Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung: Festgabe für Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag [1 ed.] 9783428446490, 9783428046492

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Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung: Festgabe für Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag [1 ed.]
 9783428446490, 9783428046492

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Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung Festgabe für Hermann Weitnauer

Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung Festgabe für Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag

herausgegeben von

Horst Ehmann Wolfgang Hefermehl Adolf Laufs

DUNCKER &

HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04649 8

Inhaltsverzeichnis

Widmung der Herausgeber ............................................ IX I. Privatautonomie Horst Ehmann

Der Schutzzweck des Sozialplans - Verwandler des ganzen Arbeitsrechts? ............................................................

3

Ludwig Häsemeyer

Geschäftsgrundlage und Vertragsgerechtigkeit

67

JanHetzner

Ipso facto avoidance

85

Karlheinz Misera

Iul.-Ulp. D.17, 2, 52pr.: Nachbarschaftliche Abreden zwischen rechtlicher Bindung und rechtsfreiem Raum ............................. 101 Jean Mare Mousseron

La repartition des competences entre regles et autorites europeennes et nationales dans la Convention de Munich ........................ 111 Peter Schlechtriem

Das "Sprachrisiko" -

ein neues Problem? .......................... 129

Ralf Serick

Bemerkungen zum Konzernvorbehalt .............................. 145 11. Eigentum Hans Herbert von Arnim

Rechtsfragen der Privatisierung kommunaler Wirtschaftsuntemehmen 163

Inhalt

VI Peter Liver

Die Ablösung von Grundlasten und die Aufhebung entsprechender schuldrechtlicher Verpflichtungen nach schweizerischem Recht 181 Werner Merle

Zur Anfechtung der Abberufung durch den abberufenen Verwalter 195 PeterUlmer

AGB-Gesetz und einseitig gesetzte Gemeinschaftsordnungen von Wohnungseigentümern ................................................. 205 Horst Zeiler

Das Bergschadensrecht nach dem Entwurf eines Bundesberggesetzes 229

m. Verantwortung Fritz Baur

Richteramt und Rechtseinheit ...................................... 247 Ernst von Caemmerer

Haftung des Mandanten für seinen Anwalt ........................ 261 Andre Colomer

La reparation du dommage subi par un concubin a la suite du deces accidentel de son partenaire (Etude de jurisptudence francaise) .... 281

Erwin Deutsch

Rechtliche Grenzen des sozialpsychologischen Experiments .......... 297 Axel Granitza

Haftung und Versicherungsfragen in Zusammenhang mit der klinischen Prüfung von Arzneimitteln .................................. 315 FritzHauss

Ein strapaziertes Rechtsinstitut. Zur Eingrenzung der Geschäftsführung ohne Auftrag ................................................. 333 Woljgang Hejermehl

Die Rechte des durch unlauteren Wettbewerb zum Vertrags schluß bestimmten Käufers ................................................. 347

Inhalt

VII

Adolf Laufs

Grundlagen des Arztrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 363 Rudolf Nirk

Zur Haftung des Beirats einer Publikums-Personengesellschaft .... 387 Dieter J. Schottelius

Das Verursacherprinzip. Irrungen Wirrungen ...................... 397 Hans Stoll

Rechtsfragen bei Hilfeleistung in vermeintlicher Not ..... . .... . . . . " 411

Bibliographie

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Verzeichnis der Mitarbeiter

447

Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag am 18. Juli 1980 Hermann Weitnauer ist am 18. Juli 1910 in München geboren. Sein Vater, Dr. Karl Weitnauer, war später Oberstudienrat in Würzburg. Dort besuchte auch der Jubilar das Gymnasium, dort und in München studierte er Rechtswissenschaft. Von seinen Lehrern hat ihn der Zivilist und Romanist Hugo Kreß am tiefsten beeindruckt. Dessen Lehrbuch ist ihm zur ratio scripta, dessen Lehre vom Zweck ist ihm zur axiomatischen Grundlage des Schuldrechts geworden. Darum bilden die Beiträge des Jubilars zum Leistungs- und Rechtsgrundbegriff den zentralen Zugang zu seinem juristisc.~en Denken. Auch die Arbeiten seiner Schüler zu diesen Problemen hat er mit Leidenschaft gefördert. Damit hat er die von Kreß überlieferte Tradition, die für das deutsche Obligationenrecht schon fast verloren war, bewahrt und weitergegeben. Die Neuherausgabe des Allgemeinen Schuldrechts von Hugo Kreß war ihm darum ein ebenso tiefes wissenschaftliches wie persönliches Anliegen. Nach der Promotion in Würzburg und dem Assessorexamen kam er 1935 zunächst in den Bayerischen Justizdienst. Die subtilen Kenntnisse des Grundbuchrechts, die sich später bei der Schaffung und Gestaltung des Wohnungseigentumsrechts bewährten, erwarb er in jener Zeit als Grundbuchrichter. Auf Grund seiner hervorragenden Qualifikation wurde Weitnauer 1937 als Mitarbeiter im Referat Schuldrecht in das Reichsjustizministerium berufen und dort 1938 zum Amtsgerichtsrat ernannt. Grund genug für die Sowjets, ihn 1945 zu fünf Jahren Zwangsarbeit in Sibirien zu verurteilen. Eine seiner großen Arbeiten vor Ausbruch des Krieges war die Kommentierung von Teilen des Schuldrechts im von Schlegelberger und Vogels herausgegebenen Erläuterungswerk zum BGB, dem nicht vollendeten und daher weitgehend unbekannt gebliebenen Parallelwerk zum HGB-Kommentar von Schlegelberger / GeBIer / Hefermehl u. a. Weitnauer heiratete im Juli 1940; kurz nach der Geburt seines ersten Sohnes wurde er im Juli 1941 zum Wehrdienst einberufen. Als Landser kämpfte er sich durch Rußland.

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Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag

In den Kupferbergwerken Sibiriens hätte er dann beinahe bleiben müssen. Die Musik hat ihn gerettet, weil er den Kommissaren als Unterhaltungspianist wertvoller erschien denn als Bergmann. Im Juli 1950 heimgekehrt, fand er in der Zivilrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums wieder seine Arbeit. Jurist unter drei Reichen. Amor fati! Ein Schicksal seiner Generation, das ihn die Studentenunruhen Ende der 60er Jahre mit tiefster Sorge, in kritischster Zeit als Dekan der Juristischen Fakultät in Heidelberg erleben ließ. Alle Schwierigkeiten, Spannungen, Sorgen und Beunruhigungen waren für ihn aber niemals Grund zur Resignation, vielmehr Ansporn zur weiteren Arbeit an der für richtig gehaltenen Sache. Das Verzeichnis der Veröffentlichungen des Jubilars ist der Beweis für diese Grundhaltung. Dieses Verzeichnis zeigt auch in chronologischer Ordnung die Themen auf, mit denen der Ministerialreferent Weitnauer sich schwerpunktmäßig beschäftigt hat. Da gibt es im Jahre 1951 vier Veröffentlichungen zu dem am 15. März 1951 verkündeten Wohnungseigentumsgesetz. Im Vorwort zur 2. Auflage seines Kommentars hat Weitnauer den Abgeordneten Wirths als Vater des Wohnungseigentumsgesetzes bezeichnet, dessen Gedanken er bloß die "rechtliche Gestalt zu geben hatte". Der Ehrentitel ist später auf den bescheidenen "Gestaltgeber" übertragen worden, der mit seiner Kommentierung - die 6. Auflage ist in Vorbereitung - das kühne Gesetz mit behutsamer Hand durch alle praktischen Untiefen mitgesteuert hat. Der Geist dieses Gesetzes läßt das Wirken eines Meisters des Schuldrechts erkennen, der die Regeln der gesetzlichen Gemeinschaft zu nutzen und zu beleben verstand ohne Scheu vor den festgefügten Einrichtungen des Sachenrechts. Ein Reformwerk, das mit gesetzgeberischen Mitteln auf der Grundlage beherrschter Dogmatik Neues fügte, ohne Altes zu zerbrechen. In den Verhandlungen über das Londoner Schuldenabkommen und bei der Haager Konferenz über die Vereinheitlichung des internationalen Kaufrechts war Weitnauer Mitglied der deutschen Delegation und stellte nicht nur seine juristische, sondern auch seine sprachliche Begabung in den Dienst der Sache. Zahlreiche Veröffentlichungen, nicht zuletzt die Kommentierung der Art. 78 - 89 EKG im Dälle-Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, geben Auskunft über diese Seite seines Schaffens. Schon als Ministerialreferent Jurist auf internationaler Ebene, pflegte er als Professor in Heidelberg die einst von Eduard Wahl geknüpfte Verbindung zwischen den Juristenfakultäten Montpellier und Heidelberg weiter. Als 1. Vorsitzender des Vereins Heidelberg-Haus

Hennann Weitnauer zum 70. Geburtstag

XI

in Montpellier und als Montpellier-Beauftragter der Juristischen Fakultät hat er sich insbesondere mit den jährlich in Heidelberg und Montpellier veranstalteten gemeinsamen Seminaren der beiden Juristenfakultäten große Verdienste erworben. Auch die Beschäftigung Weitnauers mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht reicht in seine Zeit im Bundesjustizministerium zurück. Er war federführender Referent für den "Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes" (BT-Drucks. 3/1237), mit dem der Gesetzgeber versuchte, die Regelungslücke des bürgerlichen Rechts auf diesem Gebiet zu schließen. Nach seiner Verabschiedung im Bundeskabinett wurde jedoch der von der Presse als "Maulkorbgesetz" abgelehnte Entwurf dem Bundestag nie mehr vorgelegt. In der Folgezeit hat der Bundesgerichtshof dann Schritt für Schritt im Sinne und Geiste dieses Gesetzentwurfs das heute allgemein anerkannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt. Und Weitnauer hat die Entwicklung dieses Richterrechts im Anhang zu § 12 BGB im Erman-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch an der Stelle eingehend dargestellt. wo der Gesetzentwurf ursprünglich im BGB als §§ 12 - 20 hätte eingefügt werden sollen. Auch die Aufgabe, dem Atomhaftungsrecht innerhalb des Atomgesetzes rechtliche Gestalt zu geben, hat Weitnauer durch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen vertieft. Nicht zuletzt war der im Januar 1967 der Öffentlichkeit vorgelegte "Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften" in erster Linie sein Werk. Es war auch seine Abschiedsaufgabe im Bundesministerium der Justiz. Im Sommer 1965 erhielt Weitnauer den Ruf auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Internationales Privatrecht der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg. Am 23. Sept. 1965 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Die für ihn neue Aufgabe der akademischen Lehre erfüllte er mit besonderer Liebe. Seine Kolloquien und Seminare gestaltete er zu einer echten Schule wissenschaftlichen Arbeitens. Die Teilnehmer dankten ihm seine sorgfältige Betreuung stets mit großen eigenen Anstrengungen bei der Ausarbeitung ihrer Referate, und viele wählten ihn später zu ihrem Doktorvater. Weitnauer hat es keinem seiner Schüler leicht gemacht, aber mit Geduld und Güte hat er jeden gefördert. So sind inzwischen 33 von ihm betreute Dissertationen (20 im Zivilrecht, 13 im Arbeitsrecht) erschienen, davon rund ein Dutzend gedruckt in dem Verlag, in dem auch diese Festschrift erscheint. Dem Verleger, Herrn

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Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag

Senator E.h. Professor Dr. J. Broermann, danken wir auch an dieser Stelle für sein großzügiges Entgegenkommen. In den letzten Jahren hat er seine Kraft in Forschung und Lehre zunehmend auch dem Arbeitsrecht zugewendet. Nach Einführung der Wahlfachgruppen ist das Interesse der Studenten an diesem Rechtsgebiet stark angewachsen. Die damit verbundene Mehrbelastung der akademischen Lehre hat in der Heidelberger Juristenfakultät vor allem der Jubilar zu tragen gehabt. Vor dem Hörerkreis der unruhigen Heidelberger Studentenschaft ist er dabei auch in kritischer Zeit keinen Fußbreit von seinen Rechtsauffassungen und Grundanschauungen abgewichen und hat sich damit bei allen Achtung und Respekt erworben. Die Bibliographie Weitnauers weist bis heute 223 Veröffentlichungen auf, davon sind 44 dem Arbeitsrecht gewidmet. Zahl und Qualität der arbeitsrechtlichen Publikationen beweisen, wie sorgfältig Weitnauer wiederum seine praktische Tätigkeit, die jetzt akademische Lehre geworden war, in wissenschaftliche Forschungsarbeit umsetzte. Allgemeine Anerkennung ist ihm auch auf diesem Rechtsgebiet zuteil geworden. Seine liebe Frau, seine beruflich erfolgreichen Kinder - ein Mediziner, zwei Juristen - und jetzt auch deren Familien sowie nicht zuletzt die Hausmusik, die er in Heidelberg zusammen mit Friedrich Weber, Peter Ulmer und Hartmut Schiedermair pflegt, sind die wesentlichen Kraftquellen, aus denen der Jubilar seine große Schaffenskraft schöpft und erneuert. Lieber Herr Weitnauer, Sie haben in Ihrem juristischen Schaffen Theorie und Pra.xis stets in harmonischer Weise verbunden. Obwohl Sie die Erfahrung gemacht haben, daß die Theorie nicht immer zur Bewältigung der praktischen Probleme ausreicht, haben Sie sich nie damit begnügt, nicht ganz zureichende, noch unvollkommene Theorie durch schlichte Praxis zu überbrücken, sondern sich stets um die Fortentwicklung der Theorie bemüht, wobei die Freiheit immer Ihr höchstes Leitprinzip war. In Ihrem Lebenswerk finden daher drei große Gedanken ihren Ausdruck:

Privatautonomie, Eigentum, Verantwortung. Zu Ihrem 70. Geburtstag überreichen wir Ihnen im Namen aller Mitwirkenden diese Festschrift mit herzlichen Glückwünschen. Trier/Heidelberg, im April 1980

Horst Ehmann Wolfgang Hefermehl Adolf Laufs

J. Privatautonomie Vertrags. und Arbeitsrecht im in- und ausländischen sowie zwischenstaatlichen Bereich

Der Schutz zweck des Sozialplans Verwandler des ganzen Arbeitsrechts? Von Horst Ehmann

I. Verwandlung des Systems 1. Abfindung statt Mitbestimmung

Der Inhalt der Vorschriften über die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 111-113 BetrVG 1972) folgt aus dem sozialen Schutzzweck dieser Normen, sagt das BAG1. Jedoch die Einrichtung der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten hat eine grundstürzende Wandlung erfahren. Der Schwerpunkt des Interesses und der Auseinandersetzungen in der betrieblichen Praxis, in den Verfahren vor den Einigungsstellen und vor den Arbeitsgerichten liegt längst nicht mehr bei den Fragen der hinreichenden Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen, d. h. in der Sprache des § 111 BetrVG beim Interessenausgleich, sondern vielmehr darin, ob ein Sozialplan aufgestellt werden muß, d. h. ob und unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Abfindungsansprüche für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt werden. Der Wendepunkt dieser Entwicklung zur Verwandlung des Mitbestimmungsrechts in wirtschaftlichen Angelegenheiten in ein Institut zur Erlangung von Abfindungsansprüchen ist bereits durchlaufen. Nachgegangen werden soll daher den Fragen, was dieser alles verwandelnde Schutzzweck ist, und ob die abgelaufene Entwicklung, die im Widerspruch steht zur überkommenen Grundanschauung von der Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses als Austauschverhältnis, und die demzufolge in Konflikt geraten ist mit vielen Regelungen des geltenden Rechts, zurückgedreht werden soll und kann oder ob die Entwicklung 1 VgI. z. B. BAG (Gr. Senat), AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5; BAG, AP Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972, BI. 2; BAG, AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 1 R; BAG, SAE 1979, 250; BAG, Beschluß v. 22.5.1979, 1 ABR 17/77, S. 13; BAG, Urt. v. 22.5.1979, 1 AZR 848/76, S. 13 (die beiden letzten Entsch. sind auszugsweise veröffentlicht in: DB 1979, 1896 ff.; in: BB 1979,1501 ff.; in: NJW 1980, 83 ff.; demnächst in: AP Nr.3 u. 4 zu § 111 BetrVG 1972 mit Anm.

Ehmann).

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Horst Ehmann

entschieden nach vorn weiterzutreiben ist. Mit Zurückdrehen meine ich - um es hier einleitend so kurz wie möglich zu kennzeichnen einen Rückzug etwa auf den wohlbegründeten und mit dem geltenden Recht noch in Einklang stehenden Standpunkt Beuthiens 2 • Mit Weitertreiben meine ich als nächsten Schritt die Anerkennung eines allgemeinen Abfindungsanspruchs in jedem Falle des (unverschuldeten) Verlustes des Arbeitsplatzes ohne Rücksicht darauf, ob dies infolge einer Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG geschehen ist3 • Wie in so vielen anderen großen Streitfragen der jüngeren Rechtsgeschichte hat der durch den vorliegenden Beitrag zu ehrende Jubilar Hermann Weitnauer auch zu der wissenschaftlichen Diskussion dieser Problematik mit seinem großen Gutachten "Der Sozialplan im Konkurs"4 einen maßgeblichen Beitrag geliefert. Auch Weitnauer, der in diesem Gutachten der vor allem von Richardi5 getragenen Entwicklung eines allgemeinen, möglichst konkurssicheren Abfindungsanspruchs für den (unverschuldeten) Verlust eines Arbeitsplatzes entgegen getreten ist, mußte dabei aber einräumen, daß es "in der Tat bei sachrichtiger Beurteilung der Interessenlage keinen einsehbaren Grund (gibt), sie (lies: die Ausgleichspflicht) auf Betriebe mit einer gewissen Mindestgröße und auf bestimmte Arbeitnehmer zu beschränken. Die zutreffende Lösung kann also nur darin bestehen, den in § 112 Abs. 2 Satz 2 in betriebsverfassungsrechtlicher Gestalt ausgesprochenen Gedanken zu verallgemeinern und den Ausgleichsanspruch jedem durch eine Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer, insbes. ohne Rücksicht auf die Größe des Betriebs, nach Maßgabe der anderen Voraussetzungen, insbes. der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für das Unternehmen, zuzubilligen6 ." Nach diesem nächsten (nur noch kleinen) Schritt, der einer auf diesem Gebiet vorangegangenen österreichischen Entwicklung (Abfertigungsrecht)1 nachfolgen würde, könnte man jedoch auf dem weiteren Gang der Verwandlung des Arbeitsverhältnisses in ein Gesellschafts2 Beuthien, Interessenausgleich und Sozialplan im Konkurs, in: RdA 1976, 147 ff.; ders. ZIP 1980, 83 ff. (zur Entsch. des gr. Senats). S VgI. insbes. Gamillscheg, Zur Abfindung bei Verlust des Arbeitsplatzes, in: Festschrift für Bosch, Bielefeld 1976, S. 209 ff. (223). 4 Teilweise erheblich gekürzt abgedruckt in: ZfA 1979, 111 ff. 5 VgI. Richardi, Sozialplan und Konkurs, Schriftenreihe DER BETRIEB, Düsseldorf 1975; ders., Sozialplan im Konkurs, in: Beilage 6 zu DB 1976. 6 Weitnauer, ZfA 1977, 128; im gleichen Sinne außer Gamillscheg (Fn.3) Wiedemann / Will emsen, Anm. zu BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7 R; Schwerdtner, Die Garantie des Rechts auf Arbeit - Ein Weg zur Knechtschaft? -, in: ZfA 1977,47 ff. (83). 7 VgI. dazu insbes. Migsch, Zum Stand des österreichischen Abfertigungsrechts, in: RdA 1979, 359 ff.; auch zum österreichischen und zum italienischen Recht Gamillscheg, Festschrift für Bosch, S. 224 f.; ferner die Nachweise zum italienischen Recht bei Simitis, Referat auf dem 52. DJT, Wiesbaden 1978, Sitzungsbericht M, S. 51, Fn. 128.

Der Schutzzweck des Sozialplans

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verhältnis zwischen Unternehmer und allen "Mitarbeitern" kaum noch stehen bleiben. Auch aus der Position eines Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit ist es nicht schwer nachzuempfinden, was es für einen Arbeitnehmer bedeutet, wenn er nach jahrelanger Betriebszugehörigkeit, gar in schon fortgeschrittenem Alter, seinen Arbeitsplatz verliert und in der Nähe des bisherigen Lebensraumes keine oder nur schwer eine andere vergleichbare Beschäftigung findet. Niemand wird daher wohl einem solchen Arbeitnehmer eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes mißgönnen. Das retardierende Moment zur Anerkennung des allgemeinen Abfindungsanspruchs liegt daher auch nicht in solcher Mißgunst oder mangelndem sozialen Gewissen, sondern vielmehr in der Sorge, ob die Unternehmer diese weitere soziale Last wirtschaftlich noch tragen können. Auch juristisch ist zu fragen, ob es zulässig ist, die im Hinblick auf die Situation des Arbeitnehmers wohl gerechtfertigte Sozialleistung dem Arbeitgeber aufzuerlegen oder ob diese Last, insbes. wenn es sich nicht um Einzelkündigungen, sondern Massenentlassungen infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten handelt, auf ein größeres Kollektiv, d. h. die Sozialversicherung 8 (Bundesanstalt für Arbeit) oder den Fiskus 9 verlagert werden muß. 2. Rückstellungen für Sozialpläne Eine teilweise Verlagerung der sozialen Last der Abfindungsansprüche auf den Fiskus würde eintreten, wenn die Unternehmer schon in den "fetten Jahren" steuerrechtlich gewinnmindernde Rückstellungen für die künftigen Abfindungsansprüche bilden dürften10• In Österreich sind aufgrund des § 6 b des österreichischen Einkommensteuergesetzes seit der Einkommensteuernovelle 1957 steuerliche Rücklagen für Abfertigungen ausdrücklich für zulässig erklärt wordenl l . In der Bundes8 Vgl. Zaun-Axler, Die Lage der Arbeitnehmer bei Konkurs, Vergleich und Betriebsstillegung, Meisenheim am Glan 1974, S. 201 ff.; ferner Görg, Entschädigung bei unverschuldetem Verlust des Arbeitsplatzes, Schriften zum Wirtschafts- und Arbeitsrecht, Bd. 5, Königstein/Ts. 1979, insbes. S. 180 ff. 9 Vgl. Picot, Das soziale Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers Verantwortlichkeit des Arbeitgebers oder des sozialen Steuerstaates?, in: RdA 1979, 16 ff. m. w. Nachw. 10 Vgl. den Vorschlag von Briese, Zur Frage der Passivierung von Sozialplanverpflichtungen, in: DB 1977, 313 ff., 365 ff. (insbes. 367); ferner Barth, Einfluß des Sozialplans nach §§ 112, 113 BetrVG 1972 auf die steuerliche Bewertung von Betriebsvermögen und von Kapitalanteilen, in: DB 1974, 1084; Bordewin, Rückstellungen für Sozialpläne nach dem Betriebsverfassungsgesetz, Anm. zum Schreiben des BM für Finanzen v. 2. 5. 1977 und in Auseinandersetzung mit Niemann, Institut FSt, Heft 113, 49 f.; Hintzen, Bei Sozialplan sind jetzt Rückstellungen erlaubt - Das österreichische Vorbild ist besser -, in: Handelsblatt v. 17.5.1977; ferner Handelsblatt (rö) v. 17.4.1978: Strittige Rückstellungen für einen Sozialplan.

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Horst Ehmann

republik Deutschland war die Passivierung von Sozialplanansprüchen Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten KrollSchlüter an die Bundesregierung!!, die mit ihrer Antwort vom 7.10. 1977 13 auf ein Schreiben des Bundesministers für Finanzen vom 2. 5. 1977 14 verwiesen hat. Dieses Schreiben geht von § 152 Abs. 7 AktG aus, wonach Rückstellungen u. a. für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet werden können, und meint, daß Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan in der Regel erst ab dem Zeitpunkt, in dem der Unternehmer den Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung unterrichtet hat, eine ungewisse Verbindlichkeit in diesem Sinne darstellen. In der Literatur ist die Frage der Berechtigung von Rückstellungen zu einem früheren Zeitpunkt zwar bestritten, wird aber überwiegend abgelehnt15 • Die Vertreter des Steuerrechts16 und der steuerberatenden Berufe gehen dabei aber davon aus, daß die Abfindungsansprüche erst mit (bzw. aus) dem Sozialplan oder allenfalls mit der Betriebsänderung entstehen17, was zwar auch in der juristischen Literatur vertreten18, aber wie zu zeigen sein wird, der neueren Entwicklung nicht mehr gerecht wird. Die Praxis macht die Abfindungsanspruche im Grunde und dem Umfang nach vom Arbeitsverhältnis und seiner Dauer abhängig 1'; die Beschäftigungsdauer ist nach allen Sozialplänen der wesentliche Faktor zur Bestimmung der Höhe der Ausgleichsansprüche.

11 Vgl. Pucharski-Jiresch, Das Einkommensteuergesetz, 7. Auft., Wien 1965, S. 274 f.; ferner Barth, DB 1974, 1085 ff. 12 BT-Drucks. 8/963, Fragen 92 und 93. 18 Staatssekretär Offergeld, BT-Sten. Bericht 8/3702 f. 14 Bundessteuerblatt 1977, Teil I, S.280; auch abgedruckt in: DB 1977, 889 und in: BB 1977, 682 mit Anm. Bordewin; vgl. auch Erl. des Finanzmin. NRW v. 30. 1. 1978 - S. 3232 - 40 - VA 4 = DB 1978, 422 f. 15 Vgl. Mittelbach, Handbuch der Rückstellungen und Rücklagen im Steuerrecht, Köln 1978, Rdn. 507; Briese, DB 1977, 365 ff.; ferner die Stellungnahme der Finanzminister des Bundes und der Länder, vgl. Fn.7. 18 Zu den allg. Grundsätzen der Passivierung vgl. Klein 1 Flockermann ! Kühr, EStG, Neuwied und Darmstadt 1978, § 5 Anm. 11; neuestens ferner Moxter, Rückstellungskriterien nach neuem Bilanzrecht, in: BB 1979, 433 ff. 17 Vgl. die Nachweise oben Fn. 10 u. 15. 18 Insbes. von Richardi (Sozialplan und Konkurs, S.5, 44, 51, 77/78, 80, 89, 90 und öfters; ders., auch in: DB 1976, Beilage 6, S. 10), der damit jedoch nur seine inzwischen vom Gr. Senat des BAG (AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972) abgelehnte Auffassung begründen will, die Sozialplanansprüche seien im Konkurs Masseforderungen und mit dieser These in offensichtlichen und unlösbaren Widerspruch gerät zu seiner Auffassung, die Abfindungen seien verdienter, aber nicht ausbezahlter Lohn (vgl. unten um Fn. 20). Der Widerspruch ist bereits klargelegt worden von Beuthien, RdA 1976 ,157 Fn. 85 und von Weitnauer, ZfA 1977, 124 ff. u. 156 ff. 19 Vgl. unten im Text nach Fn. 240.

Der Schutzzweck des Sozial plans

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3. Redttsgrund der Sozialpläne

Ob man will oder nicht, letztlich liegt dieser von den Arbeitsgerichten anerkannten Praxis doch der Gedanke zugrunde, daß "der Arbeitnehmer durch seine Arbeitsleistung einen Beitrag für den Erfolg des Unternehmens geleistet hat, der mit dem Arbeitsentgelt nicht abgegolten ist"20. Diese Formulierung hat Richardi zwar den Vorwurf einer Art "Mehrwerttheorie" eingebracht21 , aber eine gewisse Nähe zu Gedanken von Karl Marx beweist noch nicht die Unrichtigkeit eines Rechtsgedankens22 . Auch Weitnauer kommt - in Auseinandersetzung mit Richardi23 - zu dem Ergebnis, daß "die Ausgleichspflicht aus dem Arbeitsverhältnis entspringt"24. Und auch Beuthien erkennt an, daß der frühere Arbeitseinsatz der Arbeitnehmer im Unternehmen weiterwirkt25 und folgert dogmatisch daraus, daß die Sozialplanansprüche aufschiebend bedingte Forderungen (i. S. d. § 67 KO) sind: "Sie wurzeln im Arbeitsverhältnis und stehen unter der Rechtsbedingung, daß ein Sozialplan aufgestellt wird26." Geht man von dieser nunmehr als herrschend zu bezeichnenden Auffassung aus, so müßte nach den allgemeinen Grundsätzen die Passivierung potentieller Abfindungsansprüche (zumindest teilweise) 20 So Richardi, Sozialplan und Konkurs, S. 13 f.; ders., RdA 1979, 197. Vgl. auch OLG Düsseldorf (BB 1980, 44), das für Abfindungsansprüche aus §§ 112, 113 BetrVG den Pfändungsschutz des § 850 i ZPO gewährt, was wohl nur auf der Grundlage der zitierten Auffassung Richardis möglich ist. 21 Vgl. Wiedemann / Willemsen, Anm. zu BAG, AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7; dagegen auch Beuthien, RdA 1976, 160. Nicht wiedergabefähig ist der Soup\;on Däublers (Das Arbeitsrecht, rororo aktuell, Hamburg 1976, S.369 Fn. 424); an Richardis rein wissenschaftlicher Intention besteht kein Zweifel. 22 Auch in der Marxschen Mehrwertlehre steckt ein kleiner berechtigter Kern, der die Grundlage der Forderung auf Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen ist, vgl. Zöllner, Arbeitsrecht, 2. Auft., München 1979, § 2 III, 3 m. w. Nachw., insbes. S.17 Fn.8. 23 Auf den Widerspruch in der Argumentation Richardis, der trotz seiner Ausgangsthese die Abfindungsansprüche als Ansprüche aus dem Sozial plan ansieht, ist bereits oben (Fn. 18) hingewiesen worden. 24 Weitnauer, ZfA 1977, 128. 25 RdA 1976,154; Heinze (NJW 1980, 148: Die betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des Konkursverwalters) sieht deshalb das Unternehmensvermögen schon vor Abschluß eines Sozialplans mit den Abfindungsansprüchen belastet. 26 Beuthien, RdA 1976, 157. In sich konsequent, jedoch a. A. Wiedemann I Willemsen in Anm. zu BAG, AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 6 R ff., die jedoch als Argument benutzen, daß die abgelehnte Auffassung Richardis dazu führen müsse, daß bei Betriebsstillegung jedem Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verliert, ohne Rücksicht darauf, ob er einen gleichwertigen anderen Arbeitsplatz erhält, eine Abfindung zustände. Diese von Wiedemann / Will emsen abgelehnte Auffassung hat der Gr. Senat des BAG (AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13) inzwischen jedoch für Rechtens erklärt.

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Horst Ehmann

schon vor einer geplanten Betriebsänderung, beginnend mit der Einstellung jedes Arbeitnehmers, zugelassen werden. Hält man sich jedoch vor Augen, daß zur Zeit die Höhe der Abfindungen im allgemeinen zwischen einem halben und einem ganzen Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, gestaffelt nach dem Lebensalter, betragen27, so wird die betriebswirtschaftliche Bedeutung der steuerrechtlichen Streitfrage im Hinblick auf die EigenkapitalbiIdung deutlich. Volkswirtschaftlich und fiskalisch wird die Größenordnung der infolgedessen möglich werdenden steuerbegünstigten Eigenkapitalbildung durch die Zahl von ca. 20 Mio. Arbeitnehmern bestimmt. Damit wird zugleich klar, daß diese Entscheidung 28 kaum und jedenfalls nicht nur rechtsdogmatisch begründet werden kann. 4. Grenzen der richterlichen RechtsfortbIldung

Soweit jedoch die Fortentwicklung des Arbeitsrechts, hier des Abfindungsrechts, eine Änderung der steuerrechtlichen Praxis und Rechtsprechung wegen der Größenordnung der Frage nicht zur Folge haben kann, sind auch dem weiteren Ausbau des Abfindungsrechts durch die Arbeitsgerichte rechtsstaatliche Grenzen gesetzt28• Damit tritt das bereits oben30 berührte finanzrechtliche Problem noch einmal ins Blickfeld, ob und inwieweit aufgrund der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes für geboten erachtete soziale Leistungen auf den Arbeitgeber statt auf die Sozialversicherungsträger oder die staatlichen Haushalte verlagert werden dürfen. So hat z. B. sogar das BAG Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 11 MuSchG 1968 geäußert, weil es Bedenken hatte, ob es gerechtfertigt ist, den Anspruch der Mutter gem. Art. 6 Abs. 4 GG "auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft" als gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zu verwirklichen31 • Und Mußgnug32 würde es für verfassungsrechtlich unzulässig halten, wenn der Gesetzgeber die Kosten für den Transport der Schüler zur Schule dem Arbeitgeber auferlegen würde, indem er für jedes Kind den Lohnanspruch seiner Eltern um den Betrag erhöht, der den Kosten der Fahrt von der Wohnung zur Schule mit öffentlichen Verkehrsmitteln entspricht33• 27 D. h. bei 10jähriger Betriebszugehörigkeit etwa zwischen 10000,- und 20000,-DM. 28 Größenordnungsmäßig etwa 15000,- DM mal 20 Mio. Arbeitnehmer 300 Mrd. DM. 211 Vgl. unten vor Fn.36. 30 Vgl. um Fn.8 u. 9. 31 BAGE 23, 416 ff. (422). 32 Mußgnug, Die zweckgebundene öffentliche Abgabe, in: Festschrift für E. Forsthoff z. 70. Geburtstag, München 1972, S. 259 ff. (287).

Der Schutzzweck des Sozialplans

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Die allgemeine Fürsorgepfiicht des Arbeitgebers kann jedenfalls nicht unbegrenzt Einfallstor für soziale Lasten sein, deren Tatbestände keinen hinreichenden Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Unter diesem Aspekt ist es sehr fraglich, ob dem Arbeitgeber nach rechtmäßiger Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Leistungen aufgebürdet werden können zu dem Zweck:, die WiedereingHederung des Arbeitnehmers in den Arbeitsprozeß zu erleichtern und ihn für eine übergangszeit zu versorgen3'. Geringer werden diese Bedenken gegen die Abfindungsverpftichtungen des Arbeitgebers, wenn der Rechtsgrund in den bereits erbrachten Arbeitsleistungen gesehen wird, weil dann der Bezug der Sozialleistung zum Arbeitsverhältnis näher ist. Die aufgeworfenen finanzrechtlichen Bedenken machen deutlich, daß zumindest der weitere Ausbau des Abfindungsrechts durch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung ohne den steuerrechtlichen Flankenschutz einer PassivieTung des Humankapitals35 vom Beginn der Einstellung der Arbeitnehmer an nicht zulässig ist. Wenn schon der Arbeitgeber statt des Sozialversicherungsträgers bzw. statt der öffentlichen Haushalte die Soziallast der Abfindungsansprüche tragen soll, so müßte ihm zumindest die dafür notwendige Eigenkapitalbildung steuerlich erleichtert werden, womit zugleich ein Teil der Kosten auf den Fiskus zurück:verlagert würde. Zur RechtsfoTtbildung des Steuerrechts hat allerdings das BAG keine Kompetenz; wo seine Rechtsfortbildung jedoch Rechtsfortbildungen außerhalb seiner Kompetenz notwendig macht, stößt die richterliche Rechtsschöpfung an die durch das Gewaltenteilungsprinzip und die Kompetenzregelung des Grundgesetzes gezogenen Grenzen 36 • VgI. dazu auch Picot, RdA 1979, 18. So aber auch BAG, GT. Senat, AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5 R, insbes. im Anschluß an Wiedemann / WiZlemsen, Anm. zu BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7 R f. 35 Zum Begriff des Human-Kapitals vgI. Weißhuhn, Sozioökonomische Analyse von Bildung- und Ausbildungsaktivitäten (Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 259), Berlin 1977. 38 Es handelt sich dabei nicht bloß um eine Fehlanwendung des einfachen Gesetzes, sondern um einen Verstoß gegen Art. 3 u. 20 GG. Denn ebensowenig wie die Gerichte eine einzelne Norm wegen Verfassungsverstoßes aus dem Systemzusammenhang des Gesetzes herausnehmen dürfen, wenn dadurch die restlichen Normen einen anderen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Inhalt bekommen (so in bezug auf Subventionsansprüche überzeugend Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, München 1978, S. 102 f.), dürfen sie durch Hinzufügen von Rechtssätzen ein ganzes Normensystem verändern. Schon gar nicht dürfen sie ein gesetzliches Differenzierungssystem unbeachtet lassen, wie z. B. BAG, BB 1979, 833 ff. betreffend die Einbeziehung der Leitenden Angestellten in die Sozialpläne. Vgl. auch Papier, "Spezifisches Verfassungsrecht" und "Einfaches Gesetzesrecht" als Argumentationsformel des Bundes33

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5. Tendenz zum allgemeinen Abfindungsanspruch

Allerdings muß es gesundem unternehmerischem Denken widerstreben, in guten Zeiten schon Rückstellungen zu machen für unerwünschte und gar nicht vorhersehbare Betriebseinschränkungen oder gar eine Betriebsstillegung, also den eigenen Niedergang. Ebenso müßte es unternehmerischem und sozialem Denken gleichermaßen widerstreben, im Falle nicht durch eine Betriebsänderung bedingten Ausscheidens eines Arbeitnehmers die Rückstellungen aufzulösen und nachzuversteuern, statt das Kapital an den ausscheidenden Arbeitnehmer auszubezahlen. Die angeführten Bedenken entfallen, wenn man die Begründung ernst nimmt, daß die Abfindungsleistungen durch die zuvor geleistete Arbeit verdientes, aber nicht ausbezahltes Kapital sind, und sie demzufolge jedem aus dem Betrieb ausscheidenden Mitarbeiter zubilligt. Außerdem ist es nach ganz allgemeiner Auffassung nicht zu rechtfertigen, daß ein Arbeitnehmer Abfindungen erhalten soll, wenn ein Betriebsrat besteht, wenn der Betrieb mehr als 20 Arbeitnehmer hat, und wenn außer ihm mehr als 4 Arbeitnehmer entlassen werden; er aber keine Abfindungen erhält, wenn kein Betriebsrat besteht, der Betrieb bloß 20 Arbeitnehmer hat oder neben ihm bloß 4 weitere Arbeitnehmer entlassen werden; kurz gesagt, wenn die betriebsbedingte Entlassung nicht infolge einer Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG erfolgt37 • Die Begründung des BAG38 dafür, daß diese Unterscheidung nicht gegen Art. 3 GG verstößt, kann nicht überzeugen. Bei altersbedingt ausscheidenden Mitarbeitern könnte das Abfindungskapital verrentet werden und würde damit zugleich Altersruhegeld sein. Die Einrichtung des Altersruhegelds müßte also mit dem Institut des Abfindungsrechts verbunden werden. Die Rückstellungen müßten damit steuerrechtlich entsprechend der für die Altersruhegelder bereits Gesetz gewordenen Vorschrift des § 6 a EStG behandelt werden. Auch eine entsprechende über- (bzw. außer-)betriebliche Konkurssicherung 39 (vgl. §§ 7 -15 BetrAVG) des Abfindungskapitals könnte eingerichtet werden. verfassungsgerichts, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerfG, 1. Bd., Tübingen 1976, S. 432 ff. (454 ff.). 37 So schon Weitnauer, ZfA 1977, 128; ebenso Wiedemann I WilZemsen, Anm. zu BAG, AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7 R. 38 VgI. BAG, BeschI. v. 22.5.1979, 1 ABR 17177, S.16 ff.; BAG, Urt. v. 22.5. 1979,1 AZR 848176, S.17 (Fn. 1); vgI. dazu unten im Text nach Fn.137. 39 Bedenken gegen solche Konkurssicherungen äußert Sieg (SAE 1979, 120), weil es nicht marktkonform sei, diejenigen Unternehmer, die ihren Betrieb gut führen, für die Sündenböcke aus den eigenen Reihen büßen zu lassen (unter Verweis auf Farny, ZVersWiss. 1975, 30 f.); der Konkurs sei kein solidarisch von den Mitunternehmern zu tragendes Risiko. Es ist jedoch zu bedenken, daß in den modernen Volkswirtschaften und deren internationalen

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Bei vorzeitigem Ausscheiden des Mitarbeiters müßte die der Beschäftigungsdauer entsprechende Quote ausbezahlt werden, die dieser als seinen Anteil für seinen neuen Arbeitsplatz bei seinem neuen Arbeitgeber wieder einbringen könnte. Damit wäre das Arbeitsverhältnis vom gegenseitigen Dienstvertrag in einen Gesellschaftsvertrag umgeschlagen, ohne daß der soziale Schutz des heute geltenden Arbeitsrechts preisgegeben werden müßte. Zugleich wäre damit das Recht am Arbeitsplatz40 in systemkonformer Weise zu einem anerkannten Vermögenswert geworden und der " Weg zur Knechtschaft" auf dem Grund der Anerkennung eines systemüberwindenden Rechts auf Arbeit41 verstellt. Die Anerkennung eines allgemeinen Abfindungsanspruchs und seine Verwandlung in einen gesellschaftsrechtlichen Abschichtungsanspruch (vgl. § 738 BGB) ist letztlich auch eine Konsequenz aus der unbestreitbaren Tatsache, daß die Entwicklung des Kündigungsrechts zum Grundsatz der Unkündbarkeit eines Arbeitsverhältnisses geführt hat. Es ist doch bloß noch eine Verbeugung vor den Kategorien des BGB, wenn wir lehren, der Grundsatz der Privatautonomie schließe auch die Möglichkeit der Kündigung von Arbeitsverhältnissen noch ein42 . Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, das länger als 6 Monate bestanden hat, ist grundsätzlich unwirksam und nur ausnahmsweise zulässig, wenn sie sozial gerechtfertigt werden kann (§ 1 KSchG)43. Wenn das so ist, ist es nur noch konsequent, den Verlust dieser Rechtsstellung zu entschädigen, wenn er aus Gründen (betriebsbedingt) erfolgt, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat. 6. Beteiligung am Produktivvermögen

Andererseits drängt die soziale Entwicklung nach ganz überwiegender Meinung auch zu einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen 44 • Es ist einfach nicht abzustreiten, daß auch der Schweiß Abhängigkeiten (z. B. vom Öl) Konkurse durch Marktdaten ausgelöst werden, die auch von den tüchtigsten Unternehmern nicht zu steuern sind. Ferner bildet unser Sozialstaat ohnehin ein ungeheueres Umverteilungs- und Transfersystem, bei welchem der Posten der solidarischen Konkurssicherung wohl kaum nennenswert ins Gewicht fällt. Vgl. auch GamiUscheg, Festschrift f. Bosch, S. 209 ff. (226). 40 Vgl. Zöllner, Arbeitsrecht, 2. Aufl., München 1979, § 14, S. 121 f.; Schwerdtner, ZfA 1977, 47 ff. (82 f.); Sieg, SAE 1979, 118 f. 41 Trefflich dazu Schwerdtner, ZfA 1977, 47 ff. 42 So aber Wiedemann / WiHemsen, Anm. zu BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 6. 43 Vgl. Zöllner, Arbeitsrecht, § 23 III, S. 193. 44 Vgl. Pulte, Vermögensbildung und Vermögensverteilung, Berlin 1973; Esser-Faltlhauser, Beteiligungsmodelle, München 1974, Mückl, Vermögenspolitische Konzepte in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1975;

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und der Geist der Arbeitnehmer die zuwachsenden Werte eines florierenden Unternehmens schafft. Die Auszahlung dieses zuwachsenden ("Mehr"-)Wertes in Lohnanteilen wird zwar nicht durch die Habgier der Unternehmer, sondern durch den betriebs- und volkswirtschaft;.. lichen Zwang zur Erhaltung und Reinvestition dieser Werte verhindert. Das rechtfertigt aber nur den zeitweisen, nicht den endgüitigen Verbleib dieser Werte beim Unternehmer45 • Letztlich drängen die Grundgedanken der Anerkennung eines allgemeinen Abfindungsanspruchs also nicht nur zu einer Verbindung mit der Einrichtung des betrieblichen Altersruhegeldes, sondern zu ihrer "Aufhebung"46 in einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen des Unternehmens. 7. Der Gesetzentwurf (BT-Drucks. 8/1565) Zur Verwirklichung der Forderung auf Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen sind nun schon viele Modelle entwickelt worden, die hier nicht durchdiskutiert und denen auch kein neues hinzugefügt werden soll. Eine Durchmusterung der vorhandenen, teilweise auch bereits verwirklichten Modelle 47 ergibt jedoch, daß das sog. Pieroth-Modell in der letzten Ausformung des in der BT-Drucks. 8/1565 v. 24.2.1978 vorgelegten Gesetzentwurfs am ehesten geeignet erscheint, die aufgestellte Forderung unter Beachtung unseres gegebenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu erfüllen47a, ohne den gegebenen sozialen Schutz der Arbeitnehmer abzubauen. Schaub, Arbeitsrecht, 3. Aufl. München 1977, § 82, S. 381 ff.; ZöHner, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 2 III; Erste Beratung des von den Abgeordneten Pieroth, Vogt, Dr. Barzel u. a. eingebrachten Entwurfs eines "Gesetzes zur Förderung freiwilliger betrieblicher Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer" (BT-Drucks. 8/1565) und (verbundene Debatte) des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines "Gesetzes zum Abbau steuerlicher Hemmnisse für die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer" (BT-Drucks. 8/1418), in: BTSteno Bericht 817935 ff. 45 "Daß die Gewinne allein denen zufließen, die das Eigenkapital bereit~ stellen, gilt bei Beziehern von kontraktbestimmten Einkommen, insbes. den Lohnempfängern, als weniger erfreulich und als erträglich nur deshalb, weil die durch Gewinne hervorgelockten Investitionen Beschäftigung bringen" (so der Sachverständigenrat im Jahresgutachten 1976177, Ziff.361). 46 Im doppelten Hegelschen Sinn des Vernichtens und Bewahrens. 47 Mitte 1978 beteiligten knapp 1 % aller Unternehmen ihre Mitarbeiter an Gewinn und Kapital, wobei über 850000 Beschäftigte in mehr als 800 Beteiligungsfinnen mit über zweieinhalb Mrd. DM beteiligt sind; vgl. dazu Pieroth (BT-Sten. Bericht 817937 f.), der auch Zahlenangaben zum Umfang der Beteiligungen in den bereits verwirklichten Modellen macht; vgl. auch unten um Fn.290. 47a Der Gesetzentwurf folgt weitgehend den Empfehlungen des Sachverständigenrats im Jahresgutachten 1976177, IV. Zu Gewinnbeteiligung auch Vennögensbildung, Ziff. 361 ff.

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Der Gesetzentwurf48 ist durch folgende Grundsätze gekennzeichnet49 : (1) Zweck des Gesetzentwurfs ist die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen ihrer jeweiligen Arbeitgeber. Dadurch soll eine breite Schicht von Eigentümern am Produktionskapital gebildet werden, was nicht nur der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch der Festigung der auf diesem Eigentum beruhenden freiheitlichen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung dienen soll. Zugleich soll damit die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen erhöht und die Unternehmensfinanzierung, insbes. kleiner und mittlerer Unternehmen verbessert und dadurch auch deren Investitionskraft gestärkt werden. (2) Der Gesetzentwurf will Form und Umfang der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen grundsätzlich der freien Vereinbarung der Beteiligten überlassen. Die Beteiligungsvereinbarung kann daher in Individualverträgen oder Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen erfolgen. Auf diese Weise kann den speziellen Bedürfnissen des jeweiligen Betriebs und der Beteiligten am besten Rechnung getragen werden. (3) Die freiwillige, letztlich privatautonome Verwirklichung der wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Zielvorstellung des Gesetzes soll staatlich angereizt und gefördert werden durch gesetzliche Änderungen auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Vermögensbildungs- und Sparprämiengesetze. (4) Wesentlich ist der Vorschlag, den Katalog der förderungsfähigen Anlageformen (§ 2 Abs.l 3. VermBG) zu erweitern. Der Arbeitgeber soll den Arbeitnehmern künftig außer Belegschaftsaktien auch GmbH-Anteile, Kommanditanteile oder stille Beteiligungen am eigenen Unternehmen als vermögenswirksame Anlageform anbieten können. Wegen der unbeschränkten Haftung sollen lediglich Anteile an einer offenen Handelsgesellschaft' ausgeschlossen bleiben. Durch die übernahme dieses Anlagekatalogs in die Förderungsmaßnahmen des 3. VermBG und des Sparprämiengesetzes soll den Arbeitnehmern der Zugang zu den üblichen Begünstigungen von sonstigen vermögenswirksamen Anlagen eröffnet und die bisher weitgehende Diskriminierung der Vermögensanlage im arbeitgebenden Unternehmen sowie die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer in größeren Aktiengesellschaften (bei Ausgabe von Belegschaftsaktien) und in Klein- und Mittelunternehmen weitgehend beseitigt werden. (5) Ferner sollen durch Änderung steuerrechtlicher Vorschriften bisherige Hemmnisse für betriebliche Beteiligungen der Arbeitnehmer beseitigt werden, indem a) die überlassung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, von Kommanditanteilen und von stillen Beteiligungen an Arbeitnehmer lohnsteuerrechtlich begünstigt wird,

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48 Der Gesetzentwurf (BT-Drucks. 8/1565) ist am 22. 6. 1978 im Bundestag in erster Lesung beraten (BT-Sten. Bericht 8/7935) und entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrates in die Ausschüsse verwiesen worden. Anfang 1980 wurde er immer noch wegen "steuerlicher Bewertungsprobleme" im Finanzausschuß behandelt. Vgl. auch unten IV. 3. nach Fn. 282. 49 Die Grundsätze sind dem Gesetzentwurf, seiner Begründung (BT-Drucks. 8/1565) und der 1. Lesung (BT-Sten. Bericht 8/7937) entnommen.

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b) der Arbeitnehmer bei der Aufnahme als Kommanditist nicht mehr seine lohnsteuerlichen Vorteile verliert, und für den Betrieb der Arbeitslohn nicht mehr als gewerbesteuerpflichtiger Gewinn behandelt wird, c) die Besteuerung der investiven Zuwendungen pauschal erfolgen kann, d) die Gesellschaftssteuer für Arbeitnehmerbeteiligungen aufgehoben wird. (6) Zur Sicherung der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele des Gesetzes und des notwendigen Schutzes der Arbeitnehmer-Gesellschafter macht der Gesetzesvorschlag die Gewährung der steuerrechtlichen Vergünstigungen und der Sparprämien von einer Reihe von notwendigen Voraussetzungen in der Beteiligungsvereinbarung abhängig: a) Die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (auch die Freizügigkeit) müssen unberührt bleiben; b) die Arbeitnehmer-Gesellschafter müssen den anderen Inhabern von Beteiligungsrechten nach Maßgabe ihrer Beteiligung gleichgestellt sein, d. h. hinsichtlich der Kapitalbeteiligung grundsätzlich auch das Verlustrisiko tragen; bei einer Beteiligung als stiller Gesellschafter kann jedoch gem. § 336 Abs.2 HGB eine Verlustbeteiligung ausgeschlossen werden; c) der Kapitalbeteiligungsvertrag muß eine Mindestvertragsdauer von 5 Jahren haben; bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses muß jedoch eine Kündigung zulässig sein; d) der Beteiligungswert soll - wie bei anderen Anlageformen des VermBG - während einer Sperrfrist von 5 Jahren nicht veräußert oder verpfändet werden dürfen; e) die Beteiligungswerte müssen während einer Sperrfrist - ähnlich den Ansprüchen bei der betrieblichen Altersversorgung (vgl. §§ 7 bis 15 BetrAVG) - mindestens in Höhe von 50 v. H. der Aufwendungen des Arbeitnehmers in Geld für den Erwerb bei der Eröffnung des Konkursverfahrens oder bei Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse gesichert sein (Insolvenzsicherung) ; f) nicht börsenfähige Beteiligungswerte dürfen nach Ablauf der Sperrfrist an unternehmensfremde Personen nur veräußert werden, wenn sie zuvor dem Unternehmen und danach den anderen am Unternehmen Beteiligten zu einem festzusetzenden Rückkaufswert angeboten werden und diese das Angebot innerhalb einer Frist von 3 Monaten abgelehnt haben.

8. Das verwirklichte "Pieroth-Modell"

"Ungleichheiten der Vermögensverhältnisse vor Augen, um den sozialen Frieden der Zukunft besorgt, die Verantwortung des Besitzes erkennend und von dem Willen erfüllt, beispielgebend zu wirken, haben die Gesellschafter der ,Weingut Ferd. Pieroth GmbH' in gemeinsamer Ob erlegung mit Mitarbeitern das Modell der ,PierothVermögensbeteiligung' entworfen.

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Die Pieroth-Vermögensbeteiligung ist der Versuch, einen greifbaren Beitrag zu leisten zur Lösung eines der wesentlichen Probleme unserer Gesellschaft. Sie will mithelfen, die wirtschaftliche Existenz des Einzelnen dauerhaft zu sichern, Chancengleichheit zu erringen und Abhängigkeit abzubauen50 ." Mit dieser "Präambel" wird die Betriebsvereinbarung eingeleitet, mit welcher die Firma Pieroth schon im Jahre 1967 in ihrem Unternehmen eine Beteiligung der Mitarbeiter verwirklicht hat, die in den Rahmen des vorgestellten Gesetzentwurfs passen würde und darüber hinaus seine eigentliche Grundlage bildet, denn der Abgeordnete Elmar Pieroth - Initiator dieses Gesetzentwurfs - hat zusammen mit seinem Bruder Kuno Pieroth im eigenen F'amilienunternehmen das durch folgende Merkmale gekennzeichnete Modell vorab verwirklicht61 : (1) Rechtsgrundlage des Pieroth-Modells ist eine Betriebsvereinbarung gem. § 77 BetrVG 1972 (früher: § 52 BetrVG 1952). (2) Die Hälfte des Gewinns (nach steuern) wird unter die Arbeitnehmer verteilt. (3) Die Gewinnanteile müssen für die Dauer von 5 Jahren im Unternehmen festgelegt werden. Sie bilden für die Firma Fremdkapital und werden in Höhe von 8 % verzinst. Die Zinsen können ausbezahlt, aber auch im Unternehmen belassen werden. (4) Nach Ablauf von 5 Jahren kann der Arbeitnehmer seinen als Darlehen angesammelten Gewinnanteil in eine Beteiligung als stiller Gesellschafter umwandeln. Die Einlagen der stillen Arbeitnehmer-Gesellschafter nehmen am Jahresgewinn gemäß der Steuerbilanz im Verhältnis ihrer Kapitalanteile teil. Die Verlustbeteiligung der Arbeitnehmer-Gesellschafter ist gem. § 336 Abs.2 HGB ausgeschlossen, um die Arbeitnehmer-Gesellschafter nicht einem doppelten Risiko (Kapital- und Arbeitsplatzverlust) auszusetzen. (5) Beim Ausscheiden emes Mitarbeiters werden dessen Mitarbeiter-Darlehen und stille Beteiligungen zu einem Abfindungsguthaben zusammengefaßt, das mit 4 Ufo verzinst wird. Die Auszahlung erfolgt je nach Kündigungsart in 5 oder 3 Jahresraten. Die sofortige Auszahlung in Sonderfällen ist möglich. (6) Die Veräußerung oder Vererbung des Gesellschaftsanteils ist nur an einen Betriebsangehörigen möglich. Ansonsten fällt nur das Abfindungsguthaben in den Nachlaß. (7) Bei Erreichung einer bestimmten Altersgrenze (weiblich: 50 Jahre; männlich: 55 Jahre) können die Arbeitnehmer-Gesellschafter Auszahlung ihres Abfindungsguthabens verlangen. (8) Die Rechte und Pflichten aus dem Individualarbeitsrecht bleiben unberührt. Leitwort des Pieroth-Modells, zitiert nach Pulte (Fn.44), S. 221. Die Angaben sind entnommen bei Pulte (Fn. 44), S. 221 ff. und Esser I Faltlhauser (Fn. 44), S. 165 ff. 50

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(9) Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer-Gesellschafter sind jedoch im Vergleich zum geltenden Arbeitsrecht (Betriebsverfassungsrecht und Mitbestimmungsrecht) wesentlich erweitert. Ein paritätisch mit je 5 AltGesellschaftern und 5 Arbeitnehmer-Gesellschaftern besetzter "Partnerschaftsausschuß" hat Mitbestimmungsrechte, die über die Rechte des Betriebsrats und Wirtschaftsausschusses weit hinaugehen, z. B. prüft er die Bilanz, stimmt über die zur Verteilung kommenden Gewinnsummen mit ete. Von den 5 Vertretern der Arbeitnehmer-Gesellschafter werden 3 vom Betriebsrat und 2 von den stillen Gesellschaftern gewählt. Der Aufsichtsrat der Pieroth-GmbH besteht seit langem aus 6 Vertretern der Alt-Gesellschafter und 6 Vertretern der Arbeitnehmer-Gesellschafter, wovon einer ein leitender Angestellter ist. Seit Einführung der Arbeitnehmer-Beteiligung - zunächst durch Arbeitnehmer-Darlehen - im Jahre 1967 bis zum Jahre 1974 ist der Umsatz der Pieroth-GmbH von 43 Mio. DM auf 250 Mio. DM gesteigert worden. 81 010 der Pieroth-Mitarbeiter halten eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn ihres Betriebs für "unbedingt notwendig und gut" (56,5 0/0) oder zumindest für eine "brauchbare Sache" (25,5 Ofo); 2,5 Ofo halten die Beteiligung für eine Sache, die den Arbeitnehmern ohnehin zusteht5!. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Modell ohne die im dargestellten Gesetzentwurf vorgesehenen steuerrechtlichen Vorteile und ohne die Vergünstigung des Vermögensbildungsgesetzes funktionieren muß. 9. Umbau des gesamten Arbeitsrechts

Auch wenn, wie auch die Verfasser des dargestellten Gesetzentwurfs hervorheben, mit der Verwirklichung eines solchen oder ähnlichen Modells kein Abbau des bisher arbeitsrechtlichen Individualschutzes der Arbeitnehmer verbunden sein müßte, so versteht es sich doch, daß er einen Umbau des gesamten kollektiven Arbeitsrechtssystems zur Folge haben müßte53• Arbeitnehmer, die am Gewinn und (teilweise auch) am Verlust eines Betriebs oder Unternehmens beteiligt sind, dürften jedenfalls für einen Streik gegen diesen Betrieb kaum mehr viel Verständnis aufbringen54• Die Mitbestimmung auf Betriebswie auf Unternehmensebene würde bei solcher Unternehmensverfassung in wenigen Jahren eine ganz andere Qualität erhalten. Denn die Repräsentanten (Betriebs- und Aufsichtsräte) der Arbeitnehmer",Gesellschafter würden nach einigen Jahren nicht nur den Faktor Arbeit, 52 Nach empirischen Untersuchungen mitgeteilt bei Esser 1 Faltlhauser (Fn. 44), S. 178. 53 Vgl. Reuter, ZfA 1979, 548 ff.; ferner unten nach Fn.283. 54 Erwägenswert ist allerdings der Vorschlag des Sachverständigenrats (Jahresgutachten 1976/77, Ziff.366), nach den Tarifverhandlungen über die Löhne (auf Grund von Vorausschätzungen) in einer zweiten Phase über die Verteilung der Gewinne auf Grund der Ist-Ergebnisse zu verhandeln. Das könnte der Tarifautonomie neuen Sinn geben.

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sondern auch einen wesentlichen Teil des Faktors Kapital vertrete~. Der Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital wäre damit viel weitgehender aufgehoben als durch die gegenwärtigen Mitbestimmungsrechte im Betrieb und Unternehmen. Die Mitherrschaft durch Mitbestimmung wäre durch die Mitverantwortlichkeit infolge des teilweise mitzutragenden Verlustrisikos hinreichend gerechtfertigt. Letztlich würden alle Mitarbeiter eines so organisierten Unternehmens trotz aller Arbeitsteilung wieder in einen näheren Bezug zu dem Ergebnis ihrer Arbeit gebracht und damit vielleicht glücklicher werden66 • Die Gründe für eine derartige Verwandlung des Arbeitsverhältnisses und des gesamten Arbeitsrechts sind, wie vorstehend mehr angedeutet als dargelegt wurde. von verschiedener und vielfältiger Art. Ich bin ausgegangen von der Einrichtung der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten und deren Verwandlung in ein Institut für Abfindungsansprüche. Untrennbar verbunden damit ist jedoch das Bemühen um eine Verbesserung des Kündigungsschutzes, darüber hinaus um eine gerechte Verteilung der Güter und ihrer Erträge sowie die Anerkennung des berechtigten Kerns der Forderung eines Rechts auf Arbeit66 und aller Argumente, die zur Einführung und Verbesserung der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmungsrechte ins Feld geführt wurden. Es versteht sich von selbst, daß diese Problemfelder im Rahmen eines derartigen Beitrags nicht mit wissenschaftlicher Akribie behandelt werden können. Darin liegen Aufgaben, die ein ganzes Team von Juristen und Ökonomen jahrelang beschäftigen können. In Anbetracht der Annäherung des Arbeitsverhältnisses an ein Gesellschaftsverhältnis durch Einführung der "paritätischen" Mitbestimmung forderte auch Ramm 57 bereits 1975 die Einrichtung eines speziellen Forschungsinstituts: Vgl. Porst, in: Pulte (Fn.44), S. 229 f. Vgl. dazu insbes. Schwerdtner, ZfA 1977, 47 ff. 67 Ramm, Bestandsaufnahme und Neugestaltung des Arbeitsverhältnisses - Thesen, in: Freiheit in der sozialen Demokratie (4. Rechtspolitischer Kongreß der SPD v. 6. - 8. 6. 1975 in Düsseldorf), herausgegeben von Diether Posser und Rudolf Wassermann, Karlsruhe 1975. Die Forschungspolitik ist jedoch nicht nur von sachlichen Kriterien bestimmt. Nach langem Hin und Her und endlosen Kommissionsdebatten hat die Kultusministerin des Landes Rheinland-Pfalz im Schreiben v. 23.8.1979 (952 Tgb. Nr. 2537) zwar mitgeteilt: "Dabei bin ich zu dem Ergebnis gelangt, daß vor allem im Bereich des Aufgabengebiets Arbeitsrecht/Arbeitsmarkt ein Forschungsdefizit besteht, innerhalb dessen das geplante Institut ein wichtiges wissenschaftliches Betätigungsfeld vorfindet. Ich möchte deshalb diesem Arbeitsgebiet den Vorzug gegenüber den beiden anderen erwogenen Aufgabenbereichen einräumen." Inzwischen (Febr./März 1980) verfolgt die Ministerin jedoch schon wieder 66 68

2 Festgabe tür Hermann Weltnauer

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"Die bisher bestehende weitgehende Unkenntnis über die Realität des Arbeitslebens muß beseitigt werden. Zu einer modernen Forschungspolitik gehört auch die Einrichtung interdisziplinärer Institute, denen die vorurteilsfreie planmäßige Analyse der Arbeitswelt obliegt." Um jedoch nicht in Verdacht zu geraten, hier bloß die Skizze eines utopischen science-fiction-Modells aufgezeigt zu haben, will ich im folgenden so kurz wie möglich, aber doch hinreichend genau aufzeigen. wie weit die Entwicklung des Abfindungsrechts schon gediehen und wie nah damit die Verwirklichung einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen nach Art des Pieroth-Modells schon gekommen ist.

11. Entwicklung und Rechtslage 1. Der soziale Schutzzweck

Der Inhalt der §§ 111 - 113 BetrVG folgt aus dem sozialen Schutzzweck dieser Normen, sagt das BAG58. Was aber ist dieser soziale Schutzzweck59 ? Betrachtet man den laufend sich wandelnden Inhalt der Normen über die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, wie er durch die Rechtsprechung des BAG bestimmt wird, so kann auch der soziale Schutzzweck nicht als eine statische Größe, sondern vielmehr nur als ein sich laufend ("fortschrittlich") veränderndes Leitbild begriffen werden, welches je nach Position und Vorverständnis 60 des Betrachters in verschiedener Weise wahrgenommen und angestrebt wird. Der soziale Schutzzweck ist also kurz gesagt eine rechtspolitische Zielvorstellung wechselnden tnhalts, mit Hilfe dessen das BAG auf diesem Gebiete das Recht fortbildet. Eine rein juristische Betrachtung (de lege lata) kann daher den Inhalt dieses Zwecks nur in Form einer Momentaufnahme aus dem Inhalt der Rechtssätze erkennen, die er zum jeweiligen Aufnahmezeitpunkt hervorbringt. Im folgenden sollen einige Momentaufnahmen der Rechtsentwicklung der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten aneinandergereiht werden, aus denen die Kurventendenz der Entwicklung erkennbar werden soll. andere Pläne, womit nicht nur der ganze bisherige Arbeitsaufwand frustriert wird, sondern auch die notwendige Vertrauensbasis für eine weitere Mitwirkung bei dem Aufbau eines Forschungsinstituts in Trier für viele auf lange Zeit zerstört sein dürfte. 58 Vgl. die Nachweise in Fn. 1. 59 Schwerdtner (ZfA 1977, 83) sagt: "Der Zweck des Sozialplans in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ist ohnehin schwer einsichtig." 60 Nicht nur im Sinne Essers (Vorverständnis und Methodenwahl, Frankfurt 1970).

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2. Vom BRG 1920 zum BetrVG 1972 Die Vorschriften der §§ 111-113 BetrVG 1972 beruhen auf den §§ 72 -74 BetrVG 1952, und diese haben ihren Vorläufer in § 74 des Betriebsrätegesetzes von 1920 (BRG 1920)61. Gemäß § 74 BRG 192062 war der Arbeitgeber verpflichtet, sich mit dem Betriebsrat über geplante Betriebseinschränkungen oder Stillegungen eines Betriebs, wenn infolgedessen die Entlassung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern erforderlich wurde, "möglichst längere Zeit vorher über Art und Umfang der erforderlichen Entlassungen und über die Vermeidung von Härten ins Benehmen zu setzen". Die Verletzung dieses Mitwirkungsrechts des Betriebsrats machte die Entlassungsmaßnahme nicht unwirksam, löste auch keine Abfindungsansprüche aus und war lediglich gemäß § 99 BRG 1920 strafrechtlich sanktioniert63 • Freilich muß beachtet werden, daß der Betriebsrat unter den Voraussetzungen des § 84 BRG 1920 (Vorläufer des § 1 KSchG) bei Kündigungen ein Einspruchsrecht hatte64 ; war dieser Einspruch gerechtfertigt und lehnte der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung ab, so war er gemäß § 87 BRG 192066 zu Entschädigungsleistungen verpflichtet; dieses Einspruchsrecht des Betriebsrats entfiel jedoch gemäß § 85 Abs. 2 Ziff. 2 BRG 1920 bei Entlassungen, die durch gänzliche und teilweise Stillegung des Betriebs erforderlich wurden. Eine Betriebsstillegung schränkte also zur Wahrung der unternehmerischen Freiheit ein über § 74 BRG 1920 hinausgehendes Mitwirkungsrecht des Betriebsrats, das sogar Entschädigungsleistungen auslösen konnte, ein60 und begründete es nicht wie in den späteren Betriebsverfassungsgesetzen von 1952 und 1972. Deswegen versuchten zur Zeit der Geltung des BRG 1920 die Arbeitgeber, aus jeder Einzelkündigung eine Betriebsstillegung zu machen, um dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Kündigungen zu entgehen67 ; heute wollen die Arbeitnehmer aus jeder Kündigung eine wirtschaftliche Angelegenheit mit der Folge von Abfindungsansprüchen machen68 • 61 RGBII,147. Die Vorschrift des § 74 BRG beruhte ihrerseits auf § 13 der sog. StilllegungsVO v. 12.2. 1920; vgl. Flatow I Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz, 13. Auft., Berlin 1931, § 74 Anm.3. os Vgl. Flatow I Kahn-Freund, § 74 Anm.3. 64 Die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats bedurfte gern. § 96 BRG der Zustimmung des BR; die Zustimmung war jedoch nicht erforderlich bei Entlassungen, die durch Stillegung des Betriebes erforderlich waren (§ 96 Nr.2 BRG). 65 Vorläufer der §§ 9, 10 KSchG. 66 Flatow I Kahn-Freund, § 85 Anm. B. 67 Vgl. insbes. die Tatbestände der Entsch. RAG, ARS 6, 441 ff.; 10, 115 ff.; 11, 471 ff.; 18, 75 ff. 68 Vgl. insbes. die Entsch. BAG, AP Nr.2, 6 - 10 zu § 72 BetrVG 1952; BAG, AP Nr. 2 - 4 zu § 111; AP Nr.6 zu § 112; Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972; BAG, BB 1979, 833 ff. 62

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Jedoch das Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht haben damals am Buchstaben des Gesetzes besser festgehalten, heute ist das BAG eher geneigt, mit Hilfe des "sozialen Schutzzwecks" den Wortlaut des Gesetzes zu verändern69 • Die Regelungen der §§ 72 - 74 BetrVG 1952 sind jedoch nach dem Vorbild des § 74 BRG 1920 geschaffen worden. Die Stärkung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats in der Regelung des BetrVG 1952 bestand im wesentlichen darin, daß eine Vermittlungsstelle angerufen werden konnte, wenn eine Einigung über den Interessenausgleich nicht zustande kam (§ 72 Abs. 2 BetrVG 1952). Die Vermittlungsstelle konnte allerdings gegen den Willen des Unternehmers über Art und Ausmaß der Betriebsänderung und deren Folgen für die Belegschaft keine verbindliche Entscheidung treffen, weil die unternehmerische Freiheit und Alleinverantwortung in diesem Punkte gewahrt bleiben sollte. Die Vermittlungsstelle konnte jedoch einen verbindlichen "Einigungsvorschlag" (§ 73 BetrVG 1952) machen, von dem der Unternehmer nur mit der Folge von Abfindungsansprüchen abweichen konnte (§ 74 BetrVG 1952). Die Einrichtung des Sozialplans enthielt das BetrVG 1952 noch nicht. In der Praxis gelang es jedoch mit Hilfe der Gerichte auch schon unter der Geltung dieses Gesetzes, Sozialpläne zu erzwingen70 ; die Einrichtung des Sozialplans wurde also nicht erst durch das BetrVG 1972 geschaffen71 • Die Institution des Sozialplans hat sich in der Krise des Steinkohlenbergbaus Ende der 50er Jahre entwickelt. Als erste Rechtsgrundlage dienten Art. 56 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und § 7 des Kohleanpassungsgesetzes vom 15.5.196872 • Die Praxis der Sozialpläne hat jedoch schnell über den Bereich der Montan-Industrie hinaus Anwendung gefunden, und noch unter der Geltung des BetrVG 1952 ist, anläßlich der Stillegung der PhrixWerke AG Hamburg, der lange Zeit teuerste Sozialplan mit Leistungen in Höhe von insgesamt 27 Mio. DM zur Abfindung von 4 500 Mitarbeitern vereinbart worden7s • Vgl. die in Fn. 67 u. 68 angeführten Entscheidungen. Vgl. die in Fn.68 angeführten Entscheidungen zum BetrVG 1952. 71 Auch nach § 74 BRG 1920 konnte der Betriebsrat schon zur "Vermeidung von Härten" die Zahlung von sog. Abgangsentschädigungen bei Entlassungen mit dem Arbeitgeber vereinbaren, jedoch nicht erzwingen. Vgl. dazu Flatow / Kahn-Freund. § 74 Anm. 1. 72 BGBI I, 1968, 365 ff. Der vom Wirtschafts- und Arbeitsministerium erarbeitete und im Bundesanzeiger 1968, Nr.94, S. 2 f. veröffentlichte "Gesamtsozialplan über die öffentlichen und betrieblichen Leistungen und Vorsorgemaßnahmen für die von Stillegungen betroffenen Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus" v. 15. 5. 1968 diente als Muster. Zu dieser Entstehungsgeschichte des Sozialplans vgl. Ohl. Der Sozialplan, Karlsruhe 1977, S. 14 ff. 69

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Es versteht sich fast von selbst, daß sich von nun an in der Praxis die Interessen der Arbeitnehmer und Betriebsräte im Falle von drohenden Betriebsänderungen weniger auf die Vermeidung dieser Maßnahmen und ihrer nachteiligen Folgen (Verlust der Arbeitsplätze) konzentrierten, als vielmehr gerichtet waren auf die Aufstellung eines Sozialplans und insbesondere die Höhe der Abfindungsleistungen. Bewundernswert ist der Scharfsinn und die konstruktive Phantasie, mit denen Rechtsprechung und Praxis aus dem Instrumentarium der §§ 72 - 74 BetrVG 1952 erzwingbare Abfindungsansprüche bei Betriebsänderungen zu formen verstanden haben. § 74 BetrVG 1952 gewährte nach dem Wortlaut Abfindungsansprüche nur für die Fälle, in denen der Unternehmer von einer vorliegenden Einigung oder einem "Einigungsvorschlag" der Vermittlungsstelle ohne zwingenden Grund abgewichen war und infolgedessen Kündigungen aussprechen mußte, nicht aber, wenn der Unternehmer ohne Einigung oder ohne "Einigungsvorschlag" infolge einer Betriebsänderung Entlassungen vornahm.

Mit Urteil vom 20. 11. 1961 schloß das BAG74 die angebliche Lücke des Gesetzes, indem es den Unternehmer, der geglaubt hatte, die §§ 72 -74 BetrVG 1952 seien eine "inhaltsleere Regelung" und deswegen Verhandlungen mit dem Betriebsrat glaubte ablehnen zu können, zu Abfindungszahlungen an die gekündigten Arbeitnehmer verurteilte. Damit mußte der Unternehmer, der Betriebsänderungen plante, bei Vermeidung von Abfindungsansprüchen in Verhandlungen mit dem Betriebsrat eintreten, er konnte nach Auffassung des BAG nicht darauf verweisen, daß auch der Betriebsrat ein Verfahren vor der Vermittlungsstelle hätte einleiten können. Wenn eine Einigung über den Interessenausgleich nicht zustande kam, verlangte das BAG mit Urteil vom 10.6.196975, daß der Unternehmer das Mitbestimmungsverfahren des § 72 Abs. 2 BetrVG 1952 "voll ausschöpfte", d. h. eine behördliche Stelle um Vermittlung ersuchte und bei Ergebnislosigkeit die Vermittlungsstelle anrief. Auch in dieser Entscheidung wurde der Einwand des Unternehmers verworfen, auch der Betriebsrat hätte die Vermittlungsstelle anrufen können. Mit dieser Entscheidung war sichergestellt, daß der Unternehmer mangels voller Ausschöpfung des Mitbestimmungsverfahrens zu Ab73 Vgl. Ohl (Fn. 72), S. 16. Am 28.2.1980 berichtete die FAZ über die Fertigstellung eines Sozialplans der Hoesch AG über insgesamt 65 Mio. DM. 74 BAGE 10, 329 ff. = AP Nr. 2 zu § 72 BetrVG 1952. 75 BA GE 22, 72 ff. = AP Nr. 6 zu § 72 BetrVG 1952.

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findungsleistungen verpflichtet war oder ein "Einigungsvorschlag" vorliegen mußte, VOn dem der Unternehmer bei Vermeidung von Abfindungsansprüchen nicht abweichen durfte. Und Richardi wies in einer Anmerkung76 noch besonders darauf hin, daß es durchaus möglich ist, "daß die Vermittlungsstelle bei Weigerung des Unternehmers, einen 50zialplan aufzustellen, einen anderen Einigungsvorschlag für notwendig hält, als bei einer Einigung über die sozialen und personellen Folgen seiner Maßnahme". Mit Urteil vom 20.11.197077 schloß das BAG schließlich den Kreis erzwingbarer Abfindungsleistungen, indem es anerkannte, daß der Betriebsrat seine Zustimmung zur Betriebsänderung von der Bedingung der Zahlung von Abfindungen, d. h. dem Abschluß eines Sozialplans abhängig machen durfte. Akzeptierte der Unternehmer diese Bedingung, so mußte er aufgrund der Bedingungen die Abfindungen zahlen, akzeptierte er die Bedingung nicht, so mußte er auch zahlen, weil er ohne Interessenausgleich bzw. gegen den sog. Einigungsvorschlag die Betriebsänderung durchführte. :Ober den Weg der Bedingung des Interessenausgleichs hatte die Rechtsprechung zu den §§ 72 bis 74 BetrVG 1952 den Sozialplan also vorweggenommen78 • Erst nach Inkrafttreten des BetrVG 1972, aber noch zum alten Recht, stellte dann das BAG mit Urteil vom 18.7.197279 noch die Forderung auf, der Unternehmer müsse den Betriebsrat "so frühzeitig wie möglich" von einer geplanten Betriebsänderung unterrichten. Da das BAG den Inhalt dieser Formel nicht mehr näher bestimmte, ein genauer Zeitpunkt nach dieser Formel letztlich wohl auch nicht zu bestimmen ist, war damit die Möglichkeit geschaffen worden, in jedem Falle Abfindungsansprüche zu konstruieren, in welchem der Unternehmer den Betriebsrat nicht schon VOn einer Betriebsänderung informierte, bevor er selbst ernsthaft daran dachte, d. h. bevor er selbst sich irgendwie zu einem solchen Entschluß durchgerungen hatte. Im entschiedenen Fall hatte sich der Betriebsrat 11/2 Jahre vor Betriebsstillegung und 1/2 Jahr vor dem Verkauf der Betriebsgrundstücke aufgelöst und hätte nach Ansicht des BAG zu diesem Zeitpunkt bereits informiert sein müssen. Die Vorverlegung der Informationspfticht auf einen Zeitpunkt "so frühzeitig wie möglich" hat hier dieselbe Funktion wie die unerfüllbare Anspannung der Verkehrssicherungspftichten im Falle sog. apo76 77

Zu BAG, AP Nr. 7 zu § 72 BetrVG 1952, BI. 6. BAGE 23, 53 ff. = AP Nr. 7 zu § 72 BetrVG 1952.

78 Ebenso war in der Entstehungsgeschichte des gegenseitigen Vertrags der selbständigen Erzwingbarkeit die Bedingungskonstruktion vorausgegangen. 79 BA GE 24, 364 ff. = AP Nr. 10 zu§ 72 BetrVG 1952.

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krypher Gefährdungshaftung80 • Wenn verlangt wird, daß ein Rohrmeister schon 3 - 4 Minuten und nicht erst 10 Minuten nach Abfallen des Rohrdrucks an der Bruchstelle ist81 , so soll damit auch nur ein Entschädigungsanspruch für solche Risiken begründet, nicht aber die Erfüllung solcher Pflichten ernsthaft verlangt werden. Das Argument, daß mit solcher Vorverlegung der Informationspflicht verhindert werden soll, daß besonders "schlaue" Unternehmer rechtzeitig für die Auflösung des Betriebsrats sorgen, kann nicht akzeptiert werden. Im Falle solchen Mißbrauchs hätten ohne weiteres Abfindungsansprüche entsprechend § 74 BetrVG 1952 ebenso zuerkannt werden können, wie in den Fällen, in denen der Unternehmer die Verhandlungen mit dem Betriebsrat gänzlich verweigert. Das BAG hat dieses Argument auch nicht verwendet, die Möglichkeit solchen Mißbrauchs im gegebenen Fall nicht einmal angedeutet, noch gar als erwiesen erachtet. Bei diesem Stand der Rechtsentwicklung ist das BetrVG 1972 in Kraft getreten und hat den Sozialplan als Einrichtung des Betriebsverfassungsrechts in § 112 gesetzlich festgeschrieben. Zugleich ist in den §§ 111 -113, insbes. mit § 113 Abs.3, aber das vollständige Instrumentarium der §§ 72 - 74 BetrVG 1952 beibehalten worden. Dies und das Beharrungsvermögen der alten Rechtsprechung in den fortgeschriebenen Kommentaren und den Köpfen von Betriebsräten und Juristen hat vielfach große Verwirrung erzeugt und sogar die Meinung entstehen lassen, daß neben den Ausgleichsansprüchen aus einem Sozialplan zusätzlich Abfindungsansprüche aus § 113 Abs.3 geltend gemacht werden können, wenn der Unternehmer das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats z. B. dadurch verletzte, daß er ihn nicht rechtzeitig informierte oder das Mitbestimmungsverfahren nicht voll ausschöpfte 82 • 3. Die Rechtsprechung zu den §§ 111 - 113 BetrVG 1972

a) Beschluß des Gr. Senats (AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972) Die gegenwärtige Rechtslage wird entscheidend geprägt durch die Ausführungen im Beschluß des Gr. Senats des BAG vom 13.12. 197883 zu den Fragen, ob auch im Falle von konkursbedingten Betriebsstilllegungen ein Mitwirkungsrecht des Betriebsrats gern. §§ 111 -113 besteht und welchen Rang Abfindungsansprüche aus einem Sozial plan 80 Vgl. Ehmann, Betriebsstillegungund Mitbestimmung, Schriftenreihe DER BETRIEB, Düsseldorf 1978, S. 15 ff. (48). 81 So OLG Hamm, Urt. v. 10.7.1952 9 U 250/51 -, zitiert bei Esser, Die Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts, in: JZ 1953, 131; vgl. jetzt § 2 HPflG v. 4. 1. 1978. 82 Vgl. BAG, AP Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972; dazu Ehmann, Betriebsstilllegung, S. 70 ff. m. w. Nachw. 83 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972.

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oder aus § 113 in solchem Falle nach der Konkursordnung haben, d. h. also zu den Fragen, die auch Gegenstand des obengenannten Gutachtens von Weitnauer 84 zu einem damals beim BAG anhängigen Verfahren gewesen waren. Der Gr. Senat hat entschieden, daß die Vorschriften der §§ 111 -113 auch im Konkurs des Unternehmers gelten und sowohl die Sozialplanansprüche als auch die Ansprüche aus § 113 Abs. 3 ohne Rücksicht darauf, ob die Betriebsänderung vor oder nach Konkurseröffnung stattgefunden hat, nicht Masseforderungen und nicht einfache Konkursforderungen gern. § 61 Abs. 1 Nr.6 KO, sondern Konkursforderungen im kraft Richterrechts neu gegründeten Rang vor Nr.1 des § 61 Abs.1 KO sind. Die spezielle, vielerörterte Problematik der Betriebsänderungen und des Rangs der Abfindungsansprüche im Konkurs sollen in diesem Beitrag nicht behandelt werden85• Es sei aber bekannt, daß ich weitgehend die von Sieg 8S erhobenen Einwendungen für richtig halte, daß der Senat mit diesem Eingriff in das Konkursrecht die Grenzen des Richterrechts und seine Kompetenz überschritten hat und das Ergebnis der Entscheidung darüber hinaus vielfach unsoziale Wirkungen haben wird, weil es zugunsten einer "Doppelentschädigung" der Arbeitnehmer (Sozialplan + Arbeitslosengeld, vgl. § 117 AFG) viele "kleine" Konkursgläubiger entrechtet, die anders als die sozialversicherten Arbeitnehmer gegen dieses Risiko nicht versichert sind. über diese spezielle Konkursproblematik hinaus enthält die Begründung des Gr. Senats jedoch allgemeine Rechtsgedanken zum Abfindungsrecht, die auch für das vorliegende Thema bestimmend sind. Weil nach Auffassung des BAG der Inhalt der §§ 111-113 aus dem sozialen Schutzzweck der Normen folgen so1l87, sind selbstverständlich die Ausführungen des Gr. Senats über den Schutzzweck dieser Normen - trotz ihrer dürftigen Begründung88 - von oberster Bedeutung. Zuerst folgert der Gr. Senat aus dem Schutzzweck der Normen, daß auch Betriebsänderungen im Konkurs erfaßt werden sollen89 : ZfA 1977, 111 ff. Vgl. außer den in der Entsch. des Gr. Senats (AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972 = SAE 1979, 105 ff.) zitierten Beiträgen die Auseinandersetzungen mit der Entsch. von Richardi, RdA 1979, 193 ff.; Sieg, SAE 1979, 118; Heinze, NJW 1980, 145 ff.; Beuthien, ZIP 1980, 83 ff.; ferner Fn. 166 a. 88 SAE 1979, 119. 87 Vgl. die Nachweise in Fn. 1. 88 So Richardi, RdA 1979, 195, näheres unten 111. nach Fn. 212. 89 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5. 84 85

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"Bei der inhaltlichen Prüfung des § 111 BetrVG ergibt sich, daß zu den dort genannten Betriebsänderungen auch solche gehören, die im Zusammenhang mit dem Konkursverfahren durchgeführt werden. Das folgt aus dem allgemeinen Schutzzweck der Norm. Sie will alle im einzelnen aufgezählten nachteiligen Maßnahmen für die Belegschaft erfassen, die dem unternehmerischen Verantwortungsbereich zuzurechnen sind. Dem unternehmerischen Verantwortungsbereich sind auch alle solche Maßnahmen zuzuordnen, die sich aus einer wirtschaftlichen Notlage ergeben und mehr oder minder durch die wirtschaftliche Situation diktiert werden. Aus diesem Grunde sind alle Maßnahmen, die ein Arbeitgeber selbst noch vor dem späteren Zusammenbruch seines Betriebs durchführt, solche, die unter den Begriffskatalog des § 111 BetrVG fallen, sofern sie im einzelnen die dort genannten Voraussetzungen erfüllen." Sodann versucht das Gericht, den Zweck der Abfindungsansprüche zu bestimmen, wie folgt 90 : "Auch der Sozialplan und die Sozialplanabfindung haben im Konkursfall ihren Platz. Abfindungen können nach § 112 BetrVG in einem Sozialplan vorgesehen werden. Sie sind eine Entschädigung (Hervorh v. Verf.) dafür, daß der Arbeitnehmer infolge einer von ihm hinzunehmenden Betriebsänderung seinen Arbeitsplatz einbüßt und im Laufe des Arbeitsverhältnisses erworbene Vorteile verliert (Hanau, ZfA 1974, 100, 102; Fitting-Auffarth-Kaiser, a.a.O., § 112 Anm.11). Sie ist zugleich (Hervorh. v. Verf.) auf die Zukunft gerichtet und hat Oberleitungs- und Vorsorgefunktion (Hervorh. v. Verf.) für die Zeit nach Durchführung der (nachteiligen) Betriebsänderung (Wiedemann-Willemsen, Anm. AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972). Mit dieser Zweckrichtung ist sie auch im Konkursfall als sachgerechte Folge der Liquidierung des Betriebs notwendig. Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des erworbenen Besitzstandes lassen sich Abfindungen auch den Konkursgläubigern gegenüber verständlich machen." über den Zweck der Mitbestimmungsrechte 91 der §§ 111-113 ist ansonsten in dem Beschluß nicht die Rede, allenfalls insofern, als auch dann, wenn die Betriebsänderung nicht vom Unternehmer beschlossen, sondern vom Markt diktiert worden ist, es also eigentlich nichts zu bestimmen gab, es wenigstens Abfindungsgeld aufgrund eines Sozialplans geben soll. Diese Bestimmung des sozialen Schutzzwecks durch den Gr. Senat beherrscht die weitere Rechtsprechung des BAG zur Inhaltsbestimmung der §§ 111 - 113. b) Erweiterung auf Leitende Angestellte

Mit Urteil vom 31. 3. 1979 92 hat der 5. Senat erklärt, der Arbeitgeber könne nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet sein, den vom Sozialplan nicht erfaßten Leitenden Angestellten eine entspreAP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5 R. Über den Unterschied zum Zweck der Abfindungsansprüche vgI. unten IH. nach Fn. 212. 92 BB 1979, 833 ff. 80

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Horst Ehmann chende Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu zahlen. Die gesetzliche Differenzierung der §§ 5 Abs.3, 112 schiebt der 5. Senat souverän beiseite mit dem Satz: "Die betriebsverfassungsrechtliche Gliederung der Belegschaft kann es für sich allein daher nicht rechtfertigen, die Leitenden Angestellten, die ihren Arbeitsplatz verlieren, von einem Ausgleich auszuschließen, den alle anderen Arbeitnehmer durch den Sozialplan erhalten93 ." Zur Begründung führt das Gericht u. a. aus: "Die Abfindungsregelung ist mithin in einem weiteren Sinn Teil des von unserer Rechtsordnung für die Arbeitnehmer geschaffenen Bestandsschutzes. Diesen Bestandsschutz brauchen die Leitenden Angestellten grundsätzlich ebenso wie alle anderen Arbeitnehmer. Das ist im Prinzip auch vom Gesetzgeber anerkannt." Der 5. Senat ist damit der Auffassung Gamillschegs gefolgt, der nicht nur sagt, daß der Richter "der eigentliche Herr des Arbeitsrechts"94 ist, sondern in der Festschrift für Bosch95 auch die Ausklammerung der Leitenden Angestellten aus den Sozialplänen für nicht weiter vertretbar erklärt hat". Gamillscheg erklärt an derselben Stelle aber auch: "Die Abfindung ist ein eigenständiges arbeitsrechtliches Institut geworden, das seine Rechtfertigung letztlich in der Anerkennung der Arbeit als der Grundlage der Persönlichkeit findet. Es ist nötig, den nächsten Schritt zu tun und Abfindungen bei betriebsbedingter Kündigung als solche und unabhängig von der Betriebsvertretung vorzusehen."

Fabricius 97 will die §§ 111 -113 auch anwenden in Kleinbetrieben, die weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, sofern diese zu einem größeren Unternehmen gehören. Die "Lücke" des Gesetzes könne mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz geschlossen werden. Abfindungsansprüche also für alle! Selbst wenn das noch nicht geltendes Recht sein sollte, die Dynamik der Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Ihering 98 mag zu weit gegriffen haben, wenn er den Zweck zum "Schöpfer des ganzen Rechts" erklärt, aber der Zweck, der Rechts93 BB 1979, 83.5; Schwerdtner (Jura 11/79, ZR, BetrVG, § 112 Nr. 1) hält dies für eine "überraschende", "schwer verständliche" Auffassung, die zeigt, "daß die Entwicklung eindeutig auf eine generelle Abfindungspflicht bei betriebsbedingten Kündigungen hinausläuft". 94 AcP 164, 388; vgl. dazu Redeker, Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtsetzung, in: NJW 1972, 409 ff. (414); ferner Ipsen, Richterrecht, insbes. S. 79 ff. m. w. Nachw. 95 Festschrift für Bosch, S. 223; ders. in Arbeitsrecht 11, Prüfe Dein Wissen, 5. Aufl., München 1979, Fall 445. 96 Weitnauer (ZfA 1977, 128) hält den Ausschluß der Leitenden Angestellten sogar für eine "Diskriminierung". 87 GK-BetrVG, § 111 Rdn. 19; ebenso Mothes, AuR 1974, 329; dagegen jedoch zu Recht, LAG Düsseldorj, DB 1980, 213. 98 So das Motto von "Der Zweck im Recht",!. Aufl., Leipzig 1877.

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grund der Abfindungsansprüche zwingt unabweislich zu ihrer Verallgemeinerung und Individualisierung99• c) Erweiterung der Voraussetzungen

In zwei Entscheidungen vom 22.5.1979 100 hat der 1. Senat den Anwendungsbereich der §§ 111 -113 weiter wesentlich dadurch ausgedehnt, daß er entgegen der bisher herrschenden Meinung101 auch einen bloßen Personalabbau unter Beibehaltung der sächlichen Betriebsmittel als Betriebseinschränkung gemäß § 111 Satz 2 Nr. 1 qualifiziert hatt 02 • Es sei nicht gerechtfertigt, einen Unterschied zu machen zwischen der sächlichen und der personellen Kapazität des Betriebs: "Vielmehr erfordert der soziale Schutzzweck (Hervorh v. Verf.) eine einhei tUche Betrachtungsweise103•"

Was aber ist der "soziale Schutzzweck" und was fordert er letztlich104 ? Abfindungsansprüche für alle Arbeitnehmer, die (unverschuldet) ihren Arbeitsplatz verlieren oder eine möglichst hohe finanzielle Belastung der Unternehmer für jede Form des Personalabbaus, damit selbst unwirtschaftliche Arbeitsplätze möglichst erhalten bleiben (z. B. Heizer auf der E-Lok?!)? Der 1. Senat meint, weil der Unternehmer bei Scheitern des Interessenausgleichs die Alleinentscheidung über die Betriebsänderung behalten habe, müsse er durch finanzielle Belastungen zur Berücksichtigung der "sozialen Belange" der Belegschaft gezwungen werden105 • Der soziale Schutzzweck soll also dafür sorgen, daß der Unternehmer möglichst gehindert wird, den Personalbestand an die gegebene Marktlage anzupassen; die "von der wirtschaftlichen Situation diktierten Maßnahmen" sollen durch die finanziellen Belastungen des Sozialplans möglichst verhindert werden. 99 Das zeigen insbes. die Ausführungen von Richardi, schon in: SAE 1974, 14 Anm. zu BAG, AP Nr.lO zu § 72 BetrVG 1952; ders. zuletzt in: RdA 1979, 197; Gamillscheg, Festschrift für Bosch, S.223; auch Weitnauer, ZfA 1977, 128; für Wiedemann I Willemsen (AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7) ist es ein argumentum ad horrendum gegen die "Mehrwerttheorie" Richardis (vgl. dazu oben 1.3. nach Fn.20); jedoch die Rspr. geht, wie unter II des Textes dargestellt, klar in diese Richtung. 100 Urteil, 1 AZR 848/76, sowie Beschluß, 1 ABR 17/77 (Fn. 1; demnächst: AP Nr.3 u. 4 zu § 111 BetrVG 1972 mit Anm. Ehmann). 101 VgI. insbes. BAG, AP Nr. 2 zu § 111 BetrVG 1972 mit Anm. Ehmann und die dort gegebenen Nachweise. 102 Auch Betriebsübergänge, Gesellschaftsaufspaltungen u. ä. sollen Betriebsänderungen i. S. v. § 111 sein, vgl. Engels, DB 1979, 2227 ff.; dagegen Eich, DB 1980, 255 ff. 103 BAG (Fn. 100), Urt. S. 13; BeschI. S. 13. 104 Vgl. unten III. 105 BAG (Fn.100), Urt. S. 17; Beschl. S.18.

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Auf diese Weise wird der soziale Schutzzweck grenzenlos, und nur das Bundesverfassungsgericht kann noch entscheiden, wo Art. 14 GG der Auferlegung von Geldleistungspflichten auf die Arbeitgeber zugunsten der Arbeitnehmer Schranken setzen muß108. Wenn unser marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem und das Grundgesetz es gebieten, daß der Unternehmer in der Frage einer Betriebsänderung letztlich frei bleibt und nicht durch ein notwendiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beschränkt wird 107, so kann dieselbe Verfassung es doch nicht erlauben, daß der Unternehmer durch die Auferlegung hoher Geldleistungspflichten (durch teuere Sozialpläne) von der notwendigen Anpassung seines Personalbestands an die Marktlage abgehalten wird. Die gute soziale Absicht, mit solchen Mitteln Arbeitsplätze zu erhalten, muß mit bösen sozialen Folgen für das gesamte Unternehmen und darüber hinaus die gesamte Volkswirtschaft enden108. Es ist stets ein Fehler, zu versuchen, mit Mitteln des Arbeitsrechts Arbeitsmarktpolitik zu machen, ohne Beachtung der sonstigen wirtschaftlichen und rechtlichen Daten10D . Andererseits muß aber zugegeben werden, daß die Bestimmung des Begriffs Betriebseinschränkung überaus schwierig ist llO • In der Rechtsprechung111 zum Kündigungsschutzrecht des BRG von 1920 diente der Begriff als Gegensatz zum Begriff der (Teil-)Stillegung und bestimmte also die Fälle, in denen der Betriebszweck weder gänzlich noch teilweise aufgegeben112 , d. h. weder der ganze Betrieb noch ein wesentlicher Betriebsteil stillgelegt, sondern die Belegschaft bloß horizontal ausgedünnt wurde und entweder durch hohe Anstrengungen der verbliebenen Belegschaft dieselbe Produktivität erreicht oder 108 Vgl. insbes. die aus Insider-Wissen gegebenen wertvollen Hinweise

Weitnauers (betr. Londoner Schuldenabkommen), in: ZfA 1977, 123; treffend auch Schwerdtner, ZfA 1977, 68 f. 107 Das ist sowohl in bezug auf § 111 unstreitig als auch hinsichtlich der

Zulässigkeit betriebsbedingter Kündigungen. Deswegen ist auch das Mitbestimmungsrecht bei Betriebsänderungen in § 111 im Vergleich zu § 72 BetrVG 1952 eher etwas abgebaut worden. 108 Vgl. Stützel, Sicherung der sozialen Marktwirtschaft durch eine konsequente Ordnungspolitik, in: Fundamental-Korrektur statt Symptomtherapie, Von der Zukunft der sozialen Marktwirtschaft, Symposion 11 der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn Aktuell, Stuttgart 1978, S. 19 ff. (30, 32 f.). 109 So insbes. auch Gerhard Müller in der Diskussion auf dem 52. DJT, Wiesbaden 1978, Sitzungsbericht M, S. 70 f. 110 Vgl. dazu Ehmann, Anm. zu BAG, AP Nr.2 zu § 111 BetrVG 1972 m. w. Nachw. 111 Vgl. insbes. RAG, ARS 6, 441 ff.; vgl. ferner RAG, ARS 10, 115 ff.; 11, 471 ff.; 18, 75 ff.; ebenso schon zur StillVO: RAGE 4, 362 ff. (364). 112 Vgl. dazu auch Flatow / Kahn-Freund, BRG, § 85 Anm. D; ferner Dietz (BetrVG 1952, 4. Auft., § 72, Rdn. 14 u. 19) mit Ausführungen zum BetrVG 1952 auf der Grundlage und unter Hinweis auf die Rspr. zum BRG 1920.

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die Produktivität trotz Erhaltung der sachlichen Kapazität quantitativ verringert wurde113 • Für diese Fälle sollte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Kündigungen 114 erhalten bleiben; darum ging in den entschiedenen Fällen der Streit115 • Freilich war der Begriff der Betriebseinschränkung auch in § 74 BRG 1920 enthalten und begründete dort ein Mitwirkungsrecht des Betriebsrats, wenn infolge der Einschränkungen des Betriebs die Entlassung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern erforderlich wurde116• Auf der Grundlage des Kausalitätserfordernisses 117 zwischen Betriebseinschränkung und Massenentlassung ist dann die Meinung gebildet worden, die Betriebseinschränkung als Ursache der Kündigungen (Entlassungen) müsse ein Eingriff in den sächlichen Bestand des Betriebs sein (z. B. Stillegung von Maschinen), welche die Gesamtkapazität des Betriebs mindert118 • Diese stark restriktive Auslegung des Begriffs Betriebseinschränkung läßt sich jedoch weder aus dem Gesetz noch aus seiner Entstehungsgeschichte begründen. Als den Kündigungen (Entlassungen) vorangehende Betriebseinschränkung kann vielmehr jeder Eingriff in die organisatorische Einheit des Betriebs angesehen werden, sofern man die Belegschaft einbezieht in den Begriff des Betriebs119• Daß aber der Begriff des Betriebs im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer des Betriebs mitumfaßt, hat schon das Reichsgericht120 (in bezug auf die §§ 74, 85, 96 BRG 1920) dargelegt und wird auch vom BAG121 zu Recht angenommen, denn in der Betriebsverfassung geht es - wie in der Staatsverfassung - letztlich immer um den Menschen und nicht um das leblose Organisationssubstrat von Grundstücken, Maschinen und sonstigen sächlichen Mitteln122 • 113 Vgl. dazu insbes. auch Götz, Entlassung und Begriff der Betriebseinschränkung i. S. d. § 72 Abs. 1, S. 2 lit. a BetrVG, in: DB 1970, 782 f. 114 Vgl. §§ 85,96 BRG 1920. 115 Vgl. vor allem RAG, ARS 6,441 ff.; 10, 115 ff.; 11,471 ff.; 18,75 ff. 116 Vgl. Flatow / Kahn-Freund, BRG, § 74 Anm. 1. 117 Zu den bedenklichen Ausführungen des 1. Senats in den beiden Entsch. v. 22.5.1979 (Fn.100) zu dem Kausalitätserfordernis zwischen der Betriebsänderung und den Nachteilen (Entlassungen) (Urt. S. 9 ff.; Beschl. S. 9 ff.) vgl. Ehmann, Anm. zu BAG, AP Nr.3 u. 4 zu § 111 BetrVG 1972 (erscheint demnächst). 118 Hueck / Nipperdey, Bd. H, 6. Aufl., Berlin u. Frankfurt 1957, S. 873; Dietz, § 72 Rdn. 19. Die von Nipperdey (in Fn. 59) angeführten Entscheidungen dekken diese Ansicht allerdings nicht, sie betreffen die Problematik der Betriebsstillegung (was auch Götz, DB 1970, 782 schon bemerkte). 119 So auch schon Götz, DB 1970, 782 f. 120 RGZ 113, 89; vgl. dazu Flatow / Kahn-Freund, § 85 Anm. B. 121 BAG (Fn. 100), Urt. S. 6 ff.; Beschl. S. 6 ff. 122 Ehmann, Anm. zu BAG, AP Nr.2 zu § 111 BetrVG 1972; vgl. auch Gamillscheg, Festschrift f. Bosch, S.214.

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Jedoch auch das BA.G will die Entlassung einer einzigen Putzfrau (noch?) nicht als Betriebseinschränkung begreifen123 • Zur Begründung verweist das Gericht auf den Relativsatz des § 111 S.l, der wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile derselben als Folge der Betriebsänderung fordert. Als Maß zur Bestimmung dessen, was ein erheblicher Teil der Belegschaft ist, benützt der 1. Senat in seinen Entscheidungen vom 22. 5. 1979 124 die Zahlen des § 17 KSchG, wobei er nicht verkennt, daß diese Vorschrift und ihre Zahlen "arbeitsmarktpolitischen Zwecken" dienen. Unberechtigt ist allerdings der rechtfertigende Hinweis auf § 66 BetrVG 1952 und dessen entsprechende Zahlen, weil auch diese Vorschrift, wie die Entstehungsgeschichte beweist, dem Kündigungsschutz und arbeitsmarktpolitischen Zwecken diente, weshalb sie auch nicht ins BetrVG 1972 übernommen und in den mit Gesetz vom 17.4.1978 neu gefaßten § 17 KSchG integriert wurde125 • Ebenso unberechtigt ist der Verweis des 1. Senats auf § 111 des Regierungsentwurfs zum BetrVG 1972 126, welcher gleichfalls eine Betriebsänderung annahm, wenn infolge einer unternehmerischen Maßnahme eine dem § 17 KSchG entsprechende Zahl von Arbeitnehmern entlassen werden mußte. 123 Vgl. Götz (DB 1970, 782), der diese Konsequenzen auch schon gesehen und insbes. durch das Erfordernis einer Betriebsänderung als Ursache der Kündigung vermeiden wollte; dazu auch Rumpff, Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, 2. Aufl., Heidelberg 1978, S. 236 f. 124 Vgl. Fn. 100. 126 Aus § 66 BetrVG 1952 folgt vielmehr, daß bloßer Personalabbau (Massenkündigung) ausschließlich der Mitwirkung des Betriebsrats nach dieser Vorschrift unterliegen sollte, so richtig Götz, DB 1970, 782 f. 126 § 111 Reg. Entw. lautete: (1) Der Unternehmer hat den Betriebsrat über von ihm geplante Maßnahmen, die dazu führen können, daß 1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 50 ständig beschäftigten Arbeitnehmern insgesamt mehr als 5 ständig beschäftigten Arbeitnehmer, 2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 50 und weniger als 500 ständig beschäftigten Arbeitnehmern insgesamt 10 vom Hundert der im Betrieb ständig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als insgesamt 25 ständig beschäftigte Arbeitnehmer, 3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 ständig beschäftigten Arbeitnehmern insgesamt mindestens 50 ständig beschäftigten Arbeitnehmer entlassen werden, für die das Arbeitsentgelt geringer ist, oder anderweitige wesentliche Nachteile erleiden, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplante Maßnahme mit dem Betriebsrat zu beraten. (2) Der Betriebsrat hat in den Fällen des Absatzes 1 ein Mitbestimmungsrecht nach Maßgabe des § 112. Dies gilt nicht, wenn Maßnahmen nach Absatz 1 durch nicht geplante Einschränkungen der Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, insbesondere auf Grund einer Veränderung der Auftragslage oder der wirtschaftlichen Lage des Betriebs bedingt sind.

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Der Entwurf ist nicht Gesetz geworden, weil die Mehrheit des Ausschusses127 den das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats einschränkenden Absatz 2 S. 2 des Reg.Entw,128 für zu unbestimmt hielt und deswegen hinsichtlich der Voraussetzungen der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten beim System des § 72 BetrVG 1952 bleiben wollte12U • Wenn der 1. Senat diesen Vorgang dahingehend auslegt, die Abkehr vom Regierungsentwurf sei nicht deswegen erfolgt, "weil das Parlament den Personalabbau als solchen nicht als mitbestimmungspflichtige Maßnahme verstanden wissen wollte130 ", so ist das mehr unrichtig als richtig. Denn auch die Verfasser des Entwurfs und die beratende Kommission hielten § 111 Abs.l des Entwurfs für vertretbar nur zusammen mit der Einschränkung des nachfolgenden Absatzes 2. Weil Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs zu unbestimmt erschien, verzichtete man auch auf Abs.l der Vorschrift und blieb beim System des § 72 BetrVG 1952. Daraus kann doch nur geschlossen werden, daß § 111 Abs.l des Entwurfs ohne die Einschränkung des Abs. 2 nicht gewollt war. Und insofern ist es ein Verstoß gegen den erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers, wenn der 1. Senat nun aufgrund einer Art "Rosinentheorie" und kraft Richterrechts § 111 Abs.l des Entwurfs ohne die Einschränkungen des Abs. 2 S. 2 zu geltendem Recht macht131 . Verständlich sind diese offensichtlichen methodischen Fehlleistungen nur im Hinblick auf den "sozialen Schutzzweck" der Normen der §§ 111 -113, möglichst vielen und letztlich jedem betriebsbedingt entlassenen Arbeitnehmer einen Abfindungsanspruch zu gewähren. Die einzige Begrenzung des Begriffs der Betriebseinschränkung außer den Zahlen des § 17 KSchG -, die das BAG noch gelten lassen will, besteht darin, daß eine außergewöhnliche, vom regelmäßigen Erscheinungsbild abweichende Maßnahme vorliegen muß. Gewöhnliche Schwankungen der Betriebstätigkeit, die mit der Eigenart des jeweiligen Betriebs zusammenhängen, seien keine Betriebseinschränkun127 Für Arbeit und Sozialordnung, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu Drucks. VI, 2729. 128 VgI. Fn. 126. 129 Zu Drucks. VI, 2729 (Fn. 127), S. 8; dazu Ehmann, Anm. zu BAG, AP Nr.2 zu § 111 BetrVG 1972, BI. 3 R; auch nicht verkannt von BAG (Entsch. Fn. 100) jeweils auf S. 12. 130 BAG (Fn. 100), BeschI. u. Urt., jeweils auf S. 12. 131 Zumindest war der Wille des Gesetzgebers zu beachten, "solche Maßnahmen von der Beteiligung des Betriebsrats ... freizustellen, durch die lediglich vorübergehende konjunkturelle Schwankungen abgefangen werden sollen"; so der schriftliche Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BT-Drucks. VI/2729, S. 32; dazu Ehmann, Anm. zu BAG, AP Nr. 2 zu § 111 BetrVG 1972.

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gen13!. Damit können sich also typische Saisonbetriebe den Sozialplan noch ersparen; ob dies aber auch für den in einem strengen Winter notwendigen Personalabbau in der Bauindustrie gilt, bleibt abzuwarten. Das BAG definierte die Betriebseinschränkung im Anschluß an

Hanau 133 "als eine erhebliche, ungewöhnliche und nicht nur vorübergehende Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebs, gleichgültig, ob die Verminderung der Leistungsfähigkeit durch Außerbetriebsetzung von Betriebsanlagen oder durch Personalreduzierung erfoIgt134." Das für Betriebseinschränkungen essentielle Moment der Dauer 136 ist in dieser Definition zumindest rudimentär noch vorhanden. In der Verwendung des Begriffs "vorübergehend", der in § 63 Abs.l AFG und in § 87 Abs.l Nr.3 BetrVG 1972 enthalten ist, ist jedoch die Gefahr begründet, daß bei Vermeidung eines Sozialplans oder individueller Abfindungsansprüche (gemäß § 113) eine Anpassung der Arbeitskapazität nur noch durch die Einführung von Kurzarbeit möglich istl 36 •

Einen bedeutsamen Anstoß in Richtung auf die Verallgemeinerung und Individualisierung des Abfindungsrechts der §§ 111 - 113 erregt der 1. Senat schließlich mit seiner zur Begründung der Entscheidungen137 nicht erforderlichen Prüfung, ob die Regelung des Sozialplans bzw. des § 113 nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG verfassungswidrig sind, weil andere, zwar betriebsbedingt, aber nicht im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung entlassene Arbeitnehmer keine Abfindungen erhalten können. Hinsichtlich § 113 verneint der Senat den Verstoß gegen den Gleichheitssatz mit der Begründung, § 113 diene nicht in erster Linie dazu, den Arbeitnehmern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu verschaffen, er habe Sanktionscharakter und wolle sicherstellen, daß der Unternehmer seiner gesetzlichen Pflicht nachkommt, mit dem Betriebsrat wenigstens den Versuch eines sonst nicht erzwingbaren Interessenausgleichs über eine geplante Betriebsänderung zu machen138• BAG (Fn. 100), Beschl. S. 15, Urt. S. 14. ZfA 1974,98. 134 BAG (Fn. 100), Urt. u. Beschl., jeweils S. 15. 135 Vgl. GamiUscheg, Festschrift für Bosch, S. 213; ferner Ehmann, Anm. zu BAG, AP Nr. 2 zu § 111 BetrVG 1972, BI. 4 f. 136 Das macht es verständlich, daß z. B. die Opel AG z. Z. im Werk RüsseI~­ heim Kurzarbeit einführt, statt den Kapital- und Produktivitätsüberhang mit Entlassungen abzubauen. Auch damit wird die Soziallast der Sozialpläne (verdeckt) auf die BAnstArb und, wenn deren Kasse erschöpft ist, auf den Fiskus verlagert. Vgl. den Bericht von "Report" im ARD-Fernsehen v. 8.1. 1980 über die Firma Siemens (Werk Regensburg). 137 BAG (Fn. 100), Urt. S. 17, Beschl. S. 16 ff. 138 BAG (Fn.l00), Urt. S. 17. 132

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Schwerer fiel dem Senat die Begründung, daß die Abfindungsansprüche aus dem Sozialplan nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Den vernünftigen Grund, der die Differenzierung des Gesetzgebers rechtfertigen soll, erkannte das Gericht mit viel Mühe darin, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Betriebsänderungen nicht gewährleiste, daß der Unternehmer die sozialen Belange der Belegschaft angemessen berücksichtigt, weil der Unternehmer letztlich allein über das Ob und Wie der Betriebsänderung entscheiden könne. Der Sozialplan habe daher die Funktion, mit entsprechenden finanziellen Belastungen dafür zu sorgen, daß der Unternehmer sich nicht leichtfertig und ohne Rücksicht auf die sozialen Interessen der Belegschaft zu einer Betriebsänderung entschließt lS9 • Damit wird also auch dem Sozialplan eine Art Sanktionscharakte1' beigelegt. Er soll durch die finanziellen Belastungen die unternehmerische Freiheit bei der Verfügung über die Arbeitsplätze beschränken. Dieser sog. Rückstoßeffekt, der als Faktum nicht zu leugnen ist, wird damit zum Zweck erhoben. Das steht zwar nicht unbedingt im Widerspruch zu der Zweckbestimmung der Sozialplanansprüche durch den Gr. Senat (Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes sowie überleitungs- und Vorsorgefunktion), ergänzt diese aber durch eine Repressionsfunktion140 in bezug auf die Erhaltung der Arbeitsplätze. Diese Begründung verstärkt die Bedenken aus Art. 14 GG gegen die Auferlegung von Geldleistungspjlichten141 in derartigen Fällen und erreicht nicht das vom Senat erstrebte Ziel, zu rechtfertigen, warum betriebs bedingt entlassene Arbeitnehmer, denen nicht infolge einer Betriebsänderung gekündigt wurde, keine Abfindungen aus einem Sozialplan oder gemäß § 113 erhalten können. In Einzelfällen wäre es doch noch viel eher vertretbar (weil finanziell tragbar), durch die finanzielle Belastung mit Abfindungszahlungen Druck auf den Unternehmer auszuüben, die betriebsbedingten Einzelkündigungen möglichst zu vermeiden. Die nicht überzeugende Begründung des mangelnden Verstoßes gegen Art. 3 GG wird jedoch im Zusammenhang mit den sozialen Strömungen der Zeit, die über den "sozialen Schutzzweck" Eingang finden in die Inhaltsbestimmung der §§ 111 -113, eher zu dem Schluß führen, daß es gegen Art. 3 GG verstößt, wenn betriebsbedingt gekündigten einzelnen Arbeitnehmern keine Abfindungen gewährt werden142 , als daß die Regelung der §§ 111-113 mit dem derzeit angenommenen Inhalt für verfassungswidrig erklärt wird. BAG (Fn. 100), Beschl. S. 18. Vgl. dazu unten III. 141 Vgl. Fn. 106,262. 142 über die "Grundrechte als Anspruchsnormen" vgl. Breuer, Festgabe für das BVerwG (Fn. 36), S. 89 ff.; betr. den Gleichheitssatz, S. 100 ff. 139

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3 Festgabe für Hermann Weltnauer

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d) Geplante Betriebsänderung Voraussetzung der Mitbestimmung des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten ist nach § 111 immer noch wie schon zu § 72 BetrVG 1952 und zu § 74BRG 1920 eine geplante Betriebsänderung143 (Einschränkung oder Stillegung). Jedoch dieser Grundbegriff hat im Laufe der Entwicklung infolge der Wandlung seiner Stellung im Normsystem seine Bedeutung ins Gegenteil verkehrt. Während nach dem BRG eine geplante Betriebsstillegung das Mitbestimmungsrecht (Einspruchs- bzw. Zustimmungsrecht) des Betriebsrats bei Kündigungen, dessen Verletzung evtl. Entschädigungsansprüche (gern. § 87 BRG 1~20) auslösen konnte, einschränkte (§§ 85 Abs. 2 Ziff. 2, 96 Abs. 2 Ziff. 2 BRG 1920), begründet dieser Tatbestand nunmehr ein Mitbestimmungsrecht mit der Folge von Entschädigungsansprüchen (gern. §§ 112, 113). Nach dem alten Recht hatte die Mitbestimmung bei Betriebsänderungen (gern. § 74 BRG 1920) im wesentlichen also die Funktion, eine Kontrolle über die Einschränkung des wirksameren Mitbestimmungsrechts bei Kündigungen zu gewährleisten; nach dem geltenden Recht hat es die Funktion, Abfindungsansprüche auszulösen. Nach dem alten Recht waren also die Arbeitgeber daran interessiert, den Tatbestand der Betriebsstillegung möglichst weit zu fassen 144, während nun die Arbeitnehmer an einer extensiven Interpretation des Grundbegriffs der Betriebsänderung interessiert sind. Ein Mitwirkungsrecht des Betriebsrats bei aus wirtschaftlichen (z. B. Konkurs) oder sonstigen Gründen (z. B. Zerstörung oder Abbau der Betriebsanlagen) unvermeidbar gewordenen Betriebseinschränkungen oder Stillegungen war völlig uninteressant, solange an diese Tatbe·stände nicht die Folge von Abfindungsansprüchen geknüpft waren. Wo es nichts mehr zu bestimmen - und auch kein Geld - gab, bestand auch kein Grund zur Mitbestimmung des Betriebsrats. Nach dem Urteil des 1. Senats des BAG vom 23. 1. 1979 145 erfüllt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 112 seinen sozialen Schutzzweck jedoch erst dann nicht mehr, wenn der Unternehmer total überschuldet ist _und der Konkurs mangels Masse eingestellt werden muß, d. h. wenn kein Geld mehr zu holen ist.

143 So ausdrücklich der Wortlaut des § 72 BetrVG 1952 und § 111 BetrVG 1972; zur Voraussetzung der "planmäßigen Einstellung" im BRG 1920 vgl. FZatow I Kahn-Freund, § 85 Anm. B. 144 Vgl. die Tatbestände folgender Entscheidungen: RAG, ARS 6,441 ff.; 10, 115 ff.; 11, 471 ff.; 18, 75 ff. 145 SAE 1979, 248 ff.

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Das BAG148 meint, das Wort "geplant" in § 111 habe nur eine rein zeitliche Bedeutung, es solle nicht bei unvorhergesehenen und unerwarteten, z. B. bei durch Katastrophen bedingten Ereignissen oder in Fällen eines Konkurses das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausschließen. Vielmehr erfordere der soziale Schutzzweck des § 111, daß unter den Begriff Betriebsänderung auch solche Maßnahmen fallen, "die sich aus einer wirtschaftlichen Notlage ergeben und mehr oder minder durch die wirtschaftliche Situation diktiert werden" 147. Diese Thesen des BAG sind weder mit dem Wortsinn noch mit der Entstehungsgeschichte des Merkmals der "Planmäßigkeit" zu vereinbaren. Das Tatbestandsmerkmal "planmäßig" wurde schon zur Zeit der Geltung des BRG 1920 entwickeW 48 • Es hatte eine Doppelfunktion: Einmal sollte eine geplante (Teil-)Stillegung im Sinne von ernstlicher Stillegungsabsicht genügen, um die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Kündigungen auszuschalten, es sollte nicht erforderlich sein, daß der Betrieb auch tatsächlich für einen erheblichen Zeitraum zum Erliegen kommt l49 ; z. B. wenn nach den Entlassungen ein großer unerwarteter Auslandsauftrag die Weiterführung des Betriebs möglich machte l60 • Zum anderen sollte das Merkmal der Planmäßigkeit die Fälle des bloß tatsächlichen Stillstands des Betriebs ausschließen, nur gewollte, auf Dauer beabsichtigte Betriebsstillegungen sollten das Mitbestimmungsrecht bei Kündigungen entfallen lassenl61 • Flatow hat sogar den Satz zurückgewiesen, daß das Vorliegen des objektiven Tatbestands - der Einstellung der Waren erzeugung eine Vermutung dafür schaffe, daß auch der subjektive Tatbestand gegeben ist152 • 148 AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972, BI. 3 R; AP Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972; BI. 2; ebenso Gr. Senat, AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 6. 147 Gr. Senat, AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5; die Formel wird in den Entscheidungen v. 22. 5. 1979 (Fn. 100), Urt. S. 17, BeschI. S. 16, wiederholt. 148 VgI. RAG, ARS 7, 162 ff. (166); 10, 183 ff. sowie Flatow I Kahn-Freund, § 85 Anm. B u. D m.w. Nachw. 149 So ausdrücklich Flatow IKahn-Freund, § 85 Anm. B und RAG, ARS 7, 162ff.; 10, 183ff.; ebenso RAG, ARS 4, 7lff.; 6, 411ff.; 17, 409ff., wo auf die ernstliche Absicht, auf den Willen des Unternehmers abgestellt wird; auch bei § 14 AOG wurde für die Frage der Betriebsstillegung entscheidend auf den nach außen erkennbaren Willen des Unternehmers abgestellt, z. B. in: RAG, ARS 26, 52 ff. 160 So RAG, ARS 4, 7l ff.; ähnlich RAG, ARS 4, 113 ff.; 7, 162 ff.; vgI. ferner Flatow I Kahn-Freund, § 85 Anm. D. 161 RAG, ARS 17, 409 ff. (412). 162 Flatow I Kahn-Freund, § 85 Anm. D.

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Die Auffassung, daß nur eine gewollte (= geplante) Betriebsstilllegung, eine bewußte Aufgabe des Betriebszwecks das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslöst, ist auch im Geltungszeitraum des BetrVG 1952 ganz allgemein beibehalten worden15s • Auch vom Wortsinn her ist es nicht richtig, daß das Merkmal "geplant" nur eine rein zeitliche Bedeutung hat l54 • Richtig wird diese Behauptung auch weder durch mehrfache Wiederholung noch durch die Meinung des Gr. Senats 155 , der 1. Senat habe diese Ansicht überzeugend begründet158• Vielmehr qualifiziert das Merkmal "geplant" nach seinem Wortlaut die Betriebsänderung eindeutig als eine bewußte, finale Handlung. Nicht zweifelsfrei ist lediglich die wörtliche Auslegung des Merkmals in dem Punkte, ob eine geplante Betriebsänderung eine Änderung ist, die erst geplant werden soll oder eine Änderung, die bereits geplant sein muß157; nur diese Unklarheit der sprachlichen Bedeutung betrifft ein zeitliches Moment. Bei Betriebsstillegungen aus wirtschaftlichen Gründen, insbes. vor einem drohenden oder einem eröffneten Konkurs, hat die vorstehend erörterte Problematik des Merkmals der Planmäßigkeit allerdings wohl keine Bedeutung158, weil auch der Entschluß des Gemeinschuldners oder des Konkursverwalters, infolge der gegebenen wirtschaftlichen Tatsachen den Betrieb ganz oder teilweise stillzulegen, eine bewußte, finale Handlung ist159 • Die entscheidende Frage bei solchen Tatbeständen ist vielmehr, ob die unternehmerische Freiheit in solchen wirtschaftlichen Notlagen durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beschränkt werden kann und darf180• An der Entscheidung über die Stellung des Konkursantrags hat der Betriebsrat nach noch h. M. kein Mitwirkungsrecht181 ; bei Unterneh153 Dietz, BetrVG, 4. Auft., München u. Berlin 1967, § 72 Anm. 14; NeumannDuesberg, Betriebsverfassungsrecht, Berlin 1960, S. 165; Nikisch, Bd. 1, 3. Auft. Tübingen 1961, S. 648 f.; DöTing, Wirtschaftliches Mitbestimmungsrecht bei

Betriebsänderungen, in: BIStSozArbR 1965, 350. 154 VgI. Ehmann, Betriebsstillegung, S. 23, 42. 155 VgI. Fn.146. 158 Nicht richtig ist auch die Feststellung des Gr. Senats (BI. 6), dieser Standpunkt des BAG sei unwidersprochen geblieben; in Betriebsstillegung (S. 23, 42) habe ich dieser Auslegung des Merkmals hinreichend deutlich widersprochen. 157 VgI. Ehmann, Betriebsstillegung, S.23. 158 Darum ist sie in der Literatur zur Frage Sozialplan und Konkurs teilweise auch kritiklos hingenommen worden, vgl. Weitnauer, ZfA 1977, 130 f.; Beuthien, RdA 1976, 148 vor Fn. 12. 1511 Auch das RAG (ARS 8, 328 ff.) ging davon aus, daß in der Konkurseröffnung als solche noch keine Betriebsstillegung liegt. 180 Bejahend BAG (Gr. Senat), AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 3 ff. 181 VgI. Dietz / Richardi, § 111 Rdn.56 m. w. Nachw.

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men, die in der Rechtsform einer GmbH oder einer AG organisiert sind, würde ein solches Mitwirkungsrecht im Konflikt stehen zu den Geschäftsführerpflichten aus §§ 64 GmbHG, 92 Abs.2 AktG162. Diesen letzten Gang muß der Unternehmer also allein gehen, obwohl die Eröffnung des Konkursverfahrens die wesentlichste Änderung des Betriebszwecks (vgl. § 111 S.2 Ziff.4) darstellt. Auch diese Auffassung ist Ausfluß des vom BRG 1920 bis heute leitenden Gedanken, daß die Freiheit unternehmerischer Entscheidung über den Betriebszweck letztlich unangetastet bleiben soll. Eigentlich müßte diese unternehmerische Freiheit erst recht gewährt werden, wenn es darum geht, durch rechtzeitige (Teil-)Stillegung den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Betriebs zu vermeiden. Nach dem BRG 1920 war aus diesen Gründen in solchen Fällen selbstverständlich das Mitwirkungsrecht des Betriebsrats bei Kündigungen ausgeschlossen, und dieser Gedanke wirkt bis heute in der grundsätzlichen Zulässigkeit betriebsbedingter Kündigungen (§ 1 KSchG) und der begrenzten gerichtlichen Nachprüfbarkeit der unternehmerischen Entscheidung fort, welche die Betriebsbedingtheit der Kündigung begründet163. Das zur Kontrolle gegebene Mitwirkungsrecht des Betriebsrats nach § 74 BRG 1920 ("ins Benehmen setzen") konnte diese unternehmerische Freiheit nicht beeinträchtigen. Auch im Geltungszeitraum des BetrVG 1952 ist - soweit ersichtlich - das Problem des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei konkursbedingten Betriebsstillegungen erstmals als Frage der Voraussetzung der Entstehung von Abfindungsansprüchen aufgetreten184. Auf diese in diesem Punkte nur dürftig begründete Entscheidung hat sich der 1. Senat des BAG165 in seiner ersten Entscheidung zur Frage, ob der Konkursverwalter die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus §§ 111 - 113 BetrVG 1972 beachten müsse, dann gestützt. Und der Gr. Senat hat die Entscheidung des 1. Senats bestätigt, allerdings mit der Feststellung, daß die Begründung der Ergänzung bedürfe166. Auf die spezifisch konkursrechtlichen Ergänzungen der Begründung durch den Gr. Senat soll hier - wie schon gesagt - nicht näher eingegangen werden. Der rechtsfortbildende Eingriff des Gr. Senats in die Konkursordnung kann wohl nur noch durch den Gesetzgeber geändert werden, 182 50 zutreffend schon Beuthien, RdA 1976, 148. 163 Vgl. Schaub, Arbeitsrecht, 3. Auft., München 1977, § 132 H, 3, 5.648 m. w. Nachw. 184 In BAG, AP Nr. 8 zu § 72 BetrVG 1952. 165 AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972. 166 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5.

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und der hat zur Vorbereitung seiner Entscheidung eine Kommission hervorragender Fachkenner eingesetzt, deren Beratungsergebnisse abgewartet werden müssen166a• Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch die Erkenntnis wichtig, unter welchen Voraussetzungen nach Auffassung des BAG die Vorschriften der §§ 111 -113 ihren Sinn verloren haben, d. h. unter welchen Voraussetzungen sie den sozialen Schutzzweck, dem sie dienen sollen, nicht mehr erreichen können. Cessante causa cessat effectus167 (vgl. auch § 738 BGB). Der soziale Schutzzweck der §§ 111 -113 kann auch von den Voraussetzungen seiner Frustrierung her bestimmt werden. Dazu bemerkte der Gr. Senat 168 hinsichtlich der Abfindungsansprüche aus § 113, die im Falle des Konkurses den Sozialplanansprüchen gleichgestellt wurden, er könnte die Geltung des § 113 Abs. 3 auch zu Lasten des Konkursverwalters nur im Grundsatz bejahen. Es sei nicht seine Aufgabe zu prüfen, "ob in bestimmten Fällen der Anspruch auf Nachteilsausgleich entfallen kann, etwa dann, wenn die Schließung des Betriebes unumgänglich ist und nicht mehr - auch nicht hinsichtlich der Modalitäten - durch einen Interessensausgleich zu beeinflussen gewesen wäre". Was damit gemeint war, wurde mit dem kurze Zeit später am 23.1.1979 verkündeten Urteil des 1. Senats 160 deutlich, wonach ein Unternehmer unter besonderen Umständen berechtigt sein kann, den Betrieb ohne Versuch eines Interessenausgleichs sofort zu schließen, wenn das Hinausschieben der Stillegung zum Zwecke des Versuchs eines Interessenausgleichs den betroffenen Arbeitnehmern nur weitere Nachteile hätte bringen können. Der Unternehmer war in diesem Falle seit längerer Zeit total überschuldet, was auch dem laufend unterrichteten Betriebsrat bekannt war. Der Zusammenbruch war unmittelbar eingetreten, als die Warenkreditgeber mit Lastwagen vorfuhren und daraufhin auch die Banken den Kredit sperrten. Die Eröffnung des Konkurses war mangels Masse abgelehnt worden; Geld für weitere Lohnzahlungen war nicht mehr vorhanden. Nach dieser Entscheidung ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten also zwecklos und daher unnötig, wenn kein Geld mehr zu holen ist, d. h. wenn auch der Kaiser sein Recht verloren hat. Primärzweck der Regelung der §§ 111-113 sind also nicht mehr die Mitbestimmung bei der Betriebsänderung ("Versuch des InteressenVgI. dazu Kübler, ZIP 1980, 55. VgI. Ehmann, Gesamtschuld, S. 141. AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7 R. SAE 1979, 248 mit Anm. Peterek.

166a 167 168 160

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ausgleichs"), sondern die Entschädigungsleistungen für den verlorenen Arbeitsplatz. Der Interessenausgleich ist nur noch ein Vorverjahren 170 zur Klärung der Situation und zur Bestimmung der Höhe der Abfindungen. In manchen Fällen wird zumindest den Arbeitnehmern, die hoffen können, bald wieder einen anderen Arbeitsplatz zu erhalten, die "Entlassungsprämie" sogar begehrenswerter sein als die Erhaltung des Arbeitsplatzes. Solche Mißbrauchsmöglichkeiten machen die Widersprüche des wildgewachsenen Systems deutlich. e) Kumulationsverbot

Die insbesondere durch § 113 Abs. 3 begünstigte Fortwirkung der oben dargestellten Rechtsprechung zu den §§ 72 -74 BetrVG 1952 und die im BetrVG 1972 geschaffene Sozialplanregelung hat es möglich gemacht, daß aus einem Tatbestand der Betriebsänderung sowohl Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan als auch aus § 113 entstehen können. Mit Urteil vom 14.9.1976 hat der 1. Senat des BAGl7l demzufolge trotz eines nach Betriebsstillegung noch zustande gekommenen Sozialplans drei Klägern aufgrund § 113 Abs.3 wegen verspäteter Information des Betriebsrats insgesamt über 100000,- DM (an einen Kläger allein 40 875,- DM) Abfindungsleistungen zugesprochen. Die Leitsätze zu diesem Konkurrenzproblem lauteten: ,,4. Die nachträgliche Erklärung des Betriebsrats, er wolle keine rechtlichen Schritte wegen des unterbliebenen Versuchs eines Interessenausgleichs unternehmen, ändert nichts an dem Bestehen des Anspruchs auf Nachteilsausgleich, der einem Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG erwachsen ist. 5. Der Anspruch auf Nachteilsausgleichung nach § 113 Abs. 3 BetrVG wird nicht durch einen Sozialplan beseitigt, der nach der Einleitung der Betriebsänderung (Betriebsstillegung) und den dieserhalb ausgesprochenen Kündigungen gegenüber den Arbeitnehmern zustande kommt. Ob der Anspruch auf Abfindung auf Ansprüche aus dem Sozialplan anzurechnen ist, war nicht zu entscheiden." Die unbefriedigende Begründung dieser Entscheidung hat erhebliche Kritik ausgelöst172• Otto 173 rechtfertigte jedoch die Kumulation der Abfindungen mit dem vom BAG ausdrücklich nicht verwendeten, wohl aber mitberücksichtigten Argument, die individualrechtlichen Abfindungsansprüche aus § 113 könnten durch eine Kollektivvereinbarung VgI. Wiedemann I WiHemsen, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 9. AP Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972 mit Anm. Richardi. 172 Schwerdtner, EzA, § 113 BetrVG 1972, Nr. 2 S. 41 f.; Richardi, Anm. zu AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972; Ehmann, Betriebsstillegung, S. 48,70 ff. 173 SAE 1977, 284 f. 170 171

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(Sozialplan) nicht mehr beseitigt werden. Eine Anrechnung der Sozialplanleistungen hat der Senat aus prozessualen Gründen nicht vorgenommen, weil das beklagte Unternehmen dafür nichts vorgetragen hatte; lediglich die Frage der Anrechnung war daher offen geblieben. Im Extremfall des Konkurses wäre es jedoch nicht verständlich gewesen, wenn bei Betriebsänderungen des Konkursverwalters die Ansprüche aus § 113 Abs. 3 Masseforderungen, die Sozialplanansprüche aber bloß (bevorrechtigte) Konkursforderungen gewesen wären174• Deswegen mußte der Gr. Senat 175 der Auffassung des 1. Senats widersprechen und hat es (ungefragt und also obiter dictum) getan mit folgenden Sätzen: "Die Zahlungen beider Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes kann nicht nebeneinander verlangt werden (dafür z. B. Fitting 1 Auffarth 1 Kaiser, a.a.O. § 112 Anm.11, § 113 Anm.15; dagegen Dietz l.Richardi, a.a.O. § 113 Anm.4; offengelassen176 in BAG vom 14.9.1976 - 1 AZR 784/75 - AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972). Die sanktionsweise nach § 113 BetrVG zu gewährende Abfindung tritt in Höhe des Nachteilsausgleichs an die Stelle der Sozialplanabfindung. Wird nachträglich noch ein Sozialplan aufgestellt, der die Zahlung von Abfindungen an Arbeitnehmer für den Verlust ihres Arbeitsplatzes vorsieht, so sind nach § 113 Abs.3 i. Verb. m. Abs.l BetrVG zuerkannte Abfindungen anzurechnen (so auch Richardi, Anm. AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972)." Eine derartige Anspruchskonkurrenz (Subsidiarität) ist insbes. von

Richardi 177 schon vor Aktualisierung der konkurs rechtlichen Proble-

matik und ganz allgemein vertreten worden. Die Annahme einer solchen Gesetzeskonkurrenz setzt jedoch voraus, daß die Ansprüche aus § 113 und aus einem Sozialplan demselben Zweck: dienen. Richardi hat dies gesehen und angenommen, daß § 113 Abs. 3 trotz entgegen174 In der Entscheidung vom 17.9.1974 (AP Nr.l zu § 113 BetrVG 1972) hatte der 1. Senat die Abfindungsansprüche aus § 113 Abs. 3, die infolge Verletzung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrats durch den Konkursverwalter entstehen, als Masseschulden qualifiziert. Dem hatte auch Weitnauer zugesimmt (ZfA 1977, 142), weil dogmatisch etwas anderes nicht zu begründen war. Da der Große Senat wegen der lückenhaften Regelung zwischen Sozialplan- und Konkursregelung sich zur Rechtsfortbildung entschloß, war es richtig und notwendig, auch die Ansprüche aus § 113 Abs. 3 nur als bevorrechtigte (vor Nr. 1 des § 61 Abs. 1 KO) Konkursforderungen einzustufen, weil sonst sich das zur Zeit der Geltung des BetrVG 1952 übliche Spiel im Falle des Konkurses hätte wiederholen müssen: Betriebsrat und Arbeitnehmer hätten daran interessiert und darum besorgt sein müssen, daß der Konkursverwalter das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt, damit die Abfindungsansprüche Masseforderungen werden. 175 AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 ff. 176 Offen blieb in BAG, AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972 allerdings nur die Anrechnungsmöglichkeit, nicht die Frage der gesetzlichen (objektiv-rechtlichen) Konkurrenz. 177 Dietz 1 Richardi, BetrVG, § 112 Rdn.45; § 113 Rdn.3; ähnlich Ehmann, Betriebsstillegung, S. 70 ff. m. w. Nachw.

Der Schutzzweck des Sozialplans

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stehender Genesis keinen Sanktionscharakter mehr habe, sondern im Hinblick auf die Gesetz gewordene Sozialplanregelung seinen ur~ sprünglichen Zweck geändert und bloß noch "Sozialplanersatz" sei178• Obwohl das Ergebnis allgemein als vernünftig anerkannt und praktisch auf dem Umweg über Anrechnungsklauseln auch erreicht wurde, haben Literatur und Rechtsprechung die Begründung nicht akzeptiert, weil der Sanktionscharakter des § 113 Abs. 3 nicht aufgegeben werden sollte 178 • Im Hinblick auf meine ausführliche Darstellung des Problemstands der Konkurrenzfrage in der Schrift "Betriebsstillegung und Mit~ bestimmung", die lediglich die erst später ergangene Entscheidung des Gr. Senats 180 noch nicht berücksichtigen konnte, möchte ich hier dazu nur noch folgendes bemerken: Wenn die Abfindungen nicht nebeneinander verlangt werden dürfen, wie der Gr. Senat sagt, so sind über die Formulierung der Entscheidung hinaus nicht nur bereits zuerkannte Ansprüche aus § 113 im (späteren) Sozialplan anzurechnen, sondern auch Klagen abzuweisen, die trotz eines nach Durchführung der Betriebsänderung noch zustande gekommenen Sozialplans mit der Begründung erhoben werden, der Unternehmer habe keinen (hinreichenden) Versuch eines Interessenausgleichs unternommen. Richtig dürfte es sein, solche Klagen bei bereits vorliegenden Sozial-'plänen schon als unzulässig abzuweisen; gleiches gilt, wenn der Sozialplan zwar noch nicht zustande gekommen, das Verfahren dazu aber bereits im Gange ist. Ist das Sozialplanverfahren noch nicht im Gange, aber noch zu erwarten; so kann das Gericht gern. § 148 ZPO das Verfahren aussetzen181 • Will man dieser prozessualen Lösung nicht folgen, so müßte man die Klage jedenfalls schon deswegen abweisen, weil die Verletzung des Mitbestimmungsrechts durch den nachträglichen Abschluß des Sozialplans geheilt ist. Eine bloße Anrechnung der Leistung aus dem Sozialplan auf (höhere) Abfindungsansprüche aus § 113 Abs.3 müßte notwendigerweise zu einer (günstigeren) Ungleichbehandlung des klagenden Arbeitnehmers gegenüber den Arbeitnehmern führen, die sich mit dem - auch unter Berücksichtigung anderer Interessen ausgehandelten Sozialplan zufrieden geben l82 • Letztlich würde damit jeder Arbeitnehmer gezwungen, zusätzliche Klagen aufgrund § 113 Abs.3 178 Dietz / Richardi, § 113 Rdn.3; ders., Anm. zu BAG, AP Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972, BI. 5 R f. 179 Noch etwas unklar auch Ehmann, Betriebsstillegung, S. 70 ff. (73). 180 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972. 181 VgI. Ehmann, Betriebsstillegung, S. 77. 182 VgI. auch hierzu Ehmann, Betriebsstillegung, 8. 75 ff.

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zu erheben, womit der Zweck des Sozialplans verfehlt, seine Geschäftsgrundlage entfallen wäre, d. h. damit wäre es sinnlos, nach Verletzung des Mitbestimmungsrechts und nach Durchführung der Betriebsänderung noch einen Sozialplan abzuschließen. Das aber ist nach allgemeiner Meinung183 nicht nur möglich, sondern auch erstrebenswert, weil der Sozialplan letztlich die geeignetere Verfahrensform zum N achteilsausgleich für die betroffenen Arbeitnehmer darstellt. Dogmatisch begründbar ist die vom Ergebnis her überzeugende Entscheidung des Gr. Senats zu dieser Konkurrenzfrage allerdings nur auf der Grundlage einer Angleichung des Zwecks der Sozialplanansprüche und der Abfindungsansprüche aus § 113 Abs.3 184 • f) Volle Ausschöpfung des Verfahrens

In der unglücklichen Entscheidung vom 14. 9. 1976 185 hat der 1. Senat auch die Frage offen gelassen, ob zur Erzielung eines Interessenausgleichs vor Durchführung der Betriebsänderung das Verfahren nach § 112 Abs.1 und 2 voll auszuschöpfen ist. Wie dargestellt186, diente die entsprechende Forderung des BAG zur Zeit der Geltung des BetrVG 1952 der Konstruktion von Abfindungsansprüchen entweder aufgrund der Verletzung des Mitbestimmungsrechts oder aufgrund Abweichung von einem hochgeschraubten "Einigungsvorschlag" der Vermittlungsstelle. Anders als nach dem BetrVG 1952, wonach ein Sozialplan nur als Bedingung der Zustimmung zum Interessenausgleich und also vor Durchführung der Betriebsänderung erzwungen werden konnte187, kann aber nun nach dem BetrVG 1972 der Sozialplan nach ganz allgemeiner Meinung auch noch nach Durchführung der Betriebsänderung abgeschlossen werden188• Da das Aushandeln des Sozialplans notfalls sogar mit einer Entscheidung der Einigungsstelle zumindest einige Wochen, evtl. sogar Monate, dauern kann, hat die nachfolgende Vereinbarung des Sozialplans für Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Vorteil, daß die Betriebsänderung nicht so lange aufgeschoben werden muß, was zum Vorteil aller weitere hohe Verluste ersparen kann. Die volle Ausschöpfung des Verfahrens nach § 112 zur Erreichung eines Interessenausgleichs hätte nur einen praktischen Sinn, wenn die Einigungsstelle eine Kompetenz zur Entscheidung über den Interessenaus183

Ehmann, Betriebsstillegung, S.61 m. w. Nachw. (dort Fn. 219); jetzt auch

BAG (Gr. Senat), AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 R. 184 185 186 187 188

Vgl. dazu auch unten

ur.

BAG, AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972.

VgI. oben nach Fn. 75. VgI. oben nach Fn. 77. VgI. die Nachw. in Fn. 183.

Der Schutzzweck: des Sozialplans

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gleich hätte und/oder erst die Nichtausschöpfung des Verfahrens überhaupt Abfindungsansprüche oder zusätzliche Abfindungsansprüche (neben dem Sozialplan) gem. § 113 Abs.3 entstehen ließe. Die Einigungsstelle hat aber hinsichtlich des Interessenausgleichs nicht einmal die Kompetenz der Vermittlungsstelle des BetrVG 1952, sie kann keinen verbindlichen "Einigungsvorschlag" mehr aufstellen, von dem der Unternehmer bei Vermeidung von Ausgleichsansprüchen nicht mehr abweichen darf. Die Abfindungsansprüche aus § 113 Abs. 3 entstehen schon dann, wenn der Unternehmer vor Durchführung der Betriebsänderung keinen Versuch eines Interessenausgleichs macht. Dieser Versuch darf selbstverständlich nicht nur eine Farce sein, d. h. nicht bloß in einem unannehmbaren Angebot außerhalb billigen Ermessens bestehen189. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann bei den späteren Verhandlungen über den Sozialplan geprüft und im Falle der Verneinung in einem Zuschlag bei der Festsetzung der Höhe der Abfindungsleistungen berücksichtigt werden. Kommt kein Sozial plan zustande, kann die Frage des hinreichenden Versuchs des Interessenausgleichs im Urteilsverfahren gem. § 113 Abs.3 geprüft und entschieden werden. Nachdem schließlich durch den GT. Senat 190 noch klargestellt wurde, daß Zahlungen aus § 113 neben Sozialplanansprüchen nicht verlangt werden können, ist der mit der Forderung der vollen Ausschöpfung des Verfahrens verfolgte Zweck daher praktisch entfallen. übrig bleibt letztlich nur das Argument, daß der Betriebsrat sich in einer günstigeren Verhandlungsposition befindet, wenn der Unternehmer, der zur Vermeidung weiterer Verluste zu einer schnellen Betriebsänderung kommen will, das volle Verfahren ausschöpfen muß191. Jedoch ist dies ein Argument, das auf einem rechtswidrigen Verhalten des Betriebsrats aufgebaut ist. Die Ausnutzung der Zeitnot des Unternehmers durch Verzögerung der Mitwirkungspflicht beim Interessenausgleich verstößt nicht nur gegen die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, sondern auch gegen die Pflicht zur Beachtung des Wohls und der Interessen der Arbeitnehmer und des Betriebs, insbes. wenn durch die Betriebsänderung ein Teil der Arbeitsplätze erhalten bleiben soll. Es genügt daher, daß der Unternehmer vor Durchführung der Betriebsänderung einen hinreichenden Versuch des Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat unternimmt. 189 VgI. Ehmann, Betriebsstillegung, S. 29 f., S. 57 ff. (63). 190 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 f. 191 So insbes. Ohl (Fn. 72), S. 150; dazu Ehmann, Betriebsstillegung, S.61.

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g) Informationszeitpunkt: Rechtzeitig, nicht frühzeitig Die im BetrVG 1972 eingeführte Erzwingbarkeit eines Sozialplans hat auch die Funktion der Informationspfticht und des richtigen Informationszeitpunkts über geplante Betriebsänderungen verändert. Dies kommt auch im Wortlaut des § 111 zum Ausdruck, wo es im Unterschied zu § 72 BetrVG 1952 heißt, daß der Unternehmer den Betriebsrat rechtzeitig (nicht frühzeitig) zu unterrichten hat. Die Vorverlegung der Informationspfticht in den Raum des Frühzeitigen diente im Geltungsraum des BetrVG 1952 der Konstruktion von Abfindungsansprüchen infolge Verletzung der so überspannten Informationspfticht192 • Ein Rest dieses "Regelungszwecks" war erhalten geblieben, solange neben einem nachträglich noch zustande gekommenen Sozialplan zusätzliche Abfindungen gern. § 113 Abs. 3 für möglich gehalten wurdenNur weil der 1. Senat des BAG im Urteil vom 14.9.1976193 es trotz eines nach Durchführung der Betriebsänderung noch zustande gekommenen Sozialplans für Rechtens hielt, an drei Kläger zusammen über 100000,- DM (an einen Kläger allein 40875,- DM) gern. § 113 Abs.3 zuzusprechen, hatte es Sinn, daß er die Information des Betriebsrats erst nach einem Stillegungsbeschluß des Aufsichtsrats für verspätet erachtetel94 • Nach der Auffassung des Gr. Senats 195 über die Konkurrenz der Abfindungsregelung hätte die Klage abgewiesen werden müssen, auch wenn die Information verspätet war. Dennoch hat die Pflicht zur rechtzeitigen Information mit der Möglichkeit eines nachträglichen Sozialplans nicht jeden Sinn verloren. Obwohl das Interesse des Betriebsrats und der Arbeitnehmer bei Betriebsänderungen heute in erster Linie auf die Frage zielt, ob und in welcher Höhe es für die betroffenen Arbeitnehmer Abfindungsansprüche gibt, muß doch auch das Mitbestimmungsrecht beim Interessenausgleich noch beachtet werden I9 '. Die Verschiebung der Gewichte Am deutlichsten in BAG, AP Nr. 10 zu § 72 BetrVG 1972. AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972. 194 Vgl. meine Kritik in: Betriebsstillegung, insbes. S. 43 f.; ferner S. 70 ff.; Kritisch auch Schwerdtner, Anm. in: EzA § 113 Nr.2 und Richardi, Anm. in AP Nr.2 zu § 113 BetrVG 1972; Gamillscheg, Arbeitsrecht II, Reihe Prüfe Dein Wissen, München 1979, Fa1l444; weitgehend zustimmend jedoch Otto, SAE 1977, 284 ff. 195 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 f. 196 Richardis Auffassung (Sozialplan und Konkurs, S.28; Anm. zu BAG, AP Nr. 2 zu § 113) und die außerhalb des rechtlich noch vertretbaren liegende Entscheidung des KG v. 25.9. 1978 (DB 1979, 112) verstoßen allerdings gegen den verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG); vgl. dazu Ehmann, Betriebsstillegung, S. 49 ff.; 83 ff. Gegen den Beschluß des KG ist lediglich wegen der besonderen BerlinProblematik (vgl. BVerfGE 35, 57 = NJW 1974, 893 ff. sowie Finkeinburg, Die Bundeszugehörigkeit Berlins und die Rspr. des BVerfG in Berlin-Sachen, in: NJW 1974, 1969 ff.) keine Verfassungsbeschwerde eingelegt worden. 192

193

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zwischen Interessenausgleich und Sozialplan ist jedoch sowohl bei der Zweckbestimmung der Informationspflicht als auch bei der zur Zeitpunktbestimmung notwendigen Interessenabwägung zu beachten. Auszugehen ist jedoch stets vom Wortlaut des Gesetzes. Und wörtlich genommen heißt rechtzeitig etwas anderes als frühzeitig. Auch wer so früh wie möglich einen anderen vor einer Gefahr warnt, kann nicht rechtzeitig, sondern zu spät gewarnt haben. Andererseits kann noch rechtzeitig zum Bahnhof kommen, wer nicht frühzeitig, sondern erst nach dem Zeitpunkt der fahrplanmäßigen Abfahrt des Zuges kommt, wenn und soweit der Zug Verspätung hat. "Rechtzeitig" ist auf den tatsächlichen Ablauf eines späteren Geschehens bezogen (rechtzeItig vor .. .), "frühzeitig" ist auf den Anfang eines Geschehens bezogen197 • Nach § 66 BetrVG 1952 mußte der Arbeitgeber dem Betriebsrat "so früh wie möglich" zu erwartende Massenentlassungen mitteilen. Diese Formel ist weder in das BetrVG 1972 noch in die dem § 66 BetrVG 1952 entsprechende Vorschrift des § 17 KSchG in der Fassung vom 27. 4. 1978 übernommen worden. Das Interesse des Betriebsrats an frühzeitiger Information bleibt freilich bestehen, denn die Chance, mit seinen Argumenten Gehör zu finden, ist um so größer, je früher er in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß des Unternehmers eingeschaltet wird l98 • Diesem Interesse des Betriebsrats steht jedoch in der Regel das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmers entgegen, weil ein frühzeitiges Gerede über geplante Betriebsänderungen die Einschränkung oder Stilllegung eines Betriebes notwendig machen kann, noch ehe sie geplant oder beschlossen ist l99 • Zutreffend sagt das BAG200 daher, die Dauer der Geheimhaltung, und das heißt der Zeitpunkt der Information, sei durch eine Abwägung zu bestimmen. Welchen Interessen der Vorzug gebührt, muß nach dem Zweck der gesetzlichen Regelung entschieden werden201 • Die Informationspflicht aus § 111 dient der Vorbereitung auf die Beratungen. Verhandlungen und Entscheidungen über Interessenausgleich und Sozialplan. Schon deswegen hat es gar keinen Sinn, den Betriebsrat Monate oder gar Jahre vor der beabsichtigten Betriebsänderung zu informieren, weil in dieser Zeit sich zum Guten wie zum Schlechten die wirtschaftlichen Daten, die den Inhalt des Interessenausgleichs und Sozialplans bestimmen, ganz wesentlich ändern können202 • Vgl. Ehmann, Betriebsstillegung, S. 18 f., 22 f. Ehmann, Betriebsstillegung, S. 24 f. 199 Vgl. dazu Ehmann, Betriebsstillegung, S. 25 ff., 54 ff. 200 BA GE 23, 62 ff. (73) = AP Nr. 8 zu § 72 BetrVG 1952; dazu Ehmann, Betriebsstillegung, S. 27. 201 Ehmann, Betriebsstillegung, S. 24, 30 ff. 197 198

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Besonders zu beachten ist ferner, daß § 113 Abs.3 auf den Zeitpunkt der Durchführung der Betriebsänderung abstellt; zeitlich davor (nicht frühzeitig) muß ein Interessenausgleich versucht, und zu diesem Zweck und in diesem Sinne muß der Betriebsrat rechtzeitig (nicht frühzeitig) unterrichtet worden sein203 . Das Recht des Betriebsrats auf allgemeine und laufende Unterrichtung über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und die Personalplanung ergibt sich schon aus den §§ 80, 92, 106 Abs.l und 3 Ziff. 1 - 3 und hat gemäß und im Rahmen dieser Vorschriften zu erfolgen 204 • Erfolgt die Unterrichtung nach diesen Vorschriften ordnungsgemäß, so wird dem Betriebsrat bei der Information über eine geplante Betriebsänderung in der Regel über die Gründe dieser Betriebsänderung nichts mehr Neues gesagt zu werden brauchen. Im übrigen ergibt auch eine Analogie zu den sonstigen Informationspflichten, insbes. bei der Kündigung und Massenkündigung (§§ 102 BetrVG 1972, 17 KSchG) , daß die Unterrichtung rechtzeitig vor der Durchführung der Maßnahme und nicht frühzeitig erfolgen muß205. Ebenso wie Nikisch 208 die Vorschrift aus § 61 BetrVG 1952 (betr. Einstellungen) entsprechend für die Unterrichtung des Betriebsrats bei Kündigungen anwendete (§ 66 Abs. 1 BetrVG 1952), was dann herrschende Meinung und später in § 102 BetrVG 1972 Gesetz wurde, bietet es sich heute an, die 2-Wochen-Frist aus § 17 Abs. 3 KSchG bei Informationen gem. § 111 analog anzuwenden207 . 202 Ehmann, Betriebsstillegung, S. 49 f. 203 Ehmann (Betriebsstillegung, S. 51 ff.) mit dem Nachweis, daß auch die Formel "vor dem Beschluß" schon aus praktischen Gründen unbrauchbar ist; vgL· auch BAG, AP Nr.2 zu § 102 BetrVG 1972, dazu Ehmann, Betriebsstilllegung, s. 33. 204 Das Merkmal rechtzeitig in diesen Vorschriften kann durchaus einen verschiedenen Inhalt haben, der durch den anderen Zweck der Informationspflicht bestimmt wird. Dies wird in der Kommentarliteratur durch die übliche Verweisungstechnik verdeckt, wenn das Merkmal bei § 80 oder bei § 90 interpretiert und in den folgenden Vorschriften auf diese Kommentierungen verwiesen wird (vgl. Ehmann, Betriebsstillegung, S. 33 f.). Jedoch braucht die Informationspflicht gegenüber dem Wirtschaftsausschuß (§ 106 Abs.3 Nr.6) im Hinblick auf § 108 Abs. 4 bei Betriebsänderungen hinsichtlich desselben Gegenstands nur wenige Stunden vor der gleichartigen Pflicht gegenüber dem Betriebsrat (§ 111 S.2 Nr.l) erfüllt werden (Ehmann, Betriebsstillegung, S. 34 f.). Evtl. ist sogar bei den verschiedenen Angelegenheiten, die in § 111 S.2 Nr. 1 - 5 aufgeführt sind, zu differenzieren. Die Analyse des Textes ist streng genommen nur auf die Fälle der Nr.1 bezogen, die zu Massenentlassungen führen; insbes. in den Fällen der Nr. 5 können längere Verhandlungen notwendig sein. 205 Ehmann, Betriebsstillegung, S. 30 ff. (40). 206 Arbeitsrecht, Bd.III, 2. Aufl. 1966, S.480; dazu Ehmann, Betriebsstilllegung, S. 33. 207 Ehmann, Betriebsstillegung, S. 56 f.

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In § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG ist das Mitwirkungsrecht des Betriebsrats bei Massenkündigungen wie folgt umschrieben: "Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbes. die Möglichkeit zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken oder ihre Folgen zu mildern." Mit dieser Formulierung ist nichts anderes umschrieben als der "Interessenausgleich", den Unternehmer und Betriebsrat auch nach den §§ 111-113 versuchen müssen. Das kann auch gar nicht anders sein, denn die Massenkündigung ist in der Regel nichts anderes als die Folge der Betriebsänderung. Wenn daher der Gesetzgeber in § 17 Abs.2 und 3 KSchG für den Interessenausgleich bei der Massenkündigung wohl im Anschluß an Rumpff208 - dem Betriebsrat eine Frist von mindestens 2 Wochen zur Beratung vor Abgabe der Stellungnahme einräumt, ist es gerechtfertigt, diese Fristbestimmung entsprechend anzuwenden zur Bestimmung des für den Versuch des Interessenausgleichs bei Betriebsänderungen erforderlichen Zeitbedarfs, zumal das BAG209 nun auch die Zahlen des § 17 KSchG als Voraussetzungen einer Einschränkung i. S. d. § 111 verwendet. In dieser Frist von 2 Wochen müßten sich Unternehmer und Betriebsrat im Regelfall zusammenraufen können. Sollten schwierige und von beiden Seiten ernsthaft geführte Verhandlungen ausnahmsweise einige Zeit mehr beanspruchen, so erlauben das Blankett "mindestens" und das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit keinem Partner einen vorzeitigen Abbruch der Verhandlungen. In Not- und Eilfällen muß sogar eine größere Beschleunigung der Verhandlungen beiden Parteien zugemutet werden210 • Das Kumulationsverbot des Gr. Senats 211 hat im Ergebnis das Verfahren über den Interessenausgleich entwertet, denn wenn ein Sozialplan zustande kommt, sind die Verletzungen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats beim Interessenausgleich "geheilt"; allenfalls können derartige Verletzungen des Mitbestimmungsrechts, z. B. durch verspätete Information des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung zur Verhärtung der Verhandlungssituation beim Sozialplan führen.

208 Rumpff, Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, 2. Auft., Heidelberg 1978, S. 270 ff. 209 Entsch. v. 22.5.1979 (Fn.100), künftig: AP Nr.3 u. 4 zu § 111 BetrVG 1972 m. Anm. Ehmann. 210 Ehmann, Betriebsstillegung, S. 57. 211 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 f.

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111. Bestimmung des Schutzzweeks 1. Die sog...Theorien" über den Schutzzweck Auch Richardi!12 erkennt an, daß es "entscheidend ist, wie man den Zweck der Mitbestimmung über den Sozialplan bestimmt". Bereits in diesem einen Satz kommt zum Ausdruck, auf welch ungute Weise Richardi213 den Zweck der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten und den Zweck der Abfindungsleistungen vermischt. Verfehlt ist es m. E. aber auch, die Teilaspekte der Betrachtung des Zweckproblems durch verschiedene Autoren zu "Theorien" hochzustilisieren und zueinander in Gegensatz zu bringen; Richardi unterscheidet: Sonderopfertheorie (Beuthien 214 ), Theorie des sozialen Interessenausgleichs (Henckel 216 ), Theorie der Daseinsvorsorge (Hanau 218, Löwisch 217 , Wiedemann 218 ), Theorie des Nachteilsausgleichs (Gr. Se-

nat219, Gamillscheg220, Richardi 221 ).

Beuthien 222 meint, es sei ein "Gebot der betriebsinternen Gerechtigkeit, daß die weichenden Arbeitnehmer für das betriebliche Sonderopfer ihres Arbeitsplatzes aus der gerade dadurch erhaltenen Ertragskraft des Unternehmens entschädigt werden. Das gilt um so mehr, als in diesem Unternehmen ihr früherer Arbeitseinsatz weiterwirkt."

212 RdA 1979, 195; zur Bedeutung des sozialen Schutzzwecks für den Inhalt der §§ 111 - 113 vgI. vor allem jedoch die Nachweise in Fn. 1. 213 RdA 1979, 193 ff. 214 RdA 1976, 147 ff. (154). 215 Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 113 BetrVG 1972, in EzA § 113 BetrVG 1972 Nr.l, S.18; ähnlich Berges, Sozialplan trotz Insolvenz?, in: Festschrift für Friedrich Weber, Berlin 1975, S. 57,59 f.; Otto, SAE 1976, 24 f. 216 ZfA 1974, 89 ff. (102). 217 Galperin I Löwisch, § 112 Anm. 3. 218 Wiedemann I Willemsen, Anm. zu BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7R u. 8R. 219 AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5 R: Zugleich sollen sie jedoch auch überleitungs- und Vorsorgefunktion für die Zeit nach Durchführung der Betriebsänderung haben; vgI. oben nach Fn.90; dazu auch BAG, AP Nr.3 zu § 112 BetrVG 1972 BI. 2 R. 220 Festschrift für Bosch, S. 223. 221 RdA 1979, 196 ff.; gegen Weitnauer, der die Sozialplanansprüche als einfache Konkursforderung behandelt haben möchte, neigt Richardi dazu, den Vorwurf einer "einseitig radikalen Haltung" zurückzugeben. 222 RdA 1976, 154.

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Beuthien223 folgert daraus, daß der Sozialplan vornehmlich eine WiedeTeingliedeTungsfunktion und weniger eine Abfindungsfunktion hat: "Arbeitsplatzabfindungen in Gestalt einer umfassenden Entschädigung für den verlorenen Arbeitsplatz sind nur angebracht, wenn die im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmer begründete Aussicht haben, dort weiterhin auf Dauer gut verdienen zu können, und die weichenden Arbeitnehmer deshalb im Interesse der betrieblichen Gleichbehandlung entschädigt werden können. Dieser Gesichtspunkt versagt aber im Konkurs weitgehend, weil dann letztlich alle Arbeitnehmer entlassen werden müssen." Diese eindeutig auf den Zweck der Abfindungen (Entschädigungsleistungen) bezogenen Ausführungen Beuthiens gibt RichaTdi224 so wieder: "Zweck der Mitbestimmung über den Sozialplan ist daher, (als wörtliches Zitat) ,daß die weichenden Arbeitnehmer für das betriebliche Sonderopfer ihres Arbeitsplatzes aus der gerade dadurch erhaltenen Ertragskraft des Unternehmens entschädigt werden' ... Nach dieser "überleitenden" Veränderung vom Zweck der Abfindung zum Zweck der Mitbestimmung über den Sozialplan meint RichaTdi gegen den Sonderopfergedanken Beuthiens, damit würden Grenzziehungen in die Mitbestimmung über den Sozialplan hineingetragen, "für die sich aus §§ 111 - 113 BetrVG überhaupt kein Anhaltspunkt ergibt"226: "Die Mitbestimmung bei Betriebsänderungen (Hervorh. v. Verf.) wird nicht von einem typischen betrieblichen Sonderopfer einzelner Arbeitnehmergruppen abhängig gemacht, ... , sondern sie bezieht sich auf ,Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können', wobei die Stillegung des ganzen Betriebs ausdrücklich als beteiligungspftichtige Betriebsänderung hervorgehoben wird. ce Nach den Darlegungen unter 11. dieses Beitrags muß klargeworden sein - was auch RichaTdi nicht verkennt - daß die §§ 111 - 113 sich von einer Mitbestimmungs- zu einer Abfindungsregelung verwandelt haben. Dann aber muß auch der ,.soziale Schutzzweck der Normen" der §§ 111 -113 im Hinblick auf die Abfindungsleistungen und nicht im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht des BetTiebsrats bestimmt werden. Nicht korrekt ist es folglich, Zweckbestimmungen, die im Hinblick auf die Abfindungsansprüche getroffen wurden, mit Argumenten und Rechtssätzen widerlegen zu wollen, die dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dienen oder dazu in Bezug stehen. Dieser widersprüchliche Ansatzpunkt Richardis wird durch seine mehrfach ver223 RdA 1976, 155. 224 RdA 1979, 195. 226 RdA 1979, 195 f. 4 Festgabe für Hermann Weltnauer

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wendete Formel vom "Zweck der Mitbestimmung über den Sozialplan"226 verdeckt. Natürlich hat auch eine Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen des Konkursverwalters noch einen Sinn, eine andere Frage ist aber, ob in solchem Falle Abfindungsleistungen der Arbeitnehmer zu Lasten der anderen Konkursgläubiger noch gerechtfertigt sind. Ich will die letzte Frage hier nicht entscheiden, weil das Konkursproblem außer Betracht bleiben muß, aber klar machen, daß die Zweck- und damit die Inhaltsbestimmung der §§ 111 -113 die verschiedenen Bezugspunkte (Mitbestimmung oder Abfindung) beachten muß und nicht verwischen darf. Nicht ganz korrekt ist auch die Methode, mit welcher Richardi 227 der sog. "Theorie der Daseinsvorsorge", d. h. der Auffassung entgegentritt, die Abfindungsansprüche aus dem Sozialplan hätten mehr Wiedereingliederungsfunktion (Überleitungs- und Vorsorgefunktion) und seien "nicht vergangenheits-, sondern zukunftsorientiert"228. Schon lange hat § 74 BetrVG 1952 System der §§ 111 seinen Zweck und worden ist.

Richardi229 zutreffend erkannt, daß § 113, der aus und der Rechtsprechung dazu entstanden ist, im -113 infolge der Erzwingbarkeit des Sozialplans seinen Inhalt geändert hat, "Sozialplanersatz" ge-

Ebenso zutreffend geht Richardi230 auch davon aus, daß - nach dem Kumulationsverbot des Gr. Senats 231 - auch der Zweck der Abfindungsleistung aus einem Sozial plan und aus § 113 Abs. 3 gleichgerichtet sein muß. Diese Prämissen berechtigen aber nicht dazu, dem Sozialplan den Zweck und Inhalt aufzupfropfen, den § 74 BetrVG 1952 als Sanktionsregelung im System des alten Rechts hatte. Nach § 74 BetrVG 1952 und § 113 Abs.l BetrVG 1972 galt zur Bemessung der Höhe der Abfindung § 10 KSchG entsprechend, wonach die Abfindungen nach der Beschäftigungsdauer und dem Lebensalter zu staffeln sind. Nach herrschender Meinung 232 sollten die Ansprüche aus §§ 74 BetrVG 1952, 113 BetrVG 1972 auch dann gegeben sein, wenn die Nachteile des ArbeitVgI. insbes. RdA 1979, 195. RdA 1979, 196. 228 Wiedemann / Willemsen, Anm. zu BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 7 R f. 229 Sozialplan und Konkurs, S. 18; ebenso jetzt in: RdA 1979, 196. 230 Sozialplan und Konkurs, S. 18 f.; jetzt in: RdA 1979, 196 f. 231 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 f. 232 VgI. Ehmann, Betriebsstillegung, S.73; Hanau, ZfA 1974, 110; Böhm, Konkurrenz von Ansprüchen aus dem Sozialplan mit dem gesetzlichen Abfindungsanspruch, in: BB 1973, 1079; GK-Fabricius, § 112 Rdn.68; Kaven, Das Recht des Sozialplans, Berlin 1977, S. 66 f.; a. A. Weitnauer, ZfA 1977, 117. 226 227

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nehmers nicht die kausale Folge der Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats durch den Arbeitgeber waren. Soweit und solange man § 113 Abs.3 als Sanktionsregelung begreift, ist diese Auffassung wohl systemgerecht233 , sofern man aber wegen der Wandlung des Systems der §§ 111 -113 die Vorschrift des § 113 Abs. 3 mit Richardi als "Sozialplanersatz" versteht, muß auch diese Auffassung überprüft und revidiert werden. Keinesfalls aber ist es methodisch gerechtfertigt, im Zuge der Angleichung der Zwecke der verschiedenen Abfindungsregelungen (Sozialplan und § 113 Abs. 3) aus den alten Auffassungen zu § 113 Abs.3 (bzw. zu § 74 BetrVG 1952) den Zweck und Inhalt der heutigen Sozialpläne zu bestimmen!34. Vielmehr ist es richtig, Zweck und Inhalt des § 113 nunmehr an den Zweck und Inhalt des Smdalplans anzupassen. Nach Verordnung des Kumulationsverbots durch den Gr. Senat 235 und in Anbetracht der allgemein anerkannten Auffassung, daß ein Sozialplan auch noch nach Durchführung einer Betriebsänderung beschlossen und erzwungen werden kann!36, kann der Zweck des § 113 Abs. 3 nur noch darin bestehen, den einzelnen Arbeitnehmern die Durchsetzung eines Abfindungsanspruchs zu ermöglichen, wenn und soweit der Betriebsrat unfähig oder unwillig ist, einen Sozialplan zu erzwingen. In solchem Falle muß jeder einzelne Arbeitnehmer über § 113 Abs. 3 allein um sein Recht kämpfen. Damit ist aber noch nicht geklärt, was der Zweck der Abfindungsansprüche ist, welche Funktion sie zu erfüllen haben und nach welchen Kriterien ihr Grund und Umfang zu bestimmen ist. 2. Die Grundsätze der Praxis

a) Ober- und Unterbau Auch bei der Bestimmung des Zwecks der Abfindungsansprüche (des sozialen Schutzzwecks der §§ 111 -113) muß man sich bewußt werden, daß er weder einem "Begriffshimmel"237 entspringen noch aus der Rechtsordnung entnommen werden kann, sondern wie auch andere schuldrechtliche Zwecke aus dem Wirtschaftsverkehr hervorgeht238 • 233 Auch bei § 10 KSchG kann die Tatsache, daß der Arbeitnehmer alsbald eine andere Stelle erhielt, den Abfindungsanspruch zwar mindern, nicht aber ganz ausschließen, vgI. Hueck / Hueck, KSchG, 9. Aufl., München 1974, § 10 Rdn.9. 234 So aber Richardi, RdA 1979, 196 f.; dagegen auch Beuthien, ZIP 1980, 87. 235 AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13 f. 286 VgI. Nachweise in Fn. 183. 237 Weitnauer / Ehmann. Vorrede (S. XII), in: Kreß. Lehrbuch des Allgern. Schuldrechts, Neuausgabe Aalen 1974.

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Mehr noch als für das in einem langen geschichtlichen Prozeß entstandene Bürgerliche Recht gilt für das Arbeitsrecht, daß es aus der Natur der Verhältnisse, aus den ökonomischen, sozialen und historischen Verhältnissen entsteht, und daß nicht umgekehrt das Arbeitsrecht diese Verhältnisse schafft239 • Aufgabe des Juristen bleibt es freilich, diesen Entwicklungsprozeß zu steuern, widersprüchlichen Wildwuchs möglichst zu verhindern und für einen gerechten Ausgleich sowohl gemäß dem GZeichheitssatz als auch dem suum cuique zu sorgen. b) Die SoziaZpZanpraxis Der Gr. Senat hat - wie dargestellt - den Abfindungen sowohl Entschädigungs- als auch Wiedereingliederungsfunktion zuerkannt24o• Der 1. Senat hat dem eine Repressionsfunktion (Rückstoßeffekt) hinzugefügt241 • Diese drei Zwecke beherrschen auch die SoziaZpZanpraxis, gleichgültig, ob die Sozialpläne durch Betriebsvereinbarung oder durch Entscheidung der Einigungsstelle zustande kommen. Diese Praxis beweist auch, daß die verschiedenen Zwecke nicht in einem Theoriengegensatz oder unlösbaren Widerspruch zueinander stehen, sondern vielmehr in variabler Weise weitgehend miteinander zu vereinbaren sind. In der Regel wird die Höhe der in einem Sozialplan gewährten Abfindungen durch die Faktoren Beschäftigungsdauer (B), Lebensalter (A) und der Höhe des Bruttolohnes (L) bestimmt242 • Grundmuster ist die Formel Abfindung = a· B·A· L wobei a ein von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens abhängiger variabler Faktor ist, der z. B. im Sozialplan der EZida-Gibbs GmbH, Hamburg, vom 11. Okt. 1973243 1/50 betrug, so daß ein 50jähriger Arbeitnehmer einen Bruttomonatslohn pro Beschäftigungsjahr als Abfindung erhielt. 238 VgI. Kreß, ASchuR (Fn.237), S.37; anders als im Vertragsrecht (Kreß, S. 57) ist den Beteiligten die Bestimmung des sozialen Schutzzwecks allerdings nicht freigestellt. Das zwingt zu einer "objektiven" Zweckbestimmung. 2311 VgI. Kreß, ASchuR (Fn. 237), Vorrede, S. XXXIII; Rektoratsrede. S. XLI. 240 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 5 R. 241 Hinsichtlich des Sozialplans: Beschluß v. 22.5.1979, 1 ABR 17/77, S.18; hinsichtlich der Abfindung nach § 113 BetrVG: Urt. v. 22.5.1979, 1 AZR 848/ 76, S.17 (Fn.1; demnächst: AP Nr.3 u. 4 zu § 111 BetrVG 1972 mit Anm. Eh-

mann).

242 VgI. die wiedergegebenen Sozialpläne und Beispiele bei Ohl (Fn. 72), insbes. S. 205 ff. sowie bei Vogt, Sozialpläne in der betrieblichen Praxis, Köln 1974, insbes. S. 84 ff. 248 Berechnungsmethode dieses Sozialplans zitiert bei Ohl (Fn.72), S.88 (auch abgedruckt in: BetrR 1974, 674 ff.).

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In vielen Sozialplänen wird zusätzlich noch ein degressiver Faktor eingeführt, der für Arbeitnehmer ab einem bestimmten Alter (meist ab 57 Jahren) die Höhe der Abfindung bis zur Erreichung des Rentenalters (meist stufenweise) mindert244 • Ohl245 gibt dazu folgende Beispiele aus der Praxis: (1) "Kein Arbeitnehmer erhält als Abfindung mehr an Monatsverdiensten, als der Zahl der Monate entspricht, die er bis zum 65. Lebensjahr zurücklegen könnte248." (2) "Mitarbeiter, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, erhalten als Abfindung höchstens so viele Monatsverdienste, wie der Zahl der Monate zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Vollendung des 65. Lebensjahres entspricht, geteilt durch 224 7." Im übrigen kann als grobe Faustregel zur Zeit eine durchschnittliche Höhe der Abfindung zwischen 1/2 und 1/1 eines Bruttomonatslohns pro Beschäftigungsjahr angenommen werden248, wobei in der Regel die 57jährigen das Maximum, jüngere und ältere Arbeitnehmer gestuft weniger erhalten. Hinter den Faktoren dieser Formeln und ihrem Verhältnis zueinander stecken die dem wirtschaftlichen Verkehr und dem sozialen Leben abzulauschenden juristischen Zwecke der Abfindungsansprüche. 244 Vgl. die bei Ohl (Fn.72), S. 85 ff. aufgeführten Abfindungstabellen und Abfindungsformeln in der Dienstvereinbarung der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank - Anstalt des öffentlichen Rechts, Bonn, vom 11. Juli 1974; im Sozialplan der Merkel & Kienzlin GmbH, Eßlingen, vom 9. Juni 1970; im Sozialplan der Adretta-Werke GmbH vom 13. Nov.1973 (abgedruckt in: manager-magazin 1974, 29 f.). Beim Sozialplan der Rheinstahl AG Hanomag Baumaschinen Werk Hannover v. 26. Aug. 1972 (abgedruckt bei Ohl, S. 205 ff.) richten sich die Leistungen für die Arbeitnehmer vom vollendeten 59. Lebensjahr an nach der Betriebsvereinbarung über die "Regelung der vorzeitigen Pensionierung älterer Belegschaftsmitglieder" vom 30. Mai 1972. 245 Sozialplan (Fn.72), S.93. Nach einem Bericht der FAZ v. 28.2.1980 wurde im Sozialplan der Hoesch AG (über 65 Mio. DM) zum erstenmal die sog. stahltypische Regelung angewandt, wonach Arbeiter beim Ende des 55. Lebensjahres mit 93 Prozent ihrer bisherigen Nettobezüge ausscheiden können. Dies wird nach einer Vereinbarung in der Europäischen Gemeinschaft durch Aufstockung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe sowie durch zusätzliche Leistungen der Montanunion möglich. Auch die spätere Werksrente wird so aufgestockt, als ob die vorzeitig in den Ruhestand getretenen Arbeitnehmer bis zum 63. Lebensjahr gearbeitet hätten. 246 Ohl (Fn. 72), S. 93, Fn. 36: Aus dem Sozialplan der Ratinger Papierfabrik Wilderich Graf Spee vom 30. Sept. 1971. 247 Ohl (Fn. 72), S. 93, Fn. 37: Aus dem Sozialplan der Adretta-Werke GmbH vom 13. Nov. 1973. 248 Vgl. neben den unter Fn.244 genannten Sozialplänen, die bei Ohl (Fn. 72), S. 85 ff. wiedergegebenen Abfindungstabellen und Abfindungsformeln des Sozialplans der Mobil Oil AG, Hamburg, vom 9. Sept. 1974 (auch abgedruckt in: BetrR 1974, 693 ff.); des Sozialplans der Elida-Gibbs GmbH, Hamburg, v. 11. Okt. 1973 (auch abgedruckt in BetrR 1974, 674 ff.); des Sozialplans der Phrix-Werke AG, Hamburg, v. 2. Sept. 1970.

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Horst Ehmann c) Der Faktor Beschäftigungsdauer

Der Faktor Beschäftigungsdauer steht für die Entschädigungsfunktion der Abfindungen. Daß derjenige, der länger in einem Betrieb beschäftigt ist - ohne Rücksicht auf die Dauer seiner künftigen Arbeitslosigkeit oder das Ausmaß seiner sonstigen Nachteile - eine entsprechend der Dauer der Betriebszugehörigkeit höhere Abfindung erhält, kann nur mit dem Entgeltcharakter der Abfindungen, d. h. damit erklärt werden, "daß der Arbeitnehmer durch seine Arbeitsleistung einen Beitrag für den Erfolg des Unternehmens geleistet hat, der mit dem Arbeitsentgelt nicht abgegolten ist" (Richardi 249 ). Ein so ausgestalteter, von solchem Faktor bestimmter Abfindungsanspruch "kann nur aus dem Arbeitsverhältnis abgeleitet werden" (Weitnauer 250 ); er ist ein "aus dem Arbeitsverhältnis entspringender, letztlich individual rechtlicher Anspruch" (Weitnauer 251 ). Der Faktor Beschäftigungsdauer ist ferner Ausfluß des Gedankens, daß der Wert des "Rechts am Arbeitsplatz" ebenso wie die Länge der Kündigungsfristen mit den Jahren anwächst. Auch in den länger werdenden Kündigungsfristen kommt in erster Linie zum Ausdruck, daß in dem Unternehmen ein größerer Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers weiterwirkt252, denn sonst müßte die Länge der Kündigungsfrist statt mit der Beschäftigungsdauer in erster Linie mit dem Lebensalter ansteigen. d) Die Faktoren Lebensalter und Arbeitslosigkeit

Der Faktor Lebensalter steht vor allem für die Wiedereingliederungsfunktion der Abfindungsleistungen. Ältere Arbeitnehmer haben es bekanntlich viel schwerer, wieder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden als jüngere; sie sind meist auch wegen der familiären Bindungen und der Bindung der Familienmitglieder (Arbeitsplatz der Frau, Schule der Kinder) weniger mobil. Das rechtfertigt es, aus "sozialen Gründen" den älteren Arbeitnehmern ohne Widerspruch zu dem hinter dem Faktor Beschäftigungsdauer stehenden Zweck (Entschädigungszweck) eine höhere Abfindung zuzubilligen. In gewissem Widerspruch zum Entschädigungszweck gerät jedoch der in vielen Tarifverträgen enthaltene degressive Faktor des Lebens249 Sozialplan und Konkurs, S. 13 f.; ders., RdA 1979, 197; vgl. auch oben nach Fn. 20. 250 ZfA 1977, 126. 251 ZfA 1977, 131. 252 Vgl. Beuthien, RdA 1976, 154.

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alters253 • Ein über 57jähriger Arbeitnehmer hat, wenn er älter wird, nicht weniger durch den Lohn nicht abgegoltene Arbeit für das Unternehmen geleistet als ein jüngerer Arbeitnehmer mit gleicher Beschäftigungsdauer. In noch schärferem Widerspruch steht der degressive Faktor zu den aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers abgeleiteten Begründungen der Abfindungsansprüche. Wenn gesagt wird, der Arbeitsvertrag befinde sich nicht im rechtlichen Gleichgewicht, weil er in die Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers einwirkt, die prinzipiell nicht veräußerlich ist254 , so müßte dies eigentlich doch auch für Arbeitnehmer gelten, die über 57 Jahre alt geworden sind. Dieses unveräußerliche Persönlichkeitsrecht wird doch ab diesem Alter nicht weniger wert! Es ist klar, daß dies auch niemand behaupten will - schon gar nicht die genannten Vertreter dieser Auffassung -, vielmehr ist der mit der Annäherung an das Rentenalter "im Sauseschritt"255 wegfallende Wiedereingliederungszweck der Rechtsgrund dieses degressiven Faktors. Die Tatsache, daß der ältere Arbeitnehmer mit Erreichung der Altersgrenze von der Sozialversicherung, evtl. noch durch ein betriebliches Altersruhegeld versorgt wird, soll den teilweisen Verlust des Abfindungsanspruchs rechtfertigen. Diese Erwägungen sind weder unvernünftig noch unsozial, aber sie stehen im Widerspruch zu der Rechtslage der jüngeren Arbeitnehmer, die sofort oder ohne längere Zwischenzeit wieder einen Arbeitsplatz finden, aber grundsätzlich keine Kürzung ihrer Abfindungsansprüche hinnehmen müssen, obwohl auch in diesen Fällen der Wiedereingliederungszweck wegfällt256 oder die überbrückung durch Arbeitslosengeld257 in Höhe von 68 % des Nettogehalts in einer der Durchschnittsrente entsprechenden Höhe gewährleistet ist. Nur wenn einem infolge einer Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmer im selben Unternehmen ein entsprechender Arbeitsplatz angeboten wird, läßt die Rechtsprechung 258 einen Wegfall bzw. eine Kürzung der Abfindungen zu. 253

Vgl. oben um Fn. 244 - 247.

254 So Richardi, RdA 1979, 198 im Anschluß an Batlerstedt, Probleme einer

Dogmatik des Arbeitsrechts, RdA 1976, 8. 255 Vgl. Wilhelm Busch, Tobias Knopp, III. Teil, Julchen: "Einszweidrei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit." 25& Entfallen können bei erfolgter Wiedereingliederung jedoch Nebenleistungen der Sozialpläne wie die bei Arbeitslosigkeit, Umschulungsmaßnahmen oder Einkommensminderung auf einer neuen Stelle gewährten überbrückungsbeihilfen (auch als Verdienstausgleich, Anpassungshilfen usw. bezeichnet), vgl. dazu Ohl (Fn. 72), S. 93 f. 257 Eine Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld kommt in der Regel nicht in Betracht, vgl. § 117 AFG.

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Die aus der angeführten Entscheidung des BAG von Wiedemann I Willemsen 259 gezogene Verallgemeinerung, der Begriff des Arbeitsplatzes und demzufolge des Arbeitsplatzverlustes seien nicht konkretunternehmensbezogen, sondern abstrakt-arbeitnehmerbezogen, ist vom Gr. Senat des BAG260 nicht akzeptiert worden. Das Gericht hat unter Hinweis auf die Sozialplanpraxis vielmehr ausdrücklich gegenteilig entschieden: "Es ist denkbar, daß einzelne Arbeitnehmer infolge alsbaldiger anderweiter Arbeitsaufnahme überhaupt keinen wirtschaftlichen Nachteil haben oder sich sogar verbessern. Gleichwohl ist es zulässig und wird es auch praktisch vielfach so gehandhabt, daß in Sozialplänen pauschaliert und u. U. gestaffelt (u. a. nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit) Abfindungen gewährt werden, die einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes darstellen sollen und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der einzelne Arbeitnehmer tatsächlich einen wirtschaftlichen Nachteil erlitten hat. Auch eine solche, durch den Sozialplan geregelte pauschalierte Abfindung soll den Verlust des Arbeitsplatzes ausgleichen, der in diesen Fällen ohne Nachprüfung im Einzelfall als ausgleichsbedürftiger wirtschaftlicher Nachteil gewertet werden kann." Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der Wiedereingliederungszweck grundsätzlich hinter dem Entschädigungszweck zurücktritt. Ausnahmsweise Vorrang wird dem Wiedereingliederungszweck beigemessen, wenn ein infolge einer Betriebsänderung entlassener Arbeitnehmer im gleichen Unternehmen einen gleichwertigen Arbeitsplatz erhalten kann und - zumindest teilweise - bei älteren Arbeitnehmern, die sich bereits dem Rentenalter nähern. Die erste Ausnahme kann noch mit dem Entschädigungszweck harmonisiert werden, wenn man den Arbeitsplatzverlust nicht betriebsbezogen, sondern unterneltmensbezogen260a begreift. Die zweite Ausnahme steht jedoch in unlösbarem Widerspruch zum Entschädigungszweck und seinen Rechtfertigungen. Auf der Basis dieser Rechtfertigungen ist der degressive Faktor Ausdruck des Gedankens, daß der Arbeitsplatz eines älteren Arbeitnehmers ohne Rücksicht darauf, in welchem Umfang und wie lange dieser seine Arbeitskraft in den Betrieb eingebracht hat, an Wert verliert und schließlich nichts mehr wert ist, wenn der Arbeitnehmer sich dem Rentenalter nähert und schließlich in den altersbedingten Ruhestand tritt. Auf der Basis des Gedankens, mit den Abfindungsleistungen die menschliche Würde der Arbeitsleistung an258

BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972 mit tiefgründiger Anm. von Wiede-

mann / Willemsen.

Anm. zu BAG, AP Nr. 3 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 8 R. AP Nr.6 zu § 112 BetrVG 1972, BI. 13; neben Wiedemann / WiHemsen waren damit auch die Auffassungen von Weitnauer (ZfA 1977, 117) und Galperin / Löwisch, § 112 Rdn. 3 enthört worden. 260a Vgl. LAG Düsseldorf, DB 1980,213; dazu oben um Fn.97. 259

260

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zuerkennen, ist der degressive Faktor die stufenweise Aberkennung der Menschwürde und des Persönlichkeitsrechts für Arbeitnehmer, die sich dem Rentenalter nähern. e) Der Faktor Bruttolohn Der Faktor Bruttolohn steht für die Anerkennung des Leistungsprinzips auch in den Abfindungsleistungen und damit letztlich auch

wieder auf der Grundlage der Anerkennung der in den Betrieb investierten Arbeitskraft des Arbeitnehmers. 1) Der variable Faktor a

Der variable Faktor a bildet in erster Linie das Maß für den Wert der von den Arbeitnehmern in den Betrieb investierten, aber nicht ausbezahlten und im Betrieb noch erhaltenen Arbeitskraft. Zugleich bildet dieser Faktor aber auch das Druckmittel des Betriebsrats und steht für die Repressionsjunktion, die das BAG dem Betriebsrat zum Ausgleich für sein unvollkommenes Mitbestimmungsrecht bei den Betriebsänderungen eingeräumt hat, damit zur Sicherung der "sozialen Belange" der Belegschaft die "unternehmerisch-wirtschaftlichen Entscheidungen ggf. auch mit entsprechenden finanziellen Belastungen für das Unternehmen verbunden sind"281. Gegen diese Repressionstechnik sind sowohl marktwirtschaftliche als auch verfassungsrechtliche Bedenken berechtigt. Wenn die marktwirtschaftliche Ordnung sowie die unternehmerische Freiheit und Verantwortung ein echtes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Entscheidung über Betriebsänderungen verbieten - was allgemein anerkannt ist - so müssen sie auch die mittelbare Erreichung desselben Zwecks durch Aufstellung und Erzwingung untragbarer Sozialpläne verbieten262 . Das marktwirtschaftliche System wird zerstört, wenn Arbeitsplätze nur deswegen erhalten bleiben, weil die Sozialpläne auch auf einen Zeitraum von mehreren Jahren für die Unternehmer teurer sind als die Personalkosteneinsparungen infolge der beabsichtigten Entlassungen. Es ist verständlich, daß die Unternehmer (z. Z. z. B. die Adam Opel AG, Werk Rüsselsheim) versuchen, den Personalüberhang zur Vermeidung von teuren Sozialplänen durch Kurzarbeit abzubauen. Im Ergebnis muß dann doch die Bundesanstalt für 281 Beschluß v. 22.5.1979, 1 ABR 17/77, S.18 (Fn. 1). 282 Anderenfalls würde die Auferlegung solcher Geldleistungspflichten, die über "einen verhältnismäßig geringen Umfang hinaus" (BVerjGE 37, 131) gehen, wohl auch nach der Auffassung des BVerjG (vgl. BVerjGE 26,315; 36, 400; 37, 131) gegen Art. 14 GG verstoßen; vgl. zu der Problematik auch Weitnauer, ZfA 1977, 122 f. sowie Schwerdtner, ZfA 1977, 68. Vgl. oben Fn. 106, 141.

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Arbeit über das Kurzarbeitergeid und letztlich die Arbeitgeber und Arbeitnehmer anderer Unternehmungen die soziale Last der gegen den Markt erhaltenen Arbeitsplätze tragen. Gegenüber dieser Praxis erscheint es markt- und systemgerechter, die Leute zu entlassen, Arbeitslosengeld (statt Kurzarbeitergeid) zu zahlen, und auch die Abfindungen sozialversicherungsrechtlich statt durch den Arbeitgeber über die Bundesanstalt für Arbeit zu finanzieren. Das soll keine Kritik sein an der Formulierung der Repressionsfunktion der Sozialpläne durch den 1. Senat des BAG263. Im Gegenteil muß anerkannt werden, daß der 1. Senat damit einen die Sozialplanpraxis beherrschenden Zweck deutlich gekennzeichnet hat264• Jeder Unternehmer muß heute vor der Entscheidung über eine Betriebsänderung sorgfältig durchrechnen, in welchem Verhältnis die Personalkostenentlastung der geplanten Entlassungen zu den Kosten des dann fälligen Sozialplans steht. g) Sätze in den Widerspruch Freilich kann eine bedenkliche Sozialplanpraxis noch kein Recht schaffen, jedoch der Sprung vom Sein zum Sollen ist im Arbeitsrecht oft nur ein kleiner Satz - ein Nebensatz, ein obiter dictum bloß der Arbeitsgerichte. Nach Verstreichen der Monatsfrist des § 93 BVerfGG entsteht schnell die allgemeine überzeugung, daß eine durch die Rechtsprechung des BAG akzeptierte, an sich bedenkliche Praxis Rechtens sei. "Eine Woche ist im Arbeitsrecht eine lange Zeit266 ." Es liegt in der Natur der Sache, daß so viele schnelle, kurze Sätze sowohl im technischen Detail als auch im Prinzipiellen in Widerspruch zueinander geraten müssen. In weJchem Maße dies bei der schrittweisen Verwandlung des Mitbestimmungsrechts in wirtschaftlichen Angelegenheiten in ein Institut für Abfindungsrecht geschehen ist, habe ich vorstehend dargelegt. Zu Recht meint daher auch Schwerdtner266, daß eine Reform des diffus gewordenen Abfindungsrechts dringend geboten ist; er verweist dazu auf eine von Säcker betreute Dissertation von Görg 267 , in welcher eine Entschädigung für jeden unverVgl. Fn.241. Wenngleich das Ziel seiner Ausführungen, zu begründen, daß die Sozialpläne und § 113 Abs. 3 BetrVG nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen, nicht erreicht wurde, vgl. oben nachFn. 137. 266 Kahn-Freund, zitiert bei GamiUscheg, Arbeitsrecht I, 5. Auf!. 1979, Vorwort. 266 Anm. in Jura 11/79, ZR, BetrVG, § 112, 1. 267 Entschädigung bei unverschuldetem Verlust des Arbeitsplatzes (Schriften z. Wirtschafts- u. Arbeitsrecht Bd. 5), Königstein/Ts.1979. 263 284

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schuldeten Verlust eines Arbeitsplatzes und letztlich eine Umwandlung der Arbeitsverhältnisse in Gesellschaftsverhältnisse gefordert wird. In welche Richtung soll also die Reform gehen und auf welche Weise soll sie verwirklicht werden? Durch den Gesetzgeber oder das BAG oder durch die Tarifvertragsparteien oder durch Betriebsvereinbarungen? IV. Ausblick: Vorwärts oder rückwärts? 1. Idealtypen und Regelungsebenen

Idealtypisch gibt es in unserer Privatrechtsordnung zwei rechtliche Grundformen, in denen die in einem Unternehmen erbrachten persönliChen Arbeitsleistungen rechtlich erfaßt werden können: den gegenseitigen Dienstvertrag, meist in der besonderen Gestalt des Arbeitsvertrags, und den Gesellschaftsvertrag268 • In der Realität unserer Arbeits- und Wirtschaftsordnung wird die ganz große Masse (wohl über 99 %) aller Arbeitsleistungen aufgrund von Arbeitsverträgen erbracht. Dies ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses, in welchem sich der Arbeitsvertrag als Sonderform des Dienstvertrags aus der Dienstrniete und diese aus der Sklavenmiete, jedenfalls aus der römischen locatio conduetio operis et operarum entwickelt hat269 • Der mangelnde soziale Schutz der Dienstrniete und des Dienstvertrags hat die Entwicklung des Arbeitsrechts als Sonderrecht der Arbeitnehmer erforderlich gemacht. Der Ausbau des arbeitsrechtlichen Schutzes ist jedoch auf verschiedenen Ebenen entwickelt worden: Durch den Aufbau einer mächtigen rechtlich geschützten (Art. 9 Abs. 3 GG) Gewerkschaftsbewegung in Verbindung mit einem wirksamen Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht; durch das Betriebsverfassungsrecht und das Mitbestimmungsrecht auf Unternehmensebene; nicht zuletzt durch die Gesetzgebung auf dem Felde des Individualarbeitsrechts (z. B. Kündigungsschutzgesetz, Mutterschutzgesetz, Lohnfortzahlungsgesetz, U rlaubsgesetz ete.) und des Sozialversicherungsrechts (Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung).

268 Vgl. Löwisch, Mitbestimmung und Arbeitsverhältnis, in: Mitbestimmung - Ordnungselement oder politischer Kompromiß, 2. Aufl., Stuttgart 1973, S. 139. 269 Vgl. dazu Mayer-Maly, Locatio conduetio, Wien 1956; ders., Römische Grundlagen des modernen Arbeitsrechts, in: RdA 1967, 281 ff.; Horst Kaufmann, Die altrömische Miete, Frankfurt, Graz 1964.

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Horst Ehmann 2. Konkurrenzen und Kumulationen von Sc:hutzprinzipien

Gewissermaßen zwangsläufig und unvermeidlich hat diese Art der Entwicklung des Arbeitsrechts zu einer überlagerung und Kumulation von Schutznormen und Schutzprinzipien sowie darüber hinaus insbesondere durch die Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetze - zu einer Verwischung zwischen Arbeits- und Gesellschaftsverhältnis als rechtlichen Grundformen der Arbeitsleistungen geführt. Viele Beispiele ließen sich nennen, wenige nur seien genannt. Eine der ältesten und bekanntesten Konkurrenzen verschiedener Schutzsysteme besteht zwischen der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers und dem Krankengeldanspruch gegen die Kranken- und Unfallversicherungsträger 27o. Eine besondere Mischung der beiden Systeme enthält § 14 MuSchG. Ähnlich, aber etwas moderner, ist das Konkurrenzsystem zwischen Betriebsrisikolehre und dem Kurzarbeitergeid gem. §§ 70, 116 AFG i. V. m. der Neutralitätsanordnung der Bundesanstalt für Arbeit; verstärkt wird dieser Konkurrenzkonflikt durch den in jüngster Zeit unternommenen Versuch, die Rechtsfolgen der Betriebsrisikolehre von einer Zustimmung der Betriebsräte gem. § 87 Abs.l Nr.3 abhängig zu machen, womit das Streikrecht der Gewerkschaften durch die Macht der Betriebsräte verstärkt würde 271 . § 25 KSchG versucht seit langem, das gesetzliche Kündigungsschutzrecht in Einklang zu bringen mit den Paritätserfordernissen des Arbeitskampfrechts 272 . Im Verfahren um die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes vom 14. Mai 1976 ist u. a. auch geltend gemacht worden, das "Nebeneinander und mögliche Zusammenspiel von Unternehmensmitbestimmung und betrieblicher Mitbestimmung (insbes. gem. §§ 111 bis 113 BetrVG 1972) bewirke eine ,Kumulation' der Mitbestimmungsrechte"273. Das BVerfG hat diesen Einwand mit unzureichender Be270 Vgl. die Notverordnungen vom 26.7.1930 (RGBl I, 311), v. 1. 12. 1930 (RGBl I, 518) und v. 5.6.1931 (RGBl I, 279); dazu Ehmann, Gesamtschuld,

S. 257 f.

271 Vgl. dazu Ehmann, Betriebsrisikolehre und Kurzarbeit (Schriften zum Sozial- u. Arbeitsrecht, Bd. 44), Berlin 1979. 272 Vgl. insbes. SeiteT, Streikrecht und Aussperrungsrecht, Tübingen 1975, S. 319 ff. 273 Vgl. dazu Badura I RittneT I Rüthers, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz (Kölner Gutachten), München 1977, S. 98 ff. (126) sowie die Erwiderung bei KübleT I Schmidt I Simitis, Mitbestimmung als gesetzgebungspolitische Aufgabe, Zur Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes 1976 (Frankfurter Gutachten), Baden-Baden 1978, S. 176 ff. (180 f.); bezüglich der §§ 106 ff. BetrVG vgl. insbes. Auffarth, Zur Bedeutung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 für eine paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmerebene, in: RdA 1976, 2 ff.; ferner ETdmann, Die Bedeutung der Mitbestimmung des

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gründung und in offensichtlicher Verkennung der Bedeutung der §§ 111 -113, insbes. des dargestellten Repressionszwecks der Sozialpläne, zurückgewiesen274 . Weitaus zweifelhafter und noch heftiger umstritten war jedoch die Vereinbarkeit des Mitbestimmungsgesetzes mit der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie (Art. 9 Abs.3 GG)275. Schon in der Literatur276 zum Biedenkopj-Bericht 277 ist schließlich bemerkt worden, daß die unternehmerische Mitbestimmung, insbes. eine paritätische Mitbestimmung, zu einem Umschlagen der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vom Arbeitsverhältnis in eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung führen muß278. Löwisch meint sogar, die Entscheidung der Biedenkopj-Kommission gegen die Parität beruhe letztlich auf der erkannten Unverträglichkeit der paritätischen Beteiligung "mit dem auf der Grundlage des Arbeitsvertrags als Austauschvertrag konzipierten geltenden Arbeitsrecht"279. Betriebsrats für die unternehmerische Entscheidung: Der Weg zur Überparität, in: RdA 1976, 87 ff. 274 VgI. BVerfG, AP Nr.1 zu § 1 MitbestG, BI. 11 f. mit Anm. Wiedemann (insbes. BI. 31 f.); weitere Nachweise über Auseinandersetzungen mit dem Urteil des BVerfG bei Wiedemann, BI. 28 R. 275 VgI. BVerfG, AP (Fn.274), BI. 23 R ff.; Wiedemann (Anm. BI. 33 R ff.) stellt zu der Begründung des BVerfG fest, daß die knappen Sätze der Bedeutung dieser Problematik und dem wissenschaftl. Erkenntnisstand nicht gerecht werden (BI. 35); vgI. insbes. ZöHner / Seiter, Paritätische Mitbestimmung und Art. 9 Abs.3 GG, in: ZfA 1970, 97 ff. Zur Nichtberücksichtigung des wiss. Schrifttums (außer den vorgelegten Gutachten) treffend Wiedemann, BI. 28 R. 276 Löwisch, Mitbestimmung und Arbeitsverhältnis (Fn. 268), S. 131 ff. (139 ff.). 277 BT-Drucks. VI/334. Im Bericht (insbes. Teil IV, Nr. 6 f.) wird allerdings nur darauf hingewiesen, daß der Arbeitnehmer nach geltendem Recht nicht Gesellschafter, sondern Gläubiger einer Lohnforderung auf Grund eines gegenseitigen (Arbeits-)Vertrags ist. Der Gegensatz der Idealtypen Gesellschafts- und Arbeitsvertrag ist damit genau erkannt und die daraus gezogenen Folgerungen von Löwisch sind wohl berechtigt. 278 Das BVerfG läßt auch diesen Gesichtspunkt außer Betracht; unter B IV, 2 c der Gründe (AP, BI. 25 R) wird lediglich die Frage der "Arbeitgebereigenschaft" unter dem Gesichtspunkt der "Gegnerunabhängigkeit" erörtert. Vgl. auch Kölner Gutachten, S. 197 ff.; im Frankfurter Gutachten heißt es: "Die Mitbestimmung mag den Arbeitnehmern die Möglichkeit eröffnen, am unternehmerischen Entscheidungsprozeß zu partizipieren, sie hören aber deshalb nicht auf, Arbeitnehmer zu sein, ebensowenig wie das Unternehmen seine Arbeitgeberposition preisgibt. Beide sind infolgedessen mit oder ohne Mitbestimmung ,Gegner' und damit vollauf zum Abschluß von Tarifverträgen berechtigt." Die tieferliegende Problematik bleibt damit verkannt und unberührt, vgl. Nell-Breuning, Unternehmensverfassung, Festschrift für Kronstein, Karlsruhe 1967, S. 54 f.; Th. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, Berlin 1969, insbes. S.153 ff.; ferner Görg (Fn.267), S. 95 f. und die dort gegebenen weiteren Nachweise. 279 Löwisch (Fn.268), S. 149 f.

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Auf die Konkurrenz zwischen den Abfindungsleistungen und dem Arbeitslosengeld, die in § 117 AFG eine problematische, aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 12. 5. 1976 280 geänderte Regelung erfahren hat, ist in den vorstehenden Ausführungen bereits mehrfach hingewiesen worden. Schließlich besteht zwischen den Abfindungsleistungen und den betrieblichen Altersruhegeldern eine nahe Verwandtschaft, die sich nur durch den verschiedenen Grund (betriebsbedingt oder altersbedingt) des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Betrieb unterscheidet und im degressiven Faktor einiger Sozialpläne281 - wie dargestellt eine problematische (Teil-)Konkurrenzregelung erfahren hat. 3. Umwandlung zum Gesellsdtaftsverhältnis

Mit der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen würde die Umwandlung des Arbeitsverhältnisses in ein Gesellschaftsverhältnis vollzogen werden, die zwar den erreichten sozialen Schutz des Arbeitsrechts erhalten könnte und auch die dargestellte Kumulierung der Schutzprinzipien weitgehend vermeiden, aber doch einen Umbau des ganzen, insbes. des kollektiven Arbeitsrechts zur Folge haben müßte. Gemäß den öffentlichen Äußerungen der Meinungsführer der im Bundestag vertretenen politischen Parteien ist es nahezu unstreitig, daß dieser "dritte Weg zwischen Großkapitalismus und Bürokratieherrschaft"282 nicht nur aus sozialen Erwägungen gegangen werden sollte. Doch nahe beieinander wohnen die Gedanken und hart im Raume stoßen sich die Dinge. Die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht nur am Sagen (Mitbestimmung), sondern auch am Haben (Vermögensbeteiligung)283 würde den Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital weitergehend als eine bloße Mitbestimmung abbauen, die Mitverantwortung der Arbeitnehmer-Gesellschafter durch ihre Mithaftung stärken, dem Leitziel der Einheit von Herrschaft und Haftung wieder näher kommen, dadurch auch die Mitbestimmung besser rechtfertigen, der Entfremdung der Arbeitnehmer entgegenwirken, ihr Interesse an der eigenen Arbeitsleistung verstärken, nicht zuletzt auch die Kapitalausstattung mitt280 AP Nr. 1 zu § 117 AFG. 281 Vgl. oben um Fn.245. 282 So Rosenthal (Fn. 283), an dessen Porzellan unternehmen die ArbN mit 12,4 Ofo beteiligt sind; zur Herkunft der Zauberformel vom "Dritten Weg" vgl. Utz, Zwischen Neoliberalismus und Neomarxismus - Die Philosophie des Dritten Weges -, Köln 1975, S. 11 ff. 283 So der SPD-Abg. Rosenthal am 22. 6. 78, BT-Sten.Bericht 8/7939.

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lerer und kleiner Unternehmen und damit ihre Investitionskraft verbessern und vor allem unser freiheitliches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem festigen. Trotz dieser fast allgemein anerkannten Vorzüge einer derartigen wirtschaftlichen Beteiligung und rechtlichen Erfassung der Arbeitnehmer und ihres Rechtsverhältnisses zum Unternehmer, in der nicht nur das System der Altersruhegelder und der Abfindung, sondern der große Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital überhaupt weitgehend "aufgehoben" würde, hat der gesetzliche Abbau der steuerlichen Hemmnisse und die Erweiterung förderungsfähiger Anlageformen im Vermögensbildungsgesetz zum Zwecke der Verstärkung der Anreize zur freiwilligen Schaffung solcher Beteiligungen der Arbeitnehmer am Produktivvermögen heute praktisch keine Verwirklichungschance. Denn die Gewerkschaften sind dagegen! Die Gewerkschaften wollen überbetriebliche Fonds, sie wollen keinen Abbau, sondern eine Stärkung ihrer Macht284 ! Der SPD-Abgeordnete Rosenthal 285 sagte im Deutschen Bundestag am 22. Juni 1978: "Es gibt bei manchen Gewerkschaften ein echtes Vorurteil, das hier hineinspielt, daß die Vermögensbildung evtl. die Solidarität mit den Gewerkschaften verhindern könnte.... Jeder von Ihren Gewerkschaftern, der mit der Materie vertraut ist, kann mir - wenn er ehrlich ist - doch nicht sagen, daß die Gewerkschaften - selbst wenn sie willig sind, wie z. B. die IG Bau und die IG Chemie - auf diesen Ihren Vorschlag eingehen können." Der SPD-Abgeordnete R app286 ergänzte diese Bemerkung seines Parteifreundes Rosenthal in derselben Debatte wie folgt: "Dabei ist doch schon im Lichte der bisherigen vermögenspolitischen Erfahrungen völlig klar, daß die mit dem vorliegenden Entwurf angestrebte Erweiterung der Produktivvermögensbildung der Arbeitnehmer nur und erst dann einen breiten Durchbruch erzielen kann - den ich wünsche wenn die Gewerkschaften sie zu ihrer tarifpolitischen Sache machen. Dies aber wird man schwerlich mit Modellen erreichen können, bei denen ... der Verdacht oder jedenfalls die Befürchtung erst noch ausgeräumt werden muß, das Ganze laufe auf Betriebsegoismen und damit auf die Schwächung der Gewerkschaften (Hervorh. v. Verf.), auf die Beeinträchtigung der Einheitlichkeit ihrer Willensbildung und der Geschlossenheit ihrer Aktionen hinaus. Das, was ich eben sagte, hat nun mit Klassenkampfdenken (Hervorh. v. Verf.) überhaupt nichts zu tun, was leicht zu, beweisen wäre." 284 Ebenso MüHer-Vogg (Stillstand ist nicht immer Rückschritt, in: FAZ v. 9.2.1980, S.15): "Den Gewerkschaften geht es um die Macht; über die Fonds wollen sie ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten ausweiten." 286 BT-Sten. Bericht, 8/7941. 286 BT-Sten. Bericht, 8/7949.

Horst Ehmann Auch die SPD mußte bei dieser Debatte also einräumen, daß die Gewerkschaften - zumindest auf diesem Felde - ganz entsprechend der Hayekschen Analyse287 nicht mehr die Förderer, sondern die mächtigsten Bremser des sozialen Fortschritts sind. Die Diskussion dieses Gesetzentwurfs wäre für die SPD288, die für sich immer noch in Anspruch nimmt, in erster Linie die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten, jedoch nicht nur hochnotpeinlich und niederschmetternd, sondern vernichtend geworden, wenn sie nicht hätte darauf hinweisen können, daß Franz Josef Strauß bei seinem Sonthofener Rundumschlag sich zu dieser Sache so geäußert haben soll: "Eine der dümmsten Vorstellungen, die man haben kann, den Arbeitnehmer am Produktivkapital unbedingt beteiligen zu müssen '" Das hindert aber die Vermögenspolitiker a la Pieroth nicht daran, Beteiligungen am Produktivkapital zu verlangen289."

4. Ausbau des Abfindungsremts Ein Umschlagen der Arbeitsverhältnisse in Gesellschaftsverhältnisse und ein weitgehend ähnliches Ergebnis wie durch die Beteiligungsmodelle kann jedoch auch durch einen weiteren Ausbau des Abfindungsrechts kraft Richterrechts erfolgen. Auffallend ist, daß schon heute die Gewinnzuweisungen in den bereits verwirklichten Beteiligungsmodellen der Höhe nach den in Sozialplänen gewährten Abfindungsleistungen weitgehend entsprechen. Pro Kopf und Jahr erhalten die Arbeitnehmer-Gesellschafter gleichfalls etwa einen Brutto-Monatslohn zugewiesen. Beim SPIEGEL-Verlag besitzt z. B. ein einzelner SPIEGEL-Mitarbeiter heute durchschnittlich 31684,- DM Anteil am SPIEGEL-Verlag29o • Wird der von Gamillscheg 291 geforderte nächste Schritt getan und "Abfindungen bei betriebsbedingter Kündigung als solche und unabhängig von der Betriebsvertretung" zugelassen, so kann auch nicht mehr bezweifelt werden, daß diese Abfindungen im Arbeitsverhältnis ihren letzten Grund haben und im Sinne des § 152 Abs.7 AktG "unDie Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971, S. 339 ff. Für die SPD sprachen in der Debatte die Abg. Rosenthat und Rapp; spitz bemerkte der Abg. Vogt von der CDU dazu: "Interessant finde ich, daß in dieser Debatte von der Seite der Sozialdemokraten Herr Kollege Rosenthai und Herr Kollege Rapp gesprochen haben; die Coppiks sehe ich gar nicht in dieser Debatte." (BT-Sten.Bericht 8/7952) 289 Zitiert vom BT-Abg. Huonker (SPD) in der Diskussion dieses Gesetzentwurfs, BT-Sten.Berich 8/7949. 290 Beim SPIEGEL-Verlag machte das Mitarbeiterkapital 1978 21 Mio. DM aus. Im Durchschnitt besaß der einzelne Mitarbeiter 31 684.- DM Anteil am SPIEGEL-Verlag, vgl. Pieroth, im Protokoll der 100. Sitzung des 8. Dt.Bundestags v. 22. 6. 1978, S. 7937 f., mit weiteren Zahlenangaben über andere bereits verwirklichte Modelle. 291 Festschrift für Boseh, S. 223. 287

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gewisse Verbindlichkeiten" sind, für die steuerrechtlich gewinnmindernde Rückstellungen zulässig sind292 • Auf diese Weise wäre für die Unternehmer gleichfalls eine steuerrechtlich begünstigte Eigenkapitalbildung möglich. Im nächsten Schritt könnte das Abfindungssystem mit dem System der betrieblichen Altersruhegelder verbunden werden, womit erreicht wäre, daß den Arbeitnehmern in jedem Falle - zumindest in jedem unverschuldeten Falle - des Ausscheidens aus dem Betrieb eine gemäß ihrer Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindung (Abschichtungsanspruch) gewährt würde. Schon damit wäre wohl das Umschlagen der Arbeitsverhältnisse in GeseZlschaftsverhältnisse erfolgt und das "Abfindungssystem" so attraktiv geworden, daß die gegenwärtigen Regierungsparteien ihren mühsam versteckten und die Gewerkschaften ihren offenen Widerstand gegen einen weiteren gesetzlichen Abbau der steuerrechtlichen Hemmnisse und die Erweiterung des Katalogs der förderungswürdigen Anlageformen aus Angst vor der nächsten Wahl aufgeben müßten293 • Ob der weitere Ausbau des Abfindungssystems bis zu diesem Punkt weitergetrieben werden soll, ist letztlich eine rechts- und gesellschaftspolitische Frage, die mit juristischen Mitteln nicht entschieden werden kann. Die Rechtswissenschaft kann nur die Alternativen aufzeigen, aber in einer solchen Sache nicht die Entscheidung treffen; wenngleich im Arbeitsrecht die Grenzen zwischen Rechtspolitik und Rechtswissenschaft vielfach verwischt und übertreten werden. Will man das aufgezeigte Endziel des Abfindungsrechts, die Umwandlung der Arbeitsverhältnisse in Gesellschaftsverhältnisse und den damit notwendigerweise verbundenen Abbau des kollektiven Arbeitsrechts und der Macht der Gewerkschaften nicht erreichen, so muß auch der weitere Ausbau des Abfindungsrechts gestoppt und sogar zur Auflösung der aufgezeigten Widersprüche zurückgedreht werden. Vgl. oben nach Fn. 10. Vgl. die Ausführungen im Steno Bericht der Debatte v. 22. 6. 1978 (8/7935 ff.), wo von den Sprechern aller Fraktionen, die sämtlich dem Gesetzentwurf im Grundsatz positiv gegenüberstehen, die "Unkenntnis der Probleme draußen" (so Rosenthal, S.7940) bedauert wird. Nach einer Notiz in der FAZ v. 28.2.1980 sieht der CDU-Abg. Pieroth noch eine kleine Chance, daß der von ihm angeregte Gesetzesentwurf noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht wird. Dem Außenstehenden erscheint dies als "Wahlkampfhoffnung". Nach der Spitzenmeldung der FAZ v. 14.3.1980: "Die Koalition vertagt Pläne zur Vermögensbildung - Matthöfer: Nicht zu finanzieren", ist die Hoffnung zerstoben. Pieroth erklärte dazu, der Bundesfinanzminister habe die "Kapitulationsurkunde" zur Vermögenspolitik vorgelegt, die gegebene Begründung, die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer sei wegen der wachsenden internationalen Verpflichtungen nicht finanzierbar, sei eine scheinheilige Ausrede, die nur verdecken solle, daß sich die Koalition in der Sache nicht habe einigen können. 292 293

5 Festgabe für Herrnann Weitnauer

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Bei der gebotenen Abwägung der Interessen zwischen Gewerkschaftsmacht und "sozialem Fortschritt" ist auch zu bedenken, daß das weiter ausgebaute österreichische Abfertigungsrecht schon beweist, daß die damit verbundene günstige Eigenkapitalbildung der Unternehmer auch einen größeren Schutz älterer Arbeitnehmer vor Entlassungen mit sich bringt, also dem Problem der Arbeitslosigkeit in einer der schwierigsten Problemgruppen Abhilfe schafft, denn die Entlassung der älteren, länger gedienten Arbeitnehmer ist dann wesentlich teurer als die Entlassung jüngerer, erst kurz im Unternehmen tätiger Mitarbeiter. Nach der Analyse Hayeks 294 haben Gewerkschaften jedoch auch daran kaum wirkliches Interesse. Auf die Dauer wird jedoch die ungerechtfertigte Macht der Gewerkschaften der Kraft des "sozialen Schutzzwecks" sicherlich nicht standhalten.

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Die Verfassung der Freiheit, S. 339 ff. (343).

Geschäftsgrundlage und Vertragsgerechtigkeit Von Ludwig Häsemeyer Wenn den in letzter Zeit recht zahlreichen Beiträgen zur Lehre von der Geschäftsgrundlagel ein weiterer hinzugefügt wird, so deshalb, weil er nach Gegenstand und Entstehung auf das Interesse des Jubilars hoffen darf: Hermann Weitnauer hat in seinem weitgespannten wissenschaftlichen Werk den Grundlagen des Schuldrechts stets einen hervorragenden Platz zugewiesen; und er hat mit nimmermüdem Engagement die gemeinsamen Seminare der Rechtsfakultäten Heidelberg und Montpellier gefördert, deren letztjähriges Gelegenheit zu einem Referat über die Geschäftsgrundlage bot. Die Lehre von der Geschäftsgrundlage nährt sich historisch wie sachlogisch aus so vielfältigen Wurzeln, daß ihr dogmatischer Standort neben der Lehre von den Willensmängeln einerseits und den gewissermaßen handfesten Abwicklungsstörungen wie Unmöglichkeit und Verzug andererseits wenig gesichert scheint. Zwar wird ziemlich einhellig betont 2, diese Lehre habe es (wie ihre ehrwürdige Vorgängerin, die Lehre von der clausula rebus sie stantibus) mit der Vertragsgerechtigkeit zu tun. Aber welcher Weg zu deren Verwirklichung einzuschlagen ist, welche Voraussetzungen zu fordern und welche Konsequenzen angemessen sind, ist heute mehr denn je umstritten. Die fortschreitende Anreicherung des ursprünglich allein subjektiven, nämlich auf den Parteiwillen bezogenen Ansatzes mit Aspekten etwa der Zumutbarkeit, des Vertrauensschutzes oder jüngst der vertraglichen Risikozuweisung hat nicht nur positive Wirkungen geäußert. Gewiß hat sie der Lehre von der Geschäftsgrundlage viele neue Impulse gegeben, vornehmlich offengelegt, daß die Spannung zwischen der Vertragsbindung und der materialen Vertragsgerechtigkeit auch von einem objektiven Ansatz her bewältigt werden kann. Gleichwohl will gerade diese entscheidende Funktion der "Geschäftsgrundlage" bei der Interpretation als Zuweisung vertraglicher "Risiken" nicht mehr recht in den Blick kom1 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen (1979), Medicus, Festschrift für Flume, S. 629 ff, Schmiedel, Festschrift für von Caemmerer, S. 231 ff. 2 Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung (1963), insbes. S. 160 ff; Koller, insbes. S. 17 ff; vornehmlich Schmidt-Rimpler, Festschrift für Nipperdey (1955), S. 1 ff.

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men, weil man schließlich alle normativen Regelungen, wie beispielsweise deutlich auch die des Deliktsrechts, als die Zuweisung sozialer "Risiken" begreifen kann. In diesem größeren Rahmen droht sich der Gedanke einer besonderen Vertragsgerechtigkeit zum Schaden der Vertragslehre aufzulösen. Deshalb bringen auch die Deutungsversuche der letzten Zeit in einem entscheidenden Punkt keinen Fortschritt. Schon die unbefangene Frage nämlich, was die Lehre von der Geschäftsgrundlage eigentlich leisten kann und leisten soll, deckt eine durchgehende Abgrenzungsschwäche aller subjektiven und objektiven Spielarten auf: Die Lehre von der Geschäftsgrundlage kann offenbar mehr leisten, als sie leisten soll. Sie erfaßt nicht nur jene Fallgruppen, denen sie nach heute praktisch gesicherter Erkenntnis gelten sollte,sondern ihre Ansätze weisen weit darüber hinaus und bedürfen deshalb der Einschränkung mittels zusätzlicher, ihrerseits eher variabler Wertungsprinzipien wie etwa des Vertrauensschutzes, der Lückenhaftigkeit des Vertrages, der Vorhersehbarkeit bestimmter Umstände oder der Gemeinsamkeit vertragsrelevanter Fehlvorstellungen. Für alle subjektiven Ansätze scheint diese Anwendungsbreite aus der Vielfalt vertragsbedeutsamer Parteivorstellungen zu folgen, zumal wenn jeder Vertragspartner den anderen großzügig an seinen Motivationen und Kalkulationen teilhaben läßt: Vertraut der Verkäufer den Beteuerungen des Käufers, er sei zahlungsfähig, oder umgekehrt der Käufer den Zusicherungen des Verkäufers, er könne wegen einer besonderen Bezugsquelle preisgünstig liefern, so muß doch die Zahlungspflicht trotz Zahlungsunfähigkeit oder die Lieferpflicht trotz Versiegens jener Quelle bestehen bleiben. Gleichwohl kann man über die Notbrücke solcher geäußerten oder gar nur vermuteten· Parteivorstel,.. lungen und -motivationen die "Geschäftsgrundlage" mit sämtlichen Leistungshindernissen wie auch mit beliebigen Verwendungsstörungen in Zusammenhang bringen. Nicht anders steht es aber auch mit der Deutung der "Geschäftsgrundlage" als Zuweisung von Vertragsrisiken. Mit Ausnahme der Handgeschäfte des täglichen Lebens birgt jeder Vertrag für jeden Kontrahenten vielfältige solcher "Risiken", und es erscheint durchaus als ungewiß, ob man sie dem Vertragspartner überbürden darf: Die gekauften Möbel mögen beim nichterwarteten Umzug hinderlich sein, die Vermietung einer Wohnung kurz vor einem kräftigen Mietpreisschub mag sich als ungünstig herausstellen, oder die Erweiterung einer Schiffswerft erweist sich infolge sinkender Frachtraten als finanzieller Fehlschlag. Die Kennzeichnung solcher Verluste als "Risiken" ist um nichts aussagekräftiger als deren Spiegelung in den Parteivorstellungen. Der Deutung als "Risikozurechnung" eignet dieselbe Unschärfe wie den

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subjektiven Ansätzen, weil auch sie die Verbindung mit beliebige~ Umständen erlaubt, deren Vertragsrelevanz erst einmal nachgewiesen werden müßte. Die Schwäche der heutigen Konzeptionen liegt hiernach nicht darin, daß sie die allgemein und praktisch unwidersprochen als regelungsbedürftig erkannten Fallgruppen nicht zu erfassen vermöchten, sondern daß sie schon im Ansatz darüber hinausgreifen und sich dann mit limitierenden (Sekundär-)Prinzipien schwer tun. So drängt die Lehre von der Geschäftsgrundlage aus ihrem gesicherten Anwendungsbereich, aus dem sie stets neue Kraft schöpfen kann, ständig heraus. Zur Verdeutlichung sei ein Beispiel aus der jüngeren Rechtsprechung angeführt: Ein Gebrauchtwagen war nach Beseitigung gewisser Mängel unter Ausschluß einer weitergehenden Gewährleistung für 7 000,- DM verkauft worden. Später wurde ermittelt, daß der Wagen infolge weiterer Mängel nur noch Schrottwert besaß. Das OLG Hamm8 hat die Klage des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises abgewiesen. Zwar fehle dem Vertrag mangels Leistungsäquivalenz die Geschäftsgrundlage, aber auch die hieraus erwachsenden gleichgerichteten Ansprüche würden von dem Ausschluß der Gewährleistung erfaßt. In der Tat zählt die Gebrauchstauglichkeit zu den "Risiken" jedes Kaufvertrages, und deshalb spiegelt sie sich auch in den Parteivorstellungen4 • Aber deshalb darf sie doch nicht mit doppelbödiger Dogmatik5 von der Gewährleistungsregelung in die Geschäftsgrundlage transponiert werden, so daß sich gleich auch noch für den Haftungsausschluß ein Konkurrenzproblem ergibt6 • Will man solchen, die Vertragslehre empfindlich störenden und nicht selten in eine allgemeine Zumutbarkeitskontrolle mündenden übergriffen vorbeugen, so muß man die Lehre von der Geschäftsgrundlage schon in ihrem Ansatz präziser fassen. Nur eine originäre, auf zusätzliche Regulative möglichst verzichtende Selbstbeschränkung vermeidet dogmatische überschneidungen und legt die womöglich doch unverzichtbaren Funktionen der Lehre von der Geschäftsgrundlage offen. Erfolg verspricht ehestens die Rückbesinnung auf den engen Zusammenhang der Lehre mit dem Gedanken der Vertragsgerechtigkeit7. JZ 1979, 266. Auch Schmidt-Rimpler, S.29, und LaTenz, S. 95 f, rechnen Sachmängel zur Geschäftsgrundlage. Ii Liebs, JZ 1979, 441 f (zu dem in Anm.3 genannten Urteil) spricht treffend von einem "außergesetzlichen Notbehelf". 6 Das OLG Karlsruhe, JZ 1971, 294, hatte in einem vergleichbaren Fall die Grundsätze über die Geschäftsgrundlage angewendet, weil sich der Haftungsausschluß auf die Gewährleistung beschränke. 3 4

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I?ie hierin liegenden Chancen scheinen über der Entwicklung der Lehre etwas aus dem Blick gekommen zu sein. A. Die Entwicklung der Lehre von der Geschäftsgrundlage ist ein Abbild jener Entwicklung, welche die normative Kontrolle und Ordnung der Privatautonomie genommen hat. Solange das Willensdogma die Vertragslehre beherrschte, verdrängte es den Gedanken einer objektiv-immanenten Vertragsgerechtigkeit durch den der Individualverantwortung jedes Vertragspartners. Die Rechtsordnung mußte nur die Bedingungen schaffen, unter denen die Kontrahenten - jeder für sich - eigenverantwortlich entscheiden konnten. Windscheids Lehre von der "Voraussetzung"S entsprach deshalb durchaus der Vertragslehre seiner Zeit: So wie die Bindung an einen Vertrag nur durch den Individualwillen der Kontrahenten begründet werden konnte, konnte sie auch nur von dort her beschränkt werden. Die "Voraussetzung" war als unentwickelte Wirkungsbedingung, also folgerichtig als autonome Willensbeschränkung konzipiert. Die Frage, ob sich der Vertragspartner überhaupt auf solche "unentwickelten" Bedingungen einlassen mußte, blieb bei einem derart individualistischen Ansatz ausgeklammert. Er konnte deshalb dem auf Interessenausgleich zielenden und auf wechselseitiger Verständigung beruhenden Vertrag nicht gerecht werden. Dennoch hätte sich die Windscheids Konzeption blockierende Kritik eigentlich gegen das Willensdogma selbst richten müssen: Ein Vertrag ist nun einmal kein Instrument, um das Risiko enttäuschter Erwartungen auf den Geschäftspartner abzuschieben.

Die fortschreitend stärkere Betonung des Verständigungserfordernisses und des Vertrauensschutzes lenkte den Blick folgerichtig auf die gemeinsamen, wechselseitig erkannten und womöglich gebilligten Vorstellungen der Kontrahenten beim Vertragsschluß. Oertmann' konnte mit seiner Lehre von der Geschäftsgrundlage Erfolg haben, weil sie mit dem Erfordernis, der Vertragspartner müsse die für den Geschäftsabschluß maßgebenden Vorstellungen erkannt haben, wenigstens schon auf die gemeinsame Verantwortung der Vertragspartner für den Abschluß des Vertrages verwies und daraus Konsequenzen auch für die Vertragsabwicklung zu ziehen suchte. Das Ziel dieses überindividuellen Ansatzes deckte sich freilich mit dem der Windscheidschen Lehre: Die Vertragsgerechtigkeit konnte sich allenfalls in der individuellen Entlastung von beliebigen, mit dem Vertrag in Zusammenhang stehenden Enttäuschungen verwirklichen, sofern die entsprechenden Erwartungen in die "Geschäftsgrundlage" als gewissermaßen zweite 7 Zum entsprechenden Entwurf Schmidt-Rimplers (Anm. 2) vgl. bei Anm. 17 ff. S Die Lehre des Römischen Rechts von der Voraussetzung (1850). , Die Geschäftsgrundlage (1921).

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psychologische Ebene unter den vertraglichen Abreden aufgenommen worden waren. Die Rechtfertigung für die Entlastung bleibt dieser subjektive Ansatz letztlich schuldig: Im Vertrag selbst ist es zu einer entsprechenden Regelung gerade nicht gekommen, und der - hypothetische - Schluß auf eine entsprechende Verständigungsbereitschaft der Kontrahenten bietet keinen Anhalt für eine privatautonome Zurechnung. Zwischen Vertragsabrede und Motivirrtum kann es keinen privatautonomen Geltungsgrund minderer Qualität geben10 • Die Lehre Oertmanns hat die zuvor skizzierte übergroße Wirkungsbreite der Geschäftsgrundlage bis heute festgeschrieben. Weder Anhänger noch Gegner haben sich von ihrem subjektiv-einseitigen Ansatz zu lösen vermocht. Das gilt auch für die von Larenz11 entwickelte Unterscheidung zwischen dem (anfänglichen) Fehlen der "subjektiven" Geschäftsgrundlage und dem (späteren) Wegfall der "objektiven" Geschäftgrundlage. Zwar stehen beide, die Zurechnung der subjektiven Geschäftsgrundlage zur Irrtumsproblematik und die Deutung, mit der objektiven Geschäftsgrundlage schlage der Vertrag fehP2, unter dem Postulat der ausgleichenden VertragsgerechtigkeW:t; aber eine solche Unterscheidung mindert doch die Chance, dieses beiden Gemeinsame auch als dogmatisch präzisierenden Zusammenhang zu erfassen14 • Nur in der objektiven Spielart der schweren Äquivalenzstörung tritt der Gedanke der Vertragsgerechtigkeit deutlich hervor, und sie steht recht unvermittelt neben der Fortführung des überkommenen subjektiven Ansatzes im übrigen. Wenn auch ein gemeinsamer Motivirrtum die (subjektive) Geschäftsgrundlage zerstören soll, und wenn ferner neben der schweren Äquivalenzstörung auch die Vereitelung "gemeinsamer Vertragszwecke" der (objektiven) Geschäftsgrundlage zugerechnet wird, zeigt sich, wie problematisch die Unterscheidung zwischen "subjektiver" und "objektiver" Geschäftsgrundlage ist. Die Lehre von der Geschäftsgrundlage muß durchweg subjektive und objektive Elemente miteinander verbinden. "Subjektiv" ist sie insofern, als sie auf privatautonome Geltungserklärungen bezogen ist: Welche Faktoren für ein Rechtsgeschäft relevant werden können, kann stets nur im Blick auf die konkreten Parteiabreden ermittelt werden. Zugleich kommt man aber ohne eine "objektive", besser wohl: normative Kontrolle der Privatautonomie nicht aus: Die Aufhebung oder die Anpassung eines Vgl. Ulrich Huber, JuS 1972, 57 ff (64 f). Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3. Auft. 1963. 12 Dementsprechend auch gesondert behandelt in den Lehrbüchern des Allg.Teils (§ 20 III) und des Allg.Schuldrechts (§ 21 II). 13 Geschäftsgrundlage, insbes. S. 165 f. 14 Wieacker, Festschrift für Wilburg, S. 240 ff, bezeichnet die Unterscheidung gar als "unvermeidlich" und nur noch durch den Begriff "Geschäftsgrundlage" überbrückt. 10 11

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Vertrages folgt nicht aus einer hypothetischen Selbstbeschränkung des Parteiwillens, sondern erfordert ein normatives, die Parteiverantwortung heteronom limitierendes Urteil16. Die überschießende Tendenz jeder subjektiv gefärbten Konzeption sei an dem bekannten Beispiel des Möbelkaufs für die Aussteuer der Tochter verdeutlicht: Ob der Vater die Aussteuer für seine Tochter vor der in Aussicht genommenen Heirat kauft, oder nachdem ihm die Tochter ihre Heirat vorgetäuscht hat, kann keinen Unterschied machen. Dennoch müßte doch wohl nach heutigem Verständnis die "subjektive" Geschäftsgrundlage fehlen, wenn der Vater den Möbelverkäufer an seinem Irrtum über die vorgetäuschte Heirat teilhaben läßt, während die Auflösung der Verlobung nach Abschluß des Kaufvertrages gewiß nicht zu einer Äquivalenzstörung führt und auch nicht als Fehlschlagen eines "gemeinsamen Vertragszweckes"16 begriffen werden kann. Dabei geht den Verkäufer die vorgetäuschte Heirat ebensowenig etwas an wie die Verlobung, solange nicht der Käufer die Aufnahme einer entsprechenden Bedingung oder eines Rücktrittsvorbehalts in den Vertrag durchsetzt. Das Dilemma jedes einseitigen Ansatzes: die Motive und Kalkulationen eines Vertragspartners können angesichts der häufig gegenläufigen, aber gleichwertigen Motive und Kalkulationen des anderen Vertragspartners nicht präzise als vertragsbedeutsam legitimiert werden, tritt besonders deutlich in der Konzeption Schmidt-Rimplers17 hervor, der - mit vollem Recht1 8 - unmittelbar an den Gedanken der Vertragsgerechtigkeit anzuknüpfen sucht, aber den überkommenen individualistischen Ansatz nicht aufgibt. Gewiß ist der Wirkungsbereich der "Geschäftsgrundlage" in solchen Störungen des Entscheidungsprozesses zu vermuten, die das Aushandeln eines "gerechten" Vertrages hindern19. Nur bezieht Schmidt-Rimpler diese Vertragsgerechtigkeit einseitig auf jeden Vertragspartner. Sie gerät ihm zur materialen Vertrags-"Richtigkeit"20, die jedem Kontrahenten nur das Nützliche und Verwendbare zuweisen und das Nichtzumutbare nicht abverlangen will. Solche Vertrags richtigkeit verwirklicht sich dann in den "Bewertungsgrundlagen"21 jedes einzelnen Vertragspartners, die alle beliebigen Motive einschließen, und deren Vertragsrelevanz dann 15

Die Anknüpfung an die "Redlichkeit" der Vertragspartner (vgl. LaTenz,

S.165, und WieackeT, S.246) zeigt das ganz deutlich.

Zurückhaltung gegenüber diesem Begriff auch bei WieackeT, S ...251 f. Festschrift für Nipperdey (1955), S. 1 ff. 18 Darauf ist zurückzukommen, vgl. bei Anm. 36 ff. 19 Vgl. a.a.O. insbes. S. 9 ff. 20 Vgl. auch die Charakterisierung bei Wieacker, S.242. 21 a.a.O. insbes. S. 12 ff; ähnlich BTOX, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung (1960), S. 175 ff (180, 183). 16 17

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nur noch mittels Vertrauensschutzes zugunsten des Vertragspartners wieder eingeschränkt werden kann22• B. Ein einseitig auf den jeweils betroffenen Vertragspartner bezogener Ansatz begegnet nun aber auch in sämtlichen kritischen Gegenpositionen, die nicht an eine hypothetische Selbstbeschränkung des Parteiwillens anknüpfen, sondern die Problemlösung in einem normativen System der Risikozuweisung suchen. Hier liegt die der Vertragslehre unangemessene Einseitigkeit in der Verwendung des Risikobegriffs23 oder des insofern vollauf vergleichbaren Begriffs der "Zweckstörung"24. Risiken treffen jeden Vertragspartner nach Art und Intensität unterschiedlich, weshalb denn auch weiter zwischen Gläubigerund Schuldner-, Verwendungs- und Leistungsrisiken unterschieden werden muß; und für die mit einem Vertrag verfolgten Zwecke darf nicht einfach vorausgesetzt werden, daß sie im Interesse beider Vertragspartner liegen. Beim Austauschvertrag treffen sich die Interessen der Geschäftspartner allein darin, daß der Leistungsaustausch stattfindet. Weitere Zwecke sind dem anderen Partner bestenfalls gleichgültig, womöglich achtet er sogar peinlich darauf, daß solche Zwecke der Vertragsregelung ferngehalten werden. Risikoverwirklichung und Zweckstörung können deshalb vielleicht empirisch konstatiert werden, aber für ihre normative Zurechnung bleibt die Grundfrage offen, ob jeweils ein Risiko oder Zweck für die Abwicklung eines konkreten Vertrages überhaupt relevant sein kann. Die Auslegung des Einzelvertrages - ob erläuternd oder ergänzend kann diesen Maßstab nicht liefern25• Sie begrenzt zwar den Wirkungsbereich normativer Kontrolle26, wenn der betreffende Umstand in der vertraglichen Regelung berücksichtigt worden ist: Wer im Vertrag die Garantie für ein Risiko übernommen hat, muß schon deshalb dafür einstehen; wer sie ausgeschlossen hat, wird schon deshalb davon nicht betroffen. Fehlt aber eine vertragliche Regelung - und um solche Fälle geht es letztlich nur, so darf man den Kontrahenten nicht größere Klugheit unterstellen, als sie der sich gleichfalls verschweigende Gesetzgeber bewiesen hat. Ob der Vertrag insofern eine "Regelungslücke" enthält27, muß deshalb solange unentschieden bleiben, als nicht die a.a.O. S. 11 ff; kritisch dazu auch Koller (Anm. 1), S. 21. Dazu jüngst Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen (1979); ferner Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos (1971), Peter Ulmer, AcP 174, S. 182 ff, Medicus, Festschrift für Flume, S. 629 ff. 24 Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis (1969); Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis (1971). ders. JA 1979, 488 ff. 25 Anders zuletzt Medicus, Festschrift für Flume, S. 629 ff. 26 Zutreffend Köhler (Anm. 24), S. 162 f. 22

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Ludwig Häsemeyer Vertrags relevanz des betreffenden Risikos normativ (I) ermittelt worden ist. Aber auch das Vertragsrecht enthält hierfür keine einschlägigen Maßstäbe. Es ist vorrangig auf die - wenn man so will - Zurechnung des Leistungsrisikos zugeschnitten, in dem sich - ausnahmsweise, aber unbezweifelbar - die Interessen beider Vertragspartner treffen. Deshalb geht es nicht an, den Leistungsbegriff um - womöglich einseitige - Zweckbestimmungen zu erweitern28 oder aus den Unmöglichkeits- und insbesondere Gefahrtragungsregeln eine allgemeine29 oder nach Vertragstypen differierende 30 Zurechnung - wiederum einseitiger - Risiken zu entwickeln. Die eigentliche Zurechnung müssen dann doch wieder zusätzliche, einschränkende Kriterien leistensI. So hat beispielsweise Koller32 ein umfassendes System der Risikozurechnung entwickelt, aber bei dessen Konkretisierung für den Anwendungsbereich der Geschäftsgrundlage auf die variablen Kriterien der Vorhersehbarkeit33 und der Gemeinsamkeit der Fehlvorstellungen34 nicht verzichten können. Sonst griffe eben auch die Risikozurechnung über jene Fälle hinaus, für die sie konzipiert wurde35 • C. Die schon in den Begriffen "Geschäftsgrundlage", "Risikozurechnung" oder "Zweckstörung" gleichermaßen angelegte Abgrenzungsschwäche kann durch eine unmittelbare, konturierende Anknüpfung an den Gedanken der Vertragsgerechtigkeit überwunden werden. I. Der heutige Stand der Vertragslehre macht den Rückgriff auf hypothetische Selbstbeschränkungen des Parteiwillens entbehrlich und erlaubt der Lehre von der Geschäftsgrundlage den übergang zu einer offenen normativen Vertragskontrolle. Die Vertragsfreiheit steht und 21 Dieser Feststellung messen Peter Ulmer, AcP 174, S. 183 f (bei der Ausfüllung einer vertraglichen Risikolücke handle es sich nicht um die Durchbrechung des Grundsatzes der Vertragstreue) und ihm folgend Medicus (Anm.25), S.637, einen gewissen Zurechnungswert zu. 28 So Beuthien (Anm. 24), insbes. S. 176 ff. 20 So jetzt insbes. KoUer (Anm. 23). 30 So insbes. Flume, Allg.Teil des Bürgerl.Rechts, Bd. 2, § 26 (S. 494 ff). Zur Unzulänglichkeit des neuen § 651j BGB s. Teichmann JZ 1979, 737 (740 f). 31 Fikentscher (Anm.23), insbes. S. 35 ff, und jüngst Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerrechtsverhältnissen, S. 34 ff, sehen in der Unzumutbarkeit das beherrschende Prinzip. 32 Vgl. Anm.29. 33 a.a.O. S. 77 ff, 207 ff, 306 ff zuvor bei der Kritik der Geschäftsgrundlage verworfen, vgl. S. 22 f. 34 S. 378 ff, wiederum bei der Kritik der Geschäftsgrundlage verworfen, vgl. S. 25 ff. 35 Vgl. auch Köhler (Anm.24), S. 152 ff, dessen Prinzip der "Risikozurechnung an den Nutznießer" ebenfalls beliebige Risikoüberwälzungen ermöglicht.

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fällt mit dem Gedanken des privatautonomen Interessenausgleichs311, und zu diesem Ausgleich und damit zu einem für beide Kontrahenten "gerechten" Vertrag kann es nur unter bestimmten, normativ zu kontrollierenden Voraussetzungen kommen. Die Abschlußkontrolle und die Inhaltskontrolle über Rechtsgeschäfte sind fortschreitend - deutlich etwa für Abzahlungsgeschäfte oder jüngst durch das AGB-Gesetz verstärkt worden. In diesem Rahmen hält sich auch die Kontrolle des Einzelvertrages auf grundlegende Störungen der Vertragsgerechtigkeit. Freilich muß präziser als bisher beschrieben werden, was unter "Vertragsgerechtigkeit" im Blick auf den klassischen Anwendungsbereich der Lehre von der Geschäftsgrundlage zu verstehen ist. "Vertragsgerechtigkeit" kann eben nicht bedeuten, ein Vertrag genüge allen Interessen beider Kontrahenten, stifte den erwarteten Nutzen, belaste nicht stärker als vorausgeschätzt, kurz: erweise sich in jeder Hinsicht und für jedermann als richtig37. Vertragsgerechtigkeit kann sich vielmehr nur als Austauschgerechtigkeit3ß verwirklichen, und dieser Begriff weist denn auch den Weg für die gebotene (originäre) Einschränkung der normativen Vertragskontrolle: So gewiß ein Vertrag das Ergebnis vielfältiger Motive, Kalkulationen, Verwendungszwecke, Marktstrategien oder dergleichen ist, so gewiß gehen solche Faktoren den jeweils anderen Vertragspartner grundsätzlich nichts an. Im Vertrag treffen nun einmal gegensätzliche Interessen aufeinander, und kein Beteiligter braucht sich von anderen Beteiligten deren eigene Probleme und Risiken zuschieben zu lassen. Auch die vom Vertragspartner zur Kenntnis genommenen Angaben über solche Faktoren sind deshalb solange schlechthin irrelevant, als sie nicht zur Aufnahme einer entsprechenden Vertragsregelung (Bedingung, Rücktrittsrecht) geführt haben. Wenn man den Vertragsparteien (mit guten Gründen) überläßt, ihre Leistungen selbst zu bewerten und den Austauschwert privatautonom festzusetzen, muß man auch anerkennen, daß für diese subjektive. sich aus dem Gedanken des vertraglichen Interessenausgleichs rechtfertigende Leistungsäquivalenz mitbestimmend ist, ob ein Vertragspartner dem anderen dessen Risiken abnimmt. Wer sichergehen will, muß eine entsprechende Vertragsklausel aushandeln und dafür womöglich zusätzlich bezahlen. Jede Risikoversicherung verlangt nun einmal Versicherungsprämien. 36 Das wird insbes. in der Vertragslehre Schmidt-RimpleTs, AcP 147, 130 ff, deutlich. 37 Vgl. schon bei Anm. 17 ff. 38 Vgl. insbes. LaTenz, Geschäftsgrundlage, S. 161 f.

Ludwig Häsemeyer . Fehlt aber eine entsprechende Vertragsregelung, so darf sie nicht durch einen normativen Dispens von der Vertragsbindung ersetzt werden. Sonst könnte man dem Vertragspartner nachträglich ein Risiko überbürden, für das man zuvor nicht zahlen wollte. Dann würde der Austauschgerechtigkeit gerade nicht gedient, sondern sie würde vielmehr verfälscht31l• Dem Vertragspartner, der auf Erfüllung besteht, fällt dann auch nicht etwa ein unangemessener Gewinn zu. Denn er läßt sich seine Leistung nur so bezahlen, wie sie ohne Risikozuschläge kalkuliert zu werden pflegt 4o • Störungen der Austauschgerechtigkeit können hiernach nur durch solche für alle Kontrahenten maßgebenden Faktoren verursacht werden, die in die wechselseitige Leistungsbewertung, die (subjektive) Leistungsäquivalenz wirklich einbezogen worden sind. In ihr müssen die gegensätzlichen Interessen der Vertragspartner ihren Ausgleich finden, und sofern sie durch das Versagen allseitig als maßgeblich akzeptierter äquivalenzbildender Faktoren gestört wird, wird auch die Verantwortung der Kontrahenten für ihren Vertrag außer Kraft gesetzt. Die normative Kontrolle kann also nicht der je einzelnen, auf die individuelle Richtigkeitserwartung jedes Beteiligten gründenden "Bewertungsgrundlage"41 gelten, sondern allein den wechselseitig gebilligten Wertmaßstäben, die man gemeinsam einer konkreten Leistungsbewertung zugrunde zu legen pflegt. Auf solche Wertmaßstäbe kann der Privatrechtsverkehr nicht verzichten; und (nur) wenn sie sich als unrichtig erweisen, ist die Austauschgerechtigkeit unmittelbar betroffen: Dem einen Vertragspartner droht ein Verlust, den er nach dem Vertrag nicht erleiden soll, dem anderen würde ein Gewinn zufallen, den er nach dem Vertrag nicht beanspruchen darf 4!. Sämtliche als regelungs bedürftig erkannten und herkömmlicherweise der "Geschäftsgrundlage" zugeordneten Fallgruppen sind durch dieses Versagen eines in den Vertrag allseitig einbezogenen Wertmaßstabes charakterisiert: Währungs- und Kursverfall können den privatautonomen Interessenausgleich ebenso zerstören wie der Verfall des Marktwertes bestimmter Leistungen. Das BGB hat solche Vertragsstörungen durchweg nicht geregelt, auch nicht ausschnittsweise mit der Gewährleistungshaftung 43 ; denn auch sie gilt (wie die Regelung der Leistungs39 Hier versagt auch das Postulat der "redlichen Gesinnung" des Vertragspartners (vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage, S.163, Wieacker, Festschrift für Wilburg, S.246), weil schon die redliche Gesinnung des betroffenen Vertragspartners durchweg fragwürdig ist. 40 Insofern treffend der Hinweis Kollers (Anm. 29), S. 306 ff, auf die (wechselseitige) Bindung der Leistungskapazitäten durch den Vertrag. 41 Vgl. bei Anm. 17 ff. 42 Nur für diese Fälle gilt das entsprechende Argument Schmidt-Rimplers, S. 14 f (vgl. auch LaTenz, S. 164).

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störungen) einer Störung im Leistungsvollzug, während das Versagen des Äquivalenzmaßstabes das Wertverhältnis der wechselseitigen Leistungspflichten und nicht deren Erfüllung stört. (Nur) Insofern besteht ein auszugleichendes normatives Regelungsdefizit. 11. Nunmehr kann der (normative) Kontrollbereich präzisiert werden: 1. Zwischen Störungen der Austauschgerechtigkeit und allgemein das Wirtschaftsleben und die Sozialexistenz erschütternden Störungen44 ist zu unterscheiden. Sofern freilich Wertmaßstäbe mitbetroffen sind, die in Verträge einbezogen wurden, insbesondere wenn es zum Währungsverfall kommt, darf der Richter die Austauschgerechtigkeit für den einzelnen Vertrag wiederherstellen. Weiterreichenden Folgen kann nur der Gesetzgeber mit einer besonderen "Vertragshilfe" begegnen45 • Denn hierfür sind häufig vertragsferne Voraussetzungen, wie insbesondere der drohende Verlust der wirtschaftlichen Existenz maßgebend, um die sich der Vertragspartner gerade nicht zu kümmern braucht. "Sozialstaatliche Enteignungen"46 zum Zwecke der Schuldnersanierung erfordern stets eine besondere gesetzliche Grundlage.

2. Störungen der Austauschgerechtigkeit kann es nur in entgeltlichen, insbesondere gegenseitigen Verträgen geben 47 • Die Rechtsprechung 48 hat Fehlvorstellungen über Börsen- oder Wechselkurse auch bei Darlehens- oder Geschäftsbesorgungsverträgen zum Anlaß der Vertragsanpassung oder -annulierung genommen. Um Störungen der Austauschgerechtigkeit geht es in diesen Fällen jedoch nicht: Wer ein Darlehen in Rubeln gibt und sich die Rückzahlung (!) in einem bestimmten, nach unrichtigem Wechselkurs berechneten Reichsmarkbetrag versprechen läßt, hat sich damit nicht - verdeckt - eine Sonderverzinsung oder Auszahlungsprovision ausbedungen. Deshalb muß der Darlehensschuldner einfach den Wert der gegebenen Summe zurückerstatten. Und wer unter Angabe eines unrichtigen Kurses eine Bank mit dem Kauf von Wertpapieren beauftragt hat, muß der Bank den nach dem wirklichen Kurs aufgewendeten Kaufpreis ersetzen, sofern nicht die Bank aus schuldhafter Verletzung des Geschäftsbesorgungsvertrages auf Schadensersatz haftet. VgI. schon bei Anm.4. Kegel, Verhandlungen des Deutschen Juristentages I (1954), S. 138 ff, spricht anschaulich. von der "großen Geschäftsgrundlage". 45 Ebenso Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 124 ff, und zuletzt Medicus, Festschrift für Flurne, S. 646. 46 VgI. Wieacker, Festschrift für Wilburg, S. 233 f; Flume, Allg.T. § 26, 6 (S. 524 f) spricht vom "privaten Lastenausgleich", 47 Ebenso Flume, unter 4 (S. 501 ff); a.A. z.B. Medicus, S. 642 f. 48 VgI. RGZ 94, 65; 105, 406. 43 44

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3. Ob der in einen Vertrag einbezogene Wertmaßstab versagt, weil ihn die Parteien (von vornherein) falsch beurteilt haben, oder ob der Maßstab selbst (anfänglich oder erst zu einem späteren Zeitpunkt) sich als untauglich erweist, macht keinen Unterschied49• Die Leistungsäquivalenz wird in beiden Fällen gleichermaßen zerstört. Sie ist nicht nur mangels substituierbarer anderweitiger Äquivalenzfaktoren untrennbar mit der Richtigkeit dieses Maßstabes verbunden, sondern für sie wiegen objektive und subjektive Fehlerquellen gleich schwer, weil sie ihrerseits subjektiv festgesetzt worden ist. Subtile psychologische Unterscheidungen wie die, ob positiv gebildete Erwartungen enttäuscht worden oder nicht vorhergesehene Störfaktoren aufgetreten sind50, treten bei einem konsequent auf das Versagen gemeinsamer Wertmaßstäbe beschränkten normativen Ansatz 51 zurück.

Desgleichen ist unerheblich, ob der Wertmaßstab schon beim Vertragsschluß oder erst später versagt. Die Leistungsäquivalenz ist auf den realen Leistungsaustausch bezogen. In ihm müssen den Kontrahenten die vereinbarten Werte zufließen. Deshalb kann es für die Austauschgerechtigkeit allein darauf ankommen, ob sich der Maßstab beim Austausch der Leistungen als untauglich erweist5 2• 4. Das Versagen eines in den Vertrag einbezogenen Wertmaßstabes charakterisiert folgende Fallgruppen:

a) Bestimmen die Parteien den Austauschwert nach laufenden N otierungen wie Börsen- und Wechselkursen, so steht und fällt mit deren Richtigkeit der Vertrag. Wird ein unrichtiger Kurs zugrunde gelegt, so besteht für den (entgeltlichen53 ) Vertrag nicht die Möglichkeit eines zutreffenden Interessenausgleichs. Das Prinzip der privatautonom auszuhandelnden Leistungsäquivalenz wird nicht angetastet, sondern bestätigt, wenn normative Kontrolle in solchen Fällen54 die Beteiligten aus der Vertragsbindung entläßt. Freilich muß zur sachgerechten Abgrenzung darauf geachtet werden, ob die Kontrahenten die Notierung wirklich wechselseitig als maßgebend akzeptiert haben. Wer aufgrund verdeckter individueller Kalkulation abschließt, muß auch das Risiko einer Fehlbewertung selbst tragen. Der einseitige Kalkulationsirrtum wird zu Recht als unbeachtlich behandelt55 • Gegen entsprechende Unterscheidungen schon bei Anm. 11 ff. Dazu einerseits Wieacker, S. 241 ff, und andererseits Larenz, Allg.T. § 20 III (S. 345 f.). 51 Ohne diese Beschränkung gelangt man zu einer subjektiven Abgrenzung, vgl. Schmidt-Rimpler, insbes. S. 11 ff. 52 Vgl. schon bei Anm.38. 53 Vgl. bei Anm.47. 54 Beispiel: RGZ 116, 15. 49

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b) Veränderungen des Geldwertes können die Leistungsbewertung nur ausnahmsweise zerstören. Alltägliche Wertschwankungen oder Wertverluste lassen die Festsetzung einer (Nominal-)Geldschuld unberührt. Bei der Preisfestsetzung als Leistungsbestimmung spricht zwar auch der Geldwert mit, aber mangels ausdrücklicher Anknüpfung an einen weiteren, den Währungswert seinerseits fixierenden Maßstab doch nur in einem unreflektiert-marktorientierten Sinne. Welche Wertschwankungen diesen Rahmen sprengen56, muß im Blick auf den jeweiligen konkreten Vertrag ermittelt werden51• c) Ähnlich betroffen wird die Leistungsäquivalenz auch von hoheitlichen, marktbeeinflussenden Maßnahmen wie der Einführung neuer Steuern58, oder wirtschaftspolitischen Lenkungsmaßnahmen, wie der Einführung oder Streichung staatlicher Subventionen59 • Auch hier ist freilich darauf zu achten, daß solche Maßnahmen wirklich einen in den Vertrag einbezogenen Wertmaßstab verändern. Das wird am ehesten festzustellen sein, wenn die Wirtschaft zu einer allgemeinen Neubewertung der betroffenen Leistungen genötigt wird. Individuelle Umstände, wie die Zugehörigkeit eines Vertragspartners zu dem Kreis der Subventionsberechtigten, sind dagegen schlechthin irrelevant. d) Ferner können vertragliche Leistungsbestimmungen einen Wertmaßstab bilden: Haben die Parteien den Preis nach einer angenommenen Menge berechnet, und erweist sich diese Annahme als falsch, so ist wiederum die Leistungsäquivalenz gestört60. Insbesondere sind jene "Zweck"-Bestimmungen, die man als Beispiele für den Wegfall der Geschäftsgrundlage anzuführen pflegt, ebenfalls der Äquivalenzstörung zuzurechnen. Wird ein Fensterplatz für den dann ausfallenden Krönungszug vermietet, so ist der Genuß dieses Schauspiels weder "gemeinsamer Vertragszweck"61 noch Inhalt der Leistung des Vermieters6!; Vertragszweck nicht, weil es dem Vermieter nur um die Erzielung des Mietzinses geht; und Leistungsinhalt nicht, h.M., vgl. etwa LaTenz, Allg.T. § 20 II (S.328). 66 Vgl. BGHZ 61, 31 einerseits und BGH LM Nr.39, 42 zu § 242 (Bb) andererseits. 67 Dazu bei Anm. 72 ff. 68 Vgl. RGZ 21, 178; 22, 81. 59 Dazu insbes. PeteT UlmeT, AcP 174, S. 167 ff. 60 Vgl. RGZ 90, 268. 61 Vgl. bei Anm.16; zutreffende Abgrenzung der Geschäftsgrundlage von der condictio ob rem bei Liebs, JZ 1978, 697 ff. 62 Vgl. bei Anm.24, 28. 55

Ludwig Häsemeyer weil der Vermieter nicht für die Durchführung des Festzuges einzustehen hat. Auch in diesem Falle handelt es sich vielmehr um das Versagen eines in den Vertrag einbezogenen Wertmaßstabes: Der "Mietwert eines Fensterplatzes zur Betrachtung des Krönungszuges" ist entfallen, die darauf aufbauende Äquivalenzbestimmung zerstört. Hier und in den vergleichbaren Beispielen des Verkaufs einer Apothekenkonzession kurz vor der Aufhebung der Niederlassungsbeschränkung für Apotheker 63, oder der Vermietung eines Ladens für Bademoden kurz vor einem kriegsbedingten Badeverbot64 entfällt mit der Bestimmung der Leistung jeweils auch deren Verkehrswert. Demgegenüber sei noch einmal betont65, daß die konkrete Verwendbarkeit einer Leistung den anderen Vertragspartner nichts angeht: Wer ein Kirchenportal bestellt, muß es bezahlen, auch wenn er infolge Zerstörung der Kirche keine Verwendung mehr dafür hat66 • e) Das Versagen des Wertmaßstabes charakterisiert auch die Fallgruppe jener Erbauseinandersetzungs- oder Nachfolgeregelungen, die auf der unzutreffenden Interpretation einer Verfügung von Todes wegen beruhen67 : Halten sich die Erben an die Verfügungen des Erblassers, so liegt hierin der Maßstab für die wechselseitigen, und deshalb entgeltlichen Nachlaßzuweisungen. Mit der Richtigkeit der Testamentsauslegung steht und fällt auch der Interessenausgleich68 • Gleiches gilt für die leb zeitige Nachfolgeregelung über eine Gesellschaftsbeteiligung unter potentiellen Erben, wenn der Gesellschafter (und spätere Erblasser) ein Testament entsprechenden Inhalts zwar angekündigt hat, aber nicht wirksam errichten kannft • Nehmen die Kontrahenten die angekündigte (und von ihnen auch nicht beeinflußbare) Erbfolgeregelung zum Maßstab ihrer künftigen Beteiligung an der Gesellschaft, so verliert ihr Interessenausgleich mit der Geltung einer früheren, den Erblasser bindenden Verfügung von Todes wegen die wechselseitig akzeptierte Richtigkeit70 • BGH NJW 1960, 91. RGZ 91, 84; weitere Beispiele: RGZ 94, 267; 87, 277. 15 Vgl. bei Anm. 16. 88 Dieses von LaTenz, Geschäftsgrundlage, S. 99 f, gebrachte Beispiel ist in der dortigen Fassung der Vertragshilfe zuzurechnen; ein Beispiel aus der Rechtsprechung bietet BGH LM Nr. 12 zu § 242 (Bb). 67 Jüngst behandelt von Schmiedel, Festschrift für v. Caemmerer, S. 231 ff. 88 Zum Vergleich: RGZ 108, 105; BGH LM Nr.1 zu § 242 (B d). 69 Zutreffend zu diesem recht komplizierten Sachverhalt BGHZ 62, 20. 70 Entgegen Schmiedel, insbes. S. 238 f, besteht kein typischer Zusammenhang mit § 779 BGB. 83

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f) Schließlich gehört noch der sog. Irrtum über die Vergleichsgrundlage (§ 779 BGB) in diesen Zusammenhang. Auch der Vergleich ist ein entgeltlicher Vertrag, aber er wird durch "Ungewißheit", also gerade durch das Fehlen verläßlicher Wertmaßstäbe gekennzeichnet. Mangels exakter Bewertung ist der im Vergleich erzielte Interessenausgleich weniger störanfällig. An die Stelle exakter Maßstäbe tritt aber der von allen Beteiligten zugrundegelegte Sachverhalt. Wird nicht einmal er zutreffend erfaßt, kann es zu keinem verantwortbaren Interessenausgleich kommen.

Deshab müssen zum "Sachverhalt" i. S. des § 779 BGB selbstverständlich auch rechtliche Fragen gezählt werden. Für die subjektive Richtigkeit des Interessenausgleichs macht es keinen Unterschied, ob sich die Beteiligten von tatsächlichen oder rechtlichen Fehlvorstellungen haben leiten lassen71 • IH. Wie jede normative Vertragskontrolle muß auch die dem Versagen des Leistungswertmaßstabes geltende Kontrolle per - subjektiven - Leistungsäquivalenz für jeden einzelnen Vertrag nach Voraussetzungen und Folgen konkretisiert werden. Zuerst ist der Vertragsinhalt zu ermitteln. Weil sich normative Ordnung gegenüber der Privatautonomie zurückhält1!, schuldet sie jeder privatautonomen Regelung deren vorgängige sorgfältige Auslegung, bevor sie eingreift. Das gilt für die Äquivalenzkontrolle um so mehr, als sie jedenfalls dispositiv ist. Haben die Kontrahenten selbst Vorsorge für das Versagen des Wertmaßstabes getroffen, oder hat ein Kontrahent dieses Risiko übernommen73 (so daß dessen Verwirklichung von der Leistungsäquivalenz gedeckt wird14), besteht für einen normativen Eingriff kein Anlaß. Die - erläuternde, nicht ergänzende - Vertragsauslegung setzt insofern der normativen Kontrolle Grenzen1S • Auch wenn eine vertragliche Regelung fehlt, bleibt Gegenstand der normativen Kontrolle doch stets der Einzelvertrag mit seiner privatautonom festgesetzten Leistungsäquivalenz. Das ist insbesondere bei einer etwa erforderlichen Vertragsanpassung zu beachten, die aber dennoch nicht der ergänzenden Auslegung zugerechnet werden darf16 • Ebenso SchmiedeI, S. 239 f, und Weitnauer, SAE 1973, 199. Vgl. bei Anm.36. 7S Auf die Bedeutung etwaiger Risikoübernahmen weist insbes. Peter Ulmer, AcP 174, S. 185 ff, hin. 74 Vgl. bei Anm. 38 ff. 75 So insbes. Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis, S. 162 f. 78 a.A. insbes. Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, S. 175 ff, und JZ 1966, S. 766, und Medicus, Festschrift für Flume, insbes. S. 632 ff. 11

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Denn "Anpassung" bedeutet den übergang von der subjektiven zur objektiven Leistungsäquivalenz, und die Entscheidung hierüber kann nur normativ getroffen werden. Im einzelnen erfordert die Konkretisierung des normativen Urteils für den Einzelvertrag die Beachtung zahlreicher Aspekte. Sie können hier nur noch angedeutet werden: 1. Durch Auslegung muß insbesondere ermittelt werden, ob ein Wertmaßstab in den Vertrag einbezogen wurde, und ob er die Leistungsbestimmung als fixe Größe oder in einer gewissen Variationsbreite trägt. Hiervon hängt dann ab, welche Schwankungen des Wertmaßstabes für die Leistungsäquivalenz erheblich sind. Schwierigkeiten bereitet vornehmlich die Beurteilung von Währungsschwankungen und Marktpreisveränderungen infolge steuerlicher oder wirtschaftspolitischer Maßnahmen77, während feste Notierungen78 oder auch von einem Dritten getroffene zuweisende Verfügungen79 jedenfalls dann als fixe Kalkulationsfa~toren gelten müssen, wenn sich die Kontrahenten genau daran halten. Durch die Leistungsmenge konstituierten Wertmaßstäben eignet wiederum eine gewisse Variationsbreite, während für den Wertmaßstab der Leistungsart das Alles-oder-Nichts-Prinzip gilt80 •

Wichtig ist die Beschränkung der Kontrolle auf den Wertmaßstab81 • Beispielsweise ist für die Anpassung einer Betriebspension allein die Störung der Leistungsäquivalenz maßgebend und nicht (auch) die persönliche Bedürftigkeit des Pensionärs82• Als Entgelt für geleistete Dienste wurde die Pension leistungsbezogen und ohne Rücksicht auf die wechselnden Bedürfnisse des Arbeitnehmers festgesetzt 83• 77 Vgl. bei Anm. 56 ff; zutreffend BGH WM 1978, 322 = JZ 1978, 235 (förderliche Analyse bei Braun, JuS 1979, 692): eine Festpreisvereinbarung begründet die Leistungsäquivalenz unabhängig von der Entwicklung des Marktpreises; berechtigte Kritik am Vorsorgeargument des BGH bei Hommelhoff, JR 1979, 62 f. 78 Vgl. bei Anm. 53 ff. 79 Vgl. bei Anm. 67 ff. 80 Vgl. bei Anm. 60 ff. Das Alles- oder-Nichts-Prinzip tritt auch bei jenen, zuvor nicht erwähnten Störungen der Leistungsart zutage, da unechte Gegenstände als echt (oder umgekehrt) verkauft werden. Auch dann ist der Leistungswertmaßstab betroffen; denn die perplexe Individualisierung: "dieser" Gegenstand wird als "echt" verkauft, läßt eine durch die Unechtheit störfähige Leistungspflicht gar nicht erst entstehen. 81 Zutreffend zu § 9a ErbBauVO BGH NJW 1979, 1546 mit nicht überzeugender Anm. v. Hoyningen-Huenes. 82 Mißverständlich insofern BGHZ 61, S. 31 (S. 36 einerseits, S. 37 andererseits). 83 Umgekehrt sind echte Unterhaltsvereinbarungen als unentgeltliche Geschäfte äquivalenzunabhängig; ihre Auslegung muß ergeben, ob sie den für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch geltenden Grundsätzen folgen.

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Zu achten ist schließlich darauf, ob nicht der Gesetzgeber Veränderungen des Wertmaßstabes in gewissen Grenzen für unerheblich erklärt84. Entsprechende Regelungen, etwa zur Sicherung des Nominalprinzips, drängen den Gedanken der subjektiven Vertragsgerechtigkeit zurück. 2. Das Konkretisierungsproblem stellt sich auch für die Rechtsfolgenseite:

Wiederum ermöglicht ein durchgängiges Abstellen auf das Versagen des Leistungswertmaßstabes eine Präzisierung: Dieser Maßstab begründet, so wie er einerseits dem Vertrag zugrunde gelegt wurde und wie er andererseits als richtig ermittelt worden ist, einen Äquivalenzrahmen, auf dessen ihm günstigen Grenzwert sich jeder Kontrahent jedenfalls eingelassen hätte. Insofern ist deshalb ausnahmsweise die Anknüpfung an einen hypothetischen Interessenausgleich erlaubt. Jeder Vertragspartner muß den Vertrag zu der ihm günstigen Wertbestimmung erfüllen, wenn es der andere Partner verlangtS5• Hiervon abgesehen kommt eine Vertragsanpassung vor Beginn des Leistungsvollzuges nicht in Betracht. Schematische Lösungen, wie das Abstellen auf den Mittelwert im Aquivalenzrahmen oder auf den objektiven Marktpreis, vernachlässigen die Frage, ob die Vertragspartner eine solcherart veränderte Belastung übernehmen wollten und ihr gewachsen wären. Das Leistungsvermögen wiederum liegt außerhalb der Leistungäquivalenz und darf nicht zum Schaden des anderen Kontrahenten mit berücksichtigt werden. So bleibt nur die Auflösung des Vertrages86• Nach dem Beginn des Leistungsvollzuges erscheint dagegen die Anpassung des Vertrages als vorzugswürdig81, zumal wenn die Änderung des Wertmaßstabes erst nach diesem Zeitpunkt (aber noch vor vollständiger beiderseitiger Erfüllung88) eintritt. Denn dann wäre bei der fiktiven Zurückrechnung des Leistungswertes auf den Zeitpunkt des Leistungsvollzugs ohnehin mit einer Verzerrung der Äquivalenz zu rechnen. Die Anpassung muß dann durch Annäherung der ursprünglichen Vertragsregelung an den objektiv richtigen Wertmaßstab geschehen. Sie weist insofern gewisse Berührungspunkte mit der ergänzenden 84 Dazu eingehend Peter Ulmer, AcP 174, S. 193 ff. 85 Im Ergebnis ebenso Flume, Allg.T. § 26 4b (S. 502 f). 86 Treffend die Warnung Schmidt-Rimplers, Festschrift für Nipperdey (1955), S. 28, vor einem "nachgeschobenen Kontrahierungszwang"; vgl. auch Wieacker, Festschrift für Wilburg, S.247. 81 Ebenso Medicus, Festschrift für Flume, S.647. 88 Sonst hat jeder Kontrahent noch den ihm gebührenden Leistungswert erhalten.

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Auslegung auf. Ist freilich der Wertmaßstab gänzlich zerstört, so bleibt für Austauschverträge wiederum nur die Auflösung (und Rückabwicklung). Für Dauerschuldverhältnisse (der für Badeartikel gemietete Laden muß infolge eines allgemeinen und unbefristeten Badeverbots schließen) ist ein außerordentliches Kündigungsrecht zuzubilligen.

Ipso faclo avoidance By Jan Hellner

1. Article 26, para. 1, of the Uniform Law on International Sales (ULIS) reads: Where the failure to deliver the goods at the date fixed amounts to a fundamental breach of the contract, the buyer may either require performance by the seller or declare the contract avoided. He shall inform the seller of his decision within a reasonable time: otherwise the contract shall be ipso facto avoided. The same consequence as provided in the latter sentence of this paragraph - that the contract is ipso facta avoided - ensues according to ULIS in a number of other situations in which the seIler fails to deliver the goods according to the contract or the buyer fails to pay the price in accordance with the contract and the Law (art. 25; art. 26, para. 2; art. 30, paras. 1 and 2; art. 61, para. 2; art. 62, para. 1). The provisions on ipso facto avoidance have turned out to be among the most controversial provisions of ULIS, which is indicated particularly by the fact that UNCITRAL, in the course of its work of transforming ULIS into a (draft) Convention on the International Sale of Goods, has eliminated the concept of ipso facta avoidance altogether. This discussion will be focussed on art. 26, para. 1, as being the provision that exposes the principal problem most clearly, and the other provisions just mentioned will be considered only in so far as they illuminate this problem. First, the fate of ipso facto avoidance in the work of UNCITRAL will be described (2). After that, the origin of the ipso facta avoidance rule in the various drafts of ULIS and in previous national legislation will be traced (3). The practical consequences of the present rule will be the next subject (4). FinaIly, the function and justification of ipso facta avoidance will be analyzed (5). 2. At an early stage of its work on revising ULIS, UNCITRAL took notice of the concept of ipso facta avoidance. Attention was first drawn to the use of the concept in art. 62, para. 1, concerning the buyer's failure to pay the price at the time fixed 1• At the same time complaints 1 Report of the Working Group on the international sale of goods, 1st session, 5 - 16 January 1970, paras. 92 - 104 (UNCITRAL Yearbook Vol. I, 1968 - 70, pp. 184 f.), with further references.

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were raised against the "abstract and confusing" character of the expression2 • Soon afterwards, however, it was found necessary to have a more detailed study of the concept performed, and in its 3rd session (April 1970) UNCITRAL requested the Secretary-General to prepare a study of the concept of ipso facta avoidance 3• This request led to areport dated 9 december 1971". It surveys the rules in national laws and in standard form contracts which contain solutions that are more or less similar to that of ipso facta avoidance5• The report states that such solutions are found in some nationallaws, whereas general conditions of sale and standard form contracts do not, according to the report, as a rule recognize "that kind of termination of the contract"6. The report then proceeds to an analysis of the use of the remedy of ipso facta avoidance in ULIS. It is noted that the remedy is linked to the concept of "fundamental breach", and it is stated that automatie avoidance can "operate effectively only if the definition in the law of the concept of 'fundamental breach' is clear and unambiguouS"7. As can be surmised, the definition found in ULIS (art. 10) is considered to fail in this respect8• The report also mentions the reasons which the "Special Commission" gave, in its report accompanying the 1956 draft of ULIS, for resorting to ipso facta avoidance when a buyer fails to inform the seller of his decision whether to require performance or to avoid the contract. The principal reason given is that "it was important not to allow the buyer to remain waiting, whilst he watches price fluctuations before making his election known"9. The Secretary-General's report suggests, as a more direct approach to the problem, to introduce a provision which ~o~Jd. deny the buyer the remedy of specific performance if the buyer invokes this remedy following a delay during aperiod of fluctuating prices, and if damages are eventually requested, deny the benefit of added damages resulting from a change in the price while the buyer delayed his decision10 • Ibid. para. 95 (p. 184). Report of the Commission's 3rd session (1970), para. 46 (UNCITRAL Yearbook Vol. I, p. 135). ""Ipso facto avoidance" in ULIS: report of the Secretary-General (UNCITRAL Yearbook Vol. IH, 1972, pp. 41 - 54). To the report are annexed comments by Hungary, Italy, Norway, Spain, Tunisia, and the USSR. 6 Ibid. paras. 20 - 30. 11 Ibid. para. 30. 7 Ibid. para. 32. 8 Ibid. paras. 33 - 41. , Ibid. para. 48. 10 lbid. para. 51. 2

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The Secretary-General's report further discusses the uncertainty arising from the concept of "reasonable time", found in art. 26, para.1, and mentions a number of possibilities that may arise when the seHer does not deliver the goods in time. The conclusion drawn is that because of the vagueness of the expression "reasonable time" (as weH as of "fundamental breach") the parties could not be sufficiently sure of their rights and obligations11 • The report ends with the conclusion that adecision on the desirability of retaining ipso facta avoidance is called for, at the same time suggesting that the whole remedial structure of ULIS might be worth reconsidering12• At a session of the Working Group which took pI ace in January 1972 shortly after the Secretary-General's report had been presented, most representatives and observers who spoke on the issue agreed that the concept of ipso facto avoidance should be eliminated "because it created uncertainty as regards the rights and obligations of the parties in case of breach of the contract"13. It was suggested that the problem of possible speculation based on price fluctuation could be dealt with directly without the use of the general concept of ipso facta avoidance. "The Working Group agreed that in the remedial system of the law avoidance of the contract should be made dependent on notice by the injured party to the party in breach. If the injured party did not declare the contract avoided the contract continued to be in force I4." In a subsequent report of the Secretary-General (dated 7 December 1972), containing "consolidation of work done by the Working Group", this decision was discussed furtherlI!. A practical example was given: The seHer is late in shipping the goods to the buyer. On their arrival at the port in the buyer's city, the buyer rightfuHy decided that the delay was so serious that he was justified in refusing to take the goods. (In the language of ULIS the breach was "fundamental" justifying "avoidance" of the contract.) Under ULIS, the buyer need not inform the seIler that he refused to accept the goods. Under the decision and redraft by the Working Group, if the buyer refused to take the goods he must "by notice to the seHer declare the contract avoided". Among the reasons favouring this change in policy is the seHer's need to know that he must reship or resell the goods or take other action to present their wastage or spoilagel8. 11 Ibid. paras. 54 - 55. 12 Ibid. para. 59. 13 Progress report of the Working Group; Annex H, Decisions of the Working Group, para. 29 (UNCITRAL Yearbook Vol. III, 1972, p.85). 14 Ibid. para. 31. 16 Report of the Secretary-General: obligations of the seHer in an international sale of goods; consolidation of work done by the Working Group, paras. 34 - 42 (UNCITRAL Yearbook Vol. IV, 1973, pp. 41 f.). 16 Ibid. para. 36 (p. 41).

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In the same report, alternative provisions for the situation for which ULIS prescribed ipso facta avoidance were suggested. However, it was later decided to consolidate the remedial provisions and to establish a single, unified set of such provisions, covering both the seIler's breach of contract as to date and place of delivery and his failure to deli ver conforming goods and to transfer title l7 • In this way, the remedial provisions developed in a way which differed considerably from the system of ULIS, and apparently all plans to preserve any rules aimed at preventing speculation foundered in the process. Although the matter was mentioned in one of the notes containing comments on the draft convention of 197618, no attempt to deal with the speculation aspect seems to have been made. The impression left by the treatment of ipso facto avoidance by UNCITRAL is that the "abstract and confusing" character of the concept contributed to the result as much as any practical considerations. It seems curious that a rule which purports to prevent improper speculation in price fluctuations was discarded with particular reference to its alleged consequences for wastage or spoilage of the goods; a matter which is dealt with in art. 92 of ULISI9. The Secretary-General's report, as weIl as the subsequent debate in the W orking Group, seems to have dealt almost exc1usively with art. 26, para. 1, and when this rule was found deficient, all others containing the concept of ipso facto avoidance were eliminated as well, without further argument. The investigation into the reasons for the other rules was not carried further than taking note of some remarks made in the report of the Special Commission of 1956211 • Although a number of rules of substantially similar character - but by no means all that can be found!1 - are 17 Ibid. paras. 43 - 47, 177 (pp. 42, 61), Progress Report of the Working Group, paras. 79 - 82 (UNCITRAL Yearbook Vol. IV, 1973, pp. 67 f.). 18 Comments by the Netherlands (UNCITRAL Yearbook Vol. VIII, 1977, pp. 119 f.). 18 Under art. 92, the buyer is under a duty to take possession of goods that have been dispatched to him, unless the buyer cannot take possession of the goods without payment of the price and without unreasonable inconvenience or expense. If the buyer refuses to pay - which is of course a eommon situation - the seIler will learn by this fact that the buyer avails hirnself of his right to avoid the contract. 20 There is also (report on ipso facta avoidance, para. 11) a reference to aremark of Professor Tune, in his eommentary to ULIS, aeeording to which "it may legitimately be presumed that when the buyer is confronted with a fundamental breach it is to be conc1uded that he has no further interest in the eontraet", see Diplomatie Conferenee on the Unification of Law Governing the International Sale of Goods, Records and Documents of the Conferenee, The Hague 1966, Vol. 1, Records p.366. But this remark is taken out of its eontext; the principal reason given by Professor Tune is the same as the Special Commission gave. 21 Cf. infra part 3.

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mentioned in the Secretary-General's report on ipso facto avoidance, no attempt was made to investigate their special features and professed functions. 3. The origin of the rules in ULIS using the concept of ipso facta avoidance can be found by looking at the successive drafts and the reports which accompany them. Art. 26, para. 1, corresponds closely to art. 29, para. 1, of the 1963 draft, which was the text laid before the Hague conference22• Two fairly important changes were made during the conference. In the 1963 draft, the period within which the buyer must make his decision known to the seIler was "without undue delay"; at the conference this period was prolonged to "a reasonable time" (delai raisonnable)23. At the conference, the rule in art. 26, para. 2, was also introducedl!4. By this rule the seIler is entitled to request the buyer to make known his decision, and if the buyer does not comply promptly the contract is "ipso facta avoided". Art. 29 of the 1963 draft was unchanged from the 1956 draft!5. In the report accompanying this latter draft, the remedies as regards the time of delivery were discussed at considerable length. The Special Commission states that the draft rejects both the "ipso facta avoidance" which allows the seIler to recover his freedom automaticaIly, perhaps contrary to the intent of the innocent buyer, subject to paying damages, and "judicial avoidanee", which is avoidance by a court action. It seems clear that by "ipso facto avoidance", the Commission means the systenl of Anglo-American law, according to which the buyer's normal remedy when the seIler fails to deliver the goods in time is to claim damages, and a right of specific performance is granted only under special circumstances. The expression "judicial avoidance" refers to the system originating in the French Civil Code, which requires court action for avoiding a contract. The draft therefore adopted as the general rule avoidance by a simple declaration on the part of the buyer26. Although the Commission rejected the system of ipso facta avoidance on the whole, it allowed it in certain exceptional cases where, it was said, "it cannot be prejudicial to the buyer"27. In this connection we 2% See Diplomatie Conference on the Unification of Law Governing the International Sale of Goods, Records and Documents of the Conference, The Hague 1966, Vol. II, Documents (hereafter cited Documents) pp. 216 f. 23 Documents pp. 292 f. The proposal emanated from Finland, Norway and Sweden. It corresponds to the rule in the Scandinavian Sale of Goods Acts; cf. infra. 24 Documents pp. 293 f. The proposal emanated from the Netherlands. Cf. regarding Scandinavian law infra. 25 Documents p. 11. 28 Documents pp. 33 f. 27 Ibid. p. 34.

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find the statement, mentioned before (supra part 2), according to which the buyer may not remain waiting "whilst he watches price fluctuations before making his decision known"28. Particular attention is devoted to sales of goods that are sold and bought in markets at fluctuating prices, and for such goods ipso facto avoidance is prescribed when on the seIler's failure to deliver the goods it is in conformity with usage to purchase goods to replace those to which the contract relates29• This is the rule eventually included in ULIS art. 25. Even if the report accompanying the 1956 draft discusses the remedies as regards the time of delivery as a fresh issue, the rules proposed in this draft had forerunners in earlier drafts. In the drafts of 1935 (art. 25) and of 1939 (art. 27) it is prescribed, with somewhat varying expressions, that if the time of delivery is a fundamental term of the contract, the buyer, if he wants to require performance of the contract, must do so promptly ("dans un bref delai"), and if he does not do so he can only declare the contract avoided30 • In the 1935 report it is stated that the rule generalizes the principles found in the continental statutes with regard to so-called fixed-term contracts ("contrats d terme", cf. German Fixgeschäfte). Reference is made to the laws of Germany, Austria, Italy and Switzerland31 • With help of the reference to fixed-term contracts it is easy to find provisions that may have served as patterns for the rules in the drafts. The German Code of Commerce (Handelsgesetzbuch) § 376 provides that if the seIler does not perform the contract within the time fixed, the buyer can require performance only if he immediately after the expiration of the time informs the seIler that he insists on performance. If he does not do so, he can only rescind the contract or, if the seIler was· guilty of abreach of contract (Verzug), claim damages for nonperformance32. The previously mentioned principle is limited to fixed-term contracts. A similar principle of wider application is found in the Scandinavian Sale of Goods Acts. According to § 26 of these Acts, the buyer loses his Ibid. Ibid. pp. 54 f. so Projet d'une loi internationale sur la vente (S.D.N. 1935 U.D.P. Projet I) p.82; Projet d'une loi unifonne sur la vente internationale des objets mobiliers corporels et Rapport (S.D.N. 1939 - U.D.P. - Projet I (2», pp. 22 f. 31 Projet 1935 p.36, cf. Rabel, Der Entwurf eines Einheitlichen Kaufgesetzes, RabelsZ 9 (1935), reprinted and here cited from Gesammelte Aufsätze, Vol. IH, Tübingen 1967, pp. 522 ff., at p.575. 32 Cf. Swiss Law of Obligations art. 190, Austrian Civil Code § 919, Italian Civil Code art.1457. Cf. E. Rabel, Das Recht des Warenkaufs. Vol. I, 2d ed. 1957, pp. 389 ff. 28 29

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right to require performance by the seIler if he does not within a reasonable time after delivery should have taken place, inform the seIler that he wants to exercise his right. § 26 also contains a rule entitling the seIler to inquire from the buyer whether the latter wants performance in spite of the delay, and if the buyer fails to reply, the buyer can no longer require performance33• These rules apply to all sales, including non-commercial sales. As the principal reason for the rules in § 26, it is mentioned that the buyer must be prevented from using his right to choose between requiring performance and avoiding the contract in order to speculate at the defaulting seller's expense34 - considerations which of course recall the arguments advanced in favour of the rules in ULIS art. 26. The evolution can now be summarized. In the earliest drafts of ULIS, rules corresponding to those found in various national statutes and relating to fixed-term contracts were included. There are two dominant features in these rules: that time is essential -'- which belongs to the definition of a fixed-term contract - and that the principal remedy of the buyer when the goods are not delivered in due time is to claim damages, whereas a claim for specific performance is allowed only if the buyer insists on it immediately after the time when the goods should have been delivered. In the 1956 draft the requirement that the time should be fixed was changed - in conformity with a general change of pOlicy35 - to the requirement that the breach should be fundamentaL Instead of the earlier expression that the buyer must declare the contract avoided if he had not required performance, it was now prescribed that the contract was avoided "ipso facto". This appears to be chiefly a matter of legal technique - if the buyer has only one option the law can just as weIl prescribe the rule contained in this option. The legislator thus avoids the necessity of providing a special rule for the situation where tbe buyer omits to declare the contract avoided, even though he is required to do so. lt is possible that § 26 of the Scandinavian Sale of Goods Acts has had some influence on the ULIS drafts, but the printed documents do not seem to contain any evidence which substantiates this possibility. However, the changes introduced at tbe Hague conference increased the similarities to Scandinavian law that the drafts exhibited. In sub33 Cf. the English translation of the Swedish Act in Zweigert / KrophoHer (eds.), Sources of International Uniform Law, Vol. 1, Leiden 1971, pp. 197 ff. 34 See T. Almen, Das Skandinavische Kaufrecht, Deutsche Ausgabe von K. Neubecker, Heidelberg 1922, Bd. I, pp. 400 ff. 35 The earlier principle was criticized at the Hague Conference 1951, see Actes de la Conference ... sur un projet de convention relatü ci une loi uniforme ... La Haye 1951, Rorne 1952, pp. 177 f.

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stance the Scandinavian rules are so similar to those of ULIS that their application can throw some light on the function of the latter. 4. The expression "ipso facto avoidance" has evidently failed to convey its intended meaning even to some experts who are familiar with ULIS38. It should be remembered that until the Diplomatic Conference at the Hague in 1964, French was the language in which the statute now generally called ULIS took form. The French expression is "resolution de plein droit". But it is not worthwhile to discuss even the meaning of this expression in French legal parlance, since evidently the rules laid down in ULIS itself must decide its meaning in this statute37•

Art. 78 defines the meaning of avoidance in ULIS: 1. Avoidance of the contract releases both parties from their obligations

thereunder, subject to 2. If one party has may claim the return tract. If both parties concurrently.

any damages which may be due. performed the contract either wholly or in part, he of whatever he has supplied or paid under the conare required ot make restitution, they shall do so

This provision expresses a fundamental principle of ULIS which was already established in the first draft. A voidance does not mean that the contract becomes a nullity or "ceases to be in force" or "comes to naught" but simply that neither party can claim performance from the othez-38. The right to claim damages remains unimpaired. Since fault is no prerequisite for liability to pay damages such liability always arises, unless the exemption rule in art. 74 operates. If we apply the definition found in art. 28, para. 1, to the situation envisaged in art. 26, para. 1, we find that the primary consequence which ensues when the buyer fails to inform the seIler of his decision within a reasonable time is that the buyer loses his right to require 36 Cf. J. Honnold, Law & Contemporary Problems Vol. 30 (1965) p. 348, and Amer. Jour. Comp. Law Vol. 27 (1979) pp. 228 f. In the latter article, Prof. Honnold refers to ipso facto avoidance as a remedy available to the buyer when the seller tenders defective performance. However, ULIS never provides ipso facto avoidance in such situations, only when no performance has been tendered. 37 Cf. the comments of Italy annexed to the Secretary-General's Report on ipso facto avoidance, UNCITRAL Yearbook Vol. III, 1972, p.51, and E. von Caemmerer, Probleme des Haager einheitlichen Kaufrechts, Archiv für die civilistische Praxis Vol. 178 (1978) pp. 121 ff. at p. 137. 38 See Rabel, op.cit.supra n.31, at p.577. Cf. H. Weitnauer, Vertragsaufhebung und Schadensersatz nach dem Einheitlichen Kaufgesetz und nach geltendem deutschem Recht, in Wahl / Serick / Niederländer, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, Heidelberg 1967, pp. 71 ff., and H. Leser, Die Vertragsaufhebung im Einheitlichen Kaufgesetz, in Leser / von Marschall, Das Haager Einheitliche Kaufgesetz und das Deutsche Schuldrecht, Karlsruhe 1973, pp. 5 ff.

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performance. If the buyer, in spite of having lost this right, requires performance, the seIler can reply that the right no longer exists, and a court of law must dismiss a claim for such performance. Of course, nothing prevents the seIler from complying with arequest from the buyer, even if he is under no legal obligation to do so. When the contract is avoided (whether ipso facto or by declaration of the buyer) the seIler also loses his right to require the buyer to pay the price (cf. art. 78, para. 1). This consequence is of minor importance here, since it must be rare that the seIler demanc:ls payment f;rom the buyer when he has failed in his duty to deliver the goods. If the price or part of it has been paid in advance, the seIler must return it. A situation which seems to have influenced the decision of UNCITRAL is the one where the seIler, although he has not received any request from the buyer, performs the contract after the time when the contract was avoided ipso facto. The situation may be unusual but it is worth considering. With regard to the example cited SUPTa (part 2), it is stated in the Secretary-General's report that "under ULIS, the buyer need not inform the seIler that he refused to accept the .goods". With all due respect to the Secretary-General, it is submitted that this statement is unfounded. ULIS art. 26, para. 3, prescribes for the case that "the seller has effected delivery before the buyer has made known his decision under paragraph 1" of art. 26 that if the buyer does not exercise promptly his right to declare the contllact avoided, the contract cannot be avoided. In favour of applying this rule even to the situation where the contract has previously been avoided ipso facto, it can be argued that literally the provision applies, since such avoidance occurs only when the buyer has not made known his decision39 • Against such an application it can on the other hand be argued that it seems curious that a situation in which a contract has been avoided, can be transformed into one in which it cannot be avoided. However, such a result does not contradict the definition of avoidance in ULIS. In any case the technical perfection of ULIS is not such that an argument based on the apparent inconsistency of the two consequences carries much weight. More important is that it is desirable that the buyer has to declare the contract avoided if he does not want to accept goods that have been delivered, .even if too late, in fulfilment of the contract. The literal interpretation seems therefore preferable. Considerable importance has also been attached in the discussion to the uncertainty that arises for both parties when the seIler does not 39 The formula used in art. 26, para. 3, seems to emanate from a proposal of the Netherlands; see Documents p.293.

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deliver the goods in time40 • How long is the "reasonable time"? It should then be remembered that in most cases both parties can eliminate this uncertainty, the buyer by making his decision known (art. 26, para. 1), and the seIler by requesting the buyer to do so (art. 26, para. 2). The latter rule has the express purpose of making it possible for the seIler to put an end to the uncertainty. In theory, there seem to be two situations in which doubt may arise. The seIler may want to perform before the breach becomes fundamental but may feel uncertain whether the contract has already been avoided because of the lapse of a "reasonable time". However, this situation can hardly occur in practice, since the breach will have become fundamental before the reasonable time expires41 • We can therefore safely leave this possibility aside. The second situation is the one where the buyer requires performance but it is doubtful whether or not he has already lost his right, because the "reasonable time" may have expired. This is the practical situation where doubt may arise, as is borne out by the Scandinavian experience in application of the rule in § 26 of the Sale of Goods Act42 • The problem cannot be discussed in detail here. It should suffioe to mention that the prevailing opinionas regards the Scandinavian rule is that, when determining how long the buyer may defer his decision as to requiring performance, particular importance should be attached to the kind of goods that are involved, especially whether or not these are subject to frequent price fluctuations43 • As mentioned before, the alternative - to force the buyer to make his decision without undue delay - was proposed in the 1956 and 1963 drafts of ULIS. It was opposed, successfuIly, by the Scandinavians, on the graund that it was unsuitable for goods that are not subject to frequent price fluctuations. The uncertainty was accepted asa partial price of having a rule that is flexible enough to be applied to all sorts of goods. It seems clear that both periods - "without undue delay" and "within a reasona;ble time" - have adv'antages and disadvantages. Cf. supra, part 2. With regard to a number of arguments presented in the SecretaryGeneral's report on ipso facto avoidance para. 54 (UNCITRAL Yearbook Vol. III, 1972, pp. 49 f.), it may be remarked that the buyer's right to avoid the contract when the seIler does not deliver the goods in time does not depend on the expiration of a "reasonable time" but on the breach being fundamental. 42 See e.g. Nytt Juridiskt Arkiv 1918 p. 620 and 1919 p.427. 43 Cf. Almen, op.cit. supra n.34 p.414 and the report containing a proposal for revision of the Swedish Sale of Goods Act, Köplag (Statens Offentliga Utredningar 1976 :66) pp. 261 f. Cf. Dälle / Hüber, Einheitskaufrecht, Artt. 26, 27 Rdnr.40, who points out that the time need not be very short, since the seIler who is interested in a quick decision can request the buyer to make his decision. 40

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However, the buyer's right to require performance and, conversely, his loss of this right by avoidance (whether by declaration or ipso facto) also influence the amount of damages. If the price rises the buyer can, as long as he exercises or can exercise his right to require performance, make damages rise44 • Art. 84, on "abstract" computation of damages, will therefore be important. The use of the expression "avoidance" in art.26, para. 1, instead of some other phrase such as "loss of right to require performance", leads to a direct application of art. 8445 • Art. 84, para. 1, provides that, in case of avoidance of the contract, where there is a current price for the goods, damages shall be equal to the difference between the price fixed by the contract and the ourrent price on the date when the contract was avoided. Suppose first that the price rises after the time when delivery should have been effected. As long as the buyer does not exercise his option to declare the contract avoided, and as long as he requires performance, the damages continue to rise, since they are computed on the price on the date when the contract is finally avoided. The expiration of the "reasonable time", without any requirement of performance, puts an end to this possibility. Suppose next that the price falls. Damages will then also diminish, under the same principle. The buyer's possibility of speculating at the seller's expense are thus limited, since if the price falls his damages will decrease46 • It should be noted that a different result would ensue under the rules proposed in 1956. Under these rules the buyer couLd realistically wait "whilst he watches price fluctuations". An example can be provided. Goods are sold for the price of $10000. At the date when the buyer becomes entitled to declare the contract avoided the price has risen to $ 12 000. If the price continues to rise to, e.g., $15000, the buyer claims performance and makes a profit of $ (15000 -10000 =) 5000. If, on the other hand, the price falls (or remains stable) and the buyer claims damages after some time, he will still be entitled to damages based on the price when the contract could first be avoided, i.e. $ (12000 -10000 =) 2 000. This is the kind of speculation which the rule on ipso facta avoidance is intended to prevent47 • 44 Cf. DäHe I von Caemmerer, Einheitskaufrecht Art. 61 Rdnr. 10, von Caemmerer, op.cit. supra n. 37 pp. 130 ff., Almen, op.cit. supra n. 34 pp. 393 ff. 45 The policy underlying art. 84 should also influence the decision under art. 85 as to what is a "reasonable manner" to perform a cover transaction.

48 The buyer's right to decide, within the period indicated by the term "reasonable time", the moment at which to declare the contract avoided, can be said to give hirn a possibility to speculate; cf. Dälle I von Caemmerer, Einheitskaufrecht, Art. 61 Rdnr. 10, Leser, op.cit. supra n. 38 p. 10. But this possibility is not such that he will always gain; he takes the risk of losing as weIl.

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However,even TI the main purpose of art. 26, para. 1, is to compel the buyer to announce his decision, it is possible that he can fail to do so and that afterwards damages must be computed. The consequence of article 84, para. 1, is that the time which is relevant for the computation of damages will be the one when the "reasonable time" expired. Suppose that delivery should have taken place on July 1, 1979, and that the buyer does not claim damages until July 1, 1981. It is clear that by then the "reasonable time" has long passed, but at what time did it end in such a way that the price at the time should be the basis of the assessment of damages? It is impossible to discuss this question here, hut it can be maintained that this uncertainty is perhaps the most serious one created by the comblination of sees, 26 and 8448 • 5. The function and justification of ipso facto avoidance remain to be discussed with special reference to art.26, para. 1, which throughout has been treated as the model case of its application. Ipso facta avoidance can be regarded as the singularly inept designation of the normal remedy for breach of contract, especially the seller's failure to deliver the goods in time, in the Anglo-American legal system 49 • The nearest equivalent to this remedy in ULIS is found in art. 25, where specific performance is excluded unconditionally and the buyer is referred to the right to claim damages. This is a special case, and in general a breach of contract gives rise under ULIS to both a dght to require performance and, provided that the breach is fundamental, a right to declare the contract avoided. In art. 26, para. 1, ipso facta avoidance functions as a means to force the buyer to make an election between two mutually exclusive remedies which originally were both at his disposal. The means chosen to compel the buyer to make his decision is to exclude a claim for specific performance when he does not inform the seHer of his decision. 47 Article 96 of the 1956 draft. The reasons for choosing this date were exposed by Rabel in Das Recht des Warenkaufs, Vol. 1, 2d. ed. 1957, pp. 462 ff. As for the reasons which prompted the Hague, conference to depart from the principle favoured by Rabel and later by the Special Commission, see Dölle I Weitnauer, Einheitskaufrecht, Art. 84 Rdnr. 5. The 1956 principle was reinstated into the UNCITRAL draft, art. 72 (1), during the 1977 session. See Report of UNCITRAL on the work of its tenth session (A/32/17), para. 488 (p.137). 48 In the draft of a revised Swedish Sale of Goods Act (cf. supra n.43), a similar question arises, since the draft adopts the same time for deciding the damages as ULIS does. It is left open what time should be decisive when prices change, but it is stressed in the report that the time need not be the one when the "reasonable time" expires. See Statens Offentliga Utredningar 1976:66 (supra n.43) pp. 254 f., 262. 49 Cf. supra part 3.

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The loss of one remedy is thus the detriment incumbent on failure to make the election. Before dJiscussing whether it is suitable to try to compel the buyer to make such an election, it should be considered whether loss of the right to require performance is the best remedy. It m1ght be argued that, quite on the contrary, the buyer should lose his right to declare the contract avoided, as it Iis generally the wish of the buyer to receive the goods, in spite of the delay. In the case contemplated by art. 26, para. 1, where both parties have been inactive, this latter solution cannot be ,accepted. It would mean that the buyer's failure to inform the seIler of his decision, perhaps because he mistakenly believes that the prolonged failure of the seHer to deliver the goods means that he will never deliver them, may force hirn to receive and pay for goods that have become completely valueless to him, long after the agreed time of delivery. The loss of the right to require performance is much less serious - as is borne out by the normal remedy under the Anglo-American system - since the buyer can procure similar goods from another source. On the other hand, in the situation contemplated in art. 26, para. 2, the solution is not so obvious. A question from the seHer asking the buyer whether he wiH accept the goods can easily be understood as an indication that the seIler intends to perform. If the buyer does not reply to such a question it may seem reasonable that he is bound to accept the goods, provided that delivery follows within a short time after the question has been put. In fact very much depends on the framing of the seIler's question or "req'llest". Perhaps the application of the rule in art.26, para. 2, should be restricted to oases where the seller's request does not indicate that he intends to perform within a short time1iO • The situation is of course also entirely different when the goods have been delivered, as is borne oUlt by the fact that then a different rule applies, according to art. 26, para. 3. The main question is, however, whether the buyer should be made to inform the seIler of his decision, as prescribed by art. 26, para. 1. The function of this rule has been supposed to be to prevent the buyer from speculating at the seIler's expense. It has been shown here that the risk of such speculation depends largely on the priD{~iples of assessing damages. It might be concluded that the mIes found in ULIS eliminate the risk of speculation to such an extent that art. 26, para. 1, is not needed for the same purpose. Such a conciusion would, however, be premature. Even the buyer's right to choose the time of avoiding the contract may be considered to give hirn a possibility of specula50 Cf. Atmen, op.cit. supra n.34 pp. 408 ff. and Statens Offentliga Utredningar 1976:66 (supra n.43) p.261.

7 Festgabe für Hermann Weltnauer

Jan Hellner

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tion51 • The parties may have agreed to asses damages in another way than envisaged in ULIS art. 84, or commercial usages might call for such a different method of assessment. The risk for speculation might then remain and justify the rules in art.26, para.!. By pursuing such ideas we run into fields of increasing uncertainty. Still this uncertainty does not seem to involve any argument against the rule in art. 26, para. 1, only justify the conclusion that the importance of the rule for preventing speculation may vary according to what other rules apply to the contract. It may also be argued that the cases where price fluctuations are important are dealt with in ULIS art. 25 - conceming sales of goods for which usage prescribes that the buyer proceed immediately to a cover transaction when the goods are not delivered in time - and that art. 26, para. 1, is therefore superfluous. If this argument is correct, one should have either art.25 or art. 26, para. 1, but not necessarily both. The argument therefore cannot justify the elimination of both rules, only possibly one of them. Another al"gument in the same vein would be that sales of goods for which price fluctuations are important will not in practice be governed by ULIS. There are detailed standard form contracts and commercial usages applicable to such sales, and they govern the consequences of failure to deliver the goods in time. For the sale of such goods, the argument might be thata statute like ULIS will either be superfluous, by containing rules on matters which are already decided by the contracts or usages, or that it is likely to do more harm than good, by introdJucing foreign elements into a system which can be presumed to be well-balanced without the interference of an oUicious legislator. Ta such arguments, it can be replied that it runs counter not only to the ,aspirations of ULIS - which certainly include providing rules that are suitable also for sales of staple commodities that are sold in international markets - but also to the function of any uniform statute on sales. Such astatute is intended to replace nationallaws, which are applicable also to the kind of sales now mentioned, and substitute for them rules which are suited to international sales, inc1uding those of goods fluctuating in price. A criticism of ULIS on such a ground must be based on showing that the rules of ULIS are unsuitable, or at least less suitable than the best national rules, for such sales. In this respect it can be recalled that Anglo-American law go es much farther than ULIS in restricting the right of the buyer to require specific performance and that many European continental statutes contain rules on fixed-term contracts. There are good reasons to include in a statute intended for international sales of goods fluctuating in value 51

Cf. supra n. 46.

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at least some rule aimed at preventing improper speculation, even ü it will not go so far as the Anglo-American principle. However, it might be argued that even ü the rule in art. 26, para. 1, is suita:ble for sales of goods that are subject to frequent price fluctuations, it is not suited to other goods. To this argument it can be replied that, even apart from the need to prevent improper speculation, there are good reasons for making the buyer make adecision and commumcate it to the seller. The seIler shou1d not be left in ignorance of the buyer's decision. He should be able to adjust himself as soon as possible to the course that the buyer requires. We find here the same reasons as in many other situations for requiring a party to make up his mind and iruorm the other party of what he has decided. These reasons apply to all types of goods and contracts. It might be object.ed that such a rule is not so necessary under modem condlitions, when partiesare in constant communication with each other and it is easy to get in touch by telex or telephone, as they were earlier. This may be true for many situations, and if the parties communicate and provide eXiact statements regarding their decisions, no rule will be necessary. Unfortunately, there are also situations where the parties may f,ai! to communicate or at least not take adefinite position in their communications. There may be different views or misunderstandings as to the duty or time of performance. A party might, rather than broach an unpleasant subject, remain silent in the hope that in the end all will turn out well. It is also possible that the buyer, without downright speculating at the seller's expense, will take advantage of an unexpected rise in the price of the goods and require performance of a contract which, ü the rise had not occurred, he would have allowed to lapse. In an economy of constant inflation, with a consequent frequency of price increases, this latter argument holds more force than under periods of constant prices.

These risks contain the reasons for a rule such as the one found in art. 26, para. 1. A party aggrieved by the other party's breach of contract should be encouraged, or compelled, to make up his mind and communicate his decision to the party in breach. Even if rules requiring such activity may create uncertainty, if they fail in their primary objective because the party aggrieved remains inactive in spite of them, the lack of such rules will also create uncertainty, often of a more serious kind. It may be a matter of opinion which kind of uncertainty is more detrimental. The uncertainty created by the rule on ipso facta avojdance is, however, comparatively innocuous, in so far as it does not deprive the party aggrieved of his right to claim damages. 7·

lul.-Ulp. D. 17, 2,52 pr.: Nachbarschaftliche Abreden zwischen rechtlicher Bindung und rechtsfreiem Raum Von Karlheinz Misera A. Die Digesten haben uns eine Fülle schwieriger Fälle aus dem reichen Material der Literatur klassischer römischer Juristen überliefert. Fast immer kann man dabei ahnen, wie der Fall die Juristen gereizt hat, weil er ihren Scharfsinn herausgefordert und sie gedrängt hat, ihn mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Instrumentarium einer gerechten Lösung zuzuführen. Der folgende Fall mag aus der Praxis stammen; er scheint aber, wiewohl nur einmal überliefert, ein Schulfall geworden zu seini. Ulpian, der mit anderen Spätklassikern die Ernte der römischen Jurisprudenz einbringt, überliefert ihn und zitiert dabei den Hochklassiker Julian. Die Untersuchung dieses Fragmentes ist Hermann Weitnauer gewidmet, der, gründlich im römischen und gemeinen Recht ausgebildet, nach wie vor einen lebendigen Kontakt zu diesen Quellen unserer Rechtsordnung pflegt und als Forscher und Lehrer immer wieder auf jene zurückgreift. D. 17, 2, 52 pr. (VIp. 31 ad ed.) Cum duobus vicinis fundus coniunctus venalis esset, alter ex his petit ab altero, ut eum fundum emeret, ita ut ea pars, quae suo fundo iuncta esset, sibi cederetur: mox ipse eum fundum ignorante vicino emit: quaeritur, an aliquam actionem cum eo vicinus habeat. Iulianus scripsit implicitam esse facti quaestionem: nam si hoc solum actum est, ut fundum Lucii Titii vicinus emeret et mecum communicaret, adversus me qui emi nullam actionem vicino competere: si vero id actum est, ut quasi commune negotium gereretur, societatis iudicio tenebor, ut tibi deducta parte quam mandaveram reliquas partes praestem.

Der Sachverhalt sieht zunächst ganz einfach aus, nimmt dann aber eine überraschende Wendung. A und B sind Grundstücksnachbarn, an deren beider Grundstücke das Grundstück des Lucius Titius angrenzt; dieses steht jetzt zum Verkauf an. A möchte gern den an sein Grundstück grenzenden Teil des L hinzuerwerben, will aber nicht selbst als Käufer auftreten. A fragt nun B, ob B nicht das ganze Grundstück des 1 s. auch Arno, Contratto di societa (1938), 122: quaeritur. Zu diesem Indiz Kaser, Zur Methodologie der römischen Rechtsquellenforschung (1972), 21; ders., Ein Jahrhundert Interpolationenforschung an den römischen Rechtsquellen, Anz. Ak. Wien phil.-hist. Klasse (1979), 106.

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L kaufen und dann den an A grenzenden Teil ihm, dem A, übertragen könne. B ist offenbar geneigt, dem Vorschlag zuzustimmen und den Plan auszuführen. Doch alsbald kauft A ohne Wissen des B das Grundstück des L. B möchten den an sein Grundstück grenzenden Teil haben, doch A lehnt das ab. Gefragt wird, ob B mit irgendeiner Klage gegen A vorgehen könne. Die Entscheidung lautet nicht schlicht ja oder nein, sondern hier sei, so meint Julian, zu unterscheiden; es handele sich um eine verwickelte, verzwickte Frage, bei der der Schlüssel im Bereich des Sachverhalts liege. Es komme darauf an quod actum est, was beabsichtigt gewesen sei: Sei es allein darum gegangen, daß B das Grundstück des L kaufte und mit A teilte, so stehe dem B gegen A keine Klage zu. Anders dagegen, wenn das Vorhaben als commune negotium, als gemeinsames Geschäft, betrieben werden sollte; dann könne B den A mit der actio pro socio auf Übertragung des Grundstücks L mit Ausnahme des an A grenzenden Teils belangen. Ob B eine Klage zukommt oder nicht, hängt damit entscheidend von dem quod actum est 2 ab. Die Frage, wie die Absicht der Parteien festgestellt werden kann und welche Umstände dabei in Betracht zu ziehen sind, ist vielschichtig; wir brauchen hier auf sie nicht einzugehen, weil sich das Fragment zu diesem Problem nicht äußert, sondern in den Alternativen von den beiden möglichen Ergebnissen einer solchen Erforschung ausgeht und sie dann rechtlich würdigt. B. Bei der zweiten Variante3 , in der dem B die actio pro socio zusteht, nimmt Julian eine Gesellschaft an. Die societas des klassischen Rechts ist ein Zusammenschluß zweier oder mehrerer Personen, um ~~nen gemeinsamen Zweck mit gemeinsamen Mitteln zu fördern". Betrachten wir Juliangll Subsumption: Zunächst ist sicherlich eine rechtsverbindliche Abrede zu konstatieren6 ; eine echte Rechtsbindung muß beiderseits gewollt sein, damit Kontraktsbeziehungen zwischen den beiden Nachbarn entstehen. Diese Abrede wird als Begründung einer so ci etas qualifiziert. Entscheidend wird im Fragment die Verfolgung einer gemeinsamen Angelegenheit (commune negotium) herausgestellt, nämlich der Erwerb des Grundstücks wohl zwecks ArrondieDazu Pringsheim SZ 78 (1961) 1 ff, Kaser, Das Römische Privatrecht I, m.w.N. Fn.7. a Wieacker, Societas (1936), 325, hält diese Variante für paraphrasiert. " Kaser RP 12 § 133 I m.w.N. 11 Beide Alternativen dürften von Julian stammen, sieht doch er den Schlüssel in der implicita quaestio facti; zum Wechsel zwischen indirekter und direkter Rede unten. Einen Gegensatz zwischen Julianund Ulpian vermutet Arno, S. 122. G Das ist auch aus "negotium" zu folgern. 2

2. Auf!.. (1971), § 58 I 2

1ul.-Ulp. D. 17, 2, 52 pr.

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rung der Grundstücke von A und B. Es heißt quasi commune negotium: "quasi"7 kann "gleichsam, sozusagen" meinen, ist hier aber in der Bedeutung "als" gebraucht8 ; denn die actio pro socio wird direkt gegeben, nicht etwa analog (utilis, utiliter). Wie der Gegensatz zur ersten Variante zeigt, ist nicht entscheidend, daß der Ankauf im gemeinsamen Interesse liegt; vielmehr kommt es darauf an, ob die Parteien einig sind, das Geschäft als gemeinsames durchzuführen'. Ein Gesellschaftsvermögen - Miteigentum an dem Grundstück L soll nicht gebildet werden. Die klassische societas erzeugt im übrigen Rechte und Pflichten nur unter den Gesellschaftern; die Gesellschafter haben nach außen keine Vertretungsmacht10 • Bei ordnungsgemäßer Durchführung der Gesellschaft hätte B das Grundstück zu kaufen und zu erwerben gehabtll und hätte dann den Teil, der an das Grundstück des A stößt, an diesen zu übereignen. Für die gemeinsame Förderung des gemeinschaftlichen Zwecks reicht offenbar, daß A und B (im Innenverhältnis) den Kaufpreis anteilig zu zahlen haben; B hat außerdem den Ankauf zu tätigen12• Daß A einen Vorschuß leistet, ist nach dem weiteren Verlauf höchst unwahrscheinlich. Im übrigen handelt es sich um einen typischen Fall einer Gelegenheitsgesellschaft für einen Einzelzweck. Die actio pro socio 13 wird manente societate im allgemeinen nicht gewährt 14 • Einen Rechtszwang zur Erfüllung der Verpflichtungen, die die fides zwischen den Gesellschaftern erzeugt, gibt es in der Regel bei den Klassikern noch nicht; dies finden wir erst später bei Justinian. Im klassischen Recht steht erst nach aufgelöster societas die Klage aus ihr, die actio pro socio, zur Verfügung. Aufgelöst wird die Gesellschaft spätestens durch die Erhebung der Klage aus ihr; mit jener macht dann der Gesellschafter seinen Willen kund, sich von der societas zu lösen. Den heutigen Juristen würde interessieren, wann denn nun die Gesellschaft aufgelöst wurde. Der erste denkbare Zeitpunkt wäre der Kauf des Grundstücks des L durch A: die Gesellschaft wäre aufgelöst, entweder weil A mit dem Kauf seinen Willen kundtut, sich von der GesellDazu Heumann / Seckel, Handlexikon, 10. Aufl. (1958), s.h.v. Anders z.B. Guarino, Societas consensu contraeta (1972), 70 Fn.227. 11 Nicht immer liegt einem gemeinschaftlichen Kauf eine societas zugrunde; dazu und zu Quellen Arangio-Ruiz, Societa (1950), 50 ff, vgl. auch Cancelli NND1 17 (1970), 508. 10 s. nur Kaser RP 12 § 133 II. 11 Paul. D.17, 2, 74. 12 Vgl. dazu auch Pomp. D. 17, 2, 6. 13 Zum iudicium societatis s. Bianchini, Studi sulla societas (1967), 107 f. 14 Anders neuerdings Guarino, S. 77 fund Labeo 14 (1968), 158 ff, dagegen Wieacker 1ura 24 (1973), 251 f, Kaser SDH1 41 (1975), 329 ff. 7

8

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schaft zu lösen15, oder weil die Zweckerreichung durch das Handeln des A unmöglich wird16• Mit der auf Abrechnung gerichteten11 actio pro socio würde B - in moderner Terminologie - dann Schadensersatz begehren, nämlich den Ausgleich des Schadens, den er aus dem treuwidrigen Verhalten des A erlitten hat. Der zweite denkbare Zeitpunkt wäre der der Erhebung der actio pro SOCi0 18 ; die Gesellschaft hätte dann noch bis zur Klageerhebung bestanden. B würde dann wiederum in moderner Terminologie - Erfüllung verlangen: A müßte sich kraft der bona fides so behandeln lassen, als habe er für Rechnung der Gesellschaft gekauft. A wäre dann verpflichtet, dem B den diesem zukommenden Teil zu übertragen; täte A dies nicht, so könnte B mit der actio pro socio vorgehen, und die Gesellschaft wäre damit aufgelöst. Julian-Ulpian äußern sich zu diesen Fragen nicht. Zum einen wohl deshalb nicht, weil, wie gesagt, die actio pro socio ohnehin erst nach Auflösung der Gesellschaft gewährt wird1!t; die actio pro socio spiegelt die Rechtsregeln wider, die während des Bestehens der Gesellschaft gegolten haben20 , und dazu gehören ebenso Erfüllungs- wie Unterlassungspflichten. Zum anderen ist zu bedenken, daß auch für die actio pro socio das Prinzip der condemnatio pecuniaria gilt21 , das im Ergebnis der oben vorgenommenen scharfen Scheidung einiges von ihrer Bedeutung nimmt. Im Kontext der übrigen Fragmente zum Gesellschaftsrecht scheint die fraus des hinterrücks Kaufenden die beherrschende Vorstellung der Juristen zu sein, s. Iul.-Paul. D.17, 2, 65, 4. In jedem Falle wird aber A sich bei drohender actio pro socio ernsthaft überlegt haben, ob er nicht freiwillig reliquas partes herausgibt, weil eine Verurteilung aus dieser Klage infam macht. Zu erörtern bleibt schließlich - auch schon mit Blick auf die erste Variante des Fragments - die Frage, warum Julian-Ulpian hier nicht ein Mandat annehmen. Am Ende des Fragments taucht zwar mandare auf (ut tibi deducta parte quam mandaveram reliquas partes praestem); doch ist mandare hier untechnisch gemeint, weil sich die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern nicht nach dem mandatum (im technischen Sinne) richten:!. Call. D.17, 2, 64, vgl. auch Iul.-Paul. D. 17,2,65,4. Zur Auflösung der Gesellschaft durch Unmöglichwerden der Erreichung des Gesellschaftszwecks s. allgemein Ulp. D. 17,2,63,10, vgl. ferner D.17, 2, 52, 11. Spiegelbildlich endet die societas durch Zweckerreichung, Paul. D. 17, 2, 65, 10. 17 s. nur Wieacker SZ 69 (1952), 310 f, Kaser RP 12 § 133 V 2. 18 Proc.-Paul. D. 17,2, 65 pr. 19 Oder weil spätestens sie die Gesellschaft auflöst. 20 Kaser RP 12 § 133 V 2. 21 Das Interesse des B konnte durchaus höher sein als der anteilige Kaufpreis. 15

18

lul.-Ulp. D. 17,2,52 pr.

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Die Annahme eines mandatum zwischen A und B - vertragliche übernahme der unentgeltlichen Besorgung eines fremden Geschäfts ist an sich nicht ausgeschlossen. Der Auftrag kann auch schon nach klassischem Recht den Tatbestand eines gemischten Interesses, hier des A (Auftraggebers) und des B (Beauftragten), umfassen2:t. Verbunden mit dem Auftrag wäre dann eine Nebenabrede24 , daß B den nicht an das Grundstück des A grenzenden Teil des Grundstücks L behalten, dafür aber auch nur anteiligen Aufwendungsersatz fordern dürfte. Dann ginge beispielsweise die actio mandati directa (die Klage zielt auf Abrechnung, den Saldo25) auf Herausgabe des Grundstücks L gegen Zahlung des Kaufpreises, der Beauftragte hätte dann aus der Nebenabrede einen Gegenanspruch auf Belassung des Teils des Grundstücks L, der nicht an das des Auftraggebers grenzt, unter entsprechender Minderung des Aufwendungsersatzanspruchs. Technisch wäre ein mandatum realisierbar - doch welch merkwürdige Konstruktion angesichts der Absicht der Parteien! Die Merkwürdigkeit liegt darin, daß der Beauftragte sofort einen Teil des aus dem Auftrag Erlangten (unter Minderung des Aufwendungsersatzes) behalten soll, ohne daß im Anschluß an den Auftrag ein weiteres Rechtsgeschäft abgeschlossen werden müßte. Die Fälle des mandatum mea et tua gratia sind aber anders gelagert26 • Für Fälle des gemeinsamen Interesses wie in D. 17, 2,52 pr., wo beiden Teilen etwas zukommen soll, steht als Konsensualkontrakt die societas zur Verfügung, weil sie auf die Interessen und Absichten der Parteien genau zugeschnitten ist, während beim mandatum nochkünstlich - eine Nebenabrede anzunehmen wäre, die das normale Vertragsmuster abändert. Zudem ist bei einer societas die beiderseitige Rechtsbindung gesichert27 • C. Die erste Variante, in der Julian-Ulpian jegliche Klagemöglichkeit für B verneinen, bereitet große Schwierigkeiten. Auffällig ist, daß diese Alternative am Anfang der Entscheidung steht. Ob dies Zufall ist, dürfte kaum sicher zu entscheiden sein; einiges spricht für eine 22 Anders anscheinend Jörs / Kunkel / Wenger, Römisches Recht, 3. Auf!. (1949), § 151, 3. 28 Dazu Litewski BuH. 17 (1975), 193 ff.; Ulp. D. 17, 1,6,5, Cels. - Ulp. D. 17,1,16, Paul. D.17, 1,22,2, Nerva-Atilicinus-Paul. D. 17,1,45,7, Lab.-Iav. D. 32, 30, 4. 24 Zu den pacta adiecta bei den mit bonae fidei iudicia ausgestatteten Verträgen s. nur Kaser RP 12 § 114 IV 3. 25 s. Kaser RP 12 § 134 V. 26 Vgl. z.B. D. 17, 1,42: Dem E ist eine Erbschaft angefallen, K ist Kaufinteressent, E beauftragt K, den Wert der Erbschaft festzustellen, K tut das. Danach wird ein Kaufvertrag abgeschlossen. Zu den Delegationsfällen D. 17, 1, 22, 2 und D. 17, 1,45, 7 s. unten Fn.31. 27 Zur Frage der Lösungsmöglichkeit beim Mandat s. unten C.

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bewußte Plazierung, weil die Tatsache, daß B leer ausgeht, doch zunächst frappiert 28 • Warum bleibt B schutzlos? Halten wir zunächst nochmals fest, daß bei beiden Varianten der Ausgangssachverhalt (cum duobus vicinis - ignorante vicino emit) derselbe ist und dann nach dem quod actum est unterschieden wird. Eine so ci etas scheidet hier offenbar deshalb aus, weil keine wechselseitige, uneingeschränkt (rechtlich) bindende gemeinsame Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes verabredet worden ist. Ein Teil der Literatur29 sieht eine Erklärung für die erste Variante darin, daß hier - im Gegensatz zur ersten Alternative - ein mandatum vorliege; bei einem Auftrag könne aber der Auftraggeber (wie wohl auch der Beauftragte) re integra zurücktreten30 wie in unserem Falle, weil B mit der Ausführung des Auftrags noch nicht begonnen habe. Damit entfiele für B jegliche Möglichkeit einer Klage. Eine solche Deutung ist zwar nicht völlig auszuschließen; ihr begegnen jedoch erhebliche Bedenken. Für eine Bindung beider Parteien, aber zugleich sozusagen unter Vorbehalt einer Lösungsmöglichkeit bis zu ein.em bestimmten Zeitpunkt - nämlich re integra - steht in der Tat das mandatum zur Verfügung. Über die (auch hier etwas geschraubte~U, wenn auch nicht unmögliche) Konzeption eines Auftragsverhältnisses in unserem Falle haben wir uns schon oben bei den Erörterungen zur societas Gedanken gemacht. Es erscheint aber fraglich, ob ein Rechtsbindungswille von (A und) B dem Fragment ohne weiteres entnommen werden kanns2• Die Umstände, aus denen das quod actum est der ersten Alternative gewonnen werden kann, sind im Fragment nicht angegeben: alter ex his petit ab altero ist noch blaß und soll auch mehr unbestimmt sein, es zu beiden Varianten passen soll; die Konkretisierung erfolgt

wen

28 Für eine Bevorzugung der zweiten Lösung durch Julian Pringsheim SZ 78 (1961), 32. 29 s. nur Poggi, Contratto di societa (1930), 148, 152, Arno, S. 122 f, Szlechter, Contrat de societe (1947), 279, Gandolfi, Studi sull' interpretazione (1966), 128 f; zweifelnd anscheinend Pringsheim SZ 78 (1961), 31 f, der ein Mandat in Erwägung zieht, wobei nach dem Sachverhalt offen sei, ob B zugestimmt habe. 30 Zu diesem Rücktrittsrecht allgemein Kaser RP 12 § 134 III m.w.N. 31 Vgl. auch Arangio-Ruiz, S.51 Fn. 3. Die Delegationsfälle, in denen der Mandatar das Erlangte behalten darf, D. 17, 1, 22, 2, D. 17, 1,45,7, sind von ganz anderer Provenienz und Struktur; die Klage aus Mandat dient zudem nur dazu, dem Gläubiger das zu verschaffen, was er nicht vom Drittschuldner erlangen konnte. 32 Keine Parallele finden wir in Ulp. D.17,l, 8, 6, wo u.a. von einem Mandat zum Kauf eines Grundstücks die Rede ist und wo auch der Fall erörtert wird, daß der Auftraggeber selbst kauft; denn dort ist nicht ersichtlich, daß es sich um ein mandatum mea et tua gratia handelt. Zu diesem Fragment Litewski Bull. 17 (1975), 224 f.

Iul.-Ulp.D. 17, 2,52 pr.

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erst in den Distinktionen si hoc solum actum est - si vero id actum est. Aus dem Konjunktiv der verbalen Prädikate emeret - communicaret ist wenig zu entnehmen, weil sie zu einem ut finale gehören33• Weiterhin ist von einem negotium wie bei der zweiten Variante, wo der Begriff wohl technisch im Sinne des Rechtsgeschäfts'4 gebraucht ist, nicht die Rede. Vor allem ist zu berücksichtigen, daß es sich bei einem Auftrag hier um ein mandatum mea et tua gratia35 handeln würde, aus dem kraft der Nebenabrede dem. Mandatar ein (hälftiger) Anteil zufließen soll. Ob bei einem solchen Auftrag der Rücktritt des A, wenn er sich nur lösen will, um nicht abredegemäß teilen zu müssen, unverändert den allgemeinen Regeln folgen würde36, erscheint doch sehr zweifelhaft; wir müßten fragen, ob trotz eines Rücktritts hier nicht eine Vertragshaftung bestehen bliebe oder wenigstens eine deliktische Haftung eingriffe. Es ist nämlich bezeugt, daß die vertragliche Haftung bei Rücktritt zur Unzeit oder bei einer fraus des Mandatars fortbesteht, Paul. D. 17, 1, 22, 11. Sollte dies nicht auch bei einer fraus des Mandanten in Fällen wie dem unsrigen rechtens sein? Einen Fingerzeig könnte hier auch die Parallele bei der societas geben37• Sollte eine Vertragshaftung ausscheiden, so dürften die Parallelen - nach der Tendenz ihrer Wertungen - wenigstens in Richtung einer deliktischen Haftung wegen dolus (actio de dolo) weisen. Ein Mandat dürfte daher nicht naheliegen38 • Die plausibelste Erklärung der ersten Variante scheint darin zu liegen, daß die Verabredung hier noch im gesellschaftlichen Bereich gelegen hat, noch nicht im Bereich des RechtsS9• Dann wird die Entscheidung, daß B keine Klage zusteht, verständlich. Eine Vertragsklage kommt mangels Rechtsbindungswillens nicht in Betracht. Auch die actio de dolo scheidet mangels dolus malus des A aus: A hat B auf einen vernünftigen Plan hingewiesen, B ist bereit, ihn durchzuführen. SoDie Formulierung schließt allerdings ein mandatum auch nicht aus. Dazu Heumann I Seckel s.v. negotium. 35 Anders anscheinend Poggi, S. 152 f, Arno, S. 129. 38 Direkte Quellen dazu fehlen, es sei denn, man wollte hier unser Fragment anführen - doch dies wäre ein circulus vitiosus! 37 Iul.-Paul. D. 17, 2, 65, 4 Item si societatem ineamus ad aliquam rem emendam, deinde solus volueris eam emere ideoque renuntiaveris societati, ut solus emeres, teneberis quanti interest mea: sed si ideo renuntiaveris, quia emptio tibi dispZicebat, non tenebeTis, quamvis ego emero, quia hic nuZZa fraus est: eaque et IuZiano placent. 38 Im übrigen dürfte der Text der ersten Variante gekürzt sein; auffällig ist der Übergang von der (schon in der ersten Variante nicht ganz durchgeführten) indirekten Rede zur direkten in der zweiten Variante. 39 m. E. unklar in diesem Punkte Arangio-Ruiz, Societa (1950), 51 Fn. 3: B stehe keine Klage zu "perch.e cia non rientrerebbe nello schema di nessuno fra i tipici contratti romani". Meint Arangio-Ruiz, daß hier doch - wie bei den Vorläufern der Innominatkontrakte - der Rechtsbereich berührt sei? 33 34

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lange aber keine Rechtsbindung bezüglich dieses Plans erreicht ist, bleibt jeder frei, nach seinem Gutdünken zu handeln, auch wenn es für den anderen Teil von Nachteil ist. Die fehlende Rechtsbindung kann nicht durch die actio de dolo überspielt werden. D. Zum Rechtsvergleich seien hier nur einige thesenartige Bemerkungen gemacht. Wir können den Fall wegen der Formvorschrift des § 313 BGB, der dann für den Gesellschaftsvertrag gelten würde 40 , nicht ganz unverändert übernehmen; statt der Arrondierung von Grundstücken könnte eine Vervollständigung einer Briefmarken- oder Münzsammlung o. ä. in Frage kommen. 1. Daß auch wir bei der zweiten Alternative eine Gesellschaft annehmen können, ist bei entsprechendem Sachverhalt möglich. Eine rechtliche Bindung muß gewollt sein, aber es ist nicht nötig, daß den Beteiligten das Vorhandensein einer Gesellschaft im Rechtssinne zu Bewußtsein kommt41 • Ein gemeinsamer Zweck42 und dessen gemeinsame Verfolgung 43 sind für unseren Sachverhalt zu bejahen. Es handelt sich also um eine (Gelegenheits-)Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts; sie ist bloße Innengesellschaft 44 , da nur B nach außen auftreten und das Geschäft in seinem Namen abschließen soll. Für den Anspruch des B gegen A auf Auskehrung des ihm zugedachten Anteils möchte ich nur zwei Begründungsmöglichkeiten vorstellen. 1. Schadensersatzpflicht aus § 325 BGB: Durch den Ankauf des A im eigenen Namen für eigene Rechnung ist die Erreichung des vereinbarten Zwecks unmöglich geworden45, und damit "endigt" die Gesellschaft, § 726 BGB. Da diese nachträgliche Unmöglichkeit von A zu vertreten ist, hat er nach § 325 BGB Schadensersatz zu leisten. Zwar ist streitig, wieweit die §§ 320 ff BGB auf den Gesellschaftsvertrag anwendbar sind46• Der Streit kann hier aber auf sich beruhen, weil die Interessenlage in der konkreten Fallsituation nicht anders ist als beim Austauschvertrag: Es handelte sich hier um eine zweigliedrige Innengesellschaft für einen einzigen Zweck, wobei lediglich nur noch ein s. PaZandt / Heinrichs, BGB, 38. Auf!. (1979), § 313 Anm. 4a. Hueck, Gesellschaftsrecht, 17. Auf!. (1975), S.24. 42 Verabredung gemeinsamen Einkaufs zwecks Vervollständigung, vgl. Hueck, S.24, Palandt-Thomas § 705 Anm.4a, Westermann, Handbuch der Personengesellschaften I, 3. Auf!. (1978), Rdnr. 27. 43 Beiträge von A und B: jeweilige Bruchteile des Kaufpreises; B soll ferner den Ankauf durchführen. Zur Abgrenzung zu den partiarischen Rechtsverhältnissen Hueck, S.25, Westermann Rdnr.29, FZume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts I 1 (1977), 47 f. 44 Dazu Soergell SchuZtze-v. Lasaulx, BGB, 10. Auf!. (1969), vor § 705 Rdnr. 49 ff, Flume, S. 4 ff, Palandt / Thomas § 705 Anm. 8. 46 Hierüber läßt sich natürlich streiten, s. auch Fn. 48. 46 Flume, S. 29 ff, Hueck, S. 28 ff, Palandt I Thomas § 705 Anm. 3c. 40 41

Iul.-Ulp. D. 17, 2, 52 pr.

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Ersatzanspruch besteht. Der Schadensersatz anspruch geht auch bei § 325 primär auf Naturalrestitution, sofern dies möglich ist47 • Also muß A dem B den Teil zukommen lassen, der ihm nach dem Gesellschaftsvertrag gebührte, gegen Erstattung des anteiligen Kaufpreises48 • 2. Anspruch aus dem Gesellschaftsvertrag: Die Gesellschaft besteht noch; denn A muß sich, wenn er schon selbst im eigenen Namen kauft, nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als habe er für Rechnung der Gesellschaft gekauft (Rechtsgedanke des § 162 Abs.1 BGB). Da der Gesellschaftszweck erreicht ist, ist die Gesellschaft aufgelöst, § 726 BGB. Eine Auseinandersetzung wäre in Analogie der §§ 730 ff BGB möglich49 ; anders aber, sofern eine andere Ausgestaltung im Gesellschaftsvertrag, wie hier, vorgesehen ist. Damit hat B gegen A einen Anspruch auf Auskehrung des ihm zukommenden Teils, wobei er seinen ausstehenden Beitrag - den anteiligen Kaufpreis - zu zahlen hat. II. Bei der zweiten Alternative ist der Auftrag nicht die einschlägige Rechtsfigur. Er wäre an sich ähnlich konstruierbar wie im römischen Recht, und auch unser BGB kennt das mandatum mea et tua gratia50 • Ein Verzicht auch des Auftraggebers auf das Kündigungsrecht nach § 671 I BGB ist hier möglich5t, so daß sich die Bedürfnisse der Parteien auch über die Figur des Auftrags befriedigen ließen, allerdings im Wege einer unnötigen gewaltsamen Konstruktion: als Vertragsmuster steht die Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu Verfügung. IH. In der ersten Variante bestünde - falls man diese Figur akzeptiert - ein Gefälligkeitsverhältnis. In unserem Fall tritt aber ein anderes Problem auf als die, die sonst bei Gefälligkeitsverhältnissen erörtert werdenll2 • Von welchem konkreten Sachverhalt an darf A nicht mehr eigenmächtig handeln und selbst, für eigene Rechnung kaufen? Damit hängt die Frage zusammen, bei welcher Fallkonstellation ein Anspruch des Baus § 826 BGB zu bejahen ist. Dem soll in diesem Rahmen nicht weiter nachgegangen werden. 47 Vgl. Palandt / Heinrichs, Vorb.1 vor § 249; anders Hermann Lange, Schadensersatz (1979) § 5 IU, der aber Fälle wie den unsrigen nicht in Betracht zieht. 48 Zum selben Ergebnis käme man, wenn man lediglich einen Verstoß des A gegen eine Unterlassungspflicht annehmen wollte und einen Fortbestand der Gesellschaft, weil der Zweck, wenn auch anders als geplant, noch erreicht werden kann. 49 Streitig, s. dazu Palandt / Thomas § 705 Anm. 8, Soergel / Schultzev. Lasaulx § 730 Rdnr. 5. 110 s. nur Enneccerus / Lehmann, Schuldverhältnisse, 15. Aufi. (1958), § 160 I 4. 61 s. nur Palandt / Thomas, § 671 Anm. 2; zu den Materialien s. z.B. die Darstellung bei Staudinger I Engelmann, BGB, 9. Aufi. (1929), § 671 Anm. 6a. U Zur gängigen Problematik s. nur Medicus, Bürgerliches Recht, 8. Aufi. (1978), Nr. 369 ff m.w.N., Larenz, Schuldrecht I, 12. Aufi. (1979), 240, 449 f, Palandt / Heinrichs Einl. 2 von § 241.

La repartition des competences entre regles et autorites europeennes et nationales dans la Convention de Munich Par Jean Mare Mousseron 1. Aboutissement d'une longue evolution chronologique, objet tour a tour d'abandons et de relances, conduisant tant a l'harmonisation des legislations nationales qu'a la realisation de projets intemationaux importants1, la Convention sur la delivrance de brevets europeens ("Convention sur le brevet europeen") conclue a Munich le 5 octobre 1973 et entree en ,application le 7 octobre 1977 a pour objet de renforcer la cooperation des Etats, au niveau regional europeen, par l'etablissement d'une procedure unique de delivrance et de certaines regles uniformes regissant le brevet delivre 2 • La Convention de Munich regle les mecanismes de delivrance du titre .europeen par une seule administration, l'Office Europeen des Brevets, selon une procedure unique et centralisee par cet Office et conformement ades regles communes et uniformes. Une fois deIivre, le brevet europeen eclate en autant de brevets nationaux que d'Etats designes par le deposant, chaque brevet etant alors soumis a la loi nationale de chacun des Etats designes, le brevete europeen jouissant en principe des memes droits que le brevete national. 1 J. M. Mousseron, C. Le Stanc, J. Schmidt et M. Vivant, Dix ans de Droit des Brevets in Dix ans de Droit de l'Entreprise, BibI. Dr. Entr. n° VII, Litec 1978, p. 715. 2 Sur le sujet general de la Convention de Munich, V. J. Ph. Lepetre, Le brevet europeen et les problemes de l'unüication des legislations nationales en matiere de propriete industrielle, Th. Dr. Paris 1971; K. Haertel, Le protocole sur la centralisation du systeme europeen de brevets, Mitt. 1973, 122; O. Bossung, La conference diplomatique de Munich sur la procedure de delivrance europeene des brevets, Mitt. 1973.81; J. B. van Benthem, La Convention de Munich, Prop. Ind. 1974.43; F. Panel, Les conditions de la reservation des inventions en droit europeen des brevets, Th. Dr. Montpellier 1975; P. Mathely, Le droit europeen des brevets d'invention, Libr. du Journal des Notaires, Paris 1978; J. Schmidt, Le systeme europeen de delivrance des brevets d'invention, J. C.P. 1979, ehr. 2930 et Trait originaux du systeme europeen des brevets, Rev. tr. dr. com. 1978.659; J. M. Mousseron et varii auctores, En France, le droit des brevets t. I. a paraitre Litec 1980 et VO Brevets d'invention (Conventions internationales), Rep. Dr. com. Dalloz, 2e ed., a paraitre 1980.

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La Convention de Munich n'est pas la premiere a traiter le probleme de la repartition des competences entre regles et autorites de differents niveaux dans le domaine de la propriete industrielle. La Convention d'Union de Paris en 18833, le Traite de Libreville conclu en 19624 , le Traite de Cooperation en matiere de brevets (PCT) signe a Washington en 19705 avaient deja amene juristes et praticiens a s'interroger sur les zones respectives d'intervention des regles internationales et des regles nationales. Il en ira de meme de la Convention de Luxembourg instituant le brevet communautaire qui comporte quelques exceptions a ses principes fondamentaux d'unite et d'autonomie6 , eux memes etroitement corollaires. Aces conventions internationales de propriete industrielle vient s'ajouter, pour regler les conflits de competences, la Convention de Bruxelles du 27 septembre 1968 concernant la competence judiciaire et l'execution des decisions en matiere civile et commerciale signee par les six pays du Marche Commun7 venant, elle-meme, suppleer aux regles du droit international prive qui viendront a s'appliquer en l'absence d'autres conventions ou traites bilateraux existant entre les EtatsB. 2. Le schema de repartition des competences retenu par la Convention de Munich est, au depart, tres simple: tout ce qui precede la delivrance du brevet europeen est soumis aux regles et aux autorites europeennes; tout ce qui suit la delivrance du brevet europeen est soumis aux regles et aux autorites nationales. En verite, une simple lecture de la Convention permet de relever, rapidement, d'importantes perturbations a ce principe primaire de repartition. G. H. Bodenhausen, Guide de l'Union de Paris, La Haye 1969. D. Ekani, L'union africaine et malgache de la propril\te industrielle et la protection regionale des droits de propriete industrielle, Th. dr. Strasbourg, 1973 et l'Office africain et malgache de la propriete industrielle, P.I. 1966, p.232. 5 V. Dossiers Brevets 1977.VI "numero special PCT" et D. Francon, le PCT, J.Cl. brevets f. XVIII-D (2 cahiers). 6 J.-F. Reynaud, Le droit de brevet communautaire, th. dr. Montpellier 1980; J. M. Mousseron, La convention de Luxembourg et les caracteres unitaire et autonome du brevet communautaire, Conf. Centre P. Roubier, Lyon 1977. 7 G. Droz, Competence judiciaire et effets des jugements dans le Marche commun, BibI. dr. int. prive, vol. XIII, Libr. Dalloz 1972 et Pratique de la Convention de Bruxelles, Libr. Dalloz 1973. B Sur l'ensemble des questions tenant au droit international prive des brevets d'invention, v. M. Vivant, Juge et loi du brevet, Coll. CEIPI, n° XX, Litec 1977. 3

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Avant la delivrance, on peut relever de nombreux renvois ou appels aux legislations nationales, la Convention ouvrant sur certains points des facultes limitees: "Si la legislation nationale l'admet" (art. 138) ou "le permet" (art. 75.1.a) ou laissant sur d'autres points aux Etats contraetants toute liberte de legiferer: "Tout Etat contractant demeure libre de decider si ... " (art. 139) ou "Tout Etat contractant peut prescrire ... " (art. 65). Sans aborder les problemes d'interpretation de la Convention, on peut, egalement, se poser la question de savoir si le silence de la Convention sur certains points n'equivaudrait pas a un appel implicite aux legislations nationales tel que le laisserait entendre l'article 125: "En l'absence d'une disposition de procedure dans la presente Convention, l'Office Europeen des Brevets prend en consideration les principes generalement admis en la matiere par les Etats contractants". Apres la delivrance, l'article 2 introduit la possibilite d'importants correctifs. Il dispose, en effet: "Dans chacun des Etats pour lequel il est delivre, le brevet europeen ales memes effets et il est soumis au meme regime qu'un brevet national delivre dans cet Etat, pour autant que la presente Convention n'en dispose pas autrement". Le brevet europeen est, ainsi, soumis apressa delivrance a un double regime, la loi nationale determinant les droits accordes au brevete sur un objet delimite par la loi europeenne. 3. Rechercher les zones respectives d'intervention des regles et des autorites europeennes et nationales repond a plusieurs soucis. Le premier anime le praticien de propriete industrielle curieux d'un mecanisme, plus complexe qu'il ne parait de prime abord. Le second inspire l'internationaliste interesse par la coexistence dans une meme Convention internationale de regles de droit materiel et de solutions apportees ades conflits de lois ou de juridictions. Le troisieme guide le politique de propriete industrielle attentif a l'evolution generale du Droit des brevets, aux percees des constructions nouvelles comme aux resistances des elements anciens, aleurs interactions, a ce qui est la vie du Droit9 • Quels qu'ils soient, alors, les observateurs considerent les deux zones auxquelles ils assignaient, initialement, un sort propre en examinant, tour a tour, cette repartition des competences jusqu'a et apres La delivrance du brevet europeen. Une terminologie bien etablie, officialisee par la Convention de Munich comme certaines lois nationales SI R. Singer, Perspectives reservees a la protection des inventions par des titres supranationaux dans l'Europe future, Melanges Bastian, t. 2, Droit de la propriete industrielle, Litec 1974, p.430.

8 Festgabe für Hermann Weitnauer

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Jean Mare Mousseron

teUes la loi fran~aise et plus satisfaisante dans un systeme de delivrance contrölee eomme le systeme europeen que dans un systeme de delivranee automatique comme le systeme fran~ais10 distingue, de part et d'autre de la delivrance, la "demande de brevet" qui lui est anterieure et le "brevet" qui la suit. Aussi traiterons-nous, tour a tour, de eette repartition des competenees relatives a la demande de brevet europeen (I), d'abord, puis au brevet europeen (II).

I. La repartition des competences relatives a la demande de brevet europeen 4. Le premier principe de repartition des eompetences attribue aux regles et aux autorites europeennes le traitement du brevet europeen non eneore delivre, de 1a demande de brevet, par eonsequent. Il apparaft, d'ailleurs, logique qu'une eonvention sur la delivranee du brevet europen, si elle ne veut pas etre, seulement, un eatalogue de solutions, apportees ades confiits de lois, pose les regles de droit materiel relatives a la eonduite de eette procooure. Le prlincipe n'est pas, cependant, d'applieation absolue ni lorsque 1'0n s'interesse a 1'0peration meme de demande (A) ni lorsque 1'0n songe a ses suites (B). A. La repartition des competences relatives a l'operation de demande de brevet europeen

5. Trois series de problemes se posent apropos de l'op&-ation meme de demande de brevet europeen. Elles coneernent son auteur (1°), son objet (2°) et ses modalites (3°). 1 0) Dispositions relatives d l' auteur de la demande de brevet

6. Comme pour chaque' question avenir, nous envisagerons les designations de eompetenees au double niveau des regles applieables (a) et des autorites chargees de les mettre en oeuvre (b). a) Regles applieables 7. La regle europeenne eonjugue ses articles 58 et 60 § 2 pour affirmer le principe du premier deposant11 et admettre la demande pour 10 Sur le dernier etat du droit francais des brevets d'invention apres la reforme du 13 juillet 1978, v. J. M. Mousseron et A. Sonnter, Le droit francais nouveau des brevets d'invention, ColI. CEIPI, n° XXII, Litec 1978, speeialement n° 103 et s., p. 103 et s. 11 V. sur ce point, l'analyse presentee in J. M. Mousseron et A. Sonnier, op. cit., n° 63, p. 63 et p. 65.

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reguliere des lors qu'elle a pour auteur une personne physique ou morale en vertu du Droit dont elle releve; la reference a la loi nationale du deposant etait necessaire. Sur le brevet ainsi etabli sur les premiers travaux divulgues et point, par consequent, menes a bien la Convention attribue un droit a leur auteur. Dans le cas particulier-meme si correspondant a la grande majorite des inventions- des inventions d'employes, la loi applicable sera, en principe, de loi de l'Etat - contractant ou non - sur le territoire duquelle salarie exerce son activite principale. L'artic1e 60 § 1 in fine n'enonce point, par consequent, une reglementation au fond des inventions de salaries mais regle un conftit de loin. La solution est correcte si l'on songe que le probleme pose releve moins du Droit des brevets que du Droit des contratsl2 ; elle est opportune puisqu'elle permet de soumettre a une loi unique la designation du beneficiaire du droit au brevet europeen, c'est-a-dire aux brevets nationaux a delivrer par l'Office europeen des brevetsl3 • b) Autorites competentes 8. L'admission du principe du premier deposant evite tout probleme de contröle de la qualite du deposant a prolonger par une demande de brevet le droit "potentieI" sur l'invention que lui aurait obtenu la premiere invention. Seule, peut faire difficulte l'aptitudle generale de ce deposant a effectuer des operations juridiques et devenir titulaire des droits qui en decoulent. Certaines delegations a la Conference avaient propose que les Etats contractants puissent obliger leurs ressortissants a deposer leur demande aupres des autorites nationales competentes afin que l'habilitation ademander la delivrance puisse etre verifiee par les instances competentes en application de la legislation nationale; cette disposition n'aurait pas resolu la verification de capacite des nationaux d'Etats non contractantsl4 ; elle n'a pas ete retenue. L'Office Europeen des Brevets ne demande aucune justification ni ne procMe a aucune verification administrative de la quaHte du deposant anterieurement a la delivrance. Les Directives16 proposent 12 Sur le probleme general des inventions de salaries et son approche contractuelle, V. J. M. Mousseron, Les inventions d'employes in Rev. tr. Dr. com. 1965, p. 547 et Les inventions de salaries, ibidem 1980; Xlemes Journees Act. Dr. Entr. Les inventions d'employes, Montpellier 1979, Litec 1980 et F. Alcade et varii auctores Le regime juridique et fiscal des inventions de salaries. a paraitre in ColI. CEIPI, Litec 1980. Adde: Travaux preparatoires de la Convention de Munich, PV M/PRI 247. 13 J. Schmidt, Rv. Tr. Dr. Com., art. cit., n° 17. U Travaux preparatoires PV /54.1, on pourrait alors se poser la question de savoir si les autorites nationales peuvent refuser la transmission de la demande si elles estiment qu'aux termes de la legislation nationale le droit au brevet n'appartient pas au demandeur.

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qu'en cas de doute, l'examinateur charge des questions de forme consulte un membre juriste de l'O.E.B. et prevoient, egalement, que l'Office puisse consulter les administrations nationales competentes quant a la verification de la qualite d'inventeur. Sur le controle du droit au brevet regulierement depose, les autorites europeennes n'interviendront pas et l'article 60 § 3 de la Convention etablit une presomption de droit au brevet: "Le demandeur est repute habilite a exereer le droit au brevet europeen". La Convention organise, en revanche, la eontestation judiciaire du droit au brevet du titulaire d'une demande de brevet europeen. La competence des juges nationaux est organisee par le protocole intitule protocole sur la competence judiciaire et la reconnaissance des decisions portant sur le droit a l'obtention du brevet europeen, ("Protocole sur la reconnaissance"), annexe a la Convention. Une certaine liberte d'appreeiation est laissee aux Etats contractants car l'article I § 3 du Protocole dispose qu'en vertu de l'article 167 de la Convention, des Etats peuvent en exclure l'application par voie de reserve. L'article 11 ecarte egalement les dispositions contraires au Protocole emanant d'autres conventions internationales' relatives a la competence judiciaire, teIles la Convention de BruxeIles sur la competence dans la Communaute Europeenne dont l'application conjointe aurait entra1ne une certaine coruusion. L'action ne peut etre engagee qu'entre le jour du depot de la demande ·et l'expiration du delai d'opposition. Le Protocole determine la competence des tribunaux nationaux selon un systeme a etages de regles subsidiaires les unes par rapport aux autres. Le Protocole fixe, ensuite, l'autorite des decisions alors rendues par des juridictions nationales. Pour eviter les proces en cascade, la premiere decision a auto rite de chose jugee vis avis des juridictions des autres etats. La juridiction saisie en second doit se dessaisir d'office ou surseoir a statuer s'i! y a contestation de la competence des premiers tribunaux. L'O.E.B. doit, egalement, s'y conformer et l'article 61 § 1 de la Convention indique les consequences qu'il y a lieu de tirer de l'introduction et de la conclusion de l'instance aupres de l'autorite judiciaire nationale competente.

2°) Dispositions relatives

a l'objet de la demande

a) Reglesapplicables 9. Les criteres de brevetabilite definis par les articles 52 a 57 de la Convention de Munich, resultant d'un compromis entre les differentes 15 Conseil d'Administration de l'O.E.B., Direetives relatives pratique a l'Offiee Europeen des Brevets, A. II. 2.2.

a

l'examen

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tendances nationales, constituent rapport essentiel de la Convention. C'est dans la definition des conditions tant positives que negatives de brevetabilite que le travail d'unüication a obtenu son resultat le plus important. Il n'a pas atteint, toutefois, la perfection et certaines interventions, definitives ou provisoires, des regles nationales doivent etre signalees. 10. On peut relever, des a present, deux conditions qui, de maniere definitive, feront l'objet d'applications differentes sur le plan national. Si nous ecartons la difficulte de cerner une notion d'ordre public europeen, il faut remarquer qu'une interdiction a ce motif dans run des Etats contractants ne pourra suffire a exclure !'invention du champ de brevetabilite mais on peut prevoir que, dans cet Etat, le brevete sera soumis a certaines contraintes pour fabriquer ou ecouler son produit, se trouvant a ce moment la soumis a des dispositions nationales qui n'auront pas fait echec a la brevetabilite europeenne18• Un deuxieme probleme est pose par l'effet sur une demande europeenne des demandes nationales non publiees. L'article 139 § 2 de la Convention de Munich fait renvoi aux legislations nationales: "Une demande de brevet national ou un brevet national d'un Etat contractant est traite du point de vue des droits anterieurs par rapport a un brevet europeen qui designe cet Etat contractant de la meme maniere que si ce brevet europeen etait un brevet national". L'O.E.B., s'il en a connaissance, peut informer le demandeur que dans un certain Etat il existe un droit national anterieur17 mais ce n'est que dans le cadre d'une procooure nationale ulterieure que le droit national anterieur pourra permettre une contestation de nouveaute. Il y a la, en verite, un point de resistance du "prior claiming approach", qui debouche ineluctablement sur des traitements differents d'Etat designe a Etat designe, au succes du "whole content approach" qui devrait designer un etat de la technique homogeneiS. 11. La perturbation essentielle des criteres de brevetabilite par les lois nationales tient aux reserves dont la formulation permet aux Etats contractants de se soustraire, temporairement, aux dispositions de la Convention sur trois points: le champ de brevetabilite, la duree du brevet europeen et l'application du Protocole sur la reconnaissance. Les reserves, objets de vives discussions, resultent de concessions F. Panel, op. cit., n° 104. Travaux preparatoires PV M!PR 1 f 74 mg. 18 V. J. M. Mousseron, Les demandes successives de brevets, in Dossiers Brevets 1979.1 et rapport in Centre Paul Roubier: Inventions et droits anterieurs Colloque 1978, Col!. CEIPI n° XXIV, Litec 1979, p. 83. 16 17

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politiques dans le but d'accorder des delais substantieis mais limites aux Etats de.sireux de prote~r leur industrie avant de rattraper les autres contractants. En ce qui concerne les conditions de brevetabilite, l'article 167 pertnet aux Etats, soit au moment de la signature de la Convention deMunich, soit au moment du depot de leur loi de ratification, de formuler des reserves en tout ou en partie a-propos des inventions de produits chimiques, pharmaceutiques ou alimentaires en tant que tels, la protection ne pouvant etre refusee qu'aux produits eux memes et non aux procedes de fabrication ou d'utilisation quand i1 s'agit d'un produit pharmaceutique ou alimentaire. L'artic1e 167 § 2 a) in fine precise que 1es brevets octroyes seraient sans effet dans l'Etat ayant formu1e ces reserves et pourraient etre annules conformement aux dispositions en vigueur pour les brevets nationaux; peut egalement faire l'objet de reserve la brevetabilite de procedes agricoles ou horticoles autres que ceux prevus par l'article 53 b). La duree des reserves est limitee a une periode de 10 ans maximum mais peut faire l'objet d'une prorogation de 5 ans par le Conseil d'Administration de l'Office Europeen des Brevets sur demande dudit Etat. Actuellement, toutefois, seule l'Autriche a fait les reserves prevues a l'article 167 § 2 a) et d) les autres Etats interesses n'ayant pas encore, ratifie l'accord; les demandes de brevet et les brevets europeens designant l'Autriche et qui visent la protection de produits chimiques, pharmaceutiques ou alimentaires, devront comporter des revendications differentes pour l'Autriche ou pourront etre annules pour l'Autriche. Les interventions des regles nationales dans le secteur majeur de la brevetabilite sont, donc, faibles en droit et plus faibles encore dans 1eur application. b) Autorites competentes 12. Au cours de 1a procedure de delivrance, seules, les autorites europeennes statuent sur l'application des conditions de brevetabilite. Cette intervention releve, en premier, de 1a Division d'examen qui communique avec 1e demandeur au moyen de notifications. Dans la p1upart des cas, des modifications seront apportees a la demande. Les decisions prises seront des decisions de premiere instance, susceptibles d'appel devant les Chambres de Recours. Cette intervention sera, ensuite, le fait des Divisions d'opposition; les autorites europeennes prevoient que cette procedure visee par les artic1es 99 a 105 de 1a Convention sera 1argement utilisee, pronostiquant meme qu'un tiers des brevets delivres seront ainsi contestes.

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3°) Dispositions relatives aux modalites de la demande 13. Il appartient, egalement, en principe a la Convention europeenne de fixer les modalites de cette demande et aux autorites europeennes d'en contester et, eventuellement, sanctionner le respect. a) Regles applicables 14. Les articles 78 a 86 de la Convention de Munich fixent les modalites de depöt de la demande europeenne en precisant les differentes pieces que doit comporter la demande et les regles de fond que celle-ci doit respecter: unite d'invention, exposition suffisamment claire et precise de l'invention ... Une intrusion, legere, des regles nationales se manifeste sur le point particulier des langues. L'egalite des deposants aurait justifie l'emploi de chacune des langues des Etats contractants mais se serait heurtee ades difficultes de fait quiauraient rendu difficile le bon fonctionnement de l'Office. Aussi seules ont ete retenues pour officielles les langues allemande, anglaise et fran~aise. Mais des palliatifs ont etk amenages pour permettre dans certains cas l'emploi des autres langues des Etats contractants. Le principe pose a l'article 14 § 1 est que la demande doit etre deposee dans l'une des trois langues officielles mais le paragraphe suivant amenage une exception pour les Etats contractants ayant une langue nationale autre que les trois langues officielles de l'O.E.B. L'autorisation pour les nationaux de ces Etats de deposer une demande dans leur langue officielle est assortie de l'obligation de fournir une traduction.

15. L'article 75 § 1 de la Convention de Munich pose le principe du libre choix du lieu de depot de la demande de brevet europe.en aussi bien a l'Office Europeen des Brevets de Munich ou a la Haye qu' aupres d'un Office national, si la legislation de l'Etat le permet. n reserve, egalement, aux legislations nationales la facultk d'imposer, pour certaines ou pour toutes inventions, pareil depot aupres des offices nationaux. Cette disposition a ete prise pour permettre aux Etats de faire controler les demandes deposees par leurs ressortissants par leurs services de Defense Nationale. Ceci implique que ce choix puisse etre impose pour une premiere demande et non pour une demande divisionnaire ou une demande avec revendication de la priorite d'un depot national effectue dans cet Etat. Ainsi la loi fran~aise d'application du 30 juin 1977 prevoit-elle expressement, a son article 6, l'obligation de deposer les demandes europeennes aupres de l'INPI.

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b) Autorites competentes 16. Les autorites europeennes, divisions de depot ou d'examen en premiere instance, les chambres de Recours en seconde instance sont, seules, competentes pour apprecier la regularite des pieces deposees. Par contre, le contentieux du depot aupres des autorites nationales reste devolu aux autorites nationales. Si un demandeur tenu par sa legislation nationale au depot indirect via son office national depose directement a l'O.E.B., il ne semble pas que sa demande puisse etre declaree irrecevable, ni depourvue d'effets dans son Etat d'origine, seules pouvant s'appliquer a son egard les sanctions eventuellement prevues par le droit interne t9 • B. La repartition des competences relatives aux suites de la demande de brevet europeen 17. L'operation juridique de demande pose deux series de problemes concernant le sort de cette demande (1°) et celui de son titulaire (2°). Quel va etre le traitement de la premiere? Quelles vont etre les prerogatives du second? 11 est interessant d'observer la repartition des competences au niveau des solutions a donner a ces deux interrogations.

1°) Dispositions relatives au traitement de la demande 18. La demande de brevet va etre soumise a une procedure complexe que 1'0n designe du nom de l'operation qui, dans les hypotheses favorables, la conclue: la procedure de delivrance.

a) Regles applicables 19. L'examen de la demande et la delivrance du brevet representent la fonction essentielle du systeme mis en place par la Convention de Munich. Aussi faut-i! s'attendre sur ce point a l'intervention pratiquement exclusive des regles europeennes. La Convention debute, en effet, par un article ainsi redige: "Il est institue par la presente Convention un droit eommun aux Etats eontraetants en matiere de delivranee des brevets d'invention".

La procedure de delivrance se divise en trois phases principales de recherche, examen et, eventuellement, opposition. Elle a pour objet de venifier la conformite de la demande aux conditions de forme et de fond posees par la Convention. La procedure de delivrance est, toute entiere, soumise aux prescriptions de la Convention qui fait, toutefois, appel aux legislations 19

F. Panel, op. cit., n° 247.

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nationales dans les deux cas d'avatars de la procedure europeenne, soit qu'elle n'ait pu debuter parce que le demande a ete tardivement transmise par les autorites nationales de reception ou, pendant la periode transitoire, porte sur une invention non encore traitable par l'O.E.B., soit que sa conduite ait conduit au rejet. Dans les premiers cas, la Convention prevoit la transformation automatique de la demande europeenne en demande(s) nationale(s). Dans le second, son article 135 laisse a chaque Etat la faculte de prevoir cette transformation. Certains, tels la France, n'y ont pas eu recours; d'autres, tels la Suisse20 , l'ont partiellement, tout au moins, admise. b) Autorites competentes 20. L'accord europeen aurait pu simplement se faire sur l'harmonisation des procedures nationales de delivrance, voire l'attribution a tout Office National