Predigt in der Zeit: Dargestellt an der Geschichte der evangelischen Predigt über Lukas 5, 1-11 9783666571145, 3525571143, 9783525571149

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Predigt in der Zeit: Dargestellt an der Geschichte der evangelischen Predigt über Lukas 5, 1-11
 9783666571145, 3525571143, 9783525571149

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Hans Mohr · Predigt in der Zeit

Arbeiten zur Pastoraltheologie Herausgegeben von Martin Fischer und Robert Frick

BAND 11

V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

HANS MOHR

Predigt in der Zeit

Dargestellt an der Geschichte der evangelischen Predigt über Lukas 5,1-11

V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

ISBN 3-525-57114-3 © Vandcnhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973.—Printed in Germany.— Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, Predigten von Zeitgenossen über Wunderberichte des Neuen Testaments zu untersuchen. Zum einen, weil sich in mir als Predigthörer einiger Groll angestaut hatte gegenüber Auslegern, die sich bei Predigten über historisch umstrittene Texte mehr als Nebel- denn als Scheinwerfer betätigten; zum andern, weil ich selbst als Prediger zunehmend Schwierigkeiten empfand, exegetische Einsichten einer in sich heterogenen Gemeinde sachgemäß zu vermitteln. Ich erhoffte mir vom Studium der Predigtpraxis der Väter, Lehrer und Kollegen Hilfe für den eigenen Verkündigungsauftrag. Noch heute bin ich meinem Doktorvater, Professor Dr. Werner Jetter in Tübingen, dankbar für den Rat, statt verschiedener Texte einen Wunderbericht auszuwählen und dessen Auslegung durch die Predigtgeschichte hindurch zu verfolgen. Die Repetentenzeit im Tübinger Stift ermöglichte Sammlung und Sichtung des umfangreichen Materials; Auswertung und Darstellung der Ergebnisse bildeten einen bereichernden Kontrapunkt zur Verwaltungs- und Zuliefer-Arbeit im Vorzimmer des damaligen Landesbischofs der Württembergischen Landeskirche, D.Dr. Erich Eichele. Ohne seine freundliche Nachsicht und Großzügigkeit wäre die Fertigstellung der Arbeit wohl nicht möglich gewesen. Im Jahr 1968 wurde sie von der Evangelisch-theologischen Fakultät der EberhardKarls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Die Drucklegung hat sich durch verschiedene Umstände verzögert. Die Anforderungen des Pfarramts an der Versöhnungskirche in Stuttgart-Degerloch erlaubten es nicht, mittlerweile erschienene Literatur einzuarbeiten. Manche der Ergebnisse - vor allem über das Verhältnis von Tradition und Situation - sind inzwischen Allgemeingut theologischer Forschung geworden. Wenn ich gleichwohl der Ver-

- VI öffentlichung zugestimmt habe, so geschah es in der Hoffnung, daß sich das eigene Vergnügen, die hermeneutische Odyssee eines gewichtigen evangelischen Texts durch nahezu zweitausend Jahre der Auslegungs- und Theologiegeschichte zu beobachten, dem interessierten Leser ebenfalls mitteile. Zu danken habe ich dem Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart für einen beträchtlichen Druckkostenzuschuß; meinen Schwestern Fräulein Hanne Mohr und Frau Adelheid Robisch für wertvolle Hilfe bei Reinschrift und Korrektur, und - last not least - meiner Frau für Anregung, Kritik und manchen Verzicht.

Stuttgart-Degerloch, 29- Juni 1973

Hans Mohr

- VII -

Einleitung Gegenwärtige Verkündigung der Kirche hat zur Voraussetzung, daß Gott einst gesprochen hat. Sie geschieht in der Erwartung, daß er auch heute zu Wort kommen will. Das einst für eine konkrete Situation gesprochene Wort ist für uns verfremdet durch die zeitliche Distanz. Es muß der veränderten Situation jeweiliger Gegenwart ausgesetzt werden, um zu neuem, vollmächtigem Gotteswort werden zu können. Es will dabei nicht nach-, sondern neu gesprochen werden. Dabei geht die Situation, in die hinein es gesprochen wird, verändernd ein in das neue Wort. Diese Veränderung nötigt zur Frage nach der Kontinuität der Sache im geschichtlichen Wandel der Sprache. Die hier heranstehenden Fragen und Probleme sollen im folgenden am Schicksal einer Evangelienperikope dargestellt werden, über die im Lauf der Predigtgeschichte besonders häufig gepredigt worden ist: Lk 5, 1-11. Für die Wahl gerade dieser Perikope sprechen gewichtige Gründe. Sie gehört zum Grundbestand altkirchlicher Perikopen, und so wurde über sie lange Jahrhunderte hindurch alljährlich am fünften Sonntag nach Trinitatis gepredigt; jeder Verfasser einer Evangelien-Postille mußte sich mit ihr befassen. Sodann provoziert dieser Text durch die Vielzahl seiner inhaltlichen Komponenten zu starker Differenzierung und Profilierung der Predigtgegenstände. Dabei tritt die hermeneutische Methode, nach der die Prediger den Stoff ihrer Predigten gewonnen haben, deutlicher zutage als bei in sich homogeneren Texten. Schließlich verspricht der Umstand, daß in Lk 5 ein Naturwunder berichtet ist, besonders deutliche Einblicke in den Umbruch, der die Geistesgeschichte der Neuzeit gegenüber dem Mittelalter kennzeichnet.

- Vili Unser Text diente denn auch gerade in jüngster Zeit verschiedentlich als Modell für exemplarische Besinnung über sachgemäße Verkündigung. So hat H.W. BARTSCH in seiner 1953 erschienenen Schrift "Christus ohne Mythos" eine eigene Predigt Uber Lk 5 in den Mittelpunkt seiner Erwägungen über "Die Botschaft der Evangelien für Jedermann" gestellt. J. KONRAD vergleicht und kommentiert in seinem Buch über "Die evangelische Predigt" fünf zeitgenössische Predigten über unsern Text. Auf dem Zwölften Deutschen Evangelischen Kirchentag 1965 in Köln hat G. KLEIN unter dem Motto "Die Bibel will kritische Leser" eine eingehende Exegese über diesen Text vorgetragen, an die sich eine erregte und die Situation gegenwärtiger Verkündigung

schlaglichtartig

verdeutlichende Diskussion anschloß. Schließlich hat D. RÖSSLER seine Konzeption der Homiletik an der Besprechung zweier Predigten von R. BULTMANN und 0. WEBER über Lk 5 verdeutlicht. Als zeitliche Abgrenzung legt sich der Einsatz bei der Predigt der Reformationszeit nahe. Die altkirchliche und die mittelalterliche Predigt wird nur soweit herangezogen, als dies zur Erhellung des neuen Predigtverständnisses der Reformatoren notwendig ist. Eine Einseitigkeit der Quellen ergibt sich daraus, daß wir nur auf gedruckte Predigten zurückgreifen konnten. Man wird nicht unbedingt unterstellen können, daß damit auch die jeweils besten Predigten der Nachwelt erhalten geblieben sind. Bei der Fülle der vorliegenden Predigtliteratur sowie bei der Schwierigkeit, an sie zu gelangen, ist Vollständigkeit nicht zu erreichen. Immerhin sollten die wichtigsten Strömungen der Predigtgeschichte wenigstens durch einige maßgebliche Namen vertreten sein. Insgesamt wurden 240 Predigten untersucht; dazu wurden eine Reihe von Predigten über Joh 21 als über die Johanneische Parallele sowie etliche

- IX Themapredigten über das Wunderproblem zum Vergleich beigezogen. Da die Predigten z.T. schwer zugänglich sind, habe ich die für die Darstellung wesentlichen Ausschnitte im Wortlaut wiedergegeben; die Auswirkungen auf den Umfang der Arbeit mußten hierfür in Kauf genommen werden. Nach einem Überblick über die Geschichte der Predigt über Lk 5 wird zunächst die Frage erörtert, in welchem Maß der Text unsrer Perikope in den Predigten selbst zu Wort kommt, und auf welche Weise er erläutert wird. Das Hauptgewicht der Arbeit liegt bei der weiteren Frage, wie er jeweils in die Gegenwart übertragen wurde. Dabei gilt unser besonderes Interesse der Art und Weise, in der die Spannung von Tradition und Situation in den Predigten zum Ausdruck kam. Das heimliche Ziel, das ich bei dieser vorwiegend predigtgeschichtlichen Untersuchung nicht aus dem Auge verlieren wollte, war und ist es freilich, Gesichtspunkte und Kriterien für die gegenwärtige kirchliche Predigt zu gewinnen. Man kann am Beispiel dieser einen Perikope in der Tat zeigen, daß die historisch-kritische Arbeit am Text des Neuen Testaments einer vollmächtigen, prophetischen Predigt nicht im Wege zu stehen braucht, sondern diese fördern und vor Irrwegen bewahren kann.

- XI I N H A L T V o r w o r t

V

E i n l e i t u n g

VII

L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s

XIV

I.

Die Predigten und Auslegungen

XIV

II.

Sekundärliteratur

XXVIII

ERSTER TEIL H I S T O R I S C H E R

Ü B E R B L I C K

Einleitung 1.

1

Kapitel Die Predigt der Reformationszeit

2.

13

Kapitel Die Predigt im Pietismus

4.

4

Kapitel Die Zeit der lutherischen Orthodoxie

3.

1

18

Kapitel Die Neuorientierung der Predigt Neologie, Rationalismus, Supranatural i smus

5.

34

Kapitel Das neunzehnte Jahrhundert I. Der Neuansatz Schleiermachers II. Pietismus und Erweckungsbewegung III. Konfessionelle Theologen IV. Theologen der Vermittlung

41 42 45 49 52

V. Lutheraner mit vorwiegend seelsorgerlicher Ausrichtung 6.

54

Kapitel Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs I. Die liberale Schule II. "Moderne Predigt"

58 59 60

III. Die soziologisch gezielte Ausformung der "modernen" Predigt IV. Die vaterländische und die Kriegspredigt

64 81

- XII 7.

Kapitel Die Predigt der Zeitgenossen seit Karl Barth I.

Karl Barth und seine Schüler

II.

91

Zwischen den Fronten

101

Die historisch-kritische Schule

109

Ausblick

117

III. IV.

87

ZWEITER TEIL S Y S T E M A T I S C H E

U N T E R S U C H U N G

A DIE ROLLE DER TEXTERLÄUTERUNG IN DER PREDIGT 1.

124

Kapitel Erklärung von Personen, Sachen und Begriffen

4.

122

Kapitel Synoptische Ausrichtung

3.

121

Kapitel Der Zusammenhang, in dem die Perikope steht

2.

121

133

Kapitel Die Einzelerklärung unsrer Perikope am Beispiel der Verse 1-3

5.

142

Kapitel Wucherungen der Texterläuterung I. Schöpferische Phantasie II. Argumentatio irrealis

159 159 163

III. Eintragving moderner Fragestellungen

165

DIE VERGEGENWÄRTIGUNG DES EXEGETISCHEN ERTRAGS

170

Β

1.

Kapitel Strukturen der Vergegenwärtigung I. Kontinuität der Botschaft II. Reflektierte Distanz III. Die Rolle der Allegorese in der Predigt

170 171 176 179

- XIII 2.

3.

4.

5.

Kapitel Das Verhältnis von Predigtthema und Textskopus I. Ubereinstimmimg von Textskopus und Predigtziel II. Textgemäße Modifikationen III. Schwerpunkt-Verschiebungen IV. Externe Predigtthemen V. Textimplikationen als Predigtthemen VI. Zentrifugale Kräfte VII. Emanzipation von Textmotiven Kapitel Verstehenshilfen I. Form und Gliederung der Predigt II. "Ornatus" als Möglichkeit und Gefährdung III. Similitudo IV. Exempla V. Auctoritates Kapitel Situation und Predigt I. Die Person des Predigers II. Der Hörer als Zeitgenosse III. Predigt und Zeitgeschehen - die Aktualität der Predigt IV. Predigt und Zeitgeist - dargestellt an der Behandlung des Wunderproblems Kapitel Die prophetische Dimension der Predigt I. Tradition und Situation im Neuen Testament II. Sprache in der Zeit III. Prüfung der Geister

191 192 194 196 199 200 202 215 218 219 230 235 248 255 263 264 270 277 285 321 321 338 346

S c h 1 u ß

350

A n m e r k u n g e n

357

- XIV Literaturverzeichnis (Die Quellen wurden der einfacheren Zitation halber durchnumeriert; ältere Titel gebe ich - entgegen der üblichen Zitationsweise - nach Möglichkeit im Wortlaut wieder.) I.

Die Predigten und Auslegungen

A

Bis zur Reformation 1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11

12 13 14 15

Sancti AMBROSII Expositio Evang.See.Luc.Lib. IV, MPL 15, coli. 1633-1636. Quaestionum Evangeliorum, S. AUGUSTINI Liber Secundus: Quaestiones In Evangelium Secundum Lucam, MPL 35, col. 1333. Sancti AURELII AUGUSTINI De Consensu Evangelistarum Libri Quattuor ed. F. WEIHRICH, CSEL 43, 137-141. In Joannis Evangelium, S. AUGUSTINI Tractatus CXXII. MPL 50, col. 1962 f. BEDAE VENERABILIS Opp.Pars II. Sect. I. Exegetica Genuina In Lucae Evangelium Expositio, MPL 92, coli. 381-384. BEDAE VENERABILIS Opp.Pars II. Sect. I. Exegetica Genuina In S. Joannis Evangelium Expositio, MPL 92, coli. 922-938. Sancti CYRILLI Archiepiscopi Alexandriae Explanatio In Lucae Evangelium, MPG 72, coli.551-555· Sancti GREGORII MAGNI XL Homiliarum In Evangelia Lib.II, MPL 76, col. 1184 f. THEOPHYLACTI Bulgariae Archiep. Enarratio In Evangelium Lucae, MPG 123, col. 758 f. EUTHYMII Expositio in Lucam, MPG 129, col.918 f. GLOSSA ORDINARIA und GLOSSA INTERLINEARIS zu Lukas 5, 1-11, 138 ff; in Ermangelung einer kritischen Neuausgabe wurde das Exemplar des Ev.Stifts in Tübingen beigezogen. GLOSSA ORDINARIA und GLOSSA INTERLINEARIS zu Joh 21, 242 ff. (cf. Nr.11). Doctoris Seraphici S. BONAVENTURAE ... Commentarius In Evangelium S. Lucae, Bd. VII der Werke, Florenz 1895, 112-119NICOLAUS DE LYRA, Postilla litteralis et moralis zu Lukas 5 (wie Nr.11). Ders., Postilla litteralis et moralis zu Joh 21 (cf. Nr.11).

- XV -

16

JOHANN TAULER's Predigten. Nach den besten Ausgaben und in unverändertem Text in die jetzige Schriftsprache übertragen. Zweyter Theil, Frankfurt 1826, 271-285.

Β

Das 16. Jahrhundert

17 18

21

LUTHER, " " " "

22

"

23 24

" " " "

19 20

25 26 27 28

29 30 31 32

33 34 35 36

37

Pr. Pr. Pr. Pr. Pr.

am am am am am

Pr. am

20.Juli 5.Juli I9-Juni I2.Juli »7.Juni

1522 1523 1524 1528 1529

9.Juli 1531

WA 103, 228 ff. WA 11, 144 ff. WA 15, 636 ff. WA 27, 253 ff. zit. BUCHWALD, 470 ff. zit. BUCHWALD, 402 ff. WA 36, 201 ff. WA 37, 108 ff. WA 37, 476 ff. WA 37, 555 ff. WA 10 1II 324 ff.

Pr. am 50.Juni 1532 Pr. am I3·Juli 1533 Pr. am 5-Juli 1534 Pr. am >2.Okt. 1534 Sommerpostille (R) (entspricht Nr.17) Sommerpostille (Cr) WA 22, 74 ff. Hauspostille WA 52, 394 ff. IOANNIS CALVINI Opera Quae Supersunt Omnia, CR 45, coli. 147-152 (Harmonia Evangelica). PHILIPPI MELANTHONIS Opera Quae Supersunt Omnia, CR 25, coli.138-147. Operum Reverendi Viri PHILIPPI MELANCHTONIS Pars Tertia Quae Continet Enarrationes Euangeliorum Dominicalium, Wittenberg 1563, 110-112. Pericopae Evangeliorum, ... expositae per IOANNEM BRENTIUM, Frankfurt 1546. Pr.am 5.S.p.Tr.1537: 363 - 367 Pr.am 5.S.p.Tr.1542: 367 - 370 In Evangelia Dominicalia, Postilla ... Auth. M. ERASMO SARCERIO Annaemontano, Frankfurt 1540, 267-274. M. VEIT DIETRICH'S weil. Predigers an der Pfarrkirche St. Sebald zu Nürnberg, Haus-Postille, ed. J.T.Müller, Stuttgart 1845, 215-220; (Der Titel "Haus-Postille" ist falsch; wiedergegeben ist der Text der "Kinderpredigt" von 1546, die uns als "Kinder Postilla", Nürnberg 1577 vorlag; die Predigt steht hier Bl. 169-172). Annotationes scholasticae in evangelia Dominicalia ... Collecta et dictata a LUCA LOSSIO, Frankfurt 1554, 195 ff.

- XVI 38

Auslegung der Sontags Evangelien ... Geprediget in S. Jochimsthal durch JOHANN MATHESIUM, Wittenberg 1565, 148-156.

39 40 41

Außlegung der Evangelien, ... Darinn ein jedes Evangelium in drey, bißweilen auch in vier Predigten verfasset ist. Gestellet, durch M. CHRISTOFFORUM FISCHER, O.O., 1577 (Drei Predigten über Lukas 5 ohne Seitenzahlen).

42

Postilla... Geprediget zu Rostogk, Durch SIMONEM PAULI, Frankfurt 1582, 318-326.

43 44

Postilla... Durch D. TILEMANUM HESHUSIUM, Helmstadt 1580, 273-278 (2 Predigten).

45 46

Homiliarum in Evangelia Dominicalia ...Authore... R0D0LPH0 WALTHERO Tigurino, Lugduni Batavorum (= Leyden) 1585, 127-233 (2 Homilien).

47

Postilla ... von newem zugericht und in Truck gegeben, Durch EGIDIUM HUNNEN, Wittenberg 15922, 776-795. Kirchen- oder Hauß-Postilla ... geprediget, durch M. VALENTINUM WEIGELIUM, Meißen 1720 ¿ , 160-167 (Erstausgabe nach M. Schian, RE3 15,674: 1611).

48

49

C. SCHWENCKFELD, Corpus Schwenckfeldianorum Bd. 10, 471-494.

50

Bawren Postilla... Geprediget... Durch LUCAM OSIANDRUM, Tübingen 1597, 77-84.

C

Das 17- Jahrhundert

51

Praxis Euangeliorum. Einfeltige erklärung und nützliche betrachtung der Euangelien, so auff alle Sontage und vornemesten Feste Jährlich zu predigen verordnet sind ... durch MARTINUM MOLLERUM, Dritter Theyl, Görlitz 1601.

52

Homiliae academicae, in pericopas evangeliorum et epistolarum ... in Academia Argentoratensi pronunciatae, a IOHANNE PAPPO, Straßburg 1603, 343-353-

53

Herrn JOHANN ARNDTS ... Postille, Erster Band, Hof 1736, 711-726. Predigten über die alten Evangelien ... von JOHANNES ARNDT ... hg. von M.S.C. KAPFF, Stuttgart 1848, 555-567. Postilla, Oder Außlegung der Episteln und Evangelien ... in Truck verfertiget, Durch AEGIDIUM HUNNIUM, Frankfurt 1607, 283-290.

54 55 56 57

Postilla Textualis ... Durch TOBIAM WAGNERN, Eßlingen 1640, 473-483Dsgl. II. Band, Eßlingen 1652, 504-517-

- XVII 58 61 62

Sacrarum Homiliarum in pericopas Evangeliorum Dominicalium ... a JOHANNE GERHARDO D. conscriptarum, Jena 1647, 453-470 (4 Homilien). VALERII HERGERGER's Evangelische Herz-Postille, neu hg. von J.F. BACHMANN, Berlin 1853, 467-475.

63

Dr. HEINRICH MÜLLER 1 s evangelischer Herzensspiegel, Erste Abtheilung: Evangelien-Predigten, Hamburg 1847, 351-359

64

Evangelisches Memorial oder Denckmahl Der Erklärungen, über die Sontägliche Evangelien, ... Welche ... in Truck außgefertiget worden Von JOHAN.CONRAD DANNHAWERN, Straßburg 1661, 555-567.

65

Vollständiger Catalogus Aller dererjenigen Predigten, Welche von Hn. D. PHILIPP JACOB SPENERN ... sind gehalten worden, Von dem Wohl-Sel. Herrn Autore eigenhändig aufgesetzet, und nunmehro Denen Liebhabern Spenerischer Schrifften zum besten in gehöriger Ordnung Durch öffentlichen Druck übergeben, Leipzig 1715 (enthält jeweils Angaben über Exordium, Text, Doctrina und Druckausgabe; über Lk 5 sind 29 Predigten registriert). Davon lagen uns vor: 81 Die Evangelische Glaubens-Lehre, In einem Jahrgang der Predigten Bey den Sonn- und Festtäglichen ordentlichen Evangelien ... auff mehrer Gottseliger hertzen verlangen in truck gegeben, Von PHILIPP JACOB SPENERn, Frankfurt 1688, 870-889.

93

83 Der Evangelische Glaubens-Trost ... Auch auff mehrer gottseliger Hertzen Verlangen zum Truck Uberlassen Von PHILIPP JACOB SPENERn, Frankfurt 1711, Bd. II, 166-180. 94

Die Geheiligte und Gott wolgefällige Christliche Hauß-Haltung ... von CHRISTIAN SCRIVERn, Leipzig 1695, 1008-1027.

95

M. CHRISTIANI SCRIVERs ... Evangelica Symbolica, Oder Sonderbahre, nachdenckliche und erbauliche Gedenck-Sprüche über die Sonn- und FestagsEvangelia..., Leipzig 1697, 968-993-

D

Das 18. Jahrhundert

96

AUGUST HERMANN FRANCKENS ... Sonn- Fest- und Apostel-Tags-Predigten ... Halle Bd. II, 1704, 176-205.

97 98

Evangelisches Denk-Mahl, Darinnen eine zweyfache Betrachtung über alle Sonn- und Fest Evangelien,... Welches Seinen lieben Zuhörern ... schrifftlich hinterlassen wollen M. GEORG LUDWIG RÖGNER, Straßburg 1709, 732-756 (2 Predigten).

- XVIII 99

100

101 110

Evangelische Reden über die Sonn- und FesttagsEvangelien zu einer bequemen Hauß- und ReisePostill heraus gegeben ... durch GOTTFRIED ARNOLD, Leipzig 1713 2 , 377-384. IOHANNIS GERHARDI MEUSCHENi... Postilla Mystica Evangelica. Das ist: Der Geheime Geistliche Sinn der Sonn- und Festtags- Evangelien..., Frankfurt 1713, 752-771. M. JOHANN LEONHARD FRÖREISSENS ... Zehenfache richtige Eintheilung Und Erklärung Derer Ordentlichen Sonn- und Festtäglichen Evangelien, Straßburg 1725, 972-1000 (10 mehr oder weniger detailliert ausgeführte Predigtdispositionen).

111

M.JOHANN FRIEDRICH FLATTICHs, Evangelischen Garnison-Predigers in der Reichs- Vestung Kehl Soldaten-Postille, Darinnen Die Sonn- Fest- und Feyertags-Evangelien deutlich erkläret, Die Pflichten der Kriegs- Leute daraus bewiesen, Und die Atheisten, Naturalisten, Indifferentisten, FreyGeister, und andere Höhen, die sich wider Gott und Christum in Lehr und Leben erheben, Aus Gottes Wort, der gesunden Vernunfft, den H. Kirchen-Vättern, und den Symbolischen Büchern der Evangelischen Kirche bestritten werden ..., Tübingen, Auf Kosten des Auctoris, im Jahr 1733, 132-148.

112

Dr. JOHANN ALBRECHT BENGEL 1 s hinterlassene Predigten, hg. v. J.C.F. BURK, Reutlingen 1839, 481-488 (in Denkendorf am 6.Juli 1738 gehaltene Predigt).

113

Tuba Tubingensis Clangens Novissima, Oder Tubingische Haus-Postill... Von M. GEORG BURCKHARD RÜMELIN, Tübingen,1739, 441-450. Auszüge aus des sei. Ordinarli der Evangelischen Brüderkirche Herrn NICOLAUS LUDWIG, Grafens und Herrn VON ZINZENDORF UND POTTENDORF sowol ungedrukten als gedrukten Reden über die vier Evangelisten, gefertiget und herausgegeben von GOTTFRIED CLEMENS, Bd. 4, Barby 1773, 257-263·

114

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116 117

118

Herzens-Postille, oder zur Fortpflanzung des wahren Christenthums in Glauben und Leben über alle Fest- Sonn- und Feiertags- Evangelien gerichtete Predigten, von M. GEORG CUNRAD RIEGER ... Bd. II. Stuttgart 1854, 95-118 (erstmals 1742 erschienen). Neue Predigten über die sonn- fest- und feiertägliehen Evangelien ... von M. FRIEDRICH CHRISTOPH STEINHOFER, hg. v. A. Knapp, Tübingen 1846, 364-377 (2 in Teinach 1753 und 1754 gehaltene Predigten). Evangelischer Glaubens- Grund in der heilsamen Erkenntniß Jesu Christi aus denen Sonn- Fest- und Feyertäglichen Evangelien. In einem ordentlichen Jahrgang gehaltener Predigten ... dargethan von

- XIX M. FRIEDRICH CHRISTOPH STEINHOFER..., Speyer 1763, 543-555119

Die Evangelien- Predigten auf alle Sonn- und Feiertage ... vorgestellt von M. FR. CHRISTOPH OETINGER ..., Leonberg 1846, 437-450 (Vorwort OETINGERs: Weinsberg 1758).

120

Des Wirttembergischen Prälaten FRIEDRICH CHRISTOPH OETINGER sämmtliche Schriften, hg.v. K.C.E. EHMANN, Erste Abtheilung, homilet. Schriften, 2. Band, Stuttgart 1866, 351-359·

121

M. FRIEDRICH CHRISTOPH OETINGER's Württ. Prälaten in Murrhardt, Predigten über die Sonn- und Feiertags-Evangelien, 3-Bd., Das Murrhardter Predigtbuch, hg.v. K.C.E. EHMANN, Stuttgart 19025, 299-307.

122

Land- Kirchen- und Haus- Postill. Das ist: Kurtzgefaßtes Zeugniß von der Gnade und Wahrheit in Christo... HEINRICH SCHUBERT, Halle 1771^, 433-450 (zwei 1739 gehaltene Predigten). M. ANDREA HARTMANNs ... Evang. u. Epistolische Hauß-Postill, ... In Catechet. Gesprächen, zwischen einem Lehrer und Zuhörer, vorgestellt, ... Eßlingen 1743, 335-345.

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JOH. JACOBI OTHOnis Evangelischer Krancken-Trost ..., Reuttiingen 1755, 557-569. Predigten über die Sonn-, Fest- und FeiertagsEvangelien, das ist: Glaubens-, Lebens- und TrostLehren für Gott liebende Seelen von JOHANN FRIEDRICH STARCK ..., Reutlingen 18467, 388-397 (vor 1757 gehalten). Heilsame Sitten und Erkenntniß welche aus denen gewöhnlichen Sonn- und Fest- Tags- Evangelien des gantzen Jahrs hergeleitet, und der Gemeinde des HErrn vorgetragen hat M. JOHANN JACOB STARCK, Frankfurt 1762, 540-555Sammlung auserlesener Predigten über die Sonn- und Festtäglichen Evangelien des ganzen Jahrs, von berühmtesten Kanzelrednern der Deutschen, Nördlingen 1769. Darin: Eine Predigt von JOHANN ANDREAS CRAMER: 982-996. M. PHILIPP DAVID BURKs ... Evangelien-Postille, Bd. II, Tübingen 1774, 55-65HERDERs Sämmtliche Werke. Berlin 1889, Bd. 31, 396-408 (eine am 16.Juli 1775 in der Schloßkirche zu Darmstadt gehaltene Predigt). Evengelische Zeugnüsse der Wahrheit zur Aufmunterung im wahren Christenthum ... auf Verlangen dem Druck überlassen von Weyland M. IMMANUEL GOTTLOB BRASTBERGER ..., Mannheim 1775, 627-644.

- XX -

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E 140 141 142

143 144 145

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Erster Teil HISTORISCHER ÜBERBLICK Einleitung Während der zweite Teil dieser Untersuchung primär systematisch und nur sekundär innerhalb einzelner Sachgruppen chronologisch ausgerichtet ist, soll hier zunächst ein historischer Überblick gegeben werden über die Themen, liber die zu predigen die Ausleger aufgrund des exegetisch Erhobenen Anlaß genommen haben. Wenigstens in Andeutungen soll dabei versucht werden, die Predigt über unsern Text in die allgemeine Predigt- und Theologiegeschichte einzuordnen. Nun ist die Methode, der Predigt über einen Schrifttext ein Thema zu geben bzw. sie thematisch zu gliedern, bis zur Stunde durchaus umstritten. Die Skala der Predigtformen reicht daher von der ausgesprochenen Homilie bis zur nach allen Regeln der Schul-Rhetorik durchgegliederten Kunstpredigt. Die Homilie zieht sich als Form durch die ganze Geschichte der evangelischen Predigt; sie ist im reformierten Raum sehr viel häufiger als im lutherischen, für den durch MELANCHTHONs starke Ausrichtung auf die rhetorischen Traditionen der Vorreformationszeit eine entscheidende Weiche gestellt war. Reine Homilien finden sich u.a. bei HERDER1, J. CHR. BLUMHARDT2, C. NINCK3, F. GERLACH4, K. BARTH5, FR. HEILER6, CADONAU7, H. VOGEL8 und H. GUTKNECHT9. Gelegentlich, so z.B. bei der Mehrzahl der Schweizer Predigten der Reihe "Aus vieler Zeugen Mund", wird der Homilie ein Thema vorausgestellt, das aber in der Re1π gel ganz allgemein gehalten ist: "Auf dein Wort" ; "Jüngerschaft"11; "Petri Fischzug"12 etc. Der alte und in jüngster Zeit wieder aufgeflammte Streit zwischen Verfechtern der analytischen und synthetischen, zwischen Thema- und Textpredigt ist, soweit es auf eine Alternative hinauskommen sollte, verschiedentlich zu

1 ^

Recht gerügt worden Λ

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M. DOERNE hat sicher recht, wenn

er schreibt: Recht verstandene Thematisierung und Gliederung dient, entgegen heute herrschenden Vorurteilen, der Texttreue der Predigt. Ihre Funktion ist, das Eine und Ganze des Textes zu fassen und vernehmlich machen zu helfen ... 14 Zweifellos spricht für die Form der Homilie, daß sie in der Regel den Prediger mehr dazu anhält, den vorgegebenen Text auszulegen; er entgeht leichter der Gefahr, gleichsam freischwebend aus dem Born seiner theologischen und sonstigen Bildung und Erfahrung zu schöpfen. Die Gefahr aber ist, um mit TRILLHAAS zu reden, daß ... die ganze Homilie schließlich zu einer Perlenschnur von Kurzpredigten über einzelne Verse wird und auf diese Weise jede Einheit verlorengeht . 15 Dieser Gefahr versucht die Themapredigt zu entgehen. Doch auch da zeigt ein Überblick über die vorliegenden Predigten ein breites Spektrum von Möglichkeiten hinsichtlich der Relation von Predigtinhalt und Thema. a) Keinerlei Aussagen über den Inhalt der Predigt enthalten allgemein gehaltene Themen wie etwa "Petrus 1 f\ Fischfang"(LAVATER) oder "Von einem Fischzuge" (RÖM11

HELD)

. Sie dienen lediglich zur Kennzeichnung des

Texts, über den gepredigt wird. b) Stärker spezifiziert die Voransetzung eines - meist wörtlich zitierten - Teils des Texts: "Gehe von mir hinaus" (S0UCH0N) 1 8 ;,"Auf dein Wort" "Nichts gefangen!"

(BEHRENDT) 1 9 ;

(SMEND) 2 0 .

Oder es wird der Predigt ein Vers aus der übrigen Schrift vorangestellt: "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein!" (TH. H E R Z O G ) 2 1 ; "Der Herr ist unser Richter, der Herr ist unser Meister, der Herr ist unser König" (RENDTORFF) 2 2 . c) Bewegung kommt in die Thematik einer Predigt, wenn in ihr eine Entwicklung angezeigt wird:"Drei Stufen der Jüngerschule" beschreibt FR. L 0 0 F S 2 3 , wobei die Stufen in

etwa dem Gefalle des Texts entsprechen. Ähnlich FR. AHLFELD: "Der Herr macht aus Fischern auf dem Meere Men24 schenfischer". d) Die häufigste Form der Themabildung ist die einer systematischen Schwerpunktsetzung. Bei LUTHER, der derlei Formfragen bewußt zweitrangig behandelt hat, sieht das in der Regel so aus, daß er zu Beginn einer Predigt deren Inhalt schmucklos vorausschickt: Das Euangelium ist leicht denen die da glauben, lind helt uns zway stuck für, Nämlich den glauben und zeitliche güter, und glauben und ewige güter ... 25 E. SARCERIUS huldigt einer parataktischen Localmethode: Ohne zwingenden Leitgedanken werden die Hauptgegenstände des Texts numeriert aufgeführt; SARCERIUS nennt nacheinander die fünf "summarii loci"; darauf folgt - dem Text entlang - die explicatio der einzelnen loci Andre Prediger des 16., vor allem aber die Mehrzahl der Prediger des 17. Jahrhunderts verwenden große Sorgfalt auf eine z.T. ausgeklügelte Auffächerung des Hauptthemas in zahlreiche Unterthemen. So arbeitete z.B. E. SPENER mit der Meisterschaft eines barocken Architekten an den Dispositionen seiner Predigten. Im späteren Pietismus setzte sich eine schlichtere Disposition durch man unterschied vielfach nur noch Eingang, Abhandlung und Anwendung 27 Inhaltlich reicht der Spannungsbogen von direkt aus dem Text abgezogenen Themen über seelsorgerlich motivierte zentrifugale Bereiche wie etwa die Themapredigten über 28 das Wunder bis hin zu Themen, die ganz aus der gegenwärtigen Situation der Predigthörer genommen sind: "Etwas werden im Leben" (H. LEHMANN)29. e) Die Sitte, dem Text gleichsam als Kontrapunkt im Thema eine zweite Größe entgegenzustellen und die Predigt dialektisch aus der daraus resultierenden Spannung sich entwickeln zu lassen, ist eine neuere Erscheinung. Dieser Kontrapunkt kann der Ort im Kirchenjahr wie bei JOH.

HAECKER, der unsern Text als Grundlage einer Weihnachts30 predigt benützt^ ; er kann ein andres Schriftwort wie etwa bei SPURGEON Joh 2 1 3 1 ; er kann aber auch ein Goethewort wie bei B. DÖRRIES sein: "Hier oder nirgends ^52 ist, was wir suchen"^ . 1. Kapitel Die Predigt der Reformationszeit 1. Auf die grundstürzende Wandlung, die MARTIN LUTHER vor allem in seinen Predigten für das Gebiet der Hermeneutik herbeigeführt hat, hat schon KARL HOLL in seinem Aufsatz über "Luthers Bedeutung für den Fortschritt der A u s l e g u n g s k u n s t " ^ hingewiesen; GERHARD EßELING hat durch eine umfassende Analyse der Evangelienpredigten LUTHERs die entscheidenden Maßstäbe für die Beurteilung des hermeneutischen Neuen erarbeitet

. Was er im Blick

auf das gesamte Material der Evangelienpredigten LUTHERs allgemein sagt, bestätigt sich durchgängig, wenn man dessen Predigten über eine spezielle Perikope näher untersucht . Das der homiletischen Tradition gegenüber Neue wird bei einem Text wie Lk 5, 1-11 deshalb besonders deutlich, weil hier in ein und derselben Perikope sowohl äußeres wie inneres Geschehen im Bericht des Evangelisten zur Interpretation heranstehen. Die theologische Relevanz der Verse 8-11 liegt zutage; Sündenerkenntnis, das Entsetzen vor der Majestät Gottes, Befreiung von Furcht, Sündenvergebung, Berufung ins Apostelamt, Verlassen der irdischen Bindungen, Nachfolge - das sind Begriffe, bei deren Interpretation durch die Predigtgeschichte hindurch bei aller Verschiedenheit der einzelnen Ausleger doch von Kontinuität gesprochen werden kann.

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Anders ist das bei den Versen 1-7. Hier war die Frage, welche Bedeutung eine in den Evangelien erzählte Handlung für die Christen der jeweiligen Gegenwart hatte, ungleich stärker dem Wandel ausgesetzt, der durch die wechselvolle Geschichte der Hermeneutik gekennzeichnet ist. LUTHER hat hier ohne Zweifel Neuland beschritten. Für seine Auslegung dieses Teils der Perikope fehlen, von Einzelheiten abgesehen, Entsprechungen in der Predigttradition des Mittelalters. Seine wachsende Ablehnung des vierfachen Schriftsinns, sein Pochen auf den buchstäblichen Sinn, der " ... der höhiste, beste, sterckiste und kurtz umb die gantz substantz, weßen und grund 35 der heyligen schrifft" ist, hat zur Folge, daß die Vormachtstellung der Allegorese, durch die v.a. die westliche vorreformatorisehe Tradition wesentlich bestimmt ist, erschüttert wird. 2. Zehn Predigten sind uns von LUTHER über unsern Text •zg überliefert; sie stammen aus den Jahren 1522 bis 1534^ . Dazu kommen die Fassungen der Sommerpostille in der RÖRERschen und in der CRUCIGERschen Bearbeitung, die auf die 1522 gehaltene Predigt zurückgehen, ferner eine Predigt aus der von VEIT DIETRICH bearbeiteten Hauspostille von 1544. Alle diese Predigten fallen durch souveräne Vernachläs37 sigung rhetorischer Schulregeln auf . In der Regel gibt LUTHER zwei Hauptteile an - auch das Ausdruck jenes immerzu dialektisch, in Polen sich vollziehenden Denkens, auf das G. EßELING neuerdings wieder aufmerksam gemacht h a t ^ . Bei der Mehrzahl (acht) der Predigten liegen die beiden Schwerpunkte der Auslegung auf Vers 6 einerseits und auf Vers 8 bzw. Vers 10 andererseits : ... disc:amus ex hoc exemplo, ubi Christus est, satis est an leib und seel ... 39

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Oder, in der Sommer-Postille: Dis Euangelium helt uns fur zwey stück, dadurch es vermanet zu gleuben, und den Glauben stercket, Denn zum ersten zeigt es, das die, so an Christum gleuben, auch zeitlich und in leiblichen nöten von jm versorgt werden und gnug haben. Darnach, das er viel mehr in geistlichen nöten jnen helffen wil ... 40 Bei einigen Predigten - teilweise im eben angeführten Rahmen - tritt ein dritter Schwerpunkt heraus: Der anhand von Vers 1 betonte Hinweis auf die Notwendigkeit des Hörens auf Gottes Wort im Sinn von Mt 6, 33Ein durchgängiges Motiv im ersten Teil - Gott hilft und segnet in leiblichen Nöten - ist der Aufruf zur Arbeit: Nun ob got gleichwol noch bey uns ist und für uns sorget, so will er dennoch die zway von uns haben, arbait und hoffnung, ob ers ain wenig verziehen wurd, Dann er haißt hie Petrum ain vischzug thun, und sagt: Wirff dein netz ein und thu die arbait die ainem vischer zugehört, und laß mich sorgen... 41 Hier ist die entscheidende Weiche gestellt; LUTHER hat das für den "geistlichen" Sinn der Perikope gehalten, der mit dem buchstäblichen in eins fällt. Seither haben ungezählte, die überwiegende Mehrzahl der lutherisch beeinflußten Prediger anhand von Lk 5 teilweise oder ausschließlich über den irdischen Beruf des Christen, Uber Treue, Glauben und Gehorsam im Beruf gepredigt; am 5. post Trin wurde der evangelischen Christenheit die lutherische Berufsethik jahrhundertelang auf nahezu allen Kanzeln nahegebracht. Niemand war in den fast 1500 Jahren vor LUTHER daraufgekommen, über den irdischen Beruf des Christen zu predigen, nur weil Jesus zu Petrus gesagt hatte: "Fahre auf die Höhe, und werfet eure Netze aus ..." Auch wenn wir von unseren exegetischen Voraussetzungen her diesen Topos für problematisch, wenn nicht für falsch halten, so ist doch das bahnbrechend Neue entscheidend: LUTHER wendet sich entschlossen den Hauptgegenständen evangelischen Glaubens zu; er predigt über Anfechtung, Glaube, Trost und über die Bewährung des Glaubens in den Werken, im Beruf. Er ist dabei überzeugt,

- 7 den buchstäblichen Sinn der Schrift auf seiner Seite zu haben, auch wenn seine Bindung an den Text nicht immer gleich eng ist. Die soeben geschilderte Neuorientierung evangelischer Predigt ist schon in der ersten uns erhaltenen Predigt LUTHERs über Lk 5 aus dem Jahr 1522 erkennbar. Nur langsam verliert sich die Allegorese, die im übrigen durchweg als eigenständiger Teil der Predigt scharf vom Hauptteil geschieden und je länger je mehr zu einem unbedeutenden Anhängsel wird, das schließlich auch ganz wegfallen kann. Ausführliche Allegoresen finden sich in den Predigten von 1523, 1524 und 1528; 1529 entfällt sie ganz - auch hier am Detail eine Bestätigimg der Er42 gebnisse G. EBELINGs . 1531 und 1532 sind nur noch kümmerliche Reste von Allegorese wahrnehmbar; lediglich in der Sommerpostille hat sich die Allegorese noch breiter halten können - sie geht ja auch auf eine 1522 ge43 haltene Predigt zurück . Damit ist der Allegorese in der abendländischen Schriftauslegung das Rückgrat gebrochen. Nur noch ganz vereinzelt stoßen wir auf allegorische Gedankengänge, und die Allgemeinverbindlichkeit der allegorischen Topoi ist endgültig dahin. 3. PHILIPP MELANCHTHON hat selbst kaum gepredigt; in einem Brief an Brenz schreibt er: "... ego concionari non possum" (CR 3,150). Die Postilla Melanthoniana, die wir hier heranziehen, ist nach dem Urteil 0. KIRNs "... ein Mittelding zwischen Vorlesung und Predigt" (RE^ 12, 541,3 f.). Und doch hat MELANCHTHON für die evangelisch e Predigt entscheidende Impulse gegeben. Er hat der bei LUTHER frei schäumenden Predigt wieder das streng kanalisierte Flußbett der Schulrhetorik gewiesen; für viele zweit- und drittrangige Prediger im Gefolge LUTHERs sicher eine heilsame Nötigung zu Konzentration und Ordnung der Gedanken. Nach einer ausführlichen topographischen Einleitung44

fragt MELANCHTHON: Qui sunt loci praecipui huius textus? Respondeo. Continet haec narratio praecipue duas materias: unam, de gubernatione gemeint ist der gesamte Kurs kirchlicher Arbeit ... alteram, de privata, consternatione, et consolatione conscientiae. 45 Es folgt unter der Uberschrift 'De primo - secundo loco1 die Abhandlung, die nach der wieder aufgegriffe46 nen Schulregel mögliche Einwände des Hörers nennt und ausführlich beantwortet. Auch die zweite - wesentlich knappere - Auslegung MELANCHTHONs behandelt zwei loci: "I. Exemplum exercitij fidei in rebus corporalibus. II. Exemplum exercitij fidei in terroribus spiritualibus." Mit dieser Themenstellung nähert sich MELANCHTHON offensichtlich der Konzeption LUTHERs. 4. Beim Vergleich zweier Predigten von JOH. BRENZ fällt erstmals auf, daß ein Prediger bei verschiedenen Predigten über einen Text eine gewisse Ökonomie der Themen entwickelt - ein Verfahren, auf das später sehr viel Sorgfalt verwandt werden sollte. In der Predigt von 1537 beginnt er ohne Umschweife mit der partitio: In hoc Euangelio continentur praecipue duo illustria miracula. Alterum est, quod ad verbum Christi Petrus tantam piscium multitudinem concludit ut rumpatur rete. Alterum, quod ad verbum Christi, Petrus, Ioannes, et Iacobus relictis omnibus sequantur ipsum. 48 Während der zweite Teil relativ kurz abgehandelt wird, werden im ersten die "utilitates miraculi" ausführlich gewürdigt : Principio enim sicut omnia miracula Christi, ita et hoc miraculum confirmât veritatem concionum Christi ... Altera utilitas est privata. Admonet enim nos, ut omnia negocia nostra faciamus nomine Dei ... 49

- 9 Dieser letzte Punkt ist in der Predigt von 1542 Hauptgegenstand der Auslegung. JOH. BRENZ geht hier ganz in den Spuren LUTHERs, wenn er spricht vom Segen Gottes I. im irdischen Beruf, II. bei der Erkenntnis der Sünde 5. Eine Predigt von ERASMUS SARCERIUS zerfällt in zwei Hauptteile. Den ersten kündigt der Satz an: ... Nos vero credere debemus huic promissioni, quod deus sic adfeetus sit erga nos, quod et animam et corpus nostrum sustentare et velit et possit. Ad hanc fidem invitât nos Christus in hodierno Evangelio... 51 Auch SARCERIUS folgt hier offensichtlich LUTHER. Den zweiten Teil bildet eine homilieartige Auslegung, die sich aber in fünf Punkten kristallisiert, die die Verse 1, 3, 6, 8 und 10b/11 zum Gegenstand haben. 6. VEIT DIETRICH gibt in der Predigt auf den 5. Sonntag 52 p. Tr. in der Kinderpostille selbst eine Zusammenfassung seiner Predigt: Also haben ewer liebe drey schöne lere. Die erste, wie wir unns sollen an Gottes Wort halten, wenn wir seins segens begeren. Die ander, Das wir für der Sünde, als für dër bittersten galle, vins hüten sollen, die allen trost und freude wegnimbt. Wo aber wir ubereylet werden, unnd fallen, das wir nicht verzagen, sondern bey dem Herrn Christo hülffe und trost suchen, und gewarten sollen. Die dritte gehet fürnemlich auff die, so im Predigampt sind, das es ohn frucht nit sol abgehen, es lasse sich gleich ansehen wie es wolle. Disz netze, das man auff des Herrn Christi wort ausz wirfft, sol für und für dem Teufel leute abfangen, und zu Gott bringen, da sie Vergebung der Sünden und das ewige leben finden sollen... 53 7· Bezeichnend für das Anwachsen rhetorischer Schulung ist der Aufbau einer Predigt von LUCAS LOSSIUS. Er beginnt mit einem Zitat des Melanchthon-Schülers JOHANN STIGEL, um dann aufzuführen: Argumentum - eine Einteilung in zwei - jeweils wieder untergliederte Teile; Evangelium - einfache Lesung; Doctrinae Summariae - nämlich 1. Exemplum ardoris, seu studij audiendi, et amplectendi Verbum Dei.

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2. Doctrina, Labores vocationis esse írritos sine divino praesidio ac favore. 3. Consolatio, obedientes Deo in pia vocatione, abunde habituros vitae necessaria, et defensionem, ... h. Gratitudo pro beneficias, celebratio misericordiae Dei, et confessio verae doctrinae; Explicatio textus; ,-A Obiectiones tres - mit jeweiliger Responsio . 8. Sehr viel freier verfährt JOH. MATHESIUS; ganz in der Art LUTHERs geht er medias in res: Lieben Freunde im HErrn, dis Evangelium lautet von des HErrri Christi predigt, und der Zuhörer grossem vleis, und von S. Peter e r g e b e n e r und fruchtbarer arbeit, und wie er vor dem HErrn Christo erschricket, und von seiner fischerey zu einem Apostel und Menschenfischer beruffen wird ... 55 Der Hauptakzent liegt auch bei ihm auf der Arbeit des Christen. Die diesbezüglichen Auslasssungen lassen an Anschaulichkeit und Angriffigkeit nichts zu wünschen übrig. JOH. MATHESIUS scheut sich dabei nicht, auch ein wenig pro domo zu reden: Arbeiten aber heist nicht allein roden und reuten, mehen und schneiden, Im Berge waschen, seiffen, und hütten, und andere handarbeit treiben, da einer blasen und schwelen an Henden und füssen bekomet, Sondern arbeiten heist auch regieren, predigen, in der Schul dienen, ob man wol hievon kein blase oder schwelen kriegt, so thut solche sorg und arbeit dem haubte und allen ¿refften wehe, wie die erfarung zeuget, das die viel schwecher und krencker sein, so fleissig studieren, und trewlich regieren, denn so mit Handarbeit umb gehen. E i n Schmid und Bergman, wenn er schicht macht, so schmeckt jm sein scharpffkess und Brot von hertzen, und schiefft sanfft, Aber was mit dem Kopf arbeit, das kan offt nicht zur ruhe und schlaff komen. 56 9. Auf reformierter Seite wirkt sich für unsre Perikope negativ aus, daß ZWINGLI sich "unter Berufung auf die alte Kirche ... grundsätzlich von der traditionellen 57 Perikopenpredigt losgemacht ..." hat . Dadurch wurde zwar das Alte Testament und die biblischen Bücher in ihrer Gesamtheit weit stärker Gegenstand der Auslegung, andererseits war es dem Ermessen des Predigers überlassen, worüber er predigen und welche Texte er links liegen lassen wollte.

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Merkwürdigerweise ist über Lk 5 in der reformierten Kirche besonders selten gepredigt worden; erst in allerjüngster Zeit hat sich das geändert. Das einzige, was von CALVIN über Lk 5 erhalten ist, ist eine scharfsinnige Auslegung im Rahmen der Evangelienharmonie, wo er unsern Text mit Mt 4, 18-25 und mit Mk 1, 16-20 vergleicht. Nach einer synoptisch vergleichenden Einleitung legt CALVIN vor allem die Verse 1, 5, 6, 8 und 10 aus, wobei er präzis den Wortlaut der Verse im Unterschied zu den Parallelen erläutert. Aber auch die systematische Auswertung ist ihm wichtig. Als Beispiel für die sorgsam reflektierte Art seiner Vergegenwärtigung sei ein Stück aus seiner Auslegung von Vers 10 zitiert: Non ergo hic generalis solum describitur vocatio ad fidem, sed specialis ad certum munus. Fateor quidem nondum illis iniungi docendi partes, sed tarnen Christus eos in suum contubernium adsciscit et cooptat, ut ad docendum format. Atque hoc prudenter considerandum, quia non omnibus praecipitur, ut parentibus relictis et pristino vivendi genere Christum sequantur pedibus, sed alios contentus est Dominus habere in grege suo et ecclesia, allis propriam stationem attribuit: quibus igitur imposita est publica persona, sciant, a se plus aliquid requiri quam a quibuslibet privatis... 58 10. Von RUDOLF WALTHER sind zwei Homilien über unsern Text überliefert; die eine über das (nur am Rand aufgeführte) Thema: "Christus servator simul et doctor"·^, die andere beschreibt, "Ut discipuli miraculo affecti fuerint"60. 11. Der linke Flügel der Reformation nimmt in der Predigt über Lk 5 eine Sonderstellung ein. Als Beispiel diene eine Predigt CASPAR SCHWENCKFELDs. Er stellt zunächst 24 "Fürnemliche und nutzliche punct" heraus, f> 1

"davon inn disem Sermon wirt gehandelt"

.Hier wird un-

gebrochen allegorisiert; von LUTHERs Kampf gegen die Allegorese ist nichts zu spüren.Dafür greift C. SCHWENCKFELD stärker auf die mystische Tradition v.a.

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TAULERs zurück als etwa auf die durch die GLOSSA ORDINARIA repräsentierte Auslegungstradition. Die Begründung folgt nach: Diß gantze Evangelium, hat ainen gaistlichen verstand, wie es auch Christus selbst gaistlich auflieget. 62 Der Begriff "geistlich" ist hier also wieder beschränkt auf die Allegorese, wie er vor LUTHER, freilich zunächst auch - in den allegorisierenden Partien - von ihm gebraucht wurde. LUTHER hat jedoch je länger je mehr auch den Literalsinn für "geistlich" relevant gehalten. Den 24 Punkten C. SCHWENCKFELDs folgt eine ungemein ausführliche Auslegung der einzelnen Verse, wobei wiederum die Allegorese vorherrscht. Die angeschlossene "Summa dises Evangelij"^ nimmt merkwürdigerweise nur wenig Bezug auf das vorher zu den einzelnen Versen Gesagte. 12. Auch VALENTIN WEIGEL allegorisiert nach Kräften. Er 64 setzt eingangs vier Schwerpunkte0 , die er im folgenden breiter ausführt. Bemerkenswert sind seine scharf kirchenkritisch-polemischen Auslassungen: Quaestio. Wie das nicht alle Menschen also gefangen werden, wie Petrus, so er doch vielen gepredigt wird? Antwort: Es sind zwey Ursachen. Die eine ist die Schuld der Prediger, daß sie unberuffen lauffen und Evangeliziren aus dem natürlichen Menschen. Die ander ist an den Zuhörern, ... Es ist nie erhöret worden, daß GOtt je einen Gelehrten aus den Schulen der Menschen genommen habe zum Predigtamte oder zum Propheten, es sind alles einfältige Leute gewesen, die an ihnen selbst nicht sehr hingen... 65 An beiden Predigern wird eine theologiegeschichtlich bedeutsame Entwicklung sichtbar: Die von den Reformatoren abgewiesene Ausprägung der Allegorese, wie sie für die deutsche Mystik kennzeichnend war, lebt im linken Flügel der Reformation wieder auf und geht von da auf den Pietismus ARNOLDscher Observanz über^. Bei allem Scharfsinn und Gedankenreichtum wird man bei

- 13 beiden Predigern feststellen müssen, daß sie sich zu ihrem und ihrer Hörer Schaden vom allgemeinen Strom reformatorischer Theologie isoliert haben.

2. Kapitel: Die Zeit der lutherischen Orthodoxie Hand in Hand mit der Bemühung, das von LUTHER Überkommene systematisch einzuordnen und kontroverstheologisch abzusichern, wächst in der Homiletik die Erkenntnis, "... daß es zu den Aufgaben des Predigers gehöre, alle Textgedanken, zum mindesten die wichtigeren, zur Gel(Try tung zu bringen..." ; eine mit allen Wassern der Rhetorik gewaschene Kunst der Disposition des Stoffs beherrscht die Predigtbemühung. Daß die gewiß vielfach dogmatisch verknöcherte und polemisch entartete Predigt vor allem des ausgehenden 17· Jahrhunderts durchaus auch eminent effektvoll vorgetragen werden konnte, dafür zeugt die lesenswerte Schilderung der Predigten des orthodoxen Predigers Paulmann im Roman "Anton Reiser" von KARL PHILIPP MORITZ 6 8 . 1. Die Themen der Predigten in der Zeit der lutherischen Frühorthodoxie halten sich zumeist in dem von LUTHER gewiesenen Rahmen. Sie sind mehr oder weniger stark gegliedert nach der homiletischen Schulregel oder, wie etwa bei CHRISTOPH FISCHER, systematisch ausgerichtet: Was wir aus diesem Evangelio lernen sollen. 1. Christi Person. 2. Christi ampt. 3. wie oder welcher gestalt er sein Ampt bestelle und verrichte, nemlich, durchs Predigampt ... 69 FISCHER fährt fort: In welche stück deß Catechismi diß Evangelium gehöret. 69 Er nennt dabei das 1., 3. und 7- Gebot, den 2. und 3. Artikel sowie die 2. und 4. Bitte des Vaterunsers. Die "drey Heubtlehren", die er sodann angibt, fügen zu den von LUTHER vorwiegend betonten Hauptteilen (Gott

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sorgt für Leib und Seele) noch als dritten die Nachfolge. Sie ist denn auch Hauptthema der dritten im gleichen Band abgedruckten Predigt FISCHERs: ... das ein Christ auff vorgehenden befehl deß Herrn Christi alls begeben, und jm, dem trewen Heiland, nachfolgen sol. 69 2. Fast wörtlich lehnt sich auch der Rostocker Professor SIMON PAULI an LUTHER an: Demnach lehret unnd vermahnet uns diß Geschieht deß heutigen Evangelio, daß wir unserm HERRN Gott Leib unnd Seel vertrawen sollen ... 70 3. EGIDIUS HUNNIUS legt ebenfalls eine klare Zweiteilung vor, derzufolge ... Christus zu erst dem Volck aus dem Schiffe eine Predigt thut. Darnach selbige seine gethane Predigt mit Göttlichem Wunderwerck eines ubernatürlichen Fisch fangs bestettigt. 71 Der breiten Auslegung der beiden Teile folgt jeweils eine Zusammenfassung: "Lehr aus dem Ersten (bzw. Andern) Theil." Detaillierte Randüberschriften erleichtern dem Leser der Predigt den Uberblick Uber den Gedankengang. 4. Nur wenig modifiziert finden sich die gleichen Themen bei L. OSLANDER d.Ä. in seiner "Bawren Postilla" von 1597: In diesem Evangelio hält uns der Evangelist Lucas für, mit was grossem Eyffer unnd Fleiß das Volck unsern HERRN Christum in seiner Predigt gehört, also, daß sie sich zu ihm getrungen haben. Zum andern, erzehlt er auch, wie die Apostel Christi, nach volendter Predigt, ein herrlichen wunderbarlichen Fischzug gethon haben ...."72 5. Ein ABRAHAM A SANCTA CLARA der lutherischen Frühorthodoxie ist VALERIUS HERBERGER. Wie sich ein frommes christliebendes Herz mit Gott, Ehren und gutem Gewissen soll, und auch durch Gottes Gnade wohl könne, in dieser schweren Zeit nähren und ernähren. - 73 Dieses primär an Vers 6 orientierte Thema entfaltet HERBERGER in 24 Punkten, die an volkstümlicher Anschaulichkeit ihresgleichen suchen. Daß Simon "ein eignes

- 15 Schifflein" besaß, läßt ihn seine Hörer ermahnen: Dahin richte allen Fleiß, daß du deinen Kindern etwas Eigenes hinterlassen kannst; eigener Heerd ist Goldes werth. Ein Hausgenoß muß viel leiden, ein liegender Grund kann nicht verderben. Wer aber dazu kommen will, muß am Munde anfangen, denn gute Schmecke machen Bettelsäcke. Wo du aber nach Gottes unwandelbarem Rath als Hausgenoß sterben mußt, so siehe zu, daß du ehrlicher Leute Hausgenoß gewesen seist, wie Petrus des frommen Gerbers zu Joppe... 74 Als barockes Postludium fügt HERBERGER sieben Punkte über die Ameise an, deren letzter in der Ermahnung gipfelt: Keine (sc. Ameise) läuft über die Kreide; wenn ein junges Bäumlein eines Fingers breit mit Kreide umschrieben wird, kann keine herab, die droben ist, vind keine hinauf, die drunten ist. Wohlan, lieben Handwerksleute, ihr seid heute mit der weißen Kreide göttlichen Worts umschrieben worden, lauft Gott dem Herrn nicht über die Kreide, lasset euch den Geist Gottes zu allem Guten treiben. Seid nicht schädliche Ameisen, sondern nützlicher Art wie die Ameisen, die guten Weihrauch sammeln und mit ihren eigenen Specereien gute Bäder für kranke Leute geben. Gott vom Himmel segne jetzt alle fleißige menschlichen Ameisen, die hin und wieder auf dem Felde, in Gärten, auf Bleichplänen und im Lande herumkriechen und ihr Körnlein in Ehren suchen... 75 Eine Entsprechung für dieserart bilderreiche Volkstümlichkeit wäre in der Gegenwart allenfalls das schwäbische Dorfpfarreroriginal HANS ECKLE in Zillhausen, dessen drastisch-originelle Predigten leider nicht im Druck vorliegen. Auch an die plastischen Predigten 7f i R. BÖSINGERs wäre zu denken' . 6. Der zweite Band der Evangelien-Homilien JOHANN GERHARDS von 1647 enthält vier Homilien über Lk 5. Es sind Glanzstücke prägnanter, freilich stark lehrhaft orientierter Predigtkunst. Sie sind zugleich ein Beispiel, wie man sich Mühe gab, trotz Perikopenordnung Wiederholungen möglichst zu meiden. Die Themen dieser - nach strenger Definition zu Unrecht so genannten - "Homilien" sind teilweise geistvoll auf-

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einander bezogen und rhetorisch glänzend stilisiert. So überschreibt GERHARD z.E. die drei Hauptteile der ersten Predigt wie folgt: Populi ad audiendum fervor et Christi ad docendum ardor... Labor Petri et benedictio Christi ... ™ Petri timiditas et Christi benignitas ... ' Die zweite Predigt wird zwar als Themapredigt "1. de miraculo ipso, 2. de miraculi consequentibus" angekün70 digt t das Wunder als solches kommt aber kaum in den Blick; auch hier geht es um die von der Tradition vorgegebenen Gegenstände. Speist sich die dritte Predigt aus den Themen der beiden ersten - sie handelt 1. de studio populi. 2. de studio Christi. 3. de miraculo Christi ..., 79 so rundet die vierte den von LUTHER abgesteckten Horizont ab: Excerpemus ex hoc Evangelio doctrinam de pane quotidiano ... 80 7. Einen stärkeren Zug ins Erbauliche im Sinn der "Reform-Orthodoxie" nimmt man bei den Predigten des gefeierten HEINRICH MÜLLER wahr. Das wirkt sich schon beim Thema aus: So gehöret nun dazu, daß du von Christo gesegnet werdest, erstens ein hörendes Ohr ... Zweitens ein betender Mund. Das Dritte, so folget, ist ein gläubiges Herz ... 81 Aber auch der ganze Duktus der Predigt ist gekennzeichnet durch die Intensität seelsorgerlicher Bemühung. 8. Dies gilt auch von den beiden Predigten CHR. SCRIVERs, die beide das Thema "Segen im Beruf" variieren, wobei jeweils eine sorgfältige Explikation des Wort82 lauts vorausgeschickt wird 9. JOHANN ARND nimmt in unserem Zusammenhang eine bedeutsame Mittelstellung ein. Bei ihm sind lutherisches Erbe und das Drängen auf praktische Bewährung eine

- 17 glückliche Verbindung eingegangen. Auch darin schlägt er eine Brücke zur pietistisch-mystischen Tradition, daß bei ihm die - freilich individualistisch gefärbte Allegorese eine kleine, aber immerhin eine Rolle spielt. Hier die Themen seiner beiden Predigten: Wir wollen demnach jetzo zwey Theile abhandeln: Zum Ersten: Von der Liebe zu GOttes Wort, und wie aus dem Ewigen das Zeitliche kommt. Zum Andern: Vom Wunderwercke des HErrn, von desselben Frucht und Krafft. 83 Sodann: I. Warum wir Gottes Wort lieb haben, es für unsern höchsten Schatz halten, und uns darnach dringen sollen, wie dieß Volk im heutigen Evangelium, daß wir den Segen im Wort erlangen. II. Vom Wunderwerk, wie Gott die Liebe seines Worts belohne, oder von den rechten Mitteln, den zeitlichen Segen zu erlangen ... und von 2 Früchten dieses herrlichen Wunderwerks ... Qk 10. Eine Anschauung davon, wie ein Pfarrer in einer Reichsstadt jener Zeit gepredigt hat, geben die beiden Predigten des Eßlinger Pfarrers Dr. TOBIAS WAGNER. Sie handeln unter Bezugnahme auf Vers 1 von den "Kenn- und Merckzeichen eines wahren Eyfers gegen Gott unnd seinem heiligen Wort . i m Blick auf Vers 3 von "Deß fifi Kirchen- Schiffleins Ubiquitet" . WAGNER beginnt jeweils mit der Formulierung des "Thema Concionis". Der "Propositio" folgt eine recht kurze "Erklärung des Texts". Dann erst schließt sich der Hauptteil der Predigt, die "Lehr auß erklärten Worten" an. Der "Gebrauch dieser Lehr", wiederum in verschiedene Punkte aufgeteilt, bildet den Abschluß. 11. Wie eminent richtungsweisend die Predigten LUTHERs noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts für unsern Text waren, zeigt ein Blick nach Straßburg. Der Pfarrer zu St. Nicolai und Canonicus zu St. Thomae JOHANN LEONHARD FRÖREISSEN gab 1725 einen Band heraus mit dem Titel:

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Zehenfache richtige Eintheilung Und Erklärving Derer Ordentlichen Sonn- und Festtäglichen Evangelien Durch das gantze Jahr Samt vielen daraus gezogenen Lehren. 87 In pedantischer Perfektion werden zu jedem Text zehn Dispositionen geliefert. Jede einzelne besteht aus Hauptthema, Nennung der Hauptteile, Einzeldisposition und Usus, diese wiederum nach Didascalia, Paedeutica und Epanorthosis unterteilt - in freier Modulation des von HYPERIUS nach 2. Tim 3, 16 geforderten Aufrisses 8 8 . Von den zehn Dispositionen für den 5. Sonntag p. Tr. handeln fünf ausschließlich oder in einem der Hauptteile vom Hören bzw. Drängen aufs Wort Gottes, sechs von

on

der Berufstreue, eine von der "Geistlichen Fischerei"

.

Da derlei Predigt- und Dispositionshilfen gern und häufig benutzt wurden, kann man sich in etwa eine Vorstellung machen von der Breitenwirkung der homiletischen Wegweisung LUTHERs. 12. Auch gereimte Predigtthemen kommen jetzt auf; so predigte der Neukircher Pfarrer CARL RUDOLPH REICHEL in Auslegung von Lk 5, 8-11 über das Thema Da Petrus sich für sündig hält, Macht Jesus ihn zum Licht der Welt. Im Vorjahr hatte er, wie er eingangs bemerkt, als Thema formuliert: Wer sein Sündenelend kennt bleibt von Jesu ungetrennt.

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3. Kapitel: Die Predigt im Pietismus Schon MARTIN SCHIAN hat in seiner Monographie "Ortho90 doxie und Pietismus im Kampf um die Predigt" darauf hingewiesen, daß bei aller theoretischen Frontstellving der Bahnbrecher des Pietismus gegen das, was man als die Entartung der orthodoxen Predigt ansah, die Predigtpraxis

- 19 dieser Kämpfer sich von der der Bekämpften nicht so fundamental unterschied, wie man das bei der Lektüre der diversen von ihm referierten Streitschriften annehmen könnte. So haben z.B. die Prediger des Halleschen Aufschwungs im Vergleich u.a. mit den Predigern der sog. "Reform-Orthodoxie" für den heutigen Betrachter mehr Gemeinsames als Trennendes. Gleichwohl ist das Gefälle deutlich: Von der lehrhaft-polemischen zur herzandrängend-erbaulichen; von der rhetorisch-dispositorisch gekünstelten zur freiexpektorierenden, alle Regeln als des Geistes unwürdig hinter sich lassenden Predigt. Es gibt über unsern Text aufschlußreiche Beispiele für diese Entwicklung, von den gewaltigen Predigten des Aufbruchs bis hin zu trivialen Epigonen des Pietismus im 19. Jahrhundert, die zwar wie ihre geistlichen Väter der sie einengenden Disziplin der Rhetorik entraten zu können meinten, denen es aber an der geistigen und geistlichen Kraft gebrach, die jene Predigten bis heute so stark wirken lassen. 1. Dank der Neigung PHIL. JAC. SPENERs zur Selbstdokumentation, die sich in einem nach seinem Tod herausgegebenen "Catalogue Aller dererjenigen Predigten, Welche von Hn. D. Philipp Jacob Spenern ... sind gehalten wor91

den ..." , niedergeschlagen hat, sind wir in der seltenen Lage, die gesamte Predigttätigkeit eines der berühmtesten Predigers jener Zeit, auch soweit die Predigten nie gedruckt wurden, zu überblicken; es erscheint daher hier ein ausführlicherer Bericht angezeigt. a) SPENER hat in Straßburg 97, in Frankfurt 1266, in Dresden 376 und in Berlin wiederum genau 1266 Predigten gehalten. Während der Vorbereitung der 1267. Predigt überfiel ihn ... nach des Höchsten Rath und Willen unvermuthet ... seine letzte und tödtliche Kranckheit ... welche ihn nicht nur die vorgenommene Predigt gewöhnlichermassen

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abzulegen, sondern auch das bereits angefangene Concept völlig zu Ende zu bringen verhindert, woraus der Wohl-seel. Mann alsobald geschlossen, auch gegen die lieben Seinigen gedacht, wie daß es vermuthlich göttlicher Wille, daß er nunmehro die Cantzel nicht weiter betreten, sondern mit ebep der Anzahl Predigten in Berlin, wie vormals in Franckfurth, sein Heil. Lehr- und Predigt-Amt nebst seinem Lebens-Lauff zugleich endigen und beschliessen solle, wie solches auch hernach würcklich und in der That erfolget ..." 92 Während der Jahre 1667 bis 1702 hat SPENER, wenn wir der behaupteten Vollständigkeit des Katalogs Vertrauen schenken dürfen, fast jährlich, nämlich 27 mal liber Lk 5 gepredigt; 11 dieser Predigten sind im Druck erschienen. Von den 3005 Predigten, die er gehalten hat, hat er die allermeisten wörtlich ausgeschrieben. Nur zwei Jahre lang, nämlich 1675 und 1676 hat er, dem Drängen seiner Freunde widerwillig gehorchend, sich mit einem kurzen Entwurf auf die Kanzel begeben

1677 hat er, nachdem er

... solche Methode, ohne völliges Concept zu predigen, nicht vor gut und heilsam befunden, dahero seine vorige alte Gewohnheit die Predigten von Wort zu Wort völlig zu elaboriren, wiederum hervorgesucht ... 92 b) Ein Blick auf SPENERs Predigten über unseren speziellen Text^ 1 zeigt, mit welcher Meisterschaft SPENER die Themen seiner Predigten über lange Jahre hinweg disponiert hat. Nach dem Auftakt der ersten Predigt des Jahres 1667, bei der er in Straßburg erläutert hat, "Wie man sich im Zeitlichen zu verhalten ..." habe - hier waren alle elf Verse der Perikope als Text angegeben -, legt er 1669

den Schwerpunkt auf Vers 1 ("Die Hörung Göttlichen Worts der Grund des Heyls");

1670

auf Vers 2 ("Wie sich diejenigen, welcher ihre Arbeit und Nahrung nicht fort will, I. hüten sollen ... II. befleißigen sollen ...");

1671

auf Vers 3 ("Eigenschafften und Tugenden treuer Prediger");

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1672

auf Vers 4 ("Das geistliche Leben ...");

1673

und 1674 auf Vers 5 (Mißerfolg in der Arbeit bzw. der Grund aller rechten Arbeit);

1677

auf Vers 6 und 7 ("Wie GOtt auch der Gottseligkeit leibliche Belohnung und Verheißungen erweise"); auf Vers 8 und 9 (Betrachtung der Wohltaten Gottes führt zu Demut); auf Vers 10 und 11 ("Art, Nutzen und Erforderung des Predigtamts").

1678 1684

Die Lücke der Jahre 1675 und 1676 dürfte sich aus der oben erwähnten Ausnahmesituation dieser beiden Jahre erklären: für 1675 bringt der Katalog keine Predigt, für 1676 ist als vages Thema angegeben: "Etliche Regeln, wie man in dem Zeitlichen sich zu verhalten habe." Es legt sich die Vermutung nahe, daß das Pausieren in der fortlaufenden Schwerpunktauslegung der einzelnen Verse mit der in diesen Jahren nicht so strengen Praeparation zusammenhängt . 1684 ist er mit allen elf Versen zu Ende; zu einem zweiten Durchgang scheint er sich nicht entschlossen haben zu können, und so kreisen die folgenden Predigten (von 1685, 1688, 1689, 1691, 1693, 1695 und 1699) immer wieder um die schon in der allerersten Predigt von 1667 angeschlagene Thematik des Verhaltens im Zeitlichen, um die Bewährung des Christen im Beruf. Drei Predigten die von 1690, 1692 und 1700 variieren das Thema in der Perspektive des Mißerfolgs anhand der Verse 2 und 5a; drei Predigten - 1680, 1684 und 1694 gehalten - greifen anhand von Vers 10 b und 11 das Predigtamt heraus. Endlich ist noch die Predigt von 1687 erwähnenswert; ausgerechnet der Bahnbrecher des Pietismus hält in unsrem Rahmen die erste wirkliche Problempredigt Uber das Wunder als solches . c) Auch dafür ist SPENER ein aufschlußreiches Exempel, wie im 17. und zunächst auch noch im 18. Jahrhundert

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versucht wurde, der Engführung und Einseitigkeit der Perikopenordnung dadurch zu entgehen, daß ausführlich Schriftstellen außerhalb der Perikopen sowie Lehrstükke aus dem Katechismus ausgelegt wurden. Der gegebene Ort hiefür war das Exordium. Hier kam auch das Alte 94 Testament reich zur Geltung . Dabei ist es nicht selten so, daß diese Exordien für sich stehende Auslegungen sind, die in keinem direkten oder dann in einem komplementären Bezug zum Haupttext stehen. Im ersten Dezennium seiner Predigttätigkeit, in dem die systematische Kraft der Disposition noch stärker am Werk war, bestehen die Exordien fast ausschließlich aus Katechismusstücken und dogmatischen Erwägungen (Dreifaches Reich Christi 1667; Mittel der Nahrung 1669; 2. Gebot 1670; 3- Artikel 1671; Taufe 1672; Summa der zweiten Tafel 1673; 3- Artikel, ewige Verdammnis 1674; 3. Gebot 1676). 1677 bis 1690 werden - mit nur einer Ausnahme - Schriftworte ausgelegt. Dann, im letzten Jahrzehnt seiner Predigtarbeit, kehrt er - mit zwei Ausnahmen - wieder zu systematischen bzw. Katechismus-Exordien zurück: 1691 ("Der Mensch bedarff noch des Irrdischen"); 1694 ("Ursachen der Wunder-Wercke Christi"); 1695 ("Die Summa der andern Tafel"); 1698 ("Gegen was man sich der Tauff trösten kann"); 1699 ("Leben und Seligkeit im Heiligen Abendmahl"); 1700 ("Die Beicht vor GOTT und der Kirchen"); 1702 ("Lehrhaff tig nicht ein Neuling"). Auffallend ist, daß auch ein aktuelles Zeitereignis Gegenstand des Exordium sein kann:l688 war dies "der Churfürstl.Personen Communion"^0. d) Auch jede einzelne Predigt SPENERs ist sorgfältig aufgegliedert. Dabei ist er nicht sklavisch an ein bestimmtes Aufrißschema gebunden; die Disposition richtet sich nach dem zu behandelnden Gegenstand. Als Beispiel geben wir die Disposition einer im Anhang der "Evangelische(n) Glaubens-Lehre" abgedruckten Predigt aus dem Jahr 1680 wieder^.

- 23 BEruff zum Predig- amt. Vocans, vocati, vocatio. I.

Der beruffende - Jesus.

II.

Die beruffene - Petrus, Andreas, Jacobus und Johannes ... 1. Jesu schon bekannte; 2. unstudierte; 3. gottselige Männer. Der beruff. 1. selbst; 2. Wozu er sie beruffen. 1. zur Nachfolge; 2. zum Menschen-Fischen; 3. zur Arbeit in Gottvertrauen.

III.

Diesem Aufriß folgen die "Lehrpuncten", die ebenso aufgeschlüsselt sind: I. II.

III.

Der beruffende, GOTT, Christus, der Heilige Geist. Die beruffen seynd. 1. Männer, nicht Frauen. 2. Leute mit natürlichen und mit Gnadengaben; heute nach Möglichkeit s t u d i e r t e t Leute, denn 1. hat Gott selbst auch studierte Leute wie Paulus berufen, 2."Haben wir jetzo nicht die unmittelbare erleuchtung, sondern wir alle müssen nun mit fleiß das unserige erlernen wie Timotheus, 2.Tim. 3, 15." 3. Daß in der ersten Kirchen auch Unstudierte die Gaben zum Predigtamt bekamen, gehört zu den damals noch üblichen Wundertaten - dies "Ist zu mercken gegen die Widertäuffer, die alle studia darzu verwerf f en. " Immerhin sollen die Prediger "nicht nur von menschen, sondern auch von Christo, von GOTT gelehret seyn." 3· Unsträffliehe Leute. 4. Es können auch Leute geringen Stands sein, obwohl es eine Schande ist, daß sich adlige Familien zu gut sind, Prediger zu stellen! Der beruff. 1. Wie Gott beruft. 1. Durch Naturgaben. Also darf man Unbegabte nicht in den geistlichen Stand zwingen.

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2. Indem er die Herzen regiert, die Auswahl treffen. 3. Indem er die Herzen der Ausgewählten lenkt, daß sie sich nicht sträuben gegen diesen Beruf. 2. Wozu Gott beruft. 1."Daß sie alles andere verlassen sollen,das ist, sich dem studio und nachmahl ihrem amt überlassen," daß sie also nicht mehr zum Feldbau herangezogen werden. 2. Zum Menschenfischen. 3- Sie sollen mit Gottvertrauen ihr Amt antreten. Mit einer Admonitio an die ganze Kirche; an die, die vor der Berufswahl stehen und an die Gemeinde sowie mit einem Gebet schließt die eindrucksvolle Predigt. 2. A.H. FRANCKE, von dem eine 1704 im Druck erschienene Predigt vorlag, handelt in gut-lutherischer Tradition "Von dem Segen GOttes bey der äusserlichen BeruffsArbeit..." Er gliedert in zwei Hauptteile: "I. Wie Er zu erlangen; g7 II. Wie Er zu bewahren..." Dabei ist - im Gegensatz jedenfalls zu den näher untersuchten Predigten SPENERs - festzustellen, daß FRANCKE die Unterthemen durchaus aus dem Text und nicht aus systematischer Besinnung gewinnt. Der Ton liegt dabei eindeutig auf der praktischen Anwendung des Erhobenen; das geht bei jedem Passus in etwa nach der Melodie: 98

"... das muß sich bey dir auch finden" . Schon in dieser Predigt praktiziert FRANCKE, was er später - 1719 postulieren wird: Der Prediger müsse den Menschen vornehmlich zeigen, ...wie sie zu Christo kommen, aus seiner Fülle Gnade um Gnade empfangen, und daraus auch die Kraft zum neuen Leben und Wandel schöpfen, und als in ihm gepflantzet stets grünen, blühen und fruchtbar seyn sollen und können. 99 Nach Diktion und Form freilich linterscheidet sich auch diese Predigt nicht allzu sehr von den Predigten der orthodoxen Gegner FRANCKEs.

- 25 3. Von N.L. GRAF VON ZINZENDORF sind zwei Auszüge aus Reden Uberliefert, die er am 17. Juli 1740 und am 4. Februar 1741 über Lk 5, 8 gehalten hat, und die von GOTTFRIED CLEMENS, Schloßprediger zu Barby, gefertigt und unter dem 25. Februar 1773 herausgegeben wurden. In der ersten Rede handelt der Graf von der Notwendigkeit eigener Erfahrung der Sündenerkenntnis. Die "Geringschätzung seiner Selbst", auf die es ZINZENDORF hier ankommt, zu erwirken, gibt es ... keine bessere Methode, ... als wenn man ihnen (seil, den Leuten) Friede und Vergebung der Sünde prediget. Daß der Sohn GOttes Sein Blut für sie vergossen habe; das ist die eindringendste Predigt, die einer thun kan.'Das hat Er für dich gelitten, das hat Er für dich gethan: was thust du Ihm? wie stehts mit dir?' — das ist eine erstaunlich angreifende Lehre, die macht, daß einem die Gebeine zittern und man sich so schämet, daß man die Augen nicht aufthun kan, weil der Heiland Sein Blut für uns vergossen, und man sein Lebenlang an Sein Blut nicht im Ernste gedacht oder nach dessen Ursache gefragt hat. 100 Die zweite Rede setzt innerhalb des gleichen Rahmens einen neuen Akzent. ZINZENDORF hält seinen Hörern einen Beichtspiegel vor: Wir sind so nicht, wie wir nach der grossen Befreyung seyn könten. Wir lassens an allen Ekken fehlen. Da findet sich Leichtsinn, Untreue und Abwechslung: itzt hat man Freude, bald verursacht man sich wieder Traurigkeit: heute erfreut man sich der Gnade, morgen ist man wieder in Bestürzung: da gibts Unlauterkeiten und Confusionen, welche Dinge man alle mit dem Ueberschwang der Gnade nicht reimen kan. 101 Das Ungenügen an sich selbst darf jedoch nicht verwechselt werden mit von Gott gewirkter Erkenntnis der Sünde: Sich mit Unlauterkeiten, Untreuen, Fahrläßigkeit, Tükken, heimlichen Lüsten und falschen Absichten, heimlichem Verdruß, Gleichgültigkeit gegen das Werk des HErrn, Ungewißheit, Zweifelmuth und dergleichen, plagen: — das ist nicht die Sünderschaft, sondern das alles gehört zum Banne. Es macht wol auch Beugung und Betrübnis, aber es ist nicht die heilige Scham und das Gefühl der Sünden, das man noch bey aller Heiligkeit hat. Dieses ist süsse; jenes aber ist bitter. Ein jedes hat nöthig, sich selbst zu fragen:

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Ist das süsse Gefühl, welches Sünder haben in mir, oder muß ich noch die nothwendige Bitterkeit, wegen meines unganzen Wesens und bey meiner Faulheit erfahren? 102 4. Schon das Titelblatt des Postillenbands von JOHANN GERHARD MEUSCHEN zeigt die Front dieses Kämpfers: POSTILLA MYSTICA EVANGELICA. Das ist: Der Geheime Geistliche Sinn der Sonn- und Festtags- Evangelien, Welcher aus denselben Durch die Gnade des Heiligen Geistes wird entdecket, nach der Lauterkeit und Regel des Glaubens abgehandelt, aus der wahren Mystischen Theologie erläutert, aus der Moral- -und Asceti*schen Theologie ausgeführet, auf das innere und wahre Christenthum appliciret, und wider das falsche MaulChristenthum angewandt ... 103 MEUSCHEN hat, dem Vorwort zufolge, ... auf die Erbauung des Hertzens ... lediglich gesehen, lind dahero dieselbe (seil. Predigt) in einer lautern Einfalt, doch Gleichförmigkeit des Glaubens, aufgesetzet, auch darinnen mit Fleiß von aller weltlichen Gelehrsamkeit und Redner-Kunst abstrahiret; sintemal mich die lange Erfahrung hat gelehret, daß je höher, vollkommener und erleuchteter die Menschen seyn, desto wenigem Geschmack dieselbe in ostentation und falschen Schmincke weltlicher Gelahrsamkeit und Oratorie bey geistlichen Reden oder Predigten finden, und nicht sowohl daran, als einer das Gemüth rührenden durchdringenden Morale oder Sitten- Lehre ein Gefallen tragen... 104 Da nimmt es nicht wunder, wenn der Inhalt der Predigt stark mystisch eingefärbt ist. Schon das Thema schlägt ein Lieblingsthema des asketisch-weltflüchtigen Pietismus an: "Die Überwindung sein selbst"; diese wird beschrieben als 1. Überwindung der Vernunft (Vers 1-5), 2. Beherrschung des eigenen Willens (dito), 3. Bezähmung der Affecten (Vers 8), 1Q[4. Verläugnung alles Irdischen (Vers 11) . Die Disposition beschränkt sich auf Eingang, Abhandlung der vier Teile und Anwendung. Ein kräftiger Schuß wildwuchernder und gelegentlich in barocke Emblematik ausartender Allegorese gibt dieser Predigt ihre charakteristische Färbung. Man wird dies gegen MEUSCHENs eigenes Urteil feststellen müssen; sagt er doch - wiederum im

- 27 Vorwort: ... land habe ich keine andere mystische Materien fürstellen wollen, als die in meinem Texte und dem Göttlichen Worte vollkommen gegründet gewesen: denn die wahre mystische Theologie muß GOttes Wort, und nichts anders, zum Grunde haben, und die geheimen Lehren, Allegorien und Parabeln müssen innatae, das ist, in GOttes Wort liegen, und daraus hergenommen, nicht aber in Gottes Wort und in die geheime GottesLehre eingebracht, eingeschoben und eingedrungen werden. 106 5. Die "Hauß- und Reise- Postill" GOTTFRIED ARNOLDS ist durch ihre programmatische Vorrede "De methodo heroi107 ca" bedeutsamer als in Beziehung auf die sehr kurze und konventionelle Andacht, in der er ausführt: Erstlich lehrte er (seil. Jesus) sie aus seinem holdreichen munde, wie sie ihr heyl suchen und finden Sölten. Hernach segnete er sie mit grossem leiblichen seegen ... Wichtig ist ihm, ... wie der wahre beruff der Lehrer höher müsse bestätigt werden, als durch menschen-hand, und wie sie GOttes Geist und wort ausrüsten müsse, sollen sie anders etwas tüchtiges ausrichten und seelen gewinnen ... 108 Der asketische Zug seiner Theologie erhellt aus den Sätzen: Drum sollen wir ja die thorheiten und Üppigkeiten dieser weit gerne verlassen. Ist doch ohnedem nichts als quaal und angst darinn. Wenn es auch am besten scheint mit zeitlichen dingen, so ist doch dabey unruh im gewissen, entfernung von GOtt, scrupel und zweiffei über der Seligkeit, und endlich GOttes gerechte straffe. 109 6. Der württembergische Pietismus ist in besonderer Weise geprägt durch die zum Zentrum der Schrift rufende Kraft des Biblizismus nach der Art J. A. BENGELs. BENGELs stärkste Seite war mag einer der Gründe sein, digtsammlung - von J. CHR. de. Darin findet sich eine

wohl nicht das Predigen. Das weshalb erst 1839 eine PreFR. BURK - herausgegeben wuram 6. Juli 1738 in Denkendorf 110 gehaltene Predigt über "den seligen Christenstand" .

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BENGEL fragt: 1. Wie ein Mensch für sich selbst und sein Theil durch Christentum in diesen Stand komme? 110 2. Wie ein solcher hernach auch andern zu solchem seligen Stand behülflich seyn könne? 111 Die Predigt zeichnet sich aus durch sorgfältige Beobachtung am Text und durch schlichte Sprache. Von der Texterläuterung geht er durch Wendungen wie "Wir haben auch das Wort!"; "So ist's" o.ä. zur Anwendung auf den Hörer Uber. 7. In der "Herzens-Postille" des für die Predigtgeschichte bedeutenderen GEORG CONRAD RIEGER handelt die erste Predigt über Lk 5 von der "Abbildung des christlichen Lebens"; nämlich wie Christus den Menschen über der äußerlichen Arbeit antreffe, dabei II. Ihn in seine Schule nehme, III. Durch Prüfungen führe, dadurch IV. Zur lebendigen Erfahrung bringe, V. Mit dem Reichthum solcher seiner Gnade ihn auf das tiefste demüthige, aber auch VI. Wieder freundlich und vertraulich befriedige,und VII. Noch überschwänglicher, als zuvor, begnadige; dadurch aber VIII. Ihn zur Verleugnung aller Dinge willig, und also IX. Zu seiner Nachfolge tüchtig und fröhlich mache .. . 112 I.

Es ist dies ein schönes Beispiel dafür, wie eine homilieartige Auslegung durch Leitthemen Kontur erhalten kann. Das unter (V) genannte Thema wird in einer zweiten Predigt zum Hauptthema: Wie den Menschen nichts so sehr demüthige, als Gnade; I. Wie der Mensch freilich müsse gedemüthiget werden; II. Wie ihn aber nichts so sehr demüthige, als Gnade... 113 8. Sein Sohn KARL HEINRICH RIEGER - Stuttgarter Stiftsprediger - handelt später über ... den Hunger, das Wort Gottes zu hören. 1) Unter welchen Umständen er eine grosse von Gott verliehenen Gnade?

- 29 2) Unter welchen veränderten Umständen er ein schweres, von Gott zugeschiktes Strafgerichte seie? 114 9. Mehr Tribut an den Zeitgeschmack zollt der Schüler und Schwiegersohn BENGELs, PHILIPP DAVID BURK: Wir wollen nach unserm heutigen Evangelio betrachten: Das Wort GOttes als den besten Handwerkszeug zu allerley Geschäften. Es sind hier drey Fragen zu beantworten: 1. Woher kriegt man diesen allerbesten Handwerkszeug? 2. Wie gehts, wenn man sich nicht darnach umsieht? 3. Wie gelingts, wenn man diesen Handwerkszeug hat, und geschickt zu gebrauchen weiß? 115 10. Herrnhutscher Geist weht durch die Predigten F. CHR. STEINHOFERs. Seine erste, 1753 in Teinach gehaltene Predigt macht noch den Versuch, den ganzen Text zu Wort kommen zu lassen, und zwar Vinter dem Thema: Von unserer Gemeinschaft mit JEsu ..., wie dieselbe I. durch's Wort angerichtet, II. durch den Glauben gegründet, III. durch Demuth unterhalten, und IV. durch treuen Dienst bewiesen werde. Die zweite, ein Jahr später entstandene, traktiert ein pietistisches Lieblingsthema: Von der wahren Herzensdemuth aus der Erkenntniß der Majestät JEsu; oder: Wie die Erkenntniß der Herrlichkeit JEsu eine wahre Demuth des Herzens wirke. 117 Die Predigt nimmt zwar ihren Ausgangspunkt von Vers 8, doch nehmen die 9 Punkte der Entfaltung durchaus nicht alle Bezug auf den Text; man kennt die Schrift gut genug, um auch ohne direkten Textbezug sagen zu können, was Herzensbuße sei. Als Special-Superintendent und Stadt-Pfarrer zu Weinsperg endlich zeigt STEINHOFER, daß er doch auch in gutlutherischer Tradition steht; er predigt Von dem gedoppelten Beruf eines Christen, und zwar Erstlich: Von seinem äusserlichen und leiblichen, und Zweytens: Von seinem innerlichen und himmlischen Beruf. 118 11. Dieser letzten Predigt STEINHOFERs verwandt ist eine Betrachtung des wackeren J. J. MOSER, der vorübergehend

- 30 mit STEINHOFER in Ebersdorf zusammen war, um sich dann allerdings 1747 im Unfrieden von ihm zu trennen, weil STEINHOFER dem ZINZENDORF der Krisenjahre um 1745 allzu

kritiklos Gehör schenkte. Der mutige und kompromißlose Geist hat eine Postille verfaßt "... vornehmlich zum Ge119 brauch unbemittelter und reisender &. Personen" Daß MOSER selbst doch auch stark unter dem Einfluß ZINZENDORFscher Gedanken stand, erhellt daraus, daß er in sämtlichen Betrachtungen dieser Postille ganz im Sinne der rigorosen Klassifizierimg beim ZINZENDORF der Anfän120 ge Herrnhuts nach dem im Vorwort geschilderten Rezept verfuhr: ... weil alle Glieder unserer sichtbaren Kirche entweder natürlich und noch unbekehrt, oder erweckt, oder wiedergeboren sind; so hat man das Wort so getheilet, daß eine jede dieser dreyen Gattungen in einer jeden Betrachtung etwas finden möge, was auf ihren Seelenzustand passet. 121 Wie das aussieht, kann man sich in etwa vorstellen, wenn man die Uberschriften der einzelnen unter dem Thema "Von der äußerlichen Arbeit" aufgeführten Abschnitte liest: I. Natürliche und unbekehrte Menschen thun zum Theil in der Arbeit zu wenig, zum Theil zu viel, zum Theil aber, wie sichs gebühret ... 122 II. Erweckte können in diesem Stücke gar sehr leicht auf Abwege gerathen; und dieses aus verschiedenen Ursachen ... 123 III. Glaubige Kinder Gottes haben an dem theuren Werkzeuge Jesu Christi, dem Apostel Paulo, ein Vorbild, wie gut Christenthum und leibliche Arbeit beysammen stehen können ... 124

Bemerkenswert ist, daß in dieser Betrachtung jegliche Bezugnahme auf den Text fehlt. 12. Die "Evangelische(n) Zeugnüsse der Wahrheit zur Auf125 munterung im wahren Christenthum ..." des Nürtinger Special-Superintendenten IMMANUEL GOTTLOB BRASTBERGER haben eine ungeheure Verbreitimg gefunden und sind in alle Welt gewandert. Nach dem "Eingang" und nach der

- 31 -

Formulierung des Themas predigt er in der "Abhandlung" unter der schlichten - von LUTHER übernommenen, wenngleich umgekehrten - Zweiteilung "Geistlich" und "Weltlich" Uber das nicht unbedenkliche Thema: Die Vortheile derer, die alles, was sie thun, in dem Namen JESU thun ... 126 13. Eine Sonderstellung nehmen die Predigten FRIEDRICH CHRISTOPH OETINGERs über unsern Text ein, wie sie uns aus seiner Weinsberger, Herrenberger und Murrhardter Zeit Uberliefert sind. OETINGER will "... nach dem allgemeinen Wahrheitsgefühl ..." predigen, wie es programmatisch schon im Vorwort zu den Weinsberger Evangelien-Predigten heißt. Was das heißt, führt er ebenda aus: Die Hauptregel ... ist diese: durch die Rede die Gedanken in der Einförmigkeit der Sache zu unterhalten, damit den Aufmerkenden ohne Anstrengungen, und ohne bei den Worten zu bleiben, mit ihren eigenen Worten die Sachen selbst nach Anhörung der Rede in dieser oder einer andern Ordnung wieder aufsteigen. Um dieser Forderung zu genügen, ... muß man erstlich kurz predigen, damit man nicht wieder hinaus predige, was man hinein gepredigt. Zweitens muß man einfältig, ohne entlehnte Worte, ohne Kunstausdrücke reden ... Drittens muß man gründlich reden, sich an keine Spizfindigkeiten, übersinnliche Fächer oder andere gezwungene Ordnung binden... Viertens muß man sehr massiv oder augenscheinlich reden, damit sich die Sachen selbst behalten;... 127 Diese löblichen Regeln scheinen freilich mehr von OETINGERs Einsicht in die eigene Gefährdung und von seiner Absicht sie zu überwinden Zeugnis zu geben, als daß sie in OETINGERs Predigten ihr Muster hätten. Zeichnen diese sich doch durch vergleichslose Originalität, Wunderlichkeit und z.T. Abstrusität aus. Man kann es beim Lesen dieser geistvollen Eskapaden den biederen Hörern seiner damaligen Gemeinden nicht verargen, wenn sie sich über 128 ihren "Märleinsprediger" beschweren

- 32 In Weinsberg predigt OETINGER über Das Berufsgeschäft. 1. Wie es anzustellen sei? 12q 2. Wie es am besten von Statten gehe? y Die Direktheit, in der er hier seine Weinsberger aufs Korn nimmt, war gewiß einer der Gründe, durch die er sich dort Feinde machte. Nach der Feststellung, daß Petrus offenbar "... trotz allem Gelächter der Bösen, der Parthie der Guten" angehört habe, fährt er fort: Liebe Zuhörer! wie viel sind solche hier in der Stadt? Ich zweifle nicht, daß noch Manche unter euch sind, die nicht unter die Gottlosen und auf Geld allein Erpichten, Betrüglichen, Lügenhaften, Verläumder,Schwäzer, Ehrvergessenen, Treulosen gehören, ... aber es gibt doch Wenige allhier, welche sich nicht aus Menschenfurcht bewegen lassen, neutral zu sein, so daß sie es weder mit den Bösen noch auch mit den Guten halten wollen. Es ist kein Wunder, weil die Gutscheinenden oft die wenigste Ehrlichkeit und Treue in sich haben, sondern bei ihrer Einbildung der Frömmigkeit hoffärtig, rachgierig, verläumderisch sind und bleiben ... 130 Eine weitere Eigenart seiner Redeweise erhellt aus einer Predigt des Herrenberger Predigtbuchs über das Thema: ... von dem Fleiß in dem Berufsgeschäft: 1. vor der Nachfolge, 2. nach der Nachfolge Christi ^ . Die Regel, daß man ... Thatsachen und Geschichten, wie Arndt, in die Reden einwirken ... 132 solle, hat er kräftig befolgt. Es sind ganz entlegene Beispiele aus der Schrift, v.a. auch aus Sapientia Salomonis, dann aber auch aus der Antike, die er anzieht. So demonstriert er an Dionysius von Syracus, wie Fleiß allein nicht vor Unglück schütze; Chrysostomus wird in 1 Sachen Faulheit zitiert . Dabei erschweren allerlei kühne Gedankensprünge das Verfolgen des Gedankengangs ungemein. Die dritte, in Murrhardt gehaltene Predigt ist die am wenigsten geschlossene. Man hat Schwierigkeiten, in der von ihm selbst angefügten "Summa" die anfangs gegebene

- 33 Disposition wiederzuerkennen. In dieser Predigt schlägt auch am meisten durch, was ihm in diesen Jahren starke Anfeindimg eingetragen hat: Seine mystischen und alchemistischen Studien und das zügellos Spekulierende seines genialen Geistes. Von der hier erwähnten Begegnung mit dem Fuhrmann Markus Völker wird in anderem Zusammenhang zu berichten sein 1 ^. JAKOB BÖHME dürfte Pate gestanden haben, wenn OETINGER zur Verdeutlichimg der souveränen Wunderkraft Jesus ausführt: Es ist wunderbar, daß ein weiser Mann die Palingenesie (Wiedergeburt) und die sechs Tagwerke im Glas vorzeigen kann. Das geht nach dem Grund des Wesens der Dinge; es geht gewissermaßen nach den Gesetzen der Bewegimg und der Kräfte, welche aufeinander wie eine Kette folgen. Aber Jesus im Himmel bindet sich nicht an diese Gesetze. Hier ist viel Widerstand von der Plumpheit der Erde; dort ist die Erde nicht mehr so plump und widersteht auch nicht, wie hier. Darum handelt Jesus in allem, wie er sieht den Vater tun, zwar auch in pünktlicher Ordnung, aber als ein freier, souverainer Herr; wie denn Jesus aus unumschränkter Hoheit, als der zweite Adam, den Fischen im Meer über die Naturordnung geboten hat. 135 Gewiß haben sich an OETINGERs Predigten die Geister geschieden; wahrscheinlich nicht so sehr in Gottes- und Weltkinder, wie er annehmen mochte, als in Geistesverwandte und in gewöhnliche Sterbliche; gewiß auch haben seine Predigten gedruckt eine dankbarere Gemeinde von Gleichgesinnten gefunden als in den landeskirchlichen Triften, denen er als Prediger diente. Und doch bestechen seine Predigten heute noch durch die Fülle der sprudelnden Gedanken, durch die sprachliche Gewalt, durch die eigenwillige, komprimierte Diktion und durch die Tiefe und Intensität der geistlichen Durchdringung.

- 34 4. Kapitel: Die Neuorientierung der Predigt Neologie, Rationalismus und Supranaturalismus Dogmatische Verhärtung und daraus resultierendes Sicherschöpfen in Belehrung und Polemik einerseits; Intimität, Subjektivismus und gelegentlich Formlosigkeit andererseits bilden die Folie der Unzufriedenheit für das Neue, das gegen 1750 anhebt. Man pflegt LORENZ VON MOSHEIM als den Begründer der "modernen" Predigt zu bezeichnen, und tatsächlich gelangen mit ihm neue homiletische Kategorien zur Geltung. Nicht ohne den Einfluß berühmter Prediger aus England und Frankreich sowie im Zuge der philosophischen Aufklärung gewinnen rhetorisch-methodologische Gesichtspunkte an Gewicht. Der Schriftbeweis verliert an Stringenz, dafür muß der Prediger sich mehr und mehr vor dem Forum der Vernunft rechtfertigen. Ohne Zweifel ist dieser Auftrieb je länger desto mehr teuer erkauft: In dem Maß, als die Schrift als Quelle der Predigt zurücktritt, verflacht diese und wird zu einem Umschlagplatz für allerlei Vernunftwahrheiten; Tugend und Sittlichkeit verdrängen die Kernfragen von Sünde, Buße, Glaube und Vollendung aus dem Mittelpunkt. Da ist es kein Wunder, daß sich alsbald vehementer Protest 116 erhob, und dies nicht nur von Seiten der Pietisten . 1. Eine "Sammlung auserlesener Predigten ... von den berühmtesten Kanzelrednern der Deutschen" aus dem Jahr 1769 führt als solche auf: v. MOSHEIM, JERUSALEM, CRAMER, JOH. E. SCHUBERT, JOH.CHR. SCHMIDT, AD. SCHLEGEL, D. GIESEKE, JOH.JUST. EßELING, FR.EBERH. RAMBACH, CASP.JAC. HUTH, AD. DIETR. ORTMANN, JOH.MELCH. GOEZE, JOH.JAC. RAMBACH und JOH.JOACH. SPALDING 1 3 7 - nach dem Ermessen des ungenannten Herausgebers offenbar die führenden Prediger der Zeit. Leider enthält die

- 35 Sammlung nur eine Predigt über Lk 5, nämlich die von J. A. CRAMER, Königlich Dänischem Hofprediger in Kopenhagen, immerhin einen der namhaftesten "Kanzelredner" dieser Richtung. CRAMER spricht über das freilich bedenkliche Thema: "Von den Vortheilen des Glaubens." Hier ist daran zu erinnern, daß ein utilitaristischer Unterton auch schon bei STARCK138 und vor allem bei BRASTBERGER139 angeklungen war. Jetzt aber schwillt er an zur Dominante. Der Hauptvorteil ist jetzt ... die Ruhe des Gewissens! Lasset dieses, meine Geliebten, den Gegenstand unsrer heutigen Andacht seyn, imd deswegen erstlich erwägen, was zur Ruhe des Gewissens erfordert werde, ... dann lasset uns zum zweyten lernen, daß es allein ein Vortheil, eine Frucht und Wohlthat des wahren Glaubens sey ... 140 Da wird nun säuberlich und rhetorisch gewandt deduziert; das Forum,vor dem verhandelt wird, wird deutlich, wenn CRAMER fragt: . . . was ist das Gewissen? Ist es nicht ein unpartheyisches Urtheil unsers Verstandes über das Verhältniß unsrer Handlungen gegen das Gesetz ...? 140 Immerhin: Der Text ist, wenn auch nur von ferne, so doch noch im Blick, und der durchaus im traditionellen Sinn erbauliche Schluß der Predigt zeigt, daß hier zwar Türen zum reinen Rationalismus geöffnet, daß sie aber noch nicht völlig durchschritten sind. 2. Ein ausgesprochen apologetisches Interesse - ganz im Sinne der Neologie - bestimmt die Predigt J.A. HERMES1. Gleich zu Beginn betont er im Sinne der Akkomodationstheorie den Unterschied der Jetztzeit zur Zeit Jesu: Die Begebenheiten, welche sich in dem Leben Jesu auf Erden zugetragen haben, und die Theten, welche er verrichtet hat, enthalten zum Theil so manches Ungewönliche und Wunderbare, daß man die ordentliche Regierungsart Gottes nicht allein darnach beurteilen, oder dasienige zu allen Zeiten von ihm erwarten kan, was er aus weisen Absichten in iener merkwürdigen Periode gethan hat ... 141

- 36 In allgemeinerem Sinn macht HERMES daher die Wohltaten Gottes zum Gegenstand seiner Predigt; er entfaltet dies in zwei Sätzen: Der erste ist: ie mehr Wohlthaten wir von Gott empfangen: desto mehr müssen wir uns demüthigen. Der zweyte: ie demüthiger wir sind; desto folgsamer müssen wir seyn, und desto brauchbarer werden wir alsdann in der Hand Gottes. 142 Über die Art seiner Predigtweise wie auch Uber deren Relation zum Textvorwurf gibt HERMES im Vorwort zum Predigtband von 1782 Rechenschaft; sie ist bezeichnend für Anspruch und Ziel der Predigt jener Epoche: Meine Predigten sind ... ganz freye Betrachtungen über geistliche Wahrheiten. Schon bey der Wahl der abzuhandelnden Materie bediente ich mich aller Freyheit, um nur vornemlich dasienige zu treffen, was meiner Gemeine am nüzlichsten seyn kan. Könte ich mir die Texte selbst allemal wählen; so würde dieser Zweck mit geringerer Mühe erreicht werden. 143 Man reflektiert jetzt auch über die Sprache der Predigt: Daher vermeide ich, so viel es möglich ist, alle solche Redensarten, welche eigentlich in die Schulsprache der Gelehrten gehören; oder doch sonst im gemeinen Leben fremde sind. Allein ich merke auch hiebey öfters, wie schwer es sey, sich so völlig populär auszudrücken, daß man von der untersten Klaße der Zuhörer wirklich verstanden wird. Man gewönt sich nicht nur von Jugend auf an die Sprache der Theologen; sondern man entfernt sich auch durch fortgesetzte eigne gelehrte Untersuchungen und durch Lesung neuerer Schriften fast auf eine unmerkliche Art immer weiter von der Denk- und Redeart des grössern Haufens ... Zu meiner Methode gehört ferner, daß ich mich der biblischen Sprache und der daher sehr algemein bekant gewordenen und angenommenen bildlichen Ausdrücke möglichst enthalte. Ganz lassen sich diese nicht vermeiden ... 144 In vollem Bewußtsein, neue Wege zu gehen und darin unpopulär zu sein, fährt HERMES wenig später fort: Ich weiß zwar sehr gut, daß es manchen meiner Zuhörer angenehm seyn würde, wenn ich meinen Vorträgen, und besonders in der Lehre von der Erlösimg und unserm rechtmäßigen Verhalten gegen den Erlöser die sinnliche und bildliche Sprache der Bibel fleißiger gebrauchte. Da ich aber eben so gewiß überzeugt bin, daß ich sie dadurch nicht weiser und frömmer machen, sondern vielmehr ihre zum Theil falsche, zum Theil dunkele Vorstellungen von den hieher gehörigen Religionswahr-

- 37 heiten befördern würde: so folge ich hierin der noch ziemlich algemein herschenden und auch an diesem Ort beliebten Lehrart nicht; so gern ich mich übrigens nach dem Geschmack und selbst nach den Vorurteilen meiner Zuhörer bequeme ... Denn - so schließt HERMES - es ist der große Zweck meines Amts, ... deutliche Erkenntniß im Verstände und feste Neigungen im Willen...145 hervorzubringen. 3. Der Preis, den die Prediger des ausgesprochenen Rationalismus für ihre Zeitnähe und Verständlichkeit bezahlten, war noch höher. Was bei HERMES schon angedeutet war, wird jetzt die Regel: Der Text wird weithin zum Sprungbrett für allerlei Vernunftwahrheiten degradiert; Hand in Hand damit ist Verflüchtigung des spezifisch Christlichen zu konstatieren. Das wird exemplarisch deutlich bei einer Predigt des Großherzoglich Sächsisch Weimarischen Oberhofpredigers, Kirchen- und Oberconsistorial-Raths und General- Superintendenten J. FR. RÖHR, dem Herausgeber des "Magazins für christliche Prediger". Nach einer kurzen Schilderung des zum Heiland drängenden Volks bildet der Satz: Auch Ihr, Α., seid heute, wie dort das Volk am See, versammelt, zu hören das Wort Gottes ... 146 die einzige, schmale Brücke vom Text zur Gegenwart.Fortan predigt RÖHR ohne weiteren Textbezug über die Frage: 147 "Wie soll man Gottes Wort hören?" Vor allem die erste Antwort ist bezeichnend: Mit prüfendem Nachdenken, oder mit dem regen Streben, uns von der Wahrheit dessen, was uns als Gottes Wort verkündigt wird, selbstthätig zu überzeugen und unsern Glauben an dasselbe nur auf vernünftige und ausreichende Gründe zu bauen ... Oder, meinet ihr, Der, welcher auch das Vermögen gab, zu prüfen, was da sei der gute, wohlgefällige und vollkommene Gottes Wille, finde sich, wie ein despotischer Mensch, durch einen blinden Glauben an sein Wort geehret ...? 148 Im gleichen Geist nennt RÖHR als Kriterium für die Hörer: ... wo dem Worte des Lehrers, welchen euch Gott sendet, den religiösen Glaubenssätzen und sittlichen Lebensregeln, welche er euch in seinem heiligen Namen

- 38 kundtut, das Siegel der genauesten Uebereinstimmung mit euerem natürlichen Wahrheitsgefühle abgehet, da, wisset nur, da handelt es sich gewiß nicht um Gottessondern um Menschenwort ... 149 Die weiteren Antworten auf die im Thema gestellte Frage lauten dann: Mit ehrerbietiger Dankbarkeit, mit dem lebendigen und tiefen Gefühle seines unschätzbaren Werthes und seiner himmlischen Segnungen ... Mit unpartheiischer Anwendung desselben auf sich oder mit dem ernsten Bedachte, vor allen Dingen sich selbst durch dieses Wort belehren und bessern zu lassen ... Mit dem entschiedenen Vorsatze, auch nach demselben zu thun! 150 4. Die rationalistische Predigt hat mancherlei Gegenkräfte auf den Plan gerufen. Hierher gehören v.a. die Vertreter des Supranaturalismus. Gleichwohl ist zu sagen, daß auch diese Prediger dem Geist der Zeit ihren Tribut gezollt haben. Dies gilt in besonderer Weise vom berühmten Dresdener Oberhofprediger FRANZ VOLKMAR REINHARD. Theologisch hebt er sich zweifellos positiv ab von der Flachheit der ModeTheologie. Und doch treibt er in unsrem Zusammenhang, an strengem Predigtmaßstab gemessen, geistvoll fromme Allotria, wenn ihn unser Text veranlaßt, "Betrachtungen über 151 den Anfang unsrer Bekanntschaften" anzustellen. Der Schriftgrund: Das heutige Evangelium enthält Nachrichten von einer neuen Bekanntschaft, deren wohlthätige Folgen unermeßlich waren, und sich sogar noch immer über uns selbst verbreiten. Aus diesen Nachrichten können wir aber auch alles lernen, was bey neuen Bekanntschaften Pflicht für uns ist, wenn wir uns gegen Schaden verwahren, und uns alles des Guten bemächtigen wollen, das sie uns darbieten ... 152 Demzufolge lenkt unsre Geschichte ... unser Nachdenken auf alles, was der Anfang einer Bekanntschaft merkwürdiges haben kann; auf das Zufällige; auf das Absichtsvolle; auf das Folgenreiche; und auf das Verpflichtende dieses Anfangs ... 151 Hier geht das Evangelium auf in "Lebenshilfe" - weit entfernt vom Willen des Texts.

- 39 5. Thematisch näher bei der lutherischen Tradition,wenn auch kaum inhaltlich näher beim Text predigt HEINRICH AUGUST SCHOTT ... von der wichtigen Ueberzeugung...: es giebt auch einen Segen des Berufs, den wir nicht mit Augen sehen. 153 Nach einer kurzen Paraphrase des Texts geht er über zu einer reinen Themapredigt, die in dem denkwürdigen Satz gipfelt: Heil einem jeden, dem der Beruf das erste ist!

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6. Ganz ähnlich, wenn auch im Ton gröber und in der Applikation moralistischer, traktiert JOHANN LORENZ BLESSIG 155 die "Christliche Arbeits-Liebe" . Die beiden Themafragen lauten: I. Wer soll sie äußern? ^¡-c ... Ich antworte kurz und bestimmt: alle!... II. Wie sollen sie arbeiten? Die Arbeit muß rechtmäßig seyn; sie muß stät und anhaltend seyn; endlich sie muß mit dem Gedanken an Gott, und an ein bleibendes ewiges Gut unternommen werden. 156 Als Facit áus dem Abschnitt über die Rechtmäßigkeit der Arbeit bricht er in den beschwörenden Wunsch aus: 0 möge es dem wachsamen Auge der Polizei, verbunden mit dem Sinne für Recht und Pflicht, bei Hausvätern, bei Kindern und Dienstboten, doch gelingen, allem unrechtmäßigen Erwerbe zu steuern, und uns so viel möglich von Dieben und Räubern aller Art zu befreyen ...(!) 157 7. In keine der genannten Gruppen läßt sich JOHANN GOTTFRIED HERDER einreihen, der gleichwohl starken Einfluß auf die Predigt seiner Zeit ausgeübt hat. Vergleicht man die am 16. Juli 1775 bei einem Besuch in Darmstadt in der dortigen Schloßkirche gehaltene Predigt über unseren Text mit den Predigten vor allem seiner rationalistischen Zeitgenossen, so hebt er sich in verschiedener Hinsicht positiv von diesen ab. Da ist zunächst der Umstand, daß HERDER sich der in jener Zeit höchst seltenen Form der Homilie bedient derart, daß zunächst der Bericht in seinen einzelnen Phasen un-

- 40 gemein plastisch und psychologisch einfühlsam erklärt wird, wobei er überraschende exegetische Detailbeobachtungen anstellt. Die Auslegung zieht sodann die einzelnen Linien der Erläuterving durch zur Gegenwart und übersetzt sie in die Sprache des gebildeten Zeitgenossen, wobei HERDER durch die kräftigen Farben seiner gehobenen, aber keineswegs pathetischen Sprache besticht.Sein Bemühen, auf die Hörer einzugehen, äußert sich in einer Entschuldigung, die er der Predigt vorausschickt: Da er (seil, der fremde Prediger) den Zustand und eigentlichen Gang der Gemeine, in der er reden soll, nicht kennet: so fehlen ihm ¿leichsam die Punkte, an welche er seinen Vortrag knüpfe; ihm fehlt das Maas der Wißenschaft, der Gesinnung, der Neigung und Gewohnheit seiner Zuhörer, mit denen sie sonst das Wort zu hören pflegten ... 158 Er läuft dann Gefahr, ... hier einem Theil zu fremde, dort einem andern zu hoch, zu niedrig, zu fein, zu grob reden zu müßen, nachdem das Vorurtheil und die Beschaffenheit jedes einzelnen es will und findet ... 159 Der Geist, in dem er die christliche Religion verstanden wissen will, geht am besten aus seiner Auslegving des 3· Verses hervor: Christenthum ist nichts, oder es ist der herrschende, allgemeine Geist im Leben eines Menschen, der keins seiner Worte, Geschäfte, Handlungen verlaßen soll, sondern sie alle, im verborgnen Leben mit Christo, Gott widmet ... Nicht nur im Tempel und in einer Stunde der Andacht werden wir Christen seyn wollen: Uberall, wo Christus Tempel fand, ist auch unser Tempel: Meer und Ufer, Schiff und Land, die verborgene Kammer des Hauses, und der Tempel Gottes, der sich oben blau über uns allen und allenthalben wölbet: überall herrsche Gott und Gottes Empfindung. Nicht hier oder da sei Christus, sondern inwendig in Uns. 160 8. Auch JOHANN KASPAR LAVATER sperrt sich gegen die Einreihung in eine der genannten Gruppen, doch auch er erhob sich gegen die Front der Rationalisten. Immerhin gibt er seinen "Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien" den Untertitel: Ein Erbauungsbuch für ungelehrte nachdenkende Christen. Nach den Bedürfnissen der jetzigen Zeit. 161

- 41 Die recht kurze, "Petrus Fischfang" überschriebene Meditation ist eine fast hymnisch anmutende Preisung Jesu in den Klangfarben der Zeit: So ein Mann im Schiffe! So ein Lehrer des Volkes! Solch ein Wisser und Unterrichter! So ein Mächtiger und Dehmüthiger! So ein vielwirkender und ruhiger Menschenfreund wie Jesus, mußte sich dem reinen Wahrheitssinne, der das Edelste ist, was die Menschheit hat, unverkennbar als göttlich beweisen, mußte einen entscheidenden, bleibenden, unauslöschbaren Eindruck auf die Seele machen! 162

5· Kapitel: Das neunzehnte Jahrhundert Die für die Geschichte der Theologie des 19· Jahrhunderts bezeichnende Vielschichtigkeit und Uneinheitlichkeit projiziert sich stark vergrößert im Bild der Predigt dieses Jahrhunderts. Merkwürdige Frontverlagerungen sind zu verzeichnen, so etwa der Tatbestand, daß die Nachfahren des Pietismus gegenüber Rationalismus und gegenüber der aufkommenden Bibelkritik mehr und mehr die Position der ehemals bekämpften Orthodoxie einnehmen. Der in seiner Wirkung auf die Predigt kaum zu überschätzende Einfluß SCHLEIERMACHERs durchzieht das ganze Jahrhundert; er belebt auch da, wo man, vor allem im neu erwachenden Konfessionalismus, nach festerem Grund verlangte, als ihn die "Glaubenslehre" bieten konnte. Auffallend ist, daß die kommunizierenden Röhren der theologischen Schulen sich zu verstopfen anschickten: die extremen Positionen haben das ernsthafte Gespräch abgebrochen, und so gibt es durchaus Zeitgenossen von D.FR. STRAUSS und F. CHR. BAUR, deren Predigten nach Inhalt und Diktion anachronistisch anmuten; sie könnten mit wenigen Modifikationen so auch hundert Jahre früher gehalten worden sein, weshalb denn auch jede Kenntnisnahme der Ergebnisse historischkritischer Arbeit mehrerer Generationen in diesen Predig-

- 42 ten fehlt - ein Verfahren, das auch im 20. Jahrhundert nicht ohne Erfolg angewandt wird. Die radikal kritischen Theologen v.a. der jüngeren Tübinger Schule erscheinen in der Predigtliteratur selten.Teilweise werden sie ihrerseits darauf verzichtet haben, ihre Ergebnisse auf die Kanzel zu bringen. Dazu wird man freilich außer dem Druck der Gegenseite auch die Tatsache als Grund annehmen müssen, daß die mangelnde Nachfrage nach derlei Predigten deren Drucklegung abträglich gewesen sein dürfte. Das ändert sich erst um die Jahrhundertwende im Gefolge der RITSCHL'sehen sowie der Religionsgeschichtlichen Schule. I.

D e r

N e u a n s a t z

S c h l e i e r -

m a c h e r s 1. Von SCHLEIERMACHER selbst ist keine Predigt über unsern Text überliefert. Wir ziehen daher eine Predigt über Joh 21 heran, in der unsre Perikope als Parallele erwähnt wird, und aus der seine Predigtweise deutlich wird. Das Thema, unter das SCHLEIERMACHER diese Predigt stellt, lautet: Das Zusammensein der Jünger unter sich und mit dem Erlöser, als Vorbild unseres vertrauten Lebens mit unseren Freunden. 163 In der Durchführung wird deutlich, in welcher Art SCHLEIERMACHERs Predigtweise richtunggebend war, und es zeigen sich zugleich deren Mängel und Grenzen. Da fällt zunächst auf, wie gegenüber dem Skopus des Texts das Eingehen auf Verfassung und Erwartung der Gemeinde dominiert. Mit psychologischem Feingefühl und sprachlicher Treffsicherheit wird hier, um mit M. SCHIAN zu reden, ... die Darstellung des gemeinsamen Glaubensbewußtseins zum konstituierenden Grundmoment der Predigt 164 gemacht. Mit verhaltener Glut spricht dieser geniale Prediger die Sprache der Besten seiner Zeit; ohne Klischee, ohne hohles Pathos. E i n Beispiel: Die Gegenstände, auf deren Betrachtung das e i g e n t ü m liche eines solchen Zusammenseins beruht, die gegenseitige Eröffnung der Gemüther oft bis in die tiefsten

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h3 -

verborgensten Falten des Herzens, die vertraute zwar aber zarte Beschauung dessen was in dem Einen oder Andern vorgeht oder vorgegangen ist, erfordert eine so innige Nähe, daß nur Wenige daran Theil nehmen können ... 165 Sodann: SCHLEIERMACHER gibt nicht allgemeine Vernunftwahrheiten von sich; er verweist auf den "Erlöser". So untersucht der zweite Teil der Predigt, ... auf welche besonderen Zwekke der Erlöser bei sei*gg ner Erscheinung das Zusammensein der Jünger richtete. Freilich geht es - wie schon das Thema andeutet - um das Voranstellen des Vorbilds Jesu; es geht darum, ... dem Erlöser ... ähnlich zu werden ...^ Inwiefern darüber hinaus Jesus für unsern "vertrauten Umgang untereinander" konstitutiv bleibt, darüber findet sich in dieser Predigt keine Äußerung. Wie esoterisch und jeglicher missionarischen Ausstrahlung abhold der Kirchenbegriff SCHLEIERMACHERs ist, zeigt sich im Rahmen dieser Predigt an seiner Klage: Unsere geselligen Kreise, das erkennen wir ja größtenteils an, leiden fast alle dadurch, daß sie sich leicht überfüllen, wobei denn eine Einmischung solcher, die weniger zusammengehören, unvermeidlich ist ... Auch solche größere Versammlungen mögen ihren Nuzen haben; aber der rechte volle Lebensgenuß kann nicht in ihnen entstehen ... 165 Appelliert wird an die großen und erhabenen Gefühle einer Elite; sie zu kultivieren ist der Sinn der vertrauten Gemeinschaft: Sollen nun aber jene vertrauten Stunden wirklich einen reinen und hohen Lebensgenuß gewähren: so gehört auch dazu, daß wir in der Stimmung sind vins an allem großen und guten, was Gott uns aus Gnaden wiederfahren läßt, recht innig und dankbar zu freuen. Was könnte es größeres geben als so vertraut mit dem Erlöser gewesen sein und solche Verheissungen von ihm empfangen haben als jene Jünger ... 168 Auf den Sündenbegriff SCHLEIERMACHERs wirft es ein bezeichnendes Licht, wenn er aus dem Gespräch Jesu mit dem seine Sünde erkennenden Petrus die Ermahnung abzieht: Das endlich muß uns eine theure Pflicht sein, wenn ein Bruder, der gefehlt hat, uns traurig und niedergeschlagen erscheint oder gar verzagt, daß wir auf alle Weise

- 44 suchen ihn zum lebendigen Bewußtsein zu bringen von dem festen Grunde von Liebe und Treue, von Wahrheit und Glauben, der in ihm ist, und der auch durch seinen Fehltritt nicht kann erschüttert worden sein, wie auch dem Petrus durch die wiederholten Fragen des Herrn, ohnerachtet sie ihn betrübten, diese Zuversicht immer stärker und lebendiger wurde. 169 Es geht im Grunde nur um den Segen der vertrauten Verständigung Uber unsere Fehltritte. 169 Diese aber hat in vornehmer Diskretion zu geschehen; nie treibe uns ... leere Neugierde, unserem Bruder ein ausführlicheres Bekenntniß abzudringen, so wenig der Erlöser dieses von Petrus forderte. 170 Ziel der Darstellung des gemeinsamen frommen Bewußtseins ist ... dankbare Anerkennung des Looses, das uns geworden ist, gegenseitige Stärkving und Ermunterung den Kampf des Lebens mit neuer Kraft zu kämpfen, erhöhten Genuß des Guten das uns zu Theil wird, erhöhtes Gefühl unserer Kraft und unseres Muthes für das thatenreiche Leben in der Welt ... 171 2. Was bei der zitierten Predigt SCHLEIERMACHERs zur Kritik Anlaß gab, erscheint vergröbert und verflacht wieder, wenn der Eutiner Fürstlich Lübeckische Consistorialrath und Superintendent ALBR. HEINR. MATTH. KOCHEN sich durch unsern Text veranlaßt sieht, zu predigen über die Frage, ... worauf wir bei der Auswahl unserer Freunde zu sehen haben, nämlich 1) ob sie am Verstände gesund, unverbildet und einer höheren Richtung fähig sind; 2) ob sich in ihrem Herzen auf einen guten Grund und Boden, in ihren Gefühlen auf eine natürliche Ubereinstimmmung mit vins in den heiligsten Angelegenheiten des Lebens und in unserer gegenseitigen Gesinnung auf ein persönliches Wohlwollen rechnen lasse, sowie 3) ob ihre und unsere äußere Beschaffenheit, Lage und Verfassung sich zu einer engeren Verbindung auf die Dauer eignen. 172

- 45 II.

P i e t i s m u s b e w e g u n g

und

E r w e c k u n g s -

Vergleicht man die sonstigen Predigten zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit den Predigten des neu erstarkenden Pietismus, so fällt zunächst auf, daß diese ausnahmslos stärker an der Schrift orientiert sind. Diesem Vorteil korrespondiert vielfach ein Mangel an Kommunikation mit der Gegenwart, was sich unweigerlich in der Predigtsprache niederschlägt. Je größer der zeitliche Abstand dieser Prediger vom Ursprung der pietistischen Bewegung ist, desto stärker fällt ihre Weigerung ins Gewicht, das aus der Schrift Erhobene mit eigenen, und das heißt ja doch: mit den Worten der Zeit und im Dialog mit den Zeitgenossen zu sagen. Wer "zeitlos" und vermeintlich besonders bibeltreu predigt, läuft Gefahr, an den Zeitgenossen vorbeizupredigen. War die Predigt des klassischen Pietismus nach ihrer sprachlichen Form oft noch recht trocken und lehrhaft gewesen, so entwickelt sich jetzt, da die Erweckungsbewegung dem Pietismus neuen Auftrieb gibt, eine fast routinemäßige Gewandtheit, jeweils einer kleinen Schrifteinheit die praktische Anwendung folgen zu lassen. 1. Das wird gleich bei WILHELM HOFACKER173 deutlich, der als Thema formuliert: Die Berufung der Apostel als einen ermunternden Vorgang für uns, dem HErrn nachzufolgen. Wir lenken unsere Aufmerksamkeit I. Auf den Zustand, in dem der Ruf des HErrn sie traf. II. Auf die Art und Weise, wie Er sie in Seine Gemeinschaft hinüberzog. III. Auf den heiligen Dienst, zu dem Er sie in Pflicht nahm. 174 Kennzeichnend für die Art der Vergegenwärtigung ist etwa der Übergang von der Schilderung des Dämmerzustands, in dem sich die Fischer vor der Berufung befanden, zu dem Satz: In diesem Zustand des Dämmerlichtes, ungestillter Ah-

- 46 nung, unbefriedigter Sehnsucht befindet sich ein Jeder unter uns, in dem Christus noch nicht verkläret ist durch den Heiligen Geist. 175 2. Nach der gleichen Methode verfährt C.F.A. STEINKOPF. Seine Disposition: I. Wie selig ist es, sich zu Christo hinzudrängen, um Gottes Wort zu hören! 176 II. Wie gut ist es, wenn man bey rechtmäßigen BerufsGeschäften weder Mühe noch Arbeit scheut, und dennoch im Gefühle eigener Schwachheit sich ganz auf Gottes Segen verläßt. 177 III. Billig sollte uns nichts so tief demüthigen, als Erfahrung göttlicher Güte, göttlichen Segens.178 IV. Wenn man sich durch Gottes Güte zur Buße leiten läßt, und von Seinen irdischen Gaben einen guten Gebrauch macht, so wird man oft schon hier zu einem besonderen Gefäße Seiner Gnade und zu ei» 7 q nem Werkzeuge Seiner Barmherzigkeit zubereitet. y Sein Sprung in die Gegenwart, illustriert am Vers 1: Möchte doch ein ähnlicher Hunger und Durst nach Gottes Wort in unsern Zeiten sich regen! 180 3. Durchgängig geprägt durch geistliche Erfahrungen in Möttlingen und Bad Boll ist die 1857 gehaltene Predigt JOHANN CHRISTOPH BLUMHARDTs über 181 Die Kraft Gottes im Evangelium. Das zeigt sich etwa daran, daß er den entscheidenden Mangel der Zeit darin sieht, daß man selbst ... die größten Dinge in der Natur ..., an denen auch der Schwächste, an denen jedermann erkennen könnte: Da ist eine Gottesthat! ... nur auf natürliche Ursache zurück zu beziehen ... 182 beliebe. Er stellt seinen Hörern die Folgen vor Augen: Weil es so steht, können keine Wunder mehr geschehen. Es rächt sich das, daß man also denkt, damit, daß auch das Wort keine Wunder thut. 183 Diese Akzentuierung verführt BLUMHARDT nicht dazu, ohne Beziehung zum Text über die gegenwärtig wirkkräftige Wundermacht Gottes zu handeln. Von Vers 10 her formuliert er den entscheidenden Skopus: Mit dem Fischfang 184 ... unter Umständen, wo sonst keiner gemacht wird... , will Jesus Petrus ... im Stillen ... andeuten ... : unter Umständen, da es niemand für möglich halte, werde er Menschen in

- 47 1 fì4 großer Menge ins Reich Gottes hineinbringen. BLUMHARDT kommt alles darauf an, daß die Christen darauf hinarbeiten, ... daß der Herr Jesus, so wie Er sein wollte, bei den Seinen, möchte wieder zu ihnen zurückkehren, auch mit Zeichen und Wundern, insbesondere mit den Wundern, die die größten sind, daß die steinernen Herzen weich werden und annehmen könten, was ihnen zu ihrer Seligkeit angeboten wird. 185 4. Als ein unrühmliches Beispiel, wie subjektivistische Engführung sich im Pietismus mit wildwuchernder Allegorese verbinden kann, sei die Predigt eines schwäbischen Dorfpfarrers namens GOTTLOB BAUMANN aus Kemnath zitiert. Gerade am Bild vom Fischfang könnte deutlich werden, daß der Mensch zu seinem Heil nach evangelischem Verständnis schlechterdings nichts beitragen kann. BAUMANN aber stellt als Thema seiner ganzen Predigt die verhängnisvolle Frage: Wie habe ich es doch anzugehen, dass ich in jenem Netze auch eingebracht werde? Die Antwort hierauf mag lauten: 1) Wir müssen auf die ordentliche Vorkommenheit achten; 2) wir müssen dem Netz nachlaufen (!); 3) wir müssen uns dem bisherigen Element entziehen und uns willig in das neue versetzen lassen. 186 Bei derart verzerrter Perspektive nimmt es nicht wunder, wenn BAUMANN auch in der Durchführung immer wieder aus dem Bild und in allerlei Dunkel- und Tief sinn verfällt''®'^. 5. Aber nicht nur in Württemberg erklingt dieser subjektivistisch-erbauliche Ton. GUSTAV KNAK, Pastor an der böhmisch-lutherischen Gemeinde der Bethlehems-Kirche zu Berlin, verrät seiner Gemeinde zu Beginn der Predigt: Möchtet ihr doch Alle heut innerlichen Herzensdrang gefühlt haben, hierher zu gehen. Ich habe meinen HEiland heut früh gebeten, Er wolle doch, wie Er einst jene Fische in das Netz Petri hineingelenkt hat, so auch heute, die in Sein Haus kämen, also regieren, daß sie williglich in das von Seiner Gnade ausgeworfene Netz des Evangeliums sich hineinflüchten und für Ihn, für den köstlichen JEsus gefangen würden... 188 Ohne explicite Gliederung geht KNAK homilieartig dem Text

- 48 entlang, wobei er mit erwecklichen Ermahnungen nicht geizt. Beispiel, in Auslegung von Vers 3: Wer hat dem HErrn JEsus schon sein Herzensschifflein eingeräumt zum Throne? Denn Er muß dein Herz haben, lieber Bruder, liebe Schwester; Er muß dein Herz besitzen, sonst bist und bleibst du unglücklich und wirst ewig unglücklich ... 189 6. Gegenseitige Befruchtung von Erweckungsbewegung und angestammtem Luthertum bewährt sich im Predigtwerk des Begründers der Hermannsburger Mission LOUIS HARMS, wobei zu sagen ist, daß das zweite Moment gegen Ende seiner Wirksamkeit an Gewicht zunahm. Das Thema seiner Predigt über unsern Text lautet: "Die Bekehrung des Simon Pe190 trus" . Es wird in vier Abschnitten entfaltet: I. Petrus Jesu. II. Petrus Jesu. III. Petrus IV. Petrus

hörte andächtig die Predigt des HErrn 191 sah mit staunender Anbetung die Wunder 192 bekennt demüthig seine Sünde. empfängt den Segen. 194

Der Segen ist nach HARMS ein doppelter: Sündenvergebung und Missionsauftrag, wobei er besonders auf die unumkehrbare Reihenfolge hinweist. Der Abschnitt schließt mit dem seit SPENERs "Pia desideria" nicht mehr verstummten Motiv: Ein ger rio und

unbekehrter Prediger kann nie ein rechter Predisein, wenn er auch studirt hat und vom Konsistoeingesetzt ist; sondern nur der, welcher äußerlich innerlich berufen ist. 195

7. Auf reformierter Seite wäre der Potsdamer Hofprediger FRIEDRICH WILHELM KRUMMACHER zu nennen. Er zählt sechs "Beweggründe zur Nachfolge Christi" auf. Um die Spannung zu erhöhen, sagt er: Soll ich sie schon nennen? 0 nein! Ich denke, es wird euch mehr Freude gewähren, sie im Fortgange gemeinsamer Betrachtung selbst zu entdecken. 196 Erst im Vollzug der Predigt also erfährt der Hörer die Motive zur Nachfolge. Es sind dies: 1. das tausendfach bezeugte Prophetentum unsres Herrn; 2. die Sohneswürde Jesu;

- 49 3. die Bettelarmut unsres Geschlechts; 4. unsre Verschuldung vor Gott; 5. das alleinige Mittlertum Jesu; 6. die Helfer- und Retterlust Christi.197 Diese Predigt ragt unter ihresgleichen heraus durch sorgfältiges Eingehen auf den Text, durch kraftvolle, wenngleich manchmal fast zu pathetische Sprache und durch ein offensichtliches Eingehen auf die Probleme der Zeit. Dabei nimmt er durchaus den Stier bei den Hörnern. So etwa, wenn er seiner Schilderung des Gesetzeseifers der Pharisäer anfügt: Jedoch steckt hinter dem Fanatismus, auch dem ausschweifendsten, viel eher noch ein edlerer Funke verborgen, als hinter dem Indifferentismus und Libertinismus, diesen ekelhaften Verderbensformen unsrer Tage. 198 III.

K o n f e s s i o n e l l e

T h e o l o g e n

Die Phalanx derer, die gegenüber den Auflösungs- und Zersetzungserscheinungen außer- wie innerhalb der Kirche auf das reine lutherische bzw. reformierte Erbe pochen, hebt sich in der Geschichte der Predigt des 19- Jahrhunderts deutlich ab sowohl von der sanftglühend-esoterischen und doch die gesamte Welt des Geistes einschließenden Innerlichkeit SCHLEIERMACHERs und seiner Schule wie auch von der Engführung pietistischer Frömmigkeit, und dies auch da, wo sie ihre Herkunft aus der Erweckungsbewegung keineswegs verleugnen. Gemeinsam ist diesen Predigern die Fassung der Zentralthemen christlichen Glaubens in überkommener Diktion;sie unterscheiden sich untereinander im Grad der Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen beschäftigenden Fragen. 1. CLAUS HARMS beantwortet in der "Neuen Sommerpostille" von 1827 die Frage, Wie bedeutsam es sey, ob man von Glück mehr oder mehr von Segen spreche.

- 50 Dies ist bedeutsam I. im Betreff der Erlangung, II. im Betreff der Anwendung, III. im Betreff der Verlierung dessen, was man Glück, was man Segen nennet. 199 Was nun folgt, ist eine durchaus an SCHLEIERMACHERs Virtuosität erinnernde Themapredigt, nicht ohne Wärme und doch streng gedanklich deduzierend, dabei fast ohne direkten Bezug zum Text. Und doch liegt inhaltlich der Nachdruck genau auf den Gegenständen, die LUTHER erstmals aufgrund unsres Texts betont hatte, und die seitdem die pointiert lutherische Predigt bestimmen; ad I: Die Fische springen nicht in die Schiffe, der Segen schließt menschliche Arbeit nicht aus - im Gegensatz zum Glück, das die menschliche Tätigkeit ignoriert; ad II: Segen verpflichtet - wiederum im Gegensatz zum Glück - zu treuer Haushalterschaft in Betreff der Anwendung; ad III: beim Verlust irdischer Güter bleibt Gott des Menschen Trost, während Verlust des Glücks mißmutig macht. 2. Am 26. Juni 1842, "bei Niederlegung der UniversitätsPredigerstelle" in Erlangen, predigte G.CHR.ADOLPH HARLESS über den "Ruf zum Amt in Christi Kirche". Die Kriterien dafür, wo wirklich der Herr der Kirche beruft und wo man seinem Ruf folgt, werden bis ins Detail hinein dem Text entnommen: Nur ... da hat der Herr berufen und da hat man seinen Ruf erkannt und befolgt, wo der Ruf des Herrn zum Amte erkannt wird 1) als Ruf der Liebe des Erlösers zu allem Volke, 2) als Ruf zum Gehorsam gegen Christi Wort, 3) als Ruf voll Kraft der Verheißung und Gnadenerfahrung , 4) als Ruf zum rechten Bekenntnis der Buße, 5) als Ruf zur furchtlosen Bezeugung der Wahrheit und 6) als Ruf zu williger Selbstverleugnung in der Nachfolge des Herrn ... 200 Als Consistorialrath, Professor an der Universität und Pastor zu St. Nicolai in Leipzig hat er den gleichen Text unter dem Thema "Die Zucht und Züchtigung göttlicher Seg-

- 51 nung" noch einmal ausgelegt. Er gliedert diesmal anders und legt damit den Akzent auf den ersten Teil des Texts: 1) die Fruchtlosigkeit blos menschlichen Trachtens und Ringens, 2) den Schrecken, der von Christi segenbringendem Wort ausgeht, 3) die Arbeit und die Selbstverleugnung des Glaubens, der sich wahrhaft an Christi Wort hält. 201 Auch hier ist das dem Hörer vor Augen gestellte Heil ganz in den Rahmen der lutherischen Tradition eingezeichnet

Die Auslegving gipfelt in der mahnenden Frage:

... wo sind, welche all' ihr Werk im Leiblichen und Geistlichen in Christi Namen und auf Christi Werk hin beginnen? Wo selbst unter denen, die da wollen Christen sein, jenes unverrückte Halten am Wort, das nach nichts fragt, als nach Christi Befehl ...? 202 3. WILHELM LÖHE steht gleichfalls in diesem Traditionsstrom, wenn er vom doppelten Beruf "Fischefahen, Men20^5 schenfahen"

predigt. Das erhellt v.a. daraus, daß er

besonderen Wert darauf legt, daß auch der Beruf des Menschenfischers ein zeitlicher Beruf ist. Der Unterschied liegt in der Stiftung: Den Fischerberuf ... hat der HErr im Paradiese eingesetzt, wie jeden zeitlichen Beruf; jenen (seil, den Menschenfischerberuf) insonderheit stiftet der Sohn Gottes im Neuen Testamente ..., 204 Freilich gilt dann die Regel: ... alle zeitlichen Berufe ordnen sich dem Berufe des Menschenfahens unter, weil keiner so unmittelbar und geradezu die Bahn zum Himmel und der ewigen Verklärung des menschlichen Geschlechts zeigt, auf dieselbe hilft und auf ihr fördert ... 205 4. Nicht so CHR. ERNST LUTHARDT; er predigt von dem Zusammenhang zwischen dem irdischen und dem himmlichen Beruf. Dabei will er ...zuerst den irdischen Beruf betrachten in seinem Zusammenhang mit dem himmlischen, und dann den himmlischen in seinem Zusammenhang mit dem irdischen. 206

- 52 5· G. THOMASIUS betrachtet unter der Überschrift "Von der Einkehr des Herrn im Menschen" ... den Menschen 1. vor der Einkehr, II. bei der Einkehr, III. nach der Einkehr.207 Die erzählte Geschichte ist ihm dabei ausschließlich "Bild und Gleichniß geistlicher Dinge". Bemerkenswert ist, daß er seine Predigt mit einer an alle Stände gerichteten Vermahnung zu mannhaftem Bekenntnis schließt. Denn zur ... Verkündigung des Wortes und zur Verwaltung der Sakramente können wir nicht Alle berufen sein; aber das, was mit beidem geschieht, ist unser aller Pflicht und neues Werk: das ist das Bekenntniß Jesu Christi ... 208 6. Das neue Jahrhundert, die "moderne Predigt", kündigt sich schon an in einer Predigt HERMANN BEZZELs über das Thema "Fahrt auf die Höhe" 1 . in gehorsamem Sinn, 2. in demütiger Beugung, 3. zu heiligen und heilsamen Zielen. Der Text kommt hier reichlich zu Wort, wenn man auch wird sagen müssen, daß die Übersetzung in die Gegenwart in einigen Passagen zu wünschen übrig läßt. Die Devise, die er seinen Hörern mit auf den Weg gibt, lautet: Mit alten Mitteln neue Treue, mit alten Weisen neuen Mut, auf des Herrn Geheiß das ganze Leben wagen! 210 IV.

T h e o l o g e n

d e r

V e r m i t t l u n g

Zwischen den Fronten - nicht standpunktslos, sondern erklärtermaßen in der Absicht, eine Brücke zu schlagen zwischen neuzeitlicher Bildung und wissenschaftlich verantworteter Theologie einerseits und dem Erbe der Kirche andrerseits - kämpfen um eine rechte Bestimmung der Predigt Männer wie JUL. MÜLLER, CHR. PALMER und A. LIEBNER. 1. Die Predigt JULIUS MÜLLERs, offensichtlich vor künfti211 gen Pfarrern gehalten , ruft dazu auf,

- 53 ... dem Gange unsers Textes einfach folgend, Christum als Menschenfischer kennen (zu) lernen ... 212 Die Ausführung ist von deutlich apologetischer Tendenz geprägt; das Wort Gottes, so stellt er fest, ... zieht euch an und - o gesteht es nur! stößt euch wieder ab; ... 213, wobei Verstandes- wie Willenshindernisse des Glaubens mit Namen genannt werden. Am Beispiel des Vorgehens Jesu gegenüber Petrus wird dann die Kraft des ewigen Menschenfischers heute gezeigt, der alle Widerstände überwindet. Ihre besondere Zuspitzung erfährt die Predigt im Verfolg der Auslegung von Vers 11 durch die Ermahnung an anwesende "zukünftige Diener des Wortes", allerlei Allotria, ... mögen sie immerhin an sich unschuldig und löblich sein214, zugunsten des uneingeschränkten Dienstes in Gottes Reich zurückzustellen. 2. CHRISTIAN PALMER stellt seine als Helfer in Tübingen gehaltene Predigt unter den Vers von Andreas Ingolstädter: Hinab geht Christi Weg; wer mit Ihm aufwärts will, muß erst mit Ihm hinab. 215 Die Begründung für dieses Thema lautet: ... so ist auch Demüthigung und Erhebung für den Jünger nicht ein einmaliger Wechsel nur, den er zu erfahren bekommt; sondern es geht auch mit ihm hinab und hinauf, und wieder hinab und wieder hinauf; aber allerdings nicht ewiglich dauert es also fort, sondern das Ende ist, daß er auf eine Höhe gestellt wird, da tief unter ihm aller Erdenwechsel verschwindet. So ward einem Petrus, so wird uns in diesem Evangelium unsere Lebensbahn vorgezeichnet. 215 3· Über die Motive seiner Thema-Setzung äußert sich der designierte Oberhofprediger in Dresden, Professor der Theologie, Consistorialrath und erster Universitätsprediger in Leipzig Dr. ALBERT LIEBNER in der Einleitung einer über unsern Text gehaltene Predigt: Es führen manche Wege durch dieses Evangelium, gar mannichfache Blicke und Aussichten öffnend in Nahes und Fernes, Hohes und Tiefes. Wir wählen heute einen Weg, der uns einen besonders umfassenden Umblick zu

- 54 gewähren verspricht, ... der Mensch und das Wort Gottes. Nämlich: wie der Mensch des Wortes Gottes bedarf, wie es ihn weckt, treibt, läutert und vollendet 216 Er erwähnt sogar, worüber er vor der nämlichen Gemeinde schon früher anhand desselben Texts gepredigt hatte: ... wie der Mensch ein Jünger Christi wird; nämlich, daß er solches wird: durch heilsbegieriges Hören, gläubiges Vertrauen, demüthiges Bekennen, und Alles Verlassen und Ihm Nachfolgen. 217 Wie sehr LIEBNER bemüht ist, auf die Glaubenshindernisse einer Gemeinde mit Gebildeten einzugehen, zeigt die Einleitung seiner Predigt, in der ganz moderne Gesichtspunkte sich schon in die Erklärung der Erzählung einschleichen. So sagt er - angesichts des Drängens des Volks - : Sie wollten sich erbauen. Konnten sie das nicht auch in jener herrlichen Natur umher? 218 Diese Frage erlaubt LIEBNER im folgenden, ausführlich die möglichen Einwände der Zeitgenossen aufzugreifen, die die Natur und deren erhabene Schönheiten zu ihrer Kirche erklären. In solchen apologetischen Verfremdungen kündigt sich an, was wenig später zum Programm erhoben werden wird: die "moderne Predigt". V.

L u t h e r a n e r

m i t

s e e l s o r g e r l i c h e r

v o r w i e g e n d A u s r i c h t u n g

Die Problematik einer auch nur einigermaßen überzeugenden Klassifizierung wird im 19· Jahrhundert besonders deutlich. Zwischen den geschilderten Extremen konstatieren wir ein breites Mittelfeld von Predigern, die - theologisch zur Vermittlung neigend - den Nachdruck darauf legen, in seelsorgerlich-praktischer Hinwendung zum aufgeschlossenen Hörer diesem zu helfen, sein lutherisches Erbe neu zu durchdenken und sich anzueignen. 1. Bei FRIEDRICH AHLFELD, ab 1851 Nachfolger von HARLESS als erster Pastor an St. Nicolai in Leipzig, tritt die

- 55 Betonung des Spezifisch-Lutherischen zurück zugunsten substanzvoller "Erbauung" im guten Sinn des Wortes. Noch aus Halle stammt eine Predigt, deren Disposition - einer gekünstelten Mode der Zeit folgend - in Reimen mitgeteilt wird: Fahre auf die Höhe ! Seele, die du an dem Erdenufer hangest, Eile, daß du auf die Glaubenshöh gelangest, Selbst gerettet andere Seelen fangest. 219 Charakteristisch für AHLFELD ist dabei, wie er in geistvoller Metaphorik die "Höhe",auf die Petrus zu fahren befohlen wird, auslegt im Blick auf die gegenwärtige Arbeit der Kirche. Auf die Höhe fahren, heißt einmal: "... auf die Höhe des Glaubens" fahren - im Gegensatz zum Umherkreuzen "an der Verstandesküste". Sodann: "Fahre auf die 220

Höhe in deinem Bekenntniß" . Ferner: "Fahre auf die Höhe in deiner Missionsarbeit in der Kirche" - also auch und gerade zu den Zöllnern und Sündern. Und schließlich: "Fahre auf die Höhe auch in der Predigt unter den Heiden" 221 . In Leipzig greift AHLFELD das traditionelle Motiv "Fischer - Menschenfischer" auf, unter dem er dann in vierfachgegliederter Homilie den Text umfassender ausschöpft 222 als in der ersten Predigt . Auch hier kehrt - mit kleinen Varianten - die metaphorische Ausdeutung der 'Höhe' wieder. 2. Was K.H. CASPARI als Münchener Stadtpfarrer über Lk 5 äußert, tritt gleich durch den Titel Wozu braucht der Christ die Gottseligkeit bei der Arbeit für seinen irdischen Beruf? in ein schiefes, an Entgleisungen des 18. Jahrhunderts erinnerndes Licht. Die Antwort Er braucht sie dazu, daß er I. Nicht unmüthig, II. Nicht kleinmüthig, III. Nicht übermüthig werde ... ^ bezieht sich denn auch ausschließlich auf den irdischen Beruf des Christen. Bei alledem bleibt die Predigt lehr-

- 56 haft und hölzern. 3. Die Notwendigkeit, das überkommene Wort dem Zeitgeschehen auszusetzen und es angesichts der heranstehenden Zeitfragen neu zu sagen, birgt schwere, wenngleich von der Sache her unvermeidliche Gefahren und Risiken in sich. Diese Gefahr ist desto größer, je höher die Flut der allgemeinen Erregung ist, die die Gesellschaft ergreift. Ihr ist - das läßt sich heute mit Sicherheit sagen - die am 17. Juli 1870 gehaltene Predigt des Halleschen Predigers HEINRICH HOFFMANN mit wehender Flagge erlegen. Die 224 "Nacht voll Mühsal und Morgen voll Segen" überschriebene Predigt wendet den Text direkt auf das Kriegsgeschehen an; sie gipfelt - als Auslegung von Vers 5! in den Sätzen: Grüße der HErr unsern theuern, heißgeliebten König heute mit seinem Wort: Fahre auf die Höhe! ... Glück auf dem Könige! nur frisch hinein, es wird so tief nicht sein. Wohlauf Jeder, den Er ruft. Denkt der Feind: frisch gewagt ist halb gewonnen, - sprechen wir: mit Gott gewagt ist ganz gewonnen. 225 So sehr wir heute Anlaß haben, im Blick auf solche und ähnliche Kriegspredigten an die Brust zu schlagen, so darf daraus doch nicht die Konsequenz gezogen werden, daß "die Politik nicht auf die Kanzel gehört", wie das immer wieder gefordert wird. Es ist das Problem falscher und legitimer Prophetie, das hier heransteht; billiger als um dieses Risiko ist verantwortungsbewußte Predigt nicht möglich. 4. Schließlich sind hier die Brüder MAX und EMIL FROMMEL zu nennen, die sich als gute Lutheraner großer Beliebtheit erfreuten, der letztere v.a. durch seine schriftstellerischen Arbeiten. MAX FROMMEL predigt als Generalsuperintendent und Consistorialrath in Celle Von der Arbeit in Gottes Werkstatt: Im himmlischen Beruf,

- 57 Im irdischen Beruf, 2 ?6 Im Beruf des Predigtamts. Der 'himmlische Beruf' ist hierbei das Hören auf Gottes Wort und die Ausübung der bescheidenen Dienste, die auch der Laie zu dessen Verkündigimg beitragen kann. Der zweite Abschnitt hält sich im bewährten Rahmen lutherischer Berufsethik: Wohlan nun fahre auf die Höhe, das ist: richte deinen irdischen Beruf aus in der Kraft des Glaubens und in der Liebe zu Gott und dem Nächsten; so oft du am Sonntag dich erquickst, verwende die Kraft davon zum Werktag des Dienens in deinem Beruf. 227 5. Stärker thematisch durchgestaltet ist die Predigt EMIL FROMMELs. Sie konzentriert sich auf die Person des Petrus: Der erste hohe Feiertag im Leben Petri: ein Sabbathtag, ein Werktag, ein Bußtag, 2 ?8 ein Ordinationstag ... Diese Themen erlauben ihm, der Geschichte entlang zu gehen und sowohl die damalige wie die Situation, in die hinein er predigt, plastisch zu zeichnen. Den Erzähler verleugnet er dabei nicht; vor allem im letzten Teil illustriert er die mannigfaltigen Möglichkeiten, ohne den irdischen Beruf zu verlassen, "für die Ewigkeit zu 229 wirken ..." , an allerlei Berufen; auch eine Beispielerzählung aus der österreichischen Diaspora dient diesem Zweck250 ^ . 6. In Württemberg war unser Text seit 1830 die offiziell vorgeschriebene Perikope des neuen 2. Jahrgangs für den Feiertag Peter und Paul. Das hat den Dichter der "Palmblätter" KARL GEROK angeregt, ... aus dem Bilde beider Apostel, und insbesondere aus unserer Textgeschichte ... Die Haupteigenschaften eines Arbeiters im Dienste des Herrn ... seiner Gemeinde vor Augen zu stellen. Beiden Aposteln gemeinsam und von daher auch für den Hörer vorbildlich

- 58 sind: 1. 2. 3. 4.

freudiger Gehorsam zum Anfang, ausharrende Geduld beim Fortgang, Herzliche Demuth beim Segen, muthiger Glaube bei den Schwierigkeiten - im Dienste des Herrn ... 231

Im Stil kann GEROK die Autorschaft der "Palmblätter" nicht verleugnen; eine für heutigen Geschmack schale und zur Sentimentalität neigende Rhetorik hat zur Folge, daß man sich an seinen Predigten rasch übersättigt.

6. Kapitel: Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ist in der Geschichte der evangelischen Predigt ein neuer Auftrieb zu verspüren, der sich in einer Fülle von homiletischen Aufsätzen sowie in einer Reihe von Monographien niedergeschlagen hat. "Die moderne Predigt" - dieses Stichwort aus dem zweibändigen Werk "Wie predigen wir dem modernen M e n s c h e n " 2 ^ 2 von FR. NIEBERGALL gibt den Ton an, auf den die Bemühungen dieser Epoche gestimmt sind. Gemeinsam ist den Predigten des Zeitraums von 1890 bis 1918 ein noch weit stärkeres Eingehen auf den Hörer und auf dessen Bedürfnisse und Fragen, als das œ h o n im 19· Jahrhundert zu beobachten war. Der theologische

Spannungsbogen

reicht dabei von den Vertretern einer radikal liberalen Schule über die RITSCHL-Schüler bis hin zu den Nachfahren des Pietismus in der Evangelisations- und Volksmissionsbewegung . Neue Impulse gehen aus einmal von der immer stärker ins Blickfeld der Wissenschaft rückenden soziologischen Forschung, die den Blick schärfte für die konkrete Situation von Hörer und Gemeinde; zum andern von den Erkenntnissen der religionsgeschichtlichen Forschung. Daß beim stärkeren Eingehen auf Bedürfnisse und Probleme

- 59 des "modernen Menschen" nicht selten der Text vernachlässigt wurde, überrascht nicht; es wiederholt sich hier mutatis mutandis das schon bei der Predigt der Aufklärung Beobachtete: Der Text muß nicht selten gerade noch das Sprungbrett liefern für allerlei

"Lebenshil-

fe", wie das Schlagwort dafür in unsern Tagen lautet. Die Predigt im ersten Weltkrieg endlich entspricht weithin einem Offenbarungseid; rühmliche Ausnahmen bestätigen diese Regel. I.

D i e

l i b e r a l e

S c h u l e

1. Wie unmißverständlich auf dem linken Flügel der Theologie um die Jahrhundertwende geredet werden kann, zeigt schon der Titel "Aufklärung und Verklärung. Metaphysikfreie Predigten" des in der Reihe "Moderne Predigtbibliothek" 1903 erschienenen Hefts von CONSTANTIN VON KÜGELGEN. Darin findet sich zwar keine Predigt über unsern Text, wohl aber eine anhand von Mt 16, 1-4 über "Wundersucht und Wunderglaube" gehaltene. Die ganze Richtung kennzeichnend behauptet er, daß ... das Christentum, wie es seit fast zwei Jahrtausenden als wunderloses Wunder fortbestanden hat, nichts von seinem Wesen einbüßen (würde), auch wenn es auf jene sich unserer Erfahrimg und Kontrolle völlig entziehenden biblischen Zeichen und Wunder verzichtete ! Nur die dem Un- und Aberglauben entstammende Wundersucht würde durch einen derartigen Verzicht tödlich getroffen werden, während hingegen der aus dem kindlichen Vertrauen auf die göttliche Vorsehung geborene Wunderglaube, vergeistigt und vertieft,siegreich das Feld behaupten dürfte. 233 2. Der Berliner Pfarrer CURT STAGE hat in seinen Sammelband "Wahrheit und Friede" auch eine Predigt über unsern Text von Prof. HEINRICH HOLTZMANN-Straßburg aufgenommen. Dieser fragt: Die Berührung mit dem Göttlichen - in welchen Augenblicken dürfen auch wir sie erleben? Wir antworten an der Hand unseres Textes: immer da, wo wir uns am tiefsten gedemütigt, wo wir uns am höchsten gehoben fühlen. 234 In der Durchführung ist HOLTZMANN bemüht, das Anstößige

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der Wundergeschichte zu mildern, so schon, wenn er ein215 gangs von dem "Textbild" spricht . Oder dann, wenn er erklärt : Das Wunderbild in unserm Texte ist es nicht, was uns auf den eben ausgesprochenen Gedanken geführt hat. Es bedeutet an sich nicht mehr und nicht weniger,als andere Wunderbilder auch ... 234 Er stellt seinen Hörern eine Welt vor Augen, ... darin innere Zusammenfassung und Lebensmut, darin Ausfüllung der Herzen und Hebung der Gedanken, Befreiung der Gemüter, darin guter Wille und rettende That zu erleben ist ... 235 Gleichwohl ist es nicht platter Rationalismus, was HOLTZMANN bietet; immerhin lesen wir gegen Ende der Predigt den Satz: So wenig wir höher steigen können als zu Gottes Herzen, so wenig können wir tiefer fallen als in seine Hände. 236 II.

" M o d e r n e

P r e d i g t "

Den hier aufgeführten Predigten ist die Bemühung gemeinsam, das Evangelium ganz hineinzuübersetzen in ihre Zeit. Nicht altertümliche Erzbrocken sollen geschürft und weitergegeben, es soll vielmehr alles Überkommene eingeschmolzen und in die Gefäße der Zeit eingegossen werden. Man betont wie etwa CARL SCHWARZ die Notwendigkeit, Daß ... nicht allein die Gegenwart wiedergeboren werde durch den Geist des Christentums, daß ebensosehr dieser selbst wiedergeboren werde durch die Gegenwart. 237 Das Sendungsbewußtsein dieser Gruppe manifestiert sich am deutlichsten in der von E. ROLFFS herausgegebenen Reihe "Moderne Predigtbibliothek". 1. Das Wunder spielt wie in der allgemeinen theologischen Diskussion der Zeit so auch in den Predigten eine beachtliche Rolle. So nimmt - wie schon der oben zitierte C. V. K Ü G E L G E N 2 3 8 - ERNST ROLFFS, Pastor an St. Katharinen in Osnabrück und Herausgeber Jener Reihe, selbst Mt 16, 1-4 zum Anlaß, über "Die Wunder der Bibel" allgemein zu han-

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dein. Er wendet sich dabei vornehmlich an Hörer, ... denen gerade durch die Wunder der Weg zum Glauben an Christus versperrt wird. 239 Die nähere Durchführung seiner Argumentation braucht uns in diesem Zusammenhang nicht zu interessieren; ROLFFS kommt zu dem Schluß: Niemand darf sagen: ich kann doch nicht an eine Botschaft glauben, die von so vielen Wundergeschichten durchzogen ist wie die Predigt von Christus. Trotz der Wundergeschichten, ja, zum Teil in ihnen tritt uns hier eine Wirklichkeit entgegen, an der wir nicht vorübergehen dürfen, wenn wir die Welt und das Leben ganz verstehen wollen . . . 240 2. In der gleichen Reihe hat der Langenburger Dekan OTTMAR SCHÖNHUTH einen Zyklus von zwölf Predigten über "Die Wunder Jesu" veröffentlicht. Das Vorwort zeigt, wie sehr nunmehr der Hörer und dessen Voraussetzungen und Erwartungen bei der Formulierung der Predigt mitbestimmend sind: Die Predigten sind in Freudenstadt gehalten. Unter meiner Hörerschaft waren alle Stände und Richtungen vertreten. Als rasch aufstrebende Kleinstadt vereinigt die Gemeinde noch die geistigen Bedürfnisse einer Stadt- und einer Landbevölkerung in sich. Die Grundrichtung der einheimischen Kirchenbesucher ist durchaus altgläubig, teilweise verstärkt durch eine einflußreiche pietistische Gemeinschaft, die sich mit wenig Ausnahmen zur Zeit am kirchlichen Leben eifrig beteiligt. Während diese Kreise eine freiere Form der Evangeliumspredigt, solange sie nicht angreift und umstürzt, bisher ohne jeden Widerspruch ertragen hat, ist ein nicht unbeträchtlicher Teil der Gemeinde, besonders unter der Männerwelt, speziell der zahlreichen Beamten- und Lehrerschaft, für eine moderne Darbietung der Glaubenswahrheit ersichtlich dankbar ... 241 Das Thema der Predigt lautet: "Vergebliche und gesegnete Arbeit." In der Art seiner Auslegung ist SCHÖNHUTH freilich wesentlich behutsamer als die oben erwähnten Autoren. So etwa, wenn er den Anstoß des massiven Wunders mildert durch den Satz: ... es muß nicht notwendig ein äußerliches, in die Augen fallendes Wunder sein, wie hier im Evangelium eins erzählt wird. Der Herr kann den äußeren Segen, den sichtbaren Erfolg ganz versagen. Dafür hebt er uns aber innerlich auf eine Höhe, von der aus wir wei-

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ter sehen, hinaus über den nächsten Augenblick und über unsern engen Kreis ... 242 Im übrigen unterscheidet sich die Predigt allenfalls durch plastischere Beispiele und durch detaillierteres psychologisches Feingefühl von der Mehrzahl der vermittelnden Predigten des 19· Jahrhunderts; die Inhalte sind mit wenigen Modifikationen die gleichen wie die der meisten lutherischen Predigten der Vergangenheit: ... sie haben sich unter den einen Meister gestellt in gleichem Vertrauen, gleicher Treue und Liebe. Und darum ist ihre Arbeit gesegnet gewesen. Stellen wir uns ebenso, ein Jeder mit seiner Art und seinen Gaben, unter ihn, einzig unter ihn, und tun wir unsre Pflicht an unsrem Platz nach seinem Wort. Dann wird auch unsere Lebensarbeit nicht vergeblich sein. Das walte Gott! 243 3. Es kann auch anders verlaufen, wenn man die Sprache der Zeit um jeden Preis zu sprechen sich bemüht. "Gegenwartsglaube" heißt - immer noch in der Reihe der "Modernen Predigt-Bibliothek" - eine Predigtsammlung von HUGO LEHMANN. Auch er zeigt im Vorwort an, aus welchen sozialen Kreisen die Hörer stammen: Die Predigten dieser Sammlung entsprechen dem Charakter eines Bade- und Industrieortes mit Ackerbau. Die Kirche der Thüringerwald- Gemeinde, der sie dienten, sieht ländliche Hörer im Winter und Frühjahr, Kurgäste, Beamte und Fabrikanten im Sommer. Allzu wahr sagt er wenig später: Die Predigten sind also individual- und sozialpsychologisch, nicht dogmatisch orientiert. 244 "Etwas werden im Leben" ist das Thema der Predigt über Lk 5; da die Predigt vermutlich im Sommer gehalten wurde, mithin nicht so sehr ländliche als vielmehr "Kurgäste, Beamte und Fabrikanten" als Hörer anzusprechen hatte, dürfte das Thema deren "Sitz im Leben" richtig anvisiert haben. Man wird etwas im Leben ... Auf keinem anderen Wege ... als nur 1. durch unermüdliche Arbeit, im Gehorsam und mit Selbstüberwindung. Da bleibt 2. der Erfolg nicht aus, wenn man in Demut und Dankbarkeit fähig wird, große persönliche Opfer zu bringen. 245

- 63 Die chri^tologische Fundierung lautet: Wer könnte auch besseren Rat erteilen als der Heiland, der gute Geist all unsrer Lebenserfahrung. 246 Die Quintessenz des Rats, den der Heiland erteilt, lautet: Auf keinem anderen Wege kommt etwas zustande in unserem Zusammenleben und Zusammenarbeiten als nur durch Unermüdlichkeit. 246 Und - als Auslegung des Verses vom Alles-Verlassen um des Auftrags willen - : In keinem höheren Beruf läßt sich etwas erreichen ohne persönliche Opfer ... Und wer regieren und besitzen und dabei etwas leisten will, der muß sich aufopfern in unermüdlicher Arbeit, um seine hohe Stellung auszufüllen und Menschen zu gewinnen für eine große Sache. 247 4. Diese Art zu predigen war mit dem Erscheinen des BARTHschen "Römerbrief(s)" nicht vom Tisch gefegt. Dafür stehen die 1930 erschienenen Predigten des Dresdner Pfarrers K.A. BUSCH. Dieser bekennt im Vorwort etwas bitter, er sei ... nicht mit der Barth-Gogartenschen Taufe getauft; das ist sicher heute ein Manko. 248 Wir tun einen tiefen Blick in die Werkstatt eines "modernen" und eigentlich der Vorweltkriegsära zugehörenden Predigers, wenn wir im folgenden erfahren, ... wie man heute unserem Geschlecht an der Hand unserer Bibel- und Perikopentexte predigen kann, wenn man ihm die Wahrheit Gottes bringen und auf Lebensfragen antworten will. Das erfordert eine Theozentrierung, die über dem Christozentrischen vergangener Jahrzehnte oft ungebührlich in den Hintergrund trat. Das erfordert weiter ein gewisses 'Los von der Geschichte!', wenn auch alle unsere Texte zuerst geschichtlich verstanden sein müssen ... Das bedeutet drittens m.E. ein verständnisvolles Eingehen auch auf die religiösen Denkfragen unserer Gegenwart ... zumal in der Großstadt ... Der Hörer darf zuerst noch nicht sehen, wo wir hinauswollen. So wird seine Spannung wach gehalten. Gehen wir vom Nächstliegenden aus, was der Hörer vermutlich mitbringt, wovon er bewegt wird ... und führen wir ihn dann an der Hand sich steigernder, dem Leben entnommener Fragen und dem Text entnommener Antworten unserem Predigtziel zu, mit dem wir abbrechen ... 248

- 64 "Los von der Geschichte !" - diese Devise verfolgt schon das Thema der von BUSCH gehaltenen Predigt über unsern 249 Text: "Optimismus oder Pessimismus?" Ob aber dem modernen Menschen mit dem Bescheid: Die Menschen scheiden sich fast alle in mehr oder weniger erklärte Optimisten und Pessimisten; Christen stehen über beiden ... 250 weitergeholfen wird, bleibt zu bezweifeln. Ähnlich bei den Sätzen: Die sittliche Erlösungsreligion Jesu spricht: Wir sind in der Welt, sittlich-tüchtige Menschen zu werden in Glaube und Unglaube. Glaube und Unglaube ist die Retorte, aus der der gottgefällige Charakter des Menschen emporsteigt. Reifung der Seele, Gewinnung der Seelen ist das oberste Seelenziel. 251 Für das Selbstverständnis des Predigers heißt das: In einer so geistig zerrissenen Zeit wie der unseren müssen wir vor allem Überzeugungsbildner sein... 252 Wahrlich: Ein paar Tropfen der verschmähten "Barth-Gogartenschen Taufe" wären kein Schade gewesen!

III.

D i e

s o z i o l o g i s c h

A u s f o r m u n g

d e r

g e z i e l t e " m o d e r n e n "

P r e d i g t Schon bei den angeführten Predigern der "Modernen Predigt-Bibliothek" war aufgefallen, wie hier detaillierte Überlegungen soziologischer und psychologischer Art mitbestimmend waren bei der Ausarbeitung der Predigten: Wer sind die Hörer? Aus welcher sozialen Gruppe stammen sie? Was sind ihre Denkvoraussetzungen? Welche Fragen und Probleme beschäftigen sie im besonderen? Hatte man solche Fragen implizit auch vor 1900 im Blick

25^

so werden sie jetzt programmatisch und v.a. auch in der 254 homiletischen Theorie gestellt ^ . In der Praxis wirkt sich das so aus, daß sich eine Art von Spezialisten herausbildet: Prediger, die sich an ganz bestimmte Schichten von Hörern richten. Zu den schon im 19· Jahrhundert verbreiteten Universitäts-Gottesdien-

,

- 65 sten und -Predigern (A) tritt jetzt - in Wiederaufnahme alter Traditionen - die species der Bauern- oder Dorfpredigt (Β), die Großstadtpredigt (C), die Arbeiterpredigt (D) und die volksmissionarisch-evangelistische Predigt (E). A)

U n i v e r s i t ä t s - P r e d i g t e n

1. Akademische Gottesdienste waren im 19· Jahrhundert keine Seltenheit. Vom langjährigen Göttinger Universitäts-Prediger HERMANN SCHULTZ lagen uns zwei Bände aus dem Jahr 1882 und - posthum - aus dem Jahr 1903 vor, in 255 denen sich unter den Themen "Menschen fangen" und "Unser irdischer Beruf zum Berufe für das Himmelreich 2"56 geweiht" ^ zwei Predigten Uber unsern Text finden. SCHULTZ spricht hier freilich nicht nur Akademiker an, wie sich denn überhaupt seine Predigten allenfalls durch besonders feinsinnige Gedankenführung und durch das Niveau des geistigen Anspruchs auszeichnen; sie könnten ebenso gut vor Gebildeten einer Stadtgemeinde gehalten worden sein. Dem theologischen Gehalt nach sind die Predigten Zeugnisse einer den modernen Fragen aufgeschlossenen, aber in der Grundhaltung konservativen lutherisch geprägten Geistigkeit. 2. "Nichts gefangen!" lautet die Überschrift einer Predigt aus den "Feierstunden" des Straßburger Professors JULIUS SMEND 2 5 7 . Rühmenswert ist bei ihm die Treffsicherheit, mit der er den Skopus des Texts erfaßt, obgleich er sich ganz von den hergebrachten Schablonen löst. Er legt Vers 5 ganz auf die Prediger des Evangeliums hin aus und ermahnt seine Hörer, das Ihre zu tun, ... damit die Träger eines gerade heute so überaus schwierigen und verantwortungsvollen Berufs, vor dem Unheil der Ungeduld und der Mutlosigkeit bewahrt bleiben, welche zur Arbeit unfähig machen und das Werk nur hindern. 257

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3. Die kühlere Zugluft akademischer Welt weht durch eine Predigt, die FRIEDRICH LOOFS am 24. Januar 1897 in Halle vorgetragen hat. Man horcht auf, wenn LOOFS sagt: Die Erzählung unseres Textes hat große Schwierigkeiten. Nicht, wie der Hörer wohl zunächst erwartet, das Wunder ist gemeint. Immerhin: LOOFS geht ein auf die Schwierigkeiten derer, ... die noch im Suchen sind und meinen, hier läge ein Anstoß für sie ... 258 Sie verweist er auf ein Lutherwort, dessen Ertrag er folgendermaßen resümiert: Halt dich drum zunächst an das, was dir zunächt (lies: zunächst) gilt, - an die Worte, die auch dein Gewissen treffen sollen! 259 Dann aber geht LOOFS näher auf die Probleme des synoptipCf) sehen Vergleichs ein . Diese legen ihm nahe, schon eine frühere Begegnung Jesu mit Petrus anzunehmen, wodurch er dann über "Drei Stufen der Jüngerschule"

predigen

kann. Als solche Stufen nennt er: Jesu ideale Hoheit erkennen, die von ihm trennende Macht der eignen Sünde empfinden, sich dennoch halten lassen im Vertrauen auf ihn. 261 Auch in der Durchführung dieser Themen wird immer wieder deutlich, daß LOOFS auch Fragen, über die er für seine Person hinausgewachsen ist, im Interesse der Hörer aufgreift und seelsorgerliche Hilfestellung gibt. So etwa, wenn er zur ersten Stufe sagt: ... wenn alle frühere Glaubenserfahrung uns in Frage gestellt würde, - das steht fest, unabhängig von linsern Zweifeln, sobald wir nur nicht den Adel unserer Seele verleugnen, kraft dessen sie das Ewige als solches anerkennen kann, wenn es ihr entgegentritt. Das soll uns letztlich bei Jesu halten. Dann wird Er uns schon weiter führen. 261 4. Ebenfalls in Halle predigte PAUL DREWS am 5. Sonntag nach Trin. des Jahres 1902. Daß er mit akademisch gebildeten Hörern rechnet, zeigt sich vor allem im I. Teil der Predigt, wo er die Schwierigkeiten zeigt, die sich

- 67 262 dem "Gehorsam gegen den Herrn" - so der Titel der Predigt - entgegenstellen. Hauptschwierigkeit ist nach DREWS heute - im Gegensatz zur Zeit der biblischen Berichte - das Erkennen des Willens Gottes. So erscheint manche Forderung der Bergpredigt für den Zeitgenossen unerfüllbar. Auch auf das Gegenüber zur Katholischen Kirche geht DREWS ein, die 263- "Scheinbar vortrefflich für die Volkserziehung!" J - stark kasuistisch orientiert sei, während wir Evangelischen darauf verzichten müßten, ... Gesetze, Forderungen im einzelnen aufzustellen. 26^^ Aber - so die Quintessenz des II. Hauptteils: ... nicht darum handelt es sich im Gehorsam gegen den Herrn, daß wir einzelne Gebote in Kopf und Herz tragen, sondern darum, daß wir Anteil gewinnen an seinem Geist, daß wir von seinem Sinn durchdrungen werden, daß wir uns in seine innerste Gemeinschaft hineinziehen lassen. 264 5. Der Predigtband "Fragen aus der Zeit, Antworten aus der Ewigkeit" des Königsberger Professors ALFRED UCKELEY aus dem Jahr 1931 zeigt, daß auch an den Hochschulen die homiletischen Impulse KARL BARTHs und seiner Freunde sich durchaus nicht überall durchsetzten. Die "Wunderglaube" überschriebene - über Ps 118, 23 gehaltene - Predigt ist eine reine Themapredigt mit dem Facit, ... daß es dem Heiland bei seinen Wundern vor allem auf den seelischen Eindruck angekommen ist ... Wenn er den Nachdruck lediglich auf den Naturvorgang, um den es sich dabei handelte, gelegt hätte, dann hätte er sich in eine Reihe mit den Zauberern gestellt. Nun können wir unseres Wunderglaubens wieder froh werden. Uns liegt nicht daran, merkwürdige Naturvorgänge zu erklären, sondern wir sehen das Wesen und die Bedeutung des Wunders darin, daß Gott der Seele nahekommt und ihr persönlich spürbar wird. 265 Was nun das Besondere dieser soziologisch gezielten Predigten für Universitätsverhältnisse anbelangt, so seien - doch wohl als vestigia terrenda - zwei Sätze aus dem Vorwort UCKELEYs zitiert: Die sich hier sonntäglich zusammenfindenden Hörer sind reine 'Personalgemeinde1, aus allen Teilen der Stadt

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68

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lediglich nach der zusagenden Eigenart des betreffenden Predigers sich zusammensetzend. Für den Universitäts-Prediger bedeutet das, daß er ausschließlich auf Gebildete und dementsprechende Interessenkreise sich einstellen darf ... 266

B)

G r o ß s t a d t p r e d i g t e n

1. Annähernd nahtlos schließt sich an die vorigen der Predigtband des Hannoverschen Pastors BERNHARD DÖRRIES mit dem Titel "Die Botschaft der Freude" an; er hätte überdies durchaus auch unter den "modernen" Predigern aufgeführt werden können. DÖRRIES, der übrigens in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg als exemplarischer Prediger galt , liefert ein Kabinettstück rhetorischer Dialektik, wenn er dem Text, dessen Mitte er bei dem Appell "Fahret auf die Höhe" ansetzt, als Thema das Goethewort "Hier oder nirgends ist, was wir suchen" überstülpt. Im Spannungsfeld zwischen Thema und Text bewegt sich dann die ungemein geistvolle und auch heute noch fesselnde Predigt. Wenn es aber zum Treffen kommt zwischen Schrift- und Goethewort, dann dominiert eben doch der Dichter. So etwa, wenn DÖRRIES sagt: Ja, wenn doch jeder mit kräftigem Selbstgefühl das Seine rühmen wollte ! Es könnte das frei von jedem häßlichen Hochmut, jedem törichten Dünkel geschehn ... 269 Das "Höher hinauf!" wird denn auch nur zur Modifikation des als Thema vorangestellten Goetheworts: Je höher ein Mensch im Leben steigt, desto mehr Pflichten wachsen naturgemäß ihm zu, desto größer werden die Anforderungen, die Welt und Menschen an ihn stellen. Aber wer dürfte davor zurückscheuen? Wo die Gelegenheit sich bietet, ja da heißt es nun eben wieder: Hier oder nirgends ist, was wir suchen. Gott schickt sie dir vielleicht nicht zum zweiten Male ... 270 Wie stark bei DÖRRIES die zentrifugalen Kräfte Uber die Intention des Textes obsiegen, dafür stehe ein Exempel aus einer Traupredigt Uber Lk 5, 4, in der er aber durchaus auch den Kontext der Perikope im Auge hat. Man ist

- 69 jedenfalls nicht mehr an das Petruswort von Vers 8: "Herr, gehe hinaus von mir; ich bin ein sündiger Mensch!" erinnert, wenn DÖRRIES sagt: Alles Verkehrte, alles Unrechte und Böse sehe ich immer daraus hervorgehen, daß die Menschen zu wenig von sich halten, daß sie zu klein von sich denken, daß sie zu gering sich selbst einschätzen. Groß von sich denken lernen, darin liegt das Heil. Ein junger Mensch, der wirklich seine Ehre kennt, der weiß, was er sich selber schuldig ist, dem kann man getrost seine Freiheit lassen, er wird sich schon zu regieren wissen. 271 2. Konservativer mutet die Predigt des Stuttgarter Prälaten und Stiftspredigers CHRISTIAN RÖMER an. Aber auch er formuliert das Thema zunächst ohne jeden Textbezug, indem er fragt: Woher kommen wir, die wir heute Sonntag feiern? Was wollen wir heute tun? Wie wollen wir morgen weiter machen? 2„2 Was soll schließlich bei allem herauskommen? Was er darauf jeweils sagt, zeugt von dem Bemühen, den Text ganz in das Leben eines Großstadtmenschen der Vorweltkriegszeit hineinzustellen, wobei auch allerlei Zeitund u.a. Sozialprobleme anklingen, wenn auch in für heute einigermaßen klischiert klingender Form: Sein Wille soll gelten auf unsrer Arbeitsstätte, im Haushalt, in der Küche, in der Kinderstube, in der Fabrik, in der Schreibstube, im Unterrichtslokal, überall, wo unser Platz ist. Und wir werden nicht sagen können, wir wissen nicht, was er von uns wolle. Wenn wir uns besinnen: was würde Jesus dazu sagen, wenn er leibhaftig neben mir stünde? oder: was würde Jesus an meiner Stelle tun? dann kommen wir in der Regel rasch zurecht ... 273 C)

D o r f p r e d i g t e n

War es an den seither geschilderten Predigten, soweit sie an einen ganz speziellen Hörerkreis gerichtet waren, problematisch, daß Hörer aus anderen Gesellschaftsschichten, wenn sie sich unter solchen Kanzeln fanden, mehr oder weniger leer ausgingen, so ist diese Gefahr bei der Predigt in Landgemeinden kleiner. Einmal, weil Einfachheit, soweit

- 70 sie nicht primitiv, sondern die freilich weit schwieriger zu gewinnende Einfachheit höheren Grades ist, niemand schadet, vielmehr hohes Ideal der Predigt ist; zum andern aber pflegten um die Jahrhundertwende Landgemeinden noch vorwiegend homogen zu sein. Predigtbände dieser spezies sind denn auch - sicher nicht ganz ohne Förderung durch die "Blut - und Boden - Ideologie" - noch bis in die Dreißigerjähre hinein erschienen. 1. Was freilich der Erste in unsrer Reihe, ein Pfarrer PAUL SCHMIEDER aus dem Braunschweigischen, in den "Sonntagsklängen", einer "Sammlung von Nachmittagspredigten zum Vorlesen in Landgemeinden" um die Jahrhundertwende anläßlich des Himmelfahrtsfestes über "Gehobene Stunden" anhand von Lk 5, 4 darbot, ist symptomatisch für die schönrednerische Substanzlosigkeit vieler Prediger aus jener Zeit. Auf Kosten ihres Auftrags adaptieren sie sich der Gefühlsseligkeit des hiefür empfänglichen Teils der Hörerschaft. Reiner "Gartenlaube"-Stil ist es, wenn SCHMIEDER anhebt: Das Fest der Himmelfahrt ist uns Evangelischen mehr und mehr zu einem Feste der Natur, zum Frühlingsfeste geworden, liebe Zuhörer. Uns Deutschen aber ward es ein Tag zum Wandern. Und das Wandern versteht keiner so wie wir Deutschen. Freund, denkst du noch daran? Wenn's in deinen jungen Jahren Himmelfahrt geworden war, so mußtest du frühmorgens schon hinaus aus dem Hause ... Du recktest dich und strecktest dich. Fahre auf die Höhe, daß du einen Zug thuest! - so rief es in dir. Und helltönig sangst du's hinaus: Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt! 274 Die christologisch gewichtigste Aussage des Ergusses lautet: Laß dir sagen, Seele: ich weiß dir einen, der kann, der will dich emporheben, daß du immerdar auf diese Erde hinab-, in dieses Leben hineinschauen kannst wie von freier, lichter Bergeshöhe ... 275 Und der theologisch trächtigste Satz über den auszulegenden Vers 4: Fahre auf die Höhe! Siehe, das soll heißen: schwing dich über die Natur! Sinne nicht dem nach, was dein Herz sich wünscht und nicht erreicht ... 276

- 71 2. Ein erfreulicheres Beispiel für die Gattung sind die Predigten des Löcknitzer Dorfpfarrers A. ECKERT. Er bleibt zunächst im allgemeinen: ... von dem Fischzug des Petrus. Wir beobachten dabei dreierlei: I. Wie der Herr selbst zu ihm Mut macht, II. Wie er dem Petrus zu einem guten Fang verhilft, III. Wie er selbst einen guten Fang macht. 277 An zwei Stellen der Predigt finden wir unauswechselbare Konkretionen. Im Eingang der Predigt wird die "Ruhe und Gleichmäßigkeit" des dörflichen Lebens breit geschildert; sie dient als Kontrast zu dem Ungeheuren im Leben des Petrus und seiner Genossen, ... wodurch ihr ganzes Dasein umgestaltet wurde. Diese große Wendung erzählt unser heutiges Evangelium. 278 Näher an der Sache als diese Hinführung ist die Konkretion der Auslegung von Vers 8: Betet, daß auch in euer Leben der Heiland mit solcher Gewalt eintrete wie in das Leben des Petrus. Wenn euch auch nur erst einmal die Scheunen zusammengebrochen wären unter der Last des Erntesegens und die Kornböden sich senkten mit der Schwere des Kornes, - dann würdet ihr auch beten: 'Herr, gehe hinaus von mir...' Muß es denn aber durchaus so lange gewartet sein? Könntet ihr euch nicht freiwillig zur Selbstdemütigung des Glaubens bequemen? 279 Abgesehen von diesen beiden Beispielen könnte die Predigt auch in jeder anderen Gemeinde gehalten worden sein. 3- "Evangelium auf der Dorfkanzel" nennt LUDWIG THIMME einen 1935 erschienenen Jahrgang von Evangelienpredigten. Mit einem reichlich veralteten rhetorischen ornatus ziert er das Thema der Predigt: ... eine Petrusstunde, die aus Petrusnot, durch Petrustrost, zu Petrusdienst führte. 280 Die erste, die Phase der Petrusnot, wird zunächst in 2B1 romanhafter Reproduktion geschildert . Es folgt, mit immer wieder nachstoßenden "Du"-Sätzen, die Frage: Weißt du auch etwas von solcher Petrusnot, mein Zuhörer? Kennst du auch Stunden in deinem Leben, in denen dich die Frage nach dem Sinn deines Lebens quälend bedrückte? 282

- 72 Entsprechend werden auch die beiden andern Petrus-Phasen behandelt. Der dritte Teil fügt eine Reihe von Traktatgeschichten ein, die den Weg aus Petrusnot über Petrustrost zum Petrusdienst illustrieren. Unter ihnen nehmen zwei besonderen Bezug auf den Lebensraum der Leute unter der Dorfkanzel: die Geschichte vom ... norwegischen Bauer Hauge, welcher Tausende seiner Landsleute für den Meister gewann ... Ähnlich war's mit dem friesischen Bauernknecht Ludwig Nommensen ...283, dessen Geschichte in überquellenden Worten erzählt wird. Mit einem Aufruf zum Petrusdienst an alle "Volksgenossen" endet die Predigt. k. Das Bestreben, die Verkündigung ganz auf eine soziologisch begrenzte Hörerschicht abzustimmen, führte auf diesem Gebiet zu einer eigenen Reihe mit dem Titel "Predigtbuch der Dorfkirche". Deren vierter, von Pfarrer GUSTAV MAHR herausgegebener Band enthält einen Beitrag von Superintendent MARTIN STÜNKEL über unsern Text un284 ter dem merkwürdigen Titel "Der Fischerring Christi . Ausgehend vom'Fischerring als Teil der Amtstracht des Papsts leitet er mit der Bemerkung: ... müßten wir nicht alle, auch wir in diesem lieben Gotteshaus, solche Menschen sein, die den Fischerring tragen: Menschen voll Werbekraft für Christus? zur eigentlichen Themafrage über: Wer sind die Leute, denen der HErr Christus den Fischerring anvertraut? Was nun folgt, ist freilich eine Héldengedenkrede, die eher entmutigt als zur Nachfolge einlädt. Zum Fischeramt ... gehört ein Glaube, der aufs Wort gehorcht... Leute, ... denen der HErr Christus den Fischerring anvertraut ... sind die Menschen, denen der HErr so über alle Erdengröße groß geworden ist, daß sie selbst ganz klein vor Ihm werden. 286 Diese Menschen hören dann auch das letzte: Fürchte dich nicht!

- 73 Wenn man schließlich liest: Nichts ist verkehrter als zu sagen, daß Christenglaube knechtische Furcht und banges Verzagen sei. Christen sind keine feigen und zitternden Gestalten. Aus rechtem Christenglauben erwacht heldenhafte Furchtlosigkeit ...287, dann wird manches deutlich: Hier "zittern die morschen Knochen" angesichts des großen Siegs Jesu. In der Apologie gegen die Angriffe der nordischen Ideologie läßt man sich das Gesetz der Terminologie vom Gegner aufzwingen. Und da wird dann Petrus zum Exempel "heldenhafte(r) Furchtlosigkeit" 2 8 8 . Im übrigen nimmt die Predigt durchaus keinen Bezug auf den Lebensraum ländlicher Zuhörer; die Spezifizierung der Reihe leuchtet in diesem Beispiel jedenfalls nicht ein. D)

A r b e i t e r p r e d i g t e n

Das wenigstens partiell schon im 19- Jahrhundert erwachende Sozialgewissen der Kirche spiegelt sich auch in der Predigtgeschichte. "Arbeiter rechts und Arbeiter links und der gekreuzigte Arbeiter mitten innen", so heißt etwa das Thema einer "Arbeiterpredigt" von M. SCHENKEL. Ihr ist die Photographie einer Kreuzigungsgruppe vorangestellt, bei der ein Heiland im Nazarenerstil als Handwerker posiert, von einer Gruppe muskelstrotzender deutscher Arbeitsmannen umgeben 2 8 ^. 1. Die erste uns vorliegende Arbeiterpredigt Uber Lk 5 ist nachzulesen im Band "Nachklänge von Evangelien Predigten gehalten von Friedrich Theodor Horning" aus dem Straßburg des Jahres 1884. Schon der Titel ist bezeichnend: Die Arbeiterfrage im Lichte des Wortes Gottes. Wir betrachten sie als eine Frage I. II. III. IV.

nach nach nach nach

dem der dem dem

Meister der Arbeit; Nachtseite der Arbeit; Morgen des rechten Arbeitstages; Adelsbrief und dem Losungswort des

- 74 V.

rechten Arbeitstages; οςη nach dem Segen und dem Ziel der Arbeit.

Schon in der Einleitung der Predigt versucht HORNING die Brücke zu schlagen von der Bibel zur modernen Arbeitswelt: Er, der von einem Weibe geboren ist, und in einer Arbeitsstube, in einer Handwerksstätte erzogen wurden, hat darum auch unsere Arbeit, unsern Jammer gefühlt auf der von dem Teufel verderbten und vom Tod durchdrungenen Erde, unser Aller Arbeitsstätte. Wenn nun in unserem Evangelium unsere Arbeit in das rechte Licht gestellt wird, sò wird dasselbe auch uns Allen, die wir Arbeiter sind, tief in's Herz dringen müssen ... 290 2. Wenig später hat ADOLF STÖCKER einem Jahrgang "Volkspredigten" den Titel "Den Armen wird das Evangelium gepredigt" gegeben. Er disponiert: Ein gesegnetes Tagewerk: das sei der Gegenstand unserer Andacht. 1. Mit Gottes Wort fängt es an. 2. Durch Jesu Treue geht es fort. „q-i 3. Mit ewigem Segen wird es gekrönt. Wie sieht das nun aus, wenn das Evangelium den Armen, hier also: den Arbeitern, gepredigt wird? Wenn Jesus nach den Versen 1-3 das Volk lehrt, dann sind es natürlich ...Arbeitsleute rings um ihn her, die an ihr Tagewerk gehen wollten ... Er erinnert sie an den himmlischen Vater, der zu jeder Arbeit Kraft, den Feldern Regen und Sonnenschein, den Saaten Segen schenkt ... Und dann läßt Er sie gesegnet zur Arbeit gehen. So sollen auch wir es halten. Ehe wir an die Arbeit gehen, sollen wir uns von Gott Kraft holen. Jesus ist noch immer da. In Bibel und Gesangbuch predigt er uns. 292 Man sieht: Die Bemühungen stecken noch ganz in den Kinderschuhen; lediglich die Anknüpfung adaptiert sich ans anvisierte Milieu - die positive Aussage des Textes bleibt im Konventionellen; sie wird nicht übersetzt. Dazu kommt, daß Vokabular und Bildmaterial sich in einer Weise dem billigsten Geschmack annähern, daß sich doch erhebliche Bedenken einstellen. Da w i r d eine rührselige Geschichte von Mutter und Seemann erzählt, die schließt:

- 75 Aber es kam ein Sturm und die Masten brachen ... Da gedachte er an seiner Mutter Wort und an ihr Gebet. Zu derselben Stunde ging die Mutter am Meeresufer auf und nieder und schrie zu dem himmlischen Vater lim die Rettung ihres Kindes. Und wie die Gebete himmelan stiegen, da ließ der Sturm nach und der Kahn kam zurück ... So werden auch wir des HErrn Hülfe spüren, wenn wir uns auf ihn verlassen ... 293 Da werden die Arbeiter gefragt: Sage mir, was für Gedanken hast du, wenn dir etwas gelingt? Hast du, von Demuth überwältigt, über Gottes Güte schon einmal geweint? 294 Wenn STÖCKER gegen Ende seiner Predigt versichert: Ist aber Kraft und Leben von oben in dir, fühlt man dir's an, daß du deinen Heiland über Alles liebst, dann gewinnst du Seelen, dann kannst auch du die Fischlein aus der Tiefe des Elendes und der Noth emporziehen, und bringst sie am Ende in das gläserne Meer vor Gottes Thron, wo jede Seele ihre Ruhe findet ...295, so verrät die süßliche Sprache, daß hier mit billigen Mitteln an die Mentalität einfacher Hörer appelliert wird. Ohne Effekt dürften solche Predigten indes nicht 296 geblieben sein . Ob er mit dieser Sprache wirklich den der Kirche entfremdeten Arbeiter ansprechen konnte, ist ebenso zu bezweifeln wie das andere, ob auf diese Weise gehegte Frömmigkeit dem Geist der Schrift entspricht. E) Die v o l k s m i s s i o n a r i s c h e v a n g e l i s t i s c h e P r e d i g t Die Notwendigkeit, sich auf die Fragen der Zeit ernstlich einzulassen, wenn man das Gehör des Zeitgenossen sucht, ist ins christliche Allgemeinbewußtsein des beginnenden 20. Jahrhunderts tief eingedrungen. Im Bereich des Pietismus, soweit er kirchlich orientiert ist, weicht damit eine gewisse Stagnation, in der fromme Innerlichkeit im vertrauten Kreis gepflegt wird, einer dynamischeren und stärker missionarisch ausgerichteten Verkündigung. Die Arbeit der "Volksmission" und der "Evangelisation" verbindet die Konsequenzen aus religionssoziologisch-homiletischer Besinnung im Sinne der "modernen"

- 76 Predigt mit der entschiedenen Absage an den theologischen Liberalismus der Zeit, und es entsteht eine im Stil moderne, im Dogmatischen traditionelle Erweckungspredigt. 1. Einer der namhaftesten Evangelisten um die Jahrhundertwende, SAMUEL KELLER, gibt im Vorwort des von einem Pfarrer Lic. WINTER herausgegebenen Auswahlbandes seiner Predigten Rechenschaft Uber "Unser Predigen". Darin kommt das seit den Tagen SPENERs nicht mehr verstummte Postulat der eigenen Affiziertheit des Predigers ebenso deutlich zum Ausdruck wie das neue, bewußt gegen das SCHLEIERMACHERsche Predigtideal formulierte Programm: Was muß ich selbst von diesem Text mir predigen lassen? ist eine der ersten Fragen, die bei der Predigtvorbereitung mich bewegen müssen. Die zweite wäre: Was will der Herr jetzt durch diesen Text der Gemeinde sagen? Oder man könnte fragen: Was soll meine Predigt bewirken? ... Geben kann man aber den andern den Heiland und sein Leben nur, wenn man etwas davon selbst hat! ... Die Planke, die aus dem Alltagsdenken der Zeitgenossen zu der Schriftwahrheit herüberführt, - die Planke fehlt den meisten! Das ist eine Aufgabe, die wir heutzutage haben, diese Planke zu legen, damit die Hörer über den Abgrund kommen können, der zwischen ihrem gewöhnlichen Denken und Reden und der Kultuspredigt klafft. - Wer eine Wirkung erleben will, muß es auch darauf anlegen diese Wirkung zu erzielen ... 297 Berechtigte Hinweise vermischen sich in dieser Bestimmung der Predigtaufgäbe mit fragwürdiger Begründung. Daß der Prediger der erste betroffene Hörer der zu verkündigenden Botschaft sein muß, ist so richtig und wichtig wie kritische Reserve gegenüber der Bestimmung des Wesens des Kultus als "darstellende Mitteilung des stärker erregten Bewußtseins" (SCHLEIERMACHER) 298 . Es geht aber wohl einen Schritt zu weit in der Richtung auf donatistische Häresie, wenn KELLER sagt, man könne nur weitergeben, was man selbst hat. Als ob Gott nicht auch durch nicht oder wenig affizierte Werkzeuge seinem Wort Wirkung zu schaffen vermöchte

PQQ

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- 77 2. Nicht eben in der vorteilhaftesten Ausprägung zeigt sich volksmissionarische Predigt beim Pyritzer Pastor ADOLF BEHRENDT, von dessen unter dem Titel "Ströme des lebendigen Wassers" veröffentlichten "Erweckungspredigten" eine Lk 5 zum Gegenstand hat. Nach einer Einleitung mit dem verschiedentlich wiederkehrenden Refrain: Das Wort unseres Gottes ist doch das Größte und Machtvollste, was es nur gibt gliedert er: Auf dein Wort! I. So fahren wir in irdischen Dingen gut. II. So kommen wir näher zu Gott. III. So überwinden wir die letzte Not. Was ist nun das spezifisch "Erweckliche", das Volksmissionarische an solcher Predigt? Inhaltlich unterscheidet sie sich kaum von traditionellen Predigten des 19. Jahrhunderts. BEHRENDT erzählt das im Text Berichtete, um dann in bewährter Manier nach der Melodie "So aber geht es auch heute noch ..." die erbauliche Nutzanwendung anzuschließen. Aber es ist ein ganz bestimmter Stil von Rhetorik, der hier als "erwecklich" gilt. Da ist einmal das rhetorische "Du", mit dem nicht gespart wird; z.B.: 0 welch ein Glück, du armer Sünder, ... du sollst ihm helfen, Menschen fangen, Menschen gewinnen für ihn.301 Dazu gehören ferner sich anbiedernde rhetorische Fragen und Appelle: So hatte ich also vorhin doch nicht recht, als ich euch sagte: Je näher ein Mensch Gott kommt, um so glücklicher ist er? . . . Nur fort, fort aus den Augen des Heiligen! Doch halt, nicht fort! Ihr geht sonst in euer Unglück ... 302 Sodann gehört notwendig zum "erwecklichen" Stil explicites Drängen auf Entscheidung: Wer von uns will nun von heute an zu dieser Losung halten, wer von m s nach Gottes Wort sein Leben streng einrichten? Endlich darf das Pendant zum Optativ im Griechischen nicht fehlen: Ach daß wir nun alle in der Stille unserem Gotte geloben: Auf dein Wort will ich es tun. Denn wahrlich,

- 78 wir werden dann nicht bloß in unserem irdischen Fortkommen gut fahren, sondern auch dabei unserem Gotte immer näher kommen. 303 Nicht für die ganze Gruppe typisch, und doch bezeichnend ist auch, daß BEHRENDT im dritten Teil seiner Predigt einen Gedanken erörtert, der erklärtermaßen mit dem Text nicht unmittelbar zu tun hat: Hieran möchte ich zum Schlüsse noch einen Gedanken schließen, der sich zwar aus unserem Evangelium nicht ergibt, der mir aber besonders wertvoll ist. Ich deutete ihn schon am Eingange an: Auf dein Wort, sei unsere Losung: So überwinden wir die letzte Not. Was kommt nach diesem Leben? 301 Gedanken, die dem Prediger "besonders wertvoll" sind, werden denn auch allzugern zu immer wiederkehrenden Klischees. "Die Phrase", sagt KARL KRAUS, "ist das gestärkte Vorhemd vor einer Normalgesinnung, die nie gewechselt wird" 304 . 3· Ganz anderen Zuschnitt erweist eine aus den dreißiger Jahren stammende Predigt des namhaften Förderers der volksmissionarischen Arbeit, Landesbischof HEINRICH RENDTORFF. Hier sehen wir eine Predigt aus einem Guß; lebendig, anschaulich und packend: Der Herr ist unser Richter, der Herr ist unser Meister, der Herr ist unser König. 305 Er gibt zunächst erzählend die Geschichte wieder bis zum Ruf des Petrus: "Meister, auf dein Wort!" Petrus ist denn auch der Hauptteil der Predigt gewidmet, den RENDTORFF folgendermaßen einleitet: Könnte man die Geschichte schreiben all der Menschen, die von der Botschaft und von der Persönlichkeit Jesu überwältigt wurden, so daß sie ihm Vertrauen schenken mußten, daß sie seine gehorsamen Gefolgsleute werden mußten! 306 Hier liegt freilich auch das Bedenkliche an RENDTORFFs Predigt, wie wir das schon bei STÜNKEL feststellen mußten30^: Das Bild des Petrus wie die Nachfolge sind ganz in den Begriffen geschildert, die das Gemeinsame von Jugend- und Nationalsozialistischer Bewegung ausmachen: Petrus

- 79 ... hat einen Führer bekommen, dem er folgen muß; er hat einen Meister gefunden, dem er sein Leben anvertrauen kann ... Ein tiefes, nie gekanntes Vertrauen ist in seiner Seele aufgewachsen. Eine starke, nie gefühlte Bereitschaft ist da, zu folgen und sich führen zu lassen. 306 Auch die Verherrlichung der Jugend als solcher klingt an: Es ist das Vorrecht des jungen Menschen, daß er nach dem Sinn seines Lebens fragt ... Daß er kämpfen möchte unter der höchsten Fahne. Darum hat dieser junge galiläische Fischer jungen Menschen etwas zu sagen... Wie ein Grüßen ist es von jenen galiläischen Fischern zu allem echten Mannestum hinüber: hier ist der Meister, der dich ruft! 306 Gewiß hat all das auch eine dem System gegenüber kritische Wirkung, denn in den Reihen der braunen Bewegung hörte man es nicht gern, wenn außer dem Führer auch noch ein anderer das Gelöbnis des Gehorsams beanspruchte. Und doch ist RENDTORFF der Gefahr der Anpassung erlegen.Nicht ungestraft bedient man sich der Farben andrer Ideologien: Ist nicht unser deutsches Volk heute ein junges Volk? Ist es nicht wie erwacht aus einem unnatürlichen Schlaf, aus einem wüsten Traum, vorwärts getrieben, einem neuen Tag entgegen von jugendlicher Kraft? Ist nicht unser deutsches Volk heute ein männliches Volk? Das dem weichlichen Wesen, dem feigen Sichbeugen absagt und seine Kraft wagen will an das größte Werk? ... Wie unser deutsches Volk es gegenwärtig erfährt, daß wenige Monate eine äußere und innere Geschichte umschließen, zu der ein Volk sonst Menschenalter braucht, so geht es Simon in dieser großen Stunde seiner Begegnung mit Jesus. 308 Wer dem Volk "aufs Maul" sieht - und ohne das gibt es keine hilfreiche Predigt -, der sehe wohl zu, daß er nicht plötzlich mit den Wölfen heult. 4. W e n n wir hier eine Predigt R. BÖSINGERs noch im Zusammenhang der "volksmissionarischen" Predigten aufführen, so ist das ein Anachronismus; sie ist ja doch, wie der Titel des ganzen Bandes lautet, "Um die Mitte des Jahrhunderts gepredigt"-^

. Wir nehmen dies in Kauf,weil

wir in ihr eine ganze Reihe von Vorzügen finden, die sie zu wirklich volksmissionarischer Predigt qualifizieren, obgleich sie gar nicht als solche firmiert. Auf der Suche

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nach ähnlichem Einfallsreichtum, nach ähnlicher Fülle und Plastizität der Bilder muß man bis auf VALERIUS HERBERGER zurückgehen, um Vergleichbares zu finden. Dabei steht bei ihm - im Gegensatz zu HERBERGER - der Skopus der Perikope, wenn auch etwas verschoben, so doch deutlich im Blickfeld der Predigt, der BÖSINGER den Titel Einiges von Gottes miserablem Personal und der besten Arbeit der Welt 309 vorangestellt hat. Er beginnt mit einem Sturzbach von Fragen, die alle den Blick in die gleiche Richtung lenken. Sie sind auf den Ton gestimmt: Können Schlimme einer·guten Sache dienen?^ ^ Facit: Täte Christus das nicht, daß er Schuldige, Unzulängliche, Unsaubere nimmt -, dann wäre niemand von uns in seiner Schar, du nicht und ich nicht. 310 War dieser Abschnitt "Das Personal" überschrieben, so folgt jetzt: "Der Dienst"; denn: ι η

Alles atmet Dienst in unserem Bericht. Hier finden sich mehr Bilder und Vergleiche als Gedanken. Darin liegt auch die Grenze dieser Predigtweise: Ein Weniger an Anschauung wäre hier mehr gewesen; die Vorstellungskraft des Hörers erlahmt ob der Fülle. Dazuhin führt diese Illustriertentechnik gelegentlich auch zu kräftigen Verzerrungen. Ungenießbar in ihrer durch den Telegrammstil verursachten Vergröberung sind die folgenden Beispiele: Ein Leben ohne Dienst-Ausrichtung ist gar nichts. Ein Leben im Dienste Jesu aber wird auf alle Fälle überreich sein. Und blitzschnell sehe ich zwei Menschenschicksale vor meinen Augen: Die eine war führend in der evangelischen Jugendarbeit und war darin froh. Dann geschah schnell die Abwendung. Einem Manne zuliebe. Das Ende war Gewöhnlichkeit des Lebens und Enttäuschung. - Die andere wußte nichts von Christus. Mit 60 fing sie an, für die Innere Mission zu sammeln. Und kam immer mehr in eine schöne Arbeit. Und damit kam auch Befriedigung und Glück. 312

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Der Auftrag zum Menschenfischen, so fährt BÖSINGER fort, ... beinhaltet ein Dreifaches: Erstens: Reich ist der Dienst einfach, weil er Dienst ist ... Zweitens: Der Dienst, den Jesus uns gibt, ist überreich, weil er zu dem Menschen führt ... Drittens: Der Dienst, den Jesus uns gibt, ist reich, weil er Menschen zu Gott führt. 313 In der abschließenden "Ermunterung" sagt BÖSINGER dem Hörer auf den Kopf zu: Und du - auf dich wartet auch apostelähnliches Amt. Denn es bedürfen die heutigen Zeiten der Zeugen, der Heiligen, der Verkünder, der Dienenden nicht weniger als die früheren. 314 Für die ganze Gruppe, für BÖSINGER freilich nur cum grano salis, wird gelten, was FR. NIEBERGALL schon anno 1904 über die oben erwähnten Predigten SAMUEL KELLERs schrieb: ... wir wollen uns nicht täuschen lassen durch den Schein; wenn man mit Worten wie Arbeitslosigkeit, Automobil, Elektrizität um sich wirft, ist man noch lange nicht geschickt, dem modernen Menschen zu predigen. Genau betrachtet benutzt Keller diese Sachen fast nur zur Anknüpfung und Illustration, also als rednerische Reizmittel ... Es handelt sich ihm, ebenso wie in seinen durch große Plakate mit klingenden modernen Themen angekündigten Vorträgen um Anlockung, aber wenn man eine Behandlung der durch das moderne Geistesleben angeregten Fragen und Nöte erwartet, wird man mit methodistischem Pietismus abgespeist. Das ist nicht recht. Immerhin schadet es niemand,wenn er sich von ihm zur genauen Beobachtung des Lebens und zu einer interessanteren Sprache anleiten läßt.^'5 Daß die damals geäußerte scharfe Kritik durch die heutige Praxis der "Volksmission" überflüssig geworden wäre, wird man, am Rande vermerkt, leider nicht behaupten kön-

IV. D i e v a t e r l ä n d i s c h e K r i e g s p r e d i g t

und

die

Wo immer die aller menschlichen Kultur und Gesellschaft gegenüber eigenständige Funktion der Verkündigung des Wortes Gottes im Schatten steht, ist die Predigt in besonderer Gefahr, sich vor den Karren irgendeiner allzu zeitbedingten Ideologie spannen zu lassen und somit ih-

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ren Auftrag zu verraten

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. Besonders deutlich wird das

in Zeiten nationaler Erhebung und in Kriegszeiten; das war uns schon bei der Predigt HEINRICH H O F F M A N N s 3 1 8 aufgefallen; in unsrem Jahrhundert hat diese Gefahr die Existenz der Kirche bedrohende Ausmaße angenommen. 1. Der Kuriosität halber nur seien die vom Feldpropst D. RICHTER anno 1891 unter dem Titel "Die Stimme des Herrn auf den Wassern" erschienenen "Schiffspredigten für die Nordlandsreisen Seiner Majestät des Kaisers und Königs 1890 und 1891" erwähnt, die sämtlich unseren Text zu Grunde legen: Christ, Kyrie, ja dir gehorcht I. Sonntag auf See. II. Auf hoher See. III. Signalzeichen auf See. IV. Der große Wendepunkt. V. Glückliche Heimfahrt.

die See ... (Vers 1-3) (Vers 4-6) (Vers 7) (Vers 8-10) (Vers 11)

319

RICHTER war nicht zimperlich in der Auswahl seiner Beispiele. Es muß für den anwesenden Kaiser erhebend gewesen sein, in der vierten Predigt über den "großen Wendepunkt" im Leben des Petrus zu hören: Das brannte wie feurige Kohlen auch auf dem Haupte unsres alten Heldenkaisers, als Gott ihn und seinen Vater mit Sieg und Segen, ungeahnt und groß, überschüttet hatte. Da ging er seinem ganzen Volke und nicht am wenigsten den Predigern des Evangeliums mit dem Petrus- und Sünderbekenntniß voran: 'Welch eine Wendung durch Gottes Fügung. Wir sind es nicht werth. Predigen Sie Demuth!' 320 2. Ein Pastor SKRIBANOWITZ hielt am 10. August 1908 eine Festpredigt zur Einweihung des Deutschen Hauses und der deutschen Schule in Pernau. Der Höhepunkt der über das Wort "Fahret auf die Höhe" gehaltenen Ansprache ist der Ruf: Ihr Lehrer und Lehrerinnen allzumal, - fahret auf die Höhe! Lasset euch durchdringen von der Größe und Heiligkeit der Aufgabe, die ihr hier zu leisten habt ... Deutsche Art und evangelische Art werden im Lande noch auf lange hinaus nur im Kampf sich zu bewähren und zu behaupten haben. Nur wenn unsere Kinder einmal Besseres, Größeres, Tüchtigeres zu leisten imstande sein werden als die anderen alle, die mit uns dieselbe Hei-

- 83 mat teilen, nur dann allein werden sie bestehen...

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Die Schulkinder werden ermahnt: Unseres Deutschseins können und dürfen wir nur dann uns freuen und rühmen, wenn deutsch sein immer soviel heißt als fleißig und brav sein, tüchtig und treu sein, fromm und gut sein. In diesem Sinne seid allzeit deutsche Kinder, siehe, dann steht ihr auf der Höhe, auf der der Herr euch haben will, dann werdet ihr, liebe Kinder, einen reichen Fang tun, werdet dann auch aus eurer Schulzeit Gottes Segen in Fülle heimbringen für euch und euer Leben in dieser und in jener Welt ... 322 3. Die im zweiten Jahr des ersten Weltkriegs vom Geheimen Konsistorialrath und Feld-Oberpfarrer des West-Heeres D.G. GOENS gehaltene Predigt über Lk 5 handelt "Vom Erfolge unserer Arbeit"-^

.

Das geht zunächst in gewohnter Weise der lutherischen Tradition nach der Melodie "Bete und arbeite". Dann aber, bei der Beg?rechung des reichen Fangs des Petrus, wird die Perikope direkt auf die Situation des Jahres 1915 angewandt: Das gilt für unser Volk in seiner Gesamtheit: Gut gebetet heißt halb gesiegt. Und wenn ich von einem fest überzeugt bin, so ist es davon: Ein Volk, das seine Gebetskraft verloren hat, das hat seine Schlagkraft verloren. Wir können zwar von eigentlichen, wirklichen Mißerfolgen in diesem Kriege kaum reden, vielmehr von vielen schönen Erfolgen. Aber es fehlt uns doch der durchschlagende Erfolg. Und da sitzen wahrhaftig heute schon manche mißmutig am Ufer des Kampfgebietes, wie Petrus und Andreas, und sprechen: Wir haben die ganze Nacht gefischt ... Wir sind elf Monate im Felde und immer noch kein Ende. Verstehen wir doch Gott. Er will ein Wunder an uns tun. Und nicht allein unsere Kraft soll alles vollenden, sondern seine Sieg spendende Gnade. 324 Die gute Zusammenarbeit der Fischer bei der Bergung des reichen Fangs heißt ihn seine Hörer im Blick auf die Situation nach dem ersehnten Sieg darauf verweisen: Daß die Erfolge des Krieges vor 40 Jahren uns zum Segen geworden seien, kann man nicht ohne weiteres sagen. Möge das jetzt anders werden. Wir werden ja viel mehr geprüft als damals. - Wir haben viel schwerere Verluste, Wir wissen, wenn wir einmal siegen werden, dann ist das bei der Übermacht unserer Feinde ein Wunder, das uns geschieht - ein Gotteswunder!

- 84 Nun zum wie und

laßt uns diesen Sieg, den wir jetzt erhoffen, uns Segen werden; dann wird Gott nicht müde werden, bei Petrus, an den alten neuen Segen zu knüpfen an den zeitlichen den ewigen. 325

4. "Aus gewaltigen Tagen" ist der nicht minder gewaltige Titel eines Bandes "Deutsche Predigten im Weltkriege" des Berliner Pfarrers JOHANNES HAECKER. Was er darin freilich in einer Weihnachtspredigt über Lk 5, 8 über "Die Last ^26 der L i e b e a u s f ü h r t , geht mit keinem Wort ein auf das Geschehen jener "gewaltigen Tage"; es ist vielmehr eine rührselige Auslegung, die in die Sätze mündet: . . . man kann vor dieser Krippe knien wie Petrus vor dem Mann gewordenen Heiland: daß es so dunkel ist, so kalt, so öde, - mea culpa, mea maxima culpa! Herr, gehe hinaus von mir ... Und dann hat man Weihnachtsfreude , Freude unter heißen Tränen ... 327 5. D. KARL DUNKMANN, Professor in Greifswald, gab unter dem anspruchsvollen Titel "Schwert des Geistes - Zeitgemäße Verkündigung des Wortes Gottes" einen Predigtband heraus. Die "Der Seelsorger an der Arbeit" überschriebene Predigt·^® bewegt sich ausschließlich im religiösen Binnenraum frommer Innerlichkeit. Auch hier kein Wort zur geistlichen Bewältigung des Geschehens - man schreibt immerhin 1917! - eines Geschehens, das die Gemüter wahrlich beunruhigt hat ! 6. Ein erregendes Beispiel von Revision der eigenen Haltung und von echter Bußpredigt bietet eine am 2. Februar 1919 von ADOLF VON HARNACK gehaltene Predigt über Lk 5, 4-6 mit dem aus Vers 4 stammenden Titel: "Auf dein Wort ^29 will ich das Netz auswerfen"-^

. HARNACK hatte noch in

einer im Sommer 1916 dem Reichskanzler VON BETHMANN HOLLWEG auf Ersuchen eingereichten Denkschrift Uber "Friedensaufgaben vind Friedensarbeit" sagen können: ... es ist ein neuer Geist, der Geist von 1914 unter uns wirksam, oder vielmehr: es hat sich offenbart, daß in der Tiefe des deutschen Volkes ein mündiger und starker positiver Geist schlummerte, der die widrigen Fesseln, die ihn niederhielten, wie Spinnwebe zerriß, als die große Stunde schlug. 330

- 85 Worin besteht dieser Geist von 1914? Negativ ist er bezeichnet durch die Erhebung über den gemeinen Egoismus, über den Egoismus der Partei und Uber alle Scheingüter und Pseudo-Ideale sinnlicher, ästhetischer und intellektueller Art. Positiv ist er bezeichnet durch den zielstrebigen Willen, alle Kräfte, Leib und Seele dem Ganzen, dem Vaterlande, zu weihen und freudig dafür jedes Opfer zu bringen ... 331 Jetzt aber hält er eine alle Selbstverteidigung, alle Ausflüchte ausschließende tiefernste Bußpredigt, die die Wurzeln für den als Schuld erfahrenen totalen Zusammenbruch bis tief hinein in die Zeit vor 1914 aufspürt: Der Ausgang des Kriegs und das, was wir vor uns sehen, hat die Maske von unsrem Zustand abgerissen, und Gott hat uns das Gericht geschickt, damit wir uns von der Selbsttäuschung befreien: Wir hatten nichts gefangen. Es war nichts mit unsrem Wohlstand; es war nichts mit unsrem Fortschritt, ja, ich sage es mit heißem Schmerz: Es war nicht gut bestellt mit unsrem Patriotismus. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen ... Darum sei unser Bekenntnis, so schwer es uns über die Lippen kommen mag: 'Herr, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen', und unser ist die Schuld an diesem hoffnungslosen Zusammenbruch. 332 Der Gerichtspredigt folgt das Evangelium in Gestalt des Befehls Jesu, das Netz auszuwerfen. So dürfen wir ganz gewiß sein, daß auch zu uns Gott heute und in dieser Stunde spricht. Was spricht er zu uns, und hat dieses Wort wirklich die Kraft, daß wir ihm zuversichtlich folgen dürfen und müssen? 333 Gewiß, HARNACK kann die liberale Grundfärbung seiner Theologie nicht verleugnen. Das zeigt sich in der Auslegung des Worts von den Menschenfischern: Was heißt für uns: das Netz auswerfen? Das heißt nicht nur, daß ein jeder treu und arbeitsam in seinem Beruf und Stand steht. Das mag in ruhigen Zeiten genügen. Nein, Menschenfischer müssen wir werden; aufs Persönliche kommt es an. Glaubt nur nicht, daß ihr die Alten bleiben und die alte Weise noch fortsetzen könnt ... Es gilt, neben den Sozialismus, der da ruht auf dem klugen Ausgleich widerstreitender Interessen, einen Sozialismus zu setzen, der da ruht auf der dienenden Liebe und dem hingebenden Opfer ... Nur mit Gotteskräften, mit Idealen, wird die Menschheit gebaut, und man hat nur soviele Ideale, als man Opfer bringt. 334 Auch wird man sagen müssen, daß gegenüber dem Textgefälle manches entstellt wurde. So entstammt z.B. die Sündener-

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kenntnis hier dem nächtlichen Mißerfolg, während sie im Text aus dem Gegenübertreten Jesu als des 'kyrios' entsprang. Und doch ist beachtlich, wie sich hier Text und Zeitgeschick getroffen haben, und wie die Betroffenheit des Predigers zu hilfreicher Weisung in schwerer Stunde führte. Die Predigt H.s dürfte damals manchem schwer eingegangen sein; kaum einer seiner Hörer dürfte sie vergessen haben. 7. Uber die Entgleisungen der Kriegspredigten des ersten Weltkriegs zu Gericht zu sitzen, ist post festum bzw. cladem nicht eben schwer, und man muß sich hüten, die Erfahrungen zweier verlorener Kriege als Maßstab anzulegen. Unverständlich, wenn nicht unverzeihlich aber ist, wenn trotz der Warnungen des Zusammenbruchs von 1918, trotz der Barmer Erklärung auch im zweiten Weltkrieg die Vermischung von Welt- und Gottesreich, von nationaler mit der Bewegung des Evangeliums fröhliche Urständ feierte. Auch hier also wird man konstatieren müssen, daß die Epoche der vor-Barthschen Predigt bis in die vierziger Jahre hineinreicht. In Ermangelung einer Predigt dieser Couleur über unsern Text 3 - 55 ziehen wir eine Predigt GEORG WÜNSCHs heran, die ebenfalls einen Wunderbericht behandelt - Mt 8, 23-27. WÜNSCH geht zunächst sehr hilfreich auf die Wunder-Problematik ein: So wie uns Jesus in unserer Geschichte erscheint, so ist Gott. Jesus das Bild Gottes. Wenn das von Gott im Bilde Jesu gesagt wird und Gott heute derselbe ist wie damals, so muß auf das Exempel der Vergangenheit die Probe der Gegenwart gemacht werden können. Das heißt: Unser Bericht ist dann wahr, wenn heute noch solche Wunder geschehen. 336 Nach einer etwas peinlich an Beispielkollektion erinnernden Geschichte über Joachim Nettelbeck leitet WÜNSCH über: Aber denken wir an uns, die wir keine Seeleute sind. A n Stürmen, die unser Lebensschiff gefährden, fehlt es wohl kaum, auch nicht an Rettung aus ihnen ... 337 Was aber ist das Wunder der Gegenwart? Es besteht nach

- 87 WÜNSCH für das deutsche Volk darin, ... daß der seit 1914 wütende Sturm seiner Stillung entgegengeht ... In der Gestalt eines geordneten Europa, in dem die Arbeit und nicht das Geld, die völkische Jugendkraft und nicht überalterte, traditionsverfallene Staatsweisheit bestimmen wird ... Ist es nicht ein Wunder, daß ein Mann, im Weltkrieg schlichter Gefreiter, heute zum erstenmal in der Geschichte die deutsche Volkskraft zur höchsten Leistungsfähigkeit zusammenfaßt und die riesigen Operationen des deutschen Heeres leitet? ... Ist es nicht die Gnade Gottes, daß dies Wunder gerade ihm geschenkt wird? Müssen wir nicht darin unsern Dank zeigen, daß wir das als Wunder begreifen? ... 338

7. Kapitel: Die Predigt der Zeitgenossen seit Karl Barth Die Neubesinnung der Theologie, die KARL BARTH mit der ersten Auflage seines "Römerbrief(s)"339 provoziert hat, hatte ihre Wurzeln in der Aporie des Predigers BARTH. Gerade die Tatsache, daß die evangelische Predigt in den Wirren des ersten Weltkriegs versagt hatte, hatte ihn erschüttert. Die Enttäuschung darüber, daß manche der verehrten theologischen Lehrer den Rausch der Begeisterung der ersten Kriegsjahre auch noch theologisch aufgewertet hatten, statt ihn zu entlarven, hatte tiefes Mißtrauen auch gegenüber den theologischen Prämissen dieser Lehrer in ihm gesät Die entscheidende, eine Grundlagenkrise der Homiletik involvierende Kernfrage war die Frage: 'Predigen - wie kann XL· Λ

man das?' , hinter der die Frage: 'Wie macht man das?', die Generationen absorbiert hatte, nahezu gleichgültig wurde. Diese Frage stellt sich BARTH nicht primär aus der Erfahrung der Schwächen und Unzulänglichkeiten allen menschlichen Redens heraus; die schlechthinnige Unmöglichkeit menschlichen Redens von Gott ist bei ihm fundamental verankert in seinem an der Schrift und am Zeugnis der Reformatoren orientierten Sündenbegriff:

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Daß in Gebrechlichkeit geschehe, was hier geschieht, ist ein viel zu schwacher Ausdruck für den Sachverhalt. Hier ist nicht Gebrechlichkeit, hier ist der Tod. Hier ist nicht eine Schwierigkeit, hier ist wirklich Unmöglichkeit. Hier geschieht nicht etwas Unvollkommenes, hier geschieht - am Maß des Gewollten gemessen - überhaupt nichts. 342 Demgegenüber ... hat auch der schmerzlichste Aspekt der Kirche als solcher nicht die Macht, uns hier jede Selbstverständlichkeit auszureden. Sondern, wenn uns das ausgeredet wird, dann dadurch, daß jene Gleichung: die kirchliche Verkündigung ist Gottes Wort, wahr ist, weil in dem Ereignis göttlichen Gelingens, das sich als solches wunderbar, tröstlich und mahnend nicht nur von dem schlimmen Aspekt, sondern von jedem Aspekt, den die Kirche uns bieten mag, abhebt, die Gnade selbst dafür spricht, daß sie Gnade und nicht Selbstverständlichkeit ... ist. Jesus Christus in der Kraft seiner Auferstehung ist auf dem Plan, wo Menschen wirklich von Gott wirklich reden. 343 Gott selbst also hat, jene Unmöglichkeit besiegelnd und aufhebend, seinerseits das Wort ergriffen und darin sich erschlossen. Hier nun gilt, ... daß Gott der Kirche den Auftrag gibt, von ihm zu reden und daß, indem die Kirche diesen Auftrag ausführt, Gott selbst in ihrer Mitte ist, um selber seine Offenbarungen und seine Zeugnisse zu verkündigen. 344 Deshalb ist, wie vorhin Selbstüberhebung, so jetzt alle falsche Bescheidenheit Unglaube. Hier gilt der Satz der Confessio Helvetica posterior:

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Praedicatio verbi Dei est verbum Dei. Hier gelten auch - recht verstanden - die kühnen Sätze LUTHERs: Ein prediger mus nicht das Vater unser beten, noch Vergebung der sunden suchen, wenn er gepredigt hat (wo er ein rechter prediger ist) Sondern mUs mit Jeremía sagen und rühmen. Herr du weißest das was aus meinem munde gangen ist, das ist recht und dir gefellig. Ja mit Sanct Paulo und allen Aposteln und Propheten trotzlich sagen. Hec dicit Dominus ... Wer solchs nicht rhumen kann von seiner predigt, der lasse das predigen anstehen, Denn er leugt gewißlich und lestert Gott. 346 BARTHS Freund und Schüler EDUARD THURNEYSEN zeigt in dem eindrücklichen Aufsatz über "Die Aufgabe der P r e d i g t " ^ 7 , daß unter solchen Voraussetzungen jedes Bemühen, nach ei-

- 89 nem "Anküpfungspunkt" am unversehrten Rest der Gottebenbildlichkeit (Röm. Katholizismus), am religiösen Gefühl (SCHLEIERMACHER) oder am sittlichen Villen (RITSCHL) des Menschen zu suchen, Versuch am untauglichen Objekt ist, denn ... es ist und bleibt das wirkliche Ergehen des Wortes Gottes in der Predigt ein Ereignis, das wir nicht in unsere Hand bekommen werden, ein Ereignis, das vielmehr Gott selber in seiner Hand behält. 348 Die Gleichzeitigkeit des damals gesprochenen Worts mit der heute ergehenden Verkündigung der Kirche beruht demzufolge weder auf der apostolischen Sukzession noch auf dem Aufweis, . . . daß wir ja im letzten Grunde das Göttliche in uns tragen und des Wortes Jesu nur als Anregung bedürfen, um den Gott in uns zum Reden zu bringen, und das Erklingen dieser göttlichen Stimme in uns wäre dann das Reden Gottes selber zu uns. 349 Worauf sie wirklich beruht: Gott spricht sein einst geredetes Wort heute und jetzt zu uns. Er spricht es, 'wo und wann es ihm wohlgefällt', im Menschenwort der Predigt, sofern sie sich an die Schrift hält. 349 Im Sinne der "modernen" Predigt hatte FR. NIEBERGALL postuliert: Es soll wirkungskräftiger gepredigt werden. Motive und Quietive müssen für die Verkündigung untersucht und klargestellt werden. Denn es gilt Antwort zu finden auf die Frage: Wie erreicht man denn überhaupt etwas bei einem Menschen, wie bringt man ihn dazu, aus dem Bau seiner Eigenliebe heraus an die freie Luft eines Lebens im Geiste des Guten zu kommen? Entscheidend ist ... die Frage nach dem Räderwerke der Seele, in das die Zapfen der Motive eingreifen sollen, um den Willen zu bewegen ... 351 Jetzt aber warnt THURNEYSEN: Hüten wir uns, dazu oder daneben in irgend etwas anderem den Sinn der Predigt zu suchen. Wir sind immer wieder in Gefahr, davon abzuweichen. Wir suchen den Sinn der Predigt in einem Tun, das aus der Predigt fließt, oder in einem Gefühl, das die Predigt in uns

- 90 erweckt ... Freilich, es wird jede rechte Predigt auch unser Herz entzünden und bewegen, und es wird der recht Hörende ganz gewiß auch zum rechten Täter des Wortes werden. Aber das wird gerade dann am reinsten geschehen, wenn man in der Kirche gar nicht nach solchen 'Wirkungen der Predigt' schielt, sondern nur das eine in ihr sucht: die unbegreifliche Anrede Gottes selbst. 352 KARL FEZER hat im Verfolg der BARTHschen Impulse den neuen Predigtbegriff wie folgt definiert: ... die Predigt ist das Bemühen eines Menschen,durch freie Rede dazu mitzuwirken, daß der im Schriftwort uns seine Gemeinschaft schenkende Gott einem Kreis von andern Menschen gemeinsam durch den Heiligen Geist gegenwärtig werde. 353 Mit elementarer Kraft hat sich der neue Predigtbegriff durchgesetzt, und viel von dem, was BARTH damals erkannt hat, ist Allgemeingut gegenwärtiger Theologie geworden. Die dialektische Theologie hat ihre Feuerprobe im Kirchenkampf bestanden, wenngleich man wird sagen müssen, daß im Kampfgetümmel jener Jahre nicht wenige vom 19· Jahrhundert her unerledigte Fragen übertönt wurden, die sich jetzt, nach dem zweiten Weltkrieg, wieder 354 unüberhörbar zu Wort gemeldet haben^ . Die Kampfgenossen des Aufbruchs, die sich in "Zwischen den Zeiten" ein Organ geschaffen hatten, trennten sich und fanden sich in Lagern vor, die sich gegenseitig kaum mehr verstehen konnten. Heute steht der Reihe der alternden Barthianer die wachsende Gruppe der Prediger gegenüber, die in ihrer Predigtvorbereitung an den Ergebnissen der historisch-kritischen Exegese nicht vorbeigehen können und wollen. Dabei fällt mehr noch als das BULTMANNsche Programm der Entmythologisierung seine Forderung nach existentialer Interpretation der biblischen Texte ins Gewicht. Die Hermeneutik ist hier zur Schlüsseldisziplin der theologischen Arbeit überhaupt geworden. Die homiletischen Konsequenzen aus den Arbeiten von BULTMANN und seinen Schülern, clie inzwischen wenn nich"t im

- 91 Grundansatz so doch in mancherlei Hinsicht am Meister Kritik anmelden, stecken noch ganz in den Anfängen. Während aus der BARTH-Schule einige Predigtlehren355 hervorgegangen sind, finden sich hier nur tastende •356 Versuche, Anfragen und Impulse . Über linsern Text liegen von KARL BARTH und seinen Schülern wesentlich mehr Predigten vor als von der andern Gruppe; immerhin hat BULTMANN selbst ein bedeutsames Beispiel in den "Marburger Predigten" veröffentlicht. Zwischen beiden Gruppen liegt ein breites Feld von Predigern, die sich von beiden Seiten kaum anfechten lassen; hier predigt man wie eh und je in erhabener Zeitlosigkeit oder im modernen Gewände die aus der lutherischen Tradition vertrauten Gegenstände.

I. K A R L S c h ü l e r

B A R T H

und

seine

Unter dem maßgeblichen Einfluß KARL BARTHS ist die Homilie wieder zu besonderen Ehren gekommen. Der Blick auf die Predigtgeschichte der vergangenen Generationen hatte genügend Anschauungsmaterial dafür geliefert, wie auch in der Predigt "... die falsche Lehre, als könne lind müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen"-^ , verheerende Folgen gezeitigt hat. Jetzt, wo das Wort Gottes als solches wieder auf den Leuchter gehoben war, wurde alles menschliche Gestalten, Adaptieren, Thematisieren, ja jedwede Rhetorik überhaupt suspekt. Alles, was das Gefälle des Textes zu verdecken geeignet war, verfiel der Verfemung. So wird die Homilie etwa in der Schule THURNEYSENs zu der Form der Predigt schlechthin, die man nicht ungestraft verwirft, denn

- 92 ... rechte Predigt (muß) in sich selber Schriftpredigt, Bibelpredigt sein ... in jenem strengen Sinne des Abiesens dessen, was geschrieben steht. 358 1. Unter den "Bekenntnispredigten", einer im Chr. Kaiser-Verlag erschienenen Reihe von Predigten von - in der Regel KARL BARTH nahestehenden - Männern der Bekennenden Kirche finden wir als 11. Heft eine "Homilie von Pastor Friedrich Gerlach, Landsberger Holländer". Zum Verzicht auf jeden Anhauch von rhetorischer Gestaltung gehört in dieser Gruppe das Fehlen kunstvoller Einleitung; man geht zumeist medias in res. Satz für Satz wird der Text in aller Kürze paraphrasiert und in die Gegenwart übertragen; diese Übertragung kann ganz knapp ausfallen, ist jedoch nicht selten recht konkret. Sie grenzt dabei in vielen Zügen bedenklich an willkürliche Allegorese längst vergangener Zeiten. Zwei Beispiele mögen genügen, um den hermeneutischen Vorgang zu zeigen. Daß Jesus den Petrus bittet, das Schiff, aus dem er zum Volk spricht, etwas vom Lande abzuführen, wird wie folgt ausgelegt: Jesus sagt dem Volk, sagt uns das Wort Gottes aus einer gewissen Entfernung. Er ist der Meinung, daß wir ihn dann besser verstehen können , .. Gottes Wort ... steht unseren menschlichen Meinungen gegenüber, so wie Jesus hier dem Volke gegenübersteht. Es kann also sehr wohl gegen unsere Art und Wünsche sein ... Wie kommen wir aber dazu, uns mit unseren Erfahrungen, Ansichten und Weltanschauungen so ohne weiteres auf Jesu Seite oder doch ihn auf unsere Seite zu stellen? Gottes Wort kommt nicht aus unserer bekannten Welt, sondern tritt unserer Welt königlich gegenüber als das ganz Andere ... Und wir sind schon dabei, gar nicht auf dieses Wort zu hören, wenn wir kurzerhand die Entfernung beseitigen, die es selbst zu uns einnimmt ... 359 Was geschieht hier? Ohne jede Begründung erhebt GERLACH aus einem unbedeutenden Zug der Erzählung einen tiefen Sinn. Dieser Sinn entstammt nicht dem Text, sondern offensichtlich der Dogmatik KARL BARTHS. Der Text wird dazu degradiert, Aufhänger für eine nicht ihm entnommene Wahrheit zu sein; die einzelnen Textmomente werden zu Meta-

- 93 phern, deren Ernstsinn nichts, deren übertragener Sinn unverhältnismäßig viel bedeuten soll. Im zweiten Exempel wird ähnlich verfahren. Vers 4 beginnt: "Und als er hatte aufgehört zu reden ..." Dazu GERLACH: Jesus hört auf, das Volk zu lehren. Aus welchem Anlaß? Ist ihm das dauernde Unverständnis und Mißverständnis der Leute zuviel geworden? ... Auch unser Volk ist jahrhundertelang durch Gottes Wort gelehrt worden ... Denken wir daran: Jesus hört auch einmal auf, das Volk zu lehren ... 360 Also das, was LUTHER im Bild vom "fahrenden Platzregen" ausdrückte . Das Gesagte ist gewiß nicht falsch. Nur fragt sich heute der kritische Hörer: Ist das noch Auslegung dieses Textes? Den Aufweis der Stringenz der Auslegung; den Nachweis darüber, wie man von diesem Satz des Texts auf diese heute bedeutsame Mitteilung kommt, bleibt der Prediger schuldig. Das kann im Hörer den Verdacht nähren, der Text werde in seiner eigenen Mitteilung gar nicht ernstgenommen, er diene nur als Sprungbrett für das, was dem Prediger am Herzen liegt. Dieser Eindruck wäre fatal. Es zeigt sich hier, daß gerade das scheinbare Nachbuchstabieren des Texts in der Homilie sich dem Textwillen entziehen kann. Zweifellos kann bei theologisch trächtigeren Versen wie bei den Versen 8-11 weniger Mißtrauen erwachsen. Doch auch da bleibt die Frage offen: Wird dem Text wirklich gerecht, wer Vers um Vers überträgt? Mit dem Gesagten hängt es zusammen, daß GERLACH keinerlei systematische Einordnung der einzelnen Teile der Predigt vornimmt; die Verse werden parataktisch aneinandergereiht, und mit der Übertragung des letzten Verses bricht die Predigt ab, ohne Rückschau auf das Ganze des Texts, ohne Resümee. Hier ist zu fragen, ob nicht doch das Kind der ureigenen Intention dieses Textes mit dem Bad sachfremder Rhetorik ausgeschüttet ist? Ob das Wort Gottes wirklich desto mehr in der Predigt zu Wort kommt, je weniger exegetische Ar-

- 94 beit am Text geleistet, und das heißt dann: Akzent gesetzt wird, von dem aus einzelne Partien zentral, andre aber peripher erscheinen? Ob auf diese Weise nicht doch wieder der Willkür des Auslegers Tor und Tür geöffnet wird? Wobei BARTH selbst zugestanden werden muß, daß er trotz diesergestalt fragwürdiger Methode dank seines theologischen Ingeniums immer wieder hervorragende Predigten hält, die ihresgleichen suchen. 2. KARL BARTH selbst hat über Lk 5 am 1. Juli 1934 in 362 der Bonner Schloßkirche gepredigt . BARTH hat damals noch vorwiegend Uber ganze Perikopen gepredigt, während er mit zunehmendem Alter immer häufiger einzelne Verse auswählte. Die Frage, ob sich hier das Übergewicht des Systematikers, der sich so freier entfalten kann, über den Exegeten verräterisch anzeigt, sei am Rande immerhin gestellt. Die vorliegende Predigt ist ohne Zweifel ein homiletisches Meisterstück, in dem eine Fülle von Gedanken in virtuoser Sprachgewalt zentrale Zusammenhänge BARTHscher Theologie am Text verdeutlichten. In der BARTH eigenen fröhlichen Unbekümmertheit setzt er beim Hörer die Erwartimg voraus, daß der Prediger autorisiert sei, vom Text ausgehend Gottes Wort heute und hier zu sagen. Der Weg, der ihn vom Text zur Predigtaussage führt, bleibt im Dunkel. Unbekümmert übergeht BARTH auch alle Bedenken, die den heutigen Hörer angesichts des Wunderhaften im Text befallen könnten. Sie werden kurzerhand mit den existentiellen Bedenken in eins gesetzt, die der natürliche Mensch eben immer hat, wenn er dem Wirken Gottes konfrontiert wird: Da geschieht etwas, das scheint einfach keinen Raum zu haben inmitten des Geschehens unserer menschlichen Lebenstage, LebensOrdnungen, Lebensmöglichkeiten...363 Der arglose Hörer wird sich darauf den Reim machen, daß das eben zum Glauben gehöre, daß man Gott derlei wunder-

- 95 liehe Dinge zutraut, wie sie hier berichtet werden. Daß BARTH an der historischen Frage, also an der Frage, welches historische Geschehen dem vorliegenden Text korrespondiere, schlechterdings nicht interessiert ist, das kann nur der Gewitzigte aus einem Hinweis schliessen, der gegen Ende der Predigt gegeben wird: "Was sollte das?" (Gemeint ist der Befehl: Fahre auf die Höhe und werfet eure Netze aus !) Was hat Jesus Christus mit der Fischerei zu tun? 364 Im Grunde geschieht hier mit dem Bericht als Bericht nichts von dem wesentlich Unterschiedenes, als was ihm bei BULTMANN widerfahren wird: Seine historische Dimension wird entwertet zugunsten des darin verborgenen Kerygmas, wobei sich dieses Kerygma bei den beiden Predigten durchaus stark voneinander abhebt. Nur werden wir bei BULTMANN sehen, daß er auch dem letzten seiner Hörer deutlich macht, auf welchem Weg er seine Aussagen gewinnt. Auch wenn BARTH weder Thema noch Gliederung angibt, so ist die Predigt - dies ist im Gegensatz etwa zu GERLACH festzustellen - doch klar gegliedert. Ein erster Überblick über den Text - nach Maßgabe des Satzes In der Mitte dessen, was wir gehört haben, leuchtet ein Licht, von dem möchten wir wohl sagen: Es leuchtet zu hell, als daß unsere Augen es fassen könnten ... 363 führt zu dem programmatischen Ausblick, der einem Thema fast gleichkommt: ... wie das ist, wenn das Licht Gottes hineinfällt in menschliches Leben. 365 In diesem ersten Durchgang wird vorläufig alles gestreift, was sich im Text nicht in unsere Vorstellungen und Erwartungen im Blick auf Gott einfügt. Auch der zweite Gang ist auf das "ganz Andere" der Offenbarung gegenüber allem Erfahrbaren abgestellt: Es ist nicht begreiflich sondern höchst unbegreiflich, wenn wir hier einen Menschen gerade in einem Augenblick solcher Erkenntnis ... rüstig und unverzagt ans

- 96 Werk gehen sehen. Und die Sache wird noch unbegreiflicher, wenn wir daran denken, wie wenig praktisch und einleuchtend es ihm vorkommen mußte, in diesem Augenblick gerade dies zu tun. 366 Da ist kein Platz für Entsprechung von Werk und Gnade, von Gehorsam und Lohn: Ja, so ist es: einem bißchen Gehorsam gegen diesen Herrn steht von Gott her immer und unter allen Umständen êine ganze Fülle von Segen, von Erfolg,von Früchten gegenüber. 367 Vers 8 zeigt nach BARTH: Wäre bei Simon ... auch nur ein Schatten von frommer Selbstbetrachtung oder moralischer Selbstzufriedenheit über seine Seele gegangen ..., dann hätte er es jedenfalls darin schon wieder nicht mit Jesus Christus zu tun gehabt ... 368 Bemerkenswert ist, wie KARL BARTH als Reformierter im gleichen Text die Reihenfolge Evangelium - Gesetz bestätigt sieht, aus dem etwa LUTHER die unabdingbare Ab369 folge Gesetz - Evangelium abgelesen hatte . BARTH sagt: Zuerst, so denken wir, ist der Mensch ein Sünder, dann findet er Christus, dann wird er ihm gehorsam, dann wird er von Gott gesegnet und dann und also ist er zuletzt kein Sünder oder doch kein ernstlicher Sünder mehr. Aber so stehts nicht im Evangelium und so ist es auch noch nie in einem Menschenleben wahr gewesen. Sondern so stehts da und so ists wahr: Zuerst ist Jesus Christus da und fragt gar nicht danach, ob der Mensch ein Sünder ist oder nicht, sondern spricht ihn an, wie hier den Simon und heißt ihn tun, was er ihm befiehlt Und dann tut man das - jawohl, Sünde hin und her, man tut es, weil er es gesagt hat, weil er Jesus Christus ist. Und dann antwortet Gott, ob wir es sehen oder nicht, mit der Fülle seines Segens. Und dann endlich und zuletzt, kommt die Sünde, wird der Mensch, wie Luther gesagt hat, ein Sünder, und zwar ein ernstlicher, großer Sünder ... 370 E i n warnendes Exempel, das dem Skeptiker recht zu geben scheint, der da sagt: Die Prediger lesen nur aus dem Text heraus, was sie vorher schon oder anderswoher wissen. Ganz vermeiden wird sich eine solche systematische "Phasenverschiebung" nicht lassen, denn ohne systematische Interpretation eines Texts geht es nun einmal nicht. Gefährlich aber sind Sätze wie: Aber so stehts nicht im Evangelium und so ist es auch noch nie in einem Menschenleben wahr gewesen.

- 97 Erst im zweitletzten Abschnitt, bei der Auslegung des Verses 10 b, läßt BARTH, wie oben schon erwähnt, durchblicken, daß an dieser Stelle der Perikope ihr "Sitz im Leben" der Kirche anzusetzen ist: Es zielt alles, alles darauf, daß Menschen gefangen werden sollen, gefangen für den Glauben, gefangen für die Liebe, gefangen für die Hoffnung, gefangen für den Gott, dem sie gehören. Darum geht es in der Kirche. 364 Mit einem Hinweis auf die in Vers 11 erwähnte Nachfolge der Jünger schließt die Predigt. Denn an diesen Worten gibt es ... nichts zu erklären ... Sie stehen da, wahr, gültig, Verheißung und Gebot, Gerichtswort und Gnadenwort, gesprochen zu einem jeden von uns. Wir können sie nur hören. Wir können sie nur wahr sein lassen.371 Wer sie an sich "wahr sein" läßt, der hat allerdings das Entscheidende ergriffen. Für viele aber - und deshalb ist es so schwierig, den Predigten BARTHS gerecht zu werden - bilden die stillschweigenden Voraussetzungen, die er macht, Barrieren, die oft nur der Eingeweihte zu überwinden vermag. Es ist zu fragen, ob sie von der Sache her geboten sind. 3. Im Lauf der Jahre entwickelt sich im Gefolge der Predigt BARTHS und THURNEYSENs eine Virtuosität in der homilie-artigen Vergegenwärtigung der Bibeltexte. Die Verse einer Perikope interessieren dabei häufig nicht so sehr in ihrem Bezogensein aufeinander und auf eine Mitte der Perikope; jeder einzelne Vers dient vielmehr als Sprungbrett für eine neue Aussage der Predigt. Bei HEINRICH VOGEL geht der Homilie eine kurze Einleitung voraus, eingeführt durch den Satz: Eins ist klar, im Leben dieses Menschen Simon ist in jener Stunde etwas passiert, etwas Ungeheures, das Entscheidende, das über sein ganzes Leben Entscheidende ! Im folgenden wird das Wunderhafte am Bericht relativiert: Und nicht wahr: das mit den Fischen, mit dem großen, am heilichten Tage eigentlich unmöglichen Fang, das ist das Geringste. Das wurde ihm zwar zum Zeichen,

- 98 aber das Eigentliche ist doch das Wort, das ihn traf, ja, er selbst, der ihm begegnete, der Herr, der die Hand auf ihn legte und ihn in Dienst nahm, um ihn zum Menschenfischer zu machen! 372 Wer aber gehofft hatte, am wortwörtlichen Verständnis des Wunderberichts vorbei zum Zentrum zu gelangen, dem verstellt VOGEL den Weg mit dem entwaffnenden Bekenntnis: Ich jedenfalls traue diesem Jesus zu, was ich freilich dir und mir nicht zutraute, was in unserem Erfahrungsbereich nicht vorkommt. 372 Als ginge es um die Frage: Wer traut Gott am meisten zu! Als ob wir nicht in der Bescheidung der Hörenden die Texte daraufhin zu befragen hätten, was dem Berichteten an wirklichem Handeln Gottes zugrundelag! Wir beschränken uns im folgenden darauf, für jeden Vers 373 den Umschlagpunkt vom Einst zum Jetzt zu markieren : Vers 1 - das Volk drängt sich: Optativ. Ach, wenn doch das unter uns anhöbe ... •574 Vers 2 - : Wie damals, so heute. Es brauchen keine Kähne zu sein, es kann auch ein Büro sein oder eine Werkstatt oder eine Kinderstube oder eine Studierstube oder eben eine Kirche ... 374 Vers 3 - Negative Folie: die Gleichzeitigkeit, die die bildenden Künstler schaffen. Jesus setzte sich und lehrte das Volk aus dem Schiff heraus. Das haben die Maler uns so fein vor Augen gestellt, daß einem wohl ist, als ob man dabei gewesen wäre. Nun, im Anschauen des Bildes dabei sein, das tut es nicht. Es kommt alles darauf an, auf eine andere Weise dabei zu sein. Dazu sind wir hier versammelt ... 375 Vers 5 a - Appell an die Erfahrung als Umschlagpunkt. Ich glaube, wer nur je in seinem Leben von diesem Jesus in Dienst genommen wurde, der müßte davon ein Liedlein singen können, wie es ist, wenn wir die ganze Nacht vergeblich gewartet haben und Gottes große Gnade schon auf uns wartete. 376 Sodann: Gleichzeitigkeit durch präsentische Formulierung: Die Barmherzigkeit dieses Herrn ist so groß, daß er sich auch anhört, was Simon und seinesgleichen, also du und ich, über die vergebliche Nachtarbeit zu sagen haben ... 377

- 99 Vers 6: Wie bei Vers 2: Gott will auch dich so segnen, daß deine Netze zerreißen. 378 Vers 8 - Die Erzählung als Lernstoff des Glaubens: Wer das aus dieser Geschichte bis zu dieser Stelle noch nicht gemerkt hat, der mag es nun an Petrus lernen: 'Da das Simon sah 378 Vers 9 - Befund im Präsens: (Nach dem Zitat von Vers 9): Das ist ein anderer Schrecken als alle Schrecken dieser Welt ... Das ist der Gottesschrecken und das Entsetzen vor seiner Nähe ... 378 Vers 10 a - Gegenwärtiger Zuspruch in Worten des Texts: Wenn du es nie so gehört hast oder dir doch so ist, als ob du es noch nie gehört hättest, so höre es heute zum erstenmal: 1 Fürchte dich nicht ...' 379 Vers 10 b - Optativ: Ach, gebe Gott, daß wir uns fangen lassen und nicht die Maschen suchen, um der Gnade Gottes zu entrinnen! Dann muß es wohl geschehen, daß auch du und ich an Gottes Fischerei beteiligt werden! 379 Vers 11 - Anfechtung aus dem Text wird mittels des Texts entschärft: Sie verließen alles, auch die Fische, den ganzen Reichtum, der ihnen in den Schoß gefallen war . . . Wollen wir es zuletzt als eine unerfüllbar schwere Forderung hören, zuletzt die ganze Freude dieses Evangeliums sozusagen uns verderben? Wir, die wir gar nicht alles verließen und auch nicht alles verlassen wollen?! Das ist wohl wahr; doch, liebe Brüder und Schwestern, noch viel wahrer ist, daß er gerade in dieser Anfechtung zu uns spricht: 'Fürchtet euch nicht! 1 ... 380 Aus der Abfolge dieser gewandten Umschlagformulierungen fällt nur die Auslegung von Vers 4 heraus, die schon in diesem Zusammenhang die Wunderfrage angreift und sich dabei an Leute wendet, die Anstoß nehmen könnten an der Absurdität des Auftrags Jesu: Wer durchaus will, muß ja nun dazwischenfahren und sagen: 'Daran erkenne ich eben, daß das, was nun kommt, eine fromme Legende ist', und bei sich denken: 'Ich will nur das Wort der Wahrheit hören, auf die es hier allein ankommt!' Ach, liebe Brüder und Schwestern, ich glaube, wir würden auf diese Manier etwas überaus Wichtiges sofort überhören, nämlich, daß der Befehl dieses Herrn diesem Menschen etwas ganz Unwahrscheinliches und Unmögliches zumutet ... 381

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Die apologetische Eingangspartie wird hier wieder aufgenommen; die Stringenz der Argumentation vermag freilich kaum zu Uberzeugen: Als ob die richtige Erkenntnis, daß Gott oft Unwahrscheinliches fordert, stehe und fiele mit der Historizität dieser speziellen Geschichte^®^! Der Vorzug der Methode liegt auf der Hand: Jeder Winkel des Texts kann ausgeleuchtet werden. Wenn die Übertragung in die Gegenwart dann noch in so lebendiger Konkretion erfolgt, wie das bei VOGEL der Fall ist, so braucht man sich über die Breitenwirkung derartiger Predigten nicht mehr zu wundern?®-^. 4. Seine Originalität und Eigenständigkeit gegenüber der Schule stellt der ebenfalls von der Theologie K. BARTHs geprägte Generalsuperintendent GÜNTER JACOB in seinem 384 1959 erschienenen Predigtband unter Beweis. War es in der BARTH-Schule üblich, gleichsam Schäufeichen auf Schäufelchen von der Erde des Textes abzugraben und jeweils sofort zu verarbeiten, so nimmt JACOB den ganzen Brocken des Texts auf einmal auf, um souverän und ohne stetes Hin- und -Her arbeiten zu können. Die Methode steht und fällt freilich mit dem richtigen Ansatz der Schaufel. Er scheint bei JACOB gelungen. Die Überschrift:

"Abenteu-

erlicher Aufbruch" kann den Schwerpunkt des Texts zunächst nur äußerlich, nicht aber inhaltlich bezeichnen. Aber der erste Spatenstich sitzt dann vollkommen richtig: Wir dürfen nicht meinen, daß die Apostel religiöse Naturen gewesen seien, Menschen mit einem künstlichen Heiligenschein, Menschen, die in der Religion zu Hause waren und eine fromme Luft einatmeten, Menschen, die jedenfalls anders waren als der normal gebaute Mensch, der in seinem Beruf nüchtern mit beiden Beinen auf der Erde steht. 385 Die Absurdität des Glaubens wird nicht im Fürwahrhalten eines historischen Berichts, sondern - theologisch durchaus richtig - im Gehorsam der Nachfolge gesehen, der der Vernunft unsinnig erscheint:

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Alle vernünftigen und normal gebauten Menschen können darin nur eine Verrücktheit sehen, eine gefährliche Sache, ein Abenteuer, vor dem man nur warnen kann. Es lebt sich ganz gewiß sicherer und gemütlicher ohne solche Nachfolge. Das war damals so, das ist heute nicht anders ... 386 JACOB beweist darin den Mut zum Weglassen. Kein Wort weder apologetisch noch bestreitend - vom FischfangWunder als solchem. Durch solches "Sich-Freischwimmen" vom Textablauf gewinnt JACOB Raum, in wenigen großen Linien das Wesentliche über den Ruf in die Nachfolge zu sagen. Daß dies in einer durchgängig unpathetischen und dicht mit Anschauung gesättigten Sprache geschieht, macht die Predigt erfrischend; daß sie die Barrieren der Religiosität abbricht, macht sie für den der Kirche Fernstehenden hilfreich und einladend. Das andernorts oft so abstrakt bleibende Theologumenon vom Glauben als der Krise der Religion wird hier umgemünzt in die Einladung zur Nachfolge an die Fernen. Die Predigt JACOBs über die Berufung des Apostels mündet in die Sendung der Predigthörer: Es spielt ... gar keine Rolle, ob wir von Hause aus fromme oder unfromme Leute sind, ob wir irgend eine religiöse Antenne haben oder nicht ... Entscheidend ist, daß wir uns rufen lassen, nicht ein bißchen religiös und fromm und kirchlich zu sein, sondern ihm nachzufolgen. Entscheidend ist, daß unser Leben durch seinen Ruf eine wirkliche Aufgabe und einen wirklichen Sinn erfährt: unsern Mitmenschen, unsern Hausgenossen und Nachbarn und Kollegen in seiner Not und in seiner Unruhe zu dem zu führen, der durch die Hingabe seines Lebens am Kreuz für alle Menschen den Frieden gestiftet hat ... 387

II.

Z w i s c h e n

d e n

F r o n t e n

Der Pietismus der Gegenwart kann hier nur beiläufig erwähnt werden. Die stark traditionsverhafteten Gruppen pflegen ihre kleiner werdenden Kreise und entbehren weithin missionarischer Ausstrahlung. Dies wird man vom Neu-

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pietismus nicht behaupten können, der allerlei moderne Publikationsmittel - Funk-, Schallplatten-, Tonband- und Traktatindustrie - in den Dienst evangelistischer Vorstöße stellt. Die Modernität solcher Vorstöße wirkt zumeist deshalb peinlich, weil nur die Verpackung, nicht aber der Inhalt dem Zeitgenossen Tribut zollt; eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den geistigen Problemen der Zeit meint man sich dort ersparen zu können. Das wird vor allem darin seinen Grund haben, daß es dem Pietismus insgemein heute an Männern fehlt, die sich an theologischem Rang, an Intensität der geistigen Bemühung lind an Überzeugungskraft den Bahnbrechern des Pietismus im 17. und 18. Jahrhundert an die Seite stellen ließen. Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei der Gruppe, deren theologische Haltung man wohl am treffendsten als NeoOrthodoxie charakterisiert, ohne daß man hier von einer klar umrissenen Schule sprechen könnte. Ihr Gemeinsames ist lediglich eine mehr oder weniger starke konservative Grundhaltung; dies zeigt sich meist schon darin, daß sich ihre Predigt-Themen kaum von Themen früherer Jahrhunderte unterscheiden. Man wird ihnen jedoch ein ernsthaftes Bemühen, diese überkommenen Inhalte nun wirklich dem heutigen Menschen zuzusagen, nicht absprechen dürfen. 1. ADOLF KÖBERLE könnte noch am ehesten als Sachwalter des Pietismus gelten. In seiner homilieartig aufgebauten Predigt über unsern Text klingen wenigstens verschiedentlich pietistisch-asketische Gedankengänge an. So, wenn er zu Petri Gehorsam aufgrund von Vers 5 b sagt: ... das Gehorchen gehört immer mit hinzu, wenn es bei uns zum Glauben kommen soll ... Solange wir dem göttlichen Willen beharrlich widerstreben, weil wir unsere eigenen, selbstherrlichen Wünsche, Lüste und Neigungen nicht drangeben wollen, bleibt uns die Herrlichkeit Gottes verschlossen, gibt es keinen wahren Durchbruch in die Freiheit. 388 Zu Vers 8 lesen wir: Am Leben des Petrus aber wollen wir die entscheidende Wahrheit uns klar machen: die Ausrüstung zu einem be-

- 103 vollmächtigten Dienst für Gott geht immer über Buße und Bekehrung ... Die Empfindung dafür ist unserer Zeit schmerzlich verlorengegangen. 389 Die Auslegung von Vers 11 ist ebenfalls auf pietistischasketischen Ton gestimmt: Auch wenn es bei uns nicht der Beruf zu sein braucht, den zu verlassen von uns gefordert wird, ohne ein Opfer zu bringen, kommen auch wir nicht durch ... Wer sich im Bereich des sportlichen Lebens an irgendeinem Wettkampf aktiv beteiligen möchte, für den ist es selbstverständlich, daß er um des ersehnten Sieges willen auf alle möglichen Dinge freiwillig verzichtet. Da wird keine Zigarette geraucht, kein Alkohol genossen, da hört es auf mit Nachtleben und Ausschweifung ... Dabei bewegt einen als Christ und Seelsorger der Gedanke: wenn die Menschen sich doch einmal bereitfinden wollten, um der Sache Jesu Christi willen alles Schädliche zu meiden und dafür das, was aufbaut und fördert, zu tun. Was müßte das für eine Reichsgottesbewegung geben! 390 Schade nur, daß neben derlei Konkretionen die Verdeutlichung des zentralen Textanliegens ausbleibt: Wir dürfen Menschen für Gottes Reich gewinnen und froh werden über der Beute, die durch unsern armen Dienst eingebracht wird 391 das ist alles, was wir über die Sendimg zur Arbeit des Menschenfischens erfahren. KÖBERLE rechnet unter seinen Hörern mit solchen, ... die nicht geringe Denkschwierigkeiten zu überwinden haben im Blick auf die Glaubwürdigkeit eines solchen Wunders ... 392 Das spricht für die Predigt; KÖBERLE übersieht wenigstens nicht wie manche anderen Prediger, daß hier dem unbefangenen Zeitgenossen Schwierigkeiten erwachsen. Welche Hilfe gibt er ihm? Wir nehmen es keinem übel,wenn er von solchen Problemen geplagt wird. Die Antwort darauf steht und fällt mit der Frage: Was dünkt euch u m Christus? Wenn Jesus nur eine hochstehende sittliche Persönlichkeit war, einem Sokrates oder Seneca vergleichbar, dann ist allerdings nicht einzusehen, warum die Kräfte und Elemente der Natur ihm dienstbar gewesen sein sollen. Aber wir wollen die Gewißheit fassen und festhalten: in Christus kam der Herr des Alls zu uns Menschen auf Erden. Darum dürfen wir es ihm zutrauen, daß er königlich gebieten kann, nicht nur im Reich der Seele, sondern auch im Reich der Natur und Schöpfungswelt.392

- 104 Wer schon den Zweifel als Gesprächspartner ernst nimmt, der darf es sich mit der Antwort nicht zu leicht machen. KÖBERLEs Argumentation wird nur dem einleuchten, der schon vorher keine Schwierigkeiten mit dem Wunderhaften des Berichts hatte. Für den, der hier zweifelt, ist die Frage doch nicht die: Wieviel dürfen wir Jesus zutrauen?, sondern die, welches historische Geschehen dem Berichteten zugrundegelegen habe. Man kann durchaus bekennen, daß "in Christus ... der Herr des Alls zu uns Menschen auf Erden ..." gekommen ist, und doch die Historizität gerade dieses Wunderberichts in Frage stellen. Auch in solcher Harmlosigkeit gegenüber den Fragen historischer Kritik zeigt KÖBERLE seine Nähe zum Pietismus der Gegenwart. 2. Von PAUL ALTHAUS liegen uns zwei gedruckte Predigten über unsern Text vor. Beide sind - wenn man sie mit sonst gedruckten Predigten des gleichen Zeitraums vergleicht durch eine besonders starke Wiederaufnahme der von LUTHER angeschlagenen und seither nicht mehr verstummten Themen gekennzeichnet. Bemerkenswert ist dabei die Wandlung,durch die sich die am 10. Juli 1955 gehaltene von der 1936 erschienenen Predigt unterscheidet. Die erste liegt uns mit dem knappen Titel "Beruf" als Glied einer Reihe vor, die "Der Herr der Kirche" überschrieben ist, deren achtes Heft - "Das Gesetz Christi" ist sein Thema - unsre Predigt enthält. Die spezielle Thematik der Predigt lesen wir auf Seite 230: Was bedeutet es, wenn Jesus in unser Berufsleben eintritt? Unsere Erzählung gibt eine doppelte Antwort: Jesus Christus macht unser Berufsleben zu einer Geschichte mit Gott; Jesus Christus gibt uns einen neuen Beruf. 393 Im ersten Teil der Predigt wird "die Würde unseres Tagewerkes" aus der SchöpfungsOrdnung abgeleitet, die auch durch Krisen wie die wenige Jahre zuvor überstandene Weltwirtschaftskrise nicht im Ernst gefährdet wird; solche Ereignisse vermögen uns daran zu erinnern, "... was für

- 105 ein Gemächte wir sind ..." Das Wunder steht als solches nicht zur Diskussion; in einem Satz nur klingt ein Motiv an, das wir bei SPENER wiederfinden werden: ... wer es auf ihn und sein Gebieten wagt, das uns wie Petrus an die Arbeit weist, den läßt er dann vielleicht auch, wann er will, seine Wunder schauen. Nicht gerade in derselben Weise wie bei Petrus: Gott handelt nicht mit uns allen so wie mit seinen Propheten und Aposteln. Aber auch wir dürfen dann erleben ..., wie Gottes Macht uns plötzlich dort, wo nach Menschenurteil keine Aussicht und kein Rat mehr war, den Weg ins Freie öffnet, wie er unsere geringe Arbeit überwältigend segnet ... 395 Daran, daß Gott mit den Propheten und Aposteln prinzipiell anders gehandelt hat als mit uns, darf offenbar kein Zweifel aufkommen. Im zweiten Teil der Predigt geht es um die Feststellung: Auch wir werden durch ihn aus unserem Alltagsberufe herausgerufen - nicht immer, damit wir ihn preisgeben, aber damit wir über ihn hinausschauen und über ihn hinaus handeln. Auch wir sollen um des neuen Berufes willen im rechten Sinne 'alles verlassen'. 396 Erstmalig in einer Predigt, in der lutherische Berufsethik dargelegt wird, wird eine explizite Kritik an der einseitig diesseitigen Ausrichtung derselben geübt, und zwar gerade im Gefolge der Verse 10 und 11: Wir Evangelischen sind gelehrt, daß wir Gott dienen sollen, nicht in sonderlichen heiligen Werken, sondern im nüchternen Alltage unseres Berufes. Das ist eine unverrückbare Wahrheit. Aber wie oft ist sie mißbraucht, verengt, verflacht! Berufstreue - ein Großes! Aber ist sie alles, das Ganze? 397 Die Konsequenzen aus solcher Besinnung: Nun gehen die Fenster unserer Berufe auf, nun weht der Wind der großen Geschichte Gottes, seiner Reichsgeschichte hinein und ruft uns an die Türen, ruft uns heraus: Gehe hin und verkündige das Reich Gottes! 397 Zwischen dieser und der zweiten Predigt liegt der zweite Weltkrieg, liegt die Entwicklung unsrer Gesellschaft in fast zwanzig Jahren seit 1936. Was ist in der Predigt von 1955 anders geworden? Daß ALTHAUS zunächst betont, das Evangelium führe "hinein

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in die Geburtsstunde der Mission"·^ , ist auf das Konto der Gelegenheit zu buchen, bei der die Predigt gehalten wurde; sie beginnt nämlich mit dem Satz: Heute begehen wir unser Erlanger Missionsfest. Dazu paßt das alte Evangelium dieses 5. Sonntags nach Trinitatis gut ... 398 Nach einer kurzen Paraphrase des Texts erklärt ALTHAUS: Das ist eine einmalige Geschichte, einmalig in dieser Erfahrimg der Wundermacht. Aber das eigentlich Entscheidende haben seit Petrus Unzählige ebenso erfahren. Petrus ist nur der erste in einer unabsehbar langen Reihe von Missionaren, Evangelisten, Predigern, die Jesus Christus sich berufen hat bis in unsere Tage. Dazu ist die Erzählung von Petri Fischzug uns heute gegeben, daß wir die Vollmacht Jesu Christi bedenken und anbeten. 399 Leider wird dieser Gedanke nicht weiter entfaltet; ALTHAUS fällt in die alten Geleise zurück, wenn er fortfährt: Aber wir dürfen aus der Erzählung noch mehr schöpfen und lernen ... Was bedeutet es für unseren weltlichen Beruf, wenn Jesus Christus in unser Leben tritt? Da ist dreierlei zu sagen. Zuerst: Jesus weist uns in unseren Beruf hinein. Zuzweit: Jesus ruft uns über unseren Beruf hinaus. Zudritt: Jesus kann uns aus unserem Berufe herausrufen. 400 Auffallend ist, was ALTHAUS im zweiten Abschnitt ausführt: Unzählige sind heute zu Sklaven ihrer Berufsarbeit, ihres Tagewerkes geworden, Knechte des Wirtschaftslebens, seines Tempos, der Hetze, Knechte auch des möglichst hohen Verdienstes, des begehrten Lebensstandards ... Sie haben keinen rechten Sonntag mehr, kein wirkliches Ruhen, wahre Entspannung. Wo bleibt ihre arme Seele? Wo bleibt das Menschsein? Wir wissen wohl: das alles oder doch das meiste daran kann der einzelne gar nicht ändern ... Da müssen wir als ganzes Volk miteinander auf Abhilfe bedacht sein, auch die Gesetzgebung, auch die Politiker, die Wirtschaftsführer ... Wir Christen müssen dabei vornean stehen ... Bei Jesus merken wir: die Arbeit, der Beruf, sie sind nicht das letzte, nicht das eine, das not ist ... 401 Hier hat der Faktor Umwelt eine Modifikation dessen bewirkt, was noch 1936 zu sagen war, und so gelangt ALTHAUS zu einer Würdigung von Ruhe und Feier, zu einer Würdigung des Sonntags überhaupt402 Die Chance, die die Gelegenheit des Erlanger Missionsfestes gegeben hätte, ist dabei doch verpaßt; die Kraft

- 107 der alten Geleise war stärker als die eingangs sich ankündigende Einsicht. 3. WOLFGANG TRILLHAAS spürt man das Vertrautsein mit der Predigtgeschichte ab: Wenn man Zeit und Gelegenheit hat, alte Predigten über diese Geschichte zu lesen, dann merkt man, wie vielfältig man nach dem Sinn dieser Geschichte gesucht hat. Will Jesus dem Petrus Glauben verschaffen? Handelt es sich um den Segen einer gewissenhaften Berufsarbeit? ... Was will Jesus mit ihm (seil. Petrus)? Will er ihn beschämen? ... Ist es das Ziel Jesu, dem galiläischen Fischer, der relativ harmlos und unbeteiligt seines Weges gegangen ist, das Licht des Glaubens aufgehen zu lassen? 403 TRILLHAAS stellt eindeutig Petrus und das Handeln Gottes an Petrus in den Mittelpunkt seiner Predigt. Dies wird im Negativ der Polemik gegen allegorische Auslegung der Perikope deutlich - wieder spricht der Kenner der Geschichte der Predigt über unsern Text: Man hat sehr oft aus dem weissagenden Charakter der Fischzugsgeschichte in die Vorstellung des Menschenfischers Petrus die Vorstellung hineingetragen, daß dieser Menschenfang auch von einem Schiff aus erfolgt, und man war nicht faul, dieses Schiff auf die Kirche zu deuten. Wir haben keinen Anlaß, uns lange dabei aufzuhalten. Dieser Mensch wird bestellt, Menschen heimzuhelfen, die verloren sind, die heimatlos sind und leiden ... 403 Diesem Schwerpunkt in der Explikation entspricht auch der Nachdruck in der Folgerung: Gott braucht Menschen, "Er braucht auch dich!" - so lautet der Schlußsatz der Predigt. 4. "Das überwindende Wort"; so lautet das Thema einer Predigt MARTIN DOERNEs. Über eine mißverständliche Äußerung im Blick auf die exegetische Arbeit am Text werden später noch Bedenken anzumelden sein^^. DOERNE geht aus von einer autobiographischen Reminiszenz an eine in der Studentenzeit gehörte Predigt, die als solche nichts zur Erläuterung beisteuert, was nicht auch ohne sie hätte gesagt werden können. Von der Nachfolge handelt der Abschnitt, u.a. über deren Verhältnis zum

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Glauben an Christus. Gegenüber Tolstoi und Kierkegaard und im Verweis auf Bonhoeffer betont DOERNE: In Wahrheit gehören Christusglaube und ChristusNachfolge unscheidbar zusammen ... 405 Ein zweiter Abschnitt gibt Antwort auf die Frage: Wie wird aber jemand ein Nachfolger Jesu? ... Die Nachfolge kommt aus dem Überwundenwerden durch das Wort Jesu ... 405 DOERNE geht homilieartig dem Text entlang; die Auslegung verläuft dabei in durch die Tradition vorgezeichneten Bahnen. Der dritte Abschnitt endlich lenkt den Blick auf ... die dritte Bedeutung dieser Geschichte: tun des Aposteldienstes willen ist sie berichtet und wird , . sie gepredigt, ein Stück Ur-Geschichte der K i r c h e . ^ ® Hier - also in der Auslegung von Vers 11 - setzt DOERNE völlig zutreffend den Skopus der Predigt an; das Verhältnis vom Gegenstand des ersten zu dem dieses letzten Abschnitts bestimmt DOERNE folgendermaßen: Zur Nachfolge und zum Glauben ist jeder gerufen, dem Jesus Christus im Worte begegnet. Zum Botendienst werden einige besonders gerufen. 406 Auch diesen zweiten Personenkreis direkt anzusprechen, erlaubt DOERNE die Zusammensetzung seiner Predigthörer: Mit euch, die es in Person angeht, die ihr euch rüstet auf den Dienst des Pastors, des Religionslehrers oder irgendeine Gestalt dieses Botenamtes sonst, möchte man unser Evangelium wohl gern noch speziell hören und durchdenken ... 406 ; der Trost angesichts von Mißerfolgen und Versuchungen im Amt des Menschenfischers ist denn auch der inhaltliche Schwerpunkt der Predigt - ganz in Entsprechung zum Skopus des Texts. Hätte der Prediger diesen Schwerpunkt für die ganze Predigt nutzbar gemacht, so hätte er konzentrierter und am entscheidenden Punkt auch konkreter und detaillierter auslegen können.

- 109 III. D i e S c h u l e

h i s t o r i s c h - k r i t i s c h e

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Universitätstheologie und sogenannter "Gemeindefrömmigkeit" geht es um nichts anderes als um die Frage der sachgemäßen Auslegung der Schrift. Von daher ist es gerade bei einem exegetisch so umstrittenen Text wie dem unsrigen von besonderem Interesse zu sehen, wie die historisch-kritisch orientierten Theologen über ihn predigen. Leider steht einer stattlichen Anzahl von Predigtbänden aus der BARTH-Schule und aus der mehr konservativen Mitte nur eine ganz geringe Anzahl von gedruckten Predigtsammlungen dieser Richtung entgegen; über unsern Text sind mir nur zwei Predigten begegnet; die überdies wie sich zeigen wird - einen besonders problematischen Aspekt bieten. 1. RUDOLF BULTMANN hat am 13. Juli 1941 über Lk 5 gepredigt; er hat dieser Predigt dadurch besonderes Gewicht beigemessen, daß er sie in die 1956 erschienene Sammlung der "Marburger Predigten" aufgenommen hat. Die Predigt setzt ein mit der Feststellung: Die Geschichte von Petri Fischzug erzählt von einem Wunder und legt uns dadurch die Frage vor: Was ist christlicher Wunderglaube? 407 Diese Frage führt BULTMANN dazu, ein Großteil der Zeit auf eine Themapredigt über christlichen Wunderglauben zu verwenden, die auf weite Strecken starke Anklänge an seine einschlägigen Arbeiten zur Wunderfrage aufweisen^^®. Wenn man von kurzen programmatischen Äußerungen gegen Ende des ersten Teils absieht, so tritt der konkrete Text unsrer Perikope erst im dritten und letzten Hauptteil ins Blickfeld der Predigt. Da nimmt es nicht wunder, wenn die Auslegving dieses Texts über Ansätze nicht hinauskommt, die nicht entfaltet werden.

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Aber auch der Inhalt der wenigen Auslassungen, in denen BULTMANN den Text auslegt, kann nicht befriedigen. Die Geschichte ist ihm ... ein Bild, in dem die wunderbare Kraft abgebildet ist, die Jesus über ein Menschenleben gewinnen kann. 409 Vergleicht man diese Aussage des Predigers BULTMANN mit dem Satz des Exegeten BULTMANN: Das Wunder dürfte ... aus dem Wort von den 1 Menschenfischern' (V. 10) herausgesponnen sein als dessen symbolische Vorausdarstellung 410, so kann man nur bedauern, daß eben dies, die Sendung zur Arbeit in der Mission der Kirche, in der Predigt schlechterdings zu kurz kommt, daß also der Scharfblick des ExeL λ ι geten der Predigt so wenig zustatten kam . Gewiß kann er auch sagen, ... daß das Wunder des Fischzuges das Bild für etwas viel Größeres ist. Das eigentliche Wunder ist die Apostelwirksamkeit des Petrus, ist die Wirksamkeit des von Menschenmund gesprochenen göttlichen Wortes. Eben dieses Wunder soll durch den wunderbaren Fischzug wie durch ein Bild veranschaulicht werden. 412 Aber diese Apostelwirksamkeit spielt im dritten Teil,der den Text entfaltet, keine wesentliche Rolle. Das Schwergewicht liegt dort auf der Verwandlung des christlichen Individuums: Der Mensch ... erfährt das eine eigentliche Wunder, daß Gott ihn von sich selbst frei macht und ihm die Kraft schenkt, seine Wunder zu schauen, ja seine Wunder zu tun. 413 Worin besteht das Schauen des Wunders? Er sieht in der Welt nicht mehr als andere Menschen auch sehen ... Aber das ist für ihn wunderbar, daß alles Geschehen, das für andere ein gewöhnliches Geschehen im regelmäßigen Ablauf der Dinge ist, Gottes Tun ist, das ihn beschenkt, das ihn erschüttert, das ihm seine Ohnmacht und Verlorenheit immer aufs neue zum Bewußtsein bringt und ihn Gottes Gnade immer aufs neue erfahren läßt. 413 Endlich legt das Datum der Predigt - 13. Juli 1941 - die Frage nahe, ob die Predigt die Zuhörer nicht in einen Elfenbeinturm lockt, in dem der Blick für die Fragen der Zeit mehr verstellt als erhellt wird.

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Die einzige Bezugnahme auf die Gegenwart findet sich in einem kurzen Schlußabschnitt, in dem es heißt: Wir durften in diesem Semester hier in Ruhe unsere Arbeit treiben, während so viele unserer Arbeitsgenossen und Freunde draußen stehen, ihrer Arbeit entrissen, in Not und Gefahr, mit dem Einsatz ihrer Kraft und ihres Lebens den Frieden unserer Arbeitsruhe sichernd. Wir denken ihrer in tiefer Verbundenheit lind Dankbarkeit. Wir wollen aber auch bedenken, daß es für uns eine unverdiente Gnade Gottes ist, daß wir hier unsere Arbeit treiben konnten. Müssen wir nicht auch das als ein uns geschenktes Wunder verstehen? So wollen wir auch unsere Verantwortung um so ernster erfassen und für Gottes Wunder mit unserem schwachen Tun zeugen ... 414 Nur ein Säuseln vom Orkan des Grauens und der Sinnlosigkeit, der die Herzen wacher Gemeindeglieder aufgewühlt haben muß, durchhaucht diese Predigt. Sie hat denn auch - und nicht nur wegen dieses letzten Punkts - jüngst scharfe Kritik erfahren. HARTMUT METZGER hat sie im Anhang seiner Dissertation über "Kriterien christlicher Predigt nach Kierkegaard" einer 47seitigen Analyse gewürdigt, die in einem vernichtenden Urteil mündet^15 : Nach den von Kierkegaard aufgezeigten Kriterien verletzte der Prediger an fünf Punkten seine Verantwortung gegen das Wort und den Hörer ... METZGER führt auf: 1. Das Verhältnis der Predigt zum Text: Bultmann springt mit dem Text ganz willkürlich um, während er die systematische Erörterung des Wunders in Ordnung und Regel aufbaut. Solche Abhandlungen können wir aber nicht als Predigt fassen. Denn bei einer Predigt verfügt der Prediger nicht völlig willkürlich darüber, was er jetzt predigen will, sondern ist an das Wort gewiesen, das ihm gegeben ist. 416 2. Die distanzierte Form der Predigt: Man kann vielleicht Bultmanns Predigt als 'Rede von Gott1 und 'vom Glauben' ansprechen. Eines ist sie aber bestimmt nicht: Rede 'vor Gott'und 'zum Glauben'. Diese Bestimmung, die die bedrängende und fordernde Gegenwart Dessen bezeichnet, von dem die Rede ist, fehlt in der Bultmannschen Predigt. Gott erscheint dort als eine wichtige Größe, aber nicht als die unmittelbare, unausweichliche Wirklichkeit. 417

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3· Der hermeneutische Ansatz a) in Sachen 'Wunder': ... wenn Bultmann durch die Art und Weise, wie er die Wunderfrage aufgreift und ausführt, gar nicht zu fassen bekommt, was die neutestamentlichen Wunder eigentlich ausmacht, kann er dann Uberhaupt in seiner Predigt einen Beitrag und eine Hilfe geben, wie die Wunder Jesu recht zu verstehen seien? 418 b) in Bezug auf die Abfolge 'Verstehen und Gehorsam': hat nicht die Frage des Gehorsams vor der Frage des Verstehens innerhalb der Predigt - und des 'Verständnisses' des Wortes Gottes überhaupt - den Vorrang? 419 4. Die mangelnde Redlichkeit der Predigt: Wie vermag Bultmann sich dem Vorwurf zu entziehen, mit seiner mißverständlichen Ausdrucksweise hintergehe oder täusche er die Gemeinde objektiv? Und nur objektiv? Wie vermag er seine subjektive Redlichkeit als Prediger zu bewahren, wenn er trotz des Wissens um das vorauszusetzende Mißverständnis des Hörers seine Diktion nicht ändert? Wir stehen hier vor einem Rätsel, da wir, wie schon gesagt, in die persönliche Lauterkeit Bultmanns keinen Zweifel setzen. 420 5. Die Situation, in die hinein die Predigt erging: Ist in dieser Stunde des Aufbruchs, der nationalen und weltanschaulichen Verblendung, der Furcht vor dem Grauen, der Flucht der Feigheit, der Sorge um die bedrohten Lieben, der kirchlichen Zerrüttung ... eine akademische Abhandlung über das Wunder vom Prediger gefordert, wenn ihm der Text gegeben ist, wie Christus den Fischer in seine Nachfolge ruft und zum Zeugen und Verkündiger der in ihm angebrochenen Herrschaft Gottes einsetzt? 421 Aus dem oben Gesagten geht hervor,daß ich mich im fünften und, mit kräftigen Abstrichen, im ersten Punkt der Kritik METZGERs anschließen muß. Im übrigen aber scheint sie mir entschieden Ubers Ziel hinauszuschießen. Ad 2: Gewiß kann man "die analysierende Begriffsausbrei417 tung" beklagen, die in BULTMANNs Predigt vorherrsche 422 Aber ob solches in einem "akademischen Gottesdienst" nicht eine läßliche Sünde ist? Gibt es in einer pluralitären Gesellschaft und in der aus ihr sich rekrutierenden Gemeinde nicht immer auch Hörer, die dankbar sind, wenn sie vor allzu direkter Anrede verschont bleiben, denen allzu deutliche Konkretionen peinlich sind, weil sie darin geübt sind, thetisch-dozierende Aussagen sich selbst zu übersetzen und zu konkretisieren? METZGER bescheinigt

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BULTMANN ja immerhin: Der Hörer wird aus der Predigt entlassen als einer, der Bescheid weiß über die Frage des Wunders und über den richtigen Glauben an Gott den Schöpfer! 423 Das ist nicht wenig, und wer wollte behaupten, aus solcher Information könne kein Glaube entbunden werden? Ist es nicht Anmaßung, von dieser Predigt kategorisch zu erklären: Eines ist sie bestimmt nicht: Rede 'vor Gott' und 'zum Glauben'? 417 Ad 3: Alles, was METZGER auf den Seiten 282-296 seines Anhangs sagt, ist nur für den schlüssig, der mit ihm der Meinung ist, ein Text könne nur insofern und insoweit Grundlage für die Verkündigung vom wirklichen Heilshandeln Gottes sèin, als er auch historisch Wort für Wort zuverlässig sei. BULTMANN schreibt - wir haben die Stelle schon zitiert - in der "Geschichte der synoptischen Tradition": Das Wunder dürfte ... aus dem Wort von den 'Menschenfischern' (V. 10) herausgesponnen sein als dessen symbolische Vorausdarstellung. 424 Von da aus hält es METZGER für unmöglich, ... daß in diesem Produkt frommer Phantasie, die am Begriff 'Menschenfischer' sich entzündet haben soll, sinnvoll dargestellt würde die Kraft Jesu über ein Menschenleben. Dies kann eine Fiktion jedoch eben nicht aussagen! 425 Und er fährt wenig später fort: Wenn Aussagen über die Wirklichkeit gemacht werden und die Kraft Jesu über ein Menschenleben zeigt sich doch im Bereich der Wirklichkeit -, so fragt der moderne Mensch, den Bultmann so oft anführt, darnach, ob hier auch von einer Wirklichkeit die Rede ist. Fromme Dichtung, in Geschichte eingekleidete Wahrheiten sogenannter menschlicher Existenzmöglichkeiten erschüttern ihn nicht, auch wenn sie noch so dringlich ihm vorgesetzt werden. Sein Unterscheidungsvermögen ist in diesem Punkt sehr geschärft; deshalb wird er auch kritisch hinhören, ob Bultmann in der übrigen Predigt den Text als 'fromme Dichtung' auslegt, ob er von dem Geschehensein oder Nichtgeschehensein des Berichteten absieht und die Kategorie der Wirklichkeit negativ in Anschlag bringt. 426

- 114 Daran ist sicher richtig: Es liegt sehr viel daran, daß die Berichte der Evangelisten Bezug haben auf historisch Verläßliches; sie müssen verankert bleiben in der Zeitlinie, um nicht zu allgemein-unverbindlichen Wahrheiten zu werden. Aber hier muß an METZGER die Rückfrage gestellt werden: Kann nicht das Zeugnis von der "Kraft ..., die Jesus über ein Menschenleben gewinnen kann", Zeugnis von eminent geschichtsträchtiger historischer Wirklichkeit auch da sein, wo fromme Phantasie in den Dienst der Sache tritt, wo ad maiorem gloriam Christi reichlich Gold verwendet wurde, wo die Erinnerung trog, und wo die literarische Tradition lückenhaft oder problematisch vorlag? Könnte Glauben wirkende Predigt nur geschehen aufgrund von historisch Wort für Wort verläßlichen Berichten, dann wäre es traurig bestellt um unser Predigen vor allem über evangelische Texte ! Ad 4: Mit dem Gesagten hängt zusammen, was METZGER über 427 die Redlichkeit des Predigers sagt . Ich gestehe, daß ich gerade bei der vorliegenden Predigt diesen Vorwurf schlechterdings nicht verstehen kann. METZGER moniert die Verwirrung des Hörers, ... die entsteht, wenn er einmal hört, die im Schriftwort berichtete Tat Jesu sei eine 'fromme Dichtung', andererseits nun aber in Stil und Folgerungen eine Auslegung vorgesetzt bekommt, als wäre von einem wirklichen Geschehen die Rede. 428 Kann man sich unmißverständlicher ausdrücken als BULTMANN in dieser Predigt, wenn er von unserer Geschichte sagt: Damit mich niemand mißversteht, will ich sagen, daß ich sie für eine fromme Dichtung halte. Aber das, was sie uns lehren will, das lehrt sie in jedem Fall, ob sie nun der Bericht von einem geschichtlichen Ereignis, ober (lies: oder) ob sie eine Dichtung ist. 429 Wo bleibt da eine Spur von Irreführung? Allenfalls mag man bedauern, daß BULTMANN davon spricht, was diese Dichtung "uns lehren will"; geht es doch nicht um Lehre, sondern um Bericht von erfahrener Wirklichkeit. Man muß als Prediger damit rechnen dürfen, daß die Hörer solche unmißverständlichen Sätze noch im Ohr haben, wenn auf die-

- 115 ser Basis nachher von der Geschichte die Rede ist. Kann man denn die Gemeinde anders dazu erziehen, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, wenn ein Satz der biblischen Berichte sich als historisch fragwürdig erweist? Des lebendigen Gottes auch da gewärtig zu sein, wo es ihm gefallen hat, sich einer Legende oder eines Irrtums zu bedienen430? Durch all dies soll die oben geäußerte Kritik an BULTMANNs Predigt nicht entschärft, sondern nur die uferlose Kritik METZGERs zurückgewiesen werden. Nach strengem Maßstab ist die Auslegung unsrer speziellen Perikope in BULTMANNs Predigt zu kurz gekommen und schief geraten. Ich kann aber nicht umhin, seine Auslassungen über das Wunder als für einen gezielten Hörerkreis hilfreich und für gut zu halten. Warum sollte eine solche Hilfestellung in exemplarischen Ausnahmefällen nicht legitim sein? 2. Auch die Predigt HANS WERNER BARTSCHs nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie nicht in einer Predigt-Reihe oder Predigtsammlung, sondern als einziges Anschauungs-Beispiel einer Broschüre mit dem bezeichnenden Titel "Christus ohne Mythos" veröffentlicht wurde. In dieser Schrift geht es BARTSCH darum zu zeigen, wie das BULTMANNsche Programm der Entmythologisierung die Predigt nicht sprachlos macht, wie es vielmehr zu vollmächtiger Verkündigung für den heutigen Menschen hilfreich sein kann. Man wird der Predigt BARTSCHs diese Sonderstellung zugute halten müssen, wenn man nicht rundherum sagen will, sie habe ihr Thema verfehlt. "Vom Wunder" überschreibt der Autor die Predigt, und er präzisiert das Thema wie folgt: Was macht den Zufall zum Wunder, und wo ist da der Unterschied? 431 Blasse Kathedersprache wird man BARTSCH nicht vorwerfen können. Er leitet zum im Thema avisierten Problem ein

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mit einer fiktiven Szene und einer Reminiszenz: einmal die Vorstellung, Petrus gehe heute durch die Straßen Hamburgs. Beim Anblick der diversen "Wunder" der Technik fiele er heute keineswegs wie einst auf die Knie; sodann die Erinnerung an die zehn Jahre zuvor in der Ostsee unerwartet aufgetauchten immensen Heringsschwärme: Niemand habe damals daran gedacht, dieses Phänomen als besonderes Wunder zu betrachten. Facit: Die Welt ist anders geworden. Seht, das ist ja der eigentliche, tiefere Unterschied zwischen uns und den Menschen damals, nicht dass es bei uns nichts Erstaunliches im Leben mehr gibt, sondern dass wir nicht mehr dahinter sehen können, nicht mehr dessen Hand erkennen, der den Zufall lenkt, der der Herr des Zufalls ist und den Zufall für uns zum Wunder macht. 432 Weshalb also ist uns unsre Geschichte wertvoll? Und das ist es, was diese Geschichte für uns gegenwärtig macht, daß sie uns hinweist auf die Ereignisse unseres Lebens, die wir Zufälle nennen und uns fragt: Hast du das nie erlebt, daß so ein Zufall mit einem Male durchsichtig wurde und du wußtest, dahinter steht die Hand Gottes? 431 Dies alles kann BARTSCH nahezu ohne näheren Textbezug ad vocem 'Wunder' entwickeln. Die einzige Stelle, an der unser Text zu Wort kommt, ist eine Auslegung von Vers 8: Bei Petrus war der Erfolg, daß er zusammenbrach vor diesem Herrn, auf seine Knie fiel und bekannte, daß er ein Sünder sei und nicht fähig, vor dem zu bestehen, dessen Herrlichkeit er geschaut hatte. Und das ist die notwendige Folge bei jedem wahrhaften Wunder. 433 Ergo: Wenn Gott den Vorhang einer wunderlosen Welt zerreißt - meine Lieben, dann laßt uns einfach so handeln wie Petrus. Nichts wie auf die Knie und nichts wie bekannt: Herr, ich bin ein sündiger Mensch. 434 Das Fazit der Predigt ist nicht die Sendling, sondern die Wiedergewinnung einer wunderbaren Welt: Die Geschichte sagt uns, daß hinter allen Wundern in unserer Welt der gnädige Gott steht, der in Jesus Christus zu uns gekommen ist, der in ihm für uns Mensch geworden ist, der für uns am Kreuz gestorben ist ... Es kommt nur darauf an, daß wir diesen Gott kennen, der da mit uns reden will, daß wir ihn kennen durch

- 117 Jesus Christus als unseren Vater und gnädigen Erlöser; dann wird diese Welt wieder wunderbar, und wir fallen vor ihm demütig und dankbar auf die Knie. 435 Man kann im Rückblick auf diese beiden Predigten nur bedauernd konstatieren, daß ausgerechnet die Vertreter der historisch-kritischen Exegese, für die - man sollte es wenigstens meinen - der Textwille oberstes Gebot sein sollte, aus welch honorigen Gründen auch immer der Versuchung erlegen sind, den Hauptnachdruck der Predigt außerhalb des speziellen Textskopus anzusetzen. Hingegen ist bei beiden das Bemühen anerkennenswert, das Ghetto kirchlicher Geheimsprache zu durchbrechen, in der Solidarität des Zeitgenossen das Evangelium ohne unbarmherzige Voraussetzungen heute zu bezeugen.

IV.

A u s b l i c k

Wenn wir an den Schluß dieser Kette eine jüngst erschienene Predigt von OTTO WEBER stellen, so nicht, weil wir sie für eine Idealpredigt über Lk 5 hielten; diese gibt es nicht, und gerade ein Blick in die Predigtgeschichte durch das Spektrum eines Textes lehrt Ehrfurcht vor der Mannigfaltigkeit der Auslegungswege. Und doch scheint mir diese Predigt in die Zukunft zu weisen; verbindet sie doch in selten glücklicher Weise das Positive des BARTHschen Ansatzes mit einer gewissenhaften Verwertung der historischkritischen Arbeit am Text. Dies ist abschließend zu begründen : 1. Der Text kommt hier wirklich zu Wort. Man kann die Predigt als Homilie bezeichnen, aber WEBER gebraucht diese Form so souverän, daß ihre Gefahren: Verlust der großen Linie; Isolierung einzelner Theologumena vom Textganzen; vermieden werden. 2. Der Prediger meint nicht, auf die neutestamentliche Forschung der Gegenwart verzichten zu können; er macht vielmehr deren Ergebnisse der Predigt zunutze. Dabei scheut

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sich WEBER nicht, das auch unmißverständlich zu sagen. Der aufmerksame Hörer bekommt beispielsweise ein kleines Stück Formgeschichte vorgeführt, wenn WEBER zunächst berichtet, wie wenig Mt und Mk von dem in unsrer Perikope Tradierten bieten, um dann fortzufahren: Nun hat Lukas eine Geschichte erzählen hören, die dieser ganzen entscheidenden Begegnung ein ganz anderes Gesicht gibt, die sie zwar nicht verständlicher macht, aber jedenfalls dafür sorgt, daß wir hier nicht mehr - müde, neidisch, verzagt - von einem heroischen Entschluß reden können ... 436 Der hermeneutische Kernsatz setzt den Akzent der Geschichte durchaus richtig: ... unser Text weist uns ... auf das hin, was wir als Gemeinde, was wir als Glieder der Kirche Jesu Christi erleben. Denn er handelt ja schließlich von der Berufung der Apostel, und der Fischzug, der hier geschildert wird, ist mit Recht schon in alter Zeit wie ein Symbol dessen aufgefaßt worden, was der Kirche auf ihrem Wege zuteil werden soll: unverhoffte, reiche Ernte. 437 Sogar die Verbindungslinien zu Joh 21 werden gezogen: Es ist nicht von ungefähr, daß eine ähnliche Geschichte von Petrus auch noch an ganz anderer Stelle erzählt wird: am Schluß des Johannesevangeliums bereitet der auferstandene Herr seinem Jünger einen solchen reichen Fang. Es gehört in der Tat alles, was wir hier lesen, zur Lehre von dem Auferstandenen, von dem, der in aller Verborgenheit doch Gewalt hat über alle Mächte, auch über die Mächte, die uns verschlingen zu wollen scheinen . 438 3. WEBER beweist Solidarität mit dem zweifelnden Hörer. Die Frage des Wunders wird weder zum Hauptthema gemacht noch umgangen, als wäre hier gar kein ernstzunehmendes Problem. Schon das ist hilfreich, wie er auf das Fehlen allzu mirakulöser Details schon im Text hinweist. Bemerkenswert ist dabei, daß er sich fast unmerklich davon distanziert, wie Lukas selbst die Sache sieht: Was sich nun vollzieht, das Wunder des reichen Fanges, das wird uns, wie fast stets in der Bibel, nicht im einzelnen erzählt. Wie sollen wir es verstehen? Wenn einer herkäme und darauf hinwiese, daß solch ein Fang ja auch zufällig am hellen Tage möglich sein könne warum nicht? Der See war überreich an Fischen. 439 Nirgendwo ist mit einem Ton davon die Rede, daß Jesus

- 119 hier Fische gemacht, gelockt oder herbeigezaubert hätte. Es geht zu, wie es beim Fischen zugeht. Das Boot sinkt tief ein, ein zweites ebenso. Gewiß hat Lukas die Geschichte so aufgefaßt, daß Jesus sah, was der Berufsfischer nicht sah. Auch dazu gibt es viele Parallelen - die Welt umspannt mehr Geheimnisse, als wir modernen Menschen es uns vorstellen. Aber das Wesentliche ist nicht das 'Wie' dieses Geschehens. Auch ein Vorgang, den wir uns sonst völlig erklären könnten, kann ein 'Wunder' sein, und der Glaube erfährt ständig solche Wunder. Er tut es, weil er bei allem, beim Erklärlichen und beim Unerklärlichen, mit Gott rechnet. Nur mit Mirakeln rechnet er nie: nie geschieht für den Glauben das, mit dem er rechnet, nur zum Anstaunen, nie so, daß kein Risiko dabei wäre, nie so, daß das Wunder den Glauben überflüssig machte. Der Fischer Simon - wir sagten es schon - glaubt ja nicht, weil er ein Wunder geschaut hat, sondern er glaubt dem, der ihn auf die hohe See weist. 440 Gewiß: WEBER unterscheidet sich hier von der entwaffnenden Offenheit, in der BULTMANN rundheraus erklärt, er halte die Geschichte für fromme Dichtung; ein Verfahren, das denn doch auch Schaden anrichten kann in der Predigt, bei der die Möglichkeit einer klärenden Rückfrage nicht gegeben ist. WEBER ist weniger darauf aus, auch dem Letzten die Problematik naiven Wunderglaubens deutlich zu machen, als vielmehr dem Angefochtenen keine überflüssigen Barrieren aufzurichten. 4. Der Schnittpunkt von Textwillen und Predigtgegenwart ist getroffen. Aus dem Wortlaut könnte auch ohne Impressum des Buchs der Ort des Predigers in Zeit- und Kirchengeschichte erhoben werden. Ein Beispiel hiefür aus der Auslegung des fünften Verses: Wir wollen es uns nicht verhehlen, daß wir eine Zeit großer Müdigkeit in der Kirche durchmachen. Für manchen ist das verwunderlich genug. Vor zehn oder fünfzehn Jahren, als es gefährlich war ... (Erinnerung an die Zeit des Kirchenkampfes) ... Und heute, wo die Gefahren sich weithin verzogen zu haben scheinen, heute finden wir viel Erschlaffung, viel Entmutigving, viel Enttäuschung. Auch bei solchen ..., die einst gerade zu den Fröhlichsten und vielleicht Wagemutigsten gehörten, zu denen wir anderen in unserer Weise emporschauten. Daß heute in der Kirche so viel rückwärtsgewandte Strömungen aufkommen, daß wir - nach der bekannten Redeweise - gera'dezu in einer Zeit der

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kirchlichen 'Restauration' leben, also so tun, als könnten wir wieder da ansetzen, wo vor Jahr und Tag der Faden abriß, das ist gewiß auch ein Zeichen dieser Ermüdung; es gibt sicher viele, die viel lieber nach vorwärts gingen, wenn sie bloß den Mut, die Zuversicht dazu hätten. Sollte nicht leider vieles von unserem gewohnten kirchlichen Betriebe, von unserem vielen Organisieren und 'Machen' nur die Art sein, wie wir am Strande sitzen und leere Netze auswaschen, statt 'auf die Höhe' zu fahren? 441 Daher die Konsequenz: So fordert uns denn dieser Text auf, weder auf unsere Verlegenheiten zu starren noch ungeduldig auf das große Wunder zu warten (was weiß Petrus davon, als er sein 'Aber' spricht?;, ... sondern höchst einfältig zu hören, daß uns das Wort gesagt ist, uns in unserer Mutlosigkeit, Enttäuschimg und Verzagtheit das Wort: Hinaus aus dem allem, fahret auf die Höhe, wagt es mit mir, der ich vor euch stehe! 442 5. Der Vers, auf den die ganze Perikope zuläuft, ist als solcher erkannt, wenn auch - das ist eine der Schwächen der Predigt - nicht mehr entfaltet. Auch hermeneutisch ist diese Passage aufschlußreich: Wir sind nicht zu Aposteln berufen. Das Neue Testament leitet uns nicht an, alles auf uns zu beziehen, was den ersten Zeugen gilt. Aber zum Glauben sind auch wir berufen! Und zum Zeugnis sind auch wir da! Darum: heraus aus der 'Schwermutshöhle', heraus aus allen Gefängnissen lind Klagewinkeln - 'fahret auf die Höhe! 443 Manche Wünsche bleiben auch in dieser Predigt offen; wo blieben sie es nicht. Das Wesentliche könnte noch plastischer hervortreten, manches könnte unmißverständlicher gesagt werden. Und doch: So ähnlich, meine ich, könnte man heute dem Text und dem Hörer der Gegenwart in etwa gerecht werden444

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Zweiter Teil SYSTEMATISCHE UNTERSUCHUNG A

Die Rolle der Texterläuterung in der Predigt:

Daß evangelische Predigt schriftgemäße Predigt sein müsse, war und ist - wenn man von unrühmlichen Ausnahmen absieht - in der Geschichte der evangelischen Homiletik 1 unbestritten . Sofort aber erhebt sich die Frage: Was 2 heißt 'schriftgemäß' ? Genügt es, wenn die in der Bibel bezeugte Wahrheit des Christentums in der Kanzelrede in freier Nachempfindung vorgetragen wird, was dann durchaus auch ohne Text geschehen könnte, oder ist die Homilie die einzig dem Charakter evangelischer Verkündigung angemessene Predigtweise? Sodann: Gesetzt, man könne sich darauf einigen, die Predigt habe einen Text auszulegen, so ist weiter zu fragen: Wie bestimmt sich das Verhältnis von Text und Predigt^? Welche Rolle spielt der sensus litteralis eines Texts für das aktuelle Geschehen der Verkündigung? Inwieweit darf oder muß der Prediger das zuvor erhobene "Damals" hinter sich lassen, um im "Heute und Hier" das Gleiche oder doch das für den heutigen Hörer Entsprechende zu sagen? In welchem Ausmaß waren evangelische Prediger der Meinung, sie könnten zugunsten des gegenwärtig Anzusagenden auf die Erhebung oder auf die Darlegung der ursprünglichen Absicht der Verfasser der biblischen Schriften verzichten? Es soll im folgenden zunächst untersucht werden, welche Rolle die Explikation des vorgegebenen Texts Lk 5, 1-11 in der evangelischen Predigt gespielt hat und noch spielt.

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1. Kapitel: Der Zusammenhang, in dem die Perikope steht Nur wenige Prediger beschäftigen sich mit dem Anschluß unsrer Perikope an die vorausgehende. Dabei liegt in der Regel das Gewicht auf Jesu Tätigkeit vor dem in Lk 5 BerichtetenL· . Bei LUTHER finden sich in keiner der überlieferten Predigten diesbezügliche Auslassungen, wie er denn überhaupt in seinen Predigten ganz selten den Zusammenhang berücksichtigt, in den die Evangelisten die einzelnen Abschnitte gestellt haben. E. SARCERIUS ist der erste evangelische Prediger, bei dem wir einen Rückverweis auf Lk 4 feststellen konnten: Trahit enim hodiernum Euangelium suam occasionem ex praecedenti capite, ubi scribit Lucas, quod turbae quaesierint Christum, et ad illum venerint, et quod detinuerint eum, ne ab eis discederet, quod Studium turbae magnam aliquam necessitatem insinuât. 5 JOH. GERHARD nennt als Grund für Jesu Auftreten in Galiläa, dieser habe sich, nach dem ersten Jahr seines Lehrens in Judaea durch Herodes und die Juden vertrieben, nach Galiläa, und zwar nach Nazareth und v.a. nach Kapernaum zurückgezogen. Mit der Feststellung: Nec solum Sabbathis in Synagogis docebat, sed etiam diebus profestis et extra urbem ... gewinnt GERHARD den Anschluß an unsern Text^. In seinem Weinsberger Predigtbuch weist FR.CHR. OETINGER darauf hin, Jesus habe sich ein ganzes Jahr in Galiläa aufgehalten und habe dabei in Kapernaum Wohnung genom7 men . Ausführlich begründet der gleiche Prediger während seiner Herrenberger Zeit die Notwendigkeit, den Bericht im Zusammenhang des ganzen Lebens Jesu zu sehen; er gibt dafür sogar Literaturhinweise: Unser heutiges Evangelium ist ein Stück von dem ganzen Lebenslauf Jesu. Davon verdient die Bengelsche Harmonie und das wichtige Buch: Der Mensch Christus Jesus, gelesen zu werden. Wenige machen sich den Lebenslauf Jesu zu nutz, wie es sein sollte. Ich glaube, daß es

- 123 selbst der erleuchtete Bengel nicht dahin gebracht, daß ihm der Lebenslauf Jesu zum Muster unserer Handlungen so in einem Blick vor Augen gestanden, als ich mir von einem Fuhrmann Namens Markus Völker^ in Groß-Rudstadt in Thüringen habe erzählen lassen. Dieser sagte mir, er habe ... den Lebenslauf Jesu mit allen Vorfallenheiten, sich und andern zum Muster, in einen Blick gebracht, daß er es als ein Gesicht in einem Spiegel vor sich gehabt. Wie glückselig wären wir, wenn wir Jesu Leben auch so emsig, so zusammenhängend vor uns sehen möchten! 9 K. THEURER vermutet, Jesus habe sich in der unsrer Geschichte vorhergehenden Nacht "irgendwo im Gebet" aufgehalten10. Auch W. LÜTHI befaßt sich in einer jüngst erschienenen Predigt über unsern Text mit der gleichen Frage: Der Tag und die Nacht in Kapernaum haben Jesus in eine gewisse Bedrängnis versetzt. Es muß nun etwas geschehen. Es ist uns nicht bekannt, um welchen Gegenstand sich die Zwiesprache des Sohnes mit dem Vater an jener 'wüsten Stätte' drehte; aber wir können aus dem, was nun folgt, rückschließend ahnen, um was es dort ging. Jesus kann die Arbeit nicht mehr allein bewältigen ... 11 Wenn ein Stuttgarter Diaconus ums Jahr 1875 von einem biographischen Bericht des Evangelisten ausgeht, demzufolge Vermutungen darüber angestellt werden können, wo sich Jesus in der Zeit zwischen dem in zwei Perikopen Berichteten aufgehalten haben könnte, so ist das nicht verwunderlich. Es befremdet aber, wenn ein namhafter Prediger 1963 eine Predigt veröffentlicht, die die formgeschichtlichen Erkenntnisse der letzten vier Jahrzehnte rundweg ignoriert: daß nämlich der Rahmen der Erzählungen der Evangelisten kompositorische Arbeit der Evangelisten ist. Was bei solchem Verfahren herauskommt, strapaziert denn auch die Phantasie und das Ahnungsvermögen mehr als das Auge: Lk 4, 44 muß unerwähnt bleiben; frei erfunden ist die Vermutung, Jesu Berufung habe ihren Anlaß in seiner Bedrängnis am Vortag und in der Nacht zuvor; daß dieses Problem Gegenstand einer Zwiesprache des Sohns mit dem Vater sei, wird "rückschließend", geahnt.

- 124 Hier ist doch zu fragen, ob nur "die Entmythologisierungswelle dem Evangelisten Lukas besonders hart zusetzt", wie 12 LÜTHI im Vorwort jenes Bandes schreibt , ob nicht vielmehr eine methodisch saubere historisch-kritische Exegese 1 schärfer in den Blick bekommt, worum es im Text geht

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2. Kapitel: Synoptische Ausrichtung Die Eigenart des Lukas gegenüber den übrigen Evangelisten 14 ist den Auslegern schon ganz früh aufgefallen ; gelegentlich schlägt sich dies auch in den Predigten nieder. Vor allem hat sich bei Lk 5, 1-11 ein Vergleich mit den entsprechenden Berufungsperikopen Mt 4, 18-22, Mk 1, 16-20 und Joh 1, 37-42 nahegelegt; er ist denn auch zu allen Zeiten der Auslegungsgeschichte angestellt worden. Die Frage, inwieweit Petrus hier schon zum zweiten Mal berufen wird, und besonders das Rätselraten um die Ursachen solcher Zweitberufung nimmt einen beträchtlichen Raum ein (1). Sodann hat die merkwürdige Ähnlichkeit unsrer Perikope mit Joh 21, 1-11 die Prediger beschäftigt und hat ihnen Anlaß gegeben zu gelegentlich recht geistvollen Spekulationen (2) . Es liegt auf der Hand, daß bei diesen Gegenständen die formgeschichtliche und die literargeschichtliche Arbeit der jüngsten Forschung eine besonders gravierende Rolle spielt. Vor allem wird darauf zu achten sein, inwieweit die Predigt der Gegenwart auf die Ergebnisse dieser Forschung eingeht und in welcher Weise sich das in den Predigten niederschlägt. 1. Der Vergleich mit sonstigen Berufungsperikopen Die Tatsache, daß Lk über den Inhalt der Vers 3 erwähnten Predigt Jesu schweigt, regt LUTHER 1532 zu der Feststellung an:

- 125 Lucas ghet kurtz hin durch, das er dem volck geprediget habe. Pulchrum fuisset, si addidisset, was die predigt gewest wer, Sant Johannes facit qui in hoc excellit, das er tarn diligenter conciones Christi beschreibt. Alii Euangelistae sunt contenti breviter indicare et in summa, quod dominus docuerit plebem verbum i.e. promissiones, wie man sol Gott vertrawen, sein wort hören, recht leben gegen unsern herr Gott, anders hat er nicht gepredigt ... 15 Ein Jahr später differenziert LUTHER noch schärfer: Velim, ut etiam scripsisset, aber sie haben die weise, quod omittant conciones et dicant tantum historiam. Econtra Iohannes scribit conciones et pauca gesta ... 16 Frühen Scharfblick für das, was man später "Formgeschichte" nennen wird, beweist EGIDIUS HUNNIUS, wenn er aufgrund von Vers 10 sagt: Diese Wort zeigen deutlich an, das dis eben die Histori sey, welche von Sanct Matthaeo in seinem vierten Capitel ist beschrieben ... Allein ists von S. Luca mit mehrern Umbständen beschrieben, und zugleich die Ursach solcher ihrer Folg vermeldet, das sie so bald den Beruff annemen ... 17 Aufgrund von Joh 1, 40 f. beschreibt PH.J. SPENER Petrus, Johannes und Jakobus als "Männer, die mit dem HErrn nicht nur schon bekandt gewesen, sondern bereits an ihn glaubten ... welches wol ein gantz jähr vor diesem beruff ge18 schehen" . Das Verhältnis der beiden Berufungen bestimmt SPENER so, daß die in Joh 1 erwähnte Berufung nur eine vorläufige war, während die Jünger jetzt alles verlassen 1Q. Genaueres über die Zeit zwischen erster und zweiter Berufung weiß J.A. BENGEL anzugeben: Nicht ist er erst bei dieser Gelegenheit in die Gemeinschaft Jesu eingetreten; sondern schon mehr als ein völliges halbes Jahr zuvor ist er mit Jesu durch Andreas, seinen Bruder, wie dieser durch Johannem (Joh.1) bekannt worden: da ihm der Herr gleich dazumal gesagt, was er aus ihm machen würde. Von dem an ist er mit Jesu umgegangen, bei der Hochzeit zu Cana gewesen Joh II., und mit ihm nach Jerusalem gereist. Doch ist er ebenso ab- und zugegangen, und hat je zuweilen seinem Gewerbe wieder abgewartet, wie Jakobus und Johannes auch. Hier aber tritt er in die völlige Nachfolge ein. 20

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OETINGER argumentiert ganz ähnlich; anstelle der Hochzeit zu Kana erwähnt er die Heilung von Petri Schwiegermutter in Lk 4, 38 21 . Die Frage einer zweifachen Berufung wird bei FR.V.REINHARD offengelassen, denn "wirkliche Bekanntschaft mit Jesu machten sie erst bey der Gelegenheit, die hier beschrieben ist"22 Weniger aufgrund exegetischer Beobachtung als auf dem Weg der Vermutung kommt A.H.M. KOCHEN zum Schluß, daß die Person Jesu dem Simon und seinen Gesellen nicht unbekannt sein konnte. Der Grund: Jesus wäre sonst wohl nicht ohne weiteres in Petri Schiff gestiegen , sodann läßt sich aus der eigentümlichen Lebensweise des bereits zu allgemeinem Rufe gelangten erhabenen Volkslehrers, als aus der augenblicklichen unbegränzten Hingebung, womit sie ... Alles verließen und ihm nachfolgten ..., schließen, daß wenigstens eine vorläufige Bekanntschaft zwischen Jesus und diesen Jüngern schon bestanden hatte 24 Bei den beiden Predigten FR. AHLFELDs, die über unsern Text vorlagen, fällt erstmals auf, daß moderne homiletische Abzweckungen auf die Explikation des Texts abfärben und in Bahnen lenken, auf denen nachher die Vergegenwär25 tigung direkt weiterschreiten kann . Da wird etwa, um die Berufung von Vers 10 von der vorausgehenden Bekanntschaft abzuheben, gesagt: Er kannte den Jesus schon ... Sein Herz schlug zu ihm, wie zu einem hochgeehrten Freunde. Aber ein lebendiger Glaube war noch nicht da ... Auch wenn Jesus redete, legte er das Wort noch auf die Wage seiner Klugheit Oder, in ... der 26 zweiten Predigt, in geistreichem Anklang an die Sprache des Texts: Dieser Petrus war lange um das Netz herumgeschwommen, der Herr hatte ihn schon zuvor gekannt; jetzt hatte er ihn gewonnen, um ihn nie wieder zu verlieren. 27 HERMANN BEZZEL erwähnt in seiner Predigt Ausleger, "die 28

eine Doppelberufung annehmen" , bekennt dann aber, er wisse nicht, ob die Jünger schon vorher von Jesus erfaßt gewesen seien.

- 127 EMIL FROMMEL gehört auch zu den Predigern, die hier auf Joh 1 rekurrieren: Petrus war schon berufen, er hat Jesum doch schon reden gehört und ihn in sein Haus genommen und seine Wunder geschaut; und nun - ist er nicht einmal bei seiner Predigt und steht abseits! 29 FROMMEL schließt daraus auf die seelsorgerliche Weite Wir sehen nur auf's Neue, wie frei der Herr mit den Menschen handelt; sie kommen ihm nahe, aber er überläßt es nun dem freien Zug des Menschen und der stillen Wirkung Seines Wortes, das Weitere zu thun. Da vernimmst du nicht den leisesten Vorwurf aus dem Munde des Herrn ... 31 In der gleichen Sache will C. ROFFHACK sogar wissen, Petri Rückkehr zu seiner Berufsarbeit sei Ohne Zweifel ... nach der Freiheit und Freiwilligkeit, die im Reiche der Gnade regiert, unter Gutheißung des Heilandes 32 erfolgt. Hier bahnt sich an, was wenig später kräftig einsetzt: Auf der Basis der Vorstellung zweier Berufungen, die darin ihren Grund haben, daß man Johannes als die Ergänzung der Synoptiker ansieht, werden gewichtige theologische Urteile aufgebaut. Einen ganzen Roman erzählt in diesem Zusammenhang der Nitauer Pastor C.TH. SCHILLING. Unter dem nach Vers 1 zu Jesus drängenden Volk ... suchen wir (seil. Petrus) ... vergebens. Wie ist das gekommen? Nicht viel anders, als es heute den Menschen zu ergehen pflegt mit der Nachfolge Christi. Uberwältigt, ergriffen von der Persönlichkeit, seiner Liebe, die Brust geschwellt von Tatenlust, so nahte Petrus dem Herrn, befangen zudem in der Vorstellung vom Messias als einem irdischen Könige. Tag auf Tag verging in der Nachfolge Christi, doch da gab es keine großen Taten zu tun, keine Ehre und Macht zu gewinnen ... Da verblaßte sein Bild in der Seele des Jüngers ... Halb traurig, halb grollend zog er sich mehr und mehr von Jesu zurück, ging daheim wieder der gewohnten Beschäftigung nach ... 33 Und nun werden breite Erwägungen über das Seelenleben des Petrus angestellt: Wie sein Bettelstolz ihm verwehrt habe, zurückzukehren, wie doch ein Stachel in seinem Gewissen geblieben sei. Die Folgen bleiben nicht aus: Das erfolg-

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lose Fischen wird zur Strafe für den Abfall; das Sündenbekenntnis in Vers 8 richtet sich auf diese spezielle Sünde; sie ist auch die dunkle Folie für Begnadung und Sendung. In ähnliche Richtung weisen die rhetorischen Fragen, die L. THIMME in einer seiner Dorfpredigten dem armen Petrus stellt: War es eigentlich recht, daß Petrus seine Zeit bei den Netzen und Fischen verbrachte? Hätte er nicht eigentlich heute an anderer Stelle stehen sollen? Wie war's doch vor einem Vierteljahr gewesen? ... Weißt du's noch, wie du Johannes suchtest und Jesus fandest? ... Weißt du's noch, Petrus, was du mit deinen Freunden auf der Hochzeit zu Kana erlebtest, was in Kapernaum? Warum findet dich der frühe Morgen hier bei den Netzen ...? Waren es Weib und Kind, die dich riefen? Waren es Boot und Netze, die dir keine Ruhe ließen? Die Folgen für den Sündenbegriff und für die Modifikation der Begnadung sind bei THIMME ähnlich entstellend wie bei SCHILLING. FR. LOOFS hat keine Bedenken, seiner Gemeinde zu sagen: Die Erzählung unsres Textes hat große Schwierigkeiten. 35 36 Er sieht sie nicht im Wunderbericht^ , sondern eben im Problem der divergierenden Berufungsberichte. Das gläubige Vertrauen des Petrus, in dem er dem absurden Befehl Jesu Folge leistet, ist ihm der Beweis dafür, daß Petrus zur Zeit des in Lk 5 Berichteten die "erste Stufe der Jüngerschule" schon hinter sich hatte, nämlich die, einen lebendigen Eindruck zu haben von "Jesu idealer Hoheit" 37 . Und dies, obwohl der Text ... von dem wunderbaren Fischzug des Petrus berichtet, als sei die erste Berufung des Petrus in Jesu Nachfolge mit ihm verbunden gewesen, als sei Jesus bei dieser Gelegenheit zum ersten Male mit Petrus zusammengetroffen. Das muß nach den andern Evangelien irrige Uberlieferung sein. 38 Wenn man sieht, zu welchen Verzerrungen des Skopus der Perikope mangelnde Berücksichtigung der formgeschichtlichen Erkenntnisse führen kann, so befremdet es, bei W. TRILLHAAS den Satz zu lesen:

- 129 Wenn wir das Evangelium ganz naiv lesen - was so viele in unserer Zeit verlernt haben -, dann scheint es, als habe Jesus diesen Simon schon gekannt, wenn auch nur flüchtig ... 39 Man fragt sich, was eine solche Bemerkung in der Predigt bezwecken soll. Nährt sie nicht das ohnehin große Mißtrauen der Gemeinde gegen den theologisch gebildeten Prediger? Muß sie nicht notwendig dahingehend verstanden werden, daß ein naives Lesen der evangelischen Berichte dem genauen Erforschen der Exegese vorzuziehen sei? Leistet sie nicht dem Mißverständnis Vorschub, geistliche Armut müsse sich in Sachen der Schrift notwendig in der Naivität unreflektierten Bibellesens erweisen? Der von TRILLHAAS geforderten Naivität befleißigt sich W. LUTH!. Auch er greift auf Joh 1 zurück: Der vierte Evangelist läßt uns auch hier wie so oft in diese verborgenen Zusammenhänge hineinblicken. Johannes erzählt, daß Jesus seine ersten Gehilfen zum erstenmal beim Täufer angetroffen hat ... aber seine eigentlichen Jünger ... sind sie noch nicht. Immer noch gehen sie ihrem Beruf als Fischer nach. Das soll nun ändern (sie!). Sie sollen nun seine Jünger werden, wozu es für sie freilich noch einer speziellen Berufung bedarf. Es steht nicht hier, wieviel Zeit seit jenem ersten denkwürdigen Sabbath in Kapernaum verstrichen ist; es muß etliche Wochen später gewesen sein, daß Jesus abermals in Kapernaum weilte ... 40 LÜTHI unterstellt hier, daß die "Zeit seit jenem ersten denkwürdigen Sabbath" einigermaßen genau bestimmt werden könne. Es stellt sich hier wieder die Frage, ob es angebracht und zu verantworten ist, der Gemeinde die Vorstellung nicht nur zu lassen, sondern sie noch darin zu bestärken, man könne durch eine Art Evangelienharmonie eine geschlossene Vita Jesu erheben. Vorbildlich klar und doch behutsam deutet 0. WEBER an, was schon AUGUSTIN erkannte^ 1 : Unsere beiden ersten Evangelien berichten von der Berufving der ersten Jünger Jesu nur ungefähr das, was wir hier ganz am Schluß lesen: Jesus findet diese Fischer bei ihrem Handwerk ... und ruft sie in seine Nachfolge, macht sie zu 'Menschenfischern'. Das ist alles, und es war dem ersten und dem zweiten Evangelisten genug ... 42

- 130 Damit werden die Akzente richtig gesetzt; die Gefahr, daß der Text an der ihm eigenen Stoßrichtung vorbei ausgelegt wird, ist so gebannt. 2. Der Vergleich mit Joh 21 Schon AUGUSTIN hat sich eingehend mit Differenzen und 41 Entsprechungen der beiden Texte befaßt ; seine Auslegung von Joh 21 nährt sich weitgehend von diesem Vergleich. Aber wie hier, so ist es auch später in der evangelischen Auslegungsgeschichte: Die meisten diesbezüglichen Beobachtungen finden sich in Auslegungen von Joh 21, während sie bei Lk 5 nur sporadisch auftreten. Man muß bis ins 19· Jahrhundert gehen, um in einer Predigt über Lk 5 eine Äußerung wie die G. THOMASIUS' zu finden: Dies Zeichen wiederholt er ihm in jenen vierzig Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt und gibt ihm dann nach jenem geheimnißvollen, schweigsamen Mahle die Bestätigung seines apostolischen Berufs ... 43 Der auch in Deutschland viel gelesene Engländer F.W. ROBERTSON erwähnt im Eingang seiner Predigt, daß die letzte Zusammenkunft unseres Herrn mit demselben Apostel, deren die Schrift erwähnt (Joh 21), von ganz ähnlichen Umständen begleitet war. Beide Male hatte Petrus die ganze Nacht gearbeitet, und zwar umsonst; beide Male kam die Hilfe zuletzt in der Gestalt eines Wunders. 44 Die ganze Predigt C.H. SPURGEONs ist gekennzeichnet durch einen Vergleich zwischen den beiden Berichten bei Lk und Joh, wobei er zunächst über die Ähnlichkeiten, dann über die Differenzen, und in einem dritten Teil über "einige wichtige Lehren ..., welche beide uns bringen", predigt45. Interessant ist dabei vor allem die hermeneutische Perspektive, in der SPURGEON die beiden Berichte interpretiert. Lk zeigt demnach, "was die Menge sah; Johannes sagt uns, was Christus seinen Jüngern allein zeigte". Dem entspricht: "das erste Bild zeigt uns die Gemeinde Gottes, wie wir sie sehen; das zweite stellt sie dar,

- 131 wie sie wirklich ist ..."

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Kenntnis der neueren exegetischen Forschung verrät FR. LOOFS, wenn er sagt: ... nach dem letzten Kapitel des Johannesevangeliums ... könnte man meinen, es gehöre die Geschichte vom wunderbaren Fischzug in die Zeit nach der Auferstehung des Herrn. Es kann hier auf sich beruhen bleiben, wie man diese Frage entscheiden will ... 47 Dagegen ist nichts einzuwenden; die Predigt ist kein exegetisches Kolleg. Doch sollte auch der leiseste Anschein vermieden werden, als ob die exegetische Arbeit an biblischen Texten abgewertet oder als mehr oder weniger belanglos dargestellt werden solle. M. DOERNE geht in der Einleitung seiner Predigt über Lk 5 kurz auf die Probleme des evangelischen Vergleichs ein: Nur Lukas hat dieses zeichenhafte Vorspiel von des Petrus Berufung überliefert; Markus und Matthäus wissen nichts davon ... Dafür berichtet das Johannesevangelium im letzten Kapitel, anhangsweise, von einem erstaunlichen Fischzug der Jünger, sehr ähnlich dem hier erzählten; aber dort ist es eine Geschichte nach Ostern, und es ist der auferstandene Herr, der dem Petrus die Weisung gibt. 48 Nur der Kenner hört heraus, daß DOERNE mit den exegetischen Problemen des Texts vertraut ist, wenn er zu Vers 8 bemerkt: Der Kniefall wäre ohne weiteres zu begreifen, wenn sich die Geschichte nach Ostern zugetragen hätte. Inzwischen hatte Simon seinen Herrn ja verleugnet ... Aber lassen wir die Geschichte an dem Orte, den Lukas ihr anweist. 49 Bei den offenen exegetischen Fragen, die die Textüberlieferung stellt, legt sich ein solcher Entschluß nahe. Mißverständlich aber ist es, wenn DOERNE im Anschluß an die oben zitierte Stelle sagt: Die gelehrten Erforscher des Neuen Testaments haben an die Zusammenhänge und Hintergründe unserer Erzählung viel Arbeit gewendet. Wir haben es mit der Geschichte zu tun, wie Lukas sie hier berichtet. Worauf er hinaus will, das liegt zutage ... 48 E i n Prediger vom Rang M. DOERNEs ist über den Verdacht erhaben, die Relevanz exegetischer Arbeit für die Predigt zu verkennen. Doch zeigt schon ein flüchtiger Blick

- 132 in die Predigtgeschichte, daß eben nicht zutage liegt, worauf Lukas in dieser Perikope hinauswollte, daß wir diese Erkenntnis vielmehr gerade jener Arbeit verdanken. Von da aus wäre es sicher besser gewesen, der Solidarität des Predigers mit den Exegeten auch in der Predigt Ausdruck zu geben. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es gerade auf dem Gebiet des evangelischen Vergleichs besonders deutlich werden kann, wie die neutestamentliche Forschung den Blick zu schärfen vermag für das Spezifische einer Perikope. Der Wegfall der Nötigung, die diversen Berufungsgeschichten zu harmonisieren und dann zueinander in Beziehung zu setzen; ferner die Einsicht, daß Lk hier den Kernbestand der Petrusberufung aus Mk 1 erweitert, könnten bei unsrem Text dem Prediger dazu verhelfen, die Akzente richtig zu setzen: Das Wesentliche an der Perikope wäre dann das Wort von den Menschenfischern; wohl schon Lukas selbst hätte die Fischfanggeschichte zumindest auch als Illustration der Weise verstanden, wie auf das Wort des Erhöhten hin Menschen für Gottes Reich gewonnen werden. Äußerst komplex ist das Problem des Verhältnisses von Lk 5 zu Joh 21. Hat Lk oder hat sein Gewährsmann zur Illustration des Worts von den Menschenfischern eine ursprüngliche Epiphaniegeschiehte in die Zeit der Anfänge 50 Jesu projiziert? Oder sollte Joh die von Lk bzw. von seiner Quelle berichtete Fischfanggeschichte aufgegriffen, stilisiert und in die nachösterliche Epiphaniegeschichte einbezogen haben? Wie dem auch sei, es wird hier tatsächlich angezeigt sein, mit M. DOERNE für die Predigt den vorliegenden LkText zugrundezulegen.

- 133 3. Kapitel: Erklärung von Personen, Sachen und Begriffen Relativ selten finden sich in den Predigten über unsern Text einzelne Erläuterungen von Personen, Sachen und Begriffen. 1. Im Mittelpunkt steht hier die Person des Petrus, dessen Charakterbild zwischen zwei Extremen schwankt, deren Ursache in den differierenden homiletischen Absichten der Prediger zu suchen ist. Da ist einmal die Absicht zu spüren, Petri Qualitäten zu rühmen: Jesus wußte als Herzenkündiger wohl, weshalb er gerade ihn zum Apostel erwählte; Petri hervorragende Qualifikation zum Apostel ist dann der Grundtenor der Schilderung . Die Alte Kirche schweigt hier; auch bei LUTHER findet sich nur einmal der Satz: ... da sehen wir ein sondere grosse tugent an Petro, der muß doch ye ein frommes hertz sein gewesen, das er sich so fein brechen und an das wort so steyff halten kan ... 51 Während LUTHER an Petrus den unerschütterlichen Glauben rühmt, wird im Pietismus Petrus nicht selten zum Vorbild der Tugend; diese wird dabei allzu leicht zur Vorleistung, die die Berufung begründet. Aus Petri Berufung erkennt z.B. PH.J. SPENER die Regel, daß Gott vor allem ... Leute, die gottselig und tugendhafft waren berief ... Wir sehen Petri gehorsam, v.3. glauben in dem gehorsam, V.5. seine demuth, v.8. der leute liebreiche freundlichkeit untereinander, v.7. 52 Hierher gehört auch J.G. MEUSCHEN; die Schilderung der "Haupt-Affecten" des Petrus - nämlich ... der Hochmuth, oder Ambition, wie seine Theten ausweisen, zumal seine grosse Vermessenheit, die allen ehrgeizigen Gemüthern eigen ist ... dient nur als dunkle Folie für sein exemplarisches Bemühen, "dieselbe zu dämpfen, und zu bezwingen ...".53

- 134 Auch OETINGER hält seinen Weinsbergern das Beispiel Petri vor Augen. Zwar war dieser ... dem Aeußern nach, wie die Schiffer in den Seestädten sind; sie machen sich nicht viel daraus, heftig auszufahren, wenn etwa ihr Geschäft durch Bosheit und Nachlässigkeit verhindert wird. Dabei aber war er in der Hauptsache der Wahrheit und Gerechtigkeit ergeben ... Er ließ sich durch keine Menschenfurcht vom Guten abhalten, sondern hieng, trotz allem Gelächter der Bösen, der Parthie der Guten an. 54 J.G. HERDER fällt auf, daß Jesus ausgerechnet ... Leute des Standes zu seinen Menschensuchern wählte. Er fand an ihnen, zu dem Zeugniß, das sie zeugen sollten, Männer, die er an verdorbnen, künstlichen Weisen und Schriftgelehrten nicht fand. In ihnen war gerader Sinn, gesunde Einfalt, starke, zu vielem Guten kräftige Natur Gottes ... 55 In ähnlicher Weise beantwortet A.H.M. KOCHEN die bemerkenswerte Frage, ... worauf wir bei der Auswahl unserer Freunde zu sehen haben, wie folgt: Sie müssen wie die Jünger ... am Verstände gesund, unverbildet und einer höheren Richtimg fähig sein ... 56 Der Basler Pfarrer G. BENZ will sogar wissen, daß Petrus ... unstreitig zu den tüchtigsten und frömmsten jungen Männern am See Genezareth ..., ja sogar 57 ... zur Elite, auf die der Messias zählen konnte... gehört habe Die andere Interpretationstendenz beantwortet die Frage, weshalb Jesus ausgerechnet Petrus bzw. die Jünger beruft, entgegengesetzt: Nicht wegen seiner menschlichen Qualitäten, sondern gerade wegen deren Abmangel ist er geeignet, Werkzeug zu sein. Schon einen BONAVENTURA hatte die Berufung Petri veranlaßt, hinzuweisen ... ad immensitatem clementiae, quae piscatores pauperculos ad suum consortium attrahebat ... Ascendens autem in unam navim, quae erat Simonis,

- 135 ipsum tanquam pauperem et humilem praeeligendo, secundum illud Iacobi secundo: 'Nonne Deus elegit pauperes in hoc mundo, divites in fide, heredes regni, quod repromisit Deus diligentibus se?...' 58 Der entscheidende Umschlagspunkt von der einen zur andern Interpretation muß bei Vers 8 ansetzen; E. FROMMEL formuliert das hier Gemeinte als Überschrift über den 4. Abschnitt einer Predigt über Lk 5: 50 Mit zerbrochenen Werkzeugen arbeitet der Herr Seelsorgerliche Absicht dürfte auch den damaligen Langenburger Dekan 0. SCHÖNHUTH geleitet haben bei der Aussage: ... es sind nicht fertige Menschen gewesen, die Jesus dort in seine Nachfolge und in seinen Dienst rief, sondern werdende Menschen; nicht Vollgläubige, sondern Kleingläubige. Allein im Dienst des Herrn sind sie gewachsen ... 60 Es legt sich von seiner Theologie her nahe, daß auch K. BARTH in diese Kerbe schlägt, wiederum im Blick auf Vers 8: Nein, um seines bißchen Gehorsams und auch um seiner Rüstigkeit und Unverzagtheit willen wäre Simon nicht zum Apostel Petrus geworden und auf dem Wege der Zufriedenheit über seinen Gehorsam schon gar nicht.Er wurde es, weil er das sagte: Herr, gehe von mir hinaus ! 61 Aber auch R. BULTMANN bezeichnet als das eigentliche Wunder ... eben dieses, daß er den sündigen Menschen zu sich ruft, in seinen Dienst stellt, daß er ihn verwandelt, ihn neu und rein macht. 62 In erklärtem Widerspruch gegen die zuerst geschilderte Gruppe von Auslegern erklärt der dänische Dichterpfarrer KAJ MÜNK: Für mich verhält sich die Sache so: Jesus hat Simon gewählt, weil dieser gewisse Fehler hatte ... 63 In der gleichen Abzweckung überschreibt R. BÖSINGER seine Predigt: Einiges von Gottes miserablem Personal und der besten Arbeit der Welt. 64

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Mit einer Kaskade von Fragen: Können Schlimme einer guten Sache dienen? Kann einer mit schmutzigen Händen beschließen, so im Operationssaal sich nützlich zu machen? ... Kann eines Diktators Henker seine 'Talente' Gott zur Verfügung stellen? Können zerschlagene Lampen - leuchten? Können Belastete - tragen? Können Schuldige - zurechthelfen? 65 führt BÖSINGER seine Hörer zur Antwort: JESUS, das ist: Belastete werden Träger. Verkrampfte werden Befreier. Sünder werden Heilige. 66 Abschließend sei hier noch ¥. TRILLHAAS zitiert: Immer wieder umwirbt der Herr diesen galiläischen Fischer. Es ist nicht einzusehen, was er an ihm gefunden hat. Es siñd keine Vorzüge zu nennen ... Das ist das Aufreizende an dieser Petrus-Geschichte, daß Jesus aus Simon etwas macht, ohne lange nach seinem Glauben zu fragen... 67 Die homiletische Tendenz dieser Schilderung wird deutlich, wenn TRILLHAAS seine Predigt mit den Sätzen schließt: Den Petrus hat er nützlich gemacht in seinem Reich. In seinem Reich lebt keiner, der nicht wissen darf: Er braucht auch mich. Auch ich soll und darf ihm nützlich sein. Er braucht auch dich! 68 Es fällt auf, daß diese zweite Sicht, die einer natürlichen Praedisposition des Petrus für sein Apostelamt, erst in jüngster Zeit zu dominieren begann. Vielleicht war dafür ein gewisser zeitlicher Abstand von der katholischen Heiligenlegende sowohl wie auch vom religiösen "Virtuosen" im Sinne Schleiermachers notwendig. Im Rahmen unsrer Arbeit stoßen wir hier erstmals auf das Phänomen, daß bei gleicher Textgrundlage in ihrer Intention diametral entgegengesetzte Interpretationen vorliegen. Was ist die Ursache? Zunächst sicher entscheidende Unterschiede in der Exegese. Die Berücksichtigung von Vers 8 hätte davor bewahren können, ein Heiligen- oder Heldenbild zu malen. Einigen der zitierten Predigten lag aber offensichtlich gar keine Exegese zugrunde; man hatte vielmehr allgemeine Erwägungen über das selbstgewählte Thema angestellt und diese dann mit dem Text in Beziehung gebracht. Am deutlichsten wird das bei A.H.M. KOCHEN, der seine Gesichtspunkte zur Auswahl guter Freun-

- 137 de zunächst freischwebend entwickelt, um dann fortzufahren: Wenden wir nun dieß auf die freundschaftliche Verbindung an, deren Jesus ... Simon und seine Gesellen, Jakobus und Johannes, würdigte, so ist es nicht zu verkennen: auch er berücksichtige bei seiner Wahl die soeben berührten Erfordernisse ... 69 Im übrigen hätte auch bei mangelhafter Einzelexegese eine Ausrichtung auf das Gesamtbild der neutestamentlichen Theologie, deren kein Ausleger ungestraft entrât, vor Abwegen bewahren können. Die zuletzt aufgeführten Prediger haben es jedenfalls ungleich leichter, dem Gefälle des Textes folgend ihre Hörer zur Mitarbeit beim "Menschenfisehen" zu ermuntern. Zeitgenossen, die in ihren Predigten allzugern auf große Vorbilder verweisen - es gibt auch evangelische "Heilige": "ein" August Hermann Francke, "ein" Blumhardt, "eine" Eva 70 v. Thiele-Winkler, "ein" Vater Bodelschwingh etc. , werden gut daran tun, zu beherzigen, was OTTO WEBER über Petri Nachfolge sagt: ... Heroischer Entschluß? Ach, da könnten wir dann nur zusehen und sagen: dann ist es jedenfalls für uns nichts! Wir sind, was heroische Entschlüsse betrifft, abgestumpft, und vor allem: wir sind müde, wir sind enttäuscht ... 71 Das Malen von Heiligenscheinen entwertet das Werk und den Einsatz der so Gepriesenen, weil es klischiert; den Hörer aber entmutigt es. Dagegen ist es für den "Normalverbraucher" unter den Predigthörern eine Hilfe, wenn ihm gezeigt wird, wie er mit den ersten Zeugen in einer Solidarität der Kümmerlichkeit steht, die nach dem Vorgang unsres Texts unter dem Anruf der Botschaft zur Solidarität der Gerufenen und Beauftragten werden kann. Auch hier zeigt sich, wie strenge exegetische Arbeit für den Prediger unerläßlich ist; wo sie unterbleibt, werden die homiletischen Ergebnisse erstaunlich unwahrscheinlich. 2. Die Topographie des Sees Genezareth spielte schon in der Alten Kirche und in Predigten des Mittelalters eine beträchtliche R o l l e 7 2 .

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Aus ihnen, aber sicher auch aus topographischen Lexiken schöpft PH. MELANCHTHON seine breite Darlegung: Quid est lacus Genezareth? Idem sunt mare Galilaeae, et mare Tiberiadis, et lacus Genezareth. Est autem magnus lacus, miliarium fere trium in longitudine. Latitudo fuit amplior uno miliari Germanico. Habuit aquam limpidam, salubrem, potimon, et foecundam piscibus. Aquae aliorum fluminum non semper sunt convenientes potui, propter sordes, quas vehunt; multo minus aquae marinae usui sunt in potando propter salsedinem. Aliquae etiam fontium aquae, nimis sunt durae ad potandum, propter frigiditatem. Sed hic lacus habuit aquam potabilem, purum, et dulcem, et temperate frigidam. Propterea fuit lacus piscosissimus, et habitarunt circa illum lacum frequentes piscatores,qui magnum quaestum hinc fecerunt, quod non solum recentes pisces venderent, sed etiam sale conditos alio mitterent. Iordanis influit in hunc lacum, et medium transit, donee inde rursus effluens, in Mare mortuum influât ... 73 Es folgt eine Schilderung des Toten Meers, dessen Verderbnis auf das Sodomitische Strafgericht zurückgeführt wird. Sogar etymologisch verbreitet sich MELANCHTHON; die Ableitung des Wortes 'Genezareth' von 'Nazareth' (= surculus, Zweiglein) gibt ihm Anlaß, die liebliche Landschaft und deren seltene Flora zu rühmen. Auch die übrigen Bezeichnungen für den See werden genau begründet: 'Galilaeae mare' und 'Tiberiadis mare'. Die Abhandlung schließt mit einem Hinweis auf Josephus, der die Größe des Sees mit 100 (BEDA: 140) χ 40 Stadien angegeben habe. Erwähnenswert ist die Begründung für diese breite topographische Schilderung: Christus libenter in istis locis versatus est. Ideo tarn nota nobis regionis illius descriptio esse debet, quam cuique est nota domus sua, ut sciamus, quae insignia facta exhibita sint singulis locis. 74 CALVIN scheint andrer Ansicht gewesen zu sein; nach einigen etymologischen Sätzen bricht er ab: ... De eius (sc. maris Galilaeae) amplitudine et situ alibi opportunior erit dicendi locus, nunc veniamus ad rem ipsam. 75

- 139 Wenn man von einigen wenigen Bemerkungen C. SCHWENCKFELDs absieht, die dann aber gleich in eine allegorische Deu76 tung des Sees münden , so tritt der See erst im ^ . J a h r hundert wieder ins Blickfeld, jetzt häufig mit der Absicht, die Gemüter zu rühren. Ob das C. NINCK dadurch gelungen ist, daß er begeistert von einer Palästinareise erzählt, ist füglich zu bezweifeln. Seine Auslassung: ... ich wünschte nur, ich könnte euch alle so lebendig in die äußere Situation versetzen, die uns das Evangelium vor Augen führt, als sie nun vor meiner Seele steht. Solche lebendige Predigt, die man mit Augen gesehen hat, ist viel wert und trägt sehr zum Verständnis der Predigt bei, die man dazu hört oder liest ... 77 dürfte frommer Wunsch geblieben sein. Allenfalls großer Dichtung mag es gelegentlich gelingen, Landschaftseindrücke wirklich zu vermitteln; für das Verständnis des Evangeliums sind sie annähernd belanglos. Auch H. HOFFMANN 7 8 , D. RICHTER 7 9 , und E. SIEDEL 8 0 malen an Landschaftsidyllen, und K.A. BUSCH kommt es noch im Jahr 1930 vor, ... als höre man das Wasser des Sees Genezareth plätschernd an das Ufer anschlagen und sehe die Morgensonnenstrahlen über den Wellen blinken und die Boote sich im leisen Seewind schaukeln. 81 Sinnvoller als solche Anleihen beim Stil der "Gartenlaube" ist der Hinweis A. STÖCKERs auf die besondere Bedeutung des Meers in der Bibel: Das Meer ist im Reiche Gottes immer eine Stätte der Offenbarung gewesen ... 82 Er erwähnt als Beispiele das Tote und das Rote Meer sowie die neutestamentlichen Wunder, die am See Genezareth geschehen sind, beim letzteren, vermutlich unwissentlich, im Gefolge BONAVENTURAS 8 3 . 3. Anlaß, Regeln des Fischerhandwerks zu erläutern, geben im Text die Verse k und 5 · LUTHER erklärt in der Hauspostille: ... sonst hat es so ein maynung mit dem Fischen, das man des Mittags nicht vil fehet, Die nacht ist viel besser dazu ... 85

- 140 Daran soll der Gehorsam Petri verdeutlicht werden: Solches fület Petrus wol, Dann es nit auß der kunst geredet ist, antwortet der halb seer höflich: Ey Her, spricht er, wir haben die gantzen nacht gearbeyt und nichts gefangen, und so es unser kunst nach gehen sol, ist wenig hoffnung dabey, das wir yetz etwas fangen sollen. Aber dennoch ... 85 VALENTIN HERBERGER weiß sogar den Grund für die genannte Regel: ... in der Nacht sind ja die Wasser stille und der Fisch sieht nicht so leicht das Garn. 86 Für die Tatsache, daß Petrus trotz angestrengter Nachtarbeit erfolglos war, nimmt F.W. KRUMMACHER eine natürliche Ursache an: Wie es scheint, war die damalige Jahreszeit dem Fischfang überhaupt nicht eben günstig. Es beweisen dies die trotz der angestrengtesten Arbeit leer gebliebenen Netze unsrer Freunde ... 87 Andere, so z.B. G.C. RIEGER 8 8 , OETINGER 8 9 und STEIN90 KOPF , sehen Gottes geheime Absicht dabei am Werk. RIEGER sagt etwa: ... nach dem heutigen Evangelium war es Gnade, ... daß Er in Absicht auf sein Vorhaben bereits die Nacht zuvor das fischen Petri so regiert hat, daß er gegen alle Gewohnheit selbigen fischreichen Sees nichts gefangen ... 88 Der Befehl, auf die Höhe zu fahren, mußte zufolge L. HARMS dem Petrus besonders anstößig erscheinen, weil dort ... kein Grund zu finden war, wo also die Fische unten und oben, rechts und links um das Netz wegkommen konnten ... 91 für K.H. CASPARI kommt erschwerend dazu, daß die Jünger ... jetzt am hellen geräuschvollen Mittag, unter dem Lärmen der am Ufer sich drängenden Menge ... wohl noch weniger Erfolg haben ... 92 konnten. Von eigenartigen und in der gesprächsfrohen Romantik formulierten Anschauungen Uber den Fischerberuf, wie sie fast nur aus der Feder eines deutschen Professors kommen können, zeugt die Predigt SCHLEIERMACHERs über Joh 21 ; nach ihm hatten es die Fischer sehr viel leichter.

- 141 zwischen der irdischen Berufsarbeit und dem Genuß der vertrauteren Freundschaft herüber- und hinüberzuwechseln. Ihr Geschäft war eines von jenen einfachen und geringfügigen, welche weder ein besonderes Geschik und eine große Ausrüstung des Geistes erfordern um dazu tüchtig zu sein, noch bei der Ausübung selbst eine genaue Sammlung und Anstrengung, sondern welche das Gemüth mehr als andere freilassen. Petrus hatte gut sagen, Laßt uns fischen gehn; denn hatten sie vorher von Christo geredet so konnten sie das beim Fischen ungestört fortsezen ... 93 Treffender, freilich schon im Blick auf die Übertragung formuliert, zeichnet C.H. SPURGEON jenes Handwerk: Der Beruf eines Fischers ist ein mühsamer. Wehe dem Prediger, der seinen Beruf anders findet! Der Fischer muß im rauhen Wetter und unter allen Umständen an die Arbeit gehen ... Keine zarten Finger können in Verbindung mit den Netzen kommen. Es ist keine Beschäftigung für feine Herren, sondern für starke, furchtlose Menschen t die ein Tau aufheben, eine Teerbürste handhaben und ein Deck scheuern können ... Der Beruf eines Fischers muß auch mit Ausdauer betrieben werden ... Ein Fischer muß auf Enttäuschungen gefaßt sein, denn er muß das Netz oft auswerfen, ohne etwas andres als Wasserpflanzen zu erhalten ... 94 4. Ganz selten ist die Erörterung einzelner Begriffe bis in die Predigten gedrungen. Bei E. SARCERIUS finden wir einzelne allegorisierende Worterklärungen, so z.B. zu Vers 1 : Nomine turbae intellige peccatores, quos urget mala conscientia. Irruere impetus vox est, et vehementis necessitatis atque urgentis ... 95 CHR. SCRIVER erklärt zwei Begriffe, indem er ihren griechischen Urtext nennt und sogar Fragen der Übersetzung bespricht: Das Wort epikeisthai heißt eigentlich sich gantz nahe zu einem thun, daß man ihm auff dem Leibe lieget; So begierig war das Volck ... Das Wort kopiao arbeiten, wird genommen von der sauren und schweren Arbeit, die ein Ackersmann zu verrichten hat, welche die schwerste und saureste ist. Der sei. Herr Lutherus hats manchmal gegeben sauer werden, müde seyn, wenn man so sich bemühet, daß man davon gantz müde wird ... 96

- 142 Auf den Bedeutungsunterschied der Anrede Petri 'epistata» (V. 5) und 'kyrie' (V. 8) verweist F.C. STEINHOFER: Nun sagt er nicht mehr, wie er kurz zuvor gesagt hatte: Meister; sondern nun heißt's: HErr! Nun erkennt er, wen er vor sich hat ... 97 Ähnlich L. HARMS 9 8 und A. BEHRENDT 9 9 . Es zeigt sich, daß einzelne Sachen und Begriffe je länger je mehr nur noch erläutert werden, soweit sie kerygmatisch von Belang sind. In neuerer Zeit werden solche Erklärungen nicht mehr isoliert vorausgestellt wie im 16. und 17. Jahrhundert, sondern zumeist in den Fluß der Predigt eingeschmolzen.

4. Kapitel: Die Einzelerklärung unsrer Perikope am Beispiel der Verse 1 - 3 Es kann hier nicht untersucht werden, in welchem Maß die Ausleger die jeweils vorliegende exegetische Arbeit der jeweils zeitgenössischen Forschung aufgenommen und verwertet haben; das würde eine eingehende Erhebung der Geschichte der Exegese von Lk 5 erfordern, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Hier soll lediglich an Beispielen gezeigt werden, welche Rolle die Erklärung des Literalsinns in den Predigten spielt. V E R S 1 1. Das Drängen des Volks zu Jesus Mit dem ihm eigenen Humor schildert V. HERBERGER, wie sich das Volk zu Jesus drängte: In diesem Evangelio will ein Jeder bei Christo der Nächste sein, daß auch zu besorgen, man werde ihn in's Wasser stoßen, da tritt er in ein Schifflein; alsbald will ein Jeder auch daselbst der Vorderste sein. Wenn sie geschlafen hätten, wie sollte einer nach dem andern ins Wasser gefallen sein und wie die Frösch drin gezappelt haben ... 100 Vielleicht hat der Blick auf eigene schwachbesetzte Wo-

- 143 chengottesdienste die Bemerkung J. GERHARDS veranlaßt: Imminebat populus Jesu ex variis locis idque die profesto, ut colligitur ex laboribus piscatorum. 101 Ähnlich sagt später C. NINCK: Es war, als dies geschah, nicht ein Sabbat, wo man ja ohnehin zu ruhen pflegt und sich wohl auch eine geistliche Speisung gefallen läßt, sondern es war Werktag, wo die Leute meist keine Zeit übrig zu haben glauben, um für ihr Seelenheil sorgen zu können. Es war auch noch nicht Feierabend, sondern mitten in des Tages Last und Hitze, wo das viele Volk alles im Stich ließ ... 102 10^ Hierher gehören auch die oben ^ erwähnten Erklärungen des Begriffs 'epikeisthai'. 2. Die Motive für das Drängen des Volks a) Ähnlich wie schon die GLOSSA ORDINARIA und BONAVEN104 TURA sagt E. SARCERIUS über das zentrale Motiv des Volks : Haec sine dubio irrequieta fuit conscientia, quae cum onerata est peccatis, non potest acquiescere, donee inveniat Christum et audiat verbum consolationis. Verum cum ita proruit turba ad Christum, pro audiendo verbo, satis aperte testatur, quod extra Christum ac verbum nullam aliud sit irrequietae conscientiae remedium ... 105 In unserem Jahrhundert hat etwa der Stuttgarter Prälat CHR. RÖMER dieses Motiv so formuliert, daß auch der heutige Predigthörer sich diesen Drängenden verwandt fühlen kann: Es waren Leute aus allen möglichen Lebensstellungen und Lebenslagen, umgetrieben die einen so und die andern anders, und besonders waren viele drunter, denen es weh ums Herz war, Leute, die krank waren oder unter Krankheiten in ihrer Familie seufzten, Leute, deren Gewissen Schuld und Unfriede drückte, oder die verachtet und verstoßen durchs Leben gingen ... 106 b) Diese Sehnsucht kam bei der geistlichen Obrigkeit des jüdischen Volks nicht auf ihre Rechnung. EG. HUNNIUS hatte zweifellos die kontroverstheologische Situation seiner Zeit im Auge, wenn er sagte: Sie haben einmal ein rechte Predigt hören wollen.

- 144 Dann sie waren der Menschen Tandt und Satzungen nunmehr müde ... Des Evangelij von Christo war bey jnen vergessen, wüsten nicht, was Christus für eine person sein solte. Verstunden auch sein Ampt nicht, wüsten nichts von der gnädigen Vergebung der Sünden, die man in dem Messia haben müsse ... 107 Übt HUNNIUS Kritik an der Lehre, so SPENER gut pietistisch an der Glaubwürdigkeit der Lehrer des Volks: ... sie waren verschmachtet und zerstreuet, wie die schaafe, die keinen hirten haben ... weil die priesterschafft in grund verdorben war, als die zwar das Göttliche wort hatten, aber die krafft desselben selbs nicht verstunden, daher auch ihre lehr-art, todt und unkräfftig meistentheils war, massen sie den rechten weg des heyls selbs nicht gründlich einsahen, noch andern zeigen konten, indessen ihres bauchs warteten, und nur zufrieden waren, wann sie ihre priester- gebühren von den leuten bekämen ...108 Keinem der Hörer SPENERs wird entgangen sein, an welche Prediger seiner Zeit er bei dieser Schilderung gedacht hat. c) Positiv richtete sich das Drängen des Volks auf Jesus, weil es hier das Wort Gottes zu hören bekam. So sagt wiederum SARCERIUS: . Finalis causa adventus turbae audire verbum Dei, hoc est, mederi conscientijs per verbum ... 109 Jesus predigte ... gewaltiglich, und nicht so unkräfftig wie die Schrifftgelehrten, ... ob wol jener lehr-art vielleicht mehr kunst und gelehrtheit mag gehabt haben ... (SPENER) 110 d) Daneben vermuten manche Prediger auch fragwürdige Motive. Schon E. HUNNIUS meint, etliche seien gekommen ... aus Fürwitz, diesen neuwen Prediger bloß zu sehen, von dem man so viel sagete ... 107 K.H. RIEGER hält dieses Sichdrängen für die niedrigste Stufe der "Erfahrungen und Wirkungen vom Worte Gottes": Es ist gemeiniglich noch etwas zweideutiges um ein solches, zumal in groser Gesellschaft vorgenommenes, Dringen zu hören das Wort Gottes, es kann damit oft unvermuthet bald wieder umschlagen ... 111

- 145 Auch V. V. HOLST hält nicht viel von jenem Drang des Volks : ... diese erste allgemeine, die Massen erfassende Wirkimg der Predigt göttlichen Worts soll man auch nicht überschätzen; es ist häufig ... nur ein Wohlgefallen an dem Neuen oder an der Lebendigkeit der Rede ... So lange als der Mund des fleischgewordenen Gotteswortes selber predigte, ... fand dieser Volkszudrang ohne Abnahme immer statt, ohne daß doch deshalb die Massen sich bekehret hätten und das Volk ein anderes geworden wäre; sondern gerade als sie merkten, worauf Er hinauswollte ... da wandten sie um, und ... schlugen ... Ihn an's Kreuz. 112 3. Jesu Verhalten gegenüber dem Volk Kühn ist die Vermutung, die J. GERHARD in der ersten seiner Predigten Uber unsern Text anstellt: Ambulabat (sc. Jesus) circa mare Galilaeae, ut requiem et respirationem a laboribus caperet. Sed cum videret adesse turbam discendi cupidam, audiendique avidam, statim incipit docere. 113 Auf die Frage: "Cur vero tam promtus est ad docendum?" gibt GERHARD die Antwort: Requirit hoc ipsius officium ... requirit promissio Johan. 6. vers 37 ... requirit Philanthropie, qua serio hominum conversionem et salutem desiderat. 114 Nach J.FR. RÖHR hat erst dieser Andrang des Volks Jesus auf den Gedanken gebracht, Jünger zu berufen; Jesus sah nämlich, ... daß er den unter ihm erwachten Hunger nach dem Wort Gottes auf die Länge nicht allein befriedigen könne, sondern daß er zeitig für Gehülfen sorgen müsse, welche jetzt und dann, wenn er nicht mehr seyn werde, das heilige Bedürfniß des großen Menschenhaufens zu stillen im Stande wären. 115 W. LÜTHI läßt Jesus die Erkenntnis: "Es muß nun etwas geschehen ..." in der vorhergehenden Nacht gewinnen.Denn ... Jesus kann die Arbeit nicht mehr allein bewältigen. Er muß daran denken, sich nach Gehilfen umzusehen, die seine Lehre hören und bewahren, Zeugen seiner Taten sind und die später das Werk fortsetzen. 116

- 146 4. Der Inhalt der Predigt Jesu Auf dem Wege systematischen Schlusses erklärt BRENZ: Verbum autem Dei est aut lex aut Euangelion. Quare significat, Christum admonuisse auditores ad resipiscentiam, hoc est, agnitionem peccatorum, fidem, et opera charitatis. Hoc enim Christus nunquam non inculvavit. 117 Die meisten Äußerungen über den Inhalt der Predigt Jesu finden sich im Rahmen der Auslegung von Vers 3· VERS 2 1 . Jesus tritt zu den Fischern Schon an dieser Stelle wird in manchen Predigten betont, was nachher bei der Erklärung von Vers 3 einen breiteren Raum einnehmen wird: Der niedrige Ort, der Jesus zum Tempel wird; die einfachen Leute, an die Jesus sich wendet. So lesen wir in HERDERs Predigt: ... siehe da! den ganz unscheinbaren, Prachtlosen, einfältigen Aufzug in der Gestalt Jesu. Ohne alle äußere Zurüstung und Zubereitung sprach er: weder von Macht, noch von Stande, noch von Gauckelei und Verblendung nahm sein Wort Reiz her ... Seine Sprache war gemeine Galiläersprache, in der er redete: der Umkreis seiner Denkart war gemeine Landesart, in der er sprach; ein Fischer mit Fischern, ein Armer mit Armen ... in jedem seiner Worte ist Himmel von Gegenwart und Zukunft; ... Schiff und Ufer wird ihm der reinste, heiligste Gottestempel. 119 2. Wie Jesus die Fischer antrifft a) "Wo und wie trifft der Herr Jesus die Leute, mit denen Er seine wunderbaren Führungen vor hat, an?" - so fragt A.F. HUHN im ersten Hauptteil seiner Predigt. 120 Die Antwort: "Bei der Arbeit ..." Ein systematisch-praktisches Interesse richtet hier den Blick auf ein Detail des Berichts, das durchaus peripher ist. Die Absicht ist deutlich; nach gut lutherischer Tradition soll die Notwendigkeit der Treue zum erwählten Beruf eingeschärft werden:

- 147 ... bleibe bei der Arbeit, die dir Gott für den Augenblick angewiesen ..., denn ... Der Teufel darf uns nicht müßig treffen. 120 b) Uber die psychische Verfassung der Jünger vermutet VAL. V. HOLST: ... die möchten wohl lieber jetzt ruhen und schlafen, aber sie müssen nun dieselben treulosen Netze waschen und flicken, die ihnen doch nichts gebracht haben ... Aber freilich: Gott Lob, die Fischer am See Genezareth sind noch nicht so müde, daß sie Ihn nicht auch noch hören könnten und wollten. 121 Die hier zitierten Angaben beruhen zweifellos auf einem Rückschluß aufgrund von Vers 5, und sind damit immerhin exegetisch gedeckt. c) Den geistlichen Zustand, in dem Jesus die Jünger antrifft, beschreibt W. HOFACKER: Zwar kannten sie die Offenbarung GOttes im Alten Bunde; zwar waren sie auch durch die Predigt eines Johannes heilsam erschüttert und durch ihn schon vorläufig auf das Lamm GOttes hingewiesen worden; - dennoch aber waren sie noch im Zustand der Dämmerung;... das Morgenroth eines neuen Lebens, des Lebens in der Gemeinschaft des Vaters durch den Sohn im Heiligen Geist war ihnen noch nicht aufgegangen. 122 V E R S

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1. Jesus tritt in das Schiff12·^ a) Der äußere Anlaß ist einhellig das in Vers 1 berichtete Drängen des Volks. b) Zum inneren Anlaß für Jesu Eintreten gerade in das Schiff des Petrus sei C.J. RÖMHELD zitiert: Die Wahl eines Nachens von zweien kann für das ganze Lebensschicksal von einem Menschen, ja von tausend Menschen entscheidend werden. Er wußte von Ewigkeit, in welchen von beiden er gehen werde und müsse ...124 c) Daß Jesus das Schiff zur Kanzel macht, darin sieht eine ganze Reihe von Predigern ein Zeichen für die Kondeszendenz des Gottessohns.

- 148 J. GERHARD vergleicht das Schiff mit dem Jerusalemer Tempel, um Jesu Eingehen in die Niedrigkeit zu demon125 strieren . Poetischer formuliert, inhaltlich verwässert finden wir einen ähnlichen Hinweis aus unsrem Jahrhundert bei G. GOENS, der dabei gewiß an seine Feldgottesdienste gedacht hat: Dort das Schifflein wird zur Kanzel, dort die Ufer des Meeres sind die Kirchenbänke, darauf das Volk sich setzt, und der Morgenwind im Schilf spielt die Orgel. Und über dem allen baut der blaue Himmel seine Kuppel ... 126 2. Jesus als Seelsorger des Petrus a) Das Verhältnis Jesu zum Volk und das zu Petrus setzt J. MÜLLER feinsinnig zueinander in Beziehung: Indem er sich so dem Gedränge des Volkes entzieht, nöthigt er zugleich den Petrus, das Netzewaschen einstweilen Andern zu überlassen und mit ganzer Seele seiner Verkündigung zuzuhören. So für das Allgemeine sorgend, hat er zugleich deri Einzelnen und sein bestimmtes Bedürfniß fest im Auge ... 127 b) Die eigentliche Absicht Jesu bei seinem Eintreten ins Schiff war nach HERDER die Berufung des Petrus: Du überließest ihm dein Schif gutwillig, und was zuerst ein ungefährer Zufall schien, ward Zug auf dein Herz, auf dein Apostelamt und deine ganze ewige Zukunft ... 128 c) In alledem zeigt sich nach den Worten G. UHLHORNS: Der wahre Menschenfischer ist er selbst, der Meister in dieser Kunst ... Wie weiß er da die Seelen zu sich zu ziehen, wie muß da auch das Unbedeutende, scheinbar Zufällige, die Erlebnisse der Jünger in ihrem Fischerberuf, zum Anknüpfungspunkt werden für seine Arbeit an ihren Seelen ... 129 3· Jesus bittet Petrus Daß Jesus, der doch von seiner Befehlsgewalt hätte Gebrauch machen können, Petrus um jenen Dienst gebeten hat, war schon in der Alten Kirche Anlaß zu frommer BetrachJ 4. tung gewesen. 130 VAL. HERBERGER nimmt diesen Faden auf, wenn er sagt:

- 149 Der Herr Jesus konnte Petro als sein Herr, Joh 13, 13., von rechtswegen gebieten, daß er sein Schifflein vom Lande abführete, aber er will's nicht thun, damit wir ihm etwas abzulernen hätten, er bittet ihn freundlich. 131 Aus der gleichen Tatsache zieht E. FROMMEL Schlüsse auf Jesu Art, sich an die Menschen zu wenden: So frei handelt der Herr, er preßt nicht in seinen Dienst und Reich, sondern er bittet. Das ganze Evangelium ist nichts anderes, als eine große Bitte: 'gieb mir deinen Kahn, gieb mir dein Herz'. Es war ein Fühler, den der Herr nach Petro ausstreckte, denn eine Bitte kann man gewähren oder abschlagen... 132 4. Jesus setzt sich im Boot In der Alten Kirche hatte man im Sichsetzen Jesu Zeichen seiner auctoritas iudicialis und seiner plenitudo sapientiae gesehen1^ . Anders E. SARCERIUS: Sedere, signum est mansueti et pacifici Christi praedicatoris. 134 Der Satz "Sitzen heißt ruhen ..." dient H. MÜLLER als Verbindungsglied zum Schöpfer, der nach der Erschaffung des Menschen ruhte, um ... anzudeuten, daß er im Menschen, und der Mensch in ihm seine Ruhe habe. Willst du nun dem Heiland eine Ruhe machen, so gieb ihm dein Herz, ... 135 Auch MÜLLER kann - wie BONAVENTURA - sagen: Der Heiland sitzet, das ist, regieret zur Rechten Gottes. Aber der individuell-mystische Sinn verfärbt auch hier das Bild sofort wieder, wenn er im nächsten Satz sagt: So will nun Christus im Herzen sitzen, da will er wohnen, da soll ein Thron und Regiment sein ... 135 Statt mystisch-allegorischer finden wir bei F.W. KRUMMACHER psychologische Spekulation, wenn er sagt, Jesus habe sich - übrigens auf dem Rand des Schiffleins - niedergelassen, ... gleichsam um anzudeuten, daß Er nicht rede, um, wie man's^nennt, 'Effect' zu machen, und seine Zuhörer zu 'überrumpeln', sondern sie im Wege ruhiger und gründlicher Betrachtung zu überzeugen ... 136

- 150 5. Jesus als Prediger J. GERHARD hebt in seiner dritten Predigt über unsern Text den Eifer Christi, der ihn zur Predigt treibt, hervor: Studio discendi in populo respondet Studium docendi in Christo. 137 Die Wurzel solchen Eifers meditiert W. HOFACKER: Ueber den Sinn, mit welchem JEsus gewöhnlich die Volks-Menge anblickte, wenn sie um Ihn sich drängte, läßt uns die evangelische Geschichte nicht im Unklaren. An mehreren Stellen sagt sie uns, es habe den Herrn gejammert, als Er sie so verlassen sah, wie eine Heerde ohne Hirten. 138 Seltsamer wirkt es, wenn im Verfolg ihrer homiletischen Auswertung von Vers 4

G.C. R I E G E R 1 3 9 und J.J. S T A R C K 1 4 0

in Jesu Predigttätigkeit ein Vorbild für Fleiß und Arbeitsamkeit im Beruf sehen, wobei der letztere noch den Prediger Salomonis als Kronzeugen dafür bemüht, wie schwer gerade die Arbeit des Predigens sei: Man sehe in unser Evangelium, so wird man ... wahrnehmen, daß sich alle diejenigen Personen, welcher 'darinnen gedacht wird, mit Arbeiten beschäftigten. JEsus lehrete das Volck, welches in großer Menge zu ihm drang ... Und wer muß nicht bekennen, daß dieses eine Arbeit, eine schwere und saure Arbeit gewesen, da selbsten jener weise Salomo bezeuget: Viel predigen mache den Leib müde? 140· Über die Dauer der Predigt Jesu hören wir von SPENER den Schluß: ... wie lang es gewähret, stehet nicht da, aber insgemein finden wir, daß Christi predigten sich gemeiniglich sehr lang, manchmal biß gegen abend verzogen haben, und wurde das volck nicht so bald, wie heut zu tage, zu einem sorglichem zeugnüß eines eckels an dem wort, darüber müde. 141 Von der Predigtweise Jesu wird verschiedentlich betont, er habe gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten gepredigt, seine Predigt war nach L. HARMS "Beweisung des Geistes und der Kraft".

142

- 151 6. Der Inhalt der Predigt Jesu Lk schweigt über den Inhalt der Predigt Jesu. Dies wird von verschiedenen Auslegern ausdrücklich erwähnt mit der Aufforderung zur Bescheidung (a). Andre versuchen den Inhalt zu rekonstruieren, indem sie aus anderen von den Evangelisten berichteten Reden Jesu oder aus systematischer Besinnung eine Summa der Lehre Jesu erheben (b), diese z.T. breit ausführen (c). a) C. HARMS stellt fest, daß Lk die Rede Jesu nicht wiedergibt. Entbehren wir da nicht Wesentliches ... gegen die, vor welchen Christus und seine Boten standen? Die Antwort: Nun, wir werden sein damals gesprochenes Wort, in wie weit es zu wissen für uns heilsam ist, gewiß in andern Stellen der Evangelisten oder auch durch Mittheilungen seiner heiligen Apostel in deren Briefen haben ... Und ob wir vielleicht auch nicht dürften sagen von dem geschriebenen Wort, dieß sey alles, so sagen wir von diesem geschriebenen Wort doch, es ist genug und ist ein Ganzes. 143 FR. AHLFELD dürfte die kompositorische Konzeption des Lk richtig erfaßt haben, wenn er über den Grund seines Schweigens äußert: Darum, weil er uns das, was Christus gelehrt hat, nicht mit Worten, sondern mit Thaten erzählen will ... Und wir können uns aus dem nachherigen Werk auch deutlich genug die Predigt denken, die er vorher gehalten hat. 144 Keinen großen Wert auf die Kenntnis des Predigtinhalts legt auch H. HOFFMANN: Was Jesus auch gepredigt haben mag: es waren Worte des ewigen Lebens. 145 b) ... quid praedicarit, non indicat, sed ex aliis concipere possumus concionibus de regno dei eum praedicasse, quomodo ex regno diaboli in hoc venire possimus ... 146 lesen wir in einer Predigt LUTHERs aus dem Jahr 1523- Ein Jahr später führt er den gleichen Gedanken weiter aus, indem er den General-Skopus aller Predigt einführt:

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Sed non indicat Lucas, quae fuerit doctrina. Sed apparet fuisse parabolas, de quibus mat. et mar. 3.C. Utcunque fuit, fuit verbum dei. Et per hoc, quod audierunt, quaesierunt regnum dei, ut mat. 6. Est ergo verbum dei, per quod cognoscitur regnum dei et diaboli, et hoc verbum ex ilio trahit in regnum Christi, et hoc fuit verbum, de quo hic Lucas dicit. 147 1532 - nach einem Blick auf Johannes, ... qui in hoc excellit, das er tam diligenter cond o n e s Christi beschreibt wird die Angabe der Summe dessen, was Jesus den andern Evangelisten zufolge gepredigt habe, bei aller Knappheit systematisch umfassender: verbum i.e. promissiones, wie man sol Gott vertrawen, sein wort hören, recht leben gegen unsern herr Gott, anders hat er nicht gepredigt. 148 1533 begnügt sich LUTHER mit einer kurzen, die Eigenart der Evangelisten bedauernden Feststellung zur Sache 14 q wiederum unter Hervorhebung des Johannes . 1534 greift er den Gedanken von 1524 mit den 'parabolae' wieder auf, um dann fortzufahren: . . . weil nu die wort nicht hie stehen, non possumus ea tractare, Iam wollen wir das werck predigen, das er than hat. 150 In den späteren Predigten LUTHERs finden sich keine weiteren Äußerungen zum Thema. Von den Vermutungen JOH. BRENZ 1 über den Inhalt der Pre151 digt Jesu haben wir schon oben berichtet . J. GERHARD schließt wie vordem LUTHER von seiner Fassung des Generalskopus der Schrift auf den Inhalt jener Predigt Jesu: Christus procul dubio in sua conclone egerat de peccati agnitione ac de vera fiducia. 152 Vorsichtiger, aber auch mit bedeutsamer Akzentverschiebung, formuliert SPENER: Er wird ihnen von der büß und glauben an das Evangelium gepredigt haben, dann solches war die summa seiner gantzen lehrart ... 153

- 153 Nähere Begründung: Wenn so viel Volks sich zu ihm dränte, wird er gerade über diese zentralen Dinge nicht geschwiegen haben. Der Hannoveraner Pastor PETRI arbeitet den pietistischen Schwerpunkt noch deutlicher heraus: ... wir kennen die eine große Summa dieses Worts, darein alle Predigt des Herrn zusammenfloß: thut Buße und glaubet an das Evangelium . . . Wird er nicht aus diesem Texte auch hier geredet haben entweder von der Wiedergeburt, daß sie allem Fleisch nothwendig sei und aus Waßer und Geist geschehe, oder von Gottes Ruf und Einladung dazu, oder von den Hindernissen derselben, oder von den seligen Folgen hier und dort, oder von den Menschen, wie sie sich gegen ihn stellen? 154 Ohne Zaudern weiß endlich M. DOERNE zu berichten: Zu der Menge hatte er vom Himmelreich und von der besseren Gerechtigkeit gesprochen. Jetzt redet er ganz anders. 155 c) Unter der Überschrift: "Petrus hörte andächtig die Predigt des HErrn Jesu ..." zeigt L. HARMS in kühnem Schlußverfahren, wie wir trotz dem lukanischen Schweigen sehr wohl wissen, was Jesus gepredigt hat, ... denn wir haben ja so viele Predigten Jesu im neuen Testamente. Außerdem wissen wir, Jesus wollte so gern alle Leute in den Himmel bringen, und es giebt nur einen Weg, der in den Himmel führt, und von diesem Wege zur Seligkeit mußte also in allen Predigten des Herrn die Rede sein ... 156 Es folgt eine breit angelegte Schilderung der Predigt Jesu, die vom Himmel und der Seligkeit bis zur Hölle führt xrnd in die Erwähnung der Seligpreisungen sowie einiger zentraler Begriffe aus dem dritten Artikel mündet. 7. Neutestamentlich-theologische Ausrichtung Im Verfolg der Regel, daß die Schrift "sui ipsius legi157 timus interpres" zu sein habe, wird der Ausleger nicht darauf verzichten können, zur Erklärung eines Texts den Kontext der übrigen Schriften des Neuen Testaments heranzuziehen. Dies wird immer auch zur Folge haben müssen, daß er seinen Text auf gewisse Linien seiner neu-

- 154 testamentlichen Theologie hin ausrichtet, insofern diese die neutestamentlichen Einzelaussagen Uber einen bestimmten Gegenstand systematisch-verstehend zueinander in Beziehung setzt und zusammenschaut. Auch bei unsrem Text ist das immer wieder geschehen, und zwar im Zusammenhang des Verses 3 vor allem in Hinblick auf die Gottheit Jesu sowie auf seine Vollmacht Uber die Herzen der ihm begegnenden Menschen. a) Wo Jesus hinkommt, da ist Segen, trat er in das Schiff, so war es hernach ein gesegnetes Schiff, das mit Segen erfüllt war so hatte schon J.F. STARCK geäußert 1 ^ 8 . Explizite Schlüsse christologischer Art zieht im 19·Jahrhundert G. THOMASIUS: Ein Bild von geistlichen Dingen soll uns ... dieser Vorgang sein, wie der Herr bei Petro einkehrt, wie er ihm seine Herrlichkeit offenbart, wie dieser ihm dann nachfolgt ... Der Mensch hat in der Sünde sich geschieden von seinem Gott ... im Sohne Gottes Jesu Christo wohnte Gott der Herr selbst unter den Menschenkindern ... 159 Freilich zeigt - nach F.C. STEINHOFER - etwa die Tatsache, daß Jesus den Petrus um jenen kleinen Dienst von Vers 4 bittet, daß Jesus von seiner göttlichen Vollmacht nicht immer Gebrauch macht: Ein bescheidener JESUS! ... Er wollte ... im gemeinen Leben unsers Gleichen seyn ...

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b) Die "... gewaltige Wirkung der Worte Jesu" sieht A.KÖBERLE im Geheimnis der Person Jesu begründet: Er war das fleischgewordene Wort, der menschgewordene Gottesmund ... Bei uns kann darum Vollmacht immer erst auf dem Weg Uber Versöhnung und Reinigung zustande kommen. Im Leben Jesu war sie unmittelbar da. 161 8. Petri Berufung als Ziel des Handelns Jesu a) Uber die äußere Reaktion des Petrus auf Jesu Bitte schweigt der Text. Immerhin impliziert der Bericht, daß Petrus ihr willfahren hat. So lesen wir bei BENGEL:

- 155 Sein Schiff hat er dem lieben Heiland williglich geliehen, und nicht mit Verdruß sich die Weile lange werden lassen, bis es aus wäre ... 162 F.C. STEINHOFER meint: Niemals hat Petrus sein Schiff so gut brauchen, und seine Schiff- Kunst so gut anwenden können, als da er es hier vom Lande führet, und JEsu damit zu seinem Zweck dienet 163, und H. BEZZEL läßt den von der Nachtarbeit erschöpften Petrus sagen: Also ist das Schiff, meiner Niederlage Zeuge, Bote und Träger, doch noch zu einem Ding gut: daß Jesus in dieses arme Fahrzeug eintritt und von ihm aus Uber die Lande hin Sein heiliges, teures Wort verkündigt . 164 Anerkennend erwähnt L. HARMS, Petrus habe für das ZurVerfügungstellen seines Boots ... keinen Pfennig Miethzins ... genommen, hatte auch manches andre dabei versäumt, denn er hatte ja nun seine Netze nicht fertig waschen, hatte sie auch nicht wieder auswerfen können 165 eine Bemerkung, die so überflüssig wie unwahrscheinlich ist. b) H. VOGEL hingegen betont: Es steht gar nicht besonders da, daß Petrus der Bitte entsprach. Jesus setzte sich und lehrte ... 166 9. Petrus als Hörer der Predigt Jesu a) Durch seine Bitte bezweckt und erreicht Jesus, daß Petrus seiner Predigt lauscht. E.CHR. ACHELIS: Es ist nur eine kleine Gefälligkeit, um die Jesus den Petrus bittet; ... Und wie Großes erreicht der Herr mit dieser Kleinigkeit! 167 H. SCHULTZ bemerkt dazu: Wenn Petrus mit seinem Herzen bei den Netzen geblieben wäre, die er verlassen hatte, wenn er, als der Herr predigte, nur auf die Zeit gewartet hätte, wo er seines Dienstes entledigt, wieder seinem Erwerb und seinem Nutzen leben konnte, dann hätte es ihn wenig gefördert, daß er den Heiland in seinem Schiff hinausführte , um dem Volke zu predigen ... 168

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Offen muß bleiben, wie JUL. MÜLLER sich den Vorgang gedacht hat, wenn er sagte: Am Ufer des Sees im Gedränge des Volkes wäscht er unverdrossen seine Netze, und hört zugleich mit halbem Ohr hin nach dem Prediger des Himmelreichs ... 169 sollte Petrus wieder ausgestiegen sein? M. DOERNE meldet Zweifel an, ob ... der müde Fischer, der sich da mit seinem Netze plagt, richtig hinhört, was Jesus vom Boot aus zu der Menge redet. 170 b) Daß Petrus die Volkspredigt Jesu speziell auf sich bezogen habe, meint hingegen E. FROMMEL: Wie schien ihm doch Alles auf ihn gemünzt, als hätte der Herr nur seinetwegen gepredigt! 171 c) Die Wirkung der Predigt bei der Volksmenge war der Vermutung J. MÜLLERs zufolge schwach: ... wir lesen nicht, daß die versammelte Menge sich in Folge dieser Belehrung wahrhaft zu Gott bekehrt habe und an Christum gläubig geworden sei ... 169 Bei Petrus aber kam Jesus ans Ziel. LUTHER sagt dazu im Zusammenhang der Auslegung von Vers 8: Und beginnet nu erst die Predigt Christi (so er zuvor aus dem Schiff gethan) in jm zu wircken ... 172 Im Vers 5 berichteten Gehorsam des Petrus sieht CHR. PALMER eine Nachwirkung der zuvor gehörten Predigt Jesu 1 Endlich fängt auch für W. LÜTHI der entscheidende Eingriff Gottes in das Leben des Petrus damit an, ... daß Simon eine Predigt hört. Selbstverständlich ist das nicht, wenn man die ganze Nacht zuvor gearbeitet hat ... Simon aber hört so gut, daß die Predigt ihre Wirkung nicht verfehlt. 174 10. Vers 3 in der Perspektive des Worts vom "Menschenfangen" Wenn es richtig ist, daß das Wort vom "Menschenfangen" Vers 10 der Kristallisationskern der Perikope ist, daß

- 157 also die ganze Fischfanggeschichte schon bei Lk selbst zumindest auch der Veranschaulichung des Menschenfischens dient, dann ist es sinnvoll, das in der Auslegung der ersten Verse auch schon zur Geltung zu bringen. Tatsächlich haben nicht wenige Ausleger diese Perspektive angesetzt. a) Die Rangordnung der beiden Berufe spricht W. LÖHE an: Fische fahen, Menschen fahen - beides zeitliche Berufe, beide von Gott, ... laßt uns einmal beide ... unter einander vergleichen, so werden wir finden,daß sich einer wieder dem andern unterordnet ... offenbar dient der Fischer und sein Fahrzeug dem Menschenfischer JESUS, der zeitliche Beruf des Fischefahens weicht und gibt die Ehre dem zeitlichen Berufe des Menschenfahens; dieser ist der erste, jener ist der zweite. 175 b) Ähnlich, doch erweitert im Hinblick auf die Art, wie Jesus Menschen "fängt", findet sich das Motiv bei G. UHLHORN: Der wahre Menschenfischer ist er selbst, der Meister in dieser Kunst. In unserm Texte gerade sehen wir, wie er diese Meisterschaft beweist. Wie weiß er da die Seelen zu sich zu ziehen, wie muß da auch das Unbedeutende, scheinbar zufällige, die Erlebnisse der Jünger in ihrem Fischerberuf, zum Anknüpfungspunkt werden für seine Arbeit an ihren Seelen ... 176 c) Dies kommt auch dann zum Ausdruck, wenn Jesu Predigt im Schiff und sein Werben um Petrus - nicht immer sehr geschmackvoll - in Ausdrücken geschildert werden, die dem Fischerberuf entnommen sind. Nach JUL. MÜLLER waren die Belehrungen Jesu ... darauf berechnet, das Herz des Petrus leise zu öffnen für den Hamen, an dem es der göttliche Menschenfischer ganz zu sich ziehen wollte. Das war die süße Lockspeise, an welcher es sich ergötzte, ohne den darin verborgenen Stachel einer großen und gewaltigen Entscheidung zu merken. 177 1 1 . Das Verhältnis von Leib- und Seelsorge a) Eine sachliche Entsprechung zu seinem Wort: "Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Ge-

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rechtigkeit ..." (Mt 6, 33) sehen zahlreiche Prediger in Jesu Verhalten. So sagt etwa H. MÜLLER: Das ist Christi Ordnung, erstlich segnet er die Seele, darnach den Leib ... Erstlich ist er ein Lehrer, darnach ein Nährer. Beides ist zusammen ... 178 M.FR. ROOS regt diese Beobachtung an zu einer wertenden Erörterung der doppelten Weise der göttlichen Offenbarung: Durch dieses alles werden wir erinnert, daß GOTT die Menschen nicht nur durch die Werke, sondern auch durch Gebote unterweise. Die Unterweisung durch Werke ist deutlich, aber die Unterweisung durch Worte ist noch deutlicher, kräftiger und vollständiger ... 179 Daß Jesus sich bei seiner Hinwendimg zu Petrus und seinen Gesellen nicht sofort ihrer äußeren Not angenommen, sondern zuerst gepredigt hat, läßt E. SIEDEL die Frage stellen: ... begreift ihr nicht sofort, daß der Herr den Jüngern damit hat sagen wollen: 'Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes ...'? 180 b) Dieser Vorordnung der geistlichen Hilfe vor der leiblichen entspricht die des Hörens vor der Arbeit. Unter 181 dem Thema "Vom Segen in unserm irdischen Berufe" sagt dazu G. UHLHORN: Ihre Arbeit ruht indessen, ihre Netze liegen müssig; lind doch war eben dieses Stillesein, dieses Hören des Wortes weitere Vorbereitung des kommenden Segens ... Gewiß, Geliebte, arbeiten gehört auch dazu ... Aber zuvor sollen sie das Wort und die Predigt hören ... 182 Die Begründung folgt gegen Ende der Predigt: Petrus stellt das Irdische zurück, er läßt seine Arbeit ruhen, um des Herrn Wort zu hören. Hat ihm das nun wirklich in seinem irdischen Berufe Schaden gebracht? Wahrlich nein ... Sollten sie denn einander widerstreben? Hat nicht derselbe Gott uns geboten, zu arbeiten ... und wiederum auch, sein Wort zu hören, zu beten, für unsere Seele zu sorgen? 183

5. Kapitel: Wucherungen der Texterläuterung Kaum eine Generation von Predigern konnte der Versuchung widerstehen, der zurückhaltenden Berichterstattung des Evangelisten nachzuhelfen: zu ergänzen, auszuschmücken, kurz:"Fantasie für Gott" zu entwickeln.Daß es sich hierbei oft nicht mehr um Auslegung, sondern um fahrlässige -ι Ausmalung handelt , dürfte das im folgenden dargelegte Material deutlich machen. I.

S c h ö p f e r i s c h e

VERS

P h a n t a s i e

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Über Jesu Beweggrund, zum See Genezareth zu gehen, spekuliert HEINRICH MÜLLER: Der Heiland hatte sich müde gepredigt. Denn viel Predigen macht den Leib matt und müde. Darum gehet er an den See Genezareth, und will daselbst frische Luft schöpfen ... 2 Die Motive des Volks, zu Jesu zu drängen, artikuliert STEINKOPF in fiktiver Rede: Er ist - so mochte wohl Einer dem Andern zurufen - ein unbestechlich ernster Richter der Sünde, und doch zugleich ein unvergleichlich sanfter Freund und Erbarmer der Sünder ... sie fühlten, daß in mehr als einem Sinne eine Kraft von Ihm ausgehe, daß Er nicht nur Leiblich· , sondern auch Geistlich-Kranke heile ... 3 V E R S 3 Das Eintreten Jesu in das Schiff des Petrus wird geradezu dramatisch geschildert in der Dorfpredigt L. THIMMEs: Nun heißt es flicken, flicken. In tiefe Gedanken versunken, beugt sich der bärtige Fischer über sein Netz ... In diesem Augenblick schaut auch Petrus auf und begegnet dem Blick des Mannes. Petrus erschrickt. Den Mann kennt er. Es ist Jesus. Wer aber beschreibt sein Entsetzen, als Jesus gerade auf ihn zukommt, vor ihm stillsteht, in sein Schiff tritt und ihn bittet, das Schiff etwas vom Land zu fahren. Petrus nickt, ohne ein Wort zu sagen. Er steigt ins Schiff und ergreift die Ruder. In wenigen Minuten spricht Jesus vom Schiff aus zu der am Ufer sich scharenden Menge. 4 Da der Text Uber das Verhalten des Petrus im besonderen

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nichts aussagt, ist man auch da auf Vermutungen angewiesen. Das hindert im 19· Jahrhundert viele Prediger nicht, präzise Angaben zu machen. Bei K.H. CASPARI lesen wir: Die ganze Nacht hat Petrus vergeblich gearbeitet, und doch sehen wir ihn gelassen und geduldig am andern Morgen seine Netze herrichten, und unverdrossen zum neuen Tagewerk sich bereiten. 5 J.D. TRENKLE weiß noch mehr. ... Ruhig und gelassen wäscht und flickt er seine Netze zum neuen Fischfang, arbeitet getröstet (sie) fort, betet dabei und hört auf Gottes Wort, da Jesus vom Schiffe aus seine Predigt hielt ... 6 Wie gefährlich solche Fabulierkünste sind, zeigt die demgegenüber völlig widersprechende Auslegung von E. CHR. ACHELIS: Das Volk drängt sich an Jesus heran; aber den Petrus bekümmert es nicht, er ignoriert alles und fährt in seiner Arbeit fort. Ein eigentümliches Benehmen. 0f-„ fenbar eine tiefe Verstimmung beherrscht den Petrus. Das Mindeste, was man hier verlangen kann, ist, daß der potentielle Charakter solcher Aussagen deutlich gemacht wird wie etwa beim Schweizer Pfarrer CADONAU: Simon war nicht unter den aufmerksamsten Zuhörern des Herrn ... Er wird bei sich gedacht haben: 'Ich habe keine Zeit, einem solchen neuen Lehrer nachzulaufen; ich habe Wichtigeres zu tun.' ... Vielleicht hat er dabei auch noch gedacht: 'Mir haben solche frommen Worte nichts zu sagen. Wer danach Verlangen hat, der a möge zuhören; ich habe keinen Sinn für solche Dinge.' VERS 4 Eine beliebte Manier der Erläuterung ist auch die, Zitate paraphrasierend auszuweiten. So läßt etwa RÖMHELD Jesus sagen: ... fahre weit in die See hinein, bis mitten hin. Dort werfe dein gewöhnliches Fischerwerkzeug ins Wasser, da wirst du einen Fang tun! 9 VERS 5 Die Umstände der vergeblichen Nachtarbeit des Petrus und seiner Gefährten weiß VAL. V. HOLST im Detail zu beschreiben:

- 161 ... sie haben am Abend den weiten Kreis gezogen mit ihren Böten und Netzen, langsam und erwartungsvoll zogen sie an's Land - Schlamm und Kies und Seegras schleppten sie an's Ufer; so zum zweiten, zum dritten Male; der Morgen graut, die Sonne steigt auf, sie haben nichts gefangen ... 10 Unter den Predigern, die als Ursache für den Mißerfolg der Arbeit des Petrus den Rückfall nach einer ersten Berufung annehmen, fällt in unsrem Zusammenhang L. THIMME auf, der eine ganze Tirade von peinlichen Fragen an Petrus stellt: Wie war's doch vor einem Vierteljahr gewesen? ... Weißt du's noch, wie du Johannes suchtest und Jesus fandest? Hörst du es noch, wie Jesus zu dir sprach, als andere dich zu ihm führten ...? Weißt du's noch, Petrus, was du mit deinen Freunden auf der Hochzeit zu Kana erlebtest, was in Kapernaum? Warum findet dich der frühe Morgen hier bei den Netzen, warum bist du nicht bei dem geblieben, der dir sein königliches: 'Folge mir nach!' zurief? Waren es Weib und Kind, die dich riefen? Waren es Boot und Netze, die dir keine Ruhe ließen? usf. .11 V E R S 8 RÖMHELD legt Petrus wortreiche Sätze statt des einen berichteten in den Mund: 'Ei Herr', sprach er, auf den Knieen vor ihm liegend, 'ei Herr, weißt du denn, wen du bei dir im Schiffe hast und wem du den großen Schatz geschenkt hast? Ich bin einer von den Sündern, von denen du vorhin gepredigt hast, der Gottes Strafe und Zorn verdient hat; ach Herr, kannst du, heiliger Gott, denn bei mir bleiben, ich bin ja ein sündiger Mensch!' 12 Und MIDDENDORP läßt Petrus im Anklang an Jes 6, 5 sagen: Schau mich nicht länger an. Sonst muß ich verzweifeln darüber, daß Du so rein bist und mein Leben so unrein, wertlos, verloren, geh von mir hinweg. 13 V E R S 10 VEIT DIETRICH berichtet von einem Dialog zwischen Jesus und Petrus: Fürchte dich nicht. Ja, lieber Herr, wie kann ich's lassen? Wenn ich nicht so ein großer Sünder wäre, würde die Furcht auch nicht so groß seyn. Nein, lieber Petrus, Ich sage dir noch einmal, fürchte dich nicht; bist du ein Sünder, so bin Ich gerecht, und

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bin darum hier, daß Ich dir auch von Sünden helfen, und dich gerecht machen will ... 14 Demgegenüber wirkt es geschwätzig, wenn RÖMHELD wie vorhin Petri Einwand, so auch jetzt Jesu Antwort paraphrasiert: Ich bin nicht in die Welt gekommen, ... daß ich die Welt richte, sondern daß ich die Sünder selig mache. Und grade weil du nun ein Sünder bist, darum gehe ich nicht von dir hinaus und stoße dich auch nicht von mir hinaus, sondern ich halte dich ewig fest und ziehe dich in mein Reich und gebe dir ein Amt und eine Anstellung in meinem Reichs- und Rettungsdienste. Du sollst jetzt ganz mein sein, und ich will dein sein, und du sollst mir nun Menschen fangen. 15 V E R S

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Die Frage, was aus den eben gefangenen Fischen werde, wenn die Fischer Jesu Ruf folgen, hat schon FRANCKE beschäftigt: ... sie vergassen der Fische, sie führeten sie zu Lande, wer ihrer geniessen wolte von ihrer Freundschafft, der möchte es thun: Doch H e s s e n sie es umb deßwillen nicht umbkommen, es war schon jemand, der ihrer geniessen wolte; sie führeten es zu Lande. 16 Der Volkserzähler meldet sich bei E. FROMMEL zu Wort, wenn er schildert: 'Auf der Höhe', fern von der wogenden Menge, wenigen Gesellen kund, hat Petrus diese Stunde der Weihe erlebt ... der harrenden Menge hat es, ohne Wort, Petri leuchtendes Antlitz verkündet, und das Lebewohl, das er und seine Gesellen ihren Kähnen und Netzen gaben, um Jesu nachzufolgen, sagten es laut: 'denen muß auf der Höhe etwas Wunderbares widerfahren sein', und das war genug. 17 Das Unerhörte des Alles-Verlassens unterstreicht G. JACOB mit einer plastischen Imagination des Urteils der Umwelt: Seine braven Mitbürger und Kollegen in Kapernaum werden gewiß am Abend jenes Tages in der Kneipe schön die Köpfe zusammengesteckt und sich entrüstet und wohl auch den Schluß gezogen haben, daß dieser Simon Petrus plötzlich verdreht geworden sei ... Was soll aus Frau und Kindern und was aus dem Geschäft werden? Simon Petrus war ein nüchterner Fischer und kein romantischer Jüngling, und so hat sich Simon Petrus g e wiß diese Frage auch vorgelegt. Trotzdem läßt er alles stehen und liegen ... 18

- 163 So reizvoll gelegentlich derartige Paraphrasen und Phantasien sein mögen; ihre Gefahren liegen auf der Hand. Wenn man ihrer schon meint nicht entraten zu können, so müßte doch die Regel zur Bedingung erhoben werden, daß der Charakter der Vermutung, des unverbindlichen und nicht durch den Text gedeckten Vorstellens, in der Formulierung deutlich wird. Ein indikativisches Phantasieren schadet der Glaubwürdigkeit des Predigers und ist abzulehnen. II.

A r g u m e n t a t i o

i r r e a l i s

Zu allen Zeiten war eine Spielart der Fiktion besonders beliebt: Das Voraugenstellen einer dem Berichteten entgegengesetzten Möglichkeit: Was wäre geschehen, wenn ... bzw. wenn nicht ... In der klassischen Rhetorik gehört dieser Topos zu den "Mitteln der Pathoserregung". Ihre Problematik wird schon deutlich, wenn LAUSBERG zu ihrer Charakterisierung schreibt: " Die Erzeugung von Phantasiebildern beim Redner ist eine durch Übung zu pflegende Gabe des ingenium ... Die programmgemäße innere Erregung lernt der Schüler bereits an fiktiven Stoffen, die zum Zwecke der Erregung 19 gerne in grausigen Gedanken und Vorgängen schwelgen..." Wir gehen im folgenden dem Text unsrer Perikope entlang. Die Bereitwilligkeit des Petrus, sein Schiff zu leihen, steht plastischer vor Augen, wenn man sich vorstellt, wie leicht er sich hätte dispensieren können: Petrus hätte sagen können: 'ich brauche grade heute meine Zeit und meinen Kahn zu nothwendig, da die ganze Arbeit der Nacht vergeblich war - entschuldige mich1. (E. FROMMEL) 20 Ausführlich schildert K. THEURER, wie verheerend es für den Petrus gewesen wäre, wenn er bei seiner nächtlichen Arbeit Erfolg gehabt hätte: ... hätte er jetzt schon das Schifflein voll Fische gehabt, oder wären sie draußen gefangen gelegen am Ufer, wie wäre er dann im Kahne gesessen? Er hätte zwei Worte von Jesu gehört und dann wieder fünf Minu-

- 164 ten an seine Fische gedacht, was mit ihnen anzufangen sei oder was ihnen für Gefahr drohen könnte; er hätte vielleicht plötzlich Wasser geschöpft, um für sie zu sorgen. Und hätte er nach durchwachter Nacht recht kräftige Speise gehabt und sich daran erquickt und gestärkt, er wäre vielleicht durch den Genuß schläfriger dagesessen, als durch den Verdruß, den er gehabt, er hätte durch das Gefühl des gelungenen Geschäftes vielleicht mehr innerliche Verschlossenheit in sich gehabt, als bei der mißlungenen Arbeit, deren er sich jetzt bewußt war. 21 AUGUST HERMANN FRANCKE macht es Petrus zum Vorwurf, daß er überhaupt in der betreffenden Nacht gearbeitet hatte. Da nemlich die Sonne untergegangen war, und andere ihre Krancken zu dem HErrn gebracht, und seine göttliche Lehre angehöret hatten; da hieß es von Simon, er habe inzwischen nichts gefangen. Daraus sehen wir, daß das keines wegs das Mittel sey, daß man Segen Uberkomme bey der Beruffs-Arbeit, wenn man nur auff die Arbeit siehet ... Demzufolge läßt FRANCKE im folgenden Petrus meditieren: ... ich habe nichts gefangen, es wäre wol besser gewesen, ich wäre daheim geblieben, hätte deine göttliche Lehre angehöret, deine Wunder-Wercke angesehen, daß würde mir mehr Nutzen gegeben haben, als alle andere Arbeit. 22 MIDDENDORF unterstreicht die zukunftsträchtige Bedeutung des in Vers 10 überlieferten Herrnworts durch die Erwägung: . . . wäre Jesus weggegangen, so wäre in den Herzen der Menschen noch eine wehmütige Erinnerung, daß einmal einer im Heiligen Lande lebte, der so ganz anders war als wir in unserer traurigen Welt. Aber es war ein breiter Strom zwischen uns und Ihm ... Aber, nun spricht Jesus: 'Fürchte dich nicht!' 23 Die keinem menschlichen Werk korrespondierende Gnade Gottes, die gerade auch den Unfähigen in seinen Dienst ruft, verdeutlicht GUTKNECHT an einem der modernen Welt entnommenen 'Bild-Irrealis': Wenn Jesus nun ein irdischer Chef gewesen wäre, der einen neuen Angestellten sucht, so hätte er gesagt: ' Ich danke dir für deine Ehrlichkeit und ich weiß sie zu schätzen, aber unter diesen Umständen kommst du natürlich nicht in Frage. Ich bedaure ...' 24 FRANCKE betont das Gewicht der Entscheidung zur Nachfolge, wenn er konstruiert:

- 165 Sie hätten dencken können: Ey da sind zwey Schiffe voll Fische, wir müssen nun hingehen und dieselben verkaufen, und zu Gelde machen, da können wir auff einmal zu solchem Reichtum kommen, als wann wir sonst die gantze Woche und länger gearbeitet hätten, und also müssen wir das wohl in acht nehmen. 25 Das am breitesten ausgeführte Beispiel für unsern Topos findet sich bei F.V. REINHARD, dessen erster Abschnitt über "das Zufällige", "das Absichtsvolle", "das Folgenreiche" und "das Verpflichtende" beim "Anfang unsrer Bekanntschaften" ausführlich Gelegenheit bot, darzustellen, wie das Berichtete genau so gut auch ganz anders hätte verlaufen können Im Gegensatz zu den oben aufgeführten Fiktionen sind hier keine so starken Bedenken anzumelden, weil der irreale Charakter der Aussagen klargestellt ist. Wenn nicht wie bei REINHARD diese Erwägungen systematische und hier doch wohl auch theologisch fragwürdige Schlüsse zeitigen, kann diese Weise der 1Argumentatio irrealis' einen guten Beitrag zur Erläuterung des Texts leisten. III. E i n t r a g u n g s t e l l u n g e n

m o d e r n e r

F r a g e -

In neuerer Zeit hat das Bedürfnis, zu zeigen, wie modern und aktuell die Bibel ist, allerlei merkwürdige Blüten gezeitigt. Schon in der Schilderung des sich zu Jesus drängenden Volks - sie kamen nämlich, "... aus dem großen, heitern Naturtempel einzutreten in den noch größern des Geistee, wo die heilige Stimme erschallt aus den Tiefen der ewigen Wahrheit" -; vor allem aber in der Frage nach dem Motiv des Volks zeigt sich bei LIEBNER, wie es ihm nicht darum geht, die Vergangenheit zu erhellen, wie er vielmehr die Vergangenheit zu einem Modell für die Gegenwart zurechtbiegt: Sie wollten sich erbauen. Konnten sie das nicht auch in jener herrlichen Natur umher? ... Wohl: aber das tiefste Bedürfniß des Vaters, das, wenn auch nur im

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dunkeln Drange, auf die Erlösung harrte, befriedigte jenes Alles doch nicht ... 27 Als ob die Natur damals als Konkurrenz der Offenbarung hätte gelten können! Auch BOEHMER hat gewiß Zeitgenossen im Auge, wenn er von Petrus sagt: ... er ist kein geiziger Handwerker, der für anderes, als was zu seinem Beruf gehört und was ihm Nutzen bringt, keine Zeit und kein Verständnis hat. 28 SCHOTTIN predigt über "Die Ordnung des Christen in Hinsicht auf sein Berufsleben". Der erste Abschnitt beginnt mit der bezeichnenden Unterstellung: Der Christ wählt seinen Beruf nach Lust und Tauglichkeit. W i e wir voraussetzen dürfen von Petrus. Er stammt von Bethsaida, und Bethsaida liegt an den Ufern des Sees Genezareth. Dieser See ... hat den Knaben Petrus um so leichter gewonnen, da derselbe unter Fischergeräthen und Fischerbeschäftigungen herangewachsen ist. 29 GUTKNECHT unterschiebt dem Petrus finstre Gedanken eines Proletariers : Ich glaube nicht, daß Simon zunächst über diesen Vorschlag sehr erbaut war. Das hat ihm gerade noch gefehlt, daß man ihn jetzt noch von der Arbeit abhält! Er wercht sich auf Nachtschicht für nichts und wieder nichts ab und dieser Rabbi braucht nur den Mund aufzumachen, braucht keine Hände schmutzig zu machen und hat Erfolg. - Aber merkwürdig: Simon gehorcht! 30 Die Aversion des modernen Menschen gegen Gottesdienst u n d Predigt bildet die dunkle Folie, von der Petrus sich bei TRENKLE abhebt: So gern ich es thun wollte, aber jetzt habe ich unmöglich Zeit; du weißt selbst, der Beruf geht allen anderen Dingen vor; ich habe ohnehin diese ganze Nacht nichts verdient, und muß daher meine Netze noch fertig bringen, sonst verdiene ich nächste Nacht wieder nichts; bleibt mir ja noch ein Stündchen übrig, so muß ich doch auch etwas ausruhen ... So und kaum viel anders hätte unstreitig an Petri Statt irgend ein kluges Weltkind unserer Tage dem Herrn geantwortet, und so antworten sie ihm ... noch täglich ... 31 Dies ist im übrigen ein Exempel dafür, wie sich das hier zu Zeigende mit dem oben besprochenen Fall der

'Argumen-

tatio irrealis' überschneiden kann. Positiv formuliert

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TRENKLE das gleiche so: Alles vergaß er über der Freude, Gottes Wort zu hören; auch währte ihm die Predigt nicht zu lange, daß er dachte: ei, wäre ich nur wieder bei meinen Netzen, Kähnen und Fischerzeug; - nein, so treu er auch im irdischen Berufe war, so war ihm doch die Förderung seiner Seligkeit noch wichtiger, als seine Fischerei ... 32 Wie sehr solche Methode von der Intention des Textes abführen kann, zeigt ein Passus aus den Schiffspredigten RICHTERS, den das in Vers 7 berichtete Winken der Jünger zu seltsam abwegigen Sätzen gereizt hat: Was für jene Fischer das Winken war, als das einfachste und ursprünglichste Signalzeichen zur Mitfreude und Mitarbeit, das ist im Seemannsberuf der Jetztzeit ausgestaltet zu der Sprache, die jeder Seefahrer versteht, der internationalen Signalsprache auf See. Das Facit der Predigt lautet demzufolge schlicht und doch ergreifend: "Nicht einsam, sondern gemeinsam"! J Der Aufruf zum Menschenfangen wird von K.A. BUSCH neoidealistisch eingefärbt: Petrus, was denkst du - von nun an wirst du Menschen fangen! Seelen, nicht Sachgüter, persönliche Werte, nicht Geldwerte gilt es zu schaffen. Dazu ist dein Leben da. 34 Es dürfte deutlich geworden sein, wie unbefriedigend diese Methode ist. Der Hörer, der auch nur ein wenig gelernt hat, historisch zu denken, wird die Unstimmigkeiten sofort entdecken. Aber auch dem Text erweist die Methode keinen Dienst, wenn sie ihn krampfhaft zu modernisieren unternimmt. Es ist kein Schade, wenn die Fremdheit, die Widerständigkeit und Andersartigkeit eines Textworts zu•715 nächst einmal unverhüllt vor Augen geführt wird^ .Andrerseits läßt sich auch ohne solche modernen Eintragungen unschwer zeigen, inwiefern die Menschen, für die das Evangelium einst geschrieben wurde, uns im Wesenskern nahestehen, auch wenn äußerlich sehr viel anders geworden ist seitdem. Wir frageiî abschließend noch einmal nach der Rolle, die

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der Text für die Predigt zu spielen hat. Woher gewinnt die Predigt ihren Stoff? Aus der Exegese des Texts oder aus den Einfallen, die das Bedürfnis der Hörer und bedenkenswerte oder zu Besorgnis veranlassende Ereignisse im Prediger hervorrufen? Eine so gestellte Alternative dürfte den in Frage stehenden Sachverhalt schwerlich erfassen. Erhält nicht die Predigt ihren Stoff dadurch, daß der Textwille exegetisch erhoben und alsdann der Situation ausgesetzt wird? An die Stelle jener flachen Alternative tritt somit das spannungsgeladene Verhältnis von Tradition und Situation, das die Geschichte der Schriftauslegung kennzeichnet. Damit fällt allerdings der Exegese für die Verkündigung entscheidendes Gewicht zu. Sie hat dann nicht nur die für Beispiel oder Belehrung wichtigen historischen Gesichtspunkte aus dem Text zu erheben; sie hat mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu erfragen, was die unverwechselbare spezifische Stimme dieses einen und konkreten Textes im Konzert der vielen Texte der Schrift ist. Wie soll sonst der Willkür in der Übertragung der Texte gesteuert werden? Wie soll anders der sachliche Vorrang der Schrift gegenüber unsern Erfahrungen und Ideen gewahrt werden, wie es evangelischem Schriftverständnis entspricht, wenn der Prediger nicht als Fragender, als Angewiesener, mit leeren Händen, vor den Text tritt? Wie soll er von seinen Urteilen und Vorurteilen, von seinen Prinzipien und Klischees weg und zu besserem, tieferem Verstehen gebracht werden und bringen, wenn nicht durch ernsthaftes, und das heißt allemal durch zu Korrektur lind Revision des Bestandes bereites Hören auf das 'verbum externum'? Wie anders endlich könnte man der Monotonie persönlicher Lieblingsthemen oder der Routine vorgestanzter Fertig-Antworten entrinnen als durch die Nötigung, nach neuen Adern zu schürfen? Bei der hier geforderten Erhebung des Textwillens kann

- 169 die immense Arbeit der historisch-kritischen Exegese wesentliche Hilfe leisten, der Verzicht darauf schwerwiegende Folgen haben. Rekapitulieren wir als Exempel die Predigt SCHILLINGS Uber unsern Text·3®. Durch die Joh 1 und Lk 5 harmonisierende Annahme zweier Berufungen des Petrus hat sich ihm die gesamte Perspektive des Texts verzerrt. Die erfolglose Nachtarbeit erscheint als Strafe für das Nachlassen der ersten Liebe des einst schon in die Nachfolge Berufenen. Das Bekenntnis in Vers 8 bezieht sich dann ausschließlich auf den Abfall; das "Fürchte dich nicht!" in Vers 10 wird zur Absolution von eben dieser Schuld. Aus der Geschichte von der Berufung des Petrus zum Amt des Menschenfischers wird hier eine Erzählung Uber seinen Abfall und über seine Wieder-in-Dienstnahme durch Jesus. Die - wie wir gesehen haben, von Auslegern wie AUGUSTIN, CALVIN, HUNNIUS u.a. mit frühem Scharfblick erfaßte Erkenntnis der Formgeschichte, daß Lk 5 nicht eine zweite Berufung, sondern das Analogon zu den Berufungsperikopen in Mk 1, Mt 4 und Joh 1 darstellt, vermag vor solcher Verzerrung des Textwillens zu bewahren. Mit alledem soll nicht bestritten werden, daß es bei ein und demselben Text verschiedene Möglichkeiten gibt, Schwerpunkte zu setzen. Aber solche Setzungen sind nicht beliebig; sie müssen sich dem Haupt-Skopus der Perikope zuordnen lassen und dürfen diesen nicht entstellen. Solch strenge Bestimmung der exegetischen Begründung der Predigt muß nicht langweilige Gleichförmigkeit zur Folge haben. Dafür sorgen nicht nur die Geschichte der Exegese und die Kontroversen unter den Exegeten, sondern vor allem der neben der Exegese den Wandel und die Vielfalt der Predigtgeschichte bedingende zweite Pol im Verhältnis von Text uná Predigt: die Situation gegenwärtiger Verkündigung. Sie ist bestimmt durch die individuelle Person des Zeugen und durch den jeweiligen geschichtlichen Ort der Predigt. Von diesem zweiten Pol muß noch eingehend ge-

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handelt werden; als ersten Ertrag möchten wir festhalten, daß mit der ernstgenommenen Exegese die Grundmauer der Predigt steht und fällt, daß ohne ernsthaftes Sicheinlassen auf den Text die Predigt als nota ecclesiae und als die konstitutive, reguläre Lebensäußerung der Kirche grundlos wird. Erst auf dem tragenden Grund dieser Regel hat das freie, auch das textfreie Wort in der Kirche sein Ausnahmerecht aus der exzeptionellen Stunde. Β

Die Vergegenwärtigung des exegetischen Ertrags

1. Kapitel: Strukturen der Vergegenwärtigung In einer Welt und Gesellschaft, die sich ihre Verwurzelung in Geschichte und Tradition immer weniger bewußt macht, ist es alles andere als selbstverständlich, daß ein vor fast zweitausend Jahren ausgeprägter Text mit dem Anspruch gegenwärtiger Verbindlichkeit auf Menschen der Gegenwart bezogen wird. Der Wegfall dieser Selbstverständlichkeit ist eines der wesentlichen Kennzeichen des geistigen Umbruchs der Neuzeit: Die Kluft zwischen Damals und Heute, die Erkenntnis der Geschichtlichkeit von Kirche, Theologie und Verkündigung, tritt mehr und mehr ins Blickfeld der Predigt. Predigten über Schrifttexte lassen meist deutlich erkennen, in welchem Maß der Prediger sich dieser Kluft bewußt ist. Im Rahmen unsres Materials geben z.T. sehr frühe Äußerungen zu erkennen, daß man das Problem gesehen hat, während andrerseits nicht wenige Zeitgenossen nach wie vor unbefangen voraussetzen, daß ihre Hörer schon vor Beginn der Predigt auf dem Boden der 'Gleichzeitigkeit' mit den Zeugen der Schrift stünden. Im folgenden erheben wir aus dem Wortlaut der vorliegenden Predigten, wie die historische Distanz zwischen Text A

und Predigt wahrgenommen und zu überbrücken versucht wird .

- 171 I.

K o n t i n u i t ä t

der

B o t s c h a f t

1. Assertion ohne nähere Begründung Auf die Erläuterung des Texts folgt, häufig durch einen kurzen Schlüsselsatz verbunden, die Ausrichtung des damals Gültigen auf die Gegenwart. a) Schlüssel im Indikativ LUTHER pflegt mit kurzen, formelartigen Sätzen zur Appli2 kation überzuleiten: "Sic nobiscum" . - "Also geschieht's heute"3. - "Sic nos"4. - STEINHOFER schildert, wie die Jünger in "genaue Bekanntschaft mit dem im Fleisch geoffenbarten ewigen Wort kamen", um fortzufahren: "Es ς kann uns eben so gut werden, als ihnen ..." - Ahnlich OETINGER: "... g und so seid ihr vor Gott wie Petrus und die Apostel" . - Gott vergibt Simon seine Sünde. "Und eben dieses thut er noch in seinem Prediger-Schiff ..." (0ΤΗ0)7. - "Solches geschah, da der Herr auf Erden erQ schien, solches geschiehet auch uns ..." (THOMASIUS) . "Nicht weniger" (seil, als Petro) "bietet der Herr jedem, der zum Glauben an seinen seligmachenden Namen durchgedrungen ist ..." ( S C H O T T ) - "Das Hören des Wortes Gottes ist wie hier so immer alles Christenlebens Ausgang lind Anfang ..." (UHLHORN)10. - "Diesen Zug merket euch wohl, meine Geliebten! denn auf ähnliche Weise verfährt der Herr noch heut zu Tage mit uns" (TRENKLE)11. - "Der Herr hat auch uns beauftragt ..." (SCHULLERNS)12. - "Auf dem Weg ist Simon Petrus ein Jünger Christi geworden; land einen andern Weg weiß ich auch für dich und mich und für uns alle nicht" (SCHÖNHUTH)13. - Für zahlreiche Beispiele aus der Gegenwart stehe endlich ein Satz W.LÜTHIs: "So wie Simon hier zunächst ein Fischer Christi wird, so will ixns Gott zum Lehrer Christi, zum Politiker Christi, 14 zum Bauer ... zum Kaufmann Christi machen" b) Ermahnung und Wunsch als Brücke " ... das muß sich bey dir auch finden" (FRANCKE)1^. "Und dies gehört immer noch zu einem Christen, daß ihn

- 172 weder der Teufel, noch Christus jemals müßig antreffe" (G.C. RIEGER)16. - "Möchte doch ein ähnlicher Hunger und Durst nach Gottes Wort in unsern Zeiten sich regen!" (STEINKOPF)17. - "Und wie steht's mit uns, meine Lieben, in diesem Stück?" (NINCK)18. - "Macht von diesem Bekenntniß des Petrus nun selbst die Anwendung auf Euch" (HUHN)19. - "So sollen auch wir es halten" (STÖCKER)20. "Das möchte ich euch nun auf das ernsteste und dringend21

ste ans Herz legen, ebenso zu verfahren" (BEHRENDT) usf. 2. Begründung der Gleichzeitigkeit in der Unwandelbarkeit Gottes Gott macht keine Unterschiede unter den Menschen. Deshalb dürfen wir nach J.J. STARCK Gleiches erwarten wie die damaligen Zeugen: Hier zeiget sich deutlich, daß GOTT die Arbeiten mit Seegen becrönet, welche nach seinem Sinn und Willen verrichtet werden. Und da bey ihm keine Partheylichkeit statt findet, so ist nicht anders zu vermuthen, als daß alle ihm wohlgefällige Arbeiten, also belohnet werden. 22 Gott ist unwandelbar durch die Zeiten hindurch. Daher folgert G. BAUMANN: Man sieht an Petrus, wie man die ordentlichen Erfahrungen im Licht der Weisheit anzusehen habe. Nun, der Herr ist immer derselbe, gestern und heute und in alle Ewigkeit .... So ordnet und leitet er auch alle unsere Umstände ... 23 CHR. PALMER fragt: Der so wunderbar zu segnen vermochte, meinest du, seine Hand sey indessen kürzer, sein Herz kälter geworden? 24 Und FR. LOOFS tadelt: Kennt ihr solche Furcht gar nicht? Wenn nicht, - woran liegts? Gott, der Herr, ist kein andrer geworden seit den Tagen des Petrus, und das Sterben ist auch noch nicht abgeschafft. So wird's wohl an uns liegen, wenn wir den Ernst der Sünde nicht fühlen ... 25

- 173 3· Appell an die Erfahrung der Hörer Auch dieser Topos ist beliebt: Der Hörer soll überführt werden und selbst aufgrund seiner Erfahrung bestätigen, daß Gott sich gleich geblieben ist. Wir finden ihn schon bei LUTHER: "Es mus Gots berad thun. Et hoc vides expe26 rientia" . - SCRIVER erinnert: "Und zu dem bezeuget es die tägliche Erfahrung, daß· der Gottseligkeit und Fröm27 migkeit hernach die Kinder genossen haben ..." - "Ist das nicht auch unsre Erfahrung? Das Leid beginnt und der Segen vollendet das Werk Gottes ..." (LUTHARDT)28. "Wären wir achtsamer auf die Wege des Herrn und könnten die Geschichte unsrer Bekehrung erzählen, so würde wohl mancher unter uns ganz Ähnliches mitzutheilen haben als hier von Petrus und Jacobus erzählt wird ..." (PETRI)2^.Endlich fragt auch BARTSCH: "Hast du das nie erlebt, daß so ein Zufall mit einem Male durchsichtig wurde und du wußtest, dahinter steht die Hand Gottes?"^ 4. Predigt als Ziel des Texts a) Die Gegenwartsrelevanz des Texts wird oft auch damit begründet, daß Gott, Jesus oder der Evangelist mit dem damaligen Geschehen auch späteren Generationen etwas habe mitteilen wollen. In diesem Sinn erklärt LUTHER in der Sonntagspostille: Die deutung dieser geschieht, des fischzugs S. Petri, hat Christus selbs gezeigt mit dem Wort, so er spricht: 'Von nu an solt du Menschen fahen.' Das darin furgebildet ist das geistliche Regiment der Kirchen, welches stehet im Predigampt ... 31 Nach STEINKOPF ließ Gott die Jünger bei der nächtlichen Fischerarbeit erfolglos bleiben, ... um auch uns die wichtige Lehre einzuprägen, daß Fleiß und Arbeitsamkeit im Berufe Heilige Pflicht 32 sind. Jesus will es Simon, und an ihm uns Allen zeigen, daß der nichts versäumt, der nach dem Willen des Herrn um seines Evangeliums willen etwas versäumt ... (ROFFHACK) 33

- 174 Bei H. SCHULTZ lautet die Brücke zur Gegenwart: So deutet unsere Geschichte auf die geheimnisvolle Führung der Kirche Jesu Christi in jenen ersten Zeiten. Und sie ist noch immer für die Kirche des Herrn eine Geschichte voll Trost und Kraft ... durch diese Geschichte redet der Heiland auch zu jedem Einzelnen unter uns. 34 In der Abwehr fundamentalistischen Mißverständnisses sagt G. WÜNSCH zum Thema dieses Abschnitts: Nicht auf die Begebnisse an sich, ob sie gerade so verlaufen sind wie sie hier erzählt werden, sondern auf das, was Gott von sich durch das Handeln Jesu sagen will, und zwar für alle Zeiten, also auch für die unsere ... 35 b) Eine andre Spielart dieser Gattung liegt vor, wo zumeist anläßlich der Erörterung der Predigt Jesu vom Schiff aus - darüber reflektiert wird, daß Jesu Tun seine legitime Fortsetzung in der Predigt der Kirche findet. DEs grossen Propheten heilsame Unterweisung und lehre, so G. ARNOLD,

die er damahls im schiff und auf dem lande allenthalben ausstreuete, also daß sich das volck zu ihm drang, gehet noch immer fort, und erschallet allenthalben,wo man ihm nur nacheilet. Denn er hat noch nie aufgehört zu reden und zu lehren, sondern er redet noch im geist zu denen, die ohrén haben zu hören ... 36 Auf die Einrede: Aber wie geht es uns, die wir Ihn nicht mehr sehen und hören können? antwortet F.C. STEINHOFER: Durch eben dasselbige Wort, wodurch sie mit Ihm in Gemeinschaft gekommen, sollen auch wir mit Ihm bekannt werden. Denn ob Er schon von der Erde weggegangen ist, so hat Er uns doch Sein Wort zurückgelassen. Um eben dieser Ursache willen wird Sein Evangelium noch bis auf den heutigen Tag verkündiget. 37 In der Terminologie der Aufklärung sagt RÖHR in etwa das gleiche: Diese seine weise Veranstaltung dauert noch immer auf Erden fort. Denn in langer und unübersehbarer Reihe hat der große Herold himmlischer Wahrheit Diener und Boten ausgesendet ... Auch Ihr, Α., seid heute, wie dort das Volk am See, versammelt, zu hören das Wort Gottes. 38

- 175 Mit poetischem Schwung deklamiert V. HOLST: Nun siehe! das Rauschen Seiner Füße ist noch heute unter uns, und Seines Wortes Rede ist nicht verhallet. Wenn Du siehst, daß Sein Volk wallet zu Seinem Hause - ach, daß es dorthin drängete! - so sei nicht so müde, daß Du nicht auch mit hingingest. 39 Abschließend sei als Zeuge der Gegenwart R. BULTMANN zitiert: Daß dieses Wort weiter erklingt, daß es uns auch heute, hier und jetzt, fragt, ob wir bereit sind, unsere ganze Existenz unter diesem Wort zu verstehen, darin offenbart sich uns das Schöpferwalten Gottes. 40 5. Die Schrift als Lehrbuch; die Jünger als Vorbilder a) Häufig etwas schulmeisterlich wirken Äußerungen, die das Verhältnis von überkommenem Text und gegenwärtiger Predigt als Lehren bzw. Lernen bestimmen; nicht von ungefähr setzt das erst im 18. Jahrhundert ein, und es ist zu fragen, ob diese Vergegenwärtigung der Sache angemessen ist. OETINGER macht den Auftakt: Hieraus lernen wir, wie wir unser Berufsgeschäft anstellen' sollen. 41 Bei REINHARD erstaunt dieser Ton schon nicht mehr: Aus diesen Nachrichten können wir aber auch alles lernen, was bey neuen Bekanntschaften Pflicht für uns ist, wenn wir uns gegen Schaden verwahren, und uns alles des Guten bemächtigen wollen, das sie uns darbieten. 42 b) Die Jünger als Vorbilder beschwört G. UHLHORN: ... darin sollen sie uns allen zum Vorbilde werden.

J

HEISLER erklärt: Das ist zunächst eine ganz persönliche Geschichte, die sich zwischen Jesus und Petrus zugetragen hat. Aber diese Geschichte hat mehr als nur persönliche Bedeutung. Die Gestalten der 12 Jünger sind typisch. Wir selbst sehen uns in ihnen gespiegelt ... 44 6. Bewußter Aufweis des Interpretationsgeschehens Als Beispiel, wie in der Predigt zum Ausdruck kommen kann, welche hermeneutischen Überlegungen der Prediger angestellt hat, und wie hier durchaus auch ein Applikations-

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Spielraum vorliegt, diene eine Äußerung A. HEGLERs:

Wir können das doppelt deuten: auf unseren himmlischen lind auf unseren irdischen Beruf. Wir können vom Ende ausgehen und sehen, wie diese Berufung zur Nachfolge Jesu uns allen gilt. Wir können aber auch vom Anfang ausgehen und sehen, wie Jesus in unserer irdischen Arbeit uns zu seinem Dienst bildet und erzieht. Wir wollen heute vom Anfang ausgehen und die Aufforderung des Herrn an Petrus und des Petrus Antwort betrachten. Wir wollen sie auf unseren irdischen Beruf, auf die Arbeit deuten, die ein jedes von uns im täglichen Leben zu tun hat ... 45 II.

R e f l e k t i e r t e

D i s t a n z

Schon im I. Abschnitt dieses Kapitels waren wir auf Prediger gestoßen, die nicht selbstverständlich aus dem Text die Anwendung auf ihre Hörer ableiteten, die es vielmehr als ihre Aufgabe betrachteten, auch in der Predigt Rechenschaft darüber zu geben, was ihnen den Schritt Uber die Kluft ermöglicht. Die historische Distanz wird dort besonders deutlich, wo Prediger sich zu dem Schluß genötigt sehen, daß ein Textmoment nicht oder nur modifiziert auf die Gegenwart Anwendung finden dürfe; wo sie also sachliche Differenzen zwischen Damals und Heute statuieren. Dies geschieht im Zusammenhang der Predigt über unsern Text auf folgenden Gebieten: 1. Wandlungen im Blick auf die Selbstmitteilung Gottes a) Gottes Offenbarung im W o r t Ob nun wohl GOTT nicht unmittelbar und mit außtrücklicker (sie!) stimme uns heut zu tage also zuruffet, so haben wir dannoch vor eine solche stimme anzusehen, wann uns GOtt eine sonderbahre gelegenheit zeiget, und unser hertz und gewissen uns dabey erinnert, dieses und jenes fodere jetzt die ehre Gottes, oder die liebe des nächsten von uns, dann solches haben wir allemal als gleichsam ein wort des HERRn anzusehen (SPENER).46 b) Gottes wunderbares H a n d e l n Das in unsrem Text berichtete Wunder hat weitaus am häufigsten Anlaß gegeben, auf die Distanz zur Zeit Jesu hin-

- 177 47 zuweisen '. OETINGER sieht den Wandel darin, daß einer Ära der Wunder die Zeit des Worts gefolgt sei: Der Herr sieht von oben herab, daß ihr in dem Jahrhundert eures Geschlechts Gott dienet, wie ihm die Apostel gedient; und die Engel bewundern euch jetzt mehr, weil ihr die Wunder Jesu nicht sehet und doch durch das Wort der Apostel an ihn glaubet ... 48 Für die zahlreichen Äußerungen, die hier anzuführen wären, stehe hier die Bemerkung J.A. HERMES': Wir können ... die Hand des Allerhöchsten, welche uns in der That noch beständig leitet und segnet, nicht so deutlich wahrnehmen, es wenigstens nicht auf eine solche sinnliche Art mit unsern Augen erkennen, was er gethan und wie er den Lauf der Dinge geordnet hat. Wenn uns also auch ein besonderes Glück zustößt, so fält es weniger ins Wunderbare; es erregt also nicht immer eine so lebhafte Aufmerksamkeit und Bewunderung, wie nach dieser Geschichte der ausserordentlich reiche Fischzug bey dem Petrus und andern Zuschauern hervorbringen mußte ... Dem allen ohngeachtet bleiben doch diese uns aufgezeichnete ausserordentliche Begebenheiten noch in verschiedener Absicht höchst merkwürdig und nuzbar für uns ... so lernen wir auch daraus, was Gott thun könne, und wie er bey allen seinen grossen Theten immer einen und eben denselben wohlthätigen Zweck habe, nemlich die Beförderung unsrer Glückseligkeit. 49 2. Differenzierungen im Blick auf die Verbindlichkeit von Textmomenten Hier hat nicht wenige Prediger vor allem die Frage beschäftigt, inwieweit aus Vers 11 für die jeweilige Gegenwart die allgemeine Verpflichtung abgeleitet werden müsse, Beruf und Besitz im Interesse unmittelbarer Nachfolge Christi zu verlassen. Häufig geht die Ermahnung, wie etwa bei FRANCKE, in Richtung einer 'inneren Emigration' aus den Bindungen des irdischen Lebens: Ich sage hier nicht, daß du solt, gleichwie Petrus, dein Hauß und Hoff stehen lassen, und davon gehen; sondern das wird gesagt, dein Hertz muß ja so wahrhafftig davon abgezogen seyn, als wie diese leiblicher Weise davon giengen; sonst wird das, so dir vom zeitlichen Gut zugefallen ist, zu eitel Disteln und Dornen in deinem Hertzen ... 50

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Sehr viel stärker entschärft HERMES den in Vers 11 implizierten Appell zur Nachfolge: Allerdings war dieser Ruf zum Apostelamt eben so ausserordentlich als die empfangene Wohlthat selbst. Es konten also daraus auch mehr als gewönliche Folgen entstehn: nemlich eine gänzliche Verleugnung der irdischen Güter und völligen Aufopferung im Dienste des Heilandes. Da ihr euch alle in diesem Fall nicht befindet, und weder einen unmittelbaren Ruf zum Christenthum (!) noch zu besondern christlichen Unternehmungen erhaltet: so lassen sich auch nicht die besonderen Folgen auf eben dieselbe Weise von euch erwarten. Indeß bleibt doch das Verhalten Petrus, Uberhaupt betrachtet, allemal nachahmenswerth. Die Demuth machte ihn folgsam; und dadurch wurde er zur Ausführung der Absichten seines Wohlthäters brauchbar. Und gerade so soll es auch bey euch ergehn ...51 Da wird DOERNE den Intentionen des Texts sicher eher gerecht, wenn er sagt: Petrus war Petrus, und niemand von uns ist Petrus. Was er und seine Gefährten auf Jesu Geheiß hier taten, ihren Beruf aufgeben, alles verlassen, was bisher ihr Tagwerk, ihre kleine Welt war, das ist nicht von jedem gefordert, auch nicht von jedem, dter Jesus nachfolgen soll. So viele und verschiedene Menschen in die Nachfolge Jesu gerufen werden, so viele verschiedene Wege und Weisen der Nachfolge wird es auch geben. Nur, d a ß einer dem Herrn Jesus nachfolgt, ... das gehört zum Christsein. 52 DREWS hat in unsrem Zusammenhang sogar ausdrücklich in Zweifel gezogen, ob Vers 11 auch heute wörtlich befolgt werden müsse. Wer heute mit wirklichem Ernst dem Herrn gehorsam sein will, der hat sicher oft die große Schwierigkeit empfunden, die darin liegt, daß wir in so vielen Fällen des täglichen Lebens nicht deutlich und klar wissen, was des Herrn Wille wirklich ist. Da hatten's doch die ersten Jünger viel leichter! ... Aber wir? Indessen gelten uns denn diese Worte heute nicht mehr? So hat man wohl geglaubt. Allein mehr als einmal traf das Wort an den reichen Jüngling die Gewissen. Mehr als einmal ist's geschehen, daß einer dann wirklich tat, wozu der reiche Jüngling den Mut nicht fand ... Das schien der vollkommenste, weil der wörtlichste Gehorsam gegen den Herrn zu sein. Wir wissen heute, so ernst das alles gemeint war und so hohe Achtung wir vor dieser Frömmigkeit haben, der rechte Gehorsam gegen Jesus Christus ist das nicht. Denn dabei kann man äußerlich den Herrn oder seine Apostel nachahmen, und doch ist das Herz nicht wie

- 179 das seine. Auch unter der Mönchskutte, in der Armut, im Wandern von Ort zu Ort kann das Herz das Seine suchen. Der Gehorsam gegen den Herrn will tiefer gefaßt sein. 53 Ob er es sich damit nicht doch zu einfach gemacht hat? Ob nicht doch SCHULTZ' Warnung zu Recht besteht: Auch in diesem Sinne sollen wir doch nicht zu rasch von dem Bilde unsres Evangeliums zurücktreten. Der Herr braucht auch heute noch Arbeiter genug, denen er zumutet, auf das äußere Werk der Erde und auf seinen Gewinn zu verzichten ... 54 Erst nach sehr präzisen Fragen an "Dich, den Jüngling" und an die Jungfrau, ob sie sich nicht für eine hauptberufliche "Arbeit an den Seelen daheim oder draußen" oder in der Inneren Mission zur Verfügung stellen wollen, fährt SCHULTZ fort: Aber den meisten seiner Christen sagt der Herr sein Wort nicht in diesem Sinne ... Und doch gilt das Wort nach seinem tiefsten Sinne allen rechten Christenmenschen ... 54

III. in

Die der

R o l l e der P r e d i g t

A l l e g o r e s e

Die Statuierung und Erhebung eines übertragenen, geistlichen, allegorischen Sinns in evangelischen Texten spielt in der Geschichte der Predigt eine besondere Rolle; sie erfordert im Rahmen unsrer Untersuchung eine breitere Darstellung. Ist sie doch, vor allem für die ersten Verse unsres Texts, der weitaus dominierende Modus der Vergegenwärtigung, den MARTIN LUTHER überkommen hat und von dem er sich je länger je entschlossener abgewandt hat. G. EßELING hat in seiner Untersuchung über "Evangelische Evangelienauslegung" für das gesamte Material der LUTHER-Predigten die entscheidenden Gesichtspunkte herausgearbeitet. Dabei hat er den Wunsch geäußert: Im Blick auf die weitere Erhellung der Geschichte der Exegese und Hermeneutik wären ... besonders Arbeiten zu begrüßen, die die Geschichte der Auslegung einzelner Perikopen untersuchen und so auf begrenztem Gebiet all die Dinge auflesen, die bei einem so flüchtigen Durchblick wie dem obigen liegen bleiben mußten. 55

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Unsre Untersuchung legt es nahe, dies für die Perikope Lk 5, 1-11 zu versuchen, und des weiteren festzustellen, inwieweit die evangelische Predigt der Folgezeit dem Reformator in dieser Hinsicht gefolgt ist. 1. Zur Definition der Allegorese a) Die Allegorie steht "zum gemeinten Ernstgedanken in einem Vergleichsverhältnis" (LAUSBERG)^^. Von der Metapher unterscheidet sie sich dadurch, daß diese nur für ein Einzelwort, jene für einen ganzen Gedanken oder Gedankenzusammenhang einen Vergleich durchführt 57 . 58

b) Schon QUINTILIAN unterscheidet zwischen konsequent (tota bzw. continua) und nur partiell (permixta apertis) durchgeführter Allegorie. c) Sodann ist zu unterscheiden zwischen Allegorien, die schon vom Autor - expressis verbis, oder doch offensichtlich - nicht proprie, sondern figuraliter, Ubertragen, allegorisch verstanden wurden, und solchen, die, ursprünglich wörtlich gemeint, von späteren Generationen "als 59 Allegorien zur Bezeichnung eines anderen Ernstsinnes" aufgefaßt wurden. Die Motive zu nachträglicher Allegorese ursprünglich proprie formulierter Sätze wechseln. Vielfach, so z.B. in der allegorischen Behandlung von Homer, ging es darum, anstößige und scheinbar dem Autor nicht zuzutrauende Stellen mit einem tieferen, geheimnisvollen Sinn zu versehen^®. Auch bei der Allegorese biblischer Texte dürfte dieses Motiv anfänglich nicht selten eine Rolle gespielt haben, so vor allem, wenn aus anstößigen (z.B. dem Hohen Lied) oder aus anscheinend für den Leser oder Hörer späteren Generationen wenig oder nichtssagenden Texten 61 (etwa Leviticus) ein tieferer Sinn herausgelesen wurde Heidnische Angriffe auf die Schrift wurden z.B. von den frühen Apologeten gerne mit Hilfe der Allegorese zurückgewiesen: Ihr versteht nicht, was ihr scheltet! Die tiefste Wurzel der Erhebung eines allegorischen

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Schriftsinns in der späteren Auslegung dürfte jedoch die Überzeugung gewesen sein, daß die Allegorese der Intention Gottes bei der Inspiration der Schrift korrespondiert. Wenn AUGUSTIN in einer Auslegung unsres Textes sagt: "Ibi rete propter significanda schismata ¿o

rumpebatur" , so ist er doch wohl der Meinung, daß Gott - proprie - das Netz hat reißen lassen, um seiner Kirche - allegorisch, geistlich - das ihr Frommende Uber Häresie deutlich zu machen Λ Oder aber es liegt die Auffassung SCHWENCKFELDs der Allegorese zugrunde, der zu Vers 10 sagt: Weither spricht der Herr zu Petro: Dann von nun an wirdst du menschen fahen, Damit er das gantze geschieht vom vischfange Petri geistlich außlegt...64 In der Regel aber wird diese Sicht nicht näher begründet; sie bildet die selbstverständliche Grundlage allegorischer Deutung. Ohne Zweifel ist so auch die Allegorese eine hermeneutische Struktur, die der Vergegenwärtigung der Texte dienen soll. Es ist eine Art existentialer Interpretation, bei der das Subjekt der Existenz die Kirche ist. Diese Weise der Vergegenwärtigung ist damit der gleichen Gefahr ausgesetzt, wie sie auch die existentiale Interpretation unsrer Tage mit sich bringt: Das Einmalige des Berichts tritt zurück hinter dem Vielen, was man mit Hilfe dieses hermeneutischen Schlüssels erheben kann. d) Im Verlauf der Auslegungsgeschichte haben sich u.a. im Westen bestimmte termini technici für die allegorische Deutung herausgebildet, die z.T. ganz schematisch angewendet werden^5. wir geben zunächst die vorreformatori sehe Nomenklatur wieder. I') Der Ausdruck "Allegoria" selbst erscheint, soweit ich sehe, nirgends. Gelegentlich werden Ernstsinn und Übertragung durch 'sicut-sic' in Beziehung gesetzt oft steht nach der Paraphrase des auszulegenden Verses fi 7 • ut et ...1 . Der Schwerpunkt liegt hier noch auf dem Literalsinn.

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II') Der gebräuchlichste Ausdruck ist 1 significare'. ¿"Q Subjekt ist dabei entweder Jesus oder die übertragen gq zu verstehende Sache . Statt 'significat' kann - wie 70 bei der Glossa ordinaria häufig - 'désignât' stehen . III') Ganz ähnlich, doch immer mit der zu bezeichnenden Sache als Subjekt und im Passiv, wird 'figurare' ver72 .

wendet

IV') Der Literalsinn ist nahezu ausgeschaltet, wenn meist stereotyp nach dem Zitat des Schriftverses - die 73 Wendung 'hoc est' oder 'id est' folgt . V') Bemerkenswert für die Beziehung von berichtetem Geschehen \ind Deutung ist auch die kausale Konjunktion: rete non rumpitur, quia sancta electorum Ecclesia, in continua auctoris vi pace requiescens, nullis jam dissensionibus dilaniatur. 74 VI') BEDA gebraucht zudem den terminus

'typus'^.

VII') Es entspricht der Tatsache, daß bei den Griechischen Vätern die Allegorese seltener und weniger typisiert erscheint, daß dort auch die im Westen geläufigen termini seltener begegnen. A n ihrer Stelle heißt es etwa bei THEOPHYLACT: "Haec etiam per anagogiam si vis intelligas"

. Interessant ist dabei, wie hier der

Literalsinn als Hauptsache festgehalten und dann erst ad libitum - eine übertragene Bedeutung angeboten wird. Auch 'typus' finden wir übrigens bei T H E O P H Y L A C T ^ ; bei EUTHYMIUS ZAGABENUS heißt es "juxta anagogen" 7 8 . Den entscheidenden Bruch mit der allegorischen Auslegung der Alten Kirche und des Mittelalters hat bekanntlich MARTIN LUTHER vollzogen. I') Bei LUTHER selbst und bei seinen Zeitgenossen wird die traditionelle Terminologie zunächst meist übernom79 men: "Hoc significat das predigampt" . - LUTHER kann auch mit der Tradition sagen: "Mare mundus est"

80

II') Einen stärkeren Bewußtseinsgrad in Sachen der Hermeneutik verrät der bei LUTHER häufig anzutreffende Be-

- 183 griff 'Allegoria'. So etwa, wenn er sagt: "Allegoria 81 est de officio praedicationis" III') Neue lateinische Begriffe finden wir etwa bei Qp BRENZ: 'adumbrare' , oder bei MELANCHTHON: 'imaginem pingere',83. IV') Deutsche Wendungen für den gleichen Sachverhalt lauten etwa: Das darin furgebildet ist das geistliche Regiment der Kirchen, welches stehet im Predigampt. 84 Bei SCHWENCKFELD lesen wir: Es läßt sich auch ansehen, als ob der Herre Christus seinen Apostelln hiemit hab wöllen ahnzaigen, das sie ... 85 Oder, wenig später: Weither spricht der Herr zu Petro: Dann von nun an wirdst du menschen fahen, Damit er das gantze geschieht vom vischfange Petri geistlich außlegt V') In der Folgezeit ist im Protestantismus wie die Wertschätzung der Allegorese überhaupt so auch die begriffliche Einheitlichkeit geschwunden. G.C. RIEGER sieht in unserer Geschichte "eine Abbildung des Predigamts " 8 7 ; THOMASIUS sagt: "Das ist ein Bild und GleichQQ niß geistlicher Dinge" . Man spricht vom "geistlichen Sinn" des Geschehens (so etwa M A R T E N S E N ) ; vom "Sinnbild" (WÄCHTER) 90 ; oder, wie TRILLHAAS,qi vom "weissagenden Charakter der Fischzugsgeschichte" . e) Die Ausbildung einer sublimen Kunst der Allegorese im Westen hatte zur Folge, daß sich gewisse allegorische Topoi bildeten, die zum Allgemeingut der Ausleger wurden. LAUSBERG spricht hier von Allegorieräumen, "die an diesen oder jenen Wirklichkeitsraum traditionell gebunden sind oder auch auf neue Wirklichkeitsräume ange92 wandt werden können"^ . Bis in den Wortlaut hinein übernahm man die Allegoresen; sie lagen gleichsam in der Luft. Erst in der deutschen Mystik brachen einzelne Prediger aus und schufen eigene Traditionen, die ihrerseits im Pietismus wieder aufgenommen wurden. Explizite, polemi-

- 184 sehe Korrektur der allegorischen Tradition findet sich erstmals bei LUTHER; mit ihm fallen auch die Mauern der erwähnten traditionellen "Allegorieräume". 2. Die Durchführung der Allegorese in den Predigten über unsern Text Zunächst fällt auf, daß die verschiedenen Verse der Perikope in sehr verschiedenem Ausmaß Gegenstand der Allegorese geworden sind. Während bei den überhaupt allegorisierenden Auslegern die Verse 1 bis 7 regelmäßig und ausführlich auf ihren tieferen, übertragenen Sin hin befragt wurden, war dies bei Vers 8 bis 11 kaum der Fall. Der Grund liegt nahe: Die letztgenannten Verse eignen sich wenig für allegorische Auslegung, weil sie, sieht man von Vers 10 b ab , keine irdisch-anschaulichen Vorgänge beinhalten, die in den Augen jener Ausleger in ihrem Wortsinn mehr oder weniger trivial und deshalb einer geistlichen Überhöhung bedürftig sind; sie sind von unmittelbar zugänglicher theologischer Relevanz. Wir greifen daher im folgenden einen Vers heraus, der besonders stark zur Allegorese Anlaß gegeben hat: Vers 3· Es erscheint dabei angezeigt, jeweils zunächst die vorreformatorische Allegorese zum Vergleich in Auswahl wiederzugeben. a) Das Schiff und die Schiffe BEDA: 94 Navis Simonis est Ecclesia primitiva . GLOSSA ORD.: Navis simonis primitiva ecclesia circumcisionis: de cuius autoritate docet gentes usque hodie. 95 TAULER: Dieß Schiff, das unser Herr in die Höhe aufführen hieß, das ist nichts anders, denn des Menschen Gemüth inwendig und seine Meinung. 96 LUTHER allegorisiert an dieser Stelle nur noch in zwei der überlieferten Predigten. In der am 19. Juni 1524 ge-

- 185 haltenen sagt er in wenigen knappen Sätzen: Prima navis Petri significat Iudaeos. In alia navi notantur gentes et illi conveniunt ad navim Petri i.e. omnes simul et gentes et Iudaei vocati coeunt et fiunt unus populus. 97 In der Sommerpostille erscheint die Allegorese nur noch in einem Anhang: Dieser fischzug ist so reich, das hie nicht das eine Schiff (welches ist bisher gewest die Kirche des Jüdischen Volcks) gnug dazu ist, den selben allein heraus zu bringen und zu behalten. Sondern diese müssen auch denen im andern Schifflin dazu ruffen, das sie jnen helffen. Das ist die Sammlung und Kirche aus der Heidenschafft, so durch die Apostel auch angerichtet und ausgebreitet ist. 98 Man beachte die deutliche Distanzierung von der überkommenen Allegorese ("welches ist bisher gewest"). In allen späteren Predigten allegorisiert LUTHER an dieser Stelle nicht mehr. BRENZ springt hier aus den Geleisen der Tradition: Christus e navi concionatur, videlicet, ut perspicue adumbraret fortunam suggesti, seu pinisterij praedicationis Euangelicae in hoc seculo. 99 C. SCHWENCKFELD gibt zunächst die Tradition wieder: Die zway Schiff seind, die beschneidung, und die Vorhaut, die Juden unnd haiden wie gehöret, auß welchen die kirche inn ainnigkait des glaubens sollt versameli werden ... 100 Dann aber greift er einen schon bei LUTHER geäußerten Gedanken auf: DEr Herr Jesus Christus hat wol zwai Schiff für jhm gesehen, er ist aber nur in das aine getretten. Dann auß baiden, das ist, auß dem volcke der beschneidung und der vorhaut, hat er ains gemacht, und die mittelwand abgebrochen, auf das er auß zweien ainen neuwen menschen machet in jhm selber ... Das ander Schiff, so die haiden bedeut hat, ist aber bald auch darzu kommen, unnd auß den baiden ains, das ist, aine christliche Kirche, worden. 101 T. WAGNER: Vergleich der Kirch, mit dem Schifflein Petri auff dem Wasser. 102 JOH. GERHARD: Navícula Petri est typus Ecclesiae. In ea adest Christus ... 103

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Eine polemische Wendung erfährt der Topos bei F.W. KRUMMACHER: ... xind birgt sie in dem rechten Petrusschifflein. Das ist aber nicht etwa Rom; auch nicht die äußere Kirche, in der ihr geboren wurdet. Es ist die Gemeinschaft, die durch alle Kirchen sich hindurchzieht, die Heerde der wahren Gläubigen ... 104 Endlich übt W. TRILLHAAS gelinde Kritik an der allegorischen Tradition: Man hat sehr pft aus dem weissagenden Charakter der Fischzuggeschichte in die Vorstellung des Menschenfischers Petrus die Vorstellung hineingetragen, daß dieser Menschenfang auch von einem Schiff aus erfolgt, und man war nicht faul, dieses Schiff auf die Kirche zu deuten. Wir haben keinen Anlaß, uns lange dabei aufzuhalten. 105 Aufschlußreich ist es, eine Spur zu verfolgen, die LUTHER gemieden hat und die auf TAULER zurückführt. SCHWENCKFELD eröffnet die Reihe; er hat das Motiv von der deutschen Mystik übernommen und fügt es den oben zitierten Aussagen an: Von der auffürung des schiffs ist mehr zu mercken, nach dem am ersten durch das schiff darinnen Christus sitzt, die christliche kirche im gantzen und taile wirt verstanden, das es folgend auch des glaubigen menschen hertz, seel, und gemüt sey, darinn Christus seliglich wil wonen... das schiff in die höhe füren, ist das gemüt durch den H. gaist zum regierenden Christo inn himmel über alle zeit, stet und synnen inn die ewigkeit erheben ... 106 ARND: Da lernet, liebe Christen: ... daß ihr dem Herrn auch ein Schifflein leihet, das ist, euer Herz, in welchem Christus wohnet durch den Glauben ... 107 GERHARD: ... accomodemus modo ipsi naviculam cordis nostri, sermonem ejus cupide audiendo et fideli corde recipiendo ... 108 H. MÜLLER: Das Schifflein, darein der Heiland treten will, soll unser Herz sein. 109 FRAECKE führt die Reihe der Prediger an, die nicht nur das Herz des Menschen, sondern auch Amt, Haus oder Schule als das Schiff bezeichnen, in das Jesus treten muß,

- 187 wenn Segen einkehren soll. So muß dann das Schifflein deines Beruffs und deine Arbeit, mit der Lehre CHristi erfüllet werden, ehe du zum rechten Segen kommen kanst; Denn was Petro sein Schifflein war, das ist einem Handwercksmann seine Werkstadt, einem, der da studiret, sein Studir-Stüblein, einem Kauffmann sein Rechen-Stüblein und Kram-Bude, und einem jeden sein Amt-Stüblein, darinnen er ist. 110 G.C. RIEGER: Nun dieses Schiff ist ein Bild, wie gern der Heiland in dein Herz trete, und es zu seinem Lehrstuhl oder Schule mache ... 111 J.F. STARCK: Daher wohl dem, dessen Herz ein Schifflein Jesu ist, der ihn dasselbe führen läßt. 112 Endlich HUHN: 0 was ist das Schifflein meines Herzens, was mein Amt, mein Haus, wenn Jesus nicht hereintritt und Schule darin hält. 113 Die von LUTHER nicht aufgegriffene Allegorese TAULERs findet also bei SCHWENCKFELD und im folgenden überwie*

gend bei pietistischen oder doch dem Pietismus nahestehenden Predigern Aufnahme; die Ausnahme der Regel bildet GERHARD. Von einer Katachrese allegorischer Auslegung wird man sprechen müssen, wenn einige Prediger beim Schiff-Motiv Momente aus der Seesturmgeschichte eintragen; von Stürmen ist jedenfalls in unsrer Perikope keinesfalls die Rede. So sagt etwa BRENZ: Ut enim navis in mari varijs fluctibus concutitur et hinc inde iactatur, ita ministerium Euangelij varijs adversis in hoc seculo äffligitur. 114 SCHWENCKFELD: ... die christliche Kirche, welche ainem schiff wirt vergleichet, drumb, das sy in dem wütenden meer der wellt, von den ungestümen wellen der anfechtung und trübsal hin und her wirt getriben, aber doch empor schwebt, und entlich den port der ruge und seligkait erreichet. 115 Ganz ähnlich formulieren HUNNIUS 1 1 6 und O T H O 1 1 7 .

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b) Petrus und die Genossen Ohne Vorgang in der Tradition fügt LUTHER an die Allegorese "Mare mundus est" die Aussage an: "Petrus et socii 118 sunt praedicatores et doctores" . Die metaphorische Spannung zwischen Ernstsinn und übertragenem Sinn ist hier denkbar gering. c) Jesu Eintreten in das Schiff Nach LUTHER bedeutet das Eintreten ins Schiff (Metapher für die Juden), daß er "ein diener der beschneydung ward, 119 wie in Sant Paul nennet" d) Jesu Bitte an Petrus AUGUSTIN: Quod Dominus ascendens in navim, quae erat Petri, rogat eum a terra reducere pusillum, significat vel temperate utendum verbo ad turbas, ut nec terrena eis praecipiantur, nec sic a terrenis in profundiora sacramentorum recedatur, ut ea penitus non intelligent: vel prius in proximis regionibus gentibus praedicandum; ut quod dicit item Petro, Due in altum, et laxate retia vestra in capturam, ad remotiores gentes, quibus postea praedicatum est, pertineat. 120 121 Dieser Passus wird von BEDA wörtlich, von der GLOSSA 122 ORDINARIA nahezu wörtlich übernommen; letztere gibt nur BEDA als Quelle an. Die GLOSSA INTERLINEARIS hingegen schlägt die Brücke zur mystisch-asketischen Tradition, wenn sie zu "a terra" bemerkt: "ab amore terrenorum." BONAVENTURA: Rogavit eum a terra reducere pusillum, ut seil, parum sequestraret a turba et sublevaret a terra. Qui enim vult alios docere debet interiori affectu terrena contemnere et exterioribus moribus turbas praecellere. 123 LUTHER allegorisiert an dieser Stelle in keiner seiner Predigten. SARCERIUS bietet neben dem Literalsinn - "Ut quietius docere posset" - eine allegorische Alternativlösung an: "Aut significat hac abduxione Christus, oportere Euangelium doceri in ipsa cruce, quae per aquas intelligitur"12Zt. Mit dieser Deutung steht SARCERIUS allein.

- 189 SCHWENCKFELD greift die AUGUSTIN-Tradition auf: Das schiff am erst ain wenig vom lande füren. Bedeutt, das imm Christnthumb, oder inn der christlichen Kirchen, ain Catechismus, das ist, ain anfenckliche Schul leere deß glaubens zur underweisung, nit allain der jungen kiner, sonder der jungen unverstendigen christen sein sol, so wol alß das man am ersten jünger sol machen, und schuler deß glaubens annemen, wie der Herr hat befolhen ... Es läßt sich auch ansehen, als ob der Herre Christus seinen Apostelin hiemit hab wollen ahn-zaigen, das sie mit den glaubigen auß den Juden des Gesätzes halb am erst gemach solten faren (weil er wol wißt was es für ain halsstarrig volck war) Also ob sie wol Christum den ainigen hailand und seligmacher predigten, doch jhnen die werck des Gesetzes nicht bald so gantz abstrickenn noch verwerffen solten. 125 Aber auch das asketische Motiv der Tradition, wie wir es bei der GLOSSA INTERLINEARIS und bei BONAVENTURA erkannten, kommt bei SCHWENCKFELD zu Wort: ... ain wenig von der erden, das ist, von irrdischen dingen angsten, sorgen, und von den flaischlichen affecten seind abzeweisen, biß sie mehr kraft empfahen, und in Christo völlig zur grösse wachsen. 126 Diese asketische Linie dominiert v.a. in der pietistischen, erscheint aber durchaus auch in der orthodox lutherischen Predigt. Das Irdische, von dem man Jesu Bitte gemäß Abstand gewinnen soll, ist bei H. MÜLLER allgemein die Weltliebe: Soll Jesus ins Herz treten, so muß es vom Irdischen abgeführt werden. Ein irdisches Herz ist nicht tüchtig zur Wohnung Christi ... Ja, spricht mancher, das ist sehr schwer, die Weltliebe tödten. Mein Herz, der Heiland begehrt nicht, daß du in dir auf einmal die Weltliebe sollst tödten, sondern nachgerade. Zu Petro sagt er, daß er das Schiff ein wenig vom Lande führe. Heute mach den Anfang, ein wenig morgen, ein wenig übermorgen, allezeit je mehr und mehr, bis die Weltliebe in dir ganz erstirbt. 127 FRANCKE geht es präziser um die Distanzierung von der Arbeit, wofür er eine Art "innerer Emigration" während der Arbeit empfiehlt: du musst dein Schiff, deinen Stand, deinen Beruff, darinnen du lebest, zusammt dem Schifflein des Hertzens von dem irdischen Wesen ein wenig abführen,

- 190 daß deine Hände zwar arbeiten, aber daß dein Hertz nicht an der Arbeit hange ... daß wenn du mitten in deiner Arbeit stehest, du denn ein wenig abwerte tretest, und dem HErrn JEsu Raum gebest, daß er auch könne einmal mit dir sprechen. 128 Auf die Eitelkeit des gesellschaftlichen Lebens lenkt MEUSCHEN den Blick seiner Hörer: ... vom Land ... fahren, das ist, vom Gereiß des Volcks uns entziehen, die Gesellschaften meiden, und in eine Stille oder Einsamkeit uns ... begeben, wo unser Geist von den weltlichen Bemühungen, Objectis und Verhinderungen befreyet, desto freyer und ungehinderter den Willen, Befehl, die Lehren, Wunder und Geheimnüsse seines GOttes kann beschauen ... 129 Im 19· Jahrhundert sind es nur noch zwei Prediger, die linser Motiv zur Allegorese lockt. Bei HUHN geschieht dies wieder im asketisch-weltflüchtigen Sinn. Merkst du, worauf das hinaus will? Stellet euch nicht dieser Welt gleich, ruft der Apostel ... Sollen wir prüfen können, sollen wir was Rechtes von Christo lernen, so.muß das Schifflein ein wenig und wieder ein wenig vom Lande weg ... 130 RICHTER hingegen preist Kaiser Wilhelm die Vorzüge christlicher Seefahrt: Unser Schiff ist ja auch 'ein wenig vom Lande geführt'. Es thut so wohl, all das Gewirr und Geschwirr der Großstadt und des Tagestreibens dahinten zu lassen, in Gemeinschaft nur einiger wenigen erprobten Gefährten ... Da weitet sich auch das Herz. Da weht Gottes Odem so frisch durch die Brust... 131 Sic transit gloria allegoriae. e) Jesus setzt sich im Schiff BONAVENTURA:

1 ^52 Est sedere per otium contemplationis. ^ SCHWENCKFELD: Christus sitzt allain im schiff unnd leret, das Schiff bedeut die kirche, wie vor gehöret, sampt all irem volck und glidern, darinn sitzet der gnaden könig Jesus Christus als das haupt und der hohepriester ... Solchs hat Christus mit disem geschichte wöllen anzeigen, wie er auch als der einige Regent und maister unsers glaubens unnd gewissens inn all den Christlichen kirchen glidern, das ist inn allen war glaubigen hertzen allein sitzen und mit rug, frid, und freud wil darinn wonen ... 133

- 191 Schließlich sieht G.C. RIEGER in Jesu Platznehmen ein Sinnbild für die bleibende Ruhestätte, die Jesus im Herzen des Christen einnehmen will: Ach halte Ihm still und verstatte Ihm, daß Er nicht nur darein treten, sondern auch darin niedersitzen und damit eine bleibende Ruhestätte darin nehmen möge ... 134 Überblickt man die Allegorese unsrer Perikope im ganzen, so läßt sich zweifelsfrei sagen, daß mit LUTHERs Predigt der Allegorese das Rückgrat gebrochen ist. Hatten sich in der Alten Kirche und im Mittelalter u.a. im Westen feste Traditionen herausgebildet, die weithin wörtlich übernommen wurden, so setzt schon bald nach LUTHER der willkürliche Wildwuchs individueller Allegorisierung ein; am meisten halten sich die mittelalterlichen Traditionen u.a. mystisch-asketischer Observanz bei Predigern wie SCHWENCKFELD und im Pietismus. Die epochale Bedeutung der Absage LUTHERs an die überkommene Allegorese für die Predigtgeschichte, auf die schon KARL HOLL und dann v.a. G. EßELING hingewiesen haben, bestätigt sich am Detail unsres Texts.

2. Kapitel: Das Verhältnis von Predigtthema und Textskopus Motor dieser Untersuchung ist die Neugier: Was geschieht mit einem Vorwurf beim Vorgang der Gestaltung? Was wird aus einem Text, wenn er durch spätere Generationen interpretiert wird? Wie ist es um seine Identität bestellt, wenn ein und derselbe Text zweihundertvierzigmal für eine Auslegung herhalten muß? Wo ist die Grenze, an der festzustellen ist: Von hier ab kann man nicht mehr von Auslegung jenes Texts reden; hier überwiegt das Aktuelle, das Neue, das Eigene der Interpretation? Aber es handelt sich hier ja nicht nur um Interpretationen eines Texts, sondern um Predigten. Predigt, das heißt: Vollmächtige Vergegenwärtigung einer einst mit

- 192 dem Anspruch prophetischer Inspiration Menschen jener Zeit zugesprochenen Botschaft durch einen von dieser Botschaft überführten Zeugen der Gegenwart für eine konkrete Gemeinde zu bestimmter Zeit an unaustauschbarem Ort. Durch jedes dieser Momente ergibt sich notwendig eine inhaltliche Modifikation, ohne die die Predigt ihren Auftrag verfehlt. Jedes dieser Momente kann seine hermeneutische Funktion auch überziehen und damit das Zum-Ziel-Kommen des auszulegenden Textes in Frage stellen. Der Prediger, der sich und die Gegenwart meint ganz aus dem Spiel lassen zu müssen und dann den Text nur eben paraphrasiert, verrät ihn ebenso wie der andere, der seiner Person oder Problemen der Zeit so großes Gewicht beimißt, daß darüber der Text verstummt. In diesem Kapitel sollen die vorliegenden Predigten auf ihre Nähe zum Textwillen, auf ihre Entsprechung zum der Perikope innewohnenden Skopus hin untersucht werden. Dabei können nur die thematisch einigermaßen erfaßbaren Predigten behandelt werden; Homilien im strengen Sinn des Worts müssen unberücksichtigt bleiben. Auch sei noch angefügt, daß sich Überschneidungen mit dem historischen Teil der Arbeit von der Sache her nicht vermeiden lassen.

I. Ü b e r e i n s t i m m u n g von T e x t s k o p u s und P r e d i g t z i e l Lk 5, 1-11 ist eine Berufungsgeschichte. Synoptischer Vergleich und Formgeschichte lassen uns heute deutlicher als frühere Generationen erkennen, daß die Perikope in Vers 10 f. ihren Zielpunkt hat; von ihm aus erschließen sich die vorhergehenden Verse der Perikope am einleuchtendsten1. Diesen strengen Maßstab auf die Predigtgeschichte der vergangenen Jahrhunderte anzuwenden, hieße den Stab Uber die überwiegende Mehrzahl der erfaßbaren Predigten brechen. Wir würden ihnen so nicht gerecht; angesichts der Geschichtlichkeit auch der auf uns gekommenen Predigt-

- 193 literatur kann man jenen Maßstab kritisch wertend nur auf Zeitgenossen anwenden. Folgenschwer für das weitere Geschick unsres Texts war die Entscheidung, die LUTHER gleich in der ersten uns Uberlieferten Predigt von 1522 in hermeneutischer Hinsicht getroffen hat. So verdienstvoll seine Abkehr von der überkommenen Allegorese war, so sehr fiel andrerseits ins Gewicht, daß er eine Weiche gestellt hat, die am expliziten Textwillen vorbeiführte. Anders ist es kaum zu erklären, daß von den rund 215 unter unsren Predigten, die sich thematisch vergleichen lassen, nur ein knappes Viertel die Berufung zum Apostel- bzw. Predigtdienst als Haupt- oder Nebenthema der Predigt nennt. LUTHER befragt den Text auf den Glauben hin. Glaube und zeitliche Güter - Glaube und ewige Güter - das ist die Dimension, in der er die Perikope sieht; dabei sind mit den ewigen Gütern das Wort Gottes (Vers 1-3) und die Anfechtung sowie deren Aufhebung durch die Sündenvergebung (Vers 8 und 10a) gemeint. Vers 10 b und 11 kommen LUTHER kaum ins Blickfeld. Erstmals bei DIETRICH taucht - als dritter Teil seiner Predigt aus der Kinderpostille - der Gedanke auf, ... Das diser Fischzug anders nichts ist, denn ein trost, welchen Gott allen, so im Predigampt sind, hat fürge^tellet, Das, wo man vnsers lieben Herrn Christi wort fUret, vnd wie Petrus hie das netze auff sein Wort vnd befelch ausz wirfft, da sol folgen, es sperre sich der Teufel vnnd die Welt dagegen wie hart sie wollen, das die leute mit hauffen dem Teufel abgefangen, vnnd in Gottes reich gebracht werden ... 2 Als Thema einer ganzen Predigt finden wir das Apostelamt zuerst genannt bei PAPPUS; er behandelt die necessitas et efficacitas Ministeri! Euangelici (Nr. 52)^. In seiner Nachfolge sind zu nennen: SPENER mit dreien seiner 27 Predigten (Nr. 76, 79 und 88), FRÖREISEN (Nr. 101), J. MÜLLER (Nr. 156), WÄCHTER (Nr. 174), ACHELIS (Nr. 192) und KÖBERLE (Nr. 262).

- 194 Diesen Predigern - wenn man von DIETRICH und PAPPUS absieht - ist gemeinsam, daß sie die Berufimg zum Apostelbzw. Predigt-, Missionsamt zum Hauptthema ihrer Predigt gemacht haben. Dies schließt nicht aus, daß auch andere Momente des Texts zur Sprache kommen. Besonders günstig waren gerade bei diesem Text die Voraussetzungen im Falle des dänischen Bischofs MARTENSEN, der eine Ordinationspredigt zu halten hatte; sie ist überschrieben: "Fahre auf die Höhe!", ist aber ganz von Vers 10 b her konzipiert (Nr. 181).

II.

T e x t g e m ä ß e

M o d i f i k a t i o n e n

Respekt vor dem Textwillen verurteilt nicht notwendig zur Monotonie in der Thematik. Das zeigt ein Blick auf die mannigfach praktizierten Möglichkeiten, verschiedene Aspekte des Texts unter der Maßgabe von Vers 10 b zu eröffnen. 1 . Hier sind zunächst die Predigten zu nennen, in denen die E igenschaften aus dem Text erhoben werden, die Jesus an seinen Jüngern sucht, wenn er sie zu Menschenfischern machen will. SPENER predigt über "Eigenschaften und Tugenden treuer Prediger" (Nr. 68), ähnlich HARLESS (Nr. 153), GEROK (Nr. 165) und neuerdings BÖSINGER (Nr. 257). 2. Die Person des Petrus ist erst seit Mitte des vorigen Jahrhunderts ins Blickfeld der Prediger getreten, und auch da zunächst vor allem im Blick auf seine individuelle Bekehrung. Das Gefälle zum Aposteldienst findet sich als Predigtthema erst bei den folgenden Predigern: THIMME führt eine "Petrusstunde" vor Augen, die aus Petrusnot Uber Petrustrost zu Petrusdienst bringt (Nr.243); auch STÜNKEL (Nr. 249), VOGEL (Nr. 259) und TRILLHAAS (Nr. 263) zielen auf die Person des Petrus. 3. Die Verse 1 - 3 treten bei DOERNE in besondere Beziehung zum Textskopus: "Das überwindende Wort" (Nr.267).

- 195 4. Am Befehl Jesu in Vers 4

orientieren sich AHLFELD

und BEZZEL (Nr. 160 und 208). 5. Die Erfolglosigkeit der Arbeit im Reich Gottes macht SMEND aufgrund von Vers 5 zum Thema seiner Predigt: "Nichts gefangen!" (Nr. 203). 6. Anders HERZOG, der den in Vers 6 geschilderten Segen auf den Textskopus bezieht: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein (Nr. 204). 7. Die Notwendigkeit der Läuterung zum Dienst durch das Erschrecken über eigene Sünde nach Vers 8 und 9 wird in zahlreichen Predigten betont. Zum Hauptthema wird sie bei REICHEL (Nr. 135). 8. Vers 11 steht sozusagen als Ausführungsbestimmung ohnehin in enger Beziehung zu Vers 10 b. Ausdrücklich ist das in der dritten Predigt von FISCHER ausgesprochen: Daß ein Christ auf vorgehenden Befehl des Herrn Christi alles sich begeben und ihm, dem treuen Heiland, nachfolgen soll (Nr. 41). 4 9- Das Bedürfnis, alle Teile der Predigt auf den Nenner eines Themas zu bringen, war mit LUTHERs Ablehnung der Regeln klassischer Rhetorik in Abgang gekommen. Auch in seiner Nachfolge reihte man die einzelnen Teile vielfach in der sog. Local-Methode aneinander, ohne daß sie untereinander eine Beziehung aufgewiesen hätten. Dann erscheint etwa das Apostelamt als Teil-Skopus ohne Bezug auf die andern Teile der Predigt. So fügt HESHUSIUS einem ersten Teil über das Thema "Der Christ und die zeitliche Nahrung" einen zweiten an über den Beruf des Apostelamts (Nr. 43). 10. Oft finden wir das Apostelamt auch als Unterthema in größerem Zusammenhang. Schon bei LUTHER waren - häufig im jeweils zweiten Hauptteil, der meistens den Glauben im Zusammenhang der "ewigen Güter" behandelte kurze Auslassungen Uber das Predigtamt eingefügt.

- 196 Im folgenden sind nur Predigten aufgeführt, in denen dieser Locus als eigener Abschnitt in den Dispositionen erscheint. So nennt ARND in seiner zweiten Predigt über unsern Text im zweiten, "Vom Wunderwerk, wie Gott die Liebe seines Worts belohne" überschriebenen Teil als fünftes Mittel, den zeitlichen Segen zu erlangen, den rechten Gebrauch des Segens: Das ist Petri Beruf zum Apostelamt ... Ähnlich erwähnt GERHARD in der zweiten seiner vier Homilien als zweite der "miraculi consequentiae" das Apostelamt (Nr. 59). Daß Christus Petrus zum Lehr-Amt ausersehen hat, darüber handelt SCRIVER im dritten Teil seiner Predigt unter dem Thema: An Gottes Segen ist alles gelegen (Nr. 95).' BENGEL betrachtet 1738 'den seligen Christenstand': 1. Wie ein Mensch für sich selbst und sein Theil durch Christum in diesen Stand komme, 2. Wie ein solcher hernach auch andern zu solchem seligen Stand behilflich sein könne (Nr. 112). In der "Abbildung christlichen Lebens" von G.C. RIEGER bildet die Sendung zum Dienst die siebte von insgesamt neun Stufen (Nr. 115). Auch unter den - weiter unten aufgeführten - Predigten über die irdische Arbeit ist Raum für die Auslegung von Vers 10 b; so behandelt TRAUB im dritten Abschnitt seiner Predigt über unsre Arbeit ohne und mit Jesus das Thema: Unsere Arbeit mit einander und an einander (Nr. 229).

III.

S c h w e r p u n k t - V e r s c h i e b u n g e n

Überblickt man die Fülle der Themen, die aufgrund unsrer Perikope formuliert wurden, so fällt auf, daß kaum einer der elf Verse nicht irgendwann zum Zentralvers erhoben worden wäre. Die Motive solcher Akzentuierung sind nicht immer zu ergründen. Bei der Mehrzahl der Prediger ist es

- 197 sicher die Überzeugung, daß der von ihnen gepredigte Skopus auch dem Textskopus entspricht. Dazu kommt, vor allem bei der Konzeption mehrerer Predigten über einen Text - zumal zu Zeiten, in denen noch alljährlich die altkirchliche Perikope obligate Predigtgrundlage war die Absicht, den Text möglichst von allen Seiten her zu durchleuchten und damit gleichzeitig der Monotonie zu entgehen. Schließlich finden wir Themen, die möglichst allgemein und blaß formuliert sind, um als gemeinsamer Nenner für die verschiedenen Verse fungieren zu können. Um die Vielfalt der Themen zu gliedern, gehen wir den Versen unsrer Perikope entlang, an die jene sich knüpften. Vers 1-3 1 . Das Drängen des Volks zum Wort Gottes erscheint als zentrales Predigt-Thema bei WAGNER (Nr. ,56), SPENER (Nr. 66), FRÖREISEN (Nr. 99 und 105), K.H. RIEGER (Nr. 136), RÖHR (Nr. 144), LIEBNER (Nr. 167) und v. HOLST (Nr. 173); als isolierten Teil-Skopus finden wir das gleiche Motiv bei FISCHER (Nr. 39), WEIGEL (Nr. 49), L. OSLANDER (Nr. 50), ARND (Nr. 53 und 54), GERHARD (Nr. 58 und 60) und STEINKOPF (Nr. 150). 2. Christi Eintreten in das Schiff des Petrus widmet WEIGEL einen von vier Abschnitten seiner Predigt (Nr. 49), und H. MÜLLER predigt über die Voraussetzungen, unter denen Christus ins Schifflein des Herzens tritt und damit dem Menschen Segen schenkt (Nr. 63). 3· Die Schiffspredigt Jesu ist der Gegenstand der ersten Predigt von FRÖREISEN (Nr. 101), während sich RÖGNER ausführlich Uber Christi Kanzel ausläßt (Nr. 97). 4. Petri Bekehrung stellen TRENKLE (Nr. 158), THOMASIUS (Nr. 164), L. HARMS (Nr. 171), ROFFHACK (Nr. 177) und

- 198 SCHILLING (Nr. 220) in den Mittelpunkt ihrer Predigten, wobei durchweg seine Person und Berufung in die Jüngerschaft stärker betont ist als seine Sendling zum Apostel.

V e r s

5

1. Der Sinn des Scheiterns im Leben eines Christen wird in zahlreichen Predigten behandelt. Als Hauptthema erscheint das Motiv bei HOFFMANN (Nr. 180) und bei FABER (Nr. 245). 2. Die Bedeutung vertrauensvollen Handelns auf das Wort Jesu hin erörtern als Hauptthema BRASTBERGER (Nr. 131), HÜFFELL (Nr. 146), BEHRENDT (Nr. 234) und HEISLER (Nr. 237).

V e r s

6

Als Hauptthemen erscheinen hier: 1. Der Fischzug bei RÖMHELD (Nr. 223) und ECKERT (Nr.226); 2. Das Wunder - ohne Eingehen auf das Wunderproblem im speziellen - bei BRENZ (Nr. 33), ARND (Nr. 53) und in zwei Predigten von GERHARD (Nr. 59 f.); 3. Gottes Segen im Irdischen bei DIETRICH (Nr. 36), GERHARD (Nr. 61), HERBERGER (Nr. 62), DANNHAUER (Nr. 64), in fünf der Predigten SPENERs (Nr. 65, 72, 73, 83 und 85), bei SCRIVER und RÖGNER (Nr. 95 und 96). Als eines von zwei oder mehr Themen erscheint das Thema noch weit öfter, etwa nach der Art der Predigt LUTHERs über "Dominus curat pro anima et corpore" (Nr. 20)^.

V e r s

7

Dem Kaiserlich Königlichen Feldpropst D. RICHTER blieb es vorbehalten, die einzige Themapredigt über Vers 7 zu halten mit dem sinnigen Titel: "Signalzeichen auf See" (Nr. 197).

- 199 V e r s

8

Um Sündenerkenntnis und demütige Gesinnung geht es primär in den Predigten STEINHOFERs (Nr. 117), STÜCKELBERGERs (Nr. 143), ROBERTSONS (Nr. 162) und BENZ' (Nr. 238). V e r s

10

Sündenvergebung als - freilich verwässertes - Zentralmotiv einer Predigt finden wir bei CRAMER: "Die Ruhe des Gewissens" (Nr. 128). V e r s

11

Nachfolge Jesu, mit wenig Beziehung auf Vers 10 b, ist der Skopus bei F.W. KRUMMACHER (Nr. 166).

IV.

E x t e r n e

P r e d i g t t h e m e n

Nicht ganz selten begegnen Predigten, die durchaus den Anspruch erheben, den vorgegebenen Text auszulegen, deren Thema jedoch auf den ersten Blick nicht viel mit ihm zu tun zu haben scheint. Die Themen dienen gleichsam als Sammellinsen, die es ermöglichen sollen, möglichst viele Momente des Texts zu berücksichtigen: BENGEL, Der selige Christenstand (Nr. 112); G.C. RIEGER, Eine Abbildung des christlichen Lebens (Nr. 115); STEINHOFER, Von unserer Gemeinschaft mit Jesu (Nr. 116); THOMASIUS, Von der Einkehr des Herrn (Nr. 164); LOOFS, Drei Stufen der Jüngerschule (Nr. 206); DUNCKMANN, Der Seelsorger an der Arbeit (Nr. 231).

- 200

-

V. I m p l i k a t i o n e n des als P r e d i g t t h e m e n

T e x t s

Gemeint sind Sekundärschlüsse, in denen einzelne - vom Skopus her betrachtet relativ belanglose - Züge des Texts zu Hauptthemen der Predigt gemacht werden. 1. Zumeist handelt es sich dabei um aus dem Bericht abgezogene Reflexionen über Sein und Wirken Gottes. An Vers 3 knüpft WAGNER seine zweite Predigt an. Ihr Thema lautet: Des Kirchen-Schiffleins Ubiquitet (Nr. 57). WAGNER betont in dieser Predigt, Christus sei mit seiner Kirche an äußerliche Kanzeln, Thum und Stift nicht gebunden. Sodann: R00S: Von der Unterweisung der Menschen durch die Werke und Gebote Gottes (Nr. 137); LENZ: Vom Vertrauen auf die göttliche Vorsehung und Regierung (Nr. 139); C. HARMS: Wie bedeutsam es sey, ob man von Glück mehr oder mehr von Segen spreche (Nr. 147); HUHN: Wie der Herr die Seinen führt (Nr. 170); HOLTZMANN: In welchen Augenblicken erleben wir die tiefste Berührung mit der Welt Gottes (Nr. 202). 2. Vor allem aber ist hier die überraschend große Gruppe von Predigten über den irdischen Beruf des Christen zu nennen. Nachstehende Abfolge von Schlüssen scheint dieser Themastellung zugrunde zu liegen: Schlechterdings verbindlich für das Handeln des Christen in der Gegenwart sind die Weisungen und das Verhalten Jesu. Diese sind direkt in der Schrift abzulesen. Weil Jesus - das wäre wohl eine Parallele - den Kriegsleuten Genügsamkeit mit ihrem Sold anempfahl, ist der Stand des Soldaten ein Gott wohlgefälliger Stand. In unsrem Zusammenhang: Weil Jesus bei seiner Begegnung mit Petrus und seinen Genossen deren irdischen Beruf eines Auftrags gewürdigt und ihnen aus der Misere ihres Berufs herausgeholfen hat, deshalb ist an

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diesem Text abzulesen, wie sich der Christ in seinem weltlichen Beruf zu verhalten hat, um zu reüssieren. Dabei kann für diese Ausleger völlig außer Acht bleiben, daß nach dem lukanischen Wortlaut die irdische Hilfe für die Fischer insofern recht zweifelhaft war, als sie ja doch alsbald alles - lind dann wohl auch den neuerworbenen Fischreichtum - verließen; auch die Tatsache hat ihnen wenig Kummer bereitet, daß der Nachdruck der Perikope nicht auf einer Bestätigung, sondern zumindest für die Betroffenen auf einer Ablösung vom weltlichen Beruf liegt. Wir stehen hier vor dem für die Predigtgeschichte höchst merkwürdigen Phänomen, daß unter den untersuchten Predigten über Lk 5 - relativ betrachtet - mit Abstand die meisten eben über das Berufsleben des Christen gehalten wurden; absolut gesehen ist es mehr als ein Viertel. Die überwiegende Mehrzahl dieser Predigten nimmt keinerlei Beziehung auf die - wie wir gesehen haben - zentralen Sätze in Vers 1 0 b und 11. Der 5. Sonntag nach Trinitatis war somit, wie bereits erwähnt, durch lange Generationen hindurch der Sonntag, an dem alljährlich die lutherische Berufsethik aufgrund unsres Textes der lutherischen Christenheit eingeschärft wurde; jene erhielt dadurch eine kaum zu überschätzende Breiten- und Tiefenwirkung. Die Verbindlichkeit solcher Regel wich zwar im Zuge der Aufklärung, doch hat sich das Thema gehalten bis in die Gegenwart, wo sich eine solche Treue zum eingefahrenen, aber eben doch exegetisch fragwürdigen Geleis freilich einigermaßen anachronistisch ausnimmt. Es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, daß die historischen Wurzeln dieser Entwicklung zu LUTHER zurückführen. Dieser hat zwar nie den weltlichen Beruf zum Hauptthema einer Predigt über Lk 5 gemacht. Wohl aber hat

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er - meistens bei der Abhandlung über den Segen Gottes im Leiblichen - kaum einmal versäumt zu sagen, Gott ernähre zwar den, der auf ihn vertraue, gleichwohl wolle und gebiete Gott, daß der Mensch arbeite. Schriftgrund: Gott hat den Fischern zwar den reichen Fischsegen beschert, aber sie müssen trotzdem hart arbeiten, um ihn zu bergen: ... tarnen Christus laborem non auffert, non vult ut deum tentemus, quasi dicerem 'non laborabo, quia dominus dabit' etc. Petrus non quievit et expectavit, ut pisces insilirent in navim, sed praecepit eis 'laxate', laborandum est, non curandum. 7 Solche Arbeit aber geschieht im geordneten Beruf, den bei Mißerfolg im Stich zu lassen LUTHER immer wieder warnt. Gerade dieser Zug ist ein Hinweis darauf, wie sehr die theologia crucis auch seine Lehre vom Beruf mitbestimmt hat. Was somit bei LUTHER Nebensatz war, ist unter seinen Schülern und v.a. in der Zeit der lutherischen Orthodoxie wie auch des Pietismus dann zum Hauptsatz geworden, der in mancherlei Schattierungen und Brechungen variiert worden ist.

VI.

Z e n t r i f u g a l e

K r ä f t e

Der Möglichkeiten, am Text vorbeizupredigen, sind Legion. Sie wurden und werden programmatisch oder unbemerkt, mit fragwürdigen oder mit honorigen Gründen zu allen Zeiten der Predigtgeschichte realisiert, und man muß im Rückblick schon dankbar sein, wenn das anhand eines konkreten Textes Gesagte wenn nicht textgemäß, so wenigstens schriftgemäß ausgefallen ist, und nicht nur sogenannte "allgemeine Wahrheiten" vermittelt. Für die Predigt der Gegenwart bliebe das allerdings eine allzu bescheidene Minimalforderung; sie setzte die Entschlossenheit voraus, nicht aus der Geschichte der Predigt lernen zu wollen. Die Predigtgeschichte einer einzelnen Perikope ermöglicht hier die Erhebung einer Typologie der gefährlichen Wei-

- 203 chenstellungen und Entgleisungen, die für die Aufgabe der Homiletik der Gegenwart höchst lehrreich ist. Dabei fällt auf, daß die Motive, die zu solchen Irrwegen und Entgleisungen geführt haben, im Ansatz zumeist nicht nur gut gemeint, sondern auch sachlich begründet waren; es handelt sich lim ins Kraut geschossene homiletische Tugenden. Im Zusammenhang dieses Kapitels führen wir dazu lediglich diejenigen Beispiele vor, in denen die gesamte Thematik einzelner Predigten sich vom Textwillen entfernt hat. 1 . Formalismus Zucht der Gedankenführung und Klarheit der Gliederung ist eine homiletische Tugend; sie erspart es dem Hörer, einen ungeordneten Wust von Gedanken und Assoziationen über sich ergehen zu lassen. Der Hörer soll jeweils in etwa wissen, an welcher Stelle im Duktus der Predigt er sich befindet. Nicht ungestraft läßt man als Prediger die primitivsten Regeln der Rhetorik unbeachtet, deren landläufiger abusus nicht zum Verwerfen eines sachgemässen und vom Gegenstand in die Schranken gewiesenen usus führen sollte. Aber diese löbliche Absicht entartet da, wo sie ihre dienende Funktion verleugnet. Die Predigt gerät in Gefahr, wenn die Freude am Disponieren und Systematisieren überhandnimmt, und jedes nicht aus dem Text selbst gewonnene Thema neigt dazu, eine Eigenströmung zu entwickeln, die dem Gefalle des Texts abträglich ist. Am anfälligsten für die Freude am üppigen Disponieren war zweifellos die Barockzeit. Die Predigt, die SPENER 1780 über den Beruf zum Predigtamt gehalten hat (Nr. 76), hat zwar vieles dem Text entnommen, ebenso vieles aber verdankt seine Erwähnung der ausgeklügelten Disposition, in der SPENER durchaus ein Kind seiner Zeit war, obgleich er gegen die Auswüchse der Rhetorik verschiedentlich zu Q Felde gezogen ist.

- 204 Wenn CRAMER "Von den Vortheilen des Glaubens" handelt (Nr. 128), so muß ein solches Thema nicht notwendig zentrifugal wirken; auch DANNHAUER hatte von der "Ars ditescendi" gesprochen (Nr. 64), RÖGNER über "Die Kunst, Gottes Segen zu erlangen" (Nr. 97), und jeweils war durchaus der Versuch gemacht, anhand dieses Themas wirklich den Text auszulegen. CRAMER aber entnimmt den Versen 8 - 1 0 lediglich die Sentenz: "... welch ein unq schätzbares Gut ist nicht die Ruhe des Gewissens!" , um im folgenden ohne jeglichen Textbezug Erwägungen Uber das Gewissen anzustellen. Auch das Thema "Von der christlichen Arbeits-Liebe" kann als Auslegung des vorgegebenen Texts behandelt werden. BLESSIG aber läßt sich vom Thema verleiten, losgelöst vom Text zu meditieren: I. Wer soll sie äußern? (Alle!) II. Wie soll sie sich äußern? (Die Arbeit muß rechtmäßig, stetig und anhaltend sein, und sie muß mit dem Gedanken an Gott und an ein bleibendes ewiges Gut unternommen werden - Nr. 145). 2. Wucherungen von Verstehenshilfen Treffende Bilder und Vergleiche, sorgsam ausgewählte Anekdoten und sparsam verwendete Beispielgeschichten, Parallelen und Entsprechungen oder auch Zitate aus Schrift oder Literatur können bei der dem Prediger obliegenden Ubersetzungsarbeit wertvolle Dienste leisten. Doch wo diese Mittel die Aufmerksamkeit vom Zentrum ablenken, schaden sie mehr, als sie nützen. Auch darin schießt die Barockzeit den Vogel ab. Es ist sicher sinnvoll, in Sachen "Arbeitsfleiß" das salomonische "Geh hin zur Ameise, du Fauler" (Spr 6,6) zu zitieren. Wenn HERBERGER im Anschluß daran jedoch den breiten Schluß seiner Predigt darauf verwendet, in sieben Punkten die Zoologiebücher eines gewissen HERRMANN und des MATTHE10 SIUS SAREPTA auszuziehen und daraus Nutzanwendungen zu

- 205 ziehen, so kann man das nicht anders denn als verspielte Allotria bezeichnen. Die Predigt J.J. OTHOs strotzt geradezu von emblematischem Zierat, angeregt durch die Gegenstände des Texts, u.a. Schiff, Netz, Meer usw. Das geht bei ihm bis an die Grenze der Geschmacklosigkeit: Wenn der Mensch daligt auf seinem Krancken-Bett, und alle Glieder von sich strecket, so siehet er fast einem Schiff gleich: Sein Haupt ist das Hintertheil des Schiffes, der Rucken ist der Boden, beede Arm sind die Rudern, die Geripp sind die Zwerch Höltzer, damit das Schiff zusammengehalten wird: Wie ist es möglich, daß dieses Menschen- Schiff bestehen soll? JEsus thut das Beste, der leget Hand an, und führet es zu Land: Er, der wunderthätige Prob-Meister, der das erste exemplar Muster-Schiff dem Noah angedinget, und dasselbe unmittelbar ohne Ruder, Segel und Mast-Baum dergestalt geregieret hat, daß es, wiewohl es nur von schwartzem hartzigen Tannen-Holtz gemachet und mit Erd-Pech vergossen ward, zwölf gantzer Monat lang unter und über den Fluthen erhalten worden, und es ausgedauret hat: Der wird auch liebes Hertz, Gnad und Seegen zu deiner Schiffahrt geben, und dein vermodertes Leibes Schifflein an jenem grossen Tage wiederum aufrichten, daß es nimmermehr zerschellen sondern ewig währen wird. Sollte das nicht ein Christen- Hertz zu dem Tode bereit und fertig machen? ... 11 Verlorene Zeit ist es auch, wenn BURK eine weitschweifige Einleitung Uber gute Handwerkszeuge darbietet, um dann "Das Wort Gottes als den besten Handwerkszeug zu allerley Geschäften" zu betrachten (Nr. 129), wobei auch in der Durchführung das Bild des öfteren aufkosten des Texts den Duktus der Predigt bestimmt. Ausgehend von einer Beschreibung der Amtstracht des Papsts, zu der auch der Siegelring mit dem Bild eines Fischers gehört, fragt STÜNKEL: Wer sind die Leute, denen der HErr Christus den Fischerring anvertraut? (Nr. 249.) Die dadurch verursachte leichte Schlagseite seiner Predigt fällt freilich nicht so schwer ins Gewicht wie bei den vorher zitierten Predigten.

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Ähnliches wäre bei MÜNK zu konstatieren, der gleich zwei Bilder benützt: Die Geschichte von Petri Fischzug entspricht in der Soldatensprache der Ernennung zum Marschall; später folgt das breiter ausgeführte Bild: Petrus wurde in der theologischen Fakultät von Gennesaret immatrikuliert. Heute hören wir vom ersten Tag seines Studienjahres. Sein Eintrittszeugnis war folgendes: er taugte nicht zum Fischen... 12 Daß unter der Springflut von Bildern in der Predigt BÖSINGERs der Text überschwemmt zu werden droht, haben 1 ~*> wir schon moniert; J ein Viertel der verwandten Illustrationen, diese dafür sorgfältiger ausgeführt, wäre der Sache dienlicher gewesen. Zentrifugale Kräfte werden bewußt beschworen von DÖRRIES, wenn er ein Goethe-Wort als Überschrift wählt: Hier oder nirgends ist, was wir suchen (Nr. 213). Das löbliche Ziel, Gebildete unter den Gemeindegliedern anzusprechen, ist mit dem Preis der Schwerpunktsverschiebung zu teuer bezahlt. 3. Egozentrik des Predigers a) Ein Prediger, der sich nicht persönlich engagiert in dem, was er zu sagen hat, ist ein Greuel; er soll Zeuge sein, nicht Nachrichtensprecher. Die Art, wie der Prediger sich ins Spiel bringt, kann jedoch der Sache, die er zu vertreten hat, abträglich sein. Wo seine Person in den Vordergrund tritt, steht er dem Licht, auf das er hinweisen soll, im Weg. Dabei ist es gleichgültig, ob er sich als leuchtendes Vorbild oder ob er sich in vermeintlicher Demut als abschreckendes Exempel darstellt. 14 Entgleisungen dieser Art sind leider keine Seltenheit Es blieb aber dem Superintendenten LOMLER zu Heldburg vorbehalten, die eigene Person, deren vorbildlichen Glauben und edle Demut in den Mittelpunkt einer ganzen Predigt über unsern Text zu stellen und damit zugleich die hohe Versuchlichkeit einer Antrittspredigt zu illustrie-

- 207 ren, die schon manchen Simson zu Fall gebracht hat (Nr. 148). Es handelt sich um eine "Dankpredigt bei einer Amtsveränderung". Man höre, wem der Dank gebührt: ... so erfordert doch die Huld des besten Fürsten und die Geneigtheit Seines hohen Consistoriums zu meinem Anfangs (!) nur sehr leise angedeuteten Wunsche einer Veränderung meiner jetzigen Lage ... meinen lebhaftesten Dank, welchen ich jetzt hierdurch Ihm und meiner tiefverehrten Oberbehörde mit gerührtem Herzen bringe... Das Eingeständnis des anfangs nur sehr leise angedeuteten Wunschs einer Veränderung könnte falsche Vorstellungen wecken. Der Text, und in ihm Petrus, muß dafür herhalten, diese zu entkräften. Herr, auf dein Wort! Wer so spricht, der will vor allen Dingen damit sagen: Ich unternehme mein Geschäft, ich trete in einen neuen Wirkungskreis, nicht aus meinem eigenen Willen oder Entschlüsse, sondern nach einer höheren Veranstaltung, nach einem lauteren oder leiseren Rufe des Schicksales. So Petrus in unserem Texte ... 15 So auch Superintendent LOMLER. Er räumt ein: Zwar war eine Veränderung mein Wunsch, ja oft mein stilles Sehnen; zwar ward es mir frei gelassen, ein Ja oder Nein zu sagen. Aber welches von beiden ich auch sagen mochte, alle die vorbereitenden und mich bestimmenden Umstände zu dem einen wie zu dem anderen waren im Geringsten nicht mein Werk, nicht eines Menschen Werk. Denn wie viel mußte geschehen sein, ehe nur der leiseste Gedanke, dahin zu gehen, wohin ich mich jetzt anschicke, in mir erwachsen konnte? Die außerordentliche Veränderung unseres Regentenhauses, die Vergrößerung unseres Herzogthumes, die gegenwärtige Gestaltung unserer geistlichen Oberbehörde, und vorzüglich ihr mich ehrendes Zutrauen, der Tod eines hoch betagten Mannes, der, wenn er nur drei Jahre früher erfolgt wäre, mir alle Möglichkeit an seine Stelle zu kommen geraubt haben würde, das, und wie viel noch? mußte in das Reich der Wirklichkeit eingetreten sein, ehe ich heute hier stehen konnte. Ja ich kann, ich darf nicht anders, als mit Petrus ausrufen: Herr, auf Dein Wort, durch Deine Leitung! Der Befehl Jesu "Fahre auf die Höhe!" erfährt eine denkwürdige Konkretion: Die Hauptquelle der größesten Übel in der Welt ist,

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wenn der Lehrstand seine Schuldigkeit nicht thut, oder wenn sein Wirken verkannt oder gehemmt wird. Diesen Stand bekleide ich, und zwar eine der höheren Stufen desselben. Ja, mein seither ansehnlicher Wirkungsgrad soll sich in einen weit ausgedehnteren verwandeln. Fahre auf die Höhe spricht der Herr zu mir, und in stiller (!) Demuth falle ich auf meine Knie nieder, und sage: Herr, auf Dein Wort! 16 Damit ob solchen Höhenflugs niemand verzage, fallen auch einige Brocken aufs Hörerniveau: Auch deine gering geachtete Arbeit, du beschränktester Tagelöhner ..., darf nicht fehlen, wenn nicht Vieles und Unersetzliches fehlen soll! 17 Das Vertrauen des Petrus soll der Hörer am Leben des Predigers ablesen: Dieses Vertrauen war seither der einzige Leitstern auf meiner Lebensbahn. Das darf ich hier vor Gott aussprechen: Ich habe nie auf Menschen, nie auf Einkommen, an (lies: am) wenigsten auf meine eigene Einsicht, mein Vertrauen gesetzt ... 18 Die Beispiele für solche Selbstdokumentation in ein und derselben Predigt könnten noch vermehrt werden; wir brechen ab. Am Extrem wird deutlich, was sonst leicht übersehen wird: Eitle Demut ist noch peinlicher als geistliche Angeberei. b) Hierher gehört auch die Untugend mancher Prediger, die eigenen theologischen Specialitäten über Gebühr in den Vordergrund zu stellen. Gewiß kann und muß der theologische Ort des Predigers auch und gerade in der Predigt seinen Ausdruck finden. So läßt es sich nicht vermeiden, daß theologische Spannungen, Kontroversen und polemische Auslassungen zur Sprache kommen. Ein anderes aber ist, wenn er Lieblingsthemen hat; ausgefahrene Geleise, in die er bei passender und unpassender Gelegenheit hineingerät. Gerade der nicht individuell ausgesuchte, sondern vorgegebene Text könnte dazu helfen, die Breite der Schrift und die Fülle der Wirklichkeit coram Deo zur Sprache zu bringen. Bei dem

- 209 Prediger, der aus jedem Text das Gleiche heraushört, entartet die Tugend, immer Wesentliches sagen zu wollen, zur Enge dessen, der nicht mehr ernstlich hören kann, was der Text zu sagen hat. Die pietistische Predigt ist hier so anfällig wie die rationalistische. Das zeigt etwa die Predigt MEUSCHENs aus seiner "Postilla Mystica Evangelica"; in der Nachfolge TAULERs und SCHWENCKFELDs predigt er über "Die Überwindung sein selbst" (Nr. 100). Begründung: Unter allen Feinden, die ein Mensch ausser und in ihm hat, ist wol der allerärgste und gefährlichste der Mensch selbst ... so folget daraus, daß denn auch der Mensch gegen sich selbst und wider sich selbst als einen Feind streiten müsse, und zwar so lange, bis er das Böse in ihm unterdrücket, die unordentliche zu seinem Ruin abzielende Eigenliebe ruiniret, seine Passiones und Affecten bemeistert ... und sich also selbst überwunden habe ... 19 So sinnvoll es sein mag, bei gegebenem Textvorwurf darüber zu predigen - Lk 5 geht es darum nicht. Die subjektivistische Engführung gewisser pietistischer Kreise des 19· Jahrhunderts wird deutlich beim schwäbischen Magister BAUMANN: Wie habe ich es doch anzugehen, daß ich in jenem Netze auch eingebracht werde? (Nr. 175) Sinnigerweise ist der Kern der Predigt die Ermahnung, wir müßten dem Netz nachlaufen. Zum Subjektivismus gesellt sich - wie so oft - Synergismus. 4. Die Rücksichtnahme auf die Welt des Hörers als Gefahr für die Predigt Wenn LUTHER fordert, der Prediger müsse dem gemeinen 20

Mann "auff das maul sehen" , so beinhaltet das mehr als ein äußerliches Aufmerken auf Redewendungen und Ausdrucksweisen; es meint das Ernstnehmen des Sprachraums als Lebensraum, in dem der Mensch denkt, sich zu verstehen sucht, sich freut, klagt, sich andern mitteilt. Aber nun zeigt die Geschichte der Predigt über unsre Pe-

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rikope nicht wenige Beispiele, in denen in bester Absicht dieses Eingehen auf den Hörer und seine Welt dazu geführt hat, daß die Fragestellungen des Hörers und die Probleme der jeweiligen Gegenwart sich selbständig machen und der besondere Text und seine Botschaft unter die Räder gerät. Als gefährliche Weichen fallen auf der soziale Ort des Hörers (a); die Gelegenheit der Predigt (b); das Zeitgeschehen (c); endlich die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist (d). a) Der soziale Ort des Hörers Der Prediger, der zu einer gebildeten Gemeinde redet, als hielte er eine Straßenpredigt, ist ein Thor; und umgekehrt: wer unter Bergleuten und Kohlenträgern mit wissenschaftlichen Ausdrücken und vornehmen Redensarten um sich wirft, ist erst recht ein Narr. So urteilt schon SPURGEON

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, und er hat recht damit.

Und die nem bei

doch zeigt schon die erste berufsständisch gezielte, Garnisonspredigt J.FR. FLATTICHs über "Den in seiBeruff fleißigen Soldaten" (Nr. 111), wie sehr dadie Gefahr besteht, daß der Text gepreßt wird auf 22 der Suche nach einschlägigen Anweisungen . In stärkerem Maß gilt dies vom Straßburger Pfarrer HORNING; sein Thema lautet: "Die Arbeiterfrage im Lichte des Wortes Gottes" (Nr. 191). Und auch in der oben kritisch referierten Goethe-Predigt von DÖRRIES (Nr. 213) dürfte der Wunsch, den Text für gebildete Kreise aufzuschließen, der Vater der dem Text entfliehenden Gedanken gewesen sein. b) Die Gelegenheit der Predigt

Durch die Lockerung bzw. Abschaffung des Perikopenzwangs ist unsre Perikope für viele Prediger im Kirchenjahr mehr oder weniger heimatlos geworden. Nun ist durchaus nichts dagegen einzuwenden, wenn sie bei diversen Gelegenheiten geistlichen Ansprachen zugrunde gelegt wurde.

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Aber auch hier droht die Gefahr einer Entstellung, wenn der Text auf das Prokrustesbett irgendeines Kasuals oder Kirchenjahrfests gespannt wird. Die einzige Gelegenheit, bei der hier keine Gefahr besteht, ist die Ordination; sie trifft mit dem "Sitz im 27) Leben" der Perikope zusammen. Das ist, wie wir oben ^ gesehen haben, der Predigt Bischof MARTENSENs (Nr. 181) zugute gekommen. Wenn aber der Befehl Jesu in Vers 4 "Fahret auf die Höhe" für eine Himmelfahrts-Predigt über "Gehobene Stunden" (Nr. 212) herhalten muß, deren frohgemuter Eingang über edle Wanderlust auf Bergeshöhen ("... das Wandern versteht keiner so wie die Deutschen") sich ergeht, so gereichte das einem Wanderverein, nicht aber einer Predigt zur Ehre. Auch das erscheint an den Haaren herbeigezogen, wenn HAECKER in "gewaltigen Tagen" - nämlich des ersten Weltkriegs - eine Weihnachts-Predigt über unsern Text hält: ... hier in diesem Erlebnis des Simon Petrus zeigt uns der Herr den Weg, auf dem wir Weihnacht feiern lernen! 25 Eine reichlich sentimentale Weihnachtsgeschichte soll via Vers 8 die Brücke zum Text bilden. Als ob es nicht genügend geeignete Weihnachtstexte gäbe! HAECKER scheint diese Ungereimtheit selbst empfunden zu haben, wenn er einräumt: Auf den ersten Blick scheint das ja kein Weihnachtstext zu sein. Er erzählt nichts ... von jener heiligen Nacht ... 26 Da ist NIEMANN näher an der Sache, wenn er unsern Text für eine Tauf-Ansprache ausgewählt hat: Schon in der heiligen Taufe wirft er das Netz aus, durch welches er zu sich zieht, was im Meere der Sünde verloren ist ... Sage ich das aus eurer Seele, in dem Herrn Geliebte, so feiert ihr in dieses Kindes Taufe ein größeres Wunder als das ist, dessen Andenken der heutige Sonntag gewidmet ist ... 27

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Die hier vorliegende Modifikation scheint in diesem Fall vertretbar. Hingegen ist DÖRRIES bei einer Trau-Predigt über Vers 4 der Versuchung weithin erlegen, das Textwort aus seinem Zusammenhang herauszureißen, zu isolieren und dann vom Kasual her mit sachfremdem Inhalt zu füllen: Euch jungen Leuten rufe ich's zu: Fahret auf die Höhe ! Ihr habt bis jetzt gearbeitet und nichts gefangen! Ihr fühlt es auch selbst! Inhaltlos beginnt euch euer Leben vorzukommen! Aber jetzt, jetzt sollt ihr einen Zug tun! Jetzt sollt ihr das Glück euch schaffen ! Auf die Höhe des Lebens müßt ihr hinaus ! 28 Binnen kurzem schwimmt sich DÖRRIES dann ganz frei vom Text. Es folgen eine Fülle bedenkenswerter Erwägungen über das Verhältnis der Geschlechter. Etwa: Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß man die Geschlechter möglichst voneinander trennen soll ... Nach meiner Ansicht wäre es in vieler Hinsicht besser, wenn in der Schule bereits Knaben und Mädchen gemeinsam unterrichtet würden ... Zucht und Sitte würden nicht leiden, sie würden gewinnen ... Auch zwischen der heranwachsenden Jugend will ich keine Scheidewände ... Mögen unsere jungen Leute einander begegnen in Scherz und Spiel. Schade, daß sie nicht auch einander vor Augen ihre Arbeit tun können. Ja und wenn es der Tanzsaal ist, wo sie sich finden! 0 ich weiß, wieviel üble Dinge da oft geschehen, ... usf. 29 Ein Kommentar erübrigt sich. Auch die Perspektive der Kranken- und Sterbe-Predigt, im Barock besonders beliebt, kann zur Abweichung vom Text verleiten. Hier ist an die Predigt Uber den "Vollauf-Tod" von RÜMELIN sowie die Lektion über "die selige Sterbe-Kunst" aus dem "Evangelischen Krancken-Trost" von OTHO zu erinnern^ . Der Text wird in beiden daraufhin befragt, was er über Krankheit und Tod aussagen kann; wo er darüber nichts hergibt, wird allegorisiert oder munter aus der Dogmatik aufgefüllt. Daß das "kasual" einer Nordlandreise Sr. Kaiserlichen

- 213 Majestät Wilhelms I. nicht eben geeignet ist, einen Prediger bei der Sache seines Texts zu halten, geht aus der 31 oben wiedergegebenen Disposition in wünschenswerter Deutlichkeit hervor; ähnliches wäre von der "Rede zur Einweihving des deutschen Hauses und der deutschen Schule in Pernau am 10. August 1908" zu sagen (Nr. 235). c) Aktualität als Gefährdung Wer zeitlos predigen will, predigt an der Zeit vorbei; das Evangelium vom fleischgewordenen Wort Gottes sucht den neuen 'Kairos'. Fatal wird es, wenn der Prediger "... neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gewalten und Wahrheiten als Got32 tes Offenbarung ..." anerkennt, wenn er linter dem Eindruck eines innerweltlichen 'Kairos' steht und dann für ihn Sukkurs aus der Schrift sucht. Dies ist zweifellos bei HOFFMANN der Fall, wenn er für seine anfeuernden Worte "... gegen den Meuchelmörder, der mit Vorbedacht das Messer hinterrücks gegen unsere Nacken zückt ...", Frankreich, die Autorität des Befehls Jesu an Petrus (Vers 4) als Autorität in Anspruch 33 nimmt ^. Post festum ist hier freilich leicht urteilen; auf die Notwendigkeit und die Problematik solcher aktuellen Be34 zugnahmen müssen wir später des näheren eingehen . d) Herausforderung durch den Zeitgeist Was oben vom Eingehen auf das aktuelle Geschehen gesagt wurde, gilt in gleicher Weise für die Notwendigkeit, ins Gespräch mit dem Zeitgeist einzutreten, wie er sich in der Sprache der jeweiligen Gegenwart ausdrückt. Aber in mancher Predigt erweist sich die Sprachwelt des Zeitgeistes dem Text gegenüber als abgründige Tiefe. Jede explicit oder insgeheim "modern" sein wollende Predigt ist hier besonders gefährdet, so v.a. auch die Predigt-

- 214 Schule, die sich selbst dieses Prädikat ausgestellt hat. "Gegenwartsglaube" heißt das in der "Modernen PredigtBibliothek" erschienene Heft von Lic. HUGO LEHMANN; "Etwas werden im Leben" das Thema seiner Predigt. Er hat ein Organ für die Sprache seiner Zeit; er realisiert, wer unter seiner Kanzel sitzt: "Kurgäste, Beamte; te und Fabrikanten" . Wie er im ganzen Duktus seiner Predigt der soeben beschriebenen Gefahr verfallen ist, 36 darüber haben wir oben berichtet-^ . K.A. BUSCH will laut Vorwort "auf Lebensfragen antworten", und das bedeutet u.a. "... ein verständnisvolles Eingehen auch auf die religiösen Denkfragen unserer •37 Gegenwart ..." Peinlich nur, wenn die Gegenwart, die er beschwört, nicht die von 1930 - da sind seine Predigten erschienen - sondern die der Jugendzeit des Predigers ist: Ein liebliches UHDE-Bild wird dem Hörer vor Augen gestellt, und der Stil ist der der "Garten70 laube" . Das Thema - "Optimismus oder Pessimismus?" klingt modern, aber diese Modernität ist oberflächlich, und im Endeffekt kommt er doch auf einige klischiert traditionelle Wendungen hinaus, die aber nicht den Kern der Sache tangieren. Die Hauptgruppe der hier anzuführenden Predigten ist die der apologetischen, und unter ihnen u.a. der das Wunderproblem als solches behandelnden Predigten. Wer in der Gegenwart das Wunderproblem bei einer Perikope wie der unsrigen überhaupt nicht im Blick hat, bei dem steht zu befürchten, daß er "betriebsblind" ist: daß er verlernt hat, diesen Bericht mit den Augen eines unbefangenen Zeitgenossen zu lesen. Wiederum ist es aber angesichts des Skopus unsres Texts bedenklich, wenn er in apologetischem Eifer gerade das Wunderproblem zum Hauptgegenstand der Predigt macht, das ja, wie die Exegese zeigt, nur illustratives Hilfsmittel, nicht aber Hauptsache des Texts ist.

- 215 Dieser knappe Hinweis muß hier genügen, da wir auf die besondere Problematik der Wunderpredigt noch ausführlich zurückkommen müssen

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VII. E m a n z i p a t i o n m o t i v e n

v o n

T e x t -

Abschließend sind hier noch die wenigen Beispiele aufzuführen, in denen die Entfernung von der Textintention so groß geworden ist, daß man von einer jueTcxßcxoiζ βίς ά λ Λ ο YeVO£ sprechen muß. Es ist dies allemal da der Fall, 40 wo eines der in unsrer oben aufgestellten "Typologie der Entgleisungen" festgestellten Motive dazu geführt hat, daß wesentliche Teile der Predigt nicht nur nicht text-, sondern auch nicht mehr schriftgemäß sind. Richtig betont hiezu TRILLHAAS: ... wie wichtig es ist, am Worte auch zu bleiben. Denn wir bleiben damit in den Spuren dessen, der zu uns geredet hat. Dieses ist besonders gegenüber jeder Wucherung und Verselbständigung des Wortes festzuhalten ... Die Worte werden (seil, in der liberalen Theologie) isoliert. Es wird abgesehen von der Tatsache, daß jeder biblische Text in einem außergewöhnlichen Sinnzusammenhang, nämlich in dem der Bibel steht. Nun werden die verselbständigten Worte selbst zum Reden gebracht. Sie sollen das hergeben, was sie von der heutigen Sprache her, nicht was sie von der Bibel her in sich haben ... 41 Die Ursachen sind in der theologischen Gesamtkonzeption der betreffenden Prediger zu suchen. Allerdings darf man sich die Kritik nicht allzu leicht machen. Räumt man ein, daß in der Predigt nicht ehrwürdige Tradition weitergegeben, sondern aufgrund überlieferten Zeugnisses in Kraft des Christus praesens gegenwärtiger Zuspruch des Heils in der Sprache der jeweiligen Gegenwart gewagt werden muß, so wird man damit rechnen, daß die Grenze zwischen biblisch autorisierter Ermahnung und säkularer Lebenshilfe nicht immer scharf markiert werden kann; es gibt da gleitende Übergänge. Nicht unbedingt ist die Predigt schriftgemäß, die von biblischen Wendungen

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strotzt, wie denn andrerseits die Haustafeln des Neuen Testaments zeigen, daß bei manchen Abschnitten der Schrift deren christlicher Charakter nicht aus sich selbst, sondern aus dem Kontext erhellt. Mag man also - durch diese Einschränkungen gewarnt immerhin ein breites Grenzfeld ansetzen, in dem die Umsetzung der Botschaft in die Sprache der Zeit zugunsten größerer "Lebensnähe" schwer tut, den genealogischen Aufweis in Sachen Schriftgemäßheit zu führen; es gibt doch Fälle, bei denen die Grenze eindeutig überschritten ist. Von den uns vorliegenden sollen hier die wenigen Predigten zitiert werden, bei denen das für das Predigtganze zutrifft. 1. Noch bei CRAMER kann man im Zweifel sein, ob seine Predigt Uber die "Vortheile des Glaubens" (Nr. 128) unter das Verdikt jener 'Metabasis' fällt. Gewiß, er ergeht sich vor allem über das unschätzbare Gut der Ruhe des Gewissens. Immerhin legt er noch Wert auf die Feststellung, daß dieses ... allein ein Vortheil, eine Frucht und Wohlthat des wahren Glaubens sey ... 42 2. Aber was soll man vom berühmten Kanzelredner FR. V. REINHARD halten, wenn er in seiner Predigt über Lk 5 eingangs feststellt: Nichts entsteht häufiger und geschwinder, M.Z., nichts reitzt aber auch eben deßwegen weniger zum Nachdenken und zur Vorsicht, als neue Bekanntschaften ... 43 um, wie bereits berichtet, daraufhin ... unser Nachdenken auf alles (seil, zu lenken), was der Anfang einer Bekanntschaft merkwürdiges haben kann; auf das Zufällige; auf das Absichtsvolle; auf das Folgenreiche; und auf das Verpflichtende dieses Anfangs ... 44 REINHARD klagt: Ach es ist dieser Mangel an Besonnenheit, diese unvorsichtige, sich treuherzig hingebende Gutmüthigkeit, was Tausende mit Unwürdigen, mit Lasterhaf-

- 217 ten, mit Betrügern und gefährlichen Menschen in Verbindung gebracht, und ins Verderben gestürtzt hat ... 45 Daher gegen Schluß der Predigt die Mahnung: Habt ihr bey einer Bekanntschaft, die euch zu Theil worden ist, unverkennbare Merkmale wahrer Weisheit, ächter Tugend, herzlicher Menschenliebe, edelmüthiger Gesinnungen, unermüdeter Thätigkeit, pflichtmässiger Berufstreue, und alles belebender Religiosität wahrgenommen: so lasset euch nicht entgehen, was ihr gefunden habt; so eilet, euch anzuschliessen, und die Bekanntschaft in Verbindung zu verwandeln ... 46 Das ist nicht mehr Auslegung unsres Texts, das ist nicht mehr biblisch gedeckte Ermahnung; das ist religiös-ethische Gemeinschaftskunde. Man wird dies feststellen müssen, auch wenn man REINHARD durchaus unterstellen darf, daß er - als wackerer Supranaturalist - der Uberzeugving gewesen sein mag, eminent christliche Anliegen seinen Hörern zu unterbreiten. 3. In die gleiche Richtung geht die Î835 gehaltene Predigt des Eutiner Consistorialraths A.H.M. KOCHEN, die den Wert edler und exklusiver Freundschaft preist: Nicht jede Verbindung ... darf mit dem ehrenvollen Namen der Freundschaft bezeichnet werden, ... eine solche Verbindving können wir selbstredend nur mit solchen Menschen anknüpfen, die am Verstände gesund, unverbildet und einer höheren Richtung fähig sind ... 47 Der hermeneutische Schlüsselsatz lautet: Wenden wir nun dieß auf die freundschaftliche Verbindung an, deren Jesus ... Simon und seine Gesellen, Jakobus und Johannes, würdigte, so ist es nicht zu verkennen: auch er berücksichtigte bei seiner Wahl die soeben berührten Erfordernisse . Man erhebt zunächst nach eigener Erfahrung und eigenem Ermessen, "... worauf wir bei der Auswahl unserer Freun47 de zu sehen haben ..." ', um das Resümee dem Text überzustülpen . Vergleicht man die oben berichtete Disposition der Pre49 digt mit dem Verhalten des Jesus der Evangelien, dem

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man nach Mt 11,19 nachsagen konnte, er sei "der Zöllner und der Sünder Geselle", so wird die |Λ€Τ«|ΐο«5ΐς' eîç άλλο χβνος evident.

3· Kapitel: Verstehenshilfen "Es ist klar, daß der Mensch an seinem Ort, an seinem geschichtlichen Ort, in seinem Jetzt und Heute angespro-I chen werden muß" . Von da aus kann es dem Prediger nicht gleichgültig sein, wer unter seiner Kanzel sitzt. Er muß fragen: Wie können die Barrieren abgebaut werden, die den heutigen Hörer vom einst ergangenen Wort trennen? Welche Hilfen kann der Prediger zum Verständnis geben? Überlegungen dieser Art als Konkurrenz zum Wirken des Heiligen Geistes zu verstehen, wäre - wie jede prinzipielle Alternative von Geist und menschlicher Bemühung Spiritualismus. Gewiß kann keine natürliche Praedisposition, kein menschliches Vorverständnis gewährleisten, daß das Wort der Schrift als Wort Gottes zum Ziel kommt; gewiß weckt dieses Wort selbst die Ohren seiner Hörer, 2 daß sie hören "wie ein Jünger" . Das Betroffensein des Menschen als Ziel der Botschaft bleibt kontingentes Geschehen, Wirken des Heiligen Geistes. Aber solches Geschehen überspringt nicht die Stufe des Verstehens; das Medium der Offenbarung Gottes ist nun einmal das Wort, die Sprache. Sprache aber ist auf Verstehen aus. Deshalb muß der Prediger dem ... gemeinen mann auff dem marckt ... auff das maul sehen, wie sie redend; mehr noch: er muß selbst in der Sprache seiner Zeit im allgemeinen und seiner Hörer im speziellen zu Hause sein. Nicht weniger ist gemeint, wenn Paulus von sich sagt: "Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette" (1. Kor 9, 22). Das sind die Gründe, weshalb es dem Prediger nicht er-

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lassen sein kann, nach den Momenten zu fragen, die die Übersetzung der überkommenen Botschaft in die Gegenwart fördern oder hemmen. Bei den hier anzustellenden Erwägungen lassen wir uns 4 von der oben erhobenen "Typologie der Entgleisungen" leiten; hatten wir dort anhand der vorliegenden Predigt-Themen den "ins Kraut geschossenen", den depravierten Tugenden der Homiletik nachgespürt, so geht es uns jetzt positiv um diese Tugenden. An methodischer Besinnung Uber die Praxis der Verstehenshilfen hat es in der Homiletik der jüngsten Vergangenheit weithin gefehlt. Zu Recht weist D. RÖSSLER im bereits zitierten Aufsatz über "Das Problem der Homiletik" darauf hin, der Einsatz "bei der Erfahrung, bei ihren Gesetzen und Regeln" sei "für eine Homiletik, die ihre Aufgabe nicht nur dem Anspruch, sondern auch der 5 Sache nach erfüllen will, unabdingbar" . Zur Arbeit der Übersetzung des Textwillens in die Gegenwart tritt die Nutzbarmachung der auch heute unentbehrlichen Erfahrungen der Rhetorik - ein weites Feld, das der Praktischen Theologie keine andre Disziplin streitig macht, und hier braucht sie nicht so schnell Platzangst zu bekommen! Wir fragen im folgenden nach der äußeren Form der Predigt, nach den Verstehenshilfen wie Bild, Vergleich, Schrift- und Literaturzitat (Kap. 3), nach der Rolle des Predigers und endlich nach dem Sprachraum des Hörers im besonderen (Kap. 4). I. F o r m P r e d i g t

und

G l i e d e r u n g

der

Die evangelische Predigtgeschichte kennzeichnet eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Notwendigkeit und des Ausmaßes von rhetorischem Reglement. Die Kernfrage dabei war und ist, ob und inwieweit die Verstand-

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nisbedingungen und Gestaltungserfahrungen der profanen Rede auch für die Predigt von Belang sind. Ein Überblick über die untersuchten Predigten ergibt in etwa folgendes Bild: LUTHER hat sich bekanntlich herzlich wenig um rhetorische Regeln gekümmert. Hatte er in den Predigten vor 1522 noch "die scholastische Neigung zu kunstvoll aufgebauten Gliederungen und überhaupt zur Themapredigt" gezeigt, so ist er nachher, wie G. EßELINGS Exkurs über "Die typischen Formen der Predigt Luthers"^ zeigt, ungemein souverän in der Verwendung rhetorischer Formen geworden. In unsrem Fall ist er von der schlichten Zweiteilung der ersten Predigt von 1522 ("Das Euangelium ... helt uns zway stuck für, Nämlich den glauben land zeitliche güter, und glauben und ewige güter") kaum mehr abgegangen. Die Einleitungen sind knapp, LUTHER pflegte sofort medias in res zu gehen; detailliertere Gliederungen suchen wir in allen 11 Predigten vergebens. Im Gefolge MELANCHTHONs hat jedoch die Rhetorik wieder eine stärkere Rolle gespielt; seine "Elementa Rhetorices" hatten eine beachtliche Breitenwirkung. Vor allem aber hat ANDREAS HYPERIUS durch seinen Versuch, rhetorischen Ballast abzuwerfen und doch eine weise

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biblische Rhetorik zu konzipieren , Generationen lutherischer Prediger verbindliche Weisung gegeben. Seine Warnungen vor allzu gekünstelter Methodik hatten freilich wenig Erfolg; die Kunstfertigkeit in der Predigtdisposition wurde immer subtiler ausgebildet. SARCERIUS huldigt der im 16. Jahrhundert beliebten Localmethode: nach einem ersten, homilieartigen Teil entnimmt der dem Text fünf Loci (Nr. 35). Bei LOSSIUS folgen nacheinander: Argumentum (eine kurze Disposition) - Evangelium Doctrinae Summariae (in k Punkten) - Explicatio Textus - Obiectiones tres - Responsio (Nr. 37).

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Häufig findet sich auch der Aufriß nach der Art T. WAGNERs: Thema Concionis - Propositio - Text - Erklärung des Texts - Lehr aus erklärten Worten - Gebrauch dieser Lehr (Nr. 57). HERBERGER reiht unter einer - ziemlich allgemein gehaltenen - Uberschrift 24 gleichwertig behandelte PunkQ

te aneinander, denen er - wie berichtet sen-Exkurs anhängt.

- seinen Amei-

SPENER disponiert häufig ähnlich wie in der Predigt von 1687: Eingang (meist sehr breit) - Gebet - Text - Erklärung des Texts - Lehrpunkte - Gebet (Nr. 81). Bemerkenswert stereotyp hat FRÖREISEN in Anlehnung an HYPERIUS' methodisch zentralen Hinweis auf 2. Tim 3, 16 durchgängig folgendermaßen disponiert: Thema (mit zwei und mehr Teilen) - Einzeldurchführung - Usus, gegliedert nach Didasc. - Paedeut. Epan. (Nr. 98 - 110). Gegen Schematismus und Künstelei in der Predigt wandte sich der leidenschaftliche Protest des Pietismus. SPENER hat hier in den "Pia desideria" den Weg gewiesen. Er moniert, es gebe Prediger, ... welche offters ihre meiste Predigen mit dergleichen dingen zubringen, damit sie sich vor gelehrte leute darstellen, obs wol die Zuhörer nicht verstehen: Da müssen offt viele frembde Sprachen herbey, da etwa nicht ein einiger in der Kirchen ein wort davon weiß: Wie manche tragen wol etwa mehr sorge davor, daß ja das Exordium sich recht schicke, und die zusammenfügung artig; daß die Disposition kunstreich und etwa verborgen gnug; daß alle Theile recht nach der Redekunst abgemessen und aufgeziert seyen, als wie sie solche Materien wehleten und durch Gottes Gnade ausführeten, darvon der Zuhörer im leben und sterben nutzen haben mag. So solle es nun nicht seyn, sondern weil die Cantzel nicht der jenige Ort ist, da man seine kunst mit pracht sehen lassen, sondern das Wort deß HERRN einfältig aber gewaltig predigen, und dieses das Göttliche mittel seyn solte, die leute selig zu machen, so solle billich alles auch nach diesem zweck gerichtet werden. 9 Diese Polemik hat sich auch in einer der Predigten Uber Lk 5, in der des Jahres 1687, niedergeschlagen:

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Als und ... und

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aber Christus kam der predigte gewaltiglich, nicht so unkräfftig wie die Schrifftgelehrten, ob wol jener lehr-art vielleicht mehr kunst gelahrtheit mag gehabt haben ... 10

Indessen wird man M. SCHIAN rechtgeben müssen, wenn er feststellt: Spener hat - das ist etwa der Gesamteindruck - einen Anstoß zu praktischerer Haltung der Predigt gegeben; die Bande, in welche die Predigt geschlagen war, hat er weder für sich, noch für andere gesprengt. 11 Es würde zu weit führen, den Verlauf der langanhaltenden und erbitterten Kämpfe um die rechte Predigt zu schildern, die sich auch in der homiletischen Literatur der Zeit niedergeschlagen haben; wir können hier auf die schon öfters zitierte Monographie M. SCHIANs verweisen, der ihren Verlauf im einzelnen darstellt. Nur eine profilierte Stellungnahme in diesem Kampf sei hier wiedergegeben. Zum einen, weil sie SCHIAN entgan12 gen ist , zum andern, weil sie die pietistische Front wie auch die Gegenseite besonders scharf zeichnet. GOTTFRIED ARNOLD hat seiner "Hauß- und Reise-Postill" (1713 ) eine Vorrede vorausgeschickt, die den bezeichnenden Titel trägt: "De methodo heroica, oder von der freyen und einfältigen Predigt-Art" (Nr. 99). Da sie schwer zugänglich und in der homiletischen Literatur, soweit ich sehe, nirgendwo erwähnt ist, gebe ich die in 39 Punkten gegliederte Vorrede gekürzt wieder. 1. Themaangabe. 2. Luthers Predigtart wird von manchen 'Methodus Heroica 1 genannt; etliche legen das so aus, daß diese Art nur Luther, aber keinem seiner Nachfahren zustehe . 3. Eine gewisse Meditation und Ordnung ist nötig, damit die Predigt nicht dem ungebrochenen Sinn, sondern Gottes Geist und der Schrift sich verdanke. 5. Gott ist ein Gott der Ordnung; daher sollen dem menschlichen Herzen die Geheimnisse des Gottesreichs auf eine vernehmliche und unverworrene Art vorgelegt werden.

- 223 6. Demnach ist ein wohlgeordneter Vortrag nicht nur ein Zeichen guten Verstandes, sondern auch Beweis einer höheren Weisheit. 7. "Mit allen diesen Zeugnissen aber wird ... keinesweges dem affectirten gekünstelten wort-gepränge und bloß vernünfftlichen dispositionen, inventionen und philosophischen menschen- Satzungen derer Weltgelehrten das wort geredet, welche alle ihre kunst und ehre darinnen suchen, wenn sie durch eine bund-krause und dem fleisch angenehme methode die zuhörer bezaubern können." Jeder kann bald merken, "daß es leere hülsen seyn ohne kern und krafft des heiligen Geistes ..." 8. Die ersten Christen hatten keine besondere Ordnung xond Einteilung; allenfalls finden sich Ansätze bei Chrysostomus. 9. Auch die Reformatoren haben derlei Künsteleien verworfen; heute kann kaum einer die zentralen Gegenstände des Glaubens einfach fürs arme Volk auslegen. 10. Nicht nur Luther, auch andre akademische Lehrer wie Hyperius, Dedekennus, Balduinus, Hutterus und Hunnius haben sich scharf gegen rhetorischen Zierat gewandt. "Sie nenneten es ein affectatum, juvenile & luxurians docendi genus, das theils ex infirmitate judicii, theils aus hoffarth herkäme bey solchen aufgeblasenen klüglingen und neulingen ... Solche bänden den text an sich, und marterten ihn und seine realia, braucheten ein hauffen schemata und figuras ohne nutz ..." 11. Später haben andre einen bescheidenen Gebrauch nötiger Ordnung und Disposition gerne zugestanden, aber die Künstelei der Vernunft und menschlichen Phantasie desto ernstlicher verdammt; es folgt ein Zitat von D. Kesler. 12. F. D. Müller und H. v. Seckendorf als Gewährsmänner. 14. D. Mylius rühmt von einem Augsburger Prediger, dieser habe "zwar ziemlich confuß und ohne ordentliche methode geprediget, aber dennoch einen solchen zulauff von zuhörern gehabt, weil seine predigten sehr erbaulich gewesen und in die hertzen eingedrungen, daß es ihm andere nicht gleich gethan". 15. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit - auch von den Regeln der Homiletik. 16. Der von Gott wirklich Gesandte redet Gottes Wort; daher ist jede Bindung an eine Methode abzulehnen. 17. Selbst die Verfechter derart künstlicher Dispositionen müssen einräumen, daß es sich hier nur um eine forma externa oder assistens einer Predigt handelt.

- 224 18. Verweis auf Kirchenväter wie Ambrosius, Augustin, Basilius, Chrysostomus, Gregor von Nazianz und Tauler, die ebenfalls durchgängig die einfältigste und freiste Lehrart gebraucht haben. 21. Definition der 'Methodus heroica': genus dicendi atechnon, "da die lehrer des himmlischen worts, die mit einem sonderbaren Geist und Göttlicher krafft begäbet seyn, eine heilige sache meist ohne eintheilung und mit verschweigung der proposition, auch mit hintansetzung der andern stücke aus der Logik und Rhetoric, bloß nach dem trieb und eingebung des Heiligen Geistes mit wundersamem eifer, weißheit und geschicklichkeit in der Versammlung abhandeln als eine Prophet- und Apostolische rede ... Kurtz: eine ungemeine tugend oder that heist eigentlich heldenmäßig: und also auch wird eine ungemeine rede, die nicht nach der landüblichen methode disponirt und eingerichtet ist, billich eine heldenpredigt oder heroica methodus genennet". Die Konkretion bringt ein Zitat aus LUTHERs Tischreden, der "nach einer gehaltenen predigt zu hause also davon gesprochen: Er hätte ein ander concept und materie im sinn gehabt, und wäre ungefährlich kommen auff den artickel von GOttes allmächtigkeit, welche predigt einfältiger und dem gemeinen mann vernehmlicher wäre. Daraus man siehet, daß der liebe mann bloß die erbauung und deutlichkeit zum zweck gehabt, und also sich vom heiligen Geist darzu lencken lassen, wie es demselben gefallen". 22. Diese Apologie der methodus heroica soll kein Freibrief für geist- und textloses eitles Geschwätz sein. 23· Abusus non tollit usum. Für ihn gilt: Es bedarf für diese Methode erstens ein ungemeines Maß des Geistes, den Gott auf Bitten hin gewährt. 24. Da es zweitens in der Gegenwart um das gleiche Evangelium geht wie bei den Aposteln und bei Luther, ist solche außergewöhnliche Geistbegabung prinzipiell auch in der Gegenwart möglich. 25· Auch sonst pflegt man drittens Luther als Exempel vorzustellen, um Mut zu machen; warum nicht hier? 26. Es gibt viertens auch nach Luther Beispiele für heroische Predigtart: Arnd, Müller, Lütkemann, Egardus; auch von ihnen wird berichtet, "wie sie bißweilen von ihrer vorgenommenen Ordnung oder disposition mitten in dem fluß der rede abgegangen, und in eine gantz andere materie hinein gerathen sind, die etwa nach bewandtnis der zeit, orts oder personen noth gethan mag haben". 29· Hinter den Gegnern dieser Lehr-Art steckt der Teufel, wie denn anders hinter der freien und geistvollen Lehrart der Geist steht.

- 225 30. Ergo: Mut zum Extemporieren bei gegebenem Anlaß! "Solche GOttes-gelehrte dürfen nicht sorgen, daß sie, wie man zu reden pfleget, stecken bleiben, als wol weit-gelehrte besorgen müssen". 32. Ist das Anmaßung oder Enthusiasmus? Keineswegs. Nach Herrn von Seckendorff kann einmal durch eine aus Zeitmangel unvorbereitete, dafür aber von Gott unmittelbar oder mittelbar eingegebene Predigt "mehr, als mit hoch ausgesonnenen und nach menschlicher weißheit ausgearbeiteten und gezierten erbauet werden". 33. Zweitens soll man auch nach Luther den Aposteln auf gewisse Art nachfolgen. 34. Sonst wäre drittens auch Luther Enthusiast. 35-37. Verweise auf gleichgerichtete Aussagen von Nie. Rebhan, Spener, Paul Antonius, Lange. Hochinteressant sind die beiden letzten Punkte, die zeigen, daß plötzlich die ganze Vorrede geeignet ist, etwelchen Kritikern der vorliegenden Postille ARNOLDS die Waffen aus der Hand zu winden: 38. "Hievon zu reden hat mir dißmal gelegenheit gegeben das gegenwärtige büchlein, welches aus gantz ungekünstelten aber ernstlich-gläubigen discursen über die gewöhnlichen Sonntags-Evangelia bestehet. Wenn jemand davon urtheilen möchte: Es sey ja keine disposition und methode, keine erudition und dergleichen darin zu finden: Der kan hierauff in dieser vorrede genügsame satisfaction antreffen, wo er anders der warheit nicht widerstreben will: wiewol es auch eigentlich nur discurse und keine förmliche predigten sind ..." 39- "Nachdem aber die ungläubige weit kein dergleichen einfältig-warhafftiges zeugnis leicht ungetadelt lassen kan, ... wird auch solcher Widerspruch, dafern er wider diß büchlein sich erheben sölte, nur zu desto mächtigerer offenbahrung der warheit und also zu mehrern segen dienen, welcher ohne dem gewiß bleibet, denen, die ihn im glauben und gehorsam der Wahrheit auffrichtig bey Christo suchen. Geschrieben in Perleberg, den letzten Decembr. 1708. G. Arnold" 1 3 Soweit hier gegen Schematismus und Künstelei, gegen Regelzwang und eitle Prunksucht zu Felde gezogen wird, wird man ARNOLD nur zustimmen können. Auch seinem Protest gegen einen Luther-Kult, der an ihm rühmt, was andera prinzipiell untersagt sein soll, muß man vom Wesen

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evangelischer Predigt her beipflichten. Indes enthält die Vorrede eine Reihe zentraler Kurzschlüsse, die in der pietistischen Argumentation aller Färbungen dieser Richtung Schule gemacht haben, und die auch durch häufige Wiederholung seither nicht zutreffender geworden sind. Da ist einmal die zum Programm erhobene Konkurrenz zwischen Heiligem und dem Geist des Menschen: Je mehr der Prediger seine Vernunft gebraucht, desto weniger kann der Geist Gottes zum Zuge kommen; umgekehrt läßt mangelnder Einsatz methodischer Anstrengung des Begriffs auf Geistbegabung schließen. Damit hängt ein Zweites zusammen: Spontaneität wird als Gewähr für das Wehen des Heiligen Geistes veranschlagt. Bei einer dem vorbereiteten Konzept folgenden Predigt besteht Anlaß zum Verdacht, Vernunft und Eitelkeit seien am Werk, während ein spontanes Umwerfen des geplanten Predigtablaufs den Schluß auf unmittelbare Eingebung des Geistes erlaubt. Als ob Gottes Geist den Schreibtisch, an dem streng, planvoll und methodisch gearbeitet wird, notorisch meide, und als ob das Urteil "totus peccator" bei der Spontaneität auf der Kanzel oder überhaupt bei spontanen Emotionen außer Kraft gesetzt und damit dem Heiligen Geist freie Bahn gegeben sei. Sodann unterstellt ARNOLD, daß Schlichtheit und Gemeinverständlichkeit notwendig Ausfluß des Heiligen Geistes sei. Als ob es nicht auch geistlose Banalität und Simplifizierung gebe. Als ob nicht auch allerlei fromme, spontane Geschraubtheit und Künstelei auf der Kanzel anzutreffen wäre. Als ob klare, eindringliche und einfache Predigtweise nicht auch das Resultat gründlicher methodischer Besinnung sein könnte. Endlich zeigen die beiden letzten Punkte einen fatalen

- 227 Kurzschluß, der bei ARNOLD nicht neu ist, der aber bezeichnend ist für eine ganz bestimmte Struktur theologischer Argumentation. Wer in der Weise des Pietismus ARNOLDscher Observanz aus der ecclesia viatorum ausgetreten ist; wer weiß, wo der Geist weht und wo nicht, der hat die Solidarität derer verlassen, die auf die Bitte um Gottes Geist angewiesen sind und bleiben. Er usurpiert für sich und für seine Erkenntnisse gleichsam das Prädikat "fraglos geistgewirkt" und unterstellt dem theologischen Gegner explicit oder insgeheim Sünde wider den Heiligen Geist. Kritik an den Äußerungen der Leute, die sich gegenüber der verfaßten Kirche als die Gemeinde Jesu verstehen, ist gleichbedeutend mit einer Kritik am Heiligen Geist selbst. Daß das eine sublime Form krassen Egoismus' ist, dessen werden Leute wie ARNOLD nicht gewahr. Die Methode, für sich selbst mangels gründlicher Reflexion den Geist in Anspruch zu nehmen, dem andern aber den Gebrauch der Vernunft anzukreiden, hat ihre Wirkung seit den Tagen ARNOLDS selten verfehlt. Der exklusive Anspruch, vom Heiligen Geist unmittelbar inspiriert zu sein, hat diesen Theologen immer wieder erlaubt, ihre theologischen Gegner in einer Weise zu diffamieren, wie das unter Gesprächspartnern, die sich bei allem sachlichen Widerstreit der Bedingtheit und Vorläufigkeit menschlichen Erkennens bewußt bleiben, nicht möglich ist. Ernsthaftes Gespräch ist nur in der Solidarität Suchender zu erreichen; hier liegt die Wurzel der Aporie unzähliger hoffnungsloser Dispute 14 Für die Predigtaufgabe der Gegenwart erhellt aus dem Gesagten, daß für den Prediger die Bitte um Gottes Geist zweifellos das A und 0 seines Auftrags ist, daß ihn dies aber keineswegs von der Notwendigkeit entbindet, seinerseits alles zu tun, was der Klarheit und Verständlichkeit der Predigt dient. Die Predigt teilt in diesem Horizont das Schicksal der

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profanen Rede, und daher schlägt der Prediger nicht ungestraft die Erfahrung in den Wind, die sich in der profanen Rhetorik niedergeschlagen hat. Daß er von solcher Erfahrung einen souveränen, kritisch-selektiven Gebrauch mache, daß er ihr nicht vorbehaltlos verfalle, dazu lassen wir uns von ARNOLD gerne mahnen. Ohne Zweifel hat die pietistische Polemik mit dazu beigetragen, daß fortan an eine allgemeine Verbindlichkeit in Sachen der Predigtgestaltung nicht mehr zu denken war. Diese Polemik kam freilich der Tendenz der Zeit entgegen: In der Literatur entspricht ihr der Protest des "Sturm und Drang" gegen den Regelzwang der GOTTSCHED, BODMER, BREITINGER u.a. Am häufigsten treffen wir in der Folgezeit die Themapredigt, deren Stoff zumeist untergliedert wird. Eine Begründung für diese Methode finden wir im ersten Band der Predigten von HERMES aus dem Jahr 1782: Zwar weniger hinderlich, aber doch immer noch unbequem ist mir die alte Gewonheit, nach welcher man den Hauptsaz in zwey oder drey Haupttheile zergliedert und darnach seine ganze Betrachtung zu formen sucht. Ich weiß wol, daß manche angesehene Prediger diese Gewonheit beynahe völlig abgeschaft haben; und ich würde ihnen darin schon selbst längstens gefolgt seyn, wenn ich nicht theils die Anhänglichkeit des grossen Haufens an dieser Einrichtung wahrgenommen hätte, theils auch aus manchen Erfahrungen überzeugt wäre, daß dieselbe für mehrere Zuhörer ein Hülfsmittel sey, ... 15 Anders 0. SCHOTT: Die Predigten sind thematisch, wie jede Rede, auch die Predigten des Herrn Jesu und seiner Apostel nicht ausgenommen. Aber ich habe auf die althergebrachte Gepflogenheit verzichtet, das Thema, vollends mit seinen Teilen, in der Rede selbst ausdrücklich anzukündigen. Dieser Brauch fristet nur noch auf der Kanzel sein zähes Dasein, wohl weil die Lehrer der Kanzelberedsamkeit sich diese Gelegenheit, ihre Kirnst zu zeigen, nicht entgehen lassen wollen. Seine Rechtfertigung vom Gesichtspunkt der Behältlichkeit aus genügt nicht. Denn mit dem

- 229 Thema hat der Zuhörer blos die Frage behalten, ohne die Antwort darauf, und es ist bekannt genug, daß die meisten Lebenseindrücke sich entweder auf einzelne oft zufällige Worte oder auf die Tonart des Ganzen stützen ... 16 Die folgende Tabelle zeigt die weitere Entwicklung der Zeit seit 1800: 19./20.Jahrh.

Ohne Nur Teile Thema Thema 4/18

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12/10

32/28

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6/-

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8 ι/-



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I

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Im 19- Jahrhundert hatte die Predigt mit Thema und drei Hauptteilen dominiert (32 %), gefolgt von der Predigt, deren Thema nicht weiter unterteilt wurde (25 %). Nur 4 % der Prediger hatten kein Thema genannt. In unsrem Jahrhundert hingegen stehen die Predigten, in denen nur ein Thema vorangestellt ist, mit 40 % an der Spitze, es folgt mit 28 % die inzwischen klassisch gewordene Dreiteilung. Stark angestiegen ist die Zahl der Predigten ohne Thema: Es sind immerhin 9 von fünfzig, also 18 % gegenüber 4 % im 19. Jahrhundert. Der Einfluß KARL BARTHS und seiner Schüler ist unverkennbar. Unter deren Eindruck ist in jüngster Zeit für zahlreiche Prediger Form und Aufbau der Predigt sekundär und nahezu 17 belanglos geworden ; die Homilie ist in dieser Schule die goldene Regel. Gegenüber der Überbewertung formaler

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Erwägungen im 19· und zu Beginn unsres Jahrhunderts ist dieser Kurswechsel verständlich und bis zu einem gewissen Grad berechtigt. Die Frage sei aber immerhin angefügt, ob hier nicht doch einige der bei ARNOLD kritisierten Kurzschlüsse unterschwellig weiterwirken. In jüngster Zeit hat R. BOHREN sich über die "Gestalt 18 der Predigt" geäußert . Zu Recht wendet er sich gegen die soeben zitierte Äußerung SCHNIEWINDs und warnt davor, die Frage nach der Form der Predigt von der nach ihrem Inhalt zu trennen. Wer in diesem Aufsatz jedoch konkrete Hinweise Uber das spezielle Problem der Gestaltung der Predigt erwartet, wird enttäuscht; es handelt sich mehr um eine grundsätzliche Erörterung über Wesen und Inhalt evangelischer Predigt. Immerhin ist beherzigenswert, was BOHREN über das Verhältnis der Predigt zur Rhetorik sagt: ... insofern die Predigt wahre menschliche Rede ist, gehört sie in den Bezirk des Künstlerischen. Darum haben auch die Redekunst und der Stil höchste Bedeutung für die Predigt. Kein Prediger wird sie ungestraft vernachlässigen. Das vergessen wohl die, welche heute gegen die Predigt als Kunstrede polemisieren. - Insofern die Predigt Gottes Wort ist, helfen unsere menschlichen Kunstgriffe nicht, und menschliche Redekunst kann dem Gotteswort im Wege sein. Das übersehen wohl die, welche die Predigt als Kunstrede proklamieren. 19

II. u n d

" O r n a t u s "

a l s

M ö g l i c h k e i t

G e f ä h r d u n g

Zur klassischen Redekunst gehört die Fähigkeit, die Stilmittel des "ornatus" sinnvoll einzusetzen. Zu Zeiten, in denen die Rhetorik im Rahmen des Trivium zur Grundausbildung jedes Studenten gehörte, hatte man keine Bedenken, bewußt und sorgfältig über deren Einsatz zu reflektieren. In der Gegenwart kann keine Rede davon sein, daß diese Mittel etwa nicht gebraucht würden; ihr Gebrauch ist allerdings völlig dem Sinn der Prediger für Stil und Sprache überlassen.

- 231 Hatte noch ACHELIS in seinem "Lehrbuch der Praktischen Theologie" knappe, aber präzise Hinweise auf das klassische System der Rhetorik gegeben, so scheinen die Homiletiklehren nach BARTH durch keinerlei Kenntnis desselben getrübt zu sein. Allenfalls — wie bei HAEND— LER - werden die diversen Tropen und Figuren in einen Topf geworfen, es wird ihr Gebrauch empfohlen und vor 20 Katachresen gewarnt Nun zeigt ein Blick in die Predigtliteratur, daß das Mißtrauen gegenüber dem "ornatus" der Rhetorik nicht unbegründet ist. Zum einen, weil nicht wenige Tropen und v.a. Figuren sich verbraucht haben; sie wirken abgeschmackt und peinlich. Doch müßte dieser Umstand noch nicht gegen rhetorische Bewußtheit sprechen: Gerade rhetorische Schulung schärft das Sensorium für das Zeitbedingtsein rhetorischer Formen. Dazu tritt jedoch in jüngster Zeit ein elementares Mißtrauen gegenüber aller rhetorischen Gestaltung überhaupt: Der Zeitgenosse schöpft grundsätzlich Verdacht, wo zwischen zu sagender Sache und Ausdruck ein allzu großer Spielraum erkennbar wird. Für dieses Verhältnis lassen sich zwei extreme Pole statuieren: Der Schrei als totaler Sieg der Sachmitteilung über die Form einerseits, eine bestimmte Art von Opernarien als Dominanz der Form über die Mitteilung andererseits. Im Idealfall eines hohen Kunstwerks mögen die Pole gelegentlich zusammenfallen: Wo die Form für die Aussage jeder Beliebigkeit ermangelt, wo sie schlechthin notwendig ist. In allen anderen Fällen, und dazu wird ja wohl auch die Mehrzahl unsrer Predigten gehören, läßt allzu starke Häufung offensichtlich rhetorischer Gestaltung Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Aussage aufkommen: Ein Pferd, das schwere Last zu ziehen hat, tänzelt nicht. Gibt es für einen auszusagenden Gegenstand nicht nur eine notwendige Form, der gegenüber alle Abweichung ein Gefälle zur Geschwätzigkeit hat? "Schönheit des Aus-

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drucks um ihrer selbst willen", sagt ADORNO, "ist keineswegs 'zu schön', sondern ornamental, kunstgewerblich, häßlich. Wer jedoch unter dem Vorwand, selbstvergessen der Sache zu dienen, von der Reinheit des 21 Ausdrucks abläßt, verrät damit immer auch die Sache" . Daher seine - auch für den Prediger höchst lehrreiche Mahnung: "Variieren mehrere Sätze scheinbar den gleichen Gedanken, so bezeichnen sie oft nur verschiedene Ansätze, etwas zu fassen, dessen der Autor noch nicht mächtig ist. Dann soll man die beste Formulierung auswählen und an ihr weiter arbeiten" 22 Wer sich heute noch bemüßigt fühlt, die Quintessenz seiner Predigt als Thema oder als Fazit in Reime zu fassen, muß sich die Frage gefallen lassen, ob da immer die Sache und nicht auch die Erfordernisse von 23 Reim und Metrum den Vater des Gedankens abgeben . Um die hier beschworene Reinheit des Ausdrucks geht es; kommt ihr eine rhetorische Form zustatten, so kann sie der Predigt gute Dienste leisten; wo nicht, ist sie zu meiden. Wir führen abschließend - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - aus dem Umkreis der hier untersuchten Predigten einige Beispiele für verbrauchte rhetorische Formen auf. a) Überschriften und Zusammenfassungen in gereimter Form wurden soeben schon kritisch erwähnt^ . b) Unter den grammatikalischen Figuren wirkt die repetitio in Gestalt der anaphora meist gekünstelt und abgeschmackt. Exempel: "... eine Petrusstunde, die aus 25 Petrusnot, durch Petrustrost, zu Petrusdienst führte" . Auch unabhängig von der repetitio wirken Ausdrücke wie "Petrustrost" antiquiert; sie gehören in die Nachbarschaft von "Marthasinn" und "Haus Bethanien" in dem 19· Jahrhundert entstammenden Anstalten der Inneren Mission.

- 233 c) Redewendlingen, die dem griechischen Optativ entsprechen, haben abgewirtschaftet. Die "möge"-Schlüsse sind heute so peinlich wie unausrottbar ; es gibt für sie allerdings keinen salonfähigen Ersatz. d) Ein besonders im 18. und 19· Jahrhundert geschätztes Stilmittel war die sogenannte 'sermocinatio'; sie rangiert im Gefüge der klassischen Rhetorik unter den ' figurae per immutationem' in der Rubrik 'aversio ab oratore': "... der Redner legt, obwohl nur er selbst redet, seine Rede einer anderen Person in direkter Rede in den Mund und ahmt dabei auch deren charakteristische RedenC

weise . .. nach" . Der hermeneutische Sinn dieser Form ist die Klärung möglicher Einwände des Hörers. So sagt etwa H. MÜLLER zum Verhältnis von geistlichem Segen zu menschlicher Arbeit: Arbeiten soll man, so will Gott segnen. Ja, sagst du, liegts doch allein am Worte Gottes; ... was darf es denn der Arbeit? Mein Herz, beides muß beisammen sein, Gottes Wort und deine Arbeit . Λ Ja, spricht mancher, ich wollte wohl arbeiten, aber ich habe nichts davon ... usw. 27 Bei HARTTMANN ist die sermocinatio zum Gestaltungsprinzip des ganzen Predigtbandes gemacht. Es handelt sich 28 bei ihm durchweg um fingierte Dialoge In der rhetorisch besonders versierten Predigt des 18. Jahrhunderts feiert diese Methode Orgien. Bei SOUCHON lesen wir zu Petri Aufforderung an Jesus in Vers 8: Ihr sprecht: Gehe von mir hinaus, und er geht. - Er ist gegangen. Wohlan denn, so begrabt euch nun in euren Arbeiten und Geschäften, lauft euren Vergnügungen nach, lacht, jubelt, schwatzt, schmiedet Ränke, lügt, betrügt, stehlt, mordet, ... und leert den Becher der Lust bis auf den Grund und seid gutes Muthes: Christus, der Feind eurer Ruhe, ist weg xind nimmer kehrt er wieder. - Nun? Warum jubiliert ihr denn nicht? ... warum pocht denn euer Herz? warum könnt ihr vor Unruhe euch nicht lassen? 29 Daß die Zeiten, in denen derlei rhetorisches Feuerwerk abgebrannt werden konnte, vorbei sind, liegt auf der Hand. Richtig dagegen ist nach wie vor, daß die Predigt

- 234 einem inneren Dialog des Predigers mit dem Hörer entsprechen muß. e) Die rhetorische Frage kann als Fragment der sermocinatio aufgefaßt werden; auch sie kann u.E. nur noch mit Vorsicht Verwendung finden. Nun, Geliebte, wie steht es um euer Gewissen, wenn ihr dasselbe ernstlich befraget? Habt ihr auch etwas hievon erfahren? (G.C. RIEGER). 30 Rhetorische Fragen verbinden sich mit affektheischender Phantasie, wenn S0UCH0N die Qualen dessen schildert, der in der Meinung, Gott lasse seiner spotten, Jesus von sich gewiesen hat. ... wenn nini der Tod in seiner schwarzen Rüstung auf euch zutritt - und er wird kommen: ... o hört ihr nicht schon das Lachen der Hölle? Euer Leib zuckt, eure Seele auch; Angstschweiß steht auf eurer Stirn, Angst foltert auch eure Seele - denn meint ihr, der Tod schmerze nur leiblich? Aus Mitleid giebt der Arzt euch ein betäubendes Mittel; aber was nutzt es? Besinnunglos fahrt ihr freilich dahin; aber mit voller Besinnung erwacht ihr. Und dann? Und dann? - - 31 Bei AD. STÖCKER lesen wir: ... der Glaube strömt oft aus Thränenquellen. Darum Zuversicht! Siehst du im Stürmen und Toben jenen Fels im Meer? ... 32 Mögen früher solche Fragen ihre Wirkung nicht verfehlt haben; heute wird durch derart uneigentlich gemeinte Fragen dem Hörer das Alibi erleichtert, er selbst sei im Ernst nicht gemeint. f) Dies gilt endlich auch von einer noch heute weitverbreiteten rhetorischen Sitte, der Anrede des Hörers mit "Du". Die Absicht liegt zutage: Es soll ad hominem geredet, der Einzelne soll persönlich angesprochen werden. SEEBERG statuiert Exempel für das in Vers 5 a berichtete Geschehen unter seinen Hörern: Kannst du nichts davon sagen, lieber Bruder! - 0, du warst ein unternehmender Kopf, du wußtest zu berechnen. Das thatst du auch ... es schlug Alles fehl;

- 235 Zeit verloren, Geld verloren ... Nun, sieh, du bist ja Petrus der Ungesegnete. - Oder du, lieber Bruder, hast viel Mühe und Geld an die Erziehung deines Sohnes gewendet ... Er ist mißrathen; er weiß nichts von Ehrfurcht, von Dankbarkeit; er macht dir Schande überall ... 33 H. GUTKNECHT spricht seine Gemeinde in Auslegung von Vers 4 an: ... es ergeht ein klarer, deutlicher Befehl an dich: ein Schritt muß gemacht werden, und zwar ein Schritt, bei dem dir vielleicht deine Vernunft sagt, daß das ein Unsinn sei und dein Gefühl sich sträubt ... Aber ich bitte dich: tu es. 34 GUTKNECHT entspricht hier zwar einem alten Bonmot, das behauptet: "Was nicht 'per Du' geht, geht perdu!" Aber man wird fragen müssen, ob ein selbstverständliches 'Du' gegenüber den Gemeindegliedern nicht Relikt ist aus einer Zeit, in der zwischen Pfarrherr und Pfarrkindern ein Vertrauensverhältnis vorausgesetzt werden konnte, in dem das vertrauliche 'Du' organisch verwurzelt war. Andernorts, v.a. in städtischen Verhältnissen und überall da, wo der Pfarrer mit der Anwesenheit von Kirchenfremden zu rechnen hat, steht zu befürchten, daß das 'Du' das Gegenteil vom Bezweckten bewirkt: Das usurpierte Vertrauen der Anbiederung einerseits, die Möglichkeit der Dispensierung des Hörers durch das jetzt gerade verfremdend wirkende, da als rhetorisch empfunde35

ne 'Du' . Ob da das 'Sie', mit dem der Prediger sein Gegenüber auch im Alltag anspricht, nicht das beabsichtigte 'per-Du'-Reden eher gewährleistet als das rhetorisch-plumpe 'Du'? III.

S i m i l i t u d o

Der Gebrauch treffender Bilder und Vergleiche gilt seit alters als besondere Tugend der Rede; das Bild dient nach ACHELIS u.a. der Rück-Versinnlichung abstrahierter Begriffe^^. Umfassend definiert LAUSBERG: "Die similitudo vereindringlicht und verdeutlicht durch den Appell

- 236 an die allgemeinen Erfahrungen des Natur- und MenschenΎ7

lebens die in der Rede behandelte Sache" . Bild, Gleichnis, Fabel, Parabel, Exempel und Modellfall können einen Sachverhalt oder einen Gedanken oft mit wenig Worten besser verdeutlichen als eine ausführliche abstrahierende Darlegung; das haben die alttestamentlichen Propheten, das hat v.a. Jesus gewußt. Wo das Bild in den Dienst der zu sagenden Sache tritt, wo ihm kein Eigenwert beigelegt wird, da ist es auch heute noch ein hervorragendes Hilfsmittel der Verdeutlichung. Gefährlich wird es, wo die hermeneutische Funktion des Bildes überzogen wird, wie wir das z.B. bei NIEBERGALL sehen. Bei ihm ist die "Sprache des Glaubens ... die Sprache der Dichtung". Die Kirchen- und Bibelsprache ist ihm "ein Erzeugnis der religiösen Phantasie""*®. War es bei den Bildern der Bibel nur darum gegangen, für einen realen Eindruck (Furcht, Vertrauen, Hoffnung etc.) das entsprechende Bild (Gott der Herr, der Vater, der Wiederkommende) zu finden, so legt sich für uns Heutige die Aufgabe nahe, rückzuschließen vom bildlichen Ausdruck auf das religiöse Erlebnis, für das es steht. So ist der religiöse Wert des Todes Jesu zu allen Zeiten in verschiedenen Bildreden gefaßt worden, je nach religiöser Höhenlage und kulturellem Niveau. Nun ist NIEBERGALL keineswegs homiletischer Bilderstürmer; er warnt geradezu, die überkommenen Bilder duch adäquaten Ausdruck zu ersetzen (also etwa: "Vater im Himmel" durch "der Grund der Welt"); alles bleibt letztlich Symbol^. Für die eigene Suche nach Bildern ist laut F. NIEBERGALL das leitende Ziel, einen bestimmten religiösen Eindruck, eine Stimmung zu erwecken; als Kriterien führt er an, das Bild müsse a) dem Geist des Evangeliums entsprechen; b) verständlich sein (bei Ausdrücken wie "Messias", "Kanaan", "Sühnetod Jesu" sei das tertium comparationis

- 237 heute nicht mehr einsichtig zu machen); c) den Geschmack nicht verletzen, wie das etwa beim Bild vom "Blut Jesu" der Fall wäre. Immerhin: Wer ... in sich prophetischen Geist weiß, mag es versuchen, ob ihm eine Bezeichnung für die übersinnlichen Dinge und Vorgänge gelingt, die unserer Auffassung des Evangeliums, unserm heutigen Verständnis und dem Geschmack gerecht wird. 40 In unseren Tagen hat v.a. HAENDLER eine Lanze für die Verwendung erhellender Bilder gebrochen; nur die Angst vor willkürlicher Allegorese halte viele vom rechten Gebrauch von Bildern ab. H. fordert daher eine klare Unterscheidung zwischen Gleichnis und Allegorese, um alsbald Bild, Gleichnis und Metapher zu vermengen. Er definiert: Gleichnis als echtes Bild liegt dann vor, wenn der verdeutlichende Gegenstand transparent ist und also nicht in seinem Eigenwert durch die bildhafte Verwendung verschwindet, sondern sie vielmehr selbst darstellt. Bei der Allegorie liegen das Abbildende und das Abgebildete nebeneinander. Beim Gleichnis als echtem Bild liegt das Abgebildete hinter dem Abbildenden, wird durch es hindurchgesehen und in den Konturen des Abbildenden verstehbar. 41 Das ist in etwa das Gegenteil von dem, was man gemein42 hin unter Gleichnis, Allegorie bzw. Metapher versteht . So nennt HAENDLER Joh 15, 1 f. ein Gleichnis oder Bild, wobei es sich zweifellos um Metaphern handelt. Das "Bild" HAENDLERs weist als solches über sich hinaus auf ewige Wahrheit. Das dürfte die Front sein, gegen die TRILLHAAS in seiner Homiletik angeht. Kennzeichen religiöser Rede ist ihm zufolge, daß "... unter der Hülle der Erscheinungswelt der unvergängliche Gehalt verborgen ..." liegen 43 soll . Dabei wird dann alles Vergängliche transparent, Gleichnis für Ewiges. Der Prediger kann dank der Gleichnishaftigkeit des Irdischen ohne Vorwissen über die Transzendenz, allein am Bild, Wesenhaftes ablesen. Do-

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miniert hier das Bild, so steht nach TRILLHAAS bei evangelischer Predigt die »res1 ganz im Mittelpunkt; das Bild, die Parabel, steht daneben und ist ganz auf den angewiesen, der es in Gebrauch nimmt. Der Prediger kann dem Bild als solchem schlechterdings nichts entnehmen; er muß zunächst präzis wissen, welchen Sachverhalt er verdeutlichen will, dann erst kann er sich ein Bild suchen, das ihn zu verdeutlichen geeignet ist. TRILLHAAS hat damit dem Gebrauch von Bildern die notwendigen Schranken zugewiesen. Wer nicht einer 'analogia entis' zwischen Irdischem und Jenseitigem huldigt, der 44 wird sich von ihm warnen lassen . Nach dieser prinzipiellen Einleitung wenden wir uns den Bildern und Vergleichen im einzelnen zu. Um nicht ins Uferlose zu geraten und doch einigermaßen präzis beobachten zu können, wählen wir Vers 8 aus und versuchen, die gebrauchten Bilder strukturell zu durchleuchten. Will man die Anwendung von 'similitudines' Uberblicken, so kann man auf rhetorische Klassifikationen nicht verzichten; wir halten uns im folgenden primär an LAUSBERG. In der folgenden Übersicht befragen wir die im vorliegenden Material zur Erläuterung von Vers 8 gebrauchten Bilder im Spannungsfeld von 'res' (r) und 'similitudo' (s), von Sach- und Bildhälfte, nach folgenden Kategorien: A) Der Bereich, aus dem r und s stammen: finîtes/ infinites, sinnlich /nicht/ wahrnehmbares Ereignis im Natur-/Menschen-/ im übersinnlichen Bereich. B) Grad der Ähnlichkeit zwischen r und s: simile/ dissimile; contrarium, oppositum. C) Formale Besonderheiten: Abfolge von r und s, Fälle von syntaktischem Parallelismus etc.

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contrarium (oppositum)

giftiger Honig; Katzenpfote ; schlafender Löwe

Latenz der Gefahr

infinit Natur

..."

den giftigen Honig nblick uns verftlhglatte Tätzlein; t, da geht es ohne ne Gefahr um ihn Also ist die SUnde

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η laufen wollte, wir, daß eben

auf s folgt r

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Wesen der SUnde

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simile

contrarium (oppositum)

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infinit sinni. wahrnehmb. Natur

simile ; Schluß a minore ad maius

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Furcht vor vernichtender Kraft

infinit sichtb. Menschenleben

O

Werg: Feuer

positive Bewertung des Sündenbekenntnisses

r-s Nähe der Bereiche von r und s läßt Übergang zum exemplum verschwimmen

r-a-r Syntakt. Parallelismus

e hatte. Er kam sich Werg vor dem Feuer..."

r-s-r Syntakt. Parallelismus

ti kann es mir denken, wie er sich jetzt erst sich doch ein armer Seelisorger, der erst mit atte, wenn es in derselbe en zu einem ehrlichen e einen Stuhl, um sich f· est zu setzen. Wie elsorger und Seelenhirte nun aus dem Schiff

infinit simile sinni.wahrnehmbar übersinnlich

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Petrus : Jesus

Text: "Er erk mit se

Jesus : Petrus

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ι ίσια/της η αττίΟΤΌζ . Das impliziert fraglos Risiken; wer sich auf die Ebene der Solidarität gemeinsamen Sprechens begibt, der weiß nicht im voraus, ob er am Ende des Gesprächs nicht einiges vom Partner übernommen haben wird. So wie zwei Menschen aus echter Begegnung allemal verändert hervorgehen - das hat uns MARTIN BUBER unvergeßlich eingeprägt - so zeigt ein Blick in die Dogmengeschichte, daß die christliche Theologie, wo immer sie sich cum ira et studio auf das Gespräch mit dem Andersdenkenden eingelassen hat, sich in Dimensionen hinein entfaltet hat, deren Denkstrukturen der Gesprächspartner eingebracht hat. Dabei haben sich Lehre und Theologie der Kirche gewandelt und verändert. Der gnostische Dualismus, das juridische Denken Roms, die Rezeption des Neuplatonismus bei Augustin, des Aristotelismus in der Scholastik, Humanismus und - freilich partiell auch aus dem Schoß der Theologie hervorgegangen - Aufklärimg, die französische Revolution, Idealismus, Romantik, Historismus, Existentialismus; iim nur einige der Hauptgesprächspartner zu nennen - alle haben sie die Christen in Frage gestellt, ins Gespräch gezogen, ihnen Sprach- und Denkformen vorgesprochen und sie zu Einspruch und Widerspruch provoziert, in dem doch allemal der Spruch abgefärbt hat nach Sprache, Denkstruktur irnd, wie sollte es anders sein, nach dem Inhalt. Und in dem Maß, als das profane Denken geschichtlich ist, wurde die christliche Theologie in den geschichtlichen Denkprozeß mit hineingenommen. Hier stellt sich der Kirche und ihrer Theologie in jeder Generation neu die Frage der

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Kontinuität und Identität im Blick auf ihren Ursprung. Von daher können wir die ängstliche Warnung des Kolosserbriefs vor der Verführung durch die Philosophie durchaus verstehen (2,8). Wachsamkeit ist angezeigt,daß die Botschaft des Evangeliums nicht entstellt wird bis zur Unkenntlichkeit. Und doch wäre es unredlich und undankbar, wollten wir nicht einräumen, daß auch die Kirche von solchen Gesprächen immer wieder profitiert hat, daß es sie befruchtet und genötigt hat, auf dem Boden unsrer Wirklichkeit zu bleiben. Daß christliches Reden überholbar ist, daß es veraltet, das hat demnach einen weiteren Grund im Veralten der weltanschaulich-philosophischen Strukturen der Zeit, denen sich der seinen Glauben verantwortende Christ nicht ungestraft entzieht.

III.

P r ü f u n g

d e r

G e i s t e r

Aus dem Vorausgegangenen ergibt sich zwingend die Frage nach sachgemäßen Kriterien für die Beurteilung, ob gegenwärtige Verkündigung schriftgemäß ist oder nicht. Für das oben geschilderte statische Verständnis des Verhältnisses von Sprache und Geschichte ist die Prüfung relativ einfach. Eine Predigt ist dort dann schriftgemäß, wenn sie sich in Rezitation und Paraphrase der Formulierungen von Schrift und Bekenntnis ergeht und daraus Nutzanwendungen zieht. Bei geschichtlicher Betrachtung jenes Verhältnisses wird die Prüfung ungleich schwieriger. Wenn man die Kontinuität der Verkündigung nicht am Wortbestand messen kann; wenn die Intention einer Perikope unter veränderten Verhältnissen bei bloßer Rezitation ersterben, bei Neuinterpretation in ganz anderen Worten wieder aufleben kann, kommt dann nicht alles ins Wanken? R. KRAUSE zitiert in seiner Untersuchung über "Die Pre-

- 347 49 digt der späten deutschen Aufklärung" einige Sätze aus J.G. MAREZOLLs Schrift "Uber die Bestimmung des Kanzelredners" : Christlich ist und heißt auch alles dasjenige, was Jesus und seine Gesandten ihren Absichten und Grundsätzen gemäß ganz gewiß lehren und vortragen, befehlen oder verbieten würden, wenn sie unter uns lebten, wenn sie unsere Denk- und Sinnesart beobachteten und unsere Lebensweise sähen. Was also aus den Aussprüchen Jesu hergeleitet und entwickelt werden kann,was notwendig darin liegt und daraus folgt, was sich ... darauf gründen und bauen läßt, das verdient christlich genannt zu werden. Denn das Christentum ist nicht Buchstabe, sondern Geist, und seine Kraft beruht nicht auf den Worten der Bibel, sondern auf den Wahrheiten und Sätzen, welche in diesen Worten enthalten sind. Hierzu bemerkt KRAUSE: Dieser Leitsatz dürfte wohl mit zum Revolutionärsten gehören, was je zum hermeneutischen Problem gesagt worden ist. Grundsätzlich ist mit dieser Unterscheidung zwischen 'Buchstabe und Geist1, zwischen äusserer Form und Sachinhalt ... ein wichtiger Schritt nach vorn getan worden, da eine rechte Aktualisierung der Verkündigung für den Zuhörer in der Gegenwart bezweckt wird. Es erhebt sich allerdings dieser so bestechend klingenden Formulierung gegenüber die Frage, woher die Aufklärungstheologen die Sicherheit nehmen, zu wissen, was das eigentlich Christliche, der Sachinhalt der neutestamentlichen Schriften ist, und zu bestimmen, was Jesus und die Apostel heute verkünden würden, wenn sie sich der gegenwärtigen Vorstellungswelt akkomodieren würden ... Eine Kontinuität zwischen der biblischen Botschaft und der gegenwärtigen Predigt ist nämlich nur dann garantiert, wenn die allgemeinen moralischen Wahrheiten wirklich die inhaltliche Mitte dessen sind, was schon die biblischen Autoren beabsichtigten. Nun wird man jenen Sätzen MAREZOLLs in der Tat nicht durchgängig zustimmen können. Seine Bestimmung des Christlichen ist allzu gesetzlich-lehrhaft, und es kam ihm dabei mehr auf die "Wahrheiten und Sätze" an, die Jesus vorgetragen hat, als auf den Christus praesens. Wenn KRAUSE jedoch prinzipiell den Anspruch tadelt, "zu wissen, was das eigentlich Christliche, der Sachinhalt der neutestamentlichen Schriften ist, und zu bestimmen, was Jesus und die Apostel heute verkünden würden", so wird

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der Predigt ihre elementare Basis bestritten. Ohne diese Sachentscheidung ist sie nicht denkbar. Kritik muß nicht am Anspruch, sondern an seiner Durchführung bei den Predigern der Aufklärung geübt werden. Auch KRAUSE kommt ja doch nicht darum herum, sehr präzis zu sagen, wo er "das eigentlich Christliche" ansetzt. So lesen wir bei ihm z.B.: Die Kernstücke des reformatorischen Verständnisses vom 'ordo salutis' - Sündenvergebung, Rechtfertigung, Wiedergeburt und Heilsgewißheit - haben in dieser von ethischen und pädagogischen Voraussetzungen her bestimmten Auffassung keinen Raum und werden ersetzt oder uminterpretiert in die Begriffe 'Besserung', 'Ruhe1, 'Richtigkeit der Gesinnungen' und vor allem in das von der stoischen Philosophie beeinflußte Wort •Glückseligkeit*. 50 Wo ist der hermeneutische Code, der klar unterscheiden läßt, von welcher Grenze an Interpretationen zur Um-Interpretation wird, wo sie also über die noch erlaubte "Ersetzung alter Denkweise durch eine moderne Begrifflichkeit" hinaus "ins Sachliche hinein" reicht51? KRAUSE stellt zwar immer wieder fest, wo nach seinem Urteil klassische Loci der Dogmatik entleert, mit Schweigen übergangen oder eben uminterpretiert werden; das heuristische Prinzip für solche Urteile sowie der Ort, von dem aus sie gefällt werden, wird nicht reflektiert. Damit aber bleibt die Kernfrage für die Beurteilung von Predigt unbeantwortet 52 . Will man der Antwort näher kommen, so sind hier die Ansätze weiterzuführen, die wir oben J aus den paulinischen Aussagen Uber das Wesen der Gemeindeprophetie gefolgert haben. Es gibt den allgemein verfügbaren und rational einsichtig zu machenden Maßstab nicht, anhand dessen mit Sicherheit darüber geurteilt werden könnte, ob zwischen dem Schriftwort von damals und der gegenwärtigen Auslegung sachliche Kontinuität vorliegt. Im Extremfall etwa der von KRAUSE aufgespießten "Landwirtschaftspredigt" von J.F. SCHLEZ über "die Verbesserung der Wege und Fuhrstraßen, an der sich alle beteiligen 54 sollen" ist uns die Grenzüberschreitung zur Um-Inter-

- 349 pretation deutlich, wenigstens solange sich die Predigt auf derlei Hinweise beschränkt. Im andern Extremfall, einer bloßen Erläuterung des verlesenen Texts im Sinn einer Zurückversetzung des Hörers in die Zeit der bib55 lischen Autoren , bei der die Begriffe unübersetzt wiedergegeben werden, ist für oberflächliche Betrachtung die Übermittlung der Substanz der Botschaft gesichert; daß das ein Trugschluß ist, erhellt aus dem bislang Gesagten. Vollends fehlt im breiten Zwischenfeld zwischen diesen Extremen die Möglichkeit, mit klaren Vernunftgründen die entscheidende Grenze zu ziehen. Wir werden hier noch einmal auf den grundlegenden Satz aus 1. Kor 14, 32 verwiesen: "Die Geistwirkungen der Propheten unterstellen sich den Propheten". Prüfung der Geister ist charismatisches Geschehen. Die Predigt bedarf zu ihrer Bewährung nicht des Nachweises buchstäblicher Schriftgemäßheit, wohl aber des "Erweis(es) des Geistes und der Kraft" von 1. Kor 2, 4. Es muß sich an den Hörern erweisen, ob die Predigt heute noch dieselben Wirkungen zeitigt, die uns von den Zeugen des Neuen Testaments berichtet werden, ob sie also wirklich Evangelium ist, "... ein solches Wort ..., das schlechterdings klar, wahr und gewiß ist, an dem nicht zu deuteln und zu rütteln ist, ein Wort ohne Wenn und Aber, ein verläßliches und eben darum Vertrauen schenkendes Wort, das den, der es sich gesagt sein läßt, erleuchtet, aus dem Bann der Lüge zur Wahrheit befreit, aus der Verzweiflung zur Gewißheit, aus dem Tod und der Höl56 le zum Leben und zur Seligkeit" . Nach 1. Kor 14 sind die Charismatiker der Gemeinde und das heißt: ihre durch den Geist in ihrer Existenz bestimmten, ihre mündigen Glieder - aufgefordert zur Prüfung der Predigt: Ob sie nach ihrem seitherigen Verständnis des Evangeliums aus dem neu vernommenen Wort die Stimme des guten Hirten wiedererkennen, oder ob sie

- 350 es als Lockruf eines Mietlings ablehnen müssen. Ihr Urteil entscheidet. Es ist in seiner Sachgemäßheit nicht rational aufweisbar, aber es ist auch nicht bloße Willkür, hat es doch sein Richtmaß an ihrer Sicht von Schrift und Bekenntnis und an der Geschichte ihrer Erfahrung der Wirklichkeit Gottes. Blicken wir unter Maßgabe des hier Gesagten zurück auf die Geschichte der Predigt über unsre Perikope, so zeigt sich, daß ein integrierender Bestandteil dieser Geschichte nicht dargestellt wurde: Die Rezeption, das ΤΤο^ρο^ογΛß a y e i V von 1. Thess 2, 13 durch die Hörer. An der Aufnahme hat es sich jeweils entschieden, ob die alte Geschichte von Petri Berufung und Sendung an ihr Ziel gelangt ist; ob Menschen ihrer jeweiligen Zeit und Umwelt sich haben rufen lassen, allen Widerständen ihrer Situation zum Trotz. Dabei mußte es sich zeigen, ob sie das neu zugesprochene Wort als Menschenwort vernommen haben oder als unbedingtes, lebenschaffendes, als Wort Gottes. Die Prediger konnten ihrerseits jeweils vieles tun imd unterlassen, um dieses Zum-Ziel-Kommen der Botschaft für ihre Zeit zu hindern oder zu fördern. Für beides haben wir mannigfache Muster zur Kenntnis genommen. Daß es zum Ziel kam, war und ist nicht in die Hand des Predigers gegeben. Es ist kontingentes Ereignis; Geschenk des Heiligen Geistes. Diese zweite Seite der Geschichte der Predigt entzieht sich ihrem Wesen nach wissenschaftlicher Untersuchung und Darstellung.

Mit ihr steht und fällt die Kirche.

S c h 1 u ß Es soll hier nicht versucht werden, die Ergebnisse der vorausgegangenen Erhebungen zusammenzufassen. Ich beschränke mich darauf, einige Gesichtspunkte zu rekapi-

- 351 tulleren, die mir für die Predigt belangvoll zu sein scheinen. 1. Das erste, was beim Überblick über die 240 untersuchten Predigten über Lk 5 auffällt, ist das breite Spektrum der Gegenstände, über die gepredigt wurde. Es befremdet, daß so wenig Kontinuität in dem vorzuliegen scheint, was als Textwille von den Predigern erkannt worden ist. Die Gründe sind, sieht man vom individuellen Unvermögen einzelner Autoren ab, im geschichtlichen Wandel der hermeneutischen Grundauffassungen der Homiletik zu suchen. Als gravierendsten Einschnitt haben wir dabei den Neuansatz LUTHERs erkannt: Seine Abkehr von der Allegorese der traditionellen Auslegung und seine Hinwendung zu dem, was er als den Literalsinn erkannte, hat Epoche gemacht. LUTHER hat, wie wir gesehen haben, in seinen Predigten über unsern Text den Hauptakzent auf den irdischen Beruf des Christen und auf Gottes Segen im Leiblichen gesetzt. Die segensreiche Breiten- und Tiefenwirkung dieses Ansatzes, der an heutigen Maßstäben gemessen ein Fehlansatz war, wird man kaum überschätzen können. Einem Thema, das jahrhundertelang alljährlich in nahezu jeder lutherischen Kirche Gegenstand der Predigt war, war in einer Staatskirche, deren Gottesdienste zu besuchen lange Zeit für jedermann einklagbare Pflicht war, eine vergleichslose Publizität garantiert. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, inwiefern die Entwicklung ohne diese Übung anders verlaufen wäre; immerhin werden wir damit zu rechnen haben, daß sie für den gesamten Raum des deutschen Luthertums hinsichtlich so markanter Tugenden wie Berufstreue, Fleiß, Ausdauer auch bei Mißerfolg, Vertrauen auf göttlichen Segen etc. von entscheidender Bedeutung war. Aber auch die dunklere Kehrseite deutscher Tüchtigkeit: Fleiß als Selbstzweck; Beruf als Moloch, der die Menschen bis zur Selbstpreisgabe in Beschlag nimmt, und ähnliche Phäno-

- 352 mene dürften zum Teil auf die Predigten des 5. Sonntags nach Trinitatis zurückzuführen sein. Die lutherische Predigt hat lange gebraucht, bis sie sich von dieser thematischen Schwerpunktverlagerung freimachen konnte. Immerhin ist es für den durch die Diskontinuität der Themen beunruhigten Betrachter der Predigtgeschichte einer solchen Perikope tröstlich festzustellen, daß dank der "Durchlässigkeit" der biblischen Texte nicht selten ausgezeichnete Predigten gehalten wurden, auch wenn der zugrundegelegte besondre Text durchaus nicht zu seinem Recht kam. Man wird daraus freilich keine Sanktionierung skopusfremder Predigt ableiten dürfen. Nun wäre es ungeschichtlich geurteilt und damit unbillig, wollte man früheren Generationen einen Vorwurf daraus machen, wenn sie den Textwillen einer Perikope nicht oder nur unscharf erkannt haben. In vielen Fällen lassen sich die Gründe noch erheben, die zu entlegenen Predigtthemen geführt haben. Begründete Kritik war erst bei Zeitgenossen anzumelden, sofern sie ohne Kenntnisnahme der Arbeit der neutestamentlichen Exegese am Text vorbeigepredigt haben. 2. Der andre entscheidende Faktor für die Veränderung der Predigtinhalte liegt im geschichtlichen Wandel der Welt begründet, in die hinein der alte Text je neu angesagt wurde; insofern ist eine Entwicklung in der Geschichte eines solchen Texts notwendig im Wesen der Predigt begründet. Kontinuität im Wandel kann im Spannungsfeld von Text und Situation nicht an der Treue eines gleichbleibenden, "unverkürzten" Vokabulars gemessen werden. Im kontingenten Geschehen der Predigt muß sich erweisen, ob unter gewandelten Verhältnissen Intention und Wirkving des Texts in gleicher Weise sich durchsetzen. Vergleichen wir die Predigt zu Beginn des angesetzten Zeitraums, die Predigt der Reformationszeit, mit derjenigen unsrer Tage, so liegt der einschneidendste Unter-

- 353 schied im inzwischen geschehenen Einbruch des säkularen Denkens der Neuzeit. Die heftigen Auseinandersetzungen unsrer Tage zeigen, wie weit wir in der theologischen Bewältigung der dadurch gestellten Probleme zurückliegen. Die Situation, der ein auszulegender Text heute ausgesetzt werden muß, ist das Zeitalter eines Atheismus, der, mit G. EßELING zu reden, "... unsere geistige Situation in einem Ausmaß bestimmt, über das sich Theologie und Kirche im allgemeinen auch nicht annähernd 57 hinreichend Rechenschaft geben" . Die Krise, in die mit der Theologie auch die evangelische Predigt dadurch gestoßen wurde, beunruhigt unsre Kirche in wachsendem Ausmaß. Und wo die offiziellen Organe der Kirchen die Auseinandersetzungen gerne auf das Kämmerlein beschränkt sähen, da durchkreuzen die sog. Massenmedien diesen Wunsch nach Kräften; sie sorgen für das öffentliche Forum, auf dèm die Kirche ihre Botschaft vor der Welt verantwortet . 3. Hier muß der verantwortungsbewußte Prediger Farbe bekennen. Seine Verantwortung zeigt sich in dem Maß seiner Bereitschaft, auf eine Reihe früher selbstverständlicher Voraussetzungen zu verzichten. Ich greife einige dieser Voraussetzungen heraus: a) Die Selbstverständlichkeit, in der zu LUTHERs Zeiten von der Hörer und Prediger gemeinsamen Basis eines Gottesglaubens ausgegangen werden konnte, ist so nicht mehr gegeben. Gegenwärtige Predigt wird hier "elementacp re Predigt" sein müssen, die ihre Position vor dem Hintergrund radikaler Fraglichkeit behauptet. Voraussetzung dafür ist, daß der Prediger es sich nicht erspart, das Denken seiner säkularen Zeitgenossen - "etsi Deus non daretur" - nachzuvollziehen. Denn der hier gekennzeichneten Krise kann nicht begegnen, wer sich ihr nicht aussetzt, und das heißt, wer nicht selbst von den Fragen umgetrieben ist, wie heute verantwortlich von Gott, von Jesus Christus, vom Heiligen Geist geredet

- 354 werden kann. Wer sich nur apologetisch, nur pädagogisch aufs Gespräch mit dem Unglauben einläßt, im ungefährdeten Besitz der Wahrheit, der ist nicht geschickt zum Helfer seiner angefochtenen Hörer. b) Mit dem Gesagten hängt eng zusammen, daß die Selbstverständlichkeit weggefallen ist, in der man eigene Aussagen durch ein Schriftzitat untermauern konnte. Das 'dictum probans' leistet seinen Dienst nicht mehr. Eine biblische Analogie überführt, soweit sie in sich selbst überzeugt; nicht aber eo ipso, weil sie der Schrift entstammt . c) Entliehene Autorität, und als solche unverbindlich, ist auch die Autorität des Amts des Predigers. Die Selbstverständlichkeit, in der der Prediger früherer Zeiten goldene Samenkörner unter das Volk streute, und in der das Predigtvolk des Wortes Gottes gewärtig war, gehört der Vergangenheit an. Die Hörer, oder doch ein Großteil der Hörer, erwarten vom Prediger Rechenschaft: Wie er dazu kommt, das Wort zu nehmen. Weshalb er einen fast zweitausend Jahre alten Text verliest. Sie erwarten auch Rechenschaft darüber, wie er von diesem Text, so wie sie ihn zunächst verstehen, zu konkreten gegenwärtigen Aussagen kommt. Der Prediger wird diese Fragen nicht in jeder Predigt explizit beantworten können.Aber er wird gut daran tun, sie im Ohr zu haben, wenn er nicht Steine statt Brot reichen will. d) Problematisch geworden ist endlich die früher mit gewissem Recht übliche Voraussetzung, der Prediger habe unter seiner Kanzel eine geschlossene Gemeinde von Christen, die grundsätzlich anders angeredet werden müßten als der Kirche Fernstehende. Wir werden vielmehr davon auszugehen haben, daß auch die sonntägliche Predigt in dem Sinn Missionspredigt ist, als die Kirche mit ihrer Verkündigung an die Welt gewiesen ist. Die Grenzlinie zwischen Reich Gottes und Reich der Welt

- 355 deckt sich nicht mit den Mauern der Kirche; sie verläuft mitten durch die Schar der Hörer, mitten hindurch durch jeden, der sich der Botschaft vom nahen Gottesreich aussetzt. Auch hier gilt die Regel aus 1. Kor 14, 23, daß der ÎdiTK|Ç ή ¿ σ τ ί σ τ ο ς a l s Kriterium für verständliches Wort zu dienen hat. Wird er überführt, so wird auch der TTlöP&ua>V' nicht leer ausgehen müssen. 4. Der Verzicht auf Voraussetzungen der soeben aufgeführten Art scheint den Prediger wesentlicher Stützen zu berauben. Ist er nicht überfordert, wenn er gleichsam in jeder Predigt ab ovo beginnen; wenn er ohne die Vorgaben einer vorausgesetzten Metaphysik, ohne die zugestandene Autorität von Schrift und Amt, ohne die Übereinkunft einer Hörerschar schon gewonnener "fortgeschrittener" Christen auf die Kanzel treten und das alte Wort neu sagen soll? Ich bin der Überzeugung, daß solcher Verzicht heute der einzige Weg ist, der weiterführt. Auf ihm wird der Prediger der heilsamen Nötigung zugeführt, die eigenen Voraussetzungen selbst kritisch zu reflektieren. Vor allem aber nötigt ihn dieser Verzicht zur asketischen Konzentration auf die Autorität des Wortes selbst. Er traue es diesem Wort zu, daß es ohne jene Stützen gehen kann, und daß es auch so seine verändernde Kraft erweist. 5. Ich kann diesen Rück- und Ausblick nicht abschließen, ohne dem Respekt und der Reverenz Ausdruck zu geben, die die Geschichte dieser elf Verse dem Betrachter abnötigt. Mit erstaunlicher Energie hat dieser Text den Überfremdungen durch allerlei Dichten und Trachten seiner Ausleger getrotzt. Er hat seine Interpreten immer wieder zu seiner eigenen Sache zurückgerufen; hat sie genötigt, ihn ihrer Zeit zu konfrontieren. Er hat sich in diesem Geschehen erwiesen als "Hammer, der Felsen zerschmeißt".

A N M E R K U N G E N

- 359 Anmerkungen zum ersten Teil Seite 1 - 1 2 1 1) 4) 7) 10) 11) 12)

2) Nr. 168. Nr. 130. 5) Nr. 246. Nr. 244. 8) Nr. 259. Nr. 255. HUGENDUBEL, Nr. 225FUETER, Nr. 239. MARTIN, Nr. 254.

3) Nr. 194. 6) Nr. 252. 9) Nr. 261.

13) Z.B. H. SCHREINER, Die Verkündigung des Wortes Gottes, Hamburg 19495, 233: "Die Unfruchtbarkeit des Gegensatzes stammt in beiden Fällen aus der Tatsache, daß der Gegner gerade das als ganz selbstverständlich voraussetzt, was der andere an ihm meint vermissen zu müssen. Wer ist denn überhaupt imstande zu predigen, ohne daß analytische und synthetische Arbeit ineinandergreifen?" Cf. ferner W. TRILLHAAS: "Wir werden uns hier darauf beschränken können, festzustellen, daß die Wahrung der Einheit des Textes und seine Auslegung ins einzelne zusammen notwendig und keine Gegensätze sind" (Evangelische Predigtlehre, München 1955^,143). 14) Nr. 267,187. 17) 20) 23) 26) 27) 28) 29) 32)

15) AaO 143-

Nr. 223,359. 18) Nr. 155,678. Nr. 203,189. 21) Nr. 204,42. Nr. 206,81. 24) Nr. 161,298. Nr. 35,270/1 ff. So etwa bei MEUSCHEN, Nr. 100. Dazu s.u. 285 ff. Nr. 222,1330) Nr. 230. Nr. 213.

16) Nr. 138,75. 19) Nr. 234,231 22) Nr. 242,31. 25) Nr. 17,228.

31) Nr. 207.

33) K. HOLL, Gesammelte Aufsätze I, 544-582: Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst. 34) G. EßELING. Evangelische Evangelienauslegung, Darmstadt 1962^. Vgl. ferner seinen Artikel "Hermeneutik" in: RGG3 111,242 ff. 35) WA 7,649.

- 360 36) Es sind dies: Lit.Verz. Datum Nr. 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27=17 28=17=27 29

Quelle

7. 1522 7. 1523 6. 1524 7. 1528 6. 1529 7. 1531 6. 1532 7. 1533 7. 1534 22. 10. 1534 (Sommerp.)

20. 5. 19. 12. 27. 9. 30. 13. 5-

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10 ,228 ff. 11, 144 ff. 15, 636 ff. 27, 253 ff. 29, 436 ff. 34, 570 ff. 36, 201 ff. 37, 108 ff. 37, 476 ff. 37, 555 ff. 10*11,324 ff. 22, 74 ff. 52, 394 ff.

Bearbeiter Dr R R

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37) "Methodus heroica" nannte man später die von allem Regelzwang freie spontane Predigtweise LUTHERs. Im Streit um das rechte Verständnis der Predigt zwischen Orthodoxie und Pietismus ging es eben darum, ob - wie das die orthodoxen Prediger vertraten diese 'methodus' nur für eine prophetische Ausnahmegestalt wie LUTHER statthaft war oder ob sie jedem geistbegabten Prediger anstehe. Wir werden später darauf zurückkommen; s.u. 222 ff. 38) G. EßELING, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 1965, 16. 39) Nr. 18,144. 42) AaO 357.

40) Nr. 28,74.

41) Nr. 17,229-

43) Näheres Uber die Allegorese s.u.179 ff. 44) S.u.138 ff.

45) Nr. 31,139.

46) Cf. H. LAUSBERG, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, I 407 ff. 47) Nr. 32,111. 48) Nr. 33,36349) AaO 364. 50) Nr. 34,367 ff. - Literarische Beeinflussung legt sich nahe, nachdem die Sommerpostille bereits 1527/28 im Druck erschienen war. 51) Nr. 35,268/1. 52) In der uns zunächst vorliegenden Ausgabe von J.T. MÜLLER (Stuttgart 1845) ist diese Postille fälschlich 'Haus-Postille' genannt; der Originaltitel von 1546 war "Kinderpredigt", die Zitation geht auf die "Kinder Postilla" von 1577 zurück, die sich in der Bibliothek des Thomasstifts in Straßburg befindet. 53) Nr. 36,172.

54) Nr. 37,195 ff.

55) Nr. 38,149-,

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361

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56) AaO 151. 57) M. SCHIAN im Artikel "Predigt, R E 3 15,663, 57f. 58) Nr. 30,150.

59) Nr. 45,128.

61) Nr. 48,472.

62) Nr. 48,473.

60) Nr. 46,130.

63) SCHWENCKFELD nennt folgende Punkte: "Das wir unß mit allem ernst sollen befleissen, Gots wort nit allein eusserlich nach dem buchstaben, sonder innerlich mit unserm hertzen zehören, dann Es das vischen, auch der vischfang, die bekerung, speiß und narung unsrer seelen ist, zum ewigen leben. 2 Das one Christo, one sein gnad unnd erleuchtung, nichts dann eitel finsternuß, eitel jrtumb und verdamnuß in alle deß menschen leben, leer, und wandel ist. 3 Das unser hertz vnd gedancken stum in Gott geordnet sein sol, unsers Gmüts in die höhe werden all unserm thun und lassen Gott lauter mainen.

allzeit durch Chriund die schiflen gefürt, damit wir in den herren bloß und

4 Das Christus Petro und seinen gesellen unversehens so vil fische gibt, Ist ain anzaigen des reichtums seiner gnaden und götlichen fürsichtigkait über alle so jhn lieben, und seinem wort gehorchen. 5 Das der mensch sich selbst ymmer ye mehr lerne erkennen, seine sünde in demut seines hertzens dem hochprister Christo offt beichte und bekenne, will er änderst mit dem lieben Petro jhn näher zu sich ziehen, und die stimme: Nit förchte dich, vom herren Christo hören. 6 Die summa ist, von der kraft und wircklichkait Jesu Christi deß lebendigen worts Gottes: Wer Christum recht erkennet, der wirt allem andern im hertzen urlaub geben und jhme zum reiche der himmel fleissig nachfolgen" (Nr. 48,493 f.). 64) Es sind dies: "1. In dem ersten haben wir eine Ermahnung von der Art und Eigenschafft des lebendigen Worts ... 2. In dem andern haben wir eine Lehre, daß alle unser Thun fruchtloß und vergebens sey, wo Christus nicht bey uns im Schiff, wo er nicht bey uns in unser Seele gefunden wird, und dargegen, daß man mit Frucht und großem Seegen arbeiten kan, so man seinen Beruff vollendet in dem Wort und Willen des HErrn. 3. Zum dritten lernen wir von Petro, so uns GOtt Seegen gibt durch die Werck unserer Hände, wem wir es zuschreiben sollen.

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Zum 4. und letzten haben wir eine Lehre von Beruffung zum Predigt-Amt, daß Gottes Wort ein schneller Bothe sey abzufordern von der Welt: von allen vergänglichen Gütern ..." (Nr. 49,160 f. ). 65) AaO 166 f. 66) Näheres über diese Entwicklung s.u.191 f. 67) M. SCHIAN, aaO 668,24 ff. 68) K.PH. MORITZ, Anton Reiser, Leipzig 1959. 69) Nr. 39, O.S. - Cf. die Predigt von HESHUSIUS: "Wir wollen aber auff diese stunde nur zween punct für uns nemen und widerholen. Fürs erste, Wie sich ein Christ in die zeitliche nahrung schicken sol, also daß er hie und dort möge selig sein. Fürs ander, Von dem beruff der Apostel" (Nr. 43,273/2). 70) Nr. 42,319. 71) Nr. 47,778. - PAPPUS fügt zwei ähnlichen Teilen einen dritten hinzu: "Tertia vocationem comprehendit Petri et duorum filiorum Zebedaei ad piscationem hominum." Ziel der ganzen Predigt ist nach PAPPUS: "Omnia vero haec ad eum finem spectant: ut et neceßitatem et efficacitatem Ministerii Euangelici discamus, agnoscere" (Nr. 52,346). 72) Nr. 50,78.

73) Nr. 62,469-

75) AaO 475.

76) S.u. 79 f.

77) Nr. 58,455 ff.

78) Nr. 59,458.

74) AaO 470. 79) Nr. 60,462.

80) Nr. 61,467. 81) Nr. 63,355. Eine ähnliche Disposition, nur subtiler aufgegliedert, bietet SPENERs Lehrer JOHANN KONRAD DANNHAUER in Straßburg. Sein Thema ist die "Ars ditescendi, Die bewährte Kunst reich zu werden ..." Er fragt: "Durch was Mittel und Werbung hat Simon denselben (seil. Reichtum) gewonnen und erhalten?", um zu antworten: "1. Auris devota, Das hörende Ohr, 2. Cor fiduciale, Das glaubige Hertz, das HertzensSchifflein, welches Petrus dem HErrn geliehen und eingegeben. 3- Os orans, Der betende Mund. 4. Manus laborans. Die geschäfftige und arbeitsame Hand ... 5· Genu gratum, Der danckbare Fußfall. 6. Oculus anagogice elevatus; Das erhobene und erleuchtete Aug, welches Christus erhoben ad theoriam mysterii, zur Schaw eines grossen Geheimnus, so in diesem äusserlichen Fischzug angedeutet war: nemlich der geistliche Fischzug, welcher durch diesen leiblichen Fischzug typice praefiguriret und fürgebildet worden,

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87)

daß sie, die schwache und ohnmächtige Galileer, ins künftig bedencken möchten ... 7. Tergum versum, der kehrende Rucken und gehorsamer resignation ..." (Nr. 64,558 ff.). Nr. 94 f. 83) Nr. 53,715. 84) Nr. 54,555. Nr. 56,473. WAGNER nennt die folgenden: (1) "Ingens sinceri pastoris dilectio"; (2) "Urgens ad Christum penetratio"; (3) "Sitibunda ad verbum praedicatum anhelatio" (aaO 476 ff.). Nr. 57,504. Daraus zieht er die "Hauptlehr: Christus sey mit seiner Kirch an äusserliche Cantzeln, Thum und Stifft nicht verbunden" (ibid.). Da der Band schwer zugänglich ist, gebe ich die Hauptthemen wieder: I. Disposition. Christi Predigt aus dem Schiff an das hungrige Volck, Ubi I. Der Lehrer und Prediger. II. Die Zuhörer. III. Die Lehre, so Er vorgetragen. II. Disposition. Ubi Das Gottgefällige Gedräng zu Christo, I. Das Gedräng auf Seiten deß Volcks. II. Das Wohlgefallen auf Seiten Christi. III. Disposition. Petrus als ein Frommer; fleißiger und von GOtt gesegneter Handwercksmann. als welcher I. Seine Beruffs-Arbeit im Nahmen GOttes fleißig verrichtet, II. Den Segen GOttes dabey reichlich erlanget, III. Solchen wohl betrachtet und angewendet hat. IV. Disposition. Die geistliche Fischerey Ubi I. Die Fischer. II. Die Fische. III. Das Fischen und Fähen. V. Disposition. Die Beruffs-Arbeit. Nach ihrer I. Manchfaltigkeit. II. Mühseligkeit. III. Lobwürdigkeit.

- 364 VI. Disposition. Der Menschen Arbeit, wie sie I. Ohne Gott vergebens; II. Mit GOtt reichlich gesegnet seye. VII. Disposition. Der Christen schuldige Embsigkeit. I. In Suchung der geistlichen Seele-Speise. II. In Verrichtung der leiblichen Beruffs-Arbeit. VIII. Disposition. Die Nachlässigkeit bey der Besuchung und Anhörung deß Göttlichen Worts. Deren I. Beschaffenheit. II. SUndlichkeit. IX. Disposition. Der Arbeits-Fleiß. I. Wie er beschaffen seyn soll. II. Was uns dazu antreiben soll. X. Disposition. Den Ordnungs-mäßigen Christen. wie er sich Göttlicher Ordnung gemäß bezeuget I. In Anhörung deß Göttlichen Worts. II. In Verrichtung der Wercke seines Beruffs (Nr. 101-110). Cf. E. ACHELIS und E. SACHSSE, Die Homiletik und Katechetik des Andreas Hyperius, 1901, zit. n. W. UHSADEL, Die gottesdienstliche Predigt, Praktische Theologie Bd. 1, Heidelberg 1963, 182 ff. Nr. 135,535 f. M. SCHIAN, Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt, Gießen 1912. Vollständiger CATALOGUS etc., Leipzig 1715, (Nr. 6593)· Der Katalog führt auf den Seiten 184-188 jeweils das Jahr, das Thema des Exordium, den Text, Doctrina, d.h. die Themen und ggfs. den Druck an. Da er schwer zugänglich ist, gebe ich das Wesentliche wieder:

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Das geistliche Leben bestehet in 2. StUcken, 1. Gehör Göttlichen Worts oder Gottesdienst, 2. Verrichthung der BeruffsGeschäfften und Arbeit. Warum GOtt, wo man in seinem Beruf alles mit Fleiß gethan, dennoch zuweilen keinen Fortgang darzu gebe. Wie man sich darein zu schicken, und wessen man siel; zu getrösten. Grund aller unserer Arbeit Gotte s Wort, 1. unsers Beruffs, 2. seines Befehls, 3. seiner Verheissung. Etliche Regeln, wie man in dem Zeitlichen sich zu verhalten habe. Wie GOtt auch der Gottseligkeit leibliche Belohnung und Verheissungen erweise. 1.Tim.IV,8. die Gottseligkeit - zukUnfftigen Lebens. Wie die Betrachtung göttlicher Wohlthaten und Zeugnissen seiner Weißheit uns zur Demuth und Ehrerbietigen Furcht bewegen solle. Hebr. XII,28. Darum dieweil wir - Zucht u. Furcht.

Ev.Hic v. 5. Und Simon antwortet - nichts gefangen. Ev.Hic v. 5. Aber auf dein - auswerffen.

W> Evangelium Hie v. 6.7. Da sie das - daß sie suncken. Ev.Luk. VI (sie!), 1-11. Hic v.8.9.10. Da das Simon Petrus Simonis Gesellen.

Summa der andern Tafel, Liebe unser selbst und des Nächsten.

Von der ewigen Verdammniß aus dem dritten Articul.

Was in dem dritten Gebot geboten.

1. Cor. XIII.

Galat. IV, 14.15.16

1673

1674

1676

1677

1678

Doctrln.

Ev.Hic v. 4. Und als Er hatte - Zug thut.

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Die Bedeutung der Tauffe. !

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