verlauf die russische Kunst seit 1914 genommen hatte, sollte die Erste Russische Kunstausstellung den Deutschen nunmehr anhand der Originale vor Augen führen.78 Die Erste Russische Kunstausstellung war nicht die erste Ausstellung in Deutschland, in der Werke aus Kandinskijs „russischer Zeit“ zu sehen waren.79 Was sie für eine Rezeptionsgeschichte Kandinskijs so besonders macht, ist zweierlei. Erstens: In der Ersten Russischen Kunstausstellung wurde Kandinskijs Schaffen erstmals in einer groß angelegten Schau in Deutschland zusammen mit der Kunst der sowjetischen Avantgarde präsentiert, wobei hier vor allem die Beispiele der ungegenständlichen Richtungen des Suprematismus und des Konstruktivismus interessieren. Die Exponate bildeten einen neuen Bezugsrahmen, in den Kandinskijs abstrakte Malerei gestellt wurde. Hinzu kommt zweitens, dass es sich um eine Ausstellung des sowjetrussischen NARKOMPROS handelte, was auf dem Ausstellungsplakat und im Katalog auch kommuniziert wurde. Im Unterschied zu den „russischen“ Ausstellungen der Berliner Galerie Der Sturm und der Galerie von Garvens in Hannover80 hatte man es auf der Ersten Russischen Kunstausstellung mit Werken zu tun, die in staatlichem Auftrag zusammengestellt worden waren. Das Publikum konnte mithin erwarten, einen offiziellen Einblick in das neue Russland zu erhalten.

77 Roters 1988, 21. 78 In ihrem grundlegenden, erstmals 1962 erschienenen Buch The Great Experiment. Russian Art 1863–1922 misst Camilla Gray der Ersten Russischen Kunstausstellung eine singuläre Bedeutung bei: „This exhibition remains by far the most important and the only comprehensive exhibition of Russian abstract art to have been seen in the West.“ Zit. nach der Ausgabe: Gray 2000, 275. 79 Die Berliner Galerie Goldschmidt-Wallerstein hatte bereits vom 30. April bis zum 15. Juni 1922 eine Einzelausstellung von Kandinskij ausgerichtet, in der Arbeiten der letzten drei Jahre zu sehen gewesen waren, vgl. Haxthausen 1984, 79. Laut Kandinskijs Hauskatalog waren in Russland entstandene Werke 1922 auch in der Ersten Internationalen Kunstausstellung in Düsseldorf (Juni), in der Münchner Galerie Thannhauser (Juli) sowie in Weimar (August) zu sehen gewesen, vgl. die entsprechenden Hinweise in Roethel/Benjamin 1984, Nr. 663, 668, 673, 675–682. 80 Im Februar 1921 veranstaltete Herwarth Walden in der Sturm-Galerie eine Einzelpräsentation von Ivan Puni, der im Herbst 1920 nach Berlin gekommen war. Von den mehr als 200 ausgestellten Werken war rund ein Viertel suprematistisch. Vgl. Neundorfer 2003, 209, Anm. 186; Lodder 2017. Die Ausstellung Russische Kunst, die im März und April 1921 in der Galerie von Garvens in Hannover stattfand, zeigte laut Katalog Arbeiten von Archipenko, Šagal, Robert Genin, Efim Golyšev, Aleksej Javlenskij, dessen Sohn Andrej Neznakomov-Javlenskij (im Katalog verballhornt zu „NasnadomoffJawlensky“), Adja Junker, Kandinskij, Puni, Franz Radziwill (!), Lazar’ Segal, Marianna Verefkina, ferner illustrierte Bücher von Sonja Delaunay-Terk, Gončarova und Larionov, russische Literatur und sowjetische Plakate, russische Ikonen, Haus- und Taschenaltäre, sog. Volkskunst, Keramik, Webereien, Stickereien. Vgl. Ausst.Kat. Hannover 1921.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

Die komplizierte Entstehungsgeschichte der Ersten Russischen Kunstausstellung wurde in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts grundlegend aufgearbeitet. Höhepunkte in der Beschäftigung mit der Schau markierten 1983 eine Gedenkausstellung in der Galerie Annely Juda Fine Art in London81 sowie 1988 die von der Berlinischen Galerie veranstaltete Ausstellung Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland.82 Mit Verweis auf die bereits erschienenen Publikationen will ich mich hinsichtlich der Organisation der Ausstellung im folgenden Abschnitt kurzfassen.83 Als Quellenmaterial für die Untersuchung der Ersten Russischen Kunstausstellung dienen neben dem begleitenden Katalog84 27 Artikel und Rezensionen, die anlässlich der Ausstellung verfasst wurden.85 Der Übersichtlichkeit halber werden sie hier en bloc verzeichnet: Alexander 1922a; Dies. 1922b; Anonym 1922a; A. Wi. 1922; Bauer 1922; Behne [1922] 1978a; Boetsch 1923; Dmitriev 1922; Donath 1922; Dresdner 1923; Glaser 1922; Kassák [1922] 1987; Kuhn 1922; Landau 1922; L. B. 1922; Lunačarskij [1922] 1982; Majakovskij [1923] 1957; Osborn 1922; Pašennyj 1922; Poplavsky 1974; Scheffler 1923; Schikowski 1922; Servaes 1922; Spael 1922; Stahl 1922; Tatarinov’’ 1922; Westheim 1922b.86

81 Vgl. Ausst.Kat. London 1983. 82 Vgl. Ausst.Kat. Berlin 1988c. Neben dem Katalog erschien begleitend zur Ausstellung eine Mappe mit zehn Reprints historischer Kataloge (darunter auch der zur Ersten Russischen Kunstausstellung) und einem Kommentarband. 83 Vgl. Neumann 1967; Nerdinger 1981; Nakov 1983; Nisbet 1983; Lapschin 1985; Olbrich 1987; Adkins 1988b; Richter 1988; Mansbach 1993; Avtonomova 2007. – An der Universität Hamburg schreibt Miriam Leimer (geb. Häßler) eine Doktorarbeit über die Erste Russische Kunstausstellung. Vgl. ihren Aufsatz über die Rezeption der Ausstellung durch die deutschen Künstler Hans Richter und Kurt Schwitters: Hässler 2017. 84 Ausst.Kat. Berlin [1922] 1988b. 85 Beim Zusammentragen von Presseberichten konnte ich auf die bibliographischen Angaben bei Bella Čistova (= Tschistowa 1986) und Helen Adkins (1988b) zurückgreifen. Für den Hinweis auf die Rezension von R. Pašennyj (1922) danke ich Miriam Leimer. 86 Ein paar Hinweise zu den Texten: Es befinden sich darunter vier russischsprachige Rezensionen, die der im „russischen Berlin“ erschienenen Emigrantenpresse entnommen sind (Anonym 1922a; Dmitriev 1922; Pašennyj 1922; Tatarinov’’ 1922). Vier Beiträge wurden im Ausland veröffentlicht: die Besprechungen von Lajos Kassák und Bartlin Boetsch in Wien bzw. Zürich, die Artikel von Lunačarskij und Majakovskij in Russland. Ihre Hinzuziehung erscheint dennoch sinnvoll, um bei der Rekonstruktion der Ausstellung eine breitere Basis zu haben. Der (unvollendete) Text von Boris Poplavskij stammt aus einem Notizbuch und ist zu Lebzeiten nicht publiziert worden.

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3.2.1 Die Organisation87 Noch im Jahr 1918 wurde seitens des IZO NARKOMPROS der Versuch unternommen, die abgerissenen Beziehungen zu Deutschland neu zu knüpfen – „a country which had itself just undergone a revolution and was in these years the main hope for the internationalist aspirations of Bolshevism“88. Ein entsprechender, von Kandinskij mitunterzeichneter „Aufruf der russischen fortschrittlichen bildenden Künstler an die deutschen Kollegen“ wurde vom Berliner Arbeitsrat für Kunst, zu dessen führenden Mitgliedern der Kunstkritiker Adolf Behne (1885–1948) und der Architekt Walter Gropius (1883–1969) gehörten, positiv erwidert.89 Das Fundament für die Erneuerung des internationalen Kunstlebens sollte im Rahmen eines deutsch-russischen Kongresses gelegt werden, der jedoch nicht zustande kam; auch die von deutscher Seite vorgetragene Idee eines gegenseitigen Austausches von Ausstellungen verlief zunächst im Sande.90 1921 wurde ein neuer Anlauf gestartet. Am 3. März schrieb Behne an Gropius: „Kandinsky bietet dem AfK [= Arbeitsrat für Kunst; S. B.] […] eine umfangreiche Ausstellung von neuer russischer Kunst an, einschließlich ausgewählter Proben der neuen Kunstschulen.“91 Nisbet schließt daraus, dass Kandinskij offenbar mit der Organisation der Ausstellung betraut war – „an obvious choice given his eminent position in the Soviet cultural bureaucracy, his status as an artist and his intimate connexions with Germany. His name clearly served as a guarantee of quality for Germans sceptical about current standards in Soviet art.“92 Doch auch dieses Vorhaben zeitigte keine unmittelbaren Erfolge. Vor dem Hintergrund des jüngsten linksradikalen Angriffes auf die Weimarer Republik („Märzaktion“) schien den deutschen Behörden das Risiko offenbar zu hoch,

87 Dieser Abschnitt basiert auf den konzisen Ausführungen bei Nisbet 1983. Parallele oder ergänzende Hinweise zur (Vor-)Geschichte der Ausstellungsorganisation finden sich u. a. bei Lapschin 1985, insb. 553–555, 560–562; Adkins 1988b, insb. 185–187; Richter 1988, insb. 97–114. 88 Nisbet 1983, 67. Vgl. Lapschin 1985, 554; Adkins 1988b, 185; Richter 1988, 97 f. 89 Vgl. Nisbet 1983, 67 f.; Lapschin 1985, 554 f.; Adkins 1988b, 185; Richter 1988, 98–100. Der Arbeitsrat für Kunst (1918 bis 1921) wurde im Anschluss an die Novemberrevolution 1918 gegründet. In ihm vereinigten sich Architekten, bildende Künstler und Kunstschriftsteller, die Visionen für die Kunst und Architektur in einer von ihnen erhofften neuen Menschengemeinschaft hatten. Vgl. den Eintrag „Arbeitsrat für Kunst“ in: Olbrich (u. a.) 2004a, 235 f. 90 Vgl. Nisbet 1983, 67 f.; Adkins 1988b, 185; Richter 1988, 99 f. 91 Zit. nach: Ausst.Kat. Berlin 1980, 123. 92 Nisbet 1983, 69. Nisbets vorsichtigere Formulierung „Kandinsky was apparently to organise the exhibition“ (ebd. Hervorh. S. B.) wird bei Adkins (1988b, 185) – ohne Heranziehung weiterer Belege – zur Gewissheit: „Kandinsky […] sollte die Ausstellung organisieren.“

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

Abb. 12: Erste Russische Kunstausstellung in der Galerie van Diemen, Berlin, 1922, u. a. mit David Šterenberg (links), Natan Al’tman (Mitte) und Naum Gabo (Zweiter von rechts), photographiert von Willy Römer

durch eine sowjetrussische Ausstellung zusätzlich Öl ins Feuer der innenpolitischen Auseinandersetzungen zu gießen.93 Für die Realisierung der Ersten Russischen Kunstausstellung, auf der sich Sowjetrussland offiziell dem Westen präsentierte, dürfte der Abschluss des Vertrags von Rapallo im April 1922 eine entscheidende Bedeutung gehabt haben.94 Bereits im Februar hatte Lunačarskij die Leitung der Ausstellung David Šterenberg übertragen, der von Natan 93 Vgl. Nisbet 1983, 69; Mansbach 1993, 308. Zur „Märzaktion“ vgl. Kolb 2010, 71. – Konstantin Umanskij spielte in der Vorgeschichte der Ersten Russischen Kunstausstellung nachweislich eine Rolle. Nisbet (1983, 69) zufolge trat Umanskij Anfang April 1921 gegenüber dem Auswärtigen Amt als Vertreter des IZO NARKOMPROS auf, wobei er dem Wunsch seiner Regierung Nachdruck verliehen habe, eine Ausstellung für das deutsche Publikum auszurichten. Nisbet bezieht sich auf eine Akte im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Bonn (heute: Berlin): Abt. IV Russland, Ausstellungswesen Russland, Bd. 1, Forts. Bd. 2 April 1921–Januar 1923. 94 Vgl. Nisbet 1983, 69 f.; Adkins 1988b, 187; Richter 1988, 110. Wie der Historiker Manfred Hildermeier erklärt, befanden sich Deutschland als Kriegsverlierer und der junge Sowjetstaat außenpolitisch in einer isolierten Lage, aus der sie sich durch gemeinsame Abkommen zu befreien versuchten. Im Mai 1921 schlossen die beiden Staaten einen Handelsvertrag miteinander ab, im April 1922 setzten sie im Vertrag von Rapallo der diplomatischen Blockade ein Ende. Vgl. Hildermeier 2001, 30–34.

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Al’tman und dem Bildhauer Naum Gabo (1890–1977) unterstützt wurde.95 Kandinskij befand sich damals schon in Deutschland und war offenbar nicht weiter in die Ausstellungsplanung involviert.96 Die Erste Russische Kunstausstellung wurde am 15. Oktober 1922 in den neu eingerichteten Räumen der Galerie van Diemen Unter den Linden 21 eröffnet und dauerte bis zum Jahresende an. Mit Šterenberg, Al’tman und Gabo oblag die Organisation der Ausstellung drei progressiven Repräsentanten der russischen Künstlerschaft, was sich in der Umsetzung auch bemerkbar machte. Freilich: Sie handelten nicht in Eigenregie, sondern hatten offenkundig dem Auftrag gerecht zu werden, die russische Gegenwartskunst in ihrer gesamten Breite vorzustellen. Nichtsdestotrotz bestand die Möglichkeit, durch die Auswahl und Hängung der Werke Akzentsetzungen, Kommentierungen und Wertungen vorzunehmen. Wie die Lektüre der Quellen zeigt, verstanden es die Organisatoren, diese Möglichkeit zu nutzen. 3.2.2 Das Ausstellungskonzept Die auf der Ersten Russischen Kunstausstellung gezeigten Werke standen unter einem gemeinsamen Banner. Es verband sie die Absicht, „Westeuropa alles das zu zeigen, was geeignet ist, über die schöpferischen Errungenschaften der russischen Kunst in den Kriegsund Revolutionsjahren Aufschluß zu geben“97. Hierdurch sollte einer Annäherung des Westens an Sowjetrussland der Weg bereitet werden.98 Der Ausstellungskatalog verzeichnet knapp 600 Nummern, darunter 237 Gemälde und 33 Skulpturen. Bei den Arbeiten auf Papier (301 Nummern99) und den Beispielen der angewandten Kunst (25 Nummern) sind zum Teil ganze Objektgruppen unter einer Nummer gelistet, sodass die Gesamtzahl

95 Vgl. Nisbet 1983, 71; Lapschin 1985, 554; Adkins 1988b, 186 f.; Richter 1988, 114. In einem Leserbrief an die Zeitschrift Studio International erklärte Gabo, dass ausschließlich die Personen, die auf der von ihm beigelegten Photographie (d. i. Abb. 12) zu sehen sind, an der Organisation der Ersten Russischen Kunstausstellung beteiligt gewesen seien – also nicht, wie oft behauptet werde, Ėl’ Lisickij. Vgl. Gabo 1971. 96 Entgegen anderslautenden Behauptungen, die die Braunschweigische Landeszeitung 1924 veröffentlichte, beteuerte Kandinskij, er habe die „russische Kunstausstellung nicht geleitet und mit dieser Ausstellung persönlich nichts zu tun gehabt“ (Kandinsky 1924a). Vgl. unten Kap. 4.6.1. 97 Sterenberg [1922] 1988, 3. 98 Es gab Pläne, die Erste Russische Kunstausstellung noch in andere Städte zu schicken, so nach Paris und New York. Tatsächlich war sie nach der Präsentation in Berlin nur noch im Amsterdamer Stedelijk Museum zu sehen (29. April bis 28. Mai 1923). Vgl. Nerdinger 1981, 148; Adkins 1988b, 193; Gough 2005, 158. 99 Die Nummern 399a und 469a sind hier separat gewertet.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

der Exponate über 1100 betrug.100 Die Ausstellung deckte ein breites Spektrum des Kunstschaffens in Russland ab und signalisierte damit die Offenheit der Sowjetregierung gegenüber den Bestrebungen sowohl der „linken“ als auch der „rechten“ Künstler.101 Ein Gros der Rezensenten würdigte den Umfang und die Bandbreite der Ausstellung oder begrüßte sie als einen Beitrag zur Völkerverständigung.102 Dem Charakter einer Überblicksschau entsprach der Versuch einer Systematisierung nach Gruppierungen bzw. künstlerischen Positionen. Aus der Einführung im Katalog lässt sich folgendes Schema gewinnen: peredvižniki [Wanderer] (u. a. Viktor Vasnecov, Abram Archipov) – Impressionisten (u. a. Stanislav Žukovskij, Konstantin Korovin, Konstantin Juon) – Mir iskusstva (Boris Kustodiev, Aleksandr Benua, Mstislav Dobužinskij) – Bubnovyj valet [Karo-Bube] (u. a. Il’ja Maškov, Petr Končalovskij, Aristarch Lentulov)103 – Expressionisten (u. a. David Burljuk, Mark Šagal, Pavel Filonov) – Primitivisten (u. a. Martiros Sar’jan, Iosif Škol’nik) – Kubisten (u. a. Nadežda Udal’cova, Anton Pevzner, Ivan Puni) – Übergang von der kubistischen zur gegenstandslosen Malerei (u. a. Varvara Stepanova, Vladimir Baranov-Rossiné) – Suprematisten (u. a. Malevič, Ivan 100 Vgl. Richter 1988, 128, Anm. 63; ferner Lapschin 1985, 563 („mehr als tausend Arbeiten“); Adkins 1988b, 185 („etwa 1000 Werke“); Mansbach 1993, 311 („more than 1.000 artifacts“). Der Katalog liefert allerdings kein getreues Spiegelbild dessen, was in der Ausstellung zu sehen war. So lesen wir darin nichts von Filipp Maljavin, der in den Rezensionen als teilnehmender Künstler angeführt wird. Darüber hinaus äußert Richter (1988, 115) Zweifel, ob in der Galerie van Diemen tatsächlich genügend Platz vorhanden war, um alle im Katalog verzeichneten Werke auch auszustellen. 101 Vgl. Mansbach 1993, 311 f. 102 So schrieb Osborn (1922): „Zum erstenmal erfahren wir durch diesen weitausgreifenden Ueberblick, was die Maler und Bildhauer im Osten seit den Tagen getrieben haben, da sich die Schlagbäume zwischen den Völkern niedersenkten.“ Vgl. auch Alexander 1922a; Bauer 1922, 869; Donath 1922, 95; Glaser 1922; L. B. 1922; Schikowski 1922; Spael 1922; Westheim 1922b, 494. Indes meldete Karl Scheffler (1923, 101) Bedenken gegen die politisch-diplomatische Vereinnahmung der Kunst im Kontext solcher „Propagandaausstellungen“ an – auch dann, wenn diese im Zeichen einer „‚Annäherung der Völker‘“ stünden: Das Resultat sei eine Kunstkritik, die aus falsch verstandener Rücksichtnahme Negativurteile außen vor lasse. „Die Kunst steht zu hoch, um politisch gebraucht, ja mißbraucht zu werden; […] es sollte bei ihrer Beurteilung nicht nur nicht gelogen, sondern auch nichts unterdrückt werden.“ Umso freimütiger bekundete Scheffler, die Erste Russische Kunstausstellung sei „schlecht und langweilig“. Und in der Deutschen Zeitung wurde die Ausstellung mit ihrer demonstrativen Offenheit gegenüber allen Richtungen als „ein ungemein klug erdachtes Blendwerk“ bezeichnet, als „einer der gerissensten Werbeeinfälle der mit allen Wassern gewaschenen Sowjet-Diplomatie“, der von dem tatsächlich in Sowjetrussland stattfindenden „Terror“ und der „radikalen Zerstörung“ ablenke (A. Wi. 1922). 103 Bubnovyj valet [Karo-Bube] war der Titel einer 1910/11 in Moskau veranstalteten Avantgarde-Ausstellung, aus deren Teilnehmern sich später die gleichnamige Künstlergruppe rekrutierte. Die führenden Neoprimitivisten Larionov und Gončarova, die das Gesicht der Ausstellung mitgeprägt hatten, distanzierten sich von der Vereinigung, deren Mitglieder insbesondere als Vertreter des russischen Cézannismus in die Kunstgeschichte eingingen. Vgl. Pospelov 2001. Auf der Ersten Russischen Kunstausstellung waren keine Werke von Larionov und Gončarova zu sehen, vgl. Pašennyj 1922, 11; Poplavsky 1974, 64.

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Kljun, Ol’ga Rozanova, Ljubov’ Popova, Aleksandra Ėkster, Ėl’ Lisickij, teilw. Aleksandr Rodčenko) – Kandinskij – Tatlin – Produktionskunst (u. a. Rodčenko, Gustav Klucis) – Al’tman – Šterenberg – Gabo – Werke von Schülern der Kunstschulen – Arbeiten der Staatsporzellan- und Graviersteinfabrik – Theater-Entwürfe (Georgij Jakulov, Al’tman, Ėkster, Ksenija Boguslavskaja) – Revolutionsplakate.104 Etwa die Hälfte der Rezensenten ging – in unterschiedlichen Graden der Übereinstimmung und Ausführlichkeit – nach diesem Muster vor.105 Dies spricht einerseits für eine starke Orientierung am Katalog, der angesichts der schlechten Quellenlage zur russischen Gegenwartskunst als Information aus erster Hand wohl besonders sorgfältig gelesen wurde. Auf der anderen Seite lässt die häufige Wiederholung des im Katalog entfalteten Schemas darauf schließen, dass dieses Schema der Ausstellungspräsentation selbst zugrunde lag. Dabei fällt neben der Ordnung nach Gruppierungen noch ein Weiteres auf: Die Reihenfolge, in der die einzelnen Richtungen bzw. Positionen genannt werden, suggeriert eine Entwicklungslinie. Sie führt von den peredvižniki über die verschiedenen „Ismen“ hin zur Produktionskunst – und von dort zu neuen Lösungen bei David Šterenberg und Natan Al’tman. Solch eine Chronologie lässt sich auf dem Papier freilich einfacher darstellen als in den Räumlichkeiten einer gegebenen Galeriearchitektur. Inwieweit die Ausstellungsbesucher die beschriebene Entwicklungslinie beim Gang durch die Galerie van Diemen nachvollziehen konnten, ist ohne Kenntnis der entsprechenden Grundrisse nur schwer zu beurteilen.106 Die wenigen Photographien, die die Erste Russische Kunstausstellung dokumentieren, sind in dieser Frage leider wenig hilfreich.107 Man bleibt somit auf die Rezensionen angewiesen. Zwar wird darin selten expressis verbis auf den Rundgang und 104 Anonym [1922] 1988. Der Verfasser dieser Einführung ist nicht genannt; man darf aber annehmen, dass es sich um einen der Künstler-Organisatoren – oder sie alle drei – handelte, die einen vergleichsweise großen Raum im Text einnehmen. Vgl. Nisbet 1983, 71; Adkins 1988b, 195, Anm. 30. Gabo zufolge wurde die Einführung von Šterenberg geschrieben, vgl. Lodder 2010, Anm. 37. 105 Vgl. Alexander 1922b; Anonym 1922a; Bauer 1922, 869; Donath 1922; Glaser 1922; Landau 1922; Osborn 1922; Pašennyj 1922; Schikowski 1922; Servaes 1922; Spael 1922; Tatarinov’’ 1922; Dresdner 1923, 315 f.; Poplavsky 1974, 63–65. 106 Das Haus Unter den Linden 21 (später: Nr. 37), in dem die Galerie van Diemen 1922 mit der Ersten Russischen Kunstausstellung ihre Abteilung „Gemälde Neuer Meister“ eröffnete, fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Eine noch vor dem Krieg veröffentlichte Monographie über die Geschichte des aus dem 18. Jahrhundert stammenden Gebäudes enthält weder Grundrisse noch Informationen über die Nutzung durch die Galerie van Diemen. Vgl. Ein Haus unter den Linden 1938. Die Grundrisse wurden meines Wissens auch an anderer Stelle nicht publiziert. Vielleicht befinden sie sich unter den Dokumenten über das Grundstück, die im Landesarchiv Berlin aufbewahrt werden. Für erste Auskünfte in dieser Sache danke ich Andreas Matschenz (Landesarchiv Berlin, Kartenabteilung). – Vgl. auch Unter den Linden 1997, 86 f. 107 Neben dem oft reproduzierten Bild, das die Organisatoren in einem der repräsentativen Ausstellungsräume zeigt (Abb. 12), ist mir noch je eine Porträtaufnahme von Šterenberg und Al’tman vor

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

die räumliche Disposition der gezeigten Werke eingegangen.108 Nichtsdestotrotz lassen die vorhandenen Hinweise (zusammen mit den zahlreichen Analogien zum Schema der Katalogeinführung) den Schluss zu, dass die Ausstellungspräsentation eine Entwicklung nachzuzeichnen versuchte und dass dies auch weitgehend gelang. So sprach der Rezensent der Germania von einer „historischen, leicht überblickbaren Gruppierung“109. Und Gertrud Alexander empfahl, „die Betrachtung im letzten Raum der unteren Etage zu beginnen“, wo die „alte Schule“ zu sehen war.110 Das Prinzip des synchronen Querschnitts durch die Kunst der Kriegs- und Revolutionsjahre konkurrierte mit dem Prinzip der diachronen Entwicklung. Aus didaktischer Sicht war die Wahl einer stilchronologischen Hängung überaus sinnvoll: Sie bot einen Anknüpfungspunkt bei der „alte[n] Schule“, deren Vertreter zumindest einigen Rezensenten noch bekannt waren.111 Zudem erleichterte sie den Vergleich mit der westeuropäischen Entwicklung. Allerdings trug diese Hängung zu dem Eindruck bei, die Ausstellung führe nicht einfach eine Abfolge, sondern vielmehr eine zeitliche Ablösung von Stilen vor Augen – und dies, obwohl ein Gemälde wie Kustodievs Kaufmannsfrau beim Tee (1918) (Abb. 13) in dieselbe Zeit datiert, in der Malevič an seiner Serie suprematistischer Kompositionen Weiß auf Weiß arbeitete.112 Es konnte so scheinen, als seien Realismus und Impressionismus im neuen Russland abgeschrieben. Umgekehrt wurden die jüngsten Stile von den Rezensenten fast automatisch als die sowjetischen Stile identifiziert. Dass der „linken“ Kunst die besondere Aufmerksamkeit der Presse zuteil wurde, versteht sich schon aufgrund ihres Neuigkeitswerts und der Erwartungen, dass ihren Werken bekannt. Vgl. Lazarev 1992, 162, Abb. unten rechts (Šterenberg); Adkins 1988b, 193, Abb. 5/24 (Al’tman). 108 Von der Abfolge der Informationen in den Texten allein kann nur bedingt auf die räumliche Ordnung der Exponate geschlossen werden. Schließlich handelt es sich beim Verfassen einer Ausstellungsrezension sowohl um einen medialen Übersetzungsprozess, der einer spezifischen Textlogik gehorcht, als auch um einen Selektions- und Reduktionsprozess, bei dem eine Vielzahl von Informationen und Eindrücken auf meist engem Raum dargestellt werden müssen. 109 Spael 1922. 110 Alexander 1922b. Vgl. Glaser 1922 („Brav historisch fängt es an mit Wasnetzow“); Osborn 1922; Spael 1922 („Die Entwicklungslinie beginnt bei den Realisten […] in den ersten Sälen“); Tatarinov’’ 1922, [2]. 111 „Im ganzen beginnt die Ausstellung dort, wo unsere alte Kenntnis aufhörte, und führt sie weiter fort.“ L. B. 1922. Mehrfach wird in den Besprechungen an die große Ausstellung Zwei Jahrhunderte russischer Kunst erinnert, die Ende 1906 in der Berliner Galerie Schulte zu sehen gewesen war. Sie war von Sergej Djagilev organisiert worden, den Katalog hatte Igor’ Grabar’ besorgt. Vgl. Landau 1922; Osborn 1922; Dresdner 1923, 315; Scheffler 1923, 101. Zur russischen Ausstellung 1906 vgl. Raev 2000b, 750–756, sowie Grabar 1907. 112 Ein Werk aus dieser Serie war, wie auch Kustodievs Kaufmannsfrau, in der Ersten Russischen Kunstausstellung zu sehen. Vermutlich handelte es sich um Weißes Quadrat auf weißem Grund (1918, Museum of Modern Art, New York).

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Abb. 13: Boris Kustodiev: Kaufmannsfrau beim Tee, 1918, Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm, Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg

die politische Revolution mit einer künstlerischen Revolution einhergehe.113 Jedoch war die starke Präsenz der jüngsten Richtungen unzweifelhaft von den Ausstellungsmachern intendiert, die ja selbst aus den Reihen der „linken“ Künstler stammten.114 Die Galerie van Diemen war über zwei Stockwerke hinweg zu bespielen.115 Unter dieser Voraussetzung bestand die Möglichkeit, einen dramaturgischen Schnitt durch die 113 Vgl. Lapschin 1985, 567, sowie unten Kap. 3.2.5. 114 Vgl. auch Mansbach 1993, 312. 115 Vgl. Anonym 1922a, 23 („Die Ausstellung nahm die zwei Etagen der […] Galerie ein“ [„Vystavka zanjala dva ėtaža […] gallerei“]); A. Wi. 1922 („die auf beide, durch bequemen Fahrstuhl und Treppenaufgang verbundene Stockwerke verteilte Ausstellung“); Majakovskij [1923] 1957, 261 f.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

Ausstellung zu setzen und den beiden Stockwerken eine binäre Semantik einzuschreiben: Im unteren Geschoss wurde die „alte“, konservative bzw. „rechte“ Kunst gezeigt, im oberen die „neue“, progressive bzw. „linke“ Kunst. Der Treppenaufstieg erhielt so eine symbolische Bedeutung: Es ging vor- bzw. aufwärts. Die Zweiteilung der Ausstellung nach konservativer und progressiver Kunst spiegelte sich in den Rezensionen wider. Der inhaltlichen und formalen Struktur der Berichte nach zu urteilen, verlief der Übergang zwischen Mir iskusstva und Bubnovyj valet oder zwischen Bubnovyj valet und den „Expressionisten“ (Šagal, Burljuk, Filonov etc.).116 Die zweigeschossige Gliederung hatte aber noch weitreichendere Konsequenzen für die Wahrnehmung der Exponate. So notierte Boris Poplavskij: „All the more or less ‚rightist‘ painters are assigned to almost completely dark rooms (or some sort of corridor or hallway).“117 Vergleichbare Kritik übte der Rezensent der Emigrantenzeitschrift Žar’’-Ptica (Der Feuervogel), indem er unter anderem bemängelte, dass Boris Kustodievs Kaufmannsfrau beim Tee „im Vorübergehen gezeigt wird, bloß in einem Winkelchen“ („Pokazannyj mimochodom’’, odnim’’ ugolkom’’“).118 Offenbar bestanden zwischen den Räumlichkeiten der beiden Stockwerke große Unterschiede. Werden die Räume der „rechten“ Kunst im unteren Stockwerk als dunkel und dicht behängt beschrieben, so mussten im Umkehrschluss mit den „umfangreichen und sehr brauchbaren Ausstellungsräume[n]“119, von denen in den Rezensionen auch die Rede ist, vor allem diejenigen in der oberen Etage gemeint gewesen sein. Die dort gezeigten Werke der „linken“ Kunst erschienen somit

116 Bei Dmitriev (1922) werden die Arbeiten von Bubnovyj valet explizit im oberen Ausstellungsbereich lokalisiert. Entsprechend befindet sich in Dresdners Text (1923, 315) die Zäsur vor den Künstlern von Bubnovyj valet (neuer Absatz mit den einleitenden Worten: „Dann aber findet man sich sogleich in neuem Land.“). – Dagegen ordnet Majakovskij ([1923] 1957, 261 f.) die Bubnovyj valet-Maler der unteren Etage zu. In Übereinstimmung damit setzt Servaes (1922) in seiner Besprechung den Schnitt zwischen peredvižniki/Impressionisten, Mir iskusstva und Bubnovyj valet einerseits und der „SowjetKunst“ andererseits (es beginnt ein neuer Absatz, dem die Worte vorangehen: „– und stürzen uns dann mutig in den Höllenrachen!“). Vgl. auch Anonym 1922a, 23; Landau 1922. Einen klärenden Hinweis in dieser Frage liefert Pašennyj (1922, 11): „Ein Teil der Arbeiten der Teilnehmer von ‚KaroBube‘ hängt in den unteren Räumen und beim Eingang, ein Teil oben.“ („Čast’ rabot učastnikov ‚Bubnovogo Valeta‘ razvešana v nižnich zalach i u vchoda, čast’ naverchu.“) 117 Poplavsky 1974, 63. Poplavskij ist insofern „unparteiisch“, als er sich über die Arbeiten sowohl der „rechten“ als auch der „linken“ Ausstellungsteilnehmer überwiegend reserviert oder polemisch äußert. 118 Anonym 1922a, 23. Vgl. auch Pašennyj 1922, 11, oder Dresdner 1923, 315: „In wenigen Sälen drängt sie [= die Ausstellung; S. B.] die Schöpfungen jener Künstler zusammen, deren Wurzeln noch auf die große, Anfang der neunziger Jahre in engem Zusammenhange mit dem Impressionismus erfolgte Erneuerung der russischen Malerei zurückreichen, um dann die neuen und allerneuesten Bestrebungen breit zu entfalten.“ 119 Scheffler 1923, 101. Vgl. Landau 1922 („in den schönen neuen Räumen der Galerie van Diemen“); Dresdner 1923, 314 („in den wohleingerichteten Räumen der Kunsthandlung van Diemen“).

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|  Neue Bekanntschaften Abb. 14: David Šterenberg: Stillleben mit Konfekt, 1919, Öl auf Leinwand, 71 x 53 cm, Privatbesitz

buchstäblich in einem besseren Licht.120 Mit Sicherheit wurde das berühmte Photo von den Organisatoren der Ausstellung im oberen Stockwerk aufgenommen: Der Raumeindruck ist hell und großzügig, die Exponate sind in gemessenen Abständen gehängt (vgl. S. 129, Abb. 12). Die Wirksamkeit der Inszenierung (einschließlich der im Katalog) kann anhand der Reaktionen auf die Werke der Ausstellungsmacher nachvollzogen werden. Von allen Teilnehmern erhielt Šterenberg, der künstlerische Leiter, am meisten Zuspruch von der 120 Wiederholt wurde auch bemerkt respektive beanstandet, dass die „rechten“ Künstler bei der Werkauswahl quantitativ und qualitativ benachteiligt worden seien, vgl. Anonym 1922a, 23; Landau 1922 („Es scheint fast, als ob man von den Aelteren nur weniger Gutes ausgesucht hätte, damit sie als Folie recht neutral wirken.“); Pašennyj 1922, 11; Servaes 1922; Tatarinov’’ 1922; Poplavsky 1974, 63 f. Lunačarskij ([1922] 1982, 117 f.), der dieses Ungleichgewicht in einem Bericht über die Erste Russische Kunstausstellung selbst einräumte, führte es auf rein organisatorische Gründe zurück. Vgl. auch Nisbet 1983, 71 f.; Lapschin 1985, 560 f., 565 f.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

Presse (Abb. 14). Auch Gabo und insbesondere Al’tman, die Mitorganisatoren, werden auffallend häufig besprochen und gelobt.121 Dabei spielten rein geschmackliche Faktoren gewiss auch eine entscheidende Rolle. Außer Frage steht jedoch, dass sich Šterenberg, Al’tman und Gabo einen exponierten und privilegierten Platz innerhalb der Ausstellung zugewiesen haben.122 3.2.3 Die Teilnahme Kandinskijs Nachdem die konzeptionellen Grundzüge der Ersten Russischen Kunstausstellung herausgearbeitet wurden, soll das Augenmerk nun speziell auf die Teilnahme Kandinskijs gerichtet werden. Die Präsentation seiner Werke in der Ausstellung ist leider nicht photographisch dokumentiert. Bei dem Versuch einer näherungsweisen Rekonstruktion muss daher erneut auf den Katalog und die Presseberichte zurückgegriffen werden. Der Katalog verzeichnet insgesamt drei Gemälde von Kandinskij (Nr. 79–81), zwei Federzeichnungen und eine Tuschezeichnung (Nr. 322–324).123 Sie tragen allesamt den Titel „Komposition“, was die Identifikation nicht eben leicht macht.124 Jedoch ist ein Gemälde im Abbildungsteil des Katalogs reproduziert: Es handelt sich um Spitzes Schweben von 121 Vgl. Osborn 1922: „Die wertvollste neue Bekanntschaft ist Sterenberg, kein Aufwühler, aber ein Maler von ungewöhnlichem Feingefühl. […] Daneben entzücken die Zeichnungen, graphischen Blätter und in großem Stil entworfenen Theaterarbeiten von N. Altmann; […].“ Und im Kontext der „ganz Abstrakten“ heißt es ebd.: „Gestaltende Kraft, die bezwingen könnte, lebt vielleicht einzig in dem Bildhauer Gabo.“ Vgl. ferner Anonym 1922a, 24; Bauer 1922, 869; Donath 1922, 96; Dmitriev 1922; Landau 1922; Kassák [1922] 1987, 78. Es fällt ins Auge, dass die Werke der Organisatoren auch solche Rezensenten überzeugten, die der Ausstellung insgesamt reserviert oder ablehnend gegenüberstanden, so Kuhn (1922) und Scheffler (1923, 101). 122 Vgl. Adkins 1988b, 188, 191 f. Poplavskij (1974, 63) bemerkt dazu: „The unfairness of the artist-organizers is everywhere glaringly present. About that there can be no argument. […] Altman is exhibited (and quite fully) in four aspects of his work […], and in the very best rooms.“ Šterenberg, Al’tman und Gabo nahmen sowohl in der Ausstellung selbst als auch im Katalog breiten Raum ein: So waren laut Katalog von Šterenberg elf Gemälde und 18 Arbeiten auf Papier zu sehen (zum Vergleich: von Malevič waren fünf Gemälde und eine Lithographie zu sehen). Auch im Abbildungsteil des Katalogs waren die Organisatoren mit ihren Arbeiten überdurchschnittlich gut vertreten. Zur Präsentation und Rezeption Gabos vgl. Adkins 1989; Hammer/Lodder 2000, 109–113; Lodder 2010. 123 Kandinskij (1924a) gab später zwar an, es seien in der Ausstellung „zwei [!] Bilder und einige kleine Arbeiten von mir gezeigt [worden]“. Adkins (1988b, 195, Anm. 43) zufolge sind auf der Zoll-Liste für die Ausstellung jedoch wie im Katalog drei Gemälde von Kandinskij eingetragen. Vgl. auch die Aufstellung bei Avtonomova 2003, 639, Nr. 6165, 6166, 6204, auf die mich Miriam Leimer aufmerksam gemacht hat. 124 Vgl. Ausst.Kat. Berlin [1922] 1988b, 18, 24. Kandinskij dürfte über die eigenmächtige Bezeichnung dieser Arbeiten als „Komposition“ nicht sonderlich erfreut gewesen sein, denn er behielt diesen Titel insgesamt nur zehn Gemälden vor, die eine zentrale Stellung in seinem Œuvre einnehmen; zwischen 1914 und 1922 ist aber keine Komposition entstanden. Vgl. Haldemann 2001, 94. – Karoline Hille

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Abb. 15: Vasilij Kandinskij: Spitzes Schweben, 1920, Öl auf Leinwand, 136 x 179 cm, Verbleib unbekannt

1920 (Abb. 15), dessen heutiger Verbleib nicht bekannt ist. Neben dieser Arbeit führt Will Grohmann eine weitere an, die in der Ersten Russischen Kunstausstellung zu sehen war: Der Grüne Rand, im gleichen Jahr entstanden und ebenfalls verschollen. Das dritte Bild, Naiv von 1916, wird heute im Kunstmuseum Krasnodar aufbewahrt (Taf. 5).125 Bei der ausgestellten Tuschezeichnung (Nr. 324) handelt es sich um ein unbetiteltes Blatt aus dem Jahr 1916, das sich heute im Besitz der Moskauer Tret’jakov-Galerie befindet.126 zitiert einen Brief aus dem Jahr 1927, in dem sich Kandinskij in einem anderen Kontext über die falsche Bezeichnung eines seiner Werke als „Komposition“ echauffiert, vgl. Hille 1994, 188. 125 Spitzes Schweben, 1920, Öl auf Leinwand, 136 x 179 cm (= Grohmann 1958, 333, Nr. 228; vgl. Roethel/Benjamin 1984, 619, Nr. 669). Spitzes Schweben ist für Grohmann (1958, 167) Kandinskijs „Hauptbild des Jahres 1920“; für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht, dass es zunächst als Komposition VIII konzipiert war. – Der Grüne Rand, 1920, Öl auf Leinwand, 120 x 140 cm (= Grohmann 1958, 333, Nr. 230 [Abb. auf S. 359, Nr. 123]; vgl. Roethel/Benjamin 1984, 625, Nr. 671). – Naiv, 1916, Öl auf Leinwand, 51,5 x 67 cm (= Grohmann 1958, 333, Nr. 205; vgl. Roethel/Benjamin 1984, 577, Nr. 599). In der Literatur findet sich das Gemälde auch unter den Titeln Die Naiven oder Ungegenständlich. Die Kenntnis über seine Präsentation in der Ersten Russischen Kunstausstellung verdanke ich Miriam Leimer. 126 Vgl. Barnett 2006a, 217, Nr. 428; Dies. 2006b, 18.

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Abb. 16: Tasse und Untertasse der Staatlichen Porzellanmanufaktur in Petrograd, um 1920 entworfen von Kandinskij

Des Weiteren sind im Ausstellungskatalog Porzellane der Staatlichen Porzellanmanufaktur in Petrograd abgebildet, von denen eine Tasse und eine Untertasse nach Entwürfen Kandinskijs gearbeitet sind (Abb. 16).127 Hinsichtlich der Gemälde Spitzes Schweben und Der Grüne Rand ist festzustellen, dass sie dem Format nach zu den größten, mithin repräsentativsten aus Kandinskijs Schaffenszeit in Russland gehören.128 Allein dadurch war ihnen unter der Vielzahl der Exponate eine gewisse Aufmerksamkeit sicher. Die stilchronologische Gliederung der Ausstellung erlaubt ferner den Schluss, dass die Werke in der oberen, „privilegierten“ Etage der Galerie van Diemen zu sehen waren. Des Weiteren heißt es bei Adolf Behne, „[d]aß man an die Schlußwand Kandinskys Bilder gehängt hat“129. Behnes Äußerung 127 Im Katalog (und in der Ausstellung?) wurden die Urheber der Porzellanentwürfe nicht genannt. Vgl. dazu Lapschin 1985, 567, Anm. 85. Kandinskijs Tasse und Untertasse sind in Westheims Artikel für das Kunstblatt mit der Unterschrift „W. Kandinsky: Bemalte Porzellantasse“ abgebildet, vgl. Westheim 1922b, 496 unten. Für eine Farbabb. vgl. Ausst.Kat. Berlin/Wien/Thessaloniki 2004, 292, Nr. 242a und 242b. 128 Zugrunde gelegt sind die Maßangaben der zwischen 1916 und 1921 entstandenen Werke im catalogue raisonné, vgl. Roethel/Benjamin 1984, 575–637. 129 Behne [1922] 1978a, 546.

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zufolge befanden sich Kandinskijs Gemälde also an einer Wand, vor der der Gang durch die Ausstellung enden konnte. Möglicherweise war diese „Schlußwand“ Kandinskijs Werken allein vorbehalten; dies würde mit seiner gesonderten Behandlung im Katalog korrespondieren, wo er keiner Gruppierung zugeordnet wird, sondern mit Bezug auf die Suprematisten als Künstler beschrieben wird, der „einen anderen Weg der gegenstandslosen Malerei einschlägt“130. Es spricht jedoch einiges dafür, dass suprematistische und konstruktivistische Werke in der näheren Umgebung der Kandinskij-Gemälde präsentiert wurden (unter dem gemeinsamen Nenner einer gegenstandslosen Kunst). In einem Interview erzählte Gabo rückblickend, Šterenberg habe ihn beauftragt, „the three galleries of abstract art“ in Berlin zu organisieren.131 Ob Kandinskijs Zeichnungen zusammen mit seinen Gemälden oder von ihnen getrennt gezeigt wurden, kann aus den mir vorliegenden Quellen nicht erschlossen werden.132 Das von Kandinskij entworfene Ensemble aus Tasse und Untertasse war sicherlich in einem eigenen Bereich mit den übrigen Porzellanen ausgestellt.133 3.2.4 Kandinskij im Spiegel der Rezensionen Mit welchem Vorwissen gingen die Leute in die Galerie van Diemen? Das Gros der auf der Ersten Russischen Kunstausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler hatte in Deutschland keinen Namen. Es ist verständlich, dass unter der Vielzahl von Teilnehmern – insgesamt waren es um die 180134 – die wenigen bekannten besonders herausstachen. Sie bildeten Orientierungspunkte, nicht nur beim Besuch der Ausstellung, sondern auch beim Verfassen (und Lesen) der Rezensionen. Bekannt waren vor allem die Vertreter der älteren Richtungen, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland ausgestellt

130 Anonym [1922] 1988, 12. 131 Frederick Starr und Kenneth Frampton: Russian Art in Revolution and Emigration: An Interview with Naum Gabo, Typoskript, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University, New Haven, 15. Zit. nach: Lodder 2010. 132 In der XIX. Staatlichen Ausstellung (XIX Gosudarstvennaja vystavka) 1920 in Moskau wurden Kandinskijs Arbeiten auf Papier unmittelbar neben bzw. zwischen seinen Gemälden präsentiert (unter Letzteren befanden sich die in der Ersten Russischen Kunstausstellung gezeigten Werke Spitzes Schweben und Der Grüne Rand). Vgl. Barnett 2006b, 18, Abb. 5. 133 In der Katalogeinführung und auch in einigen Besprechungen werden die Werke der angewandten Kunst separat zum Schluss behandelt, was auf ihre gesonderte Präsentation in der Ausstellung hindeutet. Max Osborn (1922) schreibt von einem „hübschen kleinen Theaterkabinett“, in dem die Theaterentwürfe zu sehen waren, R. Pašennyj (1922, 12) darüber hinaus auch von einer Abteilung für Porzellane und Arbeiten aus Stein. 134 Vgl. Lapschin 1985, 561.

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hatten.135 Einige Künstler, die um 1900 eine führende Rolle im russischen Kunstleben gespielt hatten, fehlten in der Ausstellung (Repin), wobei manche bereits verstorben waren (Levitan, Vrubel’).136 Das Bild von der neuen russischen Kunst hatten bis dahin insbesondere Kandinskij, Šagal, Archipenko und Javlenskij geprägt (Letzterer war nicht in der Ausstellung vertreten); dieses Bild war durch die Texte Konstantin Umanskijs und die im Februar 1921 veranstaltete Sturm-Ausstellung von Ivan Puni erweitert worden. Gewiss haben auch Gerüchte, Halbwahrheiten und Imaginationen die Erwartungen des Publikums und damit den Blick auf die Ausstellung mitbestimmt.137 In ihrer vermittelnden Rolle versuchten die Rezensenten, an das Vorwissen ihrer Leser anzuknüpfen. So beginnt Gertrud Alexander ihren Artikel mit der Feststellung: „Wenn wir in Deutschland, überhaupt in Westeuropa, an neueste russische Kunst denken, haben wir, abgesehen von Kandinsky, […] vielleicht zuerst die Vorstellung von Marc Chagall oder Archipenko.“138 Hinsichtlich der Rezeption Kandinskijs eröffneten sich von hier aus generell zwei Möglichkeiten: das bisherige Bild wurde aufrechterhalten (1) oder korrigiert (2).139 Da der Platz in den Zeitungen begrenzt war und man in der Ausstellung ja vermittelt bekam, „daß es auch andere Maler gibt als Kandinsky und Chagall, andere Bildhauer als Archipenko“140, sahen manche Rezensenten auch davon ab, auf Kandinskijs Teilnahme einzugehen (3). Diese drei Aspekte der Rezeption seien im Folgenden näher beleuchtet. (1) Kandinskij – nach wie vor. Dass der Bekanntheitsgrad der teilnehmenden Künstler einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Ausstellung hatte, lässt sich besonders gut am Beispiel des Dreigestirns Kandinskij, Šagal und Archipenko beobachten. Nicht von ungefähr sieht Max Osborn in Šagal die „stärkste Individualität“ innerhalb der

135 Ein Beispiel ist der Maler Filipp Maljavin (1869–1940), über den Glaser (1922) schreibt: „Vor zwanzig Jahren hatte er in einer Berliner Sezessionsausstellung mit einem Riesenbilde rotgekleideter, lachender Bäuerinnen einen großen Erfolg, und seither scheint er dieses Bild immer wiederholt zu haben.“ Gemeint ist wohl die VII. Ausstellung der Berliner Secession im Jahr 1903, auf der Maljavins Werk Das Lachen (1899) zu sehen war, vgl. Raev 2000b, 732 f., 738. Auch Spael (1922) erinnert sich an Maljavin, „der beim alten Thema geblieben ist und immer von neuem seine rotwangigen Bauernmädel malt“. 136 Vgl. L. B. 1922: „Im ganzen gibt uns die Schau gewiß ein anderes Bild von der russischen Kunst, als wir es uns sonst zu machen gewohnt waren; viele von denen, die offizielle Künstler des alten Rußland waren, sind ausgeschieden, so der erste Realist Rußlands Repin und der zarte Landschafter Levithan.“ 137 Umanskij (1920, 2 f.) schreibt von „verworrene[r] Kunde“, „Übertreibungen“ und „falschen Ansichten“, die bezüglich des russischen Kunstlebens im Westen kursierten. 138 Alexander 1922b. 139 Als Teilaspekte können (1) und (2) in einem Text auch gemeinsam auftreten. 140 Glaser 1922. Vgl. L. B. 1922: „[…] Temperamente […], wie Archipenko, Chagall, Ka[n]dinsky, sind uns ja in den verflossenen Jahren bereits durch die Ausstellungen des Sturm in der Potsdamer Straße genügend nahe gebracht worden […]. Andere, uns neue Namen, wie Filonow und Tatlin, verdienen unser Interesse.“

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neuen russischen Kunst, in Archipenko und Kandinskij die „besten Könner“.141 Auch der Rezensent der B. Z. am Mittag zählt Archipenko, Šagal und Kandinskij zu den „stärksten Temperamente[n]“142. Und Fritz Stahl erachtet als die „drei Persönlichkeiten, die etwas Besonderes zu geben versuchen – der Wert mag dahingestellt bleiben –, Kandinsky, Chagall, Archipenko“143. Die angeführten Textstellen zeugen von einer Rezeption, bei der die Begegnung mit Kandinskijs jüngeren Arbeiten keine signifikante Veränderung in der Beurteilung seines Schaffens zur Folge hatte. Paradigmatisch hierfür steht die Bemerkung von Wilhelm Spael, dass die Ausstellung von Kandinskij „nur Bekanntes“144 bringe. Dem Gesichtspunkt einer konstanten Rezeption möchte ich auch Aussagen wie die von Curt Bauer zurechnen, Kandinskij sei „nicht gerade in seinen besten Werken zu sehen“145. Denn es werden damit lediglich Qualitätsunterschiede von nicht elementarer Bedeutung festgestellt, wobei das bisherige Kandinskij-Bild seine Gültigkeit behält. Eine Weiterentwicklung Kandinskijs lässt sich aus den Rezensionen insgesamt nicht ablesen. – Was die Einschätzung seiner Stellung innerhalb der russischen Avantgarde betrifft, ist jedoch sehr wohl ein veränderter Blick wahrzunehmen: (2) Kandinskij – revidiert. Curt Bauers Artikel für den Cicerone enthält einen aus heutiger Sicht überraschenden Hinweis: Kandinskij wird dort zu den Suprematisten gezählt.146 Es stellt sich freilich die Frage, was Bauer zu dieser Zuordnung veranlasste bzw. was genau er unter „Suprematismus“ verstand (es ist lediglich von einer „gegenstandslosen Flächenkunst“ die Rede, die sich aus dem Kubismus entwickelt habe147). Doch ganz gleich, wie die Antwort lauten mag: Entscheidend ist, dass Malevič und Rodčenko von Bauer als „hervorragendste Vertreter“148 dieser Richtung angesprochen werden. Auch in Osborns Wahrnehmung steht nicht Kandinskij, sondern Tatlin „an der Spitze der ganz Abstrakten“149. Kandinskij verliert im Rahmen der Ausstellung seine herausgehobene Bedeutung als Galionsfigur der neuen russischen Kunst – jedenfalls zum Teil. In aller Deutlichkeit wird dies von Adolph Donath ausgesprochen: Wir hatten bisher keine richtige Vorstellung von der Kunstbewegung in Rußland, waren gewissermaßen falsch orientiert. Denn das klärt diese russische Ausstellung in der Galerie van

141 Osborn 1922. 142 L. B. 1922. 143 Stahl 1922. 144 Spael 1922. 145 Bauer 1922, 869. Vgl. Stahl 1922: „[…] Kandinsky, Chagall, Archipenko, kennen wir besser, als sie hier gezeigt werden.“ 146 Bauer 1922, 869. 147 Ebd. 148 Ebd. 149 Osborn 1922.

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Diemen auf, daß nämlich Kandinski, Chagall und Archipenko nicht die Repräsentanten der neuen russischen Kunst sind. Auch sie repräsentieren zwar russische Kunst und in ihrer Art gewiß ganz interessant, aber das, was sie uns brachten und bringen, verschwindet in der Menge der russsichen [sic] Kunstproduktion und ragt über sie kaum hinaus.150

Die überragende Bedeutung, die Kandinskij (wie auch Šagal und Archipenko) in der deutschen Vorstellung von russischer Kunst beigemessen wurde, wird in diesem Passus einer grundlegenden Revision unterzogen. Dabei geht es nicht allein um eine Neubewertung Kandinskijs (oder Šagals oder Archipenkos), sondern um eine Aktualisierung des Gesamtbildes von russischer Gegenwartskunst, das bislang von ein paar wenigen Auslandsrussen bestimmt gewesen war. Zu der Überzeugung, dass dieses Bild zurechtzurücken sei, gelangte auch Adolf Behne: Der Prozeß der Aufhebung des Bildes läßt sich ausgezeichnet verfolgen in der Russischen Ausstellung der Galerie Lutz.151 Daß man an die Schlußwand Kandinskys Bilder gehängt hat, ist wohl ein Zugeständnis an (irrtümliche) deutsche Vorstellungen von moderner russischer Kunst. Keineswegs ist das abstrakte Bild Kandinskys das letzte Wort der russischen Malerei. Die Führung liegt nicht bei Kandinsky, noch weniger bei Chagall […] – sie liegt bei den Konstruktivisten, den vortrefflich vertretenen Maléwitsch, Rodzenko, Lissitzki, den Tatlin, Altmann, Gabo.152

Behne erkannte, dass die Fragen, die die „Konstruktivisten“ aufwarfen (zu denen er hier auch Malevič rechnet), weit über Kandinskijs malerisches Konzept hinausgingen: […] es handelt sich darum, ob das Bild überhaupt noch das uns gegebene, das für uns fruchtbare Arbeitsfeld sein kann. Das Bild selbst macht eine Krisis durch – nicht, weil ein paar Maler sich das ausdachten, sondern weil der Mensch in seiner geistigen Struktur Veränderungen erfahren hat, die ihm das Bild entfremdeten. Das Bild ist eine aesthetische Angelegenheit; was 150 Donath 1922, 95. 151 Friedrich A. Lutz war der Leiter der Abteilung „Gemälde Neuer Meister“ der Galerie van Diemen, die mit der Ersten Russischen Kunstausstellung eröffnet wurde. Wenig später machte er sich an derselben Adresse selbständig. Vgl. Nerdinger 1981, 144, Anm. 418; Adkins 1988b, 187; Richter 1988, 124 f., Anm. 44. Bereits im Januar 1923 zeigte Lutz eine Einzelpräsentation von Šagal, die in der Presse als Ausstellung der „Galerie Lutz“ rezensiert wurde, vgl. Mandel 2003, 75–78. 152 Behne [1922] 1978a, 546. Man kann diese Passage ein Stück weit als Selbstkorrektur verstehen. So hatte Behne 1915 einen Aufsatz über die russische Kunst just mit Kandinskij und Šagal beendet: „Suchen wir nach russischen Malern der Neuzeit, die wirklich Züge des alten geheimnisvoll-chaotischen Russentums aufweisen, so finden wir den mehrfach erwähnten Wassily Kandinsky und den unendlich reich begabten Marc Chagall.“ Behne 1915, hier: Nr. 10, 80. Zu Behnes Schriften über russische Kunst vgl. Raev 2000a.

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aber die radikalen Künstler in allen Ländern wollen, das ist die unmittelbare Gestaltung der Wirklichkeit selbst (die Russen nennen es Produktionskunst), und diesem neuen großen Ziel […] gab Sowjet-Rußland zuerst Möglichkeiten und freie Bahn.153

Neben der „Aufhebung“ bzw. der „Krisis“ des Bildes, die sich in den suprematistischen und konstruktivistischen Werken manifestierte, zeigte die Ausstellung aber auch Ansätze einer Überwindung dieser Krise, die nicht auf die Überwindung des Bildes, sondern auf einen „Rückweg zum Bilde“154 hinausliefen. Die Stillleben von David Šterenberg etwa stellten einen Versuch dar, die Errungenschaften der abstrakten Avantgarde mit dem Gegenständlichen zu versöhnen. Paul Landau erklärte dazu: Der Russe hat eine starke Liebe zum Gegenständlichen. Deshalb ist er ein so fabelhafter Schilderer. Dieses Erleben der Wirklichkeit in einer ewigen und allgemeingültigen Art mag der Urgrund der letzten Phase der russischen Kunst sein, in der man zu den Gegenständen zurückkehrt, aber sie in einer abstrakten Stilisierung gleichsam als platonische Idee darzustellen sucht. […] Sterenberg, der wieder zum Gegenstande zurückkehrt und ihn rein flächenhaftfarbig [sic] mit äußerster Delikatesse behandelt. Er geht darin auch über Kandinski hinaus, der sich in seinen farbigen Stimmungen mehr und mehr zu rein dekorativen Lösungen entwickelt hat. Sterenberg vermag ein Beil, einen Teller usw. mit einer Intensität festzuhalten, daß wir das Beil schlechthin, den Teller zu erkennen meinen; […].155

Für einen Teil der Besucher der Ersten Russischen Kunstausstellung zeichnete sich somit ein ähnlicher Sachverhalt ab, wie wir ihn in Umanskijs Texten zwei Jahre zuvor schon angedeutet sahen, dass nämlich Kandinskij im russischen Kontext überholt worden war.156 (3) Kandinskij – ohne Kommentar. Schließlich sei auf die Tatsache eingegangen, dass Kandinskij nicht in allen Rezensionen Erwähnung fand. Besonders auffällig ist dies bei Paul Westheim, der im Kunstblatt ausführlich über die Ausstellung berichtete. War es nicht Westheim, der Kandinskij 1919 „innerhalb der heutigen Malerei eine der umstrittensten

153 Behne [1922] 1978a, 546 f. 154 Glaser 1922. 155 Landau 1922. Vgl. auch Donath 1922, 95 („[…] man merkt, daß selbst die Konstruktivisten das Bestreben zeigen, über ihre Laboratoriums-Arbeit hinweg zur – Natur zurückzukehren.“); Glaser 1922 („Sterenberg […] sucht den Gegenstand im Bilde wieder zu retten, in einer ähnlichen Wendung, wie sie bei uns eine jüngste naturalistische Bewegung genommen hat.“); Spael 1922 („Einer der bedeutendsten unter den Neuesten ist wohl Sterenberg, der wieder zum Rein-Malerischen zurückkehrt und in seinen Faktur-Kontrasten sehr interessante Beispiele von Farbwirkungen zeigt. Vielleicht, daß von hier aus der Weg zu einer neuen Gestaltung geht.“). 156 Vgl. oben Kap. 3.1.1.1.

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Erscheinungen“157 genannt und ihn noch 1921 ins Zentrum einer kritischen Betrachtung über die abstrakte Kunst gestellt hatte158? Dass Westheim bei seinen Überlegungen zu den „Kunstproblemen“ 159, die die Erste Russische Kunstausstellung aufwarf, einen Bogen um Kandinskij machen konnte, bestätigt die Schlussfolgerung aus (2), dass an der Schau Künstler beteiligt waren, von denen man glaubte, sie hätten Kandinskij den Rang abgelaufen. Einschränkend ist zu diesem Punkt anzumerken, dass Kandinskij vor wie auch während der Ersten Russischen Kunstausstellung auf Ausstellungen in Berlin und andernorts vertreten war;160 da er zudem eine Stelle am Weimarer Bauhaus angetreten hatte, konnte man davon ausgehen, sein Schaffen noch bei zahlreichen weiteren Gelegenheiten in Deutschland sehen und diskutieren zu können. Die Teilnahme Kandinskijs an der Ersten Russischen Kunstausstellung hatte damit nicht den Neuigkeits- und Seltenheitswert, der der Präsentation suprematistischer und konstruktivistischer Werke zukam. (Tatsächlich hatte sich Westheim anlässlich einer Einzelausstellung Kandinskijs, die die Berliner Galerie Goldschmidt-Wallerstein im Mai/Juni 1922 veranstaltet hatte, bereits über Kandinskijs neuere Arbeiten geäußert. Zwar hatte Westheim in ihnen durchaus eine Veränderung bemerkt: „Das Ekstatische gibt sich nicht mehr so ungehemmt aus; die Skala ist im Ganzen kälter, die dekorative Haltung gestufter geworden.“ Doch alles in allem war Kandinskij für Westheim der alte geblieben: „Die Zeit, in der man von Deutschland aus seine Entwicklung nicht verfolgen konnte, hat ihn nicht gewandelt.“161) Am Ende dieses Kapitels sollen einige allgemeine Aussagen über die in der Ausstellung gezeigten Beispiele der neuen, speziell der ungegenständlichen Richtungen beleuchtet werden. Hierdurch wird die Rezeption Kandinskijs – als Russe und Vertreter der abstrakten Kunst – in einen größeren Rahmen eingebettet. 3.2.5 Wahrnehmungs- und Deutungsmuster ungegenständlicher Kunst Die Erste Russische Kunstausstellung wurde von ihren Rezensenten unter dem Gesichtspunkt nationaler Spezifika betrachtet. Man betrat die Galerie van Diemen mit der selbstverständlichen Erwartung, dass in den präsentierten Werken eine nationale Prägung und Eigenart zum Ausdruck komme. „Uns interessiert in dieser Ausstellung naturgemäß am stärksten das, was typisch russisch ist. Wie sieht so ein Künstler seine Heimat, wie faßt 157 Redaktionelle Vorbemerkung zu: Kandinsky 1919b (ebd., 172). 158 Vgl. Westheim 1921. 159 Westheim 1922b, 493. 160 So besprach Bauer (1922) in seinem Beitrag „Berliner Ausstellungen“ neben der Ersten Russischen Kunstausstellung auch die Juryfreie Kunstschau, in der Kandinskij einen Raum mit Wandbildern ausstattete (die nach Ansicht des Rezensenten „zweifellos zu den besten seiner Arbeiten gerechnet werden [dürfen]“ [ebd., 868]). 161 Westheim 1922a.

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er sie auf, wie durchdringt er sie, wie deutet er den Volkscharakter, die Volksseele?“162 Dieses Interesse wurde nicht bei allen Besuchern befriedigt: „Was nunmehr zu sehen ist“, bemerkte Alfred Kuhn in Kunstchronik und Kunstmarkt, „hätte ebensowohl auf französischem oder deutschem Boden gewachsen sein können. Auf der einen Seite harmlose Impressionisten, auf der anderen Seite Produkte der Vertreter jener extremen Kunst, wie sie heute alle Hauptstädte des Kontinents zeigen.“163 Kuhn wertete dies aber weniger als eine Enttäuschung denn als eine Bestätigung, „da die Tatsache seit langem bekannt ist, daß in Dingen der bildenden Künste eine autochthone Produktivität in Rußland nicht vorhanden ist“164. Dieser Meinung war auch Karl Scheffler, für den die angebliche Schwäche der Russen auf künstlerischem Gebiet („tragische Karikatur Westeuropas“) in der „Konstitution der russischen Nation“ begründet lag:165 Es fehlt, wie es scheint von Natur, der Boden für Malerei und Plastik. Er hat stets gefehlt. Und nicht nur in Rußland, sondern mehr oder weniger bei allen slavischen Völkern. Nach allen Erfahrungen sind die Russen kein Augenvolk; sie leben leidenschaftlich im Seelischen, nicht freudig mit der Erscheinung.166

Typisch russisch an den Exponaten der Ersten Russischen Kunstausstellung war aus dieser Sicht nur mehr die Vorliebe, westliche Moden zu übernehmen – ein Klischee mit langer Tradition. Mit Blick auf die Werke der Avantgarde wurde ein Vorwurf laut, der auch noch in späteren Jahren im Zusammenhang mit abstrakter Kunst zu hören war; der Vorwurf, es werde das Sinnliche, das Gefühl zugunsten reiner Programmatiken aufgegeben: „In dem Neuen feiert die Gehirnakrobatik […] wahrhe [sic] Orgien. Alles ist rein verstandsmäßig. Suprematistik, Konstruktionistik, Faktur-Kontrastik und ähnliche schöne Dinge werden in Konventikeln ausgetüftelt […].“167 In diesen Tenor stimmte Wilhelm Spael mit ein: „Diese gegenstandslose Malerei ist nur theoretisch einzuschätzen, praktisch ist sie bedeutungslos. […] Die Künstler des Abstrakten sind zumeist auch heftige Programmschreiber und ideologische Literaten, was an Gestaltung fehlt, wird tiefsinnig beschrieben.“168 Und auch Paul Westheim kam zu dem Schluss, dass bei den Russen „[z]u ausschließlich Hirnarbeit“ geleistet werde, und diagnostizierte ihnen

162 Donath 1922, 95. Vgl. Stahl 1922: „Wir möchten das Volkstum sehen […].“ 163 Kuhn 1922. 164 Ebd. 165 Scheffler 1923, 101. 166 Ebd. 167 Stahl 1922. 168 Spael 1922.

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einen Hang zum Prinzipiellen, der manchmal zur Dogmatik, sogar zur Scholastik auswuchert. Fast will es scheinen, als ob sie mehr zu sagen als zu zeigen hätten. Als ob fast lehrreicher als solche Ausstellung ihre Theorien und Meinungen, ihre Manifeste und Programme, ihre Argumente und Thesen sind.169

Die Feststellung, „daß die treibende Kraft hier der Intellekt ist“170, stand in diametralem Gegensatz zu landläufigen Stereotypen von russischer Kunst wie der „Herzhaftigkeit des Gefühls, dem Reichtum an Phantasie, dem musikalischen Farbensinn“171. Jedoch umfasste das deutsche Repertoire an Russlandbildern noch andere Aspekte, mit denen sich die „Gehirnakrobatik“ durchaus in Einklang bringen ließ. Zwischen der künstlerischen Entwicklung im Westen und im Osten wurde im Allgemeinen kein essenzieller, wohl aber ein gradueller Unterschied festgestellt. Die Erste Russische Kunstausstellung vermittelte den Eindruck, dass die progressiven russischen Künstler mit der westeuropäischen Avantgarde an einem Strang zogen, dass sie dies aber weitaus energischer taten: „In dem Grade, wie Ausmaß und Wucht der russischen Umwälzung alle Bewegungen in anderen Ländern übertrumpft hat, lassen diese Künstler an fanatischer Konsequenz ihre sämtlichen europäischen Kollegen hinter sich.“172 Keine Frage, dass sich diese ‚fanatische Konsequenz‘ für die Rezensenten gerade in den abstrakten Richtungen äußerte. Es wurden Versuche unternommen, diese Besonderheit zu erklären. Sie lassen sich grob in zwei Stränge gliedern: einen politischen (1) und einen nationalen (2). (1) In Anbetracht des offiziellen Charakters der Ausstellung leuchtet es ein, dass die Werke der neueren Richtungen von einigen Rezensenten als Vorboten und Spiegel der politischen Umwälzungen gedeutet wurden – im Positiven wie im Negativen. Im Positiven von Max Osborn, der über die Schöpfer der neuen Kunst schrieb, dass sie „den Sturm der Revolution innerlich erlebten, zum Teil prophetisch ankündigten, und bildnerisch zu gestalten suchten“173. Der Begriff „gestalten“ ist hier zentral. Osborn erkennt die künstlerischen Lösungen der Russen als eine konstruktive, schöpferische Leistung an: 169 Westheim 1922b, 498. 170 Ebd. 171 Stahl 1922. 172 Osborn 1922. Vgl. Bauer 1922, 869 („Die russische Revolutionskunst unternahm es, alle modernen Kunsttheorien auf die Spitze zu treiben.“); Donath 1922, 95 („diese radikalen Dinge“). 173 Osborn 1922. Vgl. auch das Katalogvorwort von Arthur Holitscher ([1922] 1988, 6): „Die Auflösung einer Zeit, Heraufkommen und Werden einer neuen fühlen und verkünden die empfindlichen Nerven der Künstler früher als die mit realen Dingen wirkende Kraft der Politiker, Lenker und Erneuerer der Wirtschaft. […] Blickt man auf die Entwicklung der Kunst in dem letzten halben Jahrhundert zurück, so überrascht die Fülle der mit höchster Irritation aufeinanderfolgenden Richtungen, Schulen, die Vorahnung der großen Umwälzung, die nun über die Welt hereingebrochen ist, Sturmvogelschwärme der Revolution.“

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Man fühlt den heißen, dunklen Wunsch, in einem Neuaufbau der Formvorstellungen den Neuaufbau der staatlichen und wirtschaftlichen Welt zu deuten. […] Alle diese ‚Konstruktivisten‘ und ‚Suprematisten‘ kann ich nur als Ausdruck einer Empfindungswelt nehmen, die aus einem Chaos zu neuen Prinzipien fester und geschlossener Formfügungen aufsteigen will.174

Es überrascht nicht, dass auch in der Roten Fahne, dem „Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands“, der positive, aufbauende Charakter der Exponate hervorgehoben wurde. So nahm Gertrud Alexander in der Ersten Russischen Kunstausstellung das „unbedingt Lebensfreudige“ wahr, „die Gewißheit, auf dem Wege zu sein, heraus aus Chaos und Leiden“.175 Im Weiteren heißt es: Theoretisch, im Prinzip ist das Leiden überwunden. Die Revolution hat es hinweggefegt, die Bolschewiki kämpfen – und siegen. Es wird nicht mehr unter der Knute gelitten! Es gibt kein Martyrium mehr – aber es gibt Heldentum, es ist schon der Anfang da und mitten in der Umwälzung der Auftakt zum Neuen. In der Kunst spiegelt sich diese Entwicklung, diese Zielbewußtheit wider.176

Man konnte aber auch zu einer anderen Auffassung gelangen, wie Wilhelm Spael. Er sah in der russischen Kunst überwiegend destruktive Kräfte am Werk: Auch die russische Kunst hat ihre Revolution erlebt, und die mächtigste aller Revolutionen, auch sie ist nur ein Abbild der politischen Kämpfe und Wirren im Osten, auch sie ist über den Bolschewismus gegangen, und die Zertrümmerer und Verneiner der alten Form sind zahlreicher als die, bei denen sich Merkmale zum Aufbau zeigen.177

Wenn es bei Spael im Anschluss heißt: „Brutal und rücksichtslos, vielleicht auch fanatisch, jedenfalls energischer als wir Deutschen, sind die Russen in ihrer Kunst vorgegangen“178, so scheint darin etwas mitzuschwingen, das über den zeitbedingten politischen Aspekt hinausreicht. (2) Wiederholt wird in den Rezensionen auf den ‚radikalen‘ bzw. ‚zerstörerischen‘ Umgang mit künstlerischen Traditionen in Russland hingewiesen. Losgelöst von der 174 Osborn 1922. 175 Alexander 1922b. 176 Ebd. 177 Spael 1922. Vgl. Glaser (1922), dem zufolge die Suprematisten eine „Form der Malerei“ entwickelten, „die sich als die Vollenderin der großen revolutionären Bewegung fühlt. Wie die Bolschewisten in der Politik, so meinen die Suprematisten in der Kunst erst die letzten Folgerungen zu ziehen, indem sie die ‚bürgerliche Malerei‘ der Vergangenheit vollends zertrümmern. Das große Nichts steht am Ende […].“ 178 Spael 1922.

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jüngsten Historie wurde damit ein überkommenes Bild von den Russen aktualisiert, das mit Vorstellungen von Primitivität, Traditionslosigkeit und Barbarentum verbunden war.179 Einige Autoren, die die künstlerische Revolution über den Bereich des Politischen hinaus auf eine angenommene russische „Wesensart“ zurückzuführen suchten, seien an diesem Punkt etwas ausführlicher behandelt. Zu ihnen gehörte Paul Westheim. Für den Herausgeber des Kunstblatts war Malevičs Gemälde Weiß auf Weiß – „[a]uf einer weißen Grundfläche steht nur noch Weiß“ – sinnfälliger Ausdruck einer den Russen eigenen „UnBändigkeit, die vermeint, stets bis ans Äußerste und Letzte gehen zu müssen“.180 Westheim versuchte, diesen Hang zum Extremen völkerpsychologisch zu substantiieren, indem er sich – aus damaliger Sicht – auf den Gewährsmann par excellence berief: Dostoevskij. ‚Atheist zu werden‘, heißt es […] bei Dostojewsky […], ‚ist für einen Russen so leicht, leichter als für jeden anderen in der ganzen Welt. Und die Russen werden auch nicht gewöhnliche Atheisten, nein, der Atheismus wird für sie zu einem neuen Glauben, sie glauben an ihn, ohne dabei auch nur zu bemerken, daß sie an eine Null glauben‘. Vielleicht ist das der psychologische Untergrund zu jener weißen Fläche?181

Über Dostoevskij als Instanz werden die in der Ausstellung beobachteten Phänomene im vorgeblichen „Volkscharakter“ der Russen verankert.182 Man kann dies als ein Zeichen dafür werten, dass im Rahmen der Ausstellung die theoretischen und kulturellen Hintergründe solcher Werke wie Malevičs Weiß auf Weiß nicht (ausreichend) vermittelt wurden und man auf Rezipientenseite das mangelnde Verständnis durch übergreifende Erklärungen zu kompensieren suchte.183

179 Vgl. Glaser 1922 („den radikalen Zerstörern der alten Bildform“); Osborn 1922 („die Scharen […], die aller Tradition Fehde ansagen“); Servaes 1922 („traditionslos-eigenwüchsigen Sowjet-Kunst“); Westheim 1922b, 493, 498 („radikaler Bruch mit all und jeder Vergangenheit“; „von jenen östlichen ‚Barbaren‘ […], sie denken […] an eine neue archaische Periode“); Scheffler 1923, 101 („Es muß in den Kunstschulen Sowjet-Rußlands in Wahrheit ebenso barbarisch aussehen wie in den Ateliers. Überall fehlt das Wurzelhafte.“). 180 Westheim 1922b, 494. 181 Ebd. Das Dostoevskij-Zitat stammt aus dem Roman Der Idiot und war zuvor schon einmal im Kunstblatt abgedruckt worden, vgl. Dostojewski 1919, 185. 182 Dass es sich bei der von Westheim konstatierten „Un-Bändigkeit“ der Russen um einen regelrechten Topos handelte, veranschaulicht Aleksandr Ėliasbergs Schrift Russische Kunst von 1915. Dort werden gleich zu Beginn die „Maßlosigkeit“, der „Drang zum Äußersten“ und der „Fanatismus“ zu Kennzeichen des „russischen Wesens“ schlechthin erklärt, vgl. Eliasberg 1915, 7. 183 Vgl. Nerdinger 1981, 148 f. Zur mangelnden Information über den Konstruktivismus und der daraus resultierenden Fehleinschätzung vgl. Lodder 1983a, 229–233; Hammer/Lodder 2000, 111 f.; Gough 2005, 158.

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Für John Schikowski, den Rezensenten des sozialdemokratischen Vorwärts, lag der rote Faden der neueren russischen Kunstentwicklung „in dem urgewaltigen, alle Hindernisse bewältigenden, alle Mittel benutzende[n] Drange nach neuen Ausdrucksformen“ – ganz nach dem Motto: „vorwärts zu neuen Ufern!“184 Interessant an Schikowskis Darstellung ist, dass er die Werke der russischen Avantgarde insgesamt – auf eine Unterscheidung zwischen den Positionen Šagals und Tatlins, Kandinskijs und Malevičs bewusst verzichtend – im expressionistischen Sinne deutete. Schikowski sah in ihnen die „russische Seele“ erwachen, einhergehend mit einer Emanzipation von der französischen Kunst; selbst da, wo noch gestammelt werde, „kündet sich tiefstes seelisches Leben, und es dringt zu Herzen, wie es von Herzen kommt“.185 (Kein Wort von „Hirnarbeit“!) Der Art Fritz Burgers nicht unähnlich sprach Schikowski ferner von der geistigen Nähe zwischen Russen und Deutschen und ihrer gemeinsamen „welthistorischen Mission“: Jetzt, wo die Kunst Ausdruck des Seelischen sucht, gelten die Lehren und Werte, die wir aus Paris und Italien beziehen könnten, nichts mehr. An dieser großen Jahrtausendwende der Kunstentwicklung, deren Zeugen wir sind, treten die germanischen und slawischen Völker führend an die Spitze. Die Abgeschlossenheit, die der Weltkrieg mit sich brachte, hat Deutsche und Russen gezwungen, sich auf die eigene Kraft zu stellen, und das Ergebnis ist für beide Länder eine eigene künstlerische Kultur, die sie vordem nicht besaßen, und die den überraschenden Beweis liefert, daß deutsches und russisches Empfinden viel näher miteinander verwandt ist, als man geahnt hatte. Die neuesten Kunstrichtungen, die man unter dem Namen ‚Expressionismus‘ zusammenfaßt, finden das tiefste Verständnis und die konsequenteste schöpferische Pflege östlich vom Rhein und nördlich von den Alpen. […] Die Anregung kam […] durch die französischen Kubisten und die italienischen Futuristen –, aber die folgerechte Weiterentwicklung vollzog sich in Deutschland und Rußland während der furchtbaren Jahre des Krieges. Die französische und italienische Kunst lenkte wieder ein in die Bahnen klassizistischer Schönheitsideale, die deutsche und russische blieb expressionistisch, d. h. seelische Ausdruckskunst. Das Schicksal der Kunst im neu anbrechenden Zeitalter liegt in den Händen der deutschen und russischen Künstler. Ihre Pflicht ist es, sich von wesensfremden Einflüssen frei zu halten, ihre Eigenart unbeirrt zu pflegen und zu entwickeln und sich bei der Erfüllung dieser welthistorischen Mission gegenseitig zu stützen und zu befruchten.186

Als drittes Beispiel für eine Deutung der neuen russischen Kunst, die auf die „Eigenart“ der Russen als Volk bezogen war, sei noch einmal Curt Bauer zitiert. Er machte sich über die Tendenz zur Abstraktion seine Gedanken und gelangte zu der Überzeugung, dass 184 Schikowski 1922. 185 Ebd. 186 Ebd.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

sich ihre herausragende Bedeutung einer besonderen russischen Veranlagung verdanke. Im Unterschied zu Schikowski akzentuierte Bauer dabei mehr die Distanz als die Nähe zu den Deutschen: Eine stärkere Scheidewand zwischen deutscher und russischer Kunst taucht […] erst mit den neuesten Richtungen auf. Und zwar scheint in Rußland die Flächenempfindung über dem Raumgefühl zu stehen. Daher hat der Kubismus nur verhältnismäßig wenige Vertreter gefunden und sich schnell zum ‚Supramatismus‘ [sic], einer gegenstandslosen Flächenkunst, entwickelt […]. […] Die russische Revolutionskunst unternahm es, alle modernen Kunsttheorien auf die Spitze zu treiben. Wir müssen uns aber vorstellen, daß dasjenige, was uns hier leicht als Laboratoriumskunst erscheint, ursprünglich zu Dekorationszwecken großen Stils in die Masse getragen wurde. Das Auge des russischen Volkes ist […] für eine gegenstandslose Flächenornamentik von vornherein empfänglich. Nur unter dieser Voraussetzung vermag man auch die russische Revolutionskunst zu verstehen.187

So verschieden die hier vorgestellten nationalen Deutungen der neuen Richtungen in der russischen Kunst ausfielen – es einte sie die hochproblematische Tendenz, künstlerische Phänomene als Ausdruck eines naturgegebenen, einem ganzen Volk eigenen „Wesens“ begreifen zu wollen. Wir werden solch essenzialistischen Ansätzen im Laufe dieser Arbeit noch häufiger begegnen. 3.2.6 Bilanz und Ausblick: Warum Kandinskij auch nach 1922 im Gespräch blieb – und die meisten sowjetischen Avantgardisten nicht Als die Erste Russische Kunstausstellung Ende 1922 ihre Pforten schloss, hatten sie ungefähr 15.000 Menschen gesehen.188 Unter den Ausstellungsbesuchern waren bedeutende Persönlichkeiten der deutschen Kunstkritik wie Adolf Behne, Max Osborn, Karl Scheffler und Paul Westheim. In Zeitungen und Zeitschriften wie der Vossischen Zeitung, dem Kunstblatt oder Kunst und Künstler schilderten sie ihre Eindrücke von der russischen Gegenwartskunst und zogen dabei recht unterschiedliche Schlussfolgerungen. Die wichtigsten Ergebnisse dieses Kapitels seien hier abschließend zusammengefasst: (1) Kandinskij wurde in der Ersten Russischen Kunstausstellung als bedeutender Vertreter der (sowjet)russischen Kunst präsentiert. Sein Schaffen war nicht nur in drei Aspekten 187 Bauer 1922, 869. 188 Vgl. Lapschin 1985, 572 (dessen Angabe auf einem Rechenschaftsbericht von Šterenberg beruht). Vgl. ebd., 569: „Die Besucherzahl der Ausstellung war erfreulich hoch. Sie erreichte an Sonntagen etwa fünfhundert Personen.“ Mansbach (1993, 313) dagegen hält die Besucherzahl für „respectable but not necessarily […] huge“. Vgl. auch Lodder 1983a, 302, Anm. 9: „The German public’s interest should not perhaps be over-estimated.“

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zu sehen – Malerei, Graphik und angewandte Kunst –, auch gehörten zwei der drei ausgestellten Gemälde zu seinen größten Formaten aus der „russischen Zeit“ von 1914 bis 1921. In der Katalogeinführung wird Kandinskij ein eigenständiger Platz unter den zeitgenössischen russischen Künstlern beigemessen, im Abbildungsteil des Katalogs sind sein Ölbild Spitzes Schweben und – zwar nicht namentlich gekennzeichnet – Porzellane nach seinen Entwürfen reproduziert. Obwohl keine Photoaufnahme von Kandinskijs Werken in der Ausstellung existiert, besteht kein Zweifel daran, dass seine Gemälde in einem der oberen, repräsentativen Räume der Galerie van Diemen hingen, die den „linken“ Positionen vorbehalten waren; Behnes Darstellung nach zu urteilen, kamen sie dort auch klar zur Geltung. (2) Eine stilistische Weiterentwicklung Kandinskijs wurde von den Rezensenten nicht festgestellt. Dies ist jedoch nicht verwunderlich: Einmal abgesehen davon, dass in der Ausstellung keine Vergleichsmöglichkeit mit Werken aus Kandinskijs Münchner Schaffensjahren bestand und Entwicklungen aus der historischen Distanz in der Regel leichter nachvollzogen werden können, lassen die gezeigten Bilder Naiv von 1916 sowie Spitzes Schweben und Der Grüne Rand von 1920 auch keine so augenfälligen stilistischen Veränderungen erkennen wie etwa der im Jahr darauf gemalte Bunte Kreis. (3) Für einen Teil der Rezensenten machte die Ausstellung deutlich, dass sich Kandinskijs Platz nicht (mehr) an der Spitze der neuen russischen Kunst befand. Andere Künstler, von denen man im Unterschied zu Kandinskij, Šagal und Archipenko in Deutschland noch kaum etwas gehört hatte, traten in den Vordergrund. Sie schienen Kandinskij überflügelt zu haben, da sie eine radikalere Spielart der Abstraktion vertraten bzw. die Malerei als solche infrage stellten (wie Malevič, Tatlin und Rodčenko) oder weil sie einen Ausweg aus der Krise des Bildes gefunden zu haben schienen (wie Šterenberg). (4) Einige Rezensenten sahen einen engen Zusammenhang zwischen den künstlerischen und den politischen Umwälzungen in Russland. Die neuen, vor allem die ungegenständlichen Richtungen wurden als Ankündigung oder Widerspiegelung der Oktoberrevolution gedeutet. Dabei kehrte man teils das destruktive Moment (Zerstörung), teils das konstruktive Moment (Aufbau) hervor. (5) Die Radikalität der Avantgarde wurde als Ausdruck russischer Wesensart interpretiert. Ungeachtet derer, die auch die jüngsten künstlerischen Entwicklungen in Russland als einen Abklatsch des Westens abtaten, strich man doch häufig die starke Präsenz der ungegenständlichen Tendenzen und – damit verbunden – die Radikalität der neuen russischen Kunst als eine in der Ausstellung beobachtete Besonderheit heraus. Diese Besonderheit wurde nicht nur mit dem politischen Zeitgeschehen in Beziehung gebracht, sondern auch auf eine angenommene russische Wesensart zurückgeführt. Das Motiv der Radikalität bildete de facto eine Klammer zwischen dem traditionellen Bild vom „barbarischen“ Russen und der wiederholt geäußerten Kritik am einseitigen Intellektualismus der abstrakten Avantgarde.

Die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin  |

Anders als man es nach diesem Fazit vermuten könnte, wurde Kandinskij in den Jahren nach 1922 bei Weitem mehr Aufmerksamkeit von der deutschen Kunstpublizistik zuteil als Malevič, Tatlin, Rodčenko oder Šterenberg, die im Kontext der Ersten Russischen Kunstausstellung so großes Aufsehen erregt hatten. Die Gründe können an dieser Stelle nur angedeutet werden. Zunächst hatte sich Kandinskij im Unterschied zu den anderen genannten Künstlergrößen schon vor dem Krieg einen Namen in Deutschland gemacht, und dieser war auf das Engste mit der deutschen Kunstentwicklung verbunden. Ein Blick in zeitgenössische Universallexika bestätigt, dass Kandinskij Teil der Allgemeinbildung war und als „Vater“ der abstrakten Kunst gewissermaßen eine Kanonisierung erfahren hatte.189 Kandinskij zehrte aber nicht nur von dem Ruhm, ein Mann der ersten Stunde gewesen zu sein. Ende 1921 war er nach Deutschland zurückgekehrt und hatte im März 1922 offiziell eine Stelle am Staatlichen Bauhaus in Weimar angeboten bekommen. Mitte des Jahres hatte er dort die Arbeit aufgenommen.190 Durch seine Tätigkeit am Bauhaus und die kontinuierliche Weiterentwicklung seines Œuvres, durch Ausstellungsteilnahmen, eigene Veröffentlichungen und Vorträge behauptete Kandinskij seine künstlerische Spitzenposition und blieb im Gespräch. Von den russischen Künstlern, die erst Anfang der 1920er-Jahre ins engere Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit gerieten, verschaffte sich allen voran Ėl’ Lisickij (1890–1941) eine dauerhafte Präsenz. Seine nicht nur punktuelle Anwesenheit in Deutschland (Li-­ sickij kam um die Jahreswende 1921/22 nach Berlin und etablierte sich schnell „as the most influential spokesman for the new Russian art“191), die Kontakte, die er knüpfte, und seine vielfältigen Aktivitäten bildeten hierfür das Fundament: „Until his return to Russia in 1925, Lissitzky was ubiquitous within the Western avant-garde; exhibiting, organising magazines, producing prints, designing books and typographical layouts. He knew everyone and had a finger in every avant-garde pie.“192 Und auch in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre machte Lisickij in Deutschland von sich reden.193 Anders Malevič: Er geriet nach der Ersten Russischen Kunstausstellung zwar ebenfalls nicht in Vergessenheit; allerdings stand er deutlich weniger im Fokus als Lisickij (dem er einen Teil seiner 189 Vgl. die Einträge unter dem Stichwort „Absolute Malerei“ in: Meyers Lexikon 1924, Sp. 60 („Absolute Malerei, neuere Kunstrichtung, auch ‚gegenstandslose Malerei‘ genannt, von Wassily Kandinsky begründet.“); Brockhaus 1928, 52 („Hauptvertreter der A[bsoluten] M[alerei] ist Wassily Kandinsky.“). Während Kandinskij in beiden Lexika auch einen eigenen Eintrag erhielt, sucht man im Großen Brockhaus (15. Aufl., 1928–1935) und in Meyers Lexikon (7. Aufl., 1924–1933) vergeblich nach Einträgen zu Al’tman, Gabo, Lisickij, Malevič, Puni, Rodčenko, Šterenberg oder Tatlin (auch unter Berücksichtigung verschiedener Schreibweisen). Einzige Ausnahme ist der Eintrag „Lissitzky, El (Lasar)“ in: Meyers Lexikon 1933, Sp. 113. 190 Vgl. hierzu Droste 2009, 9–15. 191 Hammer/Lodder 2000, 103. 192 Ebd., 123. 193 Einen Überblick über Lisickijs Unternehmungen gibt Hemken 1990.

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Publizität in Deutschland verdankte). Malevič reiste nur ein einziges Mal nach Deutschland und dies verhältnismäßig spät – von Ende März bis Anfang Juni 1927 – und ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein. Immerhin gelang es ihm in dieser Zeit, eine repräsentative Auswahl seiner Werke in der Großen Berliner Kunstausstellung zu zeigen und eine Publikation in der Reihe der Bauhausbücher auf den Weg zu bringen (sie erschien 1927 als elfter Band unter dem Titel Die gegenstandslose Welt). Die Hoffnungen, die Malevič hinsichtlich einer Anstellung am Bauhaus hegte, wurden jedoch enttäuscht: „Malewitsch sah nicht oder wollte nicht sehen, daß die Lehre des Bauhauses den Ideen des Konstruktivismus, die er zu Hause so hart bekämpfte, wesentlich näher stand als den radikalen Theorien des Suprematismus.“194 Ein Hauptgrund für die eher bescheidene Rezeption der in Russland gebliebenen Avantgardekünstler in den 20er-Jahren ist in der sowjetischen Kunstpolitik zu suchen. Es war nicht zuletzt die sich dort vollziehende Entwicklung – weg von der Avantgarde, hin zum Realismus –,195 die eine nähere Bekanntschaft des Westens mit Malevič, Tatlin, Rodčenko und anderen verhinderte. Bezeichnend sind insofern die Worte, mit denen Nikolaus Pevsner die aus Russland eingesandten Werke für die Internationale Kunstausstellung 1926 in Dresden kommentierte: Wer erwartet hatte, hier eine radikale, bolschewistische Kunst zu sehen zu bekommen, wird erstaunt sein, lauter so friedlichen, harmlosen Malern zu begegnen, – und so charakteristisch das wohl für die heutige Stufe der bolschewistischen Kultur des Landes sein mag, es fehlt doch weder in ‚der Partei‘ noch in der Kunst an Männern, die den ursprünglichen Nihilismus aufrecht erhalten haben. Allein diese Künstler, so die Gegenstandslosen wie Malewitsch, die Rosanowa, Tatlin, sind eben durch die Stellen, die in Moskau die Organisation für die Dresdner Ausstellung besorgten, nicht herangezogen worden.196

An die Erste Russische Kunstausstellung schloss sich in Deutschland keine vergleichbare Präsentation russischer Avantgardekunst mehr an.197

194 Weiss 1995a, 8. Zu Malevičs Reise nach Berlin und seiner Rezeption in Deutschland vgl. auch Thierse 1987; Riese 1999, 104–124. 195 Für eine differenzierte Darstellung dieser Entwicklung vgl. Günther 1989; Bown/Taylor 1993b; Taylor 1993; Golomstock 2011. 196 Pevsner 1926, 2. Als Volontär an der Dresdner Gemäldegalerie, deren Direktor Hans Posse die Leitung der Internationalen Kunstausstellung Dresden 1926 innehatte, war Pevsner in die Organisation der Ausstellung eingebunden. Vgl. Karge 2013, 94 f. 197 Vgl. Lodder 1983b.

4 Weimarer Republik Der Blick auf Kandinskij als Europäer, als Russe und als Künstlerindividuum während seiner Bauhauszeit, 1922–1933 Dieser Teil behandelt die Rezeption Kandinskijs während seiner Tätigkeit am Bauhaus von 1922 bis 1933. Um das Quellenmaterial im Detail auswerten zu können, werde ich diese elf Jahre umspannende Periode nicht kursorisch darstellen, sondern einzelne thematische Schwerpunkte setzen. Zunächst aber soll Kandinskijs Arbeit auf dem Gebiet der Kunsttheorie zur Sprache kommen. Mit dem Bauhausbuch Punkt und Linie zu Fläche legte er 1926 seine dritte epochale Veröffentlichung nach Über das Geistige in der Kunst und dem mit Franz Marc herausgegebenen Almanach Der Blaue Reiter vor. Darüber hinaus verfasste Kandinskij eine Reihe kleinerer Beiträge, die in dem Buch Staatliches Bauhaus Weimar 1919–1923 (1923) und in diversen Zeitschriften erschienen sind. Unter ihnen verdient der 1925 im Cicerone publizierte Aufsatz „Abstrakte Kunst“ in unserem Zusammenhang besondere Beachtung: Kandinskij entwirft darin ein kunstgeschichtliches Entwicklungsmodell, in dem er dem „slawischen Prinzip“ die Hauptrolle bei der Entstehung der abstrakten Kunst zuerkennt. Im Anschluss lege ich den Fokus auf das Jahr 1926, in dem Kandinskij seinen 60. Geburtstag feierte: Das Jubiläum diente als Anlass, um den Bauhauslehrer zu würdigen und auf seine inzwischen dreißigjährige Laufbahn als Künstler zurückzublicken. Die Dresdner Galerie Ernst Arnold leistete ihren Beitrag dazu, indem sie für Kandinskij eine große Jubiläums-Ausstellung ausrichtete. Das besondere Augenmerk gilt in diesem Abschnitt dem begleitenden Ausstellungskatalog; beantwortet werden soll die Frage, welches Bild von Kandinskij durch die visuelle und textliche Gestaltung des Katalogs vermittelt wurde und in welchem Verhältnis es zum Kandinskij-Bild der 10er-Jahre (das ‚Geistige‘, das ‚Russische‘) stand. Nach Dresden kam die Kandinskij-Retrospektive in weitere deutsche Städte, so auch nach Mannheim. Die dortige Kunsthalle zeigte sie Anfang 1927 als integralen Teil der Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa. Dieser Überblick über die abstrakten bzw. ungegenständlichen Strömungen der europäischen Gegenwartskunst bildete den Konterpart zu jener legendären Schau, die anderthalb Jahre zuvor am selben Ort stattgefunden hatte und mit ihrem Namen Neue Sachlichkeit Begriffsgeschichte schrieb. Die abstrakte Malerei wurde 1927 in Mannheim nicht nur als ein respektabler Faktor des zeitgenössischen Kunstschaffens vorgestellt; es wurde auch der Versuch unternommen, sie zeitgeschichtlich zu situieren. Ob oder inwiefern sich diese Historisierung

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auf nationale Zuordnungen stützte, wird bei der Beschäftigung mit der Mannheimer Ausstellung ebenso berücksichtigt werden wie die Frage, welche Stellung Kandinskij innerhalb des internationalen Spektrums abstrakter Positionen zugeschrieben wurde. Mit Will Grohmann und Carl Einstein werden anschließend zwei Größen der deutschen Kunstkritik ins Zentrum gerückt, deren Standpunkte in Sachen Kandinskij entschieden voneinander abwichen: Während Grohmann in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler zum Verständnis seiner Werke beizutragen suchte, bürstete Einstein Kandinskijs Ideen gegen den Strich und gelangte in Die Kunst des 20. Jahrhunderts (11926) – gleichfalls auf hohem Niveau – zu einem mehr abfälligen Urteil über die Abstraktion und ihren prominentesten Vertreter. Herausgearbeitet werden soll hier die unterschiedliche Bedeutung, die Grohmann und Einstein Kandinskijs Herkunft für die Bewertung seines Schaffens beimaßen. Unter der Überschrift „Gegenwind von rechts“ wird schließlich jener heterogene Kreis von Personen in Augenschein genommen, die Kandinskij aus antimodernistischen, antikommunistischen, nationalistischen oder rassistischen Gründen heraus verunglimpften – und damit der offiziellen Verfemung des Künstlers im Nationalsozialismus den Boden bereiteten.

4.1 Der kultur elle Essenzialismus in K andinskijs Kunsttheor ie 4.1.1

Das „Nationale“ als Gegenstand einer neuen „Kunstwissenschaft“

Wie in Kapitel 1.4.2 bereits begründet wurde, wog das, was Kandinskij zu sagen hatte, besonders schwer: Seine Äußerungen kompensierten zu einem gewissen Grad die Zurückdrängung des „literarischen“ Inhaltes im Kunstwerk, die mit der Abstraktion einherging; andererseits fehlte das nötige Instrumentarium für eine sachgerechte Würdigung des „rein malerischen Inhaltes“, auf den es Kandinskij ankam.1 Aus diesem Mangel resultierten denn auch die „Zweifel und Streitigkeiten über den Inhalt […] in der Malerei“2. Es war nur ein folgerichtiger Schritt, dass der Künstler es selbst in die Hand nahm, diesem Desiderat entgegenzuwirken. Sein Bauhausbuch Punkt und Linie zu Fläche (1926) gilt in dieser Hinsicht als paradigmatischer Versuch.3 Über die im Untertitel angekündigte „Analyse der malerischen Elemente“ hinaus legt Kandinskij in Punkt und Linie zu Fläche 1 Vgl. Kandinsky 1925, 643. 2 Ebd. 3 Das Buch wurde von der Kritik sehr unterschiedlich aufgenommen. Zwei Besprechungen mögen dies veranschaulichen: Während Theo Schneider (1927, 198) in affirmativ-beschreibender Manier die Ansicht vertritt, Kandinskijs Untersuchung lasse „an Exaktheit und Präzision in der Formulierung des Tatbestandes nichts zu wünschen übrig“, vermisst Ludwig Volkmann (1927, 4), durchaus begründet,

Der kulturelle Essenzialismus in Kandinskijs Kunsttheorie  |

an mehreren Stellen dar, was eine neue „Kunstwissenschaft“4 seiner Auffassung nach zu leisten habe: Eine der wichtigsten Aufgaben der jetzt beginnenden Kunstwissenschaft wäre eine eingehende Analyse der ganzen Kunstgeschichte in bezug auf die Elemente, auf Konstruktion und Komposition zu verschiedenen Zeiten, bei verschiedenen Völkern einerseits und andererseits die Feststellung des Wachstums im Bereich dieser drei Fragen – der Weg, das Tempo, die Notwendigkeit der Bereicherung und der wahrscheinlich sprungartigen Entwicklung, die in der Kunstgeschichte vielleicht in einer bestimmten Entwicklungslinie – möglicherweise einer Wellenlinie – verläuft.5

Dass Kandinskij die Unterschiede (oder auch Gemeinsamkeiten) zwischen den einzelnen Völkern zu einem zentralen Untersuchungsgegenstand „seiner“ Kunstwissenschaft erhebt, ist nicht weiter verwunderlich.6 Bereits in Über das Geistige in der Kunst hatte er die „Nation“ als eine der „mystischen Notwendigkeiten“ beim Schaffen eines Kunstwerks angeführt.7 Auch in seinem Aufsatz „Über die Formfrage“ für den Almanach Der Blaue Reiter ging Kandinskij auf das „Nationale im Werk“ ein und betonte, dass dieses als unwillkürliches Konstituens nicht willentlich forciert, also verfälscht, werden dürfe. (Damit erteilte er allem Bemühen um eine nationale/re Kunst eine deutliche Absage.) Darüber hinaus deklarierte er das „Nationale“ zu einer Funktion von „Raum“ bzw. „Volk“ und beschwor eine Zukunft, in der es möglich sein werde, aus der künstlerischen Form „die Merkmale der Zeit und des Volkes herauszuschälen und schematisch darzustellen“.8 Diese Möglichkeit schien 1926 für Kandinskij in greifbare Nähe gerückt. Während er aber

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„die einfachste wissenschaftliche Begriffsbildung darin, Behauptungen werden an die Stelle von Beweisen gesetzt, und an offenen Widersprüchen ist kein Mangel“. Zum „Projekt einer ‚Kunstwissenschaft‘ und Kandinskys ‚Wissenschaft‘“ vgl. Zimmermann 2002a, 81–89. Kandinsky [1926] o. J., 16 f. Hervorh. S. B. Vgl. ebd., 109 f. (mit Bezug auf die Architektur). Vgl. zum Folgenden auch Zimmermann 2002a, 98–101. Kandinsky [1912] 2006, 84. Im Weiteren (ebd., 84–87) gibt Kandinskij jedoch klar zu verstehen, dass der Nationalstil (ebenso wie der Personalstil und der Epochenstil) gegenüber dem „Element des Rein- und Ewig-Künstlerischen“ eine vorübergehende und daher nur untergeordnete Bedeutung hat. Kandinsky [1912] 2004c, 139 f., 143. Die ausführlichen Zitate lauten: „Die Form trägt den Stempel der Persönlichkeit. Die Persönlichkeit kann aber natürlich nicht als etwas außer Zeit und Raum Stehendes aufgefaßt werden. Sondern sie unterliegt in gewissem Maße der Zeit (Epoche), dem Raum (Volk). Ebenso wie jeder einzelne Künstler sein Wort zu verkünden hat, so auch jedes Volk, und also auch das Volk, zu welchem dieser Künstler gehört. Dieser Zusammenhang spiegelt sich in der Form und wird durch das Nationale im Werk bezeichnet.“ Ebd., 139. „Das Vorhandensein der Formen in der Zeit und im Raum ist ebenso aus der inneren Notwendigkeit der Zeit und des Raumes zu erklären. Deshalb wird es im letzten Grunde möglich werden, die Merkmale der Zeit und des Volkes herauszuschälen und schematisch darzustellen.“ Ebd., 143.

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im Blauen Reiter das „Volk“ noch als Einheit des Raumes begriff (analog zur „Epoche“ als Einheit der Zeit), wird demgegenüber in Punkt und Linie zu Fläche die nationale Komponente ent-räumlicht, sprich: ent-relativiert, und auf einen Wesenskern konzen­ triert, den Kandinskij als den „inneren Inhalt der ‚Nationen‘“ bezeichnet: Ohne jegliche Übertreibung kann behauptet werden, daß eine auf breite Basis gestellte Kunstwissenschaft von internationalem Charakter sein muß: es ist interessant, aber sicher nicht ausreichend, eine nur europäische Kunsttheorie herzustellen. Nicht die geographischen und andere äußere Bedingungen sind in dieser Beziehung die wichtigsten (jedenfalls nicht die einzigen), sondern es sind die Verschiedenheiten im inneren Inhalt der ‚Nationen‘ gerade auf dem Kunstgebiete in erster Linie maßgebend. Ein genügendes Beispiel ist unsere schwarze Trauer und die weiße Trauer der Chinesen [Anm. 1: Die genaue Beobachtung verlangenden Unterschiede, nicht also nur in bezug auf ‚Nation‘, sondern auf Rasse, werden wohl ohne besondere Schwierigkeit festgestellt werden, wenn die Untersuchung genau und planmäßig unternommen wird. […]].9

Das Wort „Rasse“ taucht in Punkt und Linie zu Fläche, soweit ich sehe, nur an dieser einen Stelle auf. Es handelt sich offenbar um eine Präzisierung des Begriffes „Nation“, der neben dem anvisierten „inneren Inhalt“ (hier als „Rasse“ bezeichnet) auch „die geographischen und andere äußere Bedingungen“ umfasst. Das Wort „Rasse“ wird also durchaus im Sinne einer Wesenhaftigkeit verwendet; allerdings ist diese nicht biologistisch begründet, weshalb ich im Falle Kandinskijs von einem nationalen oder kulturellen Essenzialismus sprechen möchte.10 Es scheint mir eine begriffliche Parallele zu Wilhelm Hausenstein vorzuliegen, der die Vorbehalte des deutschen Publikums gegenüber Kandinskijs Abstraktion im Jahr 1914 folgendermaßen zu erklären versucht hatte: Es ist möglich, daß die erste Hemmung im Nationalen liegt. Nicht in dem Sinn, daß man den subjektiven nationaldeutschen Bedenken gewisser germanischer Kunstphilister gegen

9 Kandinsky [1926] o. J., 81 f. 10 Ein rassistisches, am „Blut“ orientiertes Rasseverständnis wäre mit Kandinskijs Internationalismus und seinem Streben nach dem „inneren Inhalt“, nach dem „Geistigen“ und der „Synthese“ (so schwammig diese Konzepte auch formuliert sein mögen) wohl kaum kompatibel. Es ist bezeichnend, dass Kandinskij bei der Rede von den „Verschiedenheiten“ der Nationen ihren Einklang gleich mitbedenkt: „Das ‚Nationale‘ ist eine ‚Frage‘, die heute entweder unterschätzt oder bloß vom äußeren und oberflächlich-wirtschaftlichen Standpunkte behandelt wird, weshalb seine negativen Seiten stark in den Vordergrund treten und das Anderseitige spurlos verdecken. Und gerade dieses Anderseitige, d. h. das Innere, ist das Wesentliche. Von diesem letzteren Standpunkte aus würde die Summe der Nationen nicht eine Dissonanz, sondern eine Konsonanz bilden.“ Ebd., 83. Kandinskij konkretisiert die von ihm angesprochenen „negativen Seiten“ nicht, sondern belässt sie im Andeutungshaften.

Der kulturelle Essenzialismus in Kandinskijs Kunsttheorie  |

den Russen auch nur das Geringste einräumen könnte; wohl aber in dem Sinn, daß sich das Nationale, die Rasse als objektiver kultureller Gegensatz dazwischenschiebt.11

Kehren wir zu Kandinskijs Ausführungen zurück, so können wir festhalten, dass eine international ausgerichtete Kunstwissenschaft im Sinne Kandinskijs in der Lage sein würde, bei der Analyse der malerischen Elemente die kulturellen Bedingtheiten, die über die Anwendung und Wirkung der jeweiligen Elemente mitentscheiden, als distinkte Merkmale zu bestimmen. Dieses Aufgabenfeld lag außerhalb der Grenzen, die sich Kandinskij für Punkt und Linie zu Fläche gesteckt hatte. Gleichwohl machte er sich während der Arbeit an seinem Buch Gedanken darüber und formulierte diese in einem Aufsatz mit dem lakonischen Titel „Abstrakte Kunst“ (1925). In der progressiven Kunstzeitschrift Der Cicerone veröffentlicht, nahm Kandinskijs Beitrag einen Umfang von insgesamt zehn Seiten ein, mehr als die Hälfte davon war Illustrationen vorbehalten. Die halbseitigen S/W-Reproduktionen von neun Gemälden und einem Aquarell zeigen ausnahmslos Werke von Kandinskij aus der Zeit zwischen 1913 und 1924; sie werden ergänzt durch eine Vignette, deren Entwurf aus dem Jahr 1911 stammt. Die Chance, die eine Publikation im Cicerone, der „Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler“, bot, nämlich bei einer strategisch wichtigen Zielgruppe für sich und sein Anliegen in Wort und Bild zu werben, war Kandinskij sicher bewusst.12 Bereits die Überschrift „Abstrakte Kunst“ lässt darauf schließen, dass er dem Aufsatz eine repräsentative, grundlegende Bedeutung beimaß, was sich im weiteren Verlauf der Lektüre auch bestätigt.13

11 Hausenstein 1914b, 298. Hervorh. S. B. 12 Iris Klein zufolge, die sich auf Sperlings Zeitschriften- und Zeitungsadressbuch von 1927 beruft, erschien der Cicerone in einer Auflage von 2500 Exemplaren. Vgl. Klein 1991, 28. Dass der Cicerone seit 1922 „[ü]ber aktuelle Tendenzen in der Kunst […] nicht mehr berichtet“ habe bzw. allenfalls noch „in einem Zeitspiegel, in Literaturbesprechungen und in Ausstellungsnotizen“, wie Klein (ebd., 31) behauptet, will sich mir bei einem Durchblättern der Inhaltsverzeichnisse entsprechender Jahrgänge nicht erschließen. Man denke nur an Will Grohmanns monographische Artikel (über Klee, Kandinskij, den Kokoschka-Schüler Friedrich Karl Gotsch) oder an seinen instruktiven Überblick über „Die Kunst der Gegenwart auf der Internationalen Kunstausstellung Dresden 1926“ (s. u.). 13 Es kann hier leider nicht der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis der Cicerone-Artikel zu einer Reihe von Vorträgen steht, die Kandinskij in dieser Zeit unter dem Titel „Abstrakte Kunst“ bzw. „Über abstrakte Kunst“ gehalten hat. Die mir bekannten Vortragsdaten lauten: Galerie Fides, Dresden, 23.9.1924 (vgl. Weissbach 2009, 12; das Manuskript wird im Fonds Kandinsky des Centre Pompidou in Paris aufbewahrt); Kestner-Gesellschaft, Hannover, 16.12.1924 (vgl. Schmied 1966, 273); Wiesbaden, Januar 1925 (vgl. Fäthke 2004, 197); Kunstverein Jena, 15.3.1925 (vgl. Stephan 2009, 26). – Ebenfalls nur erwähnt sei der Hinweis bei Lindsay und Vergo, der Aufsatz „Abstrakte Kunst“ sei in einer Übersetzung in der Belgrader Zeitschrift Zenit (November–Dezember 1925) erschienen. Vgl. Kandinsky 1994, 511.

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Dessen ungeachtet nahm Max Bill den Text nicht mit in die Essays über Kunst und Künstler auf, einen erstmals 1955 herausgegebenen Sammelband von Aufsätzen Kandinskijs, der als Ergänzung zu den beiden theoretischen Hauptwerken Über das Geistige in der Kunst und Punkt und Linie zu Fläche intendiert war.14 Erst 2009, anlässlich einer Kandinskij-Ausstellung zum 90-jährigen Jubiläum des Bauhauses, wurde der Aufsatz „Abstrakte Kunst“ wieder abgedruckt und im Rahmen eines Katalogbeitrags von Reinhard Zimmermann wissenschaftlich untersucht.15 Im Fokus der nachfolgenden Analyse des Aufsatzes „Abstrakte Kunst“ steht die Rolle, die Kandinskij dem von ihm so genannten „slawischen Prinzip“ – im Unterschied zum „romanischen Prinzip“ – zuschrieb. Desgleichen soll auf zentrale Parallelen zwischen Kandinskijs Text und einem Teil der in vorigen Kapiteln behandelten Schriften aufmerksam gemacht werden. 4.1.2 „Romanentum, Germanentum, Slawentum“ im Aufsatz „Abstrakte Kunst“ (1925) Es hat den Anschein, als gebe Kandinskij in seinem Cicerone-Beitrag einen Vorgeschmack auf die in Punkt und Linie zu Fläche proponierte „Analyse der ganzen Kunstgeschichte“, die zeitlich und national bedingte Unterschiede zunächst isoliert betrachtet und da­ raus ihre Schlüsse im Hinblick auf eine übergeordnete, ‚gesetzmäßige‘ Entwicklung der Kunstgeschichte zieht.16 Der Aufsatz beginnt mit einer Gegenwartsanalyse: Es ist die Rede von einer „Umwertung, die das Äußere sehr langsam verläßt und sich dem Inneren sehr langsam zuwendet“17. Hierin kündige sich eine „der größten geistigen Epochen“ an, „die unter anderem – was speziell in bezug auf abstrakte Kunst von entscheidender Wichtigkeit ist – die Hauptbasis vom Materiellen in das Geistige verpflanzt“.18 Kandinskij eröffnet seinen Aufsatz folglich so, wie er Über das Geistige in der Kunst – 13 Jahre zuvor! – beendet hatte: mit dem Hinweis auf die im Anbruch befindliche „Epoche des großen Geistigen“ 19. Als ein Indiz für diesen epochalen Wandel führt Kandinskij „eine Verschie14 Vgl. Kandinsky 1973a. Das Fehlen des Aufsatzes „Abstrakte Kunst“ in dieser Kompilation hilft, seine verhältnismäßig geringe Beachtung seitens der Forschung zu erklären. – Der Schweizer Max Bill (1908–1994), ein Hauptvertreter der Konkreten Kunst, hatte 1927 bis 1929 am Dessauer Bauhaus u. a. bei Kandinskij studiert. 15 Vgl. Ausst.Kat. Jena 2009, darin: Kandinsky [1925] 2009 und Zimmermann 2009. – Auf Basis der englischen Übersetzung („Abstract Art“) in den von Kenneth C. Lindsay und Peter Vergo herausgegebenen Complete Writings on Art hat sich Christopher Short (2010, insb. 100 f., 126) mit Kandinskijs Text auseinandergesetzt. 16 Kandinsky [1926] o. J., 16 f. 17 Kandinsky 1925, 639. 18 Ebd. 19 Kandinsky [1912] 2006, 147. Am Ende des Aufsatzes „Abstrakte Kunst“ kommt Kandinskij noch einmal darauf zurück: „[…] es ist anzunehmen, daß die angefangene große Periode der abstrakten

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bung des Kunstzentrums“ an, „die im letzten Grunde den Übergang vom romanischen zum slawischen Prinzip bedeutet – vom Westen zum Osten“.20 Der eingangs beobachteten Um-Wertung vom ‚Äußeren‘ zum ‚Inneren‘ entsprechend, liegt dem „slawischen Prinzip“ nach Kandinskij eine „innere Wertung“ zugrunde; deren treibende Kraft sei ihm zuerst beim Studium der russischen Bauerngerichte bewusst geworden, jedoch habe er „ihre oft geheime Wirkung später in verschiedenen Erscheinungen des russischen Lebens wiedergefunden“.21 Die Bezugnahme auf das Bauerntum kommt nicht von ungefähr, galt dieses unter gebildeten Russen doch traditionell als „keeper of national identity“22; von daher versteht sich auch der Hinweis, dass sich die Bauerngerichte „frei, ohne westeuropäische Beeinflussung (das römische Recht) entwickelt haben“23. Die „innere Wertung“ wird somit als eine Grundeigenschaft des russischen Nationalcharakters beschrieben, die sich neben der Rechtsprechung auch in anderen Bereichen äußere. Was das aber sei: die „innere Wertung“, hat der Leser, die Leserin für sich selbst zu klären. Kandinskijs diesbezügliche Hinweise erwecken den Eindruck eines begrifflichen Verweisspiels, das auf einer Struktur aus Zuordnungen und Gegenüberstellungen basiert, ohne dass diese Struktur recht mit Inhalt gefüllt würde. So wird die „innere Wertung“ zirkelschlussartig definiert als „der relative Wert des Äußeren, das nur im Inneren seine Wertung findet“.24 Da nun die „innere Wertung“ für die Slawen vereinnahmt wird, erscheint es angesichts der antithetischen Konstruktion des Textes nur folgerichtig, wenn Kandinskij dem „romanischen Prinzip“ die „äußere Wertung“ zugrunde legt: Diese finde ihre mustergültige Formulierung in der französischen Malerei.25 Wie die Russen für das ‚Slawische‘ stehen die Franzosen mithin als Stellvertreter für das ‚Romanische‘. Die holzschnittartigen Setzungen, mit denen Kandinskij operiert, erlauben es, die zentralen Begriffe in Form eines Schemas von Analogien und binären Oppositionen darzustellen. Die abstrakte und die gegenständliche Kunst, mit deren Aufstieg respektive Kunst, die grundsätzliche Umwälzung in der Kunstgeschichte eine der wichtigsten Anfänge der geistigen Umwälzung ist, die ich seinerzeit die Epoche des Großen Geistigen genannt habe.“ Ders. 1925, 647. 20 Ebd., 639. 21 Ebd. Seine „tiefe Liebe“ zum russischen Bauernrecht hatte Kandinskij bereits in den „Rückblicken“ bekannt und auch begründet. Das Bauernrecht, so heißt es da, zeichne sich durch „eine äußerst biegsame und freiheitliche Form“ aus, „die nicht durch das Äußere, jedoch ausschließlich durch das Innere bestimmt wird“; Kandinskij stellt das Bauernrecht in einen „Gegensatz zum römischen Recht“ (einer Manifestation des „romanischen“ Prinzips also), das typischerweise als ‚fein‘, ‚hochraffiniert‘, aber auch als ‚viel zu kalt‘, ‚viel zu vernünftig‘ und ‚unbiegsam‘ charakterisiert wird. Kandinsky [1913] 2004b, 31. Vgl. dazu ausführlich Zimmermann 2009, 34–36, sowie Short 2010, 98 f. 22 Salmond 1996, 7. Vgl. auch Bojkov 2002. 23 Kandinsky 1925, 639. 24 Ebd. 25 Ebd., 640.

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Abstieg die geschilderten „Verschiebungen“ für Kandinskij auf das Engste zusammenhängen, lassen sich jeweils einer Seite zuordnen:

Außen ↔ Innen Materie

↔ Geist

äußere Wertung ↔ innere Wertung



Westen



romanisches Prinzip



Frankreich



gegenständliche Kunst

↔ Osten ↔ slawisches Prinzip ↔ Russland ↔ abstrakte Kunst

Die dargestellten Relationen können auf der horizontalen Achse als antithetisch, auf der vertikalen als verwandtschaftlich bezeichnet werden. Zudem erlaubt es die textimmanente Logik, die angeführten Begriffe nicht nur horizontal und vertikal, sondern auch diagonal aufeinander zu beziehen. Daraus ergeben sich weitere (mittelbar-)antithetische Verhältnisse (z. B. äußere Wertung ↔ slawisches Prinzip), die im Text allerdings kaum präzisiert werden. Eine zentrale Eigenschaft des von Kandinskij entwickelten Schemas ist die ihm innewohnende Dynamik, sein Eingebundensein in den geschichtlichen Prozess: Sukzessive verlagert sich das Schwergewicht von der einen Seite (Außen) auf die andere (Innen). (Um den Akzent von der statischen semantischen Opposition auf das Prozessuale zu verschieben, könnte man in der Visualisierung das Zeichen „↔“ jeweils durch „→“ ersetzen.) Diese historische Dynamik, die ein Gestern, ein Heute und ein Morgen kennt,26 weist nun ihrerseits ein besonderes Merkmal auf: Sie ist teleologisch fundiert, auf ein Ziel hin ausgerichtet. Ihr telos aber ist laut Kandinskij nichts anderes als der Durchbruch der abstrakten Kunst; auf sie habe sich die Kunstgeschichte hinbewegt. Dieses Geschehen wird analog zu der eingangs konstatierten Umwertung als „ein langsam vor sich gehender Vorgang“ beschrieben, „der im Ausgangspunkt rein äußerlich-praktisch-zweckmäßige Gründe hat, wobei das ‚rein Künstlerische‘ bloß als kaum sichtbarer Embryo zu 26 1923 verfasste Kandinskij einen Artikel mit der Überschrift „Gestern – Heute – Morgen“, der in dem von Paul Westheim herausgegebenen Sammelband Künstlerbekenntnisse (1925) erschien. Vgl. dazu Short 2010, 125 f.

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Abb. 17: Vasilij Kandinskij: Helles Bild, Dezember 1913, Öl und Naturharz auf Leinwand, 77,8 x 100,2 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York

beobachten ist, und der sich weiter zum ständigen Wachsen dieses Embryos entwickelt, bis sich daraus eine volle Gestalt des rein Künstlerischen ausbildet“.27 Kunstgeschichte erscheint hier als eine Entwicklung zur Geburt der Abstraktion: Die Metapher des Embryos weist darauf hin, dass dieses Ziel zu allen Zeiten in der Kunst angelegt war, wenn auch nicht sichtbar. Kandinskij verleiht seinem Tun damit eine schicksalhafte Bedeutung – wobei er sich selbst über den Prophetenrock kurzerhand den Mantel des Geburtshelfers streift. Auch wenn er seine Person in dem Aufsatz verbaliter nicht in den Vordergrund stellt und darauf verzichtet, wie andernorts zu proklamieren, er sei „der erste Maler, der die Malerei auf den Boden der rein-malerischen Ausdrucksmittel stellte und das Gegenständliche im Bilde strich“28, wird dieser Anspruch nichtsdestotrotz erhoben, und zwar durch die Auswahl der Illustrationen: Deren Originale stammen nicht nur allesamt aus Kandinskijs Hand – wiewohl sein Text von abstrakter Kunst im Allgemeinen handelt; es fällt gerade an den frühesten Bildbeispielen auch ein besonders 27 Kandinsky 1925, 643. 28 Kandinsky 1919b, 172.

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hoher Abstraktionsgrad auf (vgl. Abb. 17).29 Durch rein visuelle Mittel demonstriert Kandinskij auch hier sein Primat unter den abstrakten Künstlern. Nun sind die im obigen Schema einander gegenübergestellten Begriffe als Antithesen noch nicht hinreichend charakterisiert. Die binären Oppositionen (z. B. Außen ↔ Innen) bestehen für Kandinskij nämlich nicht absolut, zumindest nicht auf der Ebene des Kunstwerks. Dies leuchtet am Beispiel von Materie und Geist bzw. Form und Inhalt schnell ein: Die Vermittlung des (geistigen) Inhalts ist auf eine (materielle) Form angewiesen. Worum es Kandinskij letztlich geht, worum es ihm nur gehen kann, ist die relative Verlagerung hin zum Geistigen (zur inneren Wertung, zum slawischen Prinzip), bei der „das Materielle die ihm gebührende Bedeutung behält“30 – wohlgemerkt: „die ihm gebührende“! Die Materie wird durch den Geist nicht einfach ersetzt, sie wird von ihm vielmehr ergänzt und dirigiert: Es bedarf beider Komponenten. Auch hinsichtlich der nationalen Zuordnungen liegt der Fall komplizierter als es auf den ersten Blick scheint. Zwar kann kein Zweifel daran bestehen, dass Kandinskij die besondere Rolle des ‚Slawentums‘ für die abstrakte Kunst pointiert, indem er sie beide auf ein gemeinsames Fundament stellt: die „innere Wertung“. Allerdings behauptet Kandinskij auch, dass die im 19. Jahrhundert dominierende „äußere Wertung“ eine Vo­­ raussetzung für das Entstehen der abstrakten Kunst gewesen sei, „wozu das formal hochbegabte französische Volk die Rolle des geeignetsten Werkzeugs übernehmen mußte“.31 Daraus erkläre sich auch die zurückliegende Vormachtstellung der französischen Malerei, namentlich des Impressionismus, des Neoimpressionismus und des Kubismus.32 Ihre historische Bestimmung bestand für Kandinskij darin, „das äußere Kunstmaterial […] der äußeren Analyse zu unterwerfen“33. Diese „unbewußt ausgeführte Mission“ sei nun aber beendet: „Es ist nicht schwer einzusehen, daß, wenn die französische Kunst dem rein äußerlich romanischen Prinzip treu bleibt, so wird sie wieder in den Hintergrund der Kunstideen zurücktreten müssen, aus dem sie vor beinahe einem Jahrhundert ans

29 Den Auftakt macht Helles Bild von 1913, über das ein Brief Kandinskijs an Hilla von Rebay vom 16. Januar 1937 Aufschluss gibt. Die Terminologie Rebays aufgreifend, zählt Kandinskij das Ölgemälde zu seinen frühen „‚non-objective‘“ Bildern, „die in keiner Weise mit dem Gegenstand zu tun haben“. Zit. nach: Rudenstine 1976, 275. Zur fraglichen Unterscheidung zwischen ‚abstrakt‘ und ‚nonobjective‘ vgl. die Erläuterungen ebd., 272–277. – In Sachen Kunst für Solomon Guggenheim tätig, war Hilla von Rebay neben Katherine Dreier und Galka Scheyer eine weitere wichtige Vermittlerin von Kandinskijs Werk in den USA. 30 Kandinsky 1925, 639. 31 Ebd., 640. 32 Vgl. ebd. Der Kubismus wird hier als Ausläufer der von den Impressionisten angestoßenen Entwicklung verstanden. Dem Geist des 19. Jahrhunderts zugerechnet, bleibt er aus Kandinskijs Zukunftsgebäude ausgeschlossen. 33 Ebd.

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Licht kam.“34 Damit erkennt Kandinskij die Leistung der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts als eine Voraussetzung der abstrakten Kunst an – und zwar nicht als bloße Negativfolie, sondern als Vorbedingung für die abstrakte Kunst –,35 erklärt ihre Hoch-Zeit aber für abgelaufen: Für die Zukunft billigt er den Franzosen nur mehr eine Chargenrolle zu. Durch Formulierungen wie „Rolle des geeignetsten Werkzeugs“ und „unbewußt ausgeführte Mission“ gibt Kandinskij zu verstehen, dass er von schicksalhaften Tatsachen spricht. Die Abstraktion erscheint so als eine Notwendigkeit, bei der es sich mitnichten um eine Modeerscheinung handelt, geschweige denn um ein Produkt subjektiver Willkür, sondern um ein objektives Muss. Kandinskij schildert ein Drama von welthistorischem Format, in dem Frankreich, Deutschland und Russland als Protagonisten auftreten – mit der Besonderheit freilich, dass der Träger der Haupthandlung am Ende eines jeden Akts wechselt. Um das Verhältnis der Akteure untereinander zu veranschaulichen, sei ein weiteres Bild bemüht: Man denke an einen Staffellauf, bei dem nach Erreichen eines Etappenziels der Staffelstab an den jeweils nächsten weitergereicht wird. Erst mit Russland, dem letzten Sprinter und zugleich stärksten Teammitglied (dem „slawischen Prinzip“ sei Dank), gelangt die Staffel an ihr Ziel. Die Etappenziele und -wege sind verschieden, ebenso die Leistungen im Einzelnen – das Gesamtziel indes ist eins: die abstrakte Kunst. Die „Umwertung“ als historischer Prozess wird auf der Metaebene zu einer Resultante divergierender Kräfte synchronisiert. Entsprechend beschreibt Kandinskij die Gegenwart in der ihm eigenen musikalischen Metaphorik als einen „Dreiklang“ von „Romanentum, Germanentum, Slawentum“.36 Welchen Ton stimmt nun das „Germanentum“ in diesem „Dreiklang“ an? Wir erfahren es nicht. Kandinskij belässt es bei der Feststellung, dass die Deutschen mit den Russen konsonieren. Von einem eigenen Beitrag der Deutschen ist nicht die Rede. Das „Germanentum“ erfüllt im Cicerone-Aufsatz vielmehr eine indikative oder bestätigende Funktion, vergleichbar einem Wegweiser. Der Grund liegt auf der Hand: Kandinskijs 34 Ebd. Vgl. auch Zimmermann 2002a, 171 f. Kandinskij (1925, 640, Anm. 2) verweist in diesem Kontext auf „die heutige ‚Reaktion‘ in Frankreich […], die die französischen Nachläufer in anderen Ländern mitmachen“. Gemeint sind die figurativen Tendenzen der 20er-Jahre (Neoklassizismus, Neue Sachlichkeit), die Kandinskij entgegen ihrer realen Bedeutung zu einem künstlerischen Nebenschauplatz abwertet, da sie vor dem Hintergrund seines Entwicklungsmodells (mit der Abstraktion als telos) als Rückfall erscheinen müssen. – Wie freimütig sich Kandinskij kunsthistorische Tatsachen zurechtbiegt, wird auch in einer vorangegangenen Bemerkung manifest, der zufolge die französische Kunst bis zu ihrem Aufstieg im 19. Jahrhundert „wenig wirksam[.]“ gewesen sei (ebd., 640). 35 Vgl. die Erläuterungen von Short (2010, 80 f., 125–127) zu den verwandten Prinzipien „new truths develop upon old wisdom“ (ebd., 80) in Kandinskijs „Rückblicken“ (1913) und „development through opposition“ (ebd., 127) in der Bauhauszeit. 36 Kandinsky 1925, 640.

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Text stützt sich auf eine binäre Argumentationsstruktur, die zwischen „Romanentum“ und „Slawentum“ polarisiert. Das „Germanentum“ lässt sich innerhalb dieser dualistischen Struktur nicht als eigenständiges Prinzip beschreiben.37 Auf der anderen Seite ist die Vorstellung von Deutschland als einem „Gebiet der Vermittlung, des Überganges“38 in dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Wie es scheint, hat Kandinskij das „Germanentum“ just unter diesem Aspekt des „Überganges“ betrachtet. So deutet er „die Vorgänge in der germanischen Psyche“, will heißen: das verstärkte Interesse an russischer Kultur, als Zeichen der von ihm postulierten Umwertung (am Anfang stand natürlich Dostoevskij).39 Deutschland, das Land der Mitte, wendet Frankreich seinen Rücken zu – um auf Russland zu schauen: Frankreich repräsentiert das Gestern, Deutschland das Heute und Russland das Morgen.40 Die Schnittstelle zwischen dem Gestern und dem Heute markiert der „immer tiefer gehende Bruch in den Kunstbewegungen einerseits der romanischen, andererseits der slawischen und germanischen Tendenzen“; hierin sieht Kandinskij den „Anfang der abstrakten Kunst“.41 Die Inbezugsetzung der drei Nationen durch Kandinskij oszilliert somit zwischen historischem „Bruch“ und synchronem „Dreiklang“. Die Paradoxie, die dieser Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen eignet, erscheint weniger eklatant, wenn man das künstlerische Ergebnis, das Kandinskij vor Augen schwebt, als Synthese divergenter Prinzipien betrachtet. Das „Romanentum“ behält dabei ebenso wie das „Materielle“ „die ihm gebührende Bedeutung“ (s. o.). Ohne die Unstimmigkeiten glätten zu wollen, die eine 37 Auch in dialektischer Formulierung hat das „Germanentum“ keinen Platz, da das „Slawentum“ sowohl die Position der Antithese (in Bezug auf das „Romanentum“) als auch die Position der Synthese einnimmt. 38 Sydow 1920, 136. 39 Kandinsky 1925, 640. In der russischen Ausgabe der „Rückblicke“, hier zitiert nach der Übersetzung bei Hugo Zehder (1920, 53), erinnert sich Kandinskij: „In den letzten Jahren vor dem Kriege kamen in München immer öfter diese von mir früher unbemerkten Repräsentanten des jungen, inoffiziellen Deutschlands zu mir. Sie zeigten nicht nur ein lebendiges, inneres Interesse für das Wesen des russischen Lebens, sondern auch einen bestimmten Glauben an die ‚Rettung‘ durch den Osten. Wir verstanden uns gut und fühlten es klar, daß wir in ein und derselben Sphäre lebten. […] Und es war besonders merkwürdig und erfreulich, zwischen den Besuchern auch Holländer, Schweizer und Engländer genau vom selben Schlage zu sehen.“ Für Kandinskij war diese Erfahrung offenbar ein Beleg für die internationale Anziehungskraft und die integrative Wirkung der russischen Kultur. 40 Zur dreiteiligen Struktur des Kandinskij’schen Entwicklungsmodells „from the most practical and material to the most abstract and spiritual“ vgl. Short 2010, 78–85, 100 f., 144 (Zitat auf S. 85). 41 Kandinsky 1925, 639. Weil Deutschland den von Kandinskij beobachteten Prozess vertritt – der hier gleichbedeutend ist mit einem Progress –, kann das „Germanentum“ der „slawischen“ Achse zugeordnet werden: Aus der Dreiteilung wird eine Zweiteilung. Die Hervorhebung der deutschrussischen Zusammengehörigkeit, die in der Abgrenzung zu Frankreich ihre Konturen erhält (vgl. dazu die Kapitel über Burger und Sydow), dient nicht zuletzt dem Zweck einer captatio benevolentiae: Kandinskij wirbt um die Gunst seiner deutschen Leserschaft.

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Analyse von Kandinskijs Kunsttheorie offenlegt, lässt sich aus einem synthetischen Blickwinkel doch mancher seiner Gedankengänge leichter nachvollziehen. Allerdings: Je weiter man Kandinskijs Ausführungen unter diesem Blickwinkel folgt, desto mehr gerät die oben dargestellte Ordnung von begrifflichen Analogien und Oppositionen (das ‚Entweder-Oder‘) ins Wanken, geht über in ein Chaos – oder, wie Kandinskij in einem späteren Text andeutet, in eine „andere Ordnung“ (das ‚Und‘).42 Kandinskij hat seinem Aufsatz „Abstrakte Kunst“ zwei konträre Standpunkte eingeschrieben: einen analytischen und einen synthetischen. Es gilt bei der Lektüre, beide im Auge zu behalten.43 4.1.3 Vom „slawischen Prinzip“ zur Abstraktion? In einer Abhandlung aus dem Jahr 2009 reflektiert Reinhard Zimmermann aus kunsthistorischer Perspektive zwei Grundprobleme, die sich für ihn bei einer kritischen Lektüre von Kandinskijs Aufsatz „Abstrakte Kunst“ ergeben.44 Eine dieser Problematiken – die andere braucht uns hier nicht zu beschäftigen – ist mit dem „slawischen Prinzip“ verbunden, oder vielmehr mit dem hohen Stellenwert, den Kandinskij dem „Slawentum“ für die Genese der abstrakten Kunst einräumt: Für Zimmermann handelt es sich dabei schlichtweg um eine Überbewertung. Seine Vorbehalte richten sich zum einen gegen 42 Kandinsky [1927] 1973b, 99. Der Aufsatz trägt an seinem ursprünglichen Erscheinungsort, der Zeitschrift i10 (Amsterdam), den Untertitel „Einiges über synthetische Kunst“. Es muss hier darauf verzichtet werden, auf die zahlreichen Querverbindungen zwischen dem Cicerone-Beitrag von 1925 und weiteren Schriften Kandinskijs näher einzugehen. 43 Das schwierige Verhältnis zwischen dem „romanischen Prinzip“ und dem „slawischen Prinzip“, das sowohl durch deren Spaltung als auch durch ihren Zusammenklang bestimmt ist, lässt sich analog zum Verhältnis von Analyse und Synthese bei Kandinskij begreifen, wie es von Zimmermann (2002a, 200–213, hier: 209 f.) erläutert wird: „In der ahistorischen Perspektive erscheinen Analyse und Synthese als komplementäre Begriffe. Ihr gegenseitiges Verhältnis ist eines der Ergänzung […].“ Gleichzeitig steht außer Frage, „daß trotz aller ergänzender und voraussetzender Notwendigkeit die Analyse das untergeordnete Moment der beiden Faktoren ist. Sie ist ein Ausgangspunkt, von dem aus zu Höherem fortgeschritten werden muß. […] In der historischen Perspektive ist das Verhältnis zwischen Analyse und Synthese weniger eines der Ergänzung als vielmehr eines der Ablösung. […] Aus den verschiedenartigen konzeptuellen Voraussetzungen erklärt sich die ambivalente Bewertung des Analytischen durch Kandinsky. In evolutionärer Perspektive kann es nur um die vollgültige Ablösung der Analyse durch die Synthese, des ‚Entweder-Oder‘ durch das ‚Und‘, gehen. In der Perspektive kreativer und wissenschaftlicher Verfahrensweisen jedoch ist der Analyse ein wichtiger Stellenwert im Vorfeld des synthetischen Prozesses einzuräumen. Aus diesem Grund konzipiert Kandinsky die ‚Große Synthese‘ als Vereinigung von Analyse und Synthese: sie ist einerseits die historisch gebotene Überwindung der Analyse, behält aber andererseits zugleich die Analyse als nützliches Teilmoment ihrer selbst bei.“ Man ersetze in dem Zitat das Wort „Analyse“ durch „romanisches Prinzip“ und das Wort „Synthese“ durch „slawisches Prinzip“, um sich den hohen Grad an Übereinstimmung zu vergegenwärtigen. Vgl. auch Short 2010, 123–134. 44 Vgl. Zimmermann 2009.

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den verallgemeinernden Gestus in Kandinskijs Ausführungen. So gibt Zimmermann zu bedenken, dass einzig und allein er selbst [also Kandinskij; S. B.] – eventuell noch in Gemeinschaft mit Kasimir Malewitsch – als der Vertreter des ‚slawischen Prinzips‘ verstanden werden kann, dessen Kunst nun die ‚Verschiebung des Kunstzentrums […] vom Westen zum Osten‘ bewirkt. Gerade angesichts der wenige Jahre zuvor erfolgten endgültigen Emigration aus seinem Heimatland […] und der im Aufsatztext artikulierten Kritik an den russischen Konstruktivisten fehlt dieser Idee von der Verschiebung des Kunstzentrums nach Osten die rechte Überzeugungskraft, und sie ist ja auch von der weiteren historischen Entwicklung nicht eingelöst worden.45

Die von Zimmermann erhobenen Einwände sind fraglos stichhaltig. Auch wenn sich gewiss noch weitere Maler finden ließen, die in Kandinskijs Augen dem „slawischen Prinzip“ alle Ehre bereitet haben – zumal sein geschätzter Freund Aleksej Javlenskij, man denke an dessen Variationen und Abstrakte Köpfe –,46 ist kaum zu leugnen, dass Kandinskijs Position vor dem Hintergrund des Kunstgeschehens in Russland mehr die Ausnahme darstellte als die Regel.47 Indes erschöpft sich Zimmermanns Kritik mit diesen Einwürfen nicht. Er hinterfragt die Gültigkeit von Kandinskijs Äußerungen nicht nur im Hinblick auf ihre generelle Bedeutung für die Abstraktion, er misst dem „slawischen Prinzip“ auch für Kandinskijs eigenen künstlerischen Werdegang einen eher zweifelhaften Status bei. Kandinskijs Prononcierung des ‚Slawischen‘ bzw. des ‚Russischen‘ erscheint Zimmermann allein dadurch verdächtig, dass sie mit einer „Hintansetzung des romanischen Prinzips“48 einhergeht. In der Tat dürfte heute niemand ernstlich bestreiten, dass Kandinskij von der französischen Malerei, insbesondere von den Impressionisten (Monet) und den Fauvisten (Matisse), wesentliche Impulse empfangen hat. Kandinskij selbst charakterisierte die mit dem Impressionismus eingeschlagene Richtung als „das mehr oder weniger bewußte,

45 Ebd., 37. 46 Der Erste Weltkrieg hatte zu einem Einschnitt nicht nur in Javlenskijs Biographie, sondern auch in seinem Werk geführt: Nach seiner Emigration in die Schweiz war sein Stil abstrakter geworden und er hatte begonnen, in Serien zu malen. Von 1924 an wurde Javlenskij, inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt, zusammen mit Kandinskij, Klee und Feininger unter dem Label Die Blauen Vier von Galka Scheyer in den USA promotet. Vgl. Fäthke 2004, 173–176, 182–184, 196. 47 Freilich hatten die Menschen in Deutschland damals, nur wenige Jahre nach der Ersten Russischen Kunstausstellung in der Galerie van Diemen, kaum mehr einen Einblick in das russische Kunstleben, um dies nachvollziehen zu können: „Was heute in Rußland geschaffen wird, entzieht sich zum großen Teil unserer Kenntnis. Seit der russischen Ausstellung in Berlin 1922 […] ist wenig von der weiteren Entwicklung bekanntgeworden.“ Grohmann 1926b, 411. 48 Zimmermann 2009, 37.

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aber stets planmäßige Zurückschieben des gegenständlichen Klanges“49. Dennoch: Für die abstrakte Kunst im Sinne Kandinskijs war der französische Beitrag eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Das ausschlaggebende Moment war für ihn die „innere Wertung“, die er im „slawischen Prinzip“ wiedererkannte (welches somit dem „romanischen“ überlegen war). Und genau an diesem Punkt hakt Zimmermann ein: Es ist dieses „etwa ab 1910 einsetzende, über längere Zeit anhaltende Bemühen Kandinskys, die Bedeutung russischer Faktoren zunehmend zu betonen und vor allem, ihnen auch eine Rolle für die Entwicklung der Abstraktion zuzusprechen“50, das bei ihm die stärksten Vorbehalte hervorruft. Die Problematik erscheint Zimmermann freilich umso größer, als in seiner eigenen Forschungsperspektive jene Aspekte der russischen Kultur, die von anderen Autoren als grundlegend für die Genese der Abstraktion bei Kandinskij erachtet werden (z. B. die Ikonenmalerei), in den Hintergrund treten oder in Abrede gestellt werden. Zimmermann selbst sieht „den für die völlige Abstraktion entscheidenden Einfluss“ in den „okkultistischen und theosophischen Vorstellungen einer die Gegenstandswelt komplett durchdringenden und ersetzenden ätherischen Realität“.51 Er gelangt daher zu der Vermutung, Kandinskij habe diese Einflüsse geflissentlich unter dem Deckmantel seines Russentums verborgen.52 Es ist hier nicht der Ort, die seit Längerem geführte und durch Polarisierung geprägte Diskussion aufzugreifen, was denn nun für die Herausbildung einer abstrakten Bildsprache bei Kandinskij den Ausschlag gegeben hat: seine kulturelle Prägung in Russland oder die Theosophie. (Möglicherweise ist diese Fragestellung bereits in sich zu hinterfragen.) Stattdessen sollen Zimmermanns Einwürfe zum Anlass genommen werden, auf den Rezeptionskontext von Kandinskijs Artikel hinzuweisen. Im Lichte der Zeitgenossenschaft betrachtet, erscheinen manche von Kandinskijs Äußerungen weit weniger befremdlich, als es sich aus heutiger Sicht darstellen mag. Das in „Abstrakte Kunst“ entwickelte gedankliche Gerüst ist kein genuines Konstrukt der 20er-Jahre, es entstammt einem etablierten Diskurs. Drei konstitutive Elemente oder Grundannahmen dieses Diskurses, die sich in Kandinskijs Aufsatz wiederfinden, lauten: (1) Frankreich (Romanentum) und Russland (Slawentum) repräsentieren kulturelle Gegensätze par excellence: Äußerlichkeit vs. Innerlichkeit, Ratio vs. Intuitio, Naturalismus vs. Abstraktion usw. (2) Deutschland ist zwischen diesen beiden Extremen positioniert. 49 Kandinsky 1925, 643. Vgl. dazu die Bemerkung in Punkt und Linie zu Fläche, dass die Impressionisten, „wenn auch unbewußt, den ersten Grundstein zur neuen Kunstwissenschaft legten“ (Kandinsky [1926] o. J., 16). 50 Zimmermann 2009, 39. 51 Ebd. 52 Vgl. ebd.

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(3) Der Schwerpunkt des kulturellen Geschehens verlagert sich langsam, aber sicher vom Westen (Frankreich) in Richtung Osten (Deutschland, Russland). – Diese Grundannahmen tauchen wiederholt in den Büchern, Aufsätzen und Rezensionen auf, die in früheren Kapiteln der vorliegenden Arbeit untersucht worden sind; man findet sie teilweise in Kandinskijs „Rückblicken“, bei Worringer und Hausenstein, vor allem aber bei Burger und Sydow. Freilich steht dieser Befund unter der Prämisse des mutatis mutandis; denn gerade was die Positionsbestimmung Deutschlands betrifft (Punkt 2), können die Ansichten von Autor zu Autor doch erheblich variieren. Es kann festgehalten werden, dass Kandinskij wichtige Gedankenfäden, die er in seinem Cicerone-Beitrag miteinander verwob, nicht hatte neu zu spinnen brauchen: Sie lagen gleichsam griffbereit vor ihm. In Anbetracht dessen erweist sich die Feststellung, dass sich Kandinskij mitunter in Ungereimtheiten verwickelte, als eine auch zeitlich bedingte Erkenntnis. So konnte Kandinskij manches, das wir aus heutiger Distanz als erklärungsbedürftig oder nicht nachvollziehbar empfinden, bei einem Teil seines Publikums als gegeben voraussetzen. Dies gilt auch und gerade für die von Zimmermann problematisierte Behauptung eines allgemeinen Zusammenhangs zwischen der Abstraktion und einem „slawischen Prinzip“. Bei näherem Hinsehen teilt Kandinskij in Bezug darauf nämlich wenig Neues mit; es spiegeln sich in seinem Text vielmehr Auffassungen wider, die in Deutschland längst die Runde machten. Dazu gehörte auch die Tendenz, die abstrakte („absolute“, „arabeskenhafte“) Kunst als „russisch“ zu qualifizieren – wie den Expressionismus als „deutsch“. Nur allzu leicht konnte sich hier der Irrtum einschleichen, der Fall Kandinskij stehe exemplarisch für die russische Malerei: Wo dieser Fehlschluss gezogen wurde, diente Kandinskijs Schaffen zugleich als Grundlage einer Induktion und als Beleg für deren Richtigkeit (ein Kreisschluss). Davon unterscheidet sich die von Kandinskij unternommene Verallgemeinerung insofern, als sie erstens stärker prospektiv, auf die Zukunft hin ausgerichtet ist (eine Zukunft überdies, für die der abstrakten Kunst keine auf Russland beschränkte, sondern eine internationale Führungsrolle vorbestimmt sei), und als sie zweitens von einem normativen Abstraktionsbegriff ausgeht, der den Konstruktivismus von vornherein ausnimmt.53 Letzterer muss nach allem, was Kandinskij schreibt, dem „romanischen“ Paradigma zugerechnet werden: als eine Abstraktion im rein äußerlich-formalen Sinne. Mit einem „slawischen Prinzip“, das sich auf die „innere Wertung“ stützt, hat der Konstruktivismus nicht viel zu tun. Konsequenterweise hätte er seinen Ausgang daher in Frankreich nehmen müssen, nicht in Russland! Ein Treppenwitz des Schicksals also?

53 Vgl. Kandinsky 1925, 639: „Hier ist der Anfang der abstrakten Kunst, für deren Existenzberechtigung außer der äußeren Formfrage (wie man es vorwiegend im ‚Konstruktivismus‘ sieht) die innere Wertung der Kunstelemente unbedingt notwendig ist.“

Der kulturelle Essenzialismus in Kandinskijs Kunsttheorie  |

Die Irritation, die sich aus der Gegenüberstellung zwischen dem „slawischen Prinzip“ und dem (russischen) Konstruktivismus ergeben kann, wird von Kandinskij geschickt abgewendet. Um etwaigen Einwänden den Wind aus den Segeln zu nehmen, greift er zu einem bewährten rhetorischen Mittel: Kandinskij spricht der Mehrzahl der Deutschen wie auch seiner russischen Landsleute schlicht die Kompetenz ab, über die von ihm behandelten Vorgänge – die sich erst im Ansatz zu erkennen geben – schon jetzt ein Urteil zu fällen: Natürlich ist der Deutsche im allgemeinen nicht imstande, das rein russische im äußeren russischen restlos klar zu sehen, da auch Rußland gezwungen ist, den letzten Akt der äußerlich-materialistischen Entwicklung durchzumachen, weshalb die Russen selbst in der Regel über diese Unterschiede nicht urteilen können.54

Mit der „äußerlich-materialistischen Entwicklung“ dürfte neben der politischen Entwicklung in Russland – die ja nicht weniger mit dem „slawischen Prinzip“ kollidierte! – auch die künstlerische Entwicklung gemeint sein. Erneut macht Kandinskij aus der Not eine Tugend und legt die ausgesprochen dünne Faktenlage so aus, wie sie sich in sein teleologisches Konzept einfügen lässt. Im selben Zug profiliert er sich selbst als einer der Wenigen, die das im eigentlichen Sinne „Russische“ zu vernehmen begabt sind. Die Selbstverortung Kandinskijs als slawischer bzw. russischer Künstler geht einher mit dem Bemühen, sich von seinen russischen Kollegen abzusetzen. So unbestimmt das „Russische“ im Aufsatz „Abstrakte Kunst“ auch bleibt, folgt seine Konzeption doch tradierten Mustern. Das von Kandinskij entfaltete binär oppositionelle Argumentationsschema rekurriert auf die Ideologie der Slawophilen, die im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zu Europa eine eigene russische Identität postulierten: Gegen die westliche Äusserlichkeit begrifflichen Denkens stellte man die russische Tradition der Spekulation, die sich angeblich auf das Wesen der Dinge richtete. Der westlichen Spezialisierung, die auf alle Lebensaspekte einwirkte, hielten die Slawophilen Ganzheitlichkeit entgegen, die den russischen Geist angeblich auszeichnete.55

54 Ebd., 640. 55 Haldemann 2001, 277. Haldemann geht ausführlich auf die Nachklänge des Slawophilentums bei Kandinskij ein, vgl. ebd., 277–285.

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Neben der Lektüre slawophiler Denker wie Ivan Kireevskij (1806–1856)56 konnte Kandinskij mit diesen Auffassungen auch durch Vermittlung der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland formierenden Bewegung der sogenannten Gottessucher (bogoiskateli) in Berührung gebracht worden sein: Die Gottessucher nahmen alte slawophile Gedanken wieder auf; nicht im Sinne eines Nationalismus – Europa wurde Achtung entgegengebracht –, sondern aus der Überzeugung, dass Russland dank des tief im Volk verankerten, ursprünglichen Christentums eine weltumfassende Synthese herbeizuführen im Stande sei. Dostojewski folgend sahen sie im russischen Volk kraft seiner Allmenschlichkeit den möglichen Retter der ‚armen Menschheit‘. Nationalismus verband sich mit Panhumanismus.57

Auf die Verbindung von Nationalismus und Panhumanismus, deren deutsche Variante uns in Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst begegnet ist, lässt sich auch die besondere Bedeutung zurückführen, die Kandinskij dem „slawischen Prinzip“ zuschrieb. Dabei applizierte er das von den Slawophilen und ihren Nachfolgern übernommene Denkmuster auf die abstrakte Kunst, die ja auch dem Wunsch entsprang, das Wesentliche zu erfassen. Dass man in Deutschland für Ideen slawophiler Provenienz nicht unempfänglich war, lässt sich mit Boris Groys damit begründen, dass sich in ihnen die eigene Kritik an Europa (und speziell an dem, was Kandinskij unter dem „romanischen Prinzip“ subsumierte) widerspiegelte: Groys zufolge „erfindet sich die russische Kultur immer wieder neu als ‚andere‘ des Westens, indem sie oppositionelle, alternative Strömungen

56 Matthias Haldemann (2001, 283 f.) und Reinhard Zimmermann (2009, 35 f.) verweisen auf die Pa­ral­ lelen bei Kandinskij zu Kireevskijs 1852 veröffentlichten Gedanken O charaktere prosveščenija Evropy i o ego otnošenii k prosveščeniju Rossii [Über den Charakter der Bildung Europas und ihr Verhältnis zur Bildung Russlands]. Ein Exemplar der 1923 unter dem Titel Rußlands Kritik an Europa herausgegebenen deutschen Übersetzung von Kireevskijs Traktat befindet sich laut Zimmermann (ebd., 35) in Kandinskijs Pariser Nachlass. Darin wird u. a. behauptet, „daß die auszeichnende Verfassung des römischen Geistes in einem Uebergewicht der äußerlich verstandesmäßigen über die innere Wesenserkenntnis der Dinge bestanden habe“, während es sich im alten Russland genau umgekehrt verhalten habe (zit. nach: ebd., 36). Haldemann (2001, 283–285) macht darüber hinaus auf den Einfluss von Kandinskijs Moskauer Universitätslehrern Aleksandr Filippov und Aleksandr Čuprov aufmerksam, die „slawophilen Ideen nahe standen“ (ebd., 283). Vgl. auch Franz 2002c, mit einer tabellarischen Übersicht über die von Kireevskij aufgestellten Dualismen zwischen Latinität und Gräzität (die mit dem „romanischen“ und dem „slawischen Prinzip“ bei Kandinskij korrespondieren). 57 Haldemann 2001, 279. Die Bezeichnung „Gottessucher“ leitet sich von dem Buch Die Gott Suchenden (Iščuščie Boga) von A. S. Pankratov ab, das Kandinskij während seines Russlandaufenthaltes Ende 1910 las. Der Gruppierung gehörten u. a. Dmitrij Merežkovskij und Kandinskijs früherer Studienkollege Sergej Bulgakov an, der auch als Beiträger für den Almanach Der Blaue Reiter vorgesehen war. Vgl. Haldemann 2001, 278, sowie Mazur-Keblowski 2000, 85–88.

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der westlichen Kultur selbst, die einen integralen Teil dieser Kultur bilden, übernimmt, aneignet, transformiert – und dann gegen den Westen als Ganzes richtet“58. Dabei kam der Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus und den postidealistischen Richtungen des 19. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle zu.59 Kandinskijs Aufsatz „Abstrakte Kunst“ lässt sich folglich in eine russische Tradition einreihen, bei der es sich zugleich um eine Replik auf ein alternatives westliches, insbesondere deutsches Denken handelte (das sich somit im „slawischen Prinzip“ wiederfinden konnte): Die russische Kultur besitzt eine extreme Empfindlichkeit für die Unzufriedenheit des Westens mit sich selbst, für die Sehnsüchte und Wünsche, die im westlichen politischen und kulturellen System keine Befriedigung finden können – und immer wieder hat die russische Kultur sich selbst als Realisierung dieser westlichen Träume angeboten.60

Kandinskijs Adaption slawophiler Ideologeme ist rezeptionsgeschichtlich von großem Interesse, denn sie begründet die Anschlussfähigkeit seiner Überlegungen an Diskurse, die seit geraumer Zeit in Deutschland geführt wurden: Sie speisten sich zu einem guten Teil aus denselben Quellen!61

4.2 Die Jubil äums-Ausstellung 1926/27: K andinskij – ein moder ner Il’ja Muromec Von Mai bis Juni 1926 präsentierte die „Gesellschaft der Freunde junger Kunst“ in Braunschweig eine Jubiläums-Ausstellung von Kandinskij – „anläßlich seines 60jährigen Geburtstages, 30 Jahre in Deutschland“, wie es in der Ausstellungs- und Preisliste heißt.62 58 Groys 1995, 8. 59 Vgl. das Kapitel „Rußland auf der Suche nach seiner Identität“ in: Groys 1995, 19–36. Ebd., 27, heißt es: „Die russische Philosophie, hier verstanden als slawophil orientiertes Philosophieren über Rußland, erweist sich somit als Teil des allgemeinen Paradigmas der postidealistischen Philosophie in Europa nach der Krise des Schellingschen und Hegelschen Historismus.“ 60 Groys 1995, 10. 61 Aufgrund dieser gemeinsamen Basis deutscher und russischer Diskurse ist es auch schwer zu sagen, von woher – Ost oder West – Kandinskij bestimmte Ideen oder Denkmuster vermittelt bekam, die mit dem deutschen Idealismus in Verbindung stehen. Vgl. z. B. Short 2010, 82 f., 130 (mit Bezug auf Hegel). 62 Ein Exemplar der Liste befindet sich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg: Deutsches Kunstarchiv, NL Arnold/Gutbier, I,B-178. – Die „Gesellschaft der Freunde junger Kunst“ war 1924 von dem Braunschweiger Eisenwarengroßhändler Otto Ralfs gegründet worden und bestand unter Ralfs’ Leitung bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1933. Ralfs war in den 1920er-Jahren einer der wichtigsten Förderer von Kandinskij. 1925 rief er die „Kandinsky-Gesellschaft“ ins Leben, die dem Künstler

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Die im Braunschweiger Schloss eröffnete Schau bildete den Auftakt zu einer Tournee durch ganz Deutschland, der Kandinskij einen hohen Stellenwert beimaß. „Wie Sie sehen, möchte ich die ‚Jubiläumsmöglichkeiten‘ erschöpfend ausnützen!“, hatte Kandinskij im September 1925 resümiert, nachdem er den Dresdner Kunstkritiker Will Grohmann über den Stand seiner „Ausstellungsangelegenheit“ in Kenntnis gesetzt hatte; in einem weiteren Brief an Grohmann hatte Kandinskij wenig später seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, dem Publikum durch „eine möglichst umfangreiche Ausstellung“ die Augen für das zu öffnen, „was hinter meiner Malerei steckt“.63 Grohmann beteiligte sich tatkräftig an den Vorbereitungen zu der Wanderausstellung und erwies Kandinskij wertvolle Dienste.64 Koordiniert wurde das Vorhaben von Ludwig Gutbier, dem Inhaber der Dresdner Galerie Ernst Arnold, in der die Jubiläums-Ausstellung im Oktober 1926 zu sehen war.65, 66 Über das in Braunschweig gezeigte Konvolut an Gemälden und Aquarellen hinaus war für Dresden die Zahl der Exponate auf etwa das Doppelte erhöht worden, in der Hauptsache aus Kandinskijs Beständen in Dessau (wohin das Bauhaus 1925 von Weimar umgezogen war).67 Insgesamt waren in Dresden rund 50 Gemälde und 40 Aquarelle ausgestellt. Die Jubiläums-Ausstellung der Galerie Arnold unterschied sich von der Braunschweiger Vorgängerin aber nicht nur durch ihren größeren Umfang, sondern auch durch ihre retrospektive Ausrichtung. Während die frühesten in Braunschweig gezeigten in einer finanziell unsicheren Zeit zu einem regelmäßigen Einkommen verhelfen sollte; daneben baute Ralfs eine eigene bedeutende Kandinskij-Sammlung auf, zu der u. a. die Komposition I (1910) gehörte, die im Zweiten Weltkrieg verbrannte. Vgl. Junge 1992b; Hesse 1993. – Die Braunschweiger Jubiläums-Ausstellung wurde rezensiert im Cicerone, vgl. Wilhelm 1926. 63 Briefe von Kandinskij an Will Grohmann, 29.9. und 21.11.1925. Zit. nach: Kan­dinsky 2015, 83–85 (Zitate auf S. 85 und 83) und 93 f.; die Briefe sind auch gekürzt abgedruckt in: Gutbrod 1968, 48 f. und 49 f. Vgl. auch Haxthausen 1984, 82. 64 Vgl. Weissbach 2013, 151 f.; Rudert 2012b, 188. 65 Der Nachlass der Galerie Ernst Arnold und ihres Inhabers Ludwig Gutbier (1873–1951) wird im Deutschen Kunstarchiv am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg verwahrt (im Folgenden: DKA). Der darin überlieferte, leider unvollständige Dokumentenbestand zur Kandinskij-JubiläumsAusstellung befindet sich in Mappe I,B-178. Ruth Negendanck hat den Nachlass Arnold/Gutbier in einer monographischen Studie wissenschaftlich aufgearbeitet. Die Jubiläums-Ausstellung erfährt darin jedoch keine ausführlichere Behandlung. Vgl. Negendanck 1998. – Über Kandinskijs Beziehungen nach Dresden informiert eingehend Weissbach 2009. Ich danke Dr. Angelika Weißbach für die freundliche Zusendung ihres Manuskripts. 66 Aus zeitgenössischen Dokumenten geht hervor, dass die Dresdner Ausstellung am 6. Oktober eröffnet und am 4. November geschlossen wurde, vgl. Grohmann 1926c, 681; Pressemitteilung der Galerie Ernst Arnold, 29.10.1926, DKA, NL Arnold/Gutbier, I,B-178. Abweichend dagegen Ausst.Kat. Berlin 1984, 404, und Illetschko/Katz 1992, 510, wo eine Laufzeit der Ausstellung vom 16. Oktober bis zum 10. November 1926 angegeben wird, sowie Weißbach (2013, 152), der zufolge die Ausstellung vom 6. Oktober bis zum 10. November dauerte. 67 Vgl. die von Kandinskij (?) erstellte Liste „Ölbilder Aus [sic] Dessau“, DKA, NL Arnold/Gutbier, I,B-178.

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Werke in das Jahr 1921 datieren, sind im Dresdner Katalog immerhin elf Gemälde und drei Aquarelle aus der Zeit von 1908 bis 1920 aufgeführt.68 Dieser retrospektive Charakter wurde bei den weiteren Stationen beibehalten. Nachdem die Jubiläums-Ausstellung in Dresden Anfang November ihren Abschluss gefunden hatte, wurde sie – wiederum auf die Hälfte der Exponate reduziert – nach Berlin und anschließend nach Dessau, Mannheim und München geschickt.69 Anlässlich der Ausstellung brachte die Galerie Arnold einen Katalog heraus, der mit zwölf Reproduktionen und einer Vignette ausgestattet wurde (Taf. 6). Darüber hinaus enthält er kurze Würdigungen Kandinskijs von Paul Klee, Will Grohmann, Fannina Halle und der New Yorker Mäzenin Katherine Dreier70.71 Bemerkenswert ist aufgrund seiner aussagekräftigen, zugleich puristischen Aufmachung der Katalogumschlag: In seiner Mitte erscheint, oben und unten von Textzeilen eingerahmt, der zweifache, sich symmetrisch kreuzende Namenszug „KANDINSKY“. Der Künstlername wird zum Motiv – ein deutlicher Fingerzeig auf den Markenwert Kandinskijs. Wesentlicher erscheinen mir aber zwei weitere Deutungsmöglichkeiten, die in Kombination miteinander Kandinskijs künstlerische Position zu kommentieren scheinen. Zunächst kann festgehalten werden, dass die Gestaltung des Umschlags, in einer freilich äußerst reduzierten und statischen Form, dem Konstruktivismus verpflichtet ist. Darauf

68 Vgl. dagegen Hoberg (2008, 31), die die Dresdner Jubiläums-Ausstellung lediglich als eine Übernahme aus Braunschweig ausweist. 69 Bei den Stationen handelte es sich im Einzelnen um: Berlin, Galerie Neumann-Nierendorf (ab 14.11.1926); Dessau, Anhaltischer Kunstverein (ab 19.12.1926); Mannheim, Städtische Kunsthalle (ab 30.1.1927; als Teil der Überblicksausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa, s. u.); München, Neue Kunst – Hans Goltz (ab 15.3.1927). Ursprünglich waren noch zahlreiche weitere Stationen im In- und auch im Ausland vorgesehen. Vgl. dazu Weissbach 2009, 6, sowie die Rezension zur Braunschweiger Jubiläums-Ausstellung, in der es heißt, sie solle „durch alle größeren Städte Deutschlands gehen“ (Wilhelm 1926). 70 Zu Dreier vgl. Tashjian 2006. Dreier hatte erstmals 1920 ein Kandinskij-Gemälde erworben; ihr verdankte Kandinskij 1923 auch seine erste Einzelausstellung in den USA, vgl. ebd., 49. 71 Ausst.Kat. Dresden 1926b. Die chronologisch angeordneten Reproduktionen im Katalog weisen wie die Ausstellung einen retrospektiven Zug auf: Die Vignette und drei der Bilder stammen aus der Zeit vor 1914, drei Bilder aus der „russischen Zeit“ und sechs aus der Bauhauszeit. Aus einer handschriftlichen Notiz im Nachlass Arnold/Gutbier geht hervor, dass offenbar 300 Kataloge mit Firmenbezeichnung der Galerie Arnold gedruckt wurden, 515 ohne den entsprechenden Aufdruck (eines dieser „Blanko“-Exemplare ist im Deutschen Kunstarchiv erhalten). Vgl. DKA, NL Arnold/Gutbier, I,B-178. Kandinskij äußerte sich über den Katalog wie folgt: „So viel ich weiss, wird der Katalog jedes Mal von Herrn Gutbier geliefert – mit einer entsprechenden Änderung des Titelblattes, wo das veranstaltende Institut angegeben wird. So war es in Berlin und auch hier in Dessau. Der Katalog […] wird ganz gern vom Publikum gekauft.“ Brief von Kandinskij an Gustav Friedrich Hartlaub, 9.1.1927. Abgebildet in: Hille 1994, 186, Abb. 23.

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verweist die Reihung der Buchstaben in unterschiedlichen Leserichtungen (von links nach rechts und von oben nach unten) wie auch die betont formbildende Eigenschaft des Buchstabenmaterials: So können die beiden Namenszüge als ein horizontaler und ein vertikaler Balken gesehen (nicht: gelesen) werden, die sich zu einem Kreuz formieren. Das Kreuz, respektive die Überlagerung von Linien oder Rechtecken zu einem Kreuz, bildet ein wiederkehrendes Element konstruktivistischer und suprematistischer Gestaltung. Es macht mithin den Anschein, als spiele der Katalogumschlag auf den stilistischen Wandel an, der sich in Kandinskijs Schaffen hin zu einer geometrischen Abstraktion vollzogen hat. In Ergänzung dazu ist nun der Eindruck maßgeblich, dass die Kreuzform in ihrer hieratischen Strenge dem Namen Kandinskijs etwas Enigmatisches, Großes verleiht. Es handelt sich bei dem „Kreuz“ in diesem Fall nicht bloß um eine Konstruktion, ein Spiel mit Buchstaben, sondern um eine symbolische Form, insofern sich damit die Assoziation an Evangeliare verbindet, deren Einbände häufig mit einem Kreuz versehen sind (vgl. Abb. 18). Kandinskij: das ewige Mysterium – trotz aller Mathematik.72 Die Umschlaggestaltung bekräftigt so eine Kontinuität in der Auffassung vom ‚Geistigen in der Kunst‘ und der messianischen Künstlerrolle Kandinskijs durch das gewandelte Formvokabular hindurch. Die geradezu revelatorische Inszenierung suggeriert eine innere Persistenz in Kandinskijs Schaffen, die ungeachtet des veränderten Erscheinungsbildes der Bauhausperiode zu einer Übertragung expressionistischer Lesarten auch auf seine geometrisch-abstrakten Werke einlädt.73 Einige dieser Lesarten waren, wie in früheren Kapiteln gezeigt wurde, eng mit der Wahrnehmung Kandinskijs als eines russischen Künstlers verbunden. Dieser Konnex wird auch bei der Lektüre des Ausstellungskatalogs evident. Von den vier im Katalog abgedruckten Laudationes besitzt diejenige von Fannina Halle für unser Thema die größte Relevanz; sie ist zudem umfangreicher als die drei übrigen zusammen. (Klee schreibt von Kandinskij als dem Weggefährten, Grohmann von Kandinskijs Pioniergeist, Dreier von seiner überzeitlichen Geltung. Damit wurde Kandinskij aus der Perspektive des Künstlerkollegen, des Kritikers und der Sammlerin gewürdigt.74) Als profunde Kennerin und Vermittlerin russischer Kultur sah Halle ihren Part offenbar darin, die tiefe Verwurzelung Kandinskijs in seiner russischen Heimat 72 Die streng geometrische Wirkung des Umschlagmotivs wird durch den verwendeten Karton ein wenig aufgelockert. Dieser weist eine diffuse Farbstrukturierung auf und erinnert damit entfernt an die fein abgestuften Hintergründe auf Kandinskijs Gemälden. 73 Leider ist mir nicht bekannt, auf wen die Gestaltung des Umschlags zurückgeht bzw. welchen Anteil Kandinskij daran trug. Daher muss offenbleiben, ob die Idee für den Umschlag mehr auf der Seite der Selbstinszenierung des Künstlers oder seiner Rezeption anzusiedeln ist. 74 Dreiers Geleitwort, das in englischer Sprache abgedruckt ist, signalisiert zudem Kandinskijs internationales Renommee. Dieser Eindruck wird durch die Besitzvermerke unter den Bildreproduktionen im Katalog verstärkt: Die Originale befanden sich in Sammlungen in Amsterdam, Berlin, Chicago, Witebsk, New York usf.

Die Jubiläums-Ausstellung 1926/27   | Abb. 18: Einband vom Evangeliar der Königin Theodelinde, Vorderdeckel, Anfang 7. Jahrhundert, 34 x 26 cm, Museo e Tesoro del Duomo, Monza

herauszustreichen.75 Etwas manieriert wirkt dabei ihr Versuch, Kandinskijs Jubiläum als 3 x 30 Jahre (2 x 30 Jahre am Leben, 1 x 30 Jahre als Künstler) mit russischen Märchen und Heldenliedern in Verbindung zu bringen, wo die Zahl Drei und ihre Vielfachen „besonders bedeutungsvoll“ seien.76 Kandinskij wird von Halle zu einem modernen Il’ja Muromec stilisiert,77 dessen heroische Tat sich freilich auf dem Gebiet der Malerei zutrug und – „statt auf russischer, auf deutscher Erde“78: Hüben wie drüben wird in letzter Zeit immer häufiger ein geistiger und sonstiger Zusammenschluß der beiden sich berührenden und doch so fernen Welten erträumt: der russischen 75 Zu Halle vgl. Kap. 1.4.1.2 der vorliegenden Arbeit. 76 Halle 1926, 10, 12 (Zitat auf S. 10). 77 „Ilja Murometz, der Lieblingsheld der russischen Volksphantasie, hat ‚dreißig und drei‘ Jahre am selben Ort als ‚Sitzer gesessen‘, bevor er jene Kraft in sich verspürte, die die Welt der alten Russen aus den Angeln hob […]. […] nachdem er [= Kandinskij; S. B.] fast dieselbe Zeit wie Murometz der Held am gleichen Ort – in Rußland – gewartet hatte, da stand auch er nun auf, verspürte seine Kraft und hob die Welt, die der Malerei, aus den Angeln.“ Ebd., 10, 12. 78 Ebd., 12.

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und deutschen. Diesen Zusammenschluß, diese ‚Addition aus innerster Notwendigkeit‘ hat aber bisher kaum jemand in dem hohen Maße gesucht und vollzogen, als gerade der Maler Kandinsky.79

Kandinskij ist für Halle also einerseits „der Russe“80, andererseits aber auch der ÜberBrücker, der Brückenbauer zwischen Russland und Deutschland. Als Beleg zitiert Halle eine längere Passage aus der russischen Ausgabe von Kandinskijs „Rückblicken“, worin dieser seinen heimatlichen Gefühlen für Deutschland Ausdruck verleiht. Kandinskij berichtet von einem Besuch in Rothenburg ob der Tauber und dem hierdurch inspirierten Gemälde Die alte Stadt (Taf. 7).81 Eine unerwartete Wendung tritt ein, wenn Kandinskij erzählt, er habe in diesem Bild die „wundersamste Stunde des Moskauer [!] Tages“ einzufangen versucht, deren Schlussakkord jener Moment bilde, in dem „ganz Moskau von der Sonne zu einem einzigen Klumpen geschmolzen [ist], der tönend, wie eine Tuba, die Seele bis ins tiefste ergreift“.82 Moskau in Rothenburg: Hätte man das Gefühl einer innigen Zusammengehörigkeit der russischen und der deutschen Kultur eindringlicher in Worte fassen können?83 Die genuine Verbundenheit Kandinskijs mit Russland und mit Deutschland84 wird hier freilich weniger erklärt als mythopoetisch verklärt. Diese Tatsache steht aber nur mehr beispielhaft für den Gesamteindruck, den Halle von Kandinskij vermittelt. Ihre Ausführungen sind noch ganz dem KandinskijBild der 10er-Jahre verpflichtet. Entsprechend beschließt Halle ihren Beitrag mit einer rhetorischen Frage, die sich in einem Zusammenhang mit der oben von mir entwickelten „revelatorischen“ Interpretation des Katalogumschlags betrachten lässt: „– große Künstler

79 Ebd. 80 Ebd. 81 Vgl. ebd., 14, 16. Es sind zwei Versionen des Gemäldes bekannt: Alte Stadt I (1901, verschollen) und Alte Stadt II (1902, Musée national d’art moderne, Centre Pompidou, Paris). Vgl. Roethel/Benjamin 1982, 78, Nr. 37, und 83, Nr. 41. 82 Zit. nach: Halle 1926, 16. 83 Was Rothenburg einem deutschen Gemüt seinerzeit bedeuten konnte, illustrieren die nachfolgenden Sätze des Schriftstellers August Sieghardt, die in ihrer evokativen Pathetik mit Kandinskijs Schilderungen von Moskau zu wetteifern scheinen: „Kaum daß deine Seele der unerhörten Romantik gewachsen ist, die in Rothenburg von allen Seiten auf dich einstürmt! Du irrst wie im Traum umher, meinst stets, den Höhepunkt dieses Märchens geschaut zu haben, und findest beim Durchschreiten der nächsten Gasse, daß immer wieder eine Steigerung des Eindrucks kommt! Er ist so stark und vor allem so deutsch, so urdeutsch, daß man allen Wankelmütigen, die an Deutschlands Zukunft verzweifeln wollen, zurufen möchte: Geht nach Rothenburg […]!“ Sieghardt 1927, 189 f. 84 Die Verbindung, die Kandinskij zur deutschen Kultur fühlte, war nicht nur rein geistiger Natur, sondern auch familiär bedingt: Seine Großmutter mütterlicherseits war eine Deutsche, wie Kandinskij an einer ebenfalls von Halle zitierten Stelle der russischen Ausgabe der „Rückblicke“ bemerkt (im deutschen Text von 1913 heißt es präziser: „eine Baltin“). Vgl. Halle 1926, 14.

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sind häufig Hellseher, Propheten. Die in der Sonne erwachende altdeutsche Stadt und die ‚wundersamste Stunde des Moskauer Tages‘: ist das Wunschtraum oder Ahnung?“85 Am Beispiel der Umschlaggestaltung des Katalogs zur Jubiläums-Ausstellung und des Textbeitrags von Fannina Halle wurde gezeigt, dass die Wahrnehmung Kandinskijs und seiner Kunst auch in den „konstruktiven“ 20er-Jahren unter den Vorzeichen des ‚Geistigen‘ und des ‚Russischen‘ stehen konnte. Ausgehend von dieser Publikation, die im persönlichen Umfeld Kandinskijs entstanden ist, soll im Folgenden der Gesichtskreis ausgeweitet werden. Leider enthält der am Deutschen Kunstarchiv in Nürnberg betreute Nachlass der Galerie Arnold und ihres Besitzers Ludwig Gutbier keinerlei Berichterstattung über die JubiläumsAusstellung.86 Eine günstigere materielle Ausgangsbasis für eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung bietet demgegenüber die Mannheimer Ausstellungsstation, von der ein Pressespiegel überliefert ist.87 Die Kandinskij-Retrospektive war in Mannheim nur Teil eines umfassenden Überblicks über die Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa; dies hat zur Folge, dass sich die Aufmerksamkeit der Rezensenten wie im Falle der Ersten Russischen Kunstausstellung auf mehrere Künstler verteilte. Doch gerade der weitere Kontext und die damit intendierte Bilanzierung des abstrakten Kunstschaffens in Europa machen den besonderen Reiz der Ausstellung aus, mit der die Mannheimer Kunsthalle eine Erstlingstat in der deutschen Museumslandschaft vollbrachte.88 Eingedenk der damals verbreiteten Sichtweise auf die Abstraktion als eine spezifisch östliche Kunstform soll überprüft werden, welcher Platz Kandinskij innerhalb des gesamteuropäischen Spektrums abstrakter Malerei zugewiesen wurde.

85 Ebd., 18. Halles Frage lässt sich als Anspielung auf eine erhoffte deutsch-russische Synthese sowie auf einen allgemeinen kulturellen Aufstieg verstehen. 86 Vgl. auch Negendanck 1998, 507, Nr. 255. 87 Vgl. Stadtarchiv Mannheim, Institut für Stadtgeschichte, Kunsthalle Mannheim (im Folgenden: StadtA Ma-ISG, KHM), Zug. 2/2012, Nr. 93. Das Konvolut liegt mir in Form von Xerokopien vor. Da Publikationsort und -datum der einzelnen Artikel nicht den Zeitungsausschnitten selbst zu entnehmen sind, sondern per Stempel (vom Zeitungsausschnittbüro) oder handschriftlich (wohl von einem Mitarbeiter der Kunsthalle) ergänzt wurden, gebe ich bei Einzelnachweisen aus diesem Konvolut stets das Stadtarchiv Mannheim als Aufbewahrungsort mit an. 88 Vgl. Hille 1994, 199. Dies wurde schon von zeitgenössischen Rezensenten bemerkt: „Es geschieht wohl zum ersten Male, daß in diesem Umfange Dokumente des Willens zur abstrakten Malerei nebeneinandergestellt werden.“ Hammes 1927. Georgia Illetschko zufolge gab es in ganz Westeuropa vor den 30er-Jahren keine vergleichbare Ausstellung, vgl. Illetschko 1997, 198.

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4.3 Die Ausstellung Wege und R ichtungen der abstr akten Maler ei in Europa 1927 in M annheim: Die A bstr aktion als „Willensr ichtung europäischer Kunst“ Kandinskijs Jubiläums-Ausstellung koinzidierte mit den Plänen Gustav Friedrich Hartlaubs (1884–1963), in der von ihm geleiteten Kunsthalle in Mannheim eine große Gesamtschau abstrakter Richtungen der europäischen Malerei zu zeigen. Kandinskij durfte dabei freilich nicht fehlen. So kam es, dass die Jubiläums-Ausstellung in das Mannheimer Vorhaben integriert wurde, sozusagen als Ausstellung in der Ausstellung.89 In das kunsthistorische Gedächtnis ist die Städtische Kunsthalle Mannheim insbesondere durch die Ausstellung Neue Sachlichkeit (1925) eingegangen, deren Titel sich als Sammelbezeichnung für die künstlerischen Strömungen der 20er-Jahre in Deutschland etablierte, „die – in Reaktion gegen Expressionismus und abstrakte Formauflösung – der Dingwelt zugewendet, eine undynam[ische], nüchterne Formverfestigung und stat[ische] Gegenständlichkeit anstrebte[n]“90. Der Untertitel der Ausstellung, „Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“, ist dabei nicht als eine Verallgemeinerung (im Sinne von: Die deutsche Malerei) misszuverstehen. Denn Hartlaub war keineswegs entgangen, dass es sich bei der Neuen Sachlichkeit nur um eine große Tendenz der zeitgenössischen Malerei handelte. So betont er im einführenden Katalogtext zur Neuen Sachlichkeit: „Die Ausstellung will keinen Querschnitt durch das gesamte Kunstwollen der ‚Nachexpressionisten‘ geben. Sie läßt die Kunst der abstrakten ‚konstruktivistischen‘ Richtungen beiseite“, welche „einer besonderen Ausstellung vorbehalten“ sei.91 In einem Brief vom September 1925 kündigt Hartlaub an, er wolle im nächsten Sommer „als Gegenstück zu der jetzt geschlossenen Ausstellung ‚Neue Sachlichkeit‘ eine Übersicht der abstrakten Malerei vom Kubismus bis zum Konstruktivismus, wenn möglich auf internationaler

89 Die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa war vom 30. Januar bis zum 27. März 1927 in der Städtischen Kunsthalle Mannheim zu sehen. Laut einer undatierten Pressemitteilung (Ende März 1927, StadtA Ma-ISG, KHM, Zug. 2/2012, Nr. 93) ist die Ausstellung „von zirka 6000 Personen besucht worden und hat auch auswärts grosses Interesse gefunden“. Demgegenüber wurden bei der Neuen Sachlichkeit (1925) nur 4400 Besucherinnen und Besucher gezählt, bei den Ausstellungen Meisterwerke des japanischen Farbholzschnittes und Altjapanische Gemälde (1926), die sich zeitlich überschnitten, waren es etwa 7500. Vgl. das Kapitel „Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa. Ausstellung Mannheim 1927. Tendenzen der ungegenständlichen Kunst und ihre Bedeutung für die Kunsthalle“ in: Hille 1994, 156–219, hier: 363, Anm. 66. Hille legte mit ihrer Studie die Grundlagen für die Erforschung der Ausstellung. 90 Eintrag „Neue Sachlichkeit“ in: Olbrich (u. a.) 2004b, 153–155, hier: 153. 91 Hartlaub [1925] 1988, o. S. Im Gegenzug weist Hartlaub in seiner Katalogeinführung zu Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa darauf hin, dass die Ausstellung Neue Sachlichkeit „das Vorhandensein anderer gleichzeitiger Kunstbestrebungen deutlich gemacht [hat]“ (Ders. 1927, 7).

Die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa 1927 in Mannheim  |

Grundlage“, zeigen.92 Dieses Vorhaben, das erst Ende Januar 1927 unter dem Titel Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa umgesetzt wurde, ist entsprechend als eine Fortführung des mit der Ausstellung Neue Sachlichkeit manifestierten Willens zu sehen, dem Publikum die Kunst seiner Zeit in ihren elementaren Ausprägungen vorzustellen, es mit seiner im Spiegel der Kunst reflektierten Gegenwart zu konfrontieren.93 Hartlaubs Überblicksschau markiert einen Zeitpunkt, zu dem die Abstraktion zwar nach wie vor angefochten war, nichtsdestotrotz aber seitens linker wie auch bürgerlicher Kreise als wesentliche Komponente des zeitgenössischen Kunstlebens angesehen wurde, die einer ernsthaften Auseinandersetzung bedarf.94 Die Präsentation in der Städtischen Kunsthalle bedeutete einen Schritt hin zur Musealisierung und damit zur öffentlichen Anerkennung der Abstraktion (wobei „öffentlich“ nicht mit „allgemein“, „Anerkennung“ nicht mit „Beifall“ verwechselt werden darf ). Zuvor war die Publizität abstrakter Kunst von den Überzeugungstaten privater Sammler, Galeristen und Kunstvereine abhängig gewesen.95 Hartlaubs Idee, die „Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa“ gesammelt zur Diskussion zu stellen, steht symptomatisch für den Eindruck, den Kandinskij in einem Brief an den Mannheimer Kunsthallen-Direktor schilderte: „Nach der letzten hartnäckigen Reaktion und der besonders energischen Bekämpfung der abstrakten Kunst ist die letzte Zeit eine günstigere Wendung eingetreten“96. Eine solche „Wendung“ hatte sich in der Person Hartlaubs selbst vollzogen, der 1912 von Kandinskijs Malerei als einem „radikalen Hinhauen von Farbe und Form“ gesprochen hatte, das für die Kunst eine „ungeheure Verarmung“ zur Folge habe.97 Und noch 1924 bekannte Hartlaub Sophie Küppers gegenüber, „dass ich persönlich, obgleich für die Zukunftsentwicklung der Kunst leidenschaftlich interessiert, gerade für die abstrakte, konstruktivistische wenig Sinn habe“98.

92 Brief von Hartlaub an Hugo Erfurth, 28.9.1925. Zit. nach: Hille 1994, 171. 93 Hartlaub (1927, 1) spricht ausdrücklich von der „Pflicht“ der Institution Museum, „auch mit den Aufgaben und Bestrebungen neuer Kunst bekannt zu machen“, sofern es sich um „bezeichnende Aeußerungen des Zeitgeistes“ handle. – Zu den Gründen für die verzögerte Realisierung der Ausstellung vgl. Hille 1994, 172–180. 94 Vgl. ebd., 158. 95 Vgl. ebd., 199. Letztlich ging die Initiative auch bei öffentlichen Einrichtungen von Einzelpersonen aus; sie waren jedoch in viel höherem Maße der Öffentlichkeit gegenüber verantwortlich, die diese Unternehmungen finanzierte, standen also in einer Rechtfertigungspflicht. 96 Brief von Kandinskij an Hartlaub, 18.2.1927. Zit. nach: ebd., 365, Anm. 118. 97 Gustav Friedrich Hartlaub: Das Ende des Impressionismus. In: Die Güldenkammer 3/2 (November 1912), 85–100. Zit. nach: Hille 1994, 160. 98 Brief von Hartlaub an Sophie Küppers, 3.11.1924. Zit. nach: Hille 1994, 164.

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4.3.1 Die Repräsentanz russischer Kunst in der Ausstellung Es hat sich ein handschriftliches Ausstellungskonzept erhalten, das einen frühen Stand der Planungen dokumentiert.99 Der Entwurf gliedert sich in einzelne Kunstrichtungen, denen jeweils die Namen einiger Repräsentanten zugeordnet sind. Berücksichtigt werden Futurismus, Expressionismus, Kubismus, Konstruktivismus, Purismus und Dadaismus; die Rubrik „Konstruktivismus“ enthält zusätzlich einen Unterpunkt zur Plastik. Wie war nun die russische Kunst aufgestellt, die doch im Ruf gestanden hatte, die Abstraktion am weitesten zu treiben? Unter dem Stichwort „Expressionismus“ liest man die Namen von Kandinskij und – überraschenderweise – Šagal; Letzterer sollte in der realisierten Ausstellung allerdings mit keinem Werk vertreten sein. Das Beispiel Šagal lässt bereits erahnen, wie weit die „Abstraktion“ von Hartlaub gefasst wurde, oder auch: wie sehr es nottat, den Begriff zu definieren. Unter den konstruktivistischen Malern werden die Russen Lisickij, Malevič und Rodčenko genannt, unter den Plastikern: Archipenko, Gabo und Meduneckij. Sie alle sind in der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 in Berlin vertreten gewesen und – mit der Ausnahme von Konstantin Meduneckij – in der Presseberichterstattung besonders hervorgehoben worden.100 Hartlaubs Auswahl russischer Künstler beruht zu einem sicher nicht geringen Teil auf dem Einfluss von Sophie Küppers und László Moholy-Nagy. Küppers hatte bereits 1924 den Versuch unternommen, Hartlaub eine Einzelausstellung von Ėl’ Lisickij sowie eine Zusammenstellung von Werken Šagals, Archipenkos, Kandinskijs und Lisickijs zu vermitteln.101 Zwar wurde daraus nichts, doch man hielt den Kontakt aufrecht – zu Hartlaubs Glück. Denn ein Großteil der Exponate für die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa gelangte über Küppers nach Mannheim, darunter auch die Werke von Lisickij.102 Moholy-Nagy, der mit der russischen Avantgardekunst gut vertraut war,103 stattete Hartlaub im Januar 1926 auf der Durchreise in Mannheim 99 Vgl. Hille 1994, 173 f. (mit einer Reproduktion des Dokuments auf S. 175). Zur Planungsgeschichte der Ausstellung vgl. ebd., insb. 171–180. 100 Von Meduneckij waren auf der Ersten Russischen Kunstausstellung drei Gemälde, drei Tuschezeichnungen und vier Skulpturen zu sehen, vgl. Ausst.Kat. Berlin [1922] 1988b, 19, 26, 30. Seine Raumkonstruktion aus dem Jahr 1919 wurde damals von Katherine Dreier erworben (eine Abbildung des Werks findet sich im Katalog zur Ersten Russischen Kunstausstellung unter dem verballhornten Namen „Mechmetzki“). Vgl. Tashjian 2006, 52; Greenberg 2006. 101 Vgl. Hille 1994, 165. Sophie Küppers (1891–1978) war die Witwe von Paul Küppers, dem 1922 verstorbenen Leiter der Kestner-Gesellschaft in Hannover. Später begegnete sie Ėl’ Lisickij, wurde seine Förderin, Freundin und – 1927 – seine Frau. Vgl. ebd., 180–183. 102 Vgl. ebd., 180. 103 Davon zeugt etwa sein gemeinsam mit Lajos Kassák veröffentlichtes Buch neuer Künstler (Wien 1922), in dem Werke u. a. von Kandinskij, Šagal, Archipenko, Tatlin, Malevič, Klucis, Lisickij, Rozanova, Kljun und Rodčenko abgebildet sind. Vgl. Passuth 1983, 62 f.

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einen Besuch ab.104 Wie Hartlaub notierte, entstand dabei auch der „Umriss unserer Ausstellung“105. Dieser „Umriss“ wurde im Laufe der Vorbereitungen aus verschiedenen Gründen verkleinert, sodass von den russischen Künstlern bezeichnenderweise nur Kandinskij, Lisickij und Archipenko übrig blieben.106 Von einer Unterrepräsentanz der Russen in der Ausstellung kann indes nicht die Rede sein: Allein Kandinskij und Lisickij steuerten ein Viertel der rund 300 Exponate (von mehr als 30 Künstlern) bei. Überhaupt war Kandinskij rein quantitativ am stärksten von allen repräsentiert und damit in seiner Bedeutung bestätigt.107 Eine terminliche Verzögerung der Ausstellungseröffnung hatte zur Folge, dass die Werke Kandinskijs während der Laufzeit ausgetauscht werden mussten. Bis auf sechs Gemälde ging die Jubiläums-Ausstellung weiter nach München, wo sie Hans Goltz vom 15. März bis zum 23. April zeigte.108 Die Herausnahme der Arbeiten wurde Anfang März in einer Pressemitteilung bekanntgegeben – nicht ohne auf die „sehr schöne neue Kollektion“ hinzuweisen, „die ebenso wie die andere die Entwicklung des Künstlers von ganz gegenständlichen Bildern an bis zu den neuesten abstrakten Arbeiten des Jahres 1926 lückenlos erkennen lässt“.109 Die Galerie Ernst Arnold hatte nämlich für Ersatz gesorgt.110

104 Vgl. Hille 1994, 173. 105 Notiz Hartlaubs zu einem Gespräch mit László Moholy-Nagy am 18. Januar 1926. Zit. nach: ebd. Hille zieht in Betracht, dass der erwähnte Ausstellungsentwurf auf das Treffen zwischen Hartlaub und Moholy-Nagy zurückgehen könnte. 106 Offenbar hatte es eine Übereinkunft darüber gegeben, dass die von Juni bis September 1926 auf der Internationalen Kunstausstellung in Dresden gezeigten Werke der russischen und holländischen Abstrakten im Anschluss nach Mannheim gehen sollten. Die Vereinbarung platzte aber aufgrund eines Missverständnisses oder nicht näher bekannter Umstände. Vgl. Hille 1994, 185. In der russischen Abteilung der Internationalen Kunstausstellung (Räume 24–26) befanden sich Arbeiten u. a. von Šagal (der ja in Hartlaubs frühem Ausstellungsentwurf mit aufgelistet war), Gončarova, Larionov und Šterenberg. Vgl. Ausst.Kat. Dresden 1926a, 55–59. 107 Vgl. Ausst.Kat. Mannheim 1927. Mit mehr als zehn Werken vertreten waren laut Katalog neben Kandinskij (52 – von denen drei auf Anweisung Kandinskijs entfernt werden mussten, vgl. Hille 1994, 188) und Lisickij (28) auch László Moholy-Nagy (41), Paul Klee (30), Willi Baumeister (29), Piet Mondrian (14), Oskar Schlemmer (13), Robert Delaunay (12) und Albert Gleizes (11). Anders als es im ursprünglichen Plan vorgesehen war, umfasste die Ausstellung nur wenige Plastiken (von Archipenko und Henri Laurens), außerdem waren Futurismus, Purismus und Dadaismus nicht oder nur äußerst rudimentär vertreten. Vgl. auch Hille 1994, 174, 199. 108 Vgl. ebd., 365, Anm. 103. Die Daten der Jubiläums-Ausstellung bei Goltz übernehme ich von Lochmaier 1997, Bd. 2, 70. Vgl. dagegen Illetschko und Katz (1992, 510), die einen Zeitraum vom 14. März bis 14. April 1927 anführen. 109 Pressemitteilung der Kunsthalle Mannheim, 3.3.1927, StadtA Ma-ISG, KHM, Zug. 2/2012, Nr. 93. 110 Vgl. Hille 1994, 186. Im Vergleich zur ursprünglichen Präsentation Kandinskijs, die drei Räume einnahm (vgl. L. F. 1927, 1), war die neue Kollektion im Umfang überschaubarer und in nur zwei Räumen gehängt, vgl. Dürr 1927b.

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4.3.2 Abstraktion als Zeitphänomen versus Individualisierung Kandinskijs Bei der Vorbereitung der Ausstellung sah sich Hartlaub mit Problemen konfrontiert, die sich um die Möglichkeit einer Zusammenschau abstrakter Kunst (oder vielmehr dessen, was Hartlaub darunter verstand) rankten. Die Ausstellung als solche konnte nur dann funktionieren, wenn sie von einer gemeinsamen Basis der gezeigten Werke ausging, von einem tertium comparationis. Hartlaub musste also früher oder später eine Antwort auf die Frage finden, was unter „abstrakter Malerei“ überhaupt zu verstehen sei. Es ging dabei um weit mehr als eine terminologische Angelegenheit. Denn Hartlaubs Interesse, welches primär stärker auf das zugrunde liegende Gemeinsame als auf das Unterscheidende der einzelnen „Wege und Richtungen“ zielte, stand in einem Spannungsverhältnis zu dem Interesse der Künstler, die schöpferische und intentionale Spezifik ihres Schaffens nicht unter dem „Generalnenner“111 der Abstraktion zu begraben. Auch Kandinskij äußerte schon früh Zweifel an dem Mannheimer Projekt: In Mannheim würde ich natürlich lieber allein ausstellen – der Vergleich mit anderen abstrakten Künstlern kann für mich nicht ungünstig sein, er zersplittert aber das Konzentrieren auf meine Arbeit und das Publikum kann leicht in das Äussere ausrutschen. […] Ich weiss, der abstrakten Kunst gehört die Zukunft[,] und es ist mir schmerzlich, wenn die anderen Abstrakten sich so viel und oft ausschliesslich mit den Formfragen begnügen.112

Hartlaub stand also vor der Aufgabe, seine Vorstellung von einer Synopse der abstrakten Malerei mit dem Distinktionsbedürfnis der Künstler in Einklang zu bringen, ohne deren Zustimmung kaum etwas zu bewegen war.113 Innerhalb der Ausstellungskonzeption versuchte Hartlaub den Konflikt dadurch zu lösen, dass er einige Künstler in separaten Bereichen präsentierte. Im Falle Kandinskijs wurde dies schon dadurch nahegelegt, dass seine Werke als geschlossenes Ensemble nach Mannheim gelangten. Sichtbar geprägt von der Sorge, Kandinskij könnte aufgrund von Bedenken gegenüber der 111 Hartlaub 1927, 2. 112 Brief von Kandinskij an Will Grohmann, 21.11.1925. Zit. nach: Kandinsky 2015, 93 f.; ebenfalls abgedruckt in: Gutbrod 1968, 49 f. 113 Es ist spannend, die von Hille (1994) aufgearbeiteten Diskussionen Hartlaubs mit Oskar Schlemmer (ebd., 190–192), vor allem aber mit den Kunsthändlern Alfred Flechtheim und Daniel-Henry Kahnweiler (ebd., 203–208) nachzuverfolgen. Die Diskussionen entzündeten sich einerseits an den divergierenden Abstraktionsbegriffen, andererseits an dem prinzipiellen Problem der Zusammenfassung unterschiedlicher Künstlerindividuen unter einem Begriff. Hartlaubs Versuche, über Flechtheim und Kahnweiler Werke von Picasso, Braque, Gris und Léger als Leihgaben für seine Ausstellung zu erhalten, blieben ergebnislos. Der französische Kubismus war daher nur in einem kleinen Ausschnitt in der Ausstellung präsent. Zum Verhältnis von Kubismus und Abstraktion vgl. Gassner (u. a.) 1991, 295–297.

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Ausstellungskonzeption doch noch von einer Teilnahme absehen, versicherte ihm Hartlaub, „dass Ihre Gemälde völlig geschlossen und abgesondert in den neuen grossen Ausstellungsräumen vorgeführt werden, also unvermischt mit den Werken, die in anderen Räumen von anderen Künstlern gezeigt werden“114. Wie Karoline Hille verdeutlicht, handelte es sich dabei aber um ein Zugeständnis Hartlaubs, einen Kompromiss, der seinen eigentlichen Intentionen widersprach.115 Auch in dem grundlegenden Essay, den Hartlaub für den Ausstellungskatalog verfasste, geht er auf das Distinktionsbedürfnis der Künstler bzw. ihre Furcht vor falscher Etikettierung ein. Er tut dies, indem er die Abstraktion ex negativo definiert, als „das Absehen von der perspektivisch eindeutigen Nachbildung der objektiven Dingwelt als Motiv und als Modell“116. Diese Minimaldefinition, die sich auf eine rein formale Beobachtung stützt, wird im Laufe von Hartlaubs Ausführungen philosophisch unterfüttert und eo ipso mit einem positiv formulierten Sinngehalt angereichert. Hartlaub betrachtet die Abstraktion als ein Zeitphänomen, als „ein Symptom für die Tatsache, daß im 19. und 20. Jahrhundert mit der Menschheit etwas Umwälzendes geschieht“117. Die epochale Bedeutung dieses Vorgangs kann Hartlaubs Ansicht nach nicht hoch genug eingeschätzt werden: Es geht um das im Menschen aufgekeimte Vermögen, Maschinen zu erfinden und zu nutzen, nämlich dergestalt, daß man weder die direkte Muskelkraft von Mensch und Tier noch die direkten offenkundigen Naturkräfte (den Wind für das Segel, das Wasser für das Mühlrad) anwendet, sondern daß man indirekte, unsichtbare, gleichsam ‚abstrakte‘ Energien der Natur (Dampfdruck, Elektrizität, Explosionskraft etc.) erschließt und durch Vorrichtungen in Wirkung setzt […].118

Mit dem Verlust der Unmittelbarkeit zur Natur (hier: Abstraktion), mit der Mechanisierung und Rationalisierung der Welt sei auch ihre Entzauberung, Enträtselung, Entgeistigung und Entgöttlichung einhergegangen. Hierdurch habe aber „die ‚Nachahmung

114 Brief von Hartlaub an Kandinskij, 7.1.1927. Zit. nach: Hille 1994, 187. In der Ausstellungsankündigung heißt es, die Exponate werden „[i]n zusammenfassenden Gruppen sowie in verschiedenen Sonderabteilungen für einzelne Künstler“ gezeigt. Zu den gesondert präsentierten Künstlern gehörten neben Kandinskij u. a. Baumeister, Klee, Lisickij, Moholy-Nagy und Schlemmer. Pressemitteilung der Kunsthalle Mannheim, 24.1.1927, StadtA Ma-ISG, KHM, Zug. 2/2012, Nr. 93. 115 Vgl. Hille 1994, 187, und ergänzend ebd., 203, 205. 116 Hartlaub 1927, 1. Hartlaub (ebd., 2.) betont nachdrücklich, dass „die Persönlichkeiten und Gruppen unserer Ausstellung nach Wesensart und Wollen oft wenig Gemeinsames [haben], ja zum Teil stehen sie sich geradezu schroff gegenüber“. 117 Ebd., 4. 118 Ebd.

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der Natur‘ durch den Künstler ihren letzten tiefnotwendigen Sinn“ verloren.119 Der Mensch müsse die Magie, den Geist, den Gott von nun an in sich selbst suchen – ein Prozess, den Hartlaub „‚Verinnerlichung‘“ nennt.120 Dem „Zeitalter der Abstraktion und der Technik“, mithin der Gegenwart, falle daher die Aufgabe zu, „eine neue dem Gesetz der abstrakten Innerlichkeit und der Gestaltenwelt der Technik entsprechende Kunst hervorzubringen“.121 Damit wird aber auch der Maßstab für das Schaffen von Kunst von außen nach innen verlegt: „Das Harmoniegesetz, das die Außenwelt nicht mehr von sich aus ins Bild mitzubringen scheint, wird umso selbstherrlicher und gleichsam von Geistes Gnaden durch den komponierenden Künstler wiederhergestellt.“122 Mit der Überlegung, die abstrakte Kunst grundsätzlich in der Epoche, im Zeitgeist zu situieren – und nicht in einem völkischen Geist oder gar im Weltgeist –, kommt Hartlaub heutigen Sichtweisen auf die Entstehung abstrakter Bildkonzepte zu Beginn des 20. Jahrhunderts überraschend nahe. Den Bezug zur Technik setzt er dabei auf einer viel elementareren Ebene an (nämlich bei den Wahrnehmungs- und Denkstrukturen der Zeit) als es die mehr äußerliche Rezeption des Konstruktivismus als einer „Maschinenkunst“ tut. Darüber hinaus stellt Hartlaub die abstrakte Kunst in eine entwicklungsgeschichtliche Genealogie, die vom Impressionismus zum Expressionismus und von dort zur „vollständige[n] ‚Abstraktion‘“ führt – „sei es im rein malerischen Sinne des französischen Kubismus, sei es in der magisch-dekorativen Art des Russen Kandinsky, sei es endlich in der technischen Symbolik des sogen. Konstruktivismus“.123 Die abstrakte Malerei als Faktum wird hier abgekoppelt von nationalen Perspektiven und als eine „Willensrichtung europäischer Kunst“, eine „große internationale Bewegung“ verstanden.124 Durch die menschheitsgeschichtliche Ableitung der Abstraktion (deren Subjekt der Mensch ist – nicht ein ‚gotischer‘, ‚nordischer‘, ‚orientalischer‘ etc. Mensch, sondern schlicht der Mensch) sowie durch die Miteinbeziehung des französischen Kubismus greift die 119 Ebd., 5. Dieses Argument hatte Hartlaub Jahre zuvor schon im Hinblick auf den Expressionismus und seine religiösen Aspekte formuliert. Vgl. Hille 1994, 211. Nach Hartlaub setzt die Abstraktion den vom Expressionismus eingeschlagenen Weg fort (was nicht zuletzt beim Nachvollzug von Kandinskijs Entwicklung einleuchten musste). Auf dieser Auffassung beruht auch der erweiterte Abstraktionsbegriff, den Hartlaub mit seiner Ausstellungskonzeption vertrat: „Zwischen dem ‚Expressionismus‘ im weitesten Sinne und der gegenstandslosen Kunst im engsten Sinn bestehen zahlreiche Uebergänge und es erscheint untunlich, das rein ‚Abstrakte‘ allzu scharf herauslösen zu wollen.“ Hartlaub 1927, 8. 120 Ebd., 5. 121 Ebd., 6. Durch diese holistisch ausgerichtete Argumentation, die die „Technifizierung“ (ebd., 5) und die „Verinnerlichung“ als zwei Seiten ein und derselben Medaille beschreibt, vermag es Hartlaub, die unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Konzepte von abstrakter Kunst in Einklang zu bringen. 122 Ebd., 7. 123 Ebd., 4. 124 Ebd., 1, 8.

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übliche Ost-West-Polarisierung auf dieser Stufe der Argumentation nicht mehr. Nicht die Abstraktion per se, sondern nur mehr ihre spezifischen Ausprägungen lassen nationale Unterschiede erkennen. In einer kuratorischen Erklärung, die Hartlaubs Einführung wie ein Appendix beigefügt ist, heißt es, die Ausstellung zeige die mehr westliche Form des älteren französischen Kubismus (vor allem in seiner Fortbildung bis heute), ihm gegenüber die mehr östliche und jüngere Erscheinung des sogen. Konstruktivismus in Rußland und Deutschland, zwischen beiden die freie Farbensymbolik Kandinskys und Klees, den mehr dekorativen Expressionismus Delaunays und zahlreiche Zwischenstufen125.

Die Frage, woher die unterschiedlichen nationalen Ausprägungen rühren, wird von Hartlaub nicht angetastet. Er belässt es bei der Unterscheidung in eine „mehr westliche“ und eine „mehr östliche“ Richtung, wobei Kandinskij zwischen denselben angesiedelt wird.126 Kandinskij wird also keiner Gruppierung zu- bzw. untergeordnet, er steht aber auch nicht metonymisch für „die“ russische Gegenwartskunst, sondern wird – wie auch Klee und Delaunay – als Einzelphänomen, für sich, hervorgehoben.127 4.3.3 Pressereaktionen: Stellenwert der Abstraktion und Beurteilung Kandinskijs Hartlaub hatte sein Ohr am Puls der Zeit. Er wollte die jüngsten Entwicklungen und Kontroversen in der Kunst nicht nur von außen verfolgen, sondern sie kraft seines Amtes mitprägen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Durch dieses engagierte Mitmischen erlangte die Mannheimer Kunsthalle unter dem Direktorat Hartlaubs (1923 bis 1933) den Ruf einer Plattform für die zeitgenössische Kunst, ein Ruf, der weit über die badischen Landesgrenzen hinausreichte.128 Abseits der großen Kunstzentren gelegen, fanden die Unternehmungen der Kunsthalle deutschlandweit Beachtung. Eine Sammlung von Berichten über die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa, die im Stadtarchiv Mannheim verwahrt wird, enthält Rezensionen aus Zeitungen wie der Berliner Germania, dem Hamburger Fremdenblatt und den Frankfurter Nachrichten. Das Konvolut umfasst 32 Dokumente, unter denen sich auch Pressemitteilungen der Mannheimer Kunsthalle und einfache Zeitungsnotizen befinden; sieht man von den 125 Ebd., 8. 126 Das Wort „zwischen“ ist hier wohl als „weder das eine noch das andere“ zu verstehen. Möglicherweise nimmt Hartlaub damit auch eine historische Einordnung vor (zwischen den Kubisten als den Vorläufern und den späteren Konstruktivisten) oder eine Bestimmung des Abstraktionsgrades (zwischen gegenstandsbezogenem Kubismus und ungegenständlichem Konstruktivismus). 127 Offenbar sieht Hartlaub in Kandinskijs Schaffen aber dennoch eine Idee des Russischen verkörpert. Darauf deutet seine Rede von der „magisch-dekorativen Art des Russen Kandinsky“ hin (s. o.). 128 Vgl. Hille 1994, 16.

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Mehrfachabdrucken und Dubletten ab, bleiben 15 Rezensionen.129 Diese konnten noch um einen Artikel der Frankfurter Zeitung sowie um zwei in den Kunstzeitschriften Der Cicerone und Der Kunstwart erschienene Ausstellungsberichte ergänzt werden.130 Bei der Durchsicht der Rezensionen fällt zunächst eines auf: Wie im Falle von Kandinskijs Schriften wurden Hartlaubs Katalogeinführung bzw. die darin formulierten Ideen zur abstrakten Kunst rege aufgegriffen. Hartlaubs Text durchdringt die Rezensionen bis in die Ebene der konkreten Begrifflichkeit hinein: Er wird zitiert und paraphrasiert, er liefert die Leitfragen, das gedankliche Material, das von den Journalisten bisweilen nur neu arrangiert und mit einem persönlichen Urteil angereichert wird – ein klares Indiz für die Sprachlosigkeit, die man noch immer vor den abstrakten Werken empfand. Nach den Worten eines Rezensenten lagen die Darstellungen im Zuge des Abstraktionsprozesses so weit von den „Dingen unserer natürlichen Umwelt“ entfernt, „daß es schwer möglich ist, darüber zu sprechen außer vor den Werken selber“.131 Hartlaub leistete Aushilfe in dieser verbalen Bedrängnis, die für manche zugleich eine ideelle war. In ihrer Untersuchung kommt Karoline Hille zu dem Schluss, dass das Gros der Rezensionen eine „Verdammung“ der Abstraktion „als elitär, subjektiv, unverständlich“ erkennen lasse.132 Meiner Wahrnehmung nach ist dieser Befund zu entschieden formuliert. Zweifellos: Die abstrakte Kunst – oder mehr noch ihr Anspruch, Kunst zu sein133 – wird aus den von Hille angeführten Gründen noch immer als Provokation empfunden (es nähme Wunder, wenn nicht). Doch selbst wenn es vielen Autoren letztlich an Verständnis gebricht, geben sich die meisten zumindest im Grundsatz verständnisbereit. Ergänzend zu Hille möchte ich daher die sich in den Rezensionen abzeichnende Tendenz unterstreichen, einen zwar skeptischen, aber nicht unempfänglichen Standpunkt gegenüber der Abstraktion einzunehmen. Ein pauschales Verdikt, eine Rundum-Polemik erschien den Rezensenten – cum grano salis – wenig opportun.134 Hierin könnte sich jene „günstigere

129 Vgl. StadtA Ma-ISG, KHM, Zug. 2/2012, Nr. 93. 130 Der Pressespiegel im Stadtarchiv Mannheim enthält leider keine Beiträge aus Kunstzeitschriften. 131 L. B. 1927. 132 Hille 1994, 213. Da Hilles Dissertation auf den Archivalien der Mannheimer Kunsthalle basiert (vgl. ebd., 13, 17 f.), ist davon auszugehen, dass ihr dasselbe Konvolut an Rezensionen vorlag wie mir. Ein Blick auf die von Hille zitierten Artikel bestätigt dies. 133 „Es erscheint nicht ungefährlich, hier von Malerei zu sprechen. Gestaltung ist sicherlich besser, weil neutraler.“ K. 1927. 134 „Die vielen Zeitgenossen, denen alles Neue – gleich welcher Art und Gesinnung – zunächst nur lächerlich erscheint, haben sich inzwischen von ihren Lachkrämpfen erholt.“ Oeser 1927. Selbst diejenigen, die eine mehr ablehnende Haltung einnehmen, heben einzelne Künstler positiv hervor oder sprechen von gewissen ‚Reizen‘ der Abstraktion. Man findet also auch in den Negativkritiken Ansätze, die der Empfehlung entsprechen, „sich mit dieser Kunst mal zu beschäftigen und nicht schimpfend zu poltern“ (Westecker 1927b).

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Wendung“135 andeuten, von der Kandinskij in Bezug auf die Wahrnehmung abstrakter Kunst gesprochen hatte. Es ging Hartlaub durchaus nicht um unreflektierten Applaus für „seine“ Exponate, im Gegenteil: Er stellte die Abstraktion ausdrücklich „zur Diskussion“ und machte klar, dass „man auch von dem Veranstalter einer Ausstellung nicht annehmen [darf ], daß er sich mit dem jeweils Ausgestellten schlechterdings identifiziere“.136 Dass sich die Diskussion aber mehr an der Problematik der Abstraktion als an ihrem Potenzial aufhalten würde; und dass diese Diskussion kaum über das im Katalog Gesagte hinausgehen würde – damit hatte Hartlaub wohl nicht gerechnet. Eine Ergänzung oder Weiterführung seiner kunstphilosophischen Ideen lässt sich nur an wenigen Stellen ausmachen.137 Dementsprechend ernüchtert nahm Hartlaub die Pressereaktionen auf. Ihren Tenor charakterisierte er in einem Brief an Kandinskij (zwar unter Ausklammerung der negativen Kommentare, aber durchaus treffend): Die Kritiken der Ausstellung sind im allgemeinen gleichmässig günstig gehalten. Man bewundert die Leistung, eine so imposante Schau abstrakter Malerei zusammengebracht zu haben und man wagt nicht, Front dagegen zu machen. Das einzige, was sich die Herren Kritiker gestatten, ist eine Wertung der Bilder untereinander. Der eine sieht in den Arbeiten von Moholy-Nagy die höchste Vollendung, der andere in Ihren Bildern oder in Picasso und danach wird das übrige Klassifiziert [sic]. Das sind aber Sicherungsventile, die sich diese Zeitungsschreiber dem Publikum gegenüber geschaffen haben. Ein herzliches und aufrichtiges Bejahen der abstrakten Malerei findet sich hier in der gesamten Presse noch nicht.138

135 Brief von Kandinskij an Hartlaub, 18.2.1927. Zit. nach: Hille 1994, 365, Anm. 118. 136 Hartlaub 1927, 1. Für den Hamburger Kunsthallen-Direktor Gustav Pauli konnte es sich dabei nur um eine Schutzbehauptung handeln. Wie er Hartlaub am 8. Februar 1927 wissen ließ, trete ein Museum, das „diese Dinge ausstellt, […] doch dafür ein und empfiehlt sie, trotz aller Vorbehalte des Leiters“. Und in der Tat gründet sich Hartlaubs Verdienst um die moderne Kunst ja nicht zuletzt darauf, dass eine Museumspräsentation wie Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa keine Selbstverständlichkeit darstellte. Dies macht Pauli ex negativo klar, wenn er weiter schreibt: „Kandinsky freilich kann mir nichts vormachen, da ich seine völlig nichtigen Anfänge kenne. Auch El. Lissitzky und der famose Mondrian sind meiner festen Überzeugung nach farceurs.“ Zit. nach: Hille 1994, 215. 137 Z. B. bei Fritz Baas, der die Abstraktion mit dem Expressionismus kontrastiert, indem er ihr Streben betont, „vom rein subjektiven Erlebnisinhalt abzusehen und hinter dem persönlichen Erleben nach allgemein gültigen Gesetzen zu suchen“, wobei „alles Irrationale, Unkontrollierbare“ nach Möglichkeit beseitigt werde. Der Konstruktivismus habe daher „besonders im kommunistischen Rußland einen günstigen Boden gefunden“. Baas 1927. Eine eigenständige Reflexion lässt sich auch bei Joseph Popp ausmachen, vgl. Popp 1927. 138 Brief von Hartlaub an Kandinskij, 23.2.1927. Zit. nach: Hille 1994, 213.

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Was die Beurteilung Kandinskijs im Speziellen anbelangt, fällt die Resonanz überwiegend positiv aus. So spürt ein Rezensent in dem frühesten ausgestellten Werk von Kandinskij, der (noch figürlichen) Landschaft mit Turm (1908) (Taf. 8), „den tiefen Traumzauber seiner mitunter geradezu mystisch erschütternden Farbenkunst“139. In anderen Berichten ist vom „Rausch der Farbe“140 die Rede, von „kosmischer Phantasie“141 und „magischen Farbklängen“142. Dass Kandinskijs Werke, und zwar auch die neueren, in dieser Weise charakterisiert werden, zeugt von einer rezeptionsgeschichtlichen Persistenz der romantisch-orientalisierenden bzw. expressionistischen Sicht auf sein Schaffen. Eine maßgebliche Rolle bei dieser Wahrnehmung spielte auch der Ausstellungskontext, namentlich die konstruktivistischen Positionen, von denen sich Kandinskijs Geometrismen deutlich abhoben.143 Die Weiterentwicklung Kandinskijs wird zwar durchaus bemerkt, mitunter sogar bedauert: „in den jüngsten Werken“ habe man „mehr den Eindruck des Kon­ struierten als Geschauten“, heißt es etwa im Kunstwart.144 Dieses ‚Geschaute‘ bleibt aber weiterhin das, was Kandinskijs Kunst in den Augen ihrer Betrachter auszeichnet. Stellvertretend dafür steht der Beitrag in der Frankfurter Zeitung: Kandinsky […] hat sich seit dem ersten Sturm und Drang nur durch Klärung und Schärfung, auf dem typisch allgemeinen Weg von Entladung zu Gestaltung, verändert[.] Er ist die Explosion des Ostens gewesen; die gleichnislose bloße Ausdruckskraft, die sich, durch keine Vergangenheit beschwert, der unbildlichen Zukunft entgegenwarf. Er bleibt der Einzelfall[.] Aber zwischen ihm und Lissitzky liegt der Schritt zur gestaltenden Abstraktion.145

Was sich bei Kandinskij an Veränderungen vollzogen hat, erscheint hier als das Uneigentliche, als eine von Kandinskij mitgegangene, nicht aber angetriebene Entwicklung. Diese Einstellung kennzeichnet auch den Beitrag von Erich Dürr im Cicerone, wo Kandinskij im Anschluss an Moholy-Nagy und Lisickij besprochen wird:

139 N. 1927. Der Autor führt zwei Gesichtspunkte an, die Kandinskij auch in anderen Berichten positiv verbucht werden: Erstens: Kandinskij wird als Schrittmacher gewertet, als „entscheidender Eintritt in die neue Epoche der Malerei“; zweitens: Kandinskij wird nunmehr zu denjenigen Malern gezählt, die nicht bis zum Äußersten gehen, sondern „Zwischenlösungen“ anbieten: „Lösungen, die nicht mit dem Gehirn, nicht nur mit ihm, sondern auch mit dem Auge gemalt sind“. 140 Sonnemann 1927. 141 Westecker 1927a. 142 Hammes 1927. 143 Auch Hartlaub hatte Kandinskij in seinem frühen Ausstellungsentwurf unter den Expressionisten (und nicht unter den Konstruktivisten) aufgeführt. 144 Popp 1927, 81. 145 L. F. 1927, 1.

Die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa 1927 in Mannheim  |

Geradezu Antipode scheint ihnen Kandinsky: Was dort errechnet, erscheint bei ihm ‚immer noch‘ glühende Farbphantasie von bildsprengendem Reichtum der Motive und einer malerischen Erfindungskraft, die bald diese, bald jene dieser Tafeln wie große Farbwunder anstaunen läßt, durch die gläserne Geometrie der Formgebung magisch gebändigt.146

Auch in seinen neuen Werken erweist sich Kandinskij als ein Zauberer, der mit „magischen Ursymbolen der Form“147 schafft, wie Dürr in einem weiteren Artikel schreibt, der diesmal ausschließlich Kandinskij gewidmet ist. Darin geht Dürr auch auf einzelne Exponate ein: Durch die Gestaltung des Gemäldes Schwarze Begleitung (1924) (Abb. 19) fühlt er sich „an die Zusammensetzung chinesischer Schriftzeichen“ erinnert, „wie überhaupt an die Repetitions- und Echokunst aus dem magischen Spiegel orientalischen Wesens“.148 Mag die Assoziation mit chinesischen Schriftzeichen angesichts bestimmter Linien- und Formgefüge auf Kandinskijs Leinwänden einleuchten, fällt doch das romantisierende („aus dem magischen Spiegel“) und essenzialistisch-generalisierende („orientalischen Wesens“) Vokabular auf, dessen sich der Autor bedient. Es scheint direkt aus dem Wörterbuch des Orientalismus gegriffen. Dieser Versuch, die Gestaltung speziell der neueren Arbeiten Kandinskijs mit dem Osten in Verbindung zu bringen, wird später bei Will Grohmann einen Widerhall finden (s. u.). ‚Phantasie‘, ‚Magie‘, ‚Musik‘ und ‚Farbrausch‘ sind die Schlagworte, mit denen die Rezensenten Kandinskijs Bildsprache etikettieren. Eine Verbindung mit Russland als dem „Orient“/„Asien“ Europas schwingt dabei mit, zumeist aber ohne direkt ausgesprochen zu werden.149 Eine Ausnahme bildet der Artikel in der Chemnitzer Allgemeinen Zeitung. Als würde sein Autor den russischen Konstruktivismus (Lisickij) kurzzeitig ausblenden, wertet er die mathematischen Elemente bei Kandinskij als „Einflüsse von Deutschland gegen Rußland, den Einfluß geschlossener Form der Technik gegen phantastisch musikalischen Farbenrausch“150. Diese Aussage indiziert nicht nur das Fortwähren kulturell besetzter Dichotomien. Sie zeugt auch davon, dass die abstrakte Kunst, insbesondere in ihrer konstruktivistischen Ausprägung, für das Kunstleben in Deutschland akut geworden

146 Dürr 1927a, 163. 147 Dürr 1927b. 148 Ebd. Dürr bezieht sich konkret auf die „Art Farb- und Formchiffre“ rechts unten im Bild. 149 Man könnte einwenden, dass bei Dürr 1927a, Popp 1927 und Westecker 1927b auch die Kunst eines Schlemmer oder Klee mit Worten wie ‚mystisch‘ oder ‚magisch‘ charakterisiert wird. Dennoch ist meines Erachtens nicht von der Hand zu weisen, dass im Falle Kandinskijs derartige Zuschreibungen durch seine russische Herkunft zumindest mitbedingt waren. In diesem Zusammenhang sei auf damalige Ansätze hingewiesen, die Persönlichkeit und das Werk von Paul Klee zu „orientalisieren“, vgl. dazu Baumgartner 2009. 150 E. F. 1927.

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|  Weimarer Republik Abb. 19: Vasilij Kandinskij: Schwarze Begleitung, 1924, Öl auf Leinwand, 166 x 135 cm, Privatbesitz

ist: Neben den Stuttgarter Hölzel-Schülern Willi Baumeister und Oskar Schlemmer151 und den Meistern des Dessauer Bauhauses (außer Schlemmer auch Feininger, Kandinskij, Klee, Moholy-Nagy) waren auf der Mannheimer Ausstellung auch die abstrakten bzw. konstruktivistischen Kreise vertreten, die sich in Berlin und in Hannover gebildet hatten.152 Die Abstraktion als solche konnte damit nicht mehr so einfach als völkisch bedingte Extravaganz, als Extrem aus dem Osten abgetan werden wie noch 1922 bei der Ersten Russischen Kunstausstellung.153 Vielmehr wurde sie als eine extreme Zeiterscheinung verhandelt. 151 Nicht ohne einen gewissen Lokalpatriotismus vermerkt der Rezensent der Neckar-Zeitung: „Uns Württembergern ist ja nun die abstrakte Malerei geläufig, denn ihre deutschen Hauptvertreter Schlemmer und Baumeister sind aus Stuttgart.“ Franke 1927. 152 Vgl. Hille 1994, 196–202. Von der Berliner Gruppe Die Abstrakten, deren Anfänge in das Jahr 1919 datieren, nahmen u. a. Erich Buchholz und Oskar Nerlinger teil, von den abstrakten hannover, die sich während der Laufzeit der Mannheimer Ausstellung konstituierten, Kurt Schwitters und Friedrich Vordemberge-Gildewart. 153 So operiert die negative Berichterstattung 1927 teilweise mit denselben Schlagworten, die 1922 gegen den Suprematismus und den Konstruktivismus vorgetragen worden waren – die ‚Radikalität‘, die allein dem ‚Gehirn‘ bzw. einem ‚Programm‘ gehorcht und dabei das ‚Auge‘ und das ‚Geistige‘ außer

Die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa 1927 in Mannheim  |

Die Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa, ihr Katalog und ihre Rezeption wiesen die Abstraktion als ein internationales Phänomen aus; damit war sie nicht mehr so dezidiert russisch konnotiert wie in früheren Zusammenhängen. Wenngleich ihr Status als Kunst umstritten blieb, wurde sie als ein bedeutender Faktor des zeitgenössischen Kunstlebens präsentiert und wahrgenommen, zu dessen Hauptvertretern auch deutsche Maler gehörten. Nationale Zuordnungen spielten vor diesem Hintergrund allenfalls eine nachgeordnete Rolle, und auch dann bezogen sie sich nicht auf die Abstraktion als Ganzes, sondern nur mehr auf ihre einzelnen Erscheinungsarten.154 In Bezug auf Kandinskij musste zudem auch klar geworden sein, dass ihn künstlerisch mit Paul Klee mehr verband als mit seinem Landsmann Ėl’ Lisickij, dem wiederum die deutschen Konstruktivisten formal näherstanden.155 Durch die gesamteuropäische Perspektive auf die Abstraktion verloren nationale Erklärungsmodelle an Bedeutung. Wurde der Blick auf abstrakte Kunst im Rahmen der Mannheimer Ausstellung auf ganz Europa erweitert, so lässt sich gleichzeitig eine Verengung des Fokusses hin auf das Künstlerindividuum beobachten. Die gesonderte Präsentation Kandinskijs spiegelte sich in der Berichterstattung wider, wo er ebenfalls als singuläre Erscheinung behandelt wurde – oder wie ein Rezensent es formulierte: als „eigenartige, nicht zu vergleichende Persönlichkeit“156. Kandinskij erschien außerhalb der großen Bewegungen des KubisAcht lässt, vgl. z. B. N. 1927 –, nur werden diese Eigenschaften nicht speziell auf die russische Kunst bezogen. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass einige Kritiker die Abstraktion nicht mehr in einem räumlichen Abseits (Russland) zu bannen versuchen, wie sich dies vor dem Hintergrund der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 noch angeboten hatte, sondern in einem zeitlichen Abseits (dem Gestern), indem sie sie zu einer „überwundene[n] Epoche in der Kunst“ erklären, vgl. K.z. 1927. 154 Hartlaubs Grobeinteilung in einen französischen Kubismus auf der einen Seite und einen russischdeutschen Konstruktivismus auf der anderen wurde von einigen Autoren zu einer Dreiteilung hin modifiziert. So unterscheidet Franke (1927) „zwischen der rein malerischen Abstraktion der Franzosen, der magisch-dekorativen der Russen und der technischen Symbolik (vornehmlich der Deutschen)“, wobei er das Attribut ‚magisch-dekorativ‘, mit dem Hartlaub Kandinskijs (Einzel-)Position umschrieben hatte, verallgemeinert auf die Russen überträgt. Eine Dreiteilung nimmt auch der Journalist der Frankfurter Zeitung vor: „Frankreich, das immer lyrisch bleibt, das die Perlmutterhaut der Dinge selten ganz verleugnet und die Abstraktion deshalb am liebsten aus dem Stilleben entwickelt, das ihm noch in den kulturgewohnten Fingerspitzen hängt; die Energie des Ostens, der die radikalsten Experimente wagt; und das empfangsbereite Deutschland in der Mitte, das in uralt germanischem Instinkt wieder einen starken Realismus pflegt, gleichzeitig aber auch dasjenige Kunstwollen verteidigt, dem alles Gleichnisbedürfnis des Lebens in abstrakte Formen entflieht […].“ Innerhalb der abstrakten Kunst werden somit nationale Sonderwege festgestellt, die auf traditionelle kunstgeographische Vorstellungen rekurrieren. Indes betont der Autor, dass die einzelnen Länder trotz der bestehenden Unterschiede „alle des gemeinsamen Fühlens wohl bewußt und in rascherer gegenseitiger Fühlungnahme [sind] als je zuvor“. L. F. 1927, 2. 155 Tatsächlich werden Kandinskij, Lisickij und Archipenko in den Rezensionen unabhängig voneinander besprochen oder in Kontrast zueinander gestellt. 156 E. F. 1927.

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mus und des Konstruktivismus. Gleichwohl wurde er noch immer im Zeichen des Expressionismus rezipiert, wobei Assoziationen an seine russische Herkunft, wenn auch unausgesprochen, mit anklangen. Das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Perspektiven auf Kandinskij – Kandinskij der Europäer, der Russe, das Künstlerindividuum – soll im Folgenden anhand der kritischen Positionen Will Grohmanns und Carl Einsteins weiter vertieft werden.

4.4 „Unter ander en Ster nen gebor en“: Will Grohm ann über K andinskij Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Will Grohmann (1887–1968) als einem Verkünder, Exegeten und Vermittler der modernen Kunst steckt noch in den Kinderschuhen. Es spricht für Grohmann, dass er in der Vergangenheit – für die KandinskijForschung gesprochen – stets als zuverlässige Quelle und interpretatorische Autorität wahrgenommen wurde, in der man einen festen Ausgangs- und Bezugspunkt fand. Dies gilt in besonderer Weise für seine 1958 veröffentlichte Monographie Wassily Kandinsky. Doch bereits in den 20er-Jahren legte Grohmann maßgebliche Texte über Kandinskij vor, die über ihren Wert als Zeitdokumente hinaus Beachtung verdienen. In Anbetracht der Deutungshoheit, die Grohmann im Laufe der Jahre und Jahrzehnte erlangte, erscheint es umso wichtiger, die Persönlichkeit des Autors aus dem Schatten seines publizistischen Œuvres hervorzuholen und seinen Texten eine „kritische, historisch rückgebundene und kontextualisierte Rezeption“157 angedeihen zu lassen. Praktische Umsetzung fand dieser Anspruch 1987 anlässlich einer Grohmann-Gedächtnisausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart, die von einer Festschrift begleitet wurde,158 sowie im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprojektes, das 2009 bis 2014 an den Staatlichen Kunstsammlungen in Grohmanns Heimatstadt Dresden durchgeführt wurde.159 Die daraus hervorgegangenen Sammelbände und Editionen bilden den Grundstock für jede zukünftige Beschäftigung mit Grohmann.160 Es bleibt zu hoffen, dass dabei 157 Fischer/Rudert 2012, 16. 158 Ausst.Kat. Stuttgart 1987. Die Staatsgalerie Stuttgart verwahrt seit 1970 den Nachlass von Will Grohmann. 159 Das von Konstanze Rudert geleitete Forschungsprojekt stand unter der Aufgabe, das Archivmaterial zu Grohmann, insbesondere den Nachlass in der Staatsgalerie Stuttgart, sowie Grohmanns umfangreiches publizistisches Werk zu sichten, aufzubereiten und der Öffentlichkeit vorzustellen. Teil des Vorhabens bildete die Ausstellung Im Netzwerk der Moderne. Kirchner, Braque, Kandinsky, Klee … Richter, Bacon, Altenbourg und ihr Kritiker Will Grohmann, die 2012/13 im Dresdener Lipsiusbau stattfand. 160 Vgl. Ausst.Kat. Dresden 2012; begleitend zur Ausstellung erschien ebenfalls der Band Grohmann 2012a. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Themenheft Will Grohmann der Dresdener



„Unter anderen Sternen geboren“: Will Grohmann über Kandinskij  |

auch die beruflichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Grohmann und Kandinskij eine umfassende und systematische Untersuchung erfahren werden. Mit der kommentierten Herausgabe der Briefe von Kandinskij an Grohmann wurde 2015 eine weitere Grundlage hierfür geschaffen.161 4.4.1 „Pan-Europa“ und seine Länder: Grohmanns Sicht auf die Gegenwartskunst Mit Blick auf die Rezeption Kandinskijs in den 20er-Jahren treten drei Schriften von Grohmann in den Vordergrund: ein 1924 im Cicerone veröffentlichter Aufsatz über Kandinskij, der als eigenständige Publikation in der Reihe Junge Kunst erschien; die für die Pariser Éditions Cahiers d’Art verfasste Monographie Kandinsky (1930); und ferner Grohmanns Überblicksartikel über „Die Kunst der Gegenwart auf der Internationalen Kunstausstellung Dresden 1926“, der in einem Sonderheft des Cicerone erschien. Dieser letztgenannte Artikel steht am Beginn meiner Untersuchung, da er eine Basis für das Verständnis der beiden monographischen Texte über Kandinskij schafft. Bezogen auf unsere Ausgangsfrage sollen aus Grohmanns Darstellung der internationalen Gegenwartskunst zwei Spannungsverhältnisse abgeleitet werden – nämlich erstens: die nationale Perspektive auf die Kunst im Verhältnis zur gesamteuropäischen Perspektive, und zweitens: das Individuum des Künstlers im Verhältnis zu seiner nationalen Zugehörigkeit.162 „Die Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts ist der einzige vorläufige Beweis für die wahrhafte Existenz eines Pan-Europa und seine Vorherrschaft in der Welt.“163 Gleich zu Beginn seines Aufsatzes wartet Grohmann mit bedeutungsschweren Worten auf. Er postuliert das Vorhandensein einer ‚pan-europäischen‘ Kunst. Die Wurzel dieses Gedankens liegt in Grohmanns Beobachtung begründet, dass der Kunstbetrieb seiner Zeit durch nationenübergreifende Prozesse gekennzeichnet sei, durch „ein gegenseitiges Geben und Kunstblätter (2012). Die Ergebnisse eines Ende 2012 durchgeführten Forschungskolloquiums über Grohmann sind publiziert in Rudert 2013. – Umfangreiche Informationen zu Will Grohmann, dem Dresdener Forschungsprojekt und der Dresdener Ausstellung sind auf der Website bereitgestellt [Zugriff am 15.12.2017]. Sie enthält neben einer aktualisierten Bibliographie von Grohmanns Texten (45 Seiten, Stand: 13.4.2015) ein für die Forschung gleichfalls sehr nützliches Zeitungsarchiv, in dem digitalisierte Artikel online abgerufen werden können. 161 Vgl. Kandinsky 2015. Der Band versammelt 250 Briefe und Postkarten Kandinskijs an Grohmann aus der Zeit von 1923 bis 1943, die aus Grohmanns Nachlass in der Stuttgarter Staatsgalerie stammen, sowie die nur 13 im Fonds Kandinsky (Paris) überlieferten Briefe und Postkarten Grohmanns an Kandinskij aus der Zeit von 1933 bis 1943. Vgl. Hoberg 2015. 162 Eine Analyse von Grohmanns Schriften unter der hier eingenommenen Blickrichtung findet sich erstmals bei Gribenski 2013. Ich teile Gribenskis Ansicht (ebd., 35), dass Grohmanns Text zur Internationalen Kunstausstellung für die „Spannung zwischen nationalen und supranationalen Ebenen paradigmatisch“ ist. 163 Grohmann 1926b, 377.

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Nehmen“164. Eine Monopolstellung, wie sie Frankreich als die tonangebende Kunst- und Kulturnation bis zur Jahrhundertwende innegehabt hatte, existierte nicht mehr: „Die Lage hat sich seitdem zu Gunsten einer überstaatlichen Gemeinschaft schöpferischer Menschen aus ganz Europa verschoben“, wie Grohmann einige Monate zuvor im Kunstblatt notiert hatte.165 Zwar stand für ihn außer Frage, dass die eine Nation mehr gibt als nimmt – und umgekehrt –, „aber die Voraussetzungen und Zielstrebigkeiten sind einheitlich bei aller Bodenständigkeit der schöpferischen Persönlichkeiten und richtunggebend selbst für Amerika und Japan“166. Grohmann nimmt hier – wie etwa zur gleichen Zeit Hartlaub – einen Standpunkt ein, dessen primärer Fokus nicht auf nationale Spezifika gerichtet ist, sondern auf das, was darüber hinausweist und prinzipielle Geltung für das Werden und Wesen der neuen Kunst besitzt. Diese wird als ein gemeinsames Projekt, eine europäische „Mission“167 begriffen. Nun ging es aber bei der Internationalen Kunstausstellung, die den Anlass für Grohmanns Überblicksartikel lieferte, nicht zuletzt um einen Vergleich, einen Wettbewerb der teilnehmenden Länder.168 Grohmann lässt diesen kompetitiven Aspekt nicht unberücksichtigt. Zwar betont er die Schwierigkeit, die relative Bedeutung der einzelnen Nationen für die Entwicklung der Kunst zu bestimmen; dies hält ihn jedoch nicht davon ab, sich an einer Einschätzung zu versuchen: „Auf Deutschland, Frankreich, Rußland fiele wohl der Hauptanteil.“169 Nicht nur in der Malerei, auch in der Plastik sind es für Grohmann „Deutsche, Franzosen und Russen, denen der Hauptanteil an den neuen Erfahrungen zufällt“170. Die Leistungen der drei führenden Kunstnationen qualifiziert er im Einzelnen wie folgt: „In Deutschland entstand eine neue Ausdruckskunst, in Frankreich wurde der Kubismus geschaffen, von Russen die absolute Kunst (Kandinsky) und der Konstruktivismus (Lissitzky)“; und er fügt hinzu, dass jedes dieser Länder die

164 Ebd., 384. 165 Grohmann 1926a, 6. 166 Grohmann 1926b, 377. Die amerikanische und die japanische Kunst waren auf der Internationalen Kunstausstellung ebenfalls präsent, letztere jedoch nur mit einem einzigen Werk des in Paris ansässigen Malers Tsuguharu Fujita, dem somit „die gesamte Vertretung Ostasiens“ (ebd., 412) zukam. 167 Ebd., 377. 168 Die knapp 1000 Gemälde und Skulpturen wurden – mit wenigen Ausnahmen – in separaten Bereichen für die einzelnen Länder gezeigt. Der Katalog enthält einen Grundriss des Städtischen Ausstellungspalastes, aus dem die genaue Anordnung hervorgeht. Darüber hinaus sind die Standorte der Werke im Künstlerverzeichnis neben den jeweiligen Namen vermerkt. Vgl. Ausst.Kat. Dresden 1926a. Zur Internationalen Kunstausstellung Dresden 1926, die in der Weimarer Republik als bedeutendes Ausstellungsereignis wahrgenommen wurde, vgl. Karge 2013. Die auf Grohmann selbst zurückgehende und oft kolportierte Behauptung, er sei Mitorganisator der Ausstellung gewesen, kann Karge nicht bestätigen. 169 Grohmann 1926b, 384. 170 Ebd., 415.



„Unter anderen Sternen geboren“: Will Grohmann über Kandinskij  |

„Domäne“ der jeweiligen Richtung geblieben sei.171 Die ‚pan-europäische‘ Kunst fußt in Grohmanns Vorstellung mithin auf nationalen Einzelleistungen; diese hätten sich seit 1900 unabhängig voneinander herausgebildet und erst im weiteren Verlauf um 1912 aufeinander auszustrahlen begonnen.172 Die Spannung zwischen der Isolierung länderspezifischer Beiträge und dem Postulat eines „Pan-Europa“ in der Kunst wird durch die zeitliche Dimension (sprich: durch die von Grohmann beobachteten Austauschprozesse) gelockert, indes nicht gelöst. Nationale oder völkische Determinanten haben für Grohmann weiterhin ihre Gültigkeit: „Die Kunst in den germanischen Ländern bedeutet heute wie ehedem […] ein allgemein geistiges, fast weltanschauliches Problem. Bei den Großen war Kunst eine Art Gottsuchertum, Erschließen letzter Zusammenhänge, Ergründen der Wahrheit.“173 Diesem germanischen Tiefsinn stellt Grohmann den „beruhigenden Formsinn der Romanen“174 gegenüber. Pauschalisierende und polarisierende Aussagen dieser Art, die von ererbten, als wesenhaft aufgefassten Kollektividentitäten ausgehen, waren seinerzeit freilich Allgemeinplätze; Grohmann hatte sie bei verschiedenen Autoren vorfinden können, bei Fritz Burger175 ebenso wie bei Eckart von Sydow176, der schon Jahre vor dem Erscheinen seines Buches über Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei einen Einfluss auf das Kunstverständnis Grohmanns ausgeübt hatte.177 Ein eigenes Profil entwickelte Grohmann 171 Ebd., 384. Eine Sonderrolle nimmt „die sogenannte Sachlichkeit“ ein, die sich von Italien (Valori plastici) aus „wie eine heimliche Infektion über fast alle Länder Europas ausbreitete“ (ebd.), wobei Grohmann, was Deutschland anbelangt, nicht den Verismus eines Grosz oder Dix im Auge hat, sondern den Neoklassizismus eines Kanoldt oder Schrimpf, vgl. ebd., 395. 172 Ebd., 384, 389. Dazu Gribenski 2013, 35: „Doch war bei Grohmann diese inter-nationale bzw. zwischen-staatliche Konzeption [eines Pan-Europa; S. B.] keine kosmopolitische. Die Nationen blieben bei ihm die Grundeinheiten und der Rahmen, wie es auch die Organisation bzw. Gliederung der Ausstellung von 1926 verkörpern wird“. Vgl. auch Billig 2012, 31. 173 Grohmann 1926b, 389. 174 Ebd. Grohmann handelt die einzelnen Nationen in größeren Abschnitten über die „germanischen“, „romanischen“ und „slawischen Länder“ ab (der Abschnitt „England, Amerika, Japan“ kann unter der Rubrik „Sonstiges“ verzeichnet werden). Die Sortierung in übergeordnete Einheiten von Völkergruppen korrespondiert mit dem Grundriss der Ausstellung: „Die Anordnung der Säle geht von den romanischen Ländern über die Schweiz zu den germanischen und slawischen, zuletzt kommt Deutschland und der Saal der Dresdner.“ Ebd., 389. 175 „Wo der Franzose schwelgt oder das glückliche Antlitz seines harmonischen Geistes zeigt, redet er [= der Deutsche; S. B.] vom tiefen Ernst des Lebens und die persönliche Wahrhaftigkeit steht ihm über allem.“ Burger 1917, 47. 176 Vgl. die Gegenüberstellung zwischen Marc und Kandinskij einerseits („lebensvolle Spannung zwischen Wirklichkeit und metaphysischer Wahrheit“) und Matisse andererseits („das Streben zur Ausgeglichenheit, das Ideal der Ruhe“) in Sydow 1920, 134. 177 „Sydow verdanke ich ein klärendes Wort zur neuen Kunst, er war etwas älter und weiter als ich und stellte mir 1910 seinen Jawlensky (‚Roter Mantel‘) als seinen Holbein vor. Plötzlich wußte ich Bescheid.“ Will Grohmann: Autobiographischer Text, Typoskript, um 1967, Staatsgalerie Stuttgart, Archiv

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aber dort, wo er von derlei Verallgemeinerungen absah und sich mit der individuellen Künstlerpersönlichkeit auseinandersetzte. Der Blick auf die künstlerischen Beiträge der in der Ausstellung vertretenen Länder steht bei Grohmann nicht nur in einem Spannungsverhältnis zum Konzept einer gesamteuropäischen Kunst; er kontrastiert auch mit Grohmanns Sicht auf den Künstler als Individuum. Das Festhalten an der Leistung des Einzelnen äußert sich etwa darin, dass Grohmann die Grundlagen der neuen Kunst in Deutschland ausdrücklich nicht von einer Gemeinschaft wie der Brücke oder dem Blauen Reiter gelegt sieht, sondern ganz konkret „[v]on Kirchner und Nolde einerseits, von Kandinsky, Marc und Klee andrerseits“178. Weit unterhalb der nationalen Ebene erachtet es Grohmann für unabdingbar, zwischen den Mitgliedern der einzelnen Künstlerkreise sorgfältig zu unterscheiden.179 Grohmanns Interesse zielt nicht auf den Künstler als Repräsentant einer Nation, sondern umgekehrt: Nationale Aspekte sind für ihn insofern von Belang, als sie das Werk eines Künstlers zu erhellen vermögen. Auch Grohmann macht sich nicht frei von Kategorisierungen; er ordnet sie aber der Erkenntnis unter, dass „einzelne Persönlichkeiten die Geschichte machten“180. Nun waren es derer nicht viele: „Zu allen Zeiten hat es höchstens ein Dutzend wesentlicher Persönlichkeiten gegeben, und wie wäre es heute anders!“181 Auch unter diesem Blickwinkel musste sich eine stark verallgemeinernde Herangehensweise als fragwürdig erweisen: Die Kunst wird für Grohmann nicht von einem Kollektiv, sondern von ein paar Wenigen vorangebracht. Am Anfang und im Zentrum steht bei ihm einerseits das große Ganze, die Kunst; andererseits der einzelne Künstler und seine schöpferische Leistung. Die kategorische Zuordnung zu einem Stil oder einer Nation (häufig beides im Verbund), versteht Grohmann als ein sekundäres „Orientierungsmittel“, als eine Hilfskonstruktion für jene, die es nicht – wie er – vorziehen, „in jedem einzelnen Fall die Tatsache des künstlerischen Ereignisses zu prüfen“.182 In Bezug auf Kandinskij nahm Grohmann mehrfach eine solche Einzelprüfung vor. Der „Begründer der absoluten Malerei“183 gehörte für ihn ganz unzweifelhaft zu jenem „Dutzend wesentlicher Persönlichkeiten“, das in seiner Gegenwart Geschichte schrieb. Will Grohmann. Zit. nach: Rudert 2012a, 23. Volkmar Billig (2012) nimmt eine Kontextualisierung Grohmanns als Kunstschriftsteller vor, bei der er Bezüge u. a. auch zu Sydow und Burger herstellt. 178 Grohmann 1926b, 390. 179 Schon in Bezug auf die „Wegbereiter von 1890“ – gemeint sind Cézanne, Seurat, van Gogh, Munch, Hodler – stellte Grohmann (ebd., 378) fest: „Heute sind uns auch die Gemeinschaften gleichgültiger, in denen die Führer sich zusammenfanden – wie viele waren dabei, von denen wir kaum den Namen noch wissen – die Zeit hat wie immer nur die Träger der großen Leistung verschont und diese Persönlichkeiten an die richtige Stelle gerückt.“ Hervorh. S. B. 180 Ebd., 390. 181 Ebd., 416. 182 Ebd., 378. 183 Ebd., 411.



„Unter anderen Sternen geboren“: Will Grohmann über Kandinskij  |

4.4.2 Kandinskijs Herkunft – „nicht entscheidend“! Der Cicerone-Artikel (1924) 1924 veröffentlichte Grohmann im Cicerone seinen ersten monographischen Beitrag über Kandinskij, dem eine stattliche Zahl von zwölf Abbildungen beigegeben war. Hiernach erschien der Text als 42. Band der Reihe Junge Kunst, die wie der Cicerone vom Verlag Klinkhardt & Biermann herausgebracht wurde. Neben Grohmanns Essay umfasste die Ausstattung dieser Publikation „Biographische Notizen nach Mitteilungen von W. Kandinsky“ sowie ein farbiges Titelbild, eine Vignette und 32 Schwarz-Weiß-Tafeln von Gemälden und Aquarellen aus den Jahren 1905 bis 1923.184 Grohmanns Gedankengang lässt sich grob in drei Abschnitte gliedern: Er beginnt mit der künstlerischen Entwicklung Kandinskijs bis zum Durchbruch der Abstraktion im Jahr 1911 (S. 5 f.); alsdann werden die Grundlagen von Kandinskijs Kunst und das Problem ihrer Rezeption erörtert (S. 6–12); der dritte Teil schließlich behandelt die weitere Entwicklung Kandinskijs von 1911 bis in die Gegenwart (S. 12–14). Innerhalb der Periodisierung von Kandinskijs Œuvre wertet Grohmann die vor 1908 entstandenen Arbeiten als „Versuche, die Anregungen Rußlands in den malerischen Stil seiner Zeit zu übersetzen. Sie bleiben illustrativ, zum Teil dekorativ, sehen oft aus wie vergrößerte Entwürfe für Märchenbücher oder für Theaterinszenierungen.“185 Stellvertretend für diese Werkphase ist im Tafelteil das Temperabild Ankunft der Kaufleute (1905) (Abb. 20) wiedergegeben: Das altrussische Thema wird in einer an die Neoimpressionisten erinnernden Manier mittels einzelner Farbflecke (allerdings auf dunklem Grund!) auf die Leinwand gebracht. Solche „Versuche“ stellten für Grohmann keine eigenständige Leistung dar, jedenfalls keine, die über das von anderen Erreichte hinauswies. Kandinskij habe hier den „Anschluß an die europäische Kunst“186 gesucht. In seinem Aufsatz über die Internationale Kunstausstellung in Dresden sollte Grohmann zwei Jahre später das „[P]endeln zwischen Erinnerung des Ostens im Stoff und Angleichung des Westens in der Form“ zum Kennzeichen jener „übrigen“ Repräsentanten der russischen Kunst erklären, die für ihn nicht zu den acht „namhaften“ gehörten (diese acht waren: Kandinskij, Javlenskij, Verefkina, Šagal, Šuchaev, Archipenko, Segal und Lisickij).187 Schöpferisch

184 Grohmann 1924a; Ders. 1924b. Die nachfolgenden Zitate beziehen sich auf die Buchpublikation. – Die Reihe Junge Kunst wurde ab 1919 verlegt und umfasste rund 60 Bände, als die Nazis ihr 1933 ein Ende bereiteten. Ein Blick auf die einzelnen Titel vermittelt den Eindruck eines Who’s who der Moderne. Zu den Autoren gehörten wichtige Multiplikatoren der neuen Kunst wie Theodor Däubler, Wilhelm Hausenstein, Gustav Friedrich Hartlaub, Carl Einstein, Max Osborn und Ludwig Justi. Vgl. Die historische Reihe Junge Kunst 2014. 185 Grohmann 1924b, 5. 186 Ebd. 187 Grohmann 1926b, 411.

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Abb. 20: Vasilij Kandinskij: Ankunft der Kaufleute, 1905, Tempera auf Leinwand, 92,5 x 135 cm, Miyagi Kunstmuseum, Sendai

tätig im eigentlichen Sinne und damit interessant wurde Kandinskij für Grohmann erst „mit seiner Abwendung von der Wirklichkeit“188. Wie aber konnte man sich diesen Schritt in die Abstraktion erklären? Bezeichnenderweise räumt Grohmann zunächst mit zwei Vorurteilen auf, die seiner Meinung nach allzu eilfertig von seinen Zeitgenossen in ihrer Erklärungsnot herangezogen wurden. Das eine ist die Identifikation von Kandinskijs abstrakter Malerei mit Musik; das andere (und an erster Stelle genannte) ihre Rückführung auf die Herkunft des Künstlers. Dem entgegnet Grohmann: Daß Kandinsky Russe ist, scheint mir nicht entscheidend zu sein, wenn auch die Neigung, das Künstlerisch-Schöpferische mit Abstraktem zu vereinen, eine russische Eigenschaft ist (Dostojewsky). In seiner Leistung den Gegenpol zu der Picassos zu sehen, die Unform des Russen der Form des Franzosen gegenüberzustellen, geht schon gar nicht an, zumal Kandinsky auf diesem Wege nach zehnjähriger Arbeit zum Konstruktivismus kommt […].189

188 Grohmann 1924b, 6. Die Begriffe „schöpfen“ und „gestalten“ implizieren bei Grohmann, dass etwas grundlegend Neues zur Kunst beigetragen wird, was deren Entwicklung maßgeblich voranbringt. 189 Ebd., 6 f.



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Grohmann spricht zwar von einer „Neigung“ der Russen zur Abstraktion; für ihn ist das „Problem Kandinsky“190 damit aber nicht erledigt, ganz im Gegenteil: Die russischen Ursprünge Kandinskijs scheinen ihm für die Lösung des Problems „nicht entscheidend“. Und auch die Gegenüberstellung einer westlichen „Form“ (Picasso) und einer östlichen „Unform“ (Kandinskij) lässt Grohmann nicht gelten, da sich Kandinskijs Werk für ihn einer solchen Vereinfachung entzieht. Was aber dann ist die Grundlage abstrakter Kunst? Es zeugt von Grohmanns tiefer Ernsthaftigkeit und Besonnenheit, dass er diese Frage stehen lässt, derweil ihm keine überzeugende Antwort einfällt: Ehrlicher und förderlicher für die Aufklärung des Tatbestandes ist ein ignoramus als ein Ausweichen und Umgehen. Jeder Weg der Kunstbetrachtung hat ins Zentrum zu führen und dort haltzumachen, wo die Unsicherheit so groß wird, daß jeder oder kein Weg möglich erscheint.191

In dieser Aussage manifestiert sich, was Grohmanns Betrachtungsweise gegenüber anderen auszeichnet: es ist das Primat des konkreten Werks – vor allen Schablonen. Anstatt seine Unsicherheit zu kaschieren, indem er Kandinskijs Abstraktion jeglichen Sinn abspricht, sie als eine Musik in Farben behandelt oder auf eine von Natur aus anders gelagerte russische Wesensart reduziert, belässt er es bei einem ignoramus – vorerst. 4.4.3 Kandinskijs ‚ostasiatisches‘ Erbe: Die Monographie der Éditions Cahiers d’Art (1930) Um die Jahreswende 1930/31 folgte Grohmanns zweite Monographie über Kandinskij, diesmal für die französischen Éditions Cahiers d’Art – und von deutlich größerem Umfang als die erste.192 Die deutsche Originalfassung wurde von der Kandinsky-Gesellschaft in Braunschweig als Privatdruck veröffentlicht.193 Liest man die beiden Texte von 1924 und 1930/31 nacheinander, so stellt man unschwer fest, dass der eine geradewegs auf dem anderen aufbaut.194 Doch bei allen Parallelen inhaltlicher und struktureller 190 Ebd., 6. 191 Ebd., 7. 192 „Das Buch [= Will Grohmann: Kandinsky. Paris 1930; S. B.] erschien Ende Dezember 1930 zunächst auf Französisch in einer kleinen Anzahl von Exemplaren, zum größten Teil wurde die Auflage erst zwischen dem 15. und 28. Januar 1931 fertiggestellt […].“ Kommentar in: Kandinsky 2015, 189. 193 Grohmann 1930. Es wird im Folgenden nach dieser deutschen Fassung zitiert. Zur Kandinsky-Gesellschaft vgl. Roethel 1970, 455. 194 Der Wortlaut ist zum Teil nur leicht überarbeitet. Dazu ein Beispiel aus Grohmann 1924b, 12: „Bei den ersten Bildern der abstrakten Periode geht es einem so, wie wenn man in einem fremden Land reist, dessen Sprache man gar nicht oder unvollkommen versteht: man glaubt dauernd Worte seiner eigenen Sprache zu hören. Man denkt vor den Arbeiten von 1911–13 an Vegetabiles, Metereologisches, glaubt Bäume, Wasser, Nebelballungen zu sehen, aber bei scharfem Hinsehen zerfließen die Vor-

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Art – in einem Punkt weichen die beiden Texte entschieden voneinander ab, dort nämlich, wo Grohmann auf die Bedeutung von Kandinskijs Abstammung eingeht. Hatte er diese 1924 als „nicht entscheidend“ für die Genese der Abstraktion eingestuft, heißt es nun, „daß Kandinsky als geborener Russe ein fremdes Element in die Entwicklung der europäischen Kunst brachte“; Grohmann wertet die Abstraktion als eine künstlerische Erscheinung, „die der immanent europäischen Entwicklung zunächst fremd“ sei.195 Entgegen der Ansicht, Kandinskijs Abwendung vom Naturvorbild sei nur eine historisch notwendige Folge aus dem „Zustand der Malerei nach der Jahrhundertwende“, betont Grohmann, „daß Kandinsky unter anderen Sternen geboren war“.196 Woher rührt diese neuerliche Betonung der Andersartigkeit Kandinskijs? Grohmanns dahingehende Äußerungen sind im Kontext seiner Feststellung zu sehen, dass Kandinskij noch immer fehlverstanden werde. Grohmann hält dieses Unverständnis für eine interkulturelle Inkompetenz des westlichen Publikums: Man habe „sich von den formalen und inhaltlichen Prinzipien der europäischen Kunstgeschichte nicht frei machen und Kandinskys Eigenart damit nicht restlos aufzeigen können“197. Es ging Grohmann zunächst also darum, Verständnis zu wecken, indem er auf die kulturelle Bedingtheit der Produktion, aber auch der Rezeption von Kunst aufmerksam machte. Bereits bei Hausenstein war der Hinweis auf die entlegenen Urgründe, aus denen Kandinskij schöpfe, mit der Mahnung einhergegangen, „daß wir nicht das Recht haben, an diese Dinge den gewohnten Maßstab anzulegen“198. Vielleicht verstand Grohmann seinen Einwurf insgeheim als Antwort auf Carl Einstein, der in seiner Kunst des 20. Jahrhunderts (11926) scharfe Kritik an Kandinskij und der Abstraktion insgesamt geübt hatte (s. u.). Grohmann wäre aber nicht Grohmann, würden seine Worte nur einem apologetischen Antrieb folgen und nicht auch seiner eigensten Überzeugung. Zu einer solchen Überzeugung mag er durch die persönlichen Begegnungen mit Kandinskij gelangt sein. Wie sich Grohmann Jahrzehnte später in einem Rundfunkbeitrag erinnerte, waren diese Begegnungen nicht frei von dem beiderseitigen Empfinden einer kulturellen Barriere:

stellungen.“ Man vergleiche damit Grohmann 1930, 14: „Bei den ganz gegenstandsfernen Bildern dieser Epoche geht es einem zunächst, wie wenn man in einem Lande reist, dessen Sprache man nicht versteht. Man glaubt dauernd Worte seiner eignen Sprache zu hören. Wir sehen Vegetabiles, Wasser und Wolken, eine Tiefseeflora, aber bei näherem Zusehen zerfließen die Vorstellungen.“ 195 Grohmann 1930, 1. 196 Ebd., 1 f. 197 Ebd., 1. 198 Hausenstein 1914b, 299 f. Vgl. Grohmann 1930, 1: „Mir will scheinen, daß der letzte Antrieb der Kunst Kandinskys aus Quellen stammt, die ihm vielleicht selbst nicht klar bewußt sind, die jenseits unserer europäischen Kunsttheorie liegen, sodaß mit diesen Maßstäben zu messen, ein eitles Unterfangen ist.“



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In glücklichen Stunden war es möglich, mit Kandinsky auch über letzte Dinge zu sprechen. Aber sehr häufig kam in vorgerückter Stunde eine gewisse Verzweiflung über ihn, nicht ausdrücken zu können, was er letztlich meinte. Es war, als wenn eine Glaswand zwischen uns stünde. Dann sah er mich an und sagte: ‚Sie denken europäisch, ich russisch. Sie denken logisch – ich auch, aber als Russe denke ich zugleich in Bildern.‘ Und hier blieb tatsächlich eine Lücke, die zu schließen keiner von uns beiden imstande war.199

Der früheste erhaltene Brief Kandinskijs an Grohmann (in dem der Beitrag für den Cicerone bereits zur Sprache kommt) datiert von Ende Januar 1924; ein erstes Treffen ist für März desselben Jahres belegt.200 Es ist davon auszugehen, dass sich die von Grohmann im Rückblick geschilderten „glücklichen Stunden“, die von einer freundschaftlichen Vertrautheit zeugen, erst in den Jahren nach 1924 (nach dem Erscheinen des CiceroneArtikels) ereigneten und also einen Erfahrungshorizont für den Text von 1930 bildeten. In einer posthumen Hommage brachte Grohmann seine Einsicht in den „‚westöstlichen‘ Charakter“ von Kandinskijs Kunst explizit mit der Arbeit an dem Band für die Éditions Cahiers d’Art in Verbindung: Bei Gesprächen über Kunst oder andere letzte Dinge trat nach einer gewissen Zeit der Moment ein, wo er [= Kandinskij; S. B.] bildhaft, sinnbildlich wurde und der Partner sich in die Rolle des logisch denkenden und eng begrenzten Europäers gedrängt sah, denn dann brach in Kandinsky plötzlich das Oestliche, Asiatische durch, das die Welt komplexer erfasst, ewiger, kosmomagischer. Dann entdeckte man plötzlich den mongolischen Einschlag in seiner Physiognomie und erinnerte sich, dass seine Vorfahren lange in Ostsibirien in der Verbannung gelebt hatten. Es könnte eine Infiltration – blutlich wie geistig – stattgefunden haben, die auch den ‚westöstlichen‘ Charakter seiner Kunst verursacht haben könnte. Als ich diese Vermutung Kandinsky mitteilte – es war bei der Niederschrift des Textes für die Monographie im Verlag der ‚Cahiers d’Art‘ – war er etwas überrascht […]. Bezeichnend für ihn, dass er sich am nächsten Tag schon mit dem Gedanken befreundet hatte und keinen Einspruch erhob.201

199 Grohmann [1964] 2012c. 200 Vgl. Weissbach 2009, 5, Anm. 30; Rudert 2012b, 182; Weissbach 2013, 150. Grohmann gab später an, Kandinskij erstmals 1921 begegnet zu sein, vgl. Gutbrod 1968, 45. Dies scheint jedoch eher unwahrscheinlich: Kandinskij kam erst im Dezember 1921 nach Berlin – und dies, wie sich seine Ehefrau Nina erinnerte, „erschöpft“ und „stark unterernährt“ (Kandinsky 1987, 95). Gegen ein Treffen im Jahr 1921 spricht auch, dass Grohmann 1922 seinen Freund Lazar’ Segal bat, in einer Sache mit Kandinskij Kontakt aufzunehmen – was unnötig erschiene, hätte Grohmann damals selbst schon in Verbindung mit dem Künstler gestanden. Vgl. Kossmann 2013, 130, 132. 201 Grohmann 1951, 155.

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Neben der Bekanntschaft mit Kandinskij wurde Grohmann laut eigenem Bekunden aber auch durch die Begegnung mit Kandinskijs Werk, will heißen: durch die Evidenz des Gesehenen, auf das ‚fremde Element‘ aufmerksam. Den Moment, in dem ihn dieser Eindruck überkam, schildert er in seiner Kandinsky-Monographie wie folgt: Als ich im letzten Jahre eine größere Anzahl von Bildern Kandinskys sah, fiel mir zunächst bei den späteren Aquarellen, dann bei den Gemälden ein Formcharakter auf, den ich zunächst einmal als ostasiatisch bezeichnen möchte. Die Erinnerung verstärkte die Wirkung, und wie von selbst stellten sich zunehmend Reminiscenzen an Werke japanischer Maler und Meister des Holzschnitts ein.202

Interessanterweise stellt Grohmann Kandinskijs „Eigenart“ weniger in den Kontext der russischen als vielmehr der ostasiatischen respektive der japanischen Kultur.203 Bestätigung für die Richtigkeit seiner am visuellen Tatbestand gemachten Beobachtung findet Grohmann in Kandinskijs autobiographischem Text „Rückblicke“. Darin notiert der Künstler, sein Vater stamme aus Ostsibirien. Dieses Detail wird für Grohmann zu einem Schlüssel für den Zugang zu Kandinskijs Werk: Kandinsky kam also, sozusagen in erster Generation, nach Rußland zurück, wurde bereits in Moskau geboren. Aber das Blut seiner Ahnen, die lange Generationen in der Mongolei gelebt hatten, mag in ihm lebendig geblieben sein. Wir hätten also den seltenen Fall, daß in Kandinsky eine Amalgamierung ostasiatischen [sic] mit europäischem Geist stattgefunden hat, nicht in dem Sinne, daß er ein europäisch infizierter Asiate, oder ein asiatisch infizierter Europäer wäre, er ist einen Weg gegangen, den die Japaner vielleicht hätten gehen können, wenn sie nicht die Tradition erdrückt, oder die Hochachtung vor Europa aus ihrem Gleis geworfen hätte.204 In Kandinsky erfüllt sich ein Stück Geschichte, das an die engen geographischen Grenzen 202 Grohmann 1930, 2. 203 Japan steht in Grohmanns Ausführungen als pars pro toto für Ostasien. Die Fokussierung auf Japan hängt möglicherweise mit der Bedeutung von Grohmanns Heimatstadt Dresden als einem Zentrum des Japonismus in Deutschland zusammen. Ludwig Gutbier hatte hier 1895 die deutschlandweit erste Verkaufsausstellung japanischer Holzschnitte eröffnet, 1897 folgte die Zweite Japanische Ausstellung. Im selben Jahr präsentierte das Dresdener Kupferstichkabinett seinen Besitz an japanischen Farbholzschnitten, die Woldemar von Seidlitz für das Museum zusammengetragen hatte. Ebenfalls 1897 veröffentlichte Seidlitz seine Geschichte des japanischen Farbenholzschnitts, die zu einem Standardwerk avancierte (mit weiteren Auflagen 1910, 1921 und 1923). Vgl. Berger 1980, 244, 332; Negendanck 1998, 84–87, 364 f. 204 Grohmann bezieht sich hier wahrscheinlich auf die beiden konkurrierenden Richtungen der japanischen Moderne, die sogenannte Malerei im Japanischen Stil (Nihonga) und die Malerei im Westlichen Stil (Yōga). Vgl. die Einführungstexte zu den Kapiteln 16–19 in: Ausst.Kat. Berlin 1993, 500–502, 520–522, 533 f., 551 f.



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nicht gebunden ist, so wenig wie das Werk Klees, in dem vielleicht durch verwandtschaftliche Beziehungen nach Algier eine Infiltration mit dem islamischen Kulturkreis des Mittelmeeres stattgefunden hat. Und selbst wenn die biologischen Ursachen nicht wären, ist nicht die künstlerische Auswirkung einer Art Wahlverwandtschaft möglich, wie sie erstmalig in Goethes ‚Westöstlichem Divan‘ auftaucht […]?205

Grohmann operiert hier mit Begriffen und Vorstellungen, die sich in den völkisch-biologistischen Diskurs seiner Zeit einreihen. Wenngleich mit einer gewissen Zurückhaltung formuliert („mag in ihm lebendig geblieben sein“, „Wir hätten also den seltenen Fall“; Hervorh. S. B.), deutet Grohmann die fernöstlichen „Reminiscenzen“ bei Kandinskij als Manifestation einer ‚Bluts‘verwandtschaft. Die Parallelen zur japanischen Kunst werden nicht als Resultat einer bewussten Aneignung durch Kandinskij geschildert, sondern als Anzeichen dafür, dass Kandinskij aus dem Geiste Asiens heraus schafft, den er von Geburt an mitbekommen hat – ohne sich zwangsläufig darüber im Klaren zu sein.206 Grohmanns Fingerzeig nach „Asien“ erinnert stark an die Rezeption Kandinskijs bei Fritz Burger. Auch für Burger war Kandinskij das Paradigma einer westöstlichen Synthese in der Kunst. Ein zentraler und ebenso charakteristischer Unterschied zwischen den beiden Autoren besteht jedoch darin, dass Grohmann das „asiatische“ Element nicht von Kandinskijs russischer Herkunft an sich ableitet, sondern speziell von dessen familiärem Hintergrund.207 Neben der Bezugnahme auf die Kunst Japans/Ostasiens tritt an Grohmanns Argumentation eine weitere Besonderheit hervor. Grohmann schreibt, er habe den fernöstlichen Charakterzug zuerst in Kandinskijs „späteren Aquarellen“ entdeckt. Es scheint in der Tat so, als käme Kandinskijs mutmaßliche Nähe zur ostasiatischen Tradition für Grohmann 205 Grohmann 1930, 2. 206 Ebd., 1. In ähnlicher Weise versteht Grohmann (ebd., 2) das Werk von Paul Klee, der so häufig in einem Atemzug mit Kandinskij genannt wurde, als möglichen Ausdruck einer familiär bedingten „Infiltration mit dem islamischen Kulturkreis“. Demnach ist die Feststellung von Volkmar Billig (2012, 32) einzuschränken, dass „[d]ie in der deutschen Kunstwissenschaft seit Ende des 19. Jahrhunderts Platz greifende Tendenz, nationale Eigenheiten […] aus rassischen Kategorien herzuleiten, […] in Grohmanns Texten […] keinen expliziten Niederschlag [findet]“. 207 Zur Herkunft der Familie Kandinskij vgl. Hahl-Koch 1993, 19 f.; Hahl-Fontaine 2012b. Demzufolge hatten Kandinskijs Vorfahren väterlicherseits in der Tat an der Grenze zur Mongolei gelebt; mehr noch: „Kandinskys Neffe bestätigt die Aussagen einiger Zeitgenossen, daß ein leicht mongolischer (oder burjatischer) Einschlag in den Gesichtszügen Kandinskys und anderer Familienmitglieder zu erkennen sei.“ Ebd., 15. In „Rückblicke“ bringt Kandinskij den Charakter seines Vaters allerdings nicht mit der Mongolei in Verbindung, sondern bezeichnenderweise mit dessen tiefer Verbundenheit zu Moskau. Desgleichen sah Kandinskij seine eigene Identität durch seine russischen bzw. moskowitischen Wurzeln geprägt, nicht durch irgendeinen asiatischen „Einschlag“. Vgl. auch Illetschko 1997, 31.

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insbesondere in dessen jüngster Schaffensphase (ab 1924) zur Geltung.208 Ist dies der Fall, dann gesteht Grohmann dieser neuen Formsprache gleichsam eine eigenwertige Identität zu, versteht sie nicht als Nachklang der expressionistischen Münchner Jahre, auch nicht als Tribut an einen allgemeinen Trend – sondern als die konsequente Weiterführung eines Weges, der von Anfang an bei Kandinskij angelegt war. Die von Grohmann ausfindig gemachten Parallelen weisen jedenfalls deutlich darauf hin, dass sie ihren vorrangigen Referenzpunkt in Kandinskijs Malerei der Bauhauszeit haben. Diese Parallelen lassen sich in vier Aspekten zusammenfassen:209 Erstens: Zwar verzichtet die fernöstliche Kunst nicht auf die Wiedergabe von Gegenständen, doch diese bestehen letztlich auch aus abstrakten Kreisformen, Gittern, Kurven und Flächen, die durch sorgsames Abwägen und unter Verzicht auf zentralperspektivische Raumgestaltung auf der Bildfläche verteilt werden. Zweitens: Die „kleinen Farbtafeln“ auf vielen von Kandinskijs Arbeiten rufen „den Eindruck kalligraphischer Zeichen“ hervor, „wie sie die Japaner lieben“.210 Drittens: Es hat des Öfteren den Anschein, als habe Kandinskij „ein Bild im Bilde gemalt“ – Grohmann verweist auf das so betitelte Gemälde von 1929 (Abb. 21) –, „ein Vorgang, der außerordentlich häufig bei den japanischen Meistern vorkommt“. Viertens: Ein wesentliches Merkmal, das sowohl den Japanern als auch Kandinskij eignet, ist für Grohmann schließlich die „Knappheit des Ausdrucks“. Die hier angeführten Charakteristika sind – angefangen bei den geometrischen Formen – zweifellos an Kandinskijs malerischem Stil der 20er-Jahre orientiert, wenn auch nicht ausschließlich darauf bezogen.211 Es muss an dieser Stelle darauf verzichtet werden, Grohmanns Vergleiche auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.212 Zwar wurden Kandinskijs Beziehungen zur japanischen Kunst von der jüngeren Forschung verschiedentlich thematisiert; es geschah dies jedoch stets mit einem Fokus auf die Münchner Jahre und den Blauen Reiter – und leider nicht mit Fokus auf die Bauhauszeit, was entsprechend 208 Zur Periodisierung von Kandinskijs Werk vgl. Grohmann 1930, 12–17. 209 Der folgende Absatz bezieht sich auf ebd., 2 f. 210 Auf dieses Gestaltungselement hatte vor Grohmann bereits Erich Dürr (1927b) in seiner Besprechung von Kandinskijs Werken in der Mannheimer Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa aufmerksam gemacht – hier jedoch gedanklich verknüpft mit der „Zusammensetzung chinesischer Schriftzeichen“. 211 So spricht Grohmann (1930, 3) als Beispiel für die „Knappheit des Ausdrucks“ Kandinskijs Gedichte in dem 1913 veröffentlichten Band Klänge an, die ihn „an die wortkargen Tankas der Japaner“ denken lassen. 212 Im Rahmen eines solchen Unterfangens erschiene es sinnvoll, das Grohmann verfügbare Schrifttum über die ostasiatische/japanische Kunst vergleichend heranzuziehen. Die einschlägige Literatur in Grohmanns Nachlass könnte hierfür als Grundlage dienen. Offenkundig benutzte er Curt Glasers Die Kunst Ostasiens (versch. Aufl., hier: 21920), wie die Textparallelen zwischen ebd., 86–88, und Grohmann 1930, 3, belegen. – Eine Synopse westlicher Sichtweisen auf die japanische Kunst findet sich bei Pekar 2003.



„Unter anderen Sternen geboren“: Will Grohmann über Kandinskij  | Abb. 21: Vasilij Kandinskij: Bild im Bild, 1929, Öl auf Malpappe, 70 x 49 cm, Nationales Kunstmuseum, Osaka

nachzuholen wäre.213 Grohmann selbst sieht seine Beobachtungen indes durch die positive Rezeption bestätigt, die Kandinskij in Japan erfahren habe: 213 Vgl. Oh 2006 (mit einer teils fehlenden oder unklaren Differenzierung zwischen dem Vorliegen einer Parallele, einer Anregung oder einer Übernahme im Verhältnis von Kandinskijs Werken zur japanischen Kunst); Ausst.Kat. Murnau 2011, darin die Beiträge Delank 2011 und Salmen 2011. Von den drei genannten Autorinnen werden in puncto Kandinskij und Japan folgende Aspekte vorgebracht: (1) Kandinskij besaß eine Kollektion japanischer Holzschnitte. (2) Im Wort bezog sich Kandinskij nur selten auf die japanische Kunst; in den frühen Holzschnitten, aber auch in der Malerei der Münchner Jahre manifestiert sich jedoch seine künstlerische Auseinandersetzung mit japanischer Kunst, deren abstrahierende Eigenschaften ihn beeindruckten. (3) Insgesamt sieben japanische Graphiken dienen im Almanach Der Blaue Reiter als Abbildungsmaterial (interessanterweise just für die „russischen“ Beiträge von Kandinskij, Burljuk und Sabaneev). Vgl. dagegen Berger (1980, 312), der die Einflüsse Japans auf die europäische Kunst bei Kandinskij „am Versiegen“ sieht, sowie Illetschko 1997, 176, Anm. 56.

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Es wird berichtet, daß in den ersten größeren Ausstellungen die Japaner Kandinskys Kunst viel weniger fremd gegenüberstanden als die meisten Europäer. Die Japaner fanden seine Bilder in der Art ihrer Klassiker gemalt und fanden alte Grundsätze ihrer heimischen Kunst abgewandelt in ihnen wieder.214

Auch Georgia Illetschko hat sich mit den tieferen Gründen für die „Übersteigerung zum Östlich-Asiatischen“ in Grohmanns Kandinsky-Monographie beschäftigt; ausgehend von einem französischen Adressatenkreis interpretiert Illetschko Grohmanns „Wendung“ nach Osten als eine Folge „des neuen, von spezifischen Erwartungshaltungen geprägten Pariser Rezeptionsfeldes“.215 Gemeint ist der von Publizisten wie Pierre Courthion, E. Tériade und Christian Zervos lancierte Ruf nach einer Erneuerung der französischen Kunst von außen. Die um 1928 einsetzenden Bemühungen, Kandinskij in Paris zu etablieren,216 konvergierten mit dem dort vorhandenen Bedürfnis nach einer künstlerischen Öffnung gen Norden respektive Osten – wobei der „Osten“ schon jenseits des Rheins begann. Somit stand das Interesse an Kandinskij (wie auch an Klee) unter den Vorzeichen eines Exotismus, der sich anfangs freilich auf das „Germanisch-Nordische“ und dessen Hang zum Expressionismus bzw. zur Abstraktion bezogen hatte.217 Es war Christian Zervos, 214 Grohmann 1930, 3. Bei meinen Recherchen stieß ich nur vereinzelt auf Hinweise zur Kandinskij-Rezeption in Japan: Hinsichtlich der Ausstellungsbeteiligungen Kandinskijs bis 1930 erwähnen Illetschko und Katz (1992, 503) lediglich die Graphik-Ausstellung der Sturm-Galerie, die im März 1914 in Tokio stattfand, was nicht heißt, dass es keine weiteren Ausstellungen gegeben hat. 1922 erhielt Kandinskij das Angebot, an der Kunstakademie in Tokio zu unterrichten (was er ablehnte). Vgl. Hahl-Koch 1993, 395. In den 20er-Jahren hatte Tomoyoshi Murayama (1901–1977), eine Schlüsselfigur der japanischen Avantgarde-Bewegung, bedeutenden Anteil an der Wahrnehmung Kandinskijs in Japan. Murayama hatte 1922 während eines elfmonatigen Aufenthaltes in Berlin die neuesten künstlerischen Entwicklungen in Europa kennengelernt und dabei Bekanntschaft mit Kandinskij geschlossen. 1923 nach Tokio zurückgekehrt, setzte er sich kritisch mit dem theoretischen, dichterischen und bildkünstlerischen Schaffen Kandinskijs auseinander. 1925 erschien in Tokio sein Buch Kandinsuki [Kandinskij]. Vgl. Lindsay/Vergo 1994, 29; Weisenfeld 2002, 44 f., 224 f.; Omuka 2006. Ergänzend sei auf die Listen „Sammler, die Kandinsky Bilder besitzen“ und „Interessenten“ im Nachlass der Galerie Arnold hingewiesen, die wohl 1926 im Zusammenhang mit der JubiläumsAusstellung erstellt worden sind und auf denen sich auch Namen in Japan ansässiger Sammler bzw. Interessenten befinden. DKA, NL Arnold/Gutbier, I,B-178. 215 Illetschko 1997, 13, 20 f., 26–34 (Zitate auf S. 29). Vgl. auch Gispert 2013. Gispert (ebd., 55) stellt fest, dass „die Hervorhebung des orientalischen Charakters von Kandinskys Schaffen“ zu der von Grohmann verfolgten „Verbreitungsstrategie in Frankreich“ gehörte, geht in ihrem Beitrag jedoch nicht näher darauf ein. 216 „[…] sowohl Kandinskys Werke als auch seine theoretischen Schriften waren im Frankreich der zwanziger Jahre weitgehend unbekannt; seine letzten Pariser Ausstellungsbeteiligungen hatten noch vor dem Ersten Weltkrieg stattgefunden.“ Kitschen 2007, 283 f. 217 Vgl. Illetschko 1997, 26 f.



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Herausgeber und Verleger der Kunstzeitschrift Cahiers d’Art, der als Vermittler Kandinskijs in Paris für dessen Werk eine zweite, „russisch-slawische Interpretationslinie“ entwickelte.218 Grohmann, so Illetschko, sei auf diesen Zug aufgesprungen und habe aus seiner deutschen (also östlicheren) Sicht den „Orient“ von Russland noch einmal weiter in Richtung Asien verschoben – womit er das französische Kandinskij-Bild nachhaltig modellierte.219 Wie Illetschko vermutet, formten sich Grohmanns Gedanken möglicherweise unter dem Eindruck eines Artikels von Josef Strzygowski („Les problèmes soulevés par la nef d’Oseberg et sa cargaison d’œuvres d’art“), den die Cahiers d’Art im April 1930 veröffentlichten. Darin habe der Wiener Kunsthistoriker (in Illetschkos Wiedergabe) „Verbindungslinien zwischen der nordeuropäischen, altai-iranischen und zentralasiatischsibirischen Kunst her[gestellt]; als Mittlerregion zwischen Asien und Europa habe das russische Gebiet um Perm fungiert.“220 Die geistige Atmosphäre der Cahiers d’Art, in denen Grohmann bereits vor dem Erscheinen der Kandinsky-Monographie publiziert hatte, könnte mithin dazu beigetragen haben, dass sich sein Blick für die vermeintlich „östlichen“ bzw. „asiatischen“ Elemente bei Kandinskij schärfte. Man kann dieses Faktum aber auch unter einem mehr strategischen Blickwinkel betrachten: Die Betonung von Kandinskijs Andersartigkeit trug zu seiner Profilierung bei, indem sie die genuine Unabhängigkeit seines Schaffens von mutmaßlichen Pariser Einflüssen behauptete.221 Unbenommen der profunden Argumentation, die Illetschko vorträgt, sollten die Ursachen für Grohmanns buchstäbliche Umorientierung nicht ausschließlich im Radius seines Pariser Adressatenkreises gesucht werden. Auf Strzygowskis Thesen, die ihn in den nachfolgenden Jahren noch intensiver beschäftigen sollten, musste Grohmann nicht erst durch die Cahiers d’Art aufmerksam geworden sein. Schon von Beginn des Jahrhunderts 218 Illetschko 1997, 27. Zu Zervos’ publizistischer und organisatorischer Tätigkeit für Kandinskij vgl. Kitschen 2007 sowie Derouet 2008, 257–261. 219 Vgl. Illetschko 1997, 28–30. Interessanterweise hatte Zervos 1928 Kandinskijs „russische Sensibilität“ gerade an dessen jüngsten Aquarellen festgemacht, in denen Grohmann später „Reminiscenzen an Werke japanischer Maler und Meister des Holzschnitts“ (s. o.) erkennen wollte. Vgl. Christian Zervos: Wassily Kandinsky: Aquarelles (Galerie Zak). In: Cahiers d’Art Nr. 10 (1928), 451. Zit. nach: Illetschko 1997, 27. 220 Illetschko 1997, 29. 221 Vgl. ebd., 13, 32 f. Auch in dieser Hinsicht lässt sich eine Diskrepanz zwischen Grohmanns Veröffentlichungen von 1924 und 1930 konstatieren. Hatte er Kandinskijs Frühwerk dort als „Anschluß an die europäische Kunst“ gedeutet, bei dem Kandinskij „die Anregungen Rußlands in den malerischen Stil seiner Zeit zu übersetzen“ trachtete (Grohmann 1924b, 5), so wird die Schaffensphase von 1900 bis 1910 in dem jüngeren Text zwar noch immer als „Auseinandersetzung mit den künstlerischen Problemen seiner Zeit“ charakterisiert – worauf aber einige Sätze später die etwas widersprüchliche Bemerkung folgt: „Man kann nicht sagen, daß in den Bildern die Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen fühlbar würde. Kandinsky geht von vornherein einen anderen Weg. Ihn verfolgen angeborene und in Rußland erworbene Vorstellungen.“ Grohmann 1930, 12.

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an hatte sich Strzygowski energisch (und überaus produktiv) für eine kunstgeschichtliche Rehabilitierung des „Orients“ eingesetzt und dessen konstitutive Bedeutung für die europäische Kultur aufzuzeigen versucht.222 1929 veröffentlichte Strzygowski den Band Asiens bildende Kunst, in dem er einen Schwerpunkt auf Sibirien als einen der „weißen Flecken in der Denkmälerkarte des eigentlichen Asien“ legte.223 Ein Exemplar dieses Buches befindet sich in Grohmanns Nachlass.224 Eine weitere Verbindungslinie von Grohmann zu Strzygowski führt über ihr gemeinsames Interesse an zeitgenössischer Kunst. Strzygowski schrieb nicht nur „ein Büchlein für jedermann“ über Die bildende Kunst der Gegenwart (1907, 21923), er war auch Kuratoriumsmitglied im 1924 gegründeten „Kreis der Freunde des Bauhauses“225. Es versteht sich, dass auch Grohmann diesem Freundeskreis angehörte.226 Grohmann hatte also unabhängig von den Cahiers d’Art Gelegenheiten gehabt, um mit Strzygowskis Forschung in Berührung zu kommen. Nun ist es eine Frage, woher Grohmann den Impuls für die östliche Spurensuche in seiner Kandinsky-Monographie erhielt, eine andere, für wen er seine dahingehenden Erkenntnisse niederschrieb. Es wäre zu kurz gedacht, würde man das „ostasiatische“ Element, das um 1930 in Grohmanns Kandinskij-Rezeption Raum greift, exklusiv auf die Bedürfnisse des französischen Publikums gemünzt sehen. So gibt Christian Derouet den Inhalt einer Abmachung wieder, wonach „der von Kandinsky finanzierte Band zeitgleich zu seiner Ausstellung von Gemälden und Aquarellen in der Galerie Flechtheim in Berlin erscheinen soll[te]“227. Selbst wenn man daraus nicht mit Derouet den Schluss ziehen will, die Monographie habe sich „eher an die deutsche Klientel als an die Pariser Sammler 222 Vgl. Strzygowski 1901. Strzygowskis beispielgebende Rolle bei der Aufspürung und Erkundung kunsthistorischen Neulands ist dadurch überschattet, dass er seine Studien nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend in nationalistische und rassistische Fahrwasser lenkte und sich damit in die Sackgasse des Nazismus manövrierte. Vgl. Marchand 1994; Kaufmann 2004, 70–73; Feist 2007d; Marosi 2008. 223 Strzygowski 1930, XX. Zwar lautet das Impressum „1930“, allerdings wird das Buch in zeitgenössischen Periodika unter dem Schrifttum des Jahres 1929 aufgeführt, vgl. Bibliographie August–September 1929, 242. – Unter dem „eigentlichen Asien“ versteht Strzygowski jene Bereiche Asiens, die „auf dem geistig nördlichen Teile dieser Halbkugel liegen“ (d. h. nördlich des Taurus, des Elburs und des Himalaja) und von denen man den „alten Orient“ unterscheiden müsse. Strzygowski 1930, XVI, XXI. 224 Für diese Information danke ich Heike Kotzurek (Staatsgalerie Stuttgart, Bibliothek der Gemäldeabteilung). – Dass sich Asiens bildende Kunst in Grohmanns Bibliothek befand, beweist freilich nicht, dass er es beim Verfassen der Kandinsky-Monographie bereits besaß und darin gelesen hatte. Um die Wirkung von Strzygowskis Schriften auf Grohmanns Denken zu klären, bedarf es eingehender Textanalysen und -vergleiche, die hier nicht geleistet werden können. 225 Vgl. Roethel 1970, 457. 226 Vgl. Ausst.Kat. Stuttgart 1987, 57. 227 Derouet 2008, 259 (leider ohne Angabe der Quelle und deren Datierung). Die Ausstellung bei Alfred Flechtheim fand im Februar 1931 statt.



„Unter anderen Sternen geboren“: Will Grohmann über Kandinskij  |

gerichtet“228, wurde sie doch offenbar auch für eine deutsche Leserschaft erstellt – und von der Kandinsky-Gesellschaft zudem in deutscher Sprache vervielfältigt.229 Schließlich scheint mir ein entscheidender Gesichtspunkt darin zu liegen, dass Grohmann die Idee einer ostasiatischen „Infiltration“ Kandinskijs auch noch in seinen späteren Schriften kolportiert hat.230 Diese Tatsache spricht gleichfalls dafür, dass Grohmann in seiner Kandinsky-Monographie nicht einfach eine Strategie verfolgte, die er für eine gegebene historische und lokale Situation maßgeschneidert hatte, sondern dass er darin eine Überzeugung vertrat, zu der er – auf welchen Wegen auch immer – gelangt war. Festzuhalten bleibt, dass die „eigentlich“ russischen Quellen bei Grohmann in den Hintergrund treten.231 Russland erscheint zwar erneut als Zwischenbereich zwischen Europa und Asien, doch es tut dies gewissermaßen in einer personalisierten Form, zugeschnitten auf Kandinskijs Stammbaum. Bemerkenswert an diesem speziellen Zuschnitt ist, dass er es Grohmann erlaubt, die in einigen Merkmalen mit Kandinskij vergleichbare Bildsprache der russischen Suprematisten und Konstruktivisten bei seinen Darlegungen stillschweigend außen vor zu lassen. Mit anderen Worten: Grohmann liefert eine Begründung für die „einzigartige Stellung“232, die er Kandinskij innerhalb der Kunstwelt – einschließlich der russischen – zuspricht. Vielleicht war dies mit ein Grund dafür, dass Kandinskij „keinen Einspruch erhob“, als ihn der befreundete Kritiker mit seinem „‚westöstlichen‘“ Erklärungsversuch überraschte.233 Grohmann war, ganz im Sinne Kandinskijs, daran gelegen, dass Kandinskij nicht mit den anderen „Abstrakten“ in einen Topf geworfen würde: 228 Ebd. 229 In dem Exemplar der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (Sign. 5a/194), das mir vorlag, sind der französische und der deutsche Druck zu einem Band zusammengefasst. 230 Vgl. Grohmann 1951, 155; Ders. 1958, 246: „Daß die mentale und blutliche Infiltration mit Asien den Charakter der Gestalten und Bilder Kandinskys und vermutlich auch ihre Sinnbildlichkeit mitbestimmt, ist anzunehmen. Verfasser hat in dem Kandinsky-Band der ‚Cahiers d’art‘ (1930) nachdrücklich darauf hingewiesen. Vielleicht sind die Beziehungen weniger direkt, als er damals vermutete (Kreis-, Gitter-, Fächerform usw.), und mehr amerasiatisch als ausschließlich ostasiatisch. Es handelt sich um eine Verwandtschaft seelischer und geistiger Grundformen.“ 231 Was nicht bedeutet, dass Grohmann sie ausklammert. So hätten „[d]ie Farbigkeit Moskaus, das Märchen des Kreml, eine Reise nach dem Gouvernement Wologda“ einen starken Eindruck bei Kandinskij hinterlassen, dessen künstlerische Anfänge „geistig gesehen einerseits zur Romantik, andrerseits zur russischen Volkskunst in Beziehung stehen“. Und noch in Kandinskijs Wandbildern für die Juryfreie Kunstschau 1922 in Berlin gewahrt Grohmann „eine letzte Erinnerung an das verlassene Moskau, eine ganz persönliche Bindung östlicher Farben und Formenklänge, Mussorgsky näher verwandt als Strawinsky. Volkstümlich und überreich an Klängen, dabei von einer Kulmination des Affekts, die in den Mystizismus hineinwächst.“ Grohmann 1930, 12 f., 15. 232 Ebd., 1. 233 Grohmann 1951, 155. In eine ähnliche Richtung argumentiert Illetschko (1997, 33), wenn sie mit Bezug auf die Pariser Kunstszene und Kandinskijs Konkurrenzverhältnis zu den Kubisten anmerkt,

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Denn was Kandinsky auch in diesem Zeitabschnitt [um 1921; S. B.] von den Konstruktivisten unterscheidet, ist die Weite des Horizonts. Er denkt nicht daran, die Mittel zum Zweck werden zu lassen, sie bleiben Ausdruck eines Seelischen, sind im einzelnen und in der Verbindung erfunden zur zweckmäßigen Berührung der Seele.234

Namentlich in diesem „Seelischen“ erkennt Grohmann Kandinskijs besondere Nähe zur ostasiatischen Kunst, die danach strebe, „nicht die Dinge, sondern ihren lebenden Geist wiederzugeben, nicht was man sieht, sondern was man fühlt und erinnert“235. Philosophen und Maler aus Fernost wie Laotse, Wang Wei, Korin, Koyetsu, Moyeki und Hoitsu Sakai dienen ihm als Referenzen.236 Doch – so wesentlich die Kenntnis dieser „Quellen und Bedingtheiten“237 auch sein mag: Für Grohmann erschöpft sich Kandinskijs Schaffen darin nicht. Dies ergibt sich bereits aus seinem Verständnis der Kandinskij’schen Malerei als einer Synthese von Ost und West, von Asien und Europa. Daneben ist Kandinskijs Schaffen für Grohmann, fern aller kunstgeographischen Kartierungen, auch ein spezifischer Ausdruck der Zeit.238 Und schließlich enthebt Grohmann Kandinskijs Kunst einer jeden relativen Verankerung in Raum und Zeit, indem er ihr – in einem geradezu panegyrischen Tonfall – einen absoluten, ewigen Wert beimisst: „So wie außer dem Individuellen der Anlage, außer Nation und Epoche der objektive Weltgeist in das Kunstwerk hineinklingt, erstattet das fertige Werk seinen Dank an den Schöpfer, das Volk, die Zeit und die Ewigkeit.“239 Diesen Gedanken hatte Grohmann direkt aus Über das Geistige in der Kunst übernehmen können, er entspricht jenen „drei mystischen Notwendigkeiten“, aus denen sich laut Kandinskij das Kunstwerk gebiert: die Persönlichkeit des Künstlers, seine Epoche und Nationalität und, über alles erhaben, das „Element des Rein- und Ewig-Künstlerischen“.240

es sei für ihn immer noch akzeptabler gewesen, „mit Dschingis Khan als mit Picasso verknüpft zu werden“. 234 Grohmann 1930, 15. 235 Ebd., 3. 236 Ebd. Die Schreibung der Namen ist von Grohmann übernommen. 237 Ebd. 238 Vgl. ebd., 3. 239 Ebd., 19. 240 Kandinsky [1912] 2006, 84.

Eine Frage des Maßstabs: Carl Einstein über Kandinskij  |

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Eine Fr age des M assstabs: Car l Einstein über K andinskij

4.5.1  Einsteins Kritik an Kandinskij – ein interkulturelles Missverständnis? Einsteins ‚Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts‘ ist immer noch das aufschlußreichste Werk über die Kunst der Gegenwart. […] Ich wüßte keinen, der dem Phänomen der Kunst seit 1900 so auf den Grund ginge wie Einstein, dem eine so persönliche und gleichzeitig exakte Terminologie zur Verfügung stünde[,] um den Sachverhalt zu erschöpfen, der so voraussetzungslos und gleichzeitig mit so vielen Kenntnissen und Erfahrungen das Material erschlösse.241

Grohmann hätte seinem Kritikerkollegen Carl Einstein (1885–1940) kein größeres Kompliment aussprechen können, als er es 1931 in seiner Rezension zu Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts tat. Den Anlass bildete das Erscheinen der mittlerweile dritten Auflage des Buches, die sich von den beiden ersten, weitgehend identischen242 Auflagen von 1926 und 1928 „so erheblich“ unterschied, „daß man fast von einem neuen Buch sprechen kann“.243 Eines freilich war gleich geblieben: Einsteins ablehnende Haltung gegenüber der Abstraktion. Diese artikulierte sich in Bezug auf Kandinskij wie folgt: „Man flieht die Dinge und äußeres optisches Erlebnis und glaubt, daß die innere Schau vom Draußen gänzlich abgespalten werden kann; man bezahlt den Stulp ins Ich mit dem Verlust gesehener Welt. […] ein kreisendes Selbstgespräch.“244 Das Argument, das Einstein hier vorbringt, ist uns aus anderen Kontexten hinlänglich bekannt: Abstraktion hieße demnach so viel wie Verarmung der Kunst und Deutungsbeliebigkeit. So vertraut die Kritik aus Einsteins Feder auch klingt, so bemerkenswert ist ihre theoretische Fundierung: Die Grundlage, auf der Einstein die Kunst des 20. Jahrhunderts bemisst, ist ein normativer Kunstbegriff, den er im Abschnitt über Kandinskij explizit macht: Sinn aller Bilder ist ihr Beeinflussen der uns gebotenen Welt, die dadurch noch stärker vermenschlicht wird, und es gilt, Kunst in jeder Beziehung der ästhetischen Einschränkung zu entreißen. Kandinsky verbleibt in reizvoll gruppierten Elementen; er übersieht jedoch, daß

241 Grohmann [1931] 1996, 861. 242 Vgl. Fleckner/Gaehtgens 1996b, 33. 243 Grohmann [1931] 1996, 861. – Die Kunst des 20. Jahrhunderts bildete den Abschluss der PropyläenKunstgeschichte und erfreute sich unter den 16 Bänden dieser Reihe einer besonders großen Nachfrage. Vgl. Fleckner/Gaehtgens 1996a, 30, Anm. 58. 244 Einstein [1931] 1996, 252. Der zitierte Wortlaut ist gegenüber der Ausgabe von 1926 nahezu unverändert, vgl. Ders. 1926a, 135. – Einsteins Beziehung zu Kandinskij und dessen Schaffen wird von Grund auf behandelt bei Fleckner 2006, 87–98 („Der Solipsist und sein Kritiker. Wassily Kandinskys Werk im Urteil Carl Einsteins“). Vgl. auch Oehm 1976, 38–40; Haxthausen 1984, 82 f.; Hahl-Koch 1993, 186, 294.

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Bilder erst bedeutsam werden, wenn sie Signale und Zeichen unseres Raumschaffens sind und wir durch sie die Welt erweitern. Somit werden biologische Bedürfnisse befriedigt, und man behauptet sich gegen die gebotene Schöpfung. Kandinsky verschließt sich hingegen in eine zart ergebene Dingangst, die er durch die alte Gegensatzkonstruktion von Geist und weltlicher Gegenständlichkeit stützt […].245

Die Aufgabe der Kunst besteht für Einstein also darin, die Welt zu ‚vermenschlichen‘ und sie zu ‚erweitern‘: Neue Wirklichkeiten werden geschaffen durch Umgestaltung oder Neugestaltung der „gebotenen Welt“, mithin auf Basis des Gegenständlichen. Künstlerische Bedeutung entsteht in der Auseinandersetzung mit der Welt, in der Reibung zwischen dem Ich und der sichtbaren, dinglichen Realität. Da Kandinskij laut Einstein einer solchen Auseinandersetzung entsagt, da er stattdessen den Rückzug ins eigene Ich antritt und „die Fruchtbarkeit des gegenständlichen Widerstandes“ ignoriert, kann seine ungegenständliche Kunst den oben formulierten Ansprüchen nicht genügen: „Kandinsky gelangte nicht zur Gestaltbildung und somit zur Verwandlung oder Neubildung der Realität. Seine Ästhetik war eher negativ geartet.“246 Soweit Einstein. Bei aller Anerkennung, die Grohmann dem Autor der Kunst des 20. Jahrhunderts zollt, versteht es sich, dass er der Beurteilung Kandinskijs durch Einstein nicht beizupflichten vermag. Er hält dagegen, „daß im Falle Kandinsky das Ostasiatische zu westlerisch beurteilt ist“247. Grohmann erkennt bei Einstein somit jene Befangenheit in „den formalen und inhaltlichen Prinzipien der europäischen Kunstgeschichte“ wieder, die er in seiner Kandinsky-Monographie dem westlichen Publikum zum generellen Vorwurf machte, insofern dieses „Kandinskys Eigenart“ übersehe.248 Mit dem Hinweis auf das „Ostasiatische“ plädiert Grohmann in seiner Rezension erneut für einen adäquaten Umgang mit künstlerischen Erscheinungen wie vermeintlich auch Kandinskij, „die der immanent europäischen Entwicklung zunächst fremd sind“249. Adäquat bedeutet hier, auf die je eigenen, von Kultur zu Kultur variierenden 245 Einstein [1931] 1996, 258. Vgl. dazu Fleckner 2006, 96, 98. 246 Einstein [1931] 1996, 258 f. Die Lorbeeren dafür, Einsteins Vorstellung von Kunst am nächsten gekommen zu sein, ernten in der Erstausgabe der Kunst des 20. Jahrhunderts die Kubisten, in der dritten Auflage von 1931 die Surrealisten. Vgl. Fleckner 2006, 96, 165. Wenn auch Einsteins Kritik an Kandinskij überaus herb ausfällt, wäre es sicher nicht zutreffend, sein Urteil als reines Aburteil zu interpretieren. Schließlich erscheinen Einstein die Künstler des Blauen Reiters „als Mitte der neueren deutschen Kunstgeschichte“: Durch Marc, Kandinskij und Klee sei in Deutschland erstmals der Versuch unternommen worden, „eine Umbildung der seelischen Struktur“ mithilfe der „Darstellung freier, innerer Prozesse“ zu bewirken. Einstein [1931] 1996, 241–244, hier: 241, 244. 247 Grohmann [1931] 1996, 862. 248 Grohmann 1930, 1. 249 Ebd.

Eine Frage des Maßstabs: Carl Einstein über Kandinskij  | Abb. 22: Vasilij Kandin­ skij: Spitzen im Bogen, 1927, Öl auf Leinwand, 66 x 49 cm, Verbleib unbekannt

Vor­aussetzungen des Kunstschaffens Rücksicht zu nehmen. Die Problematik dieses Ansatzes liegt nun darin begründet, dass er eine Vorentscheidung darüber verlangt, ob man es bei einem Gemälde wie Spitzen im Bogen (1927) (Abb. 22)250 mit etwas Fremdartigem zu tun habe, und also welcher Maßstab konkret anzuwenden sei. Das Beispiel Carl Einstein pointiert diese Problematik – nicht nur, weil er Grohmanns Ansichten über das genuin „Ostasiatische“ bei Kandinskij nicht teilte, sondern auch, weil Einstein zum Kreise derjenigen gehörte, die ihren Zeitgenossen die Augen für außereuropäische Kunst überhaupt geöffnet haben. Hieraus ergibt sich die besondere Brisanz von Grohmanns Einwand. Denn wenn man Einstein eines gewiss nicht vorwerfen kann, 250 Das Werk ist im Abbildungsteil sowohl von Grohmanns Kandinsky-Monographie (Ausgabe Paris 1930) als auch von Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts (31931) reproduziert und kann damit zur Veranschaulichung deren beider Ausführungen über Kandinskij herangezogen werden.

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dann ist dies eine Indifferenz gegenüber der „Eigenart“ außereuropäischer Kulturen respektive das Unvermögen, solche „Eigenart“ zu würdigen.251 Bereits in der Negerplastik von 1915, seinem bekanntesten Text über Kunst, demonstrierte Einstein wirkungsvoll, wie die Feststellung der Andersartigkeit afrikanischer Skulptur mit der Anerkennung ihrer Ebenbürtigkeit als Kunst Hand in Hand gehen kann.252 Ein weiteres Ergebnis von Einsteins Beschäftigung mit fremden Kulturen und ihren Hervorbringungen ist die weniger bekannte, bezogen auf das „Ostasiatische“ aber einschlägigere Abhandlung Der frühere japanische Holzschnitt von 1922.253 In den abschließenden Zeilen seiner kurzen Einführung findet Einstein prägnante Worte, um die – schier? – unüberwindbare Gebundenheit an den eigenkulturellen Standort am Beispiel der Rezeption japanischer Holzschnitte in Europa zu rekapitulieren: Zwischen abendländischen und japanischen Blättern ist eine geistige Distanz gespannt, die weiter klafft als geographische Entfernung. […] Nur mittelbar werden wir diese Zeichnungen empfinden; nicht aus dem eigenen Treiben heraus; artistisch wirkt diese Kunst auf uns und bleibt am Ende Exotik. Artistisch lernten unsere Künstler aus ihr, und vielfach folgerten sie Dinge, die uns bedeutend gelten, aber nicht in den Ukiyoye [= in den Farbholzschnitten; S. B.] stehen.254

Es kann aus diesen umsichtigen Bemerkungen zwar nicht automatisch geschlussfolgert werden, dass Einstein bei jeder Erscheinung, die außerhalb des europäischen Kunstkreises ihren Ursprung hatte, eine vergleichbare Sensibilität an den Tag legte. Dass er „im Falle Kandinsky das Ostasiatische zu westlerisch beurteilt“ hat, wie ihm Grohmann vorhielt, liegt meines Erachtens aber nicht daran, dass Einstein gegebenenfalls nicht dazu bereit 251 Vgl. hierzu N’guessan 2012. 252 Freilich ist auch Einsteins Sicht auf die fremdkulturellen Bildwerke vorjustiert, durch Fragestellungen nämlich, die er durch die europäische Kunst seiner Zeit aufgeworfen sah. So beschreibt Klaus Herding die Negerplastik als eine „Projektion“ kubistischer Ästhetik und problematisiert die darin vorgenommene Übertragung des künstlerischen Autonomiebegriffes auf die afrikanische Skulptur. Gleichzeitig feiert er den Text als „Abschied vom kulturgeschichtlichen Kolonialismus“. Herdings Fazit zur Negerplastik lautet: „Es ist zweifellos der intensivste Versuch, außereuropäische Kunst mit Begriffen europäischer Moderne darzustellen und zugleich ihre Eigenständigkeit zu dokumentieren.“ Herding 1992, 723–725. Vgl. auch Kiefer 1994, 134–137; Neundorfer 2003, 24–88; Fleckner 2006, 69–83. 253 Das Erscheinungsjahr fehlt im Buch. Bei der Datierung auf 1922 folge ich Windhöfel 1995, 286, Anm. 76, 77, sowie Neundorfer 2003, 91. – Neben German Neundorfer (ebd., 89–151) hat sich Walter Gebhard am ausführlichsten über Einsteins Japan-Buch geäußert, vgl. Gebhard 1988. 254 Einstein 1922, 20 f. Ebd., 5, heißt es: „Wem mißtrauten wir zweifelnder als uns, wenn Fernländisches wir verstehen wollen.“ Die Bezugsgröße des „wir“ in beiden Zitaten sind die Europäer, die in der Gegenüberstellung mit den Japanern/Asiaten zu einer kulturellen Einheit gerinnen. Vgl. auch Gebhard 1988, 68 f.; Neundorfer 2003, 125; Pekar 2003, 230.

Eine Frage des Maßstabs: Carl Einstein über Kandinskij  |

gewesen wäre, sich an einem Perspektivenwechsel zu versuchen. Vielmehr sah er keine Veranlassung dazu: Das „Ostasiatische“, das Grohmann in einem Werk wie Spitzen im Bogen als gegeben voraussetzte, existierte für Einstein offenbar nicht. Grund hierfür war nicht ein Mangel an interkultureller Kompetenz oder fehlende Sachkenntnis (das Buch über den Früheren japanischen Holzschnitt bezeugt ja das Gegenteil), sondern ein von Grohmann abweichendes Voreingestelltsein: Kandinskijs Schaffen spielte sich in Einsteins Augen von vornherein innerhalb des Referenzrahmens „Europa“ ab.255 Einstein bewertete die Abstraktion daher als integralen Teil der europäischen Kunstentwicklung – ohne einen Umweg über Fernost zu nehmen. 4.5.2 Die Rolle von „Landschaft und Menschenart“ in Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts Losgelöst von Grohmanns Behauptung ostasiatischer Einflüsse besteht weiterhin die Frage, ob und wenn ja, welche Rolle Kandinskijs russische Herkunft für die Behandlung seines Werks in Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts spielte.256 Als Ausgangspunkt bei der Antwortsuche kann der folgende Satz dienen: „Der Ablauf der jungen Kunst ist durch die Auslösung unmittelbarer Subjektivität bestimmt. Dies Bestreben ist europäisch, wird aber nach Landschaft und Menschenart geschieden.“257 Einstein eröffnet hier zwei Ebenen: eine europäische und eine ihr untergeordnete nationale/regionale/ethnische Ebene,

255 Anders als bei Grohmann, der das Gemeinsame zwischen der ostasiatischen Kunst und Kandinskijs Bildern herauszuarbeiten versucht, steht Kandinskijs Schaffen bei Einstein implizit im Kontrast zu den japanischen Holzschnitten. Dieser Kontrast korreliert mit den tiefgreifenden, insbesondere religiös geprägten kulturellen Unterschieden, die Einstein zwischen Asien und Europa ausmacht. Werden die ukiyo-e vor dem Horizont einer buddhistischen Mentalität interpretiert, welcher „Person und einzelgefärbte Tat“ nichts gölten (Einstein 1922, 6), beschreibt Einstein Kandinskijs Abstraktion genau entgegengesetzt als einen „Stulp ins Ich“, dessen theoretische Begründung sich „alter christlicher Metaphysik“ verwandt zeige (Ders. [1931] 1996, 252, 258). Zur Gegenüberstellung der asiatischbuddhistischen und der europäisch-christlichen Tradition in Der frühere japanische Holzschnitt vgl. Gebhard 1988, 69 f., 99 f., 105 f.; Pekar 2003, 230. 256 Eine solide Einführung in Einsteins kunsthistorisches Hauptwerk bieten Fleckner und Gaehtgens (1996a). Das erste Drittel dieser Einführung erschien zudem in einer überarbeiteten Version in Fleckner 2006, 159–166. 257 Einstein [1931] 1996, 186. Vgl. zum Folgenden auch Kramer 2012: Darin wird auch auf die nachgelassenen Entwürfe für ein „Handbuch der Kunst“ und eine „Histoire de l’Art Moderne“ aus den 30er-Jahren eingegangen, in denen Einstein beabsichtigt habe, „dem Historischen eine räumliche Dimension zu geben“ (ebd., 224). Zur Kunst des 20. Jahrhunderts vgl. ebd., 230–232; was Einsteins geographischen Diskurs über den Blauen Reiter anbelangt, vertrete ich eine von Kramer etwas abweichende Einschätzung.

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die man mit Milan Kundera auch als „großen“ und als „kleinen Kontext“ bezeichnen könnte.258 Zunächst zum großen Kontext. Kandinskijs Werk ist innerhalb von Einsteins ModerneEntwurf Ausdruck eines gesamteuropäischen Strebens hin zu „unmittelbarer Subjektivität“ (s. o.) und „vom Beschreiben weg“259. Die frühe Abstraktion stellt für Einstein weniger eine russische Angelegenheit dar, als sie auf ein allgemeines Wollen am Beginn des 20. Jahrhunderts verweist: „Bei Kandinsky setzte ein Protest ein, der eine Generation bezeichnet: die Entdinglichung, der Wunsch, unmittelbar nackt ein seelisches Geschehen aufzuzeichnen.“260 Nun spricht Einstein aber auch davon, dass die neue Kunst „nach Landschaft und Menschenart geschieden“ sei, womit er in den europäischen Rahmen eine zusätzliche Binnenstruktur von kleinen Kontexten einfügt. Diese „Kunstprovinzen“261 werden nach altbekanntem Muster differenziert. „Der Romane“ und „der Russe“ stehen einander gegenüber: Ausgleich und Traditionsbezug hier kontrastieren mit Traditionsverneinung und Auslöschung des Gegenstandes dort.262 „Der Deutsche behauptet zwischen Romanen und Slawen eine Mittelstellung.“263 Einstein bringt die Abstraktion also speziell mit Russland in Verbindung. Zu klären ist, ob diese Verbindung lediglich konstatiert wird oder ob sie weitreichendere Implikate besitzt, die an anderer Stelle der Kunst des 20. Jahrhunderts verbalisiert werden. Hierfür soll neben der Darstellung Kandinskijs im Kapitel „Der Blaue Reiter“ der Abschnitt „Konstruktivisten“ im Kapitel „Russen“ näher betrachtet werden.264 Obgleich Einstein das Faktum einer abstrakten bzw. ungegenständlichen Bildsprache sowohl bei Kandinskij als auch bei den „Konstruktivisten“265 ablehnte, repräsentierten sie für ihn zwei grundverschiedene Ansätze – zunächst. Im Zentrum des Diskurses

258 „Ein Kunstwerk kann in zwei hauptsächliche Kontexte eingeordnet werden: entweder in die Geschichte seiner Nation (nennen wir ihn den kleinen Kontext) oder in die supranationale Geschichte seiner Kunst (nennen wir ihn den großen Kontext).“ Kundera 2008, 52. 259 Einstein [1931] 1996, 187. 260 Ebd., 251. Hervorh. S. B. 261 Ebd., 187. 262 Ebd., 186. 263 Ebd., 187. Die Unterschiede zwischen romanischen Künstlern („bildformale Sinnlichkeit“) und deutschen Künstlern („Wille zur Transzendenz“) werden ebd., 188, 198 f., näher ausgeführt. 264 Das schwierige Verhältnis Carl Einsteins zur russischen Avantgarde wird dargestellt von German Neundorfer (2003, 198–225) sowie von Andreas Michel (2012). 265 Die Bezeichnung „Konstruktivisten“ wird im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Abschnitt in Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts in Anführungszeichen gesetzt, da hier ein besonderes Verständnis von Konstruktivismus vorliegt: Es unterscheidet sich von dem heute üblichen insofern, als Einstein erstens ausschließlich Malerei thematisiert und zweitens den Suprematismus (Malevič) miteinbezieht. Vgl. Michel 2012, 244.

Eine Frage des Maßstabs: Carl Einstein über Kandinskij  |

über die „Konstruktivisten“ steht bei Einstein die Revolution: Abstraktion als tabula rasa. „In die Gegenstände hat man erinnernde Überlieferung gesammelt. Also wäre Aufgabe einer beginnenden Revolution, die Gegenstände zu zerstören; Entdinglichung zugunsten einer Utopie.“266 Die Abstraktion (oder „Entdinglichung“) wird hier nicht wie bei Kandinskij aus dem Antrieb heraus gedeutet, „unmittelbar nackt ein seelisches Geschehen aufzuzeichnen“, sondern im Gegenteil: als eine Fortsetzung der Politik mit den Mitteln der Kunst. Dabei werde das Individuelle durch „das Allgemeine, Kollektive und Zahlenmäßige“ ersetzt und „das Seelische auf das pur Intellektuelle“ reduziert.267 Die scharfen Worte, mit denen Einstein die geometrische Abstraktion bedachte – „Diktatur des malenden Mundes“268 etwa –, stimmen mit der Kritik überein, die man seit der ersten Begegnung mit russischer Revolutionskunst 1922 in Berlin an dieser Richtung geäußert hatte (vgl. Kap. 3.2.5). Werden die von Kandinskij und von den „Konstruktivisten“ vertretenen Ansätze in ihrer jeweiligen Art und ihrem Wollen als divergent beschrieben, so stellt Einstein dennoch Wechselbeziehungen fest. Im Abschnitt über die „Konstruktivisten“ heißt es: „Man entlieh aus kubistischen Beständen und Kandinsky Material. Allerdings, dieser wurde dann wiederum von den Konstruktivisten beeinflußt.“269 Einstein bemängelt den zuletzt genannten ‚Einfluss‘ als einen Rückfall „ins Lehrhafte und Rational-Geometrische“270 – die Kritik an den „Konstruktivisten“ wird auf Kandinskij projiziert. Dieser erscheint in der Kunst des 20. Jahrhunderts mithin in zweifacher Gestalt: Als Blauer Reiter, der „neue seelische Zustände“271 darstellte, einerseits – und andererseits als „geschmackvolle[r] Geometriker“272, bei dem das „Seelische“ (also das jüngst Erreichte!) wie bei den „Konstruktivisten“ durch das „Intellektuelle“ ersetzt sei.273 Bei alledem fällt auf, dass Einstein von einer expliziten Herleitung der Abstraktion aus den Gegebenheiten der russischen Kultur absieht.274 Kandinskijs Schritt in die Abstraktion wird in der Epoche verankert und zusammen mit den Leistungen von Franz Marc 266 Einstein [1931] 1996, 236. 267 Ebd., 237 f. 268 Ebd., 236. 269 Ebd., 240. 270 Ebd., 244. 271 Ebd., 242. 272 Ebd. 273 Einstein und Grohmann nehmen im Hinblick auf Kandinskijs Bildsprache der 20er-Jahre diametral entgegengesetzte Standpunkte ein: Betonte Grohmann doch gerade Kandinskijs Distanz zum Kon­ struktivismus und die Kontinuität seelischen Ausdrucks innerhalb seines Œuvres. Vgl. Grohmann 1930, 15. 274 Zwar erwähnt Einstein ([1931] 1996, 251) Kandinskijs Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Moskau („die farbig alte Stadt“) wie auch dessen Feststellung, dass das russische Bauernrecht „den seelischen Zustand des Angeklagten zur Urteilsbildung hervorhebt“. Anders als Kandinskij selbst es in den

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und Paul Klee in einem eigenen Kapitel über den Blauen Reiter behandelt, welches aus der national orientierten Kapiteleinteilung („Die Deutschen“, „Russen“) ausgegliedert ist.275 Das Schaffen der „Konstruktivisten“ wiederum wird formal von Kandinskij und den Kubisten abgeleitet und inhaltlich auf die Revolution bezogen.276 Einstein denkt die Abstraktion weiträumiger. Die für ihn entscheidende kunstgeographische Trennlinie scheint mir in dem umfangreichen Abbildungsteil der Kunst des 20. Jahrhunderts gezogen zu sein. Die Reproduktionen von Gemälden und Arbeiten auf Papier sind dort in zwei Blöcke geteilt: Der eine umfasst die Franzosen, Spanier und Italiener, der andere die Deutschen, Russen, Holländer und Ungarn277. Mit dem zweiten Block ist zugleich das Verbreitungsgebiet der Abstraktion im engeren Sinne („Entdinglichung“) umrissen. Diese wird in der Kunst des 20. Jahrhunderts durch Arbeiten von Malevič, Moholy-Nagy, Mondrian und Lisickij (je eine Abbildung) und von Kandinskij (sechs Abbildungen und eine Farbtafel) repräsentiert.278 Damit veranschaulicht die Bildbzw. Künstlerauswahl im Hinblick auf die Reichweite der Abstraktion, was Einstein 1926 anlässlich von Kandinskijs 60. Geburtstag im Kunstblatt notiert hatte: „Kandinsky schlug einige Fenster ein. Seine Wirkung in Mitteleuropa, vor allem im Osten ist erheblich.“279 Es steht zwar nach wie vor im Raum, dass die abstrakte Kunst als russische Antwort auf ein europäisches Problem mit „Landschaft und Menschenart“ zusammenhängt.280 Einstein geht aber nicht näher darauf ein. Es ist dies im Ganzen bezeichnend für die Kunst „Rückblicken“ und in seinem Aufsatz „Abstrakte Kunst“ (1925) tat, zieht Einstein daraus aber keine direkten Schlüsse für Kandinskijs Malerei. 275 In den ersten beiden Auflagen der Kunst des 20. Jahrhunderts waren die Maler des Blauen Reiters – einschließlich Kandinskij – allerdings noch in das Kapitel „Die Deutschen“ integriert. 276 Es lässt sich aus Einsteins Text allenfalls noch ein mentalitätsbedingter Aspekt der Abstraktion als Russlandbezug herausfiltern. So unterstellt er den Russen einen Hang zum Dogmatismus: „Man hatte den Fetisch Objekt ausgetrieben, doch die seelische Gestimmtheit, nämlich die alte Rechtsgläubigkeit [sic], war geblieben; diese Bilder sind Reste einer alten Metaphysik.“ Der „Glaube an Doktrin“ wäre demnach in einer marxistischen, wissenschaftsgläubigen Umgebung von der Religion (Orthodoxie = Rechtgläubigkeit) auf einen neuen Inhalt übergesprungen: „Leerlaufende Religiosität bemächtigt sich nun der schwächlichen Kunstlehre.“ Einstein [1931] 1996, 239, 242. Ansonsten deutet Einstein die Malerei der russischen Avantgarde als Negation der Tradition, welche repräsentiert wird durch „den alten Dostojewski“, „die Oblomowerei und die Karamasoffs“ (ebd., 237). 277 Die Holländer und die Ungarn sind jeweils nur durch eine Person vertreten, nämlich durch Piet Mondrian und László Moholy-Nagy. 278 Vgl. Einstein [1931] 1996, Taf. XXVIII und Abb. S. 648–657. 279 Einstein 1926b, 372. Interessanterweise wird im Bildteil der Kunst des 20. Jahrhunderts nicht Kandinskijs Pionierrolle vor Augen geführt, sondern seine stilistische Entwicklung nach dem Blauen Reiter; so stammt das früheste der abgebildeten Werke von Kandinskij aus dem Jahr 1919. 280 Der Gebrauch des Begriffes „Menschenart“ weist im Übrigen darauf hin, dass sich Einstein gegen essenzialistische Konzepte nicht grundsätzlich verwahrte. In Der frühere japanische Holzschnitt merkt er etwa an, dass in der japanischen Kunst der Tosa- und der Ukiyo-e-Meister „die Rasse mit ihrer feinen, durchdringenden Vitalität sich abformt, und wir dürfen sagen, daß in den Holzschnitten

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des 20. Jahrhunderts, in der Einstein, anders als Grohmann, nicht eigentlich den Künstler und sein Werk ins Zentrum stellt, sondern „eine vorgefaßte Sicht“, in die er das Werk „zu zwingen“ versucht; Letzteres dient ihm weniger als Fluchtpunkt denn „als Material“.281 Kandinskij ist für Einstein der Wegbereiter und Hauptexponent der absoluten Malerei, an dem es das Problem der „Entdinglichung“ (und darum geht es!) abzuarbeiten gilt. Einstein hat es auf den großen Kontext abgesehen – genauer gesagt: auf die Erörterung der von ihm ausgewählten künstlerischen Positionen vor dem Hintergrund seines Kunstbegriffs und des damit verbundenen Entwicklungsmodells der europäischen Moderne.282 Sich um die kleinen Kontexte zu kümmern, überlässt er anderen. 4.5.3 Die russische Kunst als europäisches Faktum Mir scheint, dass Einsteins Verzicht darauf, Kandinskij „unter anderen Sternen“ zu verorten und seine Werke wie afrikanische Skulpturen oder japanische Holzschnitte unter das Signum kultureller Alterität zu stellen, auch von einem selbstverständlichen, ja abgeklärten Umgang mit der russischen Kultur herrührte,283 der sich auf Einsteins enge Verbindungen mit Russen und mit Russland gründete. Liliane Meffre fasst diese Verbindungen in nuce zusammen: Les relations de Carl Einstein avec la Russie étaient, il faut y insister, intenses et multiples tant sur le plan familial qu’intellectuel. Sa femme Maria Ramm était Russe, sœur de l’épouse de Pfemfert, l’éditeur de Die Aktion, traductrice d’auteurs russes en allemand et très liée à la colonie russe présente à Berlin. Einstein quant à lui fréquentait Majakowski, Gorki, le peintre Nathan Altmann, eut même une liaison avec Elsa Triolet. La pièce de théâtre de Carl Einstein Die schlimme Botschaft avait été traduite en russe et devait être mise en scène par Meyerhold comme

bestimmte Eigenschaften des Japaners zum letztenmal von bedeutenden Künstlern bewahrt wurden“ (Einstein 1922, 16). Vgl. Gebhard 1988, 97. 281 Die Formulierungen stammen aus Einsteins Buch Georges Braque (1934). Zit. nach: Neundorfer 2003, 67. 282 Fleckner und Gaehtgens (1996a, 20 f.) bringen es auf den Punkt: „Ziel der Darstellung ist es, begreiflich zu machen, welche künstlerischen Antworten der Künstler auf diejenigen Fragen gegeben hat, die Einstein aufgrund des von ihm selbst veranschlagten ästhetischen und kunsthistorischen Entwicklungsmodells der modernen Kunst aufgeworfen sieht, und die ihm zur Leitlinie seiner Betrachtung und seines Werturteils dienen.“ 283 Gemeint ist, dass Einstein die russische Kultur nicht als Anderes, sondern als einen Teil von Europa behandelt. Selbst die vielbeschworene Buntheit der russischen Malerei, die allenthalben Anlass zu exotistischen oder primitivistischen Schwärmereien gab, wird von Einstein im Hinblick auf die jüngere russische Kunstgeschichte (Mir iskusstva) mit durchaus bissiger Nüchternheit geschildert: „man stöberte auf der Suche nach einer nationalen Kunst die Volkskunst auf und entpumpte ihr Buntheit.“ Einstein [1931] 1996, 234.

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il ressort de leur correspondance des années 1920 et également du manuscrit de E. Lund­berg qui se fait lui aussi l’écho des liens multiples de Carl Einstein avec le monde russe. En 1927 sort d’ailleurs son livre sur Leon Bakst. Son enthousiasme pour les avant-gardes et pour la révolution russes est connu de tous. Un article de lui, ‚Absolute Kunst und absolute Politik‘, devait figurer dans l’encyclopédie soviétique. Ce qu’il faut évidemment souligner, c’est la conception large mais uniquement culturelle de l’Europe qui se dessine dans l’almanach.284

Mit dem zuletzt erwähnten „almanach“ ist der 1925 von Carl Einstein und Paul Westheim herausgegebene Europa Almanach gemeint. Angelehnt an das Vorbild des Almanachs Der Blaue Reiter vereint der Band Texte und Dokumente aus den Bereichen Malerei, Literatur, Musik, Architektur, Plastik, Bühne, Film und Mode, die, in bunter Mischung arrangiert, ein Kaleidoskop der geistigen und künstlerischen Kräfte Europas geben: von Natan Al’tman bis Carl Zuckmayer.285 Doch nicht allein die Gattungen werden hier frei miteinander kombiniert. Die Herausgeber sahen bei der Zusammenstellung der Beiträge auch von einer Kategorisierung nach ethnischen oder nationalen Kriterien ab, wie sie sich im darauffolgenden Jahr in der Internationalen Kunstausstellung in Dresden abzeichnen sollte. Im Europa Almanach wird Nationalität nicht eigens markiert, sie wird vielmehr in der nationenübergreifenden Konzeption eines geistigen Europas aufgehoben, die sich in der Anlage des Buches manifestiert.286 Zum Beispiel Kandinskij: Die Beiträge unmittelbar vor der ihm zugedachten Doppelseite (Abb. 23)287 stammen – von hinten nach vorne geblättert – von Juan Gris, Emil Nolde, Carl Sternheim, Constantin Brâncuşi 284 Meffre 2009, 157 f. Neundorfer (2003, 205–211) widerspricht der von Meffre und anderen kolportierten Aussage, Einsteins zu Lebzeiten unveröffentlichter Aufsatz „Absolute Kunst und absolute Politik“ (1921) sei für die Große Sowjet-Enzyklopädie vorgesehen gewesen; demgegenüber bekräftigt er Hubertus Gaßners These, Einstein habe den Text für die nicht realisierte vierte Ausgabe der Zeitschrift Vešč’, Objet, Gegenstand verfasst, die von Il’ja Ėrenburg und Ėl’ Lisickij in Berlin gegründet wurde. Der Aufsatz ist von besonderem Interesse, weil er eine affirmative Haltung Einsteins gegenüber der russischen Avantgarde-Kunst bezeugt – eine Haltung, die in der Kunst des 20. Jahrhunderts in ihr Gegenteil verkehrt erscheint. 285 Vgl. Einstein/Westheim 1925. Zu den russischen bzw. russischstämmigen Beiträgern des Almanachs gehörten Natan Al’tman, Aleksandr Blok, Mark Šagal, Sonja Delaunay, Sergej Esenin, Kandinskij, Ėl’ Lisickij, Vladimir Majakovskij, Kazimir Malevič, Ivan Puni, Vladimir Tatlin und Marija Vasil’eva. 286 Vgl. Meffre 2009, 155, 158. Diese „Manifestation europäischen Geistes“ – so eine zeitgenössische Verlagsannonce (zit. nach: Windhöfel 1995, 296) – kann als Gegenentwurf zu dem im Almanach scharf kritisierten „Jahrmarkt Europa“ gedeutet werden: einem Europa in praxi, das im Eröffnungsbeitrag geradezu programmatisch als „ein Fetzen Lächerlichkeit“ apostrophiert wird, dessen „europäischer Mensch“ nicht mehr sei als „eine Katheder-Proklamation“. Kasack 1925, 5. Vgl. auch Schütte 1984. 287 Links ist eine Federzeichnung (verkehrt herum) wiedergegeben, rechts ein Gedicht mit dem Titel „Zwielicht“, welches von zwei weiteren Federzeichnungen am Kopf und am Fuß der Seite gerahmt wird. Zwei der Zeichnungen sind in Privatbesitz nachgewiesen, vgl. Barnett 2006a, 274, Nr. 553, 554.

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Abb. 23: Doppelseite 64/65 aus dem Europa Almanach (1925), mit drei Federzeichnungen und einem Gedicht von Kandinskij

und Vladimir Majakovskij, die nachfolgenden von Ernst Ludwig Kirchner (alias L. de Marsalle), Fritz Landsberger (über Georg Simmel), Pierre Reverdy und Gino Severini. Der Eindruck eines international gemischten Reigens stellt sich auch ein, wenn man die Kontexte überfliegt, in die etwa der Abdruck von Punis Stillleben mit weißer Flasche (1922) oder Lisickijs Aufsatz „K. und Pangeometrie“ eingebettet sind.288 Der Europa Almanach weist mithin auf konzeptueller Ebene zwei Eigenheiten auf, die auch Einsteins 288 Auch in den Fällen, bei denen innerhalb einer Text-Bild-Einheit im Europa Almanach zwei russische Künstler im Verbund auftreten, folgte man augenscheinlich keiner äußeren Regel: Wenn in dem Textbeitrag von Malevič („Suprematismus“) u. a. ein Werk von Lisickij abgebildet ist, so nicht einfach deshalb, weil Malevič und Lisickij beide russische Künstler waren; vielmehr liegen inhaltlich-künstlerische Berührungspunkte vor, aber auch pragmatische Gründe: Denn es war Lisickij selbst, der den Vorschlag machte, einen Auszug aus den von ihm übersetzten Schriften Malevičs im Europa Almanach abzudrucken, und der demnach das entsprechende Material bereitstellte. Vgl. Windhöfel 1995, 295.

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Annäherung an Kandinskij charakterisieren: die Grundannahme von der Europäizität der russischen Kultur und die Hintanstellung des Nationalen.289 Als einer der herausragenden Kunstschriftsteller und -kritiker seiner Zeit steht Carl Einstein im Rahmen der vorliegenden Arbeit stellvertretend für all diejenigen Autoren, deren Texte durch das Raster der Materialselektion fielen, da sie Kandinskijs Werk weitgehend losgelöst von nationalen Kategorisierungen und Kontextualisierungen betrachteten. Dabei besaß Einstein ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Grenzen kultureller Fremdwahrnehmung, wie seine Publikationen über die afrikanische Skulptur und den japanischen Holzschnitt zeigen. Kandinskij und sein abstraktes Kunstschaffen bildeten jedoch kein Element dieses Alteritätsdiskurses: Von einem dezidiert europäischen Standpunkt ausgehend, hielt es Einstein nicht für erforderlich, sich der abstrakten Kunst auf eine grundlegend andere Weise anzunähern als beispielsweise dem Brücke-Expressionismus, da für ihn beide dem Paradigma „Europa“ angehörten. Das Problem der Abstraktion bzw. der Begreifbarkeit abstrakter Kompositionen und Konstruktionen war für ihn primär ein kunsttheoretisches, kein interkulturelles. Auf der anderen Seite differenziert Einstein in der Kunst des 20. Jahrhunderts zwischen verschiedenen „Kunstprovinzen“ in Europa: Danach unterscheiden sich Deutsche, Russen (bzw. Slawen) und Romanen in ihrem jeweiligen Streben nach „unmittelbarer Subjektivität“, das Einstein als den gemeinsamen Nenner der neuen Kunst bestimmt. Kandinskijs Werk tritt als äußerstes Extrem dieser Subjektivität, als „Stulp ins Ich“, in Erscheinung – eine Begründung der Abstraktion, die auf der russischen Herkunft des Künstlers basiert, ist in Einsteins Text jedoch nicht auszumachen. Es wird lediglich für die Zeit nach dem Blauen Reiter ein Einfluss der konstruktivistischen respektive suprematistischen Malerei festgestellt, die ihrerseits mit den gesellschaftlich-politischen Umbrüchen in Russland in Beziehung gesetzt wird. Grundsätzlich scheint es Einstein weniger um eine kulturelle Verortung der Abstraktion gegangen zu sein als um deren Widerlegung. Dabei argumentierte er aus einer transnationalen Perspektive heraus – der Maßstab, den er an die zeitgenössische Kunst anlegte, war jedoch der französischen Entwicklung verpflichtet, in der er seine kunsttheoretischen Auffassungen am reinsten verkörpert sah. Indem Einstein auch die übrigen „Kunstprovinzen“ daran maß, diminuierte er faktisch die Bedeutung der kleinen Kontexte zugunsten des großen Kontextes Europa als der entscheidende Bezugsrahmen. Wer nun 289 Freilich war Einstein für die Konzeption des Europa Almanachs nicht alleine verantwortlich. Als heimlicher Mitherausgeber hatte Hermann Kasack gemeinsam mit Einstein die Umrisse des Vorhabens festgelegt, die von Westheim dann scheinbar ohne größere Änderungswünsche gebilligt wurden. Vgl. ebd., 289 f., 292 f.

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wie Grohmann die Unterschiede nach „Landschaft und Menschenart“ hinsichtlich ihrer Signifikanz höher bewertete als Einstein, musste dessen Vorgehen für problematisch halten, umso mehr, als Einstein Abweichungen von seinem Maßstab konsequent abschlägig beurteilte. Auch Paul Westheim gab in einer Rezension zur Kunst des 20. Jahrhunderts zu bedenken, dass der aus der Entwicklung in Frankreich gewonnene Maßstab für die Einschätzung dessen, was bei uns entstanden ist, vielleicht doch nicht so ohne weiteres übernommen werden kann. Gewiß gibt es gleichartige Strebungen, aber, ob es Gegensätze der Rasse, ob es Gegensätze der künstlerischen Konstellation sind, der Verlauf und gelegentlich sogar die Ziele sind diesseits und jenseits des Rheins andere.290

Westheim sieht bei Einstein die „Gefahr“ gegeben, „an die einzelne Künstlererscheinung Ansprüche heranzubringen, die sie ihrer ganzen Art nach nicht zu erfüllen vermag“.291 Am Ende kann indes auch Westheim das fundamentale Problem nicht lösen, wo die Orientierung an „der besonderen Art des Kunstwollens“292 enden darf und wo die Kritik (die stets auf Aneignung beruht) beginnen muss. Angesichts der paradoxen Aufgabe, die Einstein in seinem Buch zu bewältigen hatte, nämlich eine Kunstgeschichte der eigenen Zeit zu verfassen, weiß Westheim die Vorzüge von Einsteins Unnachgiebigkeit gleichwohl zu schätzen: Der strenge Maßstab, der hier zur Anwendung kam, verhalf Einstein nicht nur zu einer geradlinigen Auswahl und Bewertung der Künstler, er bildet zugleich den roten Faden durch die monumentale Geschichte, die Einstein in seiner Kunst des 20. Jahrhunderts erzählt.

290 Westheim [1926] 1996, 851. Einsteins Abfuhr an die Deutschen, die Westheim hier kritisch kommentiert, zeigt deutlich, wie weit Einstein von jedem Kunstnationalismus entfernt war. Einsteins Immunität in dieser Beziehung wird durch die Tatsache unterstrichen, dass er die Grundpfeiler des nationalen Expressionismus-Diskurses unterminiert, indem er die Brücke-Künstler – die für Grohmann (1996, 861) „ein spezifisch deutsches Ereignis“ waren – in ihrer Zielsetzung mit den Pariser Fauves nahezu gleichsetzt, und indem er über die etwaigen „Zusammenhänge mit der Farbigkeit der alten Deutschen, der Ausdruckskraft frühgotischer Werke“ schreibt, sie seien „mit fraglichem Recht behauptet“ worden. Einstein [1931] 1996, 189. 291 Westheim [1926] 1996, 852. Im Gegensatz zu Grohmann stimmt Westheim in Sachen Kandinskij jedoch mit Einstein überein; bezogen auf die abstrakte Kunst setzt sich Westheim seinerseits dem Vorwurf einer „normativen Ästhetik“ aus, den er hier gegenüber Einstein formuliert. 292 Ebd.

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4.6 Gegenwind von r echts: K andinskij als A ntit yp des ‚deutschen‘ Künstlers Unter den Rezipienten Kandinskijs in der Weimarer Republik seien gesondert einige Autorinnen und Autoren behandelt, die seine Person und sein Schaffen auf Basis antimodernistischer, antikommunistischer, nationalistischer und/oder rassistischer Überzeugungen desavouierten. Mit ihren diffamierenden Worten bereiteten sie mit den Boden für die offizielle – zunächst lokale bzw. regionale, ab 1933 reichsweite – Beseitigung der ihnen unliebsamen Kunst.293 Die Notwendigkeit, sich mit diesem Diskurs zu befassen, der auf die blanke Denunziation Kandinskijs hinauslief – und eben nicht auf ein differenziertes Verständnis seines Werks –, ergibt sich aus der Institutionalisierung dieses Diskurses unter nationalsozialistischer Herrschaft, mithin aus seiner konkreten historischen Tragweite. Im Folgenden werden einige gegen Kandinskij (und die Avantgarde insgesamt) gerichtete Einstellungen und Argumente beleuchtet, deren Grundlagen grosso modo bereits im Kaiserreich gelegt waren, die sich in den 20er-Jahren radikalisierten und in den 30er-Jahren den kunstpolitischen Kurs bestimmten.294 Dass Kandinskij aus Russland stammte, spielte bei der Abwertung seiner Arbeit erwartungsgemäß eine wichtige Rolle – wenn auch nicht unbedingt die ausschlaggebende. Denn „deutsch“ wurde, namentlich von Kandinskijs nationalistisch und völkisch gesinnten Kritikern, als eine positiv besetzte Wertkategorie begriffen, in die nur das fallen konnte, was von ihnen selbst für gut befunden wurde. Ihnen verhassten Erscheinungen wie der abstrakten Kunst war das Epitheton „deutsch“ von vornherein versagt, ganz gleich, wer die entsprechenden Werke schuf. Was unmittelbar nicht ins Bild passte, wurde schlicht für ‚undeutsch‘ erklärt und bekämpft. Die Bedeutung von Kandinskijs Herkunft für den antimodernen Diskurs kann, wie sich zeigen wird, als (pseudo-)evidenziell bezeichnet werden, insofern sie den Generalverdacht einer ‚Überfremdung‘ der deutschen Kultur (vermeintlich) plausibel machte.

293 Vgl. auch Haxthausen 1984, 80; Illetschko 1997, 90. 294 Zum völkischen und nationalsozialistischen Kunstdiskurs vgl. Baumann 2002b und Kashapova 2006. – Auf maßgebliche Wegbereiter dieses Diskurses wie den Kulturkritiker Julius Langbehn (Rembrandt als Erzieher, 1890) und den Kunsthistoriker Henry Thode (Böcklin und Thoma, 1905; Das Wesen der deutschen bildenden Kunst, 1918) wird eingegangen in Baumann 2002b, 27–41, und Ulbricht 2009b, 309–315. Darüber hinaus sei auf Peter Ulrich Heins Buch Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Faschismus (1992) verwiesen, in dem der Autor u. a. „den Beitrag der ‚absoluten Malerei‘ zur präfaschistischen Gedankenwelt“ (ebd., 157) untersucht. Vgl. auch Hein 1996.

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4.6.1 Der „Kunstbolschewist“ Kandinskij Ein ganzes Sortiment modernefeindlicher Topoi und Argumentationsweisen ist in einer Kolumne über das Berliner Großstadtleben enthalten, mit der der rechtskonservative Adolf Stein (1871–1945) unter dem Pseudonym „Rumpelstilzchen“ allwöchentlich im Blätterwald rumorte. Auch Kandinskij blieb darin nicht verschont. Anlässlich seiner Berufung an das Staatliche Bauhaus in Weimar wurde er im Juli 1922 von Stein als „Kunstbolschewist“ attackiert: In der Malerei haben wir die Revolution schon vor der politischen Revolution gehabt, und sie war auch ganz danach: eine Infektion der Gehirne vom Auslande her. Wir sind darüber noch nicht hinausgekommen. Ein Kunstbolschewist, der bekannte Kandinsky, der in Rußland keine Geschäfte machen kann, ist jetzt an eine öffentliche Anstalt in Weimar, die Kunstgewerbe betreibt, berufen worden, an das sogenannte Bauhaus. Dort mag er sich in bizarren Tapeten und Teppichen austoben.295

Das Verdikt, das Stein über Kandinskij ausspricht, kommt weder als ein subjektives (1) noch als ein rein ästhetisches, auf die Kunst bezogenes Urteil (2) daher. Wenn Stein bei den progressiven Künstlern seiner Zeit „eine Infektion der Gehirne vom Auslande her“ diagnostiziert, wähnt er sich implizit auf dem Standpunkt der Normalität, dem Standpunkt einer gesunden deutschen Auffassung (ad 1).296 Und wenn er den Paradigmenwechsel in der Malerei mit dem politischen Umsturz – der Novemberrevolution – assoziiert, bettet er die neue Kunst in den Gesamtzusammenhang der von ihm als rundum defektiv beschriebenen Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik ein: als Inbegriff einer

295 Stein 1922, 274 f. (Beitrag vom 27. Juli 1922). Steins Kolumne, mit der Zeitungen wie die Tägliche Rundschau, die Hamburger Nachrichten und die Dresdner Nachrichten beliefert wurden, erfreute sich so großer Beliebtheit, dass sie zusätzlich in Form von jährlichen Sammelbänden herausgebracht wurde. Der hier zitierte zweite Band erreichte zwei Auflagen von insgesamt 14.000 Exemplaren. Eine treffende Charakterisierung von Steins Publizistik als „Phänomenologie der Degeneration“ findet sich bei Hambrock 2003, 307. Vgl. auch Laser 2010, 90 f., Anm. 96. – Einen kommentierten Querschnitt durch die Veröffentlichungen seines Großvaters Adolf Stein legte Gerd Stein vor, vgl. Stein 2014. Das Buch enthält auch eine Einführung in die rund 700 Kolumnen („Plauderbriefe“), die Adolf Stein zwischen 1920 und 1935 verfasste, vgl. ebd., 116–135. 296 Bemerkenswert ist die von Stein gewählte Metapher der „Infektion“, mit welcher er die von ihm missbilligten künstlerischen Erscheinungen pathologisiert. Der Begriff „Infektion“ umfasst im gegebenen Zusammenhang ein parasitäres Feindbild und hat eine warnende Funktion, insofern die Gefahr einer weiteren Ansteckung (um im Bilde zu bleiben) als aktuell eingestuft wird: „Wir sind darüber noch nicht hinausgekommen.“ Steins Angriff richtet sich damit nicht nur gegen Kandinskij als Produzent abstrakter bzw. moderner Kunst, sondern auch gegen diejenigen, die Kandinskijs Kunst befürworten und von daher – nach Steins Begriffen – nicht bei klarem Verstand sein können.

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verkehrten Welt (ad 2).297 Die polemische Verbindung der malerischen Revolution mit der politischen und ihre Rückführung auf eine außerhalb Deutschlands gelegene Wurzel kondensieren in der Verunglimpfung Kandinskijs als „Kunstbolschewist“. Das fremdenfeindliche Potenzial von Steins Äußerungen ist damit aber längst nicht erschöpft. Sein Hinweis auf Kandinskijs Berufung „an eine öffentliche Anstalt in Weimar“, nun, da dieser „in Rußland keine Geschäfte machen kann“, birgt eine zweifache Spitze: Die mit dem Ruf an das Bauhaus verbundene offizielle Bestätigung Kandinskijs figuriert als ein weiterer Beleg für die angeblich unhaltbaren Zustände in Deutschland, wo laut Unterton mit Handkuss empfangen wird, wer nicht einmal in der eigenen Heimat Erfolge zu erzielen vermag. Darüber hinaus wird Kandinskij zum ‚Geschäftemacher‘ gestempelt und erscheint damit als jemand, der in erster Linie auf sein monetäres Heil aus ist (und nun noch auf deutsche Kosten): Sein zum schieren ‚Austoben‘ herabgewürdigtes Künstlertum erhält damit einen schmarotzerhaften, wenn nicht betrügerischen Anstrich.298 Die angeführte Passage steht nur beispielhaft für Steins grundtiefe Verachtung des Modernismus als Ganzem.299 Gleichzeitig ist festzustellen, dass Kandinskij in Steins Argumentation eine besondere Funktion zuteil wird: In seiner Eigenschaft als Galionsfigur der Abstraktion und als Russe verleiht er der Theorie einer „vom Auslande her“ betriebenen Unterwanderung der deutschen Malerei eine, wenn auch scheinbare, Plausibilität.300 Das 297 Auf diese verkehrte Welt stimmt Stein bereits im Vorwort seines Sammelbandes ein, wo er seine Texte und die Reaktion des (Ideal-)Lesers auf die darin geschilderten Verhältnisse wie folgt beschreibt: „Ein bißchen deutscher Kulturgeschichte der Jahre 1921 und 1922 unter Berliner Brennspiegel; man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, man zürnt, man lächelt, man lacht, – und dies ist in sotanen Zeiten, wo Generale Handlungsgehilfen werden und Brettlsänger Professoren, wo ein Frackanzug 45 000 Mark wert ist (mein Gott, wie billig, wird man nach wenigen Monaten vielleicht sagen) und die Ehre oft keine fünf Pfennig mehr, wohl noch die bekömmlichste Arzenei.“ Stein 1922, [5]. 298 Die kursivierten Sätze sollen deutlich machen, was Steins Aussagen über ihren reinen Informationsgehalt hinaus bedeuten können – für den, der Schlechtes dabei denkt. Sie stehen mithin für die Möglichkeit, Steins Text zwischen den Zeilen zu lesen und dabei Schlussfolgerungen zu ziehen, die freilich durch den ressentimentgeladenen Kontext und den sarkastischen Tonfall seiner „Plauderbriefe“ gelenkt werden. 299 Weitere Belegstellen dafür sind: Stein 1922, 187 (über Archipenko: „Idol aller Formzertrümmerer“), ebd., 224–226 (über eine Präsentation der Novembergruppe: „[…] schmerzen einen alsbald die Augen“); Ders. 1923, 75 f. (über die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin: „[…] das meiste ist doch wieder Formzertrümmerung, Suprematismus in irren Kreisen, Kurven, Klecksen, oder gar – ‚gegenstandslose‘ Kunst. […] Nach der Revolution der Bankerott.“), ebd., 162 f. (über die Freie Secession Berlin: „vielhundertfaches Gestammel von Nichtskönnern, Effekthaschern, Verdrehten“), ebd., 213 f. (über Kokoschka: „vollkommene[s] Unvermögen“); Ders. 1924, 302 f. (entsprechende Auslassungen über Kokoschka, Liebermann, Dix, Pechstein, Schmidt-Rottluff und Kandinskij). 300 Die russische Herkunft Kandinskijs erhält bei Stein ihr eindeutig negatives Vorzeichen – und damit ihre demagogische Bestimmung – allerdings erst in Verbindung mit der Zuordnung des Künstlers zu der Stein verhassten Avantgarde, in deren Wirken sich für ihn eine allgemeine Verkommenheit widerspiegelte. Dass Stein, der selbst in Moskau geboren worden und aufgewachsen war, der vor-revo-

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auf Kandinskij applizierte Schmähwort „Kunstbolschewist“ gehört ebenfalls in diesen Kontext, suggeriert es doch als ein Fremd-Wort – fremd sowohl in Bezug auf die Etymologie des Begriffes „Bolschewismus“ (von russ.: bol’šinstvo, Mehrheit) als auch auf die so geheißene russische Variante des Kommunismus – eine Gefahr von außerhalb, über die ein gefährdetes deutsches Wir konstituiert wird.301, 302 Steins Worte waren weit mehr als Schall und Rauch, vor allem waren sie gefährlich. Ende des Jahres 1932 warnte ein Artikel in der Vossischen Zeitung davor, die publizistische Macht Adolf Steins zu unterschätzen, dessen Feuilletons „in 25 bis 30 Provinzzeitungen“ erschienen, bevor sie dazu noch in Buchform gesammelt feilgeboten wurden.303 Die Machart und die Wirkung der Texte, die „Rumpelstilzchen“ seiner großen Lesergemeinde Woche für Woche auftischte, werden darin pointiert beschrieben. Wenn der Artikel hier etwas ausführlicher zitiert wird, so geschieht dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass der in ihm formulierte Gedanke über Steins Einfluss auf seine Leser, das heißt über deren Infiltration mit Vorurteilen und Ressentiments, einen nicht unpassenden Prolog zu den von mir im Anschluss behandelten Veröffentlichungen aus anderen Federn bildet: Ein Salat aus ödestem Gesellschaftsklatsch und salzloser Theaterreportage, gewürzt hin und wieder mit einer kleinen Pikanterie, nicht schärfer, als der brave Bürger in der Provinz grade noch vertragen kann, garniert in regelmäßigen Abständen mit einer Verleumdung – und alles übergossen, durchknetet, durchzogen von fadester Gesinnungssoße; was müssen die Leute für einen Magen haben, die so etwas jahraus jahrein genießen können! […] der Fall Rumpelstilzchen [gehört] nicht in die Stil- oder Geschmackskritik, sondern in das politische Ressort. Er vermittelt seinen Lesern offenbar etwas, wonach eine ungeheure Nachfrage vorhanden ist: den Blick in die ‚große Welt‘, als deren Angehörigen er sich selber ausgibt. […] Diese lutionären, vor-avantgardistischen Kultur Russlands durchaus große Anerkennung entgegenbringen konnte, belegt sein begeisterter Bericht über ein Gastspiel des Moskauer Künstlertheaters unter der Leitung von Konstantin Stanislavskij (gespielt wurde, „natürlich noch aus der kaiserlichen Ära“, Anton Čechovs Onkel Wanja), vgl. Stein 1922, 75 f. Sympathien bekundet Stein auch für die „echten“ Russen „der guten, alten Gesellschaft“, die infolge der Revolution nach Berlin geflohen waren und deren Lebenswelt er scharf trennt von „den beiden anderen ‚russischen‘ Brennpunkten Berlins“: dem „bolschewistischen“ und dem „polnisch-jüdischen“, vgl. Ders. 1924, 246–250 (Zitate auf S. 249 f.). 301 Vgl. dazu die Überlegung von Kashapova (2006, 131): „Dass sich das Wort Bolschewismus bei Hitler größerer Beliebtheit erfreut als etwa Kommunismus, dürfte an dessen augenscheinlicher slawischer Herkunft liegen, die als ein Zeichen mehr für die Fremdheit der damit bezeichneten Sachverhalte gedeutet werden kann.“ 302 Ergänzend zu Steins Kolumne sei auf einen ungezeichneten Artikel hingewiesen, der 1922 im Mannheimer General-Anzeiger unter der Überschrift „Russischer Kunstrummel in Deutschland“ erschien (= Anonym 1922b). Darin wird Kandinskijs Berufung an das Bauhaus im Zusammenhang einer angeblichen „Ueberfremdung mit russischem Kunstgut“ angeführt. Vgl. dazu Hille 1994, 282 f. 303 Erich Krämer: „Rumpelstilzchen“ – Porträt eines Zeitgenossen. In: Vossische Zeitung Nr. 575 (1.12.1932), Morgenausgabe. Zit. nach: Stein 2014, 275 f. (Zitat auf S. 275).

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Unmittelbarkeit imponiert gewaltig, und um ihretwegen schlürfen seine Leser begierig das Getränk, das ihnen vorgesetzt wird, ohne zu merken, dass seine fade Süßigkeit fein verteilte Giftstoffe verbirgt. Dieses Gift aber ist von besonderer Sorte: es setzt sich im Bewusstsein fest, kristallisiert sich zu kaum mehr lösbaren Urteilskomplexen und Ressentimentsklumpen; es haftet noch, wenn der Anlass längst vergessen ist. So macht man Leute zu Proselyten, die gar nicht wissen, dass sie bekehrt werden. So entsteht in unserem tintenklecksenden Säkulum ein Stück ‚öffentlicher Meinung‘.304

Wohin Stein die öffentliche Meinung hatte führen wollen, verriet er in seinem letzten „Plauderbrief“ vom 8. August 1935: Es war ihm beim Schreiben an vorderster Stelle darum gegangen, „den November-Unstaat zu bekämpfen“ und „die Sehnsucht nach einem freien, starken Deutschland wieder zu erwecken“; mit Blick auf die Gegenwart, die Zeit nach der Weimarer Republik, kann er nun zufrieden feststellen: „Was ich mir vornahm, ist erfüllt.“305 Eingeschlossen in dieses Vorhaben war im kulturellen Bereich der siegreiche Kampf gegen jene „Infektion der Gehirne vom Auslande her“ gewesen, für die Kandinskij hatte Pate stehen müssen. Eifrig schaufelte auch die Weimarer Kritikerin Mathilde von Freytag-Loringhoven (1860– 1943) an der Grube, mit der die Avantgarde in Deutschland zu Fall gebracht werden sollte.306 In einem Artikel aus dem Jahr 1931 schrieb sie, ohne dies näher zu begründen, der gesamten modernen Kunst kurzerhand eine russische Provenienz zu und betonte ihre Unvereinbarkeit mit deutscher Art: Warum betrauert man so sehr den Verlust der Romantiker in den Flammen des Münchener Glaspalastes?307 Weil sie ein geistiges Bild ihrer Zeit darstellten. Wenn man das Bild der heutigen Zeit nach den Bildern beurteilen wollte, die nun schon – von Rußland – aus einem nervenkrank gewordenen Zarenreich kommend –, wo man sie bereits 1910 bewundern konnte,308 304 Erich Krämer: „Rumpelstilzchen“ – Porträt eines Zeitgenossen. In: Vossische Zeitung Nr. 575 (1.12.1932), Morgenausgabe. Zit. nach: Stein 2014, 275 f. 305 [Adolf Stein]: Rumpelstilzchen: Nee aber sowas! Berlin 1935, 296–298. Zit. nach: Stein 2014, 376–378, hier: 377. 306 Zu den Aktivitäten Freytag-Loringhovens, einer Bauhausgegnerin der ersten Stunde, vgl. Wendermann 1999, 428 f., sowie die Registereinträge zu Mathilde von Freytag-Loringhoven in: Wahl 2001; Ders. 2009. Eine biographische Skizze über Freytag-Loringhoven verfasste Eva Schwarzenberger, vgl. Schwarzenberger 1999. 307 Dem Brand des Münchner Glaspalastes waren im Juni 1931 neben dem Bauwerk selbst auch zahlreiche Gemälde der deutschen Romantik, die dort ausgestellt waren, zum Opfer gefallen. Vgl. Bäumler 2012. 308 Ob sich die Jahresangabe „1910“ auf ein bestimmtes Ereignis bezieht wie z. B. auf die Ausstellung Karo-Bube (Bubnovyj valet), an der auch Kandinskij teilnahm – die „erste wesentliche Ausstellung“

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die deutsche Menschheit anöden seit über 20 Jahren, dann wäre es wahrlich traurig um unser ringendes, arbeitendes, entbehrendes, duldendes, geistig kämpfendes Volk bestellt. Dann würde man niemals an ein Volk der technischen Wunder, an eine tätige, strebsame Jugend, an ein mannhaft ertragendes Alter glauben, sondern denken, daß heutzutage Deutschland noch immer aus den haltlosen Vor- und Nachkriegsjünglingen bestände, die vor dem Weltkrieg nicht wußten, auf welche Neuerungen ihre unbeschäftigten Gedanken verfallen sollten, und die nach dem Kriege uns in Deutschland eine Kunstverdrehung bescherten, die man mit Kriegshypnose entschuldigen sollte.309

Die Avantgarde-Kunst wird durch ihre Rückführung auf ein „nervenkrank gewordene[s] Zarenreich“ ähnlich wie bei Stein als in ihrem Ursprung fremd und degeneriert gekennzeichnet. Desgleichen wird sie durch die Kontrastierung mit der hochgehaltenen deutschen Romantik und angeblich deutschen Tugenden wie der ‚Strebsamkeit‘ und der ‚Mannhaftigkeit‘ ex negativo konnotiert. Kandinskij wird von Freytag-Loringhoven zwar nicht namentlich erwähnt. Als der seinerzeit bekannteste russischstämmige Maler in Deutschland ist er in ihrem Text, dem zufolge die Moderne aus russischem Boden aufkeimte, gleichwohl präsent – zumal die Autorin an den „tapfere[n] Kampf der Weimarer Künstlerschaft gegen den Kunstbolschewismus in den ersten [lies: frühen; S. B.] zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts“310 erinnert, sprich: den Kampf gegen das Weimarer Bauhaus und sein Umfeld.311 Worin sich Kandinskij und seine Kollegen als ‚Bolschewisten‘ erwiesen oder auch: was hier jeweils unter „Kunstbolschewismus“ zu verstehen ist, lässt sich weder bei Stein noch bei Freytag-Loringhoven aus dem unmittelbaren Kontext präzisieren. Vielmehr setzen beide auf die suggestive Kraft des Begriffes „Kunstbolschewismus“, dessen Unschärfe geradezu als eines seiner Hauptmerkmale angesehen werden darf. Das Wort eröffnete der Avantgarde in Moskau (Bowlt 2009, 309) –, bleibt offen. Ebenso unkonkret, aber von möglicher Bedeutung in diesem Zusammenhang ist eine frühere Äußerung Freytag-Loringhovens im Weimarer Gemeinderat, sie habe solch „internationale[.] Bestrebungen“, wie sie das Bauhaus hege, „in Rußland schon 1912“ gesehen. Dokument Nr. 226 „Pressebericht über die am 19. Dezember 1919 stattgefundene Sitzung des Gemeinderates von Weimar in der Weimarischen Landeszeitung Deutschland vom 20. Dezember 1919 (Auszug)“ in: Wahl 2009, 533 f., hier: 534. 309 Freytag-Loringhoven 1931. Vgl. auch Ulbricht 2009b, 323 f. 310 Freytag-Loringhoven 1931. 311 Im August 1922 hatte Freytag-Loringhoven Kandinskijs Berufung nach Weimar mit der ironischen Bemerkung kommentiert, dass „sogar Russen aus Moskau, die Berlin müde sind“, dabei helfen müssten, „die neuen Ideen in Thüringen einzubürgern“. Schon damals wollte sie keinen Zweifel daran lassen, dass diese neuen Ideen – namentlich die Idee einer abstrakten Kunst – mit deutscher Kunst nicht das Geringste zu tun hätten: Diese sei zu alt und stehe zu fest, „um östlichen Einflüssen und Theorien zu erliegen. Eine gegenstandslose Kunst ist eben keine Kunst, sie ist ein Handwerk.“ Freytag-Loringhoven 1922 (die Zitate stammen aus dem ersten Teil des dreiteiligen Beitrags).

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ein semantisches Feld des Verfalls, der Unordnung und der Verneinung von Tradition, in dem so gut wie alles Platz fand und aufeinander bezogen werden konnte, was in der damaligen Gesellschaft als nichtidentisch und bedrohlich wahrgenommen wurde.312 So projizierte die einstige Jugendstil-Größe Hans Christiansen (1866–1945) sein Unbehagen an der Infragestellung überkommener Geschlechterrollen auf eine Ausstellung von Kandinskij, die Anfang 1925 im Neuen Museum in Wiesbaden zu sehen war.313 In einem von der Neuen Wiesbadener Zeitung abgedruckten Leserbrief bezeichnete Christiansen Kandinskijs abstrakte Werke als „krank“ und „dekadent“, als „nur bedingte Schöpfungen eines Mannes“.314 Ausgehend von einer dualistischen Konstruktion der Geschlechterrollen, bei der es sich in Christiansens Sicht um ein naturgegebenes Faktum handelte, sprach er Kandinskij das vollgültige Mannsein ab, weil in seinen Arbeiten „das weiblich Qualitative, Schönheit, Gefühl, Seele, das Unbedingte sein“ wolle und wegen „ihrer zweckvollen peinlich sauberen und gefälligen Ausführung“. (Die Bestätigung für sein krudes Urteil glaubte Christiansen darin zu erkennen, dass Kandinskij „sein Publikum nur unter den sich verkehrt entwickelnden Geschlechtern [findet], unbedingt weiblichen Männern und unbedingt männlichen Frauen“.) Als „gesunder Maler“ wird von Christiansen dagegen nur ein solcher erachtet, der „seine Ideen mit stählernem Pinsel 312 Zu dem um 1918 aufkommenden Begriff des „Kunstbolschewismus“, der mit der späteren Bildung „Kulturbolschewismus“ eng verwandt ist, vgl. John 2003, 67 f.; Kashapova 2006, 130–138; Schmitz-Berning 2007, 365 f.; Laser 2010, 73–94. 313 Hans Christiansen gehörte neben Peter Behrens, Joseph Maria Olbrich u. a. zu den Gründungsmitgliedern der 1899 ins Leben gerufenen Künstlerkolonie Darmstadt. Mit einer Auswahl kunstgewerblicher Arbeiten war er 1902 auf der zweiten Ausstellung der Münchner Künstlervereinigung Phalanx vertreten, deren Vorsitz Kandinskij bekleidete. Vgl. Zimmermann-Degen 1985, 94, 186; Kandinsky 2007, 696, 702. Das künstlerische Œuvre Christiansens wurde im Rahmen einer 2014 auf der Darmstädter Mathildenhöhe eröffneten Wanderausstellung in seiner Vielseitigkeit vorgeführt. Dass sich Christiansen seit den 1910er-Jahren insbesondere auch als Autor philosophischer Abhandlungen betätigte, erfährt man im Ausstellungskatalog eher am Rande. Die Kuratoren der Retrospektive Dr. Dorothee Bieske (Museumsberg Flensburg) und Dr. Philipp Gutbrod (Institut Mathildenhöhe Darmstadt) erteilten mir im Februar 2015 die freundliche Auskunft, dass ihnen keine einschlägigen Untersuchungen zu diesem Werkaspekt bekannt seien. Zumindest eine leise Vorstellung von Christiansens Philosophie, die auch die Polemik gegen Kandinskij prägte (s. u.), vermittelt der Katalogbeitrag von Michael Fuhr. Mit Blick auf den späteren Christiansen heißt es da: „Im gleichen Maß, wie Christiansens ‚Philosophie‘ zunehmend zur Manie wurde, schadete sie seiner künstlerischen Schaffenskraft und Reputation. Seine Schriften, die Titel wie Zentrifugalismus oder Lösung der Welträtsel trugen, empfand Christiansen selbst als seinen wichtigsten Beitrag zum kulturellen Leben Deutschlands. Kernthese seines Zentrifugalismus ist dabei die Idee von der Ungleichheit und Gegensätzlichkeit des männlichen und des weiblichen Prinzips.“ Fuhr 2014, 27 f. 314 Christiansen 1925a. Zitiert wird hier der Zeitungsausschnitt aus dem Fonds Kandinsky, Legs Nina Kandinsky, 1981, Bibliothèque Kandinsky, Centre Pompidou, Mnam/Cci. Der Publikationsort ist auf dem Ausschnitt handschriftlich vermerkt, das Publikationsdatum fehlt. Sofern nicht anders angegeben, stammen alle weiteren Zitate im aktuellen Absatz ebenfalls aus dieser Quelle.

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auf die Leinewand [knallt]. Breitbeinig steht er davor und ficht mit der ‚Materie‘“. Der künstlerische Schaffensprozess – ein Ding zwischen Kampf und Koitus? Wenn es nach Christiansen geht: in jedem Fall ein Geschlechts-Akt. Auf diese Weise wird ein spezifisches Bild von männlicher Künstlerschaft gezeichnet – schon ein Zeitgenosse beschrieb es als „zum mindesten naiv“315 – und als das allein gebilligte gegen Kandinskij ausgespielt.316 Damit aber nicht genug. Denn das in Christiansens Zuschrift artikulierte Kunstverständnis ist neben seiner sexistischen Prägung auch nationalistisch ausgerichtet. Beides geht miteinander Hand in Hand, was in Christiansens Diktion wie folgt klingt: Mag die abstrakte Malerei für „die Leute aus dem Osten“ zuträglich sein – einem jeden „das angeborene Geschlecht physisch und moralisch unbedingt bejahende[n] Manne und Weibe des Deutschtums“ dürfte bei dem Gedanken an einen allgemeinen Siegeszug der Abstraktion „wohl ein Grauen kommen“. (Man beachte die Wahl eines geschlechtsneutralen Plurals für die „Leute aus dem Osten“ und die geschlechtsspezifische Rede vom „Manne und Weibe des Deutschtums“.) Mit seiner verrannten Kritik an Kandinskij und der von Kandinskij repräsentierten Kunstrichtung setzte Christiansen in der Neuen Wiesbadener Zeitung eine Kontroverse in Gang, in deren Verlauf er sich noch ein zweites Mal zu Wort meldete.317 Das Argument wird weiter ausgebaut. Die von Christiansen propagierte nationale und ‚geschlechtsbewußte‘ Kunst erscheint in seinem zweiten Brief als ein Bollwerk gegen das „kultürliche Chaos“ – des „Kunstbolschewismus“: Je mehr wir uns […] in unserer Kunst auf uns selbst besinnen, umso weniger werden wir in dem Kampfe, den die Kulturen der einzelnen Völker mit einander führen, ins Hintertreffen kommen. Was uns aber die Freunde Kandinskys als Kunst aufdrängen wollen, ist östlich orientiert, ist einfach Kunstbolschewismus, den wir, da er das kultürliche Chaos bezweckt, ebenso ablehnen,

315 Anonym 1925. 316 Einen Zusammenhang zwischen der modernen Kunst und einer Störung der Geschlechterordnung sieht auch Adolf Stein, vgl. Stein 1922, 186 f. Aufschlussreich hierzu ist die These von Eckhard John (2003, 71–74), der Kampfbegriff „Kulturbolschewismus“ habe sich insbesondere gegen die Sexualreformbewegung und die Frauenrechtsbewegung gerichtet. 317 Abgesehen von den beiden Leserbriefen Christiansens und dem zitierten Beitrag aus der Rheinischen Volkszeitung (= Anonym 1925) befinden sich im Pariser Fonds Kandinsky vier Zuschriften an die Neue Wiesbadener Zeitung, die diese Kontroverse dokumentieren. Den Ausschnitten konnten Hinweise auf zwei weitere Stellungnahmen in dieser Angelegenheit entnommen werden, die in der Neuen Wiesbadener Zeitung vom 4. März 1925 erschienen, wie es scheint aber nicht im Fonds Kandinsky überliefert sind.

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wie den Bolschewismus überhaupt. Der ‚Fragenkomplex der modernen Kunst‘318 hängt also eng mit dem der Kultur überhaupt zusammen. Kranke Erscheinungen gibt es auf jedem Gebiet.319

Die Grenzlinie zwischen einer ‚gesunden‘ und einer ‚kranken‘ Kunst verlief bei Christiansen im Vergleich mit Mathilde von Freytag-Loringhoven oder Adolf Stein durchaus anders. Ein Beispiel: Während Christiansen die Malerei eines Oskar Kokoschka zur „gesunden Ausdruckskunst“320 zählte, nahm Stein Anstoß daran, und zwar als Mensch „von gesundem Verstande“321. Das Kriterium ‚gesund‘ wird einmal für, einmal gegen Kokoschka eingesetzt. Wenn die Bewertungen im konkreten Fall also voneinander abweichen konnten, waren die Abwehrstrategien doch zum großen Teil einander gleich: Die nicht genehme Kunst wurde mitsamt ihren Anhängern buchstäblich verfremdet, in den Ruf des Krankhaften, Östlichen und Undeutschen gebracht. Just zu diesem Zweck behauptete Stein auch, dass der „Dilettant“ Kokoschka von den „mit Galizien Versippten“ über die Maßen gelobt werde, und dass dem so sei, weil Kokoschka selbst „von Osten her“ komme.322 – Doch um zu Kandinskij zurückzukehren: Was ihn anbelangt, hätten sich Stein, Christiansen und Freytag-Loringhoven schnell auf eine Position verständigt. Für sie alle drei war er als Maler indiskutabel, eben ein „Kunstbolschewist“. Der Vorwurf der politischen Agitation ist in dem schillernden Begriff „Kunstbolschewismus“ zwar als Bedeutungskomponente enthalten; diese kann jedoch von anderen oder allgemeineren Semantiken pejorativer Art überlagert sein: „Schließlich kann das Kompositum [Kunstbolschewismus; S. B.] jeglicher semantischer Verbindungen zum Kommunismus oder russischen Bolschewismus entbehren und als ein vollwertiges Synonym für Kunstentartung als ‚dem deutschen Volk fremde Kunst‘ dienen“323. Um Kandinskij eine dezidiert politische Absicht anzulasten, gebrauchte man in der Braunschweigischen Landeszeitung vom 5. August 1924 schon deutlichere Worte: Die Warnung vor der Anwesenheit „bestimmte[r] Elemente“ in Deutschland, „deren Aufgabe nur die Aufwühlung und das Aufputschen zum bolschewistischen Umsturz ist“, wird da mit der Behauptung verknüpft, Kandinskij sei „nachgewiesenermaßen ein Agitator, der vermöge seines längeren Aufenthaltes in Süddeutschland geeignet erscheint, das deutsche Volk zur Großagitation zu 318 Christiansen zitiert hier einen Einwand des Bildhauers Josef Vinecký, der meinte, man könne Kandinskijs Malerei „nicht in einem Zeitungsartikel erledigen, denn das hieße, den gesamten gewaltigen Fragenkomplex über moderne Kunst aufrollen“. Vinecky 1925. 319 Christiansen 1925b. 320 Ebd. 321 Stein 1923, 214. 322 Ebd., 213. Kokoschka wurde 1886 im niederösterreichischen Pöchlarn geboren und wuchs in Wien auf. Sein Vater stammte aus einer Prager Goldschmiedefamilie. 323 Kashapova 2006, 137 f.

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beglücken“.324 In offenkundiger Anspielung auf die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin wird Kandinskij unzutreffenderweise als deren Leiter ausgewiesen: Erfolg: Eine Ausstellung von russischen Malern im Deutschen Reiche unter Kandinskys Leitung, d. h. in klares Deutsch übersetzt, eine groß angelegte Agitationsreise unter gut gewählter Flagge sowie die in Rußland erprobte Agitation durch Bildwerke, ist zum Wohle des deutschen Volkes notwendig und deshalb wird Kandinsky mit liebevollen und offenen Armen empfangen […].325

Diese vermeintlichen Enthüllungen eines „höheren Beamten“326 entsprachen jedoch in keiner Weise Kandinskijs eigenem Verständnis von sich und seiner Rolle als Künstler. Er legte größten Wert auf die Trennung von Kunst und Politik, erst recht, wenn es sich um kommunistische Politik handelte. Umso betroffener reagierte Kandinskij auf die Anschuldigungen in der Braunschweigischen Landeszeitung und wandte sich an Grohmann mit der Bitte um eine publizistische Entgegnung; dabei versicherte er emphatisch, er habe „gar kein Intereße [sic] für Politik“, sei „vollkommen unpolitisch“ und habe sich „noch nie pol[itisch] betätigt“.327 „Ganz ausnahmsweise“, fährt Kandinskij in seinem Brief fort, „habe ich eine Erwiderung losgelaßen.“328 Kandinskijs Gegendarstellung wurde in der Braunschweigischen Landeszeitung vom 17. August 1924 gedruckt, gefolgt von einer direkten Antwort des „höheren Beamten“ und einem Protestbrief des Braunschweiger Sammlers Otto Ralfs, eines entschiedenen Befürworters Kandinskijs.329 Kandinskijs Stellungnahme sei hier etwas ausführlicher wiedergegeben, da sie bislang kaum behandelt wurde330 und doch Beachtung verdient, da der Künstler in ihr seine grundsätzliche Distanz zur Politik, auch und gerade während seiner Tätigkeit in Sowjetrussland, vor einer breiten Öffentlichkeit darlegt:

324 Anonym 1924, 3. Vgl. dazu bereits Haxthausen 1984, 80. 325 Anonym 1924, 3. 326 Der ungenannte Verfasser wird von der Redaktion als Insider vorgestellt, der „längere Zeit an verantwortlicher Referentenstelle der auswärtigen Politik“ gestanden habe. Sein Schreiben erhalte dadurch „besonderes Gewicht“. Ebd., 2. 327 Brief Kandinskijs an Grohmann, 11.8.1924. Zit. nach: Kandinsky 2015, 55; ebenfalls abgedruckt in: Gutbrod 1968, 46. 328 Brief Kandinskijs an Grohmann, 11.8.1924. Zit. nach: Kandinsky 2015, 55. 329 Kandinsky 1924a. – Ohne auch nur eines seiner Worte zurückzunehmen, gibt der Autor des Artikels „Unsere falsche Russen-Politik“ dort die kuriose Erklärung ab, er habe weder behauptet, „daß Herr Kandinsky die fragliche Ausstellung [gemeint ist die Erste Russische Kunstausstellung; S. B.] tatsächlich geleitet hat, noch daß er im Reiche eine Agitationstätigkeit ausübt“; im Übrigen habe es ihm „völlig ferngelegen“, Kandinskij in irgendeiner Weise persönlich anzugreifen. 330 Vgl. Haxthausen 1984, 80; Illetschko 1997, 90.

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1. Ich habe mich nie mit einer kommunistischen (was wohl im Artikel gemeint wird) oder irgend einer anderen politischen Agitation beschäftigt. Der Ausdruck ‚nachgewiesenerweise‘ [sic] ist also vollkommen unberechtigt […]. 2. Ich habe die erwähnte russische Kunstausstellung nicht geleitet und mit dieser Ausstellung persönlich nichts zu tun gehabt. Wie ich später erfuhr, wurde sie in Rußland organisiert und zusammengestellt, als ich nicht mehr in Rußland war. In Berlin wurde sie gezeigt, als ich dort nicht mehr wohnte. In dieser Ausstellung wurden zwei Bilder [laut Ausstellungskatalog waren es drei; S. B.] und einige kleine Arbeiten von mir gezeigt, die sämtlich dem russischen Staat gehören, von der Ausstellungsleitung gewählt und gehängt wurden – ohne meine Hilfe und ohne mein Wissen. Das weitere Schicksal dieser Ausstellung ist mir bis heute unbekannt. […] Einen normalen, rein künstlerischen Austausch zwischen verschiedenen Nationen auch in Form von Ausstellungen halte ich als Künstler selbstverständlich für eine kulturell sehr wichtige Angelegenheit, aber ohne jede politische Färbung. Deshalb habe ich mich auch in Rußland für einen derartigen Austausch zwischen Rußland und Deutschland interessiert und in einer diesbezüglichen rein künstlerischen Kommission teilgenommen, was aber von kurzer Dauer war, weil ich bezweifelte, ob die Politik auch in diesem Fall vollkommen vermieden werden könnte: ich trat aus der Kommission aus und der weitere Verlauf der geplanten Ausstellung blieb mir ganz unbekannt. So kann von meiner ‚Leitung‘ der erwähnten Ausstellung keine Rede sein. […] Weder ich, noch meine Frau haben uns nie mit Politik beschäftigt [sic], was jeder weiß, der uns wirklich ‚persönlich‘ kennt. Was mich selbst anlangt, so halte ich das Durcheinandermischen von Kunst und Politik für einen der schlimmsten Feinde der Kunst und protestiere und kämpfe dagegen, wo und wie ich kann. Ich habe mich nie mit Politik beschäftigt, blieb konsequent auch während der beiden russischen Revolutionen unparteiisch und bleibe es immer, weil ich die Kunst hoch über die Politik stelle.331

Nichtsdestotrotz konnten das Umfeld, in dem Kandinskij tätig gewesen war, und die Kontexte, in denen sein Name auftauchte, etwas anderes nahelegen. Sein Engagement im postrevolutionären Kunstleben Russlands, über das an verschiedenen Stellen berichtet worden war, musste ihn per se in rechtsorientierten Kreisen suspekt machen. (Erklärtes Ziel des Internationalen Büros, in dem Kandinskij mitgearbeitet hatte, war es denn auch gewesen, mithilfe der Kunst zur „Verwirklichung des Weltsozialismus“332 beizutragen.) Wie bereits erläutert wurde, hatte Kandinskij bei der Wiederaufnahme künstlerischer Kontakte zwischen Sowjetrussland und Deutschland nach Krieg und Revolution eine zentrale Rolle innegehabt. Und wenn er die Erste Russische Kunstausstellung entgegen den Behauptungen in der Braunschweigischen Landeszeitung auch nicht selbst organisiert hatte, genügte es bereits, dass seine Werke in dieser ‚Propagandaausstellung‘333 des NARKOM331 Kandinsky 1924a. 332 Meždunarodnoe Bjuro 1919a. Vgl. Kap. 3.1 der vorliegenden Arbeit. 333 Scheffler 1923, 101.

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PROS mitsamt den übrigen Beispielen der sogenannten Revolutionskunst prominent positioniert gewesen waren. Der politische Hintergrund der Ausstellung und die Tatsache einer „Agitation durch Bildwerke“ in Sowjetrussland wurden von dem „höheren Beamten“ ja durchaus richtig erkannt. Selbst eine wohlwollende Rezension wie die von Max Osborn anlässlich der Ersten Russischen Kunstausstellung bedeutete letztlich eine Politisierung von Kandinskijs Schaffen, indem sie es in Analogie zur Oktoberrevolution stellte: So sah Osborn in den künstlerischen Vorstößen der russischen Avantgarde den Versuch, „in einem Neuaufbau der Formvorstellungen den Neuaufbau der staatlichen und wirtschaftlichen Welt zu deuten“, wobei er Kandinskij – neben Archipenko – als den „besten Könner“ bezeichnete.334 Diese In-Bezug-Setzung von Kunst und Politik funktionierte auch unter umgekehrten Vorzeichen: Man muss das Wort „Neuaufbau“ bei Osborn lediglich durch das Wort „Verfall“ austauschen. Der bei einer Gegenüberstellung der Sichtweisen Osborns und des „höheren Beamten“ klar zutage tretende Unterschied zwischen einem analogen Verhältnis der Kunst zur Politik (Kunst als Parallelerscheinung zur Politik) und einem instrumentalen Verhältnis (Kunst als Mittel der Politik) wurde andernorts durch den diffusen Begriff des „Kunstbolschewismus“ verwischt. Ob Kandinskij es wollte oder nicht: Es war von außen ein Leichtes, ihm ‚bolschewistische‘ Verflechtungen und Motive nachzusagen – sei es aufgrund seiner früheren institutionellen Verankerung im sowjetrussischen Kunstbetrieb, sei es aufgrund der Präsentation seiner Werke in dem quasioffiziellen Rahmen der Ersten Russischen Kunstausstellung – oder auch nur aufgrund seiner russischen Herkunft335 oder weil er abstrakt malte. Kandinskij wurde diese politische Konnotation nicht los, die seinen Gegnern „von rechts“ als Steilvorlage dienen konnte. In einem berüchtigten Pamphlet aus dem Jahr 1937 mokiert sich der Maler Wolfgang Willrich über die Vorstellung, „die Volksseele mit abstrakten Machwerken revolutionieren zu können“, und schreibt weiter: Auf Grund dieses Irrtums berief die intellektualistische Sowjetregierung den kühlsten abstrakten Künstler, zugleich den spitzfindigsten Theoretiker, als eine Art von Reichskunstwart nach Moskau, nämlich den ehemaligen Futuristen und späteren Konstruktivisten Kandinski. Die abstrakte Kunst erhielt damit den roten Segen als Staatsangelegenheit.336 334 Osborn 1922. 335 Der Gropius-Biograph Reginald R. Isaacs bemerkt dazu, die Bauhausgegner hätten 1924 – nicht ohne Erfolg – versucht, die Studierenden mit Hinweisen wie den folgenden gegen Kandinskij aufzuwiegeln: „der Mann trägt einen russischen Namen, kommt aus Rußland, hat vordem in Rußland gearbeitet: ganz klarer Fall, ein Kommunist!“ Isaacs 1983, 320–322 (Zitat auf S. 321). 336 Willrich 1937, 29. Die Überschrift des Kapitels, aus dem das Zitat stammt, lautet: „Kunstbolschewismus und Kunstanarchie, ihr Wesen und ihre Ausdrucksform“. An anderer Stelle bezeichnet Willrich

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Dass die sowjetische Kunst(politik) in den 20er-Jahren eine andere Richtung eingeschlagen hatte, war in der deutschen Presse freilich nicht unkommentiert geblieben. So stützte sich Willrich auf zwei Artikel, die 1932 in der Zeitschrift Kunst und Künstler erschienen waren und diesen Wandel thematisierten.337 In dem einen erinnerte sich der Maler Richard Seewald: […] im Sommer 1929 sahen wir in Köln mit geteilten Gefühlen eine Ausstellung offizieller russischer Kunst, die einer Vorkriegs-Glaspalastausstellung so ähnlich sah wie ein Ei dem andern. Wie kam dies? Der offizielle russische Kommissär teilte uns mit, daß die Arbeiterschaft, unzufrieden mit jener Kunst, die sie ‚Problemkunst‘ nannte, durch Abstimmung dekretierte, daß man Stilleben, Landschaften, Bildnisse und Historienbilder wünsche.338

In dem anderen Beitrag stellte der in Wien lebende Kunsthistoriker Wolfgang Born fest: Das Axiom, die Revolution brauche eine revolutionäre Kunst, erwies sich als Trugschluß. Die nachimpressionistischen Kunstrichtungen des Westens, die man als Ausdruck der neuen Gesinnung betrachtete und demgemäß nach Rußland verpflanzen wollte, stießen beim großen Publikum auf kein Verständnis. Man mußte zum Rückzug blasen. Kandinski, der als eine Art ‚Reichskunstwart‘ nach Moskau geholt worden war, kehrte ans Bauhaus zurück.339

4.6.2 Kandinskij – Lehrer am Bauhaus, der „bestgehaßten Institution des neuen Deutschland“ Die Diskreditierung Kandinskijs aus politischen Gründen stützte sich nicht nur auf seine sowjetrussische Vergangenheit. Sie nährte sich auch aus seiner Gegenwart in Deutschland, als Lehrer am Bauhaus. Dieses war noch in seinem Gründungsjahr 1919 einer Vereinnahmung durch die „bolschewistisch-spartakistische“ Partei bezichtigt worden.340 Dass Kandinskij als einen „prominenten Vertreter des Kulturbolschewismus“ und – darüber hinaus – als einen „politische[n] Bolschewisten“ (ebd., 135. Hervorh. S. B.). 337 Vgl. ebd., 31. 338 Seewald 1932, 91. 339 Born 1932, 332. Zu Born vgl. Wendland 1999, 60–64. 340 Protokoll der Sitzung des Meisterrates am 18. Dezember 1919. Abgedruckt in: Wahl 2001, 56–59, hier: 58. Vgl. auch die Dokumente Nr. 225 und Nr. 288 in: Wahl 2009, 531–533 und 618–632, v. a. 620, 630, Anm. 3, und 631, Anm. 6; sowie Adler 1920. – Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen seien ein paar grundlegende Daten in Erinnerung gerufen: Das Bauhaus existierte von 1919 bis 1925 in Weimar als staatliches, von 1925 bis 1932 in Dessau als städtisches und von 1932 bis 1933 in Berlin als privates Institut. Es stand unter der Leitung der Architekten Walter Gropius (1919 bis 1928), Hannes Meyer (1928 bis 1930) und Ludwig Mies van der Rohe (1930 bis 1933). Kandinskijs Bauhauszeit begann Mitte 1922 und endete mit der Auflösung der Schule im Juli 1933.

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Kandinskij hier 1922 eine Lehrtätigkeit aufnahm, konnte die längst etablierten Ressentiments gegenüber dem Bauhaus als einer Kaderschmiede für den ‚kunstbolschewistischen‘ Nachwuchs nur mehr bestätigen. Wie wenig diejenigen, die im Bauhaus eine „bolschewistische“ Einrichtung erblickten, beim Zusammentragen von Beweisen (oder was sie dafür hielten) auf Kandinskijs einstige Mitarbeit in der sowjetrussischen Kunstpolitik angewiesen waren, zeigt ein hetzerischer Artikel, der in den Monaten nach der „Machtergreifung“ erschien, zu einem Zeitpunkt, als das Bauhaus bereits vor dem endgültigen Aus stand. Ein Ziel, das die Autoren des Artikels verfolgten, war es, die „bolschewistische Eigenart“ des Bauhauses in künstlerischer und politischer Hinsicht klarzulegen. Im Visier standen dabei die drei Direktoren, die „sämtlich dem bolschewistischen Kulturkreis zuzurechnen“ seien, ferner die Lehrer Moholy-Nagy und Scheper sowie die Schüler des Bauhauses. In Sachen Gropius wird etwa auf die folgende Begebenheit verwiesen: „Der sowjetrussische Volkskommissar Luna­ tscharski würdigte den Geist der Gropiusbauten, indem er gelegentlich einmal, ohne in der Öffentlichkeit hervorzutreten, nach Dessau kam und dort unter anderem das von Gropius in bolschewistischem Stile erbaute zirkusähnliche Gebäude des Arbeitsamtes am Askanischen Platze besichtigte.“341 – Und Kandinskij? Zwar wird er durch die pauschale Entwertung der Bauhausmalerei („Auflösung der Gestaltung“) implizit mit angegriffen; seine Person und seine Vergangenheit spielen bei diesem Angriff aber keine Rolle. Dass er nach der Oktoberrevolution unter Lunačarskij am IZO NARKOMPROS tätig war, wird nicht ins Feld geführt – wahrscheinlich, weil die Autoren keine Kenntnis davon besaßen.342 341 Harms (u. a.): Das kostspielige Bauhaus. Eine Keimzelle bolschewistischer Zersetzung. Schwere Anklagen des Untersuchungsausschusses gegen Hesse. In: Anhalter Anzeiger (16.7.1933). Zit. nach der Reproduktion in: Hahn 1985, 140 f., hier: 141. Den Hintergrund des Artikels bildeten die Ermittlungen eines Untersuchungsausschusses unter dem Vorsitz des Dessauer Stadtrats Richard Harms (NSDAP) gegen den früheren Oberbürgermeister Fritz Hesse. Hesse wurde beschuldigt, das Bauhaus nach Dessau geholt und unterstützt zu haben, und zwar, wie der Ausschuss befand: zum Schaden der Stadt. Vgl. Hahn 1985, 127, 139–141; Droste 1990, 233; Zuschlag 1995, 110 f. – Ob, wie die Ausschussmitglieder in dem Bericht behaupten, eine Besichtigung des 1928/29 errichteten Arbeitsamtes durch Lunačarskij stattgefunden hat, kann hier nicht geklärt werden. Noch 1937 war in der Zeitung Der Mitteldeutsche zu lesen, dass das Gästebuch des Amtes den Namen Lunačarskij enthielt. Vgl. Engelmann/Schädlich 1991, 97–104, hier: 103. 342 Wäre es anders, müsste man sich angesichts der Breite der Darlegungen fragen, weshalb Harms, „ein fanatischer Gegner des Bauhauses“ (Hahn 1985, 139), über diesen Sachverhalt hinwegging, der ihm doch als eine schlagende Bestätigung seiner Anklagen erscheinen musste. – In den Bänden Hahn 1985 und Wahl 2009, die die Streitigkeiten um das Bauhaus umfangreich dokumentieren, ließ sich anhand der Registereinträge zu Kandinskij auch sonst kein klarer Beleg dafür finden, dass dem Bauhaus aus Kandinskijs früheren Aktivitäten in Sowjetrussland ein Strick gedreht wurde. Derselbe negative Befund ergibt sich aus der Lektüre des Pamphlets Das Staatliche Bauhaus Weimar und sein Leiter (= Müller 1924), wo gleich zu Beginn der „Kommunismus“-Vorwurf fällt.

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Wenn Kandinskijs sowjetrussische Karriere auch nicht in allgemeine Vergessenheit geriet (vgl. Willrich), muss doch eingeräumt werden, dass der „bolschewistische“ Ruf (oder richtiger: Verruf ) des Bauhauses wohl in stärkerem Maße auf Kandinskijs Image abfärbte. Dem entspricht auch Kandinskijs eigene Einschätzung: Anfang Februar 1934, im Pariser Exil, führte er als einen Grund für seine momentane Perspektivlosigkeit in Deutschland an, er sei als Bauhauslehrer „fast=Marxist“343, wohlgemerkt: als Bauhauslehrer.344 Die Identifikation: Kandinskij – Bauhaus – Kommunismus, deren Persistenz sich 1937 in München auf der Femeausstellung Entartete Kunst in aller Deutlichkeit zeigte,345 wich von der Realität des Bauhauses freilich ab. Zunächst einmal ging sie von einer ideellen Homogenität aus, die es am Bauhaus aber von Anfang an nicht gab, weder in ästhetischer noch in politischer Beziehung.346 Des Weiteren setzte sich gerade Kandinskij für einen politisch neutralen Kurs am Bauhaus ein, den er durch offen linksgerichtete Positionen bei Teilen der Studierenden sowie aufseiten des Direktors Hannes Meyer (1928 bis 1930) gefährdet sah.347 Ebenso wie sich die Positionen der einzelnen Bauhäusler voneinander unterschieden, waren auch die Gründe für die Zurückweisung vielgestaltig, die das Bauhaus über den gesamten Zeitraum seines Bestehens hinweg aus dem rechten Gesellschaftsspektrum348 erfuhr. Auf diese Gründe wenigstens ein Streiflicht zu werfen, erscheint mir in zweifacher 343 Brief von Kandinskij an Hilla von Rebay, 1.2.1934. Zit. nach: Barnett 1995, 43. Vgl. Illetschko 1997, 184, Anm. 17. 344 Barbara Miller Lane verweist auf einen Artikel aus dem Jahr 1923, in dem behauptet wird, das Bauhaus habe sich „immer mehr zu einer Pflanzstätte für junge Kommunisten (die zum Teil aus Rußland importiert werden) entwickelt“ (Anonym 1923). Lane interpretiert die Bemerkung über den kommunistischen ‚Import‘ aus Russland als eine Anspielung auf Kandinskij, vgl. Lane 1968, 79. Dagegen spricht, dass in dem Artikel von „junge[n] Kommunisten“ die Rede ist, Kandinskij zu dem Zeitpunkt aber 57 Jahre alt war. – Unzweifelhaft indes ist, dass der Hinweis auf Russland, auch und gerade in seiner Unbestimmtheit, den Verdacht gegen das ‚kommunistische‘ Bauhaus verstärken soll. 345 Dort war unter einer Folge von Aquarellen der Wandtext angebracht: „Arbeiten von Kandinsky / vor 1933 Lehrer am kommunistischen Bauhaus / in Dessau“. Vgl. Lüttichau 1992, 61. Vgl. unten Kap. 5.3.2.1. 346 Vgl. Ulbricht 2009a, 14; sowie Hahn 1979, o. S.; Ders. 1984. 347 Vgl. Hahn 1984, 63; Ders. 1985, 26 f., 43. In einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Werner Drewes berichtete Kandinskij am 15. März 1931: „Auch sonst wird im Hause anständig gearbeitet und die Atmosphäre ist nach dem gezwungenen Weggang des früheren Direktors Hannes Meyer wieder gesund geworden. H. M. [= Hannes Meyer; S. B.] wollte aus dem BH [= Bauhaus; S. B.] eine marxistische Schule machen, einige Studierende haben so toll Politik getrieben, dass die übrigen (weit die Mehrzahl) nicht mehr zur Arbeit kommen konnten.“ Zit. nach: ebd., 27. Kandinskijs aktiver Part bei der Entlassung von Hannes Meyer, die am 1. August 1930 erfolgte, wurde auch als Abwehrreaktion gegen Meyers Umstrukturierungspläne gedeutet, von denen Kandinskij eine Schwächung seines Status befürchtet habe. Vgl. Lang 1965, 136 f.; Droste 1990, 200. 348 Gemeint ist damit ein heterogenes politisch-weltanschauliches Spektrum, das von der Mitte bis zur äußersten Rechten reichte. Das verbindende Element bestand gerade in der Abwehr des „Kunst-“

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Hinsicht angebracht: Erstens hing die öffentliche Wahrnehmung Kandinskijs mit seinem Wirken am Bauhaus eng zusammen. Kandinskij war ein prominenter Vertreter des Bauhauses, dessen Arbeit er elf Jahre lang mitgestaltete.349 Die Pfeile, die auf die Kunstschule abgeschossen wurden, galten auch ihm, speziell was deren internationale Ausrichtung betraf, die Kandinskij selbst verkörperte. Zum Zweiten macht der Protest gegen das Bauhaus deutlich, dass die breite Ablehnung der Avantgarde sehr unterschiedliche Hintergründe hatte, dass sie in ein Geflecht auch zeitgeschichtlicher Umstände eingebunden war, von denen in dieser Arbeit thematisch bedingt nur ein Teil ausführlicher behandelt wird.350 Die Angriffe auf das Bauhaus waren gegen die unkonventionelle Art der Ausbildung gerichtet, gegen die progressive Stoßrichtung in Kunst, Gestaltung und Architektur, gegen den Internationalismus, der nationale Traditionen verwerfe und zu einer Überfremdung in stilistischer und personeller Hinsicht führe, gegen linke Tendenzen und die alternative Lebensführung der Bauhäusler – und nicht zuletzt gegen die Tatsache, dass hierfür öffentliche Gelder aufgewendet wurden. Der Protest rekrutierte sich aus heterogenen Kreisen und Interessengruppen. Eine treibende Kraft waren die rechten Parteien. Durch ihre Gegnerschaft wurde das Bauhaus ungewollt zum Politikum – und seine Tätigkeit zu einem Index der herrschenden, es begünstigenden Politik. Sozialistische oder mit dem Sozialismus kompatible Ideale, Sympathien für die Sowjetunion und eine teils offen zur Schau getragene kommunistische Gesinnung (vor allem durch die ab 1927 tätige kommunistische Studentenfraktion351) wurden als politische Angriffsfläche genutzt. Daneben spielten aber auch Konkurrenzängste seitens der Handwerkerschaft sowie – in Weimar – die Rivalität mit der 1921 neu gegründeten Staatlichen Hochschule für bildende Kunst und ihren Vertretern eine Rolle. Dass der Reformismus und der Avantgardismus des Bauhauses von konservativ-bürgerlicher Seite nicht eben willkommen geheißen wurden, liegt fast schon in der Natur der Sache. Dass der in den Reihen des Bürgertums bestehende Argwohn gegen alles Moderne und fremd Anmutende sich in den 20er-Jahren indes verschärfte und eine extreme Richtung einschlug, hat mit den (unerfüllten) Erwartungen zu tun, die man nach dem verlorenen Krieg verstärkt in das Kunstschaffen in Deutschland setzte. Der Historiker Justus H. Ulbricht hat diesen Sachverhalt eingehend untersucht: bzw. „Kulturbolschewismus“, vgl. John 2003, 68. – Zur Kritik am Bauhaus „von links“, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, vgl. Müller 2009. 349 Vgl. Hahn 1984, 60. 350 Der folgende Abschnitt basiert auf einer Reihe von Publikationen, die hier summarisch aufgeführt werden: Lang 1965, 129–140; Hahn 1985; Droste 1990; Merseburger 1998, 285–341; Wendermann 1999; Kashapova 2006, 272–290; Ackermann 2009; Ulbricht 2009a; Ders. 2009b. 351 Vgl. Wick 2009b.

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|  Weimarer Republik Abb. 24: Lyonel Feininger: Kathedrale, 1919, Titelholzschnitt für das Manifest und Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar (April 1919) von Walter Gropius

Nach Kriegsniederlage und Revolution […] erwartete man quer durch alle politischen Lager gerade von Kunst und Kultur Identität stiftende Impulse für die Gemeinschaftsbildung der in antagonistische Milieus, Parteien, Klassen und Konfessionen gespaltenen deutschen Gesellschaft. Die ersehnte ‚Wiedergeburt‘ des unterlegenen Reiches als Nation schien sich allein auf dem Wege der Kulturpolitik erreichen zu lassen, glaubte man hier doch an die integrative Kraft eines gemeinsamen Erbes.352

Lyonel Feiningers Titelholzschnitt für Gropius’ Bauhausmanifest, die berühmte Kathe­ drale (1919) (Abb. 24), evoziert diese „integrative Kraft“ am Beispiel des mittelalterlichen Kirchenbaus und steht sinnbildlich dafür, dass auch die Gründung des Bauhauses von dem Streben nach einer künstlerischen und gesellschaftlichen Synthese angetrieben war.353 352 Ulbricht 2009b, 317 f. 353 Vgl. Ulbricht 2009a, 15 f.; Düchting 2009b; Wick 2009a, 32; Ders. 2009c; Nagel 2012.

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Für die erklärten (und vermutlich auch die stillschweigenden) Gegner des Bauhauses jedoch standen sein Modernismus und sein Internationalismus, welche sich in kubischen Gebäuden, abstrakten Kompositionen und in der ausländischen Herkunft von Meistern wie Kandinskij und Moholy-Nagy manifestierten, mit dem eigenen Bedürfnis nach Halt und nationaler Selbstbestätigung im Widerspruch. Das Bauhaus, so las man auf Flugblättern und in der Presse, habe „mit deutschem Wesen nichts zu tun“, vertrete einen „antinationalen Weltstil“, ja, seine Architektur komme „wohl nur für den Orient in Frage“.354 – In einer Situation politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ungewissheiten kam der innovatorische und avantgardistische Impetus des Bauhauses vielen denkbar ungelegen.355 Letztlich musste die 1919 gegründete „Revolutionsschöpfung“356 Bauhaus als Projektionsfläche für all das herhalten, was man gegenüber dem Status quo ante, also der Zeit vor Revolution und Republik, als Degeneration empfand. Grete Dexel übertrieb gewiss nicht, als sie 1928 festhielt, das Bauhaus gehöre „zu den bestgehaßten Institutionen des neuen Deutschlands“357. 4.6.3 Rassistische Kunstkritik und Kunstpolitik Die von seinen rechten Kritikern betriebene Politisierung des Weimarer Bauhauses hatte zur Folge, dass es als staatliche Kunstschule nur so lange existierte, wie es unter der Protektion einer von den Linksparteien getragenen Regierung stand. Nach den thüringischen Wahlen vom Februar 1924 gelangte jedoch ein neues, rechtsgerichtetes Regierungsbündnis („Ordnungsbund“) an die Macht; noch vor Jahresende ergriff es Maßnahmen, die einen kontinuierlichen Betrieb des Bauhauses auf mittlere oder längere Sicht verhinderten und schließlich zu seiner Selbstauflösung führten.358 1925 folgte der Umzug des Bauhauses nach Dessau, wo es als städtische Einrichtung bis 1932 bestand. In Weimar ging man in der Zwischenzeit noch einen Schritt weiter. Ende 1929 erhielten die Nationalsozialisten bei den Landtagswahlen in Thüringen 11,3 Prozent der Stimmen und waren hierdurch in die Lage versetzt, mit Wilhelm Frick den Innen- und Volksbildungsminister zu stellen. Fachlich „unterstützt“ von dem Architekten und Rassentheoretiker Paul Schultze-Naumburg (1869–1949) lieferte Frick einen Vorgeschmack auf die Maßnahmen, die die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme im gesamten Reich

354 Zit. nach: Lang 1965, 135, 139; Ulbricht 2009b, 306. 355 Vgl. Ulbricht 2009a, 18; sowie Merseburger 1998, 310. 356 So bezeichnet in den Dresdener Nachrichten vom 13. Juli 1932. Zit. nach: Lang 1965, 139. 357 Zit. nach: Ulbricht 2009a, 23. Der Kunstkritiker Hans Eckstein spitzte den Sachverhalt dahingehend zu, dass er 1932 vom Bauhaus als der „bestgehaßten Institution des neuen Deutschland“ schrieb, vgl. Hans Eckstein: Um das Bauhaus. In: Die Weltkunst Nr. 34 (1932), 2. Zit. nach: Baumann 2002b, 239. 358 Vgl. Droste 1990, 113; Föhl (u. a.) 2006, 134 f.

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durchführen würden.359 1930 veranlasste Frick die Auflösung der Moderne-Abteilung im Weimarer Schlossmuseum, in der sich auch Kandinskijs Landschaft mit Fabrikschornstein (1910) (Taf. 9) befand.360 Kandinskij vernahm um sich herum eine allseitige Reaktion, die allen Bremsenden und das Neue Hassenden neuen Mut gibt. In Weimar hat das Nazionalsozial. [sic] Ministerium alle neuen Bilder aus dem Museum entfernt. Im Sekretariat des ehem. Bauhauses hängt das Portrait von Hitler. In Berlin beschimpft Schultze-Naumburg offiziell die sämtl. Maler neuer Richtungen. Unser neuer Titel ist: ‚die östlichen Untermenschen‘. Usw. usw. in dieser Art.361

Mit dem Diktum von den „‚östlichen Untermenschen‘“ bezieht sich Kandinskij möglicherweise auf eine Stellungnahme, mit der das antimodernistische Vorgehen im Schlossmuseum angesichts kritischer Pressestimmen nachträglich gerechtfertigt werden sollte. Die Begründung lautete unter anderem: „Dr. Frick ist der Anschauung, daß die ausgeschalteten Künstler in ihrer Kunst nichts gemeinsam haben mit nordisch-deutschem Wesen, sondern sich darauf beschränken, das ostische oder sonst minderrassige Menschentum darzustellen.“362 Liest man diese Äußerung im Kontext der Lehren von Fricks Berater Schultze-Naumburg, so meint das Verb ‚darstellen‘ hier nicht einfach das Abbilden eines äußeren, vom Künstler losgelösten Gegenstandes; vielmehr bezeichnet es eine unwillkürliche, wesenhafte Selbstmanifestation. Die angebliche Inkongruenz mit „nordisch-deutschem Wesen“ betrifft dann sowohl die Darstellung als auch den Darstellenden selbst, insofern von einem kausalen, ‚rassisch‘ determinierten Verhältnis zwischen dem Kunstwerk und seinem Produzenten ausgegangen wird. In seiner Abhandlung Kunst und Rasse behauptete Schultze-Naumburg: „Genau so wie das leibliche Kind nicht aus dem Blute seiner Eltern und Voreltern herauskann, genau sowenig können es die geistigen Kinder.“363 Was ein Künstler erschafft, sei „Fleisch von seinem Fleisch und Bein von 359 Zu den Ereignissen in Weimar vgl. Hüneke 1999a; Wendermann 1999; Baumann 2002b, 87–91; Kashapova 2006, 259–272. 360 Die Landschaft mit Fabrikschornstein, 1923 erworben, gehörte zu den acht Gemälden der Kunstsammlungen zu Weimar, die 1937 als „entartet“ beschlagnahmt wurden. Über den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt gelangte sie 1939 auf eine Auktion in Bern, wo sie in den Besitz von Solomon R. Guggenheim überging. Vgl. Hüneke 1999a, 396 f.; Rudenstine 1976, 237 f. – Ein Verzeichnis der 1930 aus der Schausammlung des Weimarer Schlossmuseums entfernten Werke des 20. Jahrhunderts ist bei Gerda Wendermann (1999, 429) reproduziert. 361 Brief von Kandinskij an Werner Drewes, 15.3.1931. Zit. nach: Hahn 1985, 27. In dem Schreiben berichtet Kandinskij auch über die enorme finanzielle Bedrängnis der Künstler infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929. Vgl. dazu auch Droste 1984a, 69. 362 Zit. nach: Hüneke 1999a, 394. 363 Schultze-Naumburg 1928, 20.

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seinem Bein“364. Das methodische Rüstzeug für seine biologistische Kunstbetrachtung entlieh Schultze-Naumburg der Rassenkunde und der Vererbungslehre. Ihre Kenntnis vorausgesetzt, sei es möglich, „aus einer gegebenen Kunstäußerung Schlußfolgerungen auf den Künstler und die Bevölkerung, der er entstammt, zu ziehen“365. Dabei vermeint Schultze-Naumburg nicht nur zwischen den „Rassen“ unterscheiden zu können, sondern auch innerhalb derselben die ‚höheren‘ von den ‚niederen Ausprägungen‘.366 Was lag nun für den völkischen Kulturkämpfer näher, als seine eigene Gegenwart daraufhin zu prüfen? Das Ergebnis vermag kaum zu überraschen: Die Kunst erzähle „von einem starken rassischen Niedergang“367. Um diesen Befund effektvoll zu illustrieren, operierte Schultze-Naumburg mit einem äußerst perfiden Trick: Auf mehreren Doppelseiten seines Buches stellte er Menschendarstellungen in der Gegenwartskunst medizinischen Aufnahmen gegenüber, auf denen kranke und behinderte Menschen zu sehen sind. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, das Kunstschaffen sei „allein darauf ein[ge]stellt, nur noch im Untermenschlichen zu wühlen“368. Dieser Vorgehensweise liegt neben einer massiven Missachtung der Menschenwürde auch eine eklatante Missdeutung expressiver, nicht-mimetischer Darstellungsmittel zugrunde sowie die in ihrer groben Vereinfachung und rassistischen Lesart irrige Annahme, in der Kunst würden sich „die Sehnsüchte eines Menschen [offenbaren], also die Elemente seiner inneren Welt, die er in die Wirklichkeit zu projizieren trachtet“369. Beinahe unnötig darauf hinzuweisen, dass Schultze-Naumburg hier nicht auf die Sehnsüchte des Künstlers als Individuum oder als Mensch hinauswill, sondern auf das Ideal der jeweiligen Rasse (und innerhalb einer „Rasse“ der jeweiligen Schicht), welcher ein Künstler angehört.370 So führt er „die Fülle hochgewachsener, blonder, blauäugiger Menschen in den Werken der Meister der Frührenaissance“ – in denen folglich der „nordische Typus“ und mit ihm der „schöne, edle und gesunde Mensch“ bestimmend sei – auf den Zufluss „nordischen Blutes“ nach Italien zur Zeit der Völkerwanderung zurück.371 Sei die Kultur der Renaissance einem „edlen und hochgezüchteten Geschlecht“ zu verdanken, das sich in ihr spiegele,372 so tue sich in der zeitgenössischen Kunst „eine wahre Hölle des Untermenschen“373 auf, und „die Schicht der Gesunkenen, der leiblich 364 Ebd., 18. 365 Ebd., 55. 366 Ebd., 86. 367 Ebd., 100. 368 Ebd., 97. 369 Ebd., 28. Hervorh. S. B. 370 Vgl. ebd.; sowie ebd., 18. 371 Ebd., 62 f., 65. 372 Ebd., 63. 373 Ebd., 87.

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und geistig Tiefstehendsten“ sei nunmehr im Begriff, „den Typus Mensch zu bestimmen und den Kanon zu bilden“374. Es handelt sich hierbei um eine zentrale Komponente völkisch-nationalsozialistischer Invektiven: Abweichungen vom eigenen Kunstideal (das seine Konturen bevorzugt ex negativo erhält) werden auf ‚rassische‘, körperliche oder geistige Dispositionen zurückgeführt, die nicht einfach behauptet, sondern dazu auf einer vertikalen Skala als minderwertig und unterlegen klassifiziert werden. Da man mit einer apodiktischen Setzung gegen die Avantgarde zu Felde zog, war es letzten Endes zweitrangig, woher ein Künstler aus ihren Reihen tatsächlich kam: Seine bloße Art zu malen schloss ihn in den Augen Fricks, Schultze-Naumburgs und Gleichgesinnter von der Zugehörigkeit zu „nordisch-deutschem Wesen“ aus und qualifizierte ihn eo ipso als ‚ostischen‘ bzw. ‚minderrassigen‘ Menschen. Ein Blick in die von der völkischen Malerin Bettina Feistel-Rohmeder (1873–1953) als „Kunstnachrichtendienst“ lancierte Deutsche Kunstkorrespondenz bestätigt dies.375 Käthe Kollwitz, die sich in ihrer sozial engagierten Graphik von gängigen Schönheitsvorstellungen gelöst hatte, wird darin zum Vorwurf gemacht, „daß sie jahrzehntelang dem Ausland die Meinung einbleute, das Deutsche Volk bestehe ausschließlich aus häßlichen mongoloiden Mischlingen“376. Bezeichnend für diese Art der Kunstkritik ist neben der ‚rassischen‘ Klassifizierung des Kollwitz’schen Bildpersonals auch die Folgerung, die Feistel-Rohmeder im Hinblick auf die Künstlerin zieht: „Da nach Paul Schultze-Naumburg jeder Künstler seine eigene Rasse auf seine Werke überträgt, gibt der Rückschluß in diesem Fall zu denken!“377 Nun handelt es sich bei den Bildern der Kollwitz wie auch bei den in Kunst und Rasse angeführten Beispielen nicht um abstrakte Werke, sondern um Menschendarstellungen. Die These, „daß auch die geistige Schöpfung ein Zeugungsprozeß ist, der ähnlichen Bedingungen unterliegt, wie die rein körperliche Fortpflanzung“378, dass sich im Kunstwerk also der körperliche und/oder der geistige Typus seines Schöpfers abzeichne, ließ 374 Ebd., 100. 375 Als Gegenreaktion auf die angebliche Prädominanz moderner, ‚undeutscher‘ Kunst in der Weimarer Republik gründete Bettina Feistel-Rohmeder (1873–1953) 1927 die „Deutsche Kunstgesellschaft, Sitz Dresden“, die sich neben der Förderung einer nach völkischer Auffassung wahren ‚Deutschen‘ Kunst (mit großgeschriebenem „D“) den Kampf gegen den „Kunstbolschewismus“ auf die Fahnen heftete. Zu diesem Zweck gab die Gesellschaft ab 1927 einen eigenen Pressedienst heraus, die Deutsche Kunstkorrespondenz (1932 in Deutscher Kunstbericht umbenannt). Kirsten Baumann (2002b, 19) sieht darin den „Beginn einer zielgerichtet rassistischen und antiliberalen völkischen Kunstkritik“. 1938 veröffentlichte Feistel-Rohmeder eine Auswahl der von ihr für die Deutsche Kunstkorrespondenz verfassten Berichte unter dem Titel Im Terror des Kunstbolschewismus. Vgl. Baumann 2002b, 19–21, 42–60, 232 f. 376 Feistel-Rohmeder 1938, 32 (Beitrag vom Mai 1928). 377 Ebd. Vergleichbare Äußerungen Feistel-Rohmeders werden zitiert bei Baumann 2002b, 289 f. 378 Schultze-Naumburg 1928, 18.

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sich anhand von Bildnissen, denen man eine „äußerlich sichtbare Ähnlichkeit im Sinne unmittelbarer Übereinstimmung des Künstlers mit seinem Werk“379 zuschrieb, freilich besonders eingängig – und damit auch hetzerisch – vorführen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich die rassistische Argumentation auf Menschendarstellungen respektive auf figurative Richtungen beschränkt hätte. Man werfe nur einen Blick in Schultze-Naumburgs Schrift Kampf um die Kunst, die 1932 als 36. Heft in der „Nationalsozialistischen Bibliothek“ erschien:380 Der Text ist mit einer Reihe von Abbildungen versehen, die im weitesten Sinne abstrakte Kunstwerke zeigen (Abb. 25–27).381 Den Schlusspunkt dieser Reihe und, was den Abstraktionsgrad betrifft, ihren Höhepunkt markiert Kandinskijs (um 180° gedrehtes) Aquarell Entwurf zu „Improvisation 34 (Orient II)“ (1913), dessen Erscheinungsbild Schultze-Naumburg mit den Spuren eines umgefallenen Tintenfasses vergleicht.382 Wie bei allen Abbildungen, die Schultze-Naumburg in seiner Streitschrift als abschreckende Beispiele eines „Entartungsprozesses“383 anführt, fehlen bei dieser Zusammenstellung nach Werken von Picasso, Klee, Archipenko, Schlemmer, Braque und Kandinskij sämtliche Bildangaben; nicht einmal die Namen der Künstler werden erwähnt.384 379 Ebd., 105. Hervorh. S. B. 380 Schultze-Naumburg 1932. Es handelt sich hierbei um die Druckfassung eines Vortrags, den SchultzeNaumburg seinerzeit an verschiedenen Orten hielt. Vgl. dazu Hille 2005b. 381 Vgl. Schultze-Naumburg 1932, 35–38. Die nicht unproblematische Zusammenfassung dieser Bilder unter der Bezeichnung „abstrakt“ (von der Schultze-Naumburg selbst im Übrigen keinen Gebrauch macht) ist aus historischer Perspektive z. B. dadurch gerechtfertigt, dass die betreffenden Künstler (s. u.) alle 1927 in der Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa in der Kunsthalle Mannheim vertreten waren. 382 Vgl. ebd., 38. Während die Abstraktion auf den vorhergehenden Seiten in Gruppen von vier, drei und zwei Abbildungen veranschaulicht wird, ist Kandinskijs Aquarell separat wiedergegeben und wird damit akzentuiert. Zu dem Werk selbst vgl. Barnett 1992, 302, Nr. 337 (Farbabb. auf S. 307). Bei Schultze-Naumburgs Reproduktionsvorlage handelte es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um einen Druck aus Herwarth Waldens Sturm-Verlag. So findet sich eine Abbildung des Aquarells in: Der Sturm 11/1 (1920), 9. Als Faksimile online: URL: [Zugriff am 6.3.2015]; als unmittelbare Vorlage kommt diese Abbildung jedoch nicht infrage, denn das Aquarell ist darauf im Anschnitt wiedergegeben. Dass Kandinskijs Bild bereits im Sturm-Heft verkehrt herum abgedruckt war, relativiert die an sich naheliegende Vermutung, Schultze-Naumburg habe es in seiner Broschüre „vielleicht sogar bewußt überkopf reproduziert[.]“ (Fleckner 2006, 413). 383 Schultze-Naumburg 1932, 37. 384 Die Identifizierung der Werke wird indes dadurch erleichtert, dass Schultze-Naumburg die Mehrzahl seiner Abbildungen aus dem Bereich der zeitgenössischen Kunst ganz offensichtlich aus Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts entnommen hat, vgl. Fleckner 2006, 413. Im vorliegenden Fall handelt es sich um: S. 35: Picasso: Der Student (1913/14), Klee: Die Erfinderin des Nestes (1925), Archipenko: Statuette (1914), Schlemmer: Figuren übereinander (1916); S. 36: Braque: Gitarre und Rumflasche (1918), Archipenko: Nackte Frau vorm Spiegel (1916), Klee: Aeolsharfe (1922); S. 37: Archipenko: Der Boxkampf

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Abb. 25: Doppelseite 34/35 aus Paul Schultze-Naumburgs Kampf um die Kunst (1932), mit Reproduktionen nach Werken von Picasso, Klee, Archipenko und Schlemmer

Insgesamt fällt an der Gestaltung der Publikation das Bemühen auf, die Illustrationen so zu platzieren, dass zwischen ihnen und der unmittelbaren Textumgebung ein direkter inhaltlicher Bezug besteht oder hergestellt werden kann. Die kubistischen/abstrahierenden/abstrakten Arbeiten der europäischen Avantgarde werden durch ihren textuellen Rahmen als „Ausgeburten eines lallenden Irrsinns“ gebrandmarkt, „der sich schon seit Jahren bei uns breit macht und der in Massen vom Ausland nach Deutschland eingeschleppt

(1914) sowie Picasso: Portrait de Fanny Tellier (1910). Die Angaben basieren mit einer Ausnahme auf der Erstauflage der Kunst des 20. Jahrhunderts (= Einstein 1926a). Die anlässlich der Neuausgabe der dritten Auflage (= Einstein [1931] 1996) von den Herausgebern vorgenommenen Korrekturen konnten bei den Abbildungen berücksichtigt werden, die Einstein in die dritte Auflage (1931) seiner Kunstgeschichte übernommen hatte. – Eine Ausnahme stellt die Reproduktion der Zeichnung von Schlemmer dar, insofern ihre Vorlage nicht aus Einsteins Buch stammt, sondern vermutlich aus: Der Sturm 10/10 (1919/20), 135. Als Faksimile online: URL: [Zugriff am 6.3.2015]. Titel und Datierung der Arbeit gemäß: Grohmann 1965, 162 f., ZT 97.

Gegenwind von rechts: Kandinskij als Antityp des ‚deutschen‘ Künstlers  |

Abb. 26: Doppelseite 36/37 aus Paul Schultze-Naumburgs Kampf um die Kunst (1932), mit Reproduktionen nach Werken von Braque, Archipenko, Klee und Picasso

wird, wo man sich gehorsam bemüht, so zu tun, als wäre man ebenso blödsinnig“.385 Irrsinn, Ausland386, Betrug: Es sind immer wieder die gleichen Ursachen und Quellen, auf die die Schaffung und die Verbreitung abstrakter Kunstwerke von ihren Verächtern zurückgeführt werden. Die damit verbundene intellektuelle Verwahrungshaltung äußert sich geradezu exemplarisch in Schultze-Naumburgs Bemerkung, es lasse sich „auch beim besten Willen über all diese Dinge nichts auf gut deutsch sagen“387. Die Repräsentanten dieser Verwahrungshaltung geben zwar vor, solche Kunst von Natur aus – das heißt als 385 Schultze-Naumburg 1932, 34. 386 Über die Herkunft der von ihm verschrienen, nicht namentlich genannten Künstler verliert SchultzeNaumburg allerdings kaum ein Wort, zeigt in der Regel also auch nicht an, wenn von einem ausländischen Künstler die Rede ist. Nur ausnahmsweise spricht er an einer Stelle im Heft von einem „Pariser Maler“ (Picasso), an einer anderen Stelle wird eine Arbeit als ‚östlich‘ markiert (Šagals Federzeichnung Kreuzigung, vgl. Mandel 2003, 125), indem sie mit den „platten weltanschaulichen Vorstellungen der ‚Gottlosen-Bestrebungen‘“ in Verbindung gebracht wird, „die uns aus dem Osten überfluten“. Schultze-Naumburg 1932, 11, 39. 387 Ebd., 37.

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|  Weimarer Republik Abb. 27: Seite 38 aus Paul Schultze-Naumburgs Kampf um die Kunst (1932), mit Reproduktionen nach dem Aquarell Entwurf zu „Improvisation 34 (Orient II)“ (1913) von Kandinskij und dem Gemälde Über Russland (1924) von Šagal

wahrhafte, gesunde Deutsche – nicht verstehen zu können, sind aber schlechterdings nicht gewillt, sie zu verstehen. Das Problem, dem sich die Vermittler der Moderne – mit durchaus unterschiedlichem Erfolg – stellten, nämlich an das Medium Sprache gebunden zu sein, das umso weniger zureichte, je mehr sich die Kunst vom begrifflich fassbaren Gegenstand entfernte, wurde von den Feinden dieser Kunst mit der bequemen Maxime vom Tisch gefegt, es gebe „auf gut deutsch“ nichts Sinnvolles darüber zu sagen. Bei den Texten, die den sprachlichen Ausfluss dieser Geisteshaltung darstellen, handelt es sich denn auch um keine Kritik im eigentlichen Sinne mehr, sondern um geifernde

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Negation.388 Bettina Feistel-Rohmeders Deutsche Kunstkorrespondenz liefert zahlreiche Belege dafür. Kandinskij gehört zu den Künstlern, die in der Deutschen Kunstkorrespondenz regelmäßig angegriffen werden. Der Blaue Reiter, so heißt es da, sei mit einer Kunst an die Öffentlichkeit getreten, „die so ziemlich allem ins Gesicht schlug, was der Deutsche als seine arteigene Kunst betrachten darf“389. Und anlässlich eines Vortrags von Kandinskij in der Dresdner Gemäldegalerie wird seine Kunst diskreditiert als „in ihrer übersteigerten Berechnung und willkürlichen Symbolik Deutschem Formwillen fremd und insofern immer neu und unverständlich“390. Das Verständnisproblem bei der Rezeption abstrakter Kunst, das in der vorliegenden Untersuchung einen Dreh- und Angelpunkt bildet, wird in der völkischen Kunstkritik nicht als ein (inter)kulturelles Problem wie bei Wilhelm Hausenstein, nicht als ein in erster Linie künstlerisches Problem wie bei Carl Einstein aufgefasst, sondern auf der Ebene der „Rasse“ lokalisiert: Verstehen gründet demnach auf einer gemeinsamen ‚rassischen‘ Veranlagung von Künstler und Betrachter, die vererbt wird, von Geburt an festgelegt ist.391 Verstehen lässt sich aus dieser Perspektive nur die jeweils „arteigene Kunst“. Kandinskijs russische Herkunft nimmt in dieser Argumentation kein so großes Gewicht ein, wie man es zunächst vermuten könnte. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass die Moderne in toto denunziert wurde. Man sah keine unmittelbare Veranlassung, die auf Anhieb als ‚entartet‘ gestempelten Bilder und Skulpturen einer differenzierteren Betrachtung zu unterziehen, sie in ihre spezifischen – auch nationalen – Kontexte einzuordnen. Das Resultat waren Bemerkungen wie diese: Bezeichnenderweise unterscheiden sich […] die Werke der in Deutschland lebenden Künstler nicht im geringsten von den Arbeiten der Nichtdeutschen. Dieser ganzen Kunstbetätigung scheint das eine gemeinsam zu sein, daß ihr ein jedes Werk erst dann anfängt interessant zu werden, wenn es Vorstellungen von entarteten Vertretern der Menschheit oder von schweren

388 Am Beispiel Carl Einsteins und seiner nationalsozialistischen Rezipienten arbeitet Uwe Fleckner den Unterschied zwischen einer schonungslosen Kritik der Gegenwartskunst (bei Einstein) und einer reinen Polemik (bei Letzteren) deutlich heraus. Vgl. das Kapitel „Carl Einstein und einige seiner Leser. Zur Rezeption der ‚Kunst des 20. Jahrhunderts‘ im Nationalsozialismus“ in: Fleckner 2006, 399–414. Dabei geht Fleckner besonders auch auf Schultze-Naumburgs Schriften Kunst und Rasse und Kampf um die Kunst ein, deren Bildmaterial zu einem großen Teil aus Einsteins Kunst des 20. Jahrhunderts entnommen wurde, vgl. ebd., 407–414. 389 Feistel-Rohmeder 1938, 74 (Beitrag vom November 1929). 390 Feistel-Rohmeder 1938, 89 (Beitrag vom Mai 1930). Ganz ähnlich notierte Schultze-Naumburg (1932, 38) hinsichtlich der Präsenz ‚entarteter‘ (hier: abstrakter) Kunst in Deutschland, dass ihr „das eigentliche Volk in seiner besten Prägung völlig fremd und verständnislos gegenübersteht“. 391 Vgl. dazu Baumann 2002b, 37, 57, 232 f., 295 f., 302, 313.

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körperlichen Mißbildungen wachruft. Oder wenn sie zum mindesten doch Darstellungen zur Schau bringen, die weder zu erkennen, noch zu verstehen sind.392

Schultze-Naumburg weist sogar explizit darauf hin, dass „es ja gar nicht auf das Einzelwerk und seinen Verfasser ankommt“, sondern auf die „Art von Mensch in den Ziel- und Wunschbildern der Vertreter dieser sogenannten ‚modernen‘ Kunst“.393 Und weiter: „Es handelt sich nicht um dieses oder jenes Werk, das wir besonders herausgreifen wollen, um es an den Pranger zu stellen, sondern um eine Massenerscheinung, die mit allen Mitteln der Reklame zur großen Kunst heraufgeschwätzt werden soll.“394 Dass Schultze-Naumburg im Falle der von ihm als unbrauchbar oder gar als schädlich eingestuften Kunst auf die Nennung ihrer Exponenten wie auf jede Bildangabe durchweg verzichtete, ist eine eigentümliche Begleiterscheinung dieses Pauschalangriffes gegen die Moderne. Am Ende zählte für die völkischen Extremisten ja nur, ob ein Werk ihrer Norm entsprach; tat es das nicht, galt es mitsamt seinem Urheber oder seiner Urheberin – gleich welcher Herkunft – als ‚entartet‘. Damit verbunden ist die bereits mehrfach angesprochene Logik, wonach das Kunstwerk für sich und für seinen Schöpfer spricht, mithin für dessen ‚rassische‘ Abstammung. Die „Rasse“ aber sei eine biologische Tatsache, die man weder am Geburtsort noch an der Staatszugehörigkeit einer Person festmachen könne, wie Schultze-Naumburg nicht müde wird zu betonen.395 Diese grundsätzliche Trennung von „Rasse“ und Geographie erlaubte es, unliebsame Künstler aus dem Kreis ‚nordischer‘ Kulturschaffender auszuschließen, auch wenn sie im Norden beheimatet waren. Umgekehrt konnten, wie zu sehen war, hochgeschätzte Kulturleistungen wie die Kunst der italienischen (!) Renaissance für die eigenen Zwecke vereinnahmt und in einen ‚nordischen‘ Kanon aufgenommen werden, auch wenn sie nicht im Norden hervorgebracht worden waren.396 Allerdings, und das ist überhaupt kennzeichnend für die völkisch-nationalsozialistische Argumentation, vollzieht Schultze-Naumburg die Trennung von „Rasse“ und Geographie bzw. Volk (das hier sowohl im staatlichen als auch im sprachlich-kulturellen Sinne zu verstehen ist397) keineswegs konsequent. Gleichsam durch die Hintertüre, auf einer normativen 392 Schultze-Naumburg 1932, 11. 393 Ebd., 10. 394 Ebd., 29. 395 Vgl. Schultze-Naumburg 1928, 5, 65; Ders. 1932, 14, 21. 396 Zu dieser Vereinnahmungsstrategie vgl. Kashapova 2006, 166–168. Die Autorin verweist auf Hans F. K. Günthers Schrift Rasse und Stil (21927): Bereits darin wurde die italienische Renaissance zur ‚nordischen‘ Renaissance umgedeutet. Schultze-Naumburg (1928) führt das Buch in seinem Literaturverzeichnis an. Vgl. auch Ehringhaus 1996, 169 f. 397 Vgl. Schultze-Naumburg 1928, 14: „‚Mein Volk‘ heißt selbstverständlich durchaus nicht gleichzeitig ‚meine Rasse‘. Das weist auf etwas Trennendes hin, aber andererseits bedeutet hier Volk, d. h. also

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Ebene, werden die beiden Begriffe wieder miteinander verschränkt. Schließlich beruht Schultze-Naumburgs „Kampf um die Kunst“ auf der Herleitung der deutschen Kultur von einem ganz bestimmten ‚rassischen‘ Ideal, zu dessen Verteidigung er aufruft: Für ihn steht unumstößlich fest, dass der „nordische Mensch“ seit jeher das Fundament bilde, auf das sich „das Wesen unseres Volkes“ gründe; deshalb fordert er auch für das gegenwärtige Deutschland eine Kunst, „die den deutschen Menschen nordischer Prägung zum Ziele hat“.398 Der rassistische Diskurs trifft sich hier mit dem nationalistischen. Wo SchultzeNaumburg das Adjektiv ‚deutsch‘ verwendet, um ein Ideal, ein Leitbild zu bezeichnen, ist es inhaltlich kaum mehr von dem Adjektiv ‚nordisch‘ zu unterscheiden, wird gewissermaßen zu dessen Synonym.399 Von dieser normativen Warte aus betrachtet kann, ja muss nun alles, was nicht als ‚nordisch‘ durchgeht, gleichermaßen als ‚undeutsch‘ gelten. Die Pauschalverurteilung moderner Kunst und ihre Stigmatisierung als ‚undeutsch‘ erklären, weshalb Kandinskij in völkischen Kritiken scheinbar widerspruchsfrei in einer Reihe mit Künstlern wie Max Pechstein, Emil Nolde, Lovis Corinth, Otto Dix, Ale­ xander Kanoldt oder Paula Modersohn-Becker aufgezählt wird: Die zwischen ihnen und Kandinskij bestehenden Unterschiede in der Herkunft und in der künstlerischen Position werden durch das gemeinsame Merkmal ‚volklos‘, ‚fremdstämmig‘ oder ‚fremdblütig‘ eingeebnet.400 Und doch machte Kandinskijs russische Herkunft einen Unterschied – namentlich da, wo man den nationalistischen Trumpf gegen ihn ausspielte: die Sorge um die Deutschen und ihre Kultur. Dabei gilt zu beachten, dass Kandinskij aufgrund seiner Herkunft nicht nur als Russe wahrgenommen wurde, sondern ebenfalls als Mensch aus dem Osten (vgl. Hans Christiansen) oder einfach als Ausländer (s. u.). Diese allgemeineren Charakterisierungen konnten das Merkmal „Russe“ mehr oder weniger deutlich überlagern respektive in den Hintergrund treten lassen. Bernd Gülker führt in seiner Untersuchung über die Kunstkarikatur in deutschen Satirezeitschriften eine Zeichnung aus dem Kladderadatsch an, in der das nationale Ressentiment als Bestandteil eines umfassenden Komplexes von Unterstellungen und Vorurteilen gegenüber der modernen Kunst bildliche Gestalt annimmt (Abb. 28).401 Auf der die denselben Lebensraum füllenden Mitmenschen, auch die Genossen des gleichen Schicksals, die Träger derselben Sprache, mithin eine über das Blut hinausgehende Gemeinsamkeit.“ 398 Schultze-Naumburg 1932, 12 f. 399 Diese semantische Konvergenz ist auch bei anderen Autoren zu beobachten, vgl. hierzu Kashapova 2006, 167–169, sowie die unter dem Eintrag „nordische Rasse“ zitierten Beispiele in Schmitz-Berning 2007, 429–432. 400 Feistel-Rohmeder 1938, 30 f., 87, 145 (Beiträge vom Dezember/Januar 1927/28, Mai 1930, Erntings [August] 1931). 401 Vgl. Gülker 2001, 76, 204 f.

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Karikatur, die im Herbst 1931 erschien, ist ein Kind zu sehen, das mit Pinsel und Palette ausgerüstet vor einer Staffelei sitzt. Sein „in Arbeit“ befindliches Gemälde wird durch ein Durcheinander von hingekritzelten Motiven als „expressionistisch“ markiert, worauf auch die hämische Bezeichnung „Exkrementist“ in der Bildunterschrift Bezug nimmt: „Seinen zehnjährigen Geburtstag“, liest man dort, „feierte soeben in voller geistiger Frische der Exkrementist Wladimir Hosenmatzki, der größte deutsche Landschafter“.402 Die Darstellung vereint mehrere Aspekte einer antimodernen Polemik in sich. Zu dem Vorwurf, die modernen Künstler seien Stümper bzw. in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben (als könnten ihre Bilder ebenso gut von Kinderhand stammen403), tritt eine rassistische Komponente, die in der schimpansenähnlichen Gesichtsform des Jungen zum Ausdruck kommt. Entscheidend in unserem Kontext ist der Name „Wladimir Hosenmatzki“: Er deutet auf die slawische Herkunft seines Trägers hin und soll einem für derlei Botschaften empfänglichen Publikum suggerieren, dass die angeprangerte Kunst keine deutsche Kunst sei, sondern vielmehr deren Unterhöhlung von ausländischer Seite bedeute.404 Verstärkt wird diese Suggestion dadurch, dass der Bildtext den malenden Knirps Wladimir ironisch als den „größte[n] deutsche[n] Landschafter“ apostrophiert. Wie Gülker richtig bemerkt, ist dieser Zusatz „geeignet, beim national gestimmten Leser Haß gegen die Moderne aufzubringen“405. Im November 1932 schrieb Kandinskij an seinen Freund und Schicksalsgefährten Aleksej Javlenskij: „Vergessen Sie nicht, was für ‚nationalistische‘ Überlegungen zur Zeit fast überall eine große Rolle spielen. Unser beider ‚sky‘ ist eine sehr ungünstige Endsilbe […].“406 Kandinskijs Name verlieh den Vorwürfen einer Überfremdung der deutschen Kunst eine größere Evidenz als es etwa der Name Pechstein tat: Die Eigenschaft deutsch musste ihm nicht erst mit einem diskursiven Aufwand abgesprochen werden. Er war Russe, und allein dieser Umstand genügte, um seine Berechtigung, an einer deutschen Kunstschule zu lehren, infrage zu stellen. Bereits 1924, als man dem Bauhaus in Weimar ein rasches Ende zu bereiten suchte, hatte der Völkisch-Soziale Block im Thüringer Landtag eine Kleine Anfrage an die Staatsregierung gerichtet, in der es provokativ hieß: „Ist es zutreffend, daß sich unter den Formmeistern des Bauhauses mehrere Ausländer

402 Arthur Johnson: Jubiläum. In: Kladderadatsch 84/45 (8.11.1931), [14]. Zit. nach: Gülker 2001, 204. 403 Vgl. dazu Gülker 2001, 73–77. 404 „Wladimir Hosenmatzki“ kann, muss jedoch nicht zwangsläufig als eine direkte Karikatur auf Kandinskij gedeutet werden. Man kann in ihm auch eine „allgemeine Anspielung auf osteuropäische Künstler“ (ebd., 76, Anm. 131) sehen, von denen in Deutschland freilich Kandinskij aufgrund seiner Prominenz wohl am ehesten mit der Darstellung assoziiert wurde. 405 Ebd., 205. 406 Brief von Kandinskij an Aleksej Javlenskij, 1.11.1932. Zit. nach: Droste 1984a, 69.

Gegenwind von rechts: Kandinskij als Antityp des ‚deutschen‘ Künstlers  | Abb. 28: Arthur Johnson: Jubiläum, Karikatur aus der Zeitschrift Kladderadatsch (1931)

befinden, die deutschen Schülern Unterricht erteilen?“407 Im Oktober 1924 – einen Monat zuvor hatte die Regierung sowohl Gropius als auch den Bauhausmeistern „vorsorglich“ gekündigt408 – nahm Kandinskij in der Leipziger Volkszeitung zu den Anfeindungen gegen das Bauhaus Stellung. Dabei äußerte er sich auch zu dem Vorwurf, „daß das Bauhaus – was Lehrkräfte und Studierende anlangt, – ganz ausländisch ist, und daß infolgedessen das deutsche Geld zu Nutzen der Ausländer verbraucht wird.“409 Hinsichtlich des Lehrkörpers erklärte er: „Unter 16 Meistern (Form- und Werkmeistern) sind 2 Ausländer, darunter ich, der seine künstlerische Laufbahn in Deutschland vor 25 Jahren angefangen hat und in seinem Land viel weniger bekannt ist als hier.“410 Und Anfang des Jahres 1925 gab Gropius in der Presse bekannt, Richard Leutheußer (der nicht nur thüringischer 407 Kleine Anfrage der Fraktion des Völkisch-Sozialen Blocks an die Staatsregierung vom 12. April 1924. Neu abgedruckt in: Wahl 2009, 459 f., hier: 460. Ebd., 460–464, sind auch die von Gropius gezeichnete Erklärung des Staatlichen Bauhauses sowie die Antwort des Staatsministers Richard Leutheußer auf die Kleine Anfrage wiedergegeben. 408 Vgl. die Dokumente Nr. 377–379 in: Wahl 2009, 728 f. (Zitat auf S. 728). 409 Kandinsky 1924b. 410 Ebd. Bei dem zweiten ausländischen Meister handelte es sich um Moholy-Nagy.

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Staatsminister, sondern auch Volksbildungsminister war und damit zuständig für das Bauhaus) habe ihm gegenüber Kandinskijs Rücktritt gefordert, und zwar ohne jede sachliche Grundlage; Gropius führte dies darauf zurück, dass Kandinskij Russe war.411 Im Zusammenhang mit Weimar sei noch erwähnt, dass man hier schon 1919, also längst vor Kandinskijs Ankunft am Bauhaus, gegen eine angebliche „einseitige Begünstigung fremdstämmiger Elemente“ durch Gropius vorgegangen war.412 Auch in Dessau, wo das Bauhaus 1925 nach seiner Vertreibung aus Weimar die Arbeit wieder aufgenommen hatte, wurde es mit fremdenfeindlichen Parolen bekämpft. Im Vorfeld der Dessauer Gemeinderatswahlen am 25. Oktober 1931 lautete die erste Forderung der dortigen Ortsgruppe der NSDAP: Sofortige Streichung sämtlicher Ausgaben für das Bauhaus. Ausländische Lehrkräfte sind fristlos zu kündigen, da es unvereinbar ist mit der Verantwortung, die eine gute Gemeindeführung gegenüber ihren Bürgern zu tragen hat, daß deutsche Volksgenossen hungern, während Ausländer in überreichlichem Maße aus den Steuergroschen des darbenden Volkes besoldet werden. […]413

Welche ausländischen Lehrkräfte zu diesem Zeitpunkt noch gemeint sein konnten (oder gemeint waren), mag dahingestellt bleiben; Kandinskij hatte jedenfalls schon seit dem Frühjahr 1928 die deutsche Staatsbürgerschaft inne.414, 415 Keine Frage, man wollte Stim411 Vgl. Dokument Nr. 393 „Stellungnahme des Direktors des Staatlichen Bauhauses in der Presse zur Erklärung des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung und Justiz vom 8. Januar 1925“ in: Wahl 2009, 745–747, hier: 746. Leutheußer wies Gropius’ Vorwurf in einer Landtagssitzung zurück: Er habe Kandinskijs Entlassung zwar durchaus angeraten – aber nicht, weil Kandinskij Russe war oder „wegen seiner [= Kandinskijs; S. B.] politischen Einstellung“ (welche Einstellung wird nicht gesagt; S. B.), sondern weil er in Kandinskij den „extremsten Expressionismus“ vertreten sah. Dokument Nr. 217 [5.] „Abschließende Debatte zum Haushaltsvoranschlag des Staatlichen Bauhauses nach vorangegangener Behandlung im Haushaltsausschuß in der Landtagssitzung am 19. März 1925 (Protokollauszug)“ in: Wahl 2009, 475–498, hier: 485. 412 Dokument Nr. 225 „Eingabe Weimarer Bürger und Künstler zum Staatlichen Bauhaus an das Staatsministerium des Freistaates Sachsen-Weimar-Eisenach vom 19. Dezember 1919“ in: Wahl 2009, 531–533, hier: 531. Vgl. die Dokumente Nr. 226 und Nr. 288 in: ebd., 533 f. und 618–632, v. a. 629 f., Anm. 2; sowie Kashapova 2006, 277 f. 413 Wahlaufruf der NSDAP zur Gemeinderatswahl in Dessau, Flugblatt zum 25. Oktober 1931. Zit. nach der Reproduktion in: Hahn 1985, 41 f., hier: 41. 414 Grohmann (1958, 177) gibt als Einbürgerungsdatum den 8. März 1928 an, Kandinskijs Frau Nina (Kandinsky 1987, 128) den 8. März 1927. Vgl. Hahl-Koch 1993, 266 (mit S. 410, Anm. 3), 395, die Ninas Zeugnis den Vorzug gibt. Ein Brief Oskar Schlemmers bestätigt jedoch das in der Literatur zumeist genannte Jahr 1928. Am 13. März 1928 berichtet Schlemmer seiner Frau Tut von einem „Kandinskyabend“, der aus dem in Rede stehenden Anlass veranstaltet wurde: „Kandinskys sind Anhaltiner geworden, Deutsche.“ Zit. nach: Schlemmer 1990, 196. 415 Bei einem Blick auf die Namen der Personen, die im Oktober 1931 am Bauhaus unterrichteten, erhielt ich (ohne allerdings die Staatsangehörigkeit im Einzelnen ermittelt zu haben) den Eindruck, als sei der

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mung gegen das Bauhaus machen, das seit August 1930 unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe stand. Die Strategie ging auf. Nach den Erfolgen der NSDAP in den Wahlen zum Dessauer Gemeinderat 1931 und zum anhaltischen Landtag 1932 wurde das Bauhaus auf Beschluss der neuen Rechtsmehrheit im Dessauer Gemeinderat zum 1. Oktober 1932 liquidiert.416 Für ein weiteres Mal zog Kandinskij mit dem Bauhaus um – nach Berlin, wo es als Privatinstitut jedoch nur ein Semester lang überlebte. Im nationalsozialistischen Deutschland hatte das Bauhaus in seiner bestehenden Form keine Zukunft, erst recht nicht mit Kandinskij im Lehrkörper. Tatsächlich war Kandinskijs Entlassung eine der von offizieller Seite gestellten Bedingungen, die Mies van der Rohe für den Fortbestand der Schule hätte in Kauf nehmen müssen.417 So weit kam es aber nicht. Im Juli 1933 löste sich das Bauhaus endgültig auf.418 Ende des Jahres übersiedelte Kandinskij nach Paris. In absehbarer Zeit, so sein Plan, würde er nach Deutschland zurückkehren – „zu tief“ säßen dort seine Wurzeln.419 Es wurde indes ein Abschied für immer.420 4.6.4 Exkurs: Kandinskij als „Jude“ Von den vorangegangenen Ausführungen über die Undifferenziertheit der antimodernen Kritik gelangt man unschwer zu der Feststellung, dass ihre Vertreter es mit den Fakten nicht immer so genau nahmen und mit Zuschreibungen recht willkürlich verfuhren. Mit einem Federstrich wurde da den „ausländischsten“ Bauhausprofessoren eine neue Identität verliehen, indem Feistel-Rohmeder Moholy-Nagy zum Holländer und Plural „Ausländer“, der auf dem Flugblatt der Dessauer NSDAP ja eine Vielzahl suggeriert, kaum mehr als eine verbale Luftblase, mit deren Hilfe man Populismus betrieb. Vgl. die Übersichtslisten über die Bauhauslehrer in: Föhl (u. a.) 2006, 141–143; Siebenbrodt/Schöbe 2009, 250 f. Desgleichen sei auf die Website hingewiesen, auf der biographische Informationen über mehr als hundert Bauhäusler abgerufen werden können [letzter Zugriff am 2.9.2020]. 416 Vgl. Hahn 1985, 40, 63 f., 78; Droste 1990, 227 f. 417 Vgl. Hahn 1985, 143; Droste 1990, 235. 418 Zu den Hintergründen vgl. Hahn 1985, 8 f., 96, 127, 139, 142; Droste 1990, 233–236. 419 Brief Kandinskijs an Grohmann, 4.12.1933. Zit. nach: Kandinsky 2015, 376; ebenfalls abgedruckt in: Gutbrod 1968, 62. Vgl. Haxthausen 1984, 87. Entsprechendes schrieb Kandinskij am 23. Januar 1934 auch in einem Brief an Javlenskij. Zit. in: Hahl-Koch 1993, 322. 420 Bezogen auf die Gesamtheit der Lehrer und Schüler des Bauhauses kann Kandinskijs Schicksal im Nationalsozialismus nur bedingt als repräsentativ gelten. So machen Winfried Nerdinger, Peter Hahn und Magdalena Droste (1993) darauf aufmerksam, „daß Teile der modernen Kunst nicht nur eine ‚Nische‘ im Nationalsozialismus gefunden hatten, sondern in einigen Bereichen (Werbung, Design oder Industriearchitektur) ganz offen im Interesse des Systems für dessen Ziele eingesetzt wurden. Auch das 1933 geschlossene Bauhaus […] durchzieht mit Ideen und Personen die Zeit des Nationalsozialismus.“ Vgl. auch Betts 1999; sowie Ulbricht 2009a, 28 f. Zu den unterschiedlichen Laufbahnen der Bauhausmaler nach 1933 vgl. Droste 1993.

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Kandinskij zum Ungarn erklärte.421 Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Texten, die belegen, dass Kandinskij und sein Schaffen von Gegnern seiner abstrakten Kunst als ‚jüdisch‘ gebrandmarkt wurden. Da es hier auch um Herkunftsfragen geht, soll dieser Aspekt der Rezeptionsgeschichte Kandinskijs in dem folgenden Exkurs schlaglichtartig beleuchtet werden.422 Das früheste mir bekannte Beispiel einer antisemitischen Attacke auf Kandinskij stammt aus dem Jahr 1913. Im sogenannten Semi-Kürschner (betitelt in Anlehnung an Kürschners deutschen Literatur-Kalender) wird Kandinskij als ein in Bukarest (!) geborener Jude verzeichnet, der „auf die fixe Idee [kam], Leinewände mit großen Farbenmassen sinnlos zu bestreichen und mit wüsten Linien zu durchfahren“, und der „dazu Bücher [schreibt], in denen er mit talmudischer Spitzfindigkeit beweist, daß der Geist, wenn er erst reif wird und in die Malerei fährt, nur derlei Zeug zu malen imstande sei“.423 Der Eintrag endet mit der Forderung, Kandinskij „sollte lieber heute als morgen ausgewiesen werden“424. Im März 1932 veröffentlichte der Völkische Beobachter, das Parteiorgan der NSDAP, einen Artikel, der auf eine im Vormonat erschienene Rezension der Sonder-Ausstellung W. Kandinsky: Zeichnungen 1910–1931, Neue Aquarelle/Grafik in der Berliner Galerie Ferdinand Möller reagierte.425 Der deutsch-jüdische Kritiker Max Osborn hatte die Schau in der Vossischen Zeitung überaus positiv besprochen: […] bei Kandinsky greifen irgendwelche Geister ein, die dem unscheinbaren Blatt hauchfeines Leben einblasen. Nun ja, hier ist ‚Einseitigkeit‘. Aber sie geht aus so viel Charakter, so mutiger Konsequenz und (Hauptsache!) aus einem so frei beherrschten, persönlichen Stil hervor, daß man bewundert. Der bei uns seit einem Menschenalter eingebürgerte Russe Kandinsky hat mit seinen Entdeckungen der jungen deutschen Kunst außerordentliche Anregungen gegeben.426

421 Feistel-Rohmeder 1938, 175 (Beitrag vom Scheiding [September] 1932). Neben der Stigmatisierung Kandinskijs und Moholy-Nagys als durch und durch Fremde, als die ganz Undeutschen soll die ungewöhnliche Superlativbildung „ausländischsten“ wohl zum Ausdruck bringen, dass das Bauhaus generell auf das ‚Ausländische‘ setze bzw. darauf fixiert sei. 422 Auf eine systematische Herausarbeitung antisemitischer Stereotype, die auf Kandinskij übertragen wurden, wird dabei verzichtet. Es sei jedoch auf den lesenswerten Aufsatz Hortzitz 1999 hingewiesen. 423 Stauff 1913a, Teil 2, Sp. 18–20 (Zitat in Sp. 18). Vgl. auch die Vorrede des Herausgebers: Stauff 1913b, VI. (Eine überarbeitete und gekürzte Fassung der Vorrede erschien in sechs Teilen unter dem Titel „Vom deutschen Kunst-Elend“, vgl. Stauff 1913c.) Zum Semi-Kürschner vgl. Orłowski 1988, 76 f. 424 Stauff 1913a, Teil 2, Sp. 20. 425 L. 1932; Osborn 1932. Zur Ausstellung und ihrer Rezeption vgl. Barnett 2006b, 11–14. 426 Osborn 1932. Vgl. Haxthausen 1984, 86 f.

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Diese Passage wurde – neben weiteren Teilen aus Osborns Rezension – im Völkischen Beobachter abgedruckt und in bissigem Tonfall kommentiert: Na, schon gut, daß da ‚Geister eingreifen‘. Ohne diese wäre die ganze Kabbalistik Essig! […] Einseitigkeit? Bitte, Herr Osborn, Dreiecke und Quadrate sind nie einseitig! Da machen Sie dem Künstler, wenn auch in Gänsefüßchen, einen ungerechten Vorwurf. Am meisten imponiert noch die mutige Konsequenz. Schade nur, daß die Basis für diese Konsequenzen auf hebräischem Mutterboden ruht! […]427

Durch die Worte „Kabbalistik“ und „hebräische[r] Mutterboden“ werden Kandinskijs Werke in einen ‚jüdischen‘ Bezugsrahmen gestellt, wobei unklar bleibt, worauf diese Kontextualisierung eigentlich gründet: Will der Verfasser des Artikels andeuten, Kandinskij sei jüdischer Herkunft? Oder spielt er auf diejenigen an, die Kandinskijs Kunst propagierten, also die Kritiker und Händler? Freilich waren weder Kandinskij noch Ferdinand Möller, der die Ausstellung in seiner Galerie veranstaltet hatte, Juden – doch welcher Leser des Völkischen Beobachters hatte Grund, dies zu hinterfragen? Dem Autor jedenfalls schien die suggestive Wirkung seiner Worte hinreichend zu sein, um sein diffamatorisches Ziel zu erreichen. Dem entspricht Dina Kashapovas Feststellung, „[d]as Prädikat Judenkunst“ habe im nationalsozialistischen Sprachgebrauch „mit der tatsächlichen ethnischen Herkunft moderner Maler meistens nichts zu tun“.428 Explizit als Jude angesprochen wird Kandinskij in Hans F. K. Günthers Rassenkunde des jüdischen Volkes. In einem Abschnitt, der auf die Konstatierung einer „Gefahr der Durchfremdung des abendländischen Geistes“ durch die „heute übermächtig gewordenen Einwirkungen jüdischen Geistes“ hinausläuft,429 erklärt der einflussreiche „Rassenforscher“: Eine starke Einwirkung, ja geradezu eine Führung durch jüdischen Geist, ließ der internationale Expressionismus in den Künsten erkennen, und zwar sowohl nach der Seite der Kunst und des Kunstgewerbes wie nach der Seite des Kunsthandels. Die vorderasiatische Rassenseele mit ihrem Sichhineinsteigern […] schien sich im Expressionismus besonders unmittelbar ausdrücken zu können. Für die expressionistische Malerei hat Berl die Führung durch Juden dargestellt: in

427 L. 1932. 428 Kashapova 2006, 117. Ein in diesem Zusammenhang besonders eindrückliches Dokument ist der Angriff auf die Neue Abteilung der Nationalgalerie Berlin, der 1933 in der Deutschen Kultur-Wacht (dem Organ des völkischen „Kampfbundes für deutsche Kultur“) abgedruckt wurde: „Was uns in diesem Kronprinzenpalais als junge deutsche Kunst vorgeführt wird, sind Juden, nichts als Juden, ‚deutsche‘ Juden und ausländische Juden!“ R. W. H. 1933, 7. Vgl. dazu Kashapova 2006, 252–255. 429 Günther 1931, 315.

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Rußland seien Kandinsky, Chagall, Segall und Steinhardt, in Frankreich Picasso und Simon Levy, in Deutschland Pechstein, Meidner und Feininger führend aufgetreten.430

Günther beruft sich hier auf den Schriftsteller Heinrich Berl, der 1924 in der Monatsschrift Der Jude einen Aufsatz über „Die Juden in der bildenden Kunst der Gegenwart“ veröffentlicht hatte. Berl hatte dort – aus einer sympathisierenden Haltung heraus! – behauptet, der Expressionismus sei „in allererster Linie eine jüdische Angelegenheit“ gewesen, in welchem Zusammenhang er Kandinskij als einen „in Rußland geborene[n] Jude[n]“ auswies.431 Auf der Suche nach Belegen für seine rassistische These kam es Günther sicherlich gelegen, dass der Expressionismus in einer jüdischen Zeitschrift – gleichsam in einer Quelle aus erster Hand – als spezifisch jüdisches Phänomen vorgestellt wurde.432 Zwar wurde in einer späteren Ausgabe des Juden klargestellt, „daß der Kronzeuge der Beweisführung Berls, Wassilij Kaudinsky [sic] […] reiner Russe ist und nichts mit dem Judentum zu tun hat“; auch Pechstein und Picasso seien keine Juden, womit „die Ecksteine aus Berls System gebrochen [sind]“.433 Günther scheint von dieser Berichtigung jedoch keine Notiz genommen zu haben (oder hat er sie geflissentlich übersehen?). Auch eine Überprüfung von Berls Angaben hielt er offenbar nicht für nötig, hätte eine Korrektur doch nur sein eigenes Argument geschwächt. – War Berls Aufsatz auch ein gefundenes Fressen für antisemitisch gesinnte Gegner der Moderne,434 so waren sie am Ende von solchen Fundstücken nicht abhängig. Oft genug schien die bloße Behauptung ihren Zweck zu erfüllen. In seiner Schrift Kulturbolschewismus? von 1932 stellte sich der Typograph Paul Renner beherzt gegen „Die antisemitische Hetze gegen die moderne Kunst“; in dem so überschriebenen ersten Kapitel der Abhandlung heißt es: Wenn die deutsche Kunst auf alle ‚artfremden‘ Juden und Halbjuden verzichten müßte […] und wenn man ihr noch alle die nähme, die antisemitische Schnüffler für Juden halten, bliebe 430 Ebd., 311. Zu Günther vgl. Ferdinand 1999. 431 Berl 1924, 329, 337. Vgl. Horch 1995, 106. Zu Berl vgl. Weber 1982. Zum kulturzionistischen Kontext vgl. Dahm 2007. 432 Die Zeitschrift Der Jude, von Martin Buber herausgegeben, war „ein Forum für die kulturzionistische Idee“, deren Vertreter „die geistige Rückbesinnung auf eine gesamtjüdische Verbundenheit in der Diaspora [verfolgten]“. Dahm 2007, 267. Berl war meines Wissens allerdings nicht jüdischer Herkunft. 433 Stadler 1924. Zu ergänzen wäre, dass Berl – und mit ihm dann Günther – auch Feininger fälschlich als Juden bezeichnete. 434 Zu ihnen gehörte auch der Religionsphilosoph Hermann Mandel, der noch 1942 in seiner Darstellung des ‚jüdischen‘ Expressionismus auf Berl verwies, vgl. Mandel 1942, 278. Zu Mandel vgl. Gerlach 2009.

Gegenwind von rechts: Kandinskij als Antityp des ‚deutschen‘ Künstlers  |

nicht viel Gutes übrig. Denn Begabung erregt schon Verdacht; Genie scheint als ein Beweis für ‚Artfremdheit‘ zu gelten. […] Es ist der altbewährte Selbstschutz deutscher Mittelmäßigkeit, jeden über den Durchschnitt Hervorragenden unschädlich zu machen, indem man ihn für einen Juden erklärt. Er scheidet damit aus dem Kreis derer aus, mit deren Leistungen man die eigenen vergleichen könnte, und das bedrohte Selbstbewußtsein ist gerettet. Alles was sich von der Natur stiefmütterlich behandelt fühlt, alle von Ehrgeiz Zerfressenen, die nach größeren Erfolgen hungern, machen heute den Juden für ihre Mißerfolge verantwortlich.435

Ein Jahr nach dem Erscheinen von Renners Schrift war der Ausschluss der Juden aus dem ‚deutschen‘ Kulturleben zur Staatssache geworden.436 Vertreter des von Renner so scharfsinnig charakterisierten Personenkreises sahen mit der „Machtergreifung“ ihre Chance gekommen: Ende Mai 1933 bat der Bildhauer Paul Juckoff-Skopau den nationalsozialistischen Oberbürgermeister von Halle Johannes Weidemann darum, sich im Städtischen Museum in der Moritzburg die Bilder der Juden Feininger, Klee, Kandinsky, Pechstein usw. an[zusehen], die in den letzten 12 Jahren angekauft worden sind. […] Das Hallische Museum erfreute sich in der verflossenen Dekadenz-Epoche grosser Beliebtheit der jüdischen Kunsthändler und der demokratisch-jüdischen Dadaistenkunstgestammel-Verehrer. Ich bitte Sie, mich nicht falsch zu verstehen, ich will für mich nichts. Ich gehöre allerdings der Kunstrichtung an, die von den Herren, die diese Dadaistenkunst ausübten, verehrten und ankauften, mit Geringschätzung behandelt wurde.437

Es wird an späterer Stelle dieser Arbeit noch ein Artikel aus dem Jahr 1934 behandelt werden, in dem die angeblich jüdische Herkunft Kandinskijs dazu benutzt wurde, ex negativo eine ‚deutsche‘ Kunst zu konstruieren (zu der im fraglichen Fall der ‚nordische‘ Expressionismus gerechnet wurde).438 – Unser Exkurs über den „Juden“ Kandinskij sei an diesem Punkt mit zwei vielsagenden Zitaten beendet. Das erste stammt aus einem Brief des Galeristen Karl Nierendorf, den dieser am 19. Mai 1936 an Kandinskij schrieb. Darin heißt es: „In Berlin ist die Lage für Sie, offen mit einem Wort gesagt: hoffnungslos. Es wird geflissentlich verbreitet, Sie seien bolschewistischer Jude und niemand kann etwas

435 Renner [1932] 2003, 16 f. 436 Vgl. hierzu Steinweis 2013. 437 Brief von Paul Juckoff-Skopau an Johannes Weidemann, 31.5.1933. Zit. nach: Piechocki 1985, 87. Wie weit es mit der Uneigennützigkeit von Juckoff-Skopaus Beweggründen tatsächlich her war, zeigt der Zusatz am Ende des Briefes: „Ich gestatte mir, einige Fotografien meiner Werke beizulegen, damit Sie sich ein Urteil bilden können, ob ich wirklich so ein ‚Kitscher‘ bin, wie mich Ihre dortigen Kunstberater verschrien haben.“ 438 Vgl. unten Kap. 5.2.2.1.

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dagegen tun.“439 Das zweite Zitat, das hier als ein Kommentar zum ersten figurieren soll, ist der berühmten LTI (11947) des Philologen Victor Klemperer entnommen: Der Jude ist der wichtigste Mann in Hitlers Staat: er ist der volkstümlichste Türkenkopf und Sündenbock, der volkstümlichste Gegenspieler, der einleuchtendste Generalnenner, die haltbarste Klammer um die verschiedenartigsten Faktoren. Wäre dem Führer wirklich die angestrebte Vernichtung aller Juden gelungen, so hätte er neue erfinden müssen, denn ohne den jüdischen Teufel […], ohne den finstern Juden hätte es nie die Lichtgestalt des nordischen Germanen gegeben. […] Der Jude – das Wort nimmt einen noch größeren Raum im Sprachgebrauch der Nazis ein als ‚fanatisch‘, aber noch häufiger als der ‚Jude‘ kommt das Adjektiv ‚jüdisch‘ vor, denn vor allem durch das Adjektiv läßt sich jene Klammer bewirken, die alle Gegner zu einem einzigen Feind zusammenbindet: die jüdisch-marxistische Weltanschauung, die jüdisch-bolschewistische Kulturlosigkeit, das jüdisch-kapitalistische Ausbeutungssystem, die jüdisch-französische, die jüdisch-englische, die jüdisch-amerikanische Interessiertheit an Deutschlands Vernichtung: so führt von 1933 an buchstäblich jede Gegnerschaft, woher sie auch komme, immer wieder auf ein und denselben Feind […] zu, auf den Juden […]. Und was man immer unternimmt, vom allerersten Augenblick an, ist Abwehrmaßnahme […].440

439 Zit. nach: Illetschko 1997, 97. 440 Klemperer 2016, 198 f. Die titelgebende Abkürzung „LTI“ steht für „Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reichs“ (ebd., 19).

5 Nationalsozialismus Über den Umgang mit Kandinskij im Kampf um die moderne Kunst, 1933–1945 Der Gegenwind, der Kandinskij in der Weimarer Republik von konservativer, völkischer und nationalsozialistischer Seite entgegengeschlagen war, entwickelte sich nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 zu einem Sturm, der Kandinskij aus Deutschland vertrieb und seine Werke dem Blick der Öffentlichkeit entriss – so, wie es im Weimarer Schlossmuseum bereits 1930 mit seiner Landschaft mit Fabrikschornstein geschehen war. Das Vorurteil, die Vorverurteilung in Gestalt der Bezeichnung „entartet“ machte sich offiziell breit.1 An die Stelle einer affirmativen, offenen oder kritisch abwägenden Auseinandersetzung mit Kandinskijs Schaffen, die es bis dahin neben aller Polemik ja immer in der Kunstpublizistik gegeben hatte, trat die Stigmatisierung oder aber – Schweigen. Es geschah dies freilich nicht von einem Tag auf den anderen.2 Was den Umgang mit progressiver Kunst aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts anbelangte, zogen die Nationalsozialisten bis um 1936 nicht an einem Strang. Goebbels und Rosenberg repräsentieren die divergierenden Richtungen, in denen sich die Kunstpolitik in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft bewegen konnte. Während Alfred Rosenberg, Gründer des völkischen „Kampfbundes für deutsche Kultur“ (1928 bis 1934) und seit Anfang 1934 Hitlers Beauftragter für die „Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der Partei“, seinen Einfluss dafür nutzte, die ‚undeutsche‘ Moderne ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen, 3 unterstützte Propagandaminister Joseph Goebbels zunächst junge Nationalsozialisten in Berlin, die sich für eine Anerkennung des Expressionismus als genuin ‚deutsche‘ Kunst engagierten. „Erst als Goebbels einsehen mußte, daß mit der Unterstützung des Expressionismus kein großer propagandistischer und damit machtpolitischer Erfolg zu erzielen sein würde, schwenkte er 1936 von seiner bis dahin eher moderaten Linie gegenüber der Vorkriegsavantgarde zu einer radikalen Verfemung dieser Kunst um.“4 Die in München eröffnete Wanderausstellung Entartete Kunst sollte dann 1937 endgültig für Klarheit sorgen. 1 2

Vgl. den Eintrag „entartete Kunst“ in: Schmitz-Berning 2007, 183–189. Zum folgenden Absatz vgl. Bussmann 1986, 106–108; Zuschlag 1995, 38–57; Blume/Scholz 1999b, 9 f.; Baumann 2002b, passim, v. a. 21 f., 24, 108–116, 144–173, 179–181, 226, 230, 234 f., 431; Hüneke/Zuschlag 2016. 3 Vgl. Rosenberg 1934. 4 Baumann 2002b, 22.

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Die Uneinigkeit, mit der die Nationalsozialisten anfangs verfuhren, sorgte unter den Akteuren des Kunstbetriebs für reichlich Verunsicherung.5 Solange nicht alles entschieden war, schien aber noch ein diskursiver Raum geöffnet, in dem der Status und damit das Schicksal moderner Kunst im „Dritten Reich“ verhandelt werden konnten. Im Folgenden sollen die in diesem Raum vorhandenen Möglichkeiten – oder vielmehr seine engen Grenzen – im Hinblick auf Kandinskij ausgeleuchtet werden. Der Bezug zu Kandinskijs russischer Herkunft ist dem behandelten Zeitabschnitt insofern implizit, als das Nationale zwischen 1933 und 1945 den ubiquitären Rahmen der Kunstbetrachtung bildete. Welcher Platz Kandinskij darin zugewiesen wurde, soll in vier Schritten untersucht werden. Im ersten Schritt wird der häufig anzutreffende Versuch problematisiert, moderne (darunter auch abstrakte) Kunst als spezifisch deutsch zu verteidigen. Vor dieser Folie wird in einem zweiten Schritt der Umgang mit Kandinskijs Schaffen im promodernen Diskurs in Augenschein genommen. Es gilt, dies im Bewusstsein darüber zu tun, dass angesichts des nationalsozialistischen Bildersturms 1930 in Weimar und der seit März 1933 reichsweit installierten „Schreckenskammern“ und „Schandausstellungen“, in denen zeitgenössische Kunst an den Pranger gestellt wurde,6 dass angesichts der endgültigen Schließung des Bauhauses und der Entlassung progressiver Museumsdirektoren aus ihrem Amt7 die Befürworter der Moderne sich in einer defensiven Position befanden, aus der heraus sie agierten. Es ging für sie letztlich darum zu zeigen, dass die von ihnen verteidigte Kunst (und so auch ihre eigene Haltung dieser Kunst gegenüber) mit dem Nationalsozialismus zum Mindesten kompatibel sei. Im dritten Schritt wird die Diffamierung Kandinskijs anhand zweier prominenter Ereignisse thematisiert: dem Verkauf seiner Improvisation 28 aus Museumsbesitz sowie der Münchner Femeschau Entartete Kunst. Eine Schlussbetrachtung widmet sich dem Umstand, dass nach der Ausstellung Entartete Kunst im Jahr 1937 bis zum Ende des Nationalsozialismus hinsichtlich unserer Fragestellung mit keinen grundlegend neuen Erkenntnissen zu rechnen ist.

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Vgl. die von Zuschlag (1995, 52 f.) angeführten Beispiele aus dem Museumsbereich. Vgl. ebd., 58–168. Die Datierung der ersten Femeschau auf Mitte März 1933 (in Dessau) ist dem Beitrag Frey/Hüneke 2003, 282, zu entnehmen. 7 Vgl. Zuschlag 1995, 38 f. Die Voraussetzung, um unbequeme Beamte aus ihrem Dienst zu entfernen, schuf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933.

‚Nordische‘ Abstraktion? Zur Problematik einer Verteidigungsstrategie  |

5.1 ‚Nor dische‘ A bstr aktion? Zur Problem atik einer Verteidigungsstr ategie Vor dem eben skizzierten Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass sich die Anhänger moderner Kunst bei dem Versuch einer Rechtfertigung vielfach nationalistischer Argumentationsfiguren bedienten. Im Zusammenhang mit der Abstraktion ist diese Vorgehensweise eindrücklich dokumentiert in einem Artikel, den der Stuttgarter Galerist Fritz Valentien (1902–1997) in der Wochenschrift Die Weltkunst publizierte.8 Anlass war die Entscheidung des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart, eine Retrospektive von Oskar Schlemmer (dessen Schaffen Valentien zur abstrakten Kunst zählte) nur einen Tag nach ihrer Eröffnung im März 1933 wieder zu schließen und so dem aus nationalsozialistischen Reihen kommenden Druck nachzugeben.9 Valentien verurteilte den Beschluss des Kunstvereins als rückgratlos. Gleichzeitig nahm er Schlemmers Werk als einen Teil jener „bis ins letzte deutsche[n] Bewegung“ in Schutz, zu der für ihn neben dem Expressionismus auch die abstrakte Kunst gehörte: Oskar Schlemmer ist ein waschechter Schwabe, ein Deutscher seinem Blut und seiner Art nach. Nichts ist leichter, als seine abstrakte Kunst in eine jahrtausendealte Tradition deutscher, wenn man will, nordischer Kunstentwicklung einzugliedern. Adolf Hölzel war der Lehrer, der Schlemmer die ersten Anregungen gab, die in der Kunst eine Erneuerung anbahnten, die geistesgeschichtlich vielleicht einen ganz engen, wenn nicht gar ursächlichen Zusammenhang mit den ganzen politischen und gesellschaftlichen Erneuerungsbewegungen der letzten Zeit haben. Als ‚freie‘ Kunst ist die Arbeit Hölzels, wie überhaupt der gesamten modernen Kunst, absolut unabhängig von den Tendenzen dieser Bewegungen. Es ist vielmehr ein innerer Zwang, ein Müssen, das auf ihre jahrtausendalte deutsche Tradition zurückgeht, das sie so und nicht anders künstlerisch sich ausdrücken läßt.10

Hinter jeder von Valentiens Äußerungen steht – als deren Negation – ein Vorwurf, der damals gegen die moderne Kunst und ihre Vertreter erhoben wurde. Valentien versucht seine modernefeindlichen Gegner zu widerlegen, indem er Schlemmer zuspricht, was ihm von jenen abgesprochen wurde.11 Die Prämissen, auf denen die gegnerischen Argu8 Valentien 1933a. Vgl. Baumann 2002b, 327. Zu Valentien selbst vgl. Valentin 1997. 9 Vgl. Maur 1979, 234. Die darin gemachte Angabe, man habe die Ausstellung „kurz vor der Eröffnung geschlossen“, wurde in einem späteren Beitrag der Autorin korrigiert, vgl. Maur 1987a, 70. 10 Valentien 1933a, 2. Den „ungeheuren Widerstand“ gegen moderne Kunst wie auch ihre „Isolierung vom Publikum“ führt Valentien auf Mängel und Versäumnisse seitens der Kunsterziehung und der Kunstpflege in Deutschland zurück. 11 Vgl. den unter dem Kürzel „-tz.“ veröffentlichten Bericht Das zweite Gesicht des Kunstvereins im NSKurier (= -tz. 1933), in dem Schlemmer als ein „Kunstbolschewist“ diffamiert wird, „dessen Machwerke

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mente beruhen, wie etwa die Forderung nach einer ‚arteigenen‘ Kunst, werden von Valentien hierbei jedoch nicht zur Debatte gestellt. Im Gegenteil: Er passt seine eigene Argumentation pro Schlemmer an diese Prämissen an („ein Deutscher seinem Blut und seiner Art nach“) und bestätigt sie damit unweigerlich. Nach derselben Strategie verfuhr Valentien in einem Weltkunst-Beitrag vom Juli 1933, in dem er Adolf Hölzel, dem Nestor der abstrakten Kunst in Deutschland, zum 80. Geburtstag seine Reverenz erwies. Es müsse, schreibt Valentien, für die ganz abstrakten Spätarbeiten von Hölzel (und manchen seiner Zeitgenossen) in Anspruch genommen werden, daß sie in dem gleichen Sinne vollkommene Endlösungen darstellen, wie dies etwa bei der altgermanischen Ornamentik der Fall ist! Die volkstümliche, auf eine jahrtausende alte Überlieferung fußende Vollendung ist für unsere zivilisierte und verbildete Zeit ein Einzelfall geworden. Der weise, vornehme und unbedingt deutschfühlende Hölzel bedarf in der höchsten Reife seines Schaffens des Gegenstandes oder der sinnlichen Verknüpfung mit den Erscheinungen der Wirklichkeit nicht mehr. Es ist nun Sache des Beschauers, ihm in diese einsame, fast schon jenseitige Höhe zu folgen, und wo dem Betrachter das natürlich jedem gegebene Gefühl dafür von Wissen und Bildung verschüttet ist, sich die arteigene Beziehung zu dieser Kunst wieder zu erarbeiten! Der Deutsche kann diese Verbindung leichter finden als etwa der rationell veranlagte Franzose, […] der Italiener wird nur in Ausnahmefällen eine Beziehung zur rein abstrakten Ausdruckskunst finden. Aber – entgegen der so weit verbreiteten Ansicht von der unserem Volk fremden Art der abstrakten Kunst muß entschieden und klar betont werden, daß der Eingang zu einer wahrhaft deutschen, wenn man will ursprünglich nordischen Kunst nur über die völlige Abstraktion führen kann, wie sie bei Hölzel z. B. ebenso durchgeführt wird wie in mittelalterlicher oder gotischer Kunst.12

Wie bei der Verteidigung Schlemmers, ja deutlicher als dort, scheint Valentien in seiner Würdigung für Hölzel kein ihm zu Gebote stehendes Mittel ungenutzt zu lassen, um das Deutschtum der abstrakten Kunst unter Beweis zu stellen. Auch hier fehlt nicht der Hinweis auf die deutsche Tradition („wie […] bei der altgermanischen Ornamentik“, „wie in mittelalterlicher oder gotischer Kunst“), den deutschen Schöpfer (der „unbedingt deutschfühlende Hölzel“) und den deutschen Charakter der Abstraktion, zu der man „die arteigene Beziehung“ nur wiederzufinden brauche. Als kontrastive Folie, vor der das Gesagte eine größere Schlüssigkeit erlangen soll, werden die ‚rationellen‘ Franzosen und die Italiener (im generischen Singular der Franzose, von manchem unverständlicherweise als ‚urdeutsche Kunst‘ bezeichnet wurden“. – Zwei Tage später brach das Stuttgarter Neue Tagblatt eine Lanze für Schlemmer und hob – wie dann auch Valentien – hervor, wie ‚deutsch‘ und wie wenig ‚bolschewistisch‘ Schlemmers Bilder seien, vgl. Düssel 1933. 12 Valentien 1933b.

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der Italiener) ins Spiel gebracht, die qua Veranlagung keine so feste Beziehung zur abstrakten Kunst hätten – oder haben könnten – wie die Deutschen (der Deutsche). Indessen zeugt das bei den Deutschen vorhandene Unverständnis für abstrakte Kunst laut Valentien keineswegs von der „unserem Volk fremden Art“ dieser Kunst, sondern davon, dass das „natürlich jedem gegebene Gefühl dafür von Wissen und Bildung verschüttet“ sei. Der Spieß der völkischen und nationalsozialistischen Kritiker wird einfach umgedreht, die Behauptung, abstrakte Kunst sei den Deutschen an sich fremd und unverständlich, mit einer ähnlich gestrickten Gegenbehauptung gekontert.13 Valentien geht noch einen Schritt weiter und erklärt die Abstraktion sogar zur unabdingbaren Voraussetzung, um zu einer originären deutschen Kunst zu gelangen.14 Welche Bedeutung haben Valentiens Artikel im Rahmen dieser Untersuchung? Sie stellen erstens signifikante Beispiele für den öffentlichen Kampf um die abstrakte Kunst dar, der im Vergleich zur Auseinandersetzung um den Expressionismus (figürlicher Prägung) eher eine Randerscheinung bildete. Die Fokussierung auf den Expressionismus hatte unterschiedliche Hintergründe. (1) Manche sahen in ihm die einzige unter den Avantgarde-Strömungen, die es als kulturell wertvolle Leistung zu respektieren und zu 13 Es geht bei Valentien wie bei seinen Diskursgegnern um die Frage, welche Reaktion auf die neue Kunst dem ‚deutschen‘ (respektive dem ‚volkstümlichen‘, ‚natürlichen‘, ‚arteigenen‘) Empfinden entspricht. Die aus der jeweiligen Perspektive unerwünschte Reaktion wird auf eine Manipulation oder Überlagerung dieses Empfindens zurückgeführt („von Wissen und Bildung verschüttet“) und demgemäß negativ konnotiert, z. B. als ‚verbildet‘. Stellvertretend für die gegnerische Seite sei Schultze-Naumburg (1932, 6 f.) angeführt, der einen zu geringen Widerstand gegen die moderne Kunst beklagt, nicht ohne die passende Erklärung bei der Hand zu haben: „[…] es bietet sich auch das merkwürdige Bild, daß dem Volke durch dauerndes Bearbeiten mit Druckerschwärze die gesunden Sinne verwirrt wurden. Die natürliche Unbefangenheit, mit der es ohne Voreingenommensein und unverbildet sein Herz dem künstlerischen Eindruck öffnete, ist ihm auf diese Weise verschüttet worden. Kein Mensch wagt heute noch aufrichtig und laut zu sagen, was ihm gefällt und was ihm nicht gefällt […].“ Die „dumpfe Stumpfheit“, mit der man die „Abwendung von unseren deutschen Hochzielen“ in der zeitgenössischen Kunst hingenommen habe, bringt Schultze-Naumburg mit „den täglichen und stündlichen Beeinflussungen durch Schule, Presse und Reklame“ in Verbindung. 14 Die Rede vom „Eingang zu einer wahrhaft deutschen […] Kunst“ hebt die konstitutive Rolle der Abstraktion für die weitere Entwicklung hervor, impliziert aber auch, dass sie noch nicht das Ziel ist. In einem zur selben Zeit erschienenen Artikel spricht Valentien deutlicher von einem „Durchgangsstadium“: „Solche abstrakte Malerei fordert eine starke Persönlichkeit, die die Schablone eines Formalismus überragt. Sie bleibt infolgedessen wohl auch Durchgangsstadium, Sache einer Generation, die zu einem Endziel zu führen die Aufgabe der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen ist.“ Valentien 1933c, 311. Ein zentrales Problem der abstrakten Malerei liegt für Valentien also in der Gefahr des Schematismus. Dieser Gefahr zu begegnen erfordere eine „starke Persönlichkeit“ (die aber viele nicht hätten). Auffällig an diesem Text ist, dass Valentien auf die Betonung des Nationalen fast vollständig verzichtet. Dem entspricht, dass als führender Vertreter der abstrakten Kunst, und damit als ein Wegbereiter für die jüngere Künstlergeneration, neben Hölzel auch Kandinskij genannt wird.

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schützen gelte: Als sich im Sommer 1933 in Berlin innerhalb des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes Widerstand gegen die völkischen Attacken auf Künstler wie Nolde und Barlach regte, handelte es sich mitnichten um einen Akt, der in einem allgemeinen Sinne als modernefreundlich zu kennzeichnen wäre. Wie Kirsten Baumann betont, ging der Einsatz für den Expressionismus bei den jungen Nationalsozialisten mit einer Ablehnung weiter Teile der Moderne einher: Eine rein abstrakte Kunst kam für sie als Vorbild schlechterdings nicht infrage.15 (2) Wer außer dem Expressionismus auch andere verfemte Richtungen wie die Abstraktion befürwortete, konnte freilich ebenfalls ein – nunmehr taktisches – Motiv dafür haben, einseitig auf die expressionistische Kunst zu setzen. Die Chancen einer Anerkennung als ‚deutsche‘ Kunst standen bei ihr besser als bei anderen modernen Richtungen; dies zeigte nicht zuletzt das engagierte Eintreten seitens des NS-Studentenbundes. War der Expressionismus aber erst einmal offiziell bestätigt, konnte man damit rechnen, dass sich die Akzeptanz nach und nach auf andere Bereiche der Avantgarde ausweiten werde.16 Auch Kandinskij scheint die Hoffnung auf einen solchen Ausgang im Juli 1933 noch gehegt zu haben, als er die folgenden Zeilen notierte: Augenblicklich wird um die Anerkennung der ‚Brücke‘ gekämpft, die nur teilweise bejaht wird. Es ist scheinbar noch ein langer Weg bis zur abstr. Kunst! Die nat-soz. Studenten setzen sich sehr energisch für solche Maler wie Nolde, Heckel, Schmidt-Rottluff ein. Es wird auch um Barlach und Lehmbruck sehr temperamentvoll gekämpft.17

Zum Zweiten führen Valentiens Darlegungen klar vor Augen, welche Mittel die Verteidiger moderner Kunst – der abstrakten sowohl wie der expressionistischen – bei den Wortgefechten zum Einsatz brachten: Die zitierten Passagen sind repräsentativ für die Ausrichtung an völkisch-nationalistischen Leitideen, auf deren Fundament nun aber ein entschieden positives Bild der modernen Kunst (oder eines Ausschnitts der modernen Kunst) entworfen wird.18 (Schon vor 1933 hatte man diesen argumentativen Weg beschritten und auf die drohende Schließung des Dessauer Bauhauses durch die rechten Parteien reagiert, indem man sich auf das Deutschtum der Schule und ihres Leiters Mies 15 Vgl. Baumann 2002b, 144–173, 234 f., 305, 320. Wie Baumann (ebd., 320) ebenfalls unterstreicht, ging es den jungen Nationalsozialisten in ihrem Kampf um Heckel, Nolde u. a. nicht um die „Durchsetzung des Expressionismus als zukünftiger Kunst im Nationalsozialismus“, sondern „lediglich um die Würdigung der ‚revolutionären Haltung‘, den Charakter, den man in den Bildern zu erkennen meinte und dem man sich im politischen ‚Aufbruch‘ des Jahres 1933 verbunden fühlte“. 16 Darauf wird im Zusammenhang mit Alois Schardt noch näher eingegangen, vgl. unten Kap. 5.2.1. 17 Brief von Kandinskij an Werner Drewes, 23.7.1933. Zit. nach: Hahn 1985, 144. 18 Inwieweit diese Ausrichtung notgedrungen oder auch aus eigener Überzeugung erfolgte, kann nur von Fall zu Fall geprüft werden, ist hier allerdings nicht Gegenstand.

‚Nordische‘ Abstraktion? Zur Problematik einer Verteidigungsstrategie  |

van der Rohe berief.19 So klagte die Vossische Zeitung im Juli 1932, die selbsternannten „Hüter nationaler Werte“ würden in Anhalt ausgerechnet das zerstören, „was aus den spezifischen nationalen Kräften des geistigen Deutschland hervorwuchs“.20) Dass diese Mittel in solcher Deutlichkeit wie bei Valentien nicht an einem Text über Kandinskij aufgezeigt werden können, liegt in der Natur der Sache: Unter der Prämisse des unbedingt ‚Deutschen‘ ließ sich schwerlich für einen gebürtigen Russen argumentieren.21 Und ebenso wenig mit ihm. Denn wo als Reaktion auf die prinzipielle Infragestellung der abstrakten Kunst im nationalsozialistischen Staat für ihre Existenzberechtigung gekämpft wurde, indem man ihre „Deutschstämmigkeit“ und ihre „ausgesprochen deutsche Art“22 herausstrich, musste der Hinweis auf Kandinskij als wenig hilfreich erscheinen – jedenfalls so lange, wie die Argumentation von einem essenzialistischen und exklusiven Verständnis des Wortes „deutsch“ ausging.23 Kandinskij, der in der Weimarer Republik zu den Größen der deutschen Kunstszene gehört hatte, dessen Werke auch unter dem Etikett „deutsche Kunst“ ausgestellt worden

19 Vgl. Droste 1990, 228, 230; Kashapova 2006, 288. 20 Das Ende des Bauhauses. In: Vossische Zeitung (Berlin) (12.7.1932). Zit. nach: Hahn 1985, 71. 21 Kandinskij selbst allerdings hat dies in einem Brief an Alois Schardt vom 28. Dezember 1933 versucht, in welchem er hervorhob, „daß meine inneren Beziehungen zu Deutschland keine zufälligen und oberflächlichen sind, sondern weit in die Tiefe gehen. Da meine Großmutter mütterlicherseits eine Deutsche war, sprach ich schon als kleiner Junge deutsch und kam in die nächste Fühlung mit der deutschen Märchenwelt. […] In München fing meine künstlerische Laufbahn an und in dieser wunderbaren Stadt schrieb ich einige Kunstbücher[,] die auf die deutsche Jugend nicht ohne Einfluß blieben. Dort gründete ich auch den ‚Blauen Reiter‘, der eine typisch deutsche Kunsterscheinung ist. Dort malte ich auch mein erstes ‚abstraktes‘ Bild 1911, das mir leider […] von der russischen Regierung weggenommen wurde, als ich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte[.] So sollte es jedem klar sein, daß ich zu deutschen Künstlern gehöre […].“ Zit. nach: Illetschko 1997, 94 f., hier: 95. 22 Valentien 1933b. 23 Dieses Verständnis in seinem Absolutheitsanspruch zu relativieren, hätte indes bedeutet, für zusätzlichen Konfliktstoff zu sorgen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die 1932 von Paul Renner veröffentlichte Schrift Kulturbolschewismus? (= Renner [1932] 2003). Es handelt sich um das Beispiel einer Verteidigung der Moderne, die der völkisch-nationalsozialistischen Auffassung von ‚deutscher‘ Kultur nicht entgegenkam, sondern vehement widersprach. Mit seiner offen vertretenen Überzeugung, man dürfe die deutsche Kultur weder rassistisch noch antisemitisch oder nationalistisch missverstehen – und schon gar nicht in solcher Weise missbrauchen –, trug Renner aus heutiger Sicht einen moralischen Sieg davon. Zu seiner Zeit strandete er mit seinen Einwendungen infolge der politischen Entwicklung jedoch eher als andere Fürsprecher der Moderne, die an nationalsozialistische Vorstellungen von ‚deutscher‘ Art anknüpften, sie jedenfalls nicht kontestierten. „Da der Verfasser […] keinerlei Zugeständnisse an die angegriffenen Völkischen und Nationalsozialisten macht, rüttelt er zumindest teilweise an Fundamenten des kulturkonservativen Begriffsgebäudes; und es verwundert nicht, dass Renner sofort nach der Machergreifung [sic] in ‚Schutzhaft‘ genommen wird.“ Kashapova 2006, 287.

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waren,24 geriet nach 1933 unter dem engen Korsett eines nationalen Kunstbegriffes, der nicht mehr allgemein das Kunstschaffen in Deutschland umfasste, sondern auf eine bestimmte – ‚nordische‘ – Art von Kunst und Künstlern abzielte, außerhalb des Aktionsradius derer, die sich öffentlich für die neue Kunst aussprachen. Eben darin lag die Insuffizienz all jener Bemühungen, die Moderne auf Basis völkischer Werte zu verteidigen: Sie waren von vornherein auf einen Ausschnitt der modernen Kunst respektive einen Teil der modernen Künstler beschränkt – auf den Teil nämlich, der sich den neuen Machthabern auf eine für sie besonders überzeugende, mit ihren Grundansichten vereinbare Weise als ‚deutsch‘ vermitteln ließ. Damit stießen derlei Anstrengungen im Hinblick auf einen russischstämmigen Maler wie Kandinskij an ihre Grenzen. Kandinskijs Schaffen blieb mehr oder minder außen vor. Bereits im November 1930, als man in Museumskreisen nach einer Antwort auf die reaktionäre Kunstpolitik der Nationalsozialisten suchte – in Thüringen hatte der nationalsozialistische Minister Frick jüngst die Abhängung sämtlicher Exponate moderner Kunst im Weimarer Schlossmuseum verfügt –, wies Max Sauerlandt, Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, auf die Kehrseite einer Verteidigungsstrategie hin, die auf einer nationalen Einengung der Moderne beruhte.25 Wie Andreas Hüneke mitteilt, beabsichtigte der Chemnitzer Museumsdirektor Friedrich Schreiber-Weigand, „über einen ihm bekannten Nazi-Funktionär die Kulturpolitik der Nationalsozialisten zu beeinflussen, und erbat dazu bei Kollegen und Künstlern Äußerungen über den deutschen Charakter der modernen, besonders der expressionistischen Kunst“26. Sauerlandt nahm Abstand von diesem Plan und begründete seinen Entschluss gegenüber Schreiber-Weigand damit, dass ein solches Vorgehen denjenigen Künstlern zum Nachteil gereichen könnte, die durch das nationalsozialistische Raster des Deutschseins fielen:

24 Z. B. in der Ausstellung neuerer deutscher Kunst aus Berliner Privatbesitz, die die Berliner Nationalgalerie 1928 im ehemaligen Kronprinzenpalais zeigte. Vgl. Illetschko/Katz 1992, 512; Steinkamp 2008, 44. Bettina Feistel-Rohmeder (1938, 30) sah sich angesichts der Künstlerauswahl zu der Feststellung veranlasst, „daß der kunstverständige Teil des Deutschen Volkes diese Art ‚Kunst‘ ablehnt, sich gegen ihre Bezeichnung als ‚Deutsche Kunst‘ verwahrt und die Hergabe geschichtlich bedeutungsvoller Deutscher Stätten zur Vorzeigung solcher Unkunst als eine Entwürdigung empfindet“. – Demgegenüber rief das Fehlen Kandinskijs und anderer Künstler in der von der Berliner Nationalgalerie konzipierten Schau Nyere tysk kunst (Neuere deutsche Kunst) 1932 in Oslo den Kritiker Adolf Behne auf den Plan, der hierin die Tendenz erkannte, „nur noch als deutsch gelten zu lassen, was auf der Linie Nolde liegt“, und zu unterdrücken, „was nicht ‚nordisch‘ ist“ (Behne [1932] 1978b, 369). Behnes Vorwürfe werden erörtert bei Lörz 2008, 74–91, 213 f., 232–234, 236, 245–248. 25 Vgl. Hüneke 1999a, 394 f.; Baumann 2002a, 90 f. 26 Hüneke 1999a, 395.

‚Nordische‘ Abstraktion? Zur Problematik einer Verteidigungsstrategie  |

Heute könnten wertvolle künstlerische Kräfte auf der anderen Seite dadurch getroffen und geschädigt werden, wie etwa Klee als Schweizer, die Nationalsozialisten würden auch gegen ihn Bedenken haben, wie gegen Hannes Meyer, Moholy-Nagy, Mondrian, Kandinsky, am Ende auch Feininger als Halbamerikaner, von Kogan, Radziwill, Jankel Adler usw. ganz zu schweigen.27

In der Tat ließ es sich die Gegenseite nicht nehmen, die ausländische Herkunft Kandinskijs und einiger seiner Kollegen mit Nachdruck herauszustellen, um so die von ihnen vertretenen Kunstrichtungen als „deutschem Wesen“ fremd zu brandmarken. Wie berechtigt Sauerlandts Bedenken waren, zeigt das folgende Textbeispiel aus dem Völkischen Beobachter. Darin richtet sich der Autor Wilhelm Rüdiger vordergründig nicht gegen die abstrakte Kunst in ihrer Gesamtheit, sondern speziell gegen den Konstruktivismus (oder eher: einen so verstandenen Konstruktivismus), auf den auch Kandinskijs Schaffen reduziert wird: Ein begeisterter Bauhausjünger sagte einmal: ‚Rembrandt ist etwas, was heute überwunden wird; dieser konnte die reine Form und Farbe nur mühsam in der Welt der Erscheinungen verwirklichen, wir heute (vom Bauhaus) erreichen das viel reiner, indem wir Form und Farbe der Welt der Erscheinungen entkleiden und sie abstrakt machen‘. […] Es ist immerhin nicht ganz unauffällig, daß unter den prominenten Namen dieser Richtung fast keine Deutschen zu finden sind. (Ein Zeugnis dafür, wie sehr diese Kunst aus deutschem Wesen geboren ist!!): Der Russe Kandinsky, der Deutsch-Amerikaner Lyonel Feininger, der Ungar Moholy Nagy, der russische Jude und Kommunist El Lissitzky, weiter Schawinski, Lou Scheeper [sic], Kuhr, die Kommunisten Peri und Rodschenko – – aber genug! Nicht hierher gehört Hölzel (der sich nicht der rechnerischen Konstruktion verschreibt),28 wohl aber Schwitters, auf dessen […] zusammengepappte Bilder […] wir als künstlerischen Ausdruck deutschen Wesens liebend gern verzichten. Ebenso etwa auch auf ein Bild wie dasjenige von Kandinsky, das die Dresdener Gemäldegalerie zum (sicher gar nicht billigen) Ankauf für würdig erachtete: ‚Einige Kreise‘ […].29

27 Brief von Max Sauerlandt an Friedrich Schreiber-Weigand, 27.11.1930. Zit. nach: ebd. 28 Dass Hölzel von der Polemik ausgenommen wird, hat nicht viel zu bedeuten, da sein Schaffen nicht im selben Zuge bejaht wird. Überhaupt findet sich in dem ganzen Artikel kein positives Beispiel, das den suggerierten Eindruck mildern könnte, die moderne Kunst sei ganz und gar verkommen. 29 Rüdiger 1933. Die kursiv wiedergegebenen Textteile sind im Original fett oder gesperrt gedruckt. Die Zuschreibung an Wilhelm Rüdiger übernehme ich aus Zuschlag 1995, 94. – Einige Wochen nach Erscheinen des Artikels wurde Rüdiger zum kommissarischen Leiter der Städtischen Kunstsammlung in Chemnitz bestellt; in seiner neuen Funktion eröffnete er bereits im Mai eine Femeausstellung, auf der auch ein Aquarell von Kandinskij zu sehen war. Vgl. Zuschlag 1995, 93–100, 337.

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Die ironische und durch die beiden Ausrufungszeichen besonders emphatische Bemerkung: „Ein Zeugnis dafür, wie sehr diese Kunst aus deutschem Wesen geboren ist!!“ ist als Erwiderung auf die Versuche zu verstehen, abstrakte Kunst in der oben beschriebenen Weise vor der Verfemung zu retten. Dass der Verfasser einen angeblichen „Bauhausjünger“ zitiert, der Rembrandt für „überwunden“ erklärt haben soll, hat in diesem Kontext symbolhaften Charakter. Denn auf der einen Seite galt das Bauhaus bei Kulturkonservativen schon lange als Schulbeispiel für eine ‚anationale‘ Kunst.30 Dazu passt, dass in dem Hetzartikel als Vertreter des ‚undeutschen‘ Konstruktivismus nicht einfach nur Ausländer figurieren, die zum Teil noch als Juden oder Kommunisten ausgewiesen werden, sondern auffallend viele Bauhäusler: Kandinskij, Feininger, Moholy-Nagy, Alexander „Xanti“ Schawinski, Lou ScheperBerkenkamp und Fritz Kuhr.31 Auf der anderen Seite hatte das überaus einflussreiche und immer wieder aufgelegte Buch Julius Langbehns, Rembrandt als Erzieher (11890), den Holländer Rembrandt zum Inbegriff einer deutschen „völkischen Künstleridee“ gemacht.32 Dass von der ‚Überwindung‘ Rembrandts – der nicht nur eine gegenständliche Malweise, sondern auch ein völkisches Ideal verkörperte – aus dem Munde eines Bauhausanhängers verlautet haben soll, konnte nun so interpretiert werden, als sei die ‚undeutsche‘ Art der Werke eines Kandinskij, Feininger oder Moholy-Nagy geradewegs aus den eigenen Reihen bestätigt worden. In einem Aspekt hatte Rüdiger freilich recht: Viele maßgebliche Repräsentanten der abstrakten bzw. konstruktivistischen Kunst kamen nicht aus Deutschland. Welche Künstler seinerzeit als Protagonisten dieser Richtung angesehen wurden, soll anhand von zwei Lexikoneinträgen veranschaulicht werden, deren stark konzentrierte Form mit einer Beschränkung auf nur wenige Namen einherging. Der Große Brockhaus erwähnt Kandinskij, Lisickij und Moholy-Nagy: Eine Sonderrichtung [des Expressionismus; S. B.] ist die Absolute Malerei (Kandinsky). Eine Abart ist der Konstruktivismus, der geometr. Formen in gleichsam architekton. Gesetzmäßigkeit zum Bilde ordnet (El Lissitzkij, Moholy-Nagy).33

Und in der achten (nationalsozialistisch indoktrinierten34) Auflage von Meyers Lexikon heißt es:

30 Vgl. Kashapova 2006, 272–290. Der Berliner Lokalanzeiger vom 24. August 1932 sprach sogar von einem „antinationalen Weltstil“ des Bauhauses. Zit. nach: Lang 1965, 139. 31 Die drei zuletzt Genannten waren Schüler des Bauhauses. Vgl. Roters 1965, 192; Hahn 1979, o. S. 32 Lobenstein-Reichmann 2012, 302. 33 Eintrag „Malerei“ in: Brockhaus 1932, 38–41, hier: 40. 34 Vgl. hierzu die Erläuterungen in: Peche 2001, 388–392.



Kandinskijs Schaffen im promodernen Diskurs  |

Abarten des E[xpressionismus] in der bildenden Kunst sind: die sog. absolute Kunst (absolute Malerei), in der das bildhafte Element dem Durcheinanderwirken von Flächen, Linien und Farben geopfert ist; der Konstruktivismus, in dem es durch einen tektonisch-konstruktiven Aufbau ersetzt werden soll; […] der Konstruktivismus ist international, die Russen Ma­lewitsch, El Lissitzky, der Ungar Moholy-Nagy, der Holländer Mondrian huldigten ihm; in der absoluten Kunst führte der Russe Kandinsky, der bes. den Münchner Kreis des ‚Blauen Reiters‘ beeinflußte.35

Die Abstraktion war im Ganzen betrachtet ein internationales Phänomen und auch als solches bekannt. Diesem Umstand, über den ihre rechtsextremen Gegner ja keineswegs hinwegsahen (vgl. Rüdiger), hätte Valentien in seinen Ausführungen über die „ausgesprochen deutsche Art der abstrakten Kunst“36 in irgendeiner Form Rechnung tragen müssen. De facto verliert er aber kein Wort darüber. Es ist dies die Schwachstelle in Valentiens Argumentation. Selbst wenn man vom Konstruktivismus absehen wollte, galt doch mit Kandinskij ein Russe als „Schöpfer“37 und „Hauptvertreter“38 der „absoluten Malerei“. Wie zudem aus früheren Teilen dieser Arbeit hervorgeht, assoziierte man die abstrakte Kunst, wenn man sie denn als Leistung oder Ausdruck eines bestimmten Volkes wertete, in erster Linie mit den Russen – so wie den Expressionismus (im engeren Sinne) mit den Deutschen. Mit diesem wunden Punkt in Valentiens Plädoyer, der mit der überragenden Bedeutung Kandinskijs als der abstrakte Maler seiner Zeit in direktem Zusammenhang steht, ist zugleich eine weitere mögliche Erklärung dafür genannt, weshalb die abstrakte Kunst bei den Auseinandersetzungen um die ‚deutsche‘ Moderne im Nationalsozialismus insgesamt nur eine marginale Rolle spielte.

5.2 K andinskijs Sch affen im promoder nen Diskurs Die Aussichten auf eine positive öffentliche Rezeption Kandinskijs waren unter den repressiven Bedingungen des Nationalsozialismus denkbar gering. Am Beispiel von Fritz Valentiens Eintreten für Oskar Schlemmer und Adolf Hölzel wurde im vorigen Abschnitt der Problembereich umkreist, der sich mit dem diskursbeherrschenden Konzept einer ‚nordisch-deutschen‘ Kunst verband – auch dann, wenn man es in der guten Absicht benutzte, progressive Maler vor der Verfemung zu schützen. Denn man perpetuierte so 35 36 37 38

Eintrag „Expressionismus“ in: Meyers Lexikon 1937, Sp. 1204–1206, hier: Sp. 1205. Valentien 1933b. Eintrag „Kandinsky, Wassily Wassiljewitsch“ in: Meyers Lexikon 1939a, Sp. 798. Eintrag „Absolute Malerei“ in: Brockhaus 1928, 52.

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ein Konzept, das diejenigen Künstler, die sich nicht (oder nicht ohne Weiteres) darin einfügen ließen, nicht nur überging, sondern das darüber hinaus auch gegen sie gerichtet werden konnte. Zu diesen Künstlern gehörte aufgrund seiner russischen Herkunft auch Kandinskij. Daran knüpft sich unmittelbar ein weiteres Problem: Valentien versuchte, die abstrakte Kunst zu germanisieren. Dieses Unterfangen war aus einem naheliegenden Grund zum Scheitern verurteilt. Es konnte nicht überzeugen, weil es sich an ebenjenem völkischen Begriff einer ‚nordischen‘ bzw. ‚deutschen‘ Kunst orientierte, von dem einige der bekanntesten Vertreter der Abstraktion – und mit Kandinskij ihr prominentester Vertreter überhaupt – ausgeschlossen wurden. Der Versuch, moderne Kunst durch eine Ausrichtung an völkischen Prämissen zu retten, musste daher, was die abstrakte Kunst betrifft, in eine Sackgasse führen. Nachdem, vom promodernen Standpunkt ausgehend, das Problemfeld abgesteckt wurde, das sich im Hinblick auf die Rezeption Kandinskijs nach 1933 eröffnet, soll nun die Art und Weise, wie man sich in den Reihen der Modernefreunde auf diesem heiklen Terrain bewegte, einer differenzierteren Betrachtung unterzogen werden. Es zeigt sich nämlich, dass Kandinskij von ihrer Seite eine durchaus unterschiedliche Behandlung erfuhr. Im Folgenden sollen drei Formen des Umgangs mit Kandinskijs Schaffen im Rahmen des promodernen Diskurses voneinander abgegrenzt werden: (1) die Ausblendung Kandinskijs, seine stillschweigende Unsichtbarmachung, (2) die Verfremdung Kandinskijs, das heißt seine Absonderung von dem Konstrukt einer ‚deutschen‘ Moderne, und (3) in entgegengesetzter Richtung zu (2) die Integration Kandinskijs. Bei der Erörterung dieser drei Umgangsweisen werden die nachstehenden bedeutenden Kunsthistoriker schwerpunktmäßig in den Fokus gerückt: Alois Schardt bei der „Ausblendung“, Max Sauerlandt bei der „Verfremdung“ und der junge Werner Haftmann bei der „Integration“ Kandinskijs. Mancher und manche wird in diesem Kapitel – wie vielleicht schon an früherer Stelle dieser Arbeit – den Namen Alexander Dorners (1893–1957) vermissen, setzte sich dieser als Leiter der Gemäldegalerie im Provinzialmuseum (ab 1933: Landesmuseum) Hannover doch in exzeptioneller Weise für die moderne und insbesondere für die konstruktivistische Kunst ein. Den Höhepunkt dieses Engagements markierte die Einrichtung von Ėl’ Lisickijs berühmtem Kabinett der Abstrakten (1927/28). Nach der „Machtergreifung“ versuchte Dorner unter zunehmendem Druck, die Moderne in der Galerie zu halten, wobei er Kompromisse einzugehen bereit war. 1937 scheiterte er in seinem Bemühen



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jedoch endgültig und emigrierte in die USA (im selben Jahr wurde das Kabinett der Abstrakten entfernt).39 Dass Dorner in der vorliegenden Arbeit lediglich am Rande Erwähnung findet, hat seinen Grund darin, dass mir keine publizierte Stellungnahme Dorners über Kandinskij aus der Zeit seines Direktorats in Hannover vorliegt. Selbst in Texten, in denen Dorner die Entwicklung der abstrakten Kunst thematisiert, wird Kandinskij – im Unterschied zu Picasso, Mondrian, Lisickij und anderen – nicht genannt.40 Laut freundlicher Auskunft der Dorner-Spezialistin Ines Katenhusen enthält auch Dorners Korrespondenz vor 1945 keine substanziellen Aussagen zum Stellenwert Kandinskijs.41 Eine Ausnahme bildet ein Brief an Gropius vom April 1943, in dem Dorner mit Bezug auf den „späteren Kandinsky“ – gemeint ist wohl das Schaffen der Bauhausjahre – von einer ‚Erlahmung der Schöpferkraft‘ spricht.42 Aufschlussreich dazu ist ein Brief von Otto Ralfs an Nina Kandinskaja vom 11. September 1929, in dem es heißt: „Gestern abend waren wir in Hannover mit Dr. Dorner zusammen. Es wird Sie interessieren, daß auch er jetzt endlich scheinbar langsam hinter die Kunst Kandinskys kommt. Er hat seine Ansichten sehr revidiert, wenn er auch die neuesten Arbeiten noch immer nicht versteht.“43 Tatsächlich scheinen in der Sammlung des Provinzialmuseums nur Gemälde aus Kandinskijs Münchner Zeit ausgestellt gewesen zu sein, so die Improvisation 10 (1910), die 1927 als Leihgabe von Sophie Küppers im Expressionisten-Saal hing.44 Ob Kandinskij jemals mit einem seiner Werke im Kabinett der Abstrakten vertreten war, ist fraglich – auch wenn dies einem zeitgenössischen Artikel zu entnehmen ist.45 5.2.1 Ausblendung Die erste Möglichkeit des Umgangs mit Kandinskijs Werk auf promoderner Seite will ich „Ausblendung“ nennen. Darunter verstehe ich hier nicht einfach eine Nicht-Berücksichtigung Kandinskijs. Vielmehr beinhaltet die Bezeichnung zwei Unterstellungen: erstens, dass Kandinskijs Name und seine Arbeit in einem bestimmten Kontext nicht in Erscheinung traten, wo sie unter sachlichen Gesichtspunkten hätten erwähnt oder gezeigt werden müssen bzw. wo sie unter anderen politischen Umständen höchstwahrscheinlich 39 Zum Kabinett der Abstrakten vgl. Flacke-Knoch 1985, 56–77; Nobis 1988; Gough 2003. Zu Dorners Museumstätigkeit und seinem Kampf für die Moderne nach 1933 vgl. Flacke-Knoch 1985, 36–99, 111–117; Katenhusen 2008; Dies. 2010. 40 Vgl. Dorner 1928; Ders. 1931. 41 E-Mail von Dr. Ines Katenhusen (Hannover) an den Verf., 3.1.2017. 42 Zit. nach: ebd. Der Brief befindet sich im Bauhaus-Archiv in Berlin (Walter Gropius GS 19, Mp. 124). 43 Zit. nach: Droste 1984a, 68. 44 Vgl. Haug 2009, 523 f. 45 Vgl. Bier 1930, 72.

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erwähnt oder gezeigt worden wären, und zweitens, dass dem eine bewusste Entscheidung zugrunde lag. Ich fasse die „Ausblendung“ somit als einen Vorgang auf, bei dem Kandinskijs Kunst aus der Diskussion um die Moderne aktiv herausgenommen bzw. herausgehalten wurde. Ein solches Heraushalten wurde bereits im Zusammenhang mit Valentiens These einer ‚deutschstämmigen‘ Abstraktion angedeutet. Als „Schöpfer der Absoluten Malerei“46, als der er gemeinhin angesehen wurde, drängte sich Kandinskij förmlich als ein Gegenbeispiel zu dieser These auf (sachliche Komponente). Doch anstatt dies offen anzusprechen und seine These dagegen zu verteidigen, schwieg sich Valentien darüber aus und überließ das Argument mithin der gegnerischen Seite. Parallel dazu (!) veröffentlichte er in der Zeitschrift Die Kunst einen Artikel, in dem er Kandinskij in einem Atemzug mit Hölzel als namhaften Vertreter der abstrakten Malerei anführte (das nationale Moment spielt in diesem Text bezeichnenderweise keine explizite Rolle).47 Es wäre daher wenig plausibel anzunehmen, Valentien hätte Kandinskij nur nicht im Hinterkopf gehabt, als er die Abstraktion verallgemeinernd zur deutschen Angelegenheit erklärte. Vielmehr scheint er in diesem Kontext geflissentlich über Kandinskij hinweggeblickt zu haben (bewusste Komponente). 5.2.1.1 Alois Schardt als Förderer Kandinskijs in der Weimarer Republik Ein weitaus signifikanteres und gravierenderes Beispiel für die Ausblendung Kandinskijs unter der beginnenden NS -Diktatur liegt jedoch im Fall von Alois J. Schardt (1889– 1955) vor, der 1933 zum kommissarischen Direktor der Berliner Nationalgalerie ernannt wurde und damit „den mit Blick auf die moderne Kunst wichtigsten Museumsposten in Deutschland erhielt“48.49 Schardt war in seiner bisherigen Museumstätigkeit entschieden für die Musealisierung abstrakter Kunst eingetreten und hatte zu den wichtigsten Förderern Kandinskijs gehört. Nach seiner Zeit als Assistent an der Nationalgalerie leitete Schardt ab 1923 die Bildungsanstalt Hellerau bei Dresden.50 Im dortigen Festspielhaus stellte er aus Leihgaben eine kleine, kompendiöse Sammlung junger Kunst zusammen, die nach dem Urteil Will Grohmanns dank einer sicheren und strengen Auslese nur „das unbedingt Wertvolle“51 enthielt. Neben dem Kreis der Brücke und Malern wie Marc und Klee bezog Schardt 46 Eintrag „Kandinsky, Wassily“ in: Brockhaus 1931, 651. 47 Vgl. Valentien 1933c, 311. 48 Heftrig/Peters/Rehm 2013b, XI. 49 Zu Schardt vgl. grundlegend: Hüneke 1990; Ders. 1992b; Ders. 1998; Peters 2004, 129–139. 50 Vgl. Hüneke 1997. 51 Grohmann 1925a. Grohmanns Darstellung bildet die Grundlage für die nachfolgende Beschreibung. Ihr sind auch die weiteren Zitate in diesem Absatz entnommen.



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besonders auch russische Künstler in sein Konzept mit ein: Gezeigt wurden Arbeiten von Javlenskij und Verefkina, von Lisickij, Kandinskij und Šagal. (Eine französische Abteilung war in Planung, konnte aber nicht mehr realisiert werden.) Bemerkenswert ist ferner der kräftige Akzent, den die abstrakte Kunst in Schardts Präsentation setzte. Einen Einblick in den Konstruktivismus gaben „mehrere Bilder“ von Lisickij und Moholy-Nagy, die im letzten Raum zu sehen waren. Und weiter heißt es bei Grohmann: „Zwei wichtige Gemälde Kandinskys aus den Jahren 191452 und 1923 hängen im Umgang des Treppenhauses“. Leider ist nicht bekannt, um welche Gemälde es sich konkret handelte. Es darf jedoch vermutet werden, dass bei ihrer Auswahl darauf geachtet wurde, Kandinskijs expressiven Stil der Vorkriegszeit und seinen aktuellen, mehr geometrischen Stil den Besuchern der Galerie in möglichst beispielhafter Gestalt zu präsentieren und ihnen somit Kandinskijs Entwicklung zwischen dem Blauen Reiter und dem Bauhaus in kompakter Form anschaulich zu machen. Schardts Initiative in Hellerau war nicht von bleibendem Erfolg gekrönt. 1925 sah er sich durch die Umstände dazu gezwungen, „unsere Arbeit aufzugeben und auch das Museum aufzulösen“53. Doch schon im darauffolgenden Jahr eröffnete sich Schardt an einem anderen Ort die Möglichkeit, sein Engagement für die Gegenwartskunst zu entfalten. 1926 folgte er einem Ruf nach Halle an der Saale und wurde Direktor des Städtischen Museums für Kunst und Kunstgewerbe in der Moritzburg. Auch in seiner neuen Position maß Schardt der abstrakten Kunst einen bedeutenden Stellenwert bei. So gingen 1929 nicht weniger als 46 Arbeiten von Lisickij in den Besitz der Moritzburg über.54 Im Oktober desselben Jahres richtete das Museum in Kooperation mit dem Hallischen Kunstverein eine Kandinskij-Retrospektive aus, die auf zwei Orte verteilt war: Die Alte Garnisonskirche bildete den Rahmen für die Gemälde, im Roten Turm waren Aquarelle ausgestellt.55 In jenen Tagen bemühte sich Schardt sehr darum, einige Aquarelle von Kandinskij für die städtische Sammlung zu sichern. Schardt war, wie Lyonel Feininger seiner Frau Julia mitteilte, dermaßen von den Aquarellen angetan, dass er „gerne einen Raum damit einrichten [möchte], im Museum – aber der Preis – bei einzelnen 1000,- Mk., sei ihm unmöglich durchzusetzen“56. Am Ende gelang es Schardt freilich doch noch, den Museumsbestand um sechs Aquarelle von Kandinskij 52 In einem anderen Artikel Grohmanns ist das frühere der beiden Gemälde auf das Jahr 1916 datiert, vgl. Grohmann 1925b, 91. 53 Brief von Schardt an Paul Klee, 23.9.1925. Zit. nach: Hüneke 1997, 91. In dem Schreiben spricht Schardt auch die Gründe hierfür an. 54 Vgl. Hüneke 1992b, 285. 55 Vgl. Illetschko/Katz 1992, 512. Vgl. auch den Brief von Lyonel Feininger an Julia Feininger, 4.10.1929. Zit. nach: Büche 2010, 162. 56 Brief von Lyonel an Julia Feininger, 9.10.1929. Zit. nach: Hüneke 2005, 154. Vgl. auch den Brief von Feininger an Julia, 18.10.1929. Zit. ebd., 155.

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zu bereichern. Es handelte sich bei den Erwerbungen um: Giftgrüne Sichel (1927), Nach rechts (1929), Belastung (1928), Abstieg (1925), Zwei Komplexe (1928) und Abschluss (1924).57 Diese Momentaufnahmen von Schardts Wirken in Hellerau und in Halle mögen genügen, um einen Eindruck davon zu vermitteln, für wie wichtig er den Beitrag russischer und abstrakt schaffender Künstler in der Moderne hielt58 und welch hohe Meinung er im Besonderen von Kandinskijs Arbeit hatte. Vor dieser Folie gilt es im Weiteren die Gratwanderung zu verstehen, die Schardt im Sommer und Herbst des Jahres 1933 vollzog, als er in das Rampenlicht der Auseinandersetzungen um die neue Kunst getreten war. 5.2.1.2 Die (Nicht-)Repräsentation Kandinskijs im Kronprinzenpalais: Schardt als Nachfolger Ludwig Justis an der Nationalgalerie 1933 Am 1. Juli 1933 wurde Ludwig Justi, seit 1909 Direktor der Berliner Nationalgalerie, aus seinem Amt entlassen und durch seinen früheren Assistenten Alois Schardt ersetzt.59 Knapp drei Wochen zuvor hatte Justi seinem Breslauer Kollegen Erich Wiese, der sich bei ihm wegen der ungewissen kunstpolitischen Lage nach dem Stand der Dinge erkundigt hatte, Folgendes geschrieben: Die Stellung der Regierung zur neuen deutschen Kunst ist noch keineswegs geklärt. Sie wissen, daß man in Karlsruhe, Mannheim, Nürnberg, Chemnitz sogenannte ‚Schand-Ausstellungen‘ gemacht hat (in Dresden wird etwas ähnliches geplant), in denen Bilder fast aller bedeutenden lebenden Maler verächtlich gemacht werden sollen. Sie wissen auch sicher, daß unsere Kollegen Swarzenski, Hartlaub, Sauerlandt, Baum, Cohen, Kaesbach, Wichert, With, Frl. Fischel,

57 Vgl. Hüneke 2005, 155–157, Nr. 219–224 (mit Abb.). In einem Brief an Grohmann vom 12. Dezember 1929 spricht Kandinskij indes nicht von sechs, sondern von fünf Aquarellen: „Die Kommission von Dr. Schardt hat eine Erwerbung von 5 meiner Aquarelle genehmigt. Zwei waren bereits dort, drei hängen als vorläufige Leihgabe. So konnte Dr. Sch. mit 10 Blättern ein Kabinett mit meinen Aquarellen einrichten, womit er und ich sehr zufrieden sind.“ Zit. nach: Kandinsky 2015, 170. Bei den zwei Aquarellen, die „bereits dort“ waren, handelte es sich um die 1927 – also auch schon zu Schardts Zeit – angekauften Blätter Dynamische Studie (1924) und Konzentriertes (1916). Vgl. Hüneke 2005, 132, Nr. 163, 164. 58 Hüneke (1998, 85) weist zudem darauf hin, dass Schardt selbst im Besitz von Werken Lisickijs und Moholy-Nagys gewesen sei. 59 Wie Alfred Hentzen berichtet, versprach man sich aufseiten des Kultusministeriums von der Berufung Schardts, eine Persönlichkeit an die Spitze der Nationalgalerie zu stellen, die für die Nationalsozialisten annehmbarer sei als Justi – Schardt war Mitglied der Ortsgruppe des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ in Halle –, die gleichzeitig aber die promoderne Linie Justis prinzipiell aufrechterhalten würde, vgl. Hentzen 1971, 26–28. Vgl. auch Hüneke 1992b, 287; Peters 2004, 133. Bei Eugen Blume findet sich zudem der Hinweis, dass Schardt am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war. Vgl. Blume 1994, 185, Anm. 271. Vgl. auch Hüneke 1998, 84 f.; sowie Betthausen 2010, 231 f.



Kandinskijs Schaffen im promodernen Diskurs  |

Schreiber-Weigand, Grote, E. T. Schulz-Riezler [sic]60 beurlaubt oder entlassen sind, und daß man an den Akademien die Mehrzahl der modernen Künstler entließ wie: Hofer, Scharff, Klee, Moll, Marcks, Crodel, Schlemmer, Scheibe usw. An der National-Galerie hat man bisher weder personell noch sonst etwas geändert […]. […] Ich habe von mir aus nichts weggehängt, das Kronprinzen-Palais ist unverändert […].61

Das ehemalige Kronprinzenpalais war 1919 von Justi als Neue Abteilung der Nationalgalerie eigens für die moderne Kunst eingerichtet worden.62 Binnen kurzer Zeit machte er es zum Flaggschiff der deutschen Museen, die zeitgenössische Werke sammelten und ausstellten.63 Dabei galt Justis vorrangiges Interesse den Expressionisten, speziell dem Brücke-Kreis; der abstrakten Kunst gegenüber verhielt er sich zurückhaltend:64 Als sich die Ankaufskommission der Nationalgalerie Anfang 1928 über Kandinskijs Gemälde Zweierlei Rot (1916) (Abb. 29) beriet, stellte Justi ein Argument in den Raum, das hinsichtlich des Erwerbs solcher Kunst auf nicht mehr als ein gewisses Pflichtgefühl für die Vollständigkeit der Sammlung bei ihm schließen lässt: „Es ist mir sehr nahe gelegt worden, eine Kandinsky-Ausstellung zu machen. Die Frage ist eben, ob soetwas [sic] in die Galerie gehört. Ich bin bisher immer abgeneigt gewesen, die Sachen in die Galerie

60 Gemeint sein dürften Fritz Traugott Schulz (Nürnberg) und Walter Riezler (Stettin). Vgl. Rave 1949, 92, und Chrambach 2003. Vgl. auch die Wiedergabe des Zitats in Steinkamp 2008, 68: „[…] F. T. Schulz, Riezler […]“. 61 Brief von Ludwig Justi an Erich Wiese, 12.6.1933. Zit. nach: Janda/Grabowski 1992, 34. 62 Vgl. Rave 1968, 80–90; Janda/Grabowski 1992, 9–12; Blume 1994, 17–27; Winkler 2002, 83–86; Steinkamp 2008, 36–50. Vgl. auch den mit zahlreichen Abbildungen versehenen Überblick bei Janda 1988. 63 Vgl. Hüneke 1991, 43 f., 55. Aus der Sicht eines Zeitzeugen rekapitulierte Alfred Hentzen (1971, 24 f.): „Die Neue Abteilung [der Nationalgalerie; S. B.] im ehemaligen Kronprinzen-Palais überragte alle anderen der etwa vierzig deutschen Museen, die damals in größerem Umfang moderne Kunst sammelten, und war in Auswahl und Zielsetzung für die meisten ein Vorbild. In anderen europäischen Ländern gab es zwischen den Kriegen nichts Vergleichbares, und bei der Begründung des Museums of Modern Art in New York berief sich Alfred H. Barr ausdrücklich auf die deutschen Beispiele, besonders auf das in Berlin. Darum kam dem Kronprinzen-Palais im Kampf um die neue Kunst, der 1933 einsetzte, eine ganz besondere Bedeutung zu.“ 64 Vgl. Blume 1994, 28–32 („Die selektierte Moderne im Kronprinzen-Palais“), 47; Meyer 1998; Steinkamp 2008, 47 f.; sowie Betthausen 2010, 167–175. Justis Blick auf die Moderne, dessen selektiver Charakter in den hier angeführten Publikationen näher beschrieben wird, hatte eine Vernachlässigung nicht nur der Abstraktion, sondern auch anderer Bereiche der zeitgenössischen Kunst zur Folge. Vgl. dazu auch Winkler (2002, 167–181, 235–243, hier: 175), der hinsichtlich der Behandlung der Gegenwartskunst in der zwischen 1930 und 1933 von Justi herausgegebenen Zeitschrift Museum der Gegenwart eine – auf implizitem Konsens beruhende – „strukturelle Selektion“ feststellt, „die auf einen gewissermaßen ‚moderaten‘ Expressionismus hinauslief“. So fänden sich etwa unter den in den Heften abgebildeten Gemälden „kaum abstrakte Bilder“.

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Abb. 29: Vasilij Kandinskij: Zweierlei Rot, 1916, Öl auf Leinwand, 78 x 100 cm, Verbleib unbekannt

aufzunehmen. Andererseits müßte sie, wenn sie komplett sein will, so etwas zeigen.“65 Die Entscheidung fiel letztlich zugunsten Kandinskijs aus, und so gelangte 1928 sein Zweierlei Rot in den Besitz der Nationalgalerie, zu dem 1929 – als Überweisung des Kultusministeriums66 – noch ein Gemälde jüngeren Datums hinzukam: Ruhe von 1928 (vgl. Abb. 3067). Beide Bilder waren bis 1933 im Kronprinzenpalais zu sehen.68

65 Bericht der 3. Sitzung der Ankaufskommission Januar 1928. Zit. nach: Blume 1994, 31. In Justis Schrift Von Corinth bis Klee (1931, 170 f.) wird Kandinskijs Malerei „ohne Gegenstand“ an den Beginn einer Bewegung gestellt, „die man schließlich als eine geistesgeschichtliche Tatsache hinnehmen [!] mußte“. 66 Vgl. hierzu Winkler 2002, 86. 67 Das Photo zeigt die Hängung des Gemäldes Ruhe (rechts außen) 1932/33 im Zuge einer von Justi vorgenommenen Neuordnung des Kronprinzenpalais. Vgl. Janda 1992, 107 (zu S. 111, Abb. 99); Frey/Hüneke 2003, 274, Abb. 12. 68 Vgl. Janda/Grabowski 1992, 124, Nr. 193 und 194 (mit Abb.). Darüber hinaus hatte der Sammler Otto Ralfs Justi leihweise ein Werk aus seinem Kandinskij-Bestand zur Verfügung gestellt. Vgl. Droste 1984a, 69. Wie eine Raumaufnahme des Kronprinzenpalais aus dem Jahr 1930 belegt, handelte es sich dabei um die bedeutende Komposition I von 1910, vgl. Rückert/Kuhrau 1998, 226, Abb. 27.



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Abb. 30: Neue Abteilung der Nationalgalerie Berlin im Kronprinzenpalais, 1932/33, mit Werken von Klee, Mataré, Campendonk und Kandinskij. Von Kandinskij hängt rechts das Gemälde Ruhe (1928)

Was die Repräsentation von Kandinskijs Schaffen anbelangt, kann die Nationalgalerie sicherlich nicht als ein leuchtendes Beispiel angesprochen werden. Innerhalb der deutschen Museumslandschaft um 1930 stand sie mit dem wenigen, was sie von Kandinskij hatte, im Vergleich aber auch nicht besonders schlecht da, wie Magdalena Drostes kurze Aufstellung zeigt: Wer kaufte Kandinskys Bilder in den zwanziger Jahren? Die Museen kauften spät, zögernd und vorsichtig. […] Überblickt man die Erwerbungstätigkeit der deutschen Museen bezüglich Kandinsky am Ende der zwanziger Jahre, dann hatten Berlin, Dresden und Wuppertal-Barmen mindestens zwei Bilder [gemeint sind Gemälde; S. B.] Kandinskys, nämlich jeweils eine frühe und eine späte Arbeit, die die Spannweite seines Werks verdeutlichen konnten. In Weimar, Hannover und Essen war zwar ein (oder sogar mehrere) frühes Werk vorhanden, aber es wurde kein Bild aus Kandinskys Bauhauszeit dazu erworben. Schon ein solcher grober Überblick erlaubt den Schluß, daß Kandinskys Präsenz in den deutschen Museen – verglichen etwa mit Klee oder Feininger – eher unzureichend war. Auch die Expressionisten – Nolde, Beckmann,

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Kirchner, Rohlfs – die als Verkörperung deutscher Kunst galten, schnitten im Vergleich zu Kandinsky wesentlich besser ab.69

Drostes Feststellung am Ende dieses Zitats deutet auf einen wichtigen Aspekt der in­ stitutionellen Rezeption Kandinskijs in Deutschland hin: Auch bei den Museumsankäufen kam das nationale Moment zum Tragen und war sicher mit ein Grund für die Bevorzugung der deutschen Expressionisten („als Verkörperung deutscher Kunst“) und, als hemmender Faktor, für die geringere Berücksichtigung Kandinskijs – nicht nur an der Nationalgalerie.70 Festzuhalten aber bleibt, dass die Nationalgalerie Werke von Kandinskij besaß, als Schardt 1933 ihre Leitung übernahm. Als Nachfolger Justis setzte sich Schardt zum Ziel, eine Präsentation im Kronprinzenpalais zu verwirklichen, die den ‚deutschen‘ Charakter und die nationale, völkische Bedeutung der modernen Kunst sinnfällig machte.71 Gleichzeitig wollte Schardt den Attacken derer standhalten können, die von den modernen Künstlern behaupteten, sie seien „Juden“ und hätten in einem deutschen Museum nichts verloren; Barlach, Feininger und Klee wurden aus diesem Grund vorsorglich ersucht, der Nationalgalerie ihre Stammbäume zu übermitteln.72 Unter rein ‚völkischen‘ Voraussetzungen (deren Vorliegen im Fall der modernen Kunst ja überhaupt infrage stand und deshalb – nimmt man Schardts Perspektive ein – durch eine möglichst stichhaltige Werkauswahl vermittelt werden sollte) war im Kronprinzenpalais kein Platz mehr für Kandinskij, er fehlte somit in Schardts Neukonzeption.73 Freilich: Kandinskij hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann gefehlt, wenn seine slawische Herkunft kein Hindernis gewesen wäre. Denn am Ende entschied sich Schardt auch gegen Klee – „schweren Herzens“ –, wie Schardts damaliger Mitarbeiter Alfred Hentzen Jahrzehnte später bemerkte: „Schardt sagte uns mehrfach, das sei das einzige Kompromiß, das er machen müsse, weil Klee denen, die er zu

69 Droste 1984a, 68. Vgl. ergänzend Dies. 1984b; sowie Hüneke 1991, passim. 70 Vgl. dazu Meyer 1998 sowie Lidtke 1993, 233 f. 71 Zu Schardts Hängungskonzept vgl. Hentzen 1971, 31 f.; Hüneke 1998, 84. 72 Vgl. Grabowski 2013, 95. Vgl. auch Janda/Grabowski 1992, 37; Heftrig/Peters/Rehm 2013b, XI; und kritisch: Blume 1994, 45 f. 73 Vgl. Hüneke 1991, 55; Ders. 1992b, 288; Weidemann 2001, 380; Hüneke 2006, 227; Scholz 2014, 88. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in keinem dieser Beiträge ein unmittelbarer Beleg für Kandinskijs Fehlen in Schardts Hängung angeführt wird. Die Behauptung hat daher vorläufig als eine Schlussfolgerung zu gelten (die ich teile). Vgl. dazu die Diskussion in Kap. 5.2.1.4.



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überzeugen hoffte, unzugänglich sei.“74 Kandinskij wäre diesem Adressatenkreis wohl kaum zugänglicher gewesen. So betrachtet mussten Kandinskijs Gemälde Zweierlei Rot und Ruhe Schardt in zweifacher Hinsicht für seine Zwecke ungeeignet erscheinen: Ihr Schöpfer war nicht ‚deutsch‘ genug, die Bilder selbst nicht verständlich genug. Indes ist auch ihre Abwesenheit als ein Kompromiss anzusehen: Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wie klar sich Schardt im Rahmen seiner Tätigkeit in Hellerau und in Halle zu Kandinskijs Schaffen bekannt hatte.75 Bestätigt wird dies auch durch Paul Westheim, der 1933 bemerkte, Schardt sei „ein Fanatiker seiner künstlerischen Ueberzeugung, dass deutsche Kunst irrational und ungegenständlich sei, eben Marc, Feininger, Klee, Kandinsky.“76 Schardt taktierte. Neben Hentzens Bericht, dem zufolge Schardt sich bei der Neugestaltung des Kronprinzenpalais nur widerwillig zum Ausschluss Klees hatte durchringen können, führt Andreas Hüneke ein weiteres Dokument an, aus dem dies explizit hervorgeht:77 Am 9. Oktober 1933 ließ Oskar Schlemmer seinen Malerfreund Willi Baumeister wissen: „Schardt steht zu uns, muß nur jetzt die nordisch-expressionistische Linie halten, gemäß seinem Vortrag.“78 Wie ist diese Mitteilung zu verstehen? Hierzu ein Rückblick: Am 10. Juli 1933, wenige Tage nach seinem Dienstantritt, hatte Schardt unter dem Titel „Was ist deutsche Kunst?“ einen programmatischen Vortrag in der Berliner Kunstbibliothek gehalten.79 Schlemmer, der bei dem Anlass offenbar zugegen war, hatte Baumeister kritisch über den Tenor der Rede berichtet: Allerdings sprach er [= Schardt; S. B.] ziemlich einseitig der nordisch-germanischen Kunst die Entscheidung zu, abgeleitet von frühesten nordgermanischen Ornamenten, die ohne weiteres zu den heutigen modernen überleiten. Einseitig war auch, daß er dem Ekstatisch-Faustischen huldigte, was er als das wahre Deutsch-Völkische bezeichnete, im Gegensatz zum RömischKlassischen, was er ‚Überfremdung‘ nannte. Nolde, Barlach, Marc, Feininger sind seine Leute. Handelt es sich wirklich wieder um ein Zurück zum Expressiven?80 74 Hentzen 1971, 32. 75 Vgl. auch Hüneke 1990, 55. 76 Westheim 1933, 311. 77 Vgl. Hüneke 1998, 85 f. 78 Zit. nach: Schlemmer 1990, 280. 79 Vgl. Hentzen 1971, 29 f.; Hüneke 1990, 55. 80 Brief von Oskar Schlemmer an Willi Baumeister, 17.7.1933. Zit. nach: Schlemmer 1990, 278. In einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. August 1933 wurde der Inhalt des Vortrags ganz ähnlich resümiert: „Für ihn [= Schardt; S. B.] besteht das Spezifische des Germanischen, des Deutsch-Völkischen, im Ekstatischen, Prophetischen. Für ihn existiert ein Zusammenhang zwischen der ungegenständlichen Ornamentik der deutschen Bronzezeit und der Malerei des deutschen Expressionismus (z. B. der eines Nolde, Marc, Feininger)! […]“ Zit. nach: Janda/Grabowski 1992, 36.

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Die Reduktion der deutschen Kunst auf das ‚Nordische‘ und ‚Expressive‘ stellte sich für Schlemmer als eine Einseitigkeit dar, von welcher er sich selbst negativ betroffen fühlte.81 Schlemmer, der sich als gebürtiger Stuttgarter zu den „südlich Orientierten“ zählte und in seinem Werk danach strebte, „das Ekstatische-Faustische zu überwinden“, konnte sich in Schardts Ausführungen nicht wiederfinden und brachte dies in einem Brief an den neuen Direktor der Nationalgalerie auch zum Ausdruck.82 Nun schien sich jedoch auf der Linie des ‚Nordisch-Expressiven‘ am ehesten eine Akzeptanz für die Moderne erreichen zu lassen. Es war die Linie, die auch die Vertreter des NS-Studentenbundes bei ihrer Kundgebung „Jugend kämpft für deutsche Kunst“ in der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Ende Juni 1933 verfochten hatten.83 Anders als den jungen Nationalsozialisten ging es Schardt allerdings nicht nur um den ‚nordischen‘ Expressionismus. Die offizielle Anerkennung des Expressionismus war für ihn primäres, unbedingt zu erreichendes Ziel – ein Etappenziel aber, nicht das Endziel. Jedenfalls musste Schlemmer diesen Eindruck vermittelt bekommen haben. Deshalb konnte er Baumeister signalisieren: „Schardt steht zu uns, muß nur jetzt die nordisch-expressionistische Linie halten, gemäß seinem Vortrag.“ Schlemmers Worte bezeugen, dass Schardt auf längere Sicht auch diejenigen Bereiche der Moderne unterstützen wollte, die er – aus taktischen Erwägungen – fürs Erste – unbeachtet ließ. Davon muss auch Kandinskij überzeugt gewesen sein, der sich ebenfalls unter Schardts Zuhörern in der Kunstbibliothek befunden hatte. Grohmann berichtete er, Schardt habe „glänzend […] gesprochen“84 – von etwaigen Zweifeln, Schardt könnte ihm nicht mehr gewogen sein, ist keine Spur. Dass Kandinskij den Kampf um den ‚nordischen‘ Expressionismus als eine Chance auch für seine abstrakte Kunst begriff, klingt in dem schon zitierten Brief an Werner Drewes an: Augenblicklich wird um die Anerkennung der ‚Brücke‘ gekämpft, die nur teilweise bejaht wird. Es ist scheinbar noch ein langer Weg bis zur abstr. Kunst! Die nat-soz. Studenten setzen sich sehr energisch für solche Maler wie Nolde, Heckel, Schmidt-Rottluff ein. Es wird auch

81 Schlemmers Kritik verweist auf das generelle Problem einer Moderneverteidigung, die die verteidigte Kunst auf einzelne Merkmale wie ‚deutsch‘, ‚nordisch‘, ‚faustisch‘ oder ‚expressiv‘ reduzierte: Sie ließ de facto außer Acht (und gab den Anfeindungen preis), was sich nicht so ohne Weiteres unter diesen Merkmalen subsumieren ließ. Vgl. Kap. 5.1 der vorliegenden Arbeit im Hinblick auf die Germanisierung der abstrakten Kunst bei Fritz Valentien (der ja seinerseits Schlemmer einer ‚nordischen‘ Tradition zuordnete). 82 Brief von Oskar Schlemmer an Schardt, 26.7.1933. Zit. nach: Schlemmer 1990, 279. 83 Vgl. Baumann 2002b, 145 f. Als Datum der Kundgebung wird oft, so auch bei Baumann, der 29. Juni angegeben. Indes ist die Veranstaltung auf einem Plakat für den 30. Juni angekündigt, vgl. Zuschlag 1995, Farbabb. 1. 84 Brief von Kandinskij an Will Grohmann, 12.7.1933. Zit. nach: Kandinsky 2015, 360.



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um Barlach und Lehmbruck sehr temperamentvoll gekämpft. Prof. Dr. Schardt […] hielt vor kurzem einen ausgezeichneten Vortrag über ‚Was ist deutsche Kunst?‘ und wurde wie ein weltberühmter Sänger gefeiert […]. Natürlich sind nicht alle begeistert gewesen […]85.

5.2.1.3 Kandinskijs (Nicht-)Ort in Schardts Texten zur Kunst Dass es sich bei Schardts Umgang mit Kandinskijs Werk im Jahr 1933, ähnlich wie im Falle Klees und Schlemmers, um eine Ausblendung im genannten Sinne handelte, dass Schardt Kandinskij also unter anderen Umständen bei der Neuordnung des Kronprinzenpalais nicht übergangen haben würde, soll durch einen Blick auf Schardts Kunsttheorie untermauert werden.86 Im Katalog zu einer Kandinskij-Ausstellung, die 1931 bei Alfred Flechtheim in Berlin stattfand, ist folgendes Statement von Schardt zu lesen: Durch das Dekret: l’art pour l’art: Kunst um der Kunst willen – wurde der gegenständliche Inhalt zur Nebensächlichkeit in der künstlerischen Darstellung erklärt. Dieses Dekret erfolgte aus der instinktsicheren Erkenntnis heraus, daß unsere Zeit über keine Inhalte mehr verfügt, die so allgemeingültig sind, daß sie die für die Kunst notwendige Symbolkraft besitzen. Erst Kandinsky zog aus diesem Tatbestand die notwendigen letzten Folgerungen, in dem [sic] er auf den individualgegenständlichen Inhalt verzichtete und nur noch die einzigen – noch wirklichen Inhalte wiedergab: – die allen Menschen gemeinsamen Grundgefühle. Der diesem letzten Inhalte adäquate Ausdruck ist die sogenannte abstrakte Form. Diese Erfindung Kandinskys ist so folgerichtig, daß ein aufmerksamer Beobachter der Kunstvorgänge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sie hätte voraussagen können. Jedoch sind künstlerische Neuerungen – wie auch in diesem Fall – nicht Angelegenheit der verstandesmäßigen Erkenntnis, sondern des künstlerischen Instinktes.87

Hinter diesen dicht formulierten Gedanken über Kandinskijs „Erfindung“ steht der für Schardts Anschauung konstitutive Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft

85 Brief von Kandinskij an Werner Drewes, 23.7.1933. Zit. nach: Hahn 1985, 144. 86 Dabei versuche ich, die künstlerische Bedeutung Kandinskijs für Schardt in nuce aufzuzeigen. Für eine Erläuterung oder Diskussion von Schardts Theorie ist hier nicht der Ort. Wer sich näher damit befassen möchte, sei auf Hüneke 1998 verwiesen sowie vor allem auf den Band Heftrig/Peters/Rehm 2013a. Letzterer enthält neben drei wichtigen, bislang unveröffentlichen Texten von Schardt einen instruktiven Beitrag von Olaf Peters, in dem eine geistesgeschichtliche Kontextualisierung Schardts vorgenommen wird, vgl. Peters 2013. – Leider können die Inhalte der Lehrveranstaltungen, die Schardt zwischen 1931 und 1937 als Honorarprofessor für Museumskunde und Kunstgeschichte an der Universität Halle anbot, nicht berücksichtigt werden, denn es sind keine Manuskripte dazu bekannt. Vgl. Heftrig 2013, insb. 65–69; Dies. 2014, 157 f., 434 f. 87 Schardt 1931.

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bzw. zwischen der Ausrichtung am Individuum und der Ausrichtung an der Gemeinschaft. Der zentrale Begriff ist hier die „Symbolkraft“, die Schardt in Abhängigkeit von der Allgemeingültigkeit künstlerischer Inhalte setzt. Als Gegenbegriff dient ihm der (negativ konnotierte) „individualgegenständliche[.] Inhalt“. Kandinskijs Leistung liegt für Schardt darin, mit seiner abstrakten Kunst in einer an „Symbolkraft“ armen Zeit eine Form gefunden zu haben, in der sich erneut ein allgemeingültiger Inhalt verwirklichen ließ, nämlich „die allen Menschen gemeinsamen Grundgefühle“. Kandinskijs Werk steht damit am Wendepunkt einer Entwicklung, die Schardt ausführlich in seiner Denkschrift Wesensmerkmale der deutschen bildenden Kunst (1933)88 beschreibt: Im 15. Jahrh. brach der Naturalismus über Deutschland herein. Sobald ein Volk sich dem naturalistischen Glaubensbekenntnis ergibt, verliert es seine Bindungen, gibt es den Glauben an Gott als höchste, über den Menschen gelagerte Verknotung der gesamten Schicksalhaftigkeit auf und verlegt diese Kraft in den Stoff. Dieser ist jeweiliger und veränderlicher Natur. […] Die Vieldeutigkeit des Stoffes führte alsbald zum vielen Deuten, dieses führte zur allmählichen Zersplitterung, das heisst also: mit dem Naturalismus war das Aufkommen der Parteibildungen ohne weiteres verbunden. Mit dem fortschreitenden Naturalismus musste notwendigerweise die Vieldeutigkeit immer mehr in Erscheinung treten, die Zersplitterung und Parteibildung musste wachsen, bis schliesslich in seinem Endresultat – dem Impressionismus – die ganze Welt nicht nur der Kunst, sondern auch der Menschen in unendlich viele Teilpunkte zerfiel.89

Der Naturalismus, wie er sich in Konrad Witz’ Altarbild Der wunderbare Fischzug (1444) (Abb. 31) in der „Freude an dem täglichen, individuellen Leben, an den Stoffgegensätzen zwischen Wasser, Stein und Landschaft“ manifestiere,90 stellt für Schardt die künstlerische Entsprechung zu einem gesellschaftlichen Prozess dar, dessen Effekt er als „Zersplitterung“ bezeichnet, als den Verlust von Bindungen durch den Hang zum Stofflichen, Individuellen, Partikulären, Variablen. Den Endpunkt dieser naturalistischen Entwicklung sieht er im Impressionismus – und namentlich in Monets Heuhaufen-Serie (Taf. 10, 11), die ein und dasselbe Motiv, dem Wechsel des Tageslichts entsprechend, in permanenter Veränderung zeigt:

88 Schardt [1933] 2013a. Der laut Vorwort am 10. Juni 1933 abgeschlossene Text ist in unserem Zusammenhang u. a. deshalb interessant, weil er in einer zeitlichen und inhaltlichen Nähe zur Neugestaltung des Kronprinzenpalais steht und weil an ihm die „grundsätzlichen Kunstauffassungen“ Schardts auf breitem Raum nachvollzogen werden können. Vgl. Fuhrmeister/Peters 2013, XIV–XVII (Zitat auf S. XIV). 89 Schardt [1933] 2013a, 148. 90 Ebd., 149.



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Abb. 31: Konrad Witz: Der wunderbare Fischzug (Detail), 1444, Mischtechnik auf Holz, 132 x 154 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf

In folgerichtiger Entwicklung ist der Naturalismus da angelangt, wo er auf Grund seines Programmes anlangen musste: am einzelnen isolierten Gegenstand, wobei aber auch dieser Gegenstand nicht mehr als ein Zusammenhängendes betrachtet, sondern wiederum in einzelne Atome aufgelöst wird. Die Welt des Stoffes, die in so grossartiger Weise begonnen hatte, ist damit völlig zerschlagen. Das Volk, das sich, erfasst von dem Stoffglauben, in Parteien spaltete und zersplitterte, hat sich in eine Masse von Individualisten aufgelöst. […] Dass dieser Naturalismus nicht mehr entwicklungsfähig war, versteht sich von selbst. Mit einer physikalischen Notwendigkeit musste an diesem Punkte die Romantik wieder auferstehen.91

Für Schardt spiegelt sich in Monets Heuhaufen – dem „einzelnen isolierten Gegenstand“ – bzw. in dessen Auflösung „in einzelne Atome“ der Mensch seiner Zeit: der bindungslose Individualist. Der „naturalistische Einbruch“92 und die auf ihn folgende 500-jährige Entwicklung bilden den Hintergrund, vor dem Schardts oben zitierter Katalogtext zu lesen ist, nach dem Kandinskij „auf den individualgegenständlichen Inhalt verzichtete“, um der Kunst wieder eine übergreifende „Symbolkraft“ zu verleihen. In Wesensmerkmale der deutschen bildenden Kunst, wo Kandinskij (bewusst!) nicht erwähnt wird, fällt dieser Part der „Neuromantische[n] Ausdruckskunst“ zu, die ebenfalls als Antithese zum Naturalismus bzw. Impressionismus, zum „Stoffglauben“ und zur „Zersplitterung“ konzipiert wird. Die 91 Ebd., 187. 92 Ebd., 149.

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Vertreter dieser neuen Romantik sind für Schardt in erster Linie Marc, Nolde, Feininger, Kokoschka, Barlach und Lehmbruck.93 Dass Kandinskijs Name in dieser Reihe fehlt, erklärt sich aus einem bedeutenden Unterschied zwischen den Wesensmerkmalen und Schardts kurzem Katalogtext über Kandinskij: Führte Schardt die „Symbolkraft“ von Kandinskijs Werken auf „die allen Menschen gemeinsamen Grundgefühle“ (Hervorh. S. B.) zurück, so legt er in den Wesensmerkmalen die Betonung auf das „Volk“ (hier: auf das deutsche Volk) bzw. auf die „Rasse“ als die für die Kunst maßgebliche Bezugsgröße.94 Schardts Verzicht selbst auf die leiseste Erwähnung Kandinskijs ist, wie ich meine, nicht zuletzt als ein Zugeständnis an die Nationalsozialisten zu werten, deren Kulturpolitik er mit seiner Denkschrift positiv – im Sinne (eines Teils) der modernen Kunst – zu beeinflussen suchte.95 Dabei ist mir wichtig zu betonen: Schardts Zugeständnis bestand nicht darin, dass er mit Begriffen wie „Rasse“ oder „Volk“ hantierte; diese Kategorien hatten schon lange vor 1933 in seinem Denken einen zentralen Platz eingenommen.96 Schardts Zugeständnis bestand vielmehr in der Einengung seines Blickwinkels allein auf solche Kunstwerke, von deren „zweifellos nordisch-deutsch[em]“97 Charakter er seine Adressaten überzeugen zu können glaubte, woraus die Ausklammerung Kandinskijs folgte. Ich schließe mich Andreas Hüneke daher an, wenn er in Bezug auf Schardts Taktik schreibt, dass ihr „zwar seine [= Schardts; S. B.] tatsächlichen Anschauungen zugrunde lagen“, sie „aber nicht die ganze Wahrheit zur Geltung brachte“.98 93 Ebd., 191–201. 94 Vgl. ebd., 112, 115: „Der Künstler besitzt in sich einen besonders gefühlsempfänglichen Apparat, durch den die Gefühlsströme der Menschen hindurchgehen, aufgefangen und geordnet werden. Jedoch – er kann nicht wahllos alle Gefühle aufnehmen. Sein Gefühlsapparat ist eingestellt auf die Gefühle einer ganz bestimmten, menschlichen Gemeinschaft – nämlich des eigenen, artverwandten Volkes. Wenn auch die Gefühlsmasse bei allen Menschen mehr oder weniger dieselbe sein mag, so ist doch die besondere Gefühlskonstellation bei den verschiedenen Menschen und darüber hinaus bei den verschiedenen Völkern verschieden.“ „Die Kunst in ihrer wahren Bedeutung ist Symbolgestalt des Volkes.“ 95 Zwar wurden die Wesensmerkmale nicht publiziert, doch ließ Schardt den Text laut Hüneke (1992b, 287) dem preußischen Kultusministerium und „anderen offiziellen Stellen“ zukommen. Vgl. auch Fuhrmeister/Peters 2013, XIV f. Öffentliches Aufsehen erregte Schardt mit seinem am 10. Juli 1933 in der Staatlichen Kunstbibliothek gehaltenen Vortrag „Was ist deutsche Kunst?“, der eine Kurzversion der Wesensmerkmale darstellte, vgl. Hentzen 1971, 29 f.; Hüneke 1990, 55; Ders. 1992b, 287 f.; Ders. 2005, 199; Grabowski 2013, 90–94. 96 Vgl. Hüneke 1990, 52, 54; Ders. 1992b, 283; Ders. 1998, 86–88; Peters 2004, 135, Anm. 53. Die Frage, wie nahe Schardt mit seinen Ansichten der NS-Ideologie stand (vgl. Peters 2004, 132–139) oder auch wie fern (vgl. Hüneke 1997, 87 f.; Ders. 1998, 84–88, 94–96), soll hier nicht zur Debatte stehen. 97 Schardt [1933] 2013a, 104. 98 Hüneke 1990, 55.



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Dass Kandinskij weder in den Wesensmerkmalen noch bei der Neuhängung der Neuen Abteilung im Kronprinzenpalais eine Rolle spielte, war weniger inhaltlichen als vielmehr strategischen Gründen geschuldet. Dies legt auch ein Typoskript nahe, das Schardt um 1940 anfertigte. Darin fasst er Kandinskij gemeinsam mit Marc und Feininger – die er 1933 in den Wesensmerkmalen zu Schrittmachern einer ‚nordisch-deutschen‘ Kunsterneuerung stilisiert und im Kronprinzenpalais entsprechend hervorgehoben hatte –99 zu einer von ihm als „konstruktiv“ charakterisierten Richtung innerhalb der Moderne in Deutschland zusammen.100 Schardts diesbezügliche Erläuterungen schließen sowohl an seinen Text im Kandinsky-Katalog von 1931 als auch an die Wesensmerkmale an: Konstruktiv kann man diese Gruppe nennen, weil hier der Ausgangspunkt weniger die Ursprünglichkeit des Gefühlsausdruckes war [wie bei den Brücke-Expressionisten; S. B.], als vielmehr die Symbolfähigkeit des darzustellenden Gegenstandes. Jedes Kunstwerk ist ein Symbol in welchem seelische, allgemein wichtige Vorgänge ihren sichtbaren Niederschlag finden. […] Auch hier kam man zu einer Ablehnung der bisherigen Formgebung und in einer viel eindeutigeren Weise zu einer Ablehnung der naturalistischen Formgebung überhaupt, da sie als die Sprache individueller Vorgänge nicht mehr geeignet sei, neuzeitliche, überindividuelle Gefühle auszusprechen. […] Kandinsky kam zu dem Schluss[,] die gegenständliche Form überhaupt abzulehnen, da sie keine Momente mehr für ihn enthielten [sic], die allgemein verpflichtend und deswegen symbolfähig wären. Er kam zu den einzigen noch bindefähigen Formen allgemeiner Grundrichtungen, aus denen zwar jeder individuelle Gegenstand zusammengesetzt ist, die aber das Individuum nicht als ausschließlich und allgemein verbindlich voraussetzen. Es war dies ein direkter Stoß gegen den gesamten übersteigerten Individualismus, der in Auflösung begriffenen, großbürgerlichen Schicht.101

Christian Fuhrmeister und Olaf Peters gehen davon aus, dass Schardt diese Sätze niederschrieb, kurz nachdem er 1939 in die USA emigriert war.102 Anders als in den Wesensmerkmalen ging es Schardt in seiner „Kurzen Übersicht über die künstlerische Lage und Entwicklung zwischen 1900 und 1940 [zu ergänzen wäre: in Deutschland; S. B.]“ nicht mehr darum, die Moderne auf eine für die Nationalsozialisten verträgliche, für sie überzeugende Weise zu präsentieren. Er brauchte in dieser Richtung keine Zugeständnisse mehr zu machen. Entsprechend würdigte er Kandinskijs fundamentalen Beitrag für die Kunstentwicklung in Deutschland, das heißt er blendete Kandinskij wieder ein.

99 Vgl. Schardt [1933] 2013a, 191, und Hentzen 1971, 32. 100 Vgl. Schardt [1940] 2013b, 255–258. 101 Schardt [1940] 2013b, 257. 102 Vgl. Fuhrmeister/Peters 2013, XVII f.

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Bevor Schardt dem nationalsozialistischen Deutschland den Rücken kehrte, hatte er bei seinem Einsatz für die Moderne herbe Niederlagen erlitten: Im November 1933 war Schardts Neuhängung im Kronprinzenpalais von Kultusminister Bernhard Rust abgelehnt worden. Er hatte unverrichteter Dinge abtreten müssen.103 Und auch am Moritzburgmuseum in Halle, wo Schardt bis 1936 als Direktor verpflichtet geblieben war,104 hatten die Dinge ihren unheilvollen Lauf genommen. Zwar schrieb Schardt Ende 1935 an Kandinskij: „Ihre Aquarelle hängen in Halle noch in einem Raum zusammen und sind ebenso wie alle anderen – auch Klee – der Öffentlichkeit zugänglich.“105 Was Schardt in seinem Brief allerdings nicht erwähnte, war die Tatsache, dass es sich bei dem besagten Raum nicht etwa um das Kabinett mit den Kandinskij-Aquarellen handelte, das er 1929 in der Moritzburg eingerichtet hatte,106 sondern um eine „Schreckenskammer“, die gegen seinen Willen im Obergeschoss des Museums installiert worden war.107 Damit nicht genug, war 1936 eine von Schardt publizierte Monographie über Franz Marc beschlagnahmt und verboten worden.108 Ich möchte abschließend eine Stelle aus dem Marc-Buch zitieren, die den vorangegangenen Betrachtungen eine neue Facette hinzufügt. Schardt schreibt darin: Die stärkste Einwirkung, die Farbe als seelischen Ausdruckswert zu verwenden, hat Franz Marc im Grunde genommen von der Volkskunst her empfangen, und zwar zunächst auf einem seltsamen Umwege, nämlich über die Bilder der russischen Maler Kandinsky, Jawlensky, Werefkin u. a., die sich damals [um 1909/10; S. B.] in München aufhielten. In der russisch-kirchlichen Ikonenmalerei und beim russischen Volke hatte sich der Sinn für die seelische Ausdruckskraft der Farbe über die naturalistische Zeit hinweg lebendig erhalten. Russische Maler hatten die Sehnsucht, diese verlorengegangene Heimat der Farbe wiederzufinden und sie in das Land neugewonnener Erkenntnisse zu überführen.109

103 Vgl. Hüneke 1991, 55; Ders. 1992b, 288; Grabowski 2013, 95 f. Schardt hatte die Eröffnung des von ihm neukonzipierten Kronprinzenpalais für Mitte November vorgesehen – es blieb jedoch geschlossen. Vgl. Grabowski 2013, 95. 104 Vgl. Hüneke 1990, 55 f.; Peters 2004, 132. 105 Brief von Schardt an Kandinskij, 1.12.1935. Zit. nach: Droste 1984a, 71, Anm. 45. 106 Davon geht nämlich Magdalena Droste (1984a, 69) aus, die sich auf Schardts Brief an Kandinskij beruft. 107 Vgl. Zuschlag 1995, 163–166; Hüneke 2005, 205–209. Am 8. Juli 1937 wurden Kandinskijs Aquarelle dann zusammen mit weiteren Werken der hallischen Sammlung beschlagnahmt, um sie keine zwei Wochen später auf der Münchner Ausstellung Entartete Kunst zu verunglimpfen. Vgl. Kort 1992b, 265, 268; Zuschlag 1995, 165; Hüneke 2005, 132 (Nr. 163, 164), 155–157 (Nr. 219–224), 210–213. 108 Vgl. Hüneke 1990, 56; Ders. 1992b, 288; Peters 2004, 139, Anm. 70; Kracht 2007, 337–339. 109 Schardt 1936, 67.



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Beachtenswert an dieser Passage ist vor dem zeitlichen Hintergrund zunächst, dass Schardt einen Einfluss der Münchner Russen auf Marc überhaupt feststellt und implizit als positiv bewertet; desgleichen fällt ins Auge – und hierauf kommt es mir vor allem an –, dass Schardt diesen Einfluss gerade an der russischen Herkunft Kandinskijs, Javlenskijs und der Verefkina festmacht: Durch ihre Werke sei Marc der „Sinn für die seelische Ausdruckskraft der Farbe“ vermittelt worden, der sich in den Ikonen und im russischen Volk bis in die Gegenwart bewahrt habe. Wenn Schardt nun von Marc – dem „Vorkämpfer einer neuen deutschen Kunst“110 – behauptet, er habe vor den Bildern dieser Russen verstanden, „daß er nicht mehr allein war in seinem Ringen um einen neuen Ausdruck“111, dann stellt Schardt damit zugleich eine Gemeinsamkeit, eine innere Nähe zwischen der deutschen und der russischen modernen Kunst fest.112 Wir haben es hier wohlgemerkt mit einem Text zu tun, den Schardt, anders als die „Kurze Übersicht“, noch vor seiner Ausreise in die USA schrieb und vor allem auch veröffentlichte – zu einem Zeitpunkt freilich, als er mit seiner Ausblendungstaktik bereits gescheitert war. Mit diesen Beobachtungen aber ist eine Brücke von der Ausblendung Kandinskijs hin zu derjenigen Umgangsweise mit seinem Werk nach 1933 geschlagen, die ich in Kapitel 5.2.3 unter dem Stichwort „Integration“ eingehender behandeln werde. 5.2.1.4 Nachtrag zur Überlieferung von Schardts Hängung im Kronprinzenpalais Alois Schardts Neuordnung im Kronprinzenpalais, die das Placet des Kultusministers nicht erhielt und somit der Öffentlichkeit vorenthalten blieb, stellt uns vor das Problem einer unzureichenden Dokumentation. Dieses Problem betrifft auch die meinen Ausführungen zugrunde liegende Behauptung, Kandinskij habe in Schardts Hängung gefehlt: In der Forschungsliteratur, auf die ich mich hierbei stütze, gibt es keinen Hinweis auf eine Quelle, aus der Kandinskijs Fehlen unmittelbar hervorgeht.113 Demgegenüber gibt es zwei Quellen, die im direkten Widerspruch zu dieser Behauptung stehen. Da ist zum einen Paul Ortwin Rave, der 1933 als Assistent an der Nationalgalerie tätig war. In seiner Geschichte der Nationalgalerie Berlin (posthum 1968) berichtet er über die Bemühungen von Schardts Nachfolger Eberhard Hanfstaengl, die Moderne durch eine moderate Werkauswahl im Kronprinzenpalais zu halten114: 110 Ebd., 5. 111 Ebd., 67. 112 Möglicherweise hatte Schardt diese Nähe schon 1924 im Sinn, als er in Hellerau deutsche und russische Künstler gemeinsam im rechten Flügel des Festspielhauses ausstellte. (Die Franzosen beabsichtigte er im linken Flügel zu zeigen.) Vgl. Grohmann 1925a; Hüneke 1997, 88. 113 Vgl. Hüneke 1991, 55; Ders. 1992b, 288; Weidemann 2001, 380; Hüneke 2006, 227; Scholz 2014, 88. 114 Vgl. dazu auch Grabowski 2015.

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Hanfstaengl hatte anfangs versucht, durch Siebung des Bestandes das Verhängnis aufzuhalten. Er hatte bei der Neuordnung des Kronprinzen-Palais ein halbes Hundert Gemälde und etwa ein Dutzend Bildwerke ausgesondert und magaziniert, um die Schreier, deren Vernichtungswillen er kannte, nicht unmittelbar zu reizen. Werke von Heckel, Kirchner, Nolde, Rohlfs, Hofer, Beckmann, Kokoschka, Otto Dix, Picasso und Kandinsky, auch Barlach und Lehmbruck waren darunter und durch Bilder von mehr gemäßigter Formensprache ersetzt.115

Die zweite Quelle, die der von mir geteilten Annahme widerspricht, ist ein dreiseitiges Verzeichnis, das sich im Besitz des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin befindet. Es trägt die Überschrift „Verzeichnis der Kunstwerke, die nach Amtsantritt von Direktor Hanfstaengl aus der Schausammlung im ehemaligen Kronprinzen-Palais entfernt und magaziniert worden sind“.116 Darin aufgelistet sind 47 Gemälde (von 26 Künstlern) sowie 9 Skulpturen (von 7 Künstlern); die Einträge zu Max Beckmann und Emil Nolde enthalten zusätzlich den Vermerk „mehrere Leihgaben“. Es ist gut denkbar, dass Rave das Verzeichnis bei der Niederschrift seiner Geschichte der Nationalgalerie benutzte. Denn nicht nur stimmen Raves näherungsweise Angaben („ein halbes Hundert Gemälde und etwa ein Dutzend Bildwerke“) mit diesen Zahlen überein; es finden sich auch die von Rave genannten Künstler in dem Verzeichnis wieder – unter ihnen Kandinskij mit seinen Gemälden Zweierlei Rot und Ruhe. Die Schwierigkeit, die sich aus diesen beiden Quellen ergibt, liegt auf der Hand: Würde es zutreffen, dass Hanfstaengl Kandinskijs Werke magazinierte, dann hieße das zugleich, dass sie sich bei Schardts Weggang noch in der Schausammlung befunden hatten! Es scheint, als würden meine obigen Ausführungen über die Ausblendung Kandinskijs unter Schardt durch das Verzeichnis im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin wie auch durch Raves Bericht widerlegt. Aus mehreren Gründen ist an diesem Punkt jedoch Vorsicht vor schnellen Schlussfolgerungen geboten: Erstens: Auch wenn (noch) kein zeitgenössisches Dokument bekannt ist, welches belegt, dass Schardt Kandinskij bei der Neuordnung des Kronprinzenpalais ausklammerte, gibt es doch triftige Argumente, die dafür sprechen. Diese Argumente können nicht einfach beiseitegeschoben werden; vielmehr wäre zu erklären, weshalb Schardt Kandinskijs 115 Rave 1968, 119 f. Schon in seiner Publikation Kunstdiktatur im Dritten Reich (1949, 40) hatte Rave – ebenfalls unter Erwähnung von Kandinskij – über Hanfstaengls Vorgehen bei der Neuordnung des Kronprinzenpalais geschrieben: „Die abstrakten Gestaltungen wurden überhaupt möglichst vermieden, indem Werke von Picasso, Gris und Kandinsky, Campendonk, Baumeister und Schlemmer, Belling und Scharff nicht mehr gezeigt wurden.“ 116 SMB-ZA, I/NG 948, Bl. 11–13. Mein Dank gilt Anja Borawski vom Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, die mich auf dieses Verzeichnis aufmerksam gemacht und mir einen Scan davon übermittelt hat.



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Gemälde in seine Ausstellung hätte miteinbeziehen sollen, wo er dem nationalsozialistischen Kultusminister doch eigens versicherte, er habe „auf die Auswahl einen ganz besonderen Wert gelegt, damit das Wort National-Galerie – als eines Museums nationaler Werte – sich an jedem einzelnen Werk bewahrheitet“117. Zweitens: Ungereimtheiten existieren nicht nur in Bezug auf Kandinskij, sondern auch auf andere Künstler, deren Arbeiten dem Verzeichnis (und Rave) zufolge erst unter Hanfstaengl entfernt worden sind. So findet man auf der Liste etwa auch ein Stillleben von Pablo Picasso. Es stellt sich die Frage, welche Rolle Picasso in Schardts dezidiert nationaler Selektion gespielt haben sollte? Eine offenbare Diskrepanz ist auch im Fall von Klee zu konstatieren: Das Verzeichnis im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin führt drei Gemälde des Künstlers auf. Rave behauptet sogar, dass ein Hauptakzent der Schardt’schen Hängung auf Klee gelegen habe.118 In deutlichem Gegensatz dazu stehen die Erinnerungen Alfred Hentzens, der 1933 Raves Kollege an der Nationalgalerie gewesen war. Hentzen schildert nicht nur Schardts schweren Entschluss, bei der Umgestaltung der Neuen Abteilung auf Klee zu verzichten, er gibt auch Hanfstaengls diesbezügliche Verwunderung wieder: „Als er [= Hanfstaengl; S. B.] mit uns zum ersten Mal einen Rundgang durch das Kronprinzen-Palais gemacht hatte, so wie es von Schardt hinterlassen worden war, sagte er erstaunt: ‚Aber hier fehlt ja Klee!‘.“119 Hentzen gesteht in seinem 1971 veröffentlichten Aufsatz zwar ein, dass sein Gedächtnis „in 38 Jahren nur Einzelnes mit Sicherheit bewahrt hat“120. Bei den von ihm so lebendig überlieferten Episoden, die die Abwesenheit Klees in Schardts Präsentation dokumentieren, ist eine Unsicherheit indes nicht auszumachen. – Diese und weitere Unstimmigkeiten sind, soweit ich sehen kann, in der einschlägigen Literatur bislang nicht thematisiert worden. Welcher Quelle gibt man nun aber den Vorzug? Drittens: Die Entstehungshintergründe des Verzeichnisses liegen im Dunkeln. Es ist nicht klar, wann, von wem oder unter welchen Umständen (wie, zu welchem Zweck, auf welcher Basis) es erstellt worden ist.121 Diese uns fehlenden Informationen könnten allerdings relevant sein in dem Sinne, dass sie eine signifikante Bedeutung für die Interpretation des Verzeichnisses haben. So wäre vorstellbar – ohne dies im gegebenen Rahmen prüfen zu können –, dass in dem Verzeichnis tatsächlich diejenigen Kunstwerke erfasst sind, die im Vergleich zur letzten öffentlichen Präsentation der modernen Sammlung – das heißt gemessen an der Konzeption Justis – in Hanfstaengls Auswahl fehlten. (Schardt 117 Brief von Schardt an Kultusminister Bernhard Rust, 9.11.1933. Zit. nach: Janda/Grabowski 1992, 39. 118 Vgl. Rave 1968, 115. 119 Hentzen 1971, 32, 35. 120 Ebd., 31. 121 Freundliche Auskunft von Anja Borawski (Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin) an den Verfasser, E-Mail, 18.12.2015.

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hatte das Kronprinzenpalais im Zuge seiner Neugestaltung geschlossen und es danach ja nicht mehr eröffnen dürfen.) Anstatt definitive Antworten zu liefern, wirft das „Verzeichnis der Kunstwerke, die nach Amtsantritt von Direktor Hanfstaengl aus der Schausammlung im ehemaligen Kronprinzen-Palais entfernt und magaziniert worden sind“ neue Fragen auf. Dies gilt im Hinblick auf das hier untersuchte Problem auch für Raves Darstellung, die möglicherweise auf dem Verzeichnis beruht. Tatsache ist, dass die Überlieferung zu Schardts Hängung eklatante Widersprüche aufweist. Um dahinein eine größere Klarheit zu bringen, ist weitere Forschungsarbeit vonnöten. Einstweilen hat man jedoch guten Grund zu der Annahme, dass Schardt bei der Neuordnung des Kronprinzenpalais davon absah, Kandinskij auszustellen. 5.2.2 Verfremdung Der Begriff „Verfremdung“ wird hier in einem vom herkömmlichen Verständnis abweichenden Sinne verwendet, der neben dem Moment der Distanz(ierung) auch die negative Konnotation des Adjektivs „fremd“ mit einschließt. Genau genommen handelt es sich bei der „Verfremdung“ um einen terminus technicus der Literaturtheorie bzw. Ästhetik; das Wort ist damit „schon belegt“122. Wenn ich im Bewusstsein dieser inhaltlichen Festlegung das Wort „Verfremdung“ dennoch in einem anderen als dem üblichen Sinn gebrauche, so geschieht dies nicht zuletzt in Ermangelung geeigneter Begriffsalternativen. 5.2.2.1 ‚Deutsch‘ | ‚undeutsch‘: Zur Konstruktion zweier Modernen Wurde Kandinskij bei der „Ausblendung“ gleichsam in ein verborgenes Wartezimmer gesetzt, aus dem man ihn vermeintlich würde herausholen können, sobald sich in den kunstpolitischen Richtungsfragen die aufgeschlossenere Seite durchgesetzt haben würde, so verbaute man ihm im Zuge seiner Verfremdung die – freilich nur hypothetische – Chance, weiterhin Teil des deutschen Kunstlebens zu sein. (Im Rückblick betrachtet hatte Kandinskij in Hitlers Deutschland realiter von Anfang an keine Chance.) Dass die Verfremdung Kandinskijs auch von Personen betrieben wurde, die zumindest einem Teil der Avantgardekunst offen gegenüberstanden, macht den Gebrauch der Bezeichnungen „promodern“ und „antimodern“ in diesem Zusammenhang problematisch. 122 Tippner 1997, 43. In seinem Text „Iskusstvo, kak priem“ [Die Kunst als Verfahren] (1916) charakterisierte der russische Formalist Viktor Šklovskij die Verfremdung (ostranenie) als das künstlerische Verfahren schlechthin, durch das die Wahrnehmung vom „Wiedererkennen“ zum „Sehen“ der Dinge geführt, d. h. ihres Automatismus entledigt werde (zit. nach: Šklovskij [1916] 1969, 15). Zum Begriff der „Verfremdung“, der insbesondere auch durch Bertolt Brecht geprägt wurde, vgl. Grimm 1961, 210–213; Žmegač 1994.



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Denn sie suggerieren ein Entweder-Oder, das jedoch da fehl am Platze ist, wo die Grenze zwischen dem, was man akzeptierte oder sogar bewunderte, und dem, was man nicht zu akzeptieren bereit war, durch die Avantgarde hindurch verlief. Im Hinblick auf die jungen Nationalsozialisten, die sich nach der „Machtergreifung“ für den ‚nordischen‘ Expressionismus stark machten, wurde bereits darauf hingewiesen, dass hier allenfalls von einer partiell modernefreundlichen Position die Rede sein kann. Ein Anfang 1934 erschienener Artikel von Otto Andreas Schreiber (Jg. 1907) veranschaulicht dies. Schreiber hatte sich im Juni 1933 auf der Kundgebung „Jugend kämpft für deutsche Kunst“ in Berlin für Expressionisten wie Nolde und Barlach ausgesprochen und war später von Goebbels in das Kulturamt der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ geholt worden.123 In dem erwähnten Artikel nimmt Schreiber Barlach, Nolde, Heckel, Schmidt-Rottluff, Marc und Rohlfs als ‚völkische‘ Künstler in Schutz, die mit dem Expressionismus „die große befreiende Kunst der vergangenen dreißig Jahre“ geschaffen hätten.124 Desgleichen appelliert er an seine Leserschaft, „nicht sofort alles, was uns schwer verständlich dünkt, als ‚undeutsch‘ und ‚fremdländisch‘ zu erledigen“ 125. Wie weit es mit diesem Appell jedoch her ist, wird ein paar Zeilen weiter unten deutlich. Dort wird auf rassistisch-antisemitischem Fundament Kandinskijs Werk zu einem Beispiel „typisch jüdischer Kunst“ erklärt, die von den Deutschen „instinktiv“ abgelehnt werde: Es ist nicht zu verkennen, daß bei einem Vergleich zwischen deutscher und fremdländischer Kunst diese und jene typischen Unterscheidungsmerkmale feststellbar sind. […] Ganz deutlich aber werden die Unterschiede, wenn man […] die Deutschen […] mit einer gänzlich anderen Rasse, etwa der semitischen, vergleicht. Hier sind die Unterschiede ausschlaggebend, unser Blut lehnt instinktiv in gleicher Weise das jüdische Volk wie dessen Formensprache ab. […] Es gibt genügend Zeugnisse typisch jüdischer Kunst, die wir als solche empfinden […]. Der Zynismus des Literaten Alfred Kerr, die orientalische Glut Kandinskys, die Persiflagen Jankel Adlers sind solche typischen Zeugnisse jüdischer Kunst gewesen. Immer waren es nicht die allgemeinmenschlichen Inhalte, die auch eine völkische Kunst unseres Landes behandeln kann, und nicht deren Berechtigung oder Unrichtigkeit, die das typisch Undeutsche kennzeichneten, sondern vielmehr die Gestaltungsart, mit der diese Inhalte vorgetragen wurden. Die Form deutete diese Inhalte so, daß Spott zu Zynismus, Sehnsucht zu Gier, Schönheit zu Pikanterie, Liebe zu Geilheit wurde. […] Daß germanische Menschen die jüdische Formung

123 Vgl. Brenner 1963, 66–68, 73 f.; Merker 1983, 131–137; Scholz 1999; Baumann 2002b, 115 f., 144–146, 150, 155. 124 Schreiber 1934, 23. 125 Ebd., 11.

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dieser Dinge als deren Verzerrung empfinden müssen, liegt unabänderlich im Wesensunterschied der Rassen begründet […].126

Anstatt darüber zu spekulieren, ob Schreiber aus dem russisch-orthodox geprägten Kandinskij versehentlich oder absichtlich einen Juden machte,127 will ich die Aufmerksamkeit auf die Rolle lenken, die Kandinskij im Gefüge des Textes zugewiesen wird. Schreiber geht es in seinem Artikel um die Bestimmung des Expressionismus (Barlach’scher, Nolde’scher usw. Prägung) als wesenhaft ‚deutsche‘ Kunst. Das Etikett ‚jüdisch‘ erfüllt in diesem Kontext eine kontrastive Funktion, es soll das Fremde schlechthin zum Ausdruck bringen. In ebendiesem Sinne wird Kandinskij, werden der Maler Jankel Adler und der Schriftsteller Alfred Kerr von Schreiber benutzt, um das ‚gänzlich Andere‘ des von ihm hochgehaltenen ‚deutschen‘ Expressionismus zu illustrieren.128 Schreiber instrumentalisiert ihr Schaffen und ihre (in Kandinskijs Fall: vorgebliche) jüdische Herkunft, um innerhalb der modernen Kunst in Deutschland eine scharfe Trennlinie zwischen einer ‚deutschen‘ und einer ‚undeutschen‘ Kunst zu ziehen. Diese Binnenunterscheidung ist für den Autor insofern wichtig, als er die progressiven Tendenzen der zurückliegenden Jahrzehnte nicht rundweg ablehnt, wie Schultze-Naumburg es tut, sie aber auch nicht im Ganzen gelten lässt. Es ist dabei von vornherein klar, dass Schreibers Unterscheidung von einer Bewertung ausgeht, die sie zugleich transportiert. Die „orientalische Glut“ Kandinskijs – eine Wendung, die ebenso gut von einem Befürworter Kandinskijs hätte stammen können, der damit einen spezifisch russischen Expressionismus kennzeichnen wollte – wird dementsprechend zur „Verzerrung“ gestempelt. Schreibers Text weist zwei Merkmale auf, auf die sich meine Verwendung des Begriffes „Verfremdung“ im Folgenden bezieht. Erstens: Bestimmte Künstler werden als „fremd“ markiert und zum Gegenbild der eigenen (bzw. als „eigen“ anerkannten) Künstler stilisiert. Zweitens: Das „Fremde“ wird (oder ist implizit) einer Wertung unterzogen, es wird in ein negatives Verhältnis zum positiv besetzten „Eigenen“ gebracht.129 In dieser Hinsicht steht Schreiber ganz in der Tradition Schultze-Naumburgs – nur, dass er eben einige Avantgardisten von der Verfremdung ausgenommen wissen will. Wie konstruiert und absurd Schreibers Differenzierung ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er Marc und Kandinskij, die Initiatoren des Blauen Reiters, „die beiden kongenialen 126 Ebd. 127 Vgl. oben Kap. 4.6.4 den Exkurs über Kandinskij als „Jude“. Zu Kandinskijs religiösem Hintergrund vgl. Hahl-Koch 1993, 26 f.; Krieger 1998a, 108–110; Mazur-Keblowski 2000, 94; Hahl-Fontaine 2012b, 27 f. 128 Zu Adler vgl. Kort 1992a; zu Kerr vgl. Heuer 1977. 129 Vgl. auch den verwandten englischen Begriff „Othering“, der wie die „Verfremdung“ impliziert, dass eine Person oder Gruppe von Personen nicht einfach „fremd“ oder „anders“ ist, sondern dass sie dazu gemacht wird. Vgl. Critchfield 2010; Gingrich 2011.



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Kämpfer für das ‚Geistige in der Kunst‘“130, zwei grundverschiedenen Sphären zuordnet und sie dabei in einen unversöhnlichen Gegensatz zueinander stellt. 5.2.2.2 Kandinskij versus Marc? Jeder an moderner Kunst Interessierte weiß heutzutage, wie eng und fruchtbar die Zusammenarbeit zwischen Kandinskij und Franz Marc gewesen ist.131 Ihre gänzlich voneinander losgelöste, konträre Behandlung durch Schreiber irritiert daher nicht nur wegen ihrer rassistischen Fundierung. Diese Irritation gibt uns Anlass zu der Frage, ob und wie die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem russischen Maler nach 1933 zur Sprache gebracht wurde. Aufgrund der schlechten Quellensituation zu Kandinskij – das Stichwort „Ausblendung“ mag hier als Begründung genügen – dient das Schrifttum über Franz Marc als Grundlage bei der Antwortsuche. Isgard Kracht, die sich eingehend mit der Marc-Rezeption im Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat,132 war mir in dieser Frage behilflich. Wie mir Kracht mitteilte, spiele Kandinskij in der überwiegenden Mehrzahl der von ihr untersuchten Quellen über Marc sowohl vor als auch nach 1937 (dem Jahr der Aktion „Entartete Kunst“; S. B.) keine nennenswerte Rolle. Diese Beobachtung treffe auch auf jene Gruppe von Texten zu, in denen Marcs Werk einer scharfen Polemik unterzogen wurde. Nach Krachts bisherigen Kenntnissen sei insgesamt nur vereinzelt auf Marcs Zusammenarbeit mit Kandinskij eingegangen worden, geschweige denn auf einen künstlerischen Einfluss Kandinskijs auf Marc. Kracht sieht einen Grund hierfür in der Germanisierung des Expressionismus, bei der man über internationale Einflüsse tunlichst hinweggegangen sei.133 Dass, wer sich damals öffentlich zu Marc als einem ‚deutschen‘ Künstler bekannte, dessen Gemeinschaft mit dem Russen und späteren Bauhauslehrer Kandinskij nicht in den Vordergrund stellte, scheint wenig erstaunlich. Dass aber, wie Kracht bemerkt, offenbar auch Marcs Gegner zum größten Teil nicht auf diese Verbindung eingingen, wo sie doch argumentatives Kapital daraus hätten schlagen können, überrascht. Der Versuch, diesen Sachverhalt zu erklären, kann uns dabei helfen, die Rezeption – respektive Nicht-Rezeption – der Beziehung zwischen Marc und Kandinskij in dieser Zeit insgesamt besser einzuordnen.

130 Hoberg 2014, 168. 131 Klaus Lankheit sprach bereits 1960 von der Freundschaft Marcs und Kandinskijs als „der berühmtesten, historisch folgereichsten Künstlerfreundschaft unserer Zeit“ (Lankheit 1960, 42). 132 Vgl. Kracht 2005; Dies. 2007. 133 E-Mail von Isgard Kracht an den Verf., 15.6.2014. Ich bin Isgard Kracht für diese Auskunft sowie für Hinweise auf einzelne Belegstellen zu Dank verpflichtet.

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Ein erster Erklärungsansatz ergibt sich aus der Rezeptionsgeschichte des Blauen Reiters, jenes Publikations- und Ausstellungsprojekts, mit dem Kandinskij und Marc ihre gemeinsamen Kunstauffassungen nach außen hin vertraten. Im heutigen Bewusstsein ist der Blaue Reiter geradezu ein Synonym für die intensive Zusammenarbeit Marcs und Kandinskijs und infolgedessen untrennbar mit den Namen seiner beiden Gründer verbunden. Allerdings: Dem war nicht immer so. Christine Hopfengart hat in einem aufschlussreichen Katalogbeitrag dargelegt, „wie konfus und unklar das historische Wissen über den Blauen Reiter und die Ereignisse der Jahre 1911–14 in der Zwischenzeit [am Ende der 20er-Jahre; S. B.] geworden war“, und zwar auch „bezüglich der Frage, wer die Köpfe des Blauen Reiters gewesen waren“.134 Nicht weniger bedeutsam ist für uns Hopfengarts Feststellung, dass die Künstler des Blauen Reiters (einschließlich seines näheren Umfeldes mit Macke, Klee u. a.)135, beginnend im Ersten Weltkrieg, „nicht mehr als Kollektiv, sondern mit ihrem individuellen Werk wahrgenommen [wurden], wobei die Resonanz auf jeden von ihnen ganz unterschiedlich ausfiel. Vor allem die Urteile über Marc und Kandinsky drifteten nun weit auseinander […].“136 Man darf hierbei nicht vergessen, dass sich Kandinskij und Marc in ihrem Schaffen einander nicht so stark ähnelten wie es beispielsweise die Brücke-Maler taten,137 und dass Marcs Entwicklung mit seinem Tod im Ersten Weltkrieg ein jähes Ende nahm, während die Rezeption Kandinskijs nach seiner Rückkehr aus Russland 1921 durch seinen stilistischen Wandel und die Tätigkeit am Bauhaus mitgeprägt wurde. All dies trug zu ihrer divergierenden Wahrnehmung bei. Auch die unterschiedliche Herkunft der einstigen Weggefährten bot jeweils andere Anknüpfungspunkte. So stieg Marc zum nationalen Kulturgut auf und nahm in dieser Hinsicht unter den modernen deutschen Künstlern überhaupt eine Sonderstellung ein.138 134 Hopfengart 2000, 19. 135 Zum Problem des Status des Blauen Reiters als Gruppe vgl. die differenzierte Darstellung bei Wedekind 2000. Darin heißt es: „Je nachdem, mit welchen Kategorien und Methoden operiert wird, erscheint ‚Der Blaue Reiter‘ als eine temporäre kunstpolitische Aktivität zweier Künstler [nämlich Marcs und Kandinskijs; S. B.], die nichts mit einer wie auch immer gearteten Gruppenbildung zu tun hatte, oder eben als ein mehr oder weniger festgefügtes Ensemble interagierender Personen. Argumentiert man formalistisch, gibt es keine Gruppe ‚Der Blaue Reiter‘, argumentiert man historisch, gibt es einen Kreis von Künstlern und Freunden um die Kleingruppe der beiden Redakteure Kandinsky und Marc.“ Ebd., 110. 136 Hopfengart 2000, 18. 137 Vgl. Vogt 1981, 204. Für eine knappe Einführung in Marcs Werk vgl. Kohle 2012; Klingsöhr-Leroy 2013. 138 Vgl. Kracht 2005, 7 f.; Dies. 2007, 357. In einem Artikel aus dem Jahr 1924 scheint Adolf Behne bewusst auf diese nationale Bedeutung Marcs anzuspielen, um das Weimarer Bauhaus gegen fremdenfeindliche Angriffe zu verteidigen. Dem Vorwurf, es werde am Bauhaus „Ausländerei“ getrieben, entgegnete er: „Seine [= Gropius’; S. B.] Ausländerei besteht darin, daß er unter 110 Schülern sechs hat, deren Muttersprache nicht deutsch ist, und unter 18 Lehrern zwei Nichtdeutsche,



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Es sind vor allem drei Faktoren, die Marcs Sonderstellung – auch nach 1933 – begründeten:139 (1) die Popularität seiner Tierdarstellungen140 (vgl. Taf. 12), (2) sein früher „Heldentod“ 1916 vor Verdun und (3) die posthume Veröffentlichung seiner Briefe, Aufzeichnungen und Aphorismen (Berlin 1920), aus denen für viele Zeitgenossen ein „lauteres Menschentum“141 sprach. Die große Achtung, die dem Menschen und namentlich dem Soldaten Franz Marc entgegenbracht wurde, erschwerte im Nationalsozialismus den Kampf gegen seine Bilder. Sie zeigte sich sehr deutlich an den negativen Reaktionen, die die Präsentation von Marcs Turm der blauen Pferde (1913) in der Münchner Femeschau Entartete Kunst 1937 hervorrief: Das Gemälde wurde aus der Ausstellung entfernt, nachdem der Deutsche Offiziersbund Protest gegen die Verunglimpfung des Kriegsgefallenen eingelegt hatte.142 Krachts vorläufiger Befund, laut dem Kandinskij nach 1933 nur in den wenigsten Aufsätzen über Marc Erwähnung fand, ist von zwei Blickwinkeln her zu betrachten, die sich gegenseitig ergänzen. Man kann diesen Befund als Folge der bereits in den 20er-Jahren auseinanderstrebenden Wahrnehmung Marcs und Kandinskijs interpretieren und, wie auch von Kracht angeführt, als eine bewusste Ausblendung Kandinskijs im Kontext der Germanisierung des Expressionismus. (Für das Faktum einer Ausblendung spricht auch, dass man selbst aus allgemeinen Nachschlagewerken von Marcs Zusammenschluss mit Kandinskij im Blauen Reiter erfahren konnte.143) Was lässt sich nun über die Fälle sagen, in denen auf die Beziehung zwischen Marc und Kandinskij tatsächlich eingegangen wurde? Das wenige Material, das mir diesbezüglich vorliegt, erlaubt keine generellen Aussagen. Dass man diese Beziehung bzw. die Wirkung von Kandinskijs Bildern auf Marc als einen Gewinn für die deutsche Kunst darstellte, wie es Alois Schardt in seiner Monographie Franz Marc tat (s. o.) oder Werner

Kandinsky, den Freund Franz Marcs’, und den Ungarn Moholy-Nagy.“ Adolf Behne: Für das Weimarer Bauhaus. In: 8 Uhr Abendblatt/National-Zeitung (Berlin) Nr. 78 (1.4.1924). Zit. nach: Pressestimmen für das Staatliche Bauhaus Weimar [1924] 1980, 83 f., hier: 84. 139 Vgl. hierzu Hopfengart 2000, 18, 22 f.; Kracht 2005; Dies. 2007; Klingsöhr-Leroy 2013, 11, 14. 140 Mit Blick auf die Zeit nach 1945 macht Christine Hopfengart (2000, 25) die in diesem Zusammenhang interessante Beobachtung, dass Marcs Rote Pferde von 1911 „genau die Stufe an Modernität verkörpert zu haben [scheinen], die ein breiteres Publikum in der Kunst zu konzedieren bereit war“. 141 H. Homeyer: Franz Marc. Zum 20. Todestag. In: Berliner Tageblatt (1.3.1936). Zit. nach: Kracht 2007, 307. 142 Vgl. Hentzen 1971, 64; Hopfengart 2000, 22; Kracht 2007, 347 f. Der heute verschollene Turm der blauen Pferde war einst Glanzstück der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im Berliner Kronprinzenpalais und erfreute sich in den 1920er-Jahren besonders großer Beliebtheit. Vgl. Kracht 2007, 312 f. 143 Vgl. die Einträge zu Marc in Meyers Lexikon 1927, Sp. 1672; Brockhaus 1932, 112; Meyers Lexikon 1939b, Sp. 987.

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Haftmann in einem Artikel, von dem später noch die Rede sein wird, bildete wohl eher die Ausnahme. Die Tendenz weist in eine andere Richtung. Wie verschieden die Meinungen und Herangehensweisen dabei ausfallen konnten, belegen die drei im Folgenden zitierten Texte. Sie stammen alle aus dem Jahr 1936, in dem Marcs Todestag zum zwanzigsten Mal wiederkehrte. Zu diesem Anlass erschien nicht nur die erste Monographie über den Künstler (von Schardt), es wurde von der Kestner-Gesellschaft in Hannover auch eine umfassende Gedächtnisausstellung organisiert, die von den Berliner Galerien Nierendorf und von der Heyde in veränderter Gestalt übernommen wurde.144 Ein solches Unterfangen war 1936 im Hinblick auf Marc also noch möglich – und erfolgreich! Die Schau erntete großen Beifall. Der Kunstkritiker Ernst von Niebelschütz urteilte in der Magdeburgischen Zeitung, die Kestner-Gesellschaft habe sich mit ihr „ein bleibendes Denkmal“145 gesetzt.146 In seinem Beitrag kommt Niebelschütz auch kurz auf Kandinskij zu sprechen, den er als wichtigen Impulsgeber für Marc anführt. Gleichzeitig spielt Niebelschütz die Rolle der Einflüsse, die Marc in seinem Werk verarbeitete, jedoch als nebensächlich herunter. Entscheidend sei am Ende nur, was Marc aus diesen Einflüssen gemacht hat: Wer Abstempelungen liebt, kann leicht neoimpressionistische, kubistische und futuristische Einflüsse feststellen [in Marcs unnaturalistischen Bildern; S. B.], besonders Anregungen von Kandinsky und dessen abstrakt-gegenstandslosen Klangfiguren her. Aber nicht dies ist das Wesentliche, sondern das unbeirrbar sichere Gefühl für das, was ihn förderte, ohne die Magnetnadel seines Willens von dem klar erkannten Ziel abzulenken. Immer wird das Fremde, das er mit herrlicher Weitherzigkeit wie einen befruchtenden Samen empfängt, umgeschmolzen und dabei zu einer Musikalität gebracht, die Unerlebtes nie haben könnte.147

Man kann diesem Einwand durchaus seine Berechtigung zuerkennen: Marcs Bilder sind in der Tat mehr als eine Summe von Anregungen und sollten dementsprechend nicht darauf reduziert werden. Fraglich bleibt indessen, wogegen und an wen sich Niebelschütz’ Einwand damals richtete. Gehen wir davon aus, dass die Befürworter Marcs schon aus taktischen Gründen über internationale Einflüsse eher zu schweigen pflegten, dann

144 Vgl. Kracht 2005, 3 f., 15 f.; Dies. 2007, 330–335. 145 Niebelschütz 1936. Ich danke Isgard Kracht für den Hinweis auf diesen Artikel. 146 Der Bericht über die Marc-Ausstellung war nicht die erste Gelegenheit, bei der sich Niebelschütz nach 1933 für einen modernen Künstler aussprach. In einer zwei Jahre zuvor erschienenen Rezension hatte er bereits für Max Pechstein Position bezogen. Vgl. Manheim 1996, 125. Zu Ernst von Niebelschütz vgl. Schweizer 1994, 86–95. 147 Niebelschütz 1936.



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kommen als Adressaten vor allem diejenigen in Betracht, die solche Einflüsse herausstellten, um moderne Kunst als ‚undeutsch‘ zu devaluieren.148 Eine sehr eigenwillige Sicht auf die Freundschaft zwischen Marc und Kandinskij vertritt Julius Nitsche in einem Artikel für das Berliner Tageblatt.149 Zunächst schildert Nitsche gut informiert und ohne eine Spur von Ablehnung das internationale Kunstleben Münchens um 1910 mit der Gründung der Neuen Künstlervereinigung und des Blauen Reiters. Im weiteren Verlauf des Artikels geht er jedoch dazu über, Kandinskij in der Beziehung zu Marc als den eindeutig schwächeren, unterlegenen zu charakterisieren – oder vielmehr: zu karikieren. Nitsche beschreibt Kandinskij als einen „nihilistisch vergrübelten“150 Außenseiter, dem erst die Bekanntschaft mit Marc zum Durchbruch verhalf: Kandinsky war schon Rechtsgelehrter und Beigeordneter der juristischen Fakultät an der Universität Moskau, als er um die Mitte der neunziger Jahre nach München kam, um bei Ažbe und an der Akademie bei Franz Stuck zu studieren. Sein Ausgang in die Oeffentlichkeit war nicht leicht; man beanstandete die schlampige Zeichnung und die schreienden Farben. […] Ganz einsam war er von 1908 bis 1911, ja geradezu als Scharlatan und Irrsinniger verhöhnt, bis ihm der um vierzehn Jahre jüngere Franz Marc die Freundeshand entgegenstreckte und sich bald darauf Kubin und der Komponist Arnold Schönberg anschlossen. Kandinskys Buch ‚Das Geistige in der Malerei‘ [sic] erlebte im ersten Winter gleich drei Auflagen. Die Sammler 148 Im Zusammenhang mit Niebelschütz’ Einschätzung sei noch auf die 1933 erschienene Frankfurter Dissertation von Elisabeth Weiß hingewiesen: Franz Marc. Ein Versuch zur Deutung expressionistischer Stilphänomene und ihrer Voraussetzungen. Kandinskij tritt darin mehrfach in Erscheinung: als Freund und Partner Franz Marcs (ebd., 6), als Verfasser der expressionistischen Programmschrift Über das Geistige in der Kunst (ebd., 67–69) und als künstlerischer Einfluss auf Marcs spätere Entwicklung (die die Autorin allerdings kritisch beurteilt; ebd., 82–89). Was den Stellenwert der Einflüsse auf Marcs Schaffen insgesamt betrifft, äußert sich Weiß ähnlich wie Niebelschütz: „Im Ganzen ist doch sehr bescheiden, was an Einflüssen festgestellt werden kann, die für die endgültige Fassung des ‚Turms der blauen Pferde‘ entscheidend gewesen wäre [sic]. Und nicht nur für dieses Bild verhält es sich so, daß wir glauben, Beziehungen hierhin und dorthin zu entdecken, die sich jedoch, wie man sie eingehender verfolgt, nicht als grundlegend erweisen. Es ist unbedingt gerade dies kennzeichnend für die Kunst Franz Marcs, und nicht nur für die Werke aus seiner expressionistischen Periode, daß man alles Erdenkliche findet an Zusammenhängen und zuletzt wieder nichts. […] Und wie mit der Anregung durch den französischen Kubismus, wie mit Macke, so verhält es sich mit der Beziehung zu Kandinsky, soweit sie sich als Niederschlag in manchen Bildern von Franz Marc zu erkennen gibt.“ Ebd., 79. Von besonderem Interesse ist schließlich Weiß’ Ausblick, der den Apologeten eines ‚nordischen‘ Expressionismus mit Sicherheit nicht gefiel: Denn darin stellt Weiß den Expressionismus als eine in erster Linie internationale Erscheinung dar: „[…] er gehörte zuerst der Welt und fand mehr zufällig durch die Individualität der Künstler eine Verknüpfung, die ihm dann eine deutsche, französische oder russische Färbung verlieh“ (ebd., 93). Angesichts der gegenwärtigen Bemühungen um eine nationale Kunst könne der Expressionismus somit „nicht mehr aktuell sein“ (ebd., 94). 149 Nitsche 1936. Vgl. dazu auch Illetschko 1997, 97 (mit Zitierfehlern). 150 Nitsche 1936.

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Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz, Hollands und Englands wie Nordamerikas kauften seine Bilder.151

Während Niebelschütz Marcs künstlerische Eigenleistung akzentuiert, die Anregungen von Kandinskij (und anderen) aber nichtsdestominder als gegeben erachtet, scheint Nitsche schon dem Gedanken an einen Einfluss Kandinskijs zu wehren, indem er Marc ausschließlich als den Gebenden in dieser Künstlerfreundschaft zeichnet.152 Möglich, dass hier die Befürchtung mitschwingt, Kandinskijs Einfluss könne als Argument gegen Marc verwendet werden. Recht schlau wird man aus Nitsches Worten allerdings nicht. Insbesondere erfährt man nicht, auf welche Art Marc seiner Ansicht nach zu Kandinskijs Erfolg beigetragen hat. (Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, wie der Autor überhaupt dazu steht, dass sich Marc mit einem ‚nihilistischen Grübler‘ zusammentat.) Dies eine kann immerhin festgehalten werden: Weder Nitsche noch Niebelschütz spielen Kandinskijs russische Herkunft in irgendeiner Weise gegen ihn aus. Ganz anders verhält es sich im dritten Beispiel, mit dem wir zur Verfremdung als unserem Ausgangspunkt zurückkehren. „Der Irrweg eines großen Künstlers“. Es ist ein zwiespältiger Titel, unter dem Henry Bleckmann 1936 im NSDAP -Organ Westfälische Landeszeitung seine Gedanken über Franz Marc veröffentlichte. Und zwiespältig war Bleckmanns Einstellung zu Marc allemal: Während er die expressionistischen Tierbilder aus der Zeit um 1910 bis 1912 als Errungenschaft eines ‚deutschen‘ Künstlers hochhielt (freilich ohne diese Bilder „expressionistisch“ zu nennen), verurteilte er die zunehmende Abstraktion in Marcs letzten Schaffensjahren als eine Form der ‚Entartung‘.153 In diesem schwierigen Fall, der die gängige Praxis der Schwarz-Weiß-Malerei nicht zuließ – das heißt: nicht auf Anhieb zuließ –, stellte Kandinskij ein bequemes Mittel dar, um zu erklären, wie Marc auf seinen „Irrweg“ geraten konnte (ohne dabei Marcs Deutschtum infrage zu stellen). Sehen wir zunächst, wie Bleckmann die Würdigung Marcs als eines „großen Künstlers“ begründet:

151 Ebd. Die Passage ist eng an Kandinskijs „Selbstcharakteristik“ angelehnt (vgl. Kandinsky 1919b, 172 f.), erweckt im Unterschied dazu jedoch einen eher unvorteilhaften Eindruck von Kandinskij. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich. In der „Selbstcharakteristik“ (ebd., 173) heißt es: „Er […] wird von der Mehrzahl der Kritiker für seine ‚übertriebene Zeichnung und schlampige, schreiende Farbe‘ scharf verurteilt.“ Das Negativurteil der Kritiker wird hier – distanzierend – in Anführungszeichen gesetzt, die indes bei Nitsche fehlen („man beanstandete die schlampige Zeichnung und die schreienden Farben“). 152 Dass die Beziehung zu Marc Kandinskij erheblich nützte, steht freilich außer Frage. So spielte Marcs Vermittlungsarbeit eine zentrale Rolle bei der Publikation von Über das Geistige in der Kunst. Vgl. Kandinsky 1919b, 173; Hahl-Koch 1993, 174; Wedekind 2000, 117–119. 153 Bleckmann 1936.



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Er [= Marc; S. B.] ‚revolutionierte‘ die Farbe weniger, als daß er ihren uralten Symbolgehalt neuentdeckte. Die warmen, also rotgerichteten Farben, die kalten, also blaugerichteten Farben, kreisend um die Mitte der gelbgerichteten waren ihm Mittel, seinen Tierbildern, Pferden in jeglicher Gestalt, Rehen, Stieren, Füchsen, Wildkatzen die Grundmerkmale ihres Wesens zu verleihen, indem er die Geschöpfe der Natur zugleich einbettete in die kosmische Wunderwelt, der sie entsprungen waren und in die sie wieder eingehen würden. Es war eine Wiederbelebung jener Gedanken, die eine gesetzmäßige Verbindung zwischen dem Charakter der verschiedenen Farben und unseren seelischen Empfindungen bejahen.154

Mit der Wiederentdeckung des „uralten Symbolgehalt[s]“ der Farbe, ihrer „seelischen“ Dimension ist umrissen, was Bleckmann als das künstlerische Verdienst Franz Marcs honoriert. Wohl um an dieses Verdienst zu erinnern – und damit an den Marc, dem Bleckmanns Wertschätzung gilt –, ist dem Artikel eine Reproduktion der Kleinen gelben Pferde von 1912 (Taf. 12) beigefügt. Mit Blick auf die zunehmende Abstraktion im Werk des Malers wandelt sich Bleckmanns Einstellung zu Marc jedoch grundlegend: Aus Anerkennung wird Befremdung. Marcs berühmtes Gemälde Tierschicksale von 1913 ist für den Autor mithin Exempel einer „unfaßlichen Konstruktivität“155. Es ist bezeichnend, dass Bleckmann just an der Stelle auf Marcs Zusammenschluss mit Kandinskij verweist, wo er Marcs „Irrweg“ zu erläutern beginnt: Schmerzlich ist es nun, diesen Weg des Künstlers Marc weiterzuverfolgen. Er, der Einsame, stößt zu einer Gruppe von Künstlern, in der ein russischer Einwanderer den Ton angibt: Kandinsky. Marc erkennt Gemeinsames und Verwandtes in den abstrakten Sensationen einiger Effekthascher, die nicht revolutionär, also aus der eigenen Tiefe gewinnend, sondern aus einer unverkennbaren Oppositionslust wirken. Der aufkommende Expressionismus, der untrennbar mit den Namen artfremder jüdischer Künstler verknüpft ist, leitet auch in Marcs Schaffen eine neue Entwicklungsphase ein. Aus dem Symboliker der Farbe, der naturverbunden, tierlieb, innig, wesenhaft deutsch war, wird nun der Symboliker der Linie.156

Werden Marcs Experimente auf dem Gebiet der Farbe als eine Rückkehr zu den eigenen (völkischen) Quellen aufgefasst, so deutet Bleckmann Marcs Entwicklung hin zur sogenannten ‚Liniensymbolik‘ als eine Abkehr von dem Weg, den ihm sein „Bluterbe“157 vor154 Ebd. 155 Ebd. Die negative Semantik, die das Wort „konstruktiv“ bei Bleckmann hat, geht besonders deutlich aus der Frage hervor: „[…] ist seine [= Marcs; S. B.] Kunst naturhaft gebunden, oder ist sie konstruktiv einem Denkvorgang entsprungen, also unnatürlich und unvereinbar mit der Forderung artgerechten, völkischen Kunstwollens?“ Ebd. 156 Ebd. 157 Ebd.

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gegeben habe. Die Polarisierung in eine „wesenhaft deutsch[e]“ und in eine „artfremde[.]“ Kunst, bei der das Schaffen eines Künstlers üblicherweise im Ganzen der einen oder der anderen Seite zugerechnet wurde, wird hier innerhalb von Marcs Œuvre vorgenommen. Man kennt solche Aufspaltung eines Gesamtwerks auch in Bezug auf Lovis Corinth, von dem die Nazis 1937 diejenigen Arbeiten als ‚entartet‘ einstuften, die nach seinem Schlaganfall im Jahr 1911 entstanden waren.158 Kein Schlaganfall, sondern ein „russischer Einwanderer“ war Bleckmann zufolge der Auslöser für Marcs angeblichen Abstieg. Als Russe kommt ihm Kandinskij wie gerufen, um Marcs ‚Liniensymbolik‘ auf einen äußeren Einfluss zu schieben und zu suggerieren, der eigentliche Marc habe mit abstrakter Kunst nichts zu tun gehabt.159 Bleckmann schildert Marcs „Irrweg“ einerseits als ein Erliegen gegenüber den Versuchungen „einiger Effekthascher“ um Kandinskij, andererseits als ein kapitales Missverständnis: Marc hätte die „abstrakten Sensationen“ dieser Leute schlechterdings nicht als das erkannt, was sie gewesen seien. Dergestalt wird versucht, das Bild eines im Grunde seines Wesens ‚deutschen‘ Marc (dessen Blut „von hervorragenden Vorfahren auf ihn überkommen war“160) aufrechtzuerhalten. Kandinskij wird dabei zu einem Fremdkörper degradiert, der Marc aus der Bahn geworfen hat.161

158 Vgl. Bussmann 1986, 108; Grimm 1992. Am 26. Juli 1937 teilte Alfred Hentzen Charlotte BerendCorinth, der Witwe des 1925 verstorbenen Malers, mit: „Ich kann leider nicht verschweigen, dass einige der Hauptwerke von Corinth in der Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ gezeigt werden, darunter das Ecce homo, das Trojanische Pferd, das Bildnis Grönvold aus Bremen und eine Walchenseelandschaft aus München. […] In den Reden anlässlich der Ausstellung ist mehrfach betont worden, dass Corinth erst im Alter und unter der Wirkung des Schlaganfalls zu einem entarteten Künstler geworden sei, während seine frühen Werke auch weiter Anerkennung finden.“ Zit. nach: Janda/Grabowski 1992, 59. 159 Es scheint mir kein Zufall, dass Bleckmann nicht erwähnt, wann Marcs erste Begegnung mit Kandinskijs Bildern stattgefunden hat. Geschah dies doch bereits im Dezember 1909 – also geraume Zeit vor der Entstehung der Kleinen gelben Pferde –, als Marc die erste Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München besuchte. Schardt, auf den sich Bleckmann in seinem Artikel mehrfach bezieht, schrieb über die Bedeutung dieser Ausstellung für Marc: „er spürte hier zum erstenmal, daß man die Farbe [also genau das, was Bleckmann an Marcs Tierbildern schätzte; S. B.] in einer ganz anderen – unnaturalistischen Weise verwenden konnte“ (Schardt 1936, 67). Vgl. hierzu auch Rossbeck 2015, 121–123. Zum Einfluss Kandinskijs auf Marc vgl. Förster 2009. 160 Bleckmann 1936. 161 Nur kurz seien hier noch zwei Texte aus den Jahren 1941 und 1944 gestreift, in denen Kandinskij ebenfalls als negativer Einfluss auf Marc angeführt wird. In dem einen beklagt Paul Appel Marcs „Seelensituation, die ihn sich der Kandinskyschen Welt in die Arme werfen läßt“ (Appel 1941, 236). Anders als Appel verzichtet der Kunsthistoriker Hermann Beenken an entsprechender Stelle nicht darauf, Kandinskijs russische Herkunft hervorzuheben: „[…] Marcs Schöpfungen entwickelten sich unter dem verhängnisvollen Einflusse des Russen Kandinsky immer mehr vom Natürlichen fort“ (Beenken 1944, 222; ich danke Isgard Kracht für den Hinweis auf Beenken).



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Was Kandinskij selbst anlässlich des 20. Todestages von Franz Marc über den einstigen Freund und Mitstreiter zu sagen hatte, wurde in Deutschland nicht mehr gedruckt.162 In den Pariser Cahiers d’Art veröffentlichte Kandinskij 1936 einen Artikel über Marc, in dem er zu bedenken gab: Anstatt einen direkten und natürlichen Kontakt mit der Kunst zu suchen, erfindet man heute neue Schwierigkeiten und Hindernisse, um sie zwischen das Werk und den Betrachter zu stellen. So fragt man mit vorgefaßter Miene, ob die Kunst Marcs einer germanischen Quelle entstamme, das heißt einer ‚deutschen Seele‘, und ob seine Malerei wahrhaft deutsch sei. Ich glaube ja, denn Marc liebte sein Land. Meiner Meinung nach wäre es wesentlich, unter der ‚nationalen Seele‘ ihre Quelle universaler Menschlichkeit zu sehen.163

Im nationalsozialistischen Deutschland fanden solche Gedanken keinen Nährboden mehr. 5.2.2.3 Zwischen Nähe und Distanz: Max Sauerlandts Vorlesung „Deutsche Malerei und Plastik der letzten 30 Jahre“, Sommer 1933 Wie im Abschnitt über die Ausblendung Kandinskijs Alois Schardt im Fokus meiner Ausführungen stand, so soll auch im Hinblick auf die Verfremdung Kandinskijs der Fall eines prominenten Kunsthistorikers näher beleuchtet werden. Die Rede ist von Max Sauerlandt (1880–1934), der wie Schardt zu den profiliertesten „Museumsmodernisten“164 jener Zeit gehörte. Sauerlandts Beispiel zeigt, dass die Verfremdung im Nationalsozialismus auch strategisch eingesetzt werden konnte, um vorhandene antimoderne Potenziale zu kanalisieren – in der trügerischen Annahme, einen Teil der Avantgardekunst auf diese Weise retten zu können.165 Als Museumsdirektor hatte sich Sauerlandt von Beginn seiner Karriere an für den Ankauf zeitgenössischer Kunst eingesetzt, zuerst ab 1908 im Städtischen Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle und ab 1919 im Museum für Kunst und Gewerbe in

162 Kandinskij hatte einen Beitrag für ein Gedenkbuch verfasst, das die Witwe Maria Marc 1936 herausbringen wollte. Wohl aus Sorge vor Repressionen rückte sie von dem Vorhaben jedoch wieder ab. Vgl. Lankheit 1960, 42; Kracht 2007, 336 f. 163 Kandinsky [1936] 1973c, 198 f. 164 Vernon Lidtke (1993) subsumiert unter diesem Begriff die progressiven Museumsleiter, die sich im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik um den Einzug moderner Kunst in die Museen bemühten. Vgl. dazu auch Hüneke 1988a; Ders. 1991; sowie Lüttichau 1996, 108 f. 1913 landete Sauerlandt einen regelrechten Coup, als es ihm gelang, die Aufnahme von Noldes Gemälde Abendmahl (1909) in die städtische Sammlung in Halle durchzusetzen, vgl. Hüneke 1992a, 262; Baumann 2002a, 65 f. 165 Zu Sauerlandt vgl. Hüneke 1992a; Winkler 1999; Baumann 2002a; Fork 2007.

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Hamburg. Sauerlandt verteidigte seinen Einsatz nicht nur gegenüber der Kritik – wie 1914 in einer aufsehenerregenden Kontroverse mit Wilhelm von Bode, dem Generaldirektor der Berliner Museen166 –, er forderte seine Kollegen auch dazu auf, es ihm gleichzutun. In einem Vortrag auf der Tagung des Deutschen Museumsbundes 1929 in Danzig, den die Zeitschrift Museum der Gegenwart in einer gekürzten Fassung brachte, erklärte Sauerlandt es für eine Notwendigkeit, „daß der noch umstrittenen, gerade der umstrittenen Gegenwartskunst Raum im Museum geschaffen wird“167. Gleichzeitig machte er deutlich, daß dieses ganze Eintreten der Museen für die Gegenwartskunst von dem höchsten Verantwortungsgefühl getragen sein muß, von dem Bewußtsein, daß jeder mit dem Künstler, für den er eintritt, den eigenen Namen, die eigene Ehre und Berufsgeltung verpfändet, daß es sich immer nur darum handeln kann, das Wertvollste zu stützen […].168

Dieses Verantwortungsgefühl, welches Sauerlandt veranlasste, Künstler wie Nolde und Schmidt-Rottluff zu unterstützen, kam ihn nach der „Machtergreifung“ teuer zu stehen. Am 5. April 1933 wurde er beurlaubt. Sauerlandt gab sich damit jedoch nicht geschlagen. Er hatte die Hoffnung, dass sich die Situation der modernen Kunst im nationalsozialistischen Deutschland noch zum Besseren wenden werde.169 Vor allem wollte er selbst dazu einen Beitrag leisten. Als ein wichtiges Dokument der kunstgeschichtlichen Thematisierung der Moderne am Beginn des „Dritten Reiches“ soll zunächst Sauerlandts Kolleg „Deutsche Malerei und Plastik der letzten 30 Jahre“ in den Blick genommen werden, das er im Sommersemester 1933 an der Hamburgischen Universität hielt.170 Sauerlandts Manuskripte wurden 1935 posthum in Buchform veröffentlicht.171 Mit der Publikation der insgesamt elf Vorlesungen

166 Vgl. Hüneke 1992a, 262 f.; Winkler 1999, 65 f.; Baumann 2002a, 66. Sauerlandts offener Brief an Wilhelm von Bode, der den Ankauf moderner Kunst durch öffentliche Museen zuvor scharf kritisiert hatte, erschien u. a. in der Frankfurter Zeitung vom 7. April 1914 und ist wieder abgedruckt in: Sauerlandt 1957, 49–53. 167 Sauerlandt 1930, 14. 168 Ebd., 15. 169 Vgl. Hüneke 1992a, 266. Am 14. April 1933, kurz nach seiner Beurlaubung, versicherte Sauerlandt seinem englischen Kollegen Herbert Read, „daß die neue Regierung, deren Idealen ich – wie ich Ihnen schon früher schrieb – mit voller innerer Überzeugung zustimme, auch auf dem entscheidenden Gebiete des geistigen Lebens das Richtige will und daß ich zuversichtlich hoffe, daß es ihr gelingen wird, diese Ideale zu verwirklichen; nicht sofort, wohl aber, wenn erst etwas mehr Ruhe und Besinnung eingetreten ist.“ Zit. nach: Haar 1974, 575. Vgl. auch Baumann 2002a, 91 f. 170 Vgl. dazu Baumann 2002a, 98–101. 171 Sauerlandt 1935. Eine von Kurt Sternelle besorgte Neuauflage des Buches kam 1948 in Hamburg heraus. Allerdings verzichtet diese auf das Vorwort von Harald Busch und die von einem Besucher des Kollegs geschriebene Einführung, die beide dokumentarischen Wert haben.



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des Kollegs stellte sich Harald Busch hinter die Bemühungen Sauerlandts, Verständnis für die neue Kunst zu wecken und damit ein Ende ihrer Verfemung zu befördern.172 Unser besonderes Interesse gilt Sauerlandts Kolleg aus zwei Gründen: Zum einen widmete er seine zehnte Vorlesung am 19. Juli der abstrakten Malerei, um die es, wie Sauerlandt bemerkte, „seit mehr als drei Monaten totenstill geworden“173 war.174 Zum Zweiten, und dies stellte nun ein Besucher des Kollegs fest, belegen Sauerlandts Ausführungen, „daß er sich selbst zu ihr [= der abstrakten Malerei; S. B.] bekennen wollte, ein Beweis für die Unrichtigkeit der vielverbreiteten Behauptung, Sauerlandt sei nur der Anwalt der Brückekunst gewesen“175. Tatsächlich behandelt Sauerlandt die abstrakte Kunst als die aktuellste, am stärksten in die Zukunft weisende Tendenz der Gegenwart, sie berge „den tiefsten noch unbewußten Sinn der Zeit“ 176. Doch Abstraktion ist für Sauerlandt nicht gleich Abstraktion. Er unterscheidet mehrere Richtungen. Zunächst eine ‚kubistische‘, die er hauptsächlich in Marcs Bildern verkörpert sieht; diese seien durch die Verbindung zum Schaffen Picassos, Braques, Derains und Le Fauconniers ‚romanisch‘ geprägt.177 Dass Sauerlandt Marcs Beziehung zum französischen Kubismus geradeheraus anspricht, bedeutet jedoch nicht, dass er seine Kunst für ‚undeutsch‘ hält. Sie trägt für ihn vielmehr, wie auch die Kunst 172 Rave (1949, 30) beschreibt den 1904 geborenen Harald Busch als einen „forsch als SA-Mann auftretende[n] junge[n] Mann“, der sich „recht tapfer, wenn auch etwas jugendlich verworren, für die neuere Kunst eingesetzt [hat]“. Busch wurde, nachdem der langjährige Direktor der Hamburger Kunsthalle Gustav Pauli 1933 seinen Posten hatte räumen müssen, unter dessen kommissarischem Nachfolger Wilhelm von Kleinschmit-Lengefeld mit der Galerieleitung betraut, die er ab Mai 1934 innehatte. Wegen seines couragierten Einsatzes für moderne Kunst eckte Busch jedoch bei seinen Parteigenossen an und wurde im Oktober 1935 beurlaubt. Vgl. Bruhns 2001, 76–81, 589 f.; Baumann 2002a, 131, Anm. 456. Die von Busch herausgegebenen Vorlesungsmanuskripte Sauerlandts wurden schon kurz nach ihrem Erscheinen „auf den Index gesetzt, von der Gestapo beschlagnahmt und verboten“ (Bruhns 2001, 79), sind jedoch in vielen Bibliotheksbeständen vorhanden und daher heute gut zugänglich. 173 Sauerlandt 1935, 175. 174 Die Termine der einzelnen Vorlesungen ergeben sich aus den Semesterdaten: Im Sommersemester 1933 begann die Vorlesungszeit am 2. Mai und endete am 29. Juli. Sauerlandts Kolleg fand jeden Mittwochabend statt, mit Ausnahme des 7. Juni (Pfingstferien) und des 21. Juni (Sonnenwendfeier, vgl. Sauerlandt 1935, 164). Ich danke Prof. Dr. Rainer Nicolaysen von der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte an der Universität Hamburg, der mir die betreffenden Daten aus dem Vorlesungsverzeichnis zukommen ließ (E-Mail, 17.3.2016). Wie mir Prof. Nicolaysen darüber hinaus mitteilte, fasste der als Veranstaltungsort angekündigte Hörsaal C etwa 200 Sitzplätze. Am 8. Mai 1933, einige Tage nach der ersten Vorlesung, schrieb Sauerlandt an seinen Freund Walter Stengel: „Das Auditorium ist voll besetzt.“ Zit. nach: Sauerlandt 1957, 423. 175 Anonym 1935, 10. Der Text ist gezeichnet: „Ein Hörer“. 176 Sauerlandt 1935, 175. Die Hervorhebungen, die ich hier wie in folgenden Zitaten vom Original übernehme, stammen nicht von Sauerlandt selbst, sondern sind bei der Veröffentlichung des Kollegs nachträglich eingefügt worden, vgl. Busch 1935, 5, Anm. *. 177 Vgl. Sauerlandt 1935, 176 f.

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August Mackes, einen spezifisch süd- bzw. westdeutschen Zug, in dem sich die „letzte Wirkung der durch Caesars Eroberung Galliens aufgerichteten Flankenstellung des römisch-romanischen gegen das ‚freie‘ Germanien“178 offenbare.179 Mit Blick auf München verweist Sauerlandt auf eine weitere Besonderheit innerhalb der deutschen Kunstlandschaft, nämlich auf den bedeutenden Anteil der Russen in den Kreisen der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters: Merkwürdig vor allem, denkwürdig und folgereich bleibt der russische Temperaments- und Kunsteinschlag, der durch Wassili Kandinsky, Alexei von Jawlensky, Marianne von Werefkin, Alexander Mogilewsky und Wladimir von Bechtejeff vermittelt wurde. Programmatische Bedeutung für die ganze Bewegung [= „die ‚revolutionäre‘ Münchner Kunst des Jahrhundertbeginnes“; S. B.] gewinnt Kandinskys Schrift ‚Über das Geistige in der Kunst‘.180

Worin sich dieser „russische Temperaments- und Kunsteinschlag“ äußerte, was ihn ausmachte, wird von Sauerlandt nicht expliziert. Seltsam unbestimmt bleibt auch, wie die Adjektive „[m]erkwürdig“, „denkwürdig“ und „folgereich“ hier zu verstehen sind. Es scheint jedoch so, als würde das einleitende „Merkwürdig“ den russischen Einfluss in München – über dessen Kennzeichnung als Sonderfall hinaus – als etwas Uneigentliches beschreiben. Bestätigt wird dieser Eindruck dadurch, dass Sauerlandt, was Marcs Verhältnis zur Münchner Avantgarde und insbesondere zu Kandinskij betrifft, mehr den Abstand hervorhebt als die Nähe: Franz Marc gehört diesem Kreise an. Aber – beachten Sie das bitte als entscheidend – er legt von allem Anfang an nicht nur menschliche, sondern auch räumliche Distanz zwischen sich und die andern. Schon im Jahre 1909 hat er München verlassen und sich in der oberbayerischen Einsamkeit zunächst von Sindelsdorf, dann von Ried bei Benedictbeuren auf sich selbst

178 Ebd., 177. 179 In seiner siebten Vorlesung setzt Sauerlandt (ebd., 146 f.) die verschiedenen Strömungen der deutschen Gegenwartskunst in eine Parallele zu den konfessionellen, dialektalen und mentalitätsbedingten Unterschieden, die „in dem einen großen Reich“ ja auch nebeneinander bestünden. Dabei richtet sich Sauerlandt gegen eine Praxis, die die eigene (an die jeweiligen „Stammesgrenzen“ gebundene) künstlerische Heimat verabsolutiere und als ‚undeutsch‘ begeifre, was jenseits davon liegt: „Der Niederdeutsche wird nie mehr den Oberbayern undeutsch, unwahr schelten, weil er seine Sprache nicht versteht, geschweige denn selbst sprechen kann, und so wird der Bayer, der Rheinländer auch das eigene Recht der niederdeutschen Kunstform [= der expressionistischen Form Noldes und der Brücke; S. B.] als echt und deutsch verstehen lernen.“ Kunstgeographische Überlegungen finden sich außerdem in Sauerlandts neunter Vorlesung über die Neue Sachlichkeit („neue Naturmalerei“), vgl. ebd., 166–168. Erläuternd dazu: Haar 1974, 580–584. 180 Sauerlandt 1935, 177.



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gestellt, und in den Briefen aus dem Kriege wird die Nähe und Ferne, in der er sich zu dem theoretischen Führer Kandinsky befindet und empfindet, ganz eindeutig festgelegt.181

Wieder lässt es Sauerlandt bei einer Andeutung bewenden. Was genau in Marcs Briefen „ganz eindeutig festgelegt“ ist (welche Nähe, welche Ferne zu Kandinskij) – es geht aus dem Manuskript der Vorlesung nicht hervor. Dachte Sauerlandt vielleicht an den Brief, den Marc am 23. Oktober 1914 an seine Frau Maria schrieb? Darin würdigte Marc Kandinskijs Werk als eine „wirkliche Erstlingsthat“ 182, brachte zugleich aber ein Befremden gegenüber dem ehemaligen Weggefährten zum Ausdruck: Sicher ist mir auch, daß wir ihn menschlich u. ‚auf gut deutsch‘ mißverstehen. Er ist uns im höchsten Grade fremdrassig, nur westeuropäisch maskirt. Mit einem gleichbedeutenden Chinesengeist würden wir uns auch nie verstehen. Vielleicht war es nur einem so ‚fernen‘ Geiste möglich, die kranke europ. Kunst so zu durchschauen.183

Neben der ‚kubistischen‘ Richtung der – im weiteren Sinne – abstrakten Malerei, zu deren Exponenten Sauerlandt außer Marc und Macke auch Feininger, Baumeister und Schlemmer zählt,184 gibt es für ihn noch „eine zweite, unkubistische Form, die jener statisch orientierten als dynamische Gestaltung gegenübersteht, die ich als im spezifischen Sinne unromanisch, als spezifisch deutsch empfinde“185. Als einziges Beispiel dieser Gestaltungsart führt er das Werk des Schweizer Malers Karl Ballmer an, der seit 1922 in Hamburg lebte (Taf. 13).186 181 Ebd., 177 f. 182 Zit. nach: Marc 1982, 24. 183 Zit. nach: ebd. Der Brief wurde bereits abgedruckt in: Marc 1920, 18. Kandinskijs Name ist dort durch einen Platzhalter ersetzt, allerdings konnte man aus dem Kontext darauf schließen, von wem Marc sprach. – Das Bild, das diese Briefstelle vermittelt, bliebe freilich unvollständig, würde man nicht auch die Zeilen kennen, die Marc zehn Tage zuvor an seine Frau geschrieben hatte: „Heute sah ich zufällig einen Atlas an, suchte mein Kochel u. fand sogar Ried darauf! Mein Herz klopfte! Dann fand ich Sindelsdorf – Aidling, Riegsee – Murnau: ich erschrak, wie fern das klang!! Zeiten, in denen man friedlich zu einem Geistesgenossen wie Kandinsky über die Hügel pilgerte! und heute. Diese Gedanken sind für mich heute eigentlich das Schmerzlichste. Wenn ich auch oft unzufrieden war mit Kand. u. nicht alles so war wie wir wollten, – heute bedeutet das für mich nichts gegenüber dem unersetzlichen Verlust. Denn ich fürchte, er wird für mich verloren sein. Er wird in Rußland bleiben u. dort predigen; od. in der Schweiz, – ich selbst bin aber mehr Deutscher geworden als je.“ Zit. nach: Marc 1982, 18 f. 184 Vgl. Sauerlandt 1935, 182 f. 185 Ebd., 176. 186 Vgl. ebd., 186–189. Zu Ballmer (1891–1958) vgl. Wismer 2013. Als Sauerlandt den Gedanken einer „spezifisch deutsch[en]“ Form der Abstraktion formulierte, hatte er neben Ballmer sicherlich noch weitere abstrakt (bzw. abstrahierend) schaffende Künstler vor seinem geistigen Auge. Infrage kommen

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In Ballmers Bildern vollzieht sich für Sauerlandt „die Statuierung eines absoluten Idealismus der künstlerischen Form“, sie sind für ihn die Verwirklichung einer „anschaubare[n] Idee“.187 Ich möchte an dieser Stelle darauf verzichten, Sauerlandts Unterscheidung zwischen einer ‚kubistischen‘ (Marc) und einer ‚idealistischen‘ (Ballmer) Abstraktion zu diskutieren, zumal er die beiden Ausprägungen meines Erachtens nicht klar genug voneinander abgrenzt.188 Ungeachtet der mangelnden Präzisierungen lässt sich festhalten, dass es die ‚idealistische‘, ‚unromanisch-deutsche‘ Richtung ist, die Sauerlandt im Aufstieg begriffen sieht. Gleich in der ersten Vorlesung bringt er dies zur Sprache: Als ein neuer, sehr wesentlicher und, wie ich glaube, auch spezifisch deutscher Zug, im Irrationalen, im Metaphysischen wurzelnd, erhebt sich die Kurve eines neuen idealistischen Stils, der als ‚abstrakt‘ oder ‚surrealistisch‘ nur sehr oberflächlich und unzureichend und dazu auch nicht einmal aus dem deutschen Blickpunkt gesehen bezeichnet wird. (Abstrakter Idealismus.)189

Ergänzend zu dieser Passage sei ein Brief vom August 1932 zitiert, in dem Sauerlandt teils wortgleich, jedoch mit einer zusätzlichen Differenzierung und mit Verweis auf Kandinskij, notierte: Als neuer, sehr wesentlicher und, wie ich glaube, gleichfalls spezifisch deutscher Zug im Gesicht der deutschen Gegenwart erhebt sich die Kurve ‚abstrakt-surrealistischer‘ Gestaltung: steil und zukunftbestimmend. Hier sind vielleicht zwei Phasen zu unterscheiden, eine frühere (Picasso

hierfür eventuell der Bildhauer Richard Haizmann sowie der Maler und Graphiker Willi Nass, die Anfang der 30er-Jahre zu Sauerlandts Protegés gehörten. Vgl. dazu Baumann 2002a, 70 f., 74 f. Zu Haizmann vgl. auch Sauerlandt 2013, 232–239. Werke der drei genannten Künstler sind, jeweils begleitet von einer kurzen Charakterisierung, abgebildet in: Bruhns 2001, 523, 530 f., 542. 187 Sauerlandt 1935, 186 f. 188 Dies gilt vor allem in inhaltlicher Hinsicht. So interpretiert Sauerlandt (ebd., 187 f.) Ballmers Figürliche Komposition (1932) (Taf. 13) anhand eines Briefes von Franz Marc, der Sauerlandt zufolge aber die ‚kubistische‘ Tendenz vertritt. In dem besagten Brief sann Marc an Heiligabend 1914: „Ich beginne immer mehr hinter oder, besser gesagt, durch die Dinge zu sehen, ein Dahinter, das die Dinge mit ihrem Schein eher verbergen […].“ Marcs Reflexion über das „Dahinter“ der Dinge wird von Sauerlandt in einen Bezug zur „Durchschaubarkeit der Gestalten“ in Ballmers Figürlicher Komposition gebracht. Das Marc-Zitat ist dabei nur eine von mehreren Referenzen, durch die Sauerlandt Ballmers Schaffen in eine deutsche Geistestradition einzureihen versucht, deren Linie er von der mittelalterlichen Mystik über Goethe und Jean Paul bis hin zu Marc zieht. 189 Sauerlandt 1935, 21 f. Sauerlandt hat seine Sicht auf die Entwicklung des Impressionismus, des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und der abstrakten Kunst in einem Liniendiagramm veranschaulicht. Vgl. ebd., 189 f. (das Diagramm ist erst in der zweiten Auflage der Kunst der letzten 30 Jahre abgebildet worden, vgl. Sauerlandt 1948, 12).



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– Kandinsky), von der Form ausgehende, wesentlich in der Vorkriegszeit begründet, und eine spätere, vom Gehalt ausgehende, die sich jetzt mit neuer Kraft entwickelt.190

Es bedarf nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie Kandinskij auf Sauerlandts Behauptung reagiert hätte, seine Kunst gehe von der Form aus. Hatte er doch stets das Gegenteil verlautbart: „Die Form ist der äußere Ausdruck des inneren Inhaltes.“ 191 Die Zuordnung Kandinskijs zur „Form“ findet hier im Rahmen einer binären Gegenüberstellung statt, bei der eine aktuelle und „spezifisch deutsche[.]“ Richtung der abstrakten Kunst herausgehoben und von einem früheren Stadium separiert wird, welches die keineswegs „spezifisch deutsche[n]“ Größen Picasso und Kandinskij geprägt hatten. Mit deutlicheren Worten versuchte Sauerlandt diese Unterscheidung seinem Lübecker Kollegen Carl Georg Heise nahezubringen: So deutsch Nolde und Barlach – nur als Repräsentanten genannt – sind, so sehr sie das sind, was Hitler […] als ‚heroische‘ Kunst seiner Bewegung gefordert hat, so in tiefstem Sinne aus urgermanischer Wurzel wächst die deutsche Eigenart der heutigen deutschen abstrakten Kunst, die mit der Picassos und der anderen [unter diesen „anderen“ dürfen wir auch Kandinskij vermuten; S. B.] nur den Namen, aber nicht die spezifische Form gemein hat.192

Wenn auch eher am Rande, widmet Sauerlandt immerhin einige Zeilen seines Vorlesungsmanuskripts dem Konstruktivismus. Diesem „äußersten Flügel abstrakter Kunst“ rechnet er auch Kandinskij zu, und zwar „in seiner besten Periode“.193 Sauerlandt charakterisiert den Konstruktivismus als „eine dünne, aber […] von Moskau bis Paris durchlaufende europäische Stilschicht, die gleichfalls in Deutschland, dem europäischen Lande der Mitte, Heimatrecht gefunden hat“194. Der Konstruktivismus wird mithin als ein europäisches Phänomen beschrieben; gleichzeitig betont Sauerlandt – und das ist für die damalige Zeit bemerkenswert – das „Heimatrecht“ des Konstruktivismus in Deutschland.195

190 Brief von Sauerlandt an Gretor (dänischer Journalist), 15.8.1932. Zit. nach: Sauerlandt 1957, 405. 191 Kandinsky [1912] 2004c, 137. Vgl. dazu auch Zimmermann 2002b, 181–195. 192 Brief von Sauerlandt an Carl Georg Heise, 12.4.1933. Zit. nach: Sauerlandt 1957, 423. Vgl. dazu Baumann 2002a, 92. 193 Sauerlandt 1935, 185. Mit Kandinskijs „beste[r] Periode“ ist offenkundig seine Bauhauszeit gemeint. Das Bauhaus selbst wird von Sauerlandt in der Vorlesung nicht behandelt, obwohl er gerade in den unmittelbar vorangegangenen Monaten und Jahren Sympathie für das Schaffen einzelner Bauhäusler dokumentiert hatte. Vgl. Sauerlandt 2013, 305–320. 194 Sauerlandt 1935, 185. 195 Unter den „Hauptwerke[n] der Malerei der letzten 30 Jahre“, die Sauerlandt in seiner elften und letzten Vorlesung summarisch präsentierte, befindet sich auch je eine Arbeit der Konstruktivisten Moholy-Nagy und Mondrian. Vgl. ebd., 190 f. Kandinskij fehlt in dieser Auflistung.

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Ein Fazit zu Sauerlandts Darlegungen über die abstrakte Malerei zu ziehen, fällt nicht leicht. Erscheinen diese doch insgesamt abbreviaturhaft, nicht zu Ende geführt. Klar ist, dass Sauerlandt der abstrakten Malerei eine ausgesprochen positive, wegweisende Rolle für die weitere Kunstentwicklung in Deutschland zuschreibt. Zwar hat er hierbei in erster Linie die als „spezifisch deutsch“ bezeichnete Richtung im Sinn, die er durch Karl Ballmer vertreten sieht. Trotz dieser Germanisierungstendenz huldigt Sauerlandt in seiner Vorlesung jedoch keinem engstirnigen Kunstnationalismus, der allein das gelten lässt, was er für „spezifisch deutsch“ befindet. Sauerlandts Bemerkungen über den Konstruktivismus etwa machen dies deutlich. Von den russischen Künstlern, die um 1910 in München für Furore sorgten, zeichnet Sauerlandt ein sehr unscharfes Bild. Er nennt ihre Namen, er misst ihnen eine gewisse Bedeutung zu; welche Bedeutung sie hatten, bleibt aber im Dunkeln. Kandinskij, der schon den Zeitgenossen als Begründer der abstrakten Malerei galt, tritt als solcher im Rahmen der Vorlesung nicht hervor. Wenn Sauerlandt ihn auch nicht ausblendet, wie Fritz Valentien und Alois Schardt es taten, findet eine Auseinandersetzung mit Kandinskijs Schaffen im eigentlichen Sinne nicht statt. Dafür akzentuiert Sauerlandt Marcs Distanz gegenüber Kandinskij – und es scheint, als spiegle sich darin seine eigene Haltung wider. Die Reserviertheit, die in Sauerlandts Aussagen über die russischen Protagonisten der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters spürbar wird, ist nicht mit Ablehnung zu verwechseln; gleichwohl erkenne ich in ihr eine Voraussetzung für den taktischen Schritt, den Sauerlandt wenig später vollzog, als er im Zusammenhang mit den Münchner Russen von dem Wort „Überfremdung“ Gebrauch machte. 5.2.2.4 Der Blaue Reiter – ‚überfremdet‘: Sauerlandts Referat auf der Mainzer Tagung des Deutschen Museumsbundes, August 1933 Am 20. August 1933 trat Sauerlandt noch einmal für die moderne Kunst in Aktion.196 Auf der Tagung des Deutschen Museumsbundes in Mainz strich er mit Nachdruck heraus, dass es sich bei dem Kampf, der in vermeintlich nationaler Angelegenheit gegen den Expressionismus geführt werde, um ein Fehlurteil handle. Bestätigt sah er sich durch drei proexpressionistische Stellungnahmen der jüngsten Vergangenheit, auf die er sich in seinen Ausführungen berief: die Kundgebung des NS-Studentenbundes „Jugend kämpft für deutsche Kunst“ (30. Juni), Alois Schardts Vortrag „Was ist deutsche Kunst?“ (10. Juli) und Paul Fechters Artikel „Revision der Kunstbetrachtung“, der in der neuesten Ausgabe

196 Vgl. dazu Baumann 2002a, 101–103.



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der Deutschen Rundschau erschienen war197.198 Obwohl Sauerlandt bei dieser Gelegenheit seinen Kollegen den Vorwurf nicht ersparte, sie hätten wegen ihrer uneinigen Haltung zur deutschen Gegenwartskunst einen wesentlichen Anteil an der herrschenden „Urteilswirrnis“199, wurde seine Rede laut Tagungsprotokoll von den Zuhörern mit „stürmischem Beifall“200 bedacht. Der für uns zentrale Abschnitt des Mainzer Referats ist der, in welchem sich Sauerlandt mit der berüchtigten Stelle in Hitlers Mein Kampf auseinandersetzt, wo vom „Bolschewismus der Kunst“ die Rede ist. Hitler schreibt: Der Bolschewismus der Kunst ist die einzig mögliche kulturelle Lebensform und geistige Äußerung des Bolschewismus überhaupt. Wem dieses befremdlich vorkommt, der braucht nur die Kunst der glücklich bolschewisierten Staaten einer Betrachtung zu unterziehen, und er wird mit Schrecken die krankhaften Auswüchse irrsinniger oder verkommener Menschen, die wir unter den Sammelbegriffen des Kubismus und Dadaismus seit der Jahrhundertwende kennenlernten, dort als die offiziell staatlich anerkannte Kunst bewundern können.201

Sauerlandt versuchte sich an einer Auslegung dieser Stelle, die mit seinem unbedingten Festhalten am Wert des (‚deutschen‘) Expressionismus – auch und gerade vor dem Hintergrund der „nationalen Erhebung“202 – im Einklang stand. Dabei relativierte er Hitlers

197 Fechter, der mit seinem Expressionismus-Buch (1914) schon früh die Rezeption der neuen Kunst geprägt hatte (vgl. Kap. 1.3), verurteilte in seinem Artikel die Herabsetzung des Expressionismus als – von einem nationalen Standpunkt aus – geradezu widersinnig. Sein zentraler Kritikpunkt, den Sauerlandt in seinem Referat zitierte, lautet: „Der Expressionismus war die erste Fanfare des steigenden Nationalismus in der jungen Kunst – genau wie in Italien der Futurismus des Marinetti-Kreises. Er mußte es erleben, daß er bis heute und noch heute, nach dem Sieg des Nationalismus, mit Wertmaßstäben aus der impressionistischen Vergangenheit gemessen wird, auch von Männern, die sich auf politischem Boden mit Recht als Vertreter des neuen Deutschland empfinden.“ Fechter 1933, 103. Vgl. Zeising 2008. 198 Sauerlandt [1933] 1974c, 523–528. Das Referat stand unter dem Thema „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Museen im neuen Staat“. Anders als in der hier verwendeten Edition angegeben, trug Sauerlandt sein Referat nicht am 13., sondern am 20. August 1933 vor, vgl. Baumann 2002a, 138, Anm. 561. 199 Sauerlandt [1933] 1974c, 524. Vgl. ebd., 527. 200 Zit. nach: Winkler 1999, 73. 201 Hitler 1933, 283. 202 Für eine politische Standortbestimmung Sauerlandts in Verbindung mit seinen Kunstauffassungen vgl. Haar 1974: Der Autor bescheinigt Sauerlandt „ein ausgeprägtes ‚nationales‘ Bewußtsein“ (ebd., 576), dem die deutsche Gegenwartskunst „die Formwerdung des ‚nationalen‘ Geistes bedeutete“ (ebd., 545). Für uns entscheidend ist dabei, dass Sauerlandts Nationalismus „eine ‚Internationalität auf dem Grund eines starken Nationalbewußtseins‘ nicht ausschließt“ (ebd., 554; das Zitat im Zitat entstammt einem Brief Sauerlandts). Vgl. auch Winkler 1999 sowie Baumann 2002a, 80–93.

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Worte, indem er sie auf die besondere Situation in Wien und in München zurückführte. Im Falle Münchens konstatierte er eine „Überfremdung“, die von der starken Präsenz russischer Künstler in der Vorkriegszeit hergerührt hätte: Wir dürfen, um gerecht zu sein, nicht vergessen, daß diese Äußerungen auf Hitlers Wiener und Münchner Erfahrungen aus der Zeit vor 1924 beruhen und wir wissen, welche Rolle vor dem Kriege (1914) in München die beiden Künstlervereinigungen ‚Das neue Bild‘203 und ‚Der blaue Reiter‘ gespielt haben, die trotz Franz Marc und August Macke bei ihrer seltsamen Überfremdung durch die russische Kunst der Bechtegeff [sic], Jawlensky, Mogilewski, Wertheim [sic], Burljuk, Kandinsky schon damals wohl von keinem von uns als für die deutsche Kunst entscheidend oder wesensbezeichnend empfunden worden sind.204

Wenn Sauerlandt der „russische[n] Kunst“ aus den Reihen der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters eine signifikante Bedeutung für die „deutsche Kunst“ abspricht, sie mehr noch in ein Differenzverhältnis zu jener stellt, bildet er keineswegs den Standpunkt seiner sämtlichen Kollegen ab. Dazu ein Exkurs zurück in die 10er-Jahre. In deutlichem Kontrast zu Sauerlandts Worten steht das Beispiel Richart Reiches (1876– 1943), der zwischen 1907 und 1932 den Kunstverein in Barmen und dessen Sammlung leitete und von Ludwig Justi als „einer der frühesten und kühnsten Vorkämpfer des Museums für lebende Kunst“205 gewürdigt wurde.206 Bereits im Mai 1910 stellte Reiche dem Barmer Publikum die Neue Künstlervereinigung München vor, und im darauffolgenden Jahr präsentierte er das Schaffen Javlenskijs und Bechteevs.207 Reiche kuratierte auch die im Januar 1914 von der Galerie Arnold in Dresden gezeigte Ausstellung Die 203 Das Neue Bild war nicht, wie von Sauerlandt fälschlich behauptet, eine Künstlervereinigung, sondern eine Publikation der Neuen Künstlervereinigung München. Sie erschien im November 1912, knapp ein Jahr nach Kandinskijs und Marcs Austritt. Der von dem Kunsthistoriker Otto Fischer verfasste Text rief, wohl nicht zuletzt aufgrund seiner Positionierung gegen die abstrakte Kunst, das Missfallen einiger Mitglieder hervor (Verefkina, Javlenskij, Bechteev, Kogan, Mogilevskij), die in der Folge die Vereinigung verließen. Vgl. Ausst.Kat. München 1999, darin die Beiträge Hoberg/Hoffmeister/Meissner 1999, 53 f., und Wille 1999. 204 Sauerlandt [1933] 1974c, 527. Mit „Bechtegeff“ ist Vladimir Bechteev (Bechtejeff ) gemeint, mit „Wertheim“ Marianna Verefkina (Werefkin). 205 Justi 1932, 137. 206 Vgl. Aust 1984, 122–145; Becks-Malorny 2008. Ebd., 71, 73, wird als Ende von Reiches Amtszeit das Jahr 1929 angeführt. Laut Justi (1932, 137) beschloss Reiche seine Tätigkeit für den Barmer Kunstverein hingegen erst Anfang 1932 mit einer Abschiedsausstellung. Letzteres wird bestätigt durch die Ausführungen bei Schweiger 1994, 18 f. 207 Zu Reiches Aktivitäten im Zusammenhang mit der Neuen Künstlervereinigung München und dem Blauen Reiter vgl. Birthälmer/Fehlemann 1999; Becks-Malorny 2008; Birthälmer 2008, 15–19; Hoberg 2012.



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Neue Malerei, unter deren Exponaten sich Werke von Bechteev, Javlenskij, Kandinskij, Mogilevskij und Verefkina befanden.208 Im Cicerone wurde die Schau angekündigt als „ein umfassender Überblick über die jüngste malerische Bewegung in Deutschland“, einschließlich derjenigen Ausländer, „die seit langem in Deutschland leben und deren Arbeit, wie die der russischen Künstler in München, unlöslich mit dem Gesamtschaffen der jungen deutschen Malergeneration verknüpft erscheint“.209 In seiner Katalogeinführung betonte Reiche mit Nachdruck „die Innigkeit des internationalen Zusammenhanges der expressionistischen Bewegung“210. Was den Expressionismus in Deutschland betrifft, setzte er den stärksten Akzent auf die Neue Künstlervereinigung München – und innerhalb derselben auf den Beitrag der Russen Javlenskij, Bechteev, Verefkina und Kandinskij: Es ist uns Pflicht und Freude, an dieser Stelle den überragenden geistigen und künstlerischen Anteil der russischen Künstler Münchens an der Gründung und dem Erfolg der damals entstandenen ‚Neuen Künstler-Vereinigung‘ zu bezeugen. […] Die Namen dieser russischen Künstler werden für immer mit der Geschichte des deutschen Expressionismus unlöslich verbunden bleiben. Diese deutsche Ausstellung bringt deshalb auch von ihnen Kollektionen, die ihrer Bedeutung im deutschen Kunstleben der Gegenwart gerecht werden müssen.211

Was bedeutete „gerecht werden“ hier konkret? Nichts weniger, als dass die Münchner Russen in der Ausstellung Die Neue Malerei einen herausragenden Platz einnehmen sollten. Rein quantitativ betrachtet, stammten bei einer Teilnahme von 46 Künstlern und einer Anzahl von 159 Werken, die laut Verzeichnis in Dresden präsentiert wurden, 35 Werke – also mehr als ein Fünftel (!) der Exponate – allein von Bechteev, Javlenskij, Kandinskij und Verefkina.212 Kandinskijs Schaffen, von dem so kapitale Arbeiten wie Komposition  IV (1911), Komposition  VI (1913) oder Bild mit weißem Rand (1913) einen Eindruck vermittelten, wurde von Reiche im Katalog mit folgenden Worten bedacht: Die letzten Gemälde dieses Künstlers […] sind Kompositionen einer absoluten, geistigen Malerei, deren Elemente keinen Zusammenhang mehr mit natürlichen Erschauungen besitzen. Ob die Hoffnung dieses Künstlers, dessen singuläre Kühnheit, dessen Geist und Farbenschöpfungskraft wir bewundern, sich je erfüllen wird? Ob Auge und Sinn vieler Zeitgenossen sich

208 Vgl. Negendanck 1998, 136–138, 458, Nr. 170; Hoberg 2012, 257 f. 209 Anonym 1914. 210 Reiche 1914, 8. 211 Ebd., 8 f. 212 Vgl. Ausst.Kat. Dresden 1914, 11–18. Dagegen waren die Brücke-Maler Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Emil Nolde und Max Pechstein mit nur insgesamt 16 Bildern vertreten.

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seinen Werken erschließen werden, die er selbst nach dem Gebote einer neuen Offenbarung schaffen mußte?213

Kurze Zeit später war in Barmen eine Einzelausstellung von Kandinskij zu sehen.214 Der Klavierfabrikant Rudolf Ibach unterstützte Reiches Engagement auf dem Gebiet der modernen Kunst und machte dem Kunstverein 1914 neben einem Gemälde von Marianna Verefkina Kandinskijs Improvisation III (Der Reiter) von 1909 zum Geschenk.215 Gewiss war Reiches früher Einsatz für die Münchner Avantgarde außergewöhnlich, auch wenn er damit im Kreis seiner Kollegen nicht allein dastand: Was die museale Rezeption Kandinskijs bis in das Jahr 1914 betrifft, ist ebenfalls an Karl Ernst Osthaus und sein Museum Folkwang in Hagen zu denken216, an Max Schmid-Burgk und das Reiff-Museum in Aachen217 sowie an den Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München Hugo von Tschudi.218

213 Reiche 1914, 6. Am 9. Dezember 1913 teilte Reiche Kandinskij brieflich mit, er habe seinem Buch Über das Geistige in der Kunst „zu meiner Freude entnehmen [können], dass mir das Wesen Ihrer Kunst nicht fremd geblieben ist und dass mein Verständnis den Werken Ihrer letzten Entwicklung ziemlich nahe kam. Auch ich schätze […] nur die originalen Künstler, die etwas Eigenes zu sagen im Stande sind“ (zit. nach: Hoberg 2012, 258). 214 Vgl. Aust 1984, 139 f.; Illetschko/Katz 1992, 503; Barnett 1996, 88. Es handelte sich offenbar um die im Herbst 1912 von der Berliner Sturm-Galerie aus auf Tournee gegangene Kandinsky KollektivAusstellung. Vgl. Gordon 1974, Bd. 1, 100, und Bd. 2, 787. 215 Zu Ibach und seiner Bedeutung für den Barmer Kunstverein vgl. Schweiger 1994, 13–28; Klingsöhr-Leroy 2008. 216 Arbeiten von Kandinskij waren schon 1909 im Museum Folkwang ausgestellt. Vgl. Barnett 1996, 84. In der Sammlung Osthaus war Kandinskij mit Arbeiten auf Papier (vgl. Birthälmer/Fehlemann 1999, 284) und mit dem Gemälde Improvisation 28 (1912) vertreten. Gekauft hat es Osthaus „vermutlich noch im Jahr seiner Entstehung“ (Lüttichau 2010a, 78). Dagegen gibt Hüneke (1988a, 10) als Erwerbungsjahr „etwa 1919“ an. Zum Folkwang-Museum im Allgemeinen vgl. Gassner 2004. 217 Das ehemalige Kunstmuseum der Königlich Technischen Hochschule in Aachen, das im Zuge einer Stiftung des Professors Franz Reiff gegründet wurde, öffnete sich unter dem Direktorat des Kunsthistorikers Max Schmid-Burgk (1908 bis 1925) den zeitgenössischen Strömungen. Hier machte im November 1913 die von Herwarth Walden organisierte Kandinsky Kollektiv-Ausstellung Station. Mit dem Erwerb der Improvisation 24 (Troika II) (1912) tätigte Schmid-Burgk 1914 einen der ersten Museumsankäufe eines Kandinskij-Gemäldes überhaupt. Vgl. Turck 1994, insb. 408–415 (zu Kandinskij). 218 Kandinskij und Marc fühlten sich mit Hugo von Tschudi während dessen kurzer Amtszeit (1909 bis 1911) sehr verbunden – der Almanach Der Blaue Reiter ist seinem Andenken gewidmet. Tschudi bekundete Interesse an Kandinskijs und Marcs Ideen und erwies ihnen seine Unterstützung; von einer etwaigen Absicht Tschudis, ihre Werke auszustellen oder anzukaufen, ist allerdings nichts bekannt. Bis zu welchem Grade Tschudi ihre Überzeugungen teilte, kann aufgrund seines frühen Ablebens im November 1911 nicht abschließend festgestellt werden. Die Frage wird erörtert bei Schulz-Hoffmann 1996. Vgl. auch Paul 1993.



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Doch auch aus der – im Ganzen betrachtet – dürftigen Repräsentanz Kandinskijs in den öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen Sammlungen Deutschlands219 war und ist nicht automatisch darauf zu schließen, dass er „wohl von keinem“ Museumsleiter „als für die deutsche Kunst entscheidend oder wesensbezeichnend empfunden worden“ sei, wie Sauerlandt 1933 behauptete. Denn im Unterschied zu Osthaus, der in Hagen ein eigenes Museum für seine Sammlungen besaß, arbeiteten die Direktoren andernorts nicht mit ihren privaten Mitteln und standen dementsprechend unter Rechtfertigungsdruck. Gerade wenn es sich, wie in Kandinskijs Fall, um radikale Bildfindungen oder um Arbeiten nicht deutschstämmiger Künstler handelte, mussten sie bei dem Vorhaben, solche Werke auszustellen oder zu erwerben, mit Widerständen von verschiedenen Seiten rechnen. Der Handlungsspielraum der Museumsleiter war, unabhängig von ihrer je eigenen Kunstauffassung, von vornherein durch äußere Erwartungshorizonte und Akzeptanzgrenzen eingeschränkt.220 Die zitierte Passage aus dem Mainzer Referat wird aber nicht zuletzt durch Sauerlandts frühere Aussagen konterkariert. Wir erinnern uns: Als die Nationalsozialisten 1930 in Thüringen an das kulturpolitische Ruder gelangt waren, hatte sich Sauerlandt dagegen ausgesprochen, die unter Beschuss stehende Moderne durch eine einseitige Hervorhebung ihrer deutschen Eigenart zu verteidigen. Es könnten hierdurch, so lautete damals sein Einwand, „wertvolle künstlerische Kräfte […] getroffen und geschädigt werden“; die Nationalsozialisten würden gegen Künstler wie Moholy-Nagy oder Kandinskij aufgrund von deren Herkunft weiterhin ihre „Bedenken haben“.221 Nun, im August 1933, spitzte sich Sauerlandts Fürsprache nicht nur auf eine ‚deutsche‘ Moderne hin zu, er trug diesen Kampf auch auf dem Rücken Kandinskijs aus, den er drei Jahre zuvor noch als „wertvolle“ Künstlerpersönlichkeit in Schutz genommen hatte! Zwar macht sich Sauerlandt Hitlers wüste Beschimpfungen nicht zu eigen, sondern versucht sie vielmehr zu entschärfen. Dabei ist es jedoch er, Sauerlandt, der dem Gegenstand von Hitlers Hass erst ein konkretes Gesicht verleiht, indem er Hitlers Polemik als eine Reaktion auf die russischen Kräfte innerhalb der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters deutet (und sie damit gewissermaßen rechtfertigt).222 Sauerlandt instrumentalisiert die Her219 Vgl. Droste 1984a, 68. 220 Vgl. Hüneke 1988a, 8, der auf die hemmende Rolle der Stadtverwaltungen, Dezernenten und Ankaufskommissionen hinweist. Vgl. auch – im Hinblick auf die Weimarer Republik – Lidtke 1993, 215 f., 233 f., und Meyer 1998, 66, 71. 221 Brief von Sauerlandt an Friedrich Schreiber-Weigand, 27.11.1930. Zit. nach: Hüneke 1999a, 395. Vgl. oben Kap. 5.1. 222 Im Übrigen lesen wir bei Klaus Backes über die Zeit nach Hitlers Umzug von Wien nach München 1913: „Die avantgardistischen Bestrebungen (etwa des Blauen Reiters) liefen, wie in Wien, an ihm [= Hitler; S. B.] vorbei.“ Backes 1988, 27.

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kunft dieser Künstler und benutzt ihr Schaffen, um es auf dem Dach seines modernen Kunsttempels zu installieren – als Blitzableiter. Dass Sauerlandt an diesem Punkt taktierte (und nicht etwa fremdenfeindlichen Motiven folgte), wird durch die Tatsache bekräftigt, dass er Naum Sluckij, einen jüdischen Künstler, der 1894 in Kiew zur Welt gekommen war, auch nach der „Machtergreifung“ unterstützte.223 Ferner ist zu beachten, dass Sauerlandt unter den Russen, die das Kunstleben im Vorkriegs-München ‚überfremdet‘ hätten, Moisej Kogan nicht erwähnte, der seit 1909 Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München gewesen war. Man kann dies als ein Zeichen der Wertschätzung (wie auch des Selbstschutzes) deuten, denn Kogan gehörte wie Sluckij zu den Künstlern, für die Sauerlandt – seinem oben zitierten Ethos gemäß – „den eigenen Namen, die eigene Ehre und Berufsgeltung verpfändet[e]“.224 Solches Engagement eines deutschen Museumsdirektors auch für nicht deutsche Künstler war manchem ein Dorn im Auge. So sah sich Sauerlandt 1926 mit dem Unmut eines Hamburger Bildhauers konfrontiert, der sich gegenüber ausländischen Kollegen wie Kogan benachteiligt fühlte. In seiner Antwort – und deshalb wird der Fall hier erwähnt – vertrat Sauerlandt ein Verständnis von deutscher Kunst, bei dem die deutsche Herkunft nicht als conditio sine qua non über die Zugehörigkeit bestimmte: Kogan ist freilich in Rußland geboren. Er kam jedoch früh als Student der Chemie nach Winterthur […] und hat seitdem bis kurz vor dem Kriege in Deutschland gelebt. Mit seiner ganzen künstlerischen Ausbildung und Wirksamkeit bis kurz vor dem Kriege gehörte er also Deutschland an, wie er denn auch vollkommen Deutsch spricht. Aber freilich, er ist in Rußland geboren und fristet sein Dasein jetzt in Paris in der beständigen Sehnsucht, nach Deutschland zurückzukehren, wo allein er mit seiner Kunst beheimatet ist.225

Dass Sauerlandt eine vergleichbare Beziehung zu Kandinskij nicht hatte, ist nach dem Gesagten schwerlich mit Kandinskijs russischer Herkunft zu begründen. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass Sauerlandt Kandinskij zusammen mit anderen russischstämmigen Malern aus dem Kreis der Neuen Künstlervereinigung München und

223 Zu Sauerlandts Einsatz für Sluckij vgl. Rudolph 1990, 57–66; Baumann 2002a, 75–79; Sauerlandt 2013, 312–318. Sauerlandt half dem Künstler 1933 auch bei der Emigration aus Deutschland. 224 Zu Sauerlandts Beziehung zu Kogan vgl. Shiner 1997, 48, 57–67; Baumann 2002a, 68; Joppien 2004; Sauerlandt 2013, 185–209. Vgl. auch die Zusammenstellung dreier (z. T. gekürzter) Artikel über Kogan, die Sauerlandt 1919, 1926 und 1929 publizierte: Sauerlandt [1919, 1926, 1929] 1974b). 225 Brief von Sauerlandt an Alphons Ely, 6.11.1926. Zit. nach: Sauerlandt 1957, 239. Dazu passt, was Kogan Sauerlandt in einem Brief vom 11. Februar 1922 über sich mitgeteilt hatte: „Ich glaube, mich am meisten mit dem deutschen Gefühle zu identifizieren und so diesem Gefühl, dieser Sehnsucht eine künstlerische Form zu verleihen.“ Zit. nach: Sauerlandt 2013, 194.



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des Blauen Reiters 1933 zum Zweck einer Schadensbegrenzung „opferte“, indem er Hitlers Schmähungen auf sie – die Russen – projizierte. Wenn wir von einem promodernen Diskurs unter dem Hakenkreuz sprechen, dann sprechen wir grosso modo von verschiedenen Varianten des Versuches, den Angriffen auf die ‚undeutsche‘ Moderne ein mit dem Nationalsozialismus harmonierendes, schlüssiges Bild einer ‚deutschen‘ Moderne entgegenzustellen. Der völkische Gebrauch des Wortes „deutsch“ wurde bei diesen Versuchen nicht herausgefordert, er diente vielmehr als Verständigungsbasis. Mag hier neben Taktik auch Überzeugung mit im Spiel gewesen sein, so ist zumindest da von Konzessionen zu reden, wo sich die keineswegs engstirnigen Museumsmänner Alois Schardt und Max Sauerlandt einseitig auf dieses ‚Deutsche‘ fixierten. Die Rezeption Kandinskijs, der bis 1933 zu den Protagonisten der zeitgenössischen Malerei in Deutschland gehört hatte, stand unter keinem guten Stern. Ein Russe von Geburt, noch dazu Schöpfer rein abstrakter Bilder, passte er nicht in das eng gefasste Konzept einer ‚deutschen‘ (‚nordischen‘, ‚germanischen‘) Moderne, an dessen Geltung keine Zweifel bestehen bleiben sollten. Die Verfechter dieses Konzepts gingen in der Folge über Kandinskij hinweg (Ausblendung) oder sie missbrauchten seine Arbeit als Negativfolie, um die Eigenart der ‚deutschen‘ Kunst – das heißt: was sie darunter verstanden wissen wollten – davon abzuheben (Verfremdung). 5.2.3 Integration Am Rande des promodernen Diskurses tritt noch eine dritte Möglichkeit in Erscheinung: die „Integration“ Kandinskijs. Der Begriff steht hier im Gegensatz zur Verfremdung und bezieht sich auf jene Quellen, in denen Kandinskijs Platz im deutschen Kunstleben unter dem Aspekt der Zugehörigkeit und der Nähe, des Gemeinsamen und Verbindenden dargestellt wird (ohne dass Kandinskijs Werk zwangsläufig zur deutschen Kunst gerechnet wird). Es überrascht nicht, dass diese Möglichkeit nur punktuell anhand weniger Fundstellen aufgezeigt werden kann. Zwei solcher Stellen wurden bereits angeführt: Es handelt sich zum einen um die Passage in Schardts Monographie über Franz Marc, in der die vermittelnde Rolle der Münchner Russen für Marcs Entdeckung der Farbe „als seelische[r] Ausdruckswert“226 thematisiert wird. Und auch Sauerlandts Vorlesung vom Sommer 1933 weist, wie wir gesehen haben, ein „integratives“ Moment auf: Denn Sauerlandt bestätigt dort das „Heimatrecht“ des Konstruktivismus in Deutschland, den Kandinskij

226 Schardt 1936, 67. Vgl. oben Kap. 5.2.1.3.

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„in seiner besten Periode“ vertrete.227 Auf drei weitere Belegstellen, an denen sich ein integrativer Umgang mit Kandinskijs Schaffen erkennen lässt, soll im Folgenden eingegangen werden.228 5.2.3.1 Wilhelm van Kempens Vortrag über „Die Malerei im 20. Jahrhundert“, März 1933: Kandinskij im Rahmen des ‚nordischen‘ Expressionismus Am 5. März 1933 kommentierte der Kunsthistoriker Wilhelm van Kempen (1894–1981) in seinem Tagebuch voller Bestürzung das politische Geschehen des Tages: Reichstagswahl! Für lange Zeit wohl zum letzten Male, denn die nationalsozialistische Diktatur wird kommen: heute hat ihre Partei mit Hilfe einer wahrhaft skrupellosen Propaganda und unter brutaler Unterdrückung aller Gegner es auf 44 % sämtlicher Stimmen gebracht. Mit den 8 % Stah[l]helm-Deutschnationalen Stimmen besitzt das jetzige Reichskabinett Hitler-von Papen also die absolute Mehrheit im Reichstag: ein furchtbares Dokument politischer Unreife des deutschen Volkes und erschütternd in seinen Folgen! Ich fürchte für Deutschland Schlimmstes: aber das Volk rast, taumelt, jauchzt blind und taub: wie im August 1914, wie im November 1918 – kritiklos läuft es der Phrase, dem Tam-Tam und jetzt vor allem dem militaristischen Uniform-Fimmel nach! Entsetzlich!!229

Der Verfasser dieser Zeilen muss auch für das kulturelle Leben in Deutschland Schlimmstes befürchtet haben. Gehörte er doch zu dem Kreis von Personen, die 1925 der Übersiedlung

227 Sauerlandt 1935, 185. Vgl. oben Kap. 5.2.2.3. 228 Nicht näher behandelt wird Gottfried Benns Aufsatz „Expressionismus“ (1933), in dem Kandinskij lediglich im Rahmen einer Aufzählung erscheint. Jedoch ist die betreffende Stelle interessant genug, um hier zitiert zu werden. Benn kennzeichnet dort nämlich den Expressionismus (im weiteren Sinne) als einen „europäische[n] Stil“, an dem auch die Russen (als „Arier“!) ihren Anteil hätten: „Zunächst muß man einmal richtigstellen, daß der Expressionismus keine deutsche Frivolität war und auch keine ausländische Machenschaft, sondern ein europäischer Stil. Es gab in Europa von 1910 bis 1925 überhaupt kaum eine naive, d. h. gegenstandsparallele Gestaltung mehr, sondern nur noch die antinaturalistische. Picasso ist Spanier; Léger, Braque Franzosen; Carrà, Chirico Italiener; Archipenko, Kandinsky Russen; Masereel Flame; Brancusi Rumäne; Kokoschka Österreicher; Klee, Hofer, Belling, Poelzig, Gropius, Kirchner, Schmidt-Rottluff Deutsche; das Abendland ist versammelt und keiner von den Genannten ist etwas anderes als ein Arier.“ Benn [1933] 1989, 78. Vgl. Weisstein 1976; Greve 1986, 215–218; Clair 1998, 48–50. 229 Tagebuch von Wilhelm van Kempen, 1932–1934, 98, Stadtarchiv Göttingen, Depositum Nr. 70, C2 XIX, d 2. Ich danke Rolf Lohmar vom Stadtarchiv Göttingen, der mir einige Seiten aus dem Tagebuch (5. bis 11. März 1933) als Scans zur Verfügung gestellt hat. Zur Person Wilhelm van Kempens vgl. Wegener 1954; Nissen 1981; Gedenkkultur in Dessau-Rosslau 2016.



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des Bauhauses von Weimar nach Dessau den Weg bereitet hatten230 – und die dann 1932 hatten mit ansehen müssen, wie das Bauhaus auf Antrag der Nationalsozialisten im Dessauer Gemeinderat auch von seiner zweiten Wirkungsstätte vertrieben wurde.231 Ein „berufener Interpret der neuzeitlichen Kunstrichtungen“232, hielt Wilhelm van Kempen am 8. März 1933 in Jena einen Lichtbild-Vortrag über „Die Malerei im 20. Jahrhundert“.233 Anlass war die Ausstellung Jenaer Privatbesitz – Kunst der letzten 30 Jahre, die der Kunstverein Jena vom 12. Februar bis 12. März 1933 in seinen Räumlichkeiten zeigte. Zu den Urhebern der hier versammelten Werke gehörten so bahnbrechende Künstler wie Nolde, Kirchner, Marc, Feininger, Klee – und Kandinskij. Die Schau war sicherlich eine der letzten, in denen Kandinskij noch zu Lebzeiten in Deutschland vertreten war.234 Gleichzeitig markierte die Präsentation das Ende eines vielseitigen Engagements für die moderne Kunst, mit dem sich der Jenaer Kunstverein in den 30 Jahren seines Bestehens, und namentlich unter Walter Dexels Ausstellungsleitung (1916 bis 1920 und 1921 bis 1928), hervorgetan hatte.235 1933 drehte sich auch hier der Wind. Doch noch

230 Vgl. Kämmerer 1980, 347. – In seinem Buch Dessau und Wörlitz (1925, 133 f.), das nach dem Umzug des Bauhauses erschien, strich Kempen die zukunftsweisende Rolle der Schule heraus, die kein geringeres Problem ins Zentrum ihrer Arbeit stelle als „die Existenzfrage moderner, zeiteigener Kultur“. Dessau sei mit der Übernahme des Bauhauses, die „unter heftigster Opposition weitester Kreise“ vonstattengegangen sei, „Mittelpunkt modernster Kulturbestrebungen geworden“. 231 Vgl. Kempen 1932. 232 W. Co. 1933. 233 Datum und Titel des Vortrags sind Kempens Tagebuchaufzeichnung vom 8. März 1933 entnommen. Vgl. Tagebuch von Wilhelm van Kempen, 1932–1934, 99–101, Stadtarchiv Göttingen, Depositum Nr. 70, C2 XIX, d 2. 234 Die Ausstellung Jenaer Privatbesitz – Kunst der letzten 30 Jahre ist in dem von Georgia Illetschko und Katharina Katz (1992) zusammengestellten umfangreichen Verzeichnis der „Kandinsky Exhibitions“ nicht vermerkt. Überhaupt wird dort nur eine Ausstellung angeführt, die während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland stattfand: die Femeschau Entartete Kunst (1937–1941). Aus den Untersuchungen von Christoph Zuschlag (1995) gehen mindestens vier weitere Präsentationen hervor, in deren Rahmen Kandinskij angeprangert wurde: Kunst, die nicht aus unserer Seele kam (Chemnitz 1933), Entartete Kunst (Dresden 1933), Kunst der Geistesrichtung 1918–1933 (Breslau 1933) sowie die in Halle eingerichtete „Schreckenskammer“ (1935–1937). Darüber hinaus erwähnt Zuschlag (ebd., 51) eine Ausstellung im Märkischen Museum Witten, die Anfang 1936 – offenbar ohne diffamatorische Absichten (!) – Arbeiten von Kandinskij, Beckmann, Javlenskij, Nolde u. a. zeigte. Schließlich sei auf einen Brief des Berliner Galeristen Ferdinand Möller vom 10. Juli 1936 hingewiesen, in dem er Kandinskij mitteilt, er habe „einen Raum mit Ihren schönen Bildern gehängt, der auf uns alle einen großen Eindruck gemacht hat“ (zit. nach: Illetschko 1997, 96). Dieser Raum war aber vermutlich nur für ausgewählte Personen zu sehen; Hinweise auf eine öffentlich zugängliche Präsentation sind mir nicht bekannt. Ich danke Wolfgang Schöddert (Berlinische Galerie, Berlin) für seine Auskunft in dieser Frage. 235 Vgl. Wahl 1988. Die Aufnahme Kandinskijs durch den Jenaer Kunstverein wird gesondert behandelt bei Stephan 2009. Vgl. auch die Dokumentation Wassily Kandinsky im Kunstverein Jena 2009.

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konnte Kempen im März von seiner Vortragsreise nach Jena schwärmen, die ihm „eine seelische Erfrischung gewesen“236 sei. Wilhelm van Kempens Vortrag liegt uns nicht im Original vor, sondern ist durch einen zusammenfassenden Artikel im Jenaer Volksblatt überliefert. Da wir über den Inhalt also lediglich aus zweiter Hand und in geraffter Form unterrichtet sind – was stets die Möglichkeit des Missverständnisses und der Unschärfe einbegreift –, kann von dem Geschriebenen nur bedingt auf das Gesagte geschlossen werden. Jedoch geht aus dem Artikel mit großer Deutlichkeit hervor, dass Kempen in seinem Vortrag auf nationale Lesarten des Expressionismus zurückgriff, wie sie bereits vor 1918, nicht zuletzt in Anlehnung an die Thesen Wilhelm Worringers, entwickelt worden waren237: Es entspricht dem deutschen Wesen, sich nicht blenden zu lassen, zum Wesen der Dinge vorzudringen. Damit ist der Expressionismus eine typisch deutsche Angelegenheit. Es ist die ewige Sehnsucht des nordischen Menschen, Harmonie zu finden, es ist der ewige Zustand des Deutschen, in Disharmonie zu leben.238

Man fühlt sich durch diese Worte an Worringers gotischen Menschen erinnert, dessen Seele „ihren Gleichgewichtspunkt noch nicht gefunden hat“ und daher „ihren inneren Druck in solchen unnatürlichen [hier: ‚pathetischen‘; S. B.] Steigerungen [entlädt]“.239 – In der Tat lässt der Rückverweis auf das Mittelalter nicht lange auf sich warten: Die Durchgeistigung führt [im Expressionismus; S. B.] bis zu einer bewußten Deformierung der Gestalten, wie es schon in der Gotik geschah, und dadurch zu stärkstem Ausdruck. Da die Form und die Bildelemente immer primär waren und sind, entstehen abstrakte Bilder, in denen neben die Form die Farbe als aktive Form tritt. Gemalt werden Kräfte und Funktionen und Spannungen, ähnlich wie technische Skizzen, wie Partituren. Es ist kein weiter Weg von

236 Tagebuch von Wilhelm van Kempen, 1932–1934, Eintrag vom 9.3.1933, 101 f., hier: 102, Stadtarchiv Göttingen, Depositum Nr. 70, C2 XIX, d 2. 237 Vgl. Bushart 1990, 93–134. 238 W. Co. 1933. 239 Worringer 1911, 51. Vgl. oben Kap. 1.4.3. Ähnlich formulierte es Karl Scheffler in Der Geist der Gotik (11917): „Der gotische Geist erschafft auf allen Stufen die Formen der Unruhe und des Leidens; der griechische Geist erschafft die Formen der Ruhe und des Glücks. Dieses ist eine Formel, mit deren Hilfe die ganze Kunstgeschichte gedacht werden kann.“ Scheffler 1929, 39.



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der flüchtigen Reiterskizze Kandinskys240 bis zu seinen Abstraktionen. Denn ‚Kunst ist nicht Wiedergabe, sondern Gabe‘, sagt Herwarth Walden.241

Es wird hier eine Verknüpfung des Expressionismus mit der Gotik hergestellt und auf diese Weise der Fortbestand des „deutschen Wesen[s]“ in der neuen Kunst unterstrichen. Die Argumentationsfigur ist uns aus anderen Zusammenhängen bereits hinreichend bekannt und bedarf an dieser Stelle keiner Erläuterung. Sie bildet jedoch den Hintergrund für zwei weitere Beobachtungen, die im Hinblick auf die „Integration“ Kandinskijs von Bedeutung sind: Erstens wird der Schritt von der expressionistischen „Deformierung der Gestalten“ hin zur reinen Abstraktion als ein organischer Prozess beschrieben. Und zweitens wird dieser Prozess in der zitierten Passage am Beispiel Kandinskijs veranschaulicht. Die abstrakte Kunst und Kandinskij als ihr Vertreter wurden, so legt es der Bericht im Jenaer Volksblatt nahe, von Kempen als Teil des Expressionismus – dieser „typisch deutsche[n] Angelegenheit“ – aufgefasst.242 Der Versuch einer Germanisierung des Expressionismus und die Herausstellung Kandinskijs als zentrale Figur dieser Bewegung erscheinen dabei wie zwei parallel verlaufende Stränge. Was fehlt, ist eine Querverbindung zwischen den beiden Strängen – eine Antwort auf die Frage, wie sich die russische Herkunft Kandinskijs zum Expressionismus als einer Manifestation „deutschen Wesen[s]“ verhält? Ob Wilhelm van Kempen in seinem Vortrag auf diese Frage einging, bleibt offen.243 240 Mit der „flüchtigen Reiterskizze“ ist vermutlich Kandinskijs Gemälde Lyrisches von 1911 gemeint, das Kempen in seinem Vortrag gezeigt haben könnte. Das Werk war von Kandinskij im Almanach Der Blaue Reiter abgebildet worden und galt schon in den 20er-Jahren als „eines seiner bekanntesten und berühmtesten Bilder […], als ‚Reiter‘ wiederholt reproduziert“ (Grohmann 1924b, 6). 241 W. Co. 1933. In seiner „Vorrede“ zum Katalog des Ersten Deutschen Herbstsalons schreibt Herwarth Walden ([1913] 1988, 6): „Kunst ist Gabe und nicht Wiedergabe.“ Vgl. auch Ders. [1913] 1970e. Ein weiteres Mal verwandte Walden diesen Aphorismus für seinen Einblick in Kunst. Expressionismus, Futurismus, Kubismus, vgl. Ders. 1924, 97. 242 Ein weites, die Abstraktion mit einschließendes Verständnis des Expressionismus als eine Kunst, die „der äußeren Form gegenüber eine freie Stellung einnimmt“ und in der „Innerliches, Seelisches um Ausdruck und zum Ausdruck ringt“, findet sich bereits bei Kempen 1926 (Zitate auf S. 251). Kandinskij wird dort allerdings nicht erwähnt. 243 Ihm persönlich wird sich diese Frage nicht in der Dringlichkeit gestellt haben, da „zu allen guten Zeiten die Kunst national, nicht nationalistisch begrenzt war“, wie er einige Jahre zuvor den Gegnern des Neuen Bauens erwidert hatte. In demselben Artikel heißt es (auf die Malerei durchaus übertragbar): „[…] wer die Geschichte kennt, der weiß, daß die verschiedenen Kulturen, als deren äußere Hauptzeugnisse die Baukunst erscheint, daß sie noch immer allgültige, nicht allein auf ein einzelnes Land und Volk beschränkte Erscheinung gewesen sind. Gewiß, wir sondern deutlich in der Vergangenheit das Nordische etwa der Gotik von dem Südlichen etwa der Renaissance, aber wir müssen doch erstaunt fragen, ob denn wirklich und tatsächlich die deutschen Städte, die deutsche Landschaft immer nur ureigentlich Deutsches zur Schau getragen haben oder ob nicht vielmehr der übernationale Gedankenaustausch, ohne den eine große Kultur nie werden und bestehen kann, ob er nicht deutlich spürbar ist.“ Kempen 1927.

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Am Beispiel von Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917) und Eckart von Sydows Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920) wurde im zweiten Teil dieser Arbeit gezeigt, wie die gesuchte Querverbindung zwischen Kandinskijs Werken einerseits und der Idee eines spezifisch deutschen Expressionismus andererseits Gestalt annehmen konnte: Beide Autoren bringen in ihren Texten eine kulturelle Verwandtschaft (Gemeinsamkeit, Nähe) zwischen Deutschland und Russland zum Ausdruck, die sie in der engen und freundschaftlichen Zusammenarbeit Kandinskijs und Marcs bestätigt sehen konnten. Neben Schardts Monographie Franz Marc, wo die Rückbesinnung auf „die seelische Ausdruckskraft der Farbe“244 – mithin die Frontstellung gegen den Naturalismus – den entscheidenden Berührungspunkt der neuen deutschen (Marc) mit der neuen russischen Malerei (Kandinskij, Javlenskij, Verefkina) bildet, ist mir nur eine Publikation aus der Zeit nach 1933 bekannt, in der unter Bezugnahme auf Kandinskij ein geistiges Band zwischen dem deutschen Expressionismus und Russland bzw. dem „Osten“ geknüpft wird. Ihr Autor war der 22-jährige Werner Haftmann. 5.2.3.2 Werner Haftmanns „Abhandlung zur Frage des West-Östlichen“ in der Zeitschrift Kunst der Nation, Oktober 1934 Im Herbst 1933 kam eine neue Kunstzeitschrift auf den Markt, mit der die Verteidiger des Expressionismus, von Propagandaminister Joseph Goebbels unterstützt, ihr eigenes Organ herausbrachten: die Kunst der Nation.245 Es handelte sich freilich nur um einen weiteren „Versuch, moderne Kunst unter den Bedingungen des Faschismus zu legitimieren“246. Die Grundtendenz der Kunst der Nation war Stefan Germer zufolge bestimmt durch „die Absicht […], avantgardistische Kunst und nationalsozialistische Politik zueinander ins Verhältnis zu setzen, beide gar als Ausdruck des gleichen Strebens in verschiedenen Gebieten zu deuten“247. Zu den jüngeren Beiträgern der Zeitschrift gehörte der Kunstgeschichtsstudent Werner Haftmann (1912–1999), der schon damals in Kontakt mit modernen Künstlern stand und infolgedessen von seinem universitären Umfeld attackiert worden war248. Bekannt ist Haftmann heute vor allem als Verfasser des kunsthistorischen Standardwerks Malerei im 20. Jahrhundert (1954/55), als Mitbegründer der documenta in Kassel (1955) und als 244 Schardt 1936, 67. 245 Vgl. Germer 1990; Baumann 2002b, 152–173. Die Kunst der Nation erschien in einer Auflage von 5000 Exemplaren; sie wurde bereits im Februar 1935 wieder eingestellt, vgl. ebd., 152, 172. 246 Germer 1990, 27. 247 Ebd., 21. 248 Freundliche Mitteilung von Dr. Evelyn Haftmann, der Witwe von Werner Haftmann, an den Verfasser, E-Mail, 7.5.2015. Vgl. auch Lebenslauf [Werner Haftmann, 1912–1999] 2016.



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Direktor der Nationalgalerie in Westberlin (1967 bis 1974) – drei Rollen, in denen er die Rezeption und Rehabilitierung der modernen Kunst in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich prägte.249 Weniger geläufig hingegen ist, dass Haftmanns publizistischer Werdegang als Interpret der Moderne in der Kunst der Nation seinen Anfang nahm. Hier veröffentlichte er 1934 eine Reihe von Artikeln, deren für uns bedeutendster „Geographie und unsere bewußte Kunstsituation“ überschrieben ist.250 In seiner „Abhandlung zur Frage des West-Östlichen“ (so der Untertitel) setzte sich Haftmann keine geringere Aufgabe, als die künstlerische Bestimmung zu erhellen, die sich aus der geographischen Lage Deutschlands für die Gegenwart ergebe. Hierbei kam dem Blauen Reiter als Träger einer „neuen deutschen Sendung“ eine Schlüsselrolle zu: Die Kunstbekenntnisse des Blauen Reiters und der Brücke […] waren ein schroffes, wenn auch nicht voll bewußtes Neinsagen zu den analytischen Malmethoden der neuen Franzosen. Die nahezu pantheistische Anschauung, die Marc malend vorschlug, verband ihn wohl am ehesten mit van Gogh, der aber selbst so unwestlich als möglich im Malen und in metaphysischer Anschauung war. Hier lag jetzt die Umbruchstelle einer neuen deutschen Sendung. Die neue Bewegung sagte innerlich Nein zum Westen und orientierte sich – Schicksalsbestimmung der Geographie – östlich. So unbiegsam gesagt, ist das allzu rohe Setzung. Selbstverständlich verwandte auch Marc die Strukturformen westlichen Malens, aber die innere Form (innere Malabsicht) löste sich vom westlichen Denken los, indem sie über die rationale Anschauung eine metaphysisch-pantheistische setzte. Sie gab also zum Wert des westlichen Malens einen dem fremden neuen Wert hinzu, der innerlich deutsch und absichtsvoll so war. Indem diese eine Absage zum Westen aber so war, wurde das Östliche nun in einem ganz neuen Sinne bewußt, dem Westen war man in der Auseinandersetzung entraten, nun stand groß und fremd der Osten vor dem deutschen Künstler und rief zur Auseinandersetzung.251

Haftmanns Artikel enthält drei diskursive Komponenten – drei Grundmotive –, die wir bereits bei Burger und Sydow im Zusammenhang mit der Vorstellung einer deutschrussischen Geistesverwandtschaft ausfindig machen konnten und denen wir erneut bei der Analyse von Kandinskijs Aufsatz „Abstrakte Kunst“ aus dem Jahr 1925 begegneten. Es sind dies erstens die kulturelle Dichotomie von West und Ost (z. B. rational vs. 249 Vgl. Merkert 1998, insb. 158–161; Presler 1999; Betthausen 2007; Lebenslauf [Werner Haftmann, 1912–1999] 2016. Ergänzend dazu Fitzke 2015. 250 Haftmann 1934b. Neben diesem werden in der Forschungsliteratur noch zwei weitere Beiträge Haftmanns für die Kunst der Nation angeführt: Haftmann 1934a und 1934c. Die drei Texte werden behandelt bei Baumann 2002b, 167 f., 307 f.; Fastert 2008, 313–315, 318; Gillen 2015, 216–221. 251 Haftmann 1934b, 3. Zu dem Ansatz, Kunst auf geographische Sachverhalte zurückzuführen, vgl. den Abschnitt „The Tradition of Kunstgeographie in German Art Studies and the European Discussion until 1945“ in: Kaufmann 2004, 68–88. Vgl. auch Larsson 1985.

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metaphysisch), zweitens die Mittellage Deutschlands und drittens, als historische Dimension, das Bewusstsein einer gegenwärtigen (oder jüngst erfolgten) Umorientierung von West nach Ost252. Durch den Rückgriff auf diese drei Motive bzw. auf das geokulturelle Konstrukt, zu dem sie sich fügen, war ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die „östlichen“ Facetten des Blauen Reiters und überhaupt Kandinskijs Bedeutung für die ‚deutsche‘ Moderne in einem positiven Licht dargestellt werden konnten: Das Interesse galt nun nicht mehr Jean Fouquet etwa, sondern dem östlichen Ikonenbild, nicht mehr französischem Rokoko, sondern persischer Miniatur oder persischem Schattenbild. Von alledem ist im Blauen Reiter immer wieder zu sehen. In diesem Sinne wurde jedes Malmittel überprüft und modifiziert, die Form, die Linie und die Farbe, die ganz überging zum Glutvollen, Emphatischen und ganz Transzendenten des östlichen Bauernbildes und ausdrucksmäßig in dieselben Bezirke hineinwuchs, in denen tiefgründig, leidvoll und empfindlich die Ikonenmadonna verharrte.253 Die Empfindung kam so dem Östlichen nahe, ganz nahe, obwohl und wobei das Westliche noch immer im Bewußtsein stand. Hier erhob sich jetzt die Möglichkeit zu einer unendlich schöpferischen Synthese der Jetztzeit, die der Blaue Reiter aus sich schon fand, der den Westen als Erfahrung hinter sich hatte und den Osten als Aufgabe vor sich sah. Dem Blauen Reiter kam zu Hilfe, daß Kandinsky und Jawlensky selbst schon auf den Spuren alt-östlicher Malauffassung waren, so daß die Auseinandersetzung direkt und persönlich werden konnte. So zeigt sich uns das Bild: über dem Fundament der deutschen Eigenform trug der moderne Deutsche die neue Aufgabe des Östlichen in den Gesichtskreis der europäischen Nationen, stellte sich damit in scharfen Gegensatz zum Westen. Geographisch war das Fazit richtig, denn das hieß nach der Lage des Raumes: west-östliche Synthese.254

Haftmann setzt in seiner Argumentation die Anerkennung des Expressionismus als führende Richtung innerhalb der jüngeren Kunstentwicklung in Deutschland voraus. Als Repräsentanten dieser Richtung werden außer dem Blauen Reiter auch die Brücke, Ernst Barlach, Emil Nolde, Christian Rohlfs und Werner Scholz genannt. Das größte

252 Diese Umorientierung wird von Haftmann, wie zuvor von Kandinskij, nicht als eine Preisgabe des westlichen Standpunktes schlechthin geschildert, sondern als dessen Synthese mit dem östlichen Standpunkt. 253 Zu den hier angeführten Beispielen einer „östlichen“ Kunst vgl. Kandinskijs Bemerkung im Schlusswort zu Über das Geistige in der Kunst: „Kompliziertere ‚rhythmische‘ Komposition mit einer starken Andeutung des symphonischen Prinzips sind viele Bilder, Holzschnitte, Miniaturen usw. der vergangenen Kunstepochen. Man erinnere sich nur der alten deutschen Meister, der Perser, Japaner, der russischen Ikonen und besonders der Volksblätter usw. usw.“ Kandinsky [1912] 2006, 144 f. Des Weiteren sei auf die zahlreichen Abbildungen „östlicher“ Objekte im Almanach Der Blaue Reiter hingewiesen, die u. a. auch Schattenspielfiguren zeigen (ägyptische allerdings, nicht persische). 254 Haftmann 1934b, 3 f.



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Gewicht legt Haftmann in seinem Aufsatz aber auf den Blauen Reiter. Weshalb er dies tut, ist unschwer einzusehen. Die russische Herkunft Kandinskijs und Javlenskijs (der hier dem Kreis des Blauen Reiters zugerechnet wird) und die sich daraus ergebenden Anknüpfungspunkte etwa zur Ikonenmalerei mussten Haftmann in besonderem Maße geeignet erscheinen, seine Theorie einer ‚Bewußtwerdung des Östlichen‘ und damit einer „west-östliche[n] Synthese“ zu stützen. Auf der anderen Seite erhält man bei der Lektüre des Artikels leicht den Eindruck, dass Haftmann, wenn er vom Blauen Reiter und seiner bahnbrechenden Rolle spricht, doch eigentlich Franz Marc im Auge hat (und nicht auch Kandinskij). Der Eindruck resultiert aus der essenzialistischen Argumentation („[…] hinter dem Geist steht bestimmend die schicksalhafte Sendung, die ihm eingelagert ist vom Blut und vom Raum.“ 255) und der nationalen Stoßrichtung, die Haftmann in seinem Beitrag verfolgt. Vergleicht man Haftmanns Text mit Kandinskijs Aufsatz „Abstrakte Kunst“, so stellt man wenig überrascht fest, dass bei Haftmann die Synthese anders als bei Kandinskij nicht von Russland ausgeht – das hier ganz in der Formel des „Östlichen“ aufgelöst ist –, sondern von Deutschland. Im Einklang damit wird die Annäherung an den „Osten“ als ein von äußeren Einflüssen unabhängiger Vorgang beschrieben, den die deutschen Künstler von innen heraus vollzogen, als eine „Schicksalsbestimmung der Geographie“.256 Das nationale Moment wird noch verstärkt und auf eine breitere Basis gestellt, wenn Haftmann, analog zum Expressionismus, auch das nationalsozialistische Deutschland als „Synthese von West und Ost“ beschreibt: […] Damit bestimmt sich die moderne Kunstlage des Deutschen, die politisch und wirtschaftlich längst erkannt [sic]. Die politische Form der westlichen Demokratien ist in demselben Maße fraglich für den Deutschen wie der politische Kollektivismus östlicher Prägung. Wurde die heutige deutsche Gemeinschaftsform als neue politische Forderung erhoben, so lag darin der Ausdruck eines geeinten deutschen Willens, gleichzeitig aber auch, vom europäischen Verband her gesehen, die Aufstellung jener Synthese von West und Ost, vom westlichen Individualbegriff und östlichem Kollektiv.257

255 Ebd., 3. 256 Vgl. auch ebd., 4: „So wollen wir den Begriff der west-östlichen Synthese verstanden wissen, nicht als wechselnde Übernahme westlicher oder östlicher Gestaltungsprinzipien, sondern als innerlich notwendige und eigengewachsene deutsche Form, die nur je nach der Intensität ihrer Gefühls- oder Verstandeswerte sich einmal westlich[,] einmal östlich solidarisiert.“ 257 Ebd.

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Das ‚neue‘ Deutschland und die neue deutsche Kunst werden von Haftmann auf einen gemeinsamen, geographisch begründeten Ursprung zurückgeführt.258 Haftmann macht sich dabei ein Denkmodell zunutze, für welches sich der Begriff des „Dritten Weges“ eingebürgert hat.259 Die diversen Ausformulierungen, die das Modell des „Dritten Weges“ in concreto von verschiedener Seite erfahren hat, werden von Eckhard Jesse auf den folgenden Nenner gebracht: Ganz allgemein könnte man darunter eine Absage an den ‚westlichen Individualismus‘ wie an den ‚östlichen Kollektivismus‘ verstehen. Die Begriffsbildung hängt in Deutschland, nicht zuletzt bedingt durch die Mittellage, insbesondere mit der Denkfigur einer spezifischen Entwicklung zusammen. Die Eigenständigkeit des deutschen Weges zeige sich gegenüber dem Westen als auch gegenüber dem Osten.260

Welchen Platz also nimmt Kandinskij in Haftmanns nationalem Entwurf ein, der Ostorientierung und Sonderbewusstsein miteinander verbindet? So viel steht fest: Haftmanns Protagonist, „der moderne Deutsche“, lässt sich ohne Weiteres mit Marc identifizieren, nicht aber mit Kandinskij oder Javlenskij. Sind die beiden Letztgenannten damit nur Stellvertreter des ‚Ostens‘, denen der deutsche Künstler auf seinem vermeintlichen Sonderweg entgegenkam –, oder zumindest ein Stück weit auch Träger der Synthese? Der Text gibt darauf keine eindeutige Antwort. Doch selbst mit dieser notwendigen Einschränkung bleibt festzuhalten, dass Haftmanns Ansatz die Möglichkeit bot, Kandinskijs Schaffen in eine nationale Kunstgeschichte einzuschreiben: im Rahmen einer Darstellung der ‚deutschen‘ Moderne als einer schicksalsbedingten Auseinandersetzung und ‚Solidarisierung‘ mit dem „Östlichen“.261

258 Eine Erklärung für das ungleichzeitige Auftreten der künstlerischen Synthese (hier:) des Expressionismus und der politischen Synthese (hier:) des Nationalsozialismus liefert Haftmann (ebd., 3) implizit an einer früheren Textstelle, wo er auf die antizipative Rolle der Kunst verweist, die als „Wertmaßstab des Instinktes einer Nation oder einer Kultur […] ahnend und generationsvoraus Entscheidungen vorwegnimmt, bevor sie denkend gefällt werden“. 259 Vgl. Weidenfeld 1990, 186; Jesse 1992; Weidenfeld 1997, 56. 260 Jesse 1992, 252. Vgl. auch Wendt 1992. 261 Von Goethe, der so oft in dieser Zeit als Gewährsmann fungierte, sind neben Haftmanns Aufsatz (1934b, 4) die folgenden Verse aus dem West-östlichen Divan (Nachlass) abgedruckt: „Wer sich selbst und andere kennt / Wird auch hier erkennen, / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen.  // Sinnig zwischen beiden Welten / Sich zu wiegen, laß ich gelten; / Also zwischen Ost und Westen / Sich bewegen, sei’s zum Besten.“



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5.2.3.3 „Der große Anstoß“: Paul Ferdinand Schmidt über Kandinskijs Wirkung im Umfeld des Blauen Reiters, Oktober 1934 Mit seiner „Abhandlung zur Frage des West-Östlichen“ lieferte Haftmann ein beredtes Zeugnis für jenen „Versuch, moderne Kunst unter den Bedingungen des Faschismus zu legitimieren“262, den Stefan Germer als charakteristisch für die Linie der Kunst der Nation beschreibt. Bezeichnend für diesen Versuch ist bei Haftmann, dass Kandinskij in einem Kontext Erwähnung findet, durch den die herausragende Bedeutung, die er – ein Russe – im deutschen Kunstleben hatte, gewissermaßen gerechtfertigt wird. Die Verknüpfung der „neuen deutschen Sendung“ mit dem „Östlichen“ bildet hier die Grundlage, auf der Kandinskij seinen Platz im Konstrukt einer ‚deutschen‘ Moderne erhält. Indes findet man in der Kunst der Nation auch ein Beispiel für die Integration Kandinskijs, das ohne einen solchen legitimatorischen Rahmen auskommt – und überhaupt von Germanisierungsversuchen absieht. Die Rede ist von Paul Ferdinand Schmidts (1878–1956) „Erinnerung an August Macke“.263 Der Beitrag erschien anlässlich des zwanzigsten Todestages von Macke, der Ende September 1914 im Krieg ums Leben gekommen war. In einem kurzen Rückblick auf Mackes Weg vom „gediegenen Realisten“ zu einem Maler, dessen Werke auf der Höhe der Zeit standen, weist Schmidt Kandinskij als den entscheidenden Impulsgeber aus: Der junge Schüler der Düsseldorfer Akademie […] und Kunstgewerbeschule, der 1907 in Berlin sogar dem Einfluß Corinths ausgesetzt war, entwickelte sich rasch zu einem gediegenen Realisten, sehr ähnlich wie Franz Marc, mit dem ihn bald eine innige Freundschaft wie mit den geistesverwandten Campendonck [sic] und Seehaus verbindet. Der große Anstoß, die Farbe zu intensivieren und flächig zu gestalten, kommt ihm, wie ihnen allen, von Kandinsky, dem Mittelpunkt und großen Anreger des ‚Blauen Reiters‘ in München. Ihrer aller Entwicklung wird von einer fieberhaften Begeisterung für das unerhört Neue aufwärts getragen, das in den schöpferischen Jahren von 1910 bis 14 in ungeheurer Kompression die Möglichkeiten eines halben Jahrhunderts vorwegnimmt. Mackes Bilder und Farbenskizzen lassen jede Wandlung der aufgewühlten Epoche deutlich spüren; sein Empfinden folgt allen Schwingungen des geistigen Manometers mit restloser Hingebung, er geht bis zur völlig gegenstandslosen Farbensymphonie, wie Kandinsky, und kommt fast weiter, als Marc gelangt ist.264

262 Germer 1990, 27. 263 Schmidt 1934. Zu Schmidt, der ein umtriebiger Verfechter der neuen Kunst war, vgl. Porstmann 2004. 264 Schmidt 1934.

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Dass nach Schmidts Darstellung der „große Anstoß“ in Mackes künstlerischer Entwicklung nicht durch einen deutschen, sondern durch einen russischen Maler erfolgte, spielt in dem Text selbst keine Rolle: Nationale Rücksichtnahmen im Sinne einer Rechtfertigung dieses Einflusses sind darin nicht auszumachen. (Es fällt allenfalls auf, dass jeder Hinweis auf Kandinskijs russischen Hintergrund fehlt, den Schmidt in früheren Texten klar artikuliert hatte.) Schmidt stellt Kandinskijs Einfluss, unter dem er auch Franz Marc, Heinrich Campendonk und Paul Adolf Seehaus sieht, schlicht und einfach fest. Um sich die Besonderheit dieser Tatsache vor Augen zu führen, genügt ein Blick in Kapitel 5.2.2.2 der vorliegenden Arbeit, in dem dargelegt wurde, wie schwer man sich seinerzeit damit tat, die Beziehung Marcs zu Kandinskij zu thematisieren. Im Gegensatz dazu kann man bei der Lektüre von Schmidts Beitrag sogar zu der Auffassung gelangen, dass er Kandinskijs Einfluss auf Macke allzu einseitig hervorhebt und damit überbewertet.265 In der Herausstellung der künstlerischen Wirkungskraft Kandinskijs lässt sich eine Kontinuitätslinie erkennen, die den Artikel in der Kunst der Nation mit früheren Schriften Schmidts verbindet. Als Ergänzung zu den obigen Ausführungen soll an zwei Vergleichstexten aus den 20er-Jahren gezeigt werden, dass Schmidt Kandinskij durchaus als einen russischen Künstler wahrnahm und dass er diese Wahrnehmung mit Kandinskijs Bedeutung für die deutsche Moderne in Beziehung zu setzen vermochte. Im Vorwort zu Hugo Zehders Kandinskij-Monographie von 1920 vergleicht Schmidt Kandinskij mit Matisse und kolportiert mit Blick auf den Russen die verbreiteten Topoi der Radikalität und der Traditionslosigkeit: Der Unterschied zwischen ihnen [= Matisse und Kandinskij; S. B.] ist wesentlich einer der Rasse und des Temperaments: gegenüber dem westlichen System der Weltdarstellung, in jahrhundertalter Uebung bis zur sublimsten Verfeinerung in Matisse gediehen, steht die prachtvolle Voraussetzungslosigkeit des Russen, der in barbarischem Schöpfer- und Selbstgefühl diese ganze Kultur einfach zerschlug und über den Trümmern ein neues Ziel aufpflanzte: Das von allen Assoziationen und Erinnerungen an Wirklichkeit befreite Erlebnis der absoluten Farbe, die 265 Kandinskij, dem Macke keineswegs unkritisch gegenüberstand, kann nur bedingt zu dessen Vorbildern gerechnet werden. Vgl. Meseure 2007, 35–41; Hoberg 2014. Überdies darf nicht vergessen werden, dass Macke in seinem Werk auch fauvistische, kubistische, futuristische und orphistische Impulse verarbeitete. Vgl. Meseure 2007, 23–30, 43–55; Adolphs 2014. Schmidt selbst hatte 1920 darauf hingewiesen, dass Macke „wohl mehr von Matisse bedingt [ist] als von dem Russen [= Kandinskij; S. B.]“ (Schmidt 1920, 4). Ist der fehlende Hinweis auf Matisse in Schmidts „Erinnerung an August Macke“ mithin auf einen nationalen Beweggrund zurückzuführen, auf die Absicht, die deutsche Kunst (respektive das Bild von ihr) gegen das Französische abzuschirmen? Die Vermutung liegt nahe, lässt sich im konkreten Fall aber kaum aufrechterhalten. So schreibt Schmidt (1934) an anderer Stelle seiner „Erinnerung“, Macke sei „der geborene Vermittler zwischen deutschem Ausdruckswillen und französischer Schmiegsamkeit der Form, der echte Rheinländer“. Damit werden die Anregungen, die Macke von französischer Seite erhielt, zumindest indirekt angesprochen.



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aus dem Klingen der eigenen Seele bricht; ihr psychologisches Element, das die Tore zu einer völlig neuen und verwandelten Welt mit gewaltigem Rucke aufreißt.266

Bei aller national begründeten Eigenart, die Schmidt feststellt, sieht er in Kandinskij jedoch primär einen Künstler von europäischem Rang und Bedeutung, der auf die Deutschen „[e]ine weit lebhaftere Wirkung“267 hatte als auf die Münchner Russen oder Šagal. Ungefähr drei Jahre später spricht Schmidt in seiner Überblicksdarstellung Die Kunst der Gegenwart (um 1923) von dem „ungeheure[n] Kraftreservoir“ Russlands, zu dessen „bedeutenden und gerade für Deutschland wichtigen Revolutionären“ er an erster Stelle Kandinskij und Šagal zählt.268 Schmidt begründet den besonderen Stellenwert der russischen Künstler für Deutschland, indem er sie als „mit innerster Wahlverwandtschaft der metaphysischen Grundanschauung den Deutschen angehörend“269 bezeichnet. Bemerkenswerter noch als dieser Gedanke, den man in ähnlicher Form auch bei anderen Autoren der Zeit antrifft, ist die Überlegung, mit der Schmidt den Abschnitt über die Kunst seit 1890 einleitet: „Sogleich zu Beginn der jüngsten Entwicklung, um 1890, teilt sich Europa in zwei Lager: in das der romanischen Nationen und das der nordischen, zu denen außer Deutschland und seinen Randvölkern Holland, Schweiz und Skandinavien vor allem Rußland gehört.“270 Russland wird hier unter die „nordischen“ (!) Länder eingereiht und mit Deutschland und dessen „Randvölkern“ als eine künstlerische Einheit begriffen. Die Verortung Russlands im Norden Europas überrascht; tatsächlich aber hatte sie eine lange Tradition, die zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin allerdings durch den modernen Osteuropabegriff abgelöst wurde. Ausführlich hat der Historiker Hans Lemberg „Rußlands Verschiebung vom ‚Norden‘ in den ‚Osten‘ Europas“ dargestellt, die er zeitlich ungefähr „zwischen dem Wiener Kongreß und dem Krimkrieg“ ansiedelt.271 Ob es sich bei der Zuordnung Russlands zum ‚Norden‘ durch Schmidt um eine Nachwirkung jenes 266 Schmidt 1920, 3. 267 Ebd., 4. 268 Schmidt 1923, 21. Vgl. ebd., 89–91, 108 f., 113. Zur Datierung des Buches: Die jüngste Publikation, die Schmidt in seinem Literaturverzeichnis anführt, ist Karl Woermanns Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker (Bd. 6, 21922) (= terminus post quem). Das von mir verwendete Exemplar der Kunst der Gegenwart aus der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart ist dort unter dem Erscheinungsjahr 1925 katalogisiert. Gegen diese Angabe spricht jedoch, dass Schmidts Buch bereits im April 1923 in den Sozialistischen Monatsheften vorgestellt wurde, vgl. Hilberseimer 1923, 258 f. Dass Schmidt auf der Titelseite der Kunst der Gegenwart als „Direktor des Stadtmuseums zu Dresden“ bezeichnet wird, legt ebenfalls eine Datierung um 1923 nahe; denn Schmidt wurde am 1. Januar 1924 von diesem Amt entbunden. Vgl. Porstmann 2004, 10. 269 Schmidt 1923, 108. 270 Ebd., 85. Hervorh. S. B. Vgl. ebd., 21 (Norwegen und Russland als „Länder des Nordens“). 271 Lemberg 1985, 90. Vgl. Ebert 2010, 11–13.

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älteren Verständnisses vom „Norden“ handelte, das im 20. Jahrhundert bis auf wenige Reste „ganz vergessen“272 war? Unstrittig ist, dass Schmidt in Die Kunst der Gegenwart eine enge Verbindung zwischen Deutschland und Russland feststellte und sie kunstgeographisch fundierte. Wenn die um 1923 artikulierte „Wahlverwandtschaft“ und Zusammengehörigkeit Deutschlands und Russlands in Schmidts Beitrag für die Kunst der Nation auch keinen expliziten Niederschlag mehr fand, scheint doch die Annahme nicht abwegig, dass diese Vorstellung in Schmidts Denken weiterhin präsent war und einen – nunmehr unsichtbaren – Hintergrund bildete, vor dem er noch 1934 Kandinskijs Wirkung im Umfeld des Blauen Reiters hervorhob. Im Unterschied zum promodernen Diskurs nimmt die Behandlung des antimodernen Diskurses im Nationalsozialismus einen verhältnismäßig geringen Raum in dieser Arbeit ein. Der Grund hierfür ist schnell genannt und führt uns in medias res: Die Verfemung Kandinskijs im „Dritten Reich“ stellt sich auf der inhaltlichen Ebene als eine Fortsetzung des antimodernen Diskurses in der Weimarer Republik dar, der in Kapitel 4.6 ausführlich erläutert wurde. Neu waren nach der „Machtergreifung“ nicht so sehr die Argumente, mit denen man gegen Kandinskij und seine Kunst zu Felde zog, sondern die reale Durchschlagskraft, die diesen Argumenten nun überall zukam. Sie hatte zur Folge, dass Kandinskij Ende des Jahres 1933 Deutschland verließ und nach Neuilly-surSeine bei Paris übersiedelte.

5.3 K andinskijs Sch affen im antimoder nen Diskurs Was ihn in den Augen seiner Gegner zur idealen Zielscheibe machte, fasste Kandinskij in einem Brief vom 1. Februar 1934 treffend zusammen: Meine Lage in Deutschland wurde sehr ungünstig, da ich ganze drei ‚Minusse‘ habe: 1) ich bin kein echter Germane (sogar ein ‚ehemaliger Russe‘), 2) ein ehemaliger Bauhauslehrer (was heute sonderbarerweise fast = Marxist ist), 3) ein abstrakter Künstler. Ich habe sozusagen drei Achillesfersen […].273 272 Lemberg 1985, 84. – Als ein Überbleibsel des früheren Begriffs vom „Norden“ könnte man auch die Wendung „Nordischer Orient“ betrachten, die 1920 bei Leopold Zahn auftaucht: „Am stärksten, am konzentriertesten fühlt man Rußland in Moskau, beim Anblick des Kremls, dieser Zentrale hieratischer und weltlicher Macht, dort, wo man Orient sagt, um das Uneuropäische, Fremdartige in ein Wort zu bannen. Orient? Eher schon: Nordischer Orient. Aber auch damit deuten wir nur an.“ Zahn 1920, IV f. 273 Brief von Kandinskij an Hilla von Rebay, 1.2.1934. Zit. nach: Barnett 1995, 43. Vgl. Illetschko 1997, 184, Anm. 17. Fast identisch lauten die Zeilen, die Kandinskij bereits am 7. Oktober 1933 an

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Russe – Bauhauslehrer – abstrakter Künstler. Auch in den folgenden Jahren der NS-Diktatur wurde auf Kandinskijs „drei Achillesfersen“ gezielt. Dass man sich dabei im Kern derselben Argumente bediente wie vor der „Machtergreifung“, soll anhand zweier Ereignisse der Jahre 1936 und 1937 veranschaulicht werden, durch die Kandinskijs Schaffen noch einmal in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit geriet: als Musterfall einer ‚entarteten‘ Kunst. 5.3.1 „Fremdkörper“: Klaus Graf von Baudissin ‚verwertet‘ und entwertet ein Gemälde von Kandinskij In der National-Zeitung vom 18. August 1936 meldete sich Klaus Graf von Baudissin (1891–1961), der Direktor des Folkwangmuseums in Essen, in einer bemerkenswerten Angelegenheit zu Wort. Es ging um den Verkauf von Kandinskijs Improvisation 28 (1912) (Taf. 14), die als Teil der Sammlung Karl Ernst Osthaus’ (1874–1921) nach dem Tod des Hagener Mäzens nach Essen gelangt war und dort zu dem „reichlichen Bestand an Werken“ gehört hatte, „die 1933 endgültig ins Magazin verwiesen worden sind“.274 Baudissin begründete den außergewöhnlichen und keineswegs unumstrittenen Entschluss, ein Gemälde aus öffentlichem Besitz zu veräußern, wie folgt: Kandinsky ist der Erfinder und Manager der absoluten Malerei. […] Wir können es nicht Zufall heißen, daß ein Entwurzelter, ein seiner eigenen Nation entfremdeter, diesen Einfall startete, der hinausläuft auf ein allen Sinnes entkleidetes Spiel des sich für absolut setzenden Intellekts, eines halbgebildeten, zuchtlosen und daher gegen das Leben gerichteten, selbstmörderischen Intellekts. […] Es ist ein belustigender Irrtum, in den Farben und Linien dieser absoluten Malerei eine vernehmliche Sprache oder ‚Seelenzeichen‘ erkennen zu wollen. […] hier [wird] aus allen uns angeborenen Kategorien der Anschauung heraus und in das Absolute einzutreten versucht […]. Nur ein russischer Verstand konnte darauf verfallen. […] Das Folkwangmuseum bewahrt im allgemeinen die Erzeugnisse dieser Gattungen als Beweisstücke für den Zustand vor der Machtübernahme auf. Dies Verfahren geht mit dem durch viele Erfahrungen als richtig bestätigten Grundsatz einig, aus Sammlungen der öffentlichen Hand nichts zu verkaufen oder zu vertauschen. Eine einmalige Ausnahme war in diesem Falle ein Gebot der Vernunft. Durch den Verkauf tritt keine Verarmung des Museums ein; der Schatz Galka Scheyer geschrieben hatte: „In Deutschland ist meine Lage besonders schlecht, weil ich drei Eigenschaften habe, von denen jede für sich schon schlecht ist: 1) früherer Russe, 2) Abstrakter, 3) früherer Bauhaus-Lehrer bis zum letzten Tag seines Bestehens.“ Zit. nach: Kort 1992b, 263 f. 274 Baudissin 1936a. Dieser und ein weiterer Artikel, den Baudissin in Sachen Kandinskij veröffentlichte, sind gekürzt abgedruckt in: Wulf 1989, 344–347. – Baudissin, seit 1932 Mitglied in der NSDAP , hatte seinen Dienst am Folkwangmuseum als Nachfolger des aus dem Direktorenamt vertriebenen Ernst Gosebruch am 1. Februar 1934 angetreten. Zu diesem Zeitpunkt war die Improvisation 28 nach Angabe von Laura Lauzemis bereits magaziniert, vgl. Lauzemis 2007, 63.

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dieser Beweisstücke ist reich genug, diese Einbuße zu ertragen. Auf der anderen Seite kann der erzielte hohe Gegenwert einer Kunst zugute kommen, für die wir uns einsetzen. […] Als Erinnerung aber an diesen Russifizierungsversuch der deutschen Kunst wird eine gute photographische Aufnahme durchaus genügen.275

In Verfolgung seiner Absicht, das für die stattliche Summe von 9000 Reichsmark an die Galerie Ferdinand Möller in Berlin verkaufte Gemälde von Kandinskij ideell zu entwerten (und damit dessen monetäre „Verwertung“276 zu legitimieren), schöpft Baudissin aus dem bewährten Repertoire von Diffamierungsstrategien. Kandinskij wird in dem Artikel einerseits zum Russen gestempelt – was hier freilich nichts Gutes bedeutet: „Nur ein russischer Verstand“ (!), höhnt Baudissin, habe sich diese absolute Malerei ausdenken können. In unmissverständlicher Weise knüpft dieser Gebrauch des Attributs „russisch“ an Vorstellungen von Minderwertigkeit und Degeneration an, um den Künstler und sein Werk herabzuwürdigen. Ein weiteres Element der Baudissin’schen Polemik, das sich unmittelbar auf Kandinskijs Herkunft bezieht, ist die Stigmatisierung der Improvisation 28 als „Russifizierungsversuch der deutschen Kunst“. Jedoch wird damit erneut nur ein alter Vorwurf aufs Tapet gebracht – der Vorwurf nämlich, moderne Kunst sei ein Dokument der „Überfremdung“. Baudissin instrumentalisierte die russische Herkunft Kandinskijs, um Kandinskijs Arbeit als minderwertig, degeneriert und fremd zu brandmarken. Indessen ging es Baudissin bei der Wahl seiner Argumente offenkundig mehr um den denunziatorischen Effekt als um innere Konsistenz. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Kandinskij von ihm nicht nur als Russe vorgeführt wird, sondern gleichzeitig – und im Gegensatz dazu – als „ein Entwurzelter, ein seiner eigenen Nation [E]ntfremdeter“. Auch was diesen Kritikpunkt betrifft, mangelte es Baudissin nicht an Vorbildern. So hatte Bettina Feistel-Rohmeder bereits in den 20er-Jahren über das Schaffen von Pechstein, Nolde, Kokoschka, Kandinskij, Heckel, Šagal und anderen ihr unliebsamen Künstlern das Verdikt einer „volklosen Modekunst“277 ausgesprochen. Baudissins Behauptung, die abstrakte Malerei sei ein „Spiel des sich für absolut setzenden Intellekts“, schließt direkt an die Verunglimpfung Kandinskijs als „Entwurzelter“ an – steht der Begriff „Intellekt“ im Vokabular der Nationalsozialisten doch für den 275 Baudissin 1936a. Zu Klaus Graf von Baudissin und dem Essener Gemäldeverkauf vgl. u. a. Rave 1949, 50; Vogt 1965, 106–116; Roters 1984, 160–166; Zuschlag 1995, 101–107, 368 f.; Petropoulos 2000, 57–61; Lauzemis 2007, 33–40, 60–67; Haug 2009, 509 f., 525–527; Lüttichau 2010b; Museum Folkwang 2010. Vgl. auch Illetschko 1997, 97–107, sowie die diesbezügliche Entgegnung bei Hüneke 1999b, 270–273. – Baudissins Verhalten im Hinblick auf die moderne Kunst wird in der Literatur als zwiespältig und opportunistisch beschrieben, vgl. z. B. Schardt [1940] 2013b, 264 f. 276 Baudissin 1936b. 277 Feistel-Rohmeder 1938, 30 (Beitrag vom Dezember/Januar 1927/28). Hervorh. S. B.

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‚wurzellosen‘ Verstand278. Dieser Konnex wird – in typischer Kombination mit antisemitischen und antibolschewistischen Verbalinjurien – auch in Wolfgang Willrichs 1937 erschienener Hetzschrift Säuberung des Kunsttempels hergestellt, die als ein Kulminationspunkt der modernefeindlichen Kunstschriftstellerei gilt.279 Die hier interessierende Stelle sei aufgrund der schieren Dichte von Anklagen, Unterstellungen und Beleidigungen, mit denen die Repräsentanten der abstrakten Kunst – und namentlich Kandinskij – überhäuft werden, etwas ausführlicher zitiert. Man beachte, dass Willrich die abstrakte Kunst von derselben „geistigen Beschaffenheit“ ableitet, die er zunächst im Hinblick auf die „Anstifter des [politischen; S. B.] Bolschewismus“ feststellt: […] die ersten Anstifter des Bolschewismus kommen ja gar nicht aus dem Volk, aus russischem Blut und Boden, sondern sie sind irrlichternde Juden, entgleiste Bürgerliche, entwurzelte Intellektuelle einer international kosmopolitisch denkenden, abgestandenen Gesellschaft von Individualisten aus Prinzip. […] Ihr wirkliches Wesen […] ist ein hemmungsloser Ich-Kult, unterstützt durch schamlos-neugierige Selbstbeobachtung und eine neurasthenische Bockigkeit, zu deren Rechtfertigung alle überspitzte Logik herhalten muß, so daß der Geist dann wirklich als ‚Widersacher der Seele‘ bis zu deren Abtötung benutzt wird. Die bildkünstlerische Äußerung dieser geistigen Beschaffenheit ist die sogenannte abstrakte Kunst der Futuristen, Kubisten und Konstruktivisten. Es ist ganz gleich, ob diese Künstler aus Paris, New York, Rom, Berlin oder Moskau stammen. Ihre Ausdrucksweise ist international intellektualistisch bedingt. […] [Es] schwimmt in den abstrakten Künsten der Abschaum eines vergärenden Bürgertums auf dessen Oberfläche dahin. Eine müde, überzüchtete oder fieberkranke Geistigkeit ohne Verbindung mit tieferem Erleben, ohne Wurzeln in Heimat, Volk und Art wendet sich an den Weltsnobismus. Für die Verkünder des Bolschewismus hatte diese abstrakte Kunst nur zeitweilig und bedingten Wert, weil die Intellektuellen unter ihnen oft aus den gleichen Snobkreisen heraus stammten und sich – das kennzeichnet ihre mangelnde Kenntnis des Volkes – allen Ernstes einbildeten, die Volksseele mit abstrakten Machwerken revolutionieren zu können. Auf Grund dieses Irrtums berief die intellektualistische Sowjetregierung den kühlsten abstrakten Künstler, zugleich den spitzfindigsten Theoretiker, als eine Art von Reichskunstwart nach Moskau, nämlich den ehemaligen Futuristen und späteren Konstruktivisten Kandinski.280 278 Vgl. Schmitz-Berning 2007, 315–317; sowie Bering 1978; Kashapova 2006, 127–130. 279 Uwe Fleckner nennt Willrichs Säuberung des Kunsttempels „eines der perfidesten Dokumente nationalsozialistischer Kunsthetze“ (Fleckner 2009b, 95). Vgl. auch Zuschlag 1995, 172 f. 280 Willrich 1937, 28 f. – Der Einwand, abstrakte Kunst sei einseitig intellektuell, war an und für sich kein Spezifikum der völkisch-nationalsozialistischen Kritik; man hatte ihn auch von ganz anderer Seite vernehmen können. So urteilte Paul Westheim, Herausgeber des bürgerlich-liberalen Kunstblatts, über die auf der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 in Berlin gezeigten Beispiele des Suprematismus und des Konstruktivismus, „daß die treibende Kraft hier der Intellekt ist. Es ist nicht alles, aber eine ganze Masse doch Hirnarbeit. Zu ausschließlich Hirnarbeit. […] Fast will es scheinen, als ob

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Geht es nach Willrich, dann ist Kandinskijs „intellektualistisch bedingt[e]“ Kunst keineswegs als „russisch“ zu qualifizieren (im Sinne einer Kunst „aus russischem Blut und Boden“). Doch zurück zu Baudissin: Anstatt sich in seinem Artikel für eine der beiden disparaten Sichtweisen auf die Abstraktion zu entscheiden, verbindet er sie miteinander: Kandinskijs Werk erscheint bei ihm als Produkt eines „russische[n] Verstand[es]“ (mithin einer bestimmten nationalen oder ‚rassischen‘ Disposition) und als Produkt eines „seiner eigenen Nation [E]ntfremdete[n]“. Beide Argumente waren ihm gleichermaßen billig, da sie gegen Kandinskij verwendet werden konnten. Baudissins Vorgehen zeugt einmal mehr von der Willkür, die man bei der Abwertung moderner Kunst und ihrer Vertreter an den Tag legte. Kandinskij war ihm zu sehr Russe – und dann auch wieder zu wenig. Und noch etwas wird aus Baudissins Worten deutlich: Vor dem Hintergrund der von ihm betriebenen Pauschalverurteilung hatte das einzelne Werk nur mehr eine Stellvertreterfunktion. Wenn Baudissin den Verkauf von Kandinskijs Improvisation damit rechtfertigt, das Museum Folkwang verfüge über genügend solcher „Beweisstücke“, dann heißt dies nichts anderes, als dass die magazinierten Bilder untereinander mehr oder weniger austauschbar seien, da sie letztlich für dasselbe stünden. Baudissin nimmt hier eine Position ein, die an frühere Aussagen Schultze-Naumburgs erinnert: „Es handelt sich nicht um dieses oder jenes Werk, das wir besonders herausgreifen wollen, um es an den Pranger zu stellen, sondern um eine Massenerscheinung, die mit allen Mitteln der Reklame zur großen Kunst heraufgeschwätzt werden soll.“281 – Moderne Kunst als Masse: Wirkungsvoll schlug sich diese Auffassung 1937 in der Gestaltung der Münchner Femeschau Entartete Kunst nieder. 5.3.2 Die Verfemung Kandinskijs in der Ausstellung Entartete Kunst 1937 in München Hatte Propagandaminister Goebbels in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur den ‚nordischen‘ Expressionismus toleriert und mit dessen Verteidigern sympathisiert, so führte er 1936 einen strategischen Richtungswechsel durch, den er im Jahr darauf mit einem „propagandistischen Paukenschlag“ (Kirsten Baumann) bekräftigte.282 Am 30. Juni 1937 beauftragte Goebbels Adolf Ziegler, den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste und „Lieblingsmaler Hitlers“283, „die im deutschen Reichs-, sie [= diese Künstler; S. B.] mehr zu sagen als zu zeigen hätten. Als ob fast lehrreicher als solche Ausstellung ihre Theorien und Meinungen, ihre Manifeste und Programme, ihre Argumente und Thesen sind.“ Westheim 1922b, 498. Westheim brachte dabei die neue russische Kunst mit dem (von ihm angenommenen) russischen Volkscharakter in Verbindung. Vgl. oben Kap. 3.2.5. 281 Schultze-Naumburg 1932, 29. 282 Vgl. Merker 1983, 140–143; Baumann 2002b, 22, 181, 226, 230, 431 (Zitat auf S. 181). 283 Vgl. den Eintrag zu Adolf Ziegler in: Klee 2007, 682.

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Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei und Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen“284. In mehreren deutschen Städten suchte Zieglers Kommission – in ihr befanden sich auch Klaus Graf von Baudissin und Wolfgang Willrich – das Material für die Femeschau zusammen, die bereits am 19. Juli (!) unter dem Titel Entartete Kunst in München eröffnet wurde. Durch ihre bewusste Kontrastierung mit der zeitgleich in München stattfindenden Großen Deutschen Kunstausstellung 285 sollten die Bereiche der ‚deutschen‘ Kunst und der ‚entarteten‘ Kunst klar voneinander abgegrenzt (und damit definiert) werden. Unter das Verdikt ‚entartet‘ fiel die gesamte Avantgarde – einschließlich Barlach und Nolde, auf deren Akzeptanz sich die Hoffnungen der Expressionismus-Verteidiger in besonderem Maße gerichtet hatten. Als die Ausstellung Entartete Kunst am 30. November 1937 zu Ende ging, zählte sie über zwei Millionen Besucher. Sie gilt damit als die meistfrequentierte Ausstellung moderner Kunst überhaupt.286 Als Höhepunkt der nationalsozialistischen Diffamierungskampagnen gegen die Moderne und Teil der Aktion „Entartete Kunst“ (zu der neben der „Säuberung“ der deutschen Museen auch die „Verwertung“ und eventuelle Zerstörung der beschlagnahmten Werke gehörten) ist die Ausstellung Entartete Kunst Gegenstand diverser Veröffentlichungen, die ihre Hintergründe und Zielsetzungen, ihre Organisation, ihre konzeptionellen und inszenatorischen Aspekte, ihre Rezeption und ihre Folgen beleuchten. Besonders hervorgehoben seien hier der von Stephanie Barron herausgegebene Katalog „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland (1992)287 mit einer Rekonstruktion der Schau von Mario-Andreas von Lüttichau288 sowie die Dissertation von Christoph Zuschlag „Entartete Kunst“. Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland (1995)289. Ferner sei auf die Tätigkeit der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ (Berlin und Hamburg) hingewiesen, die

284 Zit. nach: Zuschlag 1995, 177. 285 Mit der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung wurde am 18. Juli 1937 das von Paul Ludwig Troost entworfene „Haus der Deutschen Kunst“ eröffnet. Zu diesem Anlass hielt der „Führer“ eine Rede, in der er „einen unerbittlichen Säuberungskrieg […] gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung“ versprach. Zit. nach: Dresler 1938, 31. Zur Großen Deutschen Kunstausstellung vgl. Lüttichau 1987a, 83–92; Barron 1992, 17–19; Zuschlag 1995, 186–189; Lindner 1998. Vgl. auch den Brief Reinhard Pipers an Ernst Barlach vom 28. Juli 1937, in dem Piper ausführlich von der Entarteten Kunst und der Großen Deutschen Kunstausstellung berichtet; abgedruckt in: Piper 1979, 326–330. 286 Von 1938 bis 1941 machte die Ausstellung Entartete Kunst mit wechselndem Bestand Station in: Berlin, Leipzig, Düsseldorf, Salzburg, Hamburg (1938); Stettin, Weimar, Wien, Frankfurt am Main, Chemnitz (1939); Waldenburg (Schlesien), Görlitz, Liegnitz, Oppeln, Beuthen, Halle an der Saale (1941). Vgl. Zuschlag 2012, 25–28. 287 Ausst.Kat. Berlin 1992. 288 Lüttichau 1992. Der Text ist eine Bearbeitung zweier früherer Beiträge Lüttichaus, vgl. Ders. 1987a und 1987b. Vgl. auch Ders. 1988c. 289 Zuschlag 1995.

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über eine eigene Publikationsreihe verfügt und an einer Datenbank sämtlicher Kunstwerke arbeitet, die 1937 in den deutschen Museen als ‚entartet‘ beschlagnahmt wurden.290 Der folgende Abschnitt soll in nuce zeigen, welche Ansichten und „Argumente“ man den Besucherinnen und Besuchern der Münchner Femeschau durch die Inszenierung von Kandinskijs Schaffen zu übermitteln suchte.291 5.3.2.1 Die Präsentation Kandinskijs Die Ausstellung Entartete Kunst erstreckte sich über zwei Ebenen in den Räumen der Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts in den Münchner Hofgarten-Arkaden. Eine bekannte Ansicht des dritten Raumes im Obergeschoss zeigt die sogenannte „Dada-Wand“ (Abb. 32).292 Diese ist nicht nur photographisch gut dokumentiert, sondern sticht auch durch ihre exzeptionelle Aufmachung hervor: Bevor man mit der Hängung begann, versah man die Wand mit einer Bemalung, die sich an Kandinskijs 1921 entstandenes Gemälde Schwarzer Fleck (Taf. 15) anlehnte. Auf der stark vergrößerten (und vergröberten) Nachbildung gruppierte man zwei Werke von Kurt Schwitters (Merzbild, 1919, und Ringbild, 1920/21) sowie Paul Klees Sumpflegende von 1919. Neben bzw. zwischen den Bildern waren zwei Seiten aus der Zeitschrift Der Dada (1919/20) angebracht und ein Blatt mit Zitaten, die den „Unsinn“ von Schwitters’ Arbeiten aus dem Munde des Künstlers selbst sowie eines seiner Interpreten bestätigen sollten293. Das Arrangement schloss nach oben hin mit einem Ausspruch ab, der George Grosz zugeschrieben wurde: „Nehmen Sie Dada ernst! es lohnt sich“.294 Vor der

290 Vgl. die Aufgabenbeschreibung der Einrichtung in: Forschungsstelle „Entartete Kunst“ 2016. Die Datenbank ist ebenfalls online zugänglich unter: URL: [letzter Zugriff am 2.9.2020]. 291 Die Grundlage hierfür bildet Lüttichau 1992. Vgl. auch Kort 1992b; Zuschlag 1995, 190–204. 292 Zur „Dada-Wand“ vgl. Lüttichau 1992, 54–57, sowie Ders. 1987a, 105 f.; Hoffmann-Curtius 1990, 68 f.; Zuschlag 1995, 201 f.; Fleckner 2009b; Haug 2009, 530. 293 Eine Detailaufnahme der „Dada-Wand“ mit den gut leserlichen Zitaten ist reproduziert bei Barron 1992, 20. 294 Die ironisch-hintergründige Aufforderung „Nehmen Sie DADA ernst, es lohnt sich!“ befand sich auf einem Plakat in der Ersten Internationalen Dada-Messe, die 1920 von George Grosz, Raoul Hausmann und John Heartfield in der Berliner Kunsthandlung Dr. Otto Burchard veranstaltet wurde. Vgl. Adkins 1988a, 159, Abb. 4/7. Ein direkter Nachweis dafür, dass der Satz von Grosz stammt, ist mir allerdings nicht bekannt.

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Abb. 32: Ausstellung Entartete Kunst in den Hofgarten-Arkaden, München, 1937, Ansicht der sogenannten „Dada-Wand“ in Raum 3

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„Dada-Wand“ waren Skulpturen von Richard Haizmann (Figur, 1929) und Oswald Herzog (Das Ich, 1918)295 aufgestellt.296 Die Fraglichkeit einer Gruppierung aller angeführten Objekte unter dem Schlagwort „Dada“ soll uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen (dass die Diffamierung auf begriffliche Präzision bzw. auf sachliche Richtigkeit keinen allzu großen Wert legte, wurde im Laufe der vorliegenden Untersuchung mehrfach manifest).297 Wichtiger erscheint mir hier der Umstand, dass es sich bei den Exponaten von Schwitters, Klee, Haizmann und Herzog im weiteren Sinne um abstrakte Werke handelte. Die Wandbemalung, die das Ensemble beherrschte und neben der deutlich sichtbar Kandinskijs Name aufgepinselt war, präsentierte Kandinskij als den „Übervater“ der abstrakten Kunst – und sein Schaffen als den Hintergrund (buchstäblich und im übertragenen Sinne) der angeprangerten Bilder und Skulpturen. Durch ihre spezifische Gestaltung transportierte die „Dada-Wand“ eine Reihe diffamierender Botschaften, die zusammenfassend referiert seien. (Es befand sich darunter keine, die nicht längst schon ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatte.) (1) Die Nachahmung von Kandinskijs Schwarzer Fleck kann als ein Fingerzeig der Veranstalter dahingehend interpretiert werden, dass es keiner besonderen Kunstfertigkeit bedürfe, um ein solches Werk zu erstellen (ein ernsthafter Vergleich mit dem Original führt freilich zu dem gegenteiligen Schluss).298 (2) Die pseudo-Kandinskij’sche Komposition wurde gleich einem Tapetenmuster mit Bildern und Blättern überhängt. Dieser visuelle Befund lässt sich als Kommentar auf Kandinskijs Gemälde etwa so in Worte fassen: Erzeugnisse dieser Art beruhen auf reiner Willkür, sie sind bedeutungslos. Man muss sie nicht im Ganzen gesehen haben, um zu verstehen, dass es schlechterdings nichts zu verstehen gibt. (3) Durch die Anhäufung und Überlagerung der verschiedenartigen Text- und Bildelemente wurde

295 Für eine gute Abbildung des Werks vgl. die Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion „Entartete Kunst“, Forschungsstelle „Entartete Kunst“, FU Berlin. URL: [Zugriff am 27.12.2016]. 296 Bei einer Bestandsaufnahme der „Dada-Wand“ darf der Hinweis auf Kandinskijs Gemälde Zweierlei Rot (1916) (S. 280, Abb. 29) aus der Nationalgalerie nicht fehlen. Es hing zwar an der angrenzenden Wand – als erstes Werk links oben –, ist aber inhaltlich noch dem „Dada“-Komplex zuzuordnen. Dies belegt eine Photographie, die anlässlich der Vorbesichtigung der Ausstellung durch Hitler am 16. Juli entstanden ist, vgl. Lüttichau 1992, 55, Abb. 44. Darauf ist zu sehen, dass man die Bilder von Schwitters, Klee und Kandinskij zunächst schief gehängt hatte. Durch diesen später revidierten Eingriff war die Zugehörigkeit von Kandinskijs Zweierlei Rot in den Zusammenhang der „Dada-Wand“ klarer zu erkennen. 297 Vgl. auch Hüneke 1988b, 47 f. 298 Vgl. Lüttichau 1992, 54; Fleckner 2009b, 89–92.

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ein Gefühl von Chaos erzeugt.299 (4) Das Zitat „Nehmen Sie Dada ernst! es lohnt sich“, welches als Überschrift fungierte, sollte die an der „Dada-Wand“ versammelten Werke als bewusste Verhöhnung des Publikums dekuvrieren – als einen Betrug, der, wie ein Zettel unterhalb von Schwitters’ Merzbild monierte, „von den Steuergroschen des arbeitenden deutschen Volkes [bezahlt]“ worden war. Einen weiteren Schwerpunkt auf die Abstraktion legten die Ausstellungsmacher im übernächsten Raum des Obergeschosses (= Raum 5).300 Dort waren an der südlichen Hälfte der Ostwand und an der Südwand Werke von Baumeister, Metzinger, Kandinskij, Moll, Molzahn, Grosz301, Schlemmer, Lisickij, Richter, Dexel, Mondrian, Klee und Feininger zu sehen.302 Der Begriff „Abstraktion“ ist auch hier in einem weiteren Sinne zu verstehen: Die Bandbreite der gezeigten Arbeiten reichte von einer „konstruktiven Gegenständlichkeit“303 bei Baumeister und Schlemmer bis hin zum ungegenständlichen Konstruktivismus eines Mondrian. Kandinskij war in diesem Abschnitt prominent vertreten, zuvorderst mit der Improvisation 10 (1910), einem repräsentativen Beispiel seiner expressiven Münchner Schaffenszeit.304 Sie wurde eigentümlicherweise von zwei kubistischen Gemälden von Jean Metzinger und Oskar Moll305 flankiert und hing damit etwas deplatziert. Man kann diese recht unmotivierte Zusammenstellung als einen Beleg für die undifferenzierte Sicht der

299 Die Gestaltung der „Dada-Wand“ lässt an dadaistische Verfahren (Collage, Montage) denken, die hier allerdings nur äußerlich nachgeahmt wurden: „[…] an die Stelle des für das dadaistische Kunstwerk konstitutiven Moments der Verunsicherung, des provozierenden Infragestellens bestehender Konventionen, tritt die gezielte Bestätigung des Betrachters in seinen Vorurteilen gegenüber der modernen Kunst als wichtigste Intention der Ausstellungsdramaturgie.“ Zuschlag 1995, 202. Vgl. auch Hüneke 1988b, 48; Fleckner 2009b, 92 f. 300 Vgl. dazu Lüttichau 1992, 60 f. (mit Abb.), sowie Ders. 1987a, 107; Haug 2009, 529. 301 Von Grosz war das Gemälde Der Boxer ausgestellt. Es ist stilistisch jenem künstlerischen „Exkurs“ zuzuordnen, als den Uwe M. Schneede eine 1920 entstandene Gruppe „konstruktivistisch angelegte[r] Bilder“ bezeichnet, „die Menschen und Architekturen zu Stereotypen stilisieren“ (Ders. 1975, 66). 302 Außer Betracht bleibt eine Plastik von Hermann Diesener (Blinder Mann, 1929), die vor Gemälden von Feininger platziert war. Angaben zum Werk in: Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion „Entartete Kunst“, Forschungsstelle „Entartete Kunst“, FU Berlin. URL: [Zugriff am 6.1.2017]. 303 Vgl. die Passage „Konstruktive und Frei-Tektonische Gegenstandsmalerei“ in: Hildebrandt o. J., 404–410. 304 Zur Geschichte der Improvisation 10 vgl. Haug 2009. 305 Für eine Abbildung des bei Lüttichau (1992, 60) nur im Anschnitt zu sehenden Werks vgl. die Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion „Entartete Kunst“, Forschungsstelle „Entartete Kunst“, FU Berlin. URL: [Zugriff am 29.12.2016].

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Abb. 33: Ausstellung Entartete Kunst in den Hofgarten-Arkaden, München, 1937, Ansicht von Raum 5 mit Werken von Kandinskij und Klee

Nationalsozialisten auf die abstrakte Malerei werten, deren mannigfache Ausprägungen sie „zu einem bedeutungslosen Gewirr von Farben und Formen [reduzierten]“306. Einige Schritte von der Improvisation entfernt befanden sich mehrere Werke Kandinskijs aus den 20er-Jahren, die man auf besondere Weise in Szene gesetzt hatte: Auf das Gemälde Ruhe (1928) folgten acht Aquarelle, die nicht waagerecht aneinandergereiht waren, sondern schräg abgestuft (Abb. 33, 34).307 Diese ver-rückte Anordnung korres306 Kort 1992c, 303. 307 Bei den Aquarellen, die allesamt aus dem Städtischen Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle kamen, handelte es sich um: Belastung (1928), Giftgrüne Sichel (1927), Abstieg (1925), Abschluss (1924), Zwei Komplexe (1928), Nach rechts (1929) und Dynamische Studie (1924). Vgl. Hüneke 2005, 132, 155–157. Den Auftakt der Reihe bildete Klees Aquarell Der Geist des Don X (1927), das fälschlich für einen Kandinskij ausgegeben wurde, vgl. Lüttichau 1992, 61. – Die extravagante Darbietung dieser Arbeiten erinnert Zuschlag (1995, 192) an „Präsentationsformen geometrisch-abstrakter Kunst“ aus den 20er-Jahren wie das Kabinett der Abstrakten (1927/28), das Ėl’ Lisickij für das Provinzialmuseum in Hannover konzipierte. Gesetzt den Fall, wir haben es bei der stufenförmigen Hängung von Kandinskijs Aquarellen mit einer solchen Adaption zu tun, dann muss hier – ähnlich wie bei der „Dada-Wand“ – von einer extremen Banalisierung gesprochen werden. Man vergleiche demgegenüber Maria Goughs (2003) Ausführungen über die differenzierte Wirkungsweise von Lisickijs Kabinett der Abstrakten.

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Abb. 34: Ausstellung Entartete Kunst in den Hofgarten-Arkaden, München, 1937, Ansicht von Raum 5 mit Aquarellen von Kandinskij

pondierte mit dem zugehörigen Wandtext „Verrückt um jeden Preis“, der Kandinskijs Abstraktion in einen pathologischen Zusammenhang rückte. (Da die Wendung „um jeden Preis“ ein willentliches Moment – eine Absicht – implizierte, stand auch weiterhin der Vorwurf des Betruges im Raum.)308 Hinsichtlich der Beschriftungen unter den einzelnen Exponaten macht Lüttichau die Beobachtung, „daß bei Kandinsky erstmals Angaben zu Titel und Provenienz der Werke fehlten“; er schließt daraus: „Abstrakte Kunst wird nun nicht mehr als Einzelwerk, sondern als Masse vorgestellt.“309 Wie Lüt308 Zur „Pathologisierung“ der Moderne vgl. Lüttichau 1990. Im Führer durch die Ausstellung Entartete Kunst – er lag allerdings erst zu der nach München stattfindenden Ausstellungstournee vor, vgl. Zuschlag 2012, 26 – wird Kandinskijs Schaffen ebenfalls unter den Aspekt des „Wahnsinns“ gestellt. Ohne Kandinskij namentlich zu erwähnen, heißt es da: „[…] Ein Dritter hatte die Erleuchtung, ‚Einige Kreise‘ auf zwei Quadratmeter Leinwand zu malen [gemeint ist das Gemälde Einige Kreise von 1926; S. B.]. […] In dieser Gruppe des Wahnsinns pflegen die Ausstellungsbesucher nur noch den Kopf zu schütteln und zu lachen.“ Führer durch die Ausstellung Entartete Kunst [1938] 1992, 380. Zum Ausstellungsführer vgl. Lüttichau 1987a, 100–102; Ders. 1988d; Zuschlag 1995, 231–236. 309 Lüttichau 1992, 61. Möglicherweise waren die fehlenden Angaben aber auch der Hektik geschuldet, in der die Ausstellung Entartete Kunst eingerichtet wurde, vgl. Zuschlag 1995, 200.

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tichau ebenfalls bemerkt, waren zwei Aquarelle nicht als Querformate gehängt, wie von Kandinskij vorgesehen, sondern als Hochformate.310 Ob dies aus einer diffamatorischen oder gestalterischen Absicht, aus Nicht-Wissen oder Gleichgültigkeit heraus geschah, lässt sich schwerlich eruieren. Klar ist, dass Kandinskij in Raum 5, wie schon bei der „Dada-Wand“, über seine Rolle als abstrakter Künstler definiert wurde. Darüber hinaus hieb man in diesem Teil der Ausstellung aber noch auf einen weiteren seiner wunden Punkte. So war unter dem Aquarell Abschluss (1924) ein Kommentar zu lesen, der die zweite der von Kandinskij genannten „Achillesfersen“ betraf. Er lautete: „Arbeiten von Kandinsky / vor 1933 Lehrer am kommunistischen Bauhaus / in Dessau“.311 Interessanterweise berief man sich hier, wo man Kandinskijs Namen unmittelbar mit dem Kommunismus in Verbindung brachte, nicht auch auf sein Wirken im postrevolutionären Russland. Dabei hatte Willrich, der ein Hauptorganisator der Münchner Femeschau war,312 in seinem Buch Säuberung des Kunsttempels noch betont, dass Kandinskij eine Art sowjetischer „Reichskunstwart“313 gewesen sei.314 Bleibt also noch die erste von Kandinskijs „drei Achillesfersen“: seine russische Herkunft. Wie verhielt es sich damit? Lüttichaus Rekonstruktion der Ausstellung Entartete Kunst liefert keine Anhaltspunkte, die für eine Verunglimpfung Kandinskijs in dieser Richtung sprechen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass eine solche Verunglimpfung nicht stattgefunden haben kann. So macht Lüttichau in seiner Darstellung mehrfach auf Lücken innerhalb der Dokumentation aufmerksam. Dies gilt insbesondere für die beiden Räume im Erdgeschoss.315 Von Kandinskij bekam man dort das kleinformatige Gemälde Die

310 Vgl. Lüttichau 1992, 61. 311 Vgl. ebd. Zu der Verknüpfung Kandinskij – Bauhaus – Kommunismus vgl. auch oben Kap. 4.6.2. 312 Vgl. Hüneke 1988b, 46; Lüttichau 1992, 45; Zuschlag 1995, 182. 313 Willrich 1937, 29. Der Vergleich Kandinskijs mit dem früheren Reichskunstwart stammt nicht von Willrich selbst, sondern ist einem 1932 in der Zeitschrift Kunst und Künstler erschienenen Aufsatz entnommen, vgl. Born 1932, 332 („Kandinski, der als eine Art ‚Reichskunstwart‘ nach Moskau geholt worden war […].“) – Das Amt des Reichskunstwarts, das von 1920 bis 1933 von dem Kunsthistoriker Edwin Redslob (1884–1973) bekleidet wurde, hatte in der Weimarer Republik dazu gedient, „den republikanischen Gedanken in Reichssymbolen auszudrücken und ihm Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen“ (Peters 2003). 314 In der Literatur wird Willrichs Buch eine konstitutive Bedeutung für die Entstehung und die Gestaltung der Ausstellung Entartete Kunst beigemessen: Zum einen hatte seine Lektüre in Goebbels den Entschluss reifen lassen, entschiedener gegen die sogenannte „Verfallskunst“ vorzugehen; zweitens diente es als Vorbild für die Diffamierung der Moderne; und drittens enthält es zahlreiche Zitate, mit denen die Repräsentanten der ‚entarteten‘ Kunst überführt bzw. angeprangert werden sollten und die man zu ebendiesem Zweck in die Ausstellung integrierte. Vgl. Rave 1949, 56; Lüttichau 1987a, 99 f.; Ders. 1988c, 289–291; Ders. 1992, 45 f., 48; Barron 1992, 20; Zuschlag 1995, 176 f., 200 f.; Hüneke 2006, 230; Kellein 2007, 22 f. 315 Vgl. dazu Lüttichau 1992, 66–80. Diese Ebene war den Besuchern erst ab dem 22. Juli zugänglich.

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Kreuzform (1926) und verschiedene Arbeiten auf Papier zu sehen.316 Aus den vorliegenden Hinweisen zu diesem Teil der Präsentation lassen sich im Hinblick auf Kandinskij keine Schlussfolgerungen ziehen, die über das bislang Gesagte hinausgehen würden.317 Kommen wir noch einmal auf die Auswahl abstrakter Kunst in Raum 5 des Obergeschosses zurück. Gerade hier hätte es sich nämlich angeboten, Kandinskijs Schaffen – wie die Abstraktion überhaupt – als ‚ausländisch‘ respektive ‚international‘ zu stigmatisieren; so waren in dieser Gruppe außer dem gebürtigen Russen Kandinskij (den man objektiv allerdings zu den deutschen Künstlern zählen konnte), mit Metzinger, Mondrian und Lisickij auch ein französischer Kubist, ein niederländischer und ein russischer Kon­ struktivist vertreten – und das entgegen der Anweisung von Goebbels, „Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 […] zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen“ (Hervorh. S. B.). Obwohl man Arbeiten dieser Künstler also mit in die Hängung einbezog, wurde deren internationale Urheberschaft offenbar nicht eigens zur Sprache gebracht. Hierbei hätte man sich beispielsweise an Schultze-Naumburg orientieren können: Dieser hatte in seiner Schrift Kampf um die Kunst (1932) abstrakte (abstrahierende) bzw. kubistische Werke von Picasso, Klee, Archipenko, Schlemmer, Braque und Kandinskij als „Ausgeburten eines lallenden Irrsinns“ diskreditiert, „der sich schon seit Jahren bei uns breit macht und der in Massen vom Ausland nach Deutschland eingeschleppt wird, wo man sich gehorsam bemüht, so zu tun, als wäre man ebenso blödsinnig“.318 In der Ausstellung Entartete Kunst wurden die Vertreter der Abstraktion zwar ebenfalls für verrückt erklärt319 – nach dem, was wir wissen, war vom „Ausland“ in diesem Zusammenhang aber nicht die Rede.320 316 Dazu gehörten neben einer unbestimmten Anzahl von Drucken aus der Mappe Kleine Welten (1922) Kandinskijs Beitrag (Blatt 8, 1922) für die vierte Bauhausmappe (1924), sein mit Holzschnitten illustrierter Gedichtband Klänge (1913) und ein weiteres Blatt, welches leider zerstört wurde. 317 Zwei Aufnahmen des Erdgeschosses mit Werken von Kandinskij sind bei Lüttichau publiziert, vgl. Ders. 1992, 69 (links) und 72 (Mitte). Die Aufnahmen stimmen mit der allgemeinen Charakterisierung überein, die Lüttichau (ebd., 66) von der Gestaltung dieser Räume gibt: „Gegenüber dem Obergeschoß erfuhr die Inszenierung eine weitere Steigerung. Noch gedrängter und unübersichtlicher erscheinen die Wände bis zur Decke mit Gemälden, Graphiken und weiteren kommentierenden Texten förmlich ‚zugedeckt‘; dicht gedrängt lagen ungerahmte Arbeiten auf Papier, Photographien und Bücher in den längsseitig aufgestellten Vitrinen. Allem Anschein nach wurde in großer Hast in diesem Bereich der Ausstellung versucht, von den verbleibenden, nach München verbrachten Kunstwerken, so viel wie irgend möglich auszustellen. […] Im Unterschied zur Inszenierung in der ersten Etage fehlte im Erdgeschoß eine auch nur andeutungsweise erkennbare ikonographische Gliederung der Exponate. Bis auf wenige Ausnahmen fehlten detaillierte Bezeichnungen zu den Werken.“ 318 Schultze-Naumburg 1932, 34. 319 Vgl. auch den Wandtext zu Molzahns Bildern: „Wahnsinn wird Methode“ (zit. nach: Lüttichau 1992, 61). 320 Allerdings reagierte man von ausländischer Seite im Fall von Piet Mondrian: Der niederländische Konsul legte Beschwerde über die Einbindung Mondrians in die Münchner Femeschau ein. Vgl. Zuschlag 1995, 240. Vor diesem Hintergrund machte Ziegler am 24. Februar 1938, zwei Tage vor Eröffnung der

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5.3.2.2 Stellenwert in der Rezeptionsgeschichte Kandinskijs Inhaltlich, das heißt in ihrem „argumentativen“ Bestand, ging die Münchner Femeschau Entartete Kunst (soweit sie uns überliefert ist) nicht wesentlich über die Attacken auf Kandinskij hinaus, die es längst vor 1933 gegeben hatte.321 Dieser Befund fügt sich nahtlos in Christoph Zuschlags allgemeinere Feststellung ein, dass sich in den Kunstdiskursen des Kaiserreiches und der Weimarer Republik „die Ideologeme, Argumentationsstrategien und Stereotypen heraus[kristallisierten], die von den Nationalsozialisten nur noch aufgegriffen [zu] werden brauchten“322. Zu diesen Strategien gehörte in Bezug auf Kandinskij die Instrumentalisierung seiner russischen bzw. östlichen/ausländischen Herkunft: Mit ihr sollte den Vorwürfen gegen die abstrakte Kunst, sie sei undeutsch, bolschewistisch und dergleichen, Evidenz verliehen werden. (In das gleiche Horn blies Baudissin 1936 beim Verkauf der Improvisation 28.) Allerdings gilt für die Zeit vor wie auch nach der „Machtergreifung“, dass die Polemik gegen Kandinskij – der ja in mehrfacher Hinsicht „belastet“ war – und gegen die Moderne als Ganze auch ohne den Hinweis auf Kandinskijs russische Wurzeln oder seine frühere Stellung im Kunstleben Sowjetrusslands auskam. Die Präsentation Kandinskijs 1937 in München scheint dies zu bestätigen. Die epochale Bedeutung der Ausstellung Entartete Kunst liegt – gegenüber allen vorangegangenen Femeschauen – darin begründet, dass sie eine zentrale Demonstration von staatlicher Seite darstellte. Wie Rave aus der Sicht eines Zeitzeugen erklärt, […] war es jetzt nicht mehr nur eine von der Kampfbundgruppe irgendeiner Stadt aufgezogene und örtlich begrenzte Sache, sondern ein von Behörden und hohen Stellen der Partei durchgeführtes sowie von höchster Stelle gebilligtes und empfohlenes Unternehmen. Zum anderen war nicht nur eine einzelne Galerie zu dem niederen Zwecke ausgeräumt, sondern planmäßig alle größeren, nämlich 25 deutsche Museen323 geplündert, ihre vielfach kostbarsten und bekanntesten Kunstwerke verschleppt und in einer wenig geeigneten Räumlichkeit zusammengehäuft.324

Berliner Station der Entarteten Kunst, Goebbels die Mitteilung, „daß zwei abstrakte Kompositionen des niederländischen Malers P. Mondrian in der Münchener Ausstellung vertreten waren. […] In neuen Ausstellungen gleichen Programms werden Werke ausländischer Künstler nicht mehr vertreten sein.“ Zit. nach: ebd. – Kandinskij war auch weiterhin in der Wanderausstellung Entartete Kunst zu sehen. 321 Es sei nur daran erinnert, dass man bereits 1913 von Kandinskij als einer „irren […] Malerseele“ gesprochen und seine abstrakte Malerei mit Worten wie „Farbengesudel“, „Liniengestammel“, „Pfuscherei“, „Farben- und Formenwahnsinn“ oder „Idiotismus“ verrissen hatte (Küchler 1913). Vgl. oben Kap. 1.1. 322 Zuschlag 1995, 31. 323 Barron (1992, 9) und Zuschlag (1995, 178) sprechen dagegen von 32 Sammlungen, aus denen Werke für die Ausstellung Entartete Kunst herbeigeschafft wurden. 324 Rave 1949, 56. Vgl. Zuschlag 2012, 23.

Kandinskijs Schaffen im antimodernen Diskurs  |

Hatte die ungeklärte kunstpolitische Situation bis 1936 noch einen gewissen Spielraum ermöglicht, um sich öffentlich für die moderne Kunst einzusetzen, so war 1937 damit Schluss.325 Mit der plakativen Gegenüberstellung der ‚deutschen‘ Kunst (Große Deutsche Kunstausstellung) und der ‚entarteten‘ Kunst (Entartete Kunst) wurde in München ein Kanon statuiert, aus dem die progressiven Richtungen offiziell ausgeschlossen waren; deren Erzeugnisse sollten nun endgültig aus den deutschen Sammlungen getilgt werden. Hinter der Diffamierung der Avantgarde stand ein totalitäres Regime, das sich die „Säuberung des Kunsttempels“ auf die Fahnen geschrieben hatte – und das auch in der Lage war, diese „Säuberung“ durchzuführen. Die Folgen waren dementsprechend gravierend: Die Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ war das Fanal für eine beispiellose Beschlagnahmewelle im ganzen Land […], führte zur systematischen Eliminierung der Sammlungsbestände und ‚Verwertung‘ (Verkauf, Vernichtung) der modernen Kunst.326 Wer in der Femeschau vertreten war, dem war das Stigma ‚entartet‘, nun staatlich sanktioniert, auf die Stirn gedrückt. […] Ein offenes Eintreten für die geschmähte Kunst war fortan nicht mehr möglich.327

325 Vgl. Merker 1983, 146; Bussmann 1986, 106 f.; Zuschlag 1995, 53; Baumann 2002b, 19. 326 Nachdem im Vorfeld der Münchner Femeschau bereits ca. 1100 Kunstwerke ‚sichergestellt‘ worden waren, erfolgte noch während ihrer Laufzeit eine zweite, umfassendere Beschlagnahmewelle (bis März 1938). Im Rahmen beider Aktionen kamen mehr als 20.000 Arbeiten zusammen, deren „Verwertung“ durch ein „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ (31.5.1938) möglich gemacht wurde. Vgl. Beschlagnahme 2016. Die Datenbank der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ (Stand: September 2020) listet ca. 260 Arbeiten von Kandinskij, die 1937 in deutschen Museen beschlagnahmt wurden: 11 Gemälde, 21 Aquarelle, 2 Zeichnungen und rund 230 Druckgraphiken; darunter sind ein Gemälde und eine Druckgraphik aus dem Landesmuseum Hannover (ehem. Provinzialmuseum), die sich dort als Leihgaben von Sophie Lissitzky-Küppers befanden. Vgl. die Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion „Entartete Kunst“, Forschungsstelle „Entartete Kunst“, FU Berlin. URL: [letzter Zugriff am 2.9.2020]. – Die enorme Differenz zu der von Rave (1949, 87) publizierten Zahl von 57 beschlagnahmten Werken von Kandinskij ergibt sich wohl in erster Linie daraus, dass die Bearbeiter der Datenbank im Unterschied zu Rave Drucke aus Konvoluten (dem Gedichtband Klänge und der Mappe Kleine Welten) einzeln gewertet haben. Vgl. Forschungsgeschichte 2016. 327 Zuschlag 1995, 53. Die Namen der in München angeprangerten Künstler waren einem ungezeichneten Artikel in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 25. Juli 1937 zu entnehmen („Liste der Ausgestellten. Gang durch die Ausstellung ‚Entartete Kunst‘“). Das Dokument ist ebd., 194 f., reproduziert. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch Zuschlags Hinweis: „Die Feuilleton-Schriftleitungen wurden in der ‚Kulturpolitischen Pressekonferenz‘ vom 19. August 1937 ersucht, über [die] in der Schau [Entartete Kunst; S. B.] vertretenen Künstler künftig nichts mehr zu berichten […].“ Ders. 1995, 53, Anm. 113 (Zuschlag beruft sich hier auf Otto Thomae: Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich. Berlin 1978, 341). Die seit dem Sommer 1936 stattfindende „Kulturpolitische Pressekonferenz“ diente u. a. der „inhaltlichen und sprachlichen Regelung der Kunstkritik durch das Propagandaministerium“, vgl. Baumann 2002b, 213–215 (Zitat auf S. 213).

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5.4 Schlussbetr achtung: Über die (Un-)Möglichk eit einer R ezeption K andinskijs in Deutschl and zwischen 1937 und 1945 Mit der Femeausstellung Entartete Kunst, die alle Hoffnungen auf eine Anerkennung selbst des ‚nordischen‘ Expressionismus im „Dritten Reich“ begrub, kommt unsere Untersuchung an ihr Ende. War Kandinskij als geborener Russe und abstrakter Maler bereits innerhalb des promodernen Diskurses vor 1937 weitgehend ausgeblendet oder gar verfremdet worden, so hatte er jetzt erst recht keine Chance mehr auf eine positive bzw. sachliche Behandlung. Es liegt mir für den Zeitraum bis 1945 kein Beleg einer Rezeption Kandinskijs in Deutschland mehr vor, aus dem sich eine im Hinblick auf unser Thema bedeutsame Entwicklung oder neuartige Erkenntnis ableiten ließe. Sein Schaffen war – mit Ausnahme der in der Wanderschau Entartete Kunst gezeigten Werke – von der öffentlichen Bildfläche verschwunden.328 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür und auch keinen Grund zu der Annahme, dass in Deutschland zwischen 1937 und dem Ende der Nazi-Herrschaft noch irgendetwas von Substanz über Kandinskij gedruckt oder öffentlich geäußert wurde. Diese Behauptung soll abschließend durch die Betrachtung zweier Rezeptionsfelder – der Kunstkritik/-schriftstellerei (am Beispiel Will Grohmanns) und der universitären Kunstgeschichte – untermauert werden. In der Ausstellung Entartete Kunst wurden nicht allein die Künstler, sondern auch ihre Promotoren: Galeristen, Museumsdirektoren, Kritiker und Verleger an den Pranger gestellt und eingeschüchtert.329 So präsentierte man im Erdgeschoss diverse Bände der im Verlag Klinkhardt & Biermann erschienenen Reihe Junge Kunst unter dem Motto: „So hat Professor Biermann [d. i. der Kunsthistoriker und Verleger Georg Biermann; S. B.] Kunst-Bolschewismus in Deutschland verbreitet“330. Bei einem dieser Bände handelte es sich um Will Grohmanns Monographie Wassily Kandinsky von 1924. In der Weimarer Republik hatte Grohmann zu den wichtigsten Interpreten Kandinskijs gehört.331 Nach der „Machtergreifung“ konnte er zwar weiterhin in Deutschland publizieren; jedoch zahlte er dafür den Preis, seinen thematischen Schwerpunkt verlagern zu müssen: Nur vereinzelt nahm Grohmann noch bis 1937 in der deutschen Presse Stellung

328 Indes wurden im Handel, wohl „unter dem Ladentisch“, noch im Spätsommer/Herbst 1937 Bilder und Schriften Kandinskijs angeboten, wie die Korrespondenz des früheren Bauhausschülers Hans Thiemann nahelegt, vgl. Droste 1993, 139. 329 Vgl. Lüttichau 1992. 330 Zit. nach: ebd., 71. Vgl. dazu die Liste im Anhang von Willrichs Säuberung des Kunsttempels (1937, 169 f.), in der die Titel der Reihe Junge Kunst unter der Bemerkung aufgeführt sind: „Unter Schirmherrschaft des Professors Georg Biermann, der mit der Kunst den Bolschewismus vorbereiten wollte“. 331 Vgl. oben Kap. 4.4.

Schlussbetrachtung |

zur modernen Kunst.332 Dabei ließ er Kandinskij, wie es scheint, außen vor. Deutlich wird dies in einem Beitrag für die Deutsche Allgemeine Zeitung anlässlich von Aleksej Javlenskijs 70. Geburtstag im März 1934. Darin erinnert Grohmann an Javlenskijs Zeit in München, wo dieser zu dem Kreis der bahnbrechenden Künstler [gehörte], die vor dem Krieg München neben Berlin zum Mittelpunkt des deutschen Kunstlebens machten. 1909 gründete er mit Kanoldt, Erbslöh und anderen die ‚Neue Künstler-Vereinigung‘. Zum ‚Blauen Reiter‘ (Franz Marc) hat er nicht gehört, war aber dieser Gruppe eng verbunden […].333

Sehr wahrscheinlich bewusst verzichtet Grohmann im Zusammenhang mit der Neuen Künstlervereinigung und dem Blauen Reiter auf die Erwähnung Kandinskijs, der allem Anschein nach selbst in einer Würdigung Javlenskijs (der ja seinerseits aus Russland stammte und dessen Malerei in Deutschland ebenfalls verfemt wurde) ein zu heißes Eisen darstellte.334 Wenn Grohmann nach 1933 über Kandinskij veröffentlichte, so tat er dies offenbar ausschließlich in ausländischen Publikationen.335 1937 wurde Grohmann in der Ausstellung Entartete Kunst als „Kritiker der Systemzeit“ denunziert – zusammen mit Paul Fechter, Gustav Friedrich Hartlaub, Paul Ferdinand Schmidt, Herwarth Walden, Paul Westheim, Wilhelm Hausenstein und

332 Vgl. Höper 1987, 23; Maur 1987b, 7 f.; Wucher 1999; Hüneke 2012; Rudert/Billig 2012, 8; Schieder 2012. 333 Grohmann 1934a. Der Hinweis auf diesen Artikel sowie auf die Autorschaft Grohmanns ist Hildebrand 1992, 61, entnommen. 334 Vgl. ebd. Sicher spielte dabei auch Grohmanns – ebenfalls den politischen Verhältnissen in Deutschland geschuldete – Absicht eine Rolle, Javlenskijs russische Verbindungen in den Hintergrund treten zu lassen und das Verankertsein seiner Kunst in Deutschland hervorzuheben. Zum Vergleich: In einem weiteren Beitrag über Javlenskij, der im selben Jahr – allerdings in Frankreich – erschien, schrieb Grohmann: „Als er [= Javlenskij; S. B.] 1909 mit Kandinsky, Werefkin, Bechtejeff, Mogilewsky, Kogan und anderen die ‚Neue Künstlervereinigung‘ in München gründete [es werden diesmal namentlich die Russen genannt, während Kanoldt und Erbslöh unter die „anderen“ subsumiert werden; S. B.], befand er sich […] auf dem ersten Höhepunkt seiner Entwicklung […]. Obwohl er kein Mitglied des von Kandinsky und Franz Marc gegründeten ‚Blauen Reiters‘ wurde, blieb er mit den Malern dieser Gruppe eng befreundet.“ Grohmann [1934] 2012b, 172. Es handelt sich um die deutsche Rückübersetzung des Aufsatzes „L’évolution de la figure chez Jawlensky. De la réalité sensuelle à l’expression spirituelle“ in: Cahiers d’Art 9/5–8 (1934), 193–196. 335 Vgl. die betreffenden Einträge in Sonntag 1987, 58, sowie in Grohmann 2012a, 345. Darüber hinaus konnten im Zeitungsarchiv der Website [Zugriff am 18.11.2016] über den Suchbegriff „Kandinsky“ die Artikel „L’art non figuratif en Allemagne“ (= Grohmann 1934b) und „L’art contemporain en Allemagne“ (= Grohmann 1938) ermittelt werden, in denen Kandinskij von Grohmann als ein Hauptvertreter der abstrakten bzw. der modernen Kunst in Deutschland gewürdigt wird.

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anderen, die sich als Vermittler der modernen Kunst hervorgetan hatten.336 Dessen ungeachtet brachten die Pariser Cahiers d’Art noch 1938 einen Aufsatz von Grohmann über „L’art contemporain en Allemagne“, in dem er Kandinskij und Klee – die mittlerweile in Deutschland offiziell als ‚Entartete‘ galten – den größten Platz einräumte.337 Das Erscheinen dieses Artikels hatte ein Nachspiel für Grohmann: Er wurde „vorübergehend verhaftet“338. Martin Schieder zufolge hat sich Grohmann daraufhin „bis Kriegsende […] nicht mehr in ähnlicher Form zur Moderne geäußert“339. Damit illustriert Grohmanns Beispiel auf dem Gebiet der Kunstschriftstellerei und der Kunstkritik das erzwungene Schweigen über die Moderne, innerhalb derer Kandinskij aufgrund seiner exponierten Stellung und seiner „drei Achillesfersen“ stets ein Hauptangriffsziel gewesen war. Auch seitens der Kunsthistoriker an deutschen Universitäten sind aus der Zeit von 1937 bis 1945 keine Beiträge zu erwarten, die der vorliegenden Rezeptionsgeschichte einen neuen Aspekt oder eine neue Wendung hinzufügen würden.340 Diese Erwartung wird bei einer Durchsicht der Titel damaliger Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen bestätigt.341 Die Titel von Schriften und Vorlesungen allein können freilich nur einen 336 Vgl. Lüttichau 1992, 80, und 72, Abb. rechts. Auch bei Adolf Dresler (1938, 46), der in seiner Schrift Deutsche Kunst und entartete „Kunst“ das Schwarz-Weiß-Schema der beiden Münchner Großausstellungen des Jahres 1937 übernahm, fehlt nicht der Hinweis auf den „einst einflußreiche[n] Kunstliterat[en] Grohmann“. 337 Grohmann 1938. Vgl. Illetschko 1997, 188, Anm. 85, laut der Grohmanns Text „ohne dessen Einwilligung“ gedruckt wurde. Dagegen heißt es in einer jüngeren Publikation: „Inwieweit diese Veröffentlichung mit oder ohne Grohmanns Einverständnis geschah, ist aus den Quellen nicht eindeutig zu klären […].“ Redaktioneller Hinweis in: Grohmann 2012a, 58. 338 Illetschko 1997, 188, Anm. 85. 339 Schieder 2012, 36. 340 Zur Kunstgeschichte im Nationalsozialismus vgl. Dilly 1988; Preiss 1990; Arend/Schaeff/Zeller 2002; Warnke 2011; mit Fokus auf die Behandlung der Moderne/Gegenwartskunst: Heftrig 2014, 93–213. In seiner Studie charakterisiert Dilly (1988, 9) den allgemeinen Schwerpunkt der Kunsthistoriker im „Dritten Reich“ wie folgt: „Sie konzentrierten sich auf die Darstellung der Kunst des Mittelalters und der Neuzeit und dessen, was damals alles deutsch hieß. Programmatisch sparten sie die Moderne aus der Historie aus.“ Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Bereitschaft, sich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen, unter Universitätskunsthistorikern schon vor 1933 nur in geringem Maße verbreitet war, vgl. oben Kap. 2.1.1. 341 Einen Überblick über die Themen der universitären Kunstgeschichte im „Dritten Reich“ geben (1) die Bibliographie und die „Lektiographie“, die im Rahmen eines am Karlsruher Institut für Kunstgeschichte durchgeführten Studienprojekts unter der Leitung von Martin Papenbrock erstellt wurden: Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 2017; vgl. Papenbrock 2005; (2) die beiden Anhänge „Akademische Kunsthistoriker und Moderne. Überblick 1930–1960“ und „Vorlesungen zur Moderne an deutschen Universitäten, 1933–1955“ in: Heftrig 2014, 411–446 und 447–456. – Zu beachten ist, dass in den unter (1) und (2) genannten Verzeichnissen nicht sämtliche Hochschullehrer

Schlussbetrachtung |

vorläufigen Eindruck vermitteln.342 Ein genaueres Bild lässt sich anhand von Einzeluntersuchungen zur Tätigkeit deutscher Kunsthistoriker im Nationalsozialismus343 sowie durch die Heranziehung ihrer Publikationen344 gewinnen. Was Kandinskij betrifft, ergaben sich aus der von mir herangezogenen Literatur keine Überraschungen. So kann man in einer Überblicksdarstellung wie Hans Weigerts 1939 abgeschlossener und 1942 in Berlin veröffentlichter Geschichte der deutschen Kunst von der Vorzeit bis zur Gegenwart zwar noch einen kurzen Abschnitt über die verfemte Kunst finden, in dem auch Kandinskij erwähnt wird; allerdings steht dieser Abschnitt unter der Überschrift „Der Verfall“, die den Tenor der anschließenden Ausführungen vorwegnimmt: Wer die von der Partei nach der Machtergreifung veranstaltete Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ oder sonstwelche verwandten Bildwerke des Jahrzehntes zwischen 1920 und 1930 gesehen hat, glaubte dem Wahnsinn oder einem diabolischen Hohn auf alles bisher Ehrwürdige gegenüberzustehen. […] Der Russe Kandinsky malte inhaltlose Kompositionen aus reinen Farben, von denen er sich eine der Musik gleichkommende Wirkung versprach. Das war ein Irrtum, denn Farbe und Form wecken keine so bestimmten Gefühle und Vorstellungen wie die Musik.345

Über den Bereich der universitären Lehre lässt sich generell nur auf einer sehr dünnen Materialbasis sprechen, denn in der Regel liegen nur die Titel der Veranstaltungen aus aufgeführt sind, sondern allein die an Universitäten tätigen. Zudem beschränkt sich die Karlsruher Bibliographie auf Schriften von Lehrstuhlinhabern, die Karlsruher „Lektiographie“ auf Vorlesungen. Heftrig berücksichtigt in ihren Aufstellungen nur solche Dozenten, die sich in ihrer Forschung und/ oder Lehre mit der Kunst des 20. Jahrhunderts beschäftigt haben. 342 Vgl. Papenbrock 2005, 29 f.; Heftrig 2014, 201, Anm. 548. 343 Vgl. z. B. zu Wilhelm Pinder: Halbertsma 1992, 129–146; Bredekamp 2010; zu Kurt Bauch: Papenbrock 2004; und auch Ders. 2006; zu Richard Hamann: Sprenger 2004; Niehr 2005; Heftrig 2014, 93–144, 182–213. Ebd., 145–182, geht Heftrig – in unterschiedlicher Ausführlichkeit – auf das Wirken weiterer Kunsthistoriker in der NS-Zeit ein. 344 Solches konnte im Rahmen dieser Arbeit nur stichprobenartig geleistet werden. Es wurde Einsicht genommen in folgende, nach Eröffnung der Ausstellung Entartete Kunst erschienene Schriften: Hamann 1937; Kroll 1937; Lützeler 1938; Jahn 1940; Feulner 1942; Weigert 1942; Beenken 1944. 345 Weigert 1942, 498. Für Bettina Preiß (1990, 55) ist Weigerts Geschichte der deutschen Kunst das Paradebeispiel „einer im Sinne der nationalsozialistischen Kulturvorstellungen dienenden Kunstgeschichte“. Indes zeichnet sich Weigerts Haltung zur Moderne dadurch aus, dass er den „Verfall“ letztlich als einen „notwendige[n] und deshalb tragische[n] Untergang“ deutet – und damit gleichsam entschuldigt: „Der Künstler schafft sein Werk nicht frei, sondern ein überpersönliches Schicksal spricht aus ihm, das einem jeden seinen Ort und seine Aufgabe vorbestimmt. Die Bahn der Kunst trieb einem Ende, einer Katastrophe zu. Sie ist Schritt für Schritt von der Blüte des Realismus bis in das Tollhaus der Ismen zu verfolgen und hat eine logische Folgerichtigkeit, die keinem von denen bewußt war, die ihr mit dem Pinsel oder dem Wort dienten.“ Weigert 1942, 498. Vgl. Ders. 1934, 16–26; und ergänzend Heftrig 2005.

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den Vorlesungsverzeichnissen vor, nicht aber die jeweiligen Manuskripte.346 Mit Blick auf die kunsthistorische Lehre an deutschen Universitäten stellt Ruth Heftrig fest, „dass die Veranstaltungen zur Moderne in den späteren Jahren der NS -Herrschaft immer mehr abnehmen“, was angesichts der nationalsozialistischen Kunstpolitik „nicht weiter verwunderlich“ sei.347 Man musste damit rechnen, bei einem Abweichen von der offiziellen Norm (wie sie 1937 im Rahmen der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung und der Entarteten Kunst manifest wurde) die Lehrerlaubnis entzogen zu bekommen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein ministerielles Schreiben, von dem Martin Papenbrock berichtet: Im Sommer 1937348 versendeten die Kultusministerien im Anschluss an die Eröffnungsrede Hitlers zur ‚Großen Deutschen Kunstausstellung‘ ‚Richtlinien zur Frage der Gegenwartskunst‘ an die Universitäten. Dies ist der einzige bislang bekannte behördliche Eingriff in die Inhalte der kunstgeschichtlichen Lehre. Vermutlich hat er mit dazu beigetragen, dass die Lehrenden die Gegenwartskunst und insbesondere die moderne Kunst scheuten.349

Das Schreiben hatte folgenden Wortlaut: Der Führer und Reichskanzler hat am Tage der Deutschen Kunst grundsätzliche Richtlinien zu der Frage der Gegenwartskunst gegeben und hierbei die fehlerhafte Entwicklung der vergangenen Zeit gekennzeichnet. Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass auch bei den Hochschulen in Lehre und Forschung mit besonderer Sorgfalt diesen Richtlinien Rechnung zu tragen ist und bei der Behandlung dieser Fragen alles zu vermeiden ist, was dem gesunden Empfinden des Volkes widerspricht und geeignet ist, die Entwicklung einer gesunden deutschen Kunst zu gefährden. Mit besonderem Nachdruck ist hierauf bei etwaigen Vorlesungen über die bildende Kunst der Gegenwart zu achten. Ich ersuche um entsprechende weitere vertrauliche Bekanntgabe an die in Frage stehenden Persönlichkeiten und Einrichtungen.350

346 Hinzu kommt, dass Vorlesungsverzeichnisse nur eingeschränkt dokumentarischen Wert haben, da sie nicht zwangsläufig mit dem später realisierten Lehrangebot übereinstimmen, vgl. Papenbrock 2005, 30. 347 Heftrig 2014, 201. Der Begriff „Moderne“ wird hier offenbar in einem weiteren Sinne verwendet. So erklärt Heftrig zu Beginn ihrer Auflistung der „Vorlesungen zur Moderne an deutschen Universitäten, 1933–1955“: „Unter Moderne wird hier vor allem das 20. Jahrhundert verstanden.“ Ebd., 447. 348 Gemeint ist wohl „Herbst 1937“, denn die Quelle, auf die sich Papenbrock beruft, datiert vom Oktober 1937. 349 Papenbrock 2005, 31. 350 Brief des Ministers des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe an den Rektor der Universität Freiburg, 26.10.1937. Zit. nach: Papenbrock 2004, 211 f., Anm. 31.

Schlussbetrachtung |

Für die Zeit nach der Eröffnung der Femeschau Entartete Kunst, vom Wintersemester 1937/38 bis zum Wintersemester 1944/45, listet Heftrig zwar noch 30 kunstgeschichtliche Vorlesungen und 10 Übungen bzw. Kolloquien auf, deren Titel sich auf das 20. Jahrhundert beziehen oder eine Berücksichtigung des 20. Jahrhunderts nach Ansicht der Autorin vermuten lassen.351 Streicht man von diesen Veranstaltungen aber diejenigen, deren Titel eine Thematisierung Kandinskijs aus rein sachlichen Gründen unplausibel erscheinen lässt (z. B. weil der Fokus auf Architektur oder Plastik lag, auf italienischer oder französischer Malerei), dann bleiben nur circa 12 Vorlesungen und 8 Übungen/Kolloquien, die prima facie für eine Rezeptionsgeschichte Kandinskijs interessant sein könnten. Am Ende besagen diese Zahlen recht wenig: Denn zum einen lässt sich anhand der Veranstaltungstitel meist nicht bestimmen, ob die heute „klassisch“ genannte Moderne überhaupt Gegenstand war (wenn z. B. vom „beginnenden 20. Jahrhundert“ die Rede ist).352 Zudem geht aus den Titeln nicht hervor, wie – gegebenenfalls – über die Moderne gesprochen wurde.353 An diesem Punkt bedarf es, will man sich argumentativ auf festerem Boden bewegen, weiterer Forschungsarbeiten.354

351 Vgl. Heftrig 2014, 447–456. Bei einem Abgleich mit der Karlsruher „Lektiographie“ (vgl. Kunstgeschichte im Nationalsozialismus 2017) kann man für den genannten Zeitraum noch die eine oder andere Vorlesung zum 20. Jahrhundert ausfindig machen, die in Heftrigs Auflistung fehlt. Da diese Abweichungen für die nachfolgenden Überlegungen keine ausschlaggebende Rolle spielen, werden sie hier vernachlässigt. 352 Eine Ausnahme bildet etwa die für das Wintersemester 1937/38 in München angekündigte Vorlesung von Hugo Kehrer „Geschichte der europäischen Malerei im 19. Jahrhundert (vom Klassizismus bis zum Expressionismus)“, vgl. Heftrig 2014, 425, 454. Ob diese Vorlesung stattfand – zur gleichen Zeit und in derselben Stadt wie die Femeschau Entartete Kunst –, ist fraglich. Dass Kehrer, zumindest vor 1933, ein positives Interesse am Münchner Vorkriegsexpressionismus hatte, welches sich in seiner Lehre niederschlug, belegt ein Brief von ihm an Marianna Verefkina vom 29. Juni 1929. Zit. in: Fäthke 1996, 253. Vgl. auch Rossbeck 2010, 107. 353 Rückschlüsse darauf lassen sich bis zu einem gewissen Grad auf Basis der etwa zeitgleich erschienenen Publikationen eines Autors ziehen. So hatte Bruno Kroll, der im Sommersemester 1938 in Berlin eine Vorlesung über „Die deutsche Malerei, seit Hans Thoma bis in die Gegenwart“ anbot (vgl. Heftrig 2014, 426, 447), im Vorjahr ein Buch über Deutsche Maler der Gegenwart veröffentlicht. Kandinskij kommt darin nur implizit zur Sprache, doch erfährt man genug, um eine solide, über die Abwertung hinausgehende Behandlung des Künstlers in Krolls Vorlesung mit großer Sicherheit ausschließen zu können: In seinem Buch setzt Kroll (1937, 103) den Blauen Reiter mit einer „künstlerischen Spekulation“ gleich, „die mit einer gegenstandsbefreiten Linie und Farbe das Wahngebilde einer abstrakten, einer gegenstandslosen Kunst aufzubauen versuchte“. Ähnlich hatte sich Kroll schon 1934 in einem Artikel gegen die abstrakte Kunst positioniert: „Schließlich malt man mit Dreiecken, Würfeln, Keilen, malt mit abgezogenen Zeichen, mit der gegenstandsbefreiten Farbe und Linie ein sinnliches Phantom von Kunst wahnbildhaft auf.“ Kroll 1934, 220. Zu Kroll vgl. Heftrig 2014, 166–171. 354 Wichtig wäre hier vor allem die Sichtung, Veröffentlichung und Auswertung nachgelassener Vorlesungsmanuskripte und -mitschriften. Vgl. Papenbrock 2005, 35.

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Zukünftige Untersuchungen werden unser Bild von der Kunstgeschichte im „Dritten Reich“ erweitern und differenzieren, vielleicht auch an manchen Stellen korrigieren; eine tiefgreifende Korrektur dieses Bildes im Hinblick auf die Beschäftigung mit Kandinskij – der in jener Zeit so unzweifelhaft zu den personae non gratae gehörte – wird sich daraus aller Voraussicht nach nicht ergeben. Dass sich nach 1937 noch ein Kunsthistoriker in Deutschland öffentlich und ohne die bekannten Verdikte lediglich zu wiederholen mit Kandinskijs Werk auseinandergesetzt hat, erscheint unter den dargelegten Voraussetzungen mehr als unwahrscheinlich.

Zusammenfassung Es sollte wohl überflüssig sein, speziell zu unterstreichen, dass in unserem Falle das Princip des Internationalen das einzig mögliche ist. Heutzutage muss aber auch das bemerkt werden: das einzelne Volk ist einer der Schöpfer des Ganzen und kann nie als Ganzes angesehen werden. Das Nationale, gleich dem Persönlichen, spiegelt sich in jedem grossen Werke von selbst ab. In der letzten Consequenz aber ist diese Färbung eine nebensächliche. Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keine Grenzen und Völker, sondern die Menschheit.1

Dem „Princip des Internationalen“, das Kandinskij und Franz Marc verfochten, stand in ihrer Zeit ein nationales Prinzip gegenüber, dessen weite Verbreitung zwischen den Zeilen ihres Vorwort-Entwurfes für den Almanach Der Blaue Reiter herauszulesen ist. Dieses „Nationale“ – wie auch immer es konzeptualisiert und zum Ausdruck gebracht wurde – spielte bei der Wahrnehmung von Kunstwerken eine entscheidende Rolle. In der vorliegenden Arbeit konnte dies mit Blick auf die Rezeption Kandinskijs in Deutschland von 1912 bis 1945 bestätigt werden. Dabei wurde deutlich, dass die jeweilige Sicht auf Kandinskij nicht allein durch das Wissen um seine russische Abstammung geprägt war, sondern auch durch das Bild der Deutschen von sich selbst. Die unterschiedlichen Zugänge zu dem Russen Kandinskij zu beleuchten, sie in ihre Kontexte einzuordnen und in ihrer chronologischen Entwicklung darzustellen, war Ziel dieser Dissertation. Die fünf Etappen auf dem Weg dorthin seien abschließend resümiert.

Vorkr iegszeit Im ersten Teil der Untersuchung ging es zunächst darum, die Relevanz der russischen Herkunft Kandinskijs für das deutsche Publikum aufzuzeigen und damit die spezielle rezeptionsgeschichtliche Perspektive dieser Arbeit zu begründen. Am Beispiel einer vernichtenden Kritik der Kandinsky Kollektiv-Ausstellung 1913 in Hamburg sowie zweier früher Schriften zur modernen Kunst von Wilhelm Hausenstein und Paul Fechter wurden drei maßgebliche Tendenzen des Umgangs mit Kandinskij vor dem Ersten Weltkrieg herausdestilliert, die sich bis in die 1930er-Jahre hinein verfolgen lassen: (1) Eine unter den Gegnern Kandinskijs häufig anzutreffende Rezeptionsart bestand darin, das ästhetische Urteil über seine Werke mit nationalen Ressentiments zu verknüpfen. Kandinskijs Abstraktion bedeutete eine radikale Absage an das tradierte Bildkonzept. Es verwundert daher nicht, dass seine Arbeiten bei einem Großteil des Publikums auf 1

Kandinsky/Marc [1911] 2004b, 317.

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| Zusammenfassung

Unverständnis und Ablehnung stießen. Neben der Lächerlichmachung und der Pathologisierung Kandinskijs war der Hinweis auf seine ausländische Herkunft ein einfaches Mittel, um die schwierige Auseinandersetzung mit seiner abstrakten Malerei zu umgehen und ihn „rasch und ohne Aufregung [zu] erledigen“2, wie sich ein Rezensent des Hamburger Fremdenblatts 1913 ausdrückte. (2) Eine weitere Tendenz der Kandinskij-Rezeption manifestierte sich in der Betonung seiner russischen Eigenart, auf die man die spezifischen Qualitäten seines Schaffens zurückführte. Anders als bei der vorgenannten Tendenz stand hier nicht die polemische Abwertung des Künstlers im Vordergrund, sondern das Bemühen, seine Werke zu verstehen und zu vermitteln. Dabei wurden verbreitete Klischees von der ‚Traditionslosigkeit‘, der ‚Radikalität‘ und der ‚Mystik‘ der Russen auf Kandinskij projiziert und mit dem Bild einer westlichen ratio kontrastiert. Das mit der Abstraktion verbundene Verständnisproblem konnte so als Ausdruck einer kulturellen Differenz, als „das unverständliche Stammeln der russischen Seele“3, verobjektiviert werden. Gleichzeitig war es diese Differenz, die die neue russische Kunst für progressive Autoren wie Wilhelm Hausenstein wertvoll machte, korrespondierte sie doch mit der expressionistischen Abkehr von klassischen Normen. Es ist nicht zuletzt dem bahnbrechenden Beitrag Kandinskijs zuzuschreiben, dass die Russen in dieser Zeit als eine treibende Kraft der Gegenwartskunst wahrgenommen wurden und die Rezeption nicht mehr nur einspurig vom Westen in den Osten verlief, sondern auch in entgegengesetzter Richtung. (3) Die dritte Tendenz knüpfte sich an die Germanisierung des Expressionismus, für die Paul Fechter mit seiner 1914 veröffentlichten Schrift Der Expressionismus Pate stand. Aufmerksamkeit erforderte das Buch im Rahmen der vorliegenden Arbeit aufgrund einer inneren Widersprüchlichkeit: So kennzeichnete Fechter den Expressionismus als ein Wiederaufleben der „alte[n] gotische[n] Seele“4, hob aber zugleich die beispielgebende Rolle Kandinskijs innerhalb dieser Richtung hervor. Eine Lösung für dieses Spannungsverhältnis bot Fechter zwar nicht an (wir fanden sie später bei Fritz Burger, Eckart von Sydow und Werner Haftmann). Jedoch ergab sich aus der Lektüre von Fechters Text, dass Kandinskij bei dem Vergleich mit Max Pechstein ein untergeordneter Rang zugewiesen wird; die Priorisierung Pechsteins – als Vertreter der Dresdner Künstlervereinigung Die Brücke – gegenüber Kandinskij – als Vertreter des internationalen Blauen Reiters – konnte mit Fechters Absicht in Verbindung gebracht werden, den Expressionismus als genuin ‚deutsche‘ Strömung zu markieren. Als ein grundlegendes Ergebnis kristallisierte sich bereits an diesem Punkt der Untersuchung heraus, was in den folgenden Teilen weiter auszuführen war: nämlich dass 2 3 4

Küchler 1913. Hausenstein 1914b, 300. Fechter 1914, 28.

Vorkriegszeit |

Kandinskijs russischer Hintergrund eine wesentliche Bedeutung für seine zeitgenössische Rezeption in Deutschland besaß. Zwei Einschränkungen sind hierbei vorzunehmen: Zum einen gilt diese Feststellung nicht für die Gesamtheit der Interpreten: So sah der Berliner Galerist Herwarth Walden, Kandinskijs wichtigster Fürsprecher in den 1910er-Jahren, in ihm vor allem einen europäischen Künstler von internationalem Rang. Diese Einstellung zu Kandinskij stand nicht im Fokus meiner Studie, wurde jedoch als ihr „blinder Fleck“, als die andere Seite der Rezeption mit einbezogen. Zum Zweiten konnte aus der Durchsicht des Quellenmaterials die allgemeine Erkenntnis gewonnen werden, dass zu Lebzeiten Kandinskijs eine eingehende, präzise Analyse seiner russischen Bezüge (zur Ikone, zur Volkskunst, zur Religionsphilosophie, zum Symbolismus oder zur Avantgarde) nicht oder kaum stattgefunden hat. Um die aus den Quellen erarbeiteten Befunde angemessen einordnen zu können, war es erforderlich, die kontextuellen Bedingungen der Rezeption Kandinskijs mit in Augenschein zu nehmen. Dazu gehörte im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit, also den rezeptionsgeschichtlichen Stellenwert der russischen Herkunft Kandinskijs, eine Bewusstwerdung über die seinerzeit sehr begrenzten Möglichkeiten, sich mit der russischen Kultur vertraut zu machen. Einem umfassenden Verständnis der russischen Quellen und Kontexte Kandinskijs standen neben sprachlichen Barrieren auch die traditionelle kulturelle Orientierung der Deutschen – die man eigentlich eine ‚Okzidentierung‘5 nennen müsste – und die vergleichsweise geringe Präsenz von Kunst aus Russland (im Unterschied zur Kunst der im Westen lebenden Russen) im Wege. Damit rückte in dieser Arbeit die Frage in den Vordergrund, wodurch die deutschen Vorstellungen von russischer Kultur geprägt waren. Frühere Forschungen haben die starke Wirkung der russischen Literatur in Deutschland herausgestellt, insbesondere der Werke Dostoevskijs; sie formten nachhaltig das Klischee der „russischen Seele“, welches dann auf Kandinskij übertragen wurde. Doch auch Kandinskij selbst hatte an seiner Stilisierung zum russischen Maler einen wesentlichen Anteil: So entwarf er in seinem autobiographischen Text „Rückblicke“ (1913) ein verklärendes Bild Moskaus als „Ursprung meiner künstlerischen Bestrebungen“6 und nahm die Gegenüberstellung einer westlichen Rationalität und einer russischen Mystik bei Hausenstein gleichsam vorweg. Obwohl Kandinskijs Schriften nicht zum engeren Untersuchungsbereich dieser Arbeit gehören (da sie nicht Teil seiner Rezeption sind, sondern deren Gegenstand), wurde ihnen hier ein gesonderter Platz eingeräumt; denn Kandinskij entwickelte darin Gedanken, die den Interpreten seiner schwer fassbaren Werke als Anknüpfungspunkte dienten. Darüber hinaus spiegelte sich in ihnen der zeitgenössische Diskurs um das „Nationale“ in der Kunst wider (vgl. auch Kap. 4.1). 5 6

Drengenberg 1980, 886. Kandinsky [1913] 2004b, 50.

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Eine wichtige rezeptionsgeschichtliche Grundlage bildeten ferner die Veränderungen, die sich um 1900 innerhalb der Kunstgeschichte vollzogen hatten. Der Name Wilhelm Worringer steht stellvertretend hierfür. In seinen vielgelesenen Schriften Abstraktion und Einfühlung (1908) und Formprobleme der Gotik (1911) hatte Worringer die Insuffizienz des klassischen, am Können orientierten Maßstabs der Kunstbetrachtung betont und einer Wertschätzung davon abweichender, nicht-abbildender Gestaltungen den Boden bereitet. Obgleich Worringer dabei keineswegs den Expressionismus im Auge hatte, wurde er bald zu dessen Wortführern gezählt. Worringer begriff die Abstraktion als Ausdruck eines ‚transzendentalen‘, ‚irrationellen‘ „Kunstwollens“, dessen stärkste Bastion im Orient liege. Relevanz für unser Thema erhielten seine Ideen dadurch, dass sie sich in jener Zeit leicht mit dem spiritualisierenden und orientalisierenden Russlandbild der Deutschen verflechten ließen und für die Deutung von Kandinskijs Schaffen produktiv gemacht werden konnten. Hinzu kommt, dass Worringer den abstrakten „Formwillen“ auch in der Gotik erkannte, die man damals national zu vereinnahmen suchte. Die Abstraktion (im weiteren Sinne) ließ sich in der Folge als ein Wollen beschreiben, das Deutsche und Russen innerlich miteinander verband. Zwei Ausformulierungen dieses Gedankens wurden im anschließenden Teil eingehend beleuchtet.

Erster Weltkr ieg und Nachkr iegszeit Als eine Zusammen- und Weiterführung der oben genannten Tendenzen, Kandinskijs Werk als Ausdruck seines Russentums zu betrachten (Hausenstein) und den Expressionismus deutsch zu zentrieren (Fechter), rückten im zweiten Teil der Studie Fritz Burgers Einführung in die moderne Kunst (1917) und Eckart von Sydows Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (1920) in den Fokus. Beide Autoren versuchten sich an einer Positionsbestimmung des deutschen Expressionismus zwischen der französischen und der russischen Kunst. Dabei wurde Kandinskij – als Repräsentant Russlands – eine Schlüsselrolle zuteil. Fritz Burger gehörte zu den wenigen akademischen Kunsthistorikern seiner Zeit, die sich öffentlich für die moderne Kunst aussprachen und sie zu einem Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit machten. An seinem Beispiel wurde zunächst der Frage nachgegangen, warum sich die Vertreter der universitären Kunstgeschichte nur in verhältnismäßig geringem Umfang mit Gegenwartskunst befassten. Daraus sollte ersichtlich werden, weshalb die Materialbasis für die vorliegende Untersuchung größtenteils den Bereichen der Kunstkritik und der Kunstschriftstellerei entstammte – und nicht der akademischen Textproduktion. Der Hauptgrund dafür ist in der fehlenden historischen Distanz zu sehen, die eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Künstlern wie Kandinskij als unwissenschaftlich erscheinen ließ. An Burgers Laufbahn zeigte sich,

Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit  |

dass ein Engagement für die Moderne das Risiko in sich barg, bei den Fachkollegen auf Widerstand zu stoßen und damit die eigene akademische Karriere zu gefährden. Burgers Einführung in die moderne Kunst, während des Ersten Weltkriegs verfasst und 1917 posthum herausgebracht, eroberte sich bald einen Platz unter den erfolgreichsten kunstgeschichtlichen Veröffentlichungen. In ihr dokumentierte sich die damals verbreitete, hoffnungsvolle Sicht auf den Krieg als ein Schicksal, das zu einer großen kulturellen Erneuerung hinführe. Dass diese Erneuerung von Deutschland ausgehen werde, stand für Burger außer Frage. Interessanterweise maß er für diesen Prozess aber auch Russland eine zentrale Bedeutung bei, das in der Einführung durch Kandinskij repräsentiert wurde. Gleich zu Beginn des ersten Kapitels – an einer recht prominenten Stelle also – kombinierte Burger zur Illustration seines Textes Reproduktionen altdeutscher Holzschnitte mit solchen nach Werken von Kandinskij. Die Sonderstellung Kandinskijs respektive Russlands, die sich darin widerspiegelte, galt es im Folgenden durch eine präzise Lektüre von Burgers Einführung zu erhellen. Als Ergebnis lässt sich festhalten: Die neue Kultur, deren Anbruch Burger erwartete und die er im deutschen Expressionismus versinnbildlicht sah, war für ihn gekennzeichnet durch die Vergeistigung und Vereinigung der Menschheit. Das Vorbild hierfür erblickte er in der „Welt des Mittelalters und der orientalischen Kulturen“ 7, die für ihn einen gemeinsamen Ursprung besaßen. (Als mögliche Quellen für diese Sichtweise konnte auf die schon im 19. Jahrhundert geläufigen Auffassungen von „Asien“ bzw. dem „Orient“ als Wiege der europäischen Kultur und von den Germanen als den „legitimen Erben orientalischer Bildung“8 verwiesen werden.) Im Zuge seiner vor allem gegen die Kriegsmächte England und Frankreich gerichteten Kritik an einer europäischen Zivilisation, die diese kulturellen Ursprünge vergessen habe, erlangten die Russen ihren besonderen Stellenwert für Burger dadurch, dass in ihnen das „Asiatische“ am stärksten lebendig geblieben sei. Der Topos vom ‚asiatischen‘, ‚barbarischen‘ Volk, der während des Ersten Weltkriegs das Bild der Russen als Feinde prägte, erhielt im Kontext von Burgers Zivilisationskritik eine eindeutig positive Konnotation. Die Gegenüberstellung von Werken Kandinskijs mit altdeutschen Holzschnitten ist somit nicht im Sinne eines Gegensatzes, sondern einer Verwandtschaft zwischen Deutschen und Russen zu begreifen: „Beide Völker treten in den Kreis moderner Kultur Seite an Seite ein. Das, was sie bindet, ist asiatisches Erbe […].“9 In dem „asiatische[n] Erbe“ als tertium comparationis war auch eine Antwort auf die bei Fechter noch ungelöste Frage zu finden, wie sich die Rückführung des Expressionismus auf die „alte gotische Seele“ mit der herausgehobenen Stellung des Russen Kandinskij innerhalb dieser Kunstströmung vertrug.

7 8 9

Burger 1917, 115 f. Wiwjorra 2006, 84. Burger 1917, 52.

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Von der anhaltenden Bedeutung Kandinskijs während seiner kriegsbedingten Abwesenheit aus Deutschland zwischen 1914 und 1921 zeugte auch Eckart von Sydows 1920 erschienenes Buch Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei. Darin fand die von Burger artikulierte Vorstellung einer deutsch-russischen Seelenverwandtschaft eine Fortsetzung. Zwar konzentrierte sich Sydow auf den deutschen Expressionismus (verstanden als Expressionismus der Deutschen), doch strich er mehrfach die wegweisende Rolle Kandinskijs für die neue Kunst heraus. Dessen russischer Hintergrund wurde von Sydow – wie schon von Hausenstein und Burger – als Erklärung für seine abstrakten Werke herangezogen. Gleichzeitig brachte Sydow Qualitäten wie das „Metaphysische der Gesinnung und Ausdrucksfähigkeit“10, die für ihn Kandinskij als Russen auszeichneten, auch mit dem deutschen Expressionismus in Verbindung. Dies zeigte sich besonders deutlich an Sydows Vergleich zwischen Marc und Kandinskij auf der einen und Henri Matisse auf der anderen Seite, wo die „lebensvolle Spannung zwischen Wirklichkeit und metaphysischer Wahrheit“ bei dem deutsch-russischen Gespann in einen Kontrast zum „Ideal der Ruhe“ bei dem Franzosen gestellt wurde.11 Im Rahmen der Untersuchung wurde bei Burger wie auch bei Sydow ein kulturelles Modell ausfindig gemacht, dessen Komponenten teilweise schon bei Worringer und Hausenstein angelegt waren: (1) West und Ost bzw. Frankreich und Russland markieren die Pole eines kulturellen Spannungsfeldes, das sich anhand von Begriffspaaren erfassen lässt wie: Vernunft vs. Mystik, Zivilisation vs. Kultur oder Naturalismus vs. Abstraktion. (2) Deutschland nimmt innerhalb dieses Spannungsfeldes eine mittlere (vermittelnde, synthetisierende) Position ein. (3) Der Expressionismus ist Ausdruck eines Umschwungs, einer Verlagerung des kulturellen Schwerpunktes vom Westen (Frankreich) in Richtung Osten (Deutschland, Russland). – Diese Komponenten kehrten im Laufe der Arbeit bei verschiedenen Autoren wieder, darunter auch bei Kandinskij selbst (vgl. Kap. 4.1). Wie sich aus der Analyse ergab, figurierte Kandinskij bei Burger wie auch bei Sydow als ein russischer Künstler, der den deutschen Expressionismus – in Abgrenzung zu Frankreich – weiter östlich positionierte. Dem lag ein doppelter Kreisschluss zugrunde: (1) Kandinskij wurde in Deutschland als Inbegriff der neuen russischen Kunst angesehen. Das deutsche Bild von russischer Gegenwartskunst beruhte jedoch auf einer Verallgemeinerung des Eindrucks, den man namentlich von ihm (und ein paar anderen Auslandsrussen) gewonnen hatte. (2) Die Idee einer künstlerischen Seelenverwandtschaft zwischen Deutschen und Russen konkretisierte sich für Burger und Sydow am Beispiel Marcs und Kandinskijs. Indes dürfte deren enge Zusammenarbeit im Blauen Reiter gerade zum Entstehen dieser Idee beigetragen haben.

10 Sydow 1920, 122. 11 Ebd., 134.

Neue Bekanntschaften  |

Neue Bek anntsch aften Die deutschen Vorstellungen von zeitgenössischer russischer Kunst waren Anfang der 20er-Jahre in erster Linie durch die Wahrnehmung solcher Künstler wie Kandinskij, Mark Šagal und Aleksandr Archipenko geprägt, die sich vor dem Krieg im Westen einen Namen gemacht hatten. Diese Vorstellungen wichen erheblich von der damaligen Situation in Russland ab, wo die Kunst rasante Entwicklungen genommen hatte und Persönlichkeiten in den Vordergrund getreten waren, die in Deutschland noch unbekannt waren. Der dritte Teil der Dissertation handelte von zwei frühen Versuchen, die deutsche Öffentlichkeit mit den künstlerischen Entwicklungen in Russland seit Krieg und Revolution vertraut zu machen; im Zentrum des Interesses standen die Korrekturen, die das deutsche Kandinskij-Bild durch diese neuen Kontexte erfuhr. 1919 entsandte das russische Volkskommissariat für Bildungswesen (NARKOMPROS) Konstantin Umanskij als „Kunstbotschafter“ nach Deutschland, um nach Jahren der kulturellen Blockade eine Basis für die Wiederbelebung des künstlerischen Austausches zwischen den beiden Ländern zu legen. In einer Reihe von Artikeln, die Umanskij 1920 in der Münchner Zeitschrift Der Ararat veröffentlichte, und in seinem Buch Neue Kunst in Rußland (1920) gab er den Deutschen erstmals nach dem Krieg einen umfassenderen Überblick über das jüngste Kunstgeschehen in Russland. Umanskijs Texte waren bei ihrem Erscheinen einzigartig; eine in Umfang und Aktualität vergleichbare Informationsquelle gab es seinerzeit nicht. Eine sonderbare Ambiguität in Umanskijs Schriften bildete den Ausgangspunkt der Betrachtung: Kandinskijs Stellenwert für die russische Kunst wurde von Umanskij zugleich akzentuiert und relativiert. Diese Ambiguität war einerseits auf Kandinskijs schwierigen Status in Russland zurückzuführen: So bekleidete er zwar hohe kulturpolitische Ämter, war mit seiner künstlerischen Position aber auch harscher Kritik ausgesetzt. Umanskij hatte mit einer Diskrepanz zwischen der deutschen Sicht auf Kandinskij als die Galionsfigur der russischen Gegenwartskunst und Kandinskijs tatsächlicher Stellung in Russland umzugehen. Auf der anderen Seite agierte Umanskij nicht einfach als neutraler Beobachter; vielmehr versuchte er, ein bestimmtes Bild von der Kunst in Sowjetrussland zu vermitteln, in das Kandinskij nicht so recht hineinpasste. Umanskij empfand das verbreitete Klischee von russischer Kunst, dessen Grundpfeiler die Primitivität und die Spiritualität bildeten, als unzeitgemäß und trat an, es zu korrigieren. Dass Kandinskijs künstlerische Führungsrolle für Umanskij mehr in der Vergangenheit lag als in der Gegenwart oder Zukunft, wurde anhand zweier Gesichtspunkte näher ausgeführt: (1) Umanskij charakterisierte die abstrakte Malerei als eine Strömung, die mit Kazimir Malevičs Suprematismus „auf einem toten Punkt angelangt ist“12. Im Gegen12 Umanskij 1920, 24.

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zug sprach er von einer „Rückkehr zum Gegenständlichen“13. Diese kann in zweierlei Hinsicht gedeutet werden: im Sinne einer Materialkonstruktion, wie sie Vladimir Tatlin mit seinen Konterreliefs entwickelte (die laut Umanskij den „Vorteil des Einklangs mit dem siegreichen Materialismus der Gegenwart“14 hatten); und im Sinne synthetischer Ansätze in der Malerei, bei denen Elemente kub(ofutur)istischer, suprematistischer oder konstruktivistischer Gestaltung mit gegenständlichen Motiven verbunden wurden. Kandinskij gehörte keiner dieser beiden Tendenzen an. (2) Daneben verkörperte Kandinskij aber auch einen Künstlertypus, der den Anforderungen der Zeit – wie sie Umanskij formulierte – nicht gerecht wurde. Umanskij propagierte einen Künstler, „der als aktiv wirkendes Mitglied der Gesellschaft sozial zu leben beginnt, organisch mit seiner Zeit verbunden ist, von den Höhen des Parnasses in die Tiefen des Lebens hinabsteigt“15 usw. Kandinskij zeichnete sich demgegenüber für Umanskij durch eine „gewisse Passivität“16 in kulturpolitischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten aus. Wenn Umanskij ungeachtet dieser Diskrepanzen die Behauptung aufstellte, dass „sämtliche junge russische Kunstrichtungen auf Kandinskij zurück[führen]“17, so war dies unzweifelhaft auch strategischen Überlegungen geschuldet: Wegen seiner großen Bekanntheit in Deutschland eignete sich Kandinskij wie kein anderer russischer Künstler als eine Bezugsfigur, um an die 1914 abgerissenen Verbindungen zwischen Russland und Deutschland neu anzuknüpfen. Eine weitere Maßnahme, die das russische Volkskommissariat für Bildungswesen zur Erreichung dieses Ziels auf den Weg brachte, war die Veranstaltung der Ersten Russischen Kunstausstellung, die im Herbst 1922 in der Berliner Galerie van Diemen eröffnet wurde. Hier bekamen die Deutschen das Spektrum der sowjetrussischen Kunst erstmals im Original vorgestellt. Im Rahmen der vorliegenden Studie bestand das Interesse an dieser Ausstellung darin, dass sie dem deutschen Publikum Kandinskijs Werke in zwei neuartigen, für unsere Fragestellung relevanten Zusammenhängen präsentierte: zum einen unter dem Banner einer offiziellen sowjetrussischen Kunstausstellung und zum anderen im Kontext der abstrakten Strömungen des Suprematismus und des russischen Konstruktivismus. In Ermangelung dokumentarischen Bildmaterials zur Ersten Russischen Kunstausstellung ging es zunächst darum, anhand des Katalogs und diverser Kritiken die Ausstellung selbst und Kandinskijs Präsenz darin zu rekonstruieren. Obwohl die Schau mit dem Anspruch auftrat, einen Gesamteindruck von russischer Gegenwartskunst zu vermitteln, sie mithin

13 Ebd. 14 Umanskij [1920] 1975a, 13. 15 Umanskij 1920, 4. 16 Umanskij [1920] 1975d, 29. 17 Ebd.

Neue Bekanntschaften  |

auch die konservativen Richtungen beinhaltete, wurden die progressiven Tendenzen bei der Hängung bevorzugt und hinterließen – als die „russische Revolutionskunst“18 – beim Publikum den nachhaltigsten Eindruck. Kandinskij war mit großformatigen Gemälden, die unter den Werken der Avantgarde prominent platziert waren, sowie mit Arbeiten auf Papier und Porzellanen nach seinen Entwürfen gut vertreten. Jedoch ergab eine Durchsicht der Rezensionen, dass die gezeigten Beispiele aus Kandinskijs russischen Schaffensjahren die Einschätzung des Künstlers nicht signifikant veränderten. (Sein stilistischer Wandel, der sich seit etwa 1919 abzeichnete und vom Expressionismus der Münchner Zeit zu einer Klärung und Geometrisierung der Bildelemente führte, kam erst am Weimarer Bauhaus voll zur Ausprägung.) Allerdings wurde Kandinskijs Stellung innerhalb der russischen Avantgarde von einem Teil der Rezensenten grundlegend neu bewertet. Man erkannte, dass „Kandinski, Chagall und Archipenko nicht die Repräsentanten der neuen russischen Kunst sind“19 und dass die russische Kunst mittlerweile andere Wege ging – in Richtung einer Abkehr von der Staffeleimalerei bei den Konstruktivisten und in Richtung synthetischer Ansätze, wie sie sich in den Stillleben David Šterenbergs manifestierten. Kandinskij erschien, wie zuvor schon bei Umanskij, von zwei Seiten überholt. In den Besprechungen der Ersten Russischen Kunstausstellung wurden Wahrnehmungsmuster ungegenständlicher russischer Kunst sichtbar. Sie machten erneut deutlich, dass das Publikum in jener Zeit nach nationalen Besonderheiten suchte. Als eine solche wurde in den Kritiken wiederholt die Radikalität der russischen Künstler im Vergleich zu ihren westeuropäischen Kollegen genannt. Diese Radikalität wurde entweder politisch in einem Zusammenhang mit der Oktoberrevolution gesehen – als deren künstlerische Entsprechung – oder essenzialistisch als ein Charakterzug des russischen Volkes gedeutet. Hierbei wurde die Abstraktion aber weniger mit der „russischen Seele“ in Verbindung gebracht (wie es Hausenstein 1914 in Bezug auf Kandinskij getan hatte); man betrachtete Exponate wie Malevičs suprematistische Komposition Weiß auf Weiß vielmehr als Visualisierungen intellektueller Programmatiken, die zum Extremen tendieren. Diese Konsequenz, der „Hang zum Prinzipiellen“20, stand über den Topos der Radikalität noch immer in Beziehung zu dem traditionellen Blick auf die Russen. Die Betonung kultureller Eigenarten bildete nach wie vor eine Möglichkeit, fehlendes Wissen über die Hintergründe solcher Werke wie Malevičs Weiß auf Weiß zu kompensieren. Obwohl es in manchen Rezensionen zur Ersten Russischen Kunstausstellung den Anschein machte, als rückten nun andere russische Künstler in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit, blieb Kandinskijs herausragende Stellung auch nach 1922 ungebrochen. Dies hing einerseits damit zusammen, dass er sich in Deutschland schon vor dem Krieg 18 Bauer 1922, 869. 19 Donath 1922, 95. 20 Westheim 1922b, 498.

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eine Spitzenposition erobert hatte und als Bauhauslehrer auch weiterhin das Kunstgeschehen in Deutschland prägte. Auf der anderen Seite begünstigten die kunstpolitischen Entwicklungen in Russland eine realistische Darstellungsweise und verhinderten so eine nähere Bekanntschaft des deutschen Publikums mit Avantgardekunst aus Russland.

Weim ar er R epublik Handelte der zweite Teil dieser Studie von der Darstellung Kandinskijs als russischer Künstler im Kontext des deutschen Expressionismus und der dritte von der Neubewertung seiner Stellung innerhalb des russischen Kunstlebens, so ging es im vierten Teil um das Konkurrenzverhältnis, in dem der Blick auf Kandinskij als Russe zu seiner Wahrnehmung als Europäer einerseits und als Künstlerindividuum andererseits in den 20er-Jahren stand. Zu Beginn wurde das Augenmerk jedoch nicht auf Kandinskijs Rezeption, sondern auf seine Theorieproduktion während der Bauhauszeit gerichtet. Anhand seines 1925 in der Zeitschrift Der Cicerone erschienenen Aufsatzes „Abstrakte Kunst“ wurde ausgeführt, wie sich Kandinskij selbst über das Nationale in der Kunst äußerte. Dabei konnten gedankliche Parallelen zwischen dem Künstler und seinen deutschen Interpreten aufgezeigt werden. In seinem Cicerone-Aufsatz konstatierte Kandinskij „eine Verschiebung des Kunstzentrums, die im letzten Grunde den Übergang vom romanischen zum slawischen Prinzip bedeutet – vom Westen zum Osten“21. Das „slawische Prinzip“ wurde von ihm antithetisch zum „romanischen“ konzipiert und bildete eine semantische Einheit mit Begriffen wie Innen, Geist, Russland – und abstrakte Kunst. Auch Kandinskij stellte somit eine Verbindung zwischen der Abstraktion und seiner russischen Heimat her (ohne freilich die Konstruktivisten miteinzubeziehen, von denen er sich distanzierte). Die essenzialistischen Zuschreibungen und Differenzierungen, mit denen Kandinskij in seinem Artikel operierte, entsprachen dem im zweiten Teil herausgearbeiteten kulturellen Modell bei Burger und Sydow, standen aber auch in der Tradition slawophilen Denkens in Russland. Den eigentlichen Startpunkt der rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung bildete in diesem Teil der Arbeit die Jubiläums-Ausstellung, die 1926 aus Anlass von Kandinskijs 60. Geburtstag in der Dresdner Galerie Arnold eröffnet wurde und anschließend an weiteren Orten zu sehen war. In der Umschlaggestaltung des Katalogs und in einem Beitrag der Kunsthistorikerin Fannina Halle bezeugte sich eine Kontinuität in der Wahrnehmung Kandinskijs, dessen Schaffen – trotz der jüngeren „konstruktiven“ Tendenzen – noch immer mit dem ‚Geistigen‘ und mit seiner russischen Herkunft in Verbindung gebracht 21 Kandinsky 1925, 639.

Weimarer Republik  |

wurde. Die Analyse der Jubiläums-Ausstellung selbst erfolgte anhand der Mannheimer Station: Hier wurde sie 1927 als Teil der Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa in der städtischen Kunsthalle präsentiert. Die Schau stellt einen Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte abstrakter Kunst dar, denn sie unternahm erstmals den Versuch, einen Überblick über die verschiedenen Spielarten der Abstraktion in ganz Europa zu geben. Obwohl die Abstraktion in ihrem Anspruch als Kunst noch immer angefochten war, zeichnete sich in den Rezensionen doch eine breitere Bereitschaft ab, sich darauf einzulassen. Von den Russen waren in Mannheim lediglich Kandinskij – der im Verhältnis die meisten Werke beisteuerte –, Ėl’ Lisickij und Archipenko vertreten; so entscheidende Persönlichkeiten wie Tatlin und Malevič fehlten. Wichtiger für unser Thema war aber die Beobachtung, dass nationale Erklärungsmuster in dem gesamteuropäischen Kontext der Ausstellung an Bedeutung verloren. In seiner Katalogeinführung stellte Gustav Friedrich Hartlaub, der Leiter der Mannheimer Kunsthalle, die Abstraktion in einen übergreifenden Zusammenhang und deutete sie als eine Zeiterscheinung. Nationale Spezifika wurden nicht auf die Abstraktion als solche bezogen, sondern nur mehr auf ihre diversen Erscheinungsarten, wozu auch der französische Kubismus gerechnet wurde. Anders als 1922 in der Ersten Russischen Kunstausstellung wurde die Abstraktion 1927 in Mannheim also nicht als spezifisch östliche Kunstform rezipiert. Darüber hinaus war festzustellen, dass Kandinskij im Unterschied zu den 10er-Jahren stärker als „eigenartige, nicht zu vergleichende Persönlichkeit“22 wahrgenommen wurde denn als Vertreter der russischen Kunst. Eine Rolle spielte dabei neben der gesonderten Präsentation seiner Werke (Kandinskij wollte nicht mit den anderen „Abstrakten“ in einen Topf geworfen werden) sicher auch der Umstand, dass die Ausstellung die Differenz zwischen seiner Position und dem Konstruktivismus seines Landsmanns Ėl’ Lisickij deutlich machte. Am Beispiel der Kunstkritiker Will Grohmann und Carl Einstein wurde sodann das Spannungsverhältnis zwischen der Rezeption Kandinskijs als Russe, als Europäer und als Individuum weiter vertieft. Grohmann gehörte nicht erst seit Erscheinen seines Standardwerks Wassily Kandinsky im Jahr 1958 zu den wichtigsten Interpreten des Künstlers. Bereits in der Weimarer Republik war Grohmann mit zwei maßgeblichen Beiträgen über Kandinskij hervorgetreten: 1924 veröffentlichte er im Cicerone einen monographischen Artikel, der anschließend als eigenständige Publikation in der Reihe Junge Kunst herauskam; 1930/31 folgte in den Pariser Éditions Cahiers d’Art Grohmanns Band Kandinsky, dessen deutscher Originaltext von der Kandinsky-Gesellschaft in Braunschweig gedruckt wurde. Beim Vergleich der beiden Schriften fiel eine signifikante Abweichung ins Auge: Während Grohmann Kandinskijs Herkunft 1924 für die Entstehung der Abstraktion als

22 E. F. 1927.

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„nicht entscheidend“23 einstufte, gab er 1930 zu bedenken, „daß Kandinsky als geborener Russe ein fremdes Element in die Entwicklung der europäischen Kunst brachte“24. Bei näherer Betrachtung war es allerdings nicht so sehr das „Russische“, auf das Grohmann abzielte, sondern eine ‚ostasiatische‘ Komponente, die er in den familiären Wurzeln des Künstlers begründet sah (Kandinskijs Vater stammte aus Ostsibirien). Wie war Grohmann zu dieser neuen Auffassung gelangt, die aus Kandinskijs Abstraktion etwas ‚Fremdes‘, etwas ‚Ostasiatisches‘ machte? Verschiedene Antwortmöglichkeiten boten sich an. Zum einen mag das Empfinden einer kulturellen Barriere in der Begegnung mit Kandinskij eine Rolle gespielt haben. Trotz der gegenseitigen Sympathien, aus denen eine langjährige Freundschaft hervorging, sprach Grohmann im Rückblick metaphorisch von einer „Glaswand“25, die oft zwischen Kandinskij und ihm gestanden habe. Zum zweiten erkannte Grohmann visuelle Parallelen zwischen der ostasiatischen Kunst und Kandinskijs Malerei; namentlich vor Kandinskijs neueren Arbeiten stellten sich bei Grohmann „Reminiscenzen an Werke japanischer Maler und Meister des Holzschnitts ein“26. Zum dritten könnte Grohmann auch durch die Beschäftigung mit dem Wiener Kunsthistoriker Josef Strzygowski, der grundlegende Beiträge zur Erforschung der orientalischen bzw. asiatischen Kunst geleistet hatte, auf die fernöstliche Spur gekommen sein. – Doch was Grohmanns Gründe konkret auch gewesen sein mögen: Am Ende war für ihn Kandinskijs Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts die Leistung eines Einzelnen. Vor diesem Hintergrund ist die Rückführung von Kandinskijs Werken auf fernöstliche Ursprünge auch in strategischer Hinsicht bemerkenswert: Denn sie ermöglichte es Grohmann, Kandinskijs Abstraktion losgelöst sowohl von der französischen Kunst als auch von den russischen Suprematisten und Konstruktivisten darzustellen. Mit Carl Einstein kam ein weiterer Protagonist der deutschen Kunstkritik ins Spiel, der anders als Grohmann die abstrakte Kunst allerdings entschieden ablehnte. Deutlich brachte er dies in seiner Kunst des 20. Jahrhunderts (11926) zum Ausdruck, wo er Kandinskijs Werk als „Stulp ins Ich“ und ein „kreisendes Selbstgespräch“ bezeichnete;27 Einstein reihte sich damit in die Schar derer ein, die der abstrakten Kunst Willkürlichkeit und Unverständlichkeit unterstellten. In einer Rezension zu Einsteins Buch bemerkte Grohmann 1931, „daß im Falle Kandinsky das Ostasiatische zu westlerisch beurteilt ist“28. An diesem Punkt offenbarte sich ein zentrales Problem: Es bestand in der Frage, ob denn bei Kandinskij eine solche Andersartigkeit vorliege, die einen anderen Maßstab erforderlich macht. Grohmann und Einstein kamen diesbezüglich offenbar zu divergierenden 23 24 25 26 27 28

Grohmann 1924b, 6. Grohmann 1930, 1. Grohmann [1964] 2012c. Grohmann 1930, 2. Einstein [1931] 1996, 252. Grohmann [1931] 1996, 862.

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Einschätzungen. Dabei kann man Einstein keineswegs eine mangelnde Sensibilität für kulturelle Alterität vorwerfen, wie etwa aus seiner Abhandlung Der frühere japanische Holzschnitt (1922) hervorgeht. Der entscheidende Unterschied zu Grohmann dürfte eher darin bestanden haben, dass Einstein bei Kandinskij nichts Ostasiatisches sah; Kandinskij war für ihn – auch als Russe – voll und ganz Europäer. Ohne das Vorhandensein nationaler Besonderheiten in der Kunst in Abrede zu stellen, maß Einstein Kandinskijs Herkunft nur eine untergeordnete Bedeutung bei. Sein Umgang mit russischer Kultur ließ eine Selbstverständlichkeit erkennen, die Grohmann fehlte. Das letzte Kapitel des vierten Teils konnte zugleich als Auftakt zum fünften Teil dieser Arbeit gelesen werden. Denn es ging hier um die nationalistischen, antimodernistischen, antikommunistischen und rassistischen Kreise, die mit ihren Verbalinjurien gegen Kandinskij und andere progressive Künstler den Boden für die Verfemung der Moderne nach 1933 bereiteten. Kandinskijs russische Herkunft wurde von ihnen instrumentalisiert, indem sie der vermeintlichen ‚Überfremdung‘ des deutschen Kunstlebens Evidenz verleihen sollte. Den Eindruck des ‚Undeutschen‘ evozierte auch der Begriff des „Kunstbolschewismus“, der bereits 1922 auf Kandinskij angewandt wurde. Die Bezeichnung diente als ein Sammelbegriff für all das, was nach Ansicht des jeweiligen Sprechers idealiter nicht zu Deutschland gehörte. Die Bedeutung des „Kunstbolschewismus“ reichte dabei weit über politische Implikationen hinaus. Überhaupt ließ sich feststellen, dass Kandinskijs Mitwirkung in der sowjetrussischen Kunstpolitik eher selten als Vorwand diente, um ihn der politischen Agitation zu bezichtigen. Vielmehr färbte der Ruf des Bauhauses als „bolschewistische“ Kaderschmiede auf Kandinskij ab, der hier elf Jahre lang wirkte. Auch mit rassistischen Anwürfen war Kandinskij schon in der Weimarer Republik konfrontiert. In Anbetracht des Rundumschlags gegen die Moderne, den diese Art der Kritik repräsentierte, spielte Kandinskijs Abstammung keine so ausschlaggebende Rolle, wie man annehmen könnte. Denn nach rassistischer Logik spricht das Werk für den Künstler; man vermeinte mithin allein vom Erscheinungsbild eines Gemäldes Rückschlüsse auf dessen Schöpfer und seine „Rasse“ ziehen zu können. Das bloße Vorhandensein einer expressionistischen oder abstrakten Bildsprache genügte bei einer solchen Gesinnung bereits, um einen Künstler und sein Schaffen als ‚minderrassig‘ oder ‚entartet‘ zu desavouieren.

Nationalsozialismus Nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers erhielten die Angriffe auf die Avantgarde eine Stoßkraft, die das Bauhaus zur Schließung zwang und Kandinskij aus Deutschland vertrieb; Ende des Jahres 1933 zog er nach Neuilly-sur-Seine bei Paris. In einem Brief aus

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dieser Zeit sprach Kandinskij von „drei Achillesfersen“, die ihn im nationalsozialistischen Deutschland verwundbar machten: „1) ich bin kein echter Germane (sogar ein ‚ehemaliger Russe‘), 2) ein ehemaliger Bauhauslehrer (was heute sonderbarerweise fast=Marxist ist), 3) ein abstrakter Künstler.“29 Das Hauptaugenmerk bei der Untersuchung der Rezeption Kandinskijs im Nationalsozialismus galt allerdings nicht dem antimodernen Diskurs – er unterschied sich inhaltlich kaum von dem der 20er-Jahre –, sondern dem öffentlichen Eintreten einiger Persönlichkeiten des kulturellen Lebens für die Kunst der Avantgarde. Die Hoffnung, ihre offizielle Anerkennung erreichen zu können, wurde durch Widersprüche innerhalb der nationalsozialistischen Kunstpolitik genährt: Während Alfred Rosenberg, Gründer des völkischen „Kampfbundes für deutsche Kultur“ (1928 bis 1934) und seit Anfang 1934 Hitlers Beauftragter für die „Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der Partei“, die Erzeugnisse der Avantgarde ein für alle Mal aus dem Gesichtsfeld des deutschen Publikums räumen wollte, unterstützte Propagandaminister Joseph Goebbels anfangs junge Nationalsozialisten, die sich für den Expressionismus als genuin ‚deutsche‘ Kunst engagierten. Es bestand so in den ersten Jahren der NS-Diktatur noch ein diskursiver Spielraum, in dem für die Moderne Stellung bezogen werden konnte. Wie eng die Grenzen dieses Spielraums de facto waren, veranschaulichten einleitend zwei Artikel, in denen sich der Stuttgarter Galerist Fritz Valentien für Oskar Schlemmer bzw. für Adolf Hölzel stark machte – für zwei Künstler also, deren Namen mit abstrakter Malerei in Verbindung standen. Dabei war zu beobachten, dass Valentien seine Argumentation dem völkischen Diskurs anglich, indem er das Deutschtum Schlemmers und Hölzels herausstellte. Dieses Vorgehen offenbarte in Bezug auf Kandinskij eine zweifache Schwäche: Zum einen schloss es eine Verteidigung solcher Künstler aus, die von vornherein nicht in das ‚nordisch-deutsche‘ Paradigma passten; es schadete ihnen sogar dadurch, dass es die völkische Idee einer ‚arteigenen‘ Kunst bestätigte. Zum Zweiten war diese Argumentation gerade im Hinblick auf abstrakte Kunst zum Scheitern verurteilt, gehörten zu deren bekanntesten Vertretern doch internationale Größen wie László Moholy-Nagy, Lisickij und – allen voran – Kandinskij. Nachdem die grundsätzliche Problematik dargelegt wurde, die sich mit der Verteidigung moderner Kunst auf Basis völkischer Werte im Nationalsozialismus verband, wurde der Umgang mit Kandinskij im promodernen Diskurs einer differenzierten Betrachtung unterzogen. Das Quellenmaterial gliederte sich dabei in drei Kategorien: die „Ausblendung“, die „Verfremdung“ und die „Integration“ Kandinskijs. Unter dem Begriff „Ausblendung“ wurde in dieser Arbeit die bewusste Ausklammerung Kandinskijs in solchen Kontexten verstanden, wo er unter normalen Umständen fraglos 29 Brief von Kandinskij an Hilla von Rebay, 1.2.1934. Zit. nach: Barnett 1995, 43.

Nationalsozialismus |

eine Rolle gespielt hätte. Dieser Aspekt wurde am Beispiel Alois Schardts beleuchtet, der in der Weimarer Republik zu den wenigen Museumsleuten gehört hatte, die sich entschieden für Kandinskij und andere abstrakte Künstler einsetzten. 1933 wurde Schardt als kommissarischer Leiter an die Berliner Nationalgalerie berufen. Hier versuchte er, eine Präsentation zu verwirklichen, die auch die letzten Zweifel am ‚deutschen‘ Charakter der neuen Kunst ausräumen würde; Kandinskij kam als Russe und abstrakter Maler für dieses Konzept nicht infrage. Allem Anschein nach war Schardt der Auffassung, dass es notwendig sei, erst den ‚deutschen‘ Expressionismus figürlicher Prägung bei den Nazis zu konsolidieren – um von da aus die Akzeptanz auch auf andere Richtungen auszuweiten. Dass es sich bei Schardts Vorgehen um einen taktischen Schritt handelte, zeigte sich nicht zuletzt darin, dass er nach dem Scheitern seines Hängungskonzepts Kandinskij wieder einblendete: So unterstrich er in seiner Monographie Franz Marc (Berlin 1936) die Bedeutung der Russen Kandinskij, Javlenskij und Marianna Verefkina für Marcs Verwendung der Farbe als „seelischen Ausdruckswert“30. Im Unterschied zur „Ausblendung“ trat Kandinskij bei der „Verfremdung“ explizit in Erscheinung – als ein Nicht-Zugehöriger jedoch, ein Fremder. Der Begriff „Verfremdung“ stand in der vorliegenden Studie für einen eindeutig negativen Sinnzusammenhang, in welchem Kandinskij mit einem positiv besetzten „Eigenen“ kontrastiert wurde. Ein in der nationalsozialistischen Westfälischen Landeszeitung erschienener Beitrag machte deutlich, wie fließend die Grenzen zwischen pro- und antimodernem Diskurs dabei waren: Bewunderte der Autor den „uralten Symbolgehalt“ der Farbe in Marcs Tierbildern aus der Zeit um 1910 bis 1912, so verurteilte er dessen weitere Entwicklung hin zur Abstraktion als einen „Irrweg“.31 Indem er hierfür den Einfluss des „russische[n] Einwanderer[s]“ Kandinskij verantwortlich machte, konnte er die Vorstellung von Marc als einem „wesenhaft deutsch[en]“ Künstler aufrechterhalten.32 Einen weitaus bedeutenderen Stellenwert für unsere Betrachtung hatte aber Max Sauerlandt, der sich schon im ausgehenden Kaiserreich für die Musealisierung moderner Kunst eingesetzt hatte. Auch nach seiner politisch motivierten Beurlaubung als Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe im April 1933 kämpfte Sauerlandt weiter für die Moderne. Im Rahmen eines Kollegs über „Deutsche Malerei und Plastik der letzten 30 Jahre“ an der Hamburgischen Universität las er im Juli 1933 über die abstrakte Kunst, die er bemerkenswerterweise im Aufstieg begriffen sah. Allerdings hatte er dabei vor allem eine „spezifisch deutsch[e]“ 33 Variante der Abstraktion im Sinn, die für ihn Karl Ballmer repräsentierte. Einen Monat später „opferte“ Sauerlandt Kandinskij bei einem zweifelhaften Rettungsversuch, den 30 Schardt 1936, 67. 31 Bleckmann 1936. 32 Ebd. 33 Sauerlandt 1935, 176.

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er auf der Mainzer Tagung des Deutschen Museumsbundes unternahm. Dort sprach er bezüglich der Rolle der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters vor dem Ersten Weltkrieg von einer „seltsamen Überfremdung durch die russische Kunst“34, auf die er Hitlers Äußerungen über den „Bolschewismus der Kunst“35 in Mein Kampf zurückführte. Offenbar vermeinte Sauerlandt, auf diese Weise die Attacken gegen die Avantgarde auf ein paar russische Künstler kanalisieren zu können. Dass sein Argument am Ende nur vorgeschoben war (und nicht seiner innersten Auffassung entsprach), legte unter anderem die Tatsache nahe, dass er Kandinskij 1930 noch zu den „wertvolle[n] künstlerische[n] Kräfte[n]“36 gezählt hatte. Unter dem Begriff „Integration“ wurden einige wenige Belegstellen angeführt, in denen Kandinskij unter dem Aspekt der Zugehörigkeit und der Nähe behandelt wurde. Den Auftakt bildete ein Vortrag, den der Kunsthistoriker Wilhelm van Kempen im März 1933 anlässlich einer Ausstellung des Jenaer Kunstvereins hielt. Kempen knüpfte darin an nationale Lesarten des Expressionismus an – Stichwort „Gotik“ –, verwies zur Illustration seiner Überlegungen aber unter anderem auf Kandinskij. Auch der junge Werner Haftmann, der nach 1945 die Rezeption der Moderne in der Bundesrepublik maßgeblich prägen sollte, hatte in den 30er-Jahren einen „integrativen“ Ansatz in Bezug auf Kandinskij entwickelt. In einem Artikel, den Haftmann 1934 in der Zeitschrift Kunst der Nation veröffentlichte, griff er Elemente jenes kulturellen Modells wieder auf, das wir im zweiten Teil bei Burger und Sydow herausgearbeitet haben. Haftmann erachtete es als eine – geographisch bedingte – „Schicksalsbestimmung“ der Deutschen, Träger einer „west-östliche[n] Synthese“ zu sein.37 Vor der Folie einer kulturellen Dominanz des ‚Westlichen‘ Ende des 19. Jahrhunderts diente ihm der Blaue Reiter als paradigmatisches Beispiel für die ‚Bewußtwerdung des Östlichen‘38 in neuerer Zeit. Haftmann fand so einen Weg, Kandinskij unter positiven Vorzeichen in eine nationale Kunstgeschichte einzuschreiben. Als eine weitere Möglichkeit wurde ein Beitrag von Paul Ferdinand Schmidt in Augenschein genommen, der ebenfalls 1934 in der Kunst der Nation erschien. Schmidt hatte wie Sauerlandt und Schardt in den 20er-Jahren zu den progressiven Museumsdirektoren in Deutschland gehört. Sein Artikel wies gleich zwei Besonderheiten auf: Nicht nur stellte Schmidt Kandinskijs Einfluss auf die deutschen Expressionisten im Umfeld des Blauen Reiters heraus; er tat dies auch, ohne wie Haftmann den außerordentlichen Stellenwert des Russen Kandinskij in einen legitimatorischen Rahmen einzubetten. – Die angeführten

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Sauerlandt [1933] 1974c, 527. Hitler 1933, 283. Brief von Sauerlandt an Friedrich Schreiber-Weigand, 27.11.1930. Zit. nach: Hüneke 1999a, 395. Haftmann 1934b, 3 f. Ebd., 3.

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Beispiele dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der „Integration“ Kandinskijs um ein Randphänomen innerhalb des promodernen Diskurses handelte. Dem antimodernen Diskurs im „Dritten Reich“ wurde in dieser Untersuchung verhältnismäßig wenig Platz eingeräumt, da er in seinem argumentativen Bestand den Invektiven der 20er-Jahre nichts wesentlich Neues hinzufügte. Dies wurde zunächst anhand des Verkaufes von Kandinskijs Improvisation 28 (1912) aus dem Besitz des Essener Folkwangmuseums 1936 dargelegt. Klaus Graf von Baudissin, der Leiter des Museums, begründete die „Verwertung“39 von Kandinskijs Gemälde damit, dass es sich um das Produkt eines „russische[n] Verstand[es]“ und um einen „Russifizierungsversuch der deutschen Kunst“ handle.40 Verbunden mit der Degradierung Kandinskijs als Russe stellte Baudissin damit den alten Vorwurf der „Überfremdung“ in den Raum. Gleichzeitig – und im Widerspruch dazu – bezeichnete er Kandinskijs Abstraktion als die Erfindung eines „Entwurzelte[n]“, eines „seiner eigenen Nation [E]ntfremdete[n]“41 und griff dabei die verbreitete Kritik an abstrakter Kunst als einer einseitig intellektuellen Spielerei – hier: des ‚wurzellosen‘ Verstandes – auf. Anders als bei Baudissin spielte Kandinskijs ausländische Herkunft bei der Präsentation seiner Arbeiten in der Femeschau Entartete Kunst 1937 in München keine ersichtliche Rolle. Man begnügte sich mit den beiden anderen „Achillesfersen“ des Künstlers: seiner abstrakten Malweise und seiner früheren Lehrtätigkeit am Bauhaus. Ihre zentrale Bedeutung für die vorliegende Arbeit erhielt die Ausstellung Entartete Kunst dadurch, dass sie – als eine staatliche Demonstration – dem Diskurs um die Moderne endgültig einen Riegel vorschob: Für die Zeit zwischen 1937 und 1945 lagen keine signifikanten Materialien für die Analyse der Rezeption Kandinskijs in Deutschland mehr vor. *** Dass Kandinskij aus Russland stammte, hatte für seine deutschen Zeitgenossen eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Den einen diente seine Herkunft als ein Schlüssel, um die Schwierigkeiten beim Verständnis seiner Bilder und Texte zu erklären. Das Befremdliche einer Kunst, die vom Gegenstand absieht, wurde von ihnen auf eine kulturelle Differenz zurückgeführt und die Abstraktion selbst, wie bei Hausenstein, als Ausdruck der „russischen Seele“ oder eines den Russen eigenen „Radikalismus“ gedeutet. Gepaart mit der Bereitschaft – oder dem Willen –, überkommene Maßstäbe infrage zu stellen, konnte daraus eine Grundlage für die Wertschätzung abstrakter Kunst entstehen. Anderen wiederum diente Kandinskijs russischer Hintergrund, um ihr ästhetisches Verdikt 39 Baudissin 1936b. 40 Baudissin 1936a. 41 Ebd.

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nationalistisch oder rassistisch zu untermauern; die Abstraktion wurde von ihnen als ‚undeutsch‘ desavouiert. Die Rolle, die Kandinskijs Herkunft jeweils spielte, scheint in hohem Maße davon abhängig gewesen zu sein, wie man gegenüber der abstrakten Kunst eingestellt war – offen oder ablehnend –, aber auch davon, wie man auf Kandinskij als Russen blickte: Sah man in ihm mehr den Europäer, wie es bei Herwarth Walden oder Carl Einstein der Fall war? Für ihr Urteil spielten Kandinskijs russische Wurzeln keine ausschlaggebende Rolle. Oder sah man in dem Russen mehr einen Anderen/Fremden, was sich mitunter in Attributen wie ausländisch, östlich, slawisch oder asiatisch artikulierte? Obwohl Kandinskijs Herkunft rezeptionsgeschichtlich eine große Relevanz besaß, wurden die Bezüge seiner Kunst zur russischen Ikone, zur russischen Volkskunst, zur russischen Religionsphilosophie, zum russischen Symbolismus oder zur russischen Avantgarde von seinen zeitgenössischen Interpreten kaum erhellt; die hierfür nötigen Kenntnisse der russischen Sprache und Kultur waren meist nicht gegeben. Dafür war die Argumentation häufig essenzialistisch geprägt: Es ging um das russische Wesen, das man in Kandinskijs Schaffen widergespiegelt sah – oder sehen wollte. Bestätigung fand diese Herangehensweise durch Kandinskij selbst, der in seinem Aufsatz „Abstrakte Kunst“ (1925) die Abstraktion mit einem „slawischen Prinzip“ in Verbindung brachte. Welche Funktion Kandinskijs Eigenschaft als Russe zugewiesen wurde, hing nicht nur von ästhetischen und kulturellen Prämissen ab, sondern auch von politischen und ideologischen Faktoren. Deutlich wurde dies insbesondere im Zusammenhang mit dem Versuch, den Expressionismus – zu dessen Hauptvertretern Kandinskij gehörte – zu germanisieren. Die russische Herkunft Kandinskijs und der Internationalismus des Blauen Reiters standen dazu nämlich in einem Widerspruch. Der Umgang mit diesem Spannungsverhältnis nahm diverse Gestalt an. Gingen die einen darüber hinweg und hoben die Dresdner Künstlervereinigung Die Brücke als Keimzelle des deutschen Expressionismus hervor (Fechter), stand Russland bei anderen Autoren für bestimmte Qualitäten, die – in Abgrenzung zur französischen Kunst – auch für den deutschen Expressionismus in Anspruch genommen wurden. Das Bild des anderen, des asiatischen Russland konnte sich im Zuge dieser Abgrenzung vom Westen mit der Idee einer deutsch-russischen Seelenverwandtschaft verbinden (Burger, Sydow, Haftmann). Entscheidend ist, dass es sich bei dem Blick nach Osten um eine Akzentsetzung handelte: Weder distanzierte man sich gänzlich von Frankreich, noch identifizierte man sich gänzlich mit Russland. Es ging vielmehr darum, die alleinige Orientierung auf die westliche Kultur zu überwinden. Aufgrund seiner zentralen Lage in Europa schrieb man Deutschland hierfür eine vermittelnde, synthetisierende Rolle zu. Neben solchen rezeptionsgeschichtlichen Strängen, die sich über weite Teile des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit nachvollziehen lassen, waren aber auch Brüche zu konstatieren. So konnte mit Blick auf die 20er-Jahre eine Relativierung Kandinskijs

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als Aushängeschild der neuen russischen Kunst beobachtet werden. Diese Tendenz dokumentierte sich zuerst in Konstantin Umanskijs Buch Neue Kunst in Rußland (1920), sodann im Kontext der Ersten Russischen Kunstausstellung 1922 in Berlin, wo Persönlichkeiten wie Malevič, Tatlin und Šterenberg in den Fokus rückten, deren Ansätze sich sichtbar von dem Kandinskijs unterschieden und ihm den Rang abgelaufen zu haben schienen. 1927 führte die Mannheimer Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa vor Augen, dass es sich bei der Abstraktion um ein internationales Phänomen handelte. Die abstrakte Kunst wurde differenzierter wahrgenommen, und das „Nationale“ – durch das sie als gesamteuropäische Erscheinung nicht mehr erklärt werden konnte –, trat in den Hintergrund. Auch wurde Kandinskij stärker als Künstlerindividuum wahrgenommen denn als Stellvertreter Russlands. Nachhaltig waren diese Brüche nur bedingt. So bewahrte sich Kandinskij seine herausragende Stellung unter den russischen Künstlern auch nach 1922: Die kunstpolitische Entwicklung in der Sowjetunion hin zu einer einseitigen Begünstigung realistischer Malerei führte dazu, dass die Deutschen kaum mehr die Gelegenheit hatten, mit Avantgardekunst aus Russland bekannt zu werden; demgegenüber sorgte Kandinskij durch seine langjährige Tätigkeit am Bauhaus, durch Ausstellungen und Veröffentlichungen weiterhin für Gesprächsstoff. – Ab 1933 bildete der Nationalsozialismus eine ideologische Folie, vor der das „Nationale“ zu einem allgegenwärtigen Interpretament wurde. Kandinskijs historische Bedeutung für die Kunstentwicklung in Deutschland wurde zu einem Hindernis, als es galt, das Deutschtum des Expressionismus gegen seine Widersacher im „Dritten Reich“ zu verteidigen. In dieser Situation wurde Kandinskij aus dem Diskurs ausgeblendet (Schardt) oder in einen expliziten Kontrast zur ‚deutschen‘ Kunst gesetzt, mithin verfremdet (Sauerlandt). Nur sehr vereinzelt fand sein Name noch unter einem positiven Vorzeichen Erwähnung (Haftmann). Die Femeschau Entartete Kunst 1937 in München schob all dem einen Riegel vor. Progressive Kritiker wie Will Grohmann wurden eingeschüchtert und schwiegen bis zum Ende der Nazi-Herrschaft über Kandinskij. Dem Künstler, der 1944 in Neuilly-sur-Seine verstarb, war es nicht mehr vergönnt, das große Comeback zu erleben, das ihm in den 50er-Jahren in der Bundesrepublik zuteilwurde. Doch dies ist eine andere Geschichte.

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Abkürzungen DKA: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Kunstarchiv IZO: Abteilung für Bildende Künste (Otdel izobrazitel’nych iskusstv) des NARKOMPROS

Mnam/Cci: Musée national d’art moderne/Centre de création industrielle, Paris NARKOMPROS: Volkskommissariat für Bildungswesen (Narodnyj komissariat po prosveščeniju) StadtA Ma-ISG, KHM: Stadtarchiv Mannheim, Institut für Stadtgeschichte, Kunsthalle Mannheim

Tafeln

Taf. 1: Vasilij Kandinskij: Skizze für „Komposition II“, 1909/10, Öl auf Leinwand, 97,5 x 131,2 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York

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| Tafeln Taf. 2: Kazimir Malevič: Ohne Titel, um 1916, Öl auf Leinwand, 53 x 53 cm, The Solomon R. Guggenheim Foundation, Peggy Guggenheim Collection, Venedig

Taf. 3: Vasilij Kandinskij: Roter Fleck II, 1921, Öl auf Leinwand, 131 x 181 cm, Städtische   Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

Tafeln |

Taf. 4: Ivan Puni: Stillleben. Rote Violine, 1919, Öl auf Leinwand, 115 x 145 cm,   Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg

Taf. 5: Vasilij Kandinskij: Naiv, 1916, Öl auf Leinwand, 51,5 x 67 cm, Regionales Kunst-  museum F. A. Kovalenko, Krasnodar

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| Tafeln Taf. 6: Umschlag des Katalogs zur JubiläumsAusstellung Kandinskijs 1926 in der Galerie Arnold in Dresden

Taf. 7: Vasilij Kandinskij: Alte Stadt II, 1902, Öl auf Leinwand, 52 x 78,5 cm, Musée national d’art moderne, Centre Pompidou, Paris

Tafeln |

Taf. 8: Vasilij Kandinskij: Murnau, Landschaft mit Turm, 1908, Öl auf Pappe, 74 x 98,5 cm,   Musée national d’art moderne, Centre Pompidou, Paris

Taf. 9: Vasilij Kandinskij: Landschaft mit Fabrikschornstein, 1910, Öl auf Leinwand,   66,2 x 82 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York

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| Tafeln

Taf. 10: Claude Monet: Getreideschober, 1890/91, Öl auf Leinwand, 65,8 x 92,3 cm, The Art Institute of Chicago

Taf. 11: Claude Monet: Getreideschober bei Tauwetter und Sonnenuntergang, 1890/91, Öl auf Lein­wand, 64,4 x 92,5 cm, The Art Institute of Chicago

Tafeln |

Taf. 12: Franz Marc: Die kleinen gelben Pferde, 1912, Öl auf Leinwand, 66 x 104 cm, Staatsgalerie Stuttgart

Taf. 13: Karl Ballmer: Figürliche Komposition, 1932, Öl auf Leinwand, 90,5 x 126 cm, Privatbesitz

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Taf. 14: Vasilij Kandinskij: Improvisation 28 (zweite Fassung), 1912, Öl auf Leinwand,   111,4 x 162,1 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York

Taf. 15: Vasilij Kandinskij: Schwarzer Fleck, 1921, Öl auf Leinwand,   138 x 120 cm, Kunsthaus Zürich

Literaturverzeichnis Beiträge, die mit einem Monogramm oder einem Kürzel gezeichnet sind, das in der vorliegenden Arbeit nicht aufgelöst werden konnte, sind alphabetisch nach der Buchstabenfolge des Monogramms bzw. Kürzels geordnet. Da bei Zeitungsausschnitten aus Archivbeständen Publikationsort und -datum häufig nicht mehr auf den Ausschnitten selbst vorhanden sind, sondern nachträglich hinzugefügt wurden, gebe ich in diesen Fällen den Aufbewahrungsort mit an. Bei Neuausgaben oder Wiederabdrucken älterer Bücher bzw. Texte wird das Jahr der Erstveröffentlichung in eckigen Klammern ergänzt; mehrere Werke eines Autors sind chronologisch nach dem Erscheinen der von mir verwendeten Ausgaben sortiert. Undatierte Internetquellen werden in den Fußnoten-Kurztiteln mit dem Jahr des Zugriffs nachgewiesen. Bei ungezeichneten Beiträgen aus Lexika wurde nur das übergeordnete Werk in das Verzeichnis aufgenommen. Unveröffentlichte Archivmaterialien wie auch schriftliche oder telefonische Auskünfte, die ich erhielt, sind in den jeweiligen Fußnoten spezifiziert und werden im Folgenden nicht noch einmal aufgeführt. Dasselbe gilt für Websites, auf die im Text nur allgemein hingewiesen wird, sowie für Datenbankeinträge und Fundstellen von Abbildungen.

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Abbildungsnachweis Taf. 1: Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Solomon R. Guggenheim Founding Col­lection Taf. 2: The Solomon R. Guggenheim Foundation, Peggy Guggenheim Collection, Venice Taf. 3: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, erworben mit Mitteln der Hypo-Bank AG München, heute UniCreditBank AG, https://www.lenbachhaus.de/ent decken/sammlung-online/detail/roter-fleck-ii-30014568 (CC BY-SA 4.0, https://creativecom mons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de) Taf. 4: © VG Bild-Kunst, Bonn 2020; © bpk/Roman Beniaminson Taf. 5: © bpk/Scala Taf. 6: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, Bibliothek Taf. 7: © bpk/CNAC-MNAM Taf. 8: © bpk/CNAC-MNAM/image Centre Pompidou, MNAM-CCI Taf. 9: Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Solomon R. Guggenheim Founding Collection, By gift Taf. 10: The Art Institute of Chicago, https://www.artic.edu/artworks/111318/stack-of-wheat (CC0 Public Domain Designation) Taf. 11: The Art Institute of Chicago, https://www.artic.edu/artworks/100191/stack-of-wheat-thawsunset (CC0 Public Domain Designation) Taf. 12: Foto: Staatsgalerie Stuttgart Taf. 13: © Karl Ballmer-Stiftung, Aarau; Foto: Sönke Ehlert Taf. 14: Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Solomon R. Guggenheim Founding Collection, By gift Taf. 15: Kunsthaus Zürich Abb. 1: Burger, Fritz: Einführung in die moderne Kunst. 24. und 25. Tsd., Berlin-Neubabelsberg 1917, VII Abb. 2: Ebd., 135 Abb. 3: Ebd., 1 Abb. 4: Ebd., 2 f. Abb. 5: Ebd., 4 f. Abb. 6: Ebd., 6 Abb. 7: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Aus: ebd., 10 Abb. 8: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Aus: Ueberwasser, Walter/Spreng, Robert: Hodler. Köpfe und Gestalten. Zürich 1947, Taf. 95 Abb. 9: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Aus: Burger, Fritz: Einführung in die moderne Kunst. 24. und 25. Tsd., Berlin-Neubabelsberg 1917, Taf. VI Abb. 10: Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Solomon R. Guggenheim Founding Collection Abb. 11: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Aus: Gray, Camilla: Die russische Avantgarde der modernen Kunst, 1863–1922. Köln 1963, Taf. 130

Abbildungsnachweis |

Abb. 12: © bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer/Willy Römer Abb. 13: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Aus: Žar’’-Ptica [Der Feuervogel] Nr. 9 (1922), Titelseite Abb. 14: Das Kunstblatt 6/11 (1922), 490 Abb. 15: Grohmann 1924b, o. S. Abb. 16: Westheim 1922b, 496 Abb. 17: Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Solomon R. Guggenheim Founding Collection, By gift Abb. 18: Steenbock, Frauke: Der kirchliche Prachteinband im frühen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Beginn der Gotik. Berlin 1965, Abb. 19 Abb. 19: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Aus: Grohmann 1958, 193 Abb. 20: Mazur-Keblowski 2000, Abb. 12 Abb. 21: Grohmann 1958, 298 Abb. 22: Blätter + Bilder Nr. 5 (November–Dezember 1959), 14 Abb. 23: Einstein/Westheim 1925, 64 f. Abb. 24: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. © VG Bild-Kunst, Bonn 2020. Aus: Wingler, Hans M.: Das Bauhaus, 1919–1933. Weimar, Dessau, Berlin. [Köln] 1962, 38 Abb. 25: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a. M. © Succession Picasso/VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Pablo Picasso: Der Student (1913/14). © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Alexander Archipenko: Statuette (1914) Abb. 26: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a. M. © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Georges Braque: Gitarre und Rumflasche (1918), Alexander Archipenko: Nackte Frau vorm Spiegel (1916), Alexander Archipenko: Der Boxkampf (1914). © Succession Picasso/ VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Pablo Picasso: Portrait de Fanny Tellier (1910) Abb. 27: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a. M. © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Marc Chagall: Über Russland (1924) Abb. 28: Kladderadatsch 84/45 (8.11.1931), [14] Abb. 29: Grohmann, Will: Kandinsky. Paris 1930, Taf. 17 Abb. 30: Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv. © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Ewald Mataré: Lauernde Katze (1928), Ewald Mataré: Junger Stier (1924), Heinrich Campendonk: Goldfisch im Glas (1927) Abb. 31: Ueberwasser, Walter/Spreng, Robert: Konrad Witz. Basel [1938], Abb. 85 Abb. 32: Stadtarchiv München, DE-1992-FS-NS-00123. © Richard-Haizmann-Stiftung, Niebüll, für Richard Haizmann: Figur (1929). © VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für Raoul Hausmann: Titelblatt Der Dada Nr. 2 (1919). © Estate of George Grosz, Princeton, N. J./VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für George Grosz: Seite aus Der Dada Nr. 3 (1920). © The Heartfield Community of Heirs/VG Bild-Kunst, Bonn 2020, für John Heartfield: Seite aus Der Dada Nr. 3 (1920) Abb. 33: Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv Abb. 34: Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv

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Personenregister Das Register enthält die Namen historischer Personen aus dem Fließtext und aus den Fußnoten, sofern ihre Erwähnung über bibliographische Angaben hinausreicht. Aufgrund seiner Häufigkeit wird der Name Vasilij Kandinskij jedoch nicht aufgeführt. Ausgenommen sind auch fiktive Charaktere sowie auf Personennamen lautende Firmen. Der leichteren Auffindbarkeit wegen wurden in einigen Fällen geläufigere Schreibweisen russischer Namen mit einem Verweis auf den wissenschaftlich transliterierten Haupteintrag verzeichnet.

A Adler, Jankel (Jankiel) 271, 295 f. af Klint, Hilma 28 Anm. 2 Alexander, Gertrud 133, 141, 148 Alpatov, Michail 47 Al’tman, Natan 118, 129 f., 132, 137, 143, 153 Anm. 189, 221 f. Andreev, Leonid 34 Annenkov, Jurij 107 f. Antokol’skij, Mark 43 Anm. 67 Appel, Paul 304 Anm. 161 Archipenko, Aleksandr 48 f., 89, 102, 104, 125, 126 Anm. 80, 141–143, 152, 182 f., 193 Anm. 155, 199, 228 Anm. 299, 237, 247, 320 Anm. 228, 345, 361, 363, 365 Archipov, Abram 131 Ažbè, Anton 301 B Baas, Fritz 189 Anm. 137 Bakst, Lev (Léon) 222 Ball, Hugo 55 Anm. 123 Ballmer, Karl 309 f., 312, 369 Baranov-Rossiné, Vladimir 131 Barlach, Ernst 268, 282 f., 285, 288, 292, 295 f., 311, 326, 337 Barr, Alfred H. 95 Anm. 113, 111 Anm. 22, 279 Anm. 63 Baudissin, Klaus Graf von 333 f., 336 f., 346, 371 Bauer, Curt 142, 145 Anm. 160, 150 f. Baum, Julius 278

Baumeister, Willi 95 Anm. 112, 183 Anm. 107, 185 Anm. 114, 192, 283 f., 292 Anm. 115, 309, 341 Bechteev, Vladimir 32 Anm. 17, 41, 308, 314 f., 349 Anm. 334 Beckmann, Max 281, 292, 321 Anm. 234 Beenken, Hermann 304 Anm. 161 Beethoven, Ludwig van 72 Behne, Adolf 128, 139, 143, 151 f., 270 Anm. 24, 298 Anm. 138 Behrens, Peter 232 Anm. 313 Belling, Rudolf 292 Anm. 115, 320 Anm. 228 Benn, Gottfried 320 Anm. 228 Benua (Benois), Aleksandr 42, 44, 131 Berl, Heinrich 259 f. Biermann, Georg 348 Bill, Max 160 Bleckmann, Henry 302–304 Blok, Aleksandr 222 Anm. 285 Bobrinskij, A. A. 110 Anm. 22 Bobrov, Vasilij 112 Anm. 25 Bode, Wilhelm von 306 Bogdanov, Aleksandr 105 Anm. 144 Boguslavskaja, Ksenija 132 Born, Wolfgang 238 Brâncuşi, Constantin 222, 320 Anm. 228 Braque, Georges 184 Anm. 113, 247, 307, 320 Anm. 228, 345 Brecht, Bertolt 294 Anm. 122 Brinckmann, Albert Erich 71, 72 Anm. 40 Buber, Martin 260 Anm. 432

Personenregister |

Buchholz, Erich 192 Anm. 152 Buddensieg, Hermann 66 Bulgakov, Sergej 172 Anm. 57 Burger, Clara 91 Anm. 100 Burger, Fritz 26, 62 f., 65–77, 79–93, 97, 101 f., 116 Anm. 36, 120, 150, 170, 172, 197, 205, 324 f., 356, 358–360, 364, 370, 372 Burljuk, David 41, 43, 48, 53, 103, 104 Anm. 142, 131, 135, 207 Anm. 213, 314 Burljuk, Vladimir 48, 53, 103 Busch, Harald 306 Anm. 171, 307 C Caesar, Gaius Iulius 308 Campendonk, Heinrich 292 Anm. 115, 329 f. Carrà, Carlo 320 Anm. 228 Čechov, Anton 34, 229 Anm. 300 Cézanne, Paul 67, 81 Anm. 57, 89, 97, 198 Anm. 179 Chagall, Marc. Siehe Šagal, Mark Chamberlain, Houston Stewart 57 Anm. 135 Chirico, Giorgio de. Siehe de Chirico, Giorgio Christiansen, Hans 232–234, 253 Clemen, Paul 68 Anm. 19 Cohen, Walter 278 Corinth, Lovis 253, 304, 329 Courthion, Pierre 208 Crodel, Charles (Carl) 279 Čuprov, Aleksandr 172 Anm. 56 D Däubler, Theodor 199 Anm. 184 de Chirico, Giorgio 320 Anm. 228 Delaunay, Robert 21 Anm. 25, 183 Anm. 107, 187 Delaunay-Terk, Sonja 126 Anm. 80, 222 Anm. 285 Denisov, Vasilij 103 Derain, André 307 Dexel, Grete 243 Dexel, Walter 67 Anm. 13, 80, 89, 321, 341 Diaghilew, Sergej. Siehe Djagilev, Sergej Diesener, Hermann 341 Anm. 302

Dix, Otto 197 Anm. 171, 228 Anm. 299, 253, 292 Djagilev, Sergej 45 Anm. 76, 48, 133 Anm. 111 Dobroljubov, Nikolaj 123 Dobužinskij, Mstislav 131 Donath, Adolph 142 Dorner, Alexander 274 f. Dostoevskij, Fedor 34, 51, 85, 93, 99, 120 Anm. 54, 122, 149, 166, 172, 200, 220 Anm. 276, 357 Dreier, Katherine 164 Anm. 29, 175 f., 182 Anm. 100 Dresler, Adolf 350 Anm. 336 Drewes, Werner 284 Dschingis Khan 212 Anm. 233 Dürr, Erich 190 f., 206 Anm. 210 E Eckstein, Hans 243 Anm. 357 Einstein, Carl 27, 51 Anm. 107, 156, 194, 199 Anm. 184, 202, 213–225, 247 Anm. 384, 251, 365–367, 372 Einstein, Maria. Siehe Ramm, Maria Ėkster, Aleksandra 132 Ėliasberg, Aleksandr 42, 43 Anm. 71, 46 Anm. 80, 110 Anm. 20 u. 22, 149 Anm. 182 Erbslöh, Adolf 29 Anm. 7, 41, 349 Erdmann-Macke, Elisabeth 59 Anm. 146 Ėrenburg, Il’ja 107, 118 Anm. 44, 222 Anm. 284 Esenin, Sergej 222 Anm. 285 Exter, Alexandra. Siehe Ėkster, Aleksandra F Fahrenkrog, Ludwig 32 Anm. 17 Fauconnier, Henri Le. Siehe Le Fauconnier, Henri Fechter, Paul 23, 25, 36–41, 49 Anm. 94, 59 Anm. 146, 60 f., 65, 82, 88, 89 Anm. 92, 91–93, 312, 313 Anm. 197, 349, 355 f., 358 f., 372 Feininger, Julia 277

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| Personenregister

Feininger, Lyonel 94, 168 Anm. 46, 192, 242, 260 f., 271 f., 277, 281–283, 288 f., 309, 321, 341 Feistel-Rohmeder, Bettina 246, 251, 257, 270 Anm. 24, 334 Fiedler, Conrad 56 Anm. 126, 66 Filippov, Aleksandr 172 Anm. 56 Filonov, Pavel 131, 135, 141 Anm. 140 Fischel, Lilli 278 Fischer, Otto 314 Anm. 203 Flaubert, Gustave 120 Anm. 54 Flechtheim, Alfred 184 Anm. 113, 210 Anm. 227, 285 Foujita, Tsuguharu. Siehe Fujita, Tsuguharu Fouquet, Jean 326 Franke 193 Anm. 154 Freytag-Loringhoven, Mathilde von 230 f., 234 Frick, Wilhelm 243 f., 246, 270 Friedlaender, Walter 68–70, 80 Fujita, Tsuguharu 196 Anm. 166 G Gabo, Naum 130, 132, 137, 140, 143, 153 Anm. 189, 182 Genin, Robert 126 Anm. 80 Glaser, Curt 104 Anm. 141, 148 Anm. 177, 206 Anm. 212 Gleizes, Albert 183 Anm. 107 Goebbels, Joseph 27, 263, 295, 324, 336, 344 Anm. 314, 345, 368 Goethe, Johann Wolfgang von 205, 310 Anm. 188, 328 Anm. 261 Gogh, Vincent van. Siehe van Gogh, Vincent Goltz, Hans 107, 109 Anm. 18 u. 20, 110 Anm. 21, 111 Anm. 22, 183 Golyšev, Efim 126 Anm. 80 Gončarov, Ivan 122 f. Gončarova, Natalija 48, 52, 102 f., 126 Anm. 80, 131 Anm. 103, 183 Anm. 106 Gontscharow, Iwan. Siehe Gončarov, Ivan Gontscharowa, Natalja. Siehe Gončarova, Natalija

Gor’kij, Maksim 34, 221 Gosebruch, Ernst 333 Anm. 274 Grabar’, Igor’ 133 Anm. 111 Gray, Camilla 126 Anm. 78 Gris, Juan 184 Anm. 113, 222, 292 Anm. 115 Grohmann, Will 17, 20 Anm. 20, 22, 27, 138, 156, 159 Anm. 12, 174–176, 191, 194–217, 219 Anm. 273, 221, 225, 235, 256 Anm. 414, 276 f., 284, 348–350, 365–367, 373 Gropius, Walter 128, 238 Anm. 340, 239, 242, 255 f., 275, 298 Anm. 138, 320 Anm. 228 Grosz, George 197 Anm. 171, 338, 341 Grote, Ludwig 279 Guenther, Johannes von 110 Anm. 20 Guggenheim, Solomon R. 164 Anm. 29, 244 Anm. 360 Günther, Hans F. K. 252 Anm. 396, 259 f. Gurlitt, Hildebrand 244 Anm. 360 Gutbier, Ludwig 174, 175 Anm. 71, 179, 204 Anm. 203 H Haftmann, Werner 27, 62, 95 Anm. 113, 274, 299 f., 324–329, 356, 370, 372 f. Haizmann, Richard 310 Anm. 186, 340 Halle, Fannina 45–47, 110 Anm. 22, 175– 179, 364 Hanfstaengl, Eberhard 291–293 Harms, Richard 239 Anm. 341 f. Hartlaub, Gustav Friedrich 180–189, 190 Anm. 143, 193 Anm. 154, 196, 199 Anm. 184, 278, 349, 365 Hausenstein, Wilhelm 23, 25, 32–37, 41, 44, 51, 55, 59 Anm. 146, 60, 65, 91 f., 95, 101, 120, 158, 170, 199 Anm. 184, 202, 251, 349, 355–358, 360, 363, 371 Hausmann, Raoul 338 Anm. 294 Heartfield, John 338 Anm. 294 Heckel, Erich 40, 100, 268, 284, 292, 295, 315 Anm. 212, 334

Personenregister |

Heemskerck, Jacoba van. Siehe van Heemskerck, Jacoba Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 88, 173 Anm. 59 u. 61 Heise, Carl Georg 311 Hentzen, Alfred 278 Anm. 59, 279 Anm. 63, 282 f., 293, 304 Anm. 158 Herder, Johann Gottfried 83 Anm. 70, 88, 90 Anm. 95 Herzog, Oswald 340 Hesse, Fritz 239 Anm. 341 Hildebrand, Adolf von 59 Anm. 145 Hitler, Adolf 27, 229 Anm. 301, 244, 262 f., 294, 311, 313 f., 317, 319 f., 336, 340 Anm. 296, 352, 367 f., 370 Hodler, Ferdinand 59 Anm. 145, 67 Anm. 12, 81 Anm. 56 f., 85, 89 Anm. 93, 198 Anm. 179 Hofer, Karl 279, 292, 320 Anm. 228 Hoitsu Sakai 212 Holbein, Hans d. J. 74, 197 Anm. 177 Hölzel, Adolf 95, 97 Anm. 125, 265 f., 267 Anm. 14, 271, 273, 276, 368 I Ibach, Rudolf 316 Itten, Johannes 95 Anm. 112 J Jakulov, Georgij 103, 132 Javlenskij (Jawlensky), Aleksej 29 Anm. 7, 32 Anm. 17, 41, 47 Anm. 85, 48 f., 85, 93, 102, 104, 126 Anm. 80, 141, 168, 197 Anm. 177, 199, 254, 277, 290 f., 308, 314 f., 321 Anm. 234, 324, 326–328, 349, 369 Jean Paul 310 Anm. 188 Jessenin, Sergej. Siehe Esenin, Sergej Juckoff-Skopau, Paul 261 Junker, Adja 126 Anm. 80 Juon, Konstantin 131 Justi, Ludwig 199 Anm. 184, 278 f., 280 Anm. 65 u. 67 f., 282, 293, 314

K Kaesbach, Walter 278 Kahnweiler, Daniel-Henry 184 Anm. 113 Kandinskaja, Nina 122 Anm. 64, 203 Anm. 200, 256 Anm. 414, 275 Kanoldt, Alexander 29 Anm. 7, 41, 94 Anm. 110, 197 Anm. 171, 253, 349 Kasack, Hermann 224 Anm. 289 Kassák, Lajos 182 Anm. 103 Kehrer, Hugo 353 Anm. 352 Kempen, Wilhelm van 320–323, 370 Kerr, Alfred 295 f. Kiepenheuer, Gustav 107 Kirchner, Ernst Ludwig 40, 100, 198, 223, 282, 292, 315 Anm. 212, 320 Anm. 228, 321 Kireevskij, Ivan 172 Klee, Paul 94, 98, 99 Anm. 131, 168 Anm. 46, 175 f., 183 Anm. 107, 185 Anm. 114, 187, 191 Anm. 149, 192 f., 198, 205, 208, 214 Anm. 246, 220, 247, 261, 271, 276, 279, 281–283, 285, 290, 293, 298, 320 Anm. 228, 321, 338, 340 f., 342 Anm. 307, 345, 350 Kleinschmit-Lengefeld, Wilhelm von 307 Anm. 172 Klemperer, Victor 262 Klimt, Gustav 81 Anm. 57 Klint, Hilma af. Siehe af Klint, Hilma Kljun (Kljunkov), Ivan 131 f., 182 Anm. 103 Klucis, Gustav (Gustavs) 132, 182 Anm. 103 Kogan, Moisej 271, 314 Anm. 203, 318, 349 Anm. 334 Kokoschka, Oskar 40, 100, 228 Anm. 299, 234, 288, 292, 320 Anm. 228, 334 Kollwitz, Käthe 246 Končalovskij, Petr 103, 131 Korin 212 Korovin, Konstantin 131 Koyetsu 212 Kroll, Bruno 353 Anm. 353 Krumbacher, Karl 42 f. Kubin, Alfred 29 Anm. 7, 301

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| Personenregister

Küchler, Kurt 30–32, 34, 41, 60 Kuhn, Alfred 137 Anm. 121, 146 Kuhr, Fritz 271 f. Küppers, Paul Erich 45, 182 Anm. 101 Küppers, Sophie 181 f., 275, 347 Anm. 326 Kusnezow, Pawel. Siehe Kuznecov, Pavel Kustodiev, Boris 131, 133, 135 Kuznecov, Pavel 103 L Landau, Paul 144 Landsberger, Fritz 223 Langbehn, Julius 226 Anm. 294, 272 Lange, Konrad 68 Anm. 19 Laotse 212 Larionov, Michail 48, 102 f., 126 Anm. 80, 131 Anm. 103, 183 Anm. 106 Laurens, Henri 183 Anm. 107 Lebedev, Vladimir 118 Le Fauconnier, Henri 307 Léger, Fernand 184 Anm. 113, 320 Anm. 228 Lehmbruck, Wilhelm 268, 285, 288, 292 Lentulov, Aristarch 131 Leutheußer, Richard 255, 256 Anm. 411 Levitan, Isaak 141 Lévy, Simon 260 Lewitan, Isaak. Siehe Levitan, Isaak Liebermann, Max 90 Anm. 96, 228 Anm. 299 Lisickij (Lissitzky), Ėl’ 93 Anm. 103, 130 Anm. 95, 132, 143, 153, 182 f., 185 Anm. 114, 189 Anm. 136, 190 f., 193, 196, 199, 220, 222 Anm. 284 f., 223, 271–275, 277, 278 Anm. 58, 341, 342 Anm. 307, 345, 365, 368 Lissitzky-Küppers, Sophie. Siehe Küppers, Sophie Luebke, Wilhelm 61 Anm. 148 Lunačarskij, Anatolij 105 Anm. 144, 106, 122 Anm. 64, 129, 136 Anm. 120, 239 Lundberg, Evgenij 222 Lutz, Friedrich A. 143 Anm. 151

M Macke, August 66, 298, 301 Anm. 148, 308 f., 314, 329 f. Majakovskij, Vladimir 124, 221, 222 Anm. 285, 223 Malevič (Malewitsch), Kazimir 48, 109, 111, 116, 118 Anm. 48, 131, 133, 137 Anm. 122, 142 f., 149 f., 152–154, 168, 182, 218 Anm. 265, 220, 222 Anm. 285, 223 Anm. 288, 273, 361, 363, 365, 373 Maljavin, Filipp 131 Anm. 100, 141 Anm. 135 Maljutin, Sergej 48 Anm. 90 Mandel, Hermann 260 Anm. 434 Manet, Édouard 90 Anm. 96 Marc, Franz 16, 26, 28, 31 Anm. 13, 40, 66 f., 69 Anm. 22, 70, 73 Anm. 42, 74, 76 Anm. 47, 77 Anm. 49, 87 f., 89 Anm. 93, 92, 94, 96–98, 155, 197 Anm. 176, 198, 214 Anm. 246, 219, 276, 283, 288–291, 295–305, 307–310, 312, 314, 316 Anm. 218, 319, 321, 324 f., 327–330, 349, 355, 360, 369 Marc, Maria 305 Anm. 162, 309 Marcks, Gerhard 279 Marées, Hans von 59 Anm. 145 Marinetti, Filippo Tommaso 313 Anm. 197 Maschkow, Ilja. Siehe Maškov, Il’ja Masereel, Frans 320 Anm. 228 Maškov, Il’ja 131 Matisse, Henri 62 Anm. 153, 92, 96 f., 168, 197 Anm. 176, 330, 360 Meduneckij, Konstantin 182 Meidner, Ludwig 260 Meier-Graefe, Julius 69 Anm. 24 Mejerchol’d, Vsevolod 221 Merežkovskij, Dmitrij 172 Anm. 57 Metzinger, Jean 341, 345 Meyer, Hannes 238 Anm. 340, 240, 271 Meyerhold, Wsewolod. Siehe Mejerchol’d, Vsevolod Mies van der Rohe, Ludwig 238 Anm. 340, 257, 268 f.

Personenregister |

Modersohn-Becker, Paula 253 Mogilevskij, Aleksandr 308, 314 f., 349 Anm. 334 Moholy-Nagy, László 21 Anm. 25, 93 Anm. 103, 182, 183 Anm. 105 u. 107, 185 Anm. 114, 189 f., 192, 220, 239, 243, 255 Anm. 410, 257, 258 Anm. 421, 271–273, 277, 278 Anm. 58, 299 Anm. 138, 311 Anm. 195, 317, 368 Moll, Oskar 97 Anm. 125, 279, 341 Möller, Ferdinand 259, 321 Anm. 234 Molzahn, Johannes 341, 345 Anm. 319 Mondrian (Mondriaan), Piet 21 Anm. 25, 183 Anm. 107, 189 Anm. 136, 220, 271, 273, 275, 311 Anm. 195, 341, 345 Monet, Claude 168, 286 f. Moyeki 212 Müller, Otto 100 Müller-Rastatt, Carl 30 Anm. 12 Munch, Edvard 41, 198 Anm. 179 Münter, Gabriele 29 Anm. 7, 64 Anm. 2 Murayama, Tomoyoshi 208 Anm. 214 Musorgskij, Modest 211 Anm. 231 Muther, Richard 42, 44, 68 Anm. 19, 69 Anm. 24 N Nass, Willi 310 Anm. 186 Nerlinger, Oskar 192 Anm. 152 Nesnakomoff-Jawlensky, Andrej. Siehe Neznakomov-Javlenskij, Andrej Neumann, Carl 68 Anm. 19 Neznakomov-Javlenskij, Andrej 126 Anm. 80 Niebelschütz, Ernst von 300, 301 Anm. 148, 302 Nierendorf, Karl 261 Nietzsche, Friedrich 35, 74, 88 Anm. 90 Nitsche, Julius 301 f. Nolde, Emil 198, 222, 253, 268, 270 Anm. 24, 281, 283 f., 288, 292, 295 f., 305 Anm. 164, 306, 308 Anm. 179, 311, 315 Anm. 212, 321, 326, 334, 337

O Olbrich, Joseph Maria 232 Anm. 313 Osborn, Max 141 f., 147, 151, 199 Anm. 184, 237, 258 f. Osthaus, Karl Ernst 316 f., 333 P Pankratov, A. S. 172 Anm. 57 Papen, Franz von 320 Paquet, Alfons 104 Anm. 144 Pauli, Gustav 189 Anm. 136, 307 Anm. 172 Pechstein, Max 37, 38 Anm. 43 u. 45, 39 f., 97 Anm. 125, 228 Anm. 299, 253, 260 f., 300 Anm. 146, 315 Anm. 212, 334, 356 Péri, László 271 Peter I. 43 Pevsner, Antoine. Siehe Pevzner, Anton Pevsner, Nikolaus 154 Pevzner, Anton (Natan) 131 Pevzner, Naum (Neemija). Siehe Gabo, Naum Pfemfert, Franz 221 Picasso, Pablo 21 Anm. 25, 89 Anm. 93, 184 Anm. 113, 189, 200 f., 212 Anm. 233, 247, 249 Anm. 386, 260, 275, 292 f., 307, 310 f., 320 Anm. 228, 345 Piper, Reinhard 57, 337 Anm. 285 Poelzig, Hans 320 Anm. 228 Poplavskij, Boris 135 Popova, Ljubov’ 132 Popp, Joseph 189 Anm. 137 Posse, Hans 154 Anm. 196 Puni, Ivan (Jean Pougny) 118, 126 Anm. 80, 131, 141, 153 Anm. 189, 222 Anm. 285, 223 Punin, Nikolaj 113 Anm. 29 R Radziwill, Franz 126 Anm. 80, 271 Ralfs, Otto 173 Anm. 62, 235, 275, 280 Anm. 68 Ramm, Maria 221 Rave, Paul Ortwin 291–294, 307 Anm. 172, 346, 347 Anm. 326

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| Personenregister

Read, Herbert 306 Anm. 169 Rebay, Hilla von 164 Anm. 29 Redon, Odilon 99 Anm. 131 Redslob, Edwin 344 Anm. 313 Reiche, Richart 314–316 Reifenberg, Benno 70 Anm. 29 Reiff, Franz 316 Anm. 217 Rembrandt van Rijn 271 f. Renner, Paul 260 f., 269 Anm. 23 Repin, Il’ja 125, 141 Reverdy, Pierre 223 Richter, Hans 341 Riegl, Alois 56, 57 Anm. 130, 60 Anm. 147 Riezler, Walter 279 Rodčenko, Aleksandr 132, 142 f., 152–154, 182, 271 Rodin, Auguste 59 Anm. 145, 89 Rodtschenko, Alexander. Siehe Rodčenko, Aleksandr Rohlfs, Christian 282, 292, 295, 326 Rosanowa, Olga. Siehe Rozanova, Ol’ga Rosenberg, Alfred 263, 368 Rozanova, Ol’ga 132, 154, 182 Anm. 103 Rüdiger, Wilhelm 271–273 Rumpelstilzchen. Siehe Stein, Adolf Rust, Bernhard 290 S Sabaneev, Leonid 207 Anm. 213 Šagal, Mark 21, 41, 45, 48 f., 102, 104, 114 Anm. 30, 125, 126 Anm. 80, 131, 135, 141–143, 150, 152, 182, 183 Anm. 106, 199, 222 Anm. 285, 249 Anm. 386, 260, 277, 331, 334, 361, 363 Sar’jan, Martiros 103, 131 Sauerlandt, Max 27, 270 f., 274, 278, 305– 314, 317–319, 369 f., 373 Schapire, Rosa 109 Schardt, Alois 27, 47 Anm. 85, 274, 276– 278, 282–294, 299 f., 304 Anm. 159, 305, 312, 319, 324, 369 f., 373 Scharff, Edwin 279, 292 Anm. 115 Schawinski, Xanti (Alexander) 271 f.

Scheffler, Karl 131 Anm. 102, 137 Anm. 121, 146, 151, 322 Anm. 239 Scheibe, Richard 279 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 173 Anm. 59 Scheper, Hinnerk 239 Scheper-Berkenkamp, Lou 271 f. Scheyer, Galka 164 Anm. 29, 168 Anm. 46 Schikowski, John 150 f. Schklowski, Viktor. Siehe Šklovskij, Viktor Schkolnik, Josif. Siehe Škol’nik, Iosif Schlemmer, Oskar 21 Anm. 25, 95 Anm. 112, 105 Anm. 144, 183 Anm. 107, 184 Anm. 113, 185 Anm. 114, 191 Anm. 149, 192, 247, 256 Anm. 414, 265 f., 273, 279, 283– 285, 292 Anm. 115, 309, 341, 345, 368 Schmarsow, August 56 Anm. 126 Schmid-Burgk, Max 316 Schmidt, Paul Ferdinand 329–332, 349, 370 Schmidt-Rottluff, Karl 40, 93 Anm. 103, 94 Anm. 110, 97 Anm. 125, 100, 228 Anm. 299, 268, 284, 295, 306, 315 Anm. 212, 320 Anm. 228 Schneider, Theo 156 Anm. 3 Scholz, Werner 326 Schönberg, Arnold 301 Schreiber, Otto Andreas 295–297 Schreiber-Weigand, Friedrich 270, 279 Schreyer, Lothar 44 Anm. 75 Schrimpf, Georg 197 Anm. 171 Schuchajew, Wassili. Siehe Šuchaev, Vasilij Schukowski, Stanislaw. Siehe Žukovskij, Stanislav Schultze-Naumburg, Paul 243–247, 249, 251 Anm. 388 u. 390, 252 f., 267 Anm. 13, 296, 336, 345 Schulz, Fritz Traugott 279 Schwitters, Kurt 192 Anm. 152, 271, 338, 340 f. Seehaus, Paul Adolf 329 f. Seewald, Richard 238 Segal, Lazar’ 126 Anm. 80, 199, 203 Anm. 200, 260

Personenregister |

Seidlitz, Woldemar von 204 Anm. 203 Semper, Gottfried 57 Anm. 130 Semrau, Max 61 Anm. 148, 68 Anm. 19 Seurat, Georges 198 Anm. 179 Severini, Gino 223 Sieghardt, August 178 Anm. 83 Simmel, Georg 223 Šklovskij, Viktor 294 Anm. 122 Škol’nik, Iosif 131 Sluckij (Slutzky), Naum 318 Somov, Konstantin 125 Spael, Wilhelm 142, 146, 148 Stahl, Fritz 142 Stählin, Karl 43 Anm. 67 Stanislavskij, Konstantin 229 Anm. 300 Stein, Adolf (Pseud. Rumpelstilzchen) 227– 231, 233 Anm. 316, 234 Steinhardt, Jakob 260 Stepanova, Varvara 131 Šterenberg, David 118, 129 f., 132, 136 f., 140, 144, 152 f., 183 Anm. 106, 363, 373 Sternelle, Kurt 306 Anm. 171 Sternheim, Carl 222 Stravinskij, Igor’ 211 Anm. 231 Strzygowski, Josef 209 f., 366 Stuck, Franz von 301 Šuchaev, Vasilij 199 Swarzenski, Georg 278 Sydow, Eckart von 26, 59 Anm. 146, 62 f., 92–101, 120, 170, 197, 324 f., 356, 358, 360, 364, 370, 372 T Tatlin, Vladimir 109, 117 f., 120, 122 Anm. 64, 132, 141 Anm. 140, 142 f., 150, 152– 154, 182 Anm. 103, 222 Anm. 285, 362, 365, 373 Tériade, E. 208 Thiemann, Hans 348 Anm. 328 Thode, Henry 65 Anm. 6, 226 Anm. 294 Tolstoj, Lev 85, 99 Triolet, Elsa 221 Troost, Paul Ludwig 337 Anm. 285

Tschechow, Anton. Siehe Čechov, Anton Tschudi, Hugo von 316 Tschuprow, Alexander. Siehe Čuprov, Aleksandr Turgenev, Ivan 122 U Udal’cova, Nadežda 131 Uhde, Fritz von 90 Anm. 96 Umanskij, Konstantin 26, 100, 104–124, 126, 129 Anm. 93, 141, 144, 361–363, 373 V Valentien, Fritz 265–269, 273 f., 276, 284 Anm. 81, 312, 368 van Gogh, Vincent 31 Anm. 13, 198 Anm. 179, 325 van Heemskerck, Jacoba 98 Vasil’eva, Marija 222 Anm. 285 Vasnecov, Viktor 131, 133 Anm. 110 Vassilieff, Marie. Siehe Vasil’eva, Marija Verefkina, Marianna 29 Anm. 7, 41, 47 Anm. 85, 48, 93, 126 Anm. 80, 199, 277, 290 f., 308, 314–316, 324, 349 Anm. 334, 369 Vereščagin, Vasilij 43 Anm. 67 Vinecký, Josef 234 Anm. 318 Vinnen, Carl 31 Anm. 13 Vjalov, Konstantin 112 Anm. 25 Volkmann, Ludwig 156 Anm. 3 Vordemberge-Gildewart, Friedrich 192 Anm. 152 Vrubel’, Michail 141 W Walden, Herwarth 21, 25, 30–32, 48–51, 64, 66, 103, 126 Anm. 80, 247 Anm. 382, 316 Anm. 217, 323, 349, 357, 372 Walden, Nell 50 f. Wang Wei 212 Wasnezow, Viktor. Siehe Vasnecov, Viktor Weber, Leopold 44 Anm. 74 Weidemann, Johannes 261

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| Personenregister

Weigert, Hans 351 Weiß, Elisabeth 301 Anm. 148 Wendt, Heinrich 47 Anm. 86 Werefkin, Marianne von. Siehe Verefkina, Marianna Wereschtschagin, Wassili. Siehe Vereščagin, Vasilij Westheim, Paul 45 Anm. 79, 65, 108 Anm. 10, 110 Anm. 20, 144–146, 149, 151, 162 Anm. 26, 222, 224 Anm. 289, 225, 283, 335 Anm. 280, 349 Wichert, Fritz 278 Wickhoff, Franz 56 Anm. 126 Wiese, Erich 278 Willrich, Wolfgang 237 f., 240, 335–337, 344, 348 Anm. 330 Winkler, Martin 47 Anm. 86 With, Karl 278 Witz, Konrad 286 Wjalow, Konstantin. Siehe Vjalov, Konstantin Woermann, Karl 103 Wölfflin, Heinrich 69, 70 Anm. 28 u. 32

Worringer, Wilhelm 25, 56–58, 59 Anm. 144–146, 60–63, 65, 76 Anm. 49, 82, 91 f., 97, 170, 322, 358, 360 Wrubel, Michail. Siehe Vrubel’, Michail Y Yunkers, Adja. Siehe Junker, Adja Z Zahn, Leopold 109 Anm. 18, 110 Anm. 20, 120, 332 Anm. 272 Zehder, Hugo 64 Anm. 1, 330 Zervos, Christian 208, 209 Anm. 219 Ziegler, Adolf 336 f., 345 Anm. 320 Zuckmayer, Carl 222 Žukovskij, Stanislav (Stanisław Żukowski) 131