Precarium: Besitzvertrag im römischen Recht 9783428145584, 9783428545582, 9783428845583, 3428145585

Entgegen dem ersten Anschein, den die herkömmliche Übersetzung als "Bittleihe" weckt, ist das römische precari

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Precarium: Besitzvertrag im römischen Recht
 9783428145584, 9783428545582, 9783428845583, 3428145585

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung
I. Absicherung und Abwehr von Dienstbarkeiten
II. Schutz von Kreditsicherheiten
III. Sachüberlassung?
IV. Ursprung des precarium
V. Ergebnis
§ 2 Eine besondere Form der liberalitas
I. Vergleich mit donatio und commodatum
II. Verhältnis zu actio praescriptis verbis und condictio incerti
III. Die Vorsatzhaftung des Prekaristen
IV. Ergebnis
§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache
I. Das Besitzerfordernis
II. Die Vereinbarung eines precarium
III. Das precarium rei suae
IV. Rechtsnachfolge in das precarium?
V. Ergebnis
§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz
I. Der Prekaristenbesitz als possessio iniusta
II. Abweichungen vom Konzept der possessio iniusta
III. Der Prekaristenbesitz als possessio iusta
IV. Ergebnis
§ 5 Ein Modell der Besitzteilung?
I. Verdopplung des Besitzes
II. Aufteilung des Besitzes?
III. Ergebnis
§ 6 Mutation und Untergang des precarium
I. Eine Entwicklung im westgotischen Recht?
II. Annäherung an das commodatum
III. Abschaffung im BGB
Fazit
Quellenverzeichnis

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 176

Precarium Besitzvertrag im römischen Recht

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

JAN DIRK HARKE

Precarium

Schriften zur Rechtsgeschichte

Band 176

Precarium Besitzvertrag im römischen Recht

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-14558-4 (Print) ISBN 978-3-428-54558-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84558-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis § 1 Anwendungsbereich und Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Absicherung und Abwehr von Dienstbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz von Kreditsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ursprung des precarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 8 15 26 35 37

§ 2 Eine besondere Form der liberalitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergleich mit donatio und commodatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis zu actio praescriptis verbis und condictio incerti . . . . . . . . . . . III. Die Vorsatzhaftung des Prekaristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 43 46 52

§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Besitzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vereinbarung eines precarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das precarium rei suae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsnachfolge in das precarium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 56 64 70 74

§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Prekaristenbesitz als possessio iniusta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abweichungen vom Konzept der possessio iniusta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Prekaristenbesitz als possessio iusta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76 76 80 81 84

§ 5 Ein Modell der Besitzteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verdopplung des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufteilung des Besitzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 6 Mutation und Untergang des precarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Eine Entwicklung im westgotischen Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Annäherung an das commodatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Abschaffung im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Abkürzungsverzeichnis Biavaschi, Index 36 (2008) 247

Paola Biavaschi, Profili antidogmatici del diritto romano: ,in fundo morari‘, ,precarium‘ di ,habitatio‘ e ,gratuita habitatio‘, Index 36 (2008) 247–276

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Paola Biavaschi, Ricerche sul precarium, Mailand 2006

Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana

J. D. Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, Berlin 2012

Kaser, SZ 89 (1972) 94

Max Kaser, Zur Geschichte des precarium, SZ 89 (1972) 94–148

Klinck, Erwerb

Fabian Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischen Recht, Berlin 2004

Levy, SZ 66 (1948) 1

Ernst Levy, Vom römischen precarium zur germanischen Landleihe, SZ 66 (1948) 1–30

Levy, Vulgarrecht

Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, Weimar 1956

MacCormack, TR 42 (1974)

MacCormack, Iusta and iniusta possessio, TR 42 (1974) 71–82

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Jacques-Henri Michel, Gratuité en droit Romain, Brüssel 1962

Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot

Sanchez-Albornoz, El precarium en occidente durante los primeros siglos medievales, in: Études d’histoire du droit privé, Mélanges Petot, Paris 1959

Tondo, Labeo 5 (1959) 157

Salvatore Tondo, ,Pignus‘ e ,precarium‘, Labeo 5 (1959) 157–210

Zamorani, Precario habere

Pierpaolo Zamorani, Precario habere, Mailand 1969

Zimmermann, Rechtserwerb

Martin Zimmermann, Der Rechtserwerb hinsichtlich eigener Sachen. Rei suae sive de re sua contractum consistere non potest, Berlin 2001

§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung Im Edikt des Prätors findet das precarium in zweifacher Hinsicht Erwähnung. Zum einen erscheint es neben der gewaltsamen oder heimlichen Entwendung einer Sache als dritter Tatbestand des fehlerhaften Besitzes, der bei zahlreichen Interdikten einen Besitzschutz im Verhältnis zum anderen Teil ausschließt. Zum anderen bildet das precarium die Grundlage für einen eigenständigen Besitzschutz mit Hilfe des interdictum de precario. Es ist auf Rückgewähr einer bittweise überlassenen Sache gerichtet und kann vom Geber gegen den Prekaristen erwirkt werden, wenn dieser die Sache noch bittweise inne- oder sich ihrer vorsätzlich begeben hat: D 43.26.2pr, 1 Ulp 71 ed Ait praetor: ,quod precario ab illo habes aut dolo malo fecisti, ut desineres habere, qua de re agitur, id illi restituas‘. (1) Hoc interdictum restitutorium est. Der Prätor bestimmt: „Hast du bittweise das, worum gestritten wird, von jenem inne oder vorsätzlich bewirkt, dass du es nicht mehr hast, sollst du es jenem zurückgewähren.“ (1) Dieses Interdikt ist auf die Rückgewähr gerichtet.

Eine Zuwiderhandlung gegen den Restitutionsbefehl wird mit einer Klage sanktioniert, die eine Verurteilung des Prekaristen in das Interesse zeitigt, das der Geber daran hat, die Sache im Zeitpunkt des Erlasses des Interdikts zurückerhalten zu haben: D 43.26.8.4 Ulp 71 ed Ex hoc interdicto restitui debet in pristinam causam: quod si non fuerit factum, condemnatio in tantum fiet, quanti interfuit actoris ei rem restitui ex eo tempore, ex quo interdictum editum est: ergo et fructus ex die interdicti editi praestabuntur. Aufgrund dieses Edikts muss der frühere Zustand wiederhergestellt werden: Geschieht dies nicht, erfolgt die Verurteilung in das Interesse, das der Kläger daran hat, dass ihm die Sache zurückgewährt worden wäre, und zwar ab dem Moment, in dem das Interdikt erlassen worden ist; also müssen ihm auch die Früchte vom Tag des Erlasses des Interdikts an geleistet werden.

Die Etymologie des Wortes precarium legt nahe, den Ursprung des so benannten Rechtsinstituts in einem Subordinationsverhältnis zu suchen, in dem ein Untergebener die Überlassung eines Gegenstands von seinem Vorgesetzten regelrecht erbitten muss. Als historische Phänomene, die Anknüpfungspunkt für eine Herkunftshypothese sein könnten, kommen hier vor allem die Beziehung zwischen einem Patron und seinen Klienten sowie die Vergabe von ager publicus durch den römischen Staat in Betracht; und es fehlt nicht an Stimmen, die den Ursprung des precarium in dem einen oder anderen Verhältnis oder gar in beiden

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

verorten: Das Konzept der bittweisen Überlassung wird in teils unterschiedlichen Spielarten zuweilen auf die Belehnung ländlicher Arbeiter,1 die Zuweisung von Grundbesitz eines Patrons an seine Klienten2 oder die hoheitliche Vergabe von ager publicus3 zurückgeführt. Diese Hypothesen müssen nicht nur sämtlich ohne quellenmäßigen Beleg auskommen; sie bauen auch auf einem vorgeprägten Bild des precarium als eines auf die Landvergabe zugeschnittenen Leih- oder Lehnsverhältnisses auf.4 Zwar kann sich eine solche Deutung durchaus auf die eine oder andere abstrakte Äußerungen der römischen Juristen stützen. Um sicherzustellen, dass deren Interpretation nicht fehlgeht, gilt es jedoch zunächst einmal, die Quellen zu untersuchen, die Aufschluss über den konkreten Einsatz des Rechtsinstituts in der Praxis geben. Erst wenn der Anwendungsbereich ausgelotet ist, den das precarium zur Zeit der hoch- und spätklassischen Jurisprudenz hat, lassen sich Vermutungen über seine Herkunft wagen und die theoretischen Aussagen richtig verstehen, die die Juristen zur Eigenart dieses Rechtsinstituts machen.

I. Absicherung und Abwehr von Dienstbarkeiten Einen Anwendungsfall des precarium bildet die Erlaubnis zum Verstoß gegen eine Dienstbarkeit. Mit ihr befasst sich Julian in D 8.2.32pr Iul 7 dig: Si aedes meae serviant aedibus Lucii Titii et aedibus Publii Maevii, ne altius aedificare mihi liceat, et a Titio precario petierim, ut altius tollerem, atque ita per statutum tempus aedificatum habuero, libertatem adversus Publium Maevium usucapiam: non enim una servitus Titio et Maevio debebatur, sed duae. argumentum rei praebet, quod, si alter ex his servitutem mihi remisisset, ab eo solo liberarer, alteri nihilo minus servitutem deberem. Ist mein Gebäude denen des Lucius Titius und des Publius Mävius in der Weise dienstbar, dass es mir nicht erlaubt ist, höher zu bauen, und habe ich von Titius bittweise um die Erlaubnis ersucht, höher zu bauen, und das Gebäude auch für die Dauer der Ersitzungszeit so innegehabt, ersitze ich die Freiheit [von der Dienstbarkeit] gegenüber Publius Mävius. Es liegt nämlich nicht nur eine Dienstbarkeit gegenüber Titius und Mävius vor, sondern es bestehen zwei Dienstbarkeiten. Einen Beweis 1 So die Deutung von Max Weber, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht (1891), Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 2, Tübingen 1986, S. 320. 2 Diese auf Niebuhr, Römische Geschichte, Teil 2, S. 168 ff. (S. 435 f. der Ausg. Berlin 1853) zurückgehende Theorie findet Anklang etwa bei Michel, Gratuité, S. 129 f., Zamorani, Precario habere, S. 45 ff. und Kaser, SZ 89 (1972) 94, 96 f. 3 Kritisch zu dieser von Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. 2, Abt. 1, 3. Aufl., Leipzig 1887, S. 462 Fn. 5 favorisierten Erklärung Zamorani, Precario habere, S. 1 ff.; vgl. auch Biavaschi, Ricerche, S. 49 ff. 4 Hiervon geht auch Biavaschi, Ricerche, S. 357 f. aus, die das precarium erst nachträglich durch das commodatum ersetzt und für andere Anwendungsfälle fruchtbar gemacht sieht.

I. Absicherung und Abwehr von Dienstbarkeiten

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hierfür bietet der Umstand, dass, wenn einer von beiden mir gegenüber auf die Dienstbarkeit verzichtet, ich nur von ihm befreit werde und dem anderen nichtsdestoweniger aus der Dienstbarkeit verpflichtet bin.

Durch Fallvergleich5 ermittelt Julian die Wirkung, die ein precarium bei der Belastung eines Grundstücks zugunsten mehrerer Nachbarn hat: Ist dem Eigentümer des dienenden fundus das Höherbauen verboten, kann er die Freiheit von dieser Dienstbarkeit durch deren non usus ersitzen, indem er auf seinem Grund für mindestens zwei Jahre ein Gebäude in verbotswidriger Höhe unterhält. Dies gilt bei einer Mehrfachbelastung im Verhältnis zum Eigentümer eines der herrschenden Grundstücke auch dann, wenn die Ersitzung gegenüber einem anderen Eigentümer scheitert; denn das Verbot des Höherbauens begründet keine Gesamtberechtigung der Nachbarn, sondern ist Gegenstand einzelner Servituten gegenüber den Eigentümern der herrschenden Grundstücke. Ebenso wie diese einzeln ohne Mitwirkung der anderen auf die ihnen zukommende Dienstbarkeit verzichten können, verlieren sie diese auch individuell durch Ersitzung. Ein unterschiedliches Schicksal können sie insbesondere dadurch erleiden, dass der Eigentümer eines der herrschenden Grundstücke den verbotswidrigen Zustand bloß bittweise hinnimmt. Wirkt sich dies auch nicht auf die Servituten zugunsten der übrigen Nachbarn aus, verhindert er so doch, dass seine eigene Berechtigung durch Duldung des Verstoßes gegen die Dienstbarkeit verloren geht. Für die ersitzungshindernde Wirkung spielt es keine Rolle, ob die Gestattung jederzeit widerruflich oder für eine bestimmte Frist erfolgt ist. Letzteres könnte man deshalb annehmen, weil das precarium sich für den Eigentümer des dienenden Grundstücks nur dann als sinnvoll erweist, wenn ihm die Errichtung des servitutswidrigen Gebäudes für einen bestimmten Mindestzeitraum ermöglicht wird.6 Diese Befugnis muss jedoch nicht das Besitzschutzrecht des Gebers aus dem precarium selbst einschränken, sondern kann auch einer daneben bestehenden Vereinbarung entspringen, deren Bruch den Geber zwar zum Schadensersatz verpflichtet, aber nicht seiner gleichsam besitzrechtlichen Stellung beraubt, die servitutswidrige Nutzung jederzeit zu unterbinden. Unabhängig davon, ob das precarium selbst von der Vereinbarung einer bestimmten Mindestfrist betroffen ist, verschafft es dem Geber den weiteren Vorteil, dass die Dienstbarkeit nun zusätzlichen Schutz genießt. Während das Verbot des altius tollere anders als die alten Wegerechte grundsätzlich nicht durch ein Interdikt bewehrt ist, kann sich sein Inhaber, wenn er sich auf ein precarium eingelassen hat, gegen das zu hoch gebaute Nachbargebäude nun nicht nur mit der vindicatio servitutis, sondern auch mit dem interdictum de precario wenden. So erspart er sich vor allem den Nachweis der Belastung des dienenden Grundstücks und kann sich damit begnügen darzutun, dass der servitutswidrige Zustand auf 5 6

Hierzu Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 142 f. Biavaschi, Ricerche, S. 133 f.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

ein precarium zurückgeht. Auf diese Weise wird der Beweisnachteil ausgeglichen, den dieser Zustand als Tatsache bedeutet, und der Erhalt der Dienstbarkeit nicht nur rechtlich, sondern auch in ihrem Nachweis gewährleistet. Mit dieser Wirkungsweise des precarium in einem vergleichbaren Fall befasst sich Papinian in D 8.4.17 Pap 7 quaest: Si precario vicinus in tuo maceriam duxerit, interdicto ,quod precario habet‘ agi non poterit, nec maceria posita donatio servitutis perfecta intellegitur, nec utiliter intendetur ius sibi esse invito te aedificatum habere, cum aedificium soli condicionem secutum inutilem faciat intentionem. ceterum si in suo maceriam precario, qui servitutem tibi debuit, duxerit, neque libertas usucapietur et interdicto ,quod precario habet‘ utiliter cum eo agetur. quod si donationis causa permiseris, et interdicto agere non poteris et servitus donatione tollitur. Hat ein Nachbar bittweise eine Mauer auf deinem Grundstück errichtet, kann mit dem Interdikt „was jemand bittweise innehat“ nicht geklagt werden; und es wird weder so angesehen, dass durch Errichtung der Mauer die Schenkung einer Dienstbarkeit vollzogen worden sei, noch kann er erfolgreich geltend machen, dass er ein Recht habe, dort ohne deine Zustimmung ein Bauwerk zu unterhalten, da der Grundsatz, dass ein Bauwerk das rechtliche Schicksal des Bodens teilt, ein solches Vorbringen entwertet. Hat dagegen jemand bittweise auf seinem Grundstück, das dir mit einer Dienstbarkeit dient, eine Mauer errichtet, wird die Freiheit nicht ersessen, und es kann erfolgreich mit dem Interdikt „was jemand bittweise innehat“ gegen ihn geklagt werden. Hast du es aber schenkweise erlaubt, kannst du auch mit dem Interdikt nicht klagen und die Dienstbarkeit wird durch die Schenkung aufgehoben.

Ist dem Nachbarn durch Servitut die Unterhaltung einer Mauer auf seinem Grundstück untersagt, ist die Hinnahme eines solchen Werks für den Eigentümer des herrschenden Grundstücks in doppelter Hinsicht gefährlich: Zum einen droht eine Ersitzung, mit der die Freiheit von der Dienstbarkeit erlangt wird; zum anderen wird dem Inhaber des dienenden Grundstücks das Argument eröffnet, die Akzeptanz der Mauer sei Gegenstand einer Schenkung gewesen, mit der die Servitut sofort zum Erlöschen gebracht worden sei. Beidem wehrt die Vereinbarung eines precarium: Es verhindert nicht nur die usucapio libertatis, sondern beugt auch dem falschen Eindruck vor, es könne ein schenkweiser Verzicht auf die Servitut vorliegen. Ein entsprechendes Vorbringen des Nachbarn wird zwar durch die bloße Existenz der Mauer gestützt, aber dadurch untergraben, dass der Eigentümer des herrschenden Grundstücks nun gar nicht mehr auf den Nachweis seines Rechts angewiesen ist und mit dem interdictum de precario erreichen kann, dass die Mauer schon beim Beweis der Vereinbarung ihrer bloß bittweisen Duldung abgerissen werden muss. Anders soll es sich nach Papinians Ansicht verhalten, wenn die Mauer nicht auf dem Nachbarfeld, sondern auf dem Grundstück des precario dans selbst errichtet ist. Eine Ersitzung kommt hier von vornherein nicht in Betracht, weil sie nicht zum Untergang, sondern zur Entstehung einer Dienstbarkeit führen würde

I. Absicherung und Abwehr von Dienstbarkeiten

11

und unter das Verbot der lex Scribonia fiele. Dessen ungeachtet bleibt der Beweisnachteil, den das schlichte Vorhandensein der Mauer bewirkt, indem sie nahelegt, dass ihr die schenkweise Einräumung einer entsprechenden Dienstbarkeit zugrunde liegt. Auch hier zeitigt nun die Vereinbarung über das precarium Effekt, weil sie diesem falschen Eindruck entgegenwirkt. Nach Papinians Ansicht beschränkt sich die Beweiserleichterung freilich auf die Auseinandersetzung, die der Grundstückseigentümer mit seinem Nachbarn bei Erhebung einer vindicatio servitutis oder einer vom Eigentümer angestrengten actio negatoria führen müsste; den Rechtsschutz durch das interdictum de precario versagt Papinian unter diesen Umständen ausdrücklich. Dies überrascht deshalb, weil in dem Fall, dass die Errichtung der Mauer von dem Nachbarn mit Gewalt oder heimlich geschehen wäre, der Eigentümer außer der actio negatoria auch das interdictum quod vi aut clam erheben könnte. Warum er bei einer bittweise zugelassenen Anlage auf seinem Grundstück nur die Eigentumsklage erheben oder zur Selbsthilfe schreiten soll, ist nicht recht einzusehen und findet allenfalls eine Erklärung darin, dass der Nachbar die auf fremdem Grund errichtete Mauer nicht selbst besitzt7. Anders verhält es sich in dem umgekehrten Fall, in dem sich die Mauer auf dem eigenen Grundstück des Nachbarn befindet. Genau genommen geht es jedoch nicht um die Sachherrschaft an der Mauer, sondern um die Herbeiführung und Aufrechterhaltung eines servitutswidrigen Zustands; und dieser ist ebenso wie die Dienstbarkeit selbst kein körperlicher Gegenstand, so dass keine regelrechte possessio vorliegt. Sollte Papinian dies übersehen und vielleicht auch den Vergleich mit dem interdictum quod vi aut clam versäumt haben, verwundert nicht, dass andere Juristen gegenteiliger Auffassung sind. Zwar finden wir das interdictum de precario nicht ausdrücklich für den Fall zugestanden, dass jemand einem Nachbarn bittweise die Nutzung des eigenen Grundstücks gestattet. Eine solche Vereinbarung ist jedoch nicht nur durch epigraphische Zeugnisse8, sondern auch durch Aussagen von Gaius und Pomponius belegt, ohne dass hierin ein Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit des interdictum de precario gegeben würde: D 43.26.3 Gai 25 ed prov . . . veluti si me precario rogaveris, ut per fundum meum ire vel agere tibi liceat vel ut in tectum vel in aream aedium mearum stillicidium vel tignum in parietem immissum habeas. . . . wie zum Beispiel, wenn du mich bittweise darum ersuchst, dass dir erlaubt sei, über mein Grundstück zu gehen oder hierüber Vieh zu treiben, oder dass du über das 7 So Michel, Gratuité, S. 132. Anders Biavaschi, Ricerche, S. 278, die glaubt, Papinian erspare dem Nachbarn, der wegen des Grundsatzes superficies solo cedit schon des Eigentums an der Mauer entbehren müsse, eine zusätzliche Belastung. 8 Hierzu Zamorani, Precario habere, S. 65 ff., Biavaschi, Ricerche, S. 91 ff. und Rodríguez Martín, La documentación del precario: una inscripción de Benevento, RIDA 45 (1998) 243 ff.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung Dach oder den Hof meines Hauses eine Leitung verlegst oder einen Balken in die Wand einsetzt. D 43.26.15.2 Pomp 29 Sab Precario habere etiam ea quae in iure consistunt possumus, ut immissa vel protecta. Bittweise kann man auch haben, was zum Gegenstand eines Rechts werden kann, wie zum Beispiel eingebrachte Bauteile oder Vordächer.

Während der Gaiustext nicht aus dem 26. Buch seines Ediktskommentars stammt, in dem das interdictum de precario behandelt wird, und vielleicht auf die Darstellung des interdictum uti possidetis zurückgeht,9 ist der Satz des Pomponius Teil einer von den Kompilatoren zusammengestellten Sammlung, die sich auf das precarium bezieht und dem Titel de interdictis entnommen ist10. Dass es dabei zumindest auch um das entsprechende Interdikt geht, zeigen der unmittelbar folgende § 3 sowie § 5 des Fragments:11 D 43.26.15.3, 5 Pomp 29 Sab Cum quis de re sibi restituenda cautum habet, precarium interdictum ei non competit. . . . (5) Quo quis loco precario aut possideat aut coeperit possidere, nihil refert, quod ad hoc interdictum pertinet. Hat jemand eine Sicherheitsleistung wegen der Rückgewähr einer Sache an ihn erhalten, steht ihm nicht das Interdikt wegen bittweiser Überlassung zu. . . . (5) Für die Zuständigkeit des Interdikts kommt es nicht darauf an, an welchem Ort jemand bittweise besitzt oder zu besitzen anfängt.

Es ist daher überwiegend wahrscheinlich, dass zumindest Pomponius anders als Papinian entscheidet und das interdictum de precario nach dem Vorbild des interdictum quod vi aut clam nicht nur bei der bittweisen Duldung eines servitutswidrigen Zustands, sondern auch bei der precario zugelassenen Nutzung eines eigenen Grundstücks zugesteht. Diese Nutzung, die wiederum nur bei Vereinbarung eines bindenden Mindestzeitraums sinnvoll ist,12 bildet das Gegenstück zur Einräumung einer Dienstbarkeit,13 und zwar ebenso, wie die Hinnahme einer servitutswidrigen Nutzung Komplement zur Aufhebung der Servitut am Nachbargrundstück ist. Der konservierende Effekt, der von dem precarium auf das Recht des Gebers ausgeht, ist auch hier zusätzlich dadurch verstärkt, dass er einen Rechtsbehelf erhält, der nur den Nachweis des precarium voraussetzt.

9

Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 232 f. Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 38 (Nr. 748). 11 Der Bezug der in § 5 überlieferten Aussage ist unklar; Pomponius könnte sich hier mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob eine Veränderung des Belegenheitsorts der Sache Auswirkung auf den Bestand des precarium hat. 12 Rodríguez Martín, RIDA 45 (1998) 243, 249 ff. 13 Dass es hier nicht um ein precarium am Nutzungsrecht, sondern das Zugeständnis seiner Ausübung geht, macht García Vázquez, ,Precarium usus iuris‘, BIDR 96/97 (1993/1994) 279, 282 ff. im Anschluss an Silva, Precario con possesso e precario con detenzione, SDHI 6 (1940) 233, 265 geltend. 10

I. Absicherung und Abwehr von Dienstbarkeiten

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Selbst bei Papinians Lösung bleibt aber die Beweiserleichterung im Rahmen von actio negatoria und vindicatio servitutis, die erklärt, warum das precarium trotz des gesetzlichen Ersitzungsverbots der lex Scribonia zum Einsatz kommt.14 Spiegelbildlich ist der Vorteil, den das precarium dem Eigentümer eines Grundstücks dann verschafft, wenn die von einem anderen ausgeübte Nutzung selbst durch ein Interdikt geschützt wird. Der Fall ist dies bei den traditionellen Felddienstbarkeiten, deren Ausübung das interdictum de itinere actuque privato und das interdictum de aqua cottidiana sicherstellen. Diese Verfügungen kommen auch denjenigen zugute, die ohne zugrunde liegendes Recht ihren Weg über ein fremdes Grundstück suchen oder es zur Viehtrift oder Wasserleitung nutzen. Beide Interdikte stehen aber unter dem Vorbehalt, dass die Benutzung des fremden Grundstücks weder gewaltsam noch heimlich oder bittweise erfolgt.15 Die Vereinbarung eines precarium gibt dem Eigentümer damit die Möglichkeit, sein Grundstücksrecht auch gegen die vorübergehende Beeinträchtigung durch ein vom Gegner erwirktes Interdikt in Schutz zu nehmen. Dies bildet den Hintergrund für eine Entscheidung von Vivian, der den Rekurs auf das precarium im konkreten Fall freilich für entbehrlich hält: D 43.19.1.6 Ulp 70 ed Vivianus recte ait eum, qui propter incommoditatem rivi aut propterea, quia via publica interrupta erat, per proximi vicini agrum iter fecerit, quamvis id frequenter fecit, non videri omnino usum, itaque inutile esse interdictum, non quasi precario usum, sed quasi nec usum. . . . Vivian hat zu Recht geschrieben, derjenige, der, weil ein Fluss im Wege oder eine öffentliche Straße unterbrochen war, seinen Weg über das Grundstück des nächsten Nachbarn gefunden hat, werde, obwohl er dies häufig getan hat, überhaupt nicht so angesehen, als hätte er das Grundstück genutzt, und deshalb sei das Interdikt nicht zuständig, und zwar nicht, weil er es bittweise, sondern weil er es überhaupt nicht genutzt habe. . . .

Ob und wie die Gestattung eines servitutswidrigen Zustands oder die ohne Dienstbarkeit zugestandene Grundstücksnutzung von einem Schuldverhältnis begleitet ist, lässt sich den Quellen nicht direkt entnehmen. Dies ist nicht ungewöhnlich, da die römischen Juristen auch dann, wenn es um die Dienstbarkeiten selbst geht, regelmäßig von den Schuldverhältnissen abstrahieren, die ihrer Bestellung zugrunde liegen. Spricht hier eine plausible Vermutung dafür, dass die Einräumung von Nutzungsrechten zumeist nicht unentgeltlich, sondern gegen Zahlung eines Kaufpreises oder einer monatlichen Miete oder Pacht erfolgt, gilt dasselbe für die bittweise Gestattung. Auch bei ihr ist anzunehmen, dass der Inhaber einer Servitut für die Hinnahme eines verbotswidrigen Zustands oder ein 14 Vgl. auch Michel, Gratuité, S. 134, der die Vereinbarung eines precarium in diesem Fall auf eine schon vor der lex Scribonia gängige und dann beibehaltene Geschäftspraxis zurückführt. 15 D 43.19.1pr Ulp 70 ed, D 43.20.1pr Ulp 70 ed.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

Grundstückseigentümer für die Duldung einer Nutzung des eigenen Grundstücks eine Vergütung erhält. Einen Hinweis hierauf gibt eine bei Ulpian im anderen Zusammenhang mitgeteilte Konstitution aus der Regierungszeit von Septimius Severus, die dem Sonderfall eines zwangsweise begründeten precarium gilt: D 11.7.12pr Ulp 25 ed Si quis sepulchrum habeat, viam autem ad sepulchrum non habeat et a vicino ire prohibeatur, imperator Antoninus cum patre rescripsit iter ad sepulchrum peti precario et concedi solere, ut quotiens non debetur, impetretur ab eo, qui fundum adiunctum habeat. non tamen hoc rescriptum, quod impetrandi dat facultatem, etiam actionem civilem inducit, sed extra ordinem interpelletur praeses et iam compellere debet iusto pretio iter ei praestari, ita tamen, ut iudex etiam de opportunitate loci prospiciat, ne vicinus magnum patiatur detrimentum. Hat jemand eine Grabstätte, aber keinen Weg dorthin und wird ihm der Zugang vom Nachbarn verweigert, hat Kaiser Antoninus zusammen mit seinem Vater befunden, es werde gewöhnlich ein Weg zur Grabstätte bittweise gefordert und zugestanden, so dass man den Weg, wenn er nicht geschuldet wird, von demjenigen erlangen könne, der das angrenzende Grundstück innehat. Dieser Bescheid, der die Möglichkeit gibt, den Weg zu erlangen, führt freilich keine zivilrechtliche Klage ein, sondern der Statthalter ist außerordentlich anzurufen und muss alsbald erzwingen, dass ihm der Weg zu einem gerechten Preis gewährt wird, aber so, dass der Richter auch die örtlichen Verhältnisse so berücksichtigt, dass der Nachbar keinen großen Schaden erleidet.

Um dem Inhaber einer Grabstätte den Zugang zu dieser zu verschaffen, gibt der Kaiser einem Nachbarn, von dessen Grundstück aus das Grab zu erreichen ist, entgegen dessen Willen auf, bittweise einen Weg zu diesem zu gestatten.16 Ulpian fügt hinzu, dass ein Statthalter, der diese Anordnung umsetzt, auf die Belange des Nachbarn Rücksicht nehmen und für eine möglichst schonende Lösung sorgen müsse. Außerdem soll das bittweise Zugeständnis nur gegen einen iustum pretium erfolgen. Auf diese Weise wird bloß nachgeahmt, was gewöhnlich auch bei der freiwilligen Vereinbarung eines precarium geschieht: Dieses kommt nicht isoliert zustande, sondern ist ebenso wie die Bestellung einer Dienstbarkeit oder deren Aufhebung in eine schuldrechtliche Vereinbarung eingebunden, durch die entweder eine Gegenleistung für die geduldete Grundstücksnutzung oder deren Unentgeltlichkeit festgelegt wird. Hat der Prekarist danach einen Preis an den Geber zu zahlen, heißt dies nämlich nicht unbedingt, dass der Geber von seiner Besitzposition für eine bestimmte Zeit keinen Gebrauch machen kann. Es ist auch denkbar, dass er sich lediglich schadensersatzpflichtig macht, weil er gegen den schuldrechtlichen Überlassungsvertrag verstößt, der der Vereinbarung eines precarium zugrunde liegt. 16 In dem epigraphisch bezeugten Fall, dass die Errichtung der Grabstätte selbst auf einem precarium beruht (hierzu Biavaschi, Ricerche, S. 80 ff.), geht es vermutlich darum, das Grab als provisorisch zu kennzeichnen und so zu verhindern, dass der hierfür verwendete Platz zu einer res religiosa wird; vgl. Michel, Gratuité, S. 135 f. und Biavaschi, a. a. O., S. 82.

II. Schutz von Kreditsicherheiten

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II. Schutz von Kreditsicherheiten Ein weiterer Fall, in dem das precarium sowohl eine Ersitzung verhindert als auch Besitzschutz begründet, ist die bittweise Überlassung einer Kaufsache an den Käufer. Mit ihr sichert der Verkäufer seinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus dem Kaufvertrag: D 43.26.20 Ulp 2 resp Ea, quae distracta sunt, ut precario penes emptorem essent, quoad pretium universum persolveretur: si per emptorem stetit, quo minus persolveretur, venditorem posse consequi. Was mit der Maßgabe verkauft worden ist, dass es bittweise beim Käufer bleibt, bis der gesamte Kaufpreis gezahlt worden ist, könne der Verkäufer fordern, wenn es am Käufer liegt, dass er nicht gezahlt worden ist.

Das precarium erlischt erst in dem Moment, in dem der Käufer den Kaufpreis vollständig entrichtet. Bis dahin gilt, dass der Verkäufer auf die Sache zugreifen kann, wenn der Käufer mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug gerät. Ob diese Säumnis regelrechte Voraussetzung des durch das interdictum de precario gewährleisteten Besitzschutzes ist,17 lässt sich Ulpians Darstellung nicht eindeutig entnehmen. Ein Indiz hierfür könnte sein, dass die Kompilatoren sie in den entsprechenden Digestentitel aufgenommen haben. Die Abkunft des Textes aus dem zweiten Buch der nur bruchstückhaft überlieferten und in ihrer Ordnung nicht zu rekonstruierenden libri responsorum lässt dagegen keinen Schluss darauf zu, dass Ulpian hier das interdictum de precario behandelt. Es wäre auch möglich, dass er die actio empti meint, mit der ebenfalls die Rückgewähr der Kaufsache angestrebt werden kann. Erwirkt er vorher den Erlass eines interdictum de precario, verstößt er zweifellos gegen den Kaufvertrag; dies schließt aber nicht aus, dass ihm mit der Vereinbarung eines precarium ein Überschuss an Rechtsmacht eingeräumt ist, deren Ausübung ihm nicht besitz-, sondern nur schuldrechtlich verwehrt ist. Hierfür spricht, dass Celsus in dem einzigen weiteren Text, der von einer möglichen Befristung des precarium handelt, ausdrücklich eine vertragliche Beschränkung des Besitzschutzes ausschließt: D 43.26.12pr Cels 25 dig Cum precario aliquid datur, si convenit, ut in kalendas Iulias precario possideat, numquid exceptione adiuvandus est, ne ante ei possessio auferatur? sed nulla vis est huius conventionis, ut rem alienam domino invito possidere liceat. Ist bei der bittweisen Überlassung vereinbart worden, dass jemand bis 1. Juli bittweise besitzen könne, stellt sich die Frage, ob mit einer Einrede zu helfen ist, damit ihm der Besitz nicht vorher entzogen wird. Aber diese Vereinbarung hat keine Wirkung derart, dass man eine fremde Sache gegen den Willen des Eigentümers besitzen könne. 17 Dies glauben Kaser, SZ 89 (1972) 94, 112 f., Knütel, Kauf und Pacht bei Abzahlungsgeschäften im römischen Recht, in: Medicus/Seiler (Hg.), Studien im römischen Recht, Berlin 1973, S. 33, 47 ff., Biavaschi, Ricerche, S. 203 f., 332 f.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

Da ein Prekarist infolge seiner Bitte einem Räuber oder Dieb gleichsteht, kann er sich gegenüber der besitzrechtlichen Position des Gebers nicht damit verteidigen, er habe sich mit diesem auf eine bestimmte Laufzeit für seinen Sachbesitz verständigt. Eine solche Einigung ändert nämlich nichts daran, dass der Prekarist die Sache formal ebenso gegen den Willen des anderen innehat wie jemand, der sie gewaltsam oder heimlich an sich gebracht hat.18 Überlässt der Verkäufer die Sache dem Käufer nur bittweise, genügt er damit nichtsdestoweniger seiner Verpflichtung zur Übergabe der Kaufsache. Da der Käufer sie nutzen kann, muss er zum Ausgleich auch eine Verzinsung des Kaufpreises dulden:19 D 19.1.13.20–21 Ulp 32 ed Veniunt autem in hoc iudicium infra scripta. in primis pretium, quanti res venit. item usurae pretii post diem traditionis: nam cum re emptor fruatur, aequissimum est eum usuras pretii pendere. (21) Possessionem autem traditam accipere debemus et si precaria sit possessio: hoc enim solum spectare debemus, an habeat facultatem fructus percipiendi. Zum Gegenstand dieser Klage wird das Folgende. Zuvörderst der Kaufpreis, zu dem die Sache verkauft worden ist. Dann die Zinsen auf den Preis ab dem Tag der Übergabe; denn da der Käufer die Sache nutzt, ist es höchst gerecht, wenn er Zinsen auf den Kaufpreis zahlen muss. (21) Dass der Besitz eingeräumt worden ist, muss man auch dann annehmen, wenn der Besitz bittweise zugestanden ist; denn es ist nur zu berücksichtigen, ob er die Möglichkeit zur Fruchtziehung hat.

Wird der Käufer in seinem Besitz durch einen Dritten gestört, kann er sich gegen diesen mit dem interdictum quod vi aut clam wenden, das demjenigen zusteht, der ein Interesse am Ausbleiben der Störung hat. Dies gilt sogar, wenn der Kaufvertrag unter dem Vorbehalt eines besseren Gebots steht:20 D 43.24.11.12 Ulp 71 ed Ego, si post in diem addictionem factam fundus precario traditus sit, putem emptorem interdictum quod vi aut clam habere. si vero aut nondum traditio facta est aut etiam facta est precarii rogatio, non puto dubitandum, quin venditor interdictum habeat: ei enim competere debet, etsi res ipsius periculo non sit, nec multum facit, quod res emptoris periculo est: nam et statim post venditionem contractam periculum ad emptorem spectat et tamen antequam ulla traditio fiat, nemo dixit interdic18 Entgegen Kaser, SZ 89 (1972) 94, 116 f. ist diese Argumentation keineswegs unlogisch und auch nicht erkennbar, dass Celsus’ Ansicht schon zu seiner Zeit kontrovers ist. Sie steht auch nicht im Widerspruch zur eigenen Annahme einer automatischen Auflösung des precarium bei Wegfall des zugrunde liegenden Pfandrechts; s. u. S. 25 f. 19 Zu dieser Zinspflicht Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, Berlin 2005, S. 39 ff. 20 Ulpian nimmt hier die Gegenposition zu Julian ein, der ausweislich von § 10 des Fragments dem Käufer das Interdikt auch ohne Übergabe der Kaufsache schon deshalb zugestehen will, weil er die Gefahr ihres zufälligen Untergangs trägt; vgl. hierzu Peters, Die Rücktrittsvorbehalte des römischen Kaufrechts, Köln/Wien 1973, S. 149 ff., 157 ff., Knütel (Fn. 17), S. 47 ff. und Harke, Actio utilis, Berlin 2016, S. 136 f.

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tum ei competere. si tamen precario sit in possessione, videamus, ne, quia interest ipsius, qualiter qualiter possidet, iam interdicto uti possit. ergo et si conduxit, multo magis: nam et colonum posse interdicto experiri in dubium non venit. plane si postea, quam melior condicio allata est, aliquid operis vi aut clam factum sit, nec Iulianus dubitaret interdictum venditori competere: nam inter Cassium et Iulianum de illo, quod medio tempore accidit, quaestio est, non de eo opere, quod postea contigit. Ich glaube, dass, wenn ein Grundstück nach seinem Verkauf unter Vorbehalt eines besseren Gebots bittweise überlassen worden ist, dem Käufer das Interdikt „was gewaltsam oder heimlich“ zustehe. Ist aber weder die Übergabe noch ein Gesuch um die bittweise Überlassung erfolgt, ist, wie ich glaube, nicht zu bezweifeln, dass dem Verkäufer das Interdikt zusteht; ihm muss es nämlich zustehen, auch wenn er nicht die Gefahr des Sachverlustes trägt; und es macht keinen Unterschied, ob die Gefahr den Käufer trifft; denn auch unmittelbar nach dem Abschluss des Kaufvertrags trifft diese Gefahr den Käufer, und gleichwohl behauptet niemand, dass ihm das Interdikt zusteht, bevor die Übergabe geschehen ist. Befindet er sich dagegen bittweise im Besitz, müssen wir zusehen, ob er sich nicht schon des Interdikts bedienen kann, weil er, wie auch immer er besitzt, ein eigenes Interesse hat. Und umso eher gilt dies also, wenn er gepachtet hat; denn es besteht kein Zweifel, dass auch der Pächter das Interdikt erwirken darf. Freilich zweifelt auch Julian nicht daran, dass das Interdikt dem Verkäufer zustehe, wenn nach einem besseren Gebot irgendein Werk gewaltsam oder heimlich errichtet wird; denn zwischen Cassius und Julian besteht nur Streit über das, was in der Zwischenzeit geschieht, nicht auch über das, was sich später ereignet.

Als Alternative zum precarium nennt Ulpian eine locatio conductio, die den Käufer ebenfalls in den Stand setzt, sich mit dem interdictum quod vi aut clam gegen Beeinträchtigungen seiner Sachherrschaft zu wehren. Auch die Verdingung erlaubt dem Käufer den Gebrauch der Sache sowie eine Fruchtziehung; und sie sorgt mit der Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Miete oder Pacht gleichfalls für eine Vergütung dieser Nutzungsmöglichkeit, wie sie sich beim precarium aus der Verzinsung des Kaufpreises ergibt.21 Schließlich verhindert sie, indem sie dem Käufer lediglich Fremdbesitz an der Kaufsache verschafft, dessen vorzeitigen Eigentumserwerb. Dass dies auch das Ziel der Vereinbarung des precarium ist, bestätigt ein unter Severus Alexander ergangenes Reskript:22 CJ 4.54.3 Imp. Alexander A. Felici militi. Qui ea lege praedium vendidit, ut, nisi reliquum pretium intra certum tempus restitutum esset, ad se reverteretur, si non precariam possessionem tradidit, rei vindicationem non habet, sed actionem ex venditio. 21 Die Formulierung: ,ergo et si conduxit‘, lässt offen, ob locatio conductio und precarium hier bloß nebeneinandergestellt werden oder ob auch an beider Kombination (s. u. S. 26 ff.) gedacht ist; vgl. Knütel (Fn. 17), S. 49 f. 22 Da es der kaiserlichen Kanzlei hier nur um die Wahl zwischen Eigentumsherausgabe- und Kaufklage geht, möchte ich diese Entscheidung entgegen Kaser, SZ 89 (1972) 94, 112 nicht als Beleg dafür werten, dass die Überlassung der Kaufsache an den Käufer bis zum Eintritt des Verzugs unwiderruflich ist.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung Kaiser Alexander an den Soldaten Felix. Wer ein Grundstück mit der Maßgabe verkauft hat, dass es, wenn der Kaufpreis nicht innerhalb einer bestimmten Zeit geleistet wird, an ihn zurückfallen soll, hat, falls er den Besitz nicht bittweise übertragen hat, keine Eigentumsherausgabeklage, sondern die Verkäuferklage.

Eröffnet die bittweise Überlassung der Kaufsache dem Verkäufer die sonst ausgeschlossene Vindikation der Kaufsache, gilt dies in zweierlei Hinsicht: Zum einen verhindert das precarium einen sofortigen Übergang des Eigentums, wie er zumindest bei res nec mancipi schon durch die bloße Übergabe der Kaufsache einträte, sofern hierin eine Kreditgewährung an den Käufer zu sehen ist.23 Zum anderen schließt das precarium in den Fällen, in denen es nicht zu einem sofortigen Eigentumserwerb kommen kann, auch eine Ersitzung durch den Käufer aus. Dem Verkäufer bleibt das Eigentum an der Kaufsache, das ihm als Sicherheit für die Erfüllung seiner Kaufpreisforderung dient, also unbedingt erhalten. Zu dieser rechtskonservierenden Wirkung kommt die weitere Funktion, auch die Durchsetzung des vorbehaltenen Eigentums zu erleichtern. Wird diese schon durch den Sachbesitz des Käufers und den ihm zugrundeliegenden Abschluss des Kaufvertrags erschwert, kann der Verkäufer, gestützt auf den bloßen Nachweis des precarium, Besitzschutz in Anspruch nehmen. Er kann nicht nur Selbsthilfe üben und sich im folgenden Streit über das interdictum uti possidetis oder interdictum utrubi gegenüber dem Käufer als fehlerhaftem Besitzer durchsetzen; auch wo dies insbesondere wegen Überschreitung der Jahresfrist nicht möglich ist, kann er noch den Erlass des interdictum de precario erwirken. So hat sein vorbehaltenes Eigentum an der Kaufsache nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch Bestand.24 Dieselbe Doppelfunktion kommt dem precarium auch bei der Treuhand zu, die in ihrer Variante als fiducia cum creditore contracta gleichfalls Kreditsicherheit ist und einer besonderen Art von Ersitzung unterliegt. Damit diese sogenannte usureceptio nicht dazu führt, dass der Schuldner das Eigentum an der sicherungshalber übertragenen Sache vor Tilgung der gesicherten Forderung zurückerlangt und sich so auf Kosten des Gläubigers bereichert,25 überlässt dieser ihm das Pfand im Wege einer locatio conductio oder eines precarium. Ohne Unterstellung einer Textveränderung lässt sich dies der Darstellung in den Institutionen des Gaius entnehmen:26

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Vgl. IJ 2.1.41. Stagl, Der römische Eigentumsvorbehalt als Vorbehalt des Besitzes, SZ 132 (2015) 181, 199 sieht den Rechtsverkehr durch das römische precarium weniger irritiert als durch den Eigentumsvorbehalt modernen Musters, weil der Käufer, wenn er Besitzschutz in Anspruch nimmt, seinen Status als Prekarist offenlegen muss. 25 Die Existenz dieser eigentümlichen Ersitzung, die ihre Bezeichnung als usucapio lucrativa zur Folge hat, führt Noordraven, Die Fiduzia im römischen Recht, Amsterdam 1999, S. 199 ff. auf die Genese der fiducia cum creditore contracta aus der fiducia cum amico contracta zurück. 26 Hierzu Biavaschi, Ricerche, S. 177 ff. 24

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Gai 2.60 Sed cum fiducia contrahitur aut cum creditore pignoris iure aut cum amico, quo tutius nostrae res apud eum essent, si quidem cum amico contracta sit fiducia, sane omni modo conpetit usus receptio; si vero cum creditore, soluta quidem pecunia omni modo conpetit, nondum vero soluta ita demum competit, si neque conduxerit eam rem a creditore debitor neque precario rogaverit, ut eam rem possidere liceret; quo casu lucrativa usus capio conpetit. Aber eine Treuhand wird entweder mit einem Gläubiger wie ein Pfandrecht oder mit einem Freund abgeschlossen, damit unsere Sachen bei ihm sicherer sind; ist die Treuhand nun mit einem Freund abgeschlossen, steht freilich unbedingt die Rückersitzung zu; ist sie dagegen mit einem Gläubiger abgeschlossen, steht sie zwar nach Zahlung des Betrags unbedingt zu, solange er nicht gezahlt worden ist, aber nur, wenn der Schuldner die Sache vom Gläubiger nicht gemietet und auch nicht bittweise darum ersucht hat, dass ihm der Besitz der Sache gestattet sei; in diesem Fall steht die gewinnbringende Ersitzung zu.

Die hier beschriebene Praxis könnte auch Gegenstand einiger Fragmente in den justinianischen Quellen sein, die nachträglich von der obsoleten fiducia auf das pignus umgestellt worden sind. Zweifelsfrei ist dies allerdings nur bei einem Auszug aus Julians Digesten, in dem es um die Vereinbarung eines precarium durch einen Erbschaftssklaven zugunsten einer hereditas iacens geht:27 D 44.7.16 Iul 13 dig Qui a servo herditario mutuam pecuniam accepit et fundum vel hominem [pignoris causa ei tradiderat] „fiduciae causa ei mancipaverat“ et precario rogavit, precario possidet: nam servus hereditarius sicuti [per traditionem] „mancipio“ accipiendo proprietatem hereditati adquirit, ita precario dando efficit, ne res usucapi possit. nam et si commodaverit vel deposuerit rem peculiarem, commodati et depositi actionem hereditati adquiret. haec ita, si peculiare negotium contractum est: nam ex hac causa etiam possessio adquisita intellegi debet. Hat jemand von einem Erbschaftssklaven einen Darlehensbetrag erhalten und ihm einen Sklaven oder ein Grundstück zur Sicherheit übereignet und bittweise um ihre Überlassung ersucht, besitzt er bittweise; denn ebenso wie der Erbschaftssklave der Erbschaft durch die Übereignung das Eigentum erwirbt, bewirkt er durch die bittweise Überlassung, dass die Sache nicht ersessen werden kann. Denn auch wenn er eine zum Sondergut gehörende Sache verleiht oder niederlegt, erwirbt er der Erbschaft die Leih- oder Verwahrungsklage. Dies gilt, wenn es ein auf das Sondergut bezogenes Geschäft ist; denn in diesem Fall ist auch anzunehmen, dass er den Besitz erwirbt.

Die Ersitzung, die durch das precarium ausgeschlossen werden soll, kann nur die usureceptio sein, wie sie allein bei der fiducia und nicht beim pignus droht.28 Dass ein Sklave sie im Rahmen der Verwaltung seines Sonderguts durch bittweise Überlassung verhindern kann, erscheint Julian nicht als selbstverständlich. 27 Hierzu Noordraven (Fn. 25), S. 202 ff., Kaser, SZ 89 (1972) 94, 141, Biavaschi, Ricerche, S. 155 ff. 28 Noordraven (Fn. 25), S. 57, Zimmermann, Rechtserwerb, S. 96.

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Er bemüht zunächst die Vergleichsfälle der Leihe und Verwahrung,29 um zu zeigen, dass das precarium nicht an dem Verbot unentgeltlicher Minderung des Sonderguts scheitert.30 Noch überzeugender ist der Schluss aus der fiducia selbst:31 So wie der Erbschaftssklave ohne besondere Ermächtigung für den Nachlass das Eigentum an der zur Sicherheit übertragenen Sache erwerben kann, muss er auch dafür sorgen können, dass dieses Eigentum nicht vor Erfüllung der gesicherten Forderung durch Rückersitzung verlorengeht. Das precarium, mit dem dieser Rechtsverlust abgewendet wird, ist ein bloßes Instrument zur Erhaltung des Sicherungsrechts und als solches auch von der Befugnis zum Empfang der Sicherheit selbst gedeckt. Außer dem Fortbestand des Rechts dient es darüber hinaus auch wieder seiner Verwirklichung, indem es dem Gläubiger, der zugunsten des Schuldners auf den Sachbesitz verzichtet, einen allein auf das precarium gestützten Besitzschutz eröffnet. Nur um letzteren kann es dagegen gehen, wenn die bittweise Überlassung mit der Bestellung eines Pfandrechts einhergeht;32 denn dieses kann nicht durch kurzfristige Ersitzung erlöschen, sondern allenfalls durch longi temporis praescriptio gesperrt sein33. Nichtsdestoweniger begegnet uns die bittweise Überlassung einer Pfandsache in den Quellen als Anwendungsfall des precarium am häufigsten.34 Sie prägt sogar noch die Definition des Rechtsinstituts bei Isidor von Sevilla. Dieser bestimmt das precarium nicht etwa abstrakt als bittweise Überlassung eines Gegenstands, sondern konkret als die Einräumung des Besitzes an einem verpfändeten Grundstück, mit der ein Pfandgläubiger dem Schuldner die Fruchtziehung ermöglicht:35 Etym 5.25.17 Precarium est dum prece creditor rogatus permittit debitorem in possessione fundi sibi obligati demorari, et ex eo fructus capere. Et dictum precarium quia prece aditur, quasi precadium, R pro D littera commutata.

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Für interpoliert hält diesen Passus Noordraven (Fn. 25), S. 57 ff., 203. Dies übersieht Noordraven (Fn. 25), S. 204, der schon die Einrichtung des peculium für ausreichend hält, um eine Verfügung des Sklaven als wirksam anzusehen. 31 Vgl. Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 84. 32 Anders Krämer, Das besitzlose Pfandrecht, Köln u. a. 2007, S. 373 f., der vermutet, beim Pfandrecht gebe es ein Parallelinstitut zu der für die fiducia überlierten usureceptio. Grundlage dieser Annahme ist die exceptio annalis pignoris Italici, wie sie Lenel, Zur exceptio annalis Italici contractus, SZ 27 (1906), 71 ff. für den Originaltext von D 44.3.5.1 Ulp 3 disp postuliert. 33 D 44.3.12 Paul 16 resp, D 44.3.5.1 Ulp 3 disp, CJ 7.36.1 (Gordian), CJ 7.36.2 (Diokletian). 34 Einem generellen Interpolationsverdacht unterwirft die einschlägigen Stellen Silva, SDHI 6 (1940) 233, 245 ff. 35 Dass hier noch das precarium des klassischen Rechts beschrieben wird, glaubt auch Levy, SZ 66 (1948) 1, 3. Dass es zugleich das precarium von Isidors Wirkungszeit ist, meint Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 491 f. 30

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Ein precarium liegt vor, wenn der Gläubiger auf bittweises Ersuchen dem Schuldner gestattet, im Besitz des ihm verpfändeten Grundstücks zu bleiben, damit er hieraus Früchte zieht. Und es wird precarium genannt, weil er durch Bitte angegangen wird, gleichsam precadium, wobei der Buchstabe r gegen den Buchstaben d getauscht ist.

Eine zeitgenössische Quelle für die praktische Bedeutung des precarium bei der Verpfändung bietet ein Auszug aus Ulpians Ediktskommentar,36 in dem sich der Spätklassiker mit der Reichweite des Verbots eines precarium rei suae37 befasst: D 43.26.6.4 Ulp 71 ed Quaesitum est, si quis rem suam pignori mihi dederit et precario rogaverit, an hoc interdictum locum habeat. quaestio in eo est, ut precarium consistere rei suae possit. mihi videtur verius precarium consistere in pignore, cum possessionis rogetur, non proprietatis, et est haec sententia etiam utilissima: cottidie enim precario rogantur creditores ab his, qui pignori dederunt, et debet consistere precarium. Es ist fraglich, ob, wenn jemand mir seine eigene Sache als Pfand gegeben und um ihre bittweise Überlassung ersucht hat, das Interdikt Platz greife. Das Problem ist, ob eine bittweise Überlassung der eigenen Sache Bestand hat. Und mir scheint es richtiger zu sein, dass die bittweise Überlassung bei einem Pfand Bestand hat, da um den Besitz, nicht um das Eigentum ersucht worden ist; und diese Entscheidung ist überaus nützlich; denn es ist alltäglich, dass Gläubiger von Verpfändern um eine bittweise Überlassung ersucht werden; und die bittweise Überlassung muss daher Bestand haben.

Dass bei der Überlassung einer verpfändeten Sache an den Schuldner ausnahmsweise ein precarium an der eigenen Sache zulässig ist, leitet Ulpian zum einen dogmatisch ab, indem er den Bezug der Vereinbarung auf den Besitz herausstellt:38 Ungeachtet seines Eigentums an der Pfandsache ist deren Besitz für den Verpfänder gerade keine res sua, die dem Verbot der Geschäfte mit eigener Sache unterfiele.39 Noch wichtiger als diese feinsinnige Unterscheidung erscheint Ulpian aber die praktische Notwendigkeit, die eine Entscheidung für die Gültigkeit des precarium utilissima macht: Da die bittweise Überlassung einer verpfändeten Sache eine alltägliche Erscheinung ist, würde mit einer rigorosen Anwendung der Verbotsregel ein hergebrachter und akzeptierter Geschäftsgebrauch vereitelt. Eine Spur dieser Praxis findet sich auch in einer Bemerkung von Aemilius Macer in dessen Abhandlung zu Berufungsverfahren: D 2.8.15pr, 2 Macer 1 apell Sciendum est possessores immobilium rerum satisdare non compelli. . . . (2) Creditor, qui pignus accepit, possessor non est, tametsi possessionem habeat aut sibi traditam aut precario debitori concessam. 36

Hiermit befasst sich auch Zimmermann, Rechtserwerb, S. 94 f. s. u. S. 64 ff. 38 Für interpoliert erklärt dies Zamorani, Precario habere, S. 278 ff., der das Verbot des precarium rei suae für ein nachklassisches Phänomen hält. 39 s. u. S. 65 f. 37

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung Man muss wissen, dass die Besitzer von Grundstücken nicht zur Sicherheitsleistung gezwungen werden. . . . (2) Ein Gläubiger, der ein pfand erhalten hat, ist kein Besitzer, obwohl er den Besitz entweder durch Übergabe erlangt oder dem Schuldner bittweise zugestanden hat.

Bleibt Grundbesitzern eine sonst geforderte Sicherheitsleistung erspart, weil schon ihre Vermögenslage und örtliche Bindung Gewähr für die Beachtung der richterlichen Entscheidung bieten, stellt sich die Frage, ob dies auch für Pfandgläubiger gilt, denen ein Grundstück zur Sicherheit gegeben worden ist. Macer verneint dies und lässt sich dabei wohl von der Überlegung leiten, dass der Pfandbesitz zwar für eine gewisse Bonität, nicht aber für einen Bezug zum Belegenheitsort der verpfändeten Sache steht, die ja entweder verkauft oder freigegeben werden soll.40 Interessant ist, dass der bittweise dem Schuldner überlassene Pfandbesitz bei Macer geradezu als Alternative zum eigenen Besitz des Gläubigers erscheint: Entweder dieser behält die verpfändete Sache selbst; oder er gibt sie bloß bittweise wieder aus der Hand. Vielleicht gilt das precarium sogar als stillschweigend vereinbart, wenn der Pfandgläubiger dem Schuldner die Sache belässt.41 Als selbstverständliche Begleiterscheinung einer Verpfändung wird das precarium auch in der folgenden Entscheidung Ulpians zum Ehegattenschenkungsverbot erwähnt: D 24.1.32.5 Ulp 33 Sab Si maritus ea quae donaverit pignori dederit, utique eum paenituisse dicemus, licet dominium retinuit. quid tamen, si hoc animo fuit, ut vellet adhuc donatum? finge in possessionem precariam mulierem remansisse paratamque esse satisfacere creditori. dicendum est donationem valere: nam si ab initio ei rem obligatam hoc animo donasset, dicerem vim habere donationem, ut parata satisfacere mulier haberet doli exceptionem: quin immo et si satisfecisset, potuisse eam per doli exceptionem consequi, ut sibi mandentur actiones. Hat ein Ehemann, was er geschenkt hat, verpfändet, müssen wir jedenfalls sagen, er habe die Schenkung widerrufen, auch wenn er das Eigentum behalten hat. Was soll aber gelten, wenn er die Absicht hatte, die Schenkung aufrechtzuerhalten? Nimm an, die Frau sei in bittweisem Besitz verblieben und bereit, den Gläubiger zu befriedigen. Man muss sagen, dass die Schenkung gelte; denn wenn er ihr von vornherein eine verpfändete Sache in dieser Absicht geschenkt hätte, würde ich sagen, die Schenkung sei wirksam, so dass die Frau, wenn sie zur Befriedigung des Gläubigers bereit wäre, die Arglisteinrede hätte und dass sie sogar, wenn sie ihn befriedigte, durch die Arglisteinrede erreichen könne, dass ihr seine Klagen überlassen werden.

40 Ähnlich Biavaschi, Ricerche, S. 248 f., die meint, es gehe um den Unterschied zwischen Ersitzungs- und Interdiktenbesitz. Zimmermann, Rechtserwerb, S. 92 glaubt, der über die Sicherheitsleistung entscheidende Grundbesitz müsse „eigentumsähnlich“ sein. 41 Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, Neapel 1982, S. 178 f.

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Verstößt eine Schenkung gegen das Verbot der donatio inter virum et uxorem, kann sie vom Schenker jederzeit rückgängig gemacht werden, indem sich dieser auf das ihm verbliebene Eigentum an der Schenksache beruft. Als ein solches Verhalten, das auch die von der oratio Severi bestimmte Konvaleszenz der Schenkung mit dem Tod des Schenkers verhindert, sieht Ulpian die nachträgliche Verpfändung der Sache an einen Dritten an; denn mit ihr begründet der Schenker kraft seines fortbestehenden Eigentums ein dingliches Recht, das dem Pfandgläubiger ein Herausgaberecht gegenüber der Beschenkten verschafft. Anders verhält es sich, wenn die Verpfändung mit dem Ziel erfolgte, die Sache beim Schenker zu belassen, insbesondere weil dieser bereit ist, die gesicherte Forderung des Pfandgläubigers zu erfüllen. Da das Geschenk in diesem Fall beim Beschenkten verbleiben soll, liegt kein Widerruf vor; und die Schenkung wird mit dem Tod des Schenkers beständig.42 Das Zugeständnis des Sachbesitzes, das der Gläubiger im Gegenzug zur Erklärung der Erfüllungsbereitschaft macht, erfolgt dabei durch precarium.43 Dass die bittweise Überlassung ebenso wie beim Verkauf unter Eigentumsvorbehalt eine Alternative zur locatio conductio ist, zeigt der folgende Text, in dem precarium und Verdingung als die beiden Wege aufgeführt sind, um dem Verpfänder den Besitz der Pfandsache zu erhalten:44 D 13.7.22.3 Ulp 30 ed Si post distractum pignus debitor, qui precario rogavit vel conduxit pignus, possessionem non restituat, contrario iudicio tenetur. Gibt ein Schuldner, der bittweise um die Überlassung der Pfandsache ersucht oder sie gemietet hat, den Besitz nach ihrem Verkauf nicht heraus, haftet er mit der Gegenklage.

Der Verbleib der Sache beim Verpfänder bringt für diesen den noch von Isidor herausgestellten Vorteil mit sich, dass er sie gebrauchen und Früchte ziehen kann. Ein denkbarer Nachteil könnte darin liegen, dass er, wenn er eine Sache verpfändet hat, die ihm noch nicht gehört, von der Ersitzung ausgeschlossen ist; denn das precarium dient beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt und bei der fiducia ja gerade dazu, eine Ersitzung durch den Prekaristen zu verhindern. Dass es diese Wirkung aber nur gegenüber dem Geber und nicht im Verhältnis zu Dritten hat, stellt Julian heraus:45 42

Kaser (Fn. 41), S. 177. Vgl. auch Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 177 ff. Für die Annahme einer Interpolation ist in dieser Hinsicht freilich Silva, SDHI 6 (1940) 233, 251 f. 44 Der von Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 618 (Ulp 903), Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 163 f., Zamorani, Precario habere, S. 246 und Kaser, SZ 89 (1972) 94, 141 behauptete Bezug auf die fiducia scheint mir durch den palingenetischen Zusammenhang des Textes noch nicht hinreichend erwiesen. Ebenso sieht dies Zimmermann, Rechtserwerb, S. 91. 45 Hierzu Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 82. 43

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung D 41.2.36 Iul 13 dig Qui pignoris causa fundum creditori tradit, intellegitur possidere. sed et si eundem precario rogaverit, aeque [per diutinam possessionem] „usu“capiet: nam cum possessio creditoris non impediat capionem, longe minus precarii rogatio impedimento esse non debet, cum plus iuris in possessione habeat qui precario rogaverit quam qui omnino non possidet. Wer seinem Gläubiger ein Grundstück als Pfand übergeben hat, wird so angesehen, als besitze er es. Aber auch wenn er um seine bittweise Überlassung ersucht hat, ersitzt er gleichermaßen. Denn da der Besitz des Gläubigers die Ersitzung nicht hindert, darf noch viel weniger die bittweise Überlassung ein Hindernis hierfür sein, da derjenige, der eine Sache im Wege bittweiser Überlassung erlangt, mehr Besitzrecht hat als derjenige, der überhaupt nicht besitzt.

Julian zieht einen Erst-Recht-Schluss aus dem Fall, dass der Pfandgläubiger die Sache behält und nicht dem Schuldner überlässt:46 Kann der Verpfänder sie unter diesen Umständen ersitzen, darf nichts anderes gelten, wenn er die Sache bittweise überlassen bekommen hat. Dies bedeutet nämlich keine Verschlechterung, sondern eine reine Verbesserung seiner Rechtsstellung, weil er in den Genuss des Interdiktenschutzes gegenüber Dritten kommt47. Daher ist im Verhältnis zu diesen auch eine Ersitzung möglich, obwohl sie gegenüber dem Pfandgläubiger ausgeschlossen wäre.48 Etwas anderes gilt naturgemäß nur in dem Ausnahmefall, dass der Pfandgläubiger nachträglich zum Eigentümer der Sache wird. Hier fällt nicht nur der Pfandvertrag weg; wegen der bittweisen Überlassung an den Verpfänder scheidet auch eine Ersitzung aus, die sich unter diesen Umständen gegen den Pfandgläubiger selbst richtete:49 D 13.7.29 Iul 44 dig Si rem alienam bona fide emeris et mihi pignori dederis ac precario rogaveris, deinde me dominus heredem instituerit, desinit pignus esse et sola precarii rogatio supererit: idcirco usucapio tua interpellabitur. Hast du eine fremde Sache rechtmäßig gekauft und mir zum Pfand gegeben und um ihre bittweise Überlassung ersucht und hat danach der Eigentümer mich zum Erben eingesetzt, erlischt das Pfandrecht, und es bleibt nur das Ersuchen um die bittweise Überlassung übrig; daher wird deine Ersitzung unterbrochen.

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Für interpoliert erklärt ihn Zamorani, Precario habere, S. 267. Vgl. Biavaschi, Ricerche, S. 146. 48 Bezieht man den Text mit Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 354 Fn. 3 und Noordraven (Fn. 25), S. 183 ff. auf die fiducia, verliert er zwar nicht seinen Sinn; da er auch in seiner überlieferten Fassung eine einwandfreie Aussage enthält, genügt die Abkunft aus dem 13. Buch von Julians Digesten noch nicht für die Annahme seiner Interpolation. Dass es im Original ebenfalls um das pignus ging, meint auch Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 159 f. 49 Vgl. zu diesem Text auch Apathy, Iul. D. 13.7.29 – Verpfändung durch einen Nichteigentümer, IVRA 35 (1984) 1, 7 ff. und Biavaschi, Ricerche, S. 147 f. 47

II. Schutz von Kreditsicherheiten

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Legt Julians Argumentation auch nahe, dass das precarium einen Vorteil für den Verpfänder bedeutet, gilt dies doch nur im Vergleich mit dem Fall, dass der Pfandgläubiger die Sache behält. Da das Pfandrecht aber gar keinen Besitz des Gläubigers voraussetzt, die Überlassung an den Verpfänder also auch ohne precarium denkbar wäre, liegt dieses, genau genommen, im alleinigen Interesse des Pfandgläubigers. Überlässt er die Pfandsache bittweise, ist er zur Durchsetzung seines Verwertungsrechts nicht auf actio pigneraticia und actio Serviana beschränkt, die ihm beide den Nachweis der Pfandvereinbarung und Entstehung der zu sichernden Forderung abverlangen und außerdem noch einen Streit über deren Tilgung aufzwingen. Stattdessen kann der Pfandgläubiger dem Verpfänder die Sache eigenhändig entziehen, um sich dann durch bloßen Nachweis des precarium im Verfahren über den Erlass des interdictum uti possidetis oder eines interdictum utrubi durchzusetzen; oder er nimmt gerichtliche Hilfe in Anspruch und führt wiederum durch schlichten Beweis der bittweisen Überlassung den Erlass eines interdictum de precario gegen den Verpfänder herbei. Zwar findet diese Wirkungsweise des precarium bei der Verpfändung in den Quellen keine direkte Erwähnung. Dass das precarium ein Institut zur erleichterten Durchsetzung des Pfandrechts ist, kommt aber immerhin mittelbar darin zum Ausdruck, dass eine Veräußerung der Sache durch den Pfandgläubiger für den Erwerber nicht die Strafe zeitigt, die seit Augustus den Käufer trifft, der eine streitbefangene Sache vom Nichtbesitzer gekauft hat50: CJ 8.27.2 (a 223) Imp. Alexander A. Maximo. Creditor, qui hypothecae seu pignori rem sibi nexam vendiderit, rem litigiosam non videtur vendere, quia precario debitor possidet. Kaiser Alexander an Maximus. Ein Gläubiger, der eine ihm als besitzloses oder Besitzpfand verhaftete Sache verkauft hat, ist nicht so anzusehen, als hätte er eine umstrittene Sache verkauft, weil der Schuldner sie bittweise besitzt.

Zwar scheitert die Anwendung der Verbotsregel noch nicht daran, dass die Veräußerung hier statt durch einen Vindikationskläger, der sich auf sein Eigentum beruft, durch einen Pfandgläubiger erfolgt.51 Genießt der Verpfänder gegenüber dem Pfandgläubiger keinen Besitzschutz, kann er aber auch nicht vorbringen, dieser habe durch den Verkauf der Pfandsache eine res litigiosa veräußert und so gegen das Verbot verstoßen, als Nichtbesitzer über eine streitbefangene Sache zu verfügen. Außerdem kommt die Schutzrichtung des precarium darin zum Ausdruck, dass es mit Tilgung der gesicherten Forderung erlischt: D 43.26.11 Cels 7 dig Si debitor rem pigneratam precario rogaverit, soluta pecunia precarium solvitur: quippe id actum est, ut usque eo precarium teneret. 50 51

Hierzu Kaser/Hackl, RZ, S. 298. Zimmermann, Rechtserwerb, S. 98.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung Hat ein Schuldner um die bittweise Überlassung einer verpfändeten Sache ersucht, wird die bittweise Überlassung mit der Zahlung des geschuldeten Betrags aufgelöst; denn es ist vereinbart, dass die bittweise Überlassung nur bis zu diesem Zeitpunkt besteht.

Der Wegfall des precarium ergibt sich für Celsus noch nicht automatisch aus dem Erlöschen des Pfandrechts. Zwar wird auch dieses durch Erfüllung der Forderung beseitigt;52 Celsus führt das Ende des precarium aber auf das quod actum der Parteien zurück.53 Da er damit keine individuelle Vereinbarung zwischen Pfandgläubiger und Schuldner meint, kann er sich nur auf den vernünftigen Sinn des precarium beziehen: Läge dieses im Interesse des Verpfänders, wäre durchaus denkbar, dass es den Wegfall des Pfandrechts überlebt. Von selbst versteht sich die Auflösung des precarium nur, weil es der Begünstigung des Pfandgläubigers dient und deshalb an die Existenz seiner Rechtsstellung gebunden ist.

III. Sachüberlassung? Hat sich das precarium in den bisher betrachteten Anwendungsfällen als Instrument zur Bewahrung und Verstärkung einer Rechtsposition des Gebers erwiesen, stellt sich die Frage, ob es überhaupt im Interesse des Prekaristen zu einer isolierten Sachüberlassung an diesen eingesetzt worden ist. Für eine solche Verwendung, die der herkömmlichen Übersetzung von precarium mit „Bittleihe“ entspräche, gibt es in den Quellen keine direkten Zeugnisse. Soweit sich die Aussagen der römischen Juristen nicht eindeutig auf Grunddienstbarkeiten und Kreditsicherheiten beziehen, sind sie zumeist abstrakt und nicht auf einen bestimmten Anwendungsfall des precarium gerichtet. Dies gilt insbesondere für allgemeine Äußerungen zur ersitzungshindernden Wirkung des precarium, wie wir ihnen im Werk Javolens und Pomponius’ begegnen: D 41.2.21pr Iav 7 Cass Interdum eius possessionem, cuius ipsi non habemus, alii tradere possumus, veluti cum is, qui pro herede rem possidebat, antequam dominus fieret, precario ab herede eam rogavit.

52 Anders verhält es sich, wenn man den Text mit Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 138 (Cels 65), Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 163 f., Zamorani, Precario habere, S. 246, Kaser, SZ 89 (1972) 94, 141, Noordraven (Fn. 25), S. 198 und Biavaschi, Ricerche, S. 158 auf die fiducia cum creditore contracta bezieht. Dass der Bezug auf das Pfandrecht ursprünglich ist, glaubt dagegen Zimmermann, Rechtserwerb, S. 95 f. 53 Diese Lösung steht in keinem Widerspruch zu Celsus’ Entscheidung gegen eine zeitliche Beschränkung des Besitzschutzes für den Geber (D 43.26.12pr Cels 7 dig; s. o. S. 15 f.). Dass das Rückforderungsrecht des Gebers bei Wegfall seines Sicherungsinteresses ausgeschlossen wird, heißt nicht, dass er es vorher nicht jederzeit geltend machen könnte. Wenn Biavaschi, Ricerche, S. 162 ff. beide Fragen auf den gemeinsamen Nenner eines ,precarium ad tempus‘ bringen will, geschieht dies um den Preis übermäßiger Abstraktion, bei der die relevanten Parteiinteressen aus dem Blick geraten.

III. Sachüberlassung?

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Zuweilen können wir den Besitz einer Sache, die wir selbst nicht haben, einem anderen übertragen, wie zum Beispiel, wenn derjenige, der eine Sache anstelle eines Erben besitzt, noch, bevor er zu ihrem Eigentümer wird, den Erben bittweise um ihre Überlassung ersucht. D 41.4.6 Pomp 32 Sab Qui, cum pro herede vel pro emptore usucaperet, precario rogavit, usucapere non potest: quid porro inter eas res interest, cum utrubique desinat ex prima causa possidere, qui precario vult habere? Wer während der Ersitzung als Erbe oder als Käufer um bittweise Überlassung ersucht hat, kann nicht ersitzen; was unterscheidet nun aber beide Fälle, da derjenige, der eine Sache bittweise überlassen erhalten will, in beiden Fällen aufhört, aus dem bisherigen Grund zu besitzen?

Dass eine laufende Ersitzung abbricht, wenn der Besitzer der Sache ein precarium mit deren Eigentümer vereinbart, folgt ohne Weiteres aus der ersitzungshindernden Wirkung, die dem precarium generell zu eigen ist: Dient es dazu, eine usucapio zulasten des Gebers zu verhindern, kann diese auch nicht stattfinden, wenn der Prekarist die Ersitzung zuvor schon aufgenommen hatte, sei es, dass er einen Nachlassgegenstand pro herede besaß, sei es, dass er ihn aufgrund eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags pro emptore innehatte. Vereinbart er mit dem Erben oder Eigentümer ein precarium, geht der bisherige Ersitzungsbesitz, der sich gerade gegen den Geber richtete, verloren;54 und an seine Stelle tritt ein von diesem abgeleiteter Besitz.55 Wie dieser nachträgliche Besitzwechsel zustande gekommen ist, lassen Javolen und Pomponius offen. Denkbar ist jeweils der Abschluss eines Kaufvertrags unter Eigentumsvorbehalt, möglich und durchaus lebensnah aber auch, dass die Vereinbarung des precarium Teil eines Vergleichs über das Verfahren zur Klärung eines Streits über das Eigentum an der Sache ist: Um einen sofortigen Prozess zu vermeiden, mit dem die drohende Ersitzung der Sache unterbrochen würde, einigen sich zwei Eigentumsprätendenten darauf, dass der Besitzer die Sache fortan als Prekarist innehaben soll. So kann er sich gegenüber dem Geber nur noch dann durchsetzen, wenn er schon bei Vereinbarung des precarium ihr Eigentümer war, nicht aber, wenn er die Sache erst nachträglich ersessen haben will. Die Funktion, die das precarium in diesem Fall hat, entspricht völlig seiner Wirkungsweise bei Dienstbarkeiten und Kreditsicherheiten: Der Geber sichert sich durch das bittweise Zugeständnis des Sachbesitzes vor einem Verlust seiner Rechtsstellung an den Prekaristen ab.56

54 Spricht Javolen hier von tradere, meint er eine Veränderung der causa possessionis; vgl. Manthe, Die libri ex Cassio des Iavolenus Priscus, Berlin 1982, S. 202. 55 Vgl. Biavaschi, Ricerche, S. 119 f. Für Klinck, Erwerb, S. 264 ist die Frage nach der Fortdauer des Besitzes des Prekaristen offen. 56 Zu weiteren Quellen, aus denen sich auf den Einsatz des precarium im Vorfeld eines Rechtsstreits über das Eigentum schließen lässt, s. u. S. 67 f.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

Keinen Schluss auf ein isoliertes precarium lässt auch die folgende Aussage Ulpians zu, der sich mit dem Verlust eines Nießbrauchs durch non usus beschäftigt: D 7.1.12.2 Ulp 17 Sab Usufructuarius vel ipse frui ea re vel alii fruendam concedere vel locare vel vendere potest: nam et qui locat utitur, et qui vendit utitur. sed et si alii precario concedat vel donet, puto eum uti atque ideo retinere usum fructum, et hoc Cassius et Pegasus responderunt et Pomponius libro quinto ex Sabino probat . . . Der Nießbraucher kann die Sache selbst nutzen oder einem anderen die Nutzung überlassen, sie verpachten oder verkaufen; denn auch wer verpachtet, nutzt die Sache, und auch wer verkauft, nutzt die Sache. Aber ich glaube, dass er sie auch, wenn er sie einem anderen bittweise überlässt oder schenkt, nutzt und sich so den Nießbrauch erhält; und so haben Cassius und Pegasus befunden, und Pomponius heißt es im fünften Buch zu Sabinus gut . . .

Zwar erscheint das precarium hier neben Kauf, Schenkung und Pacht als eine Variante der Überlassung des Nießbrauchs an einen anderen, die seinem Untergang ebenso entgegensteht wie die Sachnutzung durch den Nießbraucher selbst.57 Die überblicksartige Aufzählung abstrahiert jedoch völlig von der konkreten Einsatzweise der Institute und lässt Raum für die Möglichkeit ihrer Kombination: Das precarium könnte einen Verkauf des Nießbrauchs an den Grundstückseigentümer oder einen Dritten begleiten und hier dazu dienen, den Zugriff des Nießbrauchers für den Fall sicherzustellen, dass der Käufer mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug gerät. Es könnte aber auch mit einer locatio conductio einhergehen, die ebenso wie der Kaufvertrag die eigentliche Grundlage der Überlassung des Nießbrauchs bildet. Eine Kombination mit einem Mietvertrag ist ferner in den Fällen denkbar, in denen das precarium bei einer Überlassung zu Wohnzwecken zum Einsatz kommt. Dieser Fall wird von Venuleius erwähnt, dem es um die Erstreckung der Vereinbarung auf die Gewaltunterworfenen des Prekaristen geht:58 D 43.26.21 Venonius 4 act Cum precario quis rogat, ut ipsi in eo fundo morari liceat, supervacuum est adici ,ipsi suisque‘: nam per ipsum suis quoque permissum uti videtur. Hat jemand bittweise darum ersucht, dass es ihm erlaubt sei, sich auf einem Grundstück aufzuhalten, ist es überflüssig hinzuzufügen, dass es „auch seinen Gewaltunterworfenen“ erlaubt sein solle; denn es wird so angesehen, als sei die Nutzung über ihn auch seinen Gewaltunterworfenen erlaubt.

57 Dass das precarium nicht auf das Recht selbst, sondern nur auf seine Ausübung gerichtet sein kann, stellt García Vázquez, BIDR 96/97 (1993/1994) 279, 286 ff. heraus. 58 Mit dem Text befasst sich auch Biavaschi, Index 36 (2008) 247, 251 ff.

III. Sachüberlassung?

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Und er erscheint in einem Reskript der diokletianischen Kanzlei. Diese sieht das interdictum de precario gegen die Erben eines Prekaristen eröffnet, der eine vom Geber überlassene Wohnung bewohnt hat: CJ 8.9.2 (a 293) Impp. Diocletianus et Maximianus AA. et CC. Fabricio. Habitantis precario heredes ad restituendum habitaculum teneri contra eos interdicto proposito manifeste declaratur. Die Kaiser Diokletian und Maximian an Fabricius. Es ist offensichtlich, dass die Erben desjenigen, der bittweise eine Wohnung bewohnt hat, auf deren Rückgewähr mit dem gegen sie gewährten Interdikt haften.

Diesen beiden Texten scheint auf den ersten Blick eine Aussage Pomponius’ zu widersprechen, der die Aufnahme von Gästen und die unentgeltliche Überlassung zu Wohnzwecken nicht als precarium gelten lassen will: D 43.26.15.1 Pomp 29 Sab Hospites et qui gratuitam habitationem accipiunt non intelleguntur precario habitare. Gäste und diejenigen, die unentgeltlich Unterkunft erhalten, werden nicht so angesehen, als wohnten sie bittweise.

Der Gegensatz zu Venuleius und Diokletian schwindet, wenn man deren Entscheidungen auf ein entgeltliches Wohnrecht bezieht: Die Annahme eines precarium kommt dann nicht bei dem von Pomponius behandelten Fall eines bloßen Aktes der Gastfreundschaft oder Nothilfe,59 sondern nur in Betracht, wenn die Überlassung zu Wohnzwecken rechtlich verfestigt, und das heißt im Regelfall: Gegenstand eines hierauf gerichteten Austauschvertrags, ist.60 Dass und wie ein solcher Austauschvertrag mit einem precarium kombiniert werden kann, stellt wiederum Pomponius in einem Zitat bei Ulpian dar: D 41.2.10 Ulp 69 ed Si quis ante conduxit, postea precario rogavit, videbitur discessisse a conductione: quod si ante rogavit, postea conduxit, conduxisse videbitur. potius enim hoc procedere videtur, quod novissime factum est: et hoc Pomponius ait. (1) Idem Pomponius bellissime temptat dicere, numquid qui conduxerit quidem praedium, precario autem rogavit non ut possideret, sed ut in possessione esset (est autem longe diversum: aliud est enim possidere, longe aliud in possessione esse: denique rei servandae causa, legatorum, damni infecti non possident, sed sunt in possessione custodiae 59 Eine andere Frage ist, ob es sich dabei um ein commodatum handeln kann. Sie hängt zunächst davon ab, ob man als Objekt eines Leihvertrags auch Grundstücke gelten lässt: Obwohl dies nach D 13.6.1.1 Ulp 28 ed die Auffassung der Sabinianer sein soll, finden wir die habitatio gratuita in Gai 4.153 doch vom commodatum getrennt erwähnt; und Ulpian betrachtet die Gewährung einer actio praescriptis verbis in D 19.5.17 Ulp 28 ed als tutius. Vgl. hierzu Biavaschi, Index 36 (2008) 247, 264 ff. 60 In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Biavaschi, Index 36 (2008) 247, 275, die glaubt, die Juristen hätten vor einer klaren dogmatischen Erfassung der habitatio gratuita zurückgeschreckt und als Akt der Freundschaft oder persönlichen Nähe von Fall zu Fall beurteilt.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung causa): quod si factum est, utrumque procedit. (2) Si quis et conduxerit et rogaverit precario, uti possideret, si quidem nummo uno conduxit, nulla dubitatio est, quin ei precarium solum teneat, quia conductio nulla est, quae est in uno nummo: sin vero pretio, tunc distinguendum, quid prius factum est. Hat jemand etwas zunächst gemietet, dann bittweise um dessen Überlassung ersucht, wird er so angesehen, als sei er vom Mietvertrag abgegangen; hat er aber zunächst um die Überlassung ersucht, danach gemietet, wird er so angesehen, als habe er gemietet. Es gilt nämlich eher, was zuletzt abgeschlossen worden ist; und dies schreibt auch Pomponius. (1) Pomponius untersucht auch trefflich, was gilt, wenn derjenige, der zwar ein Grundstück gemietet, um seine Überlassung aber bittweise so ersucht hat, dass er nicht besitzt, sondern im Besitz verbleibt (was sehr verschieden ist: das eine ist zu besitzen, etwas ganz anderes im Besitz zu verbleiben; auch zur Sacherhaltung, Vermächtniserfüllung und zur Verhinderung eines drohenden Schadens besitzt man nicht, sondern bleibt zur Bewahrung einer Sache in deren Besitz); ist dies so vereinbart worden, gilt beides. (2) Hat jemand etwas sowohl gemietet als auch bittweise um seine Überlassung so ersucht, dass er besitzt, besteht, wenn er zu einer Münze gemietet hat, kein Zweifel, dass für ihn nur die bittweise Überlassung gilt, weil die Miete, die zu einer Münze erfolgt, ungültig ist; ist sie dagegen zu einem wirklichen Preis erfolgt, ist danach zu unterscheiden, was zunächst abgeschlossen worden ist.

Locatio conductio und precarium stehen grundsätzlich in einem Ausschlussverhältnis. Dies liegt aber keineswegs daran, dass im einen Fall eine Gegenleistung geschuldet ist, im anderen dagegen nicht. Der entscheidende Unterschied betrifft den Besitz:61 Während ein Mieter oder Pächter die Sache lediglich innehat, ohne sich einer Störung seiner Sachherrschaft erwehren zu können, wird der Prekarist zum possessor und genießt im Verhältnis zu Dritten Besitzschutz62. Erscheint Pomponius und Ulpian eine solche Position auch als unvereinbar mit der locatio conductio, halten sie eine Verbindung mit dem precarium doch dann für möglich, wenn der Prekarist auf seinen Besitzschutz verzichtet und sich darauf beschränkt, nach dem Vorbild desjenigen, dem eine Sache vorübergehend vom Prätor zugewiesen wird, bloß in possessione der gemieteten oder gepachteten Sache zu sein.63 Mit dieser Angleichung des precarium an die Besitzverteilung bei der locatio conductio64 verbessert sich die Position des Gebers, der nun den Sachbesitz behält und Besitzschutz gegenüber Dritten genießt. Ulpian erklärt dies andernorts geradezu zur selbstverständlichen Folge der Vereinbarung eines precarium zum Verbleib auf einem Grundstück; und er bezieht sich dabei auf 61 Richtig Kaser, SZ 89 (1972) 94, 106, der hinter dem Besitzkonzept der locatio conductio freilich die Vorstellung eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses erkennt. Vgl. auch Kaser (Fn. 41), S. 176 f. 62 s. u. S. 86. 63 Für das Ergebnis einer Interpolation halten diese Lösung Silva, SDHI 6 (1940) 233, 242 ff. und Zamorani, Precario habere, S. 121 ff., 132 ff., der sie auf den Beginn des vierten Jahrhunderts datieren möchte. 64 Vgl. Kaser, SZ 89 (1972) 94, 105 f.; vgl. auch Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 208.

III. Sachüberlassung?

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einen von Marcell65 gezogenen Schluss aus der Besitzlage bei Vermietung und Verpachtung: D 43.26.6.2 Ulp 71 ad ed Is qui rogavit, ut precario in fundo moretur, non possidet, sed possessio apud eum qui concessit remanet: nam et fructuarius, inquit, et colonus et inquilinus sunt in praedio et tamen non possident. Derjenige, der bittweise darum ersucht hat, dass er sich auf einem Grundstück aufhalten darf, besitzt nicht, sondern der Besitz verbleibt bei demjenigen, der es zugestanden hat; denn, wie er sagt, auch ein Nießbraucher, Pächter und Mieter befinden sich auf einem Grundstück und besitzen es trotzdem nicht.

Im Verhältnis zum Prekaristen bringt das precarium dem Vermieter oder Verpächter den üblichen Vorteil, dass er zur Rechtfertigung von Selbsthilfe oder, um den Erlass des interdictum de precario zu erwirken, nur den Beweis der bittweisen Überlassung erbringen muss. Zwar würde er sich auch mit Hilfe des Nachweises durchsetzen können, dass er die Sache vermietet oder verpachtet hat; denn so wäre nicht nur ein vertraglicher Rückgewähranspruch, sondern auch dargetan, dass der Mieter oder Pächter gar kein Besitzer im eigentlichen Sinne ist. Um den Anschein zu überwinden, der von dessen weder gewaltsam noch heimlich erlangter Sachherrschaft ausgeht, empfiehlt sich das precarium aber eher; denn es erspart dem Vermieter oder Verpächter sowohl eine Auseinandersetzung über die Wirksamkeit des Konsensualvertrags als auch eine Selbsthilfe.66 Dabei muss der Geber keineswegs an die Laufzeit der locatio conductio gebunden sein, zu deren Verstärkung das precarium dient;67 denn auch die Verdingung selbst schlägt nicht auf die besitzrechtliche Ebene durch und schließt nicht aus, dass der Vermieter oder Verpächter unter Verstoß gegen den Vertrag vorzeitig von seinen Besitzschutzrechten Gebrauch macht. Mit dem Ende des Schuldverhältnisses erlischt aber jedenfalls auch das precarium, wie Pomponius für eine Vermietung auf Widerruf im Fall des Todes des Vermieters feststellt:68

65 Dieser wird im principium des Fragments genannt und muss daher Subjekt zu ,inquit‘ sein; vgl. Biavaschi, Index 36 (2008) 247, 255. 66 Ähnlich Kaser, SZ 89 (1972) 94, 106 f., Knütel (Fn. 17), S. 50, 52 und Biavaschi, Ricerche, S. 180. Anders Kaser (Fn. 41), S. 181, der den Sinn der Kombination hier im Anschluss an Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 208 darin sieht, dass dem Vermieter oder Verpächter wegen der Widerruflichkeit des precarium die vertragliche Haftung aus der locatio conductio erspart bleibt. 67 So aber Kaser, SZ 89 (1972) 94, 108 ff., Knütel (Fn. 17), S. 50, 52 und Biavaschi, Ricerche, S. 153. Anders noch Kaser (Fn. 41), S. 181 und Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 208. 68 Dass es hier um die Kombination von locatio conductio und precarium geht, nimmt auch Tondo, Labeo 5 (1959) 157, 207 an. Dagegen geht Kaser, SZ 89 (1972) 94, 109 davon aus, dass Pomponius ein alternativ gefasstes Formular behandelt; und auch Biavaschi, Ricerche, S. 199 sieht beide Institute lediglich gleich behandelt. Von einer Interpolation des Textes geht Zamorani, Precario habere, S. 148 ff. aus.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung D 19.2.4 Pomp 16 Sab Locatio precariive rogatio ita facta, quoad is, qui eam locasset dedissetve, vellet, morte eius qui locavit tollitur. Ist eine Vermietung oder bittweise Überlassung so erfolgt, dass sie so lange gelten soll, wie der Vermieter oder Geber will, werden sie durch den Tod des Vermieters aufgelöst.

Ein Umstand, an dem die Gültigkeit der locatio conductio scheitern könnte, ist das Fehlen einer regelrechten Preisvereinbarung. In diesem Fall ist das precarium ohne Weiteres gültig und bedarf keiner Modifikation, um an die Besitzlage bei der Verdingung angepasst zu werden. Ein praktischer Fall, in dem eine Miete oder Pacht ohne gehörige Preisbestimmung mit einem precarium zusammentreffen könnten, ist wiederum die schon behandelte Konstellation, in der ein Pfandgläubiger die verpfändete Sache dem Schuldner überlässt69. Sie erscheint in einem Auszug aus Julians Digesten:70 D 41.3.33.6 Iul 44 dig Si rem pignori datam creditoris servus subripuerit, cum eam creditor possideret, non interpellabitur usucapio debitoris, quia servus dominum suum possessione non subvertit. sed et si debitoris servus subripuerit, quamvis creditor possidere desinat, tamen debitori usucapio durat, non secus ac si eam creditor debitori tradidisset: nam quantum ad usucapiones attinet, servi subtrahendo res non faciunt deteriorem dominorum condicionum. facilius optinebitur, si precario possidente debitore servus eius subripuerit. nam conductio idem praestat, quod si apud creditorem res esset: possidet enim hoc casu creditor. sed et si utrumque intercesserit et precarii rogatio et conductio, intellegitur creditor possidere et precarii rogatio non in hoc interponitur ut debitor possessionem habeat, sed ut ei tenere rem liceat. Hat der Sklave eines Pfandgläubigers eine verpfändete Sache entwendet, während der Gläubiger sie besaß, wird die Ersitzung des Schuldners nicht unterbrochen, weil der Sklave seinem Eigentümer nicht den Besitz entziehen kann. Aber auch wenn ein Sklave des Schuldners sie entwendet hat, dauert, obwohl der Gläubiger zu besitzen aufhört, die Ersitzung des Schuldners an, und zwar ebenso, wie wenn der Gläubiger sie dem Schuldner übergeben hätte; denn was die Ersitzung anbelangt, können Sklaven durch eine Sachentwendung die Rechtsstellung ihrer Eigentümer nicht verschlechtern. Noch eher gilt dies, wenn der Sklave des Schuldners eine Sache entwendet hat, während dieser sie bittweise besaß. Eine Miete wirkt nämlich so, als ob sich die Sache beim Gläubiger befindet; der Gläubiger besitzt nämlich in diesem Fall. Aber wenn sowohl das Gesuch um eine bittweise Überlassung als auch eine Miete vereinbart werden, wird der Gläubiger so angesehen, als ob er besitzt und das Gesuch um die bittweise Überlassung erfolgt nicht, damit der Schuldner den Besitz erhält, sondern damit er die Sache behalten darf.

Ebenso wie Pomponius und Ulpian hält auch Julian eine Variation des precarium mit dem Ergebnis für möglich, dass der Prekarist ebenso wie ein Mieter oder Pächter bloß Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft ohne Besitzschutz 69 70

s. o. S. 23 f. Hierzu Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 209 f.

III. Sachüberlassung?

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wird.71 Bleibt dies für die Ersitzung der Sache durch den Schuldner auch ebenso irrelevant wie deren Entwendung durch den Sklaven einer der beiden Parteien, bringt sie doch einen Vorzug mit sich, der auch bei der gewöhnlichen Vermietung oder Verpachtung eintritt: Trotz Überlassung der Sache an den Verpfänder genießt der Pfandgläubiger als Inhaber der possessio auch Besitzschutz gegenüber Dritten. Die schon in klassischer Zeit gängige Kombination von locatio conductio und precarium könnte auch den Hintergrund für die gemeinsame Nennung beider Institute in einer Konstitution aus dem vierten Jahrhundert bilden: CJ 7.39.2 (a 365) Impp. Valentinianus et Valens AA. ad Volusianum pu. Male agitur cum dominis praediorum, si tanta precario possidentibus praerogativa defertur, ut eos post quadraginta annorum spatia qualibet ratione decursa inquietare non liceat, cum lex Constantiniana iubeat ab his possessionis initium non requiri, qui sibi potius quam alteri possederunt, eos autem possessores non convenit appellari, qui ita tenent, ut ob hoc ipsum solitam debeant praestare mercedem. (1) Nemo igitur, qui ad possessionem conductor accedit, diu alienas res tenendo ius sibi proprietatis usurpet, ne cogantur domini aut amittere quod locaverunt aut conductores utiles sibi fortassis excludere aut annis omnibus super dominio suo publice protestari. Die Kaiser Valentinian und Valens an den Stadtpräfekten Volusianus. Man tut den Eigentümern von Grundstücken Unrecht, wenn man denjenigen, die sie bittweise besitzen, das Vorrecht zugesteht, dass sie nach dem Ablauf von vierzig Jahren nicht mehr mit irgendeinem Rechtsbehelf belangt werden können, weil das konstantinische Gesetz befiehlt, dass man den Besitzgrund bei denjenigen nicht hinterfragt, die eher für sich als für einen anderen besitzen; diese nennt man aber gemeinhin gar nicht Besitzer, weil sie etwas mit der Maßgabe innehaben, dass sie hierfür den üblichen Lohn zahlen müssen. (1) Also soll sich niemand, der sich als Mieter oder Pächter im Besitz fremder Sachen befindet, indem er sie über lange Zeit innehat, das Eigentumsrecht anmaßen dürfen, damit nicht die Eigentümer gezwungen werden, entweder zu verlieren, was sie vermietet oder verpachtet haben, oder vielleicht ihnen dienliche Mieter oder Pächter abzuweisen oder sich alljährlich öffentlich das Eigentum vorzubehalten.

Die Kaiser des Jahres 365 machen eine Ausnahme von der durch Konstantin eingeführten quadraginta annorum praespriptio. Eigentlich setzt sie lediglich den vierzigjährigen Besitz an einer Sache voraus und nicht, dass ein rechtmäßiger Besitzerwerb stattgefunden hat.72 Dementsprechend müsste sie auch einem Prekaristen zugutekommen, der ja regelrechter Besitzer der Sache und gegenüber dem Eigentümer nur dadurch zurückgesetzt ist, dass sein Besitzerwerb von der Vereinbarung eines precarium begleitet ist. Ebenso wie die Ersitzung ist jedoch auch eine praescriptio nur angebracht, wenn der Begünstigte Eigenbesitzer ist 71 Kaser, SZ 89 (1972) 94, 108. Eine Interpolation des Textes nimmt wiederum Zamorani, Precario habere, S. 137 ff. an. 72 Hierzu Kaser RP, Bd. 2, S. 285.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

und damit von vornherein die Position in Anspruch nimmt, die ihm in Folge des Zeitablaufs zustehen kann. Dass ein Prekarist nicht Eigen-, sondern Fremdbesitzer ist, leiten die Kaiser bemerkenswerterweise nicht aus der bittweisen Überlassung selbst ab. Es folgt für sie vielmehr daraus, dass er zur Zahlung eines Miet- oder Pachtzinses verpflichtet ist. Und in § 1 der Konstitution ist denn auch gar nicht mehr von Prekaristen, sondern nur noch von conductores die Rede. Dass beide Begriffe hier synonym verwendet werden,73 muss keineswegs bedeuten, dass sich das precarium in nachklassischer Zeit zu einem entgeltlichen Überlassungsvertrag entwickelt hat und an die Stelle der locatio conductio getreten ist.74 Viel näher liegt die Annahme, dass die Wortwahl der kaiserlichen Juristen die Praxis widerspiegelt, eine Vermietung oder Verpachtung um die Vereinbarung eines precarium zu ergänzen.75 Da es in der Konstitution um die vierzigjährige praescriptio geht, kann sich diese Praxis nicht auf die locatio conductio zwischen Pfandgläubiger und Schuldner beschränken, sondern muss auch bei der langfristigen Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken bestehen. Und die Ausnahme von der praescriptio drängt sich bei einem precarium, durch das sich der Mieter oder Pächter dem Eigentümer eigens besitzrechtlich unterwirft, noch stärker auf als bei einer schlichten locatio conductio. Ob eine vergleichbare Verbindung auch mit dem commodatum erfolgt, lässt sich den Quellen nicht zuverlässig entnehmen. Einen vagen Anhalt für eine solche Kombination bietet nur ein Abschnitt aus den Paulussentenzen, in dem das Rückforderungsrecht beim precarium mit dem Anspruch eines Verleihers verglichen wird: PS 5.6.10 Redditur interdicti actio, quae proponitur ex eo, ut quis quod precarium habet restituat. Nam et civilis actio huius rei sicut commodati competit: eo vel maxime, quod ex beneficio suo unusquisque iniuriam pati non debet. Aus dem Interdikt wird eine Klage gewährt, die verheißen wird, damit jemand zurückgewährt, was er bittweise überlassen bekommen hat. Denn aus diesem Grund steht auch eine zivilrechtliche Klage wie die Leihklage zu, und zwar vor allem deshalb, weil niemand aufgrund seiner eigenen Freigiebigkeit Unrecht erleiden darf.

Wiederum findet keine Gleichsetzung des precarium mit einem Schuldvertrag statt;76 vielmehr dient die Rechtslage beim commodatum nur als Rechtfertigung 73 Schon dies bestreiten Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 482 f. und Zamorani, Precario habere, S. 95 ff., die in der Konstitution zwei verschiedene Regelungen, eine für die Prekaristen, die andere für Mieter und Pächter, erkennen. 74 So aber Levy, SZ 66 (1948) 1, 3 f. und ders., Vulgarrecht, S. 259 f. Ähnlich vorher schon Silva, SDHI 6 (1940) 233, 268 und später Michel, Gratuité, S. 140. Zur möglichen Weiterentwicklung des precarium im westgotischen Recht s. u. S. 95 f. 75 Richtig Kaser, SZ 89 (1972) 94, 145 f. 76 So aber Levy, SZ 66 (1948) 1, 8 ff. und ders., Vulgarrecht, S. 261 ff.

IV. Ursprung des precarium

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für das Rückgewährrecht beim precarium. Die doppeldeutige Wendung, dass die Leiheklage „aus diesem Grund“ (,huius rei‘) zuständig sei, lässt aber immerhin die Interpretation zu, dass demselben Lebenssachverhalt sowohl das interdictum de precario als auch die actio commodati entspringen können. So versteht den Text auch der westgotische Autor der Interpretatio:77 IP 5.7.8 Si quando alicuius precibus exorati aliquid cuicumque possidendum ad tempus praestitum fuerit et ad primam admonitionem hoc ipsum reddere noluerit, datur adversus eum interdictum et actio iusta proponitur; quae actio civilis est, velut si de commodato agatur, ut res ita praestita sine aliqua difficultate reddatur, quia pro beneficio suo pati quemcumque iniuriam non oportet. Ist jemals etwas auf die Bitte eines anderen ihm zum Besitz auf Zeit überlassen worden und hat er sich geweigert, es auf erste Anforderung zurückzugeben, wird gegen ihn ein Interdikt gewährt, und es ist eine passende Klage verheißen; diese Klage ist zivilrechtlich, wie wenn wegen einer Leihe geklagt wird, damit die überlassene Sache ohne Schwierigkeit zurückgegeben wird, weil niemand wegen einer eigenen Freigiebigkeit Unrecht erleiden darf.

Die so angedeutete Kumulation von commodatum und precarium hat dieselbe Wirkungsweise und erfüllt denselben Zweck wie die entsprechende Verbindung mit der locatio conductio: Auch bei einer Leihe erhält der Prekarist lediglich die faktische Sachherrschaft, während der Besitz und der durch ihn vermittelte Interdiktenschutz beim Entleiher verbleiben. Und dieser erlangt ebenso wie ein Vermieter oder Verpächter die Möglichkeit eines nur auf den Nachweis des precarium gestützten Zugriffs auf die dem anderen Teil überlassene Sache. Die Funktion, die das precarium in Kombination mit einem entgeltlichen oder unentgeltlichen Überlassungsvertrag hat, entspricht der Rolle, die es bei Dienstbarkeiten und Kreditsicherheiten spielt: Indem es die Rückforderung der Sache erleichtert, unterstützt es die auf anderem Rechtsgrund beruhende Position des Gebers und macht auch eine zu seinen Lasten gehende Ersitzung der Sache undenkbar. Dagegen hat es nicht die Aufgabe, dem vorübergehenden Verbleib der Sache beim Prekaristen überhaupt einen rechtlichen Rahmen zu verleihen.

IV. Ursprung des precarium Kennt das klassische Recht das precarium nur als Ergänzung anderer Rechtsbeziehungen,78 schließt dies natürlich nicht gänzlich aus, dass es früher einmal als selbständiges Überlassungsverhältnis zwischen Patron und Klient oder Staat und Bürger vorgekommen ist; wahrscheinlich ist eine solche Herkunft aber kei77 Dass er der Vorlage der Paulussentenzen folgt, meint, wenn auch mit anderer Tendenz Levy, SZ 66 (1948) 1, 10 f. Dass er dem klassischen Recht treu bleibt, glaubt ebenfalls Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 489. 78 Dies glaubt auch Kaser, SZ 89 (1972) 94, 147.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

neswegs. Der streng adjektizische Charakter, den das precarium in klassischer Zeit hat, spricht vielmehr dafür, dass es auch ursprünglich nur als Anhängsel zu einem anderweit begründeten Überlassungsverhältnis fungierte. Nur hierzu passen auch die ersten Zeugnisse für eine technische Verwendung des Wortes precarium.79 Es erscheint zunächst in Terenz’ Eunuchus in Anspielung auf die Einrede des fehlerhaften Besitzes,80 mit der einer der Protagonisten des Stücks ironisch sein unbändiges Begehren nach einer Frau zum Ausdruck bringt: Terenz Eunuchus 319 „ipsam“ hanc tu mihi vel vi vel clam vel precario fac tradas: mea nil refert dum potiar modo. Beschaff sie mir gewaltsam oder heimlich oder bittweise; mir ist es egal, solange ich sie nur irgendwie bekomme

Die hier verballhornte Wendung ,nec vi nec clam nec precario‘, mit der der Prätor in seinen Interdikten den Besitzschutz ausschließt, findet sich später auch in der inschriftlich dokumentierten Justizgewährungsklausel der lex agraria von 111 v. Chr.: Sei quis eorum, quorum ager] s(upra) s(criptus) est, ex possesione vi eiectus est, quod eius is quei eiectus est possederit, quod neque vi neque clam neque precario possederit ab eo, quei eum ea possessione vi eiec[erit: . . . Ist einer derjenigen, deren Grundbesitz zuvor genannt ist, durch Gewalt aus dem Besitz vertrieben worden, den er weder gewaltsam noch heimlich oder bittweise von demjenigen erlangt hat, der ihn vertrieben hat . . .

Steht die Verbindung mit den Fällen des gewaltsam oder heimlich erlangten Besitzes am Anfang der Überlieferung des Wortes precarium als eines juristischen Terminus,81 gibt es keinen Grund, den Ursprung des Instituts nicht auch hier zu suchen: Es hätte dann von vornherein bloß dazu gedient, durch Vereinbarung die Wirkung zu erzeugen, die von einer gewaltsamen oder heimlichen Entwendung der Sache ausgeht. Mit dieser Funktion kann das precarium seit jeher nur Ergänzung zu einem auf andere Weise zustande gekommenen Überlassungsverhältnis und dazu gedacht sein, den Zugriff des Gebers auf die Sache so zu erleichtern, dass er gegen den Prekaristen wie gegen einen Räuber oder Dieb vorgehen kann.82 79 Bei Plautus erscheint der Ausdruck noch in der unbestimmten Bedeutung von Bitte; vgl. Biavaschi, Ricerche, S. 43 ff. 80 Hierzu Zamorani, Precario habere, S. 30 ff., Labruna, Vim fieri veto, Neapel 1971, S. 82 f., Biavaschi, Ricerche, S. 46, die außerdem die Wiedergabe des interdictum uti possidetis bei Festus auf einen Vorläufer aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert zurückführt (a. a. O., S. 53 ff.). 81 Mit dessen Weiterleben in den literarischen Quellen befasst sich Biavaschi, Ricerche, S. 105 ff. 82 Auch dass das precarium ursprünglich auf Grundstücke beschränkt war, lässt sich den Quellen nicht entnehmen; vgl. Zamorani, Precario habere, S. 22 ff., Biavaschi,

V. Ergebnis

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Dieser vereinfachte Zugriff mag ursprünglich nicht mit dem interdictum de precario möglich gewesen sein, dessen ausgefeilte Fassung auf eine Entstehung in späterer Zeit hindeutet;83 und das precarium muss auch nicht zwingend durch die Aufnahme der Einrede des fehlerhaften Besitzes in die Interdiktsformeln84 aus der Taufe gehoben worden sein85. Die Zeugnisse aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert belegen jedenfalls, dass das precarium schon damals als Parallelerscheinung zum gewaltsam oder heimlich erlangten Besitz und als gleichwertiger Grund für die Versagung von Besitzschutz anerkannt war. Ein Bedürfnis für dieses Institut bestand in dieser frühen Zeit nicht minder als im klassischen Recht; und auch sein Mechanismus ist unverändert geblieben: Indem sich der Prekarist zum Bittsteller erniedrigt, gerät er kraft Vereinbarung in die Position eines Räubers oder Diebes und verschafft dem Geber die besitzrechtlichen Vorteile, die ihm aus der von diesen verübten Tat erwüchsen. Das precarium war und ist also ein Vertrag, der auf die Simulation eines tatsächlichen Besitzverhältnisses gerichtet ist, kurz: ein Besitzvertrag.

V. Ergebnis Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das precarium einmal ein lehnsrechtliches Überlassungsverhältnis bezeichnete. Es erscheint von vornherein zusammen mit den Fällen der gewaltsamen und heimlichen Entwendung als einer der Tatbestände des fehlerhaften Besitzes, der keinen Schutz gegenüber dem anderen Teil genießt. Die Vereinbarung eines precarium dient demnach wahrscheinlich seit jeher dazu, den Inhaber der Sachherrschaft vertraglich auf eine Stufe mit Räubern oder Dieben zu setzen, um so den Zugriff des Gebers auf die Sache zu erleichtern. Als Besitzvertrag kann es nur Ergänzung zu anderen, schuldrechtlichen Vereinbarungen sein, die einer Sachüberlassung oder Nutzungsgestattung ihre eigentliche Grundlage geben. Nur in dieser Ergänzungsfunktion kommt das precarium auch im klassischen Recht vor: Hier begegnet es als Instrument zum Schutz von Kreditsicherheiten, als Mittel zum Erhalt und zur Abwehr möglicher Dienstbarkeiten sowie schließlich als Anhängsel von Sachüberlassungsverträgen und bewirkt jeweils, dass die Position des Gebers zusätzlich bewehrt wird:

Ricerche, S. 349 im Gegensatz zu Michel, Gratuité, S. 130. Ulpians beiläufige Bemerkung, eine bittweise Überlassung komme „auch“ bei beweglichen Sachen vor (D 43.26.4pr Ulp 71 ed: In rebus etiam mobilibus precarii rogatio constitit.), kann rein darstellungstechnisch bedingt sein und lässt, ohne in Spekulation zu verfallen, keineswegs den Schluss zu, hier komme eine nachträgliche Erweiterung des Anwendungsbereichs zum Ausdruck. 83 Vgl. Zamorani, Precario habere, S. 35 ff., Kaser, SZ 89 (1972) 94, 97. 84 Dass diese von vornherein die clausula vitiosae possessionis enthielten, behauptet Falcone, Ricerche sull’origine dell’interdetto uti possidetis, Palermo 1996, S. 222 ff. 85 Vgl. wiederum Kaser, SZ 89 (1972) 94, 98.

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§ 1 Anwendungsbereich und Ursprung

Die Rolle, die das precarium in der Kombination mit Kreditsicherheiten spielt, variiert mit deren Eigenart: Dient es dazu, dem Verkäufer einer Sache das Eigentum bis zur Zahlung des Kaufpreises zu bewahren, verhindert das precarium einen vorzeitigen Eigentumserwerb des Käufers durch Übergabe oder Ersitzung und eröffnet dem Verkäufer zusätzlich den Besitzschutz als einfachste Möglichkeit, die Sache bei Nichtzahlung des Kaufpreises wieder zurückzuholen. Dieselben Funktionen hat das precarium bei der Sicherungsübereignung durch fiducia, wenn der Gläubiger die Sache dem Schuldner belässt. Auch hier bewirkt das precarium nicht nur, dass der Gläubiger vereinfacht auf die Sache zugreifen kann; es schließt auch aus, dass der Schuldner die Sache zurückersitzt, bevor er nicht die gesicherte Forderung erfüllt hat. Dagegen beschränkt sich die Aufgabe des precarium in dem am häufigsten dokumentierten Anwendungsfall des Pfandrechts auf die besitzrechtliche Erleichterung, die der Pfandgläubiger dadurch erfährt, dass er dem Verpfänder eine diesem belassene Pfandsache ohne Auseinandersetzung über den Bestand des Pfandrechts wieder abnehmen kann. Im Zusammenhang mit Dienstbarkeiten kommt das precarium in zwei einander entgegengesetzten Fällen vor: Entweder nimmt der Inhaber einer Dienstbarkeit einen servitutswidrigen Zustand auf dem dienenden Grundstück hin; oder der Eigentümer eines Grundstücks duldet die Nutzung des eigenen Grundstücks durch den Nachbarn bittweise, und ohne eine Dienstbarkeit zu bestellen. Im ersten Fall dient das precarium dem Erhalt der Servitut, die ansonsten durch non usus unterzugehen drohte und deren Ausübung nun erstmalig oder zusätzlich Besitzschutz erfährt. Im zweiten Fall wirkt das precarium der Annahme entgegen, der Nachbar nutze das Grundstück des Gebers aufgrund einer ihm bestellten Dienstbarkeit. Zwar lässt sich deren Entstehung im Gegensatz zur Befreiung von einer Dienstbarkeit nicht durch Ersitzung herbeiführen; die tatsächliche Nutzung des Grundstücks begründet jedoch zumindest einen beweisrechtlichen Nachteil, der durch das precarium wettgemacht wird. Über das der Nutzungsgestattung zugrundeliegende Schuldverhältnis unterrichten uns die Quellen ebenso wenig wie im Fall der Begründung und Aufhebung von Dienstbarkeiten, denen kauf-, schenk- oder verdingungsartige Vereinbarungen die Basis geben. Auf die Existenz eines solchen Verhältnisses in Gestalt einer pachtähnlichen Vereinbarung aber deutet immerhin eine kaiserliche Entscheidung zu einem im Interesse der Grabpflege zwangsweise begründeten precarium hin. Dass das precarium auch eine regelrechte Sachüberlassung durch locatio conductio begleitet, können wir dagegen wieder den Entscheidungen der klassischen Juristen entnehmen. Sie bemühen sich eigens um die Anpassung des precarium an das Besitzregime der Verdingung, die dem Mieter oder Pächter keinen geschützten Besitz, sondern lediglich die einfache Inhaberschaft verschafft. Kommt aus diesem Grund auch von vornherein keine Ersitzung in Frage, bietet das precarium hier für den Geber doch wiederum den Vorteil, dass er dem Mieter oder Pächter die überlassene Sache rasch und ohne Auseinandersetzung über den

V. Ergebnis

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Schuldvertrag abnehmen kann. Dass es deshalb zum Gegenstand der Miet- und Pachtpraxis geworden ist, legt eine kaiserliche Entscheidung aus dem vierten Jahrhundert nahe. Aus dieser Zeit stammt ferner eine Quelle, die darauf hindeutet, dass auch ein Leihvertrag zuweilen um die Vereinbarung eines precarium ergänzt wurde. Bei den meisten der genannten Anwendungsfälle des precarium hat der Prekarist ein Interesse daran, dass der Geber die Sache nicht vorzeitig zurücknimmt, bei der Kreditsicherheit also untätig bleibt, bis der Sicherungsfall eingetreten ist, und bei den Verträgen über Nutzungsgestattung oder Sachüberlassung deren Auslaufen abwartet. Die entsprechenden Beschränkungen der Befugnisse des Gebers sind jedoch zunächst einmal schuldrechtlicher Natur und müssen nicht auf die besitzrechtliche Ebene durchschlagen. Es ist durchaus denkbar und nach der Quellenlage sogar überwiegend wahrscheinlich, dass der Besitzschutz, den der Geber durch das interdictum de precario oder aufgrund der Einrede des fehlerhaften Besitzes genießt, zur Steigerung seiner Effektivität unbedingt und unbefristet ist. Der Geber erhält so jeweils einen Überschuss an Rechtsmacht, von dem er Gebrauch machen kann, aber nicht Gebrauch machen darf.

§ 2 Eine besondere Form der liberalitas I. Vergleich mit donatio und commodatum Erscheint das precarium nach seinem Anwendungsbereich und Ursprung auch nicht als Leihverhältnis, fehlt es in den Schriften der klassischen Juristen doch nicht an Aussagen, die ein solches Missverständnis provozieren können. Allen voran steht die Darstellung in den Institutionen Ulpians, derer sich die Kompilatoren zur Einleitung des Digestentitels 43.26 bedienen:86 D 43.26.1 Ulp 1 inst Precarium est, quod precibus petenti utendum conceditur tamdiu, quamdiu is qui concessit patitur. (1) Quod genus liberalitatis ex iure gentium descendit. (2) Et distat a donatione eo, quod qui donat, sic dat, ne recipiat, at qui precario concedit, sic dat quasi tunc recepturus, cum sibi libuerit precarium solvere. (3) Et est simile commodato: nam et qui commodat rem, sic commodat, ut non faciat rem accipientis, sed ut ei uti re commodata permittat. Eine bittweise Überlassung besteht darin, dass dem Ersuchenden auf seine Bitte die Nutzung so lange zugestanden wird, wie derjenige, der sie zugestanden hat, es duldet. (1) Diese Art der Freigiebigkeit entspringt dem Völkergemeinrecht. (2) Und sie unterscheidet sich von der Schenkung dadurch, dass derjenige, der etwas schenkt, es so überlässt, dass er es nicht zurückerhält, dagegen derjenige, der etwas bittweise zugesteht, es so überlässt, dass er es zurückerhält, wenn es ihm beliebt, die bittweise Überlassung aufzulösen. (3) Und sie ist der Leihe ähnlich; denn wer eine Sache verleiht, tut dies nicht, um sie zum Eigentum des Empfängers zu machen, sondern um ihm die Nutzung der geliehenen Sache zu gestatten.

Ulpian rechtfertigt das Rückforderungsrecht des precario dans gleich dreifach: Er beruft sich auf das ius gentium; er stellt das precarium der Schenkung gegenüber, bei der eine Rückerstattung des Geschenks gewöhnlich nicht in Betracht kommt; und er wagt schließlich einen Vergleich zum Leihvertrag, der nicht auf den Eigentumserwerb des Entleihers, sondern auf die Rückgewähr der entliehenen Sache an den Verleiher gerichtet ist. Während die Abgrenzung zur Schenkung selbstverständlich ist, stellt sich beim Vergleich mit dem Leihvertrag unwillkürlich die Frage, worin denn eigentlich der Unterschied zwischen precarium und commodatum liegen soll. Nur auf den ersten Blick lässt sie sich damit beantworten, dass der Prätor an einen Leihvertrag wechselseitige Klagen von Verleiher und Entleiher knüpft, während er das precarium bloß durch die Einrede 86 Dass sie bis auf die Einleitung ein Produkt der Kompilatoren ist, meint Zamorani, Precario habere, S. 193 ff.

I. Vergleich mit donatio und commodatum

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des fehlerhaften Besitzes und das interdictum de precario sanktioniert. Denn so bleibt offen, warum nicht in jeder Vereinbarung eines precarium zugleich ein commodatum liegt, das beiden Seiten die Möglichkeit zur Klage auf die nach dem Gebot der bona fides geschuldete Leistung des anderen Teils gibt. Verneinen lässt sich dies vielleicht noch mit dem Hinweis auf den Unterschied in der Besitzposition: Während der Entleiher die ihm überlassene Sache nur tatsächlich innehat, ist der Prekarist ihr Besitzer und kann sich einer Störung durch Dritte mit Hilfe eines Interdikts erwehren. Kann man so erklären, dass nicht mit jeder Vereinbarung eines precarium zugleich ein commodatum zustande kommt, scheitert man aber spätestens an der Folgefrage: Warum beschränkt sich das precarium, durch das der Übernehmer der Sache eine stärkere Stellung gegenüber Dritten erlangt, auf eine isolierte Sanktion durch das Rückforderungsrecht, wohingegen ein Entleiher, der die schwächere Besitzposition einnimmt, mit der actio commodati contraria eine Gegenklage erhält, mit der er den Verleiher auf Aufwendungsersatz in Anspruch nehmen kann? Die Alternative einer besitzrechtlich starken, aber schuldrechtlich schwachen und einer besitzrechtlich schwachen, aber schuldrechtlich starken Position ist nicht nur für einen Systematiker unbefriedigend; sie ist auch kein taugliches Modell für den Rechtsverkehr. Anders verhält es sich, wenn man precarium und commodatum verschiedenen Rechtsbereichen zuordnet: Während der Leihvertrag ein schuldrechtliches Überlassungsverhältnis begründet, ist das precarium allein auf die Zuweisung von Besitzschutz gerichtet. In dieser Funktion lässt es sich mit einem Leihvertrag kombinieren und erfährt hier nur die für die Verbindung mit der locatio conductio belegte Modifikation, dass der Prekarist bloße Sachherrschaft, der Geber dagegen die possessio hat.87 Die Verbindung beider Verträge ist möglich, aber nicht zwingend: So wie ein Leihvertrag isoliert abgeschlossen werden kann, kommt auch das precarium als Ergänzung zu anderen Schuldverträgen vor, ohne dass zugleich ein Leihvertrag anzunehmen ist. Welche Bedeutung hat dann aber der von Ulpian angestellte Vergleich? Kann man precarium und commodatum überhaupt nebeneinanderstellen, wenn sie nicht demselben Regelungsbereich angehören? Die Antwort gibt Ulpians vorangehende Bezugnahme auf das ius gentium. Diese Rechtssicht bemüht der Jurist auch in der anschließenden Darstellung der locatio conductio, die nicht in den Digesten, wohl aber in den fragmenta Vindobonensia überliefert ist: Locatum quoque et conductum ius gentium induxit. Nam ex quo coepimus possessiones proprias et res habere, et locandi ius nancti sumus et conducendi res alienas; et is, qui conduxit, iure gentium tenetur ad mercedem exsoluendam. Auch Miete und Pacht sind durch Völkergemeinrecht eingeführt. Denn aus demselben Grund, aus dem wir eigenen Besitz und Sachen innehaben, erwächst auch das Recht, zu vermieten oder zu verpachten und fremde Sachen zu mieten oder zu pach87

s. o. S. 30 f.

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§ 2 Eine besondere Form der liberalitas ten; und derjenige, der etwas übernimmt, haftet nach Völkergemeinrecht für die Zahlung der Vergütung.

So wie ein Mieter oder Pächter nach ius gentium zur Zahlung von Miete oder Pacht als Gegenleistung für die Überlassung des Vertragsobjekts verpflichtet sind, folgt aus dem Völkergemeinrecht, dass beim precarium die Freigiebigkeit des Gebers durch ein Rückforderungsrecht sanktioniert wird: Es erscheint Ulpian als geradezu selbstverständlich, dass derjenige, der einem anderen einen Gegenstand ohne Entgelt überlassen hat, diesen auch wieder zurückfordern kann. Nur diesen Satz will er durch den Vergleich zum commodatum illustrieren. Und er ist auch der Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung zur donatio: Beide Verträge stehen für Varianten der liberalitas, die einmal in ein Rückforderungsrecht mündet, das andere Mal nicht. Damit ist noch nicht gesagt, dass das precarium diesen beiden Verträgen oder einem von ihnen in seiner Struktur ähnlich ist. Es geht allein um das Rückforderungsrecht, das Ulpian für die gleichsam naturgegebene Konsequenz einer unentgeltlichen Überlassung auf Zeit erklärt. Auch wenn diese Ableitung das Wesen des precarium nicht völlig erschöpft,88 ist sie doch keineswegs falsch: Wer sich durch die eigene Bitte um Überlassung auf ein precarium einlässt, stellt sich auf eine Stufe mit Räubern und Dieben. Er ordnet sich dem Geber unter und nimmt hin, dass dieser die Sache einfach und rasch im Wege des Besitzschutzes an sich bringen kann. Da die Sanktion des precarium nur in diesem Herausgaberecht besteht, gibt es keine Gegenrechte für den Prekaristen, der außer der Unterwerfung unter das Besitzrecht des Gebers aber auch keine Verpflichtungen auf sich nimmt. Ist es da nicht nur natürlich, dass der Geber, dem aus dem precarium keine sonstigen Rechte erwachsen, berechtigt ist, die Sache einfach und unkompliziert zurückzuverlangen? Wird das precarium von Ulpian hier auch isoliert in den Blick genommen, enthält seine Darstellung doch keine Aussage über die Einsatzmöglichkeiten dieses Instituts und sein Verhältnis zum Vertragsrecht. Der angestellte Vergleich zum commodatum gibt nicht aus, dass das precarium ebenso wie dieses ein selbständiges Leihverhältnis und damit ein Schuldvertrag oder zumindest schuldvertragsähnlich ist.89 Ulpians Beschreibung lässt durchaus Raum für die Deutung des precarium als rein besitzrechtliches Institut, das nur in Ergänzung eines hiervon getrennten Schuldvertrags zum Einsatz kommt. Dasselbe gilt für andere Darstellungen des precarium, die seiner Beschreibung in Ulpians Institutionen ähnlich sind. Einen Vorläufer hat diese anscheinend im Werk des Hochklassikers Pomponius. Die hieraus stammende Sammlung von Sentenzen, die die Kompilatoren in den Digestentitel 43.26 aufgenommen haben, 88 Biavaschi, Ricerche, S. 307 f. spricht hier in Abwehr älterer Interpolationsvermutungen davon, dass Ulpian, dem Charakter seines Institutionenwerks entsprechend, weniger analytisch als vielmehr didaktisch verfahre. 89 Richtig Biavaschi, Ricerche, S. 312 f.

II. Verhältnis zu actio praescriptis verbis und condictio incerti

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beginnt mit dem Lob der summa aequitas, die dem Rückforderungsanspruch des precario dans innewohne: D 43.26.15pr Pomp 29 Sab Et habet summam aequitatem, ut eatenus quisque nostro utatur, quatenus ei tribuere velimus. Und es ist überaus gerecht, dass jemand unsere Sachen nur insoweit nutzt, als wir es ihm zugestehen wollen.

Die von Ulpian betonte Nähe zur Schenkung ist ferner Gegenstand einer Anspielung in einem schon behandelten Auszug aus dem Sabinuskommentar desselben Juristen90; und sie kommt auch in einer Entscheidung der kaiserlichen Kanzlei von 260 zum Ausdruck, in der die Unwirksamkeit der Freilassung eines bittweise überlassenen Sklaven der Gültigkeit einer manumissio durch einen Beschenkten gegenübergestellt wird: CJ 7.10.4 (a 260) Impp. Valerianus et Gallienus AA. Zoilo. Si non proprietatem donaveras, sed ministerium ancillae dederas, libertatem mancipio dando ea, quae precarium usum haberet, dominio tuo nihil praeiudicavit. nemo enim alienum servum, quamvis ut proprium manumittat, ad libertatem producere potest. Kaiser Valerian und Gallienus an Zoilus. Hast du nicht das Eigentum verschenkt, sondern nur die Dienste einer Sklavin überlassen, beeinträchtigt die Freilassung der Sklaven, deren Nutzung jemand nur bittweise hatte, nicht dein Eigentum. Denn auch wenn er ihn wie einen eigenen freilässt, kann niemand kann einem fremden Sklaven zur Freiheit verhelfen.

Der Zusammenhang mit der Schenkung ist hier wie sonst auch allein dadurch gegeben, dass der Prekarist im Rahmen des precarium selbst keine Verpflichtung übernimmt, der Geber keine Gegenleistung erhält und deshalb zur Rückforderung berechtigt ist. Über diese gleichsam formelle Freigiebigkeit hinaus besteht keine strukturelle Ähnlichkeit zu Schenkung oder Leihe.

II. Verhältnis zu actio praescriptis verbis und condictio incerti Der Vergleich zur Schenkung erscheint noch in einer Ediktslaudation aus Paulus’ Sabinuskommentar, in der das precarium den Schenkungen und Wohltaten zugeordnet und vom Kreis der negotia contracta ausgenommen wird: D 43.26.14 Paul 13 Sab Interdictum de precariis merito introductum est, quia nulla eo nomine iuris civilis actio esset: magis enim ad donationes et beneficii causam, quam ad negotii contracti spectat precarii condicio. Das Interdikt über die bittweise Überlassung ist deshalb zu Recht eingeführt worden, weil aus diesem Grund keine zivilrechtliche Klage gegeben ist; denn das Verhältnis 90

D 7.1.12.2 Ulp 17 Sab; s. o. S. 28.

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§ 2 Eine besondere Form der liberalitas der bittweisen Überlassung gehört eher zu den Schenkungen und Gefälligkeiten als zu den Verträgen.

Obwohl Paulus das precarium hier ebenso wie Ulpian durch die liberalitas des Gebers charakterisiert sieht, stellt er doch anders als jener klar, dass es sich nicht selbst um einen Schuldvertrag oder eine schuldvertragsähnliche Vereinbarung handelt, aus der eine actio civilis erwüchse. Nur scheinbar gegensätzlich ist die Ediktslaudation, die in Ulpians Kommentar auf den Text der Verheißung des interdictum de precario folgt: D 43.26.2.2 Ulp 71 ed Et naturalem habet in se aequitatem, namque precarium revocare volenti competit: est enim natura aequum tamdiu te liberalitate mea uti, quamdiu ego velim, et ut possim revocare, cum mutavero voluntatem. itaque cum quid precario rogatum est, non solum hoc interdicto uti possumus, sed etiam praescriptis verbis actione, quae ex bona fide oritur. Und dem Interdikt wohnt natürliche Gerechtigkeit inne, denn es steht demjenigen, der eine bittweise Überlassung widerrufen will, zu, dies zu tun; es ist nämlich selbstverständlich gerecht, dass du etwas aufgrund meiner Freigiebigkeit so lange nutzen kannst, wie ich dies will, und dass ich widerrufen kann, wenn ich meinen Willen ändere. Daher können wir, wenn um die bittweise Überlassung einer Sache ersucht worden ist, uns nicht nur dieses Interdikts bedienen, sondern auch der Klage mit vorgeschriebener Formel, die dem Gebot der guten Treue entspringt.

Statt des ius gentium bemüht Ulpian an dieser Stelle die naturalis aequitas, um auszudrücken, dass sich das Rückforderungsrecht des Gebers von selbst versteht; er führt es aber ebenfalls auf dessen liberalitas zurück, die auch Paulus zu einer Zuordnung zum Kreis der freigiebigen Vereinbarungen veranlasst.91 Während dieser dem precarium aber die Eignung zur Sanktion durch eine actio civilis ausdrücklich abspricht, will Ulpian eine actio praescriptis verbis gewähren, die eine Verurteilung nach dem Gebot der guten Treue zeitigt.92 Knüpft die actio praescriptis verbis auch an denselben Lebenssachverhalt wie das interdictum de precario an, bedeutet dies doch noch nicht, dass sie auch Teil von dessen Regime ist. Näher liegt, in ihr eine Parallelerscheinung zu den Verträgen zu sehen, deren Ergänzung das precarium ansonsten dient: Ist es zur Verstärkung einer Kreditsicherheit an einen Kaufvertrag, eine fiducia oder an einen Pfandvertrag angehängt oder zur erleichterten Durchsetzung von locatio conduc91 Für die sogar von Kaser, SZ 89 (1972) 94, 121 f. geäußerten Echtheitszweifel an dem Paulusfragment besteht daher kein Anlass. 92 Dementsprechend sieht Biavaschi, Ricerche, S. 288 in diesem Punkt auch eine Klassikerkontroverse dokumentiert. Dagegen hält Kaser, SZ 89 (1972) 94, 122 die actio praescriptis verbis für das Produkt einer nachklassischen Weiterbildung des precarium; und Levy, SZ 66 (1948) 1, 7 schreibt sie einer auf Justinian zurückgehenden Integration des precarium in das Klagensystem zu. Eine entsprechende Interpolationsvermutung stellt auch Zamorani, Precario habere, S. 201 f., 242 auf.

II. Verhältnis zu actio praescriptis verbis und condictio incerti

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tio oder commodatum eingesetzt, gibt es jeweils ebenfalls einen vertraglichen Rückgewähranspruch, der mit dem Interdikt konkurriert. Nichts anderes darf gelten, wenn es an einem solchen Vertrag fehlt, insbesondere weil eine wirklich getroffene Vereinbarung, wie etwa die locatio nummo uno, an einem Wirksamkeitshindernis scheitert93. Da auch hier gilt, dass die bittweise überlassene Sache dem Prekaristen nicht unbedingt, sondern nur vorübergehend zustehen soll, bietet sich an, einen vertraglichen Auffanganspruch in Gestalt der actio praescriptis verbis zu gewähren. Wie in den Fällen der datio ob rem, in denen die Klage ansonsten zum Einsatz kommt,94 geht es auch bei einem zufällig isolierten precarium darum, eine ungerechtfertigte Bereicherung desjenigen zu vermeiden, dem ein Gegenstand nur auf Zeit zugestanden wird. Dementsprechend nennt Julian die Klage, die mangels Existenz oder Wirksamkeit eines gewöhnlichen Schuldvertrags gewährt wird, auch condictio incerti:95 D 43.26.19.2 Iul 49 dig Cum quid precario rogatum est, non solum interdicto uti possumus, sed et incerti condictione, id est praescriptis verbis. Ist um die bittweise Überlassung einer Sache erbeten worden, kann man sich nicht nur des Edikts bedienen, sondern auch einer Kondiktion, die auf einen unbestimmten Gegenstand gerichtet ist, also einer Klage mit vorgeschriebener Formel.

Als allgemeine Aussage wäre die hier vorgenommene Gleichsetzung mit der actio praescriptis verbis irreführend, weil diese im Gegensatz zur condictio gewöhnlich auf das Interesse an einer Gegenleistung gerichtet ist. Beim precarium verhält es sich ausnahmsweise anders: Besteht keine weitergehende Vereinbarung der Parteien, kann der schuldrechtliche Anspruch des Gebers mangels Bestimmung einer Gegenleistung nur auf Rückgewähr der überlassenen Sache gerichtet sein. Damit hat er zwangsläufig denselben Gegenstand wie das interdictum de precario und eine Kondiktion.96 Ist die Konstellation, dass es an einem wirksamen Schuldvertrag zwischen Prekarist und Geber fehlt, auch selten und die Erwägung der actio praescriptis verbis daher eher theoretischer Natur, bewirkt sie doch, dass das precarium auch hier als Verstärkung eines vertraglichen oder immerhin quasivertraglichen Herausgabeanspruchs dient. Und sie stellt zugleich nicht Paulus’ Beobachtung in Frage, dass das precarium, für sich genommen, kein negotium contractum ist. 93

s. o. S. 32. Vgl. D 19.5.5pr, 1 Paul 5 quaest. 95 Für interpoliert hält die Erwähnung dieser Klage Michel, Gratuité, S. 141 und Zamorani, Precario habere, S. 242. Dagegen stört sich Biavaschi, Ricerche, S. 141 f., 317 nur an der zusätzlichen Bezeichnung als actio praescriptis verbis, in der auch Kaser, SZ 89 (1972) 94, 122 f. den Ausdruck einer nachklassischen Fortbildung des precarium zum Innominatrealkontrakt erkennt. 96 Kommt auch das precarium nicht zustande, wird eine funktionsäquivalente actio in factum gewährt; vgl. D 43.26.8pr Ulp 71 ed; s. u. S. 55 f. 94

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§ 2 Eine besondere Form der liberalitas

Daher spricht Ulpian, wenn er sich mit der Aktivlegitimation zur Diebstahlsklage befasst, auch ebenso wie Paulus davon, dass es an einer civilis actio fehle, weil das precarium insofern der Schenkung ähnlich sei: D 47.2.14.11 Ulp 29 Sab Is qui precario servum rogaverat subrepto eo potest quaeri an habeat furti actionem. et cum non est contra eum civilis actio (quia simile donato precarium est) ideoque et interdictum necessarium visum est, non habebit furti actionem. plane post interdictum redditum puto eum etiam culpam praestare et ideo et furti agere posse. Man kann die Frage stellen, ob derjenige, der bittweise um die Überlassung eines Sklaven ersucht hat, nach dessen Entwendung die Diebstahlsklage hat. Und da gegen ihn keine zivilrechtliche Klage gewährt wird (weil die bittweise Überlassung der Schenkung ähnlich ist) und deshalb das Interdikt notwendig erscheint, hat er nicht die Diebstahlsklage. Ich glaube freilich, dass er nach dem Erlass des Interdikts auch für Verschulden einzustehen hat und daher die Diebstahlsklage erheben kann.

III. Die Vorsatzhaftung des Prekaristen Ulpian versagt dem Prekaristen die Diebstahlsklage, weil dieser seinerseits keiner Haftung gegenüber dem Geber ausgesetzt ist und deshalb kein Interesse an der Vermeidung des furtum hat. Dabei geht er von der Formel des interdictum de precario aus. Danach ist nur haftbar, wer die überlassene Sache noch inneoder arglistig bewirkt hat, dass er nicht mehr über sie verfügt. Diese alternative Anknüpfung entspricht dem besitzschützenden Charakter des Interdikts, das grundsätzlich nur auf die Zuweisung des umstrittenen Objekts und bloß ausnahmsweise auch gegen denjenigen gerichtet ist, der wegen seiner Arglist das Recht verwirkt hat, sich auf den Verlust des Sachbesitzes zu berufen. Die sich hieraus ergebende Beschränkung der Haftung auf Vorsatz unterscheidet das precarium diametral vom commodatum, bei dem der Entleiher sogar für custodia einzustehen hat; und sie entspricht der Rechtslage beim depositum, das den Verwahrer ebenfalls nur wegen seines Vorsatzes haftbar macht: Gai 3.205–207 Item si fullo polienda curandave aut sarcinator sarcienda vestimenta mercede certa acceperit eaque furto amiserit, ipse furti habet actionem, non dominus, quia domini nihil interest ea non periisse, cum iudicio locati a fullone aut sarcinatore suum consequi possit, si modo is fullo aut sarcinator rei praestandae sufficiat: nam si solvendo non est, tunc quia ab eo dominus suum consequi non potest, ipsi furti actio conpetit, quia hoc casu ipsius interest rem salvam esse. (206) quae de fullone aut sarcinatore diximus, eadem transferemus et ad eum, cui rem commodavimus: nam ut illi mercedem capiendo custodiam praestant, ita hic quoque utendi commodum percipiendo similiter necesse habet custodiam praestare. (207) Sed is, apud quem res deposita est, custodiam non praestat tantumque in eo obnoxius est, si quid ipse dolo malo fecerit; qua de causa si res ei subrepta fuerit, quia restituendae eius nomine depositi non tenetur nec ob id eius interest rem salvam esse, furti itaque agere non potest, sed ea actio domino conpetit.

III. Die Vorsatzhaftung des Prekaristen

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Auch dem Walker, der gegen bestimmten Lohn Kleider zum Reinigen oder Pflegen erhalten hat, oder dem Schneider, der Kleider zum Ausbessern bekommen hat, steht, wenn sie sie durch einen Diebstahl verloren haben, die Diebstahlsklage zu, nicht dem Eigentümer, weil es nicht sein Interesse ist, dass sie nicht verlorengegangen wären, da er mit seiner Klage aus dem Werkvertrag von dem Walker oder Schneider das ihm Gebührende einfordern kann, wenn der Walker oder der Schneider hinreichend zahlungsfähig sind; denn wenn sie nicht zahlungsfähig sind, dann steht, da der Eigentümer von ihnen das ihm Gebührende nicht erlangen kann, ihm selbst die Diebstahlsklage zu, weil er in diesem Fall selbst ein Interesse daran hat, dass die Sache erhalten geblieben wäre. (206) Was wir vom Walker und Schneider gesagt haben, können wir übertragen auf den, dem wir eine Sache geliehen haben. Denn wie jene die Bewachung schulden, während sie ihren Lohn verdienen, so muss dieser ebenfalls für die Bewachung einstehen, weil er seinen Nutzen aus dem Gebrauch zieht. (207) Aber derjenige, bei dem eine Sache in Verwahrung gegeben worden ist, schuldet keine Bewachung und ist nur insoweit haftbar, als er selbst etwas arglistig begangen hat; deshalb kann er, wenn ihm die Sache gestohlen wird, weil er wegen ihrer Rückgewähr nicht mit der Verwahrungsklage haftet und deshalb kein Interesse daran hat, dass die Sache erhalten geblieben wäre, nicht mit der Diebstahlsklage klagen, sondern diese Klage steht dem Eigentümer zu.

Wäre das precarium ein dem commodatum vergleichbares Leihverhältnis, gäbe es keinen Grund, dem Prekaristen nicht ebenso wie einem Entleiher eine Haftung für custodia aufzubürden und ihn folglich auch für aktivlegitimiert zu halten, um gegen einen Dieb vorzugehen. Dass seine Haftung gegenüber dem Geber nicht einer actio, sondern einem Interdikt entspringt, wäre hierfür kein Hindernis; denn in dem Fall, dass sich der Diebstahl nach dem Erlass des interdictum de precario ereignet, soll der Prekarist ja, wie Ulpian in D 47.2.14.11 ausdrücklich feststellt, durchaus zur Erhebung der Diebstahlsklage befugt sein, weil er ab diesem Moment seinerseits dem Geber für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen hat. Dass die Haftung aus dem Interdikt auch im Übrigen dem bei Verträgen etablierten Haftungsregime folgt,97 zeigt sich ferner daran, dass die Vorsatzhaftung des Prekaristen nicht nur für die Aufgabe des Gegenstands, sondern auch für seine Verschlechterung gelten soll, wie sie insbesondere durch den Verlust einer Dienstbarkeit eintritt, die dem bittweise überlassenen Grundstück geschuldet ist: D 43.26.8.5 Ulp 71 ed Si servitute usus non fuit is qui precario rogavit ac per hoc amissa sit, videamus, an interdicto teneatur. ego arbitror non alias, quam si dolo fecerit. Hat derjenige, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, keinen Gebrauch von einer Dienstbarkeit gemacht und ist sie deshalb verlorengegangen, müssen wir zusehen, ob er mit dem Interdikt haftet. Ich glaube, dass er nur dann haftet, wenn er vorsätzlich gehandelt hat.

97 Zamorani, Precario habere, S. 211 ff. schreibt dies erst dem byzantinischen Recht zu.

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§ 2 Eine besondere Form der liberalitas

Zudem will Ulpian sogar die Grundsätze der Verzugshaftung zur Anwendung bringen,98 indem er den Prekaristen ab dem Moment, in dem das Interdikt erlassen wird, auch für einen zufälligen Untergang oder eine zufällige Verschlechterung des Gegenstands einstehen lässt:99 D 43.26.8.6 Ulp 71 ed Et generaliter erit dicendum in restitutionem venire dolum et culpam latam dumtaxat, cetera non venire. plane post interdictum editum oportebit et dolum et culpam et omnem causam venire: nam ubi moram quis fecit precario, omnem causam debebit constituere. Und allgemein ist zu sagen, dass bei der Rückgewähr nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit berücksichtigt wird, anderes nicht. Nach dem Erlass des Interdikts muss freilich sowohl Vorsatz als auch Fahrlässigkeit sowie jeder Zufall berücksichtigt werden; denn wenn jemand bei der bittweisen Überlassung in Verzug gerät, muss über jeden Zufall entschieden werden.

Auch die hier zugleich befürwortete Ausdehnung der Vorsatzhaftung auf grobe Fahrlässigkeit entspricht ganz dem Muster der vertraglichen Haftung.100 Hier hat sich nämlich nach und nach der von Celsus für das depositum entwickelte Gedanke durchgesetzt, dass die Vernachlässigung eines Mindeststandards von Sorgfalt dem Vorsatz zuzurechnen ist, weil sie auf der bewussten Entscheidung zu einer schlechteren Behandlung fremder Sachen beruht.101 Mit dem depositum zusammengestellt finden wir das precarium auch in Ulpians bekannter Auflistung der vertraglichen Haftungsmaßstäbe:102 D 50.17.23 Ulp 29 Sab Contractus quidam dolum malum dumtaxat recipiunt, quidam et dolum et culpam. dolum tantum: depositum et precarium. dolum et culpam mandatum, commodatum, venditum, pignori acceptum, locatum, item dotis datio, tutelae, negotia gesta: in his quidem et diligentiam. societas et rerum communio et dolum et culpam recipit. . . .

98 Hierzu Harke (Fn. 19), S. 14 ff. Es ist offen, ob Ulpian hier eine unbedingte Zufallshaftung meint, wie sie Julian in D 43.16.1.35 Ulp 69 ed für das interdictum unde vi zu bejahen scheint. Dann wäre der Prekarist dem Geber auch dann einstandspflichtig, wenn der Untergang oder die Verschlechterung der Sache auch bei ordnungsgemäßem Verhalten des Prekaristen zum Nachteil des Gebers ausgefallen wäre. Denkbar ist auch eine bedingte Zufallshaftung, die nur dann eingriffe, wenn das Fehlverhalten des Prekaristen für den Schaden des Gebers ursächlich wäre; von einer solchen Haftung geht Ulpian bei den interdicta unde vi und quod vi aut clam aus; vgl. D 4.2.14.11 Ulp 11 ed. 99 Dass diese Lösung erst auf die Kompilatoren zurückgeht, glaubt Biavaschi, Ricerche, S. 341. 100 Daher auch der Interpolationsverdacht von Zamorani, Precario habere, S. 215 f. 101 Vgl. D 16.3.32 Cels 11 dig, D 44.7.1.5 Gai 2 aur und hierzu Harke, Freigiebigkeit und Haftung, Würzburg 2006, S. 16 ff. 102 Für unklassisch halten die Erwähnung des precarium hier nicht nur Silva, SDHI 6 (1940) 233, 270 ff., Levy, SZ 66 (1948) 1, 7 und Zamorani, Precario habere, S. 216 f., sondern sogar noch Kaser, SZ 89 (1972) 94, 123, 146 und Biavaschi, Ricerche, S. 340.

III. Die Vorsatzhaftung des Prekaristen

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Manche Verträge begründen nur eine Haftung für Vorsatz, manche für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Nur Vorsatz: Verwahrung und bittweise Überlassung. Vorsatz und Fahrlässigkeit: Auftrag, Leihe, Kaufvertrag, Verpfändung, Mietvertrag, ferner Mitgiftbestellung, Vormundschaft und Geschäftsführung: bei diesen ist auch eine Haftung für Sorgfalt begründet. Die Gesellschaft und Eigentümergemeinschaft begründen eine Haftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit. . . .

Die Gleichordnung beider Verträge verwundert zunächst, weil die Rollen des freigiebigen und des begünstigten Teils umgekehrt verteilt sind: Während das precarium durch die liberalitas des Gebers gekennzeichnet sein soll, ist es beim depositum der Verwahrer, der als Sachübernehmer unentgeltlich für den anderen tätig wird. Nach dem schon von Afrikan formulierten Utilitätsprinzip103 müssten die Haftungsverhältnisse also gerade entgegengesetzt sein; denn es wirkt bei unentgeltlichen Verträgen nur zugunsten desjenigen Partners, der sich im Interesse des anderen auf die Vereinbarung eingelassen hat und deshalb in den Genuss eines Haftungsprivilegs kommt: D 30.108.12 Afr 5 quaest Cum quid tibi legatum fideive tuae commissum sit, ut mihi restituas, si quidem nihil praeterea ex testamento capias, dolum malum dumtaxat in exigendo eo legato, alioquin etiam culpam te mihi praestare debere existimavit: sicut in contractibus fidei bonae servatur, ut, si quidem utriusque contrahentis commodum versetur, etiam culpa, sin unius solius, dolus malus tantummodo praestetur. Er glaubt, dass, wenn jemand dir etwas vermacht und dir aufgegeben hat, dass du es mir herausgibst, du und erhältst sonst nichts aus dem Testament erhältst, du nur für Vorsatz bei der Einziehung des Vermächtnisses, andernfalls mir auch für Fahrlässigkeit einstehen müssest, und zwar so, wie es auch bei den Verträgen auf gute Treue beachtet wird, nämlich dass zwar auch für Fahrlässigkeit eingestanden wird, wenn der Vertrag für beide Vertragspartner von Nutzen ist, für Vorsatz dagegen nur, wenn er nur für einen von Nutzen ist.

Auf dieses Utilitätsprinzip führt Ulpian denn auch sowohl die beschränkte Haftung eines Verwahrers als auch die umfassende Verantwortlichkeit des Entleihers zurück: D 13.6.5.2–3 Ulp 28 ed Nunc videndum est, quid veniat in commodati actione, utrum dolus an et culpa an vero et omne periculum. et quidem in contractibus interdum dolum solum, interdum et culpam praestamus: dolum in deposito: nam quia nulla utilitas eius versatur apud quem deponitur, merito dolus praestatur solus: nisi forte [et merces accessit (tunc enim, ut est et constitutum, etiam culpa exhibetur) aut si] hoc ab initio convenit, ut et culpam et periculum praestet is penes quem deponitur. sed ubi utriusque utilitas vertitur, ut in empto, ut in locato, ut in dote, ut in pignore, ut in societate, et dolus et culpa praestatur. (3) Commodatum autem plerumque solam utilitatem continet eius cui commodatur, et ideo verior est Quinti Mucii sententia existimantis et culpam praestandam et diligentiam et, si forte res aestimata data sit, omne periculum praestandum ab eo, qui aestimationem se praestaturum recepit. 103

Hierzu Harke (Fn. 101), S. 20 ff.

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§ 2 Eine besondere Form der liberalitas Man muss nun zusehen, was zum Gegenstand der Leihklage wird, entweder Vorsatz oder auch Fahrlässigkeit oder auch jeder Zufall. Wir haben nämlich bei Verträgen zuweilen nur für Vorsatz, zuweilen auch für Fahrlässigkeit einzustehen: nur für Vorsatz bei der Verwahrung; denn weil der Verwahrer hiervon keinen Nutzen hat, hat er zu Recht nur für seinen Vorsatz einzustehen, falls nicht auch [eine Vergütung hinzukommt (dann nämlich ist, wie durch kaiserliche Entscheidung befunden, auch für Fahrlässigkeit einzustehen) oder] von vornherein vereinbart ist, dass der Verwahrer auch für Fahrlässigkeit und Zufall einzustehen hat. Dient etwas aber dem Nutzen beider Seiten, wie beim Kaufvertrag, bei der Verdingung, bei der Mitgift, beim Pfandrecht oder bei der Gesellschaft, ist sowohl für Vorsatz als auch für Fahrlässigkeit einzustehen. (3) Aber ein Leihvertrag dient gewöhnlich nur dem Nutzen des Entleihers, und deshalb ist die Ansicht von Quintus Mucius richtiger, der glaubt, dass sowohl für Fahrlässigkeit als auch für Sorgfalt einzustehen sei und, wenn etwa eine Sache zum Schätzwert gegeben worden sei, für jeden Zufall von demjenigen einzustehen sei, der die Leistung des Schätzwertes übernommen hat.

Und der Autor der aurea genannten Neufassung von Gaius’ Institutionenlehrbuch ergänzt, dass derjenige, der seine Sache einem nachlässigen Verwahrer anvertraut habe, sich einen hieraus entstehenden Schaden selbst zuzuschreiben habe: D 44.7.1.5 Gai 2 aur Is quoque, apud quem rem aliquam deponimus, re nobis tenetur: qui et ipse de ea re quam acceperit restituenda tenetur. sed is etiamsi neglegenter rem custoditam amiserit, securus est: quia enim non sua gratia accipit, sed eius a quo accipit, in eo solo tenetur, si quid dolo perierit: neglegentiae vero nomine ideo non tenetur, quia qui neglegenti amico rem custodiendam committit, de se queri debet. magnam tamen neglegentiam placuit in doli crimine cadere. Derjenige aber, bei dem wir eine Sache niederlegen, haftet wegen dieser Sache; und er haftet für die Rückgabe der Sache, die er erhalten hat. Aber wenn er die nachlässig bewachte Sache verloren hat, ist er sicher; da er sie nicht in seinem, sondern in dem Interesse desjenigen erhalten hat, von dem er sie erhalten hat, haftet er nur insoweit, als sie infolge seiner Arglist untergegangen ist; wegen seiner Nachlässigkeit haftet er nicht, weil derjenige, der einem nachlässigen Freund eine Sache zur Bewachung überlässt, sich bei sich selbst beklagen muss. Schwere Nachlässigkeit fällt aber anerkanntermaßen unter den Vorwurf der Arglist.

Dasselbe Argument finden wir bei Ulpian angedeutet, hier aber auf das precarium und die liberalitas des Gebers bezogen und damit inhaltlich verkehrt:104 D 43.26.8.3 Ulp 71 ed Eum quoque precario teneri voluit praetor, qui dolo fecit, ut habere desineret. illud adnotatur, quod culpam non praestat is qui precario rogavit, sed solum dolum praestat, quamquam is, qui commodatum suscepit, non tantum dolum, sed etiam culpam praestat. nec immerito dolum solum praestat is qui precario rogavit, cum totum ex 104 Auf den Gleichlauf zu D 50.17.23, was die Einordnung in das Schema der vertraglichen Haftung anbelangt, weist Tafaro, Regula e ius antiquum in D. 50.17.23, Bari 1984, S. 287 f. hin. Für interpoliert erklärt den Text Zamorani, Precario habere, S. 213.

III. Die Vorsatzhaftung des Prekaristen

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liberalitate descendat eius qui precario concessit et satis sit, si dolus tantum praestetur. culpam tamen dolo proximam contineri quis merito dixerit. Der Prätor will, dass auch derjenige wegen bittweiser Überlassung haftet, der vorsätzlich bewirkt hat, dass er die Sache nicht mehr innehat. Festzuhalten ist, dass derjenige, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, nicht für Fahrlässigkeit einzustehen hat, sondern nur für Vorsatz, obwohl derjenige, der etwas geliehen hat, nicht nur für Vorsatz, sondern auch für Fahrlässigkeit einzustehen hat. Und nicht zu Unrecht hat derjenige, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, nur für Vorsatz einzustehen, da das gesamte Verhältnis auf der Freigiebigkeit desjenigen beruht, der etwas bittweise zugestanden hat, und es genügt, wenn nur für Vorsatz eingestanden wird. Man könnte jedoch zu Recht sagen, dass auch die Fahrlässigkeit, die dem Vorsatz nahesteht, einbegriffen sei.

Die Beschränkung der Verantwortlichkeit des Prekaristen auf seinen Vorsatz soll sich gerade daraus ergeben, dass das gesamte Verhältnis auf der liberalitas des Gebers aufbaut: Während der uneigennützig handelnde Teil beim depositum erwarten darf, dass sein Vertragspartner leichtere Nachlässigkeiten hinnimmt, soll die liberalitas des precario dans stattdessen den Grund dafür liefern, dass er vom Prekaristen keine besondere Sorgfalt fordern kann. Indem er sich freiwillig auf die bittweise Überlassung einlässt, akzeptiert der Geber nach Ulpians Ansicht auch etwaige Nachlässigkeiten des Prekaristen. Dieselbe Erwägung ließe sich auch bei der Verwahrung und beim commodatum anstellen, wo jedoch, wie Ulpian ausdrücklich feststellt, ein anderes Regime gilt. Hieran zeigt sich, dass die das precarium kennzeichnende liberalitas nicht das Gegenstück zu der bei den Schuldverträgen beobachteten utilitas ist. Die Freigiebigkeit des precario dans dient ausschließlich der Rechtfertigung eines erleichterten Besitzschutzes und ist damit gewissermaßen formal. Sie bezieht sich allein auf die Besitzlage und wird damit unabhängig vom Nutzen des Rechtsverhältnisses bestimmt, das durch das precarium ergänzt wird. Betrachtet man es vor dem Hintergrund dieses Rechtsverhältnisses, liegt das precarium gerade nicht im Interesse des Prekaristen, sondern wirkt allein zum Vorteil des Gebers, weshalb sich dieser eine eingeschränkte Haftung seines Partners gefallen lassen muss. Auch die durch das precarium ergänzte Vertragsbeziehung muss keineswegs im Interesse des Prekaristen liegen: Nicht nur bei einem Miet- oder Pachtvertrag liegt infolge des Austauschzwecks ein beiderseitiger Vertragsnutzen vor; auch die durch das precarium geschützten Kreditsicherheiten kommen, wie Ulpian in D 13.6.5.2 für das pignus ausdrücklich feststellt, sowohl dem Gläubiger als auch dem Schuldner der gesicherten Forderung zugute. Dasselbe gilt vermutlich für die Mehrheit der Fälle, in denen eine Grundstücksnutzung vom Inhaber einer entgegenstehenden Dienstbarkeit oder dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks bittweise zugestanden wird.105 Nur wenn dies ausnahmsweise unentgeltlich er105

s. o. S. 26 ff.

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§ 2 Eine besondere Form der liberalitas

folgt oder das precarium dazu eingesetzt werden sollte, die Rechtsposition des Verleihers beim commodatum zu begleiten, dient die Beziehung, insgesamt gesehen, dem Interesse des Prekaristen. Die Vereinbarung des precarium selbst wirkt aber stets gegen ihn und für den Geber.

IV. Ergebnis Die theoretischen Äußerungen der römischen Juristen, in denen sie das precarium mit der Schenkung oder dem Leihvertrag zusammenstellen und es auf die liberalitas des Gebers zurückführen, tragen keine Zuordnung zu den Schuldverträgen oder schuldvertragsähnlichen Vereinbarungen. Der Rekurs auf die Freigiebigkeit des Gebers dient bloß der formalen Rechtfertigung seines Rückforderungsrechts, das die einzige Rechtsfolge des precarium und damit ganz selbstverständlich, also auch nach Völkergemeinrecht und zur Gewährleistung der naturalis aequitas erforderlich ist. Sie ändert nichts daran, dass das precarium ein Besitzvertrag und damit von ganz anderer Struktur als freigiebige Schuldverträge ist. Erschöpft sich die Wirkung des precarium als Besitzvertrag auch im Rückforderungsrecht des Gebers, kann es doch mit einer actio praescriptis verbis oder einer condictio einhergehen. Diese entspringen aber nicht dem precarium selbst, sondern ersetzen die Schuldbeziehung, zu deren Ergänzung das Bittverhältnis gewöhnlich dient. Daher bleibt trotz dieser Klagen wahr, dass das precarium kein Schuldvertrag ist und neben dem Interdikt keine zivilrechtliche Klage begründet. Das durch precarium ergänzte Schuldverhältnis liegt nur, wenn es ein Leihvertrag oder leihähnlich ist, im alleinigen Interesse des Prekaristen. In den Fällen, in denen die Sachüberlassung oder Nutzungsgestattung entgeltlich erfolgt, besteht ebenso wie bei den Kreditsicherheiten ein gemeinsames Interesse beider Parteien, die einen Leistungsaustausch vornehmen oder ein Darlehen absichern wollen. Das precarium selbst liegt stets ausschließlich im Interesse des Gebers, der auf diese Weise seine Rechtsstellung besitzrechtlich absichert. Dementsprechend zeitigt das precarium entgegen dem bei Schuldverträgen geltenden Utilitätsprinzip auch lediglich eine Vorsatzhaftung des Prekaristen. Ist dieser nachlässig, hat der Geber dies jedenfalls auf besitzrechtlicher Ebene akzeptiert und darf keine zusätzliche Haftung aufgrund des nur in seinem Interesse vereinbarten precarium erwarten.

§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache Ist das precarium ein Besitzvertrag, mit dem sich jemand durch seine Bitte dem anderen unterwirft und in die Position eines Räubers oder Diebs begibt, besteht ein Widerspruch zwischen Begründungsmodus und Gegenstand der Vereinbarung: Ihr Ziel ist ein tatsächlicher Zustand, wie er sonst durch ein Delikt, nämlich die gewaltsame oder heimliche Entwendung einer Sache, eintritt; die Art und Weise, wie dieser Zustand hergestellt wird, entspricht dagegen einem Rechtsgeschäft. Der hierin angelegte Konflikt von tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Elementen des precarium ist der Auslöser für eine Reihe von Eigenheiten und Streitpunkten, die in der heute geführten Diskussion über die Frage nachklingen, ob die Vereinbarung Vertragsnatur hat oder nicht. Während man diese früher eher verneint106 und auf dieser Basis umfangreiche Interpolationsvermutung angestellt hat, erkennt man seit Kaser im klassischen Recht immerhin Ansätze für Anerkennung des precarium als vertragsähnliches Leihverhältnis.107 Diese Tendenz soll zwar bereits für die fehlende Pönalität des interdictum de precario verantwortlich, aber erst in nachklassischer Zeit soweit gediehen sein, dass man das precarium als Innominatrealkontrakt angesehen habe.108 Zwar bedarf es bei Unterstellung einer solchen Entwicklung nicht der ausufernden Textkritik, auf die sich die These von der faktischen Natur des precarium stützen muss. Ganz ohne Interpolationsvermutung kommt man freilich nicht aus; denn man ist, um den Gegensatz in Quellen mit einer zeitlichen Entwicklung zu erklären, gezwungen, einzelne Äußerungen der Nachklassik zuzuschreiben. Jegliche Interpolationsannahme erübrigt sich dagegen, wenn man die Ursache in dem inneren Widerspruch sucht, in dem Tatbestand und Folge der Vereinbarung eines precarium stehen.

I. Das Besitzerfordernis Dass die Vereinbarung eines precarium auf das Zugeständnis eines unrechtmäßigen Besitzstatus gerichtet ist, schließt zunächst einmal aus, dass der Vertrag durch bloßen Konsens zustande kommt. Damit die Vereinbarung Wirkung zeitigen kann, bedarf es vielmehr ebenso wie bei den Realverträgen eines Besitzerwerbs. Dieser muss freilich nicht durch Begründung regelrechten Sachbesitzes erfolgen, sondern kann sich, wenn es um die bittweise Einräumung einer Nut106 107 108

Vgl. etwa Michel, Gratuité, S. 197. Kaser, SZ 89 (1972) 94, 122 f., 146 und Biavaschi, Ricerche, S. 354 ff. Kaser, SZ 89 (1972) 94, 99, 122.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

zungsbefugnis geht, im übertragenen Sinne durch Erwerb einer possessio iuris vollziehen:109 D 43.26.2.3 Ulp 71 ed Habere precario videtur, qui possessionem vel corporis vel iuris adeptus est ex hac solummodo causa, quod preces adhibuit et impetravit, ut sibi possidere aut uti liceat: ... Als bittweiser Inhaber ist anzusehen, wer den Besitz einer Sache oder eines Rechts nur deshalb erlangt hat, weil er hierum gebeten und erreicht hat, dass ihm Besitz und Nutzung gestattet werden: . . .

Der Besitz des Prekaristen muss ferner nicht erst infolge der Vereinbarung und durch den Geber verschafft werden. Auch wenn er schon vorher besteht, kann ein precarium durch spätere Vereinbarung zwischen Geber und Prekarist begründet werden:110 D 43.26.18 Iul 13 dig Unusquisque potest rem suam, quamvis non possideat, precario dare ei qui possideat. Jeder kann seine Sache, obwohl er sie nicht besitzt, demjenigen bittweise überlassen, der sie besitzt.

Dass die Vereinbarung eines precarium und die so verabredete Überlassung auseinanderfallen können, demonstriert Ulpian am Fall eines Gewaltunterworfenen, der selbst um die Überlassung ersucht, aber so nur seinen Gewalthaber zum Prekaristen machen kann; denn dieser ist allein in der Lage, die überlassene Sache auch zu besitzen: D 43.26.4.2 Ulp 71 ed Tenetur hoc interdicto non utique ille, qui precario rogavit, sed qui precario habet: etenim fieri potest, ut quis non rogaverit, sed habeat precario. ut puta servus meus rogavit: mihi adquisiit precarium: vel quis alius, qui iuri meo subiectus est. Aufgrund dieses Interdikts haftet jedenfalls nicht schon derjenige, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, sondern wer etwas bittweise innehat, weshalb es vorkommt, dass jemand nicht darum ersucht, aber etwas bittweise innehat. Wie zum Beispiel mein Sklave, wenn er das Gesuch gestellt hat, mir die bittweise Überlassung erwirbt, oder irgendein anderer, der meiner Gewalt untersteht.

Treffender als dieses Beispiel, das wegen der Drittwirkung von Rechtsgeschäften Gewaltunterworfener für den pater familias den Fokus gerade nicht auf das Besitzelement richtet, ist die Dreieckskonstellation, mit der sich Ulpian im weiteren Verlauf seines Ediktskommentars beschäftigt:

109 Gegen Echtheitsbedenken verteidigt diesen Text Biavaschi, Ricerche, S. 323 f., die als Beispiel einer possessio iuris den Fall des tignum immissum anführt. 110 Biavaschi, Ricerche, S. 153 nimmt aufgrund des palingenetischen Zusammenhangs an, diese Aussage habe sich ursprünglich auf die bittweise Überlassung einer in fiducia gegebenen Sache bezogen.

I. Das Besitzerfordernis

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D 43.26.8pr. Ulp 71 ed Quaesitum est, si Titius me rogaverit, ut re Sempronii utatur, deinde ego Sempronium rogavero, ut concederet, et ille, dum mihi vult praestitum, concesserit. Titius a me habet precario et ego cum eo agam interdicto de precario: Sempronius autem non aget cum eo, quia haec verba ,ab illo precario habes‘ ostendunt ei demum competere interdictum, a quo quis precario rogavit, non cuius res est, an tamen Sempronius mecum, quasi a me rogatus, interdictum habeat? et magis est, ne habeat, quia non habeo precario, cum non mihi, sed alii impetravi. mandati tamen actionem potest adversus me habere, quia me mandante dedit tibi: aut si quis dixerit non mandatu meo, sed magis mihi credentem hoc fecisse, dicendum est in factum dandam actionem et adversus me. Es ist nach dem Fall gefragt worden, dass Titius mich darum ersucht, eine Sache des Sempronius zu nutzen, ich danach Sempronius darum ersucht habe, dass er sie überlässt, und jener sie, da er sie mir zukommen lassen wollte, überlassen hat. Titius hat die Sache bittweise von mir inne, und ich kann gegen ihn mit dem Interdikt wegen bittweiser Überlassung klagen; Sempronius kann aber nicht gegen ihn klagen, weil der Wortlaut: „hast du eine Sache von jenem bittweise“, zeigt, dass nur demjenigen das Interdikt zusteht, den jemand um die bittweise Überlassung ersucht hat, nicht demjenigen, dem die Sache gehört; steht aber Sempronius das Interdikt gegen mich zu, weil er von mir hierum ersucht worden ist? Und es ist richtiger, dass es ihm nicht zusteht, weil ich die Sache nicht bittweise innehabe, wenn ich sie nicht für mich, sondern für einen anderen erbitte. Ihm kann aber die Auftragsklage gegen mich zustehen, weil er dir die Sache in meinem Auftrag überlassen hat; oder es ist, falls jemand behaupten sollte, dass er nicht in meinem Auftrag gehandelt habe, sondern eher um mir ein Darlehen zu gewähren, zu sagen, dass auch eine auf den Sachverhalt zugeschnittene Klage gegen mich zu gewähren ist.

Es geht um den Fall einer Übergabe auf Anweisung, wie er auch für das Darlehen diskutiert wird: Jemand vereinbart ein precarium mit dem Eigentümer einer Sache, um diese dann seinerseits bittweise einem Dritten zu überlassen. Auch wenn der Eigentümer die Sache daraufhin unmittelbar dem Unterprekaristen übergibt, kann er diesen nicht mit dem interdictum de precario belangen. Zwar ist der Unterprekarist im Besitz der Sache; ihn verbindet mit dem Eigentümer jedoch keine Vereinbarung eines precarium, die nur inter partes wirkt und nicht dazu führt, dass der Unterprekarist im Verhältnis zum Eigentümer als fehlerhafter Besitzer gilt. Erheben kann das Interdikt nur der Zwischenmann, der mit dem Unterprekaristen eine Vereinbarung über die Fehlerhaftigkeit seines Besitzes getroffen hat und zu seiner Aktivlegitimation nicht des Eigentums an der Sache bedarf. Er ist auch der richtige Klagegegner für den Eigentümer, der sich aber wiederum nicht des interdictum de precario bedienen kann. Hierfür hätte es eines Besitzerwerbs durch den Zwischenmann bedurft, der die Sache aber gerade dem Unterprekaristen überlassen hat. Es bleibt also nur eine Vertragshaftung des Zwischenmannes, für den die Anweisung zur Übergabe an den Unterprekaristen den passenden Ansatzpunkt liefert. Sie lässt sich nämlich entweder als Auftrag oder, wenn es um eine vertretbare Sache geht, deren Verlust die Parteien einkal-

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

kulieren, als Angebot zum Abschluss eines Darlehensvertrags oder einer darlehensähnlichen Vereinbarung deuten.111 Während der Auftrag als Konsensualvertrag ohnehin keinen Besitzerwerb voraussetzt, ist das mutuum zwar grundsätzlich an die Auszahlung der Darlehensvaluta an den Darlehensnehmer gebunden; diese kann jedoch anerkanntermaßen durch die anweisungsgemäße Zahlung an einen Dritten ersetzt werden.112 Eine vergleichbare Ausnahme kommt bei precarium nicht in Betracht. Denn die Zulassung des Anweisungsdarlehens beruht auf der Regel, dass die Leistung auf Anweisung der direkten Leistung gleichsteht;113 und diese passt nur, wenn es um die Begründung einer Leistungspflicht geht, nicht dagegen, wenn fehlerhafter Besitz geschaffen werden soll. Im Gegensatz zu einem schuldrechtlichen Realvertrag ist das precarium als Besitzvertrag auf die possessio des Sachübernehmers angewiesen und kann nicht mit einer bloßen Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien auskommen.

II. Die Vereinbarung eines precarium Ist das Besitzerfordernis nur eine zusätzliche Voraussetzung für die Begründung eines precarium, tritt der Konflikt zwischen dem realen und dem vertraglichen Charakter dieses Rechtsinstituts klar in den Aussagen hervor, die sich auf die Vereinbarung der Parteien beziehen. Hierzu gehört die schon behandelte Bemerkung von Paulus, das precarium sei eher den Schenkungen und Gefälligkeiten als den negotia contracta zuzurechnen.114 Dem widerspricht es geradewegs, wenn die Juristen ohne Weiteres eine adjektizische Haftung eines pater familias befürworten, falls einer seiner Gewaltunterworfenen um eine bittweise Überlassung ersucht hat. Denn die Verpflichtung des Gewalthabers setzt, wie das edictum triplex über die actio de peculio, die actio de in rem verso und die actio quod iussu115 ausdrücklich bestimmt, ein negotium gestum des Gewaltunterworfenen voraus: D 15.1.1.2 Ulp 29 ed Verba autem edicti talia sunt: ,quod cum eo, qui in alterius potestate esset, negotium gestum erit‘. Der Wortlaut des Edikts ist wie folgt: „wegen der Geschäfte, die mit jemandem abgeschlossen worden sind, der in der Gewalt eines anderen steht“. 111 Gimenez-Candela, Algunas observaciones sobre D. 43,26,8pr., SDHI 68 (1982) 480, 483 ff. schreibt die Erwähnung des mandatum einer Textveränderung zu. Für die Echtheit des überlieferten Textes spricht sich dagegen Biavaschi, Ricerche, S. 320 aus. 112 D 12.1.15 Ulp 31 ed, D 17.1.34 Afr 8 quaest; hierzu Harke, Das Vertragsrecht in Afrikans Quästionen, in: ders. (Hg.), Africani quaestiones, Berlin/Heidelberg 2011, S. 37, 48 f. sowie ders., Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 119 ff. 113 Vgl. Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 120. 114 D 43.26.14 Paul 13 Sab. 115 Lenel, EP, S. 275 ff.

II. Die Vereinbarung eines precarium

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Nichtsdestoweniger halten die Juristen es für ausgemacht, dass die Vereinbarung eines precarium durch einen Sklaven oder Haussohn eine Haftung des Eigentümers oder Vaters mit der actio de peculio oder der actio de in rem verso auslöst.116 Dies ist zwar nicht für Paulus, wohl aber für Pomponius und auch Ulpian belegt, der die Verpflichtung des Prekaristen auf die liberalitas des Gebers zurückführt117 und damit eine ähnliche Zuordnung wie Paulus trifft:118 D 43.26.13 Pomp 33 QM Si servus tuus tuo mandato precario rogaverit vel ratum habueris quod ille rogavit tuo nomine, teneberis, quasi precario habeas. sed si te ignorante suo nomine vel servus vel filius rogaverit, non videris tu precario habere, sed illi erit actio de peculio vel de in rem verso. Hat dein Sklave in deinem Auftrag um eine bittweise Überlassung ersucht oder hast du genehmigt, dass jener in deinem Namen ersucht hat, haftest du, weil du bittweise innehast. Haben aber dein Sklave oder Sohn das Gesuch ohne dein Wissen im eigenen Namen gestellt, wirst du nicht so angesehen, als hättest du etwas bittweise inne, sondern es sind jenem die Klagen wegen des Sonderguts oder wegen eines Vermögensvorteils gegeben. D 15.1.5.1 Ulp 29 ed Sed et si precario res filio familias vel servo data sit, dumtaxat de peculio pater dominusve obligantur. Aber wenn eine Sache bittweise einem Haussohn oder Sklaven gegeben worden ist, werden der Vater oder Eigentümer nur wegen des Sonderguts verpflichtet.

In Anknüpfung an die adjektizische Haftung ist auch eine Verpflichtung durch einen procurator möglich, der im Auftrag des Geschäftsherrn um eine bittweise Überlassung ersucht: D 43.26.6.1 Ulp 71 ed Si procurator meus me mandante vel ratum habente precario rogaverit, ego precario habere proprie dicor. Hat mein Vertreter in meinem Auftrag oder mit meiner Genehmigung um eine bittweise Überlassung ersucht, ist eigentlich zu sagen, dass ich die Sache bittweise habe.

Und auch die nachträgliche Begründung eines Gewaltverhältnisses durch Annahme des Prekaristen an Kindes Statt führt dazu, dass der Gewalthaber den Besitz einer diesem überlassenen Sache fortan bittweise innehat:119 D 43.26.16 Pomp 32 Sab Si adoptavero eum, qui precario rogaverit, ego quoque precario possidebo. 116 Allgemein wird diese Drittwirkung der Vereinbarung eines precarium durch einen Gewaltunterworfenen auch in D 43.26.4.2 Ulp 71 ed festgestellt; s. o. S. 54 f. 117 D 43.26.1.1 Ulp 1 inst (s. o. S. 40 ff.) und D 43.26.2.2 Ulp 71 ed (s. o. S. 44 f.). 118 Michel, Gratuité, S. 131 bezieht die Aussage Ulpians zu Unrecht auf die Vereinbarung eines precarium zwischen Gewalthaber und Gewaltunterworfenem. 119 Dass sich diese Aussage auf die adrogatio bezieht, meint Biavaschi, Ricerche, S. 217 f.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache Nehme ich denjenigen, der um eine bittweise Überlassung ersucht hat, an Kindes Statt an, besitze ich auch bittweise.

Umgekehrt kann ein Gewaltunterworfener durch bittweise Überlassung einer seinem Gewalthaber gehörenden Sache nach dem Vorbild eines vertraglichen Klagerechts auch die Befugnis erwerben, gegen den Prekaristen mit dem interdictum de precario vorzugehen. In einem schon behandelten Fragment stellt Julian dies für eine Sache fest, die zum Sondergut eines Sklaven gehört;120 im Übrigen macht er die Berechtigung des Gewalthabers von dessen besonderer Zustimmung zur bittweisen Überlassung abhängig: D 43.26.19.1 Iul 49 dig Qui servum meum precario rogat, videtur a me precario habere, si hoc ratum habuero, et ideo precario interdicto mihi tenebitur. Wer meinen Sklaven um eine bittweise Überlassung ersucht hat, wird so angesehen, als hätte er etwas von mir bittweise inne, wenn ich es genehmige, und daher haftet er mir mit dem Interdikt wegen bittweiser Überlassung.

Dieses Zustimmungserfordernis kann man als Ausdruck des realen Charakters des precarium werten. Während die adjektizische Verpflichtung des Gewalthabers dem Modell des Vertragsrechts folgen kann, macht sich bei der Berechtigung aus dem precarium wieder bemerkbar, dass es statt auf den Erwerb eines schuldrechtlichen Anspruchs auf die Herstellung einer Besitzposition gerichtet ist. Es kann daher nicht anders behandelt werden als der gewöhnliche Besitzerwerb, der im Gegensatz zur Begründung schuldrechtlicher Ansprüche ebenfalls die Zustimmung des Gewalthabers voraussetzt. Eine Ausprägung des Vertragscharakters ist wiederum, dass ein precarium, wie Pomponius in einem schon untersuchten Passus121 hervorhebt, nicht durch eine Aufnahme von Personen aus bloßer Gastfreundschaft entstehen soll.122 Woran es in diesem Fall fehlt, ist weniger das reale Element des Besitzes als vielmehr der fehlende Rechtsbindungswille, der der Annahme eines Vertragsschlusses entgegensteht. Dass dieser erforderlich ist, erhellt ein Fragment aus Gaius’ Ediktskommentar, in dem der Hochklassiker die Formlosigkeit des precarium und die Möglichkeit seiner Begründung ohne gleichzeitige Anwesenheit von Prekarist und Geber herausstellt: D 43.26.9 Gai 26 ed prov Precario possessio consisti potest vel inter praesentes vel inter absentes, veluti per epistulam vel per nuntium. Der bittweise Besitz kann sowohl zwischen Anwesenden als auch in Abwesenheit begründet werden, etwa durch einen Brief oder Boten.

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D 44.7.16 Iul 13 dig; s. o. S. 19 f. D 43.26.15.1 Pomp 29 Sab; s. o. S. 29. Vgl. auch Biavaschi, Ricerche, S. 210.

II. Die Vereinbarung eines precarium

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Dieser Passage ähnelt frappant die Beschreibung der Konsensualverträge in dem entsprechenden Abschnitt aus Gaius’ institutiones: Gai 3.136 Ideo autem istis modis consensu dicimus obligationes contrahi, quod neque verborum neque scripturae ulla proprietas desideratur, sed sufficit eos, qui negotium gerunt, consensisse. unde inter absentes quoque talia negotia contrahuntur, veluti per epistulam aut per internuntium, cum alioquin verborum obligatio inter absentes fieri non possit. Wir sagen aber deshalb, dass in diesen Fällen die Verpflichtungen durch Einigung begründet werden, weil weder eine Wortformel noch eine Urkunde erforderlich ist, sondern es ausreicht, dass diejenigen, die das Geschäft abschließen, übereinstimmen. Daher werden diese Geschäfte auch unter Abwesenden abgeschlossen, zum Beispiel durch einen Brief oder Boten, während andererseits eine Verbalverpflichtung unter Abwesenden nicht begründet werden kann.

Und das Vertragskonzept bildet auch den Hintergrund für die Feststellung des Autors der Paulussentenzen, ein precarium könne durch bloße Duldung ohne indicium voluntatis zustande kommen: PS 5.6.11 Precario possidere videtur non tantum qui per epistulam vel qualibet alia ratione hoc sibi concedi postulavit, sed et is qui nullo voluntatis indicio, patiente tamen domino possidet. Bittweise besitzt nicht nur derjenige, der durch Brief oder auf andere Weise darum ersucht hat, dass ihm eine Sache überlassen wird, sondern auch derjenige, der ohne Willensäußerung, aber mit Duldung des Eigentümers besitzt.

Der Verzicht auf eine ausdrückliche Absichtsbekundung durch den Geber ist konsequent, bringt das precarium dem Geber doch keine Nachteile, sondern eröffnet ihm nur die Möglichkeit, sich die Sache durch Verweis auf den unrechtmäßigen Besitz des Prekaristen zu verschaffen. Die Zustimmung zu diesem lediglich vorteilhaften Geschäft ist auch dem bloßen Schweigen des Gebers zu entnehmen.123 Lässt sich das precarium stillschweigend begründen, ist es ebenso wie ein Schuldvertrag auch der Unterstellung zusätzlicher Abreden zugänglich. Ein Beispiel ist die wiederum im Interesse des Gebers liegende Erstreckung der Vereinbarung auf den Nachwuchs, den eine bittweise überlassene Sklavin bekommt: 123 Anders verhält es sich mit dem Einverständnis des Prekaristen. Daher ist das precarium auch nicht ohne Weiteres als vereinbart anzusehen, wenn jemand auf anderer Grundlage einen Anspruch auf Herausgabe oder Rückgewähr einer Sache erlangt. Dass dies auch dann gilt, wenn er sich eine besondere Sicherheitsleistung durch Stipulation geben lässt, scheint der Sinn eines Satzes aus Pomponius’ Sabinuskommentar zu sein, der infolge der Isolierung vom ursprünglichen Kontext nicht leicht zu deuten ist: D 43.26.15.3 Pomp 29 Sab: Cum quis de re sibi restituenda cautum habet, precarium interdictum ei non competit. („Hat jemand eine Sicherheitsleistung wegen der Rückgewähr einer Sache an ihn erhalten, steht ihm nicht das Interdikt wegen bittweiser Überlassung zu.“)

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache D 43.26.10 Pomp 5 Plaut Quamvis ancillam quis precario rogaverit, id actum videtur, ut etiam quod ex ancilla natum esset in eadem causa haberetur. Obwohl jemand um die bittweise Überlassung einer Sklavin ersucht hat, wird es so angesehen, als sei vereinbart worden, dass auch der Nachwuchs der Sklavin in derselben Lage sein solle.

Nichts anderes gilt für die Ausdehnung der Nutzungsbefugnis auf die Gewaltunterworfenen des Prekaristen, mit der dessen Besitzschutz gegenüber Dritten erweitert wird:124 D 43.26.21 Venonius 4 act Cum precario quis rogat, ut ipsi in eo fundo morari liceat, supervacuum est adici ,ipsi suisque‘: nam per ipsum suis quoque permissum uti videtur. Hat jemand bittweise darum ersucht, dass es ihm erlaubt sei, sich auf einem Grundstück aufzuhalten, ist es überflüssig hinzuzufügen, dass es „auch seinen Gewaltunterworfenen“ erlaubt sein solle; denn es wird so angesehen, als sei die Nutzung über ihn auch seinen Gewaltunterworfenen erlaubt.

Durch die Unterstellung konkludenter Abreden lässt sich auch ein Gleichlauf mit dem Hauptvertrag erreichen, zu dessen Durchsetzung das precarium dient: So nimmt Celsus an, es falle kraft stillschweigender Vereinbarung automatisch mit dem Pfandvertrag weg, den es bei einer Überlassung durch den Pfandgläubiger an den Verpfänder ergänzt.125 Und Pomponius spricht sich für die synchrone Beendigung von Miete und precarium in dem Fall aus, dass die Überlassung allein vom Willen des Vermieters abhängen soll und dieser stirbt.126 Die konkludente Vereinbarung eines precarium ist schließlich auch Gegenstand einer Katene, die die Kompilatoren aus Texten Ulpians und Pomponius’ zur stillschweigenden Verlängerung der Überlassung gebildet haben.127 Sie beginnt mit Ulpians Hinweis, dass das precarium, selbst wenn die hierfür vereinbarte Frist abgelaufen ist, durch einfache Hinnahme des Verbleibs der Sache beim Prekaristen fortgeführt werden könne: D 43.26.4.4 Ulp 71 ed Item qui precario ad tempus rogavit, finito tempore, etiamsi ad hoc temporis non rogavit, tamen precario possidere videtur: intellegitur enim dominus, cum patitur eum qui precario rogaverit possidere, rursus precario concedere. Ebenso wird derjenige, der um eine bittweise Überlassung für eine bestimmte Zeit ersucht hat, nach Ablauf der Frist, auch wenn er für diese Zeit kein Gesuch gestellt 124 Da von morari die Rede ist, glaubt Biavaschi, Ricerche, S. 267 f., es gehe nicht um bittweise erlangten Besitz, sondern um die bittweise Überlassung eines Wohnrechts, die von der ediktalen Formel des ,precario habere‘ gedeckt sei. 125 D 43.26.11 Cels 7 dig; s. o. S. 25 f. 126 D 19.2.4 Pomp 16 Sab. 127 Gegen die Echtheitszweifel von Zamorani, Precario habere, S. 103, 167 ff. verteidigt sie Kaser, SZ 89 (1972) 94, 113 ff.

II. Die Vereinbarung eines precarium

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hat, dennoch so angesehen, als besitze er bittweise; denn der Eigentümer wird, indem er den Besitz desjenigen duldet, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, so angesehen, als habe er es erneut bittweise überlassen.

Der rechtsgeschäftliche Charakter des precarium kommt hier nicht nur darin zum Ausdruck, dass es kraft Parteivereinbarung auf eine bestimmte Frist (,ad tempus‘) festgelegt wird; er zeigt sich auch darin, dass Ulpian die Duldung des Prekaristen über die ursprünglich verabredete Laufzeit hinaus als eine erneute concessio ansieht. Hiervon geht auch Pomponius aus, der in dem von den Kompilatoren eingeschalteten Auszug aus seinem Sabinuskommentar zwischen der Verlängerung eines noch andauernden precarium und der Begründung eines neuen Überlassungsverhältnisses nach dem Ende der zunächst vereinbarten Laufzeit unterscheidet:128 D 43.26.5 Pomp 29 Sab Sed si manente adhuc precario tu in ulterius tempus rogasti, prorogatur precarium: nam nec mutatur causa possessionis et non constituitur eo modo precarium, sed in longius tempus profertur. si vero praeterita die rogas, propius est, ut soluta iam causa precarii non redintegretur, sed nova constituatur. Hast du aber, während die bittweise Überlassung noch andauert, darum ersucht, dass die bittweise Überlassung für eine weitere Zeit verlängert wird, veränderst du in der Tat nicht den Grund deines Besitzes, und es wird auf diese Weise keine bittweise Überlassung begründet, sondern nur auf eine weitere Zeit erstreckt. Hast du aber erst nach Ablauf der Zeit ersucht, ist richtigerweise nicht das schon aufgelöste Verhältnis der bittweisen Überlassung wiederhergestellt, sondern ein neues begründet.

Diese peinliche Differenzierung, die wohl keinen praktischen Wert hat, ist nur dann sinnvoll, wenn man das precarium als Vertragsverhältnis mit Dauerwirkung begreift. Dasselbe könnte auch für die anschließende Bemerkung Marcells gelten, mit der Ulpian in seinem Ediktskommentar fortfährt: D 43.26.6pr Ulp 71 ed Certe si interim dominus furere coeperit vel decesserit, fieri non posse Marcellus ait, ut precarium redintegretur, et hoc verum est. Ist der Eigentümer freilich zwischenzeitlich geisteskrank geworden oder gestorben, komme es, wie Marcell sagt, freilich nicht dazu, dass die bittweise Überlassung wiederhergestellt werde, und dies ist wahr.

Denkt man sich die nachträglich eingeschobene Äußerung Pomponius’ hinweg, bezieht sich der von Marcell gemachte Vorbehalt für den Fall einer zwischenzeitlichen Geisteskrankheit des Gebers auf die von Ulpian allein behandelte 128 Entgegen Biavaschi, Ricerche, S. 328 kann ich hier keinen Gegensatz zur Ansicht von Ulpian dergestalt ausmachen, dass Pomponius anders als der Spätklassiker eine ausdrückliche Vereinbarung über die Fortführung des precarium fordert und keine stillschweigende Vereinbarung zulässt. Pomponius differenziert lediglich nach dem Zeitpunkt der erneuten Einigung, die, wenn sie vor dem Ende der ursprünglichen Laufzeit des precarium erfolgt, normalerweise nur als ausdrückliche Abrede und nicht konkludente Vereinbarung vorkommt.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

Konstellation einer stillschweigenden Fortführung des precarium nach dem Ende der ursprünglich vereinbarten Laufzeit. Hierzu passt die Einschränkung auch eher als in dem von Pomponius zusätzlich betrachteten Fall der Verlängerung eines noch laufenden precarium, die kaum anders als durch ausdrückliche Vereinbarung und daher regelmäßig nicht bei einem furiosus denkbar ist. Darf der Geber auch bei einer konkludenten Fortführung des precarium nicht an Geisteskrankheit leiden, ohne dass die Vereinbarung scheitert, kann dies daran liegen, dass auch die stillschweigende Übereinkunft einer bittweisen Überlassung als Vertrag gilt, der die hierfür erforderliche Geschäftsfähigkeit voraussetzt. Auf dieser Erwägung beruht erkennbar Marcells Entscheidung zum Parallelfall der relocatio tacita. Das entsprechende Fragement entstammt demselben Buch von Ulpians Sabinuskommentar und wird von Lenel in seiner Palingenesie mit D 43.26.6 zusammengestellt:129 D 19.2.14 Ulp 71 ed Qui ad certum tempus conducit, finito quoque tempore colonus est: intellegitur enim dominus, cum patitur colonum in fundo esse, ex integro locare, et huiusmodi contractus neque verba neque scripturam utique desiderant, sed nudo consensu convalescunt: et ideo si interim dominus furere coeperit vel decesserit, fieri non posse Marcellus ait, ut locatio redintegretur, et est hoc verum. Wer für eine bestimmte Zeit pachtet, bleibt auch nach Ablauf der Zeit Pächter; denn der Eigentümer wird, wenn er den Verbleib des Pächters auf dem Grundstück duldet, so angesehen, als ob er von Neuem verpachte; und solche Verträge bedürfen jedenfalls weder einer Wortformel noch eines Schriftaktes, sondern kommen durch bloße Einigung zustande; und daher schreibt Marcell, dass es, wenn der Eigentümer zwischenzeitlich geisteskrank geworden oder gestorben ist, nicht zu einer Erneuerung des Pachtvertrags komme; und dies trifft zu.

Nicht völlig auszuschließen ist freilich auch, dass Marcell sich bei seiner Äußerung zum precarium davon leiten lässt, dass einem furiosus außer dem Vertragsschluss der Besitzerwerb versagt ist. Hierauf bezieht sich indirekt Paulus, wenn er sich mit der Frage beschäftigt, ob eine nachträgliche Geisteskrankheit des Prekaristen etwas an seiner Besitzposition ändert: D 41.3.31.4 Paul 32 Sab Si vi aut clam aut precario possessionem nactus quis postea furere coeperit, et possessio et causa eadem durat de hoc, quod precario furiosus habet, quemadmodum interdicto quoque uti possidetis furiosi nomine recte experimur eius possessionis nomine, quam ante furorem per se vel post furorem per alium nactus est. Hat jemand den Besitz gewaltsam, heimlich oder bittweise erlangt und ist nachher geisteskrank geworden, dauert sowohl sein Besitz als auch der Zustand dessen, was der Geisteskranke bittweise hat, an, und zwar ebenso, wie man auch das Interdikt „wie ihr besitzt“ zu Recht im Namen eines Geisteskranken wegen des Besitzes erheben kann, den er selbst vor der Krankheit oder nachher durch einen anderen erlangt hat. 129

Lenel, Palingenesia, Bd. 2, Sp. 843 Fn. 1 (Ulp 1607).

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Genügt für den Interdiktenschutz, dass der furiosus die betroffene Sache noch vor seiner Erkrankung oder danach, aber durch einen anderen erlangt hat, muss es auch für das precarium nur auf den Besitzbeginn ankommen, so dass der geisteskranke Prekarist einerseits selbst Besitzschutz gegenüber Dritten genießt, seinerseits aber auch besitzrechtlich dem Geber unterlegen bleibt. Letzteres wäre evident, wenn das precarium ein Schuldvertrag wäre, dessen Existenz allein von der Geschäftsfähigkeit der Parteien im Moment des Vertragsschlusses abhinge. Die Zweifel, die Paulus hier durch den Verweis auf den gewöhnlichen Besitzerwerb überwindet,130 rühren daher, dass Gegenstand des precarium eben die andauernde Tatsache eines fehlerhaften Besitzes ist. Anders als die Bindungswirkung eines einmal abgeschlossenen Vertrags unterliegt ihr Fortbestand durchaus Bedenken, wenn dem Besitzer, der sich durch seine Bitte auf eine Stufe mit dem Täter verbotener Eigenmacht gestellt hat, nachträglich die Fähigkeit zum Besitzerwerb abhandenkommt. Zu einem anderen Ergebnis führt die Rücksicht auf den tatsächlichen Charakter des precarium bei der Frage, ob die bittweise Überlassung auch an einen Minderjährigen erfolgen kann oder die Zustimmung seines Vormunds voraussetzt:131 D 43.26.22.1 Venonius 3 interd Si pupillus sine tutoris auctoritate precario rogaverit, Labeo ait habere eum precariam possessionem et hoc interdicto teneri. nam quo magis naturaliter possideretur, nullum locum esse tutoris auctoritati: recteque dici ,quod precario habes‘, quia quod possideat ex ea causa possideat, ex qua rogaverit: nihilque novi per praetorem constituendum, quoniam, sive habeat rem, officio iudicis teneretur, sive non habeat, non teneatur. Labeo schreibt, dass, wenn ein Mündel ohne die Zustimmung seines Vormunds um eine bittweise Überlassung ersucht hat, es bittweise den Besitz habe und mit diesem Interdikt hafte. Denn wenn etwas eher auf natürliche Weise besessen werde, sei kein Raum für die Zustimmung des Vormunds; und man behaupte auch zu Recht, dass „du etwas bittweise innehast“, weil der Besitz auf dem durch das Ersuchen geschaffenen Grund beruht; und es müsse durch den Prätor auch kein neues Recht geschaffen werden, weil das Mündel, wenn es die Sache innehabe, nach richterlichem Ermessen hafte, und, wenn es sie nicht innehabe, nicht hafte.

Dass sich der von Venuleius zitierte Labeo gleich mit doppelter Begründung gegen das Erfordernis der auctoritas tutoris wendet, zeigt, dass eine solche entweder von anderen Juristen verlangt wird oder ein solches Erfordernis auch aus Labeos Sicht keineswegs fernliegt. Beides kann wiederum nur deshalb der Fall sein, weil das precarium als Vertrag angesehen wird, der wegen seiner belastenden Wirkung für das Mündel grundsätzlich nicht ohne die Zustimmung seines Vormunds auskommen kann. 130 Biavaschi, Ricerche, S. 298 meint, Paulus entscheide hier eine schon seit längerem kontrovers beurteilte Frage. 131 Einem Interpolationsverdacht setzen diesen Text Silva, SDHI 6 (1940) 233, 256 und Zamorani, Precario habere, S. 130 ff. aus.

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Labeo setzt sich über dieses Bedenken aber hinweg, indem er zum einen auf die Eigenart der bittweise erlangten Position verweist, zum anderen darauf, dass das Mündel durch seine Passivlegitimation zum interdictum de precario nicht übermäßig belastet wird: Um seiner Haftung zu entgehen, muss es nur die bittweise überlassene Sache herausgeben, sofern es sie in seinem Besitz hat. Befindet sie sich nicht mehr bei ihm, scheitert eine dann denkbare Haftung für Besitzaufgabe an der Voraussetzung des dolus, den das Mündel aufgrund seines Alters noch nicht haben kann. Bedeutet das interdictum de precario schon in seiner überkommenen Gestalt keine Zumutung für das Mündel, besteht auch kein Bedarf für eine prätorische Rechtsfortbildung, wie sie bei Schuldverträgen später in Anknüpfung an das rescriptum divi Pii stattfindet. Noch interessanter als diese praktische Erwägung ist das dogmatische Argument: Labeo sieht die Voraussetzung des ,precario habere‘ auch beim Ersuchen eines Minderjährigen gegeben, weil die bittweise überlassene Sache eher „auf natürliche Weise besessen“ werde (,magis naturaliter possideretur‘). Damit ist nicht etwa gemeint, dass das Mündel durch das precarium keinen regelrechten Besitz und lediglich Detention erlange.132 Mit dem Adverb ,naturaliter‘ will Labeo keine mindere Form der Sachherrschaft bezeichnen, sondern den Charakter des Besitzes schlechthin beschreiben: Ungeachtet der Rechtsfolgen, die der Besitz hat, ist er ein natürlicher, kein rechtlicher Zustand und kann daher auch einem Minderjährigen zukommen, der noch nicht geschäftsfähig ist. Dies gilt insbesondere für die possessio iniusta, in die sich ein Prekarist durch seine Bitte um Überlassung begibt. Wird so das Verhältnis hergestellt, das ansonsten die gewaltsame oder heimliche Entwendung auslöst, ist das Ziel des precarium ein factum, das nicht von Geschäftsfähigkeit oder Zustimmung des Vormunds abhängen kann.133 Der Gegenstand des precarium setzt sich so gegenüber seinem Begründungsmodus durch, der dem der Schuldverträge entspricht und daher die umgekehrte Entscheidung nahelegt.

III. Das precarium rei suae Ein Wirksamkeitshindernis, das in den Schriften der Juristen häufige Erwähnung findet, ist das Verbot der bittweisen Überlassung einer Sache an deren Eigentümer.134 Ulpian dient es in seinem Ediktskommentar als Beispiel dafür, dass 132

Richtig Kaser, SZ 89 (1972) 94, 103, Biavaschi, Ricerche, S. 271. Diese Argumentation verdient daher nicht die Kritik von Horak, Rationes decidendi, Innsbruck 1969, S. 151, der meint, aus der Einordnung des Besitzes als tatsächliches Lebensverhältnis lasse sich noch nichts für die Frage gewinnen, ob das Geschäft die Zustimmung des Vormunds voraussetzt. 134 Dass es sich nur um ein Problem des byzantinischen Rechts handelt, glaubt Zamorani, Precario habere, S. 251 ff., der es für eine Folge der angeblich auf die Kompilatoren zurückgehenden Zuordnung des precarium zur liberalitas hält. 133

III. Das precarium rei suae

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das bittweise Ersuchen noch nicht ausreicht, um die Zuständigkeit des interdictum de precario zu begründen, weil es an einem ,precario habere‘ fehle:135 D 43.26.4.3 Ulp 71 ed Item si rem meam precario rogavero, rogavi quidem precario, sed non habeo precario idcirco, quia receptum est rei suae precarium non esse. Ebenso habe ich, wenn ich um die bittweise Überlassung meiner Sache ersucht habe, zwar um die bittweise Überlassung ersucht, aber sie deshalb nicht bittweise inne, weil eine bittweise Überlassung der eigenen Sache anerkanntermaßen ungültig ist.

Diese Darstellung136 legt nahe, dass der Sinn des Verbots besitzrechtlicher Natur, nämlich in einem unüberwindbaren Gegensatz zwischen Eigenbesitz und precarium zu suchen, ist: Dass bittweise innehat, wer sich als Eigentümer einer Sache ansieht, könnte für die römischen Juristen einen Widerspruch in der Einstellung des Besitzers bedeuten, der seinen Sachherrschaftswillen perplex und die bittweise Überlassung wirkungslos macht. Wäre dies der Auslöser für das Verbot des precarium rei suae, müsste ihm freilich auch die bittweise Überlassung einer Pfandsache an den Verpfänder unterliegen. Denn das Sicherungsrecht des Pfandgläubigers änderte nichts daran, dass sich in der Person des Verpfänders die Vorstellung seines Eigentums mit der Unterwerfung unter den Pfandgläubiger vereinigte. Wie Ulpian im weiteren Verlauf seines Ediktskommentars dartut, soll die bittweise Überlassung einer Pfandsache an den Verpfänder aber nicht nur wegen ihrer praktischen Bedeutung,137 sondern auch aus dem dogmatischen Grund wirksam sein, dass sie den Besitz und nicht das Eigentum der Sache betrifft:138 D 43.26.6.4 Ulp 71 ed Quaesitum est, si quis rem suam pignori mihi dederit et precario rogaverit, an hoc interdictum locum habeat. quaestio in eo est, ut precarium consistere rei suae possit. mihi videtur verius precarium consistere in pignore, cum possessionis rogetur, non proprietatis, et est haec sententia etiam utilissima: cottidie enim precario rogantur creditores ab his, qui pignori dederunt, et debet consistere precarium. Es ist fraglich, ob, wenn jemand mir seine eigene Sache als Pfand gegeben und um ihre bittweise Überlassung ersucht hat, das Interdikt Platz greife. Das Problem ist, ob eine bittweise Überlassung der eigenen Sache Bestand hat. Und mir scheint es richtiger zu sein, dass die bittweise Überlassung bei einem Pfand Bestand hat, da um den Besitz, nicht um das Eigentum ersucht worden ist; und diese Entscheidung ist überaus nützlich; denn es ist alltäglich, dass Gläubiger von Verpfändern um eine bittweise Überlassung ersucht werden; und die bittweise Überlassung muss daher Bestand haben. 135 Zur Exemplifizierung dieses Satzes durch den Fall einer bittweisen Überlassung an einen Gewaltunterworfenen s. o. S. 54 f. 136 Für interpoliert hält sie Zamorani, Precario habere, S. 257 f. 137 s. o. S. 21 f. 138 Für die Echtheit dieser früher zuweilen verdächtigten Argumentation Kaser, SZ 89 (1972) 94, 143; vgl. insoweit auch ders., Studien zum römischen Pfandrecht, Neapel 1982, S. 174.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

Da der Besitz der Sache dem Pfandgläubiger zusteht,139 ist er keine res sua im Sinne der Verbotsregel,140 deren Tatbestand also nicht erfüllt.141 Entscheidet damit nicht der Eigenbesitz als tatsächliches Phänomen, sondern die Zugehörigkeit zum Vermögen des Prekaristen, kann auch nur diese ausschlaggebend für die Regel von der Unwirksamkeit des precarium rei suae sein. Auf die von Ulpian bekannte Argumentation stoßen wir auch bei Venuleius, der die Entscheidung eines namenlos gebliebenen Juristen begründet:142 D 43.26.22pr. Venonius 3 interd Si is, qui pro possessore possideret, precario dominum rogaverit, ut sibi retinere rem liceret, vel is, qui alienam rem emisset, dominum rogaverit: apparet eos precario possidere. nec existimandos mutare sibi causam possessionis, quibus a domino concedatur precario possidere: nam et si id quod possideas alium precario rogaveris, videri te desinere ex prima causa possidere et incipere ex precario habere: et contra si possessorem precario rogaverit qui rem avocare ei posset, teneri eum precario, quoniam aliquid ad eum per hanc precarii rogationem pervenit, id est possessio, quae aliena sit. Haben derjenige, der etwas als Besitzer besitzt, oder derjenige, der eine fremde Sache gekauft hat, den Eigentümer darum ersucht, dass es ihnen bittweise erlaubt sein soll, die Sache zu behalten, scheinen sie bittweise zu besitzen. Und man könne nicht annehmen, dass diejenigen, denen vom Eigentümer gestattet ist, etwas bittweise zu besitzen, sich den Grund ihres Besitzes geändert hätten; denn auch wenn du einen anderen darum ersucht hast, dass dir bittweise überlassen wird, was du besitzt, werdest du so angesehen, als hättest du aufgehört, es aus dem früheren Grund zu besitzen, und angefangen, es bittweise innezuhaben; und umgekehrt hafte derjenige, der die Sache vom Besitzer herausverlangen könnte, wenn er ihn darum ersucht hat, dass sie ihm bittweise überlassen wird, aus bittweiser Überlassung, weil etwas durch das Ersuchen um die bittweise Überlassung an ihn gelangt ist, nämlich der Besitz, der ihm nicht gehört.

Der von Venuleius wiedergegebene Jurist könnte Julian sein. Dieser stellt auch in einem namentlichen Zitat bei Ulpian143 fest, dass es nicht dem Verbot der ei139 Zimmermann, Rechtserwerb, S. 90, 103 nennt das pignus daher ein „Zwischenrecht“, das ein precarium über die eigene Sache sinnvoll macht. 140 Dass sie nur eingreifen kann, wenn der Prekarist etwas zugewendet erhält, was er schon hat, meint auch Kaser (Fn. 138), S. 171 f. 141 Dies übersieht Biavaschi, Ricerche, S. 256 f., die die Zulässigkeit des precarium an einer verpfändeten Sache allein auf das Vorbild der älteren fiducia zurückführen will, bei der es wegen des Eigentums des Sicherungsnehmers nicht zu einem Konflikt von Eigentümer- und Prekaristenstellung kommen kann. 142 Dagegen setzt Florentin die Wirksamkeit eines precarium oder einer locatio conductio über eine verpfändete Sache einfach, und ohne den Versuch einer Begründung zu unternehmen, voraus; vgl. D 13.7.35.1 Flor 8 inst: Pignus manente proprietate debitoris solam possessionem transfert ad creditorem: potest tamen et precario et pro conducto debitor re sua uti. („Ein Pfandrecht überträgt nur den Besitz auf den Gläubiger, während das Eigentum des Schuldners erhalten bleibt; der Schuldner kann seine Sache jedoch bittweise oder aufgrund eines Mietvertrags gebrauchen.“) Vgl. zu diesem Text auch Biavaschi, Ricerche, S. 238. 143 D 43.26.6.3 Ulp 71 ed.

III. Das precarium rei suae

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genmächtigen Besitzumwandlung unterfällt, wenn der Besitzer einer Sache sich mit ihrem Eigentümer darauf verständigt, dass er sie fortan bittweise innehaben soll. Das precarium ist hier ebenso wirksam wie im umgekehrten Fall, in dem der Eigentümer, der die Sache eigentlich mit Hilfe der Vindikation herausverlangen könnte,144 den Besitzer um die bittweise Überlassung der Sache ersucht. In beiden Konstellationen geht es darum, dem Geber im Streit um das Eigentum seinen Besitzvorteil zu wahren, während der Prekarist als wirklicher oder auch nur vermeintlicher Eigentümer in den Genuss der tatsächlichen Sachherrschaft gelangt.145 In diesem zweiten Fall ist es freilich nicht das Verbot des mutare causam possessionis, das der Abrede die Wirkung nehmen könnte. Stattdessen könnte die bittweise Überlassung am Verbot des precarium rei suae scheitern; und Venuleius bezieht sich in seiner Begründung auch gerade auf dieses Hindernis, wenn er darauf verweist, dass der Eigentümer durch das precarium ja etwas erlangt hat: Es ist der Besitz, den er trotz seines Eigentumsrechts vorher nicht innehatte. Ist er für den Eigentümer ,alienus‘, kann das precarium auch nicht auf eine res sua gerichtet sein.146 Ohne diese Begründung und mit Bezug auf das interdictum uti possidetis findet sich diese Entscheidung noch in einem weiteren Auszug aus Venuleius’ Werk, den die Kompilatoren in den Titel 43.26 aufgenommen haben:147 D 43.26.7 Venonius 3 interd Sed et si eam rem, cuius possessionem per interdictum uti possidetis retinere possim, quamvis futurum esset, ut tenear de proprietate, precario tibi concesserim, teneberis hoc interdicto. Aber auch wenn ich dir eine Sache, deren Besitz ich mit dem Interdikt „wie ihr besitzt“ behalten kann, bittweise zugestehe, haftest du mit diesem Interdikt, obwohl sich ergeben wird, dass ich wegen des Eigentums hafte.

Die Zulassung eines auf den Besitz bezogenen precarium an den Eigentümer hat eine Parallele im sogenannten Besitzkauf, der von dem Verbot des Kaufvertrags über eine eigene Sache ausgenommen ist: D 18.1.34.4 Paul 33 ed Rei suae emptio tunc valet, cum ab initio id agatur, ut possessionem emat, quam forte venditor habuit, [et] „ut“ in iudicio possessionis potior esset. Der Kauf einer eigenen Sache ist dann gültig, wenn von vornherein vereinbart wird, dass jemand den Besitz kauft, den etwa der Verkäufer innehat, damit er im Besitzstreit obsiegt.

144 Dass dies der Sinn von ,qui rem avocare posset‘ ist, meint auch Zimmermann, Rechtserwerb, S. 101 f. 145 Zu diesem Anwendungsfall des precarium s. o. S. 27. 146 Für interpoliert hält diese Begründung Biavaschi, Ricerche, S. 264 f. 147 Die Übereinstimmung stellt auch Biavaschi, Ricerche, S. 260, 265 fest.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

Ist eine emptio rei suae auch grundsätzlich nichtig, kann sie doch ausnahmsweise wirksam sein, wenn sie von vornherein auf den Besitz einer Sache gerichtet ist, mit dessen Hilfe sich der Käufer im Rechtsstreit um das Eigentum durchsetzen kann.148 Zwar erweist sich der Vertrag damit im Nachhinein als Kauf der eigenen Sache; diese Beurteilung ist jedoch gerade nur wegen des vorangehenden Kaufs gerechtfertigt, durch den sich der Käufer in die für seine Eigentumsbehauptung entscheidende Position bringt. Folglich unterscheidet sich der Besitzkauf in seiner Funktion nicht von einem gewöhnlichen Kauf, dessen Ziel das Eigentum des Käufers an der Kaufsache ist.149 Zwar bietet der Besitz, den der Eigentümer einer Sache durch deren bittweise Überlassung erlangt, keine Grundlage für den Nachweis seiner Rechtsstellung. Nichtsdestoweniger sind der Besitzkauf und das precarium rei suae in gewisser Hinsicht vergleichbar: In beiden Fällen erlangt derjenige, der sich als Eigentümer wähnt, mit der tatsächlichen Sachherrschaft einen Vorteil, den er bislang noch nicht hatte;150 und das Opfer, das er hierfür erbringen muss, besteht jeweils in der Anerkennung der Position seines Kontrahenten: Bei der emptio possessionis kauft er sie ihm ab, beim precarium unterwirft er sich dem anderen besitzrechtlich und erlaubt diesem so, seine Rechte in derselben Weise zu wahren, wie wenn er die Sache nicht überlassen hätte. Der Erwerb der possessio bedeutet jeweils auch dann einen Zuwachs für den Sachübernehmer, wenn man seiner umstrittenen Behauptung folgt, schon Eigentümer der Sache zu sein. Aus demselben Grund lässt Tertullian auch einen Mietvertrag über eine eigene Sache zu und verweist dabei auf den Besitzkauf, der ihm als Vorbild für die Miete und die bittweise Überlassung der eigenen Sache gilt:151 D 41.2.28 Tert 1 quaest Si aliquam rem possideam et eandem postea conducam, an amittam possessionem? multum refert in his, quid agatur: primum enim refert, utrum sciam me possidere an ignorem: et utrum quasi non meam rem conducam an quasi meam: et sciens meam esse, utrum quasi proprietatis respectu an possessionis tantum. nam et si rem meam tu possideas et ego emam a te possessionem eius rei vel stipuler, utilis erit et emptio et stipulatio, et sequitur, ut et precarium et conductio specialiter possessionis solius conducendae vel precario rogandae animus interveniat. Verliere ich, wenn ich irgendeine Sache besitze und sie später miete, den Besitz? Es kommt maßgeblich darauf an, was vereinbart ist: Zunächst einmal kommt es darauf

148 Vgl. Zimmermann, Rechtserwerb, S. 126 und Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 201. 149 Zimmermann, Rechtserwerb, S. 127 und Harke (Fn. 148), S. 201. 150 Für das precarium so auch Zimmermann, Rechtserwerb, S. 102. 151 Von einer Interpolation des Textes geht Zamorani, Precario habere, S. 276 aus. Biavaschi, Ricerche, S. 245 rechnet für diesen Text mit der Möglichkeit einer nachklassischen Veränderung und sieht sich nicht in der Lage, Tertullians Gedankengang zu rekonstruieren.

III. Das precarium rei suae

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an, ob ich weiß, dass ich besitze, oder dies verkenne, dann darauf, ob ich die Sache nicht als meine eigene oder als eigene miete, und, wenn ich weiß, dass es meine eigene ist, darauf, ob ich sie mit Rücksicht auf das Eigentum oder nur im Hinblick auf den Besitz miete. Denn auch wenn du meine Sache besitzt und ich von dir den Besitz kaufe oder sie mir versprechen lasse, sind der Kauf oder das Versprechen gültig, und hieraus folgt, dass auch eine bittweise Überlassung oder eine Miete gültig sind, wenn sie eigens in der Absicht abgeschlossen werden, dass nur der Besitz gemietet oder um seine Überlassung bittweise ersucht wird.

Anlass für die Entscheidung zur Miete der eigenen Sache dürfte wiederum die Unsicherheit über den Ausgang des Rechtsstreits über das Eigentum sein,152 für den sich der Vermieter ebenso wie durch ein precarium den Besitzvorteil sichert.153 Dies ist freilich nur dann möglich, wenn der Mietvertrag wegen der Behauptung des Mieters, Eigentümer zu sein, ausdrücklich auf den Besitz des Vermieters bezogen ist. In diesem Fall wird der Mieter, auch wenn er die Sache zuvor besessen hat, zum bloßen Detentor und macht den Vermieter zum Besitzer. Wird die Sache dagegen so gemietet, als gehöre sie dem Vermieter, scheitert der Mietvertrag am Verbot der conductio rei suae, und der Besitz steht dem Mieter zu.154 Die Verdingung gehorcht damit denselben Regeln und erfüllt dieselbe Funktion wie das precarium, weshalb Tertullian dieses auch zusätzlich zum Besitzkauf nennt, dessen Zulässigkeit die eigentliche Entscheidungsgrundlage bildet.155 Finden wir das precarium gemeinsam mit Kauf- und Mietvertrag und ebenso wie diese behandelt, verwundert nicht, dass es auch in den Listen der Geschäfte erscheint, die nicht über die eigene Sache einer Seite geschlossen werden können.156 Ulpian stellt es dabei außer mit Kauf und Miete noch mit Pfandvertrag und Verwahrung zusammen:157 D 50.17.45pr Ulp 30 ed Neque pignus neque depositum neque precarium neque emptio neque locatio rei suae consistere potest.

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Richtig Zimmermann, Rechtserwerb, S. 98 f. Dagegen nimmt Klinck, Erwerb, S. 268 an, Tertullian behandle den Fall eines doppelten Eigentums, wie es aus der bloßen Übergabe einer res mancipi entsteht. 154 Umgekehrt Klinck, Erwerb, S. 269, der meint, der Mieter verliere nur dann seine possessio, wenn er den Mietvertrag in Anerkennung der Eigentümerstellung des Vermieters eingeht. In diesem Fall würde der Besitz aber gerade nicht infolge der Wirksamkeit des Mietvertrags, sondern als Konsequenz seiner Ungültigkeit verloren gehen. 155 Zusammen mit der Miete erscheint das precarium noch in einem Zitat Julians bei Afrikan in D 41.2.40.3 Afr 7 quaest und dient hier als Anknüpfungspunkt für den fragwürdigen Versuch, die Regel auf einen durch verbotene Eigenmacht erlangten Besitz auszudehnen; s. u. S. 77 f. 156 Für ein Produkt der Nachklassik hält diese Kaser, SZ 89 (1972) 94, 139 ff., 146. 157 Die Echtheit dieses Textes, die noch Zamorani, Precario habere, S. 256 f. bezweifelt, verteidigt Zimmermann, Rechtserwerb, S. 84. 153

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache Weder ein Pfandvertrag noch eine Verwahrung noch eine bittweise Überlassung noch ein Kaufvertrag oder ein Mietvertrag haben Bestand, wenn sie auf eine eigene Sache gerichtet sind.

Und Julian führt das precarium neben Miete, Verwahrung und Leihe auf:158 D 16.3.15 Iul 13 dig Qui rem suam deponi apud se patitur vel utendam rogat, nec depositi nec commodati actione tenetur: sicuti qui rem suam conducit aut precario rogat, nec precario tenetur nec ex locato. Wer hinnimmt, dass seine Sache bei ihm in Verwahrung gegeben wird oder um ihre Benutzung ersucht, haftet nicht mit der Verwahrungs- oder Leihklage; und zwar ebenso, wie derjenige, der seine Sache mietet oder bittweise um ihre Überlassung ersucht, nicht wegen bittweiser Überlassung oder aus Miete haftet.

In allen diesen Fällen ist es die Rechtsposition des Eigentums, die den Vertrag seines Sinnes beraubt, indem sie die schuldrechtlich angestrebte Überlassung einer Sache an einen Nichteigentümer vereitelt. Unterwerfen die klassischen Juristen das precarium derselben Nichtigkeitsregel und deren Handhabung, lassen sie sich dabei von seinem Abschlussmodus leiten, der dem der Schuldverträge entspricht,159 und abstrahieren von seinem Gegenstand, der eher für eine Anknüpfung an den Eigenbesitz spräche.160

IV. Rechtsnachfolge in das precarium? Orientieren sich die Juristen beim Umgang mit dem precarium rei suae am Schuldvertragsrecht, bildet dessen Regime auch den Hintergrund für die Diskussion über die Frage, ob es eine Rechtsnachfolge in das Verhältnis der bittweisen Überlassung gibt. Während ein solcher Übergang bei einem Schuldvertrag selbstverständlich wäre, bereitet der besitzrechtliche Gegenstand der Vereinbarung eines precarium der Annahme einer Sukzession Schwierigkeiten. Denn das zugestandene Faktum, eine Sache gleich einem Räuber oder Dieb zu besitzen, betrifft eigentlich nur die Personen, die an der Begründung des precarium beteiligt sind. Zwar lässt es sich noch vergleichsweise leicht auf den Rechtsnachfolger des Gebers erstrecken, weil auch ihm gegenüber wahr sein kann, dass der andere Teil 158 Gegen Interpolationsannahmen, wie sie sich etwa bei Zamorani, Precario habere, S. 259 f. finden, wendet sich wiederum Zimmermann, Rechtserwerb, S. 84. Dass Julians Aussage ursprünglich auf die fiducia bezogen war, glaubt Biavaschi, Ricerche, S. 227 f. 159 Dass hier der vertragsrechtliche Gedanke der Unmöglichkeit wirksam ist, nimmt trotz seiner Zweifel an der Echtheit der Auflistungen verbotener Geschäfte über die eigene Sache auch Kaser, SZ 89 (1972) 94, 141 an. Ähnlich Zimmermann, Rechtserwerb, S. 82 f., der die Übertragung des Unmöglichkeitskonzepts dadurch veranlasst sieht, dass sich das precarium nicht in seinen besitzrechtlichen Wirkungen erschöpfe. 160 Dass es in den Quellen auch keinen Anhaltspunkt für einen Streit über die Frage gibt, ob die Regel gelten soll, hebt Zimmermann, Rechtserwerb, S. 104 hervor.

IV. Rechtsnachfolge in das precarium?

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nur kraft seiner Bitte besitzt. Dass dies aber auch auf den Rechtsnachfolger des Prekaristen zutrifft, ist nur schwer vorstellbar, hat er doch selbst gar nicht eingeräumt, die Sache unrechtmäßig zu besitzen.161 Da außer dem Vertragscharakter des precarium auch dessen Funktion, die Rechtsposition des Gebers zu konservieren, klar für einen Übergang der Besitzlage spricht,162 überrascht nicht, dass die Rechtsnachfolge in die Rolle des Prekaristen von den römischen Juristen kontrovers beurteilt wird. Einig sind sie sich nur insoweit, als sie den Rechtsnachfolger des Gebers für berechtigt halten, dem Prekaristen die Unrechtmäßigkeit seines Besitzes vorzuhalten. Wie Ulpian berichtet, ist dies schon die gemeinsame Auffassung von Sabinus und Labeo und entspricht auch der Ansicht des Celsus: D 43.26.8.1 Ulp 71 ed Quod a Titio precario quis rogavit, id etiam ab herede eius precario habere videtur: et ita et Sabinus et Celsus scribunt eoque iure utimur. ergo et a ceteris successoribus habere quis precario videtur. idem et Labeo probat et adicit, etiamsi ignoret quis heredem, tamen videri eum ab herede precario habere. Hat jemand Titius darum ersucht, dass ihm etwas bittweise überlassen wird, wird er so angesehen, als habe er es auch von seinem Erben bittweise inne; und dies schreiben Sabinus und Celsus, und so halten wir es. Also wird er auch so angesehen, als habe er es von anderen Rechtsnachfolgern inne. Dasselbe nimmt Labeo an und fügt hinzu, dass er auch dann so angesehen werde, als habe er es von dem Erben bittweise inne, wenn er von dem Erben nichts wisse.

Dass Ulpian die Ahnherren der beiden Rechtsschulen und darüber hinaus noch einen Hochklassiker für diese Lösung in Anspruch nimmt, könnte darauf hindeuten, dass sie, wenn auch in klassischer Zeit nicht mehr umstritten, so doch keineswegs selbstverständlich ist. Und Labeos Hinweis auf eine mögliche Unkenntnis des Erben können wir auch entnehmen, worin der Grund für denkbare Zweifel an der Überleitung des precarium liegt: Soll das Rückforderungsrecht unabhängig von dem Wissen des Erben auf diesen übergehen, entspricht dies einer Rechtsnachfolge, wie sie beim Schuldvertrag stattfindet und für einen Besitzvertrag nicht ohne Weiteres evident ist, weil der Besitz eigentlich nicht ohne Sachherrschaftswillen auskommt. Dass mit den ,ceteri successores‘, von denen Ulpian spricht, nicht etwa Erwerber der bittweise überlassenen Sache, sondern nur die mit erbengleicher Stellung ausgestatteten Nachlassbesitzer und vielleicht noch die Begünstigten eines Vindikationslegats gemeint sein können, zeigt der Fortgang des Textes. Erst hier wendet sich Ulpian nämlich der Frage zu, ob die Veräußerung der in precarium gegebenen Sache unter Lebenden zu einer Einzelrechtsnachfolge führt. Er bejaht auch 161 Kaser, SZ 89 (1972) 94, 127 sieht daher die Voraussetzung des ,precario habere‘ nicht gegeben. 162 Dass der Übergang der Position des Prekaristen einem praktischen Bedürfnis entspricht, erkennt auch Kaser, SZ 89 (1972) 94, 126.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

dies, stellt aber zugleich klar, dass eine solche Überleitung unnötig ist, wenn der Erwerber den Besitz des Prekaristen hinnimmt und es so zur stillschweigenden Vereinbarung über ein neues precarium kommt: D 43.26.8.2 Ulp 71 ed Illud tamen videamus quale sit, si a me precario rogaveris et ego eam rem alienavero, an precarium duret re ad alium translata. et magis est, ut, si ille non revocet, posse interdicere quasi ab illo precario habeas, non quasi a me: et si passus est aliquo tempore a se precario habere, recte interdicet, quasi a se precario habeas. Wir müssen aber zusehen, wie es sich verhält, wenn du mich um die bittweise Überlassung ersucht hast und ich diese Sache dann veräußert habe, ob nämlich die bittweise Überlassung andauert, nachdem die Sache auf einen anderen übertragen worden ist. Und es ist richtiger, dass er, wenn er sie nicht widerruft, so den Erlass eines Interdikts erwirken kann, als hättest du sie bittweise von ihm, nicht von mir inne; und wenn er es zu irgendeinem Zeitpunkt duldet, dass du sie von ihm bittweise innehast, kann er zu Recht ein Interdikt erwirken, weil du sie von ihm bittweise innehast.

Im umgekehrten Fall soll es nach Ansicht von Celsus dagegen noch nicht einmal zu einem Übergang des precarium auf den Erben des Prekaristen kommen, weil ihm mangels eigener Bitte kein fehlerhafter Besitz attestiert werden kann:163 D 43.26.12.1 Cels 25 dig Precario rogatio et ad heredem eius qui concessit transit: ad heredem autem eius qui precario rogavit non transit, quippe ipsi dumtaxat, non etiam heredi concessa possessio est. Das Ersuchen um bittweise Überlassung geht auch auf den Erben desjenigen, der es gestattet hat, über; auf den Erben desjenigen, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, geht es freilich nicht über, weil nur ihm, nicht auch dem Erben der Besitz zugestanden worden ist.

Ebenso befindet Papinian, der eine bittweise Überlassung an den Erblasser nicht für geeignet hält, eine Haftung des Erben auszulösen, und ihr lediglich die Wirkung zuspricht, die Ersitzung der Sache auszuschließen:164 D 44.3.11 Pap 2 def Cum heres in ius omne defuncti succedit, ignoratione sua defuncti vitia non excludit, veluti cum sciens alienum [illum illo] „clam ille“ vel precario possedit: quamvis enim precarium heredem ignorantem non teneat nec interdicto recte conveniatur, tamen usucapere non poterit, quod defunctus non potuit. . . . Da ein Erbe in die gesamte Rechtsstellung des Verstorbenen eintritt, schließt seine Unkenntnis die beim Verstorbenen vorhandenen Mängel nicht aus, wie zum Beispiel, wenn jener einen fremden Sklaven wissentlich heimlich oder bittweise besessen hat; 163 Vgl. Kaser, SZ 89 (1972) 94, 129 und Biavaschi, Ricerche, S. 167 f. Von einer Interpolation geht Zamorani, Precario habere, S. 241 aus, der die Wirkung des precarium gegenüber dem Rechtsnachfolger im klassischen Recht schon durch die Fehlerhaftigkeit des Besitzes begründet sieht. 164 Hierzu Kaser, SZ 89 (1972) 94, 132 f. Für interpoliert erklärt auch diesen Text Zamorani, Precario habere, S. 229 f., 241.

IV. Rechtsnachfolge in das precarium?

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obwohl nämlich die bittweise Überlassung den unwissenden Erben nicht verpflichtet und er auch nicht mit Recht mit dem Interdikt belangt würde, kann er doch nicht ersitzen, was der Verstorbene nicht ersitzen konnte. . . .

Anders sieht dies Ulpian. Er lässt Erben des Prekaristen sowohl für die Rückgabe einer bei ihm vorhandenen Sache als auch für deren arglistigen Verlust einstehen und gesteht ihm nur insoweit eine Erleichterung zu, als er für die Arglist des Erblassers nur in Höhe seiner eigenen Bereicherung haften soll:165 D 43.26.8.8 Ulp 71 ed Hoc interdicto heres eius qui precario rogavit tenetur quemadmodum ipse, ut, sive habet sive dolo fecit quo minus haberet vel ad se perveniret, teneatur: ex dolo autem defuncti hactenus, quatenus ad eum pervenit. Mit diesem Interdikt haftet auch der Erbe desjenigen, der um die bittweise Überlassung ersucht hat, ebenso wie dieser selbst, sei es, dass er die Sache innehat, sei es, dass er vorsätzlich bewirkt hat, dass er sie nicht innehat oder sie an ihn gelangt; aufgrund des Vorsatzes des Verstorbenen haftet er freilich nur insoweit, als etwas an ihn gelangt ist.

Bedeutet die Haftungsbeschränkung bei doloser Besitzaufgabe durch den Erblasser auch eine an die Deliktshaftung angelehnte Ausnahme, folgt Ulpian mit seiner Entscheidung für den Eintritt des Erben in die Rechtsstellung des Prekaristen doch dem Modell der Schuldverträge, mit denen sich das precarium den Abschlussmodus teilt.166 Für die Juristen der diokletianischen Kanzlei ist die Auffassung Ulpians derart selbstverständlich, dass sie die Rechtsnachfolge nach dem Prekaristen als offensichtlich anerkannt bezeichnen (,manifeste declaratur‘).167 Dagegen schließt sich der Autor der Paulussentenzen wieder der Ansicht von Celsus und Papinian an und verneint eine Einstandspflicht des Erben eines Prekaristen mit der Begründung, dieser habe seinerseits nicht um die Überlassung der Sache ersucht: PS 5.6.12 Heres eius, qui precariam possessionem tenebat, si in ea manserit, magis dicendum est clam videri possidere: nullae enim preces eius videntur adhibitae. Et ideo persecutio eius rei semper manebit nec interdicto locus est. Es ist eher zu sagen, dass der Erbe desjenigen, der den Besitz bittweise innehatte, wenn er in dieser Lage verbleibt, so anzusehen ist, als ob er heimlich besitzt; denn sie haben keine Bitte gestellt. Und daher bleibt die Möglichkeit zur Verfolgung der Sache immer erhalten, aber das Interdikt greift nicht Platz.

Besitzschutz kann der Geber danach nicht mit dem interdictum de precario, sondern nur in der Weise erlangen, dass er sich im Streit über das interdictum uti 165

Nur diese Lösung will Zamorani, Precario habere, S. 230 ff. als klassisch gelten

lassen. 166 Anders offenbar Kaser, SZ 89 (1972) 94, 128, der meint, der Erbe werde nur wie ein Prekarist behandelt, ohne aber ein solcher zu sein. 167 CJ 8.9.2 (a 293); s. o. S. 29; vgl. auch Kaser, SZ 89 (1972) 94, 128.

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§ 3 Rechtsgeschäft und Tatsache

possidetis oder das interdictum utrubi durchsetzt, weil der Erbe die Sache heimlich besitzt.168 Dies setzt freilich voraus, dass der Erbe die Zugehörigkeit der Sache zum Vermögen des Gebers erkannt und sie ihm absichtlich vorenthalten hat.169 Dem praktischen Bedürfnis, das durch die Überleitung des precarium auf den Erben des Prekaristen befriedigt wird, genügt diese Lösung also nicht.170

V. Ergebnis Wegen des Gegensatzes, der zwischen Abschlussmodus und Gegenstand des precarium besteht, hat dieses eine Zwitternatur: Es ist zwar einerseits Rechtsgeschäft, weil es ebenso wie ein Schuldvertrag begründet wird. Da es sich auf das Faktum des fehlerhaften Besitzes richtet, bringt es aber auf der anderen Seite ein rein tatsächliches Verhältnis hervor. Diese Diskrepanz macht sich in zahlreichen Entscheidungen der römischen Juristen zu Begründung und Überleitung eines precarium bemerkbar: Da das Zugeständnis fehlerhaften Besitzes nicht ohne tatsächliche Sachherrschaft auskommt, ist das precarium daran gebunden, dass der Prekarist wirklich den Besitz der ihm überlassenen Sache erlangt. Mag man hierin auf den ersten Blick noch eine gewisse Ähnlichkeit zu den Realverträgen erkennen, führt der faktische Charakter der Beziehung doch dazu, dass das precarium anders als ein Darlehen auch nicht durch anweisungsgemäße Übergabe an einen Dritten begründet werden kann. Die zum Abschluss des precarium erforderliche Einigung der Parteien vollzieht sich im Grundsatz wie bei den Schuldverträgen. Dementsprechend kann das precarium als ,negotium gestum‘ auch durch einen Gewaltunterworfenen und durch einen procurator mit Wirkung für den Geschäftsherrn begründet werden. Bei einem Mündel, das eine Sache als Prekarist übernimmt, bedarf es jedoch keiner Zustimmung des Vormunds, und zwar nicht nur, weil das Mündel nicht weiter verpflichtet wird, als es bereichert ist, sondern auch und vor allem, weil das precarium auf eine Tatsache gerichtet ist, die keiner Beteiligung des Vormunds zugänglich ist. Aus demselben Grund ist für die Juristen auch fraglich, ob 168 Dagegen glaubt Zamorani, Precario habere, S. 238, die Fortwirkung des precarium ergebe sich allein aus der Entscheidung für eine actio civilis, die der Sentenzenverfasser in § 10 trifft (s. o. S. 34 f.). 169 Kaser, SZ 89 (1972) 94, 130. 170 Biavaschi, Ricerche, S. 142, 317 glaubt in Anknüpfung an einen Gedanken von Zamorani, Precario habere, S. 203 f., 234 ff., die Gegner einer Rechtsnachfolge in das precarium seien ihm schon klassischer Zeit mit Hilfe der condictio incerti nachgekommen. Die einschlägigen Quellen (s. o. S. 43 ff.) lassen jedoch keinen Bezug zu dem Fall erkennen, dass das precarium wegen des Todes des Prekaristen wirkungslos wird; eine vage Verbindung lässt sich bestenfalls in den Paulussentenzen ausmachen, in denen die actio civilis und auch die Fortwirkung des precarium gegenüber dem Rechtsnachfolger des Prekaristen behandelt werden.

V. Ergebnis

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das Verhältnis andauert, wenn der Prekarist zwar bei Vertragsschluss geschäftsfähig, nachher aber geisteskrank geworden ist. Der Ähnlichkeit zu den Schuldverträgen ist wiederum das Verbot des precarium rei suae geschuldet. Zwar legt der tatsächliche Charakter der Beziehung nahe, dass dieser Ausschlusstatbestand auf der Unvereinbarkeit von Eigen- und Fremdbesitz beruht. Die Auflockerung des Verbots durch Anerkennung eines auf den Besitz gerichteten precarium, wie sie insbesondere für den praktisch wichtigen Fall der Überlassung einer Pfandsache anerkannt ist, beruht jedoch auf einer anderen Erwägung. Entscheidend ist, dass der Besitz der Sache für den Eigentümer nicht zwingend eine res sua sein muss und folglich auch durch den Geber verschafft sein kann. Diese Überlegung hat eine Parallele in der Zulassung eines Besitzkaufs und erhellt, dass das Verbot des precarium rei suae dem bei den Schuldverträgen ebenfalls maßgeblichen Gedanken entspringt, ein Geschäft über einen dem Empfänger schon gehörenden Vermögensgegenstand sei sinnlos. Der tatsächliche Charakter des precarium ist dagegen wieder Auslöser für den Streit über eine Rechtsnachfolge nach den Parteien. Verstünde sich diese bei einem Schuldvertrag von selbst, bereitet sie bei einem faktischen Verhältnis gedankliche Schwierigkeiten. Dies gilt sogar für die zumindest in klassischer Zeit nicht mehr umstrittene Rechtsnachfolge nach dem Geber, weil sie sich ohne den für den Besitz ansonsten erforderlichen Sachherrschaftswillen vollzieht. Zu einem bis in die Nachklassik geführten Meinungsstreit kommt es aber in der Frage der Rechtsnachfolge nach dem Prekaristen. Während Ulpian und die diokletianische Kanzlei sie nach dem Muster der Schuldverträge für möglich halten und so einem praktischen Bedürfnis gehorchen, sind andere Hoch- und Spätklassiker und sogar noch der Autor der Paulussentenzen gegenteiliger Ansicht, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sich das Zugeständnis der Tatsache, eine Sache wie ein Räuber oder Dieb innezuhaben, allein gegen denjenigen wenden kann, der es selbst gemacht hat.

§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz Der Widerspruch zwischen dem vertraglichen Abschlussmodus und dem faktischen Gegenstand des precarium macht sich nicht nur bei der Frage seiner wirksamen Begründung und Überleitung auf einen Rechtsnachfolger bemerkbar; er schlägt auch auf die besitzrechtliche Ebene durch und führt hier zu einer divergenten Einordnung des durch bittweise Überlassung erlangten Besitzes. Dieser muss, da er infolge der Unterwerfung des Prekaristen unter den Geber dem Besitz eines Räubers oder Diebs gleichsteht, eine possessio iniusta sein. Bedenkt man, dass er mit dem Einverständnis des Gebers erlangt ist, tut man sich mit dieser Einordnung aber zumindest so lange schwer, als der Geber die Sache noch nicht zurückverlangt hat. Dementsprechend nimmt nicht wunder, dass wir den Besitz des Prekaristen in den Quellen unterschiedlich eingeordnet und ihn einmal als fehlerhaft, das andere Mal als rechtmäßig bezeichnet finden.

I. Der Prekaristenbesitz als possessio iniusta Als Gegenstand einer ratio dubitandi erscheint der fehlerhafte Besitz des Prekaristen in einer Entscheidung von Celsus zum Erhalt eines Wegerechts, das für das überlassene Grundstück bestellt ist:171 D 8.6.12 Cels 23 dig Qui fundum alienum bona fide emit, itinere quod ei fundo debetur usus est: retinetur id ius itineris: atque etiam si precario aut vi deiecto domino possidet: fundus enim qualiter se habens ita, cum in suo habitu possessus est, ius non deperit, neque refert, iuste nec ne possideat, qui talem eum possidet. . . . Wer ein fremdes Grundstück rechtmäßig gekauft hat, hat einen Weg benutzt, der diesem Grundstück geschuldet wird; es bleibt das Wegerecht erhalten, und zwar auch, wenn er es bittweise oder nach gewaltsamer Vertreibung des Eigentümers besitzt; denn ein Grundstück, wie immer es auch beschaffen sein mag, verliert, wenn es gemäß seiner Beschaffenheit besessen wird, sein Recht nicht, und es spielt keine Rolle, ob derjenige, der es so besitzt, es rechtmäßig besitzt oder nicht . . .

Der Eigentümer eines mit einem Wegerecht belasteten Grundstücks kann die Freiheit von dieser Dienstbarkeit nicht ersitzen, solange das herrschende Grundstück samt des Wegerechts genutzt wird. Dies gilt nicht nur bei einer Nutzung durch den Eigentümer, sondern auch dann, wenn ein gutgläubiger Erwerber hiervon Gebrauch macht, und sogar, wenn der Besitzer des herrschenden Grund171

Hierzu auch MacCormack, TR 42 (1974) 71, 75, Biavaschi, Ricerche, S. 169 ff.

I. Der Prekaristenbesitz als possessio iniusta

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stücks dieses gewaltsam oder im Zuge einer bittweisen Überlassung erlangt hat. Der Grund, aus dem sich in diesem Fall Zweifel ergeben, ist, dass der Besitz des herrschenden Grundstücks fehlerhaft ist, wohingegen der gutgläubige Erwerber rechtmäßig besitzt und daher eher geeignet erscheint, dem Eigentümer durch seine Nutzung des Wegerechts diese Dienstbarkeit zu erhalten. Zur Entscheidungsgrundlage wird die Fehlerhaftigkeit des bittweise erlangten Besitzes bei Julian, der sich gegen die Anerkennung des Mitbesitzes mehrerer Prekaristen wendet: D 43.26.19pr Iul 49 dig Duo in solidum precario habere non magis possunt, quam duo in solidum vi possidere aut clam: nam neque iustae neque iniustae possessiones duae concurrere possunt. Zwei können eine Sache ebenso wenig gemeinsam bittweise innehaben, wie zwei eine Sache gemeinsam gewaltsam oder heimlich besitzen können; denn es können weder der rechtmäßige noch der unrechtmäßige Besitz zusammentreffen.

Dass ein Prekarist die Sache mit Einverständnis des Eigentümers innehat, legt nahe, ihn im Fall einer Überlassung an mehrere ebenso als Mitbesitzer anzusehen, weil er auch aus einem vergleichbaren Schuldvertrag in solidum berechtigt wäre. Für Julian steht einer solchen Lösung jedoch entgegen, dass auch diejenigen, die eine Sache gewaltsam oder heimlich an sich gebracht haben, nicht als Mitbesitzer gelten. Da ihr Besitzer fehlerhaft ist, können sie sich nicht gegenseitig als Mitinhaber der Sache anerkennen, sondern sind so zu behandeln wie zwei Eigenbesitzer, die sich für Alleineigentümer halten und sich daher auch nicht in den Besitz teilen können. Da der durch bittweise Überlassung erlangte Besitz nur eine vertragliche Nachbildung des gewaltsam oder heimlich begründeten ist,172 will Julian auch beim precarium keinen Mitbesitz zulassen und sieht die Sachherrschaft des einen Prekaristen als Hindernis für den Besitz des anderen an. Für einen zweifelhaften Schluss auf den heimlich begründeten Besitz nutzt Julian die Ähnlichkeit des vi oder clam begründeten Besitzes zum precarium in einer bei Afrikan überlieferten Entscheidung: D 41.2.40.3 Afr 7 quaest Si servum meum bonae fidei emptori clam abduxerim, respondit non videri me clam possidere, quia neque precarii rogatione neque conductione suae rei dominum teneri et non posse causam clandestinae possessionis ab his duabus causis separari. Er hat befunden, dass ich, wenn ich meinen Sklaven seinem rechtmäßigen Käufer heimlich entführt habe, nicht so angesehen werde, als ob ich heimlich besäße, weil ein Eigentümer weder aufgrund einer bittweisen Überlassung noch aufgrund der Miete der eigenen Sache hafte und der heimliche Besitz nicht von diesen Fällen zu trennen sei. 172 Richtig Biavaschi, Ricerche, S. 137. Anders zu Unrecht MacCormack, TR 42 (1974) 71, 78 f.

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§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz

Eigentlich widerspricht es dem Sinn der Besitzschutzrechte, dass sich derjenige, der seinen eigenen Sklaven einem Besitzer entwendet hat, durch Berufung auf sein Eigentum von dem Vorwurf verbotener Eigenmacht befreien kann.173 Nichtsdestoweniger lässt Julian eben dies zu, indem er auf das Verbot des precarium rei suae verweist: Kann der Eigentümer grundsätzlich auch nicht mit dem interdictum de precario in Anspruch genommen oder bei der Auseinandersetzung über den Erlass eines interdictum utrubi überwunden werden, soll dasselbe gelten, wenn er sich der Sache heimlich bemächtigt hat. Die verbotene Eigenmacht erscheint Julian nicht vom precarium zu trennen zu sein, weil der Besitz in beiden Fällen fehlerhaft ist und damit denselben Regeln gehorchen muss. Hält er sich so allein an das gemeinsame Merkmal der possessio iniusta, vernachlässigt er den Umstand, dass die Sache im einen Fall gegen, im anderen mit dem Willen des früheren Besitzers an den Eigentümer gelangt ist.174 In voller Schärfe träte Julians Fehlschluss hervor, wenn man aus demselben Grund auch einen Besitzschutz bei gewaltsamer Entwendung verneinte.175 Ebenso fragwürdig ist, dass die Gleichstellung mit dem durch Gewalt oder heimliche Entwendung begründeten Besitz für Ulpian später den Ausschlag gibt, dem Prekaristen einen Rechtserwerb durch Versprechen oder Übergabe an einen bittweise überlassenen Sklaven zu verwehren: D 41.1.22 Ulp 40 Sab Nemo servum vi possidens aut clam aut precario per hunc stipulantem vel rem accipientem potest adquirere. Niemand, der einen Sklaven gewaltsam, heimlich oder bittweise besitzt, kann durch ihn etwas erwerben, indem er sich etwas versprechen lässt oder eine Sache erhält.

Aus demselben Grund verordnet Kaiser Zeno später, dass ein Prekarist, der die ihm überlassene Sache nicht freiwillig zurückgewährt, sondern den Ausgang des Prozesses abwartet, zur Strafe außer der Sache noch deren Wert leisten muss: CJ 8.4.10 (a 484) Imp. Zeno A. Sebastiano pp. Non ab re est, quemadmodum possessionis alienae invasores tam vetus quam praesens sacra constitutio censuit puniendos, nec conductoribus et possessionis alienae detentoribus impune procedere, si locatoribus forte vel possessionem rerum suarum, quam apud alios precario modo esse concesserant, recuperare secundum leges volentibus, cum nulla sibimet cognita legibus adlegatio competeret, duxerint resistendum, et non protinus, id est non expectato iudiciorum ordine, alienam possessionem recte eam recuperantibus cedere patiantur. (1) Eos namque iubemus pro tanta suae iniquitatis impudentia, si cognitionis iudiciariae eventu fuerint condemnati, rei, cuius possessionem sponte restituere usque ad defini-

173 Nicht völlig grundlos, wenn auch freilich nicht durchgreifend, sind in diesem Fall daher die Echtheitszweifel von Zamorani, Precario habere, S. 253 ff. 174 Vgl. Kaser, SZ 89 (1972) 94, 136. 175 Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 84 f.

I. Der Prekaristenbesitz als possessio iniusta

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tivam sententiam minime passi sunt, aestimationem victrici parti una cum ipsa re praebere compelli. Kaiser Zeno an den Prätorianerpräfekten Sebastian. Es ist nicht abwegig, wenn alte und gegenwärtige heilige Verordnungen festsetzen, dass ebenso wie diejenigen zu bestrafen sind, die sich fremden Besitzes bemächtigt haben, auch nicht Mieter und diejenigen, die fremden Besitz innehaben, ungestraft bleiben, wenn sie sich lieber dem Vermieter oder denjenigen, die den Besitz ihrer Sachen bittweise einem anderen überlassen haben und ihn nach den Gesetzen zurückerlangen wollen, obwohl ihnen keinen von den Gesetzen anerkannte Rechtfertigung zusteht, widersetzen und den fremden Besitz nicht sofort, also ohne den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, den im Recht befindlichen Klägern zukommen lassen. (1) Wir befehlen nämlich, dass sie wegen dieser ungerechten Unverschämtheit, wenn sie mit Ausgang des gerichtlichen Verfahrens verurteilt werden, gezwungen werden, den Wert der Sache, deren Besitz sie bis zur endgültigen Entscheidung keineswegs freiwillig zurückgewähren wollten, der obsiegenden Partei zusammen mit der Sache zu leisten.

In einer Parallelüberlieferung dieser Konstitution an anderer Stelle von Justinians Codex wird dabei ausdrücklich der Fall der gewaltsamen Besitzergreifung als Vorbild für die Regelung des precarium genannt: CJ 4.65.33 (a 484) Imp. Zeno A. Sebastiano pp. Conductores rerum alienarum seu alienam cuiuslibet rei possessionem precario detinentes seu heredes eorum, si non eam dominis recuperare volentibus restituerint, sed litem usque ad definitivam sententiam expectaverint, non solum rem locatam, sed etiam aestimationem eius victrici parti ad similitudinem invasoris alienae possessionis praebere compellantur. Kaiser Zeno an den Prätorianerpräfekten Sebastian. Die Mieter fremder Sachen und diejenigen, die den fremden Besitz irgendeiner Sache bittweise innehaben, sowie ihre Erben sollen, wenn sie sie nicht ihren Eigentümern, die sie zurückerlangen wollen, zurückgewähren, sondern den Ausgang des Rechtsstreits bis zur endgültigen Entscheidung abwarten, nicht nur dazu gezwungen werden, die gemietete Sache zu leisten, sondern auch dazu, dem obsiegenden Teil ihren Wert zu erstatten, und zwar nach dem Vorbild desjenigen, der sich fremden Besitzes bemächtigt hat.

Die einschlägige Verordnung ist etwa hundert Jahre älter und geht auf Theodosius den Großen zurück: CJ 8.4.7 (a 389) Valentinianus Theodosius et Arcadius ad Messianum comitem rerum privatarum. Si quis in tantam furoris pervenit audaciam, ut possessionem rerum apud fiscum vel apud homines quoslibet constitutarum ante eventum iudicialis arbitrii violenter invaserit, dominus quidem constitutus possessionem quam abstulit restituat possessori et dominium eiusdem rei amittat: sin vero alienarum rerum possessionem invasit, non solum eam possidentibus reddat, verum etiam aestimationem earundem rerum restituere compellatur. Valentinian, Theodosius und Arcadius an Messian, Minister des kaiserlichen Privatvermögens. Ist jemand in wahnsinniger Frechheit so weit gegangen, den Besitz von Sachen, die der Fiskus oder irgendein Privater innehaben, vor einer gerichtlichen Entscheidung gewaltsam zu ergreifen, soll er, wenn er sich als ihr Eigentümer er-

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§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz weist, den Besitz, den er an sich gerissen hat, dem Besitzer zurückgewähren und das Eigentum an der Sache verlieren; hat er aber den Besitz fremder Sachen ergriffen, soll er ihn nicht allein ihren Besitzern zurückgewähren, sondern auch gezwungen werden, den Wert dieser Sachen zu leisten.

Die im Anschluss hieran verfügte Bestrafung des widerspenstigen Prekaristen lässt sich allein damit rechtfertigen, dass er ebenso wie derjenige, der verbotene Eigenmacht verübt hat, lediglich über eine possessio iniusta verfügt.176 Dieser formale Gesichtspunkt gewinnt unter Zeno die Oberhand über die materielle Perspektive, aus der das Verhalten des gewaltsam oder heimlich vorgehenden Besitzers ungleich sanktionswürdiger erscheint als der Ungehorsam eines Prekaristen, dem der Geber die Sache ja freiwillig überlassen hat.

II. Abweichungen vom Konzept der possessio iniusta Zeitigt die Zuordnung zum fehlerhaften Besitz zuweilen zweifelhafte Ergebnisse, verwundert nicht, dass diese Regel zuweilen durchbrochen wird. Eine Abweichung ist schon durch das prätorische Edikt vorgegeben, das sich beim interdictum de precario einer zeitlichen Beschränkung enthält. Hierauf macht schon der von Ulpian zitierte Labeo aufmerksam: D 43.26.8.7 Ulp 71 ed Interdictum hoc et post annum competere Labeo scribit eoque iure utimur: cum enim nonnumquam in longum tempus precarium concedatur, absurdum est dicere interdictum locum non habere post annum. Labeo schreibt, dieses Interdikt stehe auch nach der Jahresfrist zu, und so halten wir es; denn da eine bittweise Überlassung bisweilen für lange Zeit gestattet wird, wäre es abwegig, zu behaupten, das Interdikt könne nach der Jahresfrist nicht Platz greifen.

In seiner Begründung verweist Ulpian auf die Praxis langfristiger Überlassungen, wie sie bei der Verbindung des precarium mit einer Kreditsicherheit und vor allem bei seiner Kombination mit einem Miet- oder Pachtvertrag auftreten.177 Hier vertrüge sich eine Befristung des Besitzschutzes nicht mit dem Ziel des precarium, die Durchsetzung der Rechtsposition des Gebers zu erleichtern, und zwänge ihn sogar dazu, regelmäßig vorzeitig von dem Interdikt Gebrauch zu machen, um sich seine Rechtsstellung zu bewahren. Unterliegt das interdictum de 176 Beim Mieter ergibt es sich, sofern er nicht zugleich Prekarist ist (s. o. S. 30 f.), daraus, dass er überhaupt keine possessio innehat. Entgegen Levy, Vulgarrecht, S. 260 f. kann ich hier keine Gleichsetzung von precarium und locatio conductio erkennen, die einer nachklassischen Annäherung beider Institute geschuldet wäre. Gegen Levys These wenden sich in diesem Punkt auch Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 483 und Zamorani, Precario habere, S. 97 f. 177 Kaser, SZ 89 (1972) 94, 117 nimmt an, diese Argumentation könne nur von Ulpian stammen und habe sich für Labeo noch verboten, da er kein precarium mit bestimmter Laufzeit gekannt habe.

III. Der Prekaristenbesitz als possessio iusta

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precario daher keiner zeitlichen Beschränkung, bedeutet dies aber eine Abweichung von dem Besitzschutz, wie er bei den gegen Gewalt oder heimliches Vorgehen gerichteten Interdikten unde vi178 und quod vi aut clam179 stattfindet. Die divergente Regelung des precarium ist der Rücksicht auf dessen Vertragscharakter geschuldet, die keine umgehende Sanktion des fehlerhaften Besitzes erheischt und sie sogar untunlich erscheinen lässt. Die Vertragsnatur macht sich ferner bemerkbar, wenn Julian das precarium vom Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung ausnimmt: D 43.26.6.3 Ulp 71 ed Iulianus ait eum, qui vi alterum deiecit et ab eodem precario rogavit, desinere vi possidere et incipere precario, neque existimare sibi ipsum causam possessionis mutare, cum voluntate eius quem deiecit coeperit precario possidere: nam si ab eodem emisset, incipere etiam pro emptore posse dominium capere. Julian sagt, derjenige, der einen anderen gewaltsam vertrieben und dann denselben um bittweise Überlassung ersucht hat, höre auf, gewaltsam zu besitzen, und beginne, im Wege bittweise zu besitzen; und er sei auch nicht so anzusehen, als habe er sich selbst den Grund seines Besitzes geändert, da er nun mit Zustimmung des Vertriebenen bittweise zu besitzen angefangen habe. Denn auch wenn er es von demselben gekauft hätte, könne er beginnen, das Eigentum als Käufer zu erlangen.

Ersucht derjenige, der einen anderen gewaltsam um den Besitz einer Sache gebracht hat, nachträglich um deren bittweise Überlassung, stellt dies eigentlich nur einen Wechsel von einer Art des fehlerhaften Besitzes zur anderen dar. Dementsprechend ließe sich schon leugnen, dass es überhaupt zu einer Veränderung der causa possessionis gekommen ist, die der Wirksamkeit des precarium entgegenstünde. Julian verfährt jedoch anders und verweist auf den Vergleichsfall eines Kaufvertrags: Da es keine eigenmächtige Besitzumwandlung bedeutet, wenn der unrechtmäßige Besitzer seinem Vorgänger die Sache später abkauft, soll dasselbe für die nachträgliche Vereinbarung eines precarium gelten. So stellt Julian den Konsens der Parteien und damit die vertragliche Natur der bittweisen Überlassung heraus und legt nahe, dass sie sich vom gewaltsam erlangten Besitz nicht nur durch ihren Abschlussmodus, sondern auch dadurch unterscheidet, dass sie anders als dieser und ebenso wie ein Kauf einen rechtmäßigen Besitz begründet.180

III. Der Prekaristenbesitz als possessio iusta Kommt es infolge des vertraglichen Charakters der bittweisen Überlassung zu einer unterschiedlichen Handhabung von verbotener Eigenmacht und precarium, liegt der Schritt zu dessen begrifflicher Neuverortung nicht mehr fern. Der kon178 179 180

D 43.16.1pr Ulp 69 ed. D 43.25.15.4 Ulp 71 ed. Vgl. auch Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 138.

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§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz

sensuale Begründungsmodus des precarium spricht dabei für eine Zuordnung zum rechtmäßigen Besitz und eine gleichzeitige Binnenabgrenzung vom Eigenbesitz, der sich durch ein höheres Schutzniveau auszeichnet. Auf eine solche Qualifikation des Prekaristenbesitzes stoßen wir nicht erst in der Spätklassik, sondern schon im Ediktskommentar des Hochklassikers Gaius:181 D 6.2.13.1 Gai 7 ed prov Quaecumque sunt iustae causae adquirendarum rerum, si ex his causis nacti res amiserimus, dabitur nobis earum rerum persequendarum gratia haec actio. (1) Interdum quibusdam nec ex iustis possessionibus competit Publicianum iudicium: namque pigneraticiae et precariae possessiones iustae sunt, sed ex his non solet competere tale iudicium, illa scilicet ratione, quia neque creditor neque is qui precario rogavit eo animo nanciscitur possessionem, ut credat se dominum esse. Was auch immer rechtmäßige Gründe für den Sacherwerb sind, wird, wenn wir die so erlangten Sachen verlieren, uns zu deren Verfolgung diese Klage gewährt. (1) Zuweilen steht die publizianische Klage freilich auch bei rechtmäßigem Besitz nicht zu; denn der Pfandbesitz oder der bittweise erlangte Besitz sind rechtmäßig, aber deshalb steht gewöhnlich diese Klage nicht zu, und zwar aus dem Grund, dass weder ein Gläubiger noch derjenige, der bittweise um eine Sache ersucht, den Besitz mit der Vorstellung erlangt hat, Eigentümer zu sein.

Indem er als Voraussetzung der publizianischen Klage den rechtmäßig erlangten Besitz bestimmt, geht Gaius zunächst über den Kreis der Besitzarten hinaus, die unter das Klageformular fallen. Da dieses an die Möglichkeit eines Rechtserwerbs durch Ersitzung anknüpft,182 ist die Aktivlegitimation auf Eigenbesitzer beschränkt und nicht gegeben, wenn jemand eine Sache als Pfandgläubiger oder Prekarist besitzt. Während der Pfandgläubiger der actio Publiciana auch gar nicht bedarf, weil er ja eigens über eine Herausgabeklage in Gestalt der actio Serviana verfügt, muss der Prekarist ohne einen vergleichbaren Rechtsbehelf auskommen, weil die bittweise Überlassung ja nicht zu seinem Vorteil, sondern dazu gedacht ist, die Durchsetzung der Rechtsposition des Gebers zu erleichtern. Nichtsdestoweniger nennt Gaius den Prekaristenbesitz eine possessio iusta. Wegen seiner Begründung durch Vereinbarung mit dem Geber beruht er nämlich ebenso wie der Besitz des Pfandgläubigers oder Ersitzungsbesitzers auf einem zulässigen Erwerbsgrund. Auf dieselbe Weise charakterisiert später Paulus den Prekaristenbesitz,183 wenn es um die Haftung gegenüber Dritten geht:184 D 9.4.22.1 Paul 18 ed Is qui pignori accepit vel qui precario rogavit non tenetur noxali actione: licet enim iuste possideant, non tamen opinione domini possident . . . 181 182 183 184

Für interpoliert erklärt diesen Text Zamorani, Precario habere, S. 209 f. Gai 4.36. Von einer Interpolation geht wiederum Zamorani, Precario habere, S. 209 f. aus. Zum Fortgang dieses Fragments s. u. S. 87.

III. Der Prekaristenbesitz als possessio iusta

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Diejenigen, die ein Pfand erhalten haben oder um eine bittweise Überlassung ersucht haben, haften nicht mit der Noxalklage: Obwohl sie nämlich rechtmäßig besitzen, besitzen sie doch nicht in der Annahme, Eigentümer zu sein . . .

Die Noxalhaftung für das von einem Sklaven verübte Delikt setzt nicht voraus, dass sich der Täter im Eigentum des Anspruchsgegners befindet; sie trifft auch einen bonae fidei possessor185 und nach Ansicht einiger Juristen sogar einen bösgläubigen Besitzer186. Daher lässt sich erwägen, ob ihr auch ein Pfandgläubiger oder Prekarist unterliegen, dem der Täter überlassen worden ist. Paulus verneint dies unter Verweis auf den mangelnden Eigenbesitz187 und bedient sich damit desselben Arguments, aus dem Gaius auch die Gewährung der actio Publiciana ablehnt. Und ebenso wie der Hochklassiker versäumt er nicht, darauf hinzuweisen, dass Pfandgläubiger und Prekarist rechtmäßig besitzen, weil ihr Besitz mit dem Einverständnis des Verpfänders oder Gebers begründet worden ist. Eine vergleichbare Einordnung des Prekaristenbesitzes findet sich schließlich auch in Ulpians Kommentierung der actio communi dividundo:188 D 10.3.7.4f. Ulp 20 ed Inter praedones autem hoc iudicium locum non habet, nec si precario possideant locum habebit nec si clam, quia iniusta est possessio ista precaria vero iusta quidem, sed quae non pergat ad iudicii vigorem. (5) Iulianus scribit, si alter possessor provocet, alter dicat eum vi possidere, non debere hoc iudicium dari nec post annum quidem, quia placuit etiam post annum in eum qui vi deiecit interdictum reddi. et si precario, inquit, dicat eum possidere, adhuc cessabit hoc iudicium, quia et de precario interdictum datur. sed et si clam dicatur possidere qui provocat, dicendum esse ait cessare hoc iudicium: nam de clandestina possessione competere iudicium inquit. Unter Räubern greift diese Klage aber nicht Platz, und auch dann nicht, wenn sie bittweise oder heimlich besitzen, weil dieser Besitz unrechtmäßig, der bittweise Besitz zwar rechtmäßig, aber nicht so beschaffen ist, dass er Klageschutz erheischt. (5) Julian schreibt, dass diese Klage nicht gewährt werden dürfe, wenn ein Besitzer sie erhebt, der andere behauptet, dass dieser gewaltsam besitze, und zwar auch nicht nach Ablauf eines Jahres, weil das Interdikt gegen denjenigen, der mit Gewalt vertrieben hat, anerkanntermaßen auch nach einem Jahr gewährt wird. Und wenn er behauptet, er besitze bittweise, entfalle, wie er sagt, diese Klage immer noch, weil auch ein Interdikt wegen der Bittleihe gewährt wird. Aber auch wenn er behauptet, der Kläger besitze heimlich, sei, wie er sagt, zu entscheiden, dass diese Klage entfalle; denn auch wegen heimlichen Besitzes stehe, wie er sagt, ein Interdikt zu.

185

D 9.4.11 Ulp 7 ed. D 9.4.13 Gai 13 ed prov. 187 Anders sieht dies wohl Gaius, der dem Pfandgläubiger die Verteidigung des Täters auferlegt und bei ihrem Ausbleiben einen Untergang des Pfandrechts annimmt; vgl. D 9.4.27pr Gai 6 ed prov. Dies passt dazu, dass er auch eine Haftung des bösgläubigen Besitzers befürwortet; vgl. D 9.4.13 Gai 13 ed prov. 188 Auch gegenüber diesem Text hegt Zamorani, Precario habere, S. 209 f. einen Interpolationsverdacht. 186

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§ 4 Zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz

Der von Ulpian zitierte Julian beschränkt sich darauf, im Fall eines fehlerhaften Besitzes die Gewährung der actio communi dividundo utilis an der Zuständigkeit der einschlägigen Interdikte scheitern zu lassen: Für die Gewährung der besonderen Teilungsklage, die etwa unter Mitinhabern eines beschränkten dinglichen Rechts eröffnet ist,189 besteht kein Bedarf, wenn sich der eine Teil gegen den Besitz des anderen schon mit einem Interdikt wehren kann. Dieser Entscheidung, die sich auf das Verhältnis zwischen den Parteien des Besitzschutzverfahrens bezieht, stellt Ulpian eine Betrachtung über die Beziehung voran, die zwischen den fehlerhaften Besitzern untereinander besteht. Wie sich aus einem direkten Auszug aus Julians Digesten ergibt, hat sich der Hochklassiker auch schon mit dieser Konstellation beschäftigt und festgestellt, dass es nicht zu einem Mitbesitz kommt, wenn sich mehrere einer Sache bemächtigt oder sie gemeinsam bittweise überlassen bekommen haben.190 Fehlt es an einer gemeinsamen Berechtigung, kommt auch die Gewährung einer Teilungsklage nicht in Betracht. Anders entscheidet Ulpian: Er hält nur den gewaltsam oder heimlich erlangten Besitz für eine possessio iniusta. Den durch bittweise Überlassung begründeten Besitz bezeichnet er dagegen ausdrücklich als rechtmäßig; er erfahre jedoch keinen Klageschutz gegenüber Dritten, weshalb er sich mangels gemeinsamer Rechtszuständigkeit im Außenverhältnis gleichfalls nicht für eine Teilungsklage eigne.191 Bleibt die Einordnung als possessio iusta damit abermals folgenlos, ist sie doch ebenso wie bei Gaius durch den vertraglichen Charakter des precarium bedingt, das sich wegen seiner Begründung durch den Konsens von Prekarist und Geber zumindest aus Ulpians Sicht nicht ohne Weiteres mit dem fehlerhaften Besitz eines Räubers oder Diebs gleichsetzen lässt.

IV. Ergebnis Dass sich der Prekarist durch seine Bitte auf eine Stufe mit einem Räuber oder Dieb stellt, verleitet die römischen Juristen mitunter zu zweifelhaften Folgerungen, die an das gemeinsame Merkmal der Fehlerhaftigkeit des Besitzes anknüpfen. So verneinen sie einen Mitbesitz mehrerer Prekaristen ebenso wie den von Räubern und Dieben und schließen aus dem Verbot des precarium rei suae darauf, dass ein Eigentümer auch bei heimlicher Entwendung seiner Sache nicht possessorisch belangt werden kann. In byzantinischer Zeit wird sogar die Strafe, die seit Theodosius an die Selbsthilfe geknüpft ist, auf den Prekaristen ausgedehnt, obwohl dieser die ihm überlassene Sache mit dem Einverständnis des Gebers erlangt hat.

189

Hierzu Harke (Fn. 20), S. 26 ff. D 43.26.19pr Iul 49 dig; s. o. S. 77. 191 Entgegen MacCormack, TR 42 (1974) 71, 73 liegt damit sehr wohl eine Begründung für die Versagung der actio communi dividundo utilis vor. 190

IV. Ergebnis

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Wird der vertragliche Charakter des precarium bei diesen Entscheidungen auch vernachlässigt, entgeht den römischen Juristen doch nicht, dass sich die bittweise Überlassung von den anderen Fällen fehlerhaften Besitzes unterscheidet. So erklären sie, dass der gegen den Prekaristen gewährte Besitzschutz zeitlich unbefristet ist und die nachträgliche Vereinbarung eines precarium nicht gegen das Verbot der eigenmächtigen Besitzumwandlung verstößt, weil es der Zustimmung des Gebers bedarf. Der Vertragscharakter des precarium bestimmt die Juristen sogar zuweilen dazu, den Prekaristenbesitz als possessio iusta zu bezeichnen. Dies betrifft die Aktivlegitimation zur actio Publiciana und zur actio communi dividundo utilis sowie die Passivlegitimation zur Noxalklage. In allen diesen Fällen bleibt die Qualifikation als rechtmäßiger Besitz folgenlos und zwingt sogar zu einer zusätzlichen Binnendifferenzierung nach Eigen- und Fremdbesitz. Dass die römischen Juristen den Prekaristenbesitz nichtsdestoweniger zur possessio iusta erklären, spricht für ihr theoretisches Interesse an der Eigenart einer Besitzposition, die, obgleich fehlerhaft, so doch vertraglich begründet ist.

§ 5 Ein Modell der Besitzteilung? I. Verdopplung des Besitzes Eine weitere Ausprägung des Gegensatzes zwischen der faktischen und der rechtsgeschäftlichen Seite des precarium ist der ambivalente Besitzstatus des Prekaristen. Da die bittweise Überlassung als Vertrag nur zwischen ihm und dem Geber wirken kann, ist auch der hieran anknüpfende Besitzschutz auf dieses Verhältnis beschränkt. Setzt er sich mit Dritten auseinander, muss der Prekarist dagegen über die possessorischen Rechtsbehelfe verfügen, die auch einem Eigenbesitzer zukommen. Denn er übt die tatsächliche Sachherrschaft aus und hat mit der Vereinbarung des precarium kein Zugeständnis gemacht, das seinen Besitzschutz gegenüber Dritten einschränken könnte.192 Dementsprechend finden wir den Besitz und Besitzschutz des Prekaristen in den Quellen auch nur knapp und ohne Anhalt für einen Zweifel festgestellt. Dass er über eine regelrechte possessio verfügt, erwähnt Ulpian beiläufig in seiner Kommentierung des interdictum de precario: D 43.26.4.1 Ulp 71 ed Meminisse autem nos oportet eum, qui precario habet, etiam possidere. Man muss aber festhalten, dass derjenige, der etwas bittweise innehat, auch besitzt.

Dass er gegenüber einem dritten Prätendenten den Erlass des passenden Interdikts erwirken kann, bemerkt Pomponius in einem isoliert überlieferten Satz seines Sabinuskommentars: D 43.26.17 Pomp 23 Sab Qui precario fundum possidet, is interdicto uti possidetis adversus omnes praeter eum, quem rogavit, uti potest. Wer ein Grundstück bittweise besitzt, kann sich des Interdikts „wie ihr besitzt“ gegenüber allen außer demjenigen bedienen, an den er sein Gesuch gerichtet hat.

Nichtsdestoweniger bleibt auch der Geber im Besitz der Sache.193 Er verfügt nicht nur über das interdictum de precario gegen den Prekaristen. Dessen Sachherrschaft wird ihm vielmehr auch in anderer Hinsicht wie eine eigene zugerechnet. So gilt er, wenn ein bittweise überlassener Sklave ein Delikt begangen hat, als derjenige, der die potestas über den Gewaltunterworfenen ausübt:

192 193

Vgl. Zamorani, Precario habere, S. 51 f., Biavaschi, Ricerche, S. 47 ff. Für einen Fall des Besitzkonstituts erklärt dies Klinck, Erwerb, S. 265 ff.

I. Verdopplung des Besitzes

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D 9.4.22.1 Paul 18 ed Is qui pignori accepit vel qui precario rogavit non tenetur noxali actione: licet enim iuste possideant, non tamen opinione domini possident: sed hos quoque in potestate domini intellegi, si facultatem repetendi eos dominus habeat. Diejenigen, die ein Pfand erhalten haben oder um eine bittweise Überlassung ersucht haben, haften nicht mit der Noxalklage: Obwohl sie nämlich rechtmäßig besitzen, besitzen sie doch nicht in der Annahme, Eigentümer zu sein; aber sie werden so angesehen, als ob sie in der Gewalt des Eigentümers seien, wenn dieser die Befugnis hat, sie zurückzuverlangen.

Kommt eine Noxalhaftung des Prekaristen schon deshalb nicht in Betracht, weil er keinen Eigenbesitz hat,194 stellt sich beim Geber die Frage, ob er die tatsächliche Herrschaft über den Sklaven ausübt. Sie ist eine zusätzliche Verurteilungsvoraussetzung,195 die Paulus in der Person des Gebers deshalb erfüllt sieht, weil er die Befugnis hat, den deliktischen Sklaven vom Prekaristen heraus zu verlangen. Unterscheidet sich die für die Noxalhaftung maßgebliche potestas auch begrifflich vom Besitz, ist dieser doch selbst betroffen, wenn der Geber in den Genuss einer sogenannten accessio temporis kommen soll, um sich im Verfahren über den Erlass des interdictum utrubi durchzusetzen: D 41.2.13.7 Ulp 72 ed Si is, qui precario concessit, accessione velit uti ex persona eius cui concessit, an possit, quaeritur. ego puto eum, qui precario concessit, quamdiu manet precarium, accessione uti non posse: si tamen receperit possessionem rupto precario, dicendum esse accedere possessionem eius temporis, quo precario possidebatur. Will derjenige, der etwas bittweise überlassen hat, eine Anrechnung mit Hilfe der Person desjenigen vornehmen, dem er es bittweise überlassen hat, stellt sich die Frage, ob er es kann. Ich glaube, dass derjenige, der etwas bittweise überlassen hat, solange die bittweise Überlassung dauert, von der Anrechnung keinen Gebrauch machen kann; hat er den Besitz nach Auflösung der bittweisen Überlassung zurückerhalten, sei aber zu entscheiden, dass der Besitz für die Zeit, in der die Sache bittweise besessen wurde, angerechnet werde.

Zwar setzt die Zurechnung des Prekaristenbesitzes an den Geber hier die spätere Rückgabe der Sache voraus. Dies liegt jedoch nicht daran, dass die bittweise Überlassung, für sich genommen, nicht ausreichte, um sie dem Geber zugute194

s. o. S. 82 f. D 9.4.21pr Ulp 23 ed: Quotiens dominus ex noxali causa convenitur, si nolit suscipere iudicium, in ea causa res est, ut debeat noxae dedere eum, cuius nomine iudicium non suscipitur: aut si id non faciat, iudicium suscipiet omnimodo, sed non alias condemnabitur, quam si in potestate habeat dolove malo fecerit, quo minus haberet. („Immer wenn der Eigentümer mit einer Noxalklage belangt wird, liegen, wenn er den Rechtsstreit nicht aufnehmen will, die Dinge so, dass er denjenigen ausliefern muss, um dessentwillen er den Rechtsstreit nicht aufnehmen will, und dass er, wenn er dies nicht tut, den Rechtsstreit jedenfalls aufnehmen muss, aber nur dann verurteilt wird, wenn er ihn in seiner Gewalt oder vorsätzlich bewirkt hat, dass er ihn nicht hat.“) 195

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§ 5 Ein Modell der Besitzteilung?

kommen zu lassen. Entscheidend ist vielmehr, dass eine accessio temporis von vornherein nur in Betracht kommt, wenn der Prätendent, zu dessen Gunsten sie erfolgen soll, selbst später die Sachherrschaft erlangt hat; denn die Hinzurechnung der Besitzzeit eines Vorgängers ist nicht ohne späteren eigenen Besitz des Prätendenten denkbar und findet auch im Fall einer Rechtsnachfolge nur unter dieser Voraussetzung statt: Gai 4.151 Sed in UTRUBI interdicto non solum sua cuique possessio prodest, sed etiam alterius, quam iustum est ei accedere, velut eius, cui heres extiterit, eiusque, a quo emerit vel ex donatione aut dotis nomine acceperit. itaque si nostrae possessioni iuncta alterius iusta possessio exsuperat aduersarii possessionem, nos eo interdicto vincimus. nullam autem propriam possessionem habenti accessio temporis nec datur nec dari potest. nam ei, quod nullum est, nihil accedere potest. sed et si vitiosam habeat possessionem, id est aut ui aut clam aut precario ab aduersario adquisitam, non datur accessio; nam ei possessio sua nihil prodest. Aber bei dem Interdikt „bei wem“ nützt jedem nicht nur sein eigener Besitz, sondern auch der eines anderen, der ihm zu Recht zugerechnet wird, zum Beispiel desjenigen, dessen Erbe er geworden ist, oder desjenigen, von dem er die Sache gekauft oder aufgrund einer Schenkung oder als Mitgift erhalten hat. Übertrifft daher der rechtmäßige Besitz eines anderen zusammen mit unserem Besitz den Besitz des Gegners, obsiegen wir im Verfahren über den Erlass dieses Interdikts. Jemandem, der keinen eigenen Besitz hat, wird dagegen keine Ergänzung der Besitzzeit gewährt und kann auch nicht gewährt werden. Denn was nicht vorhanden ist, kann nicht ergänzt werden. Und auch wenn jemand fehlerhaften Besitz hat, nämlich solchen, der gewaltsam, heimlich oder bittweise vom Gegner erworben worden ist, wird keine Ergänzung gewährt; denn ihm nützt der eigene Besitz nichts.

Dass der Prekaristenbesitz auch zum Zwecke der Ersitzung durch den Geber berücksichtigt wird, legt die folgende Entscheidung Javolens nahe: D 41.2.21.3 Iav 7 Cass Qui alienam rem precario rogavit, si eandem a domino conduxit, possessio ad dominum revertitur. Hat jemand, der bittweise um die Überlassung einer fremden Sache ersucht hat, dieselbe vom Eigentümer gemietet, kehrt der Besitz zum Eigentümer zurück.

Die Aussage, eine nachträgliche Miete oder Pacht der bittweise überlassenen Sache vom Eigentümer verschaffe diesem den Besitz, lässt sich am ehesten auf die Frage beziehen, ob der Geber eine fremde Sache ersitzen kann, während sie sich beim Prekaristen befindet.196 Die Rückkehr des Besitzes an den Eigentümer bedeutet nämlich ein Hindernis für die Ersitzung der Sache, die, wenn überhaupt, dann nur dem Geber und nicht dem Prekaristen möglich ist. Eine vergleichbare usucapio findet auch beim pignus statt: Selbst wenn sich die verpfändete Sache beim Pfandgläubiger befindet, behält der Verpfänder den Ersitzungsbesitz.197 196 197

So verstehen den Text auch Manthe (Fn. 54), S. 201, Klinck, Erwerb, S. 265. Hierzu s. o. S. 23 f.

I. Verdopplung des Besitzes

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Setzt sich dieser gegenüber dem bisherigen Sacheigentümer durch, obwohl sein Anspruch auf Rückgabe der Sache gegen den Pfandgläubiger nur bedingt besteht, kann derjenige, der eine Sache bittweise überlassen und damit einen unbedingten Rückgewähranspruch hat, schwerlich schlechter stehen.198 Zur Annahme einer fortdauernden Ersitzung durch den precario dans passt es, dass die Juristen umgekehrt die Ersitzung der Freiheit von einer Dienstbarkeit ausschließen, die zugunsten eines bittweise überlassenen Grundstücks bestellt ist.199 Geht es um Besitzschutz für die Ausübung einer solchen Dienstbarkeit, bejahen sie sogar eine parallele Aktivlegitimation von Prekarist und Geber:200 D 43.19.1.11 Ulp 70 ed Si tibi fundum precario concessero, cui via debebatur, deinde tu a domino fundi precario rogaveris, ut ea via ad eum fundum utaris: an noceat tibi exceptio, si adversus eum velis interdicere, a quo precario viam rogasti? et magis est, ut noceat, idque colligi potest ex eo, quod Iulianus scribit in specie huiusmodi. quaerit enim, si ego tibi fundum precario dedero, cui via debebatur, et tu rogaveris precario, ut ea via utaris: nihilo minus utile interdictum mihi esse, quia, sicuti me precarium rei meae non tenet, ita nec per te precario possidere intellegor: quotiens enim colonus meus aut is, cui precario fundum dedi, via utitur, ego ire intellegor, propter quod et recte dico me itinere usum. quae ratio, inquit, efficit, ut et, si ego viam precario rogavero et tibi fundum precario dedero, quamvis hac mente ieris, quasi fundo meo deberetur, inutile esset interdictum et precario eo itinere usus esse videar, non immerito: non enim opinio tua, sed mea quaerenda est. tu tamen, credo, poteris interdicto uti, etsi de hoc nihil scribat Iulianus. Habe ich dir ein Grundstück, dem ein Fahrrecht zustand, bittweise überlassen und du danach den Eigentümer des Grundstücks bittweise darum ersucht, dass du den Fahrweg zu diesem Grundstück nutzen darfst, stellt sich die Frage, ob dir die Einrede entgegensteht, wenn du gegen denjenigen, den du um den Weg bittweise ersucht hast, ein Interdikt erwirken willst. Und es spricht mehr dafür, dass sie entgegensteht, und dies kann man aus dem entnehmen, was Julian zu einem Fall dieser Art schreibt. Er fragt nämlich, ob, wenn ich dir ein Grundstück bittweise überlassen habe, dem ein Fahrrecht zustand, und du bittweise darum ersucht hast, dass du diesen Fahrweg nutzen darfst, mir nichtsdestoweniger das Interdikt zustehe, weil ich so, wie mich die Bittleihe meiner Sache nicht bindet, auch nicht so angesehen werden kann, als besäße ich durch dich bittweise; ich werde nämlich immer dann, wenn mein Pächter oder derjenige, dem ich ein Grundstück bittweise überlassen habe, einen Fahrweg benutzt, so angesehen, als ginge ich hierüber, weshalb ich auch zu Recht behaupte, dass ich den Weg benutze. Aus diesem Grund folgt, wie er sagt, dass auch, wenn ich 198 Für einen Ersitzungsbesitz des Gebers sprechen auch die theoretischen Überlegungen der Juristen zur Besitzteilung (s. u. S. 91 ff.), die sich entgegen Kaser, SZ 89 (1972) 94, 102, Lambrini, L’elemento soggettivo nelle situazioni possessorie del diritto romano classico, Padua 1998, S. 154 f. und Biavaschi, Ricerche, S. 215 freilich nicht direkt auf die usucapio beziehen lassen. 199 D 8.6.12 Cels 23 dig; s. o. S. 76 f. 200 Gegen die Echtheitsbedenken von Zamorani, Precario habere, S. 260 ff. verteidigt diesen Text Kaser, SZ 89 (1972) 94, 138.

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§ 5 Ein Modell der Besitzteilung? um einen Fahrweg bittweise ersucht und dir das Grundstück bittweise überlassen habe, obwohl du in der Annahme gegangen bist, dass er meinem Grundstück zustand, das Interdikt nicht zustehe und ich so angesehen werde, als ob ich den Weg bittweise benutze, und zwar nicht zu Unrecht; denn es zählt nicht deine, sondern meine Ansicht. Du aber kannst, wie ich glaube, dich des Interdikts bedienen, auch wenn Julian hierzu nichts schreibt.

Ist ein Grundstück bittweise überlassen worden, kann sich der Prekarist, wenn er ein hierzu gehörendes Wegerecht benutzt, des interdictum de itinere bedienen. Da es einen Vorbehalt für den fehlerhaften Besitz enthält, gilt dies freilich nicht, wenn der Prekarist nicht nur um die Nutzung des Grundstücks, sondern auch den Inhaber des dienenden Grundstücks um die bittweise Gewährung des Wegs ersucht hat. Auch unter diesen Umständen kann das interdictum de itinere aber durch den Geber erwirkt werden, in dessen Person eine bittweise Überlassung des Wegerechts ohnehin am Verbot des precarium rei suae scheitern würde, weil auch hier ein Fall sinnloser Überlassung an einen schon Berechtigten vorläge201. Und im umgekehrten Fall, in dem der Prekarist den Weg in der Fehlannahme nutzt, es bestünde eine Dienstbarkeit, kann sich zwar der Prekarist einer Störung seines Wegs erwehren;202 dem Geber bleibt der Besitzschutz aber versagt, wenn der Weg von dem Nachbarn in Wahrheit nur bittweise gewährt worden ist. Für die eigene Aktivlegitimation zum interdictum de itinere kommt es also jeweils nur auf die Einstellung des Gebers selbst an, der so angesehen wird, als benutze er den Weg durch den Prekaristen. Julian behandelt die bittweise Überlassung damit wie die von ihm eigens als Parallelfall angeführte locatio conductio. Bei ihr versteht sich die Zurechnung der Sachherrschaft an den Vermieter oder Verpächter aber ganz von selbst, weil Mieter und Pächter keinen eigenen Besitz an der ihnen überlassenen Sache haben und ihn daher von vornherein bloß ihrem Vertragspartner vermitteln können. Die Gewährung eigenen Besitzschutzes für denjenigen, der eine Sache precario hingegeben hat, bedeutet dagegen eine Verdopplung der Besitzposition, die eigentlich dem Prekaristen zukommt und sich vervielfältigt, wenn darüber hinaus auch der Geber ein Interdikt erheben können soll. Die Zurechnung des Prekaristenbesitzes an den Geber geht ferner über die Besitzteilung beim Pfandrecht hinaus, die eben nicht für eine Verdopplung des Besitzes von Pfandgläubiger und Verpfänder, sondern lediglich für eine Spaltung nach Besitzaspekten sorgt: Der Pfandgläubiger genießt Besitzschutz und kann sich beim Streit über den Erlass des interdictum utrubi sogar die Besitzzeit des

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Zimmermann, Rechtserwerb, S. 87. Anders sieht dies offenbar Zimmermann, Rechtserwerb, S. 88, der darauf verweist, dass der Eigentümer des Nachbargrundstücks das dem Geber gewährte precarium widerrufen könne. Dies würde aber nichts an dem Besitzschutz ändern, den der Prekarist gegenüber dem Nachbarn genießt. 202

II. Aufteilung des Besitzes?

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Verpfänders anrechnen lassen, während dieser ausschließlich den Ersitzungsbesitz behält:203 D 41.3.16 Iav 4 Plaut Servi nomine, qui pignori datus est, ad exhibendum cum creditore, non cum debitore agendum est, quia qui pignori dedit, ad usucapionem tantum possidet, quod ad reliquas omnes causas pertinet, qui accepit possidet, adeo ut adici possit et possessio eius qui pignori dedit. Wegen eines Sklaven, der verpfändet worden ist, muss auf Vorlegung gegen den Gläubiger, nicht gegen den Schuldner geklagt werden, weil der Verpfänder nur zum Zwecke der Ersitzung, der Pfandgläubiger dagegen in jeglicher übrigen Hinsicht besitzt, so dass ihm auch der Besitz des Verpfänders zugerechnet werden kann.

Zwar kommt auch die Annahme fortdauernder Ersitzung durch den Verpfänder nicht ohne die Vorstellung einer Besitzvermittlung aus, mit deren Hilfe dem Verpfänder die Sachherrschaft des Pfandgläubigers zugerechnet wird. Im Gegensatz zum precarium sind die Besitzfunktionen hier jedoch zwischen den Parteien verteilt, ohne dass es zu einer Überschneidung kommt: Wie Javolen ausdrücklich hervorhebt, besitzt der Verpfänder ausschließlich ,ad usucapionem‘, während die Rolle des Besitzers im Übrigen nur dem Pfandgläubiger zukommt.204 Er ist daher nicht nur exklusiv für Herausgabe- und Vorlegungsansprüche passivlegitimiert, sondern genießt auch allein Besitzschutz, der beim precarium dagegen sowohl dem Geber als auch dem Prekaristen zukommt.

II. Aufteilung des Besitzes? Die eigenartige Verdopplung der Besitzerposition, die das precarium auszeichnet, beschäftigt die römischen Juristen nicht nur in ihren konkreten Auswirkungen, sondern auch als ein für die Theoriebildung relevantes Problem.205 Nach dem Bericht des Paulus hat sich schon Trebaz mit der Frage befasst, ob und wie 203 Vgl. auch D 41.3.33.5 (44 dig) und Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 208 f. 204 Ebenso äußert sich Julian in einem Zitat bei Paulus; vgl. D 41.2.1.15 Paul 54 ed: Per servum corporaliter pignori datum non adquirere nos possessionem Iulianus ait (ad unam enim tantum causam videri eum a debitore possideri, ad usucapionem), nec creditori, quia nec stipulatione nec ullo alio modo per eum adquirat, quamvis eum possideat. („Julian schreibt, dass wir durch einen Sklaven, der durch Übergabe verpfändet worden ist, keinen Besitz erwerben (denn es werde so angesehen, als ob er vom Schuldner nur in einer Hinsicht, nämlich zur Ersitzung besessen werde), und auch dem Gläubiger nicht, obwohl er ihn besitzt, weil er weder durch ein Versprechen noch auf andere Weise etwas durch ihn erwirbt.“) 205 Nach Ansicht von Kaser, SZ 89 (1972) 94, 102, Lambrini (Fn. 198), S. 154 f. und Biavaschi, Ricerche, S. 215 soll es dabei um den Ersitzungsbesitz und die Möglichkeit seiner Sonderung von den übrigen Besitzfunktionen gehen, wie sie auch beim Pfandvertrag vorkommt. Hierfür bieten die einschlägigen Texte, in denen schlicht von einer possessio die Rede ist, jedoch keinen Anhaltspunkt.

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§ 5 Ein Modell der Besitzteilung?

man sich einen konkurrierenden Besitz von Geber von Prekarist vorstellen kann:206 D 41.2.3.5 Paul 54 ed Ex contrario plures eandem rem in solidum possidere non possunt: contra naturam quippe est, ut, cum ego aliquid teneam, tu quoque id tenere videaris. Sabinus tamen scribit eum qui precario dederit et ipsum possidere et eum qui precario acceperit. idem Trebatius probabat existimans posse alium iuste, alium iniuste possidere, duos iniuste vel duos iuste non posse. quem Labeo reprehendit, quoniam in summa possessionis non multum interest, iuste quis an iniuste possideat: quod est verius. non magis enim eadem possessio apud duos esse potest, quam ut tu stare videaris in eo loco, in quo ego sto, vel in quo ego sedeo, tu sedere videaris. Umgekehrt können mehrere nicht dieselbe Sache insgesamt besitzen; denn es ist wider die Natur, dass du so angesehen wirst, als hättest du etwas, während ich es habe. Sabinus schreibt aber, dass sowohl derjenige, der etwas bittweise überlassen hat, als auch derjenige besitzen, der es bittweise erhalten hat. Das hielt auch Trebaz für richtig, der annahm, einer könne rechtmäßig, der andere unrechtmäßig besitzen, zwei zugleich rechtmäßig oder unrechtmäßig dagegen nicht. Labeo widerspricht, weil es im Ergebnis für den Besitz keinen Unterschied macht, ob jemand rechtmäßig oder unrechtmäßig besitzt; was richtig ist. Derselbe Besitz kann nämlich ebenso wenig bei zweien sein, wie du so angesehen werden kannst, als ob du an derselben Stelle stündest, an der ich stehe, oder als ob du an derselben Stelle säßest, an der ich sitze.

Ausgangspunkt der von Trebaz vorgeschlagenen Besitzteilung ist die Qualifikation des Prekaristenbesitzes als possesio iniusta. Stellt man ihm die Position des Gebers als possessio iusta gegenüber, vermeidet man vordergründig einen Konflikt zwischen den beiden Besitzerrollen, die zwar dieselbe Sache betreffen, aber nicht als gleichrangig erscheinen. Kann Trebaz damit auch Sabinus überzeugen, erntet er doch den Widerspruch von Labeo, der ebenso argumentiert haben könnte wie später Paulus: Der Unterschied zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz ändert nichts daran, dass beide eine tatsächliche Sachherrschaft voraussetzen, die als Faktum grundsätzlich nicht in doppelter Gestalt auftreten kann. Wenn Labeo und Paulus dies am Satz von der Unmöglichkeit des Aufenthalts zweier Körper in demselben Raum darlegen, ist dies weder allzu bildlich noch ein Zirkelschluss:207 Man kann nicht den Besitz vervielfältigen, ohne zugleich seinen tatsächlichen Charakter zu leugnen. Die Differenzierung zwischen einer possessio iusta und einer possessio iniusta ist beim precarium das Produkt eines Vertrags, der nur zwischen den Parteien wirkt, die ihn eingegangen sind.208 Im Verhältnis zu Dritten könnte er nur Effekt haben, wenn man den Besitz als Position anerkennt, die wie das Eigentum nicht bloß Rechtsfolgen zeitigt, sondern auch rechtsgeschäftlich begründet werden kann und der Disposition ihres Inhabers unterliegt. Bleibt man bei der Auffassung, der Besitz sei eine Tatsache, 206 207 208

Für interpoliert hält diesen Text Silva, SDHI 6 (1940) 233, 256. So die Kritik von Horak (Fn. 133), S. 284 f. Dies hebt MacCormack, TR (1974) 71, 77 f. hervor.

II. Aufteilung des Besitzes?

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könnte man zwar vielleicht eine gewaltsame oder heimliche Besitzentziehung mit einer inter omnes wirkenden Sanktion versehen; ein Vertrag, der den fehlerhaften Besitz zum Gegenstand hat, kann dagegen nicht weiter reichen als im Verhältnis der an ihm beteiligten Personen. Einen anderen Anknüpfungspunkt für eine Teilung des Besitzes zwischen Prekarist und Geber wählt denn auch Pomponius:209 D 43.26.15.4 Pomp 29 Sab Eum, qui precario rogaverit, ut sibi possidere liceat, nancisci possessionem non est dubium: an is quoque possideat, qui rogatus sit, dubitatum est. placet autem penes utrumque esse eum hominem, qui precario datus esset, penes eum qui rogasset, quia possideat corpore, penes dominum, quia non discesserit animo possessione. Es besteht kein Zweifel, dass derjenige, der bittweise darum ersucht hat, dass ihm der Besitz gestattet sei, den Besitz erwirbt; aber zweifelhaft ist, ob auch derjenige, der gebeten worden ist, besitzt. Es ist aber richtig, dass derjenige Sklave, der bittweise überlassen worden ist, sich bei beiden befindet, sowohl bei demjenigen, der das Gesuch gestellt hat, weil er ihn körperlich besitzt, als auch beim Eigentümer, der seinen Besitzwillen nicht aufgegeben hat.

Für den Hochklassiker entscheidet nicht der Besitzvertrag als solcher, sondern die Wirkung, die er auf die tatsächlichen Verhältnisse hat: Während der Prekarist die Sache körperlich innehabe, verfüge der Geber über einen entsprechenden Besitzwillen. Beides sind reale Phänomene, die durch die Vereinbarung des precarium nur hervorgerufen werden und nicht dessen rechtsgeschäftlichen Charakter teilen. Passt Pomponius’ Konzept insoweit zum überkommenen Besitzbegriff, sprengt es diesen aber auf andere Weise, indem es die possessio jeweils um eines ihrer konstitutiven Elemente verkürzt: Weder der Geber noch der Prekarist verfügen sowohl über die tatsächliche Sachherrschaft als auch den dazugehörigen Herrschaftswillen. Möchte man nun nicht eines von beiden Kriterien ausreichen und den Begriff des Besitzes uferlos werden lassen, bleibt nur die Möglichkeit einer Zurechnung des jeweils fehlenden Elements: Dem Prekaristen kommt der animus possidendi des Gebers zugute, dem er sich ja auch unterworfen hat; und der Geber profitiert seinerseits von der tatsächlichen Sachherrschaft des Prekaristen, die seinen Herrschaftswillen komplettiert.210 So ist es aber doch wieder das zwischen den Parteien abgeschlossene Rechtsgeschäft, das die Verdopplung des Besitzes gegenüber Dritten zeitigt und als Fremdkörper im herkömmlichen Besitzbegriff wirkt. Dieser ist einer Besitzteilung durch Rechtsgeschäft schlechterdings unzugänglich. Um mit ihr in Einklang gebracht zu werden, muss er entweder selbst verändert werden; oder die bittweise Überlassung muss als reines Faktum der Unterordnung des Prekaristen unter den Geber gewertet werden. Als solches entbehrte sie aber gerade der vertraglichen Bindungswirkung und könnte 209 Gegen Authentizitätszweifel von Zamorani, Precario habere, S. 130 ff. nimmt diesen Text Kaser, SZ 89 (1972) 94, 102 f. in Schutz. 210 Harke, Argumenta Pomponiana, Berlin 2014, S. 136 f.

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§ 5 Ein Modell der Besitzteilung?

durch ein abweichendes Verhalten des Prekaristen jederzeit wieder beendet werden.

III. Ergebnis Der Prekarist ist ebenso wie derjenige, der sich einer Sache gewaltsam oder heimlich bemächtigt hat, Besitzer und genießt als solcher Besitzschutz gegenüber Dritten. Nichtsdestoweniger wird die tatsächliche Sachherrschaft, die der Prekarist ausübt, auch dem Geber zugerechnet. Er kann sich auf den Besitz des Prekaristen insbesondere dann berufen, wenn er sich im Verfahren über den Erlass des interdictum utrubi darüber streitet, wer im vergangenen Jahr länger im Besitz einer beweglichen Sache war. Außerdem besteht Grund zu der Annahme, dass der Geber eine fremde Sache auch während der Zeit, in der sie sich beim Prekaristen befindet, ersitzen kann. Dasselbe gilt beim Pfandrecht, für das anerkannt ist, dass der Verpfänder die Sache ,ad usucapionem‘, der Pfandgläubiger in aller übrigen Hinsicht besitzt. Über eine solche Spaltung von Ersitzungs- und Interdiktenbesitz geht die Zurechnung beim precarium insofern hinaus, als die römischen Juristen zuweilen auch einen parallelen Besitzschutz für Prekarist und Geber gewähren. Kommt es im Fall des precarium also nicht nur zu einer Aufteilung des Besitzes nach verschiedenen Aspekten, sondern zu einer regelrechten Besitzverdopplung, stellt sich die Frage, wie sich diese theoretisch bewältigen lässt. Einen Ansatzpunkt bietet die Unterscheidung zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz, die Trebaz und Sabinus auf den Gedanken bringt, dieselbe Sache könne zugleich Gegenstand einer possessio iusta und possessio iniusta sein. Ihm begegnen Paulus und vermutlich schon Labeo mit dem treffenden Einwand, als Tatsache könne der Besitz ebenso wenig geteilt sein wie der Raum. Pomponius versucht, dieser Erwägung Rechnung zu tragen, indem er von der körperlichen Sachherrschaft und dem sie begleitenden Herrschaftswillen als tatsächlichen Phänomenen ausgeht. Um aus dem einen auf den Besitz des Prekaristen, aus dem anderen auf den des Gebers zu schließen, bedarf es jedoch, wenn der Besitzbegriff nicht uferlos werden soll, einer Zurechnung des jeweils anderen Elements. Die Grundlage für eine solche Zurechnung kann aber wiederum nur die vertragliche Beziehung zwischen Prekarist und Geber sein, die ihrerseits jedoch nicht zum tatsächlichen Besitzbegriff passt: Als Faktum wäre das in der Vereinbarung des precarium zum Ausdruck kommende Verhältnis von Über- und Unterordnung jederzeit einseitig auflösbar, indem eine der Parteien ihre Einstellung ändert. Eine stabile Zurechnung, die eine Verdopplung der Besitzposition trägt, müsste dagegen von der Bindungswirkung der Übereinkunft ausgehen, die jedoch an deren rechtsgeschäftlichen Charakter anknüpft und keine Tatsache mehr ist.

§ 6 Mutation und Untergang des precarium I. Eine Entwicklung im westgotischen Recht? Im Frühmittelalter erwächst dem precarium ein Namensvetter in Gestalt der lehns- und kirchenrechtlichen precaria, die keinen Besitzvertrag, sondern ein vor allem als Schuldvertrag wirksames und regelmäßig entgeltliches Überlassungsverhältnis darstellt.211 Eine genetische Verbindung beider Rechtsinstitute könnte sich daraus ergeben, dass das precarium des klassischen Rechts in der Spätantike zu einem Leihvertrag mutiert, der auch die eigentlich der locatio conductio zugewiesene entgeltliche Überlassung absorbiert.212 Während die römischen Quellen hierfür noch keinen Anhalt bieten,213 lässt sich nicht ausschließen, dass es zu einer solchen Entwicklung im westgotischen Recht kommt. Auch hier gibt es aber lediglich eine als lex antiqua in den liber iudiciorum aufgenomme Verordnung,214 in der eine Landleihe in aussagekräftiger Form mit dem Adjektiv precarius in Verbindung gebracht wird: LV 10.1.12 De terris quae definito annorum numero per placitum dantur. Si per precariam epistulam certus annorum numerus fuerit comprehensus, ita ut ille, qui susceperat, terras post quodcumque tempus domino reformaret, iuxta condicione placiti terram restituere non moretur. Über Ländereien, die für eine bestimmte Zahl von Jahren durch Vertrag überlassen werden. Sind in einem Bittbrief eine bestimmte Zahl von Jahren aufgeführt, so dass derjenige, der sie erhalten hat, die Ländereien nach einer gewissen Zeit dem Eigen-

211 Vgl. hierzu Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Leipzig 1906, S. 289 ff., Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts, Bd. 2, Leipzig 1886, S. 168 ff. 212 So Levy, SZ 66 (1948) 1, 17 ff. und ders., Vulgarrecht, S. 261 ff., der glaubt, die locatio conductio sei schon in spätantiker Zeit durch die Spannung ihres Anwendungsbereichs vom grundherrlichen Domänenpächter bis hin zum sklavenähnlich gehaltenen Kolonen gleichsam zerrissen und durch das funktionslos gewordene precarium ersetzt worden. Gegen Levys Rekonstruktion der Entwicklung wenden sich Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 485 ff., der eine allmähliche Veränderung des precarium und seine Spaltung in eine aus der Verpfändungspraxis stammende entgeltliche Variante und eine unentgeltliche Variante annimmt, sowie Zamorani, Precario habere, S. 86 ff., 110 ff., der glaubt, die Prekarie sei germanischen Ursprungs und habe nur den Namen des römischen Instituts geerbt. 213 s. o. S. 33 ff. 214 Levy, SZ 66 (1948) 1, 12 nimmt an, sie gehe auf Eurich zurück und sei daher schon Ende des fünften Jahrhunderts entstanden.

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§ 6 Mutation und Untergang des precarium tümer zurückgewähren muss, muss er das Land entsprechend den Vertragsbedingungen unverzüglich zurückgeben.

Es ist durchaus denkbar, dass sich diese Regelung auf eine entgeltliche Landüberlassung bezieht, von der ausdrücklich das vorangehende Gesetz handelt.215 Stellt man die dort verwendete Formulierung: ,terrae, quae ad placitum canonis datae sunt‘, der Fallbeschreibung in LV 10.1.12 gegenüber, fällt zwar die gleichlautende Bezeichnung des Vertrags als placitum auf; zugleich erscheint die precaria epistula aber als zusätzliches Element der Vereinbarung, die für die ausgesprochene Rechtsfolge der Verpflichtung zur unverzüglichen Rückgewähr maßgeblich ist. Die prekäre Abrede wäre dann nicht der Überlassungsvertrag selbst, sondern wie im römischen Recht ein Anhängsel, mit dem das Rückforderungsrecht des Gebers verstärkt wird.216 Auch wenn das precarium deshalb wahrscheinlich in seiner alten Form überlebt und nicht den Platz der locatio conductio eingenommen hat,217 verwundert die Verwendung seines Namens für das neue lehns- und kirchenrechtliche Institut keineswegs, weil er plastisch ein Über- und Unterordnungsverhältnis zum Ausdruck bringt.218

II. Annäherung an das commodatum Obwohl man sich des Unterschieds zur precaria prägt das lehnsrechtlich-kanonische Schwesterinstitut schen precarium jedenfalls insoweit, als man hierin leihähnlichen Überlassungsvertrag erkennt. So folgert 215

sehr wohl bewusst ist,219 das Verständnis des römiab dem Mittelalter einen Accursius aus der von Ul-

Levy, SZ 66 (1948) 1, 13. Allenfalls diese Zusatzvereinbarung und nicht auch der Überlassungsvertrag selbst wäre dann auch einem Schriftformerfordernis unterworfen, wie Levy, SZ 66 (1948) 1, 13 es dem Hinweis auf die epistula entnimmt. 217 Dies behauptet, wenn auch mit anderer Vorstellung vom Inhalt des klassischen precarium, ebenfalls Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 493 ff. 218 Eine noch stärkere Verbindung nimmt Sanchez-Albornoz, Mélanges Petot, S. 499 ff. an, der meint, das precarium selbst sei in lehnsrechtlicher Beziehung zum Einsatz gekommen. 219 Vgl. X 3.14.3: Precarium utendum conceditur, quamdiu patitur qui concessit. Solvitur quoque obitu eius, cui concessum est, non etiam concedentis; aut quum ipsum alienari contingit alicui hoc revocare volenti, quia per conventionem huiusmodi non licet rem alienam invito domino possideri. Porro precariae, quae quandoque de ecclesiarum possessionibus fieri solent, non sunt pro voluntate concedentium revocandae. („Die bittweise Nutzungsüberlassung ist zugestanden, solange sie von dem Geber geduldet wird. Sie wird auch durch den Tod desjenigen, dem es zugestanden ist, aufgelöst, nicht durch den Tod des Gebers, oder wenn die Sache etwa an jemanden veräußert wird, der sie widerrufen möchte, weil es nicht zulässig ist, aufgrund einer solchen Übereinkunft eine Sache gegen den Willen des Eigentümers zu besitzen. Die Prekarie, die man bei kirchlichem Besitz gewöhnlich vornimmt, kann dagegen nicht nach Belieben des Gebers widerrufen werden.“) Auf diese klare Trennung zwischen precarium und precaria, die an Celsus’ Entscheidung gegen die Wirksamkeit einer Befristung des precarium (s. o. S. 15 f.) anknüpft, verweist auch Zamorani, Precario habere, S. 98 f. 216

II. Annäherung an das commodatum

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pian befürworteten Gewährung der actio praescriptis verbis220, dass die Vereinbarung eines precarium ein negotium gestum darstellt: Gl. itquae zu D 43.26.2.2 quia est aequum, et in precarii concessione geritur negotium. Weil es gerecht ist und bei der bittweisen Überlassung eine Geschäft geschlossen wird.

Der Vertragscharakter des precarium erzwingt eine Abgrenzung vom commodatum. Die Glosse sieht den Unterschied zwischen beiden Verträgen darin, dass die Sache beim precarium ohne Zweckbestimmung und demgemäß auf jederzeitigen Widerruf, beim commodatum dagegen zu einem bestimmten Zweck und so stillschweigend befristet überlassen wird: Gl. simile zu D 43.26.1.3 sed non per omnia, nam differt: quia commodatum datur ad certum usum . . . et ex hoc oritur secunda differentia: quia hoc quandocumque revocatur: illud expleto usu . . . tertio differt: quia hic de dolo et lata culpa tantum tenetur. . . . item secundum quosdam differunt in quarto: quia commodatum in mobilibus, precarium in immobilibus frequenter fit. unde praesumunt in dubio in re mobili commodatum, et in re immobili precarium. quod non placet . . . aber nicht insgesamt, es unterscheidet sich nämlich, weil die Leihe zu einer bestimmten Nutzung gewährt wird . . . und hieraus ergibt sich der zweite Unterschied: weil dieses stets widerrufen werden kann, jenes nur nach Abschluss der Nutzung . . . drittens unterscheidet es sich, weil hier nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gehaftet wird . . . ferner unterscheiden sie sich nach Ansicht einiger in einem vierten Punkt, weil der Leihvertrag über bewegliche Sache, die bittweise Überlassung häufig über Grundstücke abgeschlossen wird. Weshalb sie bei einer beweglichen Sache im Zweifel einen Leihvertrag, bei einem Grundstück eine bittweise Überlassung vermuten. Was nicht richtig ist Gl. rogavit zu D 43.26.4.4 Quidam dicunt quod in hoc differt a commodato, quasi precarium non constituatur ad tempus, sed commodatum sic . . . Manche sagen, dass es sich insofern vom Leihvertrag unterscheidet, als die bittweise Überlassung nicht auf Zeit abgeschlossen werden darf, aber der Leihvertrag schon ...

Diese Differenzierung findet sich auch bei Donellus: Donellus, Commentarii de jure civili, 14.2.6 . . . Qua igitur nota discernimus commodatum a precario? Nempe hac, quam ideo adjecimus in definitione, ut sit commodatum tum quidem, cum res utenda datur et gratis: sed tamen certo praescripto utendi fine aut modo . . . Precarium autem est, cum res utenda datur simpliciter. Ut recte definiatur precarium hoc modo: quod gratis utendum datum est, nullo praescripto utendi neque fine neque modo . . . at precarium non diutius durat, quam patitur is, qui concessit. Ideoque et statim cum videtur,

220

s. o. S. 43 ff.

98

§ 6 Mutation und Untergang des precarium licet revocare . . . An non ideo, quia non ad certum modum et finem utendi, sed simpliciter datur? . . . . . . Wie unterscheiden wir also den Leihvertrag von der bittweisen Überlassung nach ihrer Eigenart? Sicherlich indem wir die Begriffsbestimmung so ergänzen, dass ein Leihvertrag vorliegt, wenn eine Sache unentgeltlich zur Nutzung überlassen wird, aber unter bestimmter Vorgabe eines Nutzungszwecks und einer Nutzungsart . . . Eine bittweise Überlassung liegt dagegen vor, wenn eine Sache einfach zur Nutzung überlassen wird. So dass die bittweise Überlassung richtig wie folgt bestimmt wird: was unentgeltlich zur Nutzung überlassen worden ist ohne Vorgabe von Nutzungszweck oder Nutzungsart . . . Die bittweise Überlassung dauert dagegen nicht länger, als der Geber duldet. Daher kann es auch sofort nach Belieben widerrufen werden . . . Und dies nicht etwa deshalb, weil es nicht zu einer bestimmten Nutzungsart oder zu einem bestimmten Nutzungszweck, sondern schlicht gewährt wird? . . .

Ihr liegt die Zuordnung des precarium zu den Schuldverträgen zugrunde, wie sie für die Gemeinrechtswissenschaft in Ulpians Entscheidung zur Gewährung einer actio praescriptis verbis zum Ausdruck kommt: Donellus, Commentarii de jure civili, 14.34.3 f. . . . Conventio igitur hic est, qua de eadem re reddenda, quae accepta est, agitur. Proinde et hic obligatio ex contractu, quia ex utili conventione: contractus autem is, in quo obligatio haec omnis re contrahatur, ut quae ex re tradita initium sumat. (4) . . . Contractum autem hic et conventionem subesse, una hac re veteres satis probant, quod ad precarium repetendum dederunt actionem praescriptis verbis, ac non tantum inderdictum. Non est enim actio praescriptis verbis, nisi ex contractibus . . . . . . Die Vereinbarung geht also darauf, dass dieselbe Sache, die empfangen worden ist, zurückzugeben ist. Daher entsteht auch hier die Verpflichtung aus Vertrag, nämlich aus einer wirksamen Vereinbarung; ein Vertrag aber, bei dem die Verpflichtung durch Übergabe begründet wird, so dass er seine Wirkung aus der Übergabe erlangt. (3) . . . Dass hier ein Vertrag und eine Übereinkunft vorliegen, bejahen die alten Juristen hinlänglich, indem sie zur Rückgewähr der überlassenen Sache eine Klage mit vorgeschriebener Formel gewähren, nicht nur das Interdikt. Eine Klage mit vorgeschriebener Formel gibt es aber nur auf der Grundlage von Verträgen . . .

Auch Naturrechtslehrer wie Christian Wolff halten das precarium für einen contractus, der dem commodatum damit wesensgleich ist: Wolff, Jus naturae, 5.1141 Precarium constituitur pacto, sive contractu. Etenim inter concedentem et accipientem convenitur, quod accipiens tamdiu re concedentis uti debeat, quamdiu ipsi placuerit, et accipiens se obligat ad rem reposcenti statim restituendam. Quamobrem cum istiusmodi conventiones contractus sive pacta sint; precarium constituitur pacto, sive contractu. Interpretes Juris civiles disputant, num precarium sit contractus, an pactum, an vero actus mere liberalis. Sed illa disceptatio ad Jus civile pertinet, ubi contractus et pacta nuda distinguuntur. Jure Romano utique contractus non est, adeoque saltem quaeritur num sit pactum, an actus mere liberalis. Etsi vero concessio sit actus mere liberalis, non tamen totum negotium pro actu mere liberali haberi potest, cum constet conventione, quae ex parte accipientis obligationem perfectam producit.

II. Annäherung an das commodatum

99

Die bittweise Überlassung wird durch eine Vereinbarung oder einen Vertrag begründet. Denn zwischen dem Geber und dem Empfänger wird vereinbart, dass der Empfänger die Sache des Gebers so lange benutzen darf, wie es diesem beliebt, und der Empfänger verpflichtet sich, ihm die Sache auf Anforderung sofort zurück zu gewähren. Daher wird, wie solche Übereinkünfte Verträge oder Vereinbarungen sind, die bittweise Überlassung durch Vereinbarung oder Vertrag begründet. Die Zivilrechtswissenschaft streitet, ob die bittweise Überlassung ein Vertrag oder eine Vereinbarung oder aber ein bloß freigiebiger Akt ist. Aber diese Unterscheidung betrifft das Zivilrecht, wo man zwischen Verträgen und bloßen Vereinbarungen unterscheidet. Nach römischem Recht ist es jedenfalls kein Vertrag, und also ist zumindest zweifelhaft, ob es eine Vereinbarung oder ein bloß freigiebiger Akt ist. Auch wenn die Gewährung ein bloß freiwilliger Akt ist, kann nicht das gesamte Geschäft für einen bloß freiwilligen Akt gehalten werden, da er aus einer Übereinkunft besteht, die auf der Seite des Empfängers eine vollgültige Verpflichtung zeitigt.

Als Unterform der Leihe erscheint das precarium folglich bei Domat, der sich bei seiner Definition an das hergebrachte Kriterium des jederzeitigen Widerrufs hält: Domat, Loix civiles, 1.1.5.1.2 Le précaire est un prêt à usage accordé à la priere de celuy qui emprunte une chose pour en user pendant le temps que celuy qui la prête voudra la laisser: et à la charge de la rendre quand il plaira au maître de la retirer.

Auf dasselbe Merkmal beruft sich Pothier, wenn er das precarium vom „echten“ Leihvertrag abgrenzt: Pothier Traité du prêt a usage et du precaire, Nr. 87 Cette convention de précaire n’est pas néanmoins le vrai contrat de prêt à usage, qu’on appelle commodatum; et la différence essentielle qui les distingue, c’est que dans le vrai contrat de prêt à usage, la chose est prêtée pour un certain usage déterminé, ou pour un certain temps; et la restitution n’en peut être demandée qu’après l’expiration du temps convenu, ou nécessaire pour l’emprunteur s’en servir à l’usage pour lequel elle lui a été prêtée; au lieu que dans la convention du précaire, celui qui reçoit une chose précairement, la reçoit pour s’en servir indistinctement, et à la charge de la rendre incontinent au prêteur, toutes fois et quantes il la demandera.

In den deutschsprachigen Naturrechtsgesetzbüchern ist das precarium dementsprechend doppelt verortet. Es findet zum einen in den Bestimmungen über den Besitz, zum anderen im Abschnitt über den Leihvertrag Erwähnung. Das preußische Allgemeine Landrecht widmet dem precarium drei Vorschriften im siebten Titel des ersten Teils, der von „Gewahrsam und Besitz“ handelt. Hierin wird dem Prekaristen das Besitzrecht abgesprochen, aber auch eine Vermutung gegen einen bloßen Freundschaftsdienst und für die Begründung einer Verpflichtung des überlassenden Teils aufgestellt: „§. 106. Aus Handlungen, Leistungen, oder Duldungen, wodurch an sich eine Besitzergreifung bewirkt werden könnte, entsteht dennoch kein Besitzrecht, sobald erhellet, daß der Andere dieselben nicht auf den Grund einer vorhergehenden Verpflichtung, sondern nur aus Freundschaft und Gefälligkeit vorgenommen, oder gestattet habe.

100

§ 6 Mutation und Untergang des precarium

§. 107. Wer etwas thut, oder sich gefallen läßt, was ihm nachtheilig ist, oder zur Einschränkung seiner Rechte gereicht; der hat die Vermuthung wider sich, daß bey einer solchen Handlung oder Duldung die Meinung einer vorhergehenden Verpflichtung zum Grunde liege. §. 108. Doch kann diese allgemeine Vermuthung durch entgegenstehende, aus persönlichen Verhältnissen oder andern Umständen des vorliegenden Falls sich ergebende, besondere Vermuthungen wieder gehoben werden.“

Die Regelung des Leihvertrags im 21. Titel steht im Widerspruch zu dieser Vermutung. Denn sie beginnt mit einer Definition der gewöhnlichen Leihe, die aus der Gegenüberstellung zum precarium gewonnen ist und gerade vom Merkmal der Zweckbestimmung ausgeht: Nur wenn die Parteien eine Vereinbarung über Sinn und Art des Gebrauchs der überlassenen Sache und damit auch indirekt über den Zeitpunkt ihrer Rückgabe getroffen haben, soll ein „wirklicher und gültiger“ Leihvertrag vorliegen, ansonsten ein precarium, gegen dessen Annahme aber eigentlich die in den Besitzbestimmungen aufgestellte Vermutung streitet: „§. 229. Wird eine Sache jemanden bloß zum Gebrauche, unter der Bedingung, daß eben dieselbe Sache zurück gegeben werde, unentgeltlich eingeräumt: so ist ein Leihvertrag vorhanden. §. 230. Es gehört zum Wesen dieses Vertrages, daß die Zeit der Rückgabe entweder in sich selbst, oder durch die Art, oder den Zweck des eingeräumten Gebrauchs, bestimmt sey. §. 231. Ist weder die Art und der Zweck des Gebrauchs, noch die Dauer desselben bestimmt: so ist derjenige, welchem der Gebrauch eingeräumt worden, für einen bloßen Inhaber zu achten. §. 232. Er ist also die Sache, auf jedesmaliges Erfordern des Einräumenden, zu allen Zeiten zurück zu geben schuldig. §. 233. Ein Gleiches findet statt, wenn eine unbewegliche Sache, oder ein Recht, der Gegenstand des Contrakts, und dieser nicht schriftlich abgefaßt ist. §. 234. Ist aber ein wirklicher und gültiger Leihvertrag vorhanden: so kann die Sache in der Regel erst nach verlaufener Zeit, oder nach geendigtem Gebrauche, zurück gefordert werden.“

Ohne gesetzliche Vermutung kommt das österreichische ABGB aus, dessen Regelung der preußischen im Übrigen täuschend ähnelt. In § 345 ABGB wird die „Bitte“ als einer der Tatbestände des „unechten Besitzes“ aufgeführt, der sich durch den Mangel einer Verpflichtung und die „Gefälligkeit“ des Gebers auszeichnet: „Wenn sich jemand in den Besitz eindringt, oder durch List oder Bitte heimlich einschleichet, und das, was man ihm aus Gefälligkeit, ohne sich einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen, gestattet, in ein fortwährendes Recht zu verwandeln sucht; so wird der an sich unrechtmäßige und unredliche Besitz noch über dieß unecht; in entgegen gesetzten Fällen wird der Besitz für echt angesehen.“

II. Annäherung an das commodatum

101

Und in den Bestimmungen über die Leihe schreibt § 974 ABGB die bekannte Differenzierung nach einer Vereinbarung über den Einsatzzweck der überlassenen Sache vor: „Hat man weder die Dauer, noch die Absicht des Gebrauches bestimmt; so entsteht kein wahrer Vertrag, sondern ein unverbindliches Bittleihen (Precarium), und der Verleiher kann die entlehnte Sache nach Willkühr zurück fordern.“

Der Code civil enthält sich dagegen einer Erwähnung des precarium in den Vorschriften über den Leihvertrag. Er greift den römischen Ausdruck aber auf, um ihn in Art. 2239 a. F. mit dem Begriff der Detention zur Figur des ,détenteur precaire‘ zu verschmelzen; und das Phänomen des precarium beschreibt das französische Gesetz in Art. 2232 a. F. ähnlich wie ALR und ABGB als Akt der Gefälligkeit: Les actes de pure faculté et ceux de simple tolérance ne peuvent fonder ni possession ni prescription.

Dieses der Zuordnung zum Leihvertrag widerstrebende Verständnis des precarium wird im 19. Jahrhundert auch von der Pandektenwissenschaft aufgegriffen. Die Abkehr vom Vertragsrecht ist ihr durch Savigny vorgegeben, der die vertragliche Natur einer bittweisen Überlassung leugnet und die von Ulpian gewährte actio praescriptis verbis221 als parallelen Rechtsbehelf deutet, der nicht an das precarium selbst anknüpft.222 Ubbelohde führt die besitzrechtlichen Besonderheiten des precarium, insbesondere die Verpflichtung eines Mündels223 und die mangelnde passive Vererblichkeit224, sowie das vom Utilitätsprinzip abweichende Haftungsregime225 gegen die Zuordnung zum Vertragsrecht an.226 Er deutet das interdictum de precario als ein kondiktionsähnliches Recht, das sich gegen den rechtsgrundlosen Besitz des Prekaristen richte.227 Um die rechtsgeschäftliche Natur des precarium zu retten, verfällt Dankwardt dagegen auf die Annahme, die bittweise Überlassung sei ein durch einseitige Willenserklärung des Gebers begründetes Rechtsverhältnis.228 Windscheid beschreitet sowohl in rechtshistorischer als auch dogmatischer Hinsicht einen bemerkenswerten Mittelweg: Er glaubt, das precarium sei erst nachträglich als Vertrag und daher zunächst durch das einschlägige Interdikt

221 222 223 224 225 226

s. o. S. 43 ff. Savigny, Recht des Besitzes, § 42. s. o. S. 63 f. s. o. S. 72 ff. s. o. S. 46 ff. Ubbelohde, Über das precarium an körperlichen Sachen, AcP 59 (1876) 221,

225 ff. 227 228

Ubbelohde, AcP 59 (1876) 221, 229 ff. Dankwardt, Das Precarium und die Emphyteuse, JhJb 14 (1875) 291, 294 f.

102

§ 6 Mutation und Untergang des precarium

sanktioniert worden,229 und deutet es für das Gemeine Recht als „eine Diensterweisung, von welcher die Parteien nicht wollen, daß an sie der strenge juristische Maßstab angelegt werde“ 230. So erscheint das precarium zwar als Vertrag, der jedoch von minderer Bindungswirkung als die gewöhnliche Leihe ist.231 Ähnlich wird das precarium von Vangerow eingeordnet, der sich ausdrücklich gegen die herkömmliche Abgrenzung vom Leihvertrag nach der Bestimmung eines Nutzungszwecks wendet232. Er hält das precarium für ein Institut, dessen man sich in Rom bediente, wenn der Geber dem Prekaristen unbedingtes Vertrauen schenkte oder nicht ernsthaft mit einer Rückforderung rechnete.233

III. Abschaffung im BGB Den Urhebern des BGB gilt das precarium wieder als gewöhnlicher Schuldvertrag, was schließlich zur Entscheidung gegen seine Erwähnung im Gesetz führt: Der Dresdener Entwurf führt das precarium in seinem Art. 610 als den besonderen Fall einer Leihe unter dem „Vorbehalt des beliebigen Widerrufs“ auf: „Hat der Verleiher die Sache nur auf Widerruf verliehen, so kann er sie beliebig zurückfordern. Ein Vorbehalt des beliebigen Widerrufs ist anzunehmen, wenn der Verleiher die Sache zu einem weder der Dauer, noch dem Zwecke nach bestimmten Gebrauche überlassen hat.“

Ähnlich ist die Vorschrift des § 1181 des sächsichen BGB: „Hat der Verleiher sich den Widerruf vorbehalten oder ist eine Zeit für den Gebrauch weder festgesetzt, noch aus den Umständen abzunehmen, so erlöscht die Gebrauchsleihe durch beliebigen Widerruf des Verleihers.“

Die erste BGB-Kommission will diesen Regelungen ihren tautologischen Charakter nehmen,234 indem sie die im Dresdener Entwurf nur indirekt zum Aus229

Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 160 Fn., § 376 Fn. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 376. 231 Eine rein historische Deutung, die auch in einiger Hinsicht von den Quellen abstrahiert, findet sich dagegen bei Jhering, Der Besitzwille. Zugleich eine Kritik der herrschenden juristischen Methode, Jena 1889, s. S. 400 ff., der das precarium für obsolet hält und seine Eigenheiten verschiedenen Anwendungsfällen des römischen Rechtslebens zuordnet: Die Beschränkung der Haftung des Prekaristen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit führt Jhering etwa auf den Einsatz des precarium bei Kreditsicherheiten zurück, bei denen der Prekarist über eine rechtlich oder mindestens wirtschaftlich eigene Sache verfügt; die Widerruflichkeit des precarium sieht er dagegen dadurch bedingt, dass es außerdem zur Stellvertretung des Besitzers und im familiären Bereich zwischen Patron und Freigelassenem sowie zwischen Vater und freigelassenem Sohn anstelle eines peculium zur Anwendung gekommen sei. 232 Vangerow, Pandekten, § 691 VI. 233 Vangerow, Pandekten, § 691 III. 234 Ihn vermeidet auch die Parallelbestimmung in Art. 327 a. F. (= Art. 310 n. F.) des schweizerischen OR: „Wenn der Verleiher die Sache zu einem weder der Dauer noch 230

III. Abschaffung im BGB

103

druck kommende Zuordnung zum Regime des Leihvertrags zum Gegenstand von § 558 E I macht: „Die Vorschriften über Gebrauchsleihe finden auch dann Anwendung, wenn der unentgeltliche Gebrauch einer Sache unter dem Vorbehalte des willkürlichen Widerrufs einem anderen überlassen worden ist.“

Will die erste Kommission den Streit über die Rechtsnatur des precarium noch selbst entscheiden,235 hält die zweite die Frage bereits für ausgemacht. Ihr erscheint die Unterscheidung zwischen commodatum und precarium als überwundenes Problem des römischen Rechts, eine besondere Vorschrift deshalb entbehrlich, weil das precarium ohne Weiteres unter den Begriff des Leihvertrags falle.236 Da dieser bereits im Dresdener (Art. 598) und ersten Entwurf des BGB (§ 549) auf die Vereinbarung eines bestimmten Gebrauchszwecks verengt wird, ist diese Lösung folgerichtig, zumal sie auch nicht die im Einzelfall anzustellende Beurteilung präjudiziert, ob überhaupt mit Rechtsbindungswillen gehandelt worden ist oder nicht. Dasselbe gilt für die schon von der ersten BGB-Kommission getroffene Entscheidung, das precarium nicht mehr als Tatbestand des fehlerhaften Besitzes aufzuführen. Ist die bittweise Überlassung einmal als Leihvertrag anerkannt, lässt sich dem Prekaristen nicht mehr attestieren, dass er ebenso wie jemand, der gewaltsam oder heimlich vorgeht, den Besitz eines anderen missachtet. Die Verpflichtung zur Rückgewähr ist eine gewöhnliche Vertragspflicht und als solche nicht durch eine possessorische Klage zu sanktionieren, bei der dem Prekaristen von vornherein der Rekurs auf vertragliche Gegenrechte entzogen ist. „Daneben wird noch das Nichtzurückgeben des precario erlangten Besitzes als dritte Art des Besitzunrechtes bezeichnet. In letzterer Beziehung weicht der Entwurf ab. Mit der im römischen Rechte vorkommenden Anschauung, daß der Inhaber nur als Organ des Besitzers handle, läßt es sich allenfalls vereinigen, den Ungehorsam des Prekaristen als Besitzeingriff zu behandeln und den vi aut clam erfolgenden Eingriffen an die Seite zu setzen; mit der im Entwurf dem Inhaber eingeräumten freieren Stellung ist ein interdictum de precario unvereinbar, da diesem und nicht dem Besitzer die thatsächliche Herrschaft über die Sache zugeschrieben wird, folglich bei dem Inhaber von einer Auflehnung gegen die thatsächliche Herrschaft eines Anderen nicht die Rede sein kann. Die pflichtwidrige Handlung des Prekaristen, über dessen nach den Regeln des Leihvertrages zu beurtheilendes Schuldverhältniß gegenüber dem precario concedens der Entwurf nähere Bestimmungen nicht enthält, ist die Verletzung einer Kontraktspflicht und nicht ein blos formelles Unrecht. Die Klage aus dem Vertrage genügt für den precario concedens; eine possessorische Klage mit Ausschluß der petitorischen Einreden würde den Prekaristen beschweren, indem ihm

dem Zwecke nach bestimmten Gebrauche überlassen hat, so kann er sie beliebig zurückfordern.“ 235 Mot., Mugdan, Bd. 2, S. 253. 236 Prot., Mugdan, Bd. 2, S. 897.

104

§ 6 Mutation und Untergang des precarium

sein Retentionsrecht entzogen und, selbst wenn man den stillschweigenden Ausschluß des Retentionsrechtes bei dieser Art des Leihvertrages annehmen wollte, mindestens die Erörterung der Frage, ob eine solche stillschweigende Vereinbarung vorliege, abgeschnitten werden würde.“ 237

Zwar bleibt damit offen, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, einen Besitzvertrag nach römischem Muster zu kodifizieren, der nur zur Ergänzung eines schuldrechtlichen Überlassungsverhältnisses fungiert. Ein solches Institut könnte vielleicht dazu geeignet sein, die Kluft zu überbrücken, die sich bei Besitzstaffelungen im heutigen Recht zwischen der Aufteilung der als Tatsache verstandenen Besitzposition und dem zugrunde liegenden obligatorischen Verhältnis auftut. Zumindest nach der spätestens im Mittelalter einsetzenden Mutation des precarium zu einem schuldrechtlichen Leihvertrag gibt es zu seiner Abschaffung aber keine Alternative.

237

Mot., Mugdan, Bd. 3, S. 66.

Fazit Das römische precarium ist im klassischen Recht und vermutlich seit jeher ein Besitzvertrag, mit dem sich der Prekarist dem Geber unterordnet, indem er sich durch sein bittweises Ersuchen auf eine Stufe mit Räubern und Dieben stellt. Das precarium ist Mittel zur erleichterten Durchsetzung eines auf andere Weise begründeten Rechts des Gebers und erschöpft sich darin, dessen Zugriff zu erleichtern. Seine Einordnung als freigiebiges Verhältnis ist lediglich formal und kennzeichnet bloß die Beschränkung seiner Wirkung auf den Schutz des Gebers. Betrachtet man es vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsbeziehung der Parteien, dient das precarium allein den Interessen des Gebers und nicht denen des Prekaristen, der folglich auch nur eingeschränkt haftet. Das precarium ist kein leih- oder leihähnliches Verhältnis, das geeignet wäre, der Sach- oder Nutzungsüberlassung einen schuldrechtlichen Rahmen zu geben. Stattdessen bildet es lediglich eine Ergänzung zu einem solchen Schuldverhältnis und hat die Funktion, die Rechtsposition des Gebers besitzrechtlich abzusichern. Es kommt vor allem bei Kreditsicherheiten zum Einsatz und sorgt hier für einen erleichterten Zugriff des Gläubigers auf die verpfändete, zur Sicherung übereignete oder unter Eigentumsvorbehalt überlassene Sache; im Fall des Eigentumsvorbehalts und der fiducia beugt es zudem einer Ersitzung der Sache durch den Schuldner vor. Vergleichbare Funktionen erfüllt das precarium bei der Gestattung der Nutzung eines gebereigenen Grundstücks oder der servitutswidrigen Nutzung eines Nachbargrundstücks. Hier verhindert es die Ersitzung einer Freiheit von der betroffenen Dienstbarkeit und wirkt mindestens dem Beweisvorteil entgegen, den die tatsächliche Nutzung durch den Prekaristen bedeutet. Das zugrunde liegende schuldrechtliche Verhältnis kann dabei Verdingung oder Leihe sein, die auch als regelrechte Sachüberlassung mit einem precarium kombiniert werden können, um einem Vermieter, Verpächter oder Verleiher den raschen Zugriff auf die Sache zu eröffnen. Dass er von dieser Befugnis auch unter Verstoß gegen die schuldrechtlichen Befugnisse des Prekaristen Gebrauch machen kann, bedeutet einen Überschuss an Rechtsmacht, der für ein reines Sicherungsinstrument nicht ungewöhnlich ist. Das precarium charakterisiert ein Spannungsverhältnis zwischen seinem Abschlussmodus und seinem Gegenstand: Es ist einerseits Vertrag und damit den auf die Begründung von Verpflichtungen gerichteten Schuldverträgen ähnlich; andererseits besteht seine Wirkung in dem Zugeständnis einer Tatsache, nämlich eine Sache wie ein Dieb oder Räuber innezuhaben. Diese Diskrepanz macht sich

106

Fazit

zunächst auf vertragsrechtlicher Ebene bemerkbar: Hier gilt zwar, dass precarium wie ein Schuldvertrag zustande kommt und aus diesem Grund insbesondere dem Verbot von Geschäften mit eigenen Sachen unterliegt. Da es auf ein Faktum gerichtet ist, kann es aber auch von einem Mündel ohne Zustimmung seines Vormunds eingegangen werden und unterliegt nach verbreiteter Ansicht keiner Rechtsnachfolge auf Seiten des Prekaristen, weil dessen Eingeständnis, einem Räuber oder Dieb gleichzustehen, eigentlich nur für ihn wirken kann. Für die ebenfalls vertretene Gegenansicht streiten aber wiederum die Vertragsnatur des precarium und seine Funktion, den Zugriff des Gebers zu erleichtern. Auf besitzrechtlicher Ebene macht sich der Widerspruch zwischen Begründungsmodus und Inhalt des precarium durch eine schwankende Zuordnung zum rechtmäßigen und fehlerhaften Besitz bemerkbar. Da sich der Prekarist durch seine Bitte auf eine Stufe mit Räubern oder Dieben stellt, verfügt er eigentlich nur über eine possessio iniusta. Die Juristen ziehen hieraus zuweilen zweifelhafte Schlüsse, erkennen aber auch an, dass sich die Stellung des Prekaristen, weil sie durch Übereinkunft mit dem Geber erlangt ist, von derjenigen anderer Besitzer unterscheidet, die sich durch ihr gewaltsames oder heimliches Vorgehen zum possessor iniustus gemacht haben. Die Juristen gehen sogar so weit, den Prekaristen wegen der vertraglichen Begründung seiner Stellung als rechtmäßigen Besitzer anzusehen. In den zu entscheidenden Fällen bleibt diese Zuordnung aber jeweils ohne Konsequenz, weil die einschlägige Regelung nur für Eigenbesitzer gedacht ist, von denen der Prekarist dann durch eine Binnendifferenzierung gesondert werden muss. Gerade hierin zeigt sich freilich, dass die Vertragsnatur des precarium auch das theoretische Interesse der römischen Juristen weckt. Eine weitere Ausprägung des vertraglichen Charakters des precarium ist, dass es zu einer Verdopplung der Besitzerposition führt: Der Geber behält nicht nur den Ersitzungsbesitz, was einer vom Pfandrecht her bekannten Aufteilung nach Besitzaspekten entspräche; zumindest nach Ansicht einiger Juristen soll er auch parallel zum Prekaristen Besitzschutz genießen. Die theoretische Rechtfertigung dieser Besitzverdopplung kann auf der Basis eines tatsächlichen Besitzbegriffs nicht gelingen: Weder die Unterscheidung zwischen rechtmäßigem und fehlerhaftem Besitz noch die Differenzierung zwischen Sachherrschaft und Herrschaftswille verträgt sich nicht mit der Grundannahme, der Besitz sei ein Faktum; denn in beiden Fällen ist die Rücksicht auf die vertragliche Bindung der Parteien vorausgesetzt, die der Anknüpfung der Besitzposition an den natürlichen Willen der Besitzer zuwiderläuft. Der innere Widerspruch, der das precarium prägt, ist indirekt auch für die Abschaffung dieses Instituts verantwortlich: Der vertragliche Charakter des precarium führt spätestens im Mittelalter zu seiner Deutung als schuldvertragliches oder schuldvertragsähnliches Überlassungsverhältnis und seiner Annäherung an den Leihvertrag. Da dieser auch den Fall einer Überlassung auf jederzeitigen Wi-

Fazit

107

derruf abdeckt, hat das precarium daneben keine Existenzberechtigung. Der Gesetzgeber des BGB von 1900 hat sich konsequent gegen eine Kodifikation des precarium entschieden und es auch nicht mehr als possessorische Einrichtung beibehalten. Nicht erwogen hat er dabei, ob sich das Modell eines Besitzvertrags für die Bewältigung besitzrechtlicher Probleme eignet, wie sie moderne Formen der Besitzstaffelung aufwerfen.

Quellenverzeichnis Gai institutiones 2.60 3.136 3.205 3.206 3.207 4.36 4.151

19 f. 59 46 f. 46 f. 46 f. 82 Fn. 182 88

Pauli sententiae 5.6.10 5.6.11 5.6.12

34 f. 59 f.

Corpus Iuris Civilis Institutiones 2.1.41

18 Fn. 23

Digesta 2.8.15pr 2.8.15.2 6.2.13.1 7.1.12.2 8.2.32pr 8.4.17 8.6.12 9.4.11 9.4.13 9.4.21pr

21 f. 21 f. 82 28, 43 Fn. 90 8 f. 10 f. 76 f., 89 Fn. 199 83 Fn. 185 83 Fn. 186 f. 87 Fn. 195

Quellenverzeichnis 9.4.22.1 9.4.27pr 10.3.7.4 10.3.7.5 11.7.12pr 12.1.15 13.6.1.1 13.6.5.2 13.6.5.3 13.7.22.3 13.7.29 13.7.35.1 15.1.1.2 15.1.5.1 16.3.15 16.3.32 17.1.34 18.1.34.4 19.1.13.20 19.1.13.21 19.2.4 19.2.14 19.5.5pr 19.5.5.1 19.5.17 24.1.32.5 30.108.12 41.1.22 41.2.1.15 41.2.3.5 41.2.10 41.2.13.7 41.2.21.3 41.2.28 41.2.36 41.2.40.3 41.2.41pr 41.3.16 41.3.31.4 41.3.33.5 41.3.33.6 41.4.6

82 f., 87 82 Fn. 187 83 f. 83 f. 14 56 Fn. 112 29 Fn. 59 49 ff. 49 f. 23 f. 24 f. 66 Fn. 142 56 f. 57 70 48 Fn. 101 56 Fn. 112 67 f. 16 16 32 62 45 Fn. 94 45 Fn. 94 29 Fn. 59 22 f. 49 78 91 Fn. 204 92 f. 29 ff. 87 f. 88 f. 68 f. 24 69 Fn. 155, 77 f. 26 f. 91 62 f. 91 Fn. 203 32 f. 27

109

110 43.16.1.35 43.19.1pr 43.19.1.6 43.19.1.11 43.20.1pr 43.24.11.12 43.26.1pr 43.26.1.1 43.26.1.2 43.26.1.3 43.26.2pr 43.26.2.1 43.26.2.2 43.26.2.3 43.26.3 43.26.4pr 43.26.4.1 43.24.4.2 43.26.4.3 43.26.4.4 43.26.5 43.26.6pr 43.26.6.1 43.26.6.2 43.26.6.3 43.26.6.4 43.26.7 43.26.8pr 43.26.8.1 43.26.8.2 43.26.8.3 43.26.8.4 43.26.8.5 43.26.8.6 43.26.8.7 43.26.8.8 43.26.9 43.26.10 43.26.11 43.26.12pr 43.26.12.1 43.26.13

Quellenverzeichnis 48 Fn. 98 13 Fn. 15 13 f. 89 f. 13 Fn. 15 16 f. 40 ff. 40 ff., 57 Fn. 117 40 ff. 40 ff. 7 7 44 f., 57 Fn. 117 54 11 f. 37 Fn. 82 86 54 f., 57 Fn. 116 65 60 f. 61 61 f. 57 31 66 Fn. 143, 81 21, 65 f. 67 45 Fn. 96, 55 f. 71 f. 72 50 f. 7 f. 47 f. 48 80 f. 73 58 f. 60 25 f., 60 Fn. 125 15 f., 26 Fn. 53 72 57

Quellenverzeichnis 43.26.14 43.26.15pr 43.26.15.1 43.26.15.2 43.26.15.3 43.26.15.4 43.26.15.5 43.26.16 43.26.17 43.26.18 43.26.19pr 43.26.19.1 43.26.19.2 43.26.20 43.26.21 43.26.22pr 43.26.22.1 44.3.5.1 44.3.11 44.3.12 44.7.1.5 44.7.16 47.2.14.11 50.17.23 50.17.45pr

43, 56 Fn. 114 43 29, 58, Fn. 121 12 12 f., 59 Fn. 123 93 f. 12 f. 57 f. 86 54 77, 84 Fn. 190 58 f 45 15 28 f., 60 66 f. 63 f. 20 Fn. 32 f. 72 f. 20 Fn. 33 48 Fn. 101, 50 19 f., 58 Fn. 120 46 48 f., 50 Fn. 104 69 f.

Codex 4.54.3 4.65.3 7.10.4 7.36.1 7.36.2 7.39.2 8.4.7 8.4.10 8.9.2 8.27.2

17 f. 79 43 20 Fn. 33 20 Fn. 33 33 f. 79 f. 78 f. 29, 73 Fn. 167 25

111