Psyche bei Platon 9783525305034

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Psyche bei Platon
 9783525305034

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Neue Studien zur Philosophie Herausgegeben von Rüdiger Bubner, Konrad Cramer und Reiner Wiehl

Band 3

Peter M. Steiner

Psyche bei Platon

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Steiner, Peter M.: Psyche bei Platon / Peter M. Steiner. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1992 (Neue Studien zur Philosophie ; Bd. 3) Zugl.: München, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-525-30503-6 NE: GT

© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1992 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Herstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die umgearbeitete, teils gekürzte, teils erweiterte Fassung einer Arbeit, die unter dem gleichnamigen Titel „Psyche bei Piaton" im Sommersemester 1989 von der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Statistik der Ludwigs-MaximiliansUniversität in München als Dissertation angenommen wurde. Herrn Prof. Dr. Helmut Kuhn habe ich für die ursprüngliche Ermutigung zu dieser Beschäftigung mit Piaton zu danken. Meinem Lehrer PD Dr. Jörg Jantzen danke ich besonders für die vielen Gespräche über Problemstellung und Entwicklung meiner Arbeit. Ich danke Herrn Prof. Dr. Dieter Bremer, der die Zweitkorrektur der Arbeit übernommen hatte, für konstruktive Kritik und Hilfestellungen. Den Herren Prof. Dr. Reiner Wiehl und Prof. Dr. Konrad Cramer, aber besonders Prof. Dr. Rüdiger Bubner danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese neu erscheinende Reihe beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Den Freunden Gerhard Bachleitner, Mathilde Dehnert, Mischa von Perger, Ulrich Rütten und Andreas Zierl danke ich für Gespräche, Korrekturen und Kritik, sowie für die Durchsicht der Neufassung. Nicht zuletzt bin ich meinen Eltern und meiner Frau Christa dankbar, die mich immer geduldig unterstützt haben. Die Arbeit am Manuskript wurde im September 1990 abgeschlossen. München, im Herbst 1991

P.M.S.

V

Inhalt I. Einleitung

1

II. Die Selbsterkenntnis als Problem der Erkenntnis der Psyche

9

A. Das .Selbst' des Sokrates

11

1. Der Ansatz der Apologie 2. Das Problem der Selbsterkenntnis

12 17

B. Sophrosyne

25

1. Die zweideutige Tradition der Tugend 2. Die Auslegung des Charmides a) Das οίκεΐον im Lysis b) Selbstbezüglichkeit des Wissens und Sophrosyne im Charmides c) Zur Entdeckung der Psyche im Theaiteos

C. Zusammenfassung

III. Die Unsterblichkeit der Seele A. Phaidon 1. Die „Psyche selbst für sich" 2. Die Dynamis des Werdens 3. Die Dynamis der Anamnesis 4. Vermittlung durch Ähnlichkeit 5. Die Einwände

a) Simmias: Die Seele als Harmonie b) Widerlegung c) Kebes: Sich verschleißende Identität

25 27 . .

30 32 43

47

49 50 50 58 60 62 64

65 65 66

6. Die Widerlegung von Kebes' Einwand

67

7. Zusammenfassung

77

a) Hypothesis b) Der „letzte Beweis"

70 74

B. Symposion

78

C. Phaidros 1. Der Beweis 2. Das Gleichnis vom Seelengespann

83 86 89

D. Politeia 1. Der Beweis 2. Die „wahre Natur" der Seele

91 91 94

E. Timaios

98

VII

F. Zur Unsterblichkeit bei Aristoteles

101

1. Zur Tendenz der Vereinheitlichung und Vereinfachung . . . . 2. Unsterblichkeit im Werk des Aristoteles 3. Zur Gegenüberstellung von Piaton und Aristoteles IV. Die Seele als Grund-Metaxy

107

A. Metaxy, Exaiphnes, Atopos

108

1. Metaxy 2. Atopos 3. Exaiphnes

108 116 118

B. Der Umschlag (μεταβολή) als Vermittlung von Eins und Vielem, Idee und Einzelnem 1. Das „Dritte" im Dialog Parmenides 2. Der Katalog der Bewegungen im zehnten Buch der Nomoi 3. Der Umschlag im Parmenides

101 102 105

. .

a) Das vöv im Parmenides b) Zeit, Seele und Natur bei Aristoteles

4. Der Umschlag als „praktische Ursache" C. Die Mitte als Problem der „seelischen Gesundheit"

120 120 127 134 136 138

144

146

1. Die Seele als Teil und Ganzes

148

2. Gerechtigkeit und „seelische Gesundheit" 3. Der Vergleich zwischen dem platonischen und dem psychoanalytischen Begriff der Seele in bezug auf das Problem der Entscheidungsfreiheit

160

a) b) c) d)

Die Frage nach der Gerechtigkeit Das Problem der Analogie Das Widerspruchsprinzip . Der mittlere Seelenteil als Darstellung der vermittelnden Funktion der Seele

V. Methexis A. Das Gespräch der Seele mit sich selbst 1. Das Problem der Verbindung des Logos mit der Psyche Dialog und Dialektik 2. Psyche als „Bedingung der Möglichkeit" der Verknüpfung des Logos im Sophistes Β. Die „Weltseele" 1. Exposition 2. Konstruktion und Funktion der „Weltseele" im Timaios . . . .

148 150 151 156

171 177 177 181 185 201 201 202

VI. Psyche bei Piaton

214

Abkürzungen

218

Literaturverzeichnis

219

Stellenregister

239

VIII

I. Einleitung Psyche im Werk Piatons hat eine paradoxe Identität. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, wenn Piaton im zehnten Buch der Nomoi, seinem letzten Werk, betont, daß fast niemand Psyche in ihrem Sein und ihrer Wirklichkeit, ihren Eigenschaften und ihrer Entstehung wahrhaft erfaßt habe. 1 Die Wirkungsgeschichte der platonischen Philosophie zeigt uns eine paradoxe Situation. Es hat sich eine Auffassung herausgebildet, die die Seele bei Piaton im Kern als metaphysischen Begriff, als Seelensubstanz und unsterbliches Wesen anerkennt. Die Kritik an der Metaphysik in Neuzeit und Moderne hat gleichzeitig die unsterbliche Seele zu einer obsoleten, ja obskuren Entität werden lassen.2 Mit der ,kopernikanischen Revolution', der Wendung zur Subjektivität in der Philosophie ist jedoch weitgehend unbeachtet geblieben, daß die Voraussetzung des Subjektbegriffs als Interpretament für begriffsgeschichtliche Untersuchungen nicht nur heuristische Vorteile hat, sondern daß damit der Blick beispielsweise auf Piaton verstellt wird. Bereits mit Aristoteles setzt die Umdeutung Piatons, die Ablenkung vom Dialog als Mittel seiner Philosophie ein. Erst in der jüngeren und jüngsten Zeit wird der Form der platonischen Philosophie, dem Dialog, wieder großes Gewicht beigemessen. (Daher ist es nicht besonders erstaunlich, daß ein Streit um den „esoterischen" Piaton in der jüngeren Zeit entstanden ist; bereits um 1800 existierten ähnliche Gegenpositionen zwischen Tiedemann, Tennemann und Schleiermacher. Psyche wird zwar von den Gelehrten der „Tübinger Schule" als „Mitte des Seins" anerkannt, aber der innere Zusammenhang von Psyche und Dialogform wird aus systematischen Gründen ignoriert. 3 ) Aus diesen Gründen bedarf die Interpretation der Psyche bei Piaton einer Revision. Vgl. Lg. X 892 a. Vgl. unter vielen anderen Bucherscheinungen D. Kamper, Chr. Wulf (Hg.), Die erloschene Seele. Disziplin, Geschichte, Kunst, Mythos. Berlin 1988. 3 Vgl. H.J. Krämer, Arete bei Piaton und Aristoteles, Heidelberg 1959, 17ff.; K. Gaiser, Piatons ungeschriebene Lehre, Stuttgart 2. Aufl. 1968, S. 61 ff.; V. Hösle, Wahrheit und Geschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1984, S. 554 ff.; Th.A. Szlezák, Piaton und die Schriftlichkeit der Philosophie, Berlin, New York 1985, bes. S. 331 ff.; um 1800 vgl.: D. Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie, 2.Bd. (Sokrates bis Carneades), Marburg 1791, Nachdr. Brüssel 1969, W.G. Tennemann, Geschichte der Philosophie, Leipzig 1798-1819, F. Schleiermacher in seiner Einleitung der Ubersetzung der platonischen Dialoge, wiederabgedruckt in: K.Gaiser (Hg.), Das Piatonbild, Hildesheim 1969, 5-36. 1

1

1

Die Forschungslage läßt sich an vier früheren Arbeiten, die das Thema umfassend darstellen wollen, exemplifizieren. Vor hundert Jahren erschien die Studie von E.W. Simson, „Der Begriff der Seele bei Plato" 4 . Der Autor versucht historische und systematische Aspekte in einen Zusammenhang zu bringen. Historisch bietet Simson einen einleitenden Überblick über die „Psychologie bis auf Plato" (S. 4 ff.), deren zerstreute und teilweise gegensätzliche Lehren sämtlich von Piaton zusammengefaßt worden seien. Da Piaton nach Auffassung des Autors keine „genauen Angaben" (S. 168) über die Seele selbst gemacht habe, sei der Interpret auf ein Schlußverfahren angewiesen, das von der Prämisse einer „Grundlehre" Piatons, einer Lehre von zwei Prinzipien (vgl. S.V1, 29 ff.), ausgeht. Die Seele sei als das „Ganze" der Teile: „Idee und Materie" (S. 30) anzusehen. Diesen systematischen Gedanken führt Simson, ohne Rücksicht auf Chronologie oder möglichen inneren Zusammenhang der einzelnen Dialoge, von der Weltseele bis zur Tier- und Pflanzenseele durch. Er nimmt gewissermaßen den Timaios als Kompendium und systematische Grundlage der platonischen Aussagen zur Psyche. 5 Der Autor erkennt zwar „Selbstbewegungskraft" und Erkennen („Erkennen ist ja ein Bewegen", S. 169, vgl. 76 f.) als den „Begriff" der Seele bei Piaton. In seiner deduktiv-positivistischen Vorgehensweise ist Simson aber zu sehr bemüht, Piaton als systematischen Denker zu zeigen (vgl. S.29ff., 171 ff.), um die Komplexität der Aussagen über Psyche erkennen zu lassen. Er orientiert sich an einem Ideal „exakter" Wissenschaften, daher könne alles „vom Wesen der Seele Gesagte" nur „Gegenstand des Glaubens" sein (S. 175). Ein Grund für den fundamentalen Mangel dieser, wie überhaupt der meisten älteren Arbeiten, liegt in der Gleichgültigkeit gegenüber dem Problem der Dialogform. Denselben Mangel teilt die Arbeit von H . Barth, „Die Seele in der Philosophie Piatons" 6 . Der Autor hält ganz richtig die Seele für kein Sonderproblem der platonischen Philosophie. Seele sei eng mit der „Tatsache der Ideenlehre" verknüpft und verweise grundsätzlich auf den „Problemkreis der S u b j e k t i v i t ä t " (S.2). Das in der Philosophie der 20er Jahre in Deutschland hochgehaltene Ideal der „Voraussetzungslosigkeit" nimmt auch Barth für sich in Anspruch. Aber die Grundlage für diese Piatoninterpretation liegt in dem einflußreichen

4

E.W. Simson, Der Begriff der Seele bei Plato, Leipzig 1889. Das Vorbild für diese Darstellung ist E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 2.T., l.Abt., Leipzig 3. Aufl. 1869 (diese Angabe bei Simson - mir lag zur Überprüfung die 4. Aufl. von 1889 vor). 6 H. Barth, Die Seele in der Philosophie Piatons, Tübingen 1921. Die spätere Arbeit von Barth, Eidos und Psyche in der Lebensphilosophie Piatons, Tübingen 1932, ist in Umfang und Anspruch ein Rückschritt hinter die erste Studie. 5

2

Werk P. Natorps. 7 Barth stellt - strikt neukantianisch - eine fundamentale Korrelation zwischen Seele, dem „subjektiven Begriff des Erkennens", und Idee, der „Reinheit begrifflicher Erkenntnis", fest (vgl. S. 2 f., 49ff., 117ff., 194 mit Anm.). Die Interpretation setzt ein mit der Politela und findet in diesem Dialog die „ethische" Seite des Seelenproblems behandelt (S.7). Nach Ansicht des Autors finden sich hier zwei verschiedene Gerechtigkeitsbegriffe (abgesehen vom ersten Buch der Politeia !), die einen „positiven Begriff von Individualität" nicht zu denken erlauben (S.49). Dagegen sei mit dem Begriff der Unsterblichkeit die „Wahrheit der Seele" entdeckt (S. 51) und damit der höchste Punkt der platonischen Philosophie. Barth kann die politisch-ethische Seite nicht mit anderen Themen in den Dialogen Phaidon, Phaidros und 77maios verbinden, aber vor allem gilt ihm die Definition der Selbstbewegung als „Symptom absteigender Lehrentwicklung" im Sinne mangelnder spekulativer Kraft Piatons im Alter (S.287). Das Band zwischen Seele und Idee sei zerschnitten, die Seele materialisiert und von bloßer Beseelung nicht mehr zu unterscheiden (S. 308 f.). H. Barth trägt zwar nicht mehr wie Simson ein geschichtsphilosophisches Vorurteil in die Interpretation Piatons hinein, seiner Arbeit liegt aber unreflektiert das fragwürdige genetische Modell vom Aufstieg zur Reife und Abstieg im Alter zugrunde. Die Dissertation von A. Graeser, „Probleme der platonischen Seelenteilungslehre" 8 , kann als Zusammenfassung und Weiterführung aller früheren Arbeiten zu dem Thema der Seelenteile gelten. 9 Der Autor behandelt das Thema von Unteilbarkeit, Zwei- oder Dreigeteiltheit der Seele in einer weitgespannten Diskussion der Sekundärliteratur und richtet seinen Blick auf eine weitergehende Beurteilung der platonischen Philosophie. Graeser kommt es vor allem darauf an, aristotelischen Einfluß im Spätwerk Piatons geltend zu machen. 10 Einerseits stellt Graeser fest, daß die Lehre von den Seelenteilen nicht „formal-

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P. Natorp, Plato's Ideenlehre, 1. Aufl. 1903 - dabei muß festgehalten werden, daß die zweite, um den „metakritischen Anhang" über Logos, Psyche und Eros vermehrte Ausgabe ebenfalls erst 1921 erschienen ist. " A. Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre, München 1967. ' Dazu zählen P. Brandt, Zur Entwicklung der Platonischen Lehre von den Seelenteilen, Leipzig 1890; A. Leißner, Die platonische Lehre von den Seelenteilen nach Entwicklung, Wesen und Stellung innerhalb der platonischen Philosophie, München 1909; E. Groag, „Piatos Lehre von den Seelenteilen", 1 .Teil: WS 35 (1913) 323-352, 2.Teil: WS 37 (1915) 118-141. Nach C. Ritter sind Arbeiten zur Seelenlehre insbesondere mit dem Problem der Seelenteile befaßt; aufgrund charakteristischer Unterschiede der Aussagen in den Dialogen versuchten sie hauptsächlich, die relative Chronologie der Dialoge zu erschließen; Piaton, Bd.l, München 1910, S. 226 ff. 10 Er bezieht sich dabei v.a. auf die Arbeit von G. Müller, Studien zu den Platonischen Nomoi, München 1951.

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psychische", sondern „ethisch-metaphysische" Bedeutung habe (S.21). Andererseits meint der Autor, daß Piaton an einer genaueren Systematisierung der Binnenstruktur der Seele gar nicht viel gelegen sei (S. 16). Das wesentliche Ergebnis dieser Arbeit wird in dem Unterschied zwischen einer in sich schlüssigen metaphysischen Lehre des „mittleren" Piaton und einer empirisch-realistisch modifizierten Auffassung im Spätwerk festgehalten. Die Veränderung der philosophischen Auffassung, die sich an der Seelenlehre (bzw. der „Lehre von den Seelenteilen") nachweisen lasse, sei auf den Einfluß von Aristoteles zurückzuführen (vgl. S.69ff., 83, 108 ff.). Durch diesen Nachweis erst sei das Problem der Inkonsistenz der platonischen „Seelenteilungslehre" zufriedenstellend zu lösen. Eine neuere und gründliche Arbeit zum Thema stammt von T.M. Robinson. 11 Diese Studie versteht sich als Beitrag zu Piatons „Theory of Mind", die nach Ansicht des Autors der bis dahin bevorzugten umfangreichen Forschungsarbeit zum Thema „Theory of Knowledge" zur Seite gestellt werden soll (S.VII). Das Ergebnis ist eine weitestgehend textgetreue, zusammenfassende Darstellung aller ψυχή-Stellen in den Dialogen. Die Vorgehensweise, Dialog für Dialog vornehmend, orientiert sich an der allgemein anerkannten, relativen Chronologie der Dialoge, mit Ausnahme des Timaios, der, im Anschluß an die Datierung und Einordnung G.E.L. Owens, unmittelbar der Politela nachgeordnet wird. 12 Der Autor kritisiert jene Piatoninterpretationen, die sich nicht zutrauen, bestimmte, nach Ansicht des Autors bestehende Widersprüche im platonischen Werk zu akzeptieren, sondern diese glätten wollen und dabei erreichen, daß im Gegenzug die allgemeine Forschungslage zu Piaton äußerst verworren und widersprüchlich gerate (vgl. S.VII und 63). Piaton entwerfe keine einheitliche, in sich entwickelte Psychologie (der Begriff „psychology" wird von Robinson nirgends definiert), sondern stelle lediglich verschiedene Erklärungsmodelle für die Psyche bereit, die in bestimmten Zusammenhängen bestimmte Zwecke erfüllten. 13 Robinson berücksichtigt als einzige der zusammenfassenden Untersuchungen über Psyche die Frühdialoge, stellt dabei aber einerseits fest, daß die sokratische Forderung der „Sorge um die Seele" für die platonische Philosophie vernachlässigbar sei (S.3), andererseits, daß das Konzept von Psyche und seinem Synonym „Selbst" zweideutig sei. Den Sinn der Mehrdeutigkeiten in den Dialogen läßt Robinson bewußt 11

T.M. Robinson, Plato's Psychology, Toronto 1970. Vgl. G.E.L. Owen, „The Place of the Timaeus in Plato's Dialogues", in: R.E. Allen (Hg.), Studies in Plato's Metaphysics, London 1965, 313-338; s. dag. H. Cherniss, „The Relationship of the .Timaeus' to Plato's later Dialogues", ebd., 339-378; Überblick zu dieser Diskussion bei W.K.C. Guthrie V, 243 mit Anm.2. 13 Diese Auffassung hatte bereits P. Shorey, The Unity of Plato's Thought, 1. Aufl. 1903, Neudr. Chicago 1968. S. 42, vertreten. 12

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offen, ihm geht es darum, das Material für eine „Theory of Mind" Piatons bereitzustellen. 14 Von den hier vorgestellten Arbeiten zum Thema hat keine den weitestmöglichen Horizont, der in den platonischen Dialogen entfaltet wird, durchlaufen und zusammenzufassen versucht. Die Frage danach, welche Einsicht für das Sein der Seele aus der Hingewendetheit zu sich selbst, die in dem Konzept der „Sorge um die Seele" (έπιμελεια της ψυχής) ausgedrückt ist, folgt - und w i e die sich selbst und anderes bewegende Dynamis der Seele mit der Sorge und dem Erkennen zusammenhängt, ist bisher in dieser Form nicht gestellt worden. Piaton hat keine Einzelabhandlung „περί ψυχής" geschrieben, aber der Sachverhalt Psyche ist fast in jedem Dialog mitthematisiert. Die vorliegende Arbeit vertritt daher die Auffassung, daß Piaton keine .Psychologie' geben wollte, wenn ,Lehre von der Seele' heißt, den Gegenstand ,Seele' wissenschaftlich zu klassifizieren und einzuordnen, seelische Vorgänge und Zustände zu erkennen und zu systematisieren. Aus dem Ansatz bei der sokratischen „Sorge um die Seele" kann vielmehr Psyche in ihrer Bedeutung für den Begründungszusammenhang der platonischen Philosophie als Ethik sichtbar werden. Als richtungweisend in dieser Beziehung sind vor allem die Arbeiten von H. Kuhn anzuerkennen. 15 Es gilt darüber hinaus auf das Problem der Gegensätze bzw. auf die Spannung zwischen Gegensatz und Verschiedenheit bei Piaton aufmerksam zu machen und dies in der grundlegenden Bedeutung für die Verfaßtheit 14 Von den übrigen Arbeiten zum Thema sind zu erwähnen: J. Souilhé, De Piatonis doctrina circa animam, Rom 1932. Diese Arbeit gibt ohne zureichenden Kommentar einen Überblick über die Stellen mit Aussagen über die Seele; Y. Brès, La psychologie de Platon, 1. Aufl. 1968, Paris 2. Aufl. 1972. Im Zentrum der Interpretation von Brès steht das Konzept der Liebe in Symposion und Phaidros. Unter der unausgesprochenen Vorannahme, daß der Homosexuelle eine soziale Ächtung seiner Neigung erleiden müsse (s. dag. zur Interpretation der Bedeutung von Homosexualität im antiken Athen: K.J. Dover, Homosexualität in der Griechischen Antike, München 1983 und M. Foucault, Der Gebrauch der Lüste ( = Sexualität und Wahrheit, Bd.2), Frankfurt/M. 1986). Brès meint, mit Hilfe der psychoanalytischen Libidotheorie S. Freuds sowohl eine untergründig in Piatons Schriften wirksame Homosexualität, als auch eine Art theoretischer Psychologie als Grundlage der platonischen Philosophie aufweisen zu können. Der Autor versäumt es allerdings, seinen Interpretationsansatz kritisch zu reflektieren und zu begründen (vgl. hierzu auch die Kritik von L. Brisson, „Piaton psychanalysé", REG 86 (1973) 224-232.). Die Arbeit von A.F. Kremen, Piatons Metaphysische Psychologie, Diss. Köln 1973, klärt weder den Titel, unter dem die Untersuchung vorgenommen ist (möglicherweise stammt der Ausdruck von M. Heidegger, Nietzsche, Bd.2, Pfullingen 1961, S. 60ff.), noch den Ansatz beim letzten Werk, den Nomoi. Sie beschränkt sich darauf, die Beziehung von Seele und Idee als ein .Selbst-Wissen' der Seele zu behaupten. 15

Von H. Kuhn v.a. Sokrates, 1. Aufl. 1934, erw. Aufl. München 1959; vgl. außerdem W.K.C. Guthrie, „Plato's Views on the Nature of Soul", Entretiens sur l'ant. class., Fond. Hardt 3 (1955) 1-22; F. Solmsen, „Plato and the Concept of Soul (Psyche): Some Historical Perspectives", JHistldeas 44 (1983) 355-367; s. dag. J. Burnet, „The Socratic Doctrine of the Soul", Proc. of the Brit. Acad. 7 (1916) 235-259.

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von Psyche zu verdeutlichen. Wichtige Vorarbeiten hat hier E. H o f f mann geleistet.16 Insbesondere ist auf die Bedeutung eines „mittleren Bereichs"17 für die platonische Philosophie hinzuweisen, der eine enge Auffassung von Rationalität sprengt. Psyche bei Piaton ist als die Vermittlung von Gegensätzen, von Werden und Sein, von Idee und Körper, von Natur und Vernunft anzunehmen. Psyche läßt sich als Lösung der Teilhabeproblematik bei Piaton einsichtig machen. Die Dualismen und Gegensätze sind daher nur als vorläufige bzw. methodische zu verstehen. Psyche ist Prinzip aller Gegensätze. Sie verbindet in sich logischerkenntnistheoretische und ontologische Thematik. In der Frage nach der Psyche zeigen sich Ethik mit Politik und Religiosität mit Mathematik verknüpft. Die Entstehung der Psyche ist kosmogonischen und kosmologischen Fragen immanent. Die Darlegung ihrer Herkunft schließlich, ebenso wie die Beschreibung der „Fluchtorte" der Seelen, sind dem philosophischen Mythos überlassen. Die vorliegende Arbeit ist weniger mit dem werkgenetischen Problem der Aufeinanderfolge der platonischen Dialoge befaßt, als vielmehr mit der Entfaltung dessen, was Piaton zur Psyche sagt. Dabei versucht die Interpretation wesentlich das Problem der Dialogform zu berücksichtigen. Der Autor hält sich dabei an das Wort von H . - G . Gadamer, daß „der Weg über die Dialoge der Königsweg zum Verständnis Piatons bleibt." 18 Jeweils verschiedene Dialoge bzw. Stellen aus verschiedenen Dialogen werden vergleichend herangezogen und interpretiert. Längere Einzelinterpretationen werden gegeben von Charmides, Phaidon, Politela, Parmenides, Sophistes und Timaios. Keine dieser Einzelinterpretationen beansprucht allerdings Vollständigkeit, weder, was die Einzelheiten betrifft, noch was die in den jeweiligen Dialogen berührten Themenkreise angeht. Ein detaillierteres Eingehen auf die einzelnen Dialoge hätte notwendigerweise den gesteckten Rahmen gesprengt und die Arbeit schwer lesbar gemacht. Das Hauptaugenmerk wird naturgemäß auf jene Stellen gerichtet, die Aussagen zur Psyche enthalten. Aber bei aller am Wort orientierten Genauigkeit, auf die nicht verzichtet werden konnte, sind es bei weitem nicht immer die un-

16

Vgl. E. Hoffmann, Platon, 1. Aufl. 1950, Hamburg 2. Aufl. 1960, S.62ff.; ders., Drei Schriften zur Griechischen Philosophie, Heidelberg 1964. Wichtige Hinweise hierzu auch im Werk von H.G. Gadamer, bes. Piatos dialektische Ethik, Hamburg 2. Aufl. 1968 und Idee und Wirklichkeit in Piatos Timaios, Heidelberg 1974; entscheidende Einsichten zu diesem Thema, von dem platonischen Grundproblem der Unterscheidung des „Wie" und des „Was" (vgl. Ep. VII, 343cl) her entfaltet, bei J. Jantzen, Idee und Eigenschaft. Untersuchungen zum platonischen Begriff des Wirklichen (unveröff. Habilitationsschrift), München 1984. 17 Vgl. Phlb. 16e 1. 18 H.-G. Gadamer, „Piatons ungeschriebene Dialektik", in: ders., W. Schadewaldt (Hg.), Idee und Zahl, Heidelberg 1968, S. 13.

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mittelbaren Erwähnungen von ψυχή, die sich für das Thema als entscheidend und richtungweisend zeigen. Die Vergleiche, die zu den Auffassungen von der Seele bei anderen Denkern, vor allem Aristoteles und S. Freud, angestellt werden, sind methodisch darin begründet, daß dadurch ein Hintergrund gezeichnet werden kann, von dem sich die platonische Auffassung um so deutlicher abhebt. Diese Vergleiche verfolgen daher keine systematische Vollständigkeit. Einen Überblick über die Auffassungen von Psyche vor Piaton zu geben, wofür reichhaltiges Material und teils gründliche Vorarbeiten vorhanden sind19, ist für die hier vorgelegte Untersuchung nicht angemessen. Die Absetzungsbewegung und Kritik an der Tradition, in deren Zusammenhang Piaton auch die Bedeutung von Psyche entfaltet, ist weniger an einer wie auch immer gearteten .psychologischen' Tradition orientiert, als vielmehr an der inneren Logik und Struktur des Wesens, das zu Selbstumgang fähig und auf ihn angewiesen scheint. Die Beziehung von ,Natur' und .Vernunft' bei Piaton zeigt uns in der Betrachtung der Psyche eine Form von Rationalität, die nicht dem üblich gewordenen Bild von Piaton entspricht und auch in der philosophischen Diskussion der Gegenwart eine Rolle spielen könnte. Die Dialoge, die die Textgrundlage für die Untersuchung bilden, sind die im allgemeinen als authentisch geltenden. 20 Die relative Chronologie wird als gesichert angenommen. 21 Als Textausgabe wurde die von G. Eigler herausgegebene, zweisprachige Ausgabe mit dem Text der Sammlung G. Bude verwendet; zusätzlich, aber nur sekundär, die Ausgabe von J. Burnet. Die Seitenzählung nach Stephanus ist in diesen beiden Ausgaben identisch, die Zeilenaufteilung aber abweichend. Die Ubersetzungen des griechischen Textes sind, außer wenn ausdrücklich vermerkt, vom Autor der vorliegenden Arbeit. Diese eigenen Versionen sind oft an der Schleiermacherschen Übersetzung orientiert, wollen aber darüberhinaus eine sich eng an das griechische Original haltende wortwörtliche Übertragung liefern. Dies erschien notwendig, nicht allein, um einer möglichen Verdunkelung des Sinns durch gewisse

" Vgl. R.B. Onians, The Origins of European Thought about Body, the Soul, the World, Time, and Fate, Cambridge, 2. Aufl. 1954; D.B. Claus, Toward the Soul. An Inquiry into the Meaning of ψυχή before Plato, Yale 1981; J. Bremmer, The early Greek concept of the soul, Princeton 1983; u.a. vgl. Literaturverzeichnis. 20 Der in seiner Echtheit zweifelhafte Alkibiades I z.B. wurde bewußt weggelassen, weil eine zusätzliche Diskussion von Fragen der Werkauthentizität zu weit vom Thema weggeführt hätte. Zu diesem Dialog kann aber grundsätzlich festgestellt werden, daß er, selbst wenn sich einmal mit Sicherheit herausstellen sollte, daß er nicht von Piaton stammt, sich durchaus den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit einfügt (vgl. bes. Ale. I 130c-d). 21 Vgl. hierzu P. Friedländer I ; W.K.C. Guthrie IV und V.

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Vereinfachungen oder Anpassungen an die geläufige deutsche Sprachauffassung (etwa gegenüber der manchmal komplizierten Satzstellung im Griechischen) vorzubeugen, sondern auch und vor allem, um bestimmte wiederkehrende Worte als Termini erkennbar machen zu können oder auch einmalig vorkommende Worte in ihrem Bedeutungshorizont sichtbar zu machen (z.B. άτοπος, μεταβολή, παρακινεΐσθαι etc.). Nur durch größtmögliche Genauigkeit der Übersetzung schien es möglich, den Blick gegebenenfalls auch für eine indirekt mit Psyche verbundene Problematik zu schärfen.

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II. Die Selbsterkenntnis als Problem der Erkenntnis der Psyche Eine Studie über Psyche bei Piaton steht zunächst vor der Schwierigkeit des Einstiegs. An welcher Stelle des platonischen Werks, bei welchem Dialog ist anzusetzen? In der Forschung besteht, bei aller Verschiedenheit der Deutungen und Bewertungen, weitgehende Einigkeit darüber, daß die Frühdialoge Piatons für eine Interpretation von Psyche irrelevant sind. 1 Diese Auffassung und die ihr entsprechende Vorgehensweise, mit der Untersuchung von Psyche erst mit dem Phaidon einzusetzen, hat manches für sich. Gewisse definitorische Aussagen über Psyche finden sich erst im mittleren und späten Werk Piatons. Der Gebrauch des Ausdrucks ,Psyche' ist überhaupt, und besonders in den Frühdialogen, auf den ersten Blick alles andere als einheitlich; oft ist er schlichtweg der in sich vielfältigen Tradition entlehnt. An manchen Stellen, an denen der Ausdruck .Psyche' im Sinne einer Klärung der Gegenstandsfrage erwartet werden dürfte, erscheint er nicht. Piaton scheint in den Frühdialogen obendrein bestrebt, so getreu als möglich die sokratische Weise des Philosophierens nachzuvollziehen, also gar nicht seine eigene Sicht der Dinge bzw. über Psyche geben zu wollen. Aber in dieser Gestaltung der Dialoge, die selbst Reflexionen über das Dialogführen und die elenktische und dialektische Tätigkeit von Sokrates enthalten, sind wesentliche Erkenntnisse für das in Frage stehende Thema zu gewinnen, auch und gerade aus den Frühdialogen. Das Problem des Einstiegs erhält so eine zweite, gleichsam reflexive Seite, die der Interpretation eine Selbstvergewisserung über ihren Gang auferlegt. Mit Mühe und keineswegs unbestritten hat sich im 20. Jahrhundert die Ansicht durchsetzen und vertiefen können, daß zum Verständnis der platonischen Philosophie wesentlich das Verständnis der Form die-

1 Solches muß selbst von der Ausnahme gesagt werden. Für seine Interpretation der Frühdialoge folgt T.M. Robinson, Plato's Psychology, Toronto 1970, dem Urteil J. Burnets (S. 3 f.) in der Annahme einer Zäsur, die mit dem mittleren Dialog Phaidon gegeben sei. Mit diesem Dialog habe sich Piaton vom Lehrer Sokrates gelöst und könne erst von da an als eigenständiger Denker gelten. Das Ergebnis von Robinsons Untersuchung der „socratic dialogues" entspricht dem Gesamteindruck, den „Plato's Psychology" vermittelt: viele verschiedene Bedeutungen des Ausdrucks „Seele" kommen vor, und es kann keine Einheitlichkeit der Theorie gefunden werden.

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ser Philosophie, des Dialogs, gehört. 2 Damit tritt nun das Problem der Aktualität Piatons scharf konturiert heraus: hat doch der Dialog in seiner sokratisch-platonischen Form in der neuzeitlichen und modernen Philosophie nicht die Bedeutung erlangt, die ihm nach Ansicht seiner Befürworter zustünde. 3 Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Begründung des Seins im Denken und der Verortung des Denkens im denkenden Subjekt - seit Descartes. Damit fällt sowohl dem .Gespräch der Seele mit sich selbst', als auch dem Dialogpartner für die Wahrheitssuche systematisch eine untergeordnete Rolle zu. In Hegels Begriff der Dialektik schließlich wird der Dialog zu etwas ,nur äußerlichem', „da die Absicht des gesamten Unternehmens auf die Beseitigung der Differenz zweier Partner durch die vorab bestimmte Identifikation des einen mit dem anderen zielt." 4 Wenn Subjektivität als Prinzip der Philosophie seit Descartes den Dialog als Methode abwerten muß, Piatons Philosophie aber durch Dialog und Dialektik gekennzeichnet ist, liegt nunmehr der Schluß nahe, den infrage stehenden Sachverhalt Psyche bei Piaton nicht unter Maßgabe von Subjektivität zu untersuchen. Vielmehr muß dieser Sachverhalt mit interpretatorischer Vorsicht, der Methodik von Dialog und Dialektik angemessen, gleichsam rekonstruiert werden. Der Einstieg in das Thema muß offenbar indirekt in bezug auf den in Frage stehenden Sachverhalt, reflexiv und reflektierend zur Darstellungsweise im platonischen Werk und quer zur eigenen, von neuzeitlicher und moderner Philosophie geprägten Erwartung erfolgen.

2 Große Verdienste hat sich freilich bereits F. Schleiermacher mit seiner epochalen Ü b e r s e t z u n g der meisten D i a l o g e Piatons und seiner W ü r d i g u n g von D i a l o g und Dialektik, nicht nur in seiner „ E i n l e i t u n g " zur U b e r s e t z u n g , sondern auch seinen eigenen nachf o l g e n d e n Versuchen zu Dialektik und Hermeneutik, erworben. Als bedeutende A p o l o geten der D i a l o g f o r m erwähne ich hier nur die N a m e n von J . Stenzel, H . Kuhn, H . G . G a d a m e r , Ph. Merlan, F. Solmsen, W . K . C . Guthrie, W. Wieland und jüngst M . C . S t o k e s . Kritiker des D i a l o g s als F o r m der platonischen Philosophie sind zumeist systematische B e f ü r w o r t e r der .esoterischen' o d e r .ungeschriebenen Lehre' Piatons; d a z u informiert im Überblick J. Wippern ( H g . ) , D a s Problem der ungeschriebenen Lehre Piatons. Beiträge z u m Verständnis der platonischen Prinzipienphilosophie, D a r m s t a d t 1972 und s . o . S. 1, Anm.3. 3 G e g n e r dieser Form der Philosophie sehen s o g a r im platonischen D i a l o g selbst bzw. in der Entwicklung, die das schriftliche Werk bei Piaton g e n o m m e n hat, T e n d e n z e n zur ,Selbstauflösung'; vgl. J . Mittelstraß, „Versuch über den sokratischen D i a l o g " , in: D a s G e spräch, hg. v. K . Stierle u. R . Warning ( = Poetik und H e r m e n e u t i k X I ) , M ü n c h e n 1984, S. 11-27. 4 R . Bubner, „ D i a l o g und Dialektik o d e r Plato und H e g e l " , in: ders., Z u r Sache der Dialektik, Stuttgart 1980, S. 145. Z u m Problem der Ü b e r n a h m e des D i a l o g s aus G r ü n d e n neuzeitlicher Subjektivitätsauffassung, vgl. J . Schlaeger, „ W a r u m ist die Philosophie s o wenig dialogisch?", in: D a s Gespräch, a.a.O., S. 4 2 1 - 4 2 4 .

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Α . D A S , S E L B S T ' DES SOKRATES

Piatons Philosophie hebt an mit der problematischen und sich selbst problematisierenden Existenz des Sokrates. Sokrates bleibt in fast allen Dialogen Piatons präsent. Dabei muß zugleich hervorgehoben werden, daß Sokrates als .Figur' in den platonischen Dialogen stilisiert und vom .historischen Sokrates' zu unterscheiden ist. Wenn im folgenden vom .Selbst' des Sokrates die Rede ist, dann ist die Darstellung Piatons gemeint.5 H. Kuhn hat in dem „Nachwort zur Rechfertigung" seines Sokrates-Buches den bleibenden Ausdruck für das Problem, insbesondere für das Thema ,Psyche', gefunden: „Auch in Piatos Philosophie ist die Seele unterwegs, so wahr in ihr die Unruhe der sokratischen Frage weiterlebt - zugleich aber ist sie am Ende des Wegs, von dem aus sie auf sich selbst zurückblicken kann - auf sich selbst, die sich jetzt als seiendes Wesen entdeckt, und auf ihr Schicksal im Horizont des Seins. . . . Der reine Fragegesichtspunkt des Sokrates kann für sich nicht Theorie bilden und kann nur als ein Ausdruck der sokratischen Existenz faßlich werden. Keimzelle einer Theorie wird er erst für die der ursprünglichen Fragerichtung entgegenlaufende und sie auffangende Reflexion, die das schon vollendete Leben in der Frage, das Leben und Sterben des Sokrates, zur Voraussetzung hat." 6 Im Phaidros wehrt Sokrates eine genaue Prüfung mythologischer Figuren auf ihre Bedeutung hin ab mit der Bemerkung: „Ich vermag noch immer nicht gemäß der Delphischen Inschrift mich selbst zu erkennen; lächerlich erscheint es mir daher, solange ich darin noch unwissend bin, nach anderen Dingen Ausschau zu halten." 7 Und ironisch stellt er für die Selbstbeschreibung die Alternative, entweder dem mythischen, hundertköpfigen Ungeheuer Typhon zu gleichen oder „an einem gewissen göttlichen und nicht aufgeblasenen Teil von Natur teilzuhaben".8 Piaton läßt noch in diesem späten Dialog Sokrates sich selbst durch die vor allem die Frühdialoge kennzeichnende Betätigung der Selbsterfor5 Vgl. zu diesem Themenkomplex: H. Kuhn, Sokrates, a.a.O., S. 198 ff.; W.K.C. Guthrie III, 325 ff., 467 ff.; IV, 32 ff.; Ch. Kahn, „Did Plato write Socratic Dialogues ?", C Q 31 (1981) 3 0 5 - 3 2 0 ; F. Solmsen, „Piaton and the Concept of Soul (Psyche)·. Some Historical Perspectives", JHistldeas 44 (1983) 3 5 5 - 3 6 7 ; mit Einschränkungen G. Müller (s.u. Anm. 24); - dag.: J. Burnet, „The Socratic Doctrine of the Soul", Proc. of the Brit. Acad. 7 (1916) 235 ff.

H. Kuhn, Sokrates, a.a.O., S.203. Phdr. 2 2 9 e 5 - 2 3 0 a 1. 8 θείας τινός καί άτυφου μοίρας φύσει μετέχον, Phdr. 230 a 6. Τυφών - ατυφος ist ein wortspielerischer Gegensatz zwischen der komplexen, sich gegen die Götter erhebenden Monstrosität des mythischen Typhoeus (vgl. Hesiod, Th. (Solmsen) V, 820ff.) und dem „nicht-typhonischen", was im üblichen Wortgebrauch „bescheiden" und „nicht aufgeblasen" meint. Ein Gegensatz, der hier wie in R. 611 b - 6 1 2 a d i e Problematik der Seele zwischen Einem und Vielem, Einfachheit und Komplexität andeutet. 6

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schung charakterisieren. Drei andere Berichte Piatons, die Aussage im Phaidon (118 a) und im siebten Brief (324 e), in denen Sokrates der gerechteste Mann seiner Zeit genannt wird, sowie die Tatsache, daß Sokrates der Gesprächsführer und Mitgründer der Politela ist, stellen Sokrates das Zeugnis bester .seelischer Gesundheit' aus. Gerechtigkeit besteht nach Piaton, wie noch zu zeigen sein wird 9 , darin, der Seele nach ,gesund' zu sein. Dieser Begriff von Gesundheit begründet die platonische Philosophie als Ethik und entfaltet die Bedeutung der somatischen „Sorge um die Seele", deren Ausgangssituation mit dem Problem der Selbsterkenntnis markiert ist. Die spätere Tradition bezeichnet Sokrates als den ersten Ethiker der Geschichte der Philosophie. 10 Daran anknüpfend gilt es hier zu untersuchen, wie die Fragen nach dem ,Selbst' des Menschen, nach der Seele, nach ,Natur' und wie überhaupt die umfassende Forschung und Prüfung, als die die platonische Philosophie sich darstellt, verknüpft sind. Der folgende Teil der Arbeit wendet sich in der Hauptsache der paradigmatischen Selbsterforschung des Sokrates in den Frühdialogen zu.

1. Der Ansatz der Apologie In der „Apologie des Sokrates" entwickelt Piaton die Dynamik des sokratischen Lebens aus der Prüfung des delphischen Orakelspruches über ihn. Sokrates erhebt keinen Anspruch auf Weisheit, wie gewisse Sophisten, die sich für ihre Lehren bezahlen lassen. Wenn überhaupt, so besitze er, wie er sagt, eine „menschliche Weisheit" 11 , ein dem Menschen angemessenes Wissen, das seine Grenzen hat und diese anerkennt und einzuhalten bemüht ist. Das über ihn durch Chairephon eingeholte Orakel sagt jedoch, „niemand ist weiser" 12 - als Sokrates. Mit der Prüfung des Orakels gemäß der Weisung des delphischen Gottes - γνώθι σαυτόν - begründet Sokrates seine Berühmtheit. Die reichen, jungen Athener, die am meisten Muße haben, folgen ihm „von selbst"13. Aber auch die „Verleumdung" 14 , die über ihn entstanden ist, hat ihren Grund nach Piaton in der Unkenntnis darüber, was ,Selbst' oder ,Seele' sei. Die Betonung des eigenen Antriebs, der die .Gefolgschaft' von Sokrates auszeichnet, steht in sachlichem Gegensatz zur Anklage der „Verführung" der Jugend. Dieser Zusammenhang deutet voraus auf die durch platonische Dialektik erst sich selbst reflektierende ' S. hierzu unten Kap. III, C. Cicero, Tusc. V, 10, 12 ff. 11 άνθρωπίνη σοφία, 20 d 7; zum Abschnitt vgl. 19 d ff. 12 Ap. 21 a7. 15 αυτόματοι, 2 3 c 2 - 3 . 14 διαβολή, 21 b2, 23 a 2.

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Paideia.15 Die Begrüßung und Mahnung des delphischen Apollon, „Erkenne dich selbst", bedeutet: Erkenne, der du göttliche Weisung erhalten willst, daß du ein Mensch bist und kein Gott. „Solche Mahnung hatte Sinn, weil die Hybris als die große Versuchung anerkannt war."16 Der erste Schritt von Sokrates ist die direkte Prüfung des Orakelspruches bei sich selbst.17 Doch Sokrates ist sich nicht bewußt, weise zu sein - weise im Sinne eines göttlichen, das meint immer auch umfassenden, vollkommenen Wissens. Der zweite Schritt ist die indirekte Uberprüfung des Spruches: Sokrates prüft fragend das Wissen seiner Mitbürger und gerät dadurch in eine paradoxe Situation. Seine Gesprächspartner geben im allgemeinen die Notwendigkeit von Wissen für ein gelungenes Leben zu und erheben zugleich Anspruch darauf, derartiges Wissen zu besitzen. Sie werden widerlegt: die Rhetoren, Politiker und Handwerker zeigen sich unwissend, zumindest unreflektiert, oder nur in beschränkter Weise wissend.18 Sokrates gelangt daher zwangsläufig zur Auffassung, daß sein Bewußtsein, nichts zu wissen, sein Wissen des Nicht-Wissens jene Weisheit sei, die der Gott im Orakel ihm nachgesagt hat. Der Wert der Tugend für ein gutes Leben in politischer Gemeinschaft ist allgemein anerkannt. Anerkannt ist auch die Unverzichtbarkeit des Wissens für das Erreichen von Zielen, für das gekonnte Ausführen von Tätigkeiten. Im 5. Jahrhundert v. Chr. steht das Wort „τέχνη" für ein neues Selbstbewußtsein des Menschen, sein Leben .technisch' meistern zu können. Alte Tugenden und neues .Können' geraten in éinen Konflikt. Neu und ungewohnt ist dabei der sokratische Gedanke, Tugend und Wissen zur Deckung zu bringen.19 Auf einen Widerspruch läuft die sokratische Forderung der Identität von Tugend und Wissen hinaus: einerseits das Leben technisch' - d.h. aus und durch Wissen, selbsttätig' - meistern zu wollen und andererseits zugeben zu müssen, daß menschliches Wissen gegenüber göttlichem unvollkommen ist.20 In dieser Spannung, suchen zu müssen, aber auch suchen zu können und zu dürfen, was man nicht weiß21 bzw. worüber man nicht im Sinne eines Besitzes verfügt 22 , befindet sich das sokratische Le-

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Vgl. R. 518b ff., Ep. VII 344 a. " H. Kuhn, Das Sein und das Gute, München 1962, S. 190. 17 Ap. 21b 3 ff. 18 Ap. 2 2 d - e . 19 Vgl. hierzu M.J. O'Brien, The Socratic Paradoxes and the Greek Mind, Toronto 1967, S.53f, 57 ff.; Chr. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt/M. 1980, S. 435 ff. 20 Ap. 23 a 6-7, vgl. Prt. 328 e, Men. 85 a ff. und M.J. O'Brien, a.a.O., S.81. 21 Ap. 38a, 41b; vgl. Men. 8 0 d f f . und 86c. 11 Zum Problem von Besitz und Nicht-Besitz bzgl. seelischer Vermögen s. Hp. min.

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ben. Diese Spannung macht Sokrates zum Jäger nach Weisheit und gerade dieses Forschen, das ihn den Athenern auf den Tod verhaßt macht, versteht Sokrates als eine Art Gottesdienst. 23 Sokrates ist aber weder Sprecher des Orakels noch dessen Ausleger, sondern sein Dienst am Gott wird von ihm näher gekennzeichnet als „sich um die Seele sorgen".24 Mit der Sorge um die Seele ist ein reflexiver Sachverhalt ausgedrückt: eine seelische Tätigkeit, das Sich-Sorgen, Kümmern um etwas im besten Sinne 25 - wird auf die Seele selbst angewendet. Modern gesprochen drückt sich damit eine bestimmte Weise des ,Selbstverhältnisses' des Menschen aus. Allerdings eine Art Selbstverhältnis, das geradezu im Gegensatz zur bloßen Selbsterhaltung steht26. Der Gegenentwurf zum Sokratischen Leben, entweder in Athen das Fragen, d. h. den ,berüchtigten' Lebenswandel, zu lassen oder in die Verbannung zu gehen, um dort das Leben in ,Ruhe' zu beschließen: beides wäre gleichbedeutend damit, diesem Leben sein Ziel zu nehmen. Auf sein Ziel zu verzichten wird aber von Sokrates φιλοψυχία 27 , das „übermäßige Hängen am Leben", genannt. Konsequenterweise ist der Tod, denn es steht

und den K o m m e n t a r von J. Jantzen in seiner Ausgabe: Piaton, Hippias minor oder D e r Falsche Wahre, Weinheim 1989, S . 3 6 f . " Ap. 29 d, vgl. 23 b. 24 έ π ι μ ε λ ε ΐ σ θ α ι . . . της ψυχής: Αρ. 30 b 1-2, 29 e 1-2, 37 e f. Vgl. zum Folgenden v. a. H . Kuhn, Sokrates, a.a.O., S. 119ff. O b w o h l im „Gottesdienst" eine grundsätzliche Affirmation anerkannt ist und dieser als eine „Umdeutung" der Tradition verstanden werden muß, soweit gehe ich mit G. Müller ("Das sokratische Wissen des Nichtwissens", in: D o rema. Festschrift H . Diehle, Athen 1975, S. 149) k o n f o r m , läßt sich aus der „Sorge um die Seele" nicht ableiten, d a ß Sokrates sich „grundsätzlich gegen den innerweltlichen W a h n f ü r die gottgewollte Philosophie und damit f ü r die G u t h e i t (arete) der Seele entschieden" (ebd., vgl. S. 151; H e r v o r h e b u n g P.M.S.) habe. In der vorliegenden Arbeit soll der Auffassung einer Lehre von der ,Geistnatur' des Menschen bei Piaton (vgl. Müllers Verweise auf Hegel, 154, 161) widersprochen werden. 25

D. h. das griechische W o r t έπιμελεΐσθαι muß ohne den in dem deutschen „sich Sorgen machen" liegenden negativen Nebensinn der Bedrücktheit oder des mürrischen Wesens verstanden werden; vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 21. unveränd. Aufl. 1975, S.717. 26 Vgl. die Bestimmung der Philosophie als μελέτη θ α ν ά τ ο υ im Phaidon 81 a (61b ff.). Dieses Argument war zu Sokrates' Verteidigung vor Gericht vorzubringen unmöglich, daher kann als eigentliche „Gerichtsverhandlung" der Phaidon gelten (vgl. Phd. 63 b ff. und 6 9 d - e ) , s.u. nächstes Kap.: „Die Unsterblichkeit der Psyche". Zum Problem der Selbsterhaltung in der modernen Philosophie vgl. H . Ebeling (Hg.), Subjektivität und Selbsterhaltung, F r a n k f u r t / M . 1976. Selbsterhaltung wird insbesondere von D. Henrich (ebd., S. 303 ff. „Die G r u n d s t r u k t u r der modernen Philosophie" und in „Uber Selbstbewußtsein und Selbsterhaltung", in: ders., Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982, S. 83 ff.) als grundsätzliches Strukturmoment der modernen Philosophie angenommen. 27 Ap. 37 c 7, vgl. Grg. 5 1 2 d - e . D e r Ausdruck φιλοψυχία, der auch im Sinne von „Feigheit" gebraucht wird, wird bei Piaton nirgends positiv verwendet. Im Gegensatz zur Philosophie ist die .Philopsychie' auf etwas Zweideutiges, per definitionem Unvollkommenes gerichtet.

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durchaus nicht fest, daß er ein Übel ist28, die annehmbare ,Strafe' für Sokrates. Der Tod ist eine Chance, seine Übereinstimmung mit sich selbst - die durch einen göttlichen Impuls angestoßene, durch eigene Erfahrung überprüfte und unwiderlegte Überzeugung - zu bewahren 29 . Das Selbstverhältnis der Sorge um die Seele ist nämlich auf ein Ziel gerichtet: das „Gut-Leben" (εδ ζην)30. Platon zieht, seiner Darstellung der beispielhaften Sokratischen Haltung zufolge, einen Trennstrich zwischen Leben-schlechthin und Gut-Leben. Was folgt daraus allgemein für das ,Selbst' des Menschen? Weist Piaton darauf hin, daß Sokrates das Bewußtsein einer gänzlich unabhängigen Identität 31 gehabt habe und insofern genaugenommen n i c h t als Beispiel gelten könne, oder liegt in der Selbstbeschreibung des Sokrates logisch gesehen nichts als die Vermeidung des Selbstwiderspruchs, wobei das ,Beispiel' auf bloße Formalität reduziert werden würde 32 ? Sind Identität des ,Selbst' und die Vermeidung des Selbstwiderspruchs in der Rede dasselbe? Wie verhalten sich ,Selbst' und ,Leben' zueinander? Die Apologie - und dies erscheint wiederum widersprüchlich - muß zwar als eine Rechtfertigung gelten, kann aber nicht ernsthaft als eine Verteidigungsrede angesehen werden. 33 Sokrates selbst gibt zwei wichtige Hinweise: a) Die Verurteilung war gewissermaßen mit der Anklage schon beschlossen. Die Anklage und der Prozeß waren lediglich Formalitäten vor dem Hintergrund einer schon lange währenden Verleumdung 34 und Vorverurteilung von Sokrates. 35 b) Für eine erfolgversprechende Verteidigung waren die Bedingungen nicht gegeben. Und zwar primär nicht deswegen, weil Sokrates sich der üblichen Angeklagtenrolle verweigert hat, 36 sondern weil die Gesetze Athens eine der Schwere der Anschuldigung und Härte der Strafe 28

Vgl. Ap. 37b, 3 8 c f f . " Vgl. Euthd. 303d, Grg. 4 7 4 c f f , R. 336bff.: Selbstbehauptung kann nicht Prinzip des Dialogs sein. 30 Ap. 28b, vgl. Cri. 48b; La. 195c; Grg. 504e, 512aff.; R. 445a. 31 Stellvertretend für viele Interpreten, die dieser Auffassung sind, seien hier Ch. P. Segal, „Gorgias and the Psychology of the Logos", Harvard Studies in Class. Philol. 66 (1962) S. 119, und E.G. Ballard, Socratic Ignorance, Den Haag 1965, S. 38, genannt. 32 Αρ. 17 c, 33 a; Cri. 46 b; Phd. 100 b u.ö.; zur Interpretation vgl. O. Marquard, „Identität, Autobiographie, Verantwortung", in: O. Marquard und K. Stierle (Hg.), Identität ( = Poet. u. Hermen. Bd. VIII), München 1979, S.691. 33 Vgl. Ap. 3 0 d 6 - e 2 . 34 18 äff. Vgl. Men. 90 a ff., 94 e; daß gegen Verleumdung nichts auszurichten ist, galt schon traditionell: Hesiod, Op. (Solmsen) 761 ff., w o das Gerücht mit einem Gott verglichen wird. 35 Die Anklage beruht nach R.D. Allen, Socrates and Legal Obligation, Minneapolis 1980, S. 21, auf einem simplen Syllogismus: 1) Gottlosigkeit ist für die Polis gefährlich 2) Sokrates ist gefährlich - also 3) Sokrates ist gottlos. 36 S. z.B. Ap. 34c.

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unangemessene Prozeßpraxis vorschreiben: das Verfahren dauert nur einen Tag. 37 Daraus folgt, daß in dem Prozeß gegen Sokrates ein .Phantom' angeklagt war 38 : Sokrates verteidigt sich nicht, er rechtfertigt sich, indem er die Vorstellungen seiner Ankläger und Richter auf ihren Grund hin prüft und widerlegt. Aber um seine Ankläger und Richter zur Einsicht und Annahme ihres Irrtums zu bringen, bedarf es mehr als nur des Nachweises der Haltlosigkeit der vorgebrachten Anschuldigungen. Auf dieses ,Mehr' weist Sokrates mit der Klage, daß im Vergleich zur Besorgung materieller Güter die Sorge um die Seele vernachlässigt werde. Erst unter Voraussetzung der Selbsterkenntnis und des Wissen-Wollens kann die sokratische Kritik angenommen und umgesetzt werden. Eine Voraussetzung, die erst die Gesprächspartner im Phaidon bis zu einem gewissen Grad erfüllen. In der Forschung über die Geschichte der Biographie und Autobiographie gilt die Apologie als Ursprung dieser literarischen Gattung 39 , dabei wird auf den Zusammenhang von Identität und Rechtfertigung verwiesen. Das neuzeitliche Identitätsproblem liegt in der Beziehung auf andere, d.h. Personen, Subjekte der Geschichte und der Gegenwart. Das antike Problem der Identität legt die Betonung auf das unvergängliche Sein des Selben im Gegensatz zum vergänglichen Werden. Was aber kann das ,semper idem'40 bedeuten, wenn diese selbe Tätigkeit, auf die Sokrates verweist und die sein .Selbst' ausmachen soll, in sich widersprüchlich verfasst ist - wie oben nachgewiesen wurde - und zudem nicht die Apologie, sondern weit eher der Phaidon als die eigentliche Verteidigungsrede des Sokrates gelten müßte? Aus der Verteidigungsrede des Sokrates in der platonischen Fassung kann platonisches Philosophieren bei weitem nicht erfaßt werden. Der kurze Dialog gibt aber wesentliche Bestimmungsstücke für die Interpretation der Erkenntnis des ,Selbst' und der Seele an die Hand; das wird im folgenden deutlich werden.

" Vgl. 37a-b. " Dieses Ergebnis der vorliegenden Untersuchung steht im klaren Widerspruch zu der ζ. B. in Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Werkausg. Bd. 18, Frankfurt/M. 1971, S.497 u.ö.) behaupteten Rechtmäßigkeit der Verurteilung des Sokrates, an der das Fortschrittsprinzip der Geschichtsphilosophie gewaltsam exemplifiziert wird. J ' Vgl. G. Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd.l, Bern 3. Aufl. 1949/50; A. Dihle, Studien zur griechischen Biographie, Göttingen 1956; M. Fuhrmann, H. Lübbe u. O. Marquard, in: O. Marquard, K. Stierle (Hg.), Identität, a.a.O., S. 655 ff. u. 68 5 ff. 40 O. Marquard, a.a.O., S.691 m. Anm. 1.

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2. Das Problem der Selbsterkenntnis Selbsterkenntnis als mühevoller, aber notwendiger Vorgang und Einstieg in das Philosophieren, dem sich Sokrates gewidmet hat und wie Piaton es in seinen Dialogen zeigt, war und ist nicht selbstverständlich und allgemein anerkannt. Vielmehr ist das Gegenteil üblich. Von Demokrit ist der Satz überliefert: „Mensch ist, was alle kennen". 41 Auch die Stelle in Xenophons Memorabilien, an der Sokrates Euthydemos danach fragt, wie dieser die delphische Weisung des „Erkenne dich selbst" aufgenommen und ob er sich dementsprechend selbst erforscht habe, beleuchtet den Sachverhalt. Sokrates erhält nämlich zur Antwort: „Beim Zeus, keineswegs ...; ich glaubte nämlich durchaus das zu wissen; ich könnte wohl schwerlich etwas anderes wissen, wenn ich mich selbst nicht kennen würde." 42 Sokrates stößt mit seiner Forderung nach Selbsterkenntnis auf massiven Widerstand. Der Grund dieses Widerstands ist ein Erziehungsproblem: seine Mitbürger haben nicht gelernt, sich in der richtigen Weise um sich selbst zu kümmern. 43 Zwar folgen ihm, um ihm zuzuhören und sich mit ihm zu bereden, die jungen Leute der athenischen leisure-class und sie folgen ihm „von selbst" (αυτόματοι), aber gerade hieraus folgt paradoxerweise die Anklage, er verderbe die Jugend. Wie läßt sich also der Widerstand gegen Selbsterkenntnis von Sokrates' Anklägern her verstehen? Was kann als Grund für ein falsches Selbstverhältnis, d. h. hier, ein Verfehlen der Sorge um die Seele, aufgezeigt werden? Meietos in der Apologie und Anytos im Menon formulieren ihre Auffassung von Polis-Erziehung so: Jeder gute Bürger kann jeden anderen tauglich machen für ein gutes Leben in der Polis, wenn einer nur folgen will und so sei es immer gewesen. 44 Zunächst, und das liegt auf der Hand, ist dieses Rezept nichts anderes als Selbstbestätigung und Bestätigung bestehender Verhältnisse. Es antwortet nicht auf ein Problem - mit der Erziehung z.B., wie es schon Gegenstand der Komödien des Aristophanes war 45 -, es negiert das Problem. Unter der Hand aber bekommt der,Zögling' gewissermaßen die Begründungslast: ,wenn einer nur folgen will'. Die Frage ,wodurch', ,auf Grund wessen' und ,wozu' einer folgen kann und mag, wird nicht gestellt. Es ist ein Angebot ohne Alternative, so zu werden wie man selbst und - hier besteht nach der Selbsteinschätzung von Meietos und Anytos kein Unterschied - wie die herrschende Mehrheit ist. Es widerfährt Meietos und Anytos kein Unrecht, wenn deren Erziehungsvorstellungen, die in 41 42 43 44 45

DK 68 Β 165. Xenophon, Mem. (Marchant) IV, 2, 24. Vgl. W. Jaeger, Paideia, Bd. 2, Berlin 1944, S. 95 ff. Vgl. Ap. 2 4 e - 2 5 a , Men. 92 e. S. v. a. die Wolken, aber auch die Frösche.

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einem gegeneinander Vergleichen und aneinander Messen bestehen, unreflektiert auf einem Prinzip der Nachahmung basierend gedacht werden. Dem .Prinzip Nachahmung' als Forderung der Gesellschaft entspricht auf Seiten des einzelnen in erster Linie die A n p a s s u n g s f ä higkeit. 4 6 Dagegen tritt das Angebot der herumreisenden Sophisten als echte Alternative auf: sie behaupten besser und tauglicher machen zu können als alle anderen - und zwar nicht aus der Tradition und quasi ,νοη selbst', sondern durch bewußtes Training und durch Unterweisung, wenn der Unterricht nur bezahlt wird. 47 Die Sophisten beanspruchen mehr als bloß Redner oder Redelehrer zu sein. Sie wollen die „Wohlberatenheit" (ευβουλία) in privaten und öffentlichen Angelegenheiten lehren und damit umfassende Lebenshilfe leisten, eine Art auf Bildung beruhender Lebenskunst zur praktischen Lebensbewältigung vermitteln. 48 Es ist ein Gefühl der Besonderheit, der Auserwähltheit, das vermittelt wird: der Mensch - und zwar jeder Einzelne - ist das Maß aller Dinge. 49 Sokrates beklage sich daher, das wirft ihm der Sophist Protagoras im gleichnamigen Dialog vor, als ein „Verwöhnter" darüber, daß er die Tugend nicht erkenne. 50 Denn: „alle sind Lehrer der Tugend, so viel einer nur vermag". 51 Unterschiede zwischen den Menschen bestünden von Natur, denn es gibt eben Söhne, denen die „besten Anlagen" zuteil geworden sind.52 Dennoch macht nach Protagoras die Erziehung alle besser, insbesondere wenn sie durch manche geschieht, die hierin besser sind** als andere. Piaton legt hier Protagoras Worte in den Mund, die auf eine mangelnde logische Unterscheidung zwischen ,Sein', ,Geworden-Sein' und dem transitorischen .Werden' zurückzuführen sind. Gerade eine Einsicht in diese Unterschiede, die nicht bloß formal verstanden werden dürfen, muß die philosophische Erziehung nach Piaton als " Die Tugenden der Vorsicht, ευλάβεια, und v. a. der Frömmigkeit, ευσέβεια, wie sie Euthyphron im gleichnamigen Dialog vertritt, entsprechen dieser Forderung. Aber auch die politisch-rechtliche Praxis der Hybris-Anklage und des Ostrakismos, dem viele herausragende Athener zum Opfer fielen, zeugen davon. Zur γραφή ύβρεως: Κ. Latte, „Beiträge zum griechischen Strafrecht", in: E. Berneker (Hg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, Darmstadt 1968, S. 301 ff. Zum όστρακισμός: C. Hignett, A History of the Athenian Constitution, Oxford 1952, S. 139, 159ff. 47 Z.B. Prt. 320c-330b. 48 Vgl. H.-J. Newiger, „Gorgias von Leontini und die Philosophie von Sokrates", Würzburger Jb. f. Altertumswiss., Ν.F. 5 (1979) 47-60. 49 Vgl. W.Jaeger, Paideia, Bd.2, Berlin 1944, S.83. Zur Widerlegung dieses Satzes vgl. Tht. 170 e ff. 50 Prt. 319 d ff., vgl. Men. 70 c ff. 51 πάντες διδάσκαλοι εισιν άρετης, καθ' δσον δύνανται έκαστος, Prt. 327 e 1-2, vgl. 322 d. " ύός ευφυέστατος γενόμενος, 327 b 9. 53 είναι, 328 b 2; hier wird im Gegensatz zu 327 b 9 ein „geworden von Natur" vermieden!

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Vermögen des Einzelnen voraussetzen. Protagoras kann demnach sein eigenes Besser-Sein gegenüber seinem Begriff des ,νοη Natur geworden Seins' nicht rechtfertigen, womit in der Konsequenz sein Begriff von Erziehung hinfällig wird. ,Besser' werden konnten die Zöglinge der Sophisten vor allem darin, daß sie, befreit von irgendwelchen .störenden Einflüssen' von Selbstzweifeln oder Sich-Messen an der Sache, sich als diejenigen geben durften und sollten, die sie jeweils waren. 54 Das ist eine Art von Affirmation, die die meisten - insbesondere derjenige, der auf der Suche ist, aber darin unsicher ist, wonach er sucht - unmittelbar zu akzeptieren bereit sind.55 Der Erfolg der Sophisten ist darüber hinaus auf die schnelle Ubertragbarkeit, die scheinbar mühelose Nachahmungsmöglichkeit ihrer Künste zurückzuführen: „wie schnell er ohne Vorbereitung in der Lage war, euch nachzuahmen" - bemerkt Sokrates im Euthydemos (303 e) von Ktesippos und will sich an diesem „Spiel"56 nicht mehr beteiligen und lieber widerlegt werden als widerlegen. Ohnehin ist ein Widersprechen, d.h. sowohl ein Negieren, als auch ein Dagegenargumentieren, „unmöglich". 57 Die sophistische Kunst des Widerspruchs ist einfach und verblüffend, darauf beruht ihr psychologischer und eristischer Erfolg. Aber ihre Wirkung geht insbesondere auf die Abtrennung des Ausgesagten - in inhaltlicher Hinsicht - von sich selbst zurück und auf ein Frageverbot. 58 Mit anderen Worten: die sophistische Kunst beruht nach Darstellung Piatons auf bloßer F o r m a l i s i e r u n g . 5 9 Sowohl die Politiker, die die Erhaltung des status quo bevorzugen, wie auch die Sophisten, die den Gedanken des „Fortschritts" erstmals mit „Politik" (πολιτική τέχνη) verbinden 60 , verdanken ihre jeweiligen 54 Diese Förderung von Selbstzufriedenheit beruhte aber ohne Zweifel auf dem .Vermögen': nämlich die Sophisten b e z a h l e n zu können. 55 Vgl. die Wirkung der ,Konditorenrede' Grg. 464 b ff. 56 Euthd. 277 e ff.: kein Lernen, sondern nur Spiel; vgl. dag. den Ernst im Men. 80 d ff. " Vgl. Euthd. 286b-c; Cra. 429dff.; Men. 80e; Sph. 251c; dazu H.D. Rankin, „ouk estin antilegein", in: G.B. Kerferd (Ed.), The Sophists and their legacy, Wiesbaden 1981, S.25-37. se Vgl. Euthd. 295 b und e. Euthydemos stellt auf die Gegenfrage des Sokrates, ob er wohl die S e e l e meine, wenn er nach dem .Womit' des Wissens fragt, das Verbot der Gegenfrage auf. s ' Vgl. hierzu die Rezension M. Bochenskis „Formaler Logik" von W. Wieland, „Zur Problemgeschichte der Formalen Logik", PhRsch 6 (1958), bes. S. 82 ff. Zum Verhältnis zwischen Piaton und Sophistik s. R. Pflaumer, Wissen und Wahrheit. Zur Auseinandersetzung Piatons mit dem vorsokratischen Denken, Masch.-Diss. Heidelberg 1956. Im letzten Teil der vorliegenden Arbeit wird insbesondere das Problem der ,Formalisierung' noch einmal aufgenommen werden. Zum philosophischen Problem allgemein: H. Deku, „Formalisierungen", in: ders., Wahrheit und Unwahrheit der Tradition, hg. von W. Beierwaltes, St. Ottilien 1986, S. 407-424. 60 Z.B. Hp. ma., 281 dff. Vgl. Chr. Meier, a.a.O.; Th. Buchheim, Die Sophistik als Avantgarde normalen Lebens, Hamburg 1986.

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Erfolge einem wie selbstverständlich und daher unausgesprochen vorausgesetzten Moment: daß derjenige, der zu ihnen kommt, um sich belehren zu lassen, auch weiß, was er will - implizit nämlich so zu werden wie sie, d. h. Politiker oder Sophisten. Die Politiker und Sophisten setzen also auf eine unmittelbare Vertrautheit mit sich selbst, die der somatischen Forderung nach Selbsterkenntnis von vornherein die Spitze abzubrechen scheint. Unmittelbare Vertrautheit mit sich ist ihrem Wesen nach prä-logisch. 61 Die Formulierung von ,Vertrautheit-mit-sich' setzt Distanz zur Empfindung voraus, die Identifikation durch Reflexion hingegen das Moment des mit sich Vertrautseins. 62 Damit ist aber keineswegs gesagt, daß ein Vertrautsein mit sich ein prä-logisches .Substrat' bezeichnete und alle Möglichkeiten von höher organisierten Handlungen und Denkakten als den meinigen von einem dunklen, vorsprachlichen Unbewußten oder dem bloßen .Dasein' her zu verstehen und darauf zu beziehen wären. 63 Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß unmittelbare Vertrautheit mit sich nur einen untergeordneten Aspekt des Selbst bezeichnet, daß sie im platonischen Sinn nicht als ein Wissen aufgefaßt werden kann. Eine Selbsterforschung in dieser Richtung hat nach platonischer Auffassung keinen Gegenstand des Wissens und kann nicht Erkenntnis sein. Rein formal läßt sich das Faktum unmittelbarer Vertrautheit mit sich durch die Tautologie ,ich bin ich' ausdrücken. 64 Die Behauptung, die aus diesem Sachverhalt abgeleitet werden soll, ist folgende: Piaton hat erkannt, daß sowohl Politiker als auch Sophisten sich das Moment einer unmittelbaren Vertrautheit-mit-sich zunutze gemacht haben, und zwar entweder aus Intuition (Meietos, Anytos) oder aus Berechnung 65 , und daß die Attraktivität und der Erfolg beider Gruppen sich aus der bewußt oder unbewußt - eingesetzten Funktion der S e l b s t b e s t ä t i g u n g erklären läßt. Das sogenannte .Selbstverständliche' und die Wirkung von .Selbstbestätigungen' ist aber auch immer Anlaß für Mißverständnisse: kann denn eindeutig angegeben werden, welches bzw. wessen .Selbst' Bestätigung erhält und erhalten soll? An diesem Punkt setzt die sokratische Forderung nach Selbsterkenntnis den Hebel an. Gene61

Vgl. J.O. N e l s o n , „Kriterien und personale Identität", in: Ratio 15 (1973) 9 7 - 1 0 1 . " Vgl. M. Frank, D i e Unhintergehbarkeit von Individualität, Frankfurt/M. 1986, S.94. 63 Solcherart ist der „Trieb" bei S. Freud verfasst. Vgl. „Triebe und Triebschicksale" (1915), G W 10, 2 0 9 - 2 3 2 ; J e n s e i t s des Lustprinzips" (1920), G W 13, S.66. 64 Für die N e u z e i t wird diese Tatsache, wie o b e n bereits erwähnt, z u m erkenntnistheoretischen und logischen Prinzip: „There is, as Descartes' » c o g i t o a r g u m e n t « brings out, n o such possibility of failure of reference in the use of the w o r d »I«". S. Shoemaker, „Self-reference and Self-awareness", in: T h e Journal of P h i l o s o p h y 65 (1968) 559, n.2 zit. nach M. Frank, a.a.O., S. 94. Vgl. S. Shoemaker, S e l f - k n o w l e d g e and Self-identity, Ithaca, Cornell U P , 1963, S . 8 8 f f . 65 A m deutlichsten ist dies im Phaidros ausgesprochen: Rhetorik als „Seelenleitung", ψυχαγωγία, 2 7 1 c 10; ansatzweise aber schon Prt. 320 c und 328 d.

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tisch steht am Anfang des Lernprozesses, d.h. der Entwicklung logisch-dialektischer Fähigkeiten eine Ununterschiedenheit in sich. Eine Ununterschiedenheit, die sich in der Beziehung auf anderes und andere dann verhängnisvoll erweist, wenn nicht wohlmeinende Fürsorge diese .Naivität' auf sich selbst zurückwirft: d.h. in einem ersten Schritt auf die Notwendigkeit der unterscheidenden Erkenntnis des .eigenen' Selbst von .anderen' verweist. Erst in der Reflexion auf die Ununterschiedenheit wird die Voraussetzung des Nichtwissens als ein Kriterium der Unterscheidung von sich und anderem gewonnen, mit dessen Hilfe ein Begriff von Wissen faßbar wird. Das Gespräch zwischen Hippokrates, dem jungen Athener, und Sokrates zu Beginn des Protagoras kann die oben vorgetragene Behauptung belegen. Dieses Gespräch ist kein Lehrvortrag über die Bedeutung der Selbsterkenntnis, sondern ein Lehrstück über die Hinführung zur Selbsterkenntnis und die Bedeutung der Sorge um die Seele. Hippokrates ist begierig darauf, Protagoras, der seit kurzem zum zweitenmal in Athen weilt66, zu hören und von diesem als Schüler angenommen zu werden. Er bittet Sokrates um Fürsprache bei Protagoras, denn: „alle loben den Mann und sagen, er wäre der kunstreichste im Reden" 67 . Aber weiß Hippokrates tatsächlich, was er tut, wenn er zu Protagoras gehen will, um sein Schüler zu werden, und weiß er, zu wem er als einem Lehrer gehen will? Hier setzt Sokrates mit seinen Fragen an: „Weißt du also, was du jetzt tun willst, oder bleibt es dir verborgen? sagte ich. - Was denn? - Daß du deine Seele zur Behandlung darbieten willst einem Manne, der, wie du sagst, ein Sophist ist; was aber ein Sophist wohl ist, ich würde mich wundern, wenn du das wüßtest. Nun aber, wenn dir das unbekannt ist, weißt du auch nicht, wem du deine Seele überlieferst, ob einem Guten oder Schlechten."68 Es ist die Seele, die behandelt wird, wenn man jemandem zuhört, mit der Absicht zu lernen. Wer aber nicht weiß, was er dabei riskiert, wenn er „seine Seele einsetzt"69, weiß nicht, ob dieses Lernen gut oder schlecht für ihn ausgehen wird. Um die „Kenntnisse" als „Nahrung" der Seele nach Güte und Schädlichkeit beurteilen zu können, müßte man „rücksichtlich der Seele ... ein Arzt" sein.70 In den Grenzen der Metaphorik von Nahrung und Handel wird die Seele mit einem „Gefäß" (aYyeicp)71verglichen, das die Kenntnisse in sich aufnimmt. Speisen und Getränke zwar kann man vor dem Verzehr auf ihre Bekömmlichkeit hin untersuchen; „Kenntnisse aber kann man nicht in einem anderen Gefäß wegtragen, sondern "

Prt. 310e; zur dramatischen Zeit vgl. W.K.C. Guthrie IV, 214. Prt. 3 1 0 e 6 - 7 . 68 Prt. 3 1 2 b 8 - c 4 . " ύποθήσων την ψυχήν, 313 a 2. 70 Prt. 313e2: περί την ψυχήν . . . ιατρικός. 71 Prt. 314b 1. 67

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notwendig, wenn man den Preis bezahlt hat, wird man die Kenntnis mit der Seele selbst aufnehmen und lernen und im Weggehen hat man bereits den Schaden oder Nutzen davon." 72 Hippokrates wird freilich von Sokrates nicht abgehalten, zum Sophisten zu gehen, aber Sokrates bereitet den jungen Mann auf das Folgende vor und gibt ihm mit der Frage nach seinem ,Selbst' und dem Zusammenhang von Seele und Wissen ein Unterscheidungskriterium an die H a n d - zur Unterscheidung zwischen dem, was Hippokrates sucht und dem, was ihm vorgelegt wird. Das Gespräch von Sokrates mit Protagoras f ü h r t Hippokrates dann vor Augen, wem er ,sich', d . h . seine Seele, übergeben wollte. Die Anfangspositionen - Protagoras vertritt die These von der Lehrbarkeit der Tugend, Sokrates die Gegenthese dazu 7 3 - verkehren sich am Ende des Dialogs, nach der P r ü f u n g der protagoreischen Thesen ins Gegenteil 74 . Für Protagoras nämlich kommt heraus, daß Tugend alles andere eher als Wissen ist, und Sokrates folgert daraus, daß Tugend, wenn sie nicht Wissen ist, auch nicht lehrbar sein kann. Also kann Protagoras kein Lehrer sein, also auch niemand, dem man sich freiwillig übergibt, wenn man Wissen .erwerben' will. Die Folgerungen, die sich daraus f ü r Hippokrates ergeben, werden im Dialog nicht mehr ausgesprochen, sie sind deutlich gezeigt worden. Die Seele also wird im Protagoras als Gefäß, aber als ein Gefäß, ein Aufnehmendes besonderer Art bezeichnet: es wird nämlich irgendwie dasselbe mit seinem Inhalt, den „Kenntnissen" (μαθήματα). U n d nur insofern die Kenntnisse als Inhalt der Seele in gewisser Weise die jeweilige Seele sind und ihr nicht summarisch zugeordnet oder assoziiert werden, macht es Sinn, die Beschaffenheit des Gefäßes und dessen Zusammenhang mit dem Inhalt in moralischer Hinsicht zu thematisieren, wie dies Piaton immer wieder getan hat. 75 Dasjenige, was die Seele sich ein-bildet, sei es gut oder schlecht, macht sie jeweils auch gut bzw. schlecht. Im Bild des Gorgias: Die Seele vermag ihren Inhalt bis zur Erfüllung zu erfassen bzw. sie kann ihn - mit einem Sieb als Boden nicht halten, sie bleibt selbst in der Anfüllung leer. Es ist also f ü r den Menschen entscheidend zu wissen, wie sein Vermögen Kenntnisse aufzunehmen und zu behalten beschaffen ist, und was f ü r ihn aufzunehmen gut ist und was nicht. Die sokratische Definitionsfrage umfaßt demgemäß zwei Aspekte. Der eine, altbekannte Aspekt ist die Frage nach dem ,Was' selbst, platonisch gewendet, die Frage nach der Idee als Wissensinhalt. Der andere Aspekt aber ist die P r ü f u n g des je eigenen Lebens bzw. der S e e l e und 71 73 74 75

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Prt. Prt. Prt. Vgl.

314b 1-4. 317e-319b. 360 e ff. Grg. 4 9 3 ä f f . ; R. 585b-c, 621a; Γι. 73d.

damit gleichsam die Frage nach der Form, dem Gefäß des Wissens: „wer dem Sokrates sehr nahe steht im Reden, gleichsam mit ihm verwandt ist und sich mit ihm ins Gespräch einläßt, für den ist es notwendig, auch wenn er zuerst über etwas anderes begonnen hat sich zu unterreden, (daß) er von diesem nicht in Ruhe gelassen und in der Rede herumgeführt wird, bis er ihn da hat, daß er über sich Rechenschaft geben muß, auf welche "Weise er jetzt lebt und wie er sein bisheriges Leben gelebt hat". 76 Die Prüfung des jeweiligen Lebens findet statt mit Hilfe von und durch Logoi. Wenn sich zeigt, daß die Logoi der Geprüften, gegen allen Anschein und vor allem entgegen der jeweiligen Selbsteinschätzung „herumwandern" und unstet sind,77 so deswegen, weil Sokrates immer „dasselbe" vorbringt und zwar dasselbe „mit Bezug auf dasselbe". 78 Sokrates zeigt durch sein Festhalten an den jeweils im Gespräch gemachten Voraussetzungen und durch sein logisches Vorgehen die Widersprüchlichkeit der A n n a h m e n , die seine Gesprächspartner zugleich präsentieren und repräsentieren. Das .Scheitern' solcher Gespräche in der Aporie gibt das Unvermögen der Gesprächspartner, die Widersprüchlichkeit der Ergebnisse der Gespräche mit sich selbst zu verbinden, d. h. sich selbst als die Ursache für Widersprüche zu sehen,79 zu erkennen. Sich selbst als Grund für die Widersprüche zu erkennen und das Gespräch als Möglichkeit der Heilung der Seele von ihrem Umherirren anzunehmen, dies führt Sokrates im Hippias Minor vor.80 Er verstrickt den Sophisten Hippias in ein Gespräch über den der sophistischen „Kunst" (τέχνη) wesentlich zugrunde liegenden Begriff der „Fähigkeit" (δύναμις). Das Problem besteht darin, die Doppeldeutigkeit in der Rede vom „besser-sein" (άμείνων) zu erfassen, die in den Zusammenhang „freiwilliger" (εκών) bzw. „unfreiwilliger" (ακων) Handlung gestellt wird. 81 Wie J. Jantzen in seinem umfassenden und das Problem gänzlich auslotenden Kommentar gezeigt hat, wird in diesem Dialog anhand des Begriffs der Fähigkeit der „Ursprung der moralischen Bedeutung von

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La. 187 e6-188 a2. Vgl. Euthphr. l l b f f . ; Grg. 491 b-c. 78 Vgl. Grg. 490 e 9: αεί ταύτα λέγεις - und e 10: και περί των αύτών. 79 Vgl. die Doppelbödigkeit der Diskussion im Hp. Mi. 375 d ff. Bei aller gelehrten und lehrreichen Diskussion dieses Dialogs bei G. Müller, „Platonische Freiwilligkeit im Dialoge Hippias Elatton", Würzburger Jb. f. Altertumswiss. 5 (1979), v.a. S.69f. - und bei M. Erler, Der Sinn der Aporien in den Dialogen Piatons, Berlin, N e w York 1987, v.a. S. 139 ff. - wird der Aspekt der Selbsterkenntnis der Seele unterbewertet bzw. nicht erkannt. 80 Vgl. Hp. Mi. 372e-373a. 81 Vgl. Hp. Mi. 373 c ff. 77

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«gut»" aufgezeigt. Das ,Gut-sein' in einer beliebigen „Kunst" muß eben unterschieden werden von einem ,Gut-sein' gemäß einer - natürlichen - Disposition. 82 Eine dispositionelle Tätigkeit stellt nichts her, sie kann auf kein außer ihr liegendes .Produkt' verweisen. Die Disposition liegt vielmehr in der Tätigkeit selbst, als „Modus". 8 3 Wer gut ist als Arzt, kann in bezug auf eben diese seine Kunst nicht zugleich schlecht sein. Wenn ein Arzt allerdings seine Kenntnisse zum Schaden eines Patienten aufwendet, so tut er dies genaugenommen nicht als A r z t . Umgekehrt bleibt ein guter Läufer, auch wenn er diese seine natürliche Fähigkeit oder Disposition zum schnellen Laufen nicht in Anwendung bringt, ein ,gut' - d. h. schnell - laufen Könnender. Auf die Seele selbst angewendet läßt sich allerdings diese Auffassung des eigenen Vermögens nicht anders als instrumentalisiert' verstehen. Hippias hält daran fest, über die eigenen Fähigkeiten, wie auch über die eigene Seele, verfügen' zu können - im Sinne der „Freiwilligkeit", wohingegen Sokrates auf die - gerade, was die eigene Seele angeht - eigentümliche Doppeldeutigkeit im Begriff des .Könnens' aufmerksam macht. J . Jantzen erläutert dies - in Anknüpfung an J . König 84 - mit der Doppelheit von „Besitz" und zugleich „Nicht-Besitz", den die Seele an sich hat, sofern sie „möglichst gut" sein will. 85 Ausgehend von der Frage nach Selbsterkenntnis zeigt sich die somatische Sorge um die Seele als Kritik, die das Faktum von unmittelbarer Vertrautheit mit sich als grundsätzliche Anpassungsfähigkeit der Seele aufdeckt in ihrer unreflektierten Differenzlosigkeit zu sich und anderen. Selbsterkenntnis kommt zunächst einmal als die Möglichkeit in den Blick, sich selbst als Seele von anderen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung führt zugleich den Zusammenhang und Unterschied von Wissen und Seele: Wissen vom Selbst und Wissen von anderem - mit sich. Der Zusammenhang allerdings von Wissen und Seele ist in der Gefäßmetapher als derjenige von Inhalt und Form thematisiert, darin liegt die Möglichkeit einer Begründung für die Tugend-Wissen-Identität. Die Anpassungsfähigkeit', auf der - negativ, d. h. ohne ein Bewußtsein von der eigenen Fähigkeit - die Wirkung und der Erfolg der sophistischen Kunst gründet, wird von Sokrates positiv als Aufnahmefähigkeit' aufgezeigt. Die Kritik an der Instrumentalisierung von Fähigkeit überhaupt zeigt die eigentümliche Doppelheit des .Eigenen', der seelischen Eigenschaften.

82 Der Hp. Mi. verwendet u.a. das Beispiel des Läufers, s. 373 c ff.; dazu J. Jantzen, a.a.O., S. 80. 83 J. Jantzen, a.a.O., S.84. 84 J. König, „Das spezifische Können der Philosophie als εύ λέγειν", in: ders., Vorträge und Aufsätze, hg. v. G. Patzig, Freiburg 1978, S. 15-26. 85 Vgl. Hp.Mi. 3 7 5 c l 0 - l l , 376b; J. Jantzen, a.a.O., S . l l l f f .

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Β . SOPHROSYNE

1. Die zweideutige Tradition der Tugend Die Frage nach den Fähigkeiten der Seele ist für Sokrates mit der Forderung nach Selbsterkenntnis verbunden. Die Frage nach Wissen und Erkenntnis ist zugleich mit der Frage nach dem Wissenden und Erkennenden verbunden und insofern eine Forderung der Tugend. Insbesondere eine der Tugenden aus dem Kanon griechischer Moralität scheint die Forderung nach Selbsterkenntnis zu vertreten, die „Besonnenheit" (σωφροσύνη). Die traditionelle Tugend der Sophrosyne ist allerdings den Zeugnissen nach nicht einheitlich verstanden worden. Sie hat wenigstens zwei verschiedene Aspekte, nämlich den des Gewahrseins des eigenen intellektuellen Vermögens und den der Triebbeherrschung, der Mäßigung. Sophrosyne bedeutet der traditionellen Wortherkunft nach „seinen Verstand retten" («saving phronesis»), schreibt H. North. Den Verstand zu retten vor der Bedrohung der Begierden und Leidenschaften, dabei aber zugleich deren Triebkraft für ansonsten unerreichbare Ziele einzusetzen. 86 In der Geschichte der Philosophie ist Herakleitos der erste Philosoph, von dem bezeugt ist, daß er naturphilosophische Spekulation und ethische Überlegung verbindet und dabei das Wort Sophrosyne gebraucht. 87 Es sind vor allem zwei Fragmente, die diese Verbindung eindrucksvoll belegen und den Vernunftaspekt der Sophrosyne betonen: „Den Menschen allen ist zuteil, sich selbst zu erkennen und verständig zu denken." 88 - und: „Verständiges Denken ist höchste Vollkommenheit, und die Weisheit ist, Wahres zu sagen und zu tun nach dem Wesen der Dinge, auf sie hinhorchend." 89 Physis im Sinne des letzten Fragments (B 112) hat nichts Materialistisches an sich und kommt in die Nähe der platonischen Konzeption von Physis, die nicht im Gegensatz zum Psychischen steht. 90 Diese .größte Tugend' verbindet den Menschen mit der Natur, die - so gesehen - die seinige ist. „Gemäß der Natur" 9 1 - das bezeugt, indem es im Kontext der Preisung höchster Tugenden ausgesprochen wird, die unausgesprochene Existenz des Gegenteils: Der Mensch steht in der Gefahr, seine „Natur" - zu der es ge86

Vgl. H. North, Sophrosyne. Self-Knowledge and Self-Restraint in Greek Literature, Ithaca, New York, 1966, S.X. 87 Vgl. H. North, a.a.O., S.26; P. Courcelle, Connais-toi toi-même, Bd.l, Paris 1974, S.llff. 88 DK 22 Β 116. Übersetzung von B. Snell, in: ders. (Hg.), Heraklit Fragmente, griech. und dt., München 7.Aufl. 1979, S.35. 8 ' DK 22 Β 112. Übersetzung von B. Snell, ebd. ,0 S. u. Kap. IV. Β zum Problem des „Umschlags" (μεταβολή) und Lg. X 892 c. " So wörtlich κατά φύσιν im Frg. Β 112.

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hört, verständig zu denken - zu verfehlen, daher der Aufruf zur Sophrosyne. Der andere Vorsokratiker, der zum Verständnis von Sophrosyne Entscheidendes beigetragen hat, ist Demokritos. Bei ihm steht vor allem die Bedeutung der Selbstbeherrschung im Vordergrund. Ohne Sophrosyne ist nach Demokrit kein wahrer Genuß möglich. Die Mäßigung erlaubt ein »Auskosten' des Lebens, sie wird bei Demokrit geradezu zum höchsten Gut: „Mäßigkeit mehrt das Erfreuliche und macht noch größere Lust."92 Bei Demokrit steht daher die Sophrosyne nicht im Gegensatz zur Hybris, sondern konsequenterweise im Gegensatz zum übertriebenen Lebensstil, der Verschwendung.93 Der Zweideutigkeit der Tradition steht die platonische Forderung nach der Einheit der Tugenden gegenüber. Diese Forderung wird im Protagoras vorgebracht und in der Politela, die die Frage „wie man leben soll" 94 mit einem Erziehungsprogramm beantwortet, ausgeführt. Der Kritik an der traditionellen Auffassung der Sophrosyne allerdings widmet sich Piaton in zwei früheren Dialogen. Im Gorgias ist sie Gegenstand eines Gesprächs von Sokrates mit Kallikles im Zusammenhang der Mäßigung als eines politischen Beispiels. Im Chartnides wird sie ausdrücklich zum Thema erhoben. Thema des Dialogs Gorgias ist die Bestimmung der Rhetorik. Dies ergibt sich konsequent aus der Frage nach dem, was der Mann Gorgias ist und tut. Gorgias versucht die Rhetorik als eine besondere Kunst neben, besser: über allen anderen Künsten zu etablieren. H. Kuhn schreibt dazu treffend: „Das . . . Wort will in seiner Kunstmäßigkeit etwas zustande bringen. Es will wirken dadurch, daß es das Denken und Tun der Hörer des Wortes bestimmt. Es will Macht gewinnen über das Leben." 95 Dies zeigt sich deutlich am Begriff des „Gerechten von Natur",96 den Kallikles vorbringt im Zusammenhang der Frage nach denjenigen, die in den Poleis herrschen sollen. Kallikles' Verständnis von „Natur" ist ausschließlich am Körper orientiert97; es ist das ,Recht des Stärkeren', für das er plädiert.98 Das Recht des Stärkeren begründet das Herrschen über andere und schließt ein Beherrschen seiner selbst aus. Diesen Schluß bestätigt Kallikles' inverse Replik: „glücklich" kann nicht sein, wer „irgendwem dient" - nicht einmal also, wer sich selbst dient.99 Dagegen hält Sokrates als Voraussetzung für gerechtes Herr92 DK 68 Β 211. Übersetzung von H. Diels, Bd.II, 188. Vgl. hierzu H. North, a.a.O., S. 118 ff. 93 Vgl. H. North, a.a.O., S. 134. 94 R. 352 d. 95 H. Kuhn, „Das Gute und die Ordnung", in: ZPhF 14 (1960), S.497. 96 δίκαιον φύσει, Grg. 490 a 7. 97 Vgl. Grg. 490 a, 492 e. 98 Ebenso Thrasymachos in R. 338cff. 99 Vgl. Grg. 491 e6: δουλεύων ότφοϋν; und Men. 8 6 d 7 - 8 , Sokrates zu Menon: „weil

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sehen über andere das „Herrschen über sich selbst" 100 fest. waltausübung über sich selbst" 101 heißt B e s o n n e n - S e i n und und Begierden in sich zu beherrschen, was gleichbedeutend sie zu kennen. Sich von Begierden bestimmen zu lassen ist Kallikles der Inbegriff von Lebendigkeit, bedeutet aber für sein eigenes Wollen nicht erkennen zu können. 1 0 2

2. Die Auslegung des

Die „Gedie Lüste damit ist, zwar für Sokrates,

Charmides

Die Auslegung der Selbsterkenntnis bei Piaton ist wesentlich auf den Dialog Charmides verwiesen. Das Ausgangsthema dieses Dialogs, die Frage nach der Tugend der Sophrosyne, wird durch den zweiten Dialogpartner Kritias in fortlaufenden Definitionsversuchen zum „Wissen des Wissens" hochgeschraubt und von Sokrates in die Aporie geführt. Die Erörterung einer Selbstbezüglichkeit des Wissens, die von P. N a torp in den Rang „des bestimmten Momentes an der Tugend überhaupt" 103 erhoben wurde, ist häufig anhand des Charmides untersucht worden. Dabei ist Piaton die Entdeckung der Reflexion bzw. des Selbstbewußtseins zugeschrieben worden. Eine Entdeckung, die, von Piaton gesehen, gleich wieder fallen gelassen worden sei, um erst wieder von Denkern der neuzeitlichen und modernen Philosophie aufgenommen und weiterentwickelt zu werden. 1 0 4 D a ß die Annahme inhaltsloser Reflexion als Einheitspunkt von Logik und Erkenntnistheorie allerdings den Dialog als philosophische Methode negiert, ist oben bedu zwar über dich nicht herrschen willst, um nämlich frei zu bleiben, willst du über mich herrschen". „Frei-sein" hier ist freilich immer aus dem H e r r - K n e c h t - V e r h ä l t n i s abzuleiten. Auch f ü r Piaton, der dieses Verhältnis in seiner bloßen Relativität z.B. im Prm. ( 1 3 3 d - 1 3 4 a ) aufgezeigt hat. 100 αύτόν έαυτοϋ αρχειν, Grg. 491 d 7. 101 εγκρατή αύτόν έαυτοϋ, Grg. 491 d 10. 102 Grg. 491 e ff.; s. dazu u. Kap. IV, C, zum Begriff der „psychischen Gesundheit" in der Politeia und nach der Psychoanalyse. 103 P. N a t o r p , Piatos Ideenlehre, 2.Aufl. 1921, N a c h d r . Darmstadt, 1961, S.24. 104 Vgl. G. Krüger, „Die H e r k u n f t des philosophischen Selbstbewußtseins", in: ders., Freiheit und Weltverwaltung, Freiburg, München 1958, S. 11-69; H . - G . Gadamer, „Vorgestalten der Reflexion", in: Subjektivität und Metaphysik. Festschr. W. Cramer, Frankf u r t / M . 1966, S. 128-143; St. Rosen, „ΣΩΦΡΟΣΥΝΗ and Selbstbewußtsein", in: RMetaphys 26 (1972) 617-642; ders., „Self-Consciousness and Self-Knowledge in Plato and Hegel", in: Hegel-St. 9 (1974) 109-129; K.Oehler, „Der höchste P u n k t der antiken Philosophie", in: ders., D e r unbewegte Beweger des Aristoteles, F r a n k f u r t / M . 1984, S . 9 9 116; K. Gloy, „Piatons Theorie der επιστήμη εαυτής im Charmides als Vorläufer der modernen Selbstbewußtseinstheorien", in: KS 77 (1986) 137-164; zuletzt und im Vergleich zur Reflexionstheorie bei Fichte: B. Zehnpfennig, Reflexion und Metareflexion bei Piaton und Fichte. Ein Strukturvergleich des Platonischen „Charmides" und Fichtes „Bestimmung des Menschen", Freiburg, München 1987, vgl. dort die Literaturdiskussion zum T h e m a , S . 7 7 f f . und 101 ff.

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reits gesagt worden. Die Ausführungen des Charmides sind eher als platonisches Zeugnis der sorgfältigen Vermeidung bzw. als Aufweis der Unmöglichkeit bloßer Selbstverhältnisse bezüglich einer Lösung der Wahrheitsfrage anzunehmen. In der vorliegenden Untersuchung soll daher weniger auf die .Entdeckung' als auf die Kritik an der Aussage inhaltsloser Reflexion, dem „Wissen des Wissens", deren Voraussetzungen und Konsequenzen aufmerksam gemacht werden. Eine dreistufige Interpretation, in deren Mitte der Charmides steht (b), deren erste Stufe der Bedeutung des olκεϊον im Lysis gewidmet ist (a), deren dritte Stufe die ,Entdeckung' der Psyche im Theaitetos bildet 105 (c), soll den Zusammenhang von Selbsterkenntnis und Sophrosyne als Einstieg zur Philosophie und Voraussetzung zur Erkenntnis der Psyche bei Piaton erhellen. Wieso kommen diese drei Dialoge hier in einen Zusammenhang? Sind sie nicht ganz unterschiedlichen Themen gewidmet? Das Thema des Lysis ist die φιλία, die Freundesliebe oder Freundschaft, das des Charmides die σωφροσύνη, die Besonnenheit, der Theaitetos schließlich behandelt das Problem der επιστήμη, der Erkenntnis selbst. Darüberhinaus gehören die drei Dialoge unterschiedlichen Schaffensperioden Piatons an - zumindest der Theaitetos zählt (durch die enge thematische Verwandtschaft mit dem Sophistes) zur späten Phase, Lysis und Charmides gelten als Frühdialoge. 106 Die drei Dialoge weisen jedoch bei aller Differenz eine gemeinsame Struktur auf, die sie von allen anderen Dialogen Piatons unterscheidet. In allen drei Fällen ist es ein erwachsener Mann, der, mit Sokrates bekannt, vor diesem einen Knaben bzw. Jüngling preist und eine gesprächsweise Prüfung des Gelobten initiiert. Der Gegenstand der Prüfung ist auf diese Weise notwendig komplex: es ist zunächst die ,Eigenschaft', die Gegenstand des Lobes war, dann der junge Mensch selbst als ,Träger' der Eigenschaft und schließlich das Verhältnis des jungen zu dem jeweiligen älteren Mann. Diese Struktur allein sagt freilich noch nicht viel aus. Es ist auf die inhaltlichen Unterschiede zu sehen. H i p p o t h a l e s im Lysis ist ein noch junger und relativ unerfahrener Mann. Das wird zwar nicht direkt ausgesprochen, ist aber aus der Beschreibung seines Verhaltens und dem Umgang zwischen ihm und Sokrates zu schließen. 107 Hippothales ist in den Knaben Lysis verliebt, er schreibt Hymnen auf ihn und preist darin dessen Herkunft und Abstammung. Nach dem Vorgespräch mit Hippothales, in dem er diesen wegen seines Verhaltens kritisiert, erklärt sich Sokrates bereit, f ü r den Verliebten mit Lysis sich zu unterreden, 105 H.G. Gadamer hat auf die Entfaltung des Problems der Reflexion aus dem Charmides im Theaitetos hingewiesen (a.a.O., S. 137); vgl. auch K. Oehler, a.a.O., S. 101. 106 Vgl. W.K.C. Guthrie V, 61 ff.; IV, 134f. und 155. 10 ' Vgl. W.K.C. Guthrie, IV, 135.

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um zu zeigen, wie man mit einem Geliebten reden soll.108 Auch K r i t i a s im Charmides ist noch ein junger Mann. Er ist verwandt mit Charmides und dessen Vormund. 109 Er lobt gegen Sokrates nicht die Herkunft des Charmides, sondern dessen Außergewöhnlichkeit und Tugend. 110 Kritias ist ein Schüler des Gorgias und selbst als Rhetor und Sophist aufgetreten. T h e o d o r o s schließlich im Theaitetos steht, wie es scheint, in einer ganz entfernten Beziehung zu Theaitetos. Er stammt aus Kyrene in Ägypten, ist also nicht nur nicht verwandt mit ihm, sondern auch kein Athener. Theodoros will keinesfalls als Liebhaber des Theaitetos erscheinen, vielmehr beschreibt er Theaitetos als äußerlich häßlich, dem Sokrates ähnlich. Er preist auch nicht Reichtum und Tugendhaftigkeit, sondern die Auffassungsgabe und ungewöhnliche Lernfähigkeit des Theaitetos. Theodoros selbst war zwar Schüler des Sophisten Protagoras, ja befreundet mit ihm, aber er hat sich von der Sophistik weg in die ,reine Mathematik' zurückgezogen. 111 An den Namensgebern der Dialoge läßt sich dieser Zusammenhang weiter verdeutlichen. Lysis ist noch „Knabe" (παις), also zwischen 12 und 14 Jahre alt. Er ist hörbegierig, und diese Neugier treibt ihn trotz seiner Scheu zum Gespräch mit Sokrates. Im ersten Gespräch mit Sokrates wird der etwas eingebildete Knabe beschämt und zur Ordnung gebracht und damit zur Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit ermahnt. Eine Nachdenklichkeit, die dazu führt, die eigene Lebenssituation - als Kind beaufsichtigt, also .unfrei' zu sein, als Geliebter ,passiv', aber mit dem ,Selbstbewußtsein' 112 eines sozial Hochgestellten ausgestattet - in ihrer Widersprüchlichkeit zu sehen und in Frage zu stellen.113 C h a r m i d e s ist dem Alter eines Knaben eben entwachsen, er gilt als „Jüngling".114 Er ist schamhaft und zurückhaltend und muß durch eine List zum Gespräch bewogen werden; Sokrates verspricht ihm ein Mittel gegen seine „Kopfschmerzen". In Frage steht aber, ob er wirklich besitzt, was Kritias behauptet. Charmides scheidet nach einigen Definitionsversuchen aus dem Gespräch aus, um es an Kritias weiterzugeben. Charmides erweist sich zwar als schamhaft, aber ihm fehlen für die infragestehende Tugend wichtige Voraussetzungen, nämlich die Offenheit für die Wissensfrage und die Bereitschaft zur Anstrengung, sich Wissen zu eigen zu machen und darüber Rechenschaft ablegen zu können. T h e a i t e t o s ist Jüngling und Schüler des Theodoros in Geo108

Vgl. bes. Ly. 210e. έπίτροπος, Chrm. 176c 1; zu Kritias s. W.K.C. Guthrie 111,155. 110 Zum Selbstlob vgl. Ly. 205 e f. und Chrm. 154 a ff., 157c-d. 111 S. Tht. 143 e ff.; zur Kritik an Vormündern 144d. 112 ,SeIbstbewußtsein' in dieser Form, zu wissen ,wer' man ,ist' (who is who?), im Unterschied zur Selbsterkenntnis, wird auch im Charmides zum Thema gehören. 113 S. Ly. 204e, 206c9, 2 1 0 e 3 - 4 , 213d. 114 μειράκιον, zwischen 14 und 20 Jahren, Chrm. 154b. 109

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metrie. Er wird ohne viel Aufhebens zum Gespräch gerufen. Im Verlauf des langen Dialogs mit Sokrates, der einmal durch das Gespräch mit T h e o d o r o s unterbrochen, aber wieder aufgenommen wird, bewahrheitet Theaitetos das Lob des Theodoros. Er .entdeckt' nicht nur gemeinsam mit Sokrates - und mit Hilfe dessen geburtshelferischer Kunst das „Werkzeug" der Forschung und des Erkennens überhaupt, die Psyche, sondern am Ende des Dialogs wird ihm zugesprochen, was zu Beginn des Dialogs Charmides von dem N e f f e n des Kritias behauptet wurde: σώφρων, „besonnen" zu sein - und d. h. „nicht glauben zu wissen, was du nicht weißt". 115 Die drei jungen Menschen Lysis, Charmides und Theaitetos stellen drei Phasen der Erziehung, ihrem Alter und ihrer Beschäftigung und Bestimmung entsprechend, dar. Sie weisen etwa gleiche Ausgangsbedingungen auf (gute H e r k u n f t und Begabung), aber sie unterscheiden sich in ihrer Offenheit f ü r die Wissensfrage, die nach Piaton f ü r das Problem der Selbsterkenntnis und die Erkenntnis der Psyche als Bedingung der Möglichkeit des Philosophierens vorauszusetzen ist. Die gemeinsame Struktur der drei Dialoge und die inhaltlichen Unterschiede der Gesprächspartner und ihrer Beziehungen zueinander lassen diese Dialoge als aufsteigende Reihe ähnlicher Gesprächssituationen mit demselben Ziel: der Selbsterkenntnis - annehmen. Dieser sachliche Zusammenhang zwischen den drei Dialogen ist systematisch zu verstehen. Damit ist keine These über ihren chronologischen oder historischen Zusammenhang aufgestellt, geschweige denn eine ,neue Trilogie' von platonischen Dialogen vorgeschlagen. Gleichwohl ist die hier vorgelegte Zusammenstellung unter systematischen Gesichtspunkten paradigmatisch f ü r das Lesen der Dialoge überhaupt. a) Das οίκεΐον im Lysis Das „Angehörige" (οίκεΐον) erscheint als mögliche Antwort auf die Frage nach dem, was Freundschaft selbst ist, erst gegen Ende des Dialogs Lysis. Erscheinung und Begriff der Freundschaft wurden soweit analysiert, daß das Begehren als begründender Aspekt erkannt wurde. 116 Die Argumentation in 221 d - e definiert das Begehrende. Das Begehrende begehrt, was ihm fehlt. Dasjenige, dem etwas fehlt, ist jenem freund, was ihm fehlt. Das, was fehlt, ist, was entzogen ist - und dieses wird bestimmt als das „Angehörige". Das Angehörige also sei Gegenstand von Liebe, Freundschaft und Begehren. Diese Antwort, die von Lysis und Menexenos ohne Widerspruch akzeptiert wird, ist dennoch ungewöhnlich; bezeichnet doch οικείος im 115

σωφρόνως ούκ οίόμενος είδέναι α μή οισθα, Tht. 210 c 3-4; das Herbeirufen des Theaitetos: 144 d; die .Entdeckung': 184 b ff. 116 ή επιθυμία της φιλίας αιτία, 221 d 2 - 3 .

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Griechischen gewöhnlicherweise das Gegenteil von dem, was der Logos bis zu dieser Stelle im Lysis ergab. Etymologisch stammt das Adjektiv von οίκος, dem Haus oder der Wohnung. 117 Οικείος bezeichnet daher erstens das im Haus Befindliche oder zum Haus Gehörige, in zweiter Bedeutung die Verwandtschaft und das - zum Haushalt gehörige - Gesinde, in allgemeinerem Gebrauch den Angehörigen. Drittens bezeichnet das Wort das Eigene, den Besitz und das Private und in letztem, abstraktem Sinne das Passende, Zukommende, Angemessene. 118 Οικείος scheint also im gewöhnlichen Sprachgebrauch einerseits das Gegenteil von dem, „was entzogen ist", zu bezeichnen, nämlich den Besitz, das Eigene, das, was zur Verfügung steht bzw. worauf man sich verläßt - das Verwandte. Andererseits findet sich aber auch die Wortbedeutung, die den Freund, der zunächst gerade kein Verwandter ist, als „Angehörigen" bezeichnet. Diese Bedeutung kann der von Aristophanes im Symposion erzählte Mythos vom Ursprung des Eros zwischen Menschen (189 dff.) veranschaulichen, der die Liebenden als ursprünglich zusammengehörige Hälften, die sich nach Vereinigung sehnen, darstellt. Sokrates scheint irgendwie' eine traditionelle Wortbedeutung aufzugreifen, wenn er zu Lysis und Menexenos sagt: „Wenn ihr beide also miteinander befreundet seid, müßt ihr einander irgendwie von Natur angehörig sein."119 Nur, diese „Natur" ist offensichtlich nicht biologisch-physikalischer Art.120 Sokrates ergänzt etwas später seinen Satz und sagt damit - indirekt -, was er mit „irgendwie von Natur" meint: dieses Angehörigsein ist „gemäß der Seele oder gemäß irgendeiner Haltung oder Art oder Form der Seele".121 Die Bedingung für das Angehörig-sein-Können wird mit dem Hinweis auf die „menschliche Natur", die mit der Seele identifiziert wird, eingeholt. Von daher wird aber auch die Rätselhaftigkeit am Ende des Dialogs, die eine zureichende Definition von Freundschaft an eine vorab bestimmte Unterscheidung des Angehörigen vom „Ähnlichen" (ομοιον) knüpft, auflösbar. 122 Im Symposion (205 e) und der Politela (586 e f.) wird das „Angehörige" mit dem „Guten" (αγαθόν) gleichgesetzt. Die „Ähnlichkeit" kann umgekehrt nur als Relation zum Guten aufgrund der spezifischen Verfaßtheit der Seele, d. h. zugleich als unterschieden vom Guten gedacht werden. Gemeinsam ist demnach den Befreundeten die Beziehung auf das πρώτον φίλον - das sie je selbst n i c h t sind und sie sind einander „angehörig", und das heißt „gut", durch diese Beziehung. 117

Vgl. H. Frisk, Griech. Etymol. Wörterb. II, Heidelberg 1970, S.360. Vgl. LSJ, S. 1202. u ' Ύμεΐς αρα εί φίλοι έστόν άλλήλοις, φύσει πη οικείοι έσθ' ϋμϊν αύτοΐς. 221 e 6 - 7 . 120 Vgl. D. Bolotin, Plato's Dialogue on Friendship, Ithaca, London 1979, S. 184. 121 κατά την ψυχήν ή κατά τι της ψυχής ήθος ή τρόπους ή είδος, 222 a 2 - 3 . 122 Ly. 222 b 4-6, vgl. Κ. Glaser, „Gang und Ergebnis des platonischen Lysis", WS 53 (1935), 47-67, bes. S.58. 118

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Diese Richtung der Interpretation scheint allein K. Glaser für vertretbar gehalten zu haben. Allerdings ist W.K.C. Guthrie darin recht zu geben, daß „die einfachen Worte" des Lysis nicht die platonische Auffassung von der Ähnlichkeit der Seele mit den Ideen ausführen konnten.123 Aber, und dieses Ziel war der vorliegenden Interpretation gesteckt, es konnte gezeigt werden, daß von Sokrates in Lysis und Menexenos eine Voraussetzung für das Philosophieren, eine gewisse Nachdenklichkeit durch das Problem, wie die Seele zu sich und dem Angehörigen stehe, geweckt werden konnte. Der Lysis schafft damit einen Vorbegriff dessen, was in der Politela als die ,Basistugend' der neugegründeten Polis ausgeführt wird: die Befreundetheit der Teile der Seele und der Teile der Polis untereinander, bei gleichzeitigem „Tun des Seinigen".124 Er zeigt Sokrates bei dem Versuch, die Fesseln der Verstrikkung in scheinbar Selbstverständliches, tatsächlich aber Unverstandenes, zu lösen.125 b) Selbstbezüglichkeit des Wissens und Sophrosyne im Charmides Im Dialog Charmides tritt Sokrates wie im Lysis als Ich-Erzähler auf. Heimgekehrt von der Belagerung bei Poteidaia geht Sokrates seiner üblichen Beschäftigung nach und trifft Bekannte in der Stadt. Nachdem er diesen nach Wunsch Auskunft über die Kriegshandlungen gegeben hat, wünscht er seinerseits über gewisse Begebenheiten, die die Philosophie betreffen, und d. h. über das Hervortreten von Begabungen im Philosophieren, unterrichtet zu werden. 126 Kritias lobt sein Mündel Charmides als philosophische Begabung, und Sokrates soll sie auf die Probe stellen. Der folgende Dialog über die Sophrosyne besteht aus fortlaufenden Definitionsversuchen - zuerst trägt sie Charmides (158 c 162 b) vor, dann, nach der Übernahme der letzten Definition des Charmides, Besonnenheit sei „das Seinige zu tun" 127 , Kritias (162cff.) -, die ebenso fortlaufend von Sokrates widerlegt bzw. in ihrer Schwierigkeit aufgedeckt werden. Obwohl nun bestimmte Annahmen, wie die Möglichkeit einer Selbstbezüglichkeit des Wissens (167b ff.), ohne genau überprüft worden zu sein, gesetzt wurden, gerät das Gespräch über die Sophrosyne in die Aporie (175äff.). Der Dialog endet damit, daß zwar Charmides zugibt, weder zu wissen, ob er besonnen sei, noch was Besonnenheit überhaupt sei, aber mit dem „Befehl" des Kritias128, daß 123

W.K.C. Guthrie IV, 150. Vgl. R. 430 d ff., 442 c-d, 443 c-e. 125 Die Interpretation baut nicht auf dem Namen des Dialogs auf, aber die Assoziation Lysis -λύσις = „Lösung" soll hier erwähnt werden. 126 Chrm. 153a-d; zu Poteideia vgl. Smp. 2 1 9 e f f . und Thukydides (Jones) I, 56ff. 127 το τα έαυτοΰ πράττειν, 161 b 5. 128 Άλλα μην, ..., κελεύω εγωγε. 176c2. 124

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Charmides sich weiterhin von Sokrates solle besprechen lassen, und dem Versprechen des Charmides - über den Kopf von Sokrates hinweg -, so zu tun, auch wenn er Gewalt brauchen müßte, 129 wird von Piaton nicht allein angedeutet, daß die „Besprechung" durch Sokrates leider tatsächlich nutzlos war, sondern darüber hinaus die spätere Karriere von Kritias und Charmides in ihren - noch ,unsichtbaren' - Anfängen gezeigt. Kritias sowie dessen Neffe Charmides (beide Verwandte Piatons) gehörten als brutale Machtpolitiker zu den .Dreißig', die nach Beendigung des Peloponnesischen Krieges von den siegreichen Spartanern in Athen als Herrscher eingesetzt wurden. Im Charmides, in dem die beiden vornehmen Athener als .Anhänger' von Sokrates vorgestellt werden,130 wird die Definitionsfrage nach der Sophrosyne gestellt. Die äußere Handlung des Dialogs schildert die subtile Auseinandersetzung des .Arztes der Seele' Sokrates mit dem Sophisten Kritias um den entscheidenden Einfluß auf das künftige Leben des jungen Charmides. Sokrates war zwar siegreich von Poteidaia heimgekehrt, aber er verliert den Kampf um die Seele des Charmides - das bezeugt der Ausgang des Dialogs. 131 Die Thematisierung von Selbsterkenntnis und Therapie der Seele im Zusammenhang des Dialogs wiederholt das aus der Interpretation der Apologie gewonnene Grundthema des platonischen Sokrates. Und während der Hippias Minor „die Veräußerlichung des «Selbst» in seine instrumental begriffenen Fähigkeiten in Frage stellt", macht der Charmides „auf die Leerheit aufmerksam, die der Begriff des «Selbst» als bloße Selbstbezüglichkeit mit sich führt." 132 Am Anfang des Charmides läßt Piaton Sokrates beschreiben, was in ihm vorgeht, als er dem jungen und schönen Charmides zum ersten Mal gegenübertritt. Sokrates entbrennt zwar und ist nicht mehr bei sich; doch, wenn auch mit Mühe, beherrscht er sich 133 und besinnt sich auf eine Antwort auf die Frage nach einem Kopfschmerzmittel für den ihn verlegen machenden Charmides. Er sagt, „ich wüßte es".134 Um dieses Mittel allerdings erfolgreich zur Anwendung bringen zu können, 129

Ώς βιασομενου, 176 c 6. Zum Problem solcher Anhängerschaft vgl. W.K.C. Guthrie III, 298 ff. 131 Chrm. 153 a und 175dff. - parallel angelegt, aber mit .geglücktem' Ausgang: Tht. 142b7 und 210c. 152 J. Jantzen, a.a.O., S.XVÏII, A. 23. 133 Chrrn. 155d-e. H. North (a.a.O., S. 158) dagegen meint, daß der Aspekt der Triebbeherrschung im Charmides nicht einmal erwähnt wird: „What he (Platon, P.M.S.) has not done is to refer, even in passing, to the definition of sophrosyne that is most common in the late fifth century and indeed in Plato's own later dialogues: control of the appetites and passions." 134 έπισταίμην, 155 e 3; vgl. hierzu die Beschreibung der σωφροσύνη in R. 430 e ff. und Grg. 506 e ff. 150

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gibt es eine Bedingung: der Heilungswillige muß, bevor er sich den Kopf kann heilen lassen, „seine Seele darbieten" 1 3 5 , zur „Besprechung". In diesem Zusammenhang wird den hippokratischen Ärzten rundheraus vorgeworfen, daß sie lediglich den „ganzen Körper" 1 3 6 , aber nicht den ganzen Menschen behandelten. Die zalmoxischen Ärzte hingegen, denen nachgesagt wird, daß sie unsterblich machen können, würden den Körper nicht ohne die Seele heilen wollen. 137 „Alles nämlich . . . geht aus der Seele hervor, sowohl Schlechtes als auch Gutes, für den Körper und für den ganzen Menschen und fließt von dorther über wie aus dem Kopf in die Augen." 1 3 8 Was ist hier als das „Ganze" zu verstehen? Der „ganze Mensch" besteht nach der Textpassage 1 5 6 b f f . aus Körper u n d Seele, nicht allein aus Körper. Die Therapie allerdings, die hier vorgeschlagen wird, setzt nicht beim Körper an, sondern bei der Seele. Wobei für diesen Zusammenhang nicht übersehen werden darf, daß die Krankheit nur sekundär als physiologische K o p f s c h m e r z e n , primär aber als .Denkschmerzen' zu verstehen ist. Auch dies ist ein Vorverweis auf den maieutischen Vorgang im Theaitetos. Die Seele ist folglich verschieden vom ganzen Menschen und vom ganzen Körper; diese beiden hängen ab von jener wie das Prinzipiierte vom Prinzip. Das Ganze nämlich, auf das die Sorgfalt zu richten ist, ist die Seele. 139 Die Einsicht in den gleichsam

την ψυχή ν . . . παράσχω, 157b4, vgl.c3. πάν το σώμα, 156 c 4. 137 Chrm. 156d-e. Die .zalmoxischen' Arzte hat Sokrates bei der Belagerung von Poteidaia kennenlernen können. 138 Πάντα γαρ . . . εκ της ψυχής ώρμήσθαι και τά κακά και τά άγαθά τφ σώματι και παντί τω άνθρώπφ, καί εκείθεν έπιρρεΐν ώσπερ έκ της κεφαλής έπί τά όμματα. 156 e 6 - 1 5 7 a l . Vgl. hierzu die Übersetzung von T . M . Robinson, Plato's Psychology, a.a.O.: „For all good and evil, whether in the body or in the whole man, originates, as he declared, in the soul..." (S.6). Robinson übersetzt sowohl das ώρμήσθαι als auch τά κακά καί τά άγαθά unangemessen abstrakt. Außerdem wird er dem Dativ τφ σώματι mit „whether in the b o d y . . n i c h t gerecht. Aus dieser ungenauen Übersetzung folgt die gesamte unrichtige Interpretation der Stelle: „«soul» is here taken as the total self" (S.6) - und „total self" muß nach Robinson als „the whole man" (S.7) aufgefaßt werden. Im übrigen entdeckt Robinson im Charmides nichts von Belang, obwohl er in der Hauptsache daran interessiert ist, eine „Theory of Mind" Piatons zu rekonstruieren (S. VII). 139 Chrm. 156e. U.Blau hat in seinem Aufsatz „Die Paradoxie des Selbst" (1986 in der Zeitschrift „Erkenntnis" erschienen, mir liegt ein Typoskript zur Vorlesung „Die Logik der Unbestimmtheiten und Paradoxien" aus dem WiSe 1985/86 an der LMU-München vor) eine Lösung für die Paradoxie, die aus der Annahme einer Identität des „Selbst" folge, vorgeschlagen, die dem Sachverhalt der Psyche bei Piaton ähnlich zu sein scheint. Als Strukturprinzip für „Elementarsätze" ist dabei allerdings festgehalten: „Es gibt Objekte, Eigenschaften und Relationen" (S.28). Das Rätsel ist, so stellt sich schließlich heraus, wie die Tatsache von Bewegung bzw. Kontinuität (jenseits klarer mathematischer Bestimmtheit) erklärt werden könne (S. 45 ff.). Die Paradoxie habe keine „natürliche Lösung" (d.h. nach der Weise physikalisch bestimmter Objekte etc.): das „Selbst" sei das 135

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prinzipiellen Rang der Seele für die Gesundheit, die schon im Kriton in ethischem Kontext steht, wird im späteren Werk Piatons, insbesondere in der Politela, zu einem grundlegenden Kriterium für die Auslegung der Gerechtigkeit. 140 Zu den Folgerungen, die z.B. aus dem .Höhlengleichnis' gezogen werden, gehört die Einführung einer „Kunst der Umwendung", welche auf die „Seele insgesamt" angewendet wird. 141 Nicht zuletzt die Definition der Sophrosyne als eine „gewisse Ordnung" 142 , die der Unmäßigkeit als Ursache von Schmerzen und Unlust entgegensteht, gehört hierher. Die Mahnung, die Sokrates als ,Arzt' an Charmides richtet, ist dieselbe, die er schon zuvor dessen Vormund Kritias vorgeschlagen hat, die Seele des Körpers zu .entkleiden' und sie darzubieten. Falls Charmides darauf nicht eingehe, könne er ihm nicht gegen seine Kopfschmerzen helfen. 143 Kritias zeigt in seiner, statt des angesprochenen Charmides gegebenen144, Antwort Unverständnis für den eben ausgeführten Zusammenhang. Er reduziert den grundsätzlichen Ansatz der Therapie des Sokrates auf „den Verstand" 145 . Im übrigen aber sei Charmides schon besonnen, woraus Sokrates folgert, daß der Junge keiner Besprechung, also keiner schönen Reden, mehr bedürfe. 146 Diese Feststellung nimmt das aporetische Ende des Dialogs bereits vorweg, denn es „ist der fundamentale Irrtum der Dialogpartner des Sokrates, den in Frage stehenden Sachverhalt in der Weise einer bereits verfügbaren Faktizität zu behandeln". 147 Charmides läßt in der - eigenen - Antwort auf Sokrates' Lob und der

G a n z e , d.h. bezüglich des „natürlichen" Bereichs sowohl „alles", als auch „nichts". Das Selbst als Ganzes sei „durchlässig" für eine andere, nicht-natürliche Ebene (S. 48 f.). 140 Vgl. A. Kenny „Mental Health in Plato's Republic", in: ders., The Anatomy of the Soul, Bristol 1973, S. 1 ff. 141 τέχνη . . . της περιαγωγής, R. 5 1 8 d 3 - 4 und ξύν όλη τη ψυχη, 518c8; vgl. Β. Zehnpfennig, a.a.O. S. 23. 142 Κόσμος τις, R. 430 e 6, vgl. Grg. 506 e ff. 143 Chrm. 154 e und 157 c. "4 Vgl. ¡ m Gegensatz dazu die Rolle des Theodoros im Theaitetos. 145 την διάνοιαν, 157c8. Zur platonischen Unterscheidung: διάνοια als ein πάθημα der Seele unter anderen - s. R. 511 d-e. 146 Chrm. 158b, vgl. 175ef. 147 B. Zehnpfennig, a.a.O., S. 190. Gerade an der Interpretation des Charmides wird eine Schwäche des Ansatzes der Arbeit von M. Erler, Der Sinn der Aporien in den Dialogen Piatons, Berlin, N.Y. 1987, sichtbar. Erler verweist einerseits ganz grundsätzlich auf die Politela, die die Lösungen für die Aporien der Frühdialoge enthalte, andererseits deutet er im speziellen Fall (S. 180 f.) dieses .Hintergrundwissen' nicht aus und zieht für das Verständnis der Sophrosyne Stellen aus anderen, z.T. aporetischen Dialogen heran (S. 193; zur Methode Erlers vgl. S. 12 m. Anm.65, 259ff., 285). Für Erler gibt es außerdem nur einen undifferenzierten „Bereich des Selbstbezüglichen" (S. 193), der mit dem „noetischen Bereich" (ebd.) bzw. mit dem „Ideendenken" gleichgesetzt wird, vgl. G. Müller, a.a.O.

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daran anschließenden Frage zwei traditionelle Momente der Sophrosyne erkennen. Seine erste Reaktion ist Erröten 148 , was Sokrates, der als der Erzähler des Dialogs den Vorgang reflektiert, als Verschämtheit 149 deutet. Was Charmides dann sagt, zeugt von Klugheit: er will Kritias, der ihn lobte, nicht Lügen strafen, also, wonach gefragt ist, nicht von vorneherein abstreiten. Aber er will auch nicht spontan zugeben, daß er besonnen sei, das wäre nämlich Selbstlob und geriete unter den Verdacht der Hybris. 150 Dieses Verhalten kann auch als gewöhnliche Vorsicht (εύλάβεια) und muß nicht als Phänomen des Tugendbesitzes gedeutet werden. 151 Denn wer Tugend besitzt, muß nicht nur wissen, daß er sie besitzt, sondern muß auch Rechenschaft über diesen .Besitz' ablegen können. Charmides gibt in der folgenden Prüfung zwei Antworten, die sich von .außen' nach .innen' wenden: 1) „Bedächtigkeit" 152 ; 2) „Scham" 153 - also von der äußeren Anschauung dessen, der dem Ansehen nach für besonnen gehalten werden mag, zur inneren - hier eigenen - Anschauung dessen, der sich für besonnen hält, fortschreiten. Beide Antworten werden als mehrdeutig widerlegt. 154 Mit der dritten Antwort, dem übernommenen .fremden' Satz, Besonnenheit sei „das Seinige tun" 155 , entzieht sich Charmides dem Therapierungsversuch des Sokrates. 156 Charmides schreitet nicht logisch von der je eigenen, „privaten" Vorstellung (ίδιον) zum „gemeinsam" in der Untersuchung Thematisierten (κοινόν) 157 und schließlich zum Allgemeinen fort, sondern er bleibt innerhalb des Bereichs beliebiger Annahmen, indem er eine fremde Ansicht der Sache als die ,eigene' übernimmt. Er kann allerdings den angenommenen Logos nicht verteidigen, er hat ihn nicht begriffen, sich nicht zu eigen gemacht. Er legt daher nicht mehr die eigene Uberlegung, die .eigene Geburt' - nach der Metaphorik des Theaitetos - zur Prüfung vor, sondern eine fremde. Er hat den Inhalt des vorgelegten 148

Chrm. 158 c 5: Άνερυθριάσας. 158 c6: το αίσχυντηλόν. 150 Vgl. Ly. 205 dff.: wer sich selbst lobt, schadet sich selbst. 151 Th.A. Szlezak, Piaton und die Schriftlichkeit der Philosophie, Berlin u.a. 1985, dagegen hält Charmides für den „geeigneten Adressaten" platonischer Dialektik (S. 131). Die Überzeugung des Autors von der überragenden Bedeutung der sog. .ungeschriebenen Lehre' läßt ihn allerdings manches sachliche Problem, das in den Dialogen dargelegt und manchesmal nur angedeutet ist, übersehen. Zur „Eulabeia" vgl. W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart 1977, S. 409 f. B. Zehnpfennig, a.a.O., S.23, deutet sowohl das Erröten des Charmides als auch seine Antworten als „Geschicktheit". Erröten kann aber nicht intentional begriffen werden, und der Text bietet keinen Anhaltspunkt dafür. 152 Chrm. 159 b 5-6: ήσυχιότης τις. 155 1 60 e 4: αιδώς. 154 Vgl. Β. Zehnpfennig, a.a.O., S. 25 ff. 155 Chrm. 161 b5: τα έαυτοΟ πράττειν. » ' Vgl. Β. Zehnpfennig, a.a.O., S. 33 ff. und 38 ff. 157 Vgl. Sph. 218 b.

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Satzes nicht in ,seine' Form gebracht und kann folglich nicht damit umgehen. Charmides hat m.a.W. das Problem des Lysis, das „Eigene" oder „Angehörige" (οίκεΐον), noch nicht erfaßt. Um das Rätsel zu lösen, das der Satz „das Seinige tun" überdies für sich selbst darstellt, schaltet sich Kritias in die Diskussion ein. Mit der übernommenen Definition - Charmides hat den Satz, so zeigt sich, von Kritias gehört, Kritias unternimmt also die Klärung des eigenen Satzes - wird der praktische Aspekt der Tugend der Besonnenheit, der ja bereits traditionell gegeben ist, in den Vordergrund gerückt. 158 Unter Verweis auf Hesiod 159 behauptet Kritias eine Identität von Besitz der Vernunft, Tun des Seinigen - Kritias übernimmt die Unterstellung von Sokrates (163 d 3), nach der das Tun des Seinigen dem Tun von Gutem entspricht - und Sophrosyne. Diese Behauptung birgt in sich den Grund für die folgende Auseinandersetzung um das Problem des Selbstverhältnisses des Menschen: ist der Mensch im B e s i t z der Vernunft und tut das ,Seinige', so ist dieses ,Seinige Tun' nichts anderes als Erkennen bzw. Wissen. Besonnenheit ist demnach das Wissen des Menschen von sich als Wissendem: das sich selbst Wissen. Setzt man für das Tun des Seinigen das Tun von Gutem ein (vgl. 163 e), dann ist Besitz der Vernunft identisch mit dem Guten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von οίκεΐον (163c 5) durch Kritias. Werden Vernunft und das Gute im hesiodisch-kritiasschen Sinne als das „Angehörige" im Sinne des Besitzes verstanden, verschwindet der Aspekt des „Entzogen-Seins" des Guten und das Problem der „Ähnlichkeit" mit dem Guten, wie dies oben anhand des Lysis gezeigt wurde. Kritias kann die Konsequenz aus der von Sokrates vorgebrachten Techne-Analogie nicht akzeptieren, daß einer, „indem er nützlich handelt, zwar besonnen handelt und besonnen ist", aber von sich nicht weiß, daß er besonnen ist.160 Mit diesem Satz deutet sich die beschränkte menschliche .Verfügungsgewalt' über Tugend und Wissen bzw. über das eigene Leben an. Dennoch ist er als solcher sachlich nicht zu akzeptieren, wenn noch gelten soll, daß Tugend Wissen ist. Kritias ist daher bereit, „etwas"161 vom vorher Gesagten zurückzunehmen. Nur, wie sich später zeigt, hat Kritias mit seiner neuen Bestimmung der Besonnenheit als „sich selbst erkennen" 162 , ohne es zu wollen, der Besonnenheit die zu ihr gehörende Nützlichkeit genommen. Kritias erinnert in diesem Zusammenhang an die delphische Inschrift: γνώθι Chrm. 162 b ff. Chrm. 163 b 4: έργον ούδέν . . . όνειδος (Op., 311); vgl. hierzu J. Jantzen, a.a.O., S.83 mit A.6. 160 Chrm. 164c4-5; zur Techne-Analogie vgl. 161 dff. und 164aff. 161 τι, 164c7 und c8. 162 το γιγνώσκειν εαυτόν, 164d4-5; und s. 169cff. 158

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σαυτόν. Aber er deutet den Spruch nicht als „Rat" 163 der Gottheit, sondern als bloße Höflichkeitsfloskel. Er steht damit in klarem Gegensatz zur sokratischen Praxis in der Apologie. Kritias' Zusammenfassung des Bisherigen (165b 2), daß nämlich soweit nichts „Deutliches" über die Besonnenheit gesagt worden sei, bringt ihn wieder in eine Position des Urteilens ü b e r das in Frage Stehende, wie zu Beginn des Dialogs. B. Zehnpfennig hält zu recht fest, daß Kritias' Denken die „Notwendigkeit" fehle, er reagiere mit seinen Bestimmungen auf die vermeintliche Forderung des Augenblicks - um vermeintlich „frei" zu bleiben, wie aus dem Menon zu ergänzen wäre.164 Sokrates' Antwort hält das altbekannte Prinzip des Suchens dagegen.165 Und dieses Suchen nach einem - bestimmten - Wissen setzt die „Ähnlichkeit" 166 des Denkenden mit dem Gedachten voraus. Das sagt Kritias zwar richtig über Sokrates' Art sich dem Problem zu nähern (166b-c). Aber Sokrates muß dieses Prinzip gegen den Vorwurf von Kritias, er verhalte sich nur eristisch und als Siegliebender (166 c-d), verteidigen. Er kommt ihm entgegen und fordert ihm zugleich das Eingeständnis ab, daß das Wissen ein „gemeinsames Gut fast aller Menschen"167 sei. Die folgende, erneut modifizierte Bestimmung von Kritias antwortet auf das Eingeständnis der Gemeinsamkeit (κοινόν), die das besondere Wissen der Besonnenheit in Beziehung auf anderes Wissen habe, „daß sie allein unter allen Formen des Wissens das Wissen ihrer selbst und von den anderen Formen des Wissens ist".168 Eine scheinbare Erweiterung der Definition wird 166 e 8-167 a 1 gegeben: Besonnenheit sei nicht allein Wissen ihrer selbst und alles anderen Wissens, sondern auch Wissen des N i c h t - W i s s e n s . „Der Besonnene also allein wird sich selbst erkennen und in der Lage sein zu prüfen, was er gerade weiß und was nicht und die anderen wird er in 163

ξυμβουλή, 165 a4. B. Zehnpfennig, a.a.O., S . 5 2 f . und Men. 86 d 7. 165 Ap. 21 cf.; Hp.Mi. 372b; Grg. 506a; Tht. 150c. 166 όμοιότητα, Chrm. 166b 8. 167 κοινόν . . . αγαθόν είναι σχεδόν τι π&σιν άνθρώποις, 1 6 6 d 4 - 5 . 168 οτι μόνη των άλλων έπιστημών αύτη τε αύτης εστίν καί των άλλων επιστημών επιστήμη, 166 e 6-7. St. Rosen hat in zwei Aufsätzen (1. „Sophrosyne and Selbstbewußtsein", RMetaphys 26 (1972) 617 ff.; 2. „Self-Consciousness and Seif-Knowledge in Plato and Hegel", Hegel-St. 9 (1974) 109 ff.) zu zeigen versucht, daß die platonische Theorie des Wissens, weil sie den - von Hegel errungenen - Begriff des absoluten Geistes ablehne, der die Grundlage für einen in sich konsistenten Begriff des Wissens des Wissens sei, einem Begriff des „Selbstwissens" keinen theoretischen Ort zuweisen könne (1., S. 635). Piaton sei noch nicht so weit gewesen, „Mind" als „form of forms" anzuerkennen, daher komme er auch in Schwierigkeiten mit dem Verhältnis von Ganzem und Teil (2., S. 117 ff.). Wie aber die vorliegende Arbeit zeigen kann, ist es keineswegs das Problem von Ganzem und Teil, das für die Seele konstitutiv ist. Außerdem hat R. Bubner (s.o. Anm. 4) gezeigt, daß die Form des Selbstbewußtseins bei Hegel unverträglich mit der platonischen Methode des Dialogs ist. 164

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derselben Weise betrachten können, was einer weiß und was er zu wissen glaubt, wenn er weiß; und was wiederum einer zu wissen glaubt, aber nicht weiß, von den anderen aber keiner. Und dieses ist also das Besonnensein und die Besonnenheit und das Sich-selbst-Kennen, zu wissen, was einer weiß und was er nicht weiß." (167 a 1-8) Die Erklärung der Sophrosyne hier scheint der Selbstbeschreibung des Sokrates in der Apologie zu gleichen.169 Dabei wird hier der in der Apologie aufgewiesene Unterschied zwischen der „menschlichen Weisheit", die Sokrates für sich in Anspruch nimmt, und einer Weisheit, die sich irgendwie höher als die menschliche Weisheit wähnt oder dies tatsächlich ist, nicht ausgesprochen. 170 Diese Differenz kann im Charmides als untergründig leitend angenommen werden. Die ,Erweiterung' des Selbstverhältnisses des Wissens auf sein Gegenteil, auch Wissen des Nicht-Wissens zu sein, muß als die Einsicht in die Begrenztheit menschlichen Wissens bzw. als „menschliche Weisheit" aufgefaßt werden. Der menschlichen Weisheit kommt es daher zu, sich selbst zu prüfen und von sich selbst Rechenschaft abzulegen. Allerdings kann die Fortführung des Gedankens Zweifel über diese Ansicht aufkommen lassen. Kritias leuchtet offenbar die Bedeutung und der Sinn der Begrenztheit menschlichen Wissens nicht von selbst ein. Sokrates formuliert den folgenden Gedanken aus seiner Ratlosigkeit. Es soll nämlich geprüft werden, zuerst, „ob es möglich ist"171, was Kritias als Definition der Besonnenheit vorgeschlagen hat, und danach, „wenn es ... möglich ist"172, ob es einen Nutzen hat. Diese Stelle muß genau betrachtet werden: Das εί εστίν in 167 b 8 soll nicht im Sinne eines fragenden „daß es ist" oder „ob es ist" (vgl. 167 b 1) ausgesprochen sein, sondern ist offenbar im konditionalen Sinn des „wenn" einer hypothetischen Setzung der Definition von Kritias gemeint (vgl. 167 b 3). Die Zweideutigkeit liegt demnach sowohl im εί als im δυνατόν. Legt man in die Frage die Möglichkeit eines Sachverhalts, so ist im positiven Ergebnis der Untersuchung die Wirklichkeit des in Frage Gestellten erwiesen. Aber auch ein negatives Ergebnis hat Wirklichkeit: es zwingt den Untersuchenden dazu, seinen Ansatz zu ändern. Die hypothetische Setzung setzt die Wirklichkeit, jedoch hypothetisch und damit vorläufig, weil das Behauptete „paradox" (άτοπον, 167 c 3) zu sein scheint. Zuerst werden von Sokrates einige Beispiele aus dem Bereich

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Ap. 21 d. Vgl. W.K.C. Guthrie IV, 170. Auch Guthrie verweist auf die ApologieStelle, aber der Grundgedanke seiner Interpretation ist, daß Piaton das „Rätsel Sokrates" für sich aufzuklären suchte und den Lehrer im Charmides durch Kritias' Mund kritisiert habe. Das ist nach der hier vorgelegten Interpretation unhaltbar. 170 Ap. 2 0 d 7 und 2 0 d 8 - 2 1 e l . 171 εί δυνατόν έστιν, Chrm. 167 b 1. 172 ει . . . δυνατόν, 167b3.

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menschlicher Vermögen vorgetragen 173 , um an ihnen zu untersuchen, ob nicht nur die Beziehung auf die Sache, sondern auch auf sich selbst möglich ist. Diese Möglichkeit wird negiert. Die Ausgangsposition von 167 b 9 ff. wird noch einmal, aber formaler ausgesprochen: „das Wissen ist ein Wissen von Etwas" 174 , das die „Fähigkeit" - oder „Wirklichkeit" (δύναμις) - habe, sich auf etwas zu beziehen. Aus einer zweiten Gattung von Beispielen, nämlich der Extension bzw. der Quantität folgt: „das, was seine Wirklichkeit selbst in bezug auf sich selbst hat, wird es nicht auch jenes Wesen haben, bezüglich dessen es seine Wirklichkeit hat?"175 Für die erste Gattung von Beispielen wird die verallgemeinerte Möglichkeit von ,Bezug haben auf etwas' unter Hinweis auf die Differenz von δύναμις und τινός, also Relativum und Korrelativum 176 negiert. Für den Bereich von Extension und Quantität 177 wird die Negation nunmehr vollständig bestätigt: Selbstbeziehung ist in diesem Bereich „unmöglich" 178 . Daraus folgt, daß, wenn die Möglichkeit von Selbstbezüglichkeit für menschliche Vermögen erwiesen werden sollte, sie gänzlich unterschieden sein müssen vom Bereich der Extension und Quantität. Daran anschließend formuliert Sokrates das Kernstück seines Problems im Dialog Charmides. Und dieser Satz ist identisch mit der theoretischen Fragestellung des vorliegenden Teiles der Untersuchung über Psyche bei Piaton, nämlich, „ob es keinem Seienden zukommt, seine Fähigkeit auf sich selbst zu beziehen, sondern auf anderes, oder ob es manchem zwar zukommt, anderem aber nicht". 179 Durch die ausführliche Argumentation 167 b-169 b, der hier ebenso ausführlich gefolgt wurde, stellt also Sokrates die durch Kritias vorgelegte Definition von Sophrosyne als „Wissen von sich" in den ganz allgemeinen Zusammenhang der Möglichkeit von Selbstbezüglichkeit der Relation προς εαυτό - überhaupt. Aber gerade diese Frage nach der Möglichkeit von Selbstbezüglichkeit wird im Charmides n i c h t b e a n t w o r t e t . Die wichtige Andeutung eines Selbstverhältnisses zu Beginn des Dialogs, wonach in der Seele als dem „ganzen Selbst" das Verhältnis zum eigenen Körper miteingeschlossen ist (156 e ff.), wird im Charmides von den Gesprächspartnern des Sokrates nicht aufgenommen und erwidert. 173

Chrm. 167 c-168 a: Wahrnehmung, Wollen, Annehmen. ή επιστήμη τινός έπιστήμη, 168 b 2. 175 δ τί περ αν την έαυτοϋ δύναμιν προς εαυτό εχτ|, ού και έκείνην εξει τήν ούσίαν, προς ήν ή δύναμις αύτοΟ ήν, 168 d 1-2. 176 So z.B. „Gehör" (ακοή) und „Ton" (φωνή), 168d3. Vgl. E. Scheibe, „Über Relativbegriffe in der Philosophie Piatons", Phron 12 (1967) 28-49, S.34. 177 μεγέθη, πλήθη, Chrm. 168 e 5. 178 άδύνατον, 168 e 5-6. 179 πότερον ούδέν των όντων την αύτοϋ δύναμιν αύτό προς έαυτό πεφυκεν ϊχειν, άλλα προς άλλο, ή τά μεν, τά δ' οϋ, 169 a 2-4. 174

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Kritias wird durch das vorgetragene Problem mit der Selbstbezüglichkeit ratlos wie Sokrates, aber darüber hinaus verlegen. Damit ist bereits angezeigt, daß wenigstens Kritias nicht besitzt, was er als „Wissen des Wissens" behauptet. Sokrates, an der Sache interessiert, nimmt das in Frage stehende Selbstwissen daher f ü r jetzt als gegeben an und fragt weiter nach dessen Nutzen (169cff.). Kritias versteht unter dem Selbst des Menschen sein ,formales' Wissen; das deutete sich schon in der Reduktion auf das Vermögen der διάνοια (157 c 8) an. Damit ist eine bloße Verdoppelung ausgesagt (169 e ff.). Wissen von sich ist demnach das inhaltsleere Wissen, d a ß man weiß (170d). Dieses theoretische Faktum aber bleibt wirkungslos (173 c-d). Kritias verbirgt vor sich selbst die Folgerung aus dieser Einsicht und fährt mit der Behauptung fort, daß die auf diese - widersprüchliche - Weise bestimmte Selbsterkenntnis das Gute erkenne 180 . Die so bestimmte Erkenntnis ist nicht Ausgangstage' f ü r das Erkennen des Guten, sondern identisch damit. Die Selbsterkenntnis ist also nach Kritias nicht Mittel, sondern Zweck. 181 „Das Motiv, das in diesem Denken untergründig wirkt, ist, daß der Verzicht auf den Gegenstand scheinbar Autonomie bedeutet. Das Subjekt kann autonom setzen, es muß sich keiner Sachnotwendigkeit unterwerfen, es ist H e r r des Gewußten." 1 8 2 Insofern, so legt das Ende des Dialogs nahe, erweist sich Kritias als theoretisch unfähig f ü r Politik - die wesentlich auf einen Widerstreit von Menschen und ihrer verschiedenen .Interessen' reagieren sollte - und potentiell tyrannisch. Für Sokrates dagegen ist der Vorgang der Selbsterkenntnis ein Geschehen, das seine Haltung zu sich selbst und zu anderen verändert hat. Er ist H e r r seiner selbst geworden und ist weder durch Überlegenheit, noch durch Ratlosigkeit in einer theoretischen Untersuchung aus diesem Selbstverhältnis zu stoßen. Daher repräsentiert Sokrates in den platonischen Dialogen die Dialogfähigkeit selbst. Dialogfähigkeit wird durch Sokrates an die Erkenntnis des ,Selbst', der Seele, gebunden und versteht sich zugleich als „Sorge". Durch die Thematisierung des Wissens des Guten, das in der .Verschiedenheits-Relation' (προς αλλο) von „Fähigkeit" (δύναμις) und „Bezugsgegenstand" (τινός) steht, kann Sokrates die Richtung auf das Ziel angeben. Die Bedingung der Möglichkeit von Selbstbezüglichkeit aber, die scheinbar beiläufig erwähnt wurde (156 e ff.), wird im Charmides nicht aufgedeckt. Der Dialog scheitert, nicht weil das T h e m a der Sophrosyne tatsächlich unbestimmbar oder mit den bis dahin zur Verfügung stehenden logischen Mitteln nicht bestimmbar gewesen wäre - er scheitert aufgrund der mangelnden Offenheit der Gesprächspartner von Sokrates f ü r die Wahrheit. 180 1,1 182

Chrm. 174b, vgl. R. 505b; s.a. B. Zehnpfennig, a.a.O., S.96. Vgl. B. Zehnpfennig, a.a.O., S.94. Ebd., S.95.

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Bedingung für die Möglichkeit eines Bezugs zur Wahrheit aber ist das Wissen des N i c h t w i s s e n s , darin liegt eine Möglichkeit zur U m w e n d u n g vom zuvor für ,Gegenstandswissen' Gehaltenen zum Wissen-Können als einer eigenen Tätigkeit. Der Vorgang der philosophischen Selbsterkenntnis hat einen .Gegenstand', dieser Gegenstand ist die Psyche. Um tatsächlich eine Selbstbezüglichkeit des Selbst als Seele sinnvoll denken zu können, muß zugleich - paradoxerweise - eine Beziehung auf anderes miteinbezogen werden und eine derartige Relation von Verschiedenem fordert Gleichheit bzw. Ähnlichkeit zu denken. 183 Neben die Selbsterkenntnis werden an der Stelle 168 e, ohne geklärten Bezug auf die vorher angeführten Beispiele, Selbsterwärmung und S e l b s t b e w e g u n g gestellt. Die Formulierung der Selbstbewegung an dieser Stelle ist, wie mir scheint, das Nadelöhr, durch das die platonische Philosophie ihren Faden zieht und von der Apologie bis zu den Nomoi spannt. 184 E. Scheibe zieht in seinem Aufsatz „Uber Relativbegriffe in der Philosophie Piatons", obwohl er auf die fragliche Chartnides-Stelle eingeht, ausdrücklich die Möglichkeit der Seele als Selbstbezüglichkeit bzw. als eine Bedingung der Möglichkeit, Selbstbezüglichkeit sinnvoll denken zu können, nicht in Betracht. Er untersucht dagegen in rein-logischer Absicht den Abschnitt im Sophistes (251 a 5 ff.), der die „größten Gattungen" (μέγιστα γένη) behandelt. Dabei scheint ihm allerdings entgangen zu sein, daß dieser Abschnitt durch eine Erörterung eingeleitet wird, in der explizit dem „auf alle Weise Seienden" Vernunft, Seele, Leben und Bewegung zugesprochen wird.185 Jedenfalls wird deutlich, daß Piaton das Problem der Relation nicht verkannt hat, wie viele moderne Interpreten nachzuweisen versuchten. 186 Das Problem, das sich für die vorliegende Untersuchung stellt, ist, die Möglichkeit einer Selbstbezüglichkeit bei Piaton aufzuweisen, aus der sowohl der Sachverhalt Psyche, als auch so unvergleichlich erscheinende Konzepte wie „Besonnenheit", „Sorge um die Seele", „Selbstbewegung" usw. erklärt werden können und in denselben Strukturzusammenhang der platonischen Philosophie sich fügen lassen. Genauer noch liegt das Problem darin, das Denken bzw. Erkennen als eine Bewegung

183 Vgl. hierzu E. Scheibe, a.a.O., S.37. „Ähnlichkeit" zu erklären war die ungelöste Forderung des Lysis. 184 H . Cherniss hat in Aristotles Criticism of Plato and the A c a d e m y ( N e w York 1962, l.Aufl. 1944) eine Synopsis der Stellen gegeben ( S . 4 3 2 f f . ) und konstatiert: „It is certain, then, that Plato in the earliest period of his working was aware of the concept of s e l f - m o tion and that he did not reject it" (S.435). 185 Sph. 2 4 8 e 8 f f . ; vgl. E. Scheibe, a.a.O., S.37. 186 Vgl. E. Scheibe, S. 28 ff., in einem „Zusatz zur Korrektur", auf S . 4 9 hat Scheibe allerdings, unter Verweis auf die Arbeit von M . Frede, Prädikation und Existenzaussage, Göttingen 1967, seine A n n a h m e von der Unvergleichlichkeit der Stellen im Charmides und im Sophistes zurückgenommen, dazu s.u., Kap.V, A.

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zu erweisen, die mit allen anderen möglichen seelischen Bewegungen vergleichbar ist.187 Ist die Bewegung des menschlichen Erkennens als Bewegung nicht grundsätzlich verschieden von den Bewegungen des Wahrnehmens, des Wollens und des Meinens, dann wäre das oben genannte Kriterium für eine sinnvolle Selbstbezüglichkeit erfüllt. N e b e n bei' kann dadurch die von Sokrates angenommene grundlegende Differenz von menschlichem und göttlichem Wissen bzw. die notwendige Bezogenheit des Menschen auf ein nicht durch ihn selbst gegebenes „Maß" 188 als die platonische Option von Erkenntnistheorie und Ethik gezeigt werden. 189 c) Zur Entdeckung der Psyche im Theaitetos Der Dialog Theaitetos wird als von dem Sokratiker Eukleides von Megara 190 aufgeschriebener Bericht eines Gesprächs zwischen Sokrates, Theaitetos und dessen Lehrer Theodoros wiedergegeben. Sokrates tritt hier nicht wie im Lysis oder im Charmides als Ich-Erzähler auf. Er begleitet das Gesprächsgeschehen nicht mit Reflexionen darüber 191 - die vorgebrachten Argumente und ihre Entfaltung stehen im Mittelpunkt: Sokrates ist in seinem Element. Der Theaitetos nimmt die Fragestellung des Charmides in anderer Form noch einmal auf. Nicht die Tugend der Sophrosyne steht zur Diskussion, noch irgendeine der traditionellen Tugenden, sondern das Wissen selbst (έπιστήμη), dessen Identität mit Tugend Sokrates durchgängig voraussetzt. Problematisch allerdings ist ihm die Identität von Wissen und „Weisheit" (σοφία, 145 e). In seiner ersten Antwort zur Definitionsfrage gibt der junge Mathematiker Theaitetos viele Einzelkenntnisse bzw. Wissensarten an (146 c2-d3) und zeigt sich damit, im Vergleich der Dialoge, von Beginn an dem Charmides überlegen. Charmides zwar gab zunächst eine Antwort auf die Frage nach der Sophrosyne, die formal der Forderung des Sokrates an Theaitetos (146 d) zu entsprechen schien: einen ,Begriff', einen definitorischen Satz für das Gesuchte aufzustellen, nicht viele. Im 187

Die Dissertation von Chr. Lauermann, Piatons Konzeption der Bewegung des Geistes, Rheinfelden 1985, legt, insbesondere durch eine Interpretation des μέγιστα γένη-Abschnitts im Sophistes, den Zusammenhang von Vernunft, Ideen und Bewegung als „reflexiv bewußte Ideen-Sphäre" (S. 2) aus. Das Problem der Selbstbewegung der Seele dient dabei als Vorüberlegung zum Problem der „Ideenbewegung". Das Problem einer Selbstbezüglichkeit des Wissens im Charmides bleibt unberücksichtigt. Der Ansatz dieser Arbeit zielt daher an Piaton vorbei, auf ein Verständnis neuplatonischer Auslegungen von Piaton. 188 Vgl. Lg. IV, 716 c. is» Vgl_ K. Oehler, „Der höchste Punkt der antiken Philosophie", in: ders., Der unbewegte Beweger des Aristoteles, Ffm. 1984, S.99ff. J. Jantzen, Idee und Eigenschaft, a.a.O., S.364. 1.0 Zu Eukleides vgl. Phd. 59 c und W.K.C. Guthrie III, 499 ff. 1.1 Vgl. Tht. 143c, dag. z.B. Ly. 210e und Chrm. 168cf.

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Verlauf des Dialogs Charmides aber kam immer wieder - auch mit Kritias - eine andere Erklärung für das Gesuchte zum Vorschein. Die jeweiligen Antworten wurden nicht aus ihrer jeweiligen Widerlegung heraus innerlich miteinander - zum ,Begriff' - verknüpft. Theaitetos dagegen überblickt schon von vorneherein .irgendwie' die Vielfältigkeit, in der der Definitionsgegenstand erscheint und ist daher von sich selbst her zugänglich für die Einheit der ,Was-Frage' (vgl. 146d). Nach dieser Klärung des Definitionsproblems lautet also die erste These, Erkenntnis sei Wahrnehmung. Wie sich sofort herausstellt, ist dies eine übernommene Bestimmung, nämlich von dem Sophisten Protagoras. Wiederum erweist sich Theaitetos dem Charmides darin überlegen, daß er die übernommene Definition - bis zu einem gewissen Grad - verteidigen kann, d. h. er hat sie sich zu eigen gemacht. 192 Es ist hier nicht der Ort, die Argumentation des Theaitetos im Ganzen darzulegen und zu analysieren, es geht lediglich darum, die Hinweise auf den Sachverhalt der Seele herauszustellen und sie auszulegen. Im Verfolg der Widerlegung der protagoreischen These über die Erkenntnis wird die Auffassung der sogenannten ,Fluß-Lehre' dargelegt, derzufolge die „Beschaffenheit der Seele" darin bestehe, „durch Lernen und Übung, die Bewegungen sind, Kenntnisse zu erwerben und zu erhalten und besser zu werden" 193 . Das Gute sei B e w e g u n g in bezug auf die Seele (und den Körper). 194 Daraus wird von Sokrates eine Wahrnehmungstheorie abgeleitet, die einen relativen Zusammenhang von jeweiligem Wahrnehmen und jeweilig „Beschaffenem" behauptet. 195 Sokrates warnt dabei vor denen, die das „Unsichtbare" (άόρατον) nicht als Seiendes gelten lassen wollen (155 e). Der Kern der Überlegungen erinnert an das im Charmides 168 b ff. aufgeworfene Problem: ob etwas seine Fähigkeit in bezug auf sich selbst, oder nur in bezug auf anderes haben könne. Eine „Eigenschaft" 196 wie das „Harte" (σκληρόν) oder das „Warme" (θερμόν) sei „selbst in bezug auf sich nichts" 197 . Demzufolge aber ist auch die Wahrnehmung oder, aus der Setzung der Identität: die Erkenntnis - „in bezug auf sich selbst nichts". Denn nur „in 1.2 Der Theaitetos antwortet derart auf das Problem des „Angehörigen" aus dem Lysis und gibt darüberhinaus mit der όμοίωσις θεφ (176b 1) einen Hinweis zur Lösung des Ahnlichkeitsproblems. 1.3 Ή δ' έν Tfj ψυχΑ 'έξις ούχ ύπό μαθήσεως μεν και μελέτης, κινήσεων όντων, κτάται τε μαθήματα και σφζεται και γίγνεται βελτίων ...; Tht. 153 b 9-11. 1.4 αγαθόν κίνησις κατά . . . ψυχήν, 153c3. Entsprechend die Etymologien im Kratylos 416 a-b: das „Schändliche" (αίσχρόν) hemmt die Bewegung; 417 b-c: das „Ziellösende" (λυσιτελοΟν) bewegt immer, es ist das Gute. 1.5 ποίον ποιοΟ, vgl. Tht. 153dff., 156 a ff. 1.6 „Eigenschaft", dieses Wort darf an dieser Stelle eigentlich noch nicht gebraucht werden, es wird später im Dialog (182a9) als K u n s t w o r t eingeführt: ποιότης. Vgl. hierzu P. Chantraine, Formations de noms en grecque, Paris 1933, S. 293 ff. und 310 ff. 1.7 αύτό μεν καθ' αύτό μηδέν είναι, 1 5 6 e 8 - 1 5 7 a l .

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dem gegenseitigen Verkehr wird alles allerlei durch die Bewegung" 198 . Die Schlußfolgerung ist nicht schwer: aus dieser Wahrnehmungstheorie folgt die Unmöglichkeit einer Einheit der Erkenntnis ! Später wird nach der Hinzuziehung des Theodoros zum Gespräch auf die eleatische Lehre hingewiesen. Diese behaupte im Gegensatz zur extremen ,Fluß-Lehre' der Herakliteer: „es zeigt sich, daß das Unbewegte dem Ganzen ein Name ist".199 - und: „Alles ist eins und steht selbst in sich"200. Der Dialog über die Erkenntnis ist in die Mitte zwischen zwei Extreme geraten: zwischen Bewegung und Ruhe. Eine Situation, die in ihrer Dialektik allerdings nicht ausgeführt wird, weil Sokrates sich scheut, Parmenides zu kritisieren. 201 Um jedoch das Gespräch mit Theaitetos über die Bestimmung der Erkenntnis weiterzuführen, wird die Frage nach einer Vermittlung zwischen herakliteischer und parmenideischer Lehre zur Beantwortung ausgesetzt und die Uberprüfung und Widerlegung der ersten These des Theaitetos, Erkenntnis sei Wahrnehmung, zu Ende gebracht. Dazu stellt Sokrates einleitend die Frage, „womit" 202 jemand wahrnehme, also die Frage nach dem Organ der jeweiligen Wahrnehmung. Mit Akribie, weil sie nötig sei, fragt Sokrates weiter, ob ein Unterschied zwischen dem, „womit" (φ) man wahrnimmt und dem, „wodurch" (δι' οδ) man wahrnimmt, bestehe. Theaitetos akzeptiert das „Wodurch" als die genauere Fragestellung bezüglich des „Gemeinsamen" (κοινόν) in den Wahrnehmungen. Die vielen Wahrnehmungen nämlich, so hilft Sokrates weiter, liegen nicht ohne Verbindung nebeneinander „in etwas", sondern „laufen zusammen": „in eine Gestalt, ob man sie nun Seele oder wie auch sonst nennen mag". 203 Und 1.8 έν δέ τη προς άλληλα όμιλίςι πάντα γ ί γ ν ε σ θ α ι και π α ν τ ο ί α ά π ό της κινήσεως, 157a 1 - 3 . 1.9 άκίνητον τελέθει τ φ παντί ονομ' είναι, 1 8 0 e 1. Zur Frage der H e r k u n f t des Satzes, ob Originalzitat oder platonische Darstellung, vgl. L. Taran, Parmenides, Princeton 1965, S. 134: „ . . . such a theory w e d o not find in Parmenides or in Melissus." Allerdings hebt Taran in der D e u t u n g dieser Stelle unverständlicherweise ausschließlich auf den N a c h satz i n e 3: εν τε π ά ν τ α εστί - ab und weniger auf den Aspekt der U n b e w e g l i c h k e i t . Basierend auf der Untersuchung F.M. Cornfords, „A N e w Fragment of Parmenides", C R 49 (1935) 122 f. - hat D . Gallop den Satz als unabhängiges Zitat in seine Sammlung der Fragmente a u f g e n o m m e n , in: Parmenides of Elea, Fragments, T o r o n t o 1984, S . 9 0 f . ohne Verweis auf Taran. D a z u auch J. Jantzen, Parmenides z u m Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit, M ü n c h e n 1976, S. 100 ff., der sich zwar der D e u t u n g Tarans enthält, aber das Fragment als „Original" ablehnt (S. 102). 200

εν τι π ά ν τ α έστί και εστηκεν αύτό έν αύτφ, 180 e 3 - 4 . Dieses Problem führt der sachlich und dramaturgisch anschließende D i a l o g Sophistes weiter, insbesondere dadurch, weil der „eleatische Fremde" Parmenides konstruktiv kritisiert (vgl. Tht. 1 8 3 e - 1 8 4 a und Sph. 2 4 1 d - 2 4 2 a ) . 202 τω, 184 b 8 f. 203 εις μ ί α ν τινά ίδέαν, είτε ψυχήν εϊτε δτι δεί καλεΐν, 1 8 4 d 3 (Hervorhebung P.M.S.). Insbesondere der Ausdruck εις μίαν . . . ίδέαν hat in der neukantianischen Platoninterpre201

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allgemeiner noch fragt Sokrates, „ob durch eines und dasselbe in uns" 204 die Gemeinsamkeit der Wahrnehmung erreichbar sei. Denn wenn die Verbindung zweier verschiedener Wahrnehmungsvermögen bedacht werden soll, ist es nicht das jedesmalige einzelne „Werkzeug" (όργανον), das verbindet. Das, worauf sich das jedesmalige Vermögen bezieht, ist, wie auch das jeweilige Organ, verschieden von dem anderen. Laut und Farbe sind beide. Sie sind zwar voneinander verschieden, aber jedes für sich ist dasselbe mit sich.205 Sie sind zusammen zwei, jedes für sich aber eines.206 Auf die Frage, ob er jetzt bereits die Ähnlichkeit zwischen beiden überprüfen könne, antwortet Theaitetos bezeichnenderweise „vielleicht"207, denn das e i n i g e n d e M o m e n t ist noch nicht gefunden. Ein ähnliches Problem war bereits im frühen Dialog Hippias Maior aufgeworfen worden. Auch hier war nach der Gemeinsamkeit von „zusammen" (άμφοτέρω) und „einzeln" (έκάτερον) gefragt worden. Hippias nämlich wollte wissen, wie es möglich sei, daß, was keinem einzeln „zukomme", dennoch beiden gemeinsam zukommen könne. Sokrates löst das Problem unter Hinweis auf die Differenz von ,Prädikat' und ,Prädiziertem'. Dasjenige, wovon etwas ausgesagt wird, kann Vieles und Vielfältiges sein, dasjenige aber, was ausgesagt wird von etwas das Prädikat selbst - , kommt allen Dingen gemeinsam zu, von denen es ausgesagt wird. 208 An der Stelle im Theaitetos aber geht es nicht um das .Prädikat' als das Gemeinsame - auch nicht bloß logisch um den .Begriff' oder die ,Kategorie' -, sondern um eine „gewisse" gemeinsame und ordnende „Fähigkeit"209 - als dem Vermögen zur Begrifflichkeit. Theaitetos kann nunmehr die Frage nach dem W o d u r c h positiv beantworten: mit d e r Seele 210 . Er faßt es noch genauer: die Seele scheint ihm nicht ein „besonderes Werkzeug" (όργανον ϊδιον) wie Sehvermögen oder Gehör, zu sein, sondern es scheint ihm „die Seele selbst durch sich selbst das Gemeinsame ... in allen Dingen auszuspähen" 211 . Aus der daraus folgenden neuen Antwort Theaitetos' über das Sein der Erkenntnis, sie sei „Annahme", folgt die Bestimmung des „Denkens" (διανοεΐσθαι) als

tation als Belegstelle für die Entdeckung der „Idee der Subjektivität" durch Piaton gegolten, vgl. P. Natorp, a.a.O., S. 111 ff.; N. Hartmann, a.a.O., S. 300ff. 204 ει τινι ήμών αύτών τω αύτφ, 184 d 7-8. 205 Vgl. 185 a 11-12: έκάτερον έκατέρου μέν Ετερον, έαυτω δε ταύτόν; 206 Vgl. 185b2: άμφοτέρω δύο, έκάτερον ... Κν. 207 ίσως, 185 b6. 208 Vgl. Hp. Ma. 299 b ff. Dieses Problem hat J.Jantzen in Idee und Eigenschaft, a.a.O., S. 101 ff.- ausführlich dargestellt. 209 185 c 3-4: δια τίνος δύναμις . . . κοινόν. 210 211

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tfi » m û , 185 d 3. αύτη δι' αύτής ή ψυχή τά κοινά ... περί πάντων έπισκοπεϊν, 185 d 9 - e 2.

,Untersuchungsvermögen': es ist nichts anderes als eine stumme Rede, die die Seele mit sich selbst durchgeht: ein .Gespräch' der Seele mit sich selbst.212 Aus der Interpretation des Theaitetos bis zur E n t d e c k u n g d e r Psyche zeigt sich, daß Selbsterkenntnis schließlich als das Thematisieren der Seele selbst durch sich selbst gefaßt ist.213 Die Maieutik des Sokrates, die eine Sorge um die Seele ist, konnte zwar aus Theaitetos nicht mehr hervorbringen, als bereits ,in ihm' war - wobei zu fragen ist, ob menschliches Wissen wirklich ,mehr' sein könnte, als die zuletzt gegebene Definition der „wahren Annahme, verbunden mit Erklärung"; im Zusammenhang der Suche war auch das Problem der „falschen Annahme" (ψευδής δόξα, 187 d ff.) aufgetaucht und damit das Problem der .Irrtumsfähigkeit', das mit zu den Grundlagen des Dialogs als ,menschlicher Methode' der Wahrheitsfindung gehört. Das wesentlich positive Ergebnis des Dialogs aber ist darin zu sehen, daß Theaitetos durch die Mühe, der er sich unterzogen hat, nunmehr zugeschrieben werden kann, womit Charmides zu Unrecht gelobt worden war: Sophrosyne ! 214

C.

ZUSAMMENFASSUNG

Die Untersuchung der sogenannten ,Frühdialoge' Piatons hat für das Thema ,Psyche' folgende wichtige Spuren und Erkenntnisse erbracht: Die sokratische Selbstbeschreibung stellt die .Selbsterkenntnis' ins Zentrum und verbindet das Philosophieren mit der Aufforderung zur „Sorge um die Seele". Sich um die Seele sorgen erweist sich als selbstbezügliche Formel. Die damit verbundene Aufforderung zur Selbsterkenntnis aber stößt auf Widerstand. Piaton setzt mit seiner Analyse beim sophistischen Erziehungsangebot an. Sophistische Erziehung baut demnach grundsätzlich auf der A n p a s s u n g s f ä h i g k e i t des Menschen auf, ohne den Begriff der Fähigkeit für die Erziehung eigens zu thematisieren und über ihn aufzuklären. Sokrates macht - gleichsam im Gegenzug, im Protagoras - auf die A u f n a h m e f ä h i g k e i t der Seele aufmerksam. Doch läßt uns die ,Gefäß-Metaphorik' mit einer noch unbestimmten .Identitäts'-Beziehung zwischen Inhalt und Form, Wissen und Seele, zurück. Im Hippias Minor wird die F ä h i g k e i t als solche zum Thema und erweist sich in ihrer eigentümlichen Doppelheit als zugleich „Besitz und Nicht-Besitz", oder, sokratisch gewendet, .Wissen 212

Tht. 189 e-190a. Der Vorgang im Theaitetos entspricht dem, was in der Politela als die Umlenkung des „Auges der Seele" (της ψυχής δμμα, 533 d2) bezeichnet ist. 2,1 Tht. 210c, vgl. Chrm. 157dff. 213

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des Nicht-Wissens'. Der reflexiven Betrachtung zeigt sich auch der traditionelle Tugendbegriff der Sophrosyne in einer eigenen Doppelheit. Piaton nimmt offensichtlich beide Momente der Sophrosyne, die .körperlich' betonte und die .intellektuell' betonte Selbstbezüglichkeit auf. Die Sorge um die Seele als Zuwendung, nicht Ausbeutung, als Hilfestellung für junge Menschen - potentiell Philosophierende - zur Selbsterkenntnis, zeigt sich im Vergleich der drei Dialoge Lysis, Charmides und Theaitetos. Ein Strukturvergleich der drei Dialoge läßt sie - systematisch gesehen - als aufsteigende Reihe in der Bildung von Selbsterkenntnis annehmen. Im Lysis wird das sozial übliche ,Selbstbewußtsein' des Knaben Lysis angegriffen; er wird beschämt und zugleich zum Fragen angeregt. Der Interpretation zeigt sich die Seele hier andeutungsweise in ihrer Zweideutigkeit. Der Dialog mit Charmides ,mißlingt'. Obwohl dem Jüngling Sophrosyne zugesprochen wird, verweigert er die Selbsterkenntnis und folgt der scheinbaren Überlegenheit seines Vormunds Kritias, der mit seiner bloß formalen Definition „Wissen des Wissens" weder die Selbstbezüglichkeit erklären, noch das Problem des ,Gegenstandsbezugs' lösen kann. Die Interpretation dieses Dialogs zeigt insbesondere die Unverträglichkeit platonischen Philosophierens mit neuzeitlichen und modernen Selbstbewußtseinstheorien an. Mit Sorgfalt schließt Piaton ,Selbstbewußtsein' als Prinzip seines dialogischen Philosophierens aus. Der Theaitetos schließlich schildert die .Entdeckung' der Psyche aus der Kritik an sophistischer Erkenntnistheorie. Die Selbsterkenntnis, die das ,Gespräch der Seele mit sich selbst' erst eigentlich mit Bewußtsein in Gang setzt und - zunächst negativ - nur die Anerkennung einer Mittelstellung zwischen Wahrnehmung und Denken anzustreben scheint, hat positiv die Tugend der Sophrosyne: nicht zu glauben zu wissen, was man nicht weiß - zum Ergebnis. Die Untersuchung der Frühdialoge aus dem Problem der Selbsterkenntnis zeigt die Sorge um die Seele in ihrer Berechtigung wesentlich als Sorge um die Mehrdeutigkeit des .Selbst', der Seele.

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III. Die Unsterblichkeit der Seele Mit der Thematisierung der Unsterblichkeit scheint etwas ,ganz Neues' in die platonische Philosophie zu kommen. So sehr neu, daß man in der Forschung mit dem Phaidon, dem Dialog, der die „Unsterblichkeit der Seele" ernsthaft beweisen will - im Unterschied zum Gorgias, der dies im Schlußmythos vom Totengericht voraussetzt - , eine Zäsur im platonischen Werk zu erkennen glaubte. 1 Diese Forschungsmeinung schien außerdem zu bestätigen, was von historischer Seite als mystisch-religiöser Einfluß im Werk Piatons, besonders im Phaidon erkannt wurde. Mit Blick auf das philosophische Problem der Begründung ist es von einschneidender Bedeutung, wenn E. Rohde die Unsterblichkeit der Seele als einen „Glaubenssatz" auffaßt, den Piaton von orphischen „Theologen" „fertig übernommen" habe. 2 Damit wird Piaton die Einsetzung von Tradition und Dogmatik, statt kritischer, in dialogischer Rechtfertigung fortschreitender Begründung in der Philosophie zugeschrieben. Die vorliegende Arbeit geht aufgrund vergleichender Untersuchungen des Problems der Unsterblichkeit bei Piaton von einer anderen These aus. .Unsterblichkeit' wird der Seele als Prädikat zugesprochen, wenn die Seele, unabhängig vom Körper, als eine .Bedingung der Möglichkeit' der Bezugnahme auf das .Sein einer Sache-selbst', d.h. auf ,Ideen' thematisiert wird. Die Beziehung zwischen Seele und Idee wird also nicht durch ein weiteres Moment, durch eine von beiden unabhängige Relation hergestellt, sondern sie wird durch die Seele selbst geleistet. Der Zusammenhang von unsterblicher Seele und Ideen eröffnet die Möglichkeit einer Begründung des Philosophierens aus der Selbsterhellung des Vermögens und Unvermögens menschlicher Vernunft. Die Unsterblichkeit der Seele ist das zentrale Thema des Phaidon, dieser Dialog steht deswegen auch im Zentrum der Untersuchung. 1 Vgl. J. Burnet, „The Socratic Doctrine of the Soul", Proc. of The British Academy 1916, S. 257. Mit der Auffassung von der Zäsur hat Burnet indirekt den Ausgangspunkt der speziellen Betrachtung einer platonischen „Psychologie", den Phaidon, bestätigt, vgl. R.D. Archer-Hind, „On Some Difficulties in the Platonic Psychology", The Journal of Philology 10(1882) 120-131. Für die Wirkung in neueren Arbeiten vgl. F. Sarri, Socrate e la genesi storica dell' idea occidentale di anima, 2 Bde., Roma 1975, S. 123 ff. - und T.M. Robinson, Plato's Psychology, Toronto 1970. Zu einer sachlich gegenteilig orientierten Auffassung vgl. die Arbeiten von H. Kuhn, und neuerdings F. Solmsen, „Plato and the Concept of the Soul (Psyche): Some Historical Perspectives", JHistldeas 44 (1983) 355-367. 2 E. Rohde, Psyche, 2. Aufl. 1898, Neudr. Darmstadt 1980, Bd.2, S.278ff. Ähnlich auch noch im Phaidon-Kommentar von R. Hackforth, s.u. Anm. 17.

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Aber auch in anderen Dialogen ist die Unsterblichkeit Gegenstand von Erörterungen, auf die im folgenden einzugehen sein wird. 3

A.

PHAIDON

1. Die „Psyche selbst für sich" Die Suche der Philosophie nach Klarheit ist im Phaidon in zweifacher Weise repräsentiert. Sie findet sich einerseits in den Gestalten der beiden mathematisch orientierten Pythagoreer Kebes und Simmias. Beide ignorieren sie die mystisch-religiöse Form des Pythagoreismus 4 . Es ist andererseits Sokrates selbst, der zeitlebens der Grundfrage der Wirklichkeit von Wissen und der Thematisierung von Hindernissen des Wissen-Könnens nachgegangen ist. Das Bemühen um Wissen und Klarheit zeigt sich im Phaidon kurz gefaßt als a) mathematische - und b) den Lebensproblemen zugewandte (dennoch der Mathematik nicht abgewandte) Philosophie. Die Aufgeschlossenheit der umfassenden somatischen Position (b) erweist sich daran, daß der Argumentationsgang des Dialogs als eine Abfolge von „Beweisen" (τεκμήρια) aufgebaut ist; den Fragen und Zweifeln von Kebes und Simmias folgen die Beweise und Widerlegungen des Sokrates. Der gesamte Dialog Phaidon ist vom Einleitungsgespräch angefangen über die emphatisch-dramatische Beschreibung der gefühlshaften Verfassung der Anwesenden 5 bis in den reflexiven Bereich philosophischer Gehalte hinein durch Gegensätze und deren Mischung strukturiert und bestimmt. Dabei sind es scheinbare Nebensachen und Kleinigkeiten, die Hinweise darauf geben, wie der gesamte Dialog zu interpretieren ist. Ein Hinweis dieser Art findet sich zu Beginn des Berichts von Phaidon. Nachdem Sokrates von den „Elfmännern" die Fesseln gelöst wurden, als ein Zeichen dafür, daß er am selben T a g würde sterben müssen 6 , sagt er: „Wie sonderbar . . . scheint das zu sein, was die Menschen angenehm nennen, wie wunderlich ist es von N a t u r in bezug auf das, was das Gegenteil zu sein scheint, das Peinliche. Zugleich zwar wollen sie nicht im Menschen anwesend sein, wenn aber einer (τις) das eine verfolgt und ergreift, ist er fast immer gezwungen, auch das andere mitzunehmen, als ob die zwei an einem Scheitel verknüpft wären. U n d mir 3

V.a. auf Symp. 208bff.; R. 611 äff.; Phdr. 245cff.; aber auch Menon und Timaios. Vgl. Phd. 61b. 5 Phd. 5 8 e - 5 9 a . ' Das Lösen der Fesseln durch die Vertreter der Staatsgewalt ist für sich schon ein literarischer Hinweis auf den im Dialog dargestellten Sachverhalt der L ö s u n g - der Seele vom Körper. 4

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scheint ..., wenn Aesop dieses bemerkt hätte, hätte er wohl eine Geschichte daraus gemacht: daß der Gott die beiden Kriegführenden aussöhnen wollte und, weil ihm das nicht möglich war, sie an ihren Scheiteln in eins zusammenknüpfte, und dadurch folgt demjenigen, zu dem etwa das eine gekommen ist, auch das andere später nach." 7 In dieser Bemerkung von Sokrates ist schon enthalten, was in der späteren Auseinandersetzung das problematische Verhältnis von natürlichen Gegensätzen zueinander betrifft. Diese sind nicht zugleich 8 , sondern folgen aufeinander und sind doch miteinander verknüpft. Sokrates spricht nicht davon, daß er Schmerzen hatte und nun eine angenehme Empfindung nachfolgt: er spricht von „angenehm" und „peinlich" im allgemeinen und ihrem Verhältnis zueinander. Die Verwendung des „τις" ist zwar grammatikalisch gesehen Subjekt des Konditionalsatzes (60 b 6 f.), aber ist sie logisch gesehen notwendig? Wofür steht dieses τις? In der scherzhaften Mythologisierung des Sachverhalts nach Aesop wird das ontologische Problem des Seins und des Grundes von Übergängen qualitativer Gegensätze zur Sprache gebracht. Sie sind durch sich selbst, an ihren eigenen „Scheiteln", verknüpft, aber der Grund ihrer Verknüpfung liegt außerhalb von ihnen, bei dem „Gott". Die Fragwürdigkeit des τις, die hier in den Vordergrund gestellt wird, obwohl sie später im Dialog nicht mehr auftaucht, soll beleuchten, daß Piaton spielerisch das Thema des gesamten Dialogs in einer beiläufigen Bemerkung vorweggenommen hat. Der unbestimmte „Eine" muß sich selbst als der erkennen, in dem Gegensätze, von denen er nur je dem einen oder anderen nachgehen kann, zusammenlaufen. Dies weist voraus auf den Gegensatz von Tod und Leben in bezug auf die Seele. Seltsam und widersprüchlich muß erscheinen, daß Sokrates in der Zeit vor seinem Tod im Gefängnis zu dichten begonnen hat. Der Dichter Euenos läßt durch Kebes fragen, warum er dies tue. Noch erstaunlicher aber klingt die Erklärung: „um sich zu entsühnen" 9 , weil ein Traum, den er als göttliches Zeichen deutet, ihm befohlen habe, Musik zu treiben. Μουσική im Griechischen bedeutet mehr als unser heutiges Wort „Musik" ausdrückt 10 , aber sie umfaßt auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch der Antike nicht die Philosophie. In seinem bisherigen Leben hatte Sokrates Musik nur oder weitgehend als Philosophieren begriffen. Nun, im Zweifel, wie der Traum und seine Zeichen zu deu7

Phd. 6 0 b 3 - c 5 . * αμα ... μή, 6 0 b 5 . 9 Vgl. 60 e 2: άφοσιούμενος. Das Wort entstammt religiösem Gebrauch, wie überhaupt die religiöse Tradition orphisch-pythagoreischer Provenienz einen Bestandteil der Mischung aus Gegensätzen des Dialogs ausmacht. 10 Nämlich Dichtung, Tanz, Harmonielehre, Musizieren im engeren Sinne, aber nicht Malerei oder Bildhauerei. Vgl. H. Koller, Musik und Dichtung im alten Griechenland, Bern, München 1963.

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ten seien, betreibt er „gewöhnliche" 11 Musik. Kommt das nicht einer fundamentalen Infragestellung seines bisherigen Lebens gleich? Ist das derselbe Mann, der die unerschütterliche Überzeugung, daß seine philosophierende Lebensweise gerecht und die richtige sei, vor Gericht zu rechtfertigen versucht und lieber in den Tod geht, als die Athener ihn durch Gerichtsbeschluß vor die Wahl stellen, sich entweder zu ändern oder zu sterben? Hier ist ein nicht selbstverständlicher Ubergang zwischen zwei - vom sokratischen Lebensentwurf der Apologie her gesehen - widersprüchlichen Tätigkeiten angedeutet. Die Beschäftigung mit der „gewöhnlichen Musik" wurde von ,außen' - durch den religiös bedingten Aufschub der Hinrichtung - mitermöglicht, aber nicht angeregt, die Anregung ist auf ein ,innen' liegendes Motiv, den Traum, zurückzuführen. Sokrates' Gruß an Euenos durch Simmias, er solle ihm möglichst bald in den Tod folgen, wenn er ein Philosoph sei, löst den erstaunten Widerspruch der Anwesenden aus und setzt den Dialog über die Unsterblichkeit der Seele in Gang. Wenn der Philosoph als derjenige, der gerecht zu sein bestrebt ist, menschliches „Glück" (εύδαιμονία) wirklich hat 12 , dann ist auf Anhieb schwer zu verstehen, warum er zu sterben sich wünschen soll13 und sich dabei aber nicht selbst,wohltun' darf, indem er Selbstmord begeht. Nach Philolaos und den pythagoreischen Lehren, die er natürlich deren eigenen Regeln gemäß nur gehört hat, lehnt Sokrates nämlich den Selbstmord ab. Auch Kebes erinnert sich zwar, als Schüler des Philolaos, davon gehört zu haben, aber eben „ n i c h t s G e n a u e s " . Dies wird mit Nachdruck ausgesprochen. 14 Damit scheint Piaton weit eher andeuten zu wollen, daß Kebes, wie auch Simmias, als mathematisierender Pythagoreer die Lehren der Akusmatiker 15 für grundsätzlich ungenau hält, als daß Kebes und Simmias keine „aufmerksamen und klugen" Schüler des Philolaos gewesen wären 16 . Sokrates gibt dem Vorwurf Kebes' Recht: Die Lehren der Orphiker und .mystizierenden' Pythagoreer sind von sich selbst her nicht eindeu11

δημώδη, 61 a7. Vgl. Grg. 507 d-e, R. 354 a. 13 In diesem - üblichen - Sinne argumentiert auch Aristoteles, wenn er von demjenigen, der ευδαίμων ist, sagt, er müsse das Leben zuhöchst lebenswert finden und um so mehr den T o d als schmerzlich empfinden (EN 1117b 7ff.). Aber zugleich macht auch Aristoteles die Einwendung, daß dem Tugendhaften das Leben nicht der höchste Wert sei (ebd. und 1124b8f.). 14 61 d 6 und e 7 - 8 . 15 Die Akusmatiker repräsentieren den .mystischen' Flügel der pythagoreischen Schule, vgl. W.K.C. Guthrie I, S. 191 f. 16 Dieser Ansicht ist W.K.C. Guthrie I, 309 f. Zur Interpretation der Funktion von Kebes und Simmias im Phaidon vgl. H . - G . Gadamer, „Die Unsterblichkeitsbeweise in Piatons «Phaidon»", in: H. Fahrenbach (Hg.), Wirklichkeit und Reflexion (Festschr. W. Schulz), Pfullingen 1973, 145-161. 12

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tig und „nicht leicht zu durchschauen", unklar, weil sie „unsinnig" zu sein scheinen und doch irgendeinen „Sinn" haben. 17 Worin liegt der verborgene, jedenfalls sich nicht von selbst gebende Sinn dieser Aussagen? Welche Art' von Tod ist dem Philosophen angemessen? Darüber soll Sokrates wie vor Gericht Rede und Antwort stehen. Dabei geht es in der folgenden ,Verhandlung' für Sokrates freilich auch darum - solange er noch kann - seine Überzeugungen und Hoffnungen zu rechtfertigen, aber darüber hinaus wird er versuchen, das Motiv für seine Lebensführung und seine Haltung angesichts des Todes - was in der Gerichtsverhandlung der Apologie vor den athenischen Richtern prinzipiell nicht möglich war - darzustellen. Der Logos, den Sokrates zu seiner Verteidigung vorbringt, ist zunächst um nichts deutlicher als der Rekurs auf die pythagoreischen Akusmatiker: er hofft im Tod zu weisen und guten Göttern zu kommen 18 und glaubt, daß die, die im Leben gut waren, im Tod etwas Besseres als die Schlechten erwartet. „Es scheint nämlich von denjenigen, bei denen es sich trifft, daß sie richtig die Philosophie berühren, den anderen verborgen zu bleiben, daß auf nichts anderes ihr Bestreben geht, als zu sterben und tot zu sein."19 Simmias bringt nun die Stimme der „Vielen" zu Gehör, denen nämlich gar nicht „verborgen gewesen sei", daß die Philosophen den Tod „verdienten". 20 Wenn der oben zitierte Satz (64 a 4-6) des Sokrates, sowie die Erwiderung Simmias' als Antwort auf die Frage nach dem Beweggrund des sokratischen Lebens angenommen wird, dann findet sich darin nicht nur die Bestätigung der These vom in der Apologie wirksamen Vorurteil der Athener, sondern ein Indiz dafür, warum die Apologie nicht die eigentliche Verteidigungsrede des Sokrates sein kann. Hätte Sokrates sein Motiv in dieser oder ähnlicher Form 21 vor seinen athenischen Richtern vorgetragen, so wäre von einer Verteidigungsrede vermutlich nichts mehr übrig geblieben. Übrig geblieben wäre lediglich der berechtigte Vorwurf des Hand-an-sich-Legens, den Sokrates im Phaidon zurückweist. Schleiermacher schreibt dazu sehr richtig: „Daß nun die Unsterblichkeit wenigstens zu gleichen Theilen geht mit jenem Sterbenwollen, soll nicht geläugnet werden; nur übersehe auch niemand, wie eben in die Beweisführungen über die Unsterblichkeit immer wieder die 17

ού ρςίδιος διιδείν, 62 b 5-6; αλογον und λόγον, 62 b 1-2. Mit dieser klaren Differenzierung ist an sich der Vorwurf des „mysticism", den R. Hackforth wegen der Berufung auf orphisch-pythagoreische Lehren an Piaton richtet, widerlegt. Vgl. Plato's Phaedo, transi, w. introd. a. comm. by R. Hackforth, Cambridge 1955, S. 4. 18 Vgl. 6 3 b 7 , Wiederholung dieser Affirmation c 2 - 3 . 19 Phd. 64 a 4-6. 20 64 b 2-6. 21 Z.B. als ,Unsterblichkeitshoffnung', s. dagegen die vorsichtige Formulierung Ap. 40 c ff.

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M ö g l i c h k e i t u n d W a h r h e i t d e s E r k e n n e n s v e r w e b t ist, u n d b e i d e s in d e r T h a t auf das innigste verbunden für unseren Schriftsteller. D e n n das S t r e b e n n a c h E r k e n n t n i s k ö n n t e als ein S t e r b e n w o l l e n g a r n i c h t s t a t t f i n d e n , a u c h n i c h t in d e m P h i l o s o p h e n , w e n n es n o t h w e n d i g

zugleich

w ä r e ein V e r n i c h t e t w e r d e n w o l l e n . " 2 2 Die ,Leute', v o n denen Simmias spricht, wissen tatsächlich nicht, wie es sich m i t d e m W u n s c h d e r P h i l o s o p h e n z u s t e r b e n u n d t o t z u sein v e r h ä l t , o b w o h l sie, n i c h t g a n z f a l s c h , b e h a u p t e n , die P h i l o s o p h e n v e r d i e n t e n d e n T o d . E b e n weil sie n i c h t w i s s e n - o d e r g e n a u e r : n i c h t w i s sen w o l l e n - w e r d e n sie als m ö g l i c h e G e s p r ä c h s p a r t n e r a b g e l e h n t , w a s z u g l e i c h d i e V e r a b s c h i e d u n g d e s V o r u r t e i l s u n d die M ö g l i c h k e i t , die F r a g e n n a c h Sein u n d G r ü n d e n o h n e H i n t e r g e d a n k e n u n d s a c h l i c h f a l s c h e R ü c k s i c h t e n z u stellen, b e d e u t e t . U n m i t t e l b a r d a r a u f w i r d schlicht u n d präzise, freilich u n p a s s e n d für e i n e n G e r i c h t s s a a l , die g r u n d s ä t z l i c h e u n d d a h e r p h i l o s o p h i s c h e F r a g e g e s t e l l t : „ G l a u b e n wir, d a ß d e r T o d e t w a s i s t ? " 2 3 S i m m i a s b e s t ä t i g t die v o n S o k r a t e s v o r g e s c h l a g e n e n B e s t i m m u n g e n d e r „ T r e n n u n g d e r Seele v o m K ö r p e r " 2 4 und des T o t s e i n s : „ d a ß fort, v o n d e r Seele g e t r e n n t d e r K ö r p e r selbst f ü r sich selbst g e w o r d e n i s t , u n d f o r t die Seele, g e t r e n n t v o m K ö r p e r , selbst f ü r sich selbst i s t " . 2 5 D e r T o d a l s o w i r d als D i s s o -

22 F. Schleiermacher, Einleitung zum Phaidon, Piatons Werke, 2.T., 3. Bd., Berlin, 2. verb. Aufl. 1826, S.5. 23 Phd. 64 c 2; zum Gegensatz von gerichtlicher und philosophischer Untersuchung vgl. Tht. 172 c ff. 24 την της ψυχής άπό του σώματος άπαλλαγήν, 64 c 3-4. Σώμα, mit „Körper", nicht mit „Leib" übersetzt, weil erstens σώμα in der Tradition vor Platon v. a. den toten Körper (im Gegensatz zum lebendigen: δέμας) meint, vgl. auch R. 469 d, Grg. 524 c. Bei Piaton selbst ist der Gegensatz von Seele und Körper betont (s. LSJ, S. 1749). Insbesondere durch die christlich-jüdische Tradition ist andererseits der Gedanke einer Unsterblichkeit des ganzen Menschen, also Seele und K ö r p e r aufgekommen, s. Ph.Merlan, „Sterben, Sterblichkeit, Unsterblichkeit. Einige Reflexionen", in: F.Wiedemann (Hg.), Die Sorge der Philosophie um den Menschen. Festschr. H.Kuhn, München 1964, S.223-236. Merlan verweist in der Hauptsache auf den Leib als „essentifiziertes Physisches" bei Schelling (WW 1,7, S.476-478). Auch H. Buchner kritisiert die v. a. in der Piatondeutung aus dem George-Kreis stammende Übersetzung „Leib" für σώμα, in: Eros und Sein. Erörterungen zu Piatons Symposion, Bonn 1965, S.65 m. Anm.48.

" (και είναι toOto τό τεθνάναι): χωρίς μεν από της ψυχής άπαλλαγέν αύτό καθ' αυτό τό σώμα γεγονέναι, χωρίς δέ την ψυχήν άπό του σώματος άπαλλαγεΐσαν αυτήν καθ' αυτήν είναι; 6 4 c 4 - 8 . R.D. Archer-Hind, The Phaedo of Plato, 2. Aufl. 1894, Neudr. New York 1973, S. 16 zur Stelle, macht auf den Wechsel des Verbs (γεγονέναι, είναι) ohne weiteren Kommentar aufmerksam. T . M . Robinson, a.a.O. S.21, meint, an dieser Stelle des Phaidon einen Dualismus zweier unabhängiger Substanzen (an anderer Stelle, S. 22 spricht er sogar von drei „Substanzen") zu entdecken. Diese Beobachtung kann in der vorliegenden Arbeit nicht geteilt werden. Vielmehr ist die scheinbar unbedeutende Nuance des Unterschieds von γεγονέναι und είναι für die hier durchgeführte Argumentation von großer Wichtigkeit, da bei Piaton die Ähnlichkeitsrelation eng mit dem Begriff des Werdens verbunden ist. „Substanz" muß sowohl „Identität", als auch prinzipielle Un54

ziation von Körper und Seele definiert. 26 Doch was hat dieses quasibiologische Faktum mit Philosophie zu tun? Der Philosoph zeigt sich als ein den körperlichen Lüsten weitestgehend abgewandter Mensch, „der Seele aber zugewandt" 27 . Der Philosoph geht sogar noch weiter, er sucht seine Seele von der Gemeinschaft mit dem Körper zu lösen.28 Die .Entfernung' der Seele vom Leib wird folglich als eine wesentlich zum Leben und zur Lebensführung des Philosophen gehörige Aufgabe behauptet. Die offenbare Tatsache 29 der Dissoziation, nicht einer Todessehnsucht, die die beiden mathematisierenden Pythagoreer sofort akzeptieren und die „klar" genug zu sein scheint, wird im folgenden begründet. Dem Philosophen geht es um „den Besitz wahrer Einsicht" 30 . Aber für das Erfassen von Wahrheit selbst stellt sich heraus, daß die Seele mittels des Körpers dieses Ziel nicht zu erreichen vermag. Nur wenn die Seele „am meisten selbst für sich geworden ist" und, „soweit sie es irgend vermag" ohne Gemeinschaft mit dem Körper sich „nach dem Sein streckt", ist sie dazu in der Lage.31 Einsicht in Wahrheit wird also als Vermögen der Seele aufgefaßt, von ihr selbst - und vom Körperlichen - verschiedene g e g e n stände' zu erkennen, unabhängig vom Körper. Welche sind die .Gegenstände', die die Seele zu denken vermag, wenn sie „selbst für sich" ist? Es sind Gegenstände wie das „Gerechte", das „Schöne", das „Gute" und anderes dieser Art.32 Was folgt daraus für die Seele? „Die besondere Gegenständlichkeit des mit den .Prädikaten' .gerecht', .schön', ,gut' Bezeichneten hat sich dem Zugriff der Aisthesis schon immer entzogen und fordert, sie zu denken bzw. ihr Gedachtsein zu reflektieren. Es ist ebendiese Forderung, die zugleich fordert, die Seele für sich selbst zu setzen." 33 .Klarheit' des Erfassens und .Reinheit' des Gegenstands stehen in korrelativer Verbindung. Das Ziel ist als Wahrheit bestimmt - aber bisher keineswegs deutlich. Der Weg, der zu diesem Ziel führen soll, ist Veränderlichkeit und in gewissem Sinne Bewegungslosigkeit voraussetzen, dazu s.u. Kap. V. 26 Biologisch wird der Tod als „Aufhören der integrativen Leistungen eines Organismus" definiert, vgl. J. Bereiter-Hahn, „Biologische Aspekte des Begriffes »Tod«", in: Stichwort Tod: Eine Anfrage, Frankfurt/M. 1979, S. 21. Medizinisch wird die Definition noch präzisiert: „wenn die »integrativen Funktionen des Organismus irreversibel geschädigt« sind"; ebd. S.24. 27 προς δέ την ψυχήν τετράφθαι, 64 e 4 - 5 . 28 Vgl. 64 e 6-65 a 1 : άπολύων οτι μάλιστα τήν ψυχήν άπό της τοΟ σώματος κοινωνίας. 29 Vgl. 64 e 6: δήλός έστιν. 30 τήν της φρονήσεως κτήσιν, 65 a 7. 31 οτι μάλιστα αύτή καθ' αύτήν γίγνηται ... καθ' δσον δύναται . . . όρέγηται του δντος, 65c5-7. 32 Phd. 6 5 d 3 - e 1. 33 J. Jantzen, a.a.O., S. 147.

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„ein bestimmter Weg ... aus Reden in der Untersuchung". 54 Die Alternative für denjenigen, der diesen Weg begehen will, scheint allerdings aussichtslos: entweder niemals in den Besitz der wahren Einsicht zu gelangen oder erst dann, wenn man tot ist. Die sokratische Hoffnung stützt sich deshalb darauf, mit „der Seele selbst für sich" das Wahre und Reine zu berühren 35 , und daher ist das Philosophieren nichts anderes als der Prozeß der Ablösung der Seele vom Körper. Hieraus erklärt sich Sokrates' Gelassenheit vor seiner Hinrichtung. Die Diskussion wendet sich nun vom Erkenntnis- zum Tugendproblem. Die Haltung des Philosophen angesichts des Todes ist Gelassenheit. Die entgegengesetzte Haltung, die der Unwilligkeit, die nicht einmal ins Unabänderliche sich fügen will, wird folgerichtig dem „Körperliebhaber", der sich als „Geld-" bzw. „Ehrliebhaber" 36 zeigt, zugeordnet. Die Unterscheidung zwischen Weisheitsliebe und Körperliebe setzt sich fort und entspricht der Unterscheidung zwischen wahren und falschen Tugenden. Letztere sind Mischungen von Tugend mit ihrem Gegenteil: die nicht-philosophische „Besonnenheit" ist eine „Besonnenheit" aus Scheu vor Zügellosigkeit und die nicht-philosophische „Tapferkeit" ist eine „Tapferkeit" aus Furcht vor größeren Übeln. 37 Damit wird der Zweifel an seiner wahren Tapferkeit - sie wäre Furcht vor größeren Übeln, dem langsamen Dahinsiechen in hohem Alter z. B. durch Sokrates selbst vorgebracht. Das Bild vom einzig richtigen Tausch tritt dagegen auf: gegen die „wahre Münze" 38 Einsicht, sei alles, also auch das Leben, einzutauschen. Dieses Bild steht für die sokratische These von der Tugend-Wissen-Identität. Die Apologie' des Phaidon ist beendet und findet die Zustimmung der „Richter". 39 Nunmehr beginnt der eigentliche Dialog über die „Unsterblichkeit der Seele". Mit der Frage nach dem Grund der Furchtlosigkeit vor dem Tod, der Unsterblichkeitshoffnung von Sokrates, stellt sich die Frage nach der Identität von Tugend und Wissen neu und zugleich damit das Problem der Möglichkeit des Philosophierens überhaupt. Es tritt also das Problem von Grund und Begründbarkeit als solches hervor. Die von Kebes gestellte Frage, ob „die Seele noch ist, wenn der Mensch gestorben ist

34 ατραπός τις . . . μετά του λόγου έν tfj σκεψει, 6 6 b 4 - 5 . Archer-Hind (a.a.O., S. 19f.) trägt dagegen in der Anmerkung zu dieser Stelle die Ansicht vor, daß ατραπός als „Abkürzung" (short-cut) zu verstehen sei, und mit dieser Abkürzung sei der T o d gemeint. 35 Phd. 6 7 b - d . 36 φιλοσώματος, φιλοχρήματος und φιλότιμος, 6 8 b 9 - c l . Mit der Zwei- bzw. Dreiteilung der ethischen Einstellungen zum Tod zeichnet sich bereits die Differenzierung von .Seelenteilen' ab, wie sie in der Politela (v.a. 435 äff.) systematisch dargelegt wird. 37 Phd. 6 8 c - 6 9 a . 3β το νόμισμα όρθόν, 69a 8. Hierzu auch R. Weiss, „The Right Exchange: Phaedo 69 a 6-c3", Ancient Philosophy 7 (1987) 57-66. 3 ' Phd. 6 9 a - e .

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und ob sie irgend W i r k l i c h k e i t u n d E i n s i c h t hat" 40 , greift - dem Fragesteller hier noch nicht bewußt - aus in den viel weiteren Horizont, ob das Denken überhaupt, das Philosophieren, mit seinem Anspruch, das Leben auf ein gutes Ziel hin zu ordnen, Wirklichkeit hat oder in ihrer jeweiligen Form, sozusagen mit jedem Philosophen, hier also: mit Sokrates - stirbt bzw. gestorben ist.41 Die Frage betrifft uns heute noch; und schärfer formuliert lautet sie: Ist die Philosophie mit dem ersten Ethiker und Philosophen, Sokrates, bereits gestorben? Werden Dinge und Eigenschaften, Zeichen und Bedeutung, schließlich Körper und Seele als ,Begriffe' genommen, so können sie nur als Termini verstanden werden, die in einer korrelativen Beziehung, also nur in notwendigem Bezug aufeinander thematisiert werden können. Eine isolierte Verwendung eines dieser Begriffe käme einer Substantialisierung gleich42. Die Lösung dieser Aporie angesichts der Begründungsproblematik der Philosophie ist nach G. Prauss allein in der Annahme eines „ e i g e n e n Bereichs" zu sehen, der auf die Bedingungen der Möglichkeit der Verwendung korrelativer Termini blickt. Die Möglichkeit einer Begründung für Philosophie wird damit zugleich zur notwendigen Bereitschaft, in Distanz zu dem Bereich des korrelativen Gebrauchs von Begriffen zu treten. 43 Ist ψυχή im Phaidon eine .Substanz' oder ein .Begriff'? Und wenn ψυχή weder Substanz noch Begriff ist, was ,ist' sie dann? Eine Antwort auf diese Fragen liegt in der Forderung, „die Seele selbst f ü r sich" 44 zu denken und Einsicht insofern als unabhängig von aller Wahrnehmung, „unsichtbar" (άειδής), ja nicht einmal mehr als Vorstellung in Gedanken erfaßbar, zu bestimmen. Dennoch darf daraus nicht gefolgert werden, die Seele sei damit l o g i s c h e s p r i u s und Einheitsprinzip der Erkenntnis. Die Seele ist allerdings Voraussetzung für Wahrneh-

40 εστι τε ή ψυχή αποθανόντος τοΟ άνθρωπου, καί τίνα δύναμιν εχει καί φρόνησιν, Phd. 70b2-4. 41 Würde Sokrates' Denken, sein Leben und, was mehr ist, sein Sterben als singulär-historisches Ereignis gewertet, so könnte es als Bestätigung des Protagoreischen Relativismus gelten. Vgl. den Hinweis auf das leere Geschwätz (70 b 9) und die Warnung vor der Misologie (89cff.). 42 Vgl. T.M.Robinson, a.a.O., S.21 f. Er steht mit seiner Interpretation des Phaidon, darin einen „Dualismus" von Substanzen dargelegt zu sehen, für viele vergleichbare Interpretationen. 43 G. Prauss, „Die Möglichkeit von Philosophie nach Kant", in: W. Marx (Hg.), Zur Selbstbegründung der Philosophie seit Kant, Frankfurt/M. 1987, S. 11-25. Dabei ist festzuhalten, daß Prauss die „Schwierigkeiten der Tradition", auf die Kant Bezug nehme, mit guten Gründen allein aus kantischer Sicht darstellt. Damit lastet aber zugleich eine bestimmte Einschränkung auf den Ausführungen, die das Urteil über die bis heute nicht gelungene „Reflexion auf die Möglichkeit von Philosophie überhaupt" (S. 11) zumindest problematisch erscheinen lassen. 44 αύτη καθ' αυτήν την ψυχήν, vgl. 64 c 6 - 7 u.ö.

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menkönnen: in ihr laufen die disparaten Wahrnehmungen zusammen 4 5 , und sie thematisiert durch sich selbst die nicht durch die Wahrnehmung gegebenen g e g e n s t ä n d e ' : die Ideen. 46 Die Seele muß sich dabei selbst von den Ideen, den w a h r h a f t Seienden, unterscheiden. Sie muß sich reflektierend in der Mitte zwischen dem einen - sinnlich Wahrnehmbaren - und dem anderen - unsinnlich Intelligiblen - , weder das eine noch das andere seiend, ansiedeln. Seele muß sich einen .eigenen Bereich' zusprechen, sofern sie „selbst f ü r sich" gedacht wird. Die Beweise f ü r die Unsterblichkeit der Seele folgen steigernd und einander ergänzend diesem bereits im Vorgespräch des Phaidon dargelegten Gedanken.

2. Die Dynamis des Werdens Kebes und Simmias akzeptieren die ,Apologie' des Sokrates, sie .sprechen ihn frei'. Aber sie lassen ihn noch nicht los, denn sie wollen den Kern des Problems, die „Wirklichkeit" und das „Denken" der Seele als unabhängigen Bereich begründet haben. Kebes bringt eine Meinung der „Vielen" vor, die die Seele als belebendes Prinzip im T o d gleichsam als die letzte ausgehauchte (Atem-)"Luft" oder als „Rauch" vorstellt, die ohne den Körper ein „Nichts" ist.47 Diese Meinung stellt zur s o m a tischen These eine Gegenthese auf: Die Seele selbst f ü r sich sei nichts ohne den Körper; unabhängig gebraucht sei ,Seele' ein leerer Begriff. Sokrates antwortet seinerseits mit einer „alten Rede" aus der Erinnerung, nämlich dem Kreislauf von Geburt, T o d und Wiedergeburt. Diese alte Rede ist allerdings nur ein Anstöß f ü r eine allgemeine Überlegung zum Problem des Werdens*9. Das Problem des menschlichen Todes wird somit in einen kosmologischen Rahmen gestellt. D a ß der empirisch-phänomenale Bereich der Natur gemeint ist, zeigt der Ausdruck ή φύσις. Für ihn gilt, daß aus entgegengesetzten alle entgegengesetzten Dinge entstehen. 49 Ausdrücklich wird der Übergang „zwischen" (με-

45 Phd. 6 5 d f f . , vgl. Tht. 185cff. „Die Seele, die nicht mittels der „Wahrnehmung", sondern mittels ihrer selbst, d.h. dianoetisch, einen Sachverhalt „ausspäht", hat ihn schon vom Wahrgenommenen unterschieden und in diesem vorweggenommen." J. Jantzen, a.a.O., S. 160 f. 46 Vgl. J. Jantzen, a.a.O., S. 147: „In der Thematisierung der Seele an sich selbst wird die Bedingung dafür eingeholt, in der Wahrnehmung offensichtlich nicht „gegebene" Gegenstände der Rede aussagen und selbst wieder thematisch machen zu können." 47 πνεύμα ή καπνός ... ούδεν ετι ούδαμοϋ, 70 a 5 - 7. Ε. Rohde weist eine derartige Auffassung für Epicharmos (vgl. D K 23 Β 8-10) nach, Psyche II, a.a.O., S.257ff., v.a. S.258, m. Anm.3. Vgl. auch Demokritos, D K 68 A 106. 48 Vgl. 70 d 10: ϊδωμεν άρ' ούτωσί γίγνεται πάντα. 49 Vgl. 71 a 5-6: ότι πάντα οϋτω γίγνεται, έξ εναντίων τα εναντία πράγματα, ή φύσις, 71e 6-7.

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ταξύ) zwei Gegensätzen 50 als „Werden" (γένεσις) bestimmt und zwar in zweifacher Weise: als „Sterben" (άποθνήσκειν, 71 e 4) und als „Wiederaufleben" (άναβιώσκεσθαι, e 9). Der Dissoziation von Seele und Körper, dem Sterben, wird eine Assoziation, das Wiederaufleben, gegenübergestellt. Weder der eine noch der andere Vorgang können aus dem G e w o r d e n e n erklärt werden, da beide ein W e r d e n sind. Das Werden nimmt also gegenüber dem gegensätzlich Gewordenen logischerweise einen eigenen Bereich ein. Beide zusammen beschreiben den Kreislauf der Natur. In gewisser Weise stehen hier also Werden und Gewordenes doch wieder korrelativ zueinander. 51 Wird allerdings ein linear fortschreitendes Werden angenommen 52 , so würde, entsprechend der Prämisse des Entstehens von allem aus dem Entgegengesetzten (71 a), aus dem Lebenden als dem einen Gegensatz letztlich nur Totes entstehen. 53 Die Erwähnung des Anaxagoras und seines Satzes „alle Dinge zumal" 54 als solche scheint neutral und ohne Wertung; nämlich als Heranziehung einer naturphilosophischen Autorität zum Beleg für eine gedankliche Konsequenz. Der Satz sollte allerdings nach der für uns gültigen Quelle 55 den Anfang der Weltentstehung und nicht das Ende des Prozesses beschreiben. Dieser Sachverhalt, wobei mit Sicherheit anzunehmen ist, daß Piaton die Schriften des Anaxagoras kannte, und der Hinweis, daß der Vermischung keine Entmischung entsprechen würde - bei linearer Auflösung -, weisen bereits auf die im Phaidon später geäußerte Kritik an Anaxagoras' Ansatz einer Kosmologie. 56 Denn, wie es später heißt, der „Nous" werde von Anaxagoras zwar als Erklärungsgrund für das .Arrangement' des Kosmos herangezogen, für die Erklärung einzelner Sachverhalte komme dieser Grund jedoch nicht in Betracht. 57 Ein linear fortschreitendes Werden löste demzufolge Unter50 Später (72 b 1) ist dieses Entgegengesetzte als γιγνόμενα bezeichnet. Terminologisch gebraucht Piaton das „Gewordene" (γενόμενον) erst im Theaitetos (155 b: „was vorher nicht war, aber nachher ist, kann nur geworden sein und werden", und 155 c: „ohne Werden ist unmöglich geworden zu sein") und Sophistes (245 d: „Das Gewordene ist immer ein Ganzes geworden."). 51 R.S. Bluck sieht eine Schwäche dieses Arguments in seiner „purely mechanistic explanation of why soul must be immortal", in: Plato's Phaedo, London 1955, S.57. 52 Vgl. Phd. 7 2 a 9 - b 2 : Ei γαρ . . . εύθειά τις ε'ίη ή γένεσις. 53 Ein Gedanke, der seine moderne Entsprechung im zweiten thermodynamischen Gesetz der Physik über die .Entropie' zu besitzen scheint. 54 Phd. 72 c 4: Ομοϋ πάντα χρήματα. Übers. Schleiermacher; vgl. DK 59 Β 1. Zum Problem des Wortlauts des Anaxagoras-Zitats W. Rosier, „ΟΜΟΥ ΧΡΗΜΑΤΑ ΠΑΝΤΑ ΗΝ", Hermes 99 (1971) 246-248. 55 Vgl. W. Rosier, a.a.O. Die Quelle ist der Aristoteleskommentar des Neuplatonikers Simplikios. 56 Zur Anaxagoras-Kenntnis Piatons vgl. u.a. Ap. 2 6 d - e . Zu Vermischung-Entmischung s. Phd. 72 e 3. Vgl. außerdem die Verwendung des o. erw. Anaxagoras-Zitats im Grg. 465 d. 57 Phd. 97 c - 9 9 a. Vgl. zur Stelle Diog. Laert. II, 6.

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schiede überhaupt auf, ein denkendes Unterscheiden 58 würde sinnlos. Dieses erste Argument für die Unsterblichkeit der Seele enthält noch einen anderen Aspekt, nämlich den der Allgemeinheit: jede Seele, die in den Kreislauf des Werdens und Vergehens eingespannt ist, ist unsterblich, auch wenn sie es nicht weiß. Das Bewußtmachen von allgemeinen Voraussetzungen ist daher die philosophische Aufgabe.

3. Die Dynamis der Anamnesis Kebes wechselt scheinbar das Thema, wenn er auf die AnamnesisTheorie zu sprechen kommt (72 e ff.). Aber tatsächlich reagiert er einerseits auf den mit der Dynamis des Werdens angenommenen Unterschied von „Besseren" und „Schlechteren" (72d-e) und andererseits durch das zu denken geforderte „Wiederaufleben", auf die bereits früher einmal von Sokrates erwähnte „Wiedererinnerung" (άνάμνησις). Mit der Anamnesis-Theorie wird die Möglichkeit des Unterscheidens in bezug auf das Gewordene deutlich: das U n t e r s c h e i d e n k ö n n e n . Das Argument von der Ähnlichkeit der Seele mit dem Unauflöslichen und Unvergänglichen (78 b ff.) verweist auf die Bedingungen dieses Vermögens, welche mit dem entscheidenden Abschnitt des Argumentationsgangs, der Einführung der Hypothesis (99dff.), eingeholt werden. Der Anamnesis-Beweis des Phaidon wird durch einen klaren Hinweis auf die Verwendung eines solchen .Beweises' im Dialog Menon (80 d ff.) eingeleitet. Das Ausgangsproblem des Menon ist die Frage nach dem ,Was' von Tugend (71 äff.) und erfährt eine Modifikation in der Frage nach deren Lehrbarkeit. Wenn der „streitsüchtige Satz" gilt, daß „der Mensch nicht suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß", so muß daraus folgen, daß es kein W e r d e n von oder in bezug auf Wissen geben kann, d. h. es ist kein Lernen möglich. Gegen diesen Satz tritt Sokrates mit dem Logos weiser Menschen an, daß die Seele unsterblich und ihr Lernen Wiedererinnern an im nicht-körperlichen Zustand Gewußtes sei: „Gleichwie die gesamte Natur unter sich verwandt ist und die Seele alles vernommen hat, so hindert nichts, daß, wer an eines allein erinnert wird, was die Menschen Lernen nennen, alles andere selbst wieder auffindet, wenn einer nur tapfer ist und beim Suchen nicht ermüdet." 59 Das fqlgende .Experiment' mit dem jungen, ungebildeten Sklaven Menons, der allein durch Fragen zur richtigen Einsicht in einen geometrischen Sachverhalt gebracht wird 60 , enthält als wichtigen Einschnitt 58

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λογικόν von αλογον, σαφής von ουδέν σαφής, s. o. Men. 8 1 c 9 - d 5 , vgl. Phd. 7 2 e 3 - 7 3 a l . Men. 8 2 b - 8 5 b . Zur Methode im Menon vgl. M.C. Stokes, Plato's Socratic Conver-

die Auflösung der falschen Annahme des Knaben, bereits zu wissen, was das Richtige sei (84a-d). Die Auflösung einer falschen Annahme ist freilich noch nicht das sokratische Wissen des Nicht-Wissens. Es ist zunächst nur Verlegenheit, als tatsächlich Nicht-Wissender entdeckt zu sein, aber es legt die Möglichkeit frei, die richtige Annahme machen zu können, d. h. „die Erkenntnis aus sich selbst hervorgeholt zu haben" 61 . Der Ansatz der Anamnesis, als Anfang, Wissen zu thematisieren, kann also - rückblickend - als das Nichtwissen des Wissens bezeichnet werden. Paideia wäre demnach die Kunst das latente Wissen bewußt zu machen. 62 Der Phaidon präzisiert gegenüber dem Menon den Gedanken des V e r m ö g e n s (δύναμις) zum Wissen, indem hier das „vorher" (πρότερον) und die .Gegenstände' des Vorwissens (προείδοτα) eingeführt werden. Die Erinnerung an eine bestimmte Sache kann durch verschiedene Gegenstände ausgelöst werden, die in einem A h n l i c h k e i t s v e r h ä l t n i s zu der fraglichen Sache stehen. Die notwendige Bedingung für das Erinnern ist, daß man das Erinnerte vorher schon einmal gekannt haben muß. Das, wodurch man erinnert wird, und das, woran man sich dabei erinnert, müssen einander ähnlich sein. Aber Ähnlichkeit setzt Verschiedenheit voraus. Prinzipiell verschieden ist das „Gleiche selbst" von den „gleichen Dingen". Die .Gegenstände', die das Vorwissen weiß, sind also von anderer Art als sinnliche Gegenstände. Das „Gleiche selbst" ist nicht Ergebnis einer Abstraktion, sondern ist für jeden Prozeß des Abstrahierens und Vergleichens vorauszusetzen. 63 Daraus folgt für Sokrates und auch für Simmias und Kebes (76e-77a) notwendig das vorgeburtliche Sein der Seele. N. Hartmann schreibt dazu: „Nicht die Präexistenz der Seele ist das philosophisch Wesentliche an diesem Mythos, sondern die άνάμνησις selbst, sofern sie ein Sichbesinnen und ein Bewußtmachen latenten Wissens ist."64 Das Bewußtmachen latenten Wissens ist ein Aspekt an der Anamnesislehre, die vor allem im Menon hervorgehoben wird, der Phaidon hingegen betont den .eigenen Bereich', den die Seele einnimmt. Hartmann aber scheint diesen Versuch der Begründung als bloße Mythisierung

sations. Drama and Dialectic in Three Dialogues, London 1986, S. 11 ff. Zum erkenntnistheoretischen Problem der „Wiedererinnerung" sind die Ausführungen von H. Barth treffend; Die Seele in der Philosophie Piatons, a.a.O., S. 104 ff., aber auch 199 ff. 61 άναλαβών αύτός έξ αύτοϋ την έπιστήμην, 85d 4. Zur Verlegenheit vgl. Menons „Erstarrung" 7 9 b - 8 0 b . " Simmias (Phd. 73 b) ist bereits einen Schritt weiter als Menon (Men. 81 e), er meint nicht über diese Theorie „belehrt" werden zu können, er sagt, er bedürfe „erinnert zu werden" (άναμνησθηναι). " Zum Abschnitt s. Phd. 7 3 c - 7 4 e . Vgl. dazu R.S. Bluck, a.a.O., S.63. 64 N. Hartmann, „Das Problem des Apriorismus in der Platonischen Philosophie", in: ders., Kleinere Schriften, Bd. III, Berlin 1957, S.56.

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verstehen zu wollen. Dabei ist es Simmias, der das vorgeburtliche Sein zeitlich so sehr betont, daß ihm der l o g i s c h e Sinn des πρότερον zu verschwinden scheint und das ύστερον, das Nachher, bezogen auf das Ende der Seele noch ungelöst scheint. Der Beweis sei also erst „zur Hälfte" 65 geleistet. Sokrates bittet aber zu bedenken und zusammenzusetzen, was bisher vorgebracht wurde: die Anamnesis und den Kreislauf des Lebens. Bereits hier muß deutlich werden, daß Seele als .eigener Bereich' und die Annahme nichtsinnlicher, nichtwahrnehmbarer ,Gegenstände' als Erkenntnisgründe (αίτίαι), für die Begründung von Philosophie einander ergänzen und zusammengehören 66 . Diese Beziehung muß näher bestimmt werden, was im letzten Abschnitt des Dialogs tatsächlich ausgeführt wird; dem darf hier noch nicht vorgegriffen werden. Sowohl im Erinnern daran, Disparates zusammensetzen zu können, wie in der Aufforderung zur Selbstbesprechung 67 zeigt sich Sokrates' Sorge um die Seele: das Vermögen des einzelnen zur Selbsterkenntnis und zum Unterscheiden zu achten und zu fördern. 4. Vermittlung durch

Ähnlichkeit

Mit dem folgenden Argument der Ähnlichkeit der Seele mit dem Unzusammengesetzten, Unauflöslichen und Unvergänglichen (78 b ff.) wird auf die B e d i n g u n g e n dieses Vermögens verwiesen, welche ihrerseits in dem letzten und entscheidenden Abschnitt des Argumentationsgangs, der Einführung der Hypothesis (99 d ff.) eingeholt werden. „Zwei Arten des Seienden" werden gesetzt 68 : die eine „unsichtbar" (άειδές) und „immer in derselben Weise sich verhaltend" (άεί κατά ταύτα εχον), die andere „sichtbar" (όρατόν) und „niemals in derselben Weise" sich verhaltend (μηδέποτε κατά ταύτα) 69 . Die Seinsart der einen steht in durchgängigem Gegensatz zu der der anderen. 70 Während im Abschnitt über den Kreislauf der Natur von konträren Gegensätzen (έναντία) die Rede war, die einen Ubergang ineinander zulassen, wird 65

Vgl. Phd. 77 c 2: ώσπερ ήμισυ άποδεδεΐχθαί. R.S. Bluck, a.a.O., S.64, weist auf den Zusammenhang von Seele und Idee hin. Allerdings behauptet er von den Ideen, diese seien „supra-sensible entities in another world". Er wiederholt damit den oftmals und zu Recht zurückgewiesenen Vorwurf des Aristoteles, Piaton verdoppele die „Welt" durch die Annahme von Ideen. Dazu s.u. Abschnitt F. " Vgl. Phd. 77cund 7 7 e - 7 8 a . Zur Bedeutung der „Besprechung" bei Piaton s.o., Abschnitt zum Charmides und P. Lain-Entralgo, „Die platonische Rationalisierung der Besprechung (ΕΠΩΙΔΗ) und die Erfindung der Psychotherapie durch das Wort", in: Hermes 86 (1958) 298-323. 68 Vgl. 79a6: Θώμεν ... δύο ει'δη των όντων. " Zur Bedeutung dieses Gegensatzes für die platonische Kosmologie vgl. 77. 2 7 d - 2 8 a und 52 a. 70 Vgl. die Aufzählung von Gegensatzpaaren in 7 8 d - e und 80a-b. 66

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hier im Unterschied dazu voneinander Verschiedenes (ετερα) angeführt. 71 Die Pole dieser Gegensätze stehen in ausschließendem Verhältnis zueinander. Es findet kein Übergang statt und dennoch besteht eine Vermittlung zwischen beiden: die Ä h n l i c h k e i t von Körper und Seele mit diesen polaren Gegensätzen ist - für die menschliche Natur (79 b 7) - klar. Der Körper ist dem Sichtbaren, die Seele dem Unsichtbaren ähnlicher. Es treten also in den kontradiktorischen Gegensatz sichtbar-unsichtbar gewissermaßen zwei Mittelglieder, die weder das eine noch das andere sind - im Sinne der Identität -, und dennoch sind beide dem einen bzw. dem anderen ä h n l i c h . Insofern Körper und Seele beide etwas anderem ähnlich sind, sind sie gleich. Aber sie sind doch auch wieder nicht dasselbe, sondern stehen ihrem Wert nach auf vertikal verschiedenen Ebenen: die Seele herrscht, als das dem Göttlichen Ahnliche, über den Körper, der dem Sterblichen ähnlich ist.72 Wiederum schlägt Sokrates den Bogen zu den ethischen Folgerungen, die sich aus diesen Einsichten über die Natur des Gegensätzlichen und seiner möglichen Vermittlungen für die Lebensführung ergeben. 73 Die Philosophie als Sorge um die Seele wendet sich angesichts der notwendigen Dialyse von Körper und Seele im Tod zur „Einübung in den Tod" (μελέτη θανάτου, 81 a 1). Hier läßt sich auf ein bereits besprochenes Verhältnis von Seele und Körper verweisen. Für die Heilung des Menschen war es wichtig zu wissen, daß die Seele das Ganze ist und durch Besprechungen geheilt werden kann. Darüber hinaus wurde von den zalmoxischen Ärzten, von denen diese Lehre stammen sollte, behauptet, sie könnten „unsterblich machen" (άπαθανατίζειν) 74 . Diese Behauptung findet im Phaidon eine Erklärung. Aus dem Wissen um Gegensätze und Unterschiede werden die Haltung zu sich selbst geklärt und die Konsequenzen für dieses Ganze: Seele - deutlich. Philosophierend nimmt der Mensch in der Rückwendung auf die Seele selbst für sich den Tod als Trennung von Körper und Seele vorweg. Er erleichtert sich das Sterben 75 und befreit sich von Angst vor dem Tod. Mangelnde Einsicht in diesen Sachverhalt dagegen macht die Seelen

71 Vgl. Phd. 70 d ff. und 103a-c. Unter .Verschiedenem' kann bei Piaton konträr und kontradiktorisch Gegensätzliches zu verstehen sein, aber auch Unvergleichliches. Der Dialog, in dem die für die platonische Philosophie bedeutende Unterscheidung zwischen Gegensatz und Verschiedenheit ausdrücklich thematisiert wird, ist der späte Sophistes, dazu s.u. Kap.V. 72 Phd. 7 9 d - 8 0 a . Schon 7 9 c 2 - 3 : die Seele gebraucht den Körper, um etwas zu betrachten. Vgl. Tht. 184 c: die .pedantische' sprachliche Unterscheidung zwischen ψ und δι' ου benennt den Werkzeugcharakter des Körpers, den die Seele gebraucht und darüber hinaus braucht, um Sinnliches zu betrachten. 75 Phd. 80 e ff. vgl. 67 e ff. 74 Chrm. 156 d 6 und ff. 75 Vgl. Phd. 80e-81 a, 8 2 c - 8 4 b .

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der ans Körperliche sich Bindenden und Gebundenen 76 „körperartig" (σωματοειδές) und daher dem Sterblichen ähnlich. 5. Die Einwände Kebes und Simmias sind noch nicht überzeugt von dem bisher Gesagten. Sokrates fordert daher zum Widerspruch auf und räumt ein, daß es noch viele Einwände zu machen gäbe (84cff.). Diese Einwände geben Gelegenheit, nicht nur von Gegensätzen und Unterschieden zu reden und für die Psyche einen eigenen Bereich zu reklamieren, sondern jenen „Weg . . . aus Rede in der Untersuchung" 77 selbst zu thematisieren. Simmias deutet diese Problematik an (85 d), und Sokrates greift später auf Simmias' Metapher des „schwimmenden Floßes", das der Logos sei, zurück, wenn er vom δεύτερος πλους, jener „zweitbesten Fahrt" von der Erforschung der Gründe spricht (99c-d). Das Problem der sprachlichen Begründung von Sachverhalten wird zur dialogisch zu vollziehenden Handlung. Der Ubergang zur Erweiterung der Argumentation geschieht im Dialog kunstvoll durch verschiedene Hinweise. Festzuhalten ist: In der Einleitung zu seinem Einwand unterscheidet Simmias vorbereitend den unsicheren menschlichen vom sicheren göttlichen Logos (85c-d). Nach der Äußerung der Einwände von Simmias und Kebes durchbricht die Rahmenhandlung den Bericht und erzählt von der verunsichernden Wirkung der Reden bei den damals im Gefängnis Anwesenden, sowie bei dem Zuhörer des Berichts von Phaidon. Derselbe Logos kann also bei verschiedenen Zuhörern von verschiedenen Sprechern zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen dieselben Wirkungen hervorrufen (vgl. 88b-d). Reflexiv eingeholt wird der Übergang zur Bedeutung des Logos für eine Begründung der Philosophie durch Sokrates' Warnung vor der Misologie 78 : Redefeindschaft und die aus ihr resultierende Menschenfeindschaft haben ihren Grund in kunstlosem, unsachverständigem, d.h. unbegründetem Vertrauen - in den sprachlichen Ausdruck von Gedanken bzw. in Menschen. 79 Eine Kunst des Umgangs mit Logoi - und ergo Menschen - ist somit gefordert und nicht das mehr oder weniger blinde Vertrauen in das Charisma eines, sei es auch noch so außergewöhnlichen Menschen wie z.B. Pythagoras - oder die blendende Wirkung seiner Rede. Ein Vgl. Phd. 81 bff., 83cff. und bes. 82e-83a: .Selbstbestrafung'. Phd. 6 6 b 4 - 5 , s.o. S. 56 mit Anm. 34. 78 Phd. 8 9 c f f . Vgl. hierzu die dem Parmenides in den Mund gelegte Einschätzung von der Ideenannahme des Sokrates als unverzichtbarer Voraussetzung für ein gemeinschaftliches Untersuchen von Sachverhalten durch den Logos, Prm. 135b-c. 79 Es ist klar, daß Rede- und Menschenfeindschaft von b e g r ü n d e t e m Mißtrauen zu unterscheiden sind. 76 77

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derartiger Einwand wird von Sokrates indirekt gegen sich selbst vorgebracht: Gesetzt, Sokrates' gesamte Argumentation geschehe nur aus Eigeninteresse (91b), und er könne - wie ein späterer Kritiker es formuliert haben könnte - , weil er im Reden stärker sei als die Anwesenden, deren Einwände auflösen; so sollen diese Argumente keinesfalls ein für alle Mal gelten können. Im Falle des Sokrates ist zwar auch ein ganz eigenes Interesse dabei, und gegen solches Interesse gibt es im Leben keinen hinreichenden ,Schutz'. Aber er ruft zugleich zur Beachtung der Wahrheit selbst auf und warnt vor falscher Rücksichtnahme gegen sich selbst (91b-c). Es ist keineswegs bedeutungslos, daß damit unausgesprochen auf einen möglichen Einwand relativistischer Seite (Protagoras) reagiert wird (s.u.). Zurück zu den Einwänden von Simmias und Kebes.

a) Simmias: Die Seele als Harmonie Simmias vergleicht die Seele mit der Stimmung oder dem Gestimmtsein einer Lyra.80 Die Stimmung sei selbst unsichtbar, unkörperlich, schön und göttlich, dabei aber völlig vom Zustand des Körpers, dessen Stimmung sie darstelle, abhängig. Daher würde sie auch bei schwerwiegenden Mißverhältnissen im Körper umkommen und diesen keinesfalls überdauern (86c-d). b) Widerlegung 81 Simmias' Beschreibung der Seele gleicht der materialistischen Auffassung, die die Seele als Epiphänomen körperlicher Zustände bzw. als Funktion des Körpers definiert. Die ethische Konsequenz aus dieser Auffassung wäre ein Determinismus bzw. das im Gorgias, der Politela und in Nomoi X mit gewissen naturphilosophischen Ansichten bzw. der Rhetorik in Verbindung gebrachte ,Recht des Stärkeren'. Aber Simmias hatte diese Konsequenzen noch nicht bedacht. Er ist nämlich mit seinem Einwand lediglich einem spontanen Einfall gefolgt 82 und hat nichts mit sich selbst Übereinstimmendes vorgebracht. Das Zugeständnis, daß die Anamnesislehre eine für Simmias weiterhin gültige Prämisse sei, steht in unmittelbarem Widerspruch zu der Annahme von der Seele als Stimmung, die eben nicht logisch vor dem Körperlichen, des-

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Phd. 85 e 5, 86c3: αρμονία. Im Text erfolgt die Widerlegung des Simmias erst, nachdem auch Kebes seinen Einwand formuliert hat. 82 Phd. 92 c 8 f.: μοι γέγονεν άνευ αποδείξεως μετά εικότος τινός καί εύπρεπείας. 81

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sen Stimmung sie sei, gedacht werden kann. 83 Unter der Voraussetzung, daß die Seele als Stimmung eines jeweiligen Körpers nicht mehr oder weniger Seele sein kann, würde sich eine sinnvolle Rede über ethische Differenzen: Tugend und Schlechtigkeit - auflösen. 84 Simmias aber besteht von selbst auf dieser Differenz und ist damit widerlegt (94a-b). Zum dritten schließlich enthält Simmias' These einen .empirischen' Widerspruch. Würde Seele darauf reduziert, Stimmung des Körpers zu sein, könnte der Mensch fundamentalen körperlichen Bedürfnissen wie Hunger oder Durst aus inneren Antrieben keinesfalls widerstehen (94b-95a). Die drei Teile der Erwiderung von Sokrates zeigen also den Einwand des Simmias in logischem, ethischem und empirischem Widerspruch mit dessen eigenen Uberzeugungen. Diese Widerlegung, die ausführlicher ist als eigentlich erforderlich, liefert ein eindringliches Beispiel für die Warnung vor der Misologie und die Bedeutung einer Kunst, Logoi unterscheiden zu können. 85 Nicht der jeweils nächstliegende, sondern der „stärkste" in Gedanken bereits geprüfte Satz soll gesetzt werden. 86 c) Kebes: Sich verschleißende Identität Der Einwand des Kebes ist argumentativ stringenter als derjenige von Simmias und schon deshalb ernster zu nehmen. Kebes hält an der Prämisse der prinzipiellen Natur der Seele in bezug auf den Körper fest und nimmt in bewußtem Gegensatz zu Simmias (87 c) größere Stärke und Dauerhaftigkeit der einzelnen Seele im Vergleich zu ihrem Körper an (87a). Die Einsicht in den physiologischen Sachverhalt des Stoffwechsels, der periodisch zum völligen Austausch der Körper-,Substanz' 83 Phd. 92a-b. R.S. Bluck, a.a.O., S.23 und 97, sieht mit diesem Argument Simmias' Einwand bereits widerlegt und im weiteren Fortgang kein Problem. 84 Phd. 92 e - 9 3 b. Die Konsequenzen aus dieser Annahme liegen im Gorgias vor: Sokrates' Dialog mit Kallikles, dem konsequenten Vertreter des .Rechts des Stärkeren' endet aus Verweigerung von Kallikles' Seite. Vgl. hierzu auch die Notwendigkeit einer .Besserung' der .Materialisten' in Sph. 246 c-d. 85 Die in den Spätdialogen entfaltete διαλεκτική τέχνη baut auf der Unterscheidungsfähigkeit auf, indem sie das Vermögen des Dialektikers als Trennung und Verbindung von Begriffen bestimmt, dazu s.u. Kap.V. 86 Vgl. Phd. 100 a. Einige Kommentatoren sind mit der Widerlegung des HarmonieEinwands durch Sokrates nicht zufrieden. Sie meinen logische Widersprüche bzw. fehlerhafte Argumentation zu entdecken. Vgl. v. a. R. Hackforth, Plato's Phaedo, 1955, repr. 1972, S. 118-120; D. Bostock, Plato's Phaedo, Oxford 1986, S. 122-134. Stellvertretend für die z.T. sehr ausführlichen Einlassungen sei ein Satz W.K.C. Guthries zitiert IV, 348: „There are many compounds in the physical world which, according to the proportion in which their components are mingled, produce effects impossible to the components either separate or differently combined." Komplexität selbst wird als bedeutungstragender Faktor angesehen, eine These, zu der sich aus der neueren Wissenschaftsgeschichte - von .Emergenz' bis ,Autopoiesis' - eine große Anzahl von Beispielen heranziehen ließe, die aber von Piaton kategorisch und mit Gründen abgelehnt wird.

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führt, ist auch - modifiziert formuliert und freilich in anderem Kontext - Gegenstand der Diotima-Rede im Symposion 207 d-e: von jedem einzelnen Lebenden sagt man, es sei dasselbe und es wird doch immer ein Neues. Kebes geht sogar darüber hinaus und konzediert hypothetisch ein Uberleben der Seele nach einer Abtrennung vom Körper. Dennoch sei nicht gesichert, daß die Seele nach mehreren Verbindungen und Trennungen eine letzte Abtrennung vom Körper überdauern würde, weil ihre Kraft durch verschiedene Reinkarnationen aufgebraucht sein könnte. Vom letzten Untergang einer Seele, nach einer beliebigen Reihe von Inkarnationen, könne schließlich keine Empfindung und kein Wissen mehr zurückbleiben: eine tatsächliche Vernichtung. 87

6. Die Widerlegung von Kebes' Einwand Sokrates resümiert den Einwand von Kebes nach der Erwiderung auf Simmias' These noch einmal und hebt mit Nachdruck hervor, daß nach Kebes' Ansicht die Verbindung mit dem Körper den Untergang der Seele verursache 88 , und das Leben nichts anderes als eine „Krankheit zum Tode" sei und Verzweiflung die angemessene Reaktion. 89 Der Einwand des Kebes nötige nunmehr dazu, „die Ursache von Entstehen und Vergehen im ganzen durchzugehen" 90 . Hätte aber nicht ein Hinweis auf zuvor schon Zugestandenes, so wie beim Einwand gegen Simmias auf die bereits angenommene Anamnesis-Theorie, genügt, um Kebes zu zeigen, daß sein Einwand nicht mit seinen eigenen Annahmen übereinstimmt? Früher bereits hatte Kebes nämlich akzeptiert, und zwar ohne überlistet zu sein91, daß ein gerade, einsinnig fortschreitendes Werden vom Lebendigen zum Toten nicht die richtige Beschreibung

87 Phd. 88a-b. Kebes' Vorschlag bzw. Kritik zum Verständnis von Psyche läßt sich vergleichen mit der modernen Vorstellung vom Individuum, das wie die Waren, die es konsumiert bzw. verschleißt, selbst zum Konsum- bzw. Verschleißprodukt geworden ist. Diese Analyse bei H. Ebeling, „Die Qualifikation, Modifikation und Quantifikation des Todesbewußtseins", in: ders. (Hg.), Der Tod in der Moderne, Königst./Ts. 1979, S.240. Ebeling formuliert einen quasi-sokratischen Ausweg: „Gegen die Ideologie der Selbsterhaltung hilft nur das Ideal des guten Lebens: die humane Selbststeigerung in der Selbsterhaltung an Stelle der schließlichen Selbstvernichtung." Ebd. S.241. 88 Vgl. Phd. 95 d 1: άρχή ήν αύτη ολέθρου. 89 Vgl. Phd. 95 d und S. Kierkegaards Analyse „Die Krankheit zum Tode ist Verzweiflung", in: Die Krankheit zum Tode (Ges.W., 24. und 25. Abt.), Düsseldorf 1957, l.T. Kierkegaard versucht auf dem Boden christlicher Lehre eine Widerlegung. Ein gegenwärtiger .Apologet der Verzweiflung' ist E.M. Cioran, ζ. B. in: Vom Nachteil, geboren zu sein, dt. Ubers. 1977. Das Prinzip war in der Antike bereits literarisch: vgl. Aristoteles Fr. 44b (Ross). 90 ολως ... περί γενέσεως και φθοράς την αίτίαν διαπραγματεύσασθαι, 95 e 8-96 a 1. 91 Vgl. Phd. 72 d 6-7: ούκ έξαπατώμενοι όμολογοϋμεν.

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für den Zusammenhang von Werden und Vergehen, Leben und Tod sei. Warum verzichtet Sokrates auf diese Widerlegung? Ein Hinweis auf die logische Widersprüchlichkeit des Einwands hätte die Argumentation um nichts vorangebracht, denn Kebes hatte implizit zwei somatische Thesen zusammengebracht und zusammen mit dem sokratischparadigmatischen das mögliche Glück menschlicher Existenz überhaupt in Zweifel gezogen: die Identität von Tugend und Wissen und das Wissen des Nichtwissens. Wer vor dem Tod keine Angst hat, aber nicht beweisen kann 92 , daß die Seele unvergänglich und unsterblich ist, ist nicht im Besitz eines Wissens, das ihn begründet tapfer sein läßt und überzeugend Heiterkeit und Gelassenheit bewahren lassen mag. Aus Nichtwissen kann keine allgemeine Uberzeugung erfolgen. Das ist implizit ein überzeugender Gedanke Kebes'; er knüpft dabei an die aporetische Alternative (66 e ff.) an, die den Besitz von Wissen im Leben negiert ' Damit ist nicht mehr nach „persönlichen Gründen" 93 gefragt, sondern danach, wie ein V e r f a h r e n der B e g r ü n d u n g überhaupt durchgeführt werden kann. Und zwar ein Verfahren der Begründung von allem und jeglichem Einzelnen: eine universale Aufgabe! 94 Sokrates erzählt allerdings zunächst von den Schwierigkeiten, in seiner Jugend keinen befriedigenden Begriff der ,Ursache' aufgefunden zu haben bei seinen Erkundigungen, bis er schließlich von selbst eine Erklärungsart entdeckt habe. Dieser Bericht macht den Anschein einer intellektuellen Autobiographie95, und wiederum ließe sich die Einrede von den „persönlichen Gründen" anbringen, wäre nicht der im ganzen systematische Charakter der Ausführungen. Kein ausdrücklicher Hinweis findet sich hier auf die eleatische Philosophie, obwohl doch sowohl Piaton, als auch schon Sokrates ihr verpflichtet waren. 96 Die geistige Auseinandersetzung, die 92

Vgl. Phd. 88b 5: μή εχη άποδεϊξαι. " Th.A. Szlezák hat in seiner Auslegung des Phaidon in Piaton und die Schriftlichkeit der Philosophie, Berlin/New York 1985, von „persönlichen Gründen" (S.235), die Sokrates in diesem Dialog anführe, gesprochen. Diese Mißdeutung ist nur möglich, weil nach Szlezáks Annahme die „ontologische Grundlegung der Ideenhypothese" (S. 221) nur in der, vor allem von K. Gaiser und H.J. Krämer rekonstruierten, sogenannten .ungeschriebenen Lehre' zu finden sei. Zur Deutung Szlezáks insgesamt s. die Kritik von J. Jantzen, „Piaton in der Postmoderne?", PhRsch 35 (1988) 62-69. ' 4 Vgl. Phd. 95 e7-8: Ού φαϋλον πράγμα: ... δλως ... περί γενέσεως και φθοράς την αίτίαν; und 96 a 8-9: είδέναι τάς αιτίας εκάστου, δια τί γίγνεται εκαστον και δια τί άπόλλυται καί δια τί εστίν. » Vgl. W.K.C. Guthrie II, 345. " Unausgesprochene Hinweise im Phaidon 6 5 b - c und e, 78 d. Vgl. W.K.C. Guthrie II, 38 f., 74. H . - T h . Ickler, Piatons sogenanntes „Hypothesis-Verfahren", Diss. Marburg 1973, S.53 weist auf diese Tatsache hin.

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Sokrates beschreibt, findet einseitig mit Auffassungen statt, die ein Sein der Seele allenfalls gebunden an das Sein sinnlich gegebener Gegenstände zulassen würden. Diese Auseinandersetzung hielt Piaton offenbar für f u n d a m e n t a l . 9 7 Sokrates hat zuerst in der „Naturphilosophie" gesucht, aber nur „dingliche" Antworten erhalten 98 . Auch ,abstraktere' Ursachen für Entstehen und Vergehen wie „Zusammenkommen" und „Spaltung" 99 läßt er nicht gelten, sondern er mischt 1 0 0 sich eine andere Weise der Ursachenerklärung zusammen. Ein wesentlicher Anstoß hierzu kommt von Anaxagoras, nach dem der Νοϋς, die Vernunft, das Ordnende und die Ursache von allem sei.101 Die Erwartung, die Sokrates mit der anaxagoreischen Ursache Vernunft verbindet, wird enttäuscht und führt so zur Kritik: Wenn die Vernunft das Anordnende ist und die Ursache von allen Dingen, so werde die Vernunft auch alles ordnen und jedes einzelne so setzen, wie es sich am besten verhält. 102 Für die Begründung einzelner Dinge oder Prozesse komme aber, so die Kritik, die Allursache des Anaxagoras gar nicht zur Anwendung, sondern es träten gegenständliche Ursachen' an ihre Stelle.103 Anaxagoras geht zwar über die anderen ,naturphilosophischen Erklärungsweisen' hinaus, indem er ein denkendes und denkbares Prinzip fordert, aber er löst dadurch das Problem einer ,Welterklärung' deswegen nicht, weil er Mittel und Ziel nicht zu verbinden versteht. 104 Den prinzipiellen .Abstand' zwischen Mittel und Ziel vermag auch kein wissenschaftlich-technischer Fortschritt - keine Verfeinerung der Mittel oder quantitative Erweiterung etc. - zu verringern.

97 Diese Auseinandersetzung durchzieht das platonische Werk: vgl. Hippias Mi. ; Sophistes 246cff.: die Schwierigkeit der „Körperfreunde" δύναμις, die Wirklichkeit eines Vermögens zuzugestehen; Nomoi X, 8 8 8 e f f . und 891 e f f . 98 Unter die Theoretiker einer φύσεως Ιστορία (96a) sind Archelaos ( D K 6 0 A 1 , A4), Empedokles (31 Β 105), Anaximenes (13A23), Diogenes von Apollonia (54B5), (Heraklit) und Alkmaion von Kroton (24 A 5) zu zählen; vgl. 96a-b. " Vgl. Phd. 97 ζ 5 und a 7. Derartige .Begriffe' erhalten bei Empedokles (DK 31 Β 8) und Anaxagoras (59 Β 17) Ursachenrang; vgl. W.K.C. Guthrie II, 271 f. 100 Vgl. 97 b 7: φύρω. 101 Anaxagoras unterscheidet nicht zwischen Νους, Vernunft, und Ψυχή, Seele, vgl. Cra. 400 a und Aristoteles, de An. 1,2 404 a 26 ff. Im übrigen ist der Sinn des Ausdrucks ,Psyche' bei Aristoteles - wie noch zu zeigen sein wird - ein anderer als bei Piaton, vgl. die Analyse des Problems bei H.Cherniss, Aristotle's Criticism, a.a.O., S. 389 ff. 102 Vgl. phd 96b-c. Diese ,Ursachenart' wird von Piaton später häufig aufgenommen: vgl. 77. 29 a und d-e, Phlb. 2 8 d f f . , Lg. X , 9 0 3 b - c . 103 Phd. 98 b ff. 104 Vgl. K. v. Fritz, „Der ΝΟΥΣ des Anaxagoras", in: ders., Grundprobleme der Geschichte der antiken Wissenschaft, Berlin/New York 1971, S. 593.

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a) Hypothesis Sokrates bezeichnet seinen eigenen Weg der Ursachenforschung als „zweite Fahrt" 105 . Die methodische Leistung besteht zunächst darin, den Blick von den sinnlich gegebenen Dingen abzuwenden und damit grundsätzlich auf Wahrnehmung als vermeintlicher Zugangsmöglichkeit zum Problem der Ursache zu verzichten (99d-e), d a f ü r aber den Logos als einziges Medium ,stark' zu machen (100a, vgl. 6 5 d f f . ) . Der nächste Schritt sieht eine Auswahl unter den Logoi in Gedanken vor, wobei der jeweils „stärkste" Logos f ü r eine Untersuchung zugrundegelegt wird. 106 Der stärkste Logos wird zugleich als wahr gesetzt (100a 5-7), er wird damit f ü r die Untersuchung eines Problems leitend. Das Wissen, ζ. B. von den Ursachen, ist nicht lehr- und lernbar wie technisch-handwerkliches Wissen. Die Seele als „Gefäß" der Logoi ist nicht prinzipiell unterschieden von ihrem Inhalt, es besteht eine Wechselwirkung. Die Seele als Gefäß ist niemals vollständig ,leer', d . h . nur „Aufnehmendes" 1 0 7 , sie ist sich allenfalls ihres Vorwissens nicht bewußt und verfügt nicht darüber, was sie bereits weiß, sie muß daran erinnert werden: Anamnesis. Soweit gewann das ,Bild' von der Seele bei Piaton in den Dialogen vor dem Phaidon bereits an Deutlichkeit. An die Stelle der statischen Metapher der Seele als Wissensgefäß tritt im Phaidon mit dem δεύτερος πλους die Metapher von der Fahrt, allgemeiner gesagt: von Bewegung auf ein Ziel hin. Sokrates übernimmt die Metapher von Simmias, der zuvor (85c-d) den unsicheren menschlichen Logos - auf dem nur gefahrvoll durch das Leben zu schwimmen sei - vom sicheren göttlichen Logos unterschieden hatte. Eine echte Alternative ist diese Unterscheidung allerdings f ü r Simmias nicht, die Rede vom .göttlichen Logos' enthält Ironie. Dieser Gebrauch der Meta105 δεύτερος πλους, 99 d 1. Die genaue Bedeutung dieses geflügelten Worts ist in der Forschung umstritten. Als Belegstelle neben der platonischen wird ein Fragment des Komödiendichters Menander (Fr. 241, J.M. Edmonds, The Fragments of Attic Comedy, Bd. III Β, Leiden 1961, S. 632.) angegeben, der damit beim Ausbleiben von Wind das Rudern statt des Segeins meint. N.R. Murphy, The Interpretation of Plato's Republic, Oxf. 1951, S. 145 f. nimmt den Ausdruck einfach als numerische Angabe der Reihenfolge. R.S. Bluck, a.a.O., suppl. η. 11, S. 199 f. hält es für eine platonische Kritik an der sokratischen „versuchsweisen Lösung", statt der Ideen als „metaphysischer Ursachen". Mit W.K.C. Guthrie, IV, S. 350, Anm. 1, wird hier die Auffassung vertreten, daß der Ausdruck in ironischer Diminuierung den tatsächlich besten menschenmöglichen Weg bezeichnet. Treffend deutet das Bild auch G. Prauss, Piaton und der Logische Eleatismus, Berlin 1966, S. 106 f., so, daß die Setzung der Idee als Hilfsmittel für die Erkenntnis von Einzeldingen und nicht als mystische Abkehr von allem Sinnlich-Wahrnehmbaren verstanden werden muß. 106

Phd. 100a2-3: ύποθέμενος εκάστοτε λόγον öv αν κρίνω έρρωμενέστατον είναι. Zur Seele als „Gefäß" der Logoi vgl. v.a. Prt. 313c-314b, s.o. S . 2 l f f . Es besteht zwar grundsätzlich eine .Verwandtschaft' mit dem δεχόμενον, dem Aufnehmenden - das im .Mythos' von der Weltentstehung im Timaios den .zweiten' Anfang darstellt (50 d) aber auch eine eindeutige Differenz: die Verbindung mit dem .Inhalt'. 107

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pher betont die Unsicherheit bzw. Unklarheit jenes Logos, der von Tod und Leben, Werden und Vergehen handelt. Die Nuancierung im Gebrauch durch Sokrates ist anders: er will die Seele als - von ihrem .Besitzer' abhängiges, sicheres oder unsicheres - Gefährt verstanden wissen, den Logos dagegen als Mittel der Seele, durch das ihre Fahrt eine klare Linie und bestimmte Richtung erhält. In derselben Weise war bereits das von Sokrates am Anfang des Dialogs gebrauchte Bild vom „Fußsteig zur Wahrheit" mittels des Logos (66 b) zu verstehen. Der Logos bekommt also eine wesentlich ,methodische' Aufgabe, das erläutert die Hypothesis. Der Logos übernimmt gleichsam die Aufgabe der Navigation, er bestimmt Ausgangsposition und Ziel, d. h. den zu nehmenden Kurs. 108 Worin besteht nun der Abstand zur anaxagoreischen Ursachenerklärung, worin besteht die ,neue Mischung'? Es gilt für Sokrates, nicht die Fehler der naturphilosophischen Ursachenforschung zu wiederholen und zugleich die Ursache ,Nous' anzunehmen, ohne - wie Anaxagoras - letzte Ursache und Einzelursache beziehungslos nebeneinander zu stellen. Die Aufgabe der .neuen Mischung' ist Vermittlung. Wahrnehmung geschieht mit (φ) dem Körper, die Seele beurteilt die Wahrnehmung und erkennt durch Reflexion auf diesen Vorgang, daß der wahrgenommene Gegenstand nur durch (δια tí) sie selbst als jeweils bestimmter Gegenstand beurteilt werden kann. Mit (ω) der Seele-selbst-für-sich wird die Beziehung zum Grund der Bestimmtheit eines Gegenstandes durch (δια τί) den Logos hypothetisch hergestellt. Die Seele verbindet auf diese Weise wahrgenommenes Einzelnes und unsinnlichen Grund mit und d u r c h sich selbst. Die Seele ist folglich systematisch zweideutig. Die Hypothesis kann deshalb als „Grund" (αιτία) verstanden werden, weil nicht mehr Dinge - als Werdende und Vergängliche - den Maßstab für die Erkenntnis ihrer selbst abgeben, sondern der nichtdingliche Logos, der als wahr gesetzt wird.109 Die Reflexion auf die Ideenannahme im Phaidon bleibt eigentümlich unbestimmt. Kebes gibt zu erkennen, daß ihm die Annahme in der Form der Reflexion unbekannt ist, aber als inhaltliche Setzung in ihrer

108

Hier besteht ein enger sachlicher Z u s a m m e n h a n g zur μετρητική τέχνη, der M e ß kunst, von der Prt. 356 d und Pit. 28 3 b ff. die Rede ist. 109 Dieser Sachverhalt ist der Grund für das Interesse des Neukantianismus an Piaton und dessen Interpretation der Idee als ,Gesetz'. Vgl. P. Natorp, Piatons Ideenlehre, 2. Aufl., a.a.O., S. 153 ff. N . Hartmann, Piatos Logik des Seins, Berlin 2. Aufl. 1965, bes. S. 224 ff.; epigonal bei H . Barth, D i e Seele in der P s y c h o l o g i e Piatons, Tübingen 1921 - für Barth wird in der K o n s e q u e n z dieser Auslegungsrichtung „Seele" zur transzendentalen Einheitsfunktion. Vgl. zur neukantianischen Interpretation die Würdigung bei W. Wieland, Piaton und die Formen des Wissens, Göttingen 1982, S. 150 ff.

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Anwendung durchaus geläufig 110 . Verschiedene Bezeichnungen für die „Teilhabe" stehen gleichberechtigt nebeneinander, sie werden nicht näher erklärt111. Die Unbestimmtheit, in der diese Reflexion die Beziehung zwischen den Einzelnen (particulars) und Idee läßt, macht deutlich, daß gar keine ,Ideenlehre' zu geben beabsichtigt ist.112 Vielmehr geht es darum - ohne daß Wert darauf gelegt worden ist, es ausdrücklich zu bemerken - die Seele als allgemeine Vermittlungsfunktion z w i s c h e n den Einzelnen und deren Ursachen (Ideen) einzusetzen. 113 Wenn hier die Ideenannahme als Methode verstanden werden kann, so doch keinesfalls als .objektives', formales Verfahren, das ohne Reibungsverluste auf gleichgültig welches das Verfahren anwendende .Subjekt' übertragbar wäre; .reibungslos' ist allenfalls der Idealfall eines physikalischen Experiments. 114 Die Ideenannahme ist vielmehr als ein dialogisch-inhaltliches Verfahren aufzufassen, in dem die untersuchende Seele sich selbst zugleich miteinsetzt. Dieses ganz das Menschliche miteinschließende Verfahren bereitet der wissenschaftlichen Philosophie und der Interpretation der platonischen Dialoge das Problem.115 Darin liegt der Sinn der Metapher von der „Fahrt" oder dem „Weg" - darin liegt das für die Interpretation Schwierige und gleichzeitig das Gelungene im platonischen Dialog, bestimmte Ansichten und uo

Phd. 100 a ff., vgl. 78 b ff. Diese Tatsache d ü r f t e als Hinweis Piatons auf seine eigene Leistung im Anschluß an den .historischen' Sokrates zu verstehen sein. 111 Vgl. Phd. 100c6: μετέχει, d 5 : ε'ίτε παρουσία εϊτε κοινωνία. 112 Vgl. W . Wieland, a.a.O., S. 156 f. In den Dialogen, in denen das Verhältnis der Methexis v. a. thematisiert wird, steht zwar das ,Wie' der Ideenannahme und ihre .technische' Darstellung in Frage, nicht aber das ,Was' der Ideenannahme selbst, dazu s.u. Kap.V. 113 Der Aufsatz von G.Vlastos, „Reasons and Causes in the Phaedo", in: Philos. Rev. 78 (1969) 291-325 - klärt die Konfusion über den Charakter der Arten von Ursachen im Phaidon, indem er v. a. gegen das bei Aristoteles angelegte Urteil von Ideen als Ursachen f ü r Werden und Vergehen (vgl. GC 335 b 9-16, Met. 991 b 3 - 4 - bezogen auf Aristoteles' eigene Theorie von den vier Arten der Ursachen) die bei Piaton vorliegende D i f f e r e n z von ,logischer' und ,physischer' Ursache hervorhebt. Vgl. bes. S. 305, 314 ff. Vlastos beachtet allerdings nicht die methodische Bedeutung der Seele in diesem Zusammenhang. Demgegenüber findet sich bei Aristoteles ein genauer Hinweis auf eine Lösung des Problems: wenn die Ideen als Ursache des S e i n s u n d Werdens aufgefaßt werden, kann nur unter H i n z u k o m m e n einer Bewegungsursache etwas entstehen (Met. XIII, 1 0 8 0 a 2 f f . ) . 114 H . T h . Ickler, a.a.O., kritisiert zu Recht verschiedene Interpretationen der Ideenannahme als „objektiver Methode", bleibt aber seinerseits in der bloßen Haltung der Kritik an anderen Interpretationen stehen, ohne eine relative Berechtigung des Ausdrucks anerkennen zu können. 115 Vgl. K.V. Fritz, Schriften zur griechischen Logik, Bd. I, S. 226: „Überall liegt hier ein fundamentales Problem menschlicher Erkenntnis und ihrer Mitteilbarkeit zugrunde, das sehr der Beachtung wert, aber von dem modernen Szientismus im philosophischen Bewußtsein weitgehend verdunkelt worden ist. Dieser Szientismus möchte nur das absolut objektiv Festlegbare, ohne Verlust von Mensch zu Mensch Übertragbare, als Erkenntnis gelten lassen, was, wenn es sich durchführen ließe, nicht nur zu einer unerträglichen Einschränkung der menschlichen Erkenntnis, sondern auch zur Zerstörung des eigentlich Menschlichen in der menschlichen Existenz f ü h r e n würde."

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Meinungen, logische, epistemologische, ethische, politische und ästhetische Positionen durch Dialogpartner vertreten zu lassen bzw. diese Ansichten und ihre V e r ä n d e r u n g e n im Laufe eines Dialogs mit einem bestimmten Menschen zu verbinden, also zugleich eine Lebenshaltung zur Erscheinung zu bringen. Richtig sieht Ph.H. DeLacy116, daß die Begründung durch die Seele den Fortschritt in der Ursachenforschung gegenüber Anaxagoras darstellt. Physische Gegenstände sind nur notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen 117 . Anders gesagt, um N a t u r bzw. Entstehen und Vergehen erklären zu können, muß das Werden vom Gewordenen unterschieden werden. Die Seele ist für das Werden verantwortlich'; sie ist in bezug auf den Körper verursachend und gehört somit zum Begriff der Natur. Sie ist daher nicht „meta-physisch"118, sondern, mit Nomoi X (892 c) zu sprechen, „ganz besonders von Natur" (ψυχή ... είναι διαφερόντως φύσει). Darin liegt der Sinn der systematischen Zweideutigkeit der Seele: durch sie wird das Körperliche bestimmt, mit ihr das Ideelle erfaßt. Die „einfache Ursache" 119 der Idee des Schönen macht jedes Schöne, das .begegnet', zu einem bzw. zu .diesem' Schönen. Aus der Annahme von Ideen folgt mit sich selbst Übereinstimmendes - und diese Weise der Untersuchung erlaubt, ja fordert Übereinstimmung bzw. Widerspruch mit der grundlegenden Annahme zu beachten. 120 Entscheidend ist dabei das Auseinanderhaltenkönnen von Grund und Folge: darin liegt die Selbstunterscheidung des Philosophen vom Eristiker oder „Widerspruchskünstler" und die Durchsichtigkeit philosophischer Argumentation für andere. 121 Letzteres erhält im Text unmittelbar seine Bestätigung durch den Einschub der Rahmenhandlung, in dem die „bewunderungswürdige Klarheit" der Darlegungen für alle „Anwesenden" und „Abwesenden" gewürdigt wird (102 a). Der philosophische Gehalt der Ideenannahme muß hier nicht ausführlicher dargelegt werden. Es besteht zudem kein Zweifel darüber, daß dieser letzte sogenannte Beweis für die Unsterblichkeit der Seele der wichtigste im Argumentationsgang des Dialogs ist. Aber es ist hervorzuheben, daß der letzte Beweis in engem Zusammenhang mit dem zuvor Ausgeführten steht. 116

„The Problem of Causation in Plato's Philosophy", CP 34 (1939), S. 106. Vgl. Phd. 98 b. 118 DeLacy, a.a.O., S. 106 - sieht dagegen eine „metaphysical causation of the soul". Vgl. auch den verfehlten Ansatz bei K. Kremen, Piatons metaphysische Psychologie, Diss. Köln 1973. 119 Vgl. lOOd: άπλώς και άτεχνως. 120 Ygi pf¡j loo a 4: συμφωνεΐν; 100 d und e: τω καλφ ... τα καλά καλά; und 101 d. 121 Vgl. Phd. 101 e 2 f.: περί τε της άρχης ... και των έξ εκείνης «ορμημένων; άντιλογικός, 101 e 1-2. Auf die Bedeutung der Ideenannahme im Zusammenhang einer Widerlegung eines „sophistischen Monismus" hat R. Kent Sprague hingewiesen in: „Socrates' safest answer: Phaedo lOOd", Hermes 96 (1968) 632-635. 117

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b) Der ,letzte Beweis' Mit Hilfe der einfachen Ursache der Idee trifft Sokrates eine Unterscheidung, auf der der sogenannte letzte Beweis für die Unsterblichkeit der Seele beruht, welcher von der Antike bis in die Gegenwart große Schwierigkeiten für das Verständnis bereitete. 122 Sokrates spricht von „der Größe selbst" und der „Größe in uns". 123 Abgeleitet war diese Differenzierung aus der Tatsache, daß Simmias im Vergleich mit einem Kleineren g r o ß und mit einem Größeren klein genannt werden könne, so daß er beides zugleich, groß und klein sei. Im jeweiligen Vergleich allerdings erfährt die Größe bzw. Kleinheit eine Bestimmung. Piaton drückt dies - das Ziel der Untersuchung, die Begründung der Unsterblichkeit der Seele zu keiner Zeit aus den Augen verlierend - folgendermaßen aus: Größe selbst, als auch die Größe in uns darf niemals das Gegenteil „aufnehmen" oder sich von ihm „übertreffen" lassen, sondern muß entweder „fliehen" oder „untergehen" (102d9-e2); Flucht124 oder Untergang ist exakt die Alternative, vor die die Seele gestellt ist. .Untergang' im Sinne einer Gebundenheit der Seele ans Körperliche - als dessen Funktion oder Harmonie - oder als Nichtunterschiedenheit mit dem Gewordenen, ist erklärt worden. Wie aber ist eine „Flucht" der Seele zu verstehen? Ein Ubergang von uns, vom Kleineren zum Größeren - ein Wachsen in der Jugend ζ. B. - ist zwar möglich, aber kein Übergang des Kleinen und Großen in uns darf zugelassen werden: nur so kann man, derselbe bleibend, beurteilen, daß man größer geworden ist. Darauf läuft die Erwiderung hinaus, die Sokrates auf den Einwand eines Ungenannten125: zu einem früheren Zeitpunkt des Gesprächs (70d-e) hätte man den Gegensätzen einen Übergang ineinander ,erlaubt' - gibt, daß die entgegengesetzten D i n g e wohl einem Übergang unterworfen sind, aber keinesfalls die Pole des den Übergang im Denken bestimmenden Gegensatzes selbst.126

122 Einen Überblick über die kontroverse Diskussion dieses Abschnitts findet sich bei W.K.C. Guthrie IV, 353 ff., speziell zur Stelle bei H. Erbse, „Philologische Anmerkungen zu Piatons Phaidon 102 a- 107 a", Phron 14 (1969) 97-106. Vgl. außerdem R.D. ArcherHind, a.a.O., S.XXIII; R.S. Bluck, a.a.O., S. 18 f f 1 8 8 ff. Im ganzen befürwortend argumentieren P. Friedländer III, 51 f. und H.G. Gadamer, a.a.O., 157 ff. Als Beispiel für eine neue Arbeit, die z.T. ganz alte, um nicht zu sagen veraltete Kritik übt: D. Bostock, Plato's Phaedo, Oxford 1986. 123 αύτό το μέγεθος, 102d6; τό έν ήμιν μέγεθος, d8. 124 Vgl. Tht. 1 7 6 a 7 - b 1: ένθένδε έκεισε φεύγειν. 125 Phd. 103 a. H.G. Gadamer, a.a.O., S. 157 f., mißt der Tatsache, daß der Einwand nicht, oder zunächst nicht - Kebes wird von Sokrates ausdrücklich damit zusammenge1 bracht - mit einem Namen verbunden wird, große Bedeutung bei: fast jeder hätte den Einwand machen mögen - außer Sokrates. 126 Phd. 103 a-b. Vgl. hierzu H.G. Gadamer, a.a.O., S. 158: „Das ist in der Tat die

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Dieser Gedanke findet in zweifacher Weise auf die Seele Anwendung. Leben und Tod sind Gegensätze. Für den Körper ist die Seele das Lebenbringende, daher entspricht die Seele „dem Leben in uns" und ist folglich todlos, αθάνατος (105 b-e). Der Unsterblichkeit wird analytisch Unzerstörbarkeit zugesprochen (106 c), was auf jeden Fall für den Gott und die „Idee des Lebens selbst", αύτό το της ζωής είδος (106 d 5) gilt, aber gemäß dem vorher Ausgeführten auch für die Seele, dem Leben in uns 127 . Also wird letztlich die Seele als unzerstörbar (άνώλεθρος) angenommen. „Flucht" ist demnach der einzige wirklich metaphysische Begriff im Zusammenhang der Unsterblichkeitsbeweise. Wenn die Seele als das Lebenbringende den Körper verläßt, wenn der Mensch stirbt und - der sokratischen Hoffnung nach - in ,unmittelbare Nähe' zum Ideellen kommt, verläßt sie gewissermaßen ihren .eigenen Bereich': z w i s c h e n Körperlichem und Idee. Was heißt nun im Falle von Beweisen für die Unsterblichkeit der Seele eigentlich ,Beweis'? War es möglich, Gegenstand und Methode der Beweisführung deutlich werden zu lassen? Das Beweisen als logische Methode leitet bestimmte Sätze oder Urteile als notwendige Schlußfolgerungen aus anderen Sätzen oder Urteilen ab. Solches Verfahren kann in einen regressus ad infinitum führen, aber dann nicht mehr sinnvoll gedacht werden. Es muß daher ein Anfang von bestimmten unbewiesenen und nicht mehr beweisbaren Sätzen oder Urteilen gemacht werden. Ein erster Satz allerdings muß wißbar sein, sonst ist auch für das Ergebnis eines Beweises nichts Wißbares zu erwarten. 128 Wie kann ein .erster Satz' zwar wißbar, aber nicht beweisbar sein? Piaton beruft sich auf die E v i d e n z der Anamnesis, der durch die Wahrnehmung nicht gegebenen .Gegenstände' und die Unwiderlegbarkeit der Tautologie, was dennoch die Berechtigung inhaltlichen Zweifels nicht vollständig ausschließen kann. Der inhaltliche Zweifel wird bei Piaton allerdings nicht gegenüber der grundsätzlichen Affirmation der Vernunft und der Ideenannahme, sondern sinnvoll nur gegenüber sich selbst, d.h. gegenüber dem den ,ersten Satz' Denkenden, geäußert. 129 „Philosophie muß sich auf Evidenzen, auf Vernunfteinsichten stüt-

Grenze der pythagoreischen Z a h l e n - und Welterklärung, daß sie die Zahlen und ihre Verhältnisse für das Sein selbst halten und nicht die noetische O r d n u n g als solche denken. Gerade darauf k o m m t es o f f e n b a r für die Widerlegung des Einwandes des Kebes an, daß die Erörterung der ,Ursache' von Werden und Vergehen überhaupt (95 e) auf den Seinsunterschied von ,Idee' und ,Werdendem', ούσία und γένεσις, hinausführte." 127 Woraus nicht die Schlußfolgerung g e z o g e n werden darf, daß die Seele eine ,Idee' sei. Vgl. J. Schiller, „Phaedo 104-105: Is the Soul a Form?", Phron 12 (1967) 5 0 - 5 8 , der die von ihm gestellte Frage überzeugend widerlegt, gegen H a c k f o r t h u.a. 128 Vgl. W. Bröcker, Piatos Gespräche, Frankfurt/M. 2. Aufl. 1967, S . 3 8 2 . 129 Dies führt zu dem in ( P o l i t e l a ) Theaitetos und Sophistes begründeten wahrhaften Philosophieren als „Gespräch der Seele mit sich selbst", dazu s.u. K a p . V .

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zen, denen zwar Fundierungsfähigkeit, aber nicht die Untrüglichkeit perfekten Wissens zugeschrieben werden kann." 130 Der vorgetragene letzte Beweis ist nicht l o g i s c h zwingend - in analytischem Sinne. Piaton war sich dessen sicher bewußt - die durch Simmias vorgetragenen Zweifel geben davon Zeugnis. Aber die Zweifel des Simmias stehen nunmehr auf einer anderen Stufe als zu Beginn des Dialogs. Es ist nicht mehr der Zweifel an der Begründetheit der Haltung von Sokrates vor dessen Hinrichtung. Sokrates reagiert auf die Zweifel einerseits mit dem Hinweis, daß die „ersten Voraussetzungen" 131 durchaus einer noch genaueren Prüfung unterzogen werden müßten. Andererseits erinnert er daran, daß ihre Unsterblichkeit fordere, für die Seele Sorgfalt walten zu lassen132 - und zwar für alle Zeit. Daraus kann die Folgerung gezogen werden, daß die Zweifel des Simmias ganz individueller Natur sein müssen. Es sind Zweifel an sich selbst (107 a-b), denen die Befürchtung zugrundeliegt, der unbedingten ethischen Forderung, die Sokrates dargelegt hat und zugleich repräsentiert, nicht genügen zu können. Es ist nämlich kein kalkulierbares Risiko, das Sokrates eingeht, indem er annimmt, daß die Seele unsterblich sei, seine Strafe anzunehmen und auf die Hinrichtung zu warten, obwohl sich Gelegenheit zur Flucht - s. Kriton - bot. Aber es ist ein Unterschied, ob er im Vertrauen darauf gelassen und heiter wartet oder, wie Kebes es entwirft, aufgrund der erlittenen Ungerechtigkeit und der Hoffnungslosigkeit, daß kein Ausgleich möglich sei, in Verzweiflung fallen würde. Es ist ein entscheidender Unterschied, der auf einer E n t s c h e i d u n g beruht, die nicht mathematisch-logisch bestimmt sein konnte, sondern allein ,psycho-logisch', unter Voraussetzung allerdings einer nicht empirisch verifizierbaren Annahme. Mit dem Hinweis auf Sorge (έπιμέλεια), Erziehung bzw. Bildung (παιδεία) und Nahrung bzw. körperliche Förderung (τροφή, vgl. 107c-d) war nicht allein der ethische Kern seiner Argumentation eingeholt worden, es war noch einmal auf das Moment des Werdens, das den Ausgangspunkt des Dialogs gebildet hatte, verwiesen.133 Der Mythos komplettiert die Darstellung der Verschränkung beider Motive des Phaidon, indem darin Naturbeschreibung und Jenseitsschicksal, d.h. die Beschreibung der ,FluchtOrte' der Seelen, miteinander verknüpft sind.

150 P. Rohs, „Philosophie als Selbsterhellung von Vernunft", in: Philosophie und Begründung, hg. v. Forum für Philosophie Bad Homburg, Frankfurt/M. 1987, S.386. 131 132 τάς γε υποθέσεις τάς πρώτας, Phd. 107 b 4. έπιμελείας δή δεΐται, 107 c 1. 133 Wie G. Dumézil in „«Wir schulden dem Asklepios einen H a h n . . . » Divertissement über die letzten Worte des Sokrates", in: ders., Der schwarze Mönch in Varennes, Frankfurt/M. 1989, S. 113-149 - überzeugend dargelegt hat, sind schließlich auch die letzten Worte des Sokrates im Phaidon in dem ethischen Sinne zu verstehen, daß sowohl der letzte Dialog .Heilung' für die falschen Annahmen der Freunde, als auch die Annahme des verhängten Todesurteils ,Heilung' für Sokrates bedeuten: daher habe Asklepios den Hahn „verdient".

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7. Zusammenfassung Gegensätze, so war zu Beginn dieser Interpretation gesagt worden, strukturieren den Dialog Phaidon: ,Natürliche' Gegensätze, von denen gezeigt werden mußte, daß sie sich nicht von selbst her verstehen, sondern nur d u r c h die Seele; ,nicht natürliche' Gegensätze, von denen gezeigt werden mußte, daß sie nicht von selbst wirksam werden, sondern nur mit der Seele. So verstanden konnten verschiedene Interpretationen abgewehrt werden, die die Seele im Phaidon letztlich als in sich einfache Substanz (T.M. Robinson, W.K.C. Guthrie) nach aristotelischem Vorbild, als Idee (R. Hackforth) im vermeintlich platonischen Sinne oder als „Idee der Subjektivität" (P. Natorp, N. Hartmann, H. Barth) in der neukantianischen Auslegung Piatons, mißverstanden haben. Dabei wurde deutlich, daß alle Interpretationen nicht schlichtweg falsch, aber jeweils auf andere Weise einseitig sein mußten, weil sie den systematisch zweideutigen Sachverhalt der Seele als in sich eindeutig erweisen wollten. Die thematisierten Gegensätze weisen beständig auf ein Drittes, sie Verknüpfendes: die Seele. Die Seele unterscheidet sich selbst vom Körperlichen, indem der Extremfall durchgespielt wird: die Dissoziation von Körper und Seele, der Tod. Die scheinbare Symmetrie der Gegensätze von Idee und Körper, unsichtbarer Vernunftursache und wahrnehmbarem Vorgang, Allursache und Einzelursache, wird durch und mit der Seele zu einer Asymmetrie entfaltet. Die Seele wird einerseits der Vernunft, der Allursache, dem Ideellen zugerechnet und damit dem Körperlichen entgegengesetzt. Die Seele wird aber andererseits vom Ideellen unterschieden, als ihm ,nur' ä h n l i c h erkannt. Diese eigentümliche Doppelheit der Seele, der eigene Bereich, den sie damit einnimmt, stellt die Verbindung zwischen Idee und Körper, Allursache und Einzelursache her. Der ,eigene Bereich' wird durch das Prädikat „unsterblich" gekennzeichnet, und zu ihm gehören sowohl φρόνησις, Denken, wie auch δύναμις, Vermögen, Fähigkeit oder Wirklichkeit. Wie sind nun die Argumente für die Unsterblichkeit der Seele in anderen Dialogen im Vergleich dazu zu verstehen? Kann eine Interpretation dieser Argumente die an der Analyse des Phaidon gewonnenen Einsichten bestätigen? Die Aussagen Piatons über die Unsterblichkeit könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. Es scheint unmöglich, sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen 134 . Die größte Schwierigkeit wird meistens darin gesehen, das .statische Bild' der Seele aus dem Phaidon mit dem offensichtlich dynamischen Bild' aus dem Phaidros in Einklang zu bringen. Aber auch das Symposion scheint nicht nur generell 134 So z.B. Th.A.Szlezák, „Unsterblichkeit und Trichotomie der Seele im zehnten Buch der Politela", Phron 21 (1976), S.58.

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in seinem lebensbejahenden und ,dionysischen' Grundton dem apollinischen' Phaidon entgegengesetzt zu sein, sondern auch im Einzelnen die Seele anders aufzufassen. Eine sorgsame U b e r p r ü f u n g zwingt dazu, die je eigentümliche Schattierung und den je eingenommenen Standpunkt, aus dem die Unsterblichkeit der Seele in den verschiedenen Dialogen vorgebracht wird, zu beachten. Das bedeutet, auch wenn es auf den ersten Blick umständlich erscheinen mag, auf Gang und Thematik des jeweiligen Dialogs, auf die Dialogsituation eingehen zu müssen.

B.

SYMPOSION

An entscheidender Stelle im Dialog Symposion, in der Rede des Sokrates, findet sich eine Passage über den Eros als Verlangen des Sterblichen nach dem Unsterblichen (207a-212a). Die sokratische Rede ist bezeichnenderweise in der Hauptsache Dialog: zuerst mit Eryximachos, dann mit Agathon, schließlich die Nacherzählung des Dialogs mit Diotima. Sokrates folgt der .methodischen Vorgabe' seines Vorredners Agathon (199 c), die Preisung von Eros in die Beschreibung seines Wesens und seiner Werke zu teilen. Unsterblichkeit fällt unter die Werke des Eros. Liebe, als eine Form des Verlangens nach etwas, darin war Sokrates mit Diotima übereingekommen, sei weder auf Ergänzung ihrer selbst 135 aus, noch beziehe sie sich auf das Ihrige 136 ; wenn nicht unter dem ,Ihrigen' oder dem ,Selbst' d a s G u t e selbst anzunehmen ist (205e 7-8). Die Weise, nach der das Sterbliche unsterblich zu werden strebt, ist „ Z e u g u n g " 1 3 7 . „Zeugung" beziehe sich allerdings nicht allein auf den Körper, sondern auch auf die Seele. 138 Die Zeugungen bezüglich der Seele betreffen „Sitten", „Annahmen", Empfindungen und schließlich „Erkenntnisse". 139 Verfolgendes Nachdenken nach einer verlorenen Erkenntnis vermag eine Erinnerung zu erzeugen, die allerdings nur „dasselbe" wie die verlorene Erkenntnis „zu sein scheint". 140 Das Sterb135

Vgl. Smp. 205 e 1 - 2 : ούτε ήμίσεός . . . είναι τον έρωτα ουτε όλου. 205 e 5: ού γάρ τό εαυτών. 137 γενέσει, 207 d 2 - 3 . 138 Vgl. Smp. 207 e 2 ff. Dieser Abschnitt hat in der angelsächsischen Literatur das Wort von der „stellvertretenden" (vicarious) Unsterblichkeit hervorgebracht; vgl. R. Hackforth, „Immortality in Plato's Symposion", C R 64 (1950) 43 ff., Kritik hierzu bei R.S. Bluck, a.a.O., S . 2 7 f . , T . M . Robinson, a.a.O., S. 125 f., am deutlichsten und mit treffenden Vergleichen zum Phaidon W.K.C. Guthrie IV, 3 8 9 f f . 139 Vgl. 207 e 3 - 2 0 8 e 3. D a s Wort επιστήμη, das hier verwendet wird, ist offenbar nicht von derselben - wenigsten erstrebten - Eindeutigkeit wie z . B . im Theaitetos. D i e „Erkenntnisse" hier entstehen und vergehen. 140 την αυτήν δοκείν είναι, 208 a 7. V o n dieser Form der Erzeugung von Wissen und Erinnerung ist das philosophische Streben nach Unsterblichkeit und die Anamnesis, als 136

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liehe, so wird ausdrücklich betont, h a b e auf diese Weise - nämlich durch Zeugung - an der Unsterblichkeit teil. 1 4 1 Das Unsterbliche aber habe auf a n d e r e Weise am Unsterblichen teil (άθάνατον δέ άλλη). 142 Einen nicht unwichtigen Reflex auf den Sprecher Sokrates, der in diesem Dialog mit Diotima absichtlich für die Anwesenden den Schüler spielt, wie auch auf den Autor Piaton, gibt die erstaunt-dumme Frage, ob sich das von Diotima bisher Vorgebrachte „in Wahrheit so verhält" 143 . Unausgesprochen war nur vom Beseelten (εμψυχον) bzw. von Eigenschaften der Seele die Rede, nicht aber von der Seele selbst für sich. Diotima wendet sich auch im folgenden nicht der Beziehung von Eros und Seele selbst zu, sondern zieht zunächst weitere, empirische Beispiele heran für die Wirksamkeit des Eros im Bestreben nach Ehre oder biologischen Nachkommen, um daran anschließend als Erzeugnisse des Eros „in den Seelen" 144 Weisheit und Tugend, Dichtung und Gesetzgebung anzugeben. Höhepunkt und Abschluß des Diotimagesprächs bildet der Aufstieg zur Schau des Schönen selbst: vom einzelnen Schönen zum Vergleich unter Vielen, zur gemeinsamen Schönheit des Vielen und schließlich zum einen Schönen; er führt vom Körperlichen zum Seelischen und schließlich zur Idee 145 . Erst mit dem Erschauen des Schönen selbst sei das Leben dem Menschen lebenswert, worüber der Mensch sogar vergessen könne, was ihn mit dem Körper verbindet 146 . In zwei aufeinanderfolgenden Sätzen wird nun hervorgehoben „jenes, womit" 1 4 7 man das Schöne anschauen müsse. Abschließend wird indirekt bekräftigt, „wenn überhaupt einer", dann werde nur derjenige unsterblich, der diese Wahrheit des Schönen erfaßt habe. Eros ist in vielfältigen Erscheinungsformen und bezogen auf verschiedene Gegenstände des Begehrens in einer aufsteigenden Stufendes Vermögen, den Bezug zu eindeutigen Wissensgegenständen herzustellen, scharf zu unterscheiden, vgl. dag. die Unsicherheit bei W.K.C. Guthrie IV, 389. 141 μετέχει, 208 b 4. 142 Auf diese Weise kann der Nachsatz 208 b 4 ergänzt werden. Dieser Nachsatz ist merkwürdig und hat daher bereits von F. Creuzer die Emendation άδύνατον für άθάνατον erhalten. Diese Version findet sich außer in den Handschriften auch im Papyrus Oxyrhynchus 843, vgl. Guthrie IV, 388, Anm.2. Für Guthrie ist der Unterschied der Worte für den Sinn des Satzes unerheblich. Ich halte jedenfalls άθάνατον für richtiger im Zusammenhang, denn das Merkwürdige, daß Unsterbliches, nicht nur auf „andere Art", sondern daß es überhaupt an Unsterblichem teilhabe, löst sich auf, wenn der Phaidon vorausgesetzt werden darf, nach dem die Seele unsterblich ist, indem sie sich auf die immerseienden, also unsterblichen Ideen bezieht. ώς αληθώς οϋτως εχει, 208 b 8 - c 1. èv ταΐς ψυχαΐς, 209 a 1. 145 Vgl. Smp. 211 a - b mit Phd. 79d, 8 0 a - b . 146 Smp. 21 l d , vgl. im Phaidon die Beziehung des Philosophen zur Wahrheit, 67 c ff., 82 c ff. 147 έκεϊνο φ, 212 a 1, und a 3 - 4 : όρώντι φ όρατόν. 143

144

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folge beschrieben worden. Der Weg lief vom Körper über Seelisches zur Seele, aber die Bedingung, unter der die Aufwärtsbewegung auf dieser Skala möglich ist, war nicht ausgesprochen und auch nur am obersten Ende der Skala angedeutet worden: „jenes, womit" - worunter nach der vorliegenden Interpretation die Seele selbst zu verstehen ist.148 Muß Eros, der zweifellos, ähnlich der Seele, eine Metaxy-Stellung hat, mit ihr gleichgesetzt werden? 149 M. Landmann hat die Meinung vertreten, daß das Symposion erst verständlich wird, wenn für den Eros die Seele eingesetzt wird. 150 Insgesamt erscheint allerdings die „genetische" Interpretation Landmanns unter der Annahme, daß der relevanten Stelle (207a-212a) ein von Piaton zunächst unabhängig konzipierter Traktat über die Unsterblichkeit zugrunde liege, verfehlt. Landmann selbst stellt nebenbei in einer Anmerkung 151 einen alternativen Gedanken zu seiner Interpretation auf, der in der vorliegenden Arbeit als der stimmigere angesehen wird. Warum Piaton dem Eros zur Idee zwei „Tiefformen" vorangestellt hat, wird eben erst einleuchtend, sobald der im Dialog dargelegte pädagogisch-erotische Impetus des Sokrates für Agathon inhaltlich - d. h. als Sorge um die Seele Agathons ernst genommen wird. 152 Die Thematisierung der Unsterblichkeit im Symposion ist andererseits auch nicht als „vorübergehender Skeptizismus" Piatons 153 anzusehen, obwohl gewiß nicht von einem „Beweis" für die Unsterblichkeit der Seele, auch nicht von einem Beweis für die Unsterblichkeit der „menschlichen Natur" 154 die Rede sein kann. „Stellvertretende Unsterblichkeit" ist genaugenommen keine Unsterblichkeit. Das gesamte Diotimagespräch - und somit die vielinterpretierte, dabei oft aus dem Zusammenhang gerissene Unsterblichkeit im Symposion - erhält seinen Sinn erst, wenn die Dialogsituation berücksichtigt, der Anlaß des Diotimagesprächs als in die Dramatik des Dialogs eingebettet erkannt wird. 148

Vgl. hierzu o b e n die D o p p e l h e i t der Seele, die durch die .Indices' „womit" und „wodurch" gekennzeichnet ist. 149 H . Buchner zeigt, daß der Metaxycharakter des Eros dadurch hergestellt wird, daß er als G o t t abgesetzt wird. Eros tritt somit wie die Seele in einen gewissen Gegensatz z u m Göttlichen selbst; in: H . Buchner, Eros und Sein. Erörterungen zu Piatons Symposion, Bonn 1965, S . 7 0 f f . 150 M. Landmann, „Piatons Traktat von den drei Unsterblichkeiten. D i e Urzelle von Conv. 207 a - 2 1 2 a", in: Z P h F 10 ( 1956), S. 167. D i e s e und ähnliche A u f f a s s u n g e n kritisiert treffend J. Wippern, „Eros und Unsterblichkeit in der D i o t i m a - R e d e des Symposions", in: Synusia. Festschr. W. Schadewaldt, Pfullingen 1965, 123 f., der Eros als „seelische Intentionalität" (S. 132, m. A n m . 5 7 ) erklärt. Vgl. gegen die Identifikation Psyche = Eros auch St. Rosen, Plato's Symposion, N e w Haven, London, 2. Aufl. 1987, S.231 ff. 151 M. Landmann, a.a.O., S. 175, A n m . 3 0 . 152 Vgl. hierzu unten die Interpretion von M . C . Stokes (Anm. 149, S. 114 ff.). 153 So R. Hackforth, „Immortality in Plato's Symposium", in: C R (1950) 4 2 - 4 5 . 154 Vgl. J.V. Luce, „Immortality in Plato's Symposium", in: C R N.S. 2 (1952) 137-141 in Kritik und Absetzung von Hackforth, s . o . A n m . 6 9 .

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Hiermit ist freilich keine umfassende Deutung des Symposion angestrebt, sondern lediglich eine Interpretation der in der Dramaturgie des Dialogs ,verorteten' Aussagen über Unsterblichkeit. Agathon hat zu dem Gastmahl geladen, weil er seinen beim alljährlichen athenischen Tragödienwettstreit errungenen ersten Sieg (416 v. Chr.) feiern will. Die Feier wird durch einen Variations-Reigen von Reden gestaltet. Der zunächst gleichsam ,sublimierte' und rhetorische Wettstreit zum Lobpreis des Eros entfaltet sich zur erotischen Werbung. Die .Absicht' hierzu deutet Piaton bereits mit der Beschreibung der ungewöhnlichen Vorbereitungen des Sokrates für die Einladung an: er schmückt sich (174 a). Erst mit dem Einbruch und der nachfolgenden Rede des Alkibiades wird Sokrates in seiner Rolle entlarvt und zugleich als Sieger im Reden-Agon gekürt (213äff.). Dramatischer Sinn des Diotima-Gesprächs ist also das Werben des Sokrates um Agathon. Wobei der Sokrates, der in der Nacherzählung des Lehrgesprächs mit Diotima auftritt, gewissermaßen anstelle Agathons antwortet und lernt. M.C. Stokes zeigt in seiner Interpretation 155 eine Reihe logischer und argumentativer Unstimmigkeiten in dem Abschnitt auf und sieht zwei Möglichkeiten, den Dialog zu beurteilen: a) Piaton habe absichtlich der Figur der Diotima Argumente in den Mund gelegt, die ad hominem gelten sollen, aber letztlich nicht stichhaltig sind, oder b) er habe kein seriöses philosophisches Werk geschaffen. Stokes entscheidet sich für a), unter den Voraussetzungen, die er als Grundlage für die Interpretation „sokratischer Gespräche" vorgeschlagen hat. Stokes erklärt, daß moderne Auffassungen von Logik und Uberzeugung an der platonischen zumeist deswegen vorbeizielen, weil nicht beachtet wird, daß Piaton in einer Zeit ohne allgemein anerkanntes System von Logik und Kalkül gelebt und gedacht habe. 156 Der Dialog habe sich daher als die beste Form, Absichten, Logik, Gedankenschärfe und Drama in eins zusammenzufassen, angeboten. 157 In dieser Form sei am leichtesten die Möglichkeit gegeben, gedankliche Voraussetzungen und ,Logik' des Gesprächspartners aufzunehmen und zu transformieren - d. h. letztlich: auf ein in sich widerspruchsfreies Fundament zu stellen. Um zu entdecken, was Sokrates/Platon gedacht habe, müsse man sich durch die widerlegten oder für widersprüchlich gehaltenen Auffassungen durcharbeiten. 158 Diesen Ausführungen muß einerseits hinzugefügt 155 M.C. Stokes, „Socrates and a tragic poet", in: ders., Plato's Socratic Conversations, 1986, S. 114 ff. 156 M.C. Stokes, a.a.O., S.30f., mit Verweis auf G.E.R. Lloyd, Magic, Reason and Experience, Cambridge 1979. li ' Natürlich ist diese Auffassung nicht neu. Vgl. z. B. Ph. Merlan, „Form and Content in Plato's Philosophy", in: JHistldeas 8 (1947) 406-430 - aber die Argumentation von Stokes legt die auf die individualseelischen Bedingungen bezogene .Logik' frei. 158 Vgl. M.C. Stokes, a.a.O., S.35.

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werden, daß auch in der Gegenwart methodisches Denken nicht ausschließlich an fehlerloser Kalkulation, sondern durchaus am Unterscheiden-Können gemessen wird159. Andererseits gilt für Sokrates, daß zum Unterscheiden-Können die Fähigkeit, sich entscheiden zu können - und zwar für das Gute - hinzukommen muß.160 Das UnterscheidenKönnen zeigte sich als wesentliches Moment der Dynamis der Seele im Phaidon. Seine Voraussetzung war die scharfe Trennung zwischen Körper und Seele als Gewordenen gegenüber dem Werden und Vermögen. Aber es fehlte auch im Phaidon nicht der Hinweis auf andere Formen des Strebens nach einer Sache außer der Philosophie: die „Körperliebhaber" traten in zwei Arten als „Geld"- und „Ehrliebhaber" auf (68b-c). Unter der Voraussetzung, daß die Seele unsterblich ist, worüber sich allein der Philosoph Rechenschaft ablegt und dies zur Grundlage seiner Lebensentscheidung macht, erwiesen sich gleichsam ,unbedingte' Ausrichtungen auf Besitz und Ehre als verfehlte Bestimmungen des Lebens - d.h. Verfehlungen seiner selbst, als Seele. Die Darstellung der Werke des Eros im Symposion geht einen anderen Weg, aber das Ziel - Unsterblichkeit - bleibt in beiden Dialogen dasselbe: über die „Reinigung" der Seele von falschen Zielen zur Idee selbst zu gelangen. Inwiefern unterscheidet sich der Weg? Im Phaidon ist es der Philosoph selbst, der sich gegenüber einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Art des Wissens .logisch' rechtfertigt. Im Symposion wirbt der Philosoph - zunächst unausgesprochen - um den (Tragödien-) Dichter. Das Werben des Sokrates um Agathon entspricht nicht der antiken Praxis des Verführens 161 . Es beginnt mit Kritik an Agathons eben vorgetragener Rede, setzt sich bloßer Schönrednerei entgegen162 und holt daran anschließend das Eingeständnis Agathons über die wahre Natur des Eros ein (199b ff.): Eros sei immer Eros von oder zu etwas. In dem Bezug auf das Schöne und Gute ist Eros selbst nicht dasselbe wie das, wonach er strebt: er ist des Schönen und Guten bedürftig (ενδεής, 201 c3,4). Ausgehend von diesem - implizit die Ausführungen Agathons in Frage stellenden - Zugeständnis wird der Aufstieg des Diotimagesprächs nicht zum .Beweis', aber zu einer Hinführung (έπαγωγή)163 zur Wahrheit. Sokrates will Agathon dazu ,ver-

Vgl. P. L o r e n z e n , „Methodisches Denken", Logique et Analyse 6 ( 1 9 6 3 ) 2 1 9 ff. Vgl. H . Kuhn, Sokrates, S. 8 9 f f . Ders., Die w a h r e T r a g ö d i e , in: Das Piatonbild, hg. von K. Gaiser, S. 3 0 3 ff., mit A n m . 125. 160

S. hierzu u. die Analyse des Phaidros. Vgl. 198 ä f f . Insbesondere der Vergleich A g a t h o n s mit G o r g i a s ( 1 9 8 c) ist aus platonischer Sicht geradezu ein V o r w u r f . 161 162

163 In einem engeren Sinne, im R a h m e n der Geschichte der Entwicklung mathematischer Beweisverfahren, hat K. v. Fritz die έπαγωγή untersucht: „ D e r U r s p r u n g der W i s senschaft bei den Griechen", in: ders., Grundprobleme der Geschichte der antiken W i s senschaft, Berlin 1971, S. 1 9 9 f f . - und „Die Ε Π Α Γ Ω Γ Η bei Aristoteles", ebd., S . 6 7 7 f f .

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führen', das Dichten aufzugeben und statt dessen zu philosophieren. Agathon solle nicht Ruhm, sondern Wahrheit f ü r das wirklich Unsterbliche halten. Es ist festzuhalten, daß diese Art von Induktion grundsätzlich die hypothetische Annahme über die Idee als G r u n d f ü r die M ö g lichkeit der ,Prädikation' von einzelnen (Dingen), sowie die (unsterbliche) Seele als ,eigenen Bereich', die insofern imstande ist, den Bezug zur f ü r sich unsinnlichen, immer seienden Idee herzustellen, ausgesprochen oder unausgesprochen voraussetzt. Das T h e m a der Reden des Symposion ist, dem festlichen Anlaß entsprechend, die Lobpreisung des Eros. Sokrates deutet das traditionsgemäß preiswürdige Wesen und die Eigenschaften von Eros als Gott um in eine dynamische, aufsteigende Beziehung zum Grund des Preisenkönnens. Am Gipfel dieses Aufstiegs tritt zugleich mit dem Schönenselbst, wohin Eros letztlich führte, heraus: „jenes, womit" man es erschauen muß. Dieses „womit" ist nicht Eros. Eros, so wird von Sokrates gesagt, ist der „beste Helfer" (212 b) der menschlichen Natur, nicht diese selbst. Die „menschliche Natur" aber ist ihrem Prinzip nach die Seele. Mit und in dem Erblicken der Idee als Grund f ü r das Schönsein der schönen Dinge wird also zugleich die unsterbliche Seele zu denken gefordert. W a r es im Phaidon in methodischer Hinsicht der Logos, so ist es im Symposion der Eros, der als „Intentionalität" 1 6 4 die Beziehung der Seele zur Idee erklärt.

C.

PHAIDROS

Der Phaidros entfaltet den Zusammenhang von Eros, Freundschaft, Logos, Rhetorik und Dialektik in differenzierterer Weise als das Symposion. Hier wird die methodische Reflexion auf den Logos vom Phaidon her aufgenommen, um das Moment der Schriftkritik ergänzt und mit der Problematik des ,Über-sich-Hinausgehens', des Eros, verbunden. Die Unsterblichkeit der Seele steht an zentraler Stelle des Dialogs. Die Gespräche von Sokrates mit seinem Partner sind in ein erotisches Spiel - und einen erotischen Ernst - eingeflochten. Eros und Logos erzeugen sich dabei gegenseitig. Die bereits oben im ersten Kapitel erwähnte ,eigene' Betätigung von Sokrates (229c-230a) liefert nicht nur einen wichtigen Hinweis f ü r das Verständnis des Phaidros, es benennt die nach sokratisch-platonischer Unter έπαγωγή im platonischen Sinne (als Ausnahme bei v. Fritz zitiert: Men. 82 b ff.) ist nicht die Heranführung zur Einsicht in spezielle Wissensgegenstände, sondern die Heranführung des Menschen selbst zum Grund des W i s s e n - K ö n n e n s zu verstehen. 164 D e n Begriff der „Intentionalität" - der Seele, hat J. Wippern für den Eros gebraucht, a.a.O. S. 132 mit A n m . 5 7 .

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Auffassung fundamentale Voraussetzung für das Philosophieren: keine, wie auch immer geartete Gegenstandserkenntnis, sondern Selbsterkenntnis. Solange Phaidros allerdings die von Lysias vertretene Auffassung - Liebe sei nichts anderes als Preisgabe des Verstandes - teilt, ist er ,blind' für das Ziel des Dialogs: das ,Bewegt-werden' in der Liebe akzeptieren zu können aus der Erkenntnis des Selbstbewegungsprinzips und den Logos der Dialektik als ein Über-sich-Hinausgehen zu akzeptieren. Phaidros muß zunächst einsehen, daß er als .Objekt der Begierde' oder, neutraler gesagt, als Gegenstand eines Interesses nicht verurteilt ist passiv zu verharren, sondern aktiv wählen, eine eigene Entscheidung treffen kann, wenn er die Wahrheitsfrage stellt und zu beantworten sucht.165 Erster Schritt auf diesem Weg ist, daß Phaidros sich selbst als den schönen Knaben erkennt, dem die Rede gewidmet ist.166 Im Gegensatz zum Phaidros wird im Symposion Eros von Anfang an gelobt. Es war nicht notwendig, die Mitunterredner, insbesondere Agathon, von der Bedeutung der Annahme zu überzeugen, daß er göttlich sei und daß der Mensch eine Beziehung zum Göttlichen herstellen könne. Hier hingegen zeigt sich Phaidros beeindruckt von dem Rationalisten' Lysias und scheint nichts mehr auf die Tradition, den Götterglauben und die Mythologie zu geben, er scheint zumindest gleichgültig zu sein.167 Auch wenn das Vermögen zur Rede als „Seelenleitung"168 eine schwierige Aufgabe zu sein scheint, will der Phaidros ein gelungenes Beispiel dieser Kunst vorstellen. Durch Kritik am Gegebenen, durch Analyse und Reflexion auf die Mittel, das Problem der Wahrheit thematisieren zu können, führt Sokrates den Phaidros zur Selbsterkenntnis und zur Beurteilung der Kunst der Rhetorik. Die ersten beiden Reden waren ganz der körperlichen oder der vom Körperlichen bestimmten Liebe gewidmet, der Erotik im Sinne des Zweikampfs zwischen Geliebtem und Liebhaber. Davon setzt sich die zweite Rede des Sokrates als Sorge um die Seele des Phaidros ab169, sie nimmt dennoch keineswegs die Bestimmung der Dynamis des Eros als Begierde bzw. Verlangen (έπιθυμία, 237 d 4) zurück. Die Bestimmung des Eros als Verlangen mußte aber Zweifel zurücklassen: verliert dabei 165 Vgl. M. Foucault, Der Gebrauch der Lüste, Ffm. 1986, S.289ff., der die griechische Erotik sehr richtig als Zweikampf (άγων) interpretiert, welche erst bei Piaton mit der Wahrheitsfrage verbunden wird. 166 Phdr. 243 e; gemeint ist die erste Rede von Sokrates, die Lysias nur formal kritisiert. Vgl. hierzu P. Friedländer III, S.208. Phdr. 229 bff., vgl. 242 d, 274 b, 275 b-c, aber: 279 c, Miteinschließen im Schlußgebet. 168 λόγου δύναμις . . . ψυχαγωγία, 271 c 10. Zur Schwierigkeit dieser Kunst s. 272 b 5-6. 169 Bereits in der Pausanias-Rede des Symposion war eine Unterscheidung zwischen „irdischer" und „himmlischer" Liebe getroffen worden (180cff., bes. 181 a-c). Vgl. hierzu P. Friedländer III, S.209.

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der Liebhaber nicht die Kontrolle über sich selbst? Zeigten nicht die von Lysias gegebenen Beispiele, daß der Geliebte zum Opfer eines unkontrollierten und unkontrollierbaren Prozesses wird? Muß es daher nicht besser scheinen, auf jedes Begehren zu verzichten, als .außer sich' zu geraten? 170 Auf diesen Zweifel antwortet die zweite Rede von Sokrates: er tritt gegen die Angst auf, bewegt zu werden 171 und aus Angst den „Besonnenen" (Nicht-Verliebten) dem „Bewegten" (Verliebten) vorzuziehen. 172 Sokrates spricht in seiner zweiten Rede ganz im Stile Diotimas oder wie jene Weisen, von denen die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele herstammen soll173. Dieser Stil und das erstmals ausdrücklich mit der Seele verbundene Konzept der Selbstbewegung haben manche Interpreten dazu veranlaßt, nach vorsokratischen Quellen des Textes zu suchen, andere aber die Aussage als „empirische" Modifikation der platonischen Unsterblichkeitslehren aufzufassen. 174 Die vorliegende Arbeit interpretiert diese zweite Rede des Sokrates jedoch aus dem leitenden Gedanken der Sorge um die Seele, die die Selbsterkenntnis als unverzichtbare Voraussetzung für Sacherkenntnis sieht. Der logische Status innerhalb des Unsterblichkeitsbeweises der Seele, in der Hinführung zur Einsicht in die Liebe als einer positiv zu bewertenden Form des Wahnsinns, ist der einer notwendigen Voraussetzung. 175 Der Beweis hat daher nicht die Unsterblichkeit der Seele selbst zum Ziel, sondern will Eros als wünschenswerte Form des ,Bewegtwerdens' erweisen. Das kurze Textstück des Unsterblichkeitsbeweises steckt voller Schwierigkeiten. Daher wird im folgenden eine Ubersetzung des Textes Abschnitt für Abschnitt kommentiert.

170

Speziell zur Mania bei Piaton s. S. Benett, „Plato's Concept of Mind and Its Disorders", in: ders., Mind and Madness in Ancient Greece, Ithaca 1978, S. 157 ff. und P. Lain-Entralgo, a.a.O. 171 Ähnlich tritt Sokrates im Phaidon gegen die Angst auf, im Tod „getrennt zu werden" - vom Körper. 172 προ toö κεκινημένου τον σώφρονα δει προαιρεΤσθαι, 245b 4. Schleiermacher übersetzt κεκινημενου mit „dem Verzückten", damit wird aber die wörtliche Anspielung auf die folgenden Ausführung über die Bewegung verdeckt. 173 Vgl. Smp. 208c; Phd. 70c; Men.·, Ep. VII, 3 3 4 e - 3 3 5 a . 174 Vgl. T.M. Robinson, a.a.O., S. 114 mit Anm. 12. Als vorsokratische „Quelle" wird Alkmaion angegeben, der nach Aristoteles de An. 405 a 29 ff., der Seele Unsterblichkeit aus immerwährendem Bewegtsein zugeschrieben habe. Ebenso Aetios IV, 29 und Cicero de nat. deor. 1,11, 27: vgl. W.K.C. Guthrie IV, 420 mit Anm. 2. 175 Vgl. Phdr. 245 c 2-4. 85

1. Der Beweis »Der Anfang des Beweises ist folgender: Jede Seele ist unsterblich. Denn das Selbstbewegte ist unsterblich; was aber anderes bewegt und von anderem bewegt wird, hat, indem es ein Aufhören der Bewegung hat, ein Aufhören des Lebens.« (245 c 5-8) Der Ausdruck „jede Seele", ψυχή πάσα wird von E. Rohde 176 hier, wie auch die Verwendung von ψυχή im Plural (Politela 611 a), als klarer Beweis für die Annahme der Unsterblichkeit der Zahl nach begrenzter, individueller Seelen gewertet. Aber kann der Gedanke einer vom Körper unabhängigen, individuellen Seele tatsächlich gedacht werden? Oder darf Seele vielmehr erst in Verbindung mit dem Körper als Individuum begriffen werden177? Muß es heißen das „Selbstbewegte" oder das „Immerbewegte", αύτοκίνητον oder άεικίνητον? In den Handschriften und Sekundärquellen des Textes ist durchweg άεικίνητον, allein im Papyr. Oxyr. 1017 αύτοκίνητον überliefert. Beide Worte, sofern überhaupt eines von beiden genuin platonisch ist, kommen im gesamten Corpus platonicum nur an dieser Stelle vor178. Zur Auseinandersetzung über den Vorzug, der dem einen oder anderen Wort beredt gegeben wurde vgl. v. a. die in der Forschung kaum beachtete Arbeit von O. Vinzent. 179 Vinzent entscheidet zugunsten αύτοκίνητον, weil der Einleitungssatz „als Programm für die gesamte Abhandlung über die Seele gelten kann" (S.92). Dagegen votiert T.M. Robinson unter Hinweis auf C. Diano 180 für άεικίνητον, weil αύτοκίνητον „unzweideutig" ("incontrovertibel") erst in der aristotelischen Physikvorlesung181 vorkomme. Ähnlich argumentiert R. Bett mit Verweis auf F.D. Caizzi182, wobei hier mehr auf die Uberlieferung des Textes eingegangen wird und die Überlieferung des Papyrus u.a. unter Hinweis auf Cicero (Tuse. 1,53) abgeE. Rohde, a.a.O., Bd. II, S . 2 7 8 f . mit Anm.2. Vgl. W . K . C . Guthrie IV, S . 4 1 9 mit Anm.4. 178 S. den Wortindex zu Piaton von L. Brandwood. 179 O. Vinzent, Textkritische Untersuchungen der Phaidros-Papyri, Diss. Saarbrücken 1961, S.92 ff. 180 T . M . Robinson, a.a.O., S. 111 f. C. Diano, „Quod semper movetur aeternum est", in: La parola del Passato 2 (1947) 189-92. 1 , 1 Aristoteles, Ph. Vili, 5 258 a 2. Ein Abschnitt, bei dem es Aristoteles um die Klärung des Begriffs der Bewegungsursache zu tun ist. Tatsächlich gelangt er aber wohl nur zu einer sehr mühsamen Unterscheidung zwischen „bewegend" und „beweglich". Dabei ist der Widerspruch auffallend, daß sowohl άκίνητον ( 2 5 8 a l ) als auch αύτοκίνητον ( 2 5 8 a 2 ) die Bewegungsursache kennzeichnen sollen. Aber darauf zielt wesentlich der Kerngedanke des Aristoteles vom „unbewegten Beweger". Es ist im übrigen durchaus möglich, daß Aristoteles den Ausdruck von Piaton übernommen hat, das kann uns aber kein Argument für das Problem hier liefern. 176

182 R. Bett, „Immortality and the Nature of Soul in the Phaedrus", in: Phron 31 (1985) S.4 mit Anm.6. F.D. Caizzi, „ΑΕΙΚΙΝΗΤΟΝ ο ΑΥΤΟΚΙΝΗΤΟΝ?", Acme 23 (1970) 91-97.

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wiesen wird. Der weitere Fortgang des Beweises legt nicht nur die Betonung, sondern den Wortlaut vollständig auf das „Sich-selbst-Bewegende" (245 c 8, d 7 - 8 , e 3 - 4 und 8) fest. Inhaltlich spricht nichts gegen άεικίνητον, außer daß diese von F.D. Caizzi vorgeschlagene „lectio difficilior" - der „lectio facilior" αύτοκίνητον vorzuziehen - nicht zum Ende des Beweises (245 e 7-246 a 2) paßt. D o r t werden noch einmal Selbstbewegung (in Umschreibung: το αύτό έαυτό κινοϋν), die inzwischen analytisch gewonnene Ungewordenheit und Unsterblichkeit definitorisch wie im Einleitungssatz, verbunden. Es ist also nichts mehr von „Immer-Bewegtsein" gesagt. Wenn darüber hinaus der Zusammenhang der Rede im Dialog und der unmittelbare Zuhörer des Beweises, Phaidros, erinnert werden, wird es plausibel, dem „Selbstbewegtsein" vor dem „Immerbewegtsein" den Vorzug zu geben. »Nur also das sich selbst Bewegende wird, weil es von sich selbst nicht läßt, niemals aufhören bewegt zu sein, vielmehr ist auch f ü r die anderen, so viele bewegt sind, dieses Quelle und Anfang der Bewegung. (Der) Anfang aber ist ungeworden; aus einem Anfang nämlich wird notwendig alles Werdende, er selbst aber wird auch nicht aus einem einzigen (Gewordenen). Denn wenn ein Anfang aus etwas werden würde, so wäre er nicht von Anfang an.« (245 c 8 - d 3) Die Passage bestimmt die Selbstbewegung genauer in ihrer Sonderstellung unter den Bewegungsarten - sie weist damit voraus auf die differenziertere, aber auch kompliziertere Erörterung in Nomoi 893 b 896 d, und sie weist zurück auf die Frage in Charmides 168e-169a: „ob nichts Seiendes sein Vermögen von Natur in bezug auf sich selbst haben kann, sondern nur auf anderes" - und leitet aus ihrer Selbstbezüglichkeit ihren unvergänglichen Prinzipiencharakter im Unterschied, aber auch in Beziehung auf das körperlich Gewordene ab. A. Graeser behauptet, daß Piaton das Problem der Kausalität, insbesondere die „Wirkung" zwischen Ideen und Seele, nicht „wirklich umfassend" diskutiert habe 183 . Der Gang der vorliegenden Untersuchung bietet bisher ein gänzlich anderes Bild dar. Das Problem der Ursachebeziehung zwischen Seele und Idee umfaßt nicht allein den Aspekt Eros und Philosophie, der Bestandteil fast jedes platonischen Dialogs ist. 184 Vielmehr wird sich in der vorliegenden Untersuchung zeigen, daß die Seele als ,Mitte des Seins' in den Dialogen auf je unterschiedliche Weise dargestellt ist und die ihr zukommende Funktion als Erkenntnis- und Bewegungsprinzip von Piaton schließlich in der Teilhabeproblematik reflektiert wird (dazu s.u. Kap. IV und V). Durch die betonte Ubersetzung 183

A. Graeser, a.a.O., S.46. Einschlägig dazu die Revision P. Natorps im „Metakritischen Anhang" zur 2. Aufl. seines Buches Piatos Ideenlehre von 1921 und G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, Frankfurt/M., 2. durchges. Aufl. 1948. 184

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des den Text strukturierenden wörtlichen Gegensatzes von „ungeworden" (άγένητον) und „werden" (γίγνεσθαι) einerseits und dem „Werdenden" (γιγνόμενον) andererseits tritt der Begriff der άρχή in einen eindeutigen Gegensatz zum „Werdenden", das immer auch schon den Aspekt des Gewordenseins, d. h. eines ,Produktes', enthält, auf die Seite des „Werdens" - aber nicht in der Weise, daß er selbst werden würde, also z.B. etwas anderes als άρχή. »Weil er aber ungeworden ist, muß er notwendig auch unvergänglich sein: denn wenn (der) Anfang einmal untergegangen ist, wird er weder (selbst) jemals aus etwas, noch anderes aus ihm werden, wenn anders alles aus einem Anfang werden muß. Auf diese Weise also ist der Anfang der Bewegung das selbst sich selbst Bewegende; dieses aber kann weder vergehen noch werden, oder der ganze Himmel und das gesamte Entstandene würden zusammenfallend stillstehen, und niemals hätten sie etwas, von dem bewegt sie wieder werden könnten.« (245 d 3-e 3) J. Burnet hat in seinem Text zu 245 e 1, Philoponus folgend, γην εις εν; L.Robin hat dies in seiner Ausgabe, auch unter Berücksichtigung des Papyrus, in γένεσιν verbessert, was wegen des zugeordneten Prädikats συμπεσοΰσαν überzeugender ist. Dieser Teil des Beweises findet eine Entsprechung im ,ersten Beweis' für die Unsterblichkeit der Seele aus dem Phaidon. Hier, wie dort im Phaidon (70 d-72 d), wird der Gedanke des Anfangs im Sinne eines anfänglichen Impulses angesprochen, der im Verlauf des von ihm selbst ausgelösten Prozesses durch die dem Gewordenen eigene „Trägheit" 185 nach und nach geschwächt und schließlich vernichtet wird. Die Widerlegung dieses Gedankens gelingt wesentlich durch die strikte Entgegensetzung von „Werden" und „Werdendem". »Nachdem sich aber das von selbst sich Bewegende als unsterblich gezeigt hat, muß man sich nicht schämen, dieses selbst als das Sein und die Definition der Seele zu erklären. Denn jeder Körper, dem von außen das Bewegtwerden zukommt, ist unbeseelt; welchem aber von innen selbst aus sich, der ist beseelt, weil dieses die Natur der Seele ist. Wenn sich dies aber so verhält, daß nichts anderes das Sich-selbst-Bewegende ist als (die) Seele, dann ist (die) Seele aus Notwendigkeit ungeworden und unsterblich. Über ihre Unsterblichkeit soll das genug sein.« (245 e 3-246 a 2) F. Schleiermacher hat den mit ώς eingeleiteten Genitivus absolutus in 245 e 7 komparativisch wiedergegeben. Das ώς ist aber m.E. hier nicht vergleichend gebraucht, sondern kausal: es ist, wie im Verlauf des Beweises gezeigt wurde, die Natur der Seele, Körper von innen her zu bewegen, daher ist das ώς mit „weil" zu übersetzen. Der Ausdruck φύσις ,8S Vgl. G.Vlastos, Plato's Universe, Oxford 1975, S.31: „... physical matter. For Plato the latter is inert ..

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in ebendiesem Satz ist im Wechsel zu ούσία u n d λόγος in 245 e 4 in bezug auf die Seele bedeutsam. Er benennt o f f e n b a r im Unterschied zu ούσία und λόγος die V e r b i n d u n g der Seele mit dem Körper.

2. Das Gleichnis vom

Seelengespann

Die an den Beweis anschließende Beschreibung der Gestalt (ιδέα) der Seele im Gleichnis vom Seelengespann, der Z u g der Seelen im G e f o l g e der G ö t t e r und ihr Aufstieg zum „überhimmlischen Ort" 1 8 6 u n d schließlich die Beschreibung der „Schicksale" menschlicher Seelen beantwortet drei Probleme, um daraus das „Bewegtsein", d. h. die Liebe des einzelnen Menschen veranschaulichen zu können 1 8 7 : Das Gleichnis m u ß erstens veranschaulichen, wie Selbstbewegung bildlich vorgestellt werden kann u n d löst dies durch die Z u s a m m e n s e t z u n g heterogener u n d bedeutungsmäßig aufeinander bezogener .Teile'. Die V e r n u n f t lenkt das Gespann, M u t bzw. Willen (θυμός) u n d Begierde (έπιθυμία) sind die beiden Antriebskräfte verschiedener ,Art'. Potentiell ist das Seelengespann in seiner Bewegung auseinanderstrebend und zugleich ein G a n zes, das sich in seiner Bewegung auszurichten, auf ein Ziel hin zu bewegen vermag. Zweitens m u ß durch das Gleichnis die Begeisterungsfähigkeit des Menschen erklärt werden. D a s geschieht durch die Beschreibung der Beschwingtheit und Beflügelung des Gespanns und dem A u f stieg z u m u n d der Schau des w a h r h a f t Seienden (247 c 5 ff.). N e b e n den göttlichen Seelen erheben sich n u r menschliche Seelen zu dieser Schau. D a h e r m u ß das Gleichnis drittens aus dieser D i f f e r e n z zeigen, d a ß die menschlichen Seelen, g e m ä ß der unterschiedlichen Intensität der Schau des w a h r h a f t Seienden, unterschiedliche Lebensentscheidungen treffen und dabei auch f ü r das jeweilig gelebte Leben verantwortlich sind. D a s philosophische Leben wird dabei in seiner - nach menschlichen Verhältnissen - unüberbietbaren Intensität hervorgehoben. Diese Lebensintensität stellt sich der .gewöhnlichen' Beurteilung als Verwirrung dar. 188 D e r Beweis ist Voraussetzung f ü r das Folgende, denn aus ihm wird das Gleichnis des Seelengespanns z u r Veranschaulichung des Bewegtseins der Seele in der Liebe abgeleitet. Die Veranschaulichung von T u n und Leiden der Seele, die dazu dient, die menschliche Liebe als heilsame und positive Form des Wahnsinns - in Antithese z u r A u f f a s s u n g des Lysias - zu erweisen, setzt ihr Sein (ουσία) und ihre Definition 186

ύπερουράνιον τόπον, 247c 3. Vgl. 245 b 4 mit 249 d ff. 188 Phdr. 249 d 2: ώς παρακινών; wörtlich übersetzt: „wie daneben bewegt". Vgl. hierzu auch den Ausdruck παραφροσύνη im Sophistes 228 d 2, der allerdings kontrapunktisch die Bedingung der Beurteilung, der der Philosoph gewöhnlich' ausgesetzt ist, einholt. 187

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(λόγος), unsterblich Sich-selbst-Bewegendes zu sein, voraus. 189 Psyche wird im Beweis des Phaidros in ihrem „Sein", mittels ihrer Definition selbst f ü r sich, vergleichbar mit dem Phaidon dargestellt 190 - im Unterschied zu ihrer „ N a t u r " (φύσις), die eine anschauliche „Gestalt" (ιδέα) vorzustellen fordert. U m zu verstehen, daß Eros als eine Form des Wahnsinns - des Bewegtseins - nicht per se etwas Übles ist, mußte das Sein der Seele überhaupt betrachtet werden. Die Seele ist Selbstbewegung. Philosophischer Eros aber erklärt sich als Bewegtsein durch das Gute, Wahre und Schöne und die Bewegung darauf hin, dieses immer zu haben. In und durch Eros im allgemeinen ist die Bedürftigkeit des Lebendigen ausgedrückt: es muß das Geliebte sich .erwerben'. Der „Nichtverliebte" des Lysias betont dagegen mit seiner sich bewahrenden Verständigkeit seine Autarkie, seine Unbedürftigkeit und sein Unbewegtsein. Er bleibt bei sich, dem Geschehen der Liebe äußerlich, unbeteiligt im Grunde. Er interessiert sich nur f ü r sich selbst. Er bleibt mit seiner Selbstbewegung bei sich, vergleichbar Kritias im Charmides, der die Selbsterkenntnis als Selbstbezüglichkeit der Erkenntnis, welche inhaltlich leer bleiben muß, deutet. 191 Im Phaidon steht Sokrates an der Schwelle des Todes: es ist sicher, daß er nach Sonnenuntergang sterben wird. Sein Leben ist am Ende angelangt. Uber die Unsterblichkeit der Seele zu sprechen bedeutet ein Ziel über das ,Ende' hinaus zu fixieren. Im Phaidros steht Sokrates dagegen mitten im Leben und ist bei,seiner' Beschäftigung, der Sorge um die Seele, anzutreffen. Die Unsterblichkeit der Seele als Selbstbewegung darzustellen ist entscheidend f ü r den Weg, der zu gehen ist. Eros bestimmt die Richtung zum Ziel des Schönen selbst - im Unterschied zum Logos bereits als gleichsam unbewußte Bewegung. 192 Seele und Eros ergänzen sich hier, wie Seele und Logos im Phaidon. Eros und Logos sind nicht vertauschbar, aber letztlich zeigt sich die notwendig immanente erotische Komponente des Logos, die der Klärung bedarf. Auch Lysias vermag zu bewegen, obwohl er nicht über die Bewegungsursache spricht und die Bewegtheit sogar herabsetzt. Lysias will auch bewegen und es gelingt ihm. Aber er vermag nicht die Zeugung der T u gend im Schönen zu bewirken - als einer aus der Selbstbewegung der Seele erwachsenden Dynamis - , sondern regt an zum Auswendiglernen; dies ist bestenfalls Reproduktion: ,Kloning' und nicht Zeugung. 1 9 3 Phai189 D i e Seele ist also hier ebensowenig wie im Symposion mit Eros gleichzusetzen. Vgl. dagegen M. Landmann, a.a.O., und W.K.C. Guthrie IV, 425 m. A n m . 2 , der Landmann in dieser Gleichsetzung folgt. 1.0 Vgl. H . Cherniss, a.a.O., S . 4 3 6 Í . 1.1 Vgl. H . Kuhn, „Die Liebe z u m Sein und die Verlockung des Nichts", in: ders., D a s Sein und das Gute, München 1962, S. 2 5 4 - 2 7 4 . 1.2 Vgl. Smp. 207 a ff. 1.3 Zum Auswendiglernen vgl. Phdr. 2 2 8 a - 2 2 9 a .

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dros, dem die Reden gewidmet sind, ist ein junger Mann an der Schwelle zu grundlegenden Lebensentscheidungen. Er hat noch keine festen Ansichten, noch keine Forschung betrieben194, wie Kebes und Simmias, ist kein Dichter wie Agathon, aber er ist beeinflußt und angezogen von der politischen und - ihm noch nicht recht bewußt - psychologischen Macht der Rhetorik (vgl. 271c 10: ψυχαγωγία). Der längere Weg der Untersuchung und das „nicht kleine Werk" (vgl. 246 a 5 und 272 b 5-6), in dem die Kenntnis über die Seele selbst und die Kenntnis über den Zusammenhang und den Unterschied von Dialektik und Rhetorik, Rede und Schrift verbunden werden sollen, benennen die Aufgabe eines Lebens mit dem Namen JPhaidros'.

D.

POLITELA

Während die Beziehung der Seele zu den - im strikten Gegensatz zum Körperlichen stehenden - Ideen in Phaidon, Symposion und Phaidros durch Logos und Eros bzw. durch die beiden zugrundeliegende Selbstbewegung der Seele vermittelt wird, scheint der Unsterblichkeitsbeweis in der Politela aus dem für die vorliegende Untersuchung angelegten Rahmen zu fallen. Das Problem besteht darin, daß in der Politela Teile der Seele angenommen werden und im zehnten Buch offen zu bleiben scheint, ob die geteilte Seele unsterblich ist, was in offenkundigem Widerspruch zur Unteilbarkeit im Phaidon stünde. Die zu untersuchende Stelle im zehnten Buch der Politela hat zwei Teile. Der erste Teil trägt den „Beweis" für die Unsterblichkeit vor, der zweite reflektiert das Problem der „wahren Natur" (την άληθη φύσιν, 612 a 4) der Seele. 1. Der Beweis Jegliches ,Ding' hat sein Übel, das sich auflösend und verderbend, und sein Gutes, welches sich erhaltend und fördernd auswirkt. Dies gilt für lebendige, organische Dinge, wie das Auge - dessen eigentümliches Übel die „Augenkrankheit" ist - , oder tote, anorganische Dinge, wie Eisen - dessen Übel ist der „Rost". 195 Das Gute zerstört keinesfalls, aber vielleicht gibt es ein Übel, das nicht vernichtend wirkt? Ungerechtigkeit ist das eigentümliche Übel der Seele. Kann Ungerechtigkeit die Seele d.h. hier Leben - wie Krankheit den Körper zerstören? Jedenfalls - so 194 Darauf weist der selbstbeschreibende Ausdruck ιδιώτης (228 a 2 ) von Phaidros hin; vgl. hierzu R. Burger, Plato's Phaedrus, 1980, S. 8 ff. 195 R. X , 6 0 8 d - 6 0 9 a .

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wird festgehalten - ist das Körperübel vom Seelenübel verschieden. 196 Wenn aber umgekehrt jemand behaupten wollte, daß aus seiner Verbindung mit dem Körper der Kranke ungerechter und der sterbende Mensch schlechter und ungerechter werden würde, der müßte auch akzeptieren, daß bei körperlicher Gesundheit Ungerechtigkeit eine Krankheit zum Tode sein würde und Strafen für Ungerechtigkeiten, von anderen auferlegt, völlig überflüssig, ja genau genommen unmöglich wären. 197 Dagegen wird infolge der tatsächlichen „Lebenskräftigkeit" 198 ungerechter Menschen angenommen, daß ihr eigenes Übel und ihre eigene Bosheit die Seele nicht zu zerstören oder zu töten vermag, daher auch kein fremdes Übel. Also ist die Seele etwas „Immerseiendes"199 und unsterblich. „Notwendig" ist dieser Schluß für den Gesprächspartner Glaukon, womit die Unsterblichkeit der Seele für ihn als bewiesen gelten darf. Was wird hier festgestellt und .bewiesen'? P. Friedländer hält den „Beweis - more geometrico - " zwar für „absurd", aber „als Einsicht in das Wesen sowohl von Gut und Schlecht wie von ,Seele' höchst tiefsinnig."200 Wie die hier vorgelegte Deutung des Phaidon bereits zeigte, ist ein Beweis für die Unsterblichkeit der Seele, sowohl in Anlehnung, als in Absetzung von mathematisch-logischen Verfahren erbracht worden, um ein eigenständiges philosophisches Verfahren- der Begründung einzuführen. Bewiesen wurde also zunächst eine prinzipielle Unterscheidung des Körpers von der Seele mittels der Darlegung eines je eigentümlichen Gutes bzw. Übels, von Gesundheit bzw. Krankheit für den Körper und Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit für die Seele. Unabhängig vom Körper, also nach Lösung der Seele vom Körper 201 oder „selbst für sich"202 gesehen, kommt der Seele etwas zu: Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit. Dieser Gegensatz, auf die Seele angewendet, muß wohl in gradueller Differenzierung gedacht werden. Gibt es dafür einen .Gradmesser'? Außere Zeichen sind Ruhe und Gelassenheit 203 , welche auf die Vorherrschaft und Wirksamkeit des philosophierenden Teiles der Seele zurückzuführen sind. Zugleich damit werden Gesundheit bzw. KrankR. X, 609 b-d. Der Gedankengang des Beweises knüpft an die Diskussion mit Thrasymachos im ersten Buch (I, 353 äff.) an. Vgl. auch die Widerlegung des HarmonieEinwandes von Simmias im Phaidon 91 cff. 1,7 R. X, 610 b-d; wenn die Ungerechtigkeit bemerkt wird, ist der Ungerechte bereits sterbenskrank! 1,9 Vgl. R. X, 610 e 2: μάλα ζωτικόν. 1,9 Vgl. R. Χ, 611 a 1: άεί öv. Ρ. Friedländer III, S. 118. 201 Vgl. die Definition des Todes R. X, 609 d 6-7; ebenso Phd. 64 c 3 ff. 202 αύτό προς αύτό, 611 b 3. 203 Bzw. deren Fehlen, vgl. R. VI, 496 e und die Beschreibung der Haltung Sokrates' nicht nur im Phaidon.

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heit des Körpers und Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit der Seele parallelisiert. A. Kenny 204 zufolge gibt Piaton mit der Einführung des Begriffs „seelische Gesundheit" eine einfache Antwort auf die Frage: Warum Gerechtigkeit? Zum ersten wünscht jeder Gesundheit für sich, also will jeder - unter oben genannter Voraussetzung - Gerechtigkeit. Ungerechtigkeit ist demnach Unwissenheit über den Wert von Gesundheit. Wer ungerecht ist, ist unwissend und kennt im Grunde sich selbst nicht; das entspricht dem einschlägigen sokratischen Paradox: niemand tut freiwillig Unrecht. Wenn zweitens Ungerechtigkeit eine Krankheit ist, so muß nach Heilung gesucht werden. Eine wissenschaftliche, d. h. begründbare Methode der Heilung sucht möglichst dazu beizutragen, das Übel an der Wurzel auszurotten. Die Politela ist, was noch zu zeigen sein wird, Übungsprogramm und Erziehungssystem zur Vorbeugung gegen Ungerechtigkeit. Wenn drittens der Ungerechte ein Kranker ist, so hat der Gerechte, nämlich der Philosoph, zu ihm die Beziehung wie der Arzt zum Kranken. Die Aufgabe des Philosophen ist Sorge um die Seele, έπιμέλεια της ψυχής. Der Philosoph der Politela, zugleich wahrer Staatsmann (πολιτικός), ist als Arzt der Seele des einzelnen zugleich Arzt der gesamten Polis bzw. ihrer Verfassung (πολιτεία). 205 Die Gesundheit der Seele, für die er sorgt, ist Gerechtigkeit; und das heißt mittels „richtiger Logoi" 206 für richtige Verhältnisse zu sorgen. 207 Der richtige Logos verlangt zugleich, ihn als den eigenen, d.h. den Logos der Seele selbst, anzunehmen. Dies wiederum beinhaltet die .Bedingung der Möglichkeit' für den Inhalt des Logos, der den Bezug zur Idee herstellt. Darin eröffnet sich der Kern der Kritik an herkömmlicher Moralität des Selbstinteresses als anderes, .höheres' Selbstinteresse.208 204 A. Kenny, „Mental Health in Plato's Republic", in: ders., The Anatomy of the Soul, Oxford 1973, S. 23. 205 Vgl. Grg. 464 d, 518 d; R. 489 b f.; Tht. 167 a; Pit. 293 b, 295 b ff. Diese Forderung antiker Ethik hält E. Tugendhat für eine fruchtbare Anregung zur Diskussion über moderne Ethik und sieht in dem Ansatz von L.S. Kubie, „The fundamental distinction between normality and neurosis", in: Psychoanalytical Quart. 23 (1954) 167-204 , der - zumindest implizit - die Frage der Moralität an die der seelischen Gesundheit bindet. „Seelische Gesundheit" wird dabei als freie, rational begründete Wahlmöglichkeit einer Handlung definiert (das ist m.E. auch ein Aspekt des „Er-Mythos" der Politela). 206 Nicht unbedingt auch die „wahren": wie ein Arzneimittel (φάρμακον) sollen „zum Nutzen" der Beherrschten Lügen erlaubt sein (459c-d). Diese Aussage, die für die Interpretation durchaus ein Problem ist, auf die hier nicht ausführlich eingegangen werden kann, führte u. a. K.R. Popper dazu, von einer „Erziehungskontrolle" in der Politela zu sprechen, „die auf einer autoritären Ansicht vom Lernprozeß beruht" (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1, 6. Aufl. 1980, S. 190). Diese Auffassung zumindest beruht, wie hier aufgrund der Bedeutung von Psyche gezeigt werden konnte, auf einem Irrtum. 207 Vgl. Chrm. 155bf.; Grg. 475e, 521 e. 208 Vgl. M.J. O'Brien, The Socratic Paradoxes and the Greek Mind, Chapel Hill 1967, S. 56 ff.; vgl. hierzu auch Phd. 9 0 e - 9 1 c .

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2. Die „wahre Natur" der Seele Die Aussage, daß die Seelen „dieselben" sein werden, „weder weniger ... noch mehr", ist von einigen Interpreten so verstanden worden, daß hier an eine begrenzte A n z a h l individueller Seelen gedacht sei209. Im Phaidon (72 c-d) und im Phaidros (245 d-e) waren wir einem genau umgekehrten Argument für die Unsterblichkeit der Seele begegnet: wer annimmt, die Seelen würden im Tod vernichtet, muß schließlich alles als körperlich und stehend denken. Wenn beide Argumente zusammengenommen werden, zeigt sich, daß die Seele für sich, ihrer „wahrsten Natur" nach, bestimmt ist, die Mitte zu halten zwischen unsterblichen Ideen und sterblichen Körpern, so daß eine Bestimmung von ,mehr und weniger' - von jeglicher Art von Vielheit, Unähnlichkeit oder Verschiedenheit - für die Seele als unzutreffend abgelehnt werden muß. 210 Daraus erhellt, daß auch die Unteilbarkeit von Individualität der „Seele selbst für sich" nicht zukommen kann. Der gesamte Absatz 611 b-612 a, mit dem Bild von dem entstellten Meergott Glaukos, der Frage nach der Viel- oder Einartigkeit (πολυειδής εϊτε μονοειδής) der Seele, die nur im Hinblick auf das Philosophieren der Seele zu erkennen sei, ist eine deutliche Anspielung auf die Darstellung der Erde im Mythos des Phaidon·. die mannigfaltigen „Höhlungen" der Erde, angefüllt mit Wasser und Luft, an ihrer eigentlichen Oberfläche dagegen mit gänzlich „Reinem" (αίΟήρ), und mit „gereinigten Seelen" bevölkert (111 a-b) - im Luftraum aber von den mit den Körpern verbundenen Seelen. Die Darstellung in der Politela steigt persifliêrend in ein noch ,unreineres' Medium hinunter, um ihrerseits auf den reinigenden ,Effekt' des Philosophierens, der im Phaidon (63 e ff., 80 e ff.) ausführlich behandelt ist, hinzuweisen. Von den scharfsinnigen Arbeiten und Versuchen zu einem „Problem der Seelenteilung" bei Piaton muß gesagt werden, daß sie eben dieses reflektierende Moment in der oben dargestellten Abhandlung nicht berücksichtigen.211 Die von Piaton vorgelegte Reflexion auf das sprachliche und sachliche Problem einer angemessenen Darstellung der Seele ihrer „wahren Gestalt" nach soll m. E. zum einen andeuten, daß die Seele mit einer Redeweise, wie sie für den körperlichen Bereich angemessen ist, nicht zutreffend beschrieben werden kann. Andererseits bleibt aber 209 Zu R. X , 611 a vgl. E. R o h d e , a.a.O. - und J. Adam, T h e Republic of Plato II, C a m bridge 2. Aufl. 1965, S.421, Anm. zu 6 0 8 a f f . und S.426, Anm. zu 6 1 1 a 4 . 210 R. X , 611 b 1 ff. D i e Gigantomachie des Sophistes (246 a ff.) stellt dieses T h e m a und diese Argumente in neuer Form zusammen. 211 S. v. a. R.W. Hall, „Ψυχή as Differentiated Unity in the Philosophy of Plato", Phron 8 (1963) 63 ff.; A. Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre, M ü n c h e n 1969, S . 2 7 f f . ; T h . A . Szlezák, „Unsterblichkeit und T r i c h o t o m i e der Seele im zehnten Buch der Politela", Phron 21 (1976) 3 1 - 5 8 .

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diese Redeweise unverzichtbar, um überhaupt Aussagen über die Seele zu machen und Philosophieren als d e n sinnvollen Versuch g u t z u leben, weil es sich auf Sein-selbst bezieht, dialogisch zu begründen. Die Verfehlung des Sinns des Unsterblichkeitsbeweises in der Politela hängt, wie in den anderen Dialogen auch, damit zusammen, daß der Abschnitt aus dem Zusammenhang gerissen interpretiert wird. In welchem größeren Zusammenhang steht also dieser vergleichsweise kurze Text von knapp vier Stephanus-Seiten (608c-612a) in diesem, neben den späten Nomoi umfangreichsten Werk Piatons (von fast 300 Stephanus-Seiten)? Dieser Zusammenhang soll hier kurz skizziert und eingeholt werden. „Die Rede" der Politela insgesamt handelt davon, „auf welche Weise man leben soll" 212 , um glücklich zu sein; möglichst ungerecht, wie Thrasymachos im ersten Buch meint, oder möglichst gerecht, wie Sokrates behauptet? 213 Diese Frage ist mit philosophischer Lebenshaltung und Lebensweise aufs engste verknüpft, wie Piaton immer wieder zeigte. Im Kriton war auf diese Frage eine klare Antwort gegeben worden: nicht das Leben selbst, sondern das „gut Leben" (ευ ζην) sei am höchsten zu achten, und das gut Leben sei dasselbe wie das - schön und - g e r e c h t Leben. 214 Die Antwort war zwar klar, aber nicht ausführlich genug. In der Politela wird explizit die Gerechtigkeit zum Gegenstand des Dialogs gemacht. 215 Gut und gerecht lebt man nicht - so wird die herkömmliche griechische Ethik kritisiert - , indem ausschließlich öffentliche' Folgen des Handelns: Preise, Ehren, Gewinn, in Betracht kommen (R. II, 366 e f.). Gerechtigkeit als Tugend muß auch im Verborgenen, im ganz und gar Unsichtbaren als ein Gutes an sich, d . h . bei jedem einzelnen f ü r sich, wirksam sein. Die Fabel vom Ring des Gyges wird dabei als NegativFolie benutzt: niemand, so wird behauptet, sei von sich aus gerecht, wenn er sicher sein darf unentdeckt zu bleiben (359b ff.). Daher ist die Forderung des Gesprächspartners Adeimantos nach Erziehung, deren 212

ό λόγος, ... περί τοϋ δντινα τρόπον χρή ζην, 3 5 2 d 6 - 7 . W. Pfannkuche vertritt in seiner Arbeit „Piatons Ethik als Theorie des guten Lebens", Freiburg/München 1988 - im Gegensatz zur vorliegenden - , die Ansicht, daß die Politeia letzlich nur das ,Glück' der Philosophenherrscher für diese selbst gewährt, nicht aber für alle Bürger. So ist auch das Hesiod-Zitat Piatons „die Hälfte ist mehr als das Ganze" (R. 466 c 3) in dem Sinne zu verstehen, daß ,mehr' erreicht sei, wenn den Philosophen ein gerechtes, d.h. glückliches Leben beschert werde, als allen ohne Unterschied. Vgl. hierzu die Rezension des Verf. in Zeitschrift für Politik 38/1 (1991) 99 f. 214 Cri. 48 b 6-8. Zur sokratisch-platonischen Lebensprüfung bzw. der Frage nach der richtigen und begründet-richtigen Lebensweise vgl. La. 187e- 188a, Grg. 487 a, 492 d, 500c. 215 W.K.C. Guthrie IV, 434, Anm. 1 - ist sogar mit R.G. Hoerber, The Theme of Plato's Republic, St. Louis/Miss. 1944, der Ansicht, daß Platon selbst den Untertitel περί δίκαιου über die Schrift gesetzt habe. 213

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Erfolg sein müßte, daß „jeder Einzelne selbst sein Wächter wäre, aus Furcht, daß sich nicht mit dem Unrechttun das größte Übel bei ihm niederlasse" (367 a), die Forderung nach Gerechtigkeit und Ethos, die im einzelnen Menschen gründen muß216 und auch begründbar sein muß. Hierbei ist an den Sokrates des Phaidon zu denken. Sokrates, der der Lebensliebe (φιλοψυχία) die Sorge um die Seele vorzieht, die die „ganze Zeit" für das Wohl der Seele veranschlagt, nicht nur die relativ kurze jeweilige Lebenszeit (Phd. 107 b-c), und es vorzieht, von den Athenern hingerichtet zu werden, als selbst ungerecht zu werden. Gerechtigkeit, das zeigt die Politela, ist die Tugend, die alle anderen Tugenden einschließt. Hier ist die Antwort auf die Frage des Dialogs Protagoras nach der Einheit der Tugenden zu suchen, und zunächst an sich, d. h. dem einzelnen selbst zu betrachten. Zur Veranschaulichung entwirft Piaton das dreigeteilte Modell der Seele, das eine „Verfassung" in jedem einzelnen vorstellt.217 Das Modell ist paradox: Piaton kann nicht anders, er muß von den inneren Teilen als klar voneinander unterschiedenen sprechen, um eine Beziehung des einzelnen Menschen zu sich selbst als die Begründung für gerechtes bzw. ungerechtes Verhalten darstellen zu können. Dies ist eine Beziehung der Teile seiner selbst, d.h. der Psyche, gleichsam als zu etwas anderem. Dieser Gedanke ist scharf zu unterscheiden von der aristotelischen Definition der Gerechtigkeit, die besagt, daß Gerechtigkeit vollendete Tugend, bezogen auf ein anderes, nicht an sich selbst, sei.218 Aristoteles meint tatsächlich - äußerlich - die Beziehung auf andere Menschen, Mitbürger. Piaton dagegen versucht die Beziehung der Teile eines Ganzen, sei es ein Mensch oder eine Polis, unter sich zu bestimmen.219 Ethos und Gerechtigkeit muß in jedem einzelnen, als einem Ganzen, selbst begründet und - durch Erziehung - generierbar sein.220 Im Phaidon ist nicht die Tugend, nicht Gerechtigkeit das Problem, Sokrates zeigt sich als der „Gerechteste" seiner Zeit (vgl. 118 a). Vielmehr spricht Sokrates vom „schönen Wagnis" (114 d), auf den Logos von der Unsterblichkeit der Seele zu vertrauen, und es ist eine komplexe und ausführliche Diskussion, die zu ihrer Annahme führt. Dage-

Vgl. R. II, 358 b: τίνα εχει δύναμιν αύτό καθ' αϋτό ενόν έν τη ψυχή. Vgl. R. IV, 433äff., 435äff., IX, 588bff. und 591 e 1-2: την έν αύτφ πολιτείαν. S.u. Kap. IV, C, 1.: Die Seele als Teil und Ganzes. Als ,Veranschaulichung' der Wirkung von Eros wurde auch oben das dreigeteilte Modell der Seele im Phaidros interpretiert. 218 EN 1129b 25-27: αΰτη μεν ούν ή δικαισύνη αρετή μεν έστι τελεία, άλλ' ούχ άπλως άλλα προς ετερον. Vgl. 1130a 12-13. 2 " Vgl. R. IV, 436 a ff. 220 Tatsächlich ist dies eine der Hauptschwächen der Nikomachischen Ethik, daß sie nicht zeigen kann, auf welche Weise der Tugendhafte, der die maßvolle Mitte hält, dazu gelangt so zu sein, außer durch „Gewöhnung". Die Entstehung von Moralität oder auch die Erziehung als philosophisches Problem bleibt von Aristoteles unerklärt. 216 217

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gen behauptet Sokrates im zehnten Buch der Politela gegenüber seinem zweiten Gesprächspartner Glaukon, es sei „gar nichts Schweres", an „unserer Seele" w a h r z u n e h m e n 2 2 1 , daß sie unsterblich sei. Die Ironie ist nicht zu überhören. Denn die Ausführungen des letzten Buches der Politela, die uns vorzustellen fordern, hier habe ein kontinuierliches Gespräch stattgefunden, setzen freilich die Erörterungen über Teil und Ganzes und die problematische Einsicht in die Idee des Guten voraus. Der Beweis von der Unsterblichkeit der Seele holt ein, was zuvor (R. II, 366 e) für den Aufweis eines Sinns von Gerechtigkeit beiseite gestellt worden war: auf die Folgen der Gerechtigkeit zu sehen. Der Beweis stellt die Seele „selbst für sich" zwischen Körper und Idee. Der die Politela abschließende Mythos von dem Pamphylier „Er" aber ,flieht' - wie schon der Phaidon-Mythos - ins Metaphysische. Das Prädikat „unsterblich" für die Seele konnte bis hierher deutlich gemacht werden als: a) unsichtbar Nichtkörperliches, dem unsichtbar Seienden ähnlich, Lebenbringendes, das dennoch nicht Leben selbst ist - im Phaidon-, b) den Eros zum Sein begründend, selbst von dessen gemischter Zwischen-Verfaßtheit in ihrer Dynamik erhellt - im Symposion·, c) den Eros zum Sein begründend als Selbstbewegung - im Phaidros; d) nicht zerstörbar durch ihr eigentümliches Übel, dem Körperlichen gegenüberstehend, nur durch auf das Körperliche bezogene Sprache paradox Beschreibbares, ihrer „wahren Natur" nach Philosophierendes - in der Politela. Die Seele ist also ein Seiend-nicht-Seiendes, welches gerade in dieser systematisch zweideutigen Verfaßtheit die Möglichkeit des Philosophierens, eines werdenden Bezugnehmens zum Sein, begründet 222 . Diese Begründung kann als eine Weise der Selbsterhellung der menschlichen Vernunft beschrieben werden.

221

Vgl. 608 d 3: ούκ ϋσθησαι; zum Abschnitt vgl. 608 d 3 ff. W. Bröcker behauptete in „Piatons ontologischer Komparativ", Hermes 87 (1959) 415-425, daß Piaton nicht den Begriff der „inneren Wahrnehmung" kenne. Dieser Mangel habe zusammen mit der Nichtunterscheidung von Identitäts- und Existenzurteil dazu geführt, daß Piaton von etwas „mehr Seiendem" habe reden können. Philosophiehistorisch wertvoll bleibe allein die strikte Trennung des Seelischen vom Leiblichen, die Piaton eingeführt habe. Tatsächlich muß festgestellt werden, daß Piaton eine nach „innen", d.h. auf die Seele gerichtete Wahrnehmung kennt, wie die eben zitierte Stelle und u.a. Tht. 184cff. belegen können. Auch der „ontologische Komparativ" Piatons kann in ganz anderem Sinne verstanden werden, als dies Bröcker tut. 111 Genau diese Möglichkeit, den „ontologischen Komparativ" bei Piaton zu verstehen, hat W. Bröcker, s. o., nicht bedacht. A. Graeser hat das Richtige gesehen, aufgezählt, aber nicht zusammengesetzt, was aus seinem Ansatz, eine Unsterblichkeit der „dreigeteilten Seele" in der Politeia beweisen zu wollen, folgen muß (a.a.O., S. 58 f.).

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E. TlMAIOS Um die Erörterung über die Unsterblichkeit der Seele bei Piaton abzurunden, muß die Darstellung im Spätwerk des Timaios betrachtet werden. Es ist hier im besonderen das Problem von „sterblichen" und „unsterblichen" Teilen der Seele zu lösen. Die Unsterblichkeit im Timaios zu thematisieren bedeutet, das Darstellungsproblem auf zwei Ebenen, die Darstellung durch den Naturphilosophen Timaios im εΐκώς λόγος, der bildlichen Rede und des Kosmos als eines Abbildes (είκών) des ungewordenen Urbildes (παράδειγμα), zu berücksichtigen und durchsichtig machen zu müssen. Der Timaios tritt offensichtlich aus dem dialogischen Unternehmen einer ,Selbsterhellung menschlicher Vernunft' heraus, um sich an dem metaphysischen Problem der Herkunft von Vernunft zu versuchen. Die Erzählung von Werden und Aufbau des Alls (το πάν) steht zwischen einem Bericht des Sokrates von der besten Verfassung menschlicher Gemeinschaft 223 und der .Urgeschichte' Athens in der Erzählung des Kritias. Sokrates möchte nämlich seine Politeia in .historisch' sich bewährender Bewegung sehen, dafür wird als Voraussetzung die Rede des Timaios gefordert, die die Entstehung, das Werden der Welt darstellt und mit der Entstehung der menschlichen Natur endet (27 a). Der Timaios stellt also nicht die Frage nach der Begründung, sondern die Frage nach dem U r s p r u n g menschlicher Vernunft, wie dies ähnlich bereits im Mythos des Phaidros, 246 d ff., der Fall ist. Die Kosmogonie des Timaios zeigt sich wesentlich als Ordnungsakt. Dabei spielt die Seele in dem Prozeß der Ordnung des Ungeordneten eine entscheidende Rolle: „... das der Natur gemäß Sichtbare werde vernunftlos keineswegs gegenüber dem Vernunft Habenden im ganzen jemals ein schöneres Werk sein, an der Vernunft aber wiederum ohne Seele ist ihm unmöglich teilzunehmen" (30 b 2-5). In der bisherigen Untersuchung über die Unsterblichkeit der Seele bei Piaton waren zwei gegensätzliche ,Werdens-Modelle' vorgekommen: a) im Verfolg einer Begründung für Unsterblichkeit war der Kreislauf des Lebens, des Werdens und Vergehens in Betracht gekommen. Die gewöhnliche, an der sinnlichen Wahrnehmung orientierte Auffassung sagt:,alles was lebt muß sterben'. Wenn aber alles nach und nach stürbe, würde schließlich und letztlich nichts mehr lebendig - d. h. in der Konsequenz des platonischen Gedankens: nicht mehr bewegt sein können (Phaidon 7 0 d - 7 2 d ; Phaidros 245 d-e); b) wird dagegen Unsterblichkeit vorausgesetzt für den natürlichen Prozeß des Werdens und Vergehens, dann folgt: Ist etwas unsterblich, so kann es nicht weniger werden; aber angenommen, es würde sich vermehren, dann wäre es 223

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περί πολιτείας ... αρίστη ..., 17c.

möglich, daß schließlich alles unsterblich werden würde (Politela 611a).

Beide Modelle (a und b) wurden argumentativ abgelehnt. Ihre Ablehnung ist mit der Einführung des Prinzipienranges der Seele als Bewegungsanfang verbunden. Der Timaios läßt sich auf keine Argumentation mehr ein, sondern geht, seiner Darstellungsweise entsprechend, einen Mittelweg. Im Vorwort zu seiner kosmogonischen Erzählung unterscheidet Timaios allerdings - ähnlich wie Sokrates im Philebos (23cff.) - zwischen vier Arten (des Seienden): dem sich selbst gleich Seienden, dem Werdenden und Vergehenden, auf keine Weise Seienden (Timaios 2 7 d - 2 8 a ) , dem gewordenen Kosmos (28 b) und schließlich der Ursache des Werdens (28 c).224 Was das Problem der Unsterblichkeit angeht, soll der Kosmos selbst insgesamt unsterblich der Seele nach und unauflöslich seinem Körper nach (32 c) sein, aber in sich enthält dieses Ganze sowohl unsterbliche als auch sterbliche Lebewesen (41a-d, 69 c). Der sichtbare Kosmos ist also insgesamt und in sich eine Mischung. Mit diesem Gedanken ist eine notwendige Zweideutigkeit verbunden: Der „ganze Himmel" (πάς ούρανός) h a t einen Körper und - muß man sagen: ist Seele? Der ganze Himmel ist g e w o r d e n bzw. entstanden. Die Seele wird im Phaidros (und Nomoi X) als Prinzip der Bewegung, Selbstbewegung und damit wesentlich als „ u n g e w o r d e n " bzw. unentstanden definiert. Ist die Seele im Timaios als ψυχή τοΰ παντός nun entstanden oder unentstanden? Hält Piaton das Konzept der Selbstbewegung im Timaios unausgesprochen aufrecht oder gibt er es auf? 225 Alle diese Fragen, das ist leicht zu sehen, können nicht ohne eine Klärung des Bild-Begriffes bzw. des Darstellungsgedankens bei Piaton einer Beantwortung näher gebracht werden, denn Sein und Nichtsein, Selbigkeit und Andersheit, Ruhe und Bewegung sind offenbar Bestimmungsstücke sowohl der Erkenntnis (s. Sophistes), als auch des Kosmos. 226 Diese Problematik aufzuhellen ist einem späteren Kapitel der vorliegenden Arbeit vorbehalten. Der Zweideutigkeit, die offenbar im Begriff der είκών liegt, ent224

Vgl. Phlb. 23 c ff. (und 27 b): πέρας, άπειρον, εν τί συμμισγόμενον, αιτία. Hierzu ν. a. der über die Kontroverse in der jüngeren Geschichte der Interpretation berichtende Aufsatz von G.Vlastos, „Creation in the Timaios: is it a fiction? (1964)", in: R.E. Allen (ed.), Studies in Plato's Metaphysics, London 1965, S. 401-419. 226 Ahnlich hat J.D. Blankenship in seiner Dissertation über „The Theory of the Soul in Plato's Metaphysics", Baltimore 1971, den Sachverhalt berücksichtigt. Seiner Interpretation der Kosmogonie des Timaios, die für den Autor eine „fiktionale Erschaffung" ist, stellt er eine Interpretation des Sophistes und des darin thematisierten Bild-Begriffes voran. Blankenship vertritt in der N a c h f o l g e von Vlastos (a.a.O.) die Auffassung, daß der Demiurg den „rationalen Teil" der Weltseele repräsentiere. Aus dieser Interpretation folgt unausgesprochen eine Annäherung an aristotelische Theoreme: der „unsterbliche Teil" der Seele ist göttlich; die Welt ist „ungeschaffen", d.h. sie hat keinen Anfang. 225

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spricht auch der Aufbau des είκώς λόγος des Timaios : der Bericht setzt dreimal beim ,Anfang' an. Zuerst (29 d ff.) beim Anfang aus dem Aspekt des durch die Vernunft Verursachten; zum zweitenmal (47 e ff.) beim Anfang aus dem Aspekt des durch die Notwendigkeit Entstandenen; schließlich und um die Zweideutigkeit zu vervollständigen, wird noch einmal (69 a ff.) an den Beginn des είκώς λόγος (29 d ff.) erinnert und neben dem „unsterblichen Anfang der Seele"227 eine „andere Art der Seele, ..., die sterbliche" 228 - im sterblichen Körper - eingeführt. Der Grund für diese Zweideutigkeit ist im Verhältnis von Urbild und Abbild bzw. dem Sachverhalt der Mischung von Sein und Nicht-Sein zu sehen. Das Gewordene, Abbildhafte, ist nicht identisch, sondern „möglichst ähnlich". 229 Es ist andererseits auch nicht in strengem Sinne Gegensatz, also vollständig unähnlich, hat aber in seinem Charakter der Geordnetheit die absolute Unordnung zur Voraussetzung (30 a, 48 a ff.). Die gewordene Ordnung teilt sich vom .größten' Ganzen bis zum .kleinsten Teil' mehr und weniger mit. In der absteigenden Reihe des Geordneten ist der Mensch - als Ziel der Darstellung (27 a) - ein sterbliches Lebewesen, das an der Unsterblichkeit Teil hat. Das Problem, das hier im weitesten Sinne zur Lösung gebracht werden sollte, ist auch als Weiterführung und konstruktive Kritik am anaxagoreischen Modell der Ursachenerklärung im Phaidon zu verstehen. Wie ist Zwecksetzung - im Sinne der Richtung auf das Beste (το βέλτιστον) - im ganzen und in bezug auf das einzelne im Werden und Vergehen möglich? Das große Thema φύσις, unter dem diese Forschung vor Piaton stand, wurde in seinem Werk zum Thema ψυχή. Erst bei Aristoteles erlangt der Terminus φύσις wieder neue und große Bedeutung. Zugleich damit kritisiert und schmälert Aristoteles das platonische kosmologische Prinzip ψυχή. In De Anima (406 b 26 ff.) rügt Aristoteles die Darstellung im Timaios, wo wegen der engen Verknüpfung von Seele und Körper Seele als Ausgedehntes verstanden werden müsse. Doch begeht Aristoteles bekanntlich den Fehler, den Timaios ,wörtlich' zu lesen.230 An anderer Stelle {Met. Λ, 1075 b 7 ff.) kritisiert Aristoteles die Ideenannahme unter dem Aspekt der Verursachung; er ist nicht bereit, die Seele bei Piaton in diesem Zusammenhang als Mitte und Vermittlung auch in .physischer' Hinsicht zu akzeptieren. An diese Stelle tritt bei Aristoteles φύσις. Aber auch die aristotelische φύσις ist doppeldeutig. Sie ist einerseits den Prozessen der τέχνη vergleichbar, weil teleologisch 231 , andererseits ist sie in sich zweifach, nämlich ΰλη

227 228 229 250 231

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αρχήν ψυχής άθάνατον, 77. 69c5. άλλο τε είδος ... ψυχής ... το θνητόν, 69c7-8. μάλιστα ... παραπλήσια, 29e3, vgl. a. 37cff. Vgl. H. Cherniss, a.a.O., S. 423 ff. und Appendix XI, S. 603 ff. Vgl. Ph. 11,1 192 b 8 ff.; Met. A,3 1069 b 35 ff.

und μορφή,232 wobei μορφή die Zweckbestimmtheit der φύσις ausmacht. Die durchgängige Verbundenheit durch die ψυχή, die den platonischen Kosmos durchwaltet, ist damit durchtrennt. Bei Piaton aber birgt sie in sich die Möglichkeit eines Philosophierens, das durch die u n s t e r b l i c h e Seele garantiert wird und die Betrachtung (θεωρία) des Kosmos miteinschließt (vgl. Timaios 90a-d, s.u., Kap.V).

F . Z U R UNSTERBLICHKEIT BEI ARISTOTELES

Der oben angedeutete Vergleich und die festgestellten Unterschiede zwischen Piaton und Aristoteles bedürfen weiterer Ausführung. Gilt es doch weithin als Ubereinkunft, daß Piaton und Aristoteles bei aller zugestandenen Verschiedenheit der Grundsätze ihrer Philosophien darin einig gewesen seien, daß allein dem νους, der - göttlichen - Vernunft, in der Seele des Menschen Unsterblichkeit zukomme. 233 Für Piaton, das konnte in der vorangehenden Interpretation herausgestellt werden, ist diese Auffassung unzutreffend. Die unsterbliche Seele des Menschen muß scharf getrennt werden von der Annahme und Affirmation göttlicher Vernunft, um andererseits die Beziehung von menschlicher zu göttlicher Vernunft zu erkennen. Diese Aufgabe der Selbsterhellung menschlicher Vernunft war als Grundlegung der Philosophie deutlich geworden, wobei bei Piaton zwischen der logisch-dialektisch durchgeführten Begründungsfrage und der Zuflucht zum - metaphysischen Mythos bzw. zur bildlich-mythisch ausgeführten Ursprungsfrage zu unterscheiden war. Wie kann es zu dieser offenkundigen Mißdeutung kommen? (1) Was sagt Aristoteles zur Unsterblichkeit der Seele? (2) Welche Rolle spielt die Unsterblichkeit bei Aristoteles für eine Begründung der Philosophie? (3)

1. Zur Tendenz der Vereinheitlichung und Vereinfachung bei Aristoteles Die systematische Zweideutigkeit der Seele bei Piaton ist häufig als unwissenschaftliches Moment gedeutet worden. So schreibt R.D. Hicks in seinem großen Kommentar zu Aristoteles' De Anima: „Plato in his writings is always talking about the soul, but not all that he says is in232

Ph. 11,2 199 a 30 ff. So auch bei St.R.L. Clark, Aristotle's Man. Speculations upon Aristotelian Anthropology, Oxford 1975, S. 169. Aus diesem Buch habe ich allerdings vieles über Aristoteles gelernt. 233

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tended to be taken seriously." 234 Die Tatsache, daß Platon keinen T r a k tat „De Anima" verfaßt hat, wird dahingehend erläutert, daß er zwar die Voraussetzungen dazu, aber nicht die Wissenschaft selbst geschaffen habe (ebd. S.XXIX). D a ß Piaton keine Einheitlichkeit der Theorie erreicht habe, sei offensichtlich, denn in jedem Dialog sei durch die fiktionale Partikularität auch nur ein Teilaspekt eines Problemzusammenhangs zu erörtern möglich. Schließlich hält Hicks den Timaios f ü r die geschlossenste Darstellung der platonischen Psychologie (S. XXXII) 2 3 5 . Diese späte platonische Theorie habe Aristoteles schließlich nur verwissenschaftlicht und systematisiert, mit einem Wort: e i n d e u t i g gemacht, oder doch zumindest der Intention nach deren Eindeutigkeit erstrebt.

2. Unsterblichkeit im Werk des Aristoteles Unsterblichkeit wird zwar auch in De Anima thematisiert, aber sie ist kein herausragender Gegenstand der Untersuchung. Im Gegenteil, De Anima gehört im weiteren Sinne zu den Schriften physikalischen Inhalts. 236 „Die Schrift ist primär dem Menschen als Wesen der Natur, als höherem Tier gewidmet." 237 Der Aufstieg des Menschen, seine Not, sein Vermögen und Unvermögen sind zentral Gegenstand der Ethik des Aristoteles. Im zehnten Buch der Ethica Nicomachea, im Zusammenhang der Erörterung von Lust und Glück in bezug auf ein tugendhaftes Leben, wird das geistige Tätigsein als höchste Form des Glücks deswegen gepriesen, weil es um seiner selbst willen geliebt werde, das praktische Tätigsein aber auf Wirksamkeit bzw. auf äußeren Erfolg gerichtet sei (1177 b Iff.). Diese Form des Glücks stelle aber nur einen Teilaspekt menschlichen Lebens dar, der Mensch könne es nicht vollständig erreichen, denn es sei ein göttliches Element im Menschen (b 27 f.). Daraus leitet Aristoteles die Forderung ab, das Leben nach die-

234

R.D. Hicks, Aristotle D e Anima, Amsterdam 1965, S. X X V I I I . Dieser A u f f a s s u n g war bereits die Arbeit von E.W. Simson, D e r Begriff der Seele bei Plato, Leipzig 1889, verpflichtet. 256 D a s Problem der Unsterblichkeit wird von Aristoteles auch im 8. Buch der Physica im Zusammenhang der Diskussion um das Bewegungsprinzip eingeführt. Eine „pausenlose" (απαυστος), immerwährende Bewegung, die für Aristoteles den K o s m o s auszeichnet, muß selbst im Prinzip „unbewegt" (άκίνητον) sein. Aristoteles vermeidet hier - trotz der offensichtlichen Kritik an der platonischen A u f f a s s u n g von der Selbstbewegung (vgl. Phdr. 2 4 5 c f f . , Lg. X , 8 9 3 b f f . ) - den Ausdruck ψυχή. Vgl. Ph. VIII, 2 5 9 a 3 3 - b 31 (άθάνατον: b 2 5 ) und 2 5 7 b 2 6 - 2 5 8 a 5 . H i e r z u F. Solmsen, „Plato's First M o v e r in the Eighth B o o k of Aristotle's Physics", in: ders., Kleine Schriften III, Hildesheim 1982, S. 2 6 7 - 2 7 8 . 237 Theiler, Einleitung, S. 73 zu seiner Übersetzung von Aristoteles, U b e r die Seele, Berlin 1986. 235

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sem Höchsten (κράτιστον) im Menschen - welches der νους ist - auszurichten und, soweit als möglich, Unsterblichkeit anzunehmen. 238 So eindeutig diese Aussage ist, ihr scheint doch eine vorhergehende in der EN zu widersprechen: Der Tugendhafte, der „mit sich selbst einig und gemäß der gesamten Seele nach etwas strebt", wünsche für sich das Gute, „nämlich um des Denkenden willen, welches jeglicher zu sein scheint" (1166a 13f. und 16f.). Wie verhalten sich „ganze Seele" und „höchster Teil" zueinander, wenn einerseits allein der höchste, göttliche Teil das Erstrebenswerte selbst bereits zu enthalten scheint, andererseits der „denkende" Teil jeder - d. h. die „ganze Seele" eines jeden - ist und das Gute (als ein anderes?) will? Muß der höchste Teil der menschlichen Seele selbst als etwas Strebendes und Bewegtes, oder Sich-Bewegendes, oder als etwas Ruhendes, eminent Seiendes, gar mit dem Göttlichen Identisches gedacht werden? Wie stellt De Anima das aufgezeigte problematische Verhältnis dar? Beseeltes, konstatiert Aristoteles zu Beginn, sei bestimmt durch zwei Aspekte: Wahrnehmung und Bewegung (403 a 25 ff.). Erkennen gehört nach Aristoteles zur Wahrnehmung (vgl. a. Met. 980 a). Wahrnehmung und andere seelische Tätigkeiten, wie Meinen, Wissen etc. werden von der Bewegung getrennt, ebenso wie die den Körper bewegende Fähigkeit der Seele von dem platonischen Konzept der Selbstbewegung abgesetzt und dieses kritisiert wird (403 b 25 ff.). Die Seele wird als Wesen (ούσία) und Form (είδος, 412 a 19 ff.) des Körpers aus dem der aristotelischen Logik entsprechenden Unterschied von υλή und είδος bzw. μορφή (412 a 5 ff.) abgeleitet. Sie ist nach dieser Logik auch Vollendetheit (έντελέχεια, 412 a 27 ff.) des lebendigen Körpers und daher vom Körper nicht abtrennbar (ούκ ... χωριστή, 413 a 4). Die Seele wird aber auch als „Ort der Formen" (τόπος ειδών, 429 a 27 ff.) bezeichnet, allerdings nicht die ganze Seele, sondern nur die „Denkseele" (νοητική). Diese Denkseele - identisch mit dem „höchsten Teil" aus der EN - ist zwar leidensunfähig (απαθής), aber sie soll die Formen aufzunehmen fähig gedacht werden. Sie ist nicht die Formen, aber sie ist sie der Möglichkeit nach (429 a 15 ff.). Der offenkundige Widerspruch, daß die Seele Form (des Körpers) und auch nicht Form, da nur Aufnehmendes 239 , sei, wird von Aristoteles nicht weiter thematisiert. Hicks 240 versucht den Widerspruch in eine beabsichtigte Terminologie umzuwandeln: απαθής bedeute, daß die 238 ενδέχεται άθανατιζειν, 1177b 33. Das seltene Wort άθανατίζειν findet seine philosophisch relevante Entsprechung eigentlich nur in der Form des Kompositum άπαθανατίζειν im Chrm. 156d, s.o., vgl. LSJ, S. 174. 239 -ψ Theiler, a.a.O., vergleicht die Aufnahmefähigkeit der Denkseele sogar mit 77. 50 b ff., der Aufnahme-"Fähigkeit" der χώρα. 240 R.D. Hicks, a.a.O., S.476f., Anm. zu 429 a 15.

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Denkseele von den Formen - das entspricht den νοητά - affiziert werden könne. 241 Aber eine Stelle in der Metaphysik, die die Eindeutigkeit kategorieller Bestimmungen darlegt - es finde ζ. B. keine Bewegung des Tätigen oder Leidenden statt, auch keine Bewegung der Bewegung (Met. 1068 a 8 ff.) - scheint, zumindest der Metaphorik nach, einer später folgenden entgegengesetzt zu sein: Die Vernunft wird von den Gedanken b e w e g t (νους δε ύπό τοϋ νοητού κινείται, XII,7 1072a30). Hier scheint trotz aller intendierten Eindeutigkeit eine, der platonischen Auffassung ähnliche, in sich zweideutige Konzeption der Seele vorzuliegen. Weitere Ähnlichkeiten bestehen darin, daß von der Denkseele bei Aristoteles gesagt wird, sie sei nicht mit dem Körper vermischt und abgetrennt (χωρισθείς), sie sei unsterblich und immerwährend (αί'διον, 430 a22 f., vgl. Met. 1070 a 25 ff.); allein der νους „überlebe" den Organismus (408 b 18 ff.) - Ähnlichkeiten, auch ihrer Zweideutigkeit nach. Aristoteles trennt strikt zwischen Bewegungsvermögen und Denkvermögen der Seele (411b, 432 a 15 ff.). Er trennt außerdem zwischen einem νους der Seele, der Möglichkeit nach (δυνάμει) und einem νους als Wirklichkeit (ένέργεια), der „von außen" (θύραθεν) kommt (GA, 736 b 27 ff.). Wie ist hier eine Verbindung denkbar bzw. von Aristoteles reflektiert? Die von Piaton vorgeschlagene Möglichkeit der Anamnesis lehnt Aristoteles ab: Lernen ist nicht Erinnern (Mem. 452 a 4 f.). Der νους habe keine Erinnerung (De An. 430a23f.). Dennoch hält Aristoteles an einem „Vorwissen" (APo. 7 l a i ) und einer Unlernbarkeit der Prinzipien fest (Met. 992 b 24 ff.), dabei soll ein Reflektieren auf die Prinzipien als möglich gedacht werden (EN 1098 b 3 f.). Eine Schwierigkeit besteht außerdem darin, daß der νους als Aufnehmendes der Formen seiner M ö g l i c h k e i t nach bestimmt war, gerade diesem Vermögen nach aber in der Metaphysik als wirklich (ενεργεί, 1072 b 20 ff.) bestimmt wird. An dieser Stelle müßte nun eine Erläuterung des aristotelischen Gottesbegriffs erfolgen. Eine solche umfangreiche und komplexe Untersuchung kann hier nicht durchgeführt werden, statt dessen sei auf die Arbeiten von D. Ross über „Aristotle's Theology" 242 und von K. Oehler 243 241 Vgl. hierzu auch J.M. Rist, „Notes on Aristotle De Anima 3.5", CP 61 (1966) 8-20. Für Rist besteht die „merkwürdige" Beziehung zwischen „leidloser", unsterblicher und „leidender", sterblicher Vernunft (430 a 24 f.) darin, daß die „leidlose Vernunft", die „leidende", elektromagnetischer Induktion vergleichbar, erzeugt oder anstößt (S. 19). 242 D. Ross in der Einleitung zu seiner Ausgabe Aristotle's Metaphysics, 2 Bde., Oxford 1924. Allerdings kritisiert G.Vlastos in „A note on the Unmoved Mover", PQ 13 (1963) 246 f., die durch Ross erfolgte Bestimmung des „unbewegten Bewegers" als αρχή της κινήσεως und damit als causa efficient (Ross, S.CXXXIV). Der unbewegte Beweger sei allein als νόησις νοήσεως und damit als causa finalis zu bestimmen. 245 K. Oehler, „Aristotle on Selfknowledge", Proc. of the Amer. Philos. Soc. 118 (1974)

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verwiesen. Insbesondere Oehler interpretiert die „reine Tätigkeit" der νόησις νοήσεως als Vorläufer moderner Bewußtseinstheorien im Sinne der Apperzeption. Der göttliche νοϋς ist für den menschlichen demzufolge einem ,Ideal' vergleichbar. Bestimmte Stellen bei Aristoteles legen allerdings nahe, an eine Identität des Göttlichen im Menschen und seines Gottesbegriffs zu denken (EN 1153b 38 und EE 1248 a 26 ff.: das Göttliche in uns bewege alles). Aus diesem Gedanken wird m.E. auch verständlich, daß Aristoteles sagt, der tugendhafte, vernünftige Mensch, der die Mitte hält und mit Theorie befaßt ist, sei ein M a ß für andere (EN 1113 a 33, vgl. Met. 1053 a 35 ff.). Diese letztere Auffassung scheint jedenfalls in einem krassen Widerspruch zur platonischen zu stehen, wenn es heißt: der Gott sei das Maß aller Dinge, nicht irgendein Mensch (Lg. 716c).

3. Zur Gegenüberstellung von Piaton und Aristoteles Wenn das als Lösung für das Problem der Unsterblichkeit der Seele bei Piaton gefundene Ergebnis als Frage an Aristoteles herangetragen wird: ob nämlich die Unsterblichkeit der Seele auch bei Aristoteles das Philosophieren begründen könne - wird das Problem des aristotelischen Versuchs der Vereinheitlichung und Verwissenschaftlichung als ein Problem der - künstlichen - Trennung von Fragen und der entsprechenden Antworten sichtbar. Aristoteles stellt die Frage nach dem Lebendigen und nach der Bewegung von Körpern (in seinen biologischen und .physikalischen' Schriften) und er stellt, davon abgesetzt, die Frage nach den Ursachen bzw. dem Sein (in der Metaphysik).244 Er stellt einerseits die Fragen nach den Prinzipien des Verstandesgebrauchs und der Methode des Denkens (im Organon) und andererseits nach dem richtigen Handeln (in den Ethiken und der Politik). Aristoteles trennt zwischen Theorie und Praxis, und diese Trennung wird im Unterschied der Begriffe von Vernunft, νους, und Verstand, διάνοια, der unmittelbaren geistigen Anschauung und dem vermittelten diskursiven Denken, zwischen Theologie und Empirie seiner Philosophie nachzuvollziehen möglich. Der νους und folglich das Problem der Unsterblichkeit scheint in der Theorie-Seite völlig aufgehoben zu sein und daher mit einer praktischen Wirksamkeit unvereinbar. Dennoch wird am Ende der Ethica Nicomachea als höchste Form der Tätigkeit, des Handelns, die T h e o r i e gepriesen, als gottgeliebt. Bezeichnenderweise benutzt Aristoteles an dieser Stelle das im 493 ff. - und ders., Der Unbewegte Beweger des Aristoteles, Frankfurt/M. 1984. Einen Vergleich mit Hegel hat G. Picht seinen Ausführungen über De Anima vorangestellt, a.a.O., S. 29 ff. 244 Vgl. hierzu die „Einteilung" der Philosophie, Met. Γ 2, 1004 a 2 ff.

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platonischen Werk so bedeutende W o r t έπιμέλεια (1179 a 24 ff.) in ganz ähnlichem Sinne wie Piaton. Aber seine Aussagen diesen Punkt betreffend sind nicht sehr ausführlich, und der Zusammenhang zu anderen Teilen seiner Philosophie wird nicht reflektiert und dargestellt - sofern er überhaupt vorhanden ist. 245 Die vorstehenden Ausführungen zur Unsterblichkeit bei Aristoteles sollten den Sachverhalt nur skizzieren. Es wäre freilich die Aufgabe einer Einzelabhandlung, dies deutlicher zu machen. Zudem wurde hier an Aristoteles eine Frage herangetragen, die aus der platonischen Philosophie erarbeitet war und der aristotelischen Auffassung nicht gerecht werden k o n n t e . Die Intention dieses Vorhabens war zu zeigen, daß es nicht - oder nur sehr schwer - möglich ist, umgekehrt einen aristotelischen Vorbegriff von Vernunft und Unsterblichkeit an Piaton heranzutragen und mit Hilfe eines derartigen Vorgehens zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen. Jedenfalls zeigt die Sachlage im aristotelischen Werk eine der intendierten Eindeutigkeit der Ergebnisse widersprechende Fülle von Aussagen, die in ihrer Widersprüchlichkeit Ähnlichkeiten mit der bei Piaton gefundenen s y s t e m a t i s c h e n Z w e i d e u t i g k e i t der Seele besitzen, aber sich grundsätzlich darin unterscheiden, daß diese Widersprüche nicht beabsichtigt erscheinen.

245 G. Picht hat in seinen Vorlesungen zu Aristoteles' «De Anima», hg. von C. Eisenbart und E.Rudolph, Stuttgart 1987, versucht, die Abhandlung über die Seele als aristotelische Grundschrift, die den Zusammenhang der verschiedenen und voneinander getrennten Teile der aristotelischen Philosophie verbinden könne, zu interpretieren (133 ff.).

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IV. Die Seele als Grund-Metaxy In der bisherigen Untersuchung ist die Frage nach Selbsterkenntnis als Quereinstieg zur Thematisierung der Psyche und Unsterblichkeit als ,Wesen' der „Seele selbst für sich" zur Sprache gekommen. Es zeigte sich, daß Seele in ihrer Eigenschaft als unsterbliche eine eigene .Position' zwischen zwei heterogenen Bereichen einnimmt. Die unsterbliche Seele konnte als Lösung für die Begründungsproblematik des Philosophierens erkannt und herausgestellt werden. Darüber hinaus konnte aus der Betrachtung des Problems der Unsterblichkeit bei Aristoteles gezeigt werden, daß nach Piaton die systematische Zweideutigkeit, die der Psyche bei Piaton angehört, aber auch grundlegend dem Problem der Psyche zu eigen ist, verloren gegangen ist. Die Interpretation hat so weit einen Weg längs zum platonischen Text beschritten und dabei dem Text, so sehr es möglich war, keine Gewalt angetan, sondern ihn gerade in seiner dramatischen Gestalt ernstgenommen. Die im Dialog ausgesprochenen Forderungen werden mit dem inneren Fortgang verglichen; das bedeutet aber keineswegs, daß der Blick auf eine nur logische Entfaltung geheftet wird, sondern daß der Sprecher als .Träger' des Logos den Logos zu einem konkreten, inhaltlichen, d.h. grundlegenden und folgenreichen Gebilde erst eigentlich macht. Diese Sichtweise des platonischen Dialogs erlaubt größere Klarheit insbesondere über den Sachverhalt Psyche zu gewinnen, als dies eine ausschließlich am Wort und der definitiven Aussage über das Wort,Psyche' orientierte Untersuchung vermöchte. 1 Im folgenden Abschnitt wird die Betrachtungsweise geändert. Wurde bisher weitgehend der Chronologie der platonischen Dialoge gefolgt, war die Auseinandersetzung mit anderen Interpretationen der platonischen Philosophie in der Hauptsache polemisch, weil es galt, den durch die neuzeitliche und moderne Philosophie geänderten Blick auf die Antike als einen verstellenden zu erkennen und den Blick neu auszurichten für eine adäquate Deutung von Psyche und Dialog, so wird die Vorgehensweise nunmehr systematischer'. Eine Konzentration auf die wesentliche F u n k t i o n der Seele als Mitte und ^ermittelndes' im platonischen Werk muß notwendig synoptisch werden. Die Deutung muß durch direktes Hinblicken auf das platonische Wort im Dialog gestützt werden. Es wird daher gefragt: Hat Piaton die .mittlere Position' der Psyche als solche wörtlich ge1

Auf die am Wort,Psyche' orientierte Untersuchung waren alle bisher veröffentlichten Arbeiten zum Thema verpflichtet.

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kennzeichnet und ausgezeichnet im Unterschied zu Idee und körperlich Materiellem? (A) Wie kann die Seele Mitte zwischen Gegensätzen sein? (B) Auf welche Weise kann die Seele Gegensätze vermitteln, welche Funktionen erfüllt die Seele? (C)

A . METAXY, EXAIPHNES, A T O P O S

Piaton läßt die Figur des athenischen Gastfreunds in den Nomoi sagen: „Es ist nicht bei allen Seienden, scheint es, Grenze an Grenze herangemischt, sondern bei welchen es ein Grenzgebiet gibt, da dürfte dieses, zwischen den Grenzen hingestreckt, an ein jedes anstoßend, zwischen beiden entstehen." 2 Diese Aussage findet sich, wie nebenbei gesagt, im Strafrechtsabschnitt der Nomoi im neunten Buch und zwar als Einleitung zur Beurteilung von, heute würde man sagen, .Affekthandlungen', genauer: Gewalttaten, die aus Wut über etwas oder jemanden verübt werden. Solche Taten seien weder als ganz freiwillig noch als ganz unfreiwillig anzusehen, als ,Grenzfälle' eben eines .Zwischen' (vgl. 866 e ff. und 878 b ff.). Wie sich später noch zeigen wird, ist es kein Zufall, daß gerade die Beurteilung von Handlungen, die dem zornartigen oder muthaften Teil der menschlichen Seele zugerechnet werden, als Grenzfälle der Mitte aufzufassen sind, vielmehr weist das auf den engen sachlichen Zusammenhang der Nomoi mit der Politela hin (vgl. R. 439 e ff.). Grundsätzlich und systematisch gilt die zitierte Aussage von vielen μεταξύ im platonischen Werk.

1. Metaxy Das Adverb μεταξύ bezeichnet im gewöhnlichen Sprachgebrauch das „inmitten" oder „inzwischen" in räumlichem oder zeitlichem Sinne. In dieser gewöhnlichen Verwendungsweise gebraucht auch Piaton dieses Wort ganz selbstverständlich. 3 Daneben aber entwickelt Piaton adverbial oder propositional einen .qualitativen' Gebrauch von μεταξύ, der vor ihm in dieser Weise nicht geläufig war. 4 Dabei ist es nichts Ungewöhnliches, daß Piaton für das neu Entdeckte nicht zugleich ein neues Wort prägt, sondern den neuen Sinn des Wortes aus dem bereits vorhandenen gleichsam herausschlägt, wie mit Feuersteinen den Funken. 2 "Εστίν δε ού πάντων, ώς 'έοικε, των όντων δρος δρω προσμειγνύς, άλλ' οίς ϊστιν μεθόριον, τοϋτο έν μέσω όρων προτεϊνον έκατέρφ προσβάλλον γίγνοιτ' αν άμφοϊν μεταξύ, Lg. 878 b 4-6. 3 In zeitlichem Sinne s.: Ly. 207d2; Phd. 58 c4; Phdr. 2 3 0 a 7 u . 8,234d3; Γι. 50b6. In räumlichem Sinne s.: Chrm. 155c4; R. 4 4 3 e l ; Tht. 143cl, 147e9. 4 Vgl. hierzu die Textverweise in LSJ zu μεταξύ.

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Diese Vorgehensweise zieht sich wie ein roter Faden durch die Dialoge. 5 Der qualitative Gebrauch des μεταξύ wird auf die Seele und Seelisches angewendet. Dabei ist also zwischen jenen μεταξύ zu unterscheiden, die etwas an oder in der Seele bezeichnen bzw. etwas, was nicht ohne die Seele denkbar ist; und anderen μεταξύ, die auf die Seele selbst, in ihrer ,Positionalität' bezogen sind. Es ist allerdings hervorzuheben, daß an keiner Stelle der Dialoge a u s d r ü c k l i c h gesagt wird, die Seele sei ein μεταξύ, oder sie nehme die Stellung eines μεταξύ ein. Piaton sagt solches aber explizit vom Menschen, und zwar mehrmals und in moralischer Hinsicht. Eine Zwischenstellung zwischen Gut und Übel ist im Lysis Gesprächsthema. Die Frage des Lysis ist, wie oben bereits erwähnt, auf das „Freundsein" oder „das Liebe", τό φίλον, gerichtet. Verschiedene mögliche Antworten, die traditionell gegeben sind, werden dabei untersucht, bis die ungewohnte Frage nach der Zweckursache von Freundschaft sich ergibt. Der Dialog läuft in die Aporie, die die Aufgabe stellt, das πρώτον φίλον zu denken, womit verbunden die Frage nach dem „Angehörigen" (οίκεϊον), und dem „Ahnlichen" (ομοιον), aufgeworfen wird. Der Aporie geht die Frage voran, ob das Gute, als Zweck des Freundseins gesetzt, f ü r sich keinen Nutzen haben könne: „Ist das Gute wohl von N a t u r so beschaffen und wird es wegen des Üblen von uns geliebt, die wir z w i s c h e n dem Üblen und dem Guten sind, es selbst aber hat f ü r sich gar keinen Nutzen?" 6 Diese Position des „Zwischen", die „wir", d.h. die Menschen, einnehmen, wird im Lysis von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet. Dabei zeigt sich, daß es um den Begriff des μεταξύ selbst nicht eigentlich zu tun ist, daß aber das W o r t μεταξύ die mehrfach beschriebene und doch nur schwer zu beschreibende Position terminologisch und logisch in ihrem ,Ort' bestimmt. Im Gespräch des Sokrates mit den beiden Knaben Lysis und Menexenos war zuvor die Gegensätzlichkeit - und jeweilige Ausschließlichkeit - von gut und übel und von Freundsein (φίλον) und Feindsein (έχθρόν, 216 b) bestimmt worden. Daraus leitet Sokrates f ü r das Freundsein ab, vielmehr: er „vermutet" 7 , daß das Freund-Sein „weder gut noch übel" ist und deswegen dem Guten freund - oder, wie dann noch hinzugefügt wird, „einem so Beschaffenen, wie es selbst ist". 8 D a ß mit diesem „Weder-noch" das μεταξύ gemeint ist, kann ein Blick auf eine Stelle im Gorgias als les Vgl. Κ. v. Fritz, Philosophie und sprachlicher Ausdruck bei Demokrit, Piaton und Aristoteles, Darmstadt 1963, bes. S.47. 6 Τ Αρ' ουτω πέφυκέ τε και φιλεΐται τάγαθόν δια τό κακόν ύφ' ήμών, των μεταξύ δντων τοΟ κακοΟ τε και τάγαθοΟ, αύτό δ' έαυτοϋ ενεκα ούδεμίαν χρείαν έχει; Ly. 220 d 4-7. 7 Ly. 216 d 4: άπομαντευόμενος - und d6: μαντεύομαι. Das „Vermuten" ist hier ein systematisch genauer Ausdruck, der der Position des „Zwischen" entspricht. * Ly. 2 1 6 c 2 - 3 , d 7 u. 2 1 6 e 2 - 3 : τό μήτε αγαθόν μήτε κακόν φίλον είναι ή τοΟ άγαθοϋ ή τοΟ τοιούτου οίον αύτό έστιν.

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gitime Deutung erweisen. 9 Im Gespräch mit Polos erlangt Sokrates von diesem das Einverständnis darüber, daß es neben Gutem und Üblem noch ein weiteres, ein „zwischen diesen, weder gut noch übel" Seiendes10 gäbe, das eben „weder-noch" (μήτε-μήτε) oder „zwischen" (μεταξύ) genannt werde. Zur genaueren Bestimmung des Zwischen oder Weder-noch im Lysis grenzt Sokrates dieses gegen das Gute einerseits, gegen das Üble andererseits ab. „Das weder Üble noch Gute w i r d freund des Guten wegen Anwesenheit eines Übels" ... „Offenbar aber bevor es selbst übel g e w o r d e n ist durch das Übel, das es hat. Denn, wenn es übel g e w o r d e n ist, kann es des Guten nicht mehr begehren und freund sein ... „ u . Festzuhalten ist auch an dieser Stelle - wie ähnlich schon im Phaidon und im Phaidros - die Differenz im Gebrauch des Verbs γίγνεσθαι, „werden", im Präsens einerseits und andererseits im Aorist bzw. einer partizipialen Vergangenheitsform. Die Stelle belegt die These vom geradezu terminologischen Gebrauch Piatons von „Werden", im Präsens hier, als einer sprachlich a k t i v e n Bezugsform zum Guten bzw. Ideellen und Prinzipiellen und demgegenüber den Gebrauch von „geworden", in der passiven Gegenwarts- oder Vergangenheitsform, in bezug auf das Üble, als eines nicht mehr aktivisch, d.h. nicht mehr aus eigener Kraft veränderlichen P r o d u k t s , dem es nunmehr zukommen muß zu zerfallen. 12 „Demgemäß" - sagt Sokrates {Ly. 218 a 3) - wird die Philosophie zwischen Unwissenheit und Weisheit angesiedelt als etwas, was weder gut und weise noch übel und ignorant ist, aus welchem Beispiel zunächst, wie es scheint, befriedigend das Freund-Sein aufgrund der „Anwesenheit" (παρουσία) eines Üblen zu einem Guten bestimmt ist (vgl. 218a3-c3). Aber an dieser Stelle äußert Sokrates den Zweifel, ob dieser Grund, die ^Anwesenheit eines Üblen', für das Begehren des Guten bzw. das Freundsein, auch richtig angegeben war. Verhält es sich nicht vielmehr so, daß das Weder-noch auch von sich aus, d. h. ohne Anwesenheit eines Üblen eine Beziehung zum Guten haben kann? Anderenfalls nämlich müßte auch das Gute - für sich - ohne Nutzen (vgl. 220 d 6) gedacht werden. Mit knappen Worten deutet Sokrates eine Utopie an: „wenn das Böse untergegangen ist"13, dann wird keines der Bedürfnisse bzw. keine der Begierden, die selbst weder gut noch übel sind, mehr zerstörend wirken oder bleibenden Schaden zufügen können. Dennoch wird das Begehren des Guten und das Freund-Sein als solches noch sein, weil es, verschieden vom Üblen, nicht zusammen mit diesem untergehen kann (220e-221b). Sokrates

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Vgl. hierzu auch K. Glaser, „Gang und Ereignis des platonischen Lysis", a.a.O., S. 53. μεταξύ τούτων οδτε αγαθόν οΰτε κακόν, 4 6 7 e 2 - 3 . 11 Ly. 2 1 7 b 5 - c 1, vgl. 2 1 7 e 4 - 6 . 12 Vgl. hierzu o. den .Unsterblichkeitsbeweis' der Politela. 13 εάν το κακόν άπόληται, 220 e 6. 10

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führt den Gedanken in die Aporie des οίκειον und ομοιον. Schlaglichtartig wird dabei die Seele als jenes erhellt, das die Beziehung sowohl zum Guten, als auch zu „einem so Beschaffenen, wie es selbst ist", hat. 14 Die Argumentation des Lysis zeigt, daß die Seele, als ein „Zwischen" und „Weder-Noch" verstanden, eine eigene Position einnehmend, potentiell unabhängig vom Übel, dem Körperlichen etc., und unterschieden vom Guten, dennoch in dynamischer Beziehung zu diesem gedacht wird. Auch im ersten ,Unsterblichkeitsbeweis' des Phaidon wird das μεταξύ in bezug auf die Seele benannt. 15 „Zwischen jeweils allen beiden Entgegengesetzten sind zweierlei (Arten des) Werdens". 16 Die beiden Entgegengesetzten, lebendige und tote Dinge, bedürfen, so das Argument von Sokrates, zum Ubergang ineinander zweierlei Arten von Werden: „Sterben" und „Wiederaufleben" (71e-72a). Diese Formen des Werdens sind selbst nicht im Übergang, sie bedingen das jeweilig entgegengesetzte Gewordensein und sind, als dem .Bereich' des Zwischen zugeordnet, „weder-noch". Die andere Seite des Gegensatzes, in den der Bereich der Seele eingespannt ist, wird gegen Ende des Dialogs unter Verweis auf die eben zitierte Stelle vorgebracht: „daß das Entgegengesetzte selbst sein Entgegengesetztes wohl niemals werden dürfte" (103b 4). Ideelle Gegensätze, die einen ,Begriff' des Gegensatzes erst zu denken ermöglichen, können selbst nicht als im Übergang befindlich gedacht werden, es sei denn man gibt unterscheidendes Denken überhaupt auf. M.a.W., die Seele ist eingespannt zwischen den Bereich des Gegensätzlichen und des Verschiedenen und vermittelt diese beiden, einander von sich selbst her scheinbar ausschließenden Bereiche durch ihre Wirklichkeit (δύναμις) und ihr Denkvermögen (φρόνησις), d.h. durch sich selbst - in ihrer systematischen Zweideutigkeit. Im Symposion wird ausdrücklich der Eros als ein μεταξύ bestimmt. Im Gespräch der Diotima mit Sokrates rückt diese das Bild des Sokrates vom Wesen des Eros zurecht, wie jener - mittels der Nacherzählung seines Gesprächs mit Diotima - bei Agathon. Ausgehend von der Negation, Eros sei weder schön noch gut (202 d), wird Eros über das Beispiel des „Annehmens von Richtigem" (202 a 3), welches „zwischen Weisheit und Unkenntnis" steht, „zwischen Sterblichem und Unsterblichem" an-

14 Ly. 2 1 6 e 2 - 3 , 222a. K. Glaser weist darauf hin, daß die Beziehung zum φίλον über der Beziehung zum φίλος stehend zu denken ist (a.a.O., S.63). Vgl. hierzu auch die Problematik der „Selbstverhältnisse" im Charmides. 15 Die vorliegende Interpretation zur Seele als Grund-Metaxy verdankt den Schriften von E. Hoffmann, insbesondere dem Aufsatz „Methexis und Metaxy", a.a.O., viele Hinweise. Es ist aber hervorzuheben, daß Hoffmann weder die Lysii-Stelle erwähnt hat, noch der hier zitierten Phaidon-Stelle seine Aufmerksamkeit zugewandt hat. 16 μεταξύ άμφοτέρων πάντων των εναντίων δυοϊν δντοιν δύο γενέσεις, 71 a 8-9.

Ill

gesiedelt. 1 7 Was hier geschieht, m u ß dem religiösen D e n k e n als Blasphemie erscheinen: ein G o t t - der n o c h dazu traditionell als b e s o n ders mächtig galt - wird entgöttlicht. Er wird z u m δαίμων, z u m Zwischenwesen, depotenziert: „alles D a i m o n i s c h e ist zwischen Göttlichem und Sterblichem". 1 8 W a s hier vorgeht, ist, verglichen mit der griechischen Tradition, .revolutionär'. Piaton hält zwar daran fest, daß G o t t und M e n s c h sich zueinander wie kontradiktorische G e g e n s ä t z e verhalten, denn: „Gott mischt sich nicht mit Menschen" 1 9 , und er knüpft damit an die Religionskritik eines X e n o p h a n e s an. 20 D o c h zugleich nimmt Piaton das orphisch-pythagoreische M o m e n t des „Unsterblich-Werdens" auf. 2 1 Eros, dessen mittlere, gemischte A b k u n f t durch den M y thos seiner Z e u g u n g v o n P o r o s (Reichtum) in Penia (Armut) 2 2 erklärt wird (203 a ff.), ist philosophierend, d . h . der Weisheit bedürftig und sie zugleich begehrend (203 e ff.). D a s W e r k des Eros ist es nunmehr, die sterblichen W e s e n , soweit möglich, unsterblich z u machen. D e r höchste Eros, der schließlich das S c h ö n e selbst z u schauen begehrt, fordert, ein ,Organ' dieser besonderen Schau zu denken, das der hier vorliegenden Interpretation z u f o l g e die u n s t e r b l i c h e S e e l e selbst ist. 23 D a m i t aber wird das .Revolutionäre' des platonischen D e n k e n s erkennbar und z u gleich wird verständlich, warum v o n der unsterblichen Seele im Symposion, in d e m Eros als G o t t depotenziert wird, nur kryptisch die R e d e 17 Vgl. Smp. 202 a 2, a 7: τι μεταξύ σοφίας καί άμαθίας; 202 d 8-9: μεταξύ θνητού καί αθανάτου. Ε. Hoffmann (Über Piatons Symposion, Heidelberg 1947, S. 18) bemerkt richtig: „... es gibt eine Gattung von Mittelbegriffen zwischen zwei Polaritäten; zu dieser Art des Mittleren gehört auch Eros. Um das Entweder-oder handelt es sich nur, wenn wir bei einem Urteil fragen, ob es wahr ist oder nicht. Da gibt es die Alternative.". S. hierzu a. R. 602d-603a. 18 πάν το δαιμόνιον μεταξύ έστι θεοϋ τε καί θνητού, 202 e 1-2. " Θεός δέ άνθρώπω ού μίγνυται, 203 a 2. Umgekehrt denkt Platon aber sehr wohl ein „Herangemischtsein" des Menschen an das Göttliche (vgl. das Wort προσμείγνυμι in Lg. 878 b 5) 20 Vgl. hierzu die Kritik am von Euthyphron vertretenen Begriff der Frömmigkeit (ευσέβεια) im Euthphron und die Dichterkritik R. 377 b ff. u.ö. 21 Vgl. Phaidon, s.o. Kap.III. 22 Die „Zeugung" dieser Art muß mythisch dargestellt werden, weil sie, s. Timaios, eine Ursprungsgeschichte erzählt. Von da ab geschieht die Zeugung im Schönen, d.h. letztlich im Hinblick auf die Idee des Schönen. " Gegen H. Buchner, der als das „Grund-Metaxy" den Eros annimmt (Eros und Sein, S. 58, vgl. die Probleme mit dem Verhältnis von Eros und Psyche im Phaidros bei Buchner, S. 149), hält es die vorliegende Interpretation mit E. Hoffmann, a.a.O., S.24, der schreibt: „... worauf es ankommt, ist die Auffassung von der Seele: Seele ist für Piaton das Einzige in der Welt, was nicht von anderem bewegt werden muß, sondern sich selber bewegen kann, weil nur die Seele ... den wahren Beweggrund ihres eigenen Wesens in sich enthält, nämlich die Sehnsucht nach Teilhabe an den Ideen. Diese Sehnsucht ist ihr Element, nur dann hat die Seele wirkliches Leben und wahren Eros, wenn sie sich der ihr immanenten Allkraft des Guten bewußt wird, die dem Werdenden durch Maßgesetzlichkeit seiner Struktur Gemeinschaft ... mit dem ideellen Sein ermöglicht."

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ist: Platon hat den Menschen seinem Prinzip nach, d.h. als Seele, unsterblich gedacht. Der Seele nach unsterblich, das bedeutet nach Piaton, in dynamischer Gemeinschaft mit dem Guten befindlich zu sein, nicht als substantielles Selbst-Sein. Hierin liegt auch die Möglichkeit, von einer „Anähnlichung an Gott" (όμοίωσις θεφ, Tht. 176 b 1) zu reden, wodurch also die traditionelle griechische Trennung der Unsterblichen hie, der Sterblichen da, aufgehoben ist - ohne jedoch die Trennung zwischen Mensch und Gott aufzuheben. Die Politeia ist voll von Stellen, an denen der Terminus μεταξύ vorkommt und die fast durchweg auf die Seele bezogen sind. Allerdings ist damit in diesem Werk weniger die grundsätzliche Positionsbestimmung der Seele als eines μεταξύ gemeint, als vielmehr die unterschiedlichen mittleren und vor allem v e r m i t t e l n d e n Funktionen der Seele. Diesem Thema wird weiter unten ein eigener Abschnitt gewidmet sein (C). Im Theaitetos spielt das μεταξύ in der Diskussion um eine philosophische Theorie der Erkenntnis eine systematische Rolle. Die erste Antwort, die Theaitetos gegeben hatte: „Erkenntnis ist Wahrnehmung" (151 e), wird von Sokrates mit der protagoreischen Homo-mensuraThese (vgl 151 e-152 a) und mit einer allgemeinen Bewegungs- und Flußtheorie „ehrwürdigen" Ursprungs 24 zusammengebracht. Der „Mensch als Maß aller Dinge" und die Behauptung, daß „alles im Fluß" sei, werden zu einer allgemeinen .Theorie' der Wahrnehmung als Erkenntnis verbunden. Aber diese Theorie spricht indirekt den Gegenständen des Denkens, damit implizit sich selbst, den Erkenntniswert ab. Sie muß daher, gemäß dem im Theaitetos vorgeführten Anspruch auf Allgemeinheit, abgelehnt werden. Dennoch werden bestimmte Aspekte oder Teile dieser Theorie erhalten bleiben müssen, wie sich im Gang der Argumentation herausstellt. Für den vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, daß Sokrates die „Verfassung in der Seele"25, dieser Theorie entsprechend, so bestimmt, daß sie durch ihre eigentümlichen Bewegungen, „Lernen" und „Übung", sich Kenntnisse erwirbt und erhält (σφζεται), d.h. dadurch „besser wird" (γίγνεται βελτίων). Durch das Gegenteil der der Seele eigenen Bewegung aber, durch Ruhe, wird sie schlechter, d.h. sie „vergißt" (έπιλανθάνεται, 153b-c). Dieser Aspekt der .Flußtheorie' geht positiv in der platonischen Erkenntnistheorie auf, aber dazu muß das Moment .positiver' Selbstbezüglichkeit, das ist Selbsterkenntnis, und damit Unterscheidungsfähigkeit hinzukommen. Das Erkennen durch Wahrnehmung, also die Bestimmung einer Farbe, Größe etc. wird von Sokrates der ,Flußtheorie' gemäß als 24 Neben den Philosophen Heraklit und Empedokles werden die Dichter Epicharmos und Homer genannt, 152 e ff. S.hierzu L. Campbell, The Theaetetus of Plato, rev. text, engl, notes, introd., 1. Aufl. 1861, Neudr. N e w York 1973, S . X X V I f . und X X X V I I I f f . 25 ή έν tfl ψυχΑ £ξις, 153 b 9.

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„Anstoßen", nämlich „der Augen zu der hinzukommenden Bewegung" (153 e 6-7) bestimmt. Aus der Korrelation von Wahrnehmungsorgan und Wahrgenommenem folgt, daß „ w e d e r das Hinzutreffende n o c h das Angetroffene", „sondern ein Besonderes z w i s c h e n Jeglichem gewordenes" jenes ist, was wir jedesmal als eine bestimmte Eigenschaft, wie etwa „rot", ansprechen. 26 Bereits in der Einführung zu dieser Erkenntnistheorie gibt Sokrates einen weiteren wertvollen Hinweis, der das „Zwischen" näher bestimmt: es sei, sagt er, „nicht außerhalb der Augen", noch sei es „in den Augen", es nehme also „keinen Raum" ein.27 Diese Aussage stützt die noch näher zu spezifizierende These der vorliegenden Interpretation, daß das μεταξύ unräumlich, d.h. „ortlos" (άτοπος) gedacht werden muß. Die referierte .Flußtheorie' wird von Sokrates dahingehend verallgemeinert, daß Wahrnehmung sich als „Mithervortretende und Erzeugte" (156b 2) in einem Gesamtprozeß bewegt: ώς το πάν κίνησις ήν (156a4-5). Wahrnehmungen und Wahrgenommenes bestimmen sich jeweils als „Angemessenes" (σύμμετρον, 156 d 3-4) und sind daher, so Sokrates, „selbst in bezug auf sich nichts" (αυτό μεν καθ' αύτό μηδέν, 156 e 8-157 a 1), sondern nur in bezug aufeinander, durch das Prinzip der Bewegung etwas jeweils (Bestimmtes). Daraus folgt - wie der Dialog nach der Widerlegung der ,Flußtheorie' mit der Einführung der Seele mittels des Unterschieds von „womit" (φ) und „wodurch" (δι' οδ) zeigt 28 -, daß die ,Flußtheorie' den für eine Theorie wesentlichen Aspekt des Selbstverhältnisses ausspart. Daher kann es auch unter den Anhängern dieser .Theorie' nicht etwas derartiges wie ein Lehrer-Schüler Verhältnis geben, „sie wachsen von selbst auf" (αύτόματοι αναφύονται, 180 c 1). Ein wissentlicher und absichtlicher Bezug zu anderen - seien es Vorfahren, seien es Lehrer - , nicht nur zu jeweils anderem, ist nur unter Voraussetzung von Reflexion, also bewußter Selbstbezüglichkeit möglich. 29 Die .Theorie' der Relativität der Wahrnehmung - und daraus der Erkenntnis -, die sich in wechselseitiger Bezüglichkeit ,hält', kann sich weder mit sich, noch mit einem anderen zu einer Erkenntnis (die den Bezug zu sich selbst und einem anderen umfaßt) verbinden. Sie hebt sich als Theorie der Er-

26 Tht. 154a 1-2: ουτε το προσβάλλον οϋτε το προσβαλλόμενον; und 154a2: άλλα μεταξύ τι έκαστω ϊδιον γεγονός. 27 μη ... έξω των ... ομμάτων μηδ' έν τοις δμασι μηδέ . . . χώραν, 153 d 10-e 1. 28 Auch Ρ. Friedländer erkennt diesen Unterschied als bedeutsam an (III, 158 f.). 29 In der Apologie, 23 e, steht, von Schülern des Sokrates gesagt, sie kämen „von selbst", αυτόματοι. Aber obwohl hier dasselbe Wort gebraucht ist wie im Theaitetos ist doch ein diametral entgegengesetzter Sachverhalt ausgedrückt: die Schüler des Sokrates kommen freiwillig, um zuzuhören, wie jemand widerlegt wird, oder um selbst geprüft zu werden (vgl. ζ. B. Laches), und das bedeutet immer zugleich, wenn ihnen noch nicht bewußt sein sollte, daß sie unwissend sind, daß sie - vorausgesetzt sie lassen es zu - einen Schritt näher zur Selbsterkenntnis und damit zur Erkenntnis selbst gebracht werden.

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kenntnis auf, weil sie von sich selbst nicht sagen kann, eine solche zu sein.30 Das „Zwischen" hier besagt die, grundsätzlich von der Stellung der Seele herstammende, Möglichkeit der Indifferenz. 31 Die .Flußtheorie' wird im Gang der Argumentation des Theaitetos einer anderen Theorie der Erkenntnis gegenübergestellt, die, ihren Ursprung bei Parmenides und Melissos ansetzend, sagt: „Eins ist alles und steht selbst in sich selbst, weil es keinen Raum hat, in welchem es sich bewegte" (180 e 3-4). Auf diese Weise gelangen Sokrates und seine Gesprächspartner Theaitetos und Theodoros „in die Mitte" (εις το μέσον, e 6) zwischen zwei gegensätzliche und grundsätzliche Positionen. Zwischen die „Fließenden" (ρέοντας, 181 a 5) und die Stellung derer, „die um das Ganze kämpfen" (οί τοΰ ολου στασιώται, 181 a 7). Aber in welche „Mitte" ist man hier geraten? Die eine .Theorie' negiert die Wirklichkeit - und Wirksamkeit - des Nicht-Sichtbaren, letztlich das Vermögen des Denkens überhaupt, sie negiert damit Sein und Bestand, Ruhe; die andere Theorie negiert mit dem Schein des Phänomenalen die Wirklichkeit des Wahrgenommenen und das Vermögen der Wahrnehmung als einer Möglichkeit zur Bestimmung sinnlicher Gegenstände. Nun ist die eine mittels eines aufgezeigten Selbstwiderspruchs widerlegt, aber Sokrates scheut sich, die parmenideische Theorie zu kritisieren, geschweige denn sie zu widerlegen (183c-184a). Die mit den Namen Parmenides und Sokrates verbundene Thematisierung und Prüfung der Ideenannahme im Dialog Parmenides und die im Sophistes dargelegte Kritik an Parmenides übersteigen die Diskussion und die Prüfung des Theaitetos, in deren Mittelpunkt Theaitetos' noch unbewußtes Wissen selbst steht. 32 Entscheidender Wendepunkt der Diskussion und Geburtshilfe im Theaitetos ist die Entdeckung der Psyche (184 b ff.). 33 Die Entdeckung des ,Selbstverhältnisses' der Psyche ist nicht allein der entscheidende Schritt zum Vermögen des Philosophierens überhaupt, sondern enthält zugleich die .praktische' Seite des Vermögens zur Gemeinschaft, das Wissen des Nichtwissens, das der „Besonnenheit" (σωφροσύνη) entspricht, und damit das Vermögen, in ein Gespräch einzutreten. Die Entdeckung der Psyche führt auf den Weg zu einer .mittleren' Theorie, die allerdings nicht in einem nur selbstbezüglichen Denken bestehen kann. 34 Der Weg der Mitte ist der Weg des Logos in der Dialek30

Vgl. hierzu J. Jantzen, a.a.O., S.291. Vgl. R. 583 d f f . und Phlb. 4 3 d f f . 32 Vgl. hierzu die Diskussion um das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Ideen im Theaitetos bei W.K.C. Guthrie V, 121. 33 L. Campbell, a.a.O., S. 141 f., Anm.25, schreibt: „The enthusiasm with which Socrates accepts Theaetetus' acknowledgment of the truth that the mind has its perceptions, independent of sense, belongs to the most interesting aspects of Greek Philosophy." 34 Vgl. die Kritik an Kritias im Charmides, s.o. Kap.II. Vgl. hierzu auch J.Burnet, Greek Philosophy, Thaies to Plato, 1st ed. 1914, repr. 1978, S.202 f. 31

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tik.35 Der Logos der Dialektik aber wird im unmittelbar an den Theaitetos anschließenden Sophistes entfaltet. An dieser Stelle wäre noch die Konzeption des gesamten Kosmos als ontologischer „Mitte" im Timaios zu ergänzen. 36 Darauf wird, wie zum Sophistes, im Kapitel „Methexis" zurückzukommen sein.

2. Atopos

"Ατοπος bekommt nach LSJ erst bei dem neuplatonischen Philosophen des dritten Jahrhunderts n. Chr., Plotin, die Bedeutung „ortlos" oder „unräumlich". Plotin schreibt in der Enneade VI, 5, 8, 30 ff.: „denn dieses ganze sichtbare Feuer dürfte nunmehr irgend an einem Orte sein, wenn es als solches im ganzen eine Vielheit ist (während seine Idee für sich im U n ö r t l i c h e n 3 7 verharrt), nachdem es selber die Orter aus sich erzeugt hat." 38 Eine Untersuchung von F. Börner zu diesem Problem stellt allerdings heraus, daß bei Plotin an einigen wenigen Stellen39 άτοπος nur durch den damit zusammen auftretenden Gebrauch von τόπος, die Bedeutung von „unräumlich" annehmen kann. 40 Plotin zwingt τόπος und άτοπος in eine widersprüchliche Aussageverbindung, ein probates Mittel seiner Darstellungsweise, um die dem gewöhnlichen empirischen Denken und Sprechen entrückte, aber - in seinem Sinne wahrhaft seiende Sphäre des Intelligiblen zu kennzeichnen. "Ατοπος wird in solchem Zusammenhang zum eindeutigen Terminus der Negation von Örtlichkeit oder Räumlichkeit. 41 Negierenden, abwehrenden Charakter hat dieses Wort in der Umgangssprache seit je besessen. Es bezeichnet Ungewöhnliches, Unnatürliches, Abwegiges, nicht Einzuordnendes. Piaton gebraucht dieses Wort auf verschiedene Weise: 1) im üblichen Sinne des „Widersinnigen", " D i e s hat J. Jantzen, a.a.O., bes. S. 343 ff., überzeugend dargelegt. 34 Vgl. 7 1 3 4 b - c , 35 a, 47 e ff. (bes. 50 d 2 - 4 ) . 37 In den Anmerkungen zu VI, 5, 8, 2 8 f f . , s.u., B d . I I b ) , S.417, ist ά τ ο π ο ς mit „Unräumlich" übersetzt. 38 ήδη γαρ «αν» ε'ίη π ο υ π ά ν τοϋτο το πϋρ το έν αίσθήσει, εΐ π ά ν αύτό π ο λ λ ά / η / , έαυτοϋ της ιδέας αύτης μενούσης έν ά τ ό π φ , αύτό τ ό π ο υ ς γ έ ν ν η σ α ν έξ αύτοΟ. Plotins Schriften, übers, v. R. Harder, neubearb., Anm. v. R. Beutler u. W.Theiler, B d . I I a ) , S . 5 8 f . , H a m b u r g 1962. 59 S. die eben zitierte und VI, 8, 11; IV, 3, 9, 23. 40 F. Börner, D e r lateinische Neuplatonismus und N e u p y t h a g o r e i s m u s und Claudianus Mamertus in Sprache und Philosophie, Leipzig 1936, S. 111 ff. Bei Claudianus Mamertus (2,8; S. 129,9, Engelbrecht) werden Incorporalitas und Inlocalitas mit der Seele verknüpft. Auf die komplizierte Geschichte und H e r k u n f t dieses Gedankens hier e i n z u g e h e n würde den gesetzten Rahmen sprengen. 41 N a c h F. Börner gibt es bei Plotin keine „absolute Bedeutung" von „unräumlich". H ä u f i g e r als die Verbindung δ τ ο π ο ς - τ ό π ο ς sind Umschreibungen (s. z . B . IV,7,6; V,9,5; VI, 9,6) oder auch der Gebrauch des Wortes άδιάστατος bzgl. ψυχή: VI,2,4.

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„Ungereimten", „Abwegigen", als Ausruf des Erstaunens oder der Hilflosigkeit, oft im Sinne eines Vorwurfs an den Mitunterredner. 42 2) Häufiger allerdings ist die Verwendung, die mit Hilfe dieses Worts das bewußt im Gespräch herbeigeführte oder gerade erkannte Zusammentreffen eines offenkundigen Widerspruchs, mit einem Wort, ein Synonym für „paradox" benennt. 43 Dabei ist auffällig, daß die in der gewöhnlichen Sprache vorkommende Verwendung ausschließlich in den Dialogen der ersten Schaffensperiode vorkommt. Die Verwendung des Wortes als Bezeichnung eines Widerspruchs ist am häufigsten in den Dialogen Charmides und Gorgias. Eine gewisse Sonderstellung nimmt der Wortgebrauch in Alkibiades' Rede im Symposion ein. Beide Male hebt Alkibiades Sokrates in seiner eigenartigen Sonderstellung (άτοπία) hervor. Seltener, aber nicht unbedeutend, ist der Gebrauch im Spätwerk. Aus dem Gorgias soll hier nur eine Stelle hervorgehoben werden, an der ein Bild von der Seele gegeben wird. Sokrates antwortet auf die von Kallikles vertretene Auffassung, daß das Leben nur lebenswert durch das Immer-mehr-haben-Wollen sei und selbstbeherrscht nur die Einfältigen (491 d ff.), mit einem orphisch-pythagoreischen Mythologem 44 . Der zitierte Weise aus Sizilien oder Italien habe den begehrlichen Teil der Seele eines Unersättlichen im kallikleischen Sinn einem „durchlöcherten Faß" verglichen, die Seele aber einem Sieb, die daher nichts behalten könne. Dies sei, so Sokrates, p a r a d o x (ατοπα, 493 c4), und er habe mit dem Mythologem Kallikles dazu überreden wollen, sich zu ä n d e r n (μετατίθεσθαι, 493 d 1) bzgl. seiner Annahme. Kallikles ändert sich und seine Annahme nicht mehr im Dialog mit Sokrates 45 . Er zieht es vor, dem Zwang des sokratischen Logos und damit der .Gefahr', sich ändern zu sollen, auszuweichen und sich selbst vom weiteren Gespräch ironisch zu distanzieren. Kallikles macht nur noch aufgrund der Bitten des Gorgias mit, ohne eigentlich beteiligt zu sein, und das, obwohl ihm Sokrates zuvor drei wesentliche Eigenschaften zugeschrieben hat, die derjenige brauche, der die Frage des „richtigen Lebens" untersuchen will: „Wissen", „Wohlwollen" und „Freimütigkeit" 46 . Kallikles fehlt also doch noch etwas, und zwar das, was Sokrates' grundlegender Tätigkeit entspricht 47 und was im Gorgias nur beiläufig mit dem Aus-

42 Vgl. Ap. 2 6 e 2 ; Cri. 44b3; Euthd. 2 8 6 d l 2 , 305a 2; Chrm. 172e2; Grg. 4 7 3 a l , 480e 1, 4 9 4 d l , 521d3. 43 Vgl. Ap. 2 7 e 1, 31 c4; Chrm. 158d2, 167c3, 168a7, 172c5,e4; Grg. 4 6 5 e 3 , 4 8 1 e 8 , 519c5, d5; Smp. 2 1 5 a 2 , 2 2 1 d 2 ; Phdr. 229c6, e 1, 251 d9; Prm. 1 5 6 d l , 7 ; Phlb. 49a9. 44 Vgl. E. Dodds, Plato, Gorgias, intr., text and comm., Oxford 1959, S.297f. Vgl. W.K.C. Guthrie IV, 305 ff. 45 Vgl. 493 d, 499 b, 501c, 505 c, u.ö. 46 έπιστήμη, εύνοια, παρρησία, 487 a 2-3. 47 Αρ. 29e, 30b, s.o. Kap. II.

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druck „worüber meine Seele Vermutungen anstellt" 48 erwähnt wird, d.h. Sokrates sagt, was er ist. Kallikles' Ausweichen gibt indirektes Zeugnis von seinem „Wissen", denn auch ihm ist es ,ernst' mit seinen Annahmen, aber er sieht gleichsam voraus, daß, wenn er sich im weiteren Gespräch mit Sokrates mit seinen Aussagen .identifizierte', er widerlegt werden würde und folglich sich ä n d e r n m ü ß t e . Eine derartige Änderung wäre im genauen, aufzeigbaren Sinne auch nicht darstellbar, sie ist paradox, sie kann nur vollzogen werden. Solcher Möglichkeit entzieht sich Kallikles von vornherein, d. h. von Kallikles wird in gewissem Sinne im Dialog Gorgias .gezeigt', daß er ,weiß', daß er sich ändern müßte, aber er trennt das logische Wissen und Widerlegtwerden von sich selbst. Im Charmides wird die hypothetische Setzung eines selbstbezüglichen Wissens, eines Wissens des Wissens, wie es von Kritias behauptet wird, von Sokrates als Paradoxon bezeichnet. 49 Widersinnig scheint tatsächlich jede Möglichkeit eines „Vermögens" (δύναμις) zu sein, das sich auf sich selbst und nicht nur auf ein - jeweils - anderes, wie es von „Größerem" oder „Älterem" gilt50, bezieht. Als Paradoxon wird auch eine die Seele bestimmende Mischung beschrieben. Im Phaidros ist es der „Wahnsinn" der Liebe, eine Mischung aus den Erscheinungen des Entzugs des Geliebten und jenen des Anblicks des Geliebten, die die Seele des Verliebten in Verwirrung über sich selbst stürzen (vgl. 250eff., 251 d9). Ähnlich im Philebos, wo die Mischungen von Lust und Unlust in der Seele betrachtet werden. 51 Beide Male bezieht sich das Wort άτοπος auf einen Vorgang in der Seele. 3. Exaiphnes Das Wort εξαίφνης, eine Zusammensetzung aus dem Präfix έξ, „aus", „heraus", und dem Adverb αίφνης, für „plötzlich", „jäh", verstärkt noch den Bedeutungscharakter des in ihm enthaltenen Adverbs und zeigt zugleich an, daß sich etwas verändert, daß etwas „Neues", Unerwartetes geschieht. 52 Piaton verändert dieses Wort nicht in seiner tradierten Bedeutung, aber er gebraucht das Wort in differenzierter und differenzierbarer Weise. So wird etwa im Gerichtsmythos des Gorgias, den So48

περί ών ή έμή ψυχή δοξάζει, 486 e 5-6. " 167c3: ώς άτοπον έπιχειροϋμεν, vgl. 168a7. 50 Vgl. 168 b-d. Platon formuliert hier Relationen (προς αλλο), nicht Relationsbegriffe. Damit ist also die „natürliche" Beziehung zu etwas anderem formuliert. 51 4 7 d f f „ 4 9 a 9 ; vgl. Phd. 60b; R. 584b. 52 Genau umgekehrt hat Aristoteles den Sinn des Wortes εξαίφνης in Ph. IV, 13, 222 b 15ff. definiert, nämlich als ein „Vergehen" oder „Zerfallen" Anzeigendes. Dazu s.u. die Interpretation zum Parmenides.

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krates am Ende des Dialogs vorträgt, von einer Korrektur des Totengerichts durch Zeus berichtet. Die Beurteilungen der Leben der Verstorbenen seien durch deren ursprünglichen Zusammenhang mit dem Körper auch im Tod nicht gut gelungen, daher sei die Anweisung an Prometheus ergangen, im Tod die Seele vom Körper zu reinigen (523 b-e). Ebenso solle der Richter körperlos sein, um „mit der Seele selbst die Seele selbst zu schauen, p l ö t z l i c h , wenn ein jeglicher gestorben ist".53 Diese Stelle erhellt zweierlei: das Leben, das den Körper belebt, ist ungeteilt; der Tod wird - wie im Phaidon - als Trennung von Körper und Seele gedacht. Darüber hinaus, und dies markiert der Ausdruck εξαίφνης, ist die Trennung in keiner zeitlichen Erfahrung nachzuvollziehen. In ironischem Sinne deutet das έξαίφνης im Theaitetos an, daß Sokrates eine rhetorische Frage an Theaitetos richtet. Unter Voraussetzung seiner Deutung des Homo-mensura-Satzes von Protagoras, daß niemand unter dieser Voraussetzung Lehrer eines anderen und niemand Schüler sein könne, behauptet Sokrates von Theaitetos, er sei „plötzlich" ein Weiser geworden (162 c).54 Berühmt und vielfach interpretiert ist die Stelle im Symposion, wo Diotima von demjenigen, der der Vollendung in Liebessachen entgegengeht, sagt, daß er „plötzlich ein von Natur wunderbar Schönes erblicken wird" 55 , nämlich die Idee des Schönen selbst. Der Weg zum Wissen ist bisweilen langwierig und schwierig, die Vorbereitung muß gründlich und intensiv sein56, und doch ist die Einsicht in Wahrheit selbst nach Piaton kein allmähliches Vorantasten, sondern ein Sprung, plötzlich wie ein Funke oder ein Blitz. Doch die Metaphorik von Schnelligkeit oder Unvorhersehbarkeit des Aufleuchtens ist nur eine Analogie. Der Ursprung von Wissen und Wahrheit ist aller zeitlichen und räumlichen Kategorisierung entzogen. Die Beziehung zu Wahrheit selbst, dieser ihrer Entzogenheit nach, und die Möglichkeit der Begründung von Wissen des und im Sinnlichen - nach Piaton jener Bereich, der immer nur auf anderes bezogen ist - ist durch die Seele ermöglicht. Aber wie kann prinzipiell Nichtsinnliches, Allgemeines, auf Einzelnes, Sinnliches bezogen werden - genau darin besteht der bekannte Vorwurf der ,Verdoppelung der Welt', den Aristoteles gegen Piaton erhob. Aber zusammen mit diesem Vorwurf muß auch festgehalten werden,

55

αύτη xfj ψυχή αυτήν την ψυχήν θεωροϋντα έξαίφνης αποθανόντος έκαστου, 523 e

3-4. 54 Vgl. außerdem Cra. 396c-d, hierzu W.K.C. Guthrie V, 23 ff.; Smp. 212c6, 213c2, 223b2; Pit. 291 b8; Prm. 164d3. 55 έξαίφνης κατόψεταί τι θαυμαστόν την φΰσιν καλόν, 210 e 4-5. " Vgl. Ερ. VII, 341c ff.

119

daß sich bei Aristoteles keine Stelle findet, die von der Vermittlungsleistung und -funktion der Seele bei Piaton handelte. 57

B.

D E R UMSCHLAG

(μεταβολή)

ALS VERMITTLUNG VON

EINS UND VIELEM, IDEE U N D

EINZELNEM

1. Das „Dritte " im Dialog Parmenides Alle Stellen zu μεταξύ, άτοπος und εξαίφνης, die bisher untersucht wurden, waren Vorbereitung für die Interpretation einer Stelle, die noch nicht erwähnt wurde. Die Rede ist von einer Stelle im zweiten Teil des Dialogs Parmenides, an der diese drei Worte aufeinander bezogen vorkommen (156 d-e). 58 Der Parmenides ist einer der am meisten kontrovers diskutierten Dialoge Piatons. Die Auffassungen, ihn zu verstehen, reichen vom „geistreichen, aber sinnlosen Spiel" bis dahin, darin die Grundlage einer „platonischen Theologie" zu erkennen. Wesentliche Auslegungsschwierigkeiten bietet - auch heute noch - der zweite Teil des Dialogs, in dem der Parmenides des Dialogs „seine" Hypothesis des Einen dialektisch prüft. Uber den ersten Teil des Dialogs, der aus dem Gespräch des Sokrates zuerst mit Zenon, dann mit Parmenides besteht, herrscht soweit keine Uneinigkeit, als darin klar und deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß die Annahme von Ideen durch Sokrates dás Problem von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit des Vielen - so die Problemstellung nach Zenon zu Beginn, 127d-128a - mit oder zu dem Einen lösen soll. Parmenides prüft daraufhin diese Annahme des Sokrates und stellt ihn vor einige fundamentale Probleme der „Teilhabe" des Vielen am Ei-

57 Vgl. H . Cherniss, a.a.O., App. IX, S.580: „ . . . no Aristotelien passage can be cited in which there is any reference, explicit or implied, to Plato's notion that the soul is .intermediate'." 58 Angeregt wurde die Interpretation wesentlich durch die von meinem Lehrer J. Jantz e n in Seminaren zum Parmenides und Sophistes vertretene These, daß das sog. „Korollar", die erste und zweite H y p o t h e s e zu verbinden vermag, wenn erstens angenommen wird, daß der zweite Teil des Prm. eine Antwort auf den ersten, die Ideenannahme problematisierenden Teil, zu geben versucht und zweitens mit εξαίφνης, μεταξύ und άτοπος auf die vermittelnde Leistung der S e l b s t b e w e g u n g , d . h . der Seele, hingewiesen wird. R. Martens hat in seinem Aufsatz über „«Esoterik und Exoterik» oder « D i e philosophische Bestimmung wahrheitsfähiger Öffentlichkeit», demonstriert an Piaton und Aristoteles", in: H . H o l z h e y , W.Chr. Zimmerli (Hg.), Esoterik und Exoterik der Philosophie, Basel, Stuttgart 1977, S. 13-31. - , allerdings nur auf den Aspekt des Wahrheitsverhältnisses der Seele, der plötzlich und „ortlos" statthat, hingewiesen (S. 18), nicht auf den naturphilosophischen Aspekt der δυναμις.

120

nen. 59 Diese Schwierigkeiten kann der junge Sokrates 60 nicht lösen, aber Parmenides lobt ihn wegen seines Eifers in der Sache und stellt vor allem heraus, daß eben ohne die Annahme von Ideen der „Verstand" (διάνοια) keine Orientierungsmöglichkeit habe und „das Vermögen der Dialektik gänzlich" aufgehoben sei.61 Um Sokrates in der Philosophie zu fördern, unternimmt Parmenides trotz seines Alters das „große Werk" (πολύ έργον, 136dl) der dialektischen Untersuchung, das beispielsweise und schematisch bereits 136a-b projektiert wird - anhand der Hypothesis Zenons. Parmenides nennt dies mit einem Vergleich zu einem Gedicht des Ibykos 62 „unfreiwillig" (ακων) „die Bahn der Liebe gehen". 63 Dieser Vergleich erinnert an die Metapher des δεύτερος πλους im Phaidon. Die .Anstrengung des Begriffs' geschieht nicht unabhängig von demjenigen, der sie unternimmt. Es ist eine Mühe und ein Wagnis, solche Ausfahrt zu unternehmen Parmenides sagt hier: „ein so beschaffenes und so weites Meer von Reden zu durchschwimmen". 64 Aber weil Sokrates bereits seinen Eifer für die Sache gezeigt hat, will Parmenides für Sokrates, und das heißt um der Sachliebe des Sokrates willen, die Untersuchung durchführen. Daneben ist ein anderer, mit dem Gedicht des Ibykos verbundener Aspekt, zu erwähnen. Wozu Parmenides Sokrates mahnt, um in der Philosophie weiterzukommen, ist das Ablegen der Rechenschaft über einen ,Gedanken' (λόγον διδόναι). Dazu muß die .Disziplin' methodischer Prüfung von Hypothesen - d. h. die im Parmenides vorgeführte Setzung der Hypothesis, ihre Prüfung in bezug auf das Gesetzte selbst und auf anderes, jeweils positiv und negativ, etc. - durchgeführt werden, um den jeweils „stärksten Satz" der eigenen Theorie - und für das eigene Leben - zugrunde legen zu können. 65 Diese methodische Prüfung ist für das Denken wie der „Zügel" (χαλινός) für die Reitkunst. 66 59

Diese Einwände betreffen den .Umfang' der Teilhabe des Vielen am Einen, benennen Paradoxien des Einen als „Ganzes" verstanden bzw. des Einen, das unter viele aufgeteilt wird. Das Eine wird als .abstraktes' Problem behandelt und die Verbindung von Einem und Vielen in einen regressus ad infinitum geführt (130 a ff.). 60 Das dramatische Datum des Dialogs ist etwa 450 v. Chr. Sokrates wäre demnach noch nicht 20 Jahre alt, Zenon etwa 40 und Parmenides etwa 65. Vgl. W.K.C. Guthrie V, 34 f. 61 την toO διαλεγεσθαι δύναμιν παντάπασι διαφθερεΐ, 135 c 2. Vgl. hierzu die Misologie-Stelle im Phaidon, 89 c ff., die einleitend zur Ideenannahme von Sokrates vorgebracht wird. " Vgl. Ibykos, Fr. 7 (Diehl). " εις τον έρωτα . . . ίέναι, 137a5; Übers. Schleiermacher. 64 διανεΟσαι τοιοΟτόν τε και τοσούτον πέλαγος λόγων, 137 a 6-7. " Vgl. Phd. 100 a 3-4: ύποθέμενος έκάστοτε λόγον δν άν κρίνω έρρωμενέστατον είναι... " Im Vorspiel des Dialogs übergibt Antiphon, der den Dialog aus der Erinnerung wiedergibt - seine anfängliche Weigerung, diese Mühe auf sich zu nehmen, ist auch eine leise Vorwegnahme der eben dargestellten Vorbehalte des Parmenides - einen Zügel zur Aus-

121

Parmenides legt „seine" Hypothesis zugrunde 67 und untersucht vom Einen, „wenn Eins ist (und) wenn nicht Eins, was herauskommen muß".68 Die Hypothesis wird von ihm zusammen mit dem jüngsten der Anwesenden, dem Altersgenossen des Sokrates, Aristoteles 69 , in Variationen und Revisionen, in Spiegelungen und Umkehrungen, in acht bzw. neun Reihen untersucht und durchlaufen (137 c - bis zum Ende des Dialogs, 166c). In ,acht bzw. neun' Reihen, d.h. die Zählung ist für die Interpretation ein Problem und gerade jener Abschnitt, der die Zählung der Reihen vor das Problem stellt, das sogenannte „Korollar" oder - nach neuplatonischer Auffassung - die „dritte Hypothesis", (155 e 4-157 b 4), soll hier wesentlich ausgelegt werden. Dabei wird eine Deutung vorgeschlagen, die nicht allein in das Zentrum der platonischen Auffassung von Psyche führen soll, sondern auch das Problem der Zählung der Reihen lösen helfen kann.70 besserung an einen Schmied (χαλινόν τινα χαλκεΐ εκδίδοντα σκευάσαι, 127a2). Auch dies ein metaphorischer Hinweis auf den Sinn des Folgenden. Mittels des Zügels l e n k t der Reiter das P f e r d bzw. das Wagengespann (s. Phaidros-Mythos!). Der gute „Reiter" kann dem „Schmied" auch zeigen, wie der Zügel repariert bzw. v e r b e s s e r t werden kann. Er hat kein „Herstellungs-", sondern ein „Gebrauchswissen" (vgl. Euthd. 290 c). 67 Vgl. 137b3: αρξωμαι . . . της έμαυτοΟ υποθέσεως. 68 εϊτε εν έστιν ει'τε μή εν, τί χρή συμβαίνειν, 137 b 4-5. 69 Der „jüngste" Z u h ö r e r deshalb, weil erstens dadurch garantiert sein soll, d a ß alle Anwesenden folgen können, und zweitens, weil er am unbefangensten den Fragen und Erörterungen des Parmenides folgen wird, vgl. 137b-c. 70 Das Problem mit der Stelle 155 e 3 ff. ist, wie hier bereits angedeutet, ob sie als eigenständige Hypothesis, die nach Proklos' Kommentar zum Parmenides bis zu Hegel und bei den neueren Kommentatoren bei P. N a t o r p (a.a.O., S. 260 f.) und bei P. Friedländer (III, 188 ff.) als „Verknüpfungsthese" interpretiert wurde. F.M. C o r n f o r d hat diese These bekämpft und das genaue Gegenteil angenommen. Er war es, der die Bezeichnung des „Korollars" eingeführt hat; d . h . 155 e ff. als bloße Ergänzung zum Zeitargument der zweiten Hypothesis anzusehen (Plato and Parmenides, London 1939, S. 202 f.). C o r n f o r d lehnt es daher auch ab, eine Beziehung zu anderen έξαίφνης-Stellen (z.B. Smp. 2 1 0 e 4 ) herzustellen (ebd.). Ahnlich wie C o r n f o r d interpretiert H . G . Zekl (Der Parmenides, M a r b u r g 1971, S. 116ff.) den Abschnitt. Die umfangreiche Sekundärliteratur diskutiert auch R.P. Hägler (Piatons Parmenides, Berlin, New York, 1983, S. 180 ff.), er folgt in der Intention Cornford, bringt aber in gewisser Weise Aristotelisches, nämlich die Annahme eines „Körper oder Massepunktes" und damit mit der E i n f ü h r u n g einer „Substanz" das Problem der Kontinuität in die Interpretation der Stelle ein. Z u r Kritik daran vgl. D . Frede, Rez. in: PhRsch 35 (1988) 83f. Eine ausgeglichene Interpretation bei R.D. Allen, Plato's Parmenides, O x f o r d 1983, S. 261 ff.: 155 e ff. sei weder eine eigenständige Hypothesis noch ein Korollar, sondern „simply a third Deduction, combining results derived f r o m the previous two." (S.261). Dabei muß allerdings hervorgehoben werden, daß Allen g r u n d sätzlich nur zwei Grundhypothesen in der Reihung unterscheidet. In Richtung der hier vorliegenden Interpretation zielt der Kommentar von A. Speiser, Ein Parmenideskommentar, Stuttgart, 2. Aufl. 1959, S. 52 f. - er vertritt die Auffassung, daß hier die unsterbliche Seele gemeint sei, nur wird diese Annahme nicht genügend begründet und nicht ausgeführt. Auch M . H . Miller jr., Plato's Parmenides, T h e Conversion of the Soul, Princeton, New York, 1986, S. 121 - interpretiert 155 e ff. im Sinne einer „Rettung" der Ideenannahme (vgl. S. 253 ff.).

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Bevor allerdings „das Dritte" (το τρίτον, 155 e 4) hier untersucht werden kann, ist es notwendig, sich bestimmte Voraussetzungen des Dialogs in Erinnerung zu rufen und darzustellen. Parmenides sagt im Dialog zu Sokrates, daß das Weiterkommen in der Dialektik nicht allein davon abhängig sei, ob er bestimmte Voraussetzungen als seiend annimmt und sie prüft, sondern es sei ebenso wesentlich, die gegenteilige Annahme durchzuführen, also die jeweils bestimmte Voraussetzung als n i c h t - s e i e n d e zu prüfen. Piaton hat ebendiese Prüfung vom Gegenteil her in bezug auf die Annahme von Ideen im Theaitetos durchgeführt. Es war die ,heraklitische' Naturphilosophie und die daraus - nach Piaton - resultierende Erkenntnistheorie, die nichts Bleibendes (βέβαιον), kein Sein annimmt. Der Dialog endet aporetisch, die Fragestellung jedoch und die Argumentation des Dialogs sind deswegen nicht widerlegt oder überflüssig geworden. Denn im Verfolg der Widerlegung wurde ein für die platonische Philosophie fundamentales Moment .entdeckt': Psyche. Das Zugeständnis, daß Psyche ein anderes Sein als die sinnlich-körperliche Wirklichkeit hat, war auch das grundlegende Zugeständnis der „Körperfreunde" in der Gigantomachie des Sophistes.71 Das Problem für die eleatische Philosophie ist im Unterschied dazu die Wirklichkeit von Bewegung. Die zenonischen Paradoxien wollen das Phänomen der Bewegung als bloßen Schein erweisen, das sich in der Analyse in statische Momente zergliedert. Bewegung „ist nicht" ebenso wie das Viele „nicht ist". Piaton hat beides als dasselbe Problem dieses naturphilosophischen Ansatzes erkannt. Während Zenon behauptet, daß ein Ding immer irgendwie und irgendwo ist und unmöglich w i r d oder sich bewegt, versucht Piaton zu zeigen, daß etwas, während es sich bewegt bzw. bewegt wird oder sich verändert, dennoch in bestimmter Weise ist und nicht nicht ist.72 Der Parmenides prüft im Gegensatz zum Theaitetos die im ersten Teil formulierte, aber einem jungen und unerfahrenen Sokrates in den Mund gelegte Ideenannahme. Dazu gehört wesentlich auch die Einführung der Psyche. Die Annahme der ,Psyche selbst für sich' bei Piaton erlaubt zugleich ein s a c h b e z o g e n e s Denken und die Überbrückung des von Aristoteles kritisierten Chorismos zwischen Ideen und Einzel71 Eine ähnliche Annahme bereits bei W. Wieland, Die aristotelische Physik, Göttingen 1962, S. 192 f., Anra.7. 72 Vgl. C. Strang, „Plato and the Instant", in: The Aristotelian Society, Suppl. Vol. 48 (1974) S.67f. und S.71. In den Lg. 894a6, gebraucht Piaton für das Werdende den Ausdruck εστίν δε όντως δν. Dabei kann allerdings nicht davon die Rede sein, daß Piaton die Ideen durch die sinnlich-wahrnehmbaren Dinge ersetzt habe, vielmehr war sich Piaton in der Spätphilosophie des Teilhabegedankens so sicher, daß der körperliche Bereich des Gewordenen als „wahrhaft seiend" bezeichnet werden konnte (vgl. hierzu F. Solmsen, Aristotle's System of the Physical World. A Comparison with His Predecessors, Ithaca/ N.Y. 1960, S.37ff.).

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dingen zu denken, was zwar unter den von Aristoteles angenommenen Voraussetzungen seiner Logik eine konsequente Kritik ist, aber Piaton nicht gerecht werden kann. Die Aufgabe besteht darin, einerseits die mathematische Analyse der Bewegung ins Recht zu setzen - ein Aspekt des zenonischen Paradoxons, der sich auch an der aristotelischen Aporie des Zusammenhangs von Zeit und Seele zeigt (dazu s.u.) - und andererseits Bewegung und Veränderung (κίνησις und άλλοίωσις) in ihrer phänomenalen Wirklichkeit zu erklären und nicht, Weil nicht mathematisch-logisch formulierbar, für unerklärlich zu halten und damit als .Scheinproblem' abzutrennen. Dazu muß erstens ein genauer Begriff des Werdens gegeben werden. In der ersten Hypothesis „Wenn Eins ist" - εί εν έστιν (137 c-142 a) -, die alle vorgebrachten Prädikationen negiert und damit das „Übertreffen" (ύπερβολή) der Idee in Beziehung auf alle Möglichkeiten der Prädikation aufweist 73 , wird der Begriff des Werdens eingekreist: „Verschieden darf eines vom anderen nicht werden, wenn es bereits verschieden ist, sondern wovon es bereits (verschieden) ist, davon ist es, wovon es geworden ist, davon ist es geworden, wovon es werden wird, davon wird es werden, wovon es aber wird, davon ist es weder geworden, noch wird es werden, noch ist es auf irgendeine Weise verschieden, sondern es w i r d und ist nicht anders." (141b4—8). Dieser Begriff des Werdens ist mit dem Problem der Zeit notwendig verknüpft. Er wird entwickelt aus der Korrelativität des „Alter-und-jünger-Werdens" des Einen in der Zeit (έν χρόνφ, 141 a 7), aber er liegt auch notwendig vor oder außerhalb der Z e i t b e s t i m m u n g e n von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Beziehung von „Alter" und „Jünger" ist die einer „Verschiedenheit" (διαφορότης, 141 c l ) und damit - so zeigt es Parmenides an der Stelle - ein Verschieden-Werden (141 c-d). Die erste Hypothesis aber schließt, wie gesagt, alle möglichen Bestimmungen vom Einen aus und also mit dem Sein auch zugleich das Werden. Das seiende Eine der zweiten Hypothesis (142 b-155 e 3) dagegen läßt nichts vom Werdenden aus, „bis es schließlich ein ganzes Eines geworden ist".74 Das seiende Eine ist ein Ganzes g e w o r d e n - auch im Sophistes wird diese Bestimmung bestätigt: „Das Gewordene ist immer ein Ganzes geworden" 75 - und es ist damit notwendig in der Zeit. Es ist,

73 Ein Aspekt dieser Hypothesis, der oft dort übersehen wird, w o Piaton in seiner Metaphorik der Be- und Umschreibung von Ideen „Verdinglichung" oder auch mangelnde Reflexion auf das von Kant so benannte Problem der „Amphibolie der Reflexionsbegriffe" (KrV Β 316 ff.), vorgeworfen wird. Dieser Vorwurf wird auch dort erhoben, wo anerkannt wurde, daß die Psyche bei Piaton ein neben der Idee gleichfundamentales „Konzept" ist, vgl. W. Wieland, a.a.O., S. 196 ff. 74 εως αν προς t ò εσχατον διελθόν δλον εν γένηται, 153 e 2 - 3 . 75 Tò γενόμενον άεί γέγονεν όλον, 245 d 4.

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um genau zu sein, in der „Jetztzeit" 76 , die „ z w i s c h e n dem War und Wird sein wird". 77 Das seiende Eine nimmt alle, und das heißt alle gegensätzlichen Bestimmungen in sich auf, indem es wesentlich zeitlich verfaßt ist. Damit wird an den Ausgangspunkt des Dialogs, wo Sokrates Zenon entgegenhält, auf welche Weise er vieles sich Widersprechende dennoch seiend denken könne, erinnert. Erneut also ist die Frage der Beziehung des vielen Einzelnen zur einen Idee zu stellen. Das „Dritte" (155 e 3 ff.) schließt unmittelbar an die zweite Hypothesis an und thematisiert die Teilhabe an der Zeit - das εν als μετέχον χρόνου (155 e 6). Das heißt aber keinesfalls, daß dieser Abschnitt der Hypothesenreihe der zweiten Hypothesis untergeordnet wäre. 78 Der Sinn des Zeitarguments hier wird gleich zu Beginn geklärt: „In einer Zeit hat es (am Sein) teil und in einer anderen Zeit hat es nicht teil; auf diese Weise allein kann es an demselben teilhaben und auch nicht teilhaben. - Richtig." 79 Eben diese Bestimmung des Nacheinander von vielen Verschiedenen in bezug auf dasselbe erinnert an die Einführung des S a t z e s vom W i d e r s p r u c h bei Piaton in der Politela90. Sokrates sagt an dieser Stelle im Zusammenhang der Einführung von Teilen in der Seele: „Es ist offenbar, daß dasselbe nicht zugleich Entgegengesetztes tun oder leiden will gemäß demselben und in bezug auf dasselbe". 81 Gleichzusetzen ist natürlich „nicht zugleich" (ούκ ... αμα) und „in einer ... und in einer anderen Zeit" (έν άλλφ ... χρόνφ ... και έν αλλφ). Aber ist „teilhaben an demselben" und „nicht teilhaben" mit „tun" und „leiden" gleichzusetzen? Oder, allgemein gefragt, in welcher Weise kann überhaupt das Problem der Teilhabe mit dem der Seele verknüpft sein? Sokrates führt das Argument für das Widerspruchsprinzip in der Politela folgendermaßen fort: Er fragt, ob es möglich sei, daß dasselbe gemäß demselben zugleich sich b e w e g e und s t e h e (436c6-7) und präzisiert die Frage durch das Beispiel eines Menschen, der - auf seinen Beinen - ruhig steht, aber Arme und Kopf bewegt, so daß also etwas von ihm steht, anderes von ihm sich bewegt (436c 13-d 2).82 Dieses Ar76

κατά τον vüv χρόνον, Prm. 152 b 4. γιγνόμενον τον μεταξύ toß ήν τε καί Εσται, 1 5 2 b 4 - 5 . 78 Aber auch nicht der dritte Durchgang der ersten Hypothesis, vgl. R.E. Allen, a.a.O., S.261. 79 Έν ίίλλω αρα χρόνφ (ουσίας, vgl. 155 e 6 und 7) μετέχει καί έν αλλω ού μετέχει: οϋτω γαρ αν μόνως του αύτοΟ μετέχοι τε καί ού μετέχοι. - 'Ορθώς. 155 e 10-11. 80 Vgl. hierzu Ε. Hoffmann, „Der historische Ursprung des Satzes vom Widerspruch", a.a.O., S. 53 ff. 81 Δήλον ότι ταύτόν τάναντία ποιείν ή πάσχειν κατά ταύτόν γε καί προς ταύτόν ούκ έθελήσει άμα, 4 3 6 b 8 - 9 , vgl. 4 3 6 e 8 - 4 3 7 a l . 82 An der Formulierung der Kritik an der „Selbstbewegung" der Seele in De An. 405 b 77

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gument läuft darauf hinaus, eine zeitliche ,Struktur' in der Seele anzunehmen und gegensätzliche Aspekte der seelischen Wirklichkeit, wie Begierden und Denkvermögen, nacheinander in der Seele zu denken. Beide, sowohl das Begehren, wie das Denken sind dynamisch, d. h. als Vermögen der Seele sind beide Wirklichkeit. 83 Das Gegensätzliche in der Seele muß durch sie selbst vermittelt werden. In der Frage nach der „unsterblichen Seele" im zehnten Buch allerdings wird ihre Teilung nicht freilich ihre Zweideutigkeit -, und das heißt ihre Zeitlichkeit, sofern die Seele „für sich" (αύτό προς αύτό) gedacht wird, wieder zurückgenommen (vgl. 611 a-b). Zum selben Problem, aber in noch .statischer' Formulierung, erläutert der junge Sokrates im Parmenides seine Annahme vom Zusammenkommen des Einen und Vielen an sich selbst. Er habe an der Vielheit in der Weise teil, daß eines sein „Rechtes" (δεξιά), ein anderes sein „Linkes" (αριστερά), „oben", „unten" etc. in derselben Weise, sei. Zeit und Bewegung spielen hier noch keine Rolle, ganz anders an der Stelle, an der das „Dritte" thematisiert wird. Hier wird das Verhältnis von Bewegung - κίνησις heißt bei Piaton immer auch Veränderung, άλλοίωσις 84 - und Zeit, wie Piaton es in sich verbunden gedacht hat, dargestellt. Parmenides entfaltet das Problem aus dem Widerspruchsprinzip, indem er zunächst das „Teilnehmen" (μεταλαμβάνειν) und „Ablassen" (άπαλλάττεσθαι) am bzw. vom Sein einführt (156a 1-2). „Teilnehmen" wird mit „Werden" (γίγνεσθαι), „Ablassen" mit „Vergehen" (άπόλλυσθαι) gleichgesetzt (a 5-7). Daraus folgt, daß in diesen beschriebenen, zeitlich prozessualen Beziehungen zum Sein das Eine u n d das Viele

3 I f f . fällt auf, daß Aristoteles das Problem der Bewegung in bezug auf sich selbst mit dem Beispiel des Matrosen auf einem segelnden Schiff nicht eigentlich thematisiert. Bei Piaton geht es mit der Selbstbewegung der Seele nur sekundär um die Bewegung eines Körpers (s. bes. Lg. 894 b ff.), bei Aristoteles dagegen primär. In dem Beispiel bei Aristoteles wird die eigentümliche Bewegung des Menschen mittels seiner Füße von der Bewegung des Menschen mittels eines Schiffes unterschieden. Während die erste Bewegung nach Aristoteles dem Menschen qua Mensch-Sein zukommt, ist die zweite Bewegung für den Menschen zufällig. Natürlich will nur das Beispiel der Bewegung des Menschen καθ' αύτό das Problem der Selbstbewegung in bezug auf Piaton erörtern, aber Aristoteles verfehlt, wie gesagt, den Punkt des platonischen Gedankens bzw. will ihn nicht mitvollziehen. 83

Diese Zweideutigkeit war bereits im Phaidon durch die Fragestellung nach der Unsterblichkeit der Seele, nämlich nach δύναμις und φρόνησις der Seele, „wenn der Mensch gestorben ist", d.h. wenn die Seele „selbst für sich" ist ( 7 0 b 3 - 4 , s.o. Kap.III), formuliert. 84 S. Tht. 181 d; Prm. 138 b-c. Unrichtig dagegen bei G.R. Morrow, „Qualitative Change in Aristotle's Physicsin: I. Düring (Hg.), Naturphilosophie bei Aristoteles und Theophrast, Heidelberg 1969, S. 154. Morrow, der auch obengenannte Stellen zitiert, verkennt, daß das Problem bei Piaton nicht eigentlich zwischen φορά und άλλοίωσις, sondern zwischen κίνησις und γένεσις besteht. Alle Formen der Bewegung oder des Werdens sind bei Piaton aber letztlich auf das fundamentale Moment des „Umschlags", μεταβολή, bezogen, dazu s.u. '

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gedacht sind (155b). Wenn also eines wird, v e r g e h t das Viele und wenn vieles wird, v e r g e h t das Eine. Genauer noch wird Werden und Vergehen von einem und vielem als „Sonderung" (διάκρισις) und „Mischung" (σύγκρισις) bezeichnet, also als ein Problem der Dialektik, das voll und ganz von ihrer Methode bestimmt ist.85 Die Argumentation ist an dieser Stelle zum Ausgangsproblem des gesamten Dialogs, wie es die These Zenons stellt, zurückgekehrt, aber die ,neue' Formulierung deutet bereits auf die darin enthaltene Lösung des Problems hin. Vieles und Eines, Ähnliches und Unähnliches werden nicht - im Sinne des εστίν der Identität 86 - gleichgesetzt (s. 127e), sondern die Beziehung des Einen zum Vielen und des Vielen zum Einen, läßt es, in der Zeit, ähnlich und unähnlich „ w e r d e n " (γίγνηται, 156b6). Insofern das Eine und Viele ähnlich und unähnlich wird, „gleicht es sich" (όμοιοϋσθαι) und „gleicht sich nicht" (άνομοιοΰσθαι, b6). Es „wächst" also (αύξάνεσθαι - wird größer, μείζον), „nimmt ab" (φθίνειν - wird kleiner, ελαττον) und bleibt gleich (Ισοΰσθαι - „ist" gleich, ïcov,b 7-c 1). Das Werden des Einen in der Zeit - nichts anderes ist das Sein von Vielem und Einem - wird nunmehr zurückgeführt auf den „Ubergang" (μεταβολή) zwischen Bewegung und Ruhe bzw. Ruhe und Bewegung. Bewegung in der Zeit aber wird in zweifacher Weise aufgefaßt: als Ortsbewegung (φορά) oder Qualitätsänderung (άλλοίωσις, vgl. 1 3 8 b 9 - c l ) . Um das Problem der Bewegung hier besser zu verstehen, soll die Interpretation eines Abschnitts aus dem Spätwerk eingeschoben werden, in dem Piaton sich ausführlicher zum Problem der Bewegung äußert. 87

2. Der Katalog der Bewegungen im zehnten Buch der Nomoi Der als Dialog des athenischen Fremden mit sich selbst88 Abschnitt über die zehn Arten von Bewegung (893 b ff.) (κατά) dem Logos „Bewegung" - steht im Zusammenhang rungen zu einem Gesetz gegen Atheismus im zehnten Buch

dargestellte - „gemäß" der Erörteder Nomoi.

85

S.u. Kap. V , A , zur A u s l e g u n g des Sophistes. In der mangelnden Differenzierung dessen, w a s εστίν heißen kann, liegt w o h l der Fehler der eleatischen Argumentation. Vgl. hierzu über den indirekten N a c h w e i s eines εστίν der Identität bei Platon: F.A. Lewis, „Did Plato Discover the Estin of Identity?", in: Calif. St. in Classical Antiquity 8 (1976) 1 1 3 - 1 4 3 . 87 Auf einen Z u s a m m e n h a n g zwischen der Parmenides-Passage und dem B e w e g u n g s katalog in N o m o i X hat bereits F.M. Cornford, a.a.O., S. 197 ff., hingewiesen. Aber dieser Hinweis ist bisher in den einschlägigen Kommentaren z u m Parmenides nicht g e n ü g e n d berücksichtigt worden. 88 Zur Form des Selbstgesprächs zwingt den athenischen Gastfreund die Problematik der Untersuchung über das Prinzipsein der Seele: s. 8 9 2 d - 8 9 3 a , und 966 c ff. 86

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Dieses Buch führt wesentlich zum Problem von Gesetzgebung überhaupt als dem Versuch, menschliche Gemeinschaft zu ordnen. 89 Die emphatische Rede von der Seele hat religiöse Bedeutung. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum in der Wissenschaft, aber auch in der Philosophie die Rede von der Seele verstummt ist. Die religiöse Bedeutung ist auch bei Piaton lebendig. Gerade die Nomoi bezeugen das sehr deutlich (vgl. 726 a ff., 891b ff. u.ö.). Diese Rede von der Seele macht die platonische Philosophie für viele Interpreten der Gegenwart so fremd. Der Wortgebrauch von „Seele" spricht diesbezüglich mehr das .Gefühl' an und entspricht nicht logisch-referentiellem Sinn. Von Seele zu reden bedeutet zugleich, an Göttliches zu denken. Solcher Gebrauch zielt - modern gesprochen - ins Moralische. Piaton spricht aber von der Seele auch dort, wo er von der Natur und ihren Prinzipien handelt. Die Seele wird als Ursache von Bewegung und Veränderung eingesetzt. Aber diese Rede von der Seele als - physischem - Bewegungsprinzip macht die platonische Auffassung vielen - anderen - Interpreten der Gegenwart noch weit fremder. Dieses Fremdsein setzt im Grunde schon bei Aristoteles ein, darauf wird hier einzugehen sein. Die hier vorgelegte Interpretation der Psyche bei Piaton bewegt sich so gesehen zwischen der Skylla einer theologischen und der Charybdis einer physikalisch-analytischen Auslegung Piatons und sucht eine mittlere, erfolgversprechende Passage zu zeigen. Das Selbstgespräch des Fremden wird mit der Bemerkung eingeleitet, daß - im phänomenalen Bereich - einiges „sich bewegt" (κινείται), anderes aber „in Ruhe verharrt" (μένει, 893 c 1-2). Damit ist erneut der Problemhorizont z w i s c h e n Ruhe und Bewegung, eleatischer und heraklitischer Philosophie aufgerissen. 90 Doch dieser Horizont wird sogleich in bestimmter Weise eingeschränkt: Bewegung und Ruhe „in einem gewissen Raum" (έν χώρςι τινί, 893 c 2) legen fest, daß es sich um

" Auf die fundamentale Bedeutung der Selbstbewegung der Seele wird noch einmal im zwölften Buch (966 c ff.) hingewiesen. K. Gaiser, der das Bewegungsproblem ausführlich in „Piatons ungeschriebene Lehre" interpretiert und dabei auch die Bedeutung des Sachverhalts der Psyche für die platonische Philosophie hervorhebt, vertritt allerdings - im Unterschied zur vorliegenden Untersuchung - die systematische Auffassung, daß Lg. X, 893 bff. nur „vom esoterischen Hintergrund her voll verständlich werde" (S. 174). Er verweist dabei besonders auf 968 d-e, wo nicht anders als im Siebten Brief (341 b - e u. 344 b) oder im Phdr. (274 b ff.) das Ungenügen der Schrift als Mittel zur Einsicht hervorgehoben wird. Diese platonische Schriftkritik läßt sich ohne Verweis auf Zeugnisse der innerakademischen Lehre auch aus der in den Dialogen entfalteten Problematik der Seele verstehen. 90 K. Gaiser (a.a.O., S. 174, mit Verweis auf G.Müller, Studien zu den platonischen Nomoi, 1951, S. 89) ist zwar darin Recht zu geben, daß diese Einleitung unmittelbar nichts zur Argumentation beiträgt, aber es ist für den hier vorgelegten Zusammenhang mit der /V-m.-Stelle von Bedeutung, wie .schnell' das Problem Bewegung-Ruhe hier durchlaufen wird, also bereits als entschieden vorausgesetzt ist.

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bewegte und ruhende Körper handeln muß. Bei dem „Einen" im Parmenides dagegen ist nicht - auch nicht in der oben zitierten Stelle, 155 e ff. - bestimmbar, daß es sich um einen Körper handeln muß, der „umschlägt". 91 In der Bewegungsabhandlung in Nomoi X fehlt unter den acht Bewegungsarten, die sich auf „einen gewissen Raum" beziehen, die „qualitative" Veränderung, άλλοίωσις. 92 Und zwar fehlt sie deswegen, weil sich die Argumentation an die ,Körperfreunde', Atheisten, Physis-Theoretiker und ,Fluß-Lehrer' richtet. Dieser Aspekt des Zusammenhangs, in dem die Bewegungsabhandlung steht, wird von kaum einem der Interpreten beachtet. Und wenn, wie bei H. Görgemanns die „Überredung" (πειθώ) in den Nomoi als konstitutives Moment der Argumentationsweise berücksichtigt wird 93 , so verläßt sich der Autor hauptsächlich auf die unzulänglichen Aussagen anderer über die Bewegungsarten und hilft selbst diesbezüglich nicht weiter. 94 Dabei wird in 895 a-b ausdrücklich das Entstehen-Können der Selbstbewegung der Seele in einem gleichmäßig-unterschiedslos Werdenden (τα πάντα όμοϋ γενόμενα) zu denken gefordert. Die gemeinsame Voraussetzung von Bewegung u n d Ruhe bzw. bewegten und verharrenden Dingen in einem Raum enthält die unausgesprochene Voraussetzung eines Vorgesprächs, das auf andere Dialoge Piatons verweist, wie etwa auf den Sophistes (246 d-e). Setzt man allerdings den Begriff der „Qualität" (ποιότης) bzw. den entsprechenden Begriff der „Veränderung" (άλλοίωσις) voraus und nimmt ihn in die Reihung der Bewegungen auf, dann wäre damit bereits die Seele in ihrer wesentlichen Funktion für die Wahrnehmung, die nicht auf das aktuelle Wahrnehmen reduziert werden kann - so die Unterscheidung im Theaitetos zwischen φ und δι' οδ - , mit v o r a u s g e s e t z t . Piaton unternimmt es in den Nomoi, den .Begriff' der Seele aus einem Zusammenhang herzuleiten, der weder vom Denken, noch von

" R.-P. Hägler, a.a.O., nimmt dagegen für die Interpretation der Stelle einen „Körper oder Massepunkt" an. Eine Zusatzannahme, die am Text, genausowenig wie die Auffassung von Bewegung und Ruhe als konträrer Gegensätze, d.h. von Ruhe als extremem „Bewegungszustand", nicht nachgewiesen werden kann (vgl. S. 182). 92 G.R. Morrow, a.a.O., S. 154-167, geht davon aus, daß Piaton in seiner Spätphilosophie einen „vielversprechenden Pfad" - in Richtung auf die moderne, quantifizierende Naturwissenschaft gegangen sei, indem er, entgegen früherer Auffassung (ζ. B. im Theaitetos), die άλλοίωσις nicht mehr als fundamental betrachtet habe. Aristoteles habe sich gegen diesen Neuansatz durch Kritik und die v.a. in den Physik-Vorlesungen (V, 226 a 26 ff.) vorgetragene Theorie der Qualität zurückorientiert. Auch K. Gaiser ist der Auffassung, daß in der jVomoi-Passage die Qualitätsänderung deshalb nicht vorkommt, weil sie von Piaton zur „Funktion der Größe und der Form ihrer elementaren Bestandteile" reduziert worden sei (a.a.O., S. 185). Dagegen s.u. 93 Vgl. H . Görgemanns, Beiträge zur Interpretation von Piatons Nomoi, München 1960, s. bes. S.72ff. und S. 193 ff. 94 Ebd., S. 196ff.

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irgendeinem Begriff des „Vermögens" (δύναμις) abgeleitet ist. Δύναμις war im Sophistes, in der Auseinandersetzung mit den Körperfreunden, E r g e b n i s dieser Diskussion (247d-e). Dabei mußte vorausgesetzt werden, daß die Körperfreunde ,besser gemacht', d.h. überhaupt erst diskussionsfähig geworden wären. Der Sinn des Selbstgesprächs in Nomoi X ist aber gerade, im Zusammenhang der fundamentalen Bedeutung, die den Gesetzeseinleitungen beigemessen wird 95 , ein .Bessermachen' derjenigen, die den Sinn des Gesetzes aus bestimmten Gründen bezweifeln, m.a.W. diese Zweifel auszuräumen. In den Nomoi wird also, was an der Sop/hito-Stelle vorausgesetzt wurde, eingeholt, und darüber hinaus das Sein der Seele als solches bewiesen. Allein aus der Tatsache, daß die Bewegung im Raum nicht selbstbezüglich sein könne und daher von „irgendwoher" beginnend gedacht werden müsse, wird in den Nomoi der Begriff der Seele eingeführt. Anders gesagt ist der Beweis für das Sein von Göttern in der Form einer Widerlegung atheistisch-materialistischer Theorien vorgetragen - ,Esoteriker' oder „Ideenfreunde" sind in diesem Zusammenhang keine Gegner, denn sie würden von vornherein Göttliches annehmen. Die von manchen Interpreten konstatierte Absenz der Ideen im zehnten Buch und die daraus gefolgerte Revidierung bestimmter platonischer Grundansichten muß bei Beachtung des Zusammenhangs der Erörterung anders verstanden werden. Der entscheidende Punkt, den die Gigantomachie des Sophistes hervorhebt, ist der Versuch, die beiden unversöhnlichen Positionen von Materialisten und Ideenfreunden zu v e r m i t t e l n . Oder, wie dasselbe methodische Problem im Philebos, bezüglich des Verhältnisses von Lust und Unlust, formuliert wird: es gilt, so Sokrates, dem Satz der „Weisen", daß „alles immer nur nach oben oder unten fließt" 96 zu „entfliehen" und neben großen Veränderungen, die ins jeweils Gegenteilige ausschlagen, kleine und eher unscheinbare Veränderungen, die sich in der Mitte befinden, anzuerkennen (vgl. 43 a ff.). Gerade deshalb kann hier von einer G r u n d l a g e des gesamten Gesetzeswerkes der Nomoi gesprochen werden, weil das Asebie-Gesetz nur sekundär durch Strafandrohung durchgesetzt werden soll, im wesentlichen aber durch Überredung derer, die das Nichtsein des Göttlichen behaupten. Die Gemeinschaft wird nicht durch .Ausgrenzung', sondern durch .Integration' begründet. Die Argumentation von 893 c 1-894 d, die eine Ableitung von zehn Arten der Bewegung gibt, wird hier im einzelnen dargelegt. 97 Die Bewe,s

Vgl. Buch IV, 722 c ff.; hierzu a. H. Görgemanns, a.a.O., S. 30 ff. " άεί γαρ δπαντα άνω τε καί κάτω ρεϊ, 43 a 3. Die kryptische Andeutung hier erinnert an Heraklit, Fragm. DK Β 60: όδός άνω κάτω μία καί ώυτή. 97 Die Forschung ist über die Zählung uneinig. Vgl. die Diskussion bei H. Görgemanns, a.a.O., S. 197 f., Chr. Lauermann, a.a.O., S. 87 f. Zur Zählung, die hier angenom-

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gungen „in einem gewissen Raum" bilden eine Reihe, die vom Einfachen bis zum Komplizierten aufsteigt, zunächst gemäß der Annahme, daß die bewegten Dinge sich entweder an einer (έν μία εδρα) oder an mehreren Auflagestellen bzw. Orten (έν πλείοσιν, 893 c 4) bewegen. Die erste Bewegung ist diejenige einer Kreisscheibe, die in einem Ort bzw. Punkt festsitzt (893 c5-7): die K r e i s b e w e g u n g . 9 8 Die zweite Bewegungsart ist die F o r t b e w e g u n g an einen anderen Ort. Sie ist sekundär unterteilt in: a) Gleitbewegung, mit einer Auflagestelle (fortrückend auf einer Unterlage); b) Rollbewegung mit vielen Auflagepunkten (893 d 6-e 1). Die dritte und vierte Bewegungsart betrifft mehrere Körper im Verhältnis zueinander. Diese Bewegungsarten sind komplementär, als S p a l t u n g (διάσχισις) und V e r b i n d u n g (σύγκρισις,ε2-5). Aus der Verbindung wird fünftens das W a c h s e n (αυξησις), aus der Teilung (διάκρισις = διάσχισις) - bei derselben Verfassung (εξις) - , sechstens, die A b n a h m e (φθίσις) abgeleitet (e6-7). Die nächste Form der Bewegung wird zusammen mit der Wahrnehmung und, im Unterschied zur bisherigen Aufzählung, mit einer Verzögerung eingeleitet: „Es wird doch das Werden eines jeglichen Dinges, sobald welches Ereignis eintritt?" 99 Es ist die Frage nach einem „Anfang" (άρχή), aus dem als siebte Bewegungsart, das W e r d e n ansetzen kann. Aber die Frage nach dem, was der Anfang selbst sei, wird hier noch nicht gestellt, er muß nur gesetzt werden, um das Werden aus ihm über die „Zunahme" (αυξη) zu drei Dimensionen - also der körperlichen Ausdehnung 100 - für ein der Wahrnehmung Fähiges wahrnehmbar zu machen. Tatsächlich darf die

men wird, s. u. a. J.B. Skemp, a.a.O., S. 99, M. Gueroult, „Le Xe livre des Lois et la dernière forme de la physique Platonicienne", REG 37 (1924), S. 33-35, und die Anmerkung zu 894 c 8, von K. Schöpsdau in der Platon-Ausgabe hg. von G. Eigler, S. 291 und 560. Stark abweichend z.B. die Zählung von K. Gaiser, a.a.O., S. 176 (zur Kritik daran vgl. Lauermann, a.a.O., S.87, Anm. 176). 98 Den Umschwung kleinerer und größerer Kreise auf einer Kreisscheibe in unterschiedlichen Geschwindigkeiten in „gleichmäßiger" Verteilung, c 7 - d 5 , vgl. mit der metaphorischen Ausführung von der Beschaffenheit der „Spindel der Notwendigkeit" (ανάγκης ατρακτον) im Er-Mythos der Politela, 616cff., und der Beschreibung der Kreisbahnen der Planeten im Timaios 39 a. " Γίγνεται δή πάντων γένεσις, ήνίκ' αν τί πάθος fj; 894 a 1-2. 100 Aristoteles scheint auf diesen Gedanken mit seiner Kritik in Met. 992 a 19 ff. einzugehen, wenn er sagt, daß Piaton den „Punkt" (στιγμή) nicht als Begrenzung der Linie und geometrischen Begriff - der der ersten Dimension entspricht - verstehen wollte, sondern als „Anfang", besser: „Ursprung" der Linie (άρχή γραμμής). Vgl. hierzu auch die Ausführungen von K. Gaiser (a.a.O., S. 175ff.), der daraus allerdings eine „Stufen"-Ontologie ableitet. Auch J.B. Skemp, The Theory of Motion in Plato's Later Dialogues, 2. erw. Aufl. Amsterdam 1967, S. 105 - zitiert die Aristoteles-Stelle und lehnt einen Zusammenhang zwischen άρχή γραμμής und άρχή κινήσεως (vgl. Phaidros) ab, ohne Begründung. Nur aus der Anlage seiner Arbeit, dem grundsätzlichen Vergleich zwischen Nomoi X und Timaios, geht hervor, daß er den Demiurgen des Timaios als „ultimate άρχή κινήσεως" (S. 108 ff.), daher auch an der M>mo¿-Stelle, sieht.

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άρχή hier nicht als erste Dimension in einem gegebenen Raum aufgefaßt werden. Diese Art des „Anfangs" setzte einen weiteren Anfang voraus. 101 Das Werden aus einem Anfang wird aber näher bestimmt als „Umschlag" (μεταβολή) und „Veränderung" (μετακίνησις, 894 a 5-6): Μεταβάλλον μεν ούν οΰτω και μετακινούμενον γίγνεται πάν. Solange ein Ding, das so geworden ist, bestehen bleibt (μένη), so setzt der Fremde aus Athen seine Ausführungen fort, „ist es wirklich seiend" (εστίν δέ όντως δν, 894 a 6), „wenn es aber in eine andere Verfassung übergeht, ist es vollständig vernichtet" (μεταβαλόν δέ εις άλλην εξιν διέφθαρται παντελώς, a 7-8). Die komplementäre Bewegung zum Werden ist als achte Art das V e r g e h e n (διαφθορά). Bisher sind acht Formen von Bewegung dargelegt, das ist durch den Text, der die Zahl der Bewegungen, die er nach Addition der zwei noch übrig gebliebenen (894b Iff.) mit „zehn" (894c 10) festlegt, bestimmt. Es ist deutlich, daß die άρχή des Werdens selbst nicht mehr unter die Prämisse, die den Ausführungen zu den Bewegungsformen vorangestellt ist, nämlich „in einem gewissen Raum" (έν χώρςι τινί, 893 c 2) zu sein, d. h. sich auf bewegte und ruhende Körper zu beziehen, fällt, sondern aus ihr .herausfällt', wie auch das Aristoteles-Zitat nahelegt. 102 Ein deutlicher Hinweis ist durch die Formulierung gegeben, daß alles durch „Umschlag" (μεταβολή) und „Veränderung" (μετακίνησις, vgl. 894 a 5-6) wird. Das Wort μετακινούμενον kommt nach dem Wortindex von L. Brandwood nur einmal, an eben dieser Stelle, vor. Es liegt vom Zusammenhang her nahe, μετακινούμενον anders als gewöhnlich, im Sinne von „verändern" zu verstehen, nämlich das Kompositum mehr auf den Sinn von κίνησις zu beziehen und daher das μετά als Kennzeichnung im Sinne eines ,über den Sinn von Bewegung hinaus' Gehenden zu verstehen. Mit F. Solmsen kann hier angenommen werden, daß mit dem Übergang zur γένεσις die schematische Ableitung der Bewegungsarten nicht nur logisch - äußerlich - durchbrochen ist, sondern daß damit ein Bruch im Kontinuum physisch-mechanischer Bewegung stattfindet und etwas gänzlich „Neues" in die - bloß körperliche - Welt kommt. 103 Hier wird darüber hinausgehend die Auffassung vertreten, daß nur vermittels dieses Neuen das Ganze von Bewegung und Körper als ,Welt' aufgefaßt werden kann. Die letzten beiden Bewegungen der Reihe bis 894 a also müssen bereits mit der Annahme der Seele zusam101

Vgl. Phdr. 245 c 10 ff. Zu Aristoteles s.o. Anm. 100. F. Solmsen, a.a.O., S.35 mit Anm.62, bleibt die Zählung der Bewegungsarten rätselhaft, aber auch er bemerkt ausdrücklich, daß mit γενεσις (894 a) in der Aufzählung ein Bruch eintritt. 105 F. Solmsen, a.a.O., S. 57: „The beginning as well as the „transitions" are processes of too fundamental a nature to be explained along aggregational lines. They break through the physical mechanism; here something new bursts into the world." - und S. 66: „... from a logical or metaphysical point of view genesis is, after all, prior to movement". 102

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menhängen. Das ist kein ,Trick' der platonischen Argumentation an dieser Stelle. Vielmehr ist damit die Notwendigkeit anerkannt, daß, wer grundsätzlich das Sein von lebendigen Körpern, ihr Werden und die Möglichkeit der Wahrnehmung bedenkt, .immer schon' Selbstbezüglichkeit annehmen muß, die aus reiner Fremdbezüglichkeit des Körperlichen prinzipiell nicht abzuleiten ist. Folgerichtig und nachzuvollziehen ist nunmehr, daß der Fremde zur Auffüllung der Zehnzahl zwei weitere Bewegungsformen einführt: als neunte die Bewegung, die nur anderes bewegen kann, sich selbst aber nicht; und zehntens die Bewegung, die sowohl sich als auch anderes zu bewegen vermag. 104 Die beiden zuletzt genannten Bewegungsformen sind prinzipieller als alle anderen, daher muß die Reihenfolge geändert werden, die zehnte Bewegung wird als erste, ihrem „Werden" und ihrer „Kraft" nach, und die neunte als zweite gesetzt. Der Fremde erklärt die veränderte Reihenfolge daraus, daß die Bewegung, die a n d e r e s bewegt, in einen regressus ad infinitum bzgl. der Frage nach einem „ersten Umschlag" (πρώτον μεταβάλλον) führen muß. Nur „das, was sich selbst bewegt" (αύτό αύτό κίνησαν) „wird ein anderes v e r ä n d e r n " (ετερον άλλοιώσχι). Zusammen mit dem Logos der Seele: Selbstbewegung, wird also der Begriff der Qualitätsveränderung, άλλοίωσις, durchaus gebraucht. D.h. die fremdbezügliche Bewegung selbst erzeugt nicht und erklärt nach Piaton keine Qualitätsveränderung, sondern nur die Selbstbewegung. Im folgenden werden Selbstbewegung und Leben, Leben und Seele miteinander gleichgesetzt bzw. als ούσία (Leben), λόγος (Selbstbewegung) und ονομα (Seele) desselben unterschieden (895c-896 a). Aus der prinzipiierenden Eigenschaft der Seele folgt ihr Vorrang gegenüber dem Körper und daher auch der Vorrang von all dem, was zur Seele gehört. Die „Seele ist Ursache ... aller Gegensätze" (αίτίαν είναι ψυχην ... πάντων των έναντίων, 896 d 6-8). Aus diesem Prinzipsein schließlich wird die alles durchordnende und allem einwohnende Kraft der Seele abgeleitet und die Einsicht in die Göttlichkeit des Alls, das Beweisziel der Vorrede für die gesamten Gesetze im zehnten Buch, erreicht.

104 Vgl. Lg. 8 9 4 b 8 - 9 und b 9 - 1 0 , c 4 - 8 . Bereits im Theaitetos war eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den zwei Bewegungsarten, της δε κινήσεως δύο είδη ( 156 a 5-6), nämlich „Tun", ποεΐν, und „Leiden", πάσχειν (a 7), gemacht worden. Allerdings wird diese Bestimmung im Verlauf der Kritik der „Flußtheorie" als bloße Gegenseitigkeit abgelehnt und mittels einer anderen Unterscheidung „verbessert", nämlich κίνησις als φορά und άλλοίωσις zu verstehen (181 b-d). Die Selbstbewegung der Seele wird in Lg. 894c als eine „sich allem Tun und allem Leiden einfügende" (έναρμόττουσαν πάσιν μεν ποιήμασι, πασιν δε παθήμασι) Bewegung bezeichnet, d. h. die Seele durchdringt und umfaßt Tun und Leiden (vgl. Τι. 3 7 d 8 - e 5 ) .

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3. Der Umschlag im Parmenides Die Interpretation zum Bewegungsabschnitt in Nomoi X wurde in den Zusammenhang der Auslegung von Parmenides 155 e ff. eingeschoben, um zu zeigen, daß der Begriff des „Umschlags", μεταβολή, bei Piaton ganz grundsätzlich mit der Psyche verknüpft ist. Der Übergang zwischen Gegensätzen wie Bewegung und Ruhe ist nach Piaton nicht denkbar ohne die Seele. Konkreter Anknüpfungspunkt ist allerdings die Ableitung von Bewegungsformen sowohl an der Stelle im Parmenides, als auch in den Nomoi. Dabei ist F. Solmsen in der Unterscheidung des - zunächst - gegebenen ,Oberbegriffs' beider Stellen recht zu geben. In den Nomoi geht es um „Formen der Bewegung", während der Parmenides „Variationen des Werdens" vorstellt. Die Differenz zwischen den beiden Stellen läßt sich noch dahingehend verstärken, daß im Gegensatz zur Parmenides-Stelle in Nomoi X nirgendwo von Teilhabe die Rede ist. Aber wenn die Stelle hier richtig interpretiert ist, ist dieser ,Mangel' allein der notwendig gegebenen Form der Auseinandersetzung, nämlich der Widerlegung der Atheisten, zuzuschreiben. Denn nicht .Werden' bzw. .Entstehen' ist das zentrale Problem und das Gemeinsame beider Stellen, sondern der Umschlag. 105 Hier ist m.a.W. eine T h e o r i e der K a u s a l i t ä t vorgestellt, die die physische Bewegung erklärt und mit der teleologischen Ursache verknüpft. Im Parmenides ist der Umschlag weder als Selbstbewegung dargestellt, noch als άρχή charakterisiert, sondern mittels der ,Indices' εξαίφνης, μεταξύ und άτοπος gekennzeichnet. Der Umschlag von Ruhe in Bewegung und von Bewegung in Ruhe „muß", so Parmenides, „... selbst nicht in einer Zeit sein".106 Das „vorher" (πρότερον) Bewegte kann „nachher" (ύστερον) als Ruhendes nicht ohne Umschlag gedacht werden. Mit Bezug auf das zuvor eingeführte Widerspruchsprinzip ist es unmöglich anzunehmen, daß etwas zur selben Zeit ruhend u n d bewegt sein könne. Und, so wird eine weitere Prämisse formuliert, „es 105 F. Solmsen, a.a.O., S.59, Anm. 149: „forms of movement" in Lg. X, „varieties of becoming" im Prm. - und explizit gegen die hier vorgetragene These, S. 59: „the decisive moment when something passes from not-being to becoming is outside the sphere of movement as well as of rest." - und Anm. 151: „... Plato here ( 1 5 6 c 4 f f . ) repeatedly uses the term metabole yet not in its Aristotelian meaning as comprehending all types of change, movements as well as becoming." Der unterschiedliche Gesichtspunkt von Solmsen ergibt sich aus der Entscheidung, Aristoteles grundsätzlich in seiner Kritik am Konzept der Selbstbewegung bei Piaton zu folgen, woraus eine gewisse Blindheit für den inneren Zusammenhang der Argumentation bei Piaton resultiert (vgl. S.29, 176, 186, u.ö.). Eine Bestätigung für die hier vorgetragene Interpretation gibt die Verwendung des Begriffs μεταβολή bzgl. Bewegung/Ruhe, Sein/Nicht-Sein/Werden und anderen Gegensätzen in Prm. 156cund e-157a. 106 δει...αυτό γε μηδ' έν ένί χρόνφ είναι, Prm. 156c3.

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kann nicht umschlagen ... ohne umzuschlagen".107 Dieser Hinweis auf die dem Umschlag innewohnende aktive Bedeutung wird, obwohl tautologisch formuliert, von dem jungen Mitunterredner des Parmenides, Aristoteles, nur mit einem vorsichtigen „nicht wahrscheinlich" (Ούκ εικός. c9) quittiert. Die nächsten fortführenden Fragen stellen mit Absicht das Widersinnige der Situation, in die das Argument gekommen ist, dar, sie müssen ausführlich wiedergegeben werden: Die Frage „Wann" (Πότ', c9) es übergeht, wird kombiniert mit den zuvor in den Voraussetzungen abgewiesenen Möglichkeiten, daß es weder in der Ruhe, noch in der Bewegung und auch nicht in einer Zeit (ουτε έν χρόνφ, d 1) sein könne. Die Frage, ob dieser Punkt „das Paradoxe" (τό άτοπον) sei, wird - und das ist keine Lässigkeit an dieser Stelle - zusammen mit der räumlichen Bestimmung „in dem es dann ist" (έν ω τότ' αν εϊη, A l ) so formuliert, daß hier das άτοπον durchaus als die V e r n e i n u n g einer Ortsbestimmung übersetzt werden muß. Also: „Ist wohl das Ortlose dieses, in dem es dann ist, wenn es umschlägt?"108 Auf die Frage des Aristoteles „welches denn?", benennt Parmenides den Umschlag als „das Plötzliche" (τό έξαίφνης, d3). „Das Plötzliche nämlich", fährt Parmenides fort, „scheint so etwas anzudeuten, daß von jenem aus es umschlägt in eines von beiden. Denn aus der Ruhe schlägt nichts um, während es noch ruht, noch schlägt etwas aus der Bewegung um, während es sich noch bewegt;" - Dieser Zusatz muß deutlicher, als es zuvor schon gesagt wurde, betonen, daß Ruhe hier keinesfalls als extremer Bewegungszustand, Ruhe und Bewegung also nicht als k o n t r ä r e Gegensätze aufgefaßt werden dürfen.109 Das heißt aber auch, daß sowohl Ruhe als auch Bewegung kontinuierlich gedacht sind, der Umschlag vom einen zum anderen aber diskontinuierlich. - „sondern diese plötzliche, ortlose Natur liegt zwischen Bewegung und Ruhe, in keiner Zeit seiend, und in dieses also und aus diesem schlägt das Bewegte um in das Ruhen und die Ruhe in das Sich-Be11Un wegen. «11 107

. . . ούδέ . . . μεταβάλλει άνευ του μεταβάλλειν, c 8 - 9 . Αρ' ο ύ ν εστι τό ά τ ο π ο ν τοϋτο, έν φ τότ' α ν εϊη, οτε μετάβαλλει; d 1 - 2 . Zur Übersetzung „ortlos" für άτοπος, vgl. W. Beierwaltes, „Εξαίφνης oder: D i e Paradoxie des A u g e n blicks", in: Phjb 74 (1967) S . 2 7 3 - und R. Marten, „«Esoterik und Exoterik» oder « D i e philosophische Bestimmung wahrheitsfähiger Öffentlichkeit», demonstriert an Piaton und Aristoteles", in: H . H o l z h e y , W.Chr. Zimmerli (Hg.), Esoterik und Exoterik der Philosophie, Basel, Stuttgart 1977, S. 18 - bei beiden Autoren allerdings ohne ein W o r t der Erklärung. Bei W. Beierwaltes neben der üblichen Wortbedeutung „seltsam" verwendet. 108

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Diese - falsche - A u f f a s s u n g vertritt z . B . R.P. Hägler im Parmenides-Kommentar, S. 182: „Wenn etwas zu einer Zeit in Ruhe ist und sich zu einer anderen bewegt, s o muß es fraglos einen Ubergang v o n dem einen Bewegungszustand zum anderen geben; ..." 110 To γ α ρ έξαίφνης τοιούτον τι εοικε σημαίνειν, ώς έξ έκείνου μεταβάλλον εις έκάτερον. Ού γαρ έκ γε τοϋ έστάναι έστώτος ετι μεταβάλλει, οϋδ' έκ της κινήσεως κινούμενης ετι με-

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Mittels der Einführung des Begriffs des „Plötzlichen" soll, so Parmenides, das Eine ruhen u n d sich bewegen können; aber ebenso sollen damit „die anderen Umschläge" (τάς αλλας μεταβολάς, e 8) zu erklären sein, und es ist von einiger Bedeutung, daß hier die ,ontologischen Bewegungen', die bereits am Anfang dieses Abschnitts eingeführt wurden (156 a) und, wie gesehen, auch in Nomoi X eine bedeutende Rolle spielen, wieder erwähnt werden. Aber man muß genau hinsehen: Zunächst bringt Parmenides zwei Arten des Umschlags vor, „aus dem Sein in das Vergehen" (έκ του είναι εις το άπόλλυσθαι, 157 a 1) - und „aus dem Nichtsein in das Werden" (έκ τοϋ μή είναι εις το γίγνεσθαι, a 1-2). Scheint hier nicht die zuvor so sehr betonte n i c h t - k o n t r ä r e Gegensätzlichkeit wieder aufgehoben? Kann nicht zwischen Sein und Vergehen einerseits, zwischen Nichtsein und Werden andererseits ein k o n t i n u i e r l i c h e r Ü b e r g a n g gedacht werden? Parmenides sagt hier auch, zuerst merkwürdig unbestimmt, vom εν, daß es „zwischen gewissen ... Bewegungen und Ruhe(-Zuständen) wird" 111 . Er folgert daraus, daß das Eins w e d e r ist n o c h nicht ist, w e d e r wird n o c h vergeht und so fort: bis zum Ende des Abschnitts wird dem „Zwischen" die gesamte Reihe von gegensätzlichen Bestimmungen, die in der zweiten Hypothesis dem Eins zukamen, abgesprochen (157 a-b). Der Abschnitt 155 eff. schreitet also von den Voraussetzungen der zweiten Hypothesis, dem Sowohl-als-Auch fort zum Weder-Noch (das die erste Hypothesis ergab), und thematisiert dabei den Umschlag vom einen zum anderen, wobei das „Zwischen", als das der Umschlag auch benannt ist, selbst als Eines und insofern als ein Weder-Noch bestimmt wird.

a) Das νϋν im Parmenides Der Ausdruck „plötzlich" ist, ähnlich der Negation des Räumlichen, „ortlos", als Negation einer Zeitaussage zu verstehen. Es ist angebracht, diese Annahme an Ähnlichem' zu überprüfen. Daher soll zuerst ein Blick zurück im Parmenides auf die Konzeption des νυν (152b ff.) geworfen und dieses mit dem Begriff des νϋν in der Physik des Aristoteles verglichen werden, um über diesen klärenden Umweg zum εξαίφνης zurückzukehren. In der zweiten Hypothesis (142 b-155 e) wird von der „Teilhabe" des Einen an der Zeit (μετέχει... χρόνου, 152a3) gehandelt. Entscheidend

ταβάλλει; άλλά ή ε ξ α ί φ ν η ς αϋτη φύσις ά τ ο π ο ς τις έγκάθηται μ ε τ α ξ ύ της κινήσεως τε και στάσεως, έν χρόνφ ούδενί ούσα, και εις ταύτην δή καί έκ ταύτης τό τε κινούμενον μεταβάλλει έπί τό έστάναι καί τό έστός έπί τό κινεισθαι. 156 d 3-e 3 (Hervorhebung P. M. S.). 111 μεταξύ τίνων . . . γίγνεται κινήσεων τε καί στάσεων, 157a2-3.

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in diesem Zusammenhang ist das „Fortschreiten" (πορεύεσθαι) der Zeit. In einer anschließenden Formulierung heißt es, daß etwas älter wird, indem es „gemäß der Zeit fortschreitet" (152 a 5). Die Zeit ist hier als „Schrittmacher" zu denken. 112 Etwas wird also älter, indem es von der Vergangenheit (ήν) zur Zukunft (εσται) fortschreitet. Im Fortschreiten aber kann es nicht vom einen zum andern „überspringen" (ύπερβήσεται), sondern muß durch und über das „Jetzt" (νυν) laufen (152 b). Weiter heißt es vom Einen: „Das Jetzt ist dem Einen immer gegenwärtig, während der gesamten (Zeit), die es ist; denn es ist immer jetzt, wenn es ist."113 Das Jetzt der gerade zitierten Stelle ist ein ,Ding-Prädikat'. Es bestimmt das Eine, „immer, wenn es ist". Es gehört dem Einen kontinuierlich und ohne Bewegung an. Dagegen ist die fortschreitende (πορευόμεvov) Zeit nicht durch das Jetzt bestimmt; das Jetzt hat sich auch zuvor schon als statisch (vgl. 152cl: έπίσχει) herausgestellt. Das Fortschreitende b e r ü h r t (έφάπτεσθαι, 152 c4) sowohl das Jetzt als auch das „Spätere" (επειτα) und w i r d z w i s c h e n beiden. Μεταξύ hat hier einen anderen Sinn als den sonst so häufig vorkommenden und auch an der späteren Stelle (157a-b) einschlägig verwendeten, es drückt hier nämlich nicht ein „Weder-Noch" aus, sondern ein „Sowohl-als-Auch". Darin liegt der Sinn des „Berührens" und damit ist der Sinn des Fortschreitens als eines s t e t i g e n dargetan. Das Fortschreitende zeigt sich in kontinuierlicher Bewegung - und „fortschreitend würde es niemals von dem Jetzt gefaßt werden" 114 . Dem Einen kommt hier gegensätzlich und zugleich das Fortschreiten gemäß der Zeit und das immer gleich seiende Jetzt zu.115 Offenbar erinnert Piaton in diesem Abschnitt der Argumentation mittels des νϋν an die zenonischen Paradoxa, und er zeigt, daß darin ein wesentlicher Aspekt des Seins des Einen in der Zeit liegt. Immer, „wenn es ist", wird das Eine j e t z t erfaßt - darin liegt die Möglichkeit dianoetischen Verfahrens. Aber daneben, wenn auch nicht vollständig unabhängig davon - denn das „Fortschreitende ... berührt" das Jetzt (vgl. 152 c4)-, muß mit der Zeit Bewegung gedacht werden, das hatte Zenon bestritten. 116 Wie kann beides zusammen gedacht werden?

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Vgl. C.Strang, „Plato and the Instant", in: The Aristotelian Soc., Suppl.Vol.48 (1974), S. 69. 113 Τό γε μην νϋν αεί πάρεστι τφ ένί δια παντός του είναι; εστί γαρ άεί νυν δτανπερ η. 152d9-e 1 114 προϊόν γαρ ούκ αν ποτε ληφθείη ύπό τοΟ νϋν, 152 c3. 115 Es muß hier nicht die Argumentation in alle Verästelungen hinein dargestellt werden, weil es in der Hauptsache auf diesen gegensätzlichen Zusammenhang von Ruhe und Bewegung in der Zeit bzgl. des Einen ankommt. An der Stelle wird dies noch erläutert mit der Gegenseitigkeit von „Älter-Jünger", d. h. „Verschieden-Werden" im Fortschreiten der Zeit (vgl. 152d-e und 141 b-c) und der Relation „dieselbe Zeit mit sich selbst" haben (152 e und 141 c-d). 116 Vgl. F. Solmsen, a.a.O., S.206f. und C. Strang, a.a.O.

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b) Zeit, Seele und Natur bei Aristoteles Wenn im folgenden der Begriff des „Jetzt" bei Aristoteles betrachtet wird, kommt es weniger darauf an, die aristotelische Zeittheorie mit derjenigen Piatons zu vergleichen117, sondern zunächst nur darauf, zu zeigen, wie bei Aristoteles Natur, Seele und Zeit zusammenhängen. Der Begriff des „Plötzlichen", wie Aristoteles ihn gebraucht, gehört eindeutig in einen psychologischen Zusammenhang. Aristoteles macht ihn nicht wie Piaton für seine Auseinandersetzung mit dem Problem der Zeit fruchtbar. Angesichts der lakonischen Knappheit, mit der Aristoteles diesen Begriff im vierten Buch der Physik abhandelt, ist es schwer zu sagen, ob darin Kritik an den platonischen Ausführungen liegt.118 Es ist festzuhalten, daß έξαίφνης hier erstens zeitlich aufgefaßt wird und zweitens als nicht wahrnehmbar (Ph. 222b 15ff.), d.h. damit wird nach Aristoteles ein Geschehen, und zwar genaugenommen das Vergehen von Etwas, bezeichnet, das dem der Wahrnehmung Fähigen (der Seele) entgeht. Zeit und Bewegung gehören bei Aristoteles notwendig zusammen (218b 11). Dort, wo dabei die Seele erwähnt wird (z.B. 219a5-6), wird sogleich das mögliche, damit verbundene Argument einer innerseelischen Zeit beiseite gestellt. Es geht in der Physik um äußere Bewegungen (Bewegung von Dingen, z.B. Himmelskörpern) im Zusammenhang mit Zeit und um die Möglichkeit von Zeitmessung. 119 Der Weg zur Definition von Zeit bei Aristoteles soll hier andeutungsweise nachgezeichnet werden: 120 Die Zeit ist nicht dasselbe wie Bewegung (218 b 9-20), sie ist aber auch nicht unabhängig von Bewegung (218b21-219a2): Zeit ist etwas an der Bewegung (219a2-10). Von der Bewegung muß das Früher und Später unterschieden werden (219a 10-21). Die Begründung, warum Zeit Zahl ist, wird nach der eigentlichen Definition der Zeit gegeben (219b 8ff.). Die Definition lautet: „Dieses nämlich ist die Zeit: die Zahl der Bewegung gemäß dem Früher und Später." 121 Bewegung ist nach Aristoteles unmittelbar „zusammenhängend". Das zeigt u.a. das Referat zur Stetigkeit in der Metaphysik (1069 a). Daran läßt sich für die vorliegende Untersuchung der 117 Solcher Vergleich ist bei F. Solmsen, a.a.O., S. 144 ff., 200 ff. und G. Böhme, Zeit und Zahl. Studien zur Zeittheorie bei Piaton, Aristoteles, Leibniz und Kant, Frankfurt/M. 1974, zu studieren. 118 Vgl. F. Solmsen, a.a.O., S.209. H. Wagner dagegen ist der Meinung, daß die aristotelischen Ausführungen in „wohlbewußtem Gegensatz" zur έξαίφνης-Passage im Parmenides stehen (in der Anmerkung zur Stelle 222 b 15 ff., in der dt. Ubers, der Werke des Aristoteles, hg. v. H. Flashar, Bd. 11, Berlin 1983, S.584f.). Vgl. W. Wieland, Die aristotelische Physik, 2. Aufl. Göttingen 1970, S.327f. 120 Vgl. P.F. Conen, Die Zeittheorie des Aristoteles, München 1964, S.31. 121 τοΟτο γάρ έστιν ό χρόνος, αριθμός κινήσεως κατά t ò πρότερον και ύστερον. 219b 1-2.

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von Platon abweichende Gebrauch der Worte μεταξύ und μεταβολή zeigen.122 Die Mitte der Veränderung ist das „Nächstfolgende" (έφεξής), d. h. Stetigkeit. Der „Zusammenhang" (συνεχές) besteht also darin, aus einander Entgegengesetztem durch Berührung eine (unmittelbare) Folge abzuleiten. „Weil aber jeder U m s c h l a g unter Entgegengesetzten ist, diese die Gegensätzlichen und der Widerspruch sind, der Widerspruch aber wiederum nichts in der Mitte hat, ist es offensichtlich, daß inmitten der Gegensätzlichen das Z w i s c h e n ist. Der Zusammenhang ist das Angrenzende und das Berührende;" 123 Die Definition des Stetigen hier erinnert an die oben dargelegte Beschreibung des f o r t s c h r e i t e n d e n Aspektes der Zeit im Parmenides (152c). Stetig ist die Bewegung, die notwendig zur Defintion der Zeit gehört, und als stetige ist sie unendlich teilbar. Demgegenüber steht das unteilbare „Jetzt" (vöv, Ph. VI, 3, 234 a 24 ff.). Innerhalb (έν τφ) des Jetzt hat weder Ruhe noch Bewegung statt. Ruhe - hier also im Gegensatz zu Prm. 156 c ff. ein extremer Bewegungszustand - und Bewegung sind „in einer Zeit" (έν χρόνφ, 234b8-9). 124 Das Jetzt soll sowohl als „Zusammenhang der Zeit" (συνέχεια χρόνου), als auch als „Grenze der Zeit" (πέρας χρόνου, 222 a 10-12) gedacht werden. Darin gleichen sich in gewissem Sinne der aristotelische Begriff des νυν und das platonische vöv und έξαίφνης: in ihnen geht nichts vorwärts. 125 Das Jetzt bei Aristoteles ist sowohl „Anfang der einen (zukünftigen), und Ende der anderen (vergangenen)" Zeit (τοϋ μέν αρχή, του δε τελευτή, 222a 12). Das Jetzt zeigt sich als in sich zweifach, d.h. es ist strukturell der aristotelischen Definition der Selbstbewegung (unbewegt-bewegt) ähnlich. Zeit besitzt nach Aristoteles sowohl unendlich Teilbares - die Bewegung - , als auch Teilendes - das Jetzt. Dieser zweifache Charakter bestimmt auch den aristotelischen Zahlbegriff, der als „Anzahl" und „Zählerzahr definiert ist (219b 3 ff.). Zur Teilung gehört darüber hinaus noch eine „teilende Instanz" 126 - und Zählen ist eine Tätigkeit der Seele. Die Zeittheorie des Aristoteles läuft auf eine Aporie hinaus, nämlich auf den problematischen und letztlich nicht geklärten Zusammenhang von Zeit und Seele. Deutlich ist, daß am Ende des vierten Buches 122

Zu μεταβολή vgl. F. Solmsen, a.a.O., S. 209 - μεταβολή bezeichnet bei Aristoteles jede Art von Bewegung, Veränderung oder Werden und Vergehen, aber gerade n i c h t den Umschlag zwischen Ruhe und Bewegung, vice versa. 125 έπεί δε πάσα μεταβολή έν τοις άντικειμένοις, ταδτα δε έναντία και άντίφασις, άντιφάσεως δ' ούδέν άνά μέσον, δηλον ώς έν τοις έναντίοις το μεταξύ, το δέ συνεχές όπερ έχόμενόν τι ή άπτόμενον. Met. XI, 12 1069 a 2-5. Vgl. Ph. V, 3 226 b 21-25. 124 Zum Verhältnis Ruhe-Bewegung: 226 b 10-16 und Met. 1068 b 20-25. 125 Vgl. hierzu F. Solmsen, a.a.O., S.206 und R.D. Allen, Plato's Parmenides, S. 262 ff. 126 W. Wieland, a.a.O., S.316.

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der Physik (223al6ff.) keine ,subjektivistische Zeitauffassung' behauptet ist. Zwar wird auch erwähnt, daß die Seele innere Bewegungen haben kann, die gezählt werden könnten, aber das ändert nichts am Argument. Worauf es ankommt ist das Zählen äußerer, dinglicher Bewegungen.127 „Zeit ist nicht durch die oder in der Seele, sondern lediglich nicht ohne die Tätigkeit der Seele".128 Entscheidend ist dabei, daß die Tätigkeit der Seele auf einen ihrer Teile, den νοϋς, beschränkt wird (223 a 26). Nach G. Picht - der in seinen Vorlesungen die aristotelische Schrift De Anima als „Einheit der aristotelischen Philosophie" interpretiert - liegt in dieser Aporie von Zeit und Seele das von Aristoteles selbst nicht ausdrücklich thematisierte, aber durchaus nachvollziehbare, allgemeine Merkmal der Überlegungen zur Natur und die immanente Möglichkeit zum Uberschritt in die Metaphysik bzw. die aristotelische Theologie. 129 Gerade im achten Buch der Physik ist Aristoteles besonders mit der Differenzierung des Begriffs der Bewegung in Bewegtes und Bewegungsursache befaßt (256 a ff.). W. Wieland dagegen hebt den formalen Charakter dieser Ausführungen hervor. Er ist der Ansicht, daß damit keine „kosmologischen Aussagen" impliziert seien; die „Prinzipien des Werdens" müßten vielmehr als „Unterscheidungsbegriffe" verstanden werden. 130 Wieland geht aber mit seiner Absicht, den sprachlich-logischen Aspekt der physikalischen Untersuchungen des Aristoteles hervorzuheben, darin zu weit, daß er die Aussagen des Aristoteles offenbar von allem Seinsgehalt ablösen will. Auch Aristoteles gelangt wie Piaton zu der fundamentalen Unterscheidung von Bewegtwerden und Bewegen bzw. Sich-selbst-Bewegen. 131 Im zweiten Buch seiner Physik legt Aristoteles seinen Begriff von ,Natur' fest, wonach „jedes Einzelne die Ursache von Bewegung und Ruhe in sich hat" (192b 13-14) - im Gegensatz zum Kunstprodukt. 132 Dagegen ist die Diskussion zur Selbstbewegung im achten Buch in Abgrenzung vom platonischen Konzept der Selbstbewegung verfaßt. 133 Bewegtes und Bewegungsursache werden - zunächst an „widernatürlichen" (παρά φόσιν) Bewegungen verdeutlicht - als Bewegtes und Bewegendes unterschieden (254 b 24 ff.). Ein Kontinuum (συνεχές),

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Vgl. W. Wieland, a.a.O., S. 322 und F. Volpi, „Chronos und Psyche. Die aristotelische Aporie von Physik IV, 14 223 a 16-29", in: E. Rudolph (Hg.), Zeit, Bewegung, Handlung. Studien zur Zeitabhandlung des Aristoteles, Frankfurt/M. 1988, S. 26-62. 128 W. Wieland, a.a.O., S.316. 129 G. Picht, Aristoteles* »De anima«, a.a.O., S. 150 ff., bes. 164 f. 130 W. Wieland, a.a.O., S.159. 131 Vgl. W. Wieland, a.a.O., S. 151. 132 Das gesamte Argument ist 192b8-193a9dargestellt, zur Definition vgl. 193a 28-30. 133 Vgl. W. Wieland, a.a.O., S.253, Anm. 18.

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wie die Bewegung, die zur Zeit gehört 134 , wird allerdings nicht als selbstbewegt, sondern ausschließlich als Bewegungsursache für andere bestimmt (255al2ff.); b e w e g e n d ist ein Kontinuum selbst auch als in Bewegung zu denken, jedoch nicht s e l b s t b e w e g t . Das Kontinuum ist, wie bereits im sechsten Buch ausgeführt war, ohne „ersten" Umschlag oder Veränderung zu denken (237 b 3-7). Eine weitere Betrachtung schließt sich an die Frage, ob eine Bewegungsursache vom bewegten Gegenstand verschieden (ετερον) oder ob sie dasselbe (to αύτόν) sei (256a4ff.). Hier wird die u n b e w e g t e Bewegungsursache ins Spiel gebracht (256 b 3 ff.) 135 - und später noch einmal dargelegt: In einem Ganzen (ολον), „ist eines ( = ein Teil), das bewegt und (selbst) unbewegt ist, ein anderes, das bewegt wird. Nur auf diese Weise ist es möglich, daß etwas selbstbewegt ist."136 Die gegenseitige Bezüglichkeit von Bewegung wird unter Verweis auf die Unmöglichkeit eines regressus ad infinitum abgebrochen (258 a5ff., vgl. Lg. X, 894b) und die „erste Bewegung" als selbst unbewegte eingeführt (258 b 4-5). Die logisch in den Zusammenhang nicht eingefügte Frage, ob jedes von den UnbewegtBewegenden „ewig" (άΐδιον) sei, wird als nicht zu der dort vorgenommenen Untersuchung gehörig erklärt (258 b 12—13).137 Letztlich wird ein erstes Bewegendes, das ewig ist und der gesamten Physis zugrundeliegt, angenommen (259a6-7). 138 In der Metaphysik ( 1060 a 27 ff.) schließlich wird die Frage gestellt, ob zwei verschiedene Prinzipien, einmal für das „Vergängliche" (φθαρτόν), zum anderen für das „Ewige" (άΐδιον) angenommen werden müßten, sofern nach „Wesen" (ούσία) und „Prinzip" (άρχή) der Natur gefragt würde. Nun scheint die Physik mit ihrem natürlichen' Bewegungsbegriff (192b, s.o.) und dem Begriff der kontinuierlichen Bewegung ein unvergängliches Prinzip des Vergänglichen formuliert zu haben, dem der Begriff der Selbstbewegung als im Kern Unbewegtes gegenüberzustehen scheint. Aber gerade in der Definition der .Selbstbe154

Vgl. 256 b 13: Bewegung ist in aller Zeit. Zur Schwierigkeit des Textes an dieser Stelle vgl. H. Wagner, a.a.O., S.678, Anm. zu S.234, 12 ff., mit Verweis auf W.D. Ross, Aristotle's Physics, Oxford 1936, S. 699. 136 t ò μεν κινήσει άκίνητον δν τό δέ κινηθήσεται: μόνως γαρ οδτως ο ΐ ό ν τέ τι αύτοκίνητον είναι. 258 a 1-2. Das Verbaladjektiv αύτοκίνητον kommt nach Bonitz' Index Aristotelicus nur an dieser Stelle vor. Die Assoziation mit dem Unsterblichkeitsbeweis Phdr. 245 c ff. liegt nahe. Wird die aristotelische Passage im Sinne einer Kritik am platonischen Konzept der Selbstbewegung aufgefaßt, so kann der Text hier mit seinem einmaligen Gebrauch von αύτοκίνητον die an der Phaidros-Stelle vorgenommene Konjektur bestätigen. 137 Im Phaidros war die Prämisse aufgestellt worden, daß „jede Seele" (πάσα ψυχή) unsterblich und daher selbstbewegt sei. In der Aristoteles-Forschung wird auf Met. XII,8, auf die Lehre von den „unbewegten Bewegern" verwiesen, vgl. H. Wagner, a.a.O., S.683, Anm. zu S.241, 20-22 - mit Verweis auf W. Jaeger, Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin, 2.Aufl. 1955, S. 366 ff. 138 Vgl. Met. 1073 a 23-25, w o der Zusammenhang thematisiert wird. 135

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wegung' der Seele bei Aristoteles wird die Seele als Ganzes in zwei so unterschiedene Teile: bewegend-unbewegt und bewegt - zerlegt. In der Kritik am platonischen Begriff der Selbstbewegung wird nach Aristoteles dessen innere Widersprüchlichkeit dahingehend aufgelöst, daß der Widerspruch als solcher - platonisch als R u h e und B e w e g u n g - benannt wird und das e r s t e P r i n z i p von Bewegung auf die Seite des Unbewegten ( = Ruhe) gestellt wird, welches dem Begriff des Nous entspricht (s. Met. XII). Es gibt also bei Aristoteles kein Problem des Zwischen zu lösen, wenn ein Unbewegtes - folgerichtig vermeidet es Aristoteles, ,seinen' kontradiktorischen Begriff zur Bewegung „Ruhe" zu nennen - einem ,immer schon' in Bewegung Befindlichen gegenübersteht, aber beide als Teile eines „Ganzen" aufgefaßt sind. Insofern ist es nur konsequent, daß Aristoteles die spontane Bewegung von Lebewesen wobei er zunächst, wie es scheint, den Begriff der Selbstbewegung gelten läßt - auf die Ortsbewegung beschränkt (Ph. 252 b 20 ff.). Doch wird diese vermeintliche Unabhängigkeit von einem wie auch immer gearteten Anstoß von außen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme aufgelöst, denn, wenn „sie sich selbst bewegen, ist das erste Prinzip (der Bewegung) außerhalb". 139 In De Anima wird die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Selbstbewegung fortgeführt. Ein Satz muß dabei besonders auffallen: „Da die Seele aber sowohl bewegungsfähig wie erkenntnisfähig zu sein schien, so flochten sie einige aus beidem zusammen und erklärten, die Seele sei sich selbst bewegende Zahl." 140 Die beiden Aspekte der Bewegungsfähigkeit und der Erkenntnisfähigkeit erinnern an die grundsätzliche Fragestellung nach der ,Seele selbst für sich' im Phaidon, nämlich ob sie - wenn der Mensch gestorben sei, d. h. wenn die Seele für sich allein betrachtet werde - noch δύναμις und φρόνησις besitze. Die Lehre von der „sich selbst bewegenden Zahl" läßt sich allerdings bei Piaton nicht nachweisen und wird in der Forschung übereinstimmend dem Platon-Schüler und Nachfolger Xenokrates zugeschrieben. 141 Der oben zitierte Satz wird von Aristoteles scharf kritisiert (vgl. De An. 405 b 31 ff.), und dies aus gutem Grund, wie insbesondere ein Blick auf seine Zeittheorie zeigen kann. Die aristotelische Lehre von der Zeit enthält alle wesentlichen Determinanten dieses Satzes. Erinnern wir uns: Die Zeit wird als „Zahl der Bewegung gemäß dem Früher und Später" bestimmt. Wegen des Zahlbegriffs in der Definition war die Seele als „zählende Instanz" hinzuzudenken gefordert; gezählt werden die 139 κινοΟσιν εαυτούς, της πρώτης άρχης εξωθεν ούσης, 259 b 13-14. Vgl. hierzu W. Wieland, a.a.O., S. 251 f. 140 έπει δέ και κινητικόν έδόκει ή ψυχή είναι και γνωριστικόν ούτως, ενιοι συνέπλεξαν έξ άμφοιν, άποφηνάμενοι την ψυχήν άριθμόν κινοϋνθ' έαυτόν. 404 b 27-30 141 Vgl. R. Heinze, Xenokrates. Darstellung der Lehre und Sammlung der Fragmente (1892), Neudr. Hildesheim 1965, und H. Cherniss, a.a.O., S.396, 399.

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Jetzte. Die die Zeit bestimmende Bewegung wird als kontinuierliche von der Selbstbewegung unterschieden. Die Selbstbewegung der denkenden Seele wird letztlich auf ein unbewegtes Prinzip zurückgeführt. Daraus folgt notwendig die Unterscheidung in zählende Seele und gezählte Zahl, woraus nach Aristoteles die Widerlegung einer „sich selbst bewegenden Zahl" erfolgen muß. Verwirrend bleibt allerdings in diesem Zusammenhang die Bedeutungsunterscheidung in „Anzahl" und „Zählerzahl" {Ph. 219 b 6 f.), das ist zwar eine allgemeine Vorstellung der griechischen Mathematik 142 , aber das Zusammenkommen einer bestimmten Anzahl ist nach Aristoteles immer „von uns", den Zählen-Könnenden, abhängig - also von einer „von uns" bewegten Zählzahl. 1 " Wenn auch in der vorliegenden Untersuchung die aristotelische Auffassung von Zeit, Zahl, Seele und Selbstbewegung nicht vollständig dargelegt werden kann, denn das würde erfordern, die aristotelische Logik im Hinblick auf diesen Zusammenhang zu entfalten, so konnte doch gezeigt werden, aufgrund welcher Zusammenhänge Aristoteles die platonische Definition der Seele als Prinzip der Bewegung ihrer selbst und von anderem ablehnt. Aufgrund der Mißachtung der Seele als GrundMetaxy in den platonischen Dialogen kann Aristoteles beständig den Chorismos, die vollständige Abtrennung von Ideen und Einzeldingen, als Theorieverfehlung bei Piaton und den Piatonikern kritisieren. 144 Die Frage, warum dies so ist, muß hier nicht beantwortet werden. Es genügt, festzuhalten, daß Aristoteles erstens in seiner Kritik am Konzept der Selbstbewegung seiner Vorläufer die beiden Momente von Bewegung und Erkennen hervorhebt, zweitens in der Darstellung seiner Theorien - ob beabsichtigt oder nicht - immer wieder auf platonische Termini zurückgreift und sie z.T. in ihrer Bedeutung für seine Zwecke neu festlegt, und daß es drittens einige Anhaltspunkte dafür gibt, auch in der aristotelischen Philosophie der Seele eine Vermittlungsfunktion zuzuschreiben.

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Vgl. W. Wieland, a.a.O., S.317. Letzteren Schluß verdanke ich einem Hinweis des Kommilitonen Mischa v. Perger. Im übrigen aber muß ich die Haltung der Epoche gegenüber dieser aristotelischen Auffassung einnehmen. Platonisch gewendet liegt nämlich in dem aristotelischen „von uns" die Selbstbewegung der Seele und es ließe sich so gegen die aristotelische Kritik einwenden, daß sie dort ankommt, wovon sie sich absetzen wollte: der „sich-selbst-bewegenden-Zahl". Genaues wird vielleicht gar nicht feststellbar sein, s. W. Wieland a.a.O., S. 317: „Aristoteles hat seine Auffassung von der Zahl nirgends ausführlich im Zusammenhang dargestellt." 144 Zu demselben Ergebnis, allerdings aus ganz anderer Sicht und Diskussion von Stellen, gelangte auch bereits H. Cherniss, a.a.O., bes. Appendix IX, S.565-580. 143

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4. Der Umschlag als „praktische Ursache" Damit muß der Bogen zum platonischen Parmenides zurückgeschlagen werden. Z w i s c h e n Ruhe und Bewegung, das sollte durch die Digression zu Aristoteles von einem Alternativkonzept her deutlich geworden sein, bedeutet im platonischen Sinne nicht, zwischen zwei extreme Bewegungszustände geraten zu sein. Ruhe und Bewegung benennen vielmehr, wie bei Aristoteles „unbewegt" und „bewegt", Verschiedenes, das allerdings bei Piaton nicht durch sich selbst ineinander übergeht, sondern vermittelt werden muß. Piaton fordert ein „Drittes" zu denken, das diese Vermittlung leisten können soll. Den Weg zur Philosophie einzuschlagen ist nach Piaton nur über die Thematisierung des Selbst, der Selbsterkenntnis möglich. Für deren Realität und die daraus resultierende unbedingte e t h i s c h e Konsequenz steht der Name Sokrates. Sokrates steht bei Piaton aber auch und zugleich für die Ideenannahme. 1 4 5 Letztere ist Chrakteristikum des noch jungen Sokrates im Parmenides - es fehlt aber in diesem Dialog, dem Namen nach 146 , die Thematisierung der Psyche. Zur Annahme der Idee, vollständig getrennt (χωρίς) von den Einzeldingen, gehört allerdings, ebenso unbedingt in bezug auf das einzelne wie die Idee, ohne selbst Idee zu sein, die Psyche - das hat die Untersuchung der „Unsterblichkeit" gezeigt. Sokrates, wie er im Parmenides dargestellt ist, muß nicht zur Philosophie gebracht werden, trotz seiner Jugend ist er bereits ,mittendrin'. Der alte und erfahrene Parmenides aber zeigt auf, worin Sokrates sich noch üben muß, um sein Philosophieren zu einem λόγον διδόναι zu erweitern: in Dialektik. Zur Dialektik gehört nicht allein, die Vielseitigkeit begrifflicher Beziehungen zu kennen und zu berücksichtigen, das Viele in Eins zusammenzufassen zu verstehen, zu ihr gehört darüber hinaus B e w e g u n g . Inkommensurabilität und Widersprüchlichkeit von Ideen einerseits und Phänomenen andererseits sind zwar als solche unaufgebbar, dennoch müssen sie gedacht und daher ,in einem' zusammenkommen können. Das „Jetzt" und das „Fortschreitende" gehören beide zu dem Einen in Zeit und scheinen einander dennoch auszuschließen. Das εξαίφνης begründet als in sich Widersprüchliches beide Aspekte der Zeit: das Kontinuierliche des Fortschreitens und das Diskontinuierliche des Jetzt. Das έξαίφνης verbindet freilich beide nicht in der Weise, wie C. Strang meinte, daß es zwischen zwei „atomischen Jetzten" durch ein „Umschalten" gewissermaßen Bewegung und Bewegungsrichtung er145 Wie bei Aristoteles entsprechend seiner Voraussetzungen zugleich für das Ethische und den Ursprung der „Definition" (ορισμός), vgl. Met. 1,6 987b 1-3. Vgl. hierzu die Unterscheidung von „Sein", „Definition" und „Name" in Lg. X 895 d.

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klärt 147 ; dagegen hat schon K.W. Mills den richtigen Einwand formuliert, daß dann nämlich der Umschlag gegebenenfalls gar kein Umschlag mehr zwischen Bewegung und Ruhe, sondern zwischen Ruhe und Ruhe, jeweils als Jetzt-Zustände gedacht, sei, und damit kein Umschlag.148 Fortschreiten ist eine Bewegungsform des Sinnlich-Phänomenalen. Das Jetzt dagegen ist ein Reflexionsbegriff, wie die Einteilung in Strekkenabschnitte im Zenonischen Paradoxon eine Reflexionsleistung ist. Das έξαίφνης vermittelt diese beiden einander ausschließenden gegensätzlichen Aspekte, in der Mitte stehend, selbst ort- und zeitlos, weder das eine noch das andere seiend. Das έξαίφνης erfüllt somit die entscheidende, der Psyche bei Piaton zugedachte Aufgabe: Relation von für sich Inkommensurablem und Getrenntem zu sein. Die Relation ist für sich - logisch gesehen - nichts, sie setzt anderes voraus und besteht in nichts anderem als der Beziehungsleistung für das Vorausgesetzte. Bei Piaton aber ist sie die Beziehung von Ruhe und Bewegung, Sein und Nichtsein und stellt diese Beziehung d a r als lebendige und denkbare. Darin kommen auch die .emphatische' und die .nüchterne' Auslegung des Parmenides zusammen, daß die Psyche nach Piaton einerseits den p h y s i s c h e n Aspekt des Bewegungsursprungs als Umschlag und andererseits das zeitlose Moment des Unverborgenseins von Wahrheit in sich enthält. 149 Darin liegt für Piaton die Möglichkeit des Zusammenkommens von ,reiner' Mathematik und .Physik' als angewandter Mathematik. 150 Nunmehr ergibt sich ohne Zwang die Interpretation des „Dritten" in der Hypothesenreihe des Parmenides als einer eigenständigen Ableitung der ersten Hypothesis, als des platonischen .Begriffs' der Relation. Die C. Strang, „Plato and the Instant" (I), a.a.O., S. 73 ff. K.W. Mills, „Plato and the Instant" (II), a.a.O., S. 81 ff. - wobei in der vorliegenden Arbeit selbstverständlich nicht die unentschiedene Alternative akzeptiert wird, vor die Mills den Leser des Parmenides stellt: „Yet we should note that the various arguments in the ,dialectical exercise' of the Parmenides are exploratory rather than dogmatic: Plato appears to be more concerned here with clearing the ground for, and exciting our interest in, the elucidation of this or that concept or conceptual connexion, than with presenting .final answers' or ,the real truth'." (S.88). ι« Vgl. hierzu M. Puder, „Die Synkopierung von έξαίφνης und vöv in Piatons Parmenides und am Schluß von Faust II, Notiz zum Aufsatz von Werner Beierwaltes über das έξαίφνης", in: Ph.Jb. 76 (1968/69) 420-22 und R. Marten, a.a.O. lso Gerade darin ist vielfach die .Modernität' Piatons gesehen worden. Vgl. hierzu R.S. Brumbaugh, Plato on the One. The Hypotheses in the Parmenides, N e w Haven 1961, S. 149; W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, München 1969, sowie C.F. v. Weizsäcker, Platonische Naturwissenschaft im Laufe der Geschichte (Vortrag der Joachim-JungiusGes., Hamburg 1970), Göttingen 1971. Ohne Bezug zu Piaton, aus analytischer Problemstellung heraus, hat U. Blau in seinem bereits zitierten Aufsatz zur „Paradoxie des Selbst" eine der platonischen sachlich verwandte „nicht-natürliche" Lösung der Paradoxie des Ubergangs vorgeschlagen. 148

145

Relation muß zwar auf etwas bezogen sein; für das „Dritte" müssen die beiden anderen Hypothesen vorausgesetzt sein, aber daraus kann es zunächst die zweite Hypothesis fortführen, und dann zur ersten übergehen. Damit ist erfüllt, was E. Hoffmann den „dritten Gegensatz" bei Piaton genannt hat, auf dessen einer Seite das Gegensätzliche und auf der anderen das Verschiedene stehen. 151 Die Seele bei Piaton, als umschlagendes Prinzip, ist Prinzip des Werdens und Vergehens. Werden und Vergehen selbst müssen kontinuierlich gedacht werden, der Ubergang von Nicht-Sein in Werden, von Sein in Vergehen allerdings zerstört den Zusammenhang. Die Seele kann den Zusammenhang immer nur reflexiv-begrifflich formulieren und muß sich als Bewegtes in einer Richtung immer schon mitsetzen. Aber in der Reflexion auf die eigene Bewegung bzw. Bewegtheit liegt die Möglichkeit der Richtungsbestimmung nach Piaton, d. h. die teleologische Ursache (s. Phaidon). Natürliche Ursache und Zweckursache fallen bei Piaton in der Seele zusammen. Die Seele in der platonischen Philosophie kann insofern als Grundlegung einer Theorie der p r a k t i schen Ursache 1 5 2 verstanden werden.

C . D I E M I T T E ALS P R O B L E M D E R „ S E E L I S C H E N

GESUNDHEIT"

Ein Mittleres bestimmen zu wollen, setzt immer schon voraus, Anfang und Ende, jedenfalls entgegengesetzte äußerste Grenzen zu kennen, zwischen denen das Mittlere sein kann. Auf diese Weise entstehen im einfachsten Fall drei voneinander geschiedene Teile. Teile, die analog dem Verhältnis der mathematischen Begriffe άρχή, μέσον, τελευτή, aufeinander bezogen gedacht werden müssen. Nun sind die Gegensätze, zwischen die Piaton die Seele als Mittleres einspannt, durchaus selten mathematische Begriffe und die Analogie zum mathematischen μέσον liegt bei den Gegensatzpaaren Grenze-Unbegrenztes, SeinNichtsein, Ruhe-Bewegung etc. nicht auf der Hand. Die Lösung sprengt, wie oben ausgeführt, sowohl den Rahmen mathematischer Begrifflichkeit, als auch denjenigen empirischen, an der Wahrnehmung orientierten Denkens. Die ,Seele selbst für sich' ist zweideutig, das zeigte sich an der Untersuchung des Problems der Unsterblichkeit der Seele.153 Die ZweideutigE. H o f f m a n n , Piaton, a.a.O., S . 6 2 f f . Zu Begriff und .Sache' der „praktischen Ursache" vgl. J. König, „Bemerkungen über den Begriff der Ursache" (1949), in: ders., Vorträge und Aufsätze, hg. v. G. Patzig, Freiburg, München 1978, S. 122-255. 153 Die fundamentale Zweideutigkeit der Seele in der Politela läßt sich am Gebrauch 152

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keit liegt in ihrem Bezug auf je für sich auf alle Weise Geschiedenes. Die Seele trägt in sich diese doppelte Bezüglichkeit als Begierde - relativ zum Körper - und Vernunft - relativ zu den Ideen. Die Seele entspricht in s i c h dem Gegensatz, den sie als ,Mitte des Seins' vermittelt. Das ist von Piaton ganz konsequent in den Dialogen entfaltet und führt einerseits ein traditionelles M o m e n t griechischen Denkens fort. 154 Andererseits wiederholt sich diese Zweiheit in der, insbesondere im zehnten Buch der Nomoi deutlich ausgesprochenen Selbstbewegung und Fremdbewegung, welche der Seele als Bewegungsprinzip zukommen. Im Vorausgriff auf die Interpretation des Problems der D a r s t e l l u n g in Sophistes und Timaios läßt sich sagen, daß die Seele letztlich durch sich selbst die metaphysischen Gegensätze von Vernunft und ,Materie' vermittelt, indem sie diese Gegensätze r e p r ä s e n t i e r t . In den meisten Dialogen kommt eine Zweiteilung der Seele zur Sprache 155 , daneben aber ist in einigen Dialogen (v. a. im Phaidros und der Politela) von einer dreigeteilten Seele die Rede. Das Problem der Seelenteilung war in der Piatonforschung bis vor etwa 70 Jahren ein Aspekt der platonischen Lehre, woran man die relative Chronologie der Dialoge, unabhängig von stylometrischer Forschung eindeutig bestimmen zu können glaubte 156 . Eine sachlich orientierte Untersuchung kann sich allerdings mit der spekulativen Annahme einer wie auch immer angenommenen

von αύτός, έαυτόν, ablesen: 3 8 2 a 8 f f . , 390b3, 3 9 6 a 2 , 3 9 6 d 5 , 4 0 9 b l , 430e 11-12. Vgl. hierzu T.J. Andersson, Polis and Psyche, Stockholm 1971, S. 92 f., mit Anm. 1. Irreführend die Kritik W.K.C. Guthries IV, 479, Anm. 1 : mit der Zweideutigkeit von αύτός sei eine T r e n n u n g eines Elementes in der Seele gemeint, nicht aber die Seele im Ganzen. 154 Z u r T r e n n u n g von V e r n u n f t und Begierde bzw. einem Rationalen und einem Irrationalen in der Tradition vgl. Aischylos, Pen. (Page) 769 (767); Aristoteles, EN 1102a 27 ff., de An. 432 a26. Bei Aristoteles auch die die Tradition interpretierende, o f f e n b a r durch die platonische Schule hindurchgegangene Unterscheidung von Denken und Bewegung (de An. 403 b 25 ff.). D a z u s. T . M . Robinson, a.a.O., S.40; E.R. Dodds, „Piaton, die irrationale Seele und das ererbte Konglomerat", in: ders., Die Griechen und das Irrationale, Darmstadt 1970, S. 107 ff. 155 Vgl. H . G . G a d a m e r , Piatons dialektische Ethik und andere Studien zur platonischen Philosophie, H a m b u r g 1968, S.216: Die platonische Seelenlehre sei aus einer inneren Selbstentzweiung des Menschen gewonnen. Außerdem hierzu A. Leissner, Die platonische Lehre von den Seelenteilen, Diss. München 1909; R.W. Hall, „Ψυχή as Differentiated Unity in the Philosophy of Plato", in: Phron 8 (1963) 63-82, A. Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre, München 1967 (dort auch weitere Literatur zum Problem). Z u r unübersehbaren Menge der Urteile über einen Leib-Seele-Dualismus bei Piaton, die einer differenzierten philosophischen Untersuchung des platonischen Werks nicht standhalten kann, sei nur eines der letzten Beispiele zitiert: E. Ostenfeld, Ancient greek psychology and the modern m i n d - b o d y debate, Aarhus 1987. 156

Vgl. hierzu P. Brandt, Zur Entwicklung der platonischen Lehre von den Seelenteilen, Leipzig 1890; A. Leissner, a.a.O.; Kritik an dieser Auffassung bei C. Ritter, Piaton, Bd. 1, M ü n c h e n 1910, S. 199 ff., bes. S.226f.; aber auch noch die Arbeit von A. Graeser, a.a.O., dreht sich zumindest indirekt um diese Frage, wenn der Autor zwischen H a u p t und Spätwerk Piatons eine Zäsur sieht, die er aristotelischem Einfluß zuschreibt.

147

„Entwicklung" einer „Seelenteilungslehre" bei Piaton nicht zufrieden geben, sondern muß den jeweiligen Problemhorizont, in denen der platonische Dialog im einzelnen Fall steht, zu rekonstruieren suchen und hieraus die Lösungen, die Piaton vorschlägt, beleuchten. 1. Die Seele als Teil und Ganzes a) Die Frage nach der Gerechtigkeit Die Politeia, der Dialog über die Gerechtigkeit, wird häufig als platonische Utopie einer besten Staatsform verstanden, über deren Realisierbarkeit viel diskutiert wurde - nicht zuletzt, weil dies ein Gesprächsthema in diesem Werk selbst ist.157 Ein anderes Verständnis des Ansatzes jedoch läßt diese Frage als zweitrangig erscheinen, und versteht die Politeia in erster Linie als ein Buch über Erziehung. Mit einem Dialog über die Erziehung zur Gerechtigkeit, d. h. zur seelischen Gesundheit aus richtiger Sorge um sich selbst, versucht Piaton zu zeigen, auf welche Weise Gesetze, d. h. gegebene, für das Gedächtnis niedergelegte und auf Auslegung angewiesene Regeln, die von allen Mitgliedern einer Gemeinschaft anerkannt sein müssen und denen alle unterworfen sind, weitgehend überflüssig sein können. Moderner Unterscheidung folgend würde man sagen, Piaton versuche Recht und Moral zur Deckung zu bringen. Im Unterschied zur Politeia werden die platonischen Nomoi eine „zweite Fahrt" genannt, denn hier ist, wie schon der Titel sagt, ein Gesetzeswerk vorgelegt. Im zehnten Buch dieses Werks bietet allerdings die Selbst- und Fremdbewegung der Seele als Prinzip sowohl von ,Natur', als auch von ,Kunst' - somit die Physis-Nomos-Kontroverse des 5. Jahrhunderts v. Chr. aufnehmend und zum Austrag bringend -, die Möglichkeit einer gleichsam ,autonomen' Stellung des einzelnen im Gemeinwesen. Mit der Einführung der sich selbst als Bewegungsgrund verstehenden und damit - der Argumentation der Nomoi folgend „göttlichen" Seele wird die, ,äußerlich' gesehen, restringierende und ex post wirksame Instanz der Gesetze .innerlich' vorweggenommen. Das zehnte Buch bildet dergestalt die theoretische Grundlage des gesamten Werkes der Nomoi. Die Selbstbewegung der Seele ist in der Politeia kein Thema. Auch der Unsterblichkeitsbeweis im zehnten Buch bedient sich der Metapher der Gesundheit, die ein fundamentaler Aspekt des gesamten Dialogs ist.158 Aber es darf die Selbstbewegung in der Form der Selbstbezüglichkeit der Seele, wie sie bereits in der έπιμελεια της ψυχής der Apologie auftritt, auch für die Politeia vorausgesetzt werden. Die theoretische 157 158

148

Vgl. 4 5 7 d - 4 5 8 b ; 471 c f f . Vgl. A. Kenny, „Mental Health in Plato's Republic", a.a.O.

Grundlage des Dialogs von der Gerechtigkeit ist in den Gleichnissen über die Idee des Guten zu sehen, worauf auch der vorliegende Abschnitt über die Seele als Metaxy wird eingehen müssen. Die Ausgangsfrage nach der Gerechtigkeit zu Beginn der Politeia (331c), die vom alten Kephalos als Wechselseitigkeit des Gebens und Nehmens von Dingen und Reden bestimmt wurde und von dessen Sohn und Nachfolger Polemarchos nach Simonides in das „Wiedergeben des Schuldigen" verbessert wird, führt zunächst in die Aporie. Diese Definition der Gegenseitigkeit, die formal der ,herakliteischen' Bestimmung der Wahrnehmung im Theaitetos und derjenigen der bloßen Lust im Philebos gleicht, läßt die Frage nach einem Maß für und in der bloßen Gegenseitigkeit offen. 159 In diese Aporie hinein macht der Sophist Thrasymachos einen Vorstoß, reißt das Gespräch an sich und definiert die Gerechtigkeit als „das dem Stärkeren Zuträgliche". Thrasymachos verändert seine Aussage nach den Einwänden von Sokrates und bestimmt freimütig Ungerechtigkeit als das Zuträgliche und Vorteilhafte. Im Verfolg der Widerlegung dieser Definition wird Thrasymachos von Sokrates schließlich dazu gebracht, einzugestehen, daß die Seele, vergleichbar den Sinnesorganen, eine spezifische Tätigkeit, ein „Werk" (έργον) verrichte und dieses Werk sei das Leben160; die eigentümliche „Trefflichkeit" (άρετή) der Seele aber sei Gerechtigkeit. Damit ist ein Grund geschaffen für die weiterführende Frage Glaukons, wie sich Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit je für sich „in der Seele"161 verhalten, und zwar unabhängig von den Folgen. Adeimantos, der Bruder Glaukons, wiederholt dessen Forderung und geht noch weiter als dieser, indem er sagt, daß nie jemand zuvor Ungerechtigkeit als das „größte Übel" und Gerechtigkeit als das „größte Gut", welches „die Seele in sich selbst" habe, „hinreichend" dargelegt habe.162 Denn wäre es hinreichend dargestellt worden, „jeder würde selbst sein eigener Hüter sein"163 und sich vor Ungerechtigkeit als dem schlimmsten Übel bewahren wollen. In diesen Sätzen, die den gesprächsweisen Entwurf einer gerechten Polis einleiten, spricht sich Piatons Überzeugung aus, das Problem von Gerechtigkeit und gerechtem politischen Leben auf neue und ungewohnte Weise, nämlich über die Seele, ohne auf Sichtbares und Vorzeigbares zu rekurrieren, nur in Reden (έν λόγοις) vorzustellen. 159 Tht. 157 a 1-2; Phlb. 27 e ff., 24a-25a: Lust und Unlust als „Mehr und Weniger", d.i. Unbegrenztes; vgl. auch die Suche im Pit. 284bff. nach dem „Angemessenen" im bloß relativ zu messenden „Mehr und Weniger". 160 R. 353d-9-10. 161 τί ... εστίν έκάτερον καί τίνα εχει δύναμιν αύτό καθ' αύτό ενόν έν τη ψυχΑ, 358 b 6-7. 162 R. 366 e 7-9. 163 R. 367 a 3.

149

b) Das Problem der Analogie Sokrates beginnt seine Ausführungen zur Gerechtigkeit mit einem scheinbaren Ausweichmanöver. Er macht den Vorschlag, weil Gerechtigkeit sowohl an einem einzelnen Menschen, wie auch an einer ganzen Stadt 164 vorkomme, das Gesuchte zuerst am Größeren zu betrachten, um dann nach Maßgabe der Ähnlichkeit das Kleinere sich anzusehen. Das Ausweichmanöver' aber zeigt sich als adäquate Vorgehensweise bezüglich der Frage „auf welche Weise zu leben ist"165, denn diese Frage enthält zugleich das Problem der Darstellung. 1 6 6 Die Frage lautet nicht: Was ist der Mensch? oder: Was ist die Seele - im Prinzip? Die Frage nach dem Wie des Lebens ist eine praktische Frage, und die Antwort wird im empirischen Feld des Lebens gesucht, wo sich Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit des einzelnen zeigen können: in der Gemeinschaft. Folgerichtig entwirft Sokrates die Politela aus dem Bedürfnis und der Not des einzelnen, nur in Gemeinschaft überleben zu können. Er entfaltet sie, zusammen mit Glaukon und Adeimantos, über die einfachste Arbeitsteilung zu einer „gereinigten", üppigen Form von Gemeinschaft, die neben Bauern, Handwerkern und Händlern, eines Standes von Wächtern und Kriegern bedarf. Der Erziehung der Wächter, vor allem in musischer Hinsicht, ist das Ende des zweiten und fast das gesamte dritte Buch gewidmet. Diese Erziehung, die schließlich auch der Auswahl von Herrschern unter den Wächtern dienen soll, ist darauf ausgerichtet, ein Maß zur Einheit für die Polis auszubilden. 167 Die Erörterung der die Polis bestimmenden Tugenden setzt bei der „Weisheit" (σοφία) an. Weisheit, das ,Haben' von Erkenntnis, wird in der zahlenmäßig geringsten Gruppe der Herrscher angesiedelt. „Tapferkeit" (ανδρεία), die richtige Meinung über das Furchtbare (των δεινών), 164

ανδρός ένός . . . ολης πόλεως, 368e3. περί του δντινα τρόπον χρή ζην, 352 d 6-7. 166 R.C. Cross und A.D. Woozley werfen in ihrem Kommentar zur Politela (a.a.O., S. 75 f.) Piaton den Fehler der Äquivokation vor, wenn er den einzelnen und die Polis in übereinstimmendem Verhältnis in bezug auf das Prädikat „gerecht" sieht. Nach diesen Autoren hat Piaton letztlich auch die Polis als „Individuum" angesehen. Diese Sichtweise ignoriert völlig das Verhältnis von Ganzem und Teil. W.K.C. Guthrie IV, 444 f., weist dagegen zurecht darauf hin, daß in der antiken Philosophie Ethik und Politik nicht voneinander getrennt wurden. Eine minuziös-detaillierte Untersuchung hat T.J. Andersson zum Problem der Analogie Polis-Psyche vorgelegt: Polis and Psyche. A Motif in Plato's Republic, Göteborg 1971. Unter Einbeziehung sozial-psychologischer Methoden bleibt Andersson dennoch vorsichtig: „Observing polis-psyche as a motif of ideas, we are not in the first place asking what man is, but how he is formed and how he can be studied." (S.43). Über den Wert dieser strukturalen Untersuchung, die andere platonische Denkmotive, wie z. Β. A u f - und Abstieg (s. Höhlengleichnis) und Ganzes und Teil, vollständig außer acht läßt, ist nicht leicht zu befinden. Auch O. Utermöhlen, Die Bedeutung der Ideenlehre für die platonische Politeia, Heidelberg 1967, weist auf die Polis-Analogie als eines „Mittels der Darstellung" (S. 15) hin. 165

167

150

Vgl. R. 412bff., 4 2 2 ä f f .

in der Gruppe der Wächter und Krieger. „Besonnenheit" (σωφροσύνη) allerdings verteilt sich auf alle Gruppen und Mitglieder der Polis. Letztere bildet gewissermaßen die Grundtugend, die der Polis Zusammenstimmung mitteilt. In der Besprechung der Besonnenheit wird bereits ein Aspekt erwähnt, der auf der fundamentalen Zweideutigkeit der Seele beruht. Die Redensart von dem „Stärker sein als man selbst"168, deutet, wenn sie nicht sinnlos sein soll, darauf hin, daß „im Menschen in bezug auf die Seele ein Besseres und ein Schlechteres" 169 sei. Besonnen sein heißt dann, daß im Ganzen, also sowohl in der Einzelseele, als in der Polis, das Bessere über das Schlechtere gebietet (431 b). Gerechtigkeit schließlich, definiert als „das Seinige tun" 170 , verleiht jeder der drei ersten Tugenden ihren Eigenwert und verhindert ihre Vermischung, oder, von den Tätigkeiten der Menschen her gesehen, eine gegenseitige Einmischung. Sie ermöglicht gerade in und durch ihre differenzierende Funktion Einheit und Dauerhaftigkeit der Tugend insgesamt. Das Gegenteil davon, die gegenseitige Einmischung der drei in der Beschreibung entstandenen Gruppen, sei Ungerechtigkeit. Soweit ist die Darstellung am Größeren, .leichter' zu Lesenden, an dem Punkt angekommen, der nach der Ähnlichkeit mit dem Kleineren, also der Gerechtigkeit im einzelnen Menschen rückfragen läßt. Die Analogie zwischen einzelnem und Polis hat fundamentalen Charakter: wenn nämlich die Art von Gerechtigkeit, die sich im einzelnen finden läßt, nicht mit derjenigen der Polis zusammenstimmt, muß die Untersuchung geändert werden. Nach Maßgabe des Kriteriums der Gerechtigkeit müssen eine gerechte Polis und ein gerechter Mensch ähnlich sein. Sind sie diesbezüglich einander ähnlich, so folgert Sokrates, dann müssen auch die Bedingungen für Gerechtigkeit, nämlich die drei Teile des Ganzen der Polis in ihr zu finden sein: drei Arten in der Seele, die dieselben Namen tragen. Aber nunmehr wird der Ansatz für den Vergleich umgekehrt: „von nirgendwo anders her" 171 als aus den einzelnen Seelen nämlich können die jeweiligen Eigenschaften, die an der Stelle gleichsam völkerpsychologisch aufgezählt werden, in die verschiedenen Poleis bzw. Stämme gekommen sein. c) Das Widerspruchsprinzip Die entscheidende Frage, die sich aus der Analogie von Seele und Polis ergibt, ist - entsprechend der für die Polis geforderten ^Arbeitsteilung' - ob die Seele als ein und dieselbe alles tut, was sie tut, oder tat168 169 170 171

R. 430 e7-8. έν αύτφ τω άνθρώπφ περί την ψυχήν τό μεν βέλτιον ενι, το δέ χείρον, 431 a 5-6. τό τα έαυτοΰ πράττειν, 433 a 9. ού γάρ που αλλοθεν, 435 e 3.

151

sächlich verschiedene Teile von ihr je anderes tun, oder „mit der ganzen Seele" (όλη τη ψυχή, 436 b 1) jeweils Verschiedenes getan wird. 172 Der Satz vom Widerspruch, der als methodische Orientierung und fundamentale Hypothese eingeführt wird, um durch die Einführung von verschiedenen Teilen in der Seele nicht verwirrt zu werden, hat die Interpreten der Politela durchaus immer wieder durcheinander gebracht. Eine Verwirrung entsteht aber hier nur daraus, wenn ein dem platonischen Denken fremder Ansatz, wie z . B . der einer personalen Identität oder eines einfachen Subjekts als Voraussetzung und Vorurteil herangetragen wird. Insbesondere scheint verwirrend, daß im zehnten Buch der Politela, im Verfolg des Beweises für die Unsterblichkeit der Seele, die Teilung der Seele wieder aufgehoben wird. 173 Zudem hat man in der Formulierung des folgenden Satzes Unstimmigkeiten zu finden geglaubt: „Es ist offensichtlich, daß dasselbe nicht zugleich Gegensätzliches tun und leiden wird, gemäß demselben und in bezug auf dasselbe". 174 V o r allem der Ausdruck κατά ταύτόν ist in seiner Bedeutung umstritten. Soll er übersetzt werden, „in demselben Teil" 175 , oder „gemäß demselben"? Wird übersetzt „in demselben Teil", so wird der methodische Sinn der Einführung des Widerspruchsprinzips aufgehoben, nämlich zuallererst verständlich zu machen, daß in der Seele voneinander unterschiedene, entgegengesetzte Strebungen möglich sein können, und die Teilung würde als solche bereits vorausgesetzt. Auf diese Weise wäre tatsächlich die Dreiteilung in der Seele nur deswegen eingeführt, um die Analogie zwischen Seele und Polis

172 Vgl. W.K.C. Guthrie IV, 474; außerdem die Parallelität zu 368 e 3: δλης πόλεως. Sowohl bzgl. der Seele als auch bzgl. der Polis geht es um das Problem, wie sie eine „ganze" sein kann. S. dag. Aristoteles, der zwar den .Staat' als Ganzes, das aus Teilen zusammengesetzt ist, auffaßt (Pol. 1274 b 39 f.), aber nicht den einzelnen Menschen. 173 Insbesondere Cross und Woozley (a.a.O., S. 119 f.) halten diesen Sachverhalt für einen unauflösbaren Widerspruch in Piatons Denken. Sie führen gegen die Dreiteilung der Seele das Argument ins Feld, daß sich nur von dem für sich unabhängigen „Standpunkt" des Personseins eine moralische Verantwortlichkeit denken lasse (S. 128-130). Zur Kritik vgl. W.K.C. Guthrie IV, 476 ff., dessen „Lösung" des Problems aber seinerseits unausgesprochen auf dem aristotelischen Gedanken einer unsterblichen Vernunft in der Seele beruht (ebd.). A. Graeser (a.a.O., S. 27ff.) vertritt die Auffassung, daß die „ganze geteilte Seele" unsterblich sei. Er substantialisiert also die Teilung aus dem vierten Buch, wo er zuvor (S. 16 bzw. 20) bereits von „Instanzen" in der Seele bzw. von der „Quantitierung von Qualitäten" sprach. Zur umfangreichen Diskussion zu diesem Problem s.a. T.M. Robinson, a.a.O., S. 39 ff. - der allerdings wie Graeser annimmt, daß Piaton mit dem Analogon der Polis bzgl. der Seelenteilung gewissermaßen den Fehler einer petitio principii begangen habe (S.41 und 46). 174 Δηλον ότι ταύτόν τάναντία ποιεϊν ή πάσχειν κατά ταύτόν γε καί προς ταύτόν ούκ έθελήσει άμα, 436b 8-9, vgl. 436 e 8- 437 a 1. 175 „In the same part", so wird in vielen englischen Ausgaben übersetzt, vgl. R.F. Stalley, „Plato's Argument for the Division of the Reasoning and Appetitive Elements within the Soul", in: Phron 20 (1975) S. 113.

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herzustellen. 176 Aber die Analogie zwischen Seele und Polis ist fundamentaler als weithin angenommen wird. Um dies zu zeigen, müssen wir dem Argument für die Entgegensetzung zweier Seelenteile folgen. Es ist von Bedeutung, daß Sokrates für die Darlegung des Widerspruchsprinzips Beispiele wählt, die auf Ruhe und Bewegung bezogen sind.177 Daran wird nicht nur deutlich, daß das hier formulierte Prinzip des Widerspruchs nicht mit dem logischen Grundsatz vom Widerspruch, der in propositionaler Hinsicht verbietet, ,p und nicht p' gelten zu lassen, verwechselt werden darf, sondern auf verschiedene P r ä d i kate zu beziehen ist. Vielmehr weist es auf das platonische Grundproblem von Ruhe und Bewegung, für das die Seele als vermittelnde Mitte eingeführt wurde. Die Differenzierung von zunächst zwei Teilen in der Seele wird mit einem Hinweis auf die Existenz g e g e n s ä t z l i c h e r Strebungen, ob sie ein Tun oder ein Erleiden betreffen, eröffnet. Die Aufzählung verschiedener Synonyme, die das Begehren (έπιθυμεΐν) der Seele ausdrücken, 178 soll anzeigen, daß es im folgenden nicht auf eine Differenzierung von Arten und Weisen des Begehrens, sondern allgemein auf das Problem des Gegensatzes von Begehren und Verweigern ankommt. 179 Genauer noch kommt es darauf an, voneinander v e r s c h i e d e n e , d.h. bezüglich ihres Gegenstandes u n v e r g l e i c h l i c h e , Vermögen (δυνάμεις) in der Seele zu denken. Am Beispiel des Durstes als einer Form des Begehrens wird erklärt, was damit gemeint ist und wodurch zunächst das bloße Begehren von Lust (ήδονή) unterschieden wird. 180 Durst als solcher sei nämlich allein bestimmt dadurch, daß er das Begehren eines Getränks ist und nicht bereits eines „brauchbaren" 181 , d. h. eines „guten" und verträglichen Getränks. Die Bestimmung einer „Eigenschaft" und des jeweils entsprechenden „Vermögens": „ein so und so Beschaffenes ist ein solches, von einem gewissen wie Beschaffenem, ..., jedes einzelne für sich aber auf das jedesmalige für sich allein."182 - weist zurück auf die Definition von δυναμις im Charmides. Dort war im Zusammenhang der Untersuchung 176

S. u. Anm. 196. Der stehende Mensch, der Kopf und Hände bewegt, 436 c; der in einem Punkt stehende und sich dabei um sich selbst bewegende Kreisel, 436 d-e. 17 ' έφίεσθαι, προσάγεσθαι, έπινεύειν, έπορέγεσθαι, sowie βοόλεσθαι und έθέλειν, 437c 1-5. 179 R.F. Stalley, a.a.O., S. 123, sieht genau darin, nämlich dem seiner Ansicht nach unangemessenen Konzept von dem, was es bedeutet, etwas zu begehren und dem, etwas abzulehnen, einen Fehler in der „philosophischen Psychologie" Piatons. 180 Am Ende dieses Abschnittes wird das „Begehrliche", έπιθυμητικόν, ein Gefährte, έταΐρος, der Lust, d. h. zugleich ähnlich, aber von ihr unterschieden, genannt, 439 d. 177

181

Χ6Ή στ όν, 438 a 3. όσα γ' έστί τοιαΟτα οία ειναί του, τά μεν π ο ώ αττα ποιου τινός έστιν,..., τα δ'αύτά έκαστα αύτοϋ έκαστου μόνον. 438 b 1-3 182

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der Besonnenheit die δύναμις als „Beziehung auf etwas" 183 bestimmt und die grundsätzliche Frage gestellt, aber nicht explizit beantwortet worden, „ob es keinem Seienden zukommt, seine Eigenschaft auf sich selbst zu beziehen, sondern auf anderes" 184 . Sowohl die Politela, wie auch der Charmides diskutieren dieselbe Definition: „das Seinige tun" (το τα έαυτοϋ πράττειν) 185 . Der Charmides behandelt diese Definition allerdings unter dem Titel der σωφροσύνη. Aber der Satz „das Seinige tun" gerät über das Problem der Selbstbeztiglichkeit von Eigenschaften bzw. Vermögen in die Aporie. Die Politela bietet in mehr als einer Hinsicht die Lösung für dieses Problem. In ihr wird σωφροσύνη als das „stärker sein als man selbst" definiert und legt damit bereits die notwendige Entgegensetzung - wenigstens zweier Vermögen in der Seele offen. Über die Bestimmung der G e r e c h t i g k e i t als „das Seinige tun", bekommt die Unterscheidung voneinander verschiedener Vermögen dadurch, daß sie auf jeweils anderes bezogen sind, festen Halt. Es hat nunmehr sowohl Sinn, von der Seele als „ g a n z e r " zu sprechen, als auch, daß sie „ s e l b s t b e z ü g l i c h " verfaßt ist. Die Seele als ganze hat verschiedene T e i l e , nämlich verschiedene δυνάμεις in sich, die je auf anderes bezogen sind. Die Seele aber ist jene δύναμις, die sich auf sich selbst bezieht; nicht so freilich, wie Kritias die Selbstbezüglichkeit einer δύναμις denkt, nämlich als „Wissen des Wissens"186, sondern als jeweils eine - fremdbezügliche - δύναμις, die auf eine andere - fremdbezügliche - δύναμις sich bezieht. Dies zeigt der Konflikt von Begehren u n d Ablehnen. Der δύναμις des Begehrens, als in Bewegung befindlich, steht die δύναμις des Erkennens, als ruhende entgegen in ihrer, was den Gegenstand des Begehrens angeht, ablehnenden Stellung. Das bereits erwähnte, von Piaton zur Verdeutlichung des Sachverhalts angeführte Beispiel des Durstes, soll dies belegen. Es wird auf einen medizinischen Fall verwiesen187. Der Arzt rät dem Patienten, der durstig ist, nicht zu trinken. Der Patient kann dem Rat des Arztes nur folgen - wenn ihm nicht gerade Gewalt angetan werden soll - , indem er sich selbst auch rät, den Anweisungen 183

ώστε τινός είναι, 168 b 3. Chrm. 169 a 2-4. Vgl. die Bestimmungen von Relativum und Korrelativum in Euthphr. 7 c-d, Smp. 199d-e u.ö. 185 R. 433 a 9, Chrm. 161b 5. 186 Wird die Definition des Kritias auf die Problematik politischer Gemeinschaft bezogen, so muß genau jenes Problem entstehen, das im Athen des ausgehenden 5. Jhts. die sog. Oligarchen in einen tödlichen Konflikt mit den Demokraten gebracht hat, nämlich das Vermögen des Wissens als selbstbezügliches, in den „Wenigen" und zwar ausschließlich vertreten zu sehen, wodurch die „Vielen", als „ganz andere" und unwissend, nur zum befehlsempfangenden Unterdrückungsgegenstand gemacht werden können. Ein Ausgleich und insofern eine p o l i t i s c h e G e m e i n s c h a f t sind auf diese Weise unmöglich gemacht. 187 Vgl. 438 d-e: das Wissen von Gesundem und Kranken. 184

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des Arztes Folge zu leisten. Aus der Annahme, daß in der Seele des Durstenden also zugleich etwas trinken will und etwas anderes abhält zu trinken, wird gefolgert, daß in der Seele des einzelnen, entsprechend der methodischen Prämisse des Widerspruchsprinzips, eine von der Begehrenden verschiedene δύναμις das Trinken verbietet. Es ist konsequent, wenn Sokrates sagt: „wir fordern, daß diese (d.h. das Begehrende und das Verweigernde, P.M.S.) ein Zweifaches und voneinander Verschiedenes sind und wir das, womit sie überlegt, das Denkende der Seele nennen und das, womit sie liebt und hungert und dürstet und durch die anderen Begierden erregt wird, das Unüberlegte und Begehrliche".188 Das „Begehrliche" (έπιθυμητικόν) wird synonym mit dem „Unüberlegten" (άλόγιστον) gebraucht. Damit wird noch einmal betont, daß die beiden zunächst differenzierten Teile der Seele einander widersprechen oder vielmehr, daß sie inkompatibel sind, da das Widersprechen-Können logisch auf demselben Niveau, hier also dem Denk- bzw. Sprachvermögen, angesiedelt sein müßte. Die beiden Teile sind also unvergleichlich und repräsentieren auf diese Weise den Grundgegensatz zwischen Idee und Körperlichem, welchen die Seele als Prinzip der Bewegung in der platonischen Philosophie zu vermitteln bestimmt ist. Hier wird aufs neue deutlich, was vom ersten Dialog an das Denken Piatons kennzeichnet als Sorge um die Seele. Das Sorgen und Raten nämlich muß dem denkenden Teil der Seele, dem λογιστικόν, zugerechnet werden. Die Seele sorgt für sich, indem sie die Entzweiung zwischen Ruhe und Bewegung in sich zum Ausgleich bringt. Der Konflikt, die Auseinandersetzung der Seele mit sich selbst, ist weder ein bloß .intellektuelles' noch ein nur .psychologisches' Problem. Dies versucht die Darstellung des Grundgegensatzes als Widerstreit der Seele zum Ausdruck zu bringen. Aber die Lösung des Konflikts - und dies führt Piaton an all den Stellen vor, wo er das Modell der dreigeteilten Seele verwendet - ist wohl ein intellektuelles Problem: die Ordnung der Teile ist ohne die Leitung der Vernunft, die Gesundheit der Seele ist ohne den Rat der Vernunft nicht möglich. Hier erhebt sich die Frage, auf welche Weise der denkende Teil der Seele mit jenem anderen zusammenkommen kann und aus der .Selbstentzweiung' eine gerechte Handlung, also ein τα το έαυτοϋ πράττειν, entstehen kann. Denn das Ergebnis der Analyse der hier vorgestellten ,Selbstbezüglichkeit' von verschiedenen δυνάμεις ist paradox. Aus einem inneren Gegensatz selbst kann noch keine Handlung entspringen. Das Gewahrwerden eines Gegensatzes als Widerspruch ist vielmehr das Gegenteil eines Handlungsmotivs und führt zur Erstar-

188

R. 439d 4-8.

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rung, d. h. zu einer Unfähigkeit zu handeln. 189 Das Gegensätzliche also, das in der Seele repräsentiert ist, verlangt respektive einer vernunftgeleiteten Handlung bzw. Handlungskorrektur seinerseits nach einer Vermittlung, nach einem mittleren Teil der Seele, der ihre gegensätzlichen bzw. unvergleichlich gegenübergestellten Teile durch sich selbst verbindet. Von diesem „Dritten", dem Mut oder dem „Eifrigen" (θυμός), handelt der folgende Abschnitt. d) Der mittlere Seelenteil als Darstellung der vermittelnden Funktion der Seele Das „Eifrige", der θυμός, - vermutet Glaukon auf die Frage, ob es ein Drittes neben und zwischen den ersten beiden Teilen gibt, oder ob es mit dem einen oder anderen der ersten beiden gleichartig sei - sei dem Begehrlichen (έπιθυμητικόν) gleich.190 Diese Antwort hat den Augenschein für sich, da ja das Kompositum έπιθυμητικόν das Wort θυμός in sich enthält. Sokrates geht darauf nicht ein, sondern erzählt die Geschichte von dem Athener Leontios, der mit sich selbst einen Streit über seine Sensationslust ausgetragen habe, dem Begehren nachgegeben, aber sich zugleich gescholten habe, und verweist darauf, daß der θυμός insofern „wie ein anderes für ein anderes" 191 gegen die Begierden kämpfe und damit „für das Denkende" 192 Partei ergreife. Damit wiederholt sich aber das Ausgangsproblem mit dem „Dritten" aus anderem Blickwinkel: Ist „im Aufruhr (Widerstreit) der Seele"193 das Mutartige (θυμοειδές) vom Denkenden (λογιστικόν) verschieden oder ist es diesem gleich? Nun fällt Glaukon ein - und kommt Sokrates damit zu Hilfe bei seinem Unterscheidungsversuch - daß Kinder, und von Tieren wird dann ähnliches gesagt, zwar bereits voller Eifer, aber des Denkenden noch nicht teilhaftig seien.194 Hieraus wird gefolgert, daß ein von den beiden ersten unabhängiger Seelenteil anzunehmen sei. Die Ausführungen über die Seelenteile und insbesondere über das „Dritte", θυμοειδές, sind nicht gerade ausführlich, und es ist F.M. Cornford darin recht zu geben, wenn er bemerkt, daß hier keine „komplette Psychologie" ausgeführt sei, weil u. a. das Problem von Wahrnehmung und Empfindung ausgeblendet sei.195 Aber umgekehrt muß gefragt werden, ob von Piaton überhaupt eine .Psychologie' erwartet wer189 Vgl. Men. 79b-80b; Chrrn. 169c-d; kontrastierend dazu die Beherrschtheit des Sokrates 155c-e. 1.0 R. 439 e. 1.1 ώς άλλο ôv αλλφ, 440 a 8. 1.2 προς το λογιστικόν, 440 e 5. 1.3 έν Tfl της ψυχής στάσει, 440 e 5. 1.4 R. 441 a 8-b 2. 1.5 F.M. Cornford, „Psychology and Social Structure in the Republic of Plato", CQ 6 (1912) S.262.

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den darf. Die Untersuchungen über die Seele als Metaxy haben soweit ergeben, daß Seele selbst nicht als ,Gegenstand' aufgefaßt werden kann. Sie muß vielmehr als Grundbedingung dafür angenommen werden, daß überhaupt Beziehungen zu Gegenständen sein können - nicht freilich als Bedingung dafür, daß ein Gegenstand als solcher sein und ein bestimmter sein kann; der Grund hierfür ist die Idee. Dafür, daß Gegenstände sichtbar und körperlich sind, so wird im Timaios ausgeführt, ist „etwas" anzunehmen, was weder ideell noch seelisch ist; es ist der Seele „vorausgehend", sowohl die Seele als das Körperliche „Aufnehmendes". Die Einführung der Seelenteile dient einem bestimmten Zweck, das ist deutlich, aber diesen Zweck damit zu erklären, daß die Seele der Einteilung der Tugenden und entsprechenden „Klassen" in der bis dahin entworfenen Politeia egalisiert werden mußte 196 , ist nichts gesagt. Der Zweck dieser Einführung zielt vielmehr in Richtung auf das gegenseitige Motiv zur Psyche-Polis-Analogie: nicht allein daß der einzelne die Struktur seiner Gemeinschaft in sich trägt und insofern von ihr gebildet wird. Der einzelne Bürger soll darüber hinaus - über Erziehung - fähig sein, die Polis zu bilden, d.h. sowohl sie herzustellen, als auch zu erhalten. 197 Die Analogie zwischen Psyche und Polis muß nunmehr als Tautologie von Psyche und P o l i t e i a verstanden werden. Wie bei Piaton der Mensch letztlich seine ,innere' Verfassung der Seele repräsentiert, genaugenommen nichts anderes als seine Seele ist, so ,ist' auch die Polis nichts anderes als ihre ,innere' Verfassung (πολιτεία). Die innere Verfassung einer Polis besteht nach Piaton in nichts anderem als der Repräsentation der jeweils in ihr vorherrschenden und herrschenden Verfassung der Seelen ihrer Bürger (dies zu zeigen ist Thema des achten und neunten Buches). Der Möglichkeit gegenseitiger Bildung muß allerdings etwas vorausgehen, nämlich ,Bildbarkeit'. Uber diese notwendige Voraussetzung, der Ähnlichkeit von Teil und Ganzem, die die Seele bei Piaton mit sich bringt, wurde oben bereits zur sokratischen Kritik an sophistischer Erziehung einiges ausgeführt. Der erste Schritt zur Selbsterkenntnis ist die Einsicht in die eigene Anpassungsfähigkeit an .Gegebenes'; der zweite Schritt, aus der Reflexion auf Wissen und Wissensorgan Seele, die Aufnahmefähigkeit der Seele als ein ,Identitätsproblem' anzuerkennen. Schließlich wird Fähigkeit selbst als seelische unter dem Aspekt der ,Selbstbezüglichkeit' analysiert und als bloße Disponibilität erkannt. Was an der Politeia-Stelle über die Seelenteile zu zeigen ist, ist die Darstellung der vermittelnden Funktion der Seele durch sie selbst. 1.6

So u.a. F.M. Cornford, a.a.O., S.264; A. Graeser, a.a.O., 16, 20, und T.M. Robinson, a.a.O., 41, 46, vgl.o. Anm. 173. 1.7 Vgl. T.J. Andersson, a.a.O., S.23f.

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W. Jaeger gibt einen wertvollen Hinweis für das Problem der Seelenteile, insbesondere mit dem θυμοειδές, wenn er den Herkunftsbereich dieses Seelenteils in der medizinischen Theorie des Hippokrates ansiedelt.198 Bereits im dritten Buch der Politela war im Zusammenhang der Wirkung von „Musik" auf die Seele vom θυμός „gleichsam als Sehnen . . . der Seele" 199 die Rede. Das „Dritte" in der Seele zeigte sich schließlich, wie die Seele selbst, in einem Widerstreit der Zugehörigkeit und Unterstützung des einen oder anderen der vorher voneinander unterschiedenen Seelenteile. Der mittlere Teil wiederholt also in sich den fundamentalen Widerstreit der Seele und stellt diesen durch sich selbst dar: „von Natur dem Denkenden beistehend, wenn er nicht durch schlechte Ernährung verdorben ist". 200 Von eben dieser „Ernährung" handelte das dritte Buch als der - gymnastischen und vor allem - musischen Erziehung der Wächter, die eine vollendete Harmonie in ihren Seelen hervorbringen soll. Mit der Einführung des dritten Teiles in der Seele zeigt Piaton, daß dieser zweideutig ist und sein muß.201 Im Widerstreit zwischen Begierde und Vernunft soll das Eifrig-Muthafte als Mitte eine sittliche Entscheidung treffen helfen und für die Vernunft eintreten. Das Verhältnis von Begierde bzw. Lust und Vernunft wird erst durch ihre Verhältnissetzung, die zugleich als Ausgleich beider ein „Drittes" zu denken fordert, zu einem V e r h ä l t n i s ; und zwar genauer zu einem Selbstverhältnis. Erziehung und Gewöhnung sind - inhaltlich gesehen - für das Erreichen dieses Ziels, d.h. eines ausgeglichenen Selbstverhältnisses, notwendige Voraussetzungen, aber sie reichen ohne die Uberzeugung des Wahren und Richtigen nicht hin. Das Problem der Beziehung zur Wahrheit steht also noch aus, davon hängt die gesamte Erörterung ab. Für die arbeitsteilige Polis werden Wächter eingesetzt und diese Wächter sollen durch gymnastische und musische Bildung in ein rechtes Verhältnis zu sich selbst gesetzt gedacht werden. Zwei Tugenden 198 W j a e g e r , „A New Greek Word in Plato's Republic", in: ders., Scripta Minora, Vol. II, Roma 1960, S. 3 0 9 - 3 1 6 . Das Wort θυμός läßt sich bei Piaton früh, schon in Prt. 351 a-b, 352 b 8, belegen, die Verwendung von θυμοειδές aber konzentriert sich in der Hauptsache auf die Politela (sonst: Lg. 731 b 3, d 5; Ti. 18 a6). ώσπερ νεΟρα . . . της ψυχής, 411 b 4 - 5 . R. 441 a 3 - 4 . Daß θυμός bei Platon häufig synonym mit όργή, dem Zorn (z.B. 5 7 2 a 3 - 4 ; 5 9 0 b 2 : ich stimme hier der Konjektur Jaegers, a.a.O., S. 310, zu, statt όφεώδες, όργώδες zu lesen), verwendet wird, heißt weder, daß sich damit der zweideutige Aspekt des Wortes verliert, noch, daß Piaton den wichtigen psychologischen Aspekt der Empfindung unberücksichtigt gelassen habe. S. dag. F.M. Cornford, „Psychology and Social Structure in the Republic of Plato.", C Q 6 (1912) S. 263 f. Ohne das Problem direkt zu benennen, ist es in der musischen Erziehung im dritten und vierten Buch und in der Dichterkritik des zehnten Buches präsent. 200

201

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werden auf diese Weise in je einer Gruppe der neu gegründeten Polis angesiedelt: Tapferkeit in den Wächtern und Weisheit in den Herrschern. Eine Tugend, die Besonnenheit, soll durch alle Gruppen der Polis verteilt sein und deren Befreundetheit und Zusammenstimmung gewährleisten 202 . Sie macht die Polis zu einer g a n z e n . Die Gerechtigkeit als die Tugend, die aus allen anderen resultiert, zeigt sich dagegen als Trennung und Teilung der Polis gemäß der Verrichtungen der einzelnen Bürger bzw. der entsprechenden Gruppen. Gerechtigkeit betont den Eigenwert der Teile des Ganzen der Polis. Die Bestimmung der Gerechtigkeit eines einzelnen Menschen, d.h. seiner Seele, ergibt einen veränderten Begriff von Gerechtigkeit: die vormaligen Bestimmungen von Besonnenheit einerseits und Gerechtigkeit andererseits fallen jetzt zusammen. Die einzelnen Teile der Seele tun das Ihrige und geraten nicht in die verworfene „Vielgeschäftigkeit". Die Seele ist zugleich selbstbeherrscht, in Ordnung und Freundschaft mit sich selbst. Sie ist eine harmonisch ganze. 203 Die derart bestimmte Gerechtigkeit wird nunmehr als Gesundheit, Schönheit und Wohlbefinden der Seele bezeichnet, und ihr Gegenteil, die Ungerechtigkeit, ist folglich Krankheit. 204 Die gerechte Seele repräsentiert das Ganze der beschriebenen Verfassung der Polis, und deren zuerst bestimmte Gerechtigkeit der Arbeitsteilung erscheint jetzt nur noch als ein „Schattenbild" (ειδωλον, 443 c 4). Die Fülle der Bestimmungen des Begriffs, die „Wahrheit" der Gerechtigkeit, ist nicht an der Polis, sondern in der Seele zu entdecken. Der Teil der Politela zeigt sich als ein Ganzes. Aber umgekehrt muß auch auf die Politela, wenn sie selbst als Ganzes aus solchen Teilen verstanden werden soll, der erweiterte Begriff der psychischen Gesundheit sinnvoll angewendet werden können. Die zunächst vorgelegte Entfaltung der Arbeitsteilung, ihre Darstellung in drei verschiedenen Gruppen und deren jeweiligen Tugenden, und die übriggebliebene, resultierende Tugend der Gerechtigkeit vermitteln ein nur statisches Bild einer Gemeinschaft. 205 Erst mit Einführung der Seelenteile, dem fundamentalen Widerstreit in der Seele und dessen Lösung, aber auch Abbildung in dem zweideutigen „Dritten", erhält die Politela trotz der noch topi202 F.M. Cornford, a.a.O., S.249, differenziert drei Arten von σωφροσύνη: 1) die intellektuelle, 2) die moralische, und 3) die gewöhnliche. T.J. Andersson, a.a.O., S. 111, Anm. 1, kritisiert zu Recht jene simplifizierenden Modelle der Interpretation, nach denen die σωφροσύνη das bloße Gehorchen und Maßhalten der untersten Bürgergruppe sei, die in sich auch nur dem untersten Seelenteil entspreche. 205 Vgl. R. 443 c-d. 204 R. 444 e. 205 Der Wunsch des Sokrates im Timaios jene Polis, die er zuvor in Reden entworfen habe - die den Büchern zwei bis fünf der Politeia ähnelt - , in Bewegung sehen zu wollen, scheint ein Reflex auf diesen Sachverhalt zu sein.

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sehen Darstellung einen Bewegungsimpuls. Bewegung liegt in dem changierenden Begriff des „Dritten", das als Vermittler sich hin und her bewegen muß. Daraus entsteht aber, wie gesehen, das Problem einer scheinbaren Verdopplung des Begriffs der Gerechtigkeit. 206 Der wahre Begriff der Gerechtigkeit benennt die Gesundheit der Seele, und sein „Bild" ist die Verrichtung des je Eigenen in einer arbeitsteiligen Gemeinschaft. Wie verhalten sich Wahrheit und Bild der Gerechtigkeit zueinander?

2. Gerechtigkeit und „seelische Gesundheit" Die „wahre Gerechtigkeit" zeigt die geteilte Seele im Einklang mit sich selbst und scheint damit die Frage des Charmides, ob etwas sein Vermögen im Bezug auf sich selbst haben könne, positiv zu beantworten. Ist mit „wahrer" Gerechtigkeit als gelungener Selbstbezüglichkeit auch Selbstgenügsamkeit und Selbstgesetzlichkeit (Autonomie), Unbedürftigkeit nach einem Maß impliziert? Der „Gerechteste" seiner Zeit, Sokrates, ist von Piaton dadurch charakterisiert worden, daß er nicht sich selbst zum Maß erhoben hatte, sondern ganz im Gegenteil sich selbst unter die unbedingte Forderung stellte, ein Maß zu halten, ohne es zu sein. Aus Selbsterkenntnis kritisiert Sokrates das protagoreische .Maßnehmen' am Menschen und fordert vielmehr vom Menschen, um seines eigenen guten Lebens willen, ein von ihm selbst prinzipiell unabhängiges und unbedingtes Maß anzuerkennen. Die Mitunterredner von Sokrates wollen ihm im folgenden nicht gestatten, bereits die .Verfallsformen' der Gerechtigkeit durchzugehen; aber auch mit der Darstellung der .Naturverhältnisse' der Politela, der Probleme von Erzeugung, Kinderfürsorge, Gleichstellung der Frauen, schließlich der als fundamental aufgeführten „Gemeinschaft von Lust und Schmerz" 207 in der Polis - die insofern wie eine Seele empfinden können soll - und dem Verhalten der Polis in Krieg und Frieden, kann eine wesentliche Frage nicht aufgelöst werden. Ist die beschriebene Polis möglich? Und nicht ausgesprochen, aber doch in der Frage mitgedacht: ist die gerechte Seele möglich? 206 H. Barth, a.a.O., entfernt sich vom platonischen Text und der Möglichkeit einer gelingenden Auslegung, wenn er den Begriff des „Individuums" einführt und das Konzept einer „idealistisch-demokratisch fundierten Gemeinschaft" an Piaton heranträgt (43 f.). Barth erblickt einerseits in der Erziehung zum Philosophen nicht zu Unrecht die Ausbildung zum vollen Menschsein, und auf der anderen Seite in der Arbeitsteiligkeit des „das Seinige tun" eine „konservativ-hierarchische Gesellschaftsform" (44), woraus für ihn „im Grunde zwei Gerechtigkeiten" (43) enstehen. Er erkennt weder den zugrunde liegenden Begriff der Gerechtigkeit als Gesundheit der Seele noch das Problem des Verhältnisses von Wahrheit und Bild. 207 ήδονης τε και λύπης κοινωνία, 462 b 4.

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„Plötzlich" (έξαίφνης) falle Glaukon mit dieser inhaltlich-problematischen Frage ein, kommentiert Sokrates und zeigt damit an, daß das Gespräch vor ein neues Problem gestellt ist und ein dialektischer Umschlag geschehen ist. Sowohl das Gesagte als auch das noch Ausstehende erscheint als „widersinnige Rede" 208 . Erwies sich die Gerechtigkeit der Polis zuvor im Vergleich zur Gerechtigkeit der Seele als „Schattenbild", so gilt sie nun als „Muster" (παράδειγμα), an dem für einen Ähnlichkeitsvergleich Maß genommen werden könne. Eingestanden wird dabei die Abstraktheit des Dargestellten. Man dürfe nicht erwarten, daß es in der Bewegung von Handlung und Werk genau so sich verhalte und aussehe. Und doch will Sokrates zeigen, auf welche Weise es - unter Voraussetzung der gemachten Einschränkungen - möglich sei, daß eine gegebene Polis zu der beschriebenen mustergültigen Politela u m s c h l a g e n könne. Es sei ein möglicher Umschlag ausreichend, damit eine Polis sich verändere. Und diese Veränderung ist in dem berühmten Satz angekündigt, wenn „die Philosophen als Könige in den Poleis herrschen werden oder diejenigen, die jetzt als Könige bezeichnet werden und mächtig sind, hinreichend philosophieren werden". 209 Das Wort „Umschlag" ist hier in Konsequenz der oben im Parmenides und den Nomoi gegebenen Übersetzung für μεταβολή gebraucht. Es ist in der Politela vor dem Hintergrund dieser Interpretation besonders deutlich, daß Piaton dort, wo er von Veränderungen sprechen will, solche meint, die durch und in der Seele vorgehen. Besonders auffällig ist, daß Piaton im Verfolg der Darstellung der Ungerechtigkeit in den Verfassungen und Menschen im achten Buch jeweils an der Schaltstelle des Übergangs von einer Verfassung in die nächstliegende Verfallsform das Wort μεταβάλλειν verwendet. 210 Bereits im vierten Buch war ein Umschlag in der Musik für die Ordnung der Politeia als verheerend diagnostiziert 211 , und für die so wohlgeordnete Polis waren Vielgeschäftigkeit und Veränderungen als Übel charakterisiert worden. 212 Die angeführten Stellen weisen alle auf die Bedingung der Möglichkeit von Veränderungen, auf das Prinzip des Umschlagen-Könnens, die Seele. 20e

παράδοξον λόγον, 472 a 6-7. R. 4 7 3 c l l - d 2 . 210 1) Von der besten Verfassung, der Aristokratie, zur Timokratie: „jede Politeia schlägt um aus dem, was in ihr die Herrschaft innehat, wenn in ebendiesem ein Widerstreit entstanden ist", πάσα πολιτεία μεταβάλλει έξ αύτοΟ τοΟ έχοντος τάς άρχάς, οταν έν αΰτφ τούτψ στάσις έγγενηται, 545 d 1-2; 2) der Umschlag vom timokratischen in den oligarchischen Menschen, 553 a6-7; 3) von der Oligarchie in die Demokratie, 555 b 8-9,vgl. 559 e 4, 561 a 2; 4) schließlich aus der Freiheit in die Knechtschaft (562 a 7-8), von der Demokratie in die Tyrannei (564 a 5). Alternierend hierzu ist das synonyme μεταβαίνειν gebraucht: 547c5, 550d 3, 569c7. An einer Stelle das ebenfalls gleichbedeutende μεθίσταμαι, 571 a2. 211 R. 424 c. 212 R. 434 b. ìm

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Platon wollte entweder den Ausdruck der Selbstbewegung in der Politela vermeiden, oder er war sich dieses Logos f ü r die Seele zur Zeit der Abfassung der Schrift noch nicht sicher. Deutlich ist aber die damit in späteren Schriften so bezeichnete Definition der Seele ihrem Wesen nach hier vorhanden. Bis das Argument bei der nochmaligen Bekräftigung der Wohlgeordnetheit der Politela in ihrer Abhängigkeit vom Wissen des in ihr herrschenden Philosophen anlangt (506 a), muß es noch eine Reihe von Differenzierungen durchlaufen. Dabei werden die Bedingungen des Wissens, genauer des Wissen-Könnens des Philosophen, erörtert. Der Philosoph ist, wie sein Name sagt, Liebhaber der Weisheit, und zwar „jeder" Weisheit. Damit ist impliziert, daß ein wahrhafter Philosoph insbesondere in der Jugend - jeder Erkenntnis, ohngeachtet ihres Nutzens oder ihrer Schädlichkeit, nachjagt. In dieser scheinbaren Zerstreuung liegt ein gemeinsames Streben, Wahrheit schauen zu wollen (475 e 5). 213 In Anwendung des Widerspruchsprinzips werden Erkenntnis des wahrhaft Seienden - und Unkenntnis - des Nichtseienden - unterschieden und zwischen (μεταξύ) ihnen ein anderes, drittes, die Vorstellung (oder Annahme, δόξα) festgelegt. Der Philosoph ist dieser Prämisse zufolge Liebhaber des Seienden und der ihr entsprechenden Erkenntnis, aber nicht der Vorstellung. 214 Das Streben des Philosophen ist eine Begierde - nach Sein zwar, aber eine Begierde (έπιθυμία). Neigen sich die Begierden - in einer Seele nach einer Seite (εις εν τι), so sind sie notwendig nach der anderen Seite (εις τάλλα) schwächer. 215 N o c h einmal wird also an den in der Seele sich ereignenden Widerstreit erinnert, an den Gegensatz zwischen Ruhe und Bewegung. Nach der Ausdifferenzierung von Teilen ist deutlich, daß Ruhe und Bewegung in der Seele sich ,ver-teilen' müssen: es kann nicht dasselbe zugleich ruhig und bewegt sein. Der Schluß, der hier zu ziehen ist, lautet demnach, daß im Philosophen sich der denkende Teil, das λογιστικόν, bewegt, während die anderen Teile in Ruhe verharren. Darin liegt eine „Lust, die der Seele selbst f ü r sich" zukommt. 216 Einige andere notwendige Eigenschaften, die der Philosoph besitzen muß, wenn er das Sein erfassen will, werden aufgezählt: G r o ß zügigkeit, Furchtlosigkeit vor dem T o d , gutes Gedächtnis, von N a t u r ebenmäßig, leicht lenkbar zur Schau der Idee. 217 Dennoch kommen Sokrates und Adeimantos darin überein, daß diejenigen, die philosophie213 R. 475 e 5. Dem Zusammenhang von Erkenntnis und dem Bild der Jagd bei Piaton ist C.J. Classen in einer Studie, Untersuchungen zu Piatons Jagdbildern, Berlin 1960, nachgegangen. 214 R. 479e-480a. 2,5 R. 485 d. 216 της ψυχής ... ήδονην αύτής καθ' αύτήν, R. 485d 11. Vgl. Phd. 68bff. 217 R. 486a-e, vgl. 489e-490d.

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ren, unbrauchbar seien für die Politik. 218 Zudem formuliert Sokrates die Schwierigkeit, daß, wer in dem beschriebenen Sinne tatsächlich sich zu einem Philosophenherrscher eignete, sich nicht selbst darum bemühen würde zu herrschen, und andererseits nicht die Voraussetzungen gegeben scheinen, daß die anderen einen Philosophen bitten würden, über sie zu herrschen, vorausgesetzt, sie würden ihn erkennen. Der Verruf, in den die Philosophie gekommen ist: praktisch untauglich zu sein, hat seine Ursache darin, daß auch die Seele einer philosophischen Natur verderben kann. 219 Die Natur des Philosophen bedarf der entsprechenden Unterweisung, die allerdings gegen diejenige der üblichen Sophisten und diejenigen, die in den Poleis als wahrhafte Sophisten einflußreich sind, geschützt werden muß. Das Problem also liegt darin, daß gegebene Bedingungen und mögliche Entfaltung philosophischer Menschen und deren rückwirkender möglicher Einfluß auf eine Polis in gewisser wechselseitiger Abhängigkeit stehen, und aufgrund der Veränderlichkeit bestehender Verfassungen sich auch die philosophische Natur beständig wandelt. 220 Die im Logos dargelegte Politeia kann nur beständig sein, wenn der wahrhafte Philosoph immer denselben Logos der Politeia innehält. 221 Auf diese Weise ist Sorge um die Polis gleichbedeutend mit der Sorge um die Seele. Allerdings ist das „philosophische Geschlecht" nur dann in der Lage, eine Polis zu leiten, wenn diese „gereinigt" ist. Die Erörterung ist nun bei dem Problem angelangt, was zuvor mit der Einführung in die Abhandlung von den Seelenteilen als „größerer und weiterer Weg" 222 angekündigt war. „Größer" auch in dem Sinne, insofern die Idee des Guten als „höchste Einsicht" (μεγιστον μάθημα) die Gerechtigkeit noch überragt und erst durch sie Gerechtigkeit „brauchbar und nützlich", d.h. praktisch anwendbar werden kann. 223 Doch auch darüber, was das Gute ist, herrscht nach Piaton ein grundsätzlicher Widerstreit. Während einerseits von den „Vielen" die Lust für das Gute gehalten wird, wird von anderen „Feineren" (κομψοτέροις) das Denkvermögen (φρόνησις) dafür gehalten. Weder die eine noch die andere Auskunft entspricht der platonischen Lösung, die in aller Ausführlichkeit im späten Philebos dargelegt ist und alle Betonung darauf legt, auf das in der Mitte Liegende zu achten. 224 Dem Guten 218

R. 487 a-e. R. 491 a-e. 220 R. 497 a-b. 221 R. 497b-d, vgl. 412aund 424a-b, hier das Wort διαφθαρέν, das als Gegensatz zu μεταβάλλειν, das Auslassen und Abziehen der seelischen Selbstbewegung von einem Prozeß benennt. 222 μακρότέρα καί πλείων οδος, 435 d 4 und 504 a-b. 223 R. 504d-505a. 224 Phlb. 16 c-17 a. 219

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„jagt" jede Seele nach, aber viele verfehlen es oft. Damit schließt sich der Kreis der Argumentation, der mit der Frage nach dem Philosophen begann und wieder bei ihm enden muß, wenn das Gute denn etwas ist, was auch gewußt werden kann. In aller gebotenen Ausführlichkeit und Umständlichkeit wurde das Argument für die Bedeutung des Philosophen in der Politela dargestellt. Damit sollte wesentlich gezeigt werden, daß das Konzept der Gerechtigkeit als psychischer Gesundheit von Piaton selbst in seiner Zirkelhaftigkeit erkannt wurde und konsequenterweise auch so dargestellt werden mußte. Politela und Seele sind nur vermeintlich selbstgenügsam in ihrer Selbstbezüglichkeit, das zeigt das Erkenntnisproblem. So wie der Mensch in den größeren Zusammenhang der Polis eingeholt wird, muß auch die Polis in den größeren und größten Zusammenhang des Kosmos eingefügt gedacht werden. Eine Andeutung davon gibt die .naturphilosophische' und dialektische Ausbildung des Philosophen in der Politeia (521c ff.), die Ausführung stellt der Timaios dar. Die Harmonie und Selbstregulation (des Kosmos,) des Gemeinschaftsgefüges wie der komplexen Seele, sind letztlich von einer nicht in der dynamischen Ordnung selbst enthaltenen Bedingung abhängig und sollen aus der Beziehung zu etwas anderem, wie Grund und Folge darstellbar sein. Die Möglichkeit der Orientierung des für sich zweideutigen Eifrigen in der Seele verdankt sich dem denkenden Teil, dem λογιστικόν; die Orientierung der besten Polis dem in ihr herrschenden Philosophen. Beide, das λογιστικόν in der Seele und der Philosoph in der Polis, definieren sich aus ihrer strebenden und liebenden Beziehung zu ihrem Gegenstand, der letztlich das Gute ist. Streben und Lieben aber bedeutet nach Piaton, daß der Gegenstand des Strebens und der Liebe dem Liebenden e n t z o g e n ist, d.h. er ist n i c h t , was er liebt. Das bewußt paradoxe und vorsichtig vorgetragene Argument erklärt sich aus der fundamentalen Zweiseitigkeit der Seele. Durch ihre strebende Beziehung zur Idee des Guten soll die Seele, ohne es selbst zu sein, sowohl in sich, als auch in der Polis eine Wohlordnung und Harmonie der Teile herstellen können. Die Aufgabe der drei Gleichnisse im sechsten und siebten Buch ist es unter anderem, die Problematik dieses Verhältnisses aufzuzeigen. Im ersten Gleichnis, mit der Idee des Guten als Sonne, wird das Denkvermögen samt seinem Gegenstand auf das Gute als dessen Ursache zurückgeführt 225 ; wobei dem Überragtwerden des Seins durch das Gute genau die Metaphorik des „Sprößlings" und der „Zinsen" in der Darstellung durch Sokrates entspricht. Dagegen versucht das Liniengleichnis die mögliche Beziehung zur auf diese Weise entzogen scheinenden Idee des Guten zu thematisieren. Es wird, ähnlich wie in Phaidon 100 b, 225

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R. 506b-509b, bes. 508e-509a.

aber genauer, die Hypothesis als „Zugang und Anlauf" 226 , nicht als „Anfang" (άρχή, im Sinne eines mathematischen Axioms), benutzt, um zu einem wahrhaft „voraussetzungslosen Anfang von Allem"227 zu gelangen. Der Weg über die Hypothesis führt im Gegensatz zur kontrastierend beschriebenen geometrischen Methode ohne die Zuhilfenahme von sichtbaren Gegenständen bzw. Figuren und Schemata ausschließlich vom Denkbaren (νοητόν) zu den Ideen. Das Höhlengleichnis beschreibt schließlich die Umwendung der Seele als teilweise schmerzlichen, jedenfalls mühevollen und schließlich gefährlichen Vorgang. Abrupt wird dieses Gleichnis nach der Einteilung der vier „Zustände" (παθήματα) der Seele damit eingeleitet, daß mit dem folgenden Bild „unsere Natur" bzgl. Erziehung und Unerzogenheit betrachtet werden solle.228 Erst die daran anschließende Deutung des Gleichnisses fordert, das Bild von der Höhle mit den vorangegangenen zu verbinden. Das Bild beschreibt die Befangenheit der Seelen in den Fesseln der Vorstellung als das übliche Leben in der Polis. Eine „Lösung" und „Heilung" 229 ist nur möglich durch „plötzliches Aufstehen" und „Umwendung" 230 , das in die zuvor gleichförmige Bewegung und Bewegtheit des „Gefangenen" mit seiner Umgebung einen Bruch hineinbringt. 231 Der Bruch mit der Ununterschiedenheit von der Umgebung ist jedoch erst der Anfang eines Aufstiegs aus der Höhle. Der erkenntnismäßige Fortschritt dieses Aufstiegs wird zugleich mit den Worten eines ,ontologischen Komparativs' gekennzeichnet. Wenn einer darüber sprechen sollte, würde er sagen: „damals habe er Unsinn gesehen, jetzt aber, dem Seienden viel näher und dem mehr Seienden zugeneigt, sähe er richtiger".232 Im Rückblick des solcherart Aufgestiegenen wird dieser „Umschlag" Grund seines Glücks 233 und durch nichts zu ersetzen. Aber im Abstieg wird eine gewisse Unfähigkeit bemerkbar, nämlich sich den ,Lichtverhältnissen' in der Höhle sofort anzupassen, und zudem wird

226

έπίβασις καί όρμή, vgl. 511 b 6. μεχρί τοΟ άνυποθέτου επί την τοϋ παντός αρχήν, b 6-7. 228 R. 514 a 1-2. 22 ' λύσις τε καί ϊασις, 515c4. 230 vgl. c7: εξαίφνης άνίστασθαι und περιάγειν. 231 Die „Lösung" der Fesseln, die Umwendung, der Aufstieg - diese Ereignisse werden unpersönlich mit Hilfe von Passivkonstruktionen ausgedrückt (vgl. 515 c und e). Piaton läßt es in der Schwebe, ob der Zwang zur Umwendung und zum Aufstieg ein innerseelisches Motiv ist oder durch einen äußeren Anstoß erzeugt wird. Darauf antwortet 518 b-d mit einem Vergleich zu Sehfähigkeit, wonach eine Umlenkung nur möglich ist unter Voraussetzung des Sehvermögens. 232 τότε μεν έώρα φλυαρίας, vCv δε μάλλον τι έγγυτέρω τοϋ δντος καί προς μάλλον δντα τετραμμένος όρΟότερον βλέποι, 515 d 2-4. Vgl. die aufsteigende Reihenfolge von den „Schatten" in der Höhle, den Gegenständen, die sie werfen, der Lichtquelle in der Höhle bis zu den Gegeständen außerhalb und der Sonne als πάντων αίτιος, 516c 1. 233 5 1 6 c5: αύτόν ... εύδαιμονίζειν της μεταβολής. 227

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der anfängliche Bruch nunmehr als Gegensatz zu den in der Höhle Verbliebenen offenbar. 234 Die Interpretation des Gleichnisses, die Sokrates unmittelbar anschließt und die die drei Gleichnisse zu verbinden fordert, beginnt mit der Wiederholung des Dualismus von Sichtbarem (όρατόν) und Denkbarem (νοητόν), die die Struktur des Sonnen- und des Liniengleichnisses bestimmte. Die Höhle entspricht dem Bereich des Sichtbaren, das Feuer in ihr der empirischen Sonne; die Region außerhalb der Höhle dem Bereich des Denkbaren, deren ideelle Sonne das Gute ist. Bereits im Liniengleichnis war die Dualität der beiden Bereiche in die Seele hereingenommen, in Gestalt der vier παθήματα. Der Umschwung und Aufstieg der Seele zum Denkbaren im Höhlengleichnis findet in der Seele statt, es ist eine raumlose oder ortlose Bewegung der Seele in sich.235 Dennoch ist diese Bewegung der Seele nicht auf sich selbst gerichtet, sondern auf etwas anderes ,außer' ihr, das Gute. In der Bewegung von der einen zur anderen ,Seite' gibt es keine fließenden Ubergänge, sondern abrupte Umschläge, sie sind von Piaton durch die jedesmalige Blendung und nachfolgende kurzzeitige Blindheit metaphorisch beschrieben. 236 Die Umwendung der Seele kann nur gelingen, wenn sie sich vollständig, als ganze umwendet: ξύν ολη τη ψυχή (518 c 8). Eine „Kunst der Umwendung" 237 kann nur wirksam sein, wenn sie in der Seele das Vermögen sich umzuwenden voraussetzt und sich darauf beschränkt, dem Vermögen die richtige Richtung mitzuteilen. Die „richtige" Richtung wird als eine „nach oben" (ανω) bezeichnet, zu dem „mehr Seienden" (μάλλον öv). Die Beziehung, methodisch durch die Hypothesis bezeichnet, ist ontologisch betrachtet liebendes Streben. Diese ontologische Verfaßtheit der Seele, sich im ganzen nach oben auszurichten und danach zu streben, „oben" zu bleiben238, muß für die Politela zugleich zum Problem werden, denn die Gerechtigkeit der Politeia und der Polis ist, wie gesehen, abhängig von der Herstellung seelischer Gesundheit, die ihrerseits von der Orientierungsfähigkeit des λογιστικόν abhängig ist. Soll das im Logos aufgestellte Muster 254 R. 516e-517a. Ausführlicher stellt die Digression im ΓΑί. 172 c-176 c das Problem des Gegensatzes von Philosophie und Politik, stellvertretend durch die Gegenüberstellung von Philosoph und .Advokat' dar. Doch steht die sokratische Aufforderung: ένθένδε έκεΐσε φεύγειν und die damit verbundene όμοίωσις θεφ, 1 7 6 a 7 - b 1, nur ,äußerlich' gesehen im Gegensatz zum geforderten „Abstieg" des Philosophen in der Politela. 235 Auf die ,Raumlosigkeit' der Bewegung in der Seele hatte S. Bernadete in seinem Vortrag „Sun,Line,Cave: On Plato's Republic" in der C.F.v. Siemens Stiftung am 8.1.1988 - hingewiesen. Seine Deutung zielte darauf ab, zu zeigen, daß das Gute in der Höhle sei, also keinesfalls transzendent. Eine Deutung, der hier nicht gefolgt werden kann. 236 R. 517d-518 b. Vgl. die Verwendung von εξαίφνης in 515c7, 516a3, sowie die Gegenüberstellung des Philosophen und des .Advokaten' im Tht. 174 b-175 e. 237 τέχνη ... της περιαγωγης, 5 1 8 d 3 - 4 . 238 Davon handeln u.a. Phd. 6 4 e - 6 9 d , Tht. 176a-b.

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einer Polis also in sich stimmig bleiben, darf dem Philosophen nicht erlaubt sein, sich vom Leben der übrigen abzuwenden, obwohl gerade die Unlust am Regieren ihn auszeichnet. Piaton begnügt sich damit, den Körperbezug des Philosophen anzuzeigen, indem er an die gewährte „Nahrung" 239 erinnert. Der Unterhalt, der dem Philosophen in der Polis gewährt sein soll, den bereits Sokrates für sich in der Apologie gefordert hatte (36 d-e), scheint wiederum ein zirkelhaftes Argument darzustellen: Diejenigen, die die wahre Politeia und beste Polis herstellen sollen, sollen sich selbst bereits als Produkte der Polis auffassen. Demzufolge ist ihre politische Tätigkeit für sie das Abtragen einer Schuld und nicht Frage von Lust oder Unlust am Regieren. Tatsächlich läßt sich aus der Körperbeziehung der Seele selbst ein Argument ableiten, das nicht zirkulär ist, aber es ist in der Politeia nicht ausgesprochen, es müssen Stellen aus anderen Dialogen herangezogen werden. Der Eros zum Guten und Schönen, der die Seele aus ihrer erkannten Selbstbezüglichkeit in Beziehung zum wahrhaft Seienden als wirklich denkt, versteht sich aus anderem Blickwinkel als „Einübung in den Tod". 240 Dennoch ist Selbstmord keine Lösung. 241 In demselben Augenblick, in dem die Seele, ganz umgewendet, bei dem begehrten mehr Seienden sich ruhend denkt, schlägt sie in sich um in Bewegung - und wird an den Körperbezug erinnert. Ein Unwilligwerden gegen den eigenen Körper, der Gedanke, durch ,Selbstentleibung' das gewünschte Ergebnis zu erzielen, kann nur als Nichtwissen von der Zweideutigkeit der Seele in sich gelten. Statt dessen muß umgekehrt die mühevolle Anamnesis, die Wiedererinnerung an den Aufschwung und erneutes Aufsteigen, also die Rückbewegung der Seele selbst in sich, einsetzen. Die Vorbereitung für den Aufstieg, die Beruhigung des Körperbezugs in der Seele, ist die Komplementärbewegung zur erotischen Mania 242 und zieht sich durch das platonische Werk als sokratisches Erbe: „Sorge um die Seele" (έπιμέλεια της ψυχής). Der „Abstieg", den der Philosoph auf sich nehmen muß, ist in sich selbst, in der Sorge um seine eigene Seele begründet, deren „Gesundheit" und Harmonie aufgrund ihrer Zwischenstellung zwischen Bewegung und Ruhe, d. h. der Verknüpfung der Gegensätze in sich, er ,immer wieder' herstellen muß. Der Körper hindert die Seele am Aufschwung, aber gleichzeitig muß die Seele erkennen, daß sie in sich selbst nicht einfach Bewegung nach oben ist, sondern dialektisch Bewegung und Ruhe verbindet. Insofern trägt die Analogie, wenn Sokrates sagt, daß Gerechtes gegen die Philosophen ge-

240 241 242

τροφή, 519b-520d. μελέτη θανάτου, Phd. 81 a 1 . Ebd. 61 c-63b. ενθουσιασμός, vgl. Phdr. 249 d 2.

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sprochen werde, „wenn sie dazu genötigt werden, für die anderen (Bürger der Polis) zu sorgen und sie zu schützen". 243 So wie der einzelne im anamnetischen Aufstieg nicht einfach alles Hindernde, Körperliche, Alogische zurücklassen kann, sondern versuchen muß, dieses zu ihm Gehörige miteinzurechnen, ebenso muß der Philosoph als Herrscher mit dem Nichtphilosophischen als notwendigem Teil einer ganzen Polis umgehen und es als Eigenes behandeln. Sokrates hat die Bedingung der Möglichkeit seiner Behauptung von der Philosophenherrschaft als Umschlag, und zwar der Seele in sich, dargelegt. Die Philosophenherrschaft ist demnach in dem Maße möglich, wie die Seele als Umschlag und Bewegungsanfang möglich ist. Die Umwendung der Seele zu dieser Herrschaft mit Einsicht, die das plötzliche Umschlagenkönnen voraussetzen mußte, ist selbst aber nicht von der Art eines Umschlags von „schwarz in weiß" 244 , sondern ist Umwendung durch Erziehung, die bereits „Übung" (Gymnastik) und „Gewöhnung" (durch Musik) voraussetzt, und in der Ausbildung in den philosophischen Disziplinen der Mathematik - Arithmetik, Geometrie, Stereometrie, Astronomie und Harmonik - und schließlich der Dialektik vollendet wird. Erst die Dialektik bewirkt eigentlich die Umwendung des „Auges der Seele"245, über die Aufhebung der Hypothesen zu den Ideen. Der Aufstieg der Seele zum Guten, in theoretischem Sinne, erweist sich beim Abstieg als praktisch relevant: dies gibt die Erörterung über das Problem der Lust und Unlust im neunten Buch zu erkennen, die im Zusammenhang der Beweise für das Unglück des Ungerechten gegeben ist. In dieser Erörterung, die, zurückweisend auf die Seelenteilung im vierten Buch, drei verschiedenen Arten von Lüsten die dementsprechenden ,Menschentypen' zuteilt 246 , wird die Lust entsprechend der „Nahrung", von der sie erzeugt wird, in körperliche und seelische unterschieden. Die seelische Nahrung gilt als „mehr seiend" (μάλλον öv), weil sie am „immer Gleichen" (το άεί ομοιον) und Wahren teilhat. 247 W. Brökker irrt, wenn er meint, daß dadurch bei Piaton ein sinnlicher Tatbestand aus der Anschauung durch seine Umdeutung in einen begriffli-

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προσαναγκάζοντες των άλλων έπιμελεισθαί τε και φυλάττειν, 520 a 8-b 1. Vgl. 521 c5. Platon verwendet als Beispiel das Kinderspiel όστρακίνδα, bei dem sich, je nach dem, auf welche Seite die - auf der einen Seite schwarz, auf der anderen weiß bemalte - Scherbe fällt, die beiden Spielgruppen fangen und jagen. Erziehung kann nach Piaton keine Zufallssache sein, sondern ist geduldige, wissensorientierte Arbeit (die das „Spiel" keineswegs ausschließt). Vgl. J. Adam, The Republic of Plato, Bd. II, Cambridge 1965, S. 165, Anm. zu 521 c. 245 της ψυχής δμμα, 533 d 2. 246 581 c5: φιλόσοφον, φιλόνικον, φιλοκερδές; vgl. Phd. 68b-c. 247 R. 585b-c. Zur Metapher der Nahrung der Seele vgl. Prt. 314b, Grg. 4 9 3 a f f . 244

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chen Sachverhalt ein „Mehr" an Sein erhalte. 248 Vielmehr wird von Piaton damit angedeutet, daß Teilhabe am Sein zum einen nur durch die Seele stattfindet; seelisches ,Sein' mißt sich zum anderen durch seinen ,Grad' der Teilnahme an Sein. Der Grad der Teilnahme der Seele an Sein ist bestimmt durch die Qualität der Gegenstände des jeweiligen Lustempfindens. Man mag den platonischen Grundgegensatz der Unvergleichlichkeit und Unvereinbarkeit von Körperlichem und Ideellem ablehnen, aber man muß dennoch die platonische Lösung und Überbrückung dieser Teilung, deren Prinzip die Seele ist, und die als ein „Werden zum Sein" (γένεσις εις ούσίαν) für die Philosophie die Richtung von ,weniger' zu ,mehr' Sein einschlägt, als die im gesamten Werk durchgehaltene und gültige anerkennen. 249 An der genannten Stelle im neunten Buch wird die Leitung des „philosophischen" Teiles als beste Möglichkeit einer gerechten und jeden einzelnen Teil nach seiner Art am besten berücksichtigenden Verteilung der Lust bezeichnet (586 e 3-7). Auch im später folgenden dreigestaltigen Bild der Seele wird noch einmal die Sorge (έπιμελεια) erwähnt. Die Sorge des obersten Teiles ("innerer Mensch") für den untersten Teil (das „Vielköpfige") ist es, mit Hilfe des Mittleren zum Zwecke der Gemeinschaft und Befreundetheit der Teile untereinander den untersten Teil zu zähmen und zu pflegen. Gerechtigkeit als psychische Gesundheit, erwiesen aus der Dreiteilung der Seele, ist ein ethisches und politisches Konzept. Die gesunde und wohlgeordnete Seele des Philosophen ist im höchsten Sinne glücklich zu nennen, nicht weil sie sich gewissermaßen zu ewiger Schau des Unvergänglichen vom Irdischen und Vergänglichen vollständig verabschiedet hat, sondern weil sie aus dem strebenden und liebenden Bezug zum Guten in sich allen anderen Bedürfnissen und Strebungen (der übrigen „Teile") das ihnen jeweils Zukommende und Notwendige zuzumessen weiß. Die Seele des Philosophen kann nach Piaton am meisten und auf das dauerhafteste das erreichen, wonach sie strebt, indem sie „das Ihrige" tut, und ist deshalb „mehr seiend". Dagegen bedürfen alle anderen Strebungen, um dauerhaft zu sein, ebenso des obersten, denkenden Seelenteils und sind auf diese Weise unvermögend, vollständig „das Ihrige" zu verrichten. Aus dieser positiven Selbstbezüglichkeit erwachsen dem Philosophen in der Politela zugleich drei wichtige Funktionen, die drei verschiedene Aspekte der Philosophenherrschaft darstellen: er ist Richter, Erzieher und Arzt der Seele. Diese drei 248

W. Bröcker, „Piatons ontologischer Komparativ", Hermes 87 (1959) 421 ff. Der Ausdruck χωρισμός, der in der Literatur für diesen Ausdruck begegnet, wird von Piaton selbst nur Phd. 67 d 3 und 7 für die „Trennung" von Körper und Seele gebraucht. Aristoteles verwendet den Ausdruck unspezifiziert (vgl. Met. A 8 989 b 4; Ph. δ 6 213b25); dagegen den Ausdruck χωρίζειν in Kritik an der platonischen Schule: z.B. Met. Ζ 16 1040 b 27 ff.

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Aspekte verkörpert bereits in den Frühdialogen der Lehrer Piatons, Sokrates, der an mehreren Stellen als der „gerechteste" Mensch seiner Zeit bezeichnet ist.250 Das Konzept der seelischen Gesundheit, das die Tugend der Gerechtigkeit darstellt, kann daher nicht als .Selbstgerechtigkeit' mißverstanden werden. 251 Unter der Voraussetzung des sorgenden und therapierenden Verhältnisses zum eigenen Körper, vermittelt durch dessen Repräsentation in der Seele, ist der Philosoph zugleich in der Lage, im Prinzip ein positives, d.h. ordnendes, im Hinblick auf die eigene seelische Gesundheit die Politeia besorgendes Verhältnis zur Polis einzunehmen, ohne sich selbst gegenüber ungerecht zu werden. Die genuine Tätigkeit des Philosophen ist dabei keineswegs auf die Vermittlung von Wissensinhalten - den richtigen μαθήματα als richtiger Ernährung der Seele - beschränkt, sie ist vielmehr im engeren Sinne als „Kunst der Umwendung" 252 , und im weiteren Sinne als „Seelenleitung" 253 oder Sorge um die Seele zu verstehen. Piaton weist der Seele als ,Mitte' des Seins in ethisch-politischer Hinsicht die wesentlich vermittelnde Rolle zu. Das ist nur möglich unter der Voraussetzung, daß die Seele „besonders von Natur" ist - wie weiter oben bereits ausgeführt wurde. Dabei hat sich an der Interpretation der Politeia gezeigt, daß die Seele eine unsymmetrische Mitte darstellt. Die Seele steht schon per definitionem in einem Widerstreit, ihre Darstellung in verschiedenen Teilen verdeutlicht das Problem der potentiellen Selbstentzweiung des Menschen. Die Seele als Ganzes ihrer Teile zu erkennen, setzt die Anerkenntnis dieses Widerstreits in der Seele voraus. Die für ein gutes Leben geforderte Harmonie der Seele kann nur durch das Akzeptieren der Asymmetrie in der Seele und in der Wahl eines Außer-sich-Seienden, dem Guten selbst erreicht werden. Die Wahl des guten Lebens, das Verlangen nach Glück, εύδαιμονία, besteht nicht in einer ,Selbst-Wahl', einem Willen zu Sich. Das Eifrige, als Mitte der Seele und ihre Zweideutigkeit repräsentierend, darf nicht sich selbst, es muß das Gute außer sich wählen, indem es der Vernunft gehorcht. 250

Phd. 118 a Ende, Ep. VII, 324 e 1-2. Seelische Gesundheit als Voraussetzung für den guten Richter: R. 409 a ff. 251 Vgl. dag. das Mißverständnis bei A. Kenny, „Mental Health in Plato's Republic", a.a.O., S. 24, der eine vermeintliche „Rechtlosigkeit" des Nicht-Zurechnungsfähigen, wovon ein Beispiel bereits im 1. Buch R. 331 czeuge, annimmt. Alle anderen außer dem Philosophen seien nicht voll zurechnungsfähig, daher sei der Philosoph selbstgerecht, und legitimiere letztlich „falsche Rede" als „Heilmittel" (φάρμακον, 382 c). Ähnlich, aber aus klar erkennbaren Vorurteilen, interpretiert W. Pfannkuche, a.a.O., das „gute Leben" des Philosophen, d.h. der Herrscher, erzwungen durch das relativ .schlechtere' Leben der Nicht-Philosophen, d.h. der Beherrschten. 252 τέχνη της περιαγωγής, R. 518 d 3-4. 255 ψυχαγωγία, Phdr. 271c 10.

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3. Vergleich zwischen dem platonischen und dem psychoanalytischen Begriff der Seele in bezug auf das Problem der Entscheidungsfreiheit Einen ärztlichen Begriff des Moralischen legt in der Moderne die Psychoanalyse nach S. Freud nahe. Ausgangssituation der Psychoanalyse ist die Krankheit der Seele, oder vielmehr: die Psychoanalyse hat für die Moderne, in der die Objektivität der medizinischen Wissenschaft am Maßstab technischer Uberprüfbarkeit körperlich-organischen Leidens gemessen wurde, ein neues Paradigma eingeführt, das den seelisch Leidenden zu einem objektiv Kranken erklärte. Der Psychoanalytiker wird - vergleichbar dem platonischen Philosophen - zu einem Arzt der Seele, indem von ihm das beste Verhältnis zu sich selbst als Voraussetzung gefordert ist, um anderen helfen zu können. 254 S. Freud beschreibt die Vorgänge in der Seele zunächst aus einer Entgegensetzung von Bewußtem und Unbewußtem. Aus dieser anfänglichen Zweiteilung entwickelt er eine Dreiteilung des von ihm sog. „psychischen Apparats" in „Es", „Ich" und „Uber-Ich". 2 5 5 Insbesondere der größte Teil der Seele, das „Es", scheint einen Vergleich zum platonischen έπιθυμητικόν herauszufordern. 2 5 6 Im Es können nach Freud „gegensätzliche Regungen nebeneinander bestehen, ohne einander aufzuheben oder sich voneinander abzuziehen". Er ist der Ansicht, daß angesichts dieses Sachverhalts das logische Widerspruchsprinzip versagt. 257 Das Es sei gegen den biologischen Körper „am Ende offen". Auch, daß nach Freud die Grenzen des Es gegen die anderen Teile des „psychischen Apparats" nicht scharf zu ziehen sind, scheint mit der Ablehnung Piatons, die Teilung der Seele absolut zu setzen, vereinbar. 258 Das Ich, das als verdrängende Instanz in bezug auf das Unbewußte gilt und daher zu einem „großen Teil" unbewußt sei,259 wird von Freud als ein Apparat der Regulation und Anpassung an die „Realität" (das ist nach Freud die „Außenwelt" gegenüber der Seele260) aufgefaßt. Im Ich regiere das „Realitätsprinzip" 261 . Dennoch flössen Ich und Es „nach un254

Vgl. S. Freud, „Die endliche und die unendliche Analyse" (1937), GW 16,93 f. Vgl. S. Freud, „Das Ich und das Es" (1923), GW 13,251 - den Begriff des „Es" hat Freud von dem Arzt und Psychiater G. Groddeck übernommen, der diesem „Bereich" bereits vor Freud eine fundamentale Bedeutung für das gesamte Leben zuschrieb. 256 Vgl. R. 437 c, 442 c, 580 e, 588 d - und S. Freud, „Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit" ( = 31. Vorlesung aus „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse", 1933), GW 15, 80 und „Die Frage der Laienanalyse", GW 14, 221. 257 S. Freud, „Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit", a.a.O., S.80, vgl. hierzu die Beschreibung des vom έπιθυμητικόν beherrschten „demokratischen" Menschen bei Platon, R. 560e-561e. 258 A.a.O., S. 86 - zu Piaton vgl. R. 436 a-b, 612 a. 259 S. Freud, „Das Ich und das Es", a.a.O., S.244f. 260 Vgl. „Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit", a.a.O., S. 83 f. 261 „Das Ich und das Es", a.a.O., S.252. 255

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ten hin zusammen". 262 „Ich" wird als ein durch die Realität und durch das Wach-Bewußtsein genetisch veränderter Teil des Es aufgefaßt. Aber auch das Uber-Ich, das in der Seele die „Selbstbeobachtung" durchführe, das „Gewissen" repräsentiere und eine „Idealfunktion" ausübe, das sich u.U. gegen das Ich und dessen „Selbsterhaltungstriebe" wende, gehöre in gewisser Weise zum Bereich des Es: das Überich „taucht in das Es ein". 263 Mit der Dreiteilung versucht S. Freud ebenso wie Piaton ein Konfliktmodell in der Seele darzustellen. Gemeinsam scheint beiden Modellen die Asymmetrie der Teile (das „Es" bzw. das έπιθυμητικόν überrragen die anderen Teile an Größe bei weitem), sowie der Begriff psychischer Gesundheit, der in Harmonie und Ausgleich der Teile besteht, wohingegen Krankheit ein ungelöster Konflikt der Seele ist.264 Aber Freud geht es im Unterschied zu Piaton tatsächlich darum, eine Lehre von der Seele, eine Psychologie zu etablieren. In der kleinen Schrift „Psycho-Analysis" 265 gibt Freud einen kurzen, aber komprimierten Uberblick über die drei wesentlichen Aspekte des Seelenlebens, die er mit den Prädikaten „dynamisch" (1), „ökonomisch" (2) und „topisch" (3) bezeichnet, wodurch er den Schritt von der bloßen Pathologie zu einer „Psychologie des normalen Seelenlebens" beschreiben will.266 (1) Der dynamische Aspekt des Seelenlebens beschreibt ein Spiel von „Kräften" in der Seele, die einander fördern oder hemmen, die sich miteinander verbinden oder voneinander abtrennen. Diese Kräfte sind ursprünglich „organischer Herkunft". Die „Ichtriebe" dienen nach Freud v. a. der Selbstbehauptung, die „Objekttriebe" stellen den Bezug zu anderem außer dem Ich her. Soziale Triebe sind von Freud nicht als genuine Triebe anerkannt, sondern werden als abgeleitet eingestuft. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Existenz z w e i e r voneinander verschiedener G r u n d t r i e b e , des „Eros" - dieser Grundtrieb hat sich aus dem vormaligen alleinigen Trieb der „libido" entwickelt - und des „Destruktionstriebs", den er an anderen Stellen auch als „Todestrieb" bezeichnet. 267 (2) Der ökonomische Aspekt des Seelenlebens betrachtet den Energiehaushalt der Seele. Freud bemerkt eine Tendenz des Ausgleichs im 262

A.a.O., S.251. „Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit", a.a.O., S. 86, vgl. S. 72. 2 " Vgl. zu Freud: „Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit", a.a.O., S. 83 f. und „Die Frage der Laienanalyse", GW 14, 228. Zur relativen Größe der Seelenteile bei Piaton vgl. R. 588 d. 265 In: S. Freud, GW 14, 299-307. 2 " A.a.O., bes. S.301 f. 267 Vgl. S. Freud, „Jenseits des Lustprinzips" (1920), GW 13, 66, Anm., w o Freud einen Abriß über die gewissermaßen dialektische Entwicklung dieser Grundtriebe gibt - und „Das Ich und das Es", a.a.O., S.268. 263

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psychischen Apparat, die ein möglichst geringes Energieniveau zum Ziel hat. Die Regulation sei dabei „automatisch durch das Lust-Unlust-Prinzip" gewährleistet. Rückkopplung mit der Außenwelt führe zu Triebverzicht. Letzterer Aspekt ist nach Freud Ursache von Sublimation, d. h. Verfeinerung und Überhöhung von Trieben, die in eine vom sog. körperlichen Triebsubstrat immer entferntere und abstraktere Ebene des Seelenlebens führen. (3) Der topische Aspekt des Seelenlebens schließlich betrifft die bereits dargestellte Teilung der Seele in Es, Ich und Uber-Ich. Der letztere, „topische" Aspekt der Seele nach Freud, der hier zum Ausgangspunkt des Vergleichs führte, ist keineswegs der entscheidende, der in der Literatur zu Piaton und Freud, sofern Vergleiche angestellt werden, hervorgehoben wird. 268 Vielmehr wird der Schwerpunkt eines Vergleichs auf die Trieblehre Freuds bezogen, in der man eine neue und weiterentwickelte Form der „Eroslehre" Piatons zu erkennen meint. 269 Aber dabei wird ein entscheidender Unterschied zwischen Piaton und Freud nicht berücksichtigt. Während Freuds Begriff von „Wirklichkeit" die Außenwelt meint, zu der - kosmologisch gesehen der Mensch mit seiner Seele gehört, sind nach Piaton Wirklichkeit und Sein verschieden. Wirklichkeit ist ontologisch nur unter Voraussetzung von Sein zu denken, d. h. Wirklichkeit ist auf Sein bezogen. Das Prinzip der Wirklichkeit bei Piaton ist, wie oben ausgeführt, die Seele. Wirklichkeit ist so gesehen D a r s t e l l u n g des Seins durch Seele. Die körperliche .Außenwelt' ist wirklich mittels Seele. Umgekehrt repräsentiert nach Freud die Seele in ihren Trieben die „Realität" der Außenwelt. Die zunächst von Freud vorgenommene Differenzierung von Be2 6 8 Bei A. Kenny, a.a.O., S. 10-14, wird schnell deutlich, daß ein solcher Vergleich Schwierigkeiten bereiten muß. Ist der Vergleich zwischen „ E s " und έπιθυμητικόν noch tragfähig, s o wird der Vergleich des „ I c h " mit dem λογιστικόν bereits schwierig, denn das Ich steht bei Freud in der Mitte zwischen Es und Ü b e r - I c h , ihm k o m m t die Funktion des Ausgleichs zu (vgl."Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit", a.a.O., S. 83 f.), welche bei Piaton im Widerstreit der Seele dem θυμός zugewiesen ist. D i e M e t a p h e r von P f e r d und Reiter, die Freud verwendet (ebd.) und die durchaus an das platonische Bild des Seelengespanns erinnert, zeigt die entgegengesetzte Verteilung, „ I c h " als Reiter, der die Richtung vorgeben will, das „ E s " als Pferd, das der R i c h t u n g s a n g a b e zuwiderlaufen kann, das U b e r - I c h ist dabei unterschlagen. Eine eindeutige Z u w e i s u n g des einen Seelenteils bei Piaton zu einem entsprechenden bei Freud scheint nicht möglich. Wahrscheinlich hat Y. Brés, L a psychologie d e Piaton, Paris, 2. ed. 1973, S. 309 ff., aus diesem G r u n d den Vergleich zu Freud nicht g e z o g e n , obwohl seine Interpretation Piatons auf Freud'scher Psychoanalyse fundiert ist. Dieser Hintergrund der Interpretation macht u. a. verständlich, w a r u m Brés die A u f f a s s u n g vertritt, daß Piaton erst mit der „ E n t d e c k u n g " des Erotischen in sein bis dahin „statisches" M o d e l l der Seele B e w e g u n g bringt ( S . 3 1 9 ) . 269 Vgl. M . N a c h m a n s o h n , „ F r e u d s Libidotheorie verglichen mit der Eroslehre Piatos.", Internationale Zs. f ü r Psychoanalyse 3 (1915) 6 5 - 8 3 . Weitere Literaturhinweise auch bei W . K . C . Guthrie IV, 393 ff. Auch Freud selbst hat in Piaton einen V o r l ä u f e r seiner T h e o r i e gesehen: Vgl. ζ. B. „ D i e Widerstände g e g e n die Psychoanalyse", G W 14, 105.

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wußtem und Unbewußtem in der Seele, die entfernt an die traditionelle Entgegensetzung von Geist und Natur oder Subjekt und Objekt erinnert, wird durch die Trieblehre aufgehoben: „Ich meine wirklich, der Gegensatz von bewußt und unbewußt hat auf den Trieb keine Anwendung. Ein Trieb kann nie Objekt des Bewußtseins werden, nur die Vorstellung, die ihn repräsentiert. Er kann aber auch im Unbewußten nicht anders als durch die Vorstellung repräsentiert sein." 270 Was das Problem der Selbsterkenntnis angeht, tappt der Mensch nach Freud im Dunkeln, da er den Ursprung seiner selbst in den Trieben erkennen soll, die Triebe selbst aber unerkennbar bleiben müssen. Denn Freud orientiert sich an Kants Begriff des „Ding an sich", wonach das dem sinnlichen Objekt der Erscheinung zugrunde liegende „Ding" hinter den notwendig subjektiven Bedingungen der Erfahrung grundsätzlich verborgen bleiben muß. Dennoch behauptet Freud, daß das Objekt der Introspektion tatsächlich wirklicher sei als das der Außenwahrnehmung. 271 Aus dem Vergleich der Seelenteilung muß sich daher zeigen, daß das Freud'sche Modell geradezu eine Umkehrung des platonischen ist. Die Vernunft in der Seele muß nach Freud im Prinzip als Sublimierung der zugrundeliegenden Triebstruktur aufgefaßt werden. Der platonische Begriff der psychischen Gesundheit war auf dem Prinzip des Wissen-Könnens aufgebaut, dadurch war eine Möglichkeit der Orientierung in Aussicht gestellt, wonach grundsätzlich auch jedes andere Streben und Begehren beurteilt werden kann. Wie verhält sich dazu der psychoanalytische Begriff der psychischen Gesundheit? Für den folgenden Vergleich soll die Anregung von E. Tugendhat aufgegriffen werden, wonach die Frage nach dem Problem des Glücks zwischen antiker und moderner Ethik dann einer Entscheidung näher gebracht werden kann, wenn ein Kriterium gefunden werden kann, das entsprechend demjenigen körperlicher Gesundheit die psychische Gesundheit bestimmen könnte. Zur Beantwortung dieser Frage greift er auf einen Aufsatz des Psychoanalytikers L.S. Kubie zurück. 272 Kubie zieht für seine Hypothese einer fundamentalen Unterscheidung zwischen „Normalität" und „Neurose" die von Freud vor der topologischen Unterscheidung des psychischen Mechanismus in Es, Ich und Uber-Ich entwickelte Unterscheidung der Systeme „Unbewußt", „Vor-

S. Freud, „ D a s U n b e w u ß t e " (1915), G W 10, 276. Vgl. a.a.O., S . 2 7 0 . 2 7 2 E. T u g e n d h a t , „Antike und m o d e r n e Ethik", in: R. Wiehl ( H g . ) , D i e antike Philosophie in ihrer B e d e u t u n g für die Gegenwart. K o l l o q u . zu Ehren d. 80.Geb. v. H . - G . G a d a mer, Heidelberg 1981, 5 5 - 7 3 , vgl. bes. S . 6 9 f f . L.S. Kubie, „ T h e fundamental nature of the distinction between normality and neurosis", in: Psychoanalytical Q u a r t e r l y 23 (1954) 167-204. 270

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bewußt" und „Bewußt" vor. 273 Nach Kubies Ansicht ergäben sich nach der älteren Differenzierung der Seele vielfältigere Möglichkeiten einer dynamischen Betrachtung der Seele für das Problem zwischen Normalität und Krankheit. Die Definition Kubies für „Normalität" enthält als die eine bleibende Qualität normalen Verhaltens „Flexibilität". Er beschreibt sie genauer, der erwähnten „schwächeren" Seelenteilung gemäß, als Überwiegen eines Bündnisses von Bewußtem und Vorbewußtem in der Seele, die sie in die Lage versetzt, ihre Handlungen, Gedanken, Empfindungen und Wünsche auch in der Wiederholung flexibel, anpassungsfähig und unter willentlicher Kontrolle zu halten. Kubie hebt dabei noch hervor, daß damit keinerlei Werturteil verbunden sei. 274 Die Neurose dagegen enthält entgegengesetzt die Bestimmung unfreiwilliger, zwanghafter Wiederholung. 275 Hier herrscht überwiegend ein Bündnis von Unbewußtem und Vorbewußtem. Nach Tugendhats Einschätzung dieser Unterscheidung wäre damit ein Kriterium gewonnen, das zwischen dem Prinzip antiker Ethik: „was ist es, was ich für mich wahrhaft will" - und demjenigen der modernen: „was ist es, was ich mit Bezug auf die anderen soll" (S. 63) vermitteln könnte. Der Begriff psychischer Gesundheit sei demnach ein „freies Ubersichverfügenkönnen" (S.72). „Für die Frage nach dem wahren Glück folgt dann, daß (wie uns schon die Existenzphilosophie gelehrt hat) nur das etwas wahrhaft Gewolltes ist, was ich wirklich will in dem Sinn, daß ich es frei wähle." (ebd.) Dabei sei das Was und Wozu des Wollens nicht die entscheidende Frage, sondern das W i e . Der moderne Arzt der Seele geht von der Tatsache der Krankheit aus und entwirft ein Seelenteilungsmodell zu deren Erklärung. Daraus leitet er das Postulat seelischer Gesundheit als bloßer Dispositionalität ab. Selbsterkenntnis' soll zur Einsicht in die Unwirklichkeit von Erkenntnis führen. Ausgehend von der Forderung der Selbsterkenntnis gelangt der antike Philosoph zu einer Kritik des Dispositionsbegriffs. Die Frage nach der „Fähigkeit" (δύναμις) selbst enthält die Dialektik von „Besitz und zugleich Nicht-Besitz". 2 7 6 Die Dialektik der Fähigkeit ist nach Piaton als der innere Widerspruch der Seele selbst zu erkennen. Ihre mittlere ontologische Position zwischen Körper und Idee, Bewegung und Ruhe, muß als vermittelndes Vermögen des Umschlags und Bewegungsanfang gedacht werden. Die Repräsentation der Vermittlungsleistung der Seele führt zum Begriff der seelischen Gesundheit, der wesentlich aus dem Ausgleich der Seele in sich - was in etwa A.a.O., S . 1 9 7 f . A.a.O., S. 182 ff. 275 Die Neurose ist in diesem Sinne ein sehr weit gefaßter Begriff, der keineswegs identisch ist mit „Krankheit", sie stellt vielmehr ein Vorstadium für Krankheit dar. 2 7 6 Vgl. den Hippias Afiwor-Kommentar von J . Jantzen, a.a.O., speziell zur Kritik am Dispositionsbegriff S.VIII, A.2 und S. 115. 273

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dem „Frei-über-sich-Verfügen-Können" entspricht -, u n d dem Erkenntnisstreben des λογιστικόν verknüpft ist. Wenn die vorliegende Interpretation richtig ist, dann ist modernes Nachdenken über Ethik dort angekommen, wo Piaton die Ausgangslage der Philosophie angesetzt hat. Es gibt, wie gezeigt, viele „Metaxy" im platonischen Werk. Doch Psyche liegt allen Metaxy prinzipiell zugrunde. Sie ist Umschlag zwischen - an sich - Unvergleichlichem; sie ist Prinzip und Vermittlung aller Gegensätze. Genau diese prinzipielle Leistung der Seele führt uns ins Zentrum dessen, was bei Piaton „Teilhabe" (μεθεξις) heißt. Um den Gang des Gedankens über Psyche bei Piaton in seinem späten Werk zu vervollständigen, muß also 1. die logisch-ontologische Fundierung des διαλέγεσθαι geklärt, dem „Gespräch unter Ungleichen" 277 das Gespräch unter Gleichen zur Seite gestellt werden, und 2. die Methexis, die Überbrückung des Grundgegensatzes, als seelische Leistung in metaphysisch-kosmologischer Dimension dargelegt werden.

277 So der Titel eines Aufsatzes von Th.A. Szlezák, „Gespräch unter Ungleichen. Zur Struktur und Zielsetzung der platonischen Dialoge", Antike und Abendland 34 (1988) 99-116, wo der platonische Dialog prinzipiell unter dieses Gefalle subsumiert wird, da das .wissenschaftliche' Gespräch unter Gleichen nur im esoterischen, innerakademischen Bereich verwirklicht worden sei. Das „Gespräch unter Ungleichen" ist, wie die vorliegende Arbeit ausführt, in den Frühdialogen und besonders in der Politela Gespräch von Sokrates mit Sophisten oder jungen Menschen, aber auch die Auseinandersetzung der Seele mit sich selbst unter der Bedingung ihres fundamentalen Widerstreits.

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V. Methexis Α . D A S GESPRÄCH DER SEELE MIT SICH SELBST

Das logische Problem der Differenz zwischen Gegensatz (έναντίον, έναντιότης) und Verschiedenheit (θάτερον, έτερότης) war zu Sokrates' und Piatons Zeiten weithin ungeklärt, aber umso leidenschaftlicher diskutiert. Das Erbe der eleatischen Philosophie - vor allem nach Parmenides und Zenon - bestand darin, sich aus der Unzulänglichkeit und Unsicherheit der sinnlichen Welt in das ,reine Denken' zu retten, durch schroffe Entgegensetzung von Sein und Schein, von Denken und Vorstellen bzw. Wahrnehmen. Die Sophisten, und unter ihnen v. a. Protagoras und Gorgias, aber auch der Sokratiker Antisthenes bemächtigten sich jeder auf seine Weise dieses Erbes. Gemeinsames Merkmal der Übernahme, zumindest aus platonischer Sicht, ist die methodische Verwendung von Gegensätzen in der Rede, unter Voraussetzung der Identität der Aussage mit sich selbst, bei gleichzeitiger Negation des Problems der Bedeutung. Als wesentlichen Ansatz der platonischen Philosophie erkennt die vorliegende Interpretation die sokratische „Sorge um die Seele" und die darin liegende Forderung nach Selbsterkenntnis. Damit zeigt sich das Problem menschlichen Wissens und menschlicher Existenz in seiner Angewiesenheit auf Auslegung und Rechtfertigung. Piaton trägt diesem philosophischen Problem Rechnung in der Darstellung durch Dialoge, in denen Sokrates fast omnipräsenter Gesprächsteilnehmer und meist Gesprächsführer ist. Zu den Gegenständen, insbesondere der mittleren und späten Dialoge Piatons, gehört die Kunst der philosophischen Rede, die Dialektik (διαλεκτική τέχνη). Damit aber scheint ein Problem der platonischen Philosophie und ihres hier angenommenen Ansatzes verbunden zu sein. In den Dialogen Parmenides, Theaitetos, Sophistes und Politikos scheint sich eine Kritik am Lehrer Sokrates sowie eine Selbstkritik' Piatons an der Ideenannahme mehr oder weniger ausdrücklich zu äußern. 1 Dabei wird vor allem auf jene Stelle im Theaitetos (183e-184a), an der Sokrates sich weigert, Parmenides zu kritisieren, und die nachfolgende Kritik des Eleatismus im Sophistes (241 d ff.), bei der Sokrates nur Zuhörer ist, verwiesen. H.G. Gadamer beschreibt dieses Problem auf folgende Weise: „Es gehört zu den schwierigsten Problemen, die uns die platonische Philosophie stellt, wie die beiden Ver1 Vgl. J. Mittelstraß, Die Rettung der Phänomene, Berlin 1962; W. Kamiah, Piatons Selbstkritik im Sophistes, München 1963.

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fahrensweisen, zu denen Plato die sokratische Kunst des Gesprächs fortgebildet hat, die Übung des Denkens in Gegensätzen und jenes Verfahren der Begriffseinteilung, eigentlich zusammenhängen." 2 Die Problematik liegt darin, daß das Medium der Philosophie, die Sprache, zugleich der Boden ist, auf dem auch die Sophistik sich bewegt. Die Sophistik droht die Einheit von Wissen bzw. Erkenntnis zu relativieren und zu verwirren. 3 Die Ähnlichkeit von Sophistik und Philosophie ist nach dem Wort des eleatischen Fremden im Sophistes (231 a) - der Ähnlichkeit des Wolfes mit dem Hunde analog. Wenn die platonischen Dialoge im Horizont dieser Problematik geprüft werden, muß ein sich beständig wiederholender, obschon in unterschiedlicher Weise vorgebrachter Aspekt auffallen, der ins Zentrum des Themas der vorliegenden Arbeit gehört. Denn mit der Kunst der Dialektik begründet Piaton nicht allein eine mögliche Verknüpfung von gegensätzlichen und widersprüchlichen Begriffen und damit das ,Wie' philosophischer Untersuchung, sondern mit der fundamentalen Unterscheidung von Gegensatz und Verschiedenheit 4 wird ein wichtiger Hinweis darauf gegeben, wie die paradoxe ,Entität' Psyche zu verstehen ist und welche Funktion ihr im Rahmen der Teilhabe-Problematik zukommt. Der streckenweise komödiantische Dialog Euthydemos zeigt die Problematik des Unterschieds zwischen den „Lehrern der Tugend", den Sophisten Euthydemos und Dionysodoros, und dem Philosophen Sokrates. Dieser Dialog gibt einen Hinweis, in welcher Richtung eine Lösung der oben angedeuteten Problematik zu finden ist. Wissen und Erkenntnis ist sowohl die Thematik der sophistischen Spiegelfechterei 5 , als auch die der sokratischen Liebe zur Weisheit 6 , die kontrapunktisch miteinander im Dialog verwoben sind.7 Ähnlich sind die beiden Sophisten dem Sokrates auch darin, daß sie sich der kurzen Gegenrede bedienen, wobei sie zu fragen pflegen und andere auf diese Fragen antwor- » ten lassen. Aber diese ihre Kunst hat einen Haken, den Sokrates ausfindig macht. Im Verfolg der Widerlegung der Behauptung, daß Widerspruch unmöglich sei8, treibt Sokrates Dionysodoros in die Enge mit der Frage nach dem Sinn der Äußerung, welche der Sophist als Vorwurf an Sokrates richtete: „... kannst du damit nichts anfangen?" 9 An-

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H.-G. Gadamer, „Dialektik und Sophistik im 7. platonischen Brief", in: ders., Piatos dialektische Ethik, a.a.O., S.223. 5 4 Vgl. H . - G . Gadamer, a.a.O., S.247. Vgl. Sph. 257b-c, 2 5 8 b - 2 5 9 c . s Vgl. Euthd. 275cff., 283a-284e, 285d-287e, 293b-303a. 6 Vgl. Euthd. 274e-275a, 277d-278 d, 2 8 0 b - 2 8 2 d, Aufforderung zum Philosophieren: 288d-290d. 7 Die Beziehung von Sokrates zu den Sophisten ist darüber hinaus im Rahmengespräch reflektiert: Euthd. 272 b-d, 304 b ff. 8 Euthd. 286 e ff. zu 2 8 5 d - 2 8 6 e . ' ούχ εξεις δ τι χρ-fi; 287b5, vgl. 287c2.

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statt auf die Frage von Sokrates zu antworten und dem Angesprochensein zu entsprechen, kehrt Dionysodoros den Satz gegen Sokrates und nötigt diesen umgekehrt zu antworten 10 , wie folgt: -"Denkt nun das, welches eine Seele hat, oder (denkt) auch das Unbeseelte?" - „Das, welches eine Seele hat." - „Kennst du eine ... Äußerung, die eine Seele hat?" - „Beim Zeus, ich nicht." -"Was fragtest du also eben, was mir die Äußerung denkt?" 11 Die Frage von Sokrates, die Dionysodoros dieserart erwidert, lautete: tt σοι άλλο νοεί τοΰτο το ρήμα; (287 c 1-2) - und ist sinnvollerweise so zu übersetzen: „was besagt dir anders diese Äußerung?". Die Zweideutigkeit des νοεΐν, die darauf folgend durch Dionysodoros zum Vorschein kommt, macht diese Sätze fast unübersetzbar - jedenfalls, wenn man dem im Griechischen verwendeten νοεΐν durch ein deutsches Wort entsprechen will. Schleiermacher übersetzt „sagen", damit aber geht die im νοεΐν liegende Bedeutung der Aktivität des Denkens verloren, auf die Dionysodoros mit der spezifischen Tätigkeit der Seele abzielt. Allenfalls das Wort „sinnen" oder „Sinn" kommt m.E. dem Bedeutungsproblem hier nahe. Sokrates fragt nach dem, was D i o n y s o d o r o s „im Sinn hat" (τί σοι ... νοεί) mit seiner Ä u ß e r u n g - und Dionysodoros begegnet ihm damit - sinngemäß -, daß „ihm" eine Äußerung (ρήμα) nicht „sinne" ( = "denke"), weil sie keine Seele habe. Die Zweideutigkeit des Wortes νοεΐν wird von dem Sophisten bewußt eingesetzt. Die Andeutung allerdings, die Piaton dem Dionysodoros in den Mund legt, ist weitreichend. Dadurch, daß der Sophist vom geforderten Antworten zum Fragen sich umwendet, weist er auf die Möglichkeit einer von außen unbemerkbaren Tätigkeit: des Denkens der Seele. Sokrates kommentiert diese Wendung ironisch und erklärt, der Sophist wisse eben genau, wann er antworten müsse und wann nicht. Der Grund für das Sophisma besteht darin, daß Dionysodoros seine Äußerung nicht an sein Denken bindet, sondern ,entäußert', ganz ähnlich, wie er schon zuvor Sokrates vorwirft .verjährte' Dinge vorzubringen. 12 Hätte Dionysodoros auf Sokrates' Frage regelrecht geantwortet, so würde nicht nur sein Axiom von der Unmöglichkeit des Widerspruchs zusammenfallen, sondern es würde auch die - später geäußerte - Grundannahme der Sophisten in Zweifel gezogen werden müssen. Wie Sokrates sagt, verharre die Rede der Sophisten auf derselben Stelle13 und stürze, indem sie niederwerfe. 14 10

Vgl. 287d5: Sokr.: Πειστέον τοίνυν ... καί ανάγκη. - Πότερον ούν ψυχήν έχοντα νοεί τα νοοΟντα, ή καί τα άψυχα; - Τα ψυχήν έχοντα. Οισθα ούν τ ι . . . ρήμα ψυχήν εχον; - Μα Δία οϋκ εγωγε. - Τί ούν αρτι ή ρου δ τι μοι νοοΐ το φήμα; 287 d 7 - e 1. 12 Vgl. Euthd. 287 b-d. 13 ό λόγος έν ταύτφ μένειν, 288 a 3-4. 14 καταβαλών πίπτειν, 288 a 4. 11

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Die Grundannahme der Sophisten wird von Euthydemos in der dritten Gesprächsepisode mit Sokrates vorgebracht: ob es möglich sei, daß „etwas von den Seienden, das was es eben ist, nicht ist".15 Diese Grundannahme wird von Sokrates in ihrer Unmöglichkeit bestätigt. Unter Voraussetzung der Frage, ob Sokrates etwas wisse, führt das Argument des Sophisten die Alternative entsprechend der Grundannahme durch, daß, wer eines wisse, alles und immer wisse und, wer nichts wisse, niemals und gar nichts wisse. Wissen ist Wissen und Nichtwissen ist Nichtwissen, aber Wissen und Nichtwissen in einem zugleich sei unmöglich.16 Der zweite Hinweis, den der Dialog gibt, entsteht aus der Exemplifikation des genannten Arguments, das Euthydemos an Sokrates durchführen will.17 Er fragt Sokrates zuerst, ob er irgendetwas wisse, und nach dessen Eingeständnis, ob er mit dem, w o m i t er wisse, weiß, was er weiß, oder mit einem anderen. Sokrates antwortet, daß er wisse, womit er wisse, und setzt hinzu, daß wohl von der Seele die Rede sei. Dieser Zusatz, die Bestimmung des .Womit', läßt der Sophist nicht gelten. Wie sich später zeigt, muß er, weil Sokrates auf den Bedeutungsunterschied hinweist, selbst die Unterscheidung machen, daß er nicht eigentlich nach jenem fragt, womit jemand weiß, sondern nur überhaupt, ob mit etwas. 1 8 Die Schwierigkeiten, die Sokrates dem Sophisten macht, erläutert er damit, daß die B e z i e h u n g 1 9 auf das, worauf zu antworten sei, problematisch werde, sobald der Fragende an etwas anderes als der Antwortende denke und die mögliche Differenz zwischen verschiedenen Bezugsgegenständen nicht geklärt werde. Erst als Euthydemos Sokrates zwingt, diese Bedenken beiseite zu stellen, kann er sein Sophisma durchführen und erklären, wenn Sokrates nur irgendetwas mit etwas wisse, so wisse er immer und alles. Im Euthydemos ist ein Wink auf den Schlüssel zu seiner Interpretation darin zu sehen, daß Sokrates im Gespräch mit dem jungen Kleinias zwischen Wissen und Gebrauch von Wissen unterscheidet. 20 Von Bedeutung für die Kunst der Rede sei daher nicht das Wissen derjenigen, die die Reden .erfänden' - tatsächlich würden die Reden und alles übrige nur „wiedergefunden" - , sondern derjenigen, die sie zu gebrauchen wissen, womit - ganz unvermittelt - die Dialektiker benannt werden. 21 15

2 9 3 b 9 - c 1. " 293b-295a. 17 295a-296d. 18 Ού . . . έρωτώ δτψ, αλλ' ει έπίστασαί τψ, 296a 1-2. " Vgl. 295 c5: προς τοΟτο. 20 289dff. 21 Euthd. 290 c. Auf die Problematik der Zweideutigkeit des „Machens" (ποιειν) wird im Rahmengespräch im Zusammenhang der Frage nach dem Nutzen der königlichen und

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Es ist W.K.C. Guthrie und anderen sicher darin recht zu geben, daß die Absurdität der Fehlschlüsse im Euthydemos offensichtlich ist, aber in die Klage, daß keine zufriedenstellende Antwort darauf gegeben werden könne, warum Piaton eigene Philosopheme unter dem Mantel sophistischer Fehlschlüsse verberge, kann hier nicht eingestimmt werden.22 Ein Erkenntnisinteresse, Sokrates von den Sophisten zu unterscheiden und gleichzeitig zu zeigen, wie sein Lehrer mit den Sophisten verwechselt werden konnte, liegt für Piaton offenbar in dem Vorhaben, zu klären, unter welchen Voraussetzungen Gleichheit, Identität und Ähnlichkeit verwechselt werden bzw. Gegensatz, Widerspruch und Verschiedenheit ein Denk- und Sprachproblem sind.23 Daß dieses Motiv eng mit der sokratischen Definitionsfrage nach dem G e g e n s t a n d des Wissens verbunden ist, muß nicht weiter erläutert werden. 24 Aber daß dieses Motiv gleichzeitig und grundlegend mit dem Begriff der Seele verbunden ist, gilt es im folgenden zu zeigen.

1. Das Problem der Verbindung des Logos mit der Psyche Dialog und Dialektik Die sokratische Forderung, den jeweils vertretenen, im Dialog vorgebrachten Logos mit sich selbst zu verbinden, ist aus den Frühdialogen auf unterschiedliche Weise bekannt. Um zwei Beispiele zu nennen, sei zum einen an die Charakterisierung des Sokrates durch Nikias im Laches (187e-188 a) erinnert. Nikias erklärt es als Ziel der Gesprächsführung des Sokrates, daß jeder, der sich in Reden mit Sokrates einläßt, letztlich über sich selbst und über seine Lebensführung Rede und Antwort stehen müsse.25 Als zweites Beispiel sei kontrastierend an den Rückzug des Kallikles gegen Ende des Dialogs Gorgias erinnert. Kallikles deutet seine Dialogmüdigkeit bereits mitten im Gespräch mit Sokrates an, als er sagt, er wisse nicht mehr, was er sagen solle, und Sokrapolitischen Kunst hingewiesen (291 b ff.). Macht die königliche Kunst weise und gut? Dies wird von Kriton noch bejaht, aber macht sie etwa alle gut zu allem und „gibt" (παραδιδόναι) sie jedes Wissen? Dies verneint Kriton zurecht (292c4-10). Die Ähnlichkeit der Problematik hier zu der in Chrm. 162e-164c, 169cff. und in R. 531 bff. ist unübersehbar. 22 Vgl. W.K.C. Guthrie, IV, 276 mit A.2, 278, A.l und H. Keulen, Untersuchungen zu Piatons „Euthydem", Wiesbaden 1971. 23 Im Rahmengespräch mit Kriton wird zum einen der spielerische Charakter der sophistischen Kunst und ihr daraus resultierender Übungswert hervorgehoben (303 c 304b). Zum anderen wird in dem Bericht des Kriton über den unbekannten Kritiker des Sokrates auf die mangelnde Fähigkeit der Unterscheidung deutlich hingewiesen, besonders durch die sofort anschließende, kritisch unterscheidende Beurteilung seines Kritikers durch Sokrates (304c-306c). » Vgl. H. Keulen, a.a.O., S.45. 25 Vgl. Sokrates' Überlegungen zu Erziehung (185d-186d): ψυχής ενεκα (185e2).

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tes bittet, sich die Antwort auf eine gestellte Frage doch selbst zu geben.26 Er weicht nicht etwa aus, weil er sich bereits widerlegt wüßte oder Sokrates' Ausführungen seinen Horizont übersteigen würden. Vielmehr weiß Kallikles, daß er widerlegt werden könnte und er will deshalb die folgenden Reden nicht mehr mit sich selbst verknüpfen. Er .versteht' sie gewiß, aber er will durch den Logos keine Beschränkung erfahren. Wie Sokrates sagt: „Dieser Mann erträgt nicht, daß er unterstützt wird und er eben dieses erleidet, wovon die Rede ist, eingeschränkt zu werden." 27 Dies nur zur Erinnerung, wie sehr Logos und Seele bereits in den Frühdialogen zusammengehören. Im Charmides war von Piaton - wie oben (Kap. II) bereits besprochen - folgende Differenzierung von möglichen Beziehungen ausgesprochen worden: „ob es keinem Seienden zukommt, seine Eigenschaft auf sich selbst zu beziehen, sondern nur auf anderes". 28 Von diesem Problem sagt Sokrates, daß nur ein „großer Mann" es lösen könne. Es war entstanden, weil Kritias von der Besonnenheit eingestand, daß sie ein Wissen sei - und zwar, wie Sokrates ergänzt, müsse sie ein Wissen von etwas sein.29 Aber Kritias versteht unter dieser Bezüglichkeit des Wissens auf etwas die Beziehung auf sich selbst (έαυτοϋ). Die hypothetische Annahme einer Selbstbeziehung des Wissens führte im Charmides in die Aporie, dabei waren am Anfang des Dialogs wichtige Hinweise auf eine Lösung sowohl des Problems der Bedeutung von Besonnenheit wie auch des Problems möglicher Selbstbezüglichkeit gegeben worden. 30 Vom Charmides ausgehend sind die Fragen nach Wissen bzw. Erkenntnis, Besonnenheit und Selbstbezüglichkeit im Theaitetos wiederzuentdecken. Die Frage nach dem Gegenstand des Wissens wird in diesem Dialog nicht in der Weise des Charmides und explizit gestellt. Im

"

Grg. 503 c-d. Grg. 505 c 3 - 4 . Vgl. zum Problem der Logos-Verweigerung die Ausführungen von R. Wiehl über „Die absolute Negation als antidialogisches Verhalten", in seinem Aufsatz: „Dialog und philosophische Reflexion", in: Dialog als Methode ( = Neue Hefte für Philosophie, hg. von R. Bubner, K. Cramer, R. Wiehl) 2/3 (1972), S . 5 8 f f . 28 Chrm. 169 a 2-4. " έπιστήμη τις . . . και τινός, 165c4-5. 30 Die fragliche Stelle, die unter den Beispielen von Selbstbezüglichkeit auch die Selbstbewegung und Selbsterwärmung, beides Phänomene des lebendigen Körpers, erwähnt, will G. Müller, „Philosophische Dialogkunst Piatons", MusHelv 33 (1976) S. 149 f., aus „stilistischen Gründen" athetieren. Er ist der Ansicht, daß erst in Lg. X 897 a eine Verbindung von Lebendigkeit und Denken bei Piaton gedacht sei: „Was ... den Inhalt (sc. des Charmides) angeht, so müssen wir froh sein, Andeutungen von Gedanken loszuwerden, die an dieser Stelle unorganisch sind. Denn abgesehen von der Wärme gehört vor allem die Selbstbewegung überhaupt nicht zur Thematik unseres Dialoges" (S. 150). Die vorliegende Interpretation hofft, das Gegenteil plausibel gemacht zu haben. 27

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Verfolg der Widerlegung der ersten These, Wissen sei Wahrnehmung, wird festgestellt, daß es zu den Grundlagen einer derartigen Theorie gehören muß, daß die jeweilige Wahrnehmung „selbst in bezug auf sich nichts ist" - „im gegenseitigen Verkehr aber alles allerlei wird durch die Bewegung". 31 Eine derartige Theorie aber hört auf, Theorie und lehrbar zu sein. Sie widerstreitet ihrer Behauptung, Wissen sein zu können. Die endgültige Widerlegung dieser ,Theorie' im Theaitetos ist mit der Einführung des zusammenführenden und gemeinsamen Organs der diversen Wahrnehmungen verbunden: der Seele. Die Seele wird eingeführt als das Organ, das das Gemeinsame in den verschiedenen Wahrnehmungen „selbst durch sich selbst"32 ausforscht. Und auf die Frage nach dem am häufigsten Vorkommenden, dem grundlegend Gemeinsamen, dem „Sein"33, läßt Piaton Theaitetos mit eben jener Formulierung antworten, mit der eine bestimmte .Seinsart' nach der ,Flußtheorie' bestritten war: Das Sein gehöre zu jenem, wonach „sich die Seele selbst in bezug auf sich selbst ausstreckt". 34 Sich nach dem Sein ausstrecken und Wahrheit erreichen können wird von Sokrates nunmehr im Unterschied zur bloßen Wahrnehmung, die sich durch die Abgrenzung vom Selbstbezug nicht einmal selbst hat, mit dem Wesen des Wissens verknüpft. 35 In noch schärferer Form als im Theaitetos war im Phaidon das Problem der Erkenntnis thematisiert worden. Ein Erblicken der „Dinge selbst"36 wurde nur unter der Bedingung für möglich erklärt, daß die „Seele selbst in bezug auf sich selbst getrennt vom Körper sein wird" 37 . Ganz ähnlich war das Sein der Ideen sprachlich gekennzeichnet als die „Dinge selbst" oder αυτό ό εστι. 38 Allerdings gilt es dabei auf bestimmte Unterschiede aufmerksam zu machen. Von den Ideen, die selbst sind, was sie sind, wird gesagt, daß sie niemals in ein anderes „umschlagen" 39 oder überhaupt irgendeine Veränderung zulassen, sondern „eingestaltig selbst in bezug auf sich" sind.40 Die Seele sollte in ih-

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Tht. 1 5 6 e 8 - 1 5 7 a 3 . αύτη δι' αύτής, 1 8 5 d 9 - e 1, vgl. e6. 33 ούσία, 186 a 2. 34 αύτη ή ψυχή καθ' αυτήν έπορέγεται, 186 a 4-5, vgl. 156 e 8 f. 35 Tht. 186b-c. Das bedeutet natürlich nicht, daß Piaton die Wahrnehmung vom Begriff der Erkenntnis ausschließen würde. Hier ist nur zweifelsfrei gezeigt, daß Wissen nicht aus oder als Wahrnehmung, sondern nur über den - selbst unsinnlichen - Selbstbezug der Seele sinnvoll zu thematisieren ist. 36 αΰτά τα πράγματα, Phd. 66 d 9 - e 1. 37 αύτη καθ' αύτήν ή ψυχή εσται χωρίς τοδ σώματος, Phd. 6 6 e 6 - 6 7 a l ; vgl. 6 4 c 6 - 7 ; 6 5 c 5 , d 1; 6 6 a l , 2 , d 8 - 9 ; 6 7 e 6 ; 70a7; 7 9 d l , d 4 ; 8 3 a 9 - b l . 38 Phd. 7 5 d 2 , 78c9, d3. 39 Vgl. 78 d 4: μή ποτε μεταβολήν. 40 μονοειδές ôv αύτό καθ' αύτό, 78 d 5. Zu den .Indices' καθ' αύτό bzw. αύτό ö εστίν für 32

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rem Selbstbezug als den wahrhaft Seienden lediglich ä h n l i c h anerkannt werden, nicht selbst als Idee (s.o. Kap. III). Über den Bezug zu jenem immer sich gleich verhaltenden Sein erreiche sie selbst jenes gleiche Verhalten. 41 Der Ausdruck der „Teilhabe" wurde im Phaidon allerdings noch nicht näher bestimmt. 42 Dagegen ist das Problem der Teilhabe (μεθεξις) ausdrücklich Thema der Untersuchung im Parmenides, in dem Piaton den jungen Sokrates auf das von Zenon aufgeworfene Problem des Gegensatzes von Einheit und Vielheit hin seine Annahme von Ideen vorbringen läßt. 43 Der alte Parmenides jedoch zeigt einige Schwierigkeiten der Vorstellung der Teilhabe von einzelnem an Ideen, zum einen die Gefahr der Verdinglichung der Ideen, zum anderen die der möglichen Verdoppelung der Begriffe, deren Beziehung zueinander zum Problem wird. 44 Zwei Dinge mußten bei der von Parmenides angestellten Untersuchung auffallen, erstens, daß hier - wie ähnlich bereits im Phaidon 89c-90d - die Gefahr der Misologie besteht, sofern für die Rede nicht eine eindeutige Bezugsmöglichkeit angenommen wird, zugleich mit der Möglichkeit unterscheiden zu können. 45 Und zweitens, daß im Zusammenhang mit der Prüfung der Ideenannahme und der folgenden dialektischen Übung nirgends explizit von der Seele und ihrer Funktion im Erkenntnisprozeß die Rede ist. Aber durch Berücksichtigung indirekter Hinweise und das Hinblicken auf gewisse, die Seele bestimmende Prädikate konnte die „dritte" Hypothesis (155 e ff.), die den „Umschlag" zwischen der zweiten und der ersten Hypothesis beschreibt, mit der grundsätzlichen Funktion der Seele bei Piaton identifiziert werden (s.o. Kap. IV). Wenn die oben vorgelegte Interpretation des Parmenides richtig ist, ist als Bedingung der Möglichkeit von Methexis, der Teilhabe der Einzeldinge an den Ideen, die Seele angesprochen. 46 eine Bezeichnung von Ideen bei Piaton vgl. W. Wieland, Piaton und die Formen des Wissens, a.a.O., S. 133 f. 41 Vgl. Phd. 79d 5: περί εκείνα άεί κατά ταύτά. 42 Phd. lOOc-d. 43 Prm. 128 e ff. 44 Prm. 130 e ff., 133 a ff. Dieses Problem ist nach der bei Aristoteles geäußerten Kritik des „dritten Mannes" (Met. 990 b 15-17, 1059 b 6-8), in der Platon-Forschung zu einem Standardproblem geworden. Insbesondere G. Vlastos hat mit seinen Untersuchungen zur „self-predication" oder „Pauline predication" bei Piaton wesentlichen Anteil an dieser Diskussion. S.v.a. R.E. Allen, Studies in Plato's Metaphysics, London 3rd ed. 1968. 45 Prm. 135b-c. 46 Mit Zurückhaltung, aber in ähnlicher Richtung äußert sich H. Meinhardt, Teilhabe bei Piaton, Freiburg, München 1968: „Nicht die Idee direkt, sondern die Teilhabe an der Idee ist für die Einzeldinge konstitutiv." (S. 23) - und: „Daß die Erkenntnis eine Teilhabe der Seele an der Idee sei, ist bei Piaton nirgends in dieser Form ausgesprochen." (S. 25). Letzterem Satz ist unbedingt zuzustimmen, wenn als der entscheidende Teil dieses Satzes „in dieser Form" herausgehört wird. Tatsächlich gibt es keinen einzigen Satz in den platonischen Dialogen, in dem gesagt würde „Teilhabe an der Idee ist Teilhabe über die

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Der locus classicus, um dieses vorläufige Ergebnis zu erhärten, ist der Spätdialog Sophistes, insbesondere die Einführung des ετερον als Begriff für das Nicht-Seiende in einer möglichen Verknüpfung von Sein und Nicht-Sein (255 c-d). Allerdings muß betont werden, daß eine Interpretation, die das Interesse an der Psyche ins Zentrum stellt, nur indirekte Hinweise auf sie aufnehmen kann. 2. Psyche als „Bedingung der Möglichkeit" der Verknüpfung des Logos im Sophistes Der Sophistes schließt ausdrücklich an den Dialog Theaitetos an, aber er nimmt nicht die in die Aporie geführte Frage nach dem Wissen wieder auf, sondern indem danach gefragt wird, was der zum Gespräch hinzukommende Fremde aus Elea eigentlich sei, ob Philosoph, Staatsmann oder Sophist, wechselt zugleich mit dem Thema des Gesprächs die Gesprächsleitung von Sokrates zu dem Fremden. 47 Der junge Theaitetos bleibt Gesprächspartner. Leitend für seine Teilnahme ist jedoch nicht mehr seine „Geburt" des Wissens 48 , sondern seine ihm im Theaitetos am Ende bescheinigte und durch das elenktische Gespräch erworbene Fähigkeit, in einem Gespräch „unbetrübt" und „leicht zu zügeln" 49 zu sein. Damit ist in gewisser Weise vorausgesetzt, worum sich vielfach die Auseinandersetzungen der Frühdialoge drehen und was anhand der Politela als seelische Gesundheit bestimmt wurde. Das Wissen des Nichtwissens kann Einsicht werden unter dem leitenden Aspekt des Wissen-Wollens - in der Politeia als oberster Seelenteil und λογιστικόν bezeichnet - und nur daraus kann Wissen praktisch' werden. 50 Die Durchführung der dialektischen Kunst bleibt an den Dialog geSeele an der Idee". Ein solcher Satz wäre ein Pleonasmus. Meinhardt kann sich nicht zu dem Schluß einer inhaltlichen Identität beider Teilsätze entschließen, weil das Vorgehen seiner Untersuchung ausschließlich am Wort „Teilhabe", an einer möglichen platonischen Terminologie interessiert ist. Meinhardt geht insofern statistisch vor, als er nach der Häufigkeit des Wortgebrauchs auch größtmöglichen Aufschluß über das Thema zu erhalten annimmt. Aber er erkennt m.E. ganz richtig die prinzipielle Defizienz des Teilhabenden und dessen Verschiedenheit von der Idee. 47 Sph. 216a-217a. 4 » Vgl. Tht. 148 eff., 210b-c. 49 άλύπως, εύηνίως, Sph. 217c8, vgl. Tht. 210c. 50 H. Gundert hat in seinem langen Aufsatz über „Dialog und Dialektik. Zur Struktur des platonischen Dialogs", StudGen 21 (1968) - zu zeigen versucht, daß „der Gang der Dialoge schon immer von der Dialektik bestimmt" gewesen sei (S.387). Dabei hätten die Frühdialoge das Dialektische indirekt repräsentiert, die mittleren Dialoge das dialektische Programm geliefert und in den Spätdialogen sei die Sache der Dialektik selbst thematisiert worden. Insbesondere an den Spätdialogen zeigt sich aber: „Wo dialektisch gearbeitet werden soll, da muß die erste Erweckung mit ihren Widerständen und Aporien (Frühdialoge) und die Eröffnung des Horizonts mit dem Heraustreten aus der gewohnten Welt (Mitteldialoge) schon geleistet sein." (ebd.) 185

bunden. Dies ist insbesondere klar, seitdem im Theaitetos Denken (διανοεισθαι) so definiert wurde: „Es ist eine Rede, die die Seele selbst für sich durchgeht über das, was sie gerade betrachtet." 51 Dieses Durchgehen der Rede heißt διαλέγεσθαι. Die Seele fragt und antwortet sich selbst.52 Und wenn sie irgendetwas „bestimmt" (ορίζει), „dasselbe wieder behauptet" (το αύτό ... (pfi) und sich „nicht mehr in einem Widerstreit" befindet (μή διστάζη), ist dies eine „Annahme" (δόξα), die wie eine Rede, aber stillschweigend „zu sich selbst" (προς αύτόν), nicht „zu einem anderen" (προς άλλον) gesagt wird. 53 Während Sokrates gegen Protagoras - im gleichnamigen Dialog, 348 c-d - fordert, das Gespräch als Wechselrede fortzusetzen, statt Reden zu halten, oder überhaupt abzubrechen, wird er im Gorgias gezwungen, falls die Rede zu Ende gebracht werden soll, sie alleine durchzugehen. Nach seiner eigenen Ansicht der Sache54 wird Sokrates also gezwungen, ein lautes Selbstgespräch zu führen, nicht jedoch ohne die Anwesenden aufzufordern, ihm gegebenenfalls zu widersprechen. Ahnlich ist auch der Sophistes als Selbstgespräch verfaßt. Ausdrücklich wird vom Fremden das Durchgehen der mit der Frage nach dem Unterschied zwischen Sophist, Staatsmann und Philosoph aufgegebenen Reden, in der Form des Dialogs mit einem lenkbaren Gesprächspartner vorgezogen und später auf die im Theaitetos gegebene Definition des Denkens als Gespräch der Seele mit sich selbst verwiesen.55 Warum ist es für Piaton ein so dringendes Anliegen, den Logos der Philosophie, die Dialektik gegen die Eristik, den „siegliebenden" Wortstreit56 abzugrenzen? Die deutliche Differenz liegt in der Annahme eines .absoluten' Maßes. Piaton stellt die Rede unter das unbedingte Maß der Wahrheit. Die Eristik dagegen stellt die Rede unter das relative Maß jeweiliger Uberwindung eines Gegners, d. h. einer jeweilig entgegentretenden, eventuell entgegengesetzten Behauptung. Wie Piaton zeigt, werden mit den von den Sophisten jeweils bekämpften Behauptungen zugleich - und dies ohne Offenheit für diesen Sachverhalt, also entweder unbewußt oder bewußt verdeckt - die Vertreter dieser Behauptungen bekämpft. Formal ist es ein Gegensatz von Behauptungen, latent aber ein Gegensatz der Menschen, die sie vertreten. Indem Piaton auf die allgemein menschliche Bedingung des Denkens, Redens, Vorstellens, Begehrens etc. hinweist: die Seele, - macht er folgendes deutlich. Solange ein Widerstreit in der Seele statt hat, als ob sich Geg51

Λόγον δν αύτη προς αύτήν ή ψυχή διεξέρχεται περί ών αν σκοπη. 189e6-7. " Vgl. 1 9 0 a l : αύτη έαυτήν ερωτώσα και άποκρινομένη. 55 Tht. 190 a 2-6. 54 Grg. 505d-506a. 55 Sph. 217c-218a, 263e. Vgl. hierzu die Arbeit von R. Rehn, Der logos der Seele, Hamburg 1982, bes. S. 68 ff. 56 Vgl. Prm. 128 d-e.

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ner bekämpften, auseinanderstrebende Interessen einander abwechseln oder gegenseitig aufheben, solange kann ein Mensch unmöglich mit sich selbst einig, d. h. der Seele nach gesund sein. Mit sich selbst einig zu sein ist formal gesehen nur unabdingbare Voraussetzung einer sachlichen Behauptung, die in einem wahrheitsorientierten Dialog vorgebracht wird. Mit dem Ausgleich des Widerstreits je unvergleichlicher Strebungen in sich ist noch keineswegs Wahrheit .gegeben', sondern nur die Bedingung, unter der sie thematisiert werden kann. Dann erst findet das Selbstgespräch der Seele, als Widerstreit der Rede auf derselben ,Ebene', d.h. .innerhalb' desselben ,Vermögens', mit Bezug auf einen Gegenstand statt. Dies beschreibt mit anderen Worten das „Gespräch unter Gleichen", während die eristische Situation oder der Widerstreit zwischen Vernunft und Lust das „Gespräch unter Ungleichen" festlegt. 57 Das allgemeine Problem ist wahrheitsgemäßes Reden, das Mitteilen von Einsichten, das keinen Gegensatz von Behauptungen als solchen stehen läßt, sondern im Vertreten begründeter Annahmen als Kriterium von Wahrheit die Verschiedenheit der Seele von der Idee ( = Sache selbst) und gleichzeitig die Beziehung der Seele zur Idee einschließt. Die Dialoge Sophistes und Politikos fragen nach einem Wissen, das durch seinen jeweiligen Gegenstand bestimmt ist. Dabei wird die als solche offen gebliebene Frage aus dem Theaitetos nach dem Wissen selbst vorausgesetzt. Es wird sich zeigen: „die beiden Fragen nach dem Wesen des Wissens und nach dem Wissen des Wesentlichen (sind) zwei Seiten ein und derselben Frage". 58 In seiner Einleitung zur Untersuchung über das Wesen des Sophisten stellt der Fremde aus Elea die Weichen für das kommende. Ob Theaitetos der Rede als solcher zu folgen vermag oder nicht, ist nicht Thema der gemeinsamen Untersuchung 59 , sondern eine Sache, die dieser mit und bei sich selbst ausmachen muß 60 , um daran anschließend den gefaßten Entschluß mitzuteilen. Mit dem „Sophisten" sagt der Fremde, habe man erst den Namen (όνομα) gemeinsam, ob aber eine gemeinschaftliche Auffassung über die mit diesem Namen benannte Sache (πράγμα) bestehe, könne nur die definitorische Bestimmung der Sache

57 Th.A. Szlezák hat in dem Aufsatz „Gespräche unter Ungleichen. Zur Struktur und Zielsetzung der platonischen Dialoge", a.a.O., den Dialog, durch den ¡dealischen Gesprächsführer Sokrates bzw. den „Fremden", als vernunftgeleitet erkannt. Aber ihm ist, wie schon in seinem zitierten Werk „Piaton und die Schriftlichkeit der Philosophie" die fundamentale Rolle der Psyche in Verbindung mit der Form der platonischen Philosophie entgangen, daher die Einseitigkeit seiner Auslegung. 58 H. Gundert, a.a.O., S.419. " κοινή, Sph. 218 b 7. 60 ίδίςι, 218b6.

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(ihr λόγος) zeigen. 61 Damit ist bereits zweierlei gesagt: Name und Sache selbst kommen nicht von selbst zur Deckung; und der λόγος hat sich nicht nach dem Namen, sondern nach der Sache selbst zu richten. Erst aus der Orientierung des Logos ist es möglich den Namen einer Sache begründet zuzuordnen. Die folgenden Dihairesen, die in verschiedenen Ansätzen eine mögliche Eingrenzung des Sophisten verfolgen und jedesmal andere Ergebnisse zeigen, sind selbst inhaltlicher Aufweis der Vielfältigkeit und Ungreifbarkeit des Sophisten, die sich schließlich darin bestätigt, daß eine der Unterscheidungsreihen einen Begriff des „Streitkünstlers" ergab, dem später das Vermögen, „scheinhafte Kenntnis" zu haben, zugeordnet wird. 62 Daraus entsteht das Problem, „Schein" und „Falsches" bestimmen zu sollen. Der Sophist, als scheinhaft Wissender, flüchtet schließlich ins gänzliche „Nicht-Sein", wovor Parmenides warnte Nachforschungen anzustellen. 63 Die Zweideutigkeit der verschiedenen Einteilungen, die den Sophisten als Jäger, Händler oder „Reinigungskünstler" zu bestimmen versuchten, konnten entstehen, weil diese Bestimmungen sowohl in bezug auf den Körper wie in bezug auf die Seele möglich sind. Erst die sechste, vorläufig letzte Einteilung nimmt dieses Problem auf. Aber auch die Situation bezüglich der Seele ist zweifach. Sie ergibt einerseits eine Schlechtigkeit der Seele, die als ihre „Krankheit" bezeichnet wird, andererseits eine Schlechtigkeit, die sie „häßlich" und „ungemessen" macht. Das eine ist der aus der Politela bekannte Widerstreit der Seele in sich, in dem „die Vorstellungen mit den Begierden und der Zorn mit den Lüsten und die Überlegung mit der Unlust" kämpfen. 64 Das andere aber ist, „wie wenn etwas, das an Bewegung teilnimmt und ein gewisses, gesetztes Ziel zu erreichen versucht, bei jedem Anlauf wankend wird und nicht trifft". 65 Diese unfreiwillige Ungemessenheit ist ein „Vorbeidenken", also „Unverstand". 66 Den Schlechtigkeiten der Seele stehen analog zu denen des Körpers zwei Künste zu ihrer .Beseitigung' - also zur .Herstellung' von Tugend oder Trefflichkeit - gegenüber, Gerechtigkeit und „Belehrung". Von der Belehrung geht die eine gleichsam handwerklich durch Auffüllung von Kenntnissen vor, die andere dagegen richtet sich als „Erziehung" auf die Annahme zu wissen, was man nicht weiß, und zwar vermittels " Sph. 218 c. " Vgl. Sph. 2 2 5 a - 2 2 6 a und 233 c 10: δοξαστική. " Sph. 2 3 6 c - 2 3 9 c . 64 δόξας έπιθυμίαις καί θυμόν ήδοναις και λόγον λύπαις, 2 2 8 b 2 - 3 ; s.o. zu R. 435ff. 65 δσα κινήσεως μετασχόντα καί σκοπόν τινα θέμενα πειρώμενα τούτου τυγχάνει καθ' έκάστην όρμήν παράφορα αύτοΟ γίγνεται καί αποτυγχάνει, 228 c 1-3. " παραφροσύνη, αγνοία, 2 2 8 d 2 und 10; άγνοια darf nicht mit dem άλόγιστον R. 439 d 7 verwechselt werden.

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der traditionellen „Ermahnung" einerseits, und andererseits durch Anwendung des Widerspruchsprinzips. Letzteres stellt Annahmen in der Rede nebeneinander und vergleicht sie, reinigt als „überführende Rede" (ελεγχος) von falschen, d.h. sich widersprechenden Annahmen. Die Reinigung von sich widersprechenden Annahmen, welche im Prinzip darauf beruhen, zu glauben, daß man wisse, was man tatsächlich nicht weiß, stelle denjenigen, den sie behandelt, rein dar. 67 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß damit der sokratische Elenchos gemeint ist. Auf das Problem, daß diese sokratische Kunst, die in der vorliegenden Arbeit wesentlich mit dem Begriff der „Sorge um die Seele" verbunden wurde, von den Zeitgenossen des Sokrates mit der Tätigkeit und dem Auftreten der Sophisten verwechselt werden konnte, reflektiert Piaton mit dem Hinweis, daß, wenn die beschriebene Reinigungskunst „Sophistik" genannt werden könnte, dann nur mit dem Zusatz „hochsinnig und wohlgeboren". 68 Dieses, die „Sophistik" des Sokrates bestimmende Prädikat aber macht, wie die folgenden Ausführungen im Dialog zeigen, den entscheidenden Unterschied zur .üblichen' Sophistik aus, so weit, daß sie in Wahrheit in einem Gegensatz dazu gedacht werden muß. 69 Der Sophist trägt zwar einen Namen, aber seine vielen Tätigkeiten lassen Zweifel an seiner „Einheit" aufkommen. Der Bereich des „Scheins", der ihm als Gegenstandsbereich zugewiesen wird, macht es erforderlich, das „Falsche" und das „Nicht-Sein" zu prüfen. Parmenides warnte aber bekanntlich davor, das „Nicht-Sein" überhaupt zu untersuchen. 70 Oberflächlich gesehen scheint derjenige, der das NichtSein ausspricht, gar nichts zu sagen (ούδε λέγειν, e 5), womit nach Theaitetos das Problem gelöst sein könnte. 71 Dabei aber entsteht der Widerspruch, daß Nicht-Sein durchaus mit Sein verbunden und folglich doch eine Aussage gemacht wird. 72 An der Definition des „Bildes" (ε'ίδωλον) soll das Problem exemplifiziert werden, wobei der Verweis auf sinnliche Referenzgegenstände sofort abgewehrt und eine Antwort „aus Reden ... allein" gefordert wird. 73 Die Definition lautet: „ein in bezug auf ein Wahres ähnlich ge-

67

καθαρόν άποφήνη, 230 d 3. Zum gesamten Abschnitt vgl. 229a-230d. Vgl. 231 b 9: ή γένει γενναία σοφιστική. Das Wort γενναίος ist zweideutig, es deutet primär auf edle Abstammung, aber auch auf vornehme Gesinnung. Vgl. hierzu und zur Bestimmung der „edlen Sophistik" als sokratisch: W.K.C. Guthrie V, 122, 128 f. " Vgl. 253b-254b. 70 Sph. 237 a; vgl. D K 28, Β 2, Β 6. 71 ούδε λέγειν ... μή δν φθέγγεσθαι, 237 e. Vgl. hierzu die - vorläufige - Bestimmung des „Vorstellens von Falschem", ψευδή δοξάζειν, im Tht. 188e-189b. 72 Sph. 238d-239a. 73 Sph. 240 a 2; vgl. die „Flucht in die Logoi" im Phd. 99 d-100 a. 68

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machíes anderes solches".74 Der eleatische Fremde geht gegen diese Definition zunächst selbst wie ein „Streitkünstler" (άντιλογικός) vor und zwar nach einer Vorschrift, wie sie in der Politela von Sokrates gegeben wird: „nicht ... gemäß der Definition einteilend das Gesagte zu betrachten, sondern gemäß dem Wort selbst den Gegensatz des Gesagten zu verfolgen". 75 Er hält sich an dem Wort „wahr" fest und fragt Theaitetos, ob dieser ein „anderes ... solches Wahres" gemeint habe, worauf der Gefragte erwidert, er habe kein „Wahres", sondern ein „Gleichendes" (έοικός) gemeint. Der Fremde verfolgt den Bezug auf das Wahre bis in sein Gegenteil, das Nicht-Wahre, das mit dem NichtSein verbunden, mit dem „Gleichenden" gleichgesetzt wird. Theaitetos protestiert - zu Recht - , daß das Gleichende doch (irgendwie) seiend sei, aber er muß zugleich zugeben, daß seine Definition des Bildes eine paradoxe .Verflechtung' von Sein und Nicht-Sein darstelle. Theaitetos hat in seiner Definition - ihm selbst noch nicht deutlich das „Nicht-Sein" vermittels des Verschiedenen miteinbezogen. Der Fremde macht ihn durch den ,Trick', auf eine Unterscheidung zwischen „Verschiedenem" (ετερον) und „Gegensätzlichem" (έναντίον) zu verzichten, darauf aufmerksam, daß zumindest in bestimmten Fällen Sein und Nicht-Sein verknüpft sind. Die Bedeutungsverschiebung vom Verschiedenen zum Gegensätzlichen hat Theaitetos allerdings dennoch nicht durchschaut. Darauf baut die Frage nach der „falschen Vorstellung" 76 auf, die erneut die widersprüchliche Verknüpfung zu denken fordert. Der Ausweg besteht in Kritik und Übertritt des bekannten parmenideischen Verbots. „Vielleicht", so deutet der Fremde an, sei der Zustand der Aporie, in den das Gespräch bisher durch Schuld des Nicht-Seins gekommen sei, auch derjenige, in den die Seele bezüglich des Seins geraten sei, „weil wir uns in bezug auf beide" - d. h. in bezug auf Sein und Nicht-Sein - „gleich verhalten". 77 Eben dieses ist das Problem, das der Sophistes hinsichtlich der Psyche behandelt. Die Untersuchung der Auffassungen derer, die das Sein vertreten „als ob sie anwesend wären" 78 - ergibt von denen, die das Sein als Vieles behaupten, daß sie es letztlich als eines zugeben müßten. Jene dage74

το προς τ ά λ η θ ι ν ό ν άφωμοιώμενον ετερον τοιοΟτον, 240 a 8. Sph. 254 a 6 - 8 . D i e Warnung v o n Sokrates in der Politela gilt möglichen Einwänden, w e n n in der beschriebenen besten Polis auch Frauen zu Wächtern oder Philosophenherrschern werden sollen. D i e entscheidende Frage der geeigneten „Natur" (φύσις) zu verschiedenen Tätigkeiten ist keine Frage des „Geschlechts" (γένος), sondern der „Beziehung" (προς τί), w o n a c h zu bestimmen ist, wer für welche Tätigkeit geeignet sei. N i c h t der Unterschied von Zeugen und Gebären, sondern Lernfähigkeit, Beharrlichkeit, Schnelligkeit etc. sind die Dinge, in b e z u g auf welche Fähigkeiten beurteilt werden müssen (R. 453e-455d). 75

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ψευδής . . . δόξα, 2 4 0 d 6 . προς αμφότερα ομοίως έχοντες, 243 c 5 . ο ί ο ν αύτών παρόντων, 243 d 7 - 8 .

gen, die das Sein als Eines und Alles behaupten 79 , kommen in die Schwierigkeit, entweder diese Behauptung gar nicht als Aussage verstehen zu können - allenfalls als redundante Wiederholung „verschiedener" Namen mit „derselben" Bedeutung - , oder mit dem Ganzen zugleich Teile und mit den Teilen Werden und Sein zulassen zu müssen. Der Gegensatz der Auffassungen über Sein und Nicht-Sein wird ganz anschaulich im Bild der Gigantomachie. Die gegensätzlichen und scheinbar unvereinbaren Positionen über das Sein benennen demnach einerseits Sinnlich-Körperliches als Sein, andererseits rein Ideelles, dem ein „sich bewegendes Werden" 80 gegenübergesetzt wird. Der Versuch zur Annäherung beider Positionen fordert von den „Körperfreunden", die Seele unter das Seiende zu setzen und mit der Seele zugleich Unsichtbares wie Gerechtigkeit, Einsicht und Tugend. Aus der Annahme, die Körperfreunde würden von der Seele sagen, sie „besitze" oder „habe einen Körper"81, wird der Begriff des „Vermögens" (δύναμις 82 ) abgeleitet. Das Seiende wird demgemäß als nichts anderes als das „Vermögen", etwas „zu tun" oder „zu leiden"83 bestimmt. Aber die Definition wird ausdrücklich nur vorläufig festgestellt: vielleicht würde der Sachverhalt später als ein anderer erscheinen. 84 79

εν το πάν, 244 b 6. γένεσιν ... φερομένην, 246c 1-2. Charakteristischerweise ist das Wort für „Bewegung" hier das sonst bei Piaton für die „Ortsbewegung" reservierte Wort φέρειν bzw. φορά. 81 Vgl. 247b 8: κεκτήσθαι, und d2: εχει σώμα. 82 Δύναμις ist immer auch als „Wirklichkeit" zu verstehen, im Gegensatz zu einer, von aller Aktualität bzw. tätigem Einwirken-Können abgetrennten „Möglichkeit". Aristoteles unterscheidet dagegen δύναμις, als „physische" Möglichkeit, und ενέργεια, als „psychische" Möglichkeit (Met. 1045 b 34 ff., vgl. auch die Definition bloß „logischer" Möglichkeit: 1019b27ff.). 'Ενέργεια ist aber bei Aristoteles nicht nur „psychisch" bestimmt, sondern nennt einen „Zustand", „der das Werk in sich enthält", so G. Picht, Aristoteles' De Anima, a.a.O., S. 40. Die höchste Stufe der ενέργεια ist die göttliche νόησις (ebd., S. 43 f.). 83 ποιεϊν, παθεΐν, 247 e 1. 84 Sph. 247e7-248 a8. Vgl. zur Diskussion der Stelle 245e-247eden Kommentar von L.M. de Rijk, a.a.O., S. 100 f., dem sehr an der Definition 247 e 3-4 gelegen ist, der aber den darauf folgenden, relativierenden Satz bezeichnenderweise unbeachtet läßt. Die These dieses Autors ist es, daß anhand des Begriffs der δύναμις im Sophistes eine „neue metaphysische Auffassung" Piatons zu entdecken sei (vgl. S. 103 ff.). Dagegen erfährt der Begriff der δύναμις, sofern er bei Piaton mit der Psyche verbunden ist, eine Abwertung: „... Plato's view of the law of non-contradiction and his conception of the soul betray the important role of the notion of dynamis. As a matter of fact the dynameis are the constituents of ,what is' occurring in the transient world. That these are Plato's ontological views will be confirmed when his epistemology is considered. The dynameis are indeed also the constituents of ,what appears to us' in this world." (S. 332, zu R. 435 ff.). Der Erkenntniswert und die Bedeutung der Lehre von den „Qualitäten" bzw. „Eigenschaften" bei Piaton wird hier keinesfalls in Zweifel gezogen. Aber es ist festzuhalten, daß de Rijk das Problem der Psyche für den Zusammenhang seiner Untersuchung fast völlig vernachlässigt hat und deshalb den Begriff der „Relation" bei Piaton mißversteht. Deutlichen Aufschluß über dieses Mißverständnis gibt gerade die „Appendix On The Different Uses 80

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Die „Ideenfreunde" nehmen entsprechend der Trennung von Sein und Werden eine Trennung von Körper und Seele an. Mit dieser Trennung scheint auf frühere Ausführungen angespielt zu sein. Im Phaidon 100 c-d wird die Teilhabe-Problematik angesprochen, aber mit der Gleichgültigkeit gegenüber der Bezeichnung zugleich angedeutet, daß es hier nicht darum geht, „ein ,Methexisproblem' zu lösen".85 Der Sophistes kann als Weiterführung des Phaidon verstanden werden, insofern er sich dem Problem des ,Wie' der Teilhabe widmet. Der Fremde fragt: „Dieses Gemeinschafthaben aber, ... was sollen wir sagen, was ihr bei beiden (d.h. bei den beiden Verhältnissen Körper/Werden und Seele/Sein, P.M.S.) meint?" 86 Ist dieses „Gemeinschafthaben", wie zuvor von den Körperfreunden zugestanden, ein Vermögen zu tun und zu leiden? Das Erkennen der Seele und das Erkanntwerden des Seins, die als ein Tun und Leiden angesprochen werden müßten, werden von den dualistischen Ideenfreunden abgelehnt. Der Fremde fragt weiter, ob nicht „das Sein ..., das von der Erkenntnis erkannt wird, inwiefern es erkannt wird, insofern auch bewegt wird, durch das Leiden". 87 Die Behauptung, die sich aus dem Dualismus der Ideenfreunde ergibt, ist die Trennung von Bewegung und Ruhe, Werden und Sein. Aus dieser Trennung entsteht das Problem, daß ein Begriff des „vollkommen Seienden" (παντελώς öv) nicht denkbar ist, ohne Bewegung, Leben, Seele und Vernunft mit diesem zusammen zu denken; wenn dennoch Bewegung vom Sein ausgeschlossen würde, müßten „Wissen oder Einsicht oder Vernunft verschwinden". 88 Der Philosoph aber - aus der Erkenntnis seiner selbst erachtet er sich als Liebhaber jedes Wissens89 - ist genötigt (Eins und Vieles), Ruhe und Bewegung anzunehmen; er setzt sich selbst in die Mitte und .wählt', wie ein Kind, das vor die Alternative

Of ,kath' hauto'", S. 154 ff. Die Prüfung des Gegensatzes zur dargestellten Auffassung, vom spezifischen Gebrauch von ,,,kath' hauto'" bei Piaton für „transzendente" bzw. „immanente Ideen" (S. 155 f.), blickt nicht auf die Relation „προς άλλο" (vgl. Sophistes 255 c 12-13), sondern „,not kath' hauto'" (S. 157f.), die meisten Fälle unspezifischen, „generellen" Gebrauchs nach de Rijk sind jedoch auf die Psyche bezogen (vgl. die Stellen S. 154, auffällig das Zitat Phd. 64 c 4 f., in dem der zweite Teil des Satzes, der die καθ' αύτό-Relation auf die Psyche bezieht, unterschlagen ist). 85 So W. Wieland, Piaton und die Formen des Wissens, a.a.O., S. 142. " To δέ δή κοινωνεΐν, ... τί τοϋθ' ύμάς έπ' άμφοΐν λέγειν φώμεν; 2 4 8 b 2 - 3 . 87 Τήν ούσίαν . . . γιγνωσκομένην ύπό της γνώσεως, καθ' δσον γιγνώσκεται, κατά τοσούτον κινεΐσθαι δια τό πάσχειν, 248 e 2 - 4 . L. Campbell, The Sophistes and Politicus of Plato, N e w York 1973, S. 129 f., Anm. zu Zeile 13 - schreibt dazu, daß hier wahrscheinlich das erste Mal in der abendländischen Literatur das Erkennen als eine Art von Bewegung bezeichnet wurde. Wie die vorliegende Arbeit zu zeigen versucht, liegt die Verbindung des Gegensatzes von Aktiv und Passiv, von Erkennen und Bewegen bereits latent in dem Konzept von der „Sorge um die Seele" vor. 88 Sph. 2 4 8 e - 2 4 9 c . 8 ' Vgl. R. 475 c.

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gestellt, das eine oder das andere für sich wählen zu sollen, das „dritte": beides wählt - sowohl - als auch.90 Nach einer weiteren Klärung, die das Seiende (το öv) als ein Drittes neben Ruhe und Bewegung „in der Seele" (έν τη ψυχτ|) setzt und folglich als ein von den ersten beiden Verschiedenes, wird erkennbar, daß die Schwierigkeit mit dem Sein gleich groß ist wie zuvor mit dem Nicht-Sein: eine gleichmäßige, symmetrische Ausweglosigkeit. Darauf folgt der berühmte Abschnitt über die μέγιστα γένη, die (fünf) „größten Gattungen", deren Beziehungen untereinander einen Begriff der Gemeinschaft von Sein und Nicht-Sein liefern sollen (251 äff.). Es ist die Frage nach dem ,Wie' der Verknüpfungen, die hier beantwortet werden soll. Deutlich wird auf die vorläufige Problemlösung des jungen Sokrates im Parmenides angespielt: das Voraussetzen von jeweils einer Hypothese und deren nachfolgender Erklärung mit Hilfe vieler Worte. 91 Drei Möglichkeiten bezüglich der Verknüpfungen tun sich auf: entweder das Vermögen der Verknüpfung überhaupt zu bestreiten oder jedes mit jedem zu verknüpfen oder eine Mischform anzunehmen, in der zwar einiges sich mit anderem verbindet, anderes aber nicht. Im Durchgang durch die verschiedenen Theorien über das Sein wird deutlich, daß eine Ablehnung der Verknüpfung - ontologisch formuliert, der „Vermischung" 92 - sich selbst widerlegt, während eine allseitige Verknüpfung mit allem die Gegensätze auflösen würde. Es bleibt allein die dritte Möglichkeit übrig, die am Beispiel der Buchstaben verdeutlicht, daß ein Teil der Buchstaben, die Vokale 93 , sich zwar mit allen anderen Buchstaben, die übrigen sich aber nicht mit allen anderen direkt, sondern in vielen Fällen nur durch Vermittlung der Vokale verbinden lassen. Das entsprechende Wissen der richtigen Verbindung und Trennung von „Gattungen" (γένη) ist somit die - der .Grammatik' analoge Dialektik. 94 Der Dialektiker wird „eine Idee durch viele hindurch, von denen je90

Sph. 249 c 10-d4. " Vgl. Prm. 129 c - e mit Sph. 251 a-b. Im Phitebos wird bewußt dieser Ansatz noch einmal aufgenommen, aber als etwas, was sich bereits als allgemeine Auffassung durchgesetzt habe ( 1 4 c l l - e 5 ) . Das, was allerdings noch nicht allgemein anerkannt sei, sei die Annahme „des Einen, das einer nicht unter die Werdenden und Vergehenden setzt" (15 a 1-2) und diese Hypothesis prüft (b l - c 3 ) . Vgl. hierzu J. Jantzen, Idee und Eigenschaft, a.a.O., den Abschnitt über „Die strittige Dihairesis", S. 334£f. " σύμμειξις, 252 b 6. " φωνήεντα, 253a4. Vgl. das ähnliche Beispiel im Phlb. 18a-d. 94 Sph. 253 b-d. Ist an dieser Stelle bereits der anfangs auch gesuchte Philosoph zum Vorschein gekommen? Ist damit eine Spekulation über einen geplanten, aber ungeschrieben gebliebenen Dialog über den „Philosophos" überflüssig? Die Ausführungen an der Stelle (253c-254b) können diese Frage nicht zu einer eindeutigen Entscheidung bringen. Vgl. W.K.C. Guthrie V, 123, mit Anm. 1 und 2.

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des als eins getrennt vorliegt, nach allen Seiten ausgebreitet hinreichend bemerken, und viele verschiedene von einer von außen her umfaßt, und wiederum eine, die durch viele Ganze in einem zusammengeknüpft ist, und viele gänzlich Getrennte, voneinander abgegrenzt" (253 d 6-10). Er sieht also „einen einzigen Sachverhalt in doppelter Weise". 95 Die Beschreibung der Tätigkeit des Dialektikers ist Ergebnis des Vermögens, gemäß den „Gattungen" unterscheiden zu können. Dieses Unterscheidungsvermögen ist in sich zweifach. Die gegebene Beschreibung kommt nicht um das Problem der Verdinglichung herum, aber die Reflexion auf dieses Problem der Aussage über das, was definitionsgemäß kein Ding (πράγμα) sein kann, hebt die .Verfälschung' wieder auf. Hieraus läßt sich ein Rückschluß auf die Psyche ziehen. Die Aussageweise, das λόγον διδόναι über die Idee, kann nicht direkt erfolgen. Die Aussage über die Idee kann nur im Logos gemacht werden, und zugleich kann die prinzipielle Differenz zwischen Idee und Logos als solche nicht aufgehoben werden. Dies geschieht allein über die Reflexion und die Einsicht in das Problem der Bedeutung. Für die betrachtende Seele folgt daraus, daß auch sie sich nicht im Logos als ihrem Bestimmungsgegenstand ,hat', sondern sich in den Vermögen von Tun und Leiden, Unterscheiden und Verknüpfen mitdenken muß und sich als seiend bereits voraussetzt (s. Gigantomachie). Das Zweifache, das der Dialektiker im Auseinanderhalten von Idee und Einzelding in der Reflexion tut, weist auf die Zweiseitigkeit der (erkennenden) Seele hin. Die Unterscheidung der ersten drei Gattungen Sein, Ruhe und Bewegung macht die Einführung zweier weiterer Gattungen notwendig, nämlich des „Verschiedenen" (θάτερον) und des „Selbigen" (ταύτόν). Ruhe und Bewegung sind weder das Selbige, noch das Verschiedene, auch wenn sie an beiden teilhabend gedacht werden.96 In der Darlegung dieses Nicht-Seins wird die gegenteilige Argumentationsfigur zu Parmenides 156 c vorgestellt. Unter der Voraussetzung der Identität von Ruhe und Bewegung mit Selbigkeit oder Verschiedenheit müßte notwendig das eine (z.B. Ruhe) in das andere (Bewegung) „umschlagen" (μεταβάλλειν). Dies hätte die Aufhebung des Gegensatzes von Ruhe und Bewegung zur Folge. Dagegen wird der Umschlag zwischen dem einen und dem anderen, zwischen Ruhe und Bewegung, gedacht, unter Beibehaltung dessen, was jeweils als Ruhe oder Bewegung angesprochen wird. Das „Eine", das im Parmenides umschlägt, „ist" weder Ruhe noch Bewegung, sondern ein „Drittes", nach der hier gegebenen Interpretation die Psyche. Die weitere Beschreibung der Beziehungen der Gattungen untereinander im Sophistes stellt das Selbige als vierte Gattung fest. Denn wäre Sein dasselbe wie das Selbige, müßte folgen, daß, 95

J. Jantzen, a.a.O., S.336.

" Sph. 255a4-b6. 194

sofern Ruhe und Bewegung sind, sie auch dasselbe wären, was unmöglich ist. Mit der Einführung des Verschiedenen als fünfter Gattung ist eine wesentliche Unterscheidung und Einteilung des Seins verbunden. Der Fremde bringt folgende Unterscheidung vor: „von dem Seienden wird einiges zwar selbst in bezug auf sich, anderes aber in bezug auf anderes jeweils (als seiend) ausgesagt". 97 Diese Unterscheidung stellt nach M. Frede 98 eine vollständige Disjunktion von Relativa dar. Dabei ist aber entscheidend, die beiden beschriebenen Formen von Relativa - a) selbstbezüglich Seiendes (αύτά καθ' αύτά), und b) fremdbezüglich Seiendes (προς αλλα) - als zwei verschiedene Bezeichnungen der Art und Weise, nach der etwas als seiend ausgesagt wird, aufzufassen. 99 Das Verschiedene ist demnach dadurch bestimmt, allein in bezug auf anderes zu sein; es verhält sich also allein nach der Form ,,b)".100 Aber es wird eben nicht alles Seiende nach der Weise des Verschiedenen gedacht, sondern einiges auch „in bezug auf sich selbst". Frede zitiert in diesem Zusammenhang die Stelle aus dem Charmides 169 a 1-4, an der die Frage gestellt wird, ob nur die eine oder die andere Möglichkeit von Relation (denkbar und) seiend ist, oder „einiges" selbstbezüglich, anderes nicht, d.h. fremdbezüglich. Mit dem Hinweis auf Nomoi 894d3-4, wo die Bewegung hervorgehoben wird, „die sich selbst zu bewegen vermag"101, stellt Frede fest, daß Piaton sich für jene im Charmides angedeutete und im Sophistes ausgeführte Möglichkeit von Beziehungen ausgesprochen habe, nach der einiges sich auf sich selbst beziehe, anderes aber auf anderes bezogen sei.102 Frede führt diesen Hinweis leider nicht weiter aus, aber er hat auch übersehen, daß in den Nomoi die Selbstbewegung zugleich als Grund der Fremdbewegung bezeichnet wird 103 und sich insofern als das Prinzip aller (seelischer und körperlicher) Bewegungen erweisen soll. Frede ist dem gegebenen Hinweis nicht weiter nachgegangen, da seine Arbeit sich ausschließlich auf die Untersuchung der Bedeutungen von „... i s t . . . " und „... ist n i c h t . . . " im Sophistes beschränkte. Aber in der vorliegenden Arbeit muß gefragt 97

των όντων τα μέν αύτά καθ' αύτά, τα δε προς αλλα άεί λέγεσθαι, 255c 12-13. " Μ. Frede, Prädikation und Existenzaussage, Göttingen 1967, S. 19. " Vgl. M. Frede, a.a.O., S. 12 ff. 100 Vgl. Sph. 255 d l und d 3 - 7 . 101 την αύτήν αύτήν δυναμένην κινεΐν. Lg. 894 d 3-4. 102 Μ. Frede, a.a.O., S. 18 (Frede zitiert die Nomoi-Stefte nach Burnet, daher bei ihm: „894d2"). E. Scheibe hat in seinem Aufsatz „Über Relativbegriffe in der Philosophie Piatons", Phron 12 (1967) 28-49, zunächst jede Verbindung der Sophistes-Stelle mit den erwähnten Stellen aus dem Charmides und den Nomoi bestritten (S. 34-37), aber in einem „Zusatz zur Korrektur" (S. 49) nimmt er, mit Verweis auf Fredes Arbeit, den von ihm angenommenen Unterschied der Klassifikation von Relativa im Charmides und im Sophistes, zurück. 103 Lg. 894 b 9 - 1 0 und c4-5: ... κινεΐν κίνησις . . . αύτήν τ' άεί και ετερα δυναμένη - und την δέ έαυτήν κινούσαν και ετερον.

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werden, ob die von Frede so interpretierte „vollständige Disjunktion", also die Behauptung zweier verschiedener „Klassen" von Seiendem, wobei zur Klasse der καθ' αύτό-Relativa sowohl „Ideen", als auch „Eigenschaften" gehören104, insbesondere angesichts der Nomoi-Stellen aufrecht erhalten werden kann. Zeigt sich nicht vielmehr in dem dort gegebenen „Beweis" über die prinzipielle Natur der Seele, daß diese eine ,dritte Klasse' der Relativa darstellt, die sowohl zur einen Klasse, den καθ' αύτό-Relativa, wie auch zur anderen, den προς αλλο-Relativa gehört und dennoch weder die eine noch die andere „ist", d. h. ausschließlich unter die eine oder ausschließlich unter die andere fällt?105 Tatsache ist, daß Psyche bei Piaton bereits früh als ein μεταξύ bezeichnet, und im Phaidon einerseits gegenüber dem Körper als „selbst für sich" (καθ' αύτό) und andererseits in Bezug auf die Ideen (αύτό δ εστίν) als „ähnlich", also nicht dasselbe seiend, sondern verschieden bestimmt ist. „Verschieden" bedeutet nach der Bestimmung des Unterschiedes von Gegensatz und Verschiedenheit im Sophistes: „nicht gegensätzlich" und nicht im Widerspruch zum Verschiedenen. Im Theaitetos ist andererseits die Verschiedenheit der Psyche in ihrem ,Selbstin-bezug-auf-sich-Sein' von den körperlichen Wahrnehmungen, die jeweils bestimmt sind durch den Bezug auf anderes, als ,Bedingung der Möglichkeit' von Einheit in der Wahrnehmung dargelegt. Der Sophistes nimmt, wie gezeigt, diese Bestimmungen auf. Daraus folgt, daß Piaton Psyche jeweils in ihrer Selbstbezüglichkeit zugleich auch auf anderes bezogen gedacht hat. Und zwar auf ,anderes', das zueinander in einem Gegensatz stehen kann, wie warm-kalt, aber auch in einem Widerspruch, wie sichtbar-unsichtbar. Aber auch auf ,anderes', das nicht gegensätzlich, sondern inkompatibel zu nennen ist, wie „wahr" und „unwahr". 106 Anders und mit Nomoi 894 b 9-10 gesprochen, als Bewegung, „die immer sowohl sich selbst als auch anderes zu bewegen vermag". Auf diese Weise erst wird verständlich, was Piaton den athenischen Gastfreund etwas später im zehnten Buch der Nomoi formulieren läßt, daß nämlich Psyche „Ursache . . . aller Gegensätze" sei (896d).

im Vgl hierzu auch die Ausführungen bei L.M. de Rijk, a.a.O., S. 154 ff. 105 Zu einer ganz anders gearteten Kritik an M. Frede vgl. Chr. Lauermann, Piatons Konzeption der Bewegung des Geistes, Rheinfelden 1985, S. 40-42. Lauermann betrachtet den Sophistes insofern aus anderer Perspektive, als er aus der Selbst- und Fremdbezüglichkeit des Seins eine platonische Konzeption noetischer Bewegung ableiten und darstellen will. Die Bedeutung der Psyche ist in diesem Zusammenhang an den Rand geschoben. In der vorliegenden Interpretation wird eine Umdeutung des Seinsbegriffes und eine nachfolgende Aufhebung des Problems des .Grundgegensatzes' und des .methodischen' Dualismus bei Piaton vermeidbar, weil die Seele als das schlechthin .relationale' Seiende, als Verknüpfungsbedingung und Mischung des Getrennten und Gegensätzlichen in der platonischen Philosophie erkannt wird. 106 Zum „dritten Gegensatz" bei Platon s. E. Hoffmann, Piaton, a.a.O., S. 62 ff.

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Hier soll ausgesprochen sein, was Piaton so nicht ausgedrückt hat 107 : Die Seele bei Piaton ist dadurch, daß sie die beiden Möglichkeiten von Beziehungen in sich - paradox - vereint, Prinzip der Teilhabe des Sinnlich-Körperlichem am Ideellen, des vielen Einzelnen am einen Allgemeinen. Oder, wie dies bereits E. H o f f m a n n bemerkt, aber nicht im einzelnen ausgeführt hat: „μεταξύ ist Symbol ihrer Methexis", d.h. die Seele als Metaxy gesehen ist Symbol f ü r die Verbindung von Gegensätzen - und Unvergleichlichem. 108 Das Verschiedene, dies war eine Folge der Disjunktion von Relativa im Sophistes, ist jeweils auf anderes bezogen. Anders gesagt, die Beziehung von Verschiedenem zueinander setzt notwendig voraus, daß bereits „eines" und ein „anderes" ist. 109 Die Teilhabe an der „Idee des Verschiedenen" ist f ü r die anderen Gattungen die Gewähr ihres Auseinandergehaltenseins, und zugleich geht die Idee des Verschiedenen durch alle anderen hindurch. Die Teilhabe an der Idee des Selbigen verhält sich korrelativ zur Teilhabe am Verschiedenen. Damit ist nun sowohl der Selbstbezug des jeweiligen .Begriffs', wie das Angewiesensein auf jeweils andere, d. h. der Fremdbezug, als möglich geklärt. Durch den Aufweis der Verbindung verschiedener .Begriffe' miteinander ist ein schwieriges Problem der platonischen Philosophie geklärt. Die aristotelische Kritik am platonischen Konzept der Selbstbewegung als Logos der Psyche beruhte wesentlich darauf, das Verhältnis zwischen Ruhe und Bewegung in der Seele in der Weise umzudeuten, daß Selbstbewegung allein als die Beziehung eines bewegten Teiles (oder Aspekts) der Seele zu einem ruhenden zu denken sei. Dagegen löst die Teilhabe der Bewegung an der Selbigkeit, wie auch ihre Teilhabe an der Ruhe das „Widersinnige" 110 auf, das in dieser Verbindung liegt - womit der Logos der Psyche bestimmt ist. Es ist auch kein Zufall, daß die Verknüpfung der Gattungen untereinander an der Gattung der Bewegung exemplifiziert wird (255 e 107

Vgl. o. Anm.46. E. Hoffmann, „Methexis und Metaxy", in: Drei Schriften zur griechischen Philosophie, a.a.O., S. 36. Vgl. außerdem ders., Piaton, a.a.O., S. 62-69. Der von Hoffmann verwendete Ausdruck „Symbol" ist hier wahrscheinlich in Anlehnung an E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde. 1921-1927, gewählt. Dabei muß aber in bezug auf das Gegenwärtige betont werden, daß Psyche als Seiendes verstanden werden muß, das nicht in bloßer Korrelation mit dem Körper, d. h. nur als „Sinn" des „Sinnlichen" zu verstehen ist (vgl. Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3, S. 108 ff.). Dabei ist allerdings auch festzuhalten, daß Cassirer immer wieder hervorhebt, daß die Fragerichtung seines Gedankens nicht in Richtung auf Begründung und Grundlegung der Philosophie, sondern in Richtung auf die Betrachtung der Ausbildung von Theorie in den unterschiedlichsten Bereichen von „Welt- und Selbsterfahrung" zielt, d. h. eine „Phänomenologie der Erkenntnis" sein will (vgl. ebd, S.VI). 108

10

' 255 d 3-7, „ist" hier im Sinne der Existenz. άτοπον, Sph. 256 b 7.

110

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256 d). Das Sein von Bewegung war von den Körperfreunden schon lange zugestanden, sie mußten aber dazu gebracht werden, anzuerkennen, daß der Sachverhalt, von dem „Sein" ausgesagt wird, nicht allein auf Körperliches bezogen ist, sondern auch auf Unkörperliches, womit das Sein der Seele und der Begriff des Vermögens (δύναμις) eingeführt wurde. Mit dem Zugeständnis des Vermögens ist eine Bedingung für das Vermögen des Dialektikers gegeben, Begriffe zu verbinden und zu trennen. Das Sein von Bewegung war andererseits von den Ideenfreunden zusammen mit dem Werden abgelehnt worden. Da aber das Wissen nicht abgelehnt werden kann, ohne die eigenen Thesen ad absurdum zu führen, kommt umgekehrt die Verknüpfung von Sein, Bewegung und Ruhe als Möglichkeit der Annahme von (Selbst-)Bewegung in den Blick: Selbstbewegung als vermittelndes Vermögen von Trennung und Verbindung des Seins mit dem vom Sein Verschiedenen. Das Aufzeigen einer Verknüpfung von verschiedenes aussagenden, seienden Gattungen wird abgeschlossen und gleichsam gekrönt von dem Zugeständnis, daß nunmehr Nicht-Sein als seiend begriffen werden muß. 111 Nichtseiendes als seiend anzunehmen bedeutet zugleich, einen Unterschied zwischen Gegensatz (εναντίον) und Verschiedenheit (ετερον) anzuerkennen. Daraus folgt, daß die „Negation" (άπόφασις) hier nicht Gegensätzliches - wobei die Frage nach dem, wie „NichtSein" in wirklichem Gegensatz zum Sein gedacht werden könne, offenbleibt112 - , sondern Verschiedenes aussagt. Soweit ist das ontologische Problem zur Darstellung gekommen. Es fehlt die Anwendung auf das Problem des Logischen im engeren Sinn. Mit dem Durchgang durch die mögliche Verknüpfung von Gattungen und der Folgerung auf das Sein von Nicht-Sein scheinen die Bedingungen dafür gegeben, den Sophisten, der in den Bereich des Nicht-Seins augenscheinlich ungreifbar geflüchtet war, dennoch zu bestimmen. Aber dafür ist zunächst noch das Problem zu klären, ob eine Verbindung zwischen dem so gewonnenen Begriff des Nicht-Seins und der Vorstellung (δόξα), sowie der Rede (λόγος) besteht. Gibt es keine Verbindung, so muß folgen, daß alles, was Vorstellung und Rede betrifft, wahr ist. Läßt sich jedoch eine Verbindung nachweisen, so „entsteht" (γιγνεται) mit der Verbindung ein Begriff des Falschen113, und mit dem Falschen zusammen alles, was mit Täuschung, Gleichendem und Einbildungen zu tun hat. Der Sophist zwar bestritt die Möglichkeit des Seins von Falschem, aber er bestritt auch die Möglichkeit des Seins von 111

Sph. 256 d 8 ff. Sph. 258 e 6 - 2 5 9 a 1. In gewisser Weise hält der Timaios auf die Frage der „Beschaffenheit" des „Nicht-Seins" eine Antwort bereit, wenn 52 a 8 ff. von der χώρα die Rede ist - die zwar „immer" sei - aber in beständiger Wandlung begriffen und nur mit einem „gewissen Bastard-Denken" (λογισμφ τινι νόθφ, 52 b 3, Übers, von H. Müller) erfaßbar sei. 112

113

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260b 10-c3.

Nicht-Sein. Das letztere aber hat die Untersuchung als wirklich seiend erwiesen, so daß vom Sophisten gesagt werden muß, daß ihm nur noch übrig bleiben kann, die Verbindung von Nicht-Sein und Rede bzw. Vorstellung zu bestreiten. Was folgt, ist die Skizze einer Theorie des einfachsten Satzes. Eine „Aussage" - das ist zunächst eine „Kennzeichnung" von Seiendem durch die Stimme - enthält in sich zwei Formen der Kennzeichnung oder Bedeutung: „Name" (ονομα) und „Tätigkeitswort" (ρήμα). Das Tätigkeitswort zeigt eine „Handlung" (πράξις) an, der Name dagegen läßt sich als das ,Subjekt' dieser Handlung verstehen. Die Verbindung dieser Kennzeichnungen kann nicht darin bestehen, daß sie regellos aneinander gereiht werden 114 , sondern in der Intention sinnvoller Rede (λόγος), ist sie - im einfachsten Fall - die Verbindung jeweils eines Namens mit einem Tätigkeitswort. „Reden" also besteht in der Verknüpfung von Namen und Tätigkeitswörtern, während die bloße Benennung eine Reihung von Namen ist. 115 Zu den Voraussetzungen der Bestimmung des Falschen in der Aussage gehört, daß die Rede als „Gattung des Seienden" 116 , wenn sie ist, Rede „von etwas ist" (τινός εϊναι) und „unmöglich von nichts". 117 So kann nun die Untersuchung über die „Beschaffenheit", das „Wie" (ποίον) erfolgen. Die Bestimmung, „wovon" (περί οδ) und „über was" (ότου) der einfache Satz „Theaitetos sitzt" eine Aussage macht, ist für den angesprochenen Theaitetos natürlich leicht zu bestimmen: der Satz handele „von mir und über mich". 118 Damit ist das ,Subjekt' des Satzes und die auf dasselbe bezogene, durch das ρημα ausgesagte, Tätigkeit bestimmt. Die Bestätigung durch den angesprochenen Theaitetos klärt zugleich, daß die Aussage seiend ist, womit die erste der mit der Klärung des λόγος verbundenen Bedingungen erfüllt ist. Auch der zweite Beispielsatz „Theaitetos fliegt" handelt freilich von und über Theaitetos, aber seine Beschaffenheit ist eine andere als im ersten Satz. Der erste Satz nämlich ist wahr, der zweite dagegen falsch. Der erste Satz sagt Seiendes als seiendes aus, der zweite dagegen Nicht-Seiendes als seiend. Auch der zweite Satz ist freilich eine Aussage von etwas (τινός), nämlich von demselben Theaitetos wie zuerst, aber er sagt von demselben Verschiedenes, und zwar Nicht-Seiendes aus. Die an sich sinnvolle Verbindung von Namen und Tätigkeitswörtern, die Rede, kann also sowohl wahr wie auch falsch sein. Die übriggebliebene Bestimmung einer Beziehung von Rede und Ge-

114 115 116 117 118

Bzgl. ρήμα, 262 b 5; bzgl. όνομα, b9-10. Zum Abschnitt vgl. Sph. 261e-262d. Sph. 260 a 5. μή . . . τινός άδύνατον, 262 e 6-7. Sph. 263 a.

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danke (διάνοια), Annahme (oder bildlose Vorstellung, δόξα) und bildhafter Vorstellung (φαντασία 119 ) holt erneut und auf andere Weise die gemeinsame .Bedingung der Möglichkeit' der Ausführungen ein: die Seele. In der Seele können diese Gattungen durchgehend wahr oder falsch sein, durch ihre „Verwandtschaft" mit der Rede. 120 Der Gedanke ist wie die Rede eine Bewegung der Seele, nämlich ihr Gespräch mit sich selbst, aber stimmlos. 121 Die Vorstellung - ob bildlos oder bildlich aber ist ein „beruhigter" Gedanke, die Bewegung des Gedankens ist hier „vollendet". 122 Hier wiederholt sich noch einmal die Spannung von Ruhe und Bewegung mit Bezug auf die Tätigkeit des Denkens der Seele selbst. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß nicht die Selbstbewegung der Seele im Denken das Ziel der Bewegung des Gedankens im Dialog ist - auch nicht, wenn der Dialog offen, aporetisch endet. 123 Piaton kennt keine, aus sich selbst heraus apriorische Setzungen generierende, autonome, menschliche Vernunft. 124 Die menschliche Vernunft, in der Seele gebunden, muß sich als Selbstbewegung erkennen, die in ihrer Zielgerichtetheit auf die Sache erst sich selbst erfährt: in ihrer höchsten Form als όμοίωσις θεφ ( Tht. 176 b 1). Der Sophist kann gefaßt werden 125 , der Philosoph ,faßt sich' nur in seiner aktiven Beziehung auf das, was er - in der Reflexion, verschieden von sich - als „es selbst seiend" erkennt, in seiner Ähnlichkeit zu diesem. Darin liegt die Möglichkeit zum Gespräch unter Gleichen, zur gemeinsamen Anstrengung (vgl. 218 b) mit Blick auf das Selbe. Darin liegt der erkenntnistheoretisch-logische Sinn von Methexis. 126

119

Sph. 263 d 6. „Bildhafte" Vorstellung, weil auf Wahrnehmung bezogen, vgl. 264 a

4-6. 120

264 b 2: τφ λόγφ συγγενών όντων. Sph. 263 e 3-5. ' 122 Sph. 264a 10: δόξα δέ διανοίας άποτελεύτησις. Vgl. hierzu Tht. 189e-190a, s.o. S. 186. Der Philebos erweitert das „Gespräch der Seele mit sich" in bezug auf das Gedächtnis zur ,Niederschrift' des Wahrgenommenen und Gedachten in die Seele als ein „Buch" (38 e ff.). 125 Dies war eine Annahme F. Schleiermachers über das Wesen des platonischen Dialogs, s. hierzu die Kritik bei H. Gundert, a.a.O., S.300. 124 Vgl. H. Kuhn, „Antike Noetik und moderne Subjektivität", a.a.O., S. 13 ff. 125 Sph. 2 6 8 c 8 - d 5. 124 Aristoteles meinte, „Methexis" bei Piaton sei nur ein neuer „Name" für eine alte, sprich: pythagoreische Auffassung und Piaton selbst habe nirgendwo den Sinn, weder des Sachverhalts, noch des Namens geklärt (Met. A 6, 987b 1 ff.). 121

200

Β. DIE „WELTSEELE"

1. Exposition In der Politela ist es die Beziehung der Polis - über den Philosophen - auf das Gute selbst, welche im „Umschlag" die gute und geregelte Ordnung der Gemeinschaft herstellt.127 Die Politela ist in Analogie zur Seele ihres ausgezeichneten Bürgers und Herrschers, des Philosophen, selbst als größere Seele dargestellt.128 Hier findet kein Rekurs auf eine kosmische Ordnung statt. Die politische Ordnung vollzieht sich - im besten von Piaton gedachten Falle - gleichsam im und durch den Philosophenherrscher selbst, zu dessen Ausbildung zwar auch die mathematischen Fächer gehören, doch dienen sie, was den Ordnungs- und Vernunftaspekt betrifft, als „Bilder"129. Die Bildung des Philosophen wird durch die Dialektik abgeschlossen und darin liegt die Möglichkeit des richtigen Gebrauchs der mathematischen Kenntnisse und der „Bilder". Im Philebos streiten die Vernunft und die Lust darum, ein gutes Leben bestimmen zu können. Während die Vernunft sich von vornherein mit dem zweiten Platz „hinter" dem Guten begnügt, behauptet die Lust die Identität mit dem Guten, was sie allerdings nicht aufrecht erhalten kann.130 Aus dem Problem, daß weder das eine noch das andere die Behauptung aufrecht erhalten kann, das Gesuchte zu sein, wird die Lösung in Mischverhältnissen gesucht. Der Philebos setzt die ontologische Streitfrage nach der Verknüpfung von Eins und Vielem, die ähnlich im Sophistes gestellt war, voraus. Die Verknüpfung des Logos in der Seele, die das Sprechen seiend, die Sprache wirklich macht, wird im Philebos, mythisch, durch das Ursprungsverhältnis ausgedrückt, daß das dialektische Vermögen eine göttliche Gabe sei.131 In diesem Zusammenhang werden die vier „Arten" (γένη) des Seienden unterschieden, zuerst nach den beiden gegensätzlichen Formen der „Grenze" (πέρας) und des „Unbegrenzten" (άπειρον). Die dritte Form sei das aus den beiden ersten „sich mischende Eine". Schließlich muß als vierte die „Ursache der Mischung" (της συμμείξεως ... την αίτίαν) hinzugezählt werden.132 In dieser Vorlage von vier metaphysischen Prinzipien „in dem Ganzen" (έν τφ παντί) liegt die Entfaltung der Aitia-Problematik des Phaidon. Während die von Anaxagoras angenommene Vernunft als Prinzip des Vgl. R. 473 c und 500 c-d. Ebenso analog auch die verschiedenen Staatsformen und die ihnen zugeordneten Menschen im Verfallskatalog der Politela 543 a ff. 129 Vgl. R. 529 a - c und 509c-511e. 130 Vgl. Phlb. 11 äff., 2 0 b f f . 131 Phlb. 16cff. 132 Phlb. 23 c-d. 127

128

201

Alls in der naturphilosophischen Theorie der Phänomene unwirksam blieb, neben ein gleichsam materialistisches' Erklärungsmodell gestellt wurde 133 , verlangt Piaton Vernunft als Ursache richtiger Mischung der Grenze mit dem Unbegrenzten als wirkliche und das heißt: in einer Seele zu denken. Diese vier prinzipiellen Gattungen des Seienden müssen also in jedem beseelten Körper anwesend gedacht werden. 134 Die Beobachtung von .Naturerscheinungen', die in diesen die Anwesenheit der vier Gattungen voraussetzen muß, führt zum Analogieschluß, daß das Weltganze ebenso ein beseelter Körper sein müsse, aber vollkommener als die einzelnen in ihm.135 Die Seele wird auf diese Weise zum „Ort" der Vernunft. 136 Das Wirkliche als Ganzes ist seelisch: „Werden zum Sein" (γένεσις εις ούσίαν). 137 Die Seele als „Ort" der Vernunft ist Vermittlerin der Ordnung des Ganzen. Die Seele in „Aufruhr" (στάσις), uneins mit sich selbst, ist Grund der Unordnung. Diesen Gegensatz führt der Politikos mythisch vor.138 Darin liegt der Sinn der Aussage aus dem zehnten Buch der Nomoi, daß die Seele „Ursache" „aller Gegensätze" sei und daß zwei Seelen das All bewegten. 139 Die göttliche Vernunft als Bildner, „Demiurg" 140 , stellt die Bedingungen her, die die menschliche Vernunft im Erkenntnisprozeß nachvollzieht. 141 Die menschliche Vernunft, die sich als seelische begreift, sieht auch im Kosmos insgesamt die Vermittlung der Vernunft, d. h. einer nachvollziehbaren Ordnung, durch die Seele. Der Timaios führt die Zusammenstellung der kosmischen Ordnung durch den göttlichen Demiurgen aus. Ein wesentlicher Teil dieses Ordnungsaktes ist die .Konstruktion' der „Weltseele".

2. Konstruktion und Funktion der „Weltseele" im Timaios Mehrfach gibt Piaton auch in anderen Dialogen Hinweise auf einen durch die Seele .gegebenen' Zusammenhang von „allem", d.h. einer Welt, die als schöne, geordnete zu verstehen ist: Kosmos. 142 Aber nur im Timaios ist ausdrücklich von einer ψυχή τοΰ παντός 143 die Rede. 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143

202

Phd. 97bff., s.o. und vgl. Lg. 967a-d. Phlb. 29d-30b. Phlb. 30b-d, vgl. 22c-d. Phlb. 30 c, vgl. Sph. 249a, 265a und Γι. 30b, s.u. Phlb. 26 d 9. Pit. 269 c ff. Lg. X 896 d ff. Vgl. Phlb. b 1 ff. und R. 596 b ff. Vgl. O. Letwin, „Interpreting the Philebus", Phron 26 (1981) 200f. Vgl. Men. 81 d 1-2 ; R. 546 b. Vgl. TL 41 d 5. Im Zusammenhang der Sorge um die Seele, der Pflege von Körper

Diese Rede von der ,Weltseele' ist seit ihrer Äußerung in der Kosmologie des Ttmaios ein Skandalon. Sie wurde zwar von der metaphysischteleologisch orientierten Betrachtung von Welt und Natur dankbar aufgenommen und in den jeweiligen Rahmen des Philosophierens integriert, aber bereits von der analytisch-empirisch orientierten Naturbetrachtung des Aristoteles scharf kritisiert und vollends von der neuzeitlichen Physik als Anthropomorphismus abgelehnt. Und während zwar der Timaios insbesondere in seinen Teilen über die mathematische ,Konstruktion' der Elementarkörper in unserem Jahrhundert als Ahne' moderner Quantenphysik gelobt wird144, fristet die platonische Kosmologie - obwohl in der Fachwelt der Piatoninterpreten heftig diskutiert ein Schattendasein neben der an der Natur als ,Objekt' orientierten modernen Forschung, die insbesondere einen Begriff der Weltseele ignoriert oder ablehnt. 145 Der Timaios darf, obwohl er Ansätze von T h e o rien' über Naturerscheinungen enthält, nicht mit einer naturwissenschaftlichen Abhandlung verwechselt werden. Das setzt voraus, daß man nicht wie Aristoteles, den Charakter des Berichts als „bildhafte Rede" (είκώς λόγος) ignoriert, oder diese Darstellungsform nicht nur für eine Verkleidung hält, die man wegnehmen kann, um dahinter die wahren platonischen Aussagen über die Natur herauspräparieren zu können. Der Timaios darf auch nicht einfach als naturphilosophische Spekulation im Sinne der Vorsokratiker über Anfang und Urzusammensetzung der Welt verstanden werden. Seit dem Phaidon hat Piaton der Erkenntnis, daß solche Spekulation nicht in der Lage ist, zwischen der Vernunft als intelligiblem und teleologischem Weltentstehungsprinzip (αιτία) einerseits und der Erklärung singulärer Naturereignisse durch partikulare Ursachen (συναιτίαι) andererseits zu vermitteln, durch die Bestimmung der Psyche als eines mittleren und vermittelnden Seins als Prinzip des Werdens entsprochen. Nicht die Erkenntnis der Phänomene und der Natur als Objekt ist das Problem, sondern zunächst, aus dem Problem des Umgangs mit sich selbst (έπιμέλεια), die Erkenntnis

und Seele erwähnt Timaios gegen Ende seines Berichts erstens ein είδος του παντός, in bezug auf das jeder einzelnen (menschlichen) Seele aufgegeben ist, dieses nachahmend für sich und für alle (seine Teile) anordnend zu sorgen, und zweitens die τροφόν και τιθηνην τοϋ παντός, in bezug auf welche die einzelne Seele für Bewegung ihres Körpers sorgen soll, um sich als gesundes Ganzes zu erhalten (88 d l und d7). Damit sind zwei Aspekte der Weltseele gemeint, wie sich noch zeigen wird. 144 Vgl. W. Heisenberg, „Erste Begegnung mit der Atomlehre" und „Elementarteilchen und Platonische Philosophie", in: ders., Der Teil und das Ganze, München 1969, S. 19 ff. und 321 ff.; C.F.v. Weizsäcker, Platonische Naturwissenschaft im Laufe der Geschichte, Göttingen 1971. 145 Vgl. B. Kanitschneider, Kosmologie, Stuttgart 1984, S.54ff.

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der Phänomene aus ihrem Grund und der dementsprechende Umgang mit ihnen. 146 Ein Versuch, das Problem der Weltseele im Timaios verständlich zu machen, hat sich also zuerst darüber zu verständigen, welche Art von Zugang, welche Art der Darstellung und welches Ziel der Betrachtung den Timaios bestimmt. Dazu ist es erforderlich, sich gewisser Vorbegriffe, die für dieses Werk leitend sind, zu vergewissern. Das Weltganze als beseelten Körper zu begreifen, dies wird vermittelt über die Dialektik bloßer, am (äußeren) Gegenstand orientierter Naturbetrachtung und -darstellung und dem Problem des guten Lebens, d. h. der Ethik. Die vier prinzipiellen Gattungen des Seienden, wie sie der Philebos entwickelt, setzt Timaios in der Vorrede zu seiner kosmologischen Erzählung als konstituierende Verständniselemente für das folgende voraus. Er spricht nicht explizit von πέρας und άπειρον, er unterscheidet „das immer Seiende" (το ôv άεί) und „das immer Werdende" (το γιγνόμενον άεί): „das eine, das durch vernünftiges Denken zu erfassen ist, ist immer gemäß demselben, das andere wiederum, das mit Vorstellung durch vernunftlose Wahrnehmung anzunehmen ist, ist werdend und vergehend, in keiner Weise wirklich seiend".147 Er fordert zu den ersten beiden als notwendigen weiteren Begriff den der Ursache hinzuzudenken, „denn es ist für alles unmöglich, ohne Ursache ein Werden zu haben". 148 Schließlich wird der gesamte Kosmos als ein „gewordener" klassifiziert, der notwendig aus einer Ursache entstanden sein muß. 149 Vom Begriff der Ursache ausgehend bestimmt Timaios die gewordene Welt als ein „Bild" (είκών), das in Hinsicht auf ein „Vorbild" (παράδειγμα) verursacht wurde. Bild und Vorbild stehen zueinander in einer Beziehung wie Erscheinung bzw. Schein zum Sein. Die eleatische Entgegensetzung von Einem und Vielem, und von Sein und Schein als Ausschlußverhältnis - das von Piaton in dieser Weise ohnehin nur als vorläufiges, d.h. methodisches Verhältnis anerkannt war - , muß mit dem Parmenides und Sophistes als überwunden und als begründete Beziehung des einen auf das andere gelten. Die von Theaitetos in letzterem Dialog vorgeschlagene Definition des Bildes150 trifft das Verhältnis

146 Von den Philosophen der neueren Zeit ist es F.W.J. Schelling, der dem platonischen Gedanken einer philosophischen Betrachtungsweise der Natur am nächsten kommt, zum Vergleich s. J. Jost, Die Bedeutung der Weltseele in der Schelling'schen Philosophie im Vergleich mit der platonischen Lehre, Diss. Bonn 1929. Zur philosophischen Bedeutung der schelling'schen Naturphilosophie, auch für die Gegenwart, vgl. H. Krings, „Natur als Subjekt. Ein Grundzug der spekulativen Philosophie Schellings", in: ders., R. Heckmann (Hg.), Natur und Subjektivität, Stuttgart, Bad Cannstatt 1983, S. 111-128. 147 77. 28 a 1-4. 14 · 77. 28 a 5-6, vgl. Phdr. 245 b. 14 ' 77. 28 b-c. 150 Zuerst εϊδωλον, Sph. 240a 5, dann είκών genannt, 240b 11.

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sehr genau: 151 das Bild sei ein „in bezug auf das Wahre ähnlich gemachtes anderes solches". Durch das „Verschiedene" (ετερον) in der Definition ist die Vermischung von Sein und Nichtsein angedeutet; daher ist das Bild als „anderes" dennoch „wirklich seiend". Und wie das Bild, so muß sich auch der Logos, wenn er sich als Aussage über etwas verstehen will, als Mischung aus Sein und Nichtsein begreifen. Entscheidend für die Art der Erkenntnis und der ihr entsprechenden Aussageweise ist ihr Gegenstand, die Beziehung auf das, wessen Erkenntnis bzw. Aussage sie ist. In eben dieser Weise bestimmt Timaios die folgende Darstellung von der Entstehung und vom Aufbau der gewordenen Welt als bildliche Rede, είκώς λόγος. 152 Die Bestimmung der Darstellungsart wiederholt Timaios im Verlauf seines Berichts mehrmals, er will dadurch das Bewußtsein über den Charakter des Ausgesagten stets wachhalten. „Kein anderer Platonischer Dialog enthält eine so klare und durchgehende Aussage darüber, wie er verstanden werden soll."153 Der είκώς λόγος will keine wahrscheinliche' Darstellung der Weltentstehung sein, die sich für den Autor so, für einen anderen vielleicht auch anders darstellte. Er vereinigt in sich wesentlich dreierlei: vom Aspekt des Bildes aus ist er zuerst ein Gleichendes; zweitens entfaltet er als bildliche Rede innerhalb seiner Erzählstruktur im Nacheinander, was als Bild zugleich da ist; er ist schließlich drittens, wie bereits erwähnt, die angemessene Form der Darstellung seines Gegenstandes. Der eigentliche είκώς λόγος beginnt 29 d 6. Diesem Bericht von der Weltentstehung durch Timaios geht ein Vorgespräch zwischen Sokrates, Kritias, Timaios und Hermokrates voraus. Sokrates habe am Vortag über die beste Form des Gemeinwesens gesprochen, das wird kurz wiederholt. 154 Sokrates wünscht sich als Gegenleistung von seinen Zuhörern, dieses Gemeinwesen in Bewegung und geschichtlicher Bewährung zu sehen, denn es kommt ihm vor, als habe er wie ein Maler ein statisches Bild entworfen. Kritias erklärt sich daraufhin bereit, „aus alter Uberlieferung" 155 von „Ur-Athen" zu erzählen und gibt eine Vorschau auf die Berichte des Dialogs Kritias, der nicht vollständig erhalten ist. Kritias bestimmt auch mit seinem Vorschlag, zuerst Timaios re151 Dies, o b w o h l der Fremde Theaitetos an seiner g a n z richtigen D e f i n i t i o n irre macht, weil Theaitetos die Bedingungen für seine D e f i n i t i o n n o c h nicht durchschaut hat, s . o . zur Stelle. Zur Bedeutung des Bildbegriffes, insbesondere für den zweiten Teil des είκώς λ ό γ ο ς des T i m a i o s (47 e ff.: das durch die N o t w e n d i g k e i t Gewordene), H . G . Gadamer, Idee und Wirklichkeit in Piatos Timaios, Heidelberg 1974, S.20.

Dieser Ausdruck wird s y n o n y m mit είκώς μϋθος gebraucht. Β. Witte, „Der είκώς λ ό γ ο ς in Platos 7ìmaios", ArchGeschPhil 46 (1964) S. 1. 154 Ti. 17c. D i e s e Skizze erinnert stark an die Bücher zwei bis fünf der Politela, aber sie kann keineswegs als auf dieses Werk im G a n z e n hinzielend angesehen werden, vgl. W.K.C. Guthrie V, 245, mit Anm. 1. Zum dennoch möglichen Z u s a m m e n h a n g mit der Politeia s.u. 155 So Hermokrates 20 d 2 , Übers. H . Müller.

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den zu lassen, den Ablauf des folgenden. Und zwar soll Timaios, als der „Sternengesetzeskundigste" unter den Anwesenden, seine Rede „mit der Entstehung des Kosmos beginnen und mit der menschlichen Natur schließen". Timaios soll das Fundament liefern, auf dem gegründet die Polis des Sokrates sich in der Erzählung des Kritias bewegen kann. 156 Das Ziel der Rede des Timaios ist die menschliche Natur, eine Mischung aus Körper und Seele, die von ihrem Ursprung her dargestellt werden soll. Dies, sowie der Schluß der Rede des Timaios, in dem dieser, am Ziel angekommen, hymnisch-appellativ diesen beschriebenen Kosmos bezeichnet als ein „Bild des Denkbaren" und einen „wahrnehmbaren Gott" 157 , gibt für das hier vorgegebene Thema zwei Hinweise: 1. Der Timaios ist eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung von Fragen und der Möglichkeit sinnvoller Antworten bezüglich der Entstehung des Alls, in dem der Mensch als vernünftig Denkender und Handelnder, d.h. moralisches Wesen, sein kann. 2. Der Timaios handelt von dem in eins gemischten Ganzen aus Körper und Seele. Daraus muß folgen, daß der είκώς λόγος des Timaios nicht die Ideen zum Problem hat als wahrhaft seiende Gründe dessen, was als seiend angesehen wird; und ebenso nicht einen Erweis der Seele als solcher, wie sie sich selbst in bezug auf die Ideen verhält und was daraus für ihr Wesen folgt. Das im Timaios gestellte Problem ist, unter Voraussetzung des Seins der Ideen, der Vernunft und der sich selbst bewegenden und unsterblichen Dynamis der Seele, wie ein Kosmos aufgebaut sein muß, der die Beziehung von Seele und Idee, der einen der Vernunft gemäß handelnden Menschen überhaupt zu denken möglich macht. Denn auf der Möglichkeit eines vernünftig handelnden Menschen beruht die Bewegung einer guten, gerechten Polis. Schließlich ist als Vorbegriff noch zu erwähnen, daß die Entstehung der Welt durch einen Ordnungsakt des Demiurgen - so wird hier ein Aspekt des Begriffs der Ursache bezeichnet 158 - , nicht durch .Schöpfung' vor sich geht. Was diesen ordnenden Gott selbst angeht, so ist abgesehen von dem Hinweis in 28 c, der von der Schwierigkeit, den „Macher" und „Vater" des Kosmos zu finden und über ihn zu sprechen und von seiner .Motivation' (Güte, Neidlosigkeit, vgl. 29 e) spricht, kaum die Rede. Dies kann nur in der Weise verstanden werden, daß die Verursachung des Kosmos nicht selbst Thema der Erzählung von Timaios ist.159 156

Τι. 27a-b. είκών τοϋ νοητού θεός αισθητός, 92c8. 1SS Mit dem anderen Aspekt sind die νοητά gemeint, auf die der Demiurg beim Ordnen hinblickt, vgl. Tu 30c-31b. ,s ' Vgl. H.G. Gadamer, Idee und Wirklichkeit in Piatos Timaios, Heidelberg 1974, S. 157

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Wie Timaios selbst seine Erzählung einteilt, hat sie drei Abschnitte: „das durch die Vernunft Hervorgebrachte", „das durch Notwendigkeit Gewordene", schließlich die „Zusammenfügung von Notwendigkeit und Vernunft". 1 6 0 Die Entstehung und Beschreibung der Weltseele fällt besonders in den ersten Teil. Der Demiurg schafft wesentlich Ordnung, indem er zweierlei, voneinander Unterschiedenes zusammenfügt. Das .Material' der Welt - das „Sichtbare ... und regellos Bewegte" (30 a 3-4) - ist ihm ebenso vorgegeben wie das rein denkbare Vorbild der Welt (30c-d). Die Zusammenfügung hat einen lebendigen Körper zum Ziel. Ein lebendiger Körper aber ist nur vollendet und „schön", wenn er über die Seele an Vernunft teilhat (30 b). Dies steht eingangs des είκώς λόγος ebenso selbstverständlich, wie im Sophistes 248 e-249 a von den „Ideenfreunden" zusammen mit Vernunft und Seele Bewegung und Leben zu denken gefordert wird. Gadamer erklärt die Bedeutung der dem Demiurgen auferlegten Pflicht, in seinem Ordnungsakt das „schönste" zu tun, damit, daß Lebendiges schöner sei, weil es in höherem Grade eins sei als Unlebendiges, in höchstem Grade aber sei das Vernunft-Habende sich seines Einsseins bewußt. 161 Der Ordnungsakt hat die größtmögliche Einheit des Entstehenden im Sinn, und zwar als die Qualität des durchdringenden Umfassens. 162 Wenn im folgenden zuerst der lebendige Körper des Alls in der Darstellung .konstruiert' wird, so zeigt sich insbesondere an seiner Bewegtheit, daß die Seele als Bewegungsprinzip bereits in ihm anwesend gedacht werden muß. 163 Psyche als Prinzip der Lebendigkeit des Körpers ist auf die Bewegung des Körpers, d.h. auf Ausdehnung bezogen. Daher ist es logisch nachvollziehbar, daß sie, obwohl sie „früher und älter" (34 c 5) ist als der Körper, in der Darstellung dennoch nach ihm folgt. Der Timaios will den Erkenntnisbezug der Seele seiner Möglichkeit nach vom Ursprung her begründen, aber nicht selbst aus-

11; N. Fischer, „Ursprungsphilosophie in Piatons Timaios", Phjb 89 (1982) S.251 f. S. dag. zum Versuch, den Demiurgen als „rationalen Teil" der Weltseele herauszupräparieren: J.D. Blankenship, The Theory of the Soul in Plato's Metaphysics, Diss. Baltimore 1971, besonders S. 343ff. Sein Ansatz beruht z.T. darauf, Vernunft als Vermögen der Seele zu begreifen, nicht eine T e i l h a b e der Seele an Vernunft bei Piaton anzunehmen. Die Herkunft und Kritik dieser Auffassung s. H. Cherniss, a.a.O., App. XI, S. 603 ff. Zur Diskussion des Problems im allgemeinen s. a. R.D. Mohr, The Platonic Cosmology, Leiden 1985, S. 178 ff. 160 Tl. 2 9 d - 4 7 e ; 4 7 e - 6 9 a und 69a6-Ende; zur Einteilung vgl. bes. 4 7 e 3 - 4 8 a 2 . Dieser Einteilung des Textes folgt auch F.M. Cornford, Plato's Cosmology, London 4. Aufl. 1956, 33ff., bes. 160ff., 279ff. 161 H.G. Gadamer, a.a.O., S. 11. 162 77. 34 b. Bereits Phdr. 246 b 7 - 8 heißt es von der Psyche, daß sie sich um alles Unbeseelte „sorgt", έπιμελεϊται, und „den gesamten Himmel durchwaltet", πάντα δέ οϋρανον περιπολεί. 77. 31 b-34a, bes. 3 3 d f . Vgl. hierzu auch H.G. Gadamer, a.a.O., S. 12.

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führen. Von „unten her" kommt daher die Dynamis des Bewegungsprinzips erst über das Bewegte in den Blick, das ist durch den Zusammenhang verständlich.164 Die folgende Beschreibung der Herstellung der Weltseele gehört zu den schwierigsten Abschnitten des Werks und ist heftig und kontrovers diskutiert worden. Für den ersten Teil, der die Prinzipien bzw. Bestandteile erklärt, aus denen die Weltseele gemischt ist, hat Cornford bereits das Wesentliche gesagt.165 Die .Mischung aus Sein, Selbigkeit und Verschiedenheit, die auf den Sophistes zurückweist, geht in zwei Etappen vor sich. Drei Bestandteile, die jeweils eine Mischung aus dem „Unteilbaren" (άμέριστον) und dem „Teilbaren" (μεριστόν) der drei ersten Prinzipien Sein, Selbigkeit und Verschiedenheit sind, ermöglichen eine Mischung der Seele. Auf diese Weise kann die Seele sowohl am rein Intelligiblen wie auch am Körperlich-Ausgedehnten teilhaben und dennoch eine eigene Form des Seins darstellen.166 Aber mit dieser .Konstruktion' aus Prinzipien ist nicht allein das Erkenntnismoment der Seele angesprochen, wie Cornford im Anschluß an Proklos meint, sondern, wenigstens indirekt, auch das Bewegungsmoment der Seele. Dies ergibt sich bereits aus dem Hinweis auf den Sophistes, in dem neben Sein, Selbigkeit und Verschiedenheit auch Ruhe und Bewegung zur Mischung der μέγιστα γένη hinzugefügt sind. Die Seele für sich mag nicht als geteilt angesehen werden können, sondern dem „Eingestaltigen" ähnlich167, aber in Verbindung mit dem Körper - worum es hier geht „bewegt sie sich ganz durch sich hindurch" 168 . Das heißt, wie Gadamer m.E. richtig meint, die Psyche verteilt sich durch den Körper, obwohl sie nicht, wie ein Körper, in Stücke geschnitten werden kann. 169 Wirklich problematisch wird der Abschnitt, der die aus mathematischen Proportionen aufgebaute Harmonie der Seele darstellt.170 Es ist offensichtlich, daß die zuerst gegebene Zahlenreihe - 1, 2, 3, 4, 9, 8, 27 - sich auf musikalisch-harmonische Verhältnisse bezieht. Aber es ist die Frage, ob mit den Zahlen und ihren Verhältnissen Saitenlängen oder Schwingungszahlen gemeint sind. Cornford entscheidet sich für die Bedeutung als Saitenlängen und für eine aufwärts gerichtete Ton164 Für eine gegenteilige Deutung, die die Weltseele lediglich als „Seltsamkeit" einstufen kann, dabei allerdings wesentlich den Zusammenhang und das Darstellungsproblem mißachtet: R.D. Mohr, a.a.O., S. 171 ff. 165 Zu Ti. 35 a: F.M. Cornford, Plato's Cosmology, a.a.O., S. 60-66. 166 F.M. Cornford, a.a.O., S.62: „The upshot is that the soul has a sort of existence which is not simply identical with the real .being' of immutable and eternal things, nor yet with the .becoming' of these things of sense, but has some of the characteristics of both of these sorts of Existence." Vgl. Phd. 80b 1-2. 168 κινούμενη δια πάσης έαυτης, 77. 37 a 7-8. H.G. Gadamer, a.a.O., S. 13 f., s. dag. F.M. Cornford, a.a.O., S.64. 170 Τι. 3 5 b - 3 6 b .

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folge. Das entscheidende Ergebnis seiner Interpretation ist, daß die Beschreibung der Proportionen zwar musiktheoretisch allein den Sinn mache, die Harmonie ins Unendliche auszubreiten, aber im wesentlichen über die darin vorkommenden dritten Potenzen (Kubikzahlen) eine Verbindung mit dem Weltkörper geleistet sei.171 Dieser Darstellung widerspricht B. Kytzler. 172 Seiner Interpretation der Stelle soll, als der plausibelsten Lösung für das Problem, insbesondere in Hinsicht auf ein Verständnis der Weltseele, gefolgt werden. Kytzler geht davon aus, daß die Zahlen, die die Verhältnisse der Proportionen bestimmen, Schwingungszahlen bezeichnen 173 : „das Verhältnis 1:2 bezeichnet hier die aufwärts gerichtete Oktave, also die Töne A:a = 440:880 Doppelschwingungen." 174 Stellt man die Frage nach der Bedeutung der Zahlenreihe, so läßt sich zunächst feststellen, daß entscheidende Unterschiede für den jeweiligen Charakter einer diatonischen Tonleiter folgen müssen. Aufwärts gerichtet ergeben die Zahlenverhältnisse, als Tonintervalle betrachtet, die moderne Dur-Tonleiter (mit fünf Ganztonschritten und zwei Halbtonschritten, zwischen der 3. und 4. und der 7. und 8. Stufe). Dieselbe Tonleiter stellt abwärts gerichtet die Grundtonart der griechischen Musiktheorie dar, die dorische Tonleiter, die also als Umkehrung der Dur-Tonleiter gelten kann (mit Halbtonschritten zwischen der 1. und 2., der 5. und 6. Stufe). Kytzler stellt weiter fest, daß die proportionale Darstellung der Zahlenverhältnisse durchaus konkret an die griechische Musikauffassung und die in dieser Auffassung zu rekonstruierenden Phänomene gebunden ist.175 Zuletzt hält Kytzler als Voraussetzung für die Interpretation fest, daß bestimmte Schwierigkeiten der musikalischen Verhältnisse aus Schwierigkeiten der Interpretation dieser Zahlen selbst folgen müssen. Der Zusammenhang, auch mit späteren Stellen aus dem Timaios wird erst sinnvoll, wenn die Tonfolge abwärts gerichtet verstanden wird. 176 Aber aus welchem Grund sollte Piaton in einem Zusammenhang, der gar keine musiktheoretischen Erkenntnisse vermitteln will, derart kompliziert und andeutungsweise musikalische Proportionen entwickeln? 177

171

Vgl. F.M. Cornford, a.a.O., S. 66-72. B. Kytzler, „Die Weltseele und der musikalische Raum (Piaton Timaios 35 a ff.)", Hermes 87 (1959) 393-414. 173 Kytzler gesteht gleichzeitig ein, daß die Theorien über Schwingungszahlen in der Antike rein spekulativ gewesen sind, weil sie nicht experimentell meß- und nachprüfbar waren, a.a.O., S.397. 174 A.a.O., S. 395. ,7S A.a.O., S. 396. 176 Diese Annahme folgt u.a. aus der Tatsache, daß Piaton keine mediumabhängige Schallgeschwindigkeit angenommen hat, sondern tiefere Töne auch für die langsameren gehalten wurden, vgl. 71 BOa-b, Kytzler, a.a.O., S. 398. 177 F.M. Cornford, a.a.O., S. 67 ff. und H.G. Gadamer, a.a.O., S. 14 - verweisen haupt172

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Ein Hineintragen von mathematischen Entsprechungen als solchen bliebe der Darstellung äußerlich, vielmehr muß ein harmonischer Sinn in den gegebenen Proportionen selbst liegen. Kytzler zeigt, unter den oben dargelegten Voraussetzungen, daß die Proportionen in zwei Reihen von Intervallfolgen (eine „Zweier-" und eine „Dreierreihe") und zwar auf zwei einander entgegengesetzten musikalischen wie mathematischen Prinzipien aufgebaut sind.178 Mathematisch liegt das Prinzip der Unterscheidung in gerade und ungerade Zahlen vor. Mit geraden Zahlen ist das Prinzip der Unveränderlichkeit, mit den ungeraden Zahlen das Prinzip der Wandelbarkeit verbunden. Dem entspricht im musikalischen Bereich die Unterscheidung diatonischer Tonalität, mit sieben Tonstufen, also hier der dorischen Tonleiter 179 , als einem Einheitsprinzip der Musik; und der Tonalität in Richtung auf Chromatik, die in eine unendliche Kombinatorik mündet und damit das Vielheitsprinzip verkörpert. 180 Die beiden Prinzipien sind antithetisch, schließen einander aber dennoch nicht aus, sie überlagern einander teilweise, woraus der Schluß, den Timaios zieht (36 b 5-6), daß die Mischung ganz aufgebraucht sei, zu bestätigen ist. Kytzler schließt aus seiner Interpretation, daß mit den beiden dargelegten musikalischen Prinzipien der „Gesamtbereich des musikalischen Raumes" erfaßt sei.181 Daran aber zeigt sich, daß die geteilte Struktur der Welt, die für den gesamten είκώς λόγος vorausgesetzt ist, sich im ,Aufbau' der Seele und insbesondere in ihren proportionalen Mischungsverhältnissen exemplarisch spiegelt. Die Einsicht in diesen zahlenmäßig erfaßbaren Zusammenhang weist sowohl auf die Struktur der von der Seele abhängigen Himmelsbewegungen des geordneten Sternenhimmels, wie auf die mittels der Mathematik „überredete", vernunftlose Form des „Raumes", als schließlich auch auf die menschliche Seele, die, an der Musik teilhabend, die für die Gesundheit des Ganzen förderliche Ordnung herstellen kann. 182 Die so dargelegte Konstruktion' der Weltseele kann darüber hinaus als - spekulative - .Bedingung der Möglichkeit' für die Harmonie der Einzelseelen gelten. Sie gibt einen natürlichen' Grund an für die Therapie des Zorns und die Möglichkeit einer Erziehung des muthaften Teils der Psyche.183 Der kosmologische Bericht des Timaios fährt damit fort, die Struksächlich auf den Zusammenhang mit der körperlichen Ausdehnung, Gadamer sogar auf das Problem des bloßen „Raumes" (49a-52c). 178 A.a.O., S. 407. 179 Der dorischen Tonart wird bei Piaton der beste Einfluß auf die Psyche zugeschrieben, vgl. La. 188 d, R. 398 c f f . 180 A.a.O., S.408. 181 Ebd. 182 Tu 36 b 6 ff. und 47 d. Vgl. B. Kytzler, a.a.O., S.413. 183 Vgl. R. 400dff., 441 e f . u.ö.

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tur der Bewegungsbahnen der Seele, auf deren Grundlage und in Verbindung mit dem Weltkörper als die Zeit konstituierende periodische Umläufe der Himmelskörper aufzuzeigen. Die Bewegungsverhältnisse, die erneut Exemplifikationen der prinzipiellen Teilung des Seins nach Selbigkeit und Verschiedenheit darstellen, geben darüberhinaus einen Begriff von „Selbsterfahrung" 184 der Weltseele, der die Struktur des Gesprächs der Seele mit sich selbst in Theaitetos und Sophistes aufweist. 185 „Zuverlässige Selbigkeit des Selben und wechselnde, aber nicht regellos wechselnde Ansichten (bietet, P.M.S.) die Welt - und sie bietet sie gleichsam und in erster Linie sich selber, im Sinne der Vernünftigkeit des eigenen Seins - und Bewegungsordnung als eine Art Innesein ihrer selbst - sie bietet sie aber auch einem denkenden Beschauer des Himmels."186 Diese Mitteilung von verschiedenen Formen des Wissens aber - so ist der Satz von Gadamer mit dem Text des Timaios zu ergänzen ist nur möglich in e i n e r Seele.187 Die Erzeugung der Zeit, so meint Timaios, gewähre durch die Bewegung der Himmelskörper und insbesondere durch die Erzeugung des Umschwungs der Sonne, die Erkenntnis der Zahl „jenen Lebewesen, denen es zukommt" 188 , und aus der Erkenntnis der Zahl und der Beobachtung der Umläufe der Himmelskörper die Erkenntnis von deren Sein als Zeit. Die Darstellung steigt von da an ab zur Betrachtung der ,Innenstruktur' der Welt und gibt, mehr dem Mythischen angenähert als vorher und nachher, Bericht von der Entstehung sterblicher Lebewesen durch die niederen Götter. Mit diesen, den traditionellen mythischen Gottheiten verwandt, wird bereits der Bereich der „Mitursachen" (συναιτίαι) eingeführt, aus dem ζ. B. das Sehvermögen erklärt wird. 189 Das Sehvermögen dient der Beobachtung der Himmelsbewegungen und ist den Menschen als Voraussetzung für das Vermögen zu philosophieren gegeben. Beim Abschluß des kosmologischen Berichts des Timaios, und bei der Rede von der „Pflege" der Seele (θεραπεία, 90 c 6), die durch die Betrachtung der regelmäßigen Umläufe der Himmelsbewegungen Ordnung in die Bewegung der menschlichen Seele trägt, schließt sich der Kreis des Zusammenhangs von Bewegung und Erkenntnis in der menschlichen Seele durch Bezug auf ihren Ursprung, die ,Weltseele'. 184

So H.G. Gadamer, a.a.O., S. 15. Tl. 37 b-c. Es ist für den hier gegebenen Zusammenhang unwichtig, ob die Bahnen sich als diejenigen des Tierkreises oder der Planeten erschließen lassen (vgl. Cornford, a.a.O., S. 72 ff.), weil es hier nicht primär darauf ankommt, den Timaios als platonische .Physik' zu verstehen. 186 H.G. Gadamer, a.a.O., S. 16. 187 Vgl. 71 37 c 3-5: τούτω δε έν φ των όντων έγγίγνεσθον, αν ποτέ τις αύτό αλλο πλην ψυχήν εϊπη, πάν μάλλον ή τάληθές έρεΐ. 188 τά ζφα οσοις ήν προσήκον, Τι. 39 b 7. 189 Τι. 46 c und e ff. 185

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Es bleibt noch übrig, auf einen Aspekt aus dem Mittelteil des Timaios über das „durch die Notwendigkeit Gewordene" hinzuweisen. 190 Der Bereich der „Mitursachen" 191 ist das, ohne welches die Ursache - d. h. die vernünftige, göttliche Ursache - nicht sein könnte, was sie ist, so lautete bereits die Auskunft im Phaidon.192 Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß die göttliche Ursache allein dafür verantwortlich gedacht wird, daß Leben glücklich und gut sein kann und daß insbesondere die vernunftbegabte Seele sich aktiv und mit Aussicht auf Erfolg um dieses Ziel bemühen kann. Die Beschreibung des „Raumes" als dritter Form und Mitursache, die notwendig zur Entstehung des Kosmos hinzugedacht werden muß, wenn auch mit einer Form des Denkens, das diesen Namen kaum „verdient" 193 , muß als Lösung der anaxagoreischen Problemstellung gelten, teleologische All- und mechanische Einzelursache zu verbinden, die Ordnung des Ungeordneten bis in den .irrationalen Bereich' bloßer Ausdehnung hineingetragen zu haben. Insbesondere dieser Teil des Timaios hat das Interesse der Wissenschaftsgeschichtsschreibung auf sich gezogen, weil er die Weltentstehung nicht mehr als .Geschichte', sondern als rational nachvollziehbares Geschehen zu deuten scheint.194 Der entscheidende Punkt ist, daß die Notwendigkeit von dem verursachenden Gott dazu „überredet" werden konnte, in sich mathematische Strukturen auszubilden 195 , die die Grundlage für die mögliche Gemeinsamkeit des durch Vernunft und des durch Notwendigkeit Gewordenen bilden. Hieraus folgt für den vorliegenden Zusammenhang, daß durch diesen ursprünglichen Ordnungsakt des Demiurgen zugleich die Ermöglichung gedacht ist, zufällig Ungeordnetes und für sich selbst Unvernünftiges im Menschen zur Ordnung bringen zu können. Durch Anerkenntnis der Notwendigkeit, nicht durch Gewalt, sondern durch „Überredung", soll der Körper und das αλογον in der Seele „freiwillig" in die Ordnungsbewegung eingebunden werden. Die Beschreibung der Bedeutung der gymnastischen

1.0 Zur Diskussion über diesen Teil des Timaios, insbesondere zur Frage, ob die „ungeregelten Bewegungen" auf die Seele zurückzuführen seien und die damit zusammenhängende Frage nach dem „Ursprung des Bösen" bei Platon, s. den Uberblick bei R.D. Mohr, a.a.O., S. 116 ff. Die vorliegende Interpretation geht von der Annahme aus, daß die ungeordneten Bewegungen des „Chaos" nicht psychisch initiiert sind, daß sie als „Bewegungen" nicht mit der durch die Psyche verursachten zielgerichteten Bewegungsart zu vergleichen sind, und daß dennoch kein Gegensatz zwischen diesen Bewegungsarten und keine Inkonsequenz zwischen dem Timaios, dem Phaidros und den Nomoi besteht, weil die jeweils situationsgebunden vorgetragenen Ansichten direkt miteinander verglichen inkommensurabel sind. 1.1 1.2 1.3 1.4

"s

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77. 48 äff., vgl. 68 e f. Phd. 99b; vgl. in abgeleiteter, „sozialer" Hinsicht: Pit. 287d. Tu 52b 3: άπτόν λογισμφ τινι νόθφ. Vgl. Η.G. Gadamer, a.a.O., S. 29 ff. Tí. 56 c.

Bewegung für die Gesunderhaltung des lebendigen Körpers, in Nachahmung der Rüttelbewegung der „Amme des Werdens" 196 und die bevorzugte Stellung der „durch sich selbst bewegenden Bewegung" für die Gesundheit und Befreundetheit der Teile des Menschen unter sich (89 a) holt diesen Ursprungsgedanken von der spekulativen .Theorie' in die alltägliche ,Praxis' herein. Die „einzige Form" der Pflege der Seele für „alle" besteht darin, den „Gedanken und Umläufen des Alls"197 zu folgen. Diese Tätigkeit entspricht dem Göttlichen in uns, und zeigt die Kosmologie des Timaios letztlich als höchste Form der „Sorge um die Seele", „da sie sich durch den Mythos um den Kosmos sorgt". 198 Die Interpretation der Psyche bei Piaton holt im Timaios ein, wovon sie als dem Ansatz der platonischen Philosophie ausgegangen war: die „Sorge um die Seele". Piaton umschreibt den weitesten Kreis, von der sokratischen Problemstellung des wissenden Nichtwissens und der Kritik an der - vorsokratischen - Naturphilosophie über die Staatsphilosophie und philosophische Begründung des Philosophierens als Dialog und Dialektik bis zum naturphilosophischen ,Ursprung' der Ethik zurück. Dieser weite Kreis entfaltet sich aus der in sich zusammengebundenen und auf sich selbst zurückgewendeten Gegenstrebigkeit der Psyche, als zugleich auf sich selbst und auf anderes Bezogenes. Es gibt nach Piaton keine »Aufhebung' des prinzipiellen Widerspruchs - der im Werk verschiedentlich als Entgegensetzung von Eins, Gutem, Grenze, wahrhaft Seiendem und Vielem, Ungutem, Unbegrenztem, Nicht-Seiendem formuliert ist - sondern nur Vermittlung: die Seele, die an beiden Teilen des Widersprüchlichen Anteil hat und durch den Anteil an der Vernunft das Gute zu wählen und zu erstreben imstande ist. Psyche repräsentiert in sich die durch den trennenden Verstand getrennten Prinzipien des Kosmos, und verbindet als Ganze und Seiende in sich das Getrennte, das durch sie nun nicht mehr als „wirklich" getrennt begriffen werden kann, sondern als „gemischt". Psyche ist Ermöglichungsgrund für Teilhabe des Lebendigen an Vernunft, und ihre Erkenntnis als Prinzip der zielgerichteten Bewegung schafft den Grund für ein der Ordnung zugängliches, glückliches, gutes Leben.

77. 8 8 c - e , vgl. 5 2 d - 5 3 a . αΐ τοϋ παντός διανοήσεις καί περιφοραί, 9 0 c 8 - d 1. 1 . 8 J. Jantzen, Artikel „Piaton", in: Staatslexikon, hg. von der Görres-Ges., Bd. 4, Freiburg etc. 7. Aufl. 1988, Sp. 423. 1.6 1.7

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VI. Psyche bei Piaton Die Analyse der sokratischen „Sorge um die Seele" (έπιμέλεια της ψυχής) deckt eine wesentliche Struktur der platonischen Philosophie auf. Es wird deutlich, daß Piaton keine .Psychologie', keine Theorie der Seele gibt, aber Anlage, Gesprächsführung und Themen der Dialoge zeigen, daß es kein „Werden" in der,Natur', keine Kunst, kein Können, kein Wissen und keine Philosophie ohne Psyche geben kann. Psyche ist das ordnende Grundmoment der platonischen Philosophie: Psyche ist Dialog. Selbsterkenntnis ist der Ansatz der Philosophie Piatons. Dieser Ansatz gehört wie Sokrates und sein Erbe, das Piaton auf seine eigene, überragende Weise verwaltet und entfaltet, zu dieser Philosophie. Der Impuls, den Piaton von Sokrates empfangen hat, ist nicht Anstoß zu einer unselbständigen „Fremd-", sondern zu einer höchst selbständigen „Selbstbewegung", die in Analyse und philosophischer Grundlegung der „Selbstbewegung" kulminiert. In den Frühdialogen erweist sich diese Betätigung einerseits in Wendung gegen bestimmte sophistische Gesprächsteilnehmer, andererseits in fürsorglicher Hinwendung an junge Gesprächspartner als Hilfestellung zur Selbsterkenntnis. Selbsterkenntnis als Einstieg in das Philosophieren bringt wesentlich die zweideutige Lage des Wissenwollens und Wissenkönnens in den Blick und weist auf den Grund dieser Zweideutigkeit: die Seele, das nichtkörperliche Selbst des Menschen. Ausgehend von der Entdeckung der Psyche wird insbesondere im Phaidon das Sein der Seele in ihrer Grundstruktur und ihren wesentlichen Eigenschaften entworfen, und zwar durch den vom Körper abgewandten Blick, „getrennt" vom Körper. Der χωρισμός tut sich zunächst dadurch auf, daß der Tod als Dissoziation von Körper und Seele und die Seele „selbst für sich", vom Körper abgesetzt gedacht wird. Der χωρισμός wird tiefergelegt durch die Einführung des ideellen Seins (das bereits in der sokratischen Fragestellung bekannt ist). Die Idee steht in strenger und ausschließender Entgegensetzung zum körperlich Werdenden. Psyche gerät durch den Bezug auf das eine - den Körper - , wie auf das andere - die Idee - , in eine problematische Mittelstellung. Die Hypothesis löst die Schwierigkeit durch die „logisch" gesicherte Beziehung zum Ideellen - in einer Richtung. Der „letzte Beweis" garantiert die Unsterblichkeit der Seele aus ihrer logischen Ähnlichkeit und Teilhabe am Sein der Ideen. Die Hypothesis begründet die Beziehung von Seele und Idee und damit die Möglichkeit des Philosophie214

rens; aber damit ist das Sein der Seele noch nicht geklärt. Die anderen Unsterblichkeitsbeweise in anderen Dialogen zeigen jeweils, bei aller Verschiedenheit ihrer Darstellung und des jeweiligen Zusammenhangs, in dem sie stehen, dieselbe wiederkehrende Struktur des Transitorischen der Seele. Die Seele, vom Körperlichen abgesetzt, stellt durch sich selbst, d. h. durch das „Wagnis" der Annahme des Seins, die Beziehung zum unkörperlich-unsichtbaren, wahrhaften Sein her. Dieses ,Ubersteigen' zeigt im Symposion die Unsterblichkeit der Seele mittelbar durch den Aufstieg des Eros. Im Phaidroi wird die Dynamis der Selbstbewegung der Seele dargestellt, um die vom Körperlichen ganz unabhängige Eigenbewegung der Seele in der Liebe zu erklären. Die Unzerstörbarkeit der Seele ist das Thema des Unsterblichkeitsbeweises der Politela. Der Tïmaios schließlich handelt von der Unsterblichkeit der Seele von ihrem Ursprung, der unsterblichen Weltseele her. Die Metaxy-Stellung der Seele aufzuweisen, ergibt sich folgerichtig aus der Problematik der Unsterblichkeit. Die Seele als unsterbliche weist über den Körper auf das Ideelle hin, ist aber nicht identisch mit dem Ideellen und gerät so in eine mittlere Stellung. Durch das genaue Hinblicken auf die Verwendung der Worte μεταξύ, άτοπος und εξαίφνης können diese Worte, die je auch eine gewöhnliche Bedeutung bei Piaton besitzen, als „Indices" für die Psyche erkannt werden. Dies wird fruchtbar gemacht für eine Auslegung der dritten Ableitung der ersten Hypothesis im Dialog Parmenides (155 e ff.). Der Gebrauch der drei Indices an dieser Stelle weist darauf hin, daß mit dem Einen, das umschlägt und ort- und zeitlos (άτοπος und έξαίφνης) zwischen (μεταξύ) Gegensätzen vermittelt, die Seele gemeint ist. Es ist wesentlich der Umschlag zwischen Ruhe und Bewegung, den die Seele ermöglicht, wodurch die mathematische Analyse der Bewegung und die Phänomenalität der Bewegung miteinander verbunden gedacht werden können. Die Auslegung der Bedeutung von μεταβολή in der Bewegungsabhandlung der Nomoi unterstützt diese Interpretation. Die Seele kann dadurch als Begriff einer - „praktischen" - Ursache verstanden werden, der in sich Naturkausalität und teleologische Ursache verbindet. Der Metaxycharakter der Seele zeigt sich in der Politela als vermittelnde Mitte. Die Seele, in sich geteilt, muß zugleich als ein Ganzes verstanden werden. In die Teilung, die zunächst als Widerstreit von zwei gegensätzlichen Teilen erscheint, tritt ein dritter Teil, der den Widerstreit lösen und entscheiden helfen kann. Die geteilte Seele repräsentiert so in sich den metaphysischen Gegensatz, in den sie prinzipiell vermittelnd gedacht wird. Seelische Gesundheit, die im vermittelnden Ausgleich der Teile besteht, zeigt sich im Philosophen als strebende Hinwendung zur Idee des Guten. Aus der Verfassung des Philosophen wird die Verfassung der besten Politela begründet. Aus dem Darstellungsgedanken der Analogie zwischen Einzelseele und Politela, der 215

Seele der Polis, wird die Begründung der politischen Gemeinschaft von der Seele her durchsichtig. Der Verfall der besten Politela ist als Umschlag der Seelenverfassungen der einzelnen, analog zu ihrer jeweiligen politischen Verfassung, aus Abwendung vom Maß der Idee des Guten dargestellt. Aus dem Begriff der Beziehung, der sich wesentlich im Parmenides als die Funktion der Seele zeigte, und dem Problem des Widerstreits und seiner Lösung in der Seele in der Politela wird erkennbar, daß die Psyche einen wesentlichen Beitrag zum Problem der Teilhabe bei Piaton leistet. Das Problem der Teilhabe, das Piaton über die vermittelnde Funktion der Psyche löst, läßt sich an Sophistes und Timaios exemplifizieren. Im Sophistes wird das „Verwandtschafts"-Verhältnis von Seele und Logos, das bereits in den Frühdialogen vorausgesetzt ist, als „Gespräch der Seele mit sich selbst" durchsichtig. Der Sophist negiert das Gespräch als Lernen und Besser-Werden, er verweigert letztlich das Gespräch, indem er den Logos an das Nicht-Sein bindet. Die Kritik an älteren Auffassungen über das Sein und die notwendig gewordene Kritik an Parmenides führt zur Problematik des Gegensatzes von Ruhe und Bewegung. Die Vermittlung der gegensätzlichen Positionen fordert einerseits die Annahme von Sein als nichtsichtbarer Dynamis, andererseits das Zugeständnis, daß zum Sein Vernunft, Leben, Bewegung und Seele gehören müssen. Das Problem einer Verknüpfung höchster seiender Gattungen (μέγιστα γένη), führt zunächst auf das Problem der Beziehung. Beziehungen zu sich selbst und zu anderem sind jeweils durch die Teilhabe an Selbigkeit und Verschiedenheit möglich. Von diesem Erweis der Möglichkeit logischer Verknüpfung her zeigt sich die Seele als eine Verbindung aus beidem: Selbst- und Fremdbeziehung. Die Verknüpfung der Gattungen, die wesentlich durch das Nicht-Sein als Verschiedenheit ermöglicht wird, wird an der Bewegung vorgeführt und begründet zugleich die Möglichkeit eines falschen Satzes, die vom Sophisten bestritten war. Die Seele zeigt sich in ihrer fundamental zweideutigen Struktur als „Bedingung der Möglichkeit" von wahren u n d falschen Logoi. Im Timaios wird das Problem der Teilhabe von seinem zu denkenden Ursprung her, als Sinnentwurf in dem werdenden Gegenstand einer „gleichenden Rede" (είκώς λόγος) vorgetragen. Das Ziel der Kosmologie des Timaios ist die Erklärung eines vernünftig handelden Menschen, der - so legte es das Vorgespräch fest - die Bedingung dafür liefert, daß die ideale Polis in dem .Geschichtsentwurf' durch Kritias in Bewegung gesetzt werden kann. Die „Konstruktion" der Weltseele durch den Demiurgen zeigt sie in ihrer dialektischen Verknüpfung aus Selbigkeit und Verschiedenheit, Ruhe und Bewegung; darin ist die Seele als Erkenntnis- und Bewegungsprinzip ursprünglich begründet. Die Überredung, die der Demiurg gegenüber dem an sich gänzlich vernunftlos notwendigen „Raum" (χώρα) anwen216

det und die die mathematisch-rationalen Strukturen in diesem ermöglicht, zeigt vorbildhaft den Umgang der Seele mit dem Notwendigen außer ihr und dem Unlogischen in ihr. Der Timaios schließt mit der Entstehung des Menschen und der genuinen Möglichkeit seiner Therapie, der Ordnung der Umläufe in ihm, d.h. seiner Seele, durch Beobachtung der Umläufe des Alls. Kosmologie selbst zeigt sich als Form der „Sorge um die Seele". Die Grenzen der vorliegenden Arbeit sind bereits durch ihren Ansatz bestimmt. Bestimmte Aspekte, die im weiteren Sinne zur Psyche bei Piaton gehören und sich mit ihr überschneiden, sind unberücksichtigt geblieben bzw. nicht ausführlich thematisiert worden. Dazu gehören das Problem des ,Bösen' bei Piaton, der Eros, das Problem von Lust und Unlust, Psychologie bzw. psychologische Aspekte im engeren Sinne und schließlich das Problem des Mythos. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit mußte auf das ,Sein' und die Eigenschaften' der Seele gelegt werden; wesentlich das Problem, wie die Seele zugleich Erkenntnis- und Bewegungsprinzip sein kann. Gerade in diesem in sich zweifachen Charakter der Seele kann Piaton aus der Selbstbeziehung, die sowohl die Beziehung zur Idee ermöglicht, aber auch den Körperbezug nicht hinter sich läßt, Ethik begründen. Darin liegt ein prinzipieller Unterschied zur neuzeitlichen Tradition, die Wissen mit Selbstbewußtheit, der Gewißheit des Wissens vom Ich, begründet und in der Ethik die Gesetzesproblematik in den Vordergrund, die Erziehung aber in den Hintergrund drängt. Unter Voraussetzung der Umdeutung der Seele in der Moderne kann die moderne Deutung der Antike, insbesondere Piaton, nicht gerecht werden. Das Scheitern dieser Deutung weist im Gegenteil auf die Unzerstörbarkeit der Psyche hin. Die Offenheit des Dialogs ist an die fundamentale Zweideutigkeit und Zweiseitigkeit der Psyche gebunden. Die Offenheit der platonischen Philosophie, ihr .unsystematischer' Charakter, basiert auf der Selbsterkenntnis, deren Gegenstand die Offenheit notwendig aus ihrer Zweideutigkeit bedingt. Zugleich wird Eindeutigkeit als Ziel, Wahrheit, nicht preisgegeben: darin besteht der platonische Begriff von Vernunft. „Vernunft" ist das Festhalten an der Möglichkeit, ein eindeutiges Ziel unter mehrdeutigen Bedingungen anzuvisieren. Insofern kann der Blick auf die Psyche bei Piaton nicht allein helfen, die Auffassung von Piatons Philosophie zu revidieren, vielmehr kann mit Piaton in der Diskussion um den Begriff der Vernunft ein Argument zu ihrer Stärkung unter gleichzeitigem Eingehen auf ihr genuines, .natürliches' Gegenteil vorgetragen werden.

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Abkürzungen AJP ArchBegriff ArchGeschPhil AZPh CP CQ CR DK Eranjb JHistldeas JHS KS LSJ MusHelv Philos PhilologusZKA Phjb PhQ PhR Phron PhRsch REG REPh RhM RMetaphys StudGen WS ZPhF

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Übrige Abkürzungen: Für die häufig zitierten Werke von W.K.C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, 5 Bde., und von P. Friedländer, Platon, 3 Bde., wird jeweils der Name des Autors, die Bandzahl mit römischer Ziffer, die Seitenzahl mit arabischer Ziffer, ohne Titelangabe zitiert. Die Werke antiker Autoren, einschließlich Piatons, werden nach LSJ abgekürzt.

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Stellenregister Aëtios IV, 29: 85 Aischylos Pen. 769: 147 Alkmaion von Kroton D K 24 A 5: 69 Anaxagoras D K 59 Β 1: 59 Β 17: 69 Anaximenes D K 13 A 23: 69 Archelaos D K 60 A 1: 69 4: 69 Aristophanes Wolken: 17 Frösche: 17 Aristoteles Λ/>ο 71a 1: 104 de An. 403 a 25 ff.: 103 b 25 ff.: 103,147 404 a 26 ff.: 69 b 27-30: 142 405a 29ff.: 85 b 31 ff.: 125 f., 142 406 b 26 ff.: 100 408 b 18 ff.: 104 411b: 104 412a 5ff., 19ff., 27 ff.: 103 413a 4: 103 429 a 15 ff. 27 ff.: 103 430 a 22 f , 23 f., 24 f.: 104 432 a 15 ff.: 104 26: 147 EE 1248a 26ff.: 105 EN 1098 b 3 f.: 104 1102 a 27ff.: 147

1113a 1117b 1124b 1129 b 1130a 1153b 1166a 1177b

33: 105 7ff.: 52 8f.: 52 25-27: 96 12-13: 96 38: 105 13f., 16f.: 103 I f f , 27f.: 102 33: 103 1179 a 24 ff.: 106 Fr. 44b: 67 GA 736b 27ff.: 104 GC 335b 9-16: 72 Mem. 452 a 4 f.: 104 Met. 980 a: 103 987b 1-3: 144 b 1 ff.: 200 989b 4: 169 990b 15-17: 184 991b 3-4: 72 992 a 19ff.: 131 b 24 ff.: 104 1004a 2ff.: 105 1019b 27ff.: 191 1040 b 27 ff.: 169 1045b 34ff.: 191 1053a 35ff.: 105 1059b 6-8: 184 1060a 27ff.: 141 1068a 8ff.: 104 b 20-25: 139 1069 a: 138 a 2-5: 139 b 35 ff.: 100 1070a 25ff.: 104 1072a 30: 104 b 20 ff.: 104 1073a 23-25: 141 1075 b 7 ff.: 100 1080 a 2 ff.: 72 Ph. 192b: 141

b 199 a 213b 218b

8 ff.: 100 13-14: 140 8-193 a 9: 140 28-30: 140 30 ff.: 101 25: 169 9-20, 11,

2 1 - 2 1 9 a 2, 219a 2-10, 5-6: 138 10-12: 138, 139 12: 139 10-21: 138 b 1-2: 138 b 3 ff.: 139 6 f.: 143 8 ff.: 138 222b 15 ff.: 118,138 223 a 16 f f , 26: 140 226 a 26 ff.: 129 b 10-16, 21-25: 139 234 a 24 f f , b 8-9: 139 237b 3-7: 141 252b 20ff.: 142 254b 24ff.: 140 255a 12 ff.: 141 256 a ff.: 140 a 4ff.: 141 b 3 ff.: 141 b 13: 141 257b 2 6 - 2 5 8 a 1, 2: 86, 141 258a 4-5: 141 5: 102 5 ff.: 141 b 12-13: 141 259a 6-7: 141 a 33-b 31: 102 b 13-14: 142 Pol. 1274b 39f.: 152 Cicero Tuse.

I, 53: 86 V, 10, 12 ff.: 12

239

de nat. deor. I, 11, 27: 85

23 e: 114 2 4 e - 2 5 a: 17 2 6 d - e : 59 26 e 2: 117 27 e 1: 117 28b: 15 29 d: 14 29 e: 117 29 e 1-2: 14 30b: 117 30b 1-2: 14 30 d 6 - e 2: 15 31 c 4: 117 33a: 15 34c: 15 3 6 d - e : 167 3 7 a - b : 16 37b: 15 37c 7, e f.: 14 38a: 13 38 c ff.: 15 40 c ff.: 53 41b: 13

Demokritos D K 68 A 106: 58 Β 165: 17 Β 211: 26 Diogenes von Apollonia D K 54 Β 5: 69 Diogenes Laertios 11,6: 59 Empedokles D K 31 Β 8, Β 105: 69 Epicharmos D K 23 Β 8-10: 58 Herakleitos D K 22 Β 60: 130 Β 112: 25 Β 116: 25 Hesiod Op. 311: 37 761 ff.: 15 Th. V, 820 ff.: 11 Ibykos Fr. 7: 121 Parmenides D K 28 Β 2, Β 6: 189 Platon Ale. I 130c-d: 7 Αρ. 17c: 15 18a ff.: 15 19d ff.: 12 20 d 7: 12, 39 20 d 8-21 e 1: 39 21a 7: 12 21b 2: 12 21b 3ff.: 13 21 c f . : 38 21 d: 39 2 2 d - e : 13 23a 2: 12 23 a 6-7: 13 23b: 14 23c 2-3: 12

240

Chrm. 153a: 33 153a-d: 32 154 a ff.: 29 154 b: 29 154e: 35 155b f.: 93 155c 4: 108 155c-e: 156 155d-e: 33 155 e 3: 33 156b ff.: 34 156c 4: 34 156 d: 103 156 d 6 ff.: 63 156d-e: 34 156e: 34 156 e ff.: 4 0 , 4 1 156 e 6 - 1 5 7 a 1: 34 157b 4: 34 157 c: 35 157c 3: 34 157c 8: 35, 41 157c-d: 29 157 d ff.: 47 158b: 35 158c-162b: 32 158c 5: 36 158c 6: 36 158 d 2: 117 159b 5 - 6 : 36

160 e 4: 36 161b 5: 32, 36, 154 161 d ff.: 37 162 b ff.: 3 2 , 3 7 162e-164c: 181 163b 4: 37 163c 5: 37 163d 3: 37 163e: 37 164 a ff.: 37 164c 4-5: 37,182 164c 7, 8: 37 164d 4 - 5 : 37 165a 4: 38 165b 2: 38 166b 8: 38 166 b-c: 38 166c-d: 38 166d 4 - 5 : 38 166 e 6 - 7 : 38 166e 8 - 1 6 7 a 1: 38 167a 1 - 8 : 39 167b 1, 3, 8: 39 167b 9ff.: 40 167b ff.: 32 167 b-169 b: 40 167c 3: 39 167 c-168 a: 40 168a 7: 117, 118 168 b ff.: 44 168b 2: 40 168b 3: 154 168b-d: 118 168c f.: 43 168 d 1 - 2 : 40 168 d 3: 40 168 e: 42 168e 5: 40 168 e 5 - 6 : 40 168e-169a: 87 169a 1-4: 195 169 a 2 - 4 : 40, 154, 182 169c ff.: 41, 181 169c-d: 156 169 e ff.: 41 170d: 41 172c 5: 117 172e 2, 4: 117 173 c - d : 41 174b: 41 175 a ff.: 32 175 d ff.: 33 175 e ff.: 35

176c 1: 29 176c 2: 32 176c 6: 33 Cra. 3 9 6 c - d : 119 400 a: 69 4 1 6 a - b : 44 429 d ff.: 19 Cri. 4 4 b 3: 117 46b: 15 48b: 15 48 b 6-8: 95 Ep. VII 324 e: 12 324e 1-2: 170 3 3 4 e - 3 3 5 a : 85 341 b-e: 128 341c ff.: 119 343c 1: 6 344 a: 13 344 b: 128 Euthd. 2 7 2 b - d : 178 2 7 4 e - 2 7 5 a : 178 275 c ff.: 178 2 7 7 d - 2 7 8 d : 178 277 e ff.: 19 2 8 0 b - 2 8 2 d : 178 283a: 178 284e: 178 2 8 5 d - 2 8 6 e : 178 2 8 5 d - 2 9 7 e: 178 286 b-c: 19 286d 12: 117 286 e ff.: 178 2 8 7 b - d : 179 2 8 7 b 5: 178 287c 2: 178 287c 1-2: 179 287 d 5: 179 287d 7 - e 1: 179 288 a 3-4: 179 288 a 4: 179 2 8 8 d - 2 9 0 d : 178 289 d ff.: 180 290c: 122, 180 291 b ff.: 181 292c 4-10: 181 2 9 3 b - 2 9 5 a: 180 2 9 3 b - 3 0 3 a: 178 2 9 3 b 9 - c l : 180 2 9 5 a - 2 9 6 d : 180 295b: 19

295c 5: 180 295 e: 19 296 a 1-2: 180 303c-304b: 181 303d: 15 303 e: 19 304 b ff.: 178 304c-306c: 181 305a 2: 117 Euthphr. 7 c - d : 154 11 b ff.: 23 Grg. 464 d: 93 465 d: 59 465 e 3: 117 464 b ff.: 19 467 e 2-3: 110 473a 1: 117 474 c ff.: 15 475 e: 93 480 e 1: 117 481 e 8: 117 486e 5-6: 118 487 a: 95 487a 2-3: 117 490 a: 26 490 a 7: 26 490 e 9, 10: 23 491 b-c: 23 491 d 7: 27 491 d 10: 27 491 d ff.: 117 491 e 6: 26 491 e ff.: 27 492d: 95 492 e: 26 493 a ff.: 22, 168 493c 4: 117 493d: 117 493 d f.: 117 494d 1: 117 499b: 117 500 c: 95 501c: 117 503c-d: 182 504 e: 15 505c: 117 505 c 3-4: 182 5 0 5 d - 5 0 6 a : 186 506 a: 38 506 e ff.: 3 3 , 3 5 5 0 7 d - e : 52 512a ff.: 15

5 1 2 d - e : 14 518 d: 93 519c 5,d 5: 117 521 d 3: 117 521 e: 93 524 c: 54 Hp.ma. 281 d ff.: 19 299 b ff.: 46 Hp.mi. 372b: 38 3 7 2 e - 3 7 3 a : 23 373 c ff.: 2 3 , 2 4 375c 10-11: 24 375 d ff.: 23 376 b: 24 La. 185 d - 1 8 6 d: 181 185 e 2: 181 187e-188a: 95, 181 187e 6 - 1 8 8 a 2: 23 188 d: 210 195c: 15 ?•

IV 716c: 43 722 c ff.: 130 V 726 a ff.: 128 731b 3,d 5: 158 IX 866e ff.: 108 878 b ff.: 108 878b 4-6: 108 878b 5: 112 X 888 e ff.: 69 891 b ff.: 128 891 e ff.: 69 892 a: 1 892 c: 25 8 9 2 d - 8 9 3 a : 127 8 9 3 b - 8 9 6 d : 87 893b ff.: 102,127, 128 893c 1-2: 128 893c l - 8 9 4 d : 130 893c 2: 128,132 893c 4, 5-7: 131 893c 7 - d 5: 131 893d 6 - e 1: 131 8 9 3 e 2 - 5 , 6-7: 131 894 a: 132 894a 1-2: 131 894a 5-6: 132 894a 6: 123,132 894a 7-8: 132 894b: 141

241

894b I f . : 132 894b 8-9: 133 894b 9 - 1 0 : 133, 195, 196 894b ff.: 126 894 c: 133 894c 4-5: 195 894c 8: 131 894c 10: 132 894d 3-4: 195 895 a - b : 129 8 9 5 c - 8 9 6 a : 133 895 d: 144 896d: 196 896 d ff.: 202 896d 6-8: 133 897 a: 182 903 b-c: 69 X I I 9 6 6 c ff.: 127,128 9 6 7 a - d : 202 968 d - e : 128 Ly. 204 e: 29 205 d ff.: 36 205 e f.: 29 206 c 9: 29 207 d 2: 108 210c 3-4: 29 210e: 29 213d: 29 216b: 109 216c 2 - 3 : 109 216d 4, 7: 109 216e 2-3: 109,111 217b 5 - c 1: 110 217e 4 - 6 : 110 218 a 3: 110 218a 3 - c 3: 110 220 d 4-7: 109 220d 6: 110 220 e 6: 110 2 2 0 e - 2 2 1 b : 110 221d 2-3: 30 221 d - e : 30 221 e 6 - 7 : 31 222a: 111 222 a 2-3: 31 222 b 4-6: 31 Men. 70 c ff.: 18 71a ff.: 60 7 9 b - 8 0 b : 156 7 9 d - 8 0 b : 61 80 d ff.: 13,60

242

80e: 19 81 a-e: 85 81c 9 - d 5: 60 81 d 1-2: 202 81 e: 61 82 b ff.: 83 84 a - d : 61 85 a ff.: 13 85 d 4: 61 86c: 13 86d 7: 38 86 d 7-8: 26 90 a ff.: 15 94 e: 15 58c 4: 108 5 8 e - 5 9 a : 50 59 c: 43 60b: 118 60b 3 - c 5: 51 6 0 b 5: 51 60 e 2: 51 61a 7: 52 61b: 50 61 b ff.: 14 61 d 6: 52 61 e 7-8: 52 62b 1-2: 53 62 b 5 - 6 : 53 62 c 3 ff.: 92 63 b ff.: 14 63 b 7: 53 63 c 2-3: 53 63 e ff.: 94 64 a 2-6: 53 64 a 4-6: 53 64 c 3-4: 54 64 c 4 f.: 192 64c 4-8: 54 64 c 6-7: 5 7 , 1 8 3 64 e 4-5, 6: 55 64 e 6 - 6 5 a 1: 55 6 4 e - 6 9 d : 166 65 a 7: 55 65 b-c: 68 65c 5: 183 65 c 5-7: 55 65 d 1: 183 65 d 3 - e 1: 55 65 d ff.: 5 8 , 7 0 6 6 a 1, 2: 183 66b: 71 6 6 b 4-5: 5 6 , 6 4 66 d 8-9: 183

6 6 d 9 - e 1: 183 66 e 6 - 6 7 a 1: 183 66e ff.: 68 6 7 b - d : 56 67 c ff.: 79 6 7 d 3, 7: 169 6 7 e 6: 183 67 e ff.: 63 68 b-c: 8 2 , 1 6 8 6 8 b 9 - c 1: 56 68 b ff.: 162 6 8 c - 6 9 a : 56 69 a 8: 56 69 a-e: 56 69 d - e : 14 70 a 5-7: 58 70a 7: 183 70 b 2-4: 57 7 0 b 3-4: 126 70b 9: 57 70c: 85 70 d 10: 58 70 d - e : 74 70 d ff.: 63 70d-72d: 88,98 71a: 59 71a 5-6: 58 71a 8-9: 111 71 e 4, 9: 59 71 e 6-7: 58 7 1 e - 7 2 a : 111 72 a 6-7: 67 72 a 9 - b 2: 59 72b 1: 59 72 c 4: 59 7 2 c - d : 94 72 d - e : 60 72 e 3: 59 72 e 3 - 7 3 a 1: 60 72 e ff.: 60 73b: 61 73C-74 e: 61 75 d 2: 183 7 6 e - 7 7 a : 61 77 c: 62 77 c 2: 62 7 7 e - 7 8 a: 62 78 b ff.: 6 0 , 6 2 , 7 2 78c 9: 183 78 d: 68 78 d 3, 4, 5: 183 78 d - e : 62 79 a 6: 62 79b 7ff.: 63

79 c 2-3: 63 79 d: 79 79 d 1, 4: 183 79d 5: 184 7 9 d - 8 0 a : 63 80a-b: 62, 79 80b 1-2: 208 80e-81 a: 63 80 e ff.: 63,94 81a: 14 81a 1: 63, 167 81b ff.: 64 82c-84b: 63 82e-83a: 64 83a 9 - b 1: 183 83 c ff.: 64 84 c ff.: 64 85c-d: 64, 70 85 d: 64 85e 5: 65 86c 3: 65 86c-d: 65 87 a: 66 87 c: 66 88 a-b: 67 88b 5: 68 8 8 b - d : 64 89c-90d: 184 89c ff.: 5 7 , 6 4 , 1 2 1 90e-91 c: 93 91b: 65 91 b-c: 65 91c ff.: 92 9 2 a - b : 66 92 c 8 f.: 65 9 2 e - 9 3 b : 66 94 a-b: 66 9 4 b - 9 5 a: 66 95 d: 67 95 d 1: 67 95 e: 75 95 e 7-8: 68 95 e 8-96 a 1: 67 96 a 8-9: 68 96 a-b: 69 96 b-c: 69 97 a 5, 7: 69 97 b 7: 69 97 b ff.: 202 9 7 c - 9 9 a : 59 98 b: 73 98 b ff.: 69 99b: 212 9 9 c - d : 64

99 d 1: 70 9 9 d - e : 70 99 d-100 a: 189 99 d ff.: 6 0 , 6 2 100 a: 6 6 , 7 0 100 a 2-3: 70 100a 3-4: 121 100 a 4: 73 100 a 5-7: 70 100 a ff.: 72 100b: 15, 164 100c 6: 72 100c-d: 184, 192 lOOd: 73 lOOd 5: 72 lOOe: 73 101 d: 73 101 e 1-2: 73 101 e 2f.: 73 102a: 73 102d 6, 8: 74 102d 9 - e 2: 74 103a: 74 103a-b: 74 103 a-c: 63 103b 4: 111 105b-e: 75 106 c: 75 107a-b: 76 107b 4: 76 107 b-c: 96 107c-d: 76 111a-b: 94 114 d: 96 118 a: 12,96,170 Phdr. 228 a 2: 91 228a-229 a: 90 229 b ff.: 84 229c 6: 117 229c-230a: 83 229 e 1: 117 229 e 5-230 a 1: 11 230a 6: 11 230 a 7, 8: 108 234 d 3: 108 237 d 4: 84 242 d: 84 243 e: 84 245 b: 204 245 b 4: 85, 89 245 c 2-4: 85 245c 5-8: 86 245 c 8: 87

245 c 8 - d 3: 88 245 c 10 ff.: 132 245 c ff.: 5 0 , 1 0 2 , 1 4 1 245d 7-8: 87 245 d-e: 94, 98 245 e 1: 88 245 e 3-4: 87 245e 3-246a 2: 88 245 e 4: 89 245e 7-246 a 2: 87 245 e 7: 88 245e 8: 87 246a 5: 91 246b 7-8: 207 246 d ff.: 98 247c 3: 89 247 c 5 ff.: 89 249 d 2: 89, 167 249 d ff.: 89 250 e ff.: 118 251 d 9: 117, 118 271c 10: 20, 84, 91, 170 272 b 5-6: 84 274b: 84 274b ff.: 128 275 b-c: 84 279 c: 84 Phlb. 11 a ff.: 201 14c 11-e 5: 192 15a 1-2: 192 15b 1 - c 3: 192 16c-17a: 163 16c ff.: 201 18 a-d: 192 20b ff.: 201 22c-d: 202 23c-d: 201 23 c ff.: 99 2 4 a - 2 5 a : 149 26 d 9: 202 27 b: 99 27 e ff.: 149 28 d ff.: 69 2 9 d - 3 0 b : 202 3 0 b - d : 202 30 c: 202 38 e ff.: 200 39b Iff.: 202 43a 3: 130 43 a ff.: 130 43 d ff.: 115

243

47 d ff.: 118 49a 9: 117, 118 269 c ff.: 202 283 b ff.: 71 284b ff.: 149 287 d: 212 291b 8: 119 293 b: 93 295 b ff.: 93 127a 2: 122 127 d - 1 2 8 a: 120 127e: 127 128 d - e : 186 128 e ff.: 184 129c-e: 193 130a ff.: 121 130 e ff.: 184 133 a ff.: 184 133 d - 1 3 4 a: 27 135 b-c: 64, 184 135c 2: 121 136a-b: 121 136 d 1: 121 137a 5, 6-7: 121 137 b 4-5: 122 137 b-c: 122 137c-142a: 125 137 c-166 c: 122 138 b-c: 126 138b 9 - c 1: 127 141 a 7: 124 141b 4-8: 124 141 b-c: 137 141c 1: 124 141 c - d : 124,137 1 4 2 b - 1 5 5 e 3: 124, 136 152a 3: 136 152a 5: 137 152a-b: 137 152b: 137 152b 4, 4-5: 125 152 b ff.: 136 152c: 139 152c 1, 3, 4: 137 152 d 9 - e 1: 137 152 d - e : 137 152e: 137 153e 2-3: 124 155b: 127 155 e 3 ff.: 122,125 155e 4: 123 155e 4 - 1 5 7 b 4: 122

155e 6, 7: 125 155 e 10-11: 125 155 e ff.: 122,129, 134, 136, 184, 215 156a: 136 156a 1-2, 5-7: 126 156c: 134, 194 156c 3: 134 156c 4ff.: 134 156c 8, 9: 135 156c ff.: 139 156d 1, 2, 3: 135 156 d 1-7: 117 156d 3-e 3: 136 156 d - e : 120 156e 8: 136 156 e-157 a: 134 157a 1-2: 136 157 a 2-3: 136 157 a - b : 136 164 d 3: 119 Prt. 310e: 21 310e 6-7: 21 312b 8 - c 4: 21 312 e 2: 21 313a 2: 21 3 1 3 c - 3 1 4 b : 70 314b: 168 314b 1: 21 314b 1-4: 22 3 1 7 e - 3 1 9 b : 22 319 d ff.: 18 320 c: 20 322 d: 18 327b 9: 18 327e 1-2: 18 328b 2: 18 328c-330b: 18 320 d: 20 328 e: 13 3 4 8 c - d : 186 356 d: 71 360 e ff.: 22 R. I 331c: 170 336 b ff.: 15 338 c ff.: 26 3 5 1 a - b : 158 352b 8: 158 352 d: 26 352 d 6 - 7 : 95, 150 353 a ff.: 92 354 a: 52

II

358 b: 96 359b ff.: 95 366 e: 97 366 e f.: 95 367 a: 96 368e 3: 150,152 377 b ff.: 112 382 a 8 ff.: 147 382c: 170 III 390 b 3: 147 396 a 2: 147 396d 5: 147 398 c ff.: 210 400 d ff.: 210 409 a ff.: 170 409b 1: 147 411b 4-5: 158 412a: 163 412b ff.: 150 IV 422 a ff.: 150 4 2 4 a - b : 163 424c: 161 430d ff.: 32 430e 6: 35 430e 7-8: 151 430 e 11-12: 147 430 e ff.: 33 431a 5-6: 151 431b: 151 433a 9: 151, 154 433 a ff.: 96 434b: 161 435 ff.: 188, 191 435 a ff.: 5 6 , 9 6 435 d 4: 163 435 e 3: 151 4 3 6 a - b : 171 436a ff.: 96 436b 1: 152 436b 8-9: 125, 152 436c: 153 436c 6-7: 125 436c 13-d 2: 125 436 d - e : 153 436e 8 - 4 3 7 a 1: 125, 152 437c: 171 437c 1-5: 153 438a 3: 153 438b 1-3: 153 438 d - e : 154 439d: 153 439d 4-8: 155 439d 7: 188

439 e: 156 439e ff.: 108 440 a 8: 156 440 e 5: 156 441a 3-4: 158 441a 8 - b 2: 156 441e ff.: 210 442 c: 171 442 c- -d: 32 443 c 4: 159 443 c -d: 159 443 c -e: 32 443e 1: 108 444 e: 159 445 a: 15 453 e- 455 d: 190 459 c--d: 93 462 b 4: 160 466 c 3: 95 469 d:: 54 472 a 6-7: 161 473 c: 201 475 c: 192 473 c 11-d 2: 161 475 e 5: 162 479 e -480 a: 162 VI 485d 162 485 d 11: 162 486 a- -e: 162 487 a- -e: 163 489b f.: 93 489 e--490 d: 162 491a--e: 163 496 e: 92

ν

497 a- b: 163 497 b- d: 163 500 c- d: 201 504 a- b: 163 504 d-•505 a: 163 505 b: 41 506 a: 162 506 b--509b: 164 508 e--509 a: 164 509 c--511 e: 201 511b 6, 6-7: 165 511 d -e: 35 V I I 5 1 4 a 1-2: 165 515c 4: 165 515c 7: 165, 166 515c- -e: 165 515 d 2-4: 165 516a 3: 166 516c 1, 5: 165 516d 3-4: 166

5 1 6 e - 5 1 7 a : 166 5 1 7 d - 5 1 8 b : 166 518 b - d : 165 518b ff.: 13 518c 8: 35, 166 518 d 3-4: 35, 170 5 1 9 b - 5 2 0 d : 167 520a 8 - b 1: 168 521c: 168 521c 5: 168 521 c ff.: 164 529 a-c: 201 531b ff.: 181 533 d 2: 168 V I I I 5 4 3 a ff.: 201 545d 1 - 2 : 161 546 b: 202 547c 5: 161 550 d 3: 161 553a 6-7: 161 555b 8-9: 161 559e 4: 161 560e-561 e: 171 561 a 2: 161 562a 7-8: 161 564a 5: 161 569c 7: 161 I X 571a 2: 161 572 a 3-4: 158 580e: 171 581c 5: 168 583 d ff.: 115 584b: 118 585 b-c: 22, 168 586 e 3-7: 169 586 e f.: 31 588 b ff.: 96 588 d: 171, 172 590b 2: 158 591e 1-2: 96 X 596b ff.: 202 6 0 2 d - 6 0 3 a : 112 6 0 8 c - 6 1 2 a : 95 608 d 3 ff.: 97 6 0 8 d - 6 0 9 a : 91 6 0 9 b - d : 92 609 d 6-7: 92 6 1 0 b - d : 92 610e 2: 92 611a: 8 6 , 9 4 , 9 9 611a 1: 92 611a ff.: 50 611b I f f . : 94 611b 3: 92

611 b - 6 1 2 a : 11,94 612a: 171 612a 4: 91 621a: 22 Smp. 174a: 81 180 c ff.: 84 181 a-c: 84 189d ff.: 31 198 a ff.: 82 198 c: 82 199 b ff.: 82 199 c: 78 199d-e: 154 201c 3, 4: 82 202a 2, 7: 112 202 d 8-9: 112 202e 1-2: 112 203a 3: 111 203 a ff.: 112 203 e ff.: 112 202d: 111 205 e: 31 205 e 1-2: 78 205 e 5: 78 205e 7-8: 78 2 0 7 a - 2 1 2 a : 78, 80 207 a ff.: 90 207 d 2-3: 78 207 d - e : 67 207 e 2ff.: 78 207e 3 - 2 0 8 e 3: 78 208 a 7: 78 208 b 4: 79 208 b 8 - c 1: 79 208 b ff.: 50 208 c: 85 209a 1: 79 210e 4: 122 210e 4-5: 119 2 1 1 a - b : 79 211d: 79 212a 1, 3-4: 79 212b: 83 212c 6: 119 213a ff.: 81 213c 2: 119 215 a 2: 117 219e ff.: 32 221d 2: 117 223b 2: 119 Sph. 2 1 6 a - 2 1 7 a : 185

245

217c: 185 217c-218 a: 186 218b: 3 6 , 2 0 0 218b 6, 7: 187 218c: 188 2 2 5 a - 2 2 6 a : 188 228b 2 - 3 : 188 228c 1-3: 188 228d 2: 89, 188 228 d 10: 188 2 2 9 a - 2 3 0 d : 189 230 d 3: 189 231a: 178 231b 9: 189 233c 10: 188 236c-239c: 188 237 a: 189 237e,e 5: 189 2 3 8 d - 2 3 9 a : 189 240a 2: 189 240a 5: 204 2 4 0 a - b : 190 240b 11: 204 240d 6: 190 2 4 1 d - 2 4 2 a: 45 241 d ff.: 177 243 c 5: 190 243d 7-8: 190 244b 6: 191 245 d: 59 245 d 4: 124 2 4 5 e - 2 4 7 e: 191 246c 1-2: 191 2 4 6 c - d : 66 246 d - e : 129 246e ff.: 69 247b 8: 191 247 d 2: 191 2 4 7 d - e : 130 247 e 3-4: 191 247e 7-248 a 8: 191 248 b 2-3: 192 248e 2-4: 192 248 e 8 ff.: 42 2 4 8 e - 2 4 9 a : 207 2 4 8 e - 2 4 9 c : 192 249 c 10-d 4: 193 251a 5 ff.: 42 2 5 1 a - b : 193 251 a ff.: 193 251c: 19 252b 6: 193 253a 4: 193 2 5 3 b - d : 193

246

2 5 3 c - 2 5 4 b : 193 253d 6-10: 194 254a 6 - 8 : 190 255 a 4 - b 6: 194 255c 12-13: 192, 195 2 5 5 c - d : 185 255d 1: 195 255 d 3-7: 195, 197 2 5 5 e - 2 5 6 d : 197f. 256b 7: 197 256d 8ff.: 198 257 b-c: 178 2 5 8 b - 2 5 9 c : 178 258e 6 - 2 5 9 a 1: 198 260 a 5: 199 260b 10-c 3: 198 261 e - 2 6 2 d : 199 262b 5: 199 262b 9-10: 199 262 e 6-7: 199 263 a: 199 263d 6: 200 263 e: 186 263 e 3-5: 200 264 a: 200 264 a 4-6: 200 264 a 10: 200 264c 8 - d 5: 200 Tht. 142b 7: 33 143 c: 43 143c 1: 108 143e ff.: 29 144 d: 29, 30 145e: 43 146c 2 - d 3: 43 146 d: 43, 44 147 e 9: 108 148 e ff.: 185 150c: 38 151 e: 113 151 e-152 a: 113 152 e ff.: 113 153b 9: 113 153b 9-11: 44 153 b-c: 113 153c 3: 44 153 d ff.: 44 153 e 6 - 7 : 114 155b: 59 155 c: 59 155 e: 44 156a 4-5: 114 156a 5-6, 7: 133

156 a 156b 156 d 156 e

ff.: 44 2: 114 3-4: 114 8-157 a 1: 44, 114 156e 8 - 1 5 7 a 3: 183 156e 8f.: 183 157a 1-2: 149 157a 1-3: 45 162 c: 119 167 a: 93 170 e ff.: 18 172c-176c: 166 172 c ff.: 54 174b-175 e: 166 176a-b: 166 176a 7 - b 1: 74, 166 176b 1: 44, 113, 200 180c 1: 114 180e 1: 45 180e 3-4: 45, 115

180 e 6: 115 181a 5, 7: 115 181 b - d : 133 181 d: 126 182a 9: 44 183c-184a: 115 183e-184a: 45 184b 8f.: 45 184b ff.: 3 0 , 1 1 5 184 c: 63 184 c ff.: 97 184 d 3: 45 184d 7-8: 46 185a 11-12: 46 185b 2: 46 185b 6: 46 185 c 3-4: 46 185 c ff.: 58 185d 3: 46 185 d 9 - e 1: 183 185 d 9 - e 2: 46 185e 6: 183 186a 2: 183 186a 4-5: 183 186 b-c: 183 187d ff.: 47 188 e - 1 8 9 b : 186 189 e 6-7: 186 189e-190a: 4 7 , 2 0 0 190a 1 , 2 - 6 : 186 210 b-c: 185 210c: 47, 185 210c 3-4: 3 0 , 3 3

17c: 98,205 18a 6: 158 20 d 2: 205 27 a: 98, 100 27a-b: 206 27d-28 a: 62,99 28 a 1-4: 204 28 a 5-6: 204 28 b: 99 28 b-c: 204 28 c: 99 29 a: 62 29 d 6: 205 29 d ff.: 100 29d-47 e: 207 29 e: 206 29e 3: 100 30 a 3-4: 207 30 a ff.: 100 30 b: 207 30 b 2-5: 98 30c-d: 207 30c-31 b: 206 31 b-34a: 207 32 c: 99 33 d ff.: 207 34b: 207 34 b-c: 116 34 c 5: 207

35a: 116 35b-36b: 208 35 d: 208 36b 5-6: 210 36b 6ff.: 210 37 a 7-8: 208 37 b-c: 211 37c 3-5: 211 37c ff.: 100 37d 8-e 5: 133 39a: 131 39b 7: 211 41a-d: 99 41 d 5: 202 46c: 211 46 e ff.: 211 47 d: 210 47 e 3-48 a 2: 207 47e ff.: 100,116, 205 47e-69a: 207 48 a ff.: 212 49 a-52c: 210 50b 6: 108 50b ff.: 103 50d: 70 50 d 2-4: 116 52 a: 62 52 a 8 ff.: 198 52b 3: 198, 212

52d-53a: 213 56c: 212 68 e f.: 212 69 a ff.: 100 69 a 6-Ende: 207 69 c: 99 69c 5: 100 69c 7-8: 100 73 d: 22 80a-b: 209 88 c-e: 213 88 d 1, 7: 203 89a: 213 90 a-d: 101 90c 6: 211 90c 8-d 1: 213 92 c 8: 206 Plotin IV, IV, V, VI, VI, VI, VI,

3 , 9 , 2 3 : 116 7,6: 116 9, 5: 116 2,4: 116 3 , 9 , 2 3 : 116 5, 8, 30ff.: 116 9,6: 116

Thukydides I, 56 ff.: 32 Xenophon Mem, IV, 2, 24: 17

247