Politische Kommunikation in Österreich: ein praxisnahes Handbuch 3851148584, 9783851148589

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Politische Kommunikation in Österreich: ein praxisnahes Handbuch
 3851148584, 9783851148589

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Fritz Plasser (Hg.)

Poli ische ion Kommunika •• in Os erreich

Ein praxisnahes Handbuch

wuv

Fritz Plasser (Hg.)

Politische Kommunikation in Österreich

Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung Band 29

Fritz Plasser (Hg.)

Politische Kommunikation •• in Osterreich Ein praxisnahes Handbuch

wuv

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio­ grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abruf­ bar.

© 2004 Facultas Verlags- und Buchhandels AG WUV-Universitätsverlag, Berggasse 5, A-1090 Wien Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten. Umschlaggestaltung: waltergrafik, A-3912 Grafenschlag Satz: Palli & Palli OEG, A-6020 Innsbruck Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H., A-3580 Horn Printed in Austria ISBN 3-85114-858-4

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

9 13

Fritz Plasser Politische Kommunikation in medienzentrierten Demokratien: Einleitung

21

Fritz Plasser / Peter A. Ulram Öffentliche Aufmerksamkeit in der Mediendemokratie

37

1. Wandel des politischen Kommunikationssystems 2. Märkte öffentlicher Aufmerksamkeit 2.1 Pressemarkt 2.2 Rundfunk- und Fernsehmarkt 3. Politisches Interesse und Informationsverhalten 4. Öffentliche Aufmerksamkeitsspannen 5. Nutzung politischer Informationsangebote 6. Vertrauen in die politische Berichterstattung 7. Fragmentierung öffentlicher Aufmerksamkeit

39 43 43 54 64 67 72 87 93

Inhaltsverzeichnis

6

Peter Filzmaier Internet und neue Foren der Mediendemokratie

101

1. Österreich im Netz 2. Internet und E-Government 3. Parlamentskommunikation und Neue Medien 3.1 Internet-Seiten des Parlaments 3.2 Internet-Nutzungsverhalten von Abgeordneten 4. Parteien und Internet 4.1 Inhaltsanalyse von Internet-Seiten der Parlamentsparteien 5. Virtuelle Wahlprozesse 5.1 E-Voting 5.2 Wahlbörsen 5.3 wahlkabine.at 6. Internet-Nutzung und Qualität der Politikvermittlung

103 108 111 111 116 127 128 133 133 135 139 141

Günther Lengauer / Günther Pallaver / Clemens Pig Redaktionelle Politikvermittlung in der Mediendemokratie

149

1. 2. 3. 4. 5. 6.

150 153 155 159 160 164 164 173 180 196 202 209 214 219

Nachrichtenlogik in der Mediendemokratie Framing als theoretischer und methodischer Ausgangspunkt Methode und Design der Untersuchung Politischer Diskussions- und Ereignishintergrund Formale Struktur der Politikberichterstattung Inhaltliche Struktur der Politikberichterstattung 6.1 Personalisierung 6.2 Konfrontative Negativität 6.3 Entpolitisierung und De-Thematisierung 6.4 Journalistenzentrierung und journalistische Interpretativität 6.5 Dramatisierung und Dynamisierung 6.6 Politikberichterstattung aus Gender-Perspektive 7. Vergleichende Frame-Korrelations-Analyse 8. Logik redaktioneller Politikvermittlung

Fritz Plasser / Günther Lengauer / Wolfgang Meixner Politischer Journalismus in der Mediendemokratie

237

1. 2. 3. 4.

239 243 248 250

Politischer Journalismus unter Stress Journalistisches Rollenverständnis in Deutschland Journalistisches Rollenverständnis in den USA Journalistisches Rollenverständnis in Österreich

Inhaltsverzeichnis

5. Innenpolitischer Journalismus aus Akteursperspektive 5.1 Rollenverständnis führender innenpolitischer Journalisten und Journalistinnen 5.2 Qualität des politischen Journalismus aus Sicht redaktioneller Eliten 5.3 Problematische Trends im politischen Journalismus 5.4 Nachrichtenwerte und redaktionelle Auswahlkriterien 5.5 Rechercheorientierungen innenpolitischer Journalisten 5.6 Politische Eliten als Interviewpartner 5.7 Spannungspunkte im Verhältnis Politik und Journalismus 5.8 Einflussnahme politischer Akteure auf die redaktionelle Berichterstattung 6. Politischer Journalismus im Wandel

Fritz Plasser / Clemens Büffel/ Günther Lengauer Politische Öffentlichkeitsarbeit in der Mediendemokratie Professionalisierung politischer Öffentlichkeitsarbeit Politische Öffentlichkeitsarbeit und politischer Journalismus Praxis- und Problemfelder politischer Öffentlichkeitsarbeit Politische Öffentlichkeitsarbeit aus Akteursperspektive 4.1 Rollenverständnis politischer Sprecher .. 4.2 Problemfelder und Wandlungslinien politischer Offentlichkeitsarbeit 4.3 Qualität politischer Öffentlichkeitsarbeit 4.4 Medienkompetenz der Spitzenpolitiker 4.5 Spannungspunkte im Verhältnis politische PR und politischer Journalismus 4.6 Handlungsrepertoires und Techniken der Medienbeeinflussung 4.7 Nachrichtenfaktoren und Aufmerksamkeitsmanagement 5. Politisches Informationsmanagement in der Mediendemokratie

1. 2. 3. 4.

7

257 260 266 270 274 279 287 291 293 301

309 310 315 318 323 325 328 333 334 336 339 343 345

Ferdinand Karlhofer Interessenvertretung in der Mediendemokratie

351

Veränderungen im Rollenverständnis der Akteure Organisation der Öffentlichkeitsarbeit Interne Öffentlichkeitsarbeit Externe Öffentlichkeitsarbeit Massenmediale Inszenierung und Akzeptanzmanagement 5.1 Kampagnenorientierung der Wirtschaftskammer 5.2 Kampagnenorientierung des 0GB 5.3 Konfliktmanagement- das Streikjahr 2003 6. Sonderfall Industriellenvereinigung 7. Zukunft der Interessenvertretung in der Mediendemokratie

352 354 357 360 362 363 365 367 369 371

1. 2. 3. 4. 5.

8

Inhaltsverzeichnis

Fritz Plasser/ Peter A. Ulram Parteienwettbewerb in der Mediendemokratie

377

1. Politische Kommunikationskultur und Parteiensystem 1.1 Erosion stabiler Parteibindungen 1.2 Zerfall politischer Kommunikationsnetzwerke 2. Mediatisierung und Personalisierung des Parteienwettbewerbs 3. Professionalisierung der Parteiakteure 4. Vom Selling zum Marketing von Politik 5. Von organisations- zu femsehzentrierten Wahlkämpfen 6. Fernsehwahlkampf und Mediahypes 6.1 TV-Konfrontationen und Wahlentscheidung 6.2 Wahlkampf im ORF-Studio 6.3 Effekte der ORF-Wahlkonfrontationen

380 381 384 387 392 397 403 412 413 415 420

Technischer Anhang Anhang A: Codebook zur Joumalistenbefragung Anhang B: Codebook zur Befragung politischer Öffentlichkeitsarbeiter und Sprecher Anhang C: Codebook zur Inhaltsanalyse der Politikberichterstattung österreichischer Massenmedien

431

Register

491

Die Autoren

499

451 469

Vorwort des Herausgebers Politische Nachrichten sind in einer Multimediagesellschaft rund um die Uhr verfüg- und abrufbar. Stündliche Kurznachrichten auf Ö3, die Morgen-, Mittags­ und Abendjournale des ORF wie Nachrichtensendungen privater Veranstalter begleiten Radio-Hörer im Tagesablauf. 1 Im ORF-Fernsehen wiederum beginnt der Informationsalltag mit der 9.00 Uhr ZiB, der mehrere Tagesausgaben bis zur abendlichen Hauptnachrichtensendung um 19.30 Uhr folgen. Der Nachlichten­ zyklus setzt sich mit der ZiB 2 um 22.00 Uhr fort und findet schließlich um Mitternacht mit der ZiB 3 seinen Ausklang. Bereits vor der in ORF 1 und ORF 2 durchgeschalteten Zeit im Bild 1 bietet auch ATVplus Aktuell um 19.15 eine Nachrichtensendung an, während um 20.00 auf Pro7 seit Jänner 2004 die Austria TopNews ausgestrahlt werden. Ebenso dicht und kompetitiv ist das politische Nachrichten- und Informationsangebot am Pressemarkt, auf dem 15 Tageszeitun­ gen und wöchentlich Nachrichtenmagazine wie News, Profil und Format erschei­ nen, deren politische Ressorts um möglichst aktuelle und exklusive Meldungen, Interviews und Stories wetteifern, wobei sich die politische Informationskon­ kurrenz mittlerweile auch in den Hyperraum des Internet verlagert hat, in dem Online-Redaktionen und Nachrichtenportale des ORF wie der großen Tageszeitun­ gen und Nachrichtenmagazine im 5-Minuten-Takt aktualisierte Meldungsübersich­ ten und breaking news anbieten. Konsequenterweise führen Quantität und Dichte des massenmedialen Informa­ tionsangebots zu einem verschärften Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Pu­ blikums, der wiederum auf Inhalte, Form und Präsentation des redaktionellen In­ formationsangebotes zurückwirkt. Knappen Aufmerksamkeitsspannen des Publi­ kums stehen intensivierte Bemühungen politischer Eliten gegenüber, mit ihren Themen in die massenmediale Berichterstattung Eingang zu finden und in redak­ tionellen Beiträgen, Interviews oder Studiogesprächen präsent zu sein. Aufmerk­ samkeits- und Themenmanagement, kameragerechte Inszenierung von Auftritten

1

Textierung und sämtliche auf Personengruppen bezogene Bezeichnungen verstehen sich in der geschlechtsneutralen Form, die Frauen und Männer gleichermaßen adres­ siert.

10

Vorwort des Herausgebers

und Ereignissen wie informelle Versuche politischer Öffentlichkeitsarbeiter, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen, finden täglich auf der Hinterbühne der politischen Kommunikationsarena statt. Aber auch in der Regierungsarbeit haben medienzentriertes Aufmerksamkeits- und Akzeptanzmanagement einen vorrangi­ gen Stellenwert wie insgesamt politische Kommunikation von Partei- und Regie­ rungsakteuren als spielentscheidende Machtressource angesehen wird. Damit sind in Konturen die Themenfelder des vorliegenden Handbuchs abge­ steckt, in dem erstmals systematisch die politische Kommunikationspraxis in Österreich aus politikwissenschaftlicher Sicht untersucht wird. Die einzelnen Bei­ träge dieses Handbuchs bieten interessierten Leserinnen und Lesern Einblicke in die unterschiedlichen Praxisfelder politischer Kommunikation wie Überblicke über den neuesten Forschungsstand. In zahlreichen Feldern waren aber Forschungslage und Befunde entweder veraltert oder kursorisch und mussten durch teilweise aufwändige Forschungsprojekte aktualisiert bzw. ergänzt werden. Dies betrifft ins­ besondere das professionelle Rollenverständnis der Akteure politischer Kommuni­ kation. So wurde in Vorbereitung des Handbuchs eine Befragung von 95 führenden Journalistinnen und Journalisten durchgeführt, die in einem der zwanzig innenpo­ litischen Ressorts elektronischer Medien, Tageszeitungen, Nachrichtenmagazinen und Presseagenturen arbeiten, die das innenpolitische Informationsgeschehen in Österreich maßgeblich prägen und, was Reichweite, Auflagen und Leserzahlen betrifft, die redaktionelle Politikvermittlung in Österreich dominieren. Um ver­ gleichbare Einblicke in das Rollen- und Praxisverständnis politischer Öffentlich­ keitsarbeiter zu erhalten,wurden auch explorative Gespräche mit 25 hauptberuflich an zentralen Schaltstellen des politischen Systems tätigen Pressesprechern geführt. Ähnliche empirische Sondierungen konzentrierten sich auf Kommunikations­ verantwortliche einflussreicher Interessenvertretungen wie der vier Parlamentspar­ teien. Eine Befragung österreichischer Parlamentsabgeordneter gestattet wiederum Einblicke in die Internet-Nutzung im Rahmen der Parlamentskommunikation. Die redaktionellen Leistungen,mit denen das Medienpublikum täglich konfron­ tiert ist, wurden mittels einer großflächigen, computergestützten quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse untersucht, bei der insgesamt 4.906 Beiträge der tages­ aktuellen politischen Berichterstattung österreichischer Massenmedien des Jahres 2003 analysiert wurden. Die Ergebnisse dieser aufwändigen und bislang umfas­ sendsten Inhaltsanalyse geben Aufschlüsse über Themenschwerpunkte, Themen­ karrieren,journalistische Rahmungen und die redaktionelle Aufmerksamkeits- und Vermittlungspraxis. Das politische Informationsverhalten, die Nutzung politischer Informationsangebote und die thematische Spannweite und Intensität der Publi­ kumsaufmerksamkeit wurden wiederum durch begleitende repräsentative Befra­ gungen erhoben und durch aktuelle Daten der Mediennutzungsforschung wie den ORF-Teletest,ORF-Radiotest bzw. die Daten der jährlichen Media-Analyse (MA), der Österreichischen Auflagenkontrolle ( ÖAK), der Magazin-Auflagenkontrolle der News-Gruppe (M.A.K.) bzw. des Austrian Internet Monitors (AIM) ergänzt. Ziel des vorliegenden Handbuchs ist eine theoriegeleitete wie praxisnahe Be­ standsaufnahme und Auseinandersetzung mit Konstruktions- und Spannungs-

Vorwort des Herausgebers

11

flächen, Akteuren und Strategien, strukturellen Rahmenbedingungen und Praktiken der politischen Kommunikation in Österreich. Die Beiträge bemühen sich um em­ pirisch abgestützte wie didaktische Annäherungen an ausgewählte Praxis- und Akteursfelder, wobei sowohl der neueste Literatur- wie empirische Forschungs­ stand berücksichtigt wird. Das Handbuch wendet sich an mehrere Zielgruppen: Praktiker politischer Kom­ munikation, an politischen Kommunikationsfragen interessierte Experten wie die wachsende Zahl von Studierenden, die einschlägige Lehr- und Ausbildungs­ angebote im universitären und außeruniversitären Bereich frequentieren. Für den Herausgeber aber gleichermaßen relevante Zielgruppe sind Mediennutzer, die sich nicht nur für die politische Berichterstattung in den Massenmedien interessieren, sondern auch dafür, wie politische Nachrichtenrealität entsteht, wer an der Kon­ struktion politischer Medienrealität beteiligt ist und warum bestimmte Ereignisse und Vorgänge zum prominenten Gegenstand massenmedialer Berichte werden, während andere nur in Form von Kurz- und Punktmeldungen abgehandelt werden bzw., weil sie keine redaktionelle Aufmerksamkeit gefunden haben, von der Öf­ fentlichkeit gar nicht wahrgenommen werden. An der Realisierung dieses Handbuchs waren zahlreiche Personen und Institu­ tionen konstruktiv beteiligt, ohne deren Kooperationsbereitschaft dieses Buch noch weitere Jahre ein Projektexpose geblieben wäre. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vorerst die innenpolitischen Journalistinnen und Journalisten, die sich trotz Termindruck bereitwillig für Gespräche und Interviews zur Verfügung stellten. Der Herausgeber ist ihnen wie den Chefredaktionen, Ressort- und Sen­ dungsverantwortlichen der einflussreichsten tagesaktuellen Medien Österreichs zu Dank und professionellem Respekt verpflichtet. Die ORF-Generaldirektion und die Zeit im Bild-, Report- und ORF-Radio-Informationsverantwortlichen haben das Forschungsvorhaben ebenso konstruktiv unterstützt wie die von uns um Koopera­ tion angesprochenen Chefredakteure österreichischer Tageszeitungen und Nach­ richtenmagazine. Für Archiv- und Datenzugang habe ich dem Verband österreichischer Zeitungs­ herausgeber und Zeitungsverleger wie dem Verein Arbeitsgemeinschaft Media­ Analysen zu danken. Der ORF-Medienforschung und insbesondere deren Leiterin Frau Dr. Hedwig Zehetner bin ich für den Zugang zu Daten und Forschungsberich­ ten der ORF-Medienforschung wie wertvolle Hinweise persönlich zu Dank verpflichtet. Wertvolle Unterstützung gaben dem Forschungsprojekt auch die Lei­ terin der Medienforschung des FESSEL-GfK-Instituts Frau Dr. Petra Golj a und der wissenschaftliche Koordinator des ORF-Qualitätsmonitoring Prof. Dr. Johannes Hawlik. Dem Geschäftsführer des FESSEL-GfK-Instituts Prof. Dr. Rudolf Bret­ schneider habe ich für persönliche Unterstützung und großzügigen Datenzugang zu danken. Der Ludwig Boltzmann Gesellschaft bin ich für ihre Förderung der Forschungsaktivitäten zu Dank verpflichtet. Last not least hat die Kooperations­ bereitschaft und intensive empirische Unterstützung durch die Innsbrucker Media Watch - ein Untemehmen der APA-Gruppe- entscheidend zur Realisierung des ambitionierten Forschungs- und Handbuchprojektes beigetragen.

12

Vorwort des Herausgebers

Verpflichtet ist der Herausgeber aber auch Frau Marianne Zawilensky, die das Projekt bis Jahresende 2003 begleitet hat und der an dieser Stelle für eine mehr als zwanzigjährige Zusammenarbeit zu danken ist. Ebenso in kollegialer Pflicht steht der Herausgeber dem langjährigen Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Politikforschung Mag. Wolfgang Meixner, der alle bislang in dieser Schriftenreihe erschienenen Studien redaktionell betreut und professionell begleitet hat. Für eine langjährige Zusammenarbeit ist neuerlich Ellen und Mag. Wolfgang Palli zu dan­ ken, die für ein professionelles Layout eines weiteren Bandes dieser Schriftenreihe gesorgt haben.

Fritz Plasser Wien und Innsbruck, im Mai 2004

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder Einleitung Schaubilder 1.1: Medienwandel und die Folgen für Wahlkampf und Wählerverhalten

26

1.2: Der amerikanische Stil politischer Kommunikation

29

Öffentliche Aufmerksamkeit Tabellen 2.1: Auflagen und Reichweiten österreichischer Druckmedien, 2003

51

2.2: Angebot politischer Nachrichten und Informationsprogramme im ORFFemsehen, 1967-2001

56

2.3: TV-Marktanteilsentwicklung, 1991-2003

58

2.4: ORF-Fernsehnachrichtenangebot, 1992-2003

61

2.5: Erwünschte Intensität der ORF-Berichterstattung über ausgewählte Themenfelder, 1999

68

2.6: Erwünschte Intensität der aktuellen Berichterstattung in Fernsehen und Zeitungen, 2004

70

2.7: Ressortspezifisches Interesse des Medienpublikums, 2003

72

2.8: Primäre politische Informationsquellen, 1961-2003

73

2.9: Wichtigste tagesaktuelle Informationsquelle, 1961-2003

74

2.10: Primäre politische Informationsquellen im transnationalen Vergleich

75

2.11: Indikatoren des politischen Informationsverhaltens, 1961-2003

77

2.12: Sehfrequenz der Zeit im Bild, 1961-2003

78

2.13: Lektüre der innenpolitischen Berichterstattung in Tageszeitungen, 1961-2003

79

14

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

2.14: Hörfrequenz von Radio-Nachrichten, 1961-2001

81

2.15: Politisches Informationsverhalten Jugendlicher, 1986-2000

82

2.16: Nutzung politischer Informationsangebote im Internet, 2001-2003

84

2.17: Öffentliche Aufmerksamkeit im EU-Vergleich

86

2.18: Einstellungen zu Politiker-Auftritten in der Fernsehberichterstattung, 1984-2004 2.19: Vertrauen in die Medien im EU-Vergleich

89

2.20: Subjektive Glaubwürdigkeit politischer Informationsquellen, 1976-2003

92

90

Schaubilder 2.1: Phasen des politischen Kommunikationssystems in Österreich, 1953-2002

42

2.2: Der Aufstieg der „Kronen Zeitung"

46

2.3: Kapitalverflechtungen am Printmarkt, 2004

49

2.4: Marktführer am österreichischen Medienmarkt, 2003

53

2.5: Reichweiten der Zeit im Bild 1 und Zeit im Bild 2, 1972-2002

59

2.6: Politisches Interesse in Österreich, 1974-2003

66

Internet und neue Foren Tabellen 3.1: Internet-Nutzer in Österreich, 1996-2003

104

3.2: Strukturdaten der Internet-Nutzung in Österreich, 1997-2003

105

3.3: �olitische Nutzung des Internet und politischer Cyber-Aktivismus in Osterreich, 2001-2003

107

3.4: Einschätzung der Bedeutung der Massenmedien für die politische Kommunikation durch österreichische Nationalratsabgeordnete

117

3.5: Anwendungsgebiete der Internet-Nutzung durch österreichische Nationalratsabgeordnete

119

3.6: E-Mail-Inhalte in Sendungen an österreichische Nationalratsabgeordnete

121

3.7: Nutzung des Internet für abweichende Meinungsäußerungen durch österreichische Nationalratsabgeordnete nach Parteien

123

3.8: Einstellung österreichischer Nationalratsabgeordneter zur zukünftigen Bedeutung des Internet in der Demokratie

124

3.9: Antwortbereitschaft von Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat auf Bürgeranfragen mittels E-Mail 126 3.10: E-Party-lndex im EU-Vergleich, 2003

130

3.11: Prognosegenauigkeit von Wahlbörsen und Meinungsumfragen in Österreich, 135 1994-2003

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

15

Schaubilder 3.1: Typen und Anwendungsbereiche des Internet in der Politikvermittlung und Regierungskommunikation

102

3.2: Kategorienschema und Inhaltsanalyse der Internet-Seiten des österreichischen 112 Parlaments, 2003/04 132 3.3: Potenziale des „web campaigning" 3.4: Pro und Contra Internetwahlen

134

Redaktionelle Politikvermittlung Tabellen 4.1: Beitragslängen in den Rundfunk-Nachrichtensendungen

162

4.2: Nachrichtengeographie von TV-Nachrichten und Aufmachern auf Titelseiten 163 4.3: Personen- bzw. Parteienzentrierung

167

4.4: Eliten-Zentrierung der Parlamentsparteien im Jahresverlauf - Detailanalyse ZiB 1, 1998-2003 4.5: Negative Konfrontativität in der österreichischen Politikberichterstattung

170 177

4.6: Berichterstattungs-Rubriken in Rundfunk-Nachrichten und TageszeitungsAufmachern

184

4.7: Hauptthemen-Kategorien in Beiträgen mit Nennung von Politikern und Politikerinnen

185

4.8: Die dominierenden Hauptthemen - Detailanalyse

187

4.9: Die dominierenden Hauptthemen der Hörfunk- und Fernsehnachrichtenbeiträge - Detailanalyse

188

4.10: Die dominierenden Hauptthemen der Print-Beiträge - Detailanalyse

189

4.11: Berichterstattungsstruktur in den USA und Österreich 2003 im Vergleich

1 90

4.12: Game- bzw. policy-Zentrierung in der Politikberichterstattung

191

4.13: Image- bzw. Issue-Zentrierung in der Politikberichterstattung

193

4.14: Episodische bzw. thematische Rahmung der Politikberichterstattung

194

4.15: Durchschnittliche O-Ton-Länge der Parteivorsitzenden

198

4.16: Geschlechterspezifische Themenrepräsentanz in der ZiB 1

2 12

4.17: Die „männliche" und „weibliche" Frame-Struktur der politischen Berichterstattung

2 14

4.18: Die Frame-Struktur der Politikberichterstattung

215

4.19: Die Frame-Struktur der Politikberichterstattung - nach Medientypen

2 16

4.20: Die Frame-Struktur der Politikberichterstattung - Vergleich AufmacherStories und sonstige Beiträge

218

16

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

Schaubilder 4.1: Eliten-Zentrierung der Parlamentsparteien im Jahresverlauf (ZiB 1, 1998-2003)

169

4.2: Rollennahe bzw. rollenferne Eigenschaften der Politiker und Politikerinnen

172

4.3: Positive und negative Bewertungen politischer Spitzenakteure

179

4.4: Journalistische Interpretativität in der Politikdarstellung

200

4.5: Bewertungsdichte der Parteien und Parteichefs

201

4.6: Themenkarrieren im Zeitverlauf

208

4.7: Geschlecht der Hauptakteure in der österreichischen politischen Berichterstattung

209

4.8: Geschlechterverhältnis in der politischen Berichterstattung im Jahresverlauf - ZiB 1, 1998-2003

210

4.9: Geschlechterspezifische O-Töne nach Parteien aufgeschlüsselt - ZiB 1, 1998-2003

2 11

Politischer Journalismus Tabellen 5 .1: Rollenverständnis westdeutscher Journalisten, 1980-1992

245

5.2: Rollenverständnis politischer Journalisten in Deutschland, 1992

247

5.3: Journalistisches Rollenverständnis in den USA, 1971-2002

249

5.4: Zentrale journalistische Aufgaben in den USA, Großbritannien und Australien

250

5 .5: Journalistisches Rollenverständnis in Österreich, 1970

251

5.6: Arbeitsziele österreichischer Journalisten, 1994

253

5.7: Interviewpartner nach redaktioneller Leitungsebene

259

5.8: Rollenverständnis innenpolitischer Journalistinnen und Journalisten

262

5.9: Professionelle Vorbilder führender österreichischer innenpolitischer Journalistinnen und Journalisten

264

5.10: Vorbildliche Qualitätsstandards im internationalen Journalismus aus Sicht österreichischer Redaktionseliten

265

5 .11: Qualität des politischen Journalismus aus Sicht redaktioneller Eliten

267

5 .12: Veränderte Qualitätsstandards im politischen Journalismus

269

5.13: Ambivalente Trends im politischen Journalismus aus Sicht der redaktionellen Eliten 272 5.14: Nachrichtenwerte innenpolitischer Redaktionseliten

277

5.15: Wichtigkeit von Nachrichtenfaktoren

278

5.16: Legitimität umstrittener Recherchemethoden im internationalen Vergleich

280

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

17

5.17: Legitimität umstrittener Recherchemethoden in Österreich, 1994

282

5 .18: Legitimität umstrittener Recherchemethoden unter innenpolitischen Journalistinnen und Journalisten

284

5.19: Legitimität umstrittener Recherchemethoden in Westdeutschland und Osterreich

286

5.20: Qualitätsbeurteilung politischer Eliten als Interviewpartner

290

5.21: Spannungspunkte im Verhältnis Politik und Journalismus

292

5.22: Praktiken der Einflussnahme politischer Akteure auf die tagesaktuelle Berichterstattung aus Sicht redaktioneller Eliten

296

5.23: Intensität der Kontaktaufnahme durch Spitzenpolitiker

297

5.24: ��tensität der Kontaktaufnahme durch Pressesprecher bzw. politische Offentlichkeitsarbeiter

298

5.25: Motive der Kontaktaufnahme von politischen Akteuren aus der Praxissicht redaktioneller Eliten

300

Schaubilder 5.1: Missionarische Berufsmotivation von Journalisten, 1991-1993

246

5.2: Journalistisches Rollenverständnis in Österreich, 1992

252

5.3: Redaktionelle Zugehörigkeit der befragten innenpolitischen Journalisten und Journalistinnen

258

5.4: Härtegrad von Rechercheorientierungen der innenpolitischen Redaktionselite

285

5.5: Qualität österreichischer Spitzenpolitiker als Interviewpartner aus Sicht redaktioneller Eliten

288

Politische Öffentlichkeitsarbeit Tabellen 6.1: Institutionelle Zugehörigkeit der führenden politischen Öffentlichkeitsarbeiter und Offentlichkeitsarbeiterinnen

323

6.2: Rollenverständnis politischer Sprecher

326

6.3: Tätigkeitsbereiche politischer Pressesprecher

328

6.4: Probleme politischer PR aus Sicht der Praktiker

330

6.5: Spezielle Rahmenbedingungen politischer Öffentlichkeitsarbeit in Österreich aus Sicht der Praktiker 331 6.6: Qualitätsbeurteilung politischer Eliten als Interviewpartner

336

6.7: Beurteilung des Verhältnisses zwischen politischen Öffentlichkeitsarbeitern und politischen Journalisten durch die Akteure

337

6.8: Spannungspunkte im Verhältnis Politik und Journalismus

338

18

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

6.9: Handlungsrepertoires und Techniken der Medienbeeinflussung politischer Sprecher in Deutschland und den USA

341

6.10: Praktiken des Aufmerksamkeitsmanagement politischer Öffentlichkeitsarbeiter

342

6.11: ��urnalistische Nachrichtenwerte aus Sicht der politischen Offentlichkeitsarbeiter

344

Schaubilder 6.1: Handlungsoptionen politischer Öffentlichkeitsarbeit

3 12

6.2: Typen der politischen Kommunikationskultur

3 14

6.3: Qualität der politischen Öffentlichkeitsarbeit und Qualität des politischen Journalismus aus Sicht der Professionals

333

6.4: Qualität öst�rreichischer Spitzenpolitiker als Interviewpartner aus Sicht politischer Offentlichkeitsarbeiter und innenpolitischer Journalisten

335

Interessenvertretung Tabellen 7.1: Medienpräsenz der Verbändevertreter (Zeitraum: 1.1.-31. 12.2003)

362

Schaubilder 7.1: Abteilungen für interne und externe Öffentlichkeitsarbeit

354

7 .2: Kampagnen der Verbände (Beispiele)

363

Parteienwettbewerb Tabellen 8.1: Indikatoren der Parteiloyalität, 1969-2004

383

8.2: Direkte politische Kontakte mit Parteien, 1956-2001

385

8.3: Wandel im politischen Informationsverhalten

386

8.4: Faktoren für die Erfolgschancen eines politischen Kandidaten

394

8.5: Einschätzung der Bedeutung der Parteiorganisation im Wahlkampf durch Wahlkampfmanager

396

8.6: Professionalisierung aus der Perspektive strategischer und redaktioneller Eliten

397

8.7: Politische Informationskontakte im Nationalratswahlkampf 1962

404

8.8: Politische Informationskontakte im Nationalratswahlkampf 1999

411

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

19

8.9: Subjektive Einflussstärke politischer Kommunikationskanäle auf die Wahlentscheidung 2002 und 1999

419

8.10: TV-Konfrontationen und Wahlentscheidung

421

Schaubilder 8.1: Politikvermittlung im Rahmen der Parteienaußenkommunikation

379

8.2: Parteiausgaben im internationalen Vergleich

399

8.3: Modelle der Veränderungen von Wahlkampfpraktiken

402

Politische Kommunikation in medienzentrierten Demokratien: Einleitung Fritz Plasser

Die Imperative einer multimedialen Informationsgesellschaft steuern auch die politische Kommunikationspraxis in Österreich. Morgendliche Lagebesprechungen in den Parteizentralen mögen noch „Postsitzungen" heißen, de facto geht es aber längst nicht mehr um die Diskussion eines am frühen Morgen eilig zusammen­ gestellten „Pressespiegels". Online-Ausgaben der Morgenzeitungen waren bereits am späteren Nachmittag des Vortags abrufbar wie Internet-Portale in Permanenz über Veränderungen der Nachrichtenlage informieren. Die Morgensitzungen dienen vielmehr der Planung des Themen- und Argumentationsangebots wie dessen mediengerechter Inszenierung und Darstellung. Parteimanagement bedeutet in der Mediengesellschaft vorrangig proaktives Themen- und Kommunikations­ management. Öffentliche Sichtbarkeit durch massenmediale Präsenz steht auch im Vorder­ grund der Aktivitäten politischer Spitzenakteure. Ausreichend Zeit für die Vorbe­ reitung auf Studioauftritte, Presseinterviews und informelle Joumalistenkontakte ist im dichten Terminkalender neben Aktenstudium, endlosen Serien von Telefona­ ten, Gesprächen und internen Sitzungen ebenso einzuplanen wie in Sitzungspausen die telefonische Erreichbarkeit für Kontakt suchende Journalisten sicherzustellen ist. Spitzenpolitiker changieren permanent zwischen der Sphäre institutioneller Entscheidungspolitik und der Sphäre massenmedialer Darstellungspolitik, deren Grenzen zunehmend unschärfer werden.

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Politische Realität ist in einer Mediengesellschaft zum überwiegenden Teil massenmedial konstruierte und vermittelte Realität. Politikbild und politische Urteilsfähigkeit der Staatsbürger sind von Qualität und Dichte der massenmedialen Informationsangebote abhängig. Politischer Journalismus steht dabei unter erhöh­ tem Stress, der nicht nur auf die permanente Suche nach berichtenswerten Meldun­ gen rückführbar ist, sondern auch auf den verschärften Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit. Mittlerweile hat das Diktat der Quoten und Reichweiten auch die innenpolitischen Ressorts eingeholt und Akzente wie Formate der politischen B erichterstattung verändert. Aber auch die intensivierten Versuche politischer Eliten und ihrer PR-Experten, auf die redaktionelle Berichterstattung Einfluss zu nehmen, hat im politischen Journalismus Spuren hinterlassen und Gegenreaktionen ausgelöst. Das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen Politik und Journalismus ist in einer Mediendemokratie noch spannungs- und konfliktanfälliger geworden, obwohl und gerade weil beide Seiten voneinander wechselseitig abhängig sind. Widersprüchlich fallen auch die Einschätzungen des Verhältnisses zwischen Politik und Massenmedien in der wissenschaftlichen Diskussion aus . B etonen die einen die Autonomie der beiden Subsysteme und heben die Informations- und Kon­ trollfunktion der Massenmedien als „Vierte Gewalt" hervor, steht bei anderen Autoren die Instrumentalisierung der Medien durch die Politik bzw. umgekehrt die zunehmende Abhängigkeit der Politik von den Massenmedien im Vordergrund. Je nach Blickwinkel wird entweder eine „übermacht" der Politik oder eine „über­ macht" der Medien konstatiert, wie insgesamt die Beziehung von Medien und Poli­ tik häufig „Gegenstand verschwörungstheoretischer Abhängigkeitsverhältnisse" ist (Pfetsch 200 1 : 28), die behauptet, aber nicht empirisch nachgewiesen werden. Vertreter des Interdependenz-Modells verzichten hingegen auf einseitige Domi­ nanzverweise und beschreiben die Beziehung zwischen Politik und Medien als reziprokes Handlungssystem, das aus Interaktionen und Tauschbeziehungen zwi­ schen Journalisten, Politikern und politischen PR-Experten besteht (Jarren und Donges 2002b : 1 27f.), die sich an Strukturen des politischen Kommunikations­ systems wie Normen und Regeln einer spezifischen Kommunikationskultur orien­ tieren (Blumler und Gurevitch 1 995 : 1 1-24) . 1 Unterschiedliche Perspektiven und Zugänge umschatten auch Versuche, die konstitutiven Merkmale einer Mediendemokratie herauszuarbeiten (Alemann und Marschall 2002: 1 7-20). Besteht über Charakteristika moderner Mediengesell­ schaften weitgehende Übereinstimmung (Jarren 200 1 : 1 1- 1 2 ; Jarren und Donges

1

Unverzichtbare Standard- und Nachschlagewerke in der deutschsprachigen politischen Kommunikationsforschung sind u .a. die Bände von Sarcinelli ( 1 998b) ; J arren, Sarcinelli und S ax.er (2002) sowie Bentele, Brosius und Jarren (2003) und Esser und Pfetsch (2003) . Einen didaktisch aufgebauten zweibändigen Einführungstext bieten Jarren und Donges (2002) . Über den state-of-the-art der amerikanischen politischen Kommunika­ tionsforschung informiert das „Handbook of Political Communication Research" (Kaid 2004).

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2002a: 30-31), reichen Verweise auf flächendeckende Verbreitung und Relevanz der Massenmedien noch nicht aus, um die spezifische Handlungslogik einer Me­ diendemokratie herauszuarbeiten (Sarcinelli 1997: 36). Einen Schritt näher führt das Konzept der Mediatisierung, das im Kontext politischer Kommunikation dreierlei bezeichnet: ,,(1) die wachsende Verschmelzung von Medienwirklichkeit und politischer wie sozialer Wirklichkeit, (2) die zunehmende Wahrnehmung von Politik im Wege medienvermittelter Erfahrung sowie (3) die Ausrichtung politi­ schen Handelns und Verhaltens an den Gesetzmäßigkeiten des Mediensystems" (Sarcinelli 2002: 678-679). Die durch Angebotsexpansion und Wettbewerb um knappe öffentliche Auf­ merksamkeitsspannen vorangetriebene Mediatisierung des politischen Prozesses kann sich so einem Punkt nähern, an dem die Massenmedien definitiv in das Zentrum des politischen Systems gerückt sind (McLeod, Kosicki und McLeod 1994: 156) und medienspezifische Aufmerksamkeits- und Präsentationsregeln Verhalten und Entscheidungen politischer Akteure determinieren. Das politische System hätte sich dann tatsächlich zu einer post-institutionellen Mediendemokratie entwickelt, was aber in dieser Schärfe bislang in keiner mediengesättigten Demo­ kratie nachweisbar ist (Mazzoleni und Schulz 1999). Offensichtlich werden mit dem Konzept Mediendemokratie graduelle Veränderungen angesprochen, die in Summe zwar eine „Verschiebung der Gewichte, Akteursrollen und Einflussströme nicht nur auf Ebene der politischen Kommunikation, sondern im politischen Sy­ stem selbst" (Meyer 2003: 19) bewirken, die Sarcinelli und Tenscher als „System­ wandel von der parlamentarisch-repräsentativen zu einer medial-präsentativen Demokratie" (2003: 11) beschreiben, was aber nicht bedeutet, dass wir „auf eine Video- bzw. Mediokratie, also auf die Abschaffung der herausragenden Rolle der politischen Akteure in der polis zusteuern" (Mazzoleni 1998: 123). Ob und in welcher Ausprägung graduelle Übergänge stattfinden, ist in jedem Fall empirisch zu prüfen, wobei u.a. die Publikationen von Sarcinelli (1998b), Schulz u.a. (2000), Schatz, Rössler und Nieland (2002), Donsbach und Jandura (2003) wie Sarcinelli und Schatz (2002) differenzierte Kriterien zur Überprüfung der These eines Wandels von der Parteien- zu einer Mediendemokratie anbieten. Als charakteristische Merkmale medienzentrierter Demokratien werden dabei an­ geführt: • die herausragende Bedeutung des Fernsehens als Leitmedium, als zentrale Bühne politischer Selbstdarstellung mit parallel verlaufenden Visualisierungs­ tendenzen bei den Printmedien (Schatz, Rössler und Nieland 2002: 13; Mazzo­ leni 2003); • die Fragmentierung der massenmedialen Öffentlichkeit durch Angebotsexpan­ sion,Kanalvielfalt und Ausweitung des Channel-Repertoires (Schulz 1997: 99);

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• die Bedeutung der massenmedialen Darstellungskompetenz politischer Eliten für ihre öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung (Plasser 2000: 210); •

der absolute Vorrang dichter Journalistenkontakte im Terminkalender politi­ scher Führer (Hoffmann 2003) wie das nachhaltige Bemühen um eine stetige Präsenz in der redaktionellen Berichterstattung, wobei TV-Auftritten absolute Priorität zugemessen wird (Plasser 2000: 210) ;



der wachsende Stellenwert von Öffentlichkeitsarbeit, symbolischer Politik, Event-Marketing und Pseudo-Ereignissen (Sarcinelli 1998a);



der Übergang von organisations- zu kapitalzentriertenFormen politischer Kom­ munikation wie TV-Werbung und professioneller Image- und Medienberatung (Norris 2000; Plasser 2003) ;



ein redaktionelles Politikverständnis, das unter politischem Handeln vorrangig Versuche versteht,die öffentliche Wahrnehmung politischer Schlüsselereignis­ se, Themen und Problemlagen zu beeinflussen (Blumler 1990: 103);



professionelles Themen- und Nachrichtenmanagement wie intensivierte An­ strengungen,Tonalität und thematische Rahmungen der redaktionellen Bericht­ erstattung zu kontrollieren (Pfetsch 2003; Tenscher 2003);

• erhöhte Konfliktintensität in den Beziehungen zwischen Journalisten und Politi­ kern als Reaktion auf überzogene V ersuche politischer Eliten und deren Me­ dienberater, auf die redaktionelle Berichterstattung Einfluss zu nehmen (Blum­ ler 1997: 398-399); •

verstärkte Tendenz der Journalisten, negative Nachrichtenkomponenten in den Vordergrund ihrer Berichte zu stellen, journalistischen Interpretationsmustern breiteren Raum zu geben und immer öfter zu versuchen, proaktiv Themen zu setzen (Neveu 2002: 22-43; Swanson 2003: 21-25);



tendenzielle Abkehr von einer auf hard news konzentrierten Berichterstattung in Richtung Politainment (Dörner 2001) und unterhaltungsorientierter Politik­ vermittlung (Schicha und Brosda 2002; Tenscher und Schicha 2002; Nieland und Kamps 2004);



die herausragende Bedeutung von Medienschemata für das Politikbild und die Wahrnehmung politischer Realität durch die Bürger (Schulz 1997: 158-168; Jarren und Donges 2002b: 187f.);



der „Ausbau der darstellungspolitischen Kompetenz der Parteien" (Sarcinelli 2003b: 55) wie die Verdrängung der innerparteilichen personalen Kommunika-

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tion durch massenmedial vermittelte Aussagen, Auftritte und Inszenierungen (Sarcinelli 1 998a; Alemann und Marschall 2002) ; •

die Anpassung der Parteieliten und ihrer PR-Strategien an die „Medienlogik", insbesondere durch medien- und kameragerechte Inszenierungen, Personalisie­ rung, Ereignismanagement und „negative campaigning" (Mazzoleni 1 99 8 ; Schulz u.a. 2000; S arcinelli und Schatz 2002: 434; Kamps 2004) ;



ein Politikverständnis, das Regierungshandeln vorrangig als medienzentriertes Aufmerksamkeits- und Akzeptanzmanagement versteht (Sarcinelli 1 998a: 295 ) und bei dem der zielgruppengerechten Problemformulierung mehr Aufmerk­ samkeit gewidmet wird als der inhaltlichen Problemlösung (Korte 2002 ; Sarci­ nelli 2003a; Hirscher und Korte 2004); sowie



die Ausformung einer Produktionsgemeinschaft zwischen Politikern, PR-Ex­ perten und Journalisten zur Konstruktion politischer Wirklichkeit (Jarren und Donges 2002b ), begleitet von „einem Machtgewinn der Medien gegenüber den anderen beteiligten Akteuren" (Sarcinelli und Schatz 2002 : 434).

Versuche, die graduelle Veränderung der politischen Handlungslogik in fortge­ schrittenen Mediengesellschaften empirisch zu überprüfen, kamen zu differenzier­ ten Schlussfolgerungen. So konnte die Forschergruppe rund um S arcinelli und Schatz zwar in der politischen Kommunikationspraxis des größten deutschen B undeslandes Nordrhein-Westfalen mehrere Kriterien, die an eine Mediendemo­ kratie anzulegen sind, nachweisen. Die Leitfrage der Untersuchung, wie weit denn die Transformation der Parteien- zur Mediendemokratie schon gediehen sei, wurde aber zurückhaltend beantwortet.2 Das Medienland Nordrhein-Westfalen hätte ,,bisher allenfalls die ersten Schritte in Richtung auf eine „Mediendemokratie" getan. Diese beziehen sich ganz überwiegend auf die Angebotsseite des politischen Kommunikationsprozesses, insbesondere das Wechselverhältnis von Parteieliten und Medien, während die Rezeptionsseite, die Wahlbevölkerung also, mehrheitlich noch von vielen „eigensinnigen", eher traditionellen Verhaltensmustern geprägt ist" (Sarcinelli und Schatz 2002: 44 1 -442). Ähnlich differenziert fiel auch ein Überblick über den Forschungsstand zum Einfluss des Medienwandels auf die Praxis der Wahlkämpfe und das Wählerverhalten aus, wobei die Autoren für einige der in Schaubild 1 . 1 angeführten Konsequenzen überzeugende empirische Belege anführen konnten, während andere Annahmen wiederum nur ansatzweise bis schwach belegbar waren (Schulz, Zeh und Quiring 2000: 4 1 3-443) .

2

Sarcinelli und Schatz bevorzugen statt „Mediendemokratie" die Charakteristik „me­ diatisierte Parteiendemokratie" (2002: 445) .

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Schaubild 1 . 1 Medienwandel und die Folgen für Wahlkampf und Wählerverhalten Medienwandel

Folgen für den Wahlkampf der Parteien und Kandidaten

Folgen für das Wählerverhalten

Expansion

Mehr Kanäle und Darstellungsmög­ lichkeiten für die Kampagnen­ kommunikation

Kontakt mit vielen verschiedenen Formen der Wahlkommunikation

Mehr mediale als personale Kommunikation

mehr Kontakt mit medialer als mit personaler Kommunikation

Genauere Zielgruppenansprache

die Kampagne spricht auch früher nur schwer erreichbare Wählergruppen an

Höhere Kosten für Medieneinsatz

höhere Selektivität und Spezialisierung der Mediennutzung verschiedener Zielgruppen

Höhere Anforderungen an das Kampagnen- und Kommunikations­ management

,,Fragmentierung"

Outsow·cing von Teilen des Kampagnenmanagements ,,Professionalisierung'' Dominanz des Fernsehens, Politikdarstellung orientiert sich am Dominanz der Unterhal­ Fernsehen tungsformate

der Wahlkampf wird vor allem durch das Fernsehen vermittelt (,,television dependency")

lnszenierung/Medialisierung von Ereignissen

starke Mobilisierung auch der Unpolitischen durch die Fernsehkampagne

Fernsehkampagne im Zentrum des Wahlkampfs

Wahlkampf erscheint als Kandidatenwettstreit (,,game schema")

,,Personalisierung"

Wahlkampfstil ist wichtiger für die Wahlentscheidung als Parteiorientierung bzw. Parteiprogramme das Fernsehen prägt das Kandidaten­ Image

Stilwandel des politischen Journalismus, negatives Meinungsbild der Politik

Instrumentalisierung der Medien

Verdüsterung des Politikbildes

Angriffswahlkampf (,,negative campaigning")

Vertrauensverlust politischer Institutionen

Diskreditierung des politischen Gegners

abnehmende Wahlbeteiligung, ,,Politikverdrossenheit''

Quelle: Schulz, Zeh und Quiring (2000: 436).

Multikausale Wandlungs- und Reaktionsmuster in den politischen Kommunika­ tionssystemen erschweren empirische Annäherungen an die Mediendemokratie. Aber auch die Tatsache, dass die Kommunikationspraxis in den Vereinigten Staa-

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ten vielfach als „ role mode l " für Funktions- und Handlungslogik einer medienzen­ trierten Demokratie herangezogen wird, sorgt für Missverständnisse, bleiben gra­ vierende Unterschiede in den institutionellen Wettbewerbsregeln und der politi­ schen Kommunikationskultur einer präsidentiellen Demokratie wie die USA und parlamentarischen Parteiendemokratien unberücksichtigt, auf die vergleichende Studien eindringlich hinweisen (Gunther und Mughan 2000; Pfetsch 2003; Esser und Pfetsch 2003). Probleme der Übertragbarkeit amerikanischer Trends der politischen Kommuni­ kation auf andere Länder stehen konsequenterweise im Mittelpunkt der Amerikani­ sierungsdebatte, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann (vgl. Kamps 2000; Plasser 2003). In jedem Fall bietet der politische Wettbewerb in den USA aber eindrucksvolle Möglichkeiten, die Kommunikationspraxis in einer medienge­ sättigten Hyperdemokratie, das professionelle Nachrichtenmanagement der PR­ Experten, die Versuche der Journalisten, ihre Autonomie im Kern zu verteidigen, wie die Fragmentierung der Märkte für öffentliche Aufmerksamkeit zu studieren (Bennett und Entman 2001; Graber 2002). Charakteristika des amerikanischen Stils politischer Kommunikation sind mit Blick auf die Handlungseliten: • exzessives Streben nach Präsenz in der massenmedialen Berichterstattung (going public, prime time leadership); • ein Verständnis von Regieren als permanente Kampagne zur Mobilisierung von Unterstützungsbereitschaft und Akzeptanz durch die Öffentlichkeit (governing with the news); • verschwimmende Grenzen zwischen „policy making " und „ news making " ; • professionelle Auftrittsplanung und immer aufwändigere Inszenierungen kameragerechter Ereignisse; • Versuche, durch professionelles Themenmanagement und spin control die Nachrichtenlage zu kontrollieren. In der Wettbewerbslogik der Kandidaten, Wahlkampfmanager und Politikberater dominieren wiederum: • Angriffe auf die persönliche Integrität der politischen Gegner (going negative); •

gnadenloses „ opposition research ", d.h. der Versuch, Charakterdefizite und persönliche Schwachpunkte aufzudecken und für Angriffe auf die Konkurren­ ten zu verwenden, sowie



die Maxime, als Wahlkämpfer in jeder Situation so zu handeln, als ob man ein politischer Fernsehproduzent wäre.

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Für den politischen Journalismus bedeuten die fortgeschrittenen Techniken des news management einen drohenden Verlust professioneller Autonomie (Bennett und Livingston 2003) und fordern einen immer härter werdenden Wettbewerb zwischen politischen Eliten und Journalisten heraus, wobei sich die amerikani­ schen Massenmedien für eine Strategie des Zurückschlagens entschieden haben, mit dem ambitionierten Ziel „to reestablish control over their own products" (Blumler 1997: 399). Dies bedeutet in der redaktionellen Praxis: •

drastische Verknappung der Wahlkampfberichterstattung - die Anzahl der Mi­ nuten, die für die Berichterstattung über Präsidentschaftswahlkämpfe von den amerikanischen Fernsehkanälen aufgewendet wurden, schrumpfte von 1.474 Minuten 1992 auf nur mehr 805 Minuten im Wahljahr 2000;

• von einer Kandidaten- zu einer Journalisten-zentrierten Politikvermittlung: jeder Minute, die Bush und Gore im Wahlkampf 2000 in den Fernsehnachrich­ ten zu sehen waren, standen sechs Minuten gegenüber, in denen Moderatoren und Reporter ihre Eindrücke und Wertungen präsentierten; •

verstärkte Konzentration auf einen „interpretativen" Journalismus, der sich mit den Handlungsmotiven politischer Akteure auseinandersetzt;



häufigere Verwendung von „ game-centered " wie auf die Persönlichkeit der Kandidaten fokussierten Beobachterperspektiven, weil sie ein größeres Publi­ kum anziehen, das höhere Profite für die Medienunternehmen verspricht.

Für die Wählerinnen und Wähler schließlich bedeutet diese Wettbewerbslogik: • Medien- und Werbe-Clutter, d.h. kommunikative Übersättigung und informa­ tionelle Desorientierung; •

drastischer Rückgang der Einschaltquoten bei Fernsehnachrichten, Direktüber­ tragungen von Parteikonventen sowie von Fernsehübertragungen der Debatten zwischen Präsidentschaftskandidaten und Ansprachen des Präsidenten;



Anstieg des öffentlichen Zynismus und negativer Einstellungen gegenüber poli­ tischen Eliten und Institutionen, was sich an niedrigen Wahlbeteiligungsraten und verknappten öffentlichen Aufmerksamkeitsspannen des Publikums ein­ drucksvoll nachweisen lässt (Plasser 2003: 98-100).

Schaubild 1.2 zeigt in kompakter Form einige zentrale Merkmale der Praxis poli­ tischer Kommunikation in den Vereinigten Staaten und illustriert die Komplexität des mit dem Konzept Mediendemokratie beschriebenen Phänomens. In dieser Übersicht werden die charakteristischen Eigenschaften der amerikanischen politi­ schen Kommunikationsstile in sechs Aktionsfelder untergliedert. Die Akteure und

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Handlungsfelder, die zu dem Beziehungsdreieck von Kandidaten, Massenmedien und Wählern gehören, werden mit Blick auf ihre wechselseitige Abhängigkeit dar­ gestellt.

Schaubild 1.2 Der amerikanische Stil politischer Kommunikation Kampagnen

politische Öffentlichkeitsarbeit

Medien- bzw. TV-Wahlkämpfe news management

Medienberichterstattung und Medienformate horse race

Personalisierung

agenda building

Negativität

Professionalisierung

public engineering

De-Thematisierung

Angriffswahlkampf

issue framing

infotainment

Ereignismanagement

spin control

strategische Kommentierung

Political Marketing

Boulevardisierung

Event marketing

sound bite-journalism

Politiker

Wähler

Redakteure

exzessive TV-Orientierung (going public)

emotionalisierte, flüchtige ,,Stimmungsdemokratie''

weniger an Themen als an Strategien der Akteure interessiert

Darstellungspolitik vor Ent­ scheidungspolitik

fragmentierte channel reper- skeptische Distanz zu politischen toires Eliten

Regieren als permanente Kampagne

kommunikative und werbliche Übersättigung

Betonung negativer Facetten

Eindrucksmanagement

politische Verdrossenheit und öffentlicher Zynismus

unter Diktat der Quoten und Auflagen

Quelle: Plasser (2003: 101).

Tatsächlich scheint die politische Kommunikationspraxis in den Vereinigten Staa­ ten den Merkmalsausprägungen einer fortgeschrittenen Mediendemokratie sehr nahe zu kommen und sich mit den Trends einer dritten Phase politischer Kommu­ nikationssysteme zu decken, die durch verstärkte Professionalisierung des politi­ schen Kommunikationsmanagements, erhöhte Fähigkeiten zum Themen- und Nachrichtenmanagement und vice versa erhöhtes Autonomiestreben der Journa­ listen, eine Reduktion des Anteils genuiner Politikberichterstattung bei gleichzeitig verstärkter „Entertainisierung" der Politikvermittlung wie eine Fragmentierung öf­ fentlicher Aufmerksamkeit und abnehmendes Vertrauen in die Massenmedien cha­ rakterisiert ist (Blumler und Kavanagh 1999: 213-224). Damit werden Spannungs-

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punkte medienzentrierter Demokratien angesprochen, die durch Mediatisierungs­ zwänge zunehmend unter Kommunikationsstress (Sarcinelli 2003a) geraten. Der verschärfte Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit, rascher wechseln­ de Nachrichtenlagen und der Druck medienspezifischer Produktions- und Präsenta­ tionsregeln bewirken eine graduelle Verlagerung der Handlungslogik politischer Akteure, die die institutionelle Entscheidungspolitik gegenüber einer an den Auf­ merksamkeitsregeln des Mediensystems orientierten Darstellungspolitik tenden­ ziell in den Hintergrund treten lässt (Korte und Hirscher 2000; S arcinelli und Tenscher 2003 ) . Aufmerksame Trend-Beobachter konstatieren ein „Auseinander­ driften politischer Kommunikationswelten" und eine „Spaltung der politisch-me­ dialen Wirklichkeit", bei der sich der Wettbewerb um Aufmerksamkeit gegenüber dem politischen Entscheidungshandeln verselbständigt (Sarcinelli 2003a: 46). Der graduelle Wandel von einer institutionell verankerten Parteien- zu einer an Aufmerksamkeitsregeln und Nachrichtenfaktoren orientierten Mediendemokratie wirft eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf, die im Rahmen dieser Einleitung nur angedeutet werden können: Verstärken sich Tendenzen in Richtung einer elitenge­ steuerten „Top-down-Demokratie" (Sarcinelli und Schatz 2002: 435), in der sich politisches Handeln auf eine serielle Abfolge medien- und kameragerechter Inszenierungen, Scheinkontroversen und Pseudo-Ereignisse erschöpft? Welche Konsequenzen hat die fortschreitende Fragmentierung politischer Öffentlichkeit in nur mehr lose verbundene Sparten- und Teilöffentlichkeiten für die Qualität politischer Kommunikation? (Blumler und Kavanagh 1 999) Mindert eine vor­ rangig der Medienlogik angepasste Darstellungspolitik auch Qualität und S ubstanz der institutionellen Entscheidungspolitik? (Sarcinelli und Schatz 2002: 435) Kann der politische Journalismus in Konfrontation mit intensiviertem Themen- und Nachrichtenmanagement und Wettbewerbsstress seine professionelle Autonomie im Kern bewahren (Bennett und Livingstone 2003 : 360), was zur kardinalen Frage führt: ,,Werden politische Nachrichten auch in Zukunft in einer Form weiter bestehen, die für uns als solche erkennbar bleibt und wird ihre Funktion für die Ö ffentlichkeit wie für politische Akteure mehr oder weniger intakt bleiben wie ihre bestimmende Qualität? Wenn nicht, was hätte das für Konsequenzen?" (Swanson 2003 : 25). 3 Die skizzierten Kriterien einer Mediendemokratie wie die aufgeworfenen Fra­ gen werden in den Beiträgen dieses Handbuchs am Beispiel des politischen Kom­ munikationssystems Ö sterreichs aufgegriffen und vertieft behandelt. Wandlungs­ phasen des politischen Kommunikationssystems, Spannweite und Intensität öffent­ licher Aufmerksamkeit und Veränderungen im politischen Informationsverhalten des Publikums sind Ausgangspunkte einer analytischen Annäherung an die Praxis politischer Kommunikation in Ö sterreich. Die Erweiterung der massenmedial her­ gestellten durch eine computervermittelte digitale Ö ffentlichkeit und neue Foren

3

Aus dem Englischen vom Herausgeber übersetzt.

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kommunikativer, partizipativer und transaktionaler Aktivitäten in den virtuellen Räumen politischer Öffentlichkeit werden mit Blick auf die österreichische Inter­ net-Praxis untersucht und bewertet. Themenkarrieren, thematische Rahmungen und Muster der redaktionellen Be­ richterstattung tagesaktueller Massenmedien stehen im Mittelpunkt einer groß­ flächigen inhaltsanalytischen Untersuchung der innenpolitischen Berichterstat­ tung. Professionelle Normen, Rollenbilder, Nachrichtenwerte und Rechercheprakti­ ken führender innenpolitischer Journalistinnen und Journalisten werden im Beitrag „Politischer Journalismus in der Mediendemokratie" empirisch ausgeleuchtet. Die Rolle politischer Sprecher und die Praxis politischer Öffentlichkeitsarbeit wie Ver­ suche, auf der Hinterbühne der politischen Kommunikationsarena durch professio­ nelles Aufmerksamkeits- und Themenmanagement auf die redaktionelle Politikver­ mittlung Einfluss zu nehmen, wird in speziellen Beiträgen ebenso untersucht wie Veränderungen im Rollenverständnis institutioneller Interessenvertretungen. Souverän im Umgang mit informellen Verhandlungsöffentlichkeiten, agieren Interessenvertretungen mittlerweile gleichzeitig auch in der redaktionellen Massen­ öffentlichkeit und müssen sich auch korporatistische Akteure an die Medienlogik anpassen. Der Übergang von organisations- zu medienzentrierten Kommunika­ tionsformen veränderte auch die Praxis des Parteienwettbewerbs, der in einer Mediengesellschaft überwiegend im öffentlichen Raum politischer Kommunika­ tion stattfindet, der durch das Mediensystem konstituiert und von medienspezifi­ schen Selektions- und Präsentationsregeln gesteuert wird. Anpassungsprobleme der Parteiakteure und Konsequenzen der Mediatisierung des Parteienwettbewerbs stehen im Mittelpunkt des abschließenden Beitrags dieses Handbuchs, das aus unterschiedlichen Perspektiven den spannungsintensiven Wandel von einer tradi­ tionell parteien-dominierten in Richtung einer medien-zentrierten Kommunika­ tionskultur anspricht. Multimediale Angebotsvielfalt, ein hochkonzentrierter „überhitzter" Markt öffentlicher Aufmerksamkeit, Informationskonkurrenz und verschärfter Wettbe­ werb um verknappte Aufmerksamkeitsspannen des Publikums sind nur einige folgenreiche Konsequenzen dieses Wandels. Intensivierte Versuche politischer Eliten, auf die redaktionelle Berichterstattung Einfluss zu nehmen, das Instrumen­ tarium kontextueller Mediensteuerung voll auszuschöpfen und die Spielregeln der Interaktion zwischen Politik und Journalismus noch stärker zu diktieren, verschär­ fen die Spannungen zwischen einem professionellen Informationsjournalismus und den medienzentrierten Interventions- und Steuerungsaktivitäten politischer Öffent­ lichkeitsarbeit. Die Fragmentierung politischer Öffentlichkeit in nur mehr lose verbundene Teil- und Spartenöffentlichkeiten, veränderte Publikumserwartungen und härterer Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit haben auch Konsequen­ zen für die redaktionelle Politikvermittlung und beeinflussen Entscheidungen über Aufmacher, Leadmeldungen und Titelgeschichten mittlerweile ebenso stark wie die genuinen Nachrichtenfaktoren der Ereignisse. Ergebnis ist eine tägliche Grat­ wanderung zwischen faktenorientierten Nachrichten und Infotainment, gehaltvoller

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Berichterstattung und opulenter, quoten- und auflagenträchtiger Zuspitzung. Das politische Kommunikationssystem Österreichs steht unverkennbar unter Stress, dessen Ursachen in den Beiträgen dieses Handbuchs ebenso untersucht werden wie seine Konsequenzen für die Praxis der Politikvermittlung in einer multimedialen, medienzentrierten Demokratie.

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..

Offentliche Aufmerksamkeit in der Mediendemokratie Fritz Plasser / Peter A. Ulram

Gliederung 1. Wandel des politischen Kommunikationssystems 2. Märkte öffentlicher Aufmerksamkeit 2.1 Pressemarkt 2.2 Rundfunk- und Fernsehmarkt 3. Politisches Interesse und Informationsverhalten 4. Öffentliche Aufmerksamkeitsspannen 5. Nutzung politischer Informationsangebote 6. Vertrauen in die politische Berichterstattung 7. Fragmentierung öffentlicher Aufmerksamkeit

Öffentliche Aufmerksamkeit ist in informationsgesellschaftlichen Demokratien ein knappes Gut. Dies gilt umso mehr für die Aufmerksamkeit für politische Nachrich­ ten und Informationen, die sich gegenüber publikumsattraktiven Unterhaltungsan­ geboten, Sportereignissen und chronikalen Sensationsberichten am Markt öffent­ licher Aufmerksamkeit behaupten müssen. Nur in Ausnahmefällen belegen politi­ sche Nachrichtensendungen den ersten Platz der jährlichen Hitliste der meistge­ nutzten TV-Sendungen, wie zuletzt die „Zeit im Bild"-Ausgabe am Abend der Nationalratswahl 2002, die von 2,6 Millionen Zuschauern verfolgt wurde. Mit Ausnahme traumatischer Ereignisse, wie die terroristischen Attacken auf das World Trade Center in New York 2001, die Hochwasserkatastrophe 2002 oder der nächtlichen Flächenbombardements auf Bagdad 2003, die schlagartig die öffent-

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Fritz Plasser / Peter A . Ulram

liehe Aufmerksamkeit in den B ann gezogen haben, stehen Nachrichten in Konkur­ renz mit politikfernen Unterhaltungsangeboten, die einem von Alltagsproblemen ermatteten Publikum Ablenkung versprechen. Kultur- und medienpessimistischen Zeitdiagnosen zum Trotz nutzt das österreichische Publikum die massenmedialen Informationsangebote mit bemer­ kenswerter Intensität. Die Aufmerksamkeit für Nachrichten ist EU-weit nur in den skandinavischen Ländern höher als in Ö sterreich. 1 Dies findet konsequenterweise in einer ausgeprägten politischen Urteilskompetenz der Ö sterreicher seinen Nieder­ schlag. Mit einem Anteil von rund 60 Prozent der Bevölkerung, die den persön­ lichen Eindruck haben, einen guten Einblick in die wichtigen Probleme ihres Landes zu haben, liegt Ö sterreich deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Steigende Bildungs- und Qualifikationschancen wie die Ausweitung der Informa­ tionsangebote in den Massenmedien haben dabei wesentlich zur Stärkung eines staatsbürgerlichen Rollenbildes beigetragen (Plasser und Ulram 2002 : 1 98- 1 99) . Ö ffentliche Aufmerksamkeit für politische Ereignisse und Aussagen hat zur Voraussetzung, dass über sie in den Massenmedien berichtet wird, die Nachrichten nennenswerte Teile der Bevölkerung erreichen und das Publikum auch bereit ist, sich den Berichten zuzuwenden (Hasebrink 2002: 323-3 28) . Vorbedingung für die Aktivierung öffentlicher Aufmerksamkeit ist zunächst eine leistungsfähige Medien­ infrastruktur. Anzahl der Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine, Ausstattung der Haushalte mit Radio- und Fernsehgeräten wie Verbreitung von Kabel- und Internetanschlüssen regulieren die informationellen Zugangschancen. Die publi­ kumsgerechte redaktionelle Aufbereitung der Nachrichten entscheidet wiederum in Verbindung mit persönlichkeitsspezifischen Charakteristika der Rezipienten über die tatsächliche Nutzung (Meyen 200 1 ) . Das Interesse für Nachrichten und Informationen wird schließlich von der politischen Kommunikationskultur einer Gesellschaft geprägt. Ö ffentliche Aufmerksamkeit in segmentierten Lager­ Kulturen, in denen ein parteilicher Journalismus selektive Deutungen aktueller Ereignisse vermittelt, unterscheidet sich qualitativ von öffentlicher Aufmerk­ samkeit in einer hochmobilen Multimediagesellschaft, in der die Konkurrenz um flüchtige Aufmerksamkeit zur Signatur des politischen Wettbewerbs geworden ist. Spannweite und Intensität öffentlicher Aufmerksamkeit des österreichischen Publikums zu bestimmen, ist das Ziel des vorliegenden Beitrags, der sich seinem Thema in mehreren Schritten und von unterschiedlichen Perspektiven aus anzunähern versucht. Die ersten Abschnitte beschäftigen sich mit dem Wandel des politischen Kommunikationssystems. Ein synoptischer Rückblick auf die Entwicklung des österreichischen Mediensystems soll die Ausdifferenzierung des Marktes für öffentliche Aufmerksamkeit illustrieren . Unterschiedliche Grade politischer Involvierung und Veränderungen im Informationsverhalten stehen im Mittelpunkt der folgenden Abschnitte. Vertrauen in die massenmediale Berichter-

1

Vgl. Eurobarometer 55 (200 1 ) .

Öffentliche Aufmerksamkeit

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stattung und generelle Einstellungen zu politischen Nachrichtenangeboten sind Thema der abschließenden Teilkapitel.

1 . Wandel des politischen Kommunikationssystems Theoretisch anspruchsvollen Modellen zur Erklärung des Wandels von Mediensy­ stemen (Jarren 1998; Saxer 2002) stehen bislang nur explorative Modelle der Dynamik und des Wandels politischer Kommunikationssysteme gegenüber. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist das Drei-Phasen-Modell der Transformation politi­ scher Kommunikationssysteme von Blumler und Kavanagh (1999: 209-230): Im Bemühen, langfristige Veränderungen der politischen Kommunikationskultur zu modellieren, differenzieren die beiden Autoren zwischen drei aufeinanderfolgen­ den (sich teilweise überschneidenden) Phasen politischer Kommunikation, die viele Demokratien in den letzten Jahrzehnten durchschritten haben. Die politische Kommunikationspraxis der ersten Phase, beginnend nach dem Zweiten Weltkrieg, charakterisieren Blumler und Kavanagh als parteien-dominiert, da sich die politi­ schen Kommunikationssysteme im Kern auf eine parteiliche Presse, ideologisierte Standpunkte, trennscharfe programmatische Unterschiede zwischen den Parteien und eine loyale, parteigebundene Wählerschaft abstützten. In parteien-dominierten Kommunikationssystemen konzentrierte sich der politische Journalismus vorrangig auf die Vermittlung parteilicher Themen und Standpunkte und deckte die Partei­ presse nennenswerte Teile des Pressemarktes ab. Der Kommunikationsstil politi­ scher Eliten folgte in dieser Phase weitgehend traditionellen Mustern und be­ schränkte sich auf Ansprachen, Reden und schriftliche Presseerklärungen, wie ins­ gesamt die Beziehung zwischen Journalisten und Politikern offiziösen Verlautba­ rungscharakter hatte. Die zweite Phase, die sich in den frühen sechziger Jahren ankündigte, war von der Ausbreitung des Fernsehens als dominantes Medium politischer Kommuni­ kation gekennzeichnet. Konsequenterweise bezeichnen Blumler und Kavanagh den Zeitraum 1960 bis 1980 als TV-zentrierte Phase der Entwicklung politischer Kommunikationssysteme, in der sich durch die Penetration der Haushalte mit TVGeräten wie die Ausweitung der Nachrichten- und Informationsprogramme auch das Publikum vergrößerte, das von politischen Informationen erreicht wurde (Kaase 1989; 1998). Um mit den strukturellen Erfordernissen eines visuellen und szenischen Mediums zu Rande zu kommen, mussten die politischen Eliten die Standards einer neuen personalisierten Medienlogik akzeptieren,die auf Kommuni­ kations- und Selbstdarstellungsfähigkeit der Spitzenpolitiker wie der kamerage­ rechten Inszenierung ihrer Medienauftritte beruhte (Luger und Fabris 1981). Präsenz im Fernsehen, verknappte sendefähige Kurzbotschaften und kamerage­ rechtes Eindrucksmanagement traten an die Stelle von programmatischen Reden und Ansprachen vor einer Versammlung loyaler Parteigänger, die im Originalton im Radio übertragen bzw. anschließend im Wortlaut in den Parteizeitungen abge-

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Fritz Plasser / Peter A. Ulram

druckt wurden (Plasser 1993). In der TV-zentrierten Phase politischer Kommuni­ kationssysteme veränderte sich aber nicht nur der Kommunikationsstil politischer Eliten, sondern auch der modus operandi des politischen Journalismus. Die Vermittlung parteilicher Themen und Standpunkte trat in den Hintergrund, wie die Parteipresse am Pressemarkt von an Auflagen und Reichweiten interessierten parteiunabhängigen Tageszeitungen verdrängt wurde. Aussagen und Stellungnah­ men politischer Eliten wurden nunmehr an journalistischen Nachrichtenwerten gemessen, denen sie zu entsprechen hatten, wollten sie redaktionelle Beachtung finden (Plasser 1989). Die dritte,noch in Entwicklung befindliche Phase politischer Kommunikations­ systeme zeichnet sich nach Blumler und Kavanagh durch Fragmentierung der Fernsehkanäle,Programmangebote wie Nutzungsgewohnheiten des Publikums aus. Multimediale Kanalvielfalt und Multiplizität politischer Nachrichten- und Informa­ tionsangebote verschärfen den Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit. Blum­ ler und Kavanagh sprechen in diesem Zusammenhang von einer zentrifugalen Diversifikation der politischen Kommunikationspraxis, die die gesellschaftliche Forumsfunktion massenmedialer Berichterstattung infrage zu stellen droht (Blum­ ler und Kavanagh 1999: 221). Konsequenzen der Fragmentierung der öffentlichen Sphäre sind u.a. veritable Reichweitenverluste der abendlichen Fernsehnach­ richten, die noch in den frühen achtziger Jahren täglich rund 2,5 Millionen Seher erreichten. In der dritten,durch multimediale Kanal- und Angebotsvielfalt charakterisierten Phase politischer Kommunikationssysteme verändern eine Reihe struktureller Trends die Qualität der „media-constructed public sphere" (Blumler und Kavanagh 1999: 211). Dazu zählen die fortschreitende Professionalisierung und Spezialisie­ rung des politischen Kommunikationsmanagements, medienadäquates Themen­ und Ereignismanagement wie die Dominanz eines redaktionellen Politikver­ ständnisses,das politisches Handeln vorrangig als medienzentriertes Aufmerksam­ keits- und Akzeptanzmanagement (Sarcinelli 1998) begreift, bei dem der zielgrup­ pengerechten Problemformulierung mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als der inhaltlichen Problemlösung (Plasser 2000: 210). Die Intensivierung des interme­ dialen Wettbewerbs um exklusive Neuigkeiten veränderte auch das Selbstverständ­ nis des politischen Journalismus. Infotainment,die Vermischung von informativen und unterhaltenden Komponenten, ,,Boulevardisierung" und „Talkshowisierung" der redaktionellen Politikvermittlung sind Reaktionen des Mediensystems auf einen zunehmend fragmentierten und flüchtigeren Markt für öffentliche Aufmerk­ samkeit (vgl. Plasser, Lengauer und Meixner i.d.B.). Das Drei-Phasen-Modell von Blumler und Kavanagh (1999) lässt sich auch auf die Entwicklung des politischen Kommunikationssystems in Österreich übertragen (Schaubild 2.1). Die Kommunikationspraxis zwischen 1945 und Mitte der 60er Jahre entsprach dabei dem Typus „parteien- und printdominierter " Kommunika­ tionssysteme. Die Parteiendominanz lässt sich an der Stärke der Parteipresse ablesen. Der Anteil der Parteizeitungen an der täglichen Druckauflage betrug 1953

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49 Prozent und machte 1 95 9 noch immer beachtliche 3 6 Prozent aus. Das Informa­ tionsverhalten war mit Ausnahme gelegentlicher Kontakte mit Wochenschau­ B ildern bei Kinobesuchen oder Fernsehnachrichten bei einem abendlichen Kaffee­ hausbesuch print- und radio-orientiert. Die wichtigsten tagesaktuellen politischen Informationsquellen waren 1 96 1 für 47 Prozent der Bevölkerung die Tageszeitung und für 44 Prozent der Befragten Nachrichten im Radio. Nachrichtensendungen im Fernsehen wurden nur von 7 Prozent als relevante innenpolitische Informations­ quelle genannt. 2 Mitte der 60er Jahre entfaltete sich die „ TV-zentrierte " Phase der Entwicklung des politischen Kommunikationssystems. Gab es in Ö sterreich 1 959 nur 1 1 2.000 Fernsehempfangsbewilligungen, erhöhte sich die Zahl bis 1 966 bereits auf 852.000. 1 965 wohnten bereits 3 3 Prozent der österreichischen Wählerinnen und Wähler in Haushalten mit einem TV-Gerät (Gehmacher 1 980: 1 0). Der Prozentan­ teil regelmäßiger Seher der Nachrichtensendung „Zeit im Bild" verdoppelte sich zwischen 1 96 1 und 1 966 von 8 auf 1 7 Prozent. Gleichzeitig setzte eine steile Ab­ wärtsentwicklung der Parteipresse ein. Der Anteil der Parteizeitungen an der täglichen Druckauflage österreichischer Tageszeitungen sank von 36 Prozent 1 959 auf nur mehr 20 Prozent 1 970. Parteiunabhängige Tageszeitungen wie die 1 959 neu gegründete Kronen Zeitung, eroberten den Pressemarkt. Die tägliche Druck­ auflage der Kronen Zeitung erhöhte sich von weniger als 70.000 Exemplaren 1 959 auf 670.000 Druckexemplare 1 970. 1 97 1 wohnten bereits 72 Prozent der Bevölkerung in TV -Haushalten und verfolgten 6 1 Prozent mehrmals wöchentlich die abendliche Hauptnachrichten­ sendung „Zeit im Bild" ( Gehmacher 1 980) . Die politische Fernsehberichterstattung war zur dominanten Informationsquelle aufgestiegen. 48 Prozent der Bevölkerung bezeichneten 1 97 1 bereits das Fernsehen als ihr wichtigstes Informationsmedium, die Tageszeitung wurde von 33 Prozent und die Radio-Nachrichten nur mehr von 20 Prozent als persönlich wichtigste Informationsquellen angeführt. Die dritte Phase der Entwicklung des politischen Kommunikationssystems in Ö sterreich setzte in den frühen 90er Jahren ein und ist u.a. durch die linear anstei­ gende Verbreitung des Kabel- und S atellitenfernsehens wie die exponentielle Zu­ nahme regelmäßiger Nutzer des Internet geprägt. S ie kann in der Terminologie von B lurnler und Kavanagh ( 1999) als Phase multimedialer Angebotsvielfalt beschrie­ ben werden und resultiert in einem von zwei Leitmedien - den dichten Nach­ richten- und Informationsangeboten des ORF wie der Berichterstattung der mit Abstand reichweitenstärksten Kronen Zeitung - dominierten Informations- und Meinungsmarkt, auf dem weitere 1 4 Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine wie

2

Daten nach einer bundesweiten Repräsentativumfrage des Dr. FESSEL-Instituts (Sommer 1 96 1 ) .

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Fritz Plasser / Peter A. Ulram

Schaubild 2.1 Phasen des politischen Kommunikationssystems in Österreich, 1953-2002

35

m ultime d i a l e Inform a ti o nskonkurre nz

30

...

20

20

TV-ze ntri e rt

0 C:

30 25

25 0 0 0

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15

10

10

- Druckauflage Tageszeitungen __._ Fernsehbewil l igu ngen

...

0

15

1 953 1 956 1 959 1 962 1 966 1 970 1 971

8 0 C:

1 975 1 979 1 983 1 986 1 990 1 994 1 995 1 999 2002

-+- Druc kauflage Partei presse KaS at-Haus halte

_._ Druc k auflage K ronen Zeitung � Rege l mäß ige Internet-Nutz er

News, Profil und Format erbittert um Auflagen- und Reichweitenanteile kämpfen. 3 Mittlerweile hat sich dieser Konkurrenzkampf, der nicht nur auf den überregio­ nalen, sondern auch auf den regionalen und lokalen Medienmärkten (Knoche und S iegert 2003) ausgetragen wird, auch in den Hyperraum des Internet ausgedehnt, in dem ORF.at und Online-Portale der Tages- und Wochenzeitungen mit „breaking news" um Aufmerksamkeit der wachsenden Zahl regelmäßiger Internet-User wett­ eifern. Das Resultat ist eine multimediale Informationskonkurrenz um verknappte öffentliche Aufmerksamkeitsspannen, die in der österreichischen Medienge­ schichte beispiellos ist, was mit einem synoptischen Rückblick auf die Entwick­ lung des Mediensystems seit 1 945 illustriert werden soll.

3

Zwischen März 200 1 und März 2004 erschien auch mit einer Auflage von rund 1 50.000 Exemplaren eine Gratis-Tageszeitung - ,,U-Express" -, die von der Mediaprint unter Federführung des Kronen Zeitung-Hauptgeschäftsführers Dichand herausgegeben und im Wiener U-Bahn-Netz kostenlos distribuiert wurde.

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2. Märkte öffentlicher Aufmerksamkeit 2. 1 Pressemarkt Die zur Abgrenzung unterschiedlicher Phasen des Demokratisierungsprozesses (Liberalisierung, Demokratisierung, Konsolidierung) in der Transitionsforschung verwendeten Sequenzen können auch für einen synoptischen Rückblick auf die Entwicklung des österreichischen Mediensystems in der Nachkriegsdemokratie herangezogen werden. 4 Die unmittelbare Transitionsphase der österreichischen Nachkriegspresse währte nur kurze Zeit, wobei Zeithistoriker angesichts mehr­ schichtiger Kontinuitäten davon ausgehen, ,,dass es die „Stunde Null" als vollständigen Neubeginn nicht gegeben hat" (Rathkolb 1 99 1 : 5 1 ) . Bereits zwei Tage nach Beendigung der Kampfhandlungen in Wien erschien am 1 5 . April 1 945 die erste, vier Seiten starke, Ausgabe der von der Roten Armee herausgegebenen „ Ö sterreichischen Zeitung", deren Berichterstattung sich auf Frontmeldungen über den Vormarsch der Roten Armee, propagandistische Nachrichten aus der S owjetunion und abgedruckte Briefe österreichischer Kriegsgefangener konzentrierte (Mueller 1 999: 1 6- 1 7) . Wie in den anderen Besat­ zungszonen war Ö sterreichern zunächst die Herausgabe von Zeitungen untersagt (Bobrowsky 1 985). Als erste landesweite Tageszeitung erschien am 23 . April 1 945 mit einer Druckauflage von 50.000 Exemplaren das Neue Ö sterreich, das als „Drei­ parteienblatt" gemeinsam von Ö VP, SPÖ und KPÖ herausgegeben wurde (Paupie 1 960: 1 63- 1 64) . Nur wenige Wochen später erschienen weitere zunächst von den alliierten Besatzungsmächten herausgegebene Tageszeitungen wie der von den Amerikanischen Streitkräften herausgegebene Wiener Kurier oder die vom briti­ schen Informationsdienst herausgegebene Weltpresse. Im August 1 945 durften schließlich die ersten Parteizeitungen wie die Arbeiterzeitung der SP Ö , das Kleine Volksblatt der Ö VP und die Volksstimme der KP Ö erscheinen (Muzik 1 984: 1 05- 1 14) . Pressehistoriker bezeichnen die Jahre 1 945 bis 1 94 7 als Phase „zensurierter Freiheit" bzw . der „Lizenzpresse", da Zeitungsherausgeber bei der jeweiligen B e­ satzungsmacht um eine Lizenz bzw. ein „Permit" ansuchen mussten, unabhängig davon, ob es sich um eine Parteizeitung oder eine parteiunabhängige Zeitung handelte (Harmat 1 999: 57). Mit dem Dekret über die Freiheit der Presse in Ö ster­ reich wurde am 1 . Oktober 1 945 zwar eine gemeinsame Grundlage für die alliierte Pressepolitik geschaffen und die Vorzensur abgeschafft, was aber noch nicht den Verzicht auf eine oft rigoros gehandhabte Nachzensur bedeutete (Harmat 1 999 : 59-62). Nachzensur bedeutete in den ersten Nachkriegsj ahren, dass bei Verstößen

4

Über das österreichische Pressesystem der Ersten Republik informieren umfassend Seethaler und Melischek ( 1 992). Zur österreichischen Tagespresse der NS-Zeit siehe die von Melischek und Seethaler (2003) herausgegebene Dokumentation.

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gegen entsprechende Medienvorschriften „die Zeitung eine Zeit lang nicht er­ scheinen durfte oder im günstigeren Fall eine Rüge erhielt" (Rathkolb 1991: 63). Auch der Zugang zur journalistischen Berufsausübung war zwischen 1946 und 1949 durch temporäre Berufsverbote im Zuge der Entnazifizierungsmaßnahmen der Joumalistengewerkschaft eingeschränkt (Hausjell 1991: 37-38). Durften am Wiener Zeitungsmarkt bis 1948, als im Oktober die seit 1946 zunächst nur wöchentlich gedruckte Die Presse als Tageszeitung erscheinen konnte, nur von den alliierten Besatzungsmächten herausgegebene Tageszeitungen bzw. Parteizei­ tungen gedruckt werden, erschienen in den westlichen Bundesländern bereits 1945 unter Aufsicht der amerikanischen und französischen Besatzer die ersten parteiun­ abhängigen Zeitungen wie die Oberösterreichischen Nachrichten, die Salzburger Nachrichten, die Tiroler Tageszeitung und die Vorarlberger Nachrichten (Pürer 1996: 415). 1946 wurde auch die Austria Presse Agentur als privatwirtschaftliches Unternehmen gegründet. Ende 1946 erschienen in Österreich bereits 36 Zeitungstitel, deren Umfang sich wegen chronischer Papierknappheit zumeist auf zwei bis vier Druckseiten beschränkte (Heindl 1972: 537-542), die aber gemeinsam eine tägliche Druckauf­ lage von 2,5 Millionen Exemplaren erreichten (Pürer und Signitzer 1990: 455). Über das Leseverhalten der Österreicher in den späten vierziger Jahren liegen nur bruchstückhafte Informationen vor. Mueller (1999: 30-33) zitiert Daten mehrerer Umfragen, die von der amerikanischen Information Services Branch (ISB) im US­ Sektor Wiens durchgeführt wurden und nach denen die amerikanische Besatzungs­ zeitung Wiener Kurier von 45 (1946) bis 69 (1947) Prozent der Befragten zumin­ dest gelegentlich gelesen wurde. Mit der sozialistischen Arbeiterzeitung hatten 1947 45 Prozent der Befragten fallweise Kontakt, die ÖVP-Parteizeitungen Das Kleine Volksblatt und die Wiener Tageszeitung erreichtenjeden Dritten. Die kom­ munistische Volksstimme wie die von der sowjetischen Besatzungsmacht heraus­ gegebene Österreichische Zeitung wurden nur von 18 Prozent gelegentlich bzw. 3,5 Prozent regelmäßig gelesen. Das Neue Österreich erreichte im amerikanischen Sektor Wiens 30 Prozent der Zeitungsleser (Mueller 1999: 31). Noch zu Beginn der 50er Jahre bildete der österreichische Tageszeitungsmarkt ein Konglomerat aus drei Zeitungstypen: Besatzungszeitungen, parteioffiziellen wie -offiziösen Zeitungen und parteiunabhängigen Tageszeitungen (Paupie 1960). Die von den Besatzungsmächten herausgegebenen Zeitungen verloren aber zuneh­ mend an Bedeutung und wurden entweder eingestellt oder an österreichische Interessenten übergeben. Zwischen 1945 und 1953 verringerte sich die Anzahl der Zeitungstitel von 36 auf nur mehr 30 (Seethaler 1999). 1953 entfiel knapp die Hälfte der Druckauflage auf Parteizeitungen, 50,5 Prozent auf parteiunabhängige Tageszeitungen (Pürer 1996: 416). Daten über Reichweiten einzelner Tageszeitun­ gen und das Leseverhalten des Publikums in den fünfziger Jahren sind Mangelwa­ re. Nach Ergebnissen einer repräsentativen Befragung von N = 1.000 Wienern, die das Siegfried-Beckert-Institut im Juni 1950 durchführte, lasen 43 Prozent der Befragten fallweise den Wiener Kurier, 32 Prozent die Arbeiterzeitung, 28 Prozent das Neue Österreich, 21 Prozent die Weltpresse, 19 Prozent das Kleine Volksblatt

Öffentliche Aufmerksamkeit

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und 1 1 Prozent Die Presse (Muzik 1 984: 1 29) . Im Vergleich zum Auflagenboom der unmittelbaren Nachkriegsjahre verringerte sich die Druckauflage der Tageszei­ tungen von 1 ,8 Millionen Exemplaren 1 949 auf 1 ,3 Millionen im Jahr 1 95 3 , was Pressehistoriker als erste Anpassung der Pressestruktur an ökonomische Marktbe­ dingungen deuten (Melischek und Seethaler 1 999 : 1 0 1 ) . I n den frühen 50er Jahren setzte eine Phase der Konzentration und Konsoli­ dierung der österreichischen Presselandschaft ein (Pürer und Signitzer 1 990: 455-457), die sich am Rückgang der publizistischen Einheiten ( 1 953 30 Tageszei­ tungen mit Vollredaktion, 1 96 1 27, 1 972 20 und 2004 nur mehr 1 5 Vollredak­ tionen), der sinkenden Druckauflage der Parteizeitungen wie der Konzentration der Marktanteile auf wenige wettbewerbsstarke Zeitungsunternehmen ablesen lässt. Im Zeitraum 1 945 bis 1 998 wurden insgesamt 65 publizistische Einheiten gegründet und 5 1 eingestellt (Melischek und Seethaler 1 999: 1 1 5 ) . Das Zeitungssterben konzentrierte sich i n dieser Phase überwiegend auf die Parteizeitungen. 1 96 1 stellten Parteiblätter nur mehr 33,9 Prozent der täglichen Druckauflage (Pürer und Signitzer 1 990: 456) . Trotzdem zählten 1 96 1 noch 35 Prozent der österreichischen Wählerschaft zu gelegentlichen Lesern von Parteizei­ tungen, 22 Prozent nutzten Kurier und Express, weitere 3 1 Prozent lasen andere parteiunabhängige Tageszeitungen. Das offiziöse Neue Ö sterreich und die amtliche Wiener Zeitung wurden von 6 Prozent gelegentlich gelesen. 5 Turbulente „Zei­ tungskriege" und verschärfter Wettbewerb um Auflagen und Leser mündeten in den späten fünfziger Jahren in einer verstärkten Boulevardisierung der Tagespresse (Csoklich 1 975). Das Datum 1 1 . April 1 959 markiert einen folgenreichen Wende­ punkt in der österreichischen Presselandschaft, da an diesem Tag erstmals die von Dichand und Falk neugegründete Illustrierte Kronen Zeitung mit einer Startauflage von zunächst 1 1 9.000 Exemplaren erschien, die zehn Jahre später bereits zur marktführenden österreichischen Tageszeitung aufsteigen sollte (Dichand 1 977). Für den politischen Journalismus, der noch mit B lick auf die Praxis der sechziger Jahre als sozialpartnerschaftlich geprägter „Parteien- und Proporzjourna­ lismus" (Fabris 1 995 : 645) charakterisiert wurde, gingen wiederum von der „Infor­ mations- und Nachrichtenexplosion" im 1 967 reformierten ORF, dem verschärften Wettbewerb am Auflagen- und Lesermarkt, der Rekrutierung einer j üngeren Journalistengeneration wie der investigativen Recherchepraxis des 1 970 ge­ gründeten Nachrichtenmagazins Profil innovative Impulse aus (Fabris und Hausjell 1 99 1 ).

5

Daten nach einer bundesweiten Repräsentativumfrage des Dr. FESSEL-Instituts (Sommer 1 96 1 ) .

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Fritz Plasser / Peter A. Ulram

Schaubild 2.2 Der Aufstieg der „Kronen Zeitung" 90

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