Preußisch, konservativ, jüdisch: Hans-Joachim Schoeps' Leben und Werk [1 ed.] 9783412515034, 9783412515010

In der Biographie des preußisch gesonnenen, konservativen und jüdischen Religionshistorikers Hans Joachim Schoeps (1909-

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Preußisch, konservativ, jüdisch: Hans-Joachim Schoeps' Leben und Werk [1 ed.]
 9783412515034, 9783412515010

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HansJoachim Schoeps Preußisch, konservativ, jüdisch Hans-Joachim Schoeps’ Leben und Werk

Micha Brumlik

In der Biographie des preußisch gesonnenen, konservativen und jüdischen Religionshistorikers Hans Joachim Schoeps (1909–1980), der seit seiner Jugend Mitglied der bündischen Jugend gewesen ist, 1938 emigrierte und schon 1946 heimwehkrank nach Deutschland zurückkehrte, zeigen sich beispielhaft jene Wünsche, Widersprüche und Enttäuschungen, die deutsche Juden im zwanzigsten Jahrhundert hegten und verarbeiten mussten.

Preußisch, konservativ, jüdisch

Micha Brumlik

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Micha Brumlik

Preußisch, konservativ, jüdisch Hans-Joachim Schoeps’ Leben und Werk

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Hans-Joachim Schoeps, Foto: Fritz Eschen (aus Portraitserie Hans-Joachim Schoeps am 24.5.1963, Aufn.-Nr.: df_e_0041674) © SLUB Dresden/ Deutsche Fotothek/Fritz Eschen. Korrektorat/Lektorat: Ulrike Weingärtner, Gründau Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51503-4

Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

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Vorwort. Remigration und die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

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Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25 1 Für Kaiser, Reich und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  33 2 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus . . . . . . . .  51 3 Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz . . . . . . . . . . . . . . .  98 4 Emigration und »Judenchristentum« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  151 Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  156 5 Remigration und Nachkriegsantisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .  172 6 Rückkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  185 7 Homosexualität und Wahrhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  200 8 Preußentum und Resignation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  216 9 Rückschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  241 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  263 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  272 Inhalt

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Vorbemerkung

Was eine gewiss sorgfältig dokumentierte, gleichwohl gängig erzählte Lebensgeschichte werden sollte, hat sich im Prozess des Schreibens – keineswegs beabsichtigt – grundlegend gewandelt. Auch mir, dem schreibenden Autor, war vorher nicht bewusst, zwischen welch vielfältigen Bezugspunkten dieses Leben verlief und auf wie viele Kontexte die Texte dieses ebenso aufrichtigen wie gebildeten Intellektuellen verwiesen. Kontexte, derer sich auch der Biograph zu versichern hatte und die er glaubt, dem lesenden Publikum nicht vorenthalten zu dürfen. Dem verdankt sich eine – gemessen an klassischen Biographien – deutlich überdurchschnittliche Anzahl von Exkursen – auch und zumal zu Themen, die jedenfalls auf den allerersten Blick nur peripher mit der erzählten Lebensgeschichte zu tun haben. Zudem ist auf eine weitere Eigentümlichkeit der Erzählung, auf ein bewusst gewähltes Darstellungsmittel hinzuweisen: In ihr kommen die Hauptfigur sowie manche Nebenfigur in unüblich langen direkten Zitaten zu Wort. Das bedarf einer Erklärung: Vor die Wahl gestellt, diese für das von Schoeps geführte Leben bedeutsamen Äußerungen mit meinen eigenen Worten zu paraphrasieren oder nicht doch auf Originalzitate zurückzukommen, habe ich mich bewusst für das Letztere entschieden: Ich jedenfalls hätte mit paraphrasierenden eigenen Worten niemals die Prägnanz von Schoeps eigenen Worten erreichen können – die Worte einer Persönlichkeit, die sich in ihrem ganzen Leben, wenn überhaupt, dann durch etwas auszeichnete: durch Prägnanz. Nicht zuletzt – Leser werden es bemerken – war der Versuch, diesen Lebensgang nicht nur zu erzählen, sondern auch zu verstehen, nicht möglich, ohne das eigene Selbstverständnis zu reflektieren: den Bildungsgang und das Selbstverständnis eines 1947 von jüdischen Flüchtlingen in der Schweiz gezeugten und geborenen Knaben, der im Alter von noch nicht einmal 50 Jahren eine Vorbemerkung

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Autobiographie publizierte: »Kein Weg als Deutscher und Jude«. Zu behaupten, dass die hier vorgelegte Biographie über Hans-Joachim Schoeps auf diese Autobiographie direkt antwortet, würde den Sachverhalt unnötig dramatisieren – dennoch scheint es mir zulässig, das vorliegende Buch als ein Korollar zu »Kein Weg als Deutscher und Jude« zu bezeichnen – ein Korollar, das – wenn auch indirekt – auf die denn doch dramatischen Veränderungen reagiert, die den Staat Israel und damit den in sein Ziel gekommenen Zionismus in die Front der nicht nur europäischen Rechtspopulismen geführt hat. Die Philologie belehrt uns darüber, dass das lateinische »corolla« mit »Kränzchen« zu übersetzen sei und eine schlussfolgernde Äußerung aus einem bereits bewiesenen Satz darstelle. Es sei den Lesern überlassen zu klären, aus welchen Ausgangsbehauptungen die vorliegende Lebensgeschichte eine Schlussfolgerung darstellt.

8Vorbemerkung

Vorwort Remigration und die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik

2019 wird es 70 Jahre her sein, dass die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Der Rolle der Juden wird dabei auf jeden Fall eine bedeutende erinnerungs-, wenn nicht sogar realgeschichtliche Bedeutung zukommen. Auf jeden Fall wird dabei auch an die 1933 gewaltsam beendeten »Jüdischen Wege ins Bürgertum« (S. Lässig) seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert, ihr katastrophisches Ende und ihren paradoxen Neuanfang nach 1945 zu erinnern sein. Die inneren Widersprüche, fatalen Fehleinschätzungen, getrogenen Erwartungen und trotzigen Hoffnungen haben sich lebensweltlich und wissenschaftlich nirgendwo so deutlich niedergeschlagen wie im Leben und Werk von Hans-­ Joachim Schoeps. Die geistige, die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik war wesentlich das Werk jüdischer Remigranten, eine Gründung, die sich freilich nicht in offiziellen Gründungakten und eindeutigen institutionellen Dokumenten niederschlug, sondern in teils verängstigten, teils sehnsüchtigen, teils verschämten, teils immer wieder bezweifelten Einzelentscheidungen von Künstlern, Schriftstellern, Intellektuellen und Politikern. Es war ein eher konservativer Soziologe, Clemens Albrecht, der diesem Umstand schon 1999 in einer umfangreichen, von mehreren Autoren verfassten Studie zur Geschichte der sogenannten »Frankfurter Schule« prägnanten Ausdruck verlieh – im Ausblick seiner Studie würdigt er das Werk Theodor W. Adornos und Max Horkheimers: Als Juden, Remigranten, Sozialwissenschaftler und Linksintellektuelle gab es neben ihnen kaum andere Intellektuelle, die glaubwürdiger in der Rehabilitierung deutscher geistiger Traditionen waren. Eben weil der Faschismus für Horkheimer und Adorno kein spezifisch deutsches Phänomen ist, war die (…) Kritische Theorie die einzige PosiVorwort

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tion, durch die ein radikaler Bruch mit dem Faschismus ohne Bruch mit der eigenen kulturellen Identität möglich war.

Zustimmend zitiert Clemens Albrecht des Weiteren den Philosophen Albrecht Wellmer: Es ist, als ob alle Anstrengungen dieser von den Nazis vertriebenen Intellektuellen sich darauf gerichtet hätten, den Deutschen ihre kulturelle Identität zu retten: Mit Adorno wurde es in Deutschland wieder möglich, intellektuell, moralisch und ästhetisch gegenwärtig zu sein und doch Kant, Hegel, Bach, Beethoven, Goethe oder Hölderlin nicht zu hassen.1

Doch waren es nicht nur – hier sieht Albrecht etwas zu kurz – Horkheimer und Adorno, denen wir die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik verdanken. Die Weimarer Moderne und die Erfahrung von Verfolgung und Ausgesetztheit hat das Werk all jener, die die frühe Bundesrepublik geistig formten, geprägt. So ist aus dem literarischen, wissenschaftlichen und filmisch-dramatischen Werk der vor oder um 1920 Geborenen – etwa der Lyrikerin und Romanautorin Hilde Domin, des Kritikers Marcel Reich-Ranicki, des Filmautors Peter Lilienthal, der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer und Edgar Hilsenrath, der Theaterregisseure Peter Zadek und George Tabori, der Philosophen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Ernst Bloch,von Michael Landmann und Werner Marx, des Soziologen Alphons Silbermann, des Publizisten Ralf Giordano, des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer sowie des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer – er setzte den ersten Auschwitzprozess 1963/64 in Gang – die Erfahrung erzwungener Emigration, von Verfolgung und Vernichtung nächster Angehöriger nicht wegzudenken. Diese Erfahrungen prägten ihre Werke genauso tief wie die Werke des aus Österreich stammenden Auschwitzhäftlings Jean Amery, der seine Werke nicht zufällig in der Bundesrepublik und nicht in seinem Geburtsland Österreich drucken ließ, um in Belgien zu leben, ohne den Willen, ein Leben nach der Folter beliebig lange fortzusetzen. Es waren remigrierte Politologen, die der jungen Bundesrepublik ein Selbstverständnis als verfasster, pluralistischer Demokratie gaben: Ernst Fraenkel, Richard Löwenthal und Franz Neumann sowie – einem naiven Blick stets abhold – Ossip Flechtheim, der an einer demokratisch-sozialistischen Option festhielt. Aber auch eine wiedererstehende Judaistik verdankt zurückgekehrten Jüdinnen und Juden außerordentlich viel: Eine Neugründung dieses Faches 10Vorwort

hätte es ohne Jacob Taubes und Marianne Awerbuch nicht gegeben; zu erinnern ist auch an Adolph Leschnitzer, der bereits 1955 in Berlin die erste Honorarprofessur für die »Geschichte des deutschen Judentums« erhielt, sowie an Joseph Wulf, Heinz Mosche Graupe sowie Stefan Schwarz. Nicht übergangen seien auch Pädagogen und Erziehungswissenschaftler, ich nenne nur Max Fürst, der ein anschauliches Bild der jüdischen Jugendbewegung in Weimar hinterlassen hat und an der Odenwaldschule wirkte, Ernest Jouhy, der nach einer Tätigkeit in der französischen Resistance ebenfalls Lehrer an der Odenwaldschule und dann Professor in Frankfurt wurde, ebenso Berhold Simonsohn, der nach leidvoller Haft in Theresienstadt und Jahren aktiver jüdischer Sozialarbeit als Professor in Frankfurt zum Wiederbegründer der psychoanalytischen Pädagogik in Deutschland wurde. Nicht zuletzt gehört Paul Celan, der für die Lyrik im Nachkriegsdeutschland bestimmend wurde, dieser deutschprachig-jüdischen Kultur an, wenngleich der aus Czernowitz stammende Dichter ein Heimatloser war und blieb. Zu erwähnen sind nicht zuletzt die Schauspieler und Regisseure Fritz Kortner, Ernst Deutsch und Ida Ehre, Therese Giehse und Kurt Horwitz. Schließlich hätte die Kultur der frühen DDR ohne die Präsenz der Schriftsteller Anna Seghers, Arnold Zweig und Stephan Hermlin, des Publizisten Alfred Kantorowicz, des Wirtschaftshistorikers Jürgen Kuczynski und des schon erwähnten Ernst Bloch kaum je das verheißen können, was sie wenigstens für einige auch im Westen anfangs attraktiv sein ließ. Für all jene, die soeben unvollständig aufgezählt wurden, könnte freilich noch gelten, dass sie gar kein Teil der bundesrepublikanischen bzw. der DDR-Kultur, sondern »lediglich« letzter Ausdruck, ja Nachklang der deutsch-­ jüdischen Kultur der Vorkriegszeit gewesen sind. Das indes kann kein Einwand sein – denn in dieser Hinsicht war »Bonn« und – wenn man so will – auch »Pankow« tatsächlich »Weimar«. Es war die von wesentlichen Fraktionen des deutschen Assimilationsjudentums geprägte Weimarer Moderne, die bei der intellektuellen Gründung der Bundesrepublik Pate stand. Indes: Verdient ihre Erfahrung und ihr Denken wirklich das »jüdisch« – wird mit solcher Kennzeichnung nicht eben das wiederholt, was rassistisches und ethnizistisches Denken auszeichnet, denn, und das dürfte die geistige Physiognomie all der oben genannten doch kennzeichnen: Religiöse Juden im engeren Sinne waren sie allesamt nicht. Die Literaturwissenschaftlerin Käte Hamburger, die wichtige Arbeiten zum literarischen Werk Thomas Manns beigetragen hat, in der schwedischen Emigration lebte und 1956 eine Professur an der TH Stuttgart wahrnahm, antwortete auf eine Frage nach ihrer Identität: Vorwort

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Das ist ja damals eine ganz andere Zeit gewesen. Für uns spielt ja die Problematik der Assimilation gar keine Rolle mehr. Trotzdem – wahrscheinlich bin ich das. Deutsche Schriftstellerin und Jüdin. Aber es kommt auch darauf an, wie einen die anderen sehen. Das kann man selbst wirklich nicht genau beurteilen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hat man in Deutschland zwischen Deutschen und deutschen Juden kaum mehr unterschieden. Und Sie sehen, ich tue es immer noch nicht.2

Das war ein Ausschnitt aus einer – wie sollte es auch anders sein – ex post, hinterher erzählten Lebensgeschichte. Aber was ist eine Lebensgeschichte? Das Thema, um das es in diesem Buch jedoch auch geht, hat in der Philosophie selbst erst in den letzten Jahren eine intensive Bearbeitung gefunden, nämlich das Verhältnis von lebensweltlicher, ja auch (auto-)biographischer Erfahrung – ein Verhältnis, das meistens als trivial angesehen bzw. im besten Fall mit Kategorien und Begriffen einer eher volkstümlichen Psychologie abgehandelt wird. Als bemerkenswerte Ausnahme darf Dieter Henrichs 2011 erschienene Studie »Werke im Werden. Über die Genesis philosophischer Einsichten« gelten.3 Obwohl Geistesgeschichte und philosophische Biographik sich in vielen Fällen und Hinsichten mit der auch geistigen Entwicklung von Denkerinnen und Denkern befasst haben, fehlte bis vor einiger Zeit das, was man als eine philosophische Theorie der geistigen Entwicklung bezeichnen könnte – üblicherweise entfalten Theorien geistiger Entwicklung einzelner oder auch ganzer Kulturen ein im weitesten Sinne reduktionistisches Programm, in neukantianischen Begriffen zeichnen sie die Genesis eines Geltungsanspruches nach und wollen ihn damit auf etwas zurückführen, d. h. »reduzieren«, was selbst keine normativ ausgewiesene Geltung beanspruchen kann, etwa kontingente Interessen; dafür steht prominent die Ideologiekritik, wie sie Denker in der Tradition von Karl Marx bis Georg Lukacs ausgeführt haben. Entsprechend hat etwa Reinhart Koselleck im Vorwort zu den Lebenserinnerungen des jüdischen Heideggerschülers Karl Löwith darauf beharrt, dass es ideologiekritisch anmaßend und philosophisch unzureichend sei, dessen »einmal gewonnenen Standpunkt konsequenter Skepsis nur als sozial oder politisch-biographisch bedingt zu erklären«4. Den umgekehrten Weg einzuschlagen, nämlich nicht die Genesis einer Geltung, sondern die Geltung einer Genesis nachzuweisen, hat bisher – wenn ich recht sehe – nur Dieter Henrich in dem schon erwähnten, bahnbrechenden Werk »Werke im Werden. Über die Genesis philosophischer Einsichten« versucht. In mehreren Anläufen versucht Henrich nicht nur zu bestimmen, was 12Vorwort

sinnvollerweise unter Philosophie verstanden werden kann, sondern auch, auf welchen Wegen des Denkens sich so etwas wie eine Weiterentwicklung – ob man das Fortschritt nennen kann, muss offenbleiben – vollzieht. Unter »Philosophie« versteht Henrich ein Denken, das sich der jeweils nicht reflektierten Gründe und Voraussetzungen des eigenen Weltwissens versichert, und zwar so, dass diese Gründe und Voraussetzungen auch immer Orientierungen für die je eigene Lebensführung offenbaren und zu einer neuen Einsicht führen – so Dieter Henrich: Eine Einsicht solcher Art kann gar nicht nur als Arbeitsergebnis gewonnen und in einer abwägenden Distanz für gültig befunden werden. Das Subjekt des Denkens wird vielmehr durch eine solche Einsicht in einer Weise in eine Grundevidenz in Beziehung auf sich selbst versetzt, die vieles mit der gemeinsam hat, in der es ursprünglich zu jenem Wissen von sich selbst gelangte. Dies Wissen hatte bereits den Vollzug der Sorge um sich selbst aufkommen lassen. Ihr geht nunmehr in der Einsicht, in der die Konzeption gründet, zugleich eine Perspektive für ihre Lebensführung auf.5

Die folgende Lebensbeschreibung einer außerordentlichen Persönlichkeit, nämlich Hans-Joachim Schoeps, eines – nach heutigen Begriffen – nationalkonservativen, gleichwohl jüdisch-theologisch höchst bewussten, von der deutschen Jugendbewegung und ihren homoerotischen, männerbündischen Zügen zutiefst geprägten Mannes, will an diesem Extremfall der Frage nachgehen, ob und wie sich vor allem dieses politische und theologische Selbstverständnis hat ausbilden können; will der Frage nachgehen, ob sich Einsichten, Erfahrungen oder Situationen nachweisen lassen, die das Entstehen eines aus heutiger Sicht so merkwürdigen existenziellen Selbstverständnisses verständlich machen können. Im vorliegenden, hier zu untersuchenden Fall scheint es zwar auch der sozialisatorische Hintergrund gewesen zu sein, mehr aber noch der Eigensinn einer strikt verfolgten Idee. In jener Zeit erregte er nicht zuletzt dadurch Aufsehen, dass er sich als der Konservative, der er war, im restaurativen Klima von Adenauers Deutschland für die Belange vom Nationalsozialismus verfolgter Homosexueller einsetzte. Schon der Beginn der Erlanger Zeit war von Unbehagen geprägt: Wie erst jetzt bekannt wurde, beantragte Schoeps zu Beginn seiner Erlanger Zeit die schwedische Staatsangehörigkeit, was das dortige Justizministerium mit dem Hinweis ablehnte, Schoeps scheine kein guter Wissenschaftler zu sein.6 Bei alledem ist es zunächst unerlässlich, die Probleme der sogenannten »Remigration« und ihrer lebensgeschichtlichen Bedeutsamkeit zu entfalten. Vorwort

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Die Dramatik dessen lässt sich keineswegs nur an Schoeps’ Lebensgeschichte ablesen, sondern auch an der Rückkehr etwa Theodor W. Adornos aus den USA sowie eines anderen schwedischen Exilanten, an Fritz Bauer. Theodor W. Adornos Vorlesung begann in der ersten Juliwoche des Jahres 1968 ungewöhnlich. Der ansonsten aller Sentimentalität abholde Philosoph bat die Studenten, sich zu einer Schweigeminute zu erheben, Fritz Bauer sei gestorben. ­Theodor W. Adorno, er war gerade 50 Jahre alt, war im Herbst des Jahres 1953 nach Deutschland zurückgekehrt, in ein Land, von dem er später sarkastisch sagen sollte, dass, wer im Hause des Henkers vom Strick rede, Ressentiment beweise. Derartiges Ressentiment war einem anderen prominenten Juden, der im gleichen Jahr, 1953, in der Frankfurter Paulskirche sprach, fremd. Buber, ein beeindruckender Greis, kam damals mit ausgestreckter Hand aus Jerusalem nach Deutschland zu Besuch. Im September des Jahres 1953 gab er bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in seiner Dankesrede einer t­ iefsitzenden Überzeugung Ausdruck: »Vor einem Jahrzehnt«, so Buber in Frankfurt, »hat eine erhebliche Anzahl deutscher Menschen – es müssen mehrere Tausende gewesen sein – Millionen meiner Volks- und Glaubensgenossen umgebracht.« Dieser Feststellung ließ Buber eine wohlwollende Einschätzung folgen: Wenn ich an das deutsche Volk der Tage von Auschwitz und Treblinka denke, sehe ich zunächst die sehr vielen, die wußten, daß das Ungeheure geschah, und sich nicht auflehnten; aber mein der Schwäche des Menschen kundiges Herz weigert sich, meinen Nächsten deswegen zu verdammen, weil er es nicht vermocht hat, zu werden.7

Diese von äußerstem guten Willen, ja von einem tiefen Glauben an die deutsche Kultur und das deutsche Volk getragene Rede wurde im selben Monat, als Adorno nach Frankfurt zurückkehrte, gehalten. Im Willen zur Aufklärung der Gesellschaft beglaubigte der in den späten 1940er-Jahren nach Westdeutschland zurückgekehrte Fritz Bauer seinen ihm immer wieder zu Unrecht abgesprochenen Patriotismus. Aller entstandenen Fremdheit und aller empfundenen Anfeindung als Jude zum Trotz bekannte sich der zunächst niedersächsische, dann hessische Generalstaatsanwalt zu einem, zu seinem Deutschland, dem er treu blieb, obwohl es ihn verfolgt und drangsaliert hatte. So bezog er – der verfolgte und verjagte Jude – sich in das Kollektiv der Deutschen, auch jener, die unerträgliche Verbrechen begangen hatten, schonungslos mit ein. In einem 1965 gehaltenen Vortrag zum Thema »Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns« stellte er unmissverständlich fest: 14Vorwort

»Bewältigung unserer Vergangenheit« heißt »Gerichtstag halten über uns selbst, Gerichtstag über die gefährlichen Faktoren in unserer Geschichte, nicht zuletzt alles, was hier inhuman war, woraus sich zugleich ein Bekenntnis zu wahrhaft menschlichen Werten in Vergangenheit und Gegenwart ergibt.«8

Theodor W. Adorno, der 1968 Bauers öffentlich gedenken wollte, hatte die Frage nach der Vergangenheitsbewältigung in Nuancen anders beantwortet. Ebenso alt wie Bauer verbrachte er die letzten Jahre der Weimarer Republik nicht wie Bauer unmittelbar an der politischen Front, sondern wirkte seit 1927 am Frankfurter »Institut für Sozialforschung« und habilitierte sich dort 1931 mit einer Arbeit über den christlichen Existenzdenker Kierkegaard. Trotz dieser so unterschiedlichen Herkünfte kam Adorno 1959 in einem Vortrag vor der »Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit« zu einer ähnlichen Auskunft über die Ursachen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen wie Bauer, als er feststellte, dass der Faschismus nicht aus subjektiven Dispositionen erklärbar sei, sondern es die ökonomische Organisation der Gesellschaft sei, die die Menschen in Abhängigkeit, Unmündigkeit und Anpassung halte. Aber sogar Adorno fiel es schwer, sich zu dem, was man als »Auschwitz« bezeichnete, zu äußern, und es gelang ihm erst 1966, in der »Negativen Dialektik«, nicht nur über Antisemitismus und Totalität im Allgemeinen, sondern über die Vernichtungslager im Besonderen zu schreiben. Für Adorno bedeutete »Auschwitz« bekanntlich das Scheitern aller Kultur, eine zutiefst schockierende Einsicht, die ihn gleichwohl nicht davon abhalten konnte, über die Ursachen dieses unvordenklichen Verbrechens nachzudenken. Adorno, das lässt sich seinem 1966 gehaltenen Rundfunkvortrag »Erziehung nach Auschwitz« entnehmen, muss – und sei es auch nur über entsprechende Zeitungslektüre – den Verhandlungen des Prozesses gefolgt sein. Der für seine Verhältnisse optimistische Schluss dieses Vortrages erwähnt Namen der Angeklagten mit einer gewissen Geläufigkeit: »Ich fürchte«, so schließt der Vortrag, »durch Maßnahmen einer noch so weit gespannten Erziehung wird es sich kaum verhindern lassen, daß Schreibtischmörder nachwachsen. Aber daß es Menschen gibt, die unten, eben als Knechte das tun, wodurch sie ihre eigene Knechtschaft verewigen und sich selbst entwürdigen; daß es weiter Bogers und Kaduks gebe, dagegen läßt sich durch Erziehung und Aufklärung ein Weniges unternehmen.«9 Im Vergleich dazu war Fritz Bauer von größerem Zutrauen erfüllt, und zwar genau deshalb, weil er – anders als der weltläufige Adorno – eben nicht nur Vorwort

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den von ihm unter dem Druck des Kalten Krieges »als verwaltete Welt« oder »ökonomische Organisation« bezeichneten Kapitalismus im Allgemeinen untersuchte, sondern sich auf die deutsche, auf seine deutsche Geschichte einließ. In einer Ansprache vor evangelischen Theologen unternahm Fritz Bauer sogar den Versuch, Mut gegenüber der Obrigkeit ausgerechnet unter Rückgriff auf Martin Luther zu begründen: »In Jerusalem«, so Bauer, »sitzt sicher ein Teil deutscher Geschichte und vielleicht auch deutscher Gegenwart auf der Anklagebank, nämlich ein bestimmtes obrigkeitsstaatliches Denken und Handeln der Beamten und Bürger, eine blinde Staatsgläubigkeit und Staatsvergötzung, knechtselige Unterwürfigkeit, Angst vor der Obrigkeit und Überheblichkeit nach unten und Aggressivität, Herden- und Formalismus und Technokratentum.«10 Adorno hatte nicht weniger insistierend, wenn auch unter Verzicht auf derlei zwiespältige deutsche Traditionen, stets für eine »Erziehung zur Mündigkeit« plädiert. Martin Buber, Theodor W. Adorno, Fritz Bauer … Es waren – um nur drei von vielen Namen zu nennen – zufällig überlebende, einzelne, vereinzelte und auch einsame Remigranten, die – wie der Politologe Clemens Albrecht zu Recht behauptet – die Bundesrepublik Deutschland intellektuell gegründet haben. In der Tat wäre – bei allen sonstigen Verdiensten – mit den ersten Bundeskanzlern, mit Konrad Adenauer, der aus Angst vor dem eigenen Wahlvolk einen Kommentator der Nürnberger Rassegesetze zum Staatssekretär ernannte, mit dem bei allem Ordoliberalismus normativ doch eher anspruchslosen Experten Ludwig Erhard und dem ehemaligen NSDAP-Propagandapolitiker Kurt Georg Kiesinger kein Staat, jedenfalls kein demokratischer Rechtsstaat zu machen gewesen. Die jüdischen Remigranten aber, die diesem Staat, dem demokratischen Rechtsstaat, sein heutiges, humanes Selbstverständnis gaben, sie litten alle an Deutschland und konnten doch nicht von ihm lassen. Sogar der im damaligen Palästina lebende, überzeugte Zionist Martin Buber, der gar nicht zurückkehren wollte, gab einem Freund bereits im Dezember 1945 zu Protokoll, dass ihm seine Abgeschnittenheit von Deutschland schwer zu schaffen machte und macht. Zudem: Adorno, Bauer und Buber – sie waren keineswegs die einzigen, die der Bundesrepublik den Weg nach Westen in eine demokratische Zukunft ebneten. Indes: Wie konnte, wie sollte sich 1945 die sich selbst mit einem Prophetenwort als »Shearit ha Plejta« bezeichnende, zufällig im Westen Deutschlands gestrandete Gruppe von Überlebenden und Entwurzelten, Menschen, denen diese deutsch-jüdische Tradition zum großen Teil völlig fremd gewesen ist, zu dieser deutsch-jüdischen Tradition verhalten, welche Chance hatten Juden im Nachkriegsdeutschland überhaupt, ein symbolisch artikuliertes Selbstver16Vorwort

ständnis zu entwickeln und damit auch einen Beitrag zur Kultur der Bundesrepublik im Allgemeinen zu schaffen? Die Frage ist falsch gestellt: Tatsächlich haben Jüdinnen und Juden die Kultur der nachnationalsozialistischen Bundesrepublik von ihren ersten Tagen an geformt, auch wenn sich die Verfolgung unauslöschlich in ihr Werk eingeschrieben hat. Der Schriftsteller Horst Krüger, der mit Bauer während des Prozesses Freundschaft schloss, hat – indem er seiner gedachte – zugleich die ganze Generation der um 1900 geborenen, von keinem Bundeskanzler, keinem Ministerpräsidenten und kaum einem Oberbürgermeister zurückgerufenen jüdischen und auch nichtjüdischen Remigranten – Menschen, deren Leben irreversibel beschädigt wurde – präzise charakterisiert. Fritz Bauer, so Krüger, »war ein Emigrant zu Hause, ein Fremdling in der Stadt«.11 Andere blieben ebenfalls lange fremd und gehörten doch von Anfang an dazu: Von ihnen allen, die ich nannte, könnte freilich noch gelten, dass sie gar kein Teil der bundesrepublikanischen bzw. der DDR-Kultur, sondern »lediglich« letzter Ausdruck, ja Nachklang der deutsch-jüdischen Kultur der Vorkriegszeit gewesen sind. Die nach dem Krieg vor allem in der Bundesrepublik entstandene jüdische Gemeinschaft hat – ich deutete es an – mit dem Vorkriegsjudentum nichts mehr zu tun. In ihren Anfängen aus wenigen deutsch-jüdischen Überlebenden und vor allem aus in die Westzonen versprengten polnisch-­ jüdischen Überlebenden der Vernichtungslager, sogenannten Displaced Persons, zusammengesetzt, verfügte sie – wenn überhaupt – über die Traditionen eines orthodoxen bis assimilierten, von allgemeiner weltlicher Bildung schon alleine aufgrund der zerstörten Bildungsbiographien weit entfernten polnischen Judentums, dessen Sprache auch noch in Deutschland oft genug jiddisch war. Die Kinder dieser Generation waren es, die die erste originäre Welle jener Kultur schufen, die nicht mehr als deutsch im Allgemeinen, sondern als Kultur der bundesrepublikanischen Juden gelten darf. Wir aber, die wir heute von den Anstrengungen Adornos und Bauers, von Hilde Domin und Margarete Susman zehren, können nur noch schwer nachvollziehen, welch seelischen Schmerz die Remigranten in diesem Lande zu erdulden hatten und wie sehr ihnen dabei die eigene Existenz unheimlich wurde, so unheimlich, dass sie sich gelegentlich als Gespenster fühlten: »Zur Vergeltung«, so schreibt Adorno über die »Schuld des Verschonten« in der »Negativen Dialektik«, »suchen ihn Träume heim wie der, daß er gar nicht mehr lebte, sondern 1944 vergast worden wäre, und seine ganze Existenz danach lediglich in der Einbildung führte, Emanation des irren Wunsches eines vor zwanzig Jahren Umgebrachten.«12 Vorwort

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In Hans-Joachim Schoeps Leben, der – 1909 geboren und in einem deutschnational gesonnenen jüdischen Haushalt in Berlin aufgewachsen – seit frühester Jugend Mitglied und Anhänger der Bündischen Jugend war, zeigen sich beispielhaft jene Wünsche, Illusionen und Enttäuschungen, die deutsche Juden im 20. Jahrhundert hegten und verarbeiten mussten. Dafür steht etwa Schoeps heute unverständliche, stark anerkennende Gegnerschaft zu dem erklärt antisemitischen, jugendbewegten und sexualpolitisch aktiven Autor Hans Blüher. Noch im Deutschland der ersten Jahre des NS-Regimes vergeblich darum bemüht, die Anerkennung des judenfeindlichen Regimes zu gewinnen, wurde Schoeps im spät, erst Ende 1938 erreichten schwedischen Exil zu einem der bedeutendsten, das frühe Christentum gänzlich neu erforschenden Religionswissenschaftler. Diese Forschungen sind bis heute in manchen Hinsichten unüberholt. Seinem religionswissenschaftlichen Interesse entsprach zudem ein existenziell erfahrenes theologisches und philosophisches Engagement, das Schoeps unter dem Einfluss von Heideggers »Sein und Zeit« sowie im Dialog mit der protestantischen Theologie Karl Barths zum protestantisch geprägten Erneuerer eines jüdischen Offenbarungsdenkens werden ließ. Diesem preußisch und zugleich offenbarungstheologisch verstandenen Judentum entsprang Schoeps streitbare Ablehnung des Zionismus, die ihn in scharfe Kontroversen mit dem später in die USA emigrierten, charismatischen Rabbiner Joachim Prinz führte. Als Motiv für dieses Interesse und die daraus resultierenden Forschungen gab Schoeps stets an, aus der Lehre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl gegen Liberalismus als auch gegen Nationalismus zu sein. Die bis heute weitgehend auch in der Forschung vernachlässigten preußischen Altkonservativen und Gegner Bismarcks – namentlich die Gebrüder Ernst Ludwig von Gerlach13 sowie Leopold von Gerlach – verdanken es vor allem Schoeps, nicht gänzlich vergessen worden zu sein. In jener Zeit, den frühen 1960er erregte er dann nicht zuletzt dadurch Aufsehen, dass er sich als der bekennende Konservative, der er war, im restaurativen Klima von Adenauers Deutschland offen und mutig für die Belange von vom Nationalsozialismus verfolgter Homosexueller einsetzte; was ihm zumal in Kreisen seiner konservativen Anhängerschaft mehr Feinde als Freunde schuf. Gleichwohl war Schoeps eine der führenden Gestalten in verschiedenen schon damals rechts von der CDU stehenden Sammelbewegungen. Unabhängig davon war Schoeps bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Deutschland in Kreisen ehemaliger Jugendbewegter aktiv – seien sie nun in der Emigration, in der NSDAP oder in der Bekennenden Kirche gewesen. Unter 18Vorwort

der jugendbewegten sogenannten »Meißnerformel«, nämlich »sein Leben nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit zu gestalten«, kamen so schon in den späten ­1940er-­Jahren Männer zusammen, die während des Dritten Reiches sowohl aufseiten der Verfolgten als auch der Verfolger standen. Ungleich weniger Verständnis hatte Schoeps für die Interessen und Belange der rebellierenden studentischen Jugend der späten 1960er-Jahre, mit denen er sich an der Universität Erlangen auf heftige, teils kränkende Auseinandersetzungen einließ. 1980 starb Schoeps, 1976 emeritiert, weitgehend isoliert, eigensinnig und verbittert in Erlangen. Auf jeden Fall wird dabei auch an die 1933 gewaltsam beeendeten »Jüdischen Wege ins Bürgertum« (S. Lässig) zu erinnern sein. Nicht zuletzt erfüllte Schoeps ein Programm, das bereits mehr als 100 Jahre früher von einem protestantischen Theologen, Friedrich Daniel Schleiermacher, entworfen wurde. Eine berühmte jüdische Salonière, Henriette Herz, war die Ausnahme im Leben eines der bis heute berühmtesten evangelischen Theologen, Daniel Friedrich Ernst Schleiermachers, dem Begründer einer christlichen Theologie auf der Basis einer idealistischen Theorie des Selbstbewusstseins – eine Ausnahme insofern, als Schleiermacher strikt gegen die Taufe von Juden war. Anlass zu dieser Haltung war ein 1799 verfasstes »Sendschreiben jüdischer Hausväter« – wesentlich von einem Freund Kants, David Friedländer14, verfasst, in dem diese anboten, geschlossen zum Christentum überzutreten, sofern man es ihnen erließe, an das Christusdogma zu glauben. Zu den bedeutsamsten Entgegnungen auf das »Sendschreiben« gehörten die »von einem Prediger außerhalb Berlin« verfassten »Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter«. Als Verfasser entpuppte sich bald der damals 31-jährige Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hilfsprediger in Landsberg und enger, neuer Freund von Henriette Herz. Grundtenor seiner Entgegnung, die er anonym publizierte, war die Überzeugung, dass man Juden überhaupt nie taufen dürfe, da sie konstitutionell nicht willens seien, wahrlich und wahrhaftig den christlichen Glauben zu übernehmen. Hans-Joachim Schoeps hatte zu diesem Vorgang Stellung genommen – in der Neuen Deutschen Biographie äußerte er seine Bedenken so: Großes Aufsehen hat sein (Friedländers, M. B.) 1799 erschienenes »Sendschreiben an Probst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion« erregt. Hier erklärte dieser Kreis nicht nur seine Bereitschaft, das Zeremonialgesetz aufzugeben, sondern auch die Absicht, die Taufe anzunehmen, sofern es nur »ohne Beunruhigung ihrer Vernunft, ohne Verletzung des moralischen Gefühls« geschehen könnte (…) da ja doch Vorwort

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alle Religionen den gleichen Kern ewiger Vernunftgesetze enthielten. F.’s Vorschlag, ein rationalistisch reformiertes Judentum mit einem entdogmatisierten Christentum zu verschmelzen, hatte zu deutlich opportunistische Hintergründe (…).15

Gleichwohl, so wird man feststellen müssen, erfüllte auch Schoeps dieses Programm – wenngleich mit einer wichtigen Ausnahme: Ein »entdogmatisiertes Christentum« war für ihn keine Möglichkeit – vielmehr unternahm er den Versuch, das Judentum, sein Judentum, über ein dogmatisiertes Christentum neu zu verstehen. Und gleichwohl war es die Erfahrung der Verfolgung oder eben auch der nur zufälligen Verschonung, die sich tief in das Werk der Zurückgekehrten eingeschrieben hat, eine Einschreibung, ohne die das Werk der zurückgekehrten Remigranten und Überlebenden wirklich nicht mehr als nur eine schlichte, iterative Fortschreibung der Weimarer Moderne gewesen wäre. Zwischen dieser Moderne jedoch und der Gegenwart der neugegründeten Bundesrepublik stand das Feuer: das Feuer der Scheiterhaufen, auf denen nationalsozialistische Studenten im Mai 1933 alle Zeugnisse einer humanen, progressiven Kultur, die Bücher liberaler, linker und jüdischer Autoren verbrannten, zu Asche werden ließen, das Feuer, das die Synagogen Deutschlands zerstörte, ganz zu schweigen vom Feuer der Krematorien der Konzentrations- und Vernichtungslager. Indes: Keineswegs alle Rückkehrer können als »linke« Remigranten gelten. Dieses Buch gilt, wie oben angedeutet, einem Remigranten, der als Kind preußischer Juden ein ganzes Leben den Idealen des Preußentums treu bleiben wollte, dabei anfangs auch Kompromisse mit dem Nationalsozialismus nicht scheute und gleichwohl als einer der bedeutendsten Geistesgeschichtler des neuen deutschen Staates, der Bundesrepublik Deutschland, gelten kann: Hans-Joachim Schoeps, dem diese Biographie gilt. Folgende Stränge sind daher in ihrer Verflechtung in Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps nachzuzeichnen: 1. die Geschichte der deutschen bündischen und zumal jüdischen Jugendbewegung und ihres Fortwirkens auch nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht zuletzt unter besonderer Berücksichtigung seiner Konfrontation mit Hans Blüher; 2. die Geschichte der dialektischen Theologie und ihrer Beziehung zum Judentum unter Auswertung von Schoeps Briefwechsel mit Karl Barth. Parallell dazu muss Schoeps als einer der Ersten gelten, der die Bedeutung des Werkes von Franz Kafka erkannt hat; 20Vorwort

3. die schließlich vergeblichen Versuche preußisch gesonnener Juden, mit rechtskonservativen Kreisen und Personen wie Ernst Jünger in Kontakt zu kommen; 4. die politischen Mentalitäten jüdischer Deutscher angesichts von zunehmendem Antisemitismus in den ersten Jahren des Nationalssozialismus, als Schoeps dem antisemitischen Rassismus des NS-Staates zum Trotz eine erklärtermaßen regimetreue jüdische Bewegung ins Leben rufen wollte; 5. die existenzielle Erfahrung des Exils – in diesem Falle Schwedens und seiner akademischen Einrichtungen; 6. die gebrochene Erfahrung der Rückkehr ins westliche Deutschland und in sein restauratives Klima; 7. die stets bedrohte Lebenslage homosexueller Männer in der Weimarer Republik sowie im westlichen Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre; 8. das von Schoeps forcierte kulturelle Gedächtnis an Preußen und seine Versuche, im Gegensatz zum konventionellen Konservativismus etwa Adenauers einen »echten Konservativismus« wiederzubeleben; 9. die inneren Konflikte der spätestens mit der Revolte der Studenten an ihr Ende kommenden klassischen Ordinarienuniversität; 10. den gewagten Versuch, nach der Shoah ein mehr oder minder nicht zionistisches, rein verstandenes Judentum aufrechtzuhalten. Bei alledem: Hans-Joachim Schoeps war das, was man einen »Remigranten« nennt: ein Jude, der Deutschland wider seinen Willen verlassen musste und sehnsüchtig auf seine Rückkehr wartete – wie andere auch, Männer und Frauen, denen auf jeden Fall die Bundesrepublik Deutschland, wenn nicht möglicherweise auch die spätere DDR, ihre intellektuelle Gründung verdankt: Indes: um der Hauptperson dieser Geschichte einleitend näherzukommen, ist es – zumal lebensweltlich – unabdingbar, sich eines anderen, anstatt nur des Mediums der sprachlichen Narration zu bedienen. Wer jemand war oder ist, schlägt sich auch in Bildern – in unserem Fall in Photographien nieder. Photographien, eine vergleichsweise neue Technik und damit auch Kunstform stechen, durch zweierlei hervor: erstens, indem sie wie keine andere Kunstform zuvor das festhalten und – wenn schon nicht verewigen – so doch auf eine gewissen Dauer stellen, was der Philosoph Ernst Bloch als das »das Dunkel des gelebten Augenblicks« bezeichnet hat, also jene Form einer unmittelbar erlebten, aber eben nicht durchschauten und reflektierten, je schon vergangenen Gegenwart, die als erinnerte wesentlicher Teil dessen ist, was Menschen als ihr Selbstverständnis, ihre Identität, ihre Geschichte betrachten. Photographien Vorwort

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sind notwendig Bilder einer bereits abgelaufenen Vergangenheit. Sie sind aber zugleich mehr: Galten sie doch vor dem Zeitalter ihrer digitalen Fixierung und Bearbeitung, kurz: in ihrer analogen Form, als authentische Abbildung des Gewesenen – Photographien schienen die Welt, wie sie wirklich war, zu zeigen. Die von Hans-Joachim Schoeps überlieferten Photographien decken einen Zeitraum von etwa 25 Jahren ab – aus der Zeit seiner jugendbewegten Existenz bis zum Beginn der von ihm so ersehnten nachnationalsozialistischen Hochschulkarriere in Westdeutschland, der frühen Bundesrepublik. So zeigt ein Bild den Halbwüchsigen im Schatten neben einer Freundin und einem Freund links vor einer Tür auf Treppenstufen sitzend – der Architektur nach zu schließen irgendwo im ländlichen Raum in der Umgebung Berlins. Schoeps, rundlicher als später, sitzt neben einem mit einem Rock bekleideten Mädchen, das lächelnd auf einen weiteren, rechts neben ihr sitzenden Kameraden schaut, der eine Art Laute spielt. Entgegen seiner später bekannten gleichgeschlechtlichen Orientierung wirkt der junge Schoeps hier durchaus so, als erfreue ihn die sitzende Nähe zu diesem Mädchen – leicht lächelnd, blickt er beinahe in die Kamera. Ein weiteres Bild zeigt auf demselben Treppenportal drei junge Männer: Wieder sitzt rechts vom Betrachter der Lautenspieler, während der junge Schoeps nun – leicht erhöht – die mittlere Position eingenommen hat und sich von oben auf einem rechts von ihm sitzenden Kameraden in weißen Kniestrümpfen zuwendet – den rechten Arm leicht auf die linke Schulter dieses Knaben gelegt. Weitere Bilder – es sind drei – zeigen Schoeps in jenem Ambiente, in jenem Milieu, das zum Inbegriff jugendbewegter Existenz werden sollte: auf Fahrt! So jenes Bild, das mit noch kindlicher Schönschrift unterschrieben »Yogi, Hans Joachim Schoeps (von links, M. B.) auf Fahrt« zeigt. Dabei ist Konrad, der bei einem Sprung ins kalte Wasser früh verstorbene Bruder, dem Hans-Joachim Schoeps eindringliche Erinnerungen widmete, sowie »Yogi« Paul Maier. Alle drei stehen, sich ausruhend, in kurzen Hosen vor dem Hintergrund eines Mischwaldes – Hans-Joachim Schoeps blickt in Richtung Kamera – heiter, ja geradezu lachend. Paul Yogi Mayer (1912–2011), aus dessen Brief oben zitiert wurde, aber war sowohl beim deutsch-jüdischen Wanderbund »Kameraden« als auch später bei dessen Abspaltung, dem »Schwarzen Fähnlein«, dem er sich 1932 anschloss, aktiv. Mehr noch: Mit seiner grafischen Begabung sollte er später zum Illus­ trator der Titelbilder des »Vortrupps«, Schoeps eigener Jugendgruppe, werden. Nach seinem Abitur 1932 in Wiesbaden konnte der aktive Zehnkämpfer ob der »Machtergreifung« nicht mehr an der Frankfurter Universität studieren, 22Vorwort

erwarb an der deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin das Sportlehrerdiplom, um 1934 am jüdischen Landschulheim in Herrlingen zu wirken, wo er trotz der dort herrschenden zionistischen Weltanschauung dem Wert einer Existenz in der Diaspora treu blieb. Mayer wurde im Rahmen dieser und ähnlicher Auseinandersetzungen Mitglied einer Abspaltung des »Schwarzen Fähnleins«16, der »Blauen Schar«, und ab 1935 Jugenddezernent des »Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten, ja, er beteiligte sich sogar ohne jede Chance für Teilnahme an Qualifikationslehrgängen für Zehnkämpfer an den Olympischen Spielen 1936, um danach – wie auch der »Reichsbund« – für eine Auswanderung von Juden zu plädieren – wenn auch nicht nach Palästina, sondern etwa nach Brasilien. Paul Yogi Mayer jedenfalls plädierte im Unterschied zur Mehrheit der Mitglieder des »Schwarzen Fähnlein« für eine stärkere Orientierung am Judentum. Im Mai 1939 trat der inzwischen verheiratete Sportler mit seiner Frau und seinem in Berlin geborenen Sohn die Ausreise nach England an, wo er sich bald freiwillig der britischen Armee anschloss, um 1946 demobilisiert zu werden.17 Auf Anfrage des »Jewish Refugee Committee« war er an der Gründung jüdischer Jugendsportclubs für traumatisierte jüdische Jungen und Mädchen beteiligt – ein früher Befürworter der »Koedukation«. »Ich glaubte«, so Mayer im Rückblick, »an die Interaktion zwischen jungen Leuten, an Gruppen mit verschiedenen Interessen, die selbst gewählten Beschäftigungen nachgingen. Wenn der Club diesen Jugendlichen bei der Überwindung ihrer KZ-Traumata und bei der Verwirklichung ihres Potentials helfen wollte, dann musste er ›offen‹ sein. Das aber hieß, dass auch die jüdischen Jungen und besonders Mädchen aus der Umgebung Mitglieder werden konnten. (…) Der Zufall wollte es, dass die meisten Mädchen, die man in den Club einlud, ein Jahrzehnt zuvor mit den ›Kindertransporten‹ ins Land gekommen waren.«18 Paul Yogi Mayer starb hochbetagt und hochgeehrt, auch nach vielen Einladungen nach Deutschland 2011 in England.19 Ein weiteres Bild dieser Sammlung zeigt den jungen Schoeps auf dem Rasen liegend – die Unterschrift des Bildes vermerkt: »OKA, Hans Joachim (Jochen) Schoeps, Yogi«. Eine ganze Reihe weiterer Photographien zeigt dann einen mit Anzug, Weste und Krawatte, leicht schielend, beinahe etwa linkisch in die Kamera schauenden jungen Mann, der sich aber, wie es auf einem weiteren Bild, zumal im Umkreis von Freunden, zu sehen ist, entspannt geben konnte. Diese Photographie zeigt ihn mit zwei Freunden, Kameraden in einem mit Tannenzweigen, wohl weihnachtlichen Wohnzimmer auf einer Couch sitzend – vor ihnen ein gedecktes Kaffeetischchen. Sie sind zu dritt – der bebrillte vom Vorwort

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Betrachter aus rechts sitzende Freund hält eine Pfeife, während Schoeps’ rechter Arm, in der linken Hand hält er eine Zigarre, vertraulich auf der Schulter des rechts von ihm sitzenden Freundes liegt. Dabei trägt Schoeps selbst, während seine Freunde Pullover anhaben, leicht räkelnd ein Sakko, unter einem Pul­ lunder ein dunkles Hemd und eine hochgeschlossene Krawatte. Dem Mienenspiel nach zu schließen, ist er mindestens entspannt, wenn nicht gar leicht angetrunken. Strenger, mit kurzem Haar, aber mit ebenso hochgeschlossenem Kragen ist er auf einem Bild mit zwei Damen zu sehen, die ihn rechts und links flankieren – ein Bild, wohl noch aus der Berliner Zeit. Überhaupt: Der hochgeschlossene Kragen: auch ein wohl früher aufgenommenes Bild zeigt ihn auf einem Balkon, lächelnd der Sonne zugewandt in einem weißen Hemd, indes: der Kragen hochgeschlossen. Zwei Ausdrucksformen eines Lebens: jugendbewegt antibürgerliche Kluft hier, bürgerlich verschlossene Oberkleidung dort. Entsprechend zeigt sich der zurückgekehrte Professor in Erlangen im Kreise von Honoratioren und Kollegen wieder mit Anzug und Weste, sogar mit einer Taschenuhr, während eine wohl aus den frühen 1960er-Jahren stammende Aufnahme den alleinerziehenden Vater mit seinen beiden, 1942 und 1944 in Schweden geborenen Söhnen zeigt. Alle drei schauen in die Kamera – Hans-­ Joachim Schoeps deutlich im Vordergrund, die beiden jungen Männer jeweils rechts und links ernsten Blickes hinter ihm. Schoeps selbst – wie schon vertraut – in Anzug, Weste und Krawatte, die linke Augenbraue leicht hochgezogen, während sich die Söhne konzentriert, mal mit entspannten, mal mit angespannten Mundwinkeln präsentieren. Von liebevoller Vertrautheit kann – jedenfalls auf diesem Bild – keine Rede sein. Umso mehr frappiert ein weiteres – aus dieser Sammlung wohl letztes Bild – das Hans-Joachim Schoeps an einem Tisch, wohl in einem Vereinslokal sitzend zeigt, er wieder hochgeschlossen und konzentriertesten Gesichtsausdruck, vor ihm ein Manuskript sowie ein halbvolles Glas und eine Flasche Bier – hinter ihm an der Wand die gerahmte Photographie eines Mannes, die mit einem Trauerbändchen geschmückt ist. Neben ihm stehend ein »Alter Herr« – offensichtlich ein ehemaliger Verbindungsstudent mit einer Verbindungsschirmmütze auf dem Kopf – deutlicher Hinweis auf das Milieu, in dem sich Schoeps bevorzugt aufhielt. Der Blick des neben ihm stehenden ehemaligen Verbindungsstudenten, unter seinem Sakko ist noch sein Verbindungsband zu erkennen, wirkt dabei keineswegs besonders freundlich. Das war Jahre nach der Rückkehr, wahrscheinlich in den 1950er-Jahren – 20 Jahre zuvor wurde der junge Jude aus deutschnationalem Elternhaus zum Flüchtling. Wie – das führt zurück in das Jahr 1938 und zwar ausgerechnet an den Vorabend des Weihnachtsfestes. 24Vorwort

Abbildungen

Abb. 1  Käthe Schoeps mit Sohn Hans-Joachim, ca. 1909.

Abb. 2  Hans-Joachim Schoeps im Alter von vier Jahren, 1913.

Abb. 3 Hans-Joachim Schoeps im Alter von 17 Jahren, 1927.

Abb. 4 Hans-Joachim Schoeps mit Freund aus der Jugendbewegung, ca. 1928.

Abb. 5 Hans-Joachim Schoeps in der Kleidung der Jugendbewegung, 1928.

Abb. 6  Hans-Joachim Schoeps im Exil in Schweden, 1939.

Abb. 7 Hans-Joachim Schoeps mit Ehefrau Dorothee (geb. Busch) und Freund im ­schwedischen Exil, 1940.

Abb. 8  Hans-Joachim Schoeps, ca. 1932.

Abb. 9  Hans-Joachim Schoeps mit Ehefrau Dorothee, 1941.

Abb. 10  Hans-Joachim Schoeps mit seinen Söhnen Julius H. (links) und Manfred, ca. 1962.

Abb. 11  Hans-Joachim Schoeps als Hochschullehrer in den 1960-er Jahren.

© für alle Abbildungen: Moses Mendelssohn Stiftung

1 Für Kaiser, Reich und Jugend  

An Heiligabend des Jahres 1938, die nationalsozialistischen Novemberpogrome lagen gerade sieben Wochen zurück, war der Himmel über Berlin bedeckt. Ein junger Mann, ein Jude, der bisher allem zum Trotz Deutschland die Treue gehalten hatte, buchte für das letzte Flugzeug, das an diesem Abend von Tempelhof aus Berlin verlassen sollte, ein Ticket in der Annahme, dass an diesem Abend kein Gestapobeamter die Sperre bewachen würde – was zutraf. Im nationalsozialistischen Deutschland aber geschah an dieser letzten »Friedensweihnacht« – sofern im Fall dieses Staates überhaupt von »Frieden« zu reden ist – noch anderes: etwa der Tod des Hausmaschinenherstellers Carl Miele in Gütersloh, vor allem aber die Heirat des damals 26 Jahre alten Bergsteigers Heinrich Harrer – er hatte im Juli des Jahres die Eigernordwand bestiegen –, eines begeisterten Anhängers von Hitler und späteren Lehrers des Dalai Lama, mit der »blutreinen Arierin« Lotte Wegener, Tochter des Polarforschers Alfred Wegener, eine Ehe, die vom RuSHA, dem Heinrich Himmler unterstehenden »Rasse- und Siedlungshauptamt« ausdrücklich gebilligt wurde. Einen Tag später, am Sonntag, dem 25.12., veröffentlichte der »Völkische Beobachter« anlässlich des Weihnachtsfestes einen Lobesartikel über die Deutsche Mutter und bestätigte das Vertrauen, das das deutsche Volk und zumal der Führer Adolf Hitler den Müttern durch die Schaffung des »Mutterkreuzes« entgegengebracht hätten. Den jungen Mann aber, der Deutschland verließ, überkam Wehmut: »Als sich die Räder des Flugzeugs vom Boden lösten«, so sollte er sich später erinnern, »überkam mich das wehmütige Gefühl, daß ich meine lieben Eltern, deren Gestalten immer kleiner wurden, vielleicht nie mehr wiedersehen würde. Aber sie selber hatten seit dem 9. November nur noch den einen Wunsch gehabt, daß ich endlich das Land verlassen solle, in dem sich das Unheil immer drohender zusammenzog. Nun saß ich im Flugzeug und flog in die Freiheit. Nach Schweden.«20 Für Kaiser, Reich und Jugend

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Der Name des jungen Mannes, der an diesem Abend nach Schweden ausreiste, lautete Hans-Joachim Schoeps; er wurde als Sohn von Käthe Schoeps, geborene Frank, deren Tod durch Vergasung in Birkenau er sogar weit entfernt, in Schweden, deutlich gefühlt hatte, und von Julius Schoeps, der im Ersten Weltkrieg dem Kaiser als Oberstabsarzt gedient hatte, am 30. Januar 1909 in Berlin geboren. Den besorgten Eltern des jungen Mannes ging es in dieser Situation vor allem um das Überleben ihres Sohnes, sie selbst – keineswegs mehr die jüngsten und zudem Juden – wollten, heute kaum noch verständlich, dem Staat Hitlers unbedingt die Treue halten; zumal: Der Vater des Ausreisenden, 1864 in Graudenz gebore, war zunächst Stabsarzt bei der Landwehr, dann – im Ersten Weltkrieg – Leiter einer »Sanierungsanstalt« an der Ostfront. Er war und blieb stolz auf Deutschland und Preußen: In der Zeit der Weimarer Republik hängte die Familie – ob passend oder nicht – bei feierlichen Anlässen die schwarz-weiße Flagge Preußens aus dem Fenster »als ein Symbol der Kontinuität, das oberhalb des hässlichen Streits um die Farben des Reiches stand«.21 Nicht anders war die Orientierung der ganzen Familie, auch und gerade der Großeltern väterlichserseits. So berichtete ihm der Großvater – das sollte für den Enkel ein Lebtag lang prägend werden –, dass er das Jahr 1871, das Jahr von Bismarcks Reichsgründung, als traurig erlebt habe – hätte er doch damals Deutscher werden müssen … Auf des Enkels Rückfrage antwortete der Großvater: »In Preussen geschieht Gerechtigkeit.«22 Das erinnerte, das sich erinnernde Ich von Hans-Joachim Schoeps ist durch eine tiefe Bindung an Deutschland und Prägung durch Preußen gekennzeichnet, eine Prägung, die sich zunächst auf beide Staaten bezog, sich aber später, zumal nach der Erfahrung der NS-Zeit, zugunsten des dahingegangenen Preußen deutlich ausdifferenzierte. Des Vaters Stolz auf Deutschland kam jedenfalls auch nach dem »Anschluss« Österreichs deutlich zum Ausdruck: »Du kannst ja sagen, was du willst, aber du kannst nicht bestreiten, daß Deutschland noch nie mächtiger dagestanden hat als jetzt.«23 Seine Liebe zu diesem Land war so groß, dass er sich noch im hohen Alter von über 70 Jahren wie im Trotz – obwohl er Jude war – nach Kriegsbeginn in grotesker Verkennung der Lage zur Wehrmacht melden wollte, denn: »Hitler«, so seine feste Überzeugung, »mag uns Juden nicht, er ist nun aber einmal unsere Obrigkeit«. Damit aber stand er keineswegs alleine – waren es doch nicht ganz wenige deutsche jüdische Männer, die in die Wehrmacht eintreten wollten So schrieb etwa Hauptmann Leo Löwenstein 1935 in einem Brief an den Chef der Reichskanzlei, Heinrich Lammers, dass es das unveräußerliche Recht jedes Juden sei, Deutschland mit der Waffe zu dienen; so wandte sich Dr. Max Naumann, der Vor34

Für Kaiser, Reich und Jugend

sitzende des »Verbands nationaldeutscher Juden« an Adolf Hitler mit dem Anliegen, beweisen zu dürfen, dass deutsche Juden ebensogut wie Arier in den Streitkräften dienen könnten.24 Drei Jahre vor seiner Flucht nach Schweden wandte sich sogar Hans-Joachim Schoeps – dazu unten mehr – ebenfalls an die Reichsregierung mit der Meinung, dass die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht »die letzte Möglichkeit« sei, »der neuen Regierung den Patriotismus der deutschen Juden zu beweisen«. Tatsächlich erließ das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) erst im März 1940 eine Verordnung, gemäß derer Juden im Krieg wie im Frieden vom Wehrdienst auszuschließen seien.25 Stabsarzt Julius Schoeps aber, der Vater des nach Schweden ausreisenden Emigranten, wurde im Juni 1942, nach der Erschießung Reinhard Heydrichs durch tschechische Widerstandskämpfer verhaftet, nach Lichterfelde verbracht und als »begnadigte« Geisel nicht erschossen, sondern nach Theresienstadt deportiert. Dort starb er im Dezember 1942 eines qualvollen Todes. Die später ebenfalls nach Theresienstadt deportierte Mutter wurde im Mai 1944 nach Birkenau verbracht und dort mit flüssiger Blausäure vergast. »Ich bin«, so Hans-Joachim Schoeps im Rückblick, »meiner Mutter innerlich immer ganz besonders nahe gewesen. Sie war auch bei mir in der Stunde ihres Todes, die ich deutlich gefühlt habe. Es war inmitten einer paradiesischen Landschaft Mittelschwedens, an einem warmen Frühlingstag. Ich warf mich auf den moosigen Waldboden und weinte.«26 Der nunmehr jüdische Emigrant in Schweden hatte eine preußisch-­deutschjüdische Jugend in der Zeit des Ersten Weltkrieges erlebt. Im Jahr 1915 in das ehrwürdige und renommierte »Askanische Gymnasium« eingeschult, verfolgten er und seine Mitschüler den Vormarsch der deutschen Truppen mit dem Einstecken schwarz-weiß-roter Fähnchen auf Landkarten, schlugen im Tiergarten Nägel, die für ein geringes Geld als Kriegsanleihe zu erstehen waren, in ein Hindenburg-Denkmal, um schließlich die Wirren der Revolution zu erleben und das Dienstmädchen seiner Eltern beim Singen kommunistischer Lieder zu beobachten. In der Obersekunda, der fünften Gymnasialklasse wurde Schoeps nicht versetzt und auf das Humboldt-Gymnasium umgeschult; insgesamt hatte Schoeps die Schulzeit in schlechter Erinnerung, habe er doch mit einer Ausnahme keinen Lehrer gehabt, der ihm etwas bedeutet oder ihm etwas Wesentliches vermittelt hätte. Nur ein Lehrer, ein eingestandenermaßen »widerlicher Patron«, habe ihn bei der Rückgabe eines deutschen Aufsatzes so begründet erniedrigt, dass er ihm noch Jahrzehnte später Dank schuldete. »Mit dem Geplätscher, das heute aus deiner Feder fließt, sagte dieser Lehrer kannst Für Kaiser, Reich und Jugend

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Du Feuilletonist am Berliner Tageblatt, aber werden, aber bei mir kommst Du über die Note fünf nicht hinaus (…) Setzen.«27 Doch war die Schule, mit Ausnahme der Fächer Deutsch, Geschichte und Religion, ohnehin des jungen Hans-Joachim Schoeps Sache nicht – früh schon packte ihn die Begeisterung für eine Lebensform, die damals – nicht zuletzt in Berlin – die männliche Gymnasialjugend erfasst hatte: die deutsche Jugendbewegung, namentlich der » Wandervogel.« Die Erneuerung jüdischen Lebens im späten 19. und 20. Jahrhundert war nicht zuletzt eine Frucht der jüdischen Jugendbewegung, die sich Ende des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt unter dem kulturellen Einfluss der deutschen Wandervogelbewegung und der britischen Boy-Scouts-Bewegung in Deutschland und Osteuropa formierte: politisch von weit rechts bis weit links, von zionistisch über »assimilatorisch« bis hin zu deutsch-national, von atheistisch bis zu tief religiös geprägt, vom Hashomer Hatzair über die »Kameraden« bis zu den »Bnei Akiva«, von den aus Russland kommenden »Biluim« bis zum deutschnationalen »Vortrupp«, teils dem anarchistischen Lebensstil der Wandervögel, teils dem Stil der »Bündischen« verpflichtet, waren jüdische Jugendbewegungen sowohl an der Errichtung des Staates Israel als auch am jüdischen Rettungswiderstand in der NS-Zeit beteiligt. Fragt man nun, bei welchen Jugendlichen derlei Ansprachen auf geistig und seelisch Boden fielen, so zeigt die Forschung schnell, dass es sich dabei um jüdische Jugendliche der Jahrgänge 1910–1920, im Allgemeinen deutsch-­ jüdischen Elternhäusern entstammend handelte, wobei der übliche Hinweis, es habe sich um assimilierte Elternhäuser gehandelt, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen dürfte. Denn immerhin zeigen stichprobenartig erhobene exemplarische Fälle, dass in vielen Familien zumindest die Mütter noch stark an die religiös-jüdische Tradition gebunden waren.28 Gleichwohl waren die Bindung an die und die Bewunderung für die deutsche Kultur – von Schiller und Goethe zu Rilke und George – undiskutiert und ungebrochen und stellten den über Jahrzehnte zunächst nicht angezweifelten Horizont des eigenen Selbstverständnisses dar. Der gesellschaftliche Antisemitismus der wilhelminischen Zeit, der sich in den Jahren der Weimarer Republik immer stärker auszuprägen begann, konfrontierte diese Jugendlichen, zumal wenn sie männlichen Geschlechts waren, mit zwei eng miteinander verwobenen Entwicklungsaufgaben: einer Definition ihrer Männerrolle sowie einer Entscheidung, welcher partikularen oder universalistischen Weltanschauung sie sich anschließen wollten.

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Der Jüngling, der zum Bewusstsein seines Verhältnisses zur Gemeinschaft erwacht, findet sich zwischen zwei Gemeinschaften gestellt, gleichsam zwischen sie aufgeteilt (…) Die eine, der er durch seine Geburt entstammt, die andere (…), die die Sprache geschaffen hat, die er spricht und in der er denkt, die die Kultur geschaffen hat, die ihn gebildet hat (…) Aber eines fehlt, ein Letztes, Innerlichstes, das fundamentale Prinzip der wahrhaften Verbindung mit einer Volksgemeinschaft und doch nur selten in seiner Bedeutung gekannt und bewusst: das Gemeinschaftsgedächtnis.29

Wie auch in der allgemeinen, nichtjüdischen Jugendbewegung wurde die Lösung dieser Aufgabe oftmals in Bildung und Sozialarbeit gesucht: Bildung im Sinne einer persönlichen Weiterentwicklung im Dienste eines übergreifend Allgemeinen, das diese Jugend in dem fand, was es für das jüdische Volk hielt, eine Überzeugung, der bekanntlich auch der junge Siegfried Bernfeld mit allen Konsequenzen, einschließlich einer Verehrung für den damals schon in Verruf geratenen Gustav Wyneken, anhing30 Es war der gerade in diesen, in jugendbewegten Kreisen beinahe religiös verehrte Dichter Stefan George, der in seiner Gedichtsammlung »Der Stern des Bundes« die Zeile prägte: »Wer einmal die Flamme umschritt, bleibe der Flamme Trabant« – ein Motto, das wie kein anderes auch auf das Leben von Hans-Joachim Schoeps zutrifft – blieb er doch dieser Erfahrung weitgehend, beinahe bis zum Ende seines Lebens treu. Noch Jahre später, in den ersten Jahren des Dritten Reiches, erzählt er im zweiten Heft des zweiten Jahrgangs seiner Zeitschrift »Der Vortrupp« in einem »Rückblick in die Aufbruchszeit«, wie er 1923 in der Berliner Sophienstraße in einem alten, baufällig gewordenen Haus, dem Sammelpunkt der Berliner Wandervögel, von dem Wahlspruch »Die Wahrhaftigkeit ist unser Programm« gebannt war. An einem weiteren Abend wurde er nach heftigen Debatten der etwa 20 Jahre älteren Männer und Frauen gefragt, was er dort wolle, um sich schließlich zur Suche nach Erkenntnis ebenso zu bekennen und einem Skeptiker, der die Suche nach Erkenntnis für eine Ursache des Unglücks hielt, zu entgegnen: »Das ist«, so antwortete der 14-Jährige, »nicht ausgeschlossen, aber ich bekenne mich zum Freideutschtum und werde mich zu ihm bekennen, solange ich lebe.«31 Der beim Abfassen dieser Zeilen 24-jährige Autor hatte sich damit bereits für den Rest seines Lebens festgelegt – wohl wissend, dass dies auch später nicht unproblematisch sein könnte: »Ich wandte mich«, so erinnerte er sich 1935, »um und wußte, daß ich jetzt entweder die Wahrheit gesagt oder die größte Dummheit meines Lebens begangen habe. Jedenfalls hatte ich mir das unbeschwerte Leben im Jungenland nun selber verboten und mich Für Kaiser, Reich und Jugend

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damit gegen das schöne Leben im Jungenland und vielleicht unglücklich entschieden.«32 »Wahrhaftigkeit« – dieser Grundbegriff der deutschen Jugendbewegung, der sogenannten »Meißnerformel«, fand seinen klassischen Ausdruck in dieser Formulierung: »Die freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten.« Wahrhaftig zu sein, bedeutet jedoch, alle eigenen Handlungen, Worte und taten an einmal gewonnenen Überzeugungen auszurichten – komme, was da wolle. Für die deutsche Jugendbewegung war dies freilich kein individualistisches Prinzip, sondern Ausdruck des Willens, diese Wahrhaftigkeit immer und nur im Zusammenleben mit anderen, in Gruppen zu leben. Entsprechend bekennt Schoeps in seinen Jahrzehnten später verfassten Erinnerungen, dass es – abgesehen von den Jahren der Emigration – nie eine Zeit gegeben habe, »in der« er »nicht in Gruppen und Kreisen gelebt hätte«.33 Die im Elternhaus erfahrene politische Prägung schien ihm zunächst auch keine andere Wahl zu lassen. Als Schoeps 15 Jahre alt wurde, sagte ihm sein Vater der eigenen Erinnerung nach etwa das Folgende: »Du weißt mein Junge, ich bin sehr tolerant, von mir aus kannst du alles werden. Nur drei Dinge darfst Du nicht werden: Zionist, Kommunist und Sozialdemokrat.«34 Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstandes, dass die Schule ihn mehr oder minder langweilte, war sein ganzes Sinnen und Trachten in den entscheidenden Jahren von Pubertät und Adoleszenz, von 1923–1926 auf die Jugendbewegung, auf den Wandervogel ausgerichtet, einem Jugendkulturerlebnis, das ihn und seine Altersgenossen tatsächlich – so drückte er es Jahrzehnte später aus – »glücklich gemacht hat«35- In seinen 1963 erstmals erschienenen Rückblicken stellte er aus der Distanz von immerhin 40 Jahren nicht nur fest, dass noch nicht einmal die Kameraden der Bündischen Jugend, einer späteren »Geisteswelle«, richtig erfassen konnten, »was für uns damals das Eigentliche, das Wesentliche war: Wir hatten – obwohl wir erst fünfzehn-sechzehn Jahre alt – teil an einer geistigen Bewegung, von der ich heute (1963, M. B.) noch glaube, daß die Reichweite ihrer Möglichkeiten ungeheuer war. Sie hat uns oft zu mehr gemacht, als wir eigentlich waren; viele verloren sich an den eigenen Überschwang.«36 Der von Christian Niemeyer in seinem 2013 publizierten Buch »Die dunklen Seiten Jugendbewegung. Vom Wandervogel bis Adolf Hitler«37 erbrachte Nachweis, dass und wie die völkische, die bündische Jugendbewegung eine der Wurzeln nationalsozialistischer Herrschaft wurde, belegt das nachdrücklich. Freilich sollte der Aufbruch der deutschen Jugend schon 20 Jahre früher 38

Für Kaiser, Reich und Jugend

tödlich enden. Als sich am 11. und 12. Oktober 1933 hunderte von deutschen Jugendlichen auf einem Berg in Nordhessen, auf dem Hohen Meißner, trafen, waren sie hochgemuter Stimmung. Zusammengerufen von einer Gruppe jüngerer, etwa 30 Jahre alter Männer, die die Reform ihres Lebens durch die Absage an Alkohol und Nikotin, durch das Überwinden einer anonymen städtischen Kultur mit all ihren Versuchungen sowie durch eine Kampfansage gegen die vermachteten und verkrusteten, militaristischen Strukturen der wilhelminischen Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben hatten, befanden sie sich in einer Stimmung des Aufbruchs. Einer, der vom Ruf der Jugend bewegt, aber selbst nicht auf dem Hohen Meißner war, hat die Stimmung in einem der Kreise, die kurz darauf auf den Meißner pilgern sollten, später so beschrieben: Sie hatten flatternde Haare, trugen offene Hemden und Velvethosen. Sie sprachen, nein predigten, in feierlichen, wohlklingenden Sätzen von der Abkehr vom Bürgertum und dem Recht der Jugend auf eigene, ihrem Wert angemessene Kultur (…) Die Figuren dieses Kreises stellten vermutlich das Beste und Aufrichtigste dar, was diese Generation hervorbringen konnte. Verlassen von unseren Eltern, von denen wir wussten, daß ihre Harmlosigkeit uns ins Unheil jagen würde, versuchten wir, uns gegen unser Schicksal zu sträuben, und glaubten an eine Welt, die die Stimme der Jugend hören würde. Führerschaft und Gefolgschaft spielten eine bedeutsame Rolle.38

So erzählt es jedenfalls der Arzt und Emigrant Martin Gumpert im Jahr 1939 im US-amerikanischen Exil. Der »Freideutsche Jugendtag« auf dem Hohen Meißner im Jahr 1913 war von seinen Stichwortgebern, etwa dem Pädagogen Gustav Wyneken und dem Arzt Knud Ahlborn, als das gedacht worden, was der Romancier Robert Musil später in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« als »Parallellaktion« karikieren sollte, als eine – heute würden wir sagen »zivilgesellschaftliche« – Alternative zu den reichsweit vorbereiteten Feiern an den Sieg Preußens, Österreichs und Russlands über das napoleonische Frankreich 1813 bei Leipzig. Das Jugendfest auf dem Hohen Meißner endete mit einer feierlichen Abschlussdeklamation, mit dem Verlesen der sogenannten »Meißnerformel«, die von zwei Ärzten und dem Lebensreformer Knud Ahlborn seiner Auskunft nach bei einer Wanderung zwischen zwei Bergen im Werratal, zwischen Burg Hanstein und dem Meißner, erdacht worden war. Knud ­Ahlborn, er starb 1977 auf Sylt, erdachte den Wortlaut dieser Formel: Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter Für Kaiser, Reich und Jugend

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allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.

Indes: Weder der völkisch-nationalistische Hintergrund vieler Aktivisten und kulturkritischen Sympathisanten noch das tödliche Ende vieler, die noch auf dem Hohen Meißner getanzt hatten, noch gar die heute allzu pathetisch wirkende Meißnerformel erschöpft das Phänomen der Jugendbewegung und erlaubt es, sie ganz gar den reaktionären Seiten der jüngeren deutschen Geschichte zuzuordnen. Vielmehr war die deutsche Jugendbewegung ein Phänomen sui generis, ein in sich widersprüchlicher Ausdruck einer in sich widersprüchlichen Epoche – so widersprüchlich und ambivalent, dass sie auch und gerade einer auf Fortschritt hoffenden politischen Linken als Fanal und Verheißung gelten konnte. Das zeigt nicht zuletzt das Verhältnis des Philosophen Ernst Bloch (1885–1977) sowie des Erziehungstheoretikers Siegfried Bernfeld (1892–1953) zur Jugendbewegung. Im Jahre 1913 war der 1885 in Ludwigshafen geborene Ernst Bloch bereits ein promovierter Philosoph, der soeben Else von Stritzky geheiratet hatte, in Heidelberg im Umkreis von Max Weber verkehrte und mit dem marxistischen Philosophen Georg Lukacs befreundet war. In seiner eigenen Jugend war der alles in allem doch mittelmäßige Schüler kein Gruppenmensch, sondern ein Einzelgänger, der gleichwohl – oder eben deshalb – gegen Elternhaus und Schule rebellierte: »Ich erinnere mich«, so Bloch im Rückblick, »früh auf den Geschmack gekommen zu sein. Aufsässig gegen Haus und Schule, der rote Faden spann sich an. Pläne zum Ausreißen, wie fast in jeder Jugend, hin zu schöner Fremde, die keine war, sondern Verwandtes.«39 Während Ernst Bloch in Heidelberg den Versuch unternahm, wenigstens Teile eines bürgerlichen Lebens zu realisieren, fand sich ein anderer, jüngerer Intellektueller sehr wohl auf dem Hohen Meißner ein: Siegfried Bernfeld. 1892, sieben Jahre nach Bloch in Lemberg geboren, in Wien aufgewachsen, war Bernfeld als charismatischer Führer der Wiener Jugendbewegung bekannt. Er hatte, so eine spätere Biographin, »auf dem Hohen Meissner mitgeschworen, war gewissermassen der Bevollmächtigte Wynekens für Österreich und zu allem anderen auch noch von jener mystischen Romantik umwoben, die von der deutschen Jugendbewegung ausging (…)«.40 Bloch wie Bernfeld entstammten – dieser Hinweis ist nun unerlässlich – dem deutschsprachigen Judentum, doch während das Elternhaus Blochs diese Bezüge weitestgehend aufgegeben hatten, war jedenfalls Bernfeld vom Juden40

Für Kaiser, Reich und Jugend

tum noch so weit beeinflusst, dass er über lange Jahre Spiritus Rector und Mitglied linkssozialistischer, zionistischer Jugendgruppen blieb. Das ist für den Lebenslauf Siegfried Bernfelds, deshalb von Bedeutung, weil er mit seiner Teilnahme am Meissnerfest auch den letzten Resten von Religiosität, die diesem Judentum eventuell noch verblieben waren, entschlossen den Abschied gab. Im Oktober 1913 war Siegfried Bernfeld einundzwanzig Jahre alt; der 11./12. Oktober des Jahres 1913 aber war für Jüdinnen und Juden heilig – nicht deshalb, weil das Meißnerfest stattfand, sondern deshalb, weil in diesem Jahr das höchste, das allerhöchste Fest des Judentums, Jom Kippur, der Versöhnungstag, auf diese Tage fiel. Fromme Juden stehen an diesem Tage den ganzen Tag in der Synagoge, fasten total, d. h., sie trinken auch nichts, und beten für Umkehr und Vergebung. Siegfried Bernfeld aber hielt, charismatisch wie er war, auf dem Hohen Meißner mitreißende Reden. Was im Oktober 1913 so hoffnungsvoll begann, sollte kein ganzes Jahr später in einem Blutbad enden. Am 10. November 1914 schickte die Oberste Heeresleitung in Belgien, bei Bischote, das später als Langemarck bezeichnet werden sollte, in einem Stellungskrieg gegen das französische Heer nach einem ersten Rückschlag ungediente, häufig aus jungen Kriegsfreiwilligen gebildete Regimenter in die Schlacht, die schließlich nach erheblichen Blutopfern das erwünschte Ergebnis brachte. Damals entstand, nach einer Nachricht der Obersten Heeresleitung, der Mythos von Langemarck: Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ›Deutschland, Deutschland über alles‹ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2.000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangengenommen und sechs Maschinengewehre erbeutet. – Kommuniqué der OHL, 11. November 1914

Der spätere Mythos behauptete nicht nur, dass die jungen, meist jugendbewegten Männer das Deutschlandlied sangen, sondern auch – oft genug – das Liederbuch der Wandervögel, den »Zupfgeigenhansel« sowie die Gedichte Hölderlins im Tornister mit sich führten. Als das geschah, befand sich Bloch, wegen extremer Kurzsichtigkeit wehruntauglich geschrieben, in München, während Siegfried Bernfeld, ebenfalls wehruntauglich geschrieben, in Wien seine Dissertation »Über den Begriff der Jugend« vorbereitete. Ernst Bloch emigrierte 1917 in die Schweiz, Siegfried Bernfeld aber engagierte sich nach dem Krieg in Österreich im Rahmen seiner linkszionistischen Tätigkeit unmittelbar nach dem Krieg für jüdische Flüchtlings- und Waisenkinder, bis er ab etwa 1925 mit dem Kulturzionismus brach und sich in Berlin ganz der Psychoanalyse und ihrer Für Kaiser, Reich und Jugend

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möglichen Verbindung mit dem Marx’schen Denken widmete. Beide sollte die Themen »Jugend« sowie »Jugendbewegung« für den Rest ihres Lebens prägen. Ernst Bloch aber legte erstmals in den zwischen 1910 und 1929 entstandenen »Spuren«, und zwar im Stück »Der Lebensgott«, Rechenschaft ab – damals durchaus kritisch: Deutlicher Sinn für Mädchen setzte die Nüchternheit ab, und die Buden lehrten vieles, vor allem, daß die Dinge so sind, mit einem Vorhang am Eingang und innen unbekannt. Da nahmen wir Knaben die Kräfte ein, für die jetzt erst die Zeit gekommen ist: nämlich brennenden Traumkitsch des neunzehnten Jahrhunderts, naiv gesehen.41

Um all das auch heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts nachvollziehen zu können, ist es nun unerlässlich, wieder auf Hans-Joachim Schoeps zurückzukommen und ein längeres Zitat aus Schoeps Erinnerungen wiederzugeben. Nur so kann auch heute noch die Faszination, die diese – inzwischen gut erforschte und dokumentierte Bewegung – bei nicht wenigen bildungsbürgerlichen Jugendlichen ausübte, andeutungsweise verstehbar gemacht werden. Auf Fahrt gehen – das war für uns etwas anderes, als für die, die später kamen. Wir wanderten nämlich – Fahrrad, Trampen usw. waren noch unbekannte Begriffe. Morgens 7 Uhr Treffpunkt vor dem Stettiner Vorortbahnhof in Berlin, der damals noch eine furchtbare Bruchbude aus der Frühzeit der Eisenbahnen war. Ein eigentümliches Bild bot sich dem Zivilisten, wenn er so früh schon in seine Laubenkolonie hinausfuhr. Überall standen kleine Gruppen, die sich um einen Wimpel sammelten. Jugendbünde der verschiedensten Richtungen und Weltanschauungen. Meist gemischt Jungen und Mädel. Die Mädel in Beiderwandkleidern mit lang herabreichenden Röcken, die Haare in Schnecken gelegt. Die Jungen in Kitteln mit den buntesten Farben, stets einer darunter, der eine Klampfe am bunten Band und ohne Überzug über den Rücken hängen hatten. Ich erinnere mich an Jungen, die einen Blumenkranz im Haar trugen, was mir reichlich affig vorkam. Das Sonderbare war die Stimmung vor der Fahrt, man schmeckte sie bereits. Es war ein Ziehen in den Gliedern, ein Drang in die Ferne hinaus, wo alles in Blüte stand, wenn wir in die unbequemen Vierter-Klasse Abteile der unmodernen Vorortwagen kletterten. Und kaum setzte der Zug sich in Bewegung, dann begannen große Wettgesänge in allen Abteilen, wo Jugendgruppen saßen (…) »Wohlauf, die Luft geht frisch und rein, wer lange sitzt muß rosten.« »Das Käuzlein lass ich trauern im Astloch Tag und Nacht.« (…) Aber bald sangen wir nicht mehr, sondern das unvermeidliche Problematisieren war im Gang (…) Das Eigentümliche unserer Diskussionen war, daß wir sie führten, als ob Deutschlands, ja der ganzen Welt Schick-

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sal von ihnen abhänge (…) Denn wir haben uns für Vorweggenommene gehalten, die stellvertretend für die Nation geistige Schlachten schlugen (…).42

Diskussionen und gemeinsames Singen waren das eine, noch bedeutender, weil ein noch tiefer empfundenes Erleben auslösend, war die geradezu archetypisch anmutende Landschaftserfahrung – eine Erfahrung, die nicht umsonst den Ausbruch aus »grauer Städte Mauern« motivierte. »Wer einmal«, so Schoeps im Rückblick, nunmehr im Alter von immerhin über 50 Jahren, »an den Ufern der Oder oder Weichsel gelegen hat, wenn die Abendröte die Landschaft verzaubert, daß das Nahe weit und das Weite nah wird und einen die Süße dieser irgendwo tieftraurigen Landschaft überkommt, die zur Selbstauflösung verführen will, der versteht erst, warum in Preußen Befehl sein muß und warum das Lebensgesetz des preußischen Bauern Gehorsam heißt, auch wenn ihm die Auflehnung im Blute brennt (…) Preußen ist der zu starrer Form geronnene Widerstandgegen das erschlaffende Erliegen vor der Weite nordosteuropäischen Flachlandes.«43 Es dürfte mehr als ein Zufall sein, dass ein anderer Ideologe der Jugendbewegung als eines Männerbundes, nämlich der Schoeps in geistiger Erotik verbundene Hans Blüher, in seinen nach dem Zweiten Weltkrieg – etwa zur gleichen Zeit wie Schoeps – ganz ähnliche Landschaftserfahrungen in seinen Erinnerungen zu Protokoll gab: »(…) mit der ganzen Glut und Geschmeidigkeit unseres Herzens«, so erinnerte sich Blüher nach dem Zweiten Weltkrieg, »diese Landschaft mußte bezwungen werden, ihr Götterwort mußte uns zukommen, sonst wären wir Jugend zugrunde gegangen am unreinen Atem der Väterkultur (…) Das Nuthetal, auf dem die ersten Feuer der Jugendbewegung brannten, hatte uns getränkt mit der geschichtlichen Kraft, die seit Jahrhunderten in ihm stak, und uns zu sich genommen. Wir stiegen von seinen Hügeln ab und waren ein Stand.«44 Wie bereits oben erwähnt, war es der in der klassischen deutschen Jugendbewegung und nicht zuletzt auch in der jüdischen Jugendbewegung bevorzugt gelesene Dichter Stefan George, der in seiner 1914 erschienenen Sammlung »Der Stern des Bundes« geschrieben hat: »Wer je die flamme umschritt, bleibe der flamme trabant.« Walter Laqueur, ein zionistischer Historiker der deutschen Jugendbewegung, bestätigt genau dies: Wir verbrachten unsere Zeit mit mit Wandern, Gesprächen, Gesang und Sitzen am abendlichen Lagerfeuer – doch eine solche einfache Aufzählung kann überhaupt keinen Eindruck davon vermitteln, was dies alles für einen Jungen oder ein Mädchen meiFür Kaiser, Reich und Jugend

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nes Alters bedeutete. Sie kann weder das herrlich freie Leben und die Freundschaften beschreiben, noch einen Sonnenaufgang oder den Geruch des Waldes nach einem Regen. Wir waren in einem ganz eigenen Reich, unserem Reich, weit entfernt von den Zwängen und Einmischungen einer feindlichen Welt. Also Eskapismus? Ja, aber ein sehr notwendiger zu allen Zeiten, und ein besonders hilfreicher zu jener Zeit und an jenem Ort.45

Walter Laqueur, einer der bedeutendsten Zeithistoriker der Gegenwart, wurde als jüdischer Jugendlicher 1921 in Breslau geboren, emigrierte 1938 nach Palästina, um seit 1953 in London zu leben. Laqueur war nicht nur einer der ersten Historiker, der sich systematisch mit der allgemeinen Geschichte der deutschen Jugendbewegung befasste, sein Buch »Die deutsche Jugendbewegung. Eine historische Studie« erschien 1962, sondern auch ein Historiker der rettenden Leistungen der deutsch-jüdischen Jugendbewegung. Nicht zuletzt aber publizierte er 1995 unter dem anspielungsreichen Titel »Wanderer wider Willen«46 Erinnerungen aus 30 Jahren – von 1921 bis 1951. Dort gibt er Folgendes zu Protokoll: (…) blicke ich heute zurück, so möchte ich meine Erfahrungen in der Jugendbewegung auf keinen Fall missen. Diese bedeutete in einer schwierigen Periode meines Lebens einen Anker, eine Insel des Friedens inmitten einer Welt, die mehr und mehr feindlich wurde; in ihr entwickelten sich Eigenschaften wie Disziplin und Verantwortungsgefühl, auch Führungsqualitäten.47

Freilich zehrte die deutsche Jugendbewegung nicht zuletzt davon, dass sie eben auch und vor allem eine »Jungensbewegung« war. Es war der schon mehrfach erwähnte, in der Weimarer Zeit höchst bekannte Publizist Hans Blüher, der in seinen Schriften zum Männerbund, zum männerbündischen Prinzip die heute grotesk anmutende These vertrat, dass nur – homosexuelle – Männerbünde wie die Hellenen des klassischen Zeitalters kulturschaffend sein konnten, in der Familie, »beim Weibe«, wie das in diesen Schriften genannt wurde, »verlag« sich der Mann.48 Diesen Lockungen sei nur durch Zucht und Haltung zu begegnen; ebenso wie Frauen verlockten, waren es die Landschaften des Nuthetals, indes: Tatsächlich liegt hier eine kaum anders denn als »Verkehrung« zu bezeichnende Deutung vor: Waren doch jene, die den Verlockungen dieser Landschaft widerstanden, Schoeps und Blüher49, selbst vor allem von Männern angezogen, waren sie homosexuell orientierte Männer, die sich in preußischer Disziplin in eine heterosexuelle Ehe begaben und – so jedenfalls Schoeps – in ihr auch pflichtgemäß Kinder zeugten. 44

Für Kaiser, Reich und Jugend

Bei alledem war Hans-Joachim Schoeps offenbar zu keiner Zeit vor 1933 Mitglied einer jüdischen Jugendgruppe, obwohl sich zumal jüdische Jugendgruppen aller Couleur reichhaltig gebildet hatten, nachdem der »Wandervogel« es seinen Mitgliedsbünden in einem skandalösen Beschluss aus dem Jahre 1914 freigestellt hatte, keine Jüdinnen und Juden aufzunehmen, und er sich auf einem »Bundestag« im Mai 1914 weigerte, die Unvereinbarkeit mit offen antisemitischen Vereinigungen zu beschließen. Schon ein Jahr zuvor hatte der österreichische Wandervogel erklärt: Darum haben wir (…) kundgetan, daß wir weder Slaven, noch Wälsche, noch Juden in unseren Reihen sehen wollen, weil wir, umbrandet von Fremden und durchsetzt von Mischlingen, unsere rassische Reinheit bewahren müssen.50

1914 erläuterte die Zeitschrift des »Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens«, sie erschien unter dem Titel »Im deutschen Reich« zwölfmal im Jahr, diesen Beschluss in ihrer Maiausgabe so: Den jungen Leuten wird anheimgestellt, den Juden abzulehnen, »weil besonders ausgeprägte Rasseeigentümlichkeiten ihr mit der Art des »Wandervogels, die aus dem Tiefsten des deutschen Wesens hervorgegangen ist und in deutscher Vergangenheit wurzelt, unverträglich erscheint«. Was verstehen – so der Autor des Beitrages – die Herren unter dem »Tiefsten des deutschen Wesens«?51

Schon zwei Jahre früher, 1907, hatten sich als Reaktion auf antisemitische Tendenzen in der bürgerlichen deutschen Jugendbewegung jüdische Wanderbünde gegründet.52 Hans-Joachim Schoeps aber war in keinem dieser Bünde Mitglied. Nach eigener Auskunft wurde er als »Nachzügler«53 Mitglied im von ihm fälschlich so bezeichneten »Freideutschen Werkbund«, der offiziell den Namen »Neuwerk Bewegung«54 trug und wesentlich von einem heute vergessenen christlichen Sozialisten, Eberhard Arnold (1883–1935), geprägt wurde. Schoeps selbst berichtet, kurz nach dem zweiten Meißner Tag im Jahre 1923 Mitglied einer Gruppe der inzwischen nicht mehr locker auftretenden, sondern straff organisierten, nunmehr Bündischen ugend geworden zu sein. Nun ging es – anders also noch in Zeiten des »Wandervogels« vor dem Krieg – nicht mehr um frei romantisches Schweifen in der Natur, sondern um Ein- und Unterordnung, um Simulationen von Staatlichkeit und die Wirklichkeit von Führer und Gefolgschaft. Einige Jahre später, 1926, trat dieser nunmehr 14 Jahre alte Sohn eines deutschnationalen jüdischen Arztes der heute noch existierenden »Deutschen Für Kaiser, Reich und Jugend

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Freischar« bei, die damals in ganz Deutschland etwa 40.000 Mitglieder hatte.55 Im Rückblick, 40 Jahre später, klingt noch immer etwas von dem homoerotischen Zauber nach, den diese Gruppierung auf den pubertierenden Jüngling ausübte; so wenig Mitglieder diese Bewegung in Deutschland insgesamt hatte, galt dennoch: »(…) es waren die körperlich und geistig bestgewachsenen und die schönsten Jungen, die in den Bünden waren; der Anblick einer Gruppe, wenn sie gut und wohlgelungen war, bot einen ästhetischen Genuß.«56 Mit dieser Erinnerung nahm der inzwischen etwa 40 Jahre alte Autor, nach Verfolgung und Emigration wieder nach Deutschland zurückgekehrt, wenn auch ästhetisch sublimiert, ein Thema auf, das ihn – allem sonstigen Konservativismus zum Trotz – ein Leben lang existenziell und politisch beschäftigen sollte: die männliche Homosexualität. Dabei ging es ihm um deutlich mehr als nur um eine persönliche Neigung: Vielmehr war die Problematik sexueller Beziehungen in den Jugend- und Wanderbünden, seien sie nun homo- und heterosexuell, eine Frage, die die Jugendbewegung nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes stetig verfolgte, sondern auch Anlass zu im weitesten Sinne politischen, »männerbündischen« Überlegungen gab.57 1925 verfasste Schoeps, nunmehr 16 Jahre alt, ein Manuskript, das er – wiederum – erst Jahrzehnte später, 1963 der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Unter der Überschrift »Wesen und Aufgabe freideutscher Jungmannschaft« kritisierte der jugendliche Autor nicht nur, dass der bürgerliche Geist der stattgefundenen Revolution zum Trotz noch immer die Zeit, sogar das Proletariat bestimme, sondern bekannte sich auch zudem, was er unter dem »freideutschen Geist« verstand: Freideutsch sein heißt, sich dauernd herausgefordert zu wissen, niemals geistige Ruhe und seelische Zufriedenheit zu haben und sich in ewiger Proteststellung zu den Menschen und Ordnungen der Welt zu wissen, soweit und solange diese nicht seinen Forderungen der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit entsprechen. Der freideutsche Mensch ist aber kein ethischer Mensch im landläufigen Sinne, der die Welt mit moralischen Maßstäben mißt. Er ist vielmehr ein besessener Mensch, der vom Geist der letzten Wahrhaftigkeit und der ewigen Gerechtigkeit besessen ist.58

In dieser Zeit, kurz vor seinem Abitur, befasste sich Schoeps nicht nur mit dem lange Zeit vergessenen, erst heute wiederentdeckten anarchistischen Denker Gustav Landauer (1870–1919), um sich allmählich von der Linken abzukehren, sondern schloss zudem eine Reihe von Freundschaften, die für sein späteres Leben bestimmend werden sollten. Anders als die Psychoanalyse mit 46

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ihrer Betonung frühkindlicher Prägungen kannte die Sozialpsychologie des US-amerikanischen Pragmatismus – namentlich in den Überlegungen von George Herbert Mead (1863–1931) – die Figur des »signifikanten Anderen«, also von jenen Personen, ohne die die Herausbildung eines »Selbst« als individueller Person nicht denkbar ist.59 Dem entsprach der Bildungsgang von Hans-Joachim Schoeps genau: Es waren dies der schon oben genannte Eberhard Arnhold, sodann die etwa gleichaltrigen Jünglinge Fritz Meier und Eberhard Beyer. Fritz Meier,60 so gesteht Schoeps ein, habe seine geistige Entwicklung und seinen Denkstil wesentlich geprägt – ein Mann, der einer Muskellähmung wegen ein entstelltes Gesicht hatte, kurzsichtig war und schlecht hörte. Fritz Meier war Protestant und habe ihm, den jungen Juden, das Wesen des Judentums besser vermittelt, als dies je ein Rabbiner vermochte. Eberhard Beyer, dem Schoeps in denselben Jahren begegnete, war sechs oder sieben Jahre älter als der 17-jährige Primaner; noch Jahre später kann Schoeps nur vermuten, dass es eine möglicherweise nicht eingestandene erotische Neigung war, die ihn zu dem Gymnasiasten hinzog. Auf jeden Fall war es Beyer, der den Jüngeren mit der damals revolutionären Theologie Karl Barths bekannt machte: »Wie wir uns kennenlernten, habe ich vergessen, aber ich habe noch seine Stimme im Ohr, wenn er mir erklärte: ›Dein Leben ist verpfuscht, wenn Du nicht an die justficatio sola fide zu glauben vermagst‹.«61 Dagegen, so der Rückblick, habe sich zunächst alles aufgebäumt, namentlich, dass gute Taten und das Streben nach Gerechtigkeit nichts zählen sollten. In seiner durch den Protestantismus ausgelösten Glaubensnot suchte der jüdische Gymnasiast einen Rabbiner auf, der ihm Midraschim, also rabbinische Lehren über den in jedem Menschen angelegten guten und bösen Trieb nahelegte – so, dass am Ende der gute Trieb obsiegen werde, wenn der Mensch sich um das Gute bemühe. Aber das heiße doch wohl nur, so Schoeps in seiner Erinnerung: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.« Woraufhin der Rabbiner genickt habe. »Ich fing«, so die Erinnerung Jahrzehnte später, »an zu brüllen: ›Dann stehen Sie ja bei, Goethe über dessen Religiosität ich neulich ein Buch gelesen habe. Dann sind sie ja gar kein Jude, sondern ein Humanist. Danke für Backobst‹ – und knallte die Tür zu.«62 Dennoch brach Schoeps – anders als viele seiner jüdischen Altersgenossen, mit denen er noch Jahre in Kontakt bleiben sollte, nicht mit dem Judentum – eines, wie er selbst es ausdrückte, »konservativen Grundinstinktes« wegen, »wonach jeder Mensch das Lebenserbe, in das er hineingeboren wird, mit seiner Existenz auszufüllen habe, ganz gleich, ob es ihm sympathisch ist oder nicht«.63 Für Kaiser, Reich und Jugend

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Wenn auch verklausuliert, bringt dieses Bekenntnis gleichwohl zum Ausdruck, dass ihm das normative Judentum – jedenfalls damals – nicht zusagte. Schoeps Begegnung mit Eberhard Beyer und damit der dialektischen Theologie Karl Barths war folgenreich – als Frucht dieser Konstellation verfasste der 22 Jahre alte Student seine 1932 im Philo-Verlag Berlin publizierte Schrift »Jüdischer Glaube in dieser Zeit. Prolegomena zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums«.64 Sie war nicht nur die Frucht seiner Begegnung mit Beyer, sondern auch Ausdruck jener Studienjahre, die er nach seinem Abitur an den Universitäten Berlin, Heidelberg, Marburg und Leipzig bei bedeutenden akademischen Lehrern absolvieren sollte. Von 1928 an studierte er bei so renommierten Professoren wie dem protestantischen Theologen und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851–1930), einem dezidiert gegen den Antisemitismus auftretenden systematischen Antijudaisten, wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931), dem seinerzeit renommiertesten Altphilologen, dem einer jüdischen Familie entstammenden, dann zum Christentum übergetretenen Philosophen Adolf Lasson (1832–1917), dem Werteethiker Nicolai Hartmann (1882–1950) sowie bei dem letztlich antisemitischen Wirtschaftshistoriker und Soziologen Werner Sombart (1863– 1941), aber auch bei dem Agrarwissenschaftler Friedrich Areboe (1865–1942) sowie den Kirchenhistorikern Carl Schmidt (1868–1938) und dem Historiker Ernst Perels (1882–1945), der der Unterstützung des Attentats auf Hitler wegen in Flossenbürg ermordet wurde. Später, in Heidelberg und Leipzig hörte Schoeps bei dem Georgeschüler und Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf (1880–1931) – er war ebenfalls Jude, bei dem höchst populären Psychiater und Philosopehn Karl Jaspers (1882–1969), dem Soziologen Karl Mannheim 1893–1947), bei Willy Hellpach (1877–1955), dem liberalen Psychologen und Psychiater, der in der Weimarer Republik aktives Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei war, sowie – schließlich – bei dem katholischen Philosophen Romano Guradini (1885–1968), der zum wesentlichen Stichwortgeber für die katholische Jugendbewegung werden sollte. Es sollten nicht zuletzt Guardinis Vorlesungen zur katholischen Weltanschauungslehre in Berlin sein, der Schoeps nachhaltig beeindruckte, wurde doch von ihm »aus einer sehr modernen Katholizität heraus etwas ausgesprochen, was«, so ­Schoeps, »meinen eigenen Empfindungen und Einsichten entgegenkam. Die Frage nach dem Gottesglauben hatte mich seit meinen ersten bewußten Denkversuchen nie mehr losgelassen«.65 Vom Elternhaus religiös indifferent erzogen und – wenn überhaupt – durch einen schlechten jüdischen Religionsunterricht informiert, waren die Vorlesungen und Schriften christlicher, katholi48

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scher und protestantischer Theologen für Schoeps der Weg, sich seines Judentums zu versichern: (…) daß ich mit dem Judentum nicht gebrochen hatte, war meinem konservativen Grundinstinkt zu verdanken, wonach jeder Mensch das Lebenserbe, in das er hineingeboren wird, mit seiner Existenz auszufüllen habe, ganz gleich ob es ihm sympathisch ist oder nicht. Daher habe ich stets viel guten Willen aufgebracht, in Jüdisches hineinzuwachsen und an meinem Teil ein Stückchen Judentum zu realisieren, auch wenn mich beim näheren Kennenlernen jüdische Art und Menschen oft recht fremdartig berührten.66

Diese 1963 geschriebenen Zeilen stellen kaum etwas anderes dar als ein wenn auch verklausuliertes Eingeständnis von Vorbehalten, die bei anderen Personen als »antisemitisch« zu bezeichnen wären. Gleichwohl: Als meinen besonderen jüdischen Erbteil sehe ich die instinktive Neigung an, an Bestehendem festzuhalten und gleichzeitig für den prophetischen Anruf und Protest gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung offen zu sein. Außerdem steht in meiner Werteordnung die Gerechtigkeit doch wohl noch höher als die Liebe.67

Trotzdem bekennt Schoeps im Rückblick, letztlich durch einen protestantischen Theologen, den gläubigen Lutheraner Eberhard Beyer, geprägt worden zu sein. Mit Schoeps aus dem weiteren Umkreis der Jugendbewegung bekannt, ein Schüler des Lutherforschers Karl Holl, wurde er für Schoeps zu einem Diskussionspartner zu allen Themen der christlichen Kirchen- und Dogmengeschichte, zum Partner in einem »geistigen Ringkampf«, der Schoeps schließlich über eine Parteinahme des spätantiken adoptianistischen Theologen Arius sowie des Luther entgegen auf der sittlichen Freiheit des Menschen beharrenden Erasmus von Rotterdam zum Judentum bekehrte: Und tatsächlich hatte er mich über (Karl M. B.) Holls Luther, daß wir in Gottes Gerichtsspruch dennoch seine Gnade erfahren, zum Judentum bekehrt, was dem Religionsunterricht mit Sicherheit nie gelungen wäre.68

Es waren diese jugendlichen Erfahrungen, die den jungen Schoeps mit der damals aufsehenerregenden Theologie des schweizerischen, damals in Bonn lehrenden evangelisch reformierten Theologen Karl Barth konfrontierten, dessen 1922 in zweiter Auflage erschienene Studie zum Römerbrief des Apostels Für Kaiser, Reich und Jugend

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unter der akademischen Jugend als ein Weckruf gegen nationalistische Bürgerlichkeit wahrgenommen wurde. Worum ging es? Um das zu erläutern, ist ein Gang durch die Geschichte der neueren evangelischen Theologie unerlässlich.

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 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

Am Anfang stand Friedrich Daniel Schleiermacher, der mit seinen 1799 publizierten »Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern« ein neues Kapitel aufschlug. Schleiermacher beharrte auf dem Eigensinn religiöser Erfahrung, die er nach Maßgabe der kantischen Unterscheidung von theoretischer, praktischer und urteilskräftiger (ästhetischer) Vernunft Letzterer zuschlagen wollte. Damit entlastete Schleiermacher die Religion erstens von dem Anspruch, eine explanativ starke Kosmologie sein zu sollen, sowie zweitens von der Forderung, moralische Imperative autoritativ vorzutragen und durchzusetzen. Was aber bleibt von der Religion, wenn sie weder die Entstehung der Welt bzw. den Lauf der Geschichte erklären kann, noch ein sinnvoller Ersatz für Tugendförderung und Moral darstellt? Schleiermachers berühmte Formel lautete 1799: »Religion, das ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche«69, und wenn man nach Beispielen für die damit beanspruchte Erfahrung sucht, muss man sich lediglich an die Bilder Caspar David Friedrichs halten. Freilich ist Schleiermacher, der später als Theologieprofessor auch künftige christliche Pfarrer auszubilden hatte, bald klar geworden, dass mit seinem allgemein naturfrommen, romantischen Religionsbegriff das Spezifikum jedenfalls der christlichen Religion verfehlt würde, weshalb er in späteren Vorlesungen (1821/22) eine andere Bestimmung des religiösen Bewusstseins vornahm: Es handele sich um »das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit« –70 eine Bestimmung, die sich von Niklas Luhmanns Formel von Religion als Praxis und Semantik der Kontingenzbewältigung allenfalls durch ihre Terminologie und ihre in der Tat bewusstseinstheoretische Ausrichtung unterscheidet. Schleiermachers zweiter Begriff der Religion wurde zum Anker einer bestimmten Spielart des deutschen, bürgerlichen Kulturprotestantismus, der Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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nicht nur im Verdacht einer »machtgeschützten Innerlichkeit« (Th. Mann) stand, sondern eben auch mit dem Vorwurf fertig werden musste, vor lauter übermäßiger Konzentration auf das fromme Bewusstsein und seine Nöte Gott, seine Weisung, sein Opfer und seine erlösende Kraft nicht nur vergessen, sondern geradezu vernachlässigt zu haben. Es war der politisch weit links stehende, reformierte Schweizer Theologe Karl Barth, der dem Soupcon und dem Protest gegen das kulturprotestantische Frömmigkeitsverständnis das noch heute frappierende Schlagwort gab: »Religion ist Unglaube«71, was für die Frage nach einer guten, einer nicht fundamentalistischen Religion nur noch die Folge haben kann, dass es überhaupt keine gute Religion geben kann. Bei einem zweiten Blick indes gewinnt dieses Verdikt präzise Konturen: Gerade wenn Schleiermacher recht hat und Religion das ganz und gar menschliche Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit ist, dann ist sie tatsächlich das Gegenteil eines offenbarungstheologischen Glaubensverständnisses. Demnach ist nämlich alles Wissen von Gott, seiner Weisung und seinem erlösenden Handeln alleine ihm selbst, Gott zu verdanken: Die Offenbarung kommt von Gott, von Gott ganz alleine und entspringt eben nicht den Bedürfnissen des menschlichen Bewusstseins. Oder anders: Wenn »Religion« die menschliche Frage ist, so erweist sich die »Offenbarung« als die allein Gott zuzurechnende Antwort. Terminologisch hat die neuere protestantische Theologie mit begründetem Bezug auf die Kirchenväter und die reformatorischen Schriften damit der »Religion« den »Glauben« entgegengestellt, womit es der Theologie zudem möglich wurde, sich das ganze Panorama atheistischer Religionskritik – von Feuerbach über Marx zu Freud – ohne große Umstände anzueignen. 1922 jedenfalls erschien die zweite Auflage von Karl Barths »Der Römerbrief«, deren Vorwort sich auführlich mit dem damals gängigen Vorwurf befasst, Barth sei ein Feind der »historischen Kritik«, ein Vorwurf, dem er erstens entgegenhält, dass die kritisch- historische Forschung weder ihre eigenen Ansprüche noch dass sie die »innere Dialektik der Sache«, nicht ernst genug nehme. Diese Sache aber bestehe darin, »die Beziehung Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott als Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in Einem ernst zu nehmen«72 Der Anspruch und Tonfall dieses Buches wirkte schlicht revolutionär, es schien – nach den Verirrungen des »Kulturprotestantismus« und der von ihm getragenen bürgerlichen Welt sowie dem Zusammenbruch, dem Bankrott der bürgerlichen Welt im Ersten Weltkrieg – einen radikalen Neuanfang zu signalisieren. 52

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Diesen Anspruch verspürte auch der junge Hans-Joachim Schoeps, der – immerhin zehn Jahre nach dem Erscheinen der zweiten Auflage des »Römerbriefs« – am Ende seiner Schulzeit, zu Beginn seines Studiums und in verschiedenen Formen der Jugendbewegung, auch der christlichen Jugendbewegung, engagiert selbst begann, theologisch zu denken und zu schreiben. Schoeps, der allmählich seine frühen Neigungen zu einem eher »linken« Lebensgefühl aufgegeben hatte und sich – wenn auch im Umkreis eines jugendbewegten Lebensgefühls – immer stärker für mindestens konservative, wenn nicht autoritäre Haltungen entschied, fand in der radikalen Offenbarungstheologie Karl Barths das richtige Medium, seinen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen; und das dem Umstand zum Trotz, daß Barth und seine Anhänger alles in allem eher als »links« galten. So schrieb Schoeps in seinen Vorbemerkungen zur Begründung einer systematischen Theologie des Judentums mit Blick auf eine Neufassung des Offenbarungsgedankens: »Eine solche Neubesinnung auf uralte Gründe ist heute das dringende Erfordernis im jüdischen Raum, nachdem gerade die letzten 15 Jahre dem protestantischen Christentum eine solche in die Tiefe dringende Besinnung von reformatorischer Kraft gebracht haben, wie sie in der von Karl Barth ausgehenden sog. »dialektischen Theologie wirksam geworden ist«.73

Im Unterschied zu Barth selbst und einem großen Teil seiner Anhängerschaft legte Schoeps den Akzent vor allem auf die formale Struktur von dessen Theologie, während Barth und seine Anhänger sich eher für die eher »linken« thematischen Ansprüche dieser Theologie der Offenbarung begeisterten. Schoeps jedenfalls, der sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik als Gründer und zentrale Gestalt eines jüdischen, indessen entschieden antiliberalen und deutsch-nationalistischen Bundes, des »Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden« in Szene setzte, publizierte 1932 im angesehenen Philo-Verlag in Berlin seine als Dissertation bei Wach eingereichte Schrift »Jüdischer Glaube in dieser Zeit. Prolegomena zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums«74. Schoeps’ Studie von 1932 ist in vier Kapitel unterteilt und beginnt mit einer Bemerkung zur Lage des jüdischen Glaubens, um sich dann mit der protestantischen Lehrdisziplin »Alttestamentliche Theologie« zu befassen, sich dann der »Entwicklung der systematischen Theologie des Judentums im 19. Jahrhundert« zu widmen, um endlich eine »Grundlegung des systematischen Theologie des Judentums aus heutigem Bewußtsein« zu unternehmen. Schoeps, der Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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sich nicht scheut, im Vorwort einzuräumen, selbst ein »theologischer Laie« zu sein, eröffnet seinen Versuch so: Das einzige und ausschließliche Sachanliegen dieser Schrift ist es, von den Tatsachen und Bedingungen heutigen Daseins aus den Versuch der Besinnung zu wagen auf das, was den Urgrund jüdischer Existenz und in allem zeitlichen Wandel die Grundlage jüdischer Wirklichkeit ausmacht: Das Wort Gottes in seiner Beziehung auf den Menschen heute.75

Man bemerke, wie Schoeps bereits in den ersten Sätzen »jüdische Wirklichkeit« – also die Wirklichkeit einer begrenzten Gruppe – mit dem universalistischen Anspruch, das Wort Gottes in seiner Beziehung auf den Menschen, also auf alle Menschen, verbindet. Heiße doch Theologie zu betreiben nichts anderes, »als mit menschlichen Worten, d. h. in Ratlosigkeit und Verzagtheit dennoch über das Wort Gottes sprechen zu wollen«.76 Schoeps Publikation aus dem Jahr 1932 trägt die Widmung: »Dem Gedenken Salomon Ludwig Steinheims des ersten jüdischen Theologen in der neuen Zeit.« Tatsächlich bezog sich Schoeps immer wieder auf Salomon Ludwig Steinheim, der als Kantianer ein strikter Kritiker etwa des späten Schelling war. Ob der prägenden Bedeutsamkeit von Steinheim für die geistige Physiognomie von Hans-Joachim Schoeps ist ein Exkurs zu diesem noch immer zu wenig bekannten jüdischen Philosophen unerlässlich. Salomon Ludwig Steinheim77, er wurde 1789, im Jahr der Französischen Revolution in Bruchhausen, in der Nähe von Höxter geboren, studierte ab 1807 in Berlin und Kiel Medizin, um dort 1811 zum Dr. med. promoviert zu werden. Ab 1813 als Arzt in der Nähe seines Geburtsortes, in Steinheim, tätig, wirkte er anschließend bis 1845 als Arzt in Altona, wo er auch eine Flussbadeanstalt mit gegründet hatte. Reisen führten den philosophisch interessierten Arzt 1854 nach Rom, nach Kopenhagen sowie 1865/66 nach Zürich, wo er 1866 in Zürich/Oberstrass starb. Steinheim war zudem politisch tätig und kämpfte für die Emanzipation der Juden im damals dänischen Schleswig-Holstein.78 Systematisch verstand Steinheim das Judentum als eine Menschheitsreligion, deren Aussonderung alleine dem Ziel diene, die Schmach eines jeden Götzendienstes zu vernichten. Obwohl Steinheim das Christentum als Synkretismus von Offenbarung und das von ihm missbilligte »Philosophem« grundsätzlich ablehnte, sah er in ihm dennoch eine von der Vorsehung gewollte Veranstaltung, die Heiden dem Gedanken der Offenbarung nahezubringen. 54

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Salomons Hauptwerk, die vierbändige Schrift »Die Offenbarung nach dem Lehrbegrff der Synagoge«79, wurde für Schoeps ob seiner kantianisch begründeten Offenbarungstheologie zu einem wesentlichen Bezugspunkt und führte ihn auch zur Rezeption des dialektischen Theologen und Offenbarungstheoretikers Karl Barth. Wie nicht wenige deutsch-jüdische Philosophen war es auch im Falle Steinheims das Werk Immanuel Kants, das seine Arbeit fundierte. Dabei ging es nicht zuletzt um die Auseinandersetzung zwischen Immanuel Kant und Moses Mendelssohn – also um die schließlich in der »Kritik der reinen Vernunft« endgültig beantwortete Frage, ob es mit den Mitteln rationalen Denkens möglich sei, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zu beweisen. Indem Kant in der »Kritik« nachwies, dass derlei Beweise nicht möglich sind und sie allenfalls als vernunftgemäße Postulate moralischen Handelns anzusehen seien, wurde es möglich, den Begriff der Offenbarung in diesem Sinne zu rehabilitieren. Dass Kant darüber hinaus seiner guten Bekanntschaft, wenn nicht gar Freundschaft mit Mendelssohn wenig von der jüdischen Religion hielt, die er in seiner Religionsschrift gar für den Inbegriff einer seinen moralischen Anforderungen nicht genügenden »statutarischen« Religion hielt, steht auf einem anderen Blatt. Freilich: Auch Schoeps frühem theologischem Entwurf kam es nur auf die Autorität des Offenbarungsgeschehens an, nicht auf die offenbarten, halachischen Forderungen. Zur Problematik dieser Aufteilung hat Max Wiener auch im Falle anderer jüdischer Theologen schon im Jahre 1933 begründet Stellung bezogen.80 Was dessen Werk – so Wiener – auszeichne, beruhe »in dem Bewußtsein, daß das Problem des Judentums ein solches des Sinnes der religiösen Erkenntnis überhaupt und erst in zweiter Linie ein Problem des religiösen Gehalts sei, der mit einem philosophisch oder sonst wissenschaftlich ermittelten in Vergleich zu setzen wäre«.81

Salomon Ludwig Steinheim reagierte als Philosoph vor allem auf die Philosophie Schellings, zumal auf dessen späte Theosophie. Schellings Theosophie, die systematisch zu entfalten und zu überprüfen wäre, die aber womöglich mit noch mehr Gewinn als eine in systematische Überlegungen gekleidete Aphorismensammlung gelesen werden kann, ist von emphatisch christlichem Geist getragen. Das Christentum stellt sich Schelling als eine Religion mit einem ganz »eigentümlichen Sinn der Menschlichkeit und Natürlichkeit«82 dar. Die im christlichen Dogma behauptete Dreifaltigkeit sei die »rechteste, die wahrhafteste Lehre«, während doch die Hellenen mehrere Naturen annahmen und Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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es »jüdisch« sei, »nur an eine Person zu glauben.«83 Nur im Christentum meint Schelling die von ihm betriebene Spekulation einer zu sich selbst kommenden, sich in sich selbst vertiefenden und von sich selbst losreißenden Gottheit, die sich endlich in der Vereinigung ihrer beiden Grundkräfte zu einem dritten Prinzip, dem heiligen Geist verdichtet, angemessen artikuliert zu sehen. Der Gedanke einer durch Schmerz und Leid hindurchgegangenen Entstehung einzelner Existenzen aus einem unvordenklichen Sein, der Lauterkeit, verweist auf ein je schon stattfindendes innergöttliches Geschehen, das sich ereignen musste, um eine endliche Welt und endliche Menschen Wirklichkeit werden zu lassen. Es kann hier nicht darum gehen, diese Spekulation präzise darzustellen und zudem noch auf ihre interne Stimmigkeit und Konsistenz zu überprüfen. Was hier einzig interessiert, ist, welchen Blick auf das Judentum die auf der Basis jüdischer Mystik trinitarisch christliche Spekulation eröffnet. Der Vernunft – so meinte Steinheim – werde in Philosophien dieser Art ein göttliches Licht zugeschrieben, das wenn es durch die Nebel bricht, die Brockengespenster der Mantik und der Speculation auflöst und zerstreut, doch nicht ohne vorher der Menschheit wie ein Alp auf der Brust gehockt und blaue zurückgelassen zu haben. Solche Nachwehen hinterliess denn der Theologie sowohl Schelling als auch Hegel in ihren resp. Theologenschulen.84

Neben Steinheim bezog sich Schoeps in seiner Exposition vor allem auf den 1929 gestorbenen Franz Rosenzweig, dessen 1921 erschienenes Buch »Der Stern der Erlösung« für Schoeps maßgeblich wurde. Seinem Andenken aber werde man am besten gerecht, »daß wir über ihn schweigen, weil in seinem Leben, Wirken, Denken und Sterben jüdischer Glaube in dieser Zeit realpräsent geworden ist«. Daraus aber folgt, nicht über diesen Autor zu schreiben, sondern sein Zeugnis »ins eigene Leben übernehmen und im täglichen Tag zu bewähren suchen«.85 Obwohl Schoeps die partikulare jüdische Wirklichkeit seiner Zeit mit der Lage »des Menschen heute« in Verbindung bringen will, liegt ihm doch nichts ferner, als ein Verständnis des Judentums als universalistischer Ethik, als eines ethischen Monotheismus etwa im Geiste Hermann Cohen86s. Das, wogegen sich der theologische Versuch des jungen Autors wendet, benennt er programmatisch zu Anfang: Religion in der Krisis, Glaube an ein Übernatürliches ein überwundener Standpunkt, Offenbarung Ausdruck zeitlos geltender, allgemeiner Wahrheiten, jüdischer Glaube ein

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Postulat der praktischen Vernunft und jüdische Religion das Festhalten an der humanen Ethik der Propheten.

In diesen Sätzen ist gebündelt ausgedrückt, was Hermann Cohen in seinem nachgelassenen Werk »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« postuliert hatte. Eben dieser Form einer letztlich bürgerlichen Theologie gilt die Kritik Schoeps: So oder ähnlich lauten die Anschauungen über den Glauben im Allgemeinen und die jüdische Religion im besonderen, die weithin die Gemüter – vornehmlich der gebildeten jüdischen Bevölkerungsschichten – gefangen halten. Und in der Tat, deswegen ist die Religion auch in der Krisis: Nicht weil die Sowjets in Rußland Kirchen und Synagogen schließen, sondern weil die Grundwahrheiten der Religion aus dem Daseinsverständnis der abendländischen Menschen eliminiert worden sind.87

Mit Bezug auf den protestantischen Theologen Emil Brunner kritisiert Schoeps, dass an die Stelle einer je besonderen Offenbarung, also des Faktums einer einmaligen Selbstbewegung Gottes in die Geschichte hinein eine mittlerlose Einsicht in Gesetzlichkeiten der Humanität, der Sittlichkeit und Geschichtlichkeit getreten sei. Eben dies, so wird Schoeps zu betonen nicht müde, sei das Schicksal jedenfalls des deutschen Judentums seit Moses Mendelssohn: Denn in der heutigen Situation, die Israel auf weite Strecken noch mit dem aufgeklärten Liberalismus verbündet findet, ist es für weite Kreise der von aller Tradition gelösten westeuropäischen Judenheit schon nicht mehr so leicht einzusehen, warum denn nicht auch das Gerechtigkeitsethos und das Humanitätsideal etwa der fortschrittlichen Bestrebungen oder der sozialistischen Parteien die Rolle und Aufgabe der Religion wenigstens für die praktische Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen übernehmen könnten. Es hat von Karl Marx bis Siegmund (sic! M. B.) Freud nicht gerade wenig jüdische Geister gegeben, die auch ohne den Offenbarungsglauben aus Kräften menschlicher Vernunft und Sittlichkeit meinten, die Welt auf ihre Weise glücklicher machen zu können, wie es ja eben nicht ganz unbekannt ist, daß der Säkularisierungsprozess der neuzeitlichen Geschichte nicht zuletzt aus Quellen abgefallenen Judentums gespeist und vielleicht sogar dämonisiert worden ist.88

Diese säkularisierte Welt, die von der Offenbarung abfällt, ist nach fester Überzeugung des Autors voller »dämonischer Potenz« und davon bedroht, sich in ihrer Dämonie zu zerstören. Um dieser Dämonie zu entgehen, kommt alles Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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darauf an, möglicherweise als nur sittlich und universalistisch deutbare Weisungen des alten Israel gerade nicht im Sinne der modernen Menschenrechte im Geiste der Französischen Revolution zu verstehen. Das aber sei nur dann möglich, wenn das »Daseinsverständnis« der Menschen des alten Israel ernst genommen werde – wobei unübersehbar ist, dass und wie der Autor dieser Zeilen von Martin Heideggers »Sein und Zeit«, jenem Buch, in dem es um eine »Hermeneutik des Daseins« geht, geprägt ist. Schoeps geht dabei soweit, dass die »Geschichtlichkeit des Daseins« für den jüdischen Glauben – anders als für den christlichen Glauben – »ein schlechthin entscheidendes Faktum« sei, »weil die sinaitische Offenbarung ein ganz bestimmtes Daseinsverständnis des Menschen involviert«89. Erst später – das sei vorzeitig eingeschoben – wird Schoeps von Barth selbst erfahren müssen, dass »Dialektische Theologie« hier sowie existenzialanalytische Daseinshermeneutik dort nicht zueinander passen.90 1932 jedenfalls geht es Schoeps darum, »dem liberalen Irrwahn entgegenzutreten, der Religion und Sittlichkeit verwechselt und Theonomie mit Autonomie zu vereinigen sucht«91. Im selben Atemzug soll der neue Entwurf auch der »Ungeschichtlichkeit« der Orthodoxie entgegentreten, die mit ihrer talmudischen Kasuistik nicht aus der »konkreten Notlage« des Judentums befreien könne. Das von Schoeps angedachte Programm ist daher in keiner Weise als »fundamentalistisch« zu bezeichnen – geht es doch gerade nicht darum, sich sklavisch an Weisungen zu halten, die vor Jahrtausenden empfangen wurden, sondern darum, sich in einer radikal geänderten geschichtlich-sozialen Situation darüber klar zu werden, was es heißt, von Gott eine unbedingt zu erfüllende Weisung erhalten zu haben. Freilich war diese Position durchaus zeitgemäß: In gewisser Weise übernimmt die Weisung vom Sinai in Schoeps’ Entwurf dieselbe Funktion wie der Christus als Wort Gottes zunächst im Evangelium des Johannes und dann in der Dialektischen Theologie. Die von orthodoxer Seite mögliche Rückfrage freilich, mit welchem Recht es Schoeps lediglich um den Sinn dieses Weisungsgeschehens, nicht aber um die Inhalte dieser Weisung geht, bleibt unbeantwortet, mehr noch: Dem Autor scheint gar nicht aufgefallen zu sein, dass die von ihm so heftig angegriffene »liberale« Theologie etwa eines Hermann Cohen bzw. der jüdischen Kantianer – von Steinheim abgesehen – exakt genauso argumentiert, mit dem einen Unterschied, dass es ihnen um den Sinn aller Inhalte der Weisung und nicht – wie Schoeps – um den Sinn des Empfangs der Weisung geht. Hans-Joachim Schoeps konnte bei seiner Bezugnahme auf Steinheim immerhin auf den jüdischen Historiker Heinrich Graetz zurückgreifen, der 58

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Steinheim, so Gary Lease, mehr Raum gegönnt habe »als irgendeinem anderen jüdischen Denker des 19. Jahrhunderts.«92 – und das dem Umstand zum Trotz, dass die erste Welle der Rezeption im 19. Jahrhundert eher durch einen Prozess des Vergessens gekennzeichnet war. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde Steinheim wiederentdeckt – zuerst wahrscheinlich durch Hans Andorn, dessen Gießener Dissertation93 aus dem Jahre 1930 Schoeps bekannt gewesen sei dürfte. Hans Andorn, 1903 geboren, wurde in Berlin zum Rabbiner ordiniert, wirkte in Karlsruhe und Nürnberg, floh mit seiner Familie 1938 in die Niederlande, wurde unter deutscher Besatzung nach Westerbork verschleppt und starb schließlich jung, 1945, im KZ Bergen-Belsen.94 Bei alledem ging es grundsätzlich um eine Abkehr der mit Moses Mendelssohn eingeleiteten Deutungstradition, nach der »Judentum« vor allem eine Haltung der Vernunft, nicht aber des Glaubens sei. Unter Berufung auf Steinheim postuliert Schoeps, »daß Gott Gott und Mensch Mensch ist, daß die Vernunft Vernunft ist« und sich daher »eben nicht selber sagen kann, was die Offenbarung ihr zu sagen vermag«.95 Aus heutiger Sicht ist die Widersprüchlichkeit dieser Position nicht zu übersehen. Zu sagen, man unterstelle sich einem Befehl, ohne zu wissen, was dieser Befehl weist, stellt nichts weiter dar als die Inanspruchnahme eines unvollständigen und daher nichtssagenden Sprechaktes. Will man aber hermeneutisch/ daseinsanalytisch geschult aussagen, welches nun der Inhalt des (göttlichen) Befehls aus je heutiger Sicht ist, ist man verpflichtet, einen Kern des Befehls inhaltlich zu identifizieren – dann aber bleibt offen, wie die Einsetzung eines jeweiligen Gehalts gerechtfertigt wird. Das Problem war schon den spätantiken Rabbinen bekannt, die es freilich demokratisch lösten, was aber Schoeps programmatisch antidemokratischen Intuitionen strikt zuwiderliefe: »Es wird gelehrt«, heißt es im Traktat »Bawa Mezia« (59a/59b), dem »Mittleren Tor« im Buch (Schädigungen), das sich mit Problemen des Eigentumsrechts auseinandersetzt: »A. An jenem Tage brachte Rabbi Elieser alle Einwendungen der Welt vor. Aber sie nahmen diese nicht von ihm an. Er sagte zu ihnen: Wenn die Halacha meiner Meinung entspricht, so wird es dieser Johannisbrotbaum beweisen. Da rückte der Johannisbrotbaum hundert Ellen weit von seinem Ort (…) C. Wiederum sagte Rabbi Elieser zu ihnen: Wenn die Halacha meiner Meinung entspricht, so werden sie es vom Himmel her beweisen. Da ging eine Hallstimme hervor und sprach: Was habt ihr mit Rabbi Elieser? Die Halacha ist auf jeden Fall, wie er sagt (…) Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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D. Da stellte sich Rabbi Jehoschua auf seine Füße und sagte »Nicht im Himmel ist sie«.96 Was bedeutet »Nicht im Himmel ist sie«? Rabbi Jirmeja sagte: daß die Weisung schon am Berg Sinai gegeben worden ist. Wir kümmern uns nicht um eine Art Stimme, denn schon am Berge Sinai hast du in die Weisung geschrieben: »Sich zur Mehrheit neigen«.97 E. Rabbi Natan traf Elia und sagte zu ihm: Was tat der Heilige, gelobt sei er in dieser Stunde? Er sagte zu ihm: »Er lächelte und sprach: meine Söhne haben mich besiegt, meine Söhne haben mich besiegt.«

Diese rabbinische Geschichte, ein talmudischer Midrasch stellt gleichsam eine komödiantische Szene aus dem großen Welttheater vor, einem Welttheater, in dem Gott und Menschen gleichberechtigt mit ihren je eigenen Mitteln um praktische Wahrheit ringen, und zwar in einem Disput, in dem es um die Angemessenheit einer einmal von Gott erlassenen Norm geht. Die Geschichte zerfällt in drei Teile und eine Coda. Im ersten Teil wird von den ebenso verzweifelten wie erfolgreichen Versuchen eines einzelnen Diskutanten, Rabbi Elieser, berichtet, seinen skeptischen Diskussionspartnern die Gültigkeit seiner Auslegung durch das Beschwören von Wundern im Bereich des Naturgeschehens anzudemonstrieren: wandernde Johannisbrotbäume, sich zurückziehende Wasser, sich neigende Hauswände … Diesem Augenschein entgegen beglaubigt ein anderer Diskussionspartner die systematische Unabhängigkeit von Argumenten hier und wundersamen Ereignissen in der physikalischen Welt dort, indem er darauf hinweist, dass theologische Argumente ihren eigenen, von physikalischen Gesetzmäßigkeiten ganz unabhängigen Regeln folgen. Darauf antwortet der zweite Teil des Midrasch mit der ausdrücklichen Beschwörung eines – wenn man so will – supranaturalistischen Elements. Mag es bei Veränderungen in der physikalischen Welt tatsächlich strittig sein, ob sie Gott zugerechnet werden dürfen oder nicht – bei von Gott selbst autorisierten und beglaubigten Äußerungen – der Hallstimme vom Himmel, der »Bat Kol« ist dieser Zweifel nicht mehr möglich. In diesem dritten Teil der Geschichte soll die gleichsam aufklärerische Kritik am magischen Denken durch das programmatische Postulieren einer Offenbarung eingeholt und stillgestellt werden. Die Möglichkeit, mit den Mitteln der Offenbarungsreligion praktische Wahrheit zu erweisen, wird im dritten Teil der Geschichte unter Berufung auf die Offenbarung selbst zurückgewiesen. Der Diskutant, Rabbi Jehoschua, bemüht gegen den die Wunder und die Offenbarung beschwörenden Rabbi Elieser schließlich das 5. Buch Mose, wo es in den Versen Kapitel 30,11–14 über die am Sinai verkündete Tora heißt: 60

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Diese Weisung, die ich dir heute anbefehle, sie ist ja nicht zu schwer für dich und nicht unerreichbar. Nicht im Himmel ist sie, daß du sagen müßtest: wer steigt für uns in den Himmel, um sie uns herabzuholen und zu verkünden, damit wir danach tun? Auch ist sie nicht jenseits des Meeres, daß du sagen müßtest: Wer fährt für uns über das Meer, um sie herbeizuholen und zu verkünden, damit wir danach tun? Vielmehr ist dir das Wort ganz nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen ist es, so daß du danach tun kannst.

Wenn die Tora ein für allemal unter den Menschen, in ihrem Munde und in ihrem Herzen ist, hat sich die Funktion der Offenbarung erschöpft. Das Schicksal der Tora in der Welt entscheidet sich, so kann man diese Geschichte lesen, hernach nicht mehr im Himmel, sondern nur noch auf der Erde. Am Sinai schon hat sich die Offenbarung von Anfang an zurückgenommen. So wird hier eine zweite Stufe der Rationalisierung bezeugt: Nachdem im ersten Schritt die Offenbarungsreligion das magische Denken überwunden hat, überwinden im zweiten Schritt die geoffenbarten Inhalte die Form der Offenbarung – jetzt wird klar, daß der Sinn der Offenbarung nicht in ihr selbst, sondern in ihrer Funktion für menschliches Zusammenleben liegt. Ein sozialgeschichtlicher Blick auf diese Passage wirft freilich weitere Probleme auf: Denn die im babylonischen Talmud berichtete Erzählung bezieht sich auf eine politische Verfassung, die Mischna, die nun gerade keine Instabilität und mithin – anders als das griechische Polisdenken – keine Prozeduren legislativen Wandels vorsah.98 Kronzeuge für diese Einsicht ist wiederum ein protestantischer Theologe, genauer gesagt ein zutiefst protestantischer Religionsphilosoph, nämlich Sören Kierkegaard, der den »qualitativen Unterschied von Zeit und Ewigkeit« postulierte und damit das getan habe, »was heute wie stets nottut.«99 Dann aber folgt aus der Eigentümlichkeit der Offenbarung am Sinai und ihrer existenzialanalytischen Deutung eine Theologie, die vier »Grundglaubenslehren« zu entfalten hat: 1. Die Einzigkeit Gottes 2. Die Schöpfung der Welt aus dem Nichts 3. Die Gesetzesoffenbarung (forderndes Wort Gottes) als Freiheit zur Gottesfurcht in Gerechtwerdung des Sünders 4. Die Vergeltung als Gottesherrschaft über die Geschichte und die Umkehr im Abfall.100

An der zutiefst protestantischen Prägung dieser von Schoeps postulierten Glaubensprinzipien ist ein Zweifel schlechthin nicht möglich. Das wird spätestens am dritten Prinzip deutlich, in dem Schoeps von »der Gerechtwerdung Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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des Sünders« schreibt – eine Ausdruckweise, die sich so an keiner Stelle der über 2000 Jahre alten jüdischen Tradition findet – mit Ausnahme der Schriften des Apostel Paulus und seinen Überlegungen zur »Rechtfertigung der Sünder« durch den Glauben in Römer 3,22, bei dem sich auch die neueste Forschung noch immer uneins ist, ob er vor allem als Begründer christlichen Religion oder als Vertreter einer eigenwilligen Variante des Judentums im augustäischen Zeitalters zu gelten hat.101 Schoeps Formulierung »Gerechtwerdung des Sünders« findet sich ansonsten in einer eher abgelegenen Quelle, nämlich in Caspar Schwenckfeld von Ossigs »Eijn Sendtbrieff von der Justification oder Gerechtwerdung des Sünders« aus dem Jahre 1558.102 Der radikalpietistische Theologe Johann Konrad Dippel (1643–1734) kannte Schwenckfelds Schrift, während Schoeps wiederum Dippel in seiner Schrift über »Philosemitismus im Barock« aus dem Jahr 1952 erwähnte. Nicht unwahrscheinlich ist, daß er diese Schriften bereits in den frühen 1930er-Jahren zur Kenntnis genommen hatte. Im vierten Teil seiner Schrift – nach einem zweiten Abschnitt, der sich mit der Entwicklung der alttestamentlichen Theologie im deutschen Protestantismus befasst, und einem dritten Abschnitt, in dem es um moderne jüdische Theologie geht, entfaltet Schoeps im vierten Abschnitt seine vier Grundlehren des Judentums, die mit der Erläuterung der Schaffung der Welt aus dem Nichts beginnt und – in geradezu gnostischer Weise – die Schöpfung mehr oder minder für nichtig erklärt, während Gott als die »einzige Ursächlichkeit alles Daseins außer ihm«103 verstanden wird. Mehr noch: Schoeps widerspricht in radikaler Weise jeder Theologie der Vermittlung und damit dem Gedanken einer möglichen Menschwerdung Gottes – was bleibt, ist ein nicht sichtbares, sondern nur hörbares Wort der Offenbarung. Daraus resultiert schließlich der ausschließliche Gedanke als eine durch das »geoffenbarte Heilsgesetz« wiederhergestellte »Schöpfungsgnade«. Die Einsicht in dessen Geschaffenheit und damit »Gottähnlichkeit« führt zu einer eigenen Würde in der Anerkennung Gottes »die eigene Natur zu erkennen«.104 Aus dieser universalistischen Bestimmung jüdischer Existenz resultiert schließlich eine eigene Erläuterung dessen, was »Volk Israel« bedeuten muss – eine Erläuterung, die sich programmatisch gegen Zionisten wie Antisemiten richtet. »Das ›Volk von Priestern, ein heiliges Volk‹ hat im weltlich-politischen Sinne gerade aufgehört, Volk zu sein, um Gottesvolk zu werden, Gefolgschaft des Ewigen, das seiner ›völkischen‹ Bestimmung immer nur dann genügt, wenn es der Bundessatzung Treue bewahrt«.105 Damit steht jeder Versuch, Juden als Ethnie und damit eventuell – wie der Zionismus das wollte – als Staats62

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volk zu konzipieren, in striktem Widerspruch zur göttlichen Bestimmung des »Heiligen Volkes«. Den Antisemiten aber soll damit signalisiert werden, dass ein recht verstandenes Judentum keine Gefahr für eine völkische Bestimmung der Deutschen darstellt, mehr noch, dass auch Juden sich dieser »völkischen« Richtung widerspruchsfrei anschließen können. Schoeps versuchte sich an einer strikt offenbarungstheologischen Perspektive auf das Judentum, die es ermöglichen sollte, zugleich im Grundsatz weisungstreu und doch auch deutschnational und somit antizionistisch zu sein. Dazu diente ihm Steinheim, aber eben auch Karl Barth. Von Steinheim sollte Schoeps schreiben, dass er sein »Säulenheiliger« wurde.106 Freilich sollte auch, was in keiner Weise zu unterschätzen ist, der reformierte Schweizer Theologe Karl Barth zu einem Eckpunkt in Schoeps Denken werden – fragte dieser ihn doch bereits 1932 brieflich, ob nicht auch und gerade eine systematische Theologie des Judentums in dem Nachweis zu gipfeln habe, dass Jesus gekreuzigt werden musste und daher die Verantwortung für diese Tat bis in die Gegenwart zu übernehmen sei.107 Damit ist ein Thema angeschlagen, das zumal – doch auch davon später mehr – die jüdische Theologie in den USA mehr und mehr beschäftigt: die Frage nach der Möglichkeit eines »jüdischen Barthianismus«. Hans-Joachim Schoeps jedenfalls war zunächst ein Gegner von Barth und dessen Theologie. Zwei Semester des Studiums in Marburg brachten ihn mit dem eher linksliberalen Kulturprotestanten Martin Rade (1857–1940) zusammen, gegen dessen »freien Protestantismus« sich der Protest des jungen Karl Barth richtete – ein Umstand, den Schoeps bei aller Hochschätzung Karl Barths auch noch Jahrzehnte später mehr als nur kritisch betrachtete: »Die ›Welt des freien Protestantismus‹ bewahrte in ihrer Offenheit und Vorurteilsfreiheit noch ein Stück wirklicher Humanität, bis dann auch sie von der Sturzflut der dialektischen Theologie überspült wurde, die den ›Idealismus‹ verfolgte, die Kultur perhorreszierte und die so buntfarbige geschichtliche Welt auf den Generalnenner Profanität gleichschaltete, als ob dadurch etwas geschehen sei. Die Barthianer glaubten freilich eine Schlacht für den lieben Gott zu schlagen; in Wirklichkeit«, so Schoeps im Rückblick, 1963, »ebneten sie der herannahenden Barbarei die Bahn.«108 Das ist aus der Feder eines Autors, der mit seinen – jedoch irgendwie jüdisch untermauerten – rechtskonservativen und nationalistischen Schriften und Aktivitäten selbst – wenn auch nur in überschaubarem Maße – den Untergang der Weimarer Republik mit herbeigeführt hatte – mehr als nur merkwürdig zu lesen. Indes ist – zur genaueren Würdigung dieser späten Kritik – der Briefwechsel zwischen Barth und Schoeps zu betrachten, dessen Edition dem Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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zu früh verstorbenen Gary Lease zu verdanken ist.109 Es war Barth, der sich bereits im Oktober 1929 an Schoeps – in Reaktion auf den ihm zugesandten »Freideutschen Rundbrief« mit der Bemerkung wandte, dass die friedliche Verbürgerlichung der Jugend mit zum Schlimmsten gehöre, womit sich Theologen wie er und Schoeps demnächst auseinanderzusetzen hätte, weswegen er hoffte, dass Schoeps Ruf aus dem »Rundbrief« gehört werde. Erfreut antwortete Schoeps knapp drei Wochen später mit dem Eingeständnis, dass die von Barth vertretene »Art und Richtung theologischer Arbeit uns auf das Nachhaltigste beeindruckt« habe.110 Bereits in diesem Schreiben entwickelt ­Schoeps eine gegen jeden Liberalismus gerichtete Theorie, wonach zwar vor Gott keine Unterschiede zwischen den Menschen bestünden, unter Menschen jedoch »Rangordnungen, Tiefendimensionen und Wertunterschiede«111 herrschten, die jedem »verflachte(n) Amerikanertum« widersprächen. Im Juni 1932, ­Schoeps lebt und studiert inzwischen in Marburg, schreibt er nach einer Zusendung seiner theologischen Erstlingsschrift »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« an Barth mit der Bitte, diesen Text in die von Barth herausgegebene »Schriftenreihe zur Geschichte und Lehre des Protestantismus« aufzunehmen. Dabei ist Schoeps das Unpassende dieses Vorschlags durchaus bewusst – alleine gäbe es doch keinen jüdisch-theologischen Verlag, der ein solches Buch veröffentlichen könne. Barth erinnert in seinem Rückschreiben an eine kurze Begegnung in Berlin, weist aber eine Aufnahme in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe mit Hinweis darauf ab, dass die Schrift – was nicht der Fall war – eine Beziehung, systematisch oder historisch, zur Geschichte und Lehre des Protestantismus aufzuweisen hätte. Mehrere Monate später, Barth hatte die offensichtlich den Anfang 1933 publizierten »Streit um Israel« zwischen Schoeps und Blüher gelesen, bekundet er ihm leicht ironisch sein Mitleid dafür, »Perlen vor die Säue geworfen zu haben«, denn, »es bleibt mir nur übrig, Ihnen zu sagen, das Selbstverständliche zu sagen, daß ich in diesem Gegenüber die Sache der Kirche Jesu Christi bei dem Sprecher der Synagoge unverhältnismäßig besser aufgehoben sehe, als bei dem Sprecher des ›Christentums‹ (…).«112 Mehrere Monate später wendet sich Barth, der inzwischen das im nächsten Schritt zu dieser Biographie zu erörternde Streitgespräch zwischen Schoeps und Blüher zur Kenntnis genommen hatte, wieder an den jungen jüdischen Studenten und nimmt auf Schoeps Studiensituation in Marburg und damit auf die von Martin Heidegger geprägte protestantische Theologie Rudolf Bultmanns bezug, um zu bekunden, dass er diese Lehre ablehnt, weil man über sie zwar durchaus zu einer »vertieften Kenntnis des Menschen, aber gerade nicht zur Offenbarung vorstößt, die nur auf dem Weg einer auf jedes syst. Vor64

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verständnis verzichtenden Exegese erkennbar wird«.113 In beinahe mahnenden Worten fragt Barth seinen Briefpartner Schoeps, ob dessen »Beteiligung an dieser Lehre« »ein zufälliger Schaden« von dessen Theologie sei, »oder ob sie Ihrer Theologie geradezu wesenhaft eigentümlich ist, weil sie genau die Erkenntnislehre ist, die der (von Ihnen vorgetragenen) jüdischen Lehre von Sündenfall, Erbsünde, Gottesebenbildlichkeit nach dem Fall, aber vielleicht vor Allem auch der jüdischen Streichung der Trinität entspricht«114 – was Barth in der Sache vermutet. Damit hat er im Umkehrschluss nichts anderes getan, als die Bultmann’sche/Heidegger’sche Existenzialontologie eines letztlich jüdischen Charakters zu zeihen – zudem enthält seine Bemerkung eine auffällige religionshistorische Vermutung: dass nämlich das Judentum wesentlich in der »Streichung der Trinität« bestehe, was historisch nichts anderes heißt, als dass das Judentum in Reaktion auf das Christentum entstanden ist – eine These, die zumal in letzter Zeit verstärkt in der religionshistorischen Forschung vertreten wird.115 Barth hält Schoeps vor, in seiner doch stark auf den Begriff der Offenbarung abhebenden Theologie die Begriffe des Bundes, des Opfers sowie des »Namens Gottes« nicht berücksichtigt zu haben – Formen der Nichtberücksichtigung zentraler Beziehungen zwischen Gott und Israel, die ­Schoeps Kritik, seine »Ablehnung des Mittlerbegriffs«116 mindestens komplizierten. Gegen ­Blüher beharrt Barth darauf, dass Schoeps genau jene jüdische Position behauptet, die Paulus in Römer 9–11 kritisiere: »Ich meine Rö. 9–11 noch nie so gut verstanden zu haben wie heute, nachdem ich Ihren wirklich ergreifenden und durch die Heideggersche Terminologie unheimlich konkret werdenden Lobpreis des Gesetzes (…) gelesen hatte.«117 Mehr noch: Barth will auf nicht mehr und nicht weniger hinaus, als dass eine aktuelle »Theologie des Judentums« in dem Nachweis gipfeln müsse, »daß Jesus gekreuzigt werden mußte«.118 Den mit Barths Hinweisen gesetzten Herausforderungen wollte Schoeps – noch immer im nationalsozialistischen Deutschland – mit einer systematischen Arbeit entsprechen: Noch im November des Jahres 1932 schreibt er nach, um ein weiteres Buch anzukündigen, das unter dem Titel »Israel und Christenheit« erscheinen soll und das der Verlag Barth tatsächlich schon im Dezember des Jahres zusandte – es trug dann den Titel »Jüdisch-christliches Religionsgespräch in neunzehn Jahrhunderten«. Eine richtige Publikation erfuhr dieses Buch freilich erst im Januar 1949 nach Schoeps Rückkehr nach Deutschland. Im Vorwort zur 2. Auflage119 vermeldet der Autor, dass das Buch als »gefährliches Buch« 1937 nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinen konnte. Die einführende Vorbemerkung beginnt mit dem Bekenntnis, ja dem Glauben, Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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dass sowohl im Tenach, also der Hebräischen Bibel, wie auch im Evangelium »Gottes Wort quer durch die Menschenworte hindurch entgegenspricht und je und je unser (sic!, M. B.) Ohr erreicht«.120 Diese Äußerung ist zumindest deshalb auffällig, weil Schoeps hiermit eindeutig bekundet, dass das Evangelium für ihn wirklich Gottes Wort darstellt, was so noch nicht einmal Leo Baeck in seiner 1936 erschienenen Schrift »Das Evangelium Jesu als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte«121 behauptet hat. Baecks Studie war – so revolutionär sie auch gewesen sein mag – doch eher aus der Position eines religionsgeschichtlichen Beobachters als aus der eines sich angesprochen wähnenden Gläubigen verfasst. Schoeps aber eröffnete seine religionshistorische Studie mit einer fundamentaltheologischen Überlegung: »Darum ist ›das Absolute in der Religionsgeschichte‹ der unveränderbare gleiche Gott, der seine Wahrheit unterschiedlich offenbart hat.«122 Indem Schoeps systematisch eine »Wahrheit« hier, aber mehrere »Wahrheitsteilhaber« dort unterscheidet, kann er einen gleichen Gott postulieren, der sich unterschiedlichen Gruppen von Menschen unterschiedlich offenbart hat. Durchaus in der Tradition von Franz Rosenzweigs »Stern der Erlösung« postuliert er, dass Juden und Christen von der Absolutheit ihres jeweiligen Glaubens nicht lassen dürfen und sie somit den ihnen von Gott vorbestimmten Weg der Weltgeschichte gehen. In der Zukunft des Reiches Gottes aber werden sich diese Parallellen schneiden. Tatsächlich hat die geschichtliche Zeit erwiesen, dass über Jahrhunderte hinweg »Abgrenzung« geherrscht habe – »die unvergleichlich kürzere Zeit« erst wäre der Versuch, miteinander ins Gespräch zu kommen.123 Systematisches Ziel von Schoeps Untersuchung ist es, eine dritte Position zwischen kompromissloser Orthodoxie sowie religiösem Liberalismus zu eröffnen, die als »dritte Position« bei voller dogmatischer Härte dazu führt, dass Juden und Christen – beide in Treue zu ihrem Glauben – »als Leibeszeugen für die Wahrheit Gottes durch die Weltgeschichte schreiten«.124 Es war Franz Rosenzweig, der die Wahrheit des Christentums beglaubigt hatte und den Juden als seinen ersten Zeugen eine Sonderstellung zubiligte – um den Preis freilich, ihnen einen Ort jenseits der Geschichte zuzuweisen. Diesen Preis zu entrichten ist Schoeps nicht bereit – eine Rolle der Juden als Juden in der Geschichte erscheint ihm zumindest möglich. Geht es doch auch ihm – wie Rosenzweig – um ein weltgeschichtliches Faktum » »dessen Geheimnis erst am Ende der Zeiten wird offenbar werden können«.125 Ist also die vom jungen Schoeps unter Bezug auf Steinheim versuchte Grundlegung einer jüdischen Theologie auf der Basis eines protestantischen Entwurfs eine Möglichkeit? Ein Blick in die Geschichte erneuerten jüdischen 66

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Denkens spätestens seit Moses Mendelssohn beweist durchaus, dass und wie sich jüdische Theologen jedenfalls an nichtjüdischen Denkern orientiert haben: Abraham Geiger an Friedrich Daniel Schleiermacher126, Salomon Formstecher an Schelling127, Salomon Ludwig Steinheim an Kant128, Samuel Hirsch an Hegel129 sowie – last but not least – Hermann Cohen ebenfalls an Kant130. Indes: Keiner dieser Autoren – mit Ausnahme Schleiermachers – verstand sich selbst als Theologe. Insofern stellte der jüdische Bezug auf einen wenn auch bahnbrechenden protestantischen Theologen durch Hans-Joachim Schoeps tatsächlich eine Neuerung dar, eine Neuerung, die erst Jahrzehnte später, so auch in der »Jewish Studies« der USA, als solche erörtert wurde. Erst kürzlich, 2017, stellte Daniel Hershkowitz, er lehrt an der University of Oxford im Department »Theology and Religion«, in einem Zeitschriftenbeitrag die Frage: »An impossible possibility? Jewish Barthianism in interwar germany«.131 Hershkowitz verweist auf den Beitrag »Christentum« im »Jüdischen Lexikon«, wo Barths »Römerbrief« neben Gogartens Arbeiten aufgeführt wird und als letzte Phase des christlichen Dogmas charakterisiert wird, stellt aber schließlich fest, dass Karl Barths »Römerbrief« ein Protest gegen den Kulturprotestantismus gewesen sei, von dem doch gerade das moderne, das Reformjudentum wesentliche Impulse empfangen habe. »Barths Movement«, so Hershkowitz, »as stated, was a robust rejection oft he liberal synthesis of Christianity and culture. The equivalent Jewish Move, however did not only seek to discard the liberal compromising of divinity, but was framed as a denunciation of foreign and ill-suited Protestant conceptuality internalized into Judaism. To turn once again to a Protestant theological school as a source for authentic Jewish Expression would indeed be self-­defeating, merely perpetuating the liberal shortcoming intended tob e fixed.«132 Im Weiteren setzt sich Hershkowitz mit Max Wieners, Hans-Joachim ­Schoeps und schließlich Alexander Altmanns Stellungnahmen auseinander, geht aber, soweit ersichtlich, nicht auf die Arbeiten Michael Wyschogrods ein, der – wenn auch deutlich später – als ehemaliger Hörer Barths von diesem systematisch beeinflusst war. Max Wiener, er lebte von 1882–1950, wurde in Oppeln geboren und starb in New York, galt neben Leo Baeck als der Vertreter einer liberalen jüdischen Theologie. Als Schüler Hermann Cohens und beeinflusst von Leo Baeck publizierte er 1933 das bald als Standardwerk geltende Buch »Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation«133, in dem er schließlich sowohl Cohen als auch Baeck einer Kritik unterzog, da ihre letztlich zu optimistische, liberale Perspektive mit ihrer Konzentration auf den einzelnen Gläubigen den »KörTheologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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per der Judenheit als die substantiell unentbehrliche Ergänzung der jüdischen Idee«134 vernachlässigt habe. Wieners gleichsam nationaljüdische Wende stand unter dem Einfluss von Barths dialektischer Theologie. Indem er scharf zwischen allen menschlichen Unternehmungen hier und Gottes »Rede« unterschied, konnte er, Barth folgend, die Tatsache der Offenbarung ins Zentrum stellen. Jedenfalls stellte er 1933 in Heft 77 der »Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums« unter der Überschrift »Begriff und Aufgabe der jüdischen Theologie« fest, dass man über Gott und seine Rede nicht in Begriffen weltlicher Angelegenheiten sprechen könne. Gleichwohl war ihm die Begrenztheit der Gemeinsamkeiten sehr wohl bewusst: sei doch das von Barth und der dialektischen Theologie behauptete Konzept einer »reinen Offenbarung« eben nicht mit der konkreten historischen Erfahrung der Offenbarum am Sinai gleichzusetzen. In letzter Instanz waren es die partikularistischen Elemente der jüdischen Erfahrung: der Inhalt der Offenbarung, die Tora, der konkrete historische Moment am Sinai sowie der Adressat – das jüdische Volk, das den jüdischen Offenbarungsglauben vom behaupteten Universalismus des Christentums unterschied. Da die Positionen von Hans-Joachim Schoeps bereits oben dargestellt wurden, ist es nunmehr von Interesse, jüdische Reaktionen auf seinen radikalen Barthianismus zu betrachten. Zunächst reagierte Ludwig Feuchtwanger bereits kurz nach Erscheinen von Schoeps’ Buch im Juni 1932135. Er stelle treffend heraus, dass es vor allem der antiliberale Grundzug der dialektischen Theologie sei, der Schoeps fasziniert habe. Freilich war das Jahr 1932 nicht nur ein Entscheidungsjahr innerhalb des deutschen Konservativismus, dem sich der junge Schoeps ohne jeden Zweifel zurechnete, sondern auch ein Entscheidungsjahr für die deutschen Juden bzw. die deutschen Juden, die Deutschland verließen, für die der 1923 nach Palästina ausgewanderte Gerschom Scholem steht.136 Scholem publizierte im August 1932 – er war inzwischen 35 Jahre, Schoeps dagegen nur 22 Jahre alt – in der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung einen »Offenen Brief« an Schoeps, den Autor der Schrift »Jüdischer Glaube in dieser Zeit«, auf die auch schon Karl Barth reagiert hatte. S­ choeps Erwiderung, die der damalige Redakteur Ludwig Feuchtwanger, mit dem ­Schoeps gesprächsweise bekannt war, nicht drucken wollte, erschien daher erst Jahre später, 1974, in seiner Aufsatzsammlung »Ja – Nein – und Trotzdem. Erinnerungen – Begegnungen – Erfahrungen«.137 In einem, so Scholem in seiner durchaus respektvollen Kritik an Schoeps, bestehe Übereinstimmung: in der Ablehnung eines Denkens, das »der Illusion der Autonomie« verfallen sei. Womit aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem die postum publizierte »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« 68

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des Neukantianers Hermann Cohen gemeint ist. Scholem stimmt Schoeps in seiner Aufzählung des »Sündenregisters des Liberalismus« durchaus zu, wirft ihm aber im Weiteren nicht nur die Unkenntnis mittelalterlicher, auch neuerer jüdischer Religionsphilosophie, sondern auch und vor allem eine Unkenntnis bzw. Vernachlässigung der kabbalistischen Schriften, und zwar genau deshalb, weil in ihnen die von Schoeps durch die Lektüre Steinheims so geschärfte »Schöpfung aus dem Nichts« einer ganz anderen Deutung unterliegt: Denn daß der Mensch sich als Kreatur weiß, dieses in der Tat zentrale religiöse Anliegen besagt noch gar nichts darüber, in welchem Sinn und ob überhaupt er sich als Kreatur als Kreatur aus einem »Nichts« wüßte, von dem in der Bibel nirgends etwas steht.138

Vor diesem Hintergrund wirft Scholem Schoeps die »Verwandlung von Judentum in Theologie«139 vor – eine Konsequenz seiner Übernahme des Denkens von Karl Barth, die am Ende zum Postulat einer »biblischen Theologie« geführt habe, die so im Judentum keinen Ort habe. Gleichwohl weiß sich der nach Palästina ausgewanderte Scholem noch in einer anderen Hinsicht mit Schoeps einig, nämlich in dessen Kritik des »Missbrauchs messianischer Kategorien für politische Aktionen«.140 Dessen ungeachtet hält er ihm »das unfruchtbare des Deutschjudentums«141 vor, ohne doch nachvollziehen zu können, dass die von ihm kritisierte Überzeugung Schoeps, dass das Judentum als Judentum kein profangeschichtliches Schicksal habe, letztlich auf Rosenzweigs Theorie des jüdischen Volkes, wie sie im »Stern der Erlösung« postuliert wird, zurückgeht. Im Kern kritisiert Scholem die Übernahme der Barth’schen Kategorie des »Glaubens«, d. h. des gehorsamen Hörens auf das Wort Gottes – eine Haltung, die sich letztlich durch ihre existenzphilosophische Zuspitzung als eben das erweist, was schon am Liberalismus zu kritisieren war, nämlich eines »Subjektivismus.« Scholem hält Schoeps nichts weniger als eine der jüdischen Tradition so nicht eigene Verabsolutierung der Offenbarung vor: »Die Offenbarung ist bei aller Einmaligkeit doch ein Medium. Sie ist als Absolutes, Bedeutung – Gebendes, aber selbst Bedeutungsloses das Deutbare, das erst in der kontinuierlichen Beziehung auf die Zeit, in der Tradition sich auseinanderlegt. Das Wort Gottes in seiner absoluten symbolischen Fülle wäre, wenn anders es zugleich auch unmittelbar (undialektisch) bedeutend wäre, zerstörend. Nichts nämlich – und die Dialektik dieses Sachverhalts, in der die Idee der mündlichen Thora gründet, finde ich in ihrer Schrift noch nicht erkannt – ist, auf historische Zeit bezogen, mehr einer Konkretisation bedürftig als eben die (um ihre Worte zu benutzen) ›absolute Konkretheit‹ des Offenbarungswortes. Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Ist doch«, so beendet Scholem seinen zentralen, dialektischen Einwand, »das absolut Konkrete das Unvollziehbare schlechthin, dessen Absolutheit eben seine unendliche Spiegelung in den Kontingenzen des Vollzugs bedingt.«142 So kann Scholem seinen Kontrahenten einer – wenn man so will – jüdischen Häresie zeihen, nämlich des Karäismus, einer im 8. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Irak entstandenen Lehre und religiösen Praxis, die – durchaus unter dem Einfluss des Islam – die talmudischen Schriften ablehnte und für sich den Anspruch erhob, unmittelbar den Weisungen der fünf Bücher Mose zu folgen. Tatsächlich existierten vereinzelte Gruppen von Karäern bis ins frühe 20. Jahrhundert, tatsächlich sind vereinzelte Karäer sogar noch am Ende des 20. Jahrhunderts nachweisbar.143 Systematisch jedenfalls will Scholem keinen Unterschied zwischen einem islamisch getönten, mutazilistischen Karäismus und einem Schoeps unterstellten Karäismus im Geiste Kierkegaards machen.144 Schoeps antwortete umgehend, Ende August 1932, mit der Frage, ob denn die Tradition »wirklich Sakralgehalt über die tradierende Epoche hinaus« habe.145 »Geht es«, so die drängende Frage, »auf der Offenbarungslinie nicht vielmehr um das göttliche Wort gerade doch in seiner absoluten Konkretheit, dessen Aktgehalt immer neu im personalen Vollzuge für das gläubigen Bewußtsein, d. h. jüdisch im Akt der Gottesfurcht restituiert werden muß?«146 Eine vollgültige jüdische Existenz lässt sich demnach ausschließlich durch die Ausrichtung an Gottes Wort in seinem biblischen Ursprung gewinnen, ohne doch zu verkennen, dass sich dann umso schärfer die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Geschichte stellt. Indem Schoeps gegenüber Scholem zugibt, dass Tradition und Offenbarung eine Einheit darstellen, kann er die jüdische Lebensweise, jenes Leben, das nicht zuletzt darin besteht »einen Zaun um die Lehre zu ziehen«, wie es die spätantiken »Sprüche der Väter« postulieren, als eine »sakral geweihte«147 Lebenspraxis bestätigen. Denn: Der letzte Sinn des Gesetzes aber, über den man nicht zu reflektieren brauchte, weil er eben die selbstverständliche jüdische Voraussetzung war, war die Gottesfurcht dessen, der sich als Knecht seines Herrn, als Geschöpf seines Schöpfers, als Ton in des Töpfers Hand empfand.148

Dass diese Situation spätestens seit Moses Mendelssohn vorbei ist, ist ebenso unbestreitbar wie doch auch die bürgerliche Emanzipation zur Unterbrechung einer, wie Schoeps meint, 4000 Jahre alten Tradition geführt habe: »Indem das Judentum«, so charakterisiert er die Lage 1932, »mit der Aufklärung und mit dem Liberalismus ein Bündnis einging, ist es zwar bürgerlich emanzipiert wor70

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den, vielleicht aber seiner himmlischen Bürgerschaft verlustig gegangen.« Mehr noch: »Jedenfalls ist der Umbruch von der absoluten Theonomie zur absoluten Autonomie verheerend gewesen und hat dämonisierende Wirkungen gehabt.«149 Protestierend weist Schoeps daher Scholems Versuch zurück, seinen »Rückkehrversuch zum Hören auf das Wort Gottes«150 zu diskreditieren, und beharrt darauf, dass auch in dieser Gegenwart – 1932 – »in der Nacht unseres Lebens«151 die Tora ein Licht sei. Das Ende des Schreibens widmet sich dann noch einmal der Erschaffung aus dem Nichts, indem er Acholem vorwirft, dieses Thema nur aristotelisch-metaphysisch zu verstehen und um abschließend festzuhalten, dass jüdische Theologie in dieser Gegenwart wesentlich ein Erinnerungsphänomen mit Blick auf die Schrift sei, »um ihren Frömmigkeitsgehalt für den Bewußtseinsvollzug freizulegen, der ja als Akt der Umkehr durch die Auserwähltheitstatsache ewig möglich bleibt«.152 Daher kann Schoeps den Vorwurf, sich zu stark an Karl Barth zu orientieren, in der Sache zurückweisen: Indem er wiederholt darauf beharrt, einem »Wort Gottes« zu gehorchen, scheint er jedem materialen Bezug auf das Christentum und dessen Gehorchen auf den Menschen, den Mittler Jesus als das Wort Gottes zu widersprechen. Scholem, damals bereits in Jerusalem, antwortete Schoeps in einem groß präsentierten Aufmacher der »Bayrisch Israelitischen Gemeindezeitung« unter dem Rubrum »Offener Brief an den Verfasser der Schrift »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« und leitet mit der Bemerkung ein, Schoeps’ Schrift aufmerksam gelesen zu haben, und ihm zugute bringt, Widerspruch gegen die jüdisch-­ liberale Theologie des 19. Jahrhunderts und deren »Verfälschung der geistigen Ordnungen des Judentums« eingelegt zu haben. Denn: »Die Perversion der Begriffe von Offenbarung und Erlösung unter der Herrschaft eines der Illusion der Autonomie verfallenen Denkens ist ja in der Tat der Punkt, von dem aus die Krise des jüdischen religiösen Lebens theologisch zu deduzieren ist.«153 Scholem ist dann darum bemüht, Schoeps nachzuweisen, dass sein Versuch, den theologischen Gehalt des Judentums zu aktualisieren, am Ende der Sache nicht entsprechend dazu führe, das Judentum in Theologie zu verwandeln. So sehr also Scholem nach eigener Aussage Schoeps’ Versuch einer Aktualisierung des theologischen Gehalts des Judentums mitträgt, so sehr widersprich er der Verführung einer Umwandlung des Judentums in Theologie: Solcher Verführung entspricht nicht nur Ihre Orientierung an Karl Barth und dessen bedenklicher Terminologie, sondern auch zweifellos eben als der Revers solcher Orientierung Ihre ausdrückliche Ablehnung der Tradition als der wesentlichen KateTheologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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gorie religiöser Lebenshaltung im Judentum – eine Ablehnung, die auf einen Sprung ins Nirgendwo, biblische Theologie bei ihnen genannt, hinausläuft.154

Scholem führt die von ihm kritisierte Deutung auf Schoeps Bekenntnis zum »Deutschjudentum« zurück, um ihm schließlich zu unterstellen, vom historischen Judentum sehr viel weniger zu wissen als vom modernen Protestantismus. »So gerät, um es deutlich zu sagen, die von Ihnen als Existenzialproblematik des modernen Judentums vor der Offenbarung definierte Haltung in die Gefahr, zu einem sehr unexistenziellen und uns allen wohl bekannten Subjektivismus abzugleiten.«155 Scholem begründet das damit, dass Schoeps mit seiner Ablehnung und seiner Fixierung alleine auf das Offenbarungsgeschehen am Sinai das ausdrückt, was als ein moderner Karäismus zu bezeichnen sei. Die Karäer aber waren eine vom Judentum im 8. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Irak abgefallene Sekte, die die Mischna, den Talmud und damit die mündliche Lehre ablehnte. Indem Scholem die vernommene Stimme Gottes als das Medium definiert, in dem das Judentum existiert, kann er jede Form einer Offenbarung außerhalb dieser Lebensform als geradezu »gespenstisch« bezeichnen, ein Gespenst, das mit Gottes Wort auch dort nichts mehr zu tun hat, wo es in Dogmen gefasst ist. Denn: Die Anwendbarkeit des absoluten Wortes – um dieses Problem, das ich das der Blendung nennen möchte, die von der Offenbarung ausgeht, kann keine biblische Theologie (die nicht umsonst im Judentum nie existiert hat) herumführen, und wer die Stimme vernimmt, von der schon die Kabbalisten gesagt haben, daß sie Offenbarung und Erlösung in einem ist, muß auch den Weg zurücklegen suchen, der in ihr zwischen diesen beiden Polen führt.156

Scholem, der als Zionist ein anderes Existenz-, ein anderes Daseinsverständnis als das des jüdischen Deutschen Schoeps sein eigen nennt, sieht für eine Vermittlung historischer und ewiger Gegenwart nur zwei Weisen: das Medium der Apokalypse oder das Medium der Tradition. Einen biblischen Standdort jenseits von beidem beurteilt er als Chimäre. Damit lehnt Scholem das durch und durch protestantische, genauer lutherische Prinzip der »sola scriptura« ab. S­ choeps, darauf ist zurückzukommen, wird Scholem einer ontologisch-katholischen Tendenz im Judentum zeihen. Freilich zog Scholems Polemik durchaus weitere Kreise und wurde auch zum Thema der Korrespondenz zwischen Walter Benjamin und Gerschom Scholem. Benjamin jedenfalls ließ sich trotz Schoeps’ Auseinandersetzung mit Kafka nicht beeindrucken, im Gegenteil: »Der junge 72

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Mann (…) platzt vor Eitelkeit und dem Wunsch, daß von ihm gesprochen werden soll – ist viel zu sehr damit beschäftigt, auf allen Wegen den Anschluß an den deutschen Faschismus zu finden (…)«157 Vor allem aber ist Schoeps für die beiden Briefpartner ob seiner Arbeiten zu Kafka von Interesse. Für Scholem jedenfalls ist die Welt Kafkas eine »Welt der Offenbarung«158, einer Offenbarung freilich, die die Offenbarung letztlich auf ein »Nichts« zurückführt. In Sachen Kafka jedenfalls will Scholem Benjamins Polemik gegen Schoeps nicht folgen, denkt er doch, dass eine richtig verstandene Theologie hier und Kafkas Welt dort auseinanderfallen. Benjamin hatte Scholem noch im Februar 1933 eingeräumt, einen angekündigten Versuch von Schoeps zu lesen. Scholem, nunmehr in Jerusalem, hatte in diesem Zusammenhang den inzwischen in Paris, dann auf den Balearen weilenden Walter Benjamin auch über das Verhältnis von Blüher und Schoeps informiert, über ein unvorstellbares Buch (…) ein Briefwechsel zwischen besagtem Schoepsen und dem altbekannten Blüher, in dem jener sich als preußischer Konservativer jüdischen Glaubens gegen die Ideologie des gebildeten Antijudaismus zu behaupten sucht; es ist ein verächtliches Schauspiel (…).159

In Klammern sei angefügt, dass der Briefschreiber sich hier eines etymologischen Wortspiels bedient – im deutsch-jüdischen Dialekt ist damit eine Art schlachtbarer Hammel gemeint. Scholem jedenfalls empörte sich darüber, dass ­Kafkas Nachlassverwalter Max Brod Kafkas »Beim Bau der chinesischen Mauer« gemeinsam mit Schoeps ediert hatte. Der Spott der beiden Brieffreunde über Schoeps will jedenfalls nicht aufhören, im April 1933 schreibt Benjamin von den Balearen nach Jerusalem: Überaus wertvoll war mir (…) Deine Mitteilung über Schoeps und Blüher. Nun erwarte ich dessen Buch über Kafka unter diesen Umständen mit verdoppelter Ungeduld. Denn was sähe dem Engel, der den vernichteten Teil von Kafkas Werken betreut, ähnlicher, als ihren Schlüssel unter einem Misthaufen zu verstecken?160

Noch einmal, im September des Jahres 1934, geht Benjamin auf Scholems offenen Brief ein, und hebt dabei vor allem eine Bemerkung Scholems aus dem offenen Brief an Schoeps hervor, in dem es hieß, dass das absolut Konkrete das schlechthin Unnachvollziehbare sei. Benjamin gewinnt aus dieser Einsicht die Überzeugung, dass an ihr das »geschichtliche Scheitern« Kafkas sinnfällig Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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werde.161 Zwanzig Jahre später, worauf noch zurückzukommen ist, wird sich Schoeps, freilich ohne auf Scholem zu sprechen zu kommen, noch einmal zu den theologischen Aspekten von Kafkas Werk äußern.162 1936 beklagte Schoeps, noch in Deutschland, den Umstand, dass die Zahl der Beter in Kirchen und Synagogen abnehme, und zieht daraus den Schluss, dass die diesen Umständen entsprechende negative Theologie mehr von Kreuz und Gericht denn von Eucharistie und Gnade spreche, eine Theologie – und damit kann nur die Theologie Barths gemeint sein –, die mit ihrer Verkündigung an ihr Ende gekommen sei und dem gefährdeten Menschen nichts mehr mitzuteilen habe. Wenn dieser Mensch es überhaupt noch unternimmt, nach Gott zu fragen, dann hilft ihm keine Bewußtseinstheologie mehr etwas, weil er ja von Gott weder ein positiv noch negativ für sein Leben bedeutsames Bewußtsein mehr besitzt, sondern nur noch eine mythische Ahnung davon, daß der »ungeheuerliche, schauerliche Schatten« (eine Anspielung auf Platons Höhlengleichnis, M. B.) in den Erdhöhlen etwas zu bedeuten hat.163

Freilich waren Scholem und Wiener nicht die einzigen Kritiker von Schoep’ jüdischem Barthianismus. So haben der Rabbiner Max Grünewald und der Chemiker Eduard Strauß diesen Ansatz gleichermaßen früh kritisiert. Während Grünewald vor allem bemängelte, dass Schoeps die eigentümliche historisch-überhistorische Beziehung Gottes zu Israel vernachlässigt habe164, wandte Strauß ein, dass sich Schoeps mit der dialektischen Theologie einer unjüdischen Referenz bedient habe, insofern er dem »Glauben« – einer genuin christlichen Größe – eine herausragende Rolle eingeräumt habe.165 Es sollte schließlich der orthodoxe Rabbiner Alexander Altmann (1906– 1987) sein, der sich im Sommer 1933 in der Zeitung »Der Israelit« unter dem Titel »Was ist jüdische Theologie? Beiträge zur jüdischen Neuorientierung« mit Schoeps’ Entwurf auseinandersetzte. Nicht anders als Wiener besteht auch Altmann auf der Einheit von Offenbarung und Volkswerdung Israels, räumt indes, anders als Wiener, die Möglichkeit einer Art jüdischen Dogmas ein – wenngleich es nicht um den Glauben nur so gehen kann, wie dies bei Maimonides in seinen Glaubensgrundsätzen geschieht. Einige Zeit später nimmt Altmann dann die durch die Dialektische Theologie gestellte Herausforderung frontal an. 1935 publizierte er einen Artikel zum Thema »Zur Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie«, der in der »Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums« erscheint.166 Darin konzedierte er durchaus eine gewisse Nähe von Barth zu Rosenzweig, brachte aber auch hier wieder den Gegen74

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satz zum vor allem protestantischen »sola fide« in Stellung und setzte gegen »die radikale Entwertung alles Geschöpflichen, die Setzung der ausschliesslichen Alleinwirklichkeit Gottes (…) das jüdische Bewusstsein« (…). Dieses Bewusstein halte »das echte Geschehen der Offenbarung als einer Begegnung dadurch aufrecht, daß es das Wissen von der Schöpfung bewahrt«.167 Altmann, der genau registriert hatte, dass sich die Dialektische Theologie zumal Karl Barths letztlich auf das existenzielle Denken Sören Kierkegaards bezog, konnte daher fragen, ob denn Kierkegaard der Prototyp des modernen Juden sei. Daniel Hershkowitz hat darauf aufmerksam gemacht, dass Altmann mit seiner Ablehnung der radikalen Trennung von Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf, ja mit seiner Berufung darauf, dass die Menschen Gottes Altmann seien, eine gleichsam katholische Position einnimmt, namentlich vertreten von dem Jesuiten Erich Przywara, dessen Werk Altmann damals rezipierte.168 Freilich fand Karl Barth noch einen – wenn man so will – weiteren jüdischen Schüler – Hans-Joachim Schoeps war keineswegs der einzige, der von Barth fasziniert war. Michael Wyschogrod (1928–2015) studierte bei Rabbi Dov Soloveitchik an der Yeshiva University in New York und wurde mit einer Arbeit über Kierkegaard und Heidegger an der Columbia University promoviert. In einem 2004 publizierten Sammelband äußerte er sich zu der Frage »Why Was and Is the Theology of Karl Barth of Interest to a Jewish Theologian?«.169 In Wyschogrods Hauptwerk »The Body of Faith. Judaism as Corporeal Election«170 hebt er zunächst darauf ab, dass jedenfalls der reife Barth in seinem Hauptwerk, der »Kirchlichen Dogmatik«, den Begriff der »Theologie« nicht mehr verwendet und Kirche dabei als die Gemeinschaft jener bestimmt, die in Gnade für das Zeugnis des Glaubens erwählt wurden – die Kirche als »Gottesvolk«. Aber: Barth, so Wyschogrod, »plunges his reader into the world of faith without defensive introductions« (…). Reading a page of Barth »is something like shock«.171 Wyschogrod räumt ein, sich nicht deshalb mit dem Werk Karl Barths zu befassen, weil er ein eigentümliches Verständnis von »Theologie« und »Dogmatik« hatte, sondern weil Barths Werk seiner Kenntnis nach die elaborierteste Form eines Konzepts sei, das von den Kirchenvätern bis zur Reformation reiche. Dieses Verständnis aber sei fundamental biblisch und nicht philosophisch. Das Verständnis der Kirche als eine geistliche Gemeinschaft der Gläubigen an einen bereits gekommenen Erlöser unterscheidet sie fundamental vom Judentum und bietet Wyschogrod somit einen Ausgangspunkt, um nach dem Wesen des Judentums zu fragen: »To put the matter simply, there is more darkness in the existence of Israel than of the Church. (…)172 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Zumal bei dieser letzten Frage, deren Antworten an dieser Stelle nicht zu referieren sind, fällt dann allerdings doch auf, dass Schoeps und Wyschogrod mindestens eine Grundüberzeugung Barths teilen: dass nämlich die Gottesbeziehung wesentlich eine des Gehorsam ist, wobei durchaus zwischen dem autoritären Verständnis des jungen Schoeps und Wyschogrods Verständnis zu unterscheiden ist. Anders als alle anderen jüdischen Rezipienten der Barth’schen Theologie – zumal in ihrer Auseinandersetzung mit S­ choeps – scheint ­Wyschogrod den Akzent nicht auf die Differenz von Glauben und Tun zu legen, sondern – beinahe gut lutherisch und entsprechend auch im Geiste von Schoeps – alleine auf den Glauben. Wyschogrod jedenfalls hatte Barth einmal in Basel, 1966, getroffen und das Gespräch mit ihm gesucht, was er später so berichtet hat: At one point he [Barth, M. B.] said, »You Jews have the promise but not the fulfillment; we Christians have both promise and fulfillment.« Influenced by the banking atmosphere of Basel, I replied: »With human promise, one can have the promise but not the fulfillment. But a promise of God is like money in the bank. If we have his promise, we have his fulfillment, and if we do not have the fulfillment we do not have the promise.« There was a period of silence and then he said, »You know, I never thought of it that way.« I will never forget that meeting.173

Das war, so wird man aus heutiger Sicht feststellen müssen, 40 Jahre vor der Bankenkrise des Jahres 2008, bei der viele kleine Ein- und Anleger alles verloren haben und der jeweilige Staat lediglich die Banken, nicht aber ihr Vermögen und damit ihre wirtschaftliche Existenz gerettet hat. Auf jeden Fall war Barth für Wyschogrod auch in systematischer Hinsicht von Bedeutung – so erwähnt er Barths Auseinandersetzung mit Anselm von Canterbury in seinem eigenen Versuch, das Argument des ontologischen Gottesbeweises zu erörtern.174 Bei alledem umgeht der systematische, an Barth geschulte Theologe den industriellen und handwerklichen Massenmord an sechs Millionen europäischen Juden, den Holocaust, die Shoah, um sich am Ende seines Buches der Rückkehr des jüdischen Volkes ins Land Israel zu widmen. Das ist ungewöhnlich, haben sich doch nicht wenige jüdische Theologen und Religionsdenker eben diesem Thema und damit der zentralen Problematik der Theodizee zugewandt. Die durch den Holocaust ausgelöste Krise eines massiven Vertrauensverlustes in die göttlichen Zusagen scheint Wyschogrod im Unterschied zu anderen entweder nicht bedacht oder bewusst umgangen zu haben. Dabei hat jüdisches, rabbinisches Denken hat auf die Katastrophe der Shoah ganz unterschiedlich 76

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reagiert: So vertrat etwa der Rebbe der aus Ungarn stammenden, heute meist in New York lebenden Satmarer Chassidim schon kurz nach 1945 die Ansicht, dass der Holocaust Gottes Strafe für Assimilation und Zionismus gewesen sei, während die 1872 geborene deutsch-jüdische Philosophin M ­ argareth Susman in ihrem 1946 erschienenen Werk »Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes« den biblischen Hiob, einen Nichtjuden, zum Inbegriff des jüdischen Volkes erklärte. Jahre später, 1971, publizierte der aus Halle nach Kanada emigrierte Philosoph Emil Fackenheim, ein Spezialist für die Geschichte des deutschen Idealismus, insbesondere für die Philosophen Hegel und Schelling, sein Buch »The Human Condition After Auschwitz. A Jewish Testimony a Generation After«. Wyschogrod hingegen hat die Rückkehr der Juden in ihr Land sehr wohl erörtert – bis hin zu dem Punkt, dass er eine Wiedererrichtung des Tempels entweder für möglich hält oder sie gar prognotiziert. 1983, wohl wissend, dass diese Wiederrichtung keine unmittelbare Perspektive hat, hält er dies gleichwohl für eine denkbare Idee: It is a thinkable idea because it is commanded in the word of God. (…).And it is curious that the most striking manifestation of holiness is not connected with the ethical but with the cultic. It is this cultic holiness that will reappear in Judaism.175

In auffälliger Weise wiederholt auch dieser jüdische Barthianer Argumente, die schon 50 Jahre vorher Hans-Joachim Schoeps ins Feld geführt hatte: eine Zurückweisung sowohl der Ethisierung als auch der Moralisierung des Judentums – mit dem einen, entscheidenden Unterschied freilich, dass Wyschogrod – anders als Schoeps – eine baldige Rückkehr ins verheißene Land für möglich und er das Judentum doch für mehr als nur eine Konfession hielt, nämlich doch auch für ein Volk im engeren Sinne hielt. Was Wyschogrod ebenfalls mit ­Schoeps teilt, ist sein letztlich positiver Bezug auf das Christentum im Geiste Karl Barths, und d. h. in diesem Fall die absolute Forderung nach einem Gehorsam gegenüber dem Wort. Bei alledem erwies Barth Schoeps doch so viel Aufmerksamkeit, dass er ihn in § 14 der Kirchlichen Dogmatik, dem Abschnitt über »Die Zeit der Offenbarung« mit Blick auf dessen Buch aus dem Jahre 1937 über »Jüdisch-christliches Religionsgespräch in neunzehn Jahrhunderten«176 namentlich erwähnte. Die persönliche Beziehung von Barth und Schoeps, sofern von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, ist in dem von Gary herausgegebenen Briefwechsel beider zu verfolgen, der 1991 ediert wurde.177 Im Oktober 1929 schrieb Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Barth dem ihm unbekannten Schoeps, der einen Barth zugeschickten »freideutschen Rundbrief« unterzeichnet hatte, durchaus zustimmend, dass die »friedliche Verbürgerlichung der Jugend« mit zum Schlimmsten gehöre, mit deren Möglichkeit man sich werde künftig auseinandersetzen müssen, »und darum wollte ich wohl, daß Ihr Ruf gehört werde«.178 Nach einigem Hin und Her bedankt sich Barth im Februar 1933 für den Erhalt des Streitgesprächs mit Blüher, um Schoeps mitzuteilen, dass er sich zu derlei nicht hergegeben hätte. So bleibe ihm nur übrig, ihm das Selbstverständliche zu sagen, »daß ich in diesem Gegenüber (mit Blüher, M. B.) die Sache der Kirche Jesu Christi bei dem Sprecher der Synagoge unverhältnismäßig besser aufgehoben sehe, als bei dem Sprecher des ›Christentums‹ (…)«.179 Gleichwohl spart Barth im Weiteren nicht an systematischer Kritik, vor allem, wenn er Schoeps vorhält, durch seine Orientierung an der Marburger Theologie Bultmanns und somit an Heideggers Denken gerade nicht zur Offenbarung vorstoßen könne – sei dies doch nur auf dem Weg einer auf jedes systematische Vorverständnis verzichtenden Exegese möglich. In diesem Zusammenhang moniert Barth, dass bei Schoeps drei auch für ein nichtchristliches Verständnis des Alten Testaments unentbehrliche Begriffe fehlen: der Begriff des Bundes, des Opfers sowie des Namen Gottes. Gegenüber diesen von ihm systematisch vernachlässigten biblischen Begriffen hatte Schoeps vor allem die – wohl weitgehend Kierkegaard entlehnte Antinomie – von unbedingter Forderung nach einem Hören auf die Offenbarung hier gegen ein modernes, geradezu kantisches Verständnis von Autonomie dort ins Zentrum seines frühen Denkens gestellt. In dieser existenziellen Analyse sei die konkrete religiöse P ­ roblematik des Judentums für Schoeps gegenwärtig geworden. Die Offenbarung erweist sich nach jüdischer Lehre als die Freiheit des Menschen zur Gottesfurcht in der Schoeps eine Rückkehr in die Existenzialsituation der Schöpfung im Anfang. Sieht.180 Zunächst ging es um nicht mehr und nicht weniger als um eine grundsätzliche Aufarbeitung jüdischer Religionsphilosophie, eine Leistung, die 1935 ihren Ausdruck in seiner »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit. Band I.« fand.181 Die in fünf dicht geschriebenen Kapitel gegliederte Arbeit setzt sich zunächst mit der jüdischen Religionssystematik bis zum 19. Jahrhundert auseinander, um sich dann im zweiten Kapitel ausführlich mit Moses Mendelssohn und seinem System auseinanderzusetzen, des Weiteren mit den unmittelbaren Reaktionen auf Mendelssohn und um im Zentrum das Werk Saul Aschers zu behandeln, um schließlich – in einem zweiten Teil – sich mit den von Schelling und Hegel geprägten Werken Salomon Formstechers sowie 78

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Samuel Hirschs zu befassen. Ziel der Arbeit ist es, »einen historischen Beitrag zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums«182 zu liefern, wobei der Unterscheidung von »Theologie« hier und »Philosophie« dort eine gewichtige Rolle zukommt. Unter Theologien werden demnach Systeme verstanden, die »freie Selbstoffenbarung Gottes als Königs und Schöpfers der Welt«183 ins Zentrum stellen, während unter Philosophien solche Systeme zu verstehen seien, die im Ausgang vom Menschen und dessen metaphysischen Überlegungen einen Begriff von Gott zu konstruieren bestrebt sind. Nicht zuletzt geht es dabei um die »Insuffizienz der Vernunft« hier und »Offenbarungsgehorsam« dort. Im historischen Rückgang erschließt sich dem Autor, dass seit dem 15. Jahrhundert jüdisches Denken keine treibenden Impulse mehr gehabt habe und zwischen »starrem Rabbinismus« sowie »farbenprächtiger und blütenreicher Kabbala« zerflossen sei.184 Es war dann Moses Mendelssohn, der als Philosoph Fundamente einer natürlichen Religion erschlossen habe – nämlich die Gedanken von Gott, Vorhersehung und Unsterblichkeit, die deshalb zu postulieren seien, da ohne sie Glückseligkeit nicht denkmöglich sei. Anders als der ebenfalls philosophisch vorgehende mittelalterliche Denker Maimonides, der immerhin, wenn auch faktisch ametaphysisch-aristotelisch argumentiert hatte, so doch nominell offenbarungstheologisch auftrat, hat Mendelssohn genau diesen Gedanken aufgegeben: »Gott ist für Mendelssohn trotz aller gegenteiliger Versicherungen nicht mehr totaliter aliter, sondern dadurch, daß seine positiven Attribute ihn prinzipiell erkennbar machen, liegt er in der – wiewohl für unermeßlich gehaltenen – Verlängerung des Menschen. – Und dies«, so Schoeps in dieser Passage sehr grundsätzlich, »ist das Gottesbild der echten Aufklärung, für die Gott die personenhaften Qualitäten verliert und als Garant der Verwirklichung des Sittlichen zum Funktionsbegriff für die Eigenmächtigkeit des Kosmos geworden ist.«185 Wobei nicht zu verkennen ist, dass sich Schoeps hier auf jeden Fall auch kritisch auf das nachgelassene Werk Hermann Cohens, auf die »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«, bezieht, eines Autors, der – wiewohl ein Anhänger des deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg – politisch doch mindestens ein Liberaler, wenn nicht gar ein Sozialdemokrat war – wenn auch ohne Parteibuch. Die »nachmendelssohnsche« Zeit erläutert der Autor anhand dreier Persönlichkeiten, von denen zwei nicht zu Unrecht inzwischen der Vergessenheit anheim gefallen sind: an hand des Religionslehrers Peter Beer aus Prag (1758– 1838), der Autors P. L. Hurwitz, der 1813 eine Schrift unter dem Titel »VerTheologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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besserung des Judentums« vorgelegt hatte und bis 1832 in Berlin lebte186, sowie – last but not least – anhand Saul Aschers, dessen Werk und Leben nicht nur Heinrich Heine in seiner »Harzreise«187 intensiv beschäftigt hatte, sondern der gerade auch jüngst erneut als der jüdische Aufklärer und Vorkämpfer gegen den Antisemitismus gewürdigt wurde.188 Diese Autoren zeiht Schoeps eines »utilaren Verstandesrationalismus«189, der letztlich eine letzte Position vor dem Übertritt zum Christentum gewesen sei. Auf jeden Fall sieht Schoeps in Saul Ascher und dessen Vorschlägen zu einer Reform des Judentums, die auf dem Postulieren von 14 Glaubenssätzen und einer weitgehend ermäßigten Weisung für die Lebensführung bestand, seinen deutlichen Gegner. Er konzediert ihm aber immerhin, sich bereits früh mit dem damals schon als Antisemiten hervorgetretenen Fichte kritisch auseinandergesetzt zu haben – insofern er dessen »Kritik aller Offenbarung« in seiner Schrift »Eisenmenger der Zweite, nebst einem vorausgesetzten Schreiben an den Herrn Professor Fichte in Jena« …« kritisiert habe. Indes sieht sich Schoeps genötigt festzustellen, dass es dabei gerade nicht um eine Begründung des Offenbarungsglaubens gegangen sei, sondern lediglich um »logische Sachlichkeit«.190 Saul Ascher hat für Schoeps – deutlicher noch als Mendelssohn – das Prinzip menschlicher Autonomie ins Zentrum seines Denkens gestellt – ein Gedanke, der sich bei den von Schelling und Hegel geprägten Denkern Salomon Formstecher191 (1808–1889) und Samuel Hirsch192 (1815–1889) so nicht findet. Ihnen geht es Schoeps zufolge eher – nach Hegel – um die Identität von Gott, Geist und Weltgeschichte, die Schoeps über Franz Rosenzweig rezipiert und kritisiert und die er schließlich konsequent bis in das Denken von Feuerbach verfolgt. Dass Hirsch die »Freiheit« als dasjenige bestimmt, was den Menschen zum Menschen macht, ist die von Schoeps treffend herausgearbeitete Grundthese Hirschs – eine Grundthese, die aber zugleich seinen schärfsten Widerspruch provoziert: Für uns gibt diese ganze polemische Entwicklung den eindringlichen Beweis dafür, wie diametral verschiedene und schon durch den Ansatz verursachte Gegensätze die Hegelsche und die jüdische Ethik sind. Wird hier die sittliche Freiheit als vernünftige Bestimmtheit des Willens kraft der Selbstverwirklichung des objektiven Geistes konzipiert und dort als übervernünftiges Gesetz des Sollens kraft der absoluten Offenbarung Gottes gewußt, so ist das kein dialektischer Widerstreit mehr, sondern ein radikaler durch keine Dialektik mehr zu überwölbender Widerspruch. Dieser Widerspruch aber ist ein wesensmäßiger, nämlich der zwischen dem gesetzesgebundenen, betrachtungslos gehorchenden Judentum und der gesetzlosen, betrachtend freiseienden Welt.193

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Schoeps bemerkt im Weiteren nicht nur, dass Hirsch eine positive Würdigung Jesu als Juden vertreten hat, um schließlich zusammenfassend zu urteilen, dass aller postulierten jüdischen Bewusstheit zum Trotz das Judentum bei Hirsch »im geheimen bereits entheiligt194« sei: Als Produkt einer geschichtlichen Entwicklung sei das Gesetz, sei die Entfaltung der menschlichen Schöpfungsanlagen gerade nicht als Offenbarung verstanden. Indem Schoeps am Ende seines Buches eine Schrift Samuel Hirschs aus dem Jahre 1854, »Die Humanität als Religion«, zitiert, hält er dies für erwiesen: »Keine Offenbarung kann uns weiterführen«, sei doch Gott »nicht als ein uns Fremdes und Äußerliches, sondern als ein in unserem rein menschlichen Herzen Enthaltenes.«195 Die Frage nach der Möglichkeit einer jüdischen Theologie der Offenbarung trieb nicht nur Schoeps alleine um, sondern auch jene jungen Männer, die er um sich geschart hatte und die auf sogenannten »Wanderfreizeiten« heftig um sich und ihre Stellung in der Welt und zu der Welt rangen. Von diesen Diskussionen zeugen die sogenannten »Tabarzer Gesprächsprotokolle«, die die Ergebnisse eines Treffens einer Reihe jüdischer »Freideutscher«, genauer: freideutsch gesonnener deutsch-jüdischer Jugendlicher an Pfingsten des Jahres 1930 in einer Jugendherberge im Thüringer Wald festhalten. Gegen das politische Chaos der letzten Jahre der Weimarer Republik und im Spannungsfeld zwischen bündischem Gedanken und freideutscher Idee wurde dort der Gedanke der im Staat verfassten Nation beschworen: »Die Wirklichkeit der Nation«, postulierte Schoeps auf diesem Treffen, »ist vom kapitalistischen (beziehungsweise marxistischen) Nützlichkeitdenken her überhaupt nicht erfahrbar, wird als Idee oder Mythos angesehen – aber nicht als das, was sie für das Lebensgefühl eines anders strukturierten Typus ist: Reale Mächtigkeit,um deren werterfüllende Symbole sich Menschen verantwortlich sammeln können.« An dieser Stelle gibt das Tabarzer Protokoll eine wörtliche Ausführung von Schoeps wieder, eine Position, der er bis an das Ende seines Lebens, auch noch nach Emigration und Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland, treu bleiben sollte: Die Mächtigkeit des des Königs von Preußen ruht darin, daß er kein Autokrat ist (illegale Herrschaftsform), sondern die Vertrauen stiftende Repräsentanz für ein vom Geistig-Religiösen her gesehenes Ordnungsgefüge darstellt. Aber auch vom König von Preußen läßt sich freilich empirisch nicht sprechen, sondern gemeint ist stets nur das Bild seiner Bestimmung.196 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Tatsächlich verkehrte Schoeps nach eigenem Eingeständnis in einem Zirkel, dem »Jungkonservativen Klub«, in dem sich Parteigänger und sympathisierende Intellektuelle aus dem Umkreis der »Deutschen Staatspartei« trafen, einer Fusion des rechtsnationalistischen »Jungdeutschen Ordens« mit der in den letzten Jahren der Weimarer Republik dramatisch an Stimmen verlierenden linksliberalen »Deutschen Demokratischen Partei«. Schoeps jedenfalls war der Überzeugung, dass nur »die Herausbildung echter Autorität« die Demokratie stabilisieren und »vor der heranwogenden braunen Flut (…) schützen« könne. Immerhin erinnerte sich Schoeps später, im Herbst 1929 dem schon vom Tode gezeichneten Gustav Stresemann begegnet zu sein.197 1929 aber war auch das Jahr, in dem Hans-Joachim Schoeps, gerade 20 Jahre alt, ein lebhaftes Interesse an dem nur sehr allmählich bekannt werdenden Werk von Franz Kafka zu entwickeln begann. Kafka starb bereits 1924 – es war Max Brod, der dessen Werke gegen den Willen des Autors postum edierte. Schoeps war bereits 1926 oder 1927 durch einen Zeitungsbeitrag Siegfried Kracauers auf Kafkas drei nachgelassene Romane aufmerksam geworden und verfasste daraufhin einen Aufsatz, den er Max Brod zusandte und der im August 1929 unter dem Titel »Die geistige Gestalt Franz Kafkas« in der von dem von Karl Barth schärfstens kritisierten Vertreter des Kulturprotestantismus, Martin Rade, herausgegebenen »Christlichen Welt« erschien. In Marburg, wo Schoeps damals studierte, war er als studentische Hilfskraft für Martin Rade tätig. Ganz im Banne seiner Auseinandersetzung mit der Theologie Karl Barths charakterisierte Schoeps Kafka in diesem Aufsatz als eine Gegenposition zum Christentum, zur »Dialektischen Theologie«. Keine versöhnende Liebestat Gottes hat dem Tod seinen Stachel und dem Leben seine Bedrohlichkeit genommen. Das innerste Wesen des Himmels ist für Kafka Gerechtigkeit und nicht Liebe. Wenn man Kafkas Lebensanschauung typisieren will, so ist sie ein Barthianismus ohne Mittler. Nicht nur der Weg von der Erde zum Himmel, sondern auch der vom Himmel zur Erde ist zu weit, als daß er jemals begangen werden könnte.198

In der Folge dieser Publikation kam es dann am 12. August 1929 zu einem Treffen zwischen dem erfolgreichen Schriftsteller Max Brod und dem theologisch interessierten, jüdischen Studenten Hans-Joachim Schoeps. Dazu später mehr. Zur gleichen Zeit aber hatte sich der junge Intellektuelle als Bürger zu bewähren. Bei seiner ersten Reichstagswahl, 1930, Schoeps war damals 21 Jahre alt, wählte er die »Volkskonservative Vereinigung«, aus der sich später die »Konservative Volkspartei« entwickeln sollte, eine Abspaltung der Deutschnationalen 82

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Volkspartei, die dem späteren Parteiführer, Alfred Hugenberg, nicht in die Opposition folgte, sondern die Regierung mit Reichsminister Heinrich ­Brüning stützte. In jenemJahr,1930, schon verfasste Schoeps eine Schrift »Jugend und Nationalsozialismus.« Im selben Jahr tagte zudem der bereits erwähnte »Vortrupp« im Unstruttal in der Nähe von Freiburg – eine Zusammenkunft, die später auch literarische Weihen erhalten sollte. 1970 jedenfalls publizierte Schoeps einen Aufsatz unter dem Titel »Plagiiert durch Thomas Mann«199, in dem er um den Nachweis bemüht war, dass Thomas Mann, der Entsprechendes in seiner »Entstehung des Doktor Faustus«200 mitgeteilt hatte, im 14. Kapitel des Romans wesentliche Szenen aus dem Milieu wandernder, weltanschaulich interessierter Studenten einem ihm bekannten Dokument entnommen habe, das Schoeps treffend als den Rundbrief »Die Freideutsche Position Nr. 4« identifizierte. Schoeps Gegenüberstellung der ihm zugänglichen Protokolle des Kreises und der entsprechenden Szenen im Roman überzeugen in der Sache, motivierten Hans-­Joachim Schoeps – damals 61 Jahre alt – jedoch zu einem mehr als nur kritischen Urteil: ziehe sich doch durch den ganzen Roman »ein ebenso interessanter wie peinlicher Versuch, drei grundverschiedene Epochen der deutschen Geschichte miteinander zu verschmelzen oder doch in eins zu sehen: Reformationszeitalter, die letzte Jahrhundertwende und die Periode des Nationalsozialismus«. Immerhin räumt Schoeps ein, dass es ihm als 20-Jährigem geschmeichelt hätte, von einem Dichter wie Thomas Mann zitiert – »ja plagiiert worden zu sein,« indes erfülle ihn dies 40 Jahre später mit großer Peinlichkeit: Teils bin ich belustigt, teils verdrießt es mich. Am besten nimmt man es wohl mit Ironie, dem Maß der Würde und Würdigung, das dem Dichter Thomas Mann angemessen bleibt. Tatsächlich waren aber meine Texte für Thomas Manns Absicht wenig geeignet (…) Der Dichter hat sich da einen beträchtlichen Fehlgriff geleistet.201

Schoeps erkannte sich in Thomas Manns Charakter »Deutschlin« wieder und fand es genau daher anachronistisch und schon im Vokabular absurd, derart verschiedene Epochen deutscher Geschichte zu verschmelzen: Die unhistorische mutatio temporum, das Ineinander verschiedener Zeitsphären erregt Seekrankheit. Die Hallensischen Studenten von 1904/1905 mit der dichterischen Namensgebung aus der Lutherzeit diskutieren bei Thomas Mann die Probleme der deutschen Wandervögel von 1930, also viel spätere Verhältnisse und Tendenzen.202 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Als Anachronismen stellt Schoeps fest, dass im Roman für den Ort Leuna Zusammenkünfte an Tariffragen interessierter Arbeiter behauptet würde, obwohl doch das entprechende Ammoniakwerk erst 1917 in Betrieb genommen worden sei, während zugleich über eine Kierkegaard-Rezeption gesprochen werde, obwohl die entsprechende Gesamtausgabe dieses Philosophen erst 1909 im Verlag Diederichs erschienen sei und die Rezeption erst 1918 eingesetzt habe. Der junge Schoeps jedenfalls war – und das legitimierte ihn zu seinem späteren Urteil über Thomas Mann – durchaus literarisch interessiert, las Ibsen, Strindberg, Gerhard Hauptmann und sogar Georg Kaiser. Im Rückblick bezeichnet er es als »Verirrung«, dass er die avantgardistischen Matineen von Bronnen, Brecht und Fleisser in der »Jungen Bühne« besucht hat.203 Noch 1963 bekennt er, dass ihm »der nihilistische Zynismus des Edelkommunisten Bertolt Brecht, an dessen frivolen Texten westlich orientierte Intellektuelle bis heute Gefallen finden, ihm von Anfang an ekelhaft gewesen« sei.204 Noch Jahrzehnte später wollte er seiner Leserschaft seine interpretatorische Kernüberzeugung, die ihn bald zu einem intensiven Briefwechsel mit Max Brod205 führen sollte, nicht vorenthalten: Keine versöhnende Liebestat Gottes hat dem Tod seinen Stachel und dem Leben seine Bedrohlichkeit genommen. Das innerste Wesen des Himmels ist für Kafka Gerechtigkeit und nicht Liebe. Wenn man Kafkas Lebensanschauung typisieren will, so ist sie ein Barthianismus ohne Mittler. Nicht nur der Weg von der Erde zum Himmel, sondern auch der vom Himmel zur Erde ist zu weit, als daß er jemals begangen werden könnte.206

Kurz darauf traf Schoeps Brod zunächst in Marienbad, wohin dieser seine Mutter zu einer Kur begleitet hatte, um ihn darauf anschließend in Prag zu besuchen und dort Kafkas Nachlass zu sichten und sich schließlich auf die Suche nach einem deutschen Verleger für Kafkas Werke zu machen. Daraus entwickelte sich ein lebhafter Briefkontakt, der mit Unterbrechungen von 1929 bis 1951 währte – Max Brod war bereits 1939 aus der Tschechoslowakei nach Palästina geflohen. Schoeps, der gegenüber Brod einen, wie oben gezeigt, »Barthianismus ohne Mittler« vertrat, offenbarte Brod gegenüber seine existenziell – theologischen Grundüberzeugungen, gelte doch für ihn – im Gegensatz zu Brod – nicht die Spannung von »Gesetz« versus »Sündenschuld«, sondern von »Heiligkeit« versus »Sündigsein«; »ganz lutherisch«, so Schoeps im März 1931 aus Berlin nach Prag, »muß ich hier am sola fide festhalten und Glauben bestimmen als opus operatum.«207 Um kurz darauf zu bekennen, dass er »bereits so assimiliert bzw. blutlich vermischt« sei, dass er noch nicht einmal »säkularisierter 84

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Jude sein« könne.208 Von daher wurde er sich darüber im Klaren, im Unterschied zu Brod, kein Zionist sein zu können, mehr noch: ­Schoeps bezweifelte gegenüber Brod, dass der Zionismus überhaupt eine religiöse Bewegung sei. Tatsächlich versuchte Schoeps Brod davon zu überzeugen, dass der Zionismus eine »Spätblüte des westeuropäischen Imperialismus, der selber wieder säkularisierter abendländischer Reichsgedanke ist«,209 sei. Freilich setzte sich Schoeps keineswegs nur mit Brod über den Zionismus auseinander, sondern auch mit dem gebürtigen Münchner Fritz Rosenthal, der 1935 nach Palästina emigrierte, sich dort Schalom Ben-Chorin nannte und mit Schoeps vor allem in der Nachkriegszeit in einem regen Briefwechsel stand. Auch in diesem Briefwechsel zum Thema »Franz Kafka« sollte die dialektische Theologie vor allem Karl Barths eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Aber zunächst: Unter einem »Barthianismus« ohne Mittler verstand der junge Schoeps eine Theologie des Wort Gottes, das Gehorsam zu hören sei – ohne dass dieses Wort wie in der christlichen Religion in Jesus Mensch geworden war – für Schoeps war das Wort Gottes Gottes Weisung vom Sinai. So konnte es nicht ausbleiben, dass Barth den jüdischen Theologen brieflich fragte, »ob denn nicht eine systematische Theologie des Judentums in dem Nachweis zu gipfeln habe, daß Jesus Christus gekreuzigt werden mußte und daß füglich die Verantwortung für diese Kreuzigung auch heute noch von jedem Juden übernommen werden muß«.210 Man mag sich fragen, in welchem Verhältnis Schoeps einerseits zur systematischen Theologie Barths stand und wie – andererseits – sein Verhältnis zu der damals immer größer und stärker werdenden Anhängerschaft Barths, der politisch meist links stehenden Barthianer, stand. Im Rückblick von bald 30 Jahren sah das Bild durchaus kritisch aus. Der – wenn man so will – in seiner Frühzeit jüdische Barthianer Schoeps stellte den von Barth und seiner Schule so heftig kritisierten Kulturprotestantismus, der in seiner Offenheit und Vorurteilsfreiheit noch ein Stück wirklicher Humanität gewesen sei, zunächst ins Zentrum »bis dann« wie Schoeps meinte »auch sie von der Sturzflut der dialektischen Theologie überspült wurde, die den ›Idealismus‹ verfolgte, die Kultur perhorreszierte und die so buntfarbige geschichtliche Welt auf den Generalnenner Profanität gleichschaltete, als ob dadurch etwas geschehen sei«.211 1931 unterbrach ein kritisches Lebensereignis seine geistige Entwicklung: So starb sein Bruder Konrad – »ein schwermütiger Mensch«, der bei einem Hechtsprung in einen eiskalten märkischen See einem Herzschlag erlag – im Alter von etwas mehr als 22 Jahren. Den Winter 1932/33 verbrachte Schoeps beim Studium in Leipzig, wo im obersten Stock des christlichen Hospizes, in dem er damals lebte, eine Runde Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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jüngerer Anhänger von Stefan George zusammenkam; zumal Wolfgang Frommel, der später in Amsterdam verfolgte Juden retten sollte, sollte für Schoeps ein »großartiger Gesprächspartner«212 werden. In Berlin verkehrte Schoeps zu jener Zeit, in den Jahren 1930–1932 im »Jungkonservativen Klub«, gleichsam der Jugendorganisation der bereits oben genannten »Volkskonservativen Vereinigung«, genauer dem – wie Schoeps im Rückblick meinte – »oft sinnlos verleumdeten Herrenklub«.213 In diesem Rahmen, so meinte Schoeps im Rückblick, sei ihm klar geworden, dass nur »die Herausbildung echter Autorität aus den Formationen der staatserhaltenden Parteien«214 die Demokratie stabilisieren und vor der »heranwogenden braunen Flut« schützen könne.215 Dies dürfte ein krasses, apologetisches Fehlurteil gewesen sein – verkehrten doch in dieser, im November 1924 von Heinrich von Gleichen-Rußwurm und Hans Bodo Graf von Alvensleben gegründeten Vereinigung216, auch einige Personen, die später Mitglieder des Widerstands gegen das NS-Regime wurden, während die überwiegende Mehrzahl dem NS-Regime zustimmte oder es unterstützte. Im April 1933 noch erschien im »Ring«, der Zeitschrift dieser Vereinigung, ein von Fritz Meier redigierter Text, der nach Schoeps rückblickender Meinung beweist, dass auch unter der Diktatur Kritik möglich war. Dort heißt es – und man mag heute sich fragen, was daran kritisch sein soll: Es wird bis auf Weiteres keine Freiheit von Wissenschaft und Kunst und sogenanntem Kulturleben mehr geben. Das mag zweifellos so weit sein Gutes haben, als eine falsch verstandene Autonomie, die mitunter giftige Blüten zeitigte, gebrochen wird, das hat aber auch seine Gefahren, die zu nennen, doch wohl erlaubt sein muß: Gerade weil das Politische heute bis in die privatesten Schichten menschlichen Verhaltens und Wirkens hineinreicht, besteht die Gefahr, daß die Eigenständigkeit geistiger Objekte nicht mehr respektiert wird (wie etwa reine Kunst stets nur unpolitische Objektivationsgebilde hergeben kann. Die freie Selbstverantwortung der Person (…) ist aber akut gefährdet, wenn alles geistige Schaffen nur noch unter die eine Wertung fällt, ob es deutschzugänglich ist oder nicht.217

In seinen späten Erinnerungen erwähnt Schoeps, dass ihn Scholem in Berlin besuchte, ihm seiner Erinnerung nach nichts entgegenzusetzen hatte und auch nicht verstand, dass Schoeps Denken einer »echten religiösen Not«218 entsprang. Die damals anwesende Mutter von Schoeps – »eine einfache mütterliche, absolut instinktsichere Frau« – aber brach ob des schweigenden Scholems Weggang in Tränen aus und bat ihren Sohn, nie wieder einen Mystiker ins Haus zu bringen.219 86

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Doch sollte dies nicht der letzte Kontakt zwischen Scholem und Schoeps gewesen sein. Fünf Jahres später, 1937, bedankt sich Scholem in einem Brief aus Jerusalem für die Übersendung von Schoeps’ zweitem Buch, der »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit«220, die 1935 im Berliner »Vortrupp Verlag« erschien. Scholem bekennt in diesem Schreiben, das Buch nicht besprechen zu können, da es ihm an der nötigen Quellenkenntnis fehle, zudem teilt er mit, dass er als »ehrlicher Bekenner« seiner »Gesinnungen«221 mit Schoeps über dessen Broschüre »Wir deutschen Juden«222 nicht mehr diskutieren könne. Die ersten Sätze dieser Schrift waren von nicht zu überbietender Dramatik: Eine Welt ist zusammengebrochen. Die Welt, in der das deutsche Judentum seit 150 Jahren wie selbstverständlich gelebt hat ohne einen Gedanken daran, daß sie je zu Ende gehen könnte. Wir stehen heute vor einem großen Trümmerhaufen: deutsches Judentum. Manche meinen sogar: am Sterbebett. Und einer hat sogar geglaubt, vom Ausland aus das bittere Losungswort ausgeben zu müssen: Kaddisch nach dem deutschen Judentum.223

Dieser Text stellt im Ganzen eine dicht argumentierende Bekenntnisschrift dar, die sich ausdrücklich gegen Zionismus und Assimilation wendet und sich nicht zuletzt mit dem damaligen Wirken von Rabbiner Joachim Prinz auseinandersetzt. Joachim Prinz, geb. 1902, war als Jugendlicher Mitglied der zionistischen Jugendorganisation »Blau-Weiss«, studierte nach seinem Abitur in Oppeln u. a. in Gießen, wo er mit einer Arbeit zum Thema »Zum Begriff der religiösen Erfahrung« 1927 zum »Dr. phil« promoviert wurde – 1925 schon war er am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau zum Rabbiner ordiniert worden und fungierte ab 1926 als Rabbiner der Berliner »Vereinssynagoge Friedenstempel«. Die in Halensee gelegene Synagoge war eine private Stiftung und sollte nicht nur einer liberalen Liturgie folgen, sondern auch übergeordneten Zwecken folgen: »Der Tempel soll nicht allein religiösen Zwecken dienen, sondern auch eine Versammlungsstätte aller sein, die an der Herbeiführung eines wirklichen Friedens mitarbeiten wollen«, so Salomon Goldberg, der Vorsitzende des Synagogenvereins.224 Als damals jüngster Rabbiner Berlins galt Joachim Prinz als Charismatiker, der zugleich in glühenden Worten und Taten einen entschiedenen Zionismus vertrat. Nach 1933 wiederholt von der Gestapo verhaftet, emigrierte Prinz 1937 in die USA, wurde 1939 Rabbiner des Reform-Tempels »Temple Bnei Abraham« in Newark und – nachdem er sich 1948, nach der Staatsgründung Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Israels vom Zionismus losgesagt hatte – nicht nur einer der Präsidenten des »American Jewish Congress«, sondern auch einer der prominenten Unterstützer des schwarzen US-amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King.225 Er war Mitveranstalter des 1963 ausgeführten »March on Washington for Jobs and Freedom« und sprach auch bei der Hauptkundgebung vor dem Lincoln Memorial, bei der Martin Luther King seine »I have a dream«-Rede hielt.226 Mehr als 30 Jahre vorher allerdings war Prinz noch Zionist und Hans-Joachim Schoeps sein Opponent, der nur feststellen konnte, dass ihn von Prinz und der zionistischen Jugend eine Welt trenne – um zugleich zu betonen, dass auch Antizionisten wie er stolz darauf seien, Juden zu sein: »Auch wir Antizionisten bekennen, ein jeder mit Stolz, gestrafften Ganges und blitzenden Auges: Iwri onauchi.«227 Dem folgt eine theologische Argumentation über den ungekündigten Bund Gottes mit dem Volk Israel, der seinem inneren Sinn gemäß sowohl gegen Zionismus als auch gegen assimilatorischen Konfessionalismus stehe. Folge doch im jüdischen Festkalender auf das Passahfest, das den Auszug aus Ägypten feiert, das Wochenfest »Schawuoth«, an dem der Gabe der Tora, ihrer Verkündung am Sinai, gedacht wird. Daher: Nur Zionisten können es sich leisten, Pessach losgelöst zu betrachten als völkische Geburtsstunde, sofern sie Israel mit den Völkern verwechselt haben, und nur Liberale können es sich leisten, Schewuaus losgelöst zu betrachten als Geburtsstunde der jüdischen Religionsgesellschaft, sofern sie Israel mit einer bloßen Konfession verwechselt haben. Der Jude in seiner wahrhaftigen Gestalt aber weiß: Pessach und Schewuaus gehören unlöslich zusammen (…).228

Dem zionistischen Verständnis des Judentums hält Schoeps entgegen, das Wesen des Judentums verkannt zu haben, werde doch am Pessachmahl Gottes Wille bezeugt, dass Israel kein Volk mehr ist, weil es mehr als ein Volk geworden sei.229 Den Zionisten hält Schoeps vor, vergessen oder unterschlagen zu haben, dass die »Abstammung«, jüdisch gesehen, mehr und anderes sei als ein biologisches Faktum: »Man macht dann (…) aus dem Judentum ein Volkskuriosum, das sich unter paradoxen Voraussetzungen durch die Jahrtausende erhalten hat – einzig durch Ahnenkult, Eugenik und Kinderzucht.«230 Schoeps Berliner Diskussionspartner Hans Blüher sprach in diesem Zusammenhang spöttisch von »Sakralrasse«. Löst man aber – so Schoeps – den Unterschied von jüdischer Existenz mitsamt ihrer leiblichen Erhaltung hier und allen anderen Völkern dort auf, so ist dies wiederum nichts anderes 88

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als eine Form der Assimilation: »Darum ist der politische Zionismus die entscheidende Bedrohung und größte Gefährdung, die an Israel im Laufe seiner Golusgeschichte bisher herangetreten ist.«231 Umgekehrt bezichtigt Schoeps das liberale Judentum eines ethisch verbrämten Kosmopolitsmus, eine »ungeheuerliche Fälschung«, die nur Langeweile ausstrahle.232 Als Ausweg bietet sich dann für die Mitglieder jenes überhistorischen Bundesvolkes ein bewusstes Eintreten für jene Nation an, unter der sie jeweils leben: in diesem Fall für die Deutschen des Deutschen Reiches im Jahre 1934. Dabei geht Schoeps so weit, den Sinn jüdischer Existenz als eines für die Endzeit aufgesparten Gottesvolkes in seiner Gegenwart im Deutschtum zu erkennen: »Jedem Kenner ist daher bekannt, daß die Prägung durch die Deutschheit soweit in die Substanz einging, daß wir bis in die feinsten Tönungen des Lokalkolorits hinein die Merkmale der deutschen Landschaften und Stämme angenommen haben, an die wir durch jahrhundertelanges Zusammenleben unlöslich gebunden sind. Diese Bindung«, so Schoeps im Jahre 1934, freilich noch vor den Nürnberger Gesetzen, »kann weder eine Gesetzgebung aufheben noch der Appell, eine jüdische Volkstumsart auszuprägen, die es nicht gibt und eben wesensmäßig nicht geben kann – es sei denn, man halte das Kunstprodukt eines künftigen Staates in Palästina für jüdischen Staat und das erhoffte Züchtungsergebnis einer Kultur auf diesem Boden für etwas anderes noch als eben eine palästinensische Nationalkultur.«233 Am Ende dieser Ausführungen verfällt der bis dahin eher genau theologisch argumentierende Schoeps in jugendbewegten Kitsch, wenn er von staubigen Straßen, über die eine Schar blauer Jungen, deutscher Jungen aus jüdischem Stamm, mit ihrer Fahne zieht, schwärmt: »Sie singen deutsche Lieder; Lieder von der Liebe, vom Siege und vom Tod, von der Herrlichkeit und der Wehmut des Lebens, von der Süßigkeit und der Not des Sterbens; Lieder dem dumpfen Trommel.«234 Es folgt das trotzige Bekenntnis, auch dann bereit für Deutschland zu sein, wenn »das Vaterland uns verstößt«.235 Noch Jahre später scheute sich Schoeps nicht, diesen Beitrag selbstbewusst zu publizieren und mitzuteilen, dass der 1938 endgültig verbotene Beitrag immerhin 6000-Mal aufgelegt worden sei. Einer jener jungen deutschen, jüdischen Intellektuellen, die damals heftig auf diese Worte reagierten, war der junge Gerschom Scholem, mit dem Schoeps in einem Briefwechsel stand. Schoeps verfasste diesen von Scholem 1937 so heftig zurückgewiesenen Aufsatz im Jahre 1934. Auf diesen Briefwechsel ist noch näher einzugehen; freilich war Scholems Brief von 1937 nicht das letzte Wort in beider Beziehung. Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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1954 plante ausgerechnet Theodor W. Adorno – so in einem Brief an Scholem – Schoeps, inzwischen Professor in Erlangen, zu schreiben, um ihn zu bewegen, in seiner Zeitschrift einen Beitrag Franz Baermann Steiners, eines Kafkaforschers zu publizieren.236 Einige Jahre später erinnert Adorno Scholem daran, ihm dessen »Arbeit gegen Herrn Schoeps« zuzusenden.237 Tatsächlich war Schoeps immer wieder ein Thema im Leben und Wirken Scholems, so auch in einem Brief an Walter Benjamin aus dem Jahr 1934, in dem er auf seinen offenen Brief gegen Schoeps zu sprechen kommt.238 Das beschäftigte Scholem sogar noch 30 Jahre später, als er Adorno über einen Vortrag bei einer ERANOS-Tagung zum Thema Offenbarung und Tradition unterrichtet: Dort sind meine genauesten Formulierungen über Offenbarung und Tradition zu finden, deren ich überhaupt fähig bin, und die im Jahre 1932, als ich sie zuerst gegen Herrn Schoeps zu Papier brachte, die schrankenlose Zustimmung Walter Benjamins fanden.239

Auf jeden Fall vermittelten jene Jahre, die letzten Jahre der Weimarer Republik, dem jungen Schoeps bereichernde Erfahrungen sowie ein intensives Erleben: So machte er 1932 im Salon von Gertrud Kantorowicz, einer Freundin von Georg Simmel, die Bekanntschaft von André Gide, der ihn den ganzen Abend angesehen habe, indes ihm die damals geführten Gespräche – Gide befand sich in einer »prokommunistischen Periode« – »sehr zuwider waren« und er sich bald mit dem Gefühl verabschiedete, »auf dem falschen Dampfer zu sein«.240 Gertrud Kantorowicz aber harrte eines schweren Schicksals: Die 1876 in Posen geborene und 1945 entkräftet und krank in Theresienstadt verstorbene Kunsthistorikerin und Lyrikerin verfasste schon früh eine erst aus dem Nachlass publizierte Studie »Vom Wesen der griechischen Kunst«. Darin spürt sie im Rahmen einer »Philosophie des Leibes« dem Wesen der Skulptur in einer anderen Weise nach, als das der Schönheitskult der Weimarer Klassik getan hat. Im April 1945 starb Gertrud Kantorowicz, die zuvor in Theresienstadt als Krankenschwester unermüdlich ihren Nächsten geholfen und diese Tätigkeit mit dem talmudischen Begriff der »Aboda«, des Gottesdienstes, bezeichnet hat, an einer Hirnhautentzündung. Eine überlebende Leidensgenossin, Eva Noack-Mosse, notierte in ihrem Tagebuch: »(…) geschwächt von vielen schweren Krankheiten (…) Sie lag auf ihrem Bett (…) ihren Homer im griechischen Original lesend.«241 Dreizehn Jahre zuvor jedenfalls wurde der den Salon von Gertrud Kantorowicz besuchende Leipziger Student der Religionsphilosophie mit seiner Arbeit »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit« – sie erschien 90

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1935 als Buch – bei Joachim Wach promoviert, um an dieser Universität nur ein Jahr später das Staatsexamen in den Fächern Deutsch, Geschichte und Philosophie abzulegen. Seines Judentums wegen wurde Schoeps in jenem Jahr schon nicht mehr zum Referendariat zugelassen. Sein Doktorvater Joachim Wach, ein Urenkel von Felix Mendelssohn-Bartholdy habilitierte sich, nach dem Wehrdienst im Ersten Weltkrieg und seiner Promotion in Leipzig im Jahre 1922 zum Thema »Der Erlösungsgedanke und seine Deutung«, 1924 mit einer Arbeit zu den Grundlagen der Religionswissenschaft und wurde in Leipzig Privatdozent. Aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« sowie der Nürnberger Gesetze 1935 der Universität verwiesen, emigrierte Wach in die USA, um an der Brown University zunächst biblische Literatur zu lesen und um ab 1945 an der University of Chicago an der dortigen Divinity School eine Professur für Religionswissenschaft einzunehmen. Er starb 1955 in der Schweiz. Dorothea Busch (1915–1996), die Frau von Hans-Joachim Schoeps und Mutter seiner beiden in Schweden geborenen Söhne, war eng mit ­Joachim Wach verwandt. Ein Blick auf Schoeps’ Publikationen in den der ersten zwei Jahre nationalsozialistischer Herrschaft weisen einen noch jugendlichen, noch immer jugendbewegten Autor aus, dem es um nichts weniger geht als um eine männerbündische Neukonzeption von Judentum und jüdischer Religion aus dem Geiste der damals im Zentrum der weltanschaulichen Debatten stehenden »Dialektischen Theologie« vor allem, aber nicht nur Karl Barths. Sieht man von den männerbündischen, jugendbewegten Sehnsüchten des Autors ab, hängt die Plausibilität seines Entwurfs ganz und gar von seiner »Jüdischen Theologie« ab, die er bereits 1932 – er war damals 23 Jahre alt – unter dem Titel »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« im Philo-Verlag in Berlin publiziert hatte. Dabei sei ein möglicher Einwand gleich zu Beginn entkräftet: Immer wieder ist zu hören – so zuletzt von dem bedeutenden Judaisten Peter Schäfer im Jahr 2017 –, dass es eine jüdische Theologie im strikten Sinne des Wortes nicht geben könne – sei doch das Judentum »Orthopraxie«. Tatsächlich jedoch finden sich bis weit in die talmudische Zeit zurück Überlegungen zum Wesen Gottes und seiner Beziehung zu Israel, die islamische Zeit kannte bei Maimonides sogar jüdische Glaubensartikel, und schließlich war es in der Mitte des 19. Jahrhunderts kein geringerer als Abraham Geiger, der eine »Jüdisch-theologische Fakultät« gefordert hatte. Damit ist das sogenannte Unternehmen einer jüdischen Theologie auch unter diesem Begriff in der jüdischen Tradition verankert – zu fragen ist allenfalls, ob die auf der Übernahme der »dialektischen Theologie« protestantischen Hintergrunds beruhende jüdische Theologie von Schoeps dieser Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Tradition gerecht wird. Das ist im Folgenden zu überprüfen. Worum aber ging es der dialektischen Theologie, keineswegs nur jener Karl Barths? Sie verstand sich in erster Linie als »Kritik der Religion« im Besonderen und als Kritik des Kulturprotestantismus, der das Deutsche Reich in seinen Bemühungen, den heute sogenannten »Ersten« Weltkrieg zu führen und zu gewinnen., unterstützte. Freilich – wie noch zu zeigen sein wird, ging es der dialektischen Theologie im Ganzen, anders als Karl Barth, keineswegs nur um die Kritik an einer christlichen Religion, die imperiale Bestrebungen und die »machtgeschützte Innerlichkeit« (Th. Mann) des deutschen Bürgertums abfedern sollte. Neuerdings wird die Frage, die Schoeps bereits 1935 bewegte, nämlich die Frage nach der Möglichkeit einer jüdischen Theologie, auch – nach Jahren der Vernachlässigung – wieder in der deutschsprachigen Judaistik erörtert, etwa vom Potsdamer Judaisten Daniel Krochmalnik. Daher ist – auch und gerade mit Blick auf Schoeps und das Judentum – systematisch zu fragen: Was ist überhaupt der Unterschied von »Religion« und »Theologie«? Der Soziologe Niklas Luhmann hat die Religion, genauer »Die Religion der Gesellschaft«,242 als jenes gesellschaftliche Subsystem bezeichnet, dem es um die Bereitstellung von Worten und Narrativen zur Bewältigung existenzieller, nicht vorhersehbarer, meist negativer Ereignisse geht, »Religion« erwies sich somit als gesellschaftliches Subsystem zur Bewältigung von Kontingenzen. Nach welchen Kriterien lässt sich dann aber entscheiden, welche Formen der Religion diese Leistung so erbringen, dass sie niemandem schaden – »gute Religionen« – bzw. in ihrer Ausübung andere verletzen und gefährden – »schlechte Religionen«? Was eine gute, eine nicht »fundamentalistische« Religion ist, hängt – vorausgesetzt man ist sich einigermaßen darüber einig, was unter »gut« zu verstehen sei, – vor allem davon ab, was wir als »Religion« bestimmen. Dabei wird man zwischen einer moralischen, einer religionswissenschaftlichen oder einer theologischen Perspektive unterscheiden. Während sich eine moralische Perspektive vor allem dafür interessieren wird, in welchem Ausmaß die Narrative, Mythen und Liturgien des symbolischen Sinngebildes Religion allgemeine moralische Haltungen, Tugenden wie Nächstenliebe oder Fähigkeit zur Selbstreflexion o. Ä. befördern, wird eine religionswissenschaftliche Perspektive funktionalistisch oder phänomenologisch danach fragen, ob das narrativ verfasste Symbolsystem mit seinen Ritualen erfolgreich der Kontingenzbewältigung dient bzw. ob es dem Symbolsystem gelingt, dem »Eigensten« aller Religionen, nämlich ihrem Transzendenzbezug, prägnanten Ausdruck zu verleihen. 92

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Ganz anders wird die Theologie als die systematische Fassung von religiösen Überzeugungen das soziale und kulturelle Institutionengefüge, in denen diese Überzeugungen artikuliert und in ihren Folgen praktiziert werden, bewerten. Ob eine Religion gut ist oder nicht, lässt sich aus dem normativen Blickwinkel der Theologie nur nach Maßgabe ihrer eigenen Überzeugungen heraus beantworten. Klammert man der Einfachheit halber die religionswissenschaftliche Perspektive aus, so bleibt eine Frage übrig, die in der deutschsprachigen, vor allem protestantischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert gestellt wurde, nämlich die Frage, was das Eigenste einer Religion im Unterschied zu reiner Moral oder mythischer Welterklärung sei. Diese Fragen werden kurz darauf Thema des Zwiegesprächs zwischen Schoeps und dem völkischen Theoretiker Hans Blüher sein243 – dazu unten mehr. Gleichwohl – und das erscheint widersprüchlich – hält Schoeps daran fest, dass das »Heilige Volk« keineswegs nur eine Konfessions-, eine Glaubensgemeinschaft ist: So müsse eingesehen werden, dass das heilige Volk »als Offenbarungsgemeinde mit einem biologischen Abstammungszentrum ebenso wie die Kirche »seine Sakralität im Blutserbe« habe, »weil eben durch die Erwählung Israels das Blut geweiht worden ist zum mittlerlosen Offenbarungsempfang und seiner Tradierung«.244 Gleichwohl kann daraus nur folgen, dass Jude zu sein bedeutet, ein »geistlich-heilsgeschichtliches Schicksal« zu tragen. Das freilich ist nur das geistliche Schicksal – das weltliche Schicksal ist unauflöslich mit Deutschland verbunden, werde doch die private Existenz eines Deutschen jüdischen Glaubens erst dann zu »einer geschichtlichen, wenn er sein eigenes Schicksal mit dem der Nation unauflöslich verbunden verbunden weiss:« »Nur«, so das emphatische Bekenntnis in einer Fußnote, »wer als Deutscher jüdischen Glaubens (und Stammes) für Deutschland zu leben und zu sterben bereit ist, hat im weltlichen Sinn geschichtliches Schicksal.«245 Dieses Bekenntnis schließt an Überlegungen Rosenzweigs aus dem »Stern der Erlösung« an, wonach das ewige Volk im ewigen Jetzt des liturgischen Jahres ohne eigenen Staat, eigenes Militär sowie ohne eigene Nationalsprache existiere. Wenn überhaupt, so ist die Rückkehr des jüdischen Volks ins Heilige Land nur dann möglich, wenn die Existenz der Völker der Welt endet. Dem theologischen Bekenntnis folgt eine realpolitische Besinnung: die messianisch verheißene Rückkehr ins Heilige Land sei »um keinen Preis auf der gleichen Ebene mit den Bemühungen um die Errichtung einer Heimstätte für verfolgte und entrechtete Juden in Palästina zu sehen, gegen die natürlich kein Mensch etwas haben wird«.246 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Schoeps’ Rekonstruktion des Judentums aus dem Geist der Kirche, die sich selbst als einen durch Wort und Blut Christi gebildeten Körper versteht, muss die Frage der Übertritte, der Konversionen zum Judentum ausklammern, mehr noch : eine weitere, nun doch ethnische Kategorie, die des »Stammes« einführen, die deutlich macht, dass das Judentum keine frei wählbare Konfession ist, sondern letztlich an biologische Herkunft gebunden ist – was es dann doch von der Kirche unterscheidet, deren »Blutsgemeinschaft« jeder Mensch beitreten kann, so er sich im Namen Christi taufen lässt. Schließlich enthält das Judentum eine unaufgebbare Forderung, nämlich sich unter Gottes Wort zu stellen und damit die ihm vorgegebene »der Gottesfurcht«247 zu akzeptieren, eine Situation, die – und hier widerspricht Schoeps jedem christlichen Antijudaismus energisch – weder durch eine Lehre vom Verdienst noch durch eine Form der Werkgerechtigkeit gekennzeichnet ist – in der Einsicht in die Freiheit der Gnade Gottes sowie die Souveränität seiner gnädigen Versöhnung gipfelt, wozu Schoeps völlig zu Recht einen rabbinischen Midrasch als Beleg präsentiert. Am Ende freilich, in der von ihm als viertes Prinzip ausgewiesenen Lehre von der »Vergeltung als Gottesherrschaft über die Geschichte und die Umkehr des Abgefallenen«, postuliert er einen Tun-Ergehens-Zusammenhang, gemäß dem all jene, die die Bürde des Gesetzes nicht auf sich nehmen, sich selbst aus dem Buche des Lebens streichen. Bei alledem bleibt freilich offen, welche Bürden des Gesetzes genau Schoeps, der keineswegs als halachischer, orthodoxer Jude lebte, tatsächlich meint. Damit gewinnt die Lehre von Abfall und Umkehr einen formalen, mindestens aber einen »nur« geschichtsphilosophischen Charakter – sieht Schoeps doch das Judentum als Teil der »abendländischen Abfallsgeschichte« der letzten 400 Jahre, der europäischen Neuzeit. Als Kronzeugen der dadurch ausgelösten Verzweiflung ruft Schoeps Descartes, Kierkegaard und Franz Kafka auf – Zeugen und Diagnostiker eines »Zerfließen des menschlichen Personenbewußtseins«.248 Als wesentliche Ausdrucksformen dieses Zerfließens und dieses Zerfalls benennt Schoeps Marxismus und Psychoanalyse sowie – am Ende – »jene das Zerfließen des abendländischen Weltbildes demonstrierende Fundamentalontologie Martin Heideggers«249, die Schoeps zufolge »einer radikalen Immanenzverhärtung entsprungen« sei. Ihm hält Schoeps bewundernd entgegen, den »Schöpfungscharakter des Daseins grundsätzlich« vernichtet250 und das »Dasein« somit in sich selbst zurückgeführt zu haben. »Existenzial« ist dann vom »modernen Juden« auszusagen, dass er sein »Bluterbe der Erwähltheit« lediglich als »an- und aufzurufende Erinnerung«, aber nicht mehr als »praesentes Selbstverständnis« habe, sodass die meisten Juden dieser Zeit als »Heiden94

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juden« gelten müssen, weshalb »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« »zu einem dialektischen Phänomen, einem gleichzeitigen Haben und Nichthaben, einer Seinshaltung, die so an der Grenze steht, daß sie dauernd durch das Nichtsein gefährdet ist«.251 An Menschen dieser Seinshaltung richtet sich Schoeps theologischer Entwurf, der nicht zuletzt darin gipfelt, seine Adressaten aufzufordern »ihre Geschichtlichkeit voll zu übernehmen« – was nichts anderes heißen kann, als sich zu Deutschland und deutschem Schicksal zu bekennen und es zu übernehmen252 und vor diesem Hintergrund die eigene ontische Verfassung als geschichtlich bedingtes Abfallphänomen zu verstehen. Dieser eingeforderte Schritt stellt nichts weniger als eine wesentliche »Entscheidung« dar: (…) einen Bruch mit dem Gewesenen und einen Sprung in die Ungewißheit des Kommenden. An diesen Menschen, der aufgrund einer in die Ahnung abgesunkenen Erinnerung umkehren, aus seiner Uneigentlichkeit zur Eigentlichkeit, aus der Lüge zur Wahrheit gelangen will, richtet sich (…) das Wort der Verkündigung, das je dann, wenn es dem Herrn der Welt gefällt, die »Geworfenheit der Existenz« in die »Gefügtheit der Kreatur« und die »Angst-des-in-der-Welt-seins« zur »Gottesfurcht« umschlagen lässt.253

Damit zielt der Autor auf nichts weniger als eine Umlenkung und Auflösung der von ihm in einer Hinsicht akzeptierten Existenzphilosophie von ­Heideggers »Sein und Zeit«, das 1927 erschien. Freilich bleibt der Aufruf zur Gottesfurcht eigentümlich unbestimmt, denn: Was bedeutet er Schoeps’ Deutung mehr als die Bereitschaft zur Unterordnung als Gegenprogramm zur Emanzipationsgeschichte des modernen Menschen? »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« erschien 1932, im agonalen, letzten Jahr der Weimarer Republik, einem Jahr, in dem zunächst Heinrich Brüning, dann Franz von Papen und schließlich, zwei Monate lang, Kurt von Schleicher und Reichspräsident von Hindenburg Reichskanzler waren. Die dem theologischen Entwurf korrespondierende normative, politische Praxis entfaltete Hans-Joachim Schoeps, indem er kurze Zeit nach dem Erscheinen des Buches, Anfang des Jahres 1933 eine kleine, bündische Gruppe gründete, die den Namen »Der deutsche Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden« hieß. Dem war zu Pfingsten die Gründung einer »Freideutschen Kameradschaft« vorangegangen – einem, wie Schoeps später berichtete, »sehr kleine(n) Bund, der lediglich in einigen Universitätsstädten Gruppen aufbaute, aber intellektuell wohl das höchste Niveau hielt, das die Jugendbewegung erreicht hat, indem er wirklich in den Geschichtsraum der Nation vorstieß«.254 Theologie der Offenbarung und jüdischer Barthianismus

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Im Frühjahr und Sommer 1933 löste der NS-Staat mit Ausnahme der katholischen Jugendverbände und geduldeter zionistischer Bünde die anderen Bünde der freien Jugendbewegung auf, sodass auch nicht wenige jüdische Jungen unterschiedlichen Alters unorganisiert »in der Luft hingen«.255 Schoeps sammelte sie nach eigener Auskunft und gründete so zu Ostern des Jahres 1933 die Organisation »Deutscher Vortrupp«, durch den, wie er später mitteilte »das bündische Element in einer Art von jüdischem Naturschutzpark noch etwa zwei Jahre legal konserviert werden konnte«.256 Ein eigener (Buch-)Verlag, zunächst in Frankfurt am Main, dann in Berlin, sollte die intellektuellen Anstrengungen des »Vortrupp« dokumentieren und zur weiteren Diskussion stellen. Auf jeden Fall sollte Hans-Joachim Schoeps im Jahr 1933, er war damals noch keine 24 Jahre alt, eine eigene Organisation gründen, die auch eine eigene Zeitschrift in einem eigenen Verlag herausgab, »Der deutsche Vortrupp. Blätter einer Gefolgschaft deutscher Juden« – das erste Heft erschien im Oktober 1933 und proklamierte die Ziele der auf jeden Fall klein bleibenden Organisation: ein Bekenntnis zu Deutschland, als einer historisch-kulturellen, nicht völkischen oder gar rassischen Einheit, eine scharfe, wenn auch nachsichtige Kritik am Liberalismus des deutschen Judentums der Emanzipationszeit, eine scharfe Absage an Zionismus und liberales Assimilantentum sowie eine überaus scharfe Kritik an einer prophetisch-universalistischen Deutung des Judentums im Stil von Hermann Cohens nachgelassenem Werk »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«. »Wir nennen uns«, so Schoeps im ersten Heft des «, »DeutschenVortrupp« »weil wir infolge unserer »Gliedschaft in der bündischen Jugendbewegung unsere menschliche Prägung von den Mächten der nachbürgerlichen Zeit erhalten haben, die in unserer deutschen Umwelt nunmehr offiziell angebrochen ist, und uns zum ›Vortrupp‹, der diese Entwicklung für das deutsche Judentum bereits vorweggenommen hat und dieses heute durch die Erfassung seiner jungen Generation zur Nachfolge zwingt, sofern das deutsche Judentum nicht ungeschichtlich werden, bzw. ins geistige Ghetto gehen will. Wir wissen, daß dieser Prozeß mit unabdingbarer Notwendigkeit geschieht, ob sich gewisse Gruppen nun dagegen stemmen oder nicht (…)«257 Was also war der »Vortrupp«? Welche jungen Menschen, nein, welche jungen Männer fanden sich dort ein? Hans-Joachim Schoeps war keineswegs der Einzige: Milieu und Lebensgefühl jener jungen jüdischen Männer, die sich in besonderer Weise dem Deutschtum, wenn nicht gar dem Preußentum zutiefst verbunden fühlten, fanden ihren Ausdruck nicht nur in gemeinsamen Tagungen, Fahrten und Diskussionen, sondern auch in literarischen Versuchen, die 96

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immerhin noch im Jahre 1934 im Deutschen Reich publiziert werden konnten. Ein Blick auf Leben und Werdegang eines solchen Autors würde – vom Ende her gesehen – nicht vermuten lassen, dass er diesem Lebensgefühl einst zutiefst verbunden war. Fragt man nun, bei welchen Jugendlichen all dies auf geistig und seelisch fruchtbaren Boden fiel, so zeigt die Forschung schnell, dass es sich dabei um jüdische Jugendliche der Jahrgänge 1910–1920, im Allgemeinen deutsch-­ jüdischen Elternhäusern entstammend, handelte, wobei der übliche Hinweis, es habe sich um assimilierte Elternhäuser gehandelt, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen dürfte. Denn immerhin zeigen stichprobenartig erhobene exemplarische Fälle, dass in vielen Familien zumindest die Mütter noch stark an die religiös-jüdische Tradition gebunden waren.258 Gleichwohl waren die Bindung an die und die Bewunderung für die deutsche Kultur – von Schiller und Goethe zu Rilke und George – undiskutiert und ungebrochen und stellten den über Jahrzehnte zunächst nicht angezweifelten Horizont des eigenen Selbstverständnisses dar. Der gesellschaftliche Antisemitismus der wilhelminischen Zeit, der sich in den Jahren der Weimarer Republik immer stärker auszuprägen begann, konfrontierte diese Jugendlichen, zumal wenn sie männlichen Geschlechts waren, mit zwei eng miteinander verwobenen Entwicklungsaufgaben: einer Definition ihrer Männerrolle sowie einer Entscheidung, welcher partikularen oder universalistischen Weltanschauung sie sich anschließen wollten. Es war Hermann Meier-Cronemeyer, der auf den zunächst befremdenden Umstand aufmerksam gemacht hat, dass die judenfeindlichen Schriften Hans Blühers, der den Juden eine »Männerbundschwäche« attestiert hatte, auf das Selbstverständnis der jüdischen Jugendbewegung in all ihren Schattierungen erheblichen Einfluss hatte259. Auch in dieser Hinsicht hatte Buber den Nerv dieser vor allem männlichen Jugend präzise getroffen: Der westjüdische Jüngling, der zum Bewusstsein seines Verhältnisses zur Gemeinschaft erwacht, findet sich zwischen zwei Gemeinschaften gestellt, gleichsam zwischen sie aufgeteilt (…) Die eine, der er durch seine Geburt entstammt, die andere (…), die die Sprache geschaffen hat, die er spricht und in der er denkt, die die Kultur geschaffen hat, die ihn gebildet hat … Aber eines fehlt, ein Letztes, Innerlichstes, das fundamentale Prinzip der wahrhaften Verbindung mit einer Volksgemeinschaft und doch nur selten in seiner Bedeutung gekannt und bewusst: das Gemeinschaftsgedächtnis.«260

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  Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

Ein klassisches Beispiel dieses Typus des westjüdischen Jünglings war Max Samter. Er wurde vor allem als Erforscher einer allergischen Reaktion – auf Aspirin – bekannt. Ein kurzer, wirklich sehr kurzer Eintrag auf Wikipedia lässt uns wissen, dass er im März des Jahres 1908 in Berlin geboren wurde und 1999 in Evanston im US-amerikanischen Bundesstaat Illinois verstarb. 1937, er war noch keine 30 Jahre alt, gelang es dem studierten Mediziner noch, in die USA zu flüchten, wo er seit 1946 als Professor an der University of Illinois in Chicago lehrte und forschte. Samter hatte in Freiburg und Innsbruck studiert und absolvierte seine praktischen Jahre von 1931–1933 an der Berliner Charité, wo er auch 1933 als Jude noch promoviert wurde, um in den nächsten vier Jahren in Berlin-Karow zu praktizieren. Nach seiner Flucht gelang es ihm, am John Hopkins Hospital in Baltimore Maryland eine Anstellung zu finden. Etwas mehr als ein Jahr später zog er nach Pennsylvania, um an der dortigen Universität, in Philadelphia, in den Abteilungen für Anatomie und Pharmakologie zu wirken. Nach dem Kriegseintritt der USA 1941 meldete er sich zur US-Armee, nahm an der Invasion in der Normandie teil und war später während der Ardennenoffensive in einem Feldlazarett tätig. Nach dem Krieg war er Forschungsassistent am Illinois College in Chicago, erhielt dort 1969 eine Professur, um danach von 1975–1983 Direktor des Instituts für Allergien und klinische Immunologie am Grant Hospital, ebenfalls in Chicago, und um schließlich an der katholischen Loyola-Universität Professor für Otolaryngologie zu werden. Samter war nicht der Entdecker der Allergie auf Aspirin, wohl aber der gründlichste Erforscher dieses Phänomens. Im Nachruf der New York Times vom 15. Februar 1999 hieß es:

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Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

In the 1930’s, Dr. Samter wrote several short political novels, circulated clandestinely, to satirize the Nazis. In an interview in 1983 with an in-house publication of the Grant Hospital of Chicago, he said he had been a motorcycle enthusiast and had become »almost friends« with storm troopers at the local repair shop. »›Whenever the Gestapo would call and tell me that it might be unhealthy for me to stay in town, I would hide in Bavaria until the air had cleared,« he said.

Samters 1934 im Berliner »Vortrupp Verlag« erschienene Erzählung »Die Versuchung« beginnt mit einem Zitat aus dem biblischen Buch Hiob 3,26: »War ich nicht glücklich?/War ich nicht fein stille?/Hatte ich nicht gute Ruhe? Und es kommt solche Unruhe!«, um dann die Lage zu charakterisieren, in der sich ein junger jüdischer Mann, Herbert, befand: Der Abend jenes Tages, der den Juden des Landes zum ersten Mal die unumstößliche Gewißheit gebracht hatte, daß die Führung des Reiches sie als Fremdlingen ansähe, deren politische Stellung im Staate besonderer Regelung bedürfe, senkte sich in leuchtender Klarheit zur Nacht, aus dem verdämmernden Licht hoben sich die Sterne. Die Juden waren über den Tag zum größten Teil in ihren Wohnungen geblieben, jetzt traten sie auf die Straße und staunten müde über die Schönheit der letzten bewegten Stunde (…)261

Da Samters Erzählung bereits 1934 erschien, können sich diese Sätze noch nicht auf die »Nürnberger Gesetze« beziehen. Vermutlich bezog sich der angehende Mediziner Samter auf das im April 1933 erlassene Gesetz »Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« sowie auf das Berufsverbot für jüdische Angehörige freier Berufe wie Anwälte und Ärzte. In jenen Tagen Anfang 1933 eskalierten die antijüdischen Aktionen: der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April, die Bücherverbrennung am 10. Mai sowie schließlich die Einführung sogenannter »Arierparagraphen« in den Berufsverbänden von Anwälten und Medizinern.262 Samter, damals 26 Jahre alt, zeigte weiterhin in seiner Erzählung Gespür für die unterschiedlichen Formen jüdischen Betroffenseins durch diese Maßnahmen: In den reichen Vierteln im Westen der Stadt trafen sie sich in den Wohnungen, setzten sich hinter den verschlossenen Gardinen um die Tische und füllten die Stunden mit ihren Gesprächen, die aus Hast und Angst der Stunde das Kommende zu deuten suchten. Noch freilich war jeder nur dem eigenen Schicksal verbunden. Kaum einer Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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von denen, die in den großen Zimmern der geräumigen Wohnung über die Zukunft und ihre Bewältigung sprachen, dachte an die anderen, die in den vielen kleinen Betsälen des Nordens, in einem »Scheunenviertel« genannten, verwahrlosten Stadtteil beieinander hockten und unter den brennenden Kerzen die Thora lasen. Die Lampen in den Zimmern verlöschten, die Kerzen der Armen wurden ausgeblasen. Schlaf fiel über die Welt. Wo aber war Gott? Gott zürnte den Juden. Gott hatte die Stille über das Land gelegt, aber die Städte waren laut. Und die Juden wohnten in den Städten.263

Durchaus jugendbewegt, durchaus auch im Tonfall zionistischen Lebensgefühls erläutert der Erzähler eine Hiobsgeschichte mit dem möglichen Zorn Gottes über die urbane, die urbanisierte Existenz der Juden, und zwar – das ist bemerkenswert – der armen »Ostjuden« sowie der wohlhabenden, assimilierten Westjuden. Samters Erzählung wird im Folgenden im Bereich jener »assimilierten« Westjuden verbleiben, die doch vor allem Deutsche sein wollten, so auch die folgende Geschichte eines jungen Mannes mit Namen Herbert, in dem unschwer das Alter Ego des Autors der Erzählung zu erkennen ist: Zu denen, die mehr zufällig als gemäß der neuen Ordnung aus der begonnenen Bahn getrieben wurden, gehörte ein junger Mediziner, ein Student, der in den letzten Februar­ tagen,eben vor Schluß des Semesters, mit einem Arbeitskollegen eine Unterhaltung geführt hatte, in deren Verlauf er zur Begründung einer bestimmten Meinung hatte durchblicken lassen, daß er jüdischer Abstammung sei. Diese Betonung war nötig, weil es in einer so erregten Zeit doppelt wichtig schien, offen voreinander dazustehen, dann aber auch aus dem rein äußerlichen Grunde, daß keiner diesem jungen Mann das Jude-sein von selber angesehen hätte.264

Diese Schilderung stellt nicht nur – ohne dass der Autor, soweit bekannt, homosexuell gewesen wäre – einen typischen Fall jenes jugendbewegt, homo- und pädophilen Schönheitsideals dar, sondern – mehr noch – zeigt außerdem die damals nicht zuletzt und gerade in der jüdischen sowie zionistischen Jugendbewegung heiß diskutierte Frage der »Authentizität« auf. Bekanntlich war ja die Frage nach einer eigentlichen, einer wahrhaften Existenz auch jenes Motiv, dessentwegen etwa Heideggers 1927 erschienenes Buch »Sein und Zeit« seine revolutionäre Wirkung entfaltete. In jenen Jahren wurde der Begriff der »Rasse«, der inzwischen seiner Unwissenschaftlichkeit überführt ist, jedoch gängiges, weitgehend unbezweifeltes Alltagwissen. Vor dem Hintergrund des ab 1933 auch gesetzlich sanktionierten Antisemitismus weitete sich die Authentizitätsfrage zu einer Zugehörigkeits- und Ausschlussproblematik. Samters Erzählung 100

Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

handelt von dem Versuch, dem zu entgehen und den Nachweis zu führen, dass Juden durchaus authentisch sein können und – mehr noch – als einzelne Individuen durchaus zugehörigkeitswürdig sein und als solche auch anerkannt werden können. Herbert in der der Erzählung Max Samters jedenfalls gerät angesichts der Lage im Frühjahr 1933 in einen Konflikt mit seinen Eltern und beschließt, seine Existenz auf eigene Faust zu beglaubigen, eine Existenz, die genau darin besteht, auch und gerade als Jude zur deutschen Volksgemeinschaft, mehr noch: sogar – irgendwie – zur deutschen Rasse zu gehören. Samters eigene Erfahrung als Liebhaber des Motorrads findet in Herberts Entscheidung, das assimiliert jüdische Elternhaus zu verlassen und sich einer Gruppe junger Nationalsozialisten anzuschließen, ihren deutlichsten Ausdruck: Auf seiner Wanderung durch Deutschland beobachtet Herbert eine Gruppe von Kindern – offensichtlich Angehörige einer nationalsozialistischen Jugendgruppe: Das Singen der Kinder, ihr heiteres und gefälliges Selbstvertrauen, der Stolz auf die Fahnen selbst hatten guten Grund. Denn auch die Jugend war inzwischen von der Neuordnung aller Dinge erfaßt und mitgerissen worden. Die Planlosigkeit, mit der sie sich in zahllose Gruppen und Bünde zerstreute, hatte aufgehört, der Staat selbst hatte die Führung der Jugend übernommen. Die Schwere der Zeit ließ es nicht zu, Einzelgänger zu dulden.265

1933 geschrieben und 1934 publiziert, beweisen diese Zeilen nichts anderes als ein weitgehendes Einverständnis des jüdischen Autors mit der nationalsozialistischen Diktatur, die ein »hartes Durchgreifen« notwendig machte. In einem kleinen badischen Dorf, so fährt die Erzählung fort, findet Herbert zunächst eine spartanische Unterkunft, hat Schwierigkeiten ob seiner fehlenden Papiere und meldet sich schließlich in einem Arbeitslager, in dem er auch freundlich aufgenommen wurde. Die neue Lage hatte schon vorher die ganze Familie Herberts mitgenommen, auch seinen ebenfalls arbeitslos gewordenen jüngeren Bruder. Zudem herrschte – zumal unter jüdischen Jugendlichen – eine erhebliche Orientierungslosigkeit – auch sie wird in der Erzählung authentisch geschildert: Er (Herberts Bruder, M. B.) »hatte keine Beziehungen und das erwzungene Nichtstun traf ihn umso schwerer, als eine Welle des Vertrauens, ein Wille gemeinsamen Aufbaus das Volk einte, von der er ausgeschlossen war. Das aber war noch nicht das Gefähr­ lichtste. Schlimmer waren die Lockungen, die von vielen Seiten kamen. Die zionistiMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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schen Organisationen hatten einen ungeheueren Zulauf. ›Da sehrt Ihr’s, riefen sie,was es mit Euch macht, Euer Vaterland, wenn ihr’s heute noch so nennen könnt!‹ Es war so eine klare Sache, dies Palästina, trotz seiner vielen Araber und Engländer, man sah alles ein, man beneidete jeden, der reinen Herzens dorthin ging, und wenn man allein war, verschwammen die klaren Rechnungen zu nebelhafter Feme.266

Herbert jedenfalls »sah das alles mit grausamer Klarheit, heute war er der Held, morgen der Jude«. Gab es einen Ausweg aus dieser vereinsamenden, isolierenden Situation? Der Held kann sich nicht entscheiden, ob er dieser Situation mit ihrem unausweichlichen Ende, sich als Jude offenbaren zu müssen, entfliehen solle, indes: (…) auf einmal geschah etwas Seltsames: er faltete die Hände zum Gebet, und aus allem Schmerz und aller Furcht vor dem grauende Morgen formten sich seine Worte: »Lieber Gott, lass mich vergessen, daß ich ein Jude bin.« Aber schon während er sie sprach, erkannte er ihren letzten Sinn: er konnte es nicht vergessen, heute nicht und auch morgen nicht.«267

Und zwar deswegen nicht, wie die Erzählung weiter ausführt, »daß er diesen Boden sich hundertfach mehr als jeder andere verdient hatte und daß niemand ihm diesen Boden streitig machen konnte: dies war seine Heimat«. Doch führt der Erzähler mehr auf als lediglich ein gleichsam durch Leistung erworbenes Heimatrecht: Das andere aber war das dunkle Erbe im Blut: es hinderte ihn nicht, die Heimat zu lieben, heller und heißer als die, welche nichts davon spürten. Keiner wußte darum, er selber hatte nicht davon gewußt. Aber nun war es gewachsen, gegen ihn selbst. Es war da und es ließ sich nicht vergessen. (…) Als er kam, war es gleichgültig gewesen, daß er Jude war, jetzt fiel es schwer und dunkel ins Gewicht. Er hätte es verschweigen können, aber er erkannte die Sinnlosigkeit des Verschweigens. Es kam nicht darauf an, daß sie ihn jetzt vertreiben; die Trennung nahm ihm nichts vom Besitz. Aber zwischen dem Boden und seiner Liebe stand das Neue, das ihn nur scheinbar von der Erde entfernte. In Wahrheit hielt es ihn inniger auf ihr fest. Denn um sie zu lieben, mußte er erst durch das Dunkle, noch nicht Begriffene hindurch. In diesem Augenblick freilich vermochte er noch nicht, dies alles zu fassen.

Die dunkel raunenden Worte der Erzählung legen nahe, dass die deutsche Heimat erworben, ja durch Leistung erworben wurde, jedoch eine noch nicht begriffene 102

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Größe, das »Blut«, diese beinahe rational begründete Liebe durchkreuzt. Diese Konstellation stellte den Held der Erzählung vor eine existenzielle Wahl. Er sah die Prüfung, aber er mußte sie gegen den eigenen Willen bestehen. Er erhielt keine Antwort auf sein Gebet, und die Tränen traten ihm in die Augen. Aus der Qual des Grübelns führte immer der gleiche steinige Weg: daß er die Erde gerade in dem Augenblick am schmerzlichsten verloren hatte, in dem er sie am sichersten gewonnen zu haben meinte.268

Damit tritt nun neben »Blut« im Sinne von »Herkunft« sowie »Geist« im Sinne von Bildung ein drittes Element in diese Konstellation: nämlich die »Erde« als Umschreibung von »Heimat«. Herbert muss demnach erkennen, dass er trotz der tiefen Bindung, die ihn zumal durch seine (jüdische) Herkunft an die »Heimat« bindet, er sie jetzt, da es nur noch auf Herkunft und weder auf Liebe noch gar auf »Geist« ankommt, zum Fremden geworden ist. Herbert verliert seine Heimat, weil er anderer Herkunft als jene ist, mit denen er gemeinsam der Heimat dienen wollte. Vergessen aber lässt sich dies, inbrünstiger Gebete zum Trotz, nicht mehr – eine neue Selbstverständigung, ein neues Selbstverständnis wird so unumgänglich. Herbert sah sich gezwungen, bei einer Aufnahme und Anerkennungsfeierlichkeit im Arbeitslager, bei der vor allem sein Mut gefeiert wurde, die Wahrheit zu sagen: Brausender Jubel erhob sich. Er wich atemloser Stille als nun Herbert aufstand, totenbleich, die Hände gegeneinander gepresst. (…) Noch konnten die anderen sich nicht erklären, weshalb er so tief, in einer großen und unverständlichen Müdigkeit, erschüttert war: sie beugten die Köpfe zueinander und flüsterten. Aber auch Herbert wußte noch nicht, was er antworten sollte. Inzwischen hatte er den Leiter erreicht. Jedes Flüstern verstummte. (…) Herbert überragte den andern und neigte den Kopf. Schon näherte er sich mit dem Munde seinem Ohr, schon war er bereit, das schamhafte Geständnis in dem Herzen des Leiters zu verbergen, dem er vertraute. Aber plötzlich brach es aus ihm hervor, er hob den gesenkten Blick und sah auf die Kameraden der letzten Monate: »Ich bin doch Jude!« sagte er laut und trotzig. Dann ging er, hochaufgerichtet, mit Blick vor Erregung blinden Augen, am Tisch entlang. (…) Aber er hatte den Platz noch nicht erreicht, als Worte und Rufe durch das Zimmer schwirrten. Er setzte sich auf den Stuhl und sah vor sich hin, er verstand nicht ein einziges der Worte, die sie riefen. Er lächelte leise: »natürlich, nun hatten sie sie es alle gewußt. Immer heftiger, ungebändigter wurde der Lärm. Gruppen traten zusammen. Einer, dicht neben Herbert, sagte: »So eine Schweinerei! Daß das ausgerechnet bei uns vorkommen muß.«269( Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Die bereits erwähnte Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Washington, Simone Lässig, hat in ihrer viel zu wenig beachteten, groß angelegten, bereits 2004 erschienenen Studie »Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert«270 den Versuch unternommen, die Staatsbürgerwerdung der in Deutschland lebenden Juden mithilfe des von Pierre Bourdieu, einem französischen Soziologen, entwickelten Begriff des »kulturellen Kapitals« zu deuten. Demnach begründet sich gesellschaftliche Ungleichheit nicht nur durch die ungleiche Verteilung von materiellem Reichtum, also ökonomischem Kapital, sondern auch und zumal durch die ungleiche Verteilung von sozialem Kapital, d. h. von Beziehungen und – nicht zuletzt – von kulturellem Kapital.271 Dieses Kapital existiert in Form von kulturellen Gütern, also in Form von Bildern, Büchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kritiken, Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklicht haben – es grenzt nach Bourdieu an »inkorporiertes« kulturelles Kapital, das sich auf eine bestimmte Körpergebundenheit, den körperlichen Habitus, zurückführen lasse. Gleichwohl dürfte sich Lässigs Vermutung, dass für eine kulturelle Verbürgerlichung die Tiefenstrukturen des berührt und verändert werden müssen, mutatis mutandis auch auf die Fälle von Hans-Joachim ­Schoeps sowie Max Samter bzw. seinem literarischen Alter Ego, Herbert, zutreffen. Das in der Erzählung immer wieder aufgerufene »Blut«, also die Herkunft, unabhängig von allen Verhaltensweisen, die Personen an den Tag legen, steht tatsächlich nicht zur Disposition, sie kann zwar verborgen oder verheimlicht, jedoch nicht negiert, sondern allenfalls umgedeutet werden. Wird die zugeschriebene Herkunft von der jeweils relevanten Bezugsgruppe abgelehnt, ja – mehr noch – verächtlich gemacht, so wirkt die Zuschreibung beschämend, sie kann sogar zur Selbstverachtung führen – eine Wirkung, der sich nun auch Max Samters Held Herbert mit aller Kraft erwehren muss. Der Leiter musste auf das Bekanntwerden von Herberts Judentum reagieren: Ein peinlicher Zwischenfall, der beigelegt werden mußte? Er wandte den Kopf zum Leiter des Lagers. (…) Der Leiter, ein junger Mensch, kaum älter als Herbert, was stehen geblieben. Auch aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen. (…) Unbemerkt von den meisten erhob sich Herbert, umschritt noch einmal den Tisch und bat, mit wenigen Worten, um seine Entlassung aus dem Lager. Der Leiter sah ihm lange in die Augen. Dann gab er ihm die Hand »Ich wünsche Dir alles Gute, Herbert« sagte er warm.272

Samter lässt dieser halbwegs realistischen Erzählung ein theologisches Nachspiel im Himmel folgen: Theologische Parabeln – das hat später etwa die Aus104

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einandersetzung von Hans-Joachim Schoeps mit Franz Kafka gezeigt – waren ein damals bekanntes und eingängiges Mittel, existenzielle Probleme darzustellen und zu entfalten. Auch der damals 26 Jahre alte Max Samter versuchte sich in diesem Genre – er fügt seiner Erzählung als Schlusswort eine theologische Parabel an: »Gott aber saß im Kreise der Himmlischen und sah lächelnd auf die Erde herab. Was die Gebete der angstvollen Völker der Erde, was die Bitten der Heiligen nicht vermocht hatten, das hatte die Stimme des Einen erreicht, der nun dem Tale und der Heimat zuschritt.« Der Versuch dessen, was damals als »Assimilation« galt, also einer beinahe unterschiedslosen Angleichung in Haltung, Verhalten und dokumentierter, nach außen hin demonstrierter Zugehörigkeit, war gescheitert – als eine Form des Vergessens der Herkunft musste sie zu jenem zurückkehren, was das Vergessen hinter sich lassen wollte. In der Situation der Bedrängnis der deutschen Judenheit, den Juden von außen durch Antisemitismus und nun durch den Nationalsozialismus aufgenötigt, erweist sich ihr Judentum als Quell neuer Kraft – wenngleich der Weg zu diesen Ursprüngen steinig war: Die Wege waren nicht grade und bequem (…) Gott sah über der unendlichen Verzweiflung schon den trotzigen Stolz, der zur endlichen Einsicht führte. Auch er wußte um die Schmerzen seiner Kinder. Aber wo die Engel nur das Wehklagen hörten, blühte in Gott schon das bunter Licht der Blumen, die auf der Erde wuchsen, in die das dunkle Blut geflossen war.«273

Als sei es dem Autor bewusst gewesen, dass zumal diese Parabel die Grenzen des guten literarischen Geschmacks mindestens berührt, wenn nicht schon überschritten hatte, gab er seiner Erzählung für die Veröffentlichung schließlich noch ein Nachwort mit auf den Weg: Es ist die Erfahrung der Ohmnacht und der offen eingestandenen Ratlosigkeit angesichts des Geschehens, das jedenfalls bei Max Samter und seinen Freunden einer politisch, gar gesellschaftstheoretischen Analyse, Einordnung und Stellungnahme nicht zugänglich ist. In dieser Situation und dem aus ihr folgenden Bekenntnis aber tröstet uns nicht die mitleidige Gebärde, die Hilflosigkeit überbrücken will, sondern die merkwürdige Erfahrung, daß da, wo der Kopf die Dinge nicht mehr begreift das Herz die selbstverständlichen Entscheidungen trifft. Wir wagen es, in diesem Vertrauen einen Trost zu sehen und wir glauben, daß diese Erzählung ihre Rechtfertigung durch die nachtwandlerische Sicherheit erhält, mit der ein junger Mensch sich im Augenblick der höchsten Verwirrung entscheidet und bindet.274 Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Literaturwissenschaft und Intellektualgeschichte der Weimarer Republik haben – nicht zuletzt mit Bezug etwa auf Carl Schmitt und Ernst Jünger – nachgewiesen, dass der »Dezisionismus«, im Einklang mit Motiven nicht zuletzt der Heidegger’schen Existenzialontologie seit »Sein und Zeit« das Selbstverständnis zumal junger Intellektueller damals geprägt hat. Dabei sind jene existenzbestimmenden Entscheidungen keiner rationalen Begründung fähig – sie treten plötzlich auf – mit »nachtwandlerischer Sicherheit«. Auf jeden Fall geht es auch um die Instanz des Gewissens, also innerer Selbstverantwortung: Denn es kann heute für uns nur eine Haltung geben, in der wir mit freiem Gewissen bestehen können: nicht die Überheblichkeit dessen, der ein Recht auf seiner Seite glaubt und noch im Leid den Stolz auf eben dieses Leid in sich erfährt, sondern die einfache Gewißheit alles Lebenden, dem auch in der Bedrohung und Fragwürdigkeit Aufgabe und Raum in der Welt unverlierbar zugeteilt ist275

Erstaunlich ist es jedenfalls, dass der Erzähler in seinem Nachwort programmatisch darauf verzichtet, seine widerrechtlich eingeschränkten Rechte, seine Bürgerrechte aufzubieten: Menschen, die dies tun, werden der »Überheblichkeit« geziehen. Anstatt ihrer beschwört auch dieser Erzähler ein »Schicksal«, das endlich zu sich selbst kommt, aus der – in Heidegger’schen Begriffen – »Uneigentlichkeit« in die »Eigentlichkeit«. Den deutschen Juden – so das Fazit dieser Erzählung ergeht es »in unserer Lage« wie Seeleuten und Bergsteigern, die wieder und wieder, ungeachtetet aller Risiken, einen gefährlichen Lebensweg auf sich nehmen. Dieser gefährliche Lebensweg gipfelte in Herberts, dem Helden der Erzählung, stolzem Bekenntnis zu seinem Judentum – Bekenntnis zu einem Leben, das jederzeit von Vernichtung bedroht ist, dem aber unter keinen Umständen der Rücken zu kehren ist. Mindestens nicht in existenzieller Hinsicht – Leib und Leben sind durchaus der Rettung fähig, was Max Samter mit seiner in letzter Minute vollzogenen Flucht in die USA unter Beweis gestellt hat. Ähnlich und doch anders ergriff die zionistische Jugendbewegung in jenen Jahren mehr und mehr jüdische Jugendliche: So schildert ein nach Palästina ausgewanderter jüdischer Jugendlicher, Josef Stern, das Leben im inzwischen zionistisch gewordenen »Jüdischen Pfadfinderbund Blau-Weiß« in einer typischen Szene aus dem Jahr 1933: Wie meistens sonntags, trafen wir uns frühmorgens am Gemeindehaus. Ein jeder hatte seine Kluft an, weißes Hemd, das blaue Dreiecktuch über der Brust zopfartig hängend

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und oben mit einem Ring zusammengehalten, unter dem Hemdkragen ein Ende des Tuches dreieckig hervorlugend und den oberen Rücken bedeckend. Horst, unser Madrich, brachte die Wimpel mit und befestigte sie am oberen Ende des Bambusspeeres.276

Bekanntlich schränkte die nationalsozialistische Regierung nach dem 30. Januar 1933 die Aktivitäten der jüdischen Jugendbewegung erheblich ein und verbot 1936 all jene Gruppierungen, die erklärtermaßen nicht zionistisch waren, wie die dem »Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens nahestehenden« Kameraden, während die zionistischen oder als zionistisch geltenden Jugendorganisationen noch eine Weile ihre Aktivitäten aufrechterhalten durften – nicht zuletzt Fahrten durch das nationalsozialistische deutsche Reich. Gleichwohl waren auch diese Gruppen, obwohl nicht förmlich verboten, erheblichen Anfeindungen vor allem durch die HJ ausgesetzt. Seit 1934 etwa wurde in vielen Orten das Tragen jugendbewegter Kluft für jüdische Jugendliche verboten.277 Der deutsche, nach Palästina emigrierte Jude Josef Stern berichtet in seinen Memoiren eine entsprechende Szene aus dem Jahr 1933, in der also Josef Brumlik, ein 1913 als Sohn eines Giessener Möbelhändlers geborener Jugendleiter wiederum eine herausragende Rolle einnimmt: »Hinter niedrigem Buschwerk senkte sich das Gelände. Da hockten und lagen sie versteckt, die in den braunen Uniformen, eine ganze Horde. Ruhig stand er da, unser Madrich, mit seinem Pfadfinderhut und der Schulterkordel muß er wohl Autorität erzwungen haben. Stille herrschte. Nach einer Weile kam’s hinter einem Baumstamm, fünfzig Meter entfernt, kreischend hervor: »Deutschland erwache!« – und »Juda verkrache« schrien darauf die Nazibuben. Horst stand weiterhin vollkommen still, seine Augen scharf auf jenen Baumstamm gerichtet (…) Der Kreischende kam nun hinter seinem Versteck hervor (…) schreiend sagte er. »Da habt ihr wohl ’ne schöne Überraschung bekommen ihr Judenschweine, und jetzt macht, daß ihr schleunigst wegkommt von hier!« (…) Mit vollkommen ruhiger Stimme sagte nun unser Madrich: »Sie haben weder das Recht noch die Befugnis, uns unser Hiersein zu verbieten.«278

Nach der Schilderung eines Handgemenges erwähnt Stern noch einmal das Verhalten von »Horst«: »Die Mädchen und die Jungen vom jüdischen Jugendbund hörten ermunternde Worte. Von unantastbarer Ehre, vom Mut, niederer Gesinnung mit Standhaftigkeit zu begegnen und von der hohen Auszeichnung, dem jüdischen Volk anzugehören.«279 1934, so berichtet es die Historikerin Dagmar Klein-Reesink, schlossen sich in Essen der »Jüdische Pfadfinderbund Deutschlands« (IPD) und die JugendMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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gruppen des »Makkabi«-Sportverbandes zum »Jüdischen Pfadfinderbund – Makkabi-Hazair« zusammen, um weiterhin klassisches bündisches Leben zu führen und sich aus politischen Dingen im engeren Sinne herauszuhalten. Vielmehr sei man in der Überzeugung aufgetreten, dass es an sich ein genügender Wert war, wenn man die Idee der Pfadfinderei (…) durchführte, zusätzlich mit einem jüdischen Akzent. Das heißt, dass man zwar immer noch Landsknechtslieder sang (…), aber dann wieder Palästinakunde betrieb und sich mehr und mehr ausrichtete, selbst nach Palästina zu gehen.280

Gegen diese Aktivitäten und Bestrebungen richtete sich der »Vortrupp«, richteten sich junge Leute wie Hans-Joachim Schoeps und Max Samter, der in seiner Erzählung »Die Versuchung« das Hin- und Hergerissensein eines deutsch-­ jüdischen Jugendlichen zwischen seinem Bekenntnis zum Deutschtum und seiner denn doch schmerzlichen Einsicht, jedenfalls zu diesem Deutschland nicht dazugehören zu können, nicht dazugehören zu dürfen. Früher oder später, daran lässt die Erzählung keinen Zweifel, müssen Herbert und seine nichtjüdischen Kameraden im »Arbeitslager« seine »Andersartigkeit« zur Kenntnis nehmen. Er war hierher gekommen, heiter und ohne Beschwerde und sie hatten ihn genommen, wie er war, er hatte harte Fäuste und packte mit an, und das galt ihnen mehr als die Stunde, die er für sich behielt. Gewiß sie sprachen auch von Dingen, die ihn schmerzten. Die Juden waren nicht wichtig. Was kam es darauf an, daß ein paar auswandern mußten, ein paar von vorn beginnen: man wußte sowieso nicht recht, woran man mit ihnen war. Und es war offensichtlich, daß sie sich nicht gut benommen hatten: waren doch ihre eigenen Zeitungen voll davon! Aber während Herbert in den ersten Wochen dabeigestanden hatte und dachte: vielleicht habt ihr Recht, vielleicht ist das alles nicht wichtig gegenüber dem Kampf um die Arbeitslosen, um Licht und Luft für sechzig Millionen, vielleicht haben die Juden schuld an allem, was geschehen ist, weil sie es geduldet haben – bin ich denn dann aber ein Jude?281

Die Passage belegt, wie sehr die nationalsozialistische Propaganda allem offenen Antisemitismus zum Trotz jedenfalls in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft auch noch das Bewusstsein keineswegs nur willentlich preußischer Juden erfasst hatte – so sehr, dass sie darüber zum Teil bereit waren, auch die eigene Diskriminierung und Stigmatisierung mehr oder minder achselzuckend hinzunehmen – schließlich war Antisemitismus eine Erscheinungsform der deutschen Gesellschaft, an die sie bereits gewohnt waren – spätestens 108

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seit der sogenannten »Judenzählung« während des Ersten Weltkriegs im Jahre 1916. Angesichts der angekündigten Behebung der Not des ganzen Volkes schien Judenhass hinnehmbar. Jedenfalls dann, wenn man – wie viele preußische Juden, anders als der »Centralverein«, nicht strikt bürgerrechtlich dachte. Ja, es gab nicht ganz wenige Juden, die »preußisch« empfanden – sei es im »Reichsbund jüdischer Frontsoldaten«, sei es im von Max Naumann 1921 gegründeten »Verband nationaldeutscher Juden«, der sich nicht zuletzt gegen die etwa ins Berliner Scheunenviertel eingewanderten, als auffällig geltenden Ostjuden wandte. Naumann, 1875 geboren, ein im Krieg mehrfach hoch ausgezeichneter Offizier, Jurist sowie Mitglied der nationalliberalen Deutschen Volkspartei, brachte sich 1935, nachdem sein Verband im November aufgelöst worden war, nach kurzer Haft bei der Gestapo im Dezember 1935 um. Sein Verband sah im Betonen jüdischer Eigenständigkeit eine Ursache von Rassismus und Antisemitismus, war zudem bereit, in Hitler eine bedeutende Persönlichkeit zu sehen, einen »deutschen Gott« anzuerkennen und christliche Feiertage zu begehen. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem in Eberswalde geborenen Erich Lindemann. Erich Lindemann wurde am 1. Juli des Jahres 1934 im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches ermordet. Als Sohn des jüdischen Ehepaars Nathan Lindemann und dessen Frau, einer geborenen Rosenthal, 1894 in Eberswalde geboren, studierte er nach Schulbesuch und Teilnahme am Ersten Weltkrieg, in dem er mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde, Medizin. Unter seinem Namen finden sich zwei Dissertationen: einmal eine medizinische Dissertation zum Thema »Hypertrophische Lebercirrhosen im Kindes- und Säuglingsalter« aus dem Jahr 1920 in Berlin, zum zweiten ein Werk mit dem Titel »Untersuchungen über primitive Intelligenzleistungen hochgradig Schwachsinniger und ihr Verhältnis zu den Leistungen von Anthropoiden«, das 1926 als Dissertation bei der medizinischen Fakultät der Ludwigs-Universität zu Gießen eingereicht wurde. Nach dem Studium praktizierte Lindemann als Lungenfacharzt in Glogau, wo er ein eigenes Sanatorium betrieb. Lindemann wurde in den 1920er-Jahren als ein Führer des »Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten« bekannt, der gegründet wurde, als der Veteranenverband »Stahlhelm« erklärt hatte, keine Juden als Mitglieder zu dulden. Erich Lindemann, dieser deutsche Jude und ehemalige Frontsoldat sowie Leiter einer jüdischen Jugendsportgruppe in Glogau, war den Nationalsozialisten gerade wegen seines Bekenntnisses zum Deutschtum ein Dorn im Auge, sodass sie ihn am 1. Juli 1934 ermordeten. So erteilte der Leiter der SD-Außenstelle in Breslau, Obersturmführer Laube, am NachMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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mittag des 1. Juli 1934 dem Führer der SS-Standarte Glogau, SS Standartenführer Bredemeier, telefonisch den Befehl, Lindemann töten zu lassen. Dieser schickte daraufhin ein vierköpfiges SS-Kommando mit der Anweisung los, den Arzt zu erschießen. Das Kommando traf Erich Lindemann im Garten seines Sanatoriums in Glogischdorf an und forderte ihn auf, sie in den nahegelegenen Hochwald zu begleiten. Während zwei SS-Männer beim Wagen zurückblieben, führten die übrigen beiden Männer (Schmidt und Herbert Bischoff) ihren Gefangenen 200 Meter in den Wald hinein … Schmidt eröffnete Lindemann dort knapp, dass er zum Tode verurteilt sei, und feuerte ihm aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern mit zwei Pistolenschüssen in den Kopf. Der Leichnam wurde zunächst an Ort und Stelle vergraben, später jedoch aufgefunden und der Polizei übergeben. Dieser Mord hatte übrigens eine Nachgeschichte, die für die frühe Bundesrepublik, auf Friede mit den ehemaligen Nationalsozialisten bedacht, typisch war: Der mörderische Schütze, der SS-Mann Herbert Bischoff, wurde 1952 wegen Mordes an Lindemann vor Gericht gestellt: Zunächst am 10. Oktober 1952 vom Schwurgericht Kassel wegen Mordes zu lebenslanger Zuchthaushaft verurteilt, wurde das Urteil am 8. Juli 1970 durch das Landgericht Kassel aufgehoben und zu »Beihilfe zum Mord« herabgestuft. Die Strafe wurde zu fünf Jahren Haftzeit abgemildert. Max Samter, dem Autor der »Versuchung«, blieb ein derartiges Schicksal ob seiner Flucht in die USA erspart. Seine Erzählung erhellt freilich, aus welchen Motiven heraus, junge jüdische Männer zu derartigen Einstellungen kamen, zu Einstellungen, die letztlich den Antisemitismus als kleineres Übel akzeptierten. Herbert, der Protagonist der Erzählung, verliert ganz und gar seine noch jugendliche Unbefangenheit, fühlt sich an den abendlichen Vergnügungen im Dorfe, etwa beim Tanz fremd, bleibt aber dennoch bei seiner Gruppe des Arbeitslagers, sogar bis zu einem Augenblick, in dem er durch mutiges, ihn auch körperlich verletzendes Eingreifen beim Fällen eines Baumes Kameraden retten konnte. Das wurde anerkannt und gelobt, indes: War er nicht am Ziel seiner Wünsche? War es nicht immer sein tiefstes Sehnen gewesen, ganz zu ihnen zu gehören, die ihre Seele an die Heimat gaben und sich mit ihrem Blut ein Land erwarben, in dem die Fahnen wieder leuchtend wehten? Dieses Land, das nun auch sein Blut trug: in warmen roten Tropfen war es es von dem Boden aufgesogen worden, auf dem er seine schönsten Stunden verbracht hatte.282

»Blut« – was derzeit, im 21. Jahrhundert nur noch atavistisch, ja rassistisch anmutet, war in den 1920er-Jahren eine allseitig gebrauchte Metapher 110

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für Abstammung und Zugehörigkeit. Es waren keine geringeren als Franz Rosenzweig und Martin Buber, die sich dieser Ausdrucksweise immer wieder bedienten, wie etwa Caspar Battegay in seiner Studie »Das andere Blut. Gemeinschaft im deutsch-jüdischen Schreiben 1830–1930«283 nachgewiesen hat. Aus dieser Position eines heroischen Realismus wendet sich der »Vortrupp« »Wider Assimilanten und Zionisten – als Juden«, und zwar in Sätzen, die sich in allererster Linie gegeg das nationalliberale Judentum, mehr aber noch gegen Marxisten und Sozialisten wenden: »Diese Assimilation, wie sie sie verstanden, haben die Liberalen in der Form betrieben, daß sie – Gradunterschiede zugegeben – aufgrund der Forderung nach Gleichheit all dessen, was Menschenantlitz trägt, alle herrschaftlichen Gliederungen und objektiven Ordnungsformen kritisch-intellektualistisch zersetzt haben, um durch die Propagierung abstrakt-humaner Gedankengänge die Art- und Wesensgleichheit aller Menschen und damit auch die Gleichberechtigung der Juden zu erweisen.« (…) »Diese abstrakt-­ humanen Gedankengänge, die sich mit Vorliebe den Gesellschaftsvorstellungen des marxistischen Sozialismus verbanden, waren geeignet, alle politischen Beziehungen in merkantile umzufälschen und organische Gemeinschaftsformen zu organisatorischen Gesellschaftsformen auszuhöhlen.«284

Der sichtlich mit den soziologischen Arbeiten von Ferdinand Tönnies vertraute Schoeps, der sich aus heutiger Sicht durchaus des einen oder anderen Begriffs aus dem »Wörterbuch des Unmenschen« bediente, beschloss diese Philippika mit einem Seitenhieb auf das Werk des damals auch in der jüdischen Welt maßgeblichen neukantianischen Philosophen Hermann Cohen, auf dessen postum 1918 erschienene »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«: Ihre das Konkrete verflüchtigende Denkart hat aus der jüdischen Religion eine allgemeine Ethik gemacht, die schließlich durch einen – um den preussischen Staatshintergrund reduzierten – Kantianismus ersetzbar wurde. Dieses ethische Formelgebäude aber wurde als universale Religion ausgegeben, um nur ja den Charakter der jüdischen Religion zu verwischen, deren Grundsätze und Verheißungen tatsächlich aber samengebunden sind.285

Diese Bemerkung macht es unerlässlich, genauer auf das Verhältnis des Königsberger Philosophen zum Judentum bzw. der deutschen Juden zu Immanuel Kant einzugehen. So hat Carsten Wilke seiner Studie über die Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne nicht zufällig den Titel »Den Talmud und den Kant«286 gegeben. Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Tatsächlich wandte sich Schoeps vor allem gegen den jüdischen Kantianismus, den beinahe die meisten deutsch-jüdischen Philosophen und Theologen als zutiefst wesensverwandt sahen: Immanuel Kant, der größte Philosoph deutscher Sprache, respektierte den jüdischen Glauben, genauer gesagt: dessen zentrale Idee, mindestens so sehr, wie er die Juden als Volk missachtete. Das hinderte ihn nicht, zu einzelnen Juden geradezu herzliche Beziehungen aufzunehmen, um sich gegen andere wiederum in einer Weise zu verhalten, die nur als ressentimentgeladen zu bezeichnen ist. Kant lebte in Königsberg, einer Stadt, die ihm selbst als Inbegriff von Weltoffenheit galt und die in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde von etwa 400 Personen zählte. Neben Berlin wurde Königsberg im 18. Jahrhundert zur Wiege der jüdischen Aufklärung, der Haskala.287 Seit 1712 besuchten jüdische Studenten die dortige überaus renommierte Universität, fanden persönlich emanzipierte, wohlhabende jüdische Familien allmählich Zugang in die christliche Gesellschaft, unter ihnen der Textilfabrikant David Friedländer288, der als Schüler Moses Mendelssohns zu einem der Vorreiter der jüdischen Aufklärung werden sollte. Der später in Berlin praktizierende Arzt Marcus Herz (1747–1803) wurde einer der ersten Anhänger Kants, der ihn zum Respondenten seiner Dissertation bestimmt und mit ihm jahrelang – vor Erscheinen der »Kritik der reinen Vernunft« – korrespondiert hatte. Herz wurde später zu einem der ersten Populisatoren der kantischen Lehre. Eine weitere Freundschaft verband den damals erheblich jüngeren Kant mit dem bereits berühmten Moses Mendelssohn, dessen rationalistische Theologie Kant zwar vernichtend kritisieren sollte, den er indes persönlich mit äußerstem Respekt behandelte. Nach einem Besuch Mendelssohns in Königsberg im Jahr 1777 bat Kant seinen Briefpartner Marcus Herz, ihm die »Freundschaft dieses würdigen Mannes zu erhalten«.289 Minder vorteilhaft ließ sich Kant über einen anderen jüdischen Philosophen, über das autodidaktische Genie Salomon Maimon, aus, dem er in einem Brief an Reinhold aus dem Jahr 1795 vorhielt, seine kritische Philosophie nachzubessern – »dergleichen die Juden gerne versuchen, um sich auf fremde Kosten ein Ansehen von Wichtigkeit« zu geben290. Auch in Tischgesprächen wurde Kants Ressentiment deutlich – 1798 gab er zu Protokoll, dass die Juden, solange sie Juden bleiben, der bürgerlichen Gesellschaft nicht nützlich werden könnten: »Jetzo sind sie die Vampyre der Gesellschaft.«291 In der »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht« schließlich ist in einer Fußnote gar von den »unter uns lebenden Palästinensern« die Rede, einer »Nation von Betrügern«292.Man mag das alles dem empirischen Menschen Kant zurechnen – wie verhielt sich sein systematisches Denken zum Judentum? Vor 112

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allem: Wie soll man heute – nach der Massenvernichtung der europäischen Juden – einen Satz lesen, der sich in Kants nachgelassenen Reflexionen zur Moralphilosophie findet: »Die Euthanasie des Judentums ist die reine moralische Religion mit Verlassung aller Satzungslehren, deren einige im Christentum noch zurück behalten bleiben müssen (…).« Im Unterschied zur nachnationalsozialistischen Gegenwart war im Zeitalter der Aufklärung »Euthanasie« noch der Inbegriff eines guten, in Würde und ohne Leiden vollzogenen Sterbens, dem überhaupt nichts Verächtliches anhaftete. »Euthanasie des Judentums« hieß für Kant nichts anderes, als dass diese Religion ihren Charakter als eine »statutarische Gesetzesreligion«, die nicht zureichend zwischen politischer Legislation und moralischen Prinzipien schied, aufgeben sollte, um zum Inbegriff einer reinen moralischen Religion zu werden. Die vom lutherischen Protestantismus vorgegebene Verketzerung der »Gesetzesreligion« trieb im Übrigen keineswegs nur Kant um, sondern war schon die zentrale Frage, an der sich Mendelssohn in seinem Hauptwerk »Jerusalem« abarbeitete. Bestrebungen, das Judentum in eine reine moralische Religion jenseits aller Riten umzuwandeln, meinte Kant unter den jüdischen Aufklärern Königsbergs und Berlins zu beobachten; an ihren Kämpfen nahm er vermutlich stärker Anteil als an vergleichbaren Konflikten im Bereich der christlichen Kirchen. Wie hoch Kants Achtung vor der von ihm so verstandenen Idee der jüdischen Religion war, lässt sich einer Bemerkung aus der 1790 erschienenen »Kritik der Urteilskraft« entnehmen: Vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden als das Gebot: Du sollst Dir kein Bildnis machen, noch irgend ein Gleichnis (…) Dieses Gebot allein kann den Enthusiasmus erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, wenn es sich mit anderen Völkern verglich, oder denjenigen Stolz, den der Mohammedanism einflößt.293

Kants ambivalente Haltung zu Judentum und Juden entsprach vonseiten der deutschen Juden eine beinahe bedingungslose, ja geradezu blinde Liebe – jedenfalls bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. Damals begannen sich junge jüdische Intellektuelle, von Zionismus und neuer Religiosität beflügelt, von Kant und seinen jüdischen Deutern abzuwenden. Beinahe entnervt wies etwa Franz Rosenzweig 1923 Martin Buber darauf hin, »dass wir unser geistiges Judesein abhängig glauben von der Frage, ob wir Kantianer zu sein vermochten oder nicht (…)«. Gleichwohl: Immanuel Kant war für die Entwicklung jüdischen Selbstverständnisses in Deutschland – sei es in seiner auf der Aufklärung beruhenden liberalen, sei es in seiner auf einer Erneuerung der TradiMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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tion bestehenden neoorthodoxen Spielart – der wesentliche, der maßgebliche Autor. Das galt zumal für die Orthodoxie. Solange Isaac Breuer (1883–1946), die führende Persönlichkeit der deutschen Neoorthodoxie im frühen 20. Jahrhundert, vor der Emigration nach Palästina im Jahr 1936, in Frankfurt am Main lebte, hing in seinem Arbeitszimmer ein großes Bild Kants. Gleichwohl bekennt Breuer in einem autobiographischen Rückblick, dass er sich als Jurastudent in Marburg nie dazu entschließen konnte, auch nur eine einzige Vorlesung Hermann Cohens zu hören.294 Hermann Cohen (1842–1918) jedoch, der bedeutendste jüdische Kantianer, einer der ganz wenigen ungetauften jüdischen Professoren bereits im Kaiserreich, erneuerte mit Kant nicht nur die Methodologie der Wissenschaften, sondern auch die systematische Begründung des jüdischen Glaubens. Sein postum 1918 erschienenes Werk »Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« enthält, lange vor Buber und Rosenzweig, nichts weniger als eine auf der Basis biblischer Quellen begründete Lehre vom Menschen als Mitmenschen, dem in unbedingter Achtung und in universaler Geltung zu begegnen sei. Cohen, der nicht erst mit dieser Schrift zum systematischen Begründer eines liberalen Judentums wurde, stand in seiner Verehrung Kants dem Begründer der deutschen Neoorthodoxie, Samson Raphael Hirsch (1808–1888), kaum nach. Hirsch sah in Kants Ethik »Urjüdisches« genau dort, wo Kant einer absoluten sittlichen Pflicht das Wort redete, die er jedoch – anders als Kant – nicht in der menschlichen Autonomie, sondern in der Absolutheit der göttlichen Weisung, der Tora, erkannte. Es war Hermann Cohen, der immer wieder auf der »innersten Verwandtschaft« von Judentum und Kantianismus beharrte und somit einer Wahlverwandtschaft das Wort redete, der im 19. Jahrhundert nicht nur jüdische Kantianer wie Salomon Ludwig Steinheim entsprachen, sondern der auch im 20. Jahrhundert noch ein ebenso orthodoxer wie radikaldemokratischer Gelehrter wie der israelische Wissenschaftler Jeschajahu Leibowitz nacheiferte295. Die jüdischen Denker verspürten in der Unableitbarkeit und Absolutheit des kantischen Sittengesetzes, das sich im Kategorischen Imperativ auslegte, nicht bloß einen Widerhall, sondern doch eine andere Gestalt jener gebieterischen Stimme von Sinai, die Israel anhielt, erst zu tun und dann zu hören. Indem Kantianismus wie Judentum – anders als verschiedene Formen von lutherischem Protestantismus und Materialismus – die sittliche Freiheit des Menschen, d. h. seine moralische Autonomie ebenso beglaubigen wie die unhintergehbare Existenz einer absoluten moralischen Forderung – »du kannst, denn du sollst« –, zehren sie vom gleichen Kern menschlichen Selbstverständnisses als moralische Wesen. In dieser Hinsicht stimmen sowohl Kantianismus und Judentum als auch inner114

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halb des Judentums einander entgegengesetzte Strömungen überein; worin sie sich unterscheiden, ist die Beurteilung der jüdischen Weisung – bzw. dessen, was ihren Kern ausmacht – bzw. ob es überhaupt legitim ist, zwischen wesentlich und unwesentlich, zwischen bloßem Ritual und sittlichem Kerngehalt zu unterscheiden. Kant, daran ist ein Zweifel nicht möglich, hätte und hat in dieser Hinsicht aufseiten der jüdischen Reformer von David Friedländer über Saul Ascher bis zu Hermann Cohen gestanden, und es fiel der sich ebenfalls auf Kant berufenden Orthodoxie schwer, Kant – wie Isaac Breuer das tun wollte – als Jude und nicht nur als Philosoph zu lesen. Anders als Hermann Cohen, der im Judentum die zur Religion gewordene kantische Ethik sah, verstanden hat und die Neoorthodoxie Kant als einen Philosophen, der trotz seiner christlichen und aufklärerischen Wurzeln dem Judentum in der Sache so nahe gekommen war wie kein Denker vor ihm. Kant, das steht fest, war persönlich ein Juden gegenüber ressentimentgeladener, Ausnahmen durchaus berücksichtigender Antisemit, aber mit Sicherheit kein Vordenker von Rassenantisemitismus oder gar der Massenvernichtung. Ohne Immanuel Kant hätte es das deutsche Judentum in seiner klassischen, von den Nationalsozialisten vernichteten Gestalt nicht gegeben. Aus der distanzierten Sicht eines frankophonen, von der Phänomenologie geprägten nordafrikanischen Juden ist das Jacques Derrida mit geradezu unheimlicher Genauigkeit aufgefallen. Der Titel eines 1990 verfassten Textes über Hermann Cohen und Franz Rosenzweig lautet: »Interpretations at War. Kant, the Jew, the German.« Man tut Derrida gewiss kein Unrecht, wenn man seinem komplexen Text entnimmt, dass Kant als Philosoph ein Jude im geistigen Verstande war.296 Es ist in der Tat auffällig, dass Hans-Joachim Schoeps, der doch stets ein großer Verehrer Preußens und seiner Kultur war, zu Kant überhaupt kein Verhältnis gewinnen konnte – es wird Kants letztlich menschheitlicher Universalismus und seine Philosophie der Autonomie gewesen sein, der Schoeps von einem Akzeptieren Cohens abhielt, ja geradezu abstieß. Auf der Basis dieser Grundsatzentscheidungen für ein glaubensgebundenes, nicht nur ethisch orientiertes Judentum postulierte Schoeps dann fünf »dringliche Aufgaben« für die von ihm gegründete Organisation »Vortrupp«, nämlich vor allem die »Beschleunigung der unbedingt notwendigen Trennung von deutschen und undeutschen Juden sowie Erfassung aller deutsch-bewussten Juden unter einheitlicher autoritärer Führung bei möglichster Umgehung der alten Organisationen und ihrer überholten Ansprüche (…)«297 sowie die Forderung, dass die jüdischen Gemeinden von politischen Verwaltungsapparaten »den strengen Charakter religiöser Körperschaften«, d. h. für Schoeps wieder die Form des »altjüdischen Rabbinats« annehmen sollen, da in die Lage versetzt werden Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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soll, »Personen, die in ausgesprochen unkonservativem Sinne wirken, sich also judentumfeindlichen Mächten,wie z. B. Marxisten weiland in Deutschland und jetzo in Palästina aus der jüdischen Religionsgemeinschaft auszuschließen«.298 Ohne jede Selbstgerechtigkeit Nachgeborener fragt sich gleichwohl, ob vor dem Hintergrund des auch vom frühen Schoeps immer betonten Bekenntnis zum »Klal Jissrael«299, also der Gemeinschaft des Volkes Israel, eine Entsolidarisierung mit jenen Juden, die weder eine deutsche Staatsbürgerschaft ihr eigen nannten noch gar »deutschbewusst« lebten, schlüssig und widerspruchsfrei vertretbar war. Auch fragt sich, ob und in welchem Sinne das Rabbinat in der späten Antike Menschen aus der jüdischen Religionsgemeinschaft faktisch – d. h. bis zum Synagogenverbot – ausschließen konnte. Immerhin konnte schon Schoeps wissen, dass in rabbinischer Zeit jedes Kind einer jüdischen Mutter Jüdin oder Jude war. Tatsächlich scheint der junge Schoeps nicht bemerkt zu haben, dass die von ihm sogenannte »jüdische Religion« einen ethnischen Grundzug trug, an den der von ihm abgelehnte und bekämpfte Zionismus später erfolgreich anschließen konnte. Vor allem: Als ob es selbstverständlich wäre und als ob nicht auch die Nationalsozialisten eine »judentumsfeindliche Macht«300 waren, benennt Schoeps hier insbesondere Marxisten in Deutschland und Palästina, also linke Zionisten. Mit einer nationalsozialistischen Reichsregierung zu verhandeln, schien demgegenüber – unverständlicherweise aus heutiger Sicht – unproblematisch. Immerhin, um all dies zu klären, hat, wie Schoeps berichtet, der »Vortrupp« einen »Theologischen Arbeitskreis für jüdische Erneuerung« eingesetzt. Hauptsächlich sein Bekenntnis zur nationalsozialistischen Reichsführung begründet Schoeps dann – vermeintlich theologisch – mit einem berühmt gewordenen Talmud-Zitat: In »Ketubboth« 13a forderten die Rabbanim, daß das Volk Israel nach Gottes Wille »in welchem Staate sie auch leben mögen, nichts gegen die Gesetze dieses Staates unternehmen, nicht gegen seine Regierung sich empören oder auflehnen sollen« – »Dina de Malchut«, so das aramäische Kürzel »Dina!«. Dass es nach demselben Talmudtraktat auch den Völkern der Welt untersagt ist, das Volk Israel zu bedrängen, unterschlägt Schoeps. Anlässlich der »Hohen Feiertage« des Jahres 1933 deutet der bereits benannte »Theologische Arbeitskreis« die Bedrängung der deutschen Juden als göttliches Strafgericht ob des Abfalls vom Gesetz der Thora, also »Züchtigungen«. »Züchtigungen sind der Weg zum Leben, offenbaren den Willen des Schöpfers, durch die Geschichte der Schöpfung ihren Ursprung. Der Wille des Ursprungs aber heißt Umkehr.«301 Zur Bestätigung dieser Position zitiert der »Vortrupp« eine Stellungnahme des aus Frankreich stammenden orthodoxen Ansbacher Rabbiners Elie Munk, 116

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der in seiner 1933 erschienenen Schrift »Judentum und Umwelt« tatsächlich schrieb: Ohne den Antisemitismus würde jedoch der Nationalsozialismus in den überlieferungstreuen Juden seine treuesten Anhänger finden … Vor allem aber hat sie (die NS-­ Bewegung, M. B.) die gefährlichste Geißel der Gegenwart ausgerottet, nämlich die Gottlosenbewegung (…) All diese Maßnahmen liegen vollkommen in der Richtung unseres religiösen Wollens.302

Der 1900 in Paris geborene und 1981 in New York gestorbene Elie Munk hatte im orthodoxen Hildesheimer’schen Rabbinerseminar zu Berlin studiert, um von 1927 bis 1937 in Ansbach als Rabbiner zu wirken. 1940 von Paris nach Nizza geflohen, gelang ihm 1942 die Flucht in die Schweiz, um nach dem Krieg zunächst wieder in Paris, dann – ab 1973 – in New York zu wirken. Soweit ersichtlich, hat Munk auch nach dem Krieg niemals zu seinen Fehleinschätzungen Stellung bezogen. Freilich war Elie Munk nicht der Einzige, der sich in der Einschätzung von Hitler und dem Nationalsozialismus anfänglich irrte – dies widerfuhr auch keinem geringeren als Leo Baeck; ein Umstand, von dem Schoeps in seinen notgedrungen – mindestens auch – apologetischen Schriften Gebrauch machte. Das zweite Heft des »Vortrupp« aus dem Januar 1934 entfaltet dann die irrige Annahme, dass Deutschland durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten »preußisch« im Sinne der preußischen Altkonservativen geworden sei – den Rassismus des NS-Regimes erklärt sich Schoeps als eine »biologische Rückbesinnung« auf den Volkskörper, wenngleich er einwendet: Nun wissen aber wir Juden auch, daß die spontane Vitalreaktion, in der ein Volk sich wiederfinden und biologisch erneuern will, nicht seine letztgültige Antwort sein kann, weil aus der blutlich-rassischen Rückerinnerung als solcher sich nichts Normatives und kein Geschichte gestaltender Impuls gewinnen lässt.303

Der Feind – man muss es mit dieser Carl Schmitt entlehnten Diktion ausdrücken – besteht für den Schoeps des Jahres 1934 in der Herrschaft der Bolschewiki in Russland, einem Staat, der sich einem »toten Heiland«, nämlich Lenin, verschrieben hat, an dem nach Schoeps Kenntnis täglich Tausende vorbeimarschieren, an einem Leichnam, an »dessen Geist in jedem, der da marschiert, Auferstehung feiert«.304 Tatsächlich sieht sich Schoeps an vorderster Front in einem Religionskrieg, in dem auch Adolf Hitler zu einem Verbündeten Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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wurde, denn, so Schoeps ein Jahr nach der Machtübernahme, im Januar 1934: »Die russische Partei in Deutschland ist durch Adolf Hitler zu Boden geworfen und vernichtet worden, und damit hat der Kanzler eine Tat vollbracht, für die die europäischen Völker ihm dankbar sein sollten.«305 Freilich belässt es der glühende Antikommunist dabei nicht, vielmehr ist er um den Nachweis bemüht, dass sogar der von ihm durchaus kritisch gesehene nationalsozialistische Ursprungsmythos dazu geführt habe, dass die Massen der Bevölkerung gebannt und gegliedert werden konnten. Magische Kräfte sind befreit und entströmen heute wieder der deutschen Erde (…) Es genüge hier nur der Hinweis, daß solange die Erde steht, noch kein menschlicher Name (ausgenommen der Name von Moscheh rabbenu) rein mengenmäßig so oft ausgesprochen worden ist, wie der Name Adolf Hitlers.306

Über den letztlich doch blasphemischen Charakter dieses Satzes tröstet auch nicht hinweg, dass der Autor im Folgenden den am Zarenhof magisch wirkenden Mönch Rasputin beschwört. Aus alldem folgt für den nationaldeutschen Juden Schoeps eine Theologie jüdischer Weltverantwortung, einer Verantwortung, die dem Volk Israel als einem »Glaubensvolk« durch die »Sakralität seiner Abstammung« auferlegt wurde, »weil der Samen unserer Väter (…) durch Erwählung und Verheißung gesegnet worden«307 ist. Daraus folgt eine »Doppelseitigkeit unserer Existenz«, die die Juden in »gewisser Weise« über den Christen stehen lässt, »weil wir eine somatische Evidenz besitzen«.308 Diese Existenz erweise sich im Kontrast zu Marxismus und Zionismus als »Wunder« – womit sich Schoeps auf den Dichter Hamann bezieht, der das Überleben der Juden in einem Brief an Herder als »Wunder aller Wunder« bezeichnete. Daraus gewinnt Schoeps sein persönliches Glaubensbekenntnis: »In die Völker der Welt hineingetan und doch über die Welt hinaus zu sein, das ist unsere gottgewollte Bestimmung und die uns zugefallene Verantwortung.«309 Und daraus wiederum folgt 1934 nichts anderes, als ein entschiedener Widerstand gegen jeden Pazifismus und ein überzeugtes Eintreten für den (deutschen) Imperialismus, sei doch zu wissen, »daß priesterliche Substanz nur dann herausgestellt und wirksam werden kann, wenn in den Völkern herrschaftliche Substanz vorhanden und sichtbar ist«.310 Ganz im Geiste der von dem protestantischen Theologen Paul Althaus vertretenen – letztlich rassistischen – Theorie der Schöpfungsordnung sowie in einem missverstandenen Hegelianismus versteht Schoeps das deutsche Volk gleichwohl nicht als »mythische Wesenheit«, sondern als »staatlich geordnetes, 118

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unter staatliches Rechtsgesetz gebeugtes Volk«.311 Damit immerhin ist – wenn auch nur in schwacher Form – eine mögliche Distanz zum rein völkischen Denken des überwiegenden Teils der nationalsozialistischen Bewegung markiert, denn: »Es ist nicht zum Besten um eine Welt bestellt, die die Juden ausstoßen will.«312 Freilich verträgt sich das grundlegende Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat – und das ist dem Autor bestens bewusst – nicht mit dem Universalismus des prophetischen Erbes, weshalb er dessen von liberalen Rabbinern moralisch ausgelegte Deutung ablehnen und alle Verheißungen auf die messianische Zeit verlegen muss. Es war zehn Jahre später Walter Benjamin, der – verfolgt und auf der Flucht – in seinen geschichtsphilosophischen Thesen postulierte: Bekanntlich war es den Juden untersagt, der Zukunft nachzuforschen. Die Thora und das Gebet unterweisen sie dagegen im Eingedenken. Dieses entzauberte ihnen die Zukunft, der die verfallen sind, die sich bei den Wahrsagern Auskunft holen. Den Juden wurde die Zukunft aber darum doch nicht zur homogenen und leeren Zeit. Denn in ihr war jede Sekunde die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte.313

Zehn Jahre früher und vor aller Verfolgung, klang das bei Schoeps so anders nicht, wenn er argumentierte, dass nichts dagegen spreche und die Hoffnung sogar dafür spreche, »daß er [der Messias, M. B.] schon morgen kommen kann. Wir sind«, so Schoeps mit Blick auf die Juden, »die einzigen Menschen auf der Welt, die wirklich von der Zukunftserwartung leben. Wir sind zukunftsgerichtet, weil wir anfangsgebunden sind. Wenn der Messias kommt, wird der Anfang verschlungen in das Ende und die Erde hineingeschwenket in den Himmel«.314 Er beschließt dieses Bekenntnis mit dem Zitat eines der wichtigsten jüdischen Gebete, des Kaddisch. Die Gegenwart steht somit ganz im Banne der von Walter Benjamin kritisierten jungkonservativen, Karl Kraus zugeschriebenen Formel: »Ursprung ist das Ziel.« Auf diesem Weg missfällt Schoeps nicht nur die liberale Ausrichtung des Judentums seiner Zeit, das ihm nicht nur nicht konservativ genug, sondern vor allem zu feminin ist. Meinte er doch, dass es zu den Absonderlichkeiten der Weltgeschichte gehöre, »daß (…) der Judenstamm von der männlichen auf die frauliche Seite des Daseins geglitten ist«.315 Um dem etwas entgegenzusetzen und ein gleichsam »männliches« Judentum zu entwerfen und zu leben, kamen die Mitglieder jener schon erwähnten Schar »freideutsch« gesonnener jüdischer Jünglinge, die sich »Vortrupp. GefolgMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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schaft deutscher Juden« nannte und auch ein eigenes Organ publizierte, in jenen Jahren immer wieder zusammen: Um die Jahreswende 1933/34 hatten sich Mitglieder des »Vortrupps« in Gersfeld, einem alten, verträumten Städtchen in der Rhön, getroffen, um sich in einer Pension gesammelter geistiger Arbeit zu widmen. Dort, so berichtet ein protokollführendes Mitglied, ging es um das Erlebnis des Deutschen: (…) das ist die geistige und leibhaftige Mitte unseres Kreises. Erlebnis des Deutschen, weil wir Juden sind, das ist der Anfang und das Ende, die Quelle und das Ziel. Diese Erkenntnis findet deutlichsten, gläubigen Ausdruck im theologischen Arbeitskreis (…) Dieser Glaube erfüllt und verpflichtet uns: wir sind Deutsche, nicht zwar, wenn auch, sondern weil wir Juden sind.316

Das große Interesse des Kreises an theologischen Fragen wird u. a. daran deutlich, dass im genannten Heft das damals erschienene Buch des niederländischen Theologen Heiko Miskotte »Het Wesen der Joodsche Religie« positiv besprochen wurde – das Werk eines Autors, der später, seit den 1960er-Jahren, eine wesentliche Rolle im neuen Verständnis des Judentums auch im deutschen Protestantismus spielen sollte. Vor allem aber richtete sich der Kreis damals an dem von Schoeps 1932 publizierten Werk »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« aus – ein Buch, das schon früh die Kritik Gerschom Scholems provoziert hatte.317 Mehr noch: Am Ende dieser Ausgabe des »Vortrupp« wird von der »niederdrückenden Nachricht« berichtet, »daß die im Herbst 1922 von Karl Barth, Friedrich Gogarten und Eduard Thurneysen gegründete Zeitschrift ›Zwischen den Zeiten‹ ihr Erscheinen einstellt«.318 m folgenden Heft vom Mai/Juni 1934 geht es dann um eine Krtik an den Bemühungen des Jüdischen Kulturbundes aus der Feder von Ernst Horwitz (1909–1941), der noch 1934 als »Nichtarier« an der Humboldt Universität zur Promotion zugelassen wurde, 1941 in Mauthausen starb, während seine Frau Anna, mit der er zunächst in die Niederlande geflüchtet war, 1943 in Sobibor ermordet wurde. Auch Erwin Doernberg (1913–1963), der in der Londoner Emigration über Anton Bruckner forschte, bestand darauf, niemanden zu verdammen, der anstatt der von den Nationalsozialisten aufgezwungenen »jüdischen« Werken doch lieber den Werken von Hans Pfitzner oder Wagners »Meistersingern« treu blieb.319 Kurt Emmerich, der später konvertieren sollte und darüber mit Schoeps brieflich stritt, trat für eine »jüdische Dogmatik« ein, während Schoeps selbst Erik Petersons »Die Kirche aus Juden und Heiden« positiv rezensierte.320 Die Bundeskanzlei des »Vortrupp« hatte in diesen Monaten ihren Sitz vom Reuter120

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weg 59 in Frankfurt am Main in die Berliner Hasenheide 54, das Haus von Schoeps Eltern, verlegt – das Augustheft setzt sich dann, ohne Namen zu nennen, mit »einer Gruppe junger Menschen« auseinander, die das Judentum förmlich verlassen hatte, was zwar kritisiert, aber seines Mutes wegen dennoch gewürdigt wurde: gab es doch in dieser Situation durch einen Austritt nichts mehr zu gewinnen. In diesem Zusammenhang plädiert Schoeps ebenso wie zuvor Emmerich für ein »dogmatisches Denken« – also für ein Denken der Sache, der Wahrheit, das schließlich in ein »jüdisches Dogma« mündet: in die Erschaffung der Welt durch Gott aus dem Nichts gemäß seines freien Willens, in dem Glauben, dass »die Thora die verborgenen Ordnungen der Schöpfung im Gesetz offenbart«321 sowie dass »in der Messiaszeit im Weltgericht Erlösung kommen« werde.322 Tatsächlich meint der Autor, dass das Christentum, sofern es institutionell zu werden bestrebt sei, »ganz auf der Linie« stehe: von der mittelalterlichen Sakralkirche über Luthers Staatslehre bis zu Calvins »Institutio«. Tatsächlich dürfte bei der Trias »Schöpfung – Offenbarung – Erlösung« Rosenzweigs 1921 erschienener »Stern« im Hintergrund stehen, der aber von Schoeps nirgends explizit erwähnt wird. Das Lebensgefühl jedoch ist – bei aller Bedrängung – nach wie vor jugendbewegt und deutsch! So berichtet ein Theologiestudent des »Vortrupp« von einer Reise nach Dorpat, nach Tartu, also nach Estland, um mit einer Notiz bezüglich seiner Rückkehr nach Deutschland zu schließen: Es ist wieder einmal ein Uhr nachts. In Homburg tranken wir Rotwein und fuhren auf unsern Rädern durch den Regen, sprachen von der Verlorenheit in der norddeutschen Ebene und fühlten uns geborgen in der Landschaft zwischen Taunus und Main. Hier oben trinke ich weißen Schnaps in den verlorenen taghellen, na Nächten. Und sonderbar, ich kann sie ertragen und sehe mich doch nicht nachhause, nach Franken. Eine Nacht wie die heutige am unermeßlichen Peipussee, das wäre der rechte Ort für die alte Frankfurter D.V. Gesprächsrunde, die immer unvergeßlich bleiben wird.323

Der Verlag des »Vortrupp« gab seitdem eine eigene Schriftenreihe heraus, eine, die die von H.-J. Schoeps verfassten Texte »Wir deutschen Juden« sowie seine »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit« ebenso enthielt wie einen Sammelband »Achtung! Hier spricht das deutsche Judentum« in dem u. a. Leo Baeck mitvertreten war. Später wird der Verlag noch eine Erzählung von Max Samter veröffentlichen. Eher kleinlaut vermerkt Heft 6 vom Oktober/ November 1934 unter »Kundmachungen« ein Schreiben des Präsidenten der Reichspressekammer, aufgrund dessen der Name der Zeitschrift geändert wurde, Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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sodass sie nun nicht mehr »Der deutsche Vortrupp. Blätter einer Gefolgschaft deutscher Juden«, sondern nur noch »Der Vortrupp. Blätter einer Gefolgschaft deutscher Juden« heißen werde. Entsprechend eröffnete Heft 6 dann mit dem Gedicht eines Autors »E.M.N.«, dessen letzte Strophe lautete: »Hilflos ist die Weide / Drob ein Sturmwind tost /.Nur vom ganzen Leide / Wissen bringt den Trost«. Danach folgt der Bericht der »Berliner Führertagung« des Kreises vom 22./23. September des Jahres, der in der Tat ein düsteres Bild der Lage zeichnet – dem Umstand zum Trotz, dass Leo Baeck an der Tagung teilnahm. Die Themen des Samstages waren »Verzweiflung und ferner Trost« und man kam nicht umhin, auf die Ausgeliefertheit der Judenheit im Zeitgeschehen zu verweisen. »Heute«, so der Bericht, »geht das Gespenstische durch die Welt. Die Menschen unserer Zeit leben in der Verzweiflung, und zwar ist Verzweiflung von der schlimmsten Art, die – nach Kierkegaard – darin besteht, nicht zu wissen, daß man verzweifelt ist.«324 Schoeps selbst verfasste im Anschluss ein Memorial, in dem er sich Gedanken über den »Ort des deutschen Vortrupp« machte, und ging so weit zu bekennen, dass es nicht in Betracht käme, für die eigene Organisation, den »Vortrupp«, zu werben, »weil wir es ablehnen, zu einer so schwermütigen Sache idealistisch gesinnte Menschen zu überreden«.325 Eine »Feier des Volljudentums« lehnt Schoeps ab – und zwar auf der Linie Luthers, der gesagt habe: »Herr, hilf meinem Unglauben.« Ganz entgegen seinen früheren Überzeugungen verhält sich der Autor jetzt kritisch bis ablehnend zu einem erlösenden Opfergang der männlichen Jugend. Was bleibt, sei der »Mut zum Dogma« sowie eine Perspektive, die denn doch Spuren des »Heroischen Realismus« trägt: »Wir, der Vortrupp stehen bereits anderswo, weil wir schon zu weit in die Nacht unseres Lebens vorgestoßen sind, um die Abendröte noch mit der Morgenröte verwechseln zu können.«326 Danach sollten noch zwei Hefte der Zeitschrift erscheinen. Im ersten Heft des zweiten Jahrgangs vom Januar 1935 räsonniert der Herausgeber erneut über das Schicksal der deutschen Jugendbewegung und ihrer Symbole, etwa die Fahnen, um nun doch auch Franz Rosenzweig mit dessen Preisung des Flaggen­ appels aus dem »Stern« zu zitieren, und über das Verhältnis von preußisch-deutscher Geschichte und Judentum zu reflektieren. Philosophisch womöglich von Martin Buber inspiriert, stellt der Autor jetzt fest, dass die Begegnung mit dem Gesetz nur zwischen Menschen geschieht327, um sich dann erneuten Führungsaufgaben zuzuwenden. Am Ende reagiert der Herausgeber auf Einwände des inzwischen nach Palästina ausgewanderten Ernst Simon sowie dessen Frage, »seit 122

Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

wann Gott schwarz-weiß flagge«, um zu antworten, dass vor Gott keine Fahne gelte. Das letzte, im März/April 1935 erschienene Heft setzt sich – vorläufig – anlässlich des »Schwarzen Fähnleins« – noch einmal mit dem Gedanken, der Idee des »(Jugend)Bundes« auseinander, nachdem bereits das Januarheft einen entsprechenden Appell publiziert hatte. Das, was der »Vortrupp« wähnte, zu sagen und zu geben zu haben, war nicht irgendeine Lehrmeinung, sondern eine neue Existenz, die Kunde eines neuen Menschenbildes, das, am Hohen Meissner und bei Langemarck geboren, die Herzen der Jugend ergriffen hat, weil es unwiderstehlich ist. Es geht um die Erneuerung der Gestalt des jungen jüdischen Deutschen, der zuvor heruntergestiegen ist in die Schächte seines Wesens, der Besinnung übt, weil die Sinnfrage über ihn gekommen ist, der sein Schicksal meistert, weil er es in Wahrhaftigkeit zuvor erforscht hat.328

Das war nichts anderes als deutsch-jüdische Existenzerhellung im Modus des heroischen Realismus. Ernst Horwitz deutete diese Haltung sprachphilosophisch als Ausdruck des »Positivs«, und das hieß bei ihm Ausdruck einer stoischen Lebenhaltung.329 In der bedrängten Lage des Jahres 1935 trafen die Ausgeschlossenen zusammen – so folgte die Berliner Gruppe des »Vortrupps« einer Einladung des »Reichsverbandes christlich-deutscher Nichtarier«, um ein christlich-jüdisches Streitgespräch zu führen. Als Bruchstelle erwies sich die Frage, welche Fortsetzung der Sinaibund genommen habe und ob und in welchem Sinn mit Jesus Christus der Messias gekommen sei. Einzufügen ist, dass diesen ersten Formen eines christlich-jüdischen Dialogs in einer künftigen Geschichte dieser Bemühungen Rechnung zu tragen ist. Das letzte Heft des »Vortrupp« entfaltet schließlich ein weiteres Mal das Verhältnis von Deutschheit und Judentum, erinnert mit direkten Zitaten daran, dass Schoeps im Alter von nur 21 Jahren in der jungkonservativen, von Hans Zehrer herausgegebenen »Tat« einen längeren Beitrag publiziert hatte, einen Beitrag, dessen Argumente 1935 dazu ermutigen sollen, sich gegen die Bildung einer Art Einheitsfront aller jüdischen Verbände und Organisationen zu stellen. Heftigen Widerspruch seitens der Schriftleitung provoziert ein Artikel aus der Feder Heinz Kellermanns, des Führers des mit dem »Vortrupp« konkurrierenden »Bundes deutschjüdischer Jugend«, in dem es unter Bezug auf den Aufbruch der Bündischen Jugend hieß: »In dem Unternehmen war Schwung (sic!), nichtsdestoweniger war es keine Revolution oder jedenfalls keine vollständige.«330 Demgegenüber fühlt sich der damals nun 25 Jahre alte Schoeps bemüßigt, die Dinge aus seiner Sicht noch einmal richtigzustellen: Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Diese Jugend jedoch weiß (…) daß Bünde nicht am grünen Tisch gegründet werden, sondern am Lagerfeuer, daß ein Bund kein soziales Zweckgebilde, sondern ein lebendiger Organismus ist, daß eine Fahne kein bedrucktes Stück Tuch, sondern ein Symbol, ein Führer kein Funktionär, sondern der Sachwalter eines Sinnes ist, der Auftrag hat von seiner Sache.331

Diese »Sache« aber gewinnt ihr besonderes Gewicht dadurch, dass es um eine erneuerte deutsch-jüdische Existenz geht, wobei »deutsch« zu sein nichts weniger bedeutet, als einer »ursprünglichen Existenzgefährdung« und einer »tief verwirrenden Lebensunsicherheit im Streben nach faustischer Erfüllung« ausgesetzt zu sein. »Deutschsein«, so Schoeps, »heißt Tiefsein«332 – eine Überzeugung, von der aus er die Verbürgerlichung der jüdischen Religion kritisiert – habe doch diese Verbürgerlichung die Juden vergessen lassen, »daß die Welt unheimlich,vielleicht sogar tückisch ist«.333 Die Funktion des am Sinai gegebenen Gesetzes besteht dann in nichts anderem als darin, das Chaos aufzuhalten – so schon für Schoeps der biblische Schöpfungsbericht. Deutsch-jüdische Existenz erweist sich dann – im Frühjahr 1935 – als das jüdische und zugleich deutsche Beharren auf Widerstand gegen das Chaos: »Dem Nichts standzuhalten und damit heroisch zu leben, ist die verwegenste Existenz, die heute möglich ist.«334 Am Ende dieser Ausgabe findet sich dann noch eine positive Rezension der Gedichte Friedrich Georg Jüngers, einer Studie von Else Freund über Franz Rosenzweigs Philosophie sowie eine Besprechung von Walter Eichrodts 1933 erschienener »Theologie des Alten Testaments«, einer frühen positiven Wertung des alttestamentlichen Bundesgedankens, zu der Schoeps allenfalls anmerkt, dass Gottes Huld und Erbarmen nicht genügend herausgestellt werden. »Christliche Werturteile setzen der Geltung solcher Darstellungen für uns Juden eine klare und unüberspringbare Grenze.«335 Die Stichhaltigkeit dieser Position sollte sich am und im Dialog mit einem ebenso völkisch gesonnenen, freilich deutschen und christlichen Partner erweisen, am Dialog mit Hans Blüher (1888–1955), der nicht nur ein Meinungsführer der deutschen Jugendbewegung, ein früher Anhänger Sigmund Freuds sowie – last but not least – ein männerbündischer Propagandist der Homosexualität war, erweisen. Das 1933 (!) in der »Hanseatischen Verlagsanstalt«, dem Hausverlag von Ernst Jünger, erschienene Buch »Streit um Israel. Ein christlich-jüdisches Gespräch« sollte die Probe aufs Exempel von Schoeps’ Position eines »barthianisch« gedeuteten Judentums, das genau seiner Glaubensdeutung wegen Juden dazu ermunterte, das deutsche Schicksal als das ihre anund auf sich zu nehmen. Und diese Bereitschaft ging sehr, sehr weit. Im Juli 1933 124

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begann die Treue wider alle Treue einer ersten Skepsis zu weichen – illusionslos stellte Schoeps im Juli 1933 fest, dass »wir Juden politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich auf unabsehbare Zeit aus der Nation ausgeschlossen« sind und sie daher »in unserem Vaterlande« im Exil lebten.336 In Übereinstimmung mit den Grundpositionen etwa des »Vereins nationaldeutscher Juden« wird hier die deutsche Nation als eine aus verschiedenen Stämmen zusammengewachsene politische Gemeinschaft verstanden, eine Gemeinschaft, die aus Bayern, Franken, Friesen, Hessen und eben Juden zusammengewachsen sei. Der nun durch den antisemitischen Rassismus verfügte Ausschluss aus der Nation erweist sich so als Zeit der Bewährung, einer Bewährung, für die der nationalsozialistischen Regierung sogar Dank zu erstatten ist: Die nationale Regierung hat uns diese Chance gelassen, unsere Deutschheit durch Leiden und Entbehrung zu beweisen. – Denn als Juden wissen wir, daß Geist stärker ist als Blut. Aus dem Blut erwächst Rausch, und Rausch verrauscht; aus dem Geist entspringt Zeugnis, und Zeugnis zeigt.337

Die Erfahrung der ersten Wochen und Monate nationalsozialistischer Herrschaft erlaubt es dem jungen autoritären Denker denn auch, eine gleichsam rationale Variante des Autoritarismus zu vertreten, die von sich beanspruchen kann, typisch jüdisch zu sein. »Das Judentum«, so Schoeps im Juli 1933, »kennt wohl die Autorität des Lehrers und den Gehorsam vor der Obrigkeit; es kennt aber nicht das Führerprinzip, das durch Rausch und Bannung totale Gefolgschaft konstituiert. Weil Gott, der Herr, den Juden der einzige ›Führer‹ ist, können wir keinem menschlichen Führer mehr verfallen und gebannt werden, so ausgezeichnet, tapfer und erfolgreich dieser auch ist und so herrlich und beglückend der Zustand der Verfallenheit auch sein mag.«338 Kennern der Theologie Karl Barths wird die thematische Nähe aufgefallen sein, die diese Äußerung zu der rund ein Jahr später von der »Bekennenden Kirche« verabschiedete »Barmer Erklärung« hat.339 Bemerkenswert ist darüber hinaus, wie sehr Schoeps trotz oder wegen seiner protestantischen Prägung die Luther’sche Trennung von geistlicher und weltlicher Sphäre, seiner »Zweireichelehre«, nur begrenzt mitmacht – für ihn steht das Judentum für eine im Sinne Gottes obrigkeitliche Ordnung, mehr noch: für ein menschliches Selbstverständnis, das auf jegliche Eigenmächtigkeit verzichtet und zur Unterordnung bereit ist. Alleine, wer garantiert – so schon die Einwände gegen Thomas Hobbes –, dass die Obrigkeit ihrem Auftrag gerecht wird? Sowohl Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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die »Barmer Erklärung« als auch die in Ton und Duktus erstaunlich ähnliche Bemerkung des jungen Schoeps beanspruchen eine absolut gesetzte und verstandene göttliche Autorität, wobei hier gilt, dass der Begriff der »Autorität« in den 1930er-Jahren ein Schlüsselbegriff der politischen, juristischen, theologischen und philosophischen Debatte war – womöglich ein Reflex auf die Instabilität der politischen Institutionen der Weimarer Republik. Aber was genau ist eigentlich »Autorität«? Tatsächlich ist der Wunsch nach vorbehaltloser Anerkennung von Autorität nicht etwa, wie häufig angenommen, einfach »konservativ«340, sondern genau genommen »reaktionär.« Worum ging es schon am Ende der Weimarer Republik bei der Kritik am Autoritarismus? Einer der geistigen Väter der Neuen Linken, Herbert Marcuse, hat sich in einer ausführlichen Sammelbesprechung im Jahr 1934341 mit sich selbst so bezeichnenden totalitären und autoritären Theorien des Staates auseinandergesetzt, dort u. a. Arbeiten der nationalsozialistischen Rechtstheoretiker Otto Koellreutter342 und Heinrich Forsthoff343 analysiert und folgende typische Aussage Koellreutters zitiert: Die politische und staatsrechtliche Prägung des nationalen Rechtsstaats ist im bewußten Gegensatz zu der des liberalen bürgerlichen Rechtsstaates die des autoritären Führerstaates. Der autoritäre Führerstaat sieht in der Staatsautorität das wesentlichste Merkmal des Staates.344

Darüber hinaus hatte der andere, von Marcuse kritisierte Autor, Heinrich Forsthoff, bereits im Jahr 1933 all jene Argumente aufgeboten, die auch später, bis in die Geschichte der Bundesrepublik und die des wiedervereinigten Deutschlands, die Debatte um den Begriff der (notwendigen) Autorität in Erziehung und Politik munitionieren sollten: Eine autoritäre Regierung braucht eine über alles Persönliche hinausgehende Rechtfertigung … die Rechtfertigung muß eine metaphysische sein. Die Unterscheidung von Führern und Geführten als staatliches Ordnungsprinzip ist nur metaphysisch vollziehbar (…) eine Regierung, die nur darum regiert, weil sie einen Auftrag des Volkes hat, ist keine autoritäre Regierung. Autorität ist nur aus der Transzendenz möglich.345

Diese und andere, den Begriff »autoritär« positiv bewertende Schriften der Weimarer Republik gehen auf ein gegenrevolutionäres, antiliberales Denken zurück, das vor allem in den Schriften des nationalsozialistischen Rechtstheoretikers Carl Schmitt früh seinen Ausdruck gefunden hat. Schon 1914, im Alter von 126

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nur 26 Jahren publizierte Schmitt eine Schrift unter dem Titel »Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen«346, in der er auf der Basis einer strikt zwischen Normen und Fakten unterscheidenden Rechtsphilosophie einen Begriff des Staates rekonstruiert, der ganz und gar im Dienst des Rechts steht und dem somit die Aufgabe zukommt, den reinen Normen des Rechts faktische Geltung zu verschaffen. Diesem Denken entspricht die vermeintliche Einsicht, in den Staat als eine überindividuelle Instanz, die ihre Würde keiner Schilderhebung der Einzelnen verdankt, sondern mit originärer Autorität entgegenstritt. Durch die Anerkennung einer überpersönlichen Dignität des Staates, demnach für jede philosophische Auffassung, für die der Staat weder eine Sekuritätsanstalt noch eine Wohlfahrtseinrichtung bedeutet, verschwindet aber das einzelne, konkrete Individuum.347

Dass die Bereitschaft, derartigen politischen Vorstellungen zu folgen, aus rationalen Gründen kaum nachvollziehbar war, führte seinerzeit bei den Vertretern der Frankfurter Schule folgerichtig zum Versuch einer nun sozialpsychologischen Erklärung der entsprechenden, den eigenen Interessen zuwiderlaufenden Folgebereitschaft breitester Massen im Deutschland der 1930er-Jahre, eine Erklärung, bei dem sich die Autoren des Frankfurter Instituts für Sozialforschung vor allem auf die von ihnen selbst entwickelte Synthese von Marxismus und Psychoanalyse stützen konnten. Es war schließlich vor allem Max Horkheimer, der noch in der Emigration, 1936, im Rahmen dieses Programms einen sozialwissenschaftlichen Begriff der »Autorität« entwickelte. Dabei war Horkheimer, was in späteren Jahren durchaus gerne übersehen wurde, schon damals von der (funktionalen) Notwendigkeit von »Autorität« überzeugt: Autorität sei die bewusste und unbewusste, jeden Schritt des Einzelnen mitbestimmende Fähigkeit, sich ein- und unterzuordnen, die Eigenschaft, bestehende Verhältnisse also solche im Denken und Handeln zu bejahen, in Abhängigkeit von gegebenen Ordnungen und fremdem Willen zu leben, kurz die Autorität als ein Kennzeichen der gesamten Existenz. Die notwendigerHerrschaft von Menschen über Menschen, welche die Gestalt der bisherigen Geschichte bestimmt, im Herzen der Beherrschten selbst zu befestigen, ist eine der Funktionen des gesamten kulturellen Apparats der einzelnen Epochen gewesen; als Ergebnis wie als stets erneuerte Bedingung dieses Apparats bildet der Glaube an Autorität eine teils produktive, teils hemmende Triebkraft in der Geschichte.348

Somit bestimmt Horkheimer als »autoritär« jene inneren und äußeren Handlungsbereitschaften und Handlungsweisen, mit denen sich Menschen einer Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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fremden Instanz unterwerfen, und kommt dabei zu dem Schluss, dass die Kategorie der Autorität widersprüchlich sei – könne doch autoritäres Handeln durchaus auch im wirklichen und bewussten Interesse von Individuen und Gruppen, ja von Klassen liegen: Autorität als bejahte Abhängigkeit kann daher sowohl fortschrittliche, den Interessen der Beteiligten entsprechende, der Entfaltung menschlicher Kräfte günstige Verhältnisse bedeuten als einen Inbegriff künstlich aufrecht erhaltener, längst unwahr gewordener gesellschaftlicher Beziehungen und Vorstellungen, die den wirklichen Interessen der Allgemeinheit zuwiderlaufen. Sowohl blinde und sklavische Ergebung, die subjektiv von seelischer Trägheit und Unfähigkeit zum eigenen Entschluß herrührt und objektiv zur Fortdauer beengender und unwürdiger Zustände beiträgt, als auch die bewußte Arbeitsdisziplin in einer aufblühenden Gesellschaft beruhen aus Autorität.349

Horkheimer beharrt also auf dem ambivalenten, dem widersprüchlichen Charakter des Begriffs und der Sache der »Autorität« und will diese innere Widersprüchlichkeit durch die Antagonismen bzw. deren ideologische Verdeckungen in der Epoche des liberalen Kapitalismus aufdecken, das Thema also nicht moralisch und dogmatisch, sondern streng marxistisch aus einer Analyse der damaligen Klassenverhältnisse heraus entwickeln. Sei es doch endlich die Form der bürgerlichen Familie, die durch eine systematische Unterordnung des im Berufs- und Arbeitsleben stehenden Vaters in den blinden Produktions- und Zirkulationsprozess auf der einen sowie durch die Unterwerfung der Frau, der Mutter unter das patriarchalische System auf der anderen Seite geprägt sei. Auf dieser Basis – und das ist für eine Theorie des die Verhältnisse stützenden Sozialcharakters ebenso von Belang wie für eine Theorie gesellschaftlicher Aufklärung und Emanzipation – lässt sich das Entstehen autoritärer Charaktere, die die herrschenden Verhältnisse aus einer inneren Neigung heraus stützen, erklären: Für die des autoritären Charakters ist besonders entscheidend, daß die Kinder unter dem Druck des Vaters lernen, jeden Misserfolg nicht bis zu seinen gesellschaftlichen Ursachen zurückzuführen, sondern bei den individuellen stehen zu bleiben und diese entweder religiös als Schuld oder naturalistisch als mangelnde Begabung zu hypostasieren (…) Das Ergebnis der väterlichen Erziehung sind Menschen, welche von vorneherein den Fehler bei sich selbst suchen.350

Damit und mit Schoep’ Position von 1933 steht die Problematik eines, wenn man so will, rationalen Autoritarismus auf der Tagesordnung und – so jeden128

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falls für den Schoeps des Jahres 1933 – die seiner Meinung nach grundlegende Differenz zwischen einem totalen und einem autoritären Staat: Der totale Staat ist keine jüdische Möglichkeit: der autoritäre Staat fände uns Juden in vorderster Front, weil wir überall dort hinzutreten können, wo darum gewußt wird, daß Gott der Herr der Völker und der Staaten ist, daß die Obrigkeit des Landes ihren Auftrag, Ordnung zu schaffen, von Ihm hat und daß jegliche Beamtung auf Erden eine göttliche Bestimmung ist,

so Schoeps unter Bezug auf den talmudischen Traktat Berakhot (58a). Das genau waren die Themen, die Schoeps im ersten Jahr des NS.Staates öffentlich – mit Hans Blüher – diskutieren sollte. Um wen handelte es sich? Hans Blüher (1888–1955) war ein dem Milieu der Bündischen Jugend entstammender Intellektueller, der vor allem durch zwei Interessen und die ihnen entsprechenden Schriften bekannt wurde: zunächst dadurch, dass er als einer der ersten Laien im deutschen Kaiserreich auf die grundlegende Bedeutung der Freud’schen Psychoanalyse hinwies, sie aber vor allem zur Deutung der homosexuellen und homoerotischen Züge der deutschen Jugendbewegung nutzte351. Darüber hinaus verstand sich Blüher als Protagonist eines gleichsam ehrenwerten, intellektuell anspruchsvollen Antisemitismus – Anlass für den weitaus jüngeren Schoeps, mit Blüher Kontakt aufzunehmen. Im Alter von zehn besuchte Blüher, dessen Eltern mit ihm nach Berlin gezogen waren, das Gymnasium in Steglitz, das die Urzelle zunächst des Wandervogels und damit auch in gewisser Weise der bündischen Jugend wurde. Nach dem Abitur im Jahre 1907 begann er zunächst in Basel, der Stadt in der Nietzsche gelehrt hatte, ein Studium der klassischen Philologie, Philosophie, Germanistik, aber auch der Biologie, das er später in Berlin forsetzte und nach acht Jahren und alles in allem 6 Semestern im Jahre 1915 abschloss. Ob seiner Farbenblindheit für immer vom Militärdienst befreit, erlebte er den Krieg in der Etappe mit allerlei zivilen, karitativen Hilfsdiensten, um nach dem Krieg, in Reaktion auf die Münchner Räterepublik, seinen weltanschaulichen Antisemitismus zu entfalten, den er zum ersten Mal in seiner Schrift »Secessio Judaica« aus dem Jahre 1922 vortrug – ein Pamphlet, das in einem Verlag der Jugendbewegung, dem Verlag »Weisser Ritter« in Berlin erschien. In seinen 1953 zum zweiten Mal publizierten, nun radikal veränderten Lebenserinnerungen »Werke und Tage«352 gab Blüher im Rückblick zu Protokoll, niemals Gründe gehabt zu haben, Antisemit zu sein, er aber – so Blüher 1953 (!!)– auch nichts gegen Antisemitismus habe und ihn auch nicht empörend finde. Schon als Student, so berichtet er, Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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habe er sich für den Zionismus interessiert, das, was er in seiner Schrift »­Secessio Judaica« zum Ausdruck bringen wollte, ging dem auch biologisch interessierten Ideologen beim Wandeln durch seinen eigenen Garten auf – es geht um ein Birnenreis, das Blüher auf einen Stamm von gepflanzt hatte: Als ich aber einmal im August, gerade zu der Zeit, da mich das scheinbar unlösliche Judenproblem quälte, durch den Garten ging, bemerkte ich bei meiner Veredlung einen frühzeitigen Blätterabfall: das Edelreis begann zu welken und löste sich ab. Da auf einmal fiel mir blitzartig die Lösung ein: Genauso steht es mit dem Judentum. Es löst sich von den Gastvölkern ab. Hierin liegt die »Richtigkeit« jenes Schicksalsgefühls, das der Ausdruck für eine historische Urteilskraft ist. Und diesen Vorgang nannte ich »secessio judaica«. Er geht an Gut und Böse vorbei und betrifft nur den Juden selber, seine Substanz, und ist ein Vorgang der »reinen Geschichte«. Es war dies einer der geglücktesten Einfälle meines Lebens.353

Freilich: theologisch gebildeten Lesern wird aufgefallen sein, dass sich der Blüher von 1953 hier einer Metapher aus dem Neuen Testament bedient. Im Brief an die Römer 11,18 setzt sich der Apostel Paulus mit dem Verhältnis des Volkes Israel zu den nun an Jesus als Messias Glaubenden auseinander, bestätigt nicht nur die Ursprünglichkeit des Judentums (»Nicht du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt dich«), sondern bemüht darüber hinaus noch ein überdeutliches, dem Gartenbau entnommenes Bild: »Wenn nämlich du«, so Paulus an die messiasgläubige, »christliche« Gemeinde, »aus dem von Natur aus wilden Ölbaum ausgehauen und wider die Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, um wie viel eher werden dann die von Natur aus (Zugehörigen) in ihren eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden« (Rö 11,24). In seinen Lebenserinnerungen dreht Blüher dieses Bild so um, dass er als »Stamm« die Völker ansieht und das eingepflanzte Edelreis mit dem Judentum identifiziert, das schließlich abfällt. In diesem Bild wird dem Judentum sowohl Respekt gezollt als auch einer rigiden Trennung von Juden und Nichtjuden das Wort geredet. Blühers Lebenserinnerungen behaupten, dass er die Diktion seiner Schrift den knappen Sätzen von Herzls »Judenstaat« angeglichen und sie der Jugendbewegung gewidmet habe, in der sich nach der deutschen Revolution »unliebsame Vorgänge« gezeigt hätten: von philosemitischer Seite »eine bedenkliche Zunahme der Mischehen« hier sowie – von antisemitischer Seite – »jene pöbelhafte Pogromstimmung, die später so verhängnisvolle Folgen haben sollte«.354 Aus heutiger Sicht, zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr nachvollziehbar, wie im Jahre 1953 – nach dem Holocaust und 130

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sechs Millionen ermordeter Juden – Sätze wie die folgenden unskandalisiert in einem in Deutschland erschienenen Buch stehen konnten: Es kann uns nichts schlimmeres passieren, als daß uns ein Pogrom zu dem Glauben verleitet, wir kämen dadurch vom Judentum frei. Es ist das letzte und imponierendste Mittel, das dieses ewige Volk gegen seine Gastvölker geschmiedet hat: wenn die Ratten schon das sinkende Schiff verlassen, die Völker schuldig zu machen.355

Blüher selbst gibt als Anlass oder Ursache seines Antisemitismus vor allem die jüdischen Intellektuellen an, die – wie Gustav Landauer – in der deutschen Revolution nach 1918 und in der Münchner Räterepublik aktiv waren. Kaum anders als Schoeps kritisiert er ein säkularisiertes Judentum, eine »volkstumslose Volksgemeinschaft«356, die sich gezwungen zu ihrer Rasse und »ableugneten Religion« bekenne. Wie später Schoeps als ein Befürworter der Autorität und Feind der Souveränität des Volkes räumt Blüher ein, dass derlei Interventionen ein geistiges Leben in Preußen überhaupt erst ermöglicht hätten, indes: »Die Schattenseite davon aber war, daß die geistige Orientierung des linken Volkes scharf gegen das gerichtet war, was in Preußen-Deutschland Staat hieß und was also geradenwegs in den Untergang führte.«357 Es waren jüdische Literaten: Gustav Landauer und Kurt Tucholsky – Blüher ruft sie immer wieder mit einer gewissen Achtung auf – die Preußen, Deutschland und damit die Idee und Wirklichkeit des Staates in den Untergang getrieben hätten. Heilung von den durch die wesentlich von jüdischen Literaten betriebene Revolution konnte daher nur durch das Abfallen der Juden vom Stamme der Völker geschehen – »Secessio Judaica« – wobei der Metapher nach jedenfalls offenbleibt, ob dies ein »organischer« gleichsam »autopoietischer« Prozess ist, der sich naturnotwendig und ohne Eingriff von außen ereignet, oder ob er doch auch politisch in Gang zu bringen ist. Freilich hatte Blühers Haltung zum Judentum noch andere, sehr persönliche Ursachen – etwa eine Form des Verliebtseins in einen jüdischen Mitschüler, der später im Kriege fallen sollte. Diesen Schüler liebte Blüher, und noch Jahrzehnte später war er – ganz im Sinne seiner homoerotischen Deutung der Jugendbewegung – bemüht, die »Normalität«, die Selbstverständlichkeit einer solchen Liebe zu betonen – Blüher erläutert seine Liebe zu dem von ihm »Israel« genannten Mitschüler Israel Georg Bernstein: von Frauenliebe in seinem Leben reich beschenkt, gelte gleichwohl: Die Jahre von vierzehn bis zwanzig aber, die bei den meisten mit ganz wertlosen Tändeleien um das weibliche Geschlecht ausgefüllt sind, haben in meinem Leben der KnabenMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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und Freundesliebe gegolten, das heißt einer sehr gehaltvollen Erotik, der die Jugendbewegung und der Wandervogel ihr Dasein verdanken.358

Mit Blüher und Schoeps trafen zwei, zwar unterschiedlich alte, jedoch stark vom selben Zeitgeist affizierte Männer zusammen, zwei Männer, die sich typischerweise in jener Altersdifferenz befanden, die spätestens seit dem antiken Hellas als die ideale Konstellation für eine mann-männliche Liebe galt. Davon, dass derlei zwischen Schoeps und Blüher tatsächlich der Fall war, kann natürlich überhaupt keine Rede sein, wohl aber davon, dass sich zwischen dem jungen, nationaldeutsch denkenden und fühlenden Juden sowie zwischen dem damals bereits mehr als 40 Jahre alten, durchaus Bekannten kulturkritischen Publizisten, dem es nicht zuletzt um einen tatsächlich intellektuell ambitionierten Antisemitismus ging, ein ernsthafter, um Sache und Person gleichermaßen bemühter Dialog entspann. Ausgerechnet 1933, im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme erschien im Hausverlag Ernst Jüngers, der Hanseatischen Verlagsanstalt das Büchlein »Streit um Israel. Ein christlich jüdisches Gespräch«, dem der Verlag – angesichts der politischen Ereignisse nicht weiter verwunderlich – ein knappes Vorwort voranstellte. Tatsächlich hatte Blüher ein Jahr zuvor im selben Verlag seine Schrift »Die Erhebung Israels gegen die christlichen Güter« publiziert, eine auf Blühers schon oben erwähnte, 1922 publizierte Schrift »Secessio Judaica« Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung« beruhende Ausarbeitung. Wie das Vorwort des Verlages richtig darstellt, rezensierte Schoeps die »Erhebung« im Organ des »Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens«, in der »C.V. Zeitung! Nr. 3 von 1932, worauf Blüher im selben Organ replizierte, Blüher darauf noch einmal antwortete und sofort. Der Verlag, der im Vorwort bekennt, dass ein solcher Dialog überhaupt nur abgebrochen werden könne, begründete die Buchpublikation damit, dass in dem Briefwechsel »bedeutende Begriffe wie Bund, Volk, Blut in eigentümlicher Weise« geklärt würden, sowie darin, dass hier ein jüdischer Theologe »das jüdische Blut als Möglichkeit und Mahnung der Rückkehr zu Gott« erkläre. Der Verlag weist zudem darauf hin, dass mit Schoeps Aussage, dass Menschen aus den Völkern zwar keine Juden werden, sich aber wohl zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bekennen sollten, »in der Tat ein Problem« aufgegeben sei. Indes: Hans Joachim Schoeps will das Bekenntnis zum jüdischen Glauben und die jüdische Blutzugehörigkeit vereinigen mit der Zugehörigkeit zum Preussentum und Deutschtum.

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In der Hanseatischen Verlagsanstalt, die dem Christentum und dem Deutschtum dient, wird geglaubt, daß das Christentum zum Deutschtum ursprünglich und unablösbar gehört, daß also Juden, Mohammedaner, Buddhisten wohl Mitglieder des deutschen Staates, aber nicht Staatsvolk und nicht Reichsvolk sein können.359

Am Ende des Vorworts legt der Verlag mit Wilhelm Stapel (1882–1954), einem der »Konservativen Revolution« zugehörigen nationalliberalen Antisemiten, Wert auf die Feststellung, dass man Preuße nicht durch Geburt, sondern nur durch Bekenntnis werden könne, indes: Der Verlag betont, dass damit auf keinen Fall eine »freie geistige Entscheidung« gemeint sei – Stapel, so der Verlag, erkenne keinerlei Freiheit des Willens über die Substanz an – was nichts anderes heißen kann, als dass man sich nur zu dem bekennen könne, was man der Substanz und dem Erbe nach ohnehin sei – was jedoch Juden unmöglich sei. Im ersten Kapitel des Buches anerkennt Schoeps zunächst, dass Blüher den »Kampf gegen Israel aus der rassenbiologischen Ebene heraus in die religiös-theologische Ebene« gehoben habe, »aber in einer Weise, die die möglichen Voraussetzungen eines echten Religionsgespräches bereits fraglich«360 mache. Grundsätzlich präsentiere Blüher »wahre Sachverhalte«, die Schoeps demnach teilt: die »Auflösungserscheinungen im abendländischen Säkularisationsprozeß«, also das »Verschwinden sakraler Grundsubstanz«, ein Phänomen, das freilich – anders als die Antisemiten meinen – kein Werk des Judentums, sondern, so Schoeps 1932, »Strafwerke Gottes über den menschlichen Abfall«361 sei. Ursache der höchst differenzierten Misere der Gegenwart sei mithin nicht die »göttliche Bluts- und Substanzverfluchung« ob und seit der jüdischen Ablehnung Jesu, »sondern ganz anders der Abfall vom jüdischen Gesetzesglauben«.362 Dabei identifiziert Schoeps durchaus gemeinsame Gegner, Ausdrucksformen dieses Abfalls, in denen der göttliche Fluch über diesen Abfall drastisch zum Ausdruck komme: »Wir wissen wohl, daß in der geschichtlichen Wirksamkeit von Karl Marx, Siegmund (sic! M. B.) Freud und vielen anderen dämonische Kräfte liegen.«363 Schoeps lässt keinen Zweifel daran, dass die Ursache der Entfesselung dieser dämonischen Kräfte das Bündnis gewesen sei, das das Judentum in seiner großen Masse mit dem Liberalismus des Aufklärungsjahrhunderts eingegangen sei, womit es seine »beste religiöse Substanz an das Säkulum hingegeben« habe. Freilich obliege die Kritik daran nicht Außenstehenden wie Hans Blüher, die diese Kritik in feindlicher Absicht üben, nein: »(…) das darf nur der jüdische Theologe, der hier nur im Vertrauen auf das Wort Gottes – d. h. nämlich unter Angst und Zittern – zu antworten wagen darf.«364 Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Schoeps will diese Aufgabe durchaus in einem interreligiösen Rahmen wahrnehmen, weshalb es unverzichtbar ist, auch zum christlichen Glauben Stellung zu nehmen. Das geht in seinem Falle soweit, einzubekennen, dass auch Juden die Schließung des neuen Bundes als unerforschliche Tatsache anerkennen, zugleich aber – gegen den Zionismus – daran festzuhalten, dass das von Blüher sogenannte »jüdische Volk« längst aufgehört habe, im weltlichen Sinne »Volk« zu sein. Dem stimmt Blüher zu, wenn er einräumt, dass Israel ethnologisch nicht zu begreifen sei, sondern nur durch Offenbarung erzeugt sei. Was die Offenbarung am Sinai angeht, ebenso wie das zweite, für das Judentum konstitutive Ereignis, die Gesetzgebung des Esra bestehe doch – so Blüher – volle Einigkeit zwischen den Kontrahenten. Zum Bruch aber musste es durch die Ablehnung Jesu, durch die »Messiasverfehlung« kommen. Dies vorausgesetzt, versteht Blüher das Eingeständnis Schoeps von der »unerforschlichen Tatsache« des Neuen Bundes nicht – wäre doch – dies eingestanden – ein Übertritt zum Christentum unausweichlich. »Ich verstehe«, so Blüher, »diesen Schwächeanfall meines Gegners nicht. Gibt er auf einmal die jüdische Theologie auf?«365 Schoeps bleibt dieser Frage keine Antwort schuldig: Indem er eine scharfe terminologische Unterscheidung zwischen »Anerkennen« und »Glauben« zieht, kann er noch einmal beglaubigen: Nicht Jesus ist für uns der Weg zum Heil, sondern das Gesetz des Bundes, den Gott mit uns geschlossen hat auf Weltzeit, und dieses Gesetz bedarf keiner Erfüllung, sondern indem es als der Griff Gottes nach dem Sünder erfahren wird, ist Erfüllung.

Daher: Aber wir können nicht anders denn als unerforschliche Tatsache der Heilsgeschichte »anerkennen«, daß es Gott gefallen hat, sich der Welt außerhalb Israels noch auf besondere Weise zu offenbaren und durch Leib und Blut Jesu mit der Welt einen neuen Bund zu schließen.366

Gleichwohl gehe der Alte Bund nicht im Neuen Bund auf. Nach diesen Zeilen muss es im Frühjahr 1932 zu einer persönlichen Begegnung von Blüher und Schoeps im Hause Blühers gekommen sein, eine Begegnung, bei der Schoeps vor dem Hintergrund seines eigenen Entwurfs einer Theologie eine systematische Parallele zwischen der Bedeutung des Blutes im christlichen Abendmahl und der Blutsgemeinschaft Israels durch das Ereignis am Sinai hergestellt hat. 134

Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

Aus dieser Annahme jedoch zieht Blüher – so wäre es heute auszudrücken – rassistische Schlussfolgerungen derart, dass es keine »Blutmischungen« mit Juden geben könne – seien doch Mischlinge »nur die vorübergehende Einkleidung desselben jüdischen Wesens in ein fremdes Gewand«.367 Höre doch etwa Trotzki keineswegs auf, Jude zu sein, wenn ihn die Synagoge ausschließe; seien doch die Juden, sei doch »Israel« im empirischen Sinne ein »Volk«, weshalb Blüher ausdrücklich dem von Schoeps aufs Schärfste abgelehnten Zionismus in der Sache beipflichtet. Da aber die Entwicklung der Natur die Menschheit in ihrer Summe in Form der »Allogenität«, d. h. »des geburtshaften Unterschiedes zwischen Edel und Gemein«, hervorgebracht habe, sei es nur folgerichtig, dass Theodor Herzl, den Blüher durchaus für ein Beispiel »edler Rasse« hält, seine Umsiedlungspläne zuerst auf die unteren Schichten der Juden, ihr Proletariat bezogen habe. Politisch folgt aus dieser Einsicht aber, dass Schoeps – anders als sein Bekenntnis – kein Preuße sein könne. Daher können nach Blühers Überzeugung Juden nur »Metöken« sein, eine Bezeichnung, die er keineswegs verächtlich verstanden haben will, bedeute dies doch nur »Mitbewohner«. Denn: Ich stosse immer wieder auf das Phänomen, daß der Jude den Staat nicht begreift. Er meint immer Gesellschaft und spricht von Staat; er ist immer tief verletzt, wenn man ihm die ganz selbstverständliche Meinung sagt: genießt alle Freiheit im gesellschaftlichen Leben, wo man euch im Grundsatz alles zugesteht! Also: in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kunst, und was es da sonst noch gibt. Nur im Staat ist es unmöglich, den Juden zu dulden; der jüdische Offizier und der jüdische Beamte sind nun einmal Fehlinvestitionen.368

Dieses Verdikt rührt nicht aus einem Zweifel an der patriotischen Zuverlässigkeit jüdischer Fachleute, Blüher will auch nicht mit »nationalistischen Sektierern«369 in einen Topf geworfen werden – in letzter Instanz vertritt er, ohne das bisher eigens entfaltet zu haben, eine Konzeption des deutsch-christlichen Staates, kann und will er sich den deutschen Staat nicht als religiös neutralen Staat vorstellen, und zwar deshalb nicht, weil für ihn »deutsch« nicht anders denn als auch »christlich« zu denken und zu verstehen ist. Seine grundlegende Annahme, dass politische Bekenntnisse noch kein politisches Sein begründen, wird Schoeps in seiner Antwort als »restlos natural« sowie als an einem »biologisch orientierten Seinsbegriff« verpflichtet kritisieren. Politisches Sein, so Schoeps im Gegenzug, ist »geschichtliches Sein«, dieses aber wiederum beruht auf gewählten, existenziellen Entscheidungen, die auch Angehörige des nicht mehr ethnisch, sondern nur noch sakral zu verstehenden Judentums eingehen können. Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Daher: »Wer zur schwarz-weißen Fahne tritt, wenn der Hohenfriedberger Marsch getrommelt wird, weil er vor Schicksal und Geschichte sich so entschieden hat, der ist Preuße, eben indem er für das Erbe von Hohenfriedberg die geschichtliche Verantwortung übernimmt.«370 In Hohenfriedberg fand am 4. Juni 1745 eine entscheidende, von Preußen gewonnene Schlacht im Rahmen des von Friedrich II. begonnenen schlesischen Krieges statt. Nach der Legende soll König Friedrich II. nach der Schlacht den »Hohenfriedberger Marsch« komponiert haben, was historisch nicht bis ins letzte bewiesen ist. Schoeps erläutert in dieser Passage nicht genauer, was es in seiner Gegenwart, also 1932 heißen könnte, für ein derartiges Ereignis die Verantwortung zu übernehmen. Vielmehr fragt er vor diesem Hintergrund: »Warum soll denn nun der einzelne Jude sich nicht zu Preußen bekennen und preußisch zu existieren vermögen.? Und warum soll er, vorausgesetzt die nötige politische Substanz, kein staatliches Bewußtsein haben können? Werfen Sie doch«, so spricht er Blüher in seinem Brief ein weiteres Mal an, »einen Blick in die Schriften Friedrich Julius Stahls, um sofort echte preußisch-konservative Substanz neben einem genuinen Offenbarungsverständnis verspüren zu können – vielleicht mehr als bei dem doch reichlich liberalen Reichsfreiherrn vom Stein.«371 Friedrich Julius Stahl wurde 1802 als Jude mit dem Namen Joel Jolson-Uhlfelder in Würzburg geboren und starb 1861 in Bad Brückenau. Noch als Schüler zum evangelischen Glauben übergetreten, wurde er nach einem Studium der Philosophie und der Rechtswissenschaften und der aktiven Beteiligung am burschenschaftlichen Leben zunächst von der Universität relegiert, um schließlich 1826 in Würzburg mit einer Arbeit über das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem im Recht promoviert zu werden. 1832 in Erlangen zum außerordentlichen Professor ernannt, wurde er im Preußen der Reaktion von Friedrich Wilhelm IV. zum Professor der Rechtsphilosophie sowie des Staatsund Kirchenrechts berufen, um in Berlin rationalistische und eher liberale Lesarten der Hegel’schen Rechts- und Staatsphilosophie zu bekämpfen. Gutachterlich sprach er sich in dieser Position gegen die Zulassung von Juden als Dozenten aus. Aktiv in der konservativen Presse, der »Kreuzzeitung«, sowie als Abgeordneter lehrte er, beeindruckt und beeinflusst von der Philosophie des späten Schelling und der historischen Rechtsschule, vor allem Savignys, eine offenbarungstheologisch begründete monarchische Theorie politischer Souveränität. Ein Jahrhundert später sollten ihn, der Staat immer nur als »Rechtsstaat« verstanden haben wollte, nationalsozialistische Juristen, nicht zuletzt Carl Schmitt, rassistisch denunzieren. In seinem erstmals 1938 publizierten Buch »Der Leviathan« schreibt Schmitt: 136

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Stahl-Jolson ist der Kühnste in dieser jüdischen Front. Er dringt in den preussischen Staat und in die evangelische Kirche ein. Ihm dient das christliche Sakrament der Taufe nicht nur, wie dem jungen Heine, als »Entreebillet« zur »Gesellschaft«, sondern als Ausweis zum Eintritt in das Heiligtum eines noch sehr soliden deutschen Staates.372

Was Schmitt in geradezu paranoider Weise hier für »jüdisch« hielt, war dasBeharren Stahls auf dem Prinzip des »Rechtsstaats«, das er letztlich doch über Dezision, Feindschaft und Willkür als Elemente des Politischen setzte. Dem auch sah sich Schoeps verpflichtet, der Stahl später in seiner Geschichte Preußens gebührend würdigen sollte. 1932 jedenfalls ging es um die Frage, ob die charismatische Hitlerbewegung selbst ein ausweisbares Prinzip staatlicher Ordnung präsentieren könne. Schoeps – und das ist erstaunlich genug – etikettiert die Truppen der Hitlerbewegung, die S. A. als »neupreussisch«. Indes: Während die klassischen Preußen zum König um seines Gottesgnadentums standen, speist sich das »neupreussische Führertum der Hitlerbewegung«373 aus anderen Motiven, aus Motiven, die Schoeps aus seiner jugendbündischen Biographie durchaus vertraut waren: Hier ruht alles auf dem Untergrund des Eros: Der geliebte Führer, die männerbündlerische Gefolgschaft, das Heerlager in Permanenz als ihre Existenzform und ihr Lebensinhalt, der Kampf um das Dasein, ganz auf sich gestellt und jeden transzendenten Auftrag ablehnend – das sind rein heidnische Seinsvorgänge, die das Wesen dieses anderen Preußentums ausmachen.374

Mit dieser Erläuterung bemüht sich der junge jüdische Theologe bewusst darum, seinen Dialogpartner auf eine gemeinsame, christlich-jüdische Basis zu verpflichten – vertieft um ein geschichtsphilosophisches Argument derart, dass das Prinzip des Männerbundes ein »vorgeschichtliches Phänomen« sei, welches das Prinzip des Staates und der Staatsräson überhaupt nicht erreichen könne. Schoeps bestreitet überhaupt nicht die Wirkmächtigkeit dieser Motive, will aber deutlich machen, dass sie in keiner Weise konservativen Prinzipien entsprechen. Nicht zuletzt – und so aufrichtig argumentiert er denn 1932 doch – lässt sich unter diesen Bedingungen die ja auch von Blüher angesprochene Frage nach der Stellung des Judentums zum Staat überhaupt nicht angemessen stellen, geschweige denn beantworten. Die innere Dialektik dieses Verhältnisses aber lasse sich am Beispiel Preußens – neben Sparta – besonders klar erhellen: Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Immer dann aber, wenn das Heidnische aus der Latenz in die Potenz übergeht, d. h. das Preussische ausschließlich als Appell an die heidnischen Schichten im Menschen verstanden, die Dämonien des Blutes aufgerufen werden, ist dem Juden über die Erfüllung der ihm in jedem Fall verbindlichen Untertanenpflicht hinaus jeder direkte Zugang abgeriegelt, weil bei ihm das Blut ja gerade in ausgezeichneter Weise an Gott geknüpft ist.375

Diese Bemerkung leitet zu Schoeps’ Überlegungen über den Charakter des Judentums als »Volk« über – Überlegungen, die in nicht geringem Ausmaß Überlegungen Franz Rosenzweigs aus dem 1921 erschienenen »Stern der Erlösung« verpflichtet sind. Findet sich doch im »Stern der Erlösung« eine vom späten Schelling beeinflusste Theorie des jüdischen Volkes als des Trägers des jüdischen Glaubens. Rosenzweig war in seiner spekulativen Soziologie der Überzeugung, dass die Juden, die – anders als alle anderen Völker – weder über ein Land noch über eine gemeinsame Alltagssprache noch gar über die Fähigkeit zur Kriegsführung verfügen, all dies zwar einmal – in der Jugendzeit des Volkes – besaßen, es aber spätestens mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem verloren hätten. Ohne Land, Sprache und Kriege lebte das Volk seither nur noch im geschlossenen Raum des liturgischen Jahres und gewann seine Fortexistenz in der Zeit einzig durch das »Seid fruchtbar und mehret Euch«, also durch die – wie Rosenzweig es ausdrückte – Kraft des »Blutes«.376 Das Leben im liturgischen Jahr und in familialer Kontinuität bannt die Juden somit in einen Raum jenseits jeder nationalen Geschichte und auch jenseits der Weltgeschichte, einer Weltgeschichte, die nach Rosenzweigs Überzeugung durch das Christentum und seinen messianischen Missionsauftrag geprägt wurde. Während also die christliche Welt durch und durch geschichtlich ist und jenem Endpunkt entgegenstrebt, da alle Völker den Gott der Bibel anerkennen werden, befinden sich die Juden als Volk bereits dort, wo alle anderen hinstreben: in einem stehenden, transhistorischen Jetzt, in dem es jene Ewigkeit schon gewonnen hat, nach der die restliche Menschheit sich vielleicht sehnt. Wird aber das Politische in der Welt der Staaten – so Schoeps – auf das Prinzip des Blutes gestellt, so »ist dem Juden über die Erfüllung der ihm in jedem Fall verbindlichen hinaus jeder Zugang abgeriegelt, weil bei ihm das Blut ja gerade in ausgezeichneter Weise an Gott geknüpft ist«.377 Diese – von Schoeps später ausführlich über Rosenzweig hinaus begründete – Annahme wird Blüher ebenso hämisch wie treffend als Theorie einer »Sakralrasse« bezeichnen – seien doch die Juden der einzige Fall in der Geschichte, »dass Rasse und Religion dasselbe sind und es«, so Blüher noch 1953 (!), »bis 138

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heute blieben«.378 Zwanzig Jahre zuvor schon hatte Schoeps den Versuch unternommen, die jüdische »Rasse« analog zum Vergemeinschaftungsprinzip der christlichen Kirche zu erläutern: Und nur in Analogie zur Kirche zu verstehen ist die Judenheit, sie aber durch das zum mittlerlosen Offenbarungsempfang geweihte Blut, das in den Leibern der Juden fließt, ein dem Herrn heiliger Leib, durch Gottes Erwählung zum Heil bestimmt, wenn sie das Unterpfand der Erwählung annimmt, d. h. dem Gesetz so begegnet, wo ihm einzig begegnet werden kann: in der Kreatursituation der Gottesfurcht.379

Tatsächlich unterstellt der so protestantisch geprägte Schoeps hier ein durchaus katholisches, eventuell noch lutherisches Verständnis von Kirche, wonach das Abendmahl mehr und anderes als nur ein Erinnerungszeichen und die »Kirche« mehr als nur ein konfessioneller Personenverband ist, und legt dieses Kirchenverständnis seiner Konstruktion des Judentums zugrunde. Die biblischen Israeliten hätten entsprechend in ihrer Leiblichkeit eine »konstitutionelle Anlage zum Heil, die organische Disposition zum Offenbarungsempfang« besessen.380 Mit diesen Überlegungen – das lässt sich nicht anders ausdrücken – lässt sich Schoeps doch auch auf den hegemonialen Diskurs des Rassenantisemitismus ein, wenn er in einer Fußnote schreibt, daß man den Judenstamm 3000 Jahre? nach seiner charismatischen Konstituierung noch immer mit etlicher Sicherheit physisch erkennen und den Juden im Gesamthabitus vom Nichtjuden unterscheiden kann, mit größerer Bestimmtheit wenigstens als etwa Angehörige der ostischen oder dinarischen Rasse.381

Darüber hinaus ist Schoeps davon überzeugt, dass Juden und Judentum nur in Analogie zur Kirche zu verstehen sind, freilich so, dass es die durch das Blut anempfohlene, nicht garantierte Gottesfurcht sei, die diese Gemeinschaft konstituiert. Aus dieser Grundüberzeugung und seinen tiefsitzenden gegenrevolutionären Überzeugungen heraus, die er Friedrich Julius Stahl verdankt, kann er dann auch Blüher in und mit seinen antisemitischen Überzeugungen entgegenkommen, wenn er etwa Trotzki als einen »Vertreter der Revolution in Permanenz gegen Gott und Schöpfungsordnung« und ihn somit tatsächlich als »Antijuden« bezeichnet, als einen »Antijuden, dessen dämonische Mächtigkeit um so stärker wirkt, als er einmal Jude war (…)«.382 Dem kann Blüher nur zustimmen, wenngleich er Schoeps grundsätzlich entgegenhält, dass es – was Schoeps ja eingestanden habe – doch das »Blut« Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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sei, das auch noch jemanden wie den russischen Revolutionär zum Juden mache. Versteht Blüher Schoeps und seine Überlegungen richtig, wenn er den Juden unterstellt, dass ihr »von Abraham her aufgezüchtetes Blut« zum »Glaubensorgan« wird, »das sich immer wieder bis ans Ende der Tage durch den Samen erneuert«?383 Wenn dem so sei, müsse gelten, dass das Ghetto die dem Juden natürliche Lebensform sei. Daraus zieht Blüher schließlich die Konsequenz, dem Judentum historisch eine positive Funktion zuzuschreiben – nämlich »Versucher und Verwarner des Christentums«384 zu sein. Treffsicher weist er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Schoeps Wesentliches dem reformierten Schweizer Theologen Karl Barth verdankt – einen damals aufsehenerregenden Autor, dessen Anhängerschaft Blüher nicht zögert, als »judenchristliche Sekte« zu bezeichnen.385 Mehr noch: Blüher vermutet, dass die Schule Karl Barths »mehr Juden in die Synagoge zurückführen werde als Christen in die Kirche«.386 Der briefliche Streit zwischen Schoeps und Blüher hatte sich u. a. an der Einschätzung und Bewertung sowohl der »Protokolle der Weisen von Zion« als auch an der ebenso dubiosen Schrift eines »Fürsten der Verbannung« aus dem späten 16. Jahrhundert entzündet – Schriften, bei denen es nach Blüher überhaupt nicht darauf ankam, ob sie im Wortsinne echt waren oder nicht, sondern nur darauf, ob sie eine historische Tendenz wahrheitsgemäß zum Ausdruck bringen. Diese Annahme bringt Blüher gegen Ende ihres Dialogs noch einmal auf den Punkt, wenn er dem Judentum unterstellt, die Säkularisation notwendig »als immanentes Gesetz und Notwendigkeit« in sich zu tragen – und zwar genau deshalb, weil die sinaitische Offenbarung der menschlichen Vernunft nicht widerspreche. Daher kann Blüher jetzt gleichsam panoramatisch festellen, »die ganze jüdische Front bis ins letzte Glied hinein durchsichtig« vor sich zu haben. Sie reicht von Sal. Ludwig Steinheim und der Synagoge über Moses Mendelssohn hinweg herüber nach Karl Marx und Sigmund Freud bis in die Tschandalagruppen des städtischen Literatentums; dazwischen der gelegentlich auftauchende und immer wieder verschwindende Zionismus.387

Blüher beglaubigt, dass diese so bestimmte »Blut- und Glaubensmasse« zum geschichtlichen Eingriff bestimmt sei. Dem kann Schoeps schließlich nur noch entgegenhalten, dass er nie das Blut als »Glaubensorgan« eigener Art behauptet habe, dass seiner Meinung nach das Blut nicht den Glauben selbst vermittelt, sondern nur »potenziell« 140

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an seine gebotene Wiederholung erinnere – also – mit anderen Worten – ein Hilfsorgan des Glaubens sei: Glauben ist jüdisch ein das Sein formender Bewußtseinszustand, nämlich der, der ein für allemal präformiert ist in der Glaubenstreue unseres Stammvaters Abraham. Blut und Same stellen aber die Situation dieser Glaubenstreue niemals her, sondern immer nur die freie Tat des jüdischen Menschen, weswegen es kein Zeitalter gibt, in dem nicht ein Abraham, ein Jakob, ein Moses, ein Samuel leben könnte.

Diese Annahme belegt Schoeps mit einem rabbinischen Verweis: Auf den talmudischen Traktat »Berakhot Rabba«. »Indem also«, so sein Schluss, »das Blut die Einheit des Stammes wahrt, aufbewahrt es die Erinnerung an die Vorgänge des A. T. – das ist die besondere Eigenschaft des jüdischen Blutes durch die Erwählung.«388 1932 schein dem jungen Autor noch nicht ganz klar geworden zu sein, dass er mit seinen Argumentationen einem rassistischen Antisemitismus weit entgegenkam, wenn er also Blüher Einigkeit in der Sache zubilligte »daß schon wegen des Bezugs der Religion auf das Abstammungszentrum das Judesein ein biologisches Phänomen eigener Artung«389 sei. Man merke wohl: Schoeps spricht nicht davon, dass der unzweifelbar gepflogene Abstammungsglaube ein religiöses Phänomen eigener Art sei, sondern davon, dass es beim Glauben um ein biologisches Phänomen gehe. Anders beim Bekenntnis zum Preußentum, das gerade nicht auf Volkstum oder Stammestum verrechenbar sei, sondern auch Juden durch geschichtliche Entscheidung offenstehe. Im Briefwechsel mit Blüher kündigt Schoeps schließlich die Gründung eines »bündischen Gefolgschaftskreises« junger Juden an, der mit seiner Existenz für dieses Bekenntnis zu Preußen einstehen soll. Die ersten Jahre des nationalsozialistischen Deutschlands wurden für diesen Autor eine Zeit dauerhaften Lernens, existenzieller Bewährung und einer intensiven geistigen Suche. So suchte er die Nähe von Rabbiner Leo Baeck, dem er nach 1933 immer näher kam, den er des Öfteren bei sich zuhause besuchte und dem er seine Pläne erläuterte. Es war Baeck, der Schoeps den Auftrag gab, Kontakte zur Bekennenden Kirche zu suchen. Tatsächlich traf er bei dieser Gelegenheit im Pfarrhaus von Martin Niemöller Dietrich Bonhoeffer sowie Pfarrer Albers.390 In seinem Dialog mit Blüher hatte Schoeps wiederholt darauf hingewiesen, dass das nationalsozialistische Führerprinzip sich eher einem männerbündlerisch-homosexuellen Motiv denn einer politisch konservativen Haltung verdankte – er wusste, wovon er als ehemaliger Jugendbewegter, selbst Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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homosexuell, schrieb. Noch in seinen nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er-Jahren verfassten Erinnerungen kommt dies deutlich und authentisch zum Ausdruck – etwa wenn er sich eines »unverbildeten Jungen des deutschen Kleinbürgertums« erinnert: Dieser Junge war prall von Leben und ist durch die Begegnung mit mir um sein junges Leben gekommen. Spatz lernte ich im Herbst 1935 an einer Straßenecke in Berlin-Neukölln kennen. »Spatz« wurde er von mir genannt, wie er wirklich hieß, tut nichts zur Sache. Er war Fähnleinführer im »Deutschen Jungvolk« und mit seinen superkurzen Hosen so auffällig, daß ich mich nach ihm umdrehte. Er warf mir einen frechen Blick zu, ich blieb stehen, während er auf mich zuschlenderte.391

Im Gespräch kamen sich Schoeps und der eben 17 Jahre alte »Spatz« als Kontrahenten über die nationalsozialistische Weltanschauung näher und verabredeten eine gemeinsame Fahrt nach Dänemark. Beiläufig sei Schoeps mitgeteilt worden, dass »Spatz« einem fremden Manne, der etwas von ihm gewollt habe«, »auf der Straße in die Fresse geschlagen habe, da er doch eine feste Freundin besitze.«392 Nach Übereinkünften in der gemeinsamen Koje des nach Dänemark fahrenden Schiffes, es nicht zu sexuellen Kontakten kommen zu lassen, nach gemeinsamem Singen war es angesichts einer auf Deck befindlichen dänischen Jüdin nicht mehr länger möglich, das eigene Judesein zu verhehlen: »(…) ich wurde puterrot und sah nun keine andere Möglichkeit mehr als dem fanatischen Knaben sofort zu eröffnen: ›Hör mal zu, mein Junge, Du weißt das vielleicht noch nicht, daß auch ich ein deutscher Jude bin‹.«393 Nach einer kurzen Trennung trafen sich beide auf dem dänischen Festland wieder und verbrachten eine »Fahrtenwoche voller Gleichklang und Harmonie«. Unter dem Eindruck der Freundschaft mit Schoeps gab der junge Mann schließlich seinen Antisemitismus ebenso auf wie er sich bei Schulungsabenden der Gauleitung gegen den Antisemitismus mit dem Hinweis aussprach, dass er einen Juden kennengelernt habe, auf den die nationalsozialistischen Urteile nicht zuträfen. Bald darauf schloss er sich einer antinationalsozialistischen Widerstandsgruppe an, weswegen er nach damaligem Jugendstrafrecht zu fünf Jahren Jugendgefängnis verurteilt wurde. Nach seiner Entlassung, im Oktober 1938, wohnte er zunächst einige Wochen bei Schoeps, dem es anschließend gelang, ihn bei einem ihm bekannten deutschnationalen Druckereibesitzer unterzubringen. Unter ständiger Bedrohung stehend, wurde Schoeps’ Freund schließlich noch von kommunistischer Seite erpresst, indem man ihm drohte, im Falle seiner Weigerung, weiterhin mitzuwirken, der Gestapo Belastungs142

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material zuzuspielen. Damit wurden persönliche Kontakte für beide immer gefährlicher: Gleichwohl trafen sich beide – drei Jahre später noch einmal. Bei dieser Gelegenheit klärte Schoeps seinen Freund noch einmal über die eigene, persönlich prekäre Lage auf, ließ den Freuzd gleichwohl bei sich wohnen und wurde deshalb auch telefonisch bedroht. Schoeps verließ bekanntlich das Deutsche Reich so spät wie für ihn überhaupt nur möglich, hatte aber vorher mit »Spatz« verabreet, dass dieser ihm kurz darauf mit einem illegalen Grenzübertritt folgen sollte. Das scheiterte: »Spatz« wurde zum Arbeitsdienst eingezogen und danach zur Wehrmacht – der Kontakt brach ab; lediglich im August 1944 erreichte ihn in Schweden ein verschlüsselter Brief, in dem der Freund sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass das Attentat gegen Hitler gescheitert war. Schoeps’ Versuche, die Spuren des Freundes nach dem Krieg zu verfolgen, scheiterten – ihm wurde klar, dass der Freund als ein Soldat von Hitlers Wehrmacht gefallen war. War es wirklich die Wehrmacht? In seinen Erinnerungen schreibt Schoeps, dass der Freund »bei Dirlewanger verheizt«394 worden sei, war doch Oskar Dirlewanger der Kommandant einer berüchtigten, verbrecherischen Einheit der Waffen-SS. Der Freund eines Juden und widerständig aufgestellte Mann als Mitglied einer Mördertruppe.? Schoeps klärt dies in seinen Nachkriegserinnerungen nicht weiter auf, setzte aber dem Freund im Jahr ein ergreifendes, schriftliches Denkmal: Mich hat das sehr verpflichtet – mehr als sonst etwas im Leben. Wie oft geschieht es schon, daß einer auf alles verzichtet und um des Freundes willen sein Leben opfert. Eigentlich bin ich nur seinetwegen nach Deutschland zurückgekehrt – wider alle Vernunft. Ich habe Deutschlnd nicht wiedergefunden. Fünfundzwanzig Jahre später wurde es mir zur traurigen Gewißheit, daß es zwar hier und dort auch unter den Wohlstandsfellachen und ihrer Jugend Unzeitgemäße, aber daß es das alte Deutschland nicht mehr gibt. Es hat damals unter Hitler und durch Hitler von sich selber Abschied genommen. Die Wunden bluten weiter (…).395

Als tröstlich gilt ihm in jenen Jahren des Aufbegehrens eines Teils der studentischen Jugend, dass junge Deutsche wie der geliebte Freund in den Liedern weiterleben, die in der Bündischen Jugend gesungen wurden – was freilich nur verstehe, »wer selber zur bündischen Jugend gehört hat«.396 Wiederum gilt die Erinnerung »Spatz«, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ein »Nachholbedürfnis an Klampfenliedern« gehabt habe. Der weit über 60 Jahre alte Autobiograph erinnert sich an ein Lied aus einer Erzählung des auch und zumal in der Jugendbewegung hoch geschätzten, später ob seiner Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Rolle im Dritten Reich hoch umstrittenen Manfred Hausmann (1898–1986), nämlich an das ».Reiterlied« aus dessen Erzählung »Mond hinter Wolken« aus dem Jahre 1938 (!). Dort hieß es: Sie haben uns verraten / die mit uns wollten sein. / Ihr lieben Kameraden, / wir sind nun ganz allein. / Nun schlagt die Trommel fester / für alles Hab und Gut / und schlagt sie auch mal leiser / für unser junges Blutt. Wir traben immer weiter, / wir haben das Gebot, / wir sind verlorene Reiter und reiten in den Tod.

Dieses Lied, so erinnert sich Schoeps, habe der Freund in dem Wissen gesungen, wie entsetzlich Einsamkeit und Tod sein können. Schoeps hatte »Spatz« auf einer Straße in Berlin kennengelernt. Die auch noch im Nationalsozialismus homoerotische Öffentlichkeit der Straßen von Berlin führte einige Zeit vorher zu einer der makabersten und eigentümlichsten Begegnungen jener Jahre – einer Begegnung, die auch noch in der Erinnerung beweist, dass – jedenfalls ein im weitesten Sinne zu Deutschland stehender Jude wie Schoeps, er war damals etwa 25 Jahre alt, den Judenhass der Nationalsozialisten nicht wirklich ernst nahm. Ernst Röhm (1887–1934), der Führer der SA, den Hitler 1934 im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches erschießen ließ, war nicht nur ein homosexueller Männerbündler, sondern galt auch als Repräsentant, wenn nicht Führer des sozialrevolutionären Flügels der NSDAP – eine Gestalt, die zumal den bürgerlich-konservativen Parteigängern Hitlers zuwider war und dessen sich dieser dann auch zu entledigen wusste.397 In seinen Erinnerungen erzählt Schoeps, dass und wie er im Frühjahr 1934 mit einem Freund, Fritz Meier, im bekannten Restaurant Kempinski in der Leipziger Straße in Berlin zu Abend aß und sie plötzlich am Nebentisch einen einsamen Gast erkannten, der ihnen auf der illustrierten Presse bekannt wer: der Stabschef der SA, Ernst Röhm. Schoeps gab sich einen Ruck, ging zu Röhm, verbeugte sich, stellte sich als Jude vor und fragte Röhm: »Was haben Sie eigentlich gegen die Juden?«, und erhielt eine durchaus verblüffende Antwort, deren Wiedergabe schon im Jahre 1974 beinahe apologetisch wirkte und auch – soweit das wiederum 40 Jahre später zu beurteilen ist – von der Forschung nicht bestätigt wurde – was nichts über die Wahrheit dieser Erinnerungen aussagt. Im Frühjahr 1934 waren, das immerhin ist einzuräumen, die Nürnberger Rassengesetze noch nicht erlassen worden und der Pogrom vom 9. November 1938 war auch noch lange entfernt. Jedoch: Der von der SA exekutierte Boykott von Geschäften mit jüdischen Inhabern fand erstmals am 1. April 1933 statt – Stahlhelm- und vor allem SA-Mitglieder postierten vor diesen Geschäften 144

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und präsentierten Transparente und Plakate auf denen Folgendes zu lesen war: »Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei(m) Juden! – Die Juden sind unser Unglück! – Meidet jüdische Ärzte! – Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten!« Ein Jahr danach konnten sich Juden gleichwohl noch mehr oder minder unbehelligt auf den Straßen Berlins zeigen – ein Umstand, der womöglich die erstaunliche Unbefangenheit der nachfolgenden Szene erklärt: »Ich fragte«, so erinnert sich Schoeps, »Herr Stabschef Röhm, was haben sie eigentlich gegen die Juden.? Röhm erwiderte: »Die Frage ist idiotisch. Ich habe weder etwas gegen die Juden noch etwas für die Juden, sie sind mir vollkommen gleichgültig.« Schoeps erwiderte: »Aber die Reichsregierung verfolgt doch ein klar antisemitisches Programm, so daß die Juden höchst besorgt sein müssen.« »Röhm«, so Schoeps Erinnerung, »lehnte sich zurück und qualmte: Das ist spezielles Engagement des Führers. Ich habe mich selber schon manchmal gefragt, ob uns dieser Antisemitismus nicht im Ausland häufig schadet. Ich könnte mir die nationale Revolution auch ohne ihn vorstellen. Mussolini kommt doch auch mit seinen italienischen Juden ganz gut aus.« In einer heute kaum noch nachvollziehbaren Naivität ging der junge ­Schoeps gemäß seinen Erinnerungen auf diese Äußerung ein und entgegnete: »Ja, kann man denn nicht mit Hitler einmal darüber reden?«, worauf Röhm erwiderte: »Nein, in dem Punkt ist Adolf nach meinen Beobachtungen nicht ansprechbar, aber sie können es ja einmal selber versuchen.« Röhm blickte versonnen und setzte hinzu: »Wenn Sie Erfolg haben wollen, dann müssen sie sich aber etwas ganz Ungewöhnliches einfallen lassen.«398

Die Idee, die Schoeps daraufhin kam, bestand darin, mit einer jüdischen Gruppe von Jungen, die allemal so arisch aussähen wie Hitlerjungen, zu Hitler zu gehen, ihm die Jungen vorzustellen und ihm dieselbe Frage wie Röhm zu stellen. Tatsächlich fuhr Schoeps nach Frankfurt, um diesen Plan mit einem der Führer des »Schwarzen Fähnleins« zu besprechen. Das »Schwarze Fähnlein« war ein männerbündisches, eher kleines Spaltprodukt des »Schwarzen Haufens«, der wiederum eine Folgeorganisation des deutsch-jüdischen Wanderbundes »Kameraden« war.399 Ein Gespräch mit einem Elternteil, mit dem Vater eines Mitgliedes, der Psychiater war, brachte ihn freilich von seinem Plan ab, da dieser Sanitätsrat ihn davon überzeugte, dass Hitler ein wahnkranker Paranoiker war und er als Vater eines Jungen derlei verbieten werde. Im Jahr 2019 ist freilich noch immer nicht nachvollziehbar, wie Schoeps in seinen 1974 verfassten Erinnerungen zu Protokoll gab, seinerzeit gesagt zu haben: »Mehr als ein paar Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Monate KZ für mich springen nicht raus, die Jungen wird man wahrscheinlich gleich nach Hause schicken.«400 Als ob 1934 nicht bereits bekannt gewesen wäre, was es bedeutete, im KZ inhaftiert worden zu sein. »Ich ging«, so Schoeps in der Erinnerung, »gebeugt heraus und wußte, daß damit der Plan gestorben war. Aber noch heute (d. h. 1974, M. B.) bedauere ich, daß ein solcher oder ähnlicher Versuch nicht unternommen wurde. Da ich des Psychiaters Diagnose für richtig hielt, hätte er unabsehbare Folgen haben können, vorausgesetzt nur, daß es uns tatsächlich gelungen wäre, bis zu Hitler selber durchzudringen.«401 Die Logik dieser Erinnerung ist nicht nachzuvollziehen – besagt sie doch nicht mehr und nicht weniger, als dass gerade, weil Hitler wahrscheinlich – so der Psychiater – »mit Veitstanz oder Schaum vorm Mund« reagieren würde, der Versuch lohnenswert gewesen wäre. Im Rückblick begründete Schoeps seinen Optimismus mit seinen Erfahrungen eines gewissen Korsanke, die ihm das Gefühl vermittelt hatten, »mit derartigen Neurotikern eine gute Hand zu haben«.402 Dieser Korsanke, den Schoeps 1933 in Frankfurt am Main kennenlernte, hatte einen »Bund der Guoten« gegründet und vertrat gegen die »Theologie« des Ludendorffbundes die Meinung, dass zwar Freimaurer und Jesuiten, nicht aber Juden zu den verschwörerischen Mächten des Teufels gehörten. »Es war ganz sicher, daß er zu mir ebenso großes Zutrauen hatte, wie er Abscheu und Haß gegen die Antisemiten Ludendorff und Hitler entwickelte.«403 Im Blick von Schoeps’ Erinnerungen nahmen sich die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft für die in Deutschland lebenden Juden liberaler aus, als das im Allgemeinen im Rückblick vermutet wird. Auf jeden Fall waren diese ersten Jahre für einen kleinen Teil der jüdischen Jugend Jahre des Aufbruchs und der Selbstvergewisserung – die bereits oben behandelte Gründung des »Deutschen Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden« durch Schoeps beglaubigt das – nicht anders, als das bei den ebenfalls nicht verbotenen zionistischen Jugendbünden der Fall war. Die Hoffnungen auf einen Neuanfang des deutschen Judentums gingen bei Dchoeps so weit, dass er tatsächlich – wie später in dem Gespräch mit Röhm beglaubigt – auf eine Unterredung mit Hitler hoffte. Der junge Schoeps war davon überzeugt, dass »nirgendwo in Deutschland (…) Mentalität und Lebensstil des Bürgertums der Jahrhundertwende so hartnäckig festgehalten worden war wie bei den deutschen Juden.«404 – eine Annahme, die in eindrucksvoller Weise auch durch die neuere Forschung belegt worden ist.405 Schoeps jedenfalls hielt es aus diesen Gründen »für die geforderte Aufgabe, eine generationsmäßige Ablösung der bisherigen liberalen 146

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Führergarnitur im deutschen Judentum durch bündisch-solidarische Kräfte zu versuchen, die den Nationalsozialisten vielleicht eher als Verhandlungspartner erscheinen könnten (…) Ich arbeitete daher«, so Schoeps im Rückblick des Jahres 1963,406 »mit einigen Freunden eine Denkschrift über Rechtsstand und Verfassung der deutschen Juden aus, in der ich die Judenschaft als Korporation in einen ständischen Reichsaufbau eingliedern wollte.«407 Und tatsächlich – so unglaublich es aus heutiger Sicht anmutet, der Autor reichte diese Denkschrift tatsächlich in der Reichskanzlei ein und bat um eine persönliche Unterredung mit Hitler. Er erhielt – wie er schreibt – »die höflich gehaltene Antwort, daß der Führer des Deutschen Reiches wegen Arbeitsüberbürdung derzeit bedauern müsse, den Führer des Deutschen Vortrupps (…) nicht empfangen zu können«, um weiter zu berichten, dass er über Freunde aus dem Herrenklub die Denkschrift an den Innenminister Frick, den Finanzminister Schacht sowie den ehemaligen Reichskanzler von Papen habe weiterleiten können. Das war im Sommer des Jahre 1933 und Schoeps war noch 30 Jahre später der Überzeugung, dass zu diesem Zeitpunkt noch nichts entschieden gewesen sei: »(…) aus zuverlässiger Quelle erfuhr ich, daß meine Denkschrift im Innenministerium als konstruktiver Vorschlag ausführlich diskutiert worden sei.«408 Dies drang bis in Kreise der deutschen Emigration in Frankreich vor und bescherte Schoeps schon früh den Ruf, ein jüdischer Nationalsozialist gewesen zu sein bzw. über »jüdische Sonderformationen in der SA« verhandelt zu haben. Tatsächlich war Schoeps um eine Sonderstellung im Kreise jener jüdischen Deutschen bemüht, die mit anderen Motiven loyal zum NS-Staat stehen wollten – etwa der 1919 von Leo Löwenstein gegründete »Reichsbund jüdischer Frontsoldaten«409 mit immerhin maximal 55.000 Mitgliedern oder der 1921 von Max Naumann ins Leben gerufene »Verband nationaldeutscher Juden«, der mit etwa dreieinhalbtausend Mitgliedern eher den Charakter einer Sekte trug. Wie ernst es aber – jedenfalls dem Reichsbund der Frontsoldaten – war, lässt sich einem Schreiben Rudolf Löwensteins an den »Reichskanzler Adolf Hitler« entnehmen, das dieser im Mai 1933 verfasst hatte. Nach einer scharfen Distanzierung – so der zehntausende deutsch-jüdischer Männer repräsentierende Löwenstein an Hitler – von »Personen, die nicht fest in deutscher Heimaterde wurzeln und sich überheblich über Religion und Stamm hinwegsetzen«, geht Löwenstein auf den rassenbiologischen Antisemitismus ein – kaum anders, als das im Briefwechsel zwischen Schoeps und Blüher geschah: Der Rassenstandpunkt widerspricht unserer Forderung nach voller Gleichberechtigung der eingesessenen deutschen Juden nicht. Ich führe als Beispiel an, daß der faschistiMax Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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sche Staat Mussolinis bei gleich starker Betonung völkischen Italienertums die völlige Gleichberechtigung der italienischen Juden stets anerkannt hat. Ein großer Teil derselben zählt zu den treuesten Anhängern des faschistischen Staates. Dabei stehen die italienischen Juden durchaus auf dem Boden ihrer Religion und vertreten sehr bewußt ihre besondere jüdische Abstammung.410

Im Weiteren versucht Löwenstein das Argument durch den Hinweis darauf zu entkräften, dass zumal in nordischen Ländern wie den Niederlanden, den nordischen Königreichen sowie den angelsächsischen Staaten »das Verhältnis zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung das denkbar beste«411 sei. Im Nachwort zu seiner Dokumentation stellt der Herausgeber, Klaus J. Herrmann treffend fest, dass derlei Bemühungen Ausdruck einer verständlichen Schwäche waren, »Schwäche, das offensichtlich geplante Böse nicht sehen zu wollen. Aber die Schwäche ist nicht unehrenhaft«.412 Das sah Hans-Joachim Schoeps im Rückblick ähnlich, sah er doch auf seine »damaligen Appelle, keinen Fußbreit Boden freiwillig aufzugeben und Hitler dadurch Widerstand zu leisten, daß man im Lande blieb und seine beruflichen Positionen so lange als möglich festhielt, mit einigen Bedenken zurück«.413 Glaubwürdig beteuert er, zwar schon damals erkannt zu haben, dass die Reichsregierung ein »organisierter Verbrecherklub« gewesen sei, behauptet aber ebenso glaubwürdig, dass die späteren Verbrechen gegen die Menschlichkeit von niemandem vorhergesehen werden konnten. Die Summe dieser Lebenserfahrung ist belastend: Ich bin mit meinem kompromißlosen Eintreten für das Heimatrecht der deutschen Juden nur den Gesetzen treu geblieben, nach denen ich angetreten war; aber es liegt mir noch heute als Alpdruck auf der Seele, daß ich den hunderttausenden, die dann ermordet wurden, nicht rechtzeitig zur Flucht um jeden Preis geraten habe. Es ist schwer, damit fertig zu werden.414

1935 publizierte Schoeps nach seinem Erstling »Jüdischer Glaube in dieser Zeit« eine »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit«, die 1935 in dem von ihm gegründeten »Vortrupp Verlag« erschien.415 Im Dezember 1934 verfassten Vorwort, Schoeps war damals knapp 25 Jahre alt, fordert er darin nicht nur seine jüdischen Kritiker auf, lieber zu schweigen als die »eigenen sachlich zu drapieren«, sondern rühmt sich nicht zuletzt dafür, die »unvergleichliche Denkleistung Salomon Ludwig Steinheims« erstmals angemessen gewürdigt zu haben.416 148

Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

In den Jahren, als Schoeps seine »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit« abfasste, also seit 1933, lebten etwa 100.000 Jüdinnen und Juden in den Grenzen des Deutschen Reiches, von denen bis 1938 etwa die Hälfte auswanderte. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 195.000 deutsche Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Schoeps selbst setzte seine Arbeit als Leiter des »Vortrupp« mitsamt der damit verbundenen Publikationstätigkeit fort, wurde aber auch bespitzelt und schließlich zur Gestapo einbestellt, da bei einem Vortrag von Rabbiner Maybaum in der Wohnung seiner Eltern behauptet worden sei, dass Esra zwar der Führer des jüdischen Volkes gewesen sei, Hitler aber der Verführer des deutschen Volkes. Mehr noch: Kurz darauf, am nächsten Tag wurden die Mitglieder der Gruppe in den Gestapo-Keller in der Prinz-Albrecht-Straße verbracht, gezwungen, den ganzen Tag – nur unterbrochen von Vernehmungen – mit dem Gesicht zur Wand zu stehen. In der Folge wurde Schoeps systematisch beschattet und in regelmäßigen Abständen vernommen, während sein mittlerweile in Frankfurt am Main ansässiger Buchverlag durch Verbote schikaniert wurde und etwa der Titel des 1935 publizierten Buches »Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden«417 erst geändert werden musste, um schließlich ganz verboten zu werden – Verlage mit jüdischen Inhabern durften nur noch Bücher von Juden für Juden, und zwar nur in jüdischen Buchhandlungen, verkaufen. Schoeps, der einmal ein Referendarexamen abgelegt hatte, wurde Lehrer an einem privaten jüdischen Gymnasium im Grunewald, wo er jene jüdischen Schüler unterrichtete, die aus rassistischen Gründen anderer Schulen verwiesen worden waren. Der 9. November sollte zum Wendepunkt werden. Schoeps besah die brennenden Synagogen und verließ bald die Stadt, um bei einer Verwandten »ernsthaft an die Auswanderung zu denken«.418 Eine mögliche Auswanderung nach Island zerschlug sich, da ihm das Polizeirevier seines Bezirks keinen Pass ausstellen wollte, was schließlich zu dem Plan führte, auf Umwegen einen Pass auf dem Schwarzmarkt zu erwerben: zum Preis von 3000 Reichsmark, von denen in einem zwielichtigen Lokal 1500 sofort als Anzahlung zu begleichen waren; indes: der Plan scheiterte. Es war schließlich der ehemalige Geschäftsführer des konservativen »Herrenklubs«, Friedrich Vorwerk, der – ein Parteiabzeichen am Revers – Schoeps aus alter Verbundenheit den Hinsweis gab, sich ins Auswärtige Amt, zum Leiter der Abteilung VII, Nahost, zu Herrn von Hentig zu begeben, der sich tatsächlich als hilfsbereit erwies. In einem Telefonat mit der Kanzlei Hitlers gelang es von Hentig, die Kanzlei davon zu überzeugen, dass Dr. Hans-Joachim Schoeps der geeignete Kandidat für diskrete Aufträge in Schweden sei. Max Samter und Hans Blüher: Um die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz

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Seine letzten Tage in Berlin verbrachte er mit einem von Leo Baeck erteilten Auftrag, im Hause Martin Niemöllers in Dahlem, vor Vertretern der Bekennenden Kirche über eine »jüdisch-christliche Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus« zu sprechen und – in weiser Voraussicht – einen Flug für den Weihnachtsabend des Jahres 1938 zu buchen – war doch anzunehmen, dass die Aufmerksamkeit des Personals an diesem Abend geringer sein werde. Behilflich war hier Otto von Hentig. Geboren 1886 in Berlin, wurde von Hentig nach einem Studium der Rechtswissenschaften Beamter des preußischen Justizdienstes, um 1911 in den diplomatischen Dienst berufen zu werden. Im selben Jahr noch wurde er Attachee in Peking, später Legationsrat in Afghanistan, um dort herrschende Fürsten zu einem Aufstand gegen Großbritannien zu bewegen; nach langen Reisen durch den Fernen Osten war er als Pressechef der deutschen Botschaft in Konstantinopel tätig. Nach kurzer Unterbrechung, nach vorläufigem Austritt aus dem Reichsdienst seit 1921 wieder Geschäftsträger des Deutschen Reiches in Estland, in Sofia und Posen vertrat er das Deutsche Reich als Generalkonsul in San Francisco und Bogota. Als Leiter der Orientabteilung des Auswärtigen Amtes von 1937–1939 ermöglichte er, wie oben bemerkt, an Weihnachten 1938 die Ausreise nach Schweden. Otto von Hentig war während des Zweiten Weltkrieges »Vertreter des Auswärtigen Amtes« beim Oberkommando der 11. Armee an der Ostfront und übte deutliche Kritik an der Ermordung hunderttausender von Juden an der Front. Nach dem Krieg freilich unterstützte er den den Holocaust befürwortenden Mufti von Jerusalem, Haj Amin el Husseini, bei seiner Flucht aus Deutschland. Von Hentig verhalf also sowohl verfolgten Juden wie Schoeps als auch – nach dem Krieg – einem zu Recht verfemten Judenhasser zur Flucht; von Hentig – ein Unterstützer politisch »Verfolgter«, unabhängig vom Anlass ihrer Verfolgung?

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4 Emigration und »Judenchristentum«  

Hans-Joachim Schoeps sollte länger als sieben Jahre in Schweden bleiben. Das Erste was er tat, als er in diesem neutralen Land ankam, war, sich den Behörden zu stellen und mitzuteilen, daß er in Wahrheit gar kein Beauftragter des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches war, sondern ein »Emigrant« – was zunächst ein Misstrauen der schwedischen Behörden bezüglich der Zuverlässigkeit der deutschen Behörden auslöste. Schoeps beantragte eine Aufenthaltserlaubnis, die in regelmäßigen Abständen, jeden dritten Monat, dann jedes halbe Jahr zu verlängern war. Nach Jahren des Drucks, der Bespitzelung und Verfolgung wirkte die neue Umwelt nicht nur »normal«, sondern geradezu beruhigend: Schweden kam mir wie ein einziges großes Sanatorium vor, und für einige Monate war es auch schön und wirklich erholsam, hinter schalldichten Wänden die etwas strapazierten Nerven zu beruhigen, bei guter Pflege Patient zu spielen und ohne innere Anspannung Ferien vom Ich zu verleben.419

Schoeps zog mit anderen jungen Emigranten zusammen, erhielt sogar ein eher kleines Forschungsstipendium und hielt auf Einladung einer Stiftung Vorträge über die paulinische Theologie im Lichte der jüdischen Religionsgeschichte. Indes: Der gefühlten Ruhe zum Trotz wollte sich kein Interesse an der schwedischen Umwelt, geschweige denn der Wille, in irgendeiner Weise zu ihr zu gehören, einstellen. Auch der Aufbau einer neuen Existenz in diesem Lande lag dem jungen Emigranten völlig fern – er, der sich als Vertriebener verstand, hatte von Anfang an die feste Absicht, nach Deutschland zurückzukehren. Die Zeit der erzwungenen Emigration war zu nutzen – eine Zeit, von der er gleichwohl meinte, dass sie »auf das Ganze« seines »Lebens gesehen sinnlos bleiben würde«.420 Das aber war nicht der Fall: Schoeps nutzte die Zeit zu einem Emigration und »Judenchristentum«

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extensiven Studium in Bibliotheken und Archiven – einem Studium, das der historischen Untermauerung seiner theologischen Überzeugungen von der in gewisser Hinsicht gleichrangigen Stellung von Judentum und Christentum – Überzeugungen, die er schon im Dialog mit Hans Blüher entfaltet hatte – dienen sollten. Schoeps nutzte die etwa acht Jahre währende Emigration nach und in Schweden dazu, anstelle der Position eines dogmatisch begründenden Offenbarungstheologen nunmehr die Haltung eines religionsgeschichtlichen Beobachters einzunehmen, d. h. sich der Frage, wie und mit welchen Grenzen Judentum und Christentum gemeinsame Glaubenselemente aufweisen, religionshistorisch zu stellen. Als Ergebnis der schwedischen Forschungsarbeiten lag bald nach seiner Rückkehr– bereits 1952 – das Buch »Philosemitismus im Barock. Religions- und geistegeschichtliche Untersuchungen«421 vor. So ging es neben Forschungen zum »Philosemitismus« vor allem um die Entstehung des Christentums aus dem Judentum, waren es »besonders die Spätantike und die Entstehung des Christentums«, die sein Interesse fesselten: »Die sonderbaren Schicksale der Urgemeinde Jesu, deren Mitglieder in der zweiten und dritten Generation als ›Ebioniten‹ häretisch wurden, sind von mir sorgfältig durchforscht und dargestellt worden, wie sie bis dahin noch nicht möglich gewesen war.«422 Tatsächlich stellte das bereits 1949 in Tübingen erschienene Buch »Theologie und Geschichte des Judenchristentums« eine bisher einzigartige, bis in die Gegenwart von der Fachwelt gewürdigte Pionierleistung dar. Mehr als zehn Jahre später, 1964 legte Schoeps noch einmal eine stark gekürzte, jedoch inhaltlich ergänzte und in der Sache um neue Einsichten bereicherte Neuauflage vor, in deren Vorwort er seine eigene Forschungsmethodologie von den »Weltanschauungsschlachten« der »Barthianer, Bultmannianer, Quamranexperten und Pangnostizisten«423 programmatisch unterschieden sehen wollte. Sowohl die 1949 als auch die 1964 erschienene Studie waren das Ergebnis der sinnvoll genutzten Zwangsemigration nach Schweden, die zumal in jüngster Zeit – endlich – Gegenstand historischer Forschung geworden ist.424 Unterdessen brach der Zweite Weltkrieg aus, der – eine auch im Rückblick merkwürdige Beobachtung – »auf die Schweden zunächst so wirkte, als gerieten sich die Innerafrikas in die Haare«. Der Emigrant beobachtete, dass »breite Bevölkerungsschichten auf die nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Dänemark und Norwegen verhängte Lebensmittelrationierung »mit einer Art Weltuntergangspsychose reagierten«.425 Beide Werke, »Philosemitismus im Barock« sowie »Theologie und Geschichte des Judenchristentums« entstanden annähernd im selben Zeitraum und stehen auch – trotz strikt getrennter Forschungsfrage – in einem 152

Emigration und »Judenchristentum«

inneren Zusammenhang: Wie »jüdisch« waren die von den Vätern der Kirche für häretisch gehaltenen Ebioniten, die »Judenchristen«, und wie sehr bejahten die barocken Philosemiten die Offenbarungswahrheit des Judentums? Unter dem Titel eines »ebionitischen Chiliasmus«426 stellt Schoeps fest, dass gemäß seiner Forschung nicht zuletzt zu den »Pseudoklementinen« Jesus aus Nazareth nicht nur als »Menschensohn«, sondern als der in Deut. 18,15 verheißene messianische Prophet verehrt worden sei. Gegenwärtig weiß man über die »Ebioniten« mindestens dies: Der »Neue Pauly« – hier unter Auslassung der Literaturhinweise zitiert – bestimmt diese religiöse Richtung so: Sei Irenaeus (übliche zusammenfassende Bezeichnung für ausgewählte heterodoxe judenchristl. Gruppen der Antike. (…) Trotz vielfältiger Erscheinungsformen lassen sich einzelne Charakteristika der E. angeben (1) das Festhalten am mosaischen Gesetz (Sabbat, Beschneidung, jüd. Feste), verbunden mit dem Bekenntnis zum Monotheismus und der Verehrung des Herrenbruders Jakobus als Vorbild der Gesetzesfrömmigkeit, 2) die (spätere) Ablehnung des Opferkultes, 3) die durch das Kommen Jesu, des Auserwählten Gottes, ermöglichte Erkenntnis von »gefälschten« Perikopen, 4) die Ablehnung von Teilen des AT (Propheten) und des Paulus als Gesetzesabtrünnigen, 5) eine gnostisch beeinflußte Christologie, die das Menschsein Jesu betonte. Die E. sind in Kleinasien, Ägypten und Syrien bis ins 5. Jh. nachweisbar. (…).427

Die Ebioniten, so in etwa die Summe von Schoeps frühen Untersuchungen, beglaubigten, dass Jesus das Gesetz nicht aufgehoben habe, weswegen sie in scharfer Opposition zu Paulus stehen und Petrus als gesetzestreuen Apostel bekennen. Dass die Ebioniten gleichwohl in gleichsam pharisäischer Tradition gegenüber der Opferpraxis des ohnehin untergegangenen Tempels feindlich eingestellt waren, widerspricht dem nicht. Durchaus ein Vorläufer der jüngsten Forschungen von Daniel Boyarin und Peter Schäfer interessierte sich Schoeps bereits in den 1940er-Jahren für die Spuren einer Auseinandersetzung mit dem »Christentum« in den talmudischen Schriften, ohne jedoch die Ebioniten in irgendeiner Weise zu verklären – unterzieht er doch etwa ihren überlieferten Vegetarismus einer scharfen Kritik. Am Ende dieser Überlegungen zu den Ebioniten wiederholt Schoeps unter dem Mantel einer religionshistorischen Betrachtung seine scharfe Kritik an einem geistig, durchaus nicht liturgisch liberalen Judentum in der Tradition etwa Hermann Cohens, wenn er sich auf die ebionitische Hoffnung, dass die Bekehrung zu Christus und das Beglaubigen des jüdischen Gesetzes ein und dasselbe seien, bezieht: Emigration und »Judenchristentum«

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Diese Erwartung des Judenchristentums der Spätantike, daß sich die beiden großen Religionen seines eigenen Ursprunges in einer opera bona Moral zusammenfinden werden, ist aus dem guten Grund nicht eingetreten, weil sich weder Judentum noch Christentum auf einen dürren Moralismus reduzieren lassen (…) Insoweit ist der Christus Jesus – novus Moses-Glauben der palästinensischen Urgemeinde wie der Ebioniten Transjordaniens von der Kirche aller Zeiten zur Unfruchtbarkeit verurteilt geblieben; doch die in diesem ihren Glauben vorausgesetzte Heilsökonomie, daß Gott – modern gesprochen – durch die Offenbarungen auf Sinai und Golgatha zwei Bünde mit der Menschenwelt geschlossen hat, die im letzten doch nur einer sind – diese markante Ausdeutung des weltgeschichtlichen Nebeneinander von Judentum und Christentum kennzeichnet als noch heute aktuelles Gegenstück zur paulinischen Theologie der Bünde eine letzte Überzeugung ebionitischer Theologie.428

Die letzte Äußerung gibt Anlass zu der Vermutung, dass Schoeps selbst zu dieser »letzten Überzeugung« ebionitischer Theologie stand und sie sich in gewisser Weise auch zu eigen macht, jedenfalls so, dass Juden und Christen ihre je eigenen Offenbarungen als Offenbarungen anerkennen und respektieren, ohne indes auf den Abweg zu geraten, beider Bünde Gemeinsamkeit in der Schwundstufe einer universalistischen Moral zu sehen. Diese Überlegung führt im Weiteren zu einer Rekonstruktion der praktischen Ethik des Ebionitismus, von der Schoeps behauptet, dass sie »in der jüdischen imitatio dei«429 ihre Wurzel habe – eine durchaus ungewöhnliche und von den Quellen in keiner Weise gedeckte Redeweise, das sind für Schoeps streng gesetzliche, aber eben doch dem Tempelkult entgegensstehende Juden, die – anders als das gleichzeitig entstehende rabbinische Judentum – durchaus auch der Mission von Nichtjuden zugeneigt waren, denn: wenn Christus das Gesetz des Bundes vom Sinai als Heilsgrundlage der Welt bestätigt habe, »dann muß auch alle Welt für den durch Christus reformierten Bund vom Sinai gewonnen werden«.430 Um den Nachweis bemüht, dass zumal die pseudoklementinischen Schriften eine strikte Kritik an gnostischen und marcionitischen Glaubensweisen enthalten, schließt Schoeps, dass der Ebionismus aus der Perspektive des sich damals herausbildenden normativen, rabbinischen Judentums dennoch als eine Häresie betrachtet wurde: Darum war die zu Beginn des 2. Jahrhunderts formulierte Birkat ha – Minim der Semone Esre: das Gebet zum Himmel um ihre baldige Ausrottung – gegen diejenigen die vielleicht den Schlüssel zu einer Reform des Judentums in der Hand gehabt haben, mit der das Judentum dem damals anhebenden Schicksal der Selbstverkapselung hätte entgehen können.431

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Damit zielt Schoeps in den frühen 1940er-Jahren auf nichts weniger als auf den Gedanken eines nicht auf Moral reduzierten gesetzesgläubigen Universalismus, den er abschließend – in Vorwegnahme neuester Forschung und der Tradition Adolf von Harnacks und Abraham Geigers – ausgerechnet im Islam findet, der ein Abkömmling dieses Judenchristentums gewesen sei, ergebe sich doch als Paradox wahrhaft weltgeschichtlichen Ausmaßes die Tatsache, daß das Judenchristentum zwar in der christlichen Kirche untergegangen ist, aber im Islam sich konserviert hat, und in einigen seiner treibenden Impulse bis in unsere Tage hineinreicht. Die ebionitische Kombination von Moses und Jesus hat in Muhammed ihre Erfüllung gefunden und beider Wesentliches wurde so durch das Judenchristentum – hegelisch gesprochen – in den Islam hinein aufgehoben.432

Schoeps sollte sich den in der schwedischen Emigration begonnenen Themen und Arbeiten auch später in verschiedenen Formen und Auflagen erneut widmen: 1956 erschien in Tübingen eine Sammlung des »ordentlichen Professors für Religions- und Geistesgeschichte unter dem Titel »Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis« sowie – drei Jahre später – eine weitere Studie zu Paulus unter dem Titel »Die Theologie des Apostels im Lichte der jüdischen Religionsgeschichte«.433 Die stark gekürzte und auf das Wesentliche beschränkte Neuauflage der großen Studie verstärkt diese Argumentation, indem sie die Hochschätzung des Propheten im Islam mit der ebionitischen Verehrung von Jesus als messianischem Propheten kurzschließt. Stehe doch hinter diesem Gedanken einer Prophetenlinie ein dem Islam typischer universalsistischer Gedanke von den Propheten als jenen Vertretern der Menschheit, mit denen Gott einen Bund geschlossen habe. »Mohammed wie die Ebioniten wollten die Korrektur von Fehlentwicklungen im Gesetz und die Reformation des Ursprünglichen.«434 Jahre später, 1959, sollte Schoeps noch einmal aus seiner neu gewonnenen religionshistorischen Beobachterperspektive heraustreten und im Anschluss an eine nunmehr in der Bundesrepublik publizierte, auf den in Schweden entstandenen Vorarbeiten beruhenden Studie über den Apostel Paulus seine frühen, 1932 – er war eben 22 Jahre geworden – systematischen Überlegungen zur einer Theologie des Judentums bekräftigen und beglaubigen. Dieses Buch435, das in stupender Weise die ganze bis dahin entstandene theologische und religionsgeschichtliche Paulusforschung berücksichtigt, postuliert – zunächst nur in Andeutungen, dann zunehmends ausdrücklicher – die Gleichwertigkeit Emigration und »Judenchristentum«

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jüdischen und christlichen Glaubens. So schließt etwa das dritte Kapitel »Die Eschatologie des Apostels Paulus« mit folgender Bemerkung: Das aber ergibt den Aufriß eines ganz neuen heilsgeschichtlichen Bildes, den das Judentum der Welt schuldig geblieben ist. Am Gott der Väter, der sich am Sinai offenbart hat, haben seit Christus auch die Menschen aus den Völkern Anteil bekommen – ohne daß Jakobs Erstgeburtsrecht angetastet wurde –, indem sie auf ihren christlichen Weg berufen wurden.436

Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege In seiner Untersuchung geht Schoeps, um den rabbinischen Hintergrund des paulinischen Glaubens auszuweisen, systematisch so vor, dass er Aussagen des Apostels immer wieder mit Aussagen aus Talmud und Midrasch konfrontiert, wobei er sich immer wieder Strack/Billerbecks sechsbändigem, erstmals 1922 erschienenen »Kommentars zum Neuen Testament aus Talmud Midrasch« bedient. Auf die später immer wieder an diesem verdienstvollen Werk geäußerte methodische Kritik, dass Midrasch und Talmud mindestens 100 Jahre nach den Schriften des Neuen Testament verfasst wurden, geht Schoeps an keiner Stelle ein und nimmt sie auch nicht vorweg. Auf jeden Fall bezieht er sich auf Franz Rosenzweig, der eine innere Beziehung zwischen der Opferung Isaaks durch Abraham auf dem Moriah und Jesu Kreuzestod auf Golgatha gesehen habe437 – und zwar so, dass die Opferung Isaaks als einzigen Sohns diesen in gewisser Weise zu Gottes Sohn gemacht habe. Gleichwohl fällt er sich bei diesen Überlegungen – ganz so, als ringe er hier mit sich selbst – immer wieder ins Wort. So, wenn er sich die Frage stellt, woher denn der paulinische Gottesglaube stamme, wenn er denn schon jüdisch nicht belegbar sei: Wir sehen in dem »Hyos Theou« Glauben und nur in ihm – die einzige, allerdings entscheidende heidnische Prämisse des paulinischen Denkens. Alles, was mit ihm zusammenhängt (z. B. der herabsteigende Himmelsmensch des Philipperbriefes, das Mitsterben des mit Christus, die realistische Sakramentsverwertung u. a.), ist unjüdisch und führt in die Nähe heidnischer Zeitvorstellungen.438

Diese Behauptung kann nur dann gelten, wenn man den in Alexandrien lehrenden und lebenden Philo selbst als unjüdisch ansieht – war es doch Philo, der systematisch vom »Logos« als einem »Sohn Gottes« geschrieben hatte.439 156

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Inzwischen ist die Forschung – auch dank Schoeps’ Pionierarbeit – sehr viel weiter. Nicht zuletzt der in Berkeley lehrende Daniel Boyarin, ein orthodoxer Jude, hat das endgültige Auseinandergehen der Wege von »Judentum« und »Christentum« sogar bis ins 4. Jahrhundert verlegt. Im babylonischen Talmud, im Traktat Berakhot, wird die Frage erörtert, warum das »Achtzehnbittengebet«, das sich gemäß rabbinischer Lehre auf die 18 Gottesnamen bezieht, tatsächlich 19 Bitten enthält, also um jene Bitte erweitert wurde, die später als »Birqat ha Minim«, als Ketzersegen bezeichnet wurde. Dieser Ketzersegen, bei dem bis heute nicht restlos geklärt ist, ob es sich bei den »Minim« um Jesusanhänger, Gnostiker oder andere Abtrünnige handelt, lautet in der bis heute überlieferten Fassung – kein anderer Vers des Achtzehnbittengebetes erfuhr seither so viele Änderungen – so: Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Ruchlosen mögen im Augenblick untergehen, alle mögen sie rasch ausgerottet werden, und die Trotzigen schnell entwurzle, zerschmettre, wirf nieder und demütige sie schnell in unseren Tagen. Gelobt seist du Ewiger, der du die Feinde zerbrichst und die Trotzigen demütigst.440

Es liegt auf der Hand, dass diejenigen, die hier als »Verleumder« als »Malschinim« bezeichnet werden, von den Autoren der Brakha aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen und ihr als nicht mehr zugehörig zugerechnet werden sollen. Das heute gebräuchliche »Malschinim« ist übrigens neuerer Herkunft und erst seit der Renaissance belegt, vorher stand dort »Meschumadim«, was genau übersetzt »Abtrünnige« oder mit dem griechischen Ausdruck »Apostaten« bedeutet. Freilich ist seit 1925 eine Variante des Textes bekannt, der so lautet: »Mögen die Abtrünnigen keine Hoffnung haben, es sei denn daß sie zu deiner Tora zurückkehren, und mögen die Nazarener und die Minim augenblicklich verschwinden. Mögen sie aus dem Buch des Lebens getilgt und nicht mit den Gerechten eingeschrieben werden.«441 Wer hat diese Brakha wann verfasst? Und wer galt – gemäß welchen Kriteriums als »abtrünnig« – wovon? Wer waren die Nozrim und wer die Minim? Handelte es sich um Angehörige derselben Gruppen, oder ging es um zwei verschiedene Gruppen? Und wenn ja, worin unterschieden sie sich? Der Kirchenvater Hieronymus immerhin wusste noch im 5. Jahrhundert, dass es eine jüdische Sekte gab, die »Minim« oder auch »Nazarener« genannt wurden. Die talmudischen Schriften geben auf all diese Fragen eine außerordentlich verwirrende Antwort:

Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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Die Rabbanan lehrten: Simon der Flachsmann ordnete vor R. Gamliel in Jabne die achtzehn Segenssprüche in ihrer Reihenfolge. Da sprach Rabban Gamliel zu den Weisen: Gibt es jemanden, der einen Segensspruch gegen die Minäaer abzufassen weiß? Hierauf stand Semuel der Kleine auf und faßte ihn ab. Im folgenden Jahre vergaß er ihn und dachte zwei, drei Stunden über ihn nach, man hieß ihn aber nicht abtreten (d. h. nicht den Platz des Vorbeters einnehmen, M. B.) – Wieso hieß man ihn nicht abtreten? R. Jehuda sagte im Namen Rabhs, daß wenn er bei einem aller anderen Segenssprüche sich geirrt hat, man ihn nicht wiederholen lasse, wenn aber beim Minäersegen, man ihn wiederholen lasse, weil wir befürchten, er sei Minäer? – Anders war es je bei Semuel dem Kleinen, denn er hat ihn ja selbst abgefasst. – Man sollte ja befürchten, er sei übergetreten.442

Moralphilosophisch geht es hier um die Frage, ob Menschen, die einmal gerecht waren, zu Frevlern werden können oder ob frühere Frevler später einmal gerecht werden können. Die vorgetragene Geschichte gibt mehrere Rätsel auf: Sofern die historische Zuordnung zutrifft, spielt die Geschichte während der Regierungszeit des von den Römern bestätigten Patriarchen Gamaliel II., dem Enkel von Johanan ben Zakkai, der wahrscheinlich zwischen dem Jahr 80 und dem Jahr 115 lebte, sein Amt also zur Regierungszeit des Kaisers Domitian antrat und n noch zu Zeiten Kaiser Trajans starb – wahrscheinlich vor dem Quietus- und auch lange vor dem Bar Kochba Aufstand. Von Shmuel dem Kleinen443 scheinen wir zu wissen, daß er vor Gamaliel II. starb und noch – von den Rabbis Gamaliel und Eleazar ben Azarja gesegnet – prophezeite, daß »Shimon und Ishmael durch das Schwert« sterben würden, deren Mitstreiter jedoch weiterer Gewalt und Plünderungen zum Opfer fallen würden. Der Aufstand, vor dem Shmuel warnen wollte, wurde später als der von Trajan niedergeschlagene gewalttätige Aufstand von wahrscheinlich zelotisch gesonnenen Juden rings ums Mittelmeer als »Quietus Krieg« bezeichnet. Nach diesem Aufstand, der zu allerletzt Judäa erreichte, war das alte und traditionsreiche, meist hellenistische ägyptische Judentum ebenso vernichtet444 wie das Judentum Nordafrikas445, beides Landstriche, die in besonderer Weise Orte des jüdischen Proselytismus446 waren und nach dem Aufstand zu Kerngebieten des sich ausbreitenden Christentums wurden. Man hat sich nun folgende befremdliche Szene vorzustellen: Ein Rab, Shmuel der Geringe, meldet sich spontan auf Gamaliels Aufforderung, einen Fluch gegen die Abtrünnigen für das alltägliche Gebet zu verfassen, und erweist sich knapp ein Jahr später als Beter in der Synagoge für unfähig, den von ihm selbst verfassten Spruch laut zu wiederholen. Die Rabbanim haben – wie der 158

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talmudische Text zeigt – erst gar keine Zeit daran verschwendet, über einen – psychopathologisch oder auch organisch verursachten – krankhaften Ausfall nachzudenken, sondern bewerteten den eigentümlichen Umstand durchaus im Sinne (un)bewusster Handlungen. Noch einmal: Ein Minjan steht in der Synagoge, das Achtzehnbittengebet wird schweigend gesagt und dann vom Vorbeter laut wiederholt. An der Stelle, an der der Ketzerspruch vom Vorbeter zu wiederholen wäre, setzt die Wiederholung aus und der Vorbeter versucht über zwei bis drei Stunden, sich an den Text des von ihm selbst verfassten Gebets zu erinnern – erfolglos! Die Angelegenheit war deshalb so heikel, weil Vergesslichkeit bei anderen Versen des Achtzehnbittengebets durchaus kulant gehandhabt wurde, die laute Wiederholung des Ketzersegens indes ein offensichtlich gewolltes Mittel der sozialen Kontrolle war. Wie stellte sich die Lage in der noch nicht »Palästina«, sondern noch immer »Judäa« genannten Provinz zu Beginn des 2. Jahrhunderts dar? Historisch sind vier jüdisch-christliche Gruppen bekannt geworden: zwei Gruppen von Ebioniten, die eben schon genannten Nazarener, und einige gnostische Synkretisten. Wiederum informieren uns die Kirchenväter darüber, dass alle Oberhäupter, die Bischöfe der Jerusalemer Gemeinde in der Nachfolge des Jakobus und in der Zeit zwischen der Zerstörung des Tempels und dem Bar-Kochba-Aufstand, beschnittene Juden waren. Eine Gruppe von Ebioniten glaubte an Jesus als den Messias, sprach Aramäisch, lehnte Paulus und seine Briefe abund bestritt die Göttlichkeit Jesu. Eine zweite Gruppe von Ebioniten war im Unterschied zur ersten Gruppe indes bereit, sich auch mit nichtjüdischen Jesusanhängern zusammenzutun, die Göttlichkeit Jesu anzuerkennnen und – über den Shabbat hinaus – auch noch den Sonntag zu feiern. Von den Nazarenern wird mitgeteilt, dass sie an Jesus als Gottes Sohn, die Jungfrauengeburt und den heiligen Geist glaubten. Die Gnostiker schließlich befolgten die Tora, glaubten an Jesus als Propheten und Messias, in dem sie die Wiedergeburt jener Kraft sahen, die sich bereits in Adam verkörpert hatte. Zudem lehnten sie einige Teile der Bibel ab.447 Wir sind derzeit nicht in der Lage, eine demographische Schätzung vorzunehmen, es scheint, als ob damals – vor allem in Galiläa, weniger in und um Jerusalem – etwa 700.000 Juden lebten,448 wie viele unter ihnen welcher Variante des Glaubens anhingen, ist nicht bekannt. Der Widerstand der Chachamim von Javneh jedenfalls richtete sich schon früh gegen die Bücher der Minim – ob darunter frühe »Evangelien« zu verstehen sind? Eine Erörterung im Traktat Shabbat setzt sich mit der Frage auseinander, ob man die unbeschriebenen Ränder von Torarollen aus einer Feuersbrunst retten dürfte, was bald die Frage nach den Büchern der Minäer aufwarf, die aber einExkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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deutig beantwortet wurde: Neben anderem dürfen Minäerbücher nicht aus dem Feuer gerettet werden – Minäerbücher gleichen in ihrer Heiligkeit den unbeschriebenen Rändern von Torarollen. Die Ränder und die Minäerbücher darf man aus einer Feuersbrunst nicht retten. R. Jose sagte: Am Wochentage schneide man die darin enthaltenen Gottesnamen aus und verstecke sie, und das Übrige verbrenne man. R. Tryphon sagte: Ich will meiner Kinder beraubt sein, wenn ich sie nicht, samt den darin enthaltenen Gottesnamen verbrennen würde.449

Der kulturhistorisch auffällige Befund dieser Passagen, die in einer Tosefta, d. h. Ergänzung, zum Traktat Shabbat noch stärker entfaltet werden, besteht in dem unvermeidlichen Rückschluss, dass es offenbar auf Hebräisch geschriebene Evangelien gegeben haben muss, da kaum anzunehmen ist, dass man sich ansonsten die Mühe gemacht hätte, aus griechischen Texten den Gottesnamen – wohl das Tetragramm – herauszuschneiden, und weil man sich auch kaum – dieser Hinweis findet sich nur in der Tosefta – genötigt gesehen hätte, griechische Wortschnipsel förmlich zu beerdigen. Imma Salom war eine Schwester von Rabban Gamliel und die Gattin des berühmten Rabbi Eliezer, eine Frau, die sich einen Spaß aus einem als unbestechlich geltenden Richter machen wollte. Auf nähere Einzelheiten bezüglich der dort verhandelten Erbschaftsfälle ist nicht einzugehen, aber immerhin doch darauf, dass der Richter mit dem Evangelium bekannt war, und sogar die Auffassung vertreten konnte, dass Jesus das Gesetz nicht habe aufheben, sondern »ergänzen« wollen – eine Aussage, die unmittelbar auf das Evangelium des Matthäus verweist. Sollen wir annehmen, dass es in dem den Juden von den Römern lizensierten Herrschaftsgebiet Richter gab, die keine Juden waren?450 Tatsächlich schien die Minut jedoch noch weiterzugehen, so weit, dass sogar der berühmte Rabbi Eliezer verdächtigt wurde. Rabbi Eliezer – er lebte wahrscheinlich zwischen dem Jahr 50 und dem Jahr 115 – war ein rabbinischer Weiser der ersten Generation nach der Zerstörung Jerusalems, wurde später gewiss nicht so berühmt wie sein späterer Schüler Akiba, dessen Prominenz nicht zuletzt seinem Engagement für den falsche Messias Simon Bar Kochba zuzuschreiben sein dürfte, war aber gewiss mindestens so bedeutend. Eliezer ben Hyrkanos, gelegentlich auch »Eliezer der Große« genannt, studierte als Sohn reicher Eltern bei Jochanan ben Sakkai in Jerusalem und war diesem während der Belagerung Jerusalems bei der Flucht aus der Stadt behilflich. Als Mitglied des großen Bet Din in Jabneh reiste er 160

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u. a. nach Rom und wurde durch seine Heirat mit der Schwester Gamaliels Mitglied des Patriarchenhauses. Als eher konservativer Ausleger von Tora und Mischna war er gegenüber den Aufstellungen neuer Weisungen skeptisch und – moralphilosophisch gesehen – jemand, der die Menschen nach ihren tatsächlichen Handlungen, nicht aber nach Absicht und Gesinnung beurteilte. Während des Aufstandes gegen die Römer stand Eliezer den Zeloten nahe, trat für das Tragen von Waffen am Shabbat ein.451 Indes wird dieses Bild eines zelotischen, nationaljüdischen Tanna durch eine eigentümliche talmudische Erzählung, die sich sowohl in einer Tosseftan zu Hullin als auch im Traktat »Avoda Zara« findet, beeinträchtigt: Als Rabbi Eliezer wegen Häresie inhaftiert wurde, führte man ihn aufs Schafott, um ihn abzuurteilen. Da sprach der Hegemon zu ihm: Wie kann ein Greis wie du sich mit solch nichtigen Dingen befassen? Der erwiderte ihm: Der Richter hat recht! Jener Hegemon glaubte, daß er damit ihn meine, während er aber seinen Vater im Himmel meinte. Hierauf sprach jener: Da du mir recht gegeben hast, sollst du bei der Göttin der Gerechtigkeit frei sein. Als er nach Hause kam, traten seine Schüler zu ihm ein, um ihn zu trösten, er aber nahm keinen Trost an. Da sprach R. Aqiba zu ihm: Meister, willst Du mir erlauben, dir etwas von dem zu sagen, was du mich gelehrt hast? Dieser erwiderte: Sprich. Da sprach er zu ihm: Meister, vielleicht hast du etwas Häretisches gehört, und gefiel dir dies, und bist deshalb inhaftiert worden? Dieser erwiderte: Aqiba, du hast mich erinnert: einst ging ich auf dem oberen Markt von Sepphoris und traf da einen von den Schülern Jesu des Nazareners, namens Jaqob aus Kephar Sekhanja, und er sprach zu mir: Es heißt in eurer Tora: du sollst nicht Hurenlohn bringen, darf man dafür einen Abort für den Hohepriester errichten. Ich erwiderte nichts. Da sprach er zu mir: So lehrte mich Jesu der Nazarener: denn von Hurenlohn ist es zusammengebracht und zu Hurenlohn soll es wieder werden; von Unrat kam es und zu Unrat soll es wieder zurückkehren. Dies gefiel mir und deswegen bin ich wegen Häresie inhaftiert worden. Ich übertrat das Schriftwort: laß deinen Weg fern von ihr sein – das ist Häresie; und nahe dich nicht der Tür ihres Hauses, das ist die Obrigkeit.452

Die Geschichte hat – historisch gesehen – eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich.453 Aus dem Brief des kleinasiatischen Statthalters Gajus Plinius an Kaiser Trajan aus dem Jahre 112 sind wir darüber informiert, dass Menschen bei Strafe des Todes eine ehrliche Antwort darauf geben mussten, ob sie »Christen« seien. Christ zu sein, bedeutete demgemäß »an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zusammenzukommen, um Christus gleich wie einem Gott (›Christo quasi Deo‹) im Wechselgesang miteinander ein Lied anzustimmen«.454 Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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Rabbi Eliezer, so lässt sich sagen, stand also aus Sicht der römischen Behörden unter dem Verdacht, Christ zu sein. Die Gründe für diese Verfolgung schienen zur Zeit Trajans darin zu bestehen, dass die »Christen« sich weigerten, die den Juden auferlegte Steuer für den Kult des Jupiter Capitolinus in Jerusalem zu zahlen. Die Geschichte legt nahe, dass seine Begegnung mit einem Jesusanhänger in Sepphoris längere Zeit zuvor, in seiner Jugend, – der Tempel zu Jerusalem stand noch – stattfand. Sepphoris war übrigens eine – auffälligerweise in den Evangelien nicht erwähnte – vornehmlich von ausgesprochen toratreuen Juden besiedelte Stadt von hoher rabbinischer Gelehrsamkeit. Die dort lebenden, oft des Griechischen mächtigen Juden waren zur Zeit Jesu und des Jüdischen Krieges in ihrer überwiegenden Mehrheit prorömisch und grundsätzlich pazifistisch ausgerichtet.455 Eliezer berichtet, dass ihn die tempel- und kultkritischen Äußerungen des Jaqob beeindruckt haben – welchen Sinn aber würde es haben, deswegen 40 Jahre später denunziert und angeklagt zu werden? Unabhängig davon fragt Daniel Boyarin vor dem Hintergrund der durch den Brief des Plinius bekannt gewordenen Praktiken römischer Verhöre, warum Rabbi Eliezer den römischen Behörden nicht einfach mitteilte, kein Christ zu sein? Boyarins Antwort besteht in der Behauptung, dass Eliezer das einfach nicht wollte, weil er Sympathie für Jesus und seine Anhänger hegte. E. und W. Stegemann sind freilich davon überzeugt, dieser Geschichte nicht viel abgewinnen zu können – setzten derlei Geschichten zwar ein »gewisses Kontaktverbot mit messianischen Juden voraus, das freilich zeitweise durchbrochen wurde«. Erzählungen über solch außergwöhnliche Persönlichkeiten seien indes »wenig aussagekräftig« für Alltagserfahrungen.456 Das muss hier schon deshalb offenbeiben, weil Stegemann & Stegemann ihrerseits kein Kriterium dafür angeben, welche Erfahrungen oder Fakten im Unterschied hierzu für »Alltagserfahrungen« typisch sein könnten. Nimmt man die Geschichte des Rabbi Eliezer zum Nennwert, so belegt sie wie auch die Geschichte von Shmuel dem Geringen auf jeden Fall, dass noch zur Zeit Trajans sogar hochrangige Mitglieder der Akademie von Javne mit Jesusanhängern mindestens sympathisierten – aus welchen Gründen auch immer. Die Geschichte um Rabbi Eliezer sowie andere talmudische Geschichten, die sich mit den »Nozrim«, den Nazarenern auseinandersetzen, stammen freilich nicht nur aus dem 1. oder 2. Jahrhundert, sondern setzten sich bis weit ins 3., wenn nicht gar das 4. Jahrhundert fort.457 Nimmt man diese Anekdoten nun nicht naiv als historische Berichte, sondern als in Legenden verkleidete Argumente, die zur Zeit ihrer Abfassung – nämlich im 3. Jahrhundert – entstanden, wäre – so Boyarin – der Rückschluss unabweisbar, dass sich eine normative Gestalt des rab162

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binischen Judentums auch im 3. Jahrhundert – mindestens was den Glauben an Jesus betraf – noch nicht gebildet hatte. Aller Wahrscheinlichkeit ist etwa die von Epiphanius aus dem frühen 4. Jahrhundert überlieferte Geschichte vom Comes Joseph, einem jüdischen Würdenträger, der schließlich ein konstantinischer Kirchenbeamter wurde, eine Propagandaschrift. Joseph, in seinem ersten Leben am Hofe des Patriarchen Hillel II. (330–365), will gesehen haben, wie sich der jung sterbende Patriarch vom Bischof von Tiberias taufen ließ.458 Seiner eigenen Erzählung nach bereiste er im Auftrag des Patriarchen als schon Getaufter jüdische Gemeinden in Kilikien, was ihn – als seine Taufe offenbar wurde – seine Position in der jüdischen Gemeinde kostete. In seiner Geschichte scheinen Dichtung und Wahrheit durcheinanderzugehen: Ein Bischof von Tiberias, der den kranken Patriarchen hätte heilen können, ist namentlich nicht bekannt, die erste Erwähnung eines Bischofs liegt etwa 20 Jahre später vor. Glaubwürdig scheint indessen der Bericht darüber zu sein, dass im Archiv des Patriarchen die Evangelien gelagert wurden459, was umso erstaunlicher ist, als die Rabbanim der ersten Generation diese Schriften ja verbrennen lassen wollten. Hillel II. war jedenfalls von größerer Bedeutung als jene, die ihm seine Rolle in der Erzählung des Comes Josephus verübeln, wahrhaben wollen: Wird ihm doch die verbindliche Festlegung des jüdischen Kalenders, zumal der Fixierung des Neumondes zugeschrieben. Dass der für Juden bis heute verbindliche Festkalender erst im 4. Jahrhundert endgültig und auch für die Diaspora verbindlich festgelegt wurde, ist darüber hinaus ein Datum eigenen Werts. Identität bestimmt sich durch Abgrenzung: Eine klare und abschließende Abgrenzung des liturgischen Jahres erfolgte erst im 4. Jahrhundert, die Zeitspanne, die das rabbinische Judentum benötigte, um sich vollständig von allen Jesusanhängern und von der Auseinandersetzung mit den Evangelien zu trennen, erstreckte sich vom Beginn des 2. bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts – wann, so wäre zu fragen, wurde abschließend festgelegt, wer – jenseits der notorisch umstrittenen Konversion – als Jude oder Jüdin von einer jüdischen Mutter geboren wurde? Auf diese äußerst komplexe, erst in jüngster Zeit gründlich erforschte Frage kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Festgehalten sei lediglich, dass das noch heute gültige Matrilinearitätsprinzip erstens nicht der Tora, sondern dem römischen Recht entnommen wurde. Die heutige Gestalt des Judentums mitsamt seinen Konversionsprinzipien, dem Matrilinearitätsprinzip, dem allgemeinen Verbot der »Mischehe« sowie der Verknüpfung von Glaube, Ethnizität und Nationalität entstand also frühestens mit der Mischna, ein bewusst gewolltes System politischer Abgrenzungsregeln460, deren SchlussExkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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redaktion von Rabbi Juda, der von 175–217 nach Chr. lebte und wie hunderte seiner Schüler ein vorzüglicher Kenner der griechischen Kultur war, vorgenommen wurde.461 Mit seinen im schwedischen Exil betriebenen Forschungen zu den Ebionäern wurde Hans-Joachim Schoeps so zum Vorreiter, ja geradezu zum Avantgardisten nicht nur einer bestimmten Richtung religionshistorischer Forschung, sondern zugleich zu einem der Ersten, wenn nicht gar dem Ersten, der die erst Jahre später begonnene Besinnung auf die Gemeinsamkeiten von Juden- und Christentum auf eine neue – religionshistorische, nicht etwa theologische! – Basis stellte. Doch beließ er es dabei nicht – war er doch ebenfalls auf der Suche nach gläubigen Christen, die schon früh ein verändertes Verhältnis zum Judentum postulierten. Die ebenfalls im schwedischen Exil entstandene Studie über »Philosemitismus im Barock« wiederum eröffnet ein Forschungsfeld, das bisher weder in der von Juden verfassten Literatur noch in der protestantischen Theologie behandelt wurde und erweist sich als eine eigentümliche Mischung von systematisierten Zufallsfunden in den Archiven von Stockholm und einem systematischen Interesse nicht zuletzt am Marranentum sowie einer wohl letztlich unbegründeten Vermutung, dass der Familiennname »Schoeps« in irgendeiner Weise etwas mit einer verbalhornten Form des Namens und Begriffes »Schabbatianer« zu tun haben könnte – eine Vermutung, die der Experte Gerschom Scholem später im Briefwechsel mit Schoeps begründet zurückwies. Schoeps 1952 erstmals in Tübingen erschienenes Buch besteht aus vier sorgfältig recherchierten Teilen, deren erster Teil sich mit dem Philosemitismus des 17. Jahrhunderts, sodann mit einem Sabbatianer in Uppsala des späten 17. Jahrhunderts, schließlich mit christlichen Judaisten in Schweden und endlich – sehr detailreich – mit »Jüdischem« in Reiseberichten schwedischer Forscher befasst. Der erste Teil über den »Philosemitismus im Barock« setzt mit einer luziden Betrachtung zu unterschiedlichen Formen dieser judentumsfreundlichen Haltung ein: 1. Der christlich-missionarische Typus, dem das Judentum in einem gewissen Spielraum der Wertungen ein Gegenstand positiver Schätzung und demzufolge Ziel der Annäherung ist. 2. Oft nicht scharf von Nr. 1 zu unterscheiden der biblisch-chiliastische Typus, der sich um die Juden bemüht, weil sie im letzten Akt des Weltdramas eine Rolle spielen werden. 3. Der utilitaristische Typus, der die Niederlassung der Juden in einem Lande verficht, weil er sich greifbare Vorteile davon verspricht.

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4. Der liberal-humanitäre Typus, der an den Juden seine Prinzipien der Toleranz und der Gleichberechtigung alles dessen, was Menschenantlitz trägt, beweisen will. 5. Der religiöse Typus, der aus einer Glaubenentscheidung heraus die Annäherung und sogar den Übertritt zum Judentum vollzieht.462

Vertreter all dieser Typen finden sich zumal deshalb im 17. Jahrhundert, weil damals aufgrund der Intervention Manasseh ben Israels bei Oliver Cromwell nach Jahrhunderten des Ausschlusses die Wiederansiedlung von Juden auf der britischen Insel ermöglicht wurde. Ein hervorragender Wegbereiter dieser Annäherung aber war die erste der von Schoeps behandelten Personen, nämlich Isaac de La Peyrère (1596–1676), ein Calvinist aus Bordeaux, der zunächst dadurch bekannt wurde, dass er auf der Basis einer gewagten Auslegung des Buches Genesis die Annahme postulierte, dass bereits vor Adam Menschen auf der Erde existierten, die »Präadamiten«. Dem liegt eine Kritik des Schöpfungsberichtes in sachlogischer Hermeneutik zugrunde, etwa derart, dass es ohne die Existenz anderer Menschen sinnlos geworden wäre, dass Abel sein Vieh hütete. Man kann diese und andere Überlegungen de La Peyrère als eine Vorstufe der modernen Bibelkritik ansehen. Als Summe dieser Überlegungen ergab sich für de La Peyrère, dass das Buch Genesis nicht eben die Erschaffung der ersten Menschen, sondern »lediglich« die Erschaffung des ersten Juden, Adams, berichtet. La Peyrère, von dem bis heute – auch das war Schoeps bekannt – mit guten Gründen angenommen werden kann, dass er einer marranischen Familie entstammte, erweist sich somit – ebenso wie Spinoza – als ein früher Vorläufer des Zionismus. Spinoza hatte in seinem »Politisch-theologischen Traktat« aus dem Jahre 1670 gegen Ende des dritten Kapitels angedeutet, dass die Juden wie die Chinesen dereinst ihr Reich wiedererlangen könnten. Isaac de La Peyrère aber behauptete bereits 1643, dass der König von Frankreich die Juden wieder in ihre alte Heimat werde führen können. Für Schoeps stellt de La Peyrère, dessen »Rappel des Juifs« für ihn in die Früh- und Vorgeschichte des Zionismus gehört, eine Verbindung des ersten und des zweiten Typs eines Philosemitismus dar, mehr noch: »Seine singuläre Stellung in der Geschichte des christlichen Eintretens für Israel zu Beginn der neuen Zeit bestimmt der Umstand, daß er nicht nur Philosemit, sondern so gut wie sicher – selber Semit gewesen ist.«463 Es ist bemerkenswert, dass auch Leo Strauss in seiner Schrift über die Religionskritik Spinozas aus dem Jahr 1930 bzw. 1965 Isaac de La Peyrère ausführlich würdigt – ohne die Schrift von Schoeps gekannt zu haben.464 Im Weiteren behandelt Schoeps einen sachlichen Gegner de La Peyrères, Paul Felgenhauer (1593–1677), in Böhmen geboren, in Bremen gestorben, Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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einen chiliastisch gesonnenen Theologen, der – täuferisch gesinnt – um den Versuch bemüht war, das Ende der Zeiten mathematisch genau zu prognostizieren. Auch Felgenhauer stand in einem Briefwechsel mit Manasseh ben Israel, vertrat aber bezüglich der Christologie die schon von den Vätern der Kirche als Häresie gebrandmarkte Überzeugung, dass der Christus kein menschliches Wesen, sondern allenfalls menschliches Fleisch gehabt haben könne – der am Kreuz zu Tode gekommene Jesus also »nur« ein Mensch gewesen sein könne. Zum Philosemitismus habe diese Ansicht geführt, weil Felgenhauers Überzeugung nach zunächst ganz Israel erlöst werden müsse – aber ohne die Voraussetzung, dass die Juden sich zuerst und zuvor zu Christus bekehren müssen. »Wenn«, so Schoeps, »dieser Christus vom Himmel in Kürze in Erscheinung treten werde, dann werde er sowohl der von den Juden erwartete Messias als auch der von den Christen geglaubte wiederkehrende Nazarener in einer Person sein.«465 Anders Pedersson Kempe (1622–1689) ist der nächste der von Schoeps behandelten Philosemiten. Er, ein Arzt, Religionsphilosoph und Pazifist, bescheinigte den Juden, das herrlichste Volk auf Erden zu sein – eine Aussage, die ihm das Dankesschreiben zweier Amsterdamer Rabbiner einbrachte, die ihn sogar dazu einluden, zum Judentum zu konvertieren, habe er doch bewiesen, dass der Messias noch nicht erschienen sei. Ihm folgte in Schoeps’ Darstellung eine Gestalt, die für ihn »bedenklich an das religionspathologische Gebiet grenzte«.466 Kempe, ein Däne, lebte von 1644 bis 1744 und war sich seines jüdischen Urgroßvaters Simon, den er für einen Abkömmling des Hauses David hielt, sehr bewusst. Auch er forderte die Rückkehr der Juden ins Heilige Land sowie den Wiederaufbau von Jerusalem. Schoeps steht dieser historischen Gestalt mit Misstrauen gegenüber, kann dessen Unternehmungen, u. a. den Anschlag seines Palästinaprojektes an die Türen der Amsterdamer Synagoge, nur mit Abstand betrachten, muss aber gleichwohl vermerken, dass die Juden über seine Schriften »unvergleichlich viel Freude«467 empfunden haben und er ein ehrlicher Freund der Juden gewesen sei, denn: »Dies keine wahren Christen seind, die da sind der Juden feind.«468 Die Untersuchung schließt mit einem Bericht über einen Mann namens Moses Germanus, der zum Judentum konvertierte österreichische Theologe Johann Peter Spaeth, der, etwa 1642 geboren, zunächst katholisch, 1701 in Amsterdam starb. Eine zeitlang in Frankfurt am Main lebend, geriet er dort unter den Einfluss des Pietismus von Philipp Jakob Spener, rekonvertierte wieder zum Katholozismus seiner Kindheit, um schließlich 1696 – manche meinen 166

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unter dem Einfluss seiner Frau, einer Frankfurter Jüdin – in Amsterdam zum Judentum überzutreten. Ähnlich wie Felgenhauer – aber im Urteil bezüglich der Trinität entgegengesetzt – hatte er Zweifel an der göttlichen Person Jesu, war auch er ein früher Vertreter der Bibelkritik, die bei ihm jedoch in eine scharfe Christentumskritik mündete. In Amsterdam selbst stand er unter dem Verdacht, gar nicht zum rechtgläubigen Judentum konvertiert zu sein, sondern dem Spinozismus anzuhängen – zu Unrecht, stellte doch sein anonym verfasstes Buch »Sapientia in Israele« eine scharfe Polemik gegen Spinoza dar – zumal gegen dessen Widerlegung des Gedankens der menschlichen Willensfreiheit, die doch ein zentrales Element des jüdischen Glaubens sei. »Damit«, so schließt Schoeps seine Untersuchung, »ist unsere Darstellung des Philosemitismus im 17. Jahrhundert einstweilen abgeschlossen. Der ­Marrane de La ­Peyrère war bei der Symapthieerklärungg des Blutes geblieben. Der C ­ hiliast Felgenhauer und sein Schüler hatten die Frohe Botschaft der Vereinigung Israels und der wahren Christenheit im Geist vorausgesagt. Der schwärmerische Phantast Oliger Paulli hatte die Weltendereignisse durch Organisation selbst herbeiführen wollen. Aber J. P. ­Spaeth steht insofern am Ende der von uns geschilderten Gedankenbewegung, als er die christliche Annäherung an Israel nicht phantastisch nahm, sondern an der Wirklichkeit des Judentums bewährte und – Moses Germanus wurde. Seine Parole: ›Non vos deserui, sed praecessi‹ [nicht habe ich Euch verlassen, sondern bin Euch vorangegangen] war eine Täuschung. Doch sie ehrt einen mutigen Bekenner.«469

Schoeps’ kritische Abschlussbemerkung kann nicht anders verstanden, als dass er davon überzeugt war, dass Spaeth in keiner Hinsicht mehr Christ war und auch nicht glaubte – oder glauben sollte –, dass er insgesamt wünschte, dass sein Beispiel die Zukunft des Christentums sein werde oder solle. Freilich ist auch denkbar, dass sich in diesem Urteil eine Überzeugung von Schoeps derart ausspricht, dass auch er es gar nicht für wünschenswert hielt, dass die ganze Christenheit jüdisch werden solle – war er doch seit seinen frühen Schriften vom Wahrheitszeugnis des Evangeliums überzeugt. Das Christentum und seine Theologie ließen den Rückkehrer nicht mehr los: 1951 publizierte er eine größere Studie »Vom himmlischen Fleisch Christi – Eine dogmengeschichtliche Untersuchung«470 sowie – in der Schweiz – die weitere Untersuchung »Das Judenchristentum – Untersuchungen über Gruppenbildungen und Parteikämpfe in der frühen Christenheit«471 und schließlich in einem populären Verlag in Westdeutschland die leicht lesbare Darstellung »Gottheit und Menschheit«, die in übersichtlicher Weise die »Religionsstifter« Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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Moses, Jesus, Marcion-Mani, Mohammed, Zarathustra, Buddha, Lao Tse und Konfuzius skizzierte.472 Im Vorwort dieser populärwissenschaftlichen Studie entfaltet der Autor jedoch auch in höchst luzider Weise, das, was er – im Unterschied zu theologischen Vorgehensweisen – als »religionswissenschaftlich« bezeichnet: Religion nennt man im allgemeinen Sinne die erlebte Beziehung zwischen den Menschen und der übermenschlichen Macht, an die er glaubt und von der er sich abhängig fühlt. Diese Beziehung kommt zum Ausdruck in besonderen Gefühlen (Vertrauen und Furcht), Vorstellungen (Glauben) und Handlungen (Gebeten, Riten – speziell Opfern und Erfüllungen von religiösen Vorschriften)« […] Jacob Burckhardt hat es in den weltgeschichtlichen Betrachtungen so definiert: »Die Religionen sind der Ausdruck des ewigen und unzerstörbaren metaphysischen Bedürfnisses der Menschennnatur. Ihre Größe ist, daß sie die ganze übersinnliche Ergänzung des Menschen, alles das, was er sich nicht selber geben kann, repräsentieren. Zugleich sind sie der Reflex ganzer Völker und Kulturepochen in ein großes Anderes hinein.«473

Freilich geht es Schoeps bei seiner Darstellung um mehr als nur um die Entfaltung einer Methode – letzten Endes geht es ihm doch um nichts weniger als um eine theologische Frage, nämlich darum, in welchem Verhältnis die von ihm sogenannten biblischen Offenbarungsreligionen mit ihrem universalistischen Anspruch zueinander, zu den anderen Religionen sowie zum modernen Toleranzdenken seit Lessing stehen. Dabei macht Schoeps keinen Hehl daraus, dass er Lessings in der Ringparabel entfaltetes Toleranzprinzip für falsch hält und dass dem eine religionswissenschaftlich gesicherte Konzeption des Universalismus entgegenzuhalten sei – wozu das Judentum besonders geeignet sei, jedoch: Und ebenso hat der Islam denselben universalistischen Effekt, der es ihm (…) im Prinzip ermöglicht, Judentum und Christentum als rangebenbürtig anzuerkennen. Hinter diesen Vorstellungen steht die im Judenchristentum oder Ebionitismus des ersten nachchristlichen Jahrhunderts ausgebaute Lehre, daß der eine gleiche und absolute Gott mehrere Bünde mit der Menschenwelt geschlossen hat und die des göttlichen Bundesschlusses gewürdigten Menschengruppen je ihren eigenen und in der Unterschiedenheit gleichwertigen Zugang zur Heilswahrheit besitzen. Nur von dieser Konzeption aus sind die biblischen Offenbarungsreligionen: Judentum, Christentum, Islam als voll ebenbürtig nebeneinander zu begreifen. Und nur so ist das Problem des Absolutheitsanspruchs jeder dieser Religionen lösbar, weil es sich um verschiedenartige Wahr-

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heitsanteilhaben handelt, da derselbe Gott sich in drei Bundesschlüssen jeweils neu und jeweils anders offenbart hat.474

Damit hat Schoeps in den 1950er-Jahren nicht mehr und nicht weniger als die Grundzüge einer im weitesten Sinne ökumenischen Theologie skizziert. Schoeps, bei Kriegsbeginn mit bedeutenden lutherischen Theologen, dem Neutestamentler Anton Fridrichsen sowie dem Autor des Buches »Die Jesusfrage im neuzeitlichen Judentum«, Gösta Lindeskog befreundet, lernte von diesen Männern »die besondere schwedische Form der sozialaktiven Verbindung von Christentum und Humanismus kennen und schätzen«.475 Indes hatte Schoeps eher geistesaristokratische Vorbehalte gegen die Schweden, die er für das »wohl meist standardisierte Volk Europas« hielt, lebte doch seiner Meinung nach »der Durchschnittsschwede »unter einer Glasglocke, hielt sich und sein Land für ungeheuer fortgeschritten, wußte aber nichts davon, daß der schwedische Kontakt mit der abendländischen Geistesentwicklung seit längerem gestört war«476 – ein Urteil, das mit Hinweisen auf einen geringen Vokabelschatz des Durchschnittsschweden sowie auf häufig auftretende Stereotypen begründet wurde. Immerhin vermerkt der inzwischen nach Deutschland zurückgekehrte Emigrant dankbar die »Humanität und Karitas des Gastlandes«. Die Politik Schwedens erschien im Rückblick opportunistisch: bis Stalingrad deutschfreundlich, dann aber so deutschfeindlich, dass Emigranten, die nicht prinzipiell mit dem Heimatland gebrochen hatten, »mit den Nazis in einen Topf geworfen wurden«.477 Indes erschütterte ihn das Bekanntwerden des Schicksals alter Freunde im Machtbereich Deutschlands, etwa das von Richard Schapke, einem ehemaligen Bundesführer im »Wandervogel«, der nach 1933 in Nordeuropa, in Dänemark der »Platzhalter« Otto Strassers war. Otto Strasser (1897–1974), am Anfang seiner Karriere ein »linker« Nationalsozialist und Mitglied der NSDAP, führte von 1931–1938 die später vom NS-Regime verbotene nationalsbolschewistische Kleinstpartei »Die Schwarze Front«. Richard Schapke aber wurde beim Versuch, von Dänemark nach Schweden per Boot überzusetzen, von der schwedischen Küstenabwehr durch Beschuss seines Bootes ums Leben gebracht. Ein anderer junger Emigrant, der ehemals zur Deutschen Freischar in Königsberg gehörende Gerd Salten, wurde aus Schweden nach Deutschland abgeschoben und starb in einem Konzentrationslager. Auch Schoeps’ ältester – seit Sextanerzeiten – Freund Ernst Horwitz478 (1909–1941), der noch 1938 nach Holland emigriert war, wo Schoeps ihn noch besucht hatte, wurde nach der Besetzung Hollands das Opfer verbrecherischer medizinischer Versuche. Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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Horwitz wurde – obwohl »Nichtarier« – 1935 mit einer Sondergenehmigung an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin mit einer Arbeit zum Thema »Aufgaben und Bedeutung der Börsenberichterstattung« im Fach Wirtschaftswissenschaften promoviert. 1940 wurde er in Holland, wo er ein Antiquariat aufgebaut hatte, gefasst, nach Mauthausen deportiert und dort ermordet. Seine Frau Anna wurde 1943 in Mauthausen ermordet, ihr Kind hat angeblich den Krieg überlebt. Doch waren dies nicht die einzigen bestürzenden Nachrichten, die Schoeps erreichten: Mit dem Fortschreiten des Krieges drangen auch Mitteilungen über die Grausamkeiten in den KZs, über Massenausrottungen und Vergasungen von Juden nach Schweden, Mitteilungen in Emigrantenblättern, die zunächst von der schwedischen Öffentlichkeit für deutschfeindliche Greuelpropaganda gehalten wurde. Schoeps war intensiv bemüht, wenigstens seine alten Eltern aus Deutschland herauszubringen, motivierte sogar den dem Nationalsozialismus zuneigenden Tibetologen Sven Hedin dazu, sich bei Himmler für die Eltern einzusetzen, den »schwedischen Kronprinzen zu einer Intervention bei Ribbentrop zu bewegen«.479, was zu einer zynischen Reaktion auf die Eingabe der schwedischen Gesandtschaft in Berlin führte, der mitgeteilt wurde, dass es Juden in Theresienstadt doch besser ginge als anderswo – würden doch im Protektorat keine Fliegerbomben fallen. In jenen Jahren, 1941, lernte Schoeps – wie schon oben mitgeteilt – in Schweden auch seine Frau Dorothee, die Mutter seiner beiden Söhne kennen: Dorothee Busch, die ihn »durch ihre Verbindung von Charme und ­Esprit fesselte«.480 Beider Bekanntschaft begann mit einem Disput über Schoeps’ Kritik an Mendelssohn, eines Vorfahren von Dorothee Busch. Ihr Vater, Felix Busch, war vor dem Nationalsozialismus der letzte Unterstaatssekretär im preußischen Finanzministerium. Aufgewachsen in Berlin, studierte sie in der Schweiz Kunstgeschichte, musste dieses Studium nach dem Suizid ihres Vaters 1938 einstellen, woraufhin sie aus der Schweiz ausgewiesen wurde. Schwedische Verwandte konnten nur wenig für sie tun, sodass sie gezwungen war, als Dienstmädchen zu arbeiten. Gleichwohl war dieser Ehe kein Glück beschieden – im Rückblick berichtete Schoeps: »Unsere Ehe, die fünf Jahre« – also bis 1946 – »gemeinsamen Haushalts einschloß, wurde eine Dauer­diskussion, belastet auch durch die nie abreißenden finanziellen Sorgen (…).«481 1942 und 1944 wurden die beiden Söhne Julius-Hans und Manfred geboren, Kinder die aufgrund häufiger Krankheiten der Mutter und aus Angst vor einem möglichen deutschen Einmarsch schon bald schwedischen Pflegeeltern übergeben wurde. 170

Emigration und »Judenchristentum«

Am Ende der fünf Jahre hatte sich meine Frau endgültig davon überzeugt, was ich ihr schon in der Verlobungszeit angekündigt hatte, daß ich für eine Kameradschaft begabter sei und zu ihr besser taugen würde als zu einer Ehe bürgerlichen Stils. Eine etwas bizarre Phantasie auf ihrer Seite, die oft die Grenze zwischen Wirklichkeit und Vorstellung ins Gleiten kommen ließ, machte das Zusammenleben noch schwerer, so daß die Scheidung schließlich unvermeidlich wurde.482

Bei der Scheidung einigten sich die Eheleute darauf, dass die Kinder, sobald der Vater nach dem Krieg in seinem Heimatland wieder Fuß fassen würde, bei ihm aufwachsen sollten. Bei alledem blieb er seinen bündischen Verbindungen treu – so unglaublich es klingen mag: Auch in jenen Jahren trafen sich – geschart um Hans-Joachim Schoeps – früher der bündischen Jugend angehörende Männer in Schweden, um gemeinsam jener Zeiten zu gedenken, zu singen, hektographierte Schriften für den Versand nach Deutschland herzustellen und sich über die Schicksale der dort verbliebenen auf dem Laufenden zu halten. So trafen sich von 1939 bis 1941 in Schweden Paul Leser, Will Jacobs und Gerd Salten von der Freischar, Hai Frankl von den Nerother Wandervögeln sowie Heinz Goldstein von den »Kameraden«, im August 1939 gar versandte Hans-Joachim Schoeps einen Rundbrief unter dem Titel »Deutscher Vortrupp im Exil«.483 In diesem Brief bekräftigt der Autor zunächst, den Kampf um Deutschland nicht verloren zu geben, wenngleich schon 1934 abzusehen gewesen sei, dass man damals auf verlorenem Posten gekämpft habe. Eher widerwillig stellt der Autor fest, dass das deutsche Volk durch die Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes »an uns begangen worden sind«, dieses deutsche Volk »gewiß zum großen Teil wider seinen Willen – an uns schuldig geworden«484 sei.

Exkurs: Das Auseinandergehen der Wege

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  Remigration und Nachkriegsantisemitismus

Hans-Joachim Schoeps war – wie schon anfangs demonstriert – keineswegs der einzige Emigrant, dem eine (mögliche) Rückkehr nach Deutschland mindestens fragwürdig, wenn nicht gar unheimlich war. Diese Anmutung erfasste auch jene, die sich denn doch nicht entschließen konnten, in jenes Land, das sie vertrieben hatte, zurückzukehren: z. B. Ernst Kantorowicz. Anders als Adorno und Horkheimer, die – wenn auch unter Zweifeln, die nie verstummen sollten – nach Deutschland, nach Frankfurt am Main, an die Johann Wolfgang Goethe-Universität zurückkehrten, war etwa für den 1933 entlassenen, ehemaligen Freikorpskämpfer Ernst Kantorowicz unwiderruflich klar, dass er dort nie mehr wieder würde wirken können. In einem Brief, schon vom September 1945 schrieb er einem Freund: »An eine Rückkehr zu einem deutschen Katheder ist, was mich betrifft, natürlich niemals zu denken. Belsen, Dachau, Theresienstadt würden immer zwischen mir und der Jugend stehen.«485 Kantorowicz hatte intuitiv erfasst, was bei einer Rückkehr geschehen könne: seinen Generationsgenossen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die sich nach langen Beratungen und quälenden Zweifeln schließlich doch dazu entschlossen, nach Frankfurt am Main an die Johann Wolfgang Goethe-Universität zurückzukehren, widerfuhr genau dies. In Adornos »Negativer Dialektik«, spätestens 1966 verfasst – er war seit zehn Jahren Ordinarius an der Goethe-Universität –, heißt es zum Schluss einer Reflexion über Adornos berühmt gewordene Behauptung, dass sich nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben ließe: Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen. Sein Weiterleben bedarf schon der Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen

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Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre: drastische Schuld des Verschonten. Zur Vergeltung suchen ihn Träume heim wie der, daß er gar nicht mehr lebte, sondern 1944 vergast worden wäre, und seine ganze Existenz danach lediglich in der Einbildung führte, Emanation des irren Wunsches eines vor zwanzig Jahren Umgebrachten.486

Die Verschonung, von der Adorno hier schreibt, kommt auch in den Briefen an seine Eltern, die in New York lebten, zum Ausdruck, in denen Adorno nicht selten die Schönheiten der kalifornischen Landschaft schildert bzw. seinen Eltern davon vorschwärmt, welche behagliche und schön gelegene Wohnungen er und seine Frau besichtigt haben – bei alledem durchaus die Wendungen auf dem europäischen Kriegsschauplatz wahrnehmend. Am 12. November 1949, jetzt in Frankfurt am Main, schreibt Adorno seiner Mutter: Die Stadt kam mir erst, in der Nähe der Bockenheimer Warte, gar nicht so arg vor, aber die Altstadt ist ein wüster Traum, in dem alles durcheinander geriet. Die Fahrgasse z. B. gibt es überhaupt nicht mehr (…) Trotz allem ist es Frankfurt und das Gefühl der Heimat stärker als alles andere. Ein Wunder, daß trotz allem die dreiviertel zerstörte Stadt den Eindruck fast des Normalen macht. Essen vorzüglich, Zimmer überheizt, auch mein großes in der Universität. Nur die Kleider der Leute sind schäbig und es gibt überhaupt keine eleganten Frauen mehr.487

Hinter der oben erwähnten gebrochen ironischer Formulierung Hermann Lübbes vom »kommunikativen Beschweigen« verbirgt sich ein größeres Problem, als die Leichtigkeit der Formel selbst vermuten lässt – was sich freilich erst offenbart, wenn man selbst schon auf größere Zeiträume im eigenen Leben zurückblicken kann. Hans-Joachim Schoeps ging – wir erinnern uns – 1938, im Alter von 29 Jahren gezwungenermaßen ins schwedische Exil und kehrte nur sechs Jahre später, 1946 nach (West-)Deutschland zurück. Die Gründung der ZRGG vollzog sich 1948, also zehn Jahre nach Schoeps’ Emigration und gerade einmal drei, jawohl nur drei Jahre nach der militärischen Niederlage des Dritten Reiches sowie gleichzeitig mit den Nürnberger Prozessen, die zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 geführt wurden. Mit anderen Worten: Nur drei Jahre vor der Gründung der ZRGG waren Männer wie Ernst Benz, Hans Wenke oder Otto Friedrich Bollnow mindestens bereit gewesen, den Tod, genauer die Ermordung eines jüdischen Wissenschaftlers wie Hans-Joachim Schoeps mindestens hinzunehmen, wenn nicht gar – in welcher Form auch immer – zu befürworten. Remigration und Nachkriegsantisemitismus

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Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Bereitschaft von Hans-Joachim Schoeps, mit Ernst Benz und anderen ehemaligen nationalsozialistischen Wissenschaftlern im Rahmen dieses Projekts zu kooperieren, so lässt sich das mehrfach deuten: 1. Ging es doch darum, Religions- und Geistesgeschichte im Sinne Wilhelm Diltheys als ein Unterfangen, zumal die jüngste deutsche Geschichte schon früh aus einer relativierenden, historistischen Beobachterperspektive gleichsam einzuklammern, um aus diesem Abstand heraus die vergleichsweise geringe Bedeutung jener zwölf Jahre des Nationalsozialismus für das Ganze der deutschen Geschichte zu unterstreichen; eine Debatte, die – wie etwa die Äußerungen des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland zeigen – bis ins 21. Jahrhundert andauert; 2. im Rahmen dieser historistischen Einklammerung und Distanznahme zugleich neue Möglichkeiten, mit jenen Personen, die den Nationalsozialismus unterstützten, in Kontakt zu treten. Dazu ist es unerlässlich, sich des Lebensalters der damals in diesem Zusammenhang handelnden Personen zu vergewissern – was Schoeps durchaus beschäftigte: Schoeps war zur Zeit der Gründung der ZRGG 39 Jahre alt, Ernst Benz 41 Jahre, Hans Wenke sowie Otto Friedrich Bollnow jeweils 45 Jahre alt – sie waren, gemessen an den üblichen Karriereverläufen im damaligen deutschen Universitätswesen, kurz vor oder schon an jenem Punkt angelangt, der als Höhepunkt dieser Karriere galt: dem Ordinariat. Infrage steht jedenfalls, ob Schoeps, dem ja durchaus bewusst war, dass er als Jude für nationalsozialistisch belastete Kollegen auch eine entlastende Rolle spielen konnte, diese mögliche Entlastungsrolle aus strategischen Gründen einnahm oder es ihm dabei um Grundsätzlicheres ging, ob er dies aus gleichsam strategischen Gründen – um eines wichtigen Projekts willen einfach hinnahm – oder ob ihm tatsächlich daran gelegen war, diese Kollegen zu rehabilitieren und damit ihr ihn ja selbst getroffen habendes NS-Engagement für eher unerheblich, im weitesten Sinne hinnehmbar zu verstehen. In einem 1962 publizierten Text »Posthume Gedanken« schrieb Schoeps zu alldem, etwa 15 Jahre nach Gründung der ZRGG hellsichtig: Wenn sich heute in Deutschland zwei Menschen neu begegnen, dann pflegen sie zuerst ihr Alter abzuschätzen, weil heutzutage vom Geburtenjahrgang abhängt, wie weit man beim anderen die gleichen Erfahrungselemente voraussetzen kann, wie weit man sich daher überhaupt zu verstehen vermag. Denn ob einer 1915 oder 1925 oder 1935 oder 1945 seine innere Kulmination rund mit 20 Jahren gehabt hat, entscheidet über sein Weltbild und sein Lebensgefühl; die Generationszugehörigkeit ist ausschlaggebend.

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Remigration und Nachkriegsantisemitismus

So schnell hat sich die Welt heute gewandelt, so kurz sind die Generationsabstände geworden. Früher hat man eine Generation mit vierzig Jahren angesetzt; seit 1914 hat das keine Gültigkeit mehr.488

Damit gibt Schoeps aber auch zu verstehen, dass ihm die Welt seiner Gegenwart fremd geworden ist, im soeben zitierten Aufsatz bezeichnet er – 17 Jahre nach dem Ende der NS-Zeit die Gegenwart, in der er lebt, sowie das meiste, was geschieht als »posthum, d. h. es hat in meinem Denk- und Erfahrungskreise keinen Ort, es liegt hinter den Seinsmöglichkeiten meiner Zeit«.489 Das bezieht der Autor auch auf die kürzlich von Walter Ulbricht errichtete Mauer, die er als ähnlich posthum bezeichnet wie Hitlers Weltanschauung, denn: »In einer Welt, die von der Bibel, vom Humanismus und vom preußischen Staat bestimmt war, kam derlei nicht vor.«490 Das aber kann nur heißen, dass die deutsche Geschichte der Weimarer Republik und der NS-Zeit auch schon als als »posthum«, wesensmäßig fremd erscheint – eine Annahme, die nun mit Schoep’ eigenen Einlassungen aus jener Zeit nicht eben vereinbar sind. Gleichwohl: In einem luziden Text, den Schoeps mit »Gleichschaltung oder der Zeitgeist übergibt sich« – wohl aus dem Jahr 1967 – geht Schoeps vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Universitätsreform und dem Erlanger SDS auch auf die Geschichte der deutschen Universität unter dem Nationalsozialismus sowie auf die folgende Entnazifizierung ein, deren Folgen er durchaus negativ bewertet, sei doch eine ganze Generation »in ein psychisches Trauma, in die Lüge, ja in eine Schizophrenie hineingedrängt worden, die viele Menschen innerlich zerbrochen hat«.491 Mit Blick auf die NS-Zeit nimmt der Historiker an, dass es am Ende gleichgültig war, ob sich Menschen aus Opportunismus, Idealismus oder einer Mischung aus beidem gleichschalten ließen. Mehr als 20 Jahre später aber sei es unmöglich, empirisch, d. h., über Fragebögen zu ermitteln, warum sich Universitätsmitglieder in diesem Sinne sich dem System anpassten. Nach Motiven über Fragebögen gefragt, so Schoeps in glasklarer Schärfe »so würden sie sie entweder nicht ausfüllen oder mich und sich selber auf die schamloseste Weise anlügen. Sie sind nämlich gar nicht mehr in der Lage, den Zeitgeist von 1933 zu vergegenwärtigen«.492 Diese Einsicht hinderte ihn jedoch nicht, die Motive jener Akademiker, die sich damals zum Nationalsozialismus bekannten, mindestens indirekt zu verteidigen. 1964 publizierte Rolf Seeliger eine Heftreihe unter dem Titel »Die braune Universität«493, die Schoeps aufs Schärfste kritisierte: Remigration und Nachkriegsantisemitismus

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Es kommt natürlich das genannte Trauma hinzu, das durch ein so infames Machwerk wie »Die braune Universität« aus den sechziger Jahren wachgehalten wurde, in dem ein junger Mann die von ihm denunzierten mit der Gebärde des Großinquisitors zur Rechtfertigung aufforderte. Er bekam lauter Antworten, in denen die Betroffenen minmalisierten und alles Belastende forterklären wollten, so daß man sich nur angewidert abwenden konnte. Nur einerhat nach meiner Erinnerung ehrlich geantwortet: der Germanist Gerhard Fricke, der als Motiv seines Beitritts zur NSDAP seinen »späterhin furchtbar betrogenen, manchmal sich selbst betrügenden Glauben an einen möglichen Neubeginn, eine Zukunft der Gemeinsamkeit und des Dienstes am Ganzen« angab.494

Letztlich diente aber auch diese Perspektive Schoeps vor allem dazu, 1967 mit 1933 nicht nur zu vergleichen, sondern geradezu gleichzusetzen, wenngleich es seiner Einschätzung nach damals immerhin gelungen sei, die Humboldt’sche Universität als Institution aufrechtzuerhalten: Schließlich sind bis 1934 nur ca. 14 % aller Dozenten des Lehrkörpers deutscher Universitäten ausgeschieden und systemkonform ersetzt worden. Für Einstein, Haber, Hertz usw. gab es freilich keinen Ersatz, um nur bei den Naturwissenschaften zu bleiben.495

Dass diese Politik vor allem jüdische Wissenschaftler, spätestens seit dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, traf, scheint dem jüdischen Professor Schoeps 1967 keiner Erwähnung wert. Aus heutiger Sicht ist kaum noch nachzuvollziehen, wie es möglich war, jene geistesaristokratische Institution, die die Universität Humboldt’schen Typs vielleicht einmal war, auch dann noch für intakt zu erklären, als mit dem National­ sozialismus ihre besten Köpfe aus rassistischen Gründen vertrieben wurden. Dass das schon auch und gerade aus nationaler Sicht für Juden inakzeptabel war, zeigt das Beispiel des bereits erwähnten Ernst Kantorowicz, der später in die USA emigrierte und nach Ende des Ersten Weltkrieges Mitglied eines antikommunistischen Freikorps war: Ernst Kantorowicz, er hatte zum Wintersemester 1932/33 den Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität eingenommen, stellte nach erheblichen Störungen seiner Vorlesung zu Beginn des Sommersemesters 1933 ein Gesuch um Beurlaubung: Obwohl ich als Kriegsfreiwilliger vom August 1914 (…) obwohl ich aufgrund meiner Veröffentlichungen über den Staufer Kaiser Friedrich den Zweiten für meine Gesinnung gegenüber einem wieder national gerichteten Deutschland keines Ausweises von vor-

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gestern, gestern und heute bedarf (…) sehe ich mich als Jude gezwungen, aus dem Geschehenen die Folgerungen zu ziehen und im kommenden Sommer-Semester meine Lehrtätigkeit ruhen zu lassen (…) und solange jeder Jude, gerade wenn er ein nationales Deutschland voll bejaht (…) in den Verdacht gerät (…) nur aus Furcht zu handeln oder bloß seinen persönlichen Vorteil zu suchen (…) solange daher jeder deutsche Jude und wahrhaft national gesinnte Jude, um einem derartigen Verdacht zu entgehen, seine nationale Gesinnung eher schamhaft verbergen muß (…): solange erscheint es mir als unvereinbar mit der Würde eines Hochschullehrers, sein nur auf innerer Wahrheit begründetes Amt verantwortlich zu versehen (…).496

Soweit ersichtlich, hat sich Hans-Joachim Schoeps nie und zu keiner Zeit mit Kantorowicz befasst, obwohl ihm dessen Leben und Werk doch besonders nahe hätten stehen sollen. Schoeps – und das zeigt auch die Rekrutierung der Mitarbeiter an der 1948 von ihm gegründeten »Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte« – musste im universitären Alltag mit dem leben, was der schon erwähnte Philosoph Hermann Lübbe später als »kommunikatives Beschweigen« bezeichnen sollte.497 Dass das kommunikative Beschweigen der NS-Vergangenheit im Alltag des universitären Lebens der Nachkriegszeit kaum durchzuhalten war, zeigte eine vom Universitätshistoriker Notker Hammerstein berichtete Episode aus einer Berufungskommission im Jahr 1956, damals war der Rechtshistoriker Helmut Coing Rektor, als der Dekan Gottfried Weber erwähnte, dass die Ernennung Adornos zum ordentlichen Professor im selben Jahr ein »Wiedergutmachungsfall« gewesen sei. In diesem Zusammenhang äußerte der während der NS-Zeit in die Türkei emigrierte Orientalist Helmut Ritter Zweifel an der juristischen Rechtmäßigkeit von Adornos Ernennung, mehr noch, er bezeichnete die Behandlung der Berufungssache Adorno schlicht als »Unkorrektheit«. Bereits Adornos Ernennung zum außerordentlichen Professor sei ein Fall von Schiebung bzw. Protektion gewesen. Horkheimer, der laut Protokoll ruhig und gelassen zu argumentieren und »Ritter Brücken zu bauen versuchte« vermochte gleichwohl nicht, einen Ausbruch seines Gegners zu verhindern. Wenngleich der genaue Wortlaut – so Hammersteins Wiedergabe – im Nachhinein nicht mehr rekonstruiert werden konnte, so erinnerten sich die Sitzungsteilnehmer doch, dass Ritter sinngemäß gesagt hatte: »Es könnte jemand den Eindruck bekommen, daß, wenn man es als Karikatur ausdrücken wollte, es in Frankfurt genüge, die Protektion von Herrn Horkheimer zu haben und ein Jude zu sein, um Karriere zu machen.« Darauf platzte Horkheimers Geduld, und sehr erregt konterte er in etwa: »›Herr Ritter, wenn Sie Antisemit sind, sollten Remigration und Nachkriegsantisemitismus

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Sie wenigstens hier das Maul halten‹, erklärte die Unterhaltung für beendet und eilte türenschlagend aus dem Zimmer.«498 Die Affäre zog ihre Kreise, die Fakultät fasste Beschlüsse, verurteilte die Äußerung Ritters und forderte den Dekan auf, Ritter zu bitten, fortan den Sitzungen fernzubleiben und sich bei Adorno zu entschuldigen. Zudem möge man Horkheimer, der gedroht hatte, ein Emeritierungsgesuch einzureichen, bitten, davon abzusehen. Ritter aber ließ sich zunächst von seinen Lehrverpflichtungen befreien, um später – er war 65 Jahre alt geworden – seine Emeritierung zu beantragen und nach Istanbul überzusiedeln. Ritter, der bereits 1926, nachdem er 1925 wegen homosexuellen Verhaltens verurteilt worden war, in die Türkei gegangen und dort 1935 zum Professor ernannt worden war, blieb während der NS-Zeit in Istanbul und galt dort als Gegner des Nationalsozialismus. Er kehrte 1949 nach Deutschland zurück und übernahm 1953 eine Professur für Orientalistik in Frankfurt. Die Angelegenheit wiederholte sich in der Sache einige Jahre später, als 1963 ein zweiter Lehrstuhl für wissenschaftliche Politik eingerichtet werden sollte, auf den gemäß seinem ersten Listenplatz der Historiker und Sohn Thomas Manns, Horkheimer noch gut aus der kalifornischen Emigration und späterer Zusammenarbeit bekannt, berufen werden sollte. Golo Mann, der ebenfalls Analysen des Antisemitismus vorgelegt hatte, wurde in seit den 1960er-Jahren von Mitgliedern des Instituts für Sozialforschung scharf kritisiert, weil Mann angeblich von großem Einfluss der Juden in der Zeit vor dem Nationalsozialismus geschrieben habe. Horkheimer verhinderte diese Berufung durch einen Anruf beim hessischen Kultusminister, in dem er Mann einen »heimlichen Antisemiten« nannte499 – mit der Folge, dass der Zweitplatzierte, Iring Fetscher, den Ruf erhielt. All dies ersparte sich Ernst Kantorowicz, der bewusst in den USA, an der Universität von Kalifornien in Berkeley, blieb und dort sein in der Mediävistik bis heute grundlegendes Werk über »Die beiden Körper des Königs« verfasste.500 Allerdings sollte auch ihm eine letzte politische Bewährungsprobe nicht erspart bleiben. In den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren, einem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges, befanden sich Kultur, Politik und Gesellschaft der USA in hysterischer Erregung und Kommunistenangst – einer Angst, die ihren Ausdruck u. a. in Senator Joseph McCarthys Untersuchungsaktivitäten zu unamerikanischen Umtrieben führte, ein Unterfangen, dem nicht zuletzt (jüdische) Emigranten aus Europa zum Opfer fielen. Doch wurden nicht alle Verdächtigen vor Untersuchungskommissionen geladen, manchen wurde lediglich ein »Loyalitätseid« abverlangt – auch Ernst Kantorowicz. Er aber verweigerte, die deutschen Erfahrungen des Jahres 1933 vor Augen, diesen Eid und wurde 178

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daher mit 21 anderen Kollegen fristlos entlassen. Zu diesem Vorgang hat sich Kantorowicz selbst ausführlich geäußert.501 In einem Schreiben an den damaligen Präsidenten der Universität, Robert G. Sproul, schrieb er: My political record will stand the test of every investigation. I have twice volunteered to fight actively, with rifle and gun, the left-wing radicals in Germany; but I know also that by joining the white battalions I have prepared, if indirectly and against my intention, the road leading to National-Socialism and its rise to power. I shall be ready at any moment to produce sworn evidence before the court of the Federal Bureau of Investigation, which has admitted me to citizenship during the war. But my respect for the University of California and its tasks is such that I cannot allow myself to believe that the base field of political inquisition, which paralyzes scholarly production, should be within the range of its activities.502

1951 schließlich wurde ihm auf Veranlassung seines Freundes Robert Oppenheimer eine Professur am »Institute for Advanced Studies« in Princeton angeboten, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1963 als ein den Freuden des Lebens zugewandter, stets kreativer Wissenschaftler blieb. Ernst Kantorowicz, oder – wie er von seinen vielen Freunden genannt wurde – »Eka« verbrachte die letzten Tage seines Lebens fern von Deutschland, an der amerikanischen Westküste in Heiterkeit und Muse. 1963, nach einem geselligen Umtrunk sowie Scherzen über das Altern und Krankheiten, brach er in seinem Haus in Princeton auf dem Weg zu einem läutenden Telefon zusammen und starb kurz darauf. Von ihm blieb, neben dem Buch über Friedrich II, den am Ende doch kosmopolitischen, vor allem sein bahnbrechendes Buch über die beiden Körper des Königs. Von seinem eigenen Leib, seinem Körper, blieb nichts – seine Asche wurde über der Karibik zerstreut. Hans-Joachim Schoeps hingegen, der bereits früh mit der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches rechnete, wandte sich als überzeugter, wenn auch exilierter Patriot schon damals – also vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges – gegen mögliche Reparationsforderungen, die die Siegermächte im Interesse der geschädigten deutschen Juden erheben könnten: Diese Entwicklung, die ich kommen sehe, halte ich für eine unheilvolle Vorbelastung einer zweiten Emanzipation. Ich halte dafür, daß wir uns zu gegebener Zeit von allen solchen Forderungen des Weltjudentums als deutsche Juden zu distanzieren haben, daß wir nur eine Regelung anerkennen dürfen, die aus dem freien Willen des deutschen Volkes erfolgt.503 Remigration und Nachkriegsantisemitismus

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Schoeps fordert eine neue Begegnung von Juden mit dem deutschen Volk, mithin dazu auf, Deutschland »unablässig in unser Gebet »einzuschließen, so, »daß der Ewige unser Gott dieses von uns geliebte Volk mit dem Maß der Barmherzigkeit messen möchte, daß begangene Schuld nicht bestraft, sondern vergeben werden möge und daß wir die Kraft des Glaubens zu solcher Haltung aufbringen«.504 Theologisch präzise hält Schoeps fest, dass das Einzige, was deutsche Juden am Ende nicht vergeben können, vergeben dürfen, der Frevel gegen Gott sei, die Verbrennung von Thorarollen. Dies sei alleine in Gottes Entschluss gestellt: wir können nur darum bitten, daß Gott das deutsche Volk dieserhalb nicht zu hart strafen möge, daß der Engelsfürst von Aschkenas – nach rabbinischem Glauben wird jedes Erdenvolk im himmlischen Hofstaat durch seinen Engelsfürsten repräsentiert – nicht endgültig für diese Freveltat zerschmettert werden möchte.505

Jene Jahre mitsamt ihren schrecklichen Ereignissen führte die in Schweden überlebenden Emigranten zugleich dazu, über die Ursachen der deutschen Katastrophe nachzudenken, sich zu fragen, wie all das möglich war. Schoeps, bereits vor dem Krieg ein Anhänger der preußischen Idee, vertiefte sich insbesondere in Zeugnisse des Preußens von Friedrich Wilhelm IV. und kam zu der Überzeugung, dass das Unheil damals seinen Lauf genommen hatte. Tatsächlich schreibt er, dass er diese Zeit der Entscheidungsnot »durchlitten« habe. So wurde ihm deutlich, »daß unser König bei all seinen Schwächen stets den richtigen Instinkt besessen« habe, »wenn er so hartnäckig an dem väterlichen Vermächtnis der Heiligen Allianz, dem Bündnis der drei schwarzen Adler festgehalten hat«.506 Schoeps Treue zum alten Preußen sowie zum alteuropäischen, noch vornationalen, auf jeden Fall weder republikanischen noch gar demokratischen Staatensystem sollte zum Motiv für seine späteren historischen Studien zu Preußen und – vor allem! – zu den preußischen Hochkonservativen, namentlich der Gebrüder Gerlach, werden, denen er später intensive Studien widmen sollte. Seine Überlegungen gingen am Ende soweit, die Gebrüder Gerlach für bedeutender einzustufen als den »großen Realisten Bismarck«. »In all den Jahren«, so das späte Bekenntnis, »seit 1933 hatte in mir immer nur die eine Frage gebrannt: Wo sind die alten Preußen hingekommen, die Vertreter des Rechtsstaats und der Toleranz, die nur eine an Amt und Auftrag gebundene Führung anerkennen können. Diese Vertreter des Prinzips ›von oben‹ können doch nie und nimmer zum ›böhmischen Gefreiten‹ und überhaupt zum National­ 180

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sozialismus, dieser schlimmsten Blüte der missverstandenen Volkssouveränität, ja gesagt haben.?«507 In dieser Erinnerung des zurückgekehrten Emigranten scheint eine rückwärtsgewandte Utopie auf, die tatsächlich ausgerechnet dem von der »Heiligen Allianz« verkündeten und vertretenen Absolutismus mit samt seiner Verfolgung von Demokraten und Republikanern, von seiner Feindschaft gegen die aufbegehrenden Arbeiter ganz zu schweigen, eine an »Amt und Auftrag gebundene Führung« zuschrieb. Wer, so ist in diesem Zusammenhang zu fragen, hat diesen Auftrag erteilt? Mit seiner Kritik an einer »missverstandenen Volkssouveränität« stellt sich der durchaus konservative, ja rechts stehende Denker indes gegen Entwürfe wie die des nationalsozialistischen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt, der eine von Verfassungen und Recht weitgehend freie Beziehung zwischen Volk und Führer als Lösung des Rätsels der Demokratie postulierte. Vor diesem Hintergrund stellten sich die Attentäter des 20. Juli 1944, »Männer mit Namen, die in der preußischen Geschichte einen ruhmreichen Klang besaßen«,508 als Bestätigung seiner nie aufgegebenen Treue zur Idee eines monarchischen, aristokratischen Preußen dar. Allerspätestens damals, genauer schon seit der Niederlage der sechsten Armee der Wehrmacht bei Stalingrad, machte sich Schoeps Gedanken über eine politische Ordnung Deutschlands nach dem Krieg – so publizierte er bereits im Frühjahr 1944, also noch vor dem 20. Juli, auf Schwedisch ein Buch unter dem Titel »Vad skall det bli av Tyskarna?« (»Was soll aus den Deutschen werden«), das letztlich eine entfaltete Warnung gegen die alliierte Politik einer bedingungslosen Kapitulation darstellte. Das Buch versuchte nach Schoeps eigenen Worten, dem neutralen Ausland klar zu machen, »daß Hitler nicht gleich Deutschland sei, Preußen und Nationalsozialismus zwei ganz verschiedenen Welten angehörten und daß die deutsche Jugend trotz aller Parteischulung keine zukünftige Gefahr für den Weltfrieden darstelle«.509 Im Rückblick beklagte der Autor, dass nicht wenige Emigranten, darunter sogar linksliberale Intellektuelle, kommunistischer Propaganda aufsaßen und die Kommunisten selbst schließlich ihre Tarnung aufgaben. Entsprechend wirkte Schoeps bei der von eher rechtssozialdemokratischen Emigranten 1944/45 gegründeten »Deutschen Vereinigung 1945« mit. Das absehbare Ende des Krieges jedenfalls führte ­Schoeps zudem dazu, ein »schwedisches Resumee« zu verfassen, das in weiten Teilen kaum anders denn als eine von bildungsbürgerlich elitärem Dünkel getragene Völkerpsychologie zu bezeichnen ist: Der Schwede ist in der Regel spannungslos. Er kreist um eine Mitte von geringem Durchmesser. Große Aufschwünge, heroische Taten, verzehrende Leidenschaften sind Remigration und Nachkriegsantisemitismus

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ihm fremd. Da aber in seiner Geschichte große Taten und Abenteuerlichkeiten in Fülle vorgekommen sind, scheinen frühere Generationen die ganze Vitalität erschöpft zu haben (…).510

Große schöpferische Leistungen vermag der deutsche Gast in Schweden allenfalls im Bereich der Technik zu erkennen, ein schöpferischer Geist wie Strindberg habe solange keine Resonanz gefunden, als er nicht von der Welt entdeckt wurde. Schoeps beobachtet ein durchaus konventionelles Bürgertum, dem als unmoralisch gelte, wer sich nicht selbst zu ernähren vermöge, sieht sich aber doch gezwungen festzuhalten, dass die Schweden das soziale Problem durch vom König berufene sozialdemokratische Ministerpräsidenten gut gelöst haben – gäbe es doch keine Klassenkämpfe mehr: »Hohe Löhne, Arbeitszeitregelung, Sozialversicherung und Altersversorgung sind mustergültig.«511 Für einen bekennenden Konservativen erstaunlich genug vermerkt der Beobachter jedoch auch ein Tabu: Über sexuelle Dinge darf in diesem Lande nicht gesprochen werden, denn der Anschein der Anständigkeit muß auch in den unanständigsten Lebenslagen noch gewahrt bleiben. Wer die tatsächlichen Verhältnisse beim Namen nennt, zum Beispiel, daß in Stockholm ein achtzehnjähriges Mädchen nur selten eine Jungfrau ist, gilt als viel verworfener als die Sittenlose selbst. Beredten Ausdruck nimmt diese Heuchelei auf dem Liebesmarkt der Zeitungen an, wo in der Spalte »persönlich« Angebot und Nachfrage in erotischer Libertinage täglich abrollt. Bedingung für die Aufnahme der Annonce ist nur der kleine Zusatz »eventuell Eheschließung«, woran natürlich kein Inserent im Traume denkt.512

Diese Bemerkung erweist den Autor als eigentümlich und widersprüchlich, scheint er doch einerseits bürgerliche Konventionen durchaus kritisch zu sehen – immerhin wurde er im vergleichsweise freizügigen Berlin der 1920er-Jahre groß, andererseits bezeichnet er junge Frauen, die keine »Jungfrauen« mehr sind, ohne zu zögern als »sittenlos«. Es wird sich zeigen, dass dies eigentümliche Schwanken zwischen dem Eintreten für konventionelle Lebensweisen hier und des Autors eigenen Wünschen und seinem Begehren dort in ihm fortwirken werden. Im Alter von nur etwas mehr als 30 Jahren beklagt er daher die Moral und Bindungen auflösenden Kräfte des Großstadtlebens, wenngleich er einräumt, dass die in Schweden herrschende christliche Kultur jene Roheit und Brutalität humanisiert habe, die in Deutschland so häufig anzutreffen sei. Auf jeden Fall: Als Emigrant aus der Nazihölle nach Schweden entronnen zu sein, ist wohl der größte denkbare Glücksfall, und daher wird alle Kritik an Land und Leuten vor dem Gefühl

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Remigration und Nachkriegsantisemitismus

der Dankbarkeit zurücktreten müssen, zufolge des schwedischen Asylrechts, das Leben gerettet zu haben.513

Und gleichwohl hielt Schoeps auch unter diesen Umständen Deutschland in zum Teil befremdlicher Form die Treue. So korrespondierte er 1943 mit dem Linguisten und Volkskundler Wolfgang Steinitz (1905–1967), es ging um mögliche, aber nicht zustande gekommene Vorträge von Schoeps in der 1938 in Schweden gegründeten »Emigrantenselbsthilfe« ging. In einem vom 19. Februar 1943 datierten Schreiben verwehrt sich Schoeps gegen Unterstellungen, Mitglied des von Max Naumann 1921 gegründeten »Verbandes nationaldeutscher Juden« gewesen zu sein, einer Vereinigung, die er vielmehr stets bekämpft habe. Schoeps stilisiert den Unterschied zwischen diesem Verband und der von ihm gegründeten Vereinigung mit samt ihrer Zeitschrift »Der Vortrupp« dadurch, indem er jenen als »nationalistisch« bezeichnet, die eigene Haltung aber als »konservativ«.514 Gleichwohl brachten Gegner von Schoeps dem Vorsitzenden Steinitz »belastendes Material« zur Kenntnis, das Schoeps wiederum zurückwies, um sich endlich vehement gegen das Ansinnen zu wehren, einen möglichen Vortrag vorher dem Vorstand als Manuskript einzureichen. Gleichwohl: Im Februar 1944 hielt er vor diesem Verband einen Vortrag zum Thema »Vom göttlichen Auftrag und geschichtlichen Schicksal des Volkes Israel«.515 Schoeps’ eigentümliches Geschichtsbild, einschließlich seiner Haltung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung, der ja schließlich der eigene Vater zum Opfer fiel, wurde auch in seiner Beziehung zu einem bürgerlichen Emigranten, Hans Schäffer (1886–1967) deutlich, der in den letzten Jahren der Republik von Weimar, ab Dezember 1929 im Finanzministerium als Staatssekretär fungierte und 1933 nach Schweden ausreiste. Schäffer, ein Deutscher jüdischen Glaubens, der auch nach dem Krieg in Schweden blieb,516 war ein Briefpartner, mit dem Schoeps »Zukunftsphantasien« austauschte – Vorarbeiten zu dem 1944 erschienen Buch »Vad skall de bli av Tyskarna?« Schäffer vertrat in diesem Briefwechsel die Überzeugung, dass die Deutschen künftig den Gedanken aufgeben müssten, ein Herrschervolk zu sein und aus dem deutschen Volk selbst die Erkenntnis kommen müsse, dass der Weg der letzten zehn Jahre falsch gewesen sei. In seiner Antwort stimmte Schoeps diesem einen unter mehreren Empfängern seiner Denkschrift grundsätzlich zu, äußerte sich jedoch zur »Judenfrage« in einer aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbaren Weise: Die Judenfrage ist weißgott, auf das Ganze gesehen, ein Teilproblem 6. Ranges, das uns nur zufällig näher angeht – und schmerzt. Gewiß, die deutsche Selbstbesinnung Remigration und Nachkriegsantisemitismus

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wird in anderen und tieferen Schichten der Volksseele vor sich gehen müssen. Aber da seit Luther die Frage nach der Schuld und der Erlösung von der Schuld die deutsche Frage ist, wird das Judenproblem und die Frage nach der Wiedergutmachung begangener Schuld in den Vordergrund treten müssen – weil hier die »Sünde« am eklatantesten geworden ist.

Die Schuld an den Juden, so fährt Schoeps fort, gehöre grundsätzlich einer anderen Größenordnung an als die an den Polen und Tschechen, weil hier bewußt »Gottes auserwähltes Volk« getroffen werden sollte. Das andere ist »nur« – gewiß schwerwiegende und verdammenwerte – Hybris – hier aber geht es um den »Aufstand der Empörten gegen Gott«. Und das ohne »pater peccavi« und die durch rückhaltloses Schuldbekenntnis gehende Versöhnung mit dem baure aulom (Hebr. Weltenschöpfer) wird es keine Wiedergeburt, keinen neuen Anfang für Deutschland geben.517

Auch in diesem so nachdenklich wirkenden Schreiben wird die grundlegende Ambivalenz, ja geradezu die innere Zerrissenheit des Autors deutlich: Was ihn vor allem kümmert ist die theologisch verstandene Schuld des deutschen Volkes, weniger das damals nun doch schon bekannte Schicksal der ermordeten jüdischen Menschen: die »Judenfrage, ein Teilproblem 6. Ranges«.

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6 Rückkehr  

Anderthalb Jahre nach der Kapitulation des Deutschen Reiches, im November 1946, befand sich Schoeps noch immer in Schweden, in Uppsala, und unternahm, nun 35 Jahre alt, den Versuch einer Selbstreflexion. In einer Tagebuchaufzeichnung vom 10. November 1946 stellt er nicht nur fest, nicht mehr derselbe zu sein, der acht Jahre zuvor Deutschland fluchtartig verlassen hatte, aber eben auch, dass Deutschland nicht mehr dasselbe sei. »In wenigen Tagen kehre ich – wie ich glaube ohne Illusionen – in ein kaputtes Vaterland zurück.« Schoeps wähnt, in den vergangenen acht Jahren nicht richtig gelebt zu haben, die Konzentration auf die Wissenschaft erschien ihm jetzt als ein »Ersatz für nicht gelebtes Leben«, der nun nicht mehr benötigt werde: »Jetzt brauche ich sie nicht mehr. Ich kehre in das wirkliche Leben zurück in mein Leben, das mich hineinstellt in die Solidarität des zweiten deutschen Nachkriegs- und Hungerwinters.« Diese Solidarität, die doch selbst gewollt ist, wird indes von dem von Rückkehrsehnsucht gezeichneten künftigen Remigranten als schicksalhaft erlebt: Früher habe ich oft stark die Bindung durch die Vergangenheit, das Festgelegtsein durch Erfahrung und Schicksal gefühlt. Sicherlich bin ich auch in den entscheidenden Daseinsorientierungen schon so geprägt, daß ich nicht ein im Grunde anderer Mensch mehr werden kann. Gleichwohl glaube ich doch, aufgeschlossen und nicht erstarrt in Festlegungen in den neuen Lebensabschnitt einzutreten. Eher sehe ich mich vor der Aufgabe, mich selber in das Deutschland von morgen zu übersetzen. Nicht mehr visiere ich die Zukunft im gedanklichen Entwurf an, sondern sie kommt nunmehr im Handeln auf mich zu, und ich gewinne an der Zukunft wieder Gegenwart. Die Erstarrung der schwedischen Jahre weicht; das Leben wird wieder auf große Fahrt gehen.518 Rückkehr

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Am Ende konnte es Schoeps nicht schnell genug gehen, nach Deutschland zurückzukehren – erste Bemühungen – schon Ende Mai 1945 – führten zu Erkundungen bei der US-amerikanischen Botschaft in Stockholm, die aber nur mitzuteilen hatte, dass das jetzt besetzte Deutschland hermetisch abgeschlossen sei und niemand einreisen dürfe. Allenfalls könne eine Anforderung, beim künftigen Wiederaufbau benötigt zu werden, hilfreich sein. Intensive Zeitungslektüre ließ Schoeps auf Eugen Gerstenmaier stoßen, der im weitesten Sinne zum Kreisauer Kreis gehörte und Schoeps noch aus Vorkriegstagen bekannt war und jetzt zum neugegründeten »Evangelischen Hilfswerk« gehörte. In der NS-Zeit gehörte Gerstenmaier im weitesten Sinne zur »Bekennenden Kirche«, war theologisch freilich nicht Karl Barth, sondern Emil Brunner verpflichtet und galt dem entschiedeneren Flügel der Bekennenden Kirche als zu kompromisslerisch; als Mitarbeiter des kirchlichen Außenamtes galt er als zu regimenah, während umgekehrt das Regime, also die Sicherheitspolizei und der SD, Gerstenmaier als Regimegegner einstuften; tatsächlich konnte Gerstenmaier schon 1942 schwedische kirchliche Kreise über geplante Widerstandshandlungen informieren, hielt er sich gar mit »Pistole und Bibel« am 20. Juli im Bendlerblock auf, um nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler verhaftet und trotz von der Anklage beantragter Todesstrafe vom Volksgerichtshof, von Roland Freisler, zu nur sieben Jahren Zuchthaus verurteilt worden zu sein. Im April 1945 von US-amerikanischen Truppen aus dem Zuchthaus Bayreuth befreit, wurde er schon im August zum Leiter des Evangelischen Hilfswerks ernannt – ein Amt, das er bis Ende September 1951 innehatte.519 Gerstenmaiers weitere politische Karriere führte ihn bekanntlich über ein Bundestagsmandat der CDU bis hin zur Position des Bundestagspräsidenten, das er von 1954 bis 1969 innehatte – ein Politiker, der seine Ansichten und Positionen stets mit Nachdruck und Verve vertrat. Trotz einer Einladung Gerstenmaiers, im Zentralbüro des Evangelischen Hilfswerks wissenschaftlicher Referent zu werden, verweigerte die US-Botschaft Schoeps weiterhin die Einreise nach Deutschland, er musste noch ein weiteres Jahr warten, bis die hessische Militärregierung Journalisten als Lizenzträger für neu zu etablierende Tageszeitungen suchte, eine Position, die Schoeps keineswegs anstrebte, auf die er sich aber dennoch erfolgreich bewarb, um tatsächlich nach seiner Ankunft am Frankfurter Flughafen von den zuständigen Stellen zu Druckereien im Rhein-Main Gebiet geführt zu werden. Nach einem Bekenntnis gegenüber einem ebenfalls aus Deutschland stammenden Offizier, dass er tatsächlich keine Zeitung übernehmen wolle, antwortete er einem anderen, höher gestellten Offizier, der sich über die Ablehnung solch generöser Angebote 186Rückkehr

verwundert zeigte, als national bewusster Deutscher – sofern diese Antwort, 17 Jahre später aufgeschrieben, tatsächlich so erfolgte: Ich scheue davor zurück, als heimkehrender Emigrant in einen Gegensatz zu meinen Landsleuten zu geraten. Der wird nicht ausbleiben, wenn ich Dinge schreiben muß, die das Interesse der Besatzungsmacht erheischt. Bei aller theoretischen Pressefreiheit und bestem Willen Ihrerseits kann doch eine offene Kritik von Handlungen der Besatzungsmacht von Ihnen gar nicht zugelassen werden. Kurzum, ich möchte kein Quisling der Amerikaner werden, jedenfalls nicht Millionär um diesen Preis.520

Aus heutiger Sicht eine ungeheuerliche Äußerung, war doch »Quisling« nichts anderes als ein nach einem dem Nationalsozialismus nahestehenden norwegischen Politiker gebrauchter Begriff für »nationalsozialistischer, landesverräterischer Kollaborateur«. Man einigte sich schließlich darauf, Schoeps eine Verlagslizenz auszufüllen. Ein Ego-Dokument aus dem Jahr 1946, ein Manuskript unter dem Titel »Wie alles sein wird«521 gibt einen lebhaften, einen höchst anschaulichen Eindruck von einer Reise nach Berlin – die ehemalige Heimat: Es wird ein trüber Wintertag sein mit lauer Temperatur, an dem auf Berlins Strassen der Schnee in schmutzige Farben übergeht und an den Rand geschaufelt wird, da werde ich ankommen auf dem Stettiner Bahnhof. Niemand wird auf mich warten, kein Gepäckträger mir den Koffer abnehmen und so werde ich den Koffer von einer in die andere Hand wechselnd durch die Strassen stapfen – vorbei an Menschen mit müden, mürrischen und verbitterten Gesichtern. Die Menschen sind schlecht angezogen und von den Häuserfassaden ist der Kalk abgefallen, so dass auch sie schmutzige Flecken haben. Es sieht so aus, als ob niemand mehr Wert darauf legt, einen vorteilhaften Eindruck abzugeben, die Häuser nicht, die Menschen nicht.522

Weitere Gänge führten den Zurückgekehrten dorthin, wo er einst, in seiner Heimatstadt Berlin, Preußens Glanz bewunderte: Ich komme unter die Linden – die Strasse alter Preussenpracht. Aber sie sieht nicht länger preussisch und nicht länger prächtig aus. Friedrich der Grosse ist von seinem Denkmal abmontiert. Nun steht nur noch der Sockel da; ob da nun Wawel oder Montgomery raufkommen sollen?523

Rückkehr

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Doch war nicht nur Preußen, der eine Pol von Schoeps gefestigter Weltanschauung dahin, auch vom Judentum war seiner präzisen Beobachtung nach nichts übrig geblieben. In der Erinnerung, 1963, jedenfalls konnte Schoeps noch fragen, ob »die Katastrophenjahre des Nationalsozialismus für das Judentum der Welt eine Verinnerlichung oder gar eine religiöse Erneuerung im Gefolge haben werden«.524 Dem theologisch geschulten Remigranten war bewusst, dass im Judentum die Verarbeitung von Krisen und Katastrophen seit jeher lange gedauert hat, daher: Welche Impulse einer religiösen Erneuerung von Auschwitz und Bergen-Belsen ausgehen und unterirdisch durch Jahre und Generationen schwelen werden, bis sie feste Gestalt gewinnen, das ist noch nicht einmal zu erahnen. Vielleicht verwandeln sie aber noch einmal das Gesicht der Erde.525

Schoeps konnte damals, 1963, die sogenannte jüdische »Postholocausttheologie«, etwa die Schriften Ignaz Maybaums oder des bereits oben erwähnten Emil Fackenheim526, noch nicht kennen. Margarete Susmans »Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes«, 1946 in der Schweiz527 erschienen, lag freilich bereits vor. Schließlich war Schoeps die literarische Fiktion des von Zvi Kolitz verfassten, angeblich im Warschauer Ghetto gefundenen Testaments von Jossel R ­ ackower528 bekannt, das der Autor bereits 1946 in Buenos Aires in einer jiddischen Zeitung publiziert hatte. Auf jeden Fall: Jüdisches Denken war intensiv mit der Verarbeitung der Shoah befasst: Der von hunderttausenden von Deutschen inner- und außerhalb der Nazibewegung sowie von abertausenden hilfswilligen Kollaborateuren in Ostmitteleuropa arbeitsteilig an etwa sechs Millionen europäischer Juden verübte Mord hat zumal den Glauben religiöser Juden in einer kaum geahnten Weise erschüttert. Obwohl Juden über Jahrhunderte immer wieder verfolgt wurden, überschritt das, was in der NS-Zeit geschah, alles, was in dieser Hinsicht – Schock, Schmerz und Trauer – jemals zu erwarten war – und das, obwohl die Juden ein leiderfahrenes Volk waren und zu ihren heiligen Schriften, also zur Hebräischen Bibel, das Buch Hiob gehört, das nichts anderes zum Thema hat als die Frage, warum Gott Unschuldige leiden lässt; in diesem Buch findet sich zum ersten Mal die von der Religionsphilosophie sogenannte »Theodizeefrage«, also die Frage nach der Rechtfertigung Gottes, mehr noch, ob ein Gott, der solches zulässt, überhaupt denkbar und möglich ist. Die radikalste, philosophisch konsequenteste Bearbeitung der Thematik verdanken wir freilich einem Freund und Kommilitonen Hannah Arendts, Hans Jonas. Jonas, anfänglich ein von Heidegger beeinflusster Philosoph und Religions188Rückkehr

historiker, der später über Verantwortung und das Wesen der modernen Biologie reflektierte, publizierte 1987 eine bündige, aber an Intensität des Denkens kaum überbietbare Studie: »Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme«. Darin legte er dar, dass nach dem unvorstellbar grausamen Ereignis der Shoah die Lehre von den göttlichen Attributen verändert werden müsse. Von Gottes Eigenschaften: Allwissenheit, Allgüte und Allmacht müsse – wolle man im Einklang nicht nur mit den biblischen Gottesvorstellungen bleiben – das Prädikat, die Eigenschaft der Allmacht gestrichen werden. So lässt sich verständlich machen, dass Gott die Ereignisse des Holocaust zwar voraussehen und zur Kenntnis nehmen, sie aber nicht verhindern konnte. In einem kühnen Gedankengang versucht Jonas dann zu zeigen, dass das kabbalistische Judentum mit seiner Lehre vom Zimzum, also der Lehre von der Erschaffung der Welt durch den Rückzug Gottes in sich selbst, mit dieser Vorstellung vereinbar ist und dass zudem diese Lehre des Zimzum mit einer etwa von dem britischen Philosophen Whitehead entfalteten Prozesstheologie, einer Theologie des begleitenden, werdenden Gottes schlüssig zu vereinbaren ist.529 Freilich: Fromme Naturen wird diese schlüssige Argumentation nicht beeindrucken. Ihnen dürfte eher eine von der US-amerikanischen Autorin Yaffa Eliach, die chassidische Geschichten aus dem Holocaust530 gesammelt hat, überlieferte Anekdote zusagen: Auf dem Höhepunkt der Shoah versammelten sich in einem Vernichtungslager eine Reihe von Juden, um einen Gerichtshof zu bilden, vor dem Gott angeklagt wurde, weil er dies Morden zuließ. Als abends die ersten Sterne die Zeit des Gebets anzeigten, wurde die Sitzung jedoch unterbrochen, um das Abendgebet zu sprechen. Das alles war Schoeps’ Thema nicht. Bei aller Trauer um seine Eltern sowie ermordeten Gefährten trieb jedoch den zurückgekehrten Schoeps wie schon in Schweden vor allem die Sorge um Deutschland um: Mit einiger Bitterkeit vermerkt er, dass die Alliierten kein Interesse an einer neuen deutschen Regierung haben, dass sie wollen »dass der preussische Drang nach Ordnung nun mal einige Zeit ohne Erfüllung531 bleiben solle«. Die Lage in Berlin selbst erwies sich als zum Verzweifeln: »Verwandte habe ich nicht mehr, die Hotels sind überfüllt und in der Stadt herrscht furchtbare Wohnungsnot.« Als Übernachtung bietet sich in Ostberlin, inmitten von Mietskasernen und Hinterhöfen, eine mit schon mit anderen belegte Schlafstube für 3,50 RM an. »Und so geht denn der Vorhang runter über meinem ersten Tag in Deutschland.« Beim Besuch seiner letzten Berliner Wohnung vor der Flucht nach Schweden, trifft er Verwandte ehemaliger Patienten seines Vaters, die voller Trauer über dessen Tod sind, mehr noch, bei diesem Besuch sucht er auch den ehemaligen Friseur der Familie auf: »Er ist noch schmaler geworden«, notiert der Rückkehr

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Rückkehrer, »und sein Gesicht noch eingefallener. Seine Hände zittern mehr als man beim Einseifen vertragen. Er fragt mich und ich erzähle ihm dieselbe traurige Geschichte. Er meint bekümmert: Ja, euch Juden hat man schlimm mitgespielt; aber uns geht es auch nicht anders. Ich sage: Ja, wenn ihr damals protestiert und Hitler gehindert hättet, dann würde es jetzt vielleicht auch nicht so schlimm sein. Er sieht mich nur trübe aus wässrigen Augen an an: Ach lieber Herr, was hätten wir denn tun sollen? Am Anfang haben wir alle Heil und Hurra geschrien, weil wir doch gute Deutsche sind. Später das mit den Juden und vieles andere noch haben wir ganz gewiss nicht billigen können. Aber wenn wir den Mund auftun, wussten wir zu gut, was uns bevorstand. Die schwarzen Kerle schnüffelten doch überall herum. Drüben den Schuster haben sie für das eine Wort ›Schweinerei‹ am Tag der Synagogenbrände abgeholt. Zurückgekommen ist von ihm nur eine Aschenurne (…).«532 Schoeps lässt diese Behauptung unkommentiert, um weiter festzuhalten, dass er am nächsten Tag beim Provinzialschulkollegium von Berlin als seiner vorgesetzten Dienstbehörde – hatte er doch vor seiner Emigration ein Staatsexamen abgelegt – vorgesprochen habe. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass er trotz seiner fehlenden Praxis und nur eines Jahres Referendariat angestellt werde: »Aber wir müssen«, so erinnert sich Schoeps an die Äußerung dieses Bildungsbeamten, »jeden Schwanz nehmen, der sich bietet (…) die Herren Sieger wünschen, dass wir das deutsche Volk umerziehen sollen. Als Jude werden Sie dabei gewiss keine leichte Stellung haben.« Der Empfang des neuen, jüdischen Lehrers in seiner seine Klasse war entsprechend: An der Tafel war nicht nur ein Hakenkreuz zu sehen, sondern auch die Parole »Juden raus!« – eine Herausforderung, die den Rückkehrer erst recht motivierte. Gefragt, ob er wirklich Jude sei, antwortet er bejahend. Auf den Zuruf »Die Juden sind an unserem Unglück schuld« bittet der neue Lehrer den Rufer, seinen Namen zu nennen, und ist von Auftreten und Erscheinung, wie das auch schon in der Vorkriegszeit vorkam, offensichtlich fasziniert: »Ein hoch aufgeschossener schlanker Junge mit scharf geschnittenem Gesicht und blanken Augen tritt aus der Bank und knallt die Hacken zusammen: Erwin Pilz. – Ich denke, und das ist als Kompliment zu nehmen genau aus diesem Holz sind Preussens Offiziere und frage ihn mit ruhiger Stimme: Warum glaubst Du das Erwin?« Auf den folgenden Schwall antisemitischer, verschwörungstheoretischer Behauptungen kündigt er an, niemandem den Mund zu verbieten und alle Fragen wahrheitsgetreu zu beantworten. »Nach 4 Wochen hatte ich die Klasse rum. Seither«, so der stolze Bericht, »geht die Obertertia für ihren jüdischen Ordinarius durchs Feuer. Sie weiss aber freilich auch«, so das ehrliche, aus heu190Rückkehr

tiger Perspektive befremdliche Bekenntnis, »ein Quisling der Westmächte ist ihr Ordinarius nicht«. Schoeps tritt darüber hinaus als Redner in Berlin auf, etwa beim Treffen einer Gruppe, die sich »Der neue Anfang« nennt und der es nicht zuletzt darum ging, die »Klärung und Bereinigung der Judenfrage wegen allen begangenen Unrechts« als vordringliche Aufgabe anzusehen. Schoeps hielt in der bis auf den letzten Platz gefüllten Stadthalle vor Kriegskrüppeln, Witwen, aber auch bürgerlich gekleideten Menschen eine Rede, die er in seinen bisher nur handschriftlich überlieferten Erinnerungen wiedergab. Mehr eine theologische Predigt denn eine politische Rede ging es um Reue und Vergebung, um Umkehr und Wohltun. Gegen Ende seiner Rede forderte Schoeps das Publikum auf, mit ihm laut das »Vater unser« zu beten. Der Abend ist aus. Kein Zwischenfall hat sich ereignet. Auf vielen Gesichtern malt sich Erschütterung (…) Viele geben mir stumm die Hand. Ich trete heraus in die kühle Luft einer Vorfrühlingsnacht und spüre: Das war ein Anfang. Ja, es war wirklich der neue Anfang (…) Speziell zu denen werde ich gehen müssen, die früher in S. A., S. S. und Hitlerjugend gewesen sind. Es muss ein Ringen um die Seelen werden (…) Und mir fällt ein Vers ein, den wir auf einem unserer freideutschen Gaublätter vor vielen Jahren stehen hatten: Wir wollens wagen / In diesen Tagen / der Ruhe abzusagen, / dies Tun vergisst. / Wir wolle uns eifrig plagen, / wollen Steine tragen zum Baugerüst.

Die Assoziation an ein Gedicht aus der freideutschen Jugendbewegung war mehr als nur eine flüchtige Ernnerung. Tatsächlich vermerkte Schoeps es als großes Glück, jenen Kreis wiedergefunden zu haben, »in dem und von dem her ich leben kann«.533 Nimmt man Schoeps’ Erinnerungen aus dem Jahre 1946 »Wie alles sein wird« als »Dokument«, so ist diese vermeintlich periphere Bemerkung gar nicht hoch genug zu schätzen – stellt sie doch nicht mehr und nicht weniger als eine zentrale Aussage über seine ganze Existenz dar. Die Freunde aus der Jugendbewegung und die von ihnen gebildete Gemeinschaft waren für sein Leben nicht nur der soziale Raum, in dem er sich aufgehoben, geborgen, ja sogar beheimatet fühlte, sondern auch die wesentliche Sinnressource, die seiner Existenz Richtung und Ziel verlieh. Das waren keineswegs nur ehemalige jüdische Kameraden, nein, im Gegenteil: Helmer, der Veteran des Ersten Weltkrieges, Henning, der als Emigrant die Jahre nach dem Zusammenbruch der grande nation in Petainschen Gefangenenlagern und später in Nordafrika zugebracht hat. Kurt, der als Militärarzt mit heilen Knochen von der Ostfront heimgekehrt ist. Rückkehr

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Anders als viele Rückkehrer scheute der im Geist der Jugendbewegung gebundene auch die Konfrontation mit ehemaligen Feinden nicht: Hans, der Nazi geworden war und nun – bildlich gesprochen – ein Büssergewand trägt. Er hat uns ein paar Hitlerjungen mitgebracht, die sich auf die selten gewordene Kunst des Hinhörens verstehen und die Folie unserer Gespräche bilden.534

Unter Zuspruch von viel Alkohol debattieren diese nun etwa 30 Jahre alten Männer die Frage nach dem geschichtlichen Bewusstsein – eine Frage, die in den 1920er-Jahren von den Geisteswissenschaftlern der Dilthey-Schule, namentlich von Georg Misch und Bernhard Groethuysen, gestellt worden sei. In Auseinandersetzung mit Hermann Rauschnings »Revolution des Nihilismus« ging es um die Frage, ob und wie diese Geisteshaltung dauerhaft überwunden werden könne. Mancher meinte: »Ein neuer Hoher Meissner, ein neuer Hochbund deutscher Jugend« – freilich überwog – so berichtet Schoeps – die Skepsis. Diese Gespräche sprachen sich in den Kreisen der ehemaligen Bündischen herum, bis zu Schoeps Dialogpartner Hans Blüher, der die NS-Zeit unauffällig überstanden hatte. Er hatte 1924 eine Ärztin geheiratet und lebte zurückgezogen als Arzt in Berlin Hermsdorf – 1946, er war jetzt 58 Jahre alt, wurde er auf den sich neu um Schoeps sammelnden Kreis aufmerksam: Eines Abends hatten wir seltenen Besuch. Hans Blüher, der Steppenwolf, der solange auf der Brache gelegen hat, ist aus seiner Höhle herausgekommen. Er hört schweigend unseren Gesprächen zu und abrupt, wie seine sprunghafte Art ihm eingibt, wendet er sich an mich: Schoeps, wir beide sind doch Menschen, die in den wechselnden geschichtlichen Vordergründen den ewigen Hintergrund erkennen können. Und darum sage ich Ihnen, Sie werden die Probleme des deutschen Morgentages nur klären können, wenn sie zuvor die Frage wirklich gelöst haben, ob Paulus das jüdische Gesetz wirklich richtig verstanden und welche Geltung es nach der paulinischen Kritik für uns Christen noch weiter hat. Denn ohne Euer Gesetz werden wir kein neues Deutschland bauen können.535

Diese Aussagen seines ehemaligen Kontrahenten erfüllte den Rückkehrer mit einem »tiefen Glücks- und Dankbarkeitsgefühl« – könne doch in keinem anderen Land der Welt Derartiges noch gesagt werden. »Hans Blüher«, so enden ­Schoeps Aufzeichnungen aus dem Jahre 1946, »gleichzeitig klar und verworren, ist so etwas wie der ewige Deutsche. Ich fühle, ich habe endlich heimgefunden.«536 192Rückkehr

Was wiederum nichts anderes heißt, dass es »die Deutschen« sind, unter denen alleine der bekennende Jude Hans-Joachim Schoeps sich heimisch fühlt. Der zurückgekehrte Schoeps war bei alledem durchaus mit jenen Deutschen, die er auch als Opfer erlebte, erstaunlich solidarisch. In einem Schreiben an einen früheren Weggefährten, Heinz Frank, der nach Kanada emigriert war, hieß es dazu: Wir wollen das Schuldthema der Besiegten lieber verlassen, weil das Konto der Gegenseite auch aufzumachen wäre. Denn das verschweigt die alliierte Propaganda, daß hunderttausende »unschuldiger« Deutscher, die im vorigen Winter aus ihrer ostdeutschen Heimat mit oft nur 20 Minuten Frist von den alliierten Polen ausgewiesen wurden, auf den Landstraßen erfroren oder an Hunger und Krankheiten umgekommen sind (…) Natürlich wirst Du sagen, die Nazis hätten ganz analoge Sachen gemacht. Ich meine ja nur, das eine wird durch das andere nicht besser. Böse = Böse. Ich finde es einfach widerlich, die jüdischen Toten gegen die deutschen Toten aufrechnen zu wollen.

»Das Fazit ist jedenfalls ein gründlich zerstörtes Europa mit einer noch nicht bekannten Gesamtzahl Toter«, woraus Schoeps eine gleichsam existenzielle Konsequenz zieht: Wenn heute dennoch ein deutscher Jude in die Heimat zurückgehen will, wohl wissend, daß diese Heimat ein Trümmerhaufen ist und mit keinerlei Illusionen über die sehr unsichere Zukunft Europas vor Augen, dann ist diese Entscheidung vielleicht keine sehr kluge – da hast Du nun wirklich recht –, aber eine anständige.537

Den Hungerwinter 1946/47 verbrachte Schoeps in Frankfurt am Main, wo er die Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde zwar mit seinen Bekenntnissen, in Deutschland bleiben zu wollen, in Erstaunen versetzte, aber doch so sehr überzeugte, dass sie ihm ein Zimmer im geheizten und mit Care-Paketen wohl versorgten Altersheim zuwiesen. Von dort aus fuhr Schoeps zu seinem früheren akademischen Lehrer Friedrich Heiler, der ihm anriet, seine Habilitation nachzuholen. Heiler (1892–1967) war einer der Pioniere der Religionswissenschaft, ein römisch-katholisch geborener und in diesem Sinne aufgewachsener Mann, der sich gleichwohl der schwedisch-lutherischen Kirche zuwandte und zu einem der frühen Aktivisten der Ökumene wurde. In München in allgemeiner Religionsgeschichte habilitiert, 1920 in Marburg von Rudolf Otto mit einem Extraordinariat für Religionsgeschichte- und philosophie bedacht, kurzfristig in Greifswald tätig, wurde Heiler wegen seiner Weigerung, 1934 den kirchlichen Rückkehr

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Arierparagraphen zu unterschreiben, wieder an die Universität Marburg versetzt, wo er mithilfe Rudolf Ottos Leiter der religionskundlichen Sammlung der Universität wurde.538 Das große Entgegenkommen der Marburger Fakultät ermöglichte es Schoeps, sich kumulativ mit noch nicht publizierten Manuskripten zu habilitieren – ein Verfahren, das am 12. Februar 1947 mit seinem Vortrag »Der Nihilismus als Phänomen der Religions- und Geistesgeschichte« abgeschlossen wurde und ihm eine venia legendi für »Religions- und Geistesgeschichte« erbrachte. Schoeps reiste in jenen Jahren ebenso aufmerksam wie auch ziellos durch das in Trümmern liegende Deutschland, traf alte Freunde und sogar seine erste Liebe, nicht zuletzt eine junge Frau, die Theresienstadt überlebt hatte, und musste bei seinen Reisen feststellen, dass vom alten deutschen Judentum nichts übrig geblieben war. Die Welt der Bündischen, die Welt der deutschen Bündischen sollte schon bald auch förmlich und organisatorisch wieder errichtet werden. Über Pfingsten 1947 trafen sich im Kloster Altenberg bei Wetzlar etwa 80, miteinander nicht immer bekannte Vertreter von den Pfadfindern über die Sozialistische Arbeiterjugend bis hin zur Deutschen Freischar, um über die Zukunft der bündischen Bewegung und ihr mögliches Versagen in der NS-Zeit zu sprechen. Aber nicht nur die Mitstreiter der alten Jugendbewegung wurden zu Gesprächspartnern eines neuen Anfangs, nein auch Partner und Gegner aus den Diskussionszirkeln der »Konservativen Revolution« wurden zu neuen Herausforderern, etwa der »Nationalbolschewist« Ernst Niekisch (1889–1967), nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Direktor der Volkshochschule in Wilmersdorf. Er kritisierte Schoeps dafür, in den Westen gegangen zu sein, empfahl ihm, sich an der Linden-Universität zu bewerben und suchte so den Hochschulreferenten des Sowjetischen BesatzungszonenMinisteriums für Volksbildung auf, der Schoeps tatsächlich eine Auswahl verschiedener Lehrstühle anbot – mit der verheißenen Entlohnung von Nahrungsmitteln. Schoeps erbat sich Bedenkzeit und suchte, hungrig geworden, mit einem Passepartout des Ministeriums das Lokal des »Deutschen Kulturbundes« auf, um den Eindruck zu gewinnen, schon einmal dort gewesen zu sein. Und tatsächlich: »Das ist«, so fuhr es ihm durch den Kopf, »die Inneneinrichtung des einstigen Herrenklubs vom Pariser Platz. Nur sahen die neuen Herren, die sich in den dicken Fauteuils wälzten, etwas anders aus als die von damals. Ich diagnostizierte die neue Herrenschicht der SED als eine aparte Mischung des Amtswaltertyps der NS=Zeit – rosa Bäckchen, listige Schweinsäuglein, kahle Schädel und Specknacken – untermischt mit blaurasierten Hornbrillenintellektuellen.«539 194Rückkehr

Eine Berufung nach Erlangen – für Schoeps war durch die Vermittlung eines Kameraden aus der Wandervogelzeit, des Professors für Betriebswirtschaft, Michael Kirsch, an der dortigen Universität eigens ein planmäßiger Lehrstuhl geschaffen worden – beendete diese Phase der Sondierungen. In Erinnerung an seinen Leipziger Lehrer Joachim Wach benannte Schoeps den ihm zugedachten Lehrstuhl als Professur für »Religions- und Geistesgeschichte«. Nicht anders als in seinen ersten Tagen als Lehrer in Berlin wandte sich Schoeps als Professor in erster Linie an ehemalige Frontsoldaten sowie Mitglieder des Jungvolks und der HJ – junge Menschen, von denen sich einige unter seiner Anleitung zu einer »Akademischen Freischar Erlangen« zusammenfanden. Und nicht anders in Berlin waren dies für Schoeps beglückende Erfahrungen: »Rückblickend kann ich nur sagen, daß diese angeblich verlorene Generation, vor der das Ausland solche Angst hatte, die weitaus beste und geistig meist bewegte Studentengeneration gewesen ist, die ich kennengelernt habe. Noch heute«, so Schoeps 1963, »sehne ich mich manchmal nach diesen Jahren und Menschen zurück.«540 Vom Rektor der Universität gefragt, ob er die Aufsicht über das Studentenwerk übernehmen wolle, sagte Schoeps in Erinnerung an seine Sozialarbeit in den Jugendjahren gerne zu, um sich vor allem um das Beschaffen von Nahrungsmitteln zu kümmern – Tätigkeiten, die mit der allmählichen Normalisierung der Verhältnisse ihren Reiz verloren. Nächste Studentengenerationen enttäuschten, suchten sie doch nur noch »das Glück im Winkel und den häuslichen Herd« – ein Umstand, den Schoeps sogar noch 1963 als »volksbiologischen Erschöpfungsprozess, der sich in einer Art Sicherheitspsychose äußert«541 bezeichnete. Neben seiner beginnenden Professorentätigkeit suchte Schoeps als ehemaliger jugendbewegter Freideutscher immer wieder diese Gemeinschaft auf, war ständiges Mitglied des »Freideutschen Kreises« bis zu dessen Auflösung im Jahre 2000 und fuhr infolgedessen regelmäßig nach Burg Ludwigstein, dem Archiv der deutschen Jugendbewegung. So hielt er schon auf Treffen des Kreises 1947 und 1948 Vorträge; Vorträge, in denen er durchaus einräumte, dass die ehemaligen Mitglieder nie zu einer gemeinsamen politischen Haltung kommen würden, gleichwohl: Wir haben ganz einfach alle das Gefühl, hier auf dem Ludwigstein sind wir zu Hause, nicht nur wegen dieser alten Burg, an die sich gewiß für viele tausend Erinnerungen knüpfen, sondern weil wir unter uns bei unseresgleichen sind. Und darum sind freideutsche Tagungen für uns nicht nur Arbeitstagungen, sondern festliche Ereignisse. Ein Bundestag hat für uns ja von jeher so etwas wie Geburtstagscharakter. Wir bilden eine Rückkehr

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große Familie, einen Orden, einen Bund gleichgesinnter und gleichgerichteter Menschen, die untereinander einen viel engeren Kontakt haben als jemals ein Kreuzritterorden, eine Freimaurerloge, eine politische Partei oder Bewegung. Denn die haben ja ihren Zusammenhalt nur durch das Ziel oder den Zweck, dem sie dienen, und wenn der nicht mehr da ist, dann sind sie auch nicht mehr da. Wir aber sind da und brüderlich verbunden, ohne je ein gemeinsames Ziel gehabt zu haben. Wir sind da – ganz einfach als ein gemeinsamer Typus, ein Stand, ein Brüderorden, ein Bund.542

Die frühen 1950er-Jahre standen für den zurückgekehrten Schoeps somit einerseits unter dem Vorzeichen, die jugendbewegte Geselligkeit der Vorkriegszeit wiederzubeleben, alte Kontakte wieder aufzunehmen; andererseits jedoch darin, dem von ihm geliebten, mit dem Nationalsozialismus untergegangenen Staat Preußen nicht nur einen Platz in der kollektiven Erinnerung der Bundesrepublik Deutschland zu bereiten, sondern – mehr noch – ihn nach Möglichkeit wieder zu errichten. Zu den persönlichen Begegnungen, die damals von Bedeutung waren, gehörte nicht nur ein Treffen mit dem ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning, sondern auch mit dem Dichter Gottfried Benn. Schoeps traf B ­ rüning 1953 in Köln, wo der aus der Emigration zurückgekehrte ehemalige Reichskanzler eine Professur für politische Wissenschaften innehatte und den er durch das Übersenden einer von ihm verfassten Broschüre über den Wert der Mo­narchie zum Eintreten für diese Idee zu überzeugen versuchte, indes: »Brüning empfing mich lächelnd mit der Bemerkung, für die Monarchie brauchte ich ihn nicht erst zu erwärmen, er sei nie etwas anderes als Monarchist gewesen.«543 um dann auf seinen Gegensatz zu Konrad Adenauer zu sprechen zu kommen, der nie ein inneres Verhältnis zu Preußen gehabt habe.

Doch lastete Schoeps das Ende Preußens nicht nur den Nationalsozialisten an, sondern auch den siegreichen Alliierten, die mit dem Beschluss des Kontrollrats vom 25. Februar 1947 diesen Staat aufgelöst hatten. Zudem konstatierte er eine Geschichtsvergessenheit derart, dass sogar junge Leute in Berlin nicht mehr wussten, dass Berlin die preußische Hauptstadt war und sie mithin eigentlich Preußen seien. Das Schweigen über Preußen bedrückte Schoeps und »schnürte« ihm »die Kehle zu«.544 Somit war für ihn der Anlass gekommen, am 250. Geburtstag des preußischen Staates,am 18. Januar 1951 auf eigene Kosten Plakate für einen von ihm zu haltenden Vortrag zum Thema »Die Wahrheit über Preußen« im Audito196Rückkehr

rium maximum der Universität drucken zu lassen – eine Veranstaltung, die zu besuchen sich der Rektor der Universität weigerte, sei ihm als gebürtigem Sachsen und Rektor einer bayerischen Universität derlei nicht zumutbar – vor dem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal führte Schoeps dann aus, dass die braune Farbe der Nationalsozialisten nichts mit dem Schwarz-Weiß Preußens zu tun habe, denn: »Das Preußen, das wir durch Erziehung und Geschichte kennenlernten und dem zu dienen als Offizier, Beamter und schlichter Zivilist eine Auszeichnung bedeutete, ist ein Rechtsstaat gewesen (…) Preussen war uns gleichbedeutend mit sauber, anständig, gerecht und pflichttreu (…) ich glaube nicht, daß unser neuer deutscher Bundesstaat ohne dieses Erbe, das aus dem echten preussischen ethos stammt, würde existieren können. Sie wissen«, so fuhr Schoeps fort, »Kriege schaffen immer blutende Grenzen. Revolutionen schaffen etwas noch viel Schlimmeres. Ich bin der Meinung, daß unser armes Land nicht eher wird Frieden finden können, als bis sich diese Wunden wieder schließen und eine Aussöhnung auch und gerade mit diesen Traditionen stattgefunden hat.«545 Dieser Vortrag war der Auftakt zu Schoeps’ lebenslanger Anstrengung, Preußen zu rehabilitieren – eine Anstrengung, die ihren ersten Ausdruck in dem 1952 publizierten Buch »Das andere Preussen«546 fand. In den Jahren darauf folgten 1964 »Unbewältigte Geschichte: Stationen deutschen Schicksals seit 1763«547 sowie 1968 »Preussen. Geschichte eines Staates«. Freilich waren die frühen 1950er-Jahre auch Anlass, ältere, noch aus der Vorkriegszeit und der Emigration bestehende (Brief-)Freundschaften wiederzubeleben, so wandte sich etwa Schalom aus Jerusalem 1950 wieder an ­Schoeps, um ihn provokativ zu fragen, ob man über die »sechs Millionen hingeopferten Juden zur Tagesordnung übergehen« dürfe.548 Dem waren schon Jahre zuvor heftige theologische Debatten zwischen Upsala und Jerusalem vorhergegangen – etwa über Martin Buber und dessen Möglichkeiten, zu einer verbindlichen religiösen Praxis zu kommen, aber nicht zuletzt – wie schon im Briefwechsel mit Max Brod – über die Schuld der Deutschen und der Allierten: »Haben die Bolschewicki«, schrieb Schoeps hoch erregt im September 1949, »deren Hände vom Blut trieften (vom Zaren Nikolaus bis zu Trotzkij), die heuchlerischen Engländer, die Geldsack-Amerikaner ein Recht zu Gericht zu sitzen? Sie haben es nicht; es ist nicht ihr Verdienst, daß Gott sie zur Zurchtrute bestimmt hat. Und die Vergeltung für die Massenvergewaltigungen der Russen und die Hungerblockade der Angelsachsen werden wir beide, so Gott will, noch erleben.«549 Im gleichen Atemzug sah er er sich bemüßigt, mitzuteilen, dass ihm jede »Zionsliebe« abgehe – eine Gefühl, dass letztlich auf eine von der jüdischen Rückkehr

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Neoorthodoxie vertretene Überzeugung zurückgeht, wonach eine Rückkehr der Juden ins Heilige Land erst in messianischen Zeiten möglich sein werde: »Sie und ich«, heißt es beinahe hoffnungsfroh in einem Schreiben aus Upsala nach Jerusalem, »werden möglicherweise noch mit ansehen müssen, daß Israel die Katastrophe des Zionismus überleben wird. Denn wer weiß, ob nicht das Land noch unseren Lebzeiten seine Bewohner ausspeien wird, weil sie noch nicht einmal den Versuch gemacht haben, das Reich vor der Zeit aufzurichten.«550 Dem konnte Ben-Chorin nur entgegnen, dass »Erez-Israel« die letzte Hoffnung des jüdischen Volkes, da sich das europäische Judentum praktisch am Ende befinde, sei.551 Drängend fragte er daher im Januar 1950: »Darf man über die die sechs Millionen hingeopferten Juden zur Tagesordnung übergehen? Kann man an der Gesamtschuld der zumindest überwältigenden Mehrheit der Deutschen achtlos vorübergehen?«552 – wobei Ben-Chorin nicht versäumt mitzuteilen, dass er die Politik der Jewish Agency, die Juden in Deutschland gleichsam aus der Gemeinschaft aller Juden auszustoßen, verurteilt. Schoeps’ Antizionismus sollte sich im Laufe dieses Briefwechsels immer weiter steigern: So sei die Gründung des jüdischen Staates »geradezu ein postjüdisches Phänomen, sowie der NS ein postchristliches«.553 Die bitteren Diskussionen über den Zionismus, die Gründung des Staates Israel sowie die damit einhergehende Rolle des Messianismus endete jedoch vorläufig in einem heiteren Satyrspiel. Ben-Chorin berichtet Schoeps im April 1950 von einem in der nordisraelischen Stadt Naharya lebenden Zahnarzt, der wähnte, dem Geschlechte König Davids zu entstammen, und der daher für seinen Sohn die Anwärterschaft auf den Thron Davids gelten gemacht habe. Schoeps antwortete einen Monat später – durchaus ernsthaft: Daß Monarchie in Israel nur messianisch sein kann, haben Sie völlig recht. Daher ist der genannte Zahnarzt ein Narr; Ihre Staatsgründung ist in der Wurzel säkulär. Gegenüber Achad Haam und Buber hat Jabotinsky alle Male recht. Faschismus und Demokratie – von mir aus ein geringer Unterschied – sind die gegebenen Möglichkeiten, wenn von unten herauf, vom Volk ein Staat gegründet wird.554

Aber auch im Dialog mit Ben-Chorin kommt Schoeps nicht umhin, immer wieder sein »barthianisches« Judentum zu verteidigen, also seine Lösung des existenziellen Problems, sich als Theologe strikt unter Gottes Weisung gestellt zu sehen, aber dennoch nicht bereit zu sein, den Weisungen der Tora und ­Halacha gemäß zu leben – was Ben-Chorin ihm vorhält. Denn: 198Rückkehr

Die bruchlose Ineinssetzung vom Willen Gottes und Priestergesetzen (…) kann man dem mittelalterlichen Ghettojuden zumuten – und auch das nicht allen – aber nicht mehr dem Juden kritischer Vernunft, der ja sogar bereit ist, seine Vernunft vernünftig zu begrenzen und unter die Offenbarung zu beugen.555

Ob von dieser Annahme her tatsächlich eine Position »jenseits von Orthodoxie und Liberalismus«, so Ben-Chorin556, möglich sein werde, erscheint kaum glaubhaft – jedenfalls nicht im Sinne von Schoeps. Die systematische Frage besteht darin, welches die vernünftigen Gründe sind, sich einer rein formalen Offenbarung zu beugen und gleichwohl deren konkrete Inhalte historisch kritisch zurückzuweisen. Am Ende – und damit würde Schoeps denn doch nichts anderes tun, als dem von ihm kritisierten Mendelssohn zu folgen – ist es dann doch wieder die Vernunft, die das begründet, was als Offenbarung zu gelten hat. Wenn überhaupt, so war es Salomon Ludwig Steinheim, der aus diesem Dilemma einen Ausweg wies – an einer kritischen Überprüfung seiner Argumente wird kein Weg vorbeiführen. Auf jeden Fall: Spät, im Jahre 1979, nach mehr als 40 Jahren einer intensiven Brieffreundschaft wird Ben-Chorin Schoeps zu seinem 70. Geburtstag gratulieren und einräumen, dass dessen frühe Kritik am Zionismus als einer Form der Kollektivassimilation weitsichtig gewesen sei.557 Der lebensgeschichtliche Rückblick der beiden Briefpartner fällt schließlich auf eine Person, die beider Wege kreuzte: auf den Künstler Arie Goral, der, wie Ben-Chorin mitteilt, mit einem Manne namens Walter A. Sternheim identisch war, einem Literaten, der, so Ben Chorin, »mich 1942 in Jerusalem mit sinnlosem Haß verfolgte«.558 Auf jeden Fall: Dass sich Schoeps seinem vernünftig begründeten Offenbarungsglauben überantwortete, der in seiner Konzeption einem Prinzip des Denkens, nicht aber einer theologisch begründeten Lebensführung entsprach, hatte selbst eine existenzielle Wurzel: Hans-Joachim Schoeps war homosexuell. Dies auszuleben war und ist aber nach orthodoxem jüdischem Glauben eine schwere Sünde.

Rückkehr

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7 Homosexualität und Wahrhaftigkeit  

War ihm doch nicht nur Preußen ein lebenslanges Thema, sondern auch – wenngleich in ganz anderer Weise – die Homosexualität, die dieser bekennende preußische Konservative doch – für die Bundesrepublik der Restaurationsjahre – erstaunlich offen auslebte. Dass die in der schwedischen Emigration geschlossene Ehe mit Dorothee Busch keine glückliche war und diese Ehe auch nach einigen Jahren so zerbrach, dass die Erziehung der beiden aus dieser Ehe hervorgehenden Söhne, Julius und Joachim, einvernehmlich dem Vater oblag, wurde erwähnt. Im Rückblick charakterisierte der Sohn Julius Schoeps die Ehe seiner Eltern: »Mein Vater war für eine Ehe eigentlich nicht geeignet. Als bekennender Homosexueller umgab er sich lieber mit jungen Männern und Knaben als mit Frauen. Meine Mutter wußte bis zu ihrer Ehe vermutlich überhaupt nicht, was ein Homosexueller ist. Was meinen Vater wiederum bewegt haben mag, die Nähe meiner Mutter zu suchen, ist nicht leicht zu beantworten. Ich«, so Julius Schoeps in seiner 2003 erschienenen Autobiographie »Mein Weg als deutscher Jude«559, »erkläre es mir damit, daß die Erfahrung des Exils und das Gefühl der Heimatlosigkeit ihn in der Ehe das suchen ließ, was er seit seinem Weggang aus Deutschland vermißte: familiäre Wärme. Vielleicht«, so mutmaßte sein Sohn im Rückblick, »sah er einfach keinen Widerspruch darin, eine Ehe einzugehen, Kinder in die Welt zu setzen und sich gleichzeitig seinen homosexuellen Neigungen hinzugeben.«560 Tatsächlich lebte Hans-Joachim Schoeps – auf jeden Fall nachdem er in die entstehende Bundesrepublik zurückgekehrt war, offen homosexuell, denn – so noch einmal sein Sohn im Rückblick: »Mein Vater war für eine Ehe eigentlich nicht geeignet. Als bekennender Homosexueller umgab er sich lieber mit jungen Männern und Knaben als mit Frauen.«561 Dabei wird das gleichgeschlechtliche Begehren, auf das bereits Episoden wie jene mit dem geliebten Freund »Spatz«, die bei einer zufälligen Begegnung 200

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auf der Straße ihren Anfang nahm, hingewiesen haben, eine erhebliche Rolle gespielt haben – mindestens so bedeutend aber dürfte wieder ein – wenn man so will – kultureller Faktor gewesen sein, der den Lebensentwurf des Hans-Joachim Schoeps, der nicht zuletzt in einer immer wieder unterstellten Treue zu sich selbst bestand, wesentlich prägte. Oben wurde gezeigt, wie bedeutsam die Begegnung, der Briefwechsel und der Dialog mit dem völkischen Intellektuellen Hans Blüher für das Selbstverständnis von Schoeps als Jude war – Vergleichbares dürfte für seine Selbstfindung als Homosexueller gelten, ohne dass auch nur im Mindesten zu mutmaßen wäre, dass zwischen beiden je eine erotische Beziehung bestand. Tatsächlich aber war es Hans Blüher, der als Autor jene Bewegung, die für das Heranwachsen nichtjüdischer und jüdischer Knaben aus dem deutschen (Bildungs-)Bürgertum so bedeutsam werden sollte, tiefenpsychologisch und kulturtheoretisch auf den Begriff bringen sollte. Tatsächlich war der in Berlin-Steglitz entstandene Wandervogel zunächst eine Bewegung von Gymnasiasten, erst später, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, formierten sich entsprechende Bünde von Mädchen562 – gemischte Bünde waren vor allem in den Jugendorganisationen der Arbeiterparteien und -organisationen zu finden. Hans Blüher kann jedenfalls als der Erste gelten, der jene Bewegung mit Blick auf das, was in ihr gewiss auch eine bedeutende Rolle spielte, auf den Begriff brachte. Blüher, der – obwohl politisch weit rechts stehend und letztlich antisemitisch argumentierend – als einer der Ersten angesehen werden, der die Rezeption des Werks von Sigmund Freud im Deutschen Reich propagierte, publizierte im Jahre 1912 ein damals aufsehenerregendes Buch: »Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen«, in dem er als letzte Antriebe jenes gemeinsamen Auf- und Ausbruchs aus der bürgerlichen Welt auf die gleichgeschlechtlichen Wünsche von Knaben und jungen Männern zurückführte. Das Phänomen schien unverkennbar: Schon die ersten alten Wandervögel, die sich in jenem Berliner Vorort zusammentaten, standen in dem Rufe, »Weiberfeinde« zu sein. Das heißt, man sah sie niemals auf der Hauptstraße gegen Abend mit Mädchen in artige Liebeskonflikte verwickelt. Die Wandervögel ›poussierten‹ nicht. Sie gingen auch nicht in die Tanzstunde; tat es aber Einer auf das Drängen der Verwandten doch, so konnte er der ausgesuchtesten Hänseleien sicher sein. Ein Wandervogel mit einem Mädchen zusammen, wäre als Stilverfall empfunden worden, der die ganze Vagantenstimmung auf einen Schlag verdorben hätte. Es war, als ob für diese Jugend das weibliche Geschlecht nicht existierte; man sprach nicht einmal davon.563 Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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Tatsächlich ging dem Wandervogel seit seiner Gründung das Gerücht voran, Homosexualität zu befördern – ein Gerücht, das nicht zuletzt Hans Blüher aufgenommen, umgedeutet und – mehr noch – zu einer Art von politischem Entwurf fortentwickelt hatte.564 Dieser politische Entwurf mündete in die Lehre vom »Männerbund« als idealer Grundlage staatlichen Lebens – eine Theorie, die sich sehr wesentlich auf eine spezifische Rezeption der Philosophie Platos bezog – wie überhaupt, auch das belegen Leben und Werk Hans Blühers, Platos Andeutungen über die Knabenliebe, wie sie im Griechischunterricht im Gymnasium in Steglitz unterrichtet wurde, ein nicht unbedeutender Faktor für das wachsende Selbstbewusstsein homosexueller Knaben war. Dass sich diese eher völkisch-politisch ausgerichteten Strömungen im Berlin der Weimarer Repu­blik mit der nicht zuletzt von Magnus Hirschfeld vertretenen offensiven, alles in allem »linken« Emanzipationspolitik homosexueller Männer und Frauen trafen, weist auf deren innere Widersprüchlichkeit hin – eine Widersprüchlichkeit, für die nicht zuletzt Leben und Werk von Blüher und Schoeps stehen. Tatsächlich standen nämlich homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. 1872 mit dem Reichsgesetzbuch eingeführt, bestand dieser – immer wieder geringfügig modifizierte – Paragraph mehr als 120 Jahre, bis zum Jahr 1994 – kaum verändert in Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Zeit, in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Nicht zuletzt in der frühen Bundesrepublik, dem Staate des katholischen Kanzlers Konrad Adenauer war Homosexualität ein Tabu und die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller, der sogenannte »175«er, geltende Rechtspraxis. Umso mehr fällt auf, wie offensiv der aus Schweden zurückgekehrte Emigrant Hans-Joachim Schoeps die Frage der Homosexualität öffentlich, politisch und auch wissenschaftlich vertrat, nicht ohne davon auch persönlich betroffen gewesen zu sein. Diese Betroffenheit war nicht zuletzt eine Folge der jugendbewegten, männerbündischen Sozialisation, die ehemalige Aktivisten der Jugendbewegung, seien sie nun Mitläufer oder Parteigänger des Nationalsozialismus oder Emigranten gewesen, in »alten Treuen« nach dem Kriege wieder zusammenführte. Aber auch dort spielte die Frage der Homosexualität immer wieder, wenn auch nur in der Form von Klatsch, eine nicht unerhebliche Rolle. Immerhin sollte darauf hingewiesen werden, dass ein anderer »schwedischer« Emigrant und Remigrant, nämlich der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer seine Homosexualität angeblich stets verbarg – was in den letzten Jahren zu einer heftigen Debatte führte.565 Marita Keilson-Lauritz, eine niederländische Literaturwissenschaftlerin, hat dieser Thematik eine gründliche Studie gewidmet566. Sie berichtet, dass in frei202

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deutschen Kreisen 1958 jemand Schoeps verdächtigte, sich dem Sohn eines Mitglieds unsittlich angenähert zu haben, was dazu führte, Schoeps vor einen »Ehrenrat« zu zitieren – ein Ansinnen, das er unter Berufung auf bündische Traditionen verweigerte – woraufhin er von diesem, unter dem Vorsitz Werner Kindts stehenden Ehrenrat ausgeschlossen wurde – was zum Austritt anderer Mitglieder und zu Schoeps Feststellung führte, dass sich dieser »Ehrenrat« damit selbst aufgelöst habe. In der Sache konkurrierten – so Lauritz-­Keilson – zwei Überlieferungen des Geschehenen miteinander: »Die Darstellung des jungen Mannes, zehn Jahre nach dem ›Ereignis‹, spricht von einem vorsichtigen Annäherungsversuch des 20 Jahre Älteren während eines Spazierganges. Der junge Mann, 1949 ca 20, inzwischen also 30 Jahre alt, versichert mehrfach, daß eigentlich nicht wirklich etwas geschehen sei. Schoeps«, so Lauritz-Keilson, »und wer möchte ihm das verargen (denn schließlich ist zu diesem Zeitpunkt der § 175 noch in seiner während der NS Zeit verschärften Fassung geltendes Recht) – beharrt darauf, daß es sich um einen ganz unschuldigen Spaziergang gehandelt habe, bei dem der junge Mann ihn über die Homosexualität befragt habe.«567 In einem Brief an einen Bekannten, Walter Koch, teilte er mit, dass er die Antwort auf die Frage des jungen Mannes in einem demnächst erscheinenden Buch geben werde – tatsächlich entfaltete er seine Überzeugungen in zwei Aufsätzen bzw. Kapiteln, zunächst in seinem 1960 erschienenen Buch »Was ist der Mensch. Philosophische Anthropologie als Geistesgeschichte der neuesten Zeit«568, in der sich ein Kapitel unter der Überschrift »Die Homosexualität als anthropologisches Phänomen«569, findet sowie in seinem 1963 publizierten Aufsatz »Überlegungen zum Problem der Homosexualität«570, der erstmals im »Stundenbuch« 31 des Hamburger Furche Verlags zum Thema »Der homosexuelle Nächste« erschien. Dieser Interventionsschrift war freilich eine grundsätzlichere Überlegung vorangegangen, in der Schoeps das Thema vermeintlich nur streifte, es genauer in eine panoramatisch angelegte Darstellung und Auseinandersetzung mit jenen philosophischen Strömungen einbettete, die das geistige Leben der ersten Jahre der Bundesrepublik prägen sollten: der sogenannten »Philosophischen Anthropologie«, als deren prominenteste Vertreter Max Scheler (1874–1928), Helmut Plessner (1892–1985) sowie Arnold Gehlen (1904–1976) zu nennen sind. Diese in der Krisenzeit der Weimarer Republik entstandene philosophische Lehre wandte sich von rein erkenntnistheoretischen, wissenschaftstheoretischen oder auch moralphilosophischen Überlegungen, wie sie vor allem der Neukantianismus betrieben hatte, ab und der Frage zu, welcher Art überhaupt jene Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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Wesen sind, die nicht nur wahrnehmen, sondern auch erkennen können, die ihr Leben bewusst an Normen ausrichten und sich darüber hinaus systematisch, d. h. wissenschaftlich der Erkenntnis ihrer Lebensumstände zu widmen vermögen. Die Lebensläufe ihrer wesentlichen Vertreter, Helmut Plessners und Arnold Gehlens, bilden in ihrer Gegensätzlich das ganze Spektrum intellektueller Haltungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Während Helmut Plessner der jüdischen Herkunft seines bereits getauften Vaters wegen seiner außerordentlichen Professur in Köln im Jahr 1933 entlassen wurde, um danach über die Türkei in die Niederlande zu emigrieren, dort eine Professur wahrzunehmen, nach dem Einmarsch der Wehrmacht erneut entlassen zu werden und sich vor dem Zugriff der nationalsozialistischen deutschen Besatzungsmacht bis Kriegsende zu verstecken. Es war Helmut Plessner, der in seiner Schrift die »Stellung des Menschen im Kosmos« (Max Scheler) durch drei Sonderstellungen charakterisierte: durch die Gesetze von der natürlichen Künstlichkeit, der vermittelten Unmittelbarkeit und des utopischen Standorts. »Die Stufen des Organischen und der Mensch«, in denen diese Überlegungen entfaltet werden, erschienen erstmals 1928 – in seinem 1924 erschienenen Essay »Grenzen der Gemeinschaft« widersprach er schon früh jeder Ideologie der Volksgemeinschaft, während seine 1935 zunächst in Zürich publizierte Studie »Die verspätete Nation« für die Selbstfindung der deutschen Demokratie nach der NS-Zeit wegweisend wurde. Ganz anders Arnold Gehlen, der als Professor in Königsberg, in Wien und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg in Speyer lehrte: Er war politisch ein überzeugter Nationalsozialist, der schon früh dem nationalsozialistischen Dozentenbund und der NSDAP beitrat, obwohl sein 1940 erschienenes Hauptwerk »Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt« in keiner Weise antisemitisch war. Grundgedanke dieser wie auch anderer von ihm entwickelter anthropologischer Überlegungen war der Gedanke vom »Menschen als Mängelwesen«, der die ihm fehlende instinktive Ausstattung durch kulturelle, stets fehlbare und scheiternde bewusste oder gewohnheitsmäßige Handlungen zu kompensieren hatte. Damit wurde Gehlen nach dem Krieg – gemeinsam mit dem ebenfalls vor 1945 dem Nationalsozialismus anhängenden Soziologen Helmut Schelsky zum Begründer des sogenannten Institutionalismus, einer Lehre von Politik und Gesellschaft, die in feststehenden, gewohnheitsmäßig verankerten und widerspruchslos akzeptierten Institutionen das Fundament einer vernünftigen politischen Ordnung sahen. Im Rückblick ist leicht zu erkennen, dass es diese Theorie und die ihr entsprechende autoritäre Praxis war, gegen die sich die antiautoritäre Revolte der späten 1960er-Jahre richtete. 204

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Hans-Joachim Schoeps publizierte seinen Beitrag zur philosophischen Anthropologie unter dem Titel »Was ist der Mensch? Philosophische Anthropologie als Geistesgeschichte der neuesten Zeit«571 erstmals 1960 und präsentierte dort ein breites Spektrum von Positionen: von Marx und Kierkegaard über Kafka und Heidegger bis zu Gehlen und Bollnow. Dabei fällt auf, dass er Plessner nicht aufführt. In einer Zusammenfassung hält er fest, dass es sich bei alledem um »Aspektlehren« handele, die »zumeist beziehungslos nenebeinander stehen, oft sich auch in ihrem Deutungsgehalt überschneiden«. Dies aber gehöre zur »Signatur unserer Zeit« und sei »selbst ein geschichtliches Datum der Philosophischen Anthropologie«.572 Im dritten Kapitel der Studie ist der Autor dann unter Bezug auf den eher existenzphilosophisch ausgerichteten, dem Katholizismus und der Psychoanalyse verpflicheten Psychiater von Gebsattel (1883–1976) darum bemüht, eines seiner eigenen Lebensprobleme, nämlich die Homosexualität aus der Außenperspektive der anthroplogischen Medizin zu erörtern – gehe es doch um die am »schwierigsten deutbare Form paraphilen oder normwidrigen Verhaltens: der Homosexualität (…)«.573 Der Autor weiß, dass die Bandbreite sexueller Verhaltensweisen groß ist, dass sie von »oft sehr gebildeten Leuten als wertvolle Lebensform« gepriesen wird, und wendet sich gegen vorschnelle medizinische Urteile wie »krank«, »neurotisch« oder »psychopathisch«. Mehr noch: »Zu viele homosexuelle große Geister von Michelangelo über Shakespeare, Friedrich den Großen, Oscar Wilde bis zu Stefan George verhindern eine moralische Abwertung. Wichtig ist auch, daß das Phänomen, wie die große Zahl bedeutender Erscheinungen der Geistesgeschichte zeigt, gerade in hochkultivierten Personenkreisen vorkommt und als Arteigenheit in sozial niedrigen Schichten ziemlich selten ist. Dies scheint«, so ein erster Befund im Jahre 1960, »daß die Homosexualität mit geistigen Phänomenen im Zusammenhang steht, was die übrigen Paraphilien nicht tun.«574 Schoeps kannte offenbar das bereits 1955 auf Deutsch publizierte Werk von Alfred Kinsey »Das sexuelle Verhalten des Mannes« nicht – dort hätte er ebenso wie in einer schon 1903 erhobenen Studie von Hirschfeld lesen können, dass männliche Homosexualität annähernd gleich über die sozialen Klassen verteilt und keineswegs bei »niedrigen Schichten« weniger häufig vorkam. Auf jeden Fall bezog sich Schoeps bei dieser Darstellung vor allem auf den ihm wohlbekannten Hans Blüher und dessen Theorie vom Männerbund. Zusammenfassend stellt Schoeps daher fest, dass Homosexualität als eine Anlage bezeichnet werden müsse, »die einer Minderheit von Menschen bei der Geburt mitgegeben wurde, die also konstitutionell ist. Geht man davon aus, kann man sie nicht als sexuelle Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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Perversion bezeichnen. Eine solche läge erst dann vor, wenn ein reiner Homosexueller sich normalgeschlechtlich zu betätigen beginnt.«575 Diese Zeilen wurden etwa 20 Jahre nach der Heirat von Schoeps mit Dorothee Busch und der Zeugung zweier Söhne publiziert. Sah sich der Autor – so wird man fragen dürfen – damals als bisexuell an, oder handelt es sich bei diesen Zeilen um eine – auf jeden Fall rückwärtsgewandte Kategorisierung als »pervers«? Auf jeden Fall ist es nicht der medizinische, sondern der anthropologische Aspekt, der den beim Abfassen dieses Textes etwa 50-jährigen Autor beschäftigt: »Da das Lustverlangen, speziell der Sexualtrieb, die Umweltorientierung eines jeden Menschen bis in seine Handlungsantriebe hinein zentral steuert, stellt der Homosexuelle einen Sonderfall des Menschen überhaupt dar.«576 Eine erstaunliche, gegenwärtig kaum noch nachvollziehbare Wertung, die eine einzige Eigenschaft zu einem überaus besonderen anthropologischen Merkmal erklärt – anders als andere spezielle Begabungen etwa künstlerischer Art. Eine derartige Hervorhebung erzwingt geradezu die Annahme eines anthropologischen Normalfalls, von dem allenfalls noch ungeklärt ist, wie viel normative Kraft ihm zukommt. Schoeps jedenfalls beschreibt die Sonderwelt »des Homosexuellen« so: »Er lebt in einer frauenlosen Welt, da die Frau außerhalb seines Lustbegehrens bleibt; er hat nicht den natürlichen Trieb zur Familienbildung, und der Lebensbereich des Vaterseins bleibt ihm verschlossen, obschon er häufig gern eigene Kinder haben würde. Vielmehr sucht er männliche Bindungen, sei es die männliche Gesellschaft in Form der Gruppe oder Kameradschaft, sei es einzelnen geliebten Jüngling oder Mann. Die Werteskala des Homosexuellen weist infolgedessen von der der anderen Männer charakteristische Abweichungen auf. Die Reaktion der anderen reicht von empörter Ablehnung über unverstehende Distanzierung und Neutralität bis hin zur wohlwollenden Toleranz. Da aber die ersteren Reaktionen die weitaus häufigeren sind, sehen sich die Homosexuellen in die Rolle der Minorität gedrängt und entwickeln alle Merkmale, die für eine Minderheit typisch sind. Sie bilden Klubs und Vereinigungen, schaffen sich eigene Zusammkunftsorte, in denen sie ein eigenes Gesellschaftsleben aufzubauen suchen, das oft rührende Kennzeichen deogathaften aufweist etc.«577

Man wird nicht zu weit gehen, wenn man in dieser Beschreibung auch eine Beschreibung der Lebenssituation des Autors erkennt – Marita Keilson-Lauritz bettet diese und andere Schriften unter dem Titel »Flucht nach vorn« in einen Kontext ein, in dem Schoeps als ein den Nationalsozialismus überlebender Jude sich nun des Schicksals der ebenfalls vom Nationalsozialismus verfolgten 206

Homosexualität und Wahrhaftigkeit

Homosexuellen annimmt – ein Schritt, der im restaurativen Klima der Adenauerzeit erheblichen Mut erforderte und den sich Schoeps womöglich nur deshalb erlauben konnte, weil er als ehemals verfolgter Jude vor diffamierenden Reaktionen weitgehend sicher zu sein wähnte – was so nicht unbedingt zutreffen sollte. Auf jeden Fall knüpfte er an den Debatten an, an denen Jahrzehnte zuvor der inzwischen verheiratete Hans Blüher ebenso teilgenommen hatte wie andere Mitglieder der freideutschen Bewegung. 1961 publizierte der Stuttgarter Ernst Klett Verlag eine Neuauflage des erstmals 1917 erschienenen Werkes von Hans Blüher »Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft« – eine Wiederauflage, die freilich eine ganze Reihe von Kapiteln aus der ersten Auflage wieder gestrichen hatte. Blüher selbst, Jahrgang 1888, war – inzwischen mit seiner Frau, einer Ärztin, in Berlin lebend – dort 1955 verstorben. Das von Schoeps 1961 mit »Erlangen, im Herbst 1961« überschriebene Vorwort dokumentiert die Enttäuschung darüber, dass die männerbündische Solidarität der Jugendbewegung aus der Zeit der Weimarer Republik zerbrochen war. Zunächst aber nahm Schoeps eine noch zu Lebzeiten Blühers von ihm selbst verfasste Stellungnahme zu Vorwürfen auf, seine Theorie des Männerbundes wesentlich den Arbeiten Benedict Friedlaenders entnommen zu haben. Benedict Friedlaender (1866–1908) wurde in eine jüdische Wissenschaftlerfamilie hineingeboren und widmete sich dem Studium der Naturwissenschaften, zumal der Zoologie, und unterstützte mit der Finanzkraft des ererbten Vermögens anarchistische und sozialistische Kreise, vor allem aber Magnus Hirschfelds »Wissenschaftlich-humanitäres Komitee« dem es um die Abschaffung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen ging. Neben seinen politischen Schriften wurde er durch Publikationen bekannt, in denen es um die Deutung der männlichen Homosexualität ging: Die Renaissance des Eros. Die physiologische Freundschaft, ein normaler Grundtrieb des Menschen und eine Frage der männlichen Gesellungsfreiheit. In naturwissenschaftlicher, naturrechtlicher, culturgeschichtlicher und sittenkritischer Beleuchtung.578

Der Titel des Aufsatzes, der diese Passage enthielt, lautet: »Entwurf zu einer reizphysiologische Analyse der erotischen Anziehung unter Zugrundlegung vorwiegend homosexuellen Materials«579 sowie »Männliche und weibliche Kultur. Eine Betrachtung«580 und schließlich »Die Liebe Platons im Lichte der modernen Biologie. Gesammelte kleinere Schriften. Mit einer Vorrede und dem Bilde des Verfassers«581. Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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Friedlaender, der sich ein Jahr vor dem Erscheinen seines letzten Buches umgebracht hatte, wurde vor allem durch sein Werk »Die Renaissance des Eros Uranios« zu einem Vorläufer und Anreger Hans Blühers. Im Vorwort zur Neuausgabe setzte sich Schoeps mit Blühers These vom »typus inversus neuroticus«, also dem die eigene Homsexualität projektiv verdrängenden Homosexuellenverfolger auseinander: Das hat aber nicht gehindert, daß gerade dieser Typus auf der ganzen Linie gesiegt und sich, gestützt auf die einschlägige Strafgesetzgebung des Themas bemächtigt hat, werden doch sogar die aus der ehemaligen Jugendbewegung herausgewachsenen Älterenbünde von ihm dominiert.582

Schoeps positionierte sein Vorwort in den in den frühen 1960er-Jahren beginnenden Diskurs um eine Reform des Strafrechts, speziell der Strafbarkeit männlicher Homosexualität, eines Diskurses, in dem er immer wieder auf Parallellen zwischen der nationalsozialistischen Judenverfolgung und Homosexuellenverfolgung hinwies. Ein Beitrag in der Zeitschrift »Der Monat« erschien unter dem Titel »Soll Homosexualität strafbar bleiben?«583 und provozierte eine öffentliche Debatte, in die sich vor allem der Publizist Rudolf Krämer-Badoni (1913–1989), ein konservativ-antikommunistischer Intellektueller, der sich offensiv zu den »erotisch-normalen Menschen«584 zählte, polemisch einbrachte. Schoeps erwiderte, indem er die diesbezügliche Gleichsetzung von Juden und Homosexuellen unterstrich: »Sie standen unter dem gleichen furchtbaren Schicksal. Die Zahl der ermordeten Juden und politischen Gegner kennt man, die der Homosexuellen nicht, da sie keine Fürsprecher oder Schutzorganisationen haben. Aber ich weiß«, so Schoeps, »daß auch unter ihnen (…) die Zahl der Todesopfer groß gewesen ist, den einen oder anderen habe ich selbst gekannt.«585 Diese Debatte berührte nicht zuletzt jene weitgehend rechts stehenden Intellektuellen, die die Weimarer Republik und die NS-Zeit überstanden hatten, um in der frühen Bundesrepublik die Positionen der sogenannten »Konservativen Revolution« einzunehmen – ein Ausdruck, der von dem Privatsekretär Ernst Jüngers, Armin Mohler (1920–2003), geprägt wurde. Er publizierte im »Münchner Merkur« im März 1963 einen Beitrag unter dem Titel »Der selbstmörderische Mut des Professors Schoeps«.586 Tatsächlich trieb die Frage der Homosexualität bereits den jungen Erlanger Hochschullehrer um, von dem – wie Marita Lauritz-Keilson nachweist – ein mit »Jochen« unterzeichneter Leserbrief in der Zeitschrift »Die Freunde« überliefert ist, in dem es heißt: 208

Homosexualität und Wahrhaftigkeit

Es wird immer die Möglichkeit geben, daß ein 18-jähriger einen Freund sich wählt, der doppelt so alt ist wie er selber und sich ihm hingibt – aus innerlichen Gründen (…) Freilich setzt dies voraus, daß der ältere Freund in erster Linie nicht nach eigenem Lustgewinne trachtet, sondern danach, daß der andere glücklich wird. Obwohl der tragische Ausgang immer winkt, können glückhafte Begegnungen gelingen, wenn der Ältere grundsätzlich bereit zum Opfer ist und die Freundschaft als Dienst auffasst – statt als Gelegenheit zum gegenseitigen Selbstgenuß.587

Indes war Hans-Joachim Schoeps nicht nur ein Verteidiger und Propagator von Blühers Männerbundthese, auch nicht nur ein von den Nationalsozialisten als Jude (und Homosexueller) Verfolgter, sondern auch ein nach eigener Überzeugung und eigenem Bekenntnis gesetzesgläubiger Jude, der im Zuge der Rezeption der Theologie Karl Barths als Jude die unbedingte Autorität der Weisung vom Sinai beglaubigte. Dass aber die Hebräische Bibel, die Thora im 3. Buch Moses 18, 22 sowie 20,13 als todeswürdiges Verbrechen ansah, entging ihm nicht. Indem er diese Verbote in den weiteren Kontext der Reinheitsgesetze einbettete, unternimmt er den Versuch – mit einer Gedankenfigur des von ihm ja ansonsten zurückgewiesenen Hermann Cohen –, ihren letzten Sinn als ethisch auszuweisen und damit ihre wörtliche Bedeutung – zumal im Vergleich mit dem Verbot, anderen Göttern zu dienen – hinter sich zu lassen: »Man kann eigentlich nur sagen: es ist ein Treppenwitz der Religionsgeschichte, aus einem derartigen Sachverhalt eine zeitlos gültige sexualethische Regel abzuleiten und als biblisches Sittengebot anzupreisen.«588 Schoeps zögert in diesem Zusammenhang nicht, im gleichen Atemzug seine tiefverwurzelte Abneigung gegen linke, antikapitalistische Haltungen vorzubringen: Dies hat ungefähr den gleichen Rang wie das andere Absurdum, aus der biblischen Geschichte vom Bau des Goldenen Kalbs ein antikapitalistisches Predigtmotiv zu präparieren, daß Moses die Israeliten vor dem gleißenden Metall resp. schnöder Gewinnsucht gewarnt habe. In Wirklichkeit stellte das Goldene Kalb das Gußbild eines heiligen Jungstiers des Baal dar, und seine Anbetung meinte letztlich offenbar den Phalluskult. Jedenfalls hat der Tanzreigen um das Goldene Kalb zum Ritual des sinnenfrohen, sexualorgiastischen Baalskultus gehört.589

Als Ergebnis konstatiert Schoeps, dass sich aus dem Alten Testament ebensowenig wie aus dem Neuen Testament keinerlei Anhaltspunkte zur ethischen Beurteilung der Homosexualität finden lassen – schon gar nicht im Blick auf Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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die Verdikte des Apostel Paulus, mit dem sich Schoeps an anderer Stelle profund auseinandergesetzt hatte. Im Gegenzug ruft Schoeps dann die ergreifende Totenklage des David um Jonathan in Erinnerung, um schließlich unter Bezug auf Max Weber590 festzustellen, dass »Weisungen von dem Hintergrund kultischer Tabu- und Reinheitsvorschriften abgelöst in einen Bereich normativer Verbindlichkeit projiziert worden sind, was so niemals gemeint gewesen ist«.591 Indes: Woher – und nach welcher Methodologie ausgewiesen – will Schoeps wissen, wie genau diese Reinheitsvorschriften ursprünglich gemeint gewesen sind; mehr noch: Lässt sich für jene Zeit überhaupt sinnvoll von einer systematischen Ausdifferenzierung zwischen kultischen Reinheitsvorschriften hier und normativen Verbindlichkeiten dort sprechen? In den Kreis jener Diskurse gehört auch ein deutschsprachiger, tschechisch-jüdischer Autor der sich etwa zur gleichen Zeit wie Schoeps mit Hans Blüher und seinem Werk auseinandergesetzt hatte. Um den Kontext zu erhellen, in dem sich diese Debatten und Auseinandersetzungen – von der Zeit der Weimarer Republik bis in die Adenauer’sche Restaurationszeit – abspielten, ist es unerlässlich, ihn zu erwähnen: Oskar Baum (1881–1943). Antisemitismus, Philosemitismus, aber auch und gerade Abwehrstrategien gegen den Antisemitismus sind ganz und gar – was sich freilich erst aus gebührender historischer Distanz erweist – Kinder ihrer Zeit. Das wird an wenigen Texten so deutlich wie an Oskar Baums 1927 publiziertem Beitrag »Die jüdischer Gefahr« und manifestiert sich schon im allersten Satz, in der Eingangssequenz seines Textes: Als die Erscheinung Hans Blüher im deutschen Schrifttum aufblitzte, dieses romantische Schwärmen in sachlich gezügelter Sprache, diese revolutionäre Vermännlichung des erotischen und sozialen Problems, waren es vor allem Juden, die seine Bedeutung erfassten und auf seine Ideen reagierten.592

Um diesen Kontext, um die hohe Aufmerksamkeit, die Blüher auch bei jüdischen Autoren fand, zu verstehen, ist es unerlässlich, auf die psychosoziale Situation eines Teils der männlichen Intelligenz des wilhelminischen Deutschland und der frühen Weimarer Republik einzugehen. Tatsächlich ging es um nichts weniger als um die Stellung jüdischer und homosexueller Intellektueller in der homophoben, militaristischen Gesellschaft. Ernst Bethes 1907 publizierte Arbeit über die dorische Knabenliebe, die deren Bräuche mit den homosexuellen Initiationsriten steinzeitlicher Kulturen im pazifischen Raum (das Deutsche Reich hatte dort seinerzeit koloniale 210

Homosexualität und Wahrhaftigkeit

Interessen) verglich und schließlich auch gleichsetzte, machte den Anfang, an den dann Autoren wie Gustav Wyneken, der Kreis um Stefan George und eben Hans Blüher anschließen konnten. Die Freud’sche Psychoanalyse schien damals ein geeignetes intellektuelles Mittel, um die homophobe Paranoia einer argwöhnisch auf jugendliche Männerbünde schielenden konservativen Gesellschaft zu lockern. Dabei kam dem von Oskar Baum kritisierten Hans Blüher zunächst eine entscheidende Rolle zu. Hans Blüher aber war tatsächlich einer der frühesten, öffentlichkeitswirksamen Rezipienten der Psychoanalyse in Deutschland und zudem ein führender Ideologe der Wandervogelbewegung. Blüher, der 1912 sein Buch »Der Wandervogel als erotisches Phänomen« veröffentlichte, publizierte sein nächstes Buch, »Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft« in den Jahren 1917 und 1919, Gustav Wyneken seine Apologie »Eros« 1921. Schliesslich huldigte auch und zumal der Kreis um Stefan George – wie jüngst Ulrich Raulff in seinem 2009 publizierten Buch »Kreis ohne Meister« akribisch nachgewiesen hat – einem Kult der schönen Knaben, der ohne sexuelle Untertöne nicht zu verstehen ist. 1923 jedoch, also in jenem Jahr, an dessen Ende Adolf Hitler in München seinen Putschversuch unternahm, in jenem Jahr, als Oskar Baum seinen Beitrag in Martin Bubers »Der Jude« publizierte, hatte sich Hans Blüher längst anderen Interessen zugewandt. Auf jeden Fall ist bis heute unter Historikern strittig, ob der junge Blüher tatsächlich homosexuell war – tatsächlich kann man in seinen Schriften über den Wandervogel drastische Szenen lesen, die heute leicht des Verdachts des Kindesmissbrauchs wegen inkriminiert werden könnten – oder ob er nicht doch vor allem des eigenen kulturkritischen Anspruchs wegen diesen Eindruck erweckte. Auf jeden Fall heiratete Hans Blüher 1924 eine Ärztin, mit der er zwei Kinder hatte, und ließ sich mit ihr in Berlin nieder, wo er als kulturkritischer Schriftsteller wirkte und 1955 im Alter von 67 Jahren starb. Trifft es zu, dass es – wie Baum schreibt – »vor allem Juden« waren, die »seine Bedeutung erfassten und auf seine Ideen reagierten«593? Hans Blüher, den Baum hier gleich am Anfang aufruft, war in jüdischen Kreisen keineswegs unbekannt, sondern tatsächlich ein Gesprächspartner, dessen antisemitische, gerne als »judentumskritische« Einlassungen von bewussten Juden sehr ernst genommen wurden. So erschien noch im Jahr 1933 in dritter Auflage ein in Buchform erschienenes Streitgespräch zwischen Blüher und dem deutschnationalen, bündischen und jüdischen Autor Hans-Joachim Schoeps – »Streit um Israel«, das alsbald von den Nationalsozialisten aus dem Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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Verkehr gezogen wurde.594 Es war die erste Auflage eben dieses Buchs, gegen das sich Oskar Baum 1923 mit seinem Aufsatz gewandt hatte. Auf jeden Fall gilt, dass 20 Jahre zuvor, im Jahre 1914, ein wandernder Jugendbund, der Berliner »Wanderverein«, eine andere jüdische Gruppe, die Vereinigung »Blau-Weiß«, zu einem gemeinsamen Treffen einlud, bei dem sich beide Gruppen zum »Blau-Weiß, Bund für jüdisches Jugendwandern in Deutschland« zusammenschlossen.595 Eine Reihe von Intellektuellen, unter ihnen Sigmund Freud, riefen etwas später in Österreich zur Gründung einer Wiener Sektion dieses Verbandes auf. Rückkehr zu einer durchaus auch erotisch verstandenen Körperlichkeit war eine der Grundlagen einer zweiten, nationaljüdischen, jugendbewegten Emanzipationsbewegung. Tatsächlich – hier könnte Oskar Baum mit seinem Verweis auf die jüdische Rezeption Blühers recht haben – schrieb etwa Meir Yaari, einer der Begründer des linkszionistischen Bundes »Hashomer Hatzair« im Jahr 1921 Sätze, die ebensogut von Hans Blüher stammen könnten: Wir lieben den nackten jungen Menschen, der in seiner Jugend ein Junge bleibt, der die Freuden des Fleisches preist und nicht verabscheut (…) Ich sehe einen Mann vor mir, der die Mauern niederreißt, die Generationen zwischen Geist und Fleisch aufgebaut haben, zwischen Vernunft und Trieb. So schaffen wir instinktiv den primitivsten und kultiviertesten Menschen, der seiner Frau, seinen Kameraden, dem See Genezareth und der gesamten Schöpfung treu bleibt.596

Meir Yaari wurde 1897 in Galizien geboren, zog 1914 mit seiner Familie nach Wien, meldete sich freiwillig zu den Waffen und diente dem österreichisch-ungarischen Heer als Offizier, um an der Wiener Universität Landwirtschaft zu studieren und schließlich 1920 ins damalige, nun von Großbritannien verwaltete Palästina auszuwandern, dort zunächst in einem sozialistischen Arbeiterkollektiv Straßen zu bauen und schließlich Mitgründer eines der ersten Kibbuzim, Bitanias zu werden. Stets ein linker Sozialist und auf Ausgleich mit den (palästinensischen) Arabern bedacht, politischer Führer der linkssozialistischen israelischen Partei MAPAM, Mitglied der Knesset, starb er im hohen Alter 1987. Die massive Körperbetonung, wie sie sich bei Yaari zeigte, aber war eine Frucht des Wiener und des Prager Zionismus, der sich – nicht zuletzt von Herzls Freund und Unterstützer Max Nordau597 geprägt – mit Nietzsche und Freud eine Erneuerung des Judentums vor allem durch einen Neuaufbau, eine Ertüchtigung der Körperlichkeit junger jüdischer Männer erhoffte. 212

Homosexualität und Wahrhaftigkeit

Es war Max Nordau, der dafür das Stichwort gab: »macht aus Judenjungen junge Juden« und der – lange vor dem Nationalsozialismus – den rassistischen, sozialdarwinistischen Begriff »entartet« prägte sowie schließlich programmatisch einem »Muskeljudentum« das Wort redete. Es war kein Zufall, dass sich nicht wenige jüdische Turnvereine vor allem in Österreich-Ungarn, in Böhmen ihre Namensgebung sowohl an den Makkabäern als auch an dem Helden des letzten, vergeblichen Aufstandes gegen die Römer, an Simon Bar Kochba, orientierten. Bei alledem ist noch kaum bekannt, dass Max Nordau seine körperliche Ertüchtigungsprogrammatik gar nicht selbst erfunden hatte, sondern einer in Großbritannien entstandenen Lebenserneuerungsbewegung entliehen hatte: der Bewegung der »Muscular Chritianity«598. Weitere Hinweise darauf, dass Blühers Impulse im weitesten Sinne von Juden übernommen wurden, waren bisher nicht zu finden. Freilich fällt auf, das Oskar Baum gleich zu Beginn seines Aufsatzes – und das unterscheidet ihn von Schoeps – davon spricht, dass Blüher der Freud’schen Psychoanalyse eine »Erlösung von ihrer materialistischen Grundlage« gegeben habe – mithin eine »Erlösung« von dem, was für Freud selbst stets eine unverzichtbare Grundlage all seiner Theoriebildung gewesen ist: ein neuronaler, physiologischer Materialismus.599 Baum jedenfalls stimmt dem Ziel seiner Kritik, dem Autor Hans Blüher, auch insofern zu, dass er – zehn Jahre nach dem Fest der deutschsprachigen Jugendbwegung auf dem Hohen Meißner und nach dem Schock des Kriegserlebnisses – die Jugendbewegung für »das hoffnungsvollste, eigenartigste Phänomen unserer Tage« hält. Damit erweist sich Baums Beitrag als die Verarbeitung einer Enttäuschung – einer Enttäuschung darüber, dass dieser Vordenker einer spiritualistischen Jugenderotik schließlich zum Judenfeind, zum Antisemiten und zu einem »Metaphysiker« einer »monarchistisch-antidemokratischen« Politik wurde. Diesen Entgegensetzungen lässt sich zunächst entnehmen, dass sich Oskar Baum selbst für einen spiritualistisch und erotisch geprägten, im besten Sinne jugendbewegten, demokratischen Juden hielt. Baums Schrift über die »Jüdische Gefahr« reagiert auf Hans Blühers Schrift »Secessio Judaica«, in der der Kulturkritiker nun offen das Terrain wechselte und vom Propgandisten der Jugendbewegung und Homoerotik zum kulturkritischen Befürworter einer Trennung von Juden und Deutschen wurde – einer Problematik übrigens, die zumal die Wandervogelbewegung schon bald nach ihrer Gründung umgetrieben hatte. Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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Die Forschung hat allerdings jene Wende Blühers, mit der sich Oskar Baum auseinandersetzt, sehr viel früher angesetzt und konnte zeigen, dass Blüher bereits im Jahre 1916, also sieben Jahre vor Oskar Baums Publikation, eine Schrift unter dem programmatischen Titel »Der bürgerliche und der geistige Antifeminismus« vorgelegt hatte, in der er nachweisen wollte, dass – ähnlich wie Otto Weininger in »Geschlecht und Charakter« argumentierte – die (männlichen) Juden zu stark dem femininen Familienprinzip oblagen und daher kaum in der Lage waren, die Lebensform des allein kulturschaffenden Männerbundes zu pflegen: »Der associative Zusammenhang von männlicher Art mit dem deutschen Wesen und von femininer und serviler Art«, so Blüher bereits 1916, »mit dem jüdischen ist eine unmittelbare Intuition des deutschen Volkes, die von Tag zu Tag sicherer wird.«600 Man mag darüber streiten, ob all jene Versuche, etwa des Prager Zionismus, mit dem Baum vertraut war, zu einer neuen jüdischen Körperlichkeit, nein Leiblichkeit zu kommen, Elemente dessen aufwiesen, was der Publizist Theodor Lessing in einem 1930 erschienenen Buch als »Selbsthass«601 bezeichnet hat; auf jeden Fall ging es darum – nicht zuletzt von Nietzsche inspiriert – ein neues Verhältnis zu den durchaus geistig gedeuteten Rahmenbedingungen menschlichen Lebens – dem Körper, der Arbeit sowie der Erde (zumal Palästinas) – zu gewinnen. Das ging, wie jüngere Forschungen zeigen konnten, dass Überlegungen zu einer speziell jüdischen Ausprägung körperlicher Krankheiten um die Jahrhundertwende und in den 1920er- und 1930er-Jahren zunahmen.602 Darüber hinaus hielt im Jahr 1923, als Oskar Baum seinen Artikel in Bubers »Der Jude« publizierte, ein Körperkünstler, der Eisen verbog, auf seinen Brustkorb Quadersteine legen und seinen Rücken mit spitzen Eisenbürsten malträtieren ließ, das Publikum in Atem. Siegmund »Sische« Breitbart, Sohn eines jüdischen Schmieds aus Baluty, wurde zum Helden des Tages – die allgemeine Presse sah ihn ihm einen neuen Samson, während die antisemitische Presse missgünstig bemerkte: »Seitdem er in Wien ist, sind die Juden auch noch viel frecher.«603 Die Studien von Sander Gilman604 bestätigen die Existenz eines innerjüdischen Diskurses über defizite Männlichkeit im 19. und 20 Jahrhundert ebenso wie die Studien von Daniel Boyarin, der zeigen konnte, dass die Frage nach der Körperlichkeit und Männlichkeit des (!) Juden (nicht der jüdischen Frauen) bereits die Rabbinen der späten Antike umtrieb.605 Gegen Ende seiner Intervention scheint Oskar Baum auch jene Zionisten zu kritisieren, die Blüher zustimmen und eine unüberwindbare Fremdheit zwischen Juden und Nichtjuden behaupten. Nun besteht seine Strategie darin, Blüher mit seinen eigenen rhetorischen Waffen zu schlagen und seinerseits von 214

Homosexualität und Wahrhaftigkeit

der Annahme eines gesunden, eines unentfremdeten Volkstums auszugehen, das überhaupt erst in der Lage sei, andere »fremde« Volkstümer zu akzeptieren: »Wer vor sich selbst und anderen seine Eigenart verleugnen und unterdrücken will, um jeden Preis seiner innersten Natur entgegenarbeitet, der kann gewiß nicht gesund an seiner Seele bleiben (…).«606 Damit zielte Oskar Baum auf die (nichtjüdischen) Deutschen, denen er – ebenso wie den Juden – eine Vergeistigung der Politik sowie die Rückkehr zu einem substantialistisch verstandenen humanistischen Geist und, d. h., zu einer Geistesaristokratie empfiehlt. Daher Oskar Baums politisches Glaubensbekenntnis angesichts des spirituellen Antisemitismus von Hans Blüher: Wenn Parlamentarismus und Demokratie das Führergenie ersetzen oder entbehren zu können glauben, ihnen die Wahlurne der wundertätige Arzneitopf alles Heils scheint, versinkt der Staat in Korruption und leere Geschäftstätigkeit und das Netz der bureaukratischen Unfähigkeit verhindert oder erschwert das Heraufkommen der Erscheinung, die der Willen des Volkes gestalten und in bleibender Tat verwirklichen könnte. Wenn die Demokratie aber Selbstlosigkeit erzieht, Humanität, Freude an der Arbeit, Liebe zur Allgemeinheit von religiöser Intensität, und an die Spitze jeder Organisation von unten herauf den Würdigsten treibt, dann schafft sie die Möglichkeit, den Typus des Führerhelden ohne Eruption, als organisch gewachsene Blüte hervorwachsen zu lassen.607

Konnte Baum, musste er gar wissen, dass diese Ratschläge jene Republik, die den Juden wenigstens den Freiraum zu einer eigenständigen kulturell-religiösen Entwicklung geben konnten, durch Programme wie das seine letztlich unterminiert würden? Schoeps jedenfalls – wir erinnern uns – beklagte, dass der »Judenstamm« nicht männlich genug sei: Meint er doch, dass es zu den Absonderlichkeiten der Weltgeschichte gehöre, »daß (…) der Judenstamm von der männlichen auf die frauliche Seite des Daseins geglitten ist«.608 Damit freilich ist ein weiteres Thema angesprochen – die Frage nämlich, ob Schoeps an dieser Stelle nur für sich selbst spricht oder ob es tatsächlich so etwas wie einen jüdischen Maskulinismus gab, der vor allem und am deutlichsten im kurzen Leben von Otto Weininger seinen Ausdruck fand – eine Verzweiflung daran, dass jüdische Männer in ihrer ganzen kaufmännischen oder auch gelehrten Existenz nicht dem entsprachen, was Theodor Herzls Freund und »Kampfgenosse« Max Nordau als »Muskeljuden« bezeichnete. Angebliche Verweiblichung, Dekadenz sowie die traditionell starke Familienbindung des jüdischen Mannes schien einer Zeit des Aufbruchs nicht mehr zu entsprechen. Homosexualität und Wahrhaftigkeit

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8 Preußentum und Resignation  

Doch waren Männerbund und Homosexualität keineswegs die einzigen Schwerpunkte im Leben jenes Zurückgekehrten, der sich nach seiner Habilitation in Marburg und seiner Berufung nach Erlangen nun vor allem der Forschung, aber doch – und immer wieder – der Politik zuwandte. Immerhin war Schoeps mindestens einer von zwei deutschen Lehrstuhlinhabern, der sich – neben Friedrich August von der Heydte – nicht nur für die Wiedererrichtung Preußens, sondern auch für die Wiedereinsetzung der Monarchie engagierte. Als Schoeps im März 1969 den Preis der Deutschland Stiftung e. V. entgegennahm, er war damals gerade 60 Jahre alt, äußert er, »daß die Staatsidee Preußens, über die ich mancherlei geschrieben habe, diesem Land gerade heute nottut, da als Folgewirkung des Wirtschaftswunders seine Jugend außer Rand und Band« geraten sei.609 In seinem Erinnerungsbuch »Rückblicke – Die letzten dreißig Jahre« nahm sich das als Klage über mangelnde Entscheidungsfreudigkeit, genauer als Eingeständnis innerer Schwäche, von Kontaktarmut und Unsicherheit aus. Dieses Fehlen eines inneren Leitbildes, das Schoeps beklagte hatte nachvollziehbare Ursachen: »(…) der Verschleiß der Ideale in den letzten fünfzig Jahren« – so 1963 geschrieben – »die Ohnmacht der Ideen und die Sinnentleerung des Lebens überhaupt. Überindividuelle Größenordnungen, die über den intimsten Bereich der Familie noch hinausreichen, wie: Volksstamm, Deutschland, Kulturnation liegen nicht mehr im elementaren Erfahrungsbereich und können den jungen Menschen auch nicht mehr tragen. Das Schicksal der Bindungslosigkeit« hänge damit zusammen, »daß unsere ganze Gesellschaftsorganisation innerlich amorph geworden ist.«610 An die Stelle alter Ideale hätten sich bürgerliche und proletarische Jugend nun einen neuen Götzen gegeben: den »Abgott Lebensstandart«, indes: 216

Preußentum und Resignation

»Der Zivilisationskomfort ist aber der denkbar flachste Existenzentwurf, das Lebensziel für leergewordene Herzen (…)«, eine Erfahrung, die der Zivilisationskritiker anschaulich schildert: Zur Zelebrierung dieses neuen Görtenkultes gehören als Kultsymbole Motorrad und Kofferradio, Tanzbar und Kinoillusion. Die Mittel zur Erlangung des ersehnten Lebensstandarts soll der »Job« verschaffen, der weithin an die Stelle der alten Berufe getreten ist, zu denen immerhin eine innere Beziehung nötig war.611

Als sei es – und das nur 30 Jahre nach der Machtübernahme Hitlers und 18 Jahre nach der Niederlage des Dritten Reiches – vor allem das Wirtschaftswunder gewesen, dass durch seinen ökonomischen Erfolg für alle die Bundesrepublik jedem jugendlichen Idealismus den Boden entzogen habe: Der Einebnung und Nivellierung der einstigen Klassengesellschaft entspricht es nur, daß die jungen Bürgerssöhne längst genauso überzeugte Konformisten des Bestehenden geworden sind. Dem verschlägt nichts, wenn sie sich ausdrücklich als »Nonkonformisten« gerieren, meist handelt es sich um besonders gespreizte und affektierte Wichtigtuer.612

Dabei ist dem konservativen Kritiker des Zeitgeistes der historische, der zeitgeschichtliche Kontext durchaus bewusst, vermerkt er doch hellsichtig, dass das 20 Jahrhundert »den klassischen Generationenbegriff der Geistesgeschichte verändert habe: »Man braucht sich nur die Jahre 1913, 1923, 1933, 1943 und 1953 vor Augen zu führen (…)«.613 Der dadurch bewirkte Mangel an Kontinuität sei freilich nicht nur zu beklagen, eröffne er doch jeweils Chancen auf Neues – Schoeps zitiert hier Goethe mit seiner Sottise, dass junge Leute ›Apercus der Natur‹ seien. Doch überwiegt bei alledem die Klage: über einen Mangel an öffentlichem Verantwortungsbewusstsein und »Staatsfreudigkeit«, über ein Übermaß an »Sicherheitsverlangen« und einem Fehlen an »Risikozumutung«: Aus der Mentalität fröhlicher Rentner heraus werden heute an den Staat Ansprüche gestellt, als ob er ausschließlich ein großes Fürsorgeunternehmen wäre. Von allgemeinen Menschen- und Bürgerrechten ist viel die Rede; von Pflichten, die ja wohl dazu gehören, weit weniger.614

Dies rechnet der konservative Zeitkritiker dem »unbeschränkten Wohlfahrtsstaat« zu: »Zu ihm gehört jene die ganze Welt durchziehende flach materialistiPreußentum und Resignation

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sche Lebensgesinnung, wie weder Wertmaßstäbe für den ›Genuß‹ mehr kennt, noch freiwillige Selbstbeschränkung auch nur als Möglichkeit in Erwägung zieht.«615 Er zögert nicht, all dem die drastischste Ablehnung entgegenzubringen: »Mir ist das alles zum Erbrechen ekelhaft.«616 In Reaktion darauf gilt ihm Großbritannien, 1963 von der Konservativen Partei regiert, als Vorbild – stoße doch dort der Appell an freiwillige Askese nicht auf Hohngelächter. Ein Jahr später freilich gewann die Labour Party unter Harold Wilson die Unterhauswahlen, ein Premier, der durchaus als Gegner der Gewerkschaften und als Vorläufer einer neoliberalen Politik gelten kann – was aber im Umkehrschluss nichts anderes bedeutet, als dass der von Schoeps so scharf kritisierte Wohlfahrtsstaat bereits unter konservativen Regierungen etabliert wurde. Als letzte Ursache der jedenfalls von ihm beklagten Misere aber sieht S­ choeps eine wachsende Distanz zur Vergangenheit, das »Traditionsloswerden unseres Volkes«617, also der Deutschen an, eines Volkes, »das bis zum heutigen Tag mit seiner Vergangenheit nicht ins Reine gekommen« sei – wobei Schoeps nicht etwa an die damals allmählich anlaufenden und in Gang kommenden ersten NS-Prozesse denkt, sondern vor allem an die gerade beginnende, gleichwohl noch ungenügende Würdigung des deutschen Widerstandes gegen das NS-­ Regime durch Historiker wie Hans Rothfels oder Gerhard Ritter. Aber das deutsche Volk hat seine geistige Auseinandersetzung mit dem Geschehenen »in jenen Tagen« noch nicht hinter sich gebracht. Von seelischer Reinigung, geschweige denn Erneuerung sind wir noch weit entfernt. Ein wirkliches Gespräch, das in den Schicksalsraum der Nation vorstieße, hat noch nicht einmal begonnen.618

Ein Ereignis der frühen 1950er-Jahre belegt Schoeps Ringen mit Nachkriegsdeutschland überdeutlich: Dem nach Deutschland zurückgekehrten […] Hans-Joachim Schoeps blieb es nicht erspart, sich mit den nationalsozialistischen Restbeständen deutscher Kultur und Politik immer wieder auch streitig auseinanderzusetzen. 1952 etwa wurde in Erlangen der Film Hanna Ammon aufgeführt, das gerade neueste filmische Werk des Regisseurs Veit Harlan.619

Veit Harlan aber (1899–1964) war der Regisseur eines der schlimmsten filmischen Machwerke antisemitischer Art: »Jud Süß«, in denen die Schauspieler Heinrich George, Werner Krauß und nicht zuletzt Ferdinand Marian die Hauptrollen spielten. Beruhend auf dem von Lion Feuchtwanger erstmals 218

Preußentum und Resignation

1925 publizierten gleichnamigen Roman, der von Aufstieg, Niedergang und öffentlichem Tod eines »Hofjuden«, des Württembergers Joseph Süß Oppenheimer, war Harlans Film sowohl bezüglich der Leistungen seiner Schauspieler als auch seiner Schnitt- und Überblendungstechnik ein Meisterwerk – ein Meisterwerk der Erzeugung von Hass und Abscheu. Harlan verfilmte diesen Stoff in enger Zusammenarbeit mit Joseph Goebbels und folgte einer ersten englischen Verfilmung aus dem Jahre 1925. Nach Fertigstellung und Voraufführung vermerkte Goebbels in seinem Tagebuch: »Harlan Film ›Jud-Süß‹. Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber.«620 Nach der Uraufführung des Films in Venedig im Jahre 1940 wurde der Film ebenfalls im Deutschen Reich, etwa in Berlin, gezeigt und erwies sich überall als großer Erfolg, wie eine Meldung des SD dokumentiert: »Nach übereinstimmenden Berichten aus dem ganzen Reich findet der Film ›Jud Süß‹ eine anhaltend außerordentlich zustimmende Aufnahme. Das Urteil über einen Film sei selten so einheitlich gewesen wie bei dem Film ›Jud Süß‹, der zwar in der realistischen Darstellung abscheuerregender Episoden ungewöhnlich weitgehe, dabei aber künstlerisch vollauf überzeugend gestaltet und von einer Spannung sei, die einen nicht mehr loslässt.« Wie sich der Film als Ganzes stimmungsmäßig auswirke, komme in den spontanen Äußerungen zum Ausdruck: ›Man möchte sich die Hände waschen.‹ (…) Im Anschluss gerade an diese Szene (i. e. Einzug der Juden in die Stadt Stuttgart) ist es wiederholt während der Vorführung des Filmes zu offenen Demonstrationen gegen das Judentum gekommen. So kam es z. B. in Berlin zu Ausrufen wie ›Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den letzten Juden aus Deutschland!‹ Nach übereinstimmenden Berichten aus dem ganzen Reich findet der Film ›Jud Süß‹ eine anhaltend außerordentlich zustimmende Aufnahme. Das Urteil über einen Film sei selten so einheitlich gewesen wie bei dem Film ›Jud Süß‹, der zwar in der realistischen Darstellung abscheuerregender Episoden ungewöhnlich weitgehe, dabei aber künstlerisch vollauf überzeugend gestaltet und von einer Spannung sei, die einen nicht mehr loslässt.‹ Wie sich der Film als Ganzes stimmungsmäßig auswirke, komme in den spontanen Äußerungen zum Ausdruck: ›Man möchte sich die Hände waschen.‹ […] Im Anschluss gerade an diese Szene [i. e. Einzug der Juden in die Stadt Stuttgart] ist es wiederholt während der Vorführung des Filmes zu offenen Demonstrationen gegen das Judentum gekommen. So kam es z. B. in Berlin zu Ausrufen wie ›Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den letzten Juden aus Deutschland!‹621 So vermeldete es der Sicherheitsdienst der SS am 28. November 1940. Preußentum und Resignation

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Veit Harlan aber wurde nach dem Krieg in einem bestreitbaren Entnazifizierungsverfahren als »entlastet« eingestuft und ging entsprechend weiterhin seinem Beruf nach. Ein von der VVN, der »Vereinigung des Verfolgten des Naziregimes«, im März 1949 angestrengtes Strafverfahren führte zum Freispruch des Angeklagten, weil diesem, so das Urteil des Gerichts, eine zurechenbare Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen, dem Völkermord an den europäischen Juden nicht nachweisbar sei. So wurde Harlan Ende April 1950 freigesprochen. Die Konflikte um Harlan, seine Filme und sein nach dem Kriege weitergehendes filmisches Schaffen erleuchten schlaglichtartig die kulturpolitische Situation der frühen Bundesrepublik: So riefen etwa der sozialdemokratische Hamburger Justizsenator Erich Lüth sowie der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Carlo Schmid zum Boykott von Harlans Filmen auf, Carlo Schmid gar sprach es unverblümt aus: Harlan habe die massenpsychologischen Voraussetzungen für die Vergasungen von Auschwitz geschaffen. Das änderte freilich nichts daran, dass Erich Lüths Boykottaufruf gerichtlich als »sittenwidrig« eingestuft wurde und ihm eine Unterlassungsverfügung zugestellt wurde.622 Harlan arbeitete weiter und brachte 1951 den auf einer Romanvorlage Richard Billingers entstandenen Film »Hanna Ammon«, ein Eifersuchtsmelodram mit Kristina Söderbaum, in die Kinos.623 Gegen die Aufführung dieses Films wurde in vielen deutschen Städten protestiert, viele Professoren, der Philosoph Hellmut Plessner, der Historiker Percy Ernst Schramm sowie Carl Friedrich von Weizsäcker solidarisierten sich mit den protestierenden Studenten. Etwas anders verliefen die Auseinandersetzungen um Veit Harlan und sein Werk in der fränkischen Universitätsstadt Erlangen. »Hanna Ammon« kam am 25. Januar 1952 in Erlangen ins Kino, schon einen Tag später stellte sich Harlan dort den protestierenden Studenten zur Diskussion, bei der er erklärte, nur die Wahl zwischen dem Drehen von »Jud Süß« und dem Tod gehabt zu haben. Als Ergebnis der Auseinandersetzung beschloss die Mehrheit der dort anwesenden Studenten eine Resolution folgenden Wortlauts: Die hier versammelten Studenten der Universität Erlangen sind auf Grund der von Veit Harlan dargelegten und auch dem Asta der Universität Erlangen übergebenen Schwurgerichtsurteile zu der Überzeugung gelangt, daß sie moralisch verpflichtet sind, im Sinne einer wahren Demokratie und der Gerechtigkeit für alle Menschen Herrn Veit Harlan von der Schuld an einer Verstärkung des Rassenwahnsinns, wie es von NS-Seite propagiert wurde, freizusprechen (…).624

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Obwohl sich der Senat der Universität mehr oder minder zustimmend zur Resolution der Studenten äußerte und diesen »ideale Motive einräumte, äußerte sich der aus der Emigration zurückgekehrte Hans-Joachim Schoeps, er war seit 1950 Professor für Religions- und Geistesgeschichte in Erlangen, ebenso betroffen wie kritisch und schrieb dem AStA Ende 1952 einen längeren Brief, der gegenwärtig im Universitätsarchiv von Erlangen gelagert ist.625 Dieses Schreiben wird hier ungekürzt, wohl aber immer wieder kommentiert wiederzugeben, weil es wie nur wenige andere Äußerungen von Schoeps einen Einblick in sein damaliges Selbstbild und die Rolle, die er sich als jüdischer Remigrant zuschrieb, gibt. Schoeps blieb sich in dieser Rede treu – sie beweist einmal mehr, dass und wie er sich vor allem als preußischer Patriot und – ja – doch auch als deutscher Nationalist verstand: Liebe Kommilitonen! Ich habe den ASTA-Präses gebeten, Sie zu einer Sondersitzung einzuberufen, weil es mir nötig erscheint, Ihnen eine Erklärung abzugeben, wie mich die Sympathiekundgebung des ASTA für den Regisseur Veit Harlan anlässlich der Aufführung seines neuen Filmes in meinen Augen ausnimmt. Ich habe mir das Recht erworben, so rückhaltlos offen zu Ihnen zu sprechen, wie es meine Freunde seit eh und je bei mir gewohnt sind. Da die ASTA-Mitglieder von 1952 mich nicht mehr kennen, wie die von 1947, mit denen ich täglich vor der Währungsreform im Kochgeschirr gemeinsam meinen Schlag Essen gefasst habe, ist es leider nötig, dass ich Ihnen manches über mich selbst sagen muss, damit Sie sich ein Urteil bilden und auch seine Reaktion verstehen können. Ich habe 1933, als alles den Kopf in den Sand steckte, sofort mit illegaler Oppositionsarbeit begonnen. Meine Erfahrungen aus dieser Kampfzeit der Gestapo, die spannender sind als mancher Abenteuerroman, werde ich einmal mitteilen, wenn ich meine Lebenserinnerungen niederschreiben werde. Ich habe dann von Stalingrad bis zur Kapitulation in Schweden meine Stimme erhoben, dass Hitler nicht Deutschland sei und um Sympathien für das schwer ringende Deutschland geworben. Ich bin dafür von allen Seiten als verkappter Nazi mit Schmutz beworfen worden.626

Hier fällt auf, dass Schoeps den Widerstand anderer politischer Gruppen und Personen schlicht negiert – seinen Ausführungen gemäß »steckte alles den Kopf in den Sand«, was den historischen Tatsachen nicht entsprach. Auffällig ist auch, dass Schoeps, der ja bereits seit 1938 in Schweden weilte, sogar angab, seine Stimme für Deutschland erst seit der Schlacht von Stalingrad, also seit Sommer 1942 erhoben zu haben. In dieser Zeit um Sympathien für jene Deutschen geworben zu haben, die keine Nationalsozialisten waren, ist nachvollziehbar, was es allerdings Preußentum und Resignation

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heißen kann, um Sympathien für das »schwer ringende Deutschland« geworben zu haben, kann nichts anderes bedeuten, als nun doch in gewisser Weise gegen das alliierte Kriegsziel der bedingungslosen Kapitulation gewesen zu sein. Schoeps räumt selbst ein, mit dieser Position als Parteigänger des nationalsozialistischen Deutschland angesehen worden zu sein. Im Folgenden stilisiert sich der Redner selbst als ebenso einsamer wie doch mutiger Gegner des damaligen Zeitgeistes: Nach 1945 bin ich so rasch als die alliierten Besatzungsmächte es gestatteten nach Deutschland zurückgekehrt, nachdem ich allen mich Warnenden erklärte, der Antisemitismus sei in Deutschland mit Hitler, Goebbels usw. zusammen gestorben. Ich habe mich bemüht, als ein Sendbote des good will zwischen Deutschland und den damals noch recht feindseligen Besatzungsmächten zu wirken. Da der Leitstern meines Lebens immer die Wahrheit gewesen ist und ich so etwas wie Feigheit oder Leisetreterei aus Klugheitsbedenken nicht kenne, bin ich hier in Erlangen für die Ehrenrettung des verfemten preußischen Staates eingetreten und bin auch hier der einzige gewesen, der den Mut hatte, einer feindselig eingestellten Umwelt die Wahrheit zu sagen.627

Diese autosuggestive Beschwörung von Mut und Wahrheit gipfelt in einer pa­ triotischen Anklage in der Art, dass das studentische Eintreten für Harlan sie als objektive Parteigänger einer Politik erscheinen lässt, die »objektiv« den Interessen deutschfeindlicher Alliierter dient. Erstaunlich genug für Schoeps in den 1920er-Jahren scharfe Kritik an der liberalen Kunst und Kultur von Weimar erinnert er im Folgenden an Schauspieler und Regisseure, die eindeutig der politischen Linken zuzurechnen sind. Mir scheint daher das Ausfallen Harlans für das deutsche Filmschaffen ein weit geringerer Verlust zu sein als der, dass Elisabeth Bergner, Ernst Deutsch, Adolf Wohlbrück, Max Pallenberg, Rosa Valetti, Erwin Piscator usw. nicht mehr in der deutschen Filmproduktion mitwirken. Ein Teil von ihnen ist von Harlans politischen Freunden ermordet worden.) Dass Massenversammlungen stattgefunden hätten, um die Überlebenden, die großen Namen des deutschen Theaters und Films, zur Rückkehr aufzufordern – davon ist noch nichts gehört worden. Aber Herr Harlan ist ja gar nicht wegen seiner filmischen Qualitäten oder Nichtqualitäten heute ein Streitfall und ein Markierungspfahl, an dem sich die Geister scheiden. Sondern der Name Harlan ist verknüpft mit dem Film Jud Süss, dessen Regisseur er gewesen ist. Da die meisten von ihnen, als dieser Film anlief, Kinos außer für Kindervorstellungen noch nicht besuchen durften, und da Sie offenbar auch heute noch nicht wissen, was dieser Film bezweckte, muß ich Ihnen das auseinandersetzen: In den Jahren 1941–42 ist auf

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mehreren Sitzungen der damaligen Reichsleitung (Führerkanzlei, Reichssicherheitshauptamt und Propagandaministerium) die sogenannten Endlösung der Judenfrage beschlossen worden, die darin bestand, die Juden in Europa, soweit es zum damaligen deutschen Machtbereich gehörte, in einige grosse Ghettos des Ostens zu verfrachten und dort systematisch zu vernichten durch Vergasung, wie es sonst für die Ungezieferbekämpfung verwandt wird.628

Mit diesen Bemerkungen spielt Schoeps auf die sogenannte Wannseekonferenz an, die im Januar 1942 stattfand und deren Protokolle den Alliierten und zumal den Anklägern in den Nürnberger Prozessen bereits Ende der 1940er-Jahre bekannt wurden. Indes: Soweit ersichtlich findet sich in diesen Protokollen kein Hinweis auf die Art und Weise, wie die in den Osten zu verbringenden Juden dort umgebracht werden sollten. Traf es jedoch zu, dass es geheimdienstliche Berichte gab, wonach ein derartiges Vorgehen von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht gebilligt werden würde? Davon ist der gegenwärtigen Forschung nichts bekannt, ganz abgesehen davon, dass der Film »Jud Süss« ja bereits 1940 uraufgeführt wurde. So jedenfalls Schoeps: Als sich nun nach den Informationen, die dem Propaganda-Ministerium vorlagen, eindeutig herausstellte, dass das deutsche Volk in breiten Schichten einer solchen Behandlung der Judenfrage nicht zugänglich war und, insbesondere die deutsche Intelligenz dem kaltblütig geplanten Massenmord moralische Bedenken entgegenbrachte, beschloss Herr Goebbels, einen Film drehen zu lassen, der gerade auf die Intelligenz zugeschnitten werden sollte, um dieser die abgrundtiefe Verworfenheit des Judentums vor Augen zu führen und ihre Bedenken dadurch zu beseitigen.629

Diese Behauptung muss nach der derzeit vorliegenden hiostorischen Forschung als frei erfunden gelten, die Vorgeschichte der Entstehung des Filmes »Jud Süss« stellt sich gegenwärtig etwas anders dar. Da dieser Film, wie schon oben erwähnt, bereits 1940 uraufgeführt wurde, die »Endlösung« also solche jedoch erst 1942 geplant wurde, legt Schoeps hier eine aus heutiger Sicht »intentionalistische« Deutung der Massenvernichtung vor, die nach gegenwärtigem historischem Erkenntnisstand nicht mehr vertreten wird. Vielmehr geht die Forschung gegenwärtig von dem aus, was der Historiker Hans Mommsen als »kumulative Radikalisierung«630 bezeichnet hat. Dieser Film »Jud Süss« ist von Herrn Harlan gedreht worden. Er hat auch seinen Zweck erfüllt, denn in den Nürnberger Prozessen sind Aussagen des Bedienungspersonals der Preußentum und Resignation

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Gaskrematorien vorgekommen, dass der Film »Jud Süss« die moralischen Bedenken dieser Männer, ob sie nicht etwas Unrechtes täten, erstickt habe. Insofern ist das Verhalten des Herrn Harlan moralisch viel schlimmer zu bewerten, als das Verhalten der SS-Leute, die die Gasventile in Auschwitz und Birkenau dann tatsächlich geöffnete haben. Herr Harlan hat Ihnen nun gesagt, er habe die schlimmsten Wendungen der Filmhandlung abgemildert und er habe in einer Zwangslage gestanden, weil er im Weigerungsfall das Leben verloren hätte. Davon abgesehen, daß niemand mehr nachkontrollieren kann wie das Gespräch Goebbels-Harlan faktisch verlaufen ist, kann doch gar kein Zweifel daran sein, wie sich ein Mann von Ehre zu verhalten gehabt hätte, der nur seinem Gewissen folgt. Gerade die Korporationsstudenten unter Ihnen legen ja auf den Ehrenstandpunkt grossen Wert und pflegen sich auf den preussischen Ehrbegriff zu berufen. Ein alter Preusse hätte in dieser Lage keinen Augenblick gezögert. Jochen Klepper wählte in einer Zwangslage Goebbels gegenüber, die hinsichtlich des Zwanges den Harlanschen Behauptungen zu vergleichen ist, den Freitod.«631

Der Freitod von Jochen Klepper, den Schoeps hier als Beispiel für ein preußisches Ehrverständnis anführt, bezieht sich auf den Umstand, dass der Dichter und Theologe, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, eben deshalb 1941 als »unwürdig« aus der Wehrmacht entlassen wurde und es sich im Laufe des Jahres 1942 abzeichnete, dass eine Emigration der jüngsten Tochter nicht mehr möglich sein werde, ihr vielmehr die Deportation drohte – worauf Klepper, seine Frau und seine Tochter den Freitod suchten – ein Tod aus Verzweiflung und Ausweglosigkeit, aber eben nicht, wie Schoeps hier suggeriert, aus verletztem Ehrgefühl. Soweit bekannt, stand Klepper nicht in einer Zwangslage – wenn auch einzuräumen ist, dass eine Scheidung von seiner jüdischen Frau ihn vor der Entlassung aus der Wehrmacht hätte bewahren können. Schoeps zögert im Folgenden nicht, das Schicksal der eigenen Familie, zumal seines Vaters, der sich noch 1940 als nationalsdeutscher Jude ebenso freiwillig wie vergeblich zur Wehrmacht gemeldet hatte: Ich spreche hier zu Ihnen, weil mich Ihr Verhalten auf das Schwerste getroffen hat und mich in die Tiefen der Seele hinein aufwühlt. Ich bin das einzige Mitglied des Lehrkörpers dieser Universität, der Jude ist und dessen Eltern von den Leuten, für die Herr Harlan tätig war, ermordet worden sind. Mein Vater hatte es zu seiner Zeit, als er es noch leicht konnte, abgelehnt, Deutschland zu verlassen, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass ihm als einem Manne, dessen nationale Gesinnung in Berlin gut bekannt war, etwas geschehen könne. Er war als Oberstabsarzt von 1914 ab – damals schon über die 50 Jahresgrenze hinaus – bis 1921 im Heeresdienst tätig. Sein Regiment,

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die feudalen 2. Garde-Dragoner in Berlin, hat ihn nicht nur als einzigen Bürgerlichen zum Ehrenmitglied des Regimentsverein gemacht. Dies alles hat nicht verhindert, daß mein Vater Anfang Juni 1942 von der SS als Geisel für den Mord an Heydrich in Prag verhaftet wurde und erschossen werden sollte. Man hat den 78jährigen Mann zur Deportation nach Theresienstadt begnadigt und dort ist er dann nach einem halben Jahr, da er die veränderten Lebensverhältnisse und das dauernde Hungern nicht vertrug, einen sehr qualvollen Tod gestorben. Meine Mutter, die 22 Jahre jünger war als mein Vater und sehr gut hätte überleben können, wurde im Juni 1944 nach Auschwitz ins Gaskrematorium geschleppt. Ihre letzte Nachricht an mich war die flehentliche Bitte, nie wieder nach Deutschland zurückzukehren. Über die näheren Umstände ihres Todes habe ich folgenden Bericht erhalten. Sie wurde mit 500 – überwiegend älteren Leuten – in einem der sechs Viehwagentransporte des Juni 1944 aus Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt. Nach 36 Stunden Bahnfahrt, auf der die Menschen nichts zu essen bekamen, wurden sie in Auschwitz ausgeladen und in die Umkleideräume eines ganz modern eingerichteten Brausebades gebracht. Nachdem sich alle ausgezogen hatten, wurde ihnen gesagt, sie würden jetzt nach der langen Reise warme Duschbäder erhalten. Aus den Kränen kam aber nicht Wasser, sondern Gas. Das wurde ein sehr qualvoller Tod; der Todeskampf soll bis zu zweieinhalb Stunden gedauert haben, da das Gas immer nur schubweise eingelassen wurde. An den Beobachtungsständen, wohl geschützt durch Glasscheiben, sassen SS-Männer und grinsten. Damit Sie mich verstehen können, bitte ich jeden einzelnen von Ihnen sich vorzustellen, das sei seiner eigenen Mutter widerfahren. Ich habe davon noch nie gesprochen, meine Herren. Heute muß ich es aber tun, damit Sie endlich verstehen, warum ich meine erste Vorlesung nach der Harlan-Versammlung mit den Worten begonnen habe: »Studenten, die sich an Sympathiekundgebungen für Herrn Harlan beteiligt haben, der einer der intellektuellen Urheber des Massenmordes an sechs Millionen Juden gewesen ist, können bei mir im Kolleg nicht hören. Das eine schließt das andere aus. Und darum bitte ich die Harlan-Sympathisanten, die Aula zu verlassen« – Keiner hat den Saal verlassen, aber in meiner nächsten Vorlesung war weniger als die halbe Teilnehmerzahl erschienen.

Diese Bemerkung bezieht sich nicht auf das Manuskript der Rede, sondern ist später eingefügt worden und belegt, dass der Autoritarismus eines Teils der Hörer mit Antisemitismus gepaart war – wären sie doch anderenfalls auch in die nächste Vorlesung gekommen. Mir ist berichtet worden, daß einige Korporationen auf Antrag ihrer Alten Herren beschlossen haben, mich und meine Vorlesungen wegen meiner Äußerung zu boykotPreußentum und Resignation

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tieren. Ich kann nur sagen, damit hat Herr Harlan erreicht, was die hinter ihm stehenden noch anonymen Kreise wollten: die Bildung der neuen antisemitischen Front gerade in der Universitätsstadt des Julius Streicher-Gaues. Aus dem Falle pro oder contra Veit Harlan wird ein Fall pro oder contra Juden. Ich darf noch bemerken, daß ich selbstverständlich nicht einem Studenten, der anderer Meinung ist als ich, das Hören meiner Vorlesungen untersagen will. Im Gegenteil begrüsse ich es, wenn auch gerade Antisemiten bei mir hören und sich belehren lassen wollen. Aber gerade in dem akuten Streitfall steht zu befürchten, dass die Erlanger Studenten deutschfeindlichen Kreisen in Amerika und anderswo neuen Auftrieb geben.632

Diese Rede wurde vor nunmehr bald 70 Jahren gehalten, und es erstaunt im Rückblick und im Blick auf die Gegenwart gleichwohl, wie sich schon damals Teile eines politisch rechts gesonnenen Publikums wie zum Ausgleich für die ansonsten im weitesten Sinne antisemitischen Einstellungen für den damals kurz zuvor gegründeten Staat Israel aussprachen. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte Schoeps seine Studenten nicht bitten müssen, derlei zu unterlassen. Bei alledem versuchte Schoeps gleichwohl, sich am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinschaft und ihrer Gemeinden in der Bundesrepublik zu beteiligen, wenngleich ihm – wie er später einräumte – die meisten Juden wenig sympathisch waren »aber ich habe mich früh entschlossen, sie um des Judentums willen zu ertragen«.633 Gleichwohl erhielt Schoeps vom Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern in den 1950er-Jahren einen jährlichen Zuschuss für sein Erlanger Institut, darüber hinaus promovierte er etwa Philipp Auernach mit einer Arbeit zum Widerstand im Dritten Reich, einer Arbeit, die wahrscheinlich vom später rechtsextrem gewordenen Historiker und ehemaligem Hilfsassistenten Hellmut Diwald verfasst wurde.634 Ein weiterer Doktorand war der aus den USA zurückgekehrte Hans Lamm, der 1951 mit einer Arbeit »Über die innere und äußere Entwicklung des deutschen Judentums im Dritten Reich« promoviert wurde. Bei alledem scheute Hans-Joachim Schoeps nicht davor zurück, mit nationalsozialistisch belasteten Personen zu kooperieren, etwa dem Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber – er trat 1933 der NSDAP bei und verfasste eine Schrift, die 1939 unter dem Titel »Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches« publiziert wurde und vertrat darin eine »völlige Ausschaltung des Judentums«. Sein Sohn Julius deutete diese Kontakte, dass Schoeps all dies bewusst nicht zur Kenntnis nehmen wollte, denn: »Insgeheim befürchtete er wohl, dass er dann vor sich selbst weder seine Rückkehr begründen noch für einen Neuanfang in Deutschland plädieren könne.«635 Mit derlei Bedenken stand 226

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Schoeps nicht allein – andere einschlägige Fälle waren etwa die nach Frankfurt am Main zurückgekehrten Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Es war Max Horkheimer, der in einer nicht datierten Notiz, die nach 1967 angefertigt worden sein muss, unter der Überschrift »Nach Auschwitz« Folgendes festhielt: Wir jüdischen Intellektuelle, die dem Martertod unter Hitler entronnen sind, haben nur eine einzige Aufgabe, daran mitzuwirken, daß das Entsetzlichenicht wiederkehrt und nicht vergessen wird, die Einheit mit denen, die unter unsagbaren Qualen gestorben sind. Unser Denken, unsere Arbeit gehört ihnen; der Zufall, daß wir entkommen sind, soll die Einheit mit ihnen nicht fraglich, sondern gewisser machen. Was immer wir erfahren, hat unter dem Aspekt des Grauens zu stehen, das uns wie ihnen gegolten hat. Ihr Tod ist die Wahrheit unseres Lebens, ihre Verzweiflung und ihre Sehnsucht auszudrücken, sind wir da.636

Das freilich war nicht die Sache von Hans-Joachim Schoeps. Schoeps’ Bereitschaft, auch mit ehemals dem Nationalsozialismus verpflichteten Kollegen Beziehungen aufzunehmen und pflegen, machte ihn nachvollziehbarerweise zur Zeit der Studentenbewegung 1967/68 zum Feindbild – in studentischen Flugblättern wurde er als »Nazi-Jude« sowie »jüdischer Obersturmbannführer« angegriffen – Angriffe, bezüglich derer ihm seine Erlanger Fakultät die Solidarität verweigerte.637 Das wohl im Jahre 1968 verfasste Redemanuskript638 weist den von den Studenten angefeindeten Erlanger Professor als einen politischen Intellektuellen aus, der zwar einerseits bekennt, ganz und gar mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland im Einklang zu stehen, bei dem aber doch deutlich wird, wie sehr und wie stark er noch vom Pathos der ihm immer noch teuren deutschen Jugendbewegung geprägt war. Auf jeden Fall sei das Thema der Sozialkritik – so eröffnete Schoeps seine Ansprache – selber bereits ein historisches: Als Adolf Stöckers christlich-soziale Bewegung auftrat, die viel harmloser war als die von mir geschilderte von Hermann Wagener, soll irgendein Landrat in Hinterpommern gesagt haben »was soll denn das christlich sozial? Christlich sind wir ja wohl alle und sozial gehört vor den Staatsanwalt«.639

Das ist eine mindestens bemerkenswerte Behauptung, da der christlich-soziale Politiker Adolf Stöcker von der historischen Forschung schon früh als ein Mitbegründer des politischen Antisemitismus erkannt worden ist. Er war ein Preußentum und Resignation

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Erstunterzeichner der sogenannten »Antisemitenpetition« und vertrat 1882 die Christlich-Sozialen auf dem Dresdener Antisemitenkongress. Der Historiker Günter Brakelmann urteilte, dass Stöckers Antisemitismus ein integraler Bestandteil seines gesamten Denkens und seines öffentlichen Redens war. Sein Antisemitismus – so Brakelmann – »strukturierte und vitalisierte alles, was er sagte, schrieb und tat«.640 Das war auch bereits in der Weimarer Zeit bekannt, und es verwundert, dass Schoeps Stöcker nicht als einen der Vorläufer des nationalsozialistischen Judenmordes benennt – die Abwertung der von ihm verächtlich gemachten »Sozialkritik« war ihm – jedenfalls in diesem Kontext – wichtiger. Indes: Die Situation heute ist eine völlig andere. Wir haben es nicht mit Sozialkritik zu tun sondern mit der Verneinung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Ausgehend von Anarchisten, die ihr Wert- und Wirklichkeitsbild überhaupt nicht zu artikulieren in der Lage sind, infolgedessen uns nur wirres Zeug entgegenhalten. Wir haben nach dem zweiten Weltkrieg auf den Universitäten und Hochschulen mindestens drei Generationen erlebt. Die erste Generation bei der Heimkehr von Soldaten, die einmal in der Hitlerjugend gewesen waren und deren Weltbild total zusammengebrochen war. Ich kann im Rückblick nur sagen das war die beste Studenten Generation, die ich erlebt habe mit der man geistige Gespräche führen konnte, Nächte hindurch. Diese Generation verschwand etwa 1951–52 von den Hochschulen. Dann kam die Generation des beginnenden deutschen Wirtschaftswunders, der dann rückblickend Helmut Schelsky unter dem Titel Anführungszeichen »Die skeptische Generation« eine Monographie gewidmet hat. Diese Generation ebbte aus Mitte der sechziger Jahre.641

Tatsächlich war es kein Geringerer als der später führende deutsche Soziologe der Bundesrepublik, Helmut Schelsky, 1912 geboren, der, was immer noch zu wenig bekannt ist, als junger Wissenschaftler an der Universität Straßburg überzeugter Nationalsozialist war – der in den frühen 1930er-Jahren gegen die vermeintlich gleichmacherische Globalisierung schon der napoleonischen Zeit ein politisches Projekt ganz im Geiste Johann Gottlieb Fichtes propagierte: einen in seiner Bevölkerung und ihrer Kultur homogenen, »geschlossenen Handelsstaat«, also eine abgeschottete, wirtschaftlich autarke politische Einheit mit ständischen Strukturen. Nach dem Krieg war Schelsky lernfähig und realistisch genug, seinen Irrweg zu erkennen und für eine neue Nüchternheit, einen neuen Realismus einzutreten: »Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend« erschien 1957 und bestand im Wesentlichen darin, 228

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durchaus empirisch gestützt, die eigene politische Ernüchterung des Autors zu generalisieren – durchaus nicht zu Unrecht. Im »Frankfurter Institut für Sozialforschung« erschien 1961 die von Jürgen Habermas und Ludwig von Friedeburg verfasste Studie »Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten«, die im Wesentlichen zu dem Schluss kam, dass die Studentenschaft überwiegend unpolitisch gesonnen sei – sechs, sieben Jahre später entstand die »Studentenbewegung«. Auch Schoeps sah 1968 – im Rückblick – das Heraufziehen eines neuen Typus: Danach kam eine neue Generation, die ich, weil noch keine bessere Bezeichnung erfunden worden ist, als die »aufgeregte« Generation bezeichnen möchte. Sie protestiert dauernd; sie protestiert gegen alles, sie ist maßlos kritisch gegen alles, was besteht, nur gegen eins nicht: gegen sich selber! Da sind sie nicht kritisch, da wissen Sie gar nicht, was das ist. Sie treten mit einer Unbescheidenheit, mit einer Anspruchsfülle auf, die jedes Gespräch von vornherein unmöglich macht, wie Herr Tenbruck das ausgeführt hat.642

Friedrich Wilhelm Tenbruck, 1919 in Essen geboren, war nach Wehrdienst, Philosophiestudium, USA-Aufenthalten sowie einer Assistentenzeit bei Max Horkheimer in Frankfurt und einer 1962 erfolgten Habilitation zum Thema »Geschichte und Gesellschaft« ab 1963 Professor für Soziologie in Frankfurt und ab 1967 Professor für Soziologie in Tübingen; er gehörte zu jenen Ordinarien, die den Versuch unternahmen, sich intellektuell anspruchsvoll mit der Studentenbewegung auseinanderzusetzen. Schoeps folgte Tenbruck: »… nämlich dass mit dieser jungen Generation im Sinne des Bildungsanspruches der Universität nichts mehr anzufangen ist, infolgedessen diese Universität von innen her ausgehöhlt wird und diese ihr Wesen und ihre Bestimmung verändert. Was soll denn aus den vielen Politologen und Soziologen werden? Das können nur Berufsrevolutionäre werden von dieser perversen Bundesrepublik noch finanziert, damit sie die »wetzen und sie wetzen die Messer«. Mit dieser Haltung stand Schoeps auch und zumal unter remigrierten jüdischen Professoren wie Ernst Fränkel, Richard Löwenstein sowie – last but not least – Theodor W. Adorno und Max Horkheimer keineswegs alleine, Mitglieder des 1970 gegründeten »Bundes Freiheit der Wissenschaft« waren u. a. einflussreiche public intellectuals wie z. B. Ernst Fraenkel,Wilhelm Hennis, Roman Herzog, Georg Nicolaus Knauer, Helmut Kuhn, Richard Löwenthal, Hermann Lübbe, Hans Maier, Thomas Nipperdey, Ernst Nolte, Heinz-Dietrich Ortlieb, Preußentum und Resignation

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Konrad Repgen, Walter Rüegg, Erwin K. Scheuch, Alexander Schwan, Otto von Simson und eben Friedrich Tenbruck. Kein Zweifel kann darin bestehen, dass die zur Weimarer Zeit jungen jüdischen Wissenschaftler bei ihrem Engagement für den »Bund Freiheit der Wissenschaft« von den Erinnerungen an die Vorlesungssprengungen des nationalsozialistischen Studentenbundes in den frühen 1930er-Jahren geprägt waren. Schoeps jedenfalls sah darin ein ausschließlich deutsches Phänomen und fuhr fort: Ich las vor ein paar Tagen in der Zeitung die Welt einen Artikel, in dem ein Engländer sich über die deutschen äußerte und etwa folgendes sagte: die Deutschen sind doch ein merkwürdiges Volk und haben Sie schon einen Start in diesem Jahrhundert kaputt gemacht, dann fangen sie mit dem zweiten auch noch an, in dem sie die Universität zerstören’ das trifft genau die Lage, in diesem Stadium sind wir –. Das kann alles sehr rasch gehen. Am schlimmsten sind natürlich diejenigen unsere Kollegen, die diesen Bestrebungen auch noch Vorschub geleistet haben.643

Der Erlanger Professor zögerte nicht, dies auch autobiographisch zu untermauern: Ich habe die deutsche Professorenschaft durch Jahrzehnte hindurch studiert. 1933 als junger Doktor, also noch als Student habe ich mit Erstaunen gesehen, wie schnell und vorbehaltlos sie sich gleich geschaltet haben, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen. Wir erleben heute wieder einen ähnlichen Vorgang, nämlich wiederum die Gleichschaltung auf das, was modern, was »jugendgemäß« erscheint. Allerdings erleben die, die am progressivsten sind, die sich an die Spitze der Bewegung gestellt haben, auch die härtesten Enttäuschungen. Das sind die Leute, die zuerst die Ohrfeige gekriegt haben. Natürlich werden nun alle die Frage stellen müssen, was man denn nun in der Jugend bieten kann, wie das denn nun anders werden soll darauf kann ich nur ganz einfache Dinge sagen.644

Wen meinte Schoeps? Doch vor allem jene linken Intellektuellen, die angesichts der »Verwalteten Welt« (Horkheimer) ihr Projekt einer grundsätzlichen Emanzipation in Richtung auf eine ganz andere Gesellschaftsordnung massiv gefährdet sahen und sich nun auf die Suche nach einem Ersatz für das verloren gegangene revolutionäre Subjekt, eben das Proletariat machten. So ein anderer westlicher, von Marx und der Psychoanalyse geprägter Intellektueller war Herbert Marcuse. Er charakterisierte die Lage des Proletariats in seinen unter dem Titel »Der eindimensionale Mensch« erschienenen Studien zur 230

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Ideologie fortgeschrittener Industriegesellschaften so: »Wo diese Klasse jedoch zur Stütze der herrschenden Lebensweise geworden ist, würde ihr Aufstieg zur Kontrolle jene (herrschende Kontrolle, M. B.) nur verlängern.«645 Daher postulierte Marcuse, fest davon überzeugt, dass die sozialstaatliche Integration der Arbeiterklasse sie letztlich als revolutionäres Subjekt ausgeschaltet habe, in seinem 1969 erschienen Essay »Versuch über die Befreiung« eine Revolte aller Unangepassten auf der Basis erhöhter sozialer Sensibilität, also das, was später als »Randgruppenstrategie« einen grandiosen Misserfolg erleiden sollte und in den USA bei den »Weathermen«, in Italien bei den roten Brigaden und in Deutschland bei der »Roten Armee Fraktion« ein farcenhaftes, blutiges Ende finden sollte. Die vor allem – keineswegs nur – von Studenten getragene »Neue Linke« war sich indes nur zu bald bewusst, dass sie alleine eine Revolution nicht würde vollbringen können, weshalb sich in Westdeutschland und in Frankreich eine kurzfristig im Protest gegen den Vietnamkrieg und gegen Züge autoritärer Herrschaft erfolgreiche Bewegung auf den Pfad kollektiver Regression begab. Im Folgenden nun wiederholt Schoeps jene Grundeinstellung, jene Haltung, die ihn seit frühester Jugend geprägt hat: Eine Jugend will und muss gefordert werden und wenn man ihr nicht Aufgaben stellen kann, für die der Einsatz sich lohnt. […] wenn Nun sind wir nicht in der Lage, in diesem Sinne Aufgaben zu bieten denn das Klima unserer Wohlstandsgesellschaft steht dem allen entgegen. Das dient der Verweichlichung, das dient den Dingen, die wir mit größtem Abscheu sehen, der völligen sexuellen Enthemmung und Promiskuität. Dabei aber und das möchte ich aus meiner Beobachtung sagen, habe ich noch nie eine Generation von jungen Leuten gesehen, die derartig verklemmte und gehemmt sind, wie diese die, die sexuelle Freizügigkeit in den Missbrauch von Rauschgiften propagieren […] Sie ist nicht da nicht nur i. meinen Augen, Sondern das wohl objektiv gesehen aus der Art geschlagen. Wenn dem nicht eine harte, klare Forderung gegen tritt, ist es unmöglich, diese Generation wieder zur Räson zu bringen. Solange es uns gut geht, wird das nicht gelingen.646

Nur zehn Jahre vor dieser Rede, 1957 erschien erstmals das u. a. von Dolf Sternberger herausgegebene »Wörterbuch des Unmenschen«, in dem der Begriff »entartet« durchaus erwähnt wurde – Schoeps brachte für diese Problematik offenbar keine Sensibilität auf, sondern erhoffte tatsächlich schlechtere Zeiten als Bildungs- und Erziehungsmittel für die aus seiner Sicht »entartete« studentische Jugend – er hoffte geradezu auf ein Ende der Vollbeschäftigung, um damit auch ein Ende der »Gefälligkeitsdemokratie« zu fordern. Preußentum und Resignation

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Am Ende dann bemüht der Redner als letztes Mittel den »Kalten Krieg« – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der studentischen Proteste gegen den Krieg der USA in Vietnam. In dieser Situation positionierte sich Schoeps gegen eine uneingeschränkte Demonstrationsfreiheit: Ich kann nicht verstehen, wieso denn nun zum Beispiel ein unumschränktes Recht auf Demonstrationsfreiheit bestehen muß, warum die Polizei gegen Ausschreitungen nicht eingesetzt wird; warum die Universitäten angeblich freie Räume sind, in denen es keine Möglichkeit des Zugriffes von außen her gibt, warum eine solche Organisation wie der absolut staatsfeindliche SDS nur in Württemberg verboten wird. (…) Schließlich weiß jeder etwas nachdenkliche Mensch, daß wenn die Amerikaner sich aus der Bundesrepublik zurückziehen, die Russen dasein werden. Soviel Staatsfeindschaft, wie hier von jungen Menschen, propagiert wird, lassen sich unsere Behörden widerspruchslos gefallen.

Am Ende dann erweisen sich noch nicht einmal die staatsfeindlichen Studenten als das wahre Problem, sondern – und auch hier bleibt sich Schoeps treu – ein zu liberaler Staat, der seine eigentliche Aufgabe verfehlt. Naturgemäß musste die sich ausgerechnet als »antiautoritär« bezeichnende Studentenbewegung, die heute sogenannte Bewegung der ›68er‹ Hans-Joachim Schoeps auch und gerade als Professor in Erlangen extrem herausfordern, ja – mehr noch – ihn erneut zu einer Selbstdefinition, einer Standortbestimmung provozieren. War es doch in Politik, Geschichte und nicht zuletzt Theologie der Gedanke der Autorität, der ihn stets leitete. In seinem Nachlass befindet sich das Manuskript eines offenbar nie gehaltenen Vortrages, der es verdient, zur Gänze wiedergegeben zu werden: Aus den gegen mich gerichteten Anwürfen habe ich den Eindruck gewonnen, dass viele Leute gar nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Auf die Gefahr hin, dass sie bald merken, ich bin gar nicht der gewünschte Gesprächspartner, sondern ein Sonderfall der in keine der ihnen geläufigen Kategorien hineinpasse erkläre ich folgendes: (…) 1. Ich bin Jude. Das heisst, ich bin in meinen letzten weltanschaulichen Überzeugungen genauso gebunden, wie ein gläubiger Lutheraner oder ein praktizierender Katholik gebunden ist. Bestimmte Weltanschauungspositionen scheiden deshalb für mich von ihrem Ansatz her aus. Ein wirklicher Jude kann niemals eine irdische Grösse verabsolutieren oder vergötzen wollen. Er kann daher nicht Nationalist und er kann ebensowenig Kapitalist mit mammonistischer Gesinnung oder wirklicher Marxist sein. Als Leo Trotzki sich als Bolschewist bekannte, soll seine Heimatgemeinde, – so wurde mir berichtet – sofort den grossen Synagogenbann über ihn verhängt haben.

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Darum hat es seine Gründe, wenn das gläubige Judentum im bolschewistischen Russland unterdrückt wird und zeitweise immer wieder Verfolgungen unterliegt. Für einen gläubigen Juden ist der Staat, obwohl auch er unter dem Gesetz der Sünde steht, dazu da, um der noch grösseren Sünde und damit dem Chaos zu steuern. Dina de Malchuta Dina (Staatsgesetz ist Gottesgesetz). Solange es ein Königtum von Gottes Gnaden gab, beugte jeder Jude vor dem gesalbten Haupt das Knie und im Synagogengottesdienst wurden Segensgebete für ihn gesprochen. Als das in Preussen und in Deutschland nach 1918 nicht mehr möglich war, beschloss eine allegemeine deutsche Rabbinerkonferenz, dass dieser Satz auch auf den neuen demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat anzuwenden sei. Deshalb kann ich schon aus Glaubensgründen gar nicht anders, als auf dem Boden des Grundgesetzes unserer Bundesrepublik zu stehen. 2. Ich bin Preusse. Das bin ich meiner Herkunft nach. In meiner Familie ist immer eine Tradition bestimmend gewesen, die früher weit verbreitet war, heute aber unbekannt geworden ist. Preussen war uns immer wichtiger als das Deutsche Reich, dem viele Juden aus den 6 altpreussischen Provinzen immer nur mit Bedenken gegenüberstanden. Das Deutsche Reich von 1871 war von seinem Ursprung her ein Nationalstaat, in dem auch sehr bald nationalistische Tendenzen erkennbar wurden. Preussen aber war ein übernationaler Rechtsstaat, in dem Deutsche, Polen, Litauer, Kaschuben gelichberechtigt mit – und nebeneinander leben konnten. Das war nur möglich auf dem Boden der Toleranz, der geistigen Freiheit und einer grossen menschlichen Achtung voreinander. Unser Thema »Autorität und Freiheit« ist das preussische Thema selbst; um die rechte Verhältnisbestimmung haben die besten Geister des 19. Jahrhunderts immer wieder. 3. Ich bin Konservativer. Das ist etwas anderes als Radikalismus, auch noch etwas anderes als – wie Hermann Wagener einmal sagte, der kleinmütige Wunsch, das, was man hat, möglichst langsam zu verlieren. Konservativ ist auch etwas anderes als reaktionär; es ist vielmehr die Gegenposition zur Revolution. Ich bin daher alles andere als ein Rechtsaussen. Die Schlagworte rechts und links stimmen an keiner Stelle mehr. Ein grosser konservativer Staatsmann des 19. Jahrhunderts war Fürst Clemens August von Metternich. Was Metternich dargestellt und gewollt hat, ist jedem klar, der die grosse Monographie Heinrich von Srbiks gelesen hat. (…) Mein Ruf nach einem »Mehr an Autorität« knüpft hier an, er ist auch nicht der Ruf nach der Polizei mit dem Gummiknüppel, sondern der Wunsch, vorhandene Ordnungen zu stützen und so stark zu machen, dass sie ein hohes Mass an Freiheit sicherstellen können. Das ist aber nur möglich, wenn die Ordnungen Schutzbarrieren gegen das Chaos sind. Dann müssen sie aber auch Würde und Ansehen haben. Ansehen ist die deutsche Übersetzung des Wortes Autorität, wie der preussische Heeresreformer Scharnhorst einmal Preußentum und Resignation

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erklärt hat. Um Autorität, das heisst um die Würde und das Ansehen unserer gesellschaftlichen Institutionen, Familie und Staat, Kirche und Justiz, Schule und Universität, bin ich besorgt. Ihren Zerfall heutzutage kann man nur mit Bsorgnis diagnostizieren. Aber über Autorität kann man im Grunde nicht diskutieren. Man hat sie oder man hat sie nicht, weil sie ausstrahlt, weil sie ein Charisma ist. (…) Grundsätzlich erkläre ich abschliessend: auf dem Boden der Demokratie ist jede Form von Diskussion möglich, nur nicht mit Personen oder Personengruppen, die die Demokratie abschaffen wollen, um mit den Mitteln des Terrors etwas ganz Wirres und Nebuloses an ihre Stelle zu setzen. Ich möchte Ihnen aber abschließend auch ganz genau angeben, was demokratische Haltung und Gesinnung wirklich ist, nicht durch eine abstrakte und immer mehrdeutig bleibende Definition, sondern durch ein eindeutiges und bildhaftes Wort Voltaires, der einem Diskussionspartner einmal erklärte: ich missbillige alles, was sie sagen, aber bis zu meinem letzten Atemzug werde ich dafür kämpfen, dass sie es sagen dürfen. Das ist nach meinem Sprachgebrauch Demokratie und Rechtsstaat. Die Herren vom SDS mögen alles Mögliche sein:; Marxisten, Pekinesen, dumme Jungs ohne gute Kinderstube und Erziehung oder noch etwas ganz anderes; nur eines sind sie nicht: rechtstaatlich denkende Demokraten im Sinn des Wortes von Voltaire.

Schoeps’ Haltung in der Auseinandersetzung mit der wesentlich vom dortigen SDS geprägten Studentenbewegung schlug sich auch in einem Artikel der vom Springer Verlag herausgegebenen Tageszeitung »Die Welt« nieder, die zu damals aufsehenerregenden Stellungnahmen anregte – nicht zuletzt deshalb, weil der Erlanger SDS darauf mit einem höchst aggressiven Flugblatt reagiert hatte. So sah sich die theologische Fakultät der Universität Erlangen am 17. Januar 1968 dazu veranlasst, u. a. Folgendes zu erklären: »Wir überlassen es als Fakultät jedem einzelnen unserer Glieder, ob und inwieweit es sich mit dem von Herrn Prof. Schoeps (…) vertretenen historischen und politischen Urteilen identifiziert.«647 Indem die theologische Fakultät den verletzenden Ton dieses Flugblattes bedauerte, plädierte sie zugleich für eine »freie Diskussion« zwischen »Lehrenden und Lernenden«. Die Erlanger und auch die überregionale Presse – vor allem der Berliner »Tagesspiegel« berichteten Ende Januar des Jahres intensiv: Diese Angelegenheit zog schnell weitere Kreise – sogar bis in die deutsche Bundeswehr. So wandte sich Brigadegeneral Karst nur wenige Tage später, am 13. Januar brieflich in Reaktion eines Schreibens von Schoeps an ihn. Der 1914 geborene Karst, er starb 2002, erhielt als Ordonnanzoffizier an der Ostfront, auf dem Territorium der Sowjetunion das Eiserne Kreuz, wirkte Mitte der 1950er-Jahre an der 234

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»Schule für innere Führung«, um von 1963–1967 eine Panzergrenadierbrigade zu führen. Aufgrund erheblicher Differenzen mit dem damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt, ließ er sich 1970 auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzen. Karst stand dem von Wolfgang Graf Baudissin vertretenen Leitbild der »Inneren Führung« ablehnend gegenüber: »Statt Demokratisierung«, so der entsprechende Eintrag bei Wikipedia, »setzte sie auf überkommene Begriffe von Befehl, Gehorsam und Erziehung zur Todesbereitschaft, verbat sich jede Kritik an der Wehrmacht und wollte keine Gewerkschaftsarbeit hinter Kasernenmauern. Seine Vorstellungen vom Soldatenberuf brachte Karst in der programmatischen Schrift ›Das Bild des Soldaten‹ von 1964 zum Ausdruck. Er wird als Autor der rechtslastigen sogenannten Schnez-Studie vermutet, die nach Bekanntwerden 1969/70 auf heftigen Widerstand in der Öffentlichkeit stieß.« Schoeps hatte sich undatiert an ihn gewandt, in Reaktion eines Schreibens von Karst an ihn vom 2. Januar, ein Brief, in dem Schoeps ihm eine Kopie seines Artikels aus der »Welt« beilegte und zugleich einen ihm schon zuvor von Karst geschickten Artikel aus der katholischen Zeitschrift »Hochland« pries. Karsts Schreiben vom 15. Januar reagierte auf dieses Schreiben und bekundete zustimmend, dass mit Haltungen wie jener des SDS die Verteidigungsbereitschaft der damals noch durch die allgemeine Wehrpflicht für Männer geprägte Bundesrepublik nicht mehr gewährt sei: »Mir haben nicht wenige Abiturienten, Studenten, Journalisten und Intellektuelle ganz klar gesagt, daß ihrer Auffassung nach der Kapitalismus morsch und die parlamentarische Demokratie überlebt sei. Insofern ist Dutschke der radikale, wortreiche Verfechter eines noch nicht erheblichen, aber doch bedrohlichen Trends. Ich glaube«, so Karsts Schlussbemerkung, »daß Thomas Mann’s Satz richtig ist: ›Die Demokratie muß den Harnisch anlegen‹.«648 Der gemeinsame Feind, den auch Karst beschwor, war die außerparlamentarische Neue Linke und ihre intellektuellen Vertreter: Prof. Marcuse halte ich geradezu für gefährlich, weil hinter ihm die »Weltbewegung der Neuen Linken«, der Sinistrismo steht und wirkt. Hinter den konfusen Demagogen der NPD steht nichts – aber ein Anschwellen des Rechtsradikalismus ist zu befürchten, wenn die Woge links mit Radau und Illegalität stärker wird. Dabei habe ich »so Karst« viel Verständnis für die Studenten und finde das Verhalten vieler Vertreter der älteren Generation in ihrer Unsicherheit blamabel.649

Ein weiterer Konflikt jener Jahre, an dem Schoeps lebhaften Anteil nahm, waren die Auseinandersetzungen um das »Marburger Manifest«, mit dem sich Preußentum und Resignation

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35 Professoren jener Universität, an der sich Schoeps nach seiner Rückkehr aus dem Exil habilitiert hatte, gegen ein im Mai des Jahres 1968 vom Hessischen Landtag beschlossenes neues Hochschulgesetz wandten, das u. a. die Mitwahl des Rektors durch Studenten sowie eine proportionale Beteiligung von Studenten in den universitären Gremien vorsah. Einer der wesentlichen Autoren dieses Manifests aber war der Direktor des Marburger Ökumenischen Seminars Ernst Benz, ein Mann der durch seine Forschungen zu esoterischen Strömungen des Christentums bekannt geworden war und für diese Leistungen sogar 1965 in die »American Academy of Arts and Sciences« aufgenommen wurde. Indes: Der 1907 geborene Kirchenhistoriker hatte eine massive nationalsozialistische Vorgeschichte. Benz wurde bereits 1933 Mitglied der SA, erhielt 1935 eine außerordentliche Professur für Kirchengeschichte in Marburg, trat 1937 in die NSDAP ein, um noch im selben Jahr wiederum in Marburg Inhaber einer ordentlichen Professur für Kirchen- und Dogmengeschichte zu werden. Nach Kriegsbeginn war er Divisionspfarrer in der Ukraine, nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1946 wurde er in Marburg Direktor des dortigen ökumenischen Seminars und einer der Initiatoren des Marburger Manifests. Im Nachlass von Hans-Joachim Schoeps findet sich ein von Benz im Juni 1969 verfasstes Schreiben650, in dem sich Ernst Benz für den Entwurf eines Manifestes, den Schoeps verfasst hatte, bedankt. Er erwähnt darin einen »anderen Plan«, der von Tenbruck, einem – so Benz – »entschlossendsten Widerstandskämpfern« unter den Professoren verfasst worden sei. Die von Schoeps im Nachlass aufbewahrten Briefe lassen keinen Zweifel daran, dass gut 20 Jahre nach dem Untergang des nationalsozialistischen Dritten Reiches und seiner massenmörderischen, genozidalen antisemitischen Politik durchaus Koalitionen zwischen ehemals verfolgten Juden sowie ehemaligen Nationalsozialisten an den Universitäten bestanden – der Historiker und Philosoph Hermann Lübbe hat – nicht zuletzt unter Bezug auf etwa Max Horkheimer in Frankfurt – vom »kommunikativen Beschweigen« gesprochen. Diese Atmosphäre eines strittigen, »kommunikativen Beschweigens« wird zumal an jenem Projekt deutlich, mit dem Schoeps bereits 1948 ein neues Forschungsfeld eröffnen wollte, das Projekt der 1948 gegründeten »Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte«: An der Gründung dieser bis heute bedeutsamen Zeitschrift ist vor allem bemerkenswert, dass Schoeps und Benz gemeinsam die »Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte« gründeten – das erste Heft wurde 1948 ausgeliefert und sollte diesem Programm folgen: 236

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Als wissenschaftliche Fachzeitschrift wendet sie sich in erster Linie an den Theologen, Religionswissenschaftler und Historiker, darüber hinaus an jeden wissenschaftlich Interessierten, der die Geschichte der Menschheit unter religiösen, religionsphilosophischen und auch allgemein-wissenschaftlichen Fragestellungen betrachtet (…), S. 1.651

1948, als Schoeps sich mit dem Gedanken trug, Benz zum Mitherausgeber zu machen, lehrte dieser in Mainz. Hans Wenke wiederum, den Schoeps ebenfalls als Mitherausgeber vorgesehen hatte, scheiterte an Einwänden der Militärregierung, der Information Control Division, die einen Entnazifizierungsbescheid forderte. Wenke (1903–1971) wurde 1941 Professor für Psychologie und Pädagogik in Erlangen, um 1947 zunächst nach Hamburg, dann nach Tübingen zu gehen und 1963 Gründungsdirektor der Ruhr Universität Bochum zu werden. Schnell wurde bekannt, dass er sich in der NS-Zeit rassistisch geäußert hatte: »Maßstab für die Kraft und den Wert eines Volkes« liege »in der biologischen, d. h. rassischen Anlage und Substanz.« »Rassenpflege (ist) nicht nur eine berechtigte Forderung, sondern eine Notwendigkeit für die Zukunft des deutschen Volkes.«652 Der Historiker Gideon Botsch hat die komplexen Vorgänge um die Gründung und Finanzierung der »Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte« genauestens rekonstruiert653 und dargestellt, auf welch große Ablehnung die Förderung dieses Projekts in entsprechenden Gremien, etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gestoßen ist. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es Schoeps selbst gewesen ist, der die Gründung wieder in Gefahr brachte, und zwar durch seine – so Botsch – »politischen Leidenschaften«654: wurde doch bekannt, dass Schoeps um die Jahreswende 1951/52 konservative Juristen, Publizisten sowie gealterte Freideutsche nach Marburg eingeladen hatte, um mit ihnen – so Botsch – »die Aussichten des monarchischen Prinzips« zu diskutieren. In diesem Zusammenhang stand Schoeps nicht nur mit dem ehemaligen Staatsrechtler des »Großdeutschen Reiches«, Ernst Rudolf Huber, in Kontakt, sondern auch mit dem damals letzten »Chef« des Hauses Preußen, Louis Ferdinand, der sich hingegen als prinzipienfester Demokrat erwies, schrieb er doch Schoeps: Ich begrueße jede Bestrebung, die der Festigung der Demokratie in Deutschland diennt (…) Mein Hauptziel ist die Sicherung der persoenlichen Freiheit und des Rechts fuer jeden Staatsbürger. Ich stehe außerhalb aller politischen Parteien und muß daher auch unabhaengig bleiben von den Ihnen beabsichtigten Bestrebungen.655

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Dass Schoeps’ Mitherausgeber Ernst Benz ehemaliger Nationalsozialist war, wurde erwähnt. Benz, Jahrgang 1907, war zwei Jahre älter als Schoeps, schien aber die Problematik des Verhältnisses zwischen deutscher Geschichte und Nationalsozialismus intensiver verarbeitet zu haben als der jüdische Emigrant und Remigrant Schoeps. Als der Althistoriker Franz Altheim Schoeps auf die nationalsozialistische Vorbelastung des von Schoeps um Mitwirkung gebetenen Friedrich Cornelius hinwies, antwortete Schoeps in aller Kürze und eher abwehrend: »Seine etwas makabre Vergangenheit, ja, davon habe ich schon läuten hören. Ausschlaggebend ist, ob die Sachen, die er jetzt schreibt, gut sind oder nicht (…) Also wie gesagt: dieser Punkt lässt mich kalt.«656 Cornelius, geboren 1893, war in der NS-Zeit Ortsgruppenleiter der NSDAP in Garching, wirkte in der NS-Zeit am Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage und äußerte sich entsprechend antisemitisch.657 Gideon Botsch jedenfalls sieht die Ursache der Jahre währenden Auseinandersetzungen zwischen Schoeps und Benz weniger vor dem Hintergrund des wohl doch gestörten Verhältnisses zwischen einem, wenn auch sehr weit rechts stehenden, remigrierten Juden hier und einem ehemaligen Nationalsozialisten wie Benz denn in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Paradigmen der beiden Herausgeber: Während sich Schoeps mitsamt seinem Erlanger Lehrstuhl am Programm Diltheys, an seinem akademischen Lehrer Joachim Wach und damit einer historisch ausgerichteten Geisteswissenschaft orientierte, ging es Benz um eine durchaus theologisch inspirierte Geistesgeschichte, freilich unter bewusster Ausklammerung der ihm zu stark bekenntnisgebundenen, wesentlich von Karl Barth inspirierten »Dialektischen Theologie«. Mehr noch: Benz sah – so das Urteil von Botsch – »die Existenz der Zeitschrift dadurch bedroht, dass Schoeps seine öffentlich artikulierten politischen Leidenschaften und Ambitionen nicht hinreichend von seiner Herausgeberschaft der ZRGG abzusetzen verstand«.658 Es ist mehr als nur eine Randbemerkung, dass sogar der sonst so kritische Theodor W. Adorno keine Scheu hatte, im ersten Heft dieser Zeitschrift zu publizieren – und zwar mit einer Ergänzung zu seiner 18 Jahre zuvor, 1933 publizierten Arbeit über Kierkegaard. Das Inhaltsverzeichnis des dritten Jahrgangs der »Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte« vermerkt unter Teil A. der Abhandlungen: Adorno, Theodor W. Kierkegaards Lehre von der Liebe« auf S. 23. Der schwierige Weg, den Schoeps in der Weimarer Zeit gegangen war und nach dem Krieg wieder ging, fand indes durchaus den Zuspruch anderer deutscher Juden, etwa von Siegmund Weltlinger, dessen im Nachlass auf238

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bewahrtes Schreiben es verdient, ausführlich wiedergegeben zu werden. Der 1886 in Hamburg geborene Weltlinger wirkte in der NS-Zeit bis 1942 in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und überlebte ab 1943 dortselbst in einem Versteck. 1946 befreit, trat er der CDU bei und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin e. V., deren jüdischer Vorsitzender er wurde und bis 1970 blieb. Später, von 1959– 1967 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin wurde er sogar zu dessen Alterspräsident gewählt und ihm 1961 der Titel eines »Stadtältesten« verliehen. Weltlinger schrieb Schoeps im März des Jahres 1970 in Reaktion auf Schoeps’ Schrift »Die deutschen Juden und das Jahr 1933«: Sehr verehrter Herr Prof. Dr. Schoeps, Sie hatten es wahrlich nicht nötig, eine »Rechtfertigung« zu verfassen; Ihr ganzes Leben rechtfertigt sich von selbst. Über Angriffe solcher Art sind Sie erhaben. Das Schlimme dabei ist aber, daß der Herausgeber des »Tagesspiegel« sich dazu hergegeben hat, einen solchen Artikel zu schreiben; er beruht auf der Unkenntnis der damaligen Situation, die sich für deutsche Juden ergab, die fest im deutschen Kulturkreis verwurzelt waren. Diese mußten so denken und schreiben wie Sie damals. Ich selbst dachte damals genau wie Sie und trug mit Stolz das silberne Schild des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, bis dies verboten wurde. (…) Ich glaubte auch fest an Recht und Gesetz, bis die Tatsachen mich bald eines anderen belehrten. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Siegmund Weltlinger.

Der Verfasser dieses Briefs, Sigmund Weltlinger, war im Berlin der 1950er-Jahre mit einem Mann befreundet, der als einer der wenigen galt, die Juden gerettet hatten: Propst Grüber, zu Recht: War es doch Heinrich Grüber (1891–1975), der nach der Pogromnacht im November 1938 gehetzte jüdische Männer unterstützte und sogar versteckte: »Am 9. November«, so Grüber in der Erinnerung, »erlebte ich nachmittags in der Stadt, wie jüdische Menschen mißhandelt und ihre Geschäfte geplündert wurden. Abends im Kausldorfer Pfarrhaus sowie auch in den kommenden Tagen und Wochen versuchte ich mit Hilfe meiner Familie, meiner Vikarin und treuer Gemeindemitglieder aus der Bekennenden Kirche jene gehetzten Menschen, die bei uns anklopften, irgendwo unterzubringen. Nachts kamen die Verfolgten zu Dutzenden ins Haus: Menschen, die sich nicht trauten, in ihren Wohnungen zu bleiben. Sie wurden von uns vorwiegend in den Laubenkolonien im Norden und Osten von Kaulsdorf versteckt. Aber es fand damals keiner das entscheidende Wort. Die Menschen sahen zu, einige beiseite.«659

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1938 gründete Grüber mit seiner Frau das später von der Gestapo sogenannte »Büro Grüber«, dem es vor allem darum ging, Kirchenmitgliedern, auch Pfarrern, die nach Maßgabe der Nürnberger Gesetze nicht als »Arier« galten, die Ausreise in die Niederlande oder nach Großbritannien zu ermöglichen. Nach dem Krieg ließ sich ermitteln, dass Grüber dadurch etwa 1138 Menschen das Leben gerettet hatte. Indes: Wie zwiespältig sich der so couragierte Grüber gegenüber Juden, die Juden geblieben waren, verhielt, geht aus seiner Haltung zu einer Gedenkstätte an den Holocaust in jener Villa am Wannsee, in der dieses Verbrechen geplant wurde, hervor. Als Mitte der 1960er-Jahre der jüdische Historiker Joseph Wulf, der sich später umbrachte, die Idee zu einer solchen Gedenkstätte entwickelte, sprach sich Grüber gegen dies Unternehmen aus und votierte in einem Schreiben an den damals Regierenden Bürgermeister Willy Brandt dafür, die Wannseevilla als Schullandheim zu belassen; zudem wurde jetzt deutlich, wie stark seine antisemitischen Vorurteile waren: So schrieb er 1960 an r, den Pressechef der Berliner Senatskanzlei: Ich kann nur sagen, daß ich, je länger die Diskussion geführt wird, umso weniger Freude hätte, mit Herrn Wulf zusammen zu arbeiten. Die Art und Weise, wie er gegen alle Menschen intrigiert, die seine Pläne nicht fördern, ist für ihn typisch. Vor einigen Tagen sagte mir ein älterer Herr, der aus einer angesehenen jüdischen Familie stammt: »Viele von diesen aus Galizien stammenden Menschen haben schon vor 33 mit dazu beigetragen, zum Anwachsen des Antisemitismus in Deutschland«.660

Dem jüdischen Theologen Richard L. Rubenstein gegenüber äußerte Grüber 1961 gar, »daß es Gottes Wille gewesen sei, Adolf Hitler zu senden, um das europäische Judentum auszurotten«.661

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9 Rückschau  

Als Hans-Joachim Schoeps seine schwierige Rückkehr nach Deutschland plante, bereitete der ihm gewiss noch aus dem schwedischen Exil mindestens namentlich bekannten Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer den ersten Frankfurter Auschwitz Prozess vor, der am 20. Dezember 1963 eröffnet wurde. Freilich deutet auch nach neuesten Forschungen nur wenig darauf hin, dass Schoeps und Bauer im schwedischen Exil nur oberflächlich voneinander gehört haben – wenngleich diese beiden zu den nur wenigen emigrierten Juden gehörten, die darauf brannten, nach dem Krieg nach Deutschland zurückzukehren.662 So führten Schoeps’ Wege zunächst nach Marburg, wo er sich bei dem Religionswissenschaftler Friedrich Heiler (1892–1967) habilitierte, um bald darauf, noch im selben Jahr, 1947, auf die eigens für ihn eingerichtete Professur für Religions- und Geistesgeschichte berufen zu werden, die er von 1950 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1977 innehatte und deren Wirksamkeit und Strahlkraft er ein Jahr später, 1948, durch die Gründung der bis heute existierenden »Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte« deutlich verstärkte. Der Gründung der Zeitschrift folgte zehn Jahre später die Gründung der »Gesellschaft für Geistesgeschichte«. Gleichwohl war Schoeps in Erlangen keine unumstrittene Gestalt, zumal in den Jahren der Studentenbewegung sollten dort – wie schon oben erwähnt – harte Konflikte auf ihn zukommen. Das musste bei einem Autor nicht verwundern, dem »progressive Theologie« sowie die damalige außerparlamentarische Opposition – die »APO« – zutiefst zuwider waren, da sie in jeder Hinsicht all seinen Grundintuitionen zuwiderliefen: Allen utopistischen Fortschrittsgläubigen gegenüber haben wir Konservativen zu betonen: die Gleichheit aller Menschen gilt immer nur vor Gott, in der Welt aber ist die Rückschau

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Ungleichheit der Menschen etwas Natürliches, das sich auch in den Institutionen ausdrücken muss.663

Dieses Bekenntnis legte Schoeps im März 1969 ab, als er den Preis der »Deutschlandstiftung e. V.«664 entgegennahm, einer 1966 von dem Publizisten Kurt Ziesel gegründeten nationalkonservativen Organisation, die sich die »konservative Erneuerung des geistigen, kulturellen und politischen Lebens« zum Ziel gesetzt hatte. Als erster Preisträger wurde vor ihm 1967 der ehemalige Privatsekretär Ernst Jüngers und Historiker der von ihm sogenannten »Konservativen Revolution«, Armin Mohler, benannt, weitere Preisträger waren u. a. Arnold Gehlen, Gerhard Löwenthal (1975), Hans Habe (1977), Otto von Habsburg (1977), Christa Meves (1979), Gertrud Höhler (1988) sowie Michael Wolffsohn (1992), Helmut Kohl (1994),Wolfgang Schäuble (1998) sowie im Jahr 2000 Ernst Nolte. Der Gründer, Kurt Ziesel – 1911 in Innsbruck geboren –, war ein ehemaliger Nationalsozialist und als solcher ab 1935 Schriftleiter der NSDAP gehörenden »Westfälischen Landeszeitung«, nach diversen anderen regimenahen publizistischen Tätigkeiten war er nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 seit 1939 als Schriftleiter des »Neuen Wiener Tageblatts« tätig, nach seinem Einzug zur Wehrmacht 1940 schließlich als »Sonderführer« Kriegsberichterstatter sowie Angehöriger der »Berichterstaffel« beim Oberkommando des Heeres.665 Nach dem Krieg verhehlte Ziesel nie und zu keiner Zeit sein eigenes Engagement für den Nationalsozialismus, kritisierte aber vor allem bundesrepublikanische Journalisten und Publizisten, die sich im Tausendjährigen Reich zum Erbrechen militaristisch, nationalistisch, antijüdisch betätigt haben – obwohl sie nach ihren eigenen Aussagen immer dagegen waren – und die diesen bereitwilligen Verkauf ihrer journalistischen Würde heute damit kompensieren, daß sie gegen jene pharisäische Feldzüge führen, die damals reinen Herzens an das glaubten, was sie taten und schrieben.666

Womöglich, belegt ist das bisher nicht, war es diese Haltung, die Schoeps imponierte und ihn bewog, diesen Preis anzunehmen. Das war im November 1969 – jenem Jahr, als zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die SPD unter Führung eines anderen ehemaligen Emigranten aus Skandinavien, Willy Brandt, in einer sozialliberalen Koalition im Oktober des Jahres die Regierung übernommen hatte. Offensichtlich davon überzeugt, dass CDU/CSU alleine dem sozialliberalen Zeitgeist nichts entgegenzusetzen hätten, war Schoeps darüber hinaus wesentlich an der Gründung und publi242Rückschau

zistischen Werbung für das Projekt einer »Konservativen Sammlung« beteiligt, die 1970 auf einer Mitgliederversammlung in Hannover gegründet, »konservatives Ideengut in Wort und Schrift«667 fördern sollte. »Die Konservative Sammlung«, so Schoeps, »leistet Widerstand gegen die auflösenden Tendenzen des gegenwärtigen Zeitgeistes, vor allem gegen das einseitig nur auf materielle Güter gerichtete Wohlstandsdenken, dem gegenüber sie an das einstige preußische Staatsethos erinnert.«668 Diese Programmatik publizierte Schoeps in Anzeigen des Springer Verlages, der »Welt am Sonntag« am 18. Januar 1970, der »Welt« am 19. Januar sowie ebenfalls am 19. Januar in der »BILD-Zeitung«. Einige Wochen später, auf der Mitgliederversammlung der Bewegung in Hannover äußerte sich ihr Inititiator dann durchaus skeptisch – sei doch der konservative Mensch ein Pragmatiker und nüchterner Realist. Indem sich Schoeps auch hier wieder zu Preußen bekannte, wiederholte er sein Eintreten für die Monarchie, wohl wissend, dass deren Wiedererstehen vorläufig nicht zu erwarten sei. Jenseits allen Optimismus oder Pessimismus aber gelte es, Widerstand zu leisten, und sei es nur dadurch, dass konservative Menschen, die am gleichen Ort leben, sich zusammentun. Schoeps beendete diese Rede mit Worten aus einem Brief, der der von ihm hochgeschätzte preußische Altkonservative Ernst Ludwig von Gerlach 1870 dem ihm bekannten Erweckungstheologen August Tholuck669 geschrieben hatte: Freiheit, Gleichheit, Humanität, Fortschritt sind auch große christliche Wahrheiten, ohne die sich die noch höheren Wahrheiten: Pietät, Autorität, Obrigkeit von Gottes Gnaden nicht realisieren werden. Wir sollten der Revolution immer mit Rechtsideen, nie mit bloßer Interessenbewahrung und Sicherheitsdenken entgegentreten. Die ewige Wahrheit liegt ebensosehr vor uns als hinter uns.670

Damit immerhin ist ein höchst anspruchsvolles, auf den ersten Blick paradox wirkendes Programm genannt, dessen Einlösung ganz erhebliche argumentative Begründungspflichten mitbringt – Begründungspflichten, die auch S­ choeps so nie einlösen konnte. Wäre doch demnach zuerst zu entfalten, wie eine politische Ordnung, die auf Freiheit und Gleichheit beruht, als notwendige Bedingung von Autorität und Obrigkeit von Gottes Gnaden möglich sein soll. Nimmt man von Gerlach an dieser Stelle wörtlich, so läuft sie auf nichts weniger hinaus denn als auf eine radikaldemokratische Entscheidung für eine Theokratie – und zwar so, dass der Volkswille letztlich Gottes Willen zum Ausdruck bringt. Tatsächlich behauptet Schoeps, dass von Gerlach ein Stück alttestamentlichen Rückschau

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Judentums vorlebe – ein Rest Judentum, das jedenfalls Friedrich Julius Stahl habe zurückschrecken lassen. Ernst Ludwig von Gerlach kritisierte gemäß ­Schoeps Stahl dafür, die christliche Offenbarung auf eine Verheißung individuellen Seelenheils verkürzt zu haben. Im selben Zusammenhang sollte Schoeps ein halbes Jahr später, auf einem »Konservativen Konvent« in Kassel im November 1970 dafür werben, in der CDU einen »Konservativen Arbeitskreis« zu gründen mit dem Zweck, den »Linkstendenzen in der Unionspartei«671 etwas entgegenzusetzen. Freilich musste Schoeps bald einsehen, dass das geplante Unternehmen in Vereinsmeierei zugrunde ging, weswegen sich die »Konservative Sammlung« nach einigen Wochen wieder auflöste. Nicht ohne Selbstmitleid setzte er sich bald darauf, 1963, mit »Hetzern und Fälschern« auseinander, kurz mit Journalisten und Publizisten, die ihm immer wieder seine Anbiederung an den Nationalsozialismus in den Jahren zwischen 1935 und 1938 vorhielten.672 Daher waren seine letzten zehn Lebensjahre vor allem dem Ziel gewidmet, die von ihm so verehrte preußische Staatsidee historisch und systematisch zu rechtfertigen, vor allem durch historische Arbeiten wie die 1970 erschienene Studie »Der Weg ins deutsche Kaiserreich«673, sodann die kritische Auseinandersetzung mit Bismarck, den Schoeps durchaus skeptisch betrachtete, in dem zuerst 1972 erschienenen Buch »Bismarck über Zeitgenossen. Zeitgenossen über Bismarck«.674 Postum erschien 1981 sein letztes Buch »Das andere Preußen«675, von dem der Herausgeber, Kurt Töpner mitteilt, dass Schoeps es bereits 1939 begonnen habe und eine erste Auflage 1952 erschienen sei. Dieses von ­Schoeps so geschätzte Preußen sei durch eine konservative Rechtsidee, den Ideengehalt preußischer Außenpolitik bis zum Krimkrieg ebenso gekennzeichnet gewesen wie durch die lutherische Hochorthodoxie. Töpner räumt ein, dass »dies andere Preußen« nach Schoeps’ Überzeugung durchaus nicht das »wahre Preußen« gewesen sei, indes: Es war aber nach seiner Überzeugung »das geistigste Preußen, das es je gab« und ist Bestandteil einer gerechten Würdigung Preußens. In diesem Buch wird dargestellt, wie es zwischen 1840 und 1860 um Gestalt rang.676

Es war dies ein letzter Versuch, sich noch einmal des eigenen Selbstverständnisses zu versichern, eines Selbstverständnisses, das sich nicht mehr – nach der Ermordung von sechs Millionen europäischer Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, durch die Exekutive und Zuarbeit hunderttausender Deutscher – wie bis in die 1930er-Jahre auf »Deutschland« beziehen konnte. 244Rückschau

An die Stelle »Deutschlands« traten nun Preußen und seine Monarchie, ein Staat und eine Regierungsform, die Schoeps im Rückblick als ebenso konservativ wie autoritär, aber eben auch als nicht deutschnational, nicht völkisch ansah – als ein zutiefst konservatives Regime, das aber dennoch »geistigen« Werten verpflichtet war. Schoeps war keineswegs der einzige deutsche Jude, der sich einer historischen Würdigung Preußens verpflichtet war – erst in jüngster Zeit sind Leben und Werk von Selma Stern wieder zur Bekanntheit erweckt worden. Selma Stern (1890–1981) gilt heute als erste Frau in der »Wissenschaft des Judentums«, und es war sie, die schon in der Weimarer Republik – seit 1920 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie für die Wissenschaft des Judentums – in Berlin bereits 1925 einen ersten Band zum Thema »Der preussische Staat und die Juden« vorlegte, die nach unruhigen Wanderjahren 1938 im Berliner Schocken Verlag den zweiten Band des Preußen-Werkes vorlegte, 1941 in die USA emigrierte, um 1960 mit ihrem Mann, Eugen Täubler, nach Europa, in die Schweiz, zurückzukehren. Ihr Werk »Der preussische Staat und die Juden« erschien in drei Teilen zu insgesamt sieben Bänden zwischen 1925 und 1975.677 Im Folgenden wird zu prüfen sein, ob Schoeps’ sehr frühe Rekonstruktion der preußischen Geschichte dem standhält, was nicht nur die deutsche Geschichtswissenschaft seither zu dieser Thematik geforscht hat. Insbesondere wird es dabei um die Frage gehen, ob Preußen – jedenfalls vor Bismarck – wirklich jener Staat war, den Schoeps sich Zeit seines Lebens erträumte, ein – wenn das überhaupt möglich ist – im besten Sinne autoritäres, aber eben doch in keiner Weise nationalistisches Staatswesen – wofür in seiner Perspektive die preußischen Altkonservativen, vor allem die Gebrüder Gerlach standen. Schoeps hat sich seit seiner Emigration, frühestens seit 1939, mit Preußen und seiner Geschichte befasst. 1952 jedenfalls erschien in erster Auflage das Werk »Das andere Preußen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelm IV., das in dritter Auflage – in mancher Hinsicht verändert – also 1964 erschien.678 Im gleichen Jahr erschien die Studie »Unbewältigte Geschichte. Stationen deutschen Schicksals seit 1763«679, auf welche wiederum 1968 das Werk »Preußen. Geschichte eines Staates« folgte.680 1970 dann wollte sich Schoeps darüber klar werden, wie aus jenem Preußen der deutsche Nationalstaat wurde: 1970 publizierte er die umfangreiche Studie »Der Weg ins deutsche Kaiserreich«681. Die Studien über den Weg Preußens zu und nach Deutschland wurden durch Untersuchungen zu Bismarck, zu dem Schoeps stets eine ambivalente Haltung hatte, abgeschlossen: »Bismarck über Zeitgenossen. Zeitgenossen über Bismarck«682 erschien 1972. Rückschau

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Im Vorwort zur dritten Auflage von »Das andere Preußen« schrieb der Verfasser, dem es offensichtlich um eine Rehabilitation des damals dämonisierten Preußen ging: Als dieses Buch erstmals vor zwölf Jahren erschien, stand Preußen im Tiefpunkt seiner Geltung. Der alliierte Kontrollrat hatte mit dem Gesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 den Staat Preußen für aufgelöst erklärt, weil er »seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen« sei. Dieses ungerechte und falsche Verdikt bestimmte mich dazu, die Vertreter eines anderen Preußens, das der deutschen wie der internationalen Öffentlichkeit ganz fremd und unbekannt geworden war, aus der unverdienten Vergessenheit herauszuholen. Es könnte sein, daß das neugewonnene Bild manchen Feinden und Freunden Preußens nicht recht ins Konzept passt. Aber der preußische Konservativismus des 19. Jahrhunderts war eine durchaus geschichtsmächtige Erscheinung, auch wenn ihm politisch nur wenig Erfolg beschieden war.683

Der Autor räumt in diesem Vorwort immerhin ein, manches anders zu bewerten als noch 1952, da er durch eine Edition mit Schriften der Gebrüder Gerlach deren geistige und religiöse Entwicklung besser zu verstehen meint – wenngleich er einräumt, dass jedenfalls Ernst Ludwig von Gerlach niemals die Schranken eines »geistesgeschichtlichen Doktrinarismus« durchstoßen habe – was den Autor dann auch zu einer ausgewogeneren Bewertung der Gestalt Bismarcks führt. Dennoch ging es Schoeps letztlich darum, die Jahre des Königstums Friedrich Wilhelms IV., die nach dem Geschichtsbild kleindeutscher Historiker als »eine schwache und eigentlich beklagenswerte Epoche« gelten, zu rehabilitieren, und zwar genau deshalb, weil es fehlerhaft sei, Geschichte nur nach dem Kriterium politischen Erfolges zu betrachten – auch, so Schoeps »wenn ich dem nationalliberalen Preußenbild eine gewisse Berechtigung zuzugestehen geneigt bin«.684 Auffällig an diesem Vorwort ist aus heutiger Sicht, dass der Jude Hans-Joachim Schoeps an den von ihm behandelten Kreisen preußischer Altkonservativer ihr Bemühen hervorhebt, Überlegungen zum Gespräch und zur Verständigung zwischen Protestanten und Katholiken angestellt zu haben, es also um die »jahrhunderte alte Geschichte ökumenischer Bestrebungen«685 gehe. Die von Schoeps wiederentdeckten Gebrüder von Gerlach zählten insgesamt vier Personen – Ludwig von Gerlach, ein Oberlandesgerichtspräsident, galt ihm als bedeutendster Theoretiker. Ludwig von Gerlach (1795–1877) reagierte politisch auf die misslungene Revolution von 1848, gründete gemeinsam mit Friedrich Julius Stahl die »Neue Preußische Zeitung«, die später in »Kreuzzeitung« 246Rückschau

umbenannt wurde, und war seit 1849 Mitglied der ersten Kammer und des Preußischen Landtages und bekämpfte sowohl absolutistische als auch vor allem demokratische Tendenzen. Als Gegner sowohl des Krieges gegen Österreich 1866 als auch Gegner des antikatholischen Kulturkampfes wurde er Mitglied der (katholischen) Zentrumspartei, wurde eines Bismarck kritisierenden Aufsatzes wegen »Verächtlichmachung der Obrigkeit« angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt, um 1877 in Hannover zum Reichstagsabgeordneten der Welfenpartei gewählt zu werden. Er starb 1881 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Hans-Joachim Schoeps charakterisierte ihn so: Alles in allem war Gerlach ein weniger historisch als systematisch orientierter Geist, jedoch kein Mann der objektiven Wissenschaft (…). Im letzten muß er wohl als systematischer Theokrat gesehen werden, seines Zeichens wohl der einzige in der modernen Geschichte. Er glaubte an das Reich Gottes und betrachtete es als ein politisches System; er sah auf das Treiben des Tages und hielt ihm die ewigen Forderungen Gottes entgegen – als politische Parolen. Nur von dieser Erkenntnis aus erschließt sich das Verständnis des Mannes und seines Wirkens. Jede nur politisch-historische Kritik versagt demgegenüber, weil es ihm um Metapolitisches ging, um etwas, das mehr als Geschichte ist.686

Auf jeden Fall: Wollte man Schoeps’ Auseinandersetzung mit Preußen systematisch vor dem Hintergrund all seiner bisherigen wissenschaftlichen und intellektuellen Anstrengungen rekonstruieren, so zeigt sich erstens, dass die autoritär-barthianische Theologie seiner Anfänge nun ihre politische Form gefunden hat: Ausdruck einer akzeptierten autoritären Politik ist nun der preußische Staat, der freilich erst unter Friedrich Wilhelm IV. jene Form gefunden hat, in der Schoeps die von ihm angestrebte politische Ordnung verwirklicht sah. Darüber hinaus wechselte der jetzt mehr als 30 Jahre alte, aus der Emigration zurückgekehrt, die Perspektive seines Arbeitens: Aus einer weitgehend existenziell und theologisch geprägten Teilnehmerperspektive wird nun eine geistesund religionswissenschaftliche Beobachterperspektive, während das Interesse an jüdischen und christlichen Theologumena einer Zuwendung zur Geschichte Preußens weicht. Damit sind jedoch Schoeps’ Teilnehmerperspektiven keineswegs erschöpft: Vielmehr dienen ihm die historischen Forschungen nun dazu, ein politisches Programm zu vertreten, das im besten Sinne »konservativ« zu nennen und im Kern durchaus von einem systematischen Misstrauen gegen die moderne Demokratie beseelt ist – ohne dabei für die gesellschaftlichen Entwicklungen der Moderne im Allgemeinen und speziell im nachnationalsozialistischen Deutschland blind zu sein. Rückschau

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Systematisch am deutlichsten hat sich Schoeps in dem erstmals 1964 publizierten Buch »Unbewältigte Geschichte. Stationen deutschen Schicksals seit 1763«687 zur Bedeutung der preußischen Idee vor dem Hintergrund der neueren deutschen Geschichte geäußert. Tatsächlich erkennt er in der von ihm stets ambivalent betrachteten Reichsgründung Bismarcks von Anfang an Hypotheken, die sich langfristig negativ auswirken sollten: der Kulturkampf gegen die katholische Kirche, die antisozialdemokratischen Sozialistengesetze sowie Bismarcks Verachtung des Parlaments, des Deutschen Reichstages – Tendenzen, die schließlich in der missglückten Amtsführung von Kaiser Wilhelm II. ihren Ausdruck fanden. Doch ging beides – sowohl die fatalen Fehler der Bismarck’schen Politik als auch die Regierungspraxis Wilhelms II. – auf ein Grundübel zurück, das einer von Schoeps zunächst durchaus kritisch betrachteten intellektuellen Köpfe der preußischen Konservativen, nämlich Friedrich Julius Stahl, schon früh festgehalten hatte. Denn »das Schwinden der Ehrfurcht«, so Schoeps 1964 (!), »und der devotionalen Gefühle seither gehört zu den am meisten alarmierenden Merkmale der revolutionären Veränderung. Wie recht hat doch Friedrich Julius Stahl, der erste Theoretiker der Staatslehre des monarchischen Prinzips in Preußen, mit der Feststellung gehabt: ›Nicht bloß muß Ehrfurcht sein, damit Staat und Obrigkeit bestehen, sondern auch umgekehrt, Staat und Obrigkeit bestehen, damit Ehrfurcht sei. Ehrfurcht ist aber nicht möglich vor einer Obrigkeit, die unser eigen Geschöpf ist und das gehorsame Werkzeug unseres Willens‹.«688 Schoeps hat diesem Friedrich Julius Stahl in seinem schon 1952 publizierten Buch »Das andere Preußen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelm IV«.689 die eine oder andere Beobachtung gewidmet – nicht zuletzt den persönlichen Voraussetzungen dieses Staatsdenkers. Dann aber erfährt man, dass Stahl als bayerischer Jude geboren wurde und Zeitgenossen ihm unterstellten, seinen Begriff vom Staat im Sinne eines »anschaulich geschauten jüdischen Tempelstaates« gefasst zu haben und dies wesentlich Ausdruck der Weltanschauung eines in der Diaspora lebenden Juden gewesen sei – ein Umstand, der nicht zuletzt auch in seinen guten Kenntnissen und starken Interessen am Katholizismus zum Ausdruck kam. Um wen aber handelte es sich bei Stahl? 1802 als Sohn des jüdischen Ehepaares Babette und Valentin Jolson im Jahre 1802 in Würzburg als Joel Julius Jolson-Uhlfelder geboren, wuchs er ab 1805 im Hause seines Großvaters, des Vorstehers der Münchner jüdischen Gemeinde auf, um nach dem Besuch von Gymnasium und Lyzeum und einem besonders guten Abitur Lateinlehrer zu werden. Indes: Juden wurden damals in Bayern zu diesem Studium nicht zugelassen, weshalb er sich entschloss, zum evangelischen Glauben zu kon248Rückschau

vertieren. Um seine Eltern nicht zu beschämen und auf deren Wunsch geschah dies fern von München im November 1819 in Erlangen. Fortan nannte er sich: Friedrich Julius Stahl. Stahl begann im Wintersemester 1819/20 mit einem Studium der Rechtswissenschaft und wurde Mitglied einer Burschenschaft. 1821 setzte Stahl sein Studium erst in Heidelberg, dann in Erlangen fort, wurde 1824 seiner burschenschaftlichen Aktivitäten wegen relegiert, um sich nach seiner Rückkehr in München der Hegel’schen Rechtsphilosophie zuzuwenden, um endlich 1826 in Würzburg mit einer rechtstheoretischen Arbeit promoviert zu werden. Schon vorher, 1824, waren seinem Beispiel folgend auch seine Eltern und Geschwister zum evangelischen Glauben konvertiert. Nachdem er sich 1827 in München habilitiert hatte und zum Privatdozenten ernannt wurde, las er dort über rechtsphilosophische Themen. 1832 erst zum außerordentlichen Professor in Erlangen, dann kurz darauf zum ordentlichen Professor in Würzburg ernannt, lehrte schließlich in Erlangen Kirchenrecht, Staatsrecht und Rechtsphilosophie im Geiste der lutherschen Orthodoxie. 1840 wurde er auf Wunsch Friedrich Wilhelms IV nach Berlin in der Absicht berufen, den Rationalismus der Hegel’schen Philosophie zu bekämpfen. Mehr noch: In einem Gutachten der juristischen Fakultät sprach er sich gegen die Ernennung von Juden zu Dozenten aus. 1848 wegen seines Konservativismus Gegenstand einer Petition von Berliner Professoren und Privatdozenten, ihn abzusetzen, wurde erschließlich zum Mitgründer einer Konservativen Zeitung und der »Conservativen Partei«. 1854 vom König zum lebenslangen Mitglied des preußischen Herrenhauses ernannt, votierte gegen die kleindeutsche Lösung der der nationalen Frage unter preußischer Führung. Von 1852–1856 war er Mitglied des altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrates und setzte sich für einen normativen Autoritarismus der Kirchenverfassung ein – was manche auf die Einwirkungen des von ihm in Würzburg erfahrenen Katholizismus zurückführten. Von labiler Gesundheit verstarb er 1861 bei einer Kur in Bad Brückenau und wurde chließlich auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchof in Berlin beigesetzt. 2005 entzog der Berliner Senat diesem Grab den bis dahin bestehenden Status als Ehrengrab ob »fehlender Voraussetzungen«. Stahl setzte sich von Hegel und dessen Rechtsphilosophie ab, weil sie sich nicht als »Wissenschaft des Gerechten« verstand. Der geschichtliche Verlauf, die reelle Beschaffenheit der Menschen ist das Gericht über die Motive aller Philosophie, und sohin über diese selbst. (…) es fragt sich bei jedem Systeme nicht sowohl, welche Einrichtungen es für gerecht erkläre, als was ihm das Gerechte sey, und woher es die Kentniß derselben schöpfe.690 Rückschau

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Stahl präsentierte in seinen auch von der historischen Rechtsschule Savignys geprägten Studien gleichwohl – gegen Hegel – den Gedanken eines letztlich von einem persönlichen Gott eingesetzten Staates: So ist der Staat der Leiter der göttlichen Einflüsse auf den äussern Zustand der Menschen. Er soll ihn an Gottes Statt ordnen, fördern, Verletzung der Ordnung strafen, eben damit aber auch den den sittlich vernünftigen Willen der menschlichen Gemeinschaft bewähren, d. i. ihren Gehorsam, Gottes Ordnung aufzurichten und zu handhaben.691

Es waren diese Gedanken, die auch Hans-Joachim Schoeps mehr als 100 Jahre später und auch nach der Katastrophe des Nationalsozialismus dazu brachten, Stahl zustimmend zu zitieren: Die Revolution macht den Menschen zum Ursprung und Mittelpunkt der sittlichen Weltordnung, sie macht die Untertanen zu Herren ihrer Obrigkeit; sie verkündet die Menschenrechte ohne die Pflichten und den Beruf der Menschen; sie läßt den ganzen Sündenschlamm der Volksleidenschaft emporsteigen zur Höhe der Gewalt.692

Schoeps verweist in diesem Zusammenhang auf »Exzesse der Volksherrschaft«, um dafür zu plädieren, dass den Repräsentationen des Volkswillens Ordnungsmächte anderer Herkunft gegenüberstehen, die diesen eine Grenze setzen mögen. Es sind diese Erfahrungen, nicht zuletzt die Erfahrungen des Nationalsozialismus, der ja – wenn man so will – auf demokratischem Wege an die Macht gekommen ist, die Schoeps dazu motivieren als einer der letzten Professoren auf deutschen Lehrstühlen für die Wiedereinsetzung der Monarchie zu plädieren – bei alledem dürfte das biographische Moment, ausgerechnet in Erlangen, wo Friedrich Julius Stahl gelehrt hatte, keine geringe Rolle gespielt haben – auch sollte darauf verwiesen werden, dass es gewiss kein Zufall war, dass er einen seiner Söhne Julius nannte. Indes: So konservativ Friedrich Julius Stahl auch war, so wenig rettete das diese historische Gestalt vor antisemitischen Anfeindungen – nicht zuletzt durch den bedeutenden, entschieden pronazistischen Staatsrechtler Carl Schmitt, der Stahl immer wieder als »Stahl-Jolson« bezeichnete, so in einem Brief an Ernst Jünger vom Mai 1935.693 Auch in seiner erstmals 1938 erschienenen Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes’ »Leviathan«, in der Schmitt Stahl dafür kritisierte, den Begriff des Rechtsstaats vor allem durch seine Verfahrensweise, nicht durch seine Inhalte zu charakterisieren. 250Rückschau

Stahl-Jolson« (…) rühmt daher, was von seinem Standpunkt aus begreiflich ist, die von Thomasius begründete Unterscheidung von Moral und Recht, die er als »einen wesentlichen Fortschritt« bezeichnet, der »die Trennung der beiden Gebiete für immer gesichert« habe, sodass »innerer und äußerer Friede, Erzwingbarkeit des Rechts und Nichterzwingbarkeit der Ethik nach allen Beziehungen hin abgegrenzt werden.694

Mehr noch: Carl Schmitt sieht in Stahl geradezu den »Kühnsten« in einer Reihe junger, emanzipierter Juden, die sich anschicken, »in die europäischen Nationen« einzudringen: die Rothschild, Marx, Börne, Heine sowie Meyerbeer. »Stahl-Jolson«, so Schmitt beinahe bewundernd, »ist der Kühnste in der jüdischen Front. Er dringt in den preußischen Staat und in die evangelische Kirche ein. Ihm dient das christliche Sakrament der Taufe nicht nur, wie dem jungen Heine, als ›Entreebillet‹ zur ›Gesellschaft‹, sondern als Ausweis zum Eintritt in das Heiligtum eines noch sehr soliden Staates. Aus hohen Amtsstellungen heraus kann er den innersten Kern dieses Staatswesens, Königtum, Adel und evangelische Kirche, ideologisch verwirren und geistig paralysieren. (…) Stahl-Jolson arbeitet hier in der Gesamtlinie seines Volkes, in dem Doppelwesen einer Maskenexistenz, die umso grauenhafter wird, je mehr er verzweifelt ein anderer sein will als er ist. Was dabei in seiner Seele«, so Schmitt unter Hinweis auf den Umstand, dass Stahls Neffe alle Briefe seines Onkels verbrannt habe, »oder in seinem innersten Bewußtsein vor sich ging, ist uns unzugänglich, für den großen Gang dieser politischen Wirklichkeit aber auch unwesentlich. In der folgerichtigen Weiterführung der großen geschichtlichen Linie, die von Spinoza über Moses Mendelssohn in das Jahrhundert des ›Kon­ stitutionalismus‹ führt, hat er sein Werk als jüdischer Denker jedenfalls getan und, um im Bilde zu bleiben, sein Teil dazu mitgewirkt, einen lebenskräftigen Leviathan zu verschneiden.«695 Carl Schmitt – darauf wurde verwiesen – korrespondierte mit Ernst Jünger: beide hatten sich 1930 in Berlin kennengelernt, und es dürfte mehr als ein Zufall sein, dass sich Jünger schon Jahre früher in ähnlicher Weise, wenn auch in einem anderen Kontext, zu Juden und Judentum geäußert hatte. Kein Zufall sei es, so vermutet der Biograph Ernst Jüngers, Helmut Kiesel, dass der im September 1930 publizierte Artikel Ernst Jüngers »Über Nationalismus und Judenfrage«696 von Schmitt und dessen Überlegungen zu Stahl geprägt sei.697 In diesem Beitrag geht Jünger gleich zu Anfang auf Stahl ein, als jemand, der als Jude auf die »Reparatur der staatsrechtlichen Grundlegung der legitimen Mächte« Einfluss ausgeübt habe.698 In gewisser Weise widerspricht Jünger Schmitt, wenn er einwendet, dass »der Jude nicht der Vater, sondern der Sohn des LiberalisRückschau

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mus« sei.699 In Anlehnung an Thomas Manns in den »Betrachtungen eines Unpolitischen« verwendeten Begriff des »Zivilisationsliteraten« schreibt Jünger hier vom »Zivilisationsjuden«, der durch den Liberalismus, diese »große Unabhängigkeitserklärung des Geistes«,700 geprägt worden sei. Daher komme alles darauf an, »den Juden« in seiner Gestalt zu identifizieren – auch und gerade dort, wo er einen »vorletzten Versuch unternimmt, die alte Stellung zu halten«.701 Nämlich, sich an Versuchen legitimistischer Restauration zu versuchen, jedoch: Im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbarer werden, und der wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder Jude zu sein oder nicht zu sein.702

Schon einige Zeilen früher hatte sich Jünger exakt jener Semantik bedient, die auch Schmitt im Zusammenhang mit Stahl verwendet hatte – der »Maske«. Nach Schmitt führte Stahl eine Maskenexistenz, Jünger aber schrieb 1930: In dem Augenblicke jedoch, in dem der Jude als eine eigentümliche und eigenen Gesetzen unterworfene Macht unverkennbar wird, hört er auf, am Deutschen virulent und damit gefährlich zu sein. Die wirksamste Waffe gegen ihn, den Meister aller Masken, ist: ihn zu sehen.703

Die Ausgabe der »Süddeutschen Monatshefte«, in denen Jünger diese Sätze äußerte, war ohnehin keiner anderen Frage als der sogenannten »Judenfrage« gewidmet – ein Heft, in dem in heute unvorstellbarer Weise, bewusste Jüdinnen und Juden sowie diskussionsbereite, erklärte Antisemiten gleichrangig zu Wort kamen. Schoeps jedenfalls war Mitglied des konservativen Juniklubs, dem Schoeps’ Sohn Manfred 1974 eine Dissertation widmete.704 Der Gedanke liegt nicht fern, dass die aktive Beteiligung einiger Juden – nicht zuletzt von Hans-­ Joachim Schoeps – im jungkonservativen Milieu diese Polemik von Schmitt und Jünger provozierte, und dies dem Umstand zum Trotz, dass gerade Schoeps in beinahe identischem Tonfall wie Jünger das Programm eines »heroischen Realismus« propagierte. In dem erstmals 1964 erschienenen Band »Unbewältigte Geschichte«705 zitiert sich Schoeps selbst nach einem Beitrag in einer – wie er selbst einräumt, »wenig beachteten Zeitschrift«. (…) Daß diese mehr oder minder verärgerten oder verbitterten Volksschichten (Sozialrentner, Kleinbürger, proletarisierter Mittelstand, M. B.) nationalsozialistisch wählen,

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ist (…) nicht sonderlich wichtig, wohl aber, daß die Jugend – und nicht immer die schlechteste – zu den Fahnen Adolf Hitlers strömt.706

Eine entsprechende Formulierung findet sich übrigens beinahe wortgleich bei dem politisch in jeder Hinsicht Schoeps so fern wie nur möglich stehenden Ernst Bloch: Dennoch weiß von dem ganzen noch nichts, wer nur dieses weiß. Denn abgetrennt von den scheußlichen Gaffern und Mittätern glüht im Kern neue Jugend, ein sehr kräftiges Geschlecht. Siebzehnjährige brennen Hitler entgegen, von ehrmals, öde, im Glück der Bügelfalte schwelgend, sind nicht mehr zu erkennen, es hämmert ihr Herz. Der alte Burschenschafter steht wieder auf, Schills Offiziere, wiedergeboren, finden in Schlageter ihren Bruder, heldische Bünde mit allen Zeichen irrationaler Verschwörung sammeln sich unter einem geheimen Licht.707

Indem Schoeps sich – hier nahe bei Bloch – fragt, warum diese Jugend nicht zur Republik steht, verweist er auf eine Jugend, die nach Ideen und Symbolen suche, für die ein opferreicher Einsatz möglich sei: (…) ihr Instinkt sagt ihr nur zu deutlich, daß der republikanische Staat von heute bzw. die ihn repräsentierende Führerschicht kein Verständnis für vitalen Heroismus hat, sondern daß das ihn beherrschende Lebensgefühl das der risikolosen Versicherung und Versorgung ist. Die seelische Ausrichtung auf den Geldsack aber wird von dieser Jugend aus tiefstem Herzensgrund verabscheut.708

Desweitern argumentierte Schoeps dagegen, diese Gefühlsäußerungen durch »verstandesmäßige Widerlegungen« abzutun und versuchte zu verdeutlichen, dass die nationalsozialistische Jugend gerade »gegen die Übermacht der Ratio, gegen die zu große ›Vernünftigkeit‹ unseres Lebens, gegen die Rechenhaftigkeit und Händlergesinnung des heutigen Wirtschaftssystems«709 aufstehe. Liege doch der tiefste Grund dieses Aufbegehrens darin, dass sich menschliche Tiefenschichten wider die »bedrohliche amerikanisierte Wirklichkeit unseres Daseins«710 auflehnen, dass damit, so Schoeps immerhin 1930, »gestaute Triebregungen am falschen Orte durchbrechen, wo sie vermutlich nutzlos verpuffen werden«.711 Schoeps’ Antwort auf diese Krise der Jugend lautete 1930, dass sich die demokratische Republik nur werde halten können, wenn sie »endlich autoriRückschau

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tär wird«. Dafür aber kämen nur solche Männer infrage, die vorbehaltlos zum »sozialen Volksstaat« stehen. Im Rückblick erscheint der Nationalsozialismus als »Totaitarismus«, freilich einer Form totalitärer Herrschaft, die sich besonders durch die Judenverfolgung auszeichnete: »Hier hat sich nämlich der Nationalsozialismus als eine Revolution des Nihilismus enthüllt und sein Urheber Adolf Hitler als eine Gestalt des Antichrist, des Tiers aus dem Abgrund.«712 Doch ist diese Zeit vorbei, der Nationalsozialismus besiegt, und des zurückgekehrten Emigranten Sorge gilt der Frage, welche Zukunft Deutschland und ob das von ihm geliebte Preußen überhaupt eine Zukunft hat, und wenn ja, welche. 1964 jedenfalls findet Schoeps die Antwort auf diese Fragen in Begriff und Konzept des »Reiches«, das – wie im Jahre 1806 – ruhe, ohne dass deshalb von einem Ruhen des Reichsauftrages die Rede sein könne, denn: Nur von ihm her kann sich deutsche Politik wirklich legitimieren, nur aus dem Willen zur Reformation der Reichsidee vermag sie ihren inneren Auftrag abzuleiten, auch wenn die »Bundesrepublik Deutschland« das erste deutsche Staatsgebilde ist, das die Reichstradition schon im Namen abgestreift und verleugnet hat.713

Man darf diese Sätze durchaus so lesen, dass mit ihnen sogar noch dem Staat Adolf Hitlers, dem »Dritten Reich«, insofern eine gewisse Reverenz erwiesen wird, als sogar noch dieser Staat die Reichsidee mindestens noch erwähnt – jener Staat aber, die Bundesrepublik, die die Reichsidee verleugnet, ruht auf einer Gesellschaft, die dem entspricht, was in der Soziologie der 1950er-Jahre als »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« galt – Umstände, die sich wiederum vor allem auf die Jugend auswirken, die Schoeps 1964 mit Sorge betrachtet – sei doch die Jugend dieser Gegenwart »der Konsumwut verfallen« und scheine »geschichtslos ohne tiefere Verwurzelung« herangewachsen714 – eine Diagnose, die sich nur drei Jahre später als falsch erweisen sollte, was indes Schoeps – dazu weiter unten mehr – keineswegs zufriedenstellen sollte. »Als Fazit dieser gesellschaftlichen Bestandsaufnahmen kann mithin verbucht werden, daß der große gesellschaftlich-soziale Fortschritt Westdeutschlands mit dem Verlust an seelisch-geistiger Substanz teuer bezahlt worden ist.«715 Mit diesen aus seiner Sicht pessimistischen Prognosen sollte sich Schoeps allerdings ebenso täuschen wie die Autoren der 1961 erschienenen Studie »Student und Politik«, nämlich Jürgen Habermas und Ludwig von Friedeburg, die – auf empirische Daten gestützt – zu einem ähnlich resignativen Ergebnis kamen. Am 2. Juni 1967 wurde in Berlin bei Demonstrationen gegen den Schah von Persien der Student Benno Ohnesorg von einem – wie sich später herausstellte, 254Rückschau

in Diensten der SED stehenden – Berliner Polizisten erschossen. Die Proteste gegen diesen Totschlag lösten die westdeutsche »Studentenbewegung« aus. Deren politische Ziele aber waren nicht jene, die Schoeps 1964, drei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer, empfahl: eine »Bewältigung der Vergangenheit, das geschichtlich gebundene Verstehen der deutschen Gegenwart, so wichtig, um gangbare Wege in die Zukunft zu finden: Wege vom Reich nach Europa.«716 – eine Politik, die in jenen Jahren eher noch der junge Helmut Kohl verfolgte. Das Mindeste aber, wofür Schoeps in jenen Jahren eintrat, war der Versuch, die Idee Preußens zu retten – eines Staates, der seiner Überzeugung nach sowohl von den Alliierten als auch von der westdeutschen Bevölkerung zu Unrecht als Inbegriff des Militarismus denunziert und schließlich sogar aufgelöst wurde – »Preußen« stelle, so Schoeps in jenen Jahren, vor allem ein Übersetzungsproblem dar: »Preußen war der einzige deutsche Staat, der mehr als ein Staat war, mit dem sich eine Idee verknüpft hat, durch die Menschen gebunden wurden und noch heute gebunden werden können.«717 Das war wahrscheinlich ein Fehlurteil: Beinahe 40 Jahre später, im Jahre 2006, stellte der britische Historiker Christopher Clark fest, dass eine der auffallendsten Entwicklungen seit dem förmlichen Ende des preußischen Staates im Jahre 1947 dessen geringe Anziehungskraft als Fokus einer kollektiven Identität gewesen sei718 – was tatsächlich daran gelegen haben könnte, dass Preußen vor allem eine Idee gewesen ist. »Überwindung der Massengesellschaft kann doch konkret nur heißen, so Schoeps, »daß Menschen wieder auf ein Überindividuelles bezigen werden, durch das ihr Leben wieder Sinn erhält, daß die Menschen über sich hinausgehoben werden und die Herzen für eine Idee wieder höher schlagen können. Die preußische Idee hat nichts Rauschhaftes in sich, denn über dem Preußentum lacht nicht die Sonne des Südens, sondern es ist stets in die rauhe Luft der Pflichterfüllung eingetaucht gewesen. (…) derlei ist heute vollkommen unzeitgemäß – aber gefordert. Gerade die Unzeitgemäßheit ist paradoxerweise die größte Chance für Preußens Wiederkehr. Erst in der Zukunft wird man das klar erkennen können.«719 Schoeps sollte sich irren, setzte aber seine ganze wissenschaftliche Kraft daran, dieses Preußen zu rechtfertigen und – vor allem – seine geistigen Quellen zu retten und zu verdeutlichen: vor allem – neben dem bereits erwähnten Fruedrich Julius Stahl – die anderen preußischen Altkonservativen, die bereits Bismarck Paroli boten. Ihnen galt die bereits 1952 in erster Auflage erschienene Studie »Das andere Preußen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelm IV.«.720 Rückschau

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Immer wieder war es die Gestalt Ludwigs von Gerlach (1795–1877), dessen »einsame Charakterstärke« Schoeps bewunderte. Schien es 1964 die preußische Staatsidee zu sein, die Schoeps bewunderte, so hob er 1952 ebenso bewundernd hervor, dass Ludwig von Gerlach »die Rechtsordnung des Reiches Gottes über Preußens Größe stellte«721 – woran deutlich wird, dass dieser deutsch-jüdische Historiker in Konsequenz seiner in jungen Jahren entworfenen Theologie letztlich doch mit einem der Hebräischen Bibel entnommenen theokratischen Modell politischer Vergemeinschaftung sympathisierte. Von Gerlach, der nach Schoeps’ Überzeugung kein »sentimentaler Reaktionär«722 war, hatte keine Vorurteile gegen die technische Entwicklung, etwa gegen den Eisenbahnbau, und stand auch dem politischen Liberalismus zunächst jedenfalls ambivalent gegenüber, hielt ihm aber schließlich vor, die Nation dadurch zu bedrohen, dass er mit seinen legislativen Akten die Nation dadurch bedrohe, das Recht immer wieder »neu machen zu wollen«.723 Individuelle Freiheit habe von Gerlach stets geachtet, nur jene »Freiheit« abgelehnt, die sich auf die abstrakte Gleichheit der Massen gründen wolle. Immerhin räumt Schoeps ein, dass von Gerlach keinen Sinn für die Veränderungen der sozialen Struktur der Gesellschaft gehabt und mithin deren Krisen nicht in den Blick bekommen habe – wenngleich er nur einige Zeilen später einen in der Tat radikalen Artikel von Gerlachs aus der Kreuzzeitung zitiert, der es verdient, länger wiedergegeben zu werden. Im Jahre 1848 traten mehr als 400 ostelbische Junker zusammen, um einen »Verein zur Wahrung der Interessen des Grundbesitzes« zu gründen, eine Gelegenheit, bei der sich Ludwig von Gerlach geradezu radikal äußerte. Die »Kreuzzeitung« Nr. 145 aus dem Jahre 1848, dem Jahr einer bürgerlichen Revolution nicht nur in Deutschland zitiert diese Rede so: Nur in Verbindung mit den darauf haftenden Pflichten ist das Eigentum heilig, als bloßes Mittel des Genusses ist es nicht heilig, sondern schmutzig. Gegen Eigentum ohne Pflichten hat der Kommunismus recht. Darum dürfen wir die jetzt bedrohten Rechte: Patronat, Polizei, Gerichtsbarkeit nicht aufgeben, denn sie sind mehr Pflichten als Rechte.724

In Klammern sei angemerkt, dass diese Formulierung in verblüffender Weise Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes ähnelt, und es wäre einmal zu überprüfen, wer genau vor welchem Hintergrund als Erster diesen Grundgesetzartikel in den parlamentarischen Rat eingebracht hat. Vor dem Hintergrund einer Gestalt wie jener Ludwig von Gerlachs, des, wie Schoeps meint, einzigen politischen Denker Deutschlands, der eine ein256Rückschau

heitliche konservative Weltanschauung entwickelt habe – seines Zeichens wohl der einzige »systematische Theokrat in der modernen Geschichte«.725 Vor ihm, dem Gründer der Konservativen Partei Preußens, verblasst freilich das Bild der deutschen Konservativen vor und nach 1933: Ideelle Festigkeit und persönliche Überzeugungstreue haben den meisten deutschen Konservativen vor und nach 1933 in solchem Maße ermangelt, daß ihr ruhmloser Untergang gewissermaßen als das gerechte Urteil der Geschichte für den Abfall vom Geiste Gerlachs gewertet werden kann. Sein im Februar 1849 an Kügelgen gerichtetes Wort: »Es ist richtiger mit einer guten Sache unterzugehen als mit einer schlechten zu prosperieren« hat sich tragisch an den Epigonen bewahtheitet.726

Im zweiten Teil seiner Studie erörtert Schoeps dann die preußische Außenpolitik, wo er sich insbesondere mit den unterschiedlichen Haltungen der preußischen Konservativen zu England und Russland auseinandersetzt. Dabei fällt auf, dass und wie sich Schoeps mit Karl Marx und dessen Charakterisierungen Preußens, zumal in der Zeit des Krimkrieges, auseinandersetzt – und zwar so, dass er – wohl zu Recht – Marx eine »Haß-Liebe« zu Preußen zuspricht.727 Eine Dissertation von 1937 zitierend, beglaubigt er, dass Preußen der Beweis wider den Historischen Materialismus gewesen sei. Entsprechend setzt sich Schoeps mit der auch von Marx behandelten hoch ambivalenten Gestalt des Louis Bonaparte auseinander, eines Herrschers, der in eigentümlicher Weise im Bündnis mit den Massen der Parzellenbauern gegen das liberale Bürgertum Stellung bezog. Schoeps kennt die zeitgenössische Literatur, zitiert ausgiebig den reaktionären Publizisten Donoso Cortes, den liberalen Theoretiker Alexis de Tocqueville sowie schließlich den konservativen Denker Konstantin Frantz. Wie Carl Schmitt728 ergreift Schoeps Partei für Donoso Cortes und dessen Plädoyer für Louis Napoleon – eine gleichsam »realpolitische« Stellungnahme für die Diktatur, die allemal besser sei als angeblich anarchistische Volksherrschaft, als die »Diktatur des Dolches« – so Donoso Cortes, dem Schoeps hier zuzustimmen scheint. Ein weiterer Abschnitt dieses durchaus grundsätzlich gemeinten Buches gilt einer weithin vergessenen Gestalt, dem Historiker Heinrich Leo, den Schoeps als »Frondeur aus Geblüt« bezeichnet.729 Heinrich Leo (1799–1878), in seiner studentischen Jugend national und burschenschaftlich engagiert, später ein Student der Hegel’schen Philosophie, kann nach einer wechselvollen Lebensgeschichte als ein Vorläufer dessen gelten, was gegenwärtig als »Ethnopluralismus« bezeichnet wird. War er doch tatsächlich ein Gegner der Emanzipation Rückschau

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der Juden. Leo, der in den 1820er-Jahren als außerordentlicher Professor für Geschichte in Berlin »Vorlesungen über die Geschichte des jüdischen Staates« gehalten hatte, wurde später, nach 1848 Mitarbeiter der »Kreuzzeitung« und plädierte mit Blick auf die Juden gegen »Rassenmischung.«. Dennoch sei er kein Antisemit gewesen, denn – so der Historiker Christoph von Maltzahn: Gerade weil die Juden trotz ihrer Zerstreuung ihre deutliche Eigentümlichkeit bewahrt haben, darf eine Judenemanzipation nicht sein. Jeder darf hingeben, was sein ist, aber nicht, was die volkstümliche Art als »Familieneigentum« geerbt und weiterzuvererben ist. Hierfür ist er bloss Verwalter von Gütern, die »zu mischen, zu verwahrlosen, zu verschleudern, zu veräussern ein Diebstahl ist an heiligen Dingen«. Leo wertet die »sittliche Bildung« der Juden nicht als geringer als etwa die deutsche, sondern nur als anders eigentümlich. Die Eigentümlichkeiten aber gehen bei einer durch Emanzipation bewirkten Mischung zugrunde: »die Frage von der Zulässigkeit des Selbstmordes und die von der Emanzipation der Juden dreht sich auf denselben Angeln.730

So sehr Schoeps Leo als religiösen und kirchlichen Denker würdigt, so sehr fällt freilich auch auf, dass er dessen auf Juden bezogenen Einlassungen völlig zugunsten einer detaillierten Würdigung von Leos im weitesten positiven Einlassungen zum Katholizismus übergeht. Endlich erinnert Schoeps noch an Hermann Wagener (1815–1889), ebenfalls Redakteur der Kreuzzeitung, später Rechtsanwalt in Berlin sowie preußischer Politiker, der sich als scharfer Gegner der Liberalen vor allem für soziale Fragen interessierte und – was nur in den Fußnoten erwähnt – 1857 eine Schrift zum Thema »Das Judentum und der Staat« publizierte. Ihm attestiert Schoeps, dass sich Wagener wiederholt gegen den Antisemitismus ausgesprochen und mit Führern der jüdischen Orthodoxie Umgang gehabt habe, aber gegen »Reformjuden« gewesen sei.731 Bei alledem fehlt – an gegenwärtigen historiographischen Kriterien gemessen – doch eine sozialgeschichtliche Einbettung jener Bewegung preußischer Altkonservativer, auf die sich Schoeps bezieht. Dieser Frage ist vor nunmehr mehr als 40 Jahren der Literaturwissenschaftler Hubertus Fischer in einem Artikel zum Thema »Der ›Treubund mit Gott für König und Vaterland‹. Ein Beitrag zur Reaktion in Preussen« nachgegangen.732 Anlass und Gegenstand dieses Beitrages war ein namentlich von Hans-Joachim Schoeps, damals bereits Preisträger der »Deutschland Stiftung«, veranlasster Aufruf der »Konservativen Sammlung«, der am 18. Januar 1970 in den Zeitungen des Springer Verlages, in der »Bild« und in der »Welt«, erschien, in dem es u. a. hieß: 258Rückschau

Den aus den Pervertierungen der Revolutionen von 1789 und 1917 abgeleiteten Bestrebungen, die auf die Zerstörung der bestehenden Rechtsordnungen hinarbeiteten, soll die konservative Position entgegengestellt werden (…) Die Konservative Sammlung bejaht den Machtcharakter des Staates zur Schaffung und Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, weil sie in der gerechten Ordnung des Staates einen göttlichen Auftrag sieht (…) (Sie) leistet Widerstand gegen die auflösenden Tendenzen des gegenwärtigen Zeitgeistes (und) erinnert an das einstige preußische Staatsethos.733

Aus heutiger Sicht ist dabei zu bemerken, dass diese Erklärung in den ersten Monaten der sozialliberalen Bundesregierung von Willy Brandt und Walter Scheel publiziert wurde, einer Regierung, die am 22. Oktober 1969 in ihr Amt kam. In seiner Studie weist Fischer überzeugend nach, dass und wie die Agenda der preußischen Altkonservativen auf der »Interesseneinheit von Feudalaristokratie, Armee, Titel und Geldpatriziat« (Helmut Böhme) beruhte und es am Ende tatsächlich vor allem um ein Bündnis von Konservativen und stark krisengefährdetem Handwerk ging – hatten doch beide ihren Gegner im Industrialismus und Liberalismus. »Beide«, so Fischer, »verteidigten einen ›privilegierten‹ Status staatlich garantierter Rechte und beide bekämpften die Schutzzollforderungen des Bürgertums; die Feudalaristokratie, um sich ihre Hauptprofitquelle, den Getreideexport, zu erhalten, das Handwerk, um die Einfuhr billiger Halbfabrikate und Rohstoffe zu garantieren.«734 Mit dieser sozialgeschichtlichen, in gewisser Weise »materialistischen« Erklärung des preußischen Konservativismus erweist sich das von Schoeps beanspruchte theokratische Staatsmodell auch nur als Ausdruck mehr oder minder profaner Interessen. Es waren dies Fragen, die den Professor in Erlangen nicht mehr loslassen sollten. 1968 publizierte er eine weitere Monographie, »Preussen. Geschichte eines Staates«735, in der es an zentraler Stelle um den von ihm hochgeschätzten Friedrich Wilhelm IV. sowie und die »Weltanschauung der Kreuzzeitungspartei« ging – in diesem Zusammenhang hob Schoeps besonders hervor, dass es zumal die Konservativen waren, die betont antinationalistisch waren, während Bismarck und die Liberalen einen nationalistischen preußischen Hegemonieanspruch vertraten. »Die Konservativen«, so Schoeps 1968, »haben das Nationalstaatsstreben als revolutionär und als unvereinbar mit der europäischen Ordnung abgelehnt, weil der Nationalismus die Staaten in ständige Kämpfe um nationales Prestige oder um Volkstumsinteressen hineinreißen würde.«736 Auch in späteren Schriften, etwa einer Publikation aus dem Jahre 1970, jenem Jahr als Schoeps mit der »Konservativen Sammlung« in Zeitungen der Springerpresse annoncierte, Rückschau

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wiederholte er seine Überzeugung, dass eine deutsche Politik, die nicht völlig aus der Tradition herausgefallen sei, »sich nur«, so Schoeps in seinem 1970 publizierten Band »Der Weg ins deutsche Kaiserreich«737, von dem 1871 gegründeten Reich her (werde) legitimieren können. (…) Diese Aufgabe ist noch weithin ungelöst. Das Werk der schöpferischen Übersetzung wird aber nur einem Staatsmann möglich sein und gelingen, der selbst noch dem alten Preußentum verhaftet und von dort her zur Erbfolge Bismarcks wirklich legitimiert ist.738

Sah Schoeps in der Bundesrepublik der 1960/1970er-Jahre einen solchen Staatsmann – vor allem: Was führte ihn nun dazu, ausgerechnet Bismarck, den er doch immer wieder dafür kritisiert hatte, sich allzu stark gemeinsam mit den Liberalen auf die Perspektive eines kleindeutschen Machtsstaates eingelassen zu haben, als Vorbild anzusetzen? Die 1972 erschienene Studie »Bismarck über Zeitgenossen. Zeitgenossen über Bismarck«739 endet mit einem Nachwort, in dem diese Ambivalenz deutlich zum Ausdruck kommt: »Bismarck war nicht der höchste Wert seines Zeitalters. Ludwig von Gerlach, der das Reich Gottes höher stellte als Preußens Größe, war politisch vielleicht eine Niete, aber in der Geschichte des Geistes hatte er einen höheren Rang. Einer kleindeutsch-nationalliberalen Geschichtsschreibung, die nur am Erfolg orientiert war, mußte Bismarck alles gelten, denn er hatte durch ein Vierteljahrhundert Erfolg. Aber der Erfolg ist gleichwohl kurzlebig. Ich«, so Schoeps, der Verteidiger der preußischen Idee im Jahre 1972, dem Jahr der Brandtschen Ostverträge, »halte es mehr mit Gerlach, der 1871 sagte, daß der Boden der Erfolge und Tatsachen bröckelig ist wie diese selbst. ›Nur Wahrheit, Gerechtigkeit und Treue gewähren einen festen Boden für den Frieden, sie sind von Ewigkeit zu Ewigkeit.‹ »Das war«, nach des Erlanger, er war damals fünfundsechzig Jahre als und sah seiner Emeritierung entgegen Worten, »schon damals ganz unzeitgemäß, aber wir Unzeitgemäßen halten daran fest. Wie beugen unser Knie vor dem Genie des großen Bismarck, aber seine Anhänger sind wir nicht. Noch nach hundert Jahren nicht.« Es folgt am Ende dieses Nachworts ein lateinisches Zitat »Dixi et salvavi animam meam«740, zu Deutsch: »Ich habe gesprochen und meine Seele gerettet.« Ironischerweise verwendete auch Karl Marx diese Formel in seiner 1875 publizierten Kritik des Gothaer Programms.741 Davon auszugehen, dass ­Schoeps mit den Schriften von Marx vertraut war, kommt nicht infrage – die Phrase selbst entstammt der lateinischen Übersetzung der Bibel, der Vulgata, dort in Vers 19 des dritten Buches des Propheten Ezechiel – was nicht 260Rückschau

bedeuten soll, dass Schoeps das so bewusst war. Indes: Als Erforscher der Schriften der »judenchristlichen« Ebioniten dürften ihm derartige Texte grundsätzlich vertraut gewesen sein. Dass ein derartiger Text jetzt im Zusammenhang mit Bismarck auftaucht, ist symptomatisch: Nach Abschluss seiner religionshistorischen Forschungen ging es Schoeps nur noch um seine einzig wirkliche Leidenschaft: um Preußen. Ein Bekenntnis, das er erst und auch noch Jahre später, in den Konflikten mit den rebellischen Studenten in Erlangen ablegen sollte, sei hier bereits vorweggenommen. In einer niemals gehaltenen Rede aus dem Jahr 1968, genauer in ihrem Manuskript, heißt es: Ich bin Preusse. Das bin ich meiner Herkunft nach. In meiner Familie ist immer eine Tradition bestimmend gewesen, die früher weit verbreitet war, heute aber unbekannt geworden ist. Preussen war uns immer wichtiger als das Deutsche Reich, dem viele Juden aus den 6 altpreussischen Provinzen immer nur mit Bedenken gegenüberstanden. Das Deutsche Reich von 1871 war von seinem Ursprung her ein Nationalstaat, in dem auch sehr bald nationalistische Tendenzen erkennbar wurden. Preussen aber war ein übernationaler Rechtsstaat, in dem Deutsche, Polen, Litauer, Kaschuben gleichberechtigt mit- und nebeneinander leben konnten. Das war nur möglich auf dem Boden der Toleranz, der geistigen Freiheit und einer grossen menschlichen Achtung voreinander. Unser Thema »Autorität und Freiheit« ist das preussische Thema selbst; um die rechte Verhältnisbestimmung haben die besten Geister des 19. Jahrhunderts immer wieder gerungen.742

Schoeps zögerte nicht, dem Nationalismus, dessen Opfer er selbst geworden war, eine besondere Affinität zum modernen Nationalstaat zu unterstellen – die Erfahrungen des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts geben dazu durchaus Anlass – infrage steht allenfalls, ob Preußen tatsächlich ein grundsätzlich anderes, geradezu »transnationales« politisches Gemein- und Staatswesen war. Dass die Dämonisierung Preußens nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg unangemessen war, hat die historische Forschung inzwischen gezeigt – ob dieser Staat wirklich so tolerant und minderheitenfreundlich, wie von Schoeps behauptet, steht noch in der Diskussion. Die neueste historische Forschung jedenfalls, so vor allem in den Arbeiten von Christopher Clark, stimmt Schoeps in seinem Urteil zu Bismarck immerhin soweit zu, dass er – mit Theodor Fontane – einräumt, dass das Entstehen des deutschen Nationalstaats auch das Ende Preußens bedeuten musste – ohne indes Schoeps in der von ihm verwendeten Literatur zu erwähnen. Auf Rückschau

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jeden Fall nahm sich Clark eines Schoeps wichtigen Themas an: der in den 1840er-Jahren unternommenen Versuche, die Stellung der preußischen Juden erneut zu bestimmen. Freilich: nur wenig war der Bonner Republik des katholischen Kanzlers Konrad Adenauer ferner als diese Form des Preußentums. So konnte es nicht unterbleiben, dass das Ende von Schoeps akademischer Tätigkeit in Bitterkeit enden musste: Nach seiner Emeritierung im Jahre 1978 beschloss die Universität Erlangen, die Hans-Joachim Schoeps auf den Leib geschriebene Professur für Religions- und Geistesgeschichte in eine Professur für katholische Theologie, einen Konkordatslehrstuhl für politische Wissenschaft umzuwidmen.

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272Anmerkungen

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Anmerkungen

273

50 A. Winnecken: Ein Fall von Antisemitismus. Zur Geschichte und Pathogenese der deutschen Jugendbewegung vor dem Ersten Weltkrieg. Wissenschaft und Politik, Köln 1991, S. 39 f. 51 file:///Users/michabrumlik/Downloads/Die%20Juden%20im%20Wandervogel.pdf 52 H. Meier-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, in: Germania Judaica, 8/1969, S. 18. 53 H. J. Schoeps, Rückblicke, S. 43. 54 E. Blum: Die Neuwerk-Bewegung 1922–1933, Kassel 1973. A. Vollmer: Die Neuwerkbewegung 1919–1935. Ein Beitrag zur Geschichte der Jugendbewegung, des Religiösen Sozialismus und der Arbeiterbildung, Augsburg 1973. 55 K. Rauschert: »Und wieder erblüht nach Nebel und Nacht …«: Bundesgeschichte der Freischar; 1946 bis 1953; über die Neugründung eines Jugendbundes und zur Jugendpolitik in den Nachkriegsjahren, Stuttgart 2006. 56 Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 51. 57 U. Geuter, Homosexualität in der deutschen Jugendbewegung. Jungenfreundschaft und Sexualität im Diskurs von Jugendbewegung, Psychoanalyse und Jugendpsychologie am Beginn des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M.1994; S. Andresen, Mädchen und Frauen in der bürgerlichen Jugendbewegung. Soziale Konstruktion von Mädchenjugend, Neuwied/Berlin 1997; U. Brunotte: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne, Berlin 2004; C. Bruns, Politik des Eros: der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880–1934), Köln/Weimar/ Wien 2008. 58 Schoeps, Wesen und Aufgabe freideutscher Jungmannschaft, in: Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 187. 59 Vgl. M. Brumlik, Der symbolische Interaktionismus und seine pädagogische Bedeutung, Frankfurt a. M. 1973, S. 22 f. 60 Vgl. FN 42, S. 67. 61 Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 136. 62 Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 137. 63 Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 72. 64 Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 1, Hildesheim/Zürich 1990. 65 Schoeps, Rückblicke, S. 72. 66 Schoeps, Rückblicke, S. 72. 67 Schoeps, Rückblicke, S. 72. 68 Schoeps, Rückblicke, S. 73. 69 F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Hamburg 1958, S. 30. 70 F. D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube 1821–1822, Berlin 1984, S. 31 f. 71 E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, München 1978. 72 K. Barth, Der Römerbrief 1922, Zürich 1999, S. XX. 73 H.-J. Schoeps, Jüdischer Glaube in dieser Zeit. Prolegomena zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums, Philo-Verlag Berlin 1932, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Hildesheim 1990, S. 1–90, hier S. 3. 74 In: H.-J. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. I, Hildesheim/Zürich/New York 1990. o. S. 75 Vgl. Schoeps, Prolegonena, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1. S. 1–90.

274Anmerkungen

Schoeps, S. 3. H.-M. Haußig, Salomon Ludwig Steinheim, in: A. Kilcher/O. Fraisse (Hg.), Metzler-­ Lexikon Jüdischer Philosophen, Stuttgart/Weimar 2003, S. 216/217. 78 J. H. Schoeps, Salomon Ludwig Steinheim als Emanzpationspolitiker, in: J. H. ­Schoeps u. a. (Hg.), »Philo des 19. Jahrhunderts«. Studien zu Salomon Ludwig Steinheim, Hildesheim/Zürich/New York 1993, S. 63–76. 79 S. L. Steinheim, Bde. I–IV, Hildesheim/Zürich/New York 1986. 80 M. Wiener, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Daniel Weidner, Berlin 2002. 81 Wiener, Jüdische Religion, S. 147. 82 F. W. J. Schelling, Die Weltalter, in: ders. Ausgewählte Schriften, Bd. 4 Frankfurt a. M. 1985, S. 282. 83 Ebd. 84 Steinheim, Salomon Ludwig: Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Syna­goge, Teil 3, Leipzig 1863, Hildesheim 1986, S. 298. 85 Steinheim, Die Offenbarung, S. 298. 86 Schoeps, Jüdischer Glaube in dieser Zeit, in: Ges.Schriften, Bd. 1, S. 1. 87 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 1. 88 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 1 89 Ebd. 90 Barth an Schoeps vom 17.2.1933, in: G. Lease, Der Briefwechsel zwischen Karl Barth und Hans-Joachim Schoeps (1929–1946), in: Menora 2, Jahrbuch für deutsch-­ jüdische Geschichte, München 1991, S. 117. 91 Schoeps Bd. 1 S. 4. 92 G. Lease, Die Steinheimrezeption in der Gegenwart, in: Lease 1991, S. 277. 93 H. Andorn, Salomon Ludwig Steinheims »Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge«, Gießen 1930. 94 »Gedenkbuch für die Karlsruher Juden«. http://gedenkbuch.informedia.de/gedenkbuch.php?PID=12&name=62 (Abruf: 01.08.2017). 95 Schoeps, Prolegomena, S. 7. 96 Dt. 30, 12. 97 Ex. 23, 2. 98 ##### 99 Schoeps, Prolegomena, S. 7. 100 Schoeps, Prolegomena. S. 8. 101 Etwa D. Boyarin, A radical Jew. Paul and the Politics of Identity. L. A. 1994. 102 http://www.controversia-et-confessio.de/cc%20digital/quellen/modus////ansicht/4471eijn-sendtbrieff-von-der-justification-oder-gerechtwerdung-des-s (Abruf: 12.04.2019) 103 Schoeps, Jüdischer Glaube, Gesammelte Schriften, Bd. 1 S. 71. 104 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 73. 105 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 75. 106 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 75. 107 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 75. 108 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 84. 109 G. Lease, Der Briefwechsel zwischen Karl Barth und Hans-Joachim Schoeps (1929– 1946), in: Menora 2. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte, hrsg. von J. ­Schoeps u. a. München/Zürich 1991, S. 105–137. 76 77

Anmerkungen

275

110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

120 121 122 123 124 125 126 127

128 129 130

131 132 133 134 135 136 137 138

Lease, Briefwechsel, S. 110. Lease, Briefwechsel, S. 111. Lease, S. 116. Lease, S. 117. Lease, S. 117. Vgl. D. Boyarin, Borderlines. The Partition of Judaeo-Christianity, University of Pennsylvania Press: Philadelphia 2004. Lease, S. 118. Lease, S. 119. Lease, S. 119. H.-J. Schoeps, Jüdisch-christliches Religionsgespräch in neunzehn Jahrunderten. Die Geschichte einer theologischen Auseinandersetzung, Frankfurt a. M. 1949, jetzt in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1. Schoeps, Jüdisch-christliches Religionsgespräch, S. 13. Baecks, Berlin: Schocken 1936. Schoeps, Religionsgespräch, S. 15. Schoeps, Religionsgespräch, S. 15. Schoeps, Religionsgespräch, S. 16. Schoeps, Religionsgespräch, S. 19. I. Stallmann, Abraham Geigers Wissenschaftsverständnis. Eine Studie zur jüdischen Rezeption von Friedrich Schleiermachers Theologiebegriff, Frankfurt a. M. 2013. B. Kratz-Ritter, Salomon Formstecher. Ein deutscher Reformrabbiner, Hildesheim/ Zürich/New York 1991; M. Brumlik, Schellings Theorie des Judentums und der Juden, in: I. A. Diekmann/E.-V. Kotowski (Hg.), Geliebter Feind, Gehasster Freund. Antisemitsmus und Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart, Berlin 2009, S. 189–212. S. L. Steinheim, Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge, I–IV, Hildesheim/Zürich/New York 1986. S. Hirsch, Die Religionphilosophie der Juden, Hildesheim/Zürich/New York 1986., S. 623 H. Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Wiesbaden 2008; P. G. Grünewald, Eine jüdische Offenbarungslehre: Samson Raphael Hirsch, Bern/ Frankfurt a. M./Las Vegas 1977; M. Dreyer, Die Idee Gottes im Werk Hermann ­Cohens, Königstein/Ts. 1985. D. Hershkowitz, An impossible possibility? Jewish Barthianism in interwar germany, in: Modern Theology, 33 (3), S. 348–368 (2017). Hershkowitz, S. 4. Philo: Berlin 1933. Zitiert nach C. Wiese, Max Wiener, in: A. B. Kilcher/O. Fraisse (Hg.), Metzler-­ Lexikon jüdischer Philosophen, Stuttgart/Weimar 2003, S. 352. G. Scholem, »Jüdischer Glaube in dieser Zeit«, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung Juni 1932, S. 165–167. Die Details des Schreibens von Feuchtwanger in: Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 34. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 36–54. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 39.

276Anmerkungen

139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173

174 175 176 177

Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 40. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 40. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 41. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 43. Kobeckaite: Lietuvos Karaimai. Baltos Lankos, Vilnius 1997. Vgl. Endnote 72. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 48. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 48. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 50. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 51. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 51. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 51. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 52. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 52. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 41. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 42. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 43. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 44. G. Scholem (Hg.), Walter Benjamin/Gershom Scholem Briefwechsel, Frankfurt a. M. 1980, S. 46. Scholem (Hg.), Briefwechsel, S. 157. Scholem (Hg.), Briefwechsel, S. 46. Scholem (Hg.), Briefwechsel, S. 57. Scholem (Hg.), Briefwechsel, S. 172. H.-J. Schoeps, Theologische Motive in der Dichtung Frank Kafkas, in: J. H. Schoeps (Hg.), Im Streit um Kafka und das Judentum, Königstein/Ts. 1985, S. 219–239. Schoeps, Franz Kafka oder der Glaube in der tragischen Position, in: Schoeps, Im Streit, S. 202–218, hier S. 205/206. M. Grünewald, Wege zu einer jüdischen Theologie, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt 12/September 1935, S. 3–5. E. Strauß, Eine jüdische Theologie?, in: Der Morgen 4, Oktober 1932, S. 312–314. Altmann, Auseinandersetzung… Heft 79, 1935, S. 345–361. Monatschrift, Heft 79, 1935, S. 349. Hershkowitz, vgl. Endnote 132. In: Soulen-Kendall, R., Abraham’s Promise: Judaism and Jewish-Christian Relations, Grand Rapids, MI: Eerdmans, S. 211–224. Minneapolis 1983. Soulen-Kendall, Abrahams Promise, S. 78/79. Soulen-KendaööAbrahams Promise, S. 80. Meir Y. Soloveichik, Gods first Love. The Theology of Michael Wyschogrod, in: First Things, November 2009, https://www.firstthings.com/article/2009/11/gods-first-­lovethe-theology-of-michael-wyschogrod (Abruf: 01.08.2018). Wyschogrod, First Things, S. 138. Wyschogrod, First Things, S. 247. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 1. Lease, Der Briefwechsel, S. 105–137.

Anmerkungen

277

178 Lease, Der Briefwechsel, S. 108. 179 Lease, Der Briefwechsel, S. 116. 180 G. Lease, Hans-Joachim Schoeps, in: A. B. Kilcher/O. Fraisse (Hg.), Metzler-­Lexikon jüdischer Philosophen, Stuttgart/Weimar 2003, S. 431. 181 H.-J. Schoeps, »Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie in der Neuzeit. Vortrupp Verlag Berlin 1935, auch in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1. 182 Schoeps, Geschichte, S. 3. 183 Schoeps, Geschichte, S. 4. 184 Schoeps Geschichte, S. 14. 185 Schoeps, Geschichte, S. 36. 186 M. Eliav, Jüdische Erziehung im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation, Münster/New York/München/Berlin 2001, S. 316, 318, 332. 187 H. Heine, Die Harzreise, in: ders., Sämtliche Schriften, München 2005, S. 126/127. 188 W. Hiscott, Saul Ascher. Berliner Aufklärer. Eine philosophiehistorische Darstellung, Hannover 2017. 189 Schoeps, Geschichte, S. 41. 190 Schoeps, Geschichte, S. 55. 191 B. Kratz-Ritter, Salomon Formstecher. Ein deutscher Reformrabbiner, Hildesheim/ Zürich/New York 1991. 192 Elmar P. Ittenbach: Samuel Hirsch. Rabbiner, Religionsphilosoph, Reformer. Rabbi, Philosopher, Reformer. Berlin 2014. 193 Schoeps, Geschichte, S. 114. 194 Schoeps, Geschichte, S. 131. 195 Schoeps, Geschichte, S. 131. 196 Schoeps, Tabarzer Gesprächsprotokolle, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 201. 197 Schoeps, Politische Streiflichter, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 125. 198 Schoeps, Literarische Begegnungen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 117. 199 Schoeps, Plagiiert, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 71–123. 200 Th. Mann, Die Entstehung des Doktor Faustus, Frankfurt a. M. 1967, S. 696 sowie 705. 201 Schoeps, Plagiiert, S. 112. 202 Schoeps, Plagiiert, S. 112. 203 Schoeps, Plagiiert, S. 120. 204 Schoeps, Rückblicke, S. 30. 205 Julius-H. Schoeps (Hg.), Im Streit um Kafka und das Judentum. Der Briefwechsel zwischen Max Brod und Hans-Joachim Schoeps, Königstein/Ts.: Athenäum, 1970. 206 H.-J. Schoeps, Literarische Begegnungen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 117. 207 Schoeps, Im Streit, S. 50. 208 Schoeps, Im Streit, S. 52. 209 Schoeps, Im Streit, S. 74. 210 Schoeps, Rückblicke, S. 74. 211 Schoeps, Rückblicke, S. 84. 212 Schoeps, Rückblicke, S. 84. 213 Schoeps, Rückblicke, S. 87. 214 Schoeps, Rückblicke, S. 87. 215 Schoeps, Rückblicke, S. 87.

278Anmerkungen

216 M. Schoeps: Der Deutsche Herrenklub. Ein Beitrag zur Geschichte des Jungkonservativismus in der Weimarer Republik, Diss. phil. Erlangen-Nürnberg 1974. 217 Schoeps, Rückblicke, S. 90. 218 Schoeps, Bemühungen um Juden und Judentum, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 33–70. 219 Schoeps, Bemühungen, S. 55. 220 Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 1. 221 G. Scholem, Briefe, Bd. I 1914–1947, München 1994, S. 262. 222 H.-J. Schoeps, Wir deutschen Juden (= Deutschjüdischer/Eine Schriftenreihe/Nr. 1, Berlin 1934, wieder abgedruckt in: ders., »Bereit für Deutschland«. Der Patriotismus deutscher Juden und der Nationalsozialismus, Berlin 1970, S. 170–227. 223 Schoeps, Bereit, S. 170. 224 https://de.wikipedia.org/wiki/Synagoge_%E2%80%9EFriedenstempel%E2%80% 9C_Halensee (Abruf: 12.04.2019) 225 M. Mayer (Hg.), Joachim Prinz, Rebellious Rabbi: An Autobiography – The German and Early American Years, Indiana 2007. 226 Mayer (Hg.), Joachim Prinz. 227 H.-J. Schoeps, Bereit für Deutschland, S. 179. 228 Schoeps, Bereit, S. 180. 229 Schoeps, Bereit, S. 185. 230 Schoeps, Bereit, S. 185. 231 Schoeps, Bereit, S. 186. 232 Schoeps, Bereit, S. 194. 233 Schoeps, Bereit, S. 211. 234 Schoeps, Bereit, S. 223. 235 Schoeps, Bereit, S. 223. 236 Th. W. Adorno/G. Scholem, Briefwechsel »Der liebe Gott wohnt im Detail« 1939– 1969, Frankfurt 1969, S. 116. 237 Adorno/Scholem, Briefwechsel, S. 253. 238 Adorno/Scholem, Briefwechsel, S. 259. 239 Adorno/Scholem, Briefwechsel, S. 356. 240 Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 122. 241 B. Witte, Moses und Homer. Griechen, Juden, Deutsche: eine andere Geschichte der deutschen Kultur, Berlin/Boston 2018, S. 282. 242 N. Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2002; vgl. auch R. ­Bellah, Religion in Human Evolution. From the Paleolithic to the axial age, Cambridge 2011. 243 H. Blüher/H-J. Schoeps, Streit um Israel. Ein jüdisch-christliches Gespräch, Hamburg 1933. 244 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 75. 245 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 76. 246 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 76. 247 Jüdischer Glaube, S. 77. 248 Jüdischer Glaube, S. 84. 249 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 85. 250 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 85. 251 Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 88.

Anmerkungen

279

252 253 254 255 256 257 258 259 260 261 262

263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276

Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 88. Schoeps, Jüdischer Glaube, S. 90. Schoeps, Rückblicke, S. 54. Schoeps, Rückblicke, S. 95. Schoeps, Rückblicke. S. 95 Schoeps in: Vortrupp 1, S. 6 R. Weigele, Die Werkleute als ein Beispiel der jüdischen Jugendbewegung in der Weimarer Republik, Unveröffentlichte Magisterarbeit, Heidelberg 2004, S. 14 f. H. Meyer-Cronemeyer, Jüdische Jugendbewegung, S. 48; vgl. auch M. Brumlik, Freud – Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006. M. Buber, Zion und die Jugend, zitiert nach Meyer-Cronemeyer Jüdische Jugendbewegung, S. 39. Samter, Die Versuchung, S. 3 So wurden Gesetze gegen jüdische Rechtsanwälte und Notare vom 7.4.1933 sowie Patentanwälte vom 22.4.1933 und Ärzte ebenfalls vom 22.4.1933 erlassen, die jene Personen ausnahmen, die während des Ersten Weltkrieges Frontkämpfer waren – sie durften weiterhin kassenärztlich tätig sein, allerdings nur bis zum 17.4.1934. Schließlich wurde am 25. April ein ebenfalls antisemitisches »Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen« erlassen, von dem Kinder von Frontkämpfern und sogenannte »Mischlinge« ausgenommen waren. § 1 des entsprechenden Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 so bezüglich jüdischer Rechtsanwälte lautete: »Die Zulassung von Rechtsanwälten, die im Sinne des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (Reichsgesetzblatt I S. 175) nicht arischer Abstammung sind, kann bis zum 30. September 1933 zurückgenommen werden.« Die Max Samter besonders betreffenden Erlasse fanden sich in der Verordnung über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen vom 22. April 1933 und hatten im Artikel I folgenden Wortlaut: »Die Tätigkeit von Kassenärzten nicht arischer Abstammung und von Kassenärzten, die sich im kommunistischen Sinne betätigt haben, wird beendet. Neuzulassungen solcher Ärzte zur Tätigkeit bei den Krankenkassen finden nicht mehr statt.« M. Samter, »Die Versuchung«, Berlin 1934, S. 12. Samter, Versuchung, S. 12. Samter, Versuchung, S. 13. Samter, Versuchung, S. 18. Samter, Versuchung, S. 18. Samter, Versuchung, S. 18. Samter, Versuchung, S. 18. S. Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, Göttingen 2004. P. Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M. 1982. Samter, Versuchung, S. 36. Samter, Versuchung, S. 41 Samter, Versuchung, S. 43 Samter, Versuchung, S. 44 J. Stern, Stark wie ein Spiegel, Gießen 1987, S. 60.

280Anmerkungen

277 U. Pilarczyk, Gemeinschaft in Bildern. Jüdische Jugendbewegung und zionistische Erziehungspraxis in Deutschland und Palästina/Israel, Göttingen 2009, S. 103. 278 J. Stern, Stark wie ein Spiegel, Giessen 1989 279 Stern, Stark, S. 60. 280 A. Klein-Reesink, Jüdische Jugendbewegung in Essen 1918–1938, unveröffentlichtes Manuskript 1991, Archiv Alte Synagoge Essen, Sig. AR 9905, Kap. 9. 281 Samter, Versuchung, S. 22. 282 Samter, Versuchung, S. 30. 283 C. Battegay, Das andere Blut. Gemeinschaft im deutsch-jüdischen Schreiben 1830– 1930, Köln 2011. 284 Der deutsche Vortrupp. Blätter einer Gefolgschaft deutscher Juden, Oktober 1933, S. 6. 285 Vortrupp, S. 6/7 286 Hildesheim 2003 287 C. Schulte, Die jüdische Aufklärung, München 2002. 288 J. H. Schoeps, David Friedländer. Freund und Schüler Moses Mendelssohns. Zürich/ Hildesheim 2012. 289 I. Kant, Briefwechsel, Hamburg 1972, S. 154/55. 290 F. Kobler (Hg.), Juden und Judentum in deutschen Briefen aus drei Jahrhunderten, Königstein/Ts. 1984, S. 98; vgl. auch B. Stangneth, Antisemitische und antijudaistische Motive bei Immanuel Kant? Fakten. Meinungen. Folgen, in: Gronke, H. u. a. (Hg.), Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung, Würzburg 2001. 291 Zitiert nach: Rudolf Malter Immanuel Kant in Rede und Gespräch, Hamburg 2013, Nr. 518. 292 I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Werke Bd. 7, Berlin: Akademieausgabe 1968, S. 205 f., auch: https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/ aa07/205.html (Abruf 09.08.2018) 293 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, in: W. Weischedel (Hg.), Werke, Bd. 8 Darmstadt, S. 365. 294 M. Breuer, Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871–1918, Frankfurt a. M. 1986, S. 484. 295 J. Leibowitz, Im Geiste Kants und der Propheten, in: NZZ vom 21.03.2003. 296 Interpretations at War: Kant, the Jew, the German Author(s): Jacques Derrida and Moshe Ron Source: New Literary History, Vol. 22, No. 1, Institutions of Interpretation (1991). 297 Vortrupp 1933, S. 9. 298 Vortrupp 1933, S. 10. 299 Vortrupp 1933, S. 7. 300 Vortrupp 1933, S. 10. 301 Vortrupp 1933, S. 16. 302 Vortrupp 1933, S. 16. 303 H.-J. Schoeps, »Die deutsche Aufgabe in dieser Weltstunde«, in: Der deutsche Vortrupp Januar 1934, S. 4. 304 Schoeps, Aufgabe 1934, S. 4. 305 Schoeps, Aufgabe 1934, S. 6.

Anmerkungen

281

306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341

342 343 344

Schoeps, Aufgabe 1934, S. 6. Schoeps, Aufgabe 1934, S. 8. Vortrupp 1934, S. 9. Vortrupp 1934, S. 9. Vortrupp 1934, S. 10. Vortrupp 1934, S. 10. Vortrupp 1934, S. 10. W. Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen, Anhang B, in: ders., Geschichtsphilosophische Thesen, Frankfurt a. M. 1980, S. 676. Schoeps, Aufgabe1934, S. 11. H.-J. Schoeps, Geschichte: Kulturidyll – oder?, in: Der deutsche Vortrupp, Februar/ März 1934, S. 11. Schoeps, Geschichte, S. 13. Schoeps, Geschichte, S. 19. Vortrupp, Februar/März 1934, Beiblatt, zweite Seite Vortrupp Mai/Juni 1934, S. 9. Vortrupp Mai/Juni 1934, S. 16/17. Vortrupp August 1934, S. 7. Vortrupp August 1934, S. 8. Vortrupp August 1934, S. 16. Vortrupp Oktober/November 1934, S. 7. Vortrupp Oktober/November 1934, S. 11. Vortrupp Oktober/November 1934. Vortrupp 1/1935, S. 6. Der Vortrupp 1/Januar 1935. Vortrupp Januar 1935, S. 12. Der Vortrupp März/April 1935, S. 4. Vortrupp März/Apil 1935, S. 5. Vortrupp März/April 1935, S. 8/9. Vortrupp März/April 1935, S. 8. Vortrupp März/April 1935, S. 9. Vortrupp März/April 1935, S. 21. H.-J. Schoeps, »Bereit für Deutschland. Der Patriotismus deutscher Juden und der Nationalsozialismus, Berlin MCMLXX, S. 99. Schoeps, Bereit, S. 109. Schoeps, Bereit, S. 100. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, München 1978, S. 257 f. G.-K. Kaltenbrunner (Hg.), Die Herausforderung der Konservativen. Absage an Illusionen, München 1974. H. Marcuse, Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, in: M. Horkheimer (Hg.), Zeitschhrift für Sozialforschung, Jg. 3 1934, Reprint München 1980, S. 161–195. O. Koellreutter, Vom Sinn und Wesen der nationalsozialistischen Revolution, Tübingen 1933. H. Forsthoff, Das Ende der humanistischen Illusion, Berlin 1933. Koellreutter, zitiert nach Marcuse, Der Kampf, S. 190.

282Anmerkungen

345 Zitiert nach Marcuse, Der Kampf. 346 JC. Schmitt, Der Wert des Staates, und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914, jetzt Berlin 2004. 347 Schmitt, Der Wert des Staates, S. 86. 348 M. Horkheimer, Studien zu Autorität und Familie, Paris 1936, S. 22. 349 Horkheimer, Studien, S. 24/25. 350 Horkheimer, Studien, S. 59. 351 H. Blüher, Die Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen. Berlin-Tempelhof 1912. 352 H. Blüher, Werke und Tage, München 1953. 353 Blüher, Werke, S. 167. 354 Blüher, Werke, S. 167. 355 Blüher, Werke. 356 Blüher, Werke, S. 176. 357 Blüher, Werke, S. 176. 358 Blüher, Werke, S. 90. 359 H. Blüher/H.-J. Schoeps, Streit um Israel. Ein christlich-jüdisches Gespräch, Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1933, S. 6. 360 Blüher/Schoeps, S. 7. 361 Blüher/Schoeps, S. 7. 362 Blüher/Schoeps, S. 14. 363 Blüher/Schoeps, S. 14. 364 Blüher/Schoeps, S. 14. 365 Blüher/Schoeps, S. 19. 366 Blüher/Schoeps, S. 23. 367 Blüher/Schoeps, S. 26. 368 Blüher/Schoeps, S. 33. 369 Blüher/Schoeps, S. 33. 370 Blüher/Schoeps, S. 46. 371 Blüher/Schoeps, S. 46. 372 C. Schmitt, Der Leviathan, Köln 1982, S. 108. 373 Blüher/Schoeps, S. 47. 374 Blüher/Schoeps, S. 47. 375 Blüher/Schoeps, S. 47. 376 Vgl. C. Battegay, Das andere Blut. Gemeinschaft im deutsch-jüdischen Schreiben 1830–1930, Köln 2011. 377 Blüher/Schoeps, S. 52. 378 H. Blüher, Werke und Tage, München 1953, S. 383. 379 Blüher/Schoeps, S. 56. 380 Blüher/Schoeps, S. 55. 381 Blüher/Schoeps, S. 55. 382 Blüher/Schoeps, S. 60. 383 Blüher/Schoeps, S. 78. 384 Blüher/Schoeps, S. 90. 385 Blüher/Schoeps, S. 74. 386 Blüher/Schoeps, S. 90.

Anmerkungen

283

387 388 389 390 391 392 393 394 395 396 397 398 399

400 401 402 403 404 405 406 407 408 409

410 411 412 413 414 415 416 417 418 419 420 421 422 423

Blüher/Schoeps, S. 95. Blüher/Schoeps, S. 95. Blüher/Schoeps, S. 116. Schoeps, Schlichte Erinnerungen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 26. Schoeps, Bemühungen um Juden und Judentum, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 145. Schoeps, Bemühungen, S. 146. Schoeps, Bemühungen, S. 147. Schoeps, Bemühungen, S. 152. Schoeps, Bemühungen, S. 152. Schoeps, Bemühungen, S. 152. Mühle, M., Ernst Röhm. Eine biografische Skizze, Berlin 2016. Schoeps, Politische Streiflichter, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 129. K. Bergbauer/S. Schüler-Springorum: »Wir sind jung, die Welt ist offen …«. Eine jüdische Jugendgruppe im 20. Jahrhundert. Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 2002. Schoeps, Literarische Begegnungen, in: Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 15. Schoeps, Literarische Begegnungen, S. 132. Schoeps, Literarische Begegnungen, S. 131. Schoeps, Literarische Begegnungen, S. 128/129. Schoeps, Literarische Begegnungen, S. 96. S. Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004. Schoeps, Rückblicke, Die letzten dreißig Jahre (1925–1955) und danach, Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 97. Schoeps, Rückblicke, S. 97. Schoeps, Rückblicke, S. 98. U. Dunker: Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1919–1938. Geschichte eines jüdischen Abwehrvereins. Düsseldorf 1977; M. Hambrock: Die Etablierung der Außenseiter. Der Verband nationaldeutscher Juden 1921–1935, Köln/Weimar/Wien: 2003. K. J. Herrmann, Das dritte Reich und die deutsch-jüdischen Organisationen 1933– 1934, Köln/Berlin/Bonn 1969, S. 95. Hermann, Drittes Reich, S. 95. Hermann, Drittes Reich, S. 146. Schoeps, Rückblicke, S. 101. Schoeps, Rückblicke, S. 101. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 1. Schoeps, Religionsphilosophie – ohne Seitenzahl Berlin: Vortrupp Verlag Schoeps, Rückblicke S. 108/109 Schoeps, Rückblicke, S. 116. Schoeps, Rückblicke, S. 116. J. C. B. Mohr: Tübingen 1952. Schoeps, Rückblicke, S. 118. Hans-Joachim Schoeps, Das Judenchristentum, Bern/München1964, S. 7.

284Anmerkungen

424 O. Glöckner/H. Müssener (Hg.), Deutschsprachige jüdische Emigration nach Schweden 1774 bis 1945, Berlin/Boston de Gruyter 2017. 425 Schoeps, Rückblicke, S. 118/119. 426 H.-J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Gesammelte Schriften, Bd. 2. 427 http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/ebionaer-e325580 (Abruf: 08.08.2014) 428 Schoeps, Theologie und Geschichte, S. 116. 429 Schoeps, Theologie und Geschichte, S. 200. 430 Schoeps, Theologie und Geschichte, S. 299. 431 Schoeps, Theologie und Geschichte, S. 320. 432 Schoeps, Theologie und Geschichte, S. 342. 433 Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 4, Hildesheim/Zürich/New York 1999. 434 Schoeps, Das Judenchristentum, Bern/München 1964, S. 109/110. 435 H.-J. Schoeps, Paulus, Die Theologie des Apostels im Lichte der jüdischen Religionsgeschichte, Tübingen: J. C. B. Mohr 1959, jetzt: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4. S. V-- 320 436 Schoeps, Paulus, S. 126. 437 Schoeps, Paulus, S. 152. 438 Schoeps, Paulus, S. 163. 439 H. A. Wolfson, The Philosophy of the Church fathers. Faith, Trinity, Incarnation, Cambridge 1970, S. 178, 247. 440 Sidur safa Berura mit deutscher Übersetzung von Rabbiner Dr. S. Bamberger, Nachdruck Basel o. J. S. 43. 441 Vgl. I. Elbogen, Jewish Liturgy. A Comprehensive History. Translated by R. P. Scheindlin, New York/Jerusalem 1993, S. 45 f., sowie G. Alon, The Jews in their Land in the Talmudic Age, Jerusalem 1984, S. 289. 442 Samuel ha Katan, in: Encyclopedia Judaica, Vol. 14, Jerusalem o. J., S. 815/816. 443 »Samuel ha Katan«, in: Encyclopedia Juadaica, Vol. 14, Jerusalem o. J., S. 815/816. 444 J. M. Modrzejewski, Les Juifs d’Egypte de Ramses a Hadrian, Paris 1991, S. 169 f. 445 P. Schäfer, Geschichte der Juden in der Antike, Stuttgart 1983, S. 155–158; H. H. Ben-Sasson (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 1., München 1981, S. 405–407. 446 A. Chouraqui, Histoire des Juifs en Afrique du Nord, Paris 1985, S. 58 f. 447 Eric Segelberg: Mandæan – Jewish – Christian. How does the Mandæan tradition relate to Jewish and Christian tradition? In: Segelberg: Gnostica – Mandaica – Liturgica (Acta Universitatis Upsaliensis. Historia Religionum 11), Uppsala 1990. 448 Vgl. G. Stemberger, Juden und Christen im Heiligen Land. Palästina unter Konstantin und Theodosius, München 1987, S. 24 f. 449 bSabbath 116a. 450 bShabbat 111 a-b. 451 »Eliezer ben Hyrcanus«, in: Encyclopedia Judaica, Vol. 6, Jerusalem o. J., S. 619–623. 452 bAboda Zara, 16 b. 453 M. Simon, Verus Israel, Oxford 1986, S. 184; M. Jacobs, Das Christentum in der antiken Welt, Bd. 2, Göttingen 1987, S. 44/45. 454 A. M. Ritter, Alte Kirche, Neukirchen 1985, S. 14/15

Anmerkungen

285

455 E. M. Meyers, Roman Sepphoris in light of New Archaeological Evidence and Recent Research, in: L. I. Levine (Hg.), The Galilee in Late Antiquity, New York/Jerusalem 1992, S. 324 f. 456 E. W. Stegemann/W. Stegemann, Urchristliche Sozialgeschichte, Berlin/Köln 1995, S. 205 f. 457 Simon, Verus Israel, S. 197 f. 458 Stemberger, Juden und Christen S. 66–73. 459 M. Avi-Yonah, Geschichte der Juden im Zeitalter des Talmud, Berlin 1962, S. 170. 460 J. Neusner, Rabbinic Political Theory, Chcago 1991. 461 S. J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness – Boundaries, Varieties, Uncertainties, Berkeley 1999. 462 H.-J. Schoeps, Philosemitismus im Barock, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul ­Siebeck) 1952, S. 1. 463 Schoeps, Philosemitismus, S. 18. 464 L. Strauss, Gesammelte Schriften, Bd. I, Stuttgart/Weimar 2008, S. 116–125. 465 Schoeps, Philosemitismus, S. 41. 466 Schoeps, Philosemitismus S. 53, Ein Däne. 467 Schoeps, Philosemitismus, S. 65. 468 Schoeps, Philosemitismus, S. 66. 469 Schoeps, Philosemitismus, S. 81. 470 Schoeps, Vom himmlischen Fleisch, Gesammelte Schriften, Bd. 5. 471 Schoeps, Das Judenchristentum, in: Gesammelte Schriften, Bd. 5. 472 Schoeps, Das Judenchristentum. 473 Schoeps, Das Judenchristentum S. 9. 474 Schoeps, Das Judenchristentum, S. 13. 475 Schoeps, Rückblicke, in: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 119. 476 Schoeps, Rückblicke, S. 119. 477 Schoeps Rückblicke, S. 119. 478 https://www.hu-berlin.de/de/ueberblick/geschichte/stolpersteine/biographien/ErnstMoritsMartinHorwitz 479 Schoeps, Rückblicke, S. 123. 480 Schoeps, Rückblicke, S. 121. 481 Schoeps, Rückblicke, S. 121. 482 Schoeps, Rückblicke, S. 122. 483 Deutscher Vortrupp im Exil – ein Rundbrief vom August 1939, in: H.-J. ­Schoeps, »Bereit für Deutschland«. Der Patriotismus deutscher Juden und der Nationalsozialismus, Berlin 1970, S. 166 f. 484 Schoeps, Bereit für Deutschland, S. 168. 485 U. Raulff, Kreis ohne Meister, München 2010, S. 318. 486 Th. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt a. M. 1966, S. 353/354. 487 Th. W. Adorno, Briefe an die Eltern 1939–1951, Frankfurt a. M. 2003, S. 530. 488 Schoeps, Posthume Gedanken, in: Schoeps Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 238. 489 Schoeps, Posthume Gedanken, S. 238. 490 Schoeps, Posthume Gedanken, S. 239. 491 Schoeps, Posthume Gedanken, S. 235. 492 Schoeps, Posthume Gedanken, S. 236.

286Anmerkungen

493 Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Eine Dokumentation zusammengestellt und eingeleitet von Rolf Seeliger, Heft 1, München 1964, S. 5 ff. 494 Schoeps, Posthume Gedanken, S. 236. 495 Schoeps, Posthume Gedanken, S. 237. 496 Zitiert nach N. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. I, Göttingen 2012, S. 222. 497 Lübbe, Hermann, Vom Parteigenossen zum Bundesbürger – über beschwiegene und historisierte Vergangenheiten, München 2007. 498 N. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. I, Göttingen 2012, S. 801. 499 C. Albrecht u. a., Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 1999, S. 192. 500 The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology. Princeton 1957. 501 http://sunsite.berkeley.edu/uchistory/archives_exhibits/loyaltyoath/symposium/kantorowicz.html (Abruf: 12.04.2019) 502 http://sunsite.berkeley.edu/uchistory/archives_exhibits/loyaltyoath/symposium/timeline/may_june_1949.html (Abruf: 12.04.2019) 503 H.-J. Schoeps, Bereit für Deutschland, Haude und Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1970, S. 168. 504 Schoeps, Bereit, S. 168. 505 Schoeps, Bereit, S. 169. 506 Schoeps, Rückblicke, S. 125. 507 Schoeps, Rückblicke, S. 126. 508 Schoeps, Rückblicke, S. 126. 509 Schoeps, Rückblicke, S. 128. 510 Schoeps, Rückblicke, S. 130. 511 Schoeps, Rückblicke, S. 131. 512 Schoeps, Rückblicke, S. 131. 513 Schoeps, Rückblicke, S. 132. 514 J. H. Schoeps, Leben in schwierigen Verhältnissen. Hans-Joachim Schoeps im schwedischen Exil, in: Glöckner, O./Müssener, H. (Hg.), Deutschsprachige jüdische Emigration nach Schweden, Berlin/Boston 2017, S. 110. 515 Schoeps, Leben in schwierigen Verhältnissen, S. 111. 516 https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Sch%C3 %A4ffer_(Ministerialbeamter) (Abruf: 12.04.2019) 517 Zitiert nach Schoeps, Leben in schwierigen Verhältnissen, S. 110. 518 Schoeps, Leben in …, S. 111. 519 https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Gerstenmaier#Positionen_im_Kirchenkampf (Abruf: 12.04.2019) 520 Schoeps, Rückblicke, S. 139. 521 Dem Verfasser von Julius Schoeps mitgeteilt. 522 Schoeps, Wie alles sein wird, Unveröffentlichtes Manuskript (wahrscheinlich 1946), S. 1. 523 Schoeps, Wie alles sein wird, S. 1. 524 Schoeps, Rückblicke, S. 142.

Anmerkungen

287

525 Schoeps, Rückblicke, S. 143. 526 M. Brocke/H. Jochum (Hg.), Wolkensäule und Feuerschein. Jüdische Theologie des Holocaust, München 1982; E. L. Fackenheim, The Jewish Bible after he Holocaust. A Re-reading, Indiana 1990. 527 M. Susman, Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes, Zürich: Steinberg 1946. 528 Z. Kolitz, Jossel Rakovers Wendung zu Gott, Zürich 2004. 529 H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz, Eine jüdische Stimme, Frankfurt a. M. 1987. 530 Y. Eliach, Chassidische Geschichten aus dem Holocaust, Träume vom Überleben: Chassidische Geschichten aus dem 20. Jahrhundert, Freiburg/Basel/Wien 1985. 531 H.-J. Schoeps, Wie alles sein wird, Unveröffentlichtes Manuskript 1946, S. 2. 532 Schoeps, Wie alles sein wird, S. 4. 533 Schoeps, Wie alles sein wird, S. 7. 534 Schoeps, Wie alles sein wird, S. 7. 535 Schoeps, Wie alles sein wird, in: Julius H. Schoeps, »Die Vergangenheit ist tot, die Gegenwart ist unbarmherzig« Wie Hans-Joachim Schoeps sich im Herbst 1946 die Rückkehr aus dem schwedischen Exil in seine einstige Heimatstadt Berlin vorstellte. Unveröffentlichtes Manuskript, o. J. 536 Schoeps, Wie alles sein wird, S. 7. 537 J. H. Schoeps (Hg.), Im Streit um Kafka und das Judentum, S. 119. 538 https://www.deutsche-biographie.de/gnd118547836.html#ndbcontent (Abruf: 12.04.2019) 539 Schoeps, Rückblicke, S. 148. 540 Schoeps, Rückblicke, S. 154. 541 Schoeps, Rückblicke, S. 158. 542 W. Hempel, Hans-Joachim Schoeps und die deutsche Jugendbewegung – Texte, in: G. Botsch u. a. (Hg.), Wider den Zeitgeist. Studien zum Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps (1909–1980), Hildesheim/Zürich/New York 2009, S. 223. 543 Schoeps, Rückblicke, S. 133. 544 Schoeps, Rückblicke, S. 165. 545 Schoeps, Rückblicke, S. 166. 546 Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 14. 547 Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 10. 548 J. Schoeps (Hg.), Auf der Suche nach einer jüdischen Theologie. Der Briefwechsel zwischen Schalom Ben-Chorin und Hans-Joachim Schoeps, Frankfurt a. M. 1989. 549 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 35. 550 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 36. 551 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 41. 552 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 49. 553 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 57. 554 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 60. 555 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 94. 556 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 62. 557 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 109. 558 Schoeps (Hg.), Briefwechsel, S. 99.

288Anmerkungen

559 J. H. Schoeps, Mein Leben als deutscher Jude, Autobiographische Notizen, Zürich 2003. 560 Schoeps, Mein Leben, S. 38. 561 Schoeps, Mein Leben, S. 38. 562 S. Andresen, Mädchen und Frauen in der bürgerlichen Jugendbewegung. Soziale Konstruktion von Mädchenjugend. Neuwied/Berlin 1997. 563 H. Blüher: Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen. Zweite Auflage, Berlin-Tempelhof 1912, S. 27. 564 U. Geuter, Homosexualität in der deutschen Jugendbewegung..Jungenfreundschaft und Sexualität im Diskurs von Jugendbewegung, Psychoanalyse und Jugendpsychologie am Beginn des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1994. 565 Erardo Cristoforo Rautenberg: Die Demontage des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer. Nicht nur eine Kritik der Biographie von Ronen Steinke. Neue Justiz, Heft 9/2014, S. 369 ff. Dazu Erwiderung von Ronen Steinke: Wissenschaftliche Standards verletzende Polemik. Eine Antwort auf Erardo C. Rautenberg. Neue Justiz, Heft 12/2014, S. 513–515. 566 M. Leilson-Lauritz, Hans-Joachim Schoeps, Hans Blüher und der Männerbund, in: G. Botsch u. a. (Hg.), Wider den Zeitgeist. Studien zum Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps (1909–1980), Hildesheim/Zürich/New York 2009, S. 177–198. 567 Keilson-Lauritz, Hans-Joachim Schoeps, S. 190. 568 H.-J. Schoeps, Was ist der Mensch?, Göttingen/Berlin/Frankfurt 1960, Gesammelte Schriften, Bd. 7. 569 Schoeps, Was ist der Mensch, S. 268–274. 570 Schoeps, Was ist der Mensch, in: Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. 369–402. 571 Schoeps, Mensch, Bd. 7. 572 Schoeps, Mensch, S. 250. 573 Schoeps, Mensch, S. 268. 574 Schoeps, Mensch, S. 269. 575 Schoeps, Mensch S. 269. 576 Schoeps, Die Homosexualität als anthropologisches Problem, in: Ges. Schriften, Bd. 7, S. 270 577 Schoeps, Die Homosexualität, S. 268–274. 578 Berlin 1904. 579 Leipzig 1905. 580 Leipzig 1906. 581 Berlin 1909. 582 Zitiert nach Lauritz-Keilson, Männerbund, S. 192. 583 Dezember 1962. 584 Wie Lauritz-Keilson, Männerbund, S. 193. 585 Lauritz-Keilson, Männerbund, S. 193. 586 Münchner Merkur 16./17.3.1963. 587 Lauritz-Keilson, Männerbund, S. 197. 588 H.-J. Schoeps, Überlegungen zum Problem der Homosexualität, in: ders: Gesammelte Schriften, Bd. 9, S. 369–402, hier S. 383. 589 H.-J. Schoeps, Überlegungen zum Problem der Homosexualität, in: ders: Gesammelte Schriften, Bd. 9, S. 369–402, hier S. 384.

Anmerkungen

289

590 591 592 593 594

595 596 597 598 599 600 601 602

603 604 605 606 607 608 609 610 611 612 613 614 615 616 617 618 619

620

M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie III, Tübingen 1921, S. 203 f. Schoeps, Überlegungen, S. 385. O. Baum, Die jüdische Gefahr, in. Der Jude (1923), S. 416. Baum, Jüdische Gefahr, S. 416. H. Blüher, Secessio Judaica. Philosophische Grundlegung der historischen Situation des Judentums und der antisemitischen Bewegung. Der Weisse Ritter Verlag, Berlin 1922.Veränderte 3. Ausgabe, Voggenreiter Verlag, Berlin 1933. E. Rolnik, Freud auf Hebräisch. Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina, Göttingen 2013, S. 55. Rolnik, Freud, S. 29. Vgl. C. Schulte, Psychopathologie des Fin de Siècle. Der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau. Frankfurt a. M. 1997. D. Wildmann, Der veränderbare Körper, Tübingen 2009. Vgl. M. Brumlik, Freud – Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006. Zitiert nach: C. Bruns, Politik des Eros: Der Männerbund in Politik, Wissenschaft und Jugendkultur (1880–1934), Köln 2008, S. 234. Lessing, Th. Der jüdische Selbsthass, Berlin 1930, München 2004 S. Gilman, Der jüdische Körper und die Integration der Juden, in: G. Dachs (Hg.), Jüdischer Almanach 2011, Frankfurt a. M. 2011, S. 24–33, sowie: S. Gilman u. a. (Hg.), »Der scheine Jid.« Das Bild des jüdischen Körpers in Mythos und Ritual, Wien 1998. S. Gillerman, Samson in Wien: Die theatralische Inszenierung jüdischer Männlichkeit, in: Gilman, Der jüdische Körper, S. 52. S. Gilman, Jewish Self Hatred, John Hopkins 1986. D. Boyarin, Unheroic Conduct: The Rise of Heterosexuality and the Invention of the Jewish Man, University of California Press, 1997. Baum, Jüdische Gefahr, S. 425. Baum, Jüdische Gefahr, S. 427. Schoeps, Geschichte: Kulturidyll – oder?, in: Der deutsche Vortrupp, Februar/März 1934, S. 11. Schoeps, Rückblicke, S. 156. Schoeps, Rückblicke, S. 161. Schoeps, Rückblicke, S. 162. Schoeps, Rückblicke, S. 162. Schoeps, Rückblicke, S. 162. Schoeps, Rückblicke, S. 163. Schoeps, Rückblicke, S. 163. Schoeps, Rückblicke, S. 163. Schoeps, Rückblicke, S. 163. Schoeps, Rückblicke, S. 164. Die folgenden Ausführungen beruhen weitgehend auf dem Text »Veit Harlan in Erlangen. Das Protestschreiben von Hans Joachim Schoeps an den AStA der Friedrich-Alexander Universität«, den Julius Schoeps zur Festschrift für Marita Keilson-Moritz beigesteuert hat. Besonders die direkt von Hans-Joachim Schoeps überlieferten Worte sind erstmals hier dokumentiert. Die Tagebücher von Joseph Goebbels (Eintrag vom 18. September 1940).

290Anmerkungen

621 H. Boberach, Meldungen aus dem Reich. Auswahl aus den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS 1939–1944, München 1968, S. 124. 622 https://de.wikipedia.org/wiki/Veit_Harlan#Nachkriegszeit (Abruf: 12.04.2019) 623 https://de.wikipedia.org/wiki/Hanna_Amon_(Film) (Abruf: 12.04.2019) 624 Deutsche Universitätszeitung, Jg. 7, Nr. 3, 8. Februar 1952, S. 21. 625 Erlangen C 4/1 Nr. 4448). 626 Nachlass Schoeps, Staatsbibliothek Berlin. 627 Nachlass Schoeps, Staatsbibliothek Berlin 628 Nachlass Schoeps, Staatsbibliothek Berlin 629 Schoeps, Nachlass 630 Hans Mommsen: Der Nationalsozialismus. Kumulative Radikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes. In: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 16, München 1976, S. 785–790. 631 Schoeps Nachlass 632 Schoeps, Nachlass 633 Zitiert nach M. Brenner, Jüdische Geistesgeschichte zwischen Exil und Heimkehr: Hans-Joachim Schoeps im Kontext der Wissenschaft des Judentums, in: M. Boll/ R. Gross (Hg.), »Ich staune, dass sie in dieser Luft atmen können.« Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945, Frankfurt a. M. 2013, S. 32. 634 Brenner, Jüdische Geistesgeschichte, S. 32. 635 Brenner, Jüdische Geistesgeschichte, S. 33. 636 M. Horkheimer, Notizen 1950–1969, Frankfurt a. M. 1974, S. 213. 637 Horkheimer, Notizen, S. 35. 638 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 148 Schoeps, Kasten 84. 639 Nachlass Schoeps. 640 Brakelmann, G. Adolf Stoecker und die Sozualdemokratie, in: ders./W. Jochmann/ M. Greschat: Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982, S. 106. 641 Nachlass Schoeps. 642 Nachlass Schoeps. 643 Nachlass Schoeps 644 Nachlass Schoeps 645 H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Neuwird 1967, S. 263. 646 Nachlass Schoeps 647 Nachlass 148, Kasten 83. 648 Nachlass Schoeps, Kasten 83. 649 Nachlass Schoeps, Kasten 83. 650 Nachlass 148, Kasten 84. 651 Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 1/1948, S. 1. 652 Der Spiegel, 52/1967, S. 60. 653 G. Botsch, Hans.Joachim Schoeps, Ernst Benz und die ZRGG, in: ders. u. a. (Hg.), Wider den Zeitgeist. Studien zum Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps (1909–1980), Hildesheim 2009, S. 273–312. 654 Botsch, ZRGGS, S. 293. 655 Botsch, ZRGG, S. 295. 656 Botsch, ZRGG, S. 299.

Anmerkungen

291

657 658 659 660 661 662

663 664

665 666 667 668 669 670 671 672 673 674 675

676 677 678 679 680 681 682 683 684 685 686 687 688 689

https://homepages.uni-tuebingen.de//gerd.simon/ChrPaulO.pdf (Abruf: 12.04.209) Botsch, ZRGG, S. 312. Sandvoß, H.-R. Widerstand in Lichtenberg und Friedrichshain, Berlin 1983, S. 244. Sandvoß, Widerstand, S. 244. W. Gerlach, Als die Zeugen schwiegen, Berlin 1987, S. 25. L. Dencik, Exil, Verzweiflung und Kreativität, in: O. Glöckner/H. Müssener (Hg.), Deutschsprachige jüdische Emigration nach Schweden 1774–1945, Berlin/Boston 2017, S. 70. Schoeps, Ja – Nein – und Trotzdem, S. 161. H.-D. Bamberg, Die Deutschland-Stiftung e. V. Studien über Kräfte der »demokratischen Mitte« und des Konservatismus in der Bundesrepublik Deutschland (= Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft, Bd. 23). https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Ziesel#cite_note-17 (Abruf: 12.04.2019) K. Ziesel, Der rote Rufmord. Eine Dokumentation zum Kalten Krieg, 3. Aufl., Tübingen 1962, S. 13. : H.-J. Schoeps, Der Versuch einer konservativen Sammlung oder die fehlende politische Chance, in: Schoeps, Werke, Bd. 15, S. 178. Schoeps, Versuch, S. 180. Zu Tholuck vgl. K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, Zollikon/ Zürich 1985, S. 459–468. Schoeps, Versuch, S. 194. Schoeps, Versuch, S. 197. H.-J. Schoeps, Antworten an Hetzer und Fälscher, in: ders., Werke, Bd. 15, S. 201– 211. H.-J. Schoeps, Der Weg ins deutsche Kaiserreich, ursprünglich: Propyläen Verlag Berlin 1970, Gesammelte Werke, Bd. 12. Propyläen Verlag Berlin 1970, Gesammelte Werke Bd. 13. H.-J. Schoeps, Das andere Preussen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelm IV, erstmals Haude &Spener: Berlin 1981, Gesammelte Schriften, Bd. 14. Töpner in Schoeps, Das andere Preussen, S. VII. M. Sassenberg, Selma Stern. Erste Frau in der Wissenschaft des Judentums, Berlin 2017. Schoeps, Das andere Preußen, S. IX. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 10. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 11. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 12. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 13. Schoeps, Gesammelte Schriften, Bd. 14, S. IX. Schoeps, Anderes Preussen, S. X. Schoeps, Anderes Preussen, S. X. Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 296–299. Schoeps, Unbewältigte Geschichte, Gesammelte Schriften, Bd. 10. Schoeps, Unbewältigte Geschichte, Gesammelte Schriften, Bd. 10, S. 113. Schoeps, Das andere Preussen, Gesammelte Schriften, Bd. 14.

292Anmerkungen

690 F. J. Stahl, Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. – Bd. 1: Genesis der gegenwärtigen Rechtsphilosophie. Heidelberg 1830, zit. n. 3. Aufl. v. 1854, Bd. I. Geschichte der Rechtsphilosophie, S. 7. 691 F. J. Stahl: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. Bd. 2 und 3: Christliche Rechts- und Staatslehre. Erste und zweite Abtheilung: Heidelberg, 2. Abt., S. 2 f. 692 Schoeps, Ungeflügelte Worte. Was nicht im Büchmann steht, in: Gesammelte Werke, Bd. 16, S. 114. 693 R. Gross, Carl Schmitt und die Juden, Frankfurt a. M. 2005, S. 129. 694 C. Schmitt, Der Leviathan, Köln-Lövenich 1982, S. 107. 695 Schmitt, Leviathan, S. 110. 696 E. Jünger, Politische Publizistik 1919–1933, Stuttgart 2001, S. 587–592. 697 H. Kiesel, Ernst Jünger. Die Biographie, München 2007, S. 314. 698 Kiesel, Jünger, S. 587. 699 Kiesel, Jünger, S. 590. 700 Kiesel, Jünger, S. 590. 701 Kiesel, Jünger, S. 590. 702 Kiesel, Jünger, S. 592. 703 Kiesel, Jünger, S. 592. 704 M. Schoeps, Der deutsche Herrenklub. Ein Beitrag zur Geschichte des Jungkonservativismus in der Weimarer Republik, Erlangen-Nürnberg, Dissertation an der dortigen Philosophischen Fakultät, 1974. 705 ##### 706 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 176. 707 E. Bloch, Hitlers Gewalt, http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_document.cfm? document_id=3914&language=german (Abruf: 12.04.2019) 708 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, in: Gesammelte Schriften Bd. 16, S. 176. 709 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 177. 710 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 177. 711 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 177. 712 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 204. 713 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 228. 714 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 247. 715 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 249. 716 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 228. 717 Schoeps, Unbewältigte Geschichte, S. 251. 718 C. Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, München 2007, S. 778. 719 Schoeps, Unbewältigte Geschichte. 720 Schoeps, Anderes Preussen, Gesammelte Schriften Bd. 14. 721 Schoeps, Anderes Preussen, S. 29. 722 Schoeps, Anderes Preussen, S. 34. 723 Schoeps, Anderes Preussen, S. 34. 724 Schoeps, Anderes Preussen, S. 34. 725 Schoeps, Anderes Preussen, S. 68. 726 Schoeps, Anderes Preussen, S. 69. 727 Schoeps, Anderes Preussen, S. 115.

Anmerkungen

293

728 J. R. Hernandez Arias, Donoso Cortes und Carl Schmitt. Eine Untersuchung über die staats- und rechtsphilosophische Bedeutung von Donoso Cortes im Werk Carl Schmitts, Paderborn 1998. 729 Schoeps, Anderes Preussen, S. 141. 730 Christoph von Maltzahn: Heinrich Leo (1799–1878). Hist. Dissertation, München 1977, S. 139 ff. 731 Schoeps, Anderes Preussen, S. 223. 732 Fischer, H., Der ›Treubund mit Gott für König und Vaterland‹. Ein Beitrag zur Reaktion in Preussen, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 24, Berlin 1975, S. 60–127. 733 Zitiert nach Jahrbuch, S. 60. 734 Fischer, H. in Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, S. 127. 735 Schoeps, Preussen, Geschichte eines Staates, in: Gesammelte Schriften 11. 736 Schoeps, Preussen, S. 222/223. 737 Schoeps, Der Weg ins deutsche Kaiserreich, in: Gesammelte Schriften, Bd. 12. 738 Schoeps, Der Weg, S. 240. 739 Schoeps, Bismarck über Zeitgenossen, in: Schoeps Gesammelte Schriften, Bd. 13. 740 Schoeps, Bismarck, S. 354. 741 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/randglos.htm (Abruf: 12.04.2019) 742 Nachlass Schoeps

294Anmerkungen