Politikverlust?: Eine Fahndung mit Peirce und Zizek [1. Aufl.] 9783839406557

Angesichts zunehmender Politikverdrossenheit stellt dieses Buch eine ebenso klassische wie brisante Frage: Wie kann Poli

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Polecaj historie

Politikverlust?: Eine Fahndung mit Peirce und Zizek [1. Aufl.]
 9783839406557

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Diagnose: Politikverlust und Autoritätsvakuum?
2. Fragen über Fragen
3. Exkurs: Symbolbegriff
Einheitskonstrukte – Differenztheorien
1. Einheitskonstrukte – Verlust des Politischen
1.1 Theorie der Symbolischen Politik
1.2 Integration und Steuerung – durch symbolische Fiktionen?
2. Differenztheorien – Politikverlust
2.1 Differenzierung von Politik und Politischem
2.2 Was bisher geschah
2.3 Überleitung: Herr Luhmann oder der Wille zumStaunen
Zeichentheorie und psychoanalytische Theorie
1. Das Verhältnis von Zeichentheorie und Kategorienlehre
1.1 Kategorienlehre
1.2 Zeichendefinition und Zeichenrelationsklassen
1.3 Exkurs: Repräsentation zeichentheoretisch gefasst
1.3.1 Repräsentamenbezug
1.3.2 Objektrelation – Ikon, Index und Symbol
1.3.3 Objektthematisierungsweisen – das unmittelbare und das dynamische Objekt
1.3.4 Interpretantenbezug
1.3.5 Interpretantenthematisierungsweisen: emotionaler, dynamischer und finaler Interpretant
1.3.6 Semiose und Kontinuum
1.4 Besonderheiten der Zeichentheorie von Peirce
1.5 Politische Theorie und Zeichentheorie
2. Zum Verhältnis psychoanalytischer Theorie und Philosophie
2.1 Zwingende Theorie: Das politische Projekt von Slavoj Žižek, Alenka Zupancic, Renata Salecl und Mladen Dolar
2.2 Symbolbegriff aus psychoanalytischer Perspektive
2.2.1 Das Symbolische, das Imaginäre und das Reale als Seinsbeschreibungen
2.2.2 Symbol als Zeichen – Symbol als reiner Signifikant?
2.2.3 Überschussgehalt von Symbolen
2.3 Schlechtes und echtes unendliches Urteil
2.4 Subjektbegriff
2.4.1 Das blinde tolle Element oder der Wille zur Freiheit
2.4.2 Das quasi-transzendentale Subjekt des Mangels
2.5 Rückblick auf Kapitel I
Relationierung des Politikbegriffs
1. Bewegtes Fixieren und fixierendes Bewegen
1.1 Der Mensch ist ein Zeichen
1.2 Theorie der Politik: Symbolische Autorität durch Übertragungsfiktion
1.3 Theorie des Politischen: Macht ohne Autorität
1.4 Politische Einbildungskraft: „Dies etwas kann ich zwar nicht nennen“ – Žižeks Nacht-der-Welt-Interpretation
Zum Schluss
Literaturverzeichnis
1. Schriften von Charles S. Peirce
1.1 Werkausgabe
1.2 Einzelausgaben und Übersetzungen
1.3 Sekundärliteratur zu Peirce
2. Schriften von Slavoj Žižek
2.1 Abgekürzt zitierte Schriften
2.2 Weitere Schriften Žižeks
2.3 Sekundärliteratur zu Žižek
3. Wörterbücher/Nachschlagewerke
4. Allgemeine Literatur
5. Internetquellen

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Anne Peters Politikverlust?

Ich bedanke mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes, bei Prof. Oliver Jahraus und meinen Freunden. Herzlichen Dank an meine Eltern, an Robert Wurm für den Computer und ganz besonders an Thomas.

Anne Peters (Dr. phil.) studierte Politikwissenschaft in München, Potsdam und Berlin. Sie promovierte an der FU Berlin mit Schwerpunkt Philosophie und veröffentlicht zu politischer und psychoanalytischer Theorie, Semiotik, Gesundheitspolitik sowie Bedingungen und Folgen des Kapitalismus. Zudem arbeitet sie als freie Übersetzerin.

Anne Peters ^ ^

Politikverlust?

Eine Fahndung mit Peirce und Zizek

Diese Arbeit basiert auf einer Dissertation eingereicht bei: Freie Universität Berlin, Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften Tag der mündlichen Prüfung: 14. Juli 2006

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Anne Peters Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-655-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Einleitung 1. Diagnose: Politikverlust und Autoritätsvakuum? 2. Fragen über Fragen 3. Exkurs: Symbolbegriff

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Einheitskonstrukte – Differenztheorien 1. Einheitskonstrukte – Verlust des Politischen 1.1 Theorie der Symbolischen Politik 1.2 Integration und Steuerung – durch symbolische Fiktionen? 2. Differenztheorien – Politikverlust 2.1 Differenzierung von Politik und Politischem 2.2 Was bisher geschah 2.3 Überleitung: Herr Luhmann oder der Wille zum Staunen

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Zeichentheorie und psychoanalytische Theorie 1. Das Verhältnis von Zeichentheorie und Kategorienlehre 1.1 Kategorienlehre 1.2 Zeichendefinition und Zeichenrelationsklassen 1.3 Exkurs: Repräsentation zeichentheoretisch gefasst 1.3.1 Repräsentamenbezug 1.3.2 Objektrelation – Ikon, Index und Symbol 1.3.3 Objektthematisierungsweisen – das unmittelbare und das dynamische Objekt 1.3.4 Interpretantenbezug 1.3.5 Interpretantenthematisierungsweisen: emotionaler, dynamischer und finaler Interpretant 1.3.6 Semiose und Kontinuum 1.4 Besonderheiten der Zeichentheorie von Peirce 1.5 Politische Theorie und Zeichentheorie

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2. Zum Verhältnis psychoanalytischer Theorie und Philosophie 2.1 Zwingende Theorie: Das politische Projekt von Slavoj Žižek, Alenka Zupanþiþ, Renata Salecl und Mladen Dolar 2.2 Symbolbegriff aus psychoanalytischer Perspektive 2.2.1 Das Symbolische, das Imaginäre und das Reale als Seinsbeschreibungen 2.2.2 Symbol als Zeichen – Symbol als reiner Signifikant? 2.2.3 Überschussgehalt von Symbolen 2.3 Schlechtes und echtes unendliches Urteil 2.4 Subjektbegriff 2.4.1 Das blinde tolle Element oder der Wille zur Freiheit 2.4.2 Das quasi-transzendentale Subjekt des Mangels 2.5 Rückblick auf Kapitel I Relationierung des Politikbegriffs 1. Bewegtes Fixieren und fixierendes Bewegen 1.1 Der Mensch ist ein Zeichen 1.2 Theorie der Politik: Symbolische Autorität durch Übertragungsfiktion 1.3 Theorie des Politischen: Macht ohne Autorität 1.4 Politische Einbildungskraft: „Dies etwas kann ich zwar nicht nennen“ – Žižeks Nacht-der-Welt-Interpretation

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Zum Schluss

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Literaturverzeichnis 1. Schriften von Charles S. Peirce 1.1 Werkausgabe 1.2 Einzelausgaben und Übersetzungen 1.3 Sekundärliteratur zu Peirce 2. Schriften von Slavoj Žižek 2.1 Abgekürzt zitierte Schriften 2.2 Weitere Schriften Žižeks 2.3 Sekundärliteratur zu Žižek 3. Wörterbücher/Nachschlagewerke 4. Allgemeine Literatur 5. Internetquellen

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Einleitung

1. Diagnose: Politikverlust und Autoritätsvakuum? Politische Theorie scheint – mal verzweifelt oder resigniert, mitunter sogar euphorisch – stets bemüht, ihren Forschungsgegenstand näher zu bestimmen. Mit diversen wohlbekannten Definitionen war immer nur von Fall zu Fall zu arbeiten. Das wäre ja an sich noch nicht weiter verwunderlich, sehen sich doch insbesondere die Geisteswissenschaften seit jeher in dieser, letztendlich existentiellen, Konfliktsituation: Was ist ein Text? Was heißt Gesellschaft? Was ist ein Kunstwerk – oder was ist schön? Wo ist Gott? Und dabei sind das nur einige, wenn auch grundsätzliche, Fragen. Die Reihe der Phänomene, denen nicht mit positiven Begriffsbestimmungen beizukommen ist, ließe sich fortsetzen. Dies ist, und in der Politikwissenschaft vielleicht stärker als in anderen geistesoder sozialwissenschaftlichen Disziplinen, ja nicht nur von akademischem Interesse, sondern zeitigt direkte Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Alltag, auf jeden von uns. Woran könnte denn eine politische Theorie mit einem – zumindest – groben Verständnis von Politik als Treffen kollektiv bindender Entscheidungen erkennen, ob die von den politischen Repräsentanten vertretenen Wähler tatsächlich unter Politikverdrossenheit leiden? Eine Verdrossenheit als Folge davon, das Politische irgendwie verloren zu haben. Woran könnten die vermeintlich oder tatsächlich Repräsentierten ihrerseits erkennen, ob es sich bei Politikerentscheidungen um speziell politisch motivierte Entscheidungen handelt? Es stünde doch zur Diskussion, ob nicht Politiker selbst unter Politikverdrossenheit leiden. Daraus ergibt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt Aufgabe einer Politischen Theorie sein kann, als Seismograph eines politischen Klimas zu fungieren. Und sind es darüber hinaus nicht auch gerade die Politikwissenschaftler selbst, die es satt haben, 7

POLITIKVERLUST?

stets neu über Politik und das Politische nachzudenken, während sie viel lieber zum so genannten Problemlösen übergehen würden? Politik, Politische Theorie und eine große Zahl von Interessengruppen scheinen zur Problemfeuerwehr zu mutieren. Die SPD präsentierte im vorgezogenen Wahlkampf 2005 kein Parteiprogramm mehr, sondern ein Manifest; eine illustre Literatengruppe legte kurz zuvor ebenfalls ein Manifest vor, worin ein „Relevanter Realismus“ – was auch immer darunter zu verstehen ist, man hört förmlich die Sehnsucht nach Authentizität heraus – ausgerufen wurde. Ein neurowissenschaftliches Manifest wurde bereits 2004 ausgerufen, gefolgt von einem Manifest der Geisteswissenschaften, einem Manifest des evolutionären Humanismus, einem Potsdamer Manifest der Physiker, einem Manifest des Gesundheitssystems, einem Gender-Manifest 2006 etc. Einige Intellektuelle wie der, des autoritären Denkens doch unverdächtige, Schriftsteller Imre Kertész fordern: „Die Postmoderne und ihre Relativierungen sind vorüber, wir brauchen wieder Stellungnahmen.“1 Das erinnert in der geforderten Rigorosität schon ein wenig an den fast ein halbes Jahrhundert früher getroffenen Befund des Autors Arno Schmidt: „:Was uns fehlt, sind nicht Berufs=offiziere,=diplomaten,=theologen,=juristen: ‹Benenner› brauchen wir !!!-.“2 Der Aufruf Schmidts, eines kritiklosen Verehrers der Französischen Revolution und ihrer Lehren, mutet seinerseits wiederum wie ein direkter emphatischer Abwehrreflex gegen Edmund Burkes Revolutionskritik an: „Wollt Ihr das Übel dadurch heben, daß Ihr Euch entschließt, keine Monarchen, keine Staatsbeamten, keine Religionslehrer, keine Ausleger der Gesetze, keine Offiziere [...] mehr zu dulden? Ändert immerhin die Namen: die Sache muß unter einer oder der andern Gestalt fortdauern.“3 Was bedeutet der Ruf nach Stellungnahmen, die Forderung nach Benennern, und welche Sache müsste heute fortdauern, welche Sache dauert fort? Geht es in den Manifesten um ein Benennen, das auch die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Sinn entsteht, verändern will, oder deuten sie – analog dem Burkezitat – darauf hin, den Anschein von Handlungsmöglichkeiten im tendenziell illusorischen Umbenennen der doch letztendlich gleich bleibenden Sache zu suggerieren? Für eine Reihe von Theorien muss diese „Sache“, die unter einer anderen Gestalt fortdauert, leer oder undefiniert bleiben.4 Das heißt, das, was unter 1 2 3 4

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Imre Kertész im Gespräch mit Iris Radisch vgl. http://zeus.zeit.de/ text/2002/43/L-Kertesz vom 06.11.2006 (zuerst 17.10.2002). Arno Schmidt: „Schwänze“, in: KAFF auch MARE CRISIUM, Bargfeld: Arno Schmidt Stiftung Bargfeld 1987, S. 332. Edmund Burke: Betrachtungen über die französische Revolution, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, S. 220. Vgl. die Schriften von Claude Lefort im Literaturverzeichnis.

EINLEITUNG

Schlagwörtern wie z.B. „Politik“, „Gerechtigkeit“, „Demokratie“, „Freiheit“ verstanden wird, darf danach niemals vorab definitorisch eindeutig festgeschrieben werden, sondern muss ständig aufs Neue verhandelbar bleiben. Dieses Aushandeln spiegelt dann den politischen Prozess auf allen drei oben genannten Ebenen – der Wähler, der Politiker, der Theoretiker – wider. Die „Sache“ muss beweglich bleiben, sie darf durch niemanden endgültig fixiert werden. Jeder Fixierung folgt umgehend der Beweis ihrer Widerlegbarkeit. Ihre Relativierbarkeit macht sie damit als Sinnangebot nur scheinbar bindend – weshalb eben Kertész und andere empört nach verbindlichen Stellungnahmen rufen. Welche „Sache“ bedingt aber, dass dieses permanente Umbenennen ein gewisses Unbehagen nicht zu vertreiben, und letztendlich auch nichts an den Rahmenbedingungen zu ändern vermag? Zahlreiche Initiativen versuchen, das Unbehagen als neue Freiheiten moderner Demokratien zu präsentieren: Wir wären demnach eben heute so frei, uns alle zwei Jahre einen neuen Job, eine neue Wohnung, einen neuen Wohnort zu suchen. Was dabei im Interesse des Status quos geschickt verschwiegen wird: Die ökonomischen Machtverhältnisse der Gegenwart schränken in ihren Folgen die Freiheit der meisten Menschen stärker ein, als es Monarchen, Staatsbeamte, Berufsjuristen etc. in der Vergangenheit jemals vermochten. Gleichzeitig sind es gerade diese ökonomischen Machtverhältnisse, die jene alten Ungerechtigkeiten heute deutlicher denn je aufscheinen lassen. Rein formal gesehen sind es also Machtverhältnisse, die als „Sache“ fortdauern. Ist der von Burke beschriebene tragikomische Selbstwiderspruch der Französischen Revolution – sie unterläuft ihre eigene Forderung nach Gleichheit – nicht gerade zugleich das Problem der Politik, der Politikberatung, der politischen Theorie – und letztendlich das Grundproblem einer von Kapitalinteressen dominierten Gesellschaft, die sich nicht zufällig gerade in Folge der Umwälzungen der Französischen Revolution in ungeahnter Qualität entwickelte?5 Wer soll die verbindlichen Standpunkte einnehmen und verbindlich Stellung beziehen, und wer wird damit gebunden? Mit diesem Widerstreit ist man also mitten in die Probleme, Fragen und unlösbaren Widersprüche von Politiktheorie verstrickt – und scheint doch irgendwie bereits auf der Stelle zu treten. Der Ruf nach Standpunkten und Stellungnahmen, der heute auch vermehrt unter Intellektuellen zu hören ist, kann als Indiz für ein noch 5

Vgl. Christoph Menke: Spiegelungen der Gleichheit. Politische Philosophie nach Adorno und Derrida, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 294 und zur Figur des Tragikomischen vgl. Christoph Menke: Tragödie im Sittlichen. Gerechtigkeit und Freiheit nach Hegel, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 1996. Menke zieht allerdings keine Parallele zur Funktionsweise des Kapitalismus.

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POLITIKVERLUST?

genauer zu beschreibendes Autoritätsvakuum interpretiert werden. Das Bedürfnis nach Verbindlichkeit vermag als ein Zeichen für den Wunsch nach einem starken Staat oder einer starken Zivilgesellschaft mit tendenziell autoritären Ersatzinstitutionen gelesen werden. Obwohl Machtprozesse in der einen oder anderen Form prinzipiell nie abgeschafft werden können, ist symbolische Autorität derzeit sichtlich im Schwinden begriffen. Der Ruf nach Standpunkten und das Verfassen von Manifesten finden einen breiten Resonanzboden vor, gerade weil eine bestimmte Form von Autorität unwirksam und damit verloren gegangen zu sein scheint. Zunächst müsste eine Politische Theorie, um ihren Politikbegriff näher zu bestimmen, zwischen symbolischer Autorität und Macht unterscheiden. Folgt aus dem Verlust symbolischer Autorität zugleich ein gewisser Politikverlust? Symbolische Autorität vermag diffuse Machtverhältnisse zu bündeln und dadurch eine gewisse Form von Verbindlichkeit zu garantieren. Wie sollte mit der Forderung und dem Verlangen, wenige Auserwählte mögen doch als anerkannte Wortführer einer schweigenden Masse hervortreten, umgegangen werden? Reicht es aus, ein derartiges Wunschdenken als alteuropäisches Überbleibsel zu beschreiben, oder kann diesen Autoritätssehnsüchtigen mit Projekten à la Christoph Schlingensief und dem Befehl: „Wähle Dich selbst!“ begegnet werden? Was passiert, wenn dieses Bedürfnis nach symbolischer Autorität zunimmt, um schließlich in Appellen wie: „Du bist Deutschland!“ zu münden? Kann es also sein, dass die Machtverhältnisse in einem solchen Autoritätsvakuum gewaltsamer zu wirken beginnen? Wie ist vor diesem Hintergrund die Forderung an die Politiker, sie sollten endlich die Wahrheit über ihre eigenen Steuerungs(un)möglichkeiten offen aussprechen, einzuschätzen? Vermag Politik überhaupt nach den Kriterien von wahr/unwahr zu operieren? Die Wähler beobachten und beurteilen Politiker und Politikerinnen zwar zumeist durch derart operierende Unterscheidungen; aber kann Politik selbst diesen Maßstab setzen, oder vermag sie immer nur auf wahr/falsch zu reagieren? Ließe sie Unentscheidbarkeiten zu, würde sie sich umgehend dem Verdacht aussetzen, keine Macht oder symbolische Autorität zu besitzen. Symbolische Autorität – vorerst also verstanden als Machtbündelung – zeichnet sich gerade dadurch aus, zwingend von Wahrnehmungsmustern abzuhängen, die nur schwer kommuniziert und zur Schau gestellt werden können. Wird Politik der Lüge oder Falschaussage überführt, stellt sich unter den Repräsentierten eine Verdrossenheit ein, die häufig dazu führt, Entscheidungen eben von anderen Autoritäten – z.B. dem Verfassungsgericht – einzufordern. Umgekehrt können Aussagen implizit auf Lügen basieren und gerade deshalb in der Lage sein, die Wähler zu bin10

EINLEITUNG

den. Da Wahrhaftigkeit nicht vorausgesetzt werden kann, muss dieses Vakuum irgendwie ausgefüllt oder verschleiert werden, denn Politik kann – so eine These der vorliegenden Arbeit – nicht ohne Illusionen vermittelt werden.6 Politik scheint nicht in Reinform zu existieren, sie ist immer schon irgendwie kontaminiert. Die Politische Theorie steckt also bezüglich ihres Gegenstandes in einer Sackgasse: Einerseits könnte ihr Auftrag – auch hier sollte man nicht vergessen zu fragen, wer ihr eigentlich diesen Auftrag erteilt – darin bestehen, die Scheinhaftigkeit von Politik aufzudecken, andererseits würde Politik somit regelrecht verschwinden, und sie müsste dann ihren Gegenstand auf andere Gebiete verlagern, die der Wahrhaftigkeit näher zu kommen scheinen: Ethik, Recht, Moral, Religion etc. Politik übernähme dann nur noch reine Verwaltungsaufgaben. Kaum verwunderlich, dass gerade Kampagnen wie „Du bist Deutschland!“ (seit Herbst 2005) implizit versuchen, Politik aus den Bemühungen um einen ökonomischen Aufschwung mittels eines diffusen, neu zu erweckenden, nationalen Selbstbewusstseins und damit verbundener „deutscher Tugenden“ weitestgehend herauszuhalten. Der einzige Wert, den die Kampagne zu vermitteln versucht, besteht in dem Imperativ: „Wie wäre es, wenn Du dich mal wieder selbst anfeuerst? Gib nicht nur auf der Autobahn Gas. Geh’ runter von der Bremse! Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Deutschlandbahn. Frage dich nicht, was die anderen für dich tun. Du bist die anderen.“7 Erinnert das in seiner moralischen Bankrotterklärung nicht stark an den angelsächsischen Schlachtruf: „Right or wrong – my country!“ Es müsste also zunächst zwischen Wahrheitsinszenierung und Wahrheitsfindung unterschieden werden. Bei der Beobachtung politischer Inszenierung bzw. der Inszenierung von Politikern geht es dann nicht darum, ob z.B. ein Saddam Hussein und ein Osama bin Laden wirklich zusammen, quasi als Gemeinschaftstäter, hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckten. Es werden Gegensätze – Hussein/bin Laden – zusammengebracht und von den Wählern auch bereitwillig angenommen, obwohl sie falsch sind. Die Täuschung kann also aus den verschiedensten Gründen auch von den potentiellen Wählern regelrecht gewollt werden, und ist dann natürlich weit davon entfernt, in eine Politikverdros6

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Renata Salecl führt als Beispiel den Totalitarismus an, der in seiner radikalen Form direkt das sagt, auf was andere durch Annahmen nur anspielen. Die verheerenden Folgen einer solchen vermeintlichen „Offenheit“ gegenüber einem Verschleiern werden im Laufe der vorliegenden Untersuchung analysiert. Vgl. Renata Salecl: „Die Gesellschaft existiert nicht“, in: Slavoj Žižek (Hg.), Gestalten der Autorität. Seminar der Laibacher Lacan Schule, Wien: Hora-Verl. 1991, S. 34. http://www.du-bist-deutschland.de/opencms/opencms/Kam pagne/Manifest.html vom 06.11.2006.

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POLITIKVERLUST?

senheit zu führen.8 Im Gegenteil erzeugte diese fiktive Allianz in den USA zunächst eine Welle nationaler Euphorie und zumindest zeitweise weitgehende Übereinstimmung großer Teile der Bevölkerung mit der Administration im Weißen Haus. Manche Politikbeobachter attestieren Politikern daher, nur noch symbolische Politik zu betreiben; andere wiederum sehen eben aufgrund obigen Widerstreits gar keine andere Möglichkeit, als über Symbole und symbolische Prozesse zwischen Staat und Gesellschaft zu vermitteln. Symbole werden dann zumeist als Träger von Vermittlungsaufgaben angesehen. Was aber macht ein Symbol zum tatsächlich politischen Symbol? Das Politische befände sich dort, wo Sinn entsteht und vergeht. Hussein und bin Laden werden gleichgesetzt, da es Sinn ergibt, sich über einen gemeinsamen Feind zu konstituieren, obwohl jeder – zumindest aber die Verantwortlichen (Geheimdienste; Militärs etc.) – weiß, dass es sich lediglich um ein Sinnangebot handelt, das seinen Sinn jederzeit wieder verlieren kann. Geht es denn nunmehr auf der Inszenierungsseite immer um ein Fingieren, Vortäuschen und Verschleiern, um eine List der Politik im Interesse der politischen Vernunft? Das provoziert eine ganze Kette praxisrelevanter Fragen: Ist die politische Aufgabe der Rezipientenseite im Aufklären eben jener Täuschungsmanöver zu suchen? Resultiert aber wiederum das Autoritätsvakuum nicht gerade daraus, den Schleier herunterreißen zu wollen? Wie kann Politiktheorie zwischen Ideologie und notwendiger Illusion unterscheiden? Haftet Politikvermittlung also notwendigerweise stets ein Scheincharakter an? Ein zum Zynismus neigender Beobachter sagt sich vielleicht: Ich weiß zwar, dass es keine Verbindung zwischen bin Laden und Hussein gibt, aber ist es nicht besser, die anderen in diesem Glauben zu lassen? Gibt es zu dieser zynischen Variante nur die umgekehrte Möglichkeit, den Scheincharakter von Politik zu entlarven? Wie kann Theorie wissen, wo der Hebel anzusetzen ist, um über wahr/falsch zu urteilen? Wenn heute von symbolischer Politik gesprochen wird, wird häufig suggeriert, dass Politik nicht wirklich stattfindet, dass sich das Wirkliche hinter dem Rücken der jeweiligen Politikerinszenierungen abspielen würde. Eine solche Sicht verdoppelt die Realität. Meist fehlt solchen Analysen ein durchgängiger Symboloder Scheinbegriff, der eben jene Beobachtung nicht lediglich als Dichotomie – vor bzw. hinter dem Rücken –, sondern als dialektischen – oder gar dreiwertigen – Prozess beschreiben könnte. Mit der Zeichentheorie können Politiktheorien dahingehend befragt werden, wie sie das Ver8

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Einer Studie zufolge glauben 41% der Amerikaner, Saddam Hussein hätte den Terroristen vom 11. September geholfen. Vgl. http://www.harrisinteractive.com/harris_poll/index.asp?PID=508 vom 06.11.2006.

EINLEITUNG

hältnis von Politik, Gesellschaft und Individuum konzipieren. Es wird analysiert, ob und wie eine Symboltheorie die statisch-strukturellen und gleichzeitig operationalen Momente von Politik, als Objekt der Politiktheorie, nicht nur nachzuzeichnen, sondern auch aufeinander zu beziehen und in einen eigenen Theorieentwurf zu integrieren vermag. Ein Schwinden des Gefühls dafür, was es eigentlich bedeutet, politisch zu sein, ist derzeit überall erkennbar. Obwohl gesellschaftliches Engagement eher zu- als abnimmt, bleibt das schale Gefühl zurück, dass sich dadurch nicht wirklich etwas ändert. Die Zeit für eine Verlustmeldung scheint reif, die Fahndung kann aufgenommen werden.

2. Fragen über Fragen Die Fragestellung der Studie gabelt sich in zwei Stränge: Es geht zum einen um die Frage nach der Fundierung von Politik und Politiktheorie und zum anderen um das Politische der Politiktheorie und der Politik selbst. Die Fundierung von Politik muss also nicht selbst Politik sein, was z.B. Politiktheorien demonstrieren, die sich durch ein Modell von Zivilreligion, durch Grundwerte oder ein Konstrukt wie Leitkultur zu begründen versuchen. Der erste Strang fragt danach, ob und wie Theorie die Kategorien der Wirklichkeit, der Realität und des Scheins voneinander unterscheidet. Politiktheorien dienen, so verstanden, als Modelle von Wirklichkeit und gleichzeitig als Eingriff in die Realität. Dieser Eingriff – der zweite Strang der Frage – macht sie selbst zu einem potentiellen Medium von Macht bzw. symbolischer Autorität, er macht die Politiktheorie zur politischen Theorie. Der Eingriff könnte beispielsweise offen machtbewusst, autoritär, normativ, vorgeblich neutral etc. stattfinden. Welchen Politiktheorien kommt dann selbst Macht oder symbolische Autorität zu – eben weil sie sich eine Unterscheidung von Wirklichkeit und Schein zutrauen? Muss und kann sich Theorie für eine der beiden Optionen – Macht oder symbolische Autorität – entscheiden? Leidet im Falle des Ausbleibens dieser Entscheidung politische Theorie dann selbst an Politikverdrossenheit und einem Autoritätsvakuum? Aus diesem dialektischen Prozess ergeben sich wiederum folgende Fragen: Wie vollzieht sich innerhalb politischer Theorien die Vermittlung zwischen dem eigenen Objektbereich und dem Einnehmen eines Standpunktes – von dem aus dieser Objektbereich konstituiert wird? Thematisiert Politiktheorie ihren eigenen „blinden Fleck“ – den Punkt, von dem aus sich die zwei Stränge überhaupt erst gabeln können – oder zieht sie sich auf einen vermeintlich neutralen, nicht-normativen Standpunkt zu13

POLITIKVERLUST?

rück? Und wie wird die Vermittlung zwischen den Sphären – Politiktheorie und ihrem Gegenstand – angestoßen, wie könnte sie gesteuert werden, und wer vermittelt hier? Wer ermächtigt sich, wer wird in und durch diesen Prozess berechtigt? Welcher Subjektbegriff liegt den Theorien somit zugrunde? Im Zentrum steht hier somit eine Zusammenführung von Subjektphilosophie und politischer Theorie. Es werden Zeichen vermittelt, es finden vielfältige und komplizierte Zeichenprozesse – z.B. in Form von Wissen, Information, Bildern, Symbolen – statt. Die Vermittlung kann als Übersetzung zwischen Zeichensphären gedacht werden. Die eine Sphäre ist die Politiktheorie, und die Art und Weise, wie sie Politik konstruiert. Die andere Sphäre markiert das Verfahren, wie Politiktheorie dieses Vorgehen dann selbst in einen Machtzusammenhang stellt bzw. immer schon in diesem Zusammenhang steht. Daraus ergeben sich zwangsläufig eine Reihe weiterer Fragen, deren bloßer Versuch der Beantwortung den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen würde. Es muss bedacht werden, dass die Zeichentheorie bisher noch nicht als Werkzeug für Politiktheorien bzw. das Rekonstruieren von Politiktheorien verwendet wurde. Es besteht somit nicht nur eine Forschungslücke, sondern es fehlen speziell zeichentheoretische Untersuchungen auf dem Gebiet der politischen Theorie.9 Daraus erklärt sich auch die – stellenweise an eine sokratische Parodie gemahnende – Anlage vorliegender Arbeit: Konfrontiert sie doch den Leser in erster Linie mit Fragen, deren erschöpfende Beantwortung letztendlich weiteren, daran anknüpfenden, Forschungen obliegen muss. Ich entschied mich dafür, in erster Linie die Potentiale einer Verbindung von Zeichentheorie, psychoanalytischer Theorie und Politiktheorie sichtbar zu machen. Volli konstatiert: „Auch wenn das Gebiet der Politik von großem semiotischen Interesse ist, so gibt es doch keine allgemeinen Werke zu diesem Thema, sondern nur anwendungsbezogene Analysen.“10 Semiotisch inspirierte Theorien anwendungsbezogener 9

Edelman betont zwar die große Bedeutung der Semiotik für die Politikwissenschaft, definiert seinen Symbolbegriff allerdings nicht zeichentheoretisch. Vgl. Murray Edelman: Politik als Ritual, Frankfurt am Main, New York: Campus 1990, S. VII. Dörner widmet der politischen Semiotik zwei Seiten, vgl. Andreas Dörner: Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos: Zur Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996, S. 13-15. Speth versucht eine semiotische Analyse von Symbolen, kommt aber dann zu dem Ergebnis, dass Symbole kein semiotisches, sondern ein hermeneutisches Phänomen seien. Vgl. Rudolf Speth: „Symbol und Fiktion“, in: Gerhard Göhler (Hg.), Institution- Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden: Nomos 1997, S. 80. 10 Ugo Volli: Semiotik. Eine Einführung in ihre Grundbegriffe, Tübingen, Basel: A. Francke 2002, S. 317.

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EINLEITUNG

Analysen fragen nämlich nicht danach, wie politische Prozesse zeichentheoretisch beobachtbar sind, oder wo sich innerhalb von Zeichenprozessen der „Sitz“ des Politischen befindet. Sie gehen von einem Anwendungsfall als Prozessergebnis aus. Die politische Theorie, die sich für eine fruchtbare Verknüpfung mit der Zeichentheorie am besten eignet – nicht zuletzt, da sie implizit ebenfalls auf Zeichenprozessen gründet – ist die politische Ausformulierung der Psychoanalyse von Lacan durch Autoren wie Slavoj Žižek, Alenka Zupanþiþ, Mladen Dolar und Renata Salecl. Die zwei meistrezipierten Handbücher zur Semiotik umfassen so unterschiedliche Wissenschaftszweige wie Theaterwissenschaft, Theologie, Geschichtswissenschaft, Recht, Kultursemiotik etc. – die Politikwissenschaft bzw. die Politik als Gegenstandsbereich findet darin allerdings keine Berücksichtigung.11 Auch der „Deutschen Gesellschaft für Semiotik“ – immerhin unterteilt in 21 Sektionen – fehlt noch eine Sektion Politik.12 Ob nun die Semiotik das Politische verloren hat, oder es niemals besaß, fest steht jedenfalls, dass nicht nur die Politikwissenschaft wenig Interesse an Zeichentheorie zu haben scheint, sondern auch innerhalb der institutionalisierten Semiotik andere Themen auf der Agenda stehen. Dies will vorliegende Arbeit ändern. Weder der Symbol- noch der Politikbegriff können vorweg definiert werden. Beide werden im Laufe der Untersuchung entwickelt und aufeinander bezogen. Es ist daher wichtig, noch einmal zu betonen, dass der Punkt, von dem aus sich die Stränge der Fragestellung verzweigen, erst nach und nach sichtbar werden kann. Im Folgenden soll keine systematische Begriffsanalyse verschiedener Politikbegriffe vollzogen werden, sondern es wird die Frage nach dem symbolischen Gehalt – und damit eben die Frage der Unterscheidbarkeit von Macht und symbolischer Autorität – der Politikbegriffe in den Vordergrund gestellt. Politik macht sich ebenso wie politische Theorie dadurch, dass sich Gesellschaft auf sie bezieht, selbst zum Objekt. Politische Theorie sagt somit immer zugleich etwas über ihr Objekt und über sich selbst aus. D.h., sie betreibt möglicherweise durch ihre Methode bereits Politik. Wird Politik zunächst als Versuch, eine Einheit von Staat und Gesellschaft zu konstruieren, beschrieben, können zwei Modelle der Konstruktion dieser Ein11 Vgl. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000 vgl. auch Walter A. Koch (Hg.): Semiotik in den Einzelwissenschaften. Bochum: Brockmeyer 1990. Eine Ausnahme stellt Vollis Einführung in semiotische Grundbegriffe dar, die dem „Bereich der Politik“ fünf Seiten widmen. Vgl. U. Volli: Semiotik, S. 313-318. 12 Siehe die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS): www.semiose.de/ vom 06.11.2006.

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heit und ein Modell des Widerstandes gegen diese Einheit ausgemacht werden: Die Theorie der Politik beschreibt in Kapitel I, 1. den Versuch der Einheitskonstruktion (z.B. als Vertragstheorie oder als normative Theorie) oder macht Angebote, wie diese Einheit symbolisch auf Dauer gestellt werden könnte (z.B. durch Politikfeldanalyse wie Sozialpolitik, Kulturpolitik etc.). Im Vordergrund steht hier die Frage, wie eine möglichst dauerhafte Strukturierung der Gesellschaft erreicht werden kann. Die Theorien des Politischen erinnern an das, was beim Versuch der Einheitsbildung verdrängt werden muss: dass Einheit eben überhaupt nur als symbolische Einheit bzw. als Einheit der Differenz zu haben ist. Das Politische dieser Einheit markiert auf irgendeine Weise, dass Gesellschaft nicht mit sich selbst identisch sein kann, und der Versuch der Einheitsbildung zwangsläufig scheitern muss. Zu fragen bleibt hier in Kapitel I, 2.1, was dann aber einen Gesellschaftskörper von einem politischen Körper unterscheidet? Diese Frage wird vor dem Hintergrund, dass die Theorien des Politischen tendenziell nach Möglichkeiten suchen, den Staat durch eine Zivil- bzw. Bürgergesellschaft zu ersetzen, gestellt. Das Politische soll in die diversen Funktionssysteme oder in die Gesellschaft, gerade um den Einfluss und die Macht bzw. symbolische Autorität der Politik auf ein Minimum zu beschränken, hereingeholt werden. Theorien des Politischen zerstückeln die Metapher von dem einen politischen Körper in viele kleine Erzählungen/Einzelkörper. Das Bewegen wird förmlich auf Dauer gestellt und somit relativ fixiert. Dieser Aspekt mündet in der Frage, ob theoretische Intervention überhaupt möglich ist, wenn die Einheitsvorstellung aufgegeben und, poststrukturalistisch gewendet, durch die ins Unendliche strebenden (sich bewegenden) kleinen Erzählungen im Sinne der Mikropolitiken ersetzt werden? Es wird hier gezeigt, dass die Rede vom „Ende der großen Erzählung“ nicht das Ende von Machtprozessen, sondern das Ende von symbolischer Autorität heraufbeschwört. Ein Schwinden symbolischer Autorität lässt reine Macht noch stärker wirken. Die Theorie der symbolischen Politik – sozusagen als umgestülpte Theorie der Politik – hebt beim Versuch der Einheitsbildung v.a. auf die Theatralität und Inszenierungsebene von Politik ab, um zu zeigen, dass Einheit stets nur Schein(ein)heit ist (Kapitel I, 1.1). Die jeweiligen Autoren gehen dabei zumeist davon aus, dass es hinter dem Schein noch eine echte, authentische Politik gäbe. Aus dieser Perspektive kann Politik dann als das Verfahren bezeichnet werden, das diese symbolische Einheit herstellt und sichtbar macht. Ein Phänomen, das innerhalb der Politikwissenschaft zumeist durch die Frage nach Integration und Steuerung diskutiert wird (Kapitel I, 1.2). In ihr Extrem gewendet führen die beiden Verfahren der Theorie der Poli16

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tik und der Theorie des Politischen in nahezu entgegengesetzte Richtungen: Zum einen als Produkt regressiver Sehnsucht nach einem starken Nationalstaat mit seiner Degenerationsform Nationalismus, zum anderen als Wunsch, eben jenem Staat eine o.g. Zivil- bzw. Bürgergesellschaft entgegenzustellen. Wie ist dann aber aus dieser Sicht das Attribut „politisch“ zu verstehen? Das Grundparadox lässt sich wie folgt festhalten: Um diese politische Einheit herzustellen – das wäre eine Theorie der Politik – muss die Kluft bzw. Unabschließbarkeit der Einheit vergessen oder verdrängt werden, während die Theorie des Politischen gerade auf diesem verdrängten Bereich insistiert und daran erinnert, dass eine Kluft existiert, welche die Einheit (Staat, Nation, Gesellschaft, Identität mit etwas, Überzeugung etc.) durchzieht. Oder mit anderen Worten: Politik versucht zusammenzufügen, das Politische ist die Ressource für Veränderung. Die Theorie der Politik beschreibt den Versuch, dauerhafte Strukturierung zu erreichen, die Theorie des Politischen versteht sich als Eingriff in den gesellschaftlichen Diskurs, indem sie auf Möglichkeiten der Veränderung oder Subversion hinweist. Die Theorie des Politischen betont das Neue und Ereignishafte, sie betont Differenzen. Von welcher Art Veränderung wäre dann hier die Rede? Die Behauptung, avancierte Theorie habe inzwischen von Einheit auf Differenz umgestellt, wird in Kapitel II, 1. mit der Zeichentheorie hinterfragt: Gibt es noch eine dritte Option jenseits der Frage: Einheit oder Differenz? Eine Figur, die der Differenz nicht unbedingt vorausgeht und die nicht lediglich als Paradoxie in das Theoriemodell hineingenommen wird?13 Gibt es eine Möglichkeit, auf die lineare zeitliche Abfolge zu verzichten und ein Modell zu erstellen, das quasi auf einen Schlag Einheit und Differenz voraussetzten würde? Dies sind zutiefst zeichentheoretische Fragestellungen, die in der vorliegenden Studie erstmals für die Politische Theorie fruchtbar gemacht werden. Die drei Modelle politischer Theorie werden im Verlauf der vorliegenden Arbeit durch eine implizite Symbol- bzw. Zeichentheorie rekonstruiert – implizit, weil, schreitet man linear von Kapitel zu Kapitel, die Symboltheorie, die hierfür verwendet wird, noch nicht entfaltet wurde. Explizit wird sie dann erst in Kapitel II, 1.1 bis 1.4 als Teil der Zeichentheorie von Charles S. Peirce rekonstruiert. Im Einlei-

13 Zur Unhintergehbarkeit der Erkenntnis, dass Differenz (z.B. die Differenz von Bewusstsein und Kommunikation) nicht mehr als Einheit gedacht werden kann vgl. Oliver Jahraus/Benjamin Marius Schmidt: „Systemtheorie und Dekonstruktion. Die Supertheorien Niklas Luhmanns und Jacques Derridas im Vergleich, Siegen: Lumis 1997. Zur Frage nach dem imaginären Ursprung aller Identitäten und Differenzen vgl. auch Oliver Jahraus: Literatur als Medium. Sinnkonstitution und Subjekterfahrung zwischen Bewußtsein und Kommunikation, Weilerswist: Velbrück 2003, S. 277ff.

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tungskapitel wird ein Exkurs zum Symbolbegriff die für die Arbeit zentrale Frage nach dem Symbol und der Unterscheidbarkeit zwischen Zeichen und Symbol auffächern. Dieser Exkurs dient als Grundlage für eine darauf aufbauende und komplexere Entfaltung der theoretischen Politikmodelle. Daran anschließend fragt das dritte Kapitel, wie Einheit nicht als Einheit der Differenz (im Sinne poststrukturalistischer Theorien), sondern als Einheit von Relationen konzipiert werden kann? Diese Frage vermag nur durch die Verbindung der politisch relevanten Momente psychoanalytischer Theorie mit der Zeichentheorie von Peirce beantwortet werden, die im zweiten Kapitel vorbereitet wird. Es werden mit Hilfe einer Symboltheorie verschiedene Politikbegriffe analysiert und nach ihrer Unterscheidbarkeit von Macht und symbolischer Autorität gefragt. Woraus wird aber dann der Symbolbegriff entwickelt, wenn nicht mehr zwischen dem methodischen Vorgehen und dem Gegenstand der Theorie unterschieden werden kann? Dieser Zirkelschluss kann durch eine Symboltheorie, die komplexer ist als ihr Gegenstand, überwunden werden. Gerade die Verschränkung von Kategorienlehre und Zeichentheorie (bzw. Symbolbegriff) innerhalb der Semiotik von Peirce bietet die ideale Voraussetzung hierfür. Kategorienlehre und Zeichentheorie werden unter besonderer Berücksichtigung des Symbolbegriffs rekonstruiert. Durch ihre dreiwertige Ausrichtung weisen Zeichentheorie und psychoanalytische Theorie erstaunliche Ähnlichkeiten auf.14 Die beiden Theoriemodelle werden nicht nur aufeinander bezogen, sondern dienen als analytisches Werkzeug, um nach einem Politischen jenseits der Theorien der Politik und der Theorien des Politischen zu fahnden. Es wird dabei untersucht, ob ein drittes Element neben der Dualität von Politik und dem Politischen – sozusagen ein anderes Politisches – gefunden werden kann. Wird man damit etwas finden, das vorher verloren war? Oder findet man mit diesem dritten Moment etwas, das einige zwar irgendwie vermisst haben, aber nicht bestimmen konnten? Das Argumentationsziel der vorliegenden Studie liegt darin, dass dieses Dritte in dem Theorem der politischen Einbildungskraft von Slavoj Žižek zu finden ist. Der idealistische Begriff der Einbildungskraft – prominent geworden durch Kant, Fichte, Schelling und Hegel – wird durch das Attribut „politisch“ in sein Gegenteil verkehrt und ermöglicht so, den Subjektbegriff jenseits von Einheits- oder reinen Differenztheorien als Zeichen bzw. Symbol neu zu lesen. Dies wird im Folgenden schrittweise näher erläutert.

14 Vgl. Nina Ort: Objektkonstitution als Zeichenprozeß. Jacques Lacans Psychosemiologie und Systemtheorie, Wiesbaden: DUV 1998.

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3. Exkurs: Symbolbegriff Der Symbolbegriff ist ebenso wie der Politikbegriff nicht eindeutig positiv definierbar und hat sich in der Geschichte immer wieder stark gewandelt.15 Dass es dennoch – oder gerade deswegen – sinnvoll ist, mit einer Symboltheorie die eingangs aufgeworfenen Fragen zu entfalten, soll dieser kleine Exkurs in genealogischer Weise verdeutlichen. Es werden verschiedene Symbolbegriffe gegen- und miteinander gelesen, um Kontinuität und Wandel der Bedeutungsgeschichte zu verdeutlichen. Von da aus sollen Desiderata herausgearbeitet und der Frage nachgegangen werden, ob es etwas gibt, das allen Symbolverständnissen gemein ist. Der Exkurs zum Symbolbegriff wird zeigen, was ein einheitlicher und somit durchgängig verwendeter Symbolbegriff für die Analyse politischer Prozesse sichtbar zu machen vermag. Denn häufig wird innerhalb der Politiktheorien, die mit Symbolen arbeiten, je nach Untersuchungsobjekt von einem Symbolbegriff zum nächsten gesprungen: Ein fröhlicher Eklektizismus untersucht z.B. in ein und derselben Analyse das Entstehen gewisser Mythen mit Ernst Cassirer, Politikerinszenierungen mit Umberto Eco und Machtbeziehungen mit Pierre Bourdieu. Problematisch daran ist das Fehlen eines gemeinsamen Bezugspunktes bzw. Vergleichsmaßstabes. Es gibt eine parallele Entwicklung zwischen der Geschichte der politischen Ideen und der Geschichte des Symbolbegriffs, der ähnliche Fragestellungen zugrunde liegen. Sowohl die politische Theorie als auch die Symboltheorien fragen nach der „Einheit“ getrennter Sphären. Sie fragen beide danach, wie etwas für etwas anderes stehen kann. Wie kann aus einer Einheit Getrenntes extrahiert werden bzw. entsteht Einheit erst in diesem Denkakt? Kann es einen Gleichklang zwischen Politik, Gesellschaft und Individuum geben? Das Parlament als Repräsentationsorgan steht symbolisch für den Willen der Wähler. In der Demokratie sollte dieses Verhältnis so gestaltet werden, dass es den Wählerwillen so

15 Zur Wortgeschichte des Terminus und seiner philosophischen Tradition vgl. Max Schlesinger: Geschichte des Symbols. Ein Versuch, Hildesheim: Olms 1967, S. 5-34. Schlesinger kann in seiner „Geschichte des Symbols“ mit nicht weniger als hundert verschiedenen Definitionen des Symbolbegriffs aufwarten. Der Symbolbegriff bzw. die Symboltheorien finden v.a. in der Psychoanalyse, der Theologie, der Ethnologie und der Lernpsychologie Verwendung. Innerhalb der Literaturwissenschaft wird zunehmend der Terminus „Simulation“ bevorzugt, oder zugunsten von Metapher und Metonymie auf den Symbolbegriff verzichtet. Gerhard Kurz schreibt: „Wie so oft ist ein Begriff nicht aufgegeben worden, weil er widerlegt, sondern weil man seiner überdrüssig wurde.“ Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 66.

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genau wie möglich wiederzugeben vermag. Bezeichnungen von Einheit werden zunächst behelfsmäßig eingeführt, um überhaupt die Idee einer Einheit repräsentieren zu können. Symbole sind, sei es in Form von Gründungsmythen, sei es in Form von Diskursen, als „narrative Wurzel“16 jeder politischen Macht, zur Begründung der Legitimität von Herrschaft, notwendig. Im folgenden Exkurs geht es weniger um eine Genealogie im Sinne einer Epochengeschichte, sondern um eine Genealogie, die oben bereits beschriebenen Suchbewegungen herausbildet und pointiert. Es interessiert also weniger, ob es eine Parallelentwicklung von Symbol- und Politikbegriff gegeben hat, sondern ob mit einem gewissen Symbolverständnis Probleme und Antagonismen der Politik und v.a. der Politiktheorien aus einer anderen Perspektive erscheinen. Dabei stehen folgende Fragenkomplexe im Vordergrund: x Verfolgen die Symboltheorien einen weiten – d.h., Symbol und Zeichen werden synonym gebraucht – oder einen enger gefassten – d.h., Symbole und Zeichen werden unterschieden – Symbolbegriff? x Schließt die Symboltheorie andere Tropen – z.B. Allegorie und Metapher – ein, oder differenziert sie Symbol, Metapher und Allegorien aus? x Differenzieren die Symboltheorien eine sprachliche, bildliche und gegenständliche Ebene aus? D.h., müssen Symbole sichtbar sein, um erkannt zu werden, oder sind auch kognitive Erfahrungen für das Symbolerkennen vorstellbar. x Sieht die Symboltheorie motivierte (aus sich selbst verständliche) Zeichen vor? x Dienen Symbole dazu, Realität zu konstruieren und wird somit die Prozesshaftigkeit, also das Symbolische, gegenüber dem Symbol betont? x Wie ist im Symbolerkennensprozess Bewusstsein beteiligt? Der Symbolbegriff war als Forschungsgegenstand v.a. in den Ästhetiktheorien der Aufklärung, der Frühromantik und des gesamten 19. Jahrhunderts beliebt.17 Die Verwendung des Symbolbegriffs taucht aller16 U. Volli: Semiotik, S. 315. 17 Vgl. z.B. Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen: Mohr 1990, S. 76-87; vgl. Bengt Algot Sørensen: Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik, Kopenhagen: Munksgaard 1963; vgl. Michael Titzmann: Strukturwandel der philosophischen Ästhetik 1800-1880. Der Symbolbegriff als Paradigma, München: Fink 1978; vgl. Tzvetan Todorov: Symboltheorien, Tübingen: Niemeyer 1995; vgl. Markus Tomberg: Studien zur Bedeutung des Symbolbegriffs, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, Todorov 1995, S. 125-246.

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dings schon viel früher auf: In der Antike galt das Symbol v.a. als Erkennungszeichen.18 Ein in zwei Hälften zerbrochenes Tonstück wurde als vereinbartes Zeichen zwischen Freunden oder Vertragspartnern durch einen Boten überbracht und vom Adressaten zusammengefügt.19 Die Bruchstücke galten als Erkennungszeichen, das Zusammengefügte als Symbol einer Gemeinsamkeit. Die Tonstücke symbolisieren die Einheit von etwas, das ideell zusammengehört. Das Symbol ist eine Art von Zeichen. Es ist etwas Gegenständliches und macht einen Zusammenhang sichtbar.20 In Platons Symposion ist zu lesen: „[…] aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen. Jeder von uns ist also ein Stück [ein ıȣµȕȠȜȠȞ] von einem Menschen, da wir ja, zerschnitten wie die Schollen, aus einem zwei geworden sind. Also sucht nun immer jedes sein anderes Stück.“21 Das Symbolon ist das Stück, das für das Heilmittel – die Liebe – steht, die zur ursprünglichen Ganzheit führen soll. Umstritten ist in der Platonrezeption, ob die Sehnsucht sich nun primär auf die Ganzheit oder die verlorene Hälfte richtet.22 Nach Platon existiert jedenfalls ein drittes, androgynes, Geschlecht: Mannweiber oder Kugelmenschen mit zwei Gesichtern. Zur Strafe für den Versuch, die Götter an Stärke übertreffen zu wollen, wurden sie in zwei Hälften geschnitten. Als Symbol der Trennung oder Gespaltenheit ist den Menschen der Nabel (omphalos) eingeschrieben.23 Der Nabel steht in Platons Mythos von Aristophanes 18 Diese Bedeutungsebene ist inzwischen Teil populärer Medien vom Spannungsroman des 19. Jahrhunderts (Karl May, Der Fürst des Elends u.ä.) bis zu aktuellen Computerspielen wie Tomb Raider. An die Stelle des Tonstücks treten nunmehr lediglich zwei Hälften eines Medaillons, einer Münze, eines Greenbacks etc., deren Zusammenfügen die Zugehörigkeit zu einer Geheimgesellschaft, einem Adelsgeschlecht u.ä. signalisiert. 19 Das griechische Verb symballein – das sich vom Substantiv symbolon ableitet – bedeutet zusammenbringen, zusammenwerfen, erraten, erschließen. Symbolon bedeutet darüber hinaus noch „Merkmal“, „Indiz“ und „verabredetes Zeichen“. Vgl. Martina Plümacher: „Symbol/symbolische Form“, in Hans Jörg Sandkühler (Hg.), Enzyklopädie Philosophie Bd. 2 (O-Z), Hamburg: Meiner 1999, S. 1572. Hier lassen sich unschwer die drei Aspekte des Symbols von Peirce erkennen: Symbole mit v.a. Ikonanteilen, v.a. Indexanteilen und reine Symbole. 20 Vgl. zu diesen drei Merkmalen von Symbolen auch G. Kurz: Metapher, S. 69. 21 Platon: „Gastmahl“, in: Gunther Eigler (Hg.), Platon. Werke in acht Bänden, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1990, 191d. Auch diese Darstellung Platons hielt ob ihrer Anschaulichkeit inzwischen Einzug in populäre Medien. In einer Folge der TV-Soap „Verbotene Liebe“ sucht der jugendliche Graf Konstantin von Lahnstein in Platons Werken nach dem Originalzitat. 22 Vgl. M. Tomberg: Studien, S. 25f. 23 Vgl. zum Nabel als Symbol der Subjektspaltung Elisabeth Bronfen: „From Phallus to Omphalos: Cultural Representations of Feminity and Death“,

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für die verloren gegangene Ganzheit. Gleichzeitig symbolisiert er den Verlust, der Ganzheit verhindert. Hier wird – wie für den Fall der Gastfreundschaft – kein Gegenstand, sondern etwas Abstraktes, eine Idee, vorgestellt. Ursprünglich meint Symbolon somit das Stück, das durch die Teilung des Einen entstanden ist. Im Zusammenfügen bleiben die zwei aufeinander bezogenen Pole (hier der männliche und der weibliche Pol) in ihrer Selbständigkeit bestehen – die imaginäre Einheit wird als Idee symbolisiert. Es wird zwischen Symbolen und Zeichen unterschieden: Etwas wird aus seinem Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen, ohne dass die Beziehung zwischen Bezeichnendem – das Wort Nabel, die Scholle oder das Erkennungszeichen – und Bezeichnetem – ursprüngliche Einheit der Geschlechter, Gastfreundschaft – durch einen direkten Vergleich deutlich würde. Symbole machen in dieser Lesart etwas Unsichtbares sichtbar, aber durch ein umgekehrtes Verfahren: Sichtbarmachen durch Unsichtbarmachen. Der Symbolbegriff wurde über die Unterscheidung zwischen Zeichen und Symbol hinaus noch nicht weiter ausdifferenziert. Die Beschreibung dieses Spannungsverhältnisses zweier in irgendeiner Weise aufeinander bezogener bzw. in einer Relation stehender Pole macht den wesentlichen Aspekt von Symboltheorien aus. Es ist genau dieser Aspekt, der in seinen unterschiedlichen Thematisierungsweisen für Politiktheorien fruchtbar gemacht werden kann und soll. Diese Spannung berührt, wie Gadamer schreibt, neben ihrem transzendenten häufig auch einen religiösen Aspekt: „Das Symbol hebt die Spannung zwischen Ideenwelt und Sinnenwelt nicht einfach auf. Es läßt gerade auch das Mißverhältnis zwischen Form und Wesen, Ausdruck und Inhalt denken. Insbesondere die religiöse Funktion des Symbols lebt von dieser Spannung. Daß auf dem Grunde dieser Spannung der momentane und totale Zusammenfall der Erscheinung mit dem Unendlichen im Kultus möglich wird, setzt voraus, daß es eine innere Zusammengehörigkeit von Endlichem und Unendlichem ist, die das Symbol mit Bedeutung erfüllt. Die religiöse Form des Symbols entspricht damit genau der ursprünglichen Bestimmung von Symbolon, Teilung des Einen und Wiederergänzung aus der Zweiheit zu sein.“24

Die antiken wie die frühchristlichen Glaubensbekenntnisse hießen „symbola“. Im Symbol schwang das Religiöse/Transzendente stets mit. Reliin: Women. A Cultural Review 3.2 (1992), S. 145-158. Freud bezieht sich ebenfalls auf den Mythos der „Mannweiber“, indem er die Symboltheorien als Theorien des gespaltenen Subjekts begreift. Vgl. Sigmund Freud: „Jenseits des Lustprinzips“, in: Alexander Mitscherlich u.a. (Hg.), Studienausgabe Bd. VI, Frankfurt am Main: 1982, S. 266. 24 H-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 84f.

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giöse Symbole weisen auf etwas Verborgenes, nicht rational oder formal Auflösbares – den Glauben – hin. Eine besondere Rolle spielen Symbole in den Bereichen, in denen ein Sinngehalt weder anschaulich noch begrifflich erfasst werden kann. Glaubensinhalte können nicht anschaulich bzw. begrifflich dargestellt werden, sie bedürfen religiöser Symbole, um ihre Sinnhaftigkeit zu erschließen.25 Was Menschen auszeichnet, ist die Fähigkeit, Symbole zu bilden, zu erkennen und zu verstehen.26 Damit sind Symbole eigentlich allegorische Zeichen: Sie stellen etwas gleichnishaft, versinnbildlichend dar. Durch Symbole in diesem allegorischen Sinne wird auf eine andere Wirklichkeit verwiesen. Es geht um die Frage, wie aus zwei getrennten Elementen – einem konkreten und einem abstrakten – eine Einheit entstehen kann, und wie diese Einheit zu denken ist. Gadamers Zitat verdeutlicht, dass es dabei v.a. um das Spannungsverhältnis zweier Elemente oder Komponenten geht. Im klassischen Sinne wurde der Symbolbegriff noch bis ins ausgehende 18. Jahrhundert weitgehend synonym mit der Allegorie verwendet.27 Erst Goethe differenziert die Termini „Symbol“ und „Allegorie“ aus; er sieht im Symbol „das Gleichgewicht im Ungleichen, den Gegensatz des Ähnlichen, die Harmonie des Unähnlichen.“28 „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe. Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei. […] Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besonderen das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere ist

25 Vgl. zur Geschichte des Symbolbegriffes auch Alexander Ulfig: Lexikon der philosophischen Begriffe, Wiesbaden: Fourier 1997, S. 408f. 26 Der Autor Gustav Freytag verfolgt z.B. in seinem Romanzyklus „Die Ahnen“ das Schicksal einer Familie zwischen dem 4. und dem 19. Jahrhundert (!). Durch Auftauchen bestimmter Symbole (Fahnen, Familienbibel u.ä.) signalisiert der Autor dem Leser die Zusammengehörigkeit von Figuren, deren Ahnen in den Wirren der Geschichte verschiedene Wege gingen. Vgl. Gustav Freytag: Die Ahnen 31. Aufl., Leipzig: Verlag von G. Hirzel 1903. 27 Vgl. Karl Phillip Moritz: „Beiträge zur Ästhetik“, in Hans Jochen Schrimpf/Hans Adler (Hg.), Karl Phillip Moritz. Beiträge zur Ästhetik, Mainz: Dieterich 1989, hier v.a. S. 97f. 28 Johann Wolfgang von Goethe: „Schriften Zur Kunst: Myrons Kuh“, in: Erich Trunz: Johann Wolfgang von Goethe. Werke, München: Beck 1981, Bd. XII, S. 133.

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aber eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät. Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.“29

Goethe verwendet den Terminus Symbol im Sinne von Kants ästhetischer Idee.30 Im Besonderen wird das Allgemeine unmittelbar durch eine lebendige imaginative Vorstellung repräsentiert. Das Besondere steht oder vertritt das Allgemeine nicht aufgrund einer Ähnlichkeit, sondern unmittelbar. Dieser Symbolbegriff suggeriert eine natürliche Verbindung zwischen Symbol und Symbolisiertem. Und damit suggeriert er die verlockende Idee intuitiver Erkenntnis ohne denkende Anstrengung. Das Symbol böte die Möglichkeit einer Identifizierung, während die Allegorie eine Distanz zum eigenen, möglichen Ursprung bezeichnet. Dies ist wichtig zu betonen, beziehen sich doch einige Zeichentheorien auf diese Unterscheidung und leiten daraus die Differenz zwischen Zeichen (natürliche Verbindung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem) und Symbol (konventionelle, arbiträre Verbindung zwischen den Zeichenkorrelaten) ab. In der Allegorie sind Bedeutungszusammenhänge diskontinuierlich verbunden, im Symbol besteht eine notwendige Kontiguität.31 Die Allegorie hält höchstens noch die Sehnsucht nach Einheit, nach dem Zusammenfallen der getrennten Sphären, wach. Goethes Symbolbegriff behauptet die Einheit der Differenz von Zeichen und Bezeichnetem.32 Sein Symbolbegriff hat somit starke Ähnlichkeit mit Moritz’ Begriff des Schönen: „Sobald eine schöne Figur noch etwas außer sich selbst anzeigen und bedeuten soll, so nähert sie sich dadurch dem bloßen Symbol, bey dem es, so wie bey dem Buchstaben, womit wir schreiben, auf eigentliche Schönheit nicht vorzüglich ankommt. […] Das wahre Schöne besteht aber darin, daß eine Sache bloß sich selbst bedeute, sich selbst bezeichne, sich selbst umfasse, ein in sich vollendetes Ganzes sey.“33 29 Ebd., S. 470f. 30 Kant definiert die ästhetische Idee in der Kritik der Urteilskraft § 49 als eine imaginative Vorstellung, die „viel zu denken gibt.“ Immanuel Kant: Werkausgabe (= Kritik der Urteilskraft) hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, § 49. Vgl. auch B. A. Sørensen: Symbol und Symbolismus, S. 93ff. 31 Vgl. G. Kurz: Metapher, S. 77. 32 Vgl. J. W. Goethe: Maximen und Reflexionen, Nr. 749ff., S. 470f. 33 K. P. Moritz: Beiträge zur Ästhetik, S. 97f.

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Was hier entworfen wird, ist die Vorstellung eines selbstpräsenten, motivierten Zeichens. Andererseits weist Gerhard Kurz darauf hin, dass Goethe noch einen anderen Symbolbegriff entwickelte, der die Reflexionsleistung beim symbolischen Verstehensprozess explizit einschließt. Goethe deutet im obigen Zitat an, dass die Bedeutung uns entweder unmittelbar ‚oder erst spät‘ aufgehe.34 Auch Goethe kennt also schon einen Symbolbegriff, der die Selbstidentität durch Temporisation, also das Einführen von Zeit, spaltet. Hermeneutisch – und wie sich noch zeigen wird auch semiotisch – gesehen, kann der Teil nicht unmittelbar für das Ganze stehen. Das Ganze muss schon auf irgendeine Weise bekannt sein.35 Und nach diesem Phänomen des „irgendwie“ wird in vorliegender Studie gefahndet. Im Symbol wird dieser für die Allegorie selbstverständliche Zusammenhang offenbar vergessen. Böning formuliert es treffend: „Denn unsere am Lexikon gewonnene Einsicht, daß die Bedeutung eines Satzes immer eine andere Bedeutung ist, können wir nun dahingehend formulieren, daß die Sprache allegorisch verfaßt ist, daß wir aber symbolisch mit ihr umgehen müssen – ein Zeichen wird ja auch ‚Symbol‘ genannt –, weil wir diesen unendlichen Verweisungsbezug um des Lebensvollzuges anzuhalten haben.“36

Den Mensch zeichnet somit nicht nur das Symbolerschaffen und Verstehen aus, sondern auch die spektakuläre Fähigkeit, das Illusorische der symbolischen Einheit einfach zu vergessen – auch wider besseren Wissens! Der permanente Verweis einer Bedeutung auf eine andere, der hier so scheinbar harmlos und pragmatisch um des Lebensvollzuges willen anzuhalten ist, wird von einigen Autoren unten noch auf seine politische Dimension hin befragt.37 Offen bleibt, ob Goethes Unterscheidung zwischen einem quasi offenbarten Erkennen des Allgemeinen im Besonderen, und einem erst durch Reflexion Erkannten, auf einem bestimmten Vermögen beruht. Dieser Aspekt ist für politische Theorie zentral: Wie kann jemand für jemand anderen stehen, wie kann die Kluft zwischen 34 Vgl. G. Kurz: Metapher, S. 72. Für Kurz sind es dann v.a. die Rezipienten, die Goethes Symbolbegriff ontologisch fixieren. 35 Vgl. ebd., S. 73. Kurz kritisiert innerhalb seiner Texthermeneutik also den fixierenden Symbolbegriff Goethes und übernimmt den analogischen bzw. reinterpretiert ihn „im Licht neuer methodologischer Fragestellungen und Bedürfnisse.“ 36 Thomas Böning: „Allegorisieren/Symbolisieren“, in: Heinrich Bosse/ Ursula Renner (Hg.), Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg im Breisgau: Rombach 1999, S. 173. 37 So z.B. Kapitel I, 2.1. Laclau/Mouffe, die in diesem vorübergehenden Fixieren von Bedeutung den Ort des Politischen ausmachen.

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Staat und Individuen vergessen werden? Die Fähigkeit, das Illusorische der symbolischen Einheit zu vergessen oder verdrängen, wird von Slavoj Žižek als Einbildungskraft zum Gegenstand seiner politischen Theorie gemacht. Kant selbst wiederum definiert im 59. Paragraphen seiner Kritik der Urteilskraft das Symbol als Form der „indirekte[n] Darstellung“38, das nicht – wie noch bei Platon – die Idee darstellt, sondern über die der Idee zugrunde liegende Regel reflektiert. Symbolisiert wird also die Regel, die der Idee des Schönen zugrunde liegt. Für Kant hat das Symbol letztlich eine (allegorisch-metaphorische) Übersetzungsfunktion. Das Symbol wird für das transzendentale Subjekt konstitutiv. Es vermittelt „das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit.“39 Symbolisch heißt bei Kant eine intuitive Vorstellungsart, die auf einer Analogie beruht. Symbolische Vorstellungen vermitteln, wenn den Begriffen keine sinnliche Anschauung entsprechen kann, über Analogie. Zu denken wäre hier an nichtgegenständliche bzw. nichtsinnliche Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Politik oder eben auch an den Symbolbegriff selbst. Sein Symbolgebrauch deckt sich mit der Allegorie und der Metapher. Wenn für Kant Schemata Verstandesbegriffe versinnlichen, Symbole hingegen Vernunftbegriffe, kann hier eine Parallele zur Ausdifferenzierung von Zeichen- und Symbolbegriff gezogen werden. Schemata seien nach Kant direkte Darstellungen des Begriffs, Symbole indirekte Darstellungen. Gesucht wird von Kant das mittlere Erkenntnisvermögen zwischen Verstand und Vernunft: Wer oder was vermittelt Sinnlichkeit und Sinn? Im Symbol soll das dargestellt werden, was nicht direkt erfahren werden kann. Der monarchische Staat wird z.B. als organischer Körper oder als bloße Maschine dargestellt. Aber von wem wird diese Analogie aufgestellt? Die Spannung – oder der Widerstreit – des Symbols liegt darin, dass einem Allgemeinen etwas ausschließlich Subjektives zukommt.40 Von hier aus wird ersichtlich, dass sich diejenigen Theorien symbolischer Politik, die von „nur“ symbolischen Handlungen sprechen, in der Nähe von Kants und Moritz’ Symbolbegriff befinden. Beide vermuten hinter der nur symbolischen Vorstellung oder Darstellung noch eine andere, schönere oder authentischere Wirklichkeit. Jenseits des jeweils verwendeten Symbolbegriffs bleibt also zu fragen, in welcher Beziehung zwei unvereinbar scheinende Bedeutungszusammenhänge zueinander stehen, und wie sich das Symbol von Allegorie

38 I. Kant: KdU §59, B256. 39 Ebd., S. 259. 40 Vgl. zu diesem Punkt auch M. Tomberg: Studien, S. 34.

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und Metapher unterscheiden lässt. Was hieße es dann, „Freiheit“ nicht nur metaphorisch, sondern symbolisch zu verstehen? Die Metapher als Stilmittel ist das Instrument für Paul Ricœur, um über das Symbol zu reflektieren.41 Mit der Metapher könne die Sprache mehr ausdrücken, als sie üblicherweise sagt. Das Mehr enthüllt Aspekte der Erfahrung, die in der Alltagssprache keinen geeigneten Ausdruck finden konnten. Die Metapher diene als „Detektor seltener Erfahrungen.“42 Interessant ist Ricœurs Charakterisierung der Metapher als eine unübersetzbare Trope. Ricœur geht vom Begriff der produktiven Einbildungskraft im Sinne Kants aus, d.h. von der Fähigkeit, zwei üblicherweise zueinander fremde Bedeutungen zusammen kommen zu lassen bzw. ihre Ähnlichkeit zu erkennen.43 Die produktive Einbildungskraft ist die Quelle aller neuen Synthesen. Sie schematisiert – Ricœur bezieht sich für seine Metapherntheorie auch auf Kants Begriff des Schemas – neue Relationen und steht als kreatives Vermögen zwischen Rationalität und Erfahrung.44 Mit der Metapher stellt Ricœur einen Überschuss des Eingebildeten über die Logik fest. Die Metapher wird als Überschuss hinsichtlich der konstituierten Sprache verstanden. Das würde umgekehrt bedeuten, dass Sprache immer zu viel oder zu wenig sagt, dass sie förmlich auf einem Mangel basiert, der durch die Metapher oder das Symbol aufgefüllt werden muss.45 Worin unterscheiden sich dann aber bei Ricœur Metapher und Symbol? Im Schlusstext der „Phänomenologie der Schuld“, der den Titel „Symbolik des Bösen“ trägt, konzipiert Ricœur den Symbolbegriff als Gründungsbegriff der Philosophie. Das Symbolische wird – wie Tomberg in seiner Ricœurinterpretation zeigte – mit dem Vorgängigen, das die Rationalität als Möglichkeit aber bereits enthält, identifiziert.46 Symbole sind der Welt, über die wir reflektieren, nicht extern, sie können nicht bewiesen, sondern nur unterstellt werden. Andererseits muss aus der rationalen Reflexion herausgetreten werden, um den Symbolbegriff bestimmen zu können. Dies sind offenbar die Fragen, die auch für den Politikbegriff relevant sind. Und Žižek wird unten – indem er der Einbildungskraft das Attribut „politisch“ hinzufügt – 41 Vgl. Paul Ricœur: „Gespräch mit Christian Delacampagne vom 1. Februar 1981“, in: Peter Engelmann (Hg.), Philosophien Gespräche mit Foucault, Derrida, Lyotard, Ricœur u.a. Graz, Wien: Böhlau 1985, S. 144f. 42 Ebd., S. 145. 43 Vgl. ebd., S. 146. 44 Vgl. ebd. 45 Kurz zeigt, wie das Konzept des Supplements eines Mangels zu einem Ganzen von Platon über Goethe und Novalis – der den Begriff des „suppliierens“ prägte – bis zu den poststrukturalistischen Theorien reicht. Vgl. G. Kurz: Metapher, S. 93, Anm. 29. 46 Vgl. M. Tomberg: Studien, S. 129-141.

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genau dieses Vermögen der produktiven Einbildungskraft umkehren, indem er zeigt, dass es eine Art ontologische Differenz gibt, die das durch dieses Vermögen zusammengefügte Heterogene für immer trennt. Die Linie Kant, Goethe und Ricœur vermag folgendermaßen zusammengefasst werden: Goethe verwendet zwei Symbolbegriffe: 1. einen, dem die Temporisation fehlt, und der sich aus Kants ästhetischer Idee herleitet und 2. einen, dem Zeit/Reflexion eingeschrieben ist und der – wie Kants Symbolbegriff – auf einer analogen Reflexion beruht. Ricœurs Symbolbegriff geht nun ebenfalls stark von der Metapher aus und verweist v.a. auf den Überschuss bzw. Supplementgehalt von Symbolen. Bei Ricœur wird eine Konvergenz zwischen dem Kantschen Schema und dem Symbol in einer Verbindung von Philosophie und Symbolhermeneutik versucht. Auch Ernst Cassirer, Autor der „Philosophie der symbolischen Formen“, bewegt sich in den hier vorgezeichneten Bahnen, erweitert sie aber an einigen Stellen. Symbolische Repräsentation ist nach Cassirer die wesentliche Funktion des Bewusstseins und gleichzeitig eine Bedingung für das Operieren des Bewusstseins. Der Mensch kann Wirklichkeit nur über Symbole konstituieren, er ist ein symbolschaffendes Wesen, gar ein animal symbolicum.47 Der Prozess der Symbolisierung stellt eine Beziehung zwischen wahrnehmbaren, sinnlichen Zeichen und Bedeutungen her, ohne beide Elemente bereits vorauszusetzen und mündet in dem, was Cassirer symbolische Form nennt. Wir werden später sehen, dass diese Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichneten innerhalb der Zeichenkonzeption von Saussure auf einen Schlag, also zeitgleich gegeben ist. Zeichen dienen nach Cassirer als Bedeutungsträger, als Bezeichnendes. Symbol und Zeichen beziehen sich nicht auf eine objektiv gegebene Welt, sondern konstituieren diese Welt.48 Symbolische Formen verbinden nicht eine Außen- mit einer Innenseite bzw. ein Zeichensystem mit seiner Umwelt, sondern machen Welt dem Bewusstsein zugänglich.49 „[...] Das Symbolische gehört niemals dem ›Diesseits‹ oder ›Jenseits‹[...] an: sondern sein Wert besteht eben darin, daß es diese Gegensätze, die einer metaphysischen Zweiweltentheorie entstammen, überwindet. [...] Das Symboli47 Ernst Cassirer: Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Hamburg: Meiner 1996, S. 51. 48 Leider bleibt die Unterscheidung zwischen Zeichen und Symbol sowie die Unterscheidung zwischen Symbol und symbolischer Repräsentation ebenso wie der Formbegriff bei Cassirer etwas unklar. 49 Vgl. zu dieser Deutung des Formbegriffs bei Cassirer O. Jahraus: Literatur als Medium, S. 340.

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sche ist vielmehr Immanenz und Transzendenz in Einem: sofern in ihm ein prinzipiell überanschaulicher Gehalt in anschaulicher Form sich äußert.“50

Innen und Außen, Immanenz und Transzendenz oder auch Natur und Kultur sind stets gleichursprünglich gegeben. Was und wie wird also verknüpft, wenn sich nicht auf äußere Gegenstände bezogen werden kann? Diese Frage will Cassirer mit seinem Begriff der symbolischen Form beantworten. Für das Symbolische der Form, seinen Symbolbegriff, bezieht sich Cassirer auf Heinrich Hertz’ Schrift „Prinzipien der Mechanik“. Symbole sind nach Hertz innere Scheinbilder der äußeren Gegenstände, die das Bewusstsein so konstruiert, dass die denknotwendigen Folgen der Bilder wieder Bilder von den naturnotwendigen Folgen seien.51 Die Bilder bilden im Inneren des Bewusstsein also kein Abbild oder gar einen Abdruck, sondern es tritt etwas in das Mittel zwischen (Schein-)Gegenstand und Bewusstsein: das Symbol bzw. die symbolische Repräsentation. Das Symbol ist also weder die direkt gegebene Wirklichkeit, noch eine bloße Fiktion. Die Beziehung zwischen Symbolisiertem und Bedeutung macht eine Polarität aus. Die eine Richtung verläuft von der Bedeutung (dem Bezeichneten) zum Symbolisierten, sie macht etwas dem Bewusstsein stellvertretend gegenwärtig, während die andere Richtung vom Bezeichnenden zum Bezeichneten verläuft und dem Bewusstsein etwas als etwas vergegenwärtigt. Jene Richtung tendiert zur Stabilisierung (Fixieren), diese zur Auflösung (Bewegen). Cassirer arbeitet nicht explizit aus, wie nun die Symbole durch ihre Stabilisierungsfunktion bzw. ihre Auflösungsfunktion symbolische Formen auszubilden vermögen. Er identifiziert symbolische Formen im weitesten Sinne mit Sprache, im engeren Sinne können sich symbolische Formen als Mythen, Geschichte, Wissenschaft, Kunst und Technik herausbilden. Das, was z.B. den Mythos von der Wissenschaft unterscheidet, ist nach Cassirer nicht seine Form, sondern obige Richtung. Der Form nach wirkt sowohl im Mythos als auch in der Wissenschaft (vor allem) die Kategorie der Kausalität. Magisches oder mystisches Denken fixiert sich allerdings bei bloßen Ähnlichkeitsbeziehungen oder zufälligen Koexistenzen: „[...] dort, wo wir eine bloße ‚Analogie‘, eine bloße Beziehung der Ähnlichkeit erblicken, die zwischen zwei verschiedenen und selbständigen Elementen stattfindet [...]“, sieht ein zum magischen Den-

50 E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1953-54, S. 450. 51 Vgl. E. Cassirer: „Sprache und Mythos. Ein Beitrag zum Problem der Götternamen“, in: Ders.,: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1969, S. 186f.

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ken tendierender Mensch nur ein einziges Ding.52 Diese symbolische Form des Mythos erinnert an Goethes (nichttemporisierten) und Kants Symbolbegriff.53 Wissenschaftliche Kausalität hingegen gehorche nicht dem „Trieb der Assoziation“,54 sondern die Kausalität besteht vielmehr darin, die Beziehung von Ursache und Wirkung von eben dieser vermeintlichen und scheinbaren Unmittelbarkeit zu trennen: „Die Synthesis ist ihrem reinen gedanklichen Sinne nach nicht der Gegensatz zur Analyse, sondern setzt diese vielmehr voraus und schließt sie als notwendiges Moment in sich. Die Kraft der Zusammenfassung beruht auf der Kraft der Gliederung;“55 Die Analyse als Differenz wird in die Synthese als Einheit hineingenommen: Einheit der Differenz. An das Kantsche Schema erinnert Cassirers „kritische Arbeit des Geistes“: „Die Wissenschaft trennt beständig die Elemente des einfachen ‚Daseins‘ der Dinge, um für diese Trennung eine umso festere Verknüpfung nach allgemeingültigen Gesetzen einzutauschen.“56 Neu an Cassirers Denken war, dass die unterschiedlichen symbolischen Formen auf einer einheitlichen menschlichen Erfahrung beruhen. Je nach Sinngebiet (Mythos, Religion, Wissenschaft etc.) verändert sich nicht die Qualität, sondern die Modalität der symbolischen Formen.57 Cassirers animal symbolicum lebt in Bedeutungswelten, die durch Zeichensysteme vermittelt werden. Das Sein geht den Zeichen nicht voraus. Zeichen können weder im Mythos noch in der Wissenschaft unmittelbar wahrgenommen oder gar erkannt werden. Das heißt, die Unmittelbarkeit des Mythos bezieht sich auf ein quasi-unmittelbares, ein nicht-arbiträres Vereinheitlichen, während das Erkennen dieser Assoziation wiederum nur vermittelt und arbiträr möglich wäre. Es kann dabei jedoch nie von einer Nullstufe ausgegangen werden: „Alles theoretische Erkennen nimmt von einer durch die Sprache schon geformten Welt seinen Ausgang: auch der Naturforscher, der Historiker, der Philosoph selbst, lebt mit den Gegenständen zunächst nur so, wie die Sprache sie ihm zuführt.“58 Der Sprache – Cassirer bezieht sich hier auf W. v. Humboldt – kommt die Rolle der Vermittlung zwischen und innerhalb 52 E. Cassirer: Sprache und Mythos, S. 193. 53 Und – soviel sei hier vorweggenommen – ähnelt dem Ikon bei Peirce. Vgl. Kapitel II, 1.3.2. 54 E. Cassirer: „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, in: Ders.,: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. Darmstadt: Wiss. Buchges 1969, S. 194. 55 Ebd., S. 196. 56 Ebd., S. 195. 57 Vgl. Heinz Paetzold: Ernst Cassirer zur Einführung, Hamburg: Junius 1993, S. 40. 58 E. Cassirer: Sprache und Mythos, S. 99.

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der symbolischen Formen zu. Cassirer führt ein Gedankenexperiment durch: „Gelänge es, alle Mittelbarkeit des sprachlichen Ausdrucks und alle Bedingungen, die uns durch sie auferlegt werden, wahrhaft zu beseitigen, dann würde uns nicht der Reichtum der reinen Intuition, die unsagbare Fülle des Lebens selbst entgegentreten, sondern es würde uns nur wieder die Enge und Dumpfheit des sinnlichen Bewußtseins umfangen.“59 Cassirers Experiment verdeutlicht – und das wird ebenfalls für die Zeichentheorie von Peirce zentral – zweierlei: Zum einen ist intuitives Wissen oder Erkennen unmöglich, und zum anderen wäre das, was vor oder jenseits der symbolischen Formen läge, nicht der reichhaltige oder erstrebenswerte rousseausche Naturzustand, sondern eine dumpfe Ödnis.60 Problematisch an Cassirers Kulturphilosophie ist, dass er, da er eben keine genuine Zeichentheorie entwickelt, Zeichen, Symbole, Form, Sinn etc. nicht durchgängig voneinander unterscheiden kann und im sich gegenseitig konstituierenden Bezug aufeinander entwickelt. Die Frage nach dem, was jenseits aller Symbolisierungsformen liegt, beschäftigte v.a. die Romantiker. So charakterisiert Jean Paul das Romantische als das „Schöne ohne Begrenzung“ bzw. das „schöne Unendliche.“61 Er benennt damit die v.a. durch Luhmanns Systemtheorie erneut aufgegriffene Figur der Einheit der Differenz von Form und Medium: Das grundlegende Paradox der Einheit der Differenz von Begrenztem (das Schöne) und Unbegrenztem (Unendlichem oder Undarstellbarem).

59 E. Cassirer: Der Begriff der symbolischen Form, S. 199. 60 Vgl. die erstaunliche Analogie zu Peirces Zwiebelmetapher: „The attempt to divest thought of expression and to get at the naked thought itself, which some logicians have made, is like trying to remove the peel from an onion and get at the naked onion itself.“ So zit. aus: Anne Freadman: The Machinery of Talk. Charles Peirce and the Sign Hypothesis. Stanford: Stanford University Press 2004, S. 173. Das nackte Denken bedarf einer Verkörperung, ist dann aber nicht mehr mit dieser Verkörperung identisch. Vgl. auch Lacans und Žižeks Donoughtmetapher. Vgl. auch ca. 10 Jahre vor Cassirer Ferdinand de Saussure: „Psychologisch betrachtet ist unser Denken, wenn wir von seinem Ausdruck durch die Worte absehen, nur eine gestaltlose und unbestimmte Masse. Philosophen und Sprachforscher waren immer darüber einig, daß ohne die Hilfe der Zeichen wir außerstande wären, zwei Vorstellungen dauernd und klar auseinander zu halten. Das Denken, für sich allein genommen, ist wie eine Nebelwolke, in der nichts notwendigerweise begrenzt ist.“ Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft herausgegeben v. Charles Bally und Albert Sechehaye, Berlin: de Gruyter 1967, S. 133. 61 Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. Levana oder Erziehlehre. Politische Schriften, herausgegeben von Norbert Miller, in: Jean Paul. Sämtliche Werke Abteilung I Bd. 5, München: Carl Hanser 1963, §22, S. 88.

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Wie Jean Paul fasziniert auch Hegel das Phänomen der Unendlichkeit. Er nennt die Figur, die das Spannungsverhältnis zwischen „abstraktem“ und „konkretem Allgemeinen“ bezeichnet, unendliches Urteil. Das unendliche Urteil wird in diesem Exkurs zum Symbolbegriff kurz erwähnt, weil es später in der Lesart von Žižek die Gelenkstelle zwischen der Zwingenden Theorie (vgl. Kapitel II, 2.3) und der Zeichentheorie von Peirce bildet. Die Lehre vom Urteil gehört ebenso wie die Lehre vom Begriff und vom Schluss zu den klassischen Feldern der Logik. Der Terminus „Begriff“ wird bei Hegel oft synonym mit der „schlechten Unendlichkeit“ verwendet: „[…] so ist ihr Wesen [das Wesen der Unendlichkeit, A.P.] selbst nichts anders, als das unvermittelte Gegenteil seiner selbst zu sein; [...] Dieses reelle Entgegengesetzte ist auf einer Seite das mannigfaltige Sein oder die Endlichkeit und ihr gegenüber die Unendlichkeit als Negation der Vielheit und positiv als reine Einheit; und der absolute Begriff auf diese Weise konstituiert gibt in dieser Einheit dasjenige, was reine Vernunft genannt worden ist.“62

Das „schlechte Unendliche“ bezieht sich auf die räumlichen Vorstellungen eines „immer weiter.“ Ein sozusagen „aktuell Unendliches“ ist ein vom Bewusstsein immer schon – hier taucht das Theorem des „immer schon“ erneut auf – erreichtes. Die Einbildungskraft ist bestrebt, sich ins Unendliche auszudehnen, der Verstand hingegen strebt danach, unter Begriffe zu subsumieren, bekommt so aber die Totalität nicht in den Blick und neigt dazu, in einer unendlichen Subsumptions- oder Reihungsfolge Begriff an Begriff zu hängen. Der Verstand schafft die Begriffe und reiht sie unendlich aneinander, während die reine Vernunft versucht, diese Reihung in ihrer Absolutheit zu fassen zu. Hier liegen Kant und Hegel nicht weit auseinander: „Der Verstand ist mit der Erschaffung von Begriffen und Reihen von Begriffen beschäftigt, und deshalb bekommt er, wie Kant bemerkt, niemals deren Totalität in den Blick.“63 Diese Totalität wird bei Kant erst aus der Perspektive der Vernunft sichtbar. Wie dieser Standpunkt eingenommen werden kann, ohne damit aber ein transzendentales Subjekt als Agent vorauszusetzen ist die zentrale Frage der politischen Theorie Žižeks und der vorliegenden Arbeit. Die Argumentation wird unten zeigen, dass das Theorem der politischen Einbildungskraft gerade durch das Attribut „politisch“ über den 62 Georg W. F. Hegel NR, S. 124f. Hier handelt es sich um eine frühe Schrift Hegels. Auf eine Einteilung seiner Texte in Perioden o.ä. wird in vorliegender Studie verzichtet. Wichtig ist, die Argumentation nachzuzeichnen. 63 Alenka Zupanþiþ: Das Reale einer Illusion. Kant und Lacan, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 85. Die Autorin bezieht sich auf Kant, KrV B671, A643.

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Begriff der Einbildungskraft des Deutschen Idealismus hinausgeht. Mit dem Attribut „politisch“ kehrt Žižek die transzendentale Einbildungskraft um: Die politische Einbildungskraft hat die Macht, den Bezug zu jedem Kontext zu zerreißen. Sie steht als politisches Vermögen zwischen Rationalität und Erfahrung. Diese Spannung zwischen Rationalität und Nicht-Rationalität lässt sich auch bei politischen Entscheidungen beobachten: Politische Entscheidungen müssen einer Regel folgen und gleichzeitig diese Regel überhaupt erst (er)finden, um den je besonderen und situationsabhängigen Bedingungen gerecht zu werden. Entscheidungen werden heute zunehmend als frei verhandelbarer Gegenstand erfahren. Das „Erfinden“ meint nach Žižek hingegen immer eine gewisse Übertretung. Die Übertretung markiert einen Abgrund, der sich durch die politische Einbildungskraft eröffnet. Die Totalität kann zwar nicht erfasst werden, wir müssen aber an den Ort gelangen, an dem wir für genau diese Form des Status quos (= Totalität) gerade mit und durch unsere Einbildung(skraft), Phantasie oder Illusionen mitverantwortlich sind. Übernimmt bei Kant die Vermittlung zwischen Verstand und Vernunft – d.h., ein Allgemeines wird zum Besonderen und umgekehrt geführt – die Urteilskraft, so können bei Hegel Verstand und Vernunft nur scheinbar so klar voneinander getrennt werden. Der Verstand richtet sich, wie Hegel in der Enzyklopädie schreibt, auf das, was schon vorher bekannt war, Prädikate, die nicht das Wahre ausdrücken, sondern äußerliche Reflexion über den Gegenstand sind. Die Bestimmungen (Prädikate) sind in der Vorstellung fertig und werden dem Gegenstand nur äußerlich beigelegt: „Dahingegen muß die wahrhafte Erkenntnis eines Gegenstandes von der Art sein, daß derselbe sich aus sich selbst bestimmt und seine Prädikate nicht äußerlich enthält. Verfährt man nun in der Weise des Prädizierens, so hat der Geist dabei das Gefühl der Unerschöpflichkeit durch solche Prädikate. Die Orientalen nennen demnach auf diesem Standpunkt ganz richtig Gott den Vielnamigen, den Unendlichenamigen. Das Gemüt befriedigt sich in keiner jener endlichen Bestimmungen, und die orientalische Erkenntnis besteht demnach in einem rastlosen Aufsuchen solcher Prädikate.“64

Der Verstand ist endlich und erkennt somit auch nur endliche Dinge. Vernunftgegenstände können durch solche Prädikate nicht bestimmt werden. Lässt man einmal das Orientbild Hegels beiseite, ist das Bestreben des unendlichen Aufschubs der Mangel der alten Metaphysik. Unten wird sich zeigen, dass einige Theorien des Politischen versuchen, die Prädikate leer zu halten, was analog zum schlechten unendlichen Urteil 64 Hegel EPW, §28, S. 96.

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zu einer Art rastlosem Aufschub führt. Das Unendliche ist v.a. ein zentraler Begriff von Hegels Seinslogik.65 Hier unterscheidet Hegel dann konkret das Unendliche der Vernunft vom Unendlichen des Verstandes. Letzteres setzt er zunächst mit der schlechten Unendlichkeit gleich.66 Der Unterschied zwischen Endlichem und Unendlichen liegt für Hegel in dem Doppelsinn, den beide haben: „Das Endliche hat den Doppelsinn, erstens nur das Endliche gegen das Unendliche zu sein, das ihm gegenübersteht, und zweitens das Endliche und das ihm gegenüberstehende Unendliche zugleich zu sein. Auch das Unendliche hat den Doppelsinn, eines jener beiden Momente zu sein – so ist es das SchlechtUnendliche – und das Unendliche zu sein, in welchem jene beiden, es selbst und sein Anderes, nur Momente sind. Wie also das Unendliche in der Tat vorhanden ist, ist [einerseits,] der Prozeß zu sein, in welchem es sich herabsetzt, nur eine seiner Bestimmungen, dem Endlichen gegenüber und damit selbst nur eines der Endlichen zu sein, und [andererseits,] diesen Unterschied seiner von sich selbst zur Affirmation seiner aufzuheben und durch diese Vermittlung als wahrhaft Unendliches zu sein.“67

Der Widerspruch besteht nun darin, dass der Verstand abwechselnd die Bestimmung hat, die entgegengesetzten Momente zu trennen und zur Einheit zu bringen, ohne das Ganze in seiner Wirklichkeit zu fassen bekommt. Fasst man diese beiden Bestimmungen zusammen, kann somit eigentlich auch nicht von Einheit der Differenz gesprochen werden. Hegel selbst spricht von der Idealität – an anderer Stelle auch von Identität oder der Einheit der Differenten68 beider „als in welcher sie in ihrem Unterschiede, als gegenseitige Negationen, nur Moment sind; jene eintönige Abwechslung ist faktisch sowohl die Negation der Einheit als der Trennung derselben. [...] so ist die affirmative Wahrheit diese sich in sich bewegende Einheit, das Zusammenfassen beider Gedanken, ihre Unendlichkeit.“69 Diese Idealität steht für eine spekulative Identität und nicht für eine unmittelbare Identität wie sie in der Einheit des Begriffes durch das sozusagen schlechte unendliche Urteil gegeben ist. Kommen wir nun zum enigmatischen unendlichen Urteil. Kann das Unendliche als der dritte Wert des Urteils verstanden werden? Der Schluss würde also das Unendliche als Vermittlung des Endlichen oder Einzelnen mit dem Absoluten oder Unendlichem im Bereich des Endlichen meinen. Eine Bestimmung des unendlichen Urteils findet sich in Hegels Enzy65 66 67 68 69

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Vgl. zum Begriff des Unendlichen Hegel WL I, S. 149-172. Ebd., S. 149. Ebd., S. 163. Hegel NR, S. 127. Hegel WL I, S. 168 und für diese Bewegung als Identität auch S. 165.

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klopädie in der Lehre vom Begriff dann auch nicht in den Paragraphen zum Urteil oder zum Schluss, sondern im Paragraphen zur Idee. Die Idee wird als Vernunft bestimmt: „Die verschiedenen Weisen, die Idee aufzufassen, als Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Identität und der Differenz und so fort, sind mehr oder weniger formell, indem sie irgendeine Stufe des bestimmten Begriffs bezeichnen. Nur der Begriff selbst ist frei und das wahrhaft Allgemeine; in der Idee ist daher seine Bestimmtheit ebenso nur er selbst, – eine Objektivität, in welche er als das Allgemeine sich fortsetzt und in der er nur seine eigene, die totale Bestimmtheit hat. Die Idee ist das unendliche Urteil, dessen Seiten jede die selbständige Totalität und eben dadurch, daß jede sich dazu vollendet, in die andere ebensosehr übergegangen ist.“70

Der dialektische Übergang als Entwicklung vom positiven zum negativen und schließlich zum unendlichen Urteil, der in der Begriffslogik entfaltet wird, kann hier nicht extra diskutiert werden.71 Das unendliche Urteil der Seinslogik und auch der Phänomenologie des Geistes ist die Bewegung der Selbstaufhebung der endlichen Bestimmung und nicht etwas jenseits oder über den Widersprüchen des Endlichen Liegendes. Aus dieser Perspektive ist die Vernunft der Verstand abzüglich der Illusion oder Einbildungskraft, es gäbe noch etwas jenseits des Verstandes.72 So wird z.B. der Hegel’sche Monarch durch eine zufällige Logik der Erblichkeit bestimmt (partikuläres Moment) und „ist“ dennoch in seiner Präsenz die Aktualisierung des Staates als vernünftiger Totalität, durch welche der Staat zu seinem Dasein gelangt. Dieses paradoxe Zusammenfallen von einem undialektischen Element mit einer vernünftigen Totalität beschreibt Hegel mit seiner berühmtesten Formel: „der Geist ist ein Knochen.“73 Entscheidend ist hierbei weniger die Frage danach, wie der besondere Inhalt in den Prozess der vernünftigen Totalität vermittelt wird, sondern die Abhängigkeit der begrifflichen Notwendigkeit von diesem kontingenten Überschuss. Identität wird als Koinzidenz von Gegensätzen konstituiert. Das Symbolische an dieser Koinzidenz kann auf zweifache Weise gelesen werden: Zum einen als rein formeller Punkt, der in einer nichtbegründeten Autorität liegt. Zwischen dem vernünftigen Ganzen (Verfassung des Staates) und der Person, welche die Macht verkörpert, klafft ein irreduzibler Abgrund. Der Monarch ist der „reine“ Signifikant ohne 70 71 72 73

Hegel EPW, S. 372. Hegel WL II, S. 311-326. Vgl. zu dieser Interpretation des unendlichen Urteils S. Žižek TS, S. 118ff. Hegel PhG, S. 259ff. Diese Lesart stützt sich auf S. Žižek NW, S. 98.

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Signifikat, dessen Autorität allein auf seinem Namen beruht. Zum anderen ist der Monarch, als der Eine, die Ausnahme. Es handelt sich um die Unterscheidung zwischen Autorität und symbolischer Autorität. Der Monarch ist der Überschuss, seine Autorität erhält er performativ durch Annahme eines symbolischen Mandates. Und dieser Überschuss meint, im Unterschied zur ersten Lesart, einen Überschuss des Signifikats über den Signifikanten.74 Es entsteht also eine Spannung zwischen zwei Symbolbegriffen oder symbolischen Strukturen: Einerseits das Symbol/Symbolische als rein formeller Punkt und andererseits ein Symbol/symbolischer Prozess mit einem Überschuss an Bedeutung. Denkt man von hier aus an eine der Ausgangsfragen der Arbeit, ob – unter der Voraussetzung, das Gebiet der Metaphysik verlassen zu haben – Differenz ursprünglicher als Identität sei, ergibt sich eine eigenartige Verschränkung von Differenz und Identität: Manfred Frank zeigt, dass die Metaphysik einem Teilchen – dem Zentrum – des Systems oder außerhalb des Systems zugesteht, unmittelbar mit sich vertraut zu sein. Da es aber kein Zeichen (oder Teilchen) geben kann, das sich selbst unmittelbar gegenwärtig wäre, müsse immer von der Differenz ausgegangen werden.75 Hegel hingegen würde nach Frank die Differenz in der wiederhergestellten einfachen Einheit des sich selbst gegenwärtigen Geistes aufheben. Ein Zeichen erhält seinen Sinn nur dadurch, dass es sich von allen anderen Zeichen unterscheidet. Aber mit Hegel konnte gezeigt werden, dass es sich über den Umweg einer Illusion erst als eben diesen Prozess erkennen kann – und somit Differenz und Identität zugleich gegeben wären: Ein Prozess, der später für die Konzeption der politischen Einbildungskraft zentral wird. Der beschriebene Widerspruch ist das Prinzip der Bewegung. Reale Prozesse entstehen durch Widersprüche. „[...] so wäre der Widerspruch für das Tiefere und Wesenhaftere zu nehmen. Denn die Identität ihm gegenüber ist nur die Bestimmung des einfachen Unmittelbaren, des toten Seins; er aber ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit. Nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit.“76 Hegel zeigt, dass logisch nicht widersprüchliche Formulierungen sich bei näherer Betrachtung als widersprüchlich in sich zeigen können.77 Mit diesem Wi74 Hier bezieht sich Žižek auf die Terminologie Saussures. Saussure schreibt: „Ich schlage also vor, daß man das Wort Zeichen beibehält für das Ganze, und Vorstellung bzw. Lautbild durch Bezeichnetes und Bezeichnung (Bezeichnendes) ersetzt;“ F. Saussure: Grundfragen, S. 78f. 75 Vgl. Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 95f. 76 Hegel WL Bd. II, S. 75. 77 Vgl. zu der schwierigen Differenzierung zwischen dialektischem und logischem Widerspruch G. Göhler: Die Reduktion der Dialektik durch Marx.

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derspruchs-Postulat – der gleichzeitigen, aber wesensverschiedenen Differenz und Identität – ist es auch nicht verwunderlich, dass es immer zwei Lesarten des unendlichen Urteils geben kann. Auf der einen Seite die Einheit der Differenten, die Hegel auch die Indifferenz nennt, auf der anderen Seite die Einheit der Indifferenz und des Verhältnisses. Dies erinnert stark an Luhmann, dessen Symbolbegriff wiederum ebenfalls unmittelbar auf die Romantiker zurückgeht. Das belegt allein schon seine Berufung auf Novalis – und damit gleich einem Paukenschlag – an prononcierter Stelle: „Symbole sind Mystifikationen.“78 Aber selbstverständlich vollzieht sich dieser Bezug auf Symbole aus einer Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung: „Die Wiederkehr des Symbolischen in der Romantik beschwört nicht mehr Gott – das Thema Gott ist inzwischen das Thema Religion geworden; beschwört wird die (unerreichbare) Einheit, und damit wird der Symbolgebrauch selbst-destruktiv. Symbol wäre demnach eine Bezeichnung für eine Formenkombination, die nur über ihre eigenen Unterscheidungen verfügt und damit auf etwas referiert, was sie nicht bezeichnen kann. Was man zu symbolisieren versucht, ist letztlich also das re-entry der Form in die Form. Daher ist das Symbol nicht nur ein Zeichen für das Ausgeschlossene, sondern ein Zeichen für die Unbezeichenbarkeit des Ausgeschlossenen bei größter Freiheit der internen Formenwahl. Und so stünde Symbol wieder, wenn auch in ganz anderem Kontext, für die Beobachtung der unbeobachtbaren Welt.“79

Die Romantiker reflektieren die Unmöglichkeit der Einheit und gleichzeitig beschwören sie diese unerreichbare Einheit über das Symbol. EinStrukturveränderungen der dialektischen Entwicklung in der Kritik der politischen Ökonomie, Stuttgart: Klett-Cotta 1980, S. 38ff: „Der dialektische Widerspruch gehört der Realität an und führt zu Aussagen, die beide wahr sein können; [...] der logische Widerspruch dagegen bezieht sich nicht auf die Realität und auf reale Gegensätze;“ Logikbasierte Begriffsmodelle sind zeitlos, doch die Begriffe der Menschen ändern sich. Daher insistiert Peirce darauf, dass Begriffe wachsen. Intelligente Systeme müssen dynamisch komplex und selbstreferentiell aufgebaut sein. 78 Novalis, so zitiert in: Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 189. Vgl. auch N. Luhmann: „Zeichen als Form“, in: Probleme der Form. Herausgegeben. und eingeleitet von Dirk Baecker, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 66f: „,Symbole sind Mystifikationen‘, hieß es ermutigend bei Novalis. In einer intellektuell verunsicherten Zeit mag es sich daher empfehlen (oder jedenfalls gut anhören), wenn man von Symbolen, symbolischen Formen usw. spricht.“ Nur, gab es jemals – außer vielleicht für die analytische Philosophie oder die Systemtheorie– intellektuell sichere Zeiten? 79 N. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999, S. 288.

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heit ist unerreichbar, Einheit ist unmöglich und dennoch wird sich auf eine Idee von Einheit bezogen, ja sie wird eben förmlich beschworen. Auch bei Luhmann scheinen zwei Interpretationen des Symbols möglich: „Der Begriff des Symbols sollte nicht mit dem des Zeichens verwechselt werden – es sei denn man meine: Zeichen einer Paradoxie. Er (der Begriff!) bezeichnet, seiner Herkunft nach, die Einheit einer Unterscheidung, die Zusammengehörigkeit von Getrennten (zunächst: von Gastgeber und Gast).“80 Zum einen reflektiert Luhmann das Symbol im Sinne Goethes und der Romantiker als ein sichselbstpräsentes Etwas (also kein Zeichen), und zum anderen entwirft er einen Symbolbegriff, der als Begriff ein spezielles Zeichen zu meinen scheint. „Symbolisches hat es immer mit der Einheit einer Differenz zu tun. [...] Symbol ist danach ein Zeichen, das die Zeichenfunktion reflektiert, das sich an die Stelle der Paradoxie setzt, das sie operationsfähig macht.“81 Das Symbol unterscheidet sich dadurch von anderen Zeichen, dass es eben jene allen Zeichen zugrundeliegende Paradoxie verschleiert oder überdeckt. Gleichzeitig kann es auch selbst Zeichen sein, dann nämlich, wenn es dieses Verschleiern offen reflektiert. Das offene Reflektieren ginge dann aber möglicherweise auf Kosten einer erneuten Anschlussfähigkeit weiterer Operationen und so lautet die Option, die Symbolisierung könne das Sichtbarmachen durch Unsichtbarmachen leisten. In „Die Kunst der Gesellschaft“ unterscheidet Luhmann die ursprüngliche Verwendungsweise des „symbolon“ von einer Kunst, die sich als Zeichen versteht und als dritte Option von Kunst, die Formenkombinationen ausprobiere. Es findet also eine Art Evolution vom Symbol über das Zeichen zur Form statt. So schreibt er über symbolische Kunst: „Wenn der Begriff des Symbols in diesem Sinne verstanden wird (etwa als Symbol einer Gastfreundschaft oder als Symbol der Zugehörigkeit zu einem geheimnisvollen Kult, ist das Symbol diese Einheit oder es bewirkt sie durch die ihm eigene Suggestivkraft.“82 Das Symbol bewirkt hier – ähnlich wie bei Goethes erstem Symbolbegriff – die Einheit der Differenz scheinbar aus sich selbst heraus – es ist, wie die Zeichentheoretiker es nennen würden, intransitiv bzw. motiviert. Es handelt sich um eine Kunst – und denkbar wäre hier durchaus eine Übertragung auf Politik –, vor ihrer Ausdifferenzierung, die für ihre Zusammenhänge einen höheren Sinn sucht bzw. über die Kunstwerke

80 N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 189. 81 N. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 287. 82 Ebd., S. 273.

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versucht, Unzugängliches im Zugänglichen zu vergegenwärtigen.83 Demgegenüber besteht die Einheit der Differenz nach Luhmanns (konstruktivistischem) Zeichenverständnis – also dem Begriff des Symbols – aus der Differenz von zugänglich und unzugänglich. „Mit dem Symbol wird das Unzugängliche im Zugänglichen markiert, es handelt sich also um eine Form des re-entry einer Unterscheidung in das Unterschiedene.“84 Das „re-entry“ rückt somit auch sehr stark in die Nähe des Hegel’schen unendlichen Urteils. Zum Zeichen wird die Kunst in der marktgestützten Phase ihrer Ausdifferenzierung. Referenz ist dann nicht mehr etwas Übersinnliches, sondern z.B. die Gemeinsamkeit des Künstlers und des Kunstkenners.85 Das „re-entry“ ist eine Art Wiedereintritt des Unterschiedenen in die Unterscheidung, und ist also nur in der Zeit möglich. Platons Tonscherbe würde in der Hand des Gastes in dieser Lesart für Gastfreundschaft als Differenz von Gast und Gastgeber stehen, und nicht mehr für die Idee der Gastfreundschaft. Die Unterscheidung von etwas wird in sich selbst wiederholt. Das Zeichen präsentiert somit die Einheit einer wiedereintrittsfähigen Differenz.86 Gleichzeitig verschleiert es, dass die Einheit nicht in der Tonscherbe vorhanden sein kann und „jeder Versuch, die Einheit der Unterschiedenheit als das Ganze zu symbolisieren, setzt sich der diabolischen Beobachtung aus [...]“87 – wie Hegels schlechte Unendlichkeit. Also können scheinbar auch Zeichen der Verschleierung dienen. Wird die Gemeinsamkeit des Künstlers mit dem Kunstliebhaber, oder die Gemeinsamkeit des Gastes mit dem Gastgeber selbst als Kommunikation ausdifferenziert, findet in den Formenkombinationen eine Verbindung von Fremd- und Selbstreferenz statt. Es ist also das Verhältnis von Selbst- und Fremdreferenz, das bestimmt, wann eine Beobachtung primär symbolisch, zeichenhaft oder formkombiniert ist. Wie kann nun die Unterscheidung – um eine Differenz scheint es sich nur für den ersten Symbolbegriff zu handeln – zwischen Symbol, Zeichen und Form genauer gefasst werden? Die Frage lässt schon erahnen, warum in diesem Exkurs zum Symbolbegriff der Bezug auf Luhmann wichtig ist. Zwei Gründe stechen besonders hervor: Zum einen demonstriert gerade die noch darzustellende Unentschiedenheit Luh83 Für die Politik wäre z.B. an eine politische Gemeinschaft (polis) vor ihrer Ausdifferenzierung in diverse Funktionssysteme oder an eine Staatsreligion zu denken. 84 Ebd., S. 273. 85 Vgl. ebd., S. 272. 86 Vgl. N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 189f. Vgl. hierzu auch den Eintrag „Symbol“ im Luhmann-Lexikon, vgl. Detlef Krause: Luhmann-Lexikon, Stuttgart: Lucius & Lucius 2001, S. 206f. 87 N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 193.

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manns, das Symbol explizit vom Zeichen zu unterscheiden bzw. deutlich zu machen, um welche Art von Zeichen es sich beim Symbol handelt, die Folgen derartiger Vagheit: Unterkomplexität und Ungenauigkeit jeder darauf aufbauenden weiteren Analyse. Zum anderen zeigen seine Ausführungen über den mystifizierenden Charakter von Symbolen, die eben durch Paradoxieverschleierungen gerade auch zu Machtmedien werden können, den großen Gewinn einer elaborierten Symboltheorie für die Politikwissenschaft und die in dieser Arbeit aufgeworfenen Fragen. Ein Zeichen macht etwas erkennbar, was an sich unbeobachtbar ist, ohne dabei auf eine Referenz außerhalb seiner selbst zurückgreifen zu können.88 Ein Zeichen konstituiert nach Luhmann überhaupt erst die Differenz von Bezeichnendem und Bezeichnetem, und so unterzieht er das Zeichen einer Formanalyse – besteht eine Form nach George Spencer-Brown doch immer aus einer Zwei-Seitenform – , um diese Paradoxie entfalten zu können.89 Die Form wird also nicht, wie noch für die Kunst beschrieben, über das Symbol und das Zeichen gesetzt, sondern sie dient Luhmann zur näheren Bestimmung des Zeichenbegriffs selbst. Das Zeichen wird als Form behandelt. Es gibt also weder Symbole „an sich“, noch Zeichen „an sich“, sondern es gibt Zeichen nur als Formen im operativen Gebrauch innerhalb eines sie verwendenden Systems. Zeichen konstituieren die Systemreferenz selbst. Luhmann bezieht nun den Begriff der Form auf eine vorausgesetzte Unterscheidung. Wird die Unterscheidung von dem durch sie Unterschiedenen unterschieden, ist sie eine Form. Die Unterscheidung tritt somit an die Stelle der Paradoxie und macht sie dadurch zugleich unsichtbar. Das Zeichen bezeichnet die Form der Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem. Zur Bezeichnung der Zwei-Seiten-Form braucht man drei Begriffe: Bezeichnendes, Bezeichnetes und Zeichen. Daher denkt Luhmann, er verfüge über ein dreiwertiges Modell, kann diese Dreistelligkeit aber nicht durchgängig einhalten. Lesen wir doch immerhin auf ein und derselben Seite: „Ein Zeichen ist die Differenz von Zeichen und Bezeichnetem (so wie: ein System ist die Differenz von System und Umwelt; eine Unterscheidung ist die Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung).“90 Hier bleibt nur noch das Zeichen und das Bezeichnete, das Be-

88 Vgl. N. Luhmann: Zeichen als Form, S. 45. 89 Vgl. ebd., S. 48. 90 Ebd., S. 49.

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zeichnende fällt weg.91 An anderer Stelle wird das Symbol dann wieder im Sinne des Zeichens definiert: „Ein Symbol wäre danach eine Selbstbezeichnung des Zeichens. Symbolische Zeichen sind demnach nicht nur Wegweiser, die auf etwas anderes hinweisen. Sie sind nicht nur Träger einer bezeichnenden Referenz, also nicht nur Materialisation des Bezeichnenden, sondern sie enthalten zugleich einen Hinweis auf die eigene Funktion, auf den Einheit erst stiftenden Sinn des Zeichens.“92

Hier besitzt das Symbol dann doch referentielle Aspekte und es bleibt unklar, warum ein Wegweiser überhaupt ein Symbol sein soll. Zum hier v.a. interessierenden Zusammenhang von Macht und Symbolen schreibt Luhmann: „Die Macht muß ständig in Formen gebracht, muß ständig gezeigt werden; sonst findet sie niemanden, der an sie glaubt und ihr von sich aus, Machteinsatz antizipierend, Rechnung trägt. [...] Das Sichtbarmachen von Macht kann mehr symbolische oder mehr instrumentelle Wege nehmen. Im Regelfalle sind beide Formen notwendig. Die reine Symbolisierung erzeugt leicht den Eindruck, es handele sich um bloßen Schein, und verführt dazu, die Macht durch Provokation zu testen. Ein bloß instrumenteller Gebrauch von Macht führt zur Frage nach der ‚Legitimation‘ des Machthabers.“93

Symbolisiert wird das verborgene Paradox, die Zweiseitigkeit der Form, die stets nur mit der bezeichneten Seite in Operation tritt. Bei der Symbolisierung handelte es sich nach Luhmann auch um das Festlegen von Kausalplänen und deren Durchsetzung – auch gegen Widerstand.94 Diese Symbolbestimmung unterscheidet sich aber wiederum nicht von Luhmanns Zeichenbegriff. Unterscheidet Luhmann nun Macht von Autorität und symbolischer Autorität? „Autorität lebt von einer derart diffusen Motivlage, sie verträgt keine allzu scharfe Beleuchtung. In Organisationen kann sie daher auf bloße Zuständigkeit (authority) reduziert werden, die darauf beruht, daß der Gesamtprozeß der Unsicherheitsabsorption arbeitsteilig aufgeteilt ist, so daß niemand die Kom-

91 Vgl. zur Semiotikrezeption Luhmanns: Werner Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie und Charles S. Peirces Zeichentheorie. Zur Konstruktion eines Zeichensystems, Tübingen: Niemeyer 2004, S. 109-148. 92 N. Luhmann: Zeichen als Form, S. 67. 93 N. Luhmann: Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 32f. 94 Ebd., S. 36.

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petenz hat, die Kompetenz anderer in Frage zu stellen – es sei denn auf Grund von hierarchisch übergeordneten Positionen.“95

Gesucht wird in vorliegender Arbeit gerade auch nach einer Bestimmung dieser diffusen symbolischen Autorität, neben Macht und „authority“. Gesucht wird also eine symbolische Autorität, die über das bloße Zuständigsein der Autorität (Luhmanns authority) hinausgeht – aber dennoch nicht reine Macht darstellt.96 Hier könnte es lohnenswert sein, eine Entfaltung der Unterscheidung von Hierarchie und Heterarchie vorzunehmen. Luhmann schreibt: „Eine heterarchische Ordnung kann die Komplexitätsschranken überschreiten, die einer transitiv strukturierten Hierarchie [...] gezogen sind, – ob mit oder ohne Ordnungsverluste bliebe zu diskutieren.“97 Genau diesem Aspekt geht aber eine äußerst wichtige Frage voraus: Kann heterarchische, und somit intransitive oder symbolische Autorität überhaupt noch wirksam sein? Wo ist sie zu finden, und wie funktioniert sie? Die in der Unternehmenssoziologie und in deren Folge bei den Medien so beliebten flachen Hierarchien bedeuten ja gerade nicht, dass Unternehmen fortan heterarchisch aufgebaut seien. Es gibt eben lediglich weniger Hierarchiestufen. Luhmann verortet Autorität innerhalb einer „pyramidalen Struktur der Hierarchie.“98 Wäre es nicht wichtig, an dieser Stelle den Unterschied zwischen der Suggestivkraft und der oben beschriebenen notwendigen Illusion bzw. Fiktion als Paradoxieverschleierung zu entfalten? Handelte es sich bei der Suggestivkraft nur um Manipulation/Täuschung, während die Paradoxieverschleierung auf einem ‚Willen-zu-glauben‘, beruht? Kann die Suggestivkraft, also der romantische Symbolbegriff, einfach so verworfen wer-

95 Ebd., S. 42. 96 Zu erinnern sei hier an Max Webers Machtdefinition: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen: Mohr 1972, S. 28. 97 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 4, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999, S. 43. 98 N. Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, S. 43. Vgl. hierzu auch N. Luhmann: Macht, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1988, S. 75f. Dort heißt es: „Autorität bildet sich auf Grund einer Chancendifferenzierung durch vorheriges Handeln. Wenn einflußnehmende Kommunikationen aus welchen Gründen auch immer Erfolg gehabt haben, konsolidieren sich Erwartungen, die diese Wahrscheinlichkeit verstärken, die erneute Versuche erleichtern und Ablehnungen erschweren. [...] Umgekehrt bedarf Autorität zunächst keiner Rechtfertigung. Sie beruht, wenn man so will, auf Tradition, braucht sich aber nicht auf Tradition zu berufen.“

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den, obwohl sie empirisch gesehen sehr wohl wirksam ist? Hier wird erneut die Bedeutung der Einbildungskraft eine Rolle spielen. Müsste man nicht – wie es Luhmann in „Gesellschaft und Semantik“ selbst vorschlägt – unorthodox vorgehen und diese empirischen Tatsachenbehauptungen für die Theorieentwicklung ausbeuten?99 An anderer Stelle bezieht sich Luhmann dann auch auf eben jenes Phänomen: „Offenbar ist die Autorität des Wissenden für den Lehrer unentbehrlich, sie wird gleichsam durch Nachfrage konstituiert, wie immer er sich verhält und wie immer er schmerzlich erfahren muß, daß die Wissenschaft diese Autorität gar nicht deckt. Er muß so tun als ob.“100 Es gibt auch bei Luhmann immer wieder den Versuch, das Unbeobachtbare, das Mysteriöse, das Diabolische etc. als Referenzbereich in die Theorie zu integrieren. Das Paradox hat die Form des re-entry; aber die Auflösung oder Entfaltung des Paradoxen erfordert nach Luhmann einen imaginären Raum, und dieser imaginäre Raum tritt an die Stelle des klassischen Apriori der Transzendentalphilosophie.101 Leider ist von Luhmann darüber hinaus aber nicht viel über diesen imaginären Raum zu erfahren. Kann das Imaginäre mit dem Imaginären in der Psychoanalyse verglichen werden? Das Imaginäre ist also nur ein anderes Wort für das sich entziehende Jenseits meiner selbst, von dem aus ich mich überschauen könnte.102 Eine Suche, die seit der Antike sämtliche hier viel zu knapp vorgestellten Symboltheorien gemeinsam haben. Wir stoßen abermals auf die philosophische Grundfrage des gleichzeitigen Setzens und Voraussetzens der Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung oder Beo99 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur Bd. 4, S. 38, Anm. 18. 100 N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 630f. Für Luhmann ist es dann die funktionale Differenzierung, die zu einem „Autoritätsverfall“ führt, da potentielle Autoritätspersonen nur noch für ihren je eigenen Code zuständig sind: „[...] Autorität, die auch politisch, auch erzieherisch nutzbar war; und davon kann heute immer weniger die Rede sein. Im Vergleich zu jeder Wissenskonzeption, die privilegierten Zugang zu Welt und damit soziale Autorität im Wissen und Können in Anspruch nimmt, macht der Konstruktivismus es sich leicht. Er läßt davon ab. In einer Gesellschaft, die dafür geeignete Positionen nicht mehr ausweisen kann (weder für den Adel, noch für den Monarchen, weder für die Städter, noch für die Männer), gewinnt der Konstruktivismus als dann noch mögliche Reflexion des Wissens an Plausibilität. [...] Selbst die Religion, selbst die Politik muß das erfahren. Und selbst Habermas!“ N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 633f. Interessanterweise sind es derzeit aber nur die Religion und die psychoanalytische Theorie, die sich durch diese Erfahrung nicht einschüchtern lassen: Rein reflexives Wissen ist mit Religion strikt inkompatibel. 101 Ebd., S. 716. 102 Vgl. hierzu auch Günter Schulte: Der blinke Fleck in Luhmanns Systemtheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 148.

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bachtung. Und diese Bedingung der Möglichkeit kann als Ort des Politischen gelesen werden. Wenn Manfred Frank schreibt, dass es sich bei Systemen um ein „Zusammenbestehen vieler unter der Einheit einer zentralen Hinsichtnahme“103 handelt, so wäre die eine zentrale Hinsichtnahme im Falle der Systemtheorie die Unterscheidung der Unterscheidung, bzw. der jeweilige Code der Unterscheidung. Mit Hegel wäre die eine Hinsichtnahme eventuell die Ausnahme bzw. der leere Punkt und ergäbe daher eine zweideutige und somit interpretationsbedürftige Betrachtungsweise. Genau hieran lassen sich später sowohl die psychoanalytische Theorie als auch die Zeichentheorie anschließen. Dort wird es dann, wie sich im Folgenden noch zeigen wird, besonders wichtig sein, danach zu fragen, ob dieser Ausnahmepunkt mit Bedeutung gefüllt werden kann. Nach Goux besteht die Funktion von Symbolen darin, eine Invariante trotz Variationen zu produzieren bzw. dasselbe im anderen wieder zu erkennen – ohne dabei dieses Selbe fixieren oder bestimmen zu können.104 Der Versuch, diese Invariante zu erkennen oder zu erfinden führt dann entweder zu einem Überschussgehalt von Symbolen, oder produziert einen Rest. Gibt es eine Art Eigenwert von Symbolen oder Symbolsystemen, und wie kann diese, will man nicht von einem transzendentalen Apriori ausgehen, gedacht werden? Der Symbolbegriff ist also systematisch zweideutig; er pendelt zwischen Bewegen und Fixieren bzw. zwischen Affirmation und Widerstand. In totalitären Staaten war das Symbol gerade aufgrund dieser Mehrdeutigkeit politisch verdächtig. Neu ist allerdings die Frage, ob die subversive Kraft von Symbolen heute überhaupt noch etwas zu treffen vermag. „Bewegen und Fixieren“ dient als Leitmotiv vorliegender Arbeit und der einzelnen Kapitel.105 Es geht darum, wie raum-zeitlich fixierte Ereignisse, also Ereignisse, die mit ihrem Entstehen sofort wieder vergehen, auf Dauer gestellt werden können. Das Fixieren von einander 103 M. Frank: Was ist Neostrukturalismus, S. 96. 104 Vgl. Jean-Joseph Goux: Freud, Marx, Ökonomie und Symbolik. Frankfurt am Main, Berlin: Ullstein 1975, S. 23. 105 Ein kurzer etymologischer Exkurs macht dies deutlich: Stasis ist ein vom Verb histemi abgeleitetes Nomen. Stasis kann als Stillstand gefasst werden, histemi bedeutet auch aufstellen, zum Stehen bringen, anhalten. Ein Synonym ist paradoxerweise kinesis, die Bewegung (Rühren, Erschüttern). Kinesis stasimos als Bewegung im Stillstand. Platon protestiert in seinem IV. Buch vom Staat gegen die Auffassung, Gegensätze könnten koinzidieren, sowie gegen die Gleichsetzung von histanai (stillstehen) mit kineisthai (sich bewegen). Die beste Synopse zu dieser Begriffsgenese findet sich bei Nicole Loraux: „Das Band der Teilung“, in: Joseph Vogl (Hg.), Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 41.

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widersprechenden Begriffen im Symbol und das Beweglichhalten dieser Fixierungen – möglicherweise als das Politische – zeigen eine gewisse Homologie symbolischer und politischer Prozesse. Im Theoriebildungsprozess existiert eine Spannung zwischen zwei Vermögen: Eine Kraft ist bestrebt, sich förmlich ins Unendliche zu bewegen, eine andere ist bestrebt, Begriffe oder Bedeutungen zu fixieren. Das Politische könnte dasjenige Vermögen sein, das zwischen unendlicher Ausdehnung und Fixierung pendelt. Aufgrund der enormen Spannung zwischen Ausdehnung und Begriff tritt das Politische als Vermittlung und Bewältigung auf. War die Ermächtigung erfolgreich, ist das Politische zu Politik geronnen. Hierbei fällt auf, dass es sich beim Symbol und, wie noch zu zeigen sein wird, beim Politischen, um eine paradoxe Struktur handelt. Von hier aus könnten zwei Hauptlinien, politische Prozesse zu beobachten, abzweigen: Erstens, eine dialektische Bewegung, die sich vor allem für die Frage interessiert, wie Fixierungen zustande kommen und durchgesetzt werden können. Diese Linie kann als Theorie der Politik bezeichnet werden. Eine Theorie des Politischen könnte dann zweitens solche Prozesse nachzeichnen, die Fixiertes in Bewegung bringen. Ausgehend von Rousseaus traditioneller radikaldemokratischer Variante, wird daran anschließend untersucht, wie Theorien des Politischen mit diesen Antinomien umgehen. Es muss etwas Drittes zwischen Politik und Politischem geben, um diesen Widerstreit nicht zugunsten einer Seite erstarren zu lassen. Der Antagonismus soll und kann nicht aufgelöst werden. Er soll nicht aus dem Grund bestehen bleiben, um es allen Parteien, Positionen und Standpunkten recht zu machen, um sozusagen eine gemeinsame Grundlage zu finden. Das dritte, nach dem hier gefahndet wird, zeigt überhaupt erst, dass es unvereinbare Positionen geben kann, weil – wie vor allem mit der Zeichentheorie von Peirce ersichtlich werden wird – unsere Realitätserfahrung selbst strikt antinomisch strukturiert ist. Gleichzeitig muss die Tatsache, dass sich Theorien der Politik durch Negieren der Theorien des Politischen definieren – und umgekehrt – überwunden werden. Symbole könnten gerade zwischen Prozessen der Gleichsetzung und Ersetzung vermitteln und gleichzeitig die Unvermittelbarkeit latent halten. So lassen sich Subjekte von anderen Subjekten politisch vertreten bzw. repräsentieren. Noch mit Beginn des neuzeitlichen Subjektverständnisses wurde diese Spannung nicht in das Subjekt selbst getragen, sondern auf die Beziehungen, die das Subjekt eingeht, verlegt. Was dabei unberücksichtigt blieb war die Tatsache, dass sich Subjekte erst durch diese Beziehungen (Sprache, der große Andere etc.) konstituieren. Daher sind auch Symbol- und Subjektbegriff zwingend miteinander verbunden. Es kann hier noch einmal pointierter danach gefragt werden, 45

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welchen Gewinn es erbringt, sich dem Politikbegriff bzw. den Arten, über Politik und das Politische zu reflektieren, über einen Symbolbegriff bzw. eine Symboltheorie zu nähern? Das Motiv der Zwei(deutigkeit) ist nur darstellbar/repräsentierbar, wenn es eine Drei gibt. Es muss gezeigt werden, wie ein dyadisch fixierter Erfahrungsraum geöffnet werden kann. Dafür ist eine Figur des Dritten zu konzipieren, die weder nur das Bewegen noch nur das Fixieren bevorzugt. Ein Beispiel aus der Kunst soll das demonstrieren: Der Künstler Georg Baselitz sagte einmal über westliche Kunst, dass sie dazu neige, sich immer neu zu erfinden. Bewegung wird aufgehoben bzw. dient nur noch dazu, das immer Gleiche in Bewegung zu bringen, um es in pluralistischen Varianten wieder „neu“, im Sinne eines regelrechten Innovationsmantras, zu fixieren. Es gibt also verschiedene Fixierungsebenen und verschiedene Bewegungsrichtungen. Es besteht immer auch die Möglichkeit von Degeneration. Afrikanische Kunst hingegen zeichnet sich nach Baselitz durch ein immer genaueres und näheres Bestimmenwollen ihres Gegenstandes aus.106 Beides könnte aus der Sicht von Hegel als ein unechtes oder schlechtes unendliches Urteil bezeichnet werden. Überträgt man das Beispiel auf die politische Theorie und ihren vermeintlichen Gegenstand, bliebe die Frage, wie hier symbolische Prozesse beschrieben werden können, die quer zu diesen Bewegungen und Fixierungen lägen und tatsächlich in der Lage wären, Veränderungen auszulösen. Die Zeichentheorie von Peirce kennt dies als Unterscheidung zwischen Relationenlogik und Logik der Repräsentation; in einem Zeichenprozess kommen beide Aspekte sozusagen verschränkt vor und könnten als Ebenen zusammengedacht werden, gerade weil sie nicht vermittelt oder versöhnt werden können. Deswegen ist die Zeichentheorie – was noch genauer zu erläutern ist – auch keine differenzlogische, sondern eine relationenlogische Theorie. Sie geht weder von Identität noch von Differenz aus. Es ist aber auch nicht die Einheit der Differenz, die innerhalb der Zeichentheorie das Anfangsparadox markiert. Ich werde darauf zurückkommen. Die symboltheoretische Frage nach der Vermittlung und damit auch der Bindekraft der zur Disposition gestellten Elemente umschließt sowohl den Raumfaktor – Raum als Grenzziehung zwischen einem Innen und einem Außen –, als auch den Zeitfaktor als Prozess ständiger Erneuerung und ständigem Neuerlebens von z.B. Staat, sozialem Gefüge und 106 Vgl. Baselitz im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks in: Welt am Sonntag, 8.6.2003 http://www.wams.de/data/2003/06/08/114274.html?pry=10 vom 6.11.2006. Eine Aufhebung dieser beiden Pole, bei – wie mir scheint – gleichzeitigem Beibehalten der polaren Spannung, stellen dann möglicherweise die Skulpturen von Erwin Wurm dar.

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Individuum. Die Frage nach der Vermittlung geht somit der politikwissenschaftlichen Frage nach Integration voraus. Der Begriff der Integration geht bereits von der Intentionalität der Vermittlung – nach der in einem ersten Schritt allererst gefragt werden soll – aus. Die hier beschriebenen Symboltheorien versuchen, eine dualistische Verbindung – sei es zwischen Anschauung und Begriff, zwischen Zeichen und Bezeichnetem, physischer und geistiger Welt, zwischen Individuum und Gesellschaft oder Gesellschaft und Staat – darzustellen (Antike, Kant, Goethe) oder aufzuheben (Ricœur, Cassirer, Hegel, Luhmann). Im Symbol vollzieht sich der Übergang oder die Vermittlung. Allen hier vorgestellten Symboltheorien fehlt – so die These dieses Exkurses – eine Schnittstelle, die den Übergang zu beschreiben vermag. Wer ist der Agent oder Akteur dieses Übergangs? Das Problem der angeführten Symbolbegriffe ist also auch direkt mit der Frage nach dem Subjekt, das diesen Unterschied erkennen können muss, verbunden. Ist das Subjekt ein Erkenntnissubjekt? Symbole vermitteln zwischen dem Symbolbenutzer und dem Objekt seiner Handlung, der Symbolgebrauch impliziert den Versuch, auf das Außen einzuwirken oder gar über die Umwelt zu herrschen. Zeichen- bzw. Symbolgebrauch beeinflussen das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer; sie dienen dem Versuch der Selbst- oder Fremdbeherrschung. Welche Rolle bekommt das Individuum im Staat oder der Gesellschaft zugesprochen? Wie zählt es dazu, wie findet es seinen Platz? Wenn die symbolische Ordnung nicht mehr wirksam genug ist, müssen sich die Subjekte ihre Grenzen selbst erfinden – geht genau damit symbolische Autorität verloren? Im Folgenden werden diese beiden sich hier herausgebildeten Symbolbegriffe bzw. Symbolverständnisse – der Versuch Einheit zu stiften oder beobachtbar zu machen, sowie der Versuch, auf die Differenz in der Einheit hinzuweisen – auf den Politikbegriff angewendet. Die Wiederholung der scheinbar immer gleichen Motive lässt sich an einem Luhmannzitat pointiert zusammenfassen: „Im übrigen liegt ein Grund für Wiederholungen in der Schwierigkeit, den Text ‚auf die Reihe zu bringen‘. Der Gedankengang ist zu komplex für eine lineare Präsentation, wie die Schrift sie verlangt. Wiederholungen sowie rekursive Rückund Vorgriffe ermöglichen es, einer nichtlinearen Theoriearchitektur Rechnung zu tragen.“107

107 N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 10.

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Einheitskonstrukte – Differenztheorien

1. Einheitskonstrukte – Verlust des Politischen Lehrbuchartig wird Politik häufig als Verfahren bezeichnet, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen. Diese Definition geht davon aus, dass Politik etwas wäre, das ein Kollektiv zu einer Einheit, zumindest hinsichtlich relevanter Entscheidungen, binden könnte. Sie lässt allerdings offen, von welchem Phänomen sie dabei ausgeht bzw. ob die Bindung nicht gerade erst durch Abgrenzung von etwas hergestellt werden soll. Es handelt sich hier um eine Art symbiotische Beziehung zwischen dem Wissen der Theorie und der Politik als Praxis. Politische Einheit – zumindest ihrer Form nach – soll auf Dauer gestellt werden und dadurch Herrschaft stabilisieren. Die verschiedenen Techniken und Methoden tendieren zum Statischen. Veränderungen sind nur möglich, sofern sie den Status quo nicht gefährden. Theorien der Politik präsentieren sich zumeist als Beratertheorien und benötigen daher, um erfolgreich zu sein, selbst ein gewisses Maß an symbolischer Autorität. Theoretische Beratung auf dem Feld der Politik blickt bekanntlich auf eine lange Tradition zurück: In der Antike als Beraterin für die beste polis, wobei Reichtum dem hierarchisch gegliederten Gemeinschaftskörper die nötige Bindung verlieh; bei Augustinus konkurrierten der „corpus Christi“ als „civitas Dei“ mit der „civitas terrena“; im Mittelalter gab es die Fürstenspiegel, die den Fürsten an seine Tugenden erinnerten, also normativ der Frage nachgingen, wie ein Ort des Gemeinsamen entstehen kann, und wie dieser politische Körper aus der bloßen Vielheit seiner Glieder eine Gemeinschaftlichkeit, den einen Körper, zusammenfügen könne. Die Legitimitätskriterien lagen dabei im Mittelalter in einer Sphäre außerhalb der Gesellschaft, wie z.B. dem Religiösen. Zu Beginn der Neuzeit versuchte Hobbes, die Legitimität seines politischen 49

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Körpers, dem Leviathan, von der Religion weg, hin zu fiktiven anthropologisch-„natürlichen“ Bedingungen zu verschieben. Da hier kein chronologisch geordneter ideengeschichtlicher Exkurs vorgeführt wird, sondern die Aporien, also Ausweglosigkeiten, einer Theorie der Politik, können diese Aporien an Hobbes’ Auseinandersetzung mit dem „corpus politicum“ auf besonders anschauliche Weise verdeutlicht werden. Es geht um die Aporie einer Theorie, die Einheit entweder voraussetzt, oder als zu erfüllende Norm vorweg konstruiert. Nicht zuletzt orientiert sich ja auch und gerade die aktuelle poststrukturalistische Theoriedebatte stets an diesen, in der Sache selbst liegenden, Widersprüchen. Es geht also darum, mittels einer kurzen Hobbesinterpretation, zu zeigen, dass Einheitskonstrukte immer schon irgendwie auf Differenz basieren. Gleichzeitig wird aber auch gezeigt, dass dennoch nicht auf den Versuch einer Einheitsbildung verzichtet werden kann. Genau diese Ausweglosigkeit soll anhand von Hobbes und später in genau umgekehrter Weise an Rousseau exemplarisch aufgezeigt werden. Dieser fokussiert das Politische als Differenzphänomen, jener hat Politik als Einheitskonstrukt im Blick. Die Denkbewegungen dieser beiden Grundwidersprüche aus der Ideengeschichte sind für heutige avancierte Theorien noch immer aktuell. Anthropologische Überlegungen ließen Hobbes zwischen dem natürlichen Recht, d.h. „seine eigene Macht nach seinem Willen zur Erhaltung seiner eigenen Natur [...] einzusetzen [...]“ und dem Gesetz der Natur, d.h. „eine[r] von der Vernunft ermittelte Vorschrift [...]“, unterscheiden.1 Der „Naturzustand“ wiederum als Zustand des Kriegs eines jeden gegen jeden steht für den Widerspruch dieser beiden Positionen. Diese Figur der Einheit zweier heterogener Elemente tauchte bereits oben als eine Grundbestimmung des Symbols auf. Der Naturzustand steht für das Spannungsverhältnis zwischen natürlichem Recht und Gesetz der Natur. Scheint mit der Figur des „Naturzustandes“ aber wirklich eine symbolische Dimension auf, die sich gerade zwischen dem Natürlichen (Naturrecht) und dem Sozialen (Gesetz der Natur) befindet, oder ist es eine Figur, die schon in sich auf paradoxe Art gespalten ist? Diese Frage kann hobbesimmanent nicht beantwortet werden. Jeder Hobbesinterpret muss sich entweder selbst für eine Variante entscheiden, oder versuchen, die Spannung in der Interpretation irgendwie aufrecht zu halten: Das Problem ist dann bereits seine Lösung. Genauso verhält es sich mit der Frage, wo das Politische bei Hobbes zu finden ist. Steckt das Politische bei Hobbes ausschließlich im Souverän selbst, wie Agamben in seiner Hob1

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Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 99.

EINHEITSKONSTRUKTE – DIFFERENZTHEORIEN

bes-Interpretation zeigt: als das exzessive Mischwesen, der Menschenwolf bzw. der homo homini lupus?2 Da es sich beim Naturzustand ja nicht um eine konkretisierbare historische Epoche handelt,3 stellt sich die Frage, ob der homo homini lupus nicht eine künstliche dritte Figur darstellt? Vielleicht ist er aber vielmehr die paradoxal verfasste Schnittstelle zwischen natürlichem Recht und Gesetz der Natur und kann als Rest nicht integriert werden? Markiert der Naturzustand die Unhintergehbarkeit der Spannung zwischen Natur und Gesetz, oder synthetisiert er die Spannung? Die Unbegründbarkeit des Staates liegt darin, dass stets einer als Schiedsrichter im Zustand des Naturrechts bleibt, denn nur so können die anderen ihre Rechte aufeinander übertragen. „Im reinen Naturzustand, wo alle Menschen gleich sind [...], kann eine solche Zwangsgewalt unmöglich angenommen werden. [...] In einem bürgerlichen Staat aber, wo eine Gewalt zu dem Zweck errichtet wurde, diejenigen zu zwingen, die andernfalls ihre Treuepflicht verletzen würden [...], ist derjenige, welcher auf Grund des Vertrags vorzuleisten hat, dazu verpflichtet.“4

Aber ohne die rechtmäßige „Erlaubnis“ dieses Staates können die Menschen wiederum keinen neuen Vertrag untereinander schließen.5 Es muss immer schon ein dritter vorausgesetzt werden. Hobbes ist den ganzen „Leviathan“ hindurch auf der Suche nach einer Perspektive, von der aus mehr gesehen werden kann. Am überzeugendsten gelingt das dem Religionskritiker Hobbes ironischerweise gerade dann, wenn er zur Veranschaulichung aus der Bibel zitiert. Im Naturzustand muss es einen geben, der im Naturrecht verharrt, der gegen das Gesetz der Natur verstößt, um erst von da aus – hier assoziiert man zwangsläufig Luhmanns Theorem – die Beobachter beobachten zu können. So bezieht sich Hobbes auf Gen. 2,11, wo das Gebot lautet, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, aber gleichzeitig Erkenntnis nur möglich ist, wenn gegen das Verbot verstoßen wird.6 Eigentlich ist durch den Akt auch keine neue Erkenntnis hinzugekommen, sondern der Maßstab, mit dem eine Situation beobachtet wurde, hat sich geändert. Vorher und nachher sind die Menschen nackt, nur wird die Nacktheit 2 3

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Vgl. Giorgio Agamben: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S. 115. Hobbes selbst schreibt im Leviathan: „Aber obwohl es niemals eine Zeit gegeben hat, in der sich einzelne Menschen im Zustand des gegenseitigen Krieges befanden [...].“ Vgl. T. Hobbes: Leviathan, S. 97. Ebd., S. 105. Ebd., S. 136. Ebd., S. 161.

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danach anders – schamhaft – bewertet. Das „Werten“ wird überhaupt erst durch diese Übertretung möglich. Die Übertretung markiert einen Nicht-Ort oder Zwischenraum, der sich durch die, freilich bei Hobbes so noch nicht vorhandene, politische Einbildungskraft eröffnet. Die politische Einbildungskraft, nach der in vorliegender Studie gefahndet wird, ist die Bedingung der Möglichkeit dieser Übertretung. Sie kann bei Hobbes nur im Moment der Staatsgründung selbst als Maßstab für „gut“ vs. „böse“ aufscheinen, und verschwindet mit der Gründung sofort wieder. Die völlige Übertragung aller Rechte auf die anderen und das dem Souverän überlassene Recht verdrängen das Politische, und erhalten es zugleich in der Figur des Souveräns: „Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt: Ich autorisiere diesen Menschen [...]. Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinte Menge Staat [...]. Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan [...].“ Und: „So wurde es allein ihm überlassen – nicht übertragen –, und zwar so vollständig, wie es im reinen Zustand der Natur und des Kriegs eines jeden gegen seinen Nachbarn bestand (von den ihm durch das natürliche Gesetz gezogenen Grenzen abgesehen).“7

Der hier beschriebene Naturzustand lebt also in der Figur des Souveräns weiter. Der Untertan überlässt dem Souverän sein Leben, wie es im Naturzustand war. Das Politische markiert somit nicht nur die Gründungsparadoxie, sondern auch den Ort, von dem aus Veränderung möglich wäre. Das Naturrecht wird gleichzeitig in die Person des Souveräns verschoben. Nach Vertragsschluss bliebe den Bürgern nur mehr die Verwaltung der festgeschriebenen Positionen und die Wahrung des Status quos. Veränderung wäre, zumindest bis zum nächsten Generationenwechsel, unmöglich. Das Mischwesen – halb Wolf, halb Mensch – als mythischer Zwischenraum, markiert die Kluft zwischen Natur und Sozialem, zwischen dem Innen und Außen des Staates. Nach außen – also im Verhältnis zu anderen Staaten – lebt der Souverän gemäß dem Naturzustand.8 Nach innen bewahrt der Souverän sein Naturrecht.9 Die Untertanen haben dem Staat das Recht nicht gegeben, sondern dadurch, dass sie ihm das Recht überlassen, erkennen sie seine unumschränkte Macht oder 7 8

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Ebd., S. 134 und S. 237. „[...] da Völkerrecht und Gesetz der Natur dasselbe sind. Und jeder Souverän besitzt das gleiche Recht, seinem Volk Sicherheit zu verschaffen, das jedem einzelnen Menschen zur Verfügung steht, um für die Sicherheit seines eigenen Körpers zu sorgen.“ Ebd., S. 269. Schiedsrichter im zwischenstaatlichen Bereich kann dann nach Hobbes nur noch Gott sein. Vgl. ebd., S. 237.

EINHEITSKONSTRUKTE – DIFFERENZTHEORIEN

Autorität an. Diese Unterscheidung zwischen Überlassen – eigentlich müsste man sagen: sie lassen ihn gewähren – und Geben ist für die Frage nach Macht und symbolischer Autorität äußerst wichtig. Eine „schöne Seele“, die ihr Recht überlässt und nicht gibt, wird sich, wie unten nach und nach gezeigt wird, als unpolitisch erweisen. Reine Autorität oder Macht wird überlassen, symbolische Autorität braucht demgegenüber einen Überschuss. Agamben sieht den Grund für die Existenz des Leviathans weder im Vertrag noch in der freiwilligen Überlassung. Für ihn kann der Leviathan nur bestehen, weil der Souverän sein Naturrecht bewahrt.10 Das symbolische Moment, die merkwürdige Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem, scheint auch in diesen widerstreitenden Hobbesinterpretationen auf. Der Vertrag selbst könnte dann wiederum symbolisch als Einheit aus Unfreiheit und Freiheit verstanden werden. Es gibt etwas in Hobbes Text, das sich seinem Nominalismus widersetzt und den Text überdeterminiert. Gerade dieser symbolische Aspekt macht ihn auch heute noch interessant. Der Naturzustand stellt sich also nicht zwischen die Differenz von Recht und Gesetz bzw. erschafft dieses „Zwischen-zwei“11 allererst, sondern er wird in das Innere des Staates – der Souverän ist der Wolfsmann12 – geholt und somit eingeebnet. Untereinander dürfen die Untertanen der Gewalt gegen die eigene Person Widerstand leisten. Im Konfliktfall befindet sich der Untertan dann auch im Staat wiederum im Naturzustand.13 Recht und Gesetz werden im Staat ununterscheidbar. Die Spannung von Recht und Gesetz verliert ihren symbolischen Status: „Jeder sieht auch, daß Gesetze die Regeln für gerecht und ungerecht sind, da nichts als ungerecht angesehen werden kann, das nicht einem

10 G. Agamben: Homo Sacer, S. 116. 11 Die Figur des „zwischen-zwei“ entlehne ich von Alenka Zupanþiþ; vgl. A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 15f. Zupanþiþs „zwischen-zwei“ meint etwas anderes als das „l’entre-deux“ von Gilles Deleuze: Das „zwischen-zwei“ markiert die Kluft im Einen, das auf einer sekundären Ebene eine zwei aufscheinen lässt, während das „l’entre-deux“ die primordiale Dualität einer Differenz meint. Vgl. Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino , Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 233f. 12 In diesem Kontext könnte Adornos Formulierung, das moralische Subjekt solle wie ein gutes Tier verfasst sein, neu gelesen werden. Der Exzess des Subjekts – der Widerspruch zwischen Moral und Gesellschaft – kann nicht verdrängt werden. Er taucht, und das lehrt dann die psychoanalytische Theorie, sonst in immer noch exzessiverer Weise an anderer Stelle wieder auf. Vgl. Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. In: Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 294. 13 Vgl. G. Agamben: Homo sacer, S. 116.

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Gesetz widerspricht.“14 Der Souverän ist den bürgerlichen Gesetzen nicht unterworfen, vielmehr ist dieser künstliche Mensch der alleinige Gesetzgeber, der zum Schutze und für die Sicherheit der Untertanen das Recht zu Strafen bekommt. Hobbes vermag aber den Gedanken des künstlichen oder symbolischen Menschen aufgrund einer fehlenden Subjekttheorie nicht zu denken. Der neuzeitliche Drang zur Subjekttheorie zeichnet sich allerdings durch die zwingende innere Widersprüchlichkeit seiner Konstruktion des Souveräns bereits ab. Die Menge wird zu einer Person gemacht, und es ist „die Einheit des Vertreters, nicht die Einheit der Vertretenen, die bewirkt, daß eine Person entsteht. Und es ist der Vertreter, der die Person, und zwar nur eine Person, verkörpert – anders kann Einheit bei einer Menge nicht verstanden werden.“15 Aber diese Einheit kann eben – wie wir im Symbolexkurs nicht erst seit Luhmann wissen – nur als symbolische Einheit entwickelt werden. Im Abschnitt zu den Differenztheorien wird mit Rousseau dann genau umgekehrt gezeigt, wie die Einheit der Vertretenen ohne Vertreter gedacht werden kann. Aus Sicht des Hobbesschen Souveräns muss nun alles getan werden, um die politische Einbildungskraft der Untertanen latent zu halten. Die Kluft, der Rest, den Hobbes nach Vertragsschluss den Untertanen gestattet, ist der so genannte Innerlichkeitsvorbehalt: Eine Option zur inneren Migration, zum geheimen Dissidententum, ein „Zwischen“ im Inneren der Menschen, wo sie glauben, was sie wollen und zweifeln dürfen, so lange das „Zwischen“ nicht in Gehorsamsverweigerung mündet.16 Hobbes hat also möglicherweise eine Ahnung davon, dass sein nominalistisches Prinzip einen nichtintegrierbaren Rest bzw. einen Exzess birgt, der nie gänzlich verdrängt werden kann. Ihm geht es letztendlich um die Frage, wie dieser Rest im Staat zu verschleiern wäre. Seine Definition dessen, was eine Person ausmacht, mutet beinahe schon postmodern an, obwohl sie sich auf die Lateinische persona bezieht, die „[…] eine Verkleidung oder die äußere Erscheinung eines Menschen bedeutet, der auf der Bühne dargestellt wird, und manchmal auch in einem engeren Sinn den Teil, der das Gesicht verkleidet, wie eine Maske oder ein

14 T. Hobbes: Leviathan, S. 204. Oder auch: „Denn Recht ist Freiheit, nämlich die Freiheit, die das bürgerliche Gesetz uns läßt; das bürgerliche Gesetz aber ist eine Verpflichtung und nimmt uns die Freiheit, die uns das natürliche Gesetz verlieh.“ Ebd., S. 221. – Hier definiert Hobbes dann das natürliche Gesetz ähnlich wie das natürliche Recht: „Die Natur gab jedermann das Recht, sich durch seine eigene Kraft zu schützen und einen verdächtigen Nachbarn durch Zuvorkommen anzugreifen [...].“ Ebd., S. 221. 15 Ebd., S. 126. 16 Ebd., S. 219.

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Visier.“17 Hobbes sieht die Gefahr des Aufruhrs, die den Staat weit mehr gefährden könnte als ein, wie auch immer praktizierter, innerer Glaube. Kann somit der Innerlichkeitsvorbehalt – entgegen den berühmten Vorbehalten von Carl Schmitt – nicht auch gerade als ein Mittel verstanden werden, das die Wirksamkeit von Ideologie garantiert? Žižek sieht Ideologie als Illusion einer Offenheit, die eine ihr zugrunde liegende Struktur leugnet oder unsichtbar macht. Gerade wenn ein Bewusstsein aufrechterhalten werden kann, das uns sagt, es gebe noch etwas hinter der ideologischen Identifikation, wirkt die Ideologie am stärksten. Der Glaube an die Wahrheit des Gesichtes hinter Maske oder Visier hält die Ideologie aufrecht. Die Form der Ideologie zeigt, dass nicht alles Ideologie ist, und genau dieser Aspekt macht ihre praktische Effizienz aus. Ideologie braucht die Referenz auf einen transideologischen Kern.18 Das erfolgreiche Funktionieren einer Ideologie braucht ein Minimum an Distanz – ein ‚Wortwörtlich-Nehmen könnte‘ daher selbst subversive Kraft ausüben. Möglicherweise ist es somit gerade der Innerlichkeitsvorbehalt, der ein Erwachen der politischen Einbildungskraft verhindert. Antagonismen sollen aufgelöst oder verschleiert werden. Es wird gar nicht erst nach dem Rahmen, innerhalb dessen ein Problem überhaupt erst zu einem Problem wird, gefragt. So besteht die Gefahr, die politische Einheit nicht mehr als symbolische Einheit aufzufassen, sondern als Traum von einem harmonischen Volkskörper oder einem Maschinenkörper, während der „Rest“, der „Überschuss“ als Fremdkörper geradezu verdinglicht wird.19 Das strukturelle gesellschaftliche Ungleichgewicht muss dann mit einem äußeren „Rest“/„Exzess“ begründet werden, der den Antagonismus erst in den Gesellschaftskörper hineinbringen würde. Die Nationalsozialisten versuchten zu suggerieren, dass der Kapitalismus diesen Fremdkörper – das in der Gestalt „des Juden“ personifizierte „raffende Kapital“ – nur zu eliminieren bräuchte, um im Ergebnis einen Kapitalismus bar jeglicher Exzesse zu erreichen. Marx, Lenin oder Rosa Luxemburg hingegen wollten den Exzess des Kapitalismus beibehalten bzw. sich so weit steigern lassen, bis eine neue Gesellschafts-

17 Ebd., S. 123. Interessanterweise bedeutete das Altgriechische ʌȡȩıȦʌȠȞ umgekehrt dazu das Gesicht. 18 Vgl. Slavoj Žižek: Die Pest der Phantasmen. Die Effizienz des Phantasmatischen in den neuen Medien. Wien: Passagen 1997, S. 45. 19 Eine popularmediale Interpretation der Weltgesellschaft als Maschinenkörper findet sich z.B. in dem Film Matrix: Die Untertanen spenden (unwissentlich) ihre Körperwärme der allumfassenden Matrix, die eben jene Körper manipuliert, kontrolliert und die politische Einbildungskraft in Schach hält.

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ordnung unvermeidbar würde.20 Der Staatskommunismus der Vorwende träumte wiederum von einer maximalen Warenproduktion jenseits jeglicher Exzesse. Liest man politische Einbildungskraft vorerst relativ unterminologisch als diesen Exzess, der irgendwie zwar subjektiv, dennoch aber vom Subjekt nicht kontrollierbar ist, kann Politik als Versuch, den Exzess zu verhindern, zu verschleiern oder irgendwie zu steuern, betrachtet werden. Die Theorie der Politik teilt sich nun in zwei Bereiche: Der erste Bereich umfasst Techniken, wie Gesellschaft zur Einheit gebracht wird bzw. wie, wenn – z.B. mit Aristoteles und Thomas von Aquin – von einem a priori politischen bzw. gemeinschaftlichen Menschenbild ausgegangen wird, die Einheit erst durch ihre Teile sichtbar wird. Der Hobbes’sche Mensch ist aus Sicht des Souveräns nur dann politisch, wenn die Distanz des harmlosen Innerlichkeitsvorbehalt verloren geht: Dieser Verlust wäre politisch. Hier lässt sich der Unterschied zwischen Aristoteles und Hobbes erkennen. Aristoteles geht von einem gemeinschaftlichen zoon politikon aus, wobei die Einheit nicht zur Eindeutigkeit erstarren darf. Zum anderen geht es der Theorie der Politik in den heutigen ausdifferenzierten Gesellschaften darum, wie es zu einer Bindung und Organisation der Teile/Systeme/Differenzen der Gesellschaft kommen kann. Um diese symbolische Einheit herzustellen, muss das politische System etwas hervorbringen, das den Wählern verspricht, die Bindung besser herzustellen, als es die anderen Systeme vermögen. Es muss sich z.B. gegen das Rechtssystem, gegen Ethik, gegen Religion etc. behaupten. Wäre Religion das bindende Element, ergäbe es keinen Sinn mehr, von einer politischen Einheit zu sprechen. Es handelt sich dann um ein völliges Aufgehen der Politik in der Religion, um eine Staatsreligion. Soll das politische System diese magnetische Wirkung vollbringen, kann es sich sehr wohl auf der Ebene der Vermittlung oder Inszenierung religiöser Hilfsmittel – im Sinne einer Politisierung der Religion – bedienen. Wie der Magnet, bei dem sich Anbindendes und Trennendes bedingen, schließt Politik mit dem Säkularisierungsversprechen Religion zwar aus, bedient sich ihrer aber zur breiten Durchsetzung ihrer Ziele. Angela Merkels Bundesparteitagsrede in Düsseldorf im Dezember 2004 und ihr Insistieren auf christlichen Werten – sie wolle dem „C“ der Unionsparteien wieder Bedeutung verschaffen, was folglich auch zu einem Leitthema des vorgezogenen Wahlkampfes 2005 wurde – spiegeln diese Option heute ebenso wie die Debatte um eine Zivilreligion wider. Diese 20 Vgl. Slavoj Žižek: „Genieße Deine Nation wie Dich selbst! Der Andere und das Böse – Vom Begehren des ethnischen ‚Dings‘ in: Joseph Vogl (Hg.), Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 133-165, hier S. 146.

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zweite Ebene der Theorie der Politik gibt Verfahren vor, auf die unterschiedlichen Systeme und auf die Subjekte direkt einzuwirken. Die Gesellschaft der westlichen Hemisphäre ist eine kapitalistische Gesellschaft, die auf zunehmende politische Desintegration hinsteuert. Somit ist diese kapitalistische Gesellschaft – und nicht der Kapitalismus an sich oder die Gesellschaft an sich – das Moment, das eine politische symbolische Einheit verhindert. Manche Systeme erkennen das, und so ist es nur folgerichtig, wenn sich Theologen wie Papst Benedikt XVI., als Exponenten des Systems katholische Kirche, auf die Seite der Globalisierungsgegner schlagen. Allerdings favorisieren sie eine andere, eine nichtpolitische Alternative. Entgegen dieser religiösen Pointe wird hier nach einem anderen Politischen gefahndet werden. Das eigene Gegenteil des Politischen soll also nicht die Religion, sondern ein noch genauer zu entfaltendes anderes Politisches sein. Heute wird die Hobbes’sche Gründungsparadoxie von der Theorie der Politik mitreflektiert. Theorien der Politik sehen ihren Gegenstandsbereich zumeist im Regeln von Politikformen – z.B. Gesundheitspolitik, Umweltpolitik, Erinnerungspolitik, Minderheitenpolitik etc. – und schlagen Problemlösungen vor, wobei das, was jeweils als Problem gilt, häufig direkt aus der Meinungsforschung abgeleitet wird. Problem darf dabei überhaupt nur etwas sein, von dem absehbar ist, dass es auch gelöst werden kann. In der Aversion gegen postmoderne oder poststrukturalistische Theorien zeigt sich innerhalb der Theorien der Politik noch immer die Illusion, man bräuchte sich nur dieser hybriden, exzessiven Theorien zu entledigen und zurück zu alten oder hin zu neuen Werten finden. So ist es dann die Theorie des Politischen, die darauf insistiert, dass der Antagonismus nicht aufgelöst werden kann. Das Politische darf nicht definiert oder verdinglicht werden. Der zweite Strang der Theorie der Politik ist heute v.a. unter der Bezeichnung Theorie der Symbolischen Politik bekannt: Der Rest/Exzess weist also noch auf eine unterhalb oder jenseits von Legalität und Legitimität des Staates anzusiedelnde Ebene hin. Es müssen für die Konstruktion der politischen Einheit auch Glaube, Leidenschaften und Interessen berücksichtigt werden. Die Verfassung, die jeweiligen gesellschaftlich-politischen Kräfte, hängen von Leitbildern, Illusionen oder Projektionsflächen ab. Gerhard Schröder machte während seines Wahlkampfes von 1998 diese Verknüpfung von Verfassungspatriotismus mit Leitbildern und Grundwerten zu einem seiner zentralen Themen. Da er wohl wusste – bzw. dahingehend beraten wurde –, dass ein Verfassungspatriotismus wie ihn v.a. Dolf Sternberger und Jürgen Habermas zur Diskussion stellten, allein nicht als Integrationsressource ausreichen würde, schuf er zudem das Amt des Kulturstaats-

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ministers.21 Einige Politikbeobachter sahen darin einen Akt symbolischer Politik, ja eine pure Wahlkampfstrategie.

1.1 Theorie der Symbolischen Politik Innerhalb der Politikwissenschaft und der über Politik reflektierenden Medien ist seit einigen Jahren das von Ulrich Sarcinelli geprägte Schlagwort „Symbolische Politik“ zum beliebten Untersuchungsgegenstand geworden. Umgangssprachlich wird unter symbolischer Politik meist ein Täuschungsversuch politischer Akteure durch geschickte Inszenierung verstanden. Im Unterschied zur Theorie der Politik geht die Theorie der Symbolischen Politik davon aus, dass der Versuch, eine politische Einheit herzustellen, per se Inszenierung, Täuschung oder gar Lüge sei. Der Untersuchungsgegenstand verschiebt sich also auf die Frage, wie ein politisches System und ganz speziell einzelne Politiker bei ihren Inszenierungen beobachtet und bewertet werden könnten. Mit einem derartigen Untersuchungsgegenstand ginge der so verstandenen symbolischen Politikforschung ihr Gegenstand niemals verloren: Dem Schein- bzw. Symbolhaften werden aktuelle Probleme gegenübergestellt, die angeblich hinter dem Symbolischen verschwinden würden. Da auch aktuelle Probleme stets medial vermittelt werden, kann von da aus wieder erneut auf andere Probleme verwiesen werden. Somit stünde dann auf der einen Seite die Legitimation und Stabilisierung eines politischen Systems durch zweckrationale „Sachpolitik“, auf der anderen Seite irrationale, unreflektierte Überzeugungen in Form von Ideologien, Mythen und Ritualen. Symbole dienten dann dazu, diese Überzeugungen zu strukturieren und zu veranschaulichen. Die elaborierteren unter diesen Theorien diskutieren die Problematik einer genauen Begriffsbestimmung des Symbols. Im Folgenden sollen ausgewählte Theorien zur symbolischen Politik und zu Symbolen in der Politik umrissen werden, um von da aus zu fragen, wo für eine Politiktheorie Forschungslücken bestehen, bzw. welche anderen, möglicherweise konkreteren, Begründungszusammenhänge gefunden werden könnten. Für Thomas Meyer ist symbolische Politik immer ein Akt der Täuschung: „Symbolische Politik ist eine kriegswissenschaftlich erdachte Strategie der Kommunikation gegen die Adressaten. Sie höhlt die poli21 In diesem Sinne argumentierte Gerhard Schröder auf der Veranstaltung des Kulturforums der Sozialdemokratie am 5. Juni 1998 im Berliner Willy-Brandt-Haus. Unter dem Titel „Die Einbeziehung des Anderen. Für eine inklusive Politik“ hatte das „Kulturforum der Sozialdemokratie“ den damaligen Ministerpräsidenten Schröder und den Philosophen Jürgen Habermas zu einer Rede mit anschließender Diskussion eingeladen.

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tische Kultur von innen aus.“22 Symbolische Politik stellt für Meyer einen ideologischen Akt dar, der durch massenmediale Übermittlung – v.a. durch Bilder in den Fernsehnachrichten – zur Inszenierung von Interessen dient. Inszeniert wird nur „trügerische Suggestion.“23 Obwohl symbolische Politik und Schein die zentralen Kategorien seines Konzeptes sind, vermisst man bei ihm den Versuch, näher zu bestimmen, was den Schein zum Schein macht. Nicht zuletzt um zu erkennen, wann der Schein trügt. Es fehlt ein analytischer Symbolbegriff, der z.B. überhaupt erst die Frage aufwirft, auf welcher ontologischen Ebene der Schein aufscheint: Ist er ein Phänomen der Wirklichkeit oder ein Phänomen der Realität, und wie könnten Wirklichkeit und Realität also wiederum unterschieden werden? Der Symbolbegriff bleibt zu sehr an das Alltagsverständnis angelehnt, wo Symbole bzw. das Symbolische zumeist mit Indifferenz – also mit Gleichgültigkeit, Interesselosigkeit – gleichgesetzt werden. Erinnern wir uns an Žižeks Definition von Ideologie, so wäre es hier genau diese Form von Politiktheorie, die eine herrschende Ideologie stützt, weil sie suggeriert, dass es hinter den politischen Inszenierungen eine Wahrheit zu entdecken gibt. Meyer will Maske oder Visier herunterreißen und die wahren Probleme direkt aus dem Gesicht ablesen. Differenzierter, aber ebenfalls dichotomisch angelegt, präsentiert sich das Konzept von Murray Edelman. Er unterscheidet Politik als „Zuschauersport“24 von „politischer Tätigkeit von organisierten Gruppen zur Durchsetzung ganz spezifischer, greifbarere Vorteile.“25 Sein Verdienst ist es, sowohl auf den semiotischen als auch auf den Konstruktcharakter von Realität und Politik hingewiesen zu haben: „Alle Versionen der gegenwärtigen Welt hängen von Interpretationen der Geschichte ab. Eine bestimmte Version als objektiv gültig zu akzeptieren heißt, den Status quo entweder als einzig möglichen oder als moralisch gerechtfertigten zu betrachten, und damit darauf zu verzichten, diese Schlußfolgerungen als herrschende Ideologie zu erkennen.“26

Edelman nennt zwei Idealtypen von Symbolen: zum einen Verweisungssymbole, die es ermöglichen, von jedem Menschen in gleicher Weise identifiziert zu werden, zum anderen Verdichtungssymbole, die Emotionen

22 Thomas Meyer: Die Inszenierung des Scheins. Voraussetzungen und Folgen symbolischer Politik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992, S. 190. 23 Ebd., S. 54. 24 Murray Edelman: Politik als Ritual, Frankfurt am Main, New York: Campus 1990, S. 4. 25 Ebd., S. 4. 26 Ebd., S. XI.

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wecken, die mit einer Situation verknüpft sind.27 Auch wenn Edelman betont, wie wichtig eine politikwissenschaftliche Untersuchung sowohl der „psychischen Bedürfnisse“28 als auch der politischen Wahrnehmung der Rezipienten ist, kommt bei ihm die Frage zu kurz, wie sich diese Symboltypen überhaupt durchsetzen können bzw. wie die Symbole in ihrem Prozess zu entfalten wären. Es fehlt der Machtaspekt. Wichtig scheint mir sein Hinweis darauf, wo sich solche Beobachtungen politischer Wahrnehmungsmuster finden lassen: in den Schöpfungen bestimmter Romanciers und Filmemacher.29 Sarcinelli, der den Begriff „Symbolische Politik“ prägte, führt in sein Konzept drei Funktionen symbolischen Handelns ein. Zwei davon lassen sich durchaus analog zu Edelman lesen, nämlich die regressive und die affektive.30 Erstere meint v.a., Informationen durch Abstraktion zu vereinfachen, zweitere behauptet, dass Symbolische Politik „in hohem Maße gefühlsadressiert“31 sei. Als dritte Funktion symbolischen Handelns führt Sarcinelli die nomische Funktion ein, die nicht nur politische Sachverhalte bezeichnet und Sinn aktualisiert, sondern Strategien entwickelt, um Symbolen „Benennungsmacht“32 zu verleihen. Aus diesen drei Funktionen leitet Sarcinelli dann folgende Schlussfolgerungen ab: Die Beschäftigung mit symbolischer Politik und politischer Kultur solle sich auf die Ebene der Akteursseite der Politikvermittlungsprozesse begeben, und Politikerverhalten und deren kommunikative Slogans stärker ins Visier nehmen. Sarcinelli fügt den gängigen Konzepten zur symbolischen Politik das Moment der „Realitätsvermittlung und Realitäts-

27 Ebd., S. 5. Edelman stellt in dem Vorwort zur Neuausgabe allerdings selbst jene Objektivierbarkeit von Realität bzw. die Referenz auf einen Objektbereich durch das Verweisungssymbol wieder in Frage, wenn er konstatiert: „[...] weil ich bezweifle, daß es überhaupt Verweisungssymbole gibt. Jedes Symbol muß zwangsläufig – für verschiedene Menschen auf unterschiedliche Weise – ein ganzes Spektrum von Ideen, Gefühlen und Ansichten verdichten.“ Ebd., IX. Konstruktivistisch gewendet, ließen sich unschwer Freuds Terme der Verschiebung und Verdichtung erkennen, die Lacan dann in das strukturalistische Konzept von Metonymie und Metapher übersetzt. 28 Ebd., S. 6. 29 Ebd., S. 185. 30 Vgl. Ulrich Sarcinelli: „Symbolische Politik und politische Kultur“, in: Politische Vierteljahresschrift 30 (1989), S. 292-309, hier S. 296. 31 Ebd., S. 296. 32 Diesen Begriff übernimmt Sarcinelli von Pierre Bourdieu. Es geht v.a. darum, innerhalb eines Feldes, in dem ein Kampf um Macht herrscht, Begriffe zu benennen und verbindlich durchzusetzen. Vgl. Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und „Klassen“. Leçon sur la leçon. 2 Vorlesungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 23-24.

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wahrnehmung“33 hinzu, und setzt es in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Symbole sind danach also nicht nur Abbilder einer vorgefundenen Realität, nicht nur Stellvertreter ihrer Gegenstände, sondern drücken die Vorstellung von den Gegenständen aus, sie symbolisieren diese Vorstellung. D.h., sie können sich eine eigene „wirklichkeitsresistente Sphäre“34 schaffen. Genauer zu entfalten wäre dann aber das Paradox dieser Aussage: Wenn sich z.B. das Symbol eine eigene Sphäre schafft, kommt ihr wiederum Wirklichkeit zu. Wenn es etwas gibt, z.B. ganz bestimmte Vorurteile (alle Moslems sind Terroristen), die sich der Wirklichkeit (nur sehr wenige Moslems haben terroristisches Potential) gegenüber als resistent erweisen, dann übernehmen diese Vorurteile eine gewisse Form von Wirklichkeit. Wirklichkeit kommt im Wirklichkeitsvollzug zustande. Eine Theorie – wie z.B. die Zeichentheorie von Peirce –, die Wirklichkeit von Realität unterscheidet, wird sich hier als überaus hilfreich erweisen. Für Sarcinelli sind am Prozess der politischen Kultur vor allem die politischen Eliten als maßgebliche Sinnproduzenten beteiligt. Eine solche Einschätzung greift allerdings zu kurz. Hier müsste eine Theorie angeschlossen werden, die sich stärker auf das – durchaus dialektisch zu konzipierende – Wechselverhältnis von Inszenierung und Rezeption konzentriert und somit prozesshafte Phänomene zu analysieren hilft. Dass nämlich Politik auch sehr häufig durch diese vermeintliche Rezipientenseite determiniert wird, bzw. sich die Rezipientenseite über die Medien ebenfalls inszeniert, zeigt das Beispiel der USA nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001. Mehr als 50% der amerikanischen Bevölkerung sprachen sich für einen sofortigen militärischen Vergeltungsschlag aus, und setzten den Verteidigungsstab von Präsident Bush damit unter erheblichen Handlungsdruck. Oder um in Deutschland zu bleiben: Welchen Handlungsspielraum bei der Beurteilung der Vertrauensfrage hatte der Bundespräsident Köhler 2005 überhaupt noch, wenn sich laut Umfragen 80% der Bevölkerung für Neuwahlen aussprachen? Mit Edelman wäre es die Bevölkerung, die hier symbolische Politik betrieben hat. Einer der wenigen Theoretiker, der die Rezipientenseite in die Untersuchung einbezieht, ist Andreas Dörner. Er geht davon aus, dass über Mythen, Rituale und Symbole eine gewisse Form von politischer Steuerung möglich ist.35 Seine zentrale These lautet, dass Identitäten (massen-) 33 U. Sarcinelli: Symbolische Politik, S. 295. 34 Ebd., S. 296. 35 Vgl. Andreas Dörner: Politischer Mythos und Symbolische Politik. Der Hermannmythos. Zur Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1996, S. 26.

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kommunikativ konstruiert und von medialen Bildwelten bedient werden. Diese Bilder verweisen auf Sinnentwürfe.36 Gerade mit Dörners Betonung der Vorstellungswelt – die er auch das Imaginäre37 nennt – kommt man an der Frage der Zeichenkonstitution und damit der Konstitution von Bedeutung und Sinn sowie deren gesellschaftlicher Codierung nicht vorbei. Symbolische Politik trägt bei Dörner einen Doppelcharakter: Sie dient nicht nur der Instrumentalisierbarkeit spezifischer Interessen, sondern ist notwendiger Bestandteil eines politischen Gemeinwesens: „Es ist nicht nur Ablenkung und Simulation, sondern auch die notwendige Antwort auf den gesellschaftlich vorhandenen Bedarf an symbolischer Orientierung.“38 Somit wäre Politik auf der einen Seite eine Art Instrumentalisierungs-, auf der anderen eine Art Inszenierungsmaschine. In diesem Sinne kann auch das Beispiel der Vertrauensfrage gelesen werden. Es wurden zwar bestimmte Interessen instrumentalisiert, gleichzeitig ist ein mehrheitlicher Bedarf nach Neuwahlen vorhanden, der eben über jenen symbolischen Akt befriedigt werden kann. Etwas unklar bleibt bei Dörner, was unter Sinn verstanden werden könnte, und wie Sinn über Kommunikation und Bilder produziert wird. Wichtig an seinem Ansatz ist die Betonung des Imaginären für die Realitätskonstruktion.39 Zusammenfassend lassen sich die wichtigsten Aspekte von Symbolen folgendermaßen bündeln: Symbole schließen eine Gefühlsebene ein, über Symbole können Informationen verdichtet werden, Komplexität kann mit Symbolen sowohl aufgebaut als auch reduziert werden. So gibt es Symbole, denen gegen Unendlich tendierende Anschlussinterpretationen folgen. Umgekehrt fixieren Symbole durch permanente Wiederholung Gewohnheit und können immer auch in irgendeiner Form als Machtinstrumente konstruiert werden. Sie sind all das nicht an sich, sondern im speziellen Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Aneignungsvollzug. Diesen Konstruktcharakter der Wirklichkeit betonen v.a. Peter L. Berger und Thomas Luckmann in ihrem wissenssoziologischen Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“. Für sie ist entscheidend, dass es unter vielen Wirklichkeiten eine gibt, „die sich als die 36 Ebd., S. 16. 37 Im Laufe der Untersuchung wird sich zeigen, dass Vorstellung und Imaginäres zwei verschiedene Kategorien sind. 38 Ebd., S. 25. 39 In seiner Habilitationsschrift „Politische Kultur und Medienunterhaltung“ verabschiedet er sich vom Konzept symbolischer Politik zugunsten der politischen Kulturforschung. Vgl. Andreas Dörner: Politische Kultur und Medienunterhaltung. Zur Inszenierung politischer Identität in der amerikanischen Film- und Fernsehwelt, Konstanz: UVK, Univ.- Verl. 2000.

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Wirklichkeit par excellence darstellt. Das ist die Wirklichkeit der Alltagswelt.[...] In der Alltagswelt ist die Anspannung des Bewußtseins am stärksten, das heißt, die Alltagswelt installiert sich im Bewußtsein in der massivsten, aufdringlichsten, intensivsten Weise.“40 Die Alltagswirklichkeit wird bei Berger/Luckmann allerdings gerade nicht durch Symbole konstituiert. Symbole stellen vielmehr die Schnittstellen dar, die eine Alltagswelt mit anderen „Welten“, wie z.B. der Religion, der Kunst, der Wissenschaft, verbinden. Auch hier bleibt zu fragen, von wo aus eine solche Beobachtung gemacht werden kann? Berger/Luckmanns Methode ist eine wissenssoziologische, die Grenzen der von ihnen beschriebenen Alltagswelten können in ihrem Konzept nicht überschritten werden (z.B. unbewusste Vorgänge, Produktionsverhältnisse, etc.). Sind die Erwartungen und Vorstellungen bezüglich der Politik andere, als z.B. in der Kunst oder der Ökonomie? Werden Symbole in der Politik anders wahrgenommen als in der so genannten Alltagserfahrung oder auch in der ästhetischen Erfahrung? Kunst oder Politik sind also nicht mit gewissen Eigenschaften besetzt, sondern es werden gewisse Erwartungshaltungen und Vorstellungen mit den jeweiligen Bereichen verknüpft. Entweder bedarf es hier einer Theorie, die den Dualismus der Wissenssoziologie – Trennung zwischen Alltagswelt und anderen, so genannten Sinnwelten –, zu überwinden hilft.41 Oder es müsste gezeigt werden, dass auch und gerade die Alltagswelt eines jeden Individuums durch symbolische Prozesse konstituiert wird, und demonstriert werden, wie diese sich dann von anderen „Sinnwelten“ unterscheidet bzw. ausdifferenziert. Symbole fixieren etwas und schaffen zugleich die Möglichkeit, einen Wandel zu bewirken. Ist das allerdings ein Spezifikum von Symbolen, oder trifft diese Feststellung auf alle Zeichen zu? Worin unterscheiden sich Zeichen und Symbole? Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Hat ein Schlagwort wie das der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ Symbolcharakter bzw. worin läge dieser Symbolgehalt? Hinter der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ steht eine Initiative (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft = INSM), die hauptsächlich im Auftrag des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall arbeitet. Sie versucht durch Marketingkampagnen möglichst breite Teile der Bevölkerung von den Vorteilen einer Marktwirtschaft zu überzeugen. Ziel ist es also, diese Perspektive förm40 Peter L Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt am Main: Fischer 2000, S. 24. 41 Zur Behauptung einer nicht aufrechtzuerhaltenden Trennung von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981.

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lich in die Alltagswelt zu implantieren.42 Symbole, die einen extrem starken Verdichtungsgrad bzw. Verallgemeinerungsgrad aufweisen sollen, können nicht ohne historische bzw. traditionelle Kontexte erfunden werden, sollen sie doch eine Fülle von Assoziationen auslösen. Eric Hobsbawm führt dafür den Begriff der ›erfundenen Tradition‹ ein: „Der Begriff ›erfundene Tradition‹ steht hier für eine Reihe von Praktiken ritueller oder symbolischer Natur, die meist von offen oder stillschweigend anerkannten Regeln bestimmt werden. Sie versuchen bestimmte Werte und Verhaltensnormen durch Wiederholung einzuschärfen, was automatisch eine Kontinuität mit der Vergangenheit beinhaltet. Wenn möglich, versuchen sie eine Kontinuität mit einer brauchbaren geschichtlichen Vergangenheit herzustellen.“43

Der Begriff oder das Konzept „Soziale Marktwirtschaft“ – im Unterschied zur „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ –, und die durch ihn evozierten Vorstellungen, wären demnach ein Symbol der geschichtlichen Vergangenheit. Man assoziiert mit der „Sozialen Marktwirtschaft“ das eingelöste Versprechen eines Wirtschaftswunders und über etwa zwei Jahrzehnte stetig ansteigenden Wohlstand breiter Teile der westdeutschen Bevölkerung. Die „Soziale Marktwirtschaft“ steht aus heutiger Perspektive für die Epoche des Wirtschaftswachstums der 1950er und 1960er Jahre. Wenn dieses Konzept durch das Adjektiv „neu“ ergänzt wird, um damit auch eine neue Einstellung zu gewissen Wertvorstellungen anzustreben, nähern wir uns Hegels schlechtem unendlichen Urteil: Die „Neue Soziale Marktwirtschaft“, repräsentiert v.a. durch eben diese Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), steht gerade für Soziales ohne Soziales: Abbau des Flächentarifvertrages, Stärkung der Eigenverantwortung etc.44 Die INSM ist ein Produkt, für das ein ganz be42 Vgl. zu einer Einschätzung der INSM Rudolf Speth: „Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, http://www.boeckler.de/ pdf/fof_insm_studie_09_2004.pdf#search='Rudolf%20Speth%20Die%20politi schen%20Strategien', 06.11.2006. 43 Eric Hobsbawm: „Das Erfinden von Traditionen“, in: Christoph Conrad/ Martina Kessel (Hg.), Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart: Reclam 1998, S. 97-120, hier S. 98. 44 Äußerst interessant wäre ein näherer Vergleich der „Neuen sozialen Marktwirtschaft“ mit der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NEP) in der Sowjetzeit. Durch die NEP wurde versucht, das verstaatlichte Wirtschaftssystem mit kapitalistischen Zügen zu verbinden. Der Staat versuchte, sich selbst zu beschränken. Ziel der INSM ist es, auch wenn sich zahlreiche Politiker an den Kampagnen beteiligen, den Einfluss des Staates möglichst auf ein Minimum zu beschränken. Im ersten Fall ökonomisiert sich das politische System, im anderen entpolitisiert sich das ökonomische System.

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stimmtes Image konzipiert wird. Kommt das Image bei den Rezipienten in der erwarteten Weise an, war der Steuerungsversuch erfolgreich. Wie würde dann aber speziell politische Steuerung aussehen? Ist die Durchsetzung bestimmter Werte zum Zwecke einer prosperierenden Marktwirtschaft bereits politisch, oder handelt es sich dabei um Politikverlust? Wertorientierungen werden über Symbole ausgedrückt, und Symbole repräsentieren Werte. Wie Hobsbawm folglich bemerkt, ist aber der eigentliche Vorgang der Entstehung solcher symbolischen Gefüge in den Geisteswissenschaften noch nicht ausreichend untersucht.45 Eine zeichentheoretische Grundlagenforschung kann Voraussetzungen schaffen, um das Entstehen solcher symbolischen Gefüge zu erklären und den Ort des Politischen dieser symbolischen Prozesse sichtbar zu machen. Aber selbst Konstrukte wie die INSM können nicht nur allgemein gehalten werden. Jede Fixierung von Inhalten lässt Grenzen aufscheinen, die politische Folgen nach sich ziehen können. So zog sich der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, ein zunächst emphatischer Unterstützer der Kampagne, nach dem Appell der INSM, Landwirtschaftssubventionen abzubauen, umgehend aus dem entscheidenden Gremium zurück. Welche Konsequenzen hat es für ein politisches System, wenn es sich innerhalb eines Feldes, in dem ein Kampf, Begriffe zu benennen und verbindlich durchzusetzen, herrscht, auf Begriffe beschränkt, die vor allem anderen innerhalb eines ökonomischen Codes getroffen werden? Nach Pierre Bourdieu gehören Sinnproduktion und Sinndurchsetzung zum eigentlichen Geschäft der Politik. Die soziale Struktur sei ein symbolisches System, das mit der Frage der Macht in engen Zusammenhang gebracht wird.46 Der Kampf um Macht zum Erhalt bzw. zur Veränderung der herrschenden sozialen Welt geschieht nach Bourdieu durch Erhalt oder Veränderung der herrschenden Kategorien der Wahrnehmung.47 Mit Bourdieu wäre die INSM ein politisches Symbol, da sie darauf zielt, Wahrnehmungen zu ändern, zu beeinflussen und zu beherrschen. Man könnte ergänzen, dass sie ein politisches Symbol auf der Grundlage der Ökonomie darstellt und fragen, wie ein politisches Symbol auf der Grundlage der Politik aussähe? Wahrnehmung als subjektive Kategorie kann nicht kollektiviert werden, auch wenn ein Symbol von einer Mehrheit auf die gleiche Weise interpretiert würde. Es wäre nur wiederum diese Interpretation vergleichbar, nicht aber die Wahrnehmung. Wahrnehmungen sind immer bedingt durch bestimmte begriffliche oder physische „Empfänglichkeiten“. Diese Empfänglichkeiten sind 45 Vgl. ebd., S. 102. 46 Vgl. P. Bourdieu: Sozialer Raum, S. 20-24. 47 Ebd., S. 18f.

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nicht allgemein, hegemonial, verbindlich etc., weil sie für alle Menschen in gleicher Weise gegeben sind, sondern weil Symbole in verschiedenen Situationen zu ähnlichen Wahrnehmungen führen. Es müsste für die Wahrnehmungsebene ein Subjektbegriff herausgearbeitet werden, der diesen Prozess näher bestimmen kann. Mit Bourdieu kann eine Homologie zwischen Symbolen, dem Symbolischen und Politik gesehen werden. Es müsste also eine Symboltheorie entwickelt werden, die demgegenüber das spezifisch politische Moment von Symbolen aufzuzeigen vermag – oder das spezifisch symbolische Moment von Politik. Auf dieses Problem weist Gerhard Göhler in seinen Untersuchungen zu politischen Symbolen und symbolischer Politik hin. Er unterscheidet zwischen einer gesellschaftlichen Konstruktion der Politik und einer speziell durch Symbole vermittelten Politik. Dabei bezieht er sich explizit auf die Zeichentheorie, um die Unterscheidung zwischen Zeichen und Symbol herauszustellen: „Alle Symbole sind Zeichen, doch längst nicht alle Zeichen sind auch Symbole. Symbole [...] stellen vielmehr einen Sachverhalt so dar, daß er erst interpretiert werden muß.“48 Zeichen wirken eindeutig bzw. denotativ auf den Interpreten. Symbole sind auf eine gewisse Weise mehr als Zeichen, ohne dass sie den Zeichen dadurch etwas hinzufügen würden. Was sie von Zeichen unterscheidet, ist ihr durch die Assoziationen des Interpreten ausgelöster Überschussgehalt. Zum einen kann hier das Symbol nicht ohne Subjekt als Interpret gedacht werden, und zum anderen verhindert der Überschussgehalt Eindeutigkeit und macht Symbole daher besonders reizvoll für die Frage nach gesellschaftlicher Integration. Symbole, die Raum für Mehrdeutigkeit gewähren, eignen sich als pluralistische Anbindungsknoten. Das alltagssprachliche Verständnis von Symbolen ist aus dieser Sicht ein sekundäres Phänomen – Mehrdeutigkeit lässt immer auch Raum für Täuschungsversuche.49 Diese Ebene der Mehrdeutigkeit, der Konnotation und Interpretation, die auf das Vorhandensein eines Interpreten weist, fasst Göhler als hermeneutische Sachverhalte, die der semiotischen Dimension hinzugefügt wird: „Symbole sind [...] hermeneutische Zeichen.“50 Zeichen lassen sich nach Göhler in einem nach außen abge-

48 Gerhard Göhler: „Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation“, in: Ders., Institution-Macht-Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden: NomosVerl.-Gesellschaft 1997, S. 29-37, hier S. 29. 49 Vgl. ebd., S. 31. 50 Ebd., S. 33. Vgl. auch Kurz: „das Symbol ist kein semiotisches, es ist ein hermeneutisches Phänomen“, da zwischen Symbol und Symbolisiertem nur ein möglicher – hermeneutisch zu interpretierender – Zusammenhang

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schotteten Dreieck veranschaulichen, während erst die hermeneutische Erweiterung eine Öffnung der Abgeschlossenheit auf das Symbol hin bewirke. Man könnte bei dieser Unterscheidung auch an Saussures Trennung zwischen „langue“ und „parole“ denken. Und eben jener hermeneutische Überschussgehalt macht auch die politische Dimension von Symbolen aus. Mit Bezug auf Rudolf Smend zeigt Göhler, wie gerade der Überschussgehalt von Symbolen gemeinsame Wert- bzw. Einheitserlebnisse als Grundfaktor politischer Integration entstehen lässt.51 Politik muss somit immer schon als symbolische Praxis begriffen werden. Gelingt die Repräsentation gemeinsam geteilter Werte, spricht Göhler von symbolischer Repräsentation. Symbolische Repräsentation ist substantiell und unterscheidet sich von Repräsentation im funktionalen Sinne, also von Repräsentation als Willensbeziehung. Funktionale Repräsentation beruht auf Erwartungen an die Repräsentanten, symbolische Repräsentation könnte auch etwas sichtbar machen, von dem vorher gar nicht bekannt war, dass es mit einer Mehrzahl anderer geteilt wird. Eingangs wurde gesagt, dass symbolische Politik zum beliebten Untersuchungsgegenstand geworden ist, hier zeigt sich, dass es notwendig wäre, die Theorie der symbolischen Politik zum Gegenstand zu machen. Symbolische Repräsentation integriert, aber wie kann sie berechnet werden? Wie kann also das Verhältnis von Integration und Steuerung im Hinblick auf den Symbolbegriff entfaltet werden?

1.2 Integration und Steuerung – durch symbolische Fiktionen? Symbole, die auf Gemeinsamkeiten eines Gemeinwesens ausgerichtet sind, wirken integrativ und sind im Sinne der Theorien der Politik somit genau dadurch auch politisch. Können Symbole, werden sie also als deutungsoffene und anschlussfähige Phänomene betrachtet, auch als Steuerungsinstrumente eingesetzt werden? Wie kann ihre Wirkung und Resonanzfähigkeit berechnet werden? Selbst in relativ geschlossenen politischen Systemen wie dem Stalinismus oder Nationalsozialismus war es schwierig, die Wirkung von Symbolen einzuschätzen, geschweige denn zu befehlen. In der Sowjetunion wurde versucht, das, was für den Symbolcharakter bzw. den symbolischen Bereich gehalten wurde, wenn nicht zu eliminieren, so zumindest zu dominieren. Das Symbolische galt als suspekt und subversiv, da es auf Konvention beruhe und nicht direkt aus Ausdrücken hergeleitet und verordnet werden könne. Dahinter stand besteht. Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 80. 51 Vgl. G. Göhler: Der Zusammenhang von Institution, S. 35.

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die Auffassung, Zeichen könnten im Unterschied zu Symbolen aus ihrem Ausdruck rekonstruiert werden. Symbole seien hingegen arbiträr, also willkürlich. Da Symbole sich nicht von selbst verstehen, sondern verstanden werden müssen, wurde versucht, das richtige Symbolverstehen gleich mitzuliefern. Das Moment der Willkür von Symbolen ergibt sich aus ihrer sozialen und historischen Abhängigkeit im Erkennensprozess.52 In totalitären Regimes wurde daher versucht, Geschichte vergessen zu machen oder umzuschreiben. In der UdSSR galten Symbole nicht primär als sprachliche Zeichen, was wiederum die dortige Schwerpunktsetzung auf Sprache, Literatur und Text erklärt. Es wurde versucht, die Symbolverwendung in staatliche Hände zu legen, um ihre Kontrolle zu ermöglichen. Gleichzeitig konnte beobachtet werden, dass es gerade Symbole sind, zu denken wäre hier z.B. an den Personenkult, die starke Integrationskräfte freizusetzen vermochten. Im Nationalsozialismus wurde daher gerade umgekehrt der Symbolgehalt vor dem Zeichencharakter betont. Auf die zahlreichen Unterschiede kann hier nicht eingegangen werden, was aber deutlich wird, ist, dass die Frage von Integration und Steuerung auch vom jeweiligen Symbol- bzw. Zeichenverständnis abhängt. Davon ausgehend ist dann entscheidend, ob der Resonanzboden für ein gewisses Symbolverständnis bereits vorhanden ist, oder erst noch geschaffen werden muss. Indem Symbole integrieren, strukturieren sie zugleich gesellschaftliche Handlungsräume. In dieser Verbindung können sie dann auch als Steuerungsinstrumente verwendet werden. Göhler schreibt: „Symbole erzeugen aber keinesfalls uniforme Ausrichtungen, weil sie stets auf der Empfängerseite interpretiert werden. Finden sie hier keinen positiven Resonanzboden, so misslingt normative Integration. […] Sie steuern, indem sie den Handlungsraum verengen und damit bestimmte Reaktionen wahrscheinlicher machen. Steuerung vermittels von Symbolen gelingt, so könnte man folgern, wenn sie ihre Integrationsleistung erfolgreich nutzt. Diese Instrumentalisierung von Integration scheint nun in einem genaueren Sinn das auszumachen, was in der Politikwissenschaft gemeinhin als ‚symbolische Politik‘ bezeichnet wird. Denn bei der Integrationsleistung der Symbole kommt es auf detaillierte Sachverhalte gerade nicht an. Orientierungen sind keine Gebrauchsanweisungen.“ 53 52 Vgl. Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 100. Luhmann setzt Willkür mit Gutdünken gleich, also nichts, was durch Zufall oder Beliebigkeit, sondern nach individuellen Konstruktionen beobachtend vorgeht. Eine Art gutdünkendem Innerlichkeitsvorbehalt, könnte hinzugefügt werden. 53 Gerhard Göhler: „Politische Symbole – symbolische Politik“, in: Werner Rossade/Birgit Sauer/Dietmar Schirmer (Hg.), Politik und Bedeutung.

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Steuerung könnte somit, in Demokratien ebenso wie in totalitären Staaten, als Instrumentalisierung von Integration verstanden werden.54 Wie kann es aber gelingen, dass der Resonanzboden eine bestimmte Saite zum Klingen bringt und nicht ein bloßes Echo auf ausgesandte Signale zurückwirft? Da das Konzept der symbolischen Politik durch seine Realitätsverdopplung – hinter allen Dingen und Aussagen wird das Wahre vermutet – Mängel aufweist, bzw. sich mit Žižek als ideologischer Prototyp herausgestellt hat, schlägt Göhler eine konstruktivistisch angelegte und hermeneutisch erweiterte Verwendung des Zeichenbegriffes vor. Symbolische Politik – und somit die Fragen von Integration und Steuerung – soll von einer Symboltheorie aus begriffen werden: Göhler verlagert den Fokus von der eher pejorativ rezipierten symbolischen Politik auf eine symbolisch konstruierte politische Realität. Für die Theorie der Politik kann nun festgehalten werden, dass sie ihren Gegenstand – die Einheit des Staates – funktional und substantiell beschreibt. Das Symbolische wird aber nicht selbst in die Gegenstandskonstruktion, sozusagen in die Objektbeschreibung integriert, sondern lediglich zur besseren Vermittlung der eigenen Theorie benutzt. So dient Hobbes der Leviathan, ursprünglich ein biblisches Seeungeheuer, als Symbol für die Allmacht des Staates. Die Tatsache, dass das Symbol möglicherweise überzeugender ist als seine nominalistische Analyse, wird in der Theorie selbst nicht mitreflektiert. Genau diesen Aspekt der Selbstreferentialität spricht Luhmann in seinen Steuerungsüberlegungen an: „Schon aus Sicherheitsgründen verträgt kein autopoietisches System eine Steuerung, kein Gehirn eine Zentralverknüpfung, kein Bewußtsein ein Ich im Sinne einer willkürlichen Oberinstanz. Das schließt es keineswegs aus, daß das System Selbstbeschreibungen anfertigt, mit denen es für Zwecke interner Operationen symbolisiert, daß es nicht einfach als Konsequenz externer Gegebenheiten operiert.“55 Studien zu den kulturellen Grundlagen politischen Handelns und politischer Institutionen. Ralf Rytlewski zum 65. Geburtstag, Wiesbaden: Westdt. Verl. 2002, S. 27-43, hier S. 38 und S. 39f. 54 Hier könnte eine Übertragung und Weiterentwicklung von Dörners Wechselverhältnis aus Inszenierung und Instrumentalisierung auf Integration und Steuerung gesehen werden. 55 N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 652. Luhmann geht es in diesem Abschnitt nicht um politische Steuerung, sondern um die Frage, wie und ob Wissenschaft sich in außerwissenschaftliche Bereiche ausbreiten kann. Interessanterweise schlägt Luhmann als Modell, das am besten beschreiben kann, wie Wissenschaft sich selbst, andere soziale Systeme und das alles einschließende Gesellschaftssystem beschreibt, den Begriff „Therapie“ vor. Die Gesellschaft, die sich selbst therapiert, therapiert dabei nichts anderes als Evolution. Vgl. ebd., S. 648-655.

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Aber könnte das Argument nicht auch umgedreht werden: Gerade weil das Gehirn, das System und das Bewusstsein keine Zentralinstanz kennen, muss es eine, wie auch immer gedachte, künstliche Zentralinstanz geben? Oder fällt dann wieder eine künstlich gedachte Zentralinstanz mit den symbolischen Selbstbeschreibungen zusammen? Genau diese Frage reflektiert die Bedeutung der Symbole im Hinblick auf offene bzw. tendenziell geschlossene politische Systeme. Wenn es keine zentrale Instanz geben kann, muss das umgekehrt heißen, dass es keine Quasizentralinstanz geben kann? Das heißt, selbst ein Wissen um die Unmöglichkeit von Zentralinstanzen hindert uns nicht daran, permanent solche Instanzen vorauszusetzen. Geisteswissenschaften gehen in diesem Punkt über Naturwissenschaften hinaus, da sie konstitutive Illusionen – die eben auch für Theorieproduktion eine Rolle spielen – in ihre Theorien integrieren können. Den substantiellen Aspekt der Theorien der Politik würde genau die Annahme einer solchen künstlichen oder symbolischen Zentralinstanz ausmachen, wohingegen die Theorien des Politischen diese Instanz dekonstruieren. Gesucht wird eine Theorie, die beides zusammen denkt und damit als Arbeit an der Schnittstelle aufgefasst werden könnte. Diese neuartige Theorie würde nicht versuchen, das antagonistische Verhältnis von Theorie der Politik und Theorie des Politischen durch ein Drittes zu synthetisieren oder die eine Theorievariante gegen die andere auszuspielen. Sie müsste als Drittes vielmehr in dieses Verhältnis selbst eintreten, was im Fortgang der Arbeit entfaltet wird. Dafür ist eine einheitliche Grundlagentheorie – wie sie hier in der Verbindung aus Zeichentheorie und psychoanalytischer Theorie entwickelt wird – notwendig. Für die Integrations- und Steuerungsfrage müssten Kriterien angegeben werden, die zu klären helfen, wann Wahrnehmungen politisch werden und welche Wahrnehmungen möglicherweise immer schon politisch sind. Auf obiges Beispiel der „Neuen Sozialen Markwirtschaft“ bezogen wäre zu bestimmen, inwiefern die INSM versucht, ökonomische oder politische Integration zu vollziehen. In welchem Grad steuert der vorgefundene Resonanzboden seinerseits wiederum über medial vermittelte Themen die Agenda der INSM? Hier könnte Steuerung als Übertragung gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen in andere Bereiche verstanden werden.56 Daher wäre auch von der INSM eine Neuausrichtung ihrer Kampagnen im Sinne einer stärkeren Vereinnahmung von Intellektuel-

56 Eine Zeichentheorie könnte dann genauer danach fragen, ob es einen Unterschied macht, ob hier von Übertragung, Übermittlung, Transformation oder Kopplung eines Selbstbeschreibungssystems in ein anderes zu sprechen ist.

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len zu erwarten.57 Dieses Beispiel soll auch zeigen, dass ein aufkeimender Verdacht der Täuschung – Werte werden vermarktet, dahinter steht aber etwas ganz anderes – nicht unbedingt eine Realität hinter der Realität impliziert: Effektive und somit integrative Symbole sind verdächtig, und dennoch können sie wirksam sein.58 Die Frage der Integration – versteht man Integration zunächst in ihrem einfachsten Sinne als soziale Anpassung – eröffnet nun unabhängig davon, ob es sich um eine ökonomische, politische oder rein moralische59 Integration handelt, ein gewisses Spannungsfeld. Je weniger ein Symbol auf etwas Konkretes verweist, umso größer ist sein Suggestivgehalt. Damit vervielfachen sich auch die Anbindungsmöglichkeiten. Andererseits besteht mit Symbolen, die inhaltliche Distanz wahren, auch die größte Manipulationsmöglichkeit.60 Steuerung – unabhängig von ihren möglicherweise hehren Intentionen – hat also nicht nur mit dem Berechnen von Einfluss zu tun, sondern v.a. mit dem Einwirken auf und Verändern von Wahrnehmungsmustern. Integration findet also z.B. durch rechtliche, religiöse, kulturelle oder ökonomische Werte, die das Leben der Menschen dieses Gemeinwesens regulieren, statt. Werte müssen wahrgenommen und auf irgendeine Art gefühlt werden. Für Žižek sind Werte im Hegel’schen Sinne fiktiv, sie existieren nicht, d.h. sie besitzen keine substantielle ontologische Konsistenz. Sie werden durch Rituale sichtbar gemacht bzw. dargestellt. So stützt sich das rechtliche System nicht auf existierende Personen, die als Entitäten mit eigenen Rechten erscheinen. Staaten können Kriege erklären, eine Firma kann Arbeitsplätze (ab)schaffen etc. Aufgrund dieser Fik57 Nicht verwunderlich wäre die Instrumentalisierung von Romanciers und Filmemachern – vorausgesetzt es besteht eine (z.B. pekuniäre) Interessenkonvergenz. Einen ersten Versuch in diese Richtung unternahm die INSM bereits: Im September 2005 wurde durch eine von der ARD veröffentlichte Kundenliste bekannt, dass die INSM 2002 58.670 Euro für Szenen und Dialoge an die Vorabendserie „Marienhof“ bezahlte, um Schleichwerbung für „einen schlanken Staat“ zu lancieren. 58 Dass Einbildungen gerade und ganz besonders auch dann wirksam sind, wenn wir wissen, dass es sich bloß um Vorurteile, Aberglauben oder Illusionen handelt, zeigt die instruktive Studie von Robert Pfaller. Vgl. Robert Pfaller: Die Illusion der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002. 59 Um eine rein moralische Integration könnte es sich bei den äußerst breit angelegten und sehr wirksamen Projekten und Maßnahmen von George Soros handeln. An seinem Engagement kann sehr gut der Unterschied zwischen moralischem und ethischem Engagement verdeutlicht werden. Seine humanitären Aktivitäten sind nicht ethisch, sie bekämpfen lediglich die Folgen seiner eigenen Finanzspekulationen; letztlich dienen sie der Umsetzung seiner persönlichen moralischen Wünsche und Vorstellungen. 60 Vgl. dazu auch M. Edelman: Politik als Ritual, S. 8-11.

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tionen sind zwar reale Effekte beobachtbar, die Fiktionen können aber dennoch nicht auf diese Effekte reduziert werden.61 Die Fiktionen fungieren als Ursachen von Handlungen. Es wird sich auf etwas bezogen – die psychoanalytische Theorie nennt dies den großen Anderen –, das trotz Nichtexistenz volle Gültigkeit besitzt.62 Es sind dann die symbolischen Fiktionen, die das Leben der Menschen innerhalb einer politischen Gemeinschaft steuern und strukturieren.63 Zu analysieren bleibt, ob der Überschussgehalt der Symbole – und damit ihr emotionaler oder fiktiver Aspekt – durch die Verdichtungsleistung der Symbole entsteht, oder ob nicht jeder Wahrnehmungsakt einen gewissen Überschussgehalt aufweist. Wodurch würde sich dann der Überschussgehalt von Wahrnehmungen vom Überschussgehalt der Symbole unterscheiden? Sind die Emotionen vorsymbolisch und somit dasjenige, das sich jeder Symbolisierung widersetzt und genau dadurch nur symbolisiert werden kann? Oder sind Emotionen abstrakt und müssen über Symbole konkretisiert werden? Die Zeichentheorie von Peirce ist komplex genug, um diese Fragen in eine Theorie zu integrieren, womit eine hermeneutische Erweiterung umgangen werden kann. Das Grundmotiv der Studie – „Bewegen“ und „Fixieren“ – ist zunächst dialektisch miteinander verschränkt. Durch das Dekonstruieren einer symbolischen Zentralinstanz interessieren sich Theorien des Politischen weniger für Fragen nach Integrations- und Steuerungsmöglichkeiten. Sie verorten an der Stelle dieser symbolischen Zentralinstanz dann schlicht ein Paradox (Luhmann), einen leeren Ort der Macht (Lefort) bzw. einen Antagonismus (Laclau/Mouffe), und entfalten von da aus unterschiedliche differenztheoretische Überlegungen zu Politik und dem Politischen. Aber auch einige der Theorien des Politischen brauchen, so scheint es, die Theorien der Politik als eine Art negative Begriffsbestimmung. Sie benötigen den vermeintlich naiven Zugang der Theorien der Politik für ihre eigene Legitimation.

2. Differenztheorien – Politikverlust Im folgenden Kapitel wird gezeigt, dass innerhalb der Theorien des Politischen der Symbolbegriff nur implizit bedeutsam ist. An die Stelle des Symbolbegriffs tritt der unendliche Aufschub von Bedeutung. Es wird versucht, den Überschussgehalt ohne das Symbol, oder umgekehrt ein 61 Vgl. Žižek GDR, S. 49. Im Literaturanhang sind die Angaben aufgeschlüsselt. 62 Vgl. ebd., S. 50. 63 Vgl. ebd.

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Zeichen ohne Überschuss zu denken. Dabei geht es den Theorien des Politischen um Differenzen zwischen Zeichen. Poststrukturalistische Theorien werden häufig als immanent politische Theorien bezeichnet, weil sie den Grund für politische Gemeinschafts- bzw. Gesellschaftsbildung als kontingent bzw. nicht letztbegründbar beschreiben, und genau mit jener Beschreibung die Aporie der Unentscheidbarkeit politischer Entscheidungen sichtbar machen.64 Das Politische ist aus dieser Sicht eine sozialontologische Kategorie, d.h., das Soziale ist immer mehr als der Dualismus von individuellem und kollektivem Subjekt. Die sozialontologische Kategorie kann und darf nicht zu einem Abschluss gebracht werden.65

2.1 Differenzierung von Politik und Politischem Die Theorien des Politischen (als in diesem Sinne verstandene poststrukturalistische Theorien) versuchen nun v.a. die Gründungsparadoxie eines politischen Gemeinwesens sichtbar zu machen. Dies lässt sich ebenfalls mittels eines kurzen ideengeschichtlichen Exkurses illustrieren: Rousseaus „allgemeiner Wille“ steht exemplarisch für eine Theorie, die für die Errichtung einer Zivilgesellschaft eintritt. Um der Paradoxie von Hobbes zu entgehen, setzt Rousseau an die Stelle des Staates die völlige Vergesellschaftung. Das Gemeinwesen ist identisch mit dem Staatskörper: „Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Leitung des Allgemeinwillens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf. An die Stelle der einzelnen Person jedes Vertragschließenden setzt ein solcher Gesellschaftsvertrag sofort einen geistigen Gesamtkörper, dessen Mitglieder aus sämtlichen Stimmabgebenden bestehen und der durch ebendiesen Akt seine Einheit, sein gemeinsames Ich, sein Leben und seinen Willen erhält. Diese öffentliche Person, die sich auf solche

64 Habermas wirft den poststrukturalistischen Denkern diese Aporie vor, da sie sich in einen ‚performativen Widerspruch‘ begeben würden, der nicht mehr erklären könne, wie vernünftige Gesellschaftsanalyse möglich sei. Vgl. Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985. 65 Poststrukturalistische Theorien versuchen, die Dichotomien strukturalistischer Theorien – Signifikant/Signifikat, Syntagma/Paradigma, Synchronie/Diachronie, langue/parole etc. – aufzulösen. Vgl. zu einer ausführlichen Diskussion Roland Posner: „Semiotik diesseits und jenseits des Strukturalismus: Zum Verhältnis von Moderne und Postmoderne, Strukturalismus und Poststrukturalismus“, in: Zeitschrift für Semiotik, Band 15, Heft 3-4, (1993), S. 211-233. Leider münden Posners Ausführungen in der recht geschmacklosen Frage, ob der Unfalltod von Roland Barthes auf sein poststrukturalistisches Ignorieren von Verkehrszeichen zurückzuführen sei!

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Weise aus der Vereinigung aller übrigen bildet, wurde ehemals Gemeinwesen genannt und heißt jetzt Republik oder Staatskörper.“66

Der Wille der Gemeinschaft, also die Volkssouveränität, wird nicht wie bei Hobbes übertragen und dadurch dem Souverän überlassen, sondern der Wille des Einzelnen soll mit dem Willen der Gemeinschaft übereinstimmen. Der Einzelne erhält seinen Willen überhaupt erst durch den Akt des Vertragschließens. Ja vielmehr noch: Der gemeinschaftliche Wille, also die Souveränität, kann nicht repräsentiert werden, ohne sich zugleich selbst abzuschaffen. Bei Rousseau wird das Politische nicht aus der Gemeinschaft verdrängt, sondern es erheischt geradezu eine permanente Vergegenwärtigung: „In dem Augenblick, wo das Volk als souveräner Körper gesetzlich versammelt ist, ruht jegliche Befehlshabergewalt der Regierung, [...] weil es bei Anwesenheit des Vertretenen keine Vertreter mehr gibt.“67 Das Volk fällt direkt und unmittelbar mit dem souveränen Körper zusammen. Die Einheit des Volkes wird nicht aufgelöst, sondern kann als Einheit nicht vertreten, nicht repräsentiert werden. Dies entspräche Goethes erstem der beiden oben entwickelten Symbolbegriffe: Der politische Körper bedeutet bloß sich selbst, einen Überschuss gibt es hier nicht mehr. Rousseaus Utopie bestand darin, ohne Zeichen und ohne Vermittlung, förmlich durch eine Übertragung von Herz zu Herz, zu kommunizieren. Der Sündenfall hat bei Hobbes Erkenntnis überhaupt erst möglich gemacht, Rousseau hingegen will zurück zum Zustand vor dem Sündenfall. Rousseau gilt zwar gemeinhin als Vorläufer der radikalen Demokratie, lehnt aber die Demokratie als Staatsform ab: „Schließlich will ich noch bemerken, daß keine Regierung in so hohem Grade Bürgerkriegen und inneren Erschütterungen ausgesetzt ist wie die demokratische oder Volksregierung, weil keine andere so heftig und so unaufhörlich nach Veränderung der Form strebt und keine mehr Wachsamkeit und Mut zur Aufrechterhaltung ihrer bestehenden Form verlangt [...]. Gäbe es ein Volk von Göttern, so würde es sich demokratisch regieren.“68

Rousseau scheint innerhalb seiner Konzeption radikaler Demokratie dennoch nicht restlos von seinem Modell der direkten Übertragung von Zeichen und Bedeutung überzeugt; er schlägt in seiner Vertragskonstruktion als Bindeglied eine erste Form der Zivil- bzw. Staatsbürgerreligion, aber eben keine Staatsreligion, vor. Es darf allerdings nur eine Re-

66 Jean-Jacques Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag, Leipzig: Philipp Reclam jun. 1981, S. 50. 67 Ebd., S. 120. 68 Ebd., S. 98.

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ligion politisiert werden, die die Einheit des politischen Körpers nicht in Frage stellt: Eine Religion, die dem politischen Körper „seine besonderen Götter und Schutzpatrone“69 gewährt. In ihren Überzeugungsstrategien geradezu an Richtlinien moderner Werbeslogans erinnernd, klingen die Lehrsätze eben jener staatsbürgerlichen Religion: Sie müssen „einfach, gering an Zahl und präzis formuliert sein und keiner Auslegungen und Erklärungen bedürfen [...]. Belohnung der Gerechten und die Bestrafung der Gottlosen [...] – das sind positive Dogmen.“70 Auch hier wird noch einmal deutlich, dass Rousseau für seinen Gesellschaftsvertrag Widersprüche zwar erkennt, nicht aber zulässt: „Alles, was die gesellschaftliche Einheit zerreißt, ist wertlos; alle Einrichtungen, die den Menschen mit sich selbst in Widerspruch bringen, sind wertlos.“71 Es darf kein janusköpfiger Körper konstruiert werden. Bedürfen die Bürger bei Rousseau eher der Transzendenz oder der Autorität – unter dem Deckmantel der Religion –, um politische Einheit erbringen zu können? Die poststrukturalistisch verstandenen Theorien des Politischen beziehen sich zwar auf Rousseau, gehen aber über ihn hinaus, indem sie den Widerspruch (des Politischen) die Einheit regelrecht zerreißen lassen. Die folgenden Überlegungen zu ausgewählten poststrukturalistischen Theoremen setzen an diesen, v.a. durch Hobbes und Rousseau aufgezeigten, Antinomien an. Mit zunehmender Ausdifferenzierung von Gesellschaft wächst innerhalb der Theoriebildung die Bereitschaft, den politischen Körper zu tranchieren und das Politische auf einen seiner Körperteile oder Teilsysteme zu beschränken bzw. gänzlich auf die Körpermetapher zu verzichten. So reduziert Luhmanns Systemtheorie das Politische auf das politische System als ein gesellschaftliches Teilsystem unter anderen. Wenn dieses politische System nun dennoch den Versuch unternimmt, durch seine Selbstbeschreibungen, kollektiv bindende Themen bereitzuhalten, kann es passieren, dass Einzelinteressen oder andere Systeme diese Aufgabe überzeugender übernehmen, und somit die Legitimität dieses abgetrennten Körperteils „politisches System“ zur Debatte steht. Möglicherweise drängt sich dann die Frage auf, welches 69 Ebd., S. 159. 70 Ebd., S. 164. Präzise Formulierungen, die keiner Erklärung mehr bedürfen! Wer assoziiert hier nicht die Kampagne „Du bist Deutschland!“ mit ihren einfachen positiven Dogmen: „Gib’nicht nur auf der Autobahn Gas!“ Hier erübrigt sich in der Tat jede Interpretation. Aber genau dieser fehlende symbolische Aspekt wäre für eine länger anhaltende Diskussion wichtig gewesen. 71 Ebd., S. 159. Spätestens hier wird deutlich, dass eine Theorie des Politischen mit einem wie auch immer ausgearbeiteten Subjektbegriff operieren muss. Diese Subjekttheorie muss und wird die Frage stellen, ob sich das Subjekt nicht gerade durch den Widerspruch konstituiert.

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System glaubhafter über Religion kommunizieren kann: Das politische oder das religiöse? Wenn das religiöse System eine Einheit der Vielen, eine Allgemeinheit unter Wahrung der Partikularität des Einzelnen anbietet, gäbe es ja keinen Grund, die gleiche Erzählung, vermittelt durch das politische System, vorzuziehen.72 Natürlich kann sich Politik im Werben um Wähler religiöser Mittel bedienen, aber es geht darum, dass für die oben beschriebene symbolische Figur der Einheit der Differenz ein anderes System möglicherweise die besseren – weil eben glaubwürdigeren – Argumente vorbringt. Desinteresse an Politik ist die Folge. Eine einheitliche Repräsentation des Gesamtsystems Gesellschaft durch ein Teilsystem oder die Repräsentation der Teilsysteme in ihrer Gesamtheit sind, analog zu Rousseau, nicht mehr verboten, sondern schlicht schwer vorstellbar. An die Stelle der Repräsentation ist die Vielheit differenzieller Präsentationen von Einheit, sind inzwischen viele kleine Einzelerzählungen getreten. Das gilt auf nationalstaatlicher und erst recht auf supranationaler Ebene. Einige poststrukturalistische Theorien des Politischen verorten das Politische somit in Abgrenzung bzw. Weiterführung zu Luhmanns Theorie der Politik auch in den einzelnen Systemen oder Diskursen.73 Noch umfassender erscheint die Geste bei Derrida: „Ist man sich wirklich sicher, daß durch alle Wandlungen der europäischen Geschichte hindurch (Wandlungen, denen man gewiß in aller Strenge Rechnung tragen muß), irgendein Begriff des Politischen und der Demokratie jemals mit dem Erbe dieser beunruhigenden Notwendigkeit gebrochen hat? Radikal mit ihr gebrochen und sie thematisiert hat? Das ist die Frage, die uns hier beschäftigt.“74

Derrida meint damit das Erbe einer Verbindung und Begründung von Demokratie durch Abstammung. Das Politische markiert den Bereich des Undarstellbaren, des Unbestimmbaren und Unbegründbaren. In seiner Rousseaulektüre dekonstruiert Derrida eben diese angebliche Naturbestimmtheit. Derrida zeigt, dass die bloße Umkehrung der Dichotomie aus Gefühl/Natur und Intelligiblem zugunsten des Gefühls, eben diese

72 Daraus resultierten beispielsweise die Konflikte des Römischen Reiches mit dem frühen Christentum oder des NS-„Führerstaates“ mit der katholischen Kirche unter oberster Führung des Papstes als „Stellvertreter Gottes auf Erden“. 73 Vgl. Urs Stäheli: Sinnzusammenbrüche. Eine dekonstruktive Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie, Weilerswist: Velbrück 2000, S. 261-270. 74 Jacques Derrida: Politik der Freundschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, S. 148.

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Dichotomie weiterhin aufrechterhält.75 Der Gegensatz könne nur durch ein Aufgeben des Zeichenbegriffs überwunden werden: „[...] daß der Begriff des Zeichens von sich aus den Gegensatz von Sinnlichem und Intelligiblem nicht überwinden kann. Er ist vollständig und in der Totalität seiner Geschichte von diesem Gegensatz bestimmt. Er hat ausschließlich aus diesem und seinem System gelebt. [...] Denn es gibt zwei ungleichartige Weisen, die Differenz zwischen dem Signifikanten und dem Signifikat auszustreichen: die eine, die klassische, besteht darin, den Signifikanten zu reduzieren oder abzuleiten, das heißt letztlich das Zeichen dem Denken unterzuordnen; die andere, die wir hier gegen die vorhergehende halten, besteht darin, das System, in dem diese Reduktion funktionierte, in Frage zu stellen: zuallererst die Entgegensetzung von Sinnlichem und Intelligiblem. Denn das Paradox dabei ist, daß die metaphysische Reduktion des Zeichens der Entgegensetzung bedurfte, die sie reduzierte.“76

Derriadas Kritik an der vermeintlich klassischen – also der Saussure’schen – Zeichendefinition ist problematisch. Das Zeichen wird bei Saussure als Element der Sprache verstanden. Sprache meint bei ihm im Unterschied zum Sprechen ein synchrones, geschlossenes System. Das Zeichen stellt eine Verbindung von Lautbild (Signifikant) und Vorstellung (Signifikat) dar, wobei das Lautbild nur durch die Differenz zu anderen Lautbildern gebildet wird, und auch bei Saussure eben nicht durch ein dem Signifikant zugrunde liegendes Signifikat.77 Um von einem Zeichen zu sprechen, müssen immer auf einen Schlag Signifikant und Signifikat, bzw. beide Seiten, gegeben sein. Saussure vergleicht sie mit den beiden Seiten eines Papiers, die mit der Zeichenkonstitution erst geschaffen werden. Da Derrida die zeicheninterne Relation aus Signifikant und Signifikat temporalisiert, bleibt mit dem Wegfallen des Signifikats als Referent nur noch der Signifikant übrig. Jede Signifikantenbegründung muss umgehend wieder neu begründet werden. Sie darf nicht auf Dauer gestellt werden. Dieser Prozess mündet in einem fortwährenden Drang und Zwang zu immer neuer Benennung von scheinbar neuen Phänomenen/Differenzen. Es dürfte genau dieses exzessive Moment sein, gegen das einige Theorien der Politik wettern. Auf Derrida und seine Saussurelektüre beziehen sich auch Laclau/Mouffe in ihrem Hauptwerk „Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion 75 Vgl. zur Rousseaurezeption Derridas: Ders.: Grammatologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974. 76 Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main : Suhrkamp 1976, S. 426. 77 Vgl. Ferdinand Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin: de Gruyter 1967, S. 142.

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des Marxismus.“ Für sie ist das Zeichen „der Name eines Risses, einer unmöglichen Naht zwischen Signifikat und Signifikant“,78 womit sie bereits die Saussure’sche Zeichendefinition bewusst verlassen. Was Laclau/Mouffe intendieren, ist ein gleichzeitiges Denken der Saussure’schen statischen langue und der Saussure’schen dynamischen parole. Durch das Verwerfen des Zeichenbegriffs fehlt ihnen dabei aber ein dritter Wert, der zwischen langue und parole eine Schnittstelle oder Vermittlung auszumachen vermag, oder der erklären würde, wie die langue innerhalb der parole Bedeutung fixieren könnte.79 Die Frage lautet also erneut: Wie wird der Übergang konzipiert? Wie und wo kann nach einer Schnittstelle gefahndet werden? Diese Schnittstelle zwischen Bewegen und Fixieren soll bei Laclau/Mouffe, wie gleich noch gezeigt wird, der „leere Signifikant“ oder der „Knotenpunkt“ ausmachen. Laclau/Mouffe markieren für vorliegende Arbeit sozusagen den Übergang zur Zeichentheorie. Soll mit Peirce doch gezeigt werden, dass prozessuale Zeichensysteme in sich fixierbar sind, ohne von zwei getrennten Sphären (Sprachsystem vs. Sprechen) ausgehen zu müssen. In der theoretischen Konzeption von Laclau/Mouffe kann das Soziale vom Politischen dadurch unterschieden werden, dass durch soziale Diskurse Machtverhältnisse verborgen, durch das Politische diese Machtverhältnisse hingegen sichtbar werden. Das Soziale ist demnach eine unbestimmte, vage Kategorie, ein „unendlicher Raum“.80 Es kann im Sozialen keine trennende Grenze ausgemacht werden, weil das Wahrnehmen einer Grenze zugleich das Wahrnehmen von etwas jenseits dieser Grenze bedeuten und somit eine der Vagheit widersprechende Differenz sichtbar machen würde. Im Unterschied zu einer Theorie der

78 Ernesto Laclau/Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien: Passagen 2000, S. 150. Interessanterweise fehlt in ihrem Buch jede bibliographische Notiz zu Saussure. Auch dort, wo sie sich explizit auf Saussure beziehen, werden lediglich Referenzautoren wie Derrida oder Benveniste rezipiert. Vgl. ebd. S. 142 und S. 149ff. 79 Nebenbei bemerkt, ist es entgegen Laclau/Mouffes Annahme in Saussures geschlossenem System der langue nicht möglich, Bedeutung zu fixieren. Bedeutung wird nicht substantiell gedacht sondern rein differentiell. Es ist bei Saussure nicht die Bedeutung die fixiert wird, sondern das Sprachsystem ist statisch strukturiert. Bedeutung kann nur durch die nichtreferentiell gedachte Verbindung von Signifikant und Signifikat entstehen. Vgl. ebd., S. 150 und F. Saussure, Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 139f. 80 E. Laclau/Ch. Mouffe : Hegemonie S. 181.

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Fundamentalpolitisierung81, bei der Gesellschaft/Soziales und Politisches zusammenfallen, unterscheiden sich die Begriffe bei Laclau/Mouffe dadurch, dass das Soziale die es konstituierenden Machtverhältnisse verbirgt.82 Gesellschaft/Soziales verdeckt ihre Begründungsparadoxien und zeigt eine Einheit, wo es nach Laclau/Mouffe eigentlich um die Einheit der Differenz geht. Das Politische bildet nun im Unterschied zu den Theorien der symbolischen Politik keinen zweiten Raum, sondern unterscheidet sich vom Sozialen, indem es eben diesen Antagonismus sichtbar macht. Es bleibt zu klären, ob die Hegemonie nicht gerade dadurch wieder wirkungslos wird und somit verschwindet. Das Soziale sind sozusagen die Geschichten, die sich eine Gesellschaft über sich selbst erzählt, und die dadurch Gesellschaft als solche begründen. In ihrer Konzeption ist die Gesellschaft eine sozialontologische Kategorie, die, wie sie sagen, nicht existiert. Das heißt eigentlich nur, dass die Gesellschaft nicht an sich existiert, sondern erst durch diese Geschichten oder Selbstbeschreibungen darstellbar wird. Mit Luhmann könnte man nun sagen, dass das, was sich im Bereich des Sozialen erzählt wird, auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung zu verorten wäre. Die Psychoanalyse – auf die sich Laclau/Mouffe ja selbst beziehen – würde diese Sphäre das „Imaginäre“ nennen. Um das Politische dieser Geschichten zu analysieren, führen Laclau/Mouffe den Begriff des (nicht notwendig sprachbasierten) Diskurses ein. Diskurse konstituieren sich aus zwei Logiken, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Zum einen – Laclau/Mouffe nennen es die Logik der Differenz – haben diese Geschichten partikulare Bedeutungen innerhalb eines Systems. Zum anderen – das wird mit der Logik der Äquivalenz umschrieben – wird die partikulare Bedeutung durch den gemeinsamen Systembezug eingeebnet. Hier zeichnet sich der Versuch ab, das, was hier Theorie der Politik und Theorie des Politischen genannt wird, zusammen zu lesen. Um diesen gemeinsamen Systembezug, also die Selbstreferenz des Systems, darzustellen, wird ein „Etwas“ benötigt, das wiederum nicht nach dem Prinzip der Differenz funktioniert. Dieses „Etwas“ – man könnte es gemäß dem Kapitel zu Integration und Steuerung auch die künstliche Zentralinstanz nennen – taucht unter verschiedenen Be-

81 Vgl. Michael Th. Greven: Die politische Gesellschaft. Kontingenz und Dezision als Probleme des Regierens und der Demokratie, Opladen: Leske und Budrich 1999. 82 Gesellschaft/Soziales verbirgt ihre Begründungsparadoxien und zeigt eine Einheit, wo es eigentlich um die Einheit der Differenz geht. Der Politikbegriff unterscheidet sich dann dadurch, dass er das Sichtbarmachen eben dieses Antagonismus repräsentierte. Das Feld der Politik wäre damit der Konflikt; Gesellschaft setzte auf Konfliktvermeidung.

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zeichnungen auf. Einmal als etwas – führte es doch sonst eben wieder eine Differenz ein –, das nahezu bedeutungsleer sein muss. Laclau nennt dieses „Etwas“ den „leeren Signifikanten“.83 Der leere Signifikant sei ein Signifikant ohne Signifikat, wodurch er eben seine Zeichenhaftigkeit verlieren würde. Ein anderes Mal taucht das „Etwas“ unter der Bezeichnung „Knotenpunkt“ auf. Der „Knotenpunkt“ meint nicht das Fehlen oder den Mangel an Signifikaten, sondern das genaue Gegenteil, ein Zuviel an Signifikaten. Diese Polysemie stört die Schließbewegung einer sozialen Formation.84 Laclau/Mouffe schreiben: „Jedweder Diskurs konstituiert sich als Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen, das Fließen der Differenzen aufzuhalten, ein Zentrum zu konstruieren. Wir werden die privilegierten diskursiven Punkte dieser partiellen Fixierung Knotenpunkte nennen.“85 Das Feld des Politischen wäre damit der Konflikt, der Kampf um Benennung und das Ringen um eine Durchsetzung von intendierter Bedeutung. Das Politische gilt als Moment, an dem die kontingente „Natur“ jeder dieser Objektivitäten aufs Neue artikuliert wird. Diskurse setzen sich aus Artikulationen zusammen, die permanent zwischen Kontingenz und Notwendigkeit, zwischen kontingenten Elementen und sozusagen notwendigen Momenten, pendeln.86 Das Entstehen und der Verlauf der Geschichten, die sich eine Gesellschaft erzählt, ist kontingent und schwer bestimm- oder berechenbar. Laclau/Mouffes Begriff des Politischen betont nicht nur die Kontingenz politischer Entscheidungen, sondern auch die Kontingenz von Systemen. Ihre Theorie des Politischen hat somit den innerhalb der Theorie der Politik vernachlässigten Bezug der politischen Gegenstandskonstitution zur gesellschaftlichen Relevanz und vice versa, im Blick. In jedem System, das mit Einheitssemantiken operiert, sitzt ein derartiges Politisches an der imaginären Stelle, die eine Einheit „näht“.87 Da es kein Zentrum geben kann, das Macht, Recht und 83 Vgl. v.a. Ernesto Laclau: Emancipation(s), London: Verso 1996, S. 36-55. Vgl. zu einer Interpretation des „leeren Signifikanten“ U. Stäheli: Sinnzusammenbrüche, S. 53-64. 84 Vgl. E. Laclau/Ch. Mouffe: Hegemonie, S. 151. „Formation“ wäre ein dritter Begriff, der versucht die dritte Position einzunehmen vgl. zum Begriff der „Gesellschaftsformation“ Ebd., S. 185ff. Den Begriff der Formation entlehnen Laclau/Mouffe von Foucaults „diskursiven Formationen“ interpretieren ihn allerdings stärker unter dem Aspekt der Regelmäßigkeit der Verstreuung. Vgl. M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 48ff. 85 E. Laclau/Ch. Mouffe: Hegemonie, S. 150. 86 Die Unterscheidung zwischen fixierten Momenten und „flottierenden“ Elementen wird nicht strikt eingehalten. Vgl. ebd., S. 151. 87 Den Begriff der „Naht“ übernehmen Laclau/Mouffe aus der Psychoanalyse von Jacques-Alain Miller und Jacques Lacan. Vgl. ebd., S. 247, Anm. 1: „Hegemoniale Praxen ‚nähen‘, insofern ihr Wirkungsfeld durch die Of-

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Wissen auf eine Einheit ausrichtet, müssen so genannte politische Räume durch hegemoniale Artikulationen vereinheitlicht werden. „Hegemonie“ ist somit eine Art Selbstbeobachtungswerkzeug um – sozusagen aus einer Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung – hegemoniale Artikulationsformen zu analysieren.88 Diese Theorie beobachtet nicht nur ihren Gegenstand, sondern – wie alle selbstreferentiellen Theorien – sich selbst bei der Gegenstandskonstruktion. Hierfür führen Laclau/ Mouffe wieder implizit Saussures Unterscheidung zwischen langue und parole ein. Für hegemoniale Artikulationen gäbe es in einem geschlossenen System „relationaler Identitäten, in dem die Bedeutung jedes Momentes absolut fixiert ist“,89 keinen Platz. Ein derart totales System von Differenzen, welches kein Bewegen zuließe, würde auch Artikulationen verunmöglichen, und somit gäbe es nichts zu hegemonisieren. Hegemonie braucht als Bedingung ihrer Möglichkeit den unbestimmten Charakter des Sozialen: „Ohne Äquivalenz und ohne Grenz-Fronten ist es unmöglich, von Hegemonie im eigentlichen Sinn zu sprechen.“90 Zwei Aspekte sind an dieser Herleitung des Hegemoniebegriffes problematisch. Zum einen basiert sie auf einer falschen Interpretation der Saussure’schen langue, die – wie erwähnt – nur formal und zu analytischen Zwecken konzipiert wurde. Zum anderen kann selbst in totalitären Systemen niemals eine derartige Geschlossenheit vorgefunden werden. Dem Versuch, Sprachregelungen festzulegen, folgt immer eine gewisse Praxis des doppelbödigen Sprechens. Das Problem liegt darin, dass Laclau/Mouffe Sprache selbst – wie Derrida – nicht als zeichenverfasst sehen wollen. Wenn sie „Äquivalenz“ und „Grenz-Fronten“ brauchen, wäre es vielversprechend, ihre Theorieelemente in ein dreiwertiges Zeichensystem zu integrieren, worin so etwas wie Grenz-Fronten den Objektbereich ausmachten. Macht wohnt dem Sozialen durch die entgegengesetzten (im Sozialen aber unsichtbaren) Logiken von Äquivalenz und Differenz inne.91 Die Logik der Äquivalenz stellt eine Vereinfachung des politischen Raumes dar. Sie reduziert die Anzahl der möglicherweise zu verbinden-

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fenheit des Sozialen, durch den letztlich unfixierten Charakter jedes Signifikanten bestimmt ist. Dieser ursprüngliche Mangel ist genau das, was die hegemonialen Praxen aufzufüllen/zu ergänzen suchen.“ Vgl. ebd., S. 232 und S. 238. Für eine nähere Bestimmung des Hegemoniebegriffs vgl. ebd., S. 175-189. Ebd., S. 175. Ebd., S. 177. Vgl. ebd., S. 184. Das bedeutet auch, dass rein bürokratisch bzw. administrativ ausgerichtete Artikulationen nicht hegemonial werden können, weil hier die Konfrontation mit antagonistischen Praxen fehlt. Vgl. dazu ebd., S. 177f.

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den Pole indem sie Unterschiedliches gleichsetzt. Die Logik der Differenz führt nach Laclau/Mouffe zu einer Erweiterung und Zunahme von Komplexität, welche die Anzahl der möglichen Positionen vermehrt.92 Wir sehen hier die Figur von Fixieren und Bewegen bzw. von Verdichten und Verschieben. Der leere Signifikant wäre – Laclau/Mouffe führen das nicht aus – also möglicherweise ein Werkzeug im Sinne der Logik der Differenz, der Knotenpunkt ein Werkzeug im Sinne der Logik der Äquivalenz. Oder aber leerer Signifikant und Knotenpunkt müssten tatsächlich als die Schnittstelle zwischen diesen beiden Logiken konzipiert werden. Die beiden Logiken lösen ein ständiges Bewegen und Fixieren aus. Müsste für die Frage nach gesellschaftlicher Integration folglich analog der Logik der Äquivalenz gehandelt werden? Es gilt ja stets auch die alte Diplomatenweisheit, dass die Flinten an einem bestimmten Moment von selber losgehen, was z.B. die Debatte um deutsche Leitkultur – auch diesen Begriff kann man zunächst als leeren Signifikant auffassen – zeigte. Bassam Tibi, der den Begriff wohl einführte, suchte in seiner Publikation „Leitkultur als Wertekonsens“93 nach einer Verständigung über Gemeinsamkeiten, auch gerade in ihrer europäischen Ausrichtung. Dabei war für ihn kaum voraussehbar, dass die Debatte prompt in eine Nationalstolzdebatte münden würde. Der leere Signifikant „Leitkultur“ ist zu einem „Knotenpunkt“ geworden, der Tibis Intentionen relativ dauerhaft zu einem Bedeutungsfeld von Nationalismus umstrukturieren konnte.94 Es besteht also immer die Möglichkeit, dass sich leere Signifikanten zu Knotenpunkten verfestigen, nämlich dann, wenn das Feld der Diskursivität partiell fixiert wird. Umgekehrt können Knotenpunkte zu leeren Signifikanten verflüchtigt werden, wenn fixierte Bedeutung wieder in Bewegung gebracht wird. Nun stellt sich aber erneut die Frage, wie dann der Übergang von Bewegen und Fixieren, oder von leerem Signifikant und Knotenpunkt dargestellt werden kann. Wie vermag man die „Allgemeinheit“ eines Systems von Differenzen zu fassen? Es gibt an einer Stelle bei Laclau/Mouffe den Versuch, die Kontingenz im Notwendigen durch den Symbolbegriff darzustellen. Sie schreiben: „Diese 92 Ebd., S. 171. Lipowatz führt sehr anschaulich aus, für was der Begriff der Differenz alles stehen kann: Distinktion bzw. Unterscheidung, Opposition, Widerspruch bzw. Kontraktion und Polarisierung. Vgl. Thanos Lipowatz: Politik der Psyche. Eine Einführung in die Psychopathologie des Politischen, Wien: Turia & Kant 1998, S. 29f. 93 Vgl. Bassam Tibi: „Leitkultur als Wertekonsens“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1-2/2001, S. 23-26. 94 Noch ist dieser Benennungskampf allerdings nicht restlos entschieden. In der Türkei tauchte die Debatte im Januar 2006 unter Erdogan erneut auf. Leitkultur meint nun die „Einheit der Vielheit“ und soll umgekehrt gerade die nationalistische Parole Kemal Atatürks „Einheit vor Vielheit“ ersetzen.

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Präsenz des Kontingenten im Notwendigen ist das, was wir oben Untergraben nannten, und manifestiert sich als Symbolisierung, Metaphorisierung und Paradox, was den buchstäblichen Charakter jeglicher Notwendigkeit umformt und in Frage stellt.“95 Symbolisierung wird allerdings nicht weiter von Metaphorisierung und Paradox unterschieden, was zumindest aus zeichentheoretischer Perspektive unbefriedigend erscheint. Meint der Begriff „Paradox“ im Zitat dasselbe wie der Begriff „Antagonismus“? Ein nach der Logik der Differenz strukturiertes und nach der Logik der Äquivalenz auf eine künstliche Zentralinstanz ausgerichtetes System kann nicht einfach als Summe seiner Teile aufgefasst werden. Die Allgemeinheit des Systems ist sein „Antagonismus“ als die bestimmte Differenz, die alle Teile des Systems von Differenzen durchschneidet.96 Wenn sich das Subjekt in Laclau/Mouffes Konzept zudem über Sprache, als metaphorische Eingliederung in eine symbolische Ordnung konstituiert, wird die Unterscheidung zwischen metaphorisch und symbolisch nicht mehr erkennbar.97 Wird die symbolische Ordnung in Frage gestellt, kommt es zu Identitätskrisen des Subjekts. Diese Krise bedeutet aber nicht, dass es einen Zugang zu einer anderen, ontologischen, Ordnung, gäbe: „zu einem Etwas jenseits der Differenzen, einfach weil ... es kein Jenseits gibt.“98 An einigen Stellen werden Gesellschaft und das Soziale von Laclau/Mouffe symbolisch gefasst und entsprechen somit wiederum der symbolischen Ordnung: „Der symbolische, das heißt überdeterminierte Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse impliziert deshalb, daß sie keine letzte Buchstäblichkeit besitzen, die sie auf zwangsläufige Momente eines immanenten Gesetzes reduzieren würde.“99 Gesellschaft, Staat und Subjekt – als sozialontologische Kategorien – existieren also nicht, sie gründen auf einer Paradoxie: Sie können nur als Differenz gedacht werden, und gleichzeitig wird versucht, sich oder Gesellschaft als Identität zu totalisieren, womit sie nicht mehr als

95 E. Laclau/Ch. Mouffe: Hegemonie, S. 151. 96 Vgl. zu einer kritischen Lesart Laclau/Mouffes Žižek DPS, S. 179-192. 97 Den Begriff der symbolischen Ordnung übernehmen sie ebenso wie den Begriff des „points de capiton“ von Lacan. Laclau/Mouffe beziehen sich mit ihrem Begriff des leeren Signifikanten ebenfalls auf eine Figur von Lacan. Der Knotenpunkt taucht allerdings schon bei Hegel auf: „[…] das Ganze unabhängig von dem Wissen der Einzelnen sowie von der Beschaffenheit des Regenten; [er ist der] leere Knoten.“ Hegel JR, S. 268. Bei Hegel ist der erbliche Monarch der Knoten des Ganzen, bei Lacan sichert, wie noch zu zeigen sein wird, der „Name-des-Vaters“ als leerer Knotenpunkt das Bestehen der symbolischen Ordnung. 98 E. Laclau/Ch. Mouffe: Hegemonie, S. 167. 99 Ebd., S. 133.

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Differenz gefasst werden kann. Es wiederholt sich hier die schon bei Rousseau herausgearbeitete Antinomie und der Versuch, diese Antinomie differenzlogisch – und nebenbei bemerkt ebenfalls radikaldemokratisch – zu entfalten. Das von Laclau/Mouffe nicht näher problematisierte Schnittstellenphänomen versucht Rousseau durch sein Konzept der „Zivilreligion“ zu beheben. Gesellschaft ist nach Laclau/Mouffe nur als geschlossene Totalität unmöglich. Das Soziale, das eine Vielzahl von unterschiedlichen diskursiven Praktiken bezeichnet, hat hingegen genau dadurch einen eigenen Möglichkeitsraum.100 Es finden auf dem Gebiet des Sozialen immer wieder Versuche statt, Gesellschaft zu konstruieren, indem Bedeutungen vorübergehend festgelegt werden bzw. versucht wird, Benennungen durchzusetzen. Da eine Bedeutung stets wieder auf andere Bedeutungen verweist, ist das endgültige Fixieren von Sinn aber unmöglich. Dabei bleibt in Laclau/Mouffes Analyse die Unterscheidung zwischen Bedeutung und Sinn unklar. Es könnte angenommen werden, dass Bedeutungen prozessual und in einem operativ offenen System sozusagen als „Elemente“ des Systems emergieren, während Sinn das Produkt dieses Prozesses ist und somit etwas Fixiertes ausmacht. Dann würde sich Bedeutung analog der Logik der Differenz konstituieren, und Sinn könnte demnach als systemstrukturierendes „Moment“ gedeutet werden. Ebenso wie bei Derrida leiten Laclau/Mouffe ihren Zeichen- bzw. Signifikantenbegriff (bewusst) nicht schlüssig von Saussure her. Sie versuchen den Signifikanten auf ein dynamisches System der parole zu übertragen, wobei sie ihre Begrifflichkeit dabei allerdings nicht konsistent durchhalten. Um den leeren Signifikanten und den Knotenpunkt einzuführen, müssen sie eben auch die Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat wieder einführen. Es kann ein Bewegen also nur geben, wenn es Fixiertheit – Sinn muss verkörpert werden, um sichtbar zu sein – gibt, und umgekehrt. Es ist weder absolute Fixiertheit noch absolute Nicht-Fixiertheit möglich. Die Spannung sehen sie als Unentscheidbarkeit zwischen Notwendigkeit und Kontingenz. Jede Identität hängt von kontingenten Beziehungen und Machtverhältnissen ab, die nicht auf einen Ursprung zurückgeführt werden können. Diese Beziehungen sind aber für Identitäten notwendig. Das Soziale entsteht immer dort, wo es eine Spannung zwi100 Damit ist nicht das Motto des Thatcherismus gemeint, dass es „eine solche Sache wie die Gesellschaft nicht gibt: es gibt nur Individuen und ihre Familien, die voll verantwortlich sind für ihr Schicksal.“ Renata Salecl: „Die Gesellschaft existiert nicht“, in: Slavoj Žižek (Hg.), Gestalten der Autorität. Seminar der Laibacher Lacan Schule, Wien: Hora-Verl. 1991, S. 31. Bei Laclau/Mouffe geht es darum, dass sich Gesellschaft nicht vollständig vereinheitlichen lässt.

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schen Fixiertheit und Nicht-Fixiertheit, also eine Unentscheidbarkeit, gibt. Das Politische sind bei Laclau/Mouffe die artikulatorischen Praxen, die in eben diesem unentscheidbaren Verhältnis stehen. Identität ist Produkt diskursiver Artikulationsprozesse, die in Abgrenzung zu anderen Identitäten – also differenzlogisch – erzeugt werden, und selbst keine Bedeutung tragen. Der Grenzbegriff wird nicht verworfen, sondern als Grenze ohne Fundament gedacht. Mouffe betont die Unmöglichkeit einer Welt ohne gegensätzliche Erscheinungen.101 Im Moment des Antagonismus zeigt sich der konstitutive Charakter von Machtverhältnissen. Antagonismen sind nicht unterschiedliche politische Überzeugungen, sondern sie bilden das Fundament jeder Identität. Identität taucht hier – wie oben bereits bei Hegel – als dasjenige auf, was den Unterschied ausmacht. Konstitutiv wäre dann für Gesellschaft der Bereich, von dem sie sich abgrenzen muss, um überhaupt Gesellschaft sein zu können. Hier drückt sich die Figur der Einheit der Differenz als romantischer Versuch, die unmögliche Identität zwischen (nicht einmal existierender) Gesellschaft102 und Politik, herzustellen, aus. Dieser Aspekt der Unerreichbarkeit – ähnlich wie das Begehren bei Lacan – führt aber gleichzeitig gerade zu immer neuen Versuchen, Gesellschaft zu erreichen. Gesellschaft kann dann nur diskursiv gedacht werden. Im Vordergrund ihrer Diskurstheorie stehen zwar Fragen danach, wie das Soziale über Sinnprozesse hergestellt wird, welche Sinntechniken verwendet werden oder wie mit Sinnbrüchen103 umgegangen wird. Die Sinnproduzenten scheinen sich aber direkt auf die Identitätskonstruktion zu beziehen. Die Bedeutungen, die über Diskurse hergestellt werden, können nur relational als Geflecht innerhalb eines diskursiven Differenzsystems gedacht werden. Der Knotenpunkt wird eingeführt, um die imaginäre Schließung eines Diskurses zu charakterisieren. Der leere Signifikant hingegen ist so allgemein und unbestimmbar, dass seine Bedeutung damit nahezu entleert wird. Darauf, dass die Bedeutung dieser Begriffe – zu denken wäre wieder an das Beispiel von der Leitkultur, an Politik, Freiheit, Demokra101 Vgl. Chantal Mouffe: The Return of the Political, London, New York: Verso 1993, S. 4f. 102 Die Idee einer ganzheitlichen Gesellschaft kann – wie ursprünglich bereits seit der Romantik – nicht vorausgesetzt, sondern nur nachträglich als imaginäre Einheit symbolisiert werden. In diesem Sinne soll auch das „Fundament“ jeder Identität verstanden werden. Vgl. auch E. Laclau/Ch. Mouffe: Hegemonie, S. 133 und S. 148 zur Nähe zwischen Symbol und dem Begriff der Überdeterminierung. 103 Ein Beispiel für so einen Sinnzusammenbruch wäre der Begriff „Wohlfahrtsstaat“, um dessen Umbenennung bzw. Neudefinition der oben beschriebene heftige Kampf um Benennungsmacht stattfindet. (Neue Soziale Marktwirtschaft, Grundeinkommen, Kopfsteuer, Eigenverantwortung etc.)

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tie, Gerechtigkeit etc. –, nur für einen Beobachter zweiter Ordnung als leer erscheint, hat Brodocz hingewiesen. Einem Beobachter erster Ordnung erscheint der Signifikant nicht als leer, sondern eben als unbestimmt. Brodocz schlägt daher vor, von einem deutungsoffenen Signifikanten zu sprechen.104 Diese Unterscheidung zwischen Beobachtung erster und zweiter Ordnung drückt sich durch Laclau/Mouffes Unterscheidung zwischen dem Sozialen und dem Politischen aus. Luhmanns Symbolbegriff meint Ähnliches wie der leere Signifikant bei Laclau/ Mouffe: „Das Mitführen eines Letztsymbols wie Unbeschreibbarkeit, Unsichtbarkeit, Latenz reflektiert nur die Kontingenz des Einsatzes aller Unterscheidungen.“105 Unsichtbarkeit muss als Horizont aufgespannt werden, um die Kontingenz der Sichtbarkeit darstellen zu können. Wie aber das Unsichtbare auf die andere Seite, nämlich die sichtbare Seite, wechselt, kann aufgrund der fehlenden Schnittstelle nicht gezeigt werden. Wenn Luhmann schreibt, dass Unterscheidungen vorgeschlagen werden müssen, die sich an die Stelle der Paradoxie setzen, um sie zu invisibilisieren und statt dessen anschlussfähige Identitäten zu konstruieren,106 würde das durchaus dem Verfahren entsprechen, das Laclau/ Mouffe für den Knotenpunkt und den leeren Signifikanten beschreiben. Es ist aber v.a. die im Exkurs zum Symbolbegriff beschriebene Figur des re-entry, die Ähnlichkeiten mit dem leeren Signifikanten aufweist.107 Im Unterschied zu Luhmann verstehen Laclau/Mouffe den Akt des sich selbst Begründens von Gesellschaft als politischen Akt, da damit auch zugleich die Bedingungen der Möglichkeit von Politik gesetzt werden. Wissenschaftliche Disziplingrenzen können so als notwendige Fixierungen, Inter- bzw. Transdisziplinarität als notwendige Bewegungen

104 Vgl. André Brodocz: Die symbolische Dimension der Verfassung. Ein Beitrag zur Institutionentheorie, Wiesbaden: Westdt. Verlag 2003, S. 236, Anm. 8. 105 N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 719. 106 Vgl. Niklas Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 265. 107 Vgl. zu einem Vergleich des leeren Signifikanten mit dem Luhmann’schen re-entry U. Stäheli: Sinnzusammenbrüche, S. 59f. Stäheli schreibt: „Während beim re-entry die benutzte Unterscheidung immer intakt bleibt, wird mit dem leeren Signifikanten die Unterscheidung selbst dekonstruiert – genauer: sie muß dekonstruiert werden, da das Scheitern einer Unterscheidung durch die Selbstrepräsentation des Systems dargestellt werden muß.“ Das würde allerdings lediglich bedeuten, dass sich das System eine negative Identität gibt, indem es sagt, dass es weiß, dass die Unterscheidung nur „als-ob“ funktioniert. Es wird einfach nur das mögliche Scheitern jeder Unterscheidung reflektiert.

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verstanden werden.108 Laclau/Mouffe und Luhmann befinden sich durch ihre differenzlogische Ausrichtung innerhalb der Theorien des Politischen, und bei beiden Theorien ist die Suche nach einem Dritten gegeben.109 Dennoch können sie innerhalb der Theorien des Politischen beinahe als entgegengesetzte Pole verstanden werden. Die Systemtheorie von Luhmann, die sich ihrer Selbstbeschreibung nach auch als differenzlogische Theorie versteht, bezeichnet das grundlose Begründen einer Differenz schlicht als Paradox, das es zu entfalten und zu managen, nicht aber in Frage zu stellen gilt. Das heißt – wie Stäheli gezeigt hat –, dass das Luhmann’sche re-entry die benutzte Unterscheidung stets intakt lässt, während Laclau/Mouffe mit dem leeren Signifikant genau diese Unterscheidung dekonstruieren wollen. Das re-entry entspräche also eher dem Knotenpunkt, der die dekonstruierte Unterscheidung auf Dauer zu stellen vermag. Es muss allerdings noch einmal betont werden, dass Laclau/Mouffe selbst keine genaue Differenzierung zwischen dem leeren Signifikant und dem Knotenpunkt vornehmen. Damit sind, wie erwähnt, nicht irgendwelche Entscheidungen gemeint, sondern Entscheidungen, die system-, diskurs- oder identitätsbegründend sind. Es geht genau um dieses Paradox der Gründung von politischer Theorie und ihrem Gegenstand. Bisher konnte konstatiert werden, dass das Gründungsparadox der politischen Theorie ein „Schnittstellenproblem“ darstellt. Das Politische ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Politik als auch das Moment, das eine mit sich selbst-identische Gesellschaft bzw. Gemeinschaft unmöglich macht. Das Politische kann somit – als grundloser Grund – eigentlich nur symbolisiert werden. Theorien des Politischen zeigen am Beispiel identitätsbegründender Diskurse, wie deren basale Unterscheidung auf einer kontingenten Grundlage getroffen werden. Somit kann die Theorie des Politischen, wenn sie sich darauf fixiert, den Ort der Macht symbolisch leer zu halten, dazu verführen, selbst zum Herrn und Wächter eben dieses leeren Ortes zu mutieren.110 108 Interdisziplinarität meint den Austausch oder Dialog zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Methoden im Hinblick auf einen gemeinsamen Gegenstand, während unter Transdisziplinarität das Verwenden einer gemeinsamen Grundlagenwissenschaft (z.B. der Zeichentheorie), aus der heraus sich verschiedene Methoden (z.B. strukturalistische, poststrukturalistische, diskursanalytische etc.) entwickeln können, die von diversen Disziplinen (z.B. Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft etc.) benutzt werden, zu verstehen ist. 109 Zu erinnern sei an Luhmanns oben erwähnten „imaginären Raum“ sowie an Laclau/Mouffes Symbolbegriff oder Formationsbegriff. Leerer Signifikant und Knotenpunkt stellen nicht wirklich etwas Drittes dar, da sie die Einheit der Differenz der beiden Diskurslogiken entfalten. 110 Nicht umsonst beziehen sich Laclau/Mouffe am Ende ihrer Untersuchung auf Lefort, bei dem der Ort der Macht normativ gesehen zu einer

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Dann vermögen die Theorien des Politischen nichts zu treffen, sie machen mit dem Politischen ein „Jenseits“ des Realitätsprinzips als sozialontologische Kategorie aus. Die Theorien wiederum, die den Ort des Politischen, also den Ort, an dem eine Unterscheidung zwischen Systeminnen und Systemaußen getroffen wird, lediglich als Paradoxie entfaltet, können das Politische nur in einem System gelten lassen: Im politischen System, das eben diese Unterscheidung als re-entry entfaltet. Die Theorie der Politik hingegen arbeitet im Namen des Gesetzes, im Namen der Kultur, der Religion, der Moral – in der Hoffnung, dem Kapitalismus und damit dem Status quo ein „menschliches Antlitz“ zu verleihen, oder seine Tragödie zu verschleiern und zu verdrängen. Sie arbeitet schlicht und ergreifend nicht selbstreferentiell. Wenn Joseph Vogl die vielleicht aktuellste politische Antinomie zwischen einer sich selbstregulierenden globalen Ökonomie und den Nationalstaaten sieht, und wenn er zugleich meint, dass es die Nationalstaaten sind, die diese Enthemmung angestoßen haben,111 fragt man sich doch: Wenn sich die globale Ökonomie selbst reguliert, wenn sie also selbstreferentiell geschlossen ist und sich auch noch selbst hervorbringt, und wenn sie dies alles ohne ontologische Stütze schafft, kann denn dann der Nationalstaat überhaupt operativen Zugriff auf diese Ökonomie ausüben? Ist nicht vielmehr der Nationalstaat ein Produkt der Irritationen, die eben dieser Kapitalismus auszulösen vermag? Gleichzeitig ist der Kapitalismus aber in einer bestimmten Phase seiner Entwicklung für die zunehmende Überwindung nationalstaatlicher Strukturen, bei gleichzeitiger Auflösung von Grenzen, verantwortlich. Ist es nicht – wie Rousseau beobachtet – die demokratisch verfasste Gesellschaft selbst, die, wie der Kapitalismus, „unaufhörlich nach Veränderung der Form“ strebt? Erst im Rahmen der Bewegung gegen diese Prozesse des Kapitalismus wird sich wieder stärker an nationalstaatlichem bis nationalistischem Gedankengut als vermeintlichem Schutz gegen die Auflösung von historisch längst in Auflösung begriffenen Grenzen orientiert. Da der KapitalisLeerstelle wird. „Symbolisch“ leer bedeutet, dass es keine Zentralinstanz für Macht geben darf, es bedeutet nicht, dass Macht nicht faktisch vorkäme. Es könnte fast vermutet werden, dass Laclau/Mouffe in dieser Leerstelle den blinden Fleck des eigenen Theorieentwurfes verorten, den sie durch den Imperativ des „Leer-halten-müssens“ zugleich durch ihre eigene Theorie besetzen. Vgl. E. Laclau/Ch. Mouffe: Hegemonie, S. 231. Zur Unterscheidung zwischen faktisch leerer und symbolisch leerer Stelle der Macht bei Lefort vgl. A. Brodocz: Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 198f. 111 Vgl. Josep Vogl: „Asyl des Politischen. zur Struktur politischer Antinomien“, in: Rudolf Maresch/Niels Werber (Hg.), Raum. Wissen. Macht, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S. 156-173, hier S. 165.

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mus kein Naturgesetz ist, aber dennoch als ein solches empfunden wird, wäre es Aufgabe zukünftiger Analysen zu untersuchen, ob – hat der Kapitalismus ein bestimmtes Stadium erreicht – nicht viel eher eine bestimmte Gesellschaftsform und die mit dieser verbundenen Phantasmen, für seine weitere Entfesselung immanent notwendig sind. Handelt es sich hier abermals um eine gewisse Form von Einbildungskraft, also eine Illusion, die wider besseren Wissens wirksam ist? Es müsste eine Differenz sichtbar gemacht werden, von der aus Entscheidungen getroffen werden könnten, ohne Einheit vorauszusetzen. Luhmann insistiert: „Wie immer, wenn man mit Fragen vom Typ ‚was ist...?‘ auf eine vorausgesetzte Einheit zielt, landet man letztlich auf einer Paradoxie, also bei einer Auskunft, bei der es nicht bleiben kann.“112 Auch wenn keine Einheit vorausgesetzt werden kann, muss das nicht umgekehrt heißen, dass die erste Unterscheidung aus dem Nichts getroffen und nur durch das spätere re-entry als codegenerierendes Programm aufgenommen bzw. abgelehnt wird. Nehmen wir beispielsweise den Code für Massenmedien: Information/Nichtinformation mit der Funktion Information und Unterhaltung. Die Laclau/Mouffesche Ausprägung der Theorie des Politischen würde diese Unterscheidung als kontingent und dekonstruierbar beschreiben. Denn ein Code auf der Basis „verkauft sich/verkauft sich nicht“ wäre ebenso gut vorstellbar. Es müsste untersucht werden, inwiefern und in welchem Maße die jeweiligen SystemCodes wiederum ökonomisch determiniert sind. Die ökonomische Basis der Gesellschaft kann aber – da sie auf einen Welthorizont hin ausgerichtet ist – Gesellschaft nicht repräsentieren. Ökonomie kann zwar als symbolischer Prozess beschrieben werden, vermag aber darüber hinaus kein Allgemeines zu symbolisieren. Die Ökonomie/der Kapitalismus schafft sich zwar auch ein System von Symbolen – Börse, DAX, Gerüchte, u.ä. – im Unterschied zum Staat, zu Regierungen, Monarchen etc. vermag der Kapitalismus aber nicht im oben gemeinten Sinne zu repräsentieren, da ihm der Abstand zu den Repräsentierten fehlen würde. Schließlich ist er ja gerade Bestandteil der alltäglichen Existenz, die Staat oder Monarchie so niemals einnehmen könnten. Aus bisher Gesagtem ergibt sich schließlich, dass kein anderes Funktionssystem als die Politik Gesellschaft als symbolische Einheit darstellen kann.113 Aufgrund weitgehender Ausdifferenzierung sozialer Systeme ist für die Theorien des Politischen eine Repräsentation des Ganzen der Gesellschaft von einem einzelnen Punkt – zumindest in der Demokratie – aus nicht mehr denkbar. Auch für Lefort setzt genau hier symbolische Re112 N. Luhmann: Politik der Gesellschaft, S. 234. 113 Religion könnte das auch, nur würde man dann evtl. eher von transzendenter Einheit sprechen müssen.

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präsentation der Gesellschaft an, gerade weil sie real nicht mehr möglich ist. Da es keine Metaposition geben kann, könne auch nicht von der Differenz – z.B. zwischen Gesellschaft und ihrer Repräsentation – gesprochen werden, sondern nur von ins unendliche differierenden Repräsentationen. Ähnlich wie in der Konzeption von Laclau/Mouffe spricht Lefort von einer „Quasi-Repräsentation seiner selbst“.114 Die Differenz zwischen Gesellschaft und Quasi-Repräsentation soll als symbolisches Dispositiv der Macht leer gehalten werden.115 Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Gesellschaft nicht durch Macht konstituieren würde, sondern dass kein Akteur den Ort der Macht auf Dauer einnehmen darf. Das Politische persistiert bei Lefort v.a. in der Zivilgesellschaft, bei Luhmann beschränkt es sich auf das politische System, bei Laclau/ Mouffe ist es mit jedem Versuch der Objektivierung, innerhalb eines Staates oder innerhalb der Gesellschaft, verbunden.

2.2 Was bisher geschah Paradoxien symbolisieren die Unbeobachtbarkeit der Gesellschaft. Es müsste aber eine Methode entwickelt werden, eben das Verhältnis zwischen Symbol und Paradoxie zu analysieren und somit Paradoxien interpretierbar zu machen. Dann könnte der Satz umgekehrt werden: Symbole symbolisieren Paradoxien, die durch die unterschiedlichsten Versuche entstehen, Gesellschaft zu beobachten. Ein Verzicht auf das Symbol, durch ein bloßes Bekenntnis zur Paradoxie, bedeutet einen Verzicht auf ein Konzept von symbolischer Autorität. Machtstrukturen können aber ohne symbolische Autorität nicht verändert oder unterlaufen werden. Die tendenziell unendliche Paradoxieentfaltung kann mit Laclau/Mouffe nur durch eine kontingente Entscheidung begrenzt werden. Durch eine Analyse des Umgangs mit Symbolen und Paradoxien soll nicht nur ein anderer Blick auf Politik gewonnen werden, sondern eben auch auf das Moment der Macht und Autorität der politischen Theorie selbst. Sowohl die psychoanalytische Theorie als auch die Zeichentheorie von Peirce sehen das Moment der Entscheidung auf dieser Ebene eben gerade nicht als rein kontingentes Moment an. Eine Funktion des Symbolbegriffs kann darin gesehen werden, Gesellschaft zu strukturieren und damit 114 Claude Lefort: „Die Frage der Demokratie“, in: Ulrich Rödel (Hg.), Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990, S. 285. 115 Vgl. zu einer Einführung in die politische Philosophie Leforts: Oliver Marchart: „Die politische Theorie des zivilgesellschaftlichen Republikanismus: Claude Lefort und Marcel Gauchet“, in: André Brodocz/Gary S. Schaal (Hg.): Politische Theorien der Gegenwart II, Opladen: Leske und Budrich 2001, S. 161-193.

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auch zu integrieren. Nur von hier aus – so die Zeichentheorie und die Psychoanalyse – kann überhaupt erst über die Kontingenz von Grenzen gesprochen bzw. diese „dekonstruiert“ werden. Werden Grenzen also mit ihrem Entstehen zugleich dekonstruiert, gibt es sie schlicht nicht mehr, und das (Zeichen-)system hört auf zu bestehen. Dies führte zwangsläufig dazu, es an anderer Stelle mit anderen Grenzen neu zu konstituieren. Politisch wird ein Symbol dann, wenn zusätzlich noch eine Kontroll- bzw. Selbstbeobachtungsfunktion hinzukommt. Es geht somit nicht nur darum, wie das politische System über symbolische Autoritätsinstanzen Gesellschaft strukturiert, sondern wie Gesellschaft sich selbst – z.B. durch politische Theorie – strukturiert und kontrolliert. Mit der psychoanalytischen Theorie sind Aussagen dann symbolisch, wenn ihnen nicht gehorcht wird, weil der Inhalt wichtig ist, sondern weil sie Autorität, darum eben symbolische Autorität, besitzen. In Kapitel II, 2.2 wird danach gefragt werden, wie diese sich scheinbar widersprechenden Funktionen – es soll sinnvoll etwas strukturiert werden und gleichzeitig muss vom Inhalt abgesehen werden können – zusammengedacht werden können. Nach Žižek muss – damit sich ein symbolisches Netz etablieren kann – das binäre Zeichen verworfen werden.116 Dies kann entweder auf die Weise der Theorien des Politischen geschehen, oder – wie es im Folgenden vorgeschlagen wird – durch Einführung eines dreiwertigen Zeichens. Möglicherweise könnten damit die Funktionsweisen, Übergänge und Unterschiede zwischen leerem Signifikant und Knotenpunkt oder zwischen dem Sozialen und dem Politischen auch genauer herausgearbeitet und auf ihre Macht- bzw. Autoritätsstruktur hin befragt werden. Auch die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen des Symbols müsste sich mit einer expliziten Zeichentheorie besser beantworten lassen. Es muss eine Perspektive eingenommen werden, die zwei differierende Repräsentationen von Elementen überhaupt erst sichtbar machen würde. Es wird unten gezeigt, wie die politische Einbildungskraft aktiviert und zum Politischen hinzugezählt wird. Zur Ausdifferenzierung von Politik und Politischem träte dann ein drittes Moment, die politische Einbildungskraft, hinzu. Adornos Diktum, Dinge, wie sie sich vom Standpunkt der Erlösung aus darstellen, zu betrachten, weist möglicherweise in eine ähnliche Richtung. Er wollte über eine reine Standpunktphilosophie hinauskommen: Standpunkte müssen liquidiert werden. Weil Standpunkte ausschließen, weil sie sich auf die Unmittelbarkeit vermeintlicher Fakten berufen würden, gilt es, sie aufzuschieben. Aber ist es nicht gerade auch diese aufschiebende Bewegung, die dem Innova-

116 Vgl. Žižek GDR, S. 111.

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tionsdrang des Kapitalismus entspricht?117 Wäre dann ein Standpunkt eher im Sinne der Hobbes’schen Paradoxie des Sündenfalls einzunehmen? Etwas Ähnliches meint zwar die psychoanalytische Theorie mit dem Begriff des Aktes, ohne dabei allerdings das Politische aus der Gesellschaft zu verdrängen. Alenka Zupanþiþs Figur der „Zwischen-zwei“ würde bedeuten, dass es die Wahlmöglichkeit zwischen Ökonomie (Aufschwung, liberale Demokratie, Theorie des Politischen, der Ort der Macht soll leer bleiben – als einziges normatives Postulat) und Politik (normative oder minimal autoritäre Setzung) gäbe. Es würde nicht bedeuten, dass zwei Systeme auf gewisse Weise – wie in Rousseaus Beispiel Staat und Religion – gleichzeitig und janusköpfig den Gesellschaftskörper repräsentieren. Die sozioökonomische Struktur, die allererst die kapitalistische Produktivität aufrechterhält, wird von den meisten poststrukturalistischen Theorien verkannt.118 Wenn Marktwirtschaft, der Selbstbeschreibung nach, als Handeln mit knappen Gütern beschrieben wird, muss für das Erzielen des Mehrwerts die Knappheit permanent erweitert werden. Dieser Antagonismus macht die kapitalistische Dynamik, die nicht von der konkreten kapitalistischen Gesellschaftsform zu trennen ist, aus. Daher kann sie auch nicht einfach eliminiert werden. Bestünde dann der einzige Unterschied zwischen Ökonomie und Politik lediglich darin, dass die Ökonomie im Gegensatz zur Politik Repräsentation erst gar nicht anstrebt? Die Theoretiker des „dritten Weges“ würden diese Frage wohl bejahen.119 Wie könnte überhaupt eine Entscheidung getroffen werden, die zwei differierende Repräsentationen von Differenz aufscheinen lässt? Wie kann man sich die Rede von zwei differierenden Repräsentationen von Differenz vorstellen? Hier ist nochmals Luhmanns Bestimmung der Entscheidung von Interesse, erinnert sie doch stark an Hobbes: „Ihr Innenleben bleibt also dunkel und unaufklärbar. Wie immer, so kann man aber auch hier vermuten, daß die Bezeichnung eines nichts weiter klärbaren Mysteriums der Tarnung einer Paradoxie dient. Und diese Paradoxie besteht darin, daß die Entscheidung vor der Entscheidung eine andere ist als nach der

117 Nicht zuletzt wartete die SPD in einem Wahlkampf (nach „Verfassungspatriotismus“ und „Grundwerte“-Diskussion zuvor) mit dem Schlagwort „Innovation und Gerechtigkeit“ auf. Das Wirtschaftswachstum soll durch Innovationen gefördert werden. 118 Vgl. Slavoj Žižek: Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen, Berlin: Volk & Welt 2000, S. 17. 119 Vgl. beispielsweise Ulrich Beck: Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986. Siehe auch Anthony Giddens: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995.

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Entscheidung. Sie ist, um ihr Mysterium zu reformulieren, als Einheit selbzweit.“120

Ist das nicht die Beschreibung der autoritären Entscheidung, die nach dem Prinzip: „Es ist so, weil es so ist!“ verfährt? Natürlich ist „vorher“ immer irgendwie anders als „nachher“, bei Luhmann hingegen bleibt unklar, ob die Einheit ein „Selbzweit“ im Sinne einer Synthese zweier antagonistischer Pole ist, oder ob es das Spannungsverhältnis aufrecht erhält? Die differenzlogische Systemtheorie gründet sich zwar auf einer Differenz (System/Umwelt), muss diese Differenz aber in der Zeit entfalten und kann somit ein Zwischen-Zwei eigentlich nicht sichtbar machen. Eine wirkliche Differenz kann es – so die These dieser Arbeit – nur geben, wenn drei Elemente gleichursprünglich gegeben wären. Es scheint also bei Luhmann nur rein äußere Differenzen zu geben, nicht aber eine den Phänomenen inhärente Differenz. Die reine Differenz besteht zwischen der Menge und einem überschüssigen Element, das zwar zur Menge zählt, nicht aber durch eine differentielle Eigenschaft gekennzeichnet ist. Mit Luhmanns Definition von Entscheidung wird der Maßstab zur Beurteilung der Situation nicht geändert. Geht man vom Standpunkt der Wirklichkeit – also der Peirce’schen Zweitheit – aus, so steht am Anfang Differenz. Bloßes Wahrnehmen geschieht immer durch das Wahrnehmen von Differenzen. (Er)findet oder errät man den Standpunkt allererst, kann von einer ganz anderen Seinsdimension ausgegangen werden. Durch das der bloßen Wahrnehmung folgende Wahrnehmungsurteil wird sich die Differenz als dyadische Relation herausstellen. Aber dafür müsste man nach einer philosophischen Kategorie suchen, welche die Systemtheorie, nicht zuletzt ihrer eigenen Konsistenz zuliebe, ablehnt. Es müsste möglich sein, dieses „vorher“ und „nachher“ kategorial zu unterscheiden, und beide als auf verschiedenen Seinsweisen erscheinend, beschreibbar zu machen. Wir sind also mittlerweile bei der Frage angelangt, ob ontologische Kategorien ontisch hinlänglich beschreibbar sind. Das Politische der kleinen Diskurse und Subsysteme präsentiert also, ohne das Allgemeine zu repräsentieren. Es scheinen bei den Theorien des Politischen nur Innovationen möglich, ein Suchen nach immer neuen Differenzen, aber ohne dass sich wirklich etwas an den Rahmenbedingungen ändern würde. Die Mikropolitiken (z.B. die Identitätspolitiken, die partikularen, v.a. ethnischen oder sexuellen Anerkennungsforderungen) sind nicht in der Lage, das Ganze zu stören. Aus der Sicht der Theorien des Politischen erscheint die Einheit bzw. das Streben nach Einheit der Theorien der Politik als 120 N. Luhmann 2000, S. 235.

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trennend und gewaltsam. Politik erscheint als etwas von außen auferlegtes. Das Bedürfnis und die damit verbundene Forderung nach Anerkennung ist, psychoanalytisch gesehen, ein Bedürfnis nach autoritären Figuren und gleichzeitig nach deren Entmachtung. In diesem Dilemma stecken einige Theorien des Politischen fest. Dekonstruktion gewährleistet Universalität durch Konzeptualisierung von Selbstreferenz bzw. Paradoxie – es kann keine privilegierte Metaposition als Fundierung geben. Der Universalitätsanspruch kippt in Selbstreflexivität um, weil er das zu denken und zu kommunizieren versucht, was dem Denken und der Kommunikation konstitutiv vorausgeht.121 Dieser universale Erklärungsanspruch kann aber nur von einer partikularen Position aus geleistet werden. Zugespitzt formuliert: Dieses Moment ist nicht durch irgendwelche vorherbestimmten positiven Werte abzusichern. Das Politische der Theorie macht eigentlich ein Moment aus, das nicht mehr wissenschaftlich oder theoretisch ist: Es ist nicht die Differenz zwischen Affirmation und Kritik, oder zwischen Konsens und Konflikt. Es geht um die Frage, woher man weiß, was man weiß: Nach der Entscheidung für eine bestimmte Theorie hat man diese erste Entscheidung immer bereits getroffen. Es geht also um die Frage des Subjekts. Wenn im Vertrag von Hobbes das Recht, über sich selbst zu herrschen, auf andere übertragen wird, so zeigt die psychoanalytische Theorie, dass man das Recht nicht übertragen kann, weil man es nie besessen hat. Zugleich zeigt sie, dass man das nur erkennen kann, wenn dieses Recht zuvor jemandem übertragen wurde. Welche Instanz im Subjekt überträgt und überträgt gleichzeitig nicht? Man kann nicht über sich selbst herrschen, und dennoch ist man für sich selbst verantwortlich, d.h., man muss sich selbst ermächtigen. Es wird zu zeigen sein, dass es das Unbewusste ist, das immer einen nichtintegrierbaren /„Rest“/„Überschuss“ hervorbringt. Wenn Hobbes sagt, dass im Inneren geglaubt werden darf, was man will, würde Žižek wohl anmerken, dass man damit aber noch lange nicht wisse, was man glaubt. Hier geht es also konkret um die Konsequenzen der theoretischen Umstellung von Einheit auf Differenz und das damit verbundene Verabschieden eines Symbolbegriffes. Eine Differenz, die ein beobachtbares „zwischen-zwei“ aufspannt, anstatt die Außenseite einer Unterscheidung in die Umwelt zu verlegen, müsste dann selbst von einem dreiwertigen Zeichensystem ausgehen. Luhmanns Diktum, etwas zu unterscheiden, läuft immer darauf hinaus, eine der beiden Seiten zu privilegieren.122 121 Vgl. Oliver Jahraus/Benjamin M. Schmidt: Systemtheorie und Dekonstruktion, S. 16. 122 Vgl. Nina Ort: „Kommunikation – Proömium zu einem Begriff“, in: Oliver Jahraus/Nina Ort (Hg.), Bewusstsein, Kommunikation, Zeichen. Wechsel-

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Es fehlt die dritte Position, die, wenn man so will, weiß, warum welche Seite privilegiert wird. Dieses Wissen wäre wiederum eine klassische Form von Autorität. In dieser dritten Position ginge es dann nicht darum, auszurufen, dass wir einen Anderen brauchen, der für uns Standpunkte einnimmt, weil die Welt polykontextural, hyperreal, dezentralisiert etc. geworden ist, sondern herauszubekommen, welche Folgen dieses Autoritätsvakuum nach sich ziehen kann. Intuitiv würde man ja zunächst annehmen, dass jeder versucht ist, nun seine eigene „Privatautorität“ ins Spiel zu bringen. Der Versuch, diese durchzusetzen, führte allerdings schnell wieder zu dem Hobbes’schen Dilemma des Kampfes eines jeden mit jedem und somit zu reinen Machtkämpfen. Die Hoffnung besteht in der Zweideutigkeit jeder dreiwertigen Theorie. Jedes triadische Modell ist – wie noch genauer gezeigt wird – immer von zwei Seiten/Perspektiven aus interpretierbar. Möglicherweise ist eine Theorie denkbar – getestet wird das mit der dreiwertigen Zeichentheorie von Peirce und der, z.T. ähnlich aufgebauten, Zwingenden Theorie –, die auf eine gewisse Art einen Standpunkt einnimmt und zugleich diese autoritäre Position wieder unwirksam macht. Die Position wird unwirksam gemacht, ohne sie dabei wie die Theorien des Politischen lediglich zu verschieben. Für die Zwingende Theorie geht es darum, dass das Subjekt dieser grundlose Grund ist – nicht als transzendentale Apperzeption, als mit sich selbstidentisches Subjekt –, sondern als Subjekt des Unbewussten.123 Zentral ist dabei das Verhältnis von Allgemeingültigkeit und partikularer Fülle. Das „Zwischen“ als Raum, der nicht von einzelnen Forderungen ausgeht, könnte der Raum sein, der das Latente, Protozeichenhafte wach hält. Der Zwischenraum soll nicht ausschließlich als Korrektiv gegen die Theorie der Politik oder die Theorie des Politischen dienen, sondern muss die Bedingung für die Einnehmbarkeit eines politischen Standpunkts sein. Daher ist es nur möglich, dort, wo die dualistische liberale Logik etwas ausgrenzt, den Standpunkt einzunehmen.

2.3 Überleitung: Herr Luhmann oder der Wille zum Staunen Die Entscheidung wird nicht aus dem Zwischenraum heraus getroffen werden, sondern ließe diesen „Zwischenraum“ überhaupt erst aufscheinen. Ja, natürlich kann es keine Metaposition bzw. -theorie geben, und trotzdem muss versucht werden, von einem archimedischen Punkt bzw. Ort aus zu erzählen. Die transzendentale Subjektphilosophie kann bei wirkungen zwischen Luhmannscher Systemtheorie und Peircescher Zeichentheorie, Tübingen: Niemeyer 2001, S. 19ff. 123 Vgl. Žižek TS, S. 39 und S. 44.

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dieser Suche nur überwunden werden, wenn man sie theoretisch durchläuft, und wenn begründet werden kann, durch was sie ersetzt wird. Dann ist nach der Entscheidung vor der Entscheidung – nur von einem anderen Blickwinkel aus. Es ließe sich somit nicht nur das Politische von der Politik ausdifferenzieren, sondern das Politische selbst verdoppelte sich innerhalb einer triadischen Relationierung: Politik, das Politische und ein noch zu bestimmendes Politisches, das weder den oben beschriebenen Antagonismus auflöst, noch sich davor scheut, Partei zu ergreifen. Die Suchbewegung nach dem archimedischen Punkt gibt es auch innerhalb der Theorien des Politischen, nur wird dieser „Zwischenraum“ entweder leer gehalten oder nicht weiter theoretisch entfaltet. Luhmann stellt hier eine Sonderposition dar, denn er hat weder eine Politische Theorie, noch eine Theorie des Politischen konzipiert; auch dort, wo er die Politik der Gesellschaft aus der Gesellschaft differenziert, unternimmt er dies aus einer systemtheoretischen Sicht. Die Suche nach dem archimedischen Punkt zeigt sich aber auch in Luhmanns Texten und soll hier abschließend, in einer nicht allzu ernst gemeinten Weise, zum nächsten Großkapitel überleiten. Die psychoanalytische Theorie unterscheidet Kants transzendentale Apperzeption als leere Form der Subjektivität und Descartes cogito als etwas, das sich dem radikalen Zweifel widersetzt. Was genau ist damit gemeint, sich dem Zweifel zu widersetzen? Dieses Problem ist für die Zeichentheorie und die Zwingende Theorie zentral und führt direkt zu Aspekten des Umgangs mit Politik und dem Politischen. Welcher Art von Zweifel widersetzt sich ein Menschen und warum? Welcher Zweifel führt dazu, dass Prämissen eines Zeichensystems in Frage gestellt werden und zu neuen Entscheidungen führen? Am Beispiel von Luhmanns Unterscheidung zwischen Zweifel und Staunen soll abschließend demonstriert werden, wie eine solche Suche aussieht und wohin sie führen kann, um von da aus in den nächsten beiden Großkapiteln zur politischen Einbildungskraft zu gelangen. Der Zweifel sorgt nach Luhmann dafür, dass sich eine Sequenz operativer Informationsverarbeitung nicht atomatisiert.124 Mit anderen Worten: Information soll beweglich, kohärent und anschlussfähig gehalten werden. Die Funktion des Zweifelns besteht dann darin, die Kohärenz von Informationssequenzen zu kontrollieren. Zweifel meint nicht, wie etwa Luhmann zufolge eine lange Tradition suggerierte, die Realitätsentsprechung einer solchen Informationsverarbeitung, über die er weder positiv noch negativ Auskunft geben könnte. Gibt es somit nicht eine erstaunliche Nähe zwischen Zweifeln und Staunen? Staunt der Leser jetzt 124 Vgl. N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 234.

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über die behauptete Nähe oder bezweifelt er sie? Eine Frau würde laut Luhmann jedenfalls eher darüber staunen. Seine Devise lautet: „der Mann denkt, die Frau staunt. Admiro, ergo sum.“125 Zum Staunen gebe es keinen Gegenbegriff, weil das Negative in sich eingeschlossen bzw. in Bezug auf positiv und negativ unqualifizierbar bleibt.126 Das Staunen ist nach Luhmann somit das genaue Gegenstück des Zweifels. Wo der Zweifel die Kohärenz von Informationssequenzen kontrolliert, fixiert bzw. atomisiert sie das Staunen lediglich. Das sich dem Zweifel widersetzende Staunen scheint sich in der Nähe des cogitos zu befinden. „Dem Soziologen kommt der Verdacht, daß die staunende Seele und ihr denkendes Ich oder ‚Passion‘ und ‚Vernunft‘ nur vorgeschobene Positionen sind, die ein gesellschaftsstrukturelles Problem verdecken, das man noch nicht formulieren kann.“127 Das muss der denkende Mann übernehmen. Die staunende Seele, die Leidenschaft oder das denkende Ich ohne einen Gegenbegriff, gelangt aber nicht wirklich zum psychoanalytischen Verständnis des cogito. Bei Luhmann entspräche das cogito vielmehr einer Irritation ohne Informationswert, einem „noch nicht digitaliserte[n] Zustand des Systems, in dem es nicht einmal sich selbst von seiner Umwelt unterscheiden kann.“128 In einer Fußnote zu diesem Satz weist Luhmann dann auch lapidar darauf hin: „Wir lassen hier offen, ob dies der admiratio, dem Zustand ohne Gegenteil entspricht.“ Schließlich staunt er – sich somit vermeintlich selbst in eine Frau transformieren wollend – in einem Gespräch mit Rainald Goetz über dessen Kunstbegriff: „Kunst sei Dissidenz, aber Dissidenz jetzt (und heute) gerade auch im Verhältnis zu den programmatischen Dissidenten und professionellen Kritikern, die das Staunen verlernt haben.“ Vorbedingung einer Rekonstruktion von etwas Anderem – ob nun Kunst oder einer neuen Formulierung von gesellschaftlichen Problemen – kann nur eine Form von Tabula rasa sein. Denn nur die Dissidenz im Verhältnis zu Dissidenten würde – so Luhmann – ein Staunen wieder möglich machen, „ein Staunen über 125 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 4, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999, S. 57. 126 Hegelkennern wird sofort die Parallele zum gedoppelten Willen auffallen. Dort ist es ein weibliches nichtwissendes Treiben zum Wissen: „Durch die List ist der Willen zum Weiblichen geworden [...] das nichtwissende Treiben zum Wissen.“ Hegel JR, S. 221 Diesem „Unterirdischen“ steht ein männlicher Trieb gegenüber, die Begierde. Vgl. ebd., S. 221. Diese beiden Triebe sind, wie auch Staunen und Zweifel, noch kein Wissen: „Das Böse ist das an sich Nichtige, das reine Wissen von sich selbst, diese Finsternis des Menschen in sich selbst [...].“ ebd., S. 260. 127 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 58. 128 Ebd., S. 62.

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die Realität, wie sie sich alltäglich zeigt, ein Staunen ohne Vorentscheidung über Bejahung oder Verneinung.“129 Es wird hier der Punkt gesucht, von dem her überhaupt erst über Bejahung oder Verneinung entschieden werden kann. Es wird das gesucht, wonach auch vorliegende Studie für Politik und politische Theorie fahndet und was später mit dem Theorem der politischen Einbildungskraft näher bestimmt werden wird.130 Was ist das für ein Element im Subjekt, das eine Aufhebung innerhalb der Gesellschaft immer schon verhindert? Zeichentheorie und Zwingende Theorie zeigen allerdings, dass unbewusst immer schon – und dieses immer schon beginnt hier zum Theorem zu werden – eine Entscheidung getroffen wurde, die sich auf der anschließenden Bewusstseinsebene durch Bejahung oder Verneinung zeigt. Nur eine Irritation durch etwas, das auf ein wie auch immer zu konzipierendes Subjekt einwirkt, kann Staunen, Zweifel, oder ein „ist mir egal“ etc. hervorrufen. Es muss im nächsten Abschnitt beantwortet werden, ob die Suche nach dem Ort der Tabula rasa mit Peirce im Bereich der Kategorie der „Erstheit“ gefunden werden kann, und mit der Zwingenden Theorie in die Ebene des Unbewussten verlegt wird. Es muss eine Schnittstelle zwischen „vorher“ und „nachher“ geben: Anders könnte Dissidenz der Dissidenz nicht gedacht werden. Es sei denn, man gelangt wieder in einen unendlichen Innovationszwang des Dissidententums, der letztendlich doch immer nur den Status quo bejaht. Staunen oder Zweifel basieren also immer schon auf diesem unbewussten Prozess. Oder es müssten – wie schon bei Luhmanns Begriff der Entscheidung – zwei Arten des „Staunens“ voneinander unterschieden werden. Ein erstes Staunen wird durch Dissidenz entzaubert und kann erst wieder durch ein Abschütteln dieser Dissidenz erneut erzeugt werden. Dann aber wäre der Zweifel sozusagen die Voraussetzung der zweiten Art zu staunen. Somit ist und bleibt Luhmann trotz seiner Bemühung ein Herr Luhmann, ein Herr Luhmann mit dem Willen zum Staunen. Was diese Skizze zeigen wollte und womit der Bogen zur Zeichentheorie und Zwingenden Theorie geschlagen wird, ist, dass ein Staunen im Sinne einer Irritation nur durch Denken bzw. Theorie die alltägliche Sicht auf Wirklichkeit verschieben kann. Ansonsten bleibt es eine bloße admiratio ohne jede Folgen.

129 Beide Zitate Ebd., S. 98. 130 Interessanterweise ist auch für die psychoanalytische Theorie diese Kluft – Tabula rasa – nicht leer, sondern sexualisiert. Vgl. z.B. Žižek DPS, S. 85f. Žižek schlägt dort einen Bogen von Platons Mythos aus dem Symposion zu Heideggers „Zwietracht der Geschlechter“. Siehe auch Žižek NW, S. 65ff.

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Zeichentheorie und psychoanalytische Theorie

1. Das Verhältnis von Zeichentheorie und Kategorienlehre Kapitel II soll den ersten Teil der Fragestellung, ob und wie Zeichentheorie als Grundlage politischer Theorie dienen kann, beantworten. Vermag sie als Werkzeug verwendet zu werden, um Schein, Wirklichkeit und Realität analytisch zu trennen, ohne dabei Realität schlicht zu verdoppeln? Eignet sich die Zeichentheorie ferner, die Leistungen der Theorie der Politik und der Theorie des Politischen zu integrieren und die Desiderate zu beheben? Welches Element würde die dritte Stelle bei diesem Vorgehen einnehmen? Die Leistungen der Theorie der Politik bestehen v.a. darin, Mechanismen zu beschreiben, wie ein politisches System relativ fixierte Strukturen herausbilden kann. Es gilt, in der Rekonstruktion der Zeichentheorie von Peirce v.a. dieses strukturbildende Moment herauszuarbeiten. Die Leistungen der Theorie des Politischen liegen in der Beschreibung ereignishafter Operationen, die im Extremfall dazu neigen, das Bewegen zu fixieren bzw. auf Dauer zu stellen. Ein Nachteil dieses aufgeschobenen Fixierens der Theorie des Politischen lag darin, dass die selbstbehauptete subversive Kraft schwer entfaltet werden kann. Es ist dann häufig gerade die Betonung des Moments eines Sinn(zusammen)bruchs, der wiederum negativ strukturbildend wirkt. Hier gilt es, die Zeichentheorie danach zu befragen, wie Zeichenprozesse verändert werden können. Bevor nun die Zeichentheorie von Peirce mit Blick auf die aufgeworfenen Fragen rekonstruiert wird, soll erläutert werden, warum dafür ebenfalls seine Kategorienlehre notwendig ist. Es können v.a. zwei Ebenen, mit der Zeichentheorie umzugehen, beobachtet werden:

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(Abbildung 1: Zeichentriade) Zum einen eine komplexe Herangehensweise an die Theorie und Terminologie von Peirce – die Kategorienlehre und Zeichentheorie zusammen rezipiert – und zum anderen eine, die sich ausschließlich auf den Zeichenbegriff stützt. Letztere betrachtet lediglich die Relation zwischen Zeichen, Zeichenobjekt und Interpretant. Eine solche Betrachtungsweise kann aber dem Prozess der Zeichenverbindung nicht wirklich gerecht werden. Die jeweiligen Endpunkte der dreistelligen Zeichentriade sind austauschbar. Jeder der drei „Strahlen“ kann auf drei verschiedene Weisen gegeben sein, wobei Peirce das Zeichen manchmal auch Repräsentamen nennt. Die Unterscheidung dieser drei Weisen liegt in der Peirce’schen „Kategorienlehre“ begründet. So kann z.B. die Objektrelation als Ikon, Index oder Symbol thematisiert werden. Der Index für sich genommen macht die dyadische Relation zwischen Repräsentamen und Objekt aus, ist jedoch noch kein richtiges Zeichen, sondern dient lediglich als analytische Unterscheidung. Erst mit dem Interpretanten, der in diese dyadische RepräsentamenObjekt-Relation eingebunden wird, komplettiert sich das Zeichen zu einer genuinen Triade. Um allerdings auch darzustellen, dass es sich um ein dreigliedriges Zeichen handelt, ist zur Beschreibung ein vierter Begriff notwendig. Das ist auch der Grund, warum Peirce zwei verschiedene Zeichenbegriffe verwendet. Wenn es sich um das Zeichen innerhalb der triadischen Relationen handelt, nennt er das Zeichen „Repräsentamen“. Wenn es um ein Zeichen geht, das die Zeichenfunktion darstellt, nennt er es Zeichen. In manchen Texten macht er es leider auch umgekehrt, was dann in der Rezeption häufig zu Verwechslungen führt.1 Das Zeichen hat v.a. zwei Funktionen: Eine Bezeichnungs- und eine Bedeu-

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In einigen Definitionen verwendet Peirce die Begriffe „Zeichen“ und „Repräsentamen“ auch synonym. In SS Bd. 1, S. 193 schreibt Peirce: „[...] insoweit es dies bewirkt, ist es ein Zeichen oder ein Repräsentamen.“ Vgl. auch PhLZ, S. 123.

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tungsfunktion. Wichtig ist, dass das Zeichen Teil der Triade ist – also zwischen Objekt und Interpretant steht – und zugleich die Triade repräsentiert. Der Zeichenbegriff kann – ähnlich wie in einer zweistelligen Zeichendefinition, wo das Zeichen die Einheit der Differenz aus Signifikant und Signifikat ist – als Einheit der triadischen Relation von Repräsentamen, Objekt und Interpretant gesehen werden. Das Zeichen ist bei Peirce – im Unterschied zur Semiotik von z.B. Locke – eben auf sich selbst bezogen. In den vorliegenden Ausführungen wird „Repräsentamen“ für das erste der drei Zeichenkorrelate verwendet und „Zeichen“ für die Einheit von Repräsentamen, Objekt und Interpretant.2 Ähnlich wie in manchen konstruktivistischen Theorien sind Zeichen bei Peirce nicht als deutbare externe Fakten zu verstehen, sondern immer nur dann Zeichen, wenn sie in einer Zeichentriade eingebunden sind und gleichzeitig diese Triade repräsentieren. Ein Exkurs zum zeichentheoretischen Verständnis des Repräsentationsbegriffs wird daher im Kapitel II, 1.3 folgen. Um zu erklären, auf welche Weise Zeichen oder Symbole für die Wirklichkeit bzw. Realität konstitutiv sind, muss auf die Kategorienlehre von Peirce zurückgegriffen werden. Die Zeichentheorie kann eigentlich nicht ohne die Kategorienlehre verstanden werden, da sie allein nicht erklären kann, wie ein Interpretant sich in ein Zeichen transformiert, ohne eine Art Ebenenwechsel zu vollziehen. Eine Alternative zu dieser Verschränkung aus Kategorienlehre und Zeichentheorie stellt oben vorgestellte hermeneutische Erweiterung dar. Ein Zeichen ist nicht entweder ein Ikon, Index oder ein Symbol. Es ist nur jeweils einer dieser drei Aspekte, die im Vordergrund des Zeichens stehen. Es ist nicht möglich, ein Zeichen zu finden, dem die indexikalische Eigenschaft völlig fehlt. Aber umgekehrt ist eben nicht jeder Index, da er für sich genommen kategorial auf einer anderen Ebene anzusiedeln ist, ein Zeichen. Das gerade ist ein Aspekt, der Peirce so interessant macht. Es können vorsymbolische bzw. präzeichenhafte Aspekte auf einer rein analytischen Ebene bestimmt werden.

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Einige Autoren sehen es genau umgekehrt; Baltzer entscheidet sich dafür, mit Zeichen das Element, nicht aber die Triade als ganze zu bezeichnen. Bei ihm ist es das Repräsentamen, das die ganze Triade darstellt vgl. Ulrich Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht: Kategorien bei Charles S. Peirce, Paderborn, München: Schöningh 1994, S. 72, Anm. 209. Deledalle schlägt vor, die Zeichen-Aktion (also die Semiose) von dem ZeichenRepräsentamen als dem Ausgangspunkt der semiotischen Schlussfolgerung zu unterscheiden; vgl. Gérard Deledalle: Semiotik als Philosophie“, in: Uwe Wirt (Hg.), Die Welt als Zeichen und Hypothese. Perspektiven des semiotischen Pragmatismus von Charles S. Peirce, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 36f.

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Die Relation zwischen Repräsentamen, Objekt und Interpretant ist nicht als „natürliche“ oder gar interkulturell verständliche Relation zu betrachten, da sie nicht allein existiert. Sobald sie beobachtet oder beobachtbar wird, hat eine weitere Komponente bereits gewirkt: Ein Zeichen muss darstellen können, dass es diese Relation darstellt. Ein Ikon oder ein Index existieren nicht als solche oder können als solche beobachtet werden. Ein Ikon/Index kann nur als in einen Zeichenprozess eingebunden verständlich gemacht werden. Dann allerdings – betrachtet man den Zeichenprozess – können Ikon und Index sehr wohl als natürliche, nichtarbiträre Zeichen verstanden werden. Zu denken wäre an Luhmanns Beispiel der herbstlichen Blätterverfärbungen, oder an Peirces Beispiel einer Sonnenblume, die sich der Sonne entgegenstreckt etc. Es handelt sich dabei um Zeichen, die das sind, was sie darstellen. Ihr Indexanteil oder Indexaspekt ist stärker ausgeprägt als der Ikon- oder Symbolaspekt. Der Symbolaspekt einer speziellen Geste, z.B. das Nicken des Kopfes, meint, dass eben diesem Nicken in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlicher Sinn hinzugefügt wird (Bejahen bzw. Verneinen). Der Indexaspekt bleibt in allen Regionen der gleiche, nur die Interpretation ist von Fall zu Fall verschieden. Mit der Zeichentheorie von Peirce kann somit auch die Hermeneutik als semiotisches Phänomen verstanden werden. Der hermeneutischen Erweiterung entspricht der symbolische Gehalt von Zeichen. Gerade durch ihre Verschränkung von Kategorienlehre und Zeichentheorie ist eine Möglichkeit gegeben, die Ebene der Realitätskonstitution durch Zeichen bzw. Symbole nachzuzeichnen. Der zeichentheoretische Symbolbegriff beschreibt den Prozess, der bewirkt, dass Zeichen als Symbole interpretiert bzw. verstanden werden. Auch Hegels Selbstbewegung des Begriffs und Luhmanns re-entry Bewegung lassen diese Figur der theoretischen Selbstanwendung erkennen. Symbole verfügen dabei nicht schon aus sich heraus über bestimmte Eigenschaften. Die Kategorienlehre kann als so etwas wie eine Phänomenologie – Peirce nennt sie Phaneroscopie – verstanden werden, die der Zeichentheorie zugrunde liegt.3 Dabei wird zu untersuchen sein, ob die3

Diese These ist in der Peirceforschung durchaus umstritten. Konnte im Exkurs zum Symbolbegriff gezeigt werden, dass es in Luhmanns Zeichenkonzeption die Zeichen sind, die dem Sein vorausgehen, so sind es bei Peirce die Kategorien, die den Zeichen in einer Art nachträglichen Erschließung vorausgehen. Anders wird Peirce z.B. von Savan rezipiert, der auf einem Primat des Zeichens besteht. Vgl. David Savan: „Questions Concerning Certain Classifications Claimed for Signs“, in: Semiotica 19 (1977), Bd. 3/4, S. 179-195, hier S. 183. Diese Interpretation könnte durchaus an der uneinheitlichen Verwendung des Zeichenbegriffs liegen. So müsste man auch hier wieder fragen: Welches Zeichen? Das Zeichen

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se Begründung in einem transzendentalen Sinne zu verstehen ist. Gerade für die Frage nach einer möglichen Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Realität und die unmittelbar daran anschließende Frage nach der Art und Weise, wie Zeichen und Symbole an der Konstruktion von Wirklichkeit oder Realität beteiligt sind, eignet sich die Zeichentheorie von Peirce wesentlich besser, als andere Zeichentheorien.

1.1 Kategorienlehre Die drei Peirce’schen Kategorien „Erstheit“, „Zweitheit“ und „Drittheit“ sind die allgemeinsten Elemente, die in der Erfahrung gefunden werden können.4 Peirce fragt nach der Gesamtheit dessen, was sich in unserem Geist befindet.5 Um bereits zu Beginn zu demonstrieren, dass Peirce durchaus nicht der humorlose, wissenschaftlich kaltblütige und zudem schwer verdauliche Denker war, dessen Ruf ihm heute noch mitunter anhaftet, sei ein vergleichsweise langes Zitat gestattet: „In der Gesamtheit alles dessen, was sich in unserem Geist befindet – diese Gesamtheit nenne ich das Phaneron und dies ist notwendigerweise mit Absicht ein vager Terminus –, können wir eine Vielfalt von Bestandteilen erkennen, und wir stellen auch fest, daß sie von ganz unterschiedlicher Natur sind. Um diese beiden Bemerkungen der Gefahr des Mißverständnisses zu entheben, wird der Verfasser jetzt einige der Dinge niederschreiben, die sich während der letzten Minuten in seinem Geist vollzogen. Da er ein wenig seiner üblichen Gesundheit entbehrte, war er sich bestimmter Empfindungen im Rumpf seines Körpers bewußt. Doch die köstlich kühle Wärme des Junivormittags, der taumelnde Sonnenschein, der mit den Schatten des grünen Buschwerks vor seinem Fenster spielte, die absolute Stille seines Arbeitszimmers, riefen in ihm Gefühle der Freude und Dankbarkeit hervor. Dann kam ihm die Idee, daß all dies zu eigennützig und zu müßig sei. Zweifellos machte er eine intensive Anstrengung, diese Sätze zu bilden und niederzuschreiben – keine so leichte Aufgabe wie man vielleicht annimmt. Er konnte nicht sagen, daß er sich unmittelbar dieser Anstrengungen bewußt war, so wie er sich jener Gefühle bewußt war. Ein Gefühl zu haben und sich seiner nicht bewußt zu sein würde

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innerhalb der Triade – also das Repräsentamen –, oder das Zeichen, das die Triade als Ganzes darstellt? Vgl. zur umfassenderen Diskussion dieser Frage U. Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht. Die numerische Klassifikation meint, dass die tiefste Kategorie in der jeweils nächsthöheren mitenthalten ist, aber nicht umgekehrt. Erstheit ist also in Zweitheit und Drittheit enthalten, Drittheit aber nicht in der Erstheit. Erst wenn man die Zeichen kategorial bestimmt, können Subzeichen gebildet werden, die dann wiederum z.B. auf der Ebene der Drittheit der Erstheit (=Legizeichen) thematisiert werden können. Vgl. PhLZ, S. 51. Geist wird nicht mit Bewusstsein gleichgesetzt.

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heißen, gleichzeitig zu fühlen und nicht zu fühlen. Das ergibt nur Unsinn. Aber es ist in jeder Hinsicht möglich, eine intensive Anstrengung aufzubringen, ohne sich ihrer überhaupt bewußt zu sein; eine solche Anstrengung ist besonders wirksam.“6

Das Objekt der „Phanerosocopy“7 ist demnach alles, was erfahren werden kann und umfasst gleichzeitig die möglichen Erfahrungen. Peirce fragt, wie die Vielfalt von Bestandteilen des Phanerons unterschieden werden kann und was die besondere Qualität des Bewusstseins von Anstrengung ausmacht. Die Phanera sind in gewisser Weise unabhängig gegebene Objekte, die der Geist nicht hat, sondern die er im Denken zu begreifen versucht.8 Das Bewusstsein von Anstrengung – im Moment der Anstrengung unbewusst, weshalb es Peirce auch den Psychologen überlassen will – entsteht durch eine Art Überlagerung der Vorstellung des Zustands, der herbeigeführt werden soll, über die Wahrnehmung des zu beseitigenden Zustands. Die Kategorienlehre ist im Unterschied zur Zeichentheorie eine nichtnormative Theorie. Daher geht es auch noch nicht um die Bedeutung oder Bewertung dieser Zustände im Sinne einer Spannung zwischen Sein und Sollen. Die Kategorien sind nach Peirce die unzerlegbaren Bestandteile alles Erfahrbaren und werden nicht durch Introspektion, sondern durch das Vermögen, zu generalisieren, erfahrbar. Die Kategorien stehen in einer Ordnungsrelation zueinander und reichen aus, um alles Erfahrbare zu beschreiben. Sie sind die allgemeinsten Begriffe, die in der Erfahrung selbst verkörpert sind.9 Begriffe wiederum sind das Pro6 7

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PhLZ, S. 51. Der Begriff der „Phaneroskopie“ löst den der „Phänomenologie“ ab. Peirce schreibt: „Ohne Frage bedeutet Phaneron [gr. Einfügen] in erster Linie an das Licht gebracht, gänzlich öffentlicher Prüfung zugänglich. Das Offensichtliche ist das, was eine Person, die nicht gezielt ihre Augen dagegen verschließt, zu glauben gezwungen ist.“ Peirce MS 337, so zit. in Helmut Pape: „Einleitung“, in: Christian J. W. Kloesel/Helmut Pape (Hg.), Charles S. Peirce: Semiotische Schriften, Bd. 2 2000, S. 29. Nach Corrington rekonstruiere Peirce Hegels Phänomenologie des Geistes als pragmatische Variante, indem er v.a. die Kategorie der Zweitheit untersucht, die Hegel laut Peirce ausgelassen habe; vgl. Robert S. Corrington: An Introduction to C. S. Peirce: Philosopher, semiotician, and Exstatic Naturalist, Lanham: Rowman & Littlefield 1993, S. 136. Peirce hält die Phänomenologie für ein Werk, „das viel zu fehlerhaft ist, als daß man es irgend jemand anderem als einem reifen Gelehrten empfehlen kann, obwohl es vielleicht das tiefgründigste Werk ist, das jemals geschrieben wurde.“ PhLZ, S. 54. Vgl. H. Pape: Einleitung Bd. 2, S. 30f. Vgl. zur Phänomenologie von Peirce und ihren Zusammenhang zur Logik und Ontologie Helmut Pape: Erfahrung und Wirklichkeit als Zeichenpro-

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dukt von Schlussfolgerungen. Die Welt konstituiert sich aus Möglichkeiten (Erstheit), die zu Fakten (Zweitheit) und zu Universalien (Drittheit) werden. Alle drei Kategorien gehören zu jedem Phänomen, wobei eine der Kategorien in einem Aspekt des Phänomens dominierender sein kann als eine andere.10 Die Abstraktion bzw. Trennung der Kategorien kann nur für heuristische Zwecke vorgenommen werden. Keine der drei Kategorien vermag auf eine andere zurückgeführt werden, d.h. die höhere Kategorie impliziert die jeweils niedrigere, wobei Drittheit nicht mehr abstrahiert werden kann. Peirce reduziert die zehn Aristotelischen bzw. die zwölf Kantschen Fundamentalkategorien auf drei allgemeine Kategorien. Erstheit ist die Konzeption des Seins unabhängig von irgendetwas anderem. Zu denken wäre an die oben erwähnte „absolute Stille des Arbeitszimmers“ oder die Anstrengung noch unterhalb der Bewusstseinsschwelle. Die Stufe der Erstheit kann nicht als solche auftreten, sondern sie wird aus der Zweitheit abstrahiert. Andererseits darf Erstheit nicht mit Einheit oder dem Einen verwechselt werden. In seinen religionsphilosophischen Schriften schreibt Peirce: „Unter dem ersten verstehe ich in keiner Weise das Eine, vom (sic!) dem Parmenides sprach, nämlich die synthetisierende Einheit und ein Ganzes. Ich denke ganz schlicht an das, was sich als erstes, unmittelbar, frisch darstellt, ohne Gegenstand eines Vorausgehenden zu sein, und also spontan und frei ist.“11 Wie aber bereits Scheibmayr gezeigt hat, ist Peirce hier in seiner Terminologie inkonsistent. Wenn das Erste „frisch“ sein soll, so wäre für diese Merkmalszuschreibung mindestens eine Differenz in der Zweitheit nötig, beispielsweise „alt“.12 Ohne eine weitere Kategorie können der Erstheit keine Attribute zugeschrieben werden. Der Realitätsstatus der Erstheit besteht in der bloßen Möglichkeit. Erstheit kann eigentlich nur negativ bestimmt werden, da sie nicht artikuliert werden kann, ohne das ihr eigene Charakteristikum zu verlieren. Wenn Erstheit in Sprache gefasst wird, kann jede Beschreibung nur falsch sein. „Die Vorstellung von einem Ersten ist so empfindlich, dass sie nicht berührt werden kann, ohne sie zu vernichten.“13 Dieser Mangel ist unüberwindbar, obwohl er als Motor für die Versuche der Überwindung gesehen

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zeß. Charles S. Peirce Entwurf einer Spekulativen Grammatik des Seins, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 404-414. Vgl. SPP, S. 23 (§ 5.43). RS, S. 461. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 189, Anm. 108. RS, S. 177. Vgl. auch Susanne Rohr: Über die Schönheit des Findens. Die Binnenstruktur menschlichen Verstehens nach Charles S. Pierce, Stuttgart: M und P, Verl. für Wiss. und Forschung 1993, S. 107.

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werden kann. Auch sollte hier der Versuchung widerstanden werden, das Laclau/Mouffe’sche „Soziale“ mit der Erstheit zu identifizieren. Das Soziale könnte nur aus einer Zeichenperspektive heraus als etwas, dessen Erstheit überwiegt, gedeutet werden. Auch das Politische könnte erst aus der Perspektive der normativ konzipierten Zeichentheorie, als Möglichkeitsbedingung von Politik aufgefasst werden. Das Politische oder das Soziale stellte sich mit den Kategorien als Analysewerkzeug dann gegebenenfalls als primär erst-, zweit-, oder drittheitlich dar. Sobald sich Gesellschaft selbst darstellt, haben bereits alle drei Kategorien gewirkt, und um sich darstellen zu können, sind Zeichen notwendig. Relationenlogisch betrachtet kann die Kategorie der Erstheit als eine monadische Relation aufgefasst werden. Die Kategorie der Erstheit beschreibt Peirce als Eindeutigkeit, die aber eben nicht beobachtbar ist. Scheibmayr weist folglich darauf hin, dass Erstheit trotz ihrer Eindeutigkeit nicht bestimmt oder gar beobachtet werden kann. „Denn jedes Erfassen setzt Differenzbildung in der Zweitheit und Darstellung in der Drittheit voraus, womit aber die Erstheit kategorial bereits zweimal verlassen ist.“14 Somit ist Zweitheit „das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist, wie sie ist, ohne Beziehung auf etwas Drittes.“15 Zweitheit ist das Seinskonzept bzw. der Wirklichkeitsstatus, der in einer Relation oder Reaktion mit etwas anderem steht. Das, was wir für „wirklich“ halten, ist nur in der Stufe der Zweitheit erfüllt. Zweitheit ist das hier und jetzt aktual gegebene. Jedes Zeichen muss auf der Stufe der Zweitheit verkörpert sein.16 „Erstheit und Zweitheit müssen irgendwie aufgehoben sein. Aber das ist nicht wahr. [...] wenn, während Sie die Straße hinuntergehen und darüber nachdenken, wie alles das reine Destillat der Vernunft ist, ein Mann, der eine schwere Stange trägt, Sie plötzlich ins Kreuz stößt, mögen Sie denken, daß es etwas im Universum gibt, das die reine Vernunft nicht erklären kann;“17

Zweitheit ist konkret, fixiert, ihr entsprechen empirische Fakten. Zweitheit ist erfahrbar als der plötzliche Widerstand der Wirklichkeit – es reicht natürlich schon gegen eine Wand zu laufen, oder einen plötzlichen Knall zu hören, um Zweitheit zu erfahren – und Differenzerfahrung. Ohne Fichte direkt zu zitieren, besteht für Peirce Zweitheit auch im „Gefühl der Reaktion zwischen Ich und Nicht-Ich.“18 Zweitheit kann 14 W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 187. 15 PhLZ, S. 55. 16 Vgl. speziell zur Verkörperung von Zeichen: Gerhard Schönrich: Semiotik zur Einführung, Hamburg: Junius 1999, S. 29. 17 CP 5.90-92. 18 PhLZ, S. 55.

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selbst darstellen, sie kann die Erstheit nur verkörpern. Auch Hegels unendliches Urteil – zumindest das schlechte unendliche Urteil – scheint hier erneut aufzutauchen. „Zweitheit kann man abstrakt als eine Seinsweise definieren, die drin besteht, daß etwas, A, und etwas, B, ein jedes so ist, wie es ist, so daß A Bs Sosein (being as it is) und B As Sosein ist, unabhängig von etwas Drittem. Wenn jedes Metallteil in einer Schachtel durch einen Magneten angezogen wird, dann schließt dies für jedes tatsächlich dort existierende Metallteil eine Tatsache der Zweitheit ein; doch daß es keine anderen Metallteile in der Schachtel gibt, ist keine Tatsache der Existenz, sondern der Nicht-Existenz und schließt als solche etwas anderes ein als Zweitheit. Also kann es in der Zweitheit keine Allgemeinheit geben.“19

Wie in Hegels Urteil werden zwei Momente aufeinander bezogen, ohne ihre Vermittlung oder einen Grund zu enthalten. Existenz oder Wirklichkeit kommt mit Peirce durch eine negative Differenzrelation zu allem anderen, was sie nicht ist, zustande. „Binarität erscheint gleichermaßen in der Negation und in den gewöhnlichen relationalen Termini, sogar in der Ähnlichkeit und wird in der Identität noch weit stärker verwirklicht.“20 Auch die Differenzlogik hat hier ihren Ausgangspunkt: Wirklichkeit bzw. Existenz kommt dem Begriff nur durch seinen negativen Bezug auf das, was er nicht ist, zu. Jedes wirkliche Ereignis verdankt seine Identität seiner Differenz in der Zweitheit. 21 Phänomene der Zweitheit stehen in einer dyadischen Wirkungsrelation zueinander, wodurch das Wirkende seine Existenz bekommt. Zurückblickend auf das Beispiel eines Bewusstseins von Anstrengung kann Peirce dann folgern, dass Zweitheit, also die Idee der Wirklichkeit, die Idee ist, dass Tatsachen unseren Anstrengungen, sie abzuschaffen, prinzipiell zunächst widerstehen werden.22 Zweitheit stiftet Identität und Differenz, indem ein wirkliches Ding seine Identität nicht an sich, sondern nur durch die Differenz in der Zweitheit erhält.23 Zweitheitliche 19 20 21 22 23

SS Bd. 2, S. 110f. SS Bd. 1, S. 382. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 174. Vgl. SS Bd. 2, S. 110. Scheibmayr zeigt, dass Luhmanns Differenz- und Formentheorie in der Zeichentheorie von Peirce über die Kategorie der Zweitheit integriert werden könnte. Da die Zeichentheorie allerdings kategorial differenziert werden kann, können Phänomene eben auch auf der Ebene der Erst- Zweitund Drittheit beobachtet werden. Auf der Ebene der Erstheit würde Identität dann nicht als Differenz, sondern durch eine monadische Relation analysiert werden müssen. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 174.

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Dinge oder Tatsachen existieren individuell und nicht allgemein. Sie können nicht generalisiert werden: „Was auch immer existiert, genauer: ex-sistiert, d.h. auf anderes Existierendes wirklich einwirkt, verschafft sich so eine Identität mit sich selbst und ist definitiv individuell.“24 Wie kann man aus den fixierten Dyaden aus Anstrengung und Widerstand, oder aus Vergangenheit und Gegenwart heraustreten? Ein Zeichen in seiner zweitheitlichen Verkörperung ist kein externes Faktum, dem in einer linearen bzw. unmittelbaren Folge ein weiteres Zeichen folgt. Das Zeichen ist bei Peirce eben nicht eine Einheit aus Signifikant (als materieller Zeichenträger) und Signifikat (als geistige Komponente oder Bedeutung). Dies wird im nächsten Abschnitt genauer zu analysieren sein. Aufgrund ihrer raum- zeitlichen Fixierung können die Phänomene der Zweitheit – da sie noch nicht verkörpert, dargestellt oder dauerhaft fixiert vorliegen – nicht wiederholt werden. Dazu bedürfte es einer dritten, vermittelnden Kategorie. Erst aus der Perspektive der dritten Kategorie könnte ein zweitheitliches Phänomen als Verkörperung beobachtbar werden. Zweitheitliche Phänomene sind individuelle Ereignisse. Drittheit ist somit das Konzept der Vermittlung, wobei eine Erstheit mit einer Zweitheit in eine Relation gebracht wird. „Drittheit ist das, dessen Sein darin besteht, daß es eine Zweitheit hervorbringt. Es gibt keine Viertheit, die nicht bloß aus Drittheit bestehen würde.[...] Da alle drei stets gegenwärtig sind, ist es unmöglich, eine reine Idee von irgendeiner von ihnen zu haben, die absolut von den anderen unterschieden ist. […] Es ist die genuine Drittheit, die dem Denken sein Wesen verleiht, obwohl Drittheit in nichts anderem besteht, als daß eine Entität zwei andere Entitäten in eine Zweitheit zueinander bringt.“25

Die Wirkung der dritten Kategorie besteht in der Ermöglichung einer dreistelligen Relation. Im ersten Teil des Zitats scheint die Drittheit selbst Vermittlung zu sein, da durch sie Zweitheit hervorgebracht wird. Ereignisse der Zweitheit – z.B. empirische Fakten – werden nicht nur stets durch Drittheit hervorgebracht, sie können auch nur durch diese dargestellt werden. Peirce beschreibt das so: „Wenn man die Idee der Drittheit hat, muß man die Ideen der Zweitheit und Erstheit gehabt haben, um darauf aufzubauen.“26 Dieser eher genetischen Deutung der Kategorienverhältnisse widerspricht allerdings das zweite Zitat: Es führt doch explizit drei Entitäten an, die zugleich gegeben sind. Mit Hilfe des phänomenologischen – bzw. phaneroscopischen – Bereichs der Katego24 SPP, S. 445. 25 PhLZ, S. 55 und S. 57. 26 CP 5.91.

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rienlehre können also die Aspekte analytisch in ein triadisches Modell geholt werden, die noch keine wirklichen Zeichen sind. Ein Fakt ist immer erst aus der Perspektive der Drittheit, bzw. wenn Drittheit bereits gewirkt hat, ein Zeichen; Fakten und Denken werden somit nur analytisch getrennt. Fakten sind nur Fakten, wenn sie gedacht werden können. Umgekehrt kann das aber auch nicht bedeuteten, dass es nur Interpretationen und keine Fakten gäbe. Es sei an dieser Stelle an Nietzsche erinnert, der schreibt: „Gegen den Positivismus, welcher bei dem Phänomen stehen bleibt ‚es giebt nur Thatsachen‘, würde ich sagen: nein, gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen.“27 Im Abschnitt zur Zeichentheorie wird sich zeigen, dass alles, was existiert – was als Zeichen beschreibbar ist – „interpretationsimprägniert, abhängig von Interpertationskonstrukten“28, ist. Daraus aber wie Nietzsche, und in dessen Folge einige Vertreter der Theorien des Politischen, zu folgern, es gäbe keine Fakten, führt zum bereits problematisierten Dualismus von Kontingenz und Notwendigkeit. Fakten zu leugnen, bedeutet, die Kategorie der Zweitheit zu leugnen bzw. nicht zuzulassen. Innerhalb des phänomenologischen Prozesses resultieren Fakten immer aus paradoxen Qualitäten. Fakten sind das Spannungsverhältnis zwischen Vagheit und Bestimmtheit. Sie haben zwei Grade, einen genuinen und einen degenerierten. Das möglicherweise missverständliche, weil pejorativ belastete, Adjektiv „degeneriert“ vergleicht Pape mit einem Strahlenpaar als ‚degeneriertem‘ Kegelschnitt.29 Peirce schreibt: „For an event there is requisite: first a contradiction; second, existential embodiements of these contradictioctory states; third, an immediate existential junction of these two contradictory existential embodiments or facts, so that the subjects are existentially identical; and fourth, in this existential junction a definite one of the two facts must be existentially first in the order of evolution and existentially second in the order of involution. We say that the former is earlier, the latter later in time. Every fact is grounded in error and the before and after of both orders – of involution and evolution – are the conflicting or-

27 Friedrich Nietzsche: „Nachlaß 1885-1887“, in: Kritische Studienausgabe, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 12, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999, S. 315. 28 Hans Lenk: Zwischen Sozialpsychologie und Sozialphilosophie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 227. Interpretation ist ohne Zeichengebrauch gar nicht denkbar, während Lenk allerdings das Interpretieren dem Zeichengebrauch überordnet. Scheibmayr weist darauf hin, dass eine vergleichende Analyse zwischen der Peirce’schen Semiotik und der Interpretationsphilosophie noch aussteht. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 161, Anm. 5. 29 Vgl. H. Pape in SS, Bd. I, S. 74.

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ders of successive and durational frames of reference, and thus every fact rests on the boundaries of these two different orders of existence.“30

Die Verkörperungen der Widersprüche, also das Zusammenführen, der Übergang oder die Übertragung der beiden Identitäten, die sich wechselseitig bestimmen, stehen nicht in einem symmetrischen Verhältnis. „Evolution“ und „involution“ verhalten sich beinahe in einer Art Herr-Knecht Verhältnis zueinander. Ein Aspekt ist also aktiver, der andere passiver, und erst beide zusammen ergeben die vollständige Zweitheit zwischen zwei korrelativen Gegenständen.31 Es wird deutlich, dass nur die Kategorie der Drittheit das Stiften der triadischen Zeichenrelation zu erklären vermag. Ob sie die Relation allerdings selbst herstellt, bleibt umstritten. So betont Göhler in einem anderen, aber durchaus hier anwendbaren Zusammenhang, dass der gedankliche Prozess der Aneignung des Konkreten (hier der Tatsachen oder Fakten) nicht als realer Entstehungsprozess des Konkreten missverstanden werden darf.32 Peirces Unterscheidung zwischen Kategorien- und Zeichenlehre ähnelt der Unterscheidung der Dialektik in eine Dialektik der Wirklichkeit (analog zu den Kategorien) und der dialektischen Darstellung der Wirklichkeit (analog der Zeichentheorie).33 Die beiden, sozusagen niedrigeren, Kategorien (Erstheit und Zweitheit) werden nicht in der Drittheit aufgehoben. Sie behalten ihren eigenen Realitätsstatus. Dies ist gerade für die Frage nach Veränderung wichtig. Schließlich können doch somit Erstheit und Zweitheit auch durch Spontaneität, Zufall etc. entstehen, niemals aber völlig durch die Regeln der Drittheit kontrolliert werden. Wiederholbar, generalisier- oder verallgemeinerbar sind nur Ereignisse der Drittheit. Peirces Anstrengung, einen Text über eben diese Anstrengung niederzuschreiben, kann unabhängig vom Denkprozess liegen, vermag aber ohne Drittheit nicht gedacht zu werden. Die Spannung bzw. der Vergleich, z.B. zwischen Anstrengung und Widerstand, wäre ein Gegenstand der Drittheit. Spricht Peirce von der Anstrengung, erfolgt dieses darüber Sprechen im Modus der Drittheit. Die Anstrengung kann kategorientheoretisch im Modus der Zweitheit liegen – als Existenz liegt sie in der Spannung zwischen Anstrengung und Widerstand – oder im Modus der Erstheit, wenn sie eben noch vor 30 CP 1.493. 31 Vgl. auch H. Pape in SS, Bd. I, S. 74. 32 Vgl. G. Göhler: Die Reduktion der Dialektik, S. 10. Gedankliche Aneignung findet bei Peirce stets im Modus der Drittheit statt, doch nicht jede Drittheit muss von bewusstem Denken begleitet werden. Dazu mehr im Abschnitt zur Zeichentheorie. 33 Vgl. zu dieser Unterscheidung G. Göhler: Die Reduktion der Dialektik, S. 11f.

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der Bewusstseinsebene liegt. Ob es sich dabei um eine unbewusste Ebene handelt, interessiert an diesem Punkt noch nicht weiter. Scheibmayr betont v.a. die Regelungsleistung der Drittheit, die somit Voraussetzungen und Folgen von Aussagen aneinanderkoppeln kann und den so gewonnenen Relationierungen ihre Beliebigkeit nimmt: „Eine Regel ist allgemein dadurch charakterisiert, dass sie die Bedingungen festsetzt, gemäß denen im Anschluss an bestimmte Voraussetzungen nur noch bestimmte Folgen möglich sind.[...] Wegen dieser [...] Voraussagekraft fungiert die Regel der Drittheit auch als Erwartungsstruktur [...] indem sie gemäß ihrer Gesetzmäßigkeit immer mehr Anschlussmöglichkeiten ausschließt, als sie in Folge der spezifizierten Voraussetzungen erlaubt.“34

Der Regelzusammenhang besteht in einer allgemeinen und nicht in einer absoluten Notwendigkeit. Die Regelhaftigkeit vermag Gesetzmäßigkeiten und Gewohnheitsbildung hervorzubringen. Sie existiert nicht auf der gleichen Ebene wie zweitheitliche Phänomene. Sie hat aber reale Wirkungen. Peirce schreibt, dass Drittheit „wesentlich das Hervorrufen von Wirkungen in der Welt des Existenten einschließt – nicht als Quelle von Energie, sondern durch die schrittweise Entwicklung von Gesetzen.“35 Es kann hier bereits festgehalten werden, dass Zeichen, deren drittheitlicher Aspekt dominiert, nichtinstrumentelle deutungsoffene Phänomene sind und Zeichen, deren zweitheitlicher Aspekt dominiert, eher in einem instrumentellen Sinne zu verstehen sind. Die Frage nach der transzendentallogischen Begründung der Kategorie kann an dieser Stelle nur angerissen werden. Die Kategorien werden durch empirische Untersuchung der Struktur der Proposition gewonnen. Die Proposition, als Satz oder Informationseinheit, nicht im Hinblick auf die grammatische Form, wird somit als Form der Erfahrung verstanden. Der propositionalen Form entnimmt Peirce die erste Kategorie. Sie wird aus Subjekt, Kopula und Prädikat gewonnen, die anderen zwei Kategorien erhält er durch Zurückführen der Erstheit auf ihren Ursprung in der Erfahrung.36 Die Funktionen der Kategorien liegen – wie bei Kant – darin, als höchste Verstandesbegriffe die Vielfalt der Erfahrungen, Empfindungen oder Sinneseindrücke zur Einheit zu bringen. Die Kategorien vermitteln zwischen den Grenzbegriffen „Sein“ und „Substanz.“ Sie stiften Relationen, stehen aber nicht – wie die Zeichen – für etwas ande-

34 W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 181. 35 PhLZ, S. 61. 36 Vgl. Klaus Oehler. Sachen und Zeichen. Zur Philosophie des Pragmatismus, Frankfurt am Main: Klostermann 1995, S. 122.

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res.37 Scheibmayr schlägt vor, die Kategorien nicht zwingend als ontologische Grundstrukturen des Seins anzusehen, sondern vielmehr relationenlogisch, als triadische Beobachtungsinstrumente der Zeichen.38 Die Wirkung der Drittheit besteht darin, eine dreistellige Relation zu ermöglichen. Es geht zwar um individuell erlebbare Zustände, diese können aber nicht als absolut individuell aufgefasst werden. Bevor das Präsente (Zweitheit zwischen zwei Relationen) nicht etwas darstellt, kann es nicht wahrgenommen werden. Die Präposition „zwischen“ liegt normalerweise zwischen zwei Substantiven – hier liegt sie im Präsenten (der Zweitheit) selbst. Das, was präsent ist, ist also gespalten, und nur so kann es sozusagen repräsentiert werden (vgl. Kapitel II, 1.3). In der Erstheit liegt aus Sicht der Zweitheit ein Mangel vor, da sich die Eindeutigkeit der Erstheit nicht vorstellen bzw. aussprechen lässt. In der Zweitheit läge dann aus Sicht der Drittheit eine Differenz – um im Beispiel zu bleiben, eine Differenz zwischen Anstrengung und Widerstand oder Vergangenheit und Gegenwart – vor. Ein wichtiger Aspekt für die Untersuchung liegt darin, dass – wie auch bei Berger/Luckmanns Konstruktivismus – für die Frage nach Wirklichkeitskonstruktion immer von der Alltagswelt, ja mehr noch von dem, was direkt vor Augen liegt, ausgegangen wird. Im direkten Unterschied zu Berger/Luckmann sind es bei Peirce aber gerade Symbole, die für die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit eine primäre Bedeutung einnehmen. Das Symbol kann bei Peirce – das unterscheidet ihn von anderen Zeichentheorien – ohne die Kategorien nicht hinreichend erläutert werden. Erinnert sei noch mal an Luhmanns Einheitsbestimmung: „Wie immer, wenn man mit Fragen vom Typ ‚was ist...?‘ auf eine vorausgesetzte Einheit zielt, landet man letztlich auf einer Paradoxie, also bei einer Auskunft, bei der es nicht bleiben kann.“39 Mit der Zeichentheorie kann durchaus nach einem „was ist...?“ gefragt werden, ohne dabei Einheit vorauszusetzen. Dass dabei „nicht geblieben“ werden kann, ergibt sich allein schon aus der Prozessualität der Zeichen(theorie). Mit Saussure, auf den sich Luhmann bezieht, ist es der Signifikant, der seine Identität durch Differenz erhält, nicht aber das Zeichen. Wenn Luhmann ja an anderer Stelle behauptet, dass Zeichen dem Sein vorausgehen, widersprechen sich an dieser Stelle

37 Vgl. U. Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht, S. 58. 38 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 357. Scheibmayr spricht hier nicht von Beobachtungsinstrumenten der Zeichen, sondern eines Zeichensystems, das er in Kombination mit Luhmanns Systemtheorie entwickelt. Die Peirce’schen Zeichen rekonstruiert er dabei als Elemente des Zeichensystems. Zeichen treten auch in der Umwelt des Zeichensystems auf. 39 N. Luhmann: Die Politik der Gesellschaft, S. 234f.

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seine Auffassungen. Bei Peirce ist dasjenige, mit dem die Zeichendarstellung übereinstimmen soll, selbst von der Art eines Zeichens, womit eine Identität von Sein und Zeichen-Sein behauptet wird.40 Zeichentheorie in ihrem kategorialen Entstehungsmoment darzustellen hat also den Vorteil, die verschiedenen Seinsweisen unterscheiden zu können. Vor dem „was ist“ liegt somit weder Einheit noch Differenz. Wenn Gesellschaft in Laclau/Mouffes Konzeption durch die Paradoxie – bzw. den Antagonismus – begründet wird, eine Differenz zu sein, die versucht, sich als Identität zu totalisieren, könnte mit der Kombination aus Kategorienlehre und Zeichentheorie präziser gearbeitet werden. Die Paradoxie besteht dann nicht in dem Spannungsverhältnis zwischen Differenz und Identität, sondern zwischen der Möglichkeit, der Unmöglichkeit und der Notwendigkeit, einen Zeichenprozess vorübergehend zum Stillstand zu bringen. Oben konnte gezeigt werden, dass Erstheit sowohl der Synthesis als auch der Differenz vorausgeht. Peirce veranschaulicht dies bekanntlich mit einem biblischen Vergleich: „was die Welt für Adam war – an jenem Tage, als er seine Augen für sie öffnete, bevor er irgendwelche Unterscheidungen gemacht hatte und sich seiner eigenen Existenz bewusst war.“41 Dieser Zustand vor dem Sündenfall wird von Peirce nicht – zu erinnern ist an Rousseau – idealisiert. Es geht nicht darum, zu irgendeinem früheren Zustand zurückzukehren – das wäre schlicht unmöglich –, sondern in Anlehnung an Kant tritt an die Stelle von dessen Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt, die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Zeichenrepräsentation. Wenn Laclau das Soziale bzw. Diskurse als etwas, „which is always already there, as a possibility and a terrain for the constitution of differences“42 bezeichnet, liest sich das einerseits wie eine Beschreibung der Kategorie der Erstheit. Andererseits können Diskurse nicht rein erstheitlich sein. Um als ein, wie auch immer gestalteter, Diskurs erkennbar zu sein, müssen alle drei Kategorien wirksam werden. Das Soziale wäre eher als Diskurs (Drittheit), dessen Erstheit überwiegt, zu verstehen. Die Kategorien sind allerdings auch nicht primär Wahrnehmungskategorien, sondern sie lassen sich auch in natürlichen – z.B. den Blätterverfärbungen – Phänomenen auffinden. Zusammenfassend können also drei Merkmale der Kategorien festgehalten werden:

40 Vgl. SS Bd. 2, S. 321 und NZ, S. 377. 41 RS, S. 116. 42 Ernesto Laclau: „Transformations of Advanced Industrial Societies and the Theory of the Subject“, in: Sakari Hänninen/Leena Paldan (Hg.), Rethinking Ideology: A Marxist Debate, Berlin: Argument Verlag 1983, S. 39-44, hier S. 39.

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Kategorien stehen in einem Degenerationsverhältnis. Wie schon für die Zweitheit bezüglich ihrer beiden Grade gezeigt, kann auch Drittheit als dreifache Selbstanwendung beschrieben werden. Für die Drittheit gibt es somit eine genuine und zwei degenerierte Formen. Erstheit tritt nur – da eben eindeutig – als genuine Stufe auf. Kategorien stehen in einem Implikationsverhältnis. Von den niedrigen Stufen zur jeweils höheren liegt kein Implikationsverhältnis vor. Lediglich von der höheren zur niedrigeren Kategorie kann man sagen, dass z.B. Drittheit ein Erstes und ein Zweites voraussetzt. Die Kategorien sind irreduzibel, wenn sie nicht durch Kombination zwischen niedrigeren Kategorien ausgedrückt werden können. Erstheit ist per se irreduzibel. Für die Kategorie der Zweitheit bedeutet Irreduzibilität, dass sie nicht durch zwei Phänomene – die ja ohnehin nicht unterschieden werden könnten – hergestellt werden kann. Drittheit ist irreduzibel oder genuin, wenn sie selbst in einem Dritten die monadische und dyadische Relation herstellt. Drittheit kann nicht in Dyaden zerlegt werden.43 Genuine Triaden können als Zweitheit der Zweitheit oder Drittheit der Drittheit beschrieben werden, während z.B. degenerierte Drittheit als Erstheit der Drittheit oder Zweitheit der Drittheit beschrieben werden kann.

Drei Aspekte sind speziell für die Fragestellung relevant: • Phänomene der Erstheit sind pure Abstraktionen oder reine Formen. Sie sind nicht „leer“, sondern erscheinen gerade aufgrund ihrer Eindeutigkeit als vage, unbestimmt und allgemein. Sie sind nicht beobachtbar. Phänomene der Erstheit könnten als „Schein“ gefasst werden. Phänomene der Zweitheit sind die Seinsweisen, die Peirce „Wirklichkeit“ oder „Existenz“ nennt. Phänomene der Drittheit entsprechen der Seinsweise, die Peirce „Realität“ nennt. • Realität wird durch die kategoriale Verflechtung nicht verdoppelt. • Um den Prozess von Zeichenbedeutung und Zeichensinn zu beschreiben, muss die Zeichentheorie in ihrer kategorialen Verflechtung berücksichtigt werden.

1.2 Zeichendefinition und Zeichenrelationsklassen Zeichen setzen die Kategorien voraus und sind daher weder mit den Kategorien identisch, noch stehen jene in einem Begründungsverhältnis für diese.44 Bei allen Zeichentheorien – und auch bei Luhmanns nichtsemio43 Vgl. auch W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 186-194. 44 Vgl. U. Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht, S. 73.

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tischer Systemtheorie – geht es darum, wie soziale Realität konstruiert werden kann. Zeichen haben zum einen die Funktion, etwas für etwas zu repräsentieren, und zum anderen sind sie Mittel der Erkenntnis. Ersteres entspricht der oben schon erwähnten Bezeichnungsfunktion, letzteres der Bedeutungsfunktion. Die Bezeichnungsfunktion geht also der Bedeutungsfunktion voraus. Die semiotische Frage par excellence lautet für Peirce: Wie bezieht sich ein Zeichen (eine Repräsentation) auf ein anderes? Dabei verwendet Peirce den Repräsentationsbegriff nicht abbildtheoretisch oder – wie Kant – als Vorstellung. Im folgenden Kapitel wird erst überblicksartig in die Zeichendefinition und die Zeichenrelationsklassen eingeführt, um dann in den Anschlusskapiteln, einzelne wichtige Unterpunkte zu diskutieren. „Ein Zeichen oder Repräsentamen ist alles, was in einer solchen Beziehung zu einem Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, daß es fähig ist ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in derselben triadischen Relation zu jener Relation auf das Objekt zu stehen, in der es selbst steht. Dies bedeutet, daß der Interpretant selbst ein Zeichen ist, das ein Zeichen desselben Objekts bestimmt und so fort ohne Ende.“45

Zunächst sind einige terminologische Erläuterungen vorzunehmen. Die drei Zeichenkomponenten (Repräsentamen, Objekt und Interpretant) sind kategoriale Relata des Zeichens und damit, wie oben gezeigt, der Drittheit. Das bedeutet, dass keines der Zeichenkomponenten ohne die Relation zu den anderen beiden existiert. Das Erste, Zweite und Dritte in der Zeichentriade darf nicht mit der Erstheit, Zweitheit oder Drittheit der Kategorien verwechselt werden. Das Repräsentamen für sich – also analytisch – betrachtet ist ein Erstes, das Objekt ein Zweites, und der Interpretant ein Drittes. Peirce wählt eine allgemeine und rein formale Definition seines Zeichens, um zu zeigen, dass das Zeichen keine bestimmte Referenz erfordert.46 Sind alle drei Relata zugleich gegeben, konstituieren sie ein Zeichen. Jedes der drei Relata kann innerhalb des Zeichens wiederum gemäß den drei Kategorien subklassifiziert werden. Mit dem Repräsentamenbezug ist beispielsweise das Repräsentamen in der Art und Weise seines (monadischen) Bezuges auf sich, mit dem Objektbezug (Ikon, Index und Symbol) der Bezug des Repräsentamens zum Objekt und mit dem Interpretantenbezug der Bezug auf das Repräsentamen und das Ob-

45 PhLZ, S. 64. 46 Peirce schreibt: „Wenn wir Zeichen, Objekt und Interpretant in einer genügend allgemeinen Weise betrachten, so werden sie ununterscheidbar.“ SS Bd. 2, S. 282.

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jekt gemeint. Die folgende Tabelle zeigt die Anwendung der Kategorien auf die Zeichenbezüge mit ihren entsprechenden Subklassen: Kategorie

Repräsentamen-

Objektbezug

Interpretantenbezug

bezug Erstheit

Qualizeichen

Ikon

Rhema

Zweitheit

Sinzeichen

Index

Dikent

Drittheit

Legizeichen

Symbol

Argument

(Tabelle 1: Kategorien und Zeichenbezüge) Die drei Kategorien können innerhalb der Drittheit des Zeichens iteriert, d.h. auf sich selbst angewendet werden, wodurch die Zeichenklassen zustande kommen. In jedem seiner drei Bezüge muss ein Zeichen genau ein Subzeichen ergeben. Gemäß der Implikationsregel sind somit nicht 3³ Kombinationen möglich, sondern lediglich zehn.47 Jeder Bezug differenziert sich zeichenintern nach dem gleichen Schema, das für das Zeichen selbst strukturbildend ist.48 Würde eines der Relata fehlen, verlöre das Zeichen seine konstitutive Form. Die bloße Repräsentamen-Objekt-Relation macht also noch kein Zeichen aus. Das Repräsentamen ist das materielle Zeichenmittel bzw. der Zeichenträger. Es repräsentiert für jemanden das Objekt auf eine Weise, dass sich der Interpretant auf dasselbe Objekt bezieht. Peirce definiert den Interpretanten so: „Denn ein Interpretant ist etwas, das darstellt, daß eine Darstellung dasjenige darstellt, was er selbst darstellt.“49 Diese vermittelnde Darstellung nennt er auch Repräsentation. Der Interpretant muss kein Interpret bzw. Zeichen, das in einem Interpreten hervorgerufen wird, sein. Peirce schreibt dazu: „Wenn ein Zeichen keinen Interpreten hat, dann ist sein Interpretant ein ‚würde sein‘, das heißt, 47 Daraus ergibt sich: 1. Rhematisch-ikonische Qualizeichen 2. Rhematischikonische Sinzeichen 3. Rhematisch-ikonische Legizeichen 4. Rhematisch-indexikalische Sinzeichen 5. Rhematisch-indexikalische Legizeichen 6. Rhematisch-symbolische Legizeichen 7. Dicentisch-indexikalische Sinzeichen 8. Dicentisch-indexiklaische Legizeichen 9. Dicentisch-symbolische Legizeichen 10. Argumentisch-symbolische Legizeichen. Vgl. G. Schönrich: Semiotik zur Einführung, S. 27 und zu den Graphen der Zeichenklassen ebd., S. 86-105. 48 Vgl. Jahraus: Literatur als Medium, S. 351; siehe auch Gerhard Schönrich: Zeichenhandeln. Untersuchungen zum Begriff einer semiotischen Vernunft im Ausgang von Ch. S. Peirce, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990, S. 18. 49 SS Bd. 1, S. 115.

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es ist dasjenige, was es im Interpreten bestimmen würde, gäbe es einen.“50 Die zehn Zeichenklassen lassen sich erstens durch die drei Formen von „Zeichen-für-sich“, zweitens durch die drei Formen von Relationen zwischen Zeichen und ihrem Objekt, und drittens durch drei Formen von Relationen zwischen Zeichen und ihrem Interpretanten herleiten.51 Der Interpretant muss sich in dieselbe Relation zum Objekt stellen können, in der das Zeichen selbst steht.52 Das kann nur bedeuten, sich die erste Abbildung in Bewegung – als zwei übereinander gelagerte Triaden – vorzustellen. Nina Ort entfaltet diesen Gedanken folgendermaßen: „In der ersten Triade bezieht sich der Interpretant qua Repräsentamen auf das Objekt (er nimmt das Repräsentamen für das Objekt, O1); in der zweiten Triade thematisiert der Interpretant die Relation zwischen Repräsentamen und Objekt und nimmt beide zu seinem Objekt (O2) – dadurch degeneriert er zum Repräsentamen (R2), das einen weiteren Interpretant (I2) zu sich nimmt, um die Triade zu komplettieren.“53

Diese Bestimmung kann nun zwei Konsequenzen haben. Zum einen tauschen Repräsentamen und Interpretant in einer unendlichen Folge ihre Plätze, um das Objekt immer genauer zu bestimmen. Somit degeneriert der Interpretant eigentlich nicht zum Repräsentamen, sondern transformiert sich zu einem Repräsentamen höherer Ordnung. Zweitens kann der Interpretant sich die Relation Repräsentamen-Objekt zum Objekt nehmen und das Zeichen somit selbst zum Objekt machen. Wie Baltzer gezeigt hat, kann die zweite Triade als in den ersten Zeichenprozess eingelagerter Subprozess konstruiert werden.54 Diese „zweite Triade“ wirft zahlreiche Fragen auf: Wie vergleicht der Interpretant Repräsentamen

50 SS, Bd. 3, S. 252. 51 Vgl. Michael H.G. Hoffmann: „Was sind ‚Symbole‘, und wie lässt sich ihre Bedeutung erfassen?“, in: Gert Melville (Hg.), Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln u.a.: Böhlau 2001, S. 96-105, hier S. 98f. 52 Es ist genau dieser Aspekt, soviel sei hier vorweggenommen, der später mit Žižeks Interpretation des unendlichen Urteils in Verbindung gebracht werden wird. 53 Nina Ort: „Das erkenntnistheoretische Spiegelstadium. Oder: Die Unbeobachtbarkeit des Beobachtbaren“, in: Oliver Jahraus/Nina Ort unter Mitwirkung von Benjamin Marius Schmidt (Hg.), Beobachtungen des Unbeobachtbaren. Konzepte radikaler Theoriebildung in den Geisteswissenschaften, Weilerswist: Velbrück 2000, S. 310. 54 Vgl. Ulrich Baltzer: „Das Selbstbewusstsein ist ein Epiphänomen des Zeichenprozesses. Die Landkartenparabel von Ch. S. Peirce“, in: Zeitschrift für Semiotik 16, 3-4 (1994), S. 357-372, hier S. 363.

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und Objekt? Macht er sie – ähnlich wie im Falle des unendlichen Urteils – gleich? Ist der Bezug überhaupt intentional zu verstehen? Darauf wird unten einzugehen sein. Die erste Triade thematisiert die Zeichenbezüge (Repräsentamenbezug, Objektbezug und Interpretantenbezug), während die zweite Triade sozusagen gerichtet abläuft und die Bewegung zu fixieren vermag.55 Das Bewegen – die Semiose – wird dann fixiert, wenn entweder kein neuer Interpretant gefunden werden kann, der die Zeichentriade wieder komplettiert, oder wenn der Bezug durch Gewohnheit zu einem vorübergehenden Stillstand gebracht wird. Die Zeichenrelata können wiederum auf dreifache Weise korreliert werden. Das Repräsentamen kann aufgrund seiner reinen Möglichkeit, Bestandteil eines Zeichenprozesses zu sein, nicht weiter differenziert werden. Der oben beschriebene Repräsentamenbezug meint demgegenüber, das Repräsentamen so zu analysieren, als ob es innerhalb einer dreistelligen Relation sich monadisch auf sich bezieht. Mit Hegel könnte man sagen, dass das Repräsentamen an sich, das Objekt an sich und für sich und der Interpretant an sich, für sich und an und für sich betrachtet wird. Das Objekt kann zweifach als unmittelbares und als dynamisches Objekt thematisiert werden. Das unmittelbare Objekt ist der Aspekt, der im Zeichen selektiv repräsentiert wird, während das dynamische Objekt nicht vom Zeichen abhängt. Das dynamische Objekt ist nicht wie Kants Ding-an-sich unerkennbar, es initiiert die Semiose ohne ihr kausal vorauszugehen. Es kann im Zeichenprozess selbst nur über seine Repräsentationen als unmittelbares Objekt beobachtet werden und daher nie ganz in dieser Beobachtung aufgehen. Hier wird der Zusammenhang der Kategorielehre mit der Zeichentheorie besonders deutlich. Da Objekte als Zweitheiten bestimmt werden, können sie nicht in ihrer Zweitheit gedacht werden, da Denken sich drittheitlich vollzieht. Innerhalb der Zeichen, also als drittheitlich, können somit gemäß der obigen Tabelle drei Objektbezüge (Ikon, Index und Symbol) ausgemacht werden. Vergegenwärtigen wir uns nochmals den Exkurs zum Symbolbegriff, so fällt eine besondere Charakteristik von Symbolen ins Auge, die auch hier zu gelten scheint: der Überschussgehalt. Es ist der Überschussgehalt der Realität gegenüber der Wirklichkeit. Durch die Kluft zwischen un-

55 Von hier aus sei an Cassirer erinnert, dessen symbolische Formen der Kausalität/Form nach gleich, der Richtung nach allerdings verschieden zu analysieren sind. Mit Peirce handelte es sich um indizierende Zeichenprozesse, die raum-zeitlich fixiert und dadurch gerichtet verlaufen. Zwischen Kausalität und Richtung besteht bei Peirce ein enger Zusammenhang. Vgl. zur indexikalischen Repräsentation Elisabeth Walther: Allgemeine Zeichenlehre. Einführung in die Grundlagen der Semiotik, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1979, S. 124.

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mittelbarem und dynamischem Objekt bzw. durch den Versuch, diese Kluft zu denken, kommt somit allen beobachtbaren Zeichen ein Überschussgehalt bzw. ein nie aufgehender Rest zu. Dieser Aspekt – v.a. die Frage nach dem ontologischen Status des dynamischen Objekts – wird unten noch ausführlicher diskutiert. Der Interpretant kann, da er die Drittheit des Zeichens ist, auf dreifache Weise beobachtet werden. Der unmittelbare Interpretant ist, so Scheibmayr, „die zur Erstheit degenerierte Regelhaftigkeit des Interpretanten: Er stellt die allgemein mögliche, aber noch nicht aktualisierte Wirkung des Repräsentamens im Sinne einer noch völlig vagen Gefühlsqualität dar. [...] Der dynamische Interpretant als Zweitheit des Interpretanten aktualisiert diese Möglichkeit hin zur konkreten Ereignishaftigkeit: Er ist der tatsächliche Effekt, den das Repräsentamen z.B. als psychische oder physische Reaktion auslöst [...]. Der finale Interpretant entspricht der Drittheit und repräsentiert somit die Regel, nach der die bestimmte Wirkung des dynamischen Interpretanten eintritt. [...] Der finale Interpretant ist eine Verhaltens- oder Handlungsgewohnheit und kann deshalb auch einen Zeichenprozess abschließen, ohne selbst wieder gemäß dem Prinzip der unendlichen Semiose in ein seinerseits interpetationsbedürftiges Repräsentamen transformiert zu werden [...].“56

Die Zeichenbezüge mit ihren Zeichenklassen und die zwei Objekte bzw. drei Interpretantenperspektiven werden unten genauer erläutert. Dabei werde ich nur auf diejenigen Klassen von Zeichen eingehen, die für die Untersuchung relevant sind. Für die Fragestellung der Arbeit sind v.a. die beiden übereinander gelagerten Triaden und die Frage nach der Schnittstelle zwischen einem Zeicheninnen und einer möglichen Umwelt von Interesse. Wird die analytisch als erste Triade bezeichnete Relation nicht unter erkenntnistheoretischen Aspekten eines immer näher zu bestimmenden Objekts beobachtet, bleibt die Frage nach Machteffekten der Zeichenwirkung genauer zu beleuchten. Für politische Theorie und die Frage nach dem Scheincharakter von Wirklichkeitskonstruktion ist zudem interessant, dass die Komponenten der ersten Triade den Charakter von Wirkungen oder Effekte auslösenden Fiktionen haben können.57 Peirce schreibt: „In its genuine form, Thirdness is the triadic relation existing between a sign, its object, and 56 W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 22. 57 Realität kann bei Peirce auch für Fiktionen beansprucht werden, wenn ihre Merkmale von jemandem bestimmt werden. Auch wenn diese dann verifiziert oder geändert werden, kann die erste Zuschreibung nicht mehr aufgehoben werden. Vgl. U. Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht, S. 173, Anm. 530.

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the interpreting thought, itself a sign, considered as constituing the mode of being a sign. A sign mediates between the interpretant sign and its object. Taking sign in its broadest sense, its interpretant is not neccessarily a sign.“58 Der Interpretant kann also auch eine Idee sein. Wichtig ist, dass der Interpretant der ersten Triade stets kontingent ist; erst durch die Transformation in ein Zeichen oder Repräsentamen kann das Zeichen in seiner kontingenten Notwendigkeit betrachtet werden. Transformiert sich der Interpretant in ein Repräsentamen, wird das kontingente Moment betont, geht es doch darum, das Objekt näher zu bestimmen. Wird der Interpretant als Zeichen thematisiert, soll die Anschlussfähigkeit weiterer Zeichen garantiert und der Aspekt der Notwendigkeit betont werden. Dass der Interpretant nicht unbedingt ein Zeichen sein muss, kann zum anderen eigentlich nur heißen, dass es sich sozusagen um den ultimativen logischen Interpretanten handelt, der zum Konsens aller Interpreten bzw. in der Erkenntnis der Wahrheit konvergierte.59 Es kann auch bedeuten, dass der Anschlussinterpretant als notwendige Illusion genommen wird. Je größer der Abstand zwischen Zeichenmittel und Objekt, desto schwieriger wird es für den Interpretanten, sich in die gleiche Repräsentamen-Objekt-Relation zu stellen. Es würde sich um einen Diskurs handeln, der aufgrund dieser Vagheit – analog dem leeren Signifikanten von Laclau/Mouffe – kollektive Bindungskraft besäße, und für möglicherweise unüberschaubar viele weitere symbolische Diskurse anbindungsfähig würde.60 Es würde sich dann um ein Symbol als Diskurs handeln, dessen erstheitlicher Aspekt im Vordergrund stünde. Außerdem ist an obigem Zitat interessant, dass das Zeichen/ Repräsentamen als Medium definiert wird. Das Zeichen ist ein Medium, über das sich der Interpretant auf das Objekt bezieht. Das Zeichen ist Medium oder Vermittlungsinstrument zwischen Zeichen. Zum Vermittlungsinstrument wird es, wenn der Interpretant selbst als Zeichen zum selben Objekt steht. Erst wenn die Vermittlung – also das Zusammenbringen eines Ersten (Repräsentamen) mit einem Zweiten (Objekt) stattgefunden hat, kann es wiederum zum Medium des Bezugs nach Außen 58 S&S, S. 31. 59 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 22. Spannend – hier aber nicht weiter ausführbar – wäre es, diesen ultimativen finalen Interpretanten mit Hegels „Sitte“ und den finalen Interpretant mit Hegels „Idee“ zu vergleichen. Der ultimative Interpretant kann nur ein in ferner Zukunft erreichbarer Horizont sein, während der finale Interpretant die Idee sichtbar machen würde. 60 Besser wäre auch hier anstatt von einem leeren, von einem undifferenzierten oder, mit Brodocz, von einem deutungsoffenen Signifikanten zu sprechen.

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werden. Dies kann es aber nur als Repräsentamen. Das dynamische Objekt als zweitheitliches wirkt an der Schnittstelle des Repräsentamens auf das Zeichen ein. Somit kann auch der Interpretant als Medium aufgefasst werden. Die Schnittstelle nach außen verläuft durch das Zeichenkorrelat des Repräsentamens. Die Elemente des Zeichenprozesses, der sogenannten Semiose, sind Einheiten, und zwar nicht im substantiellen oder fixierten Sinne, sondern zeitlich-relational. Diese Einheiten sind in Bewegung und vergehen mit ihrer Aktualisierung, d.h., sie sind darauf angewiesen, reproduziert zu werden. Die Funktion eines Interpretanten ist es, die Semiosen miteinander zu verknüpfen. Für die Frage, wie Politik als (Zeichen)-System emergieren kann, ist die strukturbildende Funktion des Interpretanten zentral. Die Paradoxie der Fundierung von Zeichen könnte als Ort des Politischen fungieren. Wird dieses Paradox sichtbar, hat das Politische bereits gewirkt bzw. ist zu Politik geronnen. Die Fixierung von Bedeutung oder die Herstellung vorübergehender Sinnkonstanz liefe nach Peirce über Symbole und könnte mit seinem Konzept der Verhaltensgewohnheit bzw. Bildung einer Überzeugung nachgezeichnet werden. Fixiert werden kann Bedeutung nur, wenn sie einigermaßen auf Dauer gestellt werden kann, und dazu ist Drittheit notwendig. Das raum-zeitliche Fixieren innerhalb der Zweitheit, also ohne Wiederholung, verschwindet hingegen mit dem Fixiertsein sofort wieder. Die doppelte Funktion von Zeichen wird dahingehend untersucht, dass dreiwertige Systeme notwendig „zwei Interpretationsmöglicheiten“61 aufweisen, und dadurch auch zwei Entscheidungsmöglichkeiten anbieten. So können z.B. die Texte von Žižek selbst in diesem Sinne gelesen werden, während die Wahl, für welche Lesart sich der Rezipient entscheidet, wiederum etwas über eben diesen Leser aussagt (vgl. Kapitel III, 1.2.). Das Politische muss in der Lage sein, ein Zeichen zu bestimmen und gleichzeitig das Zeichen veranlassen, einen neuen Interpretanten zu determinieren, sich auf eben jenes Politische zu beziehen. Daher müsste es eigentlich in einer triadischen Relation noch ein politisches Objekt geben. In Kapitel III, 4. wird dieses zweite Politische mit der Zwingenden Theorie als „politische Einbildungskraft“ entfaltet werden.

1.3 Exkurs: Repräsentation zeichentheoretisch gefasst So genannte repräsentationalistische Theorien nehmen an, dass sich die Darstellung eines Gegenstands vom Gegenstand selbst ableiten lässt. Repräsentationale Gegenstandskonstitutionen sind hierarchisch struktu61 N. Ort: Das erkenntnistheoretische Spiegelstadium, S. 310.

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riert. In den Ausführungen zu Laclau/Mouffes Gesellschaftsbegriff konnte ein derart einfaches Repräsentationsverständnis bereits widerlegt werden. Theorien, die dennoch mit dem Repräsentationsbegriff arbeiten, wird dann zumeist alteuropäisches Denken vorgeworfen. Einige konstruktivistische Theoriemodelle sind allerdings häufig selbst in sich gemäß repräsentationalen Mustern konstruiert. Nämlich dort, wo angenommen wird, dass der sekundäre Begriff etwas über den vorangegangenen ausdrücke und repräsentiere, was nicht zu ihm selbst gehört.62 Obwohl z.B. in Luhmanns systemtheoretischem Modell den Unterscheidungen des Systems nichts in der Umwelt entsprechen darf, hat Luhmanns Zeichendefinition gezeigt, dass er sich selbst durchaus nicht stringent an dieses Postulat hält: „Mit Zeichen ist der Hinweis auf etwas nicht Anwesendes gemeint.“63 Auf was sollen sie aber hinweisen, wenn das konstruktivistische Postulat keine Referenz vorsieht? Mit Peirce weisen die Zeichen nicht auf etwas Abwesendes, sondern werden möglicherweise durch etwas noch nicht beschreib- oder beobachtbares irritiert. Eine auf Repräsentation beruhende Zeichentheorie nehme ferner an, die Zeichen würden Sinneswahrnehmungen oder Ideen des menschlichen Geistes abbilden. Sie würden nachträglich Entitäten versinnlichen, die an sich auch ohne diese Bezeichnungsleistung dem Bewusstsein unmittelbar gegenwärtig seien. Aber es gibt auch eine Verwendung des Repräsentationsbegriffes jenseits einfacher Ursache-Wirkung-, Widerspiegelungs- oder Abbildungsverhältnisse. Poststrukturalistische Theorien verwerfen nun – wie wir bereits gesehen haben – das Zeichen in seinem natürlichen Zusammenhang aus Bezeichnendem und Bezeichneten.64 Das Bewegen und Fixieren der Zeichen geschieht willkürlich bzw. arbiträr. Das Zerbrechen dieser natürlichen Ordnung der Dinge hat Foucault eindrücklich beschrieben.65 Er nennt in der „Ordnung der Din62 Stäheli zählt Theorien auf, die mit der Basis-Überbau Unterscheidung arbeiten, oder die sich z.B. über die Unterscheidung von Sozialem und Kultur, Gesellschaftsstruktur und Semantik konstituieren. Vgl. Urs Stäheli: Poststrukturalistische Soziologien, Bielefeld: Transcript 2000, S. 13. 63 KdG, S. 280. 64 Auch beim Verwerfen dieses natürlichen Zeichens hat Scheibmayr Luhmann Inkonsistenzen nachweisen können. Luhmann schreibt: „Zwischen Zeichen und Bezeichnetem besteht keine natürliche Verbindung – wie zum Beispiel die Verfärbung der Blätter und die Veränderung der Lufttemperatur den kommenden Winter anzeigen.“ KdG, S. 281. Hier wird also immerhin für das Verfärben von Blättern ein natürlicher Zusammenhang gesehen, der unabhängig davon, ob er beobachtet wird oder nicht, existiert. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 138f. 65 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971.

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ge“ das System künstlicher Zuweisungsprinzipien zwischen Dingen und Zeichen „représentation“. Die Repräsentation stiftet den Verweisungscharakter des Zeichens. Wie macht sie das? Wer kennt, sieht oder empfindet den Unterschied von Bezeichnendem und Bezeichnetem, von Bild und Abbild? Ein Gott, der Souverän oder die Souveränin, der Berufsjurist, der Berufsoffizier oder der Schmidtsche „Benenner“? Im Zeitalter der Aufklärung war es noch die Vernunft, der Zeichensetzung zugetraut wurde. Repräsentieren hieß Zeichen-Verwenden. Die Frage nach der Zeichenverknüpfung lässt sich bei Foucault, wie bei fast allen poststrukturalistischen oder konstruktivistischen Theorien, nicht mehr mit der Vernunft beantworten. Die Instanz kann nur noch die Repräsentation selbst sein. Aufgrund dieser vermeintlichen Tautologie von Repräsentation und Zeichen ist für Foucault Zeichentheorie unnötig geworden, da alles Denken ohnehin repräsentieren sei.66 Repräsentation kann auch innerhalb der Zeichentheorie von Peirce nicht mehr als das Wiedervergegenwärtigen eines zuvor Präsenten verstanden werden. Das Präsente ist es selbst, das immer nur in einer eigenartigen Verdopplung präsent – und damit auch schon re-präsent ist. Sobald das Präsente (zu erinnern sei an die Kategorie der Zweitheit) präsent ist (das ist es nur, wenn Drittheit gewirkt hat), ist es mit Peirce bereits eine Repräsentation. Prekär ist somit aus dieser Sicht weniger die Re-, als die Präsentation. Was muss so z.B. in jeder Gesellschaft ausgeschlossen werden, gerade damit sie sich repräsentieren kann? Was präsentiert, ohne zu repräsentieren? In der Zeichentheorie von Peirce wird Repräsentation nicht als der passive Ausdruck von etwas Gegebenem aufgefasst, sondern wird selbst zu einer sozialen Praxis, die das von ihr Repräsentierte mitkonstruiert: „The meaning of a representation can be nothing but a representation. In fact, it is nothing but the representation itself conceived as stripped of irrelevant clothing. But this clothing never can be completely stripped off; it is only changed for something more diaphanous.“67 Diese Metaphorik ähnelt einerseits Cassirers „dumpfem Bewusstsein“, andererseits dem poststrukturalistischen Begriff der Differenz: Es sind nicht die Individuen, die aufgrund ihres Wesens eine Gesellschaft konstituieren, sondern die Relationen zwischen den Individuen, die sich über die jeweilige gegenseitige Differenz bestimmen. Die Bedeutung der Repräsentation kann nur wieder mittels einer anderen Repräsentation erschlossen werden, ohne dabei jemals an einen vorgegebenen Kern zu gelangen. Dieser Repräsentationsbegriff kommt der Saussure’schen langue recht nahe, wobei der Fokus bei Peirce stärker auf das rein formale und 66 Vgl. M. Frank: Was ist Neostrukturalismus, S. 152f. Vgl. auch G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 35f. 67 CP 2.303. Siehe auch CP 1.339.

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weniger auf das statische Moment gelegt wird.68 Der Begriff der Differenz wäre allerdings eine Verkürzung von Repräsentation, da er zum einen das Zeichenkontinuum (s.u.) nicht mitdenkt, und zum anderen sind ja gerade, analog den Zeichen, verschiedene Ebenen der Repräsentation unterscheidbar. Gedanken können ebenso wie Denken Repräsentationen sein. Bei Keiner wird eine Progression von einer einfachen Repräsentation über eine verknüpfte Repräsentation zu einer zweifach verknüpften Repräsentation vorgeschlagen, wobei das zweite Glied das erste impliziert.69 Es ergeben sich somit: äquivalente Repräsentation, aktuale Repräsentation und dritte Repräsentation. Die dritte Repräsentation nennt Schönrich dann auch Selbstrepräsentation: „Nur das ist wirkliche Repräsentation, was nicht nur durch Repräsentation schaut, sondern die Repräsentativität selbst durchschaut. Die Forderung, auch noch die Repräsentativität der Repräsentationen zu explizieren, ist – da es keinen Standpunkt außerhalb der Repräsentation mehr geben soll – nur in einer Repräsentation der Repräsentation zu erfüllen.“70

Das „Parlament“ steht für das Volk, ist es aber bekanntlich nicht selbst. In diesem klassisch- politischen Repräsentationsbegriff wird ein Bezug – eine Referenz – zum Repräsentierten unterstellt, der in mehr als bloßer Ähnlichkeit oder Abbildlichkeit besteht. Etwas wird mit etwas in Beziehung gesetzt, etwas Abwesendes wird durch Repräsentation gegenwärtig gemacht. Das Abwesende muss aber – sonst würde es sich eben um eine repräsentationalistische Theorie handeln – irgendeine Verbindung zur Repräsentation haben. Peirce verwendet den Begriff ‚representation‘ nicht, wie z.B. Kant, als ‚Vorstellung‘, da dem Begriff der Vorstellung das vermittelnde Moment entgeht, das Repräsentation enthält: „[...] use it in its broad, usual, and etymological sense for anything which is supposed to stand for anothor & which might express that other to a mind which truly could understand it.“71 Die Vergegenwärtigung ist immer schon vermittelt, also als repräsentiert zu denken. Repräsentation kann auch als Einbildung von als existierend angenommenen Sachverhalten aufgefasst werden. Bevor ein Zeichen etwas bedeuten kann, muss es in eine triadi68 Die statische Ebene gibt es bei Peirce nicht. Das Zeichen kann lediglich zu analytischen Zwecken so betrachtet werden, als ob es aus seinem Zusammenhang und damit aus seinem Prozess genommen würde. 69 Vgl. Mechtild Keiner: Untersuchungen zur Entwicklung des ‚icon‘-Begriffes bei Charles S. Peirce, Stuttgart: Dissertation 1978, S. 17. 70 G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 36. In anderen Theoriesprachen würde man hier evtl. schlicht von autologischer Selbstbeobachtung bzw. Selbstdarstellung sprechen. 71 Ms. Nr. 346, 3f, zit. aus M. Keiner: Untersuchungen, S. 14.

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sche Relation eingebunden sein, und sobald es in eine solche integriert ist, repräsentiert es bereits etwas – nämlich dieses so Eingebundensein. Repräsentation kann aber eben auch noch mehr sein: „Repräsentation ist Vermittlung, nicht nur Relation, ist Zeichenprozeß, nicht nur Fixierung von Zeichenrelaten.“72 Es handelt sich hier wieder um das Phänomen, dass ein Zeichen zum einen Element einer Zeichentriade ist (als Repräsentamen) und zum anderen diese Triade als Ganze darstellt. Diesen zweiten Aspekt nennt Schönrich Selbstrepräsentation, den ersten Repräsentation. Einen anderen Weg schlägt Scheibmayr vor: Er konstruiert durch eine Kombination von Peirce und Luhmann ein autopoietisches kategorial differenziertes Zeichensystem (anstelle der Semantik von Selbstrepräsentation), in dem das triadische Zeichen als operatives Systemelement fungiert.73 Dabei dient das Repräsentamen als Schnittstelle zwischen dem Zeichensystem und seiner Umwelt. Dies ist – wie in den nächsten zwei Abschnitten erläutert wird – möglich, da das Objekt sowohl innerhalb des Zeichens als auch (als regulative Idee) außerhalb anzusiedeln ist. Das Einwirken der Umwelt auf das Zeichensystem – z.B. durch Irritation – wird von der Zweitheit in die Drittheit einer systeminternen Repräsentation transformiert.74 Scheibmayr nennt die drei 72 G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 27. Nebenbei bemerkt ist die in vorliegender Arbeit häufig zu lesende Rhetorik des „ist immer schon“ ein Symptom dieser immer schon vergegenwärtigten Vermittlung! 73 Vgl. zum Systemgedanken innerhalb der Zeichentheorie auch Max Bense: Semiotische Prozesse, Baden-Baden: Agis 1975. Siehe auch E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 124-127. 74 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie. Vgl. zu einer Analyse, die den Zeichenprozessen selbstgenerierende Fähigkeiten abspricht Susanne Rohr: Die Wahrheit der Täuschung. Wirklichkeitskonstitution im amerikanischen Roman 1889-1989, München, Paderborn: Fink 2004, S. 237. Selbstgenerierend würde bedeuten, dass sich Zeichen durch Zeichen hervorbringen. Diese Art der selbstgenerierenden Semiose kennt z.B. die Biosemiotik vgl. Søren Brier: „Konstruktion und Information. Ein semiotisches re-entry in Heinz von Foersters metaphysische Konstruktion der Kybernetik zweiter Ordnung“, in: Oliver Jahraus/Nina Ort unter Mitwirkung von Benjamin Marius Schmidt (Hg.), Beobachtungen des Unbeobachtbaren. Konzepte radikaler Theoriebildung in den Geisteswissenschaften, Weilerswist: Velbrück 2000, S. 286f. Nach Rohr handelt es sich dabei um ein „Sprechen ins Leere“ vgl. ebd., S. 276. Ich sehe Selbstgenerierung von Zeichen als einen zeicheninternen Prozess, der sowohl Fremdreferenz (durch das Objektkorrelat) als auch Selbstreferenz (durch den Interpretanten und das Repräsentamen in das er sich transformiert) beinhaltet. Reine Selbstreferenz kann es nach Peirce im Zeichen nicht geben. Ein Zeichensystem, das sich durch seine kontinuierliche und graduelle Grenzbildung zur Umwelt konstituiert, müsste hingegen basal selbstreferentiell konstruiert werden. Zur Autoreproduktion von Zeichen vgl. auch E. Walther 1979, S. 120f.

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Repräsentationsarten erstens die Identität des Zeichensystems, zweitens die Existenz des Zeichensystems und drittens die Realität des Zeichensystems.75 Repräsentation kann somit als eine wesentliche Funktion des Peirce’schen Zeichens gesehen werden. Das poststrukturalistische Postulat, wonach Differenzen nicht von vorausgehenden Identitäten abgeleitet werden können, ist hier nicht verletzt, da zum einen kein Ableitungsverhältnis vorliegt, und zum anderen Identität als Repräsentation eben nicht essentialistisch verstanden wird. In der Repräsentation wird ein Wissen gebildet, mit dem Welt und Subjekt verstanden werden sollen. Repräsentiert eine Theorie ein Objekt, dann bildet sie es nicht ab, sondern stellt es her. Zeichentheoretisch kann die dyadische Beziehung von Repräsentamen und Objektbezug (Ikon, Index, Symbol), oder die dyadische Beziehung von unmittelbarem und dynamischem Objekt (vgl. Kapitel II, 1.3.3) repräsentiert werden. Auch die ikonische Repräsentation bildet ihr Objekt nicht einfach ab, sondern muss, um zum Repräsentamen eines Objekts zu werden, dieselbe Qualität aufweisen können: „Jedes Ikon hat teil an einer mehr oder weniger offensichtlichen Eigenschaft seines Objekts.“76 Bei der indexikalischen Repräsentation weist der Index auf das Objekt hin, das daher auch schon vorher bekannt sein muss. Es muss also vorher nicht dasselbe, sondern das gleiche Objekt bekannt sein. Sowohl der Ikon-, als auch der Indexaspekt stehen zwar in einem Kausalverhältnis zu ihren Objekten, was aber nicht bedeutet, dass diese Verhältnisse nicht ihrerseits veränderbar sind. Sie sind dies – das führt weiter unten ein Beispiel vor – allerdings nur wieder von einer symbolischen Warte aus. Die symbolische Repräsentation hängt ebenfalls von der Vertrautheit mit dem verwendeten Symbol ab. Im Unterschied zur indexikalischen Repräsentation hängt die symbolische Repräsentation allerdings nicht von einem gegenwärtigen Objekt, und im Unterschied zur ikonischen Repräsentation, auch nicht von irgendwelchen Merkmalen des Objekts ab.77 Diesen so fremdreferentiell repräsentierten Objektbezügen entspricht kein Gegenstand der Umwelt. Die Antwort auf die Frage, wozu Repräsentation diene, wäre selbst wieder eine Repräsentation. Das dynamische, außersemiotische Objekt ist zwar semiotisch nicht zu „fassen“, der Grund dafür liegt aber nun gerade darin, dass es eine inhärente Begrenzung des Zeichenprozess ausmacht. Außersemiotisch heißt somit nicht, dass das dynamische Objekt nicht selbst zeichenartig verfasst wäre. Das dynamische Objekt ist nicht wirklich Außen, denn es ist nicht das zugrunde liegende. Es erscheint durch seine irritierenden Wirkungen, die nicht sofort in das Zei75 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 357. 76 SS Bd. 3, S. 136. 77 Vgl. E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 124 und S. 143f.

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chensystem integriert werden können, als etwas, das Außen liegen muss. Was es bedeuten kann, Welt und Subjekt zu verstehen, versteht sich eben nicht von selbst. Andererseits kann man die drei Arten der Repräsentation doch auch auf ihre Funktion hin befragen. Der Repräsentationsbegriff macht die in dieser Arbeit aufgeworfene Frage nach politischer Theorie und ihrem Gegenstand erneut deutlich. Repräsentation ist immer Repräsentation-als, die Perspektivität ist entscheidend. Repräsentation vermittelt den Bezug eines Subjekts zum Objekt. „Representations“ sind Sachverhalte, die für etwas anderes stehen (z.B. Ikon, Index, Symbol), das selbst als „representation“ für etwas stehen kann. Jeder Gedanke ist eine Repräsentation, die ganze Welt, die wir verstehen können, besteht nach Peirce aus Repräsentationen. Denken ist immer schon ein dialogischer Prozess: „All thinking is dialogic in form.“78 Der Denkprozess entfaltet sich sowohl in formaler als auch in materialer – als Denken in Wörtern – Hinsicht in triadischen Relationen. Das heißt umgekehrt allerdings nicht, dass er rein formal zu haben wäre. Zu erinnern sei noch einmal an die Zwiebelmetapher: „Der Versuch, das Denken vom Ausdruck zu trennen und an das nackte Denken selbst zu gelangen, ähnelt dem Bemühen, die Schichten einer Zwiebel zu entfernen, um an die nackte Zwiebel selbst zu gelangen.“79 Wörter und Gedanken bilden also nicht schon bestehende Gegenstände oder Gedanken ab. Gibt es also gar keine Unterscheidung zwischen Repräsentation und Nicht-Repräsentation? „The meaning of a representation can be nothing but a representation. [...] So there is an infinite regression here. Finally, the interpretant is nothing but another representation to which the torch of truth is handed along; and as representation, it has its interpretant again.“80 Da es keine unmittelbare Erkenntnis gibt, sind Zeichen und Repräsentation äquivalent. Peirce schlägt eine begriffliche Unterscheidung vor, die erneut an Saussures Unterscheidung zwischen langue und parole erinnert: „When it is desired to distinguish between that which represents and the act or relation of representing, the former may be termed the ‚representamen‘, the latter the ‚representation‘.“81 Das ‚representamen‘ steht beinahe statisch für etwas, während ‚representation‘ das Zeichen als Ganzes, den Zeichenprozess bzw. die Semiose, meint. Wir sehen hier also, dass die „erste“ Triade formal und auf einen Schlag die drei Konstituenten des Zeichens einführt. Dabei kommt dem Repräsentamen zusätzlich noch die Schnittstellenfunktion nach Außen zu. Es ist der Interpretant, der zur „zweiten“ Triade eine Verbindung herzustellen 78 79 80 81

CP 6.338. PhLZ, Klappentext. CP 1.339. CP 2.273.

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vermag. Der Akt der Repräsentation erfordert einen neuen Interpretanten, was eben zur Semiose führt. Peirce unterscheidet analytisch Dinge, Repräsentation und den Akt bzw. die Relation der Repräsentation voneinander. Diese Unterscheidung entspricht mit Schönrich der Unterscheidung zwischen Dingen, Repräsentation und Repräsentation der Repräsentation (Selbstrepräsentation), und schließlich mit Scheibmayr der Unterscheidung zwischen Identität, Existenz und Realität des Zeichensystems. Walthers Unterscheidung in ikonische, indexikalische und symbolische Repräsentation bezieht sich wiederum darauf, wie die Repräsentamina ihre Objekte repräsentieren. „Ein Zeichen ist ein Ding, das dazu dient, ein Wissen von einem anderen Ding zu vermitteln, das es, wie man sagt, vertritt oder darstellt. Dieses Ding nennt man das Objekt des Zeichens.“82 Wir können von Dingen aber nur durch Vermittlung bzw. Repräsentation wissen; sie können nur relativ gewusst werden, und gehören daher nicht zu dem, was Peirce „unsere Welt“ nennt. Es könnte sich dabei aber – dies im Unterschied zu konstruktivistischen/poststrukturalistischen Theorien – um konkret existierende zweitheitliche Dinge handeln, die ohne die Kategorie der Drittheit einfach nicht gewusst oder erkannt werden können. Der Bezug, in der eine Repräsentation zum Repräsentierten steht, macht den Begriff des Zeichens aus. Die Dinge können also nur in abstrahierender Analyse thematisiert werden. Repräsentation ist eng mit der Problematisierung des Symbolbegriffes verbunden. Repräsentation kann, wie auch die Symboltheorie, als Problem der Konstitution von Realität und der Frage danach, wie Objekte konstituiert werden können, thematisiert werden. Die Zeichentheorie bietet den Vorteil, auch solche Repräsentationen in die Betrachtung mit einzubeziehen, die sich aufgrund ihres natürlichen bzw. unmittelbaren Zustandekommens ereignen. Politische Artikulation ist nur so lange zweitheitlich, bis ein Interpretant (Drittheit) sich in irgendeiner Hinsicht auf die Artikulation bezieht und die Artikulation zur politischen Praxis werden lässt, indem er sie auf Dauer stellt. Hier wäre dann weniger von einem Kampf um Benennung, als von einem Kampf darum, was zur Gewohnheitsbildung führt, zu sprechen. Durch den drittheitlichen Aspekt ist politische Praxis immer auch symbolische Praxis. Repräsentation als Problem politischer Vertretung, als Frage, wer für wen spricht, kann überhaupt nur auf der Ebene der Drittheit thematisiert werden. Etwas Drittes muss zwischen Artikulation und Artikuliertem, zwischen Repräsentamen und Objekt, vermitteln und als Repräsentation diese Relation rückwirkend erschaffen. Zeichentheorie kann dadurch, dass der Mensch selbst als Zeichen zu 82 SS Bd. 1, S. 204.

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verstehen ist, das Problem der Perspektivität von Wissen in die Zeichentheorie einbeziehen. Gerade weil der Mensch ein Zeichen ist, kann er nie als ein sich-selbst-präsentes Subjekt thematisiert werden. Daher vermag er auch nur als Zeichen Bedingung der Möglichkeit von Zeichenprozessen zu sein. Das kann z.B. ein im Bewusstsein oder Unbewusstsein des Subjekts entstandener Interpretant sein. Darauf wird in Kapitel III, 1. eingegangen. Poststrukturalistische Theorien fassen Repräsentation häufig als Differenz zwischen einem unmöglichen Ganzen und seiner Repräsentation in einem Partikularen. Eine einheitliche Repräsentation des Gesamtsystems Gesellschaft durch ein Teilsystem gibt es somit ebenso wenig wie eine Gesamtrepräsentation der Teilsysteme. An die Stelle der Repräsentation, wie sie z.B. Descartes oder Locke noch fassten, sind relationale Repräsentationen von Zeichen getreten. Die einzelnen Repräsentationsweisen können den Zeichenarten „Ikon“, „Index“ und „Symbol“ entsprechen. Dennoch kann das Ikon – wird es nicht als Aspekt eines Symbols betrachtet – die Fähigkeit der bloßen Präsentation besitzen. Peirce selbst nennt das auch unspezifische Repräsentation.83 Dies gilt es – wie in der Einleitung versprochen – nach und nach schärfer zu fassen und verständlich zu machen. Die Zeichentheorie beinhaltet bereits die Aspekte der Objektbeschreibung und des Sich-selbstzum-Objekt-machens einer Theorie. Von hier aus wurde die Frage vorliegender Arbeit also immer schon gestellt. Da für die Fragestellung auch der präsemiotische Aspekt, also wie Erlebnisse oder Erfahrungen, Vorstellungen (Dörner), Gedanken und Empfindungen (Edelman/Sarcinelli), im Symbolischen wirken, wichtig ist, muss nach einem Zeichenbegriff gesucht werden, der nicht nur die symbolische Dimension, wie in dem Kapitel zum Symbolbegriff beschrieben, abdeckt. Er muss zudem noch die semiotische Operativität und Prozessualität mit berücksichtigen. Das heißt konkret, die Zeichentheorie muss in der Lage sein, Sprache, Bewusstsein, Denken, Gefühl nicht nur als Zeichen zu fassen, sondern auch voneinander unterscheidbar, und sowohl in ihrem Prozess als auch in ihrer Verkörperung beschreibbar zu machen. Fühlen, Begriff und Denken sind bei Peirce zeichenartige Repräsentationen.84 „Die Antwort ist, kurz gesagt, daß Gedanken (thoughts) und Denkereignisse (thinkings) ebenfalls Zeichen sind. Daß Gedanken sich auf Objekte beziehen, ob jene Objekte nun Erfindungen (fabrications) der Gedanken sind oder unabhängige Wesen, ist offensichtlich. Doch reicht es nicht aus, um zu beweisen, 83 Vgl. SS Bd. 2, S. 178. 84 SPP, S. 54.

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daß alle Gedanken und Denkereignisse Zeichen sind. Denn ein Zeichen ist nicht nur etwas, was durch ein Objekt bestimmt ist, sondern es ist auch etwas, durch das ein Interpretant zu einer Bezugnahme auf dasselbe Objekt bestimmt wird. Nun ist es unmittelbar einleuchtend, daß ein Gedanke oder ein Denkereignis nicht nur, um Denken zu verkörpern, sondern bereits in seiner wesentlichen Beschaffenheit als Denken, notwendigerweise an einen Interpretanten appelliert.“85

Das, was ein Gedanke bzw. Zeichen ist, realisiert sich erst in der jeweiligen Zukunft als Folgeereignis.86 Ist nun dem Zeichen oder erst der Semiose die Zeitdimension eingeschrieben? Könnte man das Zeichen isoliert betrachten, würde es sich – wie auch schon das Zeichen bei Saussure – auf einen Schlag konstituieren. Das heißt, Repräsentamen, Objekt und Interpretant wären zugleich gegeben. Da ein Zeichen aber nur Zeichen ist, wenn es einen Folgeinterpretanten an sich binden kann, ist der Zeichenkonstitutionsprozess nur in der Zeit zu denken. Die Semiose meint sowohl die Transformation des Interpretanten in ein Repräsentamen als auch die Reihung von Zeichen an Zeichen. Da es also keine isolierten Zeichen geben kann, kann das Zeichen selbst auch nur in der Zeit gedacht werden. Unter Semiose ist daher immer schon der Zeichenkonstitutionsprozess selbst zu verstehen. Die Bestandteile des Zeichens haben keine unabhängige Existenz. Semiose und Zeichen sind unteilbar. Nur analytisch kann die Zeichentriade mit ihren drei Konstituenten sozusagen fixiert betrachtet werden. Dann allerdings sind alle drei Bestandteile zugleich und gleichursprünglich gegeben. Sie setzen sich gegenseitig voraus. „Ikon“ und „Index“ für sich könnten somit auch als „quasi-Zeichen“87 betrachtet werden. Ein Symbol dagegen braucht konstitutiv einen Interpretanten, um Symbol zu sein. Die Vorstellung eines bereits vor dem Diskurs feststehenden Sinns in der Form eines Signifikats, das es nur noch zu dekodieren gilt, wird von poststrukturalistischen Zeichentheorien aufgegeben. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch bei Saussure das Signifikat kein bereits vorher bekanntes Zeichenelement ausmacht. Der Signifikant ist nicht durch ein genau bestimmbares Signifikat festgelegt. Wie kann das Verhältnis von Symbol zu Repräsentation bzw. von Zeichen zu Repräsentation zusammengefasst werden? Alle Zeichen sind auch Repräsentationen, und alle Repräsentationen sind umgekehrt Zei85 SS Bd. 3, S. 79f. 86 Peirce schreibt: „[...] thought must address itself to some other, must determine some other[...] must be interpreted in another.“ CP 5.253. Vgl. auch W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 104. Siehe auch S. Rohr: Die Wahrheit der Täuschung, S. 36-38. 87 SS Bd. 2, S. 91.

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chen. Alle Symbole sind auch Repräsentationen, aber nicht alle Repräsentationen sind Symbole. Lediglich die Repräsentation der Repräsentation fällt wiederum mit dem Symbolbegriff zusammen. Es kann mit Peirce keine reine symbolische Repräsentation geben, da Symbole immer auch erst- und zweitheitliche Momente enthalten. Symbole sind somit die übergeordnete Kategorie. Warum nennt Peirce seine Theorie dann aber nicht gleich Symboltheorie, sondern Zeichentheorie? Mit dem Zeichenbegriff können die Zeichenaspekte des Symbols stärker betont und herausgestellt werden. Unter der Bezeichnung Zeichentheorie geraten auch vorsymbolische Phänomene in den Blick. Deshalb können im Folgenden die näheren Bestimmungen des Zeichens auch als Unterkapitel zum Exkurs des Repräsentationsbegriffes gefasst werden.

1.3.1 Repräsentamenbezug Das Repräsentamen in Peirces Zeichentriade entspricht in etwa dem Bezeichnenden bei Saussure oder dem, was Cassirer ein sinnliches Zeichen nennt. Der Unterschied zu beiden Zeichenkonzepten besteht darin, dass das Repräsentamen eines von drei Zeichenkorrelaten ist und nicht eins von zwei: „A Sign is a Representamen with a mental Interpretant. Possibly there may be Representamens that are not Signs.“88 Alle Zeichen sind oder haben zwar Repräsentamen, nicht alle Repräsentamen müssen umgekehrt aber auch Zeichen sein. „In particular, all signs convey notions to human minds; but I know no reason why every representamen should do so.“89 Peirce führt hier das Beispiel einer Sonnenblume, die sich wie von selbst zur Sonne richtet, an. Die Repräsentamenkomponente der Klassifikationstriade aus Tabelle 1 kann in Quali-, Sin- und Legizeichen unterteilt werden. Qauli-, Sin- und Legizeichen sind Zeichensubklassen des Repräsentamenbezugs. Peirce nennt diesen Bezug auch das „Wesen des Zeichens an sich selbst“.90 Genauer müsste man sagen, das Wesen des Repräsentamens an sich selbst. Der Repräsentamenbezug ist unabhängig davon, ob ein Objekt als Korrelat existiert oder nicht, das, was er ist. Solange allerdings nicht alle drei Bezüge realisiert werden, ist er aufgrund seiner Erstheit nur seiner Möglichkeit nach das, was er ist. So kann das erstheitliche Qualizeichen als qualitative Möglichkeit bestimmt werden, die der Grund für eine Beziehung zu einem Objekt darstellen könnte, wenn ein solcher Objektbezug tatsächlich hergestellt würde.91 Das 88 89 90 91

CP 2.274. Ebd. SS Bd. 2, S. 287. Vgl. zum Repräsentamenbezug G. Schönrich: Semiotik zur Einführung, S. 78 (Schönrich nennt diesen Bezug allerdings Mittelbezug), vgl. G.

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Qualizeichen stellt die Erstheit des Repräsentamens in der Drittheit dar. Es ist also innerhalb der Drittheit, die jedes Zeichen auszeichnet, das erste Korrelat. Es kann nicht als wirkliches Zeichen auftreten, bevor es nicht verkörpert ist. Die Verkörperung wiederum hat aber nichts mit dem Zeichencharakter zu tun.92 Da das Qualizeichen „konditionierend“93 auf die Semiose wirkt, kann ein Zeichenprozess niemals völlig beliebig sein. Die Anschlusszeichen müssen sich auf die zeichenkonstitutive Qualität beziehen. Bevor die Bedeutung von Quali-, Sin- und Legizeichen genauer ausgeführt werden, sollte das, was Peirce das Fundament des Repräsentamens nennt, näher betrachtet werden. Ist es doch gerade dieser (Un-)Grund, in dem die Theorien des Politischen eine Paradoxie (Luhmann), oder das Politische selbst (Laclau/Mouffe) verorten. Für Peirce ist der Grund „an sich ein Traum ohne einen Ort [habitat].“94 Der Grund als eine Art von Idee ist vage und allgemein. Ideen verfügen nicht über eine Identität, da sie nicht wirklich existieren, sondern der existierenden Wahrnehmung vorausgehen. Die Ideen – quasi als Medien – können nur durch ein Ikon mitgeteilt oder sichtbar gemacht werden. Das Verhältnis zwischen Ideen und ihrer Präsentation im Ikon kann sich einerseits ähnlich der „symbolischen Prägnanz“ von Cassirer vorgestellt werden.95 In ähnlicher Weise findet die Verkörperung oder Verwirklichung des Qualizeichens in einem Sinzeichen statt. Andererseits ähnelt der ortlose Grund auch der Kluft, die ein „Zwischen-zwei“ überhaupt erst sichtbar machen würde. Das Sinzeichen stellt die Zweitheit des Repräsentamens in der Drittheit dar: „Ein Sinzeichen (wobei die Silbe sin in der Bedeutung von ‚nur einmal vorkommen‘ aufgefasst wird, wie in singulär, simpel, Lateinisch: semel usw.) ist ein aktual existierendes Ding oder Ereignis, das ein Zeichen ist.“96 Das Sinzeichen fällt für sich in die Kategorie der Zweitheit, gehört aber, wenn es Teil der Triade ist, zur Drittheit. Die aktuale Existenz erhält ein Zeichensystem nur in den

92 93 94 95

96

Schönrich: Zeichenhandeln, S. 122-128, vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 194f, vgl. S. Rohr: Über die Schönheit des Findens, S. 72-74. PhLZ, S. 123. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 195. SS Bd. 1, S. 248. „Unter symbolischer Prägnanz soll also die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis als ›sinnliches‹ Erlebnis, zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen ›Sinn‹ in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt.“ E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen Bd. 3, S. 235. PhLZ, S. 123. Das Qualizeichen leitet sich von ‚qualis‘, „wie beschaffen“ her. Vgl. W. Scheimbayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 195, Anm. 135.

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Sinzeichen, die aber wiederum, wie die Qualizeichen, irreversibel sind. Ein Sinzeichen schließt seinerseits ein oder mehrere Qualizeichen ein.97 Das Legizeichen „ist ein Gesetz, das ein Zeichen ist. Ein solches Gesetz ist normalerweise von Menschen aufgestellt. Jedes konventionelle Zeichen ist ein Legizeichen (aber nicht umgekehrt).“98 Die so genannten Naturgesetze sind Legizeichen, aber eben keine konventionellen Zeichen. Das Legizeichen kann aufgrund seiner Allgemeinheit seinen Geltungsbereich bzw. seine Anwendungsfälle nie genau bestimmen.99 Das liegt daran, dass die Anwendungsfälle in die Zweitheit fallen. Das Sinzeichen, das ein Legizeichen konditionieren und damit beherrschen kann, nennt Peirce ‚Replika‘: „Erstens ist ein Zeichen kein wirkliches Ding. Es ist so beschaffen, daß es in Replikas existiert. Man schaue auf eine Druckseite, und jedes ‚der‘, das man sieht, ist dasselbe Wort, jedes ‚e‘ derselbe Buchstabe. Ein wirkliches Ding existiert nicht auf diese Weise in Replikas. Das Sein eines Zeichens ist bloß ein Dargestelltsein. Nun sind wirklich Sein und Dargestelltsein sehr verschieden. Wenn man dem Wort Zeichen den vollen Umfang gibt, der ihm für logische Zwecke vernünftigerweise zukommt, dann ist ein ganzes Buch ein Zeichen; und eine Übersetzung davon ist eine Replika desselben Zeichens.“100

Eine Replika ist eine das Legizeichen verkörpernde Darstellung. Für Scheibmayr sind daher Replika und Legizeichen ebenso komplementär wie Ereignis und Struktur bei Luhmann.101 Konkrete ereignishafte Existenz und eine sowohl qualifizierende als auch konditionierende Bestimmung eben dieser Existenz, setzen sich gegenseitig voraus. Replikas mit bestimmten Eigenschaften lassen also nur Anschlusszeichen mit bestimmten Eigenschaften zu. Die ereignishafte Operationsweise eines Zeichens gehört der Ebene der Zweitheit (Replika) an, während die strukturbildenden Legizeichen der Ebene der Drittheit angehören. Legizeichen müssen nicht selbst existieren, sie sind in ihrer Drittheit real. Das Legizeichen ist im Unterschied zur Replika aufgrund seiner Allgemeinheit dauerhaft. Wie können dann aber über das Legizeichen verschiedene Replikas als dasselbe gefasst werden? Die Replikas müssen 97 Vgl. PhLZ, S. 123. 98 PhLZ, S. 124. Die so genannten Naturgesetze können also auch als Legizeichen gefasst werden. 99 Vgl. W. Scheibmayr, S. 197. 100 NZ, S. 344. 101 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 199. Scheibmayr leitet die ‚Replika‘ von lat. replicare – ‚wieder auseinander falten‘ ab; ein Zeichen also, das zur wiederholten Anwendung fähig ist. Ebd., S. 198, Anm. 148.

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irgendwie als Identität beobachtet werden, denn andererseits könnten sie nicht wiederholt werden und so zum Strukturaufbau bzw. zur relativen Strukturstabilität dienen. Es ist der allgemeine Typus des Legizeichens, der wiederholt werden kann und auf dessen gemeinsames generalisiertes Schema sich die Replikas beziehen.102 Das Zeichen steht für das Objekt in Bezug auf eine Art Idee, die der Grund des Repräsentamens ist.103 Der Grund ist eine Idee als reine Abstraktion, von wo aus Ähnlichkeit bzw. Übereinstimmung von zwei Dingen geschaffen wird. Zur näheren Erläuterung wird im Folgenden die Objektrelation des Zeichens betrachtet.

1.3.2 Objektrelation – Ikon, Index und Symbol Was hebt ein dreiwertiges Modell von einem dyadischen ab? Saussure entwickelt sein Zeichen, bestehend aus Signifikant/Signifikat, nur für statisch geschlossene Systeme der langue und nicht für die dynamische, prozessorientierte parole.104 Im Unterschied zu Saussure wird das Objekt bei Peirce in den Zeichenprozess integriert. Es wird als Qualität gedacht, das erst durch ein Repräsentamen konkretisiert und von einem Interpretanten interpretiert wird. Das Objekt kann auf zwei Weisen thematisiert werden. Erstens – das geschieht in diesem Kapitel – in seiner Relation (zu sich selbst, zum Repräsentamen und zum Interpretant) in-

102 Vgl. Peirce PhLZ, S. 66 und für eine Interpretation der Stelle W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 201. Schönrich führt als Beispiel den Kauf einer Tomate an: Wir können u.a. an der roten Farbe wieder erkennen, dass es sich um eine Tomate handelt, auch wenn es nicht mehr dieselbe Tomate wie gestern ist, und können das Kaufenwollen in Worten artikulieren, die genau die Lautfolge des gestrigen Einkaufs reproduzieren. Farbe und Laut werden zusammen auf das wiederholbare Muster bzw. die Regel bezogen, nach der immer wieder Lautereignisse, durch die wir Tomaten kaufen können, hervorgebracht werden können. G. Schönrich: Semiotik zur Einführung, S. 80. Viel schwieriger wird der Prozess, wenn die dem Legizeichen zugrunde liegende Regel erst gesucht oder erfunden werden muss. 103 Vgl. CP 1.551 und 2.228. 104 „Übrigens sind die Zeichen der Sprache [langue, A.P.] sozusagen greifbar; die Schrift kann sie in konventionellen Bildern fixieren, während es nicht möglich wäre, die Vorgänge des Sprechens [parole, A.P.] in allen ihren Einzelheiten zu photographieren. [...] In der Sprache dagegen gibt es nur das Lautbild, und dieses läßt sich in ein dauerndes visuelles Bild überführen. [...] Diese Möglichkeit, alles, was sich auf die Sprache bezieht, fixieren zu können, [...].“ F. Saussure: Grundfragen, S. 18. In anderen Modellen entspräche die parole möglicherweise der hermeneutischen Erweiterung von Zeichen. Die langue macht den funktionalen, die parole den substantiellen Aspekt aus.

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nerhalb der Zeichentriade; zweitens durch die Unterscheidung zwischen dem Objekt innerhalb der Zeichentriade und dem Objekt, das sich quasi außerhalb der Zeichentriade befindet. Das Objekt in seiner Relation innerhalb der Triade kann nichts Fixiertes sein. Baltzer betont in seiner Studie zur Kategorienlehre von Peirce, dass auf keiner Ebene ein Objekt aufweisbar ist, das nicht selbst zeichenhaft verfasst wäre.105 Wird die Relation zwischen Repräsentamen und Objekt fokussiert, so kann sie je nach Kontext – bzw. den verschiedenen Objektbeziehungen106 – als „Ikon“, „Index“ oder „Symbol“ bestimmt werden.107 Diese Relation entspricht der Bezeichnungsfunktion von Zeichen. Wichtig ist, dass alle Konstituenten der Triade erst in den unterschiedlichen Relationen, die sie miteinander eingehen, das heißt erst in ihren Funktionalisierungen beschreibbare Effekte erzeugen. Zeichen können subklassifiziert werden, indem man die oben beschriebenen Kategorien jeweils mit den Zeichenrelata in Beziehung setzt. Der Begriff „Symbol“ ist nicht das Objekt, sondern ergibt sich durch die Relation und ist dann selbst wiederum Zeichen, dessen Objektrelation im Vordergrund steht. Was repräsentieren die Zeichenarten bezüglich ihrer Objektrelation? Das Ikon steht für einen Grund, der Index repräsentiert ein Korrelat, und das Symbol steht für einen Interpretanten. Es sei noch einmal daran erinnert, dass auch Ikon und Index einen Interpretanten brauchen. Für das Ikon steht jedoch die Beziehung auf einen Grund, und für den Index die Beziehung auf ein Korrelat im Vordergrund. Es kommt immer darauf an, aus welcher Perspektive welche Relation betrachtet wird. Die Beziehung auf einen Grund ist die erste Stufe vor dem Sein als Zweitheit, also vor dem, was Peirce „Wirklichkeit“ nennt. Grund meint die pure Form oder die reine Abstraktion, „which is the original of the things of which the concrete thing is only the incarnation.“108 Die Beziehung zum Grund ist in jeder Attribuierung mitgegeben. Das Repräsentamen hat darstellende Eigenschaften, es ist aber von Zeichen die Rede, wenn diese darstellenden Eigenschaften selbst wieder dargestellt werden sollen. Das Repräsentamen kann – wie aus obiger Tabelle ersichtlich wird – auf dreifache Weise die Relation auf den 105 Vgl. U. Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht, S. 56. 106 „Objekt“ wird hier als beliebiges Etwas, das bezeichnet werden kann, verstanden. Es kommt weniger auf das Objekt der Bezeichnung, als vielmehr auf die Beziehung des Zeichens zum Objekt an. Vgl. E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 62. 107 ‚Ikon‘ aus dem gr. von ‚eikon‘ –, Bild, Abbild, Vergleich. ‚Index‘ aus dem lat. ‚index‘, ‚indicis‘ –, Anzeiger, Anzeichen, Hinweis. ‚Symbol‘ wie schon im Exkurs zum Symbolbegriff aus dem gr. ‚symbolon‘ –, Erkennungszeichen, Kennzeichen, Vertrag. 108 Ms. Nr. 357, 35, zit. nach M. Keiner: Untersuchungen, S. 15.

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Grund repräsentieren. Es vermag aber aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Kategorie der Erstheit – im Unterschied zum Objekt oder Interpretanten – darüber hinaus für sich genommen nur einfach thematisiert werden.109 Das heißt, an sich kann das Repräsentamen gar nichts repräsentieren, sondern nur als Element eines Zeichens und somit als Teil einer Drittheit. Ein Zeichen kann sich auf mehr als nur einen Gegenstand beziehen, wobei die entsprechende Gruppe von Gegenständen als ein komplexer Gegenstand angenommen wird. Dieser Aspekt ist zentral, denn nur so können Diskurse als Zeichenprozess beschreibbar gemacht werden. Eine Ansammlung von Objekten kann also den Gegenstand des Zeichens ausmachen.110 Wichtig ist, dass die meisten Zeichen Aspekte von allen drei Objektbeziehungen enthalten. Auch Symbole entstehen aus der Entwicklung anderer Zeichen, vor allem aus Ikons. Das Ikon ist ein Zeichen, das sein Objekt bezeichnet, indem es dieses imitiert. Es muss gewisse Merkmale mit dem Objekt gemeinsam haben, ist aber nicht an ein wirklich existierendes Objekt gebunden.111 Aufgrund seiner Erstheit können diese qualitativen Merkmale im Bezug auf das Repräsentamen eines Ikons nur Qualizeichen sein. „Da ein Zeichen nicht mit dem bezeichneten Ding identisch ist, sondern von dem letzteren in verschiedener Hinsicht differiert, muß es selbstverständlich einige Merkmale besitzen, die an sich zu ihm gehören und nichts mit seiner repräsentativen Funktion zu tun haben. Diese nenne ich die materiellen Qualitäten eines Zeichens.“112 Das reine Ikon, ohne Objektbezug, präsentiert nur seine Qualität. Die Ähnlichkeitsbeziehung zum Objekt erfordert eine Differenzierung, die erst im Bereich der Zweitheit möglich ist. Erst der Interpretant kann Ikon und Objekt unterscheiden und aufeinander beziehen. Bei einem Index steht dagegen die demonstrative Anwendung eines Zeichens, bei einem Symbol die repräsentative Funktion, im Vordergrund. Die ersten

109 Es gibt also genau genommen nicht nur zehn relationale Subzeichenklassen (vgl. Tabelle), sondern durch die Thematisierungsweisen können auch noch weitere so genannte Trichotomien unterschieden werden. Dieser Aspekt ist für die Fragestellung allerdings nicht relevant. Vgl. E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 107-111. 110 Vgl. CP 2.230. 111 Ein Diagramm, das Informationen durch Abstraktion vereinfacht, wäre ein Beispiel für ein Ikon. Dieses Beispiel macht deutlich, wie differenziert das Peirce’sche Zeichenmodell ist, wurde doch diese Art der Komplexitätsreduktion in einer der obigen Definitionen den Symbolen zugeordnet. Es handelt sich bei dem Diagramm, erst wenn es gedeutet wird, um ein Symbol, das eine ikonische Interpretation hervorruft. 112 SPP, S. 56.

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beiden Aspekte wären Repräsentationen ohne explizit repräsentative Funktion. Die repräsentative Funktion liegt weder in der materiellen Qualität noch in seiner reinen demonstrativen Anwendung. Sie ist etwas, was das Zeichen nicht an sich – oder in einer realen Relation zu seinem Objekt – sondern was es für einen Gedanken ist. Materiale und demonstrative Funktionen sind Eigenschaften, die unabhängig davon, ob sie sich an irgendeinen Interpretanten bzw. Gedanken wenden, zum Zeichen gehören. Beobachtbar sind sie dennoch nur mittels eines Interpretanten. Das Ikon kann als mimetischer Prozess innerhalb eines sozialen Systems, einer Interaktion etc. fungieren. Zu denken wäre an Nachahmungsprozesse wie z.B. das Orientieren an Vorbildern. Wichtig ist erneut zu betonen, dass die Darstellung einer solchen Nachahmung wiederum in den Bereich des Symbols fällt. Das heißt umgekehrt, auch wenn Peirce selbst das so nicht ausführt, dass der Nachahmungsprozess auch unbewusst verlaufen kann. Ein Ikon bezeichnet, ohne zu benennen: „Ein Ikon kann nur Fragment eines vollständigen Zeichens sein. [...] Man dürfte bemerken, daß das Ikon im Hinblick auf die Bezeichnung [signification] höchst vollkommen ist, bringt es doch seinen Interpreten Auge in Auge mit der bezeichneten Eigenschaft. [...] Aber es benennt nichts. Es bietet keine Gewähr, daß so ein Objekt, wie es von ihm dargestellt wird, wirklich existiert.“113

Auch wenn das Ikon an sich nicht existiert, kann es als fragmentarisches »Etwas« eines Zeichens in einem anderen Zeichen existieren. Es ist das Sinzeichen, das dann als ikonisches Sinzeichen die bloße Möglichkeit des Ikons konkret realisiert. Das Ikon benennt oder behauptet zwar nichts, dient nicht einmal einem Zweck, ist aber für die Frage nach Benennung dennoch wichtig, da ein Symbol immer – neben einem Index – auch ein Ikon einschließt. Die Bezeichnungsfunktion des Ikons geht der symbolischen Benennungs- oder Bedeutungsfunktion voraus. Der Symbolbegriff von Peirce kann also nur in seinem Gesamtzusammenhang aus kategorialer Zeichentheorie und Differenzierung ihrer Subklassen erschlossen werden. Er ist einerseits sehr weit gefasst und schließt alle konventionellen Zeichen (Wörter, Sätze, Diskurse etc.) ein. Andererseits kann er, je nach Beobachterperspektive und Interesse, sehr 113 NZ, S. 349. Peirce kennt drei Arten von Ikons: Bilder, Diagramme und Metaphern. Vgl. CP 4.531. Vgl. auch E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 62f. Speziell zu Metaphern vgl. Christian Strub: „Peirce über Metaphern. Zur Interpretation von CP 2.277“, in: Helmut Pape (Hg.), Kreativität und Logik. Charles S. Peirce und das philosophische Problem des Neuen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 209-233 und Carl R. Hausman: „Metaphorische Ikons und teleologischer Zufall in Peirce’ Semiotik“, in: H. Pape (Hg.), Kreativität und Logik, S. 195-209.

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stark ausdifferenziert und eingegrenzt werden. Peirce bestimmt das Symbol mit Blick auf die antike Bedeutung – symbolon als Übereinkommen oder Vertrag, als Losungswort, Erkennungszeichen oder Schibboleth, als Standarte oder Fahne – als ein konventionelles Zeichen, das von einer Verhaltensgewohnheit abhängt. Jedes Wort kann zum Symbol werden, wenn es die mit dem Wort verbundene Idee erfüllt: „Es selbst identifiziert diese Objekte nicht. Es zeigt uns nicht den Vogel, und es führt vor unseren Augen kein Geben oder eine Hochzeit aus, sondern es setzt voraus, daß wir uns diese Dinge vorstellen können und das Wort mit ihnen verbunden haben. [...] Das Symbol ist mit seinem Objekt aufgrund der Idee des symbolverwendenden Geistes verbunden, ohne den keine solche Verbindung existierte.“114

Nur der Index hat mit seinem Objekt eine direkte Verbindung. Dieser Aspekt dürfte bei einigen Theoretikern zur generellen Unterscheidung zwischen Zeichen und Symbol geführt haben. Indices wären danach, da sie denotativ – das heißt, ohne Nebenbedeutung – wirken, Zeichen. Symbole würden sich aufgrund ihres konnotativen – also Assoziationen weckenden – Charakters von Zeichen unterscheiden. Somit gerieten aber einerseits Ikons nicht in den Blick und andererseits betrachtet Peirce selbst das Verhältnis zwischen Denotation und Konnotation differenzierter: „The meaning of a term is called its connotation, its applicability to things its denotation. Every symbol denotes by connoting. A representation which denotes without connoting is a mere sign. If it connotes without thereby denoting, it is a mere copy.“115 Bei dem „mere sing“, also dem bloßen Zeichen, handelt es sich um Peirces Index. Indexikalische Wörter benennen, d.h. sie denotieren. Eigennamen sind z.B. rein denotative Zeichen für bekannte Ideen.116 Das Zeichen (bzw. der Repräsentamen-Objektbezug), das konnotiert, ohne zu denotieren, ist bei Peirce das Ikon (mitunter nennt er es auch copy). Ikonische Wörter benennen nicht, sie bedeuten (to signify). Ein Symbol hingegen denotiert durch Konnotation. Wie kann zunächst die reine Konnotation der Ikons verstanden werden? Das Ikon kann z.B. nicht dazu beitragen, eine Fiktion von einem Fakt zu unterscheiden: „Each Icon partakes of some more or less overt character of its Object. They, one and all, partake of the most overt character of all lies and deceptions –

114 SS Bd. 1, S. 199. 115 Peirce Ms. Nr. 347, 3, zit. aus M. Keiner: Untersuchungen, S. 15. 116 Vgl. z.B. SS Bd. 1, S. 273.

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their Overtness. Yet they have more to do with the living character of truth than have either Symbols or Indices.“117 D.h. auch Lügen und Fiktionen sind für die Wahrheitsbildung konstitutiv. Fakten und Fiktionen unterscheiden sich durch ihren kategorialen bzw. phänomenologischen Status. Ikons erinnern zunächst durch ihre Deutungsoffenheit an den leeren Signifikanten von Laclau/Mouffe. Betrachtet man die Beispiele, die für den leeren Signifikant zumeist genannt werden – Demokratie, Freiheit etc. – so lassen sich diese abstrakten Begriffe durch die für ein Ikon spezifische „Overtness“ – offene Bedeutung – charakterisieren. Andererseits kommt der leere Signifikant auch dem Symbol, das ein „kind of thing“ denotiert, nahe: „Symbols grow. They come into being by development out of other signs, particularly from icons, or from mixed signs partaking of the nature of icons and symbols. We think only in signs. These mental signs are of mixed nature; the symbol-parts of them are called concepts. If a man makes a new symbol, it is by thoughts involving concepts. So it is only out of symbols that a new symbol can grow.“118

Symbole werden von Ikons veranlasst, während neue Symbole nur durch Symbole entstehen können. Der leere Signifikant könnte somit als Symbol, dessen Ikonaspekt überwiegt, betrachtet werden. Aber dazu müsste noch die Interpretantrelation untersucht werden. Wird das Objekt durch das Zeichen nicht aufgrund einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit bestimmt, handelt es sich auch nicht um ein Symbol. Ein Symbol kann kein Einzelding zum unmittelbaren Objekt haben. „A symbol cannot indicate any particular thing, it denotes a kind of thing. Not only that, but it is itself a kind and not a single thing.“119 Nur der Index des untersuchten Symbols kann ein existierendes Ding zum Objekt haben. Also kann auch ein Einzelding niemals unmittelbar auf ein Symbol einwirken. Die Bedeutung von Symbolen als allgemeine Zeichen besteht in zweierlei: Zum einen müssen Symbole eine erkennbare Struktur besitzen, sie müssen ihrem „Wesen nach ein Gesetz“120 sein und zum anderen kann die Bedeutung im konkret angewendeten Fall nur in degenerierten Symbolen (Symbolen, deren Ikon- oder Indexanteil im Vordergrund stünde) interpretiert werden. Folgendes Beispiel soll das erläutern. Was für eine Art von Zeichen ist ein Stoppschild? Könnte man sagen, dass hier kein Interpretationsspielraum gegeben ist? Ist das Stoppschild 117 118 119 120

CP 4.531. CP 2. 302. Siehe zur deutschen Übersetzung SS Bd. 1, S. 200. CP 2. 301. Übersetzt in: SS Bd. 1, S. 200. PhLZ, S. 159.

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eindeutig (gemäß einer Denotation)? Mit Saussure kann ein Stoppschild nicht isoliert aus seinem Zusammenhang heraus betrachtet werden, sondern nur negativ relational als systemabhängige Differenzform. Nach Peirce stünde bei einem Stoppschild zunächst der Indexaspekt im Vordergrund; erst in der jeweiligen Situation, z.B. ein Stoppschild an einer Straßenkreuzung, vermag es über den Hinweischarakter hinaus, einen Autofahrer zum Anhalten zu veranlassen. Dies könnte es beispielsweise auch bewirken, wenn weit und breit kein anderes Auto zu sehen wäre. Diese Zeichensituation macht bei Peirce die symbolische gesetzmäßige Ebene aus. Die symbolische Zeichensituation könnte nun auf zweifache Weise befragt werden. Hält der Autofahrer an der Kreuzung an, weil dort ein Stoppschild steht, oder weil er bei der Regelübertretung möglicherweise beobachtet werden könnte? In der konkreten Zeichensituation kann das Schild als ein Symbol, das denotiert durch Konnotation, angesehen werden. Der Index enthält seinen Sinn allein durch Differentialität. Die hier entfalteten Unterscheidungen zwischen Ikon, Index und Symbol (und auch die anderen Zeichentrichotomien) haben also zunächst einen funktionalen Charakter. Der Index ist unverwechselbar, weil er von anderen Zeichen unterschieden werden kann und nicht aufgrund der Referenz auf ein eindeutiges Signifikat bestimmt wird. Für das Symbol muss aber eine wie auch immer deutbare Relation gegeben sein. Deledalle insistiert daher: „Was ein Index in einer Semiose ist, kann in einer anderen ein Symbol sein.“121 Pape fasst die Verschränkung dieser beiden Aspekte des Bewegens (Symbol) und Fixierens (degeneriertes Symbol) folgendermaßen zusammen: „Jedem allgemeinen Zeichen kommen zwei Arten von Bedeutung zu: Eine allgemein-funktionale Bedeutung, die es als allgemeinen Typus charakterisiert, und außerdem eine konkrete, situative Anwendungsbedeutung, die ihm aufgrund der Verkörperung in anderen Zeichen zukommt.“122 Durch Peirces Unterscheidung zwischen a) konnotieren, b) denotieren und c) denotieren durch Konnotation ergeben sich zwei Konsequenzen. Zum einen kann die Trennung zwischen Index als natürlichem Zeichen und Symbol als rein konventionellem Zeichen nicht aufrechterhalten werden. Jedes Symbol schließt ja einen Index und ein Ikon ein und kann also nicht rein konnotieren.123 Symbole sind gesellschaftliche Ge121 G. Deledalle: Semiotik als Philosophie, S. 37. 122 H. Pape: Der dramatische Reichtum der konkreten Welt. Der Ursprung des Pragmatismus im Denken von Charles S. Peirce und William James, Weilerswist: Velbrück 2002, S. 220. 123 Lediglich in seinen frühen Schriften unterscheidet Peirce zwischen natürlichen und konventionellen Zeichen.

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bilde, die als Aussagen, Diskurse etc. eine Eigendynamik entfalten können und genau dadurch kultur- oder gemeinschaftsbildend wirken. Für diese Strukturbildung müssen sie fixiert werden bzw. vorübergehend fixierbar gemacht werden. An dieser Stelle berührt die Semiotiktheorie grundlegende Überlegungen zu Peirces Pragmatismus. Der Pragmatismus kann als Methode gesehen werden, der die Bedingungen untersucht, unter denen einem bestimmten Objekt eine bestimmte Bedeutung zukommt. Dabei werden die möglichen und faktischen Wirkungen, die vom Objekt des Begriffes ausgehen, analysiert. Häufig wird in der Peirceforschung zu stark betont, seine Zeichentheorie würde vom Gedanken eines Fortschritts – „Symbole können wachsen“ – abhängen, und somit eine „Querschnittsperspektive“124 vernachlässigen. Das Objekt, das die Einheit durch die Vermittlung des Interpretanten stiftet, kann entweder immer näher bestimmt werden, oder aber das Zeichen macht sich in der Gestalt der Relation von Repräsentamen und Objekt selbst zum Objekt. Dies kann es nur, wenn sich ein Interpretant die Repräsentamen-ObjektRelation zum Objekt macht. Nur so kann der Funktion von Zeichen, unwirksame Relationen wirksam zu machen, nachgekommen werden. Dies geschieht durch die Repräsentation und Bezeichnung von Ereignissen. In dieser zweiten Version ist der Interpretant nicht der Vermittler, der Interpretant bezieht sich vermittels des Repräsentamens auf das Objekt. Es geht um die Frage nach der Wirkung von Symbolen. Die „Querschnittsperspektive“ erinnert in gewisser Weise an die Theorie der Politik, während die „Wachstumsperspektive“ an die Theorien des Politischen erinnert. Die Theorien des Politischen kappen das Wachstum allerdings und wandeln Wachstum in permanente Innovation um. Die leeren Signifikanten, Begriffe, Knotenpunkte etc. wachsen nicht wirklich, sie sollen innerhalb der Theorien des Politischen auch nicht stets näher bestimmt, sondern immer wieder neu umkämpft werden. Dieser Aspekt ist beinahe so etwas wie der verborgene oder uneingestandene normative Gehalt der Theorien des Politischen. Wie können Ikons als rein konnotative Zeichen Symbole veranlassen, etwas zu benennen, wenn sie selbst nichts denotieren? Dazu muss der Index näher betrachtet werden. Der Objektbezug des Index’ ist ein bestimmtes, orts- und zeitabhängiges Objekt oder Ereignis: „Ein Index ist 124 Silja Freudenberger: Erkenntniswelten. Semiotik, analytische Philosophie, feministische Erkenntnistheorie, Paderborn: Mentis 2004, S. 82. Freudenberger kritisiert, dass Verbindungen zwischen Interpretanten verschiedener Objekte zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Peirce nicht in den Blick geraten. Die Verbindungen zwischen Propositionen seien bei Peirce nur von Proposition zu Proposition, und nicht mit Raummetaphern zu denken.

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ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit in einer Zweitheit oder einer existentiellen Relation zu seinem Objekt liegt.“125 Indices sind im Unterschied zu Ikons und Symbolen von der Existenz eines Objekts abhängig, was ihren denotativen Charakter ausmacht. Das weist auf eine der wesentlichen Leistungen des Index’ hin: Er dient der Kontextualisierung des Objektbezuges.126 Indices müssen aber, wie auch Ikons, als dyadische Relationen keinen Interpretanten haben. Das Stoppschild aus obigem Beispiel bleibt ein Stoppschild, auch wenn kein Auto die Kreuzung passiert. Ohne den Interpretanten handelt es sich um eine dyadische, zeichenartige Relation, aber noch nicht um ein genuines Zeichen. Ein Krankheitssymptom (z.B. Fieber) ist an ein Objekt (z.B. Vogelgrippe), auch wenn es noch nicht interpretiert oder gar bemerkt worden ist, gebunden. Die dyadische Relation zwischen Repräsentamen und Index existiert also unabhänig von einem sie interpretierenden Interpretanten. Da die indexikalischen Eigenschaften des Repräsentamens aber die Aufmerksamkeit eines Interpretanten erzwingen, wird es früher oder später einen Interpretanten geben, der die Dyade in irgendeiner Weise deuten wird: „Ein reiner Index erzwingt einfach Aufmerksamkeit für das Objekt mit dem er reagiert, und versetzt den Interpretanten in mittelbare Reaktion mit diesem Objekt, aber er vermittelt keine Information.“127 Aufgrund des oben angesprochenen Implikationsverhältnisses der Kategorien kann der Index nur existieren, wenn er aus dem Möglichkeitsraum der Erstheit Eigenschaften bzw. Qualitäten ausdifferenziert. Das ikonische Legizeichen hat dann die Möglichkeit, den Objektbezug des Zeichenprozesses zu konditionieren, indem es Qualitäten für die Konstitution von Ähnlichkeit auswählt.128 Aufgrund dieser Selektivität wirkt dann wiederum der Index strukturbildend.129 Dieses auswählende Vermögen macht die zweite wesentliche Leistung der Indices aus. Mit der Transformation der Dyade in eine Triade durch einen Interpretanten entsteht ein Zeichen. Dieses Zeichen ist aufgrund seiner Drittheit ein Symbol, dessen Indexanteil im Vordergrund steht. Als Beispiele können die bereits erwähnten Symptome, die eine Krankheit anzeigen, Demonstrativpronomina oder ein Zeigefin125 126 127 128

PhLZ, S. 65. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 214. NZ, S. 349. Für das Beispiel „Vogelgrippe“ beruht die Ähnlichkeit auf einer rein konventionellen, nichtabbildlichen Ähnlichkeit, nämlich in der Beobachtung, dass das Krankheitsbild demjenigen ähnelt, das zuerst bei diversen Vögeln aufgetreten ist. Der ikonische Aspekt des Symbols „Vogelgrippe“ macht also lediglich die gleiche Bezeichnung der Grippeart für Tier und Mensch aus. 129 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 211-213, oder E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 64f.

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ger, der auf das Bezeichnete verweist und somit gedeutet wird, genannt werden. Wie im Abschnitt zum Repräsentamenbezug gezeigt werden konnte, sind Legizeichen aufgrund ihrer Drittheit regelbildend. Ein indexikalisches Legizeichen vermag daher generalisierbare Regelungsstrukturen aufzubauen.130 Für die Unterscheidung zwischen leerem Signifikant und Knotenpunkt müsste man für letzteren am symbolischen Legizeichen ansetzen. Beiden Theoremen fehlt durch das Verwerfen des Objektes die Indexfunktion. Sie können daher nicht erklären, wie z.B. der leere Signifikant „Demokratie“ strukturbildend wirken kann. Das Symbol ist ein Zeichen, das unabhängig von einer Ähnlichkeit oder einer direkten Verbindung zu seinem Objekt steht. Erst das Symbol steht in einer vollen bzw. genuinen triadischen Relation. Symbole sichern das Allgemeine in Behauptungen. Die Relation zwischen Symbol und Objekt wird durch den Interpretanten hergestellt. Walther schreibt: „Die Bezeichnung symbolischer Art hängt nur vom Interpretanten ab, der ein beliebiges Mittel eines beliebigen Repertoires zur Bezeichnung wählt, das im Kommunikationsprozeß konventionell, konstant und invariant verwendet wird. [...] Symbole können daher [...] als Variablen aufgefaßt werden, die eine Menge von Objekten einschließen, derart, daß jedes einzelne konkrete Objekt ein Element dieser Menge von Objekten ist. Wird ‚Hund‘ als Variable verstanden, so umfaßt ‚Hund‘ alle konkreten einzelnen Hunde der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, die ihrerseits durch Eigennamen und das heißt durch Indices bezeichnet werden.“131

Auf die spezielle Interpretantenbeziehung wird unten eingegangen. Das Symbol besitzt aufgrund seiner Drittheitlichkeit keine direkte Verbindung zu seinem Objekt, es bezeichnet kein individuelles Objekt, sondern eine Gegenstandsart. Die Gattung Hund aus obigem Beispiel bezeichnet alle konkreten einzelnen Hunde als Gegenstandsart. Für die Fragestellung der Arbeit ist dann v.a. interessant, bis zu welchem Grad die Zeichen-Objekt-Relation beeinflusst bzw. deren Interpretation gesteuert werden kann. Wichtig erscheint mir, dass das Symbol eine Gesetzmäßigkeit zwischen Empfindung,132 Erfahrung133 und Ereignis134 produzieren kann. „Ein Symbol besteht also genau in einer Gesetzmäßigkeit, die existierende Dinge beherrscht, ohne selbst zu existie130 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 217. 131 E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 66f. 132 Das reine unmittelbare Gefühl, das Peirce der Kategorie der Erstheit zuordnet, vgl. PhLZ, S. 168. 133 Das Objekt der Erfahrung ist ein ikonisches Sinzeichen. 134 Peirce nennt den dynamischen Interpretant ein Ereignis: „The Dynamical Interpretant is a single actual event.“ S&S, S. 111.

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ren.“135 Symbolen kommt Realität, aber keine Wirklichkeit zu. Sie müssen aber, um erkannt zu werden, zweitheitlich über den Index verkörpert werden. Das Gesetz oder die im Symbol niedergelegte Regel muss allgemein sein, und ist nur in der Anwendung, also in der Zweitheit, verifizierbar. Bezöge sich die Regel auf einen einzigen Anwendungsfall, so degenerierte die Allgemeinheit des Symbols zum singulären Symbol.136 Eine weitere Degenerationsstufe stellt das abstrakte Symbol dar. Walther führt als Beispiel das Wort „Menschheit“ auf, das nicht nur alle Menschen, sondern darüber hinaus noch eine Zusammenfassung aller Menschen bezeichnet.137 Das abstrakte Symbol hat keine sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, die abgebildet werden könnten. Abstrakte Symbole eignen sich daher besonders stark als offene Integrationsmedien, verfügen aber aufgrund ihrer Abstraktheit nicht über die Kraft, Integration zu vertiefen. Hier liegt zeichentheoretisch ein weiterer Unterschied zwischen „leerem Signifikant“ und „Knotenpunkt“. Der abstrakte leere Signifikant muss zu einem „Knotenpunkt“ verdichtet werden. Dazu wird später der emotionale Interpretant eingeführt. Ist der Repräsentamenbezug eines Zeichens ein Legizeichen, so kann der Objektbezug nur ein Symbol sein. So wie sie im Wörterbuch vorkommen, sind Wörter solche symbolischen Legizeichen. In ihrer je konkreten Verwendungsweise können Wörter dann z.B. als Teile eines Satzes, Diskurses oder von Kommunikation unter dem Aspekt betrachtet werden, wie sie sich auf die bezeichneten Objekte beziehen. Alle sprachlichen Zeichen sind symbolische Legizeichen. Sprache ist ein symbolischer Zeichentyp des Zeichen(systems). Das Repräsentamen als Beziehung auf den Grund, das Objekt und der Interpretant begründen das Symbol. Sie sind nicht dasselbe Element, das man nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet, sondern drei Elemente, die ihre Identität erlangen, wenn das Symbol unendliche Information erwirbt.

1.3.3 Objektthematisierungsweisen – das unmittelbare und das dynamische Objekt Die oben beschriebenen Objektbezüge – Ikon, Index und Symbol – wurden als zeicheninterne, und damit auch zeichenabhängige, Elemente beschrieben. Betrachtet man das Zeichen als Ganzes, so lässt sich zeigen, dass es sich durch einen negativen differenziellen Bezug auf das, was es nicht ist, definiert. Diese differenzlogische Bestimmung gilt aber nur für 135 PhLZ, S. 158. 136 Vgl. E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 68 und G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 148-150. 137 Vgl. ebd., S. 68.

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das Zeichen in seiner genuinen Zweitheit. In dieser genuin zweitheitlichen Relation muss es also eine Grenze zwischen dem Zeichen und dem Nicht-Zeichen geben.138 Peirce differenziert seinen Objektbegriff daher zweifach aus: „[...] we have to distinguish the Immediate Object, which is the Object as the Sign itself represents it, and whose being is thus dependent upon the Representation of it in the Sign, from the Dynamical Object, [...] which by some means contrives to determine the Sign to its Representation.“139

Das dynamische Objekt ist nicht ein zweites Objekt, sondern es gibt zwei unterschiedliche Perspektiven bzw. Thematisierungsweisen desselben Objekts. Dieser Aspekt der Zeichentheorie von Peirce liegt zwischen Konstruktivismus/poststrukturalistischer Theorie und Idealismus. Eben dieser Aspekt der zwei Thematisierungsweisen taucht, wie noch zu belegen sein wird, auch als Leitmotiv der „Zwingenden Theorie“ auf. Es handelt sich je nach Perspektive um ein unmittelbares oder ein dynamisches Objekt, aber nicht im Sinne einer Realitätsverdopplung, wie wir es noch z.T. bei den Theorien zur symbolischen Politik beobachten konnten. Schönrich nennt das unmittelbare Objekt das „akzidentell weiter bestimmbare dynamische Objekt. Wäre es nur eine ‚Idee‘ oder eine ‚Vorstellung‘ in der Weise einer Abbildung des dynamischen Objekts, so wäre die Frage nach der Ähnlichkeit nicht mehr zu vermeiden.“140 Rohr weist darauf hin, dass diese pragmatische Bestimmung des Objekts keine autonome ontische Entität ist, sondern dem je variierenden Differenzierungsbedürfnis der Zeichenbenutzer entspricht.141 Das dynamische Objekt ist sozusagen eine Art Irritationsquelle, die den Semioseprozess antreibt. Aber auch das dynamische Objekt ist noch ein durch Zeichen erschlossenes Objekt; es wird vorausgesetzt, unabhängig davon, ob es repräsentiert wird oder nicht. Die Funktion von Zeichenprozessen besteht darin, eine kontinuierliche Beziehung zur Wirklichkeit herzustellen. Das gelingt nur, wenn eine Verbindung zum Objekt in der Zeit aufrechterhalten werden kann.142 Das unmittelbare Objekt stellt sich erst in der Repräsentation ein. Das Objekt ist nicht sta138 Scheibmayr nennt dies die Grenze zwischen einem Zeichensystem und seiner Umwelt. Vgl. z.B. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 278-292. 139 CP 4.536. 140 G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 130f. Vgl. zum Nachweis, dass Peirces Zeichentheorie keine Abbildtheorie der Wahrheit darstellt K. Oehler: Sachen und Zeichen. 141 Vgl. S. Rohr: Über die Schönheit, S. 52. 142 Vgl. ebd., S. 67f.

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tisch oder fest, es wird nicht als das Ding-an-sich angenommen, das, wie bei Kant, unendlich unerreichbar bleibt.143 Das dynamische Objekt ist vielmehr unendlich erkenn- und damit, wie später noch zu zeigen sein wird, begehrbar. Ich denke, dass das dynamische Objekt in der Graphik der Zeichentriade durch den Schnitt- bzw. Fluchtpunkt der Linien repräsentiert wird. Der Punkt in der Mitte, der die Relata miteinander verbindet, ist nicht das dynamische Objekt, sondern weil es ein dynamisches Objekt gibt bzw. gegeben haben wird, kann sich das Zeichen niemals direkt auf den Interpretanten oder der Interpretant direkt auf das Objekt oder Zeichen beziehen.144 Dieser Konvergenzpunkt macht kein – wie Schönrich gezeigt hat – viertes Korrelat der Triade aus, sondern präsentiert sich, nimmt man das Zeichen im Prozess, als Objekt der Anschlusstriade. Der Inhalt dieser Vermittlungsinstanz ist unspezifisch: er ist eine leere, reine Form. Ohne diesen Punkt in der Mitte bekäme man anstatt einer Triade eine Dreieckskonstruktion. In einer Dreieckskonstruktion würde sich das Objekt unmittelbar auf den Interpretanten und das Repräsentamen beziehen. Aber bezieht es sich unmittelbar auf das Repräsentamen? Nach relationenlogischer Sicht steht der Konvergenzpunkt für den Aspekt, unter dem die drei Relata zu einer Triade verbunden werden.145 Das Zeichen ist nicht selbst schon Zeichen im Prozess, sondern konstituiert sich durch seine drei Relata, die auf einen Schlag gegeben sind. Das dynamische Objekt ist ein approximativ erkennbares „Ding-an-sich“, das sich aber mit dem Erkenntnisprozess erst bildet und daher stets verifiziert werden muss.146 Scheibmayr konnte zeigen, dass die Einwirkungen der Umwelt über das dynamische Objekt in der Zweitheit die Funktion haben, in der Drittheit des Zeichensystems Erwartungsstrukturen aufzubauen, die einen irritationsfreien Zeichen- bzw. Systemprozess zulassen.147 Die Relation des Repräsentamens zu seinem Objektkorrelat ist so lange unmittelbar, bis durch den Interpretanten eine Vermittlung geschaffen wurde. Diese Vermittlung ist aber erst dann beobachtbar, wenn sich der Interpretant wiederum in ein Zeichen für einen neuen Interpretanten transformiert. Das Dritte bei Luhmann ist die Operation der Beobachtung, die er mit dem Interpretant gleichsetzt. Hier wird nun aber ersichtlich,

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G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 222. Vgl. zur Unmittelbarkeit ebd., S. 133. Vgl. G. Schönrich: Semiotik zur Einführung, S. 59. Derrida, der sich intensiv mit Peirce auseinandersetzte, leitet wohl aus dieser Bewegung der approximativen Annäherung – des immer nur als Aufschub, der différance, zu habenden Zeichens – seinen Begriff der Spur her. 147 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 324.

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dass erst der Interpretant, der zum Zeichen transformiert, als Akt der Beobachtung gefasst werden kann. Der Interpretant selbst ist nicht wirklich diese Operation. Die Operation ist das Beziehen des Interpretanten auf die Relation Zeichen/Objekt, in dessen Verlauf oder Prozess er zum Zeichen wird. Somit ist der Interpretant nicht die Operation, denn das Beziehen der Relationen aufeinander findet zeitgleich statt. Zeit wird erst in der Folgetriade eingeführt. Erst wenn ein neuer Interpretant die Folgetriade komplettiert, kann beobachtet werden, dass sich der frühere Interpretant in ein Zeichen transformiert hat. Das dynamische Objekt vermag als regulative Annahme, auf der dieser Prozess basiert, gesehen zu werden. Wirken die Zeichen dann auf das dynamische Objekt zurück? Das dynamische Objekt thematisiert Peirce auf der Ebene der Zweitheit, während es auch als Realität, also auf der Ebene der Drittheit, analysiert werden kann. Zweitheitlich und dynamisch nennt er es möglicherweise deshalb, weil Realität eigentlich nicht auf- bzw. festgehalten werden kann. „Eigentlich“ ist hier zentral, denn als Ziel soll Realität erkennbar sein. Das, was von der Realität repräsentiert wird, nennt Peirce das unmittelbare Objekt. Wie kann, wenn es sich bei der Differenz zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekt nicht um eine Wirklichkeitsverdopplung handelt, der Kontakt mit dem Außen des Zeichens erklärt werden? Das dynamische Objekt wirkt im Sinne der Zweitheit auf das Zeichen ein, bleibt aber unabhängig davon, wie diese Wirkung von dem Zeichen dargestellt wird. Die Unabhängigkeit der Darstellung bzw. Repräsentation ergibt sich wiederum aus der Drittheitlichkeit von Darstellungen. Innerhalb der Zeichentriade ist es das Repräsentamen, welches das dynamische Objekt als unmittelbares Objekt darstellt. Das Repräsentamen kann somit als Schnittstelle bzw. Medium zwischen Umwelt (dynamischen Objekt) und Zeichensystem (Repräsentation des dynamischen Objekts durch die Zeichentriade) gesehen werden. Eine triadische Relation ist immer vermittelt; nur eine dyadische Relation – z.B. ein Parallelismus – geschieht unvermittelt. Da aber das unmittelbare Objekt als Zeichenkomponente dem dynamischen Objekt nicht unmittelbar gegenüberstehen kann, degeneriert das zweitheitliche dynamische Objekt im Zeichen zur Erstheit. Stünden sie sich unmittelbar gegenüber, gäbe es keine Möglichkeit der Einwirkung, da parallele Linien niemals aufeinander treffen.148 Das dynamische Objekt wird dann durch das Repräsentamen innerhalb des Zeichens als unmittelbares Objekt repräsentiert. Es ist im Zeichen nur als eine Möglichkeit, durch den Zeichenprozess näher bestimmt zu werden, gegeben.149 148 Vgl. zum Parallelismus bei Peirce C. R. Hausman: Metaphorische Ikons, S. 205ff. 149 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 22.

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Das Zeichen verweist über das unmittelbare Objekt auf das dynamische Objekt. Peirce nennt es „dynamisch“, weil es nicht aufgehalten bzw. als Entität gefasst werden kann. Das dynamische Objekt hat ein unabhängiges Sein: „everything [...] which will be thought to exist in the final opinion is real, and nothing else.“150 Die zeicheninterne selbstreferentielle Darstellung des dynamischen Objekts wird als das unmittelbare Objekt dargestellt. Repräsentamen und unmittelbares Objekt erscheinen zunächst wie Signifikant und Signifikat. Um Signifikant und Signifikat eines Zeichens zu sein, fehlt entweder noch ein weiterer Bezug, oder die Darstellung der Relation zwischen Signifikant und Signifikat als Ganzes durch das Zeichen. Es fehlt der Interpretant, ohne den das Zeichen eben kein Zeichen ist. Und es fehlt zugleich der kategoriale Ebenenwechsel. Rohr betont, dass Realität – im Unterschied zu Kants transzendentaler Apperzeption – grundsätzlich erkennbar ist, und unabhängig von einem vagen Subjekt existiert. Realität ist nicht der Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses, sondern dessen idealer Endpunkt.151 Realität ist damit nichts, was wir objektiv vorfinden, sondern das, was sich früher oder später ergibt. Die Aufgabe der Philosophie soll nicht – wie bei Kant – darin liegen, Erkenntnisbedingungen a priori festzulegen, sondern Philosophie soll von der Möglichkeit der Entwicklung eben dieser Bedingung ausgehen.152 Es ist nicht die Existenz, die das Objekt der Erkenntnis bei Peirce bildet, sondern die Realität als regulative Idee. Realität ist, verglichen mit ‚Existenz‘, der umfassendere Terminus.153 Aber es gibt eben neben dieser Lesart der regulativen Idee noch die Möglichkeit, auch das Objekt als Medium aufzufassen, wenn es sich um das dynamische Objekt handelt. „The Mediate Object is the Object outside of the Signs; I call it the Dynamoid Object. The Sign must indicate it by a hint, or its substance, is the Immediate Object.“154 Die Zeichentheorie erklärt sich und ihren Gegenstand retroaktiv, also rückblickend: Das dynamische Objekt wird das Medium gewesen sein. Es kommt also auch hier wieder auf die Perspektive an. Das dynamische Objekt wäre demnach aus der Perspektive der Zeichen eine Art dynamische langue, eine langue, die zwar formal (zweitheitlich), aber dennoch offen ist. Eine 150 CP 8.344. 151 Vgl. S. Rohr: Über die Schönheit, S. 16. 152 Vgl. zu Peirces „Dynamisierung“ von Kant C. R. Hausman: Charles S. Peirce’s Evolutionary Philosophy, Cambridge: Cambridge Univ. Press 1993. Vgl. auch Hoffmann: www.uni-bielefeld.de/idm/semiotik/Peirces_Zeichen.html vom 06.11.2006. 153 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 134, Anm. 106 und S. 223, Anm. 234. 154 SWS, S. 406.

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langue, die sich im Zeichenprozess mitentwickelte, die nicht von vornherein gegeben wäre. Aus der Zeicheninnenperspektive ist es dann wiederum das Repräsentamen, das als Medium zwischen Objekt und Interpretant fungiert. Die Form, die man aus dieser Zeichenperspektive – und eine andere können wir nicht einnehmen – dem dynamischen Objekt zuschreibt, wird kontinuierlich durch die Formulierungen unmittelbarer Objekte und ihrer wiederholten Interpretationen durch aufeinander folgende Interpretanten geändert.

1.3.4 Interpretantenbezug Der Interpretant erfüllt, sagt Peirce, in erster Linie die Aufgabe eines Dolmetschers. „[A] sign is not a sign unless it translates itself into another sign in which it is more fully developed.“155 Eine Interpretation ist eine Übersetzung. Peirce fragt nun, ob eine Übersetzungsmaschine, die ein Buch, z.B. vom Französischen ins Deutsche, ohne die Zwischenschaltung einer Übersetzung in vorgestellte Zeichen des menschlichen Denkens übersetzte, die Funktion von Zeichen erfüllen würde.156 Zeichen würden in einem Übersetzungsprozess dazu dienen, Ideen zu übermitteln. Was aber sind Ideen nach Peirce? Die Ideen sind eine Potentialität. Gedanken (vorgestellte Zeichen) übermitteln Ideen des gestrigen Geistes an den morgigen Geist, in den sich der gestrige entwickelt hat. Ideen sind so etwas wie die Einheit der Differenz von Potentialität und Aktualität. Die Ideen sind nicht selbst Gedanken, sie sind eine Form, die in externen oder in internen Zeichen verkörpert werden können. Sie könnten als ungebundene Reflexionen, ohne inhaltliche Bestimmung, verstanden werden. Peirce fragt: „Aber warum soll dieses Ideen-Potential so unermüdlich von einem Gefäß in ein anderes gegossen werden?“157 Ideen wachsen, das Anwachsen ist das summum bonum, das, was den Prozess (noch) von einer Übersetzungsmaschine unterscheidet. Wir suchen nach dem deutschen Wort für das Französische „homme“; wir finden das Wort „Mann“, welches in dem Fall das Wort „homme“ als ein Wort repräsentiert, das selbst eine zweibeinige Kreatur repräsentiert. Es muss also zwei Zeichen desselben Objekts geben, wobei aber das Objekt auch ein Zeichen sein muss – und damit liegt nicht, wie Derrida vermutet, immer schon ein Text voraus.158 155 156 157 158

CP 5.594. Vgl. SS Bd. 2, S. 334f. SS Bd. 2, S. 334. Vgl. J. Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. 322. Derrida hält den Begriff der Übersetzung für metaphorisch und gefährlich, weil er sich

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Der Übersetzer ist dabei nicht der Interpretant. Der Interpretant muss nicht ein Interpret oder ein Bewusstseinszustand sein. Interpretanten können als Zeicheneffekte beschrieben werden, die im Interpreten als permanenter Prozess auf verschiedenen Ebenen operieren und sozusagen anschlussfähig für neue Zeichen sind.159 Oben wurde demonstriert, dass Repräsentamen und Interpretant zwei Stadien des Zeichens sind. Der Interpretant ist ein Zeichen in einer eher entwickelteren Weise.160 Er ist der Deutungsakt des Zeichens und kann konventionell bestimmt werden. Es gibt drei Hinsichten, in denen ein Symbol zu seinem Interpretanten steht: Es kann – vgl. Tabelle 1 – ein Rhema, ein Dikent oder ein Argument sein.161 Das Rhema kann seinen Interpretanten nicht bestimmen. Es belässt sowohl sein Objekt als auch seinen Interpretanten so, wie sie sind.162 Ein Rhema kann als „Aussage mit Leerstellen“163, nicht aber als völlig entleert beschrieben werden. Es ist also einmal das „Wachsen“ der Ideen und ein andermal sind es die „Leerstellen“, die nicht durch Maschinen nachgeahmt werden könnten: „Wenn wir aus einem Aussagesymbol einen oder mehrere derjenigen Teile streichen, die ihre Objekte separat benennen, so ist der Rest das, was als ein Rhema bezeichnet wird.“164 Je nach Betrachtungsweise zeichnet die Ideen ein Überschuss oder ein Rest aus. Rhemazeichen enthalten zwar keine Information über ihren Objektbezug, sind aber nicht völlig leer. Das Dikent bezieht sich auf ein Objekt (das kann z.B. auch ein Diskursuniversum sein), das räumlich und zeitlich fixiert ist. „Wir können auf diese Weise klar erkennen, daß ein Dicizeichen oder informationstragendes Zeichen ein Zeichen ist, das eine Zweitheit in seinem Objekt durch eine Zweitheit in seinem Aufbau indiziert.“165 Wie auch Scheibmayr zeigt, strukturiert das Dikent selbstreferentiell die rekursi-

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auf einen bereits vorhandenen Text und damit auf Präsenz beziehe. Jede Übersetzung sei daher immer schon Umschrift. Vgl. zur Unterscheidung von Interpret und Interpretant auch John P. Muller: Beyond the Psychoanalytic Dyad. Developmental Semiotics in Freud, Peirce, and Lacan, New York, London: Routledge 1996. N. Ort: Das erkenntnistheoretische Spiegelstadium, S. 309. Ort schreibt anschaulich, aber den Ebenenunterschied tendenziell einebnend, dass sich Repräsentamen und Interpretant gleichen würden wie ‚die rechte Hand der linken‘. Vgl. zur Etymologie W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 230, Anm. 253: Rhema kommt von gr. ‚rhema‘ = ‚Wort‘, ‚Dikent‘ lat. ‚dicere‘ = sagen, sprechen, behaupten und ‚Argument‘ lat. ‚argumentum‘ = ‚Beweis‘, ‚Schlussfolgerung‘. SS Bd. 1, S. 392f. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 231. NZ, S. 352. PhLZ, S. 162.

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ven Relationierungsmöglichkeiten weiterer Zeichen und spezifiziert gleichzeitig fremdreferentiell den Objektbezug dieses Prozesses.166 Dieser Aspekt ist für die Fragestellung nach der Objektkonstitution politischer Theorie äußerst wichtig. Aussagen bestehen aus zwei Zeichen, „von denen das eine eine Bedeutung vermittelt, das andere eine Benennung. Das erstere ist intendiert, so etwas wie ein Bild im Geiste des Interpreten zu erzeugen, das letztere ist intendiert, auf das hinzuweisen, von dem er denken soll, daß jenes Bild ein Bild von ihm ist.“167 Dadurch, dass sich das Dikent nicht begründend auf den Interpretanten bezieht, sondern den Interpretanten „zu zwingen beabsichtigt“,168 eignet es sich besonders gut zur Steuerung von Aufmerksamkeit. Es ist genau dieses zwingende Moment, das Laclau/Mouffe in ihrer Unterscheidung zwischen leerem Signifikant und Knotenpunkt nicht berücksichtigen. Eine politische Theorie, die v.a. nach Steuerungsmöglichkeiten fragt, müsste hier ansetzen. Zunächst jedoch ist noch die Unterscheidung zwischen Interpret und Interpretant genauer zu betrachten. Jeder Interpret ist zwar Interpretant, nicht jeder Interpretant aber ist ein Interpret. Er ist das, was die „Gültigkeit des Zeichens auch in Abwesenheit des Interpreten garantiert.“169 Eco schlägt vor, ihn als „weitere Repräsentation zu betrachten, die sich auf dasselbe Objekt bezieht.“170 Der Interpretant ist erst dann eine weitere Repräsentation, wenn er zum Folgezeichen transformiert ist. „It is not necessary that the Interpretant should actually exist. A being in futuro will suffice.“171 Um zu bestimmen, was der Interpretant eines Zeichens ist, muss er mittels eines anderen Zeichens benannt werden, das seinerseits wiederum einen anderen Interpretanten hat. Dieser Prozess – die Semiose – ist im Prinzip unendlich und nur durch Konvention bzw. die Notwendigkeit zu Handeln begrenzt. Hier müsste wiederum Peirces Theorie des Pragmatismus angeschlossen werden. Rohr deutet den Interpretanten so, dass er einerseits innerhalb einer triadischen Relation und andererseits gleichzeitig als operativer, interpretativer Zugriff von außen auftritt.172 Zu dieser Schlussfolgerung ge166 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 237. 167 SS Bd. 2, S. 370. Später wird sich zeigen, dass dies der Unterscheidung zwischen „Subjekt der Aussage“ und „Subjekt des Aussagens“ innerhalb der „Zwingenden Theorie“ entspricht. 168 PhLZ, S. 84. 169 Umberto Eco: Einführung in die Semiotik, München: Fink 1994, S. 77. 170 Ebd. 171 CP 2.92. 172 Vgl. S. Rohr: Über die Schönheit, S. 61. Siehe auch S. Rohr: Die Wahrheit der Täuschung, S. 237; dort ist der Interpretant das interpretierende Bewusstsein.

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langt man allerdings nur dann, wenn der Interpretant mit einem interpretierenden Bewusstsein gleichgesetzt wird. Was ist hier unter Außen zu verstehen? Der Interpretant kann eigentlich nicht von außen auftreten, denn dann gäbe es ja eine Metaposition. Die Interpretation kann nur intern stattfinden. Die Schwierigkeit liegt darin, dass Peirce selbst keine Zeichensystemtheorie erarbeitet hat. Um von einer Grenze zwischen Innen und Außen zu sprechen, müsste das Innen sich eine Systemgrenze zur durch die Grenzziehung selbst geschaffenen Umwelt aufbauen. Erst durch die Transformation des Interpretanten in ein Zeichen könnte sie – zeichensystemintern – dargestellt werden: „when there is a sign there will be an intepretation in another sign.“173 Interpretation ist die Transformation des Interpretanten in ein Repräsentamen/Zeichen. Erst durch diese Transformation in ein Repräsentamen könnte der ehemalige Interpretant als Schnittstelle zwischen Innen und Außen fungieren. Am Repräsentamen geht die Zweitheit des dynamischen Objekts in die Drittheit des Zeichens über.174 Die Irritation von Außen kann das Zeichen nur über das Repräsentamen als Schnittstelle zwischen Innen und Außen erfahren. Trotz des kontinuierlichen Überganges gibt es Grenzen, die durch den Kategorienwechsel zustande kommen. Betrachtet man zeichensystemintern den Zeichenprozess, dann könnte der Interpretant analytisch so lange als Außen betrachtet werden, bis er die Folgetriade komplettiert haben wird. Der Interpretant ist nach Peirce nicht im Bewusstsein, sondern die verschiedenen Interpretanten konstituierten dieses Bewusstsein allererst.175 Der Interpret kann als ein Kontinuum von Interpretanten aufgefasst werden. Das bedeutet, dass jede Art von Interpretation bereits auf vorhandenen Interpretationen basiert. Damit ist der Interpretant zwar nicht mit einem isolierten Interpreten gleichzusetzen, Interpretationen können aber einem isolierten Interpreten zugeschrieben werden. Somit wäre es auch nicht der Interpretant, sondern eher das Interpretantenkon173 CP 8.225. 174 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 285. Scheibmayr präzisiert dies noch: Es muss die Zweitheit von dynamischem Objekt und Zeichensystem in die Drittheit der Semiose transformiert werden. Die Diskontinuität der Luhmannschen System/Umwelt Differenz kann durch das Repräsentamen als Schnittstelle in ein Kontinuum überführt werden. 175 Hier könnte ein Vergleich des Interpretanten mit Cassirers symbolischer Form ansetzen. Die verschiedenen Interpretantenfelder könnten als Cassirers diverse Formulierungen symbolischer Formen gesehen werden. Je nach bedeutungsvoller Wirkung, die ein Zeichen auf einen Interpretanten ausübt, könnte der emotionale Interpretant in die Nähe des Mythos, der energetische Interpretant in die Nähe der Technik und der logische Interpretant in die Nähe der Wissenschaft gerückt werden.

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tinuum, das als Grundlage von Semiose anzusehen ist. Peirce unterscheidet die drei verschiedenen Interpretanten bezüglich der Wirkungen, die ein Zeichen haben kann. Während das Dikent keine Begründung über seine Aussage abgibt, besteht das Argument in einer Schlussfolgerung. Es können nach Walther drei Stufen oder Schlussweisen unterteilt werden. Die Schlussweisen betreffen das Argument: Abduktion – erste Stufe des Arguments Induktion – zweite Stufe des Arguments Deduktion – dritte Stufe des Arguments.176 Argumente können nur Symbole sein: „Abduktion ist jene Art von Argument, die von einer überraschenden Erfahrung ausgeht, das heißt von einer Erfahrung, die einer aktiven oder passiven Überzeugung zuwiderläuft. Dies geschieht in Form eines Wahrnehmungsurteils oder einer Proposition, die sich auf ein solches Urteil bezieht, und eine neue Form von Überzeugung wird notwendig, um die Erfahrung zu verallgemeinern. Doch nun stellt der Interpretant der Abduktion die überraschende Erfahrung als ähnlich dar, d.h. als ein Ikon der Replika eines Symbols.“177

Die Abduktion ist also eine „Zwischenphase zur Neuorientierung und Restabilisierung der Systemstruktur auf einer erweiterten oder veränderten Basis;“178 sie schließt von der Wirkung auf die Ursache. Sie muss aber durch eine Deduktion oder Induktion noch abgesichert werden. Der Interpretationsspielraum wird durch die doppelte Funktion des Interpretanten beschränkt. „Die drittheitliche Beziehungsleistung könnte als eine Struktur des ‚um...willen‘ bezeichnet werden: zwei Sachverhalte werden um eines dritten willen zueinander in Beziehung gesetzt.“179 Der Interpretant der „ersten Triade“ hat die Funktion, etwas in Beziehung zu setzen. Der Interpretant der „zweiten Triade“ stellt gleichzeitig als neues Zeichenmittel dar, dass er diese Beziehung darstellt. Er könnte dann als Regel einer Sprachgemeinschaft180, als Überzeugung, Gewohnheitsbildung oder Konvention konzipiert werden. Der Interpretant bezieht sich nicht direkt, sondern über einen Grund, der die Relation zwischen Zeichenmittel und Objekt strukturiert, auf das Objekt. Der symbolische Raum wäre der Raum des zweideutigen Wirkens des Interpretanten. An dieser Stelle wird deutlich, dass jedes Zeichen, also sowohl Repräsentamen und Objekt als auch der Inter176 177 178 179 180

Vgl. E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 105. PhLZ, S. 95. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 314, Anm. 472. U. Baltzer: Erkenntnis als Relationengeflecht, S. 111. Vgl. G. Schönrich: Semiotik zur Einführung, S. 65. Vgl. zum Doppelstatus des Interpretanten S. Rohr: Die Wahrheit der Täuschung, S. 38f.

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pretant, zwei Perspektiven zulässt. Eine Funktion von Symbolen besteht dann darin, diese ihnen inhärente Widersprüchlichkeit zu verbergen bzw. heterogene Diskurse im Symbol zu vereinen. Ohne das „Verbergen“ könnten Symbole nicht wachsen. Es wäre aus zeichentheoretischer Sicht zwar jede Kommunikation bzw. jeder Diskurs symbolisch. Er könnte aber in verschiedenen Abstufungen analysiert werden, je nach der Art des sich auf ihn beziehenden Interpretanten. Das Symbolische eröffnet einen Raum, der stets mehr oder weniger als ein buchstäbliches Verstehen bedeutet. Relativ buchstäblich wäre ein Symbolisches, dessen Indexcharakter als Faktum im Vordergrund stünde. Betrachten wir erneut oben angesprochene Unterscheidung zwischen Assoziationen und Suggestionen: Assoziationen bringen zwei Ideen zufällig in Verbindung, während Suggestionen eine durch eine Gewohnheit determinierte Verbindung zweier Ideen ausmachen. Bei einer Assoziation holt eine Idee eine andere Idee aus dem Gedächtnis an die Oberfläche des Bewusstseins. Die Suggestion ist für Peirce dagegen die Wirkungsweise, durch welche eine Idee hervorgerufen wird, nachdem eine Assoziation bereits geknüpft ist.181 Suggestion und Assoziation können nicht scharf (bzw. nur theoretisch) getrennt werden, sie stünden in einem Verhältnis zueinander wie leerer Signifikant und Knotenpunkt: „Suggestion by resemblance means [...] the indirect suggestion by one idea of another which has [...] by virtue of the mind, been associated with it into one set. All the suggestions of pure mathematics, of which there is a vast body, are associations by resemblance.“182 Suggestion, Assoziation und Schlussfolgerung bilden eine triadische Einheit und ein Komplement der drei Zeichenarten und des Prozesses, den jedes Zeichen für sich verkörpert. Bei der Suggestion wird etwas nur angedeutet, wobei ein wesentliches Merkmal eines Zeichens geleugnet wird. Die Assoziationen können dabei subjektiv variieren. Das Symbol ist die Suggestivkraft der Objektrelation. Rohr bündelt drei Faktoren, die den Zeichenprozess regulieren. Erstens, das dynamische Objekt, das als regulative Idee auf das unmittelbare Objekt wirkt. Zweitens, das unmittelbare Objekt innerhalb eines kommunikativen Kontextes, verstanden als Idee, die als Teil kommunikativer Intention im Zeichen vermittelt wird und auf die sich ein Interpretationsprozess bezieht. Das Wissen um das Wissen des anderen kann hier als minimales Sinnpostulat fungieren. Die Funktion der Zeichentheorie zielt auf dieses Wissen ab: Wird dieses Wissen, also die Rezeptionsseite von Zeichen, falsch eingeschätzt, kommt es zu gewissen nicht-intendierten Wirkungen, wie das Beispiel 181 SS 3, S. 306f. 182 CP 7. 392.

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der „Leitkulturdebatte“ gezeigt hat. Andererseits kann sich ein bestimmtes Wissen schnell ändern, und somit kann es zu zeitverzögernder Durchsetzung von heute noch emotional besetzten Begriffen kommen. Drittens, den finalen Interpretant als Sinnhorizont, als irgendwann einmal zu erreichender Interpretationskonsensus. Er fungiert aber nur als regulatives Ziel, dem sich in jedem Interpretationsakt nur angenähert werden kann.183

1.3.5 Interpretantenthematisierungsweisen: emotionaler, dynamischer und finaler Interpretant Bezüglich der Wirkungen, die ein Zeichen haben kann, unterscheidet Peirce den Interpretanten auf dreifache Weise: a) den emotionalen Interpretant, den er an manchen Stellen auch den unmittelbaren Interpretanten nennt b) den energetischen Interpretant, der von ihm auch dynamischer Interpretant genannt wird und c) den logischen, oder auch finalen Interpretanten. Diese drei Interpretanten verkörpern nicht drei Bedeutungen eines Zeichens, sondern zeichnen den Prozess nach, in dem sich Bedeutung durch Interpretation entwickelt. Rhema, Dikent und Argument haben demgegenüber die Art und Weise, wie im Zeichen auf den Interpretanten Bezug genommen wird, analysiert. Walther nennt die verschiedenen Interpretantenthematisierungsweisen daher auch „bedeutende Interpretanten.“184 Der Interpretant ist mehr als eine statische Bedeutung: Er ist die Interpretation einer Bedeutung, die zu weiteren Zeichen für weitere Interpretationen wird. Das heißt auf der Ebene der Interpretantenthematisierung kann hier erst eigentlich der Frage nachgegangen werden, wie es zu einem Zeichenprozess kommen kann. Wie sind Zeichen anschlussfähig? Der Interpretant transformiert sich selbst zum Repräsentamen einer Folgetriade. Er wird zu einem komplexeren Repräsentamen, indem er die Relation zwischen dem vorhergegangen Repräsentamen und dessen Objekt, sich selbst zum Objekt macht. Ist die bedeutungsvolle Wirkung eines Zeichens ein Gefühl oder eine Empfindung, handelt es sich um einen emotionalen Interpretanten. Zeichen schließen auch Affekte und Empfindungen ein.185 Gefühle, als Antwort auf ein Zeichen, sind selbst wieder Zeichen, die, um nicht abstrakt zu bleiben, ihren eigenen Interpretanten nach sich ziehen müssen. Symbole können nicht von Gefühlen oder Affekten getrennt werden, aber Gefühle sind nicht ihr primäres Charakteristikum. Symbole richten sich 183 Vgl. zu den drei Faktoren S. Rohr: Über die Schönheit, S. 158. 184 E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 93. 185 Zu den affektiven Zeichen vgl. J. P. Muller: Beyond the Psychoanalytic, S. 35.

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nicht unbedingt stärker an Gefühle als andere Zeichen. Man könnte nun sagen, dass nur die imaginären Symbole primär gefühlsadressiert sind. Peirces Zeichenkonzept zeigt deutlich, worauf es hier ankommt. Es sind nicht die Symbole, die Emotionen mobilisieren, sondern der Interpretant – und der kann noch zum emotionalen Interpretant ausdifferenziert werden – veranlasst, dass Symbole so und nicht anders interpretiert werden. D.h., auch wenn das Paradox nicht aufgelöst werden kann, so vermag es doch, indem es den Prozess der Symbolisierung initiiert, durch die Symbolisation überschritten zu werden.186 Dieser Zeichenprozess findet meist unbewusst statt und begleitet jeden Dialog. Das Zeichen hängt also für sein Funktionieren nicht unbedingt vom Bewusstsein ab. Das Unbewusste kann ebenfalls als semiotisch strukturiert entfaltet werden: „Bewußtsein ist die Voraussetzung dafür, Schlüsse ziehen zu können [reasoning], und ohne Schlüsse zu ziehen, sind die vollkommensten Zeichen nicht voll zu verstehen. Doch angesichts der Tatsachen, die von Hartmann und andere hinsichtlich des Unbewußten vorgebracht haben, scheint es nicht so, daß das Bewußtsein als wesentlich für das Verstehen eines Zeichens anzusehen wäre.“187

Während der Bewegung unserer Gedanken, während wir also denken, können wir nicht feststellen, was uns bewusst ist. An anderer Stelle nennt Peirce den emotionalen Interpretanten auch unmittelbaren Interpretant. Dieser Begriff hebt stärker hervor, dass eine unmittelbare Wirkung im Zeichen selbst nicht wahrnehmbar ist, sondern erst durch einen Folgeinterpretanten reflektiert bzw. wahrgenommen werden kann. Jede bewusste Wahrnehmung ist, wie wir oben gesehen haben, bereits vermittelt. Der unmittelbare Interpretant ist somit so etwas wie der „blinde Fleck“188. Mit Laclau/Mouffe könnte man ihn auch für das kontingente Moment des Zeichens halten. Allerdings kann erst durch die Folgeinterpretationen die Kontingenz des unmittelbaren Interpretanten beobachtet werden. Das Erkennen der Kontingenz führt dabei allerdings keinesfalls zum Verschwinden des Phänomens. Eine Überzeugung oder Gewohnheitsbildung, die den Irritationen der Umwelt widersteht, kann auch 186 Hier zeigt sich Hegels Figur des die Bewegung motivierenden Widerspruchs, die in vereinfachter Form auch Laclau/Mouffe übernommen haben. Vgl. zum Paradox, das Symbolisation motiviert auch N, Ort: Objektkonstitution, S. 209. 187 SS Bd. 1, S. 424. In einer Anmerkung weisen die Herausgeber der Semiotischen Schriften darauf hin, dass es sich um E. v. Hartmanns Philosophie des Unbewußten, Berlin: Duncker 1869, handelt. 188 Vgl. hierzu W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 250ff.

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dann als Struktur fortbestehen, wenn ihre Kontingenz erkannt wurde: das heißt, solange dieses Erkennen keine erneute Irritation auslöst. Hier liegt implizit das politische Moment der Zeichentheorie: Wie und wer kann darüber entscheiden, wann eine stabile kollektive Verhaltensgewohnheit angezweifelt wird? Peirce selbst schreibt in einem Brief an Lady Welby: „Useless doubts are worse than useless.“189 Der Wahrnehmungsprozess verläuft bereits urteilsförmig. Oben haben wir gesehen, dass das Repräsentamen die Schnittstellte zwischen dem Zeicheninnen und dem dynamischen Objekt als außersemiotischen Raum ausmacht. Der Interpretant hingegen ist die Verbindungsstelle von einem Zeichen zum nächsten. Er gewährleistet somit die Semiose durch rekursive Verknüpfungen. Der energetische bzw. dynamische Interpretant ist die Wirkung einer Anstrengung oder Handlung. Aufgrund seiner Zweitheitlichkeit ist der dynamische Interpretant „die tatsächliche Wirkung, die in einem gegebenen Interpreten bei einem gegebenen Anlaß bei einer gegebenen Phase seiner Erwägung des Zeichens erzeugt wird.“190 Greifen wir nochmals das Beispiel des Stoppschildes auf, so kann der dynamische Interpretant im Sinne eines Aktions-Reaktions-Schemas erläutert werden. Der Autofahrer hält an, weil er das Schild primär nicht wie eine Regel oder ein Gesetz, sondern wie einen Befehl auffasst. Das Anhalten ist als dynamischer Interpretant die konkrete Wirkung des Stoppschildes. Handelt es sich bei der Wirkung des Zeichens um einen Gedanken, ein geistiges Zeichen oder eine Regel, spricht Peirce von einem logischen Interpretanten.191 Der Autofahrer hält an, weil er oder sie die Regel kennt und immer an einem Stoppschild anhält. Der Interpretant muss also kein Gedanke sein, sondern kann auch eine Handlung, eine Erfahrung, eine Idee oder eine Gefühlsqualität ausmachen. Der dynamische Interpretant gewährleistet, indem die Drittheit zur Zweitheit degeneriert, ereignishaftes Operieren, während der logische bzw. finale Interpretant für die Konditionierung und Strukturierung sorgt.192 Wie und warum kann der logische Interpretant für Strukturierung sorgen? „Doch stellen wir zu unserer Überraschung fest, daß dem logischen Interpretanten kein Objekt entspricht. Dieser Mangel an Entsprechung zwischen Objekt und Interpretant wird seine Wurzeln in dem wesentlichen Unterschied haben, der zwischen der Natur eines Objekts und der Natur eines Interpretanten besteht, wobei dieser Unterschied darin besteht, daß das erstere dem 189 190 191 192

S&S, S. 141. SS Bd. 3, S. 225. Vgl. auch E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 78. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 357.

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Zeichen vorhergeht, während der letztere auf es folgt. Der logische Interpretant muß deshalb in einer relativ futurischen Zeitform gebildet werden.“193

Somit kann, wie Peirce schreibt, „das unmittelbare Objekt eines Symbols [...] nur ein Symbol sein, und wenn es in seinem eigenen Wesen eine andere Art von Objekt enthält, so muß dieses Objekt aufgrund einer unbegrenzten Folge zustandekommen.“194 Nach Pape ist dieses Symbol des Symbols eine intersubjektive Idee, welche die Mitglieder einer Kommunikationsgemeinschaft vom Objekt teilen.195 Nur so kann ein allgemeiner Begriff – z.B. der Demokratiebegriff – dem kein individuelles Objekt entsprechen kann, sich dennoch als ein Objekt konstituieren. Das Objekt eines Symbols wird also ausschließlich im Zeichen, aufgrund einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit, hergestellt. Es denotiert eine Gegenstandsart und ist dabei selbst Gegenstandsart. Der Interpretant in dieser Relation repräsentiert die Gesetzmäßigkeit, die Regel oder die Gewohnheit und ist für das Symbol zwingend: „Dieser unverzichtbare Interpretant wird nun im nächsten rekursiv anschließenden Zeichen zum Repräsentamen, das sowohl dasselbe Objekt wie das ursprüngliche Symbol als auch die regelhafte Relationierung von diesem Symbol und seinem Objekt darstellen muss.“196 Der Semioseprozess ist nun immer auf dasselbe Objekt, das quasiunendlich näher interpretiert wird, gerichtet. Kommt es zu keinen Irritationen, öffnet der Interpretant die Symbole auf die Zukunft hin. Er sorgt für strukturelle Stabilität und lässt Symbole somit als „Erwartungsstrukturen“197 beschreiben. Aufgrund seiner Drittheit kann der Interpretant den Objektbezug des Symbols annähernd fixieren. Der Interpretant aktualisiert eine Gesetzmäßigkeit in einem konkreten Fall. Gibt es dann aber – ähnlich wie es Baselitz für die afrikanische Kunst beobachtet hat – einen Kern bzw. eine Invariante in diesem scheinbar unendlichen Übersetzungsprozess? Peirce vergleicht das Symbol mit einem Begriff: „Der Körper eines Symbols verändert sich langsam, doch seine Bedeutung wächst unweigerlich, nimmt neue Elemente in sich auf und schließt alte aus. Es sollte aber keine Mühe gescheut werden, den Kern jedes wissenschaftlichen Begriffes unverändert und exakt zu bewahren, obwohl absolute Genauigkeit nicht einmal denkbar ist.“198

193 194 195 196 197 198

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SS Bd. 3, S. 253f. PhLZ, S. 159. Vgl. H. Pape in PhLZ, S. 183, Anm. 47. Pape bezieht sich auf CP 2.308. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 219f. Ebd., S. 226. Vgl. auch Peirce SS, Bd. 1, S. 434. PhLZ, S. 46.

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Dieser Symbolkern soll trotz Veränderung bewahrt werden, was allerdings nicht heißt, dass dieser Kern sich mit der Veränderung nicht selbst wiederum mitverändert. So verstanden handelt es sich bei dem Identitätskern um oben beschriebene „Idee“. Nur so unterscheidet sich der Symbolkern von Kants „Ding-an-sich“. Scheibmayr spricht davon, dass der Identitätskern des Symbols „dynmaische […] Stabilität und historische Wandelbarkeit“ bzw. „kontingente Regelmäßigkeit“ besitzt.199 Ein Begriff ist demnach eine Gewohnheit auf bestimmte Gefühle, Fakten oder Handlungen in einer erwartbaren Weise zu reagieren.

1.3.6 Semiose und Kontinuum Um den Semioseprozess, also den Zeichenkonstitutionsprozess und das kontinuierliche Aneinanderreihen der Zeichen, zu erfassen, muss auf Peirces Kontinuumsverständnis eingegangen werden.200 Materie ist nach Peirce ein in Gewohnheiten erstarrter Geist, womit er die dualistische Trennung von Geist und Materie umgeht. Unter der Voraussetzung, dass die Realität in unendlichen Ereignisfolgen strukturiert ist, besteht eine kontinuierliche mittelbare Beziehung zwischen Geist und Materie, d.h. ein Einwirken des Geistes auf Materie in unendlicher Folge.201 Ähnlich wie im Symbolexkurs bei Cassirer und Saussure gezeigt wurde, ist Denken an sich eine kontinuierliche „gestaltlose und unbestimmte Masse“,202 aus der erst durch Zeichenbildung diskontinuierliche Bedeutungsebenen entstehen können. Denken, Repräsentation, Allgemeinheit und Kontinuität sind identisch mit der Kategorie der Drittheit. Deledalle schreibt: „Die grundlegenden Elemente des Kontinuums sind für ihn (Peirce, A.P.), obwohl diskret, nicht atomar [...] sie haben ‚Valenzen‘, die sie dazu befähigen, sich mit anderen Elementen zu verbinden und das Kontinuum auf diese Weise immer wieder räumlich, zeitlich und geistig zu konstituieren.“203 Das Denken vermittelt in kontinuierlicher Zeichenfolge Welt und Mensch.

199 W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 229. 200 Vgl. zum Kontinuumsbegriff H. Pape in SS Bd. 1, S. 58-63, vgl. auch R. S. Corrington: An Introduction, S. 82f, vgl. James Liszka: „Peirce’s Interpretant“, in: Transactions of the Charles S. Peirce Society 26 (1990), S. 17-62, hier S. 26-28, vgl. G. Schönrich: Zeichenhandeln, S. 201-203. 201 Vgl. NZ, 85, S. 103. Siehe auch S. Rohr: Über die Schönheit, S. 20. 202 F. Saussure: Grundfragen, S. 133. Vgl. Exkurs zum Symbolbegriff. 203 G. Deledalle: Semiotik als Philosophie, S. 31. Deledalle weist darauf hin, dass sich Peirce hier stark von seinen chemischen Studien leiten ließ. Siehe auch Peirce SS Bd. 3, S. 94f.

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Kontinuität meint also nicht unbegrenzte Teilbarkeit, sondern „that of which every part has itself parts of the same kind.“204 Einzeldinge können keine Kontinuität konstituieren, sie können nur analytisch aus dem Semioseprozess abstrahiert werden. Aktualität bzw. Existenz meint Zweitheit und damit Diskontinuität. Wenn oben gezeigt wurde, wie diese zweitheitlichen Ereignisse durch Drittheit wiederholt bzw. iteriert werden können, wurde somit implizit bereits von der Vorstellung eines Kontinuums ausgegangen. Die Semiose besteht im Unterschied zum analytischen Einzelzeichen aus einem „Kontinuum rekursiv relationierter Sinzeichen.“205 Zwischen Bewegen und Fixieren gibt es keine scharfe Grenze, eher könnte von einem kontinuierlichen Übergang gesprochen werden. Fixierte Zeichen oder Einzeldinge fallen kategorial in die Zweitheit, während das Zeichen in seiner formalen Definition nur als drittheitlich definiert werden kann. Aus dieser Perspektive sind fixierte Ereignisse aufgrund ihrer Einmaligkeit ohne Drittheit gar nicht erkennbar: „Nominalismus sei die Lehrmeinung, dass das Universum ein Haufen Sand ist, dessen Körner nichts miteinander zu tun haben; und zuzugestehen, dass es eine Verkettung gibt, bedeutet, dass es etwas gibt, das nicht INDIVIDUELL und von einer anderen Art REALEN SEINS ist als etwas INDIVIDUELL EXISTIERENDES.“206 Durch das Kontinuum als Drittheit ist der Sandhaufen immer mehr als die Summe der einzelnen Sandkörner. Generative Drittheit „ist die Seinsweise eines Kontinuums oder Gesetzes.“207 „Ein wahres KONTINUUM ist etwas, dessen Bestimmungsmöglichkeiten keine Mächtigkeit von Individuen ausschöpft.“208 Kontinuität oder Drittheit ist somit notwendig, um den Übergang von bloßen Menschenansammlungen oder Gruppen – ihrer zweitheitlichen Existenz – zu einer politischen Gesellschaft in ihrer Drittheit erklären zu können. Die Zeichen differenzieren sich aus den kontinuierlichen Semiosen heraus und errichten dadurch eine (kontingente) Grenze zu ihrer Umwelt (zum dynamischen Objekt). Es sei nochmals mit Scheibmayr betont, dass das Repräsentamen in diesem Ausdifferenzierungsprozess die Schnittstelle, welche die dyadische und zweitheitliche Beziehung zwischen dynamischem Objekt und Zeichen(system) in die Drittheit des Zeichens und der Semiose transformiert, ist.209 Erstheit kann im Unterschied zur Drittheit zwar keine Kontinuität stiften, vermag 204 205 206 207 208 209

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CP 6.168. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 336, Anm. 544. RS, S. 393. SS Bd. 1, S. 346. SS Bd. 1, S. 372. Vgl. hierzu W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 285 und S. 303-308.

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sie aber zu ermöglichen. Peirce schreibt über die Wirkungen der Drittheit: „Esprit de corps, national sentiment, sympathy, are not mere metaphors. None of us can fully realize what the minds of corporations are, any more than one of my brain cels can know what the whole brain is thinking. But the law of the mind clearly points to the existence of such personalities, and there are many ordinary observations which, if they are critically examined and supplemented by special experiements, might, as first appearances promise, give evidence of the influence of such greater persons upon individuals.“210

Es ist diese symbolische Dimension, der „Gemeinschaftsgeist“ (minds of corporations), der mit Hilfe der Zwingenden Theorie als symbolische Ordnung gefasst und erklärt werden soll. Damit ist allerdings nicht gemeint, das ganze Universum sei – da ebenfalls aus Zeichen bestehend – durchgängig kontinuierlich. Vielmehr entsteht Kontinuität als Reaktion auf Diskontinuität. Peirce schreibt, dass das „Universum der aktuellen Existenz, kraft der wesentlichen Zweitheit der Existenz, einen diskontinuierenden Einschnitt erfährt […].“211 Umgekehrt wird im letzten Kapitel mit Peirce das Theorieelement der „Kluft“ bzw. des „zwischen-zwei“ gerade durch diesen Kontinuumsaspekt verständlicher werden.

1.4 Besonderheiten der Zeichentheorie von Peirce Als Grundlage weiterer Forschungen werden nun die anschlussfähigsten Besonderheiten der Zeichentheorie von Peirce in gebündelter Form aufgezeigt. Von hier aus lässt sich aber jetzt schon beobachten, dass die Theorien der Politik, die Theorien der symbolischen Politik und die Theorien des Politischen selbst implizit zeichenverfasst aufgebaut sind. • Peirces Zeichen ist prozessual und dynamisch konzipiert. • Mit der Zeichentheorie von Peirce konnte gezeigt werden, dass Zeichen zwischen Selbst- und Fremdreferenz vermitteln können. Der Objektbezug (zum dynamischen Objekt) kann als fremdreferentielles Moment gesehen werden, während der Bezug zu den anderen Zeichenbezügen selbstreferentiell verläuft. Das Zeichensystem – in der von Scheibmayr ausgearbeiteten Form – ist basal selbstreferentiell, während die Zeichen mit denen es operiert Selbst- und Fremdreferenz verwenden. • Die pragmatische Ausrichtung der Zeichentheorie legt ihren Fokus v.a. auf die rezeptionsästhetische Wirkung der Zeichenprozesse, we210 CP 6.271 und in der deutschen Übersetzung in NZ, S. 234. 211 Ms 439. So zit. in C. R. Hausman: Metaphorische Ikons, S. 207.

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niger auf die Intention der Akteure.212 Mit der pragmatischen Ausrichtung kann gezeigt werden, wie Bedeutung vorübergehend fixiert werden kann. Im Unterschied zur Zeichentheorie von Saussure können auch natürliche Zeichen und vorzeichenhafte Zustände berücksichtigt werden. Damit kann das Zeichen bei Peirce sowohl arbiträr als auch nichtwillkürlich beobachtet werden. Im Unterschied zu differenzlogischen Theorien baut Peirces Semiotik auf einer Relationenlogik auf. Ein Zeichen ist eben keine Unterscheidung aus x, y und z sondern die Art und Weise wie sich x, y und z aufeinander beziehen und durch diesen Bezug eine graduelle Grenze konstituieren. Nur unter dem Aspekt seiner reinen Zweitheit erhält das Zeichen seine Identität in einer negativen Differenzrelation zu dem, was es selbst nicht ist. Die Zeichentheorie von Peirce kann als eine Kombination aus Konstruktivismus und Repräsentationstheorie verstanden werden.213 Referenten sind für Zeichen zwar nicht konstitutiv, sie werden aber auch nicht aus der Zeichentheorie ausgeschlossen. Peirce fasst Sprachzeichen hinsichtlich ihres Objektbereichs als Symbole, d.h. sie müssen sich nicht auf etwas außerhalb der Sprache beziehen. Zeichen beschränken sich umgekehrt aber nicht auf sprachliche Zeichen, sie sind vielmehr universell. Das Symbol hat eine eigene Gesetzmäßigkeit: Nur im Symbol wird der Objektbezug des Repräsentamens innerhalb des Zeichens hergestellt. Es hat gegenüber dem Ikon und dem Index einen viel geringeren Informationsgehalt.214 Das Symbol unterscheidet sich somit von anderen Zeichen durch Arbitrarität. Zeichen können nicht unmittelbar, sozusagen intuitiv, verstanden werden.

1.5 Politische Theorie und Zeichentheorie Die Besonderheiten der Zeichentheorie verdeutlichen, dass sie sich für eine Grundlagentheorie eignet. Es können mit der Zeichentheorie verschiedene Objektkonstitutionen politischer Theorie aus einer neuen Perspektive analysiert werden. Politische Theorie könnte sich gemäß der Theorien des Politischen als selbstreferentielle Theorie konstruieren und 212 Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 111. 213 Vgl. zu dieser Einschätzung W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 131f. 214 Vgl. E. Walther: Allgemeine Zeichenlehre, S. 141.

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dennoch einen Fremdbezug – gemäß der Theorie der Politik – in ihre Beschreibung von Politik integrieren. Auf der Basis einer dreiwertigen Theorie müsste der Widerspruch zwischen den Theorien der Politik und den Theorien des Politischen nicht zugunsten einer der beiden Optionen aufgelöst werden. Der triadischen Zeichentheorie und der Zwingenden Theorie ist dabei ein zentrales Forschungsinteresse gemein: Da der Mensch nicht weiß, was er denkt, fragen beide Theorien danach, ob und wie ihm somit Methoden vermittelt werden können, das im Dunkel liegende Denken ans Licht zu bringen. Die Zwingende Theorie fragt über Peirce hinaus, und das macht ihr politisches Moment aus, nach der normativen Dimension bzw. den Grenzen und Konsequenzen dieses „Willens zum Wissen“. Das Denken, von dem die Psychoanalyse spricht, kann zwar auch im Sinne der Drittheit interpretiert werden; es ist aber der unbewusste Denkprozess, der im Vordergrund steht. Lacan, und in seiner Folge die Zwingende Theorie, rekurrieren häufig auf topologische Modelle (Möbiusband, paradoxe Feldfiguren), die das dialektische Denken durch zirkuläre Eigendynamiken des Unbewussten symbolisieren sollen. Auch Peirce kennt dieses Denken, das jenseits der Ebene des Bewusstseins verläuft. Die Psychoanalyse und die Zeichentheorie enthüllen mit diesem Denken die Möglichkeit der Subjekte, etwas anderes zu bedeuten als das, was sie sagen. Mit Laclau/Mouffe könnte der Ort des Politischen an der Stelle des Umschlagens eines unmittelbaren Interpretanten in einen logischen Interpretanten ausgemacht werden. Notwendigkeit erweist sich dort selbst als Kontingenz. Peirce kennt daneben aber noch den Bereich der Wirklichkeit, der auch die Ebene markiert, an der Analyse überhaupt erst ansetzen kann. Es muss nun für politische Theorie danach gefragt werden, wie oder wodurch die Semiose motiviert wird. Wer oder was bewegt und fixiert die Semiose, wenn es sich um ein politisches Zeichensystem handelt? Es muss also ein Subjektbegriff konzipiert werden, der auf die Frage, wo sich das Subjekt in einem unbewusst verlaufenden Denkprozess befindet, zu antworten vermag. Sowohl die psychoanalytische Theorie als auch die Zeichentheorie fragen nach der Konstitution von Zeichen, Bedeutung oder Überzeugung, indem sie dafür eine triadische Relation konstruieren. Im nächsten Kapitel werden wesentliche Aspekte der psychoanalytischen Theorie von Žižek – deren speziell politische Intention ich „Zwingende Theorie“ nennen werde – rekonstruiert, um dann in einem letzten Kapitel Zeichentheorie und Zwingende Theorie aufeinander zu beziehen. Erst durch dieses gegenseitige Aufeinanderbeziehen kann die gesuchte Relationierung des Politikbegriffs entstehen.

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Die Irritationen aus Kapitel I, angefangen von den Paradoxien der Konstitution von Politik bei Hobbes und Rousseau, bis hin zu den daran anschließenden Theorien der Politik und den Theorien des Politischen liefern als eine Art negative Objektbeschreibung den Ausgangspunkt. Das Einweben der politischen Theoreme von Žižek soll dabei nicht so verstanden werden, dass es sich um eine Art Applikation der Zeichentheorie von Peirce auf eben diese politischen Theoreme handelt. Die Zeichentheorie gilt nicht als operationale Ebene, der eine substanzielle, strukturelle Ebene eingebaut wird. Sie kann und soll auch nicht als Legitimation für die Zwingende Theorie angesehen werden. Ebenso wenig soll die Zwingende Theorie die Konsistenz der Zeichentheorie beweisen. Beide Theorien verändern sich durch das Aufeinanderbeziehen. Der Ursprung des Politischen könnte dort liegen, wo eine Irritation dazu führt, dass eine Überzeugung ihre Wirksamkeit verloren hat. Der Ursprung des Politischen könnte somit am Ort des Politikverlustes liegen. Dies entspricht einem Moment der Entscheidung, aber noch nicht dem Fällen einer Entscheidung als Akt oder Zeitpunkt.215 Aus der Perspektive eines ultimativ finalen Interpretanten – sozusagen als Horizont – kann aber retroaktiv das Moment der Entscheidung nicht mehr als kontingent betrachtet werden. Denn: „Es fehlt ein Interpretant für den Begriff ›finaler Interpretant‹.“216 Der Dialektik von Bewegen und Fixieren entsprächen bei Peirce das Festigen einer Überzeugung und der Zweifel, der die Fixierung wieder lockert. Nur Zweifel kann nach Peirce neues Denken in Gang setzen. Zweifel ist nicht das, was ein „Zwischen-zwei“ initiiert, aber ein solches „Zwischen-zwei“ ist erforderlich, damit der Zweifel Wirkung zeigt. Das bedeutet, der Zweifel kann nur Folgen haben, wenn er nicht sofort wieder verdrängt, verworfen oder verleugnet wird. Insofern kann „sich dem Zweifel widersetzen“ (Vgl. Kapitel I, 2.3) zweierlei bedeuten: Zum einen ein Verdrängen des Zweifels, zum anderen ein „sich dem Zweifel entgegenstellen“. Laclau/Mouffes Logik der Differenz meint nicht die Differenz von Zeichen, Interpretant und Objekt, oder den Interpretanten, der die Differenz von Repräsentamen und Objekt zu seinem Objekt nimmt, sondern die Differenz eines Zeichens zu einem anderen Zeichen. Die Logik der Differenz entspricht somit nicht wirklich der Logik der Repräsentation von Peirce. Mit Peirce könnte allenfalls von einer kontinuierlichen Differenz gesprochen werden. Die Logik der Äquivalenz ähnelt dem Um215 Zur Unterscheidung zwischen Moment (eine infinitesimale Dauer) und Zeitpunkt (ein Punkt in der Zeit) vgl. Peirce NZ, S. 183. Hier scheint oben angesprochene Unterscheidung zwischen Kontinuum und Diskontinuität durch. 216 O. Jahraus: Literatur als Medium, S. 355.

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schlagen und damit dem Äquivalentwerden von Interpretanten in ein Repräsentamen. Das Transformieren des Interpretanten in ein Zeichen kann analog der Logik der Differenz gedacht werden. Dieser Prozess ähnelt der Logik der Differenz nur, weil bei Laclau/Mouffe der gemeinsame Objektbezug nicht gegeben ist. Man kann zwar mit der Zeichentheorie nicht von einem leeren Ort – z.B. von völligem Zweifel – ausgehen. Dennoch kann retroaktiv festgestellt werden, dass dieser Ausgangspunkt insofern leer war, als er auf Vorurteilen basierte. Peirce insistiert: „Wir können nicht mit völligem Zweifel anfangen. Wir müssen mit all den Vorurteilen beginnen, die wir wirklich haben [...].“217 Wir müssen immer von etwas ausgehen. „Leer“ oder „Offen“ kann hier nur bedeutet, dass wir immer bereit sind, unsere Überzeugungen zu überprüfen, der Prozess bzw. Zustand des Überprüfens wäre dann ein Offenhalten. Das Offenhalten basiert aber wiederum auf einer Überzeugung. Das Zeichen als das Eine, losgelöst von einem anderen Zeichen, ist in diesem Sinne der Name der Leere, da es nicht als ein getrenntes Zeichen aufgefasst werden kann: Es ist bereits in sich gespalten. Echter Zweifel ist nach Peirce mit unangenehmen Gefühlen verbunden, die durch die Bildung von Überzeugungen aufgehoben bzw. beseitigt werden sollen. Der Zweifel muss eine Irritation einer Überzeugung sein, sonst ist er nach Peirce nutzlos: „Keiner kann wirklich zweifeln, daß es etwas Reales gibt, denn würde er es tun, so könnte der Zweifel keine Quelle der Unzufriedenheit sein.“218 Überzeugungen sind bewusste und somit selbstkontrollierte Gewohnheiten, die wie der logische Interpretant in den Bereich der Drittheit fallen. Das Politische wäre hier zwischen der Irritation und einer neuen Überzeugung anzusiedeln. Dennoch gibt es auch bei Peirce unbewusste, überzeugungsähnliche Prozesse, nämlich Gewohnheiten ohne Selbstkontrolle, die als Kehrseite dieser selbstkontrollierten Gewohnheiten fungieren.219 Es sind somit auch diese unbewussten Prozesse, die dadurch, dass sie im Widerstreit zu den bewussten Gewohnheiten stehen, Irritationen und Zweifel auslösen können. Auch sie können durch abduktive Schlüsse wieder in eine neue Überzeugung überführt werden. Diese widerspenstigen, sich jeder Selbstkontrolle entziehenden Aspekte nennt die Zwingende Theorie das Genießen. Hier ist der Ort des „zweiten“ Politischen, der im Folgenden näher bestimmt werden soll.

217 SPP, S. 40. 218 CP 5.384. Vgl. auch S&S, S. 141. Siehe auch W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 270, Anm. 377. 219 SS Bd. 3, S. 288.

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2. Zum Verhältnis psychoanalytischer Theorie und Philosophie Psychoanalytische Theorie220 und Philosophie beharren beide auf einem unbedingten, substantiellen Moment. Ist es also möglich, dieses unbedingte, substanzielle Moment als Grundlage in die Theorie der Politik oder als zu konstituierendes Moment in die Theorie des Politischen zu integrieren, und wie ließe es sich entfalten? Bereits Freud versuchte, seine praktischen Therapieerfahrungen theoretisch bzw. philosophisch zu fundieren, indem er beispielsweise seine Konzeption des Über-Ichs in die Nähe des kategorischen Imperativs rückte, oder den Eros als Gegentrieb von Platos Thanatos konzipierte.221 Die Philosophie, wie Peter Widmer anschaulich beschreibt, verhielt sich zumeist distanzierter gegenüber der Psychoanalyse als umgekehrt. Exemplarisch zählt er z.B. zu den Psychoanalyseskeptikern die Vertreter des Positivismus, Heidegger oder die Marxisten. Erst nach Freuds Tod kam es durch die Frankfurter Schule zu einer Auseinandersetzung der Philosophie mit der Psychoanalyse. Žižek schließlich fasst die Psychoanalyse nicht primär als Individualtherapie, sondern als genuine Theorie auf. Ihr Dilemma bestünde darin, dass sie als Therapie in einer Gesellschaft, die sie benötigt, keinen Erfolg haben kann, da ihre Funktion dort darin besteht, die soziale Anpassungsfähigkeit der Klienten gegenüber den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu erhöhen. Sie genießt – v.a. in den urbanen Zentren der USA – dort ihr höchstes Ansehen, wo sie am augenscheinlichsten zum Scheitern verurteilt ist. Das Paradox besteht also darin, dass sie, anstatt die Menschen von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, dazu dient, Individuen im Rahmen der bestehenden sozialen Ordnung funktionsfähig zu halten.222 Für die Frankfurter Schule ist sie eine negative Theorie, deren implizites Ziel das Erreichen eines unentfremdeten Zustandes ist, in dem die Individuen nicht 220 Zur Unterscheidung zwischen der Psychoanalyse als Therapieform und der Psychoanalyse als Theorieform vgl. Peter Widmer: „Vorwort“, in: Slavoj Žižek: Hegel mit Lacan, Zürich: Riss 1995, S. 8. 221 Vgl. ebd., S. 8. 222 Die psychoanalytische Theorie und ihre praktische Umsetzung hat sich mittlerweile selbst zu einem prosperierenden Industriezweig inklusive Verflechtung zu Pharma- und Medienkonzernen sowie zu den Machtzentren der Gesellschaft (Regierung, Militär, Geheimdienste etc.) entwickelt. So geht der Trend in New York – vergleichbar der Geschichte des Automobilkonsums in den USA – derzeit zum Zweit- bzw. Dritttherapeuten. Von der Reflexion auf dieses Phänomen profitieren wiederum nicht zuletzt – auch international – erfolgreiche amerikanische Filme und Fernsehserien (Woody Allen-Filme; die TV-Serie „Sex and the City“ etc.).

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mehr von der entfremdeten psychischen Substanz (dem Unbewussten) dominiert würden.223 In der Lesart der Frankfurter Schule und auch derjenigen Freuds ist der Begriff von Psychologie negativ konnotiert. Er impliziert Faktoren, die das Individuum hinter dessen Rücken, unter der Maske einer irrationalen Macht, die sich seiner bewussten Kontrolle entzieht, dominieren. Daher insistiert Freud darauf, dass dasjenige, was Es war, Ich werden müsse. Der Mensch solle sich nach Freud von der heteronomen Macht seines Unbewussten emanzipieren.224 Nach Lacan meint das Unbewusste dagegen etwas völlig anderes. Lacan hat nicht das psychologische Individuum zum Objekt. Das Unbewusstsein ist nicht psychologisch oder substanziell zu verstehen. Es geht auch nicht darum, zu einem konsistenten Ich zu gelangen. Die Grunderkenntnis der Theorie von Lacan besteht gerade darin, dass die Entfremdung bzw. Subjektspaltung konstitutiv für das Subjekt ist. Das Unbewusste ist also nicht oben gesuchtes substanzielles Moment. Im deutschsprachigen Raum interessiert sich insbesondere die literatur- und sprachwissenschaftliche Forschung für die psychoanalytische Theorie Jacques Lacans.225 Im Folgenden soll mit dem Nachweis wesentlicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Psychoanalyse und Philosophie in die grundlegenden Begriffe der psychoanalytischen Theorie eingeführt werden. Diese Grundbegriffe – das Unbewusste, das Begehren, der Trieb, das Mehr-Genießen, der große Andere bzw. die symbolische Ordnung, das Ding, der Mangel – werden dann im übernächsten Kapitel näher ausgeführt. Jacques Lacans Intention war es, die Texte der Philosophie mit der psychoanalytischen Theorie neu und anders zu lesen. Für seine eigene Zeichen- bzw. Signifikantendefinition bezieht sich Lacan – wie John P. Muller zeigt – auch auf Peirce.226 Žižek hingegen versucht in seinem Buch „Hegel mit Lacan“ nachzuweisen, dass Hegels Philosophie als Vorläufer der Psychoanalyse gelesen werden kann, und dass dieses, aus

223 Vgl. HmL, S. 36ff. 224 Vgl. HmL, S. 37-42. 225 Der Grund liegt in der Kompetenz der Psychoanalyse zur Analyse des Sprechens und der Sprache. Vgl. hierzu N. Ort: Objektkonstitution. Vgl. auch Gerda Pagel: Lacan zur Einführung. Hamburg. Junius 2000, S. 115-139. 226 Vgl. J. P. Muller: Beyond the Psychoanalytic, S. 31. Peirce ist für Muller auch ein Vorläufer der Französischen Dekonstruktion, hat sich doch auch Derrida vor seiner Veröffentlichung zum Zeichenbegriff intensiv mit Peirce auseinandergesetzt. Vgl. ebd., S. 33. Ich denke, dass Peirce zwar als Vorläufer einiger poststrukturalistischer Theorien gesehen werden kann, dass sein Potential von diesen allerdings noch nicht ausgeschöpft wurde.

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dem Deutschen Idealismus hervorgegangene Denken, von der Psychoanalyse bis heute nicht eingeholt worden ist. Žižek fragt, wie die psychoanalytische und die philosophische Reflexivität miteinander verbunden sind. Die philosophische Reflexion meint den negativen Selbstbezug. Das, was ein Subjekt sagt, ist seine symbolische Repräsentation, in der immer ein Überschuss bezüglich des Adressaten der Rede existiert. Der Adressat ist der „große Andere“ – als das symbolische System anderer Signifikanten – und nicht das andere Subjekt. D.h., indem sich das Subjekt auf sein Anderes bezieht, bezieht es sich immer schon auf sich selbst. Die psychoanalytische Reflexion hingegen beschreibt die Geste der Urverdrängung. Die Unmöglichkeit, das Begehren zu befriedigen, wird in das Begehren umgekehrt, das Begehren unbefriedigt zu lassen. Auf diese Reflexionsfigur wird noch genauer eingegangen. Für den Bereich der Politik bzw. Politikwissenschaft stellt die psychoanalytische Theorie keine Ideologie- oder Kulturkritik dar, denn eine solche Kritik müsste wissen, wo sie den Hebel anzusetzen hätte, um Gesellschaft zu verbessern. Die psychoanalytische Theorie hingegen fragt, ob die Philosophie ihre eigene Gründungsgeste – nämlich das Unbewusste – verdrängen muss, um ihren Platz innerhalb der akademischen Wissenschaften zu wahren. Bereits die Philosophie Descartes trage die Bezugnahme auf die Verrücktheit in sich, aber nur die psychoanalytische Theorie mache diesen konstitutiven Wahnsinn der Philosophie transparent. Sie macht den verdrängten Kern der Philosophie sichtbar, ohne ihn der Philosophie hinzuzufügen. Es geht Žižek also nicht um ein de facto Therapieren der Philosophie. Seine These lautet, dass die moderne Philosophie gegen den Exzess der Verrücktheit ankämpft und dadurch umso exzessivere Verrücktheiten entstehen lässt. Der Prozess, der in der Ideengeschichte schließlich die Psychoanalyse hervorbrachte, setzte nach Lacan mit Kants Kritik der praktischen Vernunft ein. Kant skizzierte als erster die Dimension dessen, was Freud später als „Jenseits des Lustprinzips“ bezeichnete, d.h. ein Jenseits der pathologischen Motivationen von Selbsterhaltung und Lust.227 Dieses „Jenseits“ liegt nicht, wie man zuerst meinen würde, zwischen Lust und Pflicht, sondern wohnt überraschenderweise der Lust selbst inne. Es handelt sich dabei um die Spannung zwischen Selbsterhaltung und Selbstzerstörung. Die 227 Vgl. zur Frage, inwiefern und wozu eine Analogie der Kantschen und Lacanschen Begriffe hergestellt werden kann A. Zupanþiþ: Das Reale. Sie untersucht das z.B. für die asymmetrischen Begriffspaare Begehren vs. Begehrungsvermögen, Genießen vs. Pathologisches/Trieb, das Reale vs. das Ding-an-sich, die Gesinnung vs. das Unbewusste, Mehr-Genießen vs. reine Form. Es geht ihr nicht darum, eine völlig neue Lesart Kants (bzw. bei Žižek Hegels) vorzuschlagen, sondern eine Intervention in unsere derzeitigen ethisch-politischen Debatten zu liefern.

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Spannung zwischen Selbsterhaltung und Selbstzerstörung. Die Psychoanalyse, und genau das macht eben die unheimliche Seite Kants aus, zeigt, dass jedes bewusste Gebot immer schon minimal pathologisch ist! Das, was sich zerstörerisch auch gegen das eigene Wohlergehen richten kann, nennt die psychoanalytische Theorie das Genießen (jouissance).228 Ein solches exzessives Moment ähnelt somit der moralischen Pflicht, kennt es doch keinen vorab positiv bestimmbaren Inhalt. Und sieht es momentan nicht so aus, als läge das höchste Genießen in einem nahezu selbstzerstörerischen Arbeitsfetischismus von 80 – Tendenz steigend – Stunden pro Woche? Das Ideal des couponabschneidenden, in Saus und Braus schwelgenden, Rentiers aus den Operetten Franz Lehárs und Jacques Offenbachs oder den Analysen Karl Marx’ scheint endgültig passé. In Talkshows etc. wird die extensive Selbstausbeutung des modernen Kapitalisten/Managers als höchste Lust zelebriert. In allen Lebensbereichen, nicht zuletzt in der akademischen Welt, gilt der volle Terminkalender als höchstes Statussymbol. Dies führt zu der Frage, ob die moderate Lust und die moralische Pflicht nunmehr zwei Formen der Verteidigung gegen dieses exzessive Genießen darstellen, und ob und wie man Pflicht und Genießen auseinander zuhalten vermag. Betrachtet man vor diesem Hintergrund nochmals das Hobbes’sche Modell mit seinem Konstrukt des Naturzustandes als Widerspruch zwischen natürlichem Recht (das Recht, den anderen zu töten bzw. Lustmaximierung zur Selbsterhaltung) und dem Gesetz der Natur (Selbsterhaltungstrieb als das Nützliche), wird ersichtlich, dass der Naturzustand noch kein wirklich Drittes ausmacht. Der Naturzustand beschreibt aus dieser Perspektive die berühmte Situation eines Gefangenendilemmas. Hobbes sieht nicht, dass der Exzess bzw. das psychoanalytische Genießen des Subjektes auch gegen sich selbst gerichtet werden kann. Es ist dieses „jenseits des Lustprinzips“, das Adorno und Horkheimer später in der „Dialektik der Aufklärung“ dazu drängt, de Sades Ideen und Wirken als die Wahrheit, ja förmlich als die praktische Umsetzung Kants zu interpretieren. Kants Befehl des kategorischen Imperativs ähnelt aus der Perspektive des Lustprinzips dem Freudschen ÜberIch. In der psychoanalytischen Theorie wird dieses „jenseits“, das exzessive Genießen – an manchen Stellen wird es, um die Differenz zur Lust zu markieren, auch „Mehr-Genießen“ genannt – also analog der Kant’schen reinen Form betrachtet. Das heißt, die Auslöschung aller pathologischen Objekte, die Reduktion auf die reine Form, produziert aus sich 228 Zu den verschiedenen Lesarten des Begriffs „jouissance“ bei Lacan siehe Žižek GL, S. 77-79.

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selbst heraus eine neue Art von Objekt: Sozusagen das Begehren nach eben diesem Zerfall bzw. das Begehren der Askese. Man kann nur moralisch handeln, wenn das Handeln allein durch die Form motiviert wird, wobei jeder pathologische Antrieb, auch ein Antrieb aus Mitleid, Altruismus etc., ausgeschlossen ist. Lacan nennt dieses nicht-pathologische Objekt, über Kant hinausgehend, einmal „objet petit a“, ein andermal „Mehr-Genießen“, mitunter auch Objekt-Ursache des Begehrens. Der Befehl des Kategorischen Imperativs kann an sich, wie jedes Gesetz und jeder Befehl, eine eigene Art von Affekt – der quer zur Lust und Unlust liegt – hervorrufen. Die politische Relevanz dieses exzessiven Genießens liegt auf der Hand. Zu denken sei hier nur an den bereits erwähnten Ruf einiger Intellektueller und Künstler nach Stellungnahmen, die ein „so soll es sein!“ vorzugeben hätten. Hier deutet sich auch an, wer sich als Weltverbesserer in Stellung bringen soll: die Intellektuellen selbst. Das exzessive Genießen als Rest/Überschuss, als die eigene Partikularität, die nicht beherrscht werden kann, vermag z.B. zur Quelle von Rassismus zu werden. Gerade weil es in mir – und in jedem anderen – etwas gibt, das sozusagen mehr ist als ich selbst, das irgendwie aus mir herausragt, muss es einen anderen geben, der an diesem Exzess Schuld hat und ihn förmlich initiiert. Das Genießen ist etwas, das über mich hinausgeht und sich nicht kontrollieren lässt. Und es ist dennoch das Moment, für das ein Subjekt voll verantwortlich ist und in diesem Sinne ist es das einzige substanzielle Moment der psychoanalytischen Theorie.229 Ein Konstrukt wie der „Staat“ kann als Projektionsfläche und somit auch als Puffer gegen (z.B. rassistische) Phantasmen fungieren. Aber gibt es somit stets nur die Wahl zwischen diesem Puffer und einer tendenziell von Rassismen heimgesuchten Zivilgesellschaft? Kommen also Phantasmen ohne symbolische Autorität – in reinen Machtstrukturen – stärker zum Ausdruck? So lautet die psychoanalytische Reformulierung der Fragestellung dieser Arbeit. Das Politische der psychoanalytischen Theorie liegt in dem jeweils unterschiedlichen Umgang mit diesem Exzess, der gleichzeitig als Rest und als Überschuss gesehen werden kann. Andererseits kann dieser Exzess nicht durch die im ersten Kapitel beschriebene Theorie der Politik ausgeschlossen oder durch die Theorie des Politischen „leer“ gehalten und somit auf Dauer gestellt werden, was eben jene Sehnsucht nach Autorität deutlich macht. Keine Theorie hat diesen Antagonismus, dieses Dilemma,230 so deutlich hervorgehoben 229 Vgl. Žižek GPF, S. 24. 230 In dem Wort „Dilemma“ zeichnet sich wieder die Figur eines symbolischen Prozesses ab: di- = zweimal und lambanein = nehmen. Das Wählen zwischen zwei gleichermaßen schwierigen Dingen, deren Ausweg nur im Symbol gefunden werden kann. Und die psychoanalytische Theo-

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wie die psychoanalytische Theorie: Wie soll eine Gesellschaft mit Autoritätssehnsüchten umgehen? Lacans Auseinandersetzung mit Freud besteht daher auch darin, die von Freud unbeachtet gelassene philosophische Ethik zu diskutieren. Die von Lacan untersuchten Ethiktypen schließen auf die eine oder andere Weise das Begehren aus: Aristoteles und die Ethik der Glückseligkeit weisen bestimmte Begierden als tierisch zurück, der Utilitarismus beschränkt sich auf das Feld der zu befriedigenden Bedürfnisse, und Kant schließt das Begehren als nicht ethikfähig gänzlich aus, weil es eben an empirische Objekte gebunden ist.231 Worin besteht nun der Unterschied zwischen Begehren und Trieb bzw. Triebfeder? Der Begriff des Begehrens unterscheidet sich vom Trieb und dem Kantschen Begehrungsvermögen. Der Trieb beharrt auf einem bestimmten Verlangen, wohingegen das Begehren dialektisch vermittelt ist: Man beansprucht etwas, aber was man auf diese Weise anstrebt, ist etwas völlig anderes. Das Begehren hat die Figur eines unendlichen Aufschubs. Wir fixieren ein Objekt der Begierde, sobald es allerdings erreicht ist, zerrinnt es schon wieder, und wir können nur noch resigniert feststellen: „Das war es noch nicht..., das kann noch nicht alles gewesen sein…“ Begehren heißt in gewisser Weise also immer ermangeln. Dabei können zwei Typen des Begehrens unterschieden werden: • Dasjenige Begehren, das vom Phantasma gestützt wird. Das Phantasma markiert den Rahmen, innerhalb dessen Lust/Unlust (Kants pathologischer Bereich) empfunden werden kann.232 Es liefert den Rahmen, der es uns erlaubt, etwas zu begehren. Realität wird zwar durch Realitätsprüfung konstruiert, der Realitätsrahmen ist aber durch das Phantasma vorstrukturiert.233 Das „Ich“ ist danach die Metonymie, die Verschiebung des Begehrens. Das Phantasma ist aber kein imaginäres Szenario, welches die Realisierung einer Wunsch-erfüllung darstellt – das wäre reine Phantasie –, sondern eher der Prozess, in dem das Begehren mit einem Objekt versehen

rie zeigt dann, dass dieser Ausweg auf einer Illusion basiert, „[…] zwei unvereinbare Phänomene auf derselben Ebene zusammenbringen zu können […]“ S. Žižek: Parallaxe, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 8f (=PAX). 231 Vgl. zum Verhältnis Kant und Lacan Rudolf Bernet: „Subjekt und Gesetz in der Ethik von Kant und Lacan“, in: Hans-Dieter Gondek/Peter Widmer (Hg.), Ethik und Psychoanalyse, Frankfurt am Main: FischerTaschenbuch-Verl. 1994, S. 27-52 und Hans-Dieter Gondek: „Vom Schönen, Guten, Wahren. Das Gesetz und das Erhabene bei Kant und Lacan“, in: H. D. Gondek/P. Widmer: Ethik und Psychoanalyse, S. 133169. 232 Vgl. NW, S. 32f. 233 Vgl. Lacan Sch I, S. 233.

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wird. Und dieser Prozess macht den imaginären Bereich des Begehrens aus. Dieses phantasmatische Begehren, über das sich die Beteiligten oft selbst nicht bewusst sind, befindet sich z.B. im Zentrum von Konflikten. Daher entwickeln einige Theorien das Politische auch als etwas, das sich durch Konflikte konstituiert. Sie verharren damit selbst im imaginären Bereich. Da dem Subjekt – wie es bereits die Zeichentheorie von Peirce herausgearbeitet hat – ein direkter Zugang zur Wirklichkeit fehlt, heißt phantasmatisches Begehren immer ein Begehren nach direktem Verständnis, und somit meint diese Art des Begehrens immer auch Ermangeln.234 Daneben findet sich zweitens das Begehren jenseits dieses phantasmatischen Rahmens. Es gibt einen (ethischen) Imperativ der Psychoanalyse, der uns befiehlt, nicht vom Begehren zu lassen. Lacan zeigt, dass dieses Begehren als Begehren des Anderen auch „jenseits des Lustprinzips“ funktioniert. Der Mensch soll nicht von seinem symbolischen Begehren ablassen und sich in den imaginären, phantasmatischen Bereich flüchten. Das gelingt ihm nur, wenn er die Unmöglichkeit seines eigenen Begehrens auf sich nimmt, ohne das Begehren dadurch zu vernichten. In der Sprache und durch sie wächst jeder Mensch in eine Andersheit hinein. Es ist dieses Gesetz der Sprache, welches die Spaltung des Subjekts zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein bewirkt.

Für Lacan ist das Andere die eigentliche Fundierung der Intersubjektivität. Doch wovon grenzt sich dieses „Andere“ ab? Das Subjekt kann sich zunächst nicht anders als mit sich selbst identisch annehmen. Erst durch die Sprache entfremdet es sich. Es bleibt immer eine Kluft, ein Abwesendes, das in der Sprache nicht positiviert werden kann: Die psychoanalytische Theorie nennt dieses Abwesende das „Ding“. Da das Ding unerreichbar ist und bleibt, kann das Ich niemals zur vollen Befriedigung gelangen. Die Unerreichbarkeit konstituiert das Begehren, das somit kein positives Objekt hat.235 Wie kann das Verhältnis zwischen Objekt und Ding beschrieben werden? Lacan spricht von symbolischer Kastration als der Differenz zwischen Objekt und Ding, die der psychischen Gespaltenheit entspricht.236 Das Ding liegt dem Objekt logisch voraus, weshalb das Subjekt unaufhörlich versucht, Objekte zu finden, die ihm vermeintlich fehlen. Werden Objekt und Ding im Symbol aufgehoben, oder ist es gerade dem Symbol möglich, die unüberwindbare Kluft 234 Vgl. R. Bernet: Subjekt und Gesetz, S. 37. 235 Vgl. Peter Widmer: „Ethik und Psychoanalyse“, in: H. D. Gondek: Ethik und Psychoanalyse, S. 12ff. 236 Ebd., S. 15.

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zu symbolisieren? Die Kluft zwischen Ding und Objekt treibt das Begehren geradezu an. Eine ganz ähnliche Bewegung konnte schon bei der Nichtübereinstimmung zwischen dynamischem und unmittelbarem Objekt bei Peirce beobachtet werden. Es ist diese Nichtübereinstimmung, die den Zeichenprozess vorantreibt oder, sofern sie geleugnet wird, zum Stillstand bringen kann. Somit gibt es nach Lacan eine Kluft zwischen dem Objekt der Begierde und dem Grund der Begierde. Das Objekt kann der Partner sein, der Grund ist aber ein Ding – ein Fetisch, ein Symptom etc. Alle symbolischen Interaktionen werden von dieser Unterscheidung getragen. Jeder Glaube an bzw. jede Illusion über etwas wird sich zugleich als etwas herausstellen, das den von den Subjekten ausgesprochenen Ansichten widerspricht. Der auf einer bewussten Ebene zumeist geleugnete Glaube ist das, was Lacan das Unbewusste nennt. Dieser Glaube ist weit davon entfernt, die – wie es die Theorien der symbolischen Politik intendierten – Realität zu verdoppeln. Eine der zentralen Fragen einer Ethik der Psychoanalyse lautet daher, wie eine Ethik zu denken ist, wenn doch das Unbewusste bewirkt, dass das Ich nicht über sich verfügen kann? Setzt die Ethik nicht ein Subjekt voraus, das autonom und seiner selbst mächtig ist? Zerstört die Annahme des Unbewussten nicht die Grundlage der Ethik, da es sich der Berechenbarkeit entzieht? Die psychoanalytische Theorie will die Überzeugung überwinden, dass Ethik eine Herrschaft des Sprechenden über seine Aussagen erfordere.237 Bereits mit Peirce konnte gezeigt werden, dass Aussagen Drittheit voraussetzen, selbst aber der Zweitheit angehören. Lacan folgt Kant und implizit Peirce in der Auffassung, dass das Subjekt aufgrund dieser Kluft zwischen einem Subjekt der Aussage und einem Subjekt des Aussagens ein geteiltes ist. Beim Subjekt der Aussage sind Denken oder Sagen-Wollen und Ausgesagtes verschieden. Das Subjekt des Aussagens kann aber auch nicht die Sprechintention sein. Wie schon im Exkurs zum Repräsentationsbegriff gezeigt worden ist, kann diese Intention nicht als etwas Vorgängiges verstanden werden, das es im Sprechen zu repräsentieren gilt. Ein Beispiel hierfür wäre die Diskrepanz zwischen dem offiziell entzogenen Vertrauen gegenüber einem Bundeskanzler – im Sommer 2005 – durch die eigenen SPD-Parteifreunde, und der gleichzeitigen lautstarken und fast einhelligen Bekundung dieses Vertrauens durch exakt den gleichen Personenkreis. Es wird vorgegeben, etwas anstreben zu wollen, aber was auf diese Weise beansprucht wird, ist beinahe das Gegenteil. Das wäre sozusagen die psychoanalytische Umschreibung von symbolischer Politik.

237 Vgl. ebd., S. 10.

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Lacan setzt nun das, was bei Kant unerkennbar ist – das Ding-ansich – als Agens ein. Oben wurde gezeigt, dass es auch beim dynamischen Objekt eine ähnliche Stoßrichtung gibt. Das Ding wird zur setzenden Instanz, aus der das Subjekt hervorgeht. Analog dazu drängt das Ding-an-sich in mir – das Unbewusste – das Subjekt zur Sprache, in der es sich repräsentiert. Die Unerkennbarkeit des Dings-an-sich wird in der psychoanalytischen Theorie nicht als leerer Rest behandelt, sondern die Geschichte des Subjekts kann als die Geschichte der Vorstellungen, Illusionen und Einbildungen gelesen werden. Auch hier könnte man sich das Ding-an-sich als unendlich erkennbar vorstellen. Die Psychoanalyse beobachtet und interessiert sich für die Illusion, Subjekte könnten sich ihrer selbst bemächtigen, ohne deshalb diese Illusion gleich zynisch zu verwerfen. Ethik kann dort, wo das Subjekt dem Mangel zu begegnen vermeint, situiert werden. Der Mangel kann wiederum nur als ein Mangel von etwas gesehen werden, und fällt an diesem Punkt mit dem MehrGenießen zusammen. Das Mehr-Genießen löst das Begehren aus. Das Andere ist dabei der oder das strukturierende Dritte, der jede Ich-DuRelation in eine Beziehung zu setzen vermag. Das heißt aber auch hier – wie schon bei Peirces Drittheit – nicht, dass es sich um eine Realitätsverdopplung handelt. Die Buchstäblichkeit ist nicht die eine Realität und das „dahinter“ die andere. Für jede intersubjektive Situation ist dieses „dahinter“ – also der große Andere – in irgendeiner Weise konstitutiv. Der oder das Andere ist – auch wenn es oft auf Individuen projiziert wird – keine individuelle Person. Der Andere als der nicht vorstellbare, rein symbolische Andere, kann den Träger des Gesetzes meinen, der das Begehren des Subjekts anerkennen soll. Das Andere ist ein potentiell virtueller Platz, von dem aus überhaupt erst gewertet und über wahr und falsch entschieden werden kann. Das Begehren entsteht in einem intersubjektiven Kontext, der vom Anderen, als Feld der Sprache und als das Unbewusste strukturiert ist. Das Begehren findet also nur deshalb eine Form, weil man das eigene Begehren mit dem Begehren eines anderen identifiziert. Dieser Aspekt ist für das Verständnis der psychoanalytischen Theorie zentral, denn allein aus diesem Grund kann die Lacansche Ethik auch keine individualistische Ethik sein. Für einen religiösen Menschen könnte das Begehren in der Vorstellung bestehen, von Gott gesehen zu werden, ihm gefallen zu wollen, indem man sich möglichst erfolgreich, arbeitsam (volle Terminkalender!), demütig, asketisch etc. gibt. Der Bezug auf den Anderen erklärt aber ebenso quasimetaphysische Phänomene wie die so genannte Realitydoku „Big Brother“ – ursprünglich die Personifikation des totalen Überwachungsstaates, die nur wenige Jahrzehnte nach der literarischen Version zum Ausdruck millionenfachen Fernsehvergnügens mutierte –, oder die Zunahme von Web174

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cams, Weblogs etc. Der große Andere ist die symbolische Substanz des Lebens. Symbolische Substanz meint nicht nur die expliziten symbolischen Regeln, die unser soziales Miteinander regulieren, sondern auch die ungeschriebenen impliziten Regeln, die unser Reden und Handeln bestimmen. Nicht vom Begehren zu lassen, bedeutet also paradoxerweise gerade einen Verzicht auf dasjenige Begehren, das auf den phantasmatischen Szenarios basiert. Dieses Begehren ist imaginär, weil es davon ausgeht, dass der Mangel ausgefüllt, dass der Antagonismus beseitigt und der Exzess verdrängt werden kann.238 Die oben erwähnten Ethiktypen entwickeln ein Ideal, dem sich das Subjekt unterwerfen soll. Kant fehle – so Lacan – eine Theorie der Sublimierung. Sublimierung meint, dass nicht realisierte verdrängte Energien in andere Tätigkeiten umgesetzt werden können. Die Übereinstimmung zwischen Kant und Lacan besteht v.a. darin, dass der Mensch durch die Beziehung auf ein transzendentes Gesetz, dem Kategorischen Imperativ, gespalten ist. Der Gegensatz zwischen Lacan und Kant liegt v.a. in der Weigerung Lacans, anzunehmen, dass es zwischen Subjekt und Gesetz eine spannungsfreie Harmonie gäbe. Die Rolle des negativen Objekts – dem Ding – besteht schlicht darin, das Begehren aufrechtzuerhalten. Worin unterscheidet sich das Ding von der Lacanschen Kategorie des Realen? Für Lacan ist das Reale keine rein negative Kategorie, keine Bezeichnung einer Grenze ohne genauere Beschreibung von dem, was jenseits dieser Grenze liegt. Das Reale bezieht sich auf eine unmittelbare undifferenzierte Erfahrung. Die Sprache vermittelt und transformiert den Kontakt mit dem Realen in Realität. Das Reale der Illusion bzw. das Reale des kategorischen Imperativs ist der leere Ort, von dem aus zwischen zwei Optionen – z.B. moralisch/ pathologisch – vermittelt wird.239 In der Gegenwart, im Hier und Jetzt, ist es unmöglich, diesen Ort zu erkennen. Es handelt sich eher um einen blinden Fleck, der erst in der Figur des „wird gewesen sein“ an seinen Effekten abgelesen werden kann. Kann das Reale ebenfalls – wie die Illusion des Mangels – als ‚Triebkraft‘ des Begehrens fungieren? Ist das Reale einer Illusion nicht das Ding? Das Reale wäre eher ein aktiver Status der Triebe, das Ding ein rein negativer. Hier wäre dann zukünftig zu diskutieren, ob das Reale den Objekten vorausliegt. Das Reale kann aus Sicht der Zeichentheorie von Peirce zweifach interpretiert werden. Es entspräche dem dynamischen Objekt bei Peirce, während die Kluft zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekt das Unbewusste markiert. 238 Vgl. zum Widerstreit des Phantasmas, das gleichzeitig das Begehren konstituiert, strukturiert und abwehrt, Žižek HY, S. 197ff. 239 Vgl. zum Realen einer Illusion A. Zupanþiþ: Das Reale, und P. Widmer: Ethik und Psychoanalyse, S. 19f.

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Auf der anderen Seite ähnelt das Reale, als unmittelbares, noch in Vermittlung zu bringendes Moment, aus Sicht der Kategorienlehre der Erstheit. Dies gilt es später erneut aufzugreifen. Es käme dann darauf an, von wo aus über das Reale gesprochen wird. Vermag das Genießen irgendwie gesteuert oder reguliert zu werden? Das Gesetz ist die Instanz des Verbotes, das die Verteilung des Genießens auf der Basis eines gemeinsamen, geteilten Verzichts reguliert, wohingegen das Über-Ich einen Punkt bezeichnet, an dem das erlaubte Genießen, das heißt die Freiheit zu genießen, sich zum Zwang zu genießen verkehrt. Der Begriff des Über-Ichs ist also die Kehrseite des Gesetzes. Vereinfachend könnte das Über-Ich als Privatgesetz bezeichnet werden, dem die verallgemeinernde Kraft des Gesetzes fehlt. Zwischen dem äußeren, gesellschaftlichen Gesetz und dem ungeschriebenen, inneren Gesetz, in dessen Namen wir den äußeren gesetzlichen Verordnungen Widerstand leisten können, befindet sich das Über-Ich.240 Die Spannung zwischen Legalität (Heteronomie des gesellschaftlichen Gesetzes) und Legitimität (das autonome Gesetz in uns) wird durch das Genießen durchbrochen. Die Opposition zwischen äußerem und innerem Gesetz wird durch einen „Kurzschluss“ von Begehren und Gesetz, einem Punkt, an dem das Begehren selbst zum Gesetz, nämlich zum überichhaften Gesetz des Genießens wird, gestört. So ist es nicht verwunderlich, dass die Psychoanalyse bzw. ihre Vertreter – deren Namhafteste zudem unter rassistische Verdikte wie die „Nürnberger Gesetze“ oder den Stalinistischen Antisemitismus fielen – gerade in totalitären Staaten verfolgt wurden, da sie die dortige Abschaffung von Freiheit und Gesetz thematisierten. Der psychoanalytischen Theorie geht es darum zu zeigen, dass das äußere Gesetz die Lust reguliert und dadurch die Menschen von ihrem überichhaften Genießen zu befreien vermag. Betont Lacan innerhalb des Verhältnisses der Psychoanalyse zur Philosophie v.a. den ethischen Aspekt und bezieht sich dabei auf Kant, so interessiert sich der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek v.a. für die politischen Aspekte der psychoanalytischen Theorie und der Philosophie. Ihm geht es um das nicht zu dialektisierende Moment, das, obwohl es nicht verinnerlicht werden kann, zugleich implizit als unumgängliche Bedingung des dialektischen Prozesses selbst wirkt. So wie die Hegel’sche Aufhebung nie völlig aufgeht, verharrt in der psychoanalytischen Theorie, z.B. in Gestalt eines mechanischen Verstandesmoments, immer eine Mischung aus Überschuss und Rest, ein Überrest, ein Moment, das zugleich Bedingung der Möglichkeit und Bedingung der Unmöglichkeit

240 Vgl. zum Über-Ich Žižek GPF, S. 248f.

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eines Identitätskonstruktes ist.241 Der Überrest ist nicht das, was uns nicht gelingt zu verinnerlichen, was wir uns nicht aneignen können, sondern Žižek versteht ihn als das Moment, dessen Verlust den Subjekten misslang, zu dem sie keine symbolische Distanz gewinnen können. Ein Äquivalent dazu wäre mit Peirce diejenige Irritation, die nicht durch eine neue Überzeugung aufgehoben werden konnte. Sie kippt förmlich in die Verstörung. Die Grundlehre der Psychoanalyse besteht darin, dass das Leben nie nur „bloßes Leben“ ist. Es geht aber auch nicht in erster Linie um die Frage der Frankfurter Schule nach dem „guten“ Leben, oder darum, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ geben kann.242 Die Menschen sind vielmehr von einem Trieb besessen, das Leben im Übermaß zu genießen. Dieses Genießen darf nicht im alltäglichen Sinne verstanden werden. Dabei geht es nicht um Hedonismus, sondern eher um eine Art Lebenssteigerung, vielleicht eine gewisse Form von Wettbewerb, für den selbst der eigene Schaden in Kauf genommen wird. Der Überschuss führt immer wieder dazu, den eigenen Lebensplan scheitern zu lassen. Andererseits ist es gerade dieser Exzess, der zu einem freien Akt führt. Es bleibt immer ein Rest, etwas, das nicht repräsentiert werden kann, das nur präsentiert. Und dieser Rest kann als Triebfeder des sittlichen Subjekts fungieren. Die Regel des guten Lebens muss sich selbst voraussetzen, die Freiheit muss Bedingung der Freiheit sein. In diesem Sinne könnte Adornos Diktum auch lauten: Es gibt ein noch schlechteres Leben im falschen. Es wird also weniger auf Lacan, als v.a. auf die politische Theorie von Žižek und den Autoren seines Umkreises eingegangen.

2.1 Zwingende Theorie: Das politische Projekt von Slavoj Žižek, Alenka Zupanþiþ, Renata Salecl und Mladen Dolar „Slavoj Žižek? Das ist doch der Erfinder von Lacan-light: Für all diejenigen, die zu faul sind, sich den kryptischen, schwierigen Meister selbst anzueignen?! Wir haben damals in den späten 60er Jahren noch intensive Sitzungen über mehrere Jahre hinweg veranstaltet, und jetzt kommt da einer, der das alles anhand von Hollywood-Schinken erklären will!“ So in etwa lautet ein häufig vernommenes und allzu oft plagiiertes Urteil über den wissenschaftlichen Status Slavoj Žižeks. Dieser Vorwurf sug241 Vgl. zum Begriff des Überrestes und des Überschusses HY, S. 175f. 242 Adorno schreibt bekanntlich: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 59.

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geriert natürlich, dass sich der wahrhaft psychoanalytisch interessierte Wissenschaftler nur mit Lacan, dem Original, auseinandersetzen dürfe. Erst wer durch diesen Feuerofen gegangen, wer sich dazu gezwungen, und Lacan dadurch möglicherweise bezwungen hat, könne überhaupt erahnen, was die Psychoanalyse als Theorie ausmache. Schwingt da nicht auch ein wenig Neid mit? Auf die Leser, die sich durch die Lektüre von Žižek möglicherweise Lacan und der Psychoanalyse sogar mit Genuss nähern? Oder geht es sogar umgekehrt um die Befürchtung, ihnen ginge durch eine einfache Lesart gerade der Genuss des harten Denkens verloren? Und gilt der gleiche Vorwurf in noch strikterem Ausmaß nicht Žižeks Lesart von Hegel? Die Seriosität des Denkens werde demnach erst durch eine qualvolle, anstrengende Lektüre erreicht. Es ist hier nicht der Ort, das zu widerlegen. Stattdessen möchte ich einen Kernaspekt der Theorie von Žižek aufgreifen. Dieser Philosoph erscheint zuweilen als jemand, der durch die Metropolen unserer Welt rennt und ruft: „Denkt doch!“ Gleichzeitig lernt man aber durch die psychoanalytische Theorie, dass der Befehl zu denken, das Denken zu blockieren oder regelrecht zu verhindern vermag. Wie kann also ein originäres, freies Denken erreicht werden? Wie kann man wissen, was man bereits implizit denkt? Žižek möchte Lacans Theorie nicht lediglich leichter zugänglich machen, geschweige denn verwässern (Lacan-light), um „so die Anstrengung effektiven Denkens zu ersparen“,243 sondern zwingt den Leser, den Gedankensprung, den Perspektivwechsel, die Positionsänderung etc. mitzudenken bzw. selbst zu denken. Genau das meinte auch Peirce mit seiner Feststellung, dass Denken immer auch Handeln sei. Dies kann nur gelingen – wie Žižek eben an seiner eigenen, v.a. an Hegel, Schelling, Marx und Lacan orientierten, Lektüre zeigt – wenn man diesen Zwang, selbst zu Denken, vergisst oder verdrängt. Und wenn man umgekehrt dem Drang oder Zwang zu Handeln ebenfalls nicht sofort nachgibt. Da ein Denkvergessen nicht befohlen werden kann, besteht die einzige Möglichkeit, etwas Reales in der Theorie zu produzieren, darin, sich mit Texten überzuidentifizieren. Gerade durch die Entlastung dieses Zwanges, durch Nachahmen, entsteht ein Selber-Denken, nämlich genau dort, wo man sich plötzlich alltägliche Phänomene mit der rezipierten Theorie zu erklären versucht. In Kapitel III, 1.2. wird dieser Gedanke – Denken ist immer nur dann möglich, wenn man gerade einer so genannten Übertragungsfiktion unterliegt – näher erläutert. Das zentrale Moment in Žižeks Schreiben besteht darin, das Denken anzutreiben, um etwas Reales in der Theorie produzieren zu können. Wenn es einen Befehl geben 243 Žižek 1992, S. 7. Eine Liste der abgekürzt zitierten Texte von Slavoj Žižek ist im Literaturverzeichnis zusammengestellt.

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sollte, dann nur einen Selbstbefehl, der lautet: „Ich kann nicht anders, doch bin ich nichtsdestoweniger völlig frei in dem, was ich tue.“244 Ein Befehl, der sich zugleich negiert. Denken und Theorie werden so als ein Akt verstanden, der das Phantasma stört. Der Akt zwingt das Denken. Aber dieser zwingende Akt wird und kann nicht auf einer bewussten intentionalen Ebene von sich selbst transparenten Subjekten durchgeführt werden. Die Problematisierung des Subjektbegriffes rückt somit ins Zentrum der psychoanalytischen Theorie. Der Zwang zum Denken würde das Denken ebenso blockieren, wie der Zwang zum Genießen das Genießen: „Nichts zwingt jemanden zu genießen, außer dem Über-Ich. Das Über-Ich, das ist der Imperativ des Genießens – Genießen!“245 Damit verbunden ist die Frage, unter welchen unerbittlichen Zwängen denn das Subjekt steht, dass es diese Verantwortung zur Freiheit des Denkens nicht – oder kaum – auf sich nehmen kann? Solche Fragen sind nicht nur zentral für Žižek, sondern auch für die Texte und Denkfiguren anderer Autoren, die in einem engen Zusammenhang mit Žižek stehen. Es geht nicht um die Frage, ob Žižek bereits ein Diskursbegründer ist, sondern darum, ihn und seinen Kreis als Diskursbegründer zu lesen, und zu fragen, ob und wie diese zugeschriebene Autorität durch die Texte gleichzeitig hervorgebracht und unterlaufen wird. Ich beziehe mich dabei neben Žižek v.a. auf Mladen Dolar, Renata Salecl und Alenka Zupanþiþ. Die Ideen dieser Gruppe werden unter dem Namen „Zwingende Theorie“ zusammengefasst. Damit soll nicht suggeriert werden, dass ihre Argumente zwingend wären. Mit dem Attribut „zwingend“ ist vielmehr gemeint, dass diese Theoretiker den Raum dessen beschreiben, in dem Subjekte immer schon zwingend für sich und ihren eigenen Kontext verantwortlich sind. Ihre Texte eint die Frage, wodurch ihr eigenes Schreiben gezwungen wird, und ob und wie diese zwanghaften Momente – z.B. das Phantasma, das Über-Ich, gesellschaftliche Normen, Sprache, Machtstrukturen oder mit Peirce die Irritationsquelle – überhaupt abgeschüttelt werden können und sollen. Ein Verschieben der Machtverhältnisse – Stichwort flache Hierarchien – vermag diese Zwänge ja sogar zu vergrößern. Wie kann das Element, das uns zwar von außen her aufgezwungen wird, dennoch aber gerade unser innerstes Genießen realisiert, beschrieben werden? Dieses Element scheint sich an der Schnittstelle zwischen Innen und Außen zu befinden, und vielleicht nennt es Žižek deshalb auch das „extime“ Element. Das zwingende Moment der Zwingenden Theorie besteht also darin, den Rezipienten den Punkt zu zeigen, wo sie – wenn sie so weit mitgehen – erkennen, dass sie für die 244 TS, S. 525. 245 Lacan Sem XX, S. 9.

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Macht bzw. Zwangsverhältnisse, in die sie verstrickt sind, selbst Verantwortung tragen. Es wäre schwer vorstellbar, dass die Theoretiker der Zwingenden Theorie, ähnlich wie Adorno und Horkheimer unter dem Label „Kritische Theorie“, wie Deleuze und Guattarie als „Poststrukturalistische Theorie“ oder Laclau und Mouffe unter dem Etikett „Hegemonie und radikale Theorie“, zusammen an einem Text schrieben. Dennoch lassen sie sich möglicherweise sogar noch besser als jene unter einem gemeinsamen programmatischen Nenner vereinen: Der zwingenden Frage: „Was tun?“, verbunden mit der Antwort, „dass unsere tägliche Erfahrung (Biogenetik, Ökologie, Cybersprache, Virtuelle Realität) uns alle zwingt, uns mit den grundsätzlichen Fragen hinsichtlich der Natur der Freiheit und der menschlichen Identität usw. auseinanderzusetzen.“246 Die Autoren der Zwingenden Theorie versuchen, ein Politisches zu denken, das den Ort der Macht weder leer hält, noch ihn durch etwas vorab zu definieren versucht. Dies gelingt ihnen, indem sie zeigen, wie die Subjekte immer schon in die jeweilige Machtsituation durch ihr eigenes Genießen eingebunden sind. Ian Parker vergleicht Žižeks Verhältnis zu den Theorien, die er in seinen Texten rezipiert und verwendet, auf recht originelle Hegel’sche Weise mit einem ‚PG‘ Tip (dem berühmten englischen Teebeutel). Der Parker’sche ‚PG‘ Tip ist eine Gattung, in der zwei Arten enthalten sind: Die Teemischung (analog dann: „blend of theories“) und der ‚PG‘ Tip als eine Gattung ihrer selbst. Žižek sei selbst eine Theoriemischung, und wenn er irgendwo zwischen seiner Rezeption von Hegel, Lacan und Marx auftauche, so würde er zu einer Mischung seiner selbst. Er würde den anderen Theorien keine spezifischen Konzepte hinzufügen, weshalb Parker auch von einem Glossar am Ende seines Buches – wie es die erste kritische Einführung in Žižeks Schaffen von Sarah Kay praktiziert – absieht.247 Žižeks Konzepte seien nur geborgt und erscheinen daher nach ihrer Verwandlung entstellt.248 Aber genau dieses „borgen und entstellen“ entspricht eben Žižeks Postulat der Überidentifizierung mit Texten, wobei Žižek nicht einfach eklektizistisch irgendetwas zusammen trägt, was sich hübsch zu einem Paket – oder Teebeutel – schnüren lässt. Es existiert vielmehr eine einheitliche Beobachterposition, von der aus die verschiedenen Elemente in ein Ganzes integriert werden. Das Originäre der Theoretiker der Zwingenden Theorie liegt ja gerade darin, dass sie auf dem Schlachtfeld des Krieges um Benennungsmacht nicht um die 246 RV, S. 9. 247 Vgl. Ian Parker: Slavoj Žižek. A Critical Introduction, London, Sterling: Pluto Press 2004, S. 156f = Anm. 92. 248 Ebd., S. 10. Diese Einschätzung ist von Parker nicht pejorativ gemeint.

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Schöpfung neuer Begriffe wetteifern oder mit dem puren Nachweis der Kontingenz von Begriffen taktieren, sondern das vorhandene Begriffspotential durch die Einnahme einer anderen Perspektive herausarbeiten. Das heißt für das Teebeutelbeispiel eben auch, dass die Zwingende Theorie gerade den Nachweis erbringt, wo das Allgemeine – die Gattung, das Ganze – in sich selbst gespalten ist. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden. Nimmt man die anderen Autoren der Zwingenden Theorie hinzu, ergibt sich eine gemeinsame politische Suche. Die Theoretiker weichen v.a. stilistisch oder ästhetisch voneinander ab. Žižek polarisiert, indem er z.B. Witze und Obszönitäten einsetzt. Seine Texte lösen im Leser permanente Déjà-vus aus, denn die grundlegenden Theoreme ziehen sich durch alle seine Bücher in immer wieder anderen Variationen; Žižek zitiert sich häufig selbst. Zupanþiþs Stil zeichnet sich v.a. durch eine sehr klare und didaktische Herangehensweise aus. Und seit Goethes Definition von Stil ist ja zumindest die These von der eigenen Erkenntnisleistung des Stils bekannt. Dass v.a. der Name Žižek stellvertretend für die Zwingende Theorie fungiert, kann als kontingent aufgefasst werden.249 Kay schreibt in ihrer kritische Einführung zu Žižek, dass das, was seine Texte zusammenhalte, die Frage nach dem Lacan’schen Register des „Realen“ sei. Damit ist der Bereich gemeint, der nicht durch Diskurse oder Interpretation bestimmt werden kann. Kay meint, die Leser sollen erkennen, dass sie dem Register des Realen unterworfen sind.250 Was bedeutet das? Das bedeutet, dass die Dialektik, bei der jeder Wahrheit ein Irrtum inhärent ist, auch irgendwo ihre Grenze hat: Sie wird durch das Reale suspendiert. Das Reale wird immer verfehlt und dennoch kehrt es – trotz der Neutralisierungsversuche durch Theoretiker und Empiriker – immer wieder. Das Reale ist ein unmöglicher Kern, der in allen Systemen als identischer fortbesteht. Das Reale widersetzt sich der Interpretation – dem Raum des Symbolischen. Es vermag aber dennoch nur aus der Perspektive des Symbolischen beschrieben zu werden. Somit steht für Žižek die symbolische Ordnung, die durch ihn in ihrem Wandel und den Folgen dieses Wandels analysiert werden soll, mindestens ebenso im Vordergrund seines Denkens. In Kapitel II, 2.2.1 und 2.2.2 wird daher der Symbolbegriff der Zwingenden Theorie in seinem Zusammenhang der beiden anderen Lacan’schen Register – dem Realen und dem Imaginären – bezüglich seines Zeichenaspektes entwickelt. Im Zentrum der Zwingenden Theorie, also der speziell politischen Ausrichtung der psychoanalytischen Theorie, steht das Konzept des 249 Es ergibt sich v.a. aus dem umfangreicheren Textkorpus. 250 Vgl. Sarah Kay: Žižek. A Critical Introduction, Cambridge, Oxford: Polity 2003, S. 3-7.

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„Aktes“ und damit die Frage, wie politische Veränderung möglich sei. Durch den Akt – als Moment absoluter Freiheit – werde die symbolische Ordnung suspendiert, um das Subjekt gleichzeitig auf eine veränderte Art in eine Relation zur symbolischen Ordnung zu setzen. Der Akt vermag die Koordinaten der Position des Subjekts im Symbolischen zu restrukturieren, wodurch sich die Identität des Akteurs verändert.251 Wichtig ist, dass dem Akt zwingend die Wiederholung des Aktes bzw. der zweite Akt, der eine neue symbolische Ordnung durchsetzen muss, folgt. Durch die Widerholung kann überhaupt erst unterschieden werden, ob es sich um einen „Akt“ oder ein bloßes „acting-out“, eine so genannte „passage à l’acte“ handelte. Letztere verbleibt stets in der Knechtposition. In welcher Hinsicht ist die Zwingende Theorie nun als politische Theorie zu sehen? Was die Zwingende Theorie gegenüber den in Kapitel I analysierten Theorien auszeichnet, ist ihr Konzept der politischen Einbildungskraft, das in Kapitel III, 1.4 vorgeführt wird. Der Politikbegriff wird auch von der Zwingenden Theorie nicht positiv bestimmt, sondern zunächst gegen hegemoniale Politiken, die heute zu beobachten sind, abgegrenzt. Dies sind: a) die reinen Identitätskämpfe (z.B. Multikulturalismus und die Auseinandersetzung um bestimmte Lebensstile) b) die reine Politik nach Alain Badiou und – wenn auch nur z.T. – Laclau/Mouffes Diskursanalyse c) der Trotzkismus, der sich am Fetisch der Arbeiterklasse und ihrer „Vorhut“, einer revolutionären Partei, orientiert. d) der „dritte Weg“, der zwar am ehrlichsten sei, aber aufgrund der Bejahung des Status quos nichts an den derzeitigen Rahmenbedingungen ändern kann und will.252 e) eine so genannte Arche Politik: Dabei geht es um die Kritik an Theorien, die gemäß den Theorien der Politik, einen tendenziell organisch strukturierten gesellschaftlichen Körper vorschlagen. f) Para-Politik: Eine Politik, die in eine Polizeilogik übersetzt wird. Der politische Konflikt wird insofern akzeptiert, als dass man ihm mit klar formulierten Regeln entgegenzukommen versucht. g) Marxistische Meta-Politik: Analog zu den reinen Identitätskämpfen wird der Konflikt bekräftigt, aber der eigentliche Konflikt des Kapitalismus wird durch diese Identitätskämpfe verdrängt, verleugnet oder verworfen.

251 Kay übersieht, dass diese Frage nicht erst in der „Tücke des Subjekts“, sondern bereits 1993 ein zentraler Aspekt in Žižeks Buch „Grimassen des Realen“ war. Vgl. GdR, S. 14ff. 252 Vgl. Žižek 2004b, S. 144-146.

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h) Ultra-Politik: Hier wird der Konflikt entpolitisiert, indem er durch eine direkte Freund-Feind-Logik militarisiert wird, und überhaupt kein Platz für den symbolischen Konflikt bleibt.253 Bei jedem dieser acht Punkte handelt es sich auf die eine oder andere Weise um Politikverlust. A), b), c), e), g) machen sich von einem Gefühl, das Politische verloren zu haben, auf die Suche nach dem Politischen. Von hier aus wird deutlich, dass Politikverlust – z.B. als Gefühl, nicht genau bestimmen zu können, was heute unter Politik zu verstehen ist – genau die Bedingung der Möglichkeit von Politik ausmacht. Dieses Verlustgefühl selbst zu verlieren – wie es für die Punkte d), f) und h) symptomatisch ist – meint nichts anderes als Entpolitisierung. Punkt f) begibt sich dabei nicht auf die Suche nach dem Politischen, sondern drängt nach einer anderen Art von Politik im Rahmen der Theorien der Politik. Žižek zeigt, wie Identitätskämpfe ihre politische Forderung auf einen bloß besonderen Inhalt zu reduzieren versuchen und daher Symptome einer Post-Politik zeigen. Innerhalb der Identitätskämpfe geht es v.a. um die Anerkennung der jeweils eigenen Lebensstile.254 Eigentliche Politik hingegen findet in dem Augenblick statt, in dem eine partikulare Forderung nicht einfach Teil der Verhandlung von Interessen ist, sondern auf etwas darüber Hinausreichendes abzielt. So gesehen geht Identitätskämpfen die symbolische Dimension ab, weshalb dieser Aspekt hier exemplarisch erläutert wird. Die partikulare Forderung und das über sie Hinausragende – ihr Gegensatz – müssen in der Lage sein, in einer Art metaphorischen Verdichtung den gesellschaftlichen Rahmen umzustrukturieren. Daher sei es auch nicht subversiv, die eigene Identität ständig neu zu erfinden und neu zu definieren. Dieses permanente Neuerfinden erinnert stark an Hegels Stier, der gegen einen Mantel anrennt und „nichts treffend, getroffen wird.“255 Eine Identitätspolitik der partikularen Lebensstile, in der jede Gruppe etwas gilt und ihren spezifischen (Opfer-)Status besitze, könne keine Allgemeinheit gewährleisten. Laut Žižek beruhe die Trennlinie zwischen Fundamentalismus und multikultureller Identitätspolitik oftmals allein auf einer anders gearteten Perspektive. In beiden Fällen kann die Verteidigung einer Gruppenidentität ausgemacht werden. Gerade wenn man beansprucht, von einem allgemeinen Standpunkt aus zu sprechen, kann man nicht darauf abzielen, es jedem recht zu machen, sondern muss bereit sein, eine Grenze zu ziehen.

253 Für die Punkte e) bis h) vgl. TS, S. 259ff. 254 Vgl. TS, S. 287. 255 JR, S. 221.

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Das Besondere, das erfolgreich die hegemoniale Funktion übernimmt, bleibt ein zeitlich begrenzter und kontingenter Platzhalter, der für immer in seinen eigenen partikularen Inhalt und in die Allgemeinheit, die er repräsentiert, gespalten ist. Nach dem Vorbild derjenigen, die keinen festen Platz im hierarchischen Gesellschaftsgebäude einnehmen (=demos), soll sich mit dem Nicht-Teil des Ganzen, identifiziert werden. Dies ist nach Žižek die elementare Geste der Politisierung. Damit entgeht Žižek einer schmittianischen Verleugnung von Politik durch ein einfaches Freund-Feind-Schema. Die Normativität seiner Theorie besteht in der Identität mit den für jede Schließung konstitutiven Elementen des Ausschlusses.256 Die Texte der Zwingenden Theorie werden u.a. durch ein Misstrauen gegenüber fehlenden Widersprüchen und kultivierten Differenzen angetrieben. Es wird eine Möglichkeit gesucht, die Allgemeinheit zu artikulieren, die über die Tatsache, dass ich bloß jenes besondere Individuum bin, das einer Reihe von speziellen Ungerechtigkeiten ausgesetzt ist, hinausreicht. Oder, um es mit Hegel zu formulieren: Wie kann sich eine Allgemeinheit verwirklichen und „als solche“ setzen? Dazu bedarf es einer metaphorischen Verdichtung, so dass der Protest nicht nur von der spezifischen Frage, sondern von einer allgemeinen Dimension handelt, einer Verallgemeinerung von partikularen Forderungen.257 Die Frage, die sich der politischen Philosophie heute stellt, lautet nach Žižek: Ist die liberale Demokratie der äußerste Horizont politischer Praxis, oder kann die ihr inhärente Einschränkung begriffen werden?258 Es ist diese Leitfrage und grundlegende Irritation, von der sich jene acht o.g. Motive ableiten lassen. Öffnet der blinde Fleck des Liberalismus – sein Gründungsakt – den Raum für Fundamentalismus? Hier tritt besonders der philosophische Aspekt der Zwingenden Theorie hervor, die eine strukturelle Homologie zwischen dem Kantschen Formalismus und der formalen, liberalen Demokratie behauptet. Gerade Kants radikale Leerung als der Ort des höchsten Gutes bringe – liest man ihn mit Lacan – eben jenes exzessive Genießen hervor, das wir heute im Fundamentalismus beobachten können. Jedes Objekt, das diesen leeren Platz attributiv einnimmt, ist pathologisch und damit von empirischer Zufälligkeit. Das heißt, der Befehl – den ich mir gebe oder den ich durch politische Theorie oder ähnliches erhalte –, den Ort der Macht leer bzw. formal zu halten, bringt einen eigenen Exzess der Askese hervor. Diesem Gebot unbedingt Folge zu leisten, kann einerseits selbst wieder als lustvoll, und somit pathologisch, empfunden werden. Andererseits – und das ist für 256 Vgl. TS, S. 250-256. 257 Vgl. TS, S. 280ff. 258 Vgl. Žižek 1994, S. 149.

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die vorliegende Fragestellung zentral – würde ein wirklich leerer Ort der Macht, die Macht und Gewaltstrukturen stärker in die Gesellschaft selbst hereinholen. Wird die künstliche Zentralinstanz leer gehalten, stehen sich die Individuen innerhalb der Gesellschaft in reinen Machtverhältnissen gegenüber. Die Philosophie kann keine Lösungen anbieten, sondern Probleme in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ihre Aufgabe ist es, durch diese andere Sicht den ideologischen Rahmen der bisherigen Wirklichkeitskonstruktion zu verschieben. In der politischen Auseinandersetzung sind Arbeitslosigkeit und Armut schwerwiegende Probleme. Es kommt stets darauf an, wie sie wahrgenommen werden, und wie sie symbolisch übermittelt und strukturiert werden können. Der leere Ort kann lediglich nicht seinsthematisch bestimmt werden, weshalb der Platz nicht wirklich leer ist. Wird er seinsthematisch bestimmt, ist er damit auch pathologisch. Kant verbietet daher den Zugang zum Ding und hebt den Nationalismus auf den Status der transzendentalen Illusion. Die Nation füllt gewissermaßen diesen „leeren“ Platz des Dings aus. Indem Kant den leeren Platz des Dings bestimmt, umschreibt er den Platz des Nationalismus. Der Nationalismus kann als die Illusion gesehen werden, direkten Zugang zum Ding haben zu können.259 Der Versuch, das verlorene Gleichgewicht wiederherzustellen, z.B. die Gesellschaft als harmonischen, organischen Körper zu denken, vermag als ontologisch sekundärer Versuch gewertet zu werden. Der Nation haftet eine gewisse Zweideutigkeit an: Einerseits handelt es sich nur noch um symbolische Bindungen, die die „organischen“ Bindungen von Familie, Stand, Religion etc. auflösen. Andererseits kann die Nation nicht auf rein symbolische Bindungen reduziert werden. Den symbolischen Bindungen haftet ein Überschussgehalt an – ein Überschuss an Realem. Die nationale Identität definiert sich durch die kontingente Materialität von gemeinsamen Wurzeln, also durch die Instanz, die sie vorgab abzuschaffen. Die Nation ist demnach die Form, die das, was nicht aufhört stattzufinden (das Organische), annimmt. Gesucht werden müsste dann das, was nicht aufhört, nicht stattzufinden, ohne dadurch von einem unerreichbaren Ding-an-sich auszugehen. Das war, wie gezeigt, auch schon Derridas Problem. Der gleiche blinde Fleck bedingt die heutigen liberalen Demokratien. Man bekämpft, was man selbst hervorgebracht hat: Der Stierkämpfer bekämpft den Stier und George Soros die Folgen der Kapitalspekulation. Das Problem liegt darin, dass die liberalen Demokratien nicht universalisierbar sind. Sie zeichnen sich durch eine Grenze zwischen ihrem Innen und ihrem Außen aus. Ein dualistisches Prinzip ist strukturell nicht universalisierbar. Die Grenze wird nicht graduell 259 Žižek 1994, S. 152ff.

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konstruiert und lässt auch keine kontinuierlichen Verschiebungen mehr zu. Der Gegensatz zwischen dem offen-pluralistischen und dem korporativ-nationalistischen Gemeinwesen wohnt paradoxerweise gerade der liberalen Demokratie inne. Es geht um die Frage, welche Differenz nicht zu einer Einheit gebracht werden kann. Welche Gegensätze können sozusagen nicht dialektisiert – sondern stattdessen im Symbol als Zwei erhalten – werden? Welche Gegensätze sind somit nicht die beiden Seiten einer Medaille, sondern öffnen den Raum für etwas Drittes? Hier kommen, wie schon angekündigt, die beiden Lesarten des unendlichen Urteils durch Žižek zum Tragen. Verdrängt das unendliche Urteil den Exzess? Oder ist es unendlich eben weil es nicht wirklich zur Identität der Gegensätze kommen kann? Macht es die Unterschiede im Urteil gleich, oder erhält es die Unterschiede in einer symbolischen Einheit, in einem symbolischen Urteil? Und um welche Unterschiede geht es überhaupt? Wenn sich die Theorie der Politik tendenziell auf die Seite des Status quos schlägt, die Theorie des Politischen ihre Standpunktlosigkeit betont, aber eher für eine Bürger- bzw. Zivilgesellschaft schreibt bzw. bemüht ist, die Differenz Staat vs. Zivilgesellschaft zu dekonstruieren, die Systemtheorie das politische System als ein System neben anderen betrachtet, wo steht dann die Zwingende Theorie? Die Zwingende Theorie macht zunächst vier Diskurse, innerhalb derer eine theoretische Verortung möglich wäre, aus und zeigt ihre jeweiligen politischen Verbindungen: 1. Den Diskurs des Herrn: Er bezeichnet den Modus politischer Autorität, der durch das Phantasma getragen wird. Der Diskurs des Herren setzt den Akt durch Autorität. Seine symbolische Struktur entspricht einer Einheit gleicher Elemente. Der Diskurs des Herrn erinnert ein wenig an Hobbes Leviathan, der die Menschen, die im Naturzustand gleich sind, durch Autorität zu einer Einheit bringen will. Die Theorie der Politik ist z.T. gemäß diesem Diskurs des Herrn strukturiert. 2. Den Diskurs der Universität bzw. des Wissens: Er bezeichnet die postpolitische Herrschaft des „Experten“, die an die Stelle des Diskurses des Herren getreten ist, ohne dies allerdings explizit zugeben zu wollen. Er neutralisiert den Akt und verdrängt den Exzess (z.B. Rational Choice Theorien, Theorien der politischen Ökonomie, Ethikkomitees). Der Diskurs des Wissens ähnelt einigen Formen und Aspekten der Theorien des Politischen. 3. Den Diskurs der Hysterie: Er bezeichnet die Logik des Protests und des „Widerstands“. Hier werden Akte bloß vorgetäuscht („passage à l’acte“). Diese Diskursart ähnelt der Theorie der symbolischen Politik und der Theorie des Politischen.

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4. Den Diskurs des Analytikers: Er bezeichnet die emanzipatorische260 Politik. Die Symbolisierungsstrategie besteht darin, den so genannten Herrensignifikanten offen einzusetzen und dadurch unwirksam zu machen. Veränderung wird so durch das „Durchqueren des Phantasmas“ hervorgerufen. Mit dem Durchqueren soll ein neuer Rahmen für das Verstehen eröffnet werden. Der Diskurs des Herrn meint Macht im Sinne von Herrschaft. Auch wenn Žižek selbst die Begriffe Macht, Autorität und Herrschaft nicht explizit definitorisch voneinander abgrenzt, kann Herrschaft hier konventionell mit einer asymmetrischen sozialen Wechselbeziehung aus Befehl und Gehorsam verstanden werden. Es wird entweder versucht, den Ort der Macht dispositiv- bzw. systemübergreifend – also vertikal – zu besetzen, um jeden Überschuss oder Eigensinn einzuebnen. Dieser Ort verleiht der Gesellschaft somit eine Zentralinstanz. Oder aber der Ort wird symbolisch und damit demokratieverträglich besetzt, wenn diese Besetzung Legitimität beanspruchen kann. So symbolisiert die Verfassung als symbolische Institution Herrschaft, kann aber die Gesellschaft nicht als Ganze repräsentieren. Dazu wäre eine gemeinsame Kommunikation über die Verfassung notwendig, die sogleich Herrschaft in den Diskurs des Wissens verschiebt. Hier wird also die theoretische Entsprechung des Diskurses des Analytikers gesucht. Im heute vorherrschenden Diskurs der Universität/Wissenschaft können laut Žižek zwei gegensätzliche ideologische Elemente beobachtet werden: a) Eine Reduktion der Menschen auf das nackte Leben, reguliert durch Verwaltungswissen und b) übertriebene Achtung für die Verletzlichkeit des anderen, der sich ständigen Belästigungen ausgesetzt sieht.261 Sind nun aber a) und b) die zwei Seiten einer Grundhaltung? Was haben sie gemein? Sie teilen die Auffassung, dass das Ziel unseres Lebens das Leben selbst sei: Wer lebt, ist schon am Ziel. Insofern konstatiert Žižek eine Internalisierung von Gegensätzen, die in seinem Lieblingsbeispiel des Schokoladelaxativs kulminiert262, das sich an den Konsumenten mit Verstopfung wendet, der somit die verursachende Substanz als Gegenmittel konsumieren solle. Ein politisch relevanteres Beispiel stellt das scheinbare Paradox, dass Rüstungs-

260 Lat. emancipatio meint die Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit. Emancipare = einen erwachsenen Sohn aus der väterlichen Gewalt in die Selbständigkeit entlassen. 261 Vgl. Žižek 2004, S. 226f. 262 Vgl. zum Schokoladelaxativ z.B. Žižek 2004, S. 227.

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industrie und Medizin die beiden profitintensivsten Branchen unserer Zeit sind, dar.263 Die zeitgenössische Macht gründet auf Fachwissen, nicht auf symbolischer Autorität. Wird die Kluft der zwei gegensätzlichen Elemente a) und b) nicht aufrechterhalten, resultiert daraus die totale Bürokratie. Der hegemoniale Diskurs besitzt also zwei Existenzformen: Zum einen den Kapitalismus mit seiner Logik des integrierten Überschusses, der sich durch ständiges Revolutionieren, ständige Innovationen und Irritationen reproduziert, und zum anderen die völlige Bürokratie, die Herrschaft der Technik. Žižeks – in Anlehnung an Marx aufgestellte – These lautet, dass die periodischen Überschreitungen und Exzesse der gesellschaftlichen Ordnung immanent sind. Das, was eine Gesellschaft wirklich zusammenhält, ist weniger die Identifikation mit dem Gesetz, sondern die Identifikation mit der Form der Überschreitung des Gesetzes, also mit dem gemeinsamen Genießen.264 Das würde erklären, weshalb die Unterhaltungsindustrie nicht nur wesentliche ökonomische Felder besetzt, sondern vor allem einen ideologischen Faktor allgemein antagonistisch bedingter Machtverhältnisse ausmacht. Verzicht auf weltliche Güter und Askese predigende Revolutionäre jeglicher Couleur haben diesen Aspekt bis heute erkannt. Echte Solidarität kann demgegenüber aber nur dann entstehen, wenn man mit dem Anderen dessen „peinliche Idiosynkrasie des obszönen Genießens“265 austauscht. Appelle wie: „Du kannst alles erreichen, wenn Du nur willst!“ binden daher immer nur diejenigen, die es sozusagen bereits geschafft haben. Für sie ist der Imperativ eine Bestätigung ihres eigenen Genießens – des asketischen Arbeitstriebes – was tatsächlich für diese Gruppe Integrationskraft besitzen könnte. Nur: Wollte man z.B. mit der „Du bist Deutschland-Kampagne“ nicht etwas anderes erreichen? Sahen die Macher dieser Kampagne wirklich nur sich selbst als Zielgruppe? Handelte es sich tatsächlich um eine Kampagne zur Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens? Die Dialektik aus Innovation und Irritation kann jedenfalls nur durch eine regelrechte Verstörung durchbrochen werden. Agiert und verortet sich die Zwingende Theorie nun im Sinne des Diskurses des Analytikers? Die „Kluft offen zu halten“ kann nicht bloß heißen, darüber zu wachen, dass es Differenzen gibt. Es muss heißen, einen Quasi-Standpunkt einzunehmen, der die Kluft überhaupt erst sichtbar oder spürbar macht. Somit meint die „Kluft offen zu halten“ etwas anderes, als den Ort der Macht „leer“ zu lassen. Die Zwingende Theorie richtet sich in 263 Zerstörung und Tötung des Lebens auf der einen Seite und Verlängerung und Heilung des Lebens auf der anderen Seite. Vgl. KO, S. 272. 264 Vgl. Žižek 2002, S. 207f. 265 RV, S. 57.

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diesem Punkt gegen die Theorien des Politischen und somit auch gegen poststrukturalistische Theorien. Einen solchen Quasi-Standpunkt einzunehmen, kann nach der transzendentalphilosophischen Wende nur heißen, einen Standpunkt zu „erraten“, und sich von dem daraus folgenden Unbehagen verstören zu lassen. Nur nachträglich kann man sehen, ob bei der Wahl zwischen „schlecht“ und „schlechter“ (sozusagen Sündenfall vs. das radikal Böse) die bessere Alternative gewählt wurde. Wenn durch den Rateakt – mit Peirce könnte man auch von einer Abduktion sprechen – eine Repräsentation zweier differierender Elemente möglich wird, wäre der Rateakt erfolgreich vollzogen. Es gibt allerdings keinerlei Kriterien, die das von vornherein garantieren könnten. Es kann keine Handlungsanweisungen geben. In Kapitel III, 1.4. wird dieses harmlos anmutende Peirce’sche Rate- bzw. Abduktionsverfahren durch die Zwingende Theorie verändert. Žižek meint in Auseinandersetzung mit Kants Kritik der reinen Vernunft, dass das Subjekt nie wissen könne, was dieses „Ich“ ist, das denkt: Ist es ebendieses Ich, oder ein er oder es? Jenseits der symbolischen Ordnung ist das „Ich“ nichts außer der, von jedem positiven Inhalt befreite, leere Ort des „Ich denke“. Mit Peirce hieße das, die reine Selbstreferenz des Bewusstseinssystems wäre dann unbewusste, ungebundene Reflexion, während der Fremdbezug das Bewusstsein überhaupt erst zu generieren vermag. Das Subjekt ist immer durch eine Lücke zwischen dem „Ich“ im Realen und dem symbolischen Mandat gespalten. Unter ontologischer Tatsache ist die Lücke bzw. der Abgrund zu verstehen, durch den ich mir selbst das unerreichbare, undurchsichtige „Ich“ bin. Jede symbolische Identität ist somit nichts als ein Überschuss, ein Nebenprodukt, dessen Funktion darin besteht, die Lücke zu schließen. Die symbolische Ordnung, das Symbol und das Subjekt sind innerhalb der Zwingenden Theorie miteinander verschränkt und bedingen sich gegenseitig. Im nächsten Kapitel soll dennoch versucht werden, diese Begriffe analytisch zu trennen.

2.2 Symbolbegriff aus psychoanalytischer Perspektive Für die Bestimmung der psychoanalytischen Kategorie des Symbolischen sind zwei weitere Ebenen konstitutiv: das Imaginäre und das Reale. Die imaginäre Ordnung fixiert uns gegenüber dem Anderen, während der Eintritt in die symbolische Ordnung – und damit die Vermittlung – einen Raum eröffnet, der diese Spannung beweglich hält. Mit der Psychoanalyse wird nicht angenommen, dass sich hinter den Symbolen etwas Echtes oder Authentisches verbirgt. Dagegen soll den immanent in der Struktur der Symbole gegebenen illusorischen oder phantasmatischen Elementen nachgegangen werden. Es ist demnach nicht so, dass 189

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hinter den öffentlich vertretenen Werten – z.B. Menschenwürde, Demokratie und Freiheit – die Wahrheit verborgen liegt, sondern in den Aussagen selbst gibt es stets etwas, das irgendwie nicht aufgeht: Hinter dem Schleier befindet sich wieder nur ein anderer Schleier. Es gibt somit sowohl Symbole der imaginären Ordnung als auch Symbole der symbolischen Ordnung. Im Folgenden wird daher zunächst nach dem kategorialen oder phänomenalen Bereich – dem Symbolischen, das untrennbar mit dem Imaginären und Realen verbunden ist – gefragt, und anschließend nach dem Symbol als Zeichen. Es soll herausgefunden werden, ob die Verflechtung der Kategorien – die psychoanalytische Theorie nennt es die Register – mit den Zeichen ähnlich gedacht werden kann wie innerhalb der Zeichentheorie von Peirce. Bringt der Vergleich neue Aspekte hervor? Wie wird in der psychoanalytischen Theorie zwischen Zeichen Signifikant, Signifikat und Symbol unterschieden (Vgl. Kapitel II, 2.2.2)? In Kapitel II, 2.4 wird ein Subjektbegriff entwickelt, von dem aus zu allererst deutlich werden wird, wie Symbolerkennen zu denken ist, und wie Symbole bzw. die symbolische Ordnung das Subjekt konstituieren.

2.2.1 Das Symbolische, das Imaginäre und das Reale als Seinsbeschreibungen Ähnlich wie in der Diskurstheorie von Laclau/Mouffe – und in direkter Auseinandersetzung mit ihr – wird das Soziale, gerade weil es nicht symbolisierbar ist, in der psychoanalytischen Theorie zu symbolisieren versucht.266 Im Zentrum des Sozialen gibt es etwas, das nicht symbolisiert werden kann. Dabei entspricht das Reale – wie oben bereits angedeutet – nicht dem Kantschen unerkennbaren Ding-an-sich. Ein Sprechakt – beispielsweise: „die Sitzung ist hiermit geschlossen“ – muss etwas in der symbolischen Ordnung enthalten, das diese Aussage stützt; es muss einen gewissen Glauben an die Autorität der Aussage geben. Dieser Glaube bezieht sich nicht auf die expliziten symbolischen Regeln, die unser soziales Miteinander regulieren, sondern auf das komplexe Netz ungeschriebener impliziter Regeln, das unser Reden und Handeln bestimmt. Wovon hängt nun dieser Glaube an die impliziten Regeln ab, und wodurch wird er hervorgerufen? Die psychoanalytische Theorie beschreibt diese Art des Glaubens mit der Figur des großen Anderen. Dieser oder dieses Andere macht die Gesamtheit der äußeren und inneren Elemente einer Handlung aus, wobei die Subjekte nicht erkennen können, ob dieses Andere selbst in sich abgeschlossen bzw. konsistent ist. 266 Vgl. Žižek 1990, S. 249.

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Das heißt, sie können nicht erkennen, ob es wiederum einen Anderen des Anderen gibt. Die symbolische Ordnung ist der große Andere und mit dem Genießen – dem Realen par excellence – inkompatibel.267 Die Instanz des großen Anderen kann zunächst in Form zweier sich gegenseitig ausschließender Modi präsentiert werden: Zum einen – analog zu Hegels ‚List der Vernunft‘, der ‚unsichtbaren Hand‘ von Adam Smith, der objektiven Logik der Geschichte, diversen Weltverschwörungstheorien etc. – als verborgene Instanz, die die Fäden hinter den Erscheinungen zieht. Das wäre die moderne Funktionsweise des großen Anderen. Der symbolische Überschuss (des Resultates über die Intention) wird in einem Meta-Subjekt verkörpert (Gott, Vernunft, der Kapitalist, der Jesuitenorden, die Freimaurer etc., etc.). Zum anderen ist der große Andere das Gegenteil, nämlich die Instanz des reinen Scheins, den es zu erhalten gilt, wenn es überhaupt eine Ordnung geben soll (vgl. Kapitel III, 1.2.). Dadurch, dass die Zwingende Theorie wie auch die Zeichentheorie von Peirce dreiwertig strukturiert ist, ergeben sich für alle Zentralbegriffe zweideutige Interpretationen.268 Diesen beiden modernen Varianten gegenüber betont aber die postmoderne Thematisierung des großen Anderen – und damit des Symbolbegriffes – die Inkonsistenz ohne den Anderen (vgl. Kapitel III, 1.3.). Salecl beschreibt sehr genau, dass das Subjekt die intersubjektiven Wirkungen dessen, was es sagt, nicht kontrollieren kann. Dem Subjekt werden Bedeutung und Sinn seines eigenen Sprechens erst retroaktiv bewusst. Für den Diskurs lässt sich ein empirischer Hörer von einer Gestalt, die im Diskurs selbst gebildet wurde, unterscheiden. Der Befehl: „Mach die Tür zu!“ bildet einen diskursiven Raum, in dem der Empfänger in eine bestimmte Position gestellt wird. Doch von dem empirischen Hörer hängt ab, ob er sich in dieser Position erkennt und dem Befehl gehorcht oder nicht. Der Befehl besteht nur in diesem Diskursuniversum und betrifft den Empfänger, der im Diskurs selbst gebildet wurde, nicht den empirischen Hörer. So ist auch das Verhältnis zwischen Interpretant (als Empfänger) und Interpret (als empirischer Hörer) zu verstehen. Der Ort des Empfängers wird im Diskurs – also performativ – gebildet, und von diesem Ort hängt es ab, ob sich der Empfänger an dem Ort wieder erkennt. Der Diskurs richtet sich nicht an das gegebene Individuum.269 Ähnliches wurde oben bereits hinsichtlich der Leitkulturdebatte herausgearbeitet. Wie schon bei Laclau/Mouffe lautet die entscheidende Frage, 267 Vgl. Žižek GDR, S. 33. 268 Vgl. zum Verhältnis der psychoanalytischen Theorie Lacans zur Zeichentheorie von Saussure: T. Lipowatz: Politik der Psyche, v.a. S. 26-30 und zur Zweideutigkeit der Moderne und Postmoderne ebd., S. 190-202. 269 Vgl. R. Salecl: Die Gesellschaft, S. 28f.

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wie sich das Subjekt als Empfänger eines politischen Diskurses erkennt und mit einer bestimmten politischen Position identifiziert. Die symbolische Ordnung reguliert als ein unbewusster und letztlich auch unsinniger Mechanismus die Position der Subjekte und ihre Selbsterfahrung. Sie erinnert somit stark an den drittheitlichen Aspekt der Kategorientheorie von Peirce: die symbolische Ordnung ist an sich unsinnig, stellt aber die Bedingung der Möglichkeit von Sinn dar. Der große Andere wird zwar mit der symbolischen Ordnung assoziiert, die Zwingende Theorie erkennt aber im großen Anderen auch das Unmenschliche des Realen. Der große Andere ist unmenschlich, da es nicht wiederum einen Anderen des Anderen geben kann. Der Andere ist zwar inkompatibel mit dem Realen, dadurch, dass es aber keinen Anderen des Anderen geben kann, befindet sich gerade in ihm das Reale. Der finale logische Interpretant kann in diesem Sinne gelesen werden. Nur in einer imaginären, von Illusionen getragenen Beziehung wird der Andere als in sich abgeschlossen und konsistent betrachtet. Diese imaginäre Beziehung nennt die Psychoanalyse im Unterschied zum großen Anderen „klein anderes.“ Der symbolische Andere ist ein Ort, der imaginäre Andere erscheint als Bild, Maske oder Vorstellung. Obwohl sie immer zusammen auftreten, wäre es allerdings falsch, den ersten positiv, den zweiten negativ, d.h. moralisch, zu bewerten. Wir sahen mit Luhmann, dass das Paradox die Form des re-entry hat, die Auflösung bzw. Entfaltung des Paradoxes aber einen imaginären Raum erfordert, und dieser imaginäre Raum an die Stelle des klassischen a priori der Transzendentalphilosophie tritt.270 In diesem Sinne ist das psychoanalytische Imaginäre nicht zu verstehen. Die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung – das so genannte a priori – vollzieht sich in der Zwingenden Theorie nicht nur in einem imaginären Raum. Luhmanns Imaginäres meint, dass die Einheit der Zwei-Seiten-Form imaginär ist, und daher nicht im Vollzug ihres Einsatzes überschaut und unterschieden werden kann. Das Imaginäre ist hier der Ort, von dem aus ich mich überschauen könnte. Der Übergang von selbst- in fremdreferentiell operierende Systeme entspricht dem Übergang vom imaginären in den symbolischen Bereich. Wie Schulte erläutert hat, wird im Imaginären die Zerrissenheit des Ichs in zwei „Selbste“ – ein Sehendes und ein Gesehenes – imaginär überwunden.271 In der psychoanalytischen Theorie wird diese Spiegelbewegung des Selbstbewusstseins zwar auch als imaginäres Subjekt beschrieben, sie dient aber nicht als Ersatz für das klassische transzendentalphilosophische a priori. An diese Stelle tritt in der Zwingenden Theo-

270 Vgl. N. Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 716. 271 Vgl. G. Schulte: Der blinde Fleck, S. 148.

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rie das Subjekt des reinen Denkens als – wie wir unten noch sehen werden – eine Art quasi-transzendentales Subjekt des Mangels. Es ist diese symbolische Differenz des Subjekts des Mangels, die der Diskurs des Wissens liquidiert. Einfaches Protestieren gegen den Status quo ist eine imaginär dominierte Haltung der Reaktion, die in der Faszination des Anderen verharrt: Sie braucht den Anderen für ihre eigene Identität. Es wird dabei lediglich um des Zweifels willen gezweifelt. Diese im Diskurs der Hysterie anzusiedelnde Haltung ruft nach einer höheren Kritik. Die Machteffekte verharren hier im Imaginären und kennen keine Begrenzung. Macht kann nur durch ein symbolisches Medium begrenzt, wenn auch nicht vermieden werden.272 Lipowatz hat gezeigt, dass Macht als Diskurseffekt wirksam ist. Macht ist eine Wirkung der unbewussten sozialen Bedingungen und Verhältnisse. Die Thematisierung des nicht substanziell verstandenen Unbewussten macht die psychoanalytische Theorie für politische Theorie interessant.273 Je nach Diskursform – Diskurs des Wissens, der Hysterie, des Herrn, des Analytikers – nimmt Macht selbst unterschiedliche Formen an. Herrschaft ist primär im Diskurs des Herrn verankert, wobei die Macht des Herrn wiederum nicht mit der Macht des Wissens identisch ist.274 Der Diskurs des Wissens erzeugt sein Gegenteil stets mit. Die Ressource von Wissen kann immer nur Nicht-Wissen sein. Von hier aus wird deutlich, dass die Theorie der symbolischen Politik nicht – wie eingangs angenommen – die Kehrseite der Theorie der Politik ausmacht, sondern als umgestülpte Theorie des Politischen fungiert. Es ist die Theorie der symbolischen Politik, die stets darauf pocht, dass es noch ein anderes Wissen, ein wahreres Wissen gibt. Symbolische Differenz – als die Kluft im Anderen – ist die Differenz als abwesende, partielle Differenz im Unterschied zu den Differenzen. Die symbolische Differenz ist eine Art Sublimierungsinstrument, sie ist notwendige Bedingung, um z.B. mit Willkür fertig zu werden. Fixierte Lösungen würden dazu führen, dass die Differenz in eine Identität, Eigenschaft oder Einheit umkippen und darin erstarren würde. Zupanþiþ hat herausgearbeitet, dass es in der Beziehung des Subjekts zum Anderen etwas gibt, das weder dem Subjekt noch dem Anderen zugerechnet 272 Vgl. T. Lipowatz: Die Verleugnung des Politischen. Die Ethik des Symbolischen bei Jacques Lacan, Weinheim, Berlin: Quadriga 986, S. 6. 273 Vgl. zu einem nicht-substantialistischen Konzept des Unbewussten Thomas Khurana: Die Dispersion des Unbewußten: drei Studien zu einem nicht-substantialistischen Unbewußten: Freud – Lacan – Luhmann, Gießen: Psychosozial-Verl. 2002. 274 Vgl. T. Lipowatz: Die Verleugnung des Politischen, S. 7ff.

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werden kann.275 Es muss erkannt werden, dass der große Andere nicht existiert, dass er inkonsistent ist, dass ihm selbst etwas fehlt und er keine Einheit bildet. Dies eben ist der inhumane Aspekt des Anderen. Dennoch ist der Umweg über den imaginären Bereich zwingend. Der große Andere ist eine vom Subjekt gesetzte Voraussetzung. Das Subjekt unterstellt einen anderen Ort, der seinen Erfahrungen einen Zusammenhang und Sinn verleiht. Die größte Illusion besteht im Vertrauen in diesen Zusammenhang – vielleicht kann das Kontinuum von Peirce so gelesen werden – des großen Anderen. Und dennoch handelt es sich um eine notwendige Illusion, ohne die Intersubjektivität oder Gemeinschaft nicht gelingen könnte. Das Subjekt muss nicht – wie in der Vulgärpsychoanalyse – seinen eigenen Mangel annehmen oder aushalten, sondern den Mangel des Anderen.276 Der Andere besitzt nicht das, was dem Subjekt fehlt. Von hier aus können wir sehen, dass das Verhältnis des großen Anderen zum Subjekt ein Verhältnis symbolischer Autorität ist. Im Unterschied zu diesem Verhältnis ist das (Voraus-)Setzen, als Akt, der dem Anderen Existenz verleiht, eine elementare Geste der Ideologie, in der sich das Subjekt als unbewusstes Werkzeug des Anderen betrachtet. Der große Andere ist zugleich der Platz des unterstellten symbolischen Wissens und das Korrelat des cogito.277 Dieser Bezug auf den Anderen, dem unterstellt wird zu wissen, was richtig oder falsch ist, ist imaginär. Žižeks These lautet nun, dass die symbolische Funktion des Anderen abnimmt. An die Stelle des symbolischen Wissens ist das Expertenwissen getreten. Zwar gibt es mehr Regeln als je zuvor, doch sie werden nicht durch den symbolischen Anderen gestützt. Wo ist Macht zu finden und wie verändert sich ihre Wirkung, wenn symbolische Autorität nicht mehr funktioniert? Hier hilft es, noch einmal die Unterscheidung zwischen den Objekten a (Objekt klein a) und A (Objekt groß A) genauer zu entfalten: Die Objekte a sind das Andere auf dem imaginären Bereich. Sie verhalten sich zum Subjekt in einer Ähnlichkeitsbeziehung oder Rivalität.278 Das Objekt a besetzt – obwohl es imaginär ist – den Ort des Realen. Es handelt sich daher um ein rein selbstbezügliches Verhältnis. Klein a steht für ein unmögliches Objekt, das niemals ein positives Objekt werden kann. Objekt a erscheint als ein Objekt einer Ursache: Das Begehren hat eine Ursache genau insoweit, als das Genießen ein Objekt ist. Žižek 275 276 277 278

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Vgl. A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 45. Vgl. Žižek GDR, S. 58f. Vgl. Žižek GDR, S. 165. Vgl. zum Unterschied des Objekts klein a des imaginären Bereiches und des großen Anderen im symbolischen Register N. Ort: Objektkonstitution, S. 78.

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formuliert das folgendermaßen: Im Genießen sprechen und schauen uns die Dinge an.279 Das groß Andere ist dagegen das Unbewusste, Verdrängte, das ganz Andere. Das Unbewusste reguliert und ermöglicht die Signifikantenkette. Das Subjekt weiß nicht, von wo aus es begehrt. Der oder das groß Andere hat also eine Platzhalterfunktion. Es dient als rein topologische Markierung und verfügt dennoch irgendwie über Autorität. Die Elemente des Freudschen Psychismus (Ich, Es und Über-Ich) werden in der psychoanalytischen Theorie Lacans durch die Elemente moi, je und Autre ersetzt. Sie können wie die Zeichenelemente von Peirce nicht als voneinander abgrenzbare Elemente beschrieben werden. Eine Einzeldefinition der Elemente ist nur analytisch möglich, da sich erst in den unterschiedlichen Beziehungen zueinander Effekte dieser Kombinationen beschreiben lassen.280 Hier zeigt sich erneut die große Ähnlichkeit der beiden Theoriedesigns. Durch diese Abhängigkeit kann der große Andere auch nicht direkt und unmittelbar Macht über Subjekte ausüben, sondern ist immer auch durch das Genießen der Subjekte bedingt. Er verfügt somit nicht wirklich über symbolische Autorität, ebenso wie Drittheit nicht ohne Verkörperungen in der Zweitheit existieren kann. Das Spiegel-Ich gehört dem imaginären Bereich an, das groß Andere konstituiert dagegen eine irreduzible Andersheit. Am Ort des groß Anderen verbinden sich die Anerkennung des Begehrens und das Begehren nach Anerkennung.281 Laut Honneth vollzieht sich im anerkennenden Subjekt eine Dezentrierung, weil es einem anderen Subjekt einen Wert einräumt, der die Quelle von legitimen Ansprüchen ist, die der eigenen Selbstliebe Abbruch tun.282 Allerdings fragt Honneth nicht, warum ein Subjekt einem anderen einen Wert einräumen sollte. Mit der psychoanalytischen Konstruktion der Objekte klein a und groß A kann hingegen erläutert werden, dass im anderen ein Wert vermutet wird, gerade weil dem Subjekt selbst etwas fehlt. Das Begehren erhält seinen Sinn nur im Begehren des kleinen oder großen Anderen. Nur im Hinblick auf den großen Anderen kann es als dezentriert beschrieben werden. Es ist somit immer das Begehren des Anderen, um das es der psychoanalytischen Theorie geht. Auf der imaginären Ebene – das Begehren des klein anderen – ist das Objekt des Begehrens der narzisstische Wunsch oder Anspruch, vom

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Vgl. HmL, S. 60. Vgl. N. Ort: Objektkonstitution, S. 21. Vgl. Lacan Sch II, S. 50. Vgl. Axel Honneth: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 22.

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anderen anerkannt zu werden. Der imaginäre Andere wird „anerkannt, aber nicht gekannt“.283 Indem ich jemanden anerkenne, wird ihm eine moralische Autorität über mich eingeräumt. Der Kampf um Anerkennung zeigt das Scheitern der Versuche an, Intersubjektivität oder offene Kommunikation zu konstituieren. Der immer wieder zu beobachtende Kollaps sozialer Gefüge ist keine Folge von irrationalen instinktgesteuerten Kräften des Menschen, sondern basiert darauf, dass sich Menschen im anderen repräsentieren, vom anderen abhängig sind und anerkannt werden wollen.284 Anerkennung ist – wie im Kapitel zum Subjektbegriff zu zeigen sein wird – zwar notwendig zur Bildung des Selbstbewusstseins, ist aber gleichzeitig ein unabschließbarer Prozess, der nicht als Grundlage zur Entstehung einer politischen Gemeinschaft dienen kann. Symbolisch wird der Kampf um Anerkennung dann, wenn ein drittes Moment, jenseits der dualen Spiegelsituation, ins Spiel kommt. Aus der Sicht der Zeichentheorie ist Anerkennung ein strikt dyadisches Verhältnis, d.h., es handelt sich um eine Beziehung innerhalb derer jeder nur das ist, was er ohne den anderen nicht wäre. Die Identität kommt hier durch eine negative Differenzrelation zustande, wobei wir ebenfalls bei Peirce gesehen haben, dass zweitheitliche Elemente nicht zwingend in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen müssen: Es kann sich sowohl um ein transitives als auch um ein intransitives Existieren handeln.285 Nach Žižek ist das Reale die abwesende Ursache, welche die Kausalität des symbolischen Gesetzes verwirrt.286 Die Ursache widersteht der Symbolisierung und ist zugleich das nachträgliche Produkt ihrer eigenen Effekte. Die Symbolisierungsmaschinerie gerät durch das Reale aus dem Takt. Die Symbolisierung ist keine Vergegenwärtigung, sondern ein Verlust, die Integration des Mangels. Darauf wird gerade für die Frage nach einem etwaigen Politikverlust später noch einzugehen sein. Das Reale vermag als amorphe Entität, die ihre Konsistenz erst im Rückblick erhält, aufgefasst zu werden. Es ist ein nichtdialektisierbarer Überrest. Sobald der retrospektive Charakter, z.B. eines Traumas, geleugnet und zu einer positiven Entität „substantialisiert“ wird, die als Ursache isoliert werden kann, welche ihren symbolischen Effekten vor-

283 Lacan 1997 (= Sem III), S. 48. Vgl. auch Lacan 1991 (= Sch I), S. 10. 284 Vgl. zum Begriff der Anerkennung I. Parker: Slavoj Žižek, S. 40f. 285 Hier sei auf die Etymologie von existieren, wie sie Scheibmayr herausgearbeitet hat, hingewiesen: In transitiver Bedeutung meint lat. sistere „stellen, hinstellen“ in intransitiver „sich hinstellen, bestehen“; mit dem Präfix „ex“ also „sich aus anderem herausstellen“. Vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 174, Anm. 51. 286 Vgl. Žižek HmL, S. 56.

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ausgeht, fallen wir zurück in einen linearen Determinismus. Das Reale ist der Riss, der das Partikulare vom Universellen trennt, und der die vollständige Universalisierung verhindert. Gleichzeitig kann das Reale nur dadurch erfahren werden, dass seine Integration bzw. Symbolisierung stets aufs Neue versucht wird. Der Status des Realen ist strikt nicht-substantiell – der Status ist ein Überschuss eines gescheiterten Symbolisierungsversuches.287 Möchte die Zwingende Theorie an dieser Stelle nicht selbst dem unendlichen Aufschub poststrukturalistischer Theorien verfallen, wäre es möglicherweise günstiger, wenn sie ihre Definition des „echten“ unendlichen Urteils mit Peirces ultimativen Interpretanten erläutern würde. Dazu unten mehr. Nach Žižek ist das Reale somit das Hindernis, aufgrund dessen jeglicher Grund immer schon verschoben und unerreichbar ist. Es ist ferner das, was unseren Zugang zur Realität verfälscht, durch das jede Symbolisierung ihren Gegenstand verfehlt. Das Reale ist hingegen nicht das, was die Lücken in der symbolischen Ordnung verursacht/bewirkt, sondern es ist die Wirkung dieser Lücken und Widersprüche. Somit ist es auch nicht das Reale, das zur Symbolisierung drängt, sondern vielmehr verhindert eben das Reale, dass die Symbolisierung das Symbolisierte abzubilden vermag.288 Das Reale kann somit nicht das Ding-an-sich sein, sondern es verursacht die perspektivische Verzerrung dessen, was wir Wahrheit nennen. Aus der Perspektive der Zeichentheorie könnte das Reale als das antagonistische Verhältnis zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekt gesehen werden. Weil es hier eine Lücke gibt, wird als Wirkung dieser Lücke in jedem Symbolisierungsprozess etwas zuviel oder zuwenig sein, was diesen Symbolisierungsprozess entweder stets weiter antreibt und bewegt bzw. durch Macht oder symbolische Autorität fixiert. Das Reale wäre ein Antagonismus im Hegel’schen Sinne. Daher kann das Reale nicht die Erstheit sein, denn obwohl sie nicht indifferent, sondern schlicht nicht differenzierbar ist, stellt Erstheit auch keinen Antagonismus dar. Die psychoanalytische Theorie betrachtet die Register des Realen, Imaginären und Symbolischen immer schon aus einer Perspektive der Signifikantenverkettung und nicht – wie Peirce seine Kategorien – für sich. Das Reale als vorausgesetzter Ausgangspunkt, als positve Fülle ohne Mangel, kann nicht benannt werden kann. Es kommt also immer darauf an, von wo aus man das Reale – das ja nicht beobachtbar ist – thematisiert. So verstanden würde es als Erstheit der Drittheit erscheinen. Realität ist bei Peirce erkennbar, aber nicht als Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses, sondern als idealer Endpunkt. Dieses Verständnis 287 Vgl. Žižek NW, S. 158ff und HmL, S. 57. 288 Vgl. PZ, S. 73-78.

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von Realität hat nichts mit dem psychoanalytischen Realen zu tun. Das Reale der Zwingenden Theorie ist das, was ein Abschließen eines Zeichenprozesses immer wieder verhindert. Peirce hat gerade das Szenario vor Augen, das als Horizont so einen Abschluss gewährleisten würde. Er interessiert sich daher umgekehrt für die Realen Eigenschaften der Realität, „die ein mit ausreichender Information ausgestatteter Forscher anzuerkennen gezwungen sein wird, im Gegensatz zu etwas Fiktivem, das so ist, wie man sich entscheidet, es sich vorzustellen.“289 Bevor diese so genannte „Selbstrepräsentation“ – der ultimativ finale Interpretant für den es keinen Interpretant mehr bedürfte – allerdings gegeben ist, kann das Reale der Realität durchaus als das zwingende Moment in beiden Theorien gesehen werden: Noch verhindert das Reale der Realität ein Abschließen des Zeichenprozesses. Menschen müssen sich in ein Verhältnis zu einer symbolischen Ordnung setzen, um ein Identitätsbewusstsein zu entwickeln. Da es aber immer Erfahrungen gibt, die sich der symbolischen Ordnung widersetzen bzw. nicht in diese Ordnung integriert werden können, existiert in einem symbolischen Verhältnis immer ein nicht aufgehenden Rest bzw. ein Überschuss. Wenn ein Rest existiert, müsste er zweitheitlich verfasst sein. Dann wäre der Rest die durch das dynamische Objekt ausgelöste Irritation, die sich auf der Zeicheninnenseite das Repräsentamen zum unmittelbaren Objekt nimmt. Im Imaginären existiert noch keine Identität, sondern eine Ununterscheidbarkeit von Welt und Subjekt, die erst mit dem Eintritt in das so genannte „Spiegelstadium“ endet. Beim Imaginären handelt es sich nicht um die differenzlose eindeutige Sphäre, sondern um einen Bereich der Indifferenz. Das Imaginäre reflektiert die Illusion von Gleichheit und steht fast immer in einer dyadischen Beziehung, in der jemand vom anderen bestätigt oder idealisiert werden möchte. Es besteht eine Art ikonische Repräsentation des anderen.290 Um Differenz zu erhalten, muss aber Opposition – dies wird nur von Sprache gewährleistet – symbolisiert werden. Das Spiegelstadium bleibt also auf der imaginären Ebene. Aus der Perspektive der Zeichentheorie ist dies eine Form der Symbolisierung, deren Ikonaspekt überwiegt. Es handelt sich dabei um einen Symbolisierungsprozess, dessen nicht sprachliche Anteile überwiegen. Wir sehen nun also, dass das Reale doch nicht die Erstheit der Drittheit ausmachen kann. Identität, und damit das Subjekt, bildet sich erst im „Symbolischen“ durch das „Gesetz des Vaters“, das die dyadische Beziehung oder gar Symbiose zwischen Mutter und Kind stört. Im Imaginären wird die dyadische Beziehung 289 SS Bd. 3, S. 94. 290 Vgl. J. P. Muller: Beyond the Psychoanalytic, S. 120.

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nicht gestört, sondern ihre Pole werden vereinheitlicht bzw. einander gleich gemacht. Das „Symbolische“ im Sinne Lacans ist eine Ordnung von Zeichen, in der das Begehren nach den zugrunde liegenden Bedeutungen nie befriedigt werden kann, da die Signifikate verfehlt werden. Žižek erklärt, dass „[...] das Feld des Symbolischen definitionsgemäß rund um ein ‚missing link‘ strukturiert ist.“291 Mit Peirce könnten wir diese Aussage dahingehend deuten, dass es ein „missing link“ zwischen finalem und ultimativ finalem Interpretanten gibt. In Kapitel III, 1.1. wird zu zeigen sein, dass das Subjekt selbst dieses so verstandene „missing link“ ist. Der Exzess, das psychoanalytische Genießen, als das interesselose Moment eines Zeichenprozesses, das auch gegen den eigenen Selbsterhaltungstrieb vorgehen würde, fehlt hingen in Peirces Zeichentheorie. Der Exzess ähnelt dem Todestrieb, da er gegenüber dem Tod oder der Selbsterhaltung indifferent ist: „‚Lieber das Nichts wollen als...‘ kann ein dunkles Begehren der Katastrophe sein, aber ebenso die Grundlage jeder Ethik des Begehrens, soweit dieser Wille als Motor der Verwandlung des Unmöglichen ins Mögliche dient. In diesem Falle strebt das Begehren nicht das Nichts an, sondern das Nichts ist vielmehr seine innere Bedingung – das Begehren impliziert, daß es ein ‚Nichts‘ gibt, um dessentwillen man bereit ist, alles in Frage zu stellen –, eine Bedingung, die allererst den Spielraum für die klassische Ethik eröffnet, d.h. den Spielraum, der die Maxime ermöglicht: ‚Lieber den Tod als...(den Verrat an dieser oder jener Sache).‘ Heute können wir genau dies beobachten: wie sich dieser Spielraum schließt, ein Abschluß mit dem Ergebnis eines quasi universellen ‚es lohnt die Mühe nicht‘.“292

Jedes Wahrnehmen ist schon interessegeleitet – daher ist das Genießen bzw. der Exzess oder der Überschuss nur als unbewusster Vorgang denkbar. Der Eintritt in die symbolische Ordnung kann nicht wirklich gewollt werden, sondern geschieht im Namen eines Anderen. Die Sprache, die der symbolischen Ordnung entspricht, ist a priori durch Metonymie (Verschiebung) und Metapher (Verdichtung) gekennzeichnet. Mit der symbolischen Ordnung wird ein gemeinsamer symbolischer Pakt etabliert, der es uns erlaubt, Konflikte „friedlich“ mitzuteilen.293 In wessen Namen tritt nun ein Subjekt in diese symbolische Ordnung ein? Die Psychoanalyse nennt diesen Namen „Im-Namen-des-Vaters“ („nom du père“), und er macht die Grundlage der Symbolfunktion aus. Dieser „Name-des-Vaters“ markiert den fehlenden Dritten innerhalb der Mut291 Žižek 2002, S. 229. 292 A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 14. 293 Vgl. GL, S. 117, Anm. 113.

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ter-Kind-Dyade des Spiegelstadiums, der selbst sozusagen im Namen des Gesetzes agiert. Das Inzestverbot – veranschaulicht durch den Ödipuskomplex – bedeutet für Lacan den Eintritt des Subjekts in die „symbolische Ordnung“. Die Person des Vaters wird mit dem Gesetz identifiziert.

2.2.2 Symbol als Zeichen – Symbol als reiner Signifikant? In diesem Abschnitt stehen die Unterschiede zwischen der Signifikanten-Theorie der Zwingenden Theorie und der Zeichen-Theorie im Mittelpunkt. Saussure argumentiert vom Einzelzeichen her, das – wie die beiden Seiten eines Blattes Papier – als Verbindung von zwei Komponenten, Signifikat und Signifikant, zusammengesetzt ist.294 Die Unterscheidung zwischen Zeichen und Signifikant ist eine der Saussure’schen Grundfragen. Das Ganze ist das Zeichen, und Vorstellung bzw. Lautbild werden durch Bezeichnetes und Bezeichnendes ersetzt.295 Der auditivperzeptiven Ebene wird Vorrang gegeben. Lacan übernimmt von Saussure die These, dass die Sprache keine Substanz, sondern eine Form sei, da es in ihr nur Verschiedenheiten gibt. Die Bedeutung entsteht erst nachträglich durch das Verweisen der Signifikanten aufeinander. Das Signifikat existiert nicht vor dem Signifikant. Ein Signifikant wird in Differenz zu einem anderen Signifikanten gesetzt. Wie kann nun der im Kapitel zum Symbolischen thematisierte ‚große Andere‘ in die Signifikantentheorie eingefügt werden? Der „Name-des-Vaters“ bezeichnet ein „Du“, das vom Subjekt im Anderen angerufen, erwartet, erhofft oder vermutet wird. Es ist der Ort, von dem aus sich das Subjekt eine Antwort erhofft. Der „Name-des-Vaters“ ist dabei reiner Signifikant, eine bloße hypothetische Annahme des Subjekts. Das Subjekt versucht nun das Andere zu symbolisieren, um sich so der Existenz dieses „Du“ zu bemächtigen. Der „Name-des-Vaters“ ist nicht imaginär, sondern ein Signifikant, ohne den alle anderen Signifikanten nichts repräsentieren könnten. Ein Signifikant ist ein reiner Repräsentant, der nichts mit dem Inhalt zu tun hat, sondern ihn nur äußern soll.296 Auf der anderen Seite gibt es die konstitutive Autorität des Signifikanten. Es wird also im Abschlusskapitel der vorliegenden Studie danach zu fragen sein, ob der reine Signifikant dem Element innerhalb der Peirce’schen Triade – dem Repräsentamen – entspricht und somit anders als rein dezisionistisch gedacht werden kann. Wenn der reine Signifikant

294 Vgl. F. Saussure: Grundfragen, S. 140f. 295 Vgl. ebd., S. 78f. 296 Vgl. Žižek GDR, S. 109.

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analog dem Repräsentamen gesehen werden kann, dann kommt ihm die Schnittstellenfunktion zwischen dem Zeicheninneren und dem Außen zu. Auch das Repräsentamen erhält seinen Sinn erst, indem sich ein Interpretant entweder auf dieselbe Äußerung bezieht, oder die Äußerung zum Objekt einer Folgetriade werden lässt. Dies kann der Interpretant nur, wenn er selbst zum Zeichen eben dieser Folgetriade wird. Wenn das Repräsentamen möglicherweise mit dem Signifikant vergleichbar ist, was entspräche dann dem „Namen-des-Vaters“ innerhalb der Zeichentheorie? Es soll in Kapitel III, 1.2. der These nachgegangen werden, ob der „Name-des-Vaters“ eine Möglichkeit darstellt, den Semioseprozess auf das Objekt hin zu fixieren. So meint die Metapher bei Lacan – wie das Ikon bei Peirce – nicht primär eine Ähnlichkeitsbeziehung: Die Metapher entspringe zwischen zwei Signifikanten, deren einer sich dem anderen substituiert hat, indem er dessen Stelle einnahm. Der Interpretant nimmt die Stelle des Repräsentamens ein. Die Differenz zwischen den Signifikanten erzeugt einen nachträglichen Effekt. Dieser nachträgliche Effekt ist das Signifikat. Der ausgeschlossene bzw. substituierte Signifikant bleibt auch als abwesender durch die Beziehung zur übrigen Signifikanten-Kette präsent. In diesem Sinne wäre der ausgeschlossene Signifikant der Interpretant der ersten Triade. Genau durch diese Ersetzung produziert der Anschluss- bzw. Folgeinterpretant den Bedeutungseffekt. Der ersetzte Signifikant fungiert provisorisch als Signifikat. Aus Sicht der Zeichentheorie von Peirce befinden wir uns innerhalb der Zeichentriade. Es gibt bei Žižek keine strikte Trennung zwischen Zeichen und Signifikant. Ihn interessiert v.a. die Kluft, welche die Zeichen vom Ding trennt. Žižek formuliert: „wir sind in das Universum der Zeichen eingetaucht, die für immer verhindern, daß wir zum Ding gelangen; die sogenannte ‚äußere Realität‘ selbst ist schon ‚wie Sprache strukturiert‘, das heißt ihre Bedeutung ist immer schon durch den symbolischen Rahmen überdeterminiert, der unsere Realitätswahrnehmung strukturiert. Die symbolische Instanz des väterlichen Verbots (der ‚Name-des-Vaters‘) personifiziert nur die Unmöglichkeit [...].“297

Außen und Innen – man denke an die Struktur des Möbiusbandes – sind wie Zeichen strukturiert. Es wird nicht mit den Zeichen eine nichtzeichenhafte Realität erschlossen, sondern diese äußere Realität bzw. Zeichenumwelt ist selbst schon zeichenhaft strukturiert. Daher muss hier Peirces Begriff des Kontinuums eingeführt werden. Die Zeichen verhindern somit nicht nur, dass das Ding-an-sich erkennbar ist, sie sind gerade die Bedingung der Möglichkeit einer (potentiell unendlichen) Er297 Žižek NAR, S. 124.

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kennbarkeit. Dass die Bedeutung der Zeichen durch den symbolischen Rahmen – die Gesetzeskomponente der Drittheit – strukturiert ist bedeutet, dass es auch einen sozusagen unterdeterminierten erstheitlichen Bereich geben muss. Der „Name-des-Vaters“ ist eine symbolische Instanz, die bereits vorhandene Bedeutungen reorganisiert, indem es sie an denselben reinen Signifikanten bindet. Žižek führt das Beispiel des Peronismus an: Dieser war eine äußerst heterogene Bewegung, in der linke Gewerkschafter ebenso wie faschistoide Militärs ihren Platz fanden. Perons Name reduzierte nicht die Heterogenität, sondern fasste sie in sich; die Einheit wurde dadurch möglich, dass alle sich in einem gemeinsamen Signifikanten wieder erkannten. Der reine Signifikant und das Symbol haben auch hier etwas von einer ursprünglichen Bedeutung des Vertrags oder des Zeichens der Gastfreundschaft behalten. Lacan versucht den Symbolbegriff vom Signifikanten zu unterscheiden. Er fragt, ob es die Gaben oder eher die Losungsformeln sind, die dazu führen, dass Sprache als Gesetz zu funktionieren beginnt.298 Die rituellen Gaben – die z.B. Gemeinschaften miteinander verknüpfen sollen – seien zunächst Signifikanten eines Vertrags, den sie als Signifikat begründen. Das Symbol ist der Vertrag. Die Gegenstände des symbolischen Tauschs sind nicht zum Gebrauch bestimmt: Sie sind, wie das zerbrochene Gefäß als Symbol der Gastfreundschaft, „leer“. In diesem Sinne symbolisiert die Leere des Gefäßes die Verschiebung vom Gebrauchswert zum symbolischen Tauschgegenstand, der Gemeinsamkeit symbolisieren soll. Das Symbol hat immer auch dann noch Bestand, wenn es das Gewicht des Gebrauchs verloren hat. Auch hier begegnen uns zwei Thematisierungsweisen des Symbols: Einmal ist das Symbol der Vertrag, ein andermal ist es reiner Signifikant und steht für das Leere, das den Signifikantenprozess erst möglich macht. Symbol und reiner Signifikant sind die beiden Thematisierungsweisen des Symbols. Der Signifkant als einzelnes Etwas, äußert den Inhalt nur und bekommt erst in seiner Differenz zu anderen Signifikanten Bedeutung. Somit bleibt eine gewisse Form von Sprachverwirrung – es gibt stets ein Zuviel oder Zuwenig von Sprache – möglich, die das Begehren aufrecht zu halten vermag. Das Begehren fordert im Symbol oder im Imaginären Anerkennung durch eine Übereinstimmung im Sprechen oder durch einen Kampf um Prestige.299 „Der Mensch spricht also, aber er tut es, weil das Symbol ihn zum Menschen gemacht hat.“300 Nach Lacan müssen die Wörter „Resonanz“ finden, um zu einem echten Gespräch führen zu können. Es muss ein gemeinsames Feld ge298 Vgl. Lacan Sch I, S. 112. 299 Vgl. Lacan Sch I, S. 120. 300 Lacan Sch I, S. 117.

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ben, den Ort des groß Anderen, wo sich das Gespräch entfalten kann.301 Dieser Ort entzieht sich dem Bewusstsein. Das Unbewusste ist als Symbolisches im Sinne des reinen Signifikanten zu begreifen. Später wird zu vergleichen sein, ob und wie dieser Ort dem Interpretanten entspricht. Der Symbolbegriff steht bei Lacan im strikten Gegensatz zum analogischen Denken.302 Daraus könnte man schließen – auch wenn Lacan das so nicht schreibt –, dass im psychoanalytischen Verständnis das Zeichen/Signifikant als etwas Analoges verstanden wird, während das Symbol einen dritten Wert braucht, um Symbol zu sein. Da das Symbol wie die Sprache strukturiert ist, verdankt nach Lacan ein Phänomen wie z.B. Liebe seine Existenz dem Symbol, da – er zitiert La Rochefoucauld – „es Leute gibt, die sich nie verliebt hätten, wenn sie nicht die Liebe vom Hörensagen gekannt hätten.“303 Symbole suggerieren die Möglichkeit von Erkenntnis. Sind wir nun heute dabei, auf diese Suggestivkraft zu verzichten und bleibt dann möglicherweise Kraft ohne Suggestion übrig? Das symbolische Objekt bei Lacan ist jedenfalls der reine Signifikant. Es ist – vielleicht ganz im Sinne des unendlichen Urteils – seine eigene Metapher und seine eigene Metonymie. Das würde bedeuten, es setzt etwas gleich, indem es verdichtet (Metapher) und vermag dies, gerade weil es verschoben ist (Metonymie). Das Symbol steht als privilegierter Signifikant für seine Abwesenheit, das Symbolische vermag seinen Ort zu wechseln und kann nur deshalb auch an seinem Platz fehlen.304 Für die Frage nach einem Politikverlust kann festgehalten werden, dass das Symbol gerade für einen Verlust steht. So gesehen konstituierte sich Politik überhaupt erst über Politikverlust: Politik ist der Versuch, mit dem Mangel auf je unterschiedliche Weise umzugehen. Was mit dem Schwinden des symbolischen Bereiches – des großen Anderen – auf dem Spiel steht, ist also der Verlust von Politikverlust. Der „Name-des-Vaters“ ist reiner Signifikant, und damit Möglichkeitsbedingung des symbolischen Bereiches. Der reine Signifikant ist nicht imaginär und nicht real, sondern ein Signifikant, ohne den die anderen Signifikanten nichts repräsentieren könnten.305 Deswegen wäre das Attribut „leer“ auch hier eher irreführend. Er ist kein leerer Signifikant, sondern steht für die Leere bzw. den Verlust. Er steht für den Verlust von etwas, das möglicherweise nie besessen wurde. Es ist der symbolische Vater, der als Signifikant das Gesetz repräsen301 302 303 304 305

Vgl. Lacan Sch II, S. 220. Vgl. Lacan Sch I, S. 102. Vgl. Lacan Sch I, S. 103. Vgl. Lacan Sch I, S. 23. Vgl. Zum „Namen-des-Vaters“ als reinen Signifikant N. Ort: Objektkonstitution, S. 79f.

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tiert, dem sich das Subjekt unterwirft. Die religiöse Konnotation des Begriffes „Name-des-Vaters“ ist aufschlussreich: Das Subjekt macht die Erfahrung, dass es weder mächtig ist, noch Macht besitzt, was bewirkt, dass das Subjekt, aus eben diesem Verlust heraus, einen symbolischen Signifikanten bildet, dem es diese Macht zuschreibt.306 Der symbolische Signifikant ist ein quasi-transzendenter Signifikant. Laut Žižek geht es um das Nachahmen dessen, was wir für das Begehren des Anderen halten, denn er besitzt das Geheimnis als den Schatz, den wir haben wollen. Der „Name-des-Vaters“ ist eine notwendige Hypothese. Von hier aus ähnelt er also nicht dem Repräsentamen oder dem Interpretanten, sondern dem dynamischen Objekt, das von einem Subjekt vorausgesetzt wird. Der symbolische Bereich ist der Bereich des Signifikanten, der aus dem Imaginären – dem Bereich des Signifikats – verdrängt wurde, und sich im Symbolischen zum Gesetz gewandelt hat. Ort schreibt, dass das Imaginäre allerdings erst durch diese Transformation rückwirkend Bedeutung erhält.307 Lacan denkt die Relation von Signifikant und Signifikat anders als Saussure. Signifikant und Signifikat sind nicht zugleich gegeben. Vielmehr ist der Signifikant die Möglichkeitsbedingung des Signifikats bzw. des Bedeutungseffektes. Es muss Knotenpunkte geben, an denen die Kluft zwischen Signifikant und Signifikat bzw. der Übergang geregelt wird. Auf diese Knotenpunkte („point de capiton“) beziehen sich auch Laclau/Mouffe und die Zwingende Theorie. Knotenpunkte könnten mit der Zeichentheorie dann wiederum zweifach thematisiert werden: Entweder als Objekt, auf das sich der Signifikant (bzw. Repräsentamen) und das Signifikat (bzw. Interpretant) beziehen; oder als Zeichen, das eben durch diesen gemeinsamen Bezug wieder einen neuen Interpretanten generiert, und dafür sorgt, dass die Semiose nicht zum Stillstand gelangt. Mit Peirce wäre dann nicht das Signifikat Effekt des Signifikanten, sondern der Folgeinterpretant wäre Effekt des Zeichens. Die Kehrseite des „Namens-des-Vaters“ besteht im Gesetz des ÜberIchs. Die Entstehung des Gesetzes als Über-Ich leitet Lacan über das Begehren her. Das Begehren wird ins Unbewusste verdrängt, wirkt von dort aus aber weiter. Die Errungenschaft von Freud sei – so Lacan – gerade darin zu sehen, dass er den Zusammenhang bzw. die zirkuläre Verfasstheit von Begehren und Gesetz aufgezeigt hat. Das Gesetz umfasst Gebote und Verbote, die aus dem verdrängten Begehren stammen. Diese Gebote und Verbote beziehen sich zirkulär wiederum auf das Begehren, 306 Vgl. ebd., S. 80. Diese Erfahrung nennt die Psychoanalyse Kastrationskomplex; das, was ich hier Macht nenne, ist innerhalb der psychoanalytischen Theorie der Phallus. 307 Vgl. N. Ort: Objektkonstitution, S. 89f. Siehe auch Lacan Sch II, S. 26f und S. 89.

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das mit den Verboten behaftet und deshalb verdrängt wird. Das Begehren wird durch das Verdrängen zum Gesetz. Nur das Begehren des Analytikers erscheint als reines symbolisches Begehren. Hier ist das Symbolische zirkulierendes „Drittes“.308 Der Diskurs des Analytikers ist ein Diskurs, der weder den Ort der Macht leer hält, noch eine autoritäre Position ausfüllt. Er muss Autorität anbieten, ohne sie zu erfüllen. Genau um diese Art des Einnehmens eines Standpunktes geht es in der vorliegenden Arbeit. Es ist eigentlich so, dass der Analytiker keine Strategie entwickeln darf, aber ohne Strategie würde er seine symbolische Position verlieren. Er muss ja zunächst beim Analysanden in irgendeiner Weise suggerieren, dass er die Position des „Besserwissers“ innehat. Wenn Frank schreibt, dass die (metaphysische) Idee der Bemächtigung an die Idee der Sichtbarkeit gebunden ist, und nur das, was sich präsentiert und zugleich zeigt, was es seinem Wesen nach ist, begrifflich beherrschbar ist, dann entzieht sich der Diskurs des Analytikers genau dieser Vorstellung von Sichtbarkeit und Macht.309 Symbolische Prozesse erfolgen auf der Basis von Strukturen des Begehrens. Der phallische Signifikant ist der Signifikant ohne Signifikat, während der Knotenpunkt – ähnlich wie der leere Signifikant – dem Signifikanten mit einem Signifikatsüberschuss entspricht. Der phallische Signifikant hat die Macht, den Semioseprozess durch Fixieren zum Stillstand zu bringen bzw. in gewohnheitsmäßige Bahnen zu lenken: Er hat die Macht der Gewohnheit. Der reine Signifikant als „Name-des-Vaters“ ist ein Element, das nur durch eine Art Versprechen, nicht aber aufgrund irgendwelcher Eigenschaften oder Sichtbarkeiten, konstituiert wird. Es kann also dem „Namen-des-Vaters“ kein Signifikat zugeordnet werden. Es wird in Kapitel III 1.2. zu diskutieren sein, ob und wie Theorie immer in irgendeiner Form – die Psychoanalyse nennt es Übertragungsfiktion – an dieses Versprechen gebunden ist. Eine Psychose zeichnet sich z.B. dadurch aus, dass dieses versprechende Element verworfen wird. D.h., die Symbolisierung wird verweigert, Subjekt und Objekt können nicht mehr differenziert werden. Die Wörter werden für Dinge genommen, Sprache wird als Substanz erfahren. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist für die Differenzierung der reine Signifikant notwendig. Ein psychotisches Subjekt verwirft den Mangel dieses reinen Signifikanten, der das Begehren aufrechterhalten soll. Das verdrängte Element kehrt als Symptom wieder, während das verworfene

308 Vgl. zum Begehren des Analytikers HmL, S. 51f, siehe auch zu den drei Begehrensmöglichkeiten N. Ort: Objektkonstitution, S. 105, Anm. 230. 309 Vgl. M. Frank: Was ist Neostrukturalismus, S. 38.

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Element keinen Platz hat, da es nicht symbolisiert wurde.310 Das Subjekt der Psychoanalyse ist also gerade nicht primär ein psychotisches Subjekt.311 Wie vermag nun mit der Signifikanten-Theorie die Differenzlogik – das Korrelat von Etwas ist immer ein Anderes, nämlich ein infiniter Regress wechselseitiger Bestimmungen – aufgebrochen zu werden? Žižek erklärt die Überwindung des Sein-für-Anderes mit der Frage nach dem, was bei Hegel das Eine, die Eins, ausmacht: „Man erfaßt das Eins aber nur, wenn dieses Andere, dieses andere Etwas, für welches etwas ist, sich in diesem Etwas selbst, als in seiner eigenen ideellen Einheit, reflektiert: Wenn Etwas nicht mehr für ein anderes Etwas ist, sondern für sich selbst – so geht man vom Sein-für-Anderes zum Fürsichsein über.“312 Das Eins als ideelle Einheit, jenseits der reellen Eigenschaften eines Dings, entspricht noch nicht der Quantität, d.h. es ist noch nicht das Eins, auf das ein Zwei usw. folgt. Das Korrelat des Eins ist somit das Leere. Mit Peirce können wir sehen, dass diese Leere dem Fluchtpunkt, der ein ultimativer logischer Interpretant gewesen sein wird entspricht. (vgl. den Fluchtpunkt im Inneren des Zeichens in Abbildung 1 aus Kapitel II, 1.). Žižek bezeichnet im Unterschied dazu das Eins mit der Signifikanten-Theorie als den reinen oder leeren Signifikant, der eher dem finalen Interpretanten entsprechen würde. Somit ließe sich von hier aus der „leere Signifikant“ präzisieren. „Demokratie“ wäre kein reiner oder leerer Signifikant, sondern ein Begriff, dessen reiner Signifikant im Sinne eines ultimativen logischen Interpretanten seine abschließende Fixierung verhindert bzw. in eine unendlich erkennbare Zukunft verschiebt. Es ist dieser reine Signifikant, den die Signifikanten-Theorie als Symbol fasst. Gibt es dann – ähnlich wie bei Peirce – auch hier eine Ebenenstufung, z.B. ein imaginäres und symbolisches Symbol? Das imaginäre Symbol kann als Illusion eines Gleichgewichtszustandes, der z.B. die asymmetrische Positionen zweier Subjekte symmetrisiert, aufgefasst werden. Ein symbolisches Symbol bzw. ein Symbol im Register der symbolischen Ordnung wäre dann ein Fixieren oder Symmetrisieren, ohne aber damit innerhalb eines Diskurses einen Konsens herzustellen. Subjektpositionen können zwar nie wirklich symmetrisch sein, aber erst der Versuch, Asymmetrie aufzuheben, kann den

310 Auf diesen Zusammenhang hat v.a. Ort hingewiesen. Vgl. N. Ort: Objektkonstitution, S. 105ff. 311 Vgl. zu dem Vorwurf, das psychoanalytische Subjekt sei ein psychotisches Hermann Lang: „Struktural-analytische Aspekte der Subjektivität“, in: Friedrich A. Kittler (Hg.), Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 1980, S. 188-204, hier S. 193. 312 HY, S. 64.

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Resonanzboden zum Schwingen bringen. Das Gleichgewicht ist eine Idee, eine Illusion, die nur symbolisiert, nie aber als Konsens vorherrschen kann. Das Politische säße dann genau in dem Riss, der durch Symbolisierung überdeckt wird. Der Verlust dieses Risses durch ein Kitten führt zu einem scheinbaren Konsens. Wird die Kluft durch das Imaginär-Symbolische verdrängt, verschwindet das Politische, und der Riss tritt als Verschiebung immer wieder an anderer Stelle zu Tage. Dieser Wiederholungszwang markiert sowohl die Ressource als auch die Grenze der Psychoanalyse. Die symbolische Struktur öffnet einen Raum für leere Plätze, während die positiven Objekte der Realität (als Objekte des Begehrens) die Lücken zu schließen und damit zu fixieren versuchen.313 Die Wiederholung verschleiert den a-historischen Kern des Realen, sie ist daher keine „Vergegenwärtigung“, sondern ein Verlust.314 Dieser ereignishafte und dadurch a-historische Kern des zweitheitlichen Zeichens entspricht der Replika, während die strukturbildenden Legizeichen aufgrund ihrer Drittheit für die Widerholung sorgen. Wir hatten schon gesehen, dass Legizeichen nicht selbst existieren müssen, sie sind in ihrer Drittheit real. Das Legizeichen ist im Unterschied zur Replika aufgrund seiner Allgemeinheit dauerhaft. Der allgemeine Typus des Legizeichens – hier z.B. das Gesetz des Über-Ichs oder das Gesetz des Vaters – kann wiederholt werden. Auf das gemeinsame generalisierte Schema können sich die Replikas beziehen. Symbolisierungen integrieren den Mangel in den Kern des „Anwesenden“. Das Reale bleibt als Rest. Oben bereits erwähntes Objekt klein a ist kein unerreichbares Objekt des Begehrens, welches das Subjekt nicht durch Symbolisierung zu verinnerlichen vermag, sondern ein pathologischer Makel, der verhindert, dass das Subjekt zum reinen Subjekt des Signifikanten werden könnte. Auch innerhalb der psychoanalytischen Theorie weist der Mangel auf die Spaltung zwischen „Wahrheit“ und „Realität“ hin. Realität beruht auf einem Phantasma/Irrtum. Der Unterscheidung zwischen „Wahrheit“ und „Realität“ entspricht bei Peirce die Unterscheidung zwischen „Realität“ und „Wirklichkeit“. Žižeks Wahrheitsbegriff ist analog der Realität bei Peirce zu denken, während Žižeks Realität nahe an Peirces Wirklichkeit gelangt. Dies ist nicht so zu verstehen, dass die Realität nur eine Illusion sei, die die Wahrheit verschleiert, sondern sie ist eine imaginäre Konstruktion, die den Mangel im Feld der Wahrheit durch dessen Ausfüllen verschleiert. Hier findet sich eine Entsprechung zum Fallibilismus von Peirce und damit zu seinem Wirklichkeitsbegriff. Die Verkennung der Wahrheit/Realität grün313 Vgl. Žižek GDR, S. 83. 314 Vgl. HY, S. 175f.

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det also in einem Loch in der Wahrheit: Dem Übergang von der Zweitheit zur Drittheit oder der Differenz zwischen dem finalen und dem ultimativ-finalen Interpretanten. Zugleich entspricht dieses Loch in der Wahrheit, aus einer anderen Perspektive betrachtet, dem dynamischen Objekt in der Realitätskonzeption von Peirce. Es kann nicht – wie es z.B. der Schleier oder die Maske als typische Metaphern der Moderne suggerieren – hinter die Erscheinungen geschaut werden, sondern mittels der Zwiebel- oder Doughnutmetapher als nachmoderne Elemente kann auf die Leere im Zentrum verwiesen werden. Von hier aus wird nun sichtbar, dass Cassirers „dumpfes Bewusstsein“ in der modernen Metaphorik verbleibt und mit der Zwiebel- bzw. Doughnutmetapher inkompatibel ist. Die politische Konsequenz daraus besteht darin, ideologische Gebilde nicht allein aus dem Mechanismus der symbolischen Überdeterminierung erklären zu können. Ideologie stützt sich immer auf ein zusätzliches Element, das durch die Kategorie des Symbolischen nicht zu fassen ist. Das Symbol hebt das Spannungsverhältnis zwischen Ideen- und Sinnenwelt nicht auf, vielmehr sind im Symbol Form und Inhalt zugleich gegeben. Es kann aber immer nur eins von beiden wahrgenommen werden. Wenn Verdichtung und Verschiebung Elemente des Symbols sind, heißt das zugleich, dass Metapher und Metonymie das Symbol mitkonstituieren. Im Symbol ist eine unbestimmte Fülle von Assoziationen gebunden. Die Metapher fixiert, während die Metonymie prozesshaft zu denken ist. Sie hält das Begehren in Bewegung. Der symbolische Bereich wird durch die Erzeugung eines Mangels konstituiert und korrespondiert mit der Metonymie. Das Begehren wird verschoben. Gleichzeitig hat das Symbol, sobald ein Signifikatseffekt entsteht, metaphorische Wirkung.315 Konstitutiv für den Symbolbegriff ist der Überschuss bzw. Rest als Ursache des Begehrens. Überdeterminierung bedeutet dann, dass Elemente eines Diskurses Spuren in anderen Diskursen haben. Der Überschuss als Ursache wird als eine Andeutung innerhalb der Diskurse wahrgenommen. Außerhalb der Symbolisation/Repräsentation hat das Symbolisierte keinen Bestand. Durch den metaphorischen Übergang vom Signifikanten ins Signifikat wird das Begehren aus seinem unendlichen metonymischen Verweisungszusammenhang gerissen. Die Grundthese des Kapitels III, 1.4. wird daher lauten, dass am Ort dieses Übergangs die politische Einbildungskraft zu finden ist.

315 Auf diese neue Lesart der Struktur von Metapher und Metonymie hat insbesondere Ort hingewiesen. Vgl. N. Ort: Objektkonstitution, S. 91.

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2.2.3 Überschussgehalt von Symbolen In der Peirce’schen Zeichentheorie sah es so aus, als gäbe es weder einen Überschussgehalt von Symbolen noch eine Leerstelle. Der bereits viel zitierte Überschussgehalt wird jetzt noch einmal gebündelt dargestellt, um mit der Zeichentheorie verglichen zu werden. Die Einheit oder Synthese, die das Subjekt durch Zeichenbildung der sinnlichen Mannigfaltigkeit auferlegt, ist immer auch gewaltsam: Sie schließt anderes aus.316 Dennoch ist das Bemühen um Synthese unvermeidbar. Jede synthetische Einheit basiert auf einem Akt der Unterdrückung und produziert einen Rest bzw. Überschuss. Ist der Überschussgehalt des Symbols aber nun ein Rest oder ein „mehr“ an Bedeutung? Wie lässt sich dieser für den Symbolbegriff zentrale Aspekt aus Sicht der Zwingenden Theorie erklären? Mehrfach wurde betont, dass der Überschuss etwas ist, das nicht symbolisiert werden kann, und dennoch zum Symbol gehört: „Aber das Reale ist auch der Abfall des Prozesses der Symbolisierung, der Überschuß, der Rest, der der Symbolisierung entgeht und der als solcher von ihr selbst produziert wird; in Hegelschen Begriffen könnte man sagen, das Reale sei durch die Symbolisierung zugleich vorausgesetzt und gesetzt. Insofern der Kern des Realen die genießende Substanz ist, nimmt diese Dualität die Form des Genießens und des Mehr-Genußes an.“317

Der Rest bzw. der Überschuss ist gewissermaßen der Gegenstand der Psychoanalyse. Es gibt somit zwei Arten, den Überschuss zu thematisieren: Einmal existiert ein Überschuss des Realen über das Symbolische, ein Fleck, der die Grenze von Innen und Außen, die ein Gefühl der Sicherheit geben würde, verwischt. Der Überschuss ist ein Detail, das aus dem Rahmen der symbolischen Realität ragt, eine Irritation oder sogar eine Verstörung. Das Gegenteil dazu ist zum anderen der Überschuss des Symbolischen über die Realität. Hier nimmt der Herren-Singifikant aus reinem Zufall – wie der Hegel’sche Monarch – den Platz des Herrn ein. Aus zeichentheoretischer Sicht kann man sagen, weil es keinen Interpretanten des finalen Interpretanten gibt – sondern nur die regulative Idee des ultimativ finalen Interpretanten – muss ein kontingenter Herren-Signifikant eingeführt werden, um diese Position in die Gegenwart zu holen. Diese Position kann nur durch symbolische Repräsentation veranschaulicht werden. Der Überschuss-Signifikant erzeugt die Illusion, dass der Platz des Herrn aus seinem Charisma erwachse. Das Über316 Vgl. TS, S. 48. 317 HY, S. 73.

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schuss-Element kann also in zwei Modalitäten erscheinen: als Überschuss oder als Rest.318 Der Überschuss des Realen über das Symbolische entspricht somit dem Peirce’schen Ikon, das konnotiert, ohne zu denotieren. Umgekehrt entspricht der Überschuss des Symbolischen über das Reale dem symbolischen Symbol bzw. dem degenerierten Symbol, dessen symbolischer Anteil überwiegt.319 Was passiert, wenn der Rest geleugnet wird? Liegt dann ein Fall von Politikverlust vor? Politische Theorie beginnt mit der Darstellung dieses Synthetisierungsprozesses und des jeweils unterschiedlichen Umgangs mit dem Rest oder dem Überschuss. Versuche, die Kluft im Ontischen – im tatsächlich Seienden, vereinfacht gesagt im hier und jetzt – zu schließen, produzieren immer einen Überschuss/Rest. Zwischen beiden besteht ein dialektisches Verhältnis. Ein Symbol kann, wie schon bei Peirce, nicht mit seiner Wirklichkeit zusammenfallen. Žižek erklärt das ähnlich wie Peirce mit der Frage, welches zusätzliche Sandkorn letztlich einen Haufen ausmacht bzw. welches fehlende Haar zur endgültigen Kahlköpfigkeit führt.320 Das zusätzliche Korn – das de facto niemals gefunden werden kann – verkörpert den Überschuss-Signifikanten. Analoges gilt auch für die Sprache: Sie ist – wie Peirces Zwiebelmetapher –durch ein Zuviel ausgezeichnet, das sich aber auch nicht einfach abziehen lässt. Žižek wählt als moderneres Beispiel, wie erwähnt, bezeichnenderweise das, durch eine amerikanische Ladenkette weltweit vertriebene, ringförmige amerikanische Schmalzgebäck Doughnut, der um eine Leere strukturiert ist. Das Loch ist dem Eins nicht äußerlich, ja es ist sozusagen in seinem Herzen selbst. Das Leere befindet sich also nicht zwischen den verschiedenen Doughnuts, sondern in ihnen. Das Eins ist in sich selbst leer. Das Loch ist sein einziger Inhalt, es ist das Signifikat des reinen Signifikanten. Žižek bezieht sich hier auf Hegel, für den „Sein“ die erste Formbestimmtheit, der Inhalt dessen, was nichts, reiner Mangel an bestimmtem Inhalt, ist.321 Der Bestimmung nach entspricht das zwar der Erstheit von Peirce, es konnte aber gezeigt werden, dass Erstheit kategorial weder als Sein noch als Nichts bestimmt werden kann. Sein oder Wirklichkeit fällt bei Peirce in die Kategorie der Zweitheit. Der inhärente Mangel, die Leerstelle im signifikanten Netz, die überhaupt erst Sprache 318 Vgl. RV, S. 220; siehe auch Žižek GDR, S. 144. 319 Zu erinnern sei daran, dass bei Peirce dieser zweite Fall auch auf zweifache Weise gedeutet werden muss: Zum einen das Symbol als Gesetz, dass z.B. den Monarchen so und nicht anders interpretiert, und zum anderen den so genannten degenerierten Aspekt, der je nach Kontext variierend interpretiert werden kann. So kann der Überschuss als Charisma, als Inszenierung bzw. als Unentscheidbarkeit etc. aufgefasst werden. 320 Vgl. HY, S. 29f. 321 Vgl. GPF, S. 66.

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bzw. das Funktionieren von Sprache ermöglicht, kann aus der Sicht von Peirce nicht durch die Kategorien erklärt werden. Hier müssten auch in der Zwingenden Theorie die Register (also die Kategorien) von den Signifikanten (von den Zeichen) analytisch unterschieden werden. Die für die Sprache konstitutive Leerstelle ist topologisch gesehen der Rand eines Möbiusbandes. Mit Bezug auf die Zeichentheorie muss hier die Frage lauten, ob es den Lacanschen Nullpunkt auch bei Peirce gibt. Das Modell des Möbiusbandes macht sichtbar, wie die Kategorien stets zugleich gegeben sind und ineinander übergehen. Aus diesem kontinuierlichen Übergang von Innen und Außen kann erst durch Zeichenbildung eine diskontinuierliche Bedeutungsebene entstehen. Auf dieser Ebene kommt es zu einem Überschussgehalt oder einem Rest. Die Tatsache, dass immer von etwas ausgegangen wird, kann auch heißen, dass rückwirkend betrachtet, dieses Etwas durch eine minimale Verschiebung zu sich selbst gekennzeichnet ist. Die Zeichenelemente „Repräsentamen“, „Objekt“ und „Interpretant“ sind auf einen Schlag gegeben, während das Umschlagen des Interpretanten in ein Repräsentamen Zeit benötigt. Im einen Fall handelt es sich um eine synchrone zeitliche Schleife – wenn sich der Interpretant in ein Repräsentamen transformiert –, die an denselben Ausgangspunkt auf einer entwickelteren Ebene zurückkehrt. Mit dem Modell des Möbiusbandes kehrt sie an denselben Punkt auf der anderen Seite des Bandes zurück. Im anderen Falle wird der Interpretant zum Zeichen einer Folgetriade. Ersteres bestimmt das Objekt durch jede Iterationsschleife näher, letzteres wird mit jedem Semioseprozess wieder neu erschaffen. Im Abschnitt zur Theorie des Politischen konnte mit Stäheli demonstriert werden, dass sich eine Institution oder die Gesellschaft durch den Nullwert als Ganzes konstituieren kann. Dieser Nullwert bietet die Grundlage, die nicht markiert wird, von der aber alle Bedeutung im System abhängt. Jede Besetzung des leeren Zentrums bleibt vorübergehend, weil sie die Funktion der Stellvertretung, der Supplementierung eines Mangels auf Seiten des Signifikats erfüllt. Lacan bemerkt, dass es z.B. beim Bridge einen ‚leeren Platz‘ des Toten gibt, der den anderen Figuren allererst einen Spielraum öffnet. Im Verhältnis zu diesem Platz verschiebt sich alles. Der logische Nullpunkt ist eine der Lacanschen Grundprämissen. Der Sprachüberschuss verweist auf eine Abwesenheit, Sprache gibt es also nur, weil es diese Leerstellte gibt und dennoch heißt das nicht, dass Sprache weniger ist als Sein. Das Unbewusste entsteht über diese ‚Kluft‘, die das Subjekt als ‚unbestimmtes‘ dem Signifikanten unterwirft und das Begehren als ‚Seinsverfehlen‘ meint. Die Leere ist die Differenz, die niemals vollständig gesagt werden kann, die stets vom Sein getrennt ist. Es handelt sich somit um eine andere Differenz als diejenige der Differenzlogik. 211

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Žižek spricht von der strukturalistischen Idee der Lücke zwischen dem Raum und dem positiven Gehalt, der den Raum ausfüllt. Er formuliert: „Obwohl die kommunistischen Regime im Hinblick auf ihren tatsächlichen Gehalt jämmerlich versagten und Terror und Elend hervorbrachten, eröffneten sie gleichzeitig einen bestimmten Raum utopischer Erwartungen, der uns, unter anderem, in die Lage versetzte, das Ausmaß des Scheiterns des real existierenden Sozialismus zu ermessen.“322 Diese Lücke droht sich heute zu schließen. Dies geschieht tendenziell durch ein Verleugnen des Überschusses bzw. Exzesses. Gegensätze werden internalisiert, sie sind nur noch Differenzen von Differenzen. Vielleicht könnte man sagen, dass sich die Welt langsam in ein einziges durchschnittenes Möbiusband verwandelt, das Innen und Außen ununterscheidbar bzw. austauschbar macht. Das Verdrängen des Überschusses hängt also direkt mit der Frage nach einem Autoritätsvakuum bzw. dem Verlust von symbolischer Autorität zusammen. Der Überschuss ist die Bedingung der Möglichkeit von Zeichen. Das funktioniert auch und besonders unter den Voraussetzungen des Kapitalismus: Treibendes Motiv der kapitalistischen Produktion ist der schrankenlose Mehrwert bei unaufhörlichem Wachstum. Die Konkurrenz der Kapitale wirkt als Antriebsmotor zur ständigen Erweiterung der Absatzmärkte. Es müssen permanent neue gesellschaftliche Bedürfnisse geschaffen werden. Bereits Gödel zeigte, dass es unmöglich ist, aus den Sätzen oder Elementen eines Axiomensystems dessen Vollständigkeit zu beschreiben. Jedes formale System hat ein nicht aufgehendes Element, einen Rest oder einen Überschuss. Dieser Rest verweist aufgrund seines ideologischen Gehalts, aufgrund der Möglichkeit, falsch gedeutet zu werden, auf das Politische. Dieser Rest wird im kapitalistischen System vereinnahmt und somit entpolitisiert. Die Differenz zwischen finalem und ultimativ finalem Interpretant wird in das System geholt und eingeebnet. Der Rest beinhaltet als Stütze der Subjektivität all das, was nicht in die symbolische Ordnung integriert werden kann. Die heutigen Formen von Rassismus oder eskalierender Diskriminierung aus ethnischen oder religiösen Gründen basieren v.a. auf dem Leugnen dieses Mangels der symbolischen Ordnung. Im Unterschied zu einigen poststrukturalistischen Theorien zeigt die Zwingende Theorie aber auch, dass es nicht reicht, darauf zu insistieren, die Lücke nicht zu schließen. Der Befehl oder Imperativ würde wiederum nur zu einer überichhaften Selbstschließung oder Selbstobjektivierung führen.

322 Žižek 2004a, S. 279.

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Laut Žižek kann die „Nation“ weder auf ein Netz rein symbolischer Bindungen, noch auf rein natürliche Gegebenheiten reduziert werden. Stets gibt es eine Art „Überschuss des Realen“, der ihr anhaftet. So gesehen hat nicht das Symbol einen Überschuss, sondern das Reale schießt förmlich aus dem Symbolischen heraus. Die Aufhebung geht nie völlig auf: Es bleibt ein Rest über, ein Überrest, der nicht zu dialektisieren ist, den man weder aufheben oder verinnerlichen kann, der aber implizit als Bedingung des dialektischen Prozesses wirkt. Dieses dritte Moment ist in der Zeichentheorie die Kluft zwischen dem dynamischen und dem unmittelbaren Objekt, deren kontinuierliche Nichtübereinstimmung aus der Perspektive des jeweiligen Interpretanten zugleich den Semioseprozess vorantreibt. Die Suche danach, wie diese Bindung zu erklären ist, teilt die Zwingende Theorie mit Peirces Suche nach einer Erklärung für den „Gemeinschaftsgeist“. Gesucht werden die Bedingung der Möglichkeit und die Bedingung der Unmöglichkeit des dialektischen/triadischen Prozesses. Systeme sind eine Art „Überschussentsorgungsmaschinen“, die den Überschuss zugleich hervorbringen und verdrängen müssen.323 Die Zwingende Theorie macht hingegen den Unterschied zwischen Verdrängen, Verleugnen, Verwerfen dieses Überschusses sichtbar. Wird der Überschuss in das System geholt, kann es außerhalb keine widerständigen Bereiche mehr geben. Es wird dann innerhalb des kapitalistischen Systems zu einer Implosion kommen, wenn das Kapital jenseits seiner selbst keinen Inhalt mehr hat.324 Die Zwingende Theorie möchte an die Stelle gelangen, an der das Subjekt eine freie Wahl dieses Umgangs mit dem Rest/Überschuss getroffen hat. Der Überschuss ist das, dessen Verlust den Subjekten misslang. Sie vermochten keine symbolische Distanz zum Überschuss zu gewinnen. Umgekehrt heißt das, dass die Fähigkeit, symbolische Distanz zum Überschuss einzunehmen, den Verlust eben dieses Überschusses garantieren würde. Nur weil es eine Kluft, eine für das Allgemeine selbst konstitutive Differenz gibt, kann es diesen 323 Vgl. Peter Fuchs: „Autopoiesis, Mikrodiversität, Interaktion“, in: Oliver Jahraus/Nina Ort (Hg.), Bewußstein, Kommunikation, Zeichen. Wechselwirkungen zwischen Luhmannscher Systemtheorie und Peircescher Zeichentheorie, Tübingen: Niemeyer 2001, S. 49-71, hier S. 64. Fuchs schreibt ebd.: „Die Sorge um das Entsorgte ist schließlich das eigentliche Problem, auch in der Welt des Sinns, in der sich offenbar nichts entsorgen (!) lässt.“ 324 Vgl. TS, S. 496. Žižek argumentiert in diesem Punkt in Anlehnung an Frederic Jameson und dehnt – ähnlich wie Bourdieu – den Kapitalbegriff z.B. auf den Kunstbereich aus. Auch hier hat die Entsubstantialisierung so weit geführt, dass in Kunstausstellungen alles – ob Pornographie, Darmspiegelung oder verstümmelte Tierkörperteile etc. – möglich ist. Das kulturelle Kapital dehnt sich in die pathologischsten Schichten aus, um diese zu kolonialisieren.

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Überrest geben. Gerade die Kategorie der Überdeterminierung bezeichnet das Hegelianische Paradox einer Totalität, die immer ein besonderes Element einschließt, das ihr allgemeines Strukturierungsprinzip verkörpert. Überdeterminierung bedeutet in diesem Falle die Determinierung des Ganzen durch eines seiner Elemente, dem nach abstrakter Klassifizierung nur eine untergeordnete Rolle zukommt, und das als Teil der Struktur das Ganze „umhüllt“. Das Überschuss-Element als Erscheinungsform des Mangels verkörpert das Allgemeine in seiner negativen Form. Durch den Punkt, an dem das Allgemeine sich in seiner gegensätzlichen Bestimmung antrifft, wird die signifikante Struktur selbst subjektiviert. Das Subjekt existiert nach Žižek nur in dieser verfehlten Begegnung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen.325 Begriffe wie Souveränität, Demokratie, Freiheit etc. sind wirksam gerade weil sie überdeterminiert, mangelhaft, sind.326 Ob sie daher allerdings „leer“ gehalten werden können, wird noch im Zusammenhang mit dem psychoanalytischen Subjektbegriff zu diskutieren sein. Das Subjekt hat in dem Rest – dem uneinholbaren Objekt klein a – seine Ursache. Diese Ursache ist aber nicht dem Symbolischen vorgängig, sondern konstituiert sich nachträglich. Die Figur der nachträglichen Ursache versteht sich analog zu Hegels Wesenslogik, wonach die Notwendigkeit selbst kontingent ist.327 Sind die zwei Thematisierungsweisen des Restes – das Reale über dem Symbolischen und das Symbolische über das Reale – ihrer Struktur nach also die beiden spezifischen Weisen, Hegels unendliches Urteil zu interpretieren?

2.3 Schlechtes und echtes unendliches Urteil Existiert nunmehr überhaupt eine Position, die nicht dem symbolischen Gesetz unterworfen ist? Die Über-Identifikation, z.B. mit einem militärischen System, verwandelt dieses System in einen Exzess, den es, im Interesse seiner eigenen Selbsterhaltung bzw. Reproduktion, eliminieren oder internalisieren muss.328 Die Vaterfigur ist die Figur, die durch Überi325 Vgl. Žižek GPF, S. 58f, HY, S. 58f: „Das Allgemeine als in sich Unterschiedenes.“ 326 Im Unterschied hierzu nimmt das von Rousseau inspirierte „Supplement“ Derridas eine andere Position ein. Das Supplement ist bei Derrida weder ein Überschuss noch ein Rest, weder ein mehr noch ein weniger, weder Innen, noch Außen. 327 Vgl. P. Widmer: Vorwort, S. 14f. 328 Dazu benötigt ein solcher Militärapparat wiederum interne Regularien wie polizeiähnliche Spezialeinheiten oder spezielle Militärgerichtshöfe zur Verfolgung krimineller Übergriffe von Militärangehörigen. Wie deren Agieren wiederum zu einem Mittel der Propaganda umfunktionali-

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dentifizierung mit eben jenem System außer Kraft gesetzt wird. In Kapitel III, 1.2. wird von hier aus danach gefragt, wie und ob diese Überidentifikation auch für das Rezipieren und Produzieren von (politischer) Theorie gilt. Macht bringt immer ihren eigenen Exzess hervor, der durch eine Operation ausgelöscht werden muss, die allerdings das nachahmt, was sie selbst bekämpft. In dieser Figur erkennt die Zwingende Theorie die Denkbewegung des „schlechten“ unendlichen Urteils. Die Gegensätze werden hier unvermittelt miteinander vereint bzw. sind zwei Seiten einer Medaille. Göhler wies darauf hin, dass sich Hegel mit dem unendlichen Urteil auf das Verhältnis des Einzelnen zur realen Stellung des Individuums in der (bürgerlichen) Gesellschaft bzw. im Staat bezieht. Gemäß dem so verstandenen unendlichen Urteil bewertet Hegel das Individuum gegenüber dem Individuum im Staat als niedrig: Im Staat werde das Individuum aufgehoben.329 Diese Deutung erinnert an das schlechte unendliche Urteil der Zwingenden Theorie: Was verloren geht, ist die Substanz, das Genießen. Aber Hegel kann auch anders gelesen werden und es ist das Verdienst der Zwingenden Theorie, diesen Aspekt hervorgehoben zu haben. Geht man in der Jenaer Realphilosophie zurück zum Verhältnis der Individuen in der vorbürgerlichen Gesellschaft, so findet sich ein Verhalten, das die Struktur des schlechten unendlichen Urteils aufweist. Die von Hegel beschriebene „Anerkennungstheorie“ erinnert, in unsere Zeit übersetzt, an das Zusammentreffen von Menschen verschiedener Kulturen: Man würde nach Žižek nur dem „koffeinfreien“ Menschen begegnen wollen, nicht aber mit dem konfrontiert werden, was den Nächsten ausmacht, nämlich sein Genießen. Das Andere wird nur anerkannt, insofern es mir gleich oder ähnlich ist. Das schlechte unendliche Urteil meint eine Internalisierung von Gegensätzen ohne substanziellen Inhalt. Hegels Metapher hierfür ist der Magnet, „der in der Mitte, in seinem Indifferenzpunkt, seine Pole zusammenschließt, die hiermit in ihrer Unterschiedenheit unmittelbar eins sind.“330 Das vermeintlich Dritte macht das Identische different und das Differente identisch. Es liegt wiederum das Problem vor, dass es vier Momente geben muss, um wirklich drei abzählen zu können. Das vierte Moment ist das Subjekt selbst als Überschuss-Moment, das trotz seiner reinen selbstbe-

siert werden kann, beweisen weltweit vertriebene TV-Serien wie „Navy CIS“ oder „JAG“. Die Exzesse (Übergriffe auf Zivilisten im Irak, Misshandlung auf Guantanamo etc.) werden darin von den titelgebenden Ermittlungsbehörden der US-Seestreitkräfte bzw. „Marinegerichtsbarkeit“ intern verfolgt. 329 Vgl. G. Göhler: Dialektik und Politik, S. 378. 330 EPW, S. 84.

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züglichen Negativität „etwas“ zählt.331 Dieses Überschuss-Moment entspricht dem Konvergenzpunkt der Peirce’schen Triade und dem Subjekt des (echten) unendlichen Urteils Hegels. Beim schlechten unendlichen Urteil handelt es sich um die reine Reflexivität von Begriffen und Argumentationen. Aber das Verleugnete dieser reinen Reflexivität kehrt gewaltsam und in reaktionärer substantieller Weise wieder: Im Ruf nach Autoritäten, im Fundamentalismus, in den Körperpolitiken etc.332 Das schlechte unendlichen Urteil zeichnet eine Figur nach, bei der die eigene Position von jedem positiven Inhalt befreit wird. Man gibt vor, von einem privilegierten leeren Platz aus zu sprechen, um so möglicherweise dem Kampf um Anerkennung – Hegels Herr-Knecht Verhältnis – zu entgehen. Diejenigen, die den Ort der Macht leer zu halten versuchen, sehen dabei nicht, dass sich dieser Ort auch in der Theorieproduktion – dem so genannten Diskurs des Wissens – befindet. Durch den Versuch, diesen Ort leer zu halten, verräumlicht man ihn an einer anderen Stelle. Es ist die Differenz, im Unterschied zu den Differenzen, die durch den Befehl verdeckt wird. Die Position des Subjektes ist die leere Allgemeinheit und nicht die Position seiner Aussage. Dies wird im Abschnitt zum Subjektbegriff die Unterscheidung zwischen dem Subjekt der Aussage und dem Subjekt des Aussagens zeigen. Das „Zwischen-Zwei“, die Kluft, ist das zentrale Motiv der Autoren der Zwingenden Theorie, das sie von den Theorien des Politischen unterscheidet. Die „Parodie“ des unendlichen Urteils ebnet diese Kluft ein, indem es die Gegensätze gleich macht. Auch die, v.a. seit den 90er Jahren, für Managerseminare so beliebten Imperative wie z.B.: „Sei Du selbst!“, „Sei authentisch!“, „Lass Dich gehen!“ etc. implizieren eine Art parodiertes unendliches Urteil, enthalten sie doch in sich ihr Gegenteil. Die permanente Suche nach dem authentischen, unmaskierten Ich führt – ein ähnliches Phänomen konnte bei der Theorie der symbolischen Politik festgestellt werden – dazu, Realität zu verdoppeln. Gerade weil es hinter dem „echten“ Gesicht nichts gibt – auch kein dumpfes Bewusstsein –, muss es ständig neu erfunden werden. Authentizitätsbekundungen können als Aufforderung, die eigene Identität permanent zu wechseln, gelesen werden.333 Das Urteil lautet: Extreme Individualisierung = Identi331 Vgl. Žižek GPF, S. 296, Anm. 14. 332 Vgl. TS, S. 499f, Anm. 50. 333 In seiner nach außen gebrachten Bildhaftigkeit verkörpert dies im modernen Hollywoodkino die Figur des Darth Vader aus dem STARWARS-Zyklus. Dessen Wechsel von der guten zur bösen Seite der Macht und die Überindentifizierung mit deren Zielen bis hin zum beabsichtigten Mord am leiblichen Sohn führte – in wortwörtlicher Bedeu-

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tätsverlust. „Das Unendliche der Möglichkeiten ist bloß die Unendlichkeit der Variationen ein und derselben Möglichkeit. Etwas anders ausgedrückt, ist die Unendlichkeit der Möglichkeiten das Korrelativ des Fehlens jeglicher (anderen) wirklichen Möglichkeiten.“334 Auf der Ebene des schlechten unendlichen Urteils, der spekulativen Identität, fällt das Imaginäre mit dem Realen zusammen. Im Bereich des Ökonomischen kann Žižek beinahe schon mit einer Phänomenologie der Supermarktprodukte aufwarten. Er listet Produkte, die den Verursacher ihrer eigenen Eindämmung enthalten bzw. die versuchen, sich ihrer Substanz zu entledigen, auf: Oben erwähntes Schokoladelaxativ, „Light“Produkte, die Fett ohne Fett enthalten, koffeinfreier Kaffee, Zigaretten ohne Nikotin, Bier ohne Alkohol, oder, wie es im Zuge der Gesundheitsreform 2006 zu beobachten war, eine Demonstration ohne Demonstration.335 Solch originelle Beispiele können nach Ladenschluss aus dem Supermarkt hinaus, auf das Schlachtfeld des Krieges verlegt werden, wo sie in der Gleichung münden: Krieg ohne Krieg. Das heißt, denjenigen, die den zweiten Golfkrieg weltweit auf dem Bildschirm verfolgten – und das war die breite Masse – wurde ein sauberer Krieg ohne Verluste auf der eigenen Seite und der Zivilbevölkerung vorgespielt. Eine klinisch reine Operation, Computerspielen gleich, ohne Opfer auf der eigenen Seite. Das Symbolische hat auch hier seine Wirksamkeit, seinen substanziellen Gehalt, verloren. Es ist reflexiv geworden: Ein Symbol ohne Symbol. Auf das Individuum bezogen spezifiziert Hegel das schlechte unendliche Urteil wie folgt: „Seine einzelne Freiheit ist nur sein Eigensinn – sein Tod.“336 Unendlichkeit meint ein unmittelbares Gegenteil ihrer selbst, also absolute Einzelheit. Wenn der einzelne von Allem absolut abstrahiert, kann er sich zu diesem Punkt machen. Er vermag jede Bestimmtheit von sich abzutrennen und im Tod seine absolute Unabtung – zum „Gesichtsverlust.“ Fortan muss Skywalker eine Maske tragen, hinter der sich nichts mehr verbirgt. Sein Sohn, Luke Skywalker, träumt, ohne von der Blutsverwandschaft zu wissen, davon, diese Inkarnation des Bösen zu vernichten. Im ödipalen Traum schlägt er den Kopf mit der Maske ab, und erkennt hinter ihr sein eigenes Gesicht. 334 A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 129. Die Einheit des Noumenalen und des Phänomenalen vertagt sich auch bei Kant ins Unendliche bzw. er setzte voraus, dass der Akt mit dem reinen Willen zustande gebracht werden solle. Vgl. auch TS, S. 520f. 335 Im Dezember 2006 mietete sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung 170 Hostessen als Demonstranten gegen die Gesundheitsreform. Vgl. http://www.berlinonline.de/berinerzeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/20 06/1218/politik/0066/index.html vom 04.01.07. Von Journalisten darauf angesprochen, ließ die KBV verlauten, es habe sich ohnehin nicht um eine Demonstration, sondern um eine PR-Kampagne gehandelt. 336 JR (= Anhang), S. 327, Anm. 4.

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hängigkeit und Freiheit zu realisieren.337 Daraus folgt ein Anerkennen des Todes, des Eigensinns und Eigenwerts. Der Punkt ist die einfache leere Einzelheit, getrennt durch eine leere beziehungslose Kluft, die nicht in Wahrheit aufgehoben wird. Gesucht wird also beim echten unendlichen Urteil nach demjenigen Akt, der in Wahrheit aufgehoben werden könnte. Wie und wieso bringt Macht also einen Exzess hervor? Weil sie immer noch mehr Macht braucht. Ist dieser Exzess dann das Genießen oder nur etwas Ähnliches? Weil sie ja irgendwie das, worüber sie Macht hat, nicht verlieren darf. Widerstand gegen die Macht kann der Macht nur zugute kommen. Um sich nicht durch den Exzess selbst abzuschaffen, braucht sie den Widerstand. Die Zwingende Theorie will die Machtstrukturen der kapitalistischen Welt aufzeigen und demonstrieren, dass sie, um eingedämmt und gleichzeitig erhalten zu werden, nach dem Prinzip des schlechten unendlichen Urteils, quasi als fixiertes Bewegen, funktionieren. Die Struktur des schlechten unendlichen Urteils kann als Machtprozess gesehen werden, der seinen eigenen Exzess – ähnlich dem unechten Zweifel bei Peirce und Luhmann – beständig hervorbringt. Gesucht wird also nach einer Bewegung, die diesen Prozess unterläuft. Kann symbolische Autorität analog dem echten unendlichen Urteil gelesen werden? Die Zwingende Theorie kennt eine Figur, den so genannten Durchgang durch den Nullpunkt, der strukturelle Analogien zu Hegels unendlichem Urteil aufweist. Es geht dabei um die Perspektive, die sich nach diesem Durchgang, nach der Suspendierung aller symbolischen Bindungen, geändert haben wird. Hier wird ein Rückzug beschrieben, durch den wir auf den „Verzicht selbst verzichten.“338 Im Unterschied zum echten Suizid, bei dem das Subjekt immer noch versucht, eine Botschaft an den großen Anderen zu senden – es verzichtet auf das Leben, und der große Andere soll dabei Zeuge dieses Verzichts sein – akzeptiert es im symbolischen Suizid die Nichtexistenz des großen Anderen: Es verzichtet auf den Verzicht. Nur der symbolische Suizid kann also in Wahrheit aufgehoben werden. Wichtig ist, dass der Akt nur gelungen ist, wenn das Subjekt wieder einen Platz in einer neuen symbolischen Identität, einem neuen Performativ oder neu begründetem Wort findet. Neu bedeutet dann keinen evolutionären Fortschritt, kein experimentieren mit Identitätsentwürfen, sondern ganz im Gegenteil bedeutet es, das Alte aus einer neuen Perspektive zu sehen. Die Grundbegriffe der psychoanalytischen Theorie können nur verstanden werden, wenn erklärt wird, wie sich das 337 JR (= Anhang), S. 326. 338 Žižek GDR, S. 41.

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Subjekt auf diese Begriffe bezieht bzw. wie es durch die Begriffe konstituiert wird. Hegels „unendliches Urteil“, sein berühmtes Postulat „Der Geist ist ein Knochen“, bezeichnet das Zusammenfallen von uneingeschränkter Negativität mit einem nicht-dialektisierbaren Überrest.339 Hegel konstatiert: „Die andere Seite der selbstbewussten Individualität aber, die Seite ihres Daseins ist das Sein als selbständig und Subjekt oder als ein Ding, nämlich ein Knochen; die Wirklichkeit und Dasein des Menschen ist sein Schädelknochen. Dies ist das Verhältnis und der Verstand, den die beiden Seiten dieser Beziehung in dem sie beobachtenden Bewusstsein haben.“340 Der Knochen hat die Bedeutung, die unmittelbare Wirklichkeit des Geistes zu sein. Der Schädelknochen ist nach Hegels Zeichenverständnis kein Zeichen – an ihm ist nichts anderes zu sehen und zu meinen als nur er selbst: „In seinem Resultate spricht das Bewusstsein dasjenige, dessen bewusstlose Gewissheit es ist, als Satz aus, – den Satz, der im Begriffe der Vernunft liegt. Er ist das unendliche Urteil, dass das Selbst ein Ding ist, – ein Urteil, das sich selbst aufhebt. […] Das Moment jenes unendlichen Urteils ist der Übergang der Unmittelbarkeit in die Vermittlung oder Negativität.“341 Das unendliche Urteil ist der ultimativ finale Interpretant als Horizont. „Das unendliche Urteil als unendliches wäre die Vollendung des sich selbst erfassenden Lebens;“342 Die Hegel’sche absolute Reflexion ist in sich selbst durch ihre eigene Unmöglichkeit verdoppelt bzw. „vermittelt“, so wie z.B. der Fleck des Spiegel-Bildes für das Subjekt konstitutiv ist. Es „ist“ nur, insofern das Spiegel-Bild, auf das es blickt, innerlich inkomplett ist. Das Subjekt selbst verhält sich korrelativ zu diesem Makel. Wie vermag nun „der Geist ist ein Knochen“ in dieser Hinsicht interpretiert zu werden? Die erste Lektüre dieses Hegelzitates hinterlässt laut Žižek ein Gefühl der absurden Inkompatibilität zwischen dem Subjekt und seinem Prädikat – aber der spekulative Begriff des „Subjekts“ beruht genau auf dieser Spaltung, dieser Negativität und Irritation. Um zur spekulativen Wahrheit eines Verstandessatzes zu gelangen, muss in seine Bedeutung unsere subjektive Position des Aussagens eingeschlossen werden. Erst das für unsere subjektive Reaktion Gehaltene – das Gefühl des Scheiterns, der Nicht-Übereinstimmung – definiert das Ding selbst.343 Die reale Wirkung des Satzes besteht im Missklang, den sie im 339 340 341 342 343

Vgl. Žižek NAR, S. 258, Anm. 39. PhG, S. 250. PhG, S. 260f. PhG, S. 262. Vgl. Žižek GPF, S. 297, Anm. 18.

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Leser weckt. Dieser Missklang sollte als das, was den Geist umschreibt, interpretiert werden. Der Geist ist das Ding, das definiert werden soll; eine Definition, die nur durch den Bruch zwischen Subjekt und Prädikat möglich zu werden scheint. Der Hegel’sche Geist als „Knochen“ steht für den Rest, das Hindernis, das die Selbsttransparenz des performativen Aktes verhindert. Analog dazu kann das Königsbeispiel aus Hegels Rechtsphilosophie gelesen werden, das bereits im Exkurs zum Symbolbegriff angesprochen wurde. Žižek schreibt über Hegels Monarchen: „[…] er muß sich nicht selbst durch die Arbeit des Negativen, durch ihre Bewegung des Aufschubs, ‚bilden‘; er inkarniert den drohenden Krieg, der jeden Moment das komplexe Sozialgefüge verschlingen kann […], als er der Rest der biologischen ‚Unmittelbarkeit‘ ist, das letzte Stück roher, nicht-aufgehobener, nicht-vermittelter Natur (man ist König durch Geburt, nicht durch Verdienst…).“344

Gerade durch diesen Rest – wenn er vergessen bzw. verdrängt wird – kann sich das Subjekt als ein selbsttransparentes wahrnehmen. Unendlichkeit bedeutet – wie schon im Exkurs zum Symbolbegriff ausgeführt – nicht grenzenlose Expansion, sondern aktive Selbst-Begrenzung.345 Nach Žižeks Hegelinterpretation ist das Leben die Grundform der Unendlichkeit, da es nicht nur von einem Außen determiniert wird, sondern den Modus der Determination selbst zu determinieren vermag.346 Und Peirce schreibt: „So ist ein Zeichen, das bloß sich selbst für sich selbst darstellt, nichts anderes als das Ding selbst. Die beiden unendlichen Folgen – die eine zurück zu dem Objekt, die andere vorwärts zum Interpretanten – fallen dann in einer unmittelbaren Gegenwart zusammen.“347 Dies wäre analog dem schlechten unendlichen Urteil zu lesen. Der Übergang vom schlechten zum echten unendlichen Urteil zeigt, dass die „Negation der Negation“ keine unmittelbare Identität herstellt, sondern das universale Feld, das durch das schlechte unendliche Urteil unberührt bleibt, negiert.348 Das politische Element des Subjekts bestünde in der Fähigkeit, den Rahmen, innerhalb dessen Genießen möglich ist, zu verschieben. Das kann weder durch eine (normative) politische Theorie geschehen, noch kann man sich diese Verschiebung selbst befehlen oder durch andere befehlen lassen. Das Subjekt der Psychoanalyse ist der Punkt, an dem das ‚Selbst‘ von allen Inhalten abstrahiert erscheint. 344 Žižek NAR, S. 258. 345 Hier würde sich ein näherer Verglich mit dem Peirce’schen Topos der Selbstkontrolle lohnen. 346 Vgl. GL, S. 51. 347 SS Bd. 1, S. 427. 348 Vgl. Žižek GPF, S. 296, Anm. 16.

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Die psychoanalytische Theorie nennt dieses Subjekt das „Subjekt des Unbewussten“. Die Kluft bzw. die Subjektspaltung ist nicht das Unbewusste, sondern die Kluft ist unbewusst. Kluft und Unbewusstes können nicht seinsthematisch oder substanziell gefasst werden. Das Unbewusste hat somit auch nichts mit dem Lebenskontext des Subjekts zu tun, es steht für das Subjekt jenseits aller Beziehungen und Zusammenhänge. Abschließend wird daher das Subjekt aus psychoanalytischer Sicht rekonstruiert, um dann in einem letzten großen Kapitel durch die Verbindung der Zeichentheorie mit der Zwingenden Theorie bzw. der Zwingenden Theorie als Zeichentheorie die Grundzüge politischer Einbildungskraft zu entwickeln.

2.4 Subjektbegriff Die Zwingende Theorie fragt danach, wie ein Menschenbild ohne dogmatische bzw. attributive Zuschreibungen und Voraussetzungen konzipiert werden kann. Bei Aristoteles und Platon ist das Subjekt ein politisches, das zu einer ursprünglichen Einheit zurückfinden soll, bei Hobbes ist der Mensch per se schlecht, bei Rousseau ist er gut, liegt aber in Ketten. Erst mit Kant setzt der Versuch, das Subjektverständnis zu formalisieren und das Subjekt somit von einer vorausgesetzten Wesensvorstellung zu befreien, ein. Das Subjekt kann nicht länger auf ein „Ich“ als konstituierende Aktivität zurückgeführt werden. Innerhalb der Zwingenden Theorie wird es aus seinen Symptomen, Trugbildern, Verkennungen und Verwerfungen, also aus den intersubjektiven Strukturen, hergeleitet. Die intersubjektiven Strukturen sind der unbewusste symbolische Bereich, die symbolische Ordnung. Die intersubjektiven Strukturen – mit Peirce die allgemeinen Gewohnheitsbildungen – sind zwar unbewusst, sie sind aber nicht das Unbewusste, das ja eben gerade ohne Zusammenhängendes zu denken ist. Žižeks „tückisches Subjekt“, welches er in seinem Hauptwerk „Die Tücke des Subjekts“, entwickelt, leitet sich wohl von Hegel her. In Hegels Realphilosophie markiert das tückische Subjekt den Stand, der die rohe Masse ausmacht. Bei Hegel handelt es sich um ein Subjekt, „das in seiner Dumpfheit mit sich zufrieden [ist], wenn ihm sein Recht nicht widerfährt, sich nur in seine Einzelheit reflektiert und tückisch wird, und, wenn es losschlägt als ein blindes, tolles Element tobt wie eine Wasserflut, die nur zerstört, höchstens allgemeinen befruchtenden Schlamm absetzt, aber sich verläuft, ohne ein Werk zustande gebracht zu haben.“349 349 JR, S. 272. Es handelt sich also um ein bisschen mehr als ein kitzliges, heikles (ticklish) Subjekt der englischen Version. Irgendwie scheint die Übersetzung ins Deutsche hier passender als das Original. Vgl. Slavoj

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Vor dem Hintergrund der Zwingenden Theorie gelesen, interessiert hier zweierlei: Zum einen kann das „blinde, tolle Element“ als Exzess bzw. als oben beschriebenes Genießen des Subjekts aufgefasst werden. Es gehört somit nicht explizit einem bestimmten „Stand“ an, sondern konstituiert das Subjekt indem es das ist, was eine völlige Selbstpräsenz des Subjektes mit sich verhindert. Die politisch relevante Frage lautet, wie mit diesem Exzess umgegangen werden kann, damit er zum anderen nicht in der selbstzufriedenen unpolitischen „Dumpfheit“ – die Form des Individuums, die Hegel durch das (schlechte) unendliche Urteil niedrig bewertet – und Einzelheit aufgehoben wird. Das selbstzufriedene Subjekt, das Subjekt des Imaginären, ist tückisch, weil es neben seiner Einzelheit nichts will, weil es sich eben nur in seiner Einzelheit reflektieren kann. Wie wir oben gesehen haben, kann aber auch das vermeintlich ethische Subjekt, das sich asketisch oder demütig kategorischen Imperativen beugt, ein tückisches Subjekt sein, denn auch der Bezug auf etwas, das nichts bezweckt, erzeugt einen Rest, ein (Mehr-)Genießen.350 Gesucht wird also nach dem Verständnis des Individuums, das als „tolles Element“ nicht in der Allgemeinheit aufgehoben wird. Betrachtet man den Gegensatz von Subjekt und Objekt, wird üblicherweise die Materialität auf Seiten des Objekts verortet. Das Subjekt steht eher für die mehr oder weniger transparente Beziehung des Denkens zu sich selbst. Žižek bezieht sich auf Schelling, der erstmals zeigte, wie das Subjekt immer schon ein Objekt ist. Gewöhnliche Objekte sind weniger materiell als das Subjekt, da ihnen die Opakheit, die Undurchsichtigkeit, fehlt, die für das Begehren des Anderen charakteristisch ist. Die Opakheit besteht in dem ewigen Rätsel folgender Frage, die ein Subjekt an ein anderes richtet: „Was willst Du (eigentlich) von mir?“ Ein gewöhnliches materielles Ding ist am Ende immer transparent. Die Zwingende Theorie entwirft also einen materialistischen Begriff vom Subjekt.351 Ein ganzheitliches Subjekt (z.B. als Einheit von Sinnlichem und Intelligiblem, Körper und Geist etc.) ist, weil es sich um eine Idee handelt, Žižek: The Ticklish Subject, London: Verso 1999. Den zugleich tückischen und kitzligen Status schreibt Žižek in seinem Buch „The Parallax View“ dem Objekt zu – das Objekt „kitzelt“ sozusagen das Subjekt. Und die Frage danach, welches Objekt dies vermag, macht den Kern (das Objekt) seines Buches aus. Vgl. Žižek 2006, S. 17. Das heißt natürlich, dass hier, in vorliegender Studie, gerade in der Suche nach dem Tückischen bei Hegel selbst eine gewisse Übertragungsfiktion vorliegt: Der Text und die einzelnen Begriffe von Žižek werden „überinterpretiert“ bzw. zu gründlich gelesen. 350 Vgl. A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 28f. 351 Vgl. Žižek NAR, S. 106.

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nur im Symbol darstellbar. Diese Idee kann jedoch niemals vorausgesetzt, sondern immer nur nachträglich als imaginäre Einheit symbolisiert werden. Das Gesetz der Symbole ist die Macht, die das Subjekt aus seinen imaginären Spiegelungen herausreißt und an ein Außen bindet. Das Lacansche Ego bzw. Ich ist v.a. ein körperliches Ich, die Projektion einer Oberfläche. Das Ich ist gespalten in ein „je“ und ein „moi“. Das „je“ ist das Subjekt des Unbewussten, und das „moi“ ist das durch das Gesetz des Vaters determinierte Ich. Somit ist das moi das Subjekt der symbolischen Ordnung. Dolar reduziert Descartes bekannte Formal auf: ich sage aus, also bin ich.352 Wenn das Ich aussagt – als Subjekt des Aussagens – ist es und daraus folgt, dass es dort nicht denkt. Das Denken ist woanders. Das Subjekt des Unbewussten (je) ist in dem, was ausgesagt wird, abwesend. „Ich denke, wo ich nicht bin, also bin ich, wo ich nicht denke.“353 Zeichentheoretisch gefasst produziert der Interpret nicht die Bedeutung des Zeichens, seinen Interpretanten, sondern das Zeichen erschafft in einem bestimmten Kontext einen Interpretanten in einem Rezipienten oder Zeichenempfänger, der durch diesen Prozess ein Interpret werden kann. Das Subjekt kann die intersubjektiven Wirkungen dessen, was es sagt, nicht beherrschen; die Bedeutung seines Sprechens wird rückwirkend von einem anderen, dezentrierten Ort aus bestimmt.354 Der Andere könnte also mit der ersten der beiden Funktionen des Interpretanten verglichen werden.355 Der Andere verankert den Raum (die „erste“ Triade als Präsemiotisches, das den Zeichenraum allererst eröffnet/ermöglicht), in dem ein Dialog – „zweite“ Triade – entstehen kann und Bedeutung möglich wird, die sich jenseits der Sprecher, in einer anderen Position befindet. Was ist das formale Sein des Bewusstseins anderes als das Unbewusste? Diese erste Triade? Die Zeichendefinition ohne Attribute? Das formale Sein ist aber nicht die lediglich analytisch zu verstehende „erste“ Triade, sondern selbst ein Semioseprozess. Das Unbewusste kommt dem Zeichenprozess ohne Attribute und ohne Fremdreferenz nahe. An dem Punkt, an dem von jeglichem Inhalt abstrahiert wird, am Ort des leeren Nichts, ist nach der Zwingenden Theorie die einzige echte Setzung möglich. Die erste Funktion des Interpretanten der ersten Triade wäre dann eigentlich keine Funktion, sondern ein Platzhalter, unwillkürlich und ohne Sinn. Er wäre Drittes, ohne 352 Vgl. Mladen Dolar: „Das Cogito als das Subjekt des Unbewußten“, in: Jürgen Trinks (Hg.), Bewusstsein und Unbewusstes, Wien: Turia & Kant 2000, S. 46. 353 J. Lacan Sem II, S. 43. 354 Vgl.R. Salecl: Die Gesellschaft, S. 28. 355 Vgl. N. Ort: Objektkonstitution, S. 313.

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strukturierendes Drittes zu sein. Durch seinen Bezug auf die Relation Repräsentamen/Objekt als Zeichenmittel würde er dann zum strukturierenden Dritten. Hiermit soll keine Realitätsverdopplung eingeführt werden, die Buchstäblichkeit ist nicht die eine Realität und das „dahinter“ die andere. Für jede intersubjektive Situation ist dieses „dahinter“ – also der Andere – konstitutiv. Es muss also immer ein Subjekt geben, welches das „dahinter“ erwartet. Das „dahinter“ ist unbewusst. Das Begehren findet nur deshalb eine Form, weil das eigene Begehren mit demjenigen eines anderen identifiziert wird, es ist immer schon an eine Welt der Zeichen gebunden. In dieser Zeichenwelt steht der imaginäre Bereich für ein Begehren nach Identität der Zeichen mit den Dingen. Die Welt der Symbole widersetzt sich diesem imaginären Bereich. Es kommt also darauf an, wie ein symbolisches Subjekt entworfen werden kann, und welche Rolle die imaginären und realen Momente im symbolischen Subjekt spielen. Zunächst soll dabei noch einmal näher auf das „blinde tolle Element“ des Subjekts, das nur verdrängt, verleugnet oder verworfen, nicht aber aufgehoben werden kann, eingegangen werden.

2.4.1 Das blinde tolle Element oder der Wille zur Freiheit Da für die Zwingende Theorie ähnlich wie für die Zeichentheorie von Peirce eine narrative Geschlossenheit für Realitäts- bzw. Wirklichkeitskonstruktionen konstitutiv ist, muss es immer auch etwas geben, das die Realitätserfahrung mit dem verbindet, was verborgen bleibt. Narrative Geschlossenheit bedeutet lediglich das Vermögen, sich seine eigene Lebensgeschichte als stringente Aneinanderreihung kontingenter Einzelerlebnisse erzählen zu können. Žižek beschreibt diese Verbindung mit der Metapher einer ‚Nabelschnur‘. Die Nabelschnur krümmt den narrativen Raum und verbindet ihn mit seinem Aussageprozess. Der Aussageprozess ist bereits in den narrativen Raum eingeschrieben. Die Metapher der Nabelschnur steht also nicht wie Platons Nabelmetapher des Mythos von Aristophanes (Vgl. Einleitung, 3. Exkurs: Symbolbegriff) für die verloren gegangene Ganzheit. Der Nabel in Platons Symbolbegriff erinnert bzw. symbolisiert den Mangel, der zur Ganzheit fehlt. Žižek hingegen schreibt: „Die ‚narrative Geschlossenheit‘ ist somit ein anderer Name für die Subjektivierung, durch die das Subjekt einer Reihe von Kontingenzen retroaktiv Bedeutung verleiht und seine eigene symbolische Bestimmung annimmt, d.h. seinen Platz in der Textur der symbolischen Narration (wieder)anerkennt.“356

356 Žižek 2002, S. 229. Siehe auch US, S. 33ff.

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Jede narrative oder symbolische Fixierung ist somit parteilich, und jeder Versuch einer Symbolisierung in diesem Sinne hängt von der Parteilichkeit und Position des Aussageprozesses ab. Es kommt also darauf an, den tückischen Eigensinn von einer anderen Form von Eigensinn zu unterscheiden: dem „blinden tollen Element“. Die „Nabelschnur“ verbindet ein Allgemeines mit einer partikularen subjektiven Position, ohne die es kein Allgemeines wäre. Der Staat muss auf einem kontingenten persönlichen Element, z.B. Hegels Monarchen, beruhen, um sich als Struktur der allgemeinen Vermittlung allen partikularen sozialen Inhalts zu verwirklichen.357 Nur so kann erklärt werden, wie die Form des Narrativs bzw. der eigenen Lebensgeschichte des Subjekts, die sich doch aus nicht determinierten Einzelerfahrungen zusammensetzt, zustande kommt. Die Form muss als unbewusste und unsinnige Struktur bereits da sein. Dies ist durchaus mit der Zeichentheorie kompatibel: Es muss immer von einer Struktur aus Gewohnheitsbildungen und Überzeugungen ausgegangen werden, ohne dass diese aber bereits bekannt ist. Anstelle der Metapher einer Nabelschnur, durch die diese kontingenten Elemente verbunden sind, kann das Peirce’sche Kontinuum eingesetzt werden. Von hier aus wird ersichtlich, dass das vermeintlich subversive Brechen der Regeln, die den Zusammenhalt des narrativen Raums gewährleisten, zu erneuten Schließungen innerhalb des gleichen Rahmens führt. Symbole können so einerseits als etwas verstanden werden, das Kontingenz reduziert und dem Bedürfnis der Menschen nachkommt, das gesellschaftliche Leben als unwandelbar und unveränderlich zu gestalten. Andererseits beruhen sie eben dennoch auf einem kontingenten Element. Es wird noch zu zeigen sein, dass jede Form von Veränderung – will sie nicht im Imaginären verhaftet bleiben – wiederum nur über Symbole möglich ist. Worin besteht aber dieser Zusammenhang zwischen Fixieren und Bewegen? Muss und kann sich das Subjekt seiner tückischen Seite bewusst werden, um zur Freiheit – der „tollen“ Seite – zu gelangen? Und kann es dabei buchstäblich nur blind vorgehen? Zunächst könnte man annehmen, dass dies nur über den Willen geschehen kann. Zupanþiþ hat aber gezeigt, dass der Wille nicht mit dem Gesetz der Freiheit und nicht mit dem Gesetz der Natur zusammenfallen kann. Er liegt gewissermaßen quer zu beiden.358 Nur für ein gottähnliches Wesen wäre das Gesetz auch seine Natur, da es kein Begehren kennt. Nur der ultimativ finale Interpretant hat das gesamte Zeichenuniversum zu seinem Objekt, das er auch noch selbst repräsentiert.359 Das Begehrungsvermögen bleibt die grundlegende Struktur der Subjektivität 357 Vgl. Žižek NAR, S. 4f. 358 Vgl. A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 59ff, S. 74f. Siehe auch US, S. 32f. 359 Vgl. zum ultimativen finalen Interpretant W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie, S. 333.

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und ist in allem Handeln des Subjekts wirksam. Der Mensch existiert immer in seiner Exzentrizität, denn nur von da aus könnte man sagen: Er hat in Übereinstimmung mit dem Gesetz gehandelt bzw. sein Handeln ist nicht mit dem Gesetz zusammengefallen. Nach Kant spricht das Gesetz im Namen der Vernunft. Im Gesetz spricht die Vernunft zum Menschen. Für Lacan hingegen ist das Gesetz eher Ausdruck für die Vernunft der Sprache als für die Vernunft des Menschen.360 Die Sprache schöpft – wie schon anhand des Repräsentationsbegriffes im Kapitel zur Zeichentheorie gezeigt wurde – auch in der psychoanalytischen Theorie ihre Bedeutung und Rationalität nicht aus einer außersprachlichen Evidenz oder aus einer sprachlosen Wirklichkeit, sondern allein aus dem Mechanismus der Verschiebung und Verdichtung zwischen verschiedenen Sprachzeichen. Nimmt man das topologische Modell des Möbiusbandes, dann ist das, was sich sowohl Innen als auch Außen befindet das Denken. Um zur Existenz zu gelangen, muss es aber auf der Innenseite der Unterscheidung in Zeichen verkörpert werden. Wenn Denken auf beiden Seiten zu finden ist, gibt es ein je-Denken und ein moi-Denken. Der Zwingenden Theorie geht es um das je-Denken. Würde diese Subjektspaltung als irreduzibel gesetzt, hinderte sie das Subjekt am Handeln. Eine rein moralische Handlung ist unmöglich, da immer pathologische Neigungen mitschwingen: Man handelt niemals rein aus Pflicht. Das Subjekt durchbricht den Teufelskreis, indem es blind zur Tat schreitet.36 Bei dem „blinden tollen Element“ handelt es sich also um das, was die Subjektspaltung ausmacht. Daher kann das Unbewusste umgekehrt als die „körperlose rationale Maschine“362 betrachtet werden. Das Unbewusste steht für das Subjekt jenseits seiner Beziehungen zu anderen Subjekten. Es gibt immer etwas, das sich dem lebensweltlichen Kontext widersetzt, etwas jenseits des Realitätsprinzips. Weil das schwer zu verstehen oder zu ertragen ist, ist es verlockend, sich in Metaphysik zu flüchten. Zeichentheoretisch betrachtet geht es um das, was die Umwelt eines Zeichensystems ausmacht. So gesehen wäre das tolle Element die Schnittstelle zwischen dem Zeicheninnen und dem Zeichenaußen. Da es aber einen kontinuierlichen Übergang gibt, und da ferner, wie schon mehrfach betont, auch im Umweltbereich Zeichen wirken, kann diese Kluft nur zwischen einem Zeichensystem und seiner Umwelt Sinn ergeben. Wenn das Symptom ein Signifikant eines Signifikates ist, das aus dem Bewusstsein des Subjekts verdrängt wurde, vermag es als Symbol zu fungieren und hat aufgrund seiner semantischen Ambiguität teil an

360 Vgl. P. Widmer: Vorwort, S. 46. 36 Vgl. HY, S. 87. 362 NW, S. 3.

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der Sprache.363 Dieses Signifikat kann aus der Perspektive des Bewusstseins(zeichen)systems nur das dynamische Objekt sein, das über das Repräsentamen als Schnittstelle durch einen kategorialen Wechsel in der Sprache symbolisiert wird. Das Unbewusste kommt als Untersagtes, nicht-rationalisiertes sozusagen als Gegensinn zur Sprache. Die für die Sprache konstitutive Leerstelle – der ausgeschlossene Signifikant – führt überhaupt erst dazu, dass Sprache (Signifikantenketten) entsteht. Laut Žižek handelt es sich um eine Kluft, die „unaufhörlich auf ihrer Erfüllung insistiert.“364 Das Genießen als Manifestation des Realen, als einzige Substanz, die die Psychoanalyse kennt, kann hier genauer gefasst werden. Es ist das Genießen, das den alltäglichen Sinn unterminiert. Das Genießen ist zwar von der Erfahrung des sprechenden Subjekts ausgeschlossen und kann nur in Form eines Überschusses beobachtet werden, es ist aber auch nur durch unseren Eintritt in die symbolische Ordnung als Ordnung der Sprache möglich.365 Repräsentiert wird das Genießen durch das Objekt klein a, das z.B. auch den Hintergrund jeder symbolischen Institution markiert. Eine psychoanalytisch inspirierte Theorie der Integration durch Institutionen müsste genau hier ansetzen. Wenn wir genießen, genießen wir quasi zwanghaft, als Pflicht, die uns durch das Über-Ich auferlegt wird. Die Stimme des Über-Ichs fungiert somit regelrecht als Objekt. Die Phantasie hilft, das geradezu traumatische Genießen zu verdrängen, indem man sich beispielsweise als zynisches Subjekt gibt, indem man einem Arbeitsfetisch frönt, indem man von der perfekten Liebe träumt etc. Das gespaltene Subjekt wird durch Phantasien vor seiner Spaltung geschützt und gleichzeitig lähmt die Phantasie das Subjekt. Sie macht bewegungslos und fixiert das Subjekt in seiner Einzelund Dumpfheit. Ziel der Zwingenden Theorie ist es, den arbiträren und grundlosen Charakter von Phantasien zu enthüllen und gleichzeitig die Notwendigkeit bzw. Unumgänglichkeit solcher Phantasien aufzuzeigen.

2.4.2 Das quasi-transzendentale Subjekt des Mangels Um den grundlosen, abgründigen Charakter der Phantasie zu enthüllen, ist es zunächst noch einmal sinnvoll, an die Unterscheidung von Begehren und Genießen zu erinnern:

363 Vgl. Lacan Sch I, S. 22. 364 GL, S. 6. Der philosophische Name dieser „Selbstkontraktion“ heißt nach Žižek „abstrakte Negativität“. 365 Es ist, wie Jodi Dean in ihrem Text zur politischen Theorie Žižeks schreibt „the price of our entry into language.“ Jodi Dean: Žižek’s Politics, New York: Routledge 2006, S. 5.

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„Das Begehren ‚hebt‘ an, wenn ‚Etwas‘ (seine Objekt-Ursache) sein ‚Nichts‘, seine Leere verkörpert, ihm eine positive Existenz verleiht: Dieses ‚Etwas‘ ist [...] ein bloßer Schein, den wir nur ‚von der Seite her betrachtet‘ deutlich wahrnehmen können. Es ist gerade diese Logik des Begehrens (und nur diese), die die bekannte Weisheit ‚Von nichts kommt nichts‘ Lügen straft: In der Bewegung des Begehrens ‚kommt Etwas von Nichts‘ es trifft zu, daß die ObjektUrsache des Begehrens ein bloßer Schein ist, aber nichtsdestotrotz löst sie eine ganze Kette von Konsequenzen aus, die unser ‚materielles‘, ‚effektives‘ Leben und Handeln bestimmen.“366

Das Subjekt des Begehrens ist auf der Suche nach der fehlenden ObjektUrsache, dem Zauberwort, welches das Nichts des Begehrens verkörpern könnte. Kann man also gar nicht nicht Begehren? Das Begehren ist unerreichbar und genau das hält es aufrecht. Lacans ethischer Imperativ, nicht im Begehren nachzulassen, heißt im Umkehrschluss aber auch, dass es möglich ist, vom Begehren abzulassen. Das Genießen ist dagegen nicht etwas, das unserem Zugriff immer wieder entkommt, sondern gerade etwas, dessen wir uns nicht entledigen können. Wenn man asketisch auf das Genießen verzichtet, sich ihm entsagt, bringt dieses Verhalten stets einen Rest an Genießen hervor. Wir beginnen plötzlich, die Askese, die 60-Stunden-Woche, den Konsumverzicht, die Diät, etc. selbst zu genießen. Die Zwingende Theorie hat also nichts mit denjenigen psychoanalytischen oder psychologischen Theorien zu tun, die das Subjekt dazu bringen möchten, den Mangel oder die symbolische Kastration anzunehmen und auszuhalten.367 Schon in der Mutter-Kind Beziehung liegt das Begehren der Mutter jenseits von dem, was sie sagt. Das Begehren der Mutter ist dem Kind unbekannt und unerklärlich, es ist strukturell unbewusst. Aufgrund dieser Opakheit des Begehrens, konstituiert sich das Begehren des Subjekts.368 Das durch semiotische Relationen konstruierte Unbewusste ist der Diskurs des Anderen, weil das Subjekt den Punkt, von dem aus es begehrt, nicht kennt. Im Intervall zwischen zwei Signifikanten, aus der Perspektive von Peirce zwischen dem Interpretanten und dem Repräsentamen, in das er sich transformiert, hat das Begehren sein Terrain. Ist es dann auch das Begehren, das den Semioseprozess in Gang hält bzw. überhaupt erst anstößt? Es müsste zunächst nach der Art des Semioseprozesses gefragt werden. Das Begehren treibt sozusagen den ethisch gefassten Semioseprozess, nicht aber den puren Zeichenprozess an, da dieser auch in subjektlosen Pro366 Žižek 1992, S. 22. 367 Vgl. Žižek NAR, S. 120-123. 368 Vgl. Lacan Sem XI, S. 230. Siehe auch N. Ort: Objektkonstitution, S. 140.

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zessen zu beobachten ist. Das Begehren verfügt über kein ihm zugehöriges positives Objekt. Das Ding hingegen liegt den Objekten logisch voraus. Damit wäre das außersemiotische Objekt sozusagen durch die Nabelschnur des Repräsentamens auf der Innenseite des Zeichensystems als unmittelbares Objekt repräsentiert. Ding und Objekt unterscheiden sich wie dynamisches und unmittelbares Objekt. Die Rolle des nicht positiv bestimmbaren Objekts besteht gerade aufgrund seiner Undurchdringlichkeit darin, das Begehren aufrechtzuerhalten. Das Zeichenkontinuum gewährleistet, dass das Repräsentamen zum Medium (Nabelschnur) werden kann. Mit Žižek gelesen, wäre das außersemiotische Objekt das Ding, das dem Realen angehört. Das Objekt klein a als paradoxes Objekt ist die Ursache des Begehrens und wird gleichzeitig durch das Begehren hervorgebracht. Das Objekt klein a determiniert die Struktur bzw. Form des Begehrens des Subjekts. Das Begehren als das Begehren des Anderen wird durch den Objektmangel hervorgerufen. Das Subjekt kann, da es zum großen Teil unbewusst ist, nicht als Agens vorausgesetzt werden. Andererseits soll gerade das nicht-intentionale Subjekt des Unbewussten eben doch als Agens gedacht werden. Es ist immer wieder diese Figur der doppelten Interpretierbarkeit, die ein dreiwertiges Zeichensystem eröffnet. Das Genießen, das sich als ausgeschlossener Rest jeder Symbolisierung widersetzt, hat immer etwas Zwanghaftes an sich. Es befindet sich zwischen der ordnungsgenerierenden Kraft des Gesetzes und der Lust am Genießen. Das heißt, dass das Genießen nicht wiederum selbst genossen werden kann. Es befindet sich jenseits des Lustprinzips. Das Lustprinzip beschützt vielmehr das Subjekt vor dem Genießen. Ein Workaholic kann sich z.B. einreden, wie schön es wäre, weniger zu arbeiten. Das Begehren als Effekt der ursprünglichen Teilung des Subjekts bewirkt, dass das Subjekt dem Begehren unterworfen ist. Kann sich das Subjekt nun den entfremdeten substantiellen Gehalt aneignen? Žižek fragt mit Hegel nach dem Punkt, an dem die Substanz ins Subjekt übergeht und findet eine Analogie dieser Frage am Ende von Hegels Wesenslogik. Hegel zeigt dort, wie mit dem Wandel von der absoluten Notwendigkeit zur Freiheit die objektive in die subjektive Logik übergeht. Der dritte Teil der seiner Wesenslogik (Wirklichkeit) fragt: Wie können wir eine Kontingenz formulieren, die nicht mit der Notwendigkeit zusammenfällt? Es geht hier der Zwingenden Theorie nicht um die Kontingenz der Notwendigkeit, sondern umgekehrt darum, die Notwendigkeit der Kontingenz zu formulieren.369 Hier komme die Kategorie der Wechselwirkung ins Spiel: Die Ursache,

369 Vgl. HmL, S. 63-67. Siehe zum dritten Abschnitt der Wesenslogik Hegel WL Bd. 2, S. 186-237.

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die ihre Wirkung bestimmt, wird selbst durch diese Wirkung determiniert, und das ist mit dem Satz, „von der Substanz zum Subjekt“ zu gelangen, gemeint. Das Subjekt ist ein Effekt, der seine Ursache zur Gänze selbst setzt. Das Subjekt negiert sich, indem es sein Alter Ego wird, dann negiert es dieses Alter Ego und wird wieder zum selbst, aber nicht zum selben selbst, sondern durch diese Bewegung ist es bereits von sich verschieden. Das Subjekt wird durch die doppelte Negation zur Substanz. Aus psychoanalytischer Sicht ist diese Wechselwirkung die gegenseitige Anerkennung des Mangels im Subjekt und im Anderen. Im Konflikt wendet das Subjekt sich an einen anderen, der zu haben scheint, was es begehrt.370 Das Konzept von Laclau/Mouffe demonstrierte bereits, dass sich jede Identität durch die Abgrenzung von einem Außen/Anderen konstituiert. Durch diese Grenzbildung erhält Identität eine Bestimmung. Will man die Grenzbildung nicht differenzlogisch bzw. rein reflexiv fassen, muss nach dem Ort gefragt werden, an dem das Subjekt mit der Leere konfrontiert wird. Häufig wird Identität verkürzt und nicht in ihrem antagonistischen Verständnis gesehen. Innerhalb der Sprache findet die Konfrontation mit dem Leeren nach Žižek an dem Punkt statt, an dem ein Prädikat erwartet wird. Identität ist dann der Überschuss, der eben nicht durch Prädikate erfasst werden kann. Man wartet auf ein vom Subjekt verschiedenes Prädikat, z.B.: „Gott ist....?“ Die hervorgerufenen Erwartungen werden enttäuscht „ist....Gott“: Gott = Gott. Die Erwartungen werden dadurch enttäuscht, dass derselbe Term wieder auftritt. Ohne diese minimale Zeitlichkeit bliebe der Satz A=A bloße Affirmation von Identität und kann den Effekt reinen Widerspruchs nicht erzeugen. Žižek bezieht sich dabei auf Hegels Identität als absoluten Widerspruch. Durch den dialektischen Prozess werde das Ding das, was es ist.371 Hier sei nochmals an das Verhältnis der Peirce’schen Replikas zum Legizeichen erinnert. Weder Identität noch Nichtidentität können als etwas Festes, Wirkliches verstanden werden. „Nicht das eine oder das andere hat Wahrheit, sondern eben ihre Bewegung, daß das einfache Dasselbe die Abstraktion und damit der absolute Unterschied, dieser aber, als Unterschied an sich, von sich selbst unterschieden, also die Sichselbstgleichheit ist.“372 Selbstidentität ist ein anderer Name für die absolute selbstbezügliche Negativität, für die negative Beziehung zu allen Prädikaten, die eine Identität definieren. Das Subjekt wird als eine auf den reinen Punkt negativer Beziehungen zu ihren Prädikaten redu-

370 Vgl. HmL, S. 67. Siehe auch Hegel WL Bd. 2, S. 237ff. 371 Vgl. Žižek GPF, S. 48. Siehe auch Hegel WL Bd. 2, S. 203f. 372 PhG, S. 568.

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zierte Substanz verstanden. Es ist die desubstantialisierte Substanz, deren Konsistenz in der Zurückweisung ihrer Prädikate liegt. Nach Marchart besitzt daher das immer schon dezentrierte Subjekt des Mangels einen quasi-transzendentalen Status.373 Das Subjekt stellt eine Denknotwendigkeit für die Möglichkeit und gleichzeitige Unmöglichkeit der Fixierung von Bedeutung dar. Das Subjekt des Mangels ist eine theoretische Kategorie, die von den so genannten Subjektpositionen verschieden ist. Von Subjektpositionen (z.B. die Arbeiterin, der Arbeitslose, der Familienvater, die Gläubige etc.) kann kontextbedingt in einzelnen Situationen gesprochen werden. Subjektpositionen markieren somit die ontische Dimension. Für die Politik wird Identität relevant bzw. spricht man von Identitätspolitik, wenn sie an der Konstruktion von Subjektpositionen beteiligt ist. Diese Konstruktionen verlaufen entlang stabiler Überzeugungen und Normen. Sie festigen sich durch Gewohnheitsbildung. Das Subjekt des Mangels nimmt eine strukturell notwendige Position ein, die sich nicht direkt in der „Realität“ finden lässt. Das Subjekt des Mangels ist das transzendentale Subjekt ohne jeden Inhalt. Es ist sozusagen durch das Transzendentale hindurchgegangen. Das reine Denken dieses Subjekts kann nur stattfinden, wenn das Subjekt sich mit dem sinnlosen Genießen – also oben beschriebener Exzess, der sich jenseits des Lustprinzips befindet – konfrontiert. Aus dieser Sicht ist das cogito der Punkt des Denkens, der allen Seins beraubt ist. Es ist ein inexistent-unmöglicher, phantasmatischer Blick, durch den das eigene Nichtsein beobachtet wird.374 Die Subjektpositionen hingegen füllen auf ontischer Ebene nur diese Leere aus. Für Žižek stehen bei dieser „Auffüllung“ v.a zwei Inszenierungsweisen des Subjekts im Vordergrund: Es setzt Ansprüche auf Anerkennung in Szene und inszeniert sich als Opfer. Das Subjekt muss aber nicht den eigenen Mangel annehmen, sondern den Mangel des Anderen; der Andere besitzt nicht das, was dem Subjekt fehlt, und kein Opfer kann diesen Mangel kompensieren.375

2.5 Rückblick auf Kapitel I Von hier aus kann das Begehren als Suchbewegung, hinter die Dinge zu gelangen, hinter sie zu schauen, sich einen privilegierten Zugang zur 373 Vgl. Oliver Marchart: „Das unbewußte Politische. Zum psychoanalytic turn in der politischen Theorie: Jameson, Butler, Laclau, Žižek“, in: Jürgen Trinks (Hg.), Bewusstsein und Unbewußtes, Wien: Turia & Kant 2000, S. 213ff. 374 Vgl. NW, S. 76. 375 Vgl. zu Beispielen des Opferdiskurses PZ, S. 188ff.

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POLITIKVERLUST?

Wirklichkeit zu verschaffen, verstanden werden. Die Theorien zur symbolischen Politik werden von dem Begehren – als Objektursache –, hinter die Dinge zu schauen, getrieben. Sie reflektieren dieses Begehren allerdings nicht innerhalb ihrer Theorie und verbleiben in einer Metaphorik der Moderne. Das würde bedeuten, das Begehren liegt hier v.a. darin, alles möge so weiter gehen, denn andernfalls könnte Politik nicht mehr als symbolische Politik kritisiert werden. Die Theorien der Politik tendieren dazu, autoritär zu werden, da sie nicht akzeptieren, dass Identität – auch die Identität der Gesellschaft – nichts anderes ist, als die reine Differenz: die Äußerung eines Mangels. Die Theorien des Politischen thematisieren diesen Mangel, lassen aber dabei wiederum Politik bzw. symbolische Autorität verschwinden. Ihr Begehren liegt darin, das, was Theorien der symbolischen Politik hinter dem Schein vermuten, selbst als Schein zu entlarven bzw. zu dekonstruieren. Wie können die verschiedenen Subjektbegriffe auf die politische Theorie bezogen werden können? Aus der Perspektive der Zeichentheorie ist interessant, dass das paradox konstituierte Subjekt der Zwingenden Theorie dreifach bestimmt werden kann: als imaginär, symbolisch und real. Das Subjekt ist somit dreifach dezentriert. Erstens mit Bezug auf den Anderen, wenn das Subjekt erkennt, dass das Ich ein Anderer ist. Zweitens hinsichtlich des Sprechens, das als Diskurs des Anderen schon vor dem Subjekt da war. Drittens durch das Begehren des Anderen. Das Paradox des Ursprungs erzeugt den Mangel, auf den sich das Begehren richtet.376 Im nächsten Kapitel wird analysiert, was das für die zeichentheoretische Perspektive bedeutet. Wie kann aus Sicht der Zwingenden Theorie ein semiotisches Subjekt konzipiert und in die drei Thematisierungsweisen von Politik – Politik, das Politische und politische Einbildungskraft – integriert werden?

376 Vgl. zum paradoxen Ursprung des Subjekts N. Ort: Objektkonstitution, S. 79. Siehe auch Stephan Moebius: Die soziale Konstituierung des Anderen. Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozilawissenschaft nach Lévinas und Derrida, Frankfurt am Main, New York: Campus 2003, S. 29.

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Relationierung des Politikbegriffs

1. Bewegtes Fixieren und fixierendes Bewegen Unter Zugrundelegung von Peirces Zeichentheorie konnte im bisherigen Verlauf der Untersuchung die Frage nach dem, was im Prozess der Bewegung Kontinuität gewährleistet, und die Frage danach, wie im Fixieren bereits der Anreiz zur Bewegung liegt, mit dem Begriff der Semiose beantwortet werden. Die politisch relevante Problemstellung, wie es so überhaupt zu Veränderungen kommen kann, und inwiefern das Subjekt Agent von Veränderungen ist, beantwortet Peirce mit der Logik der Abduktion.1 Wir nehmen durch Abduktionen wahr, diese sind aber auch immer unsicher. Es gibt hier also folgende Ambiguität: Die letzte Stütze für die Realität der Objekte erscheint zugleich als subjektives (regulatives) Prinzip und als noumenales Ding bzw. Idee. Den Abduktionsprozess treibt nach Peirce der Instinkt an2. Instinkthandlungen werden zielgerichtet durch innere oder äußere Reizeinwirkungen ausgelöst. Das Ziel ist dem Lebewesen nicht bewusst. Instinktiv ersetzt somit apriorisch. Diese anthropologische Erklärung, innerhalb derer zwischen einem sozialen und einem selbstsüchtigen Instinkt differenziert wird, soll mit der Psychoanalyse neu gelesen werden.3 Die Abduktion, die überraschende Tatsache, ausgelöst durch eine die Gewohnheit irritierende Erfahrung, muss in eine Deduktion überführt werden. Mit der Zwingenden Theorie können Irritationen auch als das 1

2 3

Eine andere Erklärung wäre das Peirce’sche Prinzip des Tychismus, also der These, dass Zufall physikalische Prozesse einzuschränken vermag und somit eine absolute Determiniertheit verhindert. Vgl. H. Pape: Einleitung Bd. 1, S. 51ff. lat. instinguere = anreizen, antreiben. Vgl. CP 7.278 und CP 1.648. Mitunter verwendet Peirce auch den Begriff „sentiment“ anstelle von Instinkt; siehe auch CP 1.634.

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Wiederkehren einer Verdrängung gelesen werden. Die Irritation scheint hier sowohl Bedingung der Möglichkeit von Veränderung als auch Bedingung für Gewohnheitsbildung und Überzeugungen zu sein. Wie nimmt dieser Umgang mit dem Unbehagen, den Irritationen und Verstörungen, Einfluss auf die Konstruktion politischer Theorie und ihres Gegenstandes? Im Folgenden wird Peirces Bestimmung des Menschen als Zeichen aus der Perspektive der psychoanalytischen Theorie entfaltet. In einem zweiten Schritt werden die Theorie der Politik, und die Theorie des Politischen aus Sicht der Zwingenden Theorie und implizit auch aus zeichentheoretischer Perspektive neu gelesen und formuliert. Der „Rest“ bzw. „Überschuss“ dieser beiden Lektüren wird zur Theorie der politischen Einbildungskraft führen. Um den Gewinn für politische Theorie transparent zu machen, muss auch danach gefragt werden, was eine Theorie verspricht. Die Zwingende Theorie nennt das Versprechen „Übertragungsfiktion“. Mit diesem Theoriebaustein wird eine dreiwertige Vorstellung von Politik und Theorie initiiert. Daran anschließend wird die Theorie des Politischen aus der kombinierten Perspektive von Zeichentheorie und Zwingender Theorie konzipiert. Es wird zu zeigen sein, dass in dieser Lesart die Theorie der Politik Bedingung – durchaus im Sinne von „Ermächtigung“ – für die Theorie des Politischen ist. Abschließend wird, darauf aufbauend, mit Žižeks Lektüre von Hegels „Nacht-derWelt“ die politische Einbildungskraft entwickelt. Die These lautet dabei, dass politische Einbildungskraft nur vor dem Hintergrund der Theorie der Politik als Übertragungsfiktion und der Theorie des Politischen mit ihrem Verwerfen des Subjektbegriffs die politische Einbildungskraft – und damit einen anderen Subjektbegriff – als Agens des Zeichenprozesses einführen kann.

1.1 Der Mensch ist ein Zeichen Soll der Mensch aus psychoanalytischer Sicht als Zeichen rekonstruiert werden, muss die Frage im Vordergrund stehen, ob das Unbewusstse auch semiotisch entfaltet werden kann, oder ob es sich dabei um etwas präsemiotisches handelt ist. Wird also mit Zeichen etwas Nichtzeichenhaftes beschrieben, oder ist das mittels Zeichen beschriebene selbst zeichenhaft strukturiert? Wir hatten gesehen, dass eine Überzeugung nur durch Abduktion und anschließende De- und Induktion erkannt wird. Dies setzt aber ein unkontrolliertes Denken voraus: „Das Denken läuft [...] nicht nur in jenem Teil des Bewußtseins, der sich der Aufmerksamkeit aufdrängt, sondern auch in den Teilen, die in tiefem Schatten liegen und deren wir uns 234

RELATIONIERUNG DES POLITIKBEGRIFFS

zu wenig bewußt sind, um von dem, was dort stattfindet, beeinflußt werden zu können.“4 Mit der Zwingenden Theorie soll gezeigt werden, dass gerade dieses unkontrollierte Denken das Bewusstsein nicht nur beeinflussen muss, wenn ein Abduktionsprozess gelingen soll, sondern dass hier nach dem Sitz des psychoanalytischen Subjekts zu suchen ist. Es konnte ebenfalls gezeigt werden, dass der Interpretant nicht der Interpret als das mit sich selbst identische Subjekt ist. Der Mensch als Zeichen ist Effekt von Zeichen. Er ist Effekt der Beziehung zwischen Repräsentamen, Interpretant und Objekt für eine andere Beziehung aus eben diesen Elementen. Der Mensch ist das gleichzeitige Setzen und Voraussetzen dieser Relation. Die Frage wird deshalb lauten müssen, wie er die Setzung vollzieht. Er ist zunächst immer Zeichen für andere, ein Zeichen, dessen Interpretanten in den anderen Subjekten – auch ohne deren Bewusstsein – produziert werden. Es ist dann der Zeichenprozess – die Semiose – der das Subjekt konstituiert.5 Für Lacans berühmte Definition, dass ein Signifikant das ist, was ein Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert, findet Žižek ein treffendes Beispiel: Die medizinischen Daten eines Patienten – Blutdruck, Puls, Temperatur etc. – sind nicht nur Daten für andere Subjekte, sondern primär Daten für ein System des medizinischen Wissens, aus dem Schlussfolgerungen gezogen werden müssen. In der symbolischen Repräsentation des Subjekts – verstanden als das, was ein Subjekt aussagt – gibt es somit einen Überschuss hinsichtlich des Adressaten seiner Aussage. Schlussfolgerungen entsprechen Gedanken-Zeichen und spiegeln die unterschiedlichen Arten und Weisen wider, mit denen wir aus den beobachteten Phänomenen Sinn erzeugen. Sinn bedeutet mit Peirce auch, überraschenden äußeren Tatsachen – zweitheitlichen Phänomenen – die Überraschung zu nehmen, d.h., sie in Drittheit zu überführen.6 Wie aber ist der Übergang zu denken? In der Denotation der indexikalischen Zeichenbeziehung – das, was die Zwingende Theorie Bedeutung nennt – kann kein Subjekt „widerhallen“.7 Wie im obigen Beispiel existiert das „Ich“ zunächst nur als Verkörperung einer Person für ein gewisses System, z.B. des medizinischen Wissens. Die Subjektivierung kann nur durch den Übergang von Bedeutung zu Sinn entstehen, und zwar nur, wenn Bedeutung von einem 4 5 6

7

SS Bd. 1, S. 225. Vgl. J. P. Muller: Beyond the Psychoanalytic, S. 187. Vgl. Dinda L. Gorlée: „Der abduktive Ansatz in Übersetzungspraxis und Übersetzungsforschung“, in: Uwe Wirth (Hg.), Die Welt als Zeichen und Hypothese, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 162. Siehe auch CP 7.538. Vgl. Žižek NAR, S. 134.

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unsinnigen Moment – z.B. die Stimme in einer Rede – flankiert wird. Sowohl das Repräsentamen als auch der Interpretant der ersten Triade können dieses unsinnige Element sein. Von hier aus kann dann danach gefragt werden, wie im weiteren Semioseprozess mit diesem Übergang umgegangen wird. Wenn der Mensch bei Peirce ein Zeichen ist, können so auch einzelne Aspekte oder Subjektpositionen herauskristallisiert werden. Wird das „Subjektzeichen“ unter seiner Objektrelation als Index betrachtet, so rücken Aspekte in den Vordergrund, die ihn kennzeichnen, benennen und fixieren. Das könnten physiologische Merkmale wie z.B. ein Fingerabdruck oder Symptome sein, oder soziale Merkmale wie „Arbeiter“, „Sozialhilfeempfänger“, „Ärztin“ etc: „Sie dürfen nicht glauben, daß Sie mich zu Ihnen sprechen hören, sondern nur, daß Sie gewisse Laute hören, während Sie vor sich einen schwarzen, weißen und fleischfarbenen Fleck sehen; und diese Laute scheinen gewisse Ideen zu beinhalten, die Sie auf keinen Fall mit dem schwarzen und weißen Fleck verknüpfen dürfen. Ein Mensch würde Jahre darauf verwenden müssen, um seinen Geist auf solche Denkgewohnheiten zu trainieren, und selbst dann ist es zweifelhaft, ob es möglich wäre. Und was wäre gewonnen?“8

Daraus kann geschlussfolgert werden: „I myself, properly speaking, do not exist. It is only a replica of me that exists, and I exist in that replica as the effect of my being as a law.“9 Das unsinnige Moment, das zur Bedeutung hinzugerechnet werden muss, um Sinn – die Peirce’schen gewissen Ideen – zu erhalten, kann in diesem Beispiel als das Medium der Rede verstanden werden. Obwohl die Tatsachen fragmentiert sind, nimmt das Bewusstsein sie als Einheit wahr. Sich als Einheit zu sehen oder wahrzunehmen, erfolgt in der Psychoanalyse durch das Spiegelstadium, in dem sich – verkürzt ausgedrückt – das Kind vermittels des Spiegels als Gestalt wahrnimmt. Die Zeichentheorie fragt, wann und wodurch wir uns bzw. die uns umgebenden Objekte oder Diskurse gerade nicht als Einheit wahrnehmen. Es ist die Erfahrung von Irrtum, die dazu führt, über Abduktion neue Überzeugungen zu finden. Aufgrund dieser Erfahrung kritisiert Peirce den traditionellen Begriff des Individuums. Es kann nie ein absolut individueller Terminus realisiert werden: „Wohl aber können wir Methoden finden, die zur Festlegung von Individualität führen. Doch wird die Methode zur Festlegung der Individualität zu keinem Punkt in der endlichen Zeit mit einem bestimmten Individuum identisch sein.“10 8 SPP, S. 425. 9 NE, Vol. III, 1, S. 368. 10 SWS, S. 39.

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RELATIONIERUNG DES POLITIKBEGRIFFS

So wie es auch nur analytisch Einzelzeichen gibt, kann es auch zu keinem Zeitpunkt ein bestimmtes Individuum geben, das mit sich identisch ist. Peirce stellt eine Analogie zwischen Kontinuität und Individualität her. Die Kontinuität, die das Individuum ist, war und sein wird, kann nicht fixiert werden. Das Individuum hat keinen eigenen Ort. Das Individuum ist uneinholbar. Daher wird dieses Individuum – der Mensch als Einzelzeichen – von den poststrukturalistischen Theorien bzw. den Theorien des Politischen als Effekt einer Zeichenkette gesehen und auch nicht innerhalb der jeweiligen Theorien als Agens integriert. Es wird entweder verworfen oder es wird hinsichtlich verschiedener Subjektpositionen analysiert. Der Mensch als Zeichen kann sich selbst auch nur zeichenvermittelt erkennen und erfahren. Wir sehen mit und durch Zeichen auf die Zeichenwelt, in der wir uns ohnehin immer schon bewegen. Daher kann der Mensch auch als Effekt eines Zeichens eben doch wiederum Zeichen für ein anderes Zeichen sein. Zeichenwelt und Zeichensysteme entwickeln sich dabei in Koevolution.11 Die Zeichen, durch die wir auf die Welt schauen, nehmen wir dabei nicht zusätzlich wahr.12 Wie kann von hier aus zwischen Wahrnehmen, Gedanken, Bewusstsein und Denken unterschieden werden? Sitzt das Subjekt als Zeichen an der Schnittstelle zwischen Innen und Außen? Der Mensch als Zeichen (ein Subjekt) ist ähnlich wie bei Lacan immer ein Zeichen (Signifikant), das ein Zeichen (Signifikant) für ein anderes Zeichen (einen anderen Signifikanten) repräsentiert. So kann auch der Mensch als drittheitlich und damit vernunftgemäß verfasst, nicht völlig erkannt werden. Vernunft ist das Sein des Allgemeinen (Drittheit), das darin besteht, die individuellen Ereignisse (Zweitheit) zu beherrschen. Bestehen wird hier in seiner Bedeutung von sich erhalten und durchsetzen verstanden. Drittheit kann also nur in der Zweitheit bestehen, und nicht als Drittheit ohne Verkörperungen. Andererseits erfordert die Drittheit als Entwicklung der Vernunft mehr individuelle Ereignisse, als je geschehen können.13 Der Personbegriff von Peirce kann analog gedacht werden: Entweder ist eine Person 11 Die wesentliche Funktion von Zeichen ist es, sich die Welt zu erschließen. Vgl. zu einer Lesart von Peirce, die den Zeichen diese zentrale Funktion abspricht Jürgen Habermas: „Charles S. Peirce über Kommunikation“, in: Ders. Texte und Kontexte, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 9-33, hier S. 28. 12 Nur in der Psychose sind die Zeichen nicht mehr transparent, hier wird die Grenze zwischen Subjekt und Objekt verwischt oder sie verschmelzen förmlich. Ein Psychotiker könnte dann tatsächlich den Redner Peirce als fleischfarbenes Etwas wahrnehmen und ihn mit seinen Worten verwechseln. 13 Vgl. SS Bd. 2, S. 87.

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zweitheitlich oder drittheitlich strukturiert. Zweitheitlich meint für ihn Falschheit: „[...] und erkennen, daß alles fließt, daß jeder Punkt am Sein jedes anderen direkt teilhat, wird es offenbar werden, daß Individualismus und Falschheit ein und dasselbe sind. Einstweilen wissen wir, daß der Mensch nicht ganz ist, solange er ein Einzelner ist, und daß er wesentlich ein mögliches Mitglied der Gesellschaft ist. Im Besonderen ist die Erfahrung eines Einzelnen, wenn sie allein steht, nichts wert. Wenn er etwas sieht, was andere nicht sehen, nennen wir es Halluzination. Es ist nicht meine Erfahrung, sondern unsere Erfahrung, an die zu denken ist.“14

Der sozial isolierte Mensch – der Kaspar Hauser, wenn man so will – gilt Peirce als Negation. Individualität bedeutet für Peirce zunächst diese Negation. Der individuelle Mensch muss erst noch Person werden. Als Person im Sinne der Drittheit muss er sich auf die Zukunft beziehen. Es kann hier zwischen dem individuellen Mensch als Negation, zwischen der Person und dem Individuum, das zwar Person ist, dessen individuelles Moment aber nicht aufgehoben werden kann, unterschieden werden. Selbst als drittheitlich strukturierte Person sind immer stets die zweitheitlichen Verkörperungen und die erstheitlichen Freiräume gegeben. Individualität als Negation kann auch bei Peirce als blinde Kraft, als Abwesenheit von Gesetzmäßigkeit, als das Moment, das nicht mehr mit der symbolischen Ordnung verbunden ist, gelten.15 In gewisser Weise will die Zwingende Theorie genau hier hin. Sie will nicht zurück zum Kaspar Hauser, sondern im Durchlaufen der drei Kategorien zu dem individuellen Moment, das immer schon in der Drittheit als Rest gegeben ist. Daher muss auch jede Abduktion wieder im Sinne der symbolischen Ordnung überprüft werden. Kaspar Hauser ist das reine Subjekt vor der Subjekt- bzw. Personwerdung, ohne jeden imaginären Zauber. Er ist das Subjekt ohne Ego, das jenen Überschuss materialisert, das dem Teufelskreis der imaginären Spiegel-Beziehung entrinnt. Dieses reine Subjekt ist das „missing link“ zwischen Natur und Kultur.16 Innerhalb der Person 14 CP 5.402. Siehe auch CP 5.317. Diese Falschheit könnte auch aus der Pragmatischen Maxime von Peirce hergeleitet werden: „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.“ SPP, S. 195. 15 Hier zeigt sich die Kehrseite des „American Dream“ von Individualität: Bezeichnenderweise erfolgen Peirces Reflexionen vor dem Hintergrund der Etablierung von Outlaws und Self-made-men als populäre Helden der modernen USA. 16 Vgl. Žižek GDR, S. 181.

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als Drittheit bleibt dieser „verschwindende Vermittler“ sozusagen unsichtbar. Dieser Aspekt wird unten in Žižeks Interpretation von Hegels „Nacht-der-Welt“-Passage weiter ausgeführt. Das Wesen der Vernunft ist nach Peirce so beschaffen, dass Vernunft in den individuellen Ereignissen niemals völlig aufgehen kann: „Sie muss sich stets in einem Stadium des Beginnens, des Wachstums befinden. Sie ähnelt dem Charakter eines Menschen, der aus den Ideen besteht, die er sich ausdenken wird, und in den Anstrengungen, die er unternehmen wird, und der sich nur so entwickelt, wie sich die Anlässe dazu tatsächlich ergeben. Doch hat noch kein Sohn Adams in der gesamten Spanne seines Lebens jemals vollständig vorgeführt, was wirklich in ihm war.“17

Die Zeitstruktur der Vernunft ist analog zu Žižeks Konzept der Nachträglichkeit das futur antérieur (die vollendete Zukunft). Das erkennende Subjekt erfasst durch die Abduktion Strukturen seiner eigenen Schöpfungskräfte und erkennt dabei zugleich, dass es nur die universalen Schöpfungskräfte repräsentiert.18 Peirces Schöpfungsbegriff kann hier nicht problematisiert werden; wichtig ist, dass den Erkenntnisprozessen also immer schon Zeichenprozesse voraus gehen. Das Subjekt ist Erkenntnissubjekt, da es erkennt, dass es nicht die Grundlage seiner eigenen Erkenntnis sein kann. Die Zeichenprozesse der Natur sind wie jene kategorial bestimmt. Sowohl die Gesetzmäßigkeit der Drittheit des Erkenntnisprozesses, als auch die Drittheit der so genannten Naturgesetze können durch strukturelle Kopplung jeweils von der je anderen Komplexität profitieren. Die Natur ist aber kein regelmäßiger Prozess, und so müssen die so genannten Naturgesetze auch erst durch Abduktionen erschlossen werden.19 Die Induktion basiert darauf, dass es überhaupt eine zu erkennende Realität gibt. Nach Corrington gründet die Tatsache, dass es hier eine strukturelle Kopplung – z.B. zwischen der Außenseite des Zeichens und dem zeichenartig verfassten Erkenntnisprozess – geben kann, in der Hoffnung: „To live in hope is to participate in those structures of emerging rationality (thirdness) that promise to secure the sign17 SS Bd. 2, S. 87. 18 Vgl. S. Rohr: Über die Schönheit, S. 9. Siehe auch H. Pape: Erfahrung und Wirklichkeit, S. 45-90. 19 Die „strukturelle Kopplung“ meint, dass sich Systeme – oder eben Semiosearten – gegenseitig Komplexität zur Verfügung stellen, um ihre jeweiligen Funktionen zu erfüllen. Das Bewusstsein nutzt z.B. Kommunikation, um seine gedanklichen Prozesse fortlaufen zu lassen, die Kommunikation nutzt umgekehrt Bewusstsein. Luhmann schreibt: „Strukturelle Kopplung heißt […], Indifferenz gegenüber fast allem bei Kanalisierung spezifischer Abhängigkeiten, die aber nicht strukturdeterminierend wirken können.“ N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 61.

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using self and its communities against annihilation.“20 Hoffnung kommt aus dem Vorrationalen, aber sie wird sich in den Strukturen der Rationalität manifestieren. Das Selbst ist ein endlicher und zeitlich sich ausdehnender Organismus, der eine Vielfalt von logischen Überlebensstrategien benutzt. Diese Überlebensstrategien – die „self-control“ – haben eine ontologische und eine ethische Komponente.21 Hoffnung ist für Peirce etwas, das nicht durch Induktion oder Deduktion verifiziert werden kann. Somit kann sie sich allerdings auch nicht erschöpfend in Rationalitätsstrukturen manifestieren. Von diesen Strukturen ausgehend bräuchte das Selbst ja gerade keine Hoffnung. Peirce gründet seine Logik und Methodik geradezu in Hoffnung. Dieses semiotische Selbst basiert auf Gewohnheiten und bewussten sowie unbewussten Überzeugungen. Das zeichenbenutzende Selbst hat wenig Toleranz für Irritation und Zweifel und wird versuchen, etwas, das der Gewohnheit im Weg steht, auszuräumen. Tauchen Zweifel an bestehenden Überzeugungen auf, wird also nicht unbedingt danach gestrebt, zu neuen Überzeugungen zu gelangen, sondern es wird zunächst versucht, den Zweifel zu beheben. Nur wenn in so einem Fall nach neuen Überzeugungen gesucht wird, kann das Subjekt aber zu Selbstbewusstsein gelangen. Zum Selbstbewusstsein kommt das Selbst nur indirekt, indem es über externe Zeichen und sozial konstruierte Kontraste schlussfolgernd voranschreitet. Sprache, Zeichen und logische Strukturen sind dem Selbst äußerlich. Corrington weist auf den politisch relevanten Aspekt der gesellschaftsverändernden Kraft von Hoffnung hin: „The self is temporal in its self-constitution. The present self lives in the referential aspects of its signs, where the given sign refers to its object in particular respect. The past self lives as the object that exerts a kind of inertial pressure on the present self. The future self, which is the most important of the three, lives in the hoped-for interpretants that provide an ideal limit for personal and social existence. Hope in the long run is actually a hope in the unseen realm that promises to transform the community.“22

Subjekte sind im Zeichenprozess folglich außerhalb ihrer selbst. Sie können nur wieder von anderen Subjekten durch andere Zeichen interpretiert werden. Subjekte sind notwendige Projektionen für andere semiotische Subjekte. Die Luhmannsche Konzeption der strukturellen 20 R. S. Corrington: An Introduction, S. 95. 21 Vgl. ebd., S. 94. 22 Ebd., S. 96. Vgl. zu den drei Bewusstseinsarten von Peirce auch Nathan Houser: „Das semiotische Bewusstsein nach Peirce“, in: Uwe Wirth (Hg.), Die Welt als Zeichen und Hypothese, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 44-68.

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Kopplung hat insbesondere Jahraus für die Zeichentheorie disponibel gemacht: „Subjekte sind hierbei Projektionen der strukturellen Kopplung, die als finale Interpretanten aufscheinen. Subjekte sind somit zwar Interpretanten, aber nur in dem Maße semiotisch funktionalisiert, in dem sich auch Finalität funktionalisieren läßt. Es ist ein Horizont, zur Navigation unerläßlich, aber niemals erreichbar!“23 Der (ultimativ) finale Interpretant ist unbewusst. Das Unbewusste manifestiert sich nach Lacan immer als ein Schwanken in der Kluft des Subjekts. Im Intervall, im Zwischenraum der Signifikanten, an einer ‚leeren Stelle‘ konstituiert sich das Begehren des Subjekts als Figur der Metonymie.24 Das außer sich seiende Selbst des Subjekts ist dieser Zwischenraum. Akzeptiert man die Prämisse der Peirce’schen Kontinuumstheorie (dem so genannten Synechismus), kann diese ‚leere Stelle‘, die Kluft, nicht als absolut leer gedacht werden. Mit der psychoanalytischen Theorie ist der Antrieb der Semiose die Tatsache, dass das Subjekt immer Produkt/Effekt der Semiose ist und daher nie zu sich selbst kommen kann: Das Subjekt als ultimativ finaler Interpretant wird gewesen sein. Peirces fleischfarbener Fleck, die Stimmqualität, die Ideen, die sich der Mensch ausgedacht haben wird, könnten unendlich ausgemessen und analysiert werden, die Messung – allein schon durch die Veränderung in der Zeit und den Tod – würde dennoch niemals dem Menschen entsprechen. Und was wäre gewonnen? „Wenn wir denken, dann erscheinen wir selbst, so wie wir in diesem Moment sind, als ein Zeichen. Nun hat ein Zeichen als solches drei Bezüge: erstens ist es ein Zeichen in Relation zu einem Gedanken, der es interpretiert; zweitens ist es ein Zeichen für ein Objekt, für das es jenem Gedanken gleichbedeutend steht, drittens ist es ein Zeichen in einer Hinsicht oder Qualität, die es mit seinem Objekt in Verbindung bringt.“25

Wir denken, also sind wir ein Gedankenzeichen; wir sind in diesem Moment nicht selbst könnte man formulieren, sondern sind nur für andere. Findet eine Art Zeichenwechsel statt, z.B. vom Gedankenzeichen zum geäußerten Zeichen oder vom gefühlten zum gedachten oder umgekehrt, dient das Repräsentamen als Medium, das diesen Zeichenwechsel gewährleistet. Mit Luhmann könnte man auch sagen, das Repräsentamen 23 Oliver Jahraus: „Wie verhalten sich Luhmannsche Systemtheorie und Peircesche Zeichentheorie zueinander?“, in: Oliver Jahraus/Nina Ort (Hg.), Bewusstsein, Kommunikation, Zeichen. Wechselwirkungen zwischen Luhmannscher Systemtheorie und Peircescher Zeichentheorie, Tübingen: Niemeyer 2001, S. 250. 24 Vgl. Lacan Sem XI, S. 33f. 25 SPP, S. 54.

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dient als Schnittstelle zur strukturellen Kopplung von Zeichensystemen. „Durch das Medium äußeren Ausdrucks, das es vielleicht erst nach beträchtlicher innerer Entwicklung erreicht, mag es sich schließlich an das Denken einer anderen Person wenden. Aber ob das geschieht oder nicht, es wird immer durch einen ihm folgenden Gedanken unserer selbst interpretiert.“26 Wird das Medium äußeren Ausdrucks erkannt, wahrgenommen oder beobacht, handelt es sich schon nicht mehr um das Repräsentamen als inneres der Zeichentriade, sondern um das Zeichen als ganzes. Der Begriff des Subjekts markiert, so verstanden, das „wird gewesen sein“ des (ultimativ) finalen Interpretanten. Es geht dem Zeichen nicht voraus wie bei Kants transzendentaler Apperzeption, sondern kommt immer zu spät. In seiner Verwirklichung des Gedankenzeichens oder dem Geäußerten ist es immer schon Zeichen: „Wenn nach irgendeinem Gedanken der Strom der Ideen frei weiterfließt, folgt er dem Gesetz der geistigen Assoziation. In diesem Falle gibt jeder frühere Gedanke dem Gedanken, der ihm folgt, etwas zu verstehen, d.h. er ist für den letzteren das Zeichen von etwas.“27 Das, was Peirce Gesetz der geistigen Assoziationen nennt, hat etwas Mechanisches, Determinierendes an sich. Houser bezieht sich auf Peirces Flussmetapher und zeichnet den Geist als Fluss und das Bewusstsein als Welle auf diesem Fluss. Die Welle und der Fluss unterscheiden sich.28 Der folgende Gedanke bezeichnet das, was in dem jeweils vorhergehenden Gedanken gedacht worden war. Die Bewusstseinsoperation reflektiert über die Bewegung des Geistes. Das Bewusstsein kann ohne strukturelle Kopplung allerdings eben jene Operation nicht vollziehen, da es aufgrund seiner Zweitheit auch einzigartig ist. Für die Operation ist Drittheit (Geist) erforderlich. Der Geist ist somit nicht im Bewusstsein, sondern das Bewusstsein ist im Geist. Von hier aus soll eine erste Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Interpretation vorgenommen werden. “[…] everything which is present to us is a phenomenal manifestation of ourselves. This does not prevent its being a phenomenon of something without us, just as a rainbow is at once a manifestation both of the sun and of the rain. When we think, then, we ourselves, as we are at that moment, appear as a sign.“29

26 SPP, S. 56. Zur Schnittstellenfunktion des Repräsentamens vgl. W. Scheibmayr: Niklas Luhmanns Systemtheorie. 27 SPP, S. 56. 28 Vgl. N. Houser: Das semiotische Bewußtsein, S. 55. Vgl. zur Flussmetapher von Peirce CP 7. 547. 29 CP 5.283.

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Der Status der Realität ist Denken (Drittheit). Peirce hat einen sehr weiten Begriff des Denkens; Denken befindet sich sowohl in der Zeichenumwelt als auch im Semioseprozess selbst. Wie wird die Grenze realisiert? Die Möglichkeit der Wahrnehmung und Interpretation von Gegenständen hängt davon ab, inwieweit verschiedene Subjekte über die allgemeine Seite der Zeichen bereits verfügen. Peirces These lautet, dass jede Wahrnehmung und Interpretation als Bildung einer Hypothese zu fassen ist: Wahrnehmung ist das Resultat einer Abduktion. Dieser Prozess muss nicht bewusst ablaufen. Selbst die einfachste Wahrnehmung ist als unbewusste und unkontrollierbare Bildung einer Hypothese zu verstehen. Wahrnehmungen sind immer schon durch begriffliche oder körperliche Voraussetzungen bestimmt. Bevor auf diese Voraussetzungen eingegangen wird, muss die Unterscheidung zwischen Wahrnehmung, Wahrgenommenem und Wahrnehmungsurteil genauer betrachtet werden. „To see“ meint mit Peirce das Perzept, während „to look“ ein Wahrnehmungsurteil, „perceptual judgment“, meint.30 Sehen heißt, etwas direkt zu sehen, ohne dass wir uns der dafür gebildeten Hypothese bewusst wären, während betrachten ein Urteil – psychoanalytisch gewendet das Begehren – einschließt. Etwas direkt zu sehen bedeutet, dass wir glauben, etwas direkt zu sehen. Gerade weil es einen blinden Fleck gibt, ergänzen wir den Fleck, dieses Loch in der Wahrnehmung, und haben dadurch das Gefühl, unmittelbar wahrzunehmen. Die zeichentheoretische Beschreibung, dass jede Wahrnehmung bereits vermittelt und also durch Zeichen verläuft, vermag daran nichts zu ändern. Das Perzept korreliert mit Erstheit und Zweitheit. Es bezieht sich nur auf sich selbst. Das Perzept meint die Wahrnehmung und nicht das Wahrgenommene. Das Perzept kann nicht falsch sein, denn falsch bedeutete, dass es etwas in gewisser Weise repräsentieren würde. Das Wahrnehmungsurteil (perceptual judgment) ist an Drittheit korreliert, denn es repräsentiert in irgendeiner Weise das Perzept. Die Wahrnehmungsurteile können im Unterschied zum Perzept falsch sein, auch wenn sie unbewusst oder automatisch oder auf Instinkten basieren. Hierin liegt ihre politische und wissenschaftliche Relevanz. Die Wahrnehmung urteilt und erschließt sich die Welt durch die Prinzipien „contiguity“ und „resemblance“.31

30 Vgl. CP 7.627. 31 Vgl. CP 3.419. Mit dem Prinzip der „contiguity“ ist unschwer das indexikalische Zeichen, mit dem Prinzip der „resemblance“ das ikonische Zeichen zu erkennen. Vgl. hierzu auch H. Pape: Erfahrung und Wirklichkeit als Zeichenprozeß, S. 45-60 und S. Rohr: Die Wahrheit der Täuschung, S. 27-45, siehe auch R. S. Corrington: An Introduction, S. 104f,

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Diese ikonischen und indexikalischen Zeichenprozesse laufen unbewusst und nicht-arbiträr ab. Das Wahrnehmungsurteil wurzelt im Nichtbewussten. An dieser Stelle muss eine psychoanalytische Deutung von Peirces Subjektbegriff ansetzen. Eine Schlussfolgerung wird im Unterschied zum Wahrnehmungsurteil immer bewusst getroffen: „[…] whatever we say of ideas as they are in consciousness is said of something unknowable in its immediacy. The only thought that is really present to us is a thought we can neither think about nor talk about.“32 Gegen das Wahrnehmungsurteil können wir nicht unser „Ich“ stellen, um es in eine andere Richtung zu bewegen. Wir werden – um bei Peirces Flussmetapher zu bleiben – von unseren Wahrnehmungen mitgerissen: „Die Konklusion wird akzeptiert, ohne dass wir wissen, wie.“33 Es handelt sich also um eine Art unmittelbare Konklusion oder Schlussfolgerung, die nicht als solche erkannt wird oder als solche ins Bewusstsein kommt. Genau genommen kann es sich somit nicht um eine Schlussfolgerung handeln. Wahrnehmung kann als rein konnotativer Akt gedeutet werden. Das Wahrnehmungsurteil zu diesem Akt kann z.B. als Symbol, dessen Ikonaspekt dominiert, gesehen werden. Erst das Wahrnehmungsurteil als symbolischer Prozess ist arbiträr. Wahrnehmungen selbst fließen von einer Assoziation zur nächsten, ohne zu bezeichnen. Wahrnehmen als denotierender Index bzw. komplementär dazu das Wahrnehmungsurteil als Symbol, dessen Indexanteil dominiert, bezeichnet immer auch etwas. Die Wahrnehmung wird auf etwas gezwungen. Steht der Symbolcharakter im Vordergrund, wird also etwas durch Konnotation denotiert, kann von einer Interpretation gesprochen werden.34 Die ikonischen Symbole verdichten den Wahrnehmungsgehalt und stellen dadurch Komplexität her. Die symbolischen Symbole konstruieren ihr Objekt als Erkenntnisobjekt im oben genannten Sinne und reduzieren dadurch Komplexität. Indexikalische, also individuelle Ereignisse, sind solange nicht wahrnehmbar, bis sie im Symbol wiederholt werden. Was Peirce „unconscious processes“ nennt, sind aus Sicht der psychoanalytischen Theorie nicht-bewusste bzw. vorbewusste Prozesse. der betont, dass sowohl Ähnlichkeit als auch Kontrast wahrnehmungstheoretisch unter das Prinzip der ikonischen „resemblance“ fallen. 32 CP 7.425. 33 CP 8.65. 34 Siehe zu einer anderen Deutung R. S. Corrington: An Introduction. Nach Corrington ist jede Wahrnehmung eine Interpretation: „Peirce attacks the ‚myth of the given‘ and provides a hermeneutic reading of the self/word transaction. To perceive is to judge and to interpret.“ Ebd., S. 79. Umgangssprachlich oder neurowissenschaftlich würden wir das zwar so formulieren, aber ich denke, dass es an dieser Stelle fruchtbarer ist, zwischen Wahrnehmung und Interpretation zu unterscheiden.

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Dasjenige worüber wir nicht sprechen können – zumindest ohne es zu verfälschen –, ist das Reale bzw. mit Peirce eben das unmittelbar Gegenwärtige. Dieses unmittelbar Gegenwärtige ist zwar unbewusst, es ist aber nicht das Unbewusste. Kommt man von hier aus noch einmal auf die Unterscheidung zwischen „to look“ und „to see“ zurück, müsste mit der Zwingenden Theorie noch ein drittes Moment, das die Kluft zwischen Auge und Blick hervorhebt, eingeführt werden: „Das wahrnehmende Subjekt wird immer schon von einem Punkt aus gesehen, der sich seinen Augen entzieht.“35 Und auch bei Peirce taucht eine ähnliche Figur auf, zitiert er doch wiederholt ein Gedicht von R. W. Emerson: „Die alte Sphinx biss auf ihre dicke Lippe, Sagte, ›Wer lehrte Dich, mich zu nennen?‹ Ich bin Dein Geist, Leidensgefährte, Von Deinem Auge bin ich der Blick.“36 Für diesen Traum des „sich erblickenden Blicke[s]“,37 ist in der psychoanalytischen Lesart immer schon ein Dritter, nämlich der große Andere, erforderlich. Der allgemeinen Seite der Zeichen, von der Peirce spricht, entspräche bei Cassirer die symbolische Form, allerdings ohne die Operationsweise des Bewusstseins mitzuliefern.38 Das heißt aber auch, dass wir nur etwas über unsere „perceptual judgments“ wissen können, nicht aber über unsere Perzepte. Bewusstsein als Operation kann dem Bewusstsein nicht bewusst sein. Die Operation des Bewusstseins ist korrelativ und nicht identisch mit seinem Sinngehalt. Wir können uns die Perzepte, die selbst durch Abduktionen zustande kommen, nur wieder über Abduktionen erschließen. Die neurowissenschaftliche These, dass Wahrnehmung immer schon ein Urteil enthält, meint eben eigentlich dieses perceptual judgment.39 Die für ein Urteil relevante Unterscheidung zwischen wahr/ 35 TS, S. 108. 36 Ralph Waldo Emerson in einer Übersetzung von Helmut Pape zitiert aus: Helmut Pape: Charles S. Peirce. Zur Einführung, Hamburg: Junius 2004, S. 29. 37 Ebd. 38 Vgl. zu einer an der Systemtheorie angelehnten Lesart Cassirers symbolischer Form O. Jahraus: Literatur als Medium, S. 340ff. 39 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Abduktion und perceptual judgment: Alexander Roesler: „Vermittelte Unmittelbarkeit. Aspekte einer Semiotik der Wahrnehmung bei Charles S. Peirce“, in: Uwe Wirth (Hg.), Die Welt als Zeichen und Hypothese, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 124f. Oder aber der Begriff „Urteil“ müsste noch einmal genauer bestimmt werden. In gewisser Weise geht auch die Zwingende Theorie davon aus, dass Wahrnehmungen bereits ein Urteil einschließen; dabei handelt es sich ge-

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falsch taucht erst auf dieser Ebene auf. Anders gewendet können wir auch sagen, da wir nur durch Zeichen – also durch Drittheit – wahrnehmen können, ist die Ebene der Perzepte, die sich auf reine Erst- und Zweitheit bezieht, nicht wahrnehmbar. Unmittelbare Wahrnehmung kann nicht erkannt werden, sie kann nur nachträglich, retrospektiv, als Wahrnehmung der Wahrnehmung wahrgenommen werden. Das vermittelnde Allgemeine gilt nicht für alle Menschen in gleicher Weise, sondern für Einzelne oder Gruppen von Menschen in verschiedenen Kontexten. Innerhalb dieser Kontexte führt das vermittelnde Allgemeine zu ähnlichen Wahrnehmungen.40 Die Pointe der Zwingenden Theorie, die es hier einzubauen gilt, liegt nun darin, an eben jene Stelle zu gelangen, an der wir auf der bewussten Ebene scheinbar kein Urteil getroffen haben. Es geht um das Denken, das sich nicht im Sinne der Reflexionsphilosophie vollzieht. Dieses Denken meint genauer das „Ich denke, obwohl ich nicht weiß, was ich denke.“ Peirce schreibt, dass das Perzept mit Erstheit und Zweitheit korreliert. Die zweitheitliche Ebene macht den operativen Aspekt des Bewusstseins aus, während die erstheitliche Ebene als das Reale – nicht das Unbewusste! – des Perzepts gedeutet werden müsste. Die erstheitliche Ebene ist das, was nicht beobachtet werden kann. Dieser nicht-bewusste Bereich ist etwas anderes als die „bekannten Unbekannten“, von denen die Zwingende Theorie spricht. Bereits im letzten Kapitel wurde versucht, das Reale aus Sicht der Zeichentheorie zu interpretieren. Dies konnte auf zweifache Weise, zum einen als das dynamische Objekt, zum anderen als unmittelbares Objekt, das noch in Vermittlung zu bringen ist, thematisiert werden. Die Kluft zwischen dynamischem und unmittelbarem Objekt würde das Unbewusste markieren. Sie markiert das Unbewusste nur, denn es entsteht ja über diese ‚Kluft‘, die – wir hatten es an anderer Stelle gezeigt – das Subjekt als ‚unbestimmtes‘ dem Zeichen unterwirft. Diese Leere ist die Differenz, die niemals vollständig gesagt werden kann, die stets vom Sein getrennt ist und das Begehren als ‚Seinsverfehlen‘ meint. Weil es hier eine Kluft gibt, besteht eine Funktion von Zeichen darin, die „Kohärenz und Konsistenz“41 des Subjekts zu gewährleisten. Das Repräsentamen ist die Schnittstelle des Zeichens, das auch als der Zwischenraum oder das Medium des Zeichens aufgefasst werden kann. Das Repräsentamen steht zwischen dem Körper, wie er als sozianau genommen aber um eine unbewusste Entscheidung bzw. ein unbewusstes Urteil. 40 Ein querschnittsgelähmter Mensch kann nicht gehen, und dies ist für ihn etwas Allgemeines. 41 SS Bd. 3, S. 373.

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ler Körper bedingt wird und zwischen dem Leiblichen als seinem symbolischen Zeichenzusammenhang. Die Bedingungen der Leiblichkeit, die sich als zivilisatorische Spuren im Körper darstellen, verkörpern den nicht darstellbaren Leib. Diese Spuren oder Symptome deuten auf das, was die Psychoanalyse „Partialobjekte“ oder „körperlose Organe“ nennt.42 Die intersubjektiven Strukturen sind der unbewusste symbolische Bereich: „Aber die Welt des Selbst, die Welt der Gefühle, enthält keine solche Einheit. Vielmehr enthält jene Einheit die Gefühle. Die Welt der Gefühle ist dann nicht eine Welt des Selbst, sondern eine Welt von Momenten des Selbst. Wir kennen unsere Gefühle unmittelbar; ebenso wissen wir unmittelbar, was vor uns im Raum ist. Aber nichtsdestotrotz unterscheiden wir, was innen ist, von dem, was außen ist, keineswegs unmittelbar. Denn diese Unterscheidung setzt einen Akt des Vergleichens voraus, dessen Ergebnis bekannt sein muß, bevor wir urteilen können, daß das Innere nicht das Äußere ist. [...] In jedem Fall kommen äußere und innere Gefühle zugleich vor; will sagen, wir haben ein gemischtes Fühlen. Wir können dieses Fühlen nicht in zwei Teile teilen, von denen der eine im Raum ist und der andere nicht. Denn das Fühlen ist, wenn zu irgendeinem Teil, dann ganz und gar mit dem Raum verbunden. Wir können die Relationen seiner Teile danach unterscheiden, ob sie räumlich sind oder nicht. Aber sicherlich sind nicht alle nicht-räumlichen Relationen, wie zum Beispiel die von Licht und Dunkel, innere Relationen. Nein, die innere Welt muß eine positive Definition erhalten. Nun kennen wir alles, was innen ist, durch das Gedächtnis – außer dem bloßen Punkt des gegenwärtigen Bewusstseins. Könnten wir unsere Bewusstseinszustände aber nicht aus dem Gedächtnis vergleichen, könnten wir kein Bewusstsein unserer selbst erlangen.“43

Um diesen „bloßen Punkt“ wird es gehen. Nach Descartes ist Denken im Selbstbewusstsein begründet, d.h. das Subjekt weiß sich durch das Denken als Einheit.44 Peirce dreht das um und gibt dem Denken vor dem Selbstbewusstsein die Priorität. Wir können kein privates Selbst haben, das ohne Vermittlung oder den Akt des Vergleichs mit anderen „Selbsten“ zustande kommt. Unser Gefühl für ein Selbst resultiert aus der Erfahrung des Irrtums. Das Kind berührt den Herd und wird gezwungen zu lernen, dass es eine Lücke zwischen der Annahme und dem Fakt gibt. Erst diese Lücke öffnet die Möglichkeit des Irrtums, was dazu führt, die 42 Für beide Begriffe vgl. Žižek KO, S. 240f. 43 SS Bd. 1, S. 94. 44 Etwas kann nach Descartes nur durch das Denken, nicht aber über bloße Wahrnehmung oder Einbildungskraft erkannt werden. Vgl. R. Descartes: Meditationes de prima philosophia. Hg. v. Lüder Gäbe, Hamburg: Meiner 1977, S. 16 und S. 59.

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Möglichkeit des Irrtums anzuerkennen. Erfahrung meint im Peirce’schen Sinne Überzeugung. Hierin unterscheidet sich Peirce zudem von Kants Ego der transzendentalen Apperzeption. Peirce zeigt, wie das endliche und private Ego erst durch den Schock des Irrtums Gestalt annimmt. In der Einheit der Apperzeption ist sich nach Kant das Ich seiner selbst bewusst. Es weiß sich nicht so, wie es sich erscheint, oder wie es an sich selbst ist, sondern weiß nur, dass es ist. Es ist begrenzt auf die leere Form des Denkens.45 Der Zwingenden Theorie zufolge ist das Selbst diese Lücke zwischen Wahrnehmung und Wahrnehmungsurteil. Das Selbst kann nur – wie auch die externen Objekte – durch Abduktionen erkannt werden. Žižek identifiziert dieses Moment der Lücke mit dem Rest bzw. dem Exzess des Genießens. Um an diesen Kern zu kommen, so seine These, muss die Psychoanalyse durchlaufen werden. Einerseits ist das cogito in diesem Sinne als ein „körperloses Organ“ zu verstehen, das, gerade weil es nicht dialektisch vermittelt werden kann, den Semioseprozess am Laufen hält.46 So gesehen wäre das cogito die Schnittstelle der Semioseart „Denken“, da Denken sowohl im Zeichensystem als auch in der Zeichenumwelt auftritt und aus eben dieser Zeichenumwelt durch das dynamische Objekt auf das Zeichensystem einwirken kann. Die Schnittstelle dieser Einwirkung ist das Repräsentamen. Andererseits ist Denken so zu verstehen, dass es sich nur in Zeichen vollziehen kann, da immer etwas gedacht werden muss. Es darf – und dieser Aspekt wird im Folgenden weiter entwickelt – hierbei das „am Laufen halten“ der Semiose durch das cogito nicht mit dem Anstoß oder dem Grund der Semiose verwechselt werden. Doch zunächst soll erst noch die andere Form des Denkens betrachtet werden. Zeichen sind – das hat bereits der Exkurs zum Kontinuumsbegriff gezeigt – nur aneinander gekoppelt, nicht jedoch isoliert „zu haben“. Hier zeigt sich, dass Wahrnehmung durch die Ausdifferenzierung der Zeichen- und Symbolbegriffe nicht – wie noch bei Cassirer – mit Inter-

45 Vgl. Žižek NW, S. 37. Siehe auch Kant, KrV, B 157. 46 Vgl. für die Unterscheidung zwischen gebundener und ungebundener Reflexion Gotthard Günther: Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen, 3. Aufl., Hamburg: Meiner 1991, S. 165f. „Diese ungebundene Reflexion ist es, die das Denken ›dialektisch‹ weitertreibt, weil sie eine thematische Bindung sucht. Reflexion oder Denken kann nämlich nicht ungebunden existieren. Es muß immer etwas gedacht werden.“ Siehe zu einem Vergleich der Theorien von Günther und Lacan N. Ort: Das erkenntnistheoretische Spiegelstadium, S. 296-314.

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pretation gleichgesetzt werden kann.47 Bewusstsein und Interpretation könnten innerhalb der Zeichentheorie von Peirce als verschiedene Semiosearten gesehen werden. Wahrnehmung ohne Wahrnehmungsurteil ist erstheitlich, Bewusstsein ist zweitheitlich und Interpretation drittheitlich strukturiert. Das Zeichen konstituiert nicht nur die Operationsweise des Bewusstseins, sondern aufgrund seiner formalen Generalisierbarkeit ebenso Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse. Die Semiose prozessiert in, durch und jenseits der Subjekte, ohne dass das transzendentale Subjekt als Bedingung der Möglichkeit von Erkennen angenommen wird. Das Selbst ist, das sei noch mal betont, die Kluft, aufgrund derer die Zeichen für die Konsistenz des „Ichs“ zu sorgen haben. Peirce geht von einer Vorgängigkeit sozialer Interaktion gegenüber der Organisation der Psyche aus. Psychologie müsste immer auf eine Untersuchung der sozialen Interaktion zurückgreifen. Oder wie es Luhmann formuliert:„In Wirklichkeit ist man [...] getragen durch ein, ja, vielleicht kann ich ruhig sagen: durch ein intellektuelles Netzwerk, in dem man irgendeine Kombination selbst strickt.“48 Dieses intellektuelle Netzwerk entspricht dem Quasi-Geist von Peirce und der symbolischen Ordnung der psychoanalytischen Theorie. Überraschenderweise scheint Luhmanns Strickmetapher gegenüber der Flussmetapher von Peirce gerade dem Subjekt, als mitstrickendem Part, eine größere Autonomie zuzubilligen, als lediglich eine zufällige Welle im Fluss der Gezeiten zu sein. Dieses Argument ist allerdings fadenscheinig, denn die zufällige Welle ist ja lediglich das Bewusstsein des Subjekts und nicht das Subjekt in seiner durch „self-controll“ bedingten Drittheit. Fassen wir daher noch mal die Begriffe „Geist“, „Denken“ und „Bewusstsein“ zusammen: Peirce lehnt die Gleichsetzung von Geist bzw. Denken und Bewusstsein ab. Bewusstsein ist eine Semioseart neben anderen. Ist aber Denken ebenfalls eine Semioseart, die Bewusstsein möglicherweise umfassen kann? Jahraus schlägt vor, das Denken weder aus47 Zunächst lässt sich eine Ähnlichkeit zwischen Cassirers „symbolischer Prägnanz“ und der rein konnotativen Wahrnehmung, sowie mit Cassirers symbolischer Form und der Wahrnehmung als Symbol, dessen Ikonaspekt dominiert, feststellen. Der Formbegriff Cassirers – darauf hat Jahraus hingewiesen – setzt allerdings unmittelbar bei der symbolischen Prägnanz an und identifiziert damit Wahrnehmung und Interpretation. Die symbolische Form macht dem Bewusstsein Welt zugänglich und gleichzeitig ist sie eine Form der Operationsweise des Bewusstseins. Es fehlt eine Art Rekursionsschleife, welche die Interpretierbarkeit der symbolischen Form erklärt. Vgl. hierzu O. Jahraus: Literatur als Medium, S. 340f. 48 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 22.

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schließlich als Referenz der Semioseart „Bewusstsein“ noch der Semioseart „Kommunikation“ aufzufassen. Denken durchdringt sozusagen beide Semiosearten, was Jahraus mit Luhmann so beschreibt: „Semiose ist nicht nur ein systemübergreifender Prozeß, der sowohl in Kommunikation als auch in Bewußtsein stattfindet, sondern er ist ein Prozeß, der, wenn er stattfindet, immer schon strukturelle Kopplung prozessiert. Die Alternation zweier solcher Systemreferenzen drückt ja das Defizit aus, daß mit keiner der beiden allein ein finaler Interpretant spezifiziert werden kann. Semiotisch ausgedrückt: Es fehlt ein Interpretant für den Begriff ›finaler Interpretant‹. Daher meine These: Strukturelle Kopplung ist der finale Interpretant in der unendlichen Semiose!“49

Es fehlt ein Interpretant für den Begriff ›finaler Interpretant‹, weshalb der Interpretant nur ein Quasi-Subjekt, eben eine „Projektion der strukturellen Kopplung“ sein kann. Das Subjekt wird gewesen sein. Andererseits hatten wir gesehen, dass Semiose nicht in Kommunikation oder in Bewusstsein verläuft, sondern Denken, Kommunikation und Bewusstsein aufgrund der Kontinuitätsannahme des Zeichenprozesses vielmehr in der Semiose stattfinden. Das Repräsentamen wäre dann die Schnittstelle – die strukturelle Kopplung – der Semiosearten Bewusstsein und Kommunikation. Aus einer Perspektive der Hoffnung auf einen (ultimativ) finalen Interpretanten, wäre strukturelle Kopplung der (ultimativ) finale Interpretant der unendlichen Semiose. Die Zeichen der Semiose kann das Bewusstsein den Kategorien entsprechend relationieren. Somit wäre Denken das Prozessieren von struktureller Kopplung. Oben wurde Wahrnehmung von Bezeichnung und Interpretation unter der Voraussetzung unterschieden, dass der symbolische Prozess – und somit Drittheit – bereits gewirkt hat. Peirce untersucht aber auch die Bedingung und die Frage nach unmittelbar gegenwärtigen und damit unbeobachtbaren Gedanken. „Every thought, however artificial and complex, is, so far as it is immediately present, a mere sensation without parts, and therefore, in itself, without similarity to any other, but incomparable with any other and absolutely sui generis. Whatever is wholly incomparable with anything else is wholly inexplicable, because explanation consists in bringing things under general laws or under natural classes. Hence every thought, in so far as it is a feeling of a peculiar sort, is simply an ultimate, inexplicable fact.“50

49 O. Jahraus: Literatur als Medium, S. 355. 50 SWS, S. 55.

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Peirce illustriert dies an einem Beispiel: Eine Ballonfahrt wird in Stille genossen. Plötzlich wird sie durch einen länger anhaltenden Pfiff unterbrochen. Die Stille ist die Idee der Erstheit. Es gibt also immer nur die Idee der Erstheit, denn wird die Erstheit wahrgenommen, hat sie diesen Status bereits nicht mehr. Der Pfiff zwingt, das zu hören, was gehört wird. Der Pfiff ist die rohe Kraft, das Reale der Wahrnehmung. Er ist zweitheitlich, und wir können uns ihm nicht entziehen. Die Erfahrung des Lärms führe dazu, dass der Mensch die neue Empfindung als ‚NichtEgo‘ wahrnimmt, da er sich durch diese Störung mit dem vorhergehenden Zustand der Empfindung der Ruhe identifiziert. Somit ist hier ein zweiseitiges Bewusstsein von Ego und Nicht-Ego gegeben.51 Das zweiseitige Bewusstsein trennt nun die intentionalen Elemente von den aufgezwungenen Elementen. Erst im Denken in Zeichen kann allerdings reflektiert werden, dass diese Trennung stattgefunden hat. Dennoch bleibt ein ungebundenes Moment des Denkens als Rest. Im zweiseitigen Bewusstsein wird Vergangenes von Gegenwärtigem getrennt. Erst von hier aus ergibt der zeichentheoretische Vergleich von Innen und Außen Sinn. Das Vergangene ist die innere, das Gegenwärtige die äußere Welt. Die logische Welt der Drittheit bezieht sich auf die Zukunft. Die logische Welt öffnet sich auf ein Sollte-Sein des Denkens.52 Bringt die Drittheit des Zeichens, also das Denken, ein erstes und ein zweites zusammen oder bringt das Dritte ein zweites und drittes zusammen? Das erste – das Repräsentamen – ist Medium oder Schnittstelle zwischen Innen und Außen, während das Dritte die Vermittlung eines ersten mit einem zweiten leistet. Die Empfindung der Ruhe während der Ballonfahrt war eine Empfindung der Erstheit, eine Gefühlsqualität. Der die Stille durchbrechende Pfiff ist ebenfalls eine Empfindung der Erstheit. Der Moment, in dem die Stille durch den Pfiff durchbrochen wurde, war allerdings eine Erfahrung. Erfahrung hat einen zwingenden Charakter und stellt die Konsistenz der Lebensgeschichte her. Peirce fragt danach, was mich der Gang des Lebens zwingt zu denken. „[...] the Immediate (and therefore in itself unsusceptible of mediation – the Unanalyzable, the Inexplicable, the Unintellectual) runs in a continuous stream through our lives; it is the sum total of consciousness, whose mediation, which is the continuity of it, is brought about by a real effective force behind consciousness.“53 In der Zwingenden Theorie wird Sinn bzw. das Signifikat weder metaphysisch noch transzendental abgesichert, sondern lässt sich nur vom Signifikanten aus denken. Innerhalb der Signifikantenkette wird das 51 Vgl. S&S, S. 25f. 52 SS Bd. 3, S. 150. 53 SWS, S. 56.

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Subjekt sowohl gespalten als auch erzeugt. Für die Zwingende Theorie sitzt genau an der Stelle, die uns den Gang des Lebens aufzwingt, das cogito, das es zu retten gilt. Meine These lautet, dass das nur unter der Annahme des Kontinuums möglich ist. Die transzendentale Apperzeption Kants wird auch bei Peirce durch die Konsistenz, das Zusammenstehen eines Mannigfaltigen, ersetzt. Mit der „Einheit der Konsistenz“ vermeidet Peirce, den Zusammenhang, in den die Konsistenz der Mannigfaltigkeit gebracht werden muss, mit dem „Ich“ in Verbindung zu bringen.54 Nur das Kontinuum der Zeit ist eine Konsistenz, die nicht selbst Produkt einer Verbindung ist. Wählt man für „Einheit der Konsistenz“ den Begriff der „Form“, könnte analog zur Systemtheorie zunächst festgehalten werden, dass alles Beobachten auf einer Unterscheidung beruht, und die Form die Einheit der Unterscheidung ist. Form ist die Differenz des Dings zu seiner Umgebung. Schulte schreibt, dass die Differenz aus Gestalt und Hintergrund die Form ausmacht. Das Hervortreten der Gestalt vom Hintergrund ist zugleich das Hervor- und Abtreten dieser Gestalt von (m)einem Dasein.55 Ich befinde mich nach Schulte in dem Bereich des Hintergrundes der zu unterscheidenden Gestalt. Aber woher weiß ich, was der Hintergrund und was die Gestalt ist? Und gibt es nicht immer – wie wir es von den Vexierbildern her kennen – die Möglichkeit, zwei Gestalten zu sehen? Je nachdem, wie wir auf das Bild schauen, sehen wir eine Vase oder zwei Gesichter. Wie ist also das Verhältnis zwischen Innen und Außen zu denken? Peirce unterscheidet zwischen innerem und äußerem Selbst: „The interior realm is the realm of feeling. Consciousness is really in itself nothing but feeling. The exterior aspect of the self is the mind. The locus of our mental life is the external realm of signs and forms of signification.“56 Das semiotische Selbst ist kein Bewusstsein oder Selbstbewusstsein, sondern eine Zeichenserie – eine temporale Struktur der Bewegung, die stets neue Interpretanten an seine Gestalt bindet oder fixiert. Mit Žižek könnte man sagen, dass diese Gestalt in der Mitte ein Loch hat bzw. um eine Leere herum strukturiert ist. Es kann noch soviel Teigmasse um den Doughnut herum gebacken werden, das reine oder nackte Selbst bleibt leer. Es kann somit nicht nur ein äußeres von einem inneren Selbst un-

54 Vgl. Thomas Hünefeldt: Peirces Dekonstrukion der Transzendentalphilosophie in eine phänomenologische Semiotik, Würzburg: Königshausen und Neumann 2002, S. 108. 55 Vgl. G. Schulte: Der blinde Fleck, S. 149f. 56 CP 7.364.

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terschieden werden, sondern auch gezeigt werden, dass im Innern des inneren Selbst, ein nacktes Selbst zu finden ist: Das leere, reine Selbst. Das semiotische Selbst ist hingegen immer als eingebettet in die soziale Ordnung zu denken. Es wird später als das Selbst der Theorie der Politik entfaltet. Zu einem semiotischen Selbst wird es durch „selfcontrolled semiotic acts that point towards an emancipatory future.“57 Eine riesige Landkarte, die selbst deckungsgleich auf dem Gebiet liegt, das sie darstellen soll, muss ein Loch enthalten, damit kein infiniter Regress entsteht; sonst würde die Karte sich selbst darstellen und duplizieren. „This point must, itself, be not represented.“58 Das Loch ist ein Punkt, der nicht repräsentiert werden kann bzw. der unrepräsentiert bleiben muss, wenn die triadische Struktur des Zeichens erhalten bleiben soll. Es gibt zum einen das unmittelbare Denken, dessen wir uns nicht bewusst sind, da es an sich unvermittelt und unreflektiert in einem kontinuierlichen Strom verläuft. Wir können uns nicht über dieses Denken bewusst sein, da es außerhalb verläuft. Es ist der Diskurs des Anderen. Es macht die Gesamtheit des Bewusstseins aus, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Peirce veranschaulicht das durch folgendes Beispiel: „Accordingly, just as we say that a body is in motion, and not that motion is in a body, we ought to say that we are in thought and not that thoughts are in us.“59 Unser bewusstes Denken und unser Bewusstsein sind in diesem so verstanden Denken. Sie sind immer schon in dieser Drittheit und in dieser Semiose. Die Vermittlung des Bewusstseins meint einen Gedanken – sozusagen einen Bewusstseinszustand – mit einem Folgegedanken zu verbinden, was nur durch Drittheit möglich ist. Drittheit vermittelt dann aber nicht lediglich einen Gedanken mit einem Folgegedanken, sondern Drittheit vermittelt Relationen. Denken oder Repräsentation gewährleistet also die Kontinuität des Bewusstseins. Die real wirksame Kraft ist der Anstoß, der durch (und nicht vermittels) das unmittelbare und unerklärbare Medium bewirkt, dass zwischen dem Bewusstsein und der darstellenden Vermittlung ein permanentes Sichaufeinander-beziehen stattfindet. Das „Nicht-Geistige“ wird vorausgesetzt, muss aber kontinuierlich neu vermittelt werden. Somit erklärt sich das Umschlagen des Interpretanten in ein Repräsentamen. Eine beobachtete Differenz oder Ähnlichkeit ist bereits ein sekundärer Prozess und eine Konsequenz einer logischen Aktivität. Alles Beobachten fängt immer mit vermittelten Daten an, die auch falsch sein können und überprüft werden müssen. Ein Fehlen des symbolischen Bereichs könnte dann bedeuten, dass die Überprüfung nicht mehr stattfindet. Anstelle ei57 CP 8.131 vgl. auch CP 3.419. 58 CP 8.122. Siehe auch SS Bd. 3, S. 375. 59 SWS, S. 56.

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ner logischen Überprüfung wird in die Vermittlung lediglich ihr mögliches Falschsein – ihre Fallibilität – mit eingerechnet. Die Subjekte lassen sich ohne den symbolischen Bereich nicht mehr irritieren. Das ist auch zentral für die Differenz zwischen Theorie und Praxis. In den beobachteten Fakten stecken immer schon theoretische Schlussfolgerungen, Urteile oder Abduktionen. Gleichzeitig gründet jeder Fakt in Irrtum bzw. Illusion. Den Menschen macht zunächst die Fähigkeit aus, sowohl zu differenzieren als auch Ähnlichkeiten wahrzunehmen und Schlussfolgerungen zu ziehen.60 Wir können dasselbe weder zweimal wahrnehmen, noch können wir etwas so wie jemand anders beobachten. Das bedeutet, um sich einer logischen Überprüfung – also dem symbolischen Bereich – zu entledigen, müsste die Wirklichkeit derart strukturiert sein, dass sie ihr Gegenteil stets mitführt. Genau das meint das schlechte unendliche Urteil in der Interpretation von Žižek: Eine lediglich formale und funktionale Internalisierung der Gegensätze im Unterschied zur substantiellen Internalisierung der Gegensätze. Die einzige Substanz, welche die Zwingende Theorie kennt, ist das Genießen, das sich selbst nicht weiß. Es ist dieser Aspekt, der im schlechten unendlichen Urteil fehlt. Žižek weist darauf hin, dass die Schichten der Negation in der abschließenden Einheit/Affirmation aber beinhaltet sind. Will man den Anstoß nicht ontologisch als etwas Vorausgesetztes begreifen, kann er mit der Negation, mit dem Register des Realen assoziiert werden. Das Reale durchdringt und formt das Denken, ohne darin wahrgenommen zu werden. Da Denken drittheitlich verläuft, können Erstheit und Zweitheit im Denken nicht „roh“ wahrgenommen werden. Nur die Erstheit und Zweitheit der Drittheit sind wahrnehmbar, nicht aber die Erstheit oder Zweitheit an sich. Der tendenziell unendliche Transformationsprozess des Interpretanten in ein Zeichen, das wieder einen neuen Interpretanten braucht, der sich wiederum in ein Zeichen transformiert, entspricht dem Topos des „das ist es noch nicht“ bzw. „das ist noch nicht alles“ der Zwingenden Theorie.61 Wir sind im Denken, in Gedanken – das Denken oder die Gedanken sind nicht in uns. Wenn ich im Denken bin, bin ich nicht in mir. Was meint dann dieses „mir“? Es ist das pathologische, negative Ich. Und das cogito, von dem Descartes spricht, und das Žižek mit Lacan als das Subjekt des Unbewussten „retten“ will, ist das „Ich denke“, das unbewusst verläuft, eben weil es nicht in mir verläuft, weil es von mir als Ich oder Ego befreit ist. Das Unbewusste ist nicht der Spalt zwischen der reinen 60 Vgl. CP 5.565-68. 61 Vgl. Žižek NAR, S. 83. Siehe zur unendlichen Metonymie des Begehrens und der Frage, durch welche Geste dieser Metonymie ein Ende bereitet werden könne auch A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 93.

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Form des „ich denke“ und dem unerkennbaren „Ding, das denkt“ – das Unbewusste bezeichnet das „es denkt“, das dann erscheint, wenn das „Ich“ ist, wenn das Subjekt das Sein wählt. Hier ist die Unterscheidung zwischen dem Freudschen Es und dem Lacanschen Unbewussten zu suchen: Das Unbewusste ist das „es denkt“ im „ich bin, deshalb denkt es“, während das Es von Freud das „es ist“ im „ich denke, also ist es“, ist.62 Ist das cogito also zeichenhaft zu verstehen? Wenn das Unbewusste strukturiert ist wie Zeichen, kann dann das Subjekt des Unbewussten auch semiotisch bestimmt werden? Das so verstandene cogito stellt eine Art „Interface“, eine Grenzfläche oder Überschneidung von Zeichenprozessen dar. Dieses Interface verbindet Natur (dynamisches Objekt) und Kultur (Zeichensysteme) und liegt gleichzeitig quer zu Natur und Kultur. Es ist eine Art Selbst-Beziehung, die bestimmt, wie sich das Subjekt von der Natur bzw. Umwelt beeinflussen lassen wird.63 Nochmals sei betont, dass auch die Natur als Zeichenumwelt aus Semiosen besteht. Sie ist aber nur durch die Irritationen des dynamischen Objekts auf das Repräsentamen des Zeichens erfahrbar. Die Frage der Semiotik ist also auch eine Frage danach, wie wir mit den Irritationen umgehen. Die Frage der Psychoanalyse scheint hingegen eher zu lauten: Wann bin ich so verstört, dass eine Irritation nicht mehr durch beruhigende, innovative Erkenntnisse verdrängt werden kann? Lacan hat zwei gegensätzliche Lesarten des cogito erarbeitet: Einmal eine erzwungene Wahl zwischen Denken und Sein. Der Zugang zum Denken („ich denke“) wird mit dem Verlust des Seins bezahlt. Der Zugang zum Sein („ich bin“) führt zur Verbannung des Denkens ins Unbewusste; „ich bin nicht, wo ich denke“.64 Die erste Variante ist analog der reinen Form der Apperzeption zu lesen, und die zweite Variante als Affirmation des Seins des Subjekts, das auf dem Ausschluss des Denkens basiert. Žižek schlägt nun vor, beide Versionen des cogitos synchron zu lesen: Das reine Denken kann nur stattfinden, wenn das Subjekt sich mit dem sinnlosen Genießen konfrontiert. Das cogito ist der Ort, an dem das „Ich“ seinen Halt im symbolischen Netz verliert.65 Ohne alle Prädikate ist das Ich nur noch ein Blick. Das Subjekt ist ein substanzloser Punkt reiner Selbstbezüglichkeit (das ‚Ich denke‘), der nicht 62 Vgl. NW, 91. Zur „Rettung“ des cogitos siehe v.a. TS, S. 7-11. 63 Vgl. für einen ähnlichen Zusammenhang Žižek GL, S. 53. Žižek zeigt, dass sich viele der heutigen Kognitionswissenschaftler implizit auf diese Figur der Fichteschen Tathandlung bzw. Kantschen transzendentalen Spontaneität beziehen. 64 Žižek NW, S. 72. Und wer denkt hier nicht an Descartes, der sich bekanntlich bei peinigender Kälte der schützenden Wärme eines Ofens anvertraute und dort sein „cogito, ergo sum“ ausbrütete. 65 Vgl. ebd, S. 76.

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‚Teil der Welt‘ ist. Das Loch in der Landkarte von Peirce, oder eine weitere Lesart der Gedichtzeile von Emerson: „Von Deinem Auge bin ich der Blick.“ Das Subjekt als cogito ist die Nicht-Substanz, die nur als nicht-substantielle Selbstbezüglichkeit existiert.66 Die subjektiven Imaginären und symbolischen Prozesse sind auf das Reale nicht als Seinsfülle, sondern als Objektmangel oder als Trieb, der die Semiose motivieren kann, ausgerichtet. Das kann mit Peirce näher erläutert werden: Zum einen vertritt das semiotische unmittelbare, interne Objekt sozusagen das unerreichbare dynamische Objekt. Aus dieser Perspektive ist das dynamische Objekt das „object outside the sign“,67 das zweitheitlich auf das Zeichen einwirkt, zeichenintern aber anhand der Erstheit thematisiert wird, und nicht an sich existiert. Es motiviert die Semiose gerade weil es nicht existiert. Zum anderen – als Trieb – wird das dynamische Objekt als etwas bestimmt, das zwar außerhalb der Zeichentriade anzusiedeln ist, weil es aber hinsichtlich der Zweitheit tatsächlich existiert, auf die Triade einwirken kann. Hier kommt erneut die doppelte Perspektive zum Tragen. Das dynamische Objekt kann innerhalb des Zeichensystems Irritationen oder Widerstände auslösen. Die Irritationen sind erstheitlich, die Widerstände zweitheitlich.68 Aus dieser Perspektive lässt sich auch das Lacansche Reale genauer fassen. Es ist zum einen – betrachtet man es bloß seinem kategorialen Status nach – analog der Peirce’schen Erstheit das noch nicht existierende, gerade aufgrund seiner Eindeutigkeit für uns nicht fassbare. Dieser Aspekt des Realen ist nicht beobachtbar. Aus der Sicht des Zeichens muss das Reale als Erstheit als etwas Vages erscheinen, obwohl es eigentlich eindeutig ist. Es ist an sich eindeutig. Andererseits ist das Reale – hier ist die psychoanalytische Theorie dramatischer – der Schock bzw. das Trauma eines plötzlichen Realitätseinbruches. Das Reale ist dann nicht bloß eine Irritation, sondern die Konsistenz des „Ichs“ kann durch das Reale förmlich aufgehoben werden. Auch dieser Schock, diese starke Irritation, ist nicht direkt, sondern nur in ihren Effekten, rhapsodisch erfahrbar. Das heißt, sie wirkt direkt auf das „Ich“ ein, kann aber nur retrospektiv erfahren werden. Das semiotische Subjekt kann sich ebenso wie das Subjekt der Zwingenden Theorie nur als gespaltenes erfahren bzw. beobachten. Peirces Zeichendefinition beinhaltet drei Elemente, von denen auf for66 Vgl. Žižek GDR, S. 182. 67 S&S, S. 83. 68 Hier könnte man nun den ironischen Exkurs zu Herrn Luhmann fortspinnen. Irritationen hätten dann analog dem Staunen keinem Gegenbegriff, während die Widerstände als zweitheitlich dem Zweifel entsprechen würden.

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maler Ebene zwei (das erste und das dritte) eigentlich identisch sind. Sie werden bestimmt als relational zum zweiten. Wenn die Gleichung lautet: 1 = 3, dann wäre das Objekt als „=“ mit der Zwingenden Theorie analog dem unendlichen Urteil als das Subjekt des Unbewussten zu deuten. Im schlechten unendlichen Urteil kommt es zum unendlichen Regress oder zur Indifferenz zwischen 1 und 3. Im echten unendlichen Urteil würde das Objekt aufgrund seiner Zweitheit bewirken, dass ein Erstes und ein Drittes sich auf es beziehen. Die Darstellung des Bezuges kann sich nur wieder in und durch Drittheit vollziehen. Gelingt dies nicht, und kann das Subjekt ebenfalls nicht analog dem schlechten unendlichen Urteil eine Distanz zwischen 1 und 3 schaffen, verharrt das Subjekt in einem psychoseähnlichen Zustand. Psychoanalytisch gewendet beziehen sich Repräsentamen und Interpretant auf das Objekt klein a, ein Objekt, das im inneren des Zeichens eigentlich fehlt, da dem finalen Interpretanten als drittheitlichem Zeichen kein Objektbezug entsprechen kann. Das Objekt klein a bzw. das Objekt, das der finale Interpretant konstruiert haben wird, hat damit einen quasi-transzendentalen Status. Das Objekt klein a steht gleichzeitig für die Maske und für die Leere hinter der Maske.69 Im „schlechten“ unendlichen Urteil wird eine Differenz an die andere gehängt, wie wir es für die Theorie des Politischen gesehen haben. Es gibt innerhalb der schlechten Unendlichkeit keine Aufhebung. Es gibt hier kein Gesetz und es gibt kein Subjekt (des Unbewussten). Das „echte“ unendliche Urteil eröffnet eine dritte Position, welche die zugrunde liegende Unterscheidung untergräbt. Für das echte unendliche Urteil muss die Substanz – die Unmittelbarkeit bei Peirce – Subjekt werden. Beide Subjektthematisierungen haben somit den Peirce’schen Objektbezug im Blick. Der Antagonismus der Zeichentheorie besteht darin, dass die Lücke zwischen Zeichen, Objekt und Interpretant zugleich die Kontinuität des Semioseprozesses gewährleistet. Es handelt sich um ein Paradox, weil jedes der drei Elemente ja wiederum selbst Zeichen ist bzw. sein kann. Der Antagonismus meint also die Gleichzeitigkeit von Relationen- und Identitätsdenken. Im Symbol wirken sowohl Relationen als auch Identität. Identität gewährleistet die Kohärenz und Konsistenz des Symbols, Relationen bringen stets einen Überschuss an weiteren Anschlussmöglichkeiten hervor. Die Paradoxie ist bei Peirce das, was den so genannten „doubt-belief“ Prozess initiiert. Der Semioseprozess wird entweder durch das Subjekt des Begehrens initiiert, oder um sich dem Gang des Lebens (besser) anzupassen. Ferner kann der Semioseprozess durch das Subjekt des Triebes ausgelöst werden, oder um durch Irritationen ausge69 Vgl. Žižek DPS, S. 73.

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löste Zweifel in neue Überzeugungen zu überführen. Die Paradoxie bzw. der Antagonismus ist auch hier Ursache eines Semioseprozesses. Durch (diskursive) Symbole wird Einheit bzw. die Auflösung des Mangels suggeriert. Die Subjektpositionen sind zweitheitliche Effekte einer drittheitlichen Struktur und damit kann es kein transzendentales Bewusstsein geben. Ist der Geist oder Quasi-Geist dann bei Peirce etwas durch und durch Inter- bzw. Transsubjektives? Wir haben schon gesehen, dass Peirce das individuelle Ego negativ bewertet. Das Individuum ist eine notwendige Illusion. Der Sitz von Selbstidentität – oder mit der Zwingenden Theorie des cogitos – kann nur im großen Anderen zu finden sein und dennoch ist er das, was den Kern des Subjekts ausmacht. Žižek problematisiert den Begriff der Intersubjektivität, der allzu häufig als Versöhnung unterschiedlicher subjektiver Perspektiven, erscheint. Er sieht das Feld der Intersubjektivität als Medium der Wahrheit, in die zwei Pole des ExpertenWissens und der psychotischen ‚privaten‘ Wahrheit zerfallen.70 Hier müsste aus psychoanalytischer Sicht die Frage nach Integration und Steuerung ansetzen. Dem Motiv der Intersubjektivität entgeht, dass ein Subjekt für ein anderes Subjekt vor allem ein Objekt klein a ist; das Objekt klein a hindert das Subjekt, sich vollständig zu realisieren; es wird vom Subjekt als das wahrgenommen, was ihm selbst fehlt. Durch diese Annahme ist es sein Herr.71 Ein Ziel der Psychoanalyse liegt darin, diese Illusion zu untergraben. Physische und psychische Phänomene sind nicht, so als ob sie zu verschiedenen Kategorien gehörten, völlig distinkt. Alle Phänomene entspringen demselben Charakter, obwohl einige mentaler sind als andere, und andere wiederum materieller bzw. einer strengeren Regelmäßigkeit unterworfen, sind.72 Es gibt aber keinen Bruch zwischen Materie und Geist. Wenn es diesen Bruch nicht gibt, was leistet die Unterscheidung zwischen Materie und Geist? Jedes Selbst partizipiert am größeren sozialen Selbst und kann sich nach Peirce nur durch Ignoranz von diesem Kontinuum abstrahieren. Das ignorante bzw. tückische Subjekt kann aber auch aus Sicht der Zwingenden Theorie als das „tolle Element“ fungieren.73 Es sind hier zwei Möglichkeiten gegeben, sich aus

70 Vgl. Žižek 2002, S. 254. 71 Vgl. Žižek GDR, S. 184. 72 Vgl. CP 7.570. Siehe zu diesem Aspekt auch R. S. Corrington: An Introduction, S. 102f. 73 Eine gänzlich andere Lesart bietet Corrington, für den zwischen Psychoanalyse und Peirce ein großer Unterschied liegt. Er untersucht allerdings nur Freuds Unbewusstes und nicht die Konzeption von Lacan. Vgl. R. S. Corrington: An Introduction, S. 108f.

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dem Kontinuum zu abstrahieren. Die erste Variante internalisiert Materie und Geist und macht sie dadurch indifferent und ununterscheidbar. Die zweite „tolle“ Variante als unendliches Urteil wird unten als politische Einbildungskraft entfaltet. Da es keine Identität von Geist und Gehirn gibt, kann Geist an verschiedenen Orten lokalisiert werden. Aus dieser Perspektive bedeutet „der Geist ist ein Knochen“, dass in einem Gehirn der Geist immer nur Knochen sein kann, da er nicht in einem einzelnen Gehirn existiert. Der Geist kann sich nur durch die Interaktion zwischen mehreren Gehirnen einstellen und dazu ist Drittheit erforderlich. In seiner Zweitheit ist der Geist immer ein Knochen. In seiner Drittheit ähnelt er dem großen Anderen der psychoanalytischen Theorie. In den nächsten Kapiteln werden die beiden Objektkonstitutionsweisen der Theorie der Politik und der Theorie des Politischen aus der Perspektive der Zwingenden Theorie als Zeichentheorie neu formuliert. Es wird dabei das semiotische, individuelle und leere Selbst berücksichtigt. Erst durch diese beiden Thematisierungen wird als Rest dieses aufeinander Beziehens die politische Einbildungskraft entwickelt werden können. Am Ende wird sichtbar, dass sich Theorie der Politik und Theorie des Politischen – liest man sie mit der Zwingenden Theorie – gegenseitig bedingen. Sie sind in dieser neuen Lesart in einen Zeichenprozess eingebunden und können nicht für sich existieren, auch wenn sie im Folgenden einzeln vorgestellt werden.

1.2 Theorie der Politik: Symbolische Autorität durch Übertragungsfiktion In diesem Abschnitt wird danach gefragt, wie eine Theorie der Politik ihren Gegenstand anders als durch Autorität – wie z.B. in dem Modell von Hobbes – legitimieren und konstruieren kann. Daher wird auch hier erneut auf die Theorie von Hobbes in der Lesart der Zwingenden Theorie eingegangen. Seine Macht bezieht der Leviathan nicht ausschließlich aus sich selbst, sondern durch Übertragung bzw. Überlassung von Rechten, die auf einem Vertrag basieren. Es ist eine Art Selbstermächtigung des Leviathans, die aber, um sich in symbolische Autorität zu wandeln, durchaus den fremdreferentiellen Bezug bräuchte. Die gesamte Macht wird auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können, übertragen. Die Macht wird somit zur Autorität bzw. allgemeinen Gewalt:

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„Das heißt soviel wie einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen bestimmen, die deren Person verkörpern sollen, und bedeutet, dass jedermann alles als eigen anerkennt, was derjenige, der auf diese Weise seine Person verkörpert, in Dingen des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Sicherheit tun oder lassen wird, und sich selbst als Autor alles dessen bekennt und dabei den eigenen Willen und das eigene Urteil seinem Willen und Urteil unterwirft. Dies ist mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung: Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam [...].“74

Dies entspricht dem psychoanalytischen Diskurs des Herrn. Staat ist dann das Synonym für diese zu einer Person vereinte Menge. Hier braucht der Mensch aufgrund seines „Wolfseins“ einen Bändiger. Später braucht er ihn, wie Žižek mit Schelling zeigt, aufgrund seiner Exzentrizität.75 Der Mensch braucht einen Staat als kontingenten Einheitsersatz. Aufgrund seines Überschusses, also dessen, was in ihm „mehr ist als er selbst“.76 Der Staat soll weder als ethisches Reich glorifiziert, noch als Instrument der Unterdrückung abgeschafft werden. Es geht dabei nicht um die liberale Position, wonach man sich dem perfekten Staat nur annähern kann. Nicht die Differenz zwischen Sein und Sollen, sondern die Unterscheidung zwischen Sein und Werden – im Sinne von „Staatung“ oder „state-ing“ – wird thematisiert.77 Im Folgenden stehen weniger die Mechanismen, wie mit dem tückischen Element der Subjekte umgegangen werden soll, im Vordergrund. Dabei wäre – das muss allerdings Forschungsdesiderat bleiben – das Andere auch als ein nichtstaatliches oder lediglich staatsähnliches Konstrukt vorstellbar. Es geht also für vorliegende Fragestellung nicht darum, nach staatlichen Ersatzstrukturen zu suchen, sondern darum, aufzuzeigen, dass die Option für eine reine Zivilgesellschaft – die ohnehin schwer umsetzbar sein dürfte – als „Substitutformation“ im imaginären Bereich verharren würde. Mit der Zeichentheorie und der Zwingenden Theorie wird nach einer Konzeption von symbolischer Autorität gefragt. Dazu wird der psychoanalytische Begriff der Übertragungsfiktion eingeführt. Übertragung kann als Verlagerung, Transport oder Substitution von einem Platz auf den anderen verstanden werden. Die Übertragung ist innerhalb der Psy74 T. Hobbes: Leviathan, S. 134. 75 Vgl. Žižek NAR, S. 62. 76 Vgl. zu dieser Figur dessen, „was in mir mehr ist als ich selbst“ Žižek GDR, S. 162. 77 Vgl. Žižek NAR, S. 240, Anm. 48. Žižek vergleicht diese Unterscheidung mit Heideggers Unterscheidung zwischen „Welt“ und „Weltung“ oder Laclaus Unterscheidung zwischen „order“ und „ordering“.

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choanalyse der symbolische Prozess per se. Früher wurde damit auch die affektive Verlagerung bezeichnet. Sandor Ferenczi beobachtete, dass die Übertragung in allen zwischenmenschlichen Beziehungen wirksam ist (v.a. Lehrer und Schüler, Arzt und Patient, Analytiker und Analysand, Repräsentant und Repräsentierte etc.).78 Die Übertragungsbeziehung kann als Folge dialektischer Wechsel innerhalb der Beziehung z.B. zwischen Patient und der Position des großen Anderen (der Arzt in seiner autoritären Position), gesehen werden. Die Gefahr der Übertragung liegt darin, dass sie eine Täuschung enthält und den Analytiker in eine allwissende Position setzt: der Analytiker ist das Subjekt, dem unterstellt wird, zu wissen. Der Analytiker arbeitet – er fahndet – wie ein Detektiv, der erst durch den Mörder in die Situation gesetzt wird, ein Subjekt zu sein, das Wissen hat.79 Die unbewusste Realität, das Subjekt des Unbewussten, soll in der Übertragungsbeziehung zur Erscheinung gebracht werden. Dies kann nur durch die ambivalente Autorität einer Übertragungsfiktion gelingen. Das gleiche gilt dann ebenfalls für politische Theorie: Die Theorie der Politik braucht die vermeintlichen Mängel der Theorie des Politischen, um sich als die normativ bessere Theorie zu konstituieren. Die Theorie des Politischen braucht die Theorie der Politik, um sich als die wissendere Theorie zu konstituieren. Das Subjekt der Übertragungsfiktion ist dasjenige, dem uneingeschränktes Wissen unterstellt wird. Aus dieser Sicht kann der Hobbes’sche Naturzustand keine dritte Figur sein. Der Naturzustand ist lediglich der vorstaatliche Kampf um Anerkennung, der noch eine dritte Instanz erfordert, die darüber entscheiden kann und muss, was als Gesetz zu gelten hat. Die Spannung zwischen dem Recht, seinen eigenen Willen durchzusetzen, und der durch Vernunft ermittelten Regeln, kann nur durch eine willkürliche fremde Macht aufgehoben werden: „[…] damit die Gesetze wirksam sind, muß es einen geben, eine Person mit der unbegrenzten Macht zu entscheiden, was Gesetz ist. Wechselseitig anerkannte Regeln sind nicht genug – es muß einen Herrn und Meister geben, der sie durchsetzt. […] Diese äußere unbegrenzte Macht ist genau jene reflexive Bestimmung meiner »egotistischen« subjektiven Haltung; um sie zu überwinden, muß ich meine eigene Identität überwinden.“80

78 Vgl. Elisabeth Roudinesco/Michel Plon (Hg.): Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen Länder, Werke, Begriffe, Wien, New York: Springer 2004, S. 1064-1069. 79 Vgl. Ebd., S. 1068. Lacan sieht in der Übertragung eine der vier grundlegenden Theoreme der Psychoanalyse (neben dem Unbewussten, der Wiederholung und der Triebtheorie). 80 Žižek GL, S. 169f.

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Die Frage, der hier also nachgegangen werden muss, lautet: Wie kann man sich diese dritte Figur denken, ohne dass das Politische – wie bei Hobbes – aus dem gesellschaftlichen Leben herausgenommen wird? Die Schnittstelle zwischen natürlichem Recht und Gesetz der Natur ist somit nicht der Rest, sondern der Rest entsteht, weil diese Spannung eben nur im bewahrenden Sinne aufgehoben werden kann. Intersubjektivität geht von einem gemeinsamen Grund aus – beziehungsweise suggeriert, dass es einen gemeinsamen Grund gebe. In der Übertragung gibt es etwas Gemeinsames. Nur was das Gemeinsame ist, können die beteiligten Subjekte nicht wissen, da es meist unbewusst ist. Vielleicht kann Hobbes’ Begriff der „Überlassung“ als eine Übertragung in diesem Sinne verstanden werden. Durch Übertragung der Rechte auf jeden anderen sollen die Machtverhältnisse automatisch einem Souverän überlassen werden. Dies geht eben nur aufgrund der reflexiven Bestimmung der subjektiven Haltung. Das Gemeinsame bei Hobbes wären die Furcht und der Wunsch nach Sicherheit.81 Das innere Denken geschieht weder freiwillig noch ist es die Wirkung von Gesetzen, sondern es ist nach Hobbes die Wirkung des unerforschlichen Willens und der Macht Gottes, und fällt nicht unter eine Verpflichtung. Gleichwohl haftet diesem Denken etwas „ketzerisches“ an, das sich nur von sich selbst überzeugen lässt. Dieser ketzerische, rein private Maßstab von Gut und Böse ist für den Staat verhängnisvoll.82 Die Zwingende Theorie sieht in diesem inneren unfreiwilligen Denken, das keine Wirkung von Gesetzen ist – allerdings auch keine Wirkung der Macht Gottes – das Subjekt des Unbewussten angelegt. Kann der Staat/Leviathan bei Hobbes dann überhaupt mehr als nur ein Körper zur Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen sein? Gibt es also eine substantielle Komponente? Ist Kants Dimension dessen, was Freud später als „Jenseits des Lustprinzips“ bezeichnete, d.h. ein jenseits der pathologischen Motivationen von Selbsterhaltung, Lust und Unlust, in der Anlage auch bei Hobbes vorhanden? Gibt es bei ihm ein implizites Genießen? Das Politische wird bei Hobbes ausgeschlossen, es darf höchstens als dieses innere Gewissen unausgesprochen weiter existieren. Die Zwingende Theorie zeigt, dass Überidentifikation und Selbstinstrumentalisierung übereinstimmen. Die Übertragungsfiktion unterscheidet sich also zunächst nicht von Selbstinstrumentalisierung und Überiden81 Dieser Wunsch nach Sicherheit ist heute wieder aktuell, und es wäre dann Aufgabe politischer Theorie, auf die Folgen hinzuweisen, die in einem autoritären Entgegenkommen dieses Wunsches lägen. Die Zwingende Theorie optiert in diesem Fall für eine symbolische Autorität, die Freiheit über Sicherheit stellt. 82 Vgl. T. Hobbes: Leviathan, S. 360, S. 389 und S. 519.

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tifikation.83 Es muss aber etwas geben, das ein imaginäres Verschmelzen dieser Analytiker-Analysand, Theoretiker-Rezipient, Repräsentant-Repräsentierte-Beziehung verhindert. Gleichzeitig betont Žižek immer wieder: „Die einzige Weise, etwas Reales in der Theorie zu produzieren, besteht darin, an der Übertragungsfiktion bis zum Äußersten festzuhalten.“84 Es geht also darum, keine (pseudo)-dialektische Synthese zu bilden, sondern etwas originär Drittes zu beschreiben, innerhalb dessen von Anfang an drei Momente gegeben wären. Das symbolische Moment der Autoritätsbeziehung muss eine Distanz zwischen die beiden Pole legen. Nach Muller besteht der dyadische Prozess der intersubjektiven Beziehungen aus Empathie und Anerkennung.85 Das Dritte ist sozusagen die Rahmung, die eine Beziehung auf Transsubjektivität hin zu öffnen vermag. Anerkennung durch Symbiose soll verhindert werden. „The deictic function of pronouns is not grounded in conceptual reference nor in intersubjective feelings and is not a property of either member of the dyad, but is part of the Third that structures the dialogue, the Third of culture and semiotics that grounds the positions of each member of the dyad and makes possible a relationship between them. A systematic understanding of the dyadic process is not possible without taking this Third into account.“86

Die Übertragungsfiktion beruht innerhalb des therapeutischen Gesprächs auf einem Versprechen. Aus normativer Sicht ist die Therapie dann erfolgreich, wenn der Analysand oder die Analysandin spürt, dass das Versprechen gar nicht einhaltbar, nichtsdestotrotz aber als eine Bedingung der Möglichkeit von Analyse – Übertragungsbeziehung – gegeben sein muss. Mit der Übertragungsfiktion ist das Ziel der Analyse erreicht. Es wird hier zu fragen sein, inwieweit dieses Modell auf Politik und auf politische Theorien angewendet werden kann bzw. auch dort wirksam und notwendig ist. Die These der Zwingenden Theorie lautet, dass die Übertragungsfiktion auch für jede Form von Gemeinschaft, die nicht auf Gewalt oder Zwang gründet, vorausgesetzt werden kann. Peirce bezog sich vielleicht auf etwas Ähnliches, als er schrieb: „So zeigt eben der Ursprung des Begriffs der Realität, dass dieser Begriff wesentlich den Gedanken einer GEMEINSCHAFT einschließt, die ohne definitive Grenzen ist und das Vermögen zu einem definiten Wachstum der Erkennt83 Vgl. Žižek TS, S. 531. 84 Žižek 2002a: S. 23. Siehe auch Žižek GDR, S. 115. Vgl. zum Subjekt, dem Wissen unterstellt wird („sujet-supposé-savoir“) als Stütze der Übertragung auch Lacan Sch I, S. 152-163. 85 Vgl. J. P. Muller: Beyond the Psychoanalytic, S. 61f. 86 Ebd., S. 71.

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nis besitzt. Und daher bestehen jene beiden Reihen von Erkenntnissen – das Reale und das Nicht-Reale – aus solchen, die in einer genügend weit in der Zukunft liegenden Zeit kontinuierlich von der Gemeinschaft immer wieder bestätigt werden, und aus solchen, die unter denselben Bedingungen immer wieder geleugnet werden.“ 87

In der Übertragungsbeziehung müssen diese beiden Richtungen gleichzeitig gegeben sein. Ist die Übertragung gelungen, müssen die Erkenntnisse der Gemeinschaft geleugnet werden und zugleich muss es zu neuen Übertragungsfiktionen kommen können. Aus zeichentheoretischer Sicht betont die Übertragungsfiktion das mimetische, ikonische – nicht das abbildliche – Moment. Die Übertragungsfiktion ist strukturbildend, imitierend und fixierend. Aber was wird eigentlich in der Übertragung übertragen? Es wird der Sprachüberschuss als das Versprechen der Theorie inszeniert. Nur unter der Voraussetzung dieses Versprechens kann es zu einer Identität von Überschuss und Herren-Signifikant kommen. Mit Peirce kann dieses Versprechen oder die Hoffnung als Idee verstanden werden: „Man hat über die Metaphysik verächtlich gesagt, dass sie ein Gewebe von Metaphern sei. Doch nicht nur in der Metaphysik, sondern auch logische und phaneroskopische Begriffe müssen so eingekleidet werden. Denn eine reine Idee ohne Metapher oder andere aussagekräftige Ausstattung ist eine Zwiebel ohne Schale.“88 Die Theorie der Politik unterscheidet nicht zwischen Beobachtung erster Ordnung und Beobachtung zweiter Ordnung. Sie setzt einerseits z.B. im Falle des Diskurses des Herrn – wenn sie also selbst in diesem Sinne schreibt – Politik und politische Prozesse als Gegenstand voraus. Dabei entfaltet sie eine Vorgabe, wie etwas normativ sein soll. Andererseits geht sie ihrer Selbstbeschreibung nach von so genannten Fakten (anthropologischen Konstanten, Regierungssystemen, Verfassungen, Wirtschaftssystemen etc.) aus, ohne die eigene Position mitzureflektieren. Gibt es in der Zwingenden Theorie ein wie auch immer bestimmtes normatives Moment, das allerdings nicht substanziell vorab definiert wird? In diesem Kapitel wird also das normative Moment der Theorie der Politik in ihrer Gegenstandsbeschreibung aus Sicht der Zwingenden Theorie entwickelt und gleichzeitig danach gefragt, ob die Zwingende Theorie selbst so ein normatives Moment innerhalb ihrer Theorie zeigt. Lacans, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Studentenproteste von 1968 aufgestellte These, kulminierte bekanntlich in der Frage: Ihr wollt einen neuen Herrn? Dann bekommt ihr ihn! Damit war die Beobachtung verbunden, dass sich durch die Unruhen und die ihnen folgenden Um87 SPP, S. 76. 88 SS Bd. 2, S. 340.

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wälzungen des universitären Systems, der Diskurs des Wissens in den neuen, aber uneingestandenen, Diskurs des Herrn verwandelte. Die Pointe des Diskurses des Analytikers kann nun nicht darin liegen, den Herrn zynisch oder ironisch zu spielen, um gewissen Autoritätssehnsüchten nachzukommen. Der Analytiker – analog dazu der Theoretiker oder Politiker – wird dieses Versprechen nicht einlösen, und dennoch muss es wirksam sein. Es muss diese Instanzen, denen Wissen unterstellt wird, in irgendeiner Form geben. Aber wie und in welcher Form? Kann der (ultimativ) finale Interpretant als symbolische Autorität entfaltet werden? Peirce lehnt innerhalb seiner Zeichentheorie sowohl den „Vater“ der symbolischen Autorität als auch den „Vater“ der reinen Macht ohne Autorität ab. Das hieße, dass sein Forschen durch einen ÜberIch-Vater angetrieben wurde. Die obszöne Instanz des Über-Ichs ist die Kehrseite des ‚Namens-des-Vaters‘. Im Vokabular der Systemtheorie heißt das: „Denn ob man Freud nun glauben mag oder nicht: es gehört zum Standardwissen der modernen Gesellschaft, dass Fremdzwänge in hohem Maße durch Selbstzwänge ersetzt und verdrängt sind.“89 Wird der Autorität widerstanden, oder wird sie abgelehnt, internalisiert sie sich meist und vermag das Subjekt umso stärker zu unterdrücken. Die Freiheit, die zwischen Fremd- und Selbstzwang zu suchen ist, kann dann auch innerhalb der Systemtheorie nur ein „Derivat kognitiver Konstruktionen“,90 also eine kognitive Verbindung, die aus einer anderen Verbindung entstanden ist, sein. Die Zwingende Theorie fragt demgemäß, welches Derivat zu welchen Folgen führt. Mit Peirce kann gezeigt werden, dass für die Theorie der Politik Stabilität, Gewohnheitsbildung und notwendige Überzeugungen zentral sind. Um weder in Fremd- noch in Selbstzwang gefangen zu werden, muss Freiheit genau in diesen notwendigen Gewohnheitsbildungen gesucht werden. Mit der Zwingenden Theorie kann die Kontingenz dieser Gewohnheiten und Überzeugungen als Übergang zur Theorie des Politischen entfaltet werden. Diesen Übergang vermag nur eine Theorie der Politik zu leisten, die auf symbolischer Autorität aufbaut. Es wird sich unten 89 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 120f. Nebenbei bemerkt eine Tatsache, die sich auch in der Biographie von Peirce widerspiegelt: Er wurde von seinem Vater zu anstrengenden stundenlangen Konzentrationsübungen gezwungen, studierte bereits im Alter von acht Jahren sämtliche Mathematiklehrbücher, schrieb mit elf sein erstes Buch zur Geschichte der Chemie und versuchte auf zahlreichen weiteren Gebieten die Fremdzwänge seines Vaters in um so unerbittlichere Selbstzwänge zu verwandeln. Vgl. die einzige wissenschaftliche Biographie zu Peirce von Joseph Brent: Charles Sanders Peirce. A Life, Bloomington: Indiana Univ. Press 1998. 90 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 121.

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zeigen, dass die Theorie des Politischen ohne diese symbolische Autorität – ohne den reinen Signifikanten – dazu neigt, in ein duales Anerkennungsverhältnis zwischen den Subjekten und ihren „kleinen anderen“ zu verfallen. Der psychoanalytische Begriff des Phallus dient als Metapher für symbolische Autorität. Erst der ‚reine Signifikant‘, der im mütterlichen Begehren als ‚fehlender‘ eine Rolle spielt, findet im ‚Namen-desVaters‘ einen symbolischen Repräsentanten. Die symbolische Autorität hängt von etwas Drittem ab, das die dyadische Beziehung zu transzendieren vermag. Der ‚Name-des-Vaters‘ repräsentiert die symbolische Ordnung der Sprache. Gelingt innerhalb der Theorie der Politik die Übertragungsfiktion, macht das Politische der Theorie der Politik genau diese symbolische Autorität aus. Es kann sich dabei um politische Institutionen, um Benennungen oder Ideen handeln. Das Politische muss innerhalb der Theorie der Politik unbestimmt sein, um eine möglichst breite Integration zu gewährleisten. Von der Theorie des Politischen aus betrachtet, ist Politik dann lediglich das, was sich mittels Macht oder Autorität durchgesetzt hat, es gehört aber selbst nicht zur eigenen Theoriearchitektur. Aus der Perspektive der Theorie der symbolischen Politik erschiene das fiktive Moment der Übertragung als Hindernis auf dem Weg zu einer echten Politik. Die Theorie der Politik wird von der Theorie des Politischen, wie sie im ersten Kapitel entwickelt wurde, als negative Begriffsbestimmung benötigt. Daher kann an dieser Stelle die Theorie der symbolischen Politik nicht nur als umgestülpte Theorie der Politik, sondern auch als Kehrseite der Theorien des Politischen verstanden werden. Die Zwingende Theorie entscheidet sich gegen die Über-Ich Variante und – wie noch zu zeigen sein wird – gegen die reine Macht ohne Autorität. Es wird zu entscheiden sein, ob sie sich dazu zwingend für ein Konzept der symbolischen Autorität entscheidet. Das ist die zentrale Frage der Zwingenden Theorie innerhalb der Koordinaten einer Theorie der Politik. Die Zwingende Theorie stellt sich diese Frage bezüglich ihres Gegenstandes und ihrer eigenen Objektkonstruktion. Darin könnte dann die zwingende Entscheidung der Rezipienten der Zwingenden Theorie liegen. Es handelt sich um eine Entscheidung, die sich die Zwingende Theorie weigert, dem Rezipienten in eindeutiger Weise abzunehmen. Und diese Weigerung beantwortet die Frage bereits. Wovon ist die Übertragungsfiktion zunächst ein Effekt? Für wen wird die analytische Rede inszeniert, und wer ist dieses Subjekt, dem Wissen unterstellt wird? Sie ist ein Effekt der Wirkung des großen Anderen, dem angenommenen Adressaten, und eigentlich kann daher auch nicht von Inszenierung gesprochen werden. Aufgrund der Undurchdringlichkeit und Vergänglichkeit des Menschen erkennt der Mensch an, 266

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dass er dem Anderen ausgesetzt ist. Die Übertragung öffnet und schließt das Unbewusste.91 Der Andere als Raum impliziter Bedeutungen, lässt als symbolischer Raum immer Platz für Mutmaßungen und Spekulation. Die Theorien der symbolischen Politik sind daher insofern moderne Theorien, als für sie der große Andere seine volle Wirksamkeit besitzt. Wie sieht das für die nach- oder postmodernen Theorien des Politischen aus? Für diese Theorien wirkt die substanzielle symbolische Ordnung nicht, sie kennen nur den Schnitt ohne den großen Anderen. Der Schnitt ohne großen Anderen führt zu den sich ins unendliche bewegenden Differenzen der Theorien des Politischen.92 Die Dialektik der Übertragung schließt zwei entgegengesetzte Bewegungen ein. Der Andere ist der Ort des Widerhalls, der durch sein Mitschwingen den Ton überhaupt erst erzeugt. Dieser Ort beinhaltet als Resonanzboden die ganze Komplexität der Kultur und des Kontextes, innerhalb dessen Menschen Zeichen austauschen. Dieser Andere macht die Stütze der Übertragungsfiktion aus. Andererseits ist das Dritte oder der dritte Wert nicht unbedingt mit dem direkten Kontext in dem die Zeichensituation verankert ist, gleichzusetzen. Die Komplexität des Kontextes meint z.B.: Obwohl keine schriftlich fixierten Gesetze existieren, wie man sich auf dem diplomatischen Parkett zu verhalten hat, kann die Überschreitung eines solchen symbolischen Gesetzes möglicherweise schlimmere Folgen nach sich ziehen, als die Übertretung eines Gesetzestextes. Wenn eingangs die These aufgestellt wurde, dass Machtprozesse ohne symbolische Autorität als Puffer stärker wirken, muss von hier aus gefragt werden: Wessen Machtprozesse? Wo kommen die Machtprozesse her, wo und wie wirken sie? An der Grenze dieses: „Ich konnte nicht anders, ich musste…!“ liegt der Freiheitsbegriff der Zwingenden Theorie. Denn schließlich lautet die Frage ja stetes: Wer oder was ist das Andere des Anderen? Dieses Andere des Anderen ist die Objekt-Ursache, die in die Beziehung zwischen Subjekt und Anderem eingeht.93 Die Frage muss umgekehrt beantwortet werden: Die Subjekte fühlen sich zunehmend ohnmächtig – daher erweisen sich die merkwürdigen Appelle – „Du bist Deutschland!“ – bei näherer Betrachtung auch als so problematisch: Sie lösen bei den immer stärker anwachsenden Massen sozial Benachteiligter, die eben nicht „Alice Schwarzer“, „Tim Mälzer“, „Katarina Witt“ etc. sein können, nur ein überichhaftes Schuldgefühl aus. ›Wäre ich als kleines Kind doch nur fünf Stunden täglich Schlittschuhlau91 Vgl. Mladen Dolar: „Jenseits der Anrufung“, in: Slavoj Žižek (Hg.), Gestalten der Autorität. Seminar der Laibacher Lacan Schule, Wien: HoraVerl. 1991, S. 9-26, hier S. 19. 92 Vgl. Žižek TS, S. 520, Anm. 69. 93 Vgl. A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 45. Siehe auch Žižek DPS, S. 17f.

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fen gelaufen, dann wäre auch ich heute eine Eisprinzessin‹, ›könnte ich doch wenigstens Kochen, dann wäre auch ich heute im Fernsehen‹, ›hätte ich mich doch wenigstens für die Frauenrechte eingesetzt‹…etc. etc. Was ist die Folge solcher Suggestionen? Diese Frage muss gerade vor dem Hintergrund des Sachverhalts, dass die (guten) Plätze immer schon besetzt sind, bzw. dass man sich immer einen Platz erst erkämpfen muss, gestellt werden. So sehr sich die Eltern einen solchen Imperativ auch zu Herzen nehmen würden, es würde sich in der Folge lediglich der Bewertungsmaßstab und die jeweilige Mode ändern. Auf der anderen Seite kann das Subjekt andere dafür verantwortlich machen, dass es nicht rund um die Uhr Schlittschuh gelaufen ist. Auch die Kampagne bedient sich des Mittels eines schlechten unendlichen Urteils: Das, was sie abschaffen will – die so genannte Kultur des Jammerns und den Opferdiskurs – wird sie nur noch vergrößern: „Das Subjekt der Freiheit ist sehr wohl Wirkung des Anderen, ohne aber Wirkung einer im Anderen existierenden Ursache zu sein: es ist Wirkung der Tatsache, dass sich diese Ursache dort nicht findet, Wirkung des Mangels dieser Ursache, des Mangels im Anderen.“94 Die Zwingende Theorie befindet sich also zwischen Moderne (der Andere wirkt auch ohne Schnitt) und Postmoderne (es gibt nur noch den Schnitt bzw. die Differenzen). Wenn in der Psychoanalyse und in der Zeichentheorie davon ausgegangen wird, dass Gefühle und Affekte auf andere übertragen werden können, wie ist diese Übertragung zu verstehen, wenn man sie nicht lediglich voraussetzen will? Peirce fragt: „Wenn ich einem Freund, für den ich volle Sympathie empfinde, meine Gedanken und Gefühle mitteile, so daß meine Gefühle auf ihn übergehen und ich mir seiner Gefühle bewußt bin, lebe ich dann nicht ebenso in seinem wie in meinem Gehirn – ganz wörtlich genommen?“95 Die Frage wäre dann, ob es an der „vollen Sympathie“ oder an einem Dritten liegt, dass sich Menschen nach Peirce in das Bewusstsein des Freundes hineinfühlen können? Geht es lediglich um die Fähigkeit zur Empathie – diese Option wurde oben bereits verworfen – oder kann das Dritte z.B. als Geist, Interpretant, symbolische Ordnung oder als Soziales entfaltet werden? In der antiken Tragödie spielte der Chor die Rolle des Vermittlers, geforderte Emotionen nicht nur nachzuempfinden, sondern direkt zu empfinden. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass der Resonanzboden (z.B. der Chor) die Ursache seiner eigenen Wirkung hervorzubringen vermag.96 Wir sind hier wieder bei den Fra-

94 A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 46f. 95 SS Bd. 1, S. 138. 96 Eine Figur die an Hegels „List“ erinnert.

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gen des Exkurses zum Symbolbegriffe angelangt. Die Übertragung ähnelt Goethes erstem Symbolbegriff, der „ein Besonderes aus[spricht], ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät. Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.“97

Die Übertragungsfiktion gibt somit – wie auch Kants ästhetische Idee – viel zu denken. Das Besondere steht oder vertritt das Allgemeine nicht aufgrund einer Ähnlichkeit, sondern unmittelbar, weil es ein Drittes – das Genießen – gibt. Steht mit der Übertragungsfiktion die Sehnsucht nach Einheit im Vordergrund? Goethes Symbolbegriff behauptet, wie gezeigt, die Einheit der Differenz von Zeichen und Bezeichnetem mit dem Hinweis, dass das mitgelieferte Allgemeine durchaus „erst später“ gewahr werden kann. Der Symbolbegriff der Zwingenden Theorie suggeriert in dieser Weise ebenfalls eine quasi-natürliche Verbindung zwischen Symbol und Symbolisiertem, die aber ohne die Kontinuumstheorie von Peirce nicht hinreichend erklärt werden kann.98 Mit dem Kontinuum innerhalb der Zeichentheorie geht es nicht darum, ob es sich dabei um eine zeitlich oder nicht-zeitlich entfaltete Einheit handelt. Die Vermittlung kann nicht einfach durch einen Akt unmittelbarer Übertragung ohne zusätzliches Medium geschehen. Wer die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Übertragung allerdings aufgedeckt oder diffamiert, so die These der Zwingenden Theorie, würde regelrecht das Kind mit dem Bade ausschütten. Was damit verloren geht, ist die Form und damit das Begehren selbst. Der symbolische Bereich, der im Subjekt gerade aufgrund seiner Unabschließbarkeit bzw. Kontinuität das Begehren erzeugt, ginge verloren.99 In gewisser Weise ist die Übertragungsautorität ein freiwilliges Akzeptieren von symbolischen Autoritätsbeziehungen – die doppelte Negation eines Verbots.100 Das normative Moment der Zwingenden Theorie liegt dann in der Frage, wie man sich diese Figur anders denn als zynische Resignation vorstellen kann? Das ist die grundlegende politische Frage der Zwingenden Theorie innerhalb des Rahmens der Theorie der 97

J. W. Goethe 1981, XII (= Maximen und Reflexionen), Nr. 749ff., S. 470f. 98 Die eingehende Verbindung der Psychoanalyse mit dem Peirce’schen Synechismus muss weiteren Untersuchungen vorbehalten werden. 99 Das Peirce’sche Subjekt begehrt das Erkennen. 100 Vgl. Žižek 2004a, S. 295.

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Politik. Nur wenn man das Wiederkäuen von Theorie emsig bis zum Exzess betreibt, wird irgendwann einmal mehr als die pure Wiederholung entstehen. Es kursiert das Gerücht über einen aus Deutschland stammenden, mittlerweile als amerikanischer Staatsbürger in Stanford lehrenden Literaturwissenschaftler, der sich sämtliche diskursbegründenden Theorien derart angeeignet habe, als würde er eine Fremdsprache lernen. Das scheint eine interessante Methode zu sein, hat aber mit der Übertragungsfiktion zunächst wenig zu tun. Was bei einer solchen Praxis leicht verloren geht, ist die Differenz zwischen Denker sein wollen und dem Denken. Jener will nur mitreden, dieser möchte selbst denken. Es ist zunächst also immer noch besser, einen vorverdauten Textbrei wiederzukäuen, solange es etwas in den Texten gibt, das es wert zu sein scheint, das halb Verdaute immer wieder hochzuwürgen und nochmals zu zerkauen. Irgendwann wird man an einen Punkt kommen und erkennen, dass die so genannten Diskursbegründer auch nicht anders vorgegangen sind, und plötzlich zeigen sich gerade durch das unbeirrte stoische Durchkauen die blinden Flecken dieser Texte. Jede Theorie kann wie eine Fremdsprache erlernt werden, will sie aber mehr als ein bloßes Machtinstrument mit dem Ziel, an den jeweiligen hegemonialen Diskursen teilzunehmen, sein, muss ihr eigenes Genießen mitreflektiert werden. Und wir wissen ja, um sich Žižeks bodenständigem Vokabular zu bedienen, was es mit gänzlich Verdautem auf sich hat: Es ist schwarze amorphe Masse. Die Übertragungsfiktion entspricht dem Peirce’schen Suggestivgehalt von Symbolen: „Tatsächlich besteht zwischen Übertragung und Suggestion, dies genau ist die Entdeckung Freuds, eine Beziehung in dem Sinne, daß Übertragung auch Suggestion ist, Suggestion aber, die allein vom Liebesanspruch aus wirksam wird, der nicht mit irgendwelchen Bedürfnisansprüchen gleichgesetzt werden darf. Daß dieser Anspruch als solcher sich nur konstituiert, insofern das Subjekt Subjekt des Signifikanten ist, macht es überhaupt erst möglich, daß man ihn mißbräuchlich auf die Bedürfnisse zurückführt, denen diese Signifikanten entlehnt sind – was die Psychoanalytiker dann auch ohne zu zögern tun, wie wir sehen.“101

Ähnlich schreibt Peirce: „Conformity to a norm may take place by an immediate impulse. It then becomes instinctive imitation. But here the man does not vaguely personify the community, but puts himself in the

101 Lacan Sch I, S. 227f.

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shoes of another person, retroconsciousness.“102 „Retroconsciousness“ ist nach Peirce die Fähigkeit eines Menschen, sich aufgrund von „instinktiver Imitation“ in andere hineinzuversetzen. Imitation ist ein primär ikonischer Zeichenprozess. Alle Ansprüche, die sich im Verlauf der Analyse artikulieren, sind nur Übertragungen, die das unstete Begehren aufrechterhalten sollen. Es könnte sich dabei um Ansprüche handeln, die vom Analytiker Strategien einfordern, die den Analysanden innerhalb seines Lebenszusammenhanges (Arbeit, Familie etc.) erfolgreicher machen sollen. Da eine erfolgreiche Psychoanalyse sich weigert, diese Position „des Anderen des Anderen“ einzunehmen, ist es wenig verwunderlich, dass derzeit unzählige Beratungsinstitutionen ihre Dienste anbieten und diese Funktion übernehmen und sich teuer bezahlen lassen. Nie zuvor gab es ein derart breites Angebot von „Coaching-“ und „Selbstcoaching“-Seminaren. Von hier aus wird verständlich, warum Luhmann Steuerungsmöglichkeiten von Theorie einzig auf dem Gebiet der (Beratungs-)Therapie für möglich hält: „Das Konzept für Therapie verlagert sich damit von ›Hilfe im Falle von Krisen‹ zur Erzeugung von Krisen durch ›paradoxe Intervention‹. Es sieht und erzeugt Irritationen in Bereichen, die bisher unter die Prämisse der Normalität fielen und als unproblematisch erfahren wurden. Natürlich muß auch dafür ein Anlaß gegeben sein, aber der Anlaß dient nicht mehr als Problem, das zu lösen ist.“103

Die Übertragung ist eine Form der Suggestion, die das Subjekt in Beziehung zu seinem Anspruch setzt. Der Widerstand gegen die Suggestion erklärt sich aus dem Begehren, das Begehren wach zu halten. Die Befriedigung des Anspruchs würde regelrecht das Objekt des Begehrens rauben.104 Genau dieser Aspekt erklärt abermals den Erfolg der prinzipiell ins unendliche fortsetzbaren (Beratungs-)therapie. Das Phantasma ist die Art, wie sich ein Subjekt auf sein Begehren bezieht. Es prägt zugleich die Antwort des Subjekts auf seinen Anspruch. Realität wird durch Realitätsprüfung, durch abduktive Schlüsse, bestimmt. Der Rahmen, der die Realitätsprüfung strukturiert, ist durch die „Reste des halluzinatorischen Phantasmas“105 vorstrukturiert. Das, was wir als Realität erfahren, muss sich diesem Rahmen einpassen. Es geht um das Spannungsverhältnis von Realitätsprüfung und Phantasma-Rahmen. Žižeks

102 CP 1.590. 103 N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 92. Siehe auch Ders: Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 652f. 104 Vgl. Lacan Sch I, S. 228-231. 105 Žižek NW, S. 32.

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These lautet, dass wir einen minimalen Anteil an regulativen Ideen, die über mögliche Erfahrung hinausweisen, benötigen, um die Konsistenz unserer Realitätserfahrung zu wahren.106 Im Sinne der Sphinx aus Emersons Gedicht schreibt Žižek: „Die Tatsache, dass es die Realität nur für das Subjekt geben kann, muss in die Realität selbst – in Gestalt eines anamorphischen Flecks – eingeschrieben werden. Dieser Fleck steht für den Blick des Anderen, für den Blick qua Objekt.“107 Das Subjekt wird – analog dem unendlichen Urteil – mit dieser pathologischen Voreingenommenheit der Realität selbst kombiniert. „Warum scheint mir, dass ich sehe, wie mein Leser das Gesicht verzieht?“108 fragt Peirce in einem seiner Texte zur graphischen Logik aus dem „Off“ heraus. Es ist gerade dieses unsinnige, sich selbst in der theoretischen Analyse zu verorten, das eine Übertragung zu initiieren vermag. Eine andere, auch in vorliegendem Text bisweilen zu lesende, Variante stellte das sich selbst in einem „wir“ verdoppelnde Moment dar: Wir können nun zeigen, dass das normative Moment von Politik und politischer Theorie innerhalb der Zwingenden Theorie darin liegt, der Versuchung, auf den Anspruch zu antworten, zu widerstehen. Die Stütze der Übertragung liegt in der Illusion, der auch die Theorien der symbolischen Politik unterliegen, hinter der Sprache von Politikern oder Texten eine eigentliche Wahrheit zu vermuten. Übertragungsfiktionen werden von einem Glauben getragen, die Wahrheit von Aussagen oder Texten sei immer schon bereits vorhanden. Umgekehrt kann das nicht heißen, und das hatten wir v.a. in dem zeichentheoretischen Exkurs zum Repräsentationsbegriff herausgestellt, gänzlich auf die Vorstellung von Referenz- bzw. Repräsentation zu verzichten. Durch die Übertragungsfiktion bleibt ein Rest, der in jeder wissenschaftlichen Begründung steckt.109 Doch das Wissen um diesen Rest führt nur zum unendlichen Aufschub der Theorie des Politischen. Das Wissen muss, um wirksam zu sein, selbst vergessen oder verdrängt werden. Dies gelingt wiederum nur in einer neuen Übertragungssituation. Das Objekt klein a nimmt den Platz des Überschusses – als das Element, das sich nicht seinem Ort einpasst – ein. Dieses Objekt kann sich das Subjekt nicht aneignen, weil es das ist, was in ihm mehr ist als es selbst. Der Rest erscheint als Objekt klein a. Auf der Grundlage des Diskurses des Herrn werden die anderen 106 Vgl. ebd., S. 33. 107 Žižek TS, S. 107. Die Anamorphose ist eine die Wirklichkeit konstituierende Voreingenommenheit. 108 SS Bd. 3, S. 114. 109 Vgl. NW, S. 32. Žižek nennt hier das Beispiel von Marx’ „Warenfetischismus“. In der Maske liegt mehr Wahrheit als in dem, was sich vermeintlich dahinter verbirgt.

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drei Diskurse der psychoanalytischen Theorie erzeugt. Im Diskurs der Universität nimmt das Wissen den Ort der Instanz des Herrn ein, ohne somit an die symbolische Autorität des Übertragungsmeisters gebunden zu sein. Im Diskurs der Hysterie ist es der Zweifel darüber, ob es einen anderen gibt, der den Diskurs aufrechterhält. Dieser Zweifel kann nur vor dem Hintergrund aufrechterhalten werden, dass das Subjekt zumindest in Erwägung zieht, es gäbe ein anderes Subjekt, dem Wissen unterstellt werden kann. Innerhalb des Diskurses der Hysterie würde z.B. gefragt: „Wie kann ein Verteidigungsminister plötzlich Gesundheitsminister und später Wirtschaftsminister werden? Davon kann er doch dann keine Ahnung haben?“ Diese Frage setzt natürlich die Annahme voraus, dass der Politiker bereits als Verteidigungsminister wusste, was er tat. Die Geste des Herrn kann also niemals definitive Gründe für ihre Entscheidung angeben. Es muss eine Instanz geben, die einen minimalen dogmatischen Platz einnimmt.110 Es geht um die Spaltung im Eins und nicht um die Differenz zwischen dem Eins und dem anderen. Die Geste des Herrn muss, um wirksam zu sein, als Gründungsgeste jedes gesellschaftlichen Bandes verdrängt werden. Die Freiheit dieses Minimaldogma in Frage zu stellen – das höchste Gut nach Peirce – kann überhaupt nur auf der Grundlage eben dieses Minimaldogmas postuliert werden. Für Žižek beinhaltet die Weiterentwicklung einer Theorie – z.B. der Psychoanalyse – immer eine (Wieder-)Entdeckung einer unbewussten Schicht des Werkes. Dabei handelt es sich um etwas, das die Theoretiker produzierten, ohne davon zu wissen. Žižek plädiert daher für einen dogmatischen Umgang mit Texten, um ihre volle Produktivität auszuschöpfen. Die Wahl für die von ihm verwendeten Theorien rechtfertigt sich somit nur durch die Übertragungsbeziehung.111 Es ist dann gerade die Überidentifizierung, die deren Autorität zu untergraben vermag. Diese Ausführungen und Überlegungen kreisen immer noch um die Frage, die schon Kant stellte: Können wir von den Dingen/Zeichen mehr erkennen, als das, was wir a priori in sie hineingelegt haben? Wenn sich Erkenntnis immer auf sich selbst bezieht, wann führt die Übertragungsfiktion zu einer eigenen Art Erkenntnis? Nur wenn man durch die Übertragungsfiktion bis zum Äußersten der Illusion/Fiktion gegangen ist, kann man wenigstens die Illusion erkennen und auf den blinden Fleck der Texte stoßen. Der Resonanzboden muss aber immer schon da sein: Etwas Reales kann analog dazu in einer Kommunikationssituation nur dann produziert werden, wenn es etwas gibt, das den Zuschauer ergreift. 110 Siehe zur Rezeption der vier Diskurse auch Erik M. Vogt: Über Žižek. Perspektiven und Kritiken, Wien: Turia & Kant 2004, S. 216-220. 111 Vgl. Žižek GDR, S. 115.

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Die Übertragungsfiktion führt im Unterschied zum Syllogismus ein Drittes ein. Der Rest bzw. Überschuss bietet daher stets zwei mögliche alternative Lesarten an. Das Fiktive an der Übertragung kann ein ästhetisches oder psychoanalytisches Phänomen, aber kein „leeres“ sein. Die Rhetorik vom leeren Ort der Macht kann selbst wiederum Auslöser einer Übertragungsfiktion sein, würde aber lediglich zu einer Art Selbstinstrumentalisierung durch das Über-Ich führen, das mir den Befehl erteilte: „Halte den Ort der Macht leer!“ Auch Propaganda, PR-Kampagnen, oder eben die hier schon mehrfach erwähnten Versuche, das Image einer Nation („Du bist Deutschland!“) bzw. einer Wirtschaftsform („INSM“) zu beeinflussen, beruhen auf Übertragungsfiktionen. Besteht also die Gefahr nicht darin, dass Übertragung immer in ihrer Wirkung etwas Propagandistisches hat? Existiert ein normatives Moment der Übertragungsfiktion? Welchen Leser will die Zwingende Theorie erreichen, d.h., welchen Resonanzboden will sie zum Schwingen bringen? Wen spricht sie, sozusagen aus dem „Off“, an? Ein häufig ausgelegter Köder ist die Hiobsgeschichte. Diese Geschichte suggeriert in der Lesart der Zwingenden Theorie: „Hab’ keine Angst, wenn die anderen Dich nicht verstehen, wenn sie dir einreden wollen, dass du auf dem Holzweg bist“. Die Wirkung der Geschichte liegt aber eben nicht in der Prüfung des Glaubens Hiobs oder der grenzenlosen Willkür Gottes, sondern darin, dass Gott „wie jemand handelt, der in einem Moment der Ohnmacht oder zumindest der Schwäche ertappt worden ist und seiner peinlichen Lage durch leere Prahlerei zu entkommen sucht. […] Hiobs ethische Würde beruht auf der Art und Weise, wie er sich angesichts der drei Theologen, die ihn mit möglichen Erklärungen überschütten, hartnäckig dagegen verwehrt, sein Leiden könne irgendeinen Sinn haben, sei es als Strafe für seine Sünden der Vergangenheit oder als Prüfung seines Glaubens;“112

Hiob steht in dieser Lesart für ein Subjekt, das die Fiktion der Übertragungsbeziehung erkannt hat: Die Ohnmacht Gottes, oder, analog für unsere Fragestellung, den Schnitt im großen Anderen. Hiob hat zugleich die Kontingenz der Notwendigkeit Gottes und die Notwendigkeit der Kontingenz erkannt. Deshalb schweigt er nach Gottes prahlerischem Auftritt. In dieser Lesart kommt erneut die Kategorie der Wechselwirkung ins Spiel: Die Ursache, die ihre Wirkung bestimmt wird selbst durch diese Wirkung determiniert: „Hiob hatte plötzlich erkannt, dass nicht er, sondern Gott selbst wegen seines, Hiobs, Elends einer Prüfung

112 Žižek PZ, S. 127f.

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unterzogen wird und Gott in dieser Prüfung kläglich versagt.“113 Das Politische der Theorie der Politik liegt für die Zwingende Theorie darin, dass in der Theorieproduktion nur das liegt, was hineingelegt wurde plus eines Restes, ohne den man in den Aporien der Theorien des Politischen gefangen bliebe. Andere Köder der Zwingenden Theorie betreffen ebenfalls dieses „tolle Element“ des Subjekts: Von der widerspenstigen Kinderhand des „Eigensinnigen Kindes“ der Gebrüder Grimm bis zur Figur der Antigone, die auf der Bestattung ihres Bruders beharrt. Diese Figuren eröffnen gerade auch die symbolische Dimension, mit Leiden und Tod umzugehen.114 Die „Köder“ der Zwingenden Theorie zielen auf den Eigensinn des Subjekts ab. Sie kreisen in verschiedenen Variationen um das Thema eines Subjektes, das auf etwas, das über seine oder ihre privaten, pathologischen Bedürfnisse und Ansprüche hinausgeht, insistiert. Eigensinn, Irritation oder Widerstand dürfen nie als rein individueller Versuch gelten, aus bestehenden Verhältnissen auszubrechen. Diese bloß individuellen Versuche sind – wie anhand des schlechten unendlichen Urteils schon mehrfach gezeigt – bereits in der kapitalistischen Gesellschaft angelegt. Ein Blick in die Werbung beweist, dass Werbung und Medien geradezu suggerieren, diese Form von Individualität und Widerstand sei erstrebenswert.115 Der Werbeimperativ: „Sei so wie Du bist!“ verspricht einen ganz anderen Eigensinn als die Zwingende Theorie. Er verspricht eine abstrakte egoistische Freiheit, die zumeist auf narzisstischen Allmachtsphantasien beruht. Der Imperativ der Zwingenden Theorie richtet sich immer bereits auf den Aspekt des Subjektes, der über es selbst hinausragt: Das Subjekt des Unbewussten. Der Eigensinn der Zwingenden Theorie suspendiert den großen Anderen und erkennt dennoch seine Notwendigkeit an. Eine rein funktionale oder reflexive Theorie kann das nicht verstehen; in ihrem Extrem neigen Überzeugungen, die rein funktional oder rein selbstreferentiell strukturiert sind dazu, 113 Ebd., S. 130. 114 Vgl. zur Figur der Antigone A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 92-101. Siehe zum „eigensinnigen Kind“ Žižek KO. Žižek stellt hier eine interessante Parallele zur Figur des „Jack“ aus David Finchers Film „Fight Club“ her: Um seinen unterdrückerischen Chef zu erpressen – um sich aus der Knechtposition zu befreien –, verselbständigt sich seine Hand und Jack beginnt sich selbst zu schlagen, um es so aussehen zu lassen, als werde er von seinem Chef misshandelt. Um dieses körperlose Organ, das Partialobjekt, das sich nicht in das Körperganze integrieren lässt, geht es der Zwingenden Theorie. Es geht ihr nicht um die Form der Gewalt um der „Passion des Realen“ willen. Vgl. Žižek KO, S. 237-242. 115 Nicht umsonst unterhält die Autobranche eine der kostenintensivsten Werbesparten. Dem potentiellen Käufer eines hunderttausendfach produzierten Kleinwagens versprechen aufwendig gestaltete Spots schier grenzenlose Individualität.

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selbst aus dem toten Menschen noch einen Nutzen ziehen zu wollen, was sich anhand der Ideologie eines Gunther van Hagens zeigen lässt. Es sei sinnvoller, den Körper für vermeintlich wissenschaftliche Zwecke herzugeben, als ihn schlicht zu begraben. Es geht dabei nicht um Organspende, die das eigene kontingente Leben möglicherweise durch die Hilfe für einen anderen zu transzendieren vermag, sondern um „Plastinatspende“, und damit primär um das Versprechen, auch nach dem Tod noch angeblickt, und somit wichtig zu sein. Hier zeigt sich erneut der Unterschied zwischen einer Passion des Realen und dem Realen. Die Texte der Zwingenden Theorie weigern sich, ein Subjekt, dem Wissen unterstellt wird, zu sein. Der Riss, der sich wie eine Laufmasche durch die Texte zieht, wird förmlich gefühlt. Und trotzdem ist man im Unterschied zu den Theorien des Politischen irgendwie genau an dieser Stelle des gefühlten Sinnbruches gefangen und hält daran fest, zu glauben, dass nur der Durchgang durch das Denken eine Antwort böte. Jede Handlung bzw. Intervention „hat den Charakter eines Schlags ins Dunkle, in letzter Instanz gründet sie nur in sich selbst, und erst durch diese Handlung, durch diese Intervention erweist sich der Ort, an dem man zuschlug, als ‚schwächstes Glied‘.“116 Man kann nicht durch eine Analyse der Situation den Hauptwiderspruch und das schwächste Glied bestimmen, um darauf hin zu intervenieren. Eine Intervention aufgrund einer puren Handlungsanweisung ist unmöglich. So gesehen ist das Übertragungsphänomen eine retroaktive Illusion der Unterstellung von Wissen: Die Synthese ist die Antithese, es wird nur die Perspektive gewechselt. Es geht um den Übergang von der Antithese zur Synthese – man gelangt zum richtigen Ergebnis nur über den ersten falschen Grund. Ganz in diesem Sinne schreibt auch Peirce: „man is so completely hemmed in by the bounds of his possible practical experience, his mind is so restricted to being the instrument of his needs, that he cannot, in the least, mean anything that transcends those limits...it is all nonsense to tell him that he must not think in this or that way because to do so would be to transcend the limits of a possible experience. For let him try ever so hard to think anything about what is beyond that limit, it simply cannot be done.“117

Eine Denkaufforderung, in welche Richtung auch immer, wird erfolglos bleiben. Das, was die Bindung zwischen Texten und Rezipienten herstellt, muss eine gewisse Koinzidenz mit dem Leben der Leser herstellen können. Žižek vergleicht dies mit dem Mechanismus, der beim Lesen 116 Žižek NW, S. 97. 117 CP 5.536.

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eines Horoskops wirksam wird. Ein völlig kontingentes Element einer Vorhersage fällt mit einem Detail unseres wirklichen Lebens zusammen; durch dieses zufällige Zusammenfallen wird eine Übertragung in Gang gesetzt. Das symbolische Netz der Vorhersage wird mit den Ereignissen des Tages verknüpft, so dass alles plötzlich eine Bedeutung erhält. Da die so übertragenen Gefühle allerdings abstrakt sind, stellen sie so lange eine Art Flucht vor dem „konkreten soziopolitischen Netzwerk, das nur dem Denken zugänglich ist“,118 dar, bis das Erkennen des Realen der Übertragungsfiktion eben zu diesem konkreten Denken gelangt. Während innerhalb der Theorie des Politischen deren Ersetzungsfunktion relativ offen reflektiert wird, bleibt der Wirkungsgrund der Übertragungsfiktion innerhalb der Theorien der Politik eben (notwendig) verschleiert bzw. für die Zwingende Theorie uneingelöst. Wie kann dann der Unterschied zwischen Suggestivkraft und Übertragungsfiktion konzipiert werden? Beruht die Suggestivkraft auf Manipulation, die Übertragungsfiktion auf dem Willen zu glauben? Der Unterschied wird immer erst dann erkennbar sein, wenn die Übertragungsfiktion erfolgreich gewesen sein wird, d.h., wenn sie von einer neuen Übertragung abgelöst worden ist. Mit dem Konzept der Übertragungsfiktion, das nur funktionieren kann, wenn sich ein Subjekt im Genießen befindet, basiert die Zwingende Theorie im Unterschied zu den Theorien des Politischen auf einer substanziellen Dimension: eben dem Genießen. Ja, die abstrakte admiratio, Luhmanns Staunen, verbleibt im Imaginären. Das Übertragungsmoment geht nicht von einem Vertrag oder dem Schutz des Eigentums aus. Für eine gelingende Übertragung ist ein Minimum an symbolischer Autorität notwendig, damit ihr fiktiver Charakter vergessen und damit wirksam gemacht werden kann. Wichtig ist dabei, zwischen imaginärer (der abstrakt-egoistischen) und symbolischer Übertragung(sfiktion) zu unterscheiden. Übertragung geschieht immer auch vermittelt, nur kommt sie uns unvermittelt vor, da das, was zur Übertragung geführt hat, unbewusst ist. Es wird etwas suggeriert, was aber nicht eingelöst werden kann. Das äußere Gesetz braucht einen inneren Rückhalt – den Glauben –, und dieser Rückhalt ist nicht das Über-Ich, sondern die Figur des Namens-des-Vaters. Nach Wetzel verspricht sich das Subjekt dabei doppelt: „Es sagt etwas, für das es gar keine Verantwortung übernehmen kann, und es verpflichtet sich gegenüber einer Rollenerwartung, die auf individuelle Ansprüche keine Rücksicht nimmt.“119 Die Übertragungs-

118 Žižek RV, S. 52. 119 Michael Wetzel: „Nachwort“, in: Grimassen des Realen. Jacques Lacan oder die Monstrosität des Aktes, herausgegeben und mit einem Nach-

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fiktion fungiert als Motor für ein Weiterdenken. Um diesen scheinbar winzigen Unterschied geht es bei der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von politischer Theorie und den Bedingungen der Möglichkeit von Politik.

1.3 Theorie des Politischen: Macht ohne Autorität Wenn die Übertragungsfiktion als Motor für ein Weiterdenken fungiert, wodurch unterscheidet sie sich dann von dem Drang des immer weiter Denkens der Theorien des Politischen? Wie zeigt sich das selbstreferentielle bzw. reflexive Merkmal der Theorien des Politischen aus Sicht der Zwingenden Theorie, und wie geht sie selbst mit ihren Begriffen um? In diesem Abschnitt wird zum einen nach dem Verhältnis von Begriffsbildungsprozessen und deren normativer Grundlage zu fragen sein. Wenn eine Tatsache oder zweitheitliche Erfahrung nicht mehr ihrem Begriff – mit der Zeichentheorie ihrem normativen drittheitlichen Aspekt – entspricht, muss dann der Begriff selbst geändert werden? Weil innerhalb der politischen Theorie die Suche nach dem Gegenstand verloren gegangen zu sein scheint, fügt Žižek dem Politikbegriff etwas hinzu: „Post-Politik“ „reine Politik“, „Arche-Politik“, „Para-Politik“, „Meta-Politik“, „UltraPolitik“ etc. Er zeigt dadurch, dass vielmehr die alte Beobachterposition, von der aus der neue Zustand als nicht zutreffend erscheint, aufgegeben werden muss. Žižek sucht einen neuen Maßstab, der für neue Konstellationen angemessener ist.120 Er erfindet also nicht neue Begriffe (wie z.B. différance, Interpenetration, strukturelle Kopplung etc.), auf deren Grundlage sich dann ein Žižekglossar erstellen ließe, sondern er interessiert sich für den Prozess der Bewegung von Begriffen und den damit verbundenen Wechsel der Beobachterposition. Žižek ist vielleicht der einzige diskursbegründende Denker, der kaum neue Begriffe erfindet. Er ähnelt hier sehr stark Peirce, der nur dann einen neuen Begriff kreierte, wenn einer seiner zentralen Begriffe von Konkurrenzdiskursen, die mit seinem Konzept inkompatibel waren, übernommen wurde.121 Möglicherweise um sich von poststrukturalistischen Theorien zu unterscheiden, hat Žižek wort versehen von Michael Wetzel, Köln: Kiepenheuer und Witsch 1993, S. 219. 120 Vgl. Žižek NAR, S. 139f. 121 Peirce schreibt: „So fühlt der Verfasser nur, nachdem sein Sprössling ›Pragmatismus‹ so befördert wurde, dass es Zeit ist, ihm den Abschiedskuß zu geben und ihn seinem höheren Schicksal zu überlassen. Gleichzeitig bittet er zu dem Zweck, die ursprüngliche Definition präzise auszudrücken, die Geburt des Wortes ›Pragmatizismus‹ ankündigen zu dürfen, das hässlich genug ist, um vor Kindsräubern sicher zu sein.“ SPP, S. 432.

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dann doch in seiner jüngsten Publikation von 2006 (The Parallax View bzw. Parallaxe) mit dem Begriff der Parallaxe einen relativ eigenständigen Begriff ins philosophische Rennen geschickt. Mit dem Begriff der Parallaxe findet Žižek einen Begriff seiner speziellen Lesart von Hegels unendlichem Urteil. Die Parallaxe markiert einen Kurzschluss von Ebenen, die aus strukturellen Gründen unvereinbar sind, obwohl sie in gewisser Weise identisch sind (der Geist ist ein Knochen). Parallaktische Beziehungen sind substanziell dasselbe, der Wechsel vom Geist zum Knochen ist – wir hatten es oben gezeigt –einer der Perspektive. Innerhalb der Theorie von Alenka Zupanþiþ meint die Parallaxe die Lücke, die das „Zwischen-Zwei“ aufrecht hält. Die Lücke, die das Eine von sich selbst trennt und es nicht, sozusagen analog dem schlechten unendlichen Urteil, pseudo-dialektisch synthetisiert. Der andere Aspekt dieses Abschnittes, der allerdings untrennbar mit dem ersten verbunden ist, betrifft die Frage, wie aus Sicht der Zwingenden Theorie innerhalb der Theorien des Politischen Entscheidungen getroffen werden, und welches Moment der Zwingenden Theorie selbst analog der Theorien des Politischen zu denken ist. Wenn Autorität und symbolische Autorität der Theorie der Politik wegfallen, muss jedes Individuum die Last der Entscheidungen selbst tragen. Genau das führt zu dem zwanghaften Wählen immer neuer Identitäten, die auf der Erfahrung basieren, dass die jeweilige Identität noch nicht die richtige, beste, schönste etc. ist. Was bleibt, sind reine Machtverhältnisse. Gibt es keinen großen Anderen bzw. hat er seine symbolische Wirkung verloren, mutiert er zum kleinen anderen, zu dem die Subjekte eine imaginäre Konkurrenzbeziehung unterhalten. Es wird in diesem Kapitel wiederum doppelt gefragt: Zum einen, wie die Zwingende Theorie das Politische der Theorien des Politischen interpretiert, und zum anderen wo in ihr selbst das Politische zu finden ist. Entscheidungen sind nicht mehr länger in eine Geschichte, z.B. aus Tradition bestehend, gebunden. Entscheidungen sind innerhalb der Theorien des Politischen vielmehr ein frei verhandelbarer Gegenstand geworden. Die Gefahr der Theorien des Politischen liegt aus Sicht der Zwingenden Theorie darin, dass sich die Individuen frei für Selbstinstrumentalisierung und Beherrschung durch das Über-Ich entscheiden. Der Diskurs der Hysterie, also des permanenten Zweifels, verlangt einen neuen Herrn, gerade um in Widerstand zu ihm zu treten. Es wird mit der Zwingenden Theorie zu fragen sein, ob diese Erfahrung gemacht werden muss, um zur politischen Einbildungskraft zu gelangen. Die Theorien des Politischen zielen auf Anerkennung jeder einzelnen Gruppierung, ohne diese aber in einen größeren Zusammenhang stellen zu können. Jeder kreiert sich seine Regeln und Gewohnheiten selbst, was dazu führt, 279

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dass Entscheidungen, z.B. innerhalb von Institutionen, zunehmend nach rein subjektiven Gesichtspunkten getroffen werden. Diese Gesichtspunkte tendieren dazu, zu reinen Machtverhältnissen zu werden. Machtverhältnisse unterscheiden sich von symbolischer Autorität, indem ihnen eben gerade die dritte und somit symbolische Ebene fehlt. Die Theorien des Politischen verabschieden sich von jedweden Dogmen. Liest man die Theorie der Politik und die Theorie des Politischen zusammen, bleibt die Notwendigkeit eines Restdogmas sichtbar. Es ist dann die politische Einbildungskraft, die für das Freiheitsmoment innerhalb dieses Restdogmas zu sorgen hat. Da Gesellschaft als Zeichenprozess nicht aus einzelnen Individuen oder einzelnen Handlungen bestehen kann, sondern als Relationengefüge konzipiert werden muss, richtet sich der politische Diskurs dann nicht an das Individuum oder den empirischen Rezipienten, sondern dieser Diskurs bildetet selbst den Ort des Diskursempfängers. Wissenschaftstheoretisch lautet somit eine der Leitthesen der Theorien des Politischen, dass das Politische der Theorie des Politischen sich durch die Theorien erst konstituiert. Die Theorien des Politischen konnten als reflexive Theorien gelesen werden, die ihren eigenen Gegenstand hervorbringen. Wie wir schon mit Rousseau gesehen haben, gehen die Theorien des Politischen von der Unübertragbarkeit der Souveränität aus. Souveränität könne weder übertragen noch repräsentiert werden. Innerhalb der Zwingenden Theorie ist das reflexive Moment hingegen das Unbewusste. Das reflexive der Theorien des Politischen – von der Systemtheorie über Laclau/Mouffes Diskurs- und Hegemonietheorie über die explizit reflexive Theorie nach Ulrich Beck und Anthony Giddens – wird mit der Zwingenden Theorie also in den Bereich des Unbewussten verlegt. Wir sahen oben, was es bedeutet, zu sagen, dass ein Gedanke unbewusst ist: Es wird eine dritte Ebene aufgemacht, welche die Unterscheidung zwischen psychisch-bewusst und körperlich unterläuft. Auch wenn jeder psychische Gehalt sozial vermittelt ist, muss an der dialektischen Spannung zwischen dem Psychischen und dem Sozialen festgehalten werden.122 Der Status dieser dritten Ebene ist vorontologisch. Das Unbewusste ist nicht, sondern es „wird gewesen sein“, es existiert nicht als substantielle Entität, sondern es wird als Hypothese nachträglich durch das interpretative Konstrukt bestätigt werden.123 Žižek umschreibt das Unbewusste als die „unbekannten Bekannten“124, Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie wissen. Im Zusammenhang mit dem Abu Ghoreib-Skandal sieht er die Hauptgefahr in den geleugneten Überzeu122 Vgl. Žižek HmL, S. 34. 123 Vgl. ebd., S. 78. 124 Žižek in: Berliner Zeitung vom 23. Juni 2004, S. 30.

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gungen, von denen wir vorgeben, nichts zu wissen, obwohl sie den Hintergrund, ja mehr noch den Kern der öffentlichen Werte bilden. Es handelt sich hierbei nicht um eine Art intuitives Wissen oder um Intersubjektivität als präreflexives Wissen. Das Unbewusste ist nicht präreflexiv. Vielleicht ist es dieses Wissen, man müsste es eigentlich „Glauben“ nennen, das auch schon Hobbes im Sinn hatte, als er schrieb: „Was das innere Denken und den inneren Glauben der Menschen betrifft, die die menschlichen Herrscher nicht erkennen können [...], so sind sie weder freiwillig noch die Wirkung von Gesetzen, sondern die Wirkung des unerforschlichen Willens [...], und fallen folglich unter keine Verpflichtung [...], da menschliche Befehle auf Glauben und Unglauben keinen Einfluß haben“125

Erst mit der psychoanalytischen Theorie wurde zentral, dass dieses innere Denken auch von dem denkenden Subjekt selbst nicht erkannt und somit auch nicht einmal selbst befohlen werden kann. Im Gegenteil: Der Befehl etwas zu glauben oder zu lieben ist die beste Garantie für ein Fehlgehen eben dieses Glaubens oder dieser Liebe. Das Politische sitzt nun aus Sicht der Zwingenden Theorie genau an dieser reflexiven Stelle, an der das Subjekt selbst nicht weiß, was es denkt. Ist nun der Hintergrund der öffentlichen Werte und Denkzwänge, gemäß der Theorie der symbolischen Politik, immer irgendwie pathologisch/barbarisch strukturiert? Mit der Entdeckung des Unbewussten erhielt der Mensch Gewissheit, dass er sich nicht selbst kontrollieren, bestimmen oder steuern kann. Möglicherweise muss daher Peirce seinen Begriff der „self-control“ an den Begriff der Hoffnung binden. Häufig ist zu lesen – nicht unbedingt genderneutral – dass der Mensch seit Freud „nicht mehr Herr in seinem Haus“ sei.126 Es kann die Instanz der Selbstgesetzgebung und somit der Freiheit also nur im Unbewussten gesucht werden. Das Dilemma der Wissenschaft besteht darin, dass sie entweder jede Freiheit für illusorisch, weil genetisch bzw. neuronal determiniert, erklärt, oder aber vorgibt, die Kontrolle über das Unbewusste erlangen zu können. Eine dritte Version bestünde darin, das Unbewusste, oder zumindest die 125 T. Hobbes: Leviathan, S. 360, der letzte Teil des Zitats S. 381. 126 So ist der Neurowissenschaftler und studierte Philosoph Gerhard Roth bemüht, Kants Willensfreiheit durch die Ergebnisse der Gehirnforschung zu widerlegen. Irritierenderweise geht er dabei gerade nicht auf das für die Willensfreiheit zentrale Kantsche Werk, die Kritik der praktischen Vernunft, ein, sondern zitiert ausschließlich aus der Kritik der reinen Vernunft. Vgl. hierzu Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 443-445.

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theoretische Zuständigkeit dafür, zu verwerfen, da es sich ohnehin dem diskursiven Zugriff widersetzt.127 Das Unbewusste ist der Teil eines Diskurses, der – weil überindividuell – dem Subjekt bei der Wiederherstellung der Kontinuität seines bewussten Diskurses nicht zur Verfügung steht.128 Der Mensch wird in gewisser Weise von der symbolischen Ordnung, dem unbewussten Resonanzboden, determiniert. Gleichzeitig ist Freiheit, als das, was die Zwingende Theorie den Akt nennt, nur innerhalb bzw. aus der symbolischen Ordnung hinaus möglich. Wir hatten oben gesehen, dass die Abduktion und anschließende De- und Induktion nach Peirce ein unkontrolliertes, unbewusstes Denken voraussetzt. Für Peirce gibt es zwei Lesarten der Abduktion: Einmal kann sie als bloßes Raten aufgefasst werden: „abduction is, after all, nothing but guessing.“129 Nichtbewusstes Wissen wird durch die Abduktion vermittelt. Eine Abduktion geht in ein Wahrnehmungsurteil über, da Abduktion und Perzeption Bestandteile eines Kontinuums sind. Der Rateakt der Abduktion geschieht unbewusst, wir können aber immer nur ihr Ergebnis, das Wahrnehmungsurteil erkennen.130 Es müsste also mit Peirce dieses Kontinuum in die Zwingende Theorie und umgekehrt mit der Zwingenden Theorie das Subjekt dieses Kontinuums in die Zeichentheorie eingebaut werden. Peirce bezeichnet zum anderen – ganz im Sinne der Unterscheidung zwischen „acting-out“ und „Akt“ innerhalb der Zwingenden Theorie – abduktive Schlüsse gelegentlich als „gefährliche Schritte“.131 Nach Gorleé wird „Wissen […] irgendwie in der inneren Welt des Forschers erzeugt, um eine bestimmte Erfahrung zu erklären.“132 Abduktives Denken ist somit eine halbbewusste Methode, die für alle interpretativen Handlungen wesentlich ist. Das Problem liegt aber darin, dass mit jeder Lösung ein neues Problem konstitutiv entsteht, was zur Reflexivität bzw. zum unendlichen Aufschub der Theorie des Politischen führt. Nach dem Akt als gefährlicher Abduktion ist das Subjekt hingegen buchstäblich etwas anderes als vorher; das Subjekt unterzieht sich dem Akt, geht durch ihn hindurch, während die Aktion vollzogen wird. Im Akt ist das Subjekt ausgelöscht und gewinnt, wenn der Akt gelingt, eine 127 Vgl. zu einem Versuch, das Unbewusste in die Systemtheorie zu integrieren Peter Fuchs: Das Unbewußte in Psychoanalyse und Systemtheorie: Die Herrschaft der Verlautbarung und die Erreichbarkeit des Bewußtseins, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998. 128 Vgl. Lacan Sem I, S. 97. 129 CP 7.219. 130 Vgl. CP 5.181. Vgl. auch S. Rohr: Über die Schönheit, S. 104, die von „unbewusst blitzhafter Erkenntnis“ spricht. 131 Vgl. CP 2.632. 132 D. L. Gorleé: Der abduktive Ansatz, S. 164.

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andere Perspektive – oder wird psychotisch. Mit der Zwingenden Theorie kann dieser problematische, weil auf Instinkten gründende, Begriff der Peirce’schen Abduktion als Akt neu gelesen werden, was in dem Abschnitt zur politischen Einbildungskraft ausgeführt wird. Das „actingout“ kann gemäß der Theorie des Politischen verstanden werden, während der Akt in Kapitel III, 1.4. als politische Einbildungskraft durchgearbeitet wird. Das Unbewusste ersetzt die Vorstellung der transzendentalen Apperzeption Kants. Dasjenige, was heterogene Sphären zur Einheit bringt, ist nicht das Subjekt als „Ich“, sondern das Subjekt des Unbewussten. Der symbolische Andere repräsentiert die Sprache, die das unbewusste Wahrnehmen organisiert. Der reale Andere ist dagegen nicht symbolisierbar. Das Subjekt ist zwischen aktiver Identitätsbildung und Unterworfensein zu verorten. Dieses Zwischen als Selbstsetzen des Subjekts ist die konstitutive Geste der Subjektivität, und diese Geste ist unbewusst.133 Die Wiederholung als Iterabilität garantiert, dass die Ursache den Effekt nicht restlos determiniert. Der Rest/Überschuss übersteigt somit seine Ursache. Der Unterschied zwischen Notwendigkeit und Wirklichkeit wäre dann ein Unterschied in der Beobachterperspektive. Das Subjekt ist im Moment der Aussage abwesend, weil es dem Signifikanten unterworfen ist. An diese Leerstelle heftet sich das cogito – als Subjekt des Unbewussten – als die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis. Nach Žižek verkennen sowohl die poststrukturalistischen Toderklärer des Subjekts als auch die Subjektphilosophie, dass sich das Descartsche Subjekt überhaupt erst aus der Position des „Todes des Subjekts“ entwickeln kann.134 Mit der Theorie des Politischen macht der Wettstreit zwischen den verschiedenen Weisen, Gesellschaft zu interpretieren, das Politische aus. Es geht dabei nicht um den Versuch, eine künstliche Zentralinstanz als Reales des Glaubens, der die Übertragungsfiktion stützt, herzustellen. Hier markiert vielmehr die Tatsache, dass sich Interpretationen nie völlig ihrer Objekte ermächtigen können und sich gegen konkurrierende Interpretationen durchsetzen müssen, das Feld des Politischen.135 Aus Sicht der Theorie der Politik wäre die Sinnproduktion der Interpretationen selbst – also nicht der Kampf um die richtige, angemessenste oder beste Interpretation – als das Feld der Politik anzusehen. Weil und wenn sich Sinnproduktionen über Autorität oder symbolische Autorität durchsetzen, sind sie politisch. Aus der Perspektive der Zwingenden Theorie 133 Žižek NW, S. 18. 134 Vgl. US, S. 3. 135 Vgl. zum Zusammenhang von Interpretationen und dem Politischen O. Marchart: Das unbewußte Politische, S. 201.

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ist es das Genießen, das eine Interpretation politisch macht, weil Interpretationen immer von einem bestimmten (unbewussten) Genießen motiviert werden. Die politische Einbildungskraft, wie noch gezeigt wird, liegt dem Kampf um Benennung und Interpretation zugrunde. Das Unbewusste ohne Subjekt ist maschinenartig und hat keine Vernunft. Im Zentrum des Subjekts herrscht diese maschinelle reflexive Selbstbezüglichkeit ohne Inhalt vor. Das Subjekt dieser Maschine – das Subjekt des Unbewussten – ist minimal gefärbt, parteilich und also politisch. Es ist das Subjekt, das die Theorien des Politischen verwerfen. Es wird immer vor einem Bedeutungshintergrund wahrgenommen. Das, was wahrgenommen wird, ist immer schon interessegeleitet. Die Anweisung der Pragmatischen Maxime von Peirce, die Bedeutung eines Begriffs durch Vergegenwärtigung aller möglichen wahrnehmbaren Wirkungen, die von dem in Frage stehenden Objekt ausgehen könnten, nicht als Anweisung, „wie man richtig denkt, sondern zu zeigen, wie man weiß, was man denkt, damit wir Herren unserer eigenen Meinung werden“,136 verkennt ebenfalls dieses Moment des Genießens. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen unbewussten Gewohnheitsmustern auf gesellschaftliche Diskurse und von diesen Diskursen auf eben diese unbewussten Gewohnheiten. Gesellschaft ist somit nicht nur, wie z.B. Luhmann es sieht, als Produkt von Kommunikation(en) zu verstehen. Die Verdrängung basiert auf dieser Unterbrechung. Das Unbewusste markiert den Zwischenraum, den Ort, an dem sich das Subjekt autoreferentiell von Signifikant auf Signifikant bezieht; deshalb ist das Unbewusste der „Diskurs des Anderen“. Der symbolische Andere repräsentiert die Sprache, die das unbewusste Wahrnehmen organisiert. Das Unbewusste ist also dem Bereich des Symbolischen zuzurechnen. Wenn wir Sprechen können wir die Erfahrung machen, dass unsere Worte einer eigenen Gesetzmäßigkeit folgen, wir können die Bedeutungen nicht fixieren und wieder beweglich machen, wie wir wollen. Dieses „jenseits des Lustprinzips“ markiert innerhalb der Spannung zwischen Lustprinzip und Gesetz eine dritte Stelle. Von welcher Position, von welchem Standpunkt aus könnte man die Differenz, also die Lücke zwischen dem gesellschaftlichen Raum und seinem positiven Gehalt (den Figuren von Freiheit und Gleichheit137) beobachten? Die Frage 136 N. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 102. 137 Christoph Menke zeigt (mit Burke und gegen Rawls), dass ein Verständnis von Gerechtigkeit als Gleichheit, das ohne jeden substanziellen Inhalt konzipiert wird, blind (oder unpolitisch) gegenüber ihren repressiven Folgen ist. Sie maskiert vielmehr ihr Gegenteil, die Ungleichheit. Politisch hieße somit, die Voraussetzungen traditioneller Gleichheitsverhältnisse als metaphysisch zu erkennen. Vgl. C. Menke: Spiegelungen,

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muss anders gestellt werden, denn es wird unten mit der Figur der politischen Einbildungskraft nicht darum gehen, wie diese Kluft zu beobachten ist – sie kann schlicht nicht beobachtet werden, bevor sie sich nicht in der Zweitheit manifestiert –, sondern darum, diese Kluft sich nicht schließen zu lassen. Von hier aus kann rückblickend dann beobachtet werden, dass die Theorien der Politik die Kluft schließen (z.B. Diskurs des Herrn) oder gewissermaßen latent halten (Übertragungsfiktion). Die Übertragungsfiktion wirkt durch symbolische Autorität, der Diskurs des Herrn durch Autorität. Die Theorien des Politischen schließen die Kluft, indem sie sie auf Dauer stellen (Diskurs der Hysterie), oder differenzlogisch (Diskurs des Wissens) lediglich zwischen den Signifikanten verorten. In beiden Fällen wirken – aufgrund der fehlenden Universalisierung oder Verallgemeinerung – weder Autoritäts- noch symbolische Autoritätsverhältnisse, sondern reine Machtverhältnisse. Die Kehrseite dieser reinen Machtverhältnisse liegt in der Dominanz des Über-Ichs. Es geht nicht darum, den Moment der Entscheidung für einen Standpunkt endlos hinauszuzögern bzw. zeitgleich die getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen, sondern eher darum, dass und ob man mit der Entscheidung überhaupt je eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei unterschiedlichen Optionen besessen hat. Die Differenz, die, wie Alenka Zupanþiþ schreibt, dafür sorgt, dass es ein „zwischen-zwei“ und nicht ein „zwischen-zwei-einen“ unter dem Deckmantel der Differenzen gibt, ist die Differenz, die eine echte Entscheidung zu ermöglichen vermag.138 Die Theorien des Politischen führen dazu, dass die Subjekte ständig gezwungen sind, eine Wahl zu treffen und sich für diese Wahl zu verantworten, ohne eine Entscheidung zu treffen, wie diese ununterscheidbar gewordenen Wahlen zu gewichten wären. Im Unterschied dazu gibt es innerhalb der Übertragungssituation eine künstliche Zentralinstanz, die sozusagen immer Recht hat: „Der externe Agent (Partei, Gott, Analytiker) ist nicht derjenige, der ›uns besser versteht als wir selbst‹, der die richtige Interpretation dessen liefern kann, was unsere Handlungen und Aussagen bedeuten, sondern er steht für die Form unserer Aktivität.“139 Die Form als künstliche Zentralinstanz ist nicht leer oder neutral, sondern sie steht für den traumatischen Kern des Realen. Die Form steht für den Antagonismus, der das gesellschaftliche Feld in der Weise über-

S. 11. Aufgabe von politischer Theorie kann es dann gerade sein, die Notwendigkeit metaphysicher Vorraussetzungen zu analysieren. Dieser Notwendigkeit entspricht von hier aus gesehen, das Theorem der Übertragungsfiktion innerhalb der Zwingenden Theorie. 138 Vgl. A. Zupanþiþ, Das Reale. 139 RV, S. 39.

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determiniert, dass niemand ihm gegenüber neutral bleiben kann.140 Oben wurde gefragt, ob der Hintergrund der öffentlichen Werte und Denkzwänge immer pathologisch strukturiert ist. Es ist diese Frage, die den Raum für ein zweites Politisches öffnet: Die politische Einbildungskraft, die im Folgenden entfaltet wird.

1.4 Politische Einbildungskraft: „Dies etwas kann ich zwar nicht nennen“ – Žižeks Nacht-der-Welt-Interpretation Nicht das Unbewusste ist politisch, sondern das Politische – verstanden als politische Einbildungskraft – ist unbewusst.141 In der Beschreibung dessen, wie mit dem Akt umgegangen wird, also mit der durch Hegels Nacht-der-Welt-Passage angestoßenen Interpretation des Aktes, verlässt die Zwingende Theorie den Boden der wissenschaftlichen Begründung. Mit der politischen Einbildungskraft wird somit eigentlich kein eigenes Theorem erschaffen, es wird nicht – wie bei der Theorie des Politischen – Politik als Politik konstituiert sondern aufgezeigt, dass selbst in der Abwesenheit jedes Kontextes, wir betonten schon mehrfach, dass es sich dabei um das reflexive Unbewusste handelt, immer noch ein politisches Moment zu finden ist. Das Moment, in dem jedes Subjekt den Kontext durch sein Mehr-Genießen immer schon mitbestimmt. Die Nacht-derWelt ist die Metapher für den innersten Kern der Subjektivität. Der Wahnsinn der Nacht-der-Welt besteht darin, dass dieser innerste Kern alle anderen Bereiche des Subjekts zu dominieren beginnt. Dieses innerste Moment des Subjekts ist durch und durch unmenschlich. Die Nachtder-Welt ist das unmenschliche des Menschlichen.142 Systemtheoretisch wäre die Nacht-der-Welt eine Form der Entkopplung von Vergangenheit und Zukunft.143 Aus Sicht der Zwingenden Theorie ist der Sitz der politischen Einbildungskraft, der Ort der Gleichzeitigkeit von Differenz und Einheitskonstruktion. Die These dieses Abschnittes lautet, dass die politische Einbildungskraft diesen machtfreien Raum, das „Zwischen-zwei“, eröffnet. Es ist der Ort, an dem unbewusst, also ohnmächtig, ein Akt gesetzt wird. Gleichzeitig handelt es sich um das gewaltsame Moment der Politik, ohne das keine Veränderung möglich ist. Die Theorie der Politik und die Theorien des Politischen werden durch den Akt nicht aufgehoben, sondern erscheinen durch den hier zu entfaltenden Akt in einem anderen

140 141 142 143

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Vgl. ebd., S. 41. Vgl. O. Marchart: Das unbewußte Politische, S. 229. Vgl. Žižek DPS, S. 50. Vgl. N. Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, S. 87.

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Licht. Theorie der Politik und Theorie des Politischen werden durchlaufen und erst dadurch können sie bewahrt werden. Žižek sieht in Hegels berühmter „Nacht-der-Welt“-Passage aus der Realphilosophie einen Abgrund radikaler Subjektivität aufscheinen, der aber von Hegel selbst sofort wieder zurückgenommen werde. Daher kann im Folgenden eigentlich auch nicht von einer Interpretation der Nacht-der-Welt, sondern eher von einer Überinterpretation oder Inspiration, einem „borgen und entstellen“, gesprochen werden. Der bedingungslose Trieb der Nacht-der-Welt, der weder zur Natur noch zur Kultur gehört, kann nicht direkt aus Hegels Realphilosophie herausgelesen werden. Žižek betont, dass dieser Trieb zwar eine Außerkraftsetzung der symbolischen Pflichten anstrebt, nicht jedoch eine Rückkehr zur instinktgesteuerten Natur meint.144 Die Nacht-der-Welt kann nur in ihrer Überinterpretation als eine Außerkraftsetzung der Einbettung des Menschen in seine natürliche Umwelt gesehen werden. Am Ende begreift der Geist, was er an sich die ganze Zeit war. Das heißt in der Lesart der Zwingenden Theorie allerdings nicht, dass sich das Subjekt in diesem Durchlaufen dann doch seiner selbst ermächtigen könne.145 Bereits Bataille sah in der Nacht-der-Welt eine „[...] suspekte Nacht, die, wenn die Vernunft schläft, Ungeheuer hervorbringt. Ich behaupte, daß sogar der Wahnsinn nur eine schwache Vorstellung von dem vermittelt, was das freie, überhaupt nicht der realen Ordnung unterworfene, nur vom Augenblick erfüllte Subjekt wäre.“146 Die Gegenwart überhaupt wird weder von einem Subjekt noch in einem Subjekt ausgesagt und ist folglich mit dem Begriff der Substanz identisch.147 Aber genau an diesem Nicht-Ort bzw. in diesem Zwischenraum siedelt die Zwingende Theorie das Subjekt des Unbewussten an. Mit dem Abgrund der Nacht-der-Welt, gewissermaßen als Anstoß, zeigt Žižek den Unterschied zwischen der Differenz und den Differenzen auf: Die Differenz ist die Kluft, der minimale Unterschied, der ein Element von sich selbst unterscheidet.148 Es gibt keine ursprüngliche Dualität, sondern nur die Kluft im Einen: Kein System von Unterschieden vermag sich selbst zu vervollständigen. Wir konnten mit Peirce zeigen, dass reine Selbstreferenz im Zeichen nicht möglich ist. Zugleich ist

144 Vgl. TS, 115, Anm. 17. 145 Für eine solche Lesart Hegels, wonach sich das Subjekt sein unbewussten Sein am Ende der reflexiven Bewegung selbst aneignet vgl. M. Frank: Was ist Neostrukturalismus, S. 25. 146 Georges Bataille : Die Aufhebung der Ökonomie, München : Matthes & Seitz 1985, S. 88f. 147 Vgl. SS Bd. 1, S. 147. 148 Vgl. Žižek KO, S. 99f.

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basale Selbstreferenz notwendig, um ein Zeichensystem zu beschreiben bzw. zu konstruieren. Nur durch Selbstreferenz kann die Grenze des Zeichensystems zu seiner Umwelt zeichenintern aufgebaut werden. Dabei bleiben aber weder die Zeichentheorie, noch die Zwingende Theorie stehen. Es geht in der Lesart der Nacht-der-Welt zunächst darum, die Dissonanz, die Nicht-Koinzidenz – der Abgrund meint auch das Fehlen eines Grundes – des Selben mit sich selbst als primär aufzuzeigen. Die Spannung zwischen dem Selben und dem Anderen – dies ist die Spannung, welche die Theorien des Politischen thematisieren – ist demgegenüber sekundär. Das heißt die Spannung zwischen den unzähligen Differenzen ist sekundär. Žižek subvertiert in seiner Interpretation der kleinen Hegelpassage die einfache Opposition zwischen Verstand (Geist) und dem undurchdringlichen Dunkel des Grundes (Materie). Žižek stellt die „Nacht“ nicht in Opposition zum „Licht der Aufklärung“, sondern interessiert sich für die Nacht, den Abgrund in der Aufklärung. Hegel schreibt in der Realphilosophie: „Der Mensch ist diese Nacht, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält, ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt oder die nicht als gegenwärtige sind. Dies [ist] die Nacht, das Innre der Natur, das hier existiert – reines Selbst. In phantasmagorischen Vorstellungen ist es ringsum Nacht; hier schießt dann ein blutig[er] Kopf, dort ein[e] andere weiße Gestalt plötzlich hervor und verschwinden ebenso. Diese Nacht erblickt man, wenn/ man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen. [ßß)] Macht aus dieser Nacht die Bilder hervorzuziehen oder sie hinunterfallen zu lassen: Selbstsetzen, innerliches Bewußstsein, Tun, Entzweien. In dieser Nacht ist das Seiende zurückgegangen; aber die Bewegung dieser Macht ist ebenso gesetzt.“149

Dieses so geheimnisvoll scheinende Zitat erweist sich vor dem Hintergrund des Entstehungszeitraums der noch nicht allzu lange zurückliegenden terroristischen Jakobinerherrschaft und blutiger napoleonischer Feldzüge als weniger mystisch, als es zunächst klingt. Allerdings sollte man sich auch nicht vorschnell zu einer spezifisch historischen Analyse verleiten lassen. Es geht ja gerade darum, ein Selbst zu beschreiben, das von jedem Kontext befreit und also leer ist. Ein Selbst, wie es losgelöst von seiner symbolischen Einbettung zwischen Gedächtnis, Tradition und Kultur, erscheinen würde. Die blutigen Köpfe und weißen Gestalten sollten als Szenario des Abgrundes – oder mit Schelling, auf den sich Žižek hier auch bezieht, des Ungrundes – gelesen werden. So wie für 149 JR, S. 204.

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Kant der Schrecken der Französischen Revolution genau in dem Versuch lag, die Idee der Freiheit – die regulative Idee – als konstitutiv für das gesellschaftliche Leben zu etablieren, kann auch der Akt nicht auf Dauer gestellt oder gar verordnet werden.150 In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes lesen wir ebenfalls, dass es dieses „dem Negativen ins Angesicht“ schauen ist, das „die Zauberkraft“ ausmacht, die das reine Selbst ins Sein umkehrt.151 Für Hegel kann nicht das Leben, „das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält“, zu „abgesonderter Freiheit“ gelangen.152 Die Macht und Kraft der Einbildungskraft besteht darin, zu zerlegen, was die Wahrnehmung als sekundäre Kraft zusammengefügt hat.153 Mit Peirce müsste man hier Wahrnehmung durch Wahrnehmungsurteil ersetzen. Richtet sich in der Abduktion das Subjekt auf den Mangel, so kann die Nacht-der-Welt als Entstehen des Subjekts des Triebes beschrieben werden. Wie kann aus dem Zirkel von Gesetz und Sünde (bei Hobbes Naturrecht vs. Gesetz der Natur, die sich wechselseitig aufrechterhalten) ausgebrochen werden? Auch hier soll – wie schon für die Theorie der Politik, die auf Übertragungsfiktion baut und die Theorie des Politischen – danach gefragt werden, in welchem Zusammenhang diese Vorstellung der Nacht der Welt mit Hobbes Naturzustand steht? Aus der Perspektive der Nacht-der-Welt wäre der Krieg aller gegen alle bei Hobbes schon jenes Ablenken von dem, was noch schlimmer ist. Der Naturzustand bei Hobbes ist gegenüber der Nachtder-Welt sekundär. Die einzig freie Entscheidung, der Akt, kann nur auf der Ebene des Unbewussten getroffen werden – es ist die unbewusste Orientierung selbst, die frei gewählt wurde. Das Subjekt ist gleichzeitig Unterworfenes des Unbewussten und dasjenige, das die Art der Unterwerfung frei gewählt hat.154 Die Möglichkeitsbedingung der Analyse besteht darin, dass das Subjekt die Wahl wiederholen muss. Nur dieses Subjekt ist das Andere des Anderen, das Andere des Anderen als Objekt-Ursache. Das Unbewusste als das nicht unmittelbar Darstellbare wird über seine Wirkungen zugänglich. Die Symptome des Unbewussten können durch eine Analyse der Wirkungen bzw. Effekte allerdings nicht zum Stillstand gebracht werden. Die Theorie/Analyse selbst hat nicht die Macht zu verändern. Eine Erklärung kann den Rahmen nicht verändern oder gar subvertieren. Und dennoch liegt das normative Moment der 150 151 152 153 154

Vgl. Žižek HmL, S. 126. PhG, S. 36. Ebd. Vgl. Žižek TS, S. 44 und S. 428. Vgl. A. Zupanþiþ : Das Reale, S. 42.

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Zwingenden Theorie darin, nicht auf diese Analyse zu verzichten. Sie kann immer nur zeigen, dass der Akt ohne Absicherung oder vorausgehende Rechtfertigung je eigenverantwortlich getroffen werden muss. Daher setzt die Zwingende Theorie auf die Übertragungsfiktion von Theorie. Hier wird sich deutlich zeigen, wie die politische Einbildungskraft mit der Übertragungsfiktion zusammenhängt und ohne das Verwerfen des Subjekts innerhalb der Theorien des Politischen es nicht zum Subjekt des Unbewussten – als hier entfalteter politischer Einbildungskraft – zu kommen vermag. Mit dem „Akt“ soll danach gefragt werden, ob und wie ein Beobachterstandpunkt, der nicht von vornherein einen Metastandpunkt einnimmt bzw. diesen unendlich verschiebt, überhaupt möglich ist. Žižeks Begriff der politischen Einbildungskraft, der weder bloß rezeptiv noch rein begrifflich ist, wird dabei näher untersucht. Die radikale Einbildungskraft ist das Subjekt des Unbewussten bzw. das cogito in der Lesart der Zwingenden Theorie.155 Von hier aus wird ersichtlich, dass das Subjekt der Theorien des Politischen das Subjekt ohne Substanz ausmachte. Das Subjekt des Unbewussten wird nicht durch positive Attribute konstituiert und macht dennoch die einzige Substanz des Subjektes aus, die aber nur durch das Verwerfen des Subjektes aufscheint. Das Subjekt der Theorien des Politischen ist von hier aus das Subjekt des Begehrens bzw. des Mangels, es wird aus der Theorie ausgeschlossen, da es immer nur als Effekt der Signifikation beschrieben werden kann. Die Nacht-der-Welt ist hingegen der Sündenfall, durch den die gleichzeitige Setzung und Voraussetzung stattfinden kann. Der Ort der Setzung ist am Ort der Voraussetzung, und dies ist die Nacht-der-Welt als Zwischenraum: Es ist der Ort des Subjekts des Unbewussten und des Todestriebes. Žižek liest den Todestrieb v.a. als Weigerung, ja mehr noch geradezu als Widerstand gegen die eigenen Machtpotentiale. Der Preis dafür ist zugleich eine Art Seinsverweigerung. Es wird im Unterschied zum romantischen Verständnis des Todestriebes nicht der Tod angestrebt oder herbeigesehnt, sondern Todestrieb bedeutet, dass das Leben über das „nackte“ Leben hinausragt. Die beiden entgegengesetzten Termini „Tod“ und „Trieb“ zielen zunächst zum einen auf die Zerstörung des Lebens und zum anderen konträr dazu auf die Erfüllung einer Lebensfunktion ab.156 Liest man „Tod“ und „Trieb“ zusammen, erscheinen zwei Varianten des Exzesses: Zum 155 Vgl. Žižek TS, S. 37. Zur Sackgasse der transzendentalen Einbildungskraft und Konzeption der politischen Einbildungskraft vgl. ebd., S. 15159. 156 Vgl. Žižek DPS, S. 29. Siehe zum Todestrieb bei Lacan Sch I, S. 162169.

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einen der Exzess, der dem Leben selbst inhärent ist und zum anderen der Exzess, der durch die Leugnung des Lebens entsteht.157 Erlösung folgt nicht auf den Sündenfall, sondern ist mit ihm identisch. So gesehen heißt vom Standpunkt der Erlösung, immer auch vom Standpunkt des Sündenfalles aus. Was ist das Vermögen der Einbildungskraft bei Hegel? Die Einbildungskraft vermag sich eine Form ohne Körper einzubilden. Die transzendentale Einbildungskraft hat die Gewalt und Macht, den Bezug zu jedem Kontext zu zerreißen. Sie ist zugleich Einbildungskraft und Verstand. „Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag.“158 Auch Peirce, der sich hier möglicherweise auf Hegel bezieht, spricht von einer „destructive distillation“ als der Leistung des Verstandes.159 Der Verstand wird als die unendliche Kraft der „Negativität“ verstanden. „Der Verstand ist Vernunft, und sein Gegenteil ist Ich selbst.“160 „Ich selbst“ ist – wir hatten dies im Symbolexkurs bereits beschrieben – die Illusion, es gäbe neben dem Verstand noch eine Vernunft. Die Macht des Verstandes besteht darin, die organische Einheit zu einem symbolischen Rest zu reduzieren. Der Verstand kann auseinander reißen, was natürlicherweise zusammengehört.161 Der Akt ist der Bruch, nach dem nichts mehr so gesehen wird, wie vorher. In der Nacht-der-Welt ist die transzendentale Einbildungskraft in ihrem archaischsten Zustand: Die Anschauung ist in der Kontinuität von Zeit und Raum und unterbricht sie gleichzeitig durch die unkontrollierte Gewalt der Einbildung.162 Es handelt sich weder um Bewegen noch um Fixieren, sondern um die Bedingung der Möglichkeit von Bewegen und Fixieren. Ist nun das Subjekt der Nacht-der-Welt, das Subjekt des Triebes, etwas anderes als das tückische oder das listige Subjekt? Blicken wir zurück auf Kapitel II, 2.4.1 suchen wir hier das Subjekt als „tolles Element“. Wenn Sloterdijk schreibt, „das Subjekt ist ein nicht-trivialer Komplex aus Ambition und Reflexion bzw. aus Energie und Heimtücke“,163 dann suchen wir hier eher die Ambition und Energie. Die Tücke ist als „Seiendes gegen Seiendes“ gerichtet, die Hegel’sche List hingegen als „Sein [gegen etwas], mit dem es ihm nicht Ernst ist, wie ein Mantel dem Stiere dargeboten wird, gegen den er anrennt und, nichts

157 158 159 160 161 162 163

Vgl. Žižek PZ, S. 100 und S. 121. PhG, S. 36. CP 1.384. JR, S. 214. Vgl. Žižek GDR, S. 48. Vgl. Ebd., S. 45. Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 96.

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treffend, getroffen wird.“164 Die List ist der Wille zum hinausgehenden Trieb, „das nicht-wissende Treiben zum Wissen.“165 Žižek vergleicht die List des Subjekts mit einem Trickbetrüger, der seine Opfer austrickst, indem er ihre eigenen (hinter)listigen Charakterzüge manipuliert. Ein anderes Beispiel stellte eine direkte Übersetzung des politischen Antagonismus’ in moralische Begriffe dar: Eine Moralisierung der Politik fällt früher oder später in ihr Gegenteil, eine Politisierung der Moral zurück.166 Die List wird immer schon für den Blick eines Anderen inszeniert: „Von Deinem Auge bin ich der Blick.“ Im Unterschied dazu wird ein Subjekt unberechenbar und (heim)tückisch, wenn es einfach nichts außer seinen pathologischen Ansprüchen will. Der große Andere ist für das tückische Subjekt völlig wirkungslos. Die leere, reine und ambitionslose Reflexivität des Subjekts der Einbildungskraft wird hingegen „in“ dem Abgrund angesiedelt und bedeutet den Ort der Freiheit. Das Subjekt dieses Ortes wird erkennen, dass es kein Anderes des Anderen, keine Ursache der Ursache gibt. Das Subjekt ist immer schon frei, seine eigene Spaltung zu wählen.167 Die Einbildungskraft untergräbt zunächst die Opposition zwischen Rezeptivität und selbstbestimmter Freiheit. Sie untergräbt die Opposition zwischen Theorie der Politik und Theorie des Politischen. Sie ist gleichzeitig aufnehmend und setzend. Es gibt einen Abgrund, der den Kern des (cartesianischen) Subjekts vom sich selbst transparenten Ego trennt. Die Nacht-der-Welt ist nicht das psychoanalytische Reale oder Peirces Erstheit.168 In welchem Bewusstseinszustand muss sich das Subjekt befinden, um an diese Nullstufe, von der aus man „mehr“ sieht, zu gelangen? Für Žižek muss der völlige Rückzug aus dem Lebenskontext nicht – wie Hegel meint – bedeuten, dass man in die Natur eingebettet sei. Der Rückzug als Ver-rücken der Rahmenbedingung muss vielmehr als Kontraktion des Subjekts in sich selbst gesehen werden.169 Es ist der Ort, von dem aus die symbolische Ordnung überhaupt erst auftauchen kann. Geht dieser Nicht-Ort der symbolischen Ordnung dann logisch voraus oder suspendiert er sie? Kann dafür überhaupt eine Handlungsanweisung gegeben werden? Die fundierende Geste der Differenzierung 164 165 166 167 168

JR, S. 221. Ebd. Vgl. Žižek TS, S. 102f. Vgl. A. Zupanþiþ: Das Reale, S. 31. In Žižeks frühen Schriften kommt die Nacht der Welt noch in die Nähe des Realen: Der Akt wurde als Überschreitung einer symbolischen Grenze gesehen, der die Menschen zurück in den Abgrund des Realen wirft, aus dem ihre symbolische Realität hervorgegangen ist. Vgl. Žižek GDR, S. 53. 169 Vgl. NW, S. 14.

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zwischen den Trieben und dem Logos ist unbewusst. Diese Geste – also das, was weder Trieb noch logos ist – ist die Geste des Zusammenziehens in die Nacht-der-Welt. Durch sie erscheint Subjektivität als Leere der selbstbezüglichen Negativität.170 Hegel zeigt, dass Ideenassoziationen hingegen – da auf der Ebene des Bewusstseins angesiedelt – nur als leere Freiheit gelten können; sie sind immer schon auf der Stufe der Kausalität angesiedelt.171 Der Akt der freien Wahl – als ethische Natur des Menschen – ist unbewusst. Auch die Psychoanalyse kennt diesen Unterschied zwischen der Freiheit des Aktes und den freien Assoziationen: Die freien Assoziationen vertrauen darauf, dass der Analytiker dem Analysanden den Sinn erklärt bzw. dass er darüber verfügt, während die Freiheit des Aktes etwas völlig anderes ist: Die Last der Entscheidung fällt auf das Subjekt zurück. Es verzichtet auf die Unterstützung und somit auf die Macht oder symbolische Autorität des Anderen. Es kann, und das ist für vorliegende Fragestellung zentral, aber nur darauf verzichten, wenn es diesen Anderen in irgendeiner Form gibt. Diese Form kann der Staat, die Kirche, eine Sekte, oder andere Institutionen sein. Die Moralität dieser Institutionen spielt für den Akt keine Rolle. Wichtig ist, dass es ohne diese symbolische Autorität gar nicht zu dem „Verzicht“ auf eben diese Autorität kommen kann. Diesen äußerst bedeutsamen Aspekt verkennen diejenigen Theorien des Politischen, die darauf pochen, den Ort der Macht leer zu halten. Der Befehl, den Ort der Macht leer zu halten, wirkt als Befehl wiederum wie eine Verräumlichung eben dieses Ortes. Es kann somit auch nicht primär darum gehen, eine reflexive Zivil- oder Bürgergesellschaft an die Stelle des Staates zu setzen. Zu suchen wäre nach staatsäquivalenten Formen symbolischer Autorität. Was bedeutet es nun, den Kern des Subjekts als absolute Negativität zu beschreiben? Die Zwingende Theorie stellt die These auf, dass der Abgrund – die absolute Negativität – zwischen der phänomenalen Erfahrung des Subjekts und dem Ding-an-sich aufklafft. Hegel zeigt, dass es um die Einführung einer Spaltung in das Ding selbst geht. Mit Peirce kann analog festgestellt werden, dass auch das dynamische Objekt ein Zeichen ist. Es ist ein Korrelat eines in unendlicher Zukunft erkennbaren Dings-an-sich. Der große Andere – das Ding-an-sich – existiert nicht, sondern ist selbst gespalten. Wieso ist der große Andere einmal das Ding-an-sich und ein andermal das Unbewusste bzw. die symbolische Ordnung? Hier kann mit der doppelten Thematisierung des Interpretanten eine Antwort gegeben werden. So wie der finale logische Interpretant, da ihm kein Objektkorrelat entspricht, beinahe mit dem dy170 Vgl. ebd., S. 21. 171 Vgl. JR, S. 204f.

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namischen Objekt zusammenfällt, können Institutionen für den Einzelnen als Teil der symbolischen Ordnung den großen Anderen symbolisieren. Aufgrund der Dezentrierung des Anderen – des Dings-an-sich – ist das Subjekt in einem Zeichennetz gefangen, dessen Effekte sich seinem Zugriff entziehen. Das dynamische Objekt wird immer in der einen oder anderen Form auf das Subjekt einwirken.172 Es muss also die Frage nach dem Bewusstseinszustand in der Nachtder-Welt – also wie man zur Nacht-der-Welt gelangen kann – umgekehrt werden: Wie kann aus der Erfahrung der Verrücktheit – der Erfahrung, dass es keinen Anderen des Anderen gibt – zur Normalität zurückgekehrt werden? Die Nacht-der-Welt markiert zugleich den Zusammenbruch und die Entstehung des logos. Das reine Selbst der Nacht-derWelt liegt zwischen der Hegel’schen „animalischen Seele“173 und dem „normalen“ Subjekt mit seinen pathologischen Wünschen und Phantasien. Es geht nicht um die Spannung zwischen diesen beiden Polen, sondern um den Zwischenraum. Die „normalen“ Phantasien stecken den Raum ab, in dem sich das Subjekt auf sich selbst bezieht. Die Phantasmen hingegen werden aufgrund des entleerten Subjektes auf eben dieses Subjekt projiziert: Gerade die Entleerung des Subjekts eröffnet den leeren Raum, auf den Phantasmen dann projiziert werden: Aufgrund der Unerreichbarkeit des Dings-an-sich gibt es ein Loch in der phänomenalen Realität.174 Die Realität – mit Peirce die Wirklichkeit! – ist niemals alles. Die Negativität und tendenzielle Unerreichbarkeit des Dings macht das Subjekt aus. Der Ort, an dem blutige Köpfe etc. auftauchen, die Leere des reinen Selbst, ist auch hier immer schon minimal gefärbt. Wenn es nicht durch das bewusste bzw. transzendentale Subjekt gefärbt ist, wodurch dann? Durch das Subjekt des Unbewussten. Die Kluft ist nicht neutral, sie ist von einem nicht aufhebbaren Rest des kontingenten Realen abhängig. Das Problem der poststrukturalistischen Theorien ist die Annahme, dieser Rest sei leer im neutralen Sinne. Das ist hier aber nicht gemeint. Dieser Rest als nichtneutrales Genießen ist das Objekt der Psychoanalyse. Der Andere als Objekt, als Nächster, noch vor der symboli172 Wenn für Žižek der Kapitalismus mit dem Realen in Verbindung gebracht wird, da er als etwas unhintergehbares quai-naturgesetzartiges erscheint, wäre es reizvoll, das Einwirken des dynamischen Objektes auf das Zeichensystem in dieser Hinsicht zu entwickeln. 173 „Wie das Tier ist er in sich willkürliche Bewegung, die Freiheit, das Selbst der Zeit und des Raums, setzt willkürlich den Inhalt da oder dort in Raum und Zeit“ JR, S. 204 in einer Randbemerkung. Demgegenüber geht es hier um ein Ich oder Selbst, das jenseits von Raum und Zeit zu suchen ist. 174 Vgl. GL, S. 53. Siehe auch Žižek GDR, S. 181.

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schen Ebene, gibt dem Exzess einen Körper. Der Exzess ist also nur immer auf der imaginären vorsymbolischen Ebene sichtbar.175 Vor der Intersubjektivität liegt nicht eine monadische Subjektivität, sondern die unmögliche Beziehung zu einem Anderen als Ding. Žižek vergleicht die Nacht-der-Welt mit dem Schrei von Edvard Munch: Munchs Schrei – als Ausdruck der Moderne – fasst in seiner gängigen Interpretation das Subjekt als monadisches auf, das keinen Kontakt mit der Welt herstellen kann. Das Subjekt wird also immer noch – erneut sei an Cassirers dumpfes Bewusstsein erinnert – als positive Entität aufgefasst. Die Postmoderne markiere hingegen das Moment der perspektivischen Befreiung von dieser Illusion: „Anders gesagt, wir treten in die Postmoderne ein, wenn wir vom ‚entleerten Subjekt‘ zum Subjekt als Leere der Substanz übergehen.“176 Der Schrei führt also nicht den Schrecken des Subjekts angesichts seines Selbstverlustes vor, sondern die Geste, durch die Subjektivität überhaupt erst eröffnet werden kann. Der zerstückelte Körper, der blutige Kopf und die weißen Gestalten können daher nicht als bloße Phantasie interpretiert werden. Der Kern des Subjekts, der erst den Raum für die Vernunft öffnet, ist die absolute Negativität qua Nacht-der-Welt. Die phantasmagorischen Vorstellungen treten dort in Erscheinung, wo das Wort, der logos, versagt; die Funktion dieser „Pest der Phantasmen“,177 der Bedrängnis durch Phantasie, liegt darin, genau dieses Moment des Versagens zu überdecken. Die zerstückelten Körper sind dann nicht Produkt der Phantasie, sondern Phantasie übernimmt die Funktion, diesen Abgrund zu verdrängen. In der Nacht-der-Welt wird die Phantasie quasi durchquert, indem die Tatsache akzeptiert wird, dass im Selbst kein geheimer Schatz ist, dass die Stütze des Subjekts rein phantasmatisch ist. Genau an diesem Punkt ist die einzige echte Setzung möglich. Das Subjekt soll nicht peu à peu entleert werden, die Pointe von Žižek ist vielmehr, dass die symbolische Ordnung nur aus eben diesem Abgrund heraus erwachsen kann. Es geht nicht darum, eine vorsymbolische Lebenssubstanz (wieder-) herzustellen. Die Nacht-der-Welt darf also nicht als ein pseudobuddhistisches meditatives Entleeren oder ein Rousseausches Zurück-zur-Natur, als Suche nach dem authentischen oder ursprünglichen Sein, verstanden werden. Worin besteht also der Unterschied zwischen der Erfahrung des Realen (als Trauma, Halluzination etc.) und der Erfahrung der Nachtder-Welt? Letztere beruht auf einer unbewussten Entscheidung, während erstere nur als zufälliger Einbruch des Realen gesehen werden kann. Die

175 Vgl. Žižek 1997, S. 25. 176 Žižek GDR, S. 183. 177 Žižek 1997.

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Nacht-der-Welt ist der vor-ontologische Status des Subjekts.178 Das phantasmagorische Szenario der Nacht-der-Welt kann als Erfahrung der unmittelbaren Realität, eine Art psychotischer Selbsteinengung gelesen werden. Zeichentheoretisch macht die Nacht-der-Welt die beiden Grenzwerte der Peirce’schen Kategorienlehre aus: Substanz und Sein. Die Nacht-der-Welt muss durchlaufen und abgeschüttelt werden, um die Realität als gesetzte wiederzuerlangen, um so zur Zeichenwelt zu gelangen. Das Subjekt kann das nur durch symbolische, vermittelnde Aktivität erlangen. Genau hier setzt Žižeks Erweiterung des Hegel’schen unendlichen Urteils an: Die Nacht der Welt als das Niedrigste koinzidiert mit der Totalität der Vernunft im Symbol. Es findet eine Verknüpfung des Höchsten mit dem Tiefsten statt. Kay schreibt in ihrem Glossar der zentralen Begriffe Žižeks, der Topos der Nacht-der-Welt meine das Trauma der inneren Subjektspaltung, das auf die „Kastration“,179 nachdem der biologische Organismus sich entzweit hat, folge.180 Wir können nun sehen, dass die Entzweiung im Gegenteil gerade der Weg aus der traumatischen Realität, der Nacht der grauenerregenden Unmittelbarkeit, ist. Die gesamte Zeichentheorie – ihre Funktion besteht eben darin, unwirksame Relationen wirksam zu machen – basiert auf einer notwendigen Flucht aus dieser grauenerregenden Unmittelbarkeit. Die Nacht-derWelt liegt dem Symbolischen voraus. Warum aber insistiert Hegel darauf, dass man sie noch einmal durchschreiten müsse? Ist nur so eine Veränderung der symbolischen Ordnung möglich? Man durchläuft sie wohl nicht noch einmal im Sinne eines Zurück-zur-Nacht-der-Welt, sondern sie ist immer da – die Frage lautet also, wie man die immer latent gehaltene Nacht-der-Welt sozusagen durchlaufen kann. Die erste Negation als Destruktion und Fragmentierung macht die zweite Negation, das „Verweilen beim Negativen“, möglich. In einem zweiten Schritt wird diese Repression bzw. Verdrängung, analog der Hegel’schen Negation der Negation, verdrängt. Man kann noch nicht sehen, was das Neue, das durch diesen Durchgang gewesen sein wird, selbst ist. Daher weigert sich Žižek auch konsequent, Rezepte für eine mögliche neue Allgemeinheit anzugeben. Nur so kann vermieden werden, dass diese Allgemeinheit totalitär und autoritär wird. Und nur in diesem Sinne ist der Ort der Macht leer zu halten. Die Nacht-der-Welt-Passage umschreibt in Žižeks Überinterpretation das, wovon man noch nicht weiß, dass man es weiß. 178 Vgl. NW, S. 21. Siehe auch PZ, S. 83. 179 Kastration meint, dass das Genießen verworfen/verdrängt/verleugnet etc. werden muss. Andererseits kann man es nie loswerden. Es wird verleugnet, um es auf einer anderen Stufe – als aufgehobenes – zu erlangen (dem Gesetz des Begehrens). 180 Vgl. S. Kay: A Critical, S. 165.

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Also kann man auch nie wissen, wie eine bessere Gesellschaft auszusehen hat. Es ist eine scheinbar minimale Unterscheidung zu den poststrukturalistischen Theorien: Žižek sagt nicht: „Haltet den Ort der Macht leer!“, er tut es einfach und nur so kann es funktionieren. Er führt durch die Lektüre von Hegels Nacht-der-Welt gleichzeitig vor, was es bedeutet, einer Übertragungsfiktion zu unterliegen: Žižek liest Hegels Passage zu genau, und genau deshalb vermag er Hegels verdrängte Position herauszuarbeiten. In den Abgrund zu schauen meint dann allererst den Ort, von wo aus erkannt werden kann, wo das Subjekt selbst die Ideologie der symbolischen Ordnung stützt. Um das grauenerregende Genießen – mit Žižek den politischen Faktor – zu erkennen, muss das Bewusstsein zurück in die Tiefe der Nacht des „Ich = Ich“ als ein sich Wissen.181 Es geht also nicht darum, wie ich zu einem privilegierten Standpunkt gelange, der analog zu den Differenztheorien lauten könnte: Ich weiß, dass ich Teil der Beobachtung bin, aber dennoch muss ich ja irgendwo mit einer Unterscheidung anfangen. Mit der politischen Einbildungskraft geht es um den Punkt, an dem das Subjekt durch sich selbst immer schon eine Situation mitbestimmt.

181 Hegel schreibt: „Er ist das schmerzliche Gefühl des unglücklichen Bewußtseins, daß Gott selbst gestorben ist. Dieser harte Ausdruck ist der Ausdruck des innersten sich einfach Wissens, die Rückkehr des Bewußtseins in die Tiefe der Nacht des Ich = Ich, die nichts außer ihr mehr unterscheidet und weiß. Dies Gefühl ist also in der Tat der Verlust der Substanz und ihres Gegenübertretens gegen das Bewußtsein; aber zugleich ist es die reine Subjektivität der Substanz oder die reine Gewissheit seiner selbst, […] Dies Wissen als ist die Geistung, wodurch die Substanz Subjekt […] geworden ist.“ PhG, S. 572.

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Zum Schluss

Zu Beginn dieser Studie wurde gefragt, ob es Aufgabe politischer Theorie sein kann, als Seismograph eines politischen Klimas zu fungieren. Damit verbunden war die Frage, woran die vermeintlich oder tatsächlich Repräsentierten erkennen könnten, ob es sich bei Politikerentscheidungen um speziell politisch motivierte Entscheidungen handelt und ob das Spannungsverhältnis von Macht und symbolischer Autorität dabei Einfluss auf eben dieses Klima nimmt. Am Beispiel der Theorien der symbolischen Politik konnte gezeigt werden, dass Politik förmlich verschwindet, wenn ihre Scheinhaftigkeit aufgedeckt wird, da die Theorie ihren Gegenstand und Politik ihr Thema dann auf andere Gebiete verlagern. Eine solche konstruierte Realitätsverdopplung kann nur durch eine basal selbstreferentielle Theorie aufgelöst werden. Mit der Zeichentheorie wurde gezeigt, dass selbstreferentielle bzw. reflexive Theorien dennoch für ihre Selbstdarstellung – dafür, dass sie z.B. darstellen, Politik darzustellen – auf Elemente mit Fremdbezug zurückgreifen müssen. Diesen Aspekt hat die Theorie mit ihrem Objekt „Politik“ – auch hier müssen die Repräsentanten darstellen, dass sie Politik darstellen – gemein. Eine selbstreferentiell konzipierte politische Theorie kommt selbst im Bereich ihres Gegenstandes vor. Dies konnte mit der Zeichentheorie von Peirce vorgeführt werden, da dessen Zeichenbegriff reflexiv auf sich selbst anwendbar ist. Durch die Funktion der Schnittstelle ist Zeichentheorie immer auch zu einem gewissen Grad normativ. Auf der Grundlage dieses Zeichenverständnisses konnte gezeigt werden, dass die Zwingende Theorie gleichzeitig Theorie und Politik ist. Sie versteht sich ebenso wie die Zeichentheorie als Universaltheorie und über die Zeichentheorie hinaus als politische Theorie, die zwingend in aktuelle Debatten eingreift. Die Zwingende Theorie ist somit Seismograph eines politischen Klimas. Die Suche oder Fahndung 299

POLITIKVERLUST?

nach einem Politischen ist somit „immer schon“ die Praxis einer so verstandenen politische Theorie. Sie sucht nicht nach Lösungen und betreibt die Suche auch nicht als Selbstzweck. Die Theorien des Politischen – v.a. die systemtheoretische Ausprägung – demonstrieren, dass Anwendungsmöglichkeiten innerhalb eines reflexiven Wissenschaftssystems nur als quasi-therapeutische Optionen simuliert werden können. Daher ist es für diejenigen politischen Theorien, die sich als wie auch immer zu betrachtender Eingriff in politische Diskurse beschreiben, notwendig, den Boden der so verstandenen Wissenschaftlichkeit zu verlassen. Dafür musste der Subjektbegriff neu und in Abgrenzung zu den Theorien des Politischen entfaltet werden. Mit der Zwingenden Theorie – und es wurde gezeigt, dass dies seit Hegel grundlegend und noch nicht durch poststrukturalistische Theorien „eingeholt“ wurde – ergab sich somit eine für politische Theorie und Politik relevante Zuspitzung der Fragestellung: Wie kann zwischen dem Individuum als „tückischem Subjekt“, das es in der politischen Gemeinschaft, im Staat oder symbolischen Ersatzinstitutionen aufzuheben gilt, und dem Individuum als „tollem Element“, das in der politischen Gemeinschaft seinen Eigensinn behält, unterschieden werden? Erst das Durchlaufen der Theorie der Politik (Kapitel I, 1.) und der Theorie des Politischen (Kapitel I, 2.) ermöglichte rückwirkend eine Konkretisierung dieser Fragestellung in der daran anschließenden Suche nach einem dritten Element. Zunächst wurde also nachgezeichnet, wie sich Theorien der Politik und Theorien des Politischen gegenseitig bzw. in Differenz zueinander definieren. Anhand einer ideengeschichtlichen Rekonstruktion zweier für die Politikwissenschaft zentraler Theoretiker konnte als Zwischenergebnis gezeigt werden, dass das polare Spannungsverhältnis zwischen Einheit und Differenz als Machtverhältnis bereits in den Theorien von Hobbes und Rousseau angelegt war, aber zumeist zugunsten einer der beiden Seiten aufgelöst wurde. Die Theorien der Politik stehen tendenziell in der Tradition von Hobbes und sehen das tückische Subjekt als Ursache für die Notwendigkeit, über Integration und Steuerung eine politische Einheit herzustellen. Die Theorien des Politischen weisen nach, dass die Spannung im Subjekt selbst liegt. Das tückische Subjekt ist demnach bereits dezentriert. Das Dilemma wird benannt, doch damit auch ins Außen der Theorie verlegt. Dabei werden Differenzen geradezu fixiert, was in eine tendenzielle Ununterscheidbarkeit der zahlreichen Differenzen mündet. Innerhalb dieser Theorien gilt es, eine übergeordnete Einheit – z.B. den Staat –, zugunsten einer ausdifferenzierten Zivilgesellschaft aufzuheben, oder – im Falle der Systemtheorie – diese Einheit auf ein politisches Funktionssystem neben anderen zu beschränken. Ziel der 300

ZUM SCHLUSS

vorliegenden Studie war es daher, nach einer Theorie zu suchen, die dieses Spannungsverhältnis nicht dialektisch – also durch Verzeitlichung dreier Elemente – sondern dreiwertig behandelt. Eine solche Theorie konnte in der Zeichentheorie von Peirce und in der psychoanalytischen Theorie Lacans bzw. deren speziell für die Politikwissenschaft relevanten Weiterentwicklung durch Žižek, Dolar, Salecl und Zupanþiþ, gefunden werden. Gleichursprünglich bedeutet hier, dass sich in der neuen Lesart Theorie der Politik, Theorie des Politischen und politische Einbildungskraft – wie das Peirce’sche Zeichen – gegenseitig voraussetzen. Ohne das neue Theorem der politischen Einbildungskraft würden die Theorie der Politik und die Theorie des Politischen, wie in Kapitel I beschrieben, ihr antagonistisches Verhältnis zu einer Seite hin auflösen: Einheit oder Dauerantagonismus. Nur eine dreiwertige Theorie vermag beides zugleich zu denken und – kommt die Zeichenrelation durch den Zeitfaktor in Bewegung – je nach dem, von welcher Perspektive aus man diesen Zeichenprozess betrachtet, einen Aspekt stärker hervorzuheben. Aus dem Symbolverständnis der Zeichentheorie und der Zwingenden Theorie heraus stellten sich die Theorien der symbolischen Politik als romantische Symbolisierungsstrategien, die hinter der Wirklichkeit – der Maske – etwas Echtes, Authentisches zu entdecken hoffen, heraus. Sowohl das Subjekt als auch die Gesellschaft müsse aus Sicht der Theorien der symbolischen Politik zu sich kommen. Die Theorien der Politik aus Kapitel I sind demgegenüber moderne Symbolisierungsstrategien, die zu sich kommen können. Die Symbolisierungsstrategien sind in dieser Lesart ein ›unvollendetes Projekt‹, und Aufgabe der Theorie ist es, an diesem Projekt mitzuwirken. Die Kluft zwischen Sein und Sollen sei noch zu groß. Wird das Sollen – wie bei Hobbes – absolut gesetzt, verschwindet damit aber auch das Politische. Die Theorien des Politischen zeigen, dass der Überschussgehalt nicht etwas ist, das spezifisch für das Symbol oder für symbolische Repräsentation, sondern etwas, das spezifisch für jeden Wahrnehmungsakt, jeden Sprechakt und jede Handlung ist. Daher verwerfen die meisten Theorien des Politischen das Symbol, den Begriff der Repräsentation und auch das Subjekt. Ein Vergleich der Theorie der Politik und der Theorie des Politischen zeigte allerdings, dass der Überschuss zwar nicht spezifisch für das Symbol ist, dass sich aber gerade der Überschussgehalt des Symbols als politisch relevant erweist. Ausgangspunkte der Zwingenden Theorie sind – ganz im Sinne der Pragmatischen Maxime von Peirce – die Folgen, die das Verwerfen des Subjekts aus den Theorien des Politischen nach sich zieht. Mit dem Theoriebaustein der Übertragungsfiktion wurde nachgewiesen, dass und 301

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wie Theorien und Politik eben doch unmittelbar auf Subjekte einwirken können, wenn von einem anderen Subjektverständnis als desjenigen der Theorien des Politischen ausgegangen wird. Erst mit dem Entfalten der Frage nach dem Subjekt konnte, aus der neuen Perspektive heraus, das Subjekt wieder in die jeweiligen Konzeptionen der Theorie der Politik und der Theorie des Politischen eingeführt werden. Es konnte mit der Zwingenden Theorie gezeigt werden, dass das Verwerfen des Subjektes notwendig ist, gerade um es auf einer anderen Ebene erneut thematisieren zu können. Aus dem „Rest/Überschuss“ dieser kombinierten Lesart ließ sich das Theorem der politischen Einbildungskraft entwickeln. Innerhalb der Theorie der Politik wird mit der Übertragungsfiktion ein Standpunkt eingenommen, dessen Verbindlichkeit aber zugleich stets unterlaufen wird. Nur so können Macht und symbolische Autorität gleichzeitig gedacht werden. Symbole können im Sinne der Zeichentheorie und der Zwingenden Theorie sowohl als Medien zwischen Individuen und politischer Gesellschaft, als auch als Medien im Zwischen des Individuums fungieren. Je nachdem, ob dieser Prozess aus der Perspektive der Theorie der Politik, der Theorie des Politischen oder der Verschränkung beider Theorien beobachtet wird, ergab sich eine andere Antwort darauf, was ein solches Vermittlungssymbol zum tatsächlich politischen Symbol macht. Im Exkurs zum Symbolbegriff wurde in genealogischer Form gezeigt, dass Symboltheorien entweder versuchen, eine dualistische Verbindung – z.B. zwischen Anschauung und Begriff, zwischen Zeichen und Bezeichnetem, physischer und geistiger Welt, zwischen Individuum und Gesellschaft oder Gesellschaft und Staat – darzustellen oder aufzuheben. Im Symbol vollzieht sich der Übergang oder die Vermittlung. Dafür wurde in vorliegender Arbeit eine Theorie gesucht, die eine Schnittstelle, die den Übergang zu beschreiben vermag, aufweist. Diese Grundlage lieferte die Zeichentheorie von Peirce (Kapitel II, .) in einer Verbindung mit der Zwingenden Theorie (Kapitel III). Setzt die Zeichentheorie stärker auf die Vermittlungsfunktion von Symbolen, steht innerhalb der Zwingenden Theorie die Schnittstellenfunktion im Vordergrund. Nur mittels des Symbols kann sich auch ein richtiger Schnitt – tabula rasa – vollziehen. Der Schnitt fungiert hier als Ort des Zwischen-zwei, als reine Differenz, von der aus überhaupt erst eine Unterscheidung zwischen zwei Optionen möglich wird. Tabula rasa ist – und das ist zentral – auf direktem Weg nicht zu haben. Mit Zeichentheorie und Zwingender Theorie konnte gezeigt werden, dass wir diesen Schnitt, den Bruch mit jedem Kontext, nur mittels eines relationalen Politikbegriffs denken können. Auch wenn dann immer wieder die Gefahr besteht – hält man diesen Zeichenprozess z.B. an der Stelle der Theorien der Politik an –, dass dieser 302

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Schnitt überdeckt, oder – hält man ihn aus der Perspektive der Theorien des Politischen an –, dass er auf Dauer gestellt wird. Als besonders fruchtbar für diese Frage nach politischer Realitätskonstruktion erwies sich dabei die auf der Kategorienlehre basierende zeichentheoretische Unterscheidung von Erstheit (in etwa analog der Potentialität), Wirklichkeit und Realität. Zudem konnte festgehalten werden, dass dreiwertige Theorien eine doppelte Thematisierungsweise auf politische Phänomene zulassen. So wurde gefragt, ob sich Theorie für eine der beiden Optionen – Macht oder symbolische Autorität – entscheiden kann und muss. Dabei dürfte es nicht verwundern, dass die Zwingende Theorie in diesem Falle zweideutig auftritt: Zum einen intendiert sie einen machtbewussten Eingriff in die politische Debatte im Sinne der symbolischen Autorität, und zum anderen unterläuft sie zugleich diesen Machtanspruch, indem sie eben gerade keine Handlungs- bzw. Denkanweisungen vorgibt. Aus dieser Perspektive erscheint die Theorie der symbolischen Politik als „schöne Seele“, deren blinder Fleck darin besteht, sich selbst nicht in diesem Spannungsverhältnis verorten zu wollen. Sie zieht sich auf einen vermeintlich neutralen, nicht-normativen, machtfreien Standpunkt zurück. Bleibt eine Entscheidung zwischen Macht und symbolischer Autorität aus, leidet politische Theorie selbst an Politikverdrossenheit und einem Autoritätsvakuum. Sie kann im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung derartige Selbstbeschreibungen als Politikverlust beobachten, ist dann aber nicht an sich politisch. Somit konnte gezeigt werden, dass die Theorie der symbolischen Politik nicht nur eine vormoderne Theorie der Politik, sondern auch die Kehrseite der Theoiren des Politischen ausmacht. Die Vermittlung zwischen dem eigenen Objektbereich und dem Einnehmen eines Standpunktes, von dem aus dieser Objektbereich konstituiert wird, kann nur symbolisch dargestellt werden. In dieser Darstellung liegt das normative Moment der Zwingenden Theorie. Der Vermittlungsprozess zwischen den Sphären der politischen Theorie und ihrem Gegenstand muss durch einen subjektiven und dennoch nichttranszendentalen Faktor angestoßen werden. Dabei wurde deutlich, dass die speziellen unbewussten Vorgänge, die jeder Situation innewohnen, nicht exklusive Elemente der politischen Einbildungskraft sein können. Sie sind vielmehr die Stütze jeder symbolischen Ordnung bzw. jedes Zeichensystems. Mit der Lesart von Hegels Nacht-der-Welt durch die Zwingende Theorie konnte der Unterschied zwischen einem bloßen „acting-out“ des tückischen Subjekts – das Subjekt des reinen Protests – und einem politischen Akt aufgezeigt werden. Die Theorien des Politischen können zwischen „acting-out“ und „Akt“ nicht unterscheiden und agieren daher selbst z.T. – dies galt nicht für die Systemtheorie, die ihrer 303

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Selbstbeschreibung nach auch keine politische Theorie ist – im Sinne eines bloßen „acting-out“. Der Erfolg von desubstanzialisierten, rein selbstreflexiven Theorien stellt ein Symptom dafür dar, dass die Wirkung der symbolischen Ordnung abnimmt. Dies führt zu vermeintlichen, häufig gewaltsamen Akten, die ihr individuelles „tückisch/tolles“ Element nicht zu universalisieren vermögen. Sie wirken somit immer nur Status quo zementierend. Fragen politische Theorien nicht nach dem Moment, durch das sie selbst in die symbolische Ordnung eingebunden sind – ihrem eigenen Genießen – , können ihre Widerstände gegen eben jene symbolische Ordnung auch nur als „acting-out“ beschrieben werden. Das Subjekt der Zwingenden Theorie muss am Ort der völligen Determination den Punkt der Nicht-Freiheit passieren, um sich überhaupt erst als Subjekt frei wählen zu können. Es muss zunächst im Sinne der Theorie der Politik einem Anderen ein „Mehr-Wissen“ und somit symbolische Autorität unterstellt worden sein. Die Theorien der symbolischen Politik bleiben hier stehen, da sie immer einen konsistenten Anderen unterstellen. Das heißt, der Punkt der Freiheit bedeutet nicht die Abwesenheit von Existenz/Subjekt – wie es die Theorien des Politischen interpretieren – sondern eine Lücke in der Zeichenkontinuität, die das Subjekt selbst „ist“. Das zwingende – quasi-normative – Moment der Zwingenden Theorie liegt darin, den Punkt, an dem das Subjekt zum Erhalt der jeweiligen symbolischen Ordnung beiträgt, aufzuzeigen. Daher kann ein Akt auch nur vor dem Hintergrund der symbolischen Ordnung geschehen. Er hängt von dem Ort, von dem aus er vollzogen wird, ab. Innerhalb der Zwingenden Theorie setzen sich alle drei Thematisierungsweisen von Politik gegenseitig voraus. Trennt man einen Aspekt heraus, fallen auch die beiden anderen auseinander. In Kapitel III wurden Theorie der Politik und Theorie des Politischen aus Kapitel I also nicht in einer pseudohegelianischen Weise aufgehoben oder gar synthetisiert. Sie wurden in eine Zeichenrelation – die in Kapitel II entfaltet wurde – eingebunden und durch das Relat der politischen Einbildungskraft komplettiert. Mit der Zwingenden Theorie wurde deutlich, dass das permanente Bewegen der Theorie des Politischen, um ohne einen dritten Wert funktionieren zu können, ihrerseits ein gleichzeitiges Ruhen bzw. Fixieren braucht. Nur im Widerstand gegen das Bewegen kann die Theorie des Politischen ihr Bewegen fortsetzen. Somit sind gerade die Theorien, die auf Entschleunigung setzen, am stärksten daran beteiligt, den Status quo am Laufen zu halten. Es zeigte sich aber auch ein großer Unterschied zwischen Zeichentheorie und Zwingender Theorie: In jener wachsen die Ideen, und dieses 304

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Anwachsen ist das summum bonum. Das, was an der Schnittstelle passiert, und wie die darauf folgende Interpretation vermittelt wird, ist politisch genau in diesem Sinne. Die Schnittstelle ist der Ort, an dem Irritationen auf Widerstände stoßen oder zur Bildung neuer Überzeugungen führen. Politik ist dann der Umgang mit der an der Schnittstelle ausgelösten Irritation. Im Sinne der Theorie der Politik kann Gesellschaft aus der Sicht von Peirce in einer unendlichen Zukunft zu sich kommen. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass die Zeichentheorie über dieses moderne Politikverständnis hinausgeht, beinhaltet sie doch sehr wohl auch eine Querschnittsperspektive (vgl. Kapitel II, 1.3.2). Für die Zwingende Theorie hingegen wird sich durch die mittels Irritationen neu gebildete Überzeugung nur die Perspektive geändert haben. Die Irritation erscheint in einem neuen Licht: Das ist „immer schon“ ihr summum bonum. Hier verbleibt v.a. ein Forschungsdesiderat: Die Kontinuumstheorie von Peirce müsste eingehender mit der Zwingenden Theorie verglichen werden. An dieser Stelle könnten weitergehende Untersuchungen ansetzen. Resümierend lässt sich zudem festhalten, dass die hier mittels der Zeichentheorie verwendete Unterteilung in Theorie der Politik, Theorie des Politischen und deren Komplettierung um den subjektiven Faktor – der politischen Einbildungskraft – innerhalb der Zwingenden Theorie, als eben dieser politische Seismograph, erheblich ergiebiger gegenüber herkömmlichen Systematisierungen von Politik und Politikwissenschaft – zu denken wäre an: polity, politics und policy oder an die Unterscheidung in normativ-ontologische und empirische Theorien – ist.

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Literaturverzeichnis

1. Schriften von Charles S. Peirce Für eine über die hier gemachten Angaben hinausgehende Literatur zu Peirce sei auf die Peirce-Bibliographie verwiesen: Ketner, Kenneth Laine (Hg.): A Comprehensive Bibliography and Index of the Published Works of Charles Sanders Peirce with a Bibliography of Secondary Studies, 2. Auflage, Ohio: Bowling Green: Philosophy Documentary Center 1986.

1.1 Werkausgabe (mit verwendeter Abkürzung) Dezimalnotation (Beispiel: 1.56 als Angabe von Band- und Abschnittsnummer): CP: Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Bde. I-VI, hg. von Charles Hartshorne and Paul Weiss, Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1931-35, Nachdruck 1960-1965; Bde. VII und VIII, hg. von Arthur W. Burks, Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1958, Nachdruck: The Belknap Press of Harvard University Press 1966.

1.2 Einzelausgaben und Übersetzungen (mit den verwendeten Abkürzungen in alphabetischer Reihenfolge) NE: NZ:

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Bertram Kienzle, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (zuerst Aachen 1988: Alano Verlag) PhLZ: Phänomen und Logik der Zeichen, herausgegeben und übersetzt von Helmut Pape, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998 (zuerst1983). RS: Religionsphilosophische Schriften, übersetzt unter Mitarbeit von Helmut Maaßen, eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Hermann Deuser, Hamburg: Meiner 1995. SPP: Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, herausgegeben von Karl-Otto Apel, übersetzt von Gert Wartenberg, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (zuerst 1976). S&S: Semiotic and Significs. The Correspondence Between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby, herausgegeben von Charles S. Hardwick unter Mithilfe von James Cook, Bloomington/London: Indiana Univ. Press 1977. SS 1: Semiotische Schriften, 3 Bde., Band 1 (1865-1903), herausgegeben und übersetzt v. Christian J.W. Kloesel und Helmut Pape, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 (zuerst 1986). SS 2: Semiotische Schriften, Band 2: (1903-1906), herausgegeben und übersetzt v. Christian J.W. Kloesel und Helmut Pape, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 (zuerst 1990). SS 3: Semiotische Schriften, Band 3: (1906-1913), herausgegeben und übersetzt von Christian J.W. Kloesel und Helmut Pape, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 (zuerst 1993). SWS: (1958): Charles S. Peirce: Selected Writings. Values in a Universe of Chance, herausgegeben und eingeleitet von Philip P. Wiener, New York.

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2. Schriften von Slavoj Žižek Keine vollständige Bibliographie. Es werden nur solche Bücher aufgeführt, die im Text verwendet wurden. Häufig zitierte Schriften werden im Text mit einer Buchstabenfolge wiedergegeben.

2.1 Abgekürzt zitierte Schriften (in alphabetischer Reihenfolge) DPS: GDR:

GL : GPF:

HmL:

HY: KO: LDN:

LDS:

NAR:

Die politische Suspension des Ethischen, aus dem Englischen von Jens Hagestedt, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. Grimassen des Realen. Jacques Lacan oder die Monstrosität des Aktes, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Michael Wetzel, aus dem Englischen von Isolde Charim, Thomas Hübel, Robert Pfaller und Michael Wiesmüller, Köln: Kiepenheuer und Witsch 1993. Die gnadenlose Liebe, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001. Denn sie wissen nicht, was sie tun: Geniessen als ein politischer Faktor, aus dem Englischen von Erik M. Vogt, Wien: Passagen 1994. Hegel mit Lacan, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider mit einem Vorwort von Peter Widmer, Zürich: Riss-Verlag 1995. Der erhabenste aller Hysteriker: Lacans Rückkehr zu Hegel, übersetzt von Isolde Charim, Wien, Berlin: Turia & Kant 1991. Körperlose Organe, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. Liebe Deinen Nächsten? Nein, Danke! Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Berlin: Volk & Welt 1999. Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien, herausgegeben von Peter Weibel, Berlin: Merve-Verl. 1991. Der nie aufgehende Rest. Ein Versuch über Schelling und die damit zusammenhängenden Gegenstände, herausgegeben von Peter Engelmann und übersetzt von Erik Vogt, Wien: Passagen 1996.

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Die Nacht der Welt. Psychoanalyse und Deutscher Idealismus, aus dem Englischen und Französischen von Isolde Charim, Andreas Cremonini, Lydia Marinelli, Peter Widmer und Michael Wiesmüller, Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch 1998. PAX: Parallaxe, aus dem Englischen von Frank Born, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006. PZ: Die Puppe und der Zwerg. Das Christentum zwischen Perversion und Subversion, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003. RV: Die Revolution steht bevor. Dreizehn Versuche über Lenin, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002. TS: Die Tücke des Subjekts, aus dem Englischen von Eva Gilmer, Andreas Hofbauer, Hans Hildebrandt und Anne von der Heiden, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001. US: Das Unbehagen im Subjekt, herausgegeben von Peter Engelmann, aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer, Wien: Passagen 1998. VbN: Verweilen beim Negativen. Psychoanalyse und die Philosophie des deutschen Idealismus II, aus dem Englischen von Lydia Marinelli, zweite durchges. Aufl., Wien: Turia & Kant 1995. NW:

2.2 Weitere Schriften Žižeks Žižek 1990:

Žižek 1992: Žižek 1994:

Žižek 1997:

Žižek 2000:

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„Beyond Discourse-Analysis“, in: Ernesto Laclau (Hg.), New Reflections on The Revolution of Our Time, London, New York: Verso 1990: S. 249-261. Mehr-Geniessen. Lacan in der Populärkultur, Wien: Turia & Kant 1992. „Genieße Deine Nation wie Dich selbst! Der Andere und das Böse – Vom Begehren des ethnischen ‚Dings’“, in: Joseph Vogl (Hg.), Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 133-165. Die Pest der Phantasmen. Die Effizienz des Phantasmatischen in den neuen Medien, herausgegeben von Peter Engelmann, aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer, Wien: Passagen 1997. Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen, aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Berlin: Verl. Volk & Welt 2000.

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„III Das Einzelne: Hitchcocks Universum“, in: Slavoj Žižek/Mladen Dolar/Alenka Zupanþiþ u.a. (Hg.), Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten, aus dem Englichens von Isolde Charim, Thomas Hübel, Robert Pfaller, Michael Wiesmüller, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S. 189256. Žižek 2002a: „Alfred Hitchcock oder Die Form und ihre geschichtliche Vermittlung“, in: Žižek/Dolar/Zupanþiþ u.a. (Hg.), Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S.11-27. Žižek 2004: „Herrschaftsstruktur heute – eine lacanianische Sicht“, in: Erik M. Vogt/ Hugh Silvermann (Hg.), Über Žižek. Perspektiven und Kritiken, Wien: Turia & Kant 2004, S. 210-231. Žižek 2004a: „Heiner Müller aus den Fugen“, in: Christian Schulte, Brigitte Maria Mayer (Hg.), Der Text ist ein Coyote. Heiner Müller. Bestandsaufnahme, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 274-299. Žižek 2004b: Conversations with Žižek. Slavoj Žižek and Glyn Daly, Cambridge: Polity 2004b. Žižek 2006: The Parallax View, Cambridge, Mass., London: The MIT Press.

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2.3 Sekundärliteratur zu Žižek Butler, Rex: Slavoj Žižek. Live Theory, New York, London: Continuum 2005. Dean, Jodi: Žižek’s Politics, New York: Routledge 2006. Heil, Reinhard: „Die Kunst des Unmöglichen. Slavoj Žižeks Begriff des Politischen“, in: O. Flügel/R. Heil/A. Hetzel (Hg.), Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorien heute, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, S. 230-255. Kay, Sarah: Žižek. A Critical Introduction, Cambridge, Oxford: Polity 2003. Mayers, Tony: Slavoj Žižek, London, New York: Routledge 2003. Parker, Ian: Slavoj Žižek. A Critical Introduction, London, Sterling: Pluto Press 2004. Vogt, Erik M.: Zugänge zur politischen Ästhetik: Lacoue-Labarthe, Derrida, Hofmannsthal, Žižek, Sartre, Agamben, Wien: Turia & Kant 2003. 313

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3. Wörterbücher/Nachschlagewerke Klaus, Georg/Buhr, Manfred (Hg.): Philosophisches Wörterbuch, Leipzig: VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1976. Roudinesco, Elisabeth und Plon, Michel: Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen, Länder, Werke, Begriffe, aus dem Französichen übersetzt von Christoph Eissing-Christophersen, Marion Müllerburg, Renate Nentwig, Michel Ramaharomanana, Franziska Roelcke und Michael Wiesmüller, Wien, New York: Springer 2004. Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): Enzyklopädie Philosophie 2 Bände, Hamburg: Meiner 1999. Ulfig, Alexander: Lexikon der philosophischen Begriffe, Wiesbaden: Fourier 1997.

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Susanne Krasmann, Michael Volkmer (Hg.) Michel Foucaults »Geschichte der Gouvernementalität« in den Sozialwissenschaften Internationale Beiträge

Benjamin Jörissen Beobachtungen der Realität Die Frage nach der Wirklichkeit im Zeitalter der Neuen Medien Mai 2007, ca. 232 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-586-4

Anne Peters Politikverlust? Eine Fahndung mit Peirce und Zizek April 2007, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-655-7

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Christine Matter »New World Horizon« Religion, Moderne und amerikanische Individualität Februar 2007, 260 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-625-0

Mai 2007, ca. 260 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-488-1

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Petra Jacoby Kollektivierung der Phantasie? Künstlergruppen in der DDR zwischen Vereinnahmung und Erfindungsgabe

Amalia Barboza, Christoph Henning (Hg.) Deutsch-jüdische Wissenschaftsschicksale Studien über Identitätskonstruktionen in der Sozialwissenschaft

Januar 2007, 276 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-627-4

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Sacha-Roger Szabo Rausch und Rummel Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks. Eine soziologische Kulturgeschichte

Mark Hillebrand, Paula Krüger, Andrea Lilge, Karen Struve (Hg.) Willkürliche Grenzen Das Werk Pierre Bourdieus in interdisziplinärer Anwendung

2006, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-566-6

Max Miller Dissens Zur Theorie diskursiven und systemischen Lernens 2006, 392 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-484-3

2006, 256 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-540-6

Renate Grau Ästhetisches Engineering Zur Verbreitung von Belletristik im Literaturbetrieb 2006, 322 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-529-1

Martin Voss Symbolische Formen Grundlagen und Elemente einer Soziologie der Katastrophe 2006, 312 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-547-5

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