Platon in Sizilien und das Problem der Philosophenherrschaft 9783110831221, 9783110051889

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Platon in Sizilien und das Problem der Philosophenherrschaft
 9783110831221, 9783110051889

Table of contents :
Vorwort
KAPITEL I: Platon in Sizilien und der siebte platonische Brief
KAPITEL II: Dions syrakusanische Politik
KAPITEL III: Platonische politische Prinzipien und praktische Politik in den syrakusanischen Wirren bis zum Tode Dions
Index nominum
Index locorum

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Kurt von Fritz • Piaton in Sizilien

Kurt von Fritz

Platon in Sizilien und das Ptoblem der Philosophenherrschaft

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968

Aichiy-Nr. 3690 681

© 1968 by Walter de Gruyter & Co., Yormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanisehen Wiedergabe, der Übersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Printed in the Netherlands

Vorwort Als vor ca. 15 Jahren mein Buch über die Theorie der gemischten Verfassung im Altertum 1 erschienen war, konnte man die Rezensionen mit ganz wenigen Ausnahmen in zwei Gruppen einteilen. Sie waren fast alle ziemlich positiv. Aber die von klassischen Philologen oder Althistorikern verfaßten pflegten so ungefähr zu sagen, in den ersten Kapiteln stünde allerhand Neues und Interessantes, aber daneben doch etwas allzuvieles, das dem Spezialisten in alter Geschichte schon vorher bekannt gewesen sei, warum aber das letzte Kapitel unter anderem eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Staatstheorie von Thomas Hobbes bringe, sei bei dem Werk eines klassischen Philologen schlechterdings überhaupt nicht einzusehen. Die von Spezialisten der politischen Wissenschaft verfaßten Rezensionen umgekehrt erklärten die letzten Kapitel für recht interessant, fanden aber, die vorangehenden Kapitel enthielten so viele historische Details, daß man es einem Politologen nicht zumuten könne, sich da hindurchzuarbeiten, geschweige denn, das alles nachzuprüfen. Diese Tatsache scheint mir auf eine gewisse Schizophrenie in unserem heutigen Wissenschaftsbetrieb hinzudeuten. Es war für mich der erste Anstoß zur Abfassung meines Buches gewesen, daß ich im Zusammenhang mit der damals vor allem in den angelsächsischen Ländern geführten Debatte zwischen den Anhängern der Theorie von der Gewaltenteilung und den Anhängern der Hobbes' sehen Theorie von der absoluten und unteilbaren Souveränität unter den aus der römischen Geschichte geschöpften Argumenten für die eine oder die andere Seite eine große Menge allgemein und auch außerhalb dieser speziellen Diskussion verbreitete Irrtümer sowohl 1

K. von Fritz. The Theory of the Mixed Constitution in Antiquity, New York, 1954.

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Vorwort

hinsichtlich der Fakten wie auch hinsichtlich ihrer Interpretation zu entdecken glaubte. Da ferner der antike Historiker Polybius der erste gewesen war, der die Römische Verfassung in der Absicht analysiert hatte, allgemeine politikwissenschaftliche Schlüsse aus ihr, bzw. aus der, wie er meinte, durch diese vortreffliche Verfassung bewirkten besonderen Stabilität des römischen Staates zu ziehen, so war es mir ferner als notwendig erschienen, auch Polybius und seine Antezedenten innerhalb der griechischen Staatstheorie in den Kreis meiner Betrachtung zu ziehen. Im übrigen hatte ich jedoch im Vorwort zu meinem Buche ausdrücklich gesagt, daß es mir am liebsten gewesen wäre, wenn ich nur allgemein bekannte und anerkannte historische Fakten zu verwenden brauchte, daß ich, da dies nicht möglich gewesen war, einige wichtige Fakten in besonderen vorher veröffentlichten Spezialarbeiten zu sichern versucht hatte, aber einige kürzere Untersuchungen dieser Art doch in das Buch hatte aufnehmen müssen, um den Leser nicht allzusehr von zusätzlicher Literatur abhängig zu machen. Dies waren also die Beiträge, die von den Spezialisten in Alter Geschichte anerkannt wurden. Diese Beiträge befanden sich aber nur notgedrungen und gegen meinen Wunsch in meinem Buch, dessen einziges Ziel es war, die Ergebnisse philologischer und historischer Arbeit in den Dienst politikwissenschaftlicher Analysen zu stellen. Neben dem ursprünglichen Ziel, zur Korrektur und Klärung der in dem Streit der Anhänger der Gewaltenteilung mit den Befürwortern der absoluten Souveränität gebrauchten historischen Argumente beizutragen, war es mein Hauptziel gewesen, ganz im Sinne der positivistischen Schule, der ich sonst nicht angehöre, Fälle aufzuweisen, in denen politische Entscheidungen, die auf ein gewisses Ziel gerichtet gewesen waren, aus einsichtigen und nachweisbaren Gründen genau das Gegenteil dessen bewirkt hatten, was intendiert gewesen war. Ich hatte gehofft, daß dieser von den reinen Historikern selten beachtete Aspekt doch auch für den Historiker ein gewisses Interesse besitzen würde. Er wurde jedoch von der Mehrzahl der Historiker unter den Rezensenten überhaupt nicht beachtet, während die Politologen sich zwar dafür interessierten, aber wegen der Fülle

Vorwort

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der historischen Details und der in einigen Fällen unvermeidlichen Langwierigkeit ihrer exakten Feststellung keinen vollen Gebrauch davon glaubten machen zu können. Es ist aber schwer zu sehen, wie die politische Wissenschaft in denjenigen ihrer Untersuchungen, die ganz und gar auf historische Analyse angewiesen sind, zu richtigen und brauchbaren Ergebnissen gelangen soll, wenn sie sich selbst dann scheut, die historischen Fakten, von denen sie ausgehen muß, in allen Details in Bezug auf ihre Bedeutung für den weiteren Verlauf der Dinge nachzuprüfen, wenn ihr das Material für diese Nachprüfung in aller Fülle nebst zugehörigen Überlegungen angeboten wird. Die Abschließung der Grenzen der Wissenschaften gegeneinander, die von manchen geradezu als Kriterium der wahren Wissenschaftlichkeit gepriesen wird, weil dann jeder nur mit dem umgeht, was er ganz genau kennt, kann sich hier nur zum Schaden der wissenschaftlichen Einsicht auswirken. Die wenigen Ausnahmen — um dies doch auch zu erwähnen — die nicht in eine der beiden Kategorien von Rezensionen fielen, waren in der Sache kritischer. Hier wurde z.B. der Einwand erhoben, ob ich nicht vielleicht die Auswirkungen der von mir hervorgehobenen Tatsache überschätzt habe, daß die offiziellen Leiter der römischen Politik, die Consuln, kein Kabinett hatten, sondern für Beratungen ganz auf das große Gremium des Senates angewiesen waren, und ob für die Folgen dieser Tatsache, die ich aufzuweisen versucht hatte, nicht noch andere Ursachen verantwortlich zu machen seien. Dies ist die Art der Kritik, über die jeder Autor sich freuen sollte, da sie mit vollem Verständnis genau auf seinen Gegenstand eingeht und das Erkannte über das vom Autor Erreichte hinaus weiter zu präzisieren versucht. Diese Kritik bewegt sich auch auf der Grenze zwischen zwei Gebieten, indem sie sowohl die geschichtlichen Tatsachen weiter zu analysieren als auch die daraus zu ziehenden allgemeineren politikwissenschaftlichen Folgerungen genauer zu fassen versucht. Die hier vorliegende Abhandlung enthält prozentual mehr Unter-

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Vorwort

suchungen, die zum engeren Interessengebiet des klassischen Philologen und des Althistorikers gehören als das frühere Buch. Aber das eigentliche Ziel und die eigentliche Absicht der Abhandlung ist auch hier nicht in erster Linie auf die hierher gehörigen Ergebnisse gerichtet, sondern darauf, einen Beitrag zu liefern zur Lösung des Problems der Philosophenherrschaft oder des noch etwas weiteren in unserer Zeit sehr akuten Problems der Rolle der sogenannten „Intellektuellen" im Staat und in der Politik. Von außen gesehen scheint sich die Abhandlung ihrem eigentlichen Thema nur ganz allmählich und auf großen Umwegen zu nähern, indem das erste Kapitel ein philologisches Problem, die Frage der Echtheit des siebenten der unter Piatons Namen erhaltenen Briefes, zu lösen versucht, das zweite den Versuch macht, das Scheitern der Bestrebungen von Piatons Freund Dion, in Syrakus platonische politische Ideale zu verwirklichen, in seinem Verlauf und in seinen Ursachen genauer aufzuklären, das dritte endlich sich mit dem Zusammenhang zwischen Piatons Einwirkungen auf seinen Freund und dem Scheitern seiner Pläne beschäftigt und erst am Schluß expressis verbis auf das eigentliche Problem zu sprechen kommt. In Wirklichkeit steht jedoch dieses allgemeine Problem vom Anfang des ersten Kapitels an im Mittelpunkt der Untersuchung. Denn dieses Kapitel sucht zu zeigen, wie nur der siebte Brief erklärt, was, wenn man nur die Nachrichten der antiken Historiker über die objektiven Ereignisse hätte, ganz unerklärt bleiben müßte: wie es gekommen ist, daß Piaton, einer der größten Philosophen und der eindringendsten politischen Denker aller Zeiten, sich in ein Unternehmen hat verwickeln lassen, das mit einer Katastrophe für alle Beteiligten geendet hat. Die folgenden Kapitel suchen dann nur noch, die Ursachen dieses Scheiterns im Hinblick auf die allgemeine Frage der Beteiligung der „Philosophen" an der Politik im einzelnen nachzuweisen. Unter den Gründen des Scheiterns des Unternehmens Dions, an dem Piaton so stark beteiligt war, befanden sich, wie bei allen his-

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torischen Ereignissen, natürlicherweise auch viele zufällige, die sich unter einer anderen historischen Konstellation nicht wiederholen würden. Aber ich glaube, der Verlauf des Geschehens gerade in diesem exemplarischen Falle läßt durch alle positiven und negativen Zufälligkeiten hindurch besonders deutlich erkennen, warum entgegen der Meinung Piatons der Versuch des „Philosophen", sich aktiv an der Politik zu beteiligen, notwendig scheitern muß. Piaton selbst in seinen „Gesetzen", Kant im „Streit der Fakultäten", Lord Acton und manche andere haben immer wieder ausgesprochen, daß — in der Formulierung Kants — „der Besitz der Gewalt den freien Gebrauch der Vernunft unvermeidlich verdirbt". Meist denkt man dabei — und Piaton selbst hat eben gerade dies mit den deutlichsten Worten ausgesprochen — daran, daß der Besitz der Gewalt in demjenigen, der sie besitzt, die Lust an der Macht erwecke und daß diese Lust an der Macht es sei, die ihn veranlasse, entgegen den Interessen des Gemeinwesens zu handeln, dem er dienen soll, um seiner Lust an der Macht frönen zu können. Aber Piaton selbst scheint von Versuchungen dieser Art in außergewöhnlichem Maße frei gewesen zu sein. Auch ist er nie „im Besitz der Gewalt" gewesen, sondern hat nur ganz indirekt durch seinen Freund Dion auf die Ereignisse eingewirkt. Die Entwicklung der Dinge in Syrakus und der siebte Brief, der Piatons Verwicklung in sie erklärt, sind deshalb so interessant, weil sie zeigen, daß Piaton durchaus nicht aus „Lust an der Macht", sondern, weil er durch den ersten Anstoß, den er zu dem aktiven Eingreifen Dions in die Politik gegeben hatte, die Verpflichtung dazu eingegangen zu sein glaubte, entgegen seinem bessern Urteil sich persönlich an der ersten Phase von dessen Unternehmen beteiligt hat. Auch im weiteren Verlauf sind es immer wieder solche Verpflichtungen gewesen, die ihn bewogen haben, entgegen seiner besseren Einsicht zu handeln. Dies scheint zu zeigen, daß das, was Kant mit so lapidaren Worten gesagt hat, weit über das hinaus gilt, was in diesen Worten unzweideutig ausgesprochen ist. „Der Handelnde ist immer gewissenlos". Er muß es sein, weil er, ohne alle für die richtige Entscheidung notwendigen Erkenntnisse zu

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besitzen, handeln muß. Denn keine Entscheidung zu treffen kann in vielen Fällen auch eine Entscheidung von sehr gewichtigen Folgen sein; und es gibt Situationen, in denen es weniger schlimme Folgen hat, eine falsche Entscheidung zu treffen als gar nicht zu handeln. Nichts aber wird dem handelnden Politiker weniger verziehen als das, was den Menschen als Wankelmut erscheint. Darüber gibt es die höchst eindruckvolle Geschichte bei Herodot 2 , wo Xerxes, nachdem er den Zug gegen Griechenland, der dann mit einer großen Niederlage der Perser endete, öffentlich angekündigt hat, Bedenken bekommt und beschließt, den Feldzug, zu dessen Vorbereitung er schon Anweisung gegeben hat, wieder abzublasen. Da erscheint ihm in der Nacht ein Traumbild, das ihm sagt: „wenn du das tust, wirst du in ebenso kurzer Zeit ganz klein sein, wie du nach dem Tode des Dareios groß geworden bist, und den, der dir das verzeihen wird, gibt es nicht". Man hat das mit den antiken Vorstellungen vom unentrinnbaren und unerforschlichen Schicksal in Verbindung gebracht. Aber das Traumbild hat einfach recht. Die furchtbare Niederlage und der gewaltige Verlust an Menschenleben, den sie gekostet hat, hat den Thron des Xerxes nicht ins Wanken gebracht. Aber wenn er den pomphaft angekündigten Krieg wieder abgeblasen hätte, hätte er sich wegen seiner Schwäche und seines Wankelmuts die Verachtung auch derer zugezogen, die gegen den Krieg gewesen waren, wie es in dem letzten Teil des zitierten Satzes in unnachahmlicher Weise ausgesprochen ist. Das ist auch der Grund, weshalb Kriege, deren Sinnlosigkeit schon längst offenbar geworden ist und deren Fortsetzung entsetzliches Leiden über die Menschen bringt, sobald einmal mehr als bloße Berufsarmeen in ihnen engagiert sind, so selten beendet werden können, ehe eine Partei den „Endsieg" davongetragen hat, obwohl „Endsiege" in ihren weiteren Folgen, wie die Geschichte lehrt, dem Sieger kaum weniger verderblich zu sein pflegen als dem Besiegten die Niederlage und zu immer neuen Konflikten in der Zukunft Anlaß geben. Das ist eine der dunklen Grundrealitäten der Politik, solange die Menschen bleiben, was sie sind. 2

Herodot VII.

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Darum ist es so wichtig, daß es eine Gruppe von Menschen gibt, die nicht aktiv als politisch Handelnde, d.h. politische Entscheidungen Fällende engagiert sind, sondern, wie Kant sagt, es zu ihrem „Geschäfte" gemacht haben, über die Dinge nachzudenken. Es sind diejenigen, die man im Altertum Philosophen genannt hat, was aber mehr umfaßt als was man heutzutage als professionelle Philosophen zu bezeichnen pflegt: alle diejenigen nämlich, die ihre Lebensaufgabe darin sehen, jenen λόγσς περί τοϋ δικαίου και του άδικου, das Gespräch oder die Diskussion nicht nur über das was recht und unrecht, sondern auch über das was richtig oder unrichtig ist, aufrecht zu erhalten, von dem Aristoteles gesagt hat, daß er das ist, was eigentlich den Menschen zum Menschen macht. Es ist die Aufgabe dieser „Philosophen", durch ständige Kritik, durch unaufhörliches Herausarbeiten von besseren Alternativen und Hinweis auf sie, eine Änderung im Bewußtsein ihrer Mitbürger herbeizuführen, die es dem Staatsmann, wenn diese Änderung einmal durchgedrungen ist, erlaubt, seine Richtung zu ändern, ohne des Wankelmuts und der Schwäche beschuldigt zu werden, oder wenn er dazu zu starr oder nicht stark genug ist, einen andern an seine Stelle bringt, der die notwendige Kursänderung vorzunehmen imstande ist. Die handelnden Politiker pflegen — mit ganz wenigen Ausnahmen — diese Kritik der „Philosophen" oder der „Intellektuellen" nicht zu lieben, und umso weniger, je weniger sie sich im „Besitz der Gewalt" sicher fühlen. Es ist daher wohl nicht von ungefähr, daß der unerbittliche Kritiker Sokrates gerade in einer exzessiven Demokratie, in der es keine Regierung gab, die sich auf eine Parteienkoalition stützen konnte, und „gestürzt" werden mußte, wenn ihr die Gewalt entzogen werden sollte, sondern in welcher der Politiker sich seinen Einfluß und seine „Macht" von Tag zu Tag vor der Volksversammlung neu erkämpfen mußte, unter der Anklage, „die Jugend zu verderben", verurteilt und hingerichtet worden ist. So sind es auch die durch eine Umwälzung oder Revolution an die Macht gekommenen Regierungen, die ihrer Macht noch nicht sicher sind, welche jederzeit die stärkste Neigung zur Unterdrückung freier Kritik

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Vorwort

und Meinungsäußerung gezeigt haben. Aber der Logos, der Geist und die Rede, dringt, aller Unterdrückung und allem Terror zum Trotz, durch alle Ritzen. Plötzlich taucht er in den Köpfen der Regierenden und an der Macht Befindlichen selber auf — wenn nicht deren, die den Terror der Unterdrückung der Meinungsfreiheit eingeführt haben, so doch ihrer Nachfolger, die noch unter dem Regime des Terrors „an die Macht" gekommen sind. Das ist die Macht des Logos, der durch keine Hinrichtungen getötet und durch keine Gewalt auf die Dauer erstickt werden kann. Gefährlicher für ihn ist die Korruption von innen heraus. Sie wird bezeichnet durch Kants Kritik an Piatons Theorie vom Philosophenstaat. „Daß die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen würden ist nicht zu erwarten und vielleicht nicht einmal zu wünschen, da der Besitz der Gewalt den freien Gebrauch der Vernunft unvermeidlich verdirbt". Wie das geschieht, wird durch Piatons eigenen Versuch, sich an praktischer Politik zu beteiligen, sehr deutlich illustriert. Ja, dieser zeigt, daß nicht erst der Besitz der Gewalt, sondern schon der Versuch der indirekten Teilnahme an ihr bei einem ganz großen Philosophen den freien Gebrauch der Vernunft gehindert und verdorben hat. „Aber daß", so fährt Kant fort, „die Könige oder königliche, d.h. sich nach Gesetzen der Freiheit selbst regierende Völker die Philosophen frei reden lassen und auf sie hören, ist ihnen (d.h. den Königen und königlichen Völkern) zur Beleuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich". Auch hier kann man, wie gezeigt, noch einen Schritt darüber hinaus gehen und sagen, daß sie, wenn sie sich auch dagegen sträuben und die „Philosophen" zu unterdrücken suchen, schließlich doch auf sie hören müssen. Der Satz ist aber mit den beiden zitierten Stücken noch nicht ganz zu Ende. Er geht noch weiter mit den Worten „und wegen der Nachrede der Propaganda unverdächtig". Auch davon spricht Kant ferner, daß die Philosophen ihrer Natur nach der „Zusammenrottung" schlimmsten Korruption. Der Philosoph, wenn er sein Streben nach nicht fähig seien. Damit deutet er zugleich auf die Möglichkeit der

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Erkenntnis rein halten will, kann nicht Staatsmann sein, weil er als solcher an die Konsequenzen eines aufgrund unvollkommener Erkenntnis erfolgten Handelns gebunden ist. Die Propaganda ist das Gegenteil des freien λόγος περί του δικαίου και του άδικου, indem sie eine Meinung unter Ausschaltung der Diskussion den Menschen einzuhämmern sucht. Der Propagandist ist in noch viel höherem Maße als der handelnde Staatsmann an die Folgen seines Handelns gebunden. Wenn er auch nur zum geringsten Teil das, was er den andern einzuhämmern versucht hat, in seinen extremen Konsequenzen zurückzunehmen sucht, ist er sofort in Gefahr, seine Gefolgschaft zu verlieren. Das zwingt ihn fast mit Notwendigkeit zur unaufhörlichen „Eskalation". Kommt es dabei zur Gewalt, in diesem Falle einer nicht wie bei dem Staatsmann durch Befehle und autoritative Anordnungen ausgeübten, sondern durch Aufreizung von Emotionen veranlagen Gewalt, so erzeugt diese natürlicherweise Gegengewalt und durch die dadurch von Neuem aufgereizten Emotionen am Ende die Zerstörung jeder zur Einsicht führenden Überlegung. Es ist die natürliche Aufgabe der Philosophen, d.h. der freien „Intellektuellen", das Gewissen der Regierenden und der Regierten zu sein, nicht nur im moralischen Sinn, sondern auch in dem Sinn, daß sie unaufhörlich neue Einsicht oder „Wissen" zu gewinnen und es zur Geltung zu bringen suchen. Der Propagandist dagegen, der aufgrund eines notwendig unvolkommenen und einseitigen Wissens zur Gewalt aufruft, ist in ganz anderem Sinne gewissenlos als der Staatsmann, der als Handelnder in dem angegebenen Sinne notgedrungen „gewissenlos" sein muß, aber die Verantwortung für sein Handeln hat und seine Folgen zu spüren bekommt, während der Propagandist in der Regel die Verantwortung für die oft durchaus voraussehbaren Folgen seiner Propaganda abzulehnen und auf andere abzuwälzen sucht3. Er ist nicht wie der Staatsmann und Politiker s

Auch das läßt sich sehr schön aus der Alten Geschichte illustrieren. Es wurde schon damals oft bemerkt, daß die attischen Demagogen, wenn man ihnen vorwarf, daß Entscheidungen, zu denen sie mit heftigen Reden gedrängt hatten, verhängnisvolle Folgen gehabt hatten, darauf zu antworten pflegten: „ihr hättet ja auf meine Reden nicht zu hören brauchen".

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Votwort

die — da es nun einmal in der condition humaine gelegen ist, daß der Mensch aufgrund unvollkommener Einsicht zu handeln gezwungen ist — notwendige Ergänzung zu dem nur auf Erkenntnis gerichteten, politisch nicht handelnden „Philosophen", sondern praktiziert die wahre Verkehrung ins Gegenteil von all dem, was die wahre und eigentliche Aufgabe des Philosophen oder „Intellektuellen" ist. Das ist im übrigen von Piaton selbst in seinem Dialog „Gorgias" auf das Eindringlichste durchdiskutiert und sichtbar gemacht worden.

München, den 21.5.1968.

Kurt von Fritz

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

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KAPITEL I:

Platon in Sizilien und der siebte platonische Brief . KAPITEL II:

Dions syrakusanische Politik

.

.

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KAPITEL III:

Platonische politische Prinzipien und praktische Politik in den syrakusanischen Wirren bis zum Tode Dions .108 Index nominum

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Index locorum

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KAPITEL I

Platon in Sizilien und der siebte platonische Brief

1. Piatons politische Theorien werden seit mehr als zweitausend Jahren immer von Neuem auf das Lebhafteste diskutiert, von den einen als Ausdruck höchster Weisheit bewundert und gepriesen, von den andern aufs Heftigste angegriffen und kritisiert. Vor allem in den Vereinigten Staaten hat die Kritik in den letzten Jahrzehnten außerordentlich scharfe Formen angenommen. Von Popper1 wurde Platon als Feind Nummer Eins der „offenen Gesellschaft" angeprangert, d.h. einer Gesellschaft, in welcher jeder nach dem Maße seiner Begabung und seiner Leistungen bis in die höchsten Ränge aufsteigen kann. Er erscheint bei ihm als politischer Reaktionär oder starrer Konservativer, der eine herrschende Klasse mit allen Mitteln an der Macht erhalten will, ungeachtet der Tatsache, daß Platon in seinem „Staat" die sorgfältigsten Vorkehrungen trifft, um zu verhindern, daß die herrschende Klasse sich durch physische Erblichkeit statt durch immer erneute Auswahl der Tüchtigsten und Besten aus den Kindern aller Bürger fortpflanzt und ergänzt. Ein sehr bekannter amerikanischer Gelehrter antwortete sogar während des letzten Krieges auf die Frage, wie er Platon darstellen würde, 1

Karl R. Popper. The open Society and its Enemies. Revised Edition, Princeton 1950, pp. 21-195 und 474-612 (Anmerkungen). Zur Verteidigung Piatons gegen diesen Angriff vgl. R. B. Levinson, In Defence of Plato, Harvard Univ. Press, 1953.

von Fritz, Plato

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Piaton in Sizilien

wenn er eine Vorlesung über ihn zu halten hätte: „as a homosexual and a fascist". Aber nicht nur Wert und objektive Geltung von Piatons Staatstheorien sind auf das Heftigste umstritten, sondern auch die Frage, was Piaton, vor allem mit seiner Konstruktion eines idealen Staates im „Staat", im Sinne gehabt habe, wird immer noch auf das Intensivste diskutiert. Handelt es sich um eine Art Idealbild, das nur als Darstellung des an sich Wünschenswertesten gewissermaßen die Richtung weisen sollte, in der alles Streben nach Verbesserung gegebener Zustände sich bewegen müsse, aber ohne daß Piaton auch nur an die Möglichkeit einer angenäherten Verwirklichung geglaubt hätte? Oder hat er an die Möglichkeit einer Verwirklichung geglaubt? Und wenn er daran geglaubt haben sollte, unter welchen konkreten Voraussetzungen, mit was für Mitteln und auf welche Weise? Auch hier gibt es ferner noch weitere ganz abweichende Theorien, vor allem wiederum in Amerika, wo Jahrzehnte lang ein angesehener Gelehrter in seinen Vorlesungen die Ansicht vorgetragen hat, Piatons „Staat" sei überhaupt nicht ernst gemeint, sondern eine Satire auf den spartanischen Staat. Alle diese Dinge also sind zwei Jahrtausende lang diskutiert worden und werden immer noch diskutiert. Aber seltsamerweise ist kaum jemals ein ernsthafter Versuch gemacht worden, Piatons Versuche, praktischen politischen Einfluß zu gewinnen und etwas von seinen politischen Idealen in konkrete Wirklichkeit umzusetzen, genauer zu· untersuchen. Und doch sollte wohl ein solcher Versuch, wenn er gelingt, einiges Licht auch auf die so viel erörterten Fragen werfen. Der einzige derartige Versuch Piatons, der für eine solche Untersuchung in Betracht kommt, ist allerdings sein Versuch, auf die syrakusanische Politik Einfluß zu gewinnen. Denn an der Errichtung einer oligarchischen Regierung in Athen nach dem unglücklichen Ausgang des Peloponnesischen Krieges, an der seine nächsten Verwandten beteiligt waren, hat er nicht teilgenommen und nach einer kurzen Periode, während welcher er auf deren politische Herrschaft große Hoffnungen gesetzt hatte, sich völlig davon abgewendet. Wenn er die Akademie zunächst gegründet hat, um Männer heranzubilden,

Der siebte platonische Brief

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die einmal später bei „einer politischen Erneuerung in Athen tätig werden könnten,"2 so ist daraus doch nie etwas geworden und hat Piaton niemals versucht, eine Änderung der demokratischen Konstitution des athenischen Staatswesens herbeizuführen, was nur durch einen gewaltsamen Umsturz hätte geschehen können. Der Einfluß endlich, den er durch seine Schüler Erastos und Koriskos auf den Tyrannen Hermias von Atarneus in Kleinasien ausgeübt hat, war räumlich und zeitlich zu eng begrenzt als daß daraus etwas sehr Wesentliches für eine Beurteilung Piatons als praktischer Politiker zu gewinnen wäre. Es bleiben also nur seine Versuche in Sizilien, wo Piaton bei einem ersten Aufenthalt in Syrakus, vermutlich i.J. 388/87 den damals noch jungen Schwager des Tyrannen Dionys I., Dion, den Sohn des Hipparinos, kennengelernt und für seine Philosophie sowie für seine politischen Ideen gewonnen hatte: mit der Folge, daß dieser ihn zwanzig Jahre später, nach dem Tode des Tyrannen, nach Syrakus einlud, um den gemeinsamen Versuch zu machen, Dionys II., den noch ziemlich jungen Sohn und Nachfolger Dionys' I., für eine politische Reform im Sinne Piatons zu gewinnen. Der Hauptgrund, weshalb Piatons persönlicher Anteil an dem historischen Geschehen der folgenden Jahre in Syrakus kaum jemals einer wirklich eingehenden Untersuchung unterzogen worden ist, während Dions Persönlichkeit und politische Unternehmungen immer wieder das Interesse sowohl der Historiker wie auch der Bewunderer Piatons auf sich gezogen haben, ist wohl der, daß dasjenige Dokument, das, wenn es echt ist, die aufschlußreichste und intimste Information nicht nur über die äußeren Ereignisse, sondern auch Piatons Rolle in ihnen und innere Stellungnahme zu ihnen enthält, das siebte Stück in einer Sammlung von dreizehn angeblich platonischen Briefen, ganz außerordentlich schwer zu interpretieren ist und außerdem immer wieder in seiner Echtheit angezweifelt wurde, so daß allen etwa daraus zu gewinnenden Aufschlüssen und Ergebnissen ein Element großer Unsicherheit anzuhaften schien. Auf der andern Seite scheint es evident, daß die Frage selbst, ob der Brief Piaton zum Urheber hat г

Vgl. U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Piaton I 2 , S. 212 ff.

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Piaton in Sizilien

oder nicht, nur aufgrund der sorgfältigsten, auch historisch-politischen Interpretation seines Wortlauts und Inhalts beantwortet werden kann. Die Geschichte der Kontroverse hinsichtlich der Echtheit des siebten Briefes ist reich an interessanten Wendungen. Nachdem Richard Bentley am Ende des 17. Jahrhunderts die Briefe des Phalaris, die bis dahin noch allgemein als echt gegolten hatten und von denen damals soeben eine neue Ausgabe erschienen war, als unecht erwiesen hatte, begann sich die Skepsis allmählich auf die gesamte ziemlich umfangreiche antike Briefliteratur auszudehnen, schließlich auch auf die Sammlung der platonischen Briefe, in der sich auch tatsächlich eine ganze Reihe von Stücken befinden, bei denen kein Zweifel daran bestehen kann, daß Piaton nicht ihr Urheber gewesen ist. So hat mehr als eineinhalb Jahrhunderte nach dem Erscheinen von Bentleys kritischer Abhandlung auch U. von Wilamowitz in seinen jungen Jahren alle platonischen Briefe in sein Verdammungsur teil mit einbezogen. Aber dann ist es gerade dasjenige Instrument der Kritik, das in so vielen anderen Fällen es ermöglichte, die Unechtheit von Briefen über jeden Zweifel hinaus zu beweisen, gewesen, durch das Wilamowitz veranlaßt wurde, seine Meinung von Grund aus zu ändern: die Untersuchung des historischen Hintergrundes3. Die historischen Ereignisse, von denen im siebten Brief die Rede ist oder die, ohne direkt erwähnt zu werden, seinen Hintergrund bilden, sind nicht nur aus dem siebten Brief bekannt, sondern auch aus den Dionbiographien des Plutarch und des Cornelius Nepos, den einschlägigen Partien des Werkes Diodors und einer Reihe von Einzelerwähnungen bei anderen antiken Schriftstellern. Diese antiken Zeugnisse enthalten ein gut Teil mehr als im siebten Brief enthalten ist oder aus ihm erschlossen werden kann. Sie können daher nicht ausschließlich auf ihn zurückgehen, und vieles spricht dafür, daß zum mindesten ein Teil dieser Überlieferung letzterdings auf Aufzeichnungen beruht, die nicht allzulange nach den Ereignissen gemacht worden sind4. Im Gegensatz zu 3 4

Vgl. ibid. II, 283 ff. Über Dions Feldzug gegen Dionys II. gab es einen Bericht eines Teilnehmers an der Expedition, des Timonidas von Leukas. Über das gesamte

Der siebte platonische Brief

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anderen Briefen viel geringeren Umfangs, bei denen sich dennoch, w e n n von historischen Ereignissen die Rede ist, direkte und indirekte Verstöße gegen die historische Wahrheit beobachten lassen, welche die Unechtheit der Schrift beweisen, schien man im siebten Brief nichts dergleichen zu entdecken 5 . So erschien es seltsam, daß der Fälscher einer so umfangreichen Schrift, in welcher so viele historische Einzelheiten vorkommen, nie einen auch für uns noch nachweisbaren Irrtum begangen haben sollte. Aufgrund dieses Argumentes wurde denn auch eine Zeit lang die Echtheit des Briefes fast allgemein zugestanden. Nur gegen die sogenannte philosophische Stelle ( 3 4 1 b - 3 4 4 b / d ) oder Teile davon (vor allem 3 4 2 a - 3 4 4 b / d ) wurden immer wieder Angriffe gerichtet, weil sie vielen Interpreten mit der aus den Dialogen bekannten Lehre Piatons nicht vereinbar zu sein schien. D i e Frage trat daher in den Vordergrund, ob man aus diesem Grunde den ganzen Brief trotz

s

Problem der antiken historischen Überlieferung über Dion und Dionys II. vgl. H. Berve, Dion, Abh. der Mainzer Akad. Wiss. u. Lit., Geistesund Sozialwiss. Kl., 1956, Nr. 10, S. 748-57. Daselbst auch eine Auseinandersetzung mit der früheren Literatur über die Frage. Den in älterer Zeit vielfach diskutierten Einwand, der Brief gebe das Lebensalter des Dion und des Hipparinos unrichtig an und könne deshalb nicht von Piaton stammen, hat R. Adam, Über die Echtheit der Platonischen Briefe, Jahr. Ber. des Falk-Realgymn. in Berlin, Ostern, 1906, S. 8/9 widerlegt. Er ist seither nicht mehr vorgebracht worden. Der von J. Beloch in seiner Griech. Geschichte III, 2,45 vorgebrachte Einwand, der Hinweis auf die Aufgabe, die zerstörten und von ihrer Bevölkerung verlassenen Griechenstädte in Sizilien wiederherzustellen und neu zu besiedeln, in den von Dion und Piaton nach dem siebten Brief an Dionys II. erteilten Ratschlägen (332e; vgl. auch 336a und d), passe auf die Zeit Timoleons, aber nicht auf die Dionys' II., ist von G. Pasquali, Le Lettere di Piatone, Florenz, 1938, p. 47-50 ausführlich widerlegt worden. Der Einwand ist umso nichtiger als die Entstehung des Briefes selbst von den eifrigsten Bestreitern seiner Echtheit in die Zeit kurz nach dem Tode Pia tons gesetzt wird. Ein Autor dieser Zeit sollte wohl über die Existenz oder Nichtexistenz entvölkerter Städte zur Zeit Dionys' II. besser Bescheid gewußt haben als ein Historiker des 19./20. Jahrhunderts. Alles, was sonst über Widersprüche zwischen dem 7. Brief und historischen Zeugnissen vorgebracht wird, ist entweder ganz vage oder betrifft die Interpretation der Ereignisse, die natürlich bei Piaton anders sein konnte als bei anderen, nicht die Ereignisse oder Fakten als solche.

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Piaton in Sizilien

seiner Exaktheit in historischen Dingen als unecht zu betrachten habe oder ob es sich bei der philosophischen Stelle um eine Interpolation in eine im übrigen echte Schrift handle. In neuester Zeit hat man dann versucht, der Frage mit den neuesten Mitteln der Forschung zu Leibe zu gehen, worüber auf der im Herbst 1966 in Genf stattgefundenen Tagung der Federation internationale des Associations pour les ЁЛккв classiques berichtet worden ist. Man befragte einen Computer, ob der „unbewußte Stil" des Briefes mit dem unbewußten Stil der echten Schriften Piatons aus seiner spätesten Zeit, in die der Brief, wenn er echt ist, gehören müßte, übereinstimme oder nicht. Der Computer sagte „nein". Damit schien die Frage gemäß dem Glauben an die Unfehlbarkeit dieser vom Menschen geschaffenen Geschöpfe endgültig erledigt. Aber man wollte es noch genauer wissen. So fragte man den Computer, um eine zusätzliche Bestätigung für die mit andern Mitteln vorgenommenen Analysen zu haben, wie es in dieser Hinsicht mit der philosophischen Stelle stünde: in der sicheren Erwartung, daß deren unbewußter Stil sich mindestens so weit, wahrscheinlich aber noch weiter von dem des späten Piaton entferne als derjenige des übrigen Briefes. Aber diesmal schien sich der Computer für die Echtheit des Abschnittes auszusprechen. Das ist ein höchst überraschendes, zugleich aber in mehrfacher Hinsicht interessantes Ergebnis. Es ist doch wohl kaum denkbar, daß jemand auf irgend eine Weise eines echten Fragments aus Piatons Nachlaß habhaft geworden ist und dieses dann in einen von ihm erfundenen Brief eingefügt hat. Da der philosophische Abschnitt in dem Brief abgesehen von dem angeblichen unplatonischen Charakter seines Inhaltes keineswegs einen Fremdkörper in der gesamten Schrift darstellt, müßte man annehmen, daß der Verfasser des Briefes, der so ganz andere Dinge enthält, diesen sozusagen um das zufällig entdeckte Fragment herumgebaut hätte, was doch gänzlich unwahrscheinlich ist. Man wird daher wohl aus dem unerwarteten Ergebnis dieses Experiments den Schluß zu ziehen haben, daß der Fähigkeit des Computers, gewisse Fragen zu beantworten, Grenzen gesetzt sind. Hinsichtlich der Nähe oder Ferne des unbewußten Stiles des Briefes zu Piatons Spätschriften wird der Computer wohl recht haben. Aber

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die verglichenen Schriften sind alle philosophische Schriften. Wenn sie im Stil mit dem der philosophischen Stelle übereinstimmen, kann man dies wohl als unverächtliches Indiz für deren Echtheit betrachten. Daß dagegen der Stil des restlichen Briefes, der eben keine Abhandlung oder Dialog, sondern ein Brief oder Sendschreiben ist, vom Stil der philosophischen Schriften etwas abweicht, ist kaum allzu verwunderlich, auch wenn der Verfasser derselbe war. Man wird also das Ergebnis im großen ganzen als Zeugnis für die Echtheit des ganzen Briefes betrachten dürfen, zumal da die Einwände gegen den platonischen Ursprung der philosophischen Stelle, die sich auf deren Inhalt stützen, zum größten Teil auf falscher oder ungenauer Interpretation des Textes beruhen und, auch wo dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, sich widerlegen lassen*. In neuerer Zeit sind jedoch neue Einwände gegen den historischpolitischen Teil vorgebracht worden, die der Beachtung wert erscheinen. Nicht als ob es nun gelungen wäre, dem Autor des Briefes Irrtümer hinsichtlich anderweitig bezeugter historischer Fakten nachzuweisen: darin hat der Brief auch weiter den sorgfältigsten Nachprüfungen standgehalten, so sehr, daß der neueste, mit allen nur ausdenkbaren Argumenten, auch den schwächsten, arbeitende Versuch, die Unechtheit zu beweisen, gleich zu Anfang diese Stütze der Annahme der Echtheit dadurch zu beseitigen suchen muß, daß er bemerkt, auch ein Fälscher könne doch schließlich eine ausgezeichnete Kenntnis der historischen Tatsachen gehabt haben7. Die neuere historisch-politische Kritik an dem siebten Brief geht daher in keiner Weise von dem Versuch eines Nachweises der Diskrepanz des Briefes mit nachweisbaren historischen Fakten aus, sondern sucht nachzuweisen, daß historische Details, die in dem Brief erwähnt werden und in der übrigen Überlieferung nicht erwähnt werden, auch wenn sie mit dieser nicht in Widerspruch stehen, doch in sich selbst β

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Vgl. K. v. Fritz, Die philosophische Stelle im siebten platonischen Brief und die Frage der „esoterischen" Philosophie Piatons, Phronesis XI (1966), S. 117-53. Ludwig Edelstein, Plato's Seventh Letter, Philosophia Antiqua XIV (1948), S.2.

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Piaton in Sizilien

unglaubwürdig seien, sowie vor allem, daß die Interpretation der Ereignisse in dem Brief und vor allem, was sich darin von den Motiven Piatons enthüllt, sowohl in sich selbst widerspruchsvoll sei als auch mit dem, was sich aus Piatons sonstigen Schriften hinsichtlich seiner theoretischen Prinzipien entnehmen lasse, im Widerspruch stehe8. Dieser Teil der Kritik ist nun ganz außerordentlich interessant. Denn ein großer Teil der hier aufgewiesenen Widersprüche besteht ganz unzweifelhaft. Nur ist nicht schwer zu sehen, daß die härtesten und fundamentalsten dieser Widersprüche an Handlungen und Entscheidungen Piatons anknüpfen, die durch die gesamte antike Überlieferung über die Vorgänge als historisch bezeugt sind. Will man daher nicht die ganze antike Überlieferung über Piatons Aufenthalte in Sizilien, die doch, wie erwähnt, zu einem guten Teil vom siebten Brief unabhängig ist, als Fälschung verwerfen, so erhebt sich die Frage, ob sie sich nicht aus der Situation ergeben, in die sich Piaton in Sizilien begeben hat, und ob nicht vielleicht das, was im siebten Brief als schwierig und widerspruchsvoll erscheinen mag, vielmehr die Erklärung für das enthält, was, wenn es nur die übrige Überlieferung gäbe, unerklärt bleiben müßte. Sollte sich dies herausstellen, so würde damit der siebte Brief zu einem Dokument ersten Ranges für Piatons Verwicklungen in praktische Politik. Es ist wohl geboten, mit einer allgemeineren Betrachtung der Voraussetzungen der politischen Tätigkeit Piatons in Sizilien zu beginnen: ganz unabhängig von jeder Angabe, die nur im siebten Brief zu finden ist. Niemand bezweifelt, daß Sokrates auf das Leben und die Philosophie Piatons den tiefsten Einfluß ausgeübt hat. Nach dem übereinstimmenden Zeugnis aller Sokratiker nahm Sokrates ein lebhaftes Interesse an der Politik. Aber alles scheint darauf hinzuweisen, daß er nicht aktiv am politischen Leben teilnahm, außer in so weit es zu den Pflichten des athenischen Bürgers gehörte, gewisse Funktionen, 8

Der Versuch, solche inneren Widersprüche nachzuweisen, ist vor allem unternommen worden von Antonio Maddalena in seiner kommentierten Übersetzung der platonischen Briefe: Piatone. Lettere. A cura di A. Maddalena. Filosofi antichi e medievali X X (1948), pp. 77-346.

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wie z.B. die eines Prytanen und damit unter Umständen des Vorsitzenden in der βουλή und der Volksversammlung, zu übernehmen, sondern sich auf die Kritik beschränkte. Ferner scheint seine Kritik sich nie direkt auf Institutionen gerichtet zu haben, sondern immer an das einzelne Individuum gerichtet gewesen zu sein, wenn diese letztere Kritik auch indirekt als Kritik an Institutionen betrachtet werden konnte. So wunderte er sich in der Demokratie, daß in der Volksversammlung jeder sich: für fähig und berufen hielt, in den wichtigsten Fragen das Wort .zu ergreifen, ob er nun ausreichende Kenntnisse besaß, sie zu beantworten, oder nicht, und daß die Leute bei der Abstimmung sich durch die Reden solcher Männer in ihrer Entscheidung bestimmen ließen. Aber seine Folgerung war nicht, daß man die Demokratie abschaffen und sie durch eine Regierung von Fachleuten ersetzen solle, sondern daß der einzelne, mit dem er sprach, sich zuerst die notwendigen Kenntnisse erwerben solle, bevor er in der Volksversammlung auftrete, und daß er sich genauer informieren solle, ob der Steller eines Antrags ein wohlinformierter Mann sei, ehe er für den Antrag stimme®. Als dann unter der Oligarchie der sogenannten 30 Tyrannen die Lenker des Staates, die versprochen hatten, ein weiseres und besser informiertes Regime anstelle der Demokratie mit ihren unverantwortlichen und schlecht informierten Demagogen zu setzen, mit Terror, Festnahmen und Hinrichtungen ihre Herrschaft zu befestigen suchten, plädierte Sokrates wiederum nicht für Abschaffung der Oligarchie als Institution, sondern ging herum und fragte, ob das gute Hirten seien, welche die Zahl der von ihnen geweideten Schafe verminderten statt sie zu vermehren, so daß der Führer der Dreißig, Kritias, ihn zu sich rufen ließ und ihm mit grimmigem Humor drohte, er solle sich in Acht nehmen, daß er die Zahl der Schafe nicht um seine eigene Person vermindere 10 . Bei alledem waren Sokrates' letzte Prinzipien des Handelns sehr einfach: unter keinen Umständen ein Unrecht zu tun und nicht zu handeln, ohne sich ausreichende Kenntnisse und Erkenntnisse für die dazu notwendige Entscheidung erworben zu haben. Für sich persöne 10

Xenophon, Memor. III, 1-3; IV, 2, 2 ff; 6, 5 ff. etc. Ibid. I, 2, 32-38.

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lieh zog er daraus die weitere Konsequenz, sich nicht als aktiver Politiker und Sprecher in der Volksversammlung an der Politik zu beteiligen, weil er überzeugt war, daß, so wie das politische Leben nun einmal ist, ein Mann mit seinen Prinzipien nicht lange werde überleben können, wenn er sich mitten in den politischen Kampf hineinbegebe 11 . Er glaubte, durch seine Einwirkung auf die Einzelnen, mit denen er seine Gespräche anknüpfte, eine bessere Wirkung ausüben zu können. Selbst so wurde seine unaufhörliche Kritik, vor allem wegen des Einflusses, den sie auf die Jugend hatte, den Politikern so unbequem, daß er unter Anklage gestellt, verurteilt und hingerichtet wurde. An die beiden ersten und Hauptprinzipien des Sokrates hat Piaton sein ganzes Leben lang geglaubt und auch danach zu handeln versucht. Er scheint auch in Athen nie den Versuch gemacht zu haben, an aktiver Politik teilzunehmen, nicht einmal zur Zeit der Herrschaft der Dreißig, zu denen einige seiner nächsten Anverwandten gehörten. Aber er glaubte, daß es möglich sei, einen Staat als Institution von solcher Konstruktion zu schaffen, daß darin Männer wie Sokrates nicht in Gefahr wären hingerichtet zu werden, sondern selbst als Lenker des Staates fungierten. Einen solchen Staat hat er im „Staat" beschrieben. Die Frage ist viel erörtert worden, ob Piaton den von ihm hier entworfenen Staat für praktisch realisierbar gehalten habe oder ihn als ein Idealbild betrachtet, an welches nur eine größere oder geringere Annäherung in der Wirklichkeit möglich ist, das aber doch insofern auch eine praktische Bedeutung hat, als es eben die Richtung angibt, in der ein Versuch, die gegebenen Zustände zu verbessern, sich bewegen sollte. Aber daran kann doch kaum ein Zweifel bestehen, daß Piaton seinen Staatstheorien zum mindesten in dem letzteren Sinne auch eine praktische Bedeutung zugemessen hat. Ist dies aber der Fall, so erhebt sich mit Notwendigkeit die Frage, auf welche Weise wohl am ehesten ein solcher Staat oder eine den Umständen entsprechend realisierbare Annäherung an ihn ins Leben gerufen und, wenn dies geschehen ist, am Leben erhalten werden 11

Piaton, Apologie 31 d/e.

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kann. Nun hat Piaton im Politikos der Meinung Ausdruck gegeben, daß der wahre Staatsmann, der wahrhaft weiß, was für die Allgemeinheit gut ist und der, ohne an seine persönlichen Interessen zu denken, dieses für die Allgemeinheit Richtige und Förderliche zustande bringen wolle, auch das Recht habe, dies mit Gewalt durchzusetzen12. Aber einmal handelt es sich hier um einen Staatsmann, der schon im Besitz der Macht ist und sie nicht erst erwerben muß; und dann werden doch auch im Politikos die Nachteile der Anwendung von Gewalt, wenn sie unkontrolliert ist, erörtert. Als dann Piaton in den Gesetzen13 zu der Frage kommt, auf welche Weise am besten eine gute Staatsordnung anstelle einer weniger guten eingeführt werden könne, spricht Piaton sich mit den unzweideutigsten Worten dahin aus, daß dies am leichtesten von einer Tyrannis aus geschehen könne, demnächst von einer königlichen Monarchie aus, dann von einer Demokratie aus, am wenigsten aber von einer Oligarchie herrschender Geschlechter und zwar deshalb, weil in einer Tyrannis ein Mann die größte Machtfülle hat, die Dinge nach seinem Sinn zu ändern, während in einer Oligarchie von Dynasten, von Mächtigen, am heftigsten verschiedene Meinungen und Willensrichtungen gegeneinander stehen, die in eine Richtung zu zwingen ohne Gewaltanwendung kaum möglich ist. Das Problem also von diesem Standpunkt aus war es, einen Tyrannen zu finden, der für Piatons politische Ideale gewonnen werden konnte, und, falls dies gelang, zuzusehen, wie weit dieser unter den gegebenen Umständen imstande sein würde, sein Staatswesen nach Maßgabe dieser Ideale umzumodeln, was zugleich eine starke Einschränkung seiner eigenen Macht mit sich bringen mußte. Dabei war sich Piaton, zum mindesten zu der Zeit, als er die Gesetze schrieb, durchaus darüber im klaren, daß der Grad der Möglichkeit einer Verwirklichung seiner im „Staat" dargestellten Ideale, selbst in dem angenommenen Fall, in hohem Grade von den gegebenen Verhältnis12

1S

Piaton, Politikos 293 a ff. Vgl. jedoch unten p. 123 ff. über die Einschränkung des an dieser Stelle ausgesprochenen Prinzips durch Piaton selbst in den Gesetzen und in gewisser Weise im Politikos selbst. Piaton, Gesetze IV, 709 c/d-710 a.

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sen abhängig war, da er in dem Abschnitt der Gesetze, der dem oben zitierten unmittelbar vorausgeht", ausführlich davon spricht, wie sehr alle menschlichen Einrichtungen und Unternehmungen von zufälligen Umständen abhängig sind.

2.

Aus diesem kurzen Überblick über Piatons Haltung gegenüber der theoretischen und praktischen Politik, in welchem auch nicht mit einem Hauch etwas erwähnt worden ist, was allein aus dem siebten Brief bekannt ist, ergibt sich schon ganz allein die enorme Schwierigkeit der Entscheidung, der Piaton gegenüberstand, als sich ihm die Möglichkeit bot, nach dem Tode des älteren Dionys nach Sizilien zu gehen und den Versuch zu machen, dessen Sohn, den jüngeren Dionys, für eine politische Reform in seinem Sinne zu gewinnen. Auf der einen Seite schien sich hier die große Möglichkeit zu bieten, etwas von Piatons politischen Idealen in die Wirklichkeit umzusetzen und in der Praxis zu erproben. Auf der andern Seite war der junge Mann, der als Mittel dazu dienen sollte, alles andere als ein ausgereifter fertiger Mann, auf den man sich, wenn es gelang, ihn ganz oder bis zu einem gewissen Grade für Piatons Ideen zu gewinnen, verlassen konnte, wie es wohl bei Hermias von Atarneus der Fall gewesen ist, der schon unter seinem Vorgänger, von dem er die Herrschaft geerbt hatte, zum Staatsmann im vollsten Sinne herangereift war, sondern ein völlig unerprobter, den verschiedensten Einflüssen ausgesetzter und zugänglicher junger Mann, von dem man in keiner Weise wissen konnte, welche Richtung er schließlich einnehmen würde. Man darf wohl sagen, daß Sokrates unter einem solchen jungen Mann, wenn er dazu die Gelegenheit gehabt hätte, auch an ihn seine bohrenden Fragen gerichtet hätte, aber daß er - auch abgesehen davon, daß er seine Aufgabe in seiner Vaterstadt zu haben glaubte und nie ein Bedürfnis verspürte, außer Landes zu gehen, um dort die Menschen 14

Ibid. 709 a ff; vgl. auch 714 b; V, 746 b ff.

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oder gar die Institutionen zu reformieren - niemals zu einem solchen jungen Mann gegangen wäre, um politische Ideale zu verwirklichen. Aber wenn man nicht die gesamte historische Überlieferung über Bord werfen will, hat Piaton eben dies getan, und damit eine Entwicklung in Bewegung gesetzt, die in einem dreifachen Debacle endete, dem Debacle seiner eigenen Bemühungen, den jungen Tyrannen für seine Ideen zu gewinnen, dem Debacle der Herrschaft des jungen Tyrannen selber, und endlich dem Debacle von Piatons Freund Dion. Das sind die schlichten historischen Tatsachen. Wenn man, ohne auf Details zu achten, von diesen allein ausgeht und sich nicht von der Bewunderung für den Philosophen Piaton beeinflussen läßt, kann man aufgrund dieser Tatsachen allein kaum zu einem anderen Schluß gelangen, als daß Piaton in dieser Angelegenheit das, was man in angelsächsischen Ländern politically an extremely poor judgment nennt, bewiesen hat. Die Bewunderer Piatons unter den Kritikern des siebten Briefes stoßen sich daran, daß darin Pia ton als ein Mann der inneren Schwankungen erscheint, der von verschiedenen Motiven in entgegengesetzte Richtungen gezogen wird, was dem Bilde des übermenschlichen philosophischen Heros widerspricht, das man sich von ihm gemacht hat. Dabei bleibt jedoch die Frage ganz außer Betracht, ob sich aus den Schwankungen und selbst menschlichen Schwächen, welche der siebte Brief enthüllt, nicht letzterdings ein für Piaton rühmlicheres Bild seines Verhaltens ergibt als sich allein aus den von den Historikern und Biographen mitgeteilten äußeren Tatsachen gewinnen läßt, wenn man die Schlüsse, die man bei jedem anderen aus diesen Tatsachen ziehen würde, nicht einfach, weil es sich um Piaton handelt, ignoriert. Ohne die klare Herausstellung dieses Grundwiderspruches in der Lage und der Handlungsweise Piatons ist es gänzlich unmöglich, zu einer Einsicht hinsichtlich dessen zu gelangen, was die Widersprüche, die man im siebten Brief gefunden zu haben glaubt und die gegen seine Echtheit sprechen sollen, bedeuten. Wendet man sich aber nun der Interpretation des Briefes selber zu, so ist es zweckmäßig, die Frage nach den Motiven seiner Abfassung zurückzustellen, da diese Frage ausreichend nur beantwortet werden kann, wenn zunächst die

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Situation, in welcher er abgefaßt zu sein vorgibt, in allen ihren Implikationen klar geworden ist, was naturgemäß erst durch eine sorgfältige Analyse seines Inhalts geschehen kann. Nun hat man gleich in dem, was Piaton zu Anfang des Briefes über seine Entwicklung als junger Mann berichtet, einen Widerspruch gefunden zu den antiken biographischen Angaben über Piaton sowie zu dem Zeugnis seiner eigenen Schriften15. Denn im siebten Brief sei die Rede davon, daß Piaton von früher Jugend an den Drang in sich verspürt habe, eine aktive politische Rolle zu spielen. Davon wisse die antike biographische Tradition nichts, und im Staat sei davon die Rede, daß die Philosophen nicht gerne eine aktive politische Rolle spielen, sondern nur aus Pflichtgefühl und nur in einem Staatswesen, das ihnen die Möglichkeit gibt, ihre besseren Einsichten in der Praxis durchzusetzen. Aber dieser Einwand ist ganz und gar nichtig. Diejenigen, auf welche die antike biographische Tradition letzterdings zurückgeht, waren alles Männer, die Piaton erst in seinen späteren Jahren gekannt haben und also nicht aus erster Hand von seiner Jugend berichten konnten. Sowohl Piatons intensive Beschäftigung mit der Theorie staatlicher Institutionen statt mit dem Verhalten der Einzelnen im Staat und zum Staat, wie auch seine praktische politische Tätigkeit in Sizilien waren Abweichungen von Piatons Vorbild Sokrates, die kaum zu erklären sind, wenn Piaton nicht von früher Jugend an ein Interesse an politischen Dingen genommen hat, das von dem seines Lehres Sokrates verschieden war. Da kann man denn wieder zu dem beliebten Argument greifen, das sei eben ein Schluß gewesen, den auch der Fälscher des Briefes gezogen habe; und eben deswegen habe er den Passus eingefügt. Aber sogleich was im siebten Brief auf jenen ersten Passus folgt, zeigt, daß der Fälscher ein Mann von wahrhaft übermenschlichem Acumen gewesen sein müßte, wenn er sich die folgenden Angaben aus den Fingern gesogen hätte. Der nächste Anstoß, der von den Kritikern des Briefes genommen wird, ist der, daß Piaton von Sokrates und von Sokrates' Tod etwas obenhin und nicht mit dem 15

L. Edelstein, a.a.O. S. 6 ff.

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Nachdruck und der Leidenschaft zu sprechen scheint, mit welcher der echte Piaton nach Meinung der Kritiker davon hätte sprechen müssen. Er spricht von Sokrates als einem ihm lieben und befreundeten älteren Mann16, und er sagt17, nach der Wiederherstellung der Demokratie sei Sokrates κατά τίνα τύχη ν, durch eine Art Zufall, oder wohl besser: durch ein Zusammentreffen von Umständen, von einigen der damals einflußreichen Männer wegen Asebie angeklagt und von den Richtern zum Tode verurteilt und danach hingerichtet worden. Das klingt freilich seltsam kühl. Aber an der ersten Stelle fügt der Verfasser des Briefes hinzu18, er scheue sich nicht, auszusprechen, daß Sokrates der „gerechteste" aller damals lebenden Männer gewesen sei, und an der zweiten Stelle bezeichnet er18 die Anklage gegen Sokrates als die frevelhafteste Tat und um so frevelhafter als diejenigen, die sie erhoben, zu den unter dem vorhergehenden Regime Verfolgten gehört hatten und nun Anklage gegen einen Mann erhoben, der sich damals unter Gefahr für sein eigenes Leben geweigert hatte, an den Verfolgungen teilzunehmen. Hier fehlt der Ausdruck der leidenschaftlichen Empörung über das Geschehene nicht, wenn er sich auch nicht in rhetorisch oder dramatisch überhöhter Sprache ergeht, sondern direkt und schlicht bleibt. Das auf den ersten Blick seltsame κατά τινα τύχη ν aber hat seinen sehr guten Grund, der sich aus dem weiteren Zusammenhang ergibt, den ein Fälscher zu erfinden jedoch kaum imstande gewesen sein dürfte. Die nächstliegende Annahme war naturgemäß immer gewesen, daß der Tod des Sokrates den schärfsten Einschnitt im Leben Piatons gebildet und auch sein Verhältnis zur athenischen Politik aufs tiefste bestimmt habe. Man nahm daher lange Zeit als sich von selbst verstehend an, daß derjenige Dialog Piatons, der die leidenschaftlichste Anklage gegen die athenische Demokratie und ihre großen und be18 17 18 19

Ер. VII, 324 d: Ер. VII, 325 b. Ibid. 324 e. Ibid. 325 c: άνοσιωτάτην αίτίαν Ιπιβαλόντες ... ot μέν είσήγαγον, ot δέ καχεψηφίσανχο καΐ άπέκχειναν τδν τότε τί]ς άνοσίου αγωγές ούκ Ιθελήσαντα μετασχεϊν περί Ινα των τότε φευγόνχων φίλων, 8τε φεύγοντες έδυσχύχοον αύτοΐ.

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wunderten Staatsmänner Themistokles und Perikles erhebt, der „Gorgias", unmittelbar nach dem Tode des Sokrates verfasst sein müsse. Nach dem siebten Brief dagegen ist die leidenschaftliche Abkehr von der athenischen Politik nicht unmittelbar nach dem Tode des Sokrates erfolgt, sondern einige Jahre später, ohne besonderen Anlaß von außen, außer dem, daß Piatons Hoffnungen auf eine Besserung der politischen Zustände in Athen sich nicht erfüllten. Dies wird bestätigt durch die Entdeckung20, daß ein Zitat im Gorgias auf eine Schrift des Rhetors Polykrates gegen Sokrates Bezug nimmt, die erst einige Jahre nach dem Tode des Sokrates verfaßt worden sein kann, und dieses Zitat also selbst erst ganz gegen Ende der neunziger Jahre des vierten Jahrhunderts, also mehrere Jahre nach dem Tode des Sokrates, in dem Dialog benutzt worden sein kann. Der siebte Brief hat also offenbar recht mit dem, was er über die Entwicklung von Piatons Haltung dem athenischen Staat gegenüber schreibt. Diese ist auch, wenn man die historischen Tatsachen in Betracht zieht, gar nicht so seltsam. Die wiederhergestellte Demokratie war in dem Versuch, geordnete Zustände wiederherzustellen, mit außergewöhnlicher Mäßigung und Einsicht verfahren, so daß es wirklich zunächst als ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen erscheinen konnte, daß einige der damals einflußreichen Demagogen im Gegensatz zum allgemeinen Charakter der damaligen Politik ihr Ressentiment an Sokrates ausließen und - nicht zuletzt infolge der intransigenten Haltung, mit der Sokrates selbst seinen Richtern gegenübertrat - ein Todesurteil durchsetzten. Man konnte sehr wohl zunächst bei aller Empörung über den Justizmord an Sokrates die Hoffnung haben, daß sich die besseren Kräfte doch durchsetzen würden. Der „Gorgias" ist daher das lebendige Zeugnis dafür, daß Piaton erst mehrere Jahre später in leidenschaftliche Anklagen gegen die athenische Demokratie ausgebrochen ist. Aber wer hätte sich das ausdenken sollen? Ein Fälscher hätte schon außergewöhnlich gute Kenntnisse der damaligen Sachlage oder eine übermenschliche Divinationsgabe gehabt haben müssen, um diesen ganzen Passus 20

Vgl. Jean Humbert, Polycrates, l'accusation de Socrate et le Gorgias, Paris, 1930, und dazu die Rezension im Gnomon IX (1933), 88 ff.

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des Briefes zu erfinden. Jeder gewöhnliche Fälscher hätte, wie die modernen Philologen vor der Entdeckung Humberts, den Tod des Sokrates zum Angelpunkt im Leben Piatons gemacht. Der unmittelbar folgende Abschnitt des Briefes handelt von Piatons erster Reise nach Sizilien. Da er an den politischen Verhältnissen in der Heimat verzweifelt sei, berichtet der Verfasser21, habe er eine Reise nach Unteritalien und Sizilien unternommen, um sich durch den Augenschein zu überzeugen, was es mit der dolce vita (βίος ευδαίμων), die dort herrschen sollte, auf sich habe. Er fühlte sich, als er sie in concreto kennenlernte, davon abgestoßen und kam zu dem Schluß, daß in Gemeinschaften, in denen alles allein auf Lebensgenuß und nichts anderes abgestellt sei, notwendigerweise Revolutionen und politische Umwälzungen ohne Ende aufeinander folgen müßten und daß es, solange in allen Ständen eine solche Gesinnung herrsche, niemandem möglich sein werde, eine stabile und gerechte politische Ordnung zu schaffen. Auf dem weiteren Wege, so fährt der Verfasser des Briefes dann fort, sei er nach Syrakus gekommen, und da sei nun, sei es durch Zufall, sei es auf Betreiben einer höheren Macht, der Grund gelegt worden für alle die späteren Ereignisse, in die Piaton in Sizilien verwickelt wurde22. Denn da habe er den jungen Dion angetroffen und ihm auseinandergesetzt, zu welchen Schlüssen er hinsichtlich dessen, was für die Menschen am besten sei, gekommen sei und habe auch dafür plädiert, das in die Tat umzusetzen. Er sei aber damals nicht gewahr gewesen, daß er damit den Grund gelegt habe zu einem späteren Sturz der Tyrannis23; denn Dion habe das, was er ihm sagte, mit einem Enthusiasmus aufgenommen, wie er ihn nirgends sonst bei einem jungen Manne gefunden habe. Auch habe er in der Tat danach gehandelt. Denn er wollte von da an sein Leben anders einrichten als die ungeheure Mehrheit der Bewohner von Italien und Sizilien, indem er die άρετή höher schätzte als Lust und Genuß. Diese 21 22

23

Ер. V I I , Ibid. 326 βαλέσθαι κούσας. Ibid. 327

von Fritz, Plato

326 ff. d/e: Socxev μήν τότε μηχανωμένψ τινί tfiv κρειττόνων άρχήν τίδν νδν γεγονότων πραγμάτων περί Δίωνα καΐ τδν περί Συραa.

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Lebensweise habe er bis zum Tode des ersten Dionysios fortgesetzt und sich dadurch bei den Förderern der Tyrannis unbeliebt gemacht. Nach dem Tode des Tyrannen aber habe er Hoffnung geschöpft, auch andere für Piaton und seine Ideen gewinnen zu können, darunter auch den Nachfolger des Tyrannen, den jüngeren Dionys, und habe deshalb Piaton herbeigerufen, um ihm dabei zu helfen24. In diesem Abschnitt des Briefes findet sich nichts, das, wie die Stelle über Piatons fortlebende Hoffnungen nach dem Tode des Sokrates, einerseits durch eine sorgfältige Analyse von Piatons Dialogen in ihrem Verhältnis zu anderer Literatur der Zeit bestätigt wird, andererseits von einem Fälscher nur schwer gewußt werden und ganz sicher nicht erfunden werden konnte. Aber er enthält doch zwei Äußerungen von solcher Dichte, daß der Fälscher schon eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein müßte. Das eine ist der Satz über die mögliche Einwirkung höherer Mächte. Der Ausdruck μηχανωμένψ τινί των κρειττόνων läßt es offen, ob diese höheren Mächte göttliche oder dämonische sind. Der unmittelbar folgende Satz aber: δέος δέ μή καΐ πλειόνων Ixt (sc. ύπό χινος χών κρειχχόνων άρχήν βεβλήσθαι,) έάν μή νΰν ύμεΐς έμοί πείθησθε xi δεύχερον συμβουλεύονχι scheint darauf hinzuweisen, daß es sich um eine dämonische Macht handelt, die ein Zusammentreffen von Umständen herbeigeführt hat, das es den Menschen überläßt, entweder durch weisen Gebrauch die Dinge zum Guten zu führen oder durch ihre Torheit ihren eigenen Untergang und ein schlimmes Ende des ganzen Unternehmens zu provozieren. Das zweite ist die Äußerung, er sei sich nicht bewußt gewesen, damit gewissermaßen den künftigen Sturz der Tyrannis betrieben zu haben. Das scheint in einem gewissen Widerspruch zu stehen zu der von Piaton in den Gesetzen geäußerten Ansicht25, daß die beste und leichteste Möglichkeit, eine gute Verfassung einzuführen, dann bestehe, wenn man einen mit absoluter Gewalt ausgestatteten Tyrannen dafür gewinnen könne, sie einzuführen. Später wurde denn auch 24 25

Ibid. 327 d/е. Gesetze IV, 709 d ff.

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allerhand davon gefabelt26, daß Piaton schon auf seiner ersten Reise nach Syrakus den Versuch gemacht habe, den ersten Dionys für sich zu gewinnen, und ähnliche Konstruktionen sind auch in unserer Zeit wieder aufgenommen worden, obwohl der damals schon jedermann bekannte Charakter des älteren Dionys ein solches Unterfangen in ganz anderem Ausmaße als absurd erscheinen lassen muß als denselben Versuch bei dem in seinen politischen Tendenzen noch unbekannten jüngeren Dionys. Aber das ist die Art von Spekulationen, die aufgrund der späteren Äußerungen Piatons und der Tatsache, daß er Syrakus schon zur Zeit der Herrschaft des ersten Dionys aufgesucht hatte, bei oberflächlich Urteilenden natürlich waren. Dagegen ist es in Wirklichkeit sehr natürlich, daß Piaton zu einer Zeit, als sich ihm zuerst aufgrund seiner Enttäuschungen in Athen und seiner weiteren Erfahrungen in Italien definitive Ansichten hinsichtlich der Grundlagen eines wirklich guten Staatswesens zu bilden begannen, diese Ansichten mit Enthusiasmus einem jungen Freund vorgetragen hat und beide davon gesprochen haben, daß man versuchen müsse, diese Ideen in die Tat umzusetzen, ohne sogleich ganz konkrete Vorstellungen zu haben, welche Folgen ein solcher Versuch, wenn er einmal unternommen würde, in der Realität haben werde oder haben könnte. Nachdem der Verfasser des Briefes ganz kurz von dem historischen Ursprung der Grundvoraussetzungen für alles spätere Geschehen gesprochen hat, kommt er zu der konkreten Situation, wie sie nach dem Tode Dionys' I. bestand, als Dion ihn einlud, nach Syrakus zu kommen. Hier zeigen sich nun sogleich jene Schwierigkeiten und Widersprüche, welche nach der Meinung der neuesten Kritiker die Unechtheit des Briefes beweisen sollen, bei denen aber zu untersuchen ist, ob sie sich nicht vielmehr aus der historischen Situation selbst ergeben, die in ihren gröbsten Umrissen unbezweifelbar bestanden hat und an deren Historizität in diesen Umrissen auch die Kritiker des Briefes keine Zweifel haben. 29

Plutarch, Dion 4/5; vgl. Diog. Laert. III, 1, 18; Olympiod., vit. Plat. Schon die Tatsache, daß es sich um Auseinandersetzungen zwischen Dionys I. und Piaton handelt, die jedesmal mit einem völligen Zerwürfnis enden, deren Inhalt aber jedesmal verschieden berichtet wird, beweist, daß es sich um spätere Erfindungen handelt.

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Der Brief berichtet also zunächst von der an Piaton ergangenen Einladung und ihrer Begründung27. Dion hatte gefunden, daß auch andere Männer in Sizilien, wenn auch, wie er sagt, nicht allzuviele, den platonischen Ideen zugänglich waren. Vor allem aber glaubte er, daß auch der junge Dionys „mit Hilfe der Götter" für diese Ideen gewonnen werden könne, und daß es dann mit dessen Hilfe möglich sein werde, ein für alle Beteiligten erstaunlich glückliches Leben zu verwirklichen. Dazu aber sei es dringend nötig, daß Piaton persönlich so schnell als möglich nach Sizilien komme. Denn er (Dion) habe zwar die größten Hoffnungen, Dionys II. für Piatons Ideen zu begeistern, und er habe auch schon Anzeichen für ein mögliches Gelingen. So habe sich Dionys auch schon von ihm überreden lassen, Piaton von sich aus nach Syrakus einzuladen. Aber es sei dringend nötig, daß er selbst komme, bevor andere auf den jungen Dionys Einfluß gewönnen und ihn auf ganz andere Bahnen brächten. Im übrigen schrieb Dion noch von der Mithilfe von Verwandten in der Einwirkung auf Dionys, die ebenfalls einen guten Erfolg erhoffen ließen28. Nach diesem kurzen Bericht über die beiden Einladungen von Dionys II. und Dion kommt der Piaton des Briefes auf seine eigene Reaktion darauf und die Gründe seines Entschlusses, die Einladung anzunehmen, zu sprechen28. Da steht gleich in der Mitte des ersten Satzes das Wort φόβος = Furcht: ihn habe Furcht erfaßt hinsichtlich der jungen Leute, wie das wohl ausgehen werde, da deren έπιθυμίαι, was sie wünschten und wonach sie strebten, schnell ins Leben träten, aber oft auch in entgegengesetzte Richtung auseinanderstrebten. Nur von Dion selbst habe er gewußt, daß er von Natur einen standfesten Charakter hatte und auch schon in einem reiferen Alter stand. Da er nun über diese Dinge mit sich zu Rat gegangen sei und sie sich hin und her überlegt habe, hätten die folgenden Überlegungen ihn dazu bestimmt, das Wagnis auf sich zu nehmen: 1. wenn man über" Ер VII, 327 с ff. 28 Ibid. 328 a: χούς τε α&τοδ άδελφιδοδς καΐ ιούς οικείους ώς εύπαράκλητοι εΤεν πρδς τόν δπ'έμοΟ λεγόμενον άεΐ λόγον καΐ βίον Ικανώτατοί τε Διονύσιον αυμπαρακαλεΐν. 29 Ibid. 328 b.

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haupt den Versuch machen wollte, das, was er sich über Gesetze und Verfassungen in Gedanken erarbeitet hatte, in die Praxis umzusetzen, dann müsse man es jetzt versuchen, da man durch die Überredung eines Einzelnen alle die wünschenswerten Dinge erreichen könne, um die es sich handle; 2. habe er sich geschämt, vor sich selbst als ein Mann zu erscheinen, der über die Dinge nur redet, aber nicht von sich aus auch Hand anlegen will; 3. endlich habe er sich gescheut, an der Freundschaft mit Dion Verrat zu üben, und das in einem Augenblick, in dem dieser sich in einer nicht geringen Gefahr befand. Dieser letzte Punkt wird dann noch in einer höchst eindrucksvollen Art weiter ausgeführt30. Der Piaton des Briefes stellt sich vor, wie Dion, von Dionys und seinen Feinden an dessen Hof außer Landes getrieben, zu ihm, Piaton, kommt und zu ihm sagt: „Ich komme zu dir als Flüchtling, nicht weil es mir an Hopliten und Reitern gefehlt hat, um meine Feinde abzuwehren, sondern weil es mir an Überzeugungskraft der Rede gefehlt hat, worin du doch so große Macht besitzest, junge Leute für das Gute und Rechte zu gewinnen und sie dazu zu bringen, sich darin miteinander zu verbinden. Deshalb stehe ich jetzt vor dir. Und das bringt dir noch nicht die größte Schande. Sondern daß du die Philosophie verraten hast, die du doch immer preist und von der du immer sagst, sie werde von den anderen Menschen gering geschätzt." Maddalena versucht zu zeigen31, daß diese ganzen Ausführungen des angeblichen Piaton des Briefes voll von Widersprüchen seien. Dion in seiner Einladung spricht von der Jugend des Dionys als ob diese eine positive Eigenschaft wäre. Der Piaton des Briefes zögert, der Einladung Folge zu leisten, weil er gegen junge Leute im allgemeinen mißtrauisch ist. Sollte Piatons Freund Dion von diesem generellen Mißtrauen Piatons nichts gewußt haben, das doch auch in Piatons Dialogen mehrfach zum Ausdruck gebracht wird? Piaton entschließt sich, die Einladung anzunehmen, weil es eine einzigartige Gelegenheit ist, seine Ideen in die Praxis umzusetzen. Das steht in seltsamen Kontrast mit den Befürchtungen, die er unmittelbar zuvor 30 31

Ibid. 328 d/е. A.a.O. 134 ff.

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geäußert hat. Aber noch mehr scheint es damit in Widerspruch zu stehen, daß er unmittelbar danach sagt32, er sei nicht aus den Gründen nach Sizilien gegangen, die ihm von manchen untergeschoben würden, sondern um Dion nicht in einer großen Gefahr im Stich zu lassen. Das erste setze voraus, daß Dion und Dionys Freunde sind, das zweite, daß sie Feinde sind. Die beiden Teile der Ausführungen ergänzten sich nicht gegenseitig, sondern stünden miteinander im krassesten Widerspruch. Das könne unmöglich so von Piaton geschrieben sein. Um überhaupt erklären zu können, daß selbst ein Fälscher so Widersprüchliches auf so engem Raum habe sagen können, glaubt Maddalena annehmen zu müssen, daß dieser den ganzen Passus aus Reminiszenzen aus platonischen Dialogen zusammengestoppelt habe. Diese Kritik Maddalenas ist ein seltsames Beispiel dessen, was ich gelegentlich die Widerspruchsphilologie genannt habe, eine Philologie, die Widersprüche aus Worten konstruiert, ohne ausreichend auf die Dinge zu schauen, die mit den Worten bezeichnet werden. Was aber die Sache angeht, so wird man sich wieder des Widerspruchs erinnern, daß Piaton faktisch an den Hof des jüngeren Dionys gegangen ist und mit seinen dortigen Bestrebungen faktisch unzweifelhaft Schiffbruch erlitten hat, obwohl ihm doch das Alter des jüngeren Dionys zu der Zeit, als die Einladung, nach Syrakus zu kommen, an ihn erging, nicht gut ganz unbekannt gewesen sein kann. Damit allein hat er sich schon mit den von Maddalena zitierten Äußerungen des Mißtrauens gegen junge Leute allgemein im Staat33 und im Symposion34 in Widerspruch gesetzt. Der Widerspruch liegt also in dem historisch faktischen Verhalten Piatons ganz unabhängig vom siebten Brief. Gerade wenn der Brief echt ist, muß er diesen Widerspruch notwendigerweise widerspiegeln. Die Frage ist nur, ob er das Verhalten Piatons verständlicher macht als es nach bloßer Kenntnis der historischen Tatsachen erscheinen würde, oder ob er eine so krude und oberflächliche Erklärung gibt, daß sie Piaton nicht zugetraut 32 33 84

Ер. VII, 328 c/d. Piaton, Staat III, 412 d. Symposion 181 e; vgl. auch Gesetze IV, 709 c, was aber aus späterer Erfahrung stammen könnte.

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werden kann. Man muß also zusehen, wie sich die historische Sachlage in dem Brief widerspiegelt. Da Piaton die Einladung angenommen hat, muß sie ein Element der Hoffnung enthalten haben. Wenn Dion Piaton dazu veranlassen wollte, nach Sizilien zu kommen, muß er dieses Element der Hoffnung hervorgehoben haben. Das Element der Hoffnung lag bis zu einem gewissen Grade in der Jugend des Dionys: daß sein Charakter noch bildsam erschien, und in dem weiteren Umstand, daß Dion selbst annahm, einen gewissen Einfluß auf ihn gewonnen zu haben, den er noch durch den Einfluß anderer gemeinsamer Verwandter verstärken zu können hoffte. Daß in dieser selben Jugendlichkeit des Dionys ein Element der Unsicherheit lag, versteht sich von selbst, und daß der ältere Piaton dem jüngeren Dion gegenüber dieses Element stärker einschätzte als dieser, wozu aber, wie sich zeigen wird, bei Dion noch andere Ursachen für seine von Piaton etwas abweichende Haltung hinzukamen, wäre ebenfalls nicht verwunderlich. Da wäre nun die natürlichste Reaktion des Philosophen die gewesen, abzuwarten, wie sich der junge Mann entwickeln würde, ehe er selbst sich auf den Weg machte, um zu sehen, ob sich etwas für seine politischen Ideen durch Dionys verwirklichen ließe. Nichts spricht dagegen, daß dies auch die erste Reaktion Piatons gewesen ist. Aber nun enthielt der Einladungsbrief Dions nach der Angabe des siebten Briefes einen von Maddalena gänzlich vernachlässigten Passus, der den Schlüssel zu dem Ganzen enthält: es sei nötig, so schnell als möglich zu kommen und allen Einfluß, den der große Philosoph ausüben konnte, geltend zu machen, ehe andere, die mit Dionys zusammenträfen, möglicherweise seinem Leben und seinen Bestrebungen eine andere Richtung gäben. Diese anderen werden hier nicht mit Namen genannt. Aber die historische Überlieferung weiß zu berichten35, Philistos, der intimste Berater des alten Dionys, ein Mann, der schon jenem behilflich gewesen war, zur Macht zu gelangen, und der jede Einschränkung der absoluten Macht des Tyrannen für einen politischen Fehler hielt, sei damals von Syrakus abwesend gewesen. Man habe seine Rückkehr erwartet. Was von dem Einfluß dieses 35

Plutarch, Dion 11.

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Mannes auf den jungen Tyrannen zu erwarten war, wenn er nicht schon vor seiner Rückkehr fest in die Hände Dions und seiner Freunde gekommen war, war nicht schwer zu erraten. Auch Piaton muß von Charakter und Einfluß des Mannes gewußt haben. Dion konnte also nicht umhin, diese Seite der Situation zu erwähnen, ganz abgesehen davon, daß er im Falle der ganz unwahrscheinlichen Uninformiertheit Piatons in dieser Hinsicht ein schlechter Freund gewesen wäre, wenn er Piaton von der von dieser Seite her drohenden Gefahr nicht unterrichtet hätte. Der siebte Brief setzt voraus, daß er dies getan hat, wenn auch der Name des Philistos in ihm an dieser Stelle nicht genannt wird und nur von den έντυχόντες die Rede ist. In dem Briefe Dions muß aber, wie der siebte Brief ausdrücklich bemerkt36, mehr und Ausführlicheres gestanden haben als was Piaton daraus zitiert. Der Sache nach war es nun natürlich, daß die Kenntnis der von dem möglichen Einfluß des Philistos auf Dionys her drohenden Gefahr, die Piaton auf keinen Fall völlig entgangen sein kann, wenn man nicht annehmen will, daß er sich völlig blind in das sizilische Abenteuer stürzte, ihn erst recht zum Zögern und Abwarten veranlasst hätte. Man versteht kaum, daß er auf die Einladung hin sofort nach Syrakus gefahren ist. Aber es ist ja ein bezeugtes historisches Faktum, daß er es getan hat. Eben hier erfährt man nun aus dem siebten Brief das Motiv, das das sonst Unerklärliche erklärt: daß Dion gerade diese drohende Gefahr dazu benützte, um Piaton zum sofortigen Kommen zu bewegen, um ihr auf diese Weise noch zuvorkommen zu können. Darüber hinaus gibt der siebte Brief ein eindrucksvolles Bild von dem Dilemma, in dem sich Piaton infolge der an ihn ergangenen Einladung befand. Dieses Bild enthält Elemente, von denen man nichts wüßte, wenn es den siebten Brief nicht gäbe: aber wiederum solche, die erklären, was sonst unerklärlich erscheinen müßte. Gemäß seiner Kenntnis von der Unfertigkeit des Charakters des jüngeren Dionys und seiner Erfahrung, daß unfertige junge Leute sich leicht von den entgegengesetztesten Einflüssen hin- und herziehen lassen, die bei 38

Ер. VII, 328 b: τά μέν δή παρακελεΰματα ήν ταΟτά τε καΐ τοιαΰτα Ιτερα πάμπολλα.

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einem jungen eben zur Regierung gekommenen Tyrannen sich noch besonders stark geltend machen mußten, gab sich Piaton keineswegs enthusiastischen Hoffnungen hinsichtlich des Gelingens des von Dion vorgeschlagenen Unternehmens hin. Und doch war es, wenn eine Möglichkeit des Gelingens bestand, die eine große Gelegenheit. Viele Jahre lang hatte Piaton von der Reformbedürftigkeit aller bestehenden Staatswesen gesprochen und in seiner bis dahin bei Weitem umfangreichsten Schrift das Idealbild eines Staates entworfen. Sollte er jetzt, wo sich - nicht in einer unbedeutenden Stadt Kleinasiens, sondern in der bedeutendsten Griechenstadt des Westens, die ihre Herrschaft und ihren Einfluß schon über ein großes Gebiet ausgedehnt hatte und ihn unter günstigen Umständen noch weiter ausbreiten konnte - eine Aussicht auf Verwirklichung seiner Ideen bot, aus Ängstlichkeit von einem Versuch, zu dem er aufgefordert wurde, zurückstehen? Edelstein wendet gegen die Stelle ein37, von dem Theoretiker als einem bloßen Wort (ψιλός λόγος) zu sprechen, wie es im siebten Brief geschieht, sei unplatonisch. Diese Äußerung im siebten Brief gehe sowohl gegen den Geist wie gegen den Wortlaut von Piatons Staat. Denn nach diesem „theory precedes action; being normative it stands higher in the scale of values". Aber an der Stelle des siebten Briefes handelt es sich nicht um Feststellung einer absoluten Scala der Werte, sondern um eine persönliche Entscheidung. Zur Zeit als Piaton den Staat schrieb, war er schon zu einer Auffassung des menschlichen Lebens gekommen, die es ihm für den Philosophen nicht wünschenswert erscheinen ließ, seine vita contemplativa zu Gunsten aktiver politischer Tätigkeit einzuschränken. Trotzdem spricht er in dieser Schrift die Meinung aus, daß der Philosoph die Pflicht habe, in einem Staat, der nicht, wie die gegenwärtigen Staaten, der Philosophie entweder gleichgültig oder feindlich gegenüberstehe, sondern alles tue, um sie zu fördern, sich an der Herrschaft und der Lenkung des Staates zu beteiligen38. Sollte da nicht der Mann, der die Meinung ausgesprochen hatte, daß es mit den Staaten nicht besser werden könne, 37 38

Edelstein, a.O. 16 ff. Piaton, Staat VII, 520 a/b.

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ehe nicht die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen würden, es für seine Pflicht gehalten haben, an der Schaffung eines solchen Staates mitzuwirken, wenn sich eine Möglichkeit dazu böte? Und wird nicht eben dies vortrefflich, wenn auch etwas zugespitzt, ausgedrückt, wenn der Piaton des Briefes sagt30: „Ich schämte mich, vor mir selber als bloßes Gerede dazustehen und als einer, der nicht dazu gebracht werden kann, von sich aus (bei der Verwirklichung dessen, was er in seinen λόγοι immer empfohlen hatte) mit Hand anzulegen?" Doch wird auf diesen Aspekt der Situation noch mehrfach zurückzukommen sein. Das letzte Motiv endlich, das nach Angabe des Briefes einen bestimmenden Einfluß ausgeübt hat, hängt mit dem zuletzt erörterten auf das engste zusammen. Piaton hatte nicht nur allgemein gepredigt, daß in einem guten Staat die Philosophen herrschen oder die Herrscher Philosophen sein müßten und daß ein solcher Staat am leichtesten ohne Gewalt ins Leben gerufen werden könne, wenn es gelänge, einen absoluten Herrscher für die Philosophie zu gewinnen, sondern er hatte auch bei seinem ersten Aufenthalt in Sizilien Dion für diese seine Ideen gewonnen. Dion hatte, wenn man den Angaben des siebten Briefes darin trauen darf, seine eigene Lebensführung nach den Prinzipien Piatons geändert. Aber von der Möglichkeit, eine große staatliche Umwälzung im Sinne Piatons herbeizuführen, konnten sie damals naturgemäß höchstens am Rande sprechen, da in Syrakus jedenfalls an Derartiges zu Lebzeiten des älteren Dionys gar nicht zu denken war. Der früher erwähnte Satz des Briefes έγώ συγγενόμενος Δίωνι τότε νέψ κινδυνεύω άγνοεΐν δχι τυραννίδας τινά τρόπον κατάλυσιν έσομένην μηχανώμενος Ιλαθον έμαυτόν gibt diesem Aspekt der Situation einen sehr adaequaten Ausdruck. Aber nun sah Dion die Möglichkeit einer Verwirklichung der platonischen Ideen im Großen. Nicht nur das: es selbst hatte schon die ersten Schritte getan. Er war sich bewußt, daß der Ausführung nicht zu unterschätzende Hemmnisse im Wege standen. Er rief Piaton auf, ihm bei ihrer Beseitigung zu helfen. Was sollte Piaton м

Ер. VII, 328 c.

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in dieser Lage tun? Wenn seine Bedenken zu groß waren, um der Aufforderung Folge zu leisten, konnte er eines von zwei Dingen tun: Dion den dringenden Rat geben, mit seinen Versuchen der Beeinflussung des jüngeren Dionys aufzuhören, weil dabei nach aller Wahrscheinlichkeit doch nichts Gutes herauskommen könne, und sich von der Politik zurückzuziehen, wobei jedoch, da Dions Versuche nun einmal begonnen hatten, damit zu rechnen war, daß Dion der politischen Verfolgung durch die Anhänger des Philistos, deren Mißtrauen er erregt haben mußte, um so weniger entgehen würde, wenn er ihnen das Feld kampflos überließ. Oder Piaton konnte seinerseits untätig zusehen, wie die Dinge gehen würden, und also den Freund in der schwierigen Situation, in welche er selbst ihn durch seine Lehren gebracht hatte, im Stich lassen. Stattdessen fühlte sich Piaton verantwortlich für die Folgen dessen, was er gepredigt hatte, und der Tatsache, daß er es gepredigt hatte. Aus diesem Verantwortungsgefühl heraus stieg nach der Darstellung des Briefes das Bild des verbannten Freundes vor ihm auf, des Freundes, der deshalb hatte in die Verbannung gehen müssen, weil er ihm, Piaton, gefolgt war und er, Piaton, ihn dann im Stich gelassen hatte. Wäre nun Piaton der völlig festen Überzeugung gewesen, daß das Unternehmen Dions unter allen Umständen aussichtslos sei, so hätte er immer noch keinen Anlaß gehabt, nach Sizilien zu gehen, da er dann seinem Freund ohnehin nicht helfen konnte. Aber so war es doch wiederum nicht. Was Dion über die Neigung des jungen Herrschers zur Philosophie zu berichten wußte, klang sehr positiv; und wenn auch aus allgemeiner Erfahrung auf eine solche Begeisterung bei jungen Leuten nicht viel Verlaß war, so erschien ein Erfolg doch als möglich. War dies aber so und haben die drei genannten Motive zusammen Piatons Entschluß bestimmt, so mußte in der Erklärung seines Verhaltens die Möglichkeit des Erfolges notwendig an die Spitze gestellt werden, da ohne den Glauben an sie die Entscheidung Piatons als unsinnig erscheinen mußte, wenn auch der Entschluß aufgrund dieses Glaubens allein vermutlich niemals gefaßt worden wäre. So stimmt in Wirklichkeit alles, was im siebten Brief über die Gründe des Entschlusses gesagt wird, auf das engste zusammen

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und erklärt damit zugleich historische Tatsachen, die sonst unerklärlich wären. Was nun im siebten Brief über die Lage Piatons bei Erhalt der Einladung und über seine Motive, sie anzunehmen, zutage kommt, ist alles sehr menschlich und tut dem Charakter Piatons Ehre. Aber - und es ist für das Verständnis aller Implikationen des Geschehens grundlegend wichtig, dies auf das Klarste herauszustellen - es ist nicht sokratisch. Aufgrund alles dessen, was über Sokrates' Leben und Philosophieren bekannt ist, darf man wohl ohne Risiko eines schweren Irrtums sagen, daß Sokrates nie in eine solche Lage gekommen wäre, wie die Piatons es war, als er die Einladung des jüngeren Dionys erhielt, auch abgesehen davon, daß Sokrates seine Lebensaufgabe offenbar immer als auf seine Vaterstadt Athen beschränkt betrachtet hat und niemals den geringsten Drang danach verspürt zu haben scheint, auf die Weltereignisse außerhalb Athens einzuwirken. Implicite enthielten die Fragen, mit denen Sokrates seine Mitbürger plagte, gewiß auch eine Kritik an der Demokratie als Institution und später an der Oligarchie, wie sie die Dreißig verstanden. Aber unmittelbar scheint er nie an den Institutionen als solchen Kritik geübt zu haben, sondern immer nur an den Einzelnen, deren Unvollkommenheiten und Torheiten er ans Licht zu ziehen sucht, um sie auf einen besseren Weg zu bringen. Das sehr einfache Leitmotiv seines Lebens scheint gewesen zu sein, unter keinen Umständen selbst Unrecht zu tun, und andere davon abzuhalten, unrecht oder unweise zu handeln, aber dies nicht durch Moralpredigten sondern durch seine kritischen Fragen. Er hat wohl nicht nur, wie bei dem Arginusenprozess und bei der Aufforderung, den unschuldigen Leon von Salamis zu verhaften, sich standhaft geweigert, sich an einer Handlung, die er für unrecht hielt, zu beteiligen, sondern es wohl auch für recht gehalten, sich einer Unrechten Handlung mit Gewalt zu widersetzen40. Aber wenn er anläßlich der tumultuarischen und ungesetzlichen Verurteilung des Theramenes zum Tode, als dieser zur Hinrichtung abgeführt werden sollte, einen Versuch machte, ihn 40

Vgl. Diodor IV, 5.

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mit Hilfe seiner Mitbürger mit Gewalt zu befreien, so besteht doch keinerlei Anlaß für die Annahme, daß er dies aus einem anderen Grunde getan hätte als weil er das Verfahren für widergesetzlich hielt, oder daß er dabei gar etwa durch eine besondere Verpflichtung Theramenes gegenüber bestimmt worden wäre. Er ließ auch von dem Versuch ab, als Theramenes selbst ihm bedeutete, daß er aussichtslos sei. Wenn jemand in Schwierigkeiten oder Gefahr kam, weil er recht gehandelt hatte, und wenn er recht gehandelt hatte, weil er unter den Einfluß des Sokrates gekommen war, so dürfte Sokrates der Meinung gewesen sein, daß ein solcher Mann, wenn man ihm nicht helfen konnte, diese Folgen seines Rechthandelns hinnehmen müsse, so wie Sokrates selbst den Tod als Folge seiner den einflußreichen Politikern unbequemen Kritik mit Stolz und ohne Klagen hingenommen hat. Das ist vielleicht eine einseitige Haltung. Aber eine Haltung von großartiger Konsequenz. Um zu sehen, daß Piaton von dieser Haltung des Sokrates abgewichen ist - obwohl sich zeigen wird, daß er in gewisser Hinsicht ohne Erfolg an ihr festzuhalten versucht hat - bedarf es nicht des siebten Briefes. Schon daß Piaton einen Idealstaat konstruiert hat - man darf vielleicht sagen, einen Staat, in dem Sokrates nicht hingerichtet worden wäre, aber ohne zu merken, daß es in diesem Staat einen Sokrates, den unaufhörlichen Kritiker, gar nicht hätte geben können41 - ist eine solche Abweichung. Die Konstruktion eines solchen Staates, wenn sie nicht sinnlos sein sollte, mußte unabweislich zu dem Bestreben führen, wenigstens irgend etwas ihm mehr oder minder Ähnliches zu realisieren. Das wiederum führte unvermeidlich ш einer gewissen Verpflichtung, wenn jemand, durch die Theorie veranlaßt, einen bis zu einem gewissen Grade aussichtsreichen Versuch zu seiner Verwirklichung unternahm, nicht völlig untätig beiseite zu stehen. Aber Sokrates hatte nach Piatons eigenem Zeugnis42 es konsequent abgelehnt, sich aktiv politisch zu betätigen, weil seiner Meinung nach ein Mann von seinen Prinzipien dabei nicht lange 41 42

Vgl. Piaton, Staat VI, 479 b. Piaton, Apologie 31 d/e.

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überleben könne und die Erfüllung seiner Aufgabe den Einzelnen gegenüber wichtiger sei. Piaton mag des Glaubens gewesen sein, daß die Gefahr, von der Sokrates sprach, vor allem in einer Demokratie wie der athenischen des 5. Jahrhunderts gegeben sei. Er selber ist ja auch, wenn auch unter einigen Fährlichkeiten, mit dem Leben davongekommen. Aber seine Abweichung von dem sokratischen Prinzip hatte andere Konsequenzen, die sich im folgenden zeigen werden. Auch am Schluß des Abschnittes findet sich noch einmal eine Überlegung, die nicht ganz sokratisch ist. Er habe, sagt der Piaton des Briefes43, als er nach Sizilien ging, eine nicht unrühmliche Tätigkeit verlassen - womit natürlich seine Lehrtätigkeit an der Akademie gemeint ist, - und sich unter eine Tyrannis begeben, die nicht mit ihm und dem, was er immer gepredigt hatte, zusammenzupassen schien. Da kann man natürlich wieder einen Widerspruch damit finden, daß Piaton selbst in den Gesetzen die Überredung eines Tyrannen als den besten Weg zur Errichtung eines idealen Staatswesens bezeichnet44. Aber ganz abgesehen davon, daß diese Äußerung aus einer Schrift stammt, die erst nach dem Tode Piatons veröffentlicht worden ist, hat Piaton in seinen Schriften die Tyrannis selbst immer als die an sich schlechteste Staatsform bezeichnet. Er selbst konnte in sich eine Rechtfertigung dafür finden, daß er zu dem Tyrannen ging. Aber für die nicht mit seinen Gedanken Vertrauten mußte es unvermeidlich so scheinen, als ob auch Piaton den Lockungen eines Tyrannenhofes nicht hätte widerstehen können; und die antike Literatur enthält auch genug Spuren davon, daß ihm das zum Vorwurf gemacht worden ist. Das δοκοΰσαν des Briefes bezieht sich also offensichtlich wiederum auf die Verkennung seiner Motive durch eine verbreitete öffentliche Meinung, die ihm doch schmerzlich gewesen zu sein scheint, während Sokrates, wenn dem Zeugnis seiner Schüler zu glauben ist, sich der Verdammung durch eine öffentliche Meinung gegenüber in erstaunlichem Maße immun erwiesen hat.

43 44

Ер. VII, 329 a/b. Gesetze IV, 709 a.

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3. Im unmittelbar folgenden Abschnitt berichtet Piaton45 dann zunächst in äußerster Kürze über die Ereignisse nach seiner Ankunft in Sizilien. Inzwischen war einige Zeit vergangen, seit die Einladungen an ihn abgegangen waren, und als er endlich ankam, scheinen sehr bald seine schlimmsten Erwartungen übertroffen worden zu sein. Der Kampf um das Ohr des jüngeren Dionys war in vollem Gange. Die Gegner Dions flüsterten dem Tyrannen ein, Dion habe es nur darauf abgesehen, ihn der Herrschaft zu berauben und sich an seine Stelle zu setzen. Piaton versuchte, so sehr er konnte, dem entgegenzuarbeiten. Aber sein Einfluß war nicht groß genug. Schon im vierten Monat nach seiner Ankunft wurde sein Freund Dion des Landes verwiesen. Was Piaton befürchtet hatte, daß geschehen könne, wenn er seinem Freund nicht zu Hilfe komme, war trotz seiner Hilfe in kürzester Zeit eingetreten. Für einige Zeit schien er selbst und mit ihm die übrigen Freunde Dions in unmittelbarer Gefahr. Nach Angabe des siebten Briefes ging eine Zeit lang sogar das Gerücht um, Dionys habe Piaton töten lassen46. In Wirklichkeit schlug jedoch die Stimmung des Tyrannen zunächst um. Er fürchtete den Einfluß auf die öffentliche Meinung, wenn sein Konflikt mit dem damals schon berühmten Philosophen bekannt würde, und wohl auch eine heftige Reaktion der Anhänger des Dion in Syrakus. Er behandelte Pia ton daher mit großer Freundlichkeit und bat ihn zu bleiben. Und - wie der Verfasser des Briefes sagt - da die Bitten der Tyrannen immer mit einer gewissen Nötigung verbunden sind, machte er es Piaton unmöglich, das Land zu verlassen, und nahm ihn zu sich auf die Burg47. Auf diesen kurzen Bericht über die Hauptereignisse folgt wiederum ein Passus, der Maddalena Anlaß gegeben hat, die Echtheit des 45 48

47

Е р . V I I , 329 с ff. Ibid. 329 c: περί ί'έμοϋ καΐ διήλθε λόγος τις έν Συρακούσαις, ώς τεθνεώς εΤην δπό Aiovuotou τούτων ώς πάντων των τότε γεγονότων αίτιος. Ibid. 329 е.

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Briefes zu bestreiten, der aber, wie mir scheint, wenn richtig interpretiert, vielmehr ein sehr gewichtiges Zeugnis für seine Echtheit ist. Unter den gegebenen Umständen hätte kein Schiffsbesitzer, sagt der Brief48, es gewagt, Piaton an Bord zu nehmen, ohne daß Dionys ausdrücklich die Anordnung dazu gegeben hätte. Eines besonderen Verbotes der Ausreise durch Dionys hätte es dazu gar nicht bedurft, und dies umso mehr, als inzwischen sich die Nachricht verbreitet hatte, daß Piaton bei Dionys wieder in höchster Gunst stünde. Das nun sei wieder, meint Maddalena49, eine ganz und gar törichte Erfindung des Verfassers des Briefes. Daß niemand es gewagt hätte, den Pia ton auf sein Schiff zu nehmen, wenn bekannt war, daß ein Konflikt zwischen ihm und dem Tyrannen bestand, das könne man verstehen. Aber wie hätte es ein Hindernis für die Ausreise sein sollen, wenn man wußte oder zu wissen glaubte, alle Mißhelligkeiten seien überwunden und der Philosoph sei wieder in höchsten Gnaden aufgenommen. Dies ist nun ein Musterbeispiel jener verbreiteten philologischen Methode, welche Schwierigkeiten des Verständnisses auf die bequemste Weise dadurch beseitigen zu können glaubt, daß sie das, was dem Verständnis auf den ersten Blick Schwierigkeiten bereitet, einem Fälscher oder Interpolator zuschreibt, den man sich dann jeweils so töricht vorstellen kann wie man will, ohne zu bedenken, daß der Interpolator oder Fälscher sich bei seiner Fälschung doch auch etwas gedacht haben muß und daß man also, wenn es sich nicht um eine Zufallsinterpolation handelt, die aus einer Randbemerkung eingedrungen ist, nach den Gründen der Erfindung fragen muß, wobei sich dann vielleicht ergeben kann, daß das Gesagte gar nicht so töricht ist und daher gar kein Grund besteht, es einem Fälscher in die Schuhe zu schieben. Bei einem Dokument, das, ob echt oder gefälscht, jedenfalls, wie selbst von Edelstein zugegeben 48

"

Ibid.: οδτ'δν ϊμπορος οδτε των έν ταΐς τής χώρας έξόδοις άρχόντων οδδ' äv εις περιεΐδέν με μόνον έκπορευόμενον, δς ούκ äv συλλαβών ευθέως παρά Διονόσιον πάλιν άπήγαγεν, άλλως τε καΐ διηγγελμένον ήδη ποτέ τοδναντίον ή τό πρδτερον πάλιν, ώς Πλάτωνα Διονύσιος θαυμαατως ώς άσπάζεται. A.a.O. 149.

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wird, doch recht bemerkenswerte Fähigkeiten des Verfassers verrät50, erscheint ein solches Verfahren methodisch noch in besonderem Maße unangebracht. Tatsächlich ist das, was der Verfasser des Briefes an dieser Stelle schreibt, wenn man sich die Situation konkret vor Augen stellt, alles andere als unglaublich, sondern dieser durchaus angemessen. Dionysios hatte den schon damals berühmten Philosophen auf eine sehr ehrenvolle Weise eingeladen. Dann war von einem Konflikt die Rede gewesen. Manche munkelten sogar, der Tyrann habe den Philosophen töten lassen. Aber dann stellte sich heraus, daß der Philosoph am Leben war und im Schloß des Tyrannen wohnte. Zuletzt war davon die Rede, daß wieder ausgezeichnete Beziehungen zwischen dem Tyrannen und dem Philosophen herrschten. Hätte nun die Enttäuschung des Tyrannen über den Philosophen sich so geäußert, daß er ihn mit Verachtung von seinem Hofe verstieß, so hätte man wohl kein Bedenken gefunden, den Philosophen auf seine eigenen Kosten auf einem Handelsschiff aufzunehmen und nach Athen zurückzubringen. Aber wenn er bei dem Tyrannen in hohen Ehren zu stehen schien, dann durfte man ja wohl erwarten, daß der Tyrann ihm einen feierlichen Abschied zuteil werden ließ51. Kam dann der Philosoph ohne Geleit zum Hafen, um sich nach einer Reisemöglichkeit umzusehen, so mußte dies naturgemäß den Verdacht erregen, daß wieder etwas vorgefallen sei, zumal da schon vorher einmal von einem Zerwürfnis die Rede gewesen war. Da war es doch sicherer abzuwarten als zu riskieren, dem Tyrannen zu mißfallen. Das ist, wenn man die Situation in allen ihren Implikationen in Betracht zieht, völlig natürlich. Aber wie hätte ein Fälscher auf eine solche Edelstein a.O., S. 4: „an interesting and rather important interpretation of Plato's life and doctrine, which must go back to the first decade after his death." Vgl. auch ibid. S. 168/69. Vgl. Plutarch, Dion 13 über den Empfang, den Dionys I I . Piaton bei seiner ersten Ankunft bei ihm bereitet hatte: καΐ γάρ δρμα των βασιλικών αΰιω παρέστη κεκοαμημένον διαπρεπως άποβάντι τ?)ς τριήρους καΐ θυσίαν Ιθυσεν δ τύραννος ώς ευτυχήματος μεγάλου τη άρxfj προσγεγονότος. Wie sollte es da kein Aufsehen erregen, wenn der Mann, der so empfangen worden war, sich sang- und klanglos aus dem T-and schleichen wollte ?

von Fritz, Plato

4

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Bemerkung verfallen können, die man sich erst genauer überlegen muß, um den Zusammenhang zu verstehen! Nur derjenige, der selbst in der Situation gewesen war, konnte den Zusammenhang so plausibel finden, daß er ohne jede weitere Erklärung in einem Nebensatz darauf hinweist. Der Passus spricht also nicht gegen, sondern sehr gewichtig für die Echtheit des Briefes. Die zuletzt behandelte Stelle ist also von Bedeutung für die Frage der Echtheit des Briefes. Außerdem erklärt sie, warum Piaton nach der Verbannung Dions zunächst in Syrakus blieb: weil er nicht anders konnte. Dagegen gibt sie nichts aus für das tiefere Verständnis von Piatons Verhalten und die Motive seiner weiteren Entscheidungen. Dies ist jedoch bei dem nun weiter folgenden Abschnitt im höchsten Grade der Fall. Der Verfasser des Briefes, den man nun nach so viel inneren Zeugnissen für die Echtheit des Briefes wohl Piaton nennen darf, gibt zunächst einen sehr kurzen Bericht über den weiteren Verlauf seines Aufenthaltes in Syrakus 52 . Der junge Tyrann gewann Gefallen an dem Umgang mit dem Philosophen. Aber in seiner Unreife wurde er eifersüchtig: er wollte Dion bei ihm ausstechen. Als ihm dies nicht gelang, gewannen die Einflüsterungen der Gegner Dions wieder die Oberhand bei ihm. Er fürchtete, daß Dion hinter den politischen Lehren stünde, die Piaton ihm vortrug, und daß er in seiner politischen Bewegungsfreiheit beeinträchtigt würde, wenn er auf Piatons Ratschläge hörte. So, sagte Piaton, habe er weiter sein Ziel verfolgt, den jungen Tyrannen für seine politischen Ideen zu gewinnen soweit sich dies etwa noch als möglich erweisen sollte. Aber die Widerstände seien stärker gewesen als er. So sei er schließlich wieder nach Hause zurückgekehrt 53 . Daß Piaton keine Angabe darüber macht, wie es ihm schließlich doch gelang, die Abreise zu ermöglichen, ist auch als Indiz für die Unechtheit des Briefes betrachtet worden, obwohl doch eine einfache Überlegung lehren sollte, daß Piaton das höchste Interesse daran haben mußte, zu erklären, warum er überhaupt nach Syrakus gekommen und dann nach der Verbannung Dions so lange dort ge52

»

Ер. VII, 330 a ff. Ibid. 330 c.

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blieben war, da darüber alle möglichen seinem Ansehen als Philosoph abträglichen Gerüchte umliefen, daß er aber schlechterdings keinen Anlaß hatte, die Welt im Einzelnen darüber aufzuklären, wie ei schließlich von dort weggekommen war. Ein Fälscher hätte viel eher Interesse daran gehabt, die Neugier seiner Leser in dieser Hinsicht zu befriedigen. Was an den Umständen der Abreise von Syrakus für die weiteren Ereignisse relevant war, hat Piaton ohnehin an einer späteren Stelle des Briefes erwähnt54. An dieser Stelle unterbricht jedoch Piaton die Darstellung der Ereignisse und schiebt eine Erörterung ein über die Prinzipien, nach denen er bei dem Umgang mit Dion gehandelt habe. Dieser Abschnitt ist vom höchsten Interesse. Piaton vergleicht die Tätigkeit des politischen Ratgebers mit der eines Arztes55. Wenn dieser zu einem Kranken gerufen werde, der durch eine falsche Lebensführung seine Gesundheit ruiniert habe, dann solle er ihn auffordern, seine Lebensführung zu ändern; und wenn der Kranke ihm darin gehorche, dann solle er die weitere medizinische Behandlung übernehmen. Tue er dies aber nicht, dann solle er sich weigern, ihn weiter zu behandeln. So sei es auch in der Politik. Gleichgültig ob es sich um eine Monarchie oder eine Republik handle: wenn diese nicht auf dem rechten Wege wandelten und sich auch nicht reformieren wollten, sondern bei Todesstrafe verböten, die bestehende politische Ordnung zu stören, gleichwohl aber in Einzeldingen Rat haben wollten, wie man dieses oder jenes Ziel am besten erreichen könne, dann solle man sich weigern, ihnen einen solchen zu geben. So habe er es gehalten. Ferner, wenn jemand ihn überhaupt nicht um Rat frage, dann werde er sich ihm nicht als Ratgeber aufdrängen. Noch viel weniger aber werde er sich dazu zwingen lassen. Wiederum stellt sich hier die Frage, wie sich dies zu sokratischen Prinzipien des Handelns verhält. In der Weigerung, einer Regierung, die nicht auf dem rechten Wege wandelt, praktische Ratschläge zu geben, steckt zweifellos das sokratische Prinzip, unter keinen Umständen sich an einem Unrecht zu beteiligen. Der Begriff des Unrechts 54 55

Ibid. 338 a ff. Ibid. 330 d.

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ist dabei freilich sehr weit gefaßt, weiter vielleicht als es für den historischen Sokrates unzweideutig bezeugt ist. Aber es steht in vollem Einklang mit den Vorwürfen und Anschuldigungen, die Sokrates in Piatons „Gorgias"5" gegen die großen athenischen Staatsmänner und Politiker Themistokles und Perikles erhebt: sie seien groß darin gewesen, dem Volke das zu verschaffen, was es haben wollte, gleichgültig ob dies für das Volk wirklich gut gewesen sei oder nicht. Sie hätten nicht wie verantwortliche Ärzte gehandelt, sondern wie verantwortungslose Zuckerbäcker, welche die Kinder verleiten, sich mit Süßigkeiten den Magen zu verderben. Sich nicht dazu zwingen zu lassen, in zweifelhaften Dingen Rat zu erteilen, ist natürlich ganz und gar sokratisch. Etwas weniger vielleicht das Prinzip, seinen Rat niemand aufzudrängen, der nicht darum nachgesucht hat. Sokrates scheint ja nach dem übereinstimmenden Zeugnis der Sokratiker überhaupt nicht sehr viel direkten Rat erteilt zu haben. Er stellte vielmehr seine Fragen. Die hat er allen Zeugnissen nach aber gerade auch an diejenigen gestellt, die kein Bedürfnis danach hatten, sich den bohrenden Fragen des Sokrates zu stellen. Aber ihren wesentlichsten Zügen nach sind die von Piaton hier aufgestellten Prinzipien zweifellos sokratisch. Wiederum ergibt sich jedoch die Frage, ob der wirkliche Piaton und der Piaton des Briefes sich mit diesen Prinzipien praktisch in Widerspruch gesetzt hat. Nach einem kurzen Zusatz, der Piatons Prinzipien in besonderen Fällen noch weiter auseinandersetzt und auf den noch zurückzukommen sein wird, kommt Piaton auf die Ratschläge zu sprechen57, die er und Dion dem jüngeren Dionys gegeben haben, was also noch gleich in den ersten drei Monaten nach Piatons Ankunft in Syrakus der Fall gewesen sein muß. Maddalena bemerkt58, daß Piaton nach dem Bericht des siebten Briefes dem jungen Dionys zwei Arten von Ratschlägen gegeben hat: einen Ratschlag moralischer Art, der die Änderung seines Lebens im Sinne Piatons verlangt. Solche Ratschläge zu geben war zweifellos von den vorher mitgeteilten 58

" 58

Piaton, Gorgias 515 b ff. Ер. VII, 331 d ff. A.a.O. 175/6.

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Prinzipien aus legitim. Der zweite Ratschlag dagegen war praktischer Art: sich der Unterstützung durch zuverlässige Freunde und Mitarbeiter zu versichern, um nicht in dieselbe Lage zu kommen, wie sein Vater und Vorgänger Dionys I., der, nachdem er in Sizilien eine große Menge von Städten, die von den „Barbaren", d.h. den Karthagern, verwüstet worden waren, eingenommen hatte, nicht imstande gewesen war, daselbst mit der Hilfe von Mitarbeitern, sei es fremder sei es selbst seiner eigenen Brüder, stabile politische Verhältnisse zu schaffen, weil es ihm nicht gelang, weder durch Überredung noch durch Erziehung oder Belehrung noch durch Wohltaten und Gunstbeweise oder durch die natürliche Blutsverwandschaft, in irgend einem von ihnen einen zuverlässigen Teilhaber seiner Herrschaft zu finden. Diesen praktischen Ratschlag, meint Maddalena, hätte Piaton nach seinen eigenen Prinzipien nicht geben dürfen, da Dionys den ersten nicht befolgt hat. Der Verfasser des Briefes komme also innerhalb weniger Seiten mit sich selbst in Widerspruch, was nur daraus zu erklären sei, daß er seine Fälschung aus unzusammenhängenden und mißverstandenen Stücken aus Piatons Werken zusammengestoppelt habe. Dieser Einwand ist leicht zu widerlegen, wenn man nur sorgfältig interpretiert und sich die konkrete Situation vergegenwärtigt. Obenhin betrachtet erscheint allerdings das, was der Brief über den älteren Dionys zu sagen hat, sehr einseitig und auch die historischen Parallelen, die zu Dareios und Athen gezogen werden, nicht sehr gut begründet. Trotz zahlreicher immer erneuter Rückschläge, die ihn gelegentlich in eine Lage brachten, in der er daran dachte, den Kampf aufzugeben und als Tyrann von Syrakus abzudanken, hat Dionys I. es doch verstanden, seine Macht immer wieder herzustellen und im Endeffekt auch weiter auszudehnen. Zur Zeit seines Todes erschien sie gefestigter als je. Auch hätte ihm das kaum gelingen können, wenn er nicht immer wieder überall Anhänger gefunden hätte. Wie kann man da sagen, wie es im siebten Brief heißt, daß er aus Mangel an Freunden μόγις έσώθη59? Aber auf der anderen Seite ist ebensowenig zu leugnen, daß der Ер. VII, 332 c.

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ältere Dionys, selbst als er noch nicht zum Alleinherrscher geworden war, unaufhörlich darauf bedacht gewesen war, alle anderen, auch diejenigen, die ihm bei der Gewinnung von Machtpositionen behilflich gewesen waren, entweder zu beseitigen oder sich Untertan zu machen; and daß er, nachdem er die absolute Herrschaft erlangt hatte, niemand neben sich duldete, sondern auch seinen nächsten Verwandten und Helfern gegenüber als Herr auftrat, so daß sogar sein Bruder Leptines und sein fähigster und treuester Helfer, Philistos,

der

letztere auf längere Zeit, in die Verbannung gehen mußten 60 , w e n n sie es gewagt hatten, sei es auch nur in privaten Angelegenheiten, etwas zu tun, was von dem Tyrannen nicht gebilligt wurde. Ebenso richtig ist es, daß seine Herrschaft, vor allem am Ende, überall rücksichtslos auf Gewalt gegründet war, ferner daß Dionys zwar ehemalige Gegner, die bereit waren, sich ihm zu unterwerfen, freundlich aufgenommen hat, aber nie sich dazu bereit gefunden hat, sie durch Gewährung

einer

sich

verbinden" 1 .

60

"

zu

gewissen

Selbständigkeit

Eben

dies

ist

zu versöhnen

jedoch

für

den

und

mit

Verfasser

I. J. 289 enthob Dionysios seinen Bruder Leptines seines Amtes als Oberbefehlshaber der Flotte, weil er in Unteritalien zwischen den dortigen Griechenstädten und den Lukanern Frieden gestiftet hatte, was ihm in Italien großes Ansehen verschaffte, aber Dionys nicht genehm war, weil er um der Ausdehnung seiner eigenen Macht willen die Fortsetzung des Krieges wünschte (Diodor XIV, 102). Drei Jahre später wurde Leptines und mit ihm Phihstos in die Verbannung geschickt, weil Leptines, ohne Dionys I. vorher zu fragen, dem Philistos eine seiner Töchter zur Frau gegeben hatte (Diodor XV, 7 und Plutarch, Dion 11,6). Dies ist wohl charakteristisch für den mißtrauischen Tyrannen, der zwar die Politik trieb, möglichst viele bedeutende Stellungen mit Familienangehörigen zu bebesetzen, wie es Napoleon, Trujillo, Fidel Castro und andere in neuerer Zeit auch getan haben, aber in jeder selbständigen Ausdehnung solcher Verbindungen die Möglichkeit eines engeren Zusammenschlusses innerhalb dieses Kreises witterte, der sich gegen ihn richten könnte. Daß dies der Hauptgrund der Verbannung war, wird dadurch bestätigt, daß um dieselbe Zeit Diony's I. Schwager Polyxenos es mit der Angst bekommen zu haben scheint, er könne auch in Verdacht geraten, so daß er, ohne seiner Frau, der Schwester des Tyrannen, etwas davon zu sagen, aus Syrakus entwich (Plutarch, Dion 21). Über das politische System Diony's I. in dieser Hinsicht vgl. auch K. F. Stroheker, Dionysios I. Gestalt und Geschichte des Tyrannen von Syrakus. Wiesbaden 1958, S. 104 ff. und 172 ff.

Der siebte platonische Brief

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des Briefes der springende Punkt. Der Nachdruck liegt bei ihm auf κοινωνόν της άρχής ούδένα οίός τ' ήν πειθοΐ και δ ι δ α χ ή . . .

άπερ-

γασάμενος ποιήσασθαι62 und ούχ οίός τ' ήν κατοικίσας πολιτείας έν έκάσταις καταστήσασθαι πιστάς έταίρων άνδρών63. Das Ziel des Verfassers des Briefes ist gerichtet auf eine Gruppe von Staatswesen, die im Innern auf eine gute, die Harmonie der Bürger verbürgende Verfassung gegründet sind und nach außen untereinander freiwillig und aufgrund gemeinsamer politischer Überzeugungen und gemeinsamer Interessen den Barbaren gegenüber zusammenhalten.

Eine

solche Vereinigung

erschien

ihm

von

den

Gefahren, welche einer von einer diktatorischen Zentralgewalt mit harter Hand zusammengehaltenen Vereinigung von Städten mit Notwendigkeit drohen, frei zu sein. Das ist durchaus platonisch. Die Begründung einer solchen Vereinigung und der Erwerb von solchen politischen Freunden, wie sie eine solche Vereinigung voraussetzt, hätte aber sowohl eine Veränderung der persönlichen Lebensführung wie auch der politischen Haltung des Tyrannen im Sinne Piatons unvermeidlich nach sich gezogen. Der zweite Rat ist also keineswegs, wie Maddalena meint, von dem ersten unabhängig, geschweige denn, daß er mit Piatons Prinzipien im Widerspruch stünde. Er ist vielmehr eine Ergänzung zu dem ersten und ergibt sich aus den letzteren. Es wird sich zeigen, daß Piaton später faktisch und nicht nur aufgrund der im siebten Brief gegebenen Darstellung mit den erwähnten Prinzipien in Widerspruch geraten ist. Aber an dieser Stelle ist dies nicht der Fall. Wohl aber wirft sie ein interessantes Licht auf die Mittel, mit denen Dion und Piaton bei ihren ersten Versuchen, auf den jungen Tyrannen einzuwirken, gearbeitet haben. Was der Verfasser des Briefes über Dareios und die athenische άρχή

im Vergleich zu Dionysios sagt84, ist freilich, besonders was

Dareios angeht, historisch inadaequat genug und verrät keine Kenntnis dessen, was Herodot über die Einteilung des persischen Reiches durch Dareios sagt und durch verschiedene persische Inschriften im 62 63 91

Ер. VII, 332 a. Ibid. 331 e. Ibid. 332 a/b.

44

Piaton in Sizilien

wesentlichen, wenn auch nicht im Detail, bestätigt wird' 5 . Aber genau dieselbe Vorstellung von der Verteilung des Reiches unter seine Mitverschworenen bei der Tötung des falschen Smerdis findet sich in Piatons Gesetzen, wo er auch, wie im siebten Brief, von den vortrefflichen Gesetzen spricht, die Dareios den Persern gegeben habe"'. Auch was im siebten Brief über das attische Reich steht", ist eine gewaltige Vereinfachung des geschichtlichen Tatbestandes und scheint überdies in einem gewissen Widerspruch zu Piatons Verurteilung der großen attischen Staatsmänner im „Gorgias" zu stehen. Wenn dies als Argument gegen die Echtheit des Briefes gebraucht wird, ist dabei jedoch übersehen, daß weder Dareios noch das attische Reich im siebten Brief als Modelle vorzüglicher Herrschaftsformen erscheinen sollen, sondern im Gegenteil angeführt werden, um zu zeigen, daß es selbst mit der Politik des Perserkönigs und der athenischen Staatsmänner des 5. Jahrhunderts noch viel besser bestellt war als mit der des Dionys. Der Abschnitt des siebten Briefes, der von Pia tons Prinzipien hinsichtlich des Erteilens von politischen Ratschlägen handelt, enthält endlich noch einen Passus, der aus dem Rahmen der Ratschläge an die Freunde des ermordeten Dion, an welche der Brief gerichtet ist, ganz herauszufallen scheint und bis zu einem gewissen Grade auch wirklich aus ihnen herausfällt. Das sind die Sätze, in denen Piaton davon spricht88, daß er es nicht für richtig hielte, seinen Eltern Gewalt anzutun, wenn sie eine Lebensweise führen sollten, die den eigenen Auffassungen von dem, wie man leben sollte, nicht entspricht, und dann die Anwendung davon auf das Verhältnis eines Mannes zu seiner Vaterstadt macht. Auch hier solle ein Mann seine Stimme erheben, sofern dies nicht völlig aussichtslos erscheine oder mit unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben verbunden sei. Aber er solle nicht den Versuch machen, die bestehenden Verhältnisse 65

68 67 68

Herodot III, 89 ff., vgl. dazu K. v. Fritz, Die Griechische Geschichtsschreibung (1967) I, 2, S. 200/01, Anm. 22. Piaton, Gesetze III, 695 с ff. Ер. VII, 332 b/c. Ibid. 331 c/d.

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mit Gewalt zu ändern, sondern wenn es keinen andern Weg gebe, sich still verhalten und für seine Stadt zu den Göttern beten. Dieser Passus ist in dem Zusammenhang, in welchem er steht, tatsächlich sehr viel schwieriger zu verstehen als irgend einer der bisher behandelten Abschnitte des Briefes. Er bedarf daher einer besonders sorgfältigen Interpretation, wirft dann aber auch ein besonders interessantes Licht auf das Verhältnis Piatons zu Sokrates. Maddalena erhebt gegen die hier zum Ausdruck gebrachten Prinzipien den Einwand, daß sie weder den Prinzipien des Sokrates noch denen Piatons entsprächen". Denn Sokrates sage zwar in Piatons Apologie, daß er, wenn er sich der aktiven Politik gewidmet hätte, schon lange nicht mehr am Leben wäre. Aber Sokrates habe sich einem solchen Tode nicht aus Feigheit entzogen, sondern um seiner Vaterstadt besser dienen zu können. Dies aber habe er getan, indem er nicht, wie Piaton es hier anrate, geschwiegen habe, sondern indem er unaufhörlich diskutiert habe, was ja dann schließlich doch noch zu seiner Verurteilung zum Tode geführt habe. Die feige Ruhe (tranquillitä codarda) des Piaton des siebten Briefes sei also das äußerste Gegenteil der heldenhaften Ruhe (tranquillitä eroica) des Sokrates und natürlich des wahren Piaton, der mit den Prinzipien seines Sokrates übereinstimmte und ähnliches auch an andern Stellen seiner Dialoge geäußert habe. Was Maddalena an dieser Stelle hervorhebt, ist in gewisser Hinsicht, wenn auch nur in gewisser Hinsicht, durchaus richtig. Nur ist dabei übersehen, daß Piaton, was immer er in seinen Schriften sagen mag, ja wirklich so gehandelt hat, wie er oder der Verfasser des siebten Briefes es in dem betreffenden Passus empfiehlt. Am Ende von Piatons Apologie prophezeit Sokrates 70, daß, wenn die Athener ihn hinrichten, nach seinem Tode viele, die er bis jetzt noch im Zaume gehalten habe, sich erheben und seine Tätigkeit, die Athener so mit ihren Fragen zu plagen wie eine Pferdebremse mit ihren Stichen es tut, fortsetzen werden. Aber diese Prophezeiung ist ja nicht in Erfüllung gegangen. Es hat sich zwar eine gewaltige sokratische Literatur 69 70

A.a.O. 171/72. Piaton, Apologie 39 с ff.

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entfaltet. Aber die Bremsen, welche die Athener auf der Straße verfolgten, sind ausgeblieben. Auch Piaton ist keine geworden. Er ist nicht auf die Straßen und auf den Markt oder in die Gymnasien gegangen, um sich mit jedermann zu unterhalten, sondern hat außerhalb der Stadt die Akademie gegründet, wo er mit auserwählten Schülern diskutiert hat und wohl auch eine Elite heranzuziehen bemüht war, die unter günstigen Umständen einmal in Athen eine führende politische Rolle spielen könnte, woraus jedoch auch nichts geworden ist. Wenn das, was der Verfasser des siebten Briefes empfiehlt, eine tranquillitä codarda ist, dann hat sich Piaton, was immer er in seinen Schriften gelehrt haben mag, in seinem wirklichen Leben dieser tranquillitä codarda schuldig gemacht. Wieder, wie es sich nun schon so oft gezeigt hat, liegt der wirkliche oder vermeintliche Widerspruch in den unbezweifelbaren historischen Fakten, nicht erst im siebten Brief, und in diesem Fall in historischen Fakten, die mit Piatons sizilischen Unternehmungen unmittelbar gar nichts zu tun haben. Nun ist es wohl nicht nötig, Piatons Abweichung von dem, was er selbst in der Apologie prophezeit und damit wohl auch implizite ein wenig gepredigt hatte, aus seiner Feigheit zu erklären. Vielmehr treten zwei andere Gründe aus dem, was man aus seinen Schriften und den Nachrichten über ihn entnehmen kann, ziemlich deutlich hervor. Das eine ist, daß er zwar den Sokrates in seinem Tun bewunderte und sich im Anblick seines Todes wohl auch einen Augenblick einbilden konnte, daß er es mit seinen Freunden fortsetzen werde, daß es ihm, dem geborenen Aristokraten, aber einfach nicht lag, sich wie Sokrates mit jedermann und aller Orten anzulegen und daß er deshalb, auch wenn er es versucht hätte oder vielleicht auch versucht hat, damit keinen Erfolg gehabt hätte oder gehabt hat. Er brauchte eine andere Zuhörerschaft und Partnerschaft im philosophischen Dialog. Der zweite Grund hängt mit dem, was sich schon bisher als fundamentaler Unterschied zwischen Piaton und Sokrates herausgestellt hat, auf das engste zusammen: daß es Piaton zwar auch wie Sokrates auf den Einzelnen ankam, mit dem er diskutierte, daß jedoch bei ihm das Streben von Anfang an zugleich auch auf Änderung der Institutionen

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ausgerichtet war. Er wäre daher, wenn er längere Zeit versucht hätte, die Tätigkeit des Sokrates fortzusetzen, unvermeidlich auch in jene Art politischer Tätigkeit hineingeraten, die Sokrates vermieden hat. Dann aber blieb für ihn, wenn er es für Unrecht hielt, auf einen gewaltsamen politischen Umsturz in seiner Vaterstadt hinzuarbeiten, wie dies auch Sokrates für Unrecht gehalten hatte, kein anderer Weg offen als derjenige, den Maddalena als tranquillitä codarda bezeichnet hat. Bei aller Übereinstimmung in den letzten Grundprinzipien war eben Piatons persönliche Gleichung doch eine andere als die seines verehrten Lehrers Sokrates und deshalb auch das Resultat ein verschiedenes. Aber auch wenn man dies als richtig gelten läßt, bleibt doch die weitere, nicht nur von Maddalena beobachtete, Schwierigkeit, daß das, was der Verfasser des Briefes an dieser Stelle sagt, zwar auf Piatons Verhältnis zu Athen zuzutreffen, aber mit der konkreten Situation, auf die sich der Brief bezieht, wenig zu tun zu haben scheint. Es ist an dieser Stelle der Untersuchung noch verfrüht, die schwierige Frage zu erörtern, wie diese Situation vermutlich im einzelnen gewesen ist. Es ist aber auch nicht notwendig. Man kann ruhig zugeben,daß die Stelle sich wesentlich nicht unmittelbar auf diese Situation, sondern auf Piatons Verhältnis zu Athen bezieht. Man hat dies schon immer daraus erklärt, daß Piaton der Brief im Verlaufe seines Berichtes über die Entstehung seiner Freundschaft mit Dion und die Gründe, weshalb er dessen Einladung nach Sizilien Folge geleistet hatte, unvermerkt zu einer apologia pro vita sua geworden war und daß er deshalb Dinge sagt, die sich auf sein Verhältnis zu seiner Vaterstadt Athen beziehen und mit der gegenwärtigen Situation kaum etwas zu tun haben. Da kann man dann, wie auch von Maddalena geschieht, den Einwand erheben, Piaton habe wohl Ursache gehabt, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, er habe wie andere den Lockungen eines Tyrannenhofes nicht widerstehen können. Denn dieser Vorwurf sei ja tatsächlich gegen ihn erhoben worden 71 . Aber es gebe kein Anzeichen dafür, daß man im selben Augenblick ihn 71

A.a.O. 156 ff.; vgl. die Anekdoten wie bei Diog. Laert. VI, 2, 25; 40.

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auch wegen seines Verhaltens seiner Vaterstadt gegenüber angegriffen habe, und das sei auch in sich ganz unwahrscheinlich. Warum hätte Piaton sich also dagegen verteidigen sollen? Man muß aber das über die apologia pro vita sua Gesagte cum grano salis verstehen. Die Meinung der meisten Kommentatoren des Briefes, soweit sie ihn für echt halten, aber an dieser Stelle eine Schwierigkeit finden, geht dahin, daß der Brief einen doppelten Zweck gehabt habe, einmal den deutlich ausgesprochenen, den Adressaten des Briefes, den Freunden des ermordeten Dion, klar zu machen, unter welchen Bedingungen er bereit ist, ihnen, wie sie ihn gebeten hatten, Ratschläge zu geben und vor allem sie mit dem Gewicht seines Namens zu unterstützen, auf der andern Seite aber auch als ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Dokument: als das, was wir einen offenen Brief zu nennen pflegen, die Griechen allgemein über die Motive seines Handelns aufzuklären und ihn gegen die von vielen Seiten gegen ihn ausgesprochenen Verdächtigungen zu verteidigen. So habe denn, was über das richtige Verhältnis eines Mannes zu seiner Vaterstadt gesagt werde, mit dem unmittelbaren Zweck des Briefes nichts zu tun, wohl aber mit seinem Zweck als offener Brief. An dieser Auffassung, daß der Brief nicht nur für seine unmittelbaren Adressaten, sondern auch für eine weitere Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei, mag etwas Richtiges sein. Aber die Meinung, daß die beiden Zwecke des Briefes miteinander in Widerstreit treten und daß dies deutlich ад der hier diskutierten Stelle hervortrete, ist kaum gerechtfertigt. Wenn Piaton den Adressaten seines Briefes klar zu machen sucht72, daß er nur unter der Bedingung bereit ist, ihnen praktische Ratschläge zu erteilen und sie mit dem Gewicht seines Namens zu unterstützen, daß sie bereit sind, auch in Bezug auf die Grundprinzipien ihres politischen Handelns nicht nur seine Ratschläge wohlwollend anzuhören, sondern ihnen auch zu gehorchen, so nimmt er ja angesichts der Natur seiner politischen Prinzipien einen gewaltigen Einfluß für sich in Anspruch. Da genügt es nicht, seinen Partnern in allgemeinen Ausdrücken zu sagen, was sie tun und was sie nicht 72

Ер. VII, 324 a; 330 с ff.

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tun sollen, sondern es ist nötig, ihnen zu zeigen, was seine Forderung in concreto bedeutet und was für ein Mann er ist. Dem entspricht es durchaus, daß er auch davon redet, welchen Prinzipien er gefolgt ist und wie er sich verhalten hat in Situationen, die zu der Situation, für welche er jetzt seine Ratschläge zu geben und seine Forderungen aufzustellen hat, keine direkte Analogie haben. So erklärt sich auch am besten die eigentümliche Komposition des Briefes. Nach dem Abschnitt, der von Piatons Jugend sowie von seiner ersten und zweiten Reise nach Sizilien handelt, hatte Piaton seine Darstellung der Ereignisse nach der kurzen Bemerkung, er sei schließlich wieder nach Hause zurückgekehrt, unterbrochen, um von den Prinzipien zu reden, die er beim Erteilen von Ratschlägen befolge. Er hatte diese Unterbrechung und die damit verbundene Aufsparung der Darstellung der weiteren Ereignisse auf das Ende des Briefes damit begründet, daß sonst die Nebensache in seinem Briefe zur Hauptsache zu werden scheine73. Diese Bemerkung ist eine Bestätigung dessen, was oben über den Hauptzweck des Briefes und das Verhältnis eines etwaigen Nebenzweckes zu ihm gesagt worden ist. Die Situation Piatons den Adressaten gegenüber hat eine starke Analogie zu seiner Situation dem jüngeren Dionys gegenüber bei seiner zweiten Reise nach Sizilien, nur mit dem großen Unterschied, daß Piaton damals vor dem Antritt des Reise keine Bedingungen stellen konnte, sondern auf die bloße Hoffnung hin, daß Dionys für seine Philosophie gewonnen werden könnte, zu handeln gezwungen war. Deshalb ist es so wichtig für ihn, eben diese Bedingungen so klar als möglich darzustellen, um sich gegen eine neue Enttäuschung zu schützen. Damit steht es ferner in bester Übereinstimmung, daß Piaton zwischen die ausführlichere Erörterung der Bedingungen, unter denen allein er praktische Ratschläge zu geben bereit war, und die Auseinandersetzung der prinzipiellen und allgemeinen, nicht speziellen und praktischen Ratschläge, deren Befolgung er von den Freunden Dions als Voraussetzung für jedes weitere Zusammenwirken mit ihnen verlangt, einen weiteren Abschnitt einfügt 74 , in welchem er ganz kurz 73 74

Ер. VII, 330 c. Ibid. 331 с ff., vor allem 332 e ff.

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auseinandersetzt, was hätte geschehen können und seiner Meinung nach auch faktisch geschehen wäre, wenn der junge Dionys seinen und Dions Ratschlägen gefolgt wäre und den Verleumdungen der Gegner Dions kein Gehör geschenkt hätte, worauf er dann sozusagen zum warnenden Exempel noch ganz kurz zusammenfaßt 75 , was statt dessen in der folgenden Zeit bis zur Ermordung Dions tatsächlich geschehen ist. Alles das ist gewissermaßen paradigmatisch. Es soll zeigen, was die Folgen richtigen Handelns hätten sein können und die Folgen unrichtigen Handelns gewesen sind und was nach Meinung Piatons die Folgen richtigen Handelns in Zukunft immer noch sein können, wenn man ihm diesmal wirklich zu folgen willens ist. Will man dies aber nicht, dann will er mit der Unternehmung der Freunde Dions in Zukunft nichts mehr zu tun haben.

4. Was weiter folgt, die genauere Darstellung der Ereignisse nach der Rückkehr Piatons nach Sizilien, ist also nach seiner eigenen Meinung ein παρέργον. Gemäß dem Prinzip der Offenheit, von dem sich noch zeigen wird, welche bedeutende Rolle es unter Piatons Prinzipien des praktischen Handelns spielte, soll diese Darstellung zeigen, wie die Dinge im einzelnen verlaufen sind. Da es sich um die Darstellung von Ereignissen im Detail handelt, die in einer Katastrophe geendet haben, deren wesentliche Ursache nach Piatons Meinung auch ohne die Kenntnis der Einzelheiten offenkundig war, ist diese Darstellung nicht mehr paradigmatisch, aber sie ist vielfach enthüllend, indem sie zeigt, welchen Anteil Piaton an den Ereignissen gehabt hat, die zur Katastrophe geführt haben, und dadurch wiederum vieles erklärt, was an den historischen Fakten sonst unerklärt bleiben würde oder dessen Erklärung sonst nur hypothetisch erschlossen werden könnte. Zu Beginn des Abschnittes, mit dem der Verfasser des Briefes in 7

»

Ер. VII, 333 d ff.

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seiner Erzählung fortfährt 78 , erfährt man etwas mehr über die Umstände, unter denen es Piaton schließlich gelungen war, Dionys' Zustimmung zu seiner Heimkehr nach Athen zu erlangen. Während dieser in einen Krieg (nach anderen Nachrichten: in Lukanien) verwickelt war und keine Zeit hatte, sich mit Fragen einer inneren Reform in seinen Staaten zu beschäftigen, vereinbarte er mit Piaton, dieser solle vorläufig in seine Heimat zurückkehren. Sobald der Krieg beendet sei, wolle er jedoch ihn und Dion gleichzeitig zurückberufen. In der Zwischenzeit solle Dion seinen Aufenthalt im Ausland nicht als Verbannung betrachten, sondern als einen vorübergehenden Reiseaufenthalt. Dies scheint vorauszusetzen, daß der unaufhörlich zwischen verschiedenen Einflüssen hin- und herschwankende Tyrann damals sich unter dem Einfluß Piatons vorübergehend von der Lauterkeit der Absichten Dions überzeugt hatte und an eine Versöhnung mit ihm, ja an die Möglichkeit von politischen Reformen nach dem Sinne Piatons nach der Beendigung des Krieges, dachte. Auch daß, wie man etwas später erfährt 77 , Piaton vor seiner Abreise Beziehungen zwischen Dionys und Archytas von Tarent vermittelt hatte, weist in dieselbe Richtung. Als der Krieg beendet war, lud Dionys jedoch zwar sofort Piaton ein, wieder nach Syrakus zu kommen, ersuchte jedoch entgegen seinem Versprechen Dion, noch ein Jahr zu warten. Auf diesen Bruch des gegebenen Versprechens hin hatte Piaton nach Angabe des Briefes78 keinerlei Neigung, der Einladung zu folgen, obwohl aus Sizilien die Nachricht kam, Dionys zeige nun ein erstaunliches Interesse an Philosophie, und obwohl sowohl Dion als auch die Pythagoreer in Tarent Piaton drängten, der Einladung Folge zu leisten. Schließlich erhielt Piaton nach Angabe des Briefes von Dionys einen langen Brief79, an dessen Anfang jedoch zu lesen stand: „Wenn du jetzt meine Einladung annimmst und nach Sizilien kommst, werden alle Angelegenheiten Dions nach deinen Wünschen geregelt werden - ich *> 77 78 79

Ер. VII, Ibid. 338 Ibid. 338 Ibid. 339

338 a ff. c/d. e. b/c.

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weiß, daß du nichts Unbilliges verlangen wirst - wenn du dagegen nicht kommst, wird nichts von den Angelegenheiten Dions oder von anderen Dingen nach deinen Wünschen gehen." Maddalena sagt mit einem gewissen Recht80, das sei der Brief eines Tyrannen und nicht eines ehrlich für platonische Philosophie gewonnenen Mannes. Es sei ein Widerspruch, daß Piaton auf einen solchen Brief hin nach Sizilien zurückgekehrt sein solle, weshalb der Brief nicht echt sein könne. Aber der Brief ist ja nur ein kleines Detail in der Situation. Wiederum liegt der Widerspruch primär in den historisch unzweifelhaft bezeugten Fakten: daß Pia ton trotz den bei dem ersten Aufenthalt gemachten Erfahrungen, und obwohl der während seines ersten Aufenthalts in Syrakus von dort verbannte Dion - gleichgültig, ob Dionys ein Versprechen gegeben hatte, ihn zurückzurufen oder nicht - faktisch nicht zurückberufen wurde, trotzdem zu Dionys nach Syrakus zurückgekehrt ist. Das Unternehmen hat ja dann auch, wie nach den gegebenen Voraussetzungen eigentlich vorauszusehen war, mit einer Katastrophe verschiedenen Ausmaßes für alle Beteiligten geendet. Das ist der eigentliche Widerspruch. Der siebte Brief berichtet zwar auch von einigen noch erschwerenden Umständen, aber doch nur sekundärer Natur, enthält aber doch auch wieder die psychologische Erklärung für das, was sonst unerklärt bleiben müßte. Während das erste Mal nur eine einfache Einladung von Seiten des Dionys vorgelegen hatte und abgesehen davon es allein Dion gewesen war, der Piaton dringend zum Kommen aufgefordert hatte, wurde er nun von drei Seiten bedrängt81, von dem Tyrannen selbst, von Archytas und den Pythagoreern in Tarent, denen an einem militärischen Bündnis mit Dionys gelegen war, und von seinem Freunde Dion. Dionys schickte sogar ein Kriegsschiff, um die Überfahrt Piatons zu erleichtern und zu beschleunigen. Auf diesem Kriegsschiff befanden sich mehrere syrakusanische Bekannte Piatons, darunter ein Archytasschüler, von dem man glaubte, daß Piaton ihn besonders schätze. Alle versicherten ihm, wie eifrig sich Dionys der Philosophie 80

81

A.a.O. p. 264 f.

Ер. VII, 339 dJe.

D e r siebte platonische Brief

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zugewandt habe. Alle drängten ihn, seine anfängliche Weigerung, ein zweites Mal zu Dionys II. zu kommen, zurückzuziehen und wieder zu kommen. Es ist höchst instruktiv, die Situation vor der ersten Einladung mit derjenigen vor der zweiten Einladung, wie sie sich nach dem siebten Brief darstellen, miteinander zu vergleichen. In beiden Fällen stehen in der Darstellung der Gründe, die Piaton zur Reise bewogen haben, im siebten Brief die Bedenken gegen die Reise am Anfang. Aber wenn dann von den Motiven die Rede ist, die Piaton trotzdem dazu bewogen haben, werden im ersten Fall die großen Aussichten vorangestellt, die sich im Falle des Gelingens boten. Auch da hat eine genauere Analyse gezeigt, daß im Grunde Piatons Gefühl der Verpflichtung seinem Freund Dion gegenüber den Ausschlag gegeben zu haben scheint. Aber das Gefühl, eine so große Aussicht nicht ohne den Versuch, sie zu nützen, vorbeigehen lassen zu dürfen, spielt doch auch eine Rolle. Im zweiten Fall sind die Bedenken so groß, daß Piaton zunächst ablehnt. Bei der Angabe der Gründe, die ihn dann doch zur Reise bewogen haben, steht der Druck, der von allen Seiten auf Piaton ausgeübt worden ist, an der ersten Stelle: die Freunde in Italien und Sizilien, heißt es, zogen ihn mit aller Macht und die Freunde in Athen stießen ihn, abzureisen82: alle zusammen aber hielten ihm vor, er dürfe seine Freunde nicht im Stich lassen. Erst darauf heißt es: in dieser Situation habe er sich überlegt, daß es im Grunde ja doch auch nicht seltsam wäre, wenn ein begabter junger Mann wie Dionys wirklich von Liebe zu Dingen erfaßt worden sein sollte, die der Mühe wert seien, und beschlossen habe, sein Leben zu ändern. So habe er gemeint, man müsse erproben, ob das, was ihm über Dionys' Wandlung berichtet wurde, wahr sei. Mit solchen Betrachtungen habe er sich die Augen verschlossen83 und sei zum zweiten Mal nach Sizilien gefahren. Hier ist kein Zweifel mehr, daß die Verpflichtung den Freunden gegenüber den Ausschlag gegeben 82

83

Ibid.: των μέν έκ Σ ι κ ε λ ί α ς τε καΐ ' Ι τ α λ ί α ς Ιλκόντων, των δέ Άθήνηθεν ά τ ε χ ν ω ς μετά δεήοεως οίον έξωθούντων με. Ibid. 340 a: πορεύομαι δή τ φ λογιαμω τούτψ κατακαλϋψάμενος (wörtlich: durch diese A r g u m e n t a t i o n b e n e b e l t ) .

von Fritz, Plato

5

Piaton in Sizilien

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hat; und Piaton sagt selber, daß er der Wirklichkeit gegenüber sich die Augen verschlossen hat. Das scheint nun freilich des großen Philosophen unwürdig zu sein, so daß es nicht verwunderlich ist, daß seine Verehrer es nicht wahrhaben wollen, daß Piaton das geschrieben haben könnte. Aber man muß sich die Situation sowohl zur Zeit, als Piaton den Entschluß zur Reise gefaßt hat, als auch zur Zeit, als der siebte Brief geschrieben wurde, genauer ansehen und dabei nicht übersehen, daß beide Situationen etwas verschieden waren. Was zu Anfang der Überlegungen im siebten Brief über die wahren Gründe des Dionys, plötzlich ein so großes Interesse für die Philosophie zu zeigen, gesagt wird, beruht ganz offenkundig auf den Erfahrungen, die Piaton mit dem Tyrannen nach seiner Rückkehr nach Sizilien gemacht hat. Er spricht später84 von den Proben, die er mit ihm angestellt habe. Diese Proben schienen ihm unzweideutig zu beweisen, daß Dionys nicht aus wahrem Streben nach tieferer Erkenntnis und einem besseren Leben philosophische Studien trieb, sondern aus Eitelkeit und um sich sowohl bei seiner Umgebung ein Air zu geben als auch um bei den unteritalischen Pythagoreern, deren Hilfe er zu politischen Zwecken begehrte, den Eindruck der Zuverlässigkeit zu erwecken. Diese spätere Einsicht stellt Piaton an den Anfang seines Berichtes und spricht dann sein Bedauern darüber aus, daß er sich hatte düpieren lassen. Aber diese Einsicht kann er, auch nach der Aussage des siebten Briefes, wenn man ihn sorgfältig liest, damals noch nicht gehabt haben. Die ostensiblen philosophischen Studien des Dionys waren ja nach der Angabe des Briefes selbst eine neue Phase in dem Gehaben des Dionys, die erst nach der Beendigung des lukanischen Krieges sichtbar in Erscheinung getreten war. Auf der anderen Seite hatte schon vor der Abreise Piatons von Syrakus sein Verhältnis zu Dionys sich gebessert. Es wäre ja wohl kaum zu der Verabredung hinsichtlich der Rückkehr Dions gekommen, wenn nicht auch ernsthaftere politische Besprechungen zwischen Piaton und Dionys stattgefunden hätten. Auch die Vermittlung der Verbindung zu den Pythagoreern setzt 84

Ibid. 340 b ff.

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derartiges voraus. Nur zu dem, was Piaton als eine wirklich ernsthafte Beschäftigung mit Philosophie betrachtet hätte, war es nicht gekommen. Wenn nun ein Piaton bekannter Archytasschüler nebst anderen Freunden und Bekannten sich für das ernsthafte philosophische Bemühen des Dionys verbürgte, so brauchte eine solche Aussicht damals nicht als ganz illusorisch zu erscheinen. Erst im Retrospekt war es Piaton völlig klar, welcher Illusion er zum Opfer gefallen war, und nun spricht er es gegen sich selbst schonungslos aus. Auch der Brief des jungen Dionys an Piaton steht mit diesem Bild nicht völlig im Widerspruch. Im Retrospekt hat Piaton daraus die beiden Sätze des Anfangs herausgenommen, die einerseits deutlich machen, daß das Schicksal Dions ganz von dem Verhalten Piatons abzuhängen schien, und damit, warum Piaton aus Loyalität zu seinem Freund sich zum Nachgeben gezwungen glaubte, die aber andererseits auch die tyrannische Art des Dionys veranschaulichen, die Piaton trotzdem hätte vor der Vergeblichkeit seines Unternehmens warnen sollen. Aber es war ein langer Brief 85 . Es ist kein Wunder, daß Piaton im Retrospekt von dem, was er sonst enthielt und was ihm nun als bewußte Täuschung oder leeres Geschwätz erscheinen mußte, nichts erwähnt. Aber er kann manches enthalten haben, was den schlechten Eindruck der ersten Sätze abzuschwächen geeignet war: daß ohne die Hilfe Piatons das Mißtrauen der Widersacher Dions in Dionys' Umgebung nicht überwunden werden könne, Dionys selbst aber der Hilfe der fähigsten unter ihnen im gegenwärtigen Augenblick nicht zu entraten imstande sei und dergleichen mehr. Bei alledem bleibt bestehen, daß Piaton sich ein zweites Mal trotz seiner Erfahrung während des ersten Aufenthaltes am Hof über die im Charakter des Dionys und seiner politischen Situation gelegenen Möglichkeiten hat täuschen lassen. Aber das ist ein historisches Faktum, ganz unabhängig vom siebten Brief. Dieser macht vielmehr deutlich, was ohne ihn durch die historische Überlieferung nicht so sichtbar würde: daß Piaton damals schon so tief in aktive Politik verwickelt war, daß ein Verhalten wie das des Sokrates in politischen Dingen für ihn gar β5

Ер. VII, 399 b: ?πεμψεν δέ Ιπιατολήν πάνυ μακράν.

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nicht mehr möglich war. Er konnte sich der aktiven Mitarbeit gar nicht mehr entziehen, ohne sich vor sich selbst den Vorwurf machen zu müssen, sich beim Auftreten von Schwierigkeiten der Verantwortung für Dinge entzogen zu haben, die er selbst zuerst ins Werk gesetzt hatte und die ohne ihn gar nicht in Erscheinung getreten wären. Dabei ist es höchst bemerkenswert, daß Piaton in diese, gegenüber der Zwangslage, in der er sich bei dem Empfang der ersten Einladung des jüngeren Dionys befunden hatte, verstärkte Zwangslage dadurch gekommen war, daß er insofern von seinem eigenen Prinzip, niemandem, der nicht seinen Grundprinzipien folge, in praktischen Dingen zu Diensten zu sein, abgewichen war, als er vor seiner Abreise von Syrakus eine Art Bündnis zwischen Dionys und den Tarentinischen Pythagoreern vermittelt hatte. Aber auch das zeigt nur wieder die Ambiguitäten jeder politischen Situation. Denn diese Vermittlung war ja zu einer Zeit erfolgt, in der Dionys, wenn er auch keineswegs, wie früher Dion, für Piatons politische Pläne gewonnen war, sich in der richtigen Richtung zu bewegen schien. Da mußten ein politisches Bündnis und enge diplomatische Beziehungen mit den unteritalischen Pythagoreern, deren politische Prinzipien denen Piatons so nahe standen, zugleich als das beste Mittel erscheinen, auf Dionys nun auch von dieser Seite her in der richtigen Richtung einzuwirken, ganz abgesehen davon, daß es ganz in der Richtung von Piatons eigenen politischen Bemühungen lag, die Griechen Siziliens und Unteritaliens in einem großen Bündnis zu vereinigen. Die Vermittlung eines solchen Bündnisses konnte daher Piaton keineswegs als Dienst zur Unterstützung einer falschen und verwerflichen Politik des Dionys erscheinen. Und doch wurde sie zum Strick einer weiteren Verpflichtung, den sich Piaton um den Hals gelegt hatte und mit Hilfe dessen er nun dazu veranlaßt wurde, entgegen seiner richtigeren Einschätzung der Sachlage sich doch wieder nach Syrakus zu begeben. Hier zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit die Gefährlichkeit auch der scheinbar unschuldigsten politischen Verwicklungen für den Philosophen, die Piatons Lehrer Sokrates jedoch auf das sorgfältigste vermieden hatte.

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Auf die Darlegung der Gründe, warum Piaton zum zweiten Mal nach Sizilien gegangen ist, folgt im siebten Brief86 die Beschreibung der Methode, mit der Piaton nunmehr den jungen Dionys prüfte, ob sein neues Interesse an der Philosophie ein echtes sei oder nicht, und im Zusammenhang damit der berühmte philosophische Exkurs, der in der Diskussion über die Echtheit des Briefes eine besonders wichtige Rolle gespielt hat. Da dieser Exkurs mit Piatons Verwicklung in sizilische Politik unmittelbar nichts zu tun hat und da ich an anderer Stelle ausführlich über die damit zusammenhängenden Fragen gehandelt habe87, ist es nicht nötig, hier darauf einzugehen. Der Brief schließt mit einer Beschreibung der Erlebnisse Piatons in Syrakus bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Athen und einem noch kürzeren Ausblick auf die weiteren Ereignisse bis zur Ermordung Dions. In noch weit höherem Maße als bei seinem ersten Aufenthalt bei Dionys II. fand Piaton sehr bald nach seinem Eintreffen in Syrakus seine schlimmsten Besorgnisse übertroffen. Eine Zeitlang muß der Tyrann sich Piatons Versuchen, ihn zu seinen ethischen und politischen Prinzipien zu bekehren, ausgesetzt haben. Aber dann schlug seine Reaktion auf Piatons Bemühungen - vermutlich unter dem Einfluß seiner anti-Dionischen Ratgeber, die für den Tyrannen sehr einleuchtende Gründe dafür anführen konnten, daß Dion nicht zu trauen sei88, aber wohl auch aus persönlicher Auflehnung gegen den von dem Philosophen auf ihn ausgeübten Druck - in neues Mißtrauen gegen Dion um, das sich sogleich in Handlungen umsetzte. Statt mit Dion brieflich neue Beziehungen aufzunehmen, erließ er plötzlich ein Verbot89 an die Verwalter der Besitzungen Dions in Sizilien, diesem die Einkünfte aus seinen Gütern nach der Peloponnes, wo er sich aufhielt, zu senden. Piaton betrachtete dies als völligen Bruch der ihm in dem zweiten Einladungsbrief von Dionys gemachten Versprechungen und versuchte, sich nun ganz aus der Verbindung mit dem 8

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87 88 89

Ер. VII, 340 b ff. und 342 a ff. Vgl. oben Anm. 6. Vgl. darüber unten S. 68 f. Ер. VII, 354 b/d.

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Piaton in Sizilien

Tyrannen 2x1 lösen. Er zürnte, wie er im siebten Brief sagt90, nicht nur Dionys, sondern auch sich selbst, daß er sich auf einen zweiten Versuch eingelassen hatte, und denen, die ihn mit solcher Gewalt dazu gedrängt hatten: also auch seinem Freunde Dion und den Pythagoreern. Wieder fand er sich jedoch in der Schwierigkeit, wie er ohne Genehmigung des Tyrannen von Sizilien wegkommen sollte. Diesem auf der anderen Seite war es wegen seiner politischen Beziehungen unangenehm, daß ein Konflikt zwischen ihm und Piaton sich offenkundig zeigen sollte. Er ließ daher Piaton zu sich kommen" und machte ihm die folgenden Eröffnungen: Er sei immer noch mißtrauisch, daß Dion seine großen Mittel benützen könnte, gegen ihn, Dionys, zu konspirieren. Aber er habe volles Vertrauen in Piaton. Piaton solle daher gewissermaßen für Dion bürgen. Er solle daher noch bis zum nächsten Sommer bleiben. Dann solle er so viel flüssiges Kapital, wie Dion wolle, von dessen Vermögen mit nach Athen nehmen und es in Griechenland auf Banken deponieren, aber unter der Bedingung, daß Dion das Kapital nicht ohne Zustimmung und Gegenzeichnung Piatons flüssig machen könne. Wieder traute Pia ton den Versprechungen des Tyrannen nicht, aber wieder befand er sich in einer Lage, wo er fürchtete, daß sein Freund ihm Vorwürfe machen werde, wenn ihm durch Pia tons Weigerung, auf den Vorschlag einzugehen, die Verfügung über sein ganzes Vermögen in Sizilien verlorengehen sollte. Wieder veranlaßte ihn das Gefühl der persönlichen Verpflichtung gegenüber dem Freund, entgegen seiner besseren Voraussicht zu handeln92. Er blieb bis zum nächsten Sommer. Erst dann, als sich herausstellte, daß der Tyrann, wie zu erwarten war, auch sein neuestes Versprechen nicht zu halten gesonnen war, machte Piaton nun alle Anstrengungen, aus seinem Gefängnis herauszukommen. Es gelang ihm, einen Brief an Archytas nach Tarent zu senden93. Dieser schickte ein Kriegsschiff mit einer Gesandtschaft; und diese erreichte durch diplomatischen Druck, daß »» 91 92 93

Ер. VII, 354 d/e. Ibid. 346 b ff. Ibid. 347 c. Ibid. 350 a/b.

Der siebte platonische Brief

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Dionys nunmehr Piaton nach Athen zurückkehren ließ und ihm, wie der siebte Brief hinzufügt, auch die Heimreise bezahlte. Vorher berichtet der siebte Brief"4 noch von einem anderen Zwischenfall, wo Piaton den Tyrannen sehr energisch an ein einem Dritten in seiner Gegenwart gegebenes Versprechen erinnerte, aber von Dionys sehr schroff abgewiesen wurde. Obwohl es dabei um einen Mann ging, der später in der Geschichte Dions eine sehr bedeutende Rolle spielte, ist dieses Intermezzo im gegenwärtigen Zusammenhang nur interessant als Illustration sowohl der persönlichen, keineswegs feigen Haltung Piatons als auch der Hilflosigkeit seiner Lage. Auf dem Rückweg nach Athen traf Piaton nach Angabe des siebten Briefes95 Dion in Olympia, wo gerade die Spiele gefeiert wurden, und berichtete ihm, was in der Zwischenzeit zwischen ihm und Dionys vorgefallen war. Dion rief Zeus zum Zeugen an des Unrechts, das ihm von Dionys II. angetan worden sei, und beschwor Piaton und seine Freunde, an Dionys Vergeltung zu üben für die Verletzung des Gastrechtes (ξεναπατία) gegenüber Piaton und die ungerechtfertigte Verbannung Dions. Was darauf folgt, ist, wenn es authentisch ist, außerordentlich interessant. Danach hat Piaton auf Dions Beschwörungen zunächst ziemlich schroff geantwortet 96 : er möge sich an die gemeinsamen Freunde wenden und zusehen, ob sie sich beteiligen wollten. Aber er wolle nichts damit zu tun haben: Dion und die anderen Freunde hätten ihn nahezu dazu gezwungen,

05 96

Ер. VII, 348 b ff. Ibid. 350 b ff. Ibid. 350 c/d. Die Worte άκοόσας δ'έγώ τους μέν φίλους παρακαλεΐν αδτόν έκέλευον, el βοόλοιντο werden von fast allen Interpreten so ausgelegt, als habe Piaton es damit seinen Freunden, d.h. vor allem den Mitgliedern der Akademie, ausdrücklich freigestellt, sich an dem Unternehmen Dions gegen Dionys II. zu beteiligen. Dem Zusammenhang nach sind es jedoch deutlich Worte des Unmuts, die keineswegs diesen Sinn haben, sondern etwa „geh doch und fordere die Freunde auf, ob die Lust haben (sc. mitzumachen)". Wenn darin ein „Anheimgeben" liegt, so höchstens im Sinne des Widerwillig-geschehen-lassens, aber keineswegs der freudigen Zustimmung. Es wird sich auch später zeigen, daß manche Mitglieder der Akademie sehr viel eifriger waren, Dion in einem gewaltsamen Vorgehen zu unterstützen, als Piaton.

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Piaton in Sizilien

der Tisch- und Hausgenosse des Tyrannen zu werden. Dieser habe vielleicht wirklich, auf Grund der Einflüsterungen von Verleumdern, geglaubt, daß er, Piaton, und Dion gegen ihn konspirierten. Trotzdem habe er ihn (Piaton) nicht töten lassen, wie er doch gekonnt hätte. Deshalb wolle er nicht an einem gewaltsamen Unternehmen gegen ihn teilnehmen, wozu er auch zu alt sei. „Wenn ihr (es muß nach dem Zusammenhang damit gemeint sein: du und Dionys) zu irgendeinem Zeitpunkt das Bedürfnis habt, euch in Freundschaft miteinander zu vereinigen, um etwas Gutes zu bewirken, dann bin ich euer Mann. Aber wenn ihr begehrt, euch Böses anzutun, sucht eure Helfer anderswo." Diese spontane Äußerung eines heftigen Unmutes auch Dion gegenüber ist nach allem, was vorgefallen war, im Munde Piatons sehr begreiflich. Er war ja wirklich zuerst von Dion und dessen syrakusanischen Freunden, dann zusätzlich auch von den unteritalischen Pythagoreern, entgegen seinen eigenen schweren Zweifeln in die Unternehmung, Dionys für die Reformpläne zu gewinnen, hineingezogen worden. Dann war alles so und noch schlimmer gegangen als er selbst es vorausgeahnt hatte. Nun mit dem endgültigen Zerwürfnis zwischen Dion und Dionys, wenn es irreparabel war, war der ursprünglich geplanten Unternehmung der Boden entzogen. Ein Sturz des Tyrannen durch Gewalt, selbst wenn er gelang, konnte kein Ersatz dafür sein, da damit gerade die wichtigste Voraussetzung des politischen Erneuerungswerkes, die Vermeidung der Anwendung von Gewalt, weggefallen war. So konnte Piaton nicht anders empfinden als es hier so spontan zum Ausdruck kommt. Wie hätte dagegen ein Fälscher, der den Brief geschrieben haben soll, um seinen Freund Dion zu verteidigen, diese Unmutsäußerung Piatons über den Freund erfinden sollen? Im folgenden kehrt dann allerdings Piaton zu einer Verteidigung Dions zurück. Aber der Übergang von einem zum anderen ist wiederum ein ganz persönlicher, der wieder das eigentümliche Dilemma, in dem sich Piaton befand, auf das hellste beleuchtet: Er habe noch weitere Versuche gemacht, eine Versöhnung herbeizuführen. Aber sie (Dion und Dionys) hörten nicht auf ihn. Daher sind sie (Plural!) an

Der siebte platonische Brief

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allem Unglück schuld, das daraus entstanden ist". Wenn allerdings Dionys bereit gewesen wäre, die Güter Dions herauszugeben und sich mit ihm zu versöhnen, dann wäre das alles nicht geschehen. Denn Dion hätte er (Piaton) leicht zurückhalten können. So wird, nachdem zuerst beide als Schuldige bezeichnet worden sind, die eigentliche Schuld doch bei Dionys gefunden. Vor allem aber verteidigt Piaton im folgenden die Reinheit der Absichten Dions98. Er habe nicht zu denen gehört, die für sich selbst und ihre persönlichen Freunde Reichtümer und Macht anstreben, ja nicht einmal zu denen, die um der Vergrößerung des Besitzes und der Macht ihres eigenen Staates willen andere Staaten zu schädigen unternehmen. Sein Streben sei es vielmehr gewesen, einen Zustand der höchsten Gerechtigkeit zu verwirklichen, ohne gewaltsamer Mittel wie Hinrichtungen und Verbannungen zu bedürfen. Daher habe er auch lieber Unrecht erdulden als es anderen zufügen wollen. Er habe sich über den Charakter seiner Gegner nicht völlig getäuscht. Aber er habe die Tiefe ihrer Schlechtigkeit doch nicht ganz durchschaut". Daran sei er im Augenblick, wo der Sieg schon in seinen Händen war, gescheitert. Mit dieser Art Nachruf auf den ermordeten Freund schließt der siebte Brief. Chronologisch darüber hinaus gehen noch einige frühere Abschnitte100, die ganz kurz von den Ereignissen, die der Ermordung Dions vorausgingen, und von den Plänen seiner Freunde nach seinem Tod, die den Anlaß zur Abfassung des Briefes gegeben haben, handeln. Aber diese Abschnitte des Briefes können nicht diskutiert werden, ohne die auf dieselben Ereignisse bezügliche, hier aber sehr viel detailliertere, historische Literatur heranzuziehen. Überblickt man das Ganze bis hierher, so hat sich überall gezeigt, daß der siebte Brief zwar vieles enthält, was auf den ersten Blick als „in sich widersprüchlich" erscheint, daß der Widerspruch jedoch jeweils in der historischen Situation als solcher gelegen ist und im 97

98 99 100

Е р . V I I , 350 d: άπειθοΰντες δέ καΐ ой πειθόμενοιταΐς δπ'έμοδ διαλλάξεσιν πάντων των νδν γεγονότων κακών αδτοί αίτιοι έγένοντο αδτοΐς. Ibid. 351 a ff. Ibid. 351 d. Ibid. 333 d ff.

Piaton in Sizilien

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siebten Brief vielmehr die Erklärung dafür enthalten ist, wie es zu solchen widersprüchlichen Situationen hat kommen können. Die logische Konsequenz der Unechtheitserklärung des siebten Briefes ist es daher, die Historizität der Situationen selbst in Zweifel zu ziehen. Tatsächlich hat Maddalena auch - wenn auch nur ganz nebenbei auf der vorletzten Seite seines Buches - diese Konsequenz gezogen 101 : „ I o esito anche a credere che Piatone sia andato davvero alia corte di Dionisio II. perche le notizie che ci sono pervenute su tali viaggi sembrano derivate tutte dalle lettere, se si tolgono alcuni aneddotti ch'e la cosa piü facile a inventare." Da wird nun also als Konsequenz der Annahme der Unechtheit des siebten Briefes ein ganzer inhaltsreicher Abschnitt aus Piatons Leben zum Produkt eines antiken Briefromans, auf welchen alle späteren Historiker hereingefallen sind. Maddalena geht jedoch nicht so weit, auch Dions Rolle in der sizilischen Geschichte zum Roman zu erklären, wodurch ein ganzer wichtiger Abschnitt dieser Geschichte verschwinden und eine historische Lücke entstehen würde, die sich überhaupt nicht schließen läßt, da die in diesen Abschnitt fallenden Ereignisse zu mannigfaltige Spuren hinterlassen haben, um auf einen Roman zurückgeführt werden zu können. Aber auch die Geschichte Dions enthält mannigfache „Widersprüche" ganz ähnlicher Art wie die Geschichte der Verwicklung Piatons in sizilische Politik. Auch diese „Widersprüche" finden zum Teil ihre Erklärung durch den siebten Brief. Es ist dahei nun an der Zeit, die Ereignisse von der Seite Dions her aufgrund der historiographischen Zeugnisse zu betrachten. Erst so von beiden Seiten aus betrachtet erschließt sich auch die exemplarische Bedeutung dieses Versuches eines großen Philosophen, seine politischen Ideen zu verwirklichen.

101

A.a.O. p. 345.

K A P I T E L II

Dions syrakusanische Politik

1. Der siebte Brief erzählt, wie Piaton bei seinem ersten Aufenthalt in Sizilien den damals noch jungen Dion für seine ethischen und politischen Überzeugungen gewonnen hat und wie Dion von solchem Enthusiasmus für diese Überzeugungen ergriffen wurde, daß er seine Lebensweise änderte, wodurch er sich bei denen, die das üppige Leben eines Tyrannenhofes liebten, unbeliebt gemacht habe 102 . Auch habe er zwar nicht viele, aber doch einige in Sizilien gefunden, die den Lehren Piatons ebenfalls zugänglich waren. Vor allem habe er geglaubt, daß auch der junge Dionys dafür gewonnen werden könne. Deshalb habe er ihn, Piaton, nach dessen Regierungsantritt sogleich nach Syrakus geholt. Darüber hinaus jedoch sagt der Brief über Dions Leben und Tätigkeit in den vollen zwanzig Jahren zwischen dem ersten und zweiten Aufenthalt Piatons in Sizilien kein Wort. Diese Lücke wird durch die historische Überlieferung, vor allem die Lebensbeschreibungen Dions von Plutarch und Cornelius Nepos bis zu einem gewissen Grade ausgefüllt. Daraus ergibt sich, daß Dion in dieser Periode keineswegs nach den Prinzipien gehandelt hat, welche der siebte Brief für das Erteilen von politischen Ratschlägen aufstellt, sondern dem Tyrannen nicht nur mit Ratschlägen, sondern auch durch erfolgreiche Übernahme diplomatischer Missionen diente103, obwohl es zweifellos aussichtslos gewesen wäre, den harten Tyrannen für Piatons politische Ideale gewinnen zu wollen. Er hei102 103

Ер. V I I , 327 b. Plutarch, Dion 5, 8; Cornelius Nepos X (Dion) 1, 5.

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Piaton in Sizilien

ratete eine Tochter des Tyrannen104 und erfreute sich bei diesem nach dem Zeugnis der Historiker eines sehr beträchtlichen Einflusses, wie er auch unter ihm den größten Teil seiner enormen Reichtümer erworben zu haben scheint105. Daraus kann man nicht den Schluß ziehen, daß es Dion nicht darauf angekommen ist, platonische Ideale zu verwirklichen, sondern nur darauf, sich persönlich eine politische Machtstellung zu erobern und, wenn möglich, nach dem Tode des Tyrannen dessen Erbe anzutreten, wohl aber, daß er von Anfang an anders als Piaton als praktischer Politiker gehandelt hat, indem er versuchte, sich eine Position der Macht und des Einflusses zu verschaffen, die es ihm ermöglichen würde, seine politischen Ziele zu verwirklichen, welche diese auch immer gewesen sein mögen. Um zu einer Beantwortung der Grundfrage zu kommen, welches diese seine Ziele gewesen sind, ist es daher nötig, zu untersuchen, welches seine Ausgangsposition und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten gewesen sind unter der - vorläufig völlig hypothetischen - Voraussetzung, daß er wirklich im Sinne hatte, platonische politische Ideale in die Wirklichkeit umzusetzen, falls sich eine Möglichkeit dazu bieten sollte. Geht man davon aus, daß Dion und Piaton später versucht haben, durch Einwirkung auf den jüngeren Dionys ihre Ziele zu erreichen, so scheint sich als mögliche Alternative zu bieten, bei völliger Enthaltung von jeder Teilnahme an den politischen Unternehmungen des älteren Dionys, entweder schon zu dessen Lebzeiten oder sofort nach dessen Tod den Versuch zu unternehmen, bestimmenden Einfluß auf seinen legitimen Nachfolger zu gewinnen. Es ist aber nicht schwer zu sehen, daß der allen Menschen gegenüber argwöhnische Tyrann Dion niemals erlaubt hätte, bei seinem ohnehin hinsichtlich der Festigkeit seines Charakters mit Mißtrauen betrachteten Sohne den Marquis Posa zu spielen, wenn Dion sich im übrigen völlig von jeder Teilnahme an der Politik des Vaters zurückgezogen oder sogar ihr 104

los

Plutarch, Dion 6, 1. Uber die Vermögensverhältnisse von Dions Vater Hipparinos und den mutmaßlichen Ursprung der Reichtümer Dions vgl. die eingehende Untersuchung bei H. Berve a.O. (oben Anm. 4 ) , S. 762 ff.

Dions syrakusanische Politik

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gegenüber eine negative Haltung eingenommen hätte. Es ist nicht minder klar, daß es völlig ausgeschlossen gewesen wäre, auf den an sich schwankenden und nicht sehr charakterfesten jungen Mann sogleich nach dem Tode des Vaters entscheidenden Einfluß zu gewinnen, wenn Dion bis dahin von allem Einfluß auf ihn ferngehalten und der junge Mann ganz dem Einfluß seines Vaters und dessen durchaus nicht platonisch gesinnten Ratgebern überlassen war. So kann kein Zweifel daran bestehen, daß Dion, wenn er daran hing, in Sizilien platonische politische Ideale zu verwirklichen, gar keine andere Wahl hatte, als zunächst einmal in Erwartung der Zukunft dem älteren Tyrannen treu zu dienen, so sehr dies auch den von Piaton im siebten Brief aufgestellten Prinzipien widersprechen mochte. Das höchste, was er tun konnte, war, mit Vorsicht, und das heißt, ohne, wie Marquis Posa, „Gedankenfreiheit" zu fordern, gelegentlich dem Tyrannen mit Freimut gegenüberzutreten, und das hat er nach dem Zeugnis der Historiker im Rahmen des Möglichen getan108. Immerhin blieben auch unter diesen Voraussetzungen noch zwei Alternativen: entweder danach zu streben, nach dem Tode des Tyrannen selbst dessen Macht sei es ganz oder teilweise zu erben, oder sich darauf zu beschränken, eine Position einzunehmen, die es ermöglichen würde, nach dem Tode des Vaters entscheidenden Einfluß auf den Sohn zu gewinnen, ohne diesem in irgendeiner Weise in einer eigenen unabhängigen Machtposition an der Seite zu stehen oder gar ihn ganz aus der Nachfolge des Vaters zu verdrängen. Der zweite Weg war weniger riskant, bot aber auch angesichts des Charakters des jüngeren Dionys keine allzu große Hoffnung auf wirkliches Gelingen. Der erste Weg involvierte ein größeres initiales Risiko, aber, wenn der erste Schritt gelang, eine weit größere Wahrscheinlichkeit weiteren Erfolges. Nach dem Zeugnis der Historiker hat Dion diesen riskanteren Weg gewählt. Wir erfahren nichts Sicheres darüber, ob Dion angesichts des skeptischen und zurückhaltenden Haltung, die der ältere Dionys seinem Sohne gegenüber 106

Plutarch, Dion 5, 8.

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Piaton in Sizilien

eingenommen zu haben scheint, sich Hoffnungen darauf gemacht hat, diesen überhaupt aus der Nachfolge verdrängen und das politische Erbe des älteren Dionys selbst antreten zu können. Aber die Historiker berichten107, Dion habe den Versuch gemacht, den älteren Dionys unmittelbar vor seinem Tode dazu zu bringen, die Kinder der Aristomache als Miterben der Macht einzusetzen und damit zugleich ihn selbst, Dion, als Vormund der Kinder der Aristomache mindestens temporär während deren Unmündigkeit zum Mitregenten des jüngeren Dionys zu machen. Der Versuch wurde jedoch angeblich dadurch vereitelt, daß die Ärzte des älteren Dionys, durch die Feinde Dions veranlaßt, dem Dionys ein Schlafmittel gaben, das ihn verhinderte, vor seinem Tode noch Anordnungen hinsichtlich seiner Nachfolge zu treffen, worauf, nachdem der Tod eingetreten war, sein Sohn Dionys II. zum alleinigen Nachfolger proklamiert wurde. Damit war der erste Alternativplan, wenn es einen solchen gab und es gibt keinen triftigen Grund, die wesentlichen Angaben der Historiker in dieser Hinsicht zu bezweifeln - endgültig gescheitert, und es gab nur noch zwei Möglichkeiten: entweder den ganzen Plan überhaupt fallen zu lassen oder den Versuch zu machen, ob sich die zweite Alternative nicht doch noch durchführen lasse, wenn auch ihre Durchführung durch den Versuch, die Thronfolge des jüngeren Dionys zum mindesten einzuschränken, der diesem kaum völlig verborgen bleiben konnte, da die Gegner Dions alles Interesse daran haben mußten, ihn darüber aufzuklären, eine schwere Belastung erfahren mußte. Es zeigt sich dabei jedoch zugleich, daß die Frage, die bei Piaton auf den ersten Blick so schwer zu beantworten zu sein scheint, nämlich wie er sich überhaupt auf ein so unsicheres Unternehmen habe einlassen können, sich für Dion überhaupt nicht stellt. Denn dieser hatte im Grunde gar keine Wahl. Wenn er die Konsequenz gezogen hätte, sich völlig aus der Politik und dem Verkehr mit dem jungen Herrscher zurückzuziehen, hätte dies nur bedeutet, seinen 107

Plutarch, Dion 6, 2 aus Timaios ( = FGrH 566 F 109); Com. Nepos X, 2, 4. Uber die leicht von einander abweichenden antiken Versionen und ihre Glaubwürdigkeit vgl. H. Berve a.O. 766.

Dions syrakusanische Politik

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Gegnern bei dem jungen Dionys das Feld zu überlassen, und diese hätten sich durch seine Zurückhaltung kaum davon abhalten lassen, ihn bei Dionys als einen für die Sicherheit seiner Herrschaft gefährlichen Mann zu denunzieren und zum mindesten seine Verbannung zu betreiben. Es blieb ihm also, wenn er sich nicht sozusagen politisch selbst die Kehle abschneiden wollte, gar nichts übrig als die Flucht nach vorn. Ihm diese zu ermöglichen hat er dann offenbar rücksichtslos seinen philosophischen Freund Piaton eingesetzt. Sieht man die Dinge von dieser Seite, so bekommt der schon mehrfach erwähnte Satz des siebten Briefes συγγενόμενος Δ ί ω ν ι . . . τυραννίδος τινά τρόπον κατάλυσιν έσομένην μηχανώμενος ελαθον έμαυτόν noch einen ganz besonders akuten Sinn. Wir wissen nicht, wieweit Dion während der zwanzig Jahre zwischen dem ersten und zweiten sizilischen Aufenthalt Piatons mit diesem brieflich in Kontakt geblieben ist108. Ein gewisser Verkehr zwischen ihnen muß ja wohl stattgefunden haben, da Piaton sonst kaum mit solchem Vertrauen die Einladung Dions nach Syrakus angenommen hätte. Aber auf der anderen Seite sieht es nicht danach aus, als ob Dion Piaton über seine realen Pläne auf dem laufenden gehalten hätte, was ja auch angesichts des ziemlich plötzlichen Todes des älteren Dionys gar nicht möglich gewesen wäre. Selbst die vage Mitteilung von Plänen für den Fall des seinem Zeitpunkt nach gar nicht vorauszusehenden Todes des Tyrannen hätte ihre sehr ernsthaften Gefahren gehabt. Man darf das Ελαθον έμαυτόν daher wohl auch dahin interpretieren, daß Piaton von den sich plötzlich auftuenden Möglichkeiten und den damit verbundenen, sich aus der konkreten Sachlage ergebenden Dringlichkeiten ziemlich überrascht gewesen ist. Diese Sachlage läßt sich nun jedoch etwas genauer präzisieren. Dion hatte sich in eine Lage gebracht, in der es kaum einen anderen Ausweg gab als Piaton zu Hilfe zu rufen. Man könnte sagen, daß er dies nicht nur rücksichtslos, sondern in skrupelloser Weise getan hat, wenn nicht die Tatsache, daß der jüngere Dionys sogleich bereit 108

Diog. Laert. III, 1, 9 und Iambl. vit. Pyth. 199 berichten, Dion habe Piaton auf seine Bitte pythagoreische Schriften, bzw. die Werke des Philolaos verschafft.

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Piaton in Sizilien

war, Piaton von sich aus einzuladen, sowie daß er dann zu Piaton in ein freundschaftliches Verhältnis getreten ist und trotz seines Mißtrauens gegen Dion ihm offenbar lange Zeit doch auch wieder ein beträchtliches Vertrauen gezeigt hat, darauf hinwiese, daß in ihm etwas war, das durch philosophische politische Ideen ansprechbar war, wie er ja auch gleich nach seinem Regierungsantritt das strenge Regime seines Vaters gelockert zu haben scheint und umgekehrt sein Vater ihn deshalb zu seinen Lebzeiten nicht zu politischen Dingen herangezogen haben soll109, weil er seinen Mangel an Härte im Festhalten der absoluten Macht fürchtete. Die Hoffnung, Dionys mit Hilfe Piatons zu sich hinüberziehen zu können, muß Dion wirklich gehabt haben. Sonst hätte die Aufforderung an Piaton, nach Syrakus zu kommen, keinen Sinn gehabt. Auch ist die Hoffnung offenbar nicht ganz blind gewesen. Aber das Verhältnis Dions zu Dionys II. war schon zu sehr vorbelastet. Man kann sich die sehr natürliche Reaktion des jüngeren Dionys vorstellen, wenn er von dem Vorhaben Dions erfuhr, seinen Vater noch vor seinem Tode zu einer Regelung der Thronfolge zu bewegen, die ihm einen Teil seiner Macht nahm, wenn ihm dieser Versuch Dions von dessen Feinden in den schwärzesten Farben geschildert wurde und wenn ihn nun Dion mit Hilfe des attischen Philosophen zu bewegen suchte, einen Teil der Macht, die er nunmehr in Händen hatte, freiwillig aufzugeben. Dazu kam, daß Dion nach Angabe der Historiker110 noch nach dem Regierungsantritt des jüngeren Dionys den Versuch machte, sich durch Verhandlungen mit Vertretern Karthagos einen bis zu einem gewissen Grad von Dionys lü

»

110

Plutarch, Dion 9. Plutarch, Dion 14, 4 ff. Nach dem daselbst zitierten Timaios ( = FGrH 566 F 113) war der Brief Dions an die karthagischen Bevollmächtigten, der Dionys in die Hände fiel, der unmittelbare Anlaß zu Dions Verbannung. Schon etwas vorher scheinen nach Plut. Dion 12 die Gegner Dions diesen bei Dionys II. beschuldigt zu haben, er habe mit Theodotes und dessen Neffen Herakleides, der ja später beim Sturz des Dionys tatsächlich eine bedeutende Rolle spielte, die Möglichkeit einer Beseitigung der Herrschaft des Tyrannen erörtert. Plutarch, der sonst Dion verteidigt, sagt hier nicht, daß dies eine Verleumdung gewesen sei, sondern behauptet nur, Dion habe zunächst den Tyrannen bekehren wollen, aber, falls dies nicht gelänge,

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unabhängigen außenpolitischen Einfluß zu verschaffen. Es ist unter diesen Umständen kein Wunder, daß Dionys gegen Dion mißtrauisch wurde und ihn in die Verbannung schickte. Aber sein späteres Verhalten Piaton gegenüber läßt es nicht als wahrscheinlich erscheinen, daß er - wie es im siebten Brief dargestellt wird 1 " nur deshalb Piaton zurückhielt und freundschaftlich mit ihm verkehrte, weil er einen Prestigeverlust befürchtete, wenn er den berühmten Philosophen schlecht behandelte, sondern daß er die Integrität des Philosophen spürte und ihm wirklich daran gelegen war, herauszufinden, was es mit dessen politischen Ideen auf sich habe. Auf der anderen Seite ist es für den Philosophen charakteristisch, daß er in dem Gefühl seiner eigenen Integrität und in seinem felsenfesten Vertrauen auf die Reinheit der Absichten seines Freundes Dion nur das „Unrecht" sah, das Dionys in seinen Augen beging, indem er den Einflüsterungen der Feinde Dions Gehör schenkte, und gar nicht gesehen zu haben scheint, wie schwer es nach allem Vorgefallenen für Dionys war, Dion nicht zu mißtrauen. Es ist nicht nötig, die weiteren Ereignisse bis zum endgültigen Bruch zwischen Dion und Dionys noch einmal von der anderen Seite aus zu betrachten. Es genügt, ganz kurz zu erwähnen, was schon oft hervorgehoben worden ist: daß der Gebrauch, den Dion während seiner Verbannung von seinen riesigen Einkünften aus Sizilien mach-

111

auch seine gewaltsame Absetzung ins Auge gefaßt. Dies zusammen mit den Verhandlungen mit den Karthagern, die Dion ja später bei seinem Unternehmen gegen Dionys bis zu einem gewissen Grade behilflich gewesen sind, macht es sehr wahrscheinlich, daß Dion auch jetzt, wie unter Dionys I., sich verschiedene politische Möglichkeiten offen zu halten versuchte. Seine Eventualpläne blieben aber nicht verborgen, und das daraus entstandene Mißtrauen des Tyrannen gegen ihn ist sehr verständlich. Man muß sich eher wundern — und es spricht dafür, daß Piaton in Wirklichkeit einen sehr starken Einfluß auf den Tyrannen gehabt hat —, daß der Tyrann Dion gegenüber so zögernd und mit solcher Langmut verfahren ist. Piaton selbst freilich vermochte das offenbar nicht zu sehen. Für ihn galt nur, daß seiner Überzeugung nach Dion niemals etwas gegen Dionys II. unternommen hätte, wenn dieser bereit gewesen wäre, mit Dion zusammen ehrlich und energisch an die Verwirklichung platonischer politischer Ideale heranzugehen. Ер. VII, 3 4 1 b ff.

von Fritz, Plato

β

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Piaton in Sizilien

te, überall Beziehungen anzuknüpfen und sich Freunde zu verschaffen, notwendigerweise bei Dionys die Furcht hervorrufen mußte, der hierdurch gewonnene Einfluß könne von Dion gegen ihn verwendet werden, und daß es daher sehr begreiflich ist, wenn er schließlich Dion diese Einkünfte sperrte. Auch hier hat Piaton, wie es scheint, wieder nur den Bruch des ihm gegebenen Versprechens gesehen, ohne im geringsten gewahr zu sein, wie sich die Dinge im Kopfe des Dionys darstellen mußten. Es ist eine höchst eindrucksvolle Illustration des Verhältnisses zwischen Philosoph und Politiker, wie der Philosoph überall nur das Moralische sieht, ohne die psychologische Wirkung gewisser Ereignisse zu sehen, während umgekehrt der Tyrann bis fast zuletzt so von der moralischen Sauberkeit und Festigkeit des Philosophen beeindruckt gewesen zu sein scheint, daß er, soweit sich erkennen läßt, eine Zeitlang ehrlich mit dem Gedanken umgegangen ist, Piaton die volle Kontrolle über sehr beträchtliche Einkünfte Dions ausüben zu lassen, im Vertrauen darauf, daß dieser es seinem Freunde nicht erlauben werde, diese Einkünfte gegen ihn, Dionys, zu verwenden. Erst als dann einige Schüler Piatons, darunter sein Neffe Speusipp, die mit ihm auf der letzten Reise nach Syrakus gekommen waren, die Torheit begingen, sich überall in der Stadt mit den Bürgern in Gespräche einzulassen und diese nach ihrer Meinung über den Tyrannen auszufragen, was diesem natürlich von seinen Agenten hinterbracht wurde, verlor er naturgemäß auch das Vertrauen zu Piaton und kam es zum endgültigen Bruch.

2.

Die Probleme der letzten Phase des Geschehens, von Dions Entschluß, die Herrschaft des jüngeren Dionys mit Gewalt zu stürzen, bis zu Dions Ermordung, sind anderer Art und erfordern eine etwas andere Betrachtungsweise. Doch ist es auch hier nicht nötig, alle Ereignisse im einzelnen zu verfolgen, wie dies in der Abhandlung von H. Berve in hervorragender Weise geschehen ist, sondern genügt es, die Analyse im wesentlichen auf diejenigen Ereignisse zu

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beschränken, die für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Dion und Piaton sei es direkt oder indirekt von Bedeutung sind. Aus der früheren Diskussion dieser Periode aufgrund des siebten Briefes allein hatten sich zwei wichtige, miteinander aufs engste verknüpfte Resultate ergeben: 1. daß Pia ton mit dem Versuch, Dionys' Herrschaft mit Gewalt zu stürzen, als solchem nicht einverstanden war, 2. daß er trotzdem an dem Glauben an die Reinheit von Dions Absichten im Sinne von Piatons Idealen unerschütterlich festhielt. Doch mußte durch das erste eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Verwirklichung von Piatons Idealen zum mindesten vorübergehend unvermeidlich geschwächt, wenn nicht vollständig zerstört werden: der gewaltlose Übergang von der einen Regierungsform in die andere. Es mußte daher sich mit Notwendigkeit die überaus schwierige Frage erheben, wieweit es nach dem Sturz des Tyrannen noch möglich sein werde, diese Voraussetzung bis zu einem gewissen Grad noch wiederherzustellen. Was die zweite Frage angeht, so hat die bisherige Analyse noch keinen ausreichend festen Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage ergeben, ob Piaton sich in seinem festen Glauben an die Reinheit von Dions Absichten getäuscht hat oder nicht. Alles, was sich bisher ergeben hat, ist, daß Dion, auch wenn er auf nichts anderes hinstrebte als darauf, genügend Einfluß zu gewinnen, um politische Reformen im Sinne Piatons durchführen zu können, von ein paar Nebendingen abgesehen, als praktischer Politiker kaum viel anders handeln konnte als er es faktisch getan hat. Aber alles, was von seinen Handlungen und Entscheidungen bis zu diesem Zeitpunkt festgestellt werden kann, ist auch mit der Annahme vereinbar, daß Dion Piaton nur als Mittel benützt hat, um persönlich zu Macht und Einfluß zu gelangen. Erst die folgenden Ereignisse können eine Entscheidung darüber bringen, welche von diesen beiden Auslegungen seines Handelns die richtige ist. Die Kriegsmacht, mit deren Hilfe Dion es unternahm, den Tyrannen, dem von seinem Vater her gewaltige militärische Resourcen zur Verfügung standen, zu stürzen, war nach der Angabe

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Piaton in Sizilien

der antiken Historiker unglaublich gering112. Dion selbst soll mit 800 Söldnern nach Sizilien gefahren sein. Eine Flotte unter Herakleides mit weiteren 1500 sollte ihm auf dem Weg an der Küste entlang folgen. Die angeworbenen Söldner sollen denn auch zunächst, als sie erfuhren, was das Ziel des geplanten Unternehmens sei, sich geweigert haben, an einem solchen, scheinbar aussichtslosen Unternehmen teilzunehmen113. Sie ließen sich jedoch umstimmen, als Dion sie davon zu überzeugen suchte, daß sie nicht so sehr als Soldaten, um einen Krieg gegen Dionys zu führen, nach Sizilien kommen würden als vielmehr zu dem Zwecke, als Anführer der Syrakusaner und anderer sizilischen Griechen zu dienen, die sich bei ihrer Ankunft spontan gegen Dionys erheben würden. Dabei scheint außer einem angesehenen Achaeer Alkimenes auch der Neffe Piatons, Speusipp, eine Rolle gespielt zu haben, der nun die Beobachtungen über die Stimmung der Bevölkerung von Syrakus gegenüber dem Tyrannen vortrug, die er während des gemeinsamen Aufenthalts mit Piaton in Sizilien in dieser Hinsicht gesammelt hatte. Das zeigt einerseits, daß Dionys I I . nicht unrecht hatte, wenn er den athenischen Begleitern, die Piaton das zweite Mal nach Syrakus mitgebracht hatte, mißtraute, andererseits aber auch, daß Dion in gewisser Weise gegen den Willen Piatons mit dessen nächster Umgebung konspirierte. Auch darin enthüllt sich wieder die ganze Kompliziertheit der Lage Piatons seinem politischen und persönlichen Freunde gegenüber. Faktisch allerdings erfüllten die Hoffnungen Dions sich zunächst in einem alles Erwarten übertreffenden Maße. Obwohl Dions kleine Truppe, die auf Lastschiffen direkt nach der Südküste von Sizilien zu segeln beabsichtigte, zuerst durch widrige Winde beinahe nach Afrika abgetrieben worden wäre, gelangte sie schließlich wohlbehalten bei einer unter karthagischer Oberherrschaft stehenden kleinen 112

113

Plutarch, Dion 24, 1. Über die geniale Strategie Dions, die ihm trotzdem den Erfolg ermöglichte, vgl. die ausgezeichneten Bemerkungen von J. H. Thiel, Rond het Syrakusansche Experiment, Mededeel. Nederland. Akad. van Wetensch., afd. Letterkunde N.R. IV, nr. 5, S. 28 ff. und H. Berve a.O. S. 807/08. Plutarch, Dion 22/23.

Dions syrakusanische Politik

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Stadt, Minoa, an, wo sie einen mit Dion durch Gastfreundschaft verbundenen hohen karthagischen Würdenträger antraf, der Dion freundlich aufnahm und es ihm ermöglichte, das karthagische Territorium zum Ausgangspunkt seiner Unternehmungen zu machen114. Dabei mag ein günstiger Zufall mitgewirkt haben. Aber das Ganze zeigt doch wieder, daß Dion schon lange mit der Möglichkeit einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit Dionys II. gerechnet haben muß und sorgfältige Vorbereitungen für eine solche Eventualität getroffen hatte. Im übrigen erhielt nun Dion, wie er offenbar erwartet hatte, von allen Seiten bewaffneten Zuzug. Der Tyrann, der von dem bevorstehenden Unternehmen des Dion natürlich erfahren hatte, den Angriff aber von Norden erwartete, hatte Philistos mit der Flotte nach der iapygischen Küste entsandt, um Dion den Weg zu verlegen, und war dann selbst mit weiteren 80 Schiffen nach Kaulonia gefahren115. Als Dion davon erfuhr, ließ er das Gerücht ausstreuen116, er wolle zuerst gegen Leontinoi und die in dessen Nähe von Dionys I. von Katane aus angelegte Kolonie Aitne ziehen, was die aus diesen Städten stammenden Söldner Dionys' II. veranlaßte, aus Syrakus abzuziehen, um die genannten Städte zu verteidigen. Dann zog er gegen das nur noch von einer schwachen Garnison verteidigte Syrakus. An den Toren der Stadt soll er von den vornehmsten Einwohnern in weißen Gewändern empfangen worden sein117. Er ließ verkünden, daß er gekommen sei, um Syrakus und Sizilien überhaupt von der Tyrannis zu befreien. Er selbst und sein Bruder Megakles wurden darauf von dem versammelten Volk zu Befehlshabern mit unbeschränkter Gewalt (στρατηγ&ς αυτοκράτωρ) gewählt118. Der von Dionys II. eingesetzte Befehlshaber der Garnison ergriff die Flucht. Epipolai wurde eingenommen und die dort von dem Tyrannen gefangen gehaltenen syrakusanischen Bürger befreit. 114

»5 "· 117 118

Plutarch, Dion, 24/25. Diodor XVI, 11, 3; vgl. Plutarch, Dion 26. Plutarch, Dion 27. Ibid. 28. Ibid. 29.

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Nur die befestigte Insel Ortygia konnte nicht eingenommen werden. Sie wurde zunächst von Dion durch eine Sperrmauer vom Festland abgesperrt. Die Wahl zum στρατηγός αύτοκράτωρ war es gewesen, die es Dionys I. im Frühsommer des Jahres 405 ermöglicht hatte, sich zum Tyrannen aufzuwerfen. Man kann die Frage aufwerfen, ob es Dion, wenn er dasselbe Ziel gehabt hätte, hätte gelingen können, durch geschickte Benutzung der Begeisterung des Volkes und den Hinweis auf die Notwendigkeit, alle Kräfte zusammenzufassen, um dem Tyrannen, der zweifellos bald zurückkehren werde, zu widerstehen, in kurzer Zeit, wie Dionys I. es getan hatte, eine solche militärische Macht in seiner Hand zu vereinigen, daß es schwierig gewesen wäre, sie ihm wieder zu nehmen. Es wäre darauf angekommen, das Vertrauen des Volkes sich trotz solcher Maßnahmen lange genug zu erhalten, was vielleicht durch die energischste Konzentration aller Kräfte auf den schonungslosen Kampf gegen den Tyrannen sich hätte erreichen lassen. Aber Dion hat einen anderen Weg eingeschlagen. Er bat selbst darum, ihm und seinem Bruder Megakles zwanzig Mitbefehlshaber (συνάρχοντες) an die Seite zu stellen, was auch geschah" 8 . Doch wurde die Hälfte von ihnen aus dem Kreis der syrakusanischen Verbannten genommen, die mit ihm zurückgekommen waren. Vielleicht kann man daraus noch keine weitreichenden Schlüsse ziehen. Es könnte, was immer auch Dions letzte Absichten gewesen sein mögen, ein geschickter Schachzug gewesen sein mit dem Zweck, dem Volke jeden Verdacht zu nehmen, er wolle sich zum Tyrannen machen, solange die Grundlage seiner Macht noch nicht fest genug und er daher auf die freiwillige Mithilfe der Bürgerschaft angewiesen war. Behindert jedenfalls scheinen ihn die ihm zur Seite gestellten Männer in keiner Weise zu haben, da später nicht mehr von ihnen die Rede ist. Außerdem behielt Dion eine Leibwache von 100 Mann bei, die er mitgebracht hatte. Eine Wendung, deren weiterer Verlauf dann doch vielleicht ein "»

Plutarch, Dion, 29, 3.

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besser begründetes und präziseres Urteil über Dions Absichten und sein Verhältnis zu Piaton erlaubt, begann sich erst anzubahnen, als sieben Tage nach dem Einzug Dions in die Stadt Dionys II. zurückkehrte und von der Inselfestung Ortygia aus sogleich den Versuch machte, Verhandlungen mit Dion anzuknüpfen120. Dieser lehnte zunächst ab und verwies den Tyrannen an das syrakusanische Volk, das nun frei sei und daher allein über ein Abkommen verhandeln könne. Ein daraufhin von Dionys an das Volk gerichtetes Angebot einer Verminderung der Steuerlasten und der Befreiung der Bürger vom Kriegsdienst, soweit er nicht vom Volke selbst beschlossen würde, wurde von der Volksversammlung abgelehnt. Darauf teilte Dion selbst den Abgesandten des Tyrannen mit, dieser könne erst dann mit dem Volke verhandeln, wenn er die Tyrannis niedergelegt habe. Tue er dies aber, dann wolle er, Dion, sich nicht nur um Straflosigkeit für ihn bemühen, sondern um ihrer Verwandtschaft willen sich auch sonst für günstige Bedingungen - vermutlich Beibehaltung gewisser Ehrenrechte sowie vor allem seines Besitzes auf syrakusanischem Gebiet - für ihn einsetzen. Nach der Überlieferung ging Dionys zunächst zum Schein auf diese Bedingung ein und forderte die Entsendung von Unterhändlern, um über die genaueren Bedingungen verhandeln zu können. Diese wurden denn auch durch Vermittlung Dions an ihn entsandt121. Unterdessen ließ Dionys überall das Gerücht verbreiten, er habe tatsächlich die Absicht abzudanken, und dies mehr aus eigenem Antrieb als unter dem Druck Dions. Nachdem er so die Syrakusaner in Sicherheit gewiegt hatte, ließ er plötzlich seine Söldner einen Angriff auf die Stadt unternehmen, der zunächst eine große Panik hervorrief, dann aber von Dion und seinen Söldnern zurückgeschlagen wurde, wobei Dion selbst im Getümmel verwundet und von seinen Soldaten nur mit Mühe gerettet wurde. Natürlich war damit das Ansehen Dions bei den Syrakusanern auf der Höhe122. Zugleich gab das hinterlistige Vorgehen des Dionys den vollkommensten Anlaß, die Verhandlungen 120 121 122

Plutarch, Dion 28 und 33; Cornelius Nepos X, 5, 6. Plutarch, Dion 30. Ibid. 31.

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mit ihm abzubrechen und, da die Einnahme des befestigten Ortygia nicht leicht war, eine Konzentration des Oberbefehls, wenn nicht geradezu zu verlangen, so doch stillschweigend vorzunehmen. Alles schien daher in diesem Augenblick einer Zusammenfassung der Macht in den Händen Dions so günstig wie nur möglich zu sein. Dennoch wurde vielleicht gerade in dem eben beschriebenen Abschnitt der Ereignisse der Grund für die späteren Schwierigkeiten Dions und seinen schließlichen Untergang gelegt. Die Hypothek, die von Anfang an auf Dions Versuchen, den jüngeren Dionys für die Reformpläne Piatons zu gewinnen, lastete, war die Tatsache gewesen, daß er schon unter Dionys I. den Versuch gemacht hatte, sich eine gewisse eigene Machtstellung zu verschaffen, und der von daher auf ihm lastende Verdacht, daß er sich an die Stelle Dionys' II. setzen wolle. Die Hypothek, die nun auf seinem Verhältnis zu den „befreiten" Syrakusanern lastete, war, daß er mit dem jüngeren Tyrannen verwandt und verschwägert war, was ihn im Falle von Verhandlungen mit diesem leicht in den Verdacht bringen konnte, mit dem Tyrannen ein Kompromiss auf Kosten des Volkes schließen zu wollen. Daß Dion sich dieser Gefahr bis zu einem gewissen Grade bewußt war, zeigt sehr deutlich die Art, wie er bis zu diesem Zeitpunkt die Angebote des Dionys behandelt hatte. Er hatte sich sorgfältig gehütet, im eigenen Namen Vorschläge zu machen oder den Anschein zu erwecken, als ob er darüber bestimmen könnte, was mit den befreiten Syrakusanern zu geschehen habe oder wie sie sich zu ihrem bisherigen Herrn zu verhalten hätten. Aber er hatte es auf der anderen Seite nicht abgelehnt, eine Art Vermittlerrolle zwischen beiden Parteien zu übernehmen, und dem Tyrannen sogar versprochen, sich für tolerante Bedingungen für ihn einzusetzen, und dabei auf die zwischen ihnen bestehenden Familienbande hingewiesen. Damit war er, wenn diese Versprechungen publik wurden - und er selbst scheint keinerlei Versuch gemacht zu haben, etwas zu verheimlichen - ,schon ziemlich weit gegangen in einer Richtung, in der weitergehend er dem Volke verdächtig werden konnte. Von diesen Verhandlungen und Versprechungen Dions steht nichts im siebten Brief. Sie können, für sich genommen, als Zeichen betrachtet

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werden, daß Dion sich doch einen Weg zur Mitherrschaft offenzuhalten suchte, obwohl dazu die von ihm gemachten Zugeständnisse kaum ausreichend sind. Sie entsprechen aber auch in höchst eigentümlicher Weise den Loyalitätsprinzipien, die im siebten Brief von Piatons Seite, wie sich gezeigt hat123, einen so deutlichen Ausdruck finden, wie vor allem der Mahnung Piatons an Dion, sich, wenn irgend möglich, noch mit Dionys II. zu verständigen. Wenn Dionys mit seinem Überfall auf die Stadt Erfolg gehabt hätte oder der Angriff durch die Bürgerschaft selbst ohne entscheidende Mitwirkung Dions abgeschlagen worden wäre, wäre Dion aufgrund der vorher geführten Verhandlungen beim Volke wohl unvermeidlich in den Verdacht geraten, mit dem Tyrannen heimlich unter einer Decke gesteckt zu haben. Daß die Bürgerschaft von Panik ergriffen worden war und Dion den Angriff unter Einsatz seines Lebens erfolgreich abgeschlagen hatte, ließ einen Verdacht im Augenblick nicht aufkommen und erhöhte stattdessen das Ansehen Dions beim Volke. Aber man darf darum den Aspekt der Gesamtsituation, auf den hier hingewiesen worden ist, nicht völlig übersehen, wenn man das weitere Geschehen verstehen will. Was über die nun folgenden Ereignisse von den antiken Historikern berichtet wird, ist höchst seltsam. Diodor und Plutarch erzählen zum Teil ganz verschiedene Dinge. Beider Bericht enthält zudem manches, was auf den ersten Blick schwer verständlich ist. Es entsteht daher die doppelte Frage, inwieweit jeder der beiden Berichte in sich selbst akzeptabel ist, und ob oder wieweit die beiden Berichte, soweit sie voneinander abweichen, einander widersprechen oder sich gegenseitig ergänzen. Nach der Tradition, die bei Diodor vorliegt, versuchte Dionys, unmittelbar nachdem der Überfall auf die Stadt gescheitert war, von neuem Verhandlungen mit Dion anzuknüpfen. Dieser habe ihn jedoch so lange mit Vorwänden hingehalten124, bis der Teil der Sperrmauer, die er gegen Ortygia er125 124

Vgl. oben S. 59/60. Diodor XVI, 13,2: δ δέ Δίων περί προφάσεις ποριζόμενος άνεβάλλετο, κατασκευάσας μεθ'ήαυχίας τότε τάς κώς τούς πολεμίους ταΐς τς κατήει Διονύσιον άφήσειν τήν τυραννίδα καΐ μάλλον έαυτοδ ποιήσασθαι χάριν ή Δίωνος.

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errichteten Sperrmauer wiederhergestellt war, so versuchte er nur Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Das alles enthält, wenn man genauer zusieht, für die Erklärung keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Wichtig sind jedoch an dem Bericht, wenn ihm historische Tatsachen zugrunde liegen, zwei Dinge: 1. daß Dion persönlich in diesem Zeitraum mit Abgesandten des Dionys verhandelt hat und 2. daß die Antwort, die Dion schließlich gegeben hat, eine sehr entschiedene und schroffe gewesen sein muß: ύπερηφάνου της άποκρίσεως γενομένης, wie es bei Diodor heißt. Viel seltsamer ist die Geschichte, die Plutarch erzählt127, und zwar nach einem Bericht des Timagenes, der während der Ereignisse in Syrakus bei Dion weilte und also die Dinge persönlich miterlebt zu haben scheint. Danach übersandte Dionys Dion Briefe von seiner Frau Arete (die allerdings nach Dions Abfall von Dionys gezwungen worden war, einen anderen zu heiraten) und von seiner Schwester Aristomache sowie einen Brief mit der Aufschrift τω πατρί παρ' Ίππαρίνου. Die Briefe der Frauen hätten Bitten und Beschwörungen (δεήσεις καΐ ικεσίας) enthalten, vermutlich, nicht zu gewaltsam gegen den Tyrannen vorzugehen im Gedanken an die zwischen ihnen bestehenden Familienbande, vielleicht auch die Aufforderung, daran zu denken, daß sie und Dions Sohn Hipparinos sich in der Gewalt des Tyrannen befanden. Dion habe nun die Briefe in der syrakusanischen Volksversammlung öffnen und vorlesen lassen (offenbar ohne ihren Inhalt vorher zu kennen). Da habe sich nun herausgestellt, daß der durch die Aufschrift als von Dions Sohn an diesen gerichtet gekennzeichnete Brief in Wirklichkeit gar nicht von diesem stammte, sondern von Dionys II. an Dion gerichtet war. Dieser habe in diesem Brief Dion daran erinnert, wie er doch früher eifrig dem Tyrannen gedient habe. Dann habe er Drohungen ausgesprochen gegen das Leben seiner Schwester und seines Sohnes. Endlich habe er sich über das Verhalten Dions beklagt und ihn aufgefordert, doch nicht wider sein eigenes Interesse die Tyrannis zu stürzen, sondern lieber an ihr teilzunehmen, statt Leute zu befreien, die ihm doch, was immer 127

Plutarch, Dion 31.

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er auch tue, sein früheres Verhalten nachtragen und ihm daher im Herzen feindlich gesinnt sein würden128. Er solle lieber selbst herrschen und damit seinen Freunden und Angehörigen Sicherheit verschaffen. Dieser Brief, heißt es dann bei Plutarch, sei in Wirklichkeit mehr für das Volk als für Dion bestimmt gewesen und habe Dion beim Volke in ein schlechtes Licht setzen sollen. Das ist eine wahrhaft seltsame Geschichte. Vor allem fragt man sich zwei Dinge: 1. woher Dionys wissen konnte, daß Dion den seiner Aufschrift nach von seinem Sohn an Dion gerichteten Brief, statt ihn vernünftigerweise zuerst selbst zu lesen, vor der Volksversammlung öffnen und vorlesen lassen würde; 2. ist aus eben diesem Grunde schlechterdings nicht einzusehen, warum Dionys, wenn er die von Plutarch ihm zugeschriebene Absicht hatte, sich eines so komplizierten Verfahrens bedient haben sollte. Wenn der Brief offen als Brief des Dionys an Dion übergeben wurde, konnte Dionys vielleicht aufgrund früherer Analogien annehmen, Dion werde ihn uneröffnet an die Volksversammlung weiterleiten. Daß er einen scheinbar von seinem Sohn an ihn gerichteten Brief so behandeln würde, war ganz unwahrscheinlich. Dionys hätte also durch die falsche Absenderangabe seine eigene Absicht nur gefährdet. Man wird daher kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß die Geschichte von der List des Dionys auf die Dion-freundliche Geschichtsschreibung zurückgeht, die ihren Helden von dem Verdacht befreien wollte, Dionys habe derartiges an Dion schreiben können in dem Glauben, Dion werde sich wirklich von den darin enthaltenen Argumenten in seinen Handlungen bestimmen lassen. Es ist ja auch offensichtlich, daß es sich bei der Geschichte von der List des Dionys um eine Interpretation des erstaunlichen Vorgangs, bei dem Timagenes vermutlich Augenzeuge gewesen ist, handelt, und nicht um etwas, das man wissen konnte. Läßt man aber nur diese Auslegung beiseite, so ist, was Plutarch nach dem Bericht des Timagenes an Tatsachen berichtet, durchaus 128 Plutarch, Dion 31 Ende: μηδ'έλευθεροΒν μισοΰντας ανθρώπους κα! μνησικακοΰντας, άλλ'αΰτόν δρχειν παρέχοντα τοις φίλοις καΐ οίκείοις τήν άσφάλειαν.

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plausibel, zugleich aber höchst aufschlußr eich. Daß Dionys einen von ihm selbst an Dion gerichteten Brief mit der Aufschrift τψ πατρί παρ' Ίππαρίνου versah, ist nur verständlich, wenn Dion es abgelehnt hatte, Briefe des Dionys an ihn selbst in Empfang zu nehmen, indem er ihn, wie schon das erste Mal, nur noch entschiedener, auf direkte Verhandlungen mit dem Volk verwies. Das war also die υπερήφανος άπόκρισις, von der Diodor berichtet, und in dieser Hinsicht ergänzen sich daher die Berichte des Diodor und des Plutarch. Es blieb dem Dionys, wenn er mit Dion direkt verkehren wollte, gar nichts anderes übrig als sich der List zu bedienen, den Brief mit einem anderen Absender zu versehen. Aber das war die ganze List. Sie hat nur Sinn, wenn der Brief nicht, wie Plutarch versichert, in Wirklichkeit für das Volk bestimmt war, sondern eben Dion allein erreichen sollte. Das entspricht auch sehr viel besser dem Charakter des jüngeren Dionys, wie er sich in den vorangegangenen Ereignissen offenbart hat. Zugleich enthüllt es jedoch auch die ganze Vertracktheit der Situation, wie sie sich seit dem Tode des älteren Dionys entwickelt hatte. Dion hatte dem jüngeren Dionys von Anfang seiner Regierung an mit den platonischen Reformplänen in den Ohren gelegen. Dieser war von Piaton beeindruckt gewesen und hatte ja auch schon selbst vor seiner Thronbesteigung mit dem Gedanken än Reformen verbunden mit einer gewissen Lockerung der monarchischen Gewalt gespielt129 - aber natürlich unter der Voraussetzung, daß er selbst dabei in irgendeiner Weise an der Spitze bleiben würde. Zugleich war er jedoch unaufhörlich - und nicht ganz ohne äußeren Anlaß - von dem Verdacht geplagt worden, Dion sei es gar nicht so sehr um die platonischen Reformen zu tun als darum, sich selbst an seine, Dionys', Stelle zu setzen. Dann war es zum offenen Konflikt zwischen ihnen gekommen. Dion hatte ihm den Krieg erklärt. Und nun war er wirklich dabei, das syrakusanische Volk zu befreien und die Grundlagen der monarchischen Herrschaft funditus zu zerstören. Dies erschien dem Tyrannen als heller Wahnsinn. Denn - und hier hat nun Dionys mit seinem μ,νησικακοΰντας καί μ,ισουμένους etwas ganz 129 Vgl. oben S. 68.

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Wesentliches durchaus richtig gesehen - das Volk würde es Dion doch nie vergessen, daß er einmal eine der Hauptstützen des alten Tyrannen gewesen war, dem man nie von Reformen oder gar von Freiheit hatte reden dürfen. Sie würden ihn nie lieben. Da war es doch viel besser, unter den Familienmitgliedern zusammenzuhalten und die Macht untereinander zu teilen; einige gemäßigte Reformen - so mochte Dionys denken und vielleicht auch andeuten konnte man, wenn man nur erst die Macht wieder fest in Händen hatte, dann immer noch vornehmen, wenn Dion gar so viel daran gelegen war. Ein solcher Gedankengang war Dionys, gerade wenn er an die rein platonischen Absichten Dions nicht oder nur halb glaubte, völlig natürlich und entbehrte objektiv gesehen keineswegs ganz der politischen Vernunft. Dazu paßten auch am besten die Beschwörungen der Frauen. Aber das alles hatte nur Sinn, wenn es n i c h t an die Öffentlichkeit kam. Die Vermutungen der Dionfreundlichen antiken Geschichtsschreibung, bzw. wahrscheinlich schon des Timagenes, sind ganz sicher falsch. Aber nun die Seite Dions. Es hatte sich gezeigt, daß Dion sich der Schwierigkeit seiner Situation dem Volke gegenüber sehr wohl bewußt gewesen ist. Sein Mittel dagegen war gewesen, sich bei seiner Vermittlertätigkeit zwischen dem befreiten Volk und dem Tyrannen der größten Offenheit zu befleißigen, um dadurch jeden Verdacht auszuschließen, daß er heimlich eigensüchtige Zwecke verfolgen könnte. Nun sollte ihm gerade diese Offenheit zum Verderben ausschlagen. Die Vorwürfe und Vorschläge des Dionys an die Adresse Dions waren zu einleuchtend, um bei der Mehrheit der Syrakusaner nicht größeren Eindruck zu machen als die Tatsache, daß Dion - ohne ihren Inhalt vorher zu kennen! - sie ihnen offen preisgegeben hatte. Man kann ja auch füglich zweifeln, ob Dion, wenn er Verfasser und Inhalt des Briefes vorher gekannt hätte, so von aller politischen Psychologie verlassen gewesen wäre, den Brief öffentlich vorlesen zu lassen, zumal nach der Angabe des Augenzeugen Timagenes die Menge selbst, die, ebenso wie Dion, anfangs noch glaubte, der Brief sei wirklich von Dions Sohn Hipparinos, gar nicht in seine Privatangelegenheiten hatte eindringen wollen.

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Er hätte, wenn er den Inhalt des Briefes gekannt hätte, vielleicht den Betrug des wirklichen Verfassers enthüllt und dann einen Teil des Inhalts mitgeteilt, obwohl selbst ein solches Verfahren nicht ganz ohne Risiko gewesen wäre. Aber er war offenbar selbst völlig überrascht und betroffen. Von da an hatte er die Partie im wesentlichen verloren. Das durch die Verlesung des Briefes erweckte Mißtrauen war niemals mehr ganz zu überwinden und konnte von seinen Gegnern immer als Waffe gegen ihn gebraucht werden. Es ist aber das völlig Vertrackte der Situation, daß eben das, was das Mißtrauen des Volkes hervorrief und schließlich zu seinem Untergang führte, den besten Beweis dafür liefert, daß er es ehrlich meinte und nicht nach der Tyrannis strebte. Das verzweifelte Angebot des jüngeren Dionys bot zweifellos eine bessere Möglichkeit, persönliche Macht zu gewinnen, als der Versuch, mit dem mißtrauisch gewordenen Volk zu arbeiten. Die Söldner, die Dion mitgebracht hatte, waren, wie ihre anfängliche Weigerung zeigt, an dem Unternehmen mitzuwirken, als ihnen zuerst das Ziel mitgeteilt wurde, nicht aus Begeisterung für die sizilische Freiheit in den Krieg gezogen, sondern für Geld. Aber sie waren eine vorzüglich ausgebildete Truppe und, wie ihr späteres Verhalten zeigt, nachdem sie einmal unter Dion gefochten hatten, diesem persönlich treu ergeben. Die Syrakusaner dagegen waren, wie ebenfalls die unmittelbar folgenden Ereignisse zeigen, allein nicht einmal den Söldnern Dionys' II. im geringsten gewachsen. Gegen die vereinigte militärische Macht Dions und Dionys' II. hätten sie keine Chance gehabt. Freilich wäre vielen der enthusiastischen Anhänger Dions jedes Paktieren mit dem Tyrannen als schwärzester Verrat an der guten Sache erschienen, und er hätte wohl die Masse des Volkes noch mehr gegen sich gehabt als es später ohnehin der Fall war. Aber die von Dionys abgefallenen Syrakusaner waren untereinander durchaus nicht einig, und die große Masse der syrakusanischen Bevölkerung hätte sich, wie es die große Masse zu allen Zeiten noch immer getan hat, zweifellos der Macht gefügt, zumal da Dionys ja auch schon früher Reformen versprochen hatte und man ein Kompromiß mit dem Tyrannen mit einigem Geschick immer als Vorbedingung der Schaffung einer bes-

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seren und freieren Ordnung unter Vermeidung unnötigen Blutvergießens ausgeben konnte. Ja, es ist nicht einmal sicher, ob nicht aufgrund eines solchen Kompromisses die Aussichten für die Möglichkeit einer allmählichen Verwirklichung platonischer politischer Ideen nicht besser gewesen wären als aufgrund eines Versuches, die begehrlich gewordene syrakusanische Bevölkerung durch absolute Offenheit zu gewinnen und durch Überredung von der Verwirklichung ihrer Wunschträume abzubringen. Sicher ist jedoch, daß es eben diese Politik der unbedingten Offenheit gewesen ist, die Dion damals effektiv auf den Weg zur Katastrophe gebracht hat. Die Frage, ob Dion diese Politik der unbedingten Offenheit unter dem Einfluß Piatons oder platonischer Prinzipien getrieben hat, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden. Die hier zuletzt diskutierten Ereignisse werden im siebten Brief im Detail gar nicht erwähnt, bzw. nur ganz indirekt berührt, insofern sie einen Teil der Entwicklung bilden, die Piaton kurz im ganzen charakterisiert130. Aber in einer Hinsicht gibt der siebte Brief doch einen höchst aufschlußreichen Kommentar dazu. Wo Piaton davon spricht, was Dion getan und erreicht hätte, wenn man ihm vergönnt hätte, seine Pläne zur Durchführung zu bringen, führt er bittere Klage darüber, daß es den Syrakusanern mit Dion (nachdem dieser mit Dionys gebrochen hatte) ebenso ging, wie vorher Dionys: daß sie nämlich nicht daran glaubten, daß es Dion mit seinen Plänen ernst sei und daß sie ihn des Strebens nach der Tyrannis verdächtigten. In beiden Fällen hätten Dions Verleumder einen aller Vernunft widersprechenden Sieg davongetragen131, einen Sieg, der ihnen nur Schande bringen könne. In beiden Fällen sieht Piaton in seinem felsenfesten und, wie sich gezeigt hat, berechtigten Vertrauen auf die Reinheit von Dions Absichten nur die faktische Unrichtigkeit der gegen Dion gerichteten Anklagen, aber nicht, daß diese Verleumdungen kaum eine so weitreichende und nachhaltige Wirkung hätten haben können, wenn Dion sich nicht selbst in eine Lage gebracht hätte, in der 180 131

Ер. VII, 333 b/c. Ibid.: ταϋτα τότε ένίκησεν καΐ τ4 δεύτερον έν Συρακοσίοις λεγόμενα, καΐ μάλα άτόπψ τε καΐ αίοχρφ νίκγ) τοις τής νίκης αΐτίοις.

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Zweifel an seinen Zielen unvermeidlich entstehen mußten. Es ist, als ob der Philosoph, der, wie Piaton es im Staat so eindrucksvoll beschreibt132, aus der Welt der Ideen und der reinen Wahrheit wieder in diese Welt der Erscheinungen, die aber doch für uns im täglichen Leben die eigentlich reale Welt darstellt, zurückkehrt, nicht nur Mühe gehabt hätte, sich wieder an die Wahrnehmung dieser Schatten zu gewöhnen, sondern vor allem auch ganz und gar die Einsicht und das Gefühl dafür verloren hätte, welche ungeheure Bedeutung und Wirkungskraft in dieser Welt der Schein besitzt, so daß die Wahrheit in der Politik keine Macht besitzt, wenn sie sich nicht zugleich scheinbar machen kann. Das ist für das Verhältnis zwischen dem politisierenden Philosophen und dem philosophierenden Politiker von nicht ganz geringer Bedeutung.

3. Kurz nach den Ereignissen, die hier zuletzt erörtert worden sind, erschien Herakleides, der mit der Flotte an der adriatischen Küste entlang gefahren war, mit 20 Trieren und 1500 Söldnern133, um, wie verabredet, Dion bei seinem Kampf gegen Dionys zu unterstützen. In gewissem Sinne war dies das „Incipit" der Tragödie Dions, aber es wird vielleicht doch zu erörtern sein, ob der Persönlichkeit und Haltung des Herakleides wirklich ganz die entscheidende Bedeutung für das weitere Schicksal Dions zukommt, die ihnen in der antiken wie in der modernen historischen Literatur zugewiesen zu werden pflegt. Herakleides gehörte wie Dion selbst zu den von Dionys II. aus Syrakus verbannten Bürgern der Stadt. Er hatte unter Dionys II. zunächst eine hohe militärische Stellung innegehabt134, war aber nicht wie Dion mit der Familie des Tyrannen durch Bande der Verwandtschaft und Verschwägerung verbunden. Er war zur Zeit von 132 133 134

Piaton, Staat V I I , 518 a ff. Über die Zahlen vgl. Berve, a.O. S. 818 mit Anm. 1. Vgl. Diodor X V I , 6, 4 und Corn. Nepos X, 5, 1.

von Fritz, Plato

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Piatons drittem Aufenthalt in Syrakus aus Anlaß eines Söldneraufstandes - vielleicht nicht ganz zu Unrecht - einer Konspiration gegen den Tyrannen verdächtigt worden und Piaton hatte sich damals für ihn eingesetzt135. Die Expedition gegen Dionys war dann offenbar von ihm und Dion gemeinsam geplant worden. Doch bestehen keine Anzeichen dafür, daß er jemals ein Anhänger von Piatons politischen Ideen gewesen wäre. Seine Absicht bei der Teilnahme an dem Feldzug war offenbar einfach, „die Stadt vom Tyrannen zu befreien". Es war nur natürlich, daß nun, wo das Volk gegen Dion mißtrauisch geworden war und Herakleides als zweiter und gleichberechtigter Initiator des Unternehmens gegen den Tyrannen von Syrakus erschien, das Interesse sich ihm zuwandte, auch ohne daß er sich von Anfang an bewußt in den Vordergrund gedrängt zu haben braucht. In einer schnell zusammengerufenen Volksversammlung wählte man Herakleides zum Oberbefehlshaber der Flotte. Gegen diese Wahl erhob Dion Einspruch, indem er darauf aufmerksam machte, daß die unabhängige Betrauung des Herakleides mit dem Oberbefehl der Flotte mit seiner eigenen früher erfolgten Ernennung zum στρατηγός αυτοκράτωρ im Widerspruch stehe und daß es einer einheitlichen und energischen Verfolgung des Krieges gegen Dionys nicht förderlich sei, wenn es keinen einheitlichen Oberbefehl über die gesamten Streitkräfte gebe. Das Volk machte daraufhin die Wahl des Herakleides wieder rückgängig138, worauf Dion nun seinerseits 135

iss

Vgl. Ер. VII, 348 a ff. Plutarch, Dion 33: καΐ πρδτον μέν είς έκκλησίαν άφ'αδτδν συνδραμόντες εΐλοντο τδν 'Ηρακλείδην ναύαρχον. έπεί δέ Δίων παρελθών ^τιατο τήν Ικεΐνψ διδομένην άρχήν άφαίρεσιν είναι τί)ς πρότερον αύτφ δεδομένης, οδκέτι γάρ αυτοκράτωρ μένειν δν δλλος ήγήται τδν κατά θάλασσαν, δκοντες ot Supaκόσιοί πάλιν άπεψηφίσαντο τδν Ήρακλείδην. Dieser Wortlaut läßt leider vieles im unklaren. Berve a.O. S. 819 bezweifelt, ob Herakleides wirklich, wie Plutarch behaupte, in einer wilden, nicht ordnungsgemäß berufenen Volksversammlung gewählt worden sei, da Dion die Rechtmäßigkeit des Wahlaktes nicht bestritten habe. Das letztere ist zweifellos richtig. Doch sprechen manche der späteren Ereignisse dafür (vgl. unten S. 97 ff.), daß die Syrakusaner in der langen Zeit der Tyrannis die Prozeduren einer ordnungsgemäßen Demokratie etwas verlernt hatten und manche der späteren Schwierigkeiten Dions darauf zurückzuführen sind, daß er zu Anfang großen Wert darauf legte, die Souveränität des Volkes, auch wo sie sich auf

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den Herakleides zum Kommandeur der Flotte (offenbar unter seinem Oberbefehl) ernannte und zugleich in der Volksversammlung den Antrag stellte, dem Herakleides eine Leibwache zu bewilligen, wie sie ihm früher für sich selbst bewilligt worden war. Man sieht, wie Dion versuchte - vermutlich auch um seiner Reformpläne willen das Heft in den Händen zu behalten, zugleich jedoch auch bemüht war, durch größtes Entgegenkommen in anderen Dingen ein gutes Verhältnis zu Herakleides aufrecht zu erhalten. Aber potentiell war damit doch der Grund zu einem späteren Zerwürfnis gelegt. Jedenfalls setzte bald unter dem Volke eine Agitation gegen eine wenig ordnungsgemäße Art äußerte, zu respektieren, später aber in Lagen geriet, wo ihm dies nicht mehr tunlich erschien. Berve hat ferner zweifellos recht, wenn er annimmt, daß mit der Flotte, zu deren Oberbefehlshaber Herakleides damals ernannt wurde, die durch die von Herakleides mitgebrachten 20 Trieren verstärkte, im großen Hafen liegende syrakusanische Flotte gemeint ist. Ebenso werden die von Herakleides mitgebrachten Söldner mit denen Dions vereinigt worden sein. Da kann es seltsam erscheinen, daß Dion den Oberbefehl in Anspruch nahm, obwohl die Zahl der von Herakleides mitgebrachten Söldner — wenn es 1500 waren (vgl. oben Anm. 133) — größer war als die derjenigen, mit denen Dion auf Sizilien gelandet war. Doch muß man in Betracht ziehen, daß in der Zwischenzeit Dion großen Zulauf aus vielen Teilen Siziliens bekommen hatte und es sich hatte angelegen sein lassen, das gesamte militärische Potential so gut wie möglich zu organisieren. Es war dann einmal ein technischer Punkt, daß geklärt werden mußte, ob es fürder einen einheitlichen oder einen geteilten Oberbefehl geben sollte. Es war ferner einigermaßen einsichtig, daß in der gegebenen Situation eine einheitliche Oberleitung vor einer geteilten große Vorteile hatte, und nicht minder, daß es nicht unbedingt förderlich war, jetzt, wo alles noch im Entstehen war, die Oberleitung ohne zwingenden Grund zu ändern. Da Dion, wie Berve richtig sagt, nach dem Wortlaut Plutarchs die Befugnis der Volksversammlung, über den Oberbefehl zu entscheiden, anerkannte, muß die Mehrheit das eingesehen haben. Das δκοντες Plutarchs kann also nicht bedeuten, daß sie in irgendeiner Weise gezwungen worden wären, sondern nur, daß sie lieber den Herakleides gehabt hätten. Aber diese Einsicht ändert natürlich nichts daran, daß durch den Verlauf der Volksversammlung das Verhältnis Dions sowohl zu Herakleides als auch zum Volke nicht gerade verbessert wurde. Vgl. auch Diodor XVI, 16, 2, wo nur berichtet wird, daß Herakleides nach seiner Ankunft vom Volke zum Nauarchen gewählt wurde und von da an den Krieg Seite an Seite mit Dion führte, von der ganzen Kontroverse über den Oberbefehl jedoch keine Rede ist.

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Dion ein, die nach Plutarch vor allem von Dionys geschürt wurde, an der aber doch auch Herakleides nicht ganz unbeteiligt gewesen zu sein scheint137. Zuerst hieß es, da der Krieg von der Landseite nicht vorwärts komme, müsse er von nun an von der See aus geführt werden, wofür eben Herakleides als Befehlshaber der Flotte der rechte Mann zu sein schien. Dann wurde gemurrt, die Söldner des Dion seien nun überhaupt überflüssig und kosteten der Bürgerschaft, die sich verpflichtet hatte, ihnen den Sold zu bezahlen, nur unnötiges Geld. Dann erhöhte sich das Ansehen des Herakleides noch gewaltig, als Philistos, der Dionys als Admiral diente und mit der Flotte, mit der er dem Herakleides hatte den Weg verlegen sollen, zurückgekommen war, von Herakleides in einer großen Seeschlacht besiegt wurde, in der oder in deren Folge er auch das Leben verlor138. Hinsichtlich der nun unmittelbar folgenden Ereignisse gehen die Nachrichten der antiken Historiker wieder etwas auseinander. Doch stimmen sie alle darin überein, daß Dionys nach dem Verlust seines fähigsten Generals und Beraters, Philistos, von neuem versuchte, mit Dion Verhandlungen anzuknüpfen. Nach Diodor139 hätte Dionys Dion zunächst „die Hälfte seiner Herrschaft"140 angeboten mit der Aussicht, ihm später die ganze zu überlassen. Dion habe ihn darauf wiederum an das Volk verwiesen, ihm aber den Rat gegeben, den Syrakusanern die Burg zu übergeben unter der 137

Plutarch, Dion 34/35. Da Plutarch die Ereignisse nicht in genauer chronologischer Reihenfolge erzählt, ist nicht ganz klar, ob die Agitation des Herakleides gegen Dion sogleich nach seiner Ankunft in Syrakus und seiner Bestellung zum Flottenbefehlshaber begann oder erst nach seinem Sieg über Philistos. Vgl. auch die folgende Anmerkung. 138 Nach {Jer Darstellung Plutarchs kann es so aussehen, als ob Philistos erst nach der Ankunft des Herakleides nach Syrakus zurückgekommen und die Seeschlacht unmittelbar nach seiner Rückkehr erfolgt sei. Es kann jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, daß er früher als Herakleides zurückgekehrt ist. Vgl. Diodor XVI, 17, 3 und dazu Berve a.O. 821. 139 Diodor XVI, 16, 4. но τ ή ν ήμίαειαν τϊ[ς άρχί|ς. Das ist ein Ausdruck, den man sonst aus Märchen gewöhnt ist, wo die Könige die Gepflogenheit haben, jemandem die Hälfte ihres Königreiches anzubieten. Es scheint aber wohl eine Art Mitregentschaft gemeint zu sein, bei der die Teilung der Regierungsgewalt nicht ganz einfach gewesen wäre.

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Bedingung, bestimmte Ehrenrechte und seinen Privatbesitz behalten zu dürfen, also was Dion schon früher empfohlen hatte. Als Dionys daraufhin anbot, mit seinen Söldnern nach Italien zu gehen, habe Dion den Syrakusanern geraten; das Angebot anzunehmen. Plutarch141 gibt stattdessen an, Dionys habe Übergabe der Festung sowie aller Waffen und der Besatzung angeboten unter der Bedingung, daß er freien Abzug nach Italien erhielte und Besitz und Nutznießung des großen fruchtbaren Landstriches Gyarotos behielte. Alle Autoren stimmen jedoch darin überein, daß die Volksversammlung die Vorschläge des Dionys abgelehnt hat in der Hoffnung, mit Gewalt mit ihm fertig werden und sich seiner Person bemächtigen zu können. Obwohl die Berichte in bezug auf die Angebote des Dionys stark voneinander abweichen, sind sie doch nicht schlechterdings unvereinbar miteinander, wenn man annimmt, daß Dionys im Verlauf der Verhandlungen immer größere Konzessionen gemacht hat und sich in den verschiedenen Überlieferungssträngen verschiedene Bruchstücke daraus in ungenauer Kombination erhalten haben. Worauf es im vorliegenden Zusammenhang ankommt, sind jedoch auch nicht die Einzelheiten der Verhandlungen und Angebote, sondern nur, daß nach den übereinstimmenden Angaben aller Autoren Dion niemals auf ein Angebot des Dionys, die Herrschaft mit ihm zu teilen, eingegangen ist, obwohl dieser ihm mindestens einmal, aller Wahrscheinlichkeit nach aber mehrmals solche Angebote gemacht hat, daß er immer Verhandlungen im eigenen Namen abgelehnt und den Tyrannen an die Entscheidung der Volksversammlung verwiesen hat, sowie endlich, daß er der Volksversammlung gegenüber immer dafür eingetreten ist, den Tyrannen glimpflich zu behandeln und ihm nicht nur persönlich kein Leid anzutun, sondern ihm auch gewisse Ehren und materielle Güter zu lassen. Darin ist Dion nach übereinstimmender Überlieferung von Anfang bis Ende konsequent geblieben. Im Volke war man jedoch der Ratschläge Dions überdrüssig geworden. Man glaubte den Befreier nicht mehr nötig zu haben und wollte nicht auf ihn hören. Daran änderte es auch nichts, daß es 141

Plutarch, Dion 37.

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Dionys trotz der Sperrung des Hafenausgangs gelang, aus Ortygia zu entweichen, was man auf mangelnde Wachsamkeit des Herakleides zurückführte und diesem daher zum Vorwurf machte142. Vor allem wollte man nun die Früchte der Befreiung ernten. Es wurde - nach Angabe Plutarchs auf Antrag des Herakleides, der die verlorene Gunst der Massen wiederzugewinnen trachtete - der Antrag gestellt, eine Neuverteilung des Grundbesitzes vorzunehmen, d.h. wohl, vor allem das Land der Großgrundbesitzer ganz oder zum Teil an die ärmere Bevölkerung zu verteilen. Dem widersprach Dion auf das heftigste. Aber damit hatte er es bei dem Volke ganz verdorben. Nun scheint Herakleides sich auch offen gegen Dion gestellt zu haben. Auf seinen Antrag wurde Dion des Oberbefehls enthoben und an seiner Stelle 25 Strategen gewählt, zu denen auch Herakleides gehörte, der nun, da Dion ausgeschaltet war, naturgemäß den größten Einfluß besaß und vermutlich von seinen Kollegen ebensowenig behindert wurde wie ehemals Dion von den zwanzig Strategen, die er sich hatte an die Seite setzen lassen. Zugleich beschloß man, die Soldzahlungen an die Söldner Dions einzustellen. Auch zeigte sich ein immer feindlicheres Verhalten der Bevölkerung den Soldaten Dions gegenüber. Die empörten Söldner forderten Dion auf, mit Gewalt gegen die Bevölkerung vorzugehen. Aber das hätte angesichts der Feinde in der Burg wenig Sinn gehabt, wenn Dion nun einmal fest entschlossen war, mit diesen Feinden auf keine Weise zu paktieren143. So beschloß Dion, nach Leontinoi abzuziehen, wo man ihn gerne aufnahm als Befreier nicht nur von der Tyrannis des Dionys, sondern auch von der Herrschaft der Stadt Syrakus144. 142 143

144

Plutarch, Dion 37. Ibid. 38/39. Die Vorgänge werden von Plutarch höchst dramatisch geschildert: wie die Syrakusaner den Versuch machten, Dion auch noch seine Söldner abspenstig zu machen, diese sich aber nur noch enger um ihn schlossen, wie Dion die Syrakusaner angesichts der von den Mauern aus zusehenden Feinde mit aufgehobenen Händen beschwor, die noch immer drohenden Gefahren nicht zu übersehen, aber kein Gehör fand, etc. Vgl. für Einzelheiten auch Berve, a.O. S. 826 ff. Plutarch, Dion 40; vgl. dazu die Diskussion der historisch-politischen Situation bei Berve, a.O. 828/29.

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Damit schien die große Mission Dions nach kürzester Zeit endgültig gescheitert. Kurz darauf sah es jedoch so aus, als wolle das Schicksal ihm noch einmal eine Chance bieten. Die Zuversicht der Syrakusaner, mit der von Dionys in Ortygia zurückgelassenen Besatzung, die Mangel an Lebensmitteln zu leiden begann, leicht auch ohne Dions Hilfe fertig werden zu können, erwies sich als illusorisch. Es gelang einem der Generale des Dionys mit dem Namen Nypsios, den Sperrgürtel zu durchbrechen und mit einigen Schiffen Lebensmittel in die Stadt zu bringen, vor allem aber sich selbst, der nun als fähiger Offizier die Leitung der Operation übernahm145. Er ließ nach einigen Tagen die Söldner einen Überfall auf die Stadt unternehmen. Wieder fehlte es dort an Wachsamkeit. In der entstehenden Panik wurden viele Bürger getötet, die Häuser geplündert und angezündet. In der Not sandte man nach Dion, dem es auch gelang, seine unwilligen Söldner zu überreden, der Stadt zu Hilfe zu kommen. Auf dem Weg dorthin erreichte sie die Nachricht, der Angreifer habe sich schon zurückgezogen, sie sollten wieder umkehren14'. Inzwischen erfolgte jedoch ein zweiter, noch heftigerer Angriff auf die Stadt. Nun erschienen auch die bisherigen politischen Gegner Dions, darunter der Bruder und der Oheim des Herakleides, um ihn flehentlich um Hilfe zu bitten147. Es sei schon nahezu alles verloren. Dion folgte dem Ruf. Es gelang ihm, zunächst unter den demoralisierten bewaffneten Syrakusanern Ordnung und Disziplin wiederherzustellen und schließlich die Angreifer in die Festung zurückzutreiben. Die bei Dions Absetzung gewählten Strategen ließen sich nicht mehr sehen außer Herakleides und seinem Oheim Theodotes. Diese begaben sich zu Dion, bekannten, daß sie unrecht gehabt hätten, und baten ihn, er möge sich ihnen gegenüber besser verhalten als sie sich ihm gegenüber verhalten hätten148. Die Freunde Dions rieten ihm, die beiden seinen Söldnern zu 145 146

147 148

Plutarch, Plutarch, a.O. 831 Plutarch, Ibid. 47:

Dion 41. Dion 42-44. Ausführliche Diskussion der Überlieferung bei Berve, f. Dion 45. 'Ηρακλείδης δέ καΐ θεοδότης αύτοί κομίσαντες έαυτοϋς τφ Δίωνι

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übergeben, die diesen Pestbazillus schon aus dem syrakusanischen Staatswesen entfernen würden. Nach Plutarch soll Dion darauf geantwortet haben, er habe in der Akademie gelernt, seinen Zorn zu bezwingen und auch da, wo ihm Unrecht widerfahren sei, leicht sich versöhnen zu lassen. Auch seien schlechte Neigungen bei den meisten Menschen nicht so tief eingewurzelt, daß sie nicht durch immer erneute Generosität bezwungen werden könnten14*. Darauf stellte Herakleides in der Volksversammlung selbst den Antrag, Dion wieder zum στρατηγός αύτοκράτωρ zur See und zu Lande zu machen. Aber die Seeleute erhoben lauten Widerspruch, worauf Dion sich damit einverstanden erklärte, daß Herakleides wieder den Oberbefehl zur See erhielt - es geht aus dem Wortlaut bei Plutarch nicht klar hervor, ob unter Dions Oberkommando, wie dies das erste Mal der Fall gewesen war, oder als selbständiges Kommando150. Dagegen nahm Dion sofort die Frage der Verteilung des Großgrundbesitzes wieder auf und bewirkte die Aufhebung der früher gefaßten Beschlüsse, was naturgemäß starkes Ressentiment bei den an ihrer Durchführung Interessierten hervorrief151. Herakleides aber wußte Dion so wenig Dank für die ihm gegenüber bewiesene Generosität, daß er sofort bei der Flotte wieder gegen Dion zu hetzen begann und, als er sich auf einer Exkursion nach Messina befand, sogar durch Vermittlung des Spartaners Pharax

παρέδωκαν, άδικεΐν δμολογοδντες καΐ δεόμενοι βελτίονος έκείνου τυχεϊν ή γεγόνασιν αύτοί περί έκεΐνον. 149 Ibid.: Ό δέ Δίων παραμυθοόμενος αυτούς Ιλεγεν, ώς τοις μέν Άλλοις στρατηγοΐς πρός δπλα καΐ πόλεμον ή πλείστη τί)ς άσκήσεώς έστιν, αδτφ 8έ πολύν χρόνον έν 'Ακαδημία μεμελέτηται θυμοδ περιεϊναι καΐ ςρθόνοο καΐ φιλονεικίας πάσης' ών έπίδειξίς έστιν οΰχ ή πρδς φίλους καΐ χρηστούς μετριότης, άλλ'εΤ τις αδικούμενος εΰπαραίτητος είη καί πρφος τοις άμαρτάνουσι'...Εί δ' 'Ηρακλείδης δπιστος καί κακός δια φθόνον, οδ τι καί Δίωνα δεΐν θομφ διαφθείραι τήν άρετήν τό γάρ άντιτιμωρεϊσθαι τοδ προαδικεΐν νόμφ δικαιότερο·; ώρίσθαι φύσει γινόμενον άπό μιας ασθενείας. 'Ανθρώπου δέ κακίαν, εί καί χαλεπόν έστιν, ούχ οδτως δγριον είναι παντάπασι καί δύσκολον, δστε μή μεταβάλλειν χάριτι νικηθεΐσαν δπό των πολλάκις εδ ποιούντων. 150 Ibid. 48: Ό δέ Δίων τοδτο μέν έφί|κεν αδτοΐς καί τήν κατά θάλατταν άρχήν άπέδωκε τφ 'Ηρακλείδη. 151 Vgl darüber ausführlicher unten S. 97 ff.

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9.3

heimliche Verhandlungen mit Dionysios angeknüpft haben soll152. Unter diesen Umständen gab es natürlich unaufhörliche Mißhelligkeiten zwischen ihm und Dion, in deren Verlauf Herakleides, als Dion einmal im Gebiet von Akragas eine kleine Schlappe erlitten hatte, den Versuch gemacht haben soll, sich vor Dions Rückkehr der Stadt zu bemächtigen, was ihm jedoch nicht gelang153. In dieser Situation tauchte in Sizilien ein Spartiate, Gaisylos, auf, der von den Spartanern nach Sizilien/Unteritalien gesandt worden war: offenbar in einer ähnlichen Funktion wie Gylippos zur Zeit des Peloponnesischen Krieges, d.h. um nach Möglichkeit dahin zu wirken, daß die verworrenen Zustände in jenen Gegenden geordnet würden. Herakleides begegnete ihm durch einen Zufall zuerst und machte sogleich den Versuch, ihn gegen Dion auf seine Seite zu ziehen. Zugleich sandte er Boten nach Syrakus mit der Aufforderung, Gaisylos zum δρχων zu wählen. Dem widersetzte sich Dion auf das energischste mit der Begründung, sie hätten genug άρχοντες in Syrakus, und wenn man dazu einen Spartiaten brauche, so sei er ja auch einer, da ihm die Spartaner das Recht eines spartanischen Vollbürgers verliehen hatten. Wenn Herakleides jedoch geglaubt hatte, daß dies zu einer Verfeindung zwischen Dion und Gaisylos führen würde, so hatte er sich getäuscht. Es war offenbar nicht der Auftrag des Gaisylos gewesen, für Dion Schwierigkeiten zu machen. Nachdem er sich über die Sachlage genauer unterrichtet hatte, stellte er sich auf dessen Seite. Er zwang Herakleides, zu schwören, daß er in Zukunft nichts mehr gegen Dion unternehmen werde, und schwor sogar, er werde sich zum Rächer Dions machen, wenn Herakleides noch einmal Intrigen gegen ihn spinnen sollte134. Bald darauf kapitulierte die Festung Ortygia unter Apollokrates, dem Sohne Dionys' I I . - von Nypsios ist nicht mehr die Rede - ,auf freien Abzug, wodurch auch Dions Frau, Schwester und Sohn frei wurden und sich mit ihm vereinigen konnten 155 . So schien Dion nach allen Schwierigkeiten 152 153 154 155

Plutarch, Dion 48: αΰτός δέ πρός Διονύσιον έποιε ι το αυνθήκας κρύφα δ'.ά Φάρακος τοδ Σπαρτιάτου. Ibid. 49. Ibid. Zur Interpretation und Kritik vgl. Berve a.O. 839. Ibid. 50/51.

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und Rückschlägen doch noch sein erstes Ziel erreicht zu haben: so viel Macht in seiner Hand zu vereinigen, daß er an die Verwirklichung seiner weiteren politischen Pläne gehen konnte. In Wirklichkeit wiederholte sich nur mit einigen kleineren Abweichungen dieselbe Konstellation, an der Dion schon bisher immer wieder gescheitert war. Er versuchte nun ernsthaft, eine neue Verfassung ins Werk zu setzen. Wiederum verfuhr er jedoch nicht so, daß er zuerst den Versuch machte, seine Macht so zu befestigen, daß er dem Volke seine Verfassung hätte aufzwingen können. Auf der anderen Seite wandte er sich freilich auch nicht sogleich mit einem neuen Verfassungsentwurf an die Volksversammlung, um ihn ihr zur Annahme oder Ablehnung vorzulegen, was ja auch kaum tunlich gewesen wäre, da ein solcher Entwurf einer sorgfältigen Vorbereitung bedurfte. Vielmehr berief er eine Art gesetzgebende Kommission, die z.T. aus Syrakusanern, z.T. aus Ausländern bestehen und mit der Ausarbeitung eines Verfassungswerkes betraut werden sollte156. Er forderte auch Herakleides auf, dieser Kommission beizutreten. Dieser lehnte jedoch ab mit der Begründung, er wolle lieber als Privatmann in der Volksversammlung mit den anderen Bürgern über diese Dinge beraten157. Zugleich begann er von neuem, Vorwürfe gegen Dion zu erheben, weil er die Festungswerke auf Ortygia nicht hatte schleifen lassen und weil er sich dem souveränen Willen des Volkes widersetzt habe, als dieses nach der Räumung der Insel durch die Soldaten des Dionys das Grabmal des älteren Dionys zerstören und dessen Überreste „herauswerfen" wollte158. Leider läßt uns die Überlieferung in bezug auf die Einzelheiten dieser Vorgänge und vor allem, was besonders wichtig zu wissen wäre, in Hinsicht auf die gesetzlichen Grundlagen der Handlungsweise Dions sehr weitgehend im Stich. Es ist eine weit verbreitete, auch von Berve159 vertretene Ansicht, daß das „außerordentliche" Amt des Dion als στρατηγός αύτοκράτωρ naturgemäß nur bis zur 156

Plutarch, Dion 52. Ibid. 53; vgl. dazu Berve S. 844 und unten S. 102 ff. 158 Plutarch, Dion 53: καΐ τφ δήμφ τδν Διονυσίου τάφον ώρμημένψ λΟσαι καΐ τδν νεκρόν έ κ β α λ ε Τ ν ούκ έπέτρεψε. >5» Berve a.O. 843 f.

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Einnahme von Ortygia gegolten haben könne und daß es daher schon eine Verletzung der getroffenen Abmachungen und der Befugnisse der Volksversammlung gewesen sei, wenn Dion nach diesem Ereignisse „keine Miene machte", sein Amt unverzüglich niederzulegen. Er habe ferner „eigenmächtig" gehandelt, indem er nach der Einnahme von Ortygia die Flotte auflöste und entgegen dem Willen des Volkes die Festungswerke nicht schleifen ließ. Ganz ungesetzlich sei es endlich gewesen, daß er den Volksbeschluß über die Neuverteilung des Landes wieder aufhob und den Beschluß, das Grabmal des Dionys zu zerstören und seine Überreste 'herauszuwerfen', nicht ausführen ließ. Er habe sich eben nicht gescheut, sich um seiner hohen Ziele willen über gesetzliche Schranken hinwegzusetzen. Es ist jedoch notwendig, sich jeden einzelnen dieser Punkte sehr genau anzusehen, wenn man zu einem wohlabgewogenen Urteil kommen will. Es handelt sich um drei Hauptprobleme, die jedoch in so enger Verbindung miteinander stehen, daß es notwendig ist, immer wieder vom einen zum anderen zu gehen, wenn man zu einer klaren Lösung kommen will. Diese Probleme sind die folgenden: 1. die angeblich „eigenmächtigen" und „ungesetzlichen" Handlungen Dions, nämlich a) das Nicht-schleifen der Festungswerke; b) die Auflösung der Flotte; c) die Aufhebung der Volksbeschlüsse über die Neuverteilung des Landes und die Zerstörung des Grabmals des älteren Dionys. 2. Die Nichtniederlegung des Amtes als στρατηγός αύτοκράτωρ nach der Einnahme von Ortygia und 3. die Grundlagen des damaligen Rechtszustandes überhaupt. Die erste der damit gestellten Fragen macht am wenigsten Schwierigkeit. Die Überlieferung sagt nichts darüber, daß ein Volksbeschluß vorgelegen hätte, die Festung zu schleifen. Sie besagt nur, Herakleides habe es Dion zum Vorwurf gemacht, daß er sie nicht schleifen ließ, ein Vorwurf, der sehr wohl einfach mit der Insinuation verbunden gewesen sein kann, die Erhaltung der Zwingburg beweise, daß Dion sie zum Zweck der Etablierung seiner eigenen tyrannischen Macht erhalten wolle. Von Ungesetzlichkeit im eigentlichen Sinn ist hier nicht die Rede. Etwas anders steht es mit der Auflösung der Flotte. Hier konnte man argumentieren, daß diese innerhalb der

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Befugnis des στρατηγός αυτοκράτωρ gelegen sei, zu dem Dion ja ausdrücklich wieder ernannt worden war. Man konnte aber auch argumentieren, daß eine so einscheidende Maßnahme der Zustimmung des Volkes bedurft hätte. Man kann nicht leugnen, daß Dion, w e n n er diese nicht eingeholt hat160, seine Befugnisse sehr weit interpretiert hat. Aber als völlig klar kann doch auch dieser Fall kaum bezeichnet werden. Sehr viel schwieriger zu beantworten ist die Frage hinsichtlich des Gesetzlichkeit oder Ungesetzlichkeit der „Aufhebung" der beiden erwähnten Volksbeschlüsse, zumal da die Überlieferung gar keine Angaben über die Vorgänge im einzelnen macht. Aber einiges läßt sich darüber doch aufgrund allgemeiner Erwägungen sagen. Fest steht unzweifelhaft, daß Dion die Stadt nicht erobert hatte, sondern als ihr Befreier gekommen war und daß er von Anfang an das Volk von Syrakus als letzte Instanz in allen Entscheidungen, die in anderen Demokratien von der Volksversammlung mit Mehrheitsbeschlüssen entschieden wurden, anerkannt hat. So hatte er ja auch, wie sich gezeigt hat, konsequent Dionys bei allen Verhandlungsvor180

Daß Dion in diesem Falle ohne Autorisation durch das Volk gehandelt hätte, ist nicht überliefert. Vielmehr heißt es bei Plutarch, Dion 50, ausdrücklich: έκ τούτου κατέλϋααν μέν οί Σϋρακόσιοι τό ναιπικόν, ούδέν γάρ ήν ξργον αύτοϋ, μεγάλαι δέ δαπάνα ι τοις πλέουσι καΐ στάσεως άφορμαΐ τοις άρχουσι. Es ist nur von Berve (a.O. 840) daraus erschlossen, daß der letzte der von Plutarch für die Auflösung angegebenen Gründe bei der Masse des syrakusanischen Volkes gewiß kein Gewicht hatte, sondern vielmehr ein platonischer ist, und daß auch die Ausgaben für die Flotte naturgemäß den Reichen zur Last fielen und bei der Masse der Ärmeren, die in der Volksversammlung die Mehrheit hatten, vermutlich auch keinen zwingenden Grund zur Auflösung der Flotte abgaben. Mit beidem hat Berve zweifellos recht. Auf der anderen Seite weist jedoch auch nichts darauf hin, daß die damalige Mehrheit in der Volksversammlung in Syrakus, wie der attische Demos der Zeit des Peloponnesischen Krieges, imperialistische Tendenzen hatte, für die man eine Flotte benötigte. Was die mögliche Notwendigkeit einer Flotte zur Verteidigung gegen etwaige Angriffe des Dionys angeht, so hatte die Mehrheit der Volksversammlung in dieser Hinsicht ja bisher keinerlei Einsicht gezeigt. Man könnte viel eher denken, daß Dion die Wünschbarkeit der Beibehaltung einer Kriegsflotte aus solchen Gründen sich überlegt hätte als das syrakusanische „Volk". Die Frage läßt sich daher durchaus nicht eindeutig beantworten.

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schlagen, die dieser machte, an die Volksversammlung verwiesen und sich geweigert, persönlich und direkt mit ihm zu verhandeln. Aber bedeutet dies, daß die Volksversammlung auch das Recht hatte, mit einer einfachen Zufallsmehrheit eine so tief in die Besitzverhältnisse eingreifende Maßnahme zu beschließen wie die Neuverteilung des Grundbesitzes? Hier erhebt sich mit Notwendigkeit die Frage der Grundlagen des damals bestehenden Rechtszustandes. Zieht man zunächst die sogenannte „zügellose Demokratie" in Athen in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts zum Vergleich heran, so gab es ja damals die Möglichkeit der γραφή παρανόμων gegen Anträge auf Volksbeschlüsse. Daß i.J.411 ausdrücklich beschlossen wurde, eine solche Anklage sollte nicht erhoben werden können gegen Vorschläge zur Änderung der Verfassung, die nun gemacht werden sollten, beweist, daß der Regel nach Volksbeschlüsse verfassungsändernden Charakters nicht ohne weiteres gefaßt werden konnten, wenn wir leider auch nicht wissen, was damals als verfassungsändernd betrachtet wurde und was nicht. Im übrigen wurde damals nicht sogleich eine neue endgültige Verfassung beschlossen, sondern nur eine vorläufige, und eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge für eine endgültige Verfassung ausarbeiten sollte161. Nach der Neuregelung der Verfassung vom Jahre 399, die einen genauen Unterschied machte zwischen den Dingen, die durch einen Volksbeschluß entschieden werden konnten, und denjenigen, für die es einer Änderung der Gesetze bedurfte, wofür dann sehr komplizierte Bedingungen vorgeschrieben wurden, wäre es gar nicht mehr möglich gewesen, einen Antrag auf eine so durchgreifende Veränderung der Besitzverhältnisse durch einfachen Volksbeschluß zu stellen. Was war nun aber die Lage in dieser Hinsicht in Syrakus? Die Überlieferung schweigt darüber völlig. Es ist aber wahrscheinlich, daß die Historiker, selbst wenn sie sich die größte Mühe gegeben hätten, uns darüber aufzuklären, nichts ganz Bestimmtes darüber hätten sagen können. Während der Tyrannis der Peisistratiden 161

Vgl. Aristoteles, ΑΘΗΝΑΙΩΝ ΠΟΛΙΤΕΙΑ 29-31 und die Erläuterungen dazu bei K. v. Fritz und Ernst Kapp, Aristotle's Constitution of Athens and Related Texts (New York 1950), Anm. 87-103 (S. 173-79).

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hatten die solonischen Gesetze weitgehend weiterbestanden. Sie waren also nach dem Sturz der Tyrannis weiterhin in Kraft und bestanden zum großen Teil auch im fünften Jahrhundert noch weiter, soweit sie nicht durch die Verfassung des Kleisthenes und spätere Verfassungsänderungen abgeändert wurden. Wieweit man in Syrakus nach der Befreiung der Stadt durch Dion an vor der Tyrannis bestehende gesetzliche Regelungen wieder angeknüpft hat oder anzuknüpfen versuchte, wissen wir nicht. Aber das läßt sich doch wohl kaum leugnen, daß man argumentieren konnte, entweder müßten die alten Gesetze noch gelten, die gewiß eine so radikale Änderung der Besitzverhältnisse durch einfachen Zufallsmehrheitsbeschluß nicht erlaubten, oder man müsse erst eine neue Verfassung haben, ehe solche Beschlüsse gefaßt werden könnten162. Dazu kommt die praktische Frage. Wie sollte ein solcher Beschluß, wenn er gefaßt war, ausgeführt werden? Dadurch, daß jeder hingehen konnte und einen Teil des konfiszierten Gutes der Großgrundbesitzer für sich in Besitz nehmen? Wenn nicht, so mußte ja wohl eine Kommission eingesetzt werden, die dafür sorgte, daß die Neuverteilung auf eine ordnungsgemäße und sinnvolle Weise vor sich ging, was ohne lange und intensive Vorbereitungen gar nicht möglich war. Auch von dieser Seite her konnte man argumentieren, daß ein verfassungsmäßiges Provisorium, wie es nach der Befreiung der Stadt in Syrakus bestand, für die Durchführung solcher Maßnahmen in keiner Weise geeignet sei. Die Überlieferung gibt uns keinerlei Aufschluß darüber, wie Dion bei der „Aufhebung" des Volksbeschlusses verfahren ist. Aber 1,1

Das Verhältnis zwischen dem, was wir „Verfassung" nennen, und dem, was wir „Gesetze" nennen, ist bei den Griechen ein ganz anderes als in den modernen Staaten. Dazu kommt, daß in der griechischen Literatur beides vielfach als νόμοι bezeichnet wird, woraus in der modernen Literatur darüber immer wieder Verwirrung entstanden ist (vgl. darüber K. v. Fritz und E. Kapp, a.O. S. 14 ff. und Gnomon XXXIX (1967) S. 679 f.). Diese Frage ausreichend zu behandeln würde eine eigene Abhandlung von nicht geringem Umfang erfordern. Aber daß eine eingreifende Änderung der den Schutz des Besitzes regelnden Gesetze selbst im Athen des 5. Jahrhunderts nicht durch einfaches Psephisma möglich war, kann nicht bezweifelt werden.

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es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß er ihn einfach „aufhob", ohne etwas zur Begründung zu sagen, da es ihm an Argumenten nicht fehlen konnte. Immerhin gibt der Wortlaut des Berichtes bei Plutarch193 doch eine Andeutimg über die konkrete Situation, die nicht uninteressant ist. Er lautet: πρός δέ της γης καί των οικιών τδν άναδασμόν ώρμημένοις έναντιωθείς καί τα πρότερον ψηφισθέντα άκυρώσας έλύπησεν. Diese Formulierung spricht dafür, daß ein Teil der Bevölkerung das ψήφισμα zum Anlaß nahm, einfach hinauszugehen und sich des den Großgrundbesitzern gehörigen Landes sowie der Gutsgebäude zu bemächtigen. Diesem anarchischen Verfahren hat sich Dion widersetzt und dann auch das Psephisma, das die Neuverteilung des Landes angeordnet, aber anscheinend keine genaueren Ausführungsbestimmungen erlassen hatte, „außer Kraft" gesetzt, wobei die Unbestimmtheit des Ausdrucks sowohl die Möglichkeit offen läßt, daß Dion das ψήφισμα für ungesetzlich, was wir verfassungswidrig nennen würden, erklärt hat, als auch, daß er der Volksversammlung klar machte, daß ein Beschluß dieser Art, wenn er nicht zu anarchischen Zuständen führen sollte, nicht ohne eingehende Vorbereitung gefaßt werden konnte, und damit zum mindesten die stillschweigende Zustimmung der Volksversammlung zu der Aufhebung des Beschlusses fand. Denn das έλύπησε des Satzes bezieht sich unmittelbar nicht auf „das Volk", sondern auf die ώρμημένοι und allenfalls weiter zurück auf den vorher erwähnten όχλος ναυτικδς καί βάναυσος, dem Sinn nach auf diejenigen, die an der Neuverteilung des Landes interessiert waren. Es ist zum besseren Verständnis der Vorgänge vielleicht nicht unnütz, sie mit den analogen Vorgängen der russischen Revolution von 1917 zu vergleichen. Hier hatte schon vor dem Sieg der Bolschewiki an manchen Orten eine anarchische Inbesitznahme von Großgrundbesitzereigentum, Land, Vieh und Gebäuden durch aufständische Bauern eingesetzt. Am 31. August russischer Rechnung (13. September gregorianisch) beschloß der Petersburger Arbeiterund Soldatenrat die Abschaffung des Eigentumsrechtes der Groß165

Plutarch, Dion 48.

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grundbesitzer an ihrem Landbesitz, wodurch das Vorgehen der aufständischen Bauern gewissermaßen legalisiert wurde und infolgedessen sich schnell weiter ausbreitete. Am 26. Oktober (8. November) wurde jedoch auf dem zweiten allrussischen Sowjetkongreß auf Antrag Lenins ein Dekret folgenden Wortlauts erlassen: „Das Eigentumsrecht der Gutherren an Grund und Boden wird mit sofortiger Wirkung ohne Entschädigung aufgehoben. Der konfiszierte Landbesitz wird zum Volksvermögen erklärt und unter den Schutz der lokalen Sowjets und Komitees gestellt". Damit wurde also der Versuch gemacht, das völlig anarchische Vorgehen der Bauern in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken, was naturgemäß zunächst nur sehr unvollkommen gelang. Im übrigen war Lenin bekanntlich ebensowenig wie Dion gesonnen, den Bauern den so erworbenen Grundbesitz ohne Einschränkung zu überlassen, sondern hat sie später in die Kolchose gezwungen. Er hat die Landverteilung nur zunächst aus taktischen Gründen geduldet, um die Bauern auf seiner Seite zu haben, ohne deren Hilfe die Bolschewiki sich nicht hätten durchsetzen können. Über die letzten Absichten Dions in bezug auf die Regelung des Landbesitzes macht die Überlieferung keine Angaben. Wenn aber in den modernen Darstellungen der Ereignisse durchweg als sich von selbst verstehend angenommen wird, daß Dion sich der Neuverteilung des Landes widersetzt habe, um die Unterstützung der Reichen und Vornehmen nicht zu verlieren, so mag das, was die politische Taktik angeht, bis zu einem gewissen Grade richtig sein, da Dion nicht riskieren konnte, die Reichen und Vornehmen und die ärmere Bevölkerung gleichzeitig gegen sich zu haben. Es ist aber vielleicht doch auch relevant, darauf hinzuweisen, daß Piaton zwar im Staat1"4 das Versprechen eines γης άναδασμός als eines der Hauptmittel bezeichnet, mit denen ein nach der Tyrannis strebender Mann das Volk für sich zu gewinnen sucht, um es dann umso besser vergewaltigen zu können, in den 'Gesetzen' jedoch165 ganz anders davon spricht, indem er eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung des 164 105

Piaton, Staat VIII, 566 a und d. Piaton, Leges III, 684 d/e.

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Grundbesitzes als Voraussetzung für ein gesundes Staatswesen bezeichnet und nur darauf hinweist, daß ein Versuch der Neuverteilung des Landes überall auf den heftigsten Widerstand stoßen werde, weshalb die Dorer nach der Besetzung der Peloponnes in einer besonders glücklichen Lage gewesen seien, da sie eine Verteilung des gewonnenen Landes nach Prinzipien möglichster Gleichheit ohne Widerstand durchführen konnten. Auch setzen Piatons Staatsutopien ja überall voraus, daß es keine Kluft zwischen Reichen und Armen gibt, wie es sie in Sizilien in außergewöhnlichem Maße gab. Wenn es Dion also mit der Nachfolge Piatons Ernst war, kann er nicht im Prinzip gegen eine gleichmäßigere Verteilung des Grundbesitzes gewesen sein, sondern sich nur gegen eine anarchische Verwirklichung solcher Tendenzen gewendet haben sowie gegen eine Art der Durchführung, die heftige Antagonismen innerhalb der Bevölkerung hervorrufen mußte18". Doch kann auf das Verhältnis Dions zu Piaton in diesen Dingen erst später näher eingegangen werden. So viel hinsichtlich der „Aufhebung" des Volksbeschlusses über die Landverteilung. Das Problem hinsichtlich des zweiten von Dion „aufgehobenen" Volksbeschlusses ist ein ganz anderes. Aber auch hier ist es kaum gerechtfertigt, von einem einfachen eigenmächtigen Sichhinwegsetzen über Gesetze zu reden. Es handelt sich immerhin um eine Totenschändung. In Sophokles' Antigone kann kein Zweifel daran sein, daß Kreon als der legitime absolute Herrscher betrachtet wird. Aber wenn die Interpreten des Stückes sich auch darüber streiten, ob hier ein unlöslicher Konflikt zwischen zwei einander entgegengesetzten Rechtsordnungen vorliege oder Antigone einfach recht habe, so zweifelt doch kaum jemand daran, daß Kreon mit seiner Anordnung, den Leichnam des Polyneikes unbestattet den Hunden und Vögeln zum Fräße zu überlassen, eine höhere Rechtsordnung verletzt, wie es ja im Stück von Teiresias auf das deutlichste 168

Auf der anderen Seite hat Berve (S. 826) recht mit der Annahme, daß Dion nicht die Reichen und Vornehmen gleichzeitig mit den ärmeren Bürgern vor den Kopf stoßen konnte und daher über etwaige Pläne der Neuverteilung des Landbesitzes, die er haben mochte, keine genaueren Angaben gemacht, sondern die ganze Frage bis zur Einführung der neuen Verfassung offen gelassen haben wird.

von Fritz, Plato

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ausgesprochen wird. Sollte für eine souveräne Volksversammlung etwas anderes gelten, so daß es ohne weiteres als eine Gesetzesübertretung bezeichnet werden könnte, wenn sich jemand der Ausführung eines solchen Beschlusses widersetzte? Wenn das als Grundsatz angenommen wird, so könnte noch heute jeder der Gesetzesübertretung und Illegalität angeklagt werden, der sich der Ermordung der Juden widersetzt hat. Wenn nicht, sollte man dieselben Prinzipien doch wohl auch Dion zugute kommen lassen. Freilich ist alles, was soweit gesagt worden ist, nur gültig, wenn Dion seine Stellung als στρατηγός αύτοκράτωρ legitimerweise und nicht „eigenmächtig" nach der Einnahme von Ortygia beibehalten hat. Aber auch in bezug auf diese Fragen lassen sich aus den Ergebnissen der bisherigen Untersuchung vielleicht einige Folgerungen ziehen. Die Frage hat einen militärischen und einen politischen Aspekt. Was den militärischen Aspekt angeht, so kann man argumentieren, daß nach der Einnahme von Ortygia der Krieg ja weiterging und Dionys seit seiner Flucht aus der Festung in Sizilien außerhalb von Syrakus einige Erfolge errungen hatte. Dem kann man entgegenhalten, daß Dion zwar in der Zwischenzeit einige Expeditionen außerhalb von Syrakus unternommen hat, wie die früher erwähnte in die Gegend von Akragas, im übrigen aber sehr viel mehr an seinem Verfassungswerk interessiert gewesen zu sein scheint als an der Fortführung des Krieges gegen Dionys167. Aber eben darin liegt der politische Aspekt des Problems. Es hatte sich ja gezeigt, daß die innere politische Ordnung von Syrakus seit der Befreiung von der Tyrannis eine provisorische war, die so kaum auf die Dauer weiterbestehen konnte. Der von Gaisylos zustandegebrachte Ausgleich zwischen Dion und seinen Gegnern hatte offensichtlich den Zweck gehabt, eine Neuordnung der Struktur des syrakusanischen Staates zu ermöglichen. Dion konnte sich daher sehr wohl als mit einem solchen Auftrag betraut betrachten. Es ist auch kaum richtig, die Erklärung des Herakleides, er wolle über künftige Verfassungsfragen lieber als Privatmann in der Volksversammlung denn als Mitglied der συνέδριον 1,7

Diese Erwägungen bei Berve a.O. 843.

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genannten Verfassungskommission beraten, als Beweis dafür zu betrachten, daß Herakleides diese Verfassungskommission als „illegal" betrachtete1®8. Sie bedeutete nichts anderes, als daß Herakleides erwartete, daß die Verfassungsvorschläge der Kommission der Volksversammlung zur Ratifizierung vorgelegt würden, und daß er sich nicht durch Mitgliedschaft ia der Kommission in seiner Stellungnahme zu deren Vorschlägen in irgendeiner Weise vorher binden oder beeinflussen lassen wollte. Sie setzt also im Gegenteil voraus, daß Dion die Vorschläge letzterdings „legal" vor die Volksversammlung bringen werde. Im übrigen läßt uns auch hier wieder die Überlieferung in einer der wichtigsten Fragen im Stich. An sich war die Berufung von Ausländern als „Gesetzgeber" bei den Griechen durchaus nichts Ungewöhnliches. Daß Dion eine Kommission zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes berief, kann daher nicht an sich als „illegal" bezeichnet werden. Wenn Herakleides also gegen Dion damit Propaganda zu machen suchte, daß die Kommission „überfremdet" sei, so ist auch das ein politischer Einwand, der an den Nationalstolz der größten Griechenstadt des Westens appellierte, und nicht ein juristischer. Auf der anderen Seite impliziert der Einwand allerdings, daß die Zusammensetzung der Kommission einseitig durch Dion erfolgt sei; und hier ist es, wo uns die Überlieferung im Stich läßt. Man sollte annehmen, daß die Auswahl der Mitglieder von der Volksversammlung gebilligt werden mußte, und es wäre wohl „demokratisch" gewesen, zu Nominierungen aus dem Kreise der Volksversammlung aufzufordern. Dies letztere scheint Dion nicht getan, sondern eine Liste eigener Wahl ausgestellt zu haben. Darüber, ob er diese der Volksversammlung zur Annahme vorlegte und ob der Protest des Herakleides bei dieser Gelegenheit erfolgte oder ob er die Kommission von sich aus ohne solche Approbation damit beauftragte, zunächst einen Vorschlag auszuarbeiten, den er dann durch Überredung oder mehr oder minder sanfte Gewalt zur Annahme zu bringen hoffte, gibt die Überlieferung keine Auskunft. 1M

So Berve a.O. 845.

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Es müssen also eine ganze Reihe sehr wichtiger Fragen offen bleiben, die wegen der mangelhaften Überlieferung schlechterdings nicht zu beantworten sind. Aber einiges läßt sich nun doch mit großer Sicherheit feststellen. Vor allem kann nun nicht mehr der geringste Zweifel daran bestehen, daß Dion nicht für sich persönlich nach der Tyrannis gestrebt hat. Wenn er schon, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit Dionys II. paktieren wollte, wäre der vorgegebene und sicherste Weg dazu der gewesen, den Forderungen der Massen der ärmeren Bevölkerung nachzugeben. So, durch die Unterstützung der ärmeren Klassen gegen die Reichen und Vornehmen, waren die Tyrannen der griechischen Frühzeit zur Macht gelangt. So hatte es Piaton im 8.Buch des Staates nach historischer Erfahrung vor Beginn seiner sizilischen Abenteuer als die Regel beschrieben189. So sind auch die führenden Revolutionäre in Rußland und China verfahren, um zunächst einmal die Macht in die Hand zu bekommen und dann, wenn diese gefestigt war, Reformen durchzuführen, zu denen es gehörte, den ländlichen Massen weitgehend das wieder wegzunehmen, was man ihnen um des Gewinnens der Macht willen zunächst überlassen hatte. Wenn die Überlieferung richtig ist, daß Herakleides während seines Aufenthaltes in Messina Verhandlungen mit Dionys anzuknüpfen versucht hat170, ist es nicht unwahrscheinlich, daß er nicht der gute Demokrat gewesen ist, als den er sich zu geben versuchte und als der er in der antiken und in der modernen Geschichtsschreibung erscheint, sondern andere Ziele hatte. Er hatte ja auch, nicht anders als Dion, längere Zeit einem Tyrannen loyal gedient, bis er aus für uns nicht mehr ganz durchsichtigen Gründen mit ihm in Konflikt geriet. Falls dies richtig sein sollte, wäre es eine Ironie der Geschichte, daß die syrakusanischen Massen offenbar nie an den wahrhaft demokratischen und volksfreundlichen Absichten des Herakleides gezweifelt, das Mißtrauen gegen Dion dagegen nie aufgegeben haben. Aber was die Überlieferung hergibt, reicht nicht aus, um in dieser Frage zu einer einigermaßen gesicherten Antwort zu kommen. 1M 170

Piaton, Staat VIII, 566 a ff. Vgl. oben S. 92/93 und zur Kritik der Überlieferung Berve a.O. 830.

Dions syrakusanische Politik

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Dagegen hat Dion nicht nur den ihm durch den jüngeren Dionys mehrfach angebotenen, sondern auch den durch die Tradition vorgezeichneten Weg zur Tyrannis verschmäht und dadurch den Beweis erbracht, daß es ihm mit seinen Reformplänen Ernst gewesen ist. Auf der anderen Seite ist nicht minder deutlich, daß Dion, als er nach den verschiedensten Fehlschlägen durch die erneute Ernennung zum στρατηγός αότοκράτωρ und die Vermittlungsaktion des Gaisylos die politische Leitung erneut in die Hand bekommen hatte, die ihm damit gegebenen Befugnisse so weit ausgedehnt hat, als es sich nur irgend mit dem Anspruch der Legalität vereinigen ließ - ohne daß sich doch definitiv nachweisen ließe, daß er diese Grenze vor der Ermordung des Herakleides überschritten hat. Jedenfalls hat er nicht wie die Revolutionäre unserer Zeit sich zunächst die Machtmittel zu sichern gesucht, mit denen dem Volke seine Ideen aufgezwungen werden konnten, sondern sich offenbar der Hoffnung hingegeben, mit Hilfe der Autorität des von ihm berufenen Synhedrions das Volk doch noch ohne direkte Gewalt zur Annahme einer Verfassung im platonischen Sinne bringen zu können. Da traf er jedoch wieder auf die leidenschaftliche Gegnerschaft des Herakleides. Berve hat zweifellos recht mit seiner Vermutung171, daß Dion diesem die Mitgliedschaft in der verfassungsgebenden Kommission angeboten hatte in der Hoffnung, ihn damit zu einem Mitarbeiter bei seinen Plänen machen und sich dann seiner Beliebtheit beim Volke zur leichteren Durchsetzung seiner Pläne bedienen zu können. Aber in dieser Hoffnung hatte er sich gründlich getäuscht. Herakleides übernahm sofort wieder die Führung der Opposition und versuchte auf jede Weise, die Durchführung von Dions Absichten zu verhindern. Es ist möglich, daß Herakleides sich, wie Berve vermutet172, durch Dions Aufforderung, in das Synhedrion einzutreten, 171 172

Berve a.O. 845. Ibid.: „Nicht spontan und aus freien Stücken wandte er (Herakleides) sich gegen die eigenmächtig geschaffene Körperschaft und damit gegen Dion. Dieser selbst hatte ihn aus seiner Zurückhaltung herausgerufen und in eine Situation gebracht, die ihn zu offener Opposition zwang." Das letztere geht angesichts des sonstigen Verhaltens des Herakleides doch vielleicht in seiner Verteidigung etwas zu weit.

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von dem Eid, durch den er sich verpflichtet hatte, Dion nicht entgegenzuhandeln, gelöst betrachtete, da er ja, wenn er an der Verfassung mitarbeiten sollte, auch die Möglichkeit haben mußte, seine Meinung darüber zu äußern. Aber seine Agitation ging nach Ausweis der Überlieferung weit über eine solche Meinungsäußerung hinaus. Für Dion auf der anderen Seite muß es völlig zum Verzweifeln gewesen sein, sich von neuem - wie es ihm scheinen mußte - nicht etwa nur in der Verwirklichung platonischer Ideale, sondern - da die neue Verfassung ja noch gar nicht vorlag und ihre Gestalt keineswegs nur von ihm, sondern von den Vorschlägen des Synhedrions und etwaigen Änderungen bei der angestrebten Ratifizierung abhing an der Herstellung geordneter und stabiler Zustände überhaupt, die herzustellen er als seine Aufgabe betrachtete, gehindert zu sehen. Da griff er zu der verzweifelten Auskunft, seinen Anhängern die Erlaubnis zu geben, Herakleides mit Gewalt aus dem Wege zu schaffen. Es ist die erste von Dions Handlungen, bei der es unzweifelhaft ist, daß sie ganz und gar widerrechtlich war, obwohl die Tyrannen und Revolutionäre aller Zeiten niemals Skrupel gehabt haben, einen Mann, der sich ihnen in solcher Weise in den Weg stellte, aus dem Wege schaffen zu lassen, auch wenn es geschehen mußte, ehe sie die volle und damit bis zu einem gewissen Grad legitimisierte Gewalt im Staate errungen hatten. Dion dagegen war sich nicht nur der formalen Illegalität, sondern des Unrechten im höheren Sinne seines Handelns in diesem Falle sehr lebhaft bewußt. Nach dem Bericht der antiken Historiker war sein Gemüt von da an verdüstert und hatte er unheilverkündende Visionen173. Die Überlieferung berichtet nichts von der positiven Weiterführung der Bestrebungen zur Ausarbeitung der neuen Verfassung, auch nichts von weiterer Tätigkeit des Synhedrions, in dem Intervall zwischen der Ermordung des Herakleides und der Katastrophe Dions, was natürlich nicht ausschließt, daß ее solche gegeben hat. Wir hören hauptsächlich von den Schwierigkeiten, mit denen dieser zu kämpfen hatte. Zwar war der Führer der Opposition nun beseitigt 175

Plutarch, Dion 55/56; reg. et imp. apophth. Δίωνος p. 176 f.; de vitios. pud. 4, 530 с; Valer. Max. VIII, r, ext. 5. Vgl. auch Berve a.O. 858.

Dions syrakusanische Politik

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und scheint es dieser von nun an völlig an einem Haupt gefehlt zu haben. Aber die Unzufriedenheit und das Mißtrauen des Volkes waren durch die gewaltsame Beseitigung des Mannes, der einen so großen Kreis von Anhängern gehabt hatte, naturgemäß gewaltig vermehrt. Sie scheint unter anderem Ausdruck gefunden zu haben in einem (nach den von Dion anerkannten Prinzipien unzweifelhaft legalen) Beschluß der Volksversammlung, den Söldnern Dions den ihnen von Staats wegen gezahlten Sold wieder zu entziehen, da die Historiker berichten1'4, Dion sei in große Schwierigkeiten geraten, weil seine privaten Mittel nicht ausreichten, den Sold auf längere Zeit weiterzuzahlen. Nach derselben Überlieferung scheint der bis dahin so aktive Dion in einen Zustand der Unschlüssigkeit und Apathie verfallen zu sein, der die Unzufriedenheit seiner Anhänger hervorrief, die auf Weiterführung der Reformen drängten. Vermutlich im Spätsommer des Jahres 354 wurde er auf Anstiften des Atheners Kallippos, der mit der platonischen Akademie in einer gewissen Verbindung gestanden haben soll, obwohl Piaton dies im siebten Brief energisch bestreitet1", ermordet176.

174

»» 176

Vgl. Cornelius Nepos X, 6, 4 und 7, 1 ff. und dazu Berve a.O. Ер. VII, 333 d. Plutarch, Dion 56/57. Zur Diskussion der Ursachen und näheren Umstände vgl. unten S. 133 ff. sowie Berve a.O. 855.

KAPITEL III

Platonische politische Prinzipien und praktische Politik in den syrakusanischen Wirren bis zum Tode Dions

1. Die Untersuchung bis zu diesem Punkte hat vollauf bestätigt, was schon H. Berve teils mit ähnlichen, teils mit etwas anderen Argumenten bewiesen hatte: daß Dion wirklich nicht danach strebte, sich als Tyrann an die Stelle Dionys' II. zu setzen, wie dieser bis zuletzt geargwöhnt hatte, sondern es ihm ehrlich darum gegangen war, bessere politische Zustände im Sinne Piatons herbeizuführen. Aber was heißt das in concreto? Weder aus Plutarch noch aus Diodor noch aus Cornelius Nepos noch aus irgendeinem anderen antiken Historiker ist etwas Genaueres, was zur Beantwortung dieser Frage dienen könnte, zu entnehmen. Man hat gemeint, einen Ansatz zu ihrer Beantwortung aus dem achten der unter Piatons Namen überlieferten Briefe gewinnen zu können, da in diesem der Vorschlag gemacht wird177, 1. den Sohn des ermordeten Dion, 2. Hipparinos, den Halbbruder Dionys' II., Sohn Dionys' I. und von Dions Schwester Aristomache, sowie endlich 3. Dionys II. selbst in Syrakus als Könige mit sehr stark eingeschränkten Rechten einzusetzen. Man brauche nur Dion selbst an die Stelle seines Sohnes zu setzen, um die Grundzüge des Verfassungsplanes Dions in Händen zu haben. Piaton, Epist. VIII, 355 d ff.

Die syrakusanischen Wirren bis zum Tode Dions

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Diese ohne direkte Überlieferungsbasis erschlossene Rekonstruktion erscheint jedoch aus mancherlei zwingenden Gründen unmöglich. Die ganze Geschichte der Ereignisse von der Einnahme der Stadt Syrakus durch Dion bis zu seiner Ermordung zeigt, daß derjenige Faktor, der Dion die größten Schwierigkeiten bereitete, in dem unüberwindlichen und von Herakleides immer von neuem geschürten Mißtrauen des Volkes bestand, Dion könne sich selbst der Tyrannis bemächtigen oder mit Dionys II. zu einem Kompromiß gelangen, die Tyrannis mit ihm zu teilen. Unter diesen Umständen hätte Dion, wenn er sich selbst politisch die Kehle abschneiden wollte, nichts Wirksameres tun können als, sei es direkt, sei es durch Vermittlung seiner Werkzeuge in dem von ihm berufenen Synhedrion, Dionys II. zusammen mit sich selbst zu Königen vorzuschlagen. Das hat auch Berve offenbar gesehen178, wenn er die Möglichkeit, Dion hätte damals die Absicht haben können, Dionys II. neben sich selbst zum König zu machen, gar nicht erwähnt, sondern sich stattdessen überlegt, wer etwa sonst in dem ursprünglichen Plan neben Dion und Dionys' II. Halbbruder Hipparinos die dritte Stelle in dem dreifachen Königtum hätte einnehmen können, und dabei auf Dionys' II. Sohn Apollokrates verfällt. Dabei ist jedoch übersehen, daß Apollokrates, der längere Zeit die Festung Ortygia gegen Dion für seinen Vater Dionys II. verteidigt hatte, den Syrakusanern kaum willkommener oder weniger verdächtig sein konnte als Dionys II. selbst (mit Hipparinos, dem Sohn Dionys' I., der immer liberale Tendenzen gehabt hatte, war es etwas anderes) und daß damit der einzige Faktor, der etwa für einen Vorschlag dieser Art überhaupt sprechen könnte - daß Dion, in den Anfängen der Unterhandlungen, dem Volk geraten hatte, Dionys II. gewisse Ehrenprivilegien ohne politische Macht zu lassen - in Wegfall kommt. Nach der Vertreibung der Mörder Dions aus Syrakus und dem Sieg der Dioneer in der Stadt, die damals zugleich wieder von einem Heere des jüngeren Dionys bedroht wurde, in einer Situation also, in der ein großer Teil der Bevölkerung von Syrakus der unaufhör178

H. Berve, Dion, S. 851.

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liehen Unruhen, Kämpfe und Bedrohungen müde geworden sein mußte, konnte ein Vorschlag wie der im 8.platonischen Brief gemachte allenfalls gemacht werden. In der völlig anderen Situation vor der Ermordung Dions war an einen analogen Vorschlag mit Dionys I I . oder Apollokrates als einem der Könige gar nicht zu denken. Wenn auch, wie sich gezeigt hat, Dion nicht immer eine besondere Begabung in politischer Psychologie bewiesen hat, so gibt die Überlieferung doch keinerlei Anlaß für die Annahme, daß er sich einen solchen Akt des politischen Wahnsinns hätte zu Schulden kommen lassen. Im übrigen gibt es für die Tatsache, daß wir aus der antiken Literatur nichts Konkretes über die Einzelheiten der von Dion geplanten Verfassung erfahren, einen sehr einsichtigen Grund: den nämlich, daß Dion, wenn er auch seine eigenen Vorstellungen davon hatte, wie sie aussehen sollte, und diese zur Geltung zu bringen suchte, doch auf die aus den Diskussionen des von ihm berufenen Synhedrions hervorgehenden Vorschläge Rücksicht nehmen mußte und dieses wiederum nicht ohne Berücksichtigung der Stimmung im syrakusanischen Volke arbeiten konnte; sowie daß das Synhedrion vor dem Tode Dions und erst recht natürlich in den auf diesen folgenden Wirren nicht mehr dazu gekommen ist, seine Vorschläge fertig auszuarbeiten und der Öffentlichkeit vorzulegen. Mit anderen Worten: es gab die Verfassungsvorschläge nicht, die die antiken Historiker der Nachwelt hätten überliefern können. So viel, scheint mir, kann mit Sicherheit gesagt werden und wird im Grunde auch durch den achten der unter Piatons Namen überlieferten Briefe, ob er nun wirklich Piaton zum Verfasser hat oder nicht, bestätigt. Der Brief ist wie der siebente an Dions Anhänger gerichtet, setzt jedoch, wie schon gesagt, eine ganz andere politische und militärische Situation voraus wie dieser. In der zweiten Hälfte dieses Briefes läßt der Verfasser Dion sozusagen aus dem Grabe heraus nicht nur an die Adressaten des Briefes, sondern an die Syrakusaner allgemein, einschließlich der verbannten Anhänger Dionys' I I . und des geflohenen Tyrannen selbst, Ermahnungen richten, in denen er ihnen auseinandersetzt, auf welche Weise sie die zerstörerischen Wirren, unter denen sie jetzt alle leiden, beenden,

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zu einer glücklichen und gefestigten politischen Ordnung gelangen und das Griechentum des Westens vor der Bedrohung durch die „Barbaren", d.h. vor allem die karthagische Macht, bewahren können. In dem ersten Abschnitt dieser Ermahnungen17' fordert der tote Dion die Syrakusaner auf, Geld und Reichtum nicht zu überschätzen und eine Verfassung anzunehmen, die einer solchen Überschätzung keinen Vorschub leiste. Durch die Überschätzung des Reichtums und der dolce vita seien sie in der Vergangenheit in die größte Gefahr gekommen, unter das Joch der Barbaren zu geraten. Aus dieser Gefahr sei die Tyrannis entstanden, die aber auch die Gefahr von außen abgewendet habe. Daraus könnten die Nachkommen und Familien derjenigen, denen dies Verdienst zukomme, d.h. die des Tyrannen Dionys I. sowie des Hipparinos, des Vaters Dions, der dabei in hohem Maße mitgeholfen habe, gewisse, nicht ganz unberechtigte Ansprüche herleiten. Denn wenn die Gefahr von außen damals nicht abgewendet worden wäre, dann gäbe es jetzt keine Gelegenheit, über eine freiheitliche Verfassung zu beraten. Daher sollten diejenigen, die die Herrschaft der Tyrannen unerträglich gefunden hätten, und diejenigen, die wegen der genannten Verdienste einen Anspruch auf Wiederherstellung ihrer Herrschaft zu haben glaubten, zum allgemeinen und gemeinsamen Wohle ein Kompromiß miteinander schließen, bzw. einander auf halbem Wege entgegenkommen, indem die einen einer die Freiheit garantierenden Verfassung mit monarchischer Spitze, die anderen einem konstitutionellen, d.h. durch Gesetze eingeschränkten, Königtum ihre Zustimmung gäben. Verwirklicht werden könne dies Kompromiß am besten durch das dreigeteilte Königtum des Dionys II., seines - wie anderweitig überliefert, liberalen - Halbbruders Hipparinos und des Sohnes Dions, wenn die beiden erstgenannten zu einem solchen Kompromiß überredet werden könnten. Das Kompromiß solle durch bevollmächtigte Vermittler zustandegebracht werden, die von beiden Parteien, sei es aus syrakusanischen Bürgern, sei es aus Bürgern anderer Städte, ausgewählt werden sollten. Diese sollten auch die übrigen Grundzüge der künftigen Verfassung ausarbeiten und vorlegen. "·

Platon, Epist. VIII, 355 a/b ff.

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Darauf folgen nähere Ausführungen über die durch das Kompromiß herzustellende Teilung der Gewalten. Diese Bestimmungen gehen nicht sehr ins Detail, sind aber vor allem auch im einzelnen voll von Unklarheiten. Das Wichtigste und Hervorstechendste daran ist die außerordentlich starke Einschränkung der Befugnisse der Könige. Obwohl im ersten Teile des Briefes, in dem der Verfasser im eigenen Namen spricht, das spartanische Königtum und die Einschränkung seiner Macht durch die lykurgische Verfassung als vorbildlich erwähnt werden 180 , ist die Einschränkung der Macht der für Syrakus und Sizilien vorgesehenen Könige sehr viel größer als es diejenige der Macht der spartanischen Könige je gewesen ist. Sie sollen nur religiöse Funktionen haben und diejenigen Ehren genießen, die Wohltätern (εύεργέτοα) des Staates zukommen. Von der Strafgerichtsbarkeit, vor allem in all den Fällen, in denen Tod, Verbannung und Freiheitsentzug als Strafen verhängt werden können, werden sie ausdrücklich ausgeschlossen mit der Begründung, daß sie als Priester ihre Hände nicht mit derlei Dingen beflecken sollen181. Die wichtigste Funktion im Staate ist einem Gremium von 35 Gesetzeshütern (νομοφύλακες) zugedacht. Doch sind die Bestimmungen über sie eigentümlich unklar und unbestimmt 182 . Sie sollen πολέμου και ειρήνης άρχοντες sein μετά τε δήμου καΐ βουλής. Aber es ist nicht klar, ob dies heißt, sie sollten die Führung der Staatsgeschäfte im Krieg und im Frieden haben, oder sie sollten die Entscheidung über Krieg und Frieden haben. Nimmt man das μετά τε δήμου καΐ βουλής als Forderung des Zusammenwirkens der drei Faktoren, so muß es sich ja wohl um die Entscheidung über Krieg und Frieden handeln, da nicht recht zu sehen ist, wie Volk und Rat bei der Kriegsführung mitwirken sollten, es sei denn durch Weisungen an die Generale, wie es in Athen üblich war, womit aber wiederum die den νομοφύλακες zugedachte Führung im Staate ganz außerordentlich eingeschränkt gewesen wäre. Versteht man dagegen den 180 181 182

Piaton, E p i s t . V I I I , 354 b ff. Ibid. 356 e/357 a. I b i d . : πολέμου 8έ καΐ ειρήνης άρχοντας νομοφύλακας ποιήσααθαι τριάκοντα καΐ πέντε μετά τε δήμου καΐ βουλής.

αριθμόν

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Ausdruck im ersteren Sinne, so müßten sich die Worte μετά τε δήμου καΐ βουλής wohl auf Auswahl und Einsetzung der νομοφύλακες beziehen. Das wäre eine sehr wichtige Bestimmung. Aber dann fehlen wieder nähere Angaben über den modus, nach dem dies geschehen soll. Noch unklarer ist das, was folgt183. Als zweite wichtige Funktion des Gremiums der 35 νομοφύλακες erscheint die Gerichtsbarkeit in Fällen, in denen auf Tod oder Verbannung erkannt werden kann. Doch sollen außerdem (πρός τούτοις) aus den Magistraten (άρχοντες) des vorhergehenden Jahres je einer, d.h. der beste aus jeder Magistratur, zusätzlich als Richter für solche Fälle gewählt werden, wobei wiederum völlig unklar bleibt, ob die άρχοντες oder Magistrate mit den Nomophylakes identisch sind und auf welche Weise diese, wenn es der Fall ist, die Magistraturen - da ja von mehreren verschiedenen Magistraturen die Rede ist - unter sich verteilen sollen. Alles, was man bei so vielen Unklarheiten darüber sagen kann, ist, daß es sich um eine Verfassung handelt, die mit der von Piaton im dritten Buch der „Gesetze" geschilderten184 gemischten Verfassung der Spartaner und ihrem „system of checks and balances" eine gewisse Ähnlichkeit hat, nur daß an Stelle der zwei Könige der Spartaner drei Könige eingesetzt werden sollen und das monarchische Element in seinen Machtbefugnissen sehr viel stärker eingeschränkt ist, das oligarchische Element in der Einrichtung der Nomophylakes sehr viel stärker hervortritt, die Funktion des ebenfalls vorhandenen demokratischen Elements, da es nur in den völlig unpräzisen Worten μετά τε δήμου και βουλής auftritt, völlig unklar bleibt. Obwohl die Echtheit des achten Briefes meistens zusammen mit der des siebenten Briefes entweder angenommen oder bestritten wird, besteht in dieser Hinsicht zwischen den beiden Briefen doch ein sehr großer Unterschied. Das Kriterium, daß der Brief Dinge 183

184

Е р . VIII, 357a:δικαστήρια δέ άλλα μέν Λλλων, θανάτου δέ καΐ φυγής τους τε πέντε καΐ τριάκοντα ύπαρχε ι V πρ6ς δέ τούτοις τε έκλεκτοϋς γίγνεσθαι δικαστάς έκ τδν νδν del περυαινδν α ρ χ ό ν τ ω ν , Ινα άφ'Ικάατης τϊ]ς άρχ^ς τόν δριστον ϊόξαντ'είναι καΐ δικαιότατον' τούτους δέ τόν έπιόντα ένιαυτόν δικάζειν δσα θανάτου καΐ δεσμοδ καΐ μεταστάσεως τδν πολιτών. Platon, Leges I I I , 691 d ff.

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erklärt, die unabhängig von ihm historisch feststehen, ohne ihn jedoch unerklärt bleiben würden, ist hier nicht anwendbar. Der Optimismus des Briefes sticht allzusehr ab von der Skepsis und dem Zögern in der Erteilung konkreter Ratschläge, die für den siebenten Brief charakteristisch sind. Das könnte man allenfalls aus der veränderten Situation erklären, obwohl es seltsam wäre, daß die Stimmung des alten Piaton, der doch seine Erfahrungen gemacht hatte, auf Grund einer ganz temporären Besserung der Lage sich so geändert haben sollte. Wenn der Verfasser des Briefes den toten Dion am Ende des Briefes sagen läßt, wenn sein Sohn Hipparinos und Hipparinos, der Sohn Dionys' I., übereinstimmten, würden auch die übrigen Syrakusaner, denen das Wohl der Stadt am Herzen liege, ihnen zustimmen, erscheint diese Zuversicht nach den Erfahrungen, die Dion mit den Syrakusanern gemacht hatte, trotz der Einschränkung „denen das Wohl der Stadt am Herzen liegt" kaum begreiflich. Auch der Stil, obwohl er sich nicht allzusehr von dem des siebenten Briefes entfernt, hat eine leicht rhetorische Färbung, die Piatons echten Schriften einschließlich des siebenten Briefes fremd ist. Vor allem aber ist die Unklarheit, nicht in bezug auf schwierigste sachliche Probleme, wo sie durch die Schwierigkeit des Gegenstandes bedingt ist, sondern in bezug auf die konkretesten Dinge, wie sie in den Verfassungsvorschlägen des toten Dion zu beobachten ist, ganz ohne Beispiel bei Piaton. Denn nicht darum handelt es sich ja, die Einzelheiten offen zu lassen, was in der gegebenen Situation sehr vernünftig wäre, und nur von den allgemeinsten Prinzipien zu reden: sondern es werden ziemlich detaillierte Vorschläge gemacht, von denen jedoch in mehrfacher Hinsicht völlig unklar ist, was sie heißen sollen. Die Authentizität des achten Briefes unterliegt daher schweren Zweifeln von einer Art, wie sie für den siebenten Brief, der zudem durch positive Indizien als echt erwiesen wird, durchaus nicht gegeben ist. Immerhin steht der Inhalt des achten Briefes sowohl der Haltung, die Piaton nach dem Zeugnis des siebenten Briefes nach dem offenen Zerwürfnis zwischen Dion und Dionys II. eingenommen hat185, wie 185

Piaton, Epist. V I I

350 с ff.

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auch den von Piaton in den Gesetzen ausgesprochenen politischen Gedanken nahe genug, um sagen zu können, daß ähnliche Vorstellungen von einer möglichen Lösung des Konfliktes in Piaton nahestehenden Kreisen bestanden haben werden, daß der Brief daher vermutlich auf Reminiszenzen an Erörterungen, die in diesen Kreisen stattgefunden haben, beruht und daher, ob echt oder nicht, nicht ganz ohne Zeugniswert ist. Die Bemerkung des toten Dion im achten Brief180, er habe schon immer solche Pläne gehabt wie die jetzt von ihm aus dem Grab heraus vorgelegten, bestätigt dann auch, was vorher über das Nichtbestehen eines konkreten Verfassungsplanes Dions vor seinem Tode gesagt worden ist, da der oder die Verfasser des Briefes sonst kaum umhin gekonnt hätten, auf die durch die Verschiedenheit der Situation bedingten Verschiedenheiten der Pläne wenigstens etwas zu sprechen zu kommen. An diesem Punkt lassen sich trotz der Unvollkommenheit der Zeugnisse doch einige vielleicht nicht ganz unwichtige vorläufige allgemeinere Schlüsse ziehen. Der siebente Brief, die Überlieferung bei den antiken Historikern und der achte Brief, soweit er als historisches Zeugnis betrachtet werden kann, zeigen übereinstimmend, daß weder Dion noch Piaton daran gedacht haben, den Staat etwa von Piatons „Republik" oder auch die Verfassung der „Gesetze" ohne Rücksicht auf die besonderen historisch gegebenen Verhältnisse in Syrakus in die Wirklichkeit umzusetzen, sondern im Gegenteil bemüht gewesen sind, unter Berücksichtigung der bestehenden Machtverhältnisse eine durch das, was man im Altertum eine gemischte Verfassung genannt hat, garantierte haltbare gesetzliche Ordnung einzuführen. Wenn man dabei von Illusionen sprechen kann, so lagen sie nicht darin, daß Piaton oder Dion geglaubt hätten, eine abstrakt konstruierte Idealverfassung einführen zu können, sondern viel eher in dem Glauben der Verfasser des achten Briefes und derer, auf die die darin zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen und Vorschläge zurückgehen, daß ein Kompromiß zwischen so verfeindeten und auseinanderstrebenden Kräften, wie er dort ins Auge gefaßt wird, in irgendeiner Weise Bestand haben könnte. Wichtig ist auch 1M

Piaton, Epist. VIII, 357 a.

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der erste Abschnitt der Rede des toten Dion im achten Brief 187 , sofern er einen Zeugniswert für unter den Anhängern Dions nach seinem Tode verbreitete Ansichten besitzt. Er bestätigt mit seiner Warnung vor der Überschätzung des Reichtums und seiner Mahnung, sich Gesetze gefallen zu lassen, die diesen einschränken, was auch aus dem siebenten Brief und allen politischen Schriften Piatons zu erschließen ist, daß weder Piaton noch Dion noch ihre Anhänger bestrebt gewesen sein können, die enorme Kluft zwischen Reich und Arm, die in Sizilien und Unteritalien seit alters bestanden hatte, unvermindert bestehen zu lassen, sondern auch Reformen in dieser Hinsicht ins Auge gefaßt haben müssen, ein absoluter Gegensatz zwischen der Mehrheit der syrakusanischen Bürgerschaft und Dion in dieser Hinsicht trotz Dions Gegnerschaft gegen den Volksbeschluß über die Neuverteilung des Landes also nicht bestanden haben kann. Eben dies letztere führt nun jedoch auf ein höchst interessantes und zentrales Problem. Macchiavelli schreibt im 18. Kapitel seines „Principe": „ Q u a n t o sia laudabile in uno principe mantenere la fede e vivere con integritä e non con astuzia, ciascuno lo intende, non di manco si vede per esperienza ne' nostri tempi quelli principi avere fatto gran cose che della fede hanno tenuto poco conto e che hanno saputo con l'astuzia aggirare e' cervelli delli uomini; et alia fine hanno superato quelli che si sono fondati in sulla lealtä." Und etwas weiter: „ A uno principe, adunque, non e necessario avere tutte le soprascritte qualitä, ma e bene necessario parere di averle. Anzi ardiro di dire questo che, avendole, et asservandole sempre, sono dannose, e, parendo di averle, sono utili; come parere pietoso, fedele, umano, intero, religioso et essere: ma stare in modo edificato con l'animo, che besognando non essere, tu possa e sappi matare el contrario. E t hassi ad intendere questo, che uno principe, e massime uno principe nuovo, non puö asservare tutte quelle cose per le quali Ii uomini sono tenuti buoni, sendo spesso necessitato, per mantenere lo stato, operare contro alla fede, contro alla caritä, contro alia umanitä, contro alla religione. Ε pero bisogna che elli abbiano animo disposto 187

Piaton, Epist. VIII, 355 b.

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a volgersi secondo che e' venti e le variazioni della fortuna li commandono, e, come di sopra dissi, non partirsi dal bene, potendo, ma sapere intrare nel male, necessitato." Die gesamte politische Tätigkeit Piatons und Dions in Sizilien vom Tode Dionys' I. bis zur Ermordung Dions repräsentiert bis zur Seltsamkeit das genaue Gegenteil dessen, was Macchiavelli hier als die grundlegendste Voraussetzung für den Erfolg eines Herrschers, vor allem eines neu zur Herrschaft gelangten, bezeichnet. Statt, wie Macchiavelli es fordert, auf das sorgfältigste den Schein zu erwecken zu versuchen, als ob sie die von diesem aufgezählten Tugenden besäßen, in der Praxis dagegen, wo immer es zur Erreichung ihrer Ziele notwendig oder vorteilhaft erschien, sich von ihrer praktischen Ausübung zu dispensieren, haben sie diese Tugenden, wie eine genauere Untersuchung gezeigt hat, unaufhörlich praktiziert und sich dabei unaufhörlich dem Verdacht ausgesetzt, ja sich geradezu in den Verdacht gebracht, das Gegenteil zu tun. Manches an diesem seltsamen Ergebnis war zweifellos durch Umstände bewirkt, die von außen gegeben waren und kaum oder jedenfalls nicht völlig in der Macht der Handelnden lagen, wie z.B. daß Dion, wenn er später zum Handeln imstande sein wollte, schon unter Dionys I. die Grundlagen dafür legen mußte und sich dadurch das Mißtrauen seines Nachfolgers zuzog, wobei freilich auch nicht zu leugnen ist, daß Dion in einzelnen Fällen vielleicht hätte vorsichtiger und klüger handeln können. Noch mehr waren Dions verwandtschaftliche Beziehungen zu der Familie des Tyrannen, wenn auch nicht völlig, so doch weitgehend vorgegeben, die ihn dann später dem „Volk" von Syrakus suspekt erscheinen ließen und dem Herakleides eine so wirksame Handhabe gegen ihn gaben. Aber die aus diesen Umständen entstehenden Schwierigkeiten wurden doch auch gewaltig vergrößert durch Handlungen, die keineswegs aus diesen mit Notwendigkeit folgten. Das eklatanteste Beispiel ist die öffentliche Verlesung des scheinbar von seinem Sohn, in Wirklichkeit von Dionys II., an ihn gerichteten Briefes, die, wie sich gezeigt hat, nicht von diesem beabsichtigt oder vermutet worden sein kann, faktisch aber ihm so in die Hände arbeitete, daß die Dion wohlgeneigten antiken Historiker sich den

von Fritz, Plato

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Vorgang nur aus einer listigen Absicht des Dionys erklären konnten. Hier ist es die bis ins Extrem getriebene Demonstration des Prinzips der integritä und lealtä, die zur Folge hatte, daß Dion des Gegenteils verdächtigt wurde. Dies ist jedoch nicht das einzige Mal, daß gerade die Ehrlichkeit und Offenheit des Verfahrens Dions der Erreichung seiner Ziele im Wege gestanden ist. Ich habe schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß es gewiß nicht der Wunsch Piatons gewesen sein kann, die enorme Kluft zwischen Reich und Arm, die in Westgriechenland bestand, aufrecht zu erhalten, und daß eine Neuregelung der Besitzverhältnisse, nur nicht mit Hilfe einer einfachen Aufteilung der großen Güter unter die Besitzlosen, sondern unter sorgfältiger Kontrolle des Staates, in der Richtung seiner Reformideen gelegen hat. Wenn er sich im Staat heftig gegen das Versprechen von γης άναδασμοί ausspricht188, so deshalb, weil dies von alters her ein Schlagwort von Demagogen gewesen war, mit dem diese zur Macht zu kommen suchten, wonach dann faktisch von einer Neuverteilung des Grundbesitzes in der Regel nicht mehr die Rede war. Ebenso war Piaton jedes anarchische Vorgehen verhaßt, also eine Neuverteilung des Bodens, wo jeder, nachdem sie einmal öffentlich erklärt worden ist, sich bedient, wo er gerade zugreifen kann. Das alles hatte Piaton schon ausgesprochen, lange bevor sein Freund Dion in Sizilien mit solchen Problemen in der Praxis konfrontiert war. Im Einklang damit hat dann Dion die anarchische Besitzergreifung der Güter der Großgrundbesitzer durch die ärmere Bevölkerung inhibiert und auch die Annullierung des Volksbeschlusses, der ihr eine gewisse Legalität zu geben schien, vorgenommen oder durchgesetzt. Er hat sich damit naturgemäß alle diejenigen, die bei einer solchen anarchischen Verteilung des Grundbesitzes etwas zu gewinnen hofften, zu Gegnern gemacht und der Demagogie des Herakleides gegen ihn eine weitere Handhabe gegeben. Es ist nun höchst interessant, damit das Verhalten der russischen Revolutionäre in einer ähnlichen Situation zu vergleichen. Wie schon erwähnt, haben sie den Beschluß des Petrograder Sowjets vom 188

Piaton, Staat VIII, 365 e/366 a.

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August 1917, der in ähnlicher Weise ein anarchisches Vorgehen der Bauern zu legalisieren schien, nicht offiziell aufgehoben, aber eine völlig anarchische Ausführung durch den neuen Beschluß einzudämmen versucht, der die Regulierung der Neuverteilung des Besitzes den Dorfsowjets übertrug, die als unmittelbare Vertretung der Bauern jedoch immer noch deren Wünsche, soweit es ohne völlige Anarchie möglich war, zu befriedigen suchten. So gelang es ihnen, das Gros der Bauern in den Kämpfen um die Macht im Staate auf ihre Seite zu bringen und bis zur Erringung der effektiven Kontrolle über den Staat auf ihrer Seite zu behalten. Während dieser Zeit hüteten sie sich wohl, es den Bauern bekannt werden zu lassen, daß sie nicht die Absicht hatten, das zum Staatsbesitz erklärte Land auf die Dauer den Bauern als Privatbesitz zu überlassen. Erst als sie ihre Macht so weit befestigt hatten, daß sie der Unterstützung der Bauern nicht mehr bedurften, begannen sie damit, den Bauern das in den Tagen der Revolution in Besitz genommene Land und darüber hinaus wieder abzunehmen und die Bauern in Kolchose zu zwingen. Es ist eine vollständige Illustration für die allgemeine Darlegung Macchiavellis, wie die aktuelle Bewahrung von fede, integritä und lealtä den Beherrschten gegenüber die Erreichung der politischen Ziele, von denen in beiden Fällen ehrlich geglaubt wird, daß sie letzterdings dem Wohle der Beherrschten dienen, verhindert, ihre grobe Verletzung dagegen sie ermöglicht. Aber dies ist nur ein, wenn auch ein wichtiger Aspekt des Konfliktes verschiedener Prinzipien bei dem Versuch, politische Theorie in die Praxis umzusetzen. Die vor allem in den angelsächsischen Ländern auf Grund von modernen Überzeugungen in neuerer Zeit an Piaton geübte scharfe Kritik hat die Tendenz, Piatons politische Philosophie mit gewissen politischen Phänomenen neuerer Zeit in enge Beziehung zu setzen. Die „Wissenschaft", jedenfalls soweit sie von klassischen Philologen und professionellen Althistorikern ausgeübt wird, pflegt sich zu vornehm vorzukommen, um sich mit dieser Art von Kritik auseinanderzusetzen. Man darf demgegenüber aber vielleicht doch die Frage aufwerfen, ob es wirklich die einzige Aufgabe der Wissenschaft ist, Diskussionsthemata für esoterische

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Zirkel zu stellen, die dann, wie die Ereignisse der letzten vergangenen Jahrzehnte zeigen, trotz ihres angeblichen oder wirklichen Wissens den Stürmen der praktischen Politik keinerlei Widerstand entgegenzusetzen haben, und ob es nicht vielmehr gerade Aufgabe der Wissenschaft ist, sich rechtzeitig mit den gewaltsamen Vereinfachungen und Irrtümern der politisch Engagierten auseinanderzusetzen und, soweit wie möglich, zu ihrer Korrektur und Aufklärung beizutragen. Dazu ist es freilich notwendig, die Dinge nicht nur im luftverdünnten Raum der reinen Spekulation zu betrachten, sondern den harten Tatsachen des politischen Lebens, wie sie im Altertum nicht anders als in unserer Zeit bestanden haben, Rechnung zu tragen. Tut man dies, so kann man gerade auch von der Kritik sehr oberflächlicher Theorien ausgehend zu dem Kern der Probleme gelangen. Eine vor allem in den angelsächsischen Ländern verbreitete Kritik an Piaton pflegt ihm den Vorwurf des Feudalismus und des Faschismus zu machen: offenbar zwei verschiedene Dinge, die aber in dieser Art von Kritik nicht immer klar unterschieden werden. Dagegen findet man höchst selten auch nur eine Andeutung der Meinung, daß Piaton ein Vorläufer des modernen Kommunismus gewesen sei, obwohl doch Piaton für die regierende Schicht seines Idealstaates in der „Republik" einen Kommunismus fordert, der weit über das hinausgeht, was die modernen Kommunisten in ihren kühnsten Träumen zu verwirklichen hoffen, und obwohl die Staatskonstruktionen Piatons sowohl in der Republik wie auch in den Gesetzen zwei sehr wesentliche Charakteristika mit dem modernen Kommunismus gemeinsam haben: 1. das, was man den totalitären Aspekt der platonischen Idealstaatskonstruktionen nennen kann: die außerordentlich weitgehende Kontrolle des Staates über das Leben des einzelnen Bürgers, und 2. die außerordentlich starke Einschränkung der Eigentums- und Einkommensentwicklung der Familien und Individuen durch den Staat, die selbst in den „Gesetzen" weiter geht als in den meisten modernen kommunistischen Staaten. Der Grund, warum diese Gemeinsamkeiten meistens als nebensächlich betrachtet werden, ist offensichtlich. Es ist aber doch fraglich, ob damit der Kern des Sache getroffen wird. Nichts hat

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gewiß Piaton ferner gelegen als das Streben nach einer „Diktatur des Proletariats"; und er hätte gewiß nicht bei der Auswahl und Ausbildung einer Elite für die Lenkung des Staates die Söhne der Mitglieder der bisher „herrschenden Klasse" benachteiligt, um den Söhnen von einfachen Bauern und „Arbeitern", in der antiken Gesellschaft von Handwerkern, den Vorzug zu geben. Aber in der Praxis sind auch die kommunistischen Regierungssysteme wie die von Piaton befürworteten im höchsten Maße elitär, so daß die Auswahl aus besonderen bevorzugten Klassen nur eine vorübergehende Erscheinung ist, und ist umgekehrt auch bei Piaton die Auswahl der Regierenden ganz durch die άρετή, die Tüchtigkeit, bestimmt und wird die Auswahl auf Grund der Abstammung von Mitgliedern der regierenden Schicht sowie die Erblichkeit der Zugehörigkeit zu bestimmten Klassen, die den Feudalismus charakterisieren, von Piaton ausdrücklich abgelehnt. Einander entgegengesetzt scheinen auch der „Materialismus" der modernen kommunistischen Doktrin und der „Idealismus" Piatons zu sein. Aber auch hier sind die Dinge weniger einfach als die politischen Schlagworte sie erscheinen lassen. Dem Kommunismus marxistischer Observanz scheint ein Endziel allgemeiner materiellökonomischer Prosperität vorzuschweben, was jedoch mit der Forderung verbunden ist, die gegenwärtige Generation müsse bereit sein, für die Erreichung dieses Zukunftszieles schwere Opfer zu bringen, während Piaton gerade in zu großer materieller Prosperität, auch wenn sie von allen Bürgern geteilt würde, eine Ursache der Korruption des menschlichen Lebens gesehen hat. Aber gerade in ihrer jüngsten und radikalsten Form beginnt die kommunistische Theorie die materielle Prosperität als Ideal zu verwerfen und durch ein Ideal permanenter tugendhafter Armut zu ersetzen, das platonischen Idealen sehr nahe steht. Gemeinsam ist ferner Piaton und allen modernen kommunistischen Doktrinen der Glaube an die durchgreifende Wirksamkeit staatlicher Erziehung und an die Möglichkeit, den Menschen durch eine Reformierung der gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen von Grund auf umzubilden. Was Piaton vom modernen Kommunismus am wesentlichsten und

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radikalsten unterscheidet, ist eben das, wovon am Anfang dieser Erörterung die Rede gewesen ist: das Zurückschrecken vor dem Gebrauch von Täuschung18' und Gewalt, worin zugleich auch offenbar wird, daß Piatons Theorie und Praxis sich von dem die Gewalt anbetenden und die Täuschung der Massen zum Prinzip erhebenden Faschismus mehr als von allem anderen unterscheidet. Es zeigt sich also, daß die Elemente bei Piaton anders gemischt sind und alle die Identifizierungen mit Erscheinungen der neueren und neuesten Geschichte irreführend sind und an der Oberfläche bleiben. Es ist nun aber möglich, eben von dem zuletzt betrachteten Faktor aus zu einem der wirklichen Kernprobleme zu gelangen. Gegen die Behauptung, Piatons politische Theorie und Praxis unterscheide sich von modernen politischen Bewegungen durch das Zurückschrecken vor dem Gebrauch der Gewalt, kann eingewendet werden, gerade Piaton spreche doch in seinem Dialog vom Staatsmann die Meinung aus190, der wahre Staatsmann, d.h. derjenige, der die wahre politische Ιπιστήμη und Einsicht besitze, sei in seinen Entscheidungen weder an die Zustimmung seiner Mitbürger noch an etwa bestehende Gesetze gebunden. Es komme nur darauf an, daß er „das Richtige", das im wahren Interesse des Staates Gelegene, tue; wenn das aber der Fall sei, dann schließe das Gesagte auch das Recht ein, diejenigen, die sich seiner besseren Einsicht widersetzen, zu verbannen und sogar zu töten" 1 . Gerade hinsichtlich des Rechtes zum Gebrauch der Gewalt stimme Piaton mit den radikalsten Vertretern des modernen Totalitarismus, die sich ja ebenfalls, welcher speziellen Observanz sie auch sind, einbilden, genau zu wissen, was den Menschen frommt, völlig überein. Diese Stelle in dem Dialog „Politikos" spielt denn auch in der modernen Diskussion des Ver189

»» m

Vgl. darüber unten S. 138. Piaton, Politikos 293 с ff. Ibid.: 293d. καΐ έάντε γ ε άποχτεινΰντες τ ίνας ή καΐ έκβάλλοΜτες καθαίρωοιν έπ'δγαθφ τήν πάλιν (sc. ot δρχοντες), είτε καΐ άποικίας οίον ομήνη μελιττδν έκπέμποντές ποι σμικροτέραν ποιβσιν, ή τινας Ιπεισαγόμενοί πόθεν δλλους Ιξωθεν πολίτας ποιοΒντες αδτήν αδξωσιν, Ιωσπερ δν Ιπιστήμη καΐ xffi δικαίψ προσχρώμενοι σφζοντες Ικ χείρονος βελτίω ποιβοι κατά δΰναμιν, ταύτην τότε καΐ κατά τοίις τοιούτους Βρους ήμϊν μόνην δρθήν πολιτείαν είναι ρητέον.

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haltens Dions nach der Eroberung von Syrakus eine beträchtliche Rolle. Man hat gemeint, Dion habe eben von daher sich das Recht genommen, sich über bestehende Gesetze hinwegzusetzen, und auch für die Ermordung des Herakleides hätte er darin eine Rechtfertigung finden können, so daß man sich sogar auf Grund dessen gewundert hat, daß Dion sich das mit der „Liquidierung" des Herakleides begangene „Unrecht" dann nach dem Zeugnis der Historiker doch so sehr zu Herzen genommen zu haben scheint. Angesichts dieser und ähnlicher Überlegungen ist nun aber doch mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die vielberufene Stelle von der Berechtigung des Gebrauchs der Gewalt nicht als der Weisheit letzter Schluß am Ende des Dialoges steht, sondern in eine lange Erörterung eingebettet ist, durch die sie qualifiziert wird, so daß die wahre Meinung Piatons ohne die Berücksichtigung der gesamten Erörterung schlechterdings nicht verstanden werden kann. Was unmittelbar auf die zitierte Stelle folgt, scheint allerdings zunächst das dort Gesagte zu bekräftigen und näher zu begründen. Denn hier wird sehr eindrucksvoll gezeigt1"2, daß jedes Gesetz, weil es notwendigerweise allgemein formuliert sein muß, sich der ungeheueren Mannigfaltigkeit der Inzidentien des menschlichen Lebens gegenüber als unzulänglich erweisen muß. Die Entscheidung gemäß den Besonderheiten des individuellen Falles, die nur durch einen mit voller Einsicht in eben diese Besonderheiten Ausgestatteten vorgenommen werden kann, ist daher dem Versuch, allgemein formulierte starre Regeln darauf anzuwenden, vorzuziehen. Nur so ist auch eine fortdauernde Anpassung an die sich unaufhörlich im Ablauf der Geschichte vollziehenden Änderungen der menschlichen Verhältnisse möglich. Man könnte diesen allgemeinen Betrachtungen hinzufügen, daß eben aus diesem Grunde immer wieder im Laufe der Zeiten, sobald wirtschaftliche, kulturelle oder andere Änderungen eingetreten waren, welche die überlieferten und traditionellen Gesetze und Verhaltensregeln als inadäquat erscheinen ließen, alsbald der Ruf nach dem starken Mann ertönte, der das Netz der einschränkenden und die freie Tat behindernden Gesetze zerreißt und das Notwendige 192

Piaton, Politikos 294 ff.

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und Rettende tut. АБег das ist, wie Piaton selbst gerade im „Politikos" auf das eindringlichste zeigt, nur die eine Seite der Sache. Schon ganz zu Beginn des Dialoges wird gegenüber der beliebten Vergleichung des Königs oder leitenden Staatsmannes mit dem Hirten darauf hingewiesen1'3, daß der Hirte einer höheren Spezies angehört als die seiner Pflege anvertrauten Tiere, der Staatsmann oder Völkerhirte dagegen nicht. Der Herrschaft eines Hirten über die Herde würde die Herrschaft eines Gottes über die Menschenherde entsprechen, was dann in dem seltsamen Kronosmythos des zweiten Viertels des Dialoges weiter ausgeführt wird1®4. Hier und im folgenden wird auch noch eine wichtige Folge dieses Unterschiedes erörtert. Der Hirte sorgt für alle Bedürfnisse der Herde; für ihre Nahrung und für Schutz gegen die Unbilden der Witterung. Er betätigt sich in der Regel im Altertum auch als Arzt für die Tiere. Der menschliche Staatsmann dagegen muß die Sorge für diese Dinge anderen überlassen: gemäß jener notwendigen Teilung der Arbeit und Aufgaben unter den Menschen, aus der Piaton schon im „Staat" die Notwendigkeit des gesellschaftlichen und staatlichen Zusammenschlusses der Menschen, da kein Mensch imstande ist, für sich allein seine mannigfaltigen Bedürfnisse adäquat zu befriedigen, abgeleitet hatte. Der Staatsmann oder Herrscher kann nur die oberste Leitung des Ganzen auf sich nehmen. Damit übt Piaton, was selten beachtet wird, trotz seiner totalitären Tendenzen wohl doch implicite eine gewisse Kritik an dem modernen Ideal des Wohlfahrtstaates, der, ob kommunistisch oder nicht, sich die Erfüllung auch jener Aufgaben des einer höheren Spezies angehörigen Hirten zum Ziele gesetzt hat. Auch das zeigt wieder, wie unmöglich es ist, Piaton ohne weiteres mit bestimmten modernen politischen Erscheinungen und Tendenzen zu identifizieren. Aber von dieser Seite der Sache soll an dieser Stelle zunächst nicht weiter die Rede sein. Jedenfalls lassen die erwähnten Erörterungen in der ersten Hälfte des Dialoges es als zweifelhaft erscheinen, wieweit die volle βασιλική έταστήμη, welche die Voraussetzung für die 193

Piaton, Politikos 267 e ff. Ibid. 269 a ff.

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Rechtfertigung des an keinerlei formulierbare Regeln gebundenen Handelns des Königs ist, in einem Menschen verwirklicht sein kann. Nun findet sich allerdings im zweiten Teil des Dialoges noch ein Abschnitt185, in dem diese Rechtfertigung auch auf den kundigen menschlichen Staatsmann ausgedehnt zu werden scheint. Er wird dort - im Gegensatz zu dem die Welt lenkenden Gott, der jederzeit an jeder Stelle wirken kann - mit einem Arzt verglichen, der nicht unaufhörlich am Bette des Kranken sitzen kann, da er sich auch um andere kümmern muß, und der daher, wenn er den Kranken verläßt, den Verwandten und Pflegern des Kranken seine Vorschriften gibt, die diese streng zu befolgen haben, der aber selbst vernünftigerweise nicht an seine eigenen Vorschriften gebunden sein kann, sondern, wenn er wieder kommt, die Freiheit haben muß, je nach dem Zustand, in dem er den Kranken vorfindet, seine Vorschriften zu ändern. So kann der Staatsmann nicht unaufhörlich seine Aufmerksamkeit allen Einzelheiten im Staatswesen zuwenden. Er wird daher als Gesetzgeber Regeln erlassen, aber diese auch abändern oder von ihnen abweichen können, wenn die Situation es erfordert. Damit scheint also auch der menschliche Staatsmann höchsten Ranges bis zu einem gewissen Grade von der strikten Bindung an feste Gesetze emanzipiert zu werden. Aber auch das ist nicht das Ende der Erörterung. Im folgenden Teil des Dialogs werden neue Bedenken erhoben. Was, wenn der Herrscher, dem die Gewalt über die Menschen anvertraut ist, korrupt ist, wenn er zwar die Heilmittel kennt und die Gifte sowie diejenigen Heilmittel, die, wenn sie nicht in der richtigen Dosierung angewendet werden, wie Gifte wirken, und diese Kenntnis, weil er von Feinden oder Erben des Kranken bestochen ist, dazu benutzt, den Kranken zu vergiften statt ihn zu heilen?196 Was, wenn der Herrscher die wahre Erkenntnis zu besitzen glaubt, aber sie nicht wirklich besitzt, und nun nach seiner eingebildeten falschen Erkenntnis handelt?1®7 Angesichts solcher Möglichkeiten erscheint immer noch besser der 195

"« 107

Politikos 294 e/295 a ff. Politikos 269 d ff., 298 a ff. und 301 b/c. Ibid. 300 d/e.

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δεύτερος πλους einer starren Gesetzesherrschaft1®8, bei der alles nach festen Gesetzen und Vorschriften geregelt ist, von denen niemand, auch von den Regierenden, sich nur um einen Schritt entfernen darf, so inadäquat ein solches System sich auch der Mannigfaltigkeit des menschlichen Lebens gegenüber erweist und so sehr - was von Piaton besonders hervorgehoben wird - es jedem Fortschritt der Erkenntnis oder zum mindesten ihrer praktischen Anwendung im Wege steht. Es ist dieses niemals vollständig überwindbare Dilemma einer jeden menschlichen politischen Ordnung, das von Piaton in dem ganzen Dialog und besonders in seinem letzten Teil mit unüberbietbarer Schärfe und Klarheit herausgestellt wird. Die Erkenntnis, daß, wenn es den vollkommen guten und mit vollkommener Einsicht ausgestatteten Staatsmann gäbe, es das beste wäre, ihn ohne jede Beschränkung durch Vorschriften, Regeln und Gesetze handeln zu lassen, ist, so sehr sie als rein abstrakte Erkenntnis gültig bleibt, nur e i n Horn dieses Dilemmas und kann daher nicht für sich genommen als Regel oder auch nur Rechtfertigung praktischen Handelns verstanden werden. Die natürliche Schlußfolgerung aus der schroffen Gegenüberstellung der beiden Extreme ist die, daß es notwendig ist, zwischen diesen Extremen der absolut starren, wie Piaton selbst ausführt, alles Leben ertötenden Gesetzesherrschaft und einer Freiheit der Regierenden von gesetzlichen Bedingungen, die es auch denen, die sich nur einbilden oder nur vorgeben, die wahre Einsicht zu haben, ermöglicht, schrankenlos ihre Einfalle in die Tat umzusetzen, einen Mittelweg zu finden. In dem großen Alterswerk der „Gesetze" hat Piaton ein solches politisches System, mit dem Nachdruck auf der gesetzlichen Regelung, nicht auf der Freiheit des Handelns, zu konstruieren versucht. In dem Dialog vom Staatsmann, der nach der Herausstellung des Dilemmas seinem Ende entgegeneilt, wird dieses den „Gesetzen" zugrundeliegende Prinzip nur noch andeutungsweise behandelt1"9. Der Dialog enthält jedoch an seinem Ende noch einen kurzen 198

Politikos 301 d/e ff. ιββ Vg] d a s Politikos 302 e ff. über die konstitutionelle, d. h. durch Gesetze eingeschränkte und an sie gebundene Monarchie Gesagte.

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Abschnitt200, der, indem et über das Prinzip gleich noch um einen Schritt hinausgeht, dieses doch implicite zugleich mit enthält. Der „Fremdling", der in diesem Dialog die Rolle, die Sokrates in den meisten Dialogen einnimmt, vertritt, kommt zum Schluß noch einmal auf das Gleichnis von der Webkunst zurück, das in dem Dialog schon mehrfach herangezogen worden ist, und bezeichnet es als eine der wichtigsten Künste des Staatsmannes als Gesetzgeber, die beiden Tugenden der άνδρεία und der σωφροσύνη, die Tugenden der Tatkräftigen und Draufgängerischen und die Tugend der Vorsichtigen und Zurückhaltenden, wie Kette und Einschlag miteinander zu verknüpfen, so daß ein solides und haltbares staatliches und gesellschaftliches Gewebe entsteht. Daß dies mit der Frage von Gesetzesherrschaft und Freiheit des Handelns eng zusammenhängt, ergibt sich daraus, daß der Vorschlag im Zusammenhang mit der Frage der Änderung bestehender Gesetze gemacht wird und daß die Zurückhaltenden und Besonnenen naturgemäß diejenigen sein werden, die zögern, von geltenden Gesetzen und Bräuchen abzuweichen, während die Kühnen und Tatkräftigen geneigt sein werden, Gesetze und Gebräuche zu ändern, um, da die menschlichen Verhältnisse nun einmal dem Wandel unterworfen sind, die überkommenen Regeln durch Änderung den bestehenden realen Umständen anzupassen. Was Piaton hier empfiehlt, ist also ein Mittelweg zwischen dem, was wir Konservatismus und Fortschrittsgeist zu nennen pflegen. Die Voraussetzung aber, von der Piaton hier ausgeht, ist die, daß die beiden Tugenden der άνδρεία und σωφροσύνη naturgemäß bei verschiedenen Menschen als angeborene Anlagen gegeben sind, die dann nur durch Erziehung und Lebenserfahrung weiter entwickelt und ausgebildet werden. Darin liegt nun wieder eine höchst interessante Abweichung von einem sokratischen Prinzip, das Piaton selbst in einem frühen Dialog, dem „Protagoras", mit großer Klarheit entwickelt hat. Dort wird zu zeigen versucht, daß alle άρεταί letzterdings auf Einsicht beruhen und, da die wahre Einsicht e i n e ist, auch selbst eine Einheit bilden müssen, so daß eine wahre άνδρεία ohne σωφροσύνη und eine wahre σωφροσύνη ohne άνδρεία Piaton, Politikos 308 d ff.

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nicht möglich ist. Die Neigung zum kühnen Drauflosgehen oder zur vorsichtigen Zurückhaltung wird dort gerade nachdrücklich von den άρεταί der άνδρεία und σωφροσύνη unterschieden. Dieser Unterschied zwischen dem frühen sokratischen Dialog „Protagoras" und dem späten Dialog „Politikos", in dem der „Fremdling" die Rolle der Führung des Dialoges übernommen hat, macht noch einmal sehr deutlich, wie bei Sokrates alles auf den Einzelnen abgesehen ist, in dem die Einsicht, die zur einen und einheitlichen άρετή führt, erzeugt werden soll, während Piaton immer mehr sein Augenmerk auf das Zusammenwirken der Menschen in Staat und Gesellschaft gerichtet hat, wobei, da es unmöglich ist, in allen Menschen die gleiche Einsicht zu erzeugen, gerade auch die natürlichen Anlagen und Neigungen der Menschen in Betracht gezogen werden müssen. Doch hat der alte Piaton, wie sich zeigen wird, doch auch die eigentlich sokratischen Prinzipien daneben nicht ganz aufgegeben.

2. Kehrt man nun von diesem Versuch, zunächst einmal Piatons theoretische Positionen etwas zu klären, zu den konkreten Schwierigkeiten Dions mit den Syrakusanern und mit Herakleides zurück, so sehen sich die Dinge doch sehr anders an als wenn der Satz von der Befugnis des mit der wahren Herrscherweisheit ausgestatteten Staatsmannes, sich über Gesetze hinwegzusetzen und Bürger, die sich ihm widersetzen, in die Verbannung zu schicken oder zu töten, absolut genommen wird. Was zunächst Piatons persönliches Verhältnis zu Dion angeht, so verteidigt er - wie sich gezeigt hat201, mit Recht - im siebenten Brief die Reinheit seiner Absichten. Aber nichts spricht dafür, daß er in Dion einen Staatsmann von gottähnlicher Weisheit gesehen hätte, der die βασιλική επιστήμη im vollsten Ausmaße besitzt. Im Gegenteil: die mehrfache Kritik, die er an ihm übt, zeigt aufs deutlichste, daß er davon weit entfernt gewesen ist. Schon deshalb kann der Satz auf ihn keine Anwendung gefunden 201

Vgl. oben S. 104 ff.

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haben. Es gibt auch kein Anzeichen dafür, daß Dion ihn für sich in Anspruch genomen hätte. Er hat sich ja ganz ausdrücklich als Befreier von Syrakus nicht das Recht genommen, nun auf Grund seiner höheren politischen Weisheit zu entscheiden, was für die Syrakusaner in ihrem Verhältnis zu Dionys II. zu tun das Richtige sei, sondern hat sich in dieser Hinsicht ganz auf gute Ratschläge beschränkt. Ebensowenig konnte er den platonischen Vergleich mit dem Arzt auf sich anwenden, da er ja nicht wie dieser die Anordnungen selbst gegeben hatte, die er dann auf Grund einer neuen Situation hätte wieder aufheben oder von denen er hätte abweichen können. Damit gelangt man wieder zu dem Punkt zurück, der schon in dem Kapitel über Dions praktische Politik diskutiert worden ist. Doch können die Dinge nun vom Standpunkt platonischer Theorien aus präziser gefaßt werden. Ein großer Teil des syrakusanischen „Volkes" war offenbar der Meinung, daß nun, da „die Stadt vom Tyrannen befreit" war, jede beliebige Entscheidung durch einfachen Mehrheitsbeschluß in der Volksversammlung getroffen werden könne. Dion hat, wie die vorangegangene Analyse ergeben hat, dem Volke dies zugestanden ungefähr in allen den Angelegenheiten, die auch in Athen durch einen einfachen Volksbeschluß hätten entschieden werden können, aber nicht, wo, wie bei dem Beschluß der Totenschändung an dem verstorbenen Dionys I., ein höheres Prinzip verletzt wurde, noch in den Fällen, wo ein Volksbeschluß in Athen einer Klage παρανόμων ausgesetzt gewesen wäre und wo, obwohl wir darüber keine genauere Überlieferung besitzen, kaum daran gezweifelt werden kann, daß er auch in Syrakus mit vor der Tyrannis bestanden habenden gesetzlichen Ordnungen in Widerstreit geriet. Mit seinem Widerstand gegen Entscheidungen dieser Art durch einfache Volksbeschlüsse befand sich Dion in Übereinstimmung mit den Überlieferungen so ziemlich aller griechischen Staaten mit einer höheren politischen Organisation, soweit wir davon etwas wissen, in Übereinstimmung mit Sokrates, der sich eben auf Grund seines Glaubens an übergeordnete Gesetze hartnäckig widersetzt hatte, als die athenische Volksversammlung sich die absolute Souveränität der Entscheidung auch in einem Falle anmaßen wollte, der nach der

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geltenden gesetzlichen Ordnung nur durch eine ordentliche Gerichtsverhandlung entschieden werden konnte, und in Übereinstimmung mit Piaton. Betrachtete man durch den Sturz der Tyrannis nicht nur diese selbst, sondern auch die vor ihr bestanden habende gesetzliche Ordnung als aufgehoben oder aufhebbar, so kam alles darauf an, so bald wie möglich zu einer neuen in sich zusammenhängenden politischen Ordnung zu kommen. Das ist es eben, worauf Dion, nachdem er durch die Verhandlungen mit Gaisylos und seine erneute Wahl zum στρατηγός αυτοκράτωρ dazu autorisiert worden war, hingearbeitet hat. In Piatons „Politikos" erscheint, dem Titel und Gegenstand des Dialoges entsprechend, der vollendete Staatsmann auch als Gesetzgeber. Aber die Möglichkeit des Zusammenarbeitens mehrerer in einem gesetzgebenden Gremium wird nicht ausgeschlossen202. So waren ja auch in dem Lauf der griechischen Geschichte sowohl einzelne Gesetzgeber wie die halbmythischen Charondas und Zaleukos oder der unzweifelhaft historische, von den streitenden Parteien zur Herbeiführung eines Ausgleichs durch eine neue politische Ordnung und die Schaffung eines Gesetzeskodex berufene, Solon aufgetreten wie auch Verfassungen oder deren Änderungen durch Zusammenwirken mehrerer zustande gekommen. Piaton selbst hatte gewünscht, daß eine neue politische Ordnung in seinem Sinne durch einen schon an der Macht Befindlichen, durch einen Philosophen Belehrten und Instruierten ohne gewaltsame Auseinandersetzung eingeführt werden könnte. Das war durch das offene Zerwürfnis zwischen Dion und Dionys II., über das Piaton daher so unglücklich war, verhindert worden. Darüber, was in einem Übergangsstadium von einer durch Gewalt aufgehobenen Herrschaftsform zu einer neuen im strikten Sinne legal sei oder nicht, hat Piaton, soviel sich erkennen läßt, ebensowenig genaue Regeln aufstellen können, wie moderne Juristen dazu imstande sind205. Was er im siebenten Brief auf das schärfste 202 Ygi Jag Politikos 300b über die νόμοι Ix πείρας πολλές κείμενοι Gesagte. 203

Einen Teil der vorliegenden Untersuchung habe ich im Oktober 1967 in einer Sitzung der philosophisch-historischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vorgetragen und im Anschluß daran an die ju-

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betont, ist, daß so schnell wie möglich eine neue gesetzliche Ordnung geschaffen werden soll und daß sich dann alle, ohne Rücksicht auf bestehende Machtverhältnisse im Innern des Staates oder auf frühere Streitigkeiten oder Parteizugehörigkeiten, auf das strikteste daran halten sollen204. In der Lage Dions ergab sich die Notwendigkeit, nicht selbst als Gesetzgeber aufzutreten, sondern zur Ausarbeitung einer neuen Ordnung ein Gremium zu berufen von Männern, die eine gewisse persönliche Autorität in Anspruch nehmen konnten, aus seiner Lage, d.h. der starken Opposition, die sich gegen ihn erhob, von selbst. Die Frage ist also vor allem, welche allgemeineren Prinzipien für das Verhalten in der Auseinandersetzung mit widerstrebenden Kräften in einem Übergangszustand, wo sich „Legalität" in politischen Entscheidungen nicht eindeutig bestimmen ließ, vikariierend an die' Stelle von festen Regeln der Legalität treten konnten. Darüber läßt sich aus der historischen Überlieferung über Dions faktisches Verhalten und aus dem siebenten platonischen Brief einiger Aufschluß gewinnen. Das eine ist das Prinzip der möglichsten Vermeidung gewaltsamer Auseinandersetzungen, das im siebenten Brief in der Klage darüber, daß Dion und Dionys II. sich nicht doch noch vertragen haben205, zum Ausdruck kommt, vor allem aber im achten Brief, ob dieser nun von Piaton stammt oder nur der Reflex ist von Plänen, die bei den Dioneern eine Rolle gespielt haben, in dem vorgeschlagenen Kompromiß zwischen Männern und Kräften, die zu

204

205

ristischen Kollegen die Frage gestellt, ob ihrer Meinung nach in der gegebenen Situation der Volksbeschluß über die Neuverteilung des Grundbesitzes oder seine Aufhebung durch Dion legal gewesen sei. Soweit sie sich zu der Frage äußerten, waren sie der Meinung, daß in einer solchen Übergangszeit in Fällen wie dem gegebenen nicht entschieden werden könne, was legal sei oder nicht, da erst aufgrund der Machtverhältnisse eine neue feste Ordnung geschaffen werden müsse, die es erlaube, solche Fragen eindeutig zu beantworten. Niemand hat sich für die unbezweifelbare Legalität weder des einen noch des anderen ausgesprochen. Piaton, Ер. VII, 334c: ταΟτα εΤρηται πάντα τί)ς συμβουλές Ινεκα xffiv Διωνείων φίλων καΐ ουγγενδν συμβουλεύω δέ δή τι πρδς τούτοις τήν αδτήν συμβοϋλήν καΐ λόγον τόν αδτδν λέγων ήδη τρίτον τρίτοις δμΐν. μή δοολοδαθαι Σικελίαν δπ'άνθρώποις Βεσπόταις, μηδέ δλλην πόλιν, 8 γ'έμός λόγος, ά λ λ' 6 π ό ν ό μ ο ι ς" οδτε γάρ τοις δοϋλουμένοις οδτε τοις δουλωθεΐοιν δμεινον. Ibid. 350 d f.

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harmonischem Zusammenwirken zu bringen nach allem, was wir über die vorangegangenen Ereignisse wissen, als fast unmöglich erscheinen muß. Höchst interessant ist aber auch, was Dion nach Plutarch206 zu seiner Rechtfertigung gesagt haben soll, als seine Freunde und Anhänger ihn zu einem früheren Zeitpunkt als dies dann wirklich geschah dazu aufforderten, Herakleides politisch unschädlich zu machen: er habe in der Akademie gelernt, seinen Zorn zu bezwingen: das aber zeige sich darin, daß man, wenn einem Unrecht geschehen sei, sich versöhnlich zeige und mild gegenüber dem, der gefehlt habe. Denn die Begründung, welche die Freunde Dions für ihre Aufforderung geben, man müsse dieses Krebsgeschwür (έπιμανές νόσημα) aus dem politischen Körper herausschneiden, und Dions Antwort darauf sind in gewisser Weise beides Anwendungen platonischer Prinzipien. Hier wird besonders deutlich, daß Piaton die Dinge von zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten aus betrachtete, ohne daß die von diesen beiden Gesichtspunkten aus gewonnenen Erkenntnisse oder Anschauungen völlig miteinander zur Integration gebracht worden sind. Auf der einen Seite steht die Auffassung von der staatlichen Gemeinschaft als einem großen Organismus, von dem die einzelnen Menschen nur winzige Teile sind. Sie kommt sehr deutlich zum Ausdruck in Sokrates' Antwort in Piatons „Staat" auf den Einwand, gerade die höchste und führende Schicht in dem dort konstruierten Idealstaat, die φύλακες, dürften, wenn sie so vom Staate in Anspruch genommen würden, wohl nicht sehr glücklich sein: wie es bei einem menschlichen Körper nicht auf die Schönheit eines einzelnen Teiles, sondern auf die Harmonie des Ganzen ankomme, so komme es auch im Staat mehr auf die glückliche Harmonie des Ganzen als auf das völlig ungehinderte Glück des Einzelnen an. Aus einer solchen Anschauung vom Staate konnte man sehr wohl die Folgerung ziehen, welche die Freunde Dions nach dem Zeugnisse Plutarchs gezogen haben: daß man das Krebsgeschwür aus dem Leibe des Staates herausschneiden müsse, wenn dieser gesunden solle. Aber das Krebsgeschwür in diesem Fall ist nicht ein Stück ausgeartetes und wucherndes Zellgewebe, sondern ein lebendiger »о» Plutarch, Dion 47.

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Mensch mit Namen Herakleides. Hinsichtlich des Verhaltens gegenüber lebendigen Menschen hat Dion nach dem Zeugnis Plutarchs in der Akademie etwas anderes gelernt: daß man dem, von dem einem Unrecht widerfahren ist, gegenüber, wenn er sein Unrecht bekennt - was Herakleides ja zunächst getan hatte - großmütig sein solle und den Versuch machen, ihn durch immer wiederholte Großmut für sich zu gewinnen. Offenbar sind beides platonische Prinzipien, die aber hier in der konkreten Anwendung miteinander in Konflikt geraten. Vielleicht sind diese einander entgegengesetzten platonischen Prinzipien in concreto in noch viel akuterer Form miteinander in Konflikt geraten, als auf den ersten Blick offensichtlich ist, und erklärt sich daraus wieder einiges an unbezweifelbar überlieferten historischen Ereignissen, das sonst unerklärt bleiben müßte. Im siebenten Brief207 leugnet Piaton, ohne den Namen des Kallippos zu nennen - er spricht nur von zwei Brüdern (gemeint sind Kallippos und sein Bruder Philostratos), die Dion von Athen mitgenommen habe und die dann an ihm Verrat begingen und ihn ermorden ließen -, daß dieser mit Dion durch die Philosophie verbunden gewesen sei. Aber nach einer verbreiteten Überlieferung 208 war Kallippos ein Schüler Piatons gewesen und Mitglied der Akademie. Dies wird von Piaton bemerkenswerterweise nicht ausdrücklich geleugnet. Denn man kann die Bemerkung im siebenten Brief auch so verstehen, daß Kallippos trotz seiner zeitweiligen äußerlichen Schülerschaft bei Piaton kein wirklicher Philosoph gewesen sei. Er mag auch, da er an mancherlei politischen Unternehmungen beteiligt war, nur vorübergehend der Akademie angehört haben, wie es ja vielfach vorgekommen ist. Aber das Ganze ist doch höchst interessant. Denn es finden sich auch sonst Anzeichen dafür, daß unbezweifelbar wirkliche Schüler Piatons und Mitglieder der Akademie sowohl zu der Zeit, als Dionys II. noch in Syrakus regierte, als auch nach der Befreiung der Stadt durch Dion für eine rücksichtslosere und skrupellosere Politik eingetreten sind. Das gilt schon für die Tätigkeit Speusipps unter Dionys II. während Piatons drittem syrakusanischen Aufenthalt, die, wenn sie sich auch 2

ς τοΰ μή άϊικειν φαίνεται.

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gen, daß hier tatsächlich zwei platonische Prinzipien miteinander im Streite gelegen sind. Auf der anderen Seite ist offenbar, daß Piaton, wo es sich um ihre konkrete Anwendung gehandelt hat, von Anfang bis zu Ende auf der Seite der Vermeidung der Gewaltanwendung gestanden hat. Der Widerstreit muß aber mitten durch die Seele Dions gegangen sein. Nur so erklärt sich auch, daß er einerseits in einer verzweifelten Situation als Platoniker seine Zustimmung zu der Ermordung des Herakleides gegeben und sich andererseits dann die Tat doch so zu Herzen genommen hat, daß er die Fähigkeit zum Handeln verlor. Fragt man nun nach Wesen und Herkunft derjenigen platonischen Prinzipien, die der Anwendung der Gewalt „zum Wohle" oder „zur Rettung" des Staates entgegenstanden, so ist auch hier wiederum die Antwort nicht eine ganz einfache. Einiges davon ist zweifellos genuin sokratisch: so vor allem das Prinzip, unter keinen Umständen jemandem Unrecht zu tun, auch nicht in der Form des άνταδικεΐν (der Heimzahlung von erlittenem Unrecht). Das Rechttun innerhalb der staatlichen Gemeinschaft war aber für Sokrates, wie viele Beispiele zeigen, ganz stark mit der Beachtung bestehender (und daneben wohl allgemein gültiger ungeschriebener) Gesetze verbunden. Gegen eine gerichtliche Verurteilung des Herakleides, auch zum Tode, nach einsichtigen Gesetzen, hätte Sokrates gewiß nichts einzuwenden gehabt. Aber seine Ermordung ohne Gerichtsverhandlung, zu der Dion sich wohl entschloß, weil er eine Verurteilung nicht durchsetzen zu können hoffte, hätte Sokrates ganz unzweifelhaft als άδικεΐν betrachtet, auch in einem Übergangsstadium zwischen zwei Verfassungen, wie sein Verhalten bei der Verurteilung des Theramenes zeigt. Eine Gesetzesverletzung vermöge des Prinzips der „Staatsraison" hätte er nicht als gerechtfertigt gelten lassen, weil der Schaden, der dadurch dem Staat getan wird, ihm immer größer erschien als irgendein temporärer Vorteil für die Erhaltung des Staates, der daraus entspringen konnte. Auch was Dion über die Beherrschung des Zornes und das Sich-Erheben über empfangenes Unrecht zur Verteidigung seiner Milde gegenüber Herakleides nach dessen militärischer und moralischer Niederlage sagt, ist natürlich durchaus

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sokratisch. Dagegen ist für das, was Dion bei Plutarch über seine Hoffnung sagt213, daß auch ein ehrsüchtiger und schwieriger Mensch durch immer erneute Milde und Entgegenkommen gewonnen und in seiner Gesinnung gewandelt werden müsse, in dem, was über den historischen Sokrates überliefert ist, kaum irgendeine Analogie zu finden. Es gehört viel eher zu jenen aristokratischen Vorstellungen von den Tugenden der Großmut dem Unterlegenen und der unbedingten Loyalität den Freunden gegenüber, von denen die letztere in Piatons Verhältnis zu Dion und seiner persönlichen Verwicklung in sizilische Politik, wie sich gezeigt hat, eine so große und für Piaton verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Überall zeigt sich also ein Widerstreit in den Theorien Piatons und auch gerade des späten Piaton hinsichtlich des Verhältnisses des Einzelnen zur staatlichen Gemeinschaft, und des Staates oder der Regierenden zum einzelnen Bürger, ein Widerstreit jedoch, der nicht auf der mangelnden Einsicht oder gar Denkfähigkeit Piatons begründet, sondern in den fundamentalsten Tatsachen der condition humaine beschlossen ist. Zum Teil, wie in den Abschnitten des Politikos, in denen die freie Entscheidung des wahrhaften Staatsmannes und die starre Gesetzesherrschaft einander entgegengesetzt werden, hat Piaton selbst diesen Gegensatz bewußt auf das schärfste herausgearbeitetem auf die Notwendigkeit hinzuweisen, einen-notwendig prekären und mit UnVollkommenheiten behafteten - Mittelweg zu finden. In anderen Fällen scheint er sich des Widerstreites nicht in gleichem Maße bewußt gewesen zu sein. So vor allem in der Frage der Führung des Einzelnen zur άρετή und zu einem für das Zusammenleben in der Gemeinschaft förderlichen Verhalten. Nicht nur im „Staat", sondern auch in der späten Schrift der „Gesetze" wird eine autoritäre Erziehung der Jugend von Kindheit auf gefordert, eine Erziehung, die auch dadurch charakterisiert ist, daß sie von der Jugend und darum überhaupt aus dem Staate fernzuhalten sucht, was der Jugend moralisch schaden kann. Auf der anderen Seite hat Piaton doch auch bis 213

Plutarch, Dion 47, 979: 'Ανθρώπου δέ κακία ν, εί καΐ χαλεπόν έστιν, ούχ οδτως ίγριον είναι παντάπασι καΐ δύσκολον, ώοτε μή μεταβάλλειν χάριτι νικηθεΐααν δπ6 των πολλάκις εδ ποιούντων.

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•in sein Lebensende jene sokratische Methode des Fragens fortgesetzt, die immer wieder von neuem fragt, was denn eigentlich das Gute und das Gerechte oder die 'Tugend' ist, womit deren Inhalt doch immer wieder in Frage gestellt wird: daher sich auch der reaktionäre Politiker und Historiker Theopomp über diese 'zersetzende' Tätigkeit in der platonischen Akademie erregte214: „als ob nicht jeder anständige Mensch (im Sinne überkommener Anschauungen) ganz genau wüßte, was gut und anständig ist". Diesen Widerstreit hat Piaton nicht in einer Schrift ausdrücklich herausgestellt und erörtert. Aber daß er doch auch nicht ganz blind dagegen gewesen ist, zeigt wohl jene Stelle in den Gesetzen215, wo, nachdem des längeren von den Vorzügen der strengen spartanischen Erziehung die Rede gewesen ist, der Spartaner Megillos sagt, aber das sei doch auch wahr, was oft gesagt werde, daß, wenn ein Athener vortrefflich sei, er es in außergewöhnlichem Maße sei: denn die Athener allein (bei denen es den Erziehungszwang nicht gibt) seien ohne Zwang ganz aus eigenem Wuchs durch göttliche Hilfe wahrhaft und nicht durch künstliche Formung vortrefflich (natürlich: f a l l s sie vortrefflich seien). Das ist aber jene Einsicht, auf Grund deren man nicht ohne Berechtigung sagen kann, Piaton habe im 'Staat' einen Staat konstruiert, in dem Sokrates nicht hingerichtet worden wäre, aber in dem es einen Sokrates gar nicht geben, in dem er gar nicht hätte entstehen können. Aber auch das ist nicht eine von Pia ton geschaffene, sondern in der condition humaine begründete Antinomie. Diese ist ihrem Wesen nach sehr nahe verwandt der von Piaton selbst im Politikos mit so unvergleichlicher Schärfe herausgestellten Antinomie zwischen der Wünschbarkeit, jeden speziellen Fall nach seinen ihm innewohnenden Besonderheiten entscheiden zu können, was nur durch ein Individuum geschehen kann, das an keine abstrakten und allgemeinen Regeln gebunden ist, und der Notwendigkeit, diejenigen, welche die Entscheidungen zu treffen haben, an gewisse Regeln und Gesetze zu binden, wenn die Entscheidungsfreiheit nicht in anarchi214 215

FGrH 115 F 175. Piaton, Leges II, 642 e.

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sehe Willkür und Ordnungslosigkeit ausarten soll. Die außerordentliche faktische Gewalt dieser Antinomie im geschichtlichen Leben zeigt sich auch darin, daß, wie wir es gerade in unserer Zeit erfahren haben, diejenigen, die eine bestehende und starr gewordene Ordnung durch eine Revolution durchbrochen und zerstört haben, es sehr eilig zu haben pflegen, sogleich nach ihrem Sieg den Menschen noch engere Regeln und Gesetze nebst der dazugehörigen Erziehung aufzuzwingen, die das lebendige Leben von neuem auf eine andere Art vergewaltigen. In denselben Zusammenhang gehört auch die Zulassung der Lüge in gewissen Fällen und unter gewissen Umständen im 'Staat'21', worüber sich die modernen Antiplatoniker besonders ereifert haben. Diese Zulassung ist jedoch bei Piaton einer sehr starken Einschränkung unterworfen. Die einzige konkrete Anwendung, die sich bei Piaton findet, ist, daß den jungen Leuten, wenn sie auf ihre Eignung für die höheren Stände geprüft werden, gesagt wird217, sie würden darauf geprüft, ob das Gold oder das Silber oder das Kupfer in ihnen überwiege, was ein symbolischer Ausdruck für die Verschiedenheit ihrer intellektuellen und charakterlichen Qualitäten ist. Das Bezeichnende ist jedoch, daß trotz dieser theoretischen Duldung der staatlichen Zwecklüge Dion, im Gefolge Piatons, in der Praxis in der Anwendung des Prinzipes absoluter Ehrlichkeit und Offenheit weiter gegangen ist als irgendein bekannter Staatsmann irgendeiner Zeit und eben dadurch zu seinem eigenen Untergang beigetragen hat, wie er auch trotz des platonischen Bildes vom Herausschneiden des Krebsgeschwüres aus dem Körper des Staates Herakleides gegenüber das ebenfalls platonische Ideal der Großmut dem unterlegenen Gegner gegenüber zur Anwendung gebracht hat, bis er dann im ungeeignetsten Augenblick in der Verzweiflung doch zum Skalpell des staatlichen Chirurgen gegriffen hat. Das alles zeigt, wie oberflächlich die Ausführungen der modernen Anti-Platoniker sind, die nur die eine Seite der platonischen Staatsphilosophie in grellen Farben herausstellen und gegen ihre andere 2l

«

217

Piaton, „Staat", II, 377 a ff. Ibid. 415 a ff.

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Seite die Augen verschließen218. Es ist das Große und des immer erneuten Durchdenkens Werte der platonischen Staatsphilosophie, daß Piaton die niemals ganz zu überwindenden Antinomien in dem Verhältnis des Individuums zu dem Staat, dem es angehört, und des Staates zu den Individuen teils in seinen späteren Staatsschriften mit unvergleichlicher Schärfe bewußt herausgestellt hat, teils in dem Widerstreit der verschiedenen von ihm vertretenen Prinzipien des Handelns theoretisch und in der von Dion geübten, durch sie offenbar weitgehend bestimmten,politischen Praxis zur Anschauung bringt. Nur in e i n e m allerdings scheint das, was sich nun als Resultat ergeben hat, eindeutig einer Überzeugung zu widersprechen, die Piatons ganzer erster Idealstaatkonstruktion zugrunde liegt und an der er nach Ausweis des siebenten Briefes219 auch in hohem Alter wenigstens im wesentlichen noch festgehalten hat: der Überzeugung, daß es mit den menschlichen Staatswesen nicht besser werden könne, wenn nicht die 'Könige' oder führenden Staatsmänner Philosophen oder die Philosophen Könige würden. Kant hat dem bekanntlich in seiner Schrift vom Streit der Fakultäten die Meinung entgegengesetzt, daß die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen würden, sei nicht zu erwarten, aber vielleicht auch nicht einmal zu wünschen, „weil der Besitz der Gewalt den freien Gebrauch der Vernunft unvermeidlich verdirbt". Den Inhalt des begründenden Nebensatzes 218

2,9

Popper, der Piaton sorgfältig gelesen hat, wird trotz seiner heftigen Angriffe auf ihn doch fast wider seinen Willen dazu zurückgeführt, ein für alle Zeiten Wertvolles bei Pia ton anzuerkennen. Der Popper-Verehrer George Sarton in seiner History of Science, Harvard Univ. Press, 1952, S. 410/11 dagegen hat keinerlei Bedenken, Piaton genau das Gegenteil von dem zuzuschreiben, was er wirklich sagt: 410: „In the Statesman the rulers are likened to sheperds of men the rulers are sheperds, the guardians are the dogs, the masses are the herd. The art of ruling men is not essentially different from that of managing and breeding cattle." Der ganze Dialog ist im Gegensatz zu dieser Behauptung dem Beweis gewidmet, daß der viel gebrauchte Vergleich unrichtig ist, und dem Versuche, die Unterschiede so deutlich wie möglich zu machen. S. 411: Plato must have witnessed many illustrations of the statement often attributed to Lord Acton „Power corrupts, absolute power corrupts absolutely", yet there is no evidence (vgl. unten S. 140 mit Anm. 221), that he ever drew that conclusion. Platon, Ер. VII, 326 a/b.

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am Ende hat Piaton an zwei Stellen seiner 'Gesetze'220 vorweggenommen, an deren zweiter und prägnanteren er sagt, daß „keine menschliche Natur, wenn sie alle menschlichen Dinge mit uneingeschränkter Gewalt regelt (bzw. regeln darf), imstande ist, nicht mit Überhebung und Ungerechtigkeit angefüllt zu werden"221. Das ist die Behauptung 'power corrupts, absolute power corrupts absolutely' in schärfster Ausprägung; und wenn hier von „keiner menschlichen Natur" die Rede ist, so scheint damit auch ausgeschlossen zu sein, daß die Seelen der Philosophen davon eine Ausnahme bildeten. Der korrumpierende Effekt des Besitzes der Gewalt besteht hier in der Überhebung und „Ungerechtigkeit", die sie in der Seele dessen, der sie besitzt, erzeugt. Vielleicht wäre es jedoch dem Philosophen höchsten Ranges, der seine Augen auf die ιδέα του άγαθοϋ gerichtet hält, sogar möglich, d i e s e r Art der Korruption seiner Vernunft bis zu einem gewissen Grade zu widerstehen. Aber Piatons persönliche Abenteuer in Verbindung mit seiner Verwicklung in sizilische Politik legen sehr anschauliches Zeugnis ab noch von einer anderen und vielleicht noch ausgedehnteren Verderbnis des freien Gebrauchs der Vernunft, die nicht erst aus dem Besitz uneingeschränkter Macht hervorgeht, sondern schon mit der Assoziation mit politischer Macht verbunden ist. Sie zeigt sich vor allem darin, daß sich Piaton, wie der siebente Brief im einzelnen zeigt, wider bessere eigene Voraussicht durch das Gefühl der Verpflichtung dem Freunde Dion gegenüber und dann von neuem durch das Drängen der Freunde in die politischen Intrigen am Hofe des jüngeren Dionys hat hineinziehen lassen, aber auch in dem durch die Rücksicht auf den Menschen Herakleides veranlaßten Zögern Dions, diesen rechtzeitig aus dem politischen Körper zu entfernen. Die dezidierten Demokraten unter den modernen Piatongegnern werden an dieser Stelle sofort darauf aufmerksam machen, daß nach dem Ergebnis meiner eigenen Analyse es nicht im eigentlichen Sinne philosophische Prinzipien waren, die zur Verzerrung des 220 221

Piaton, Leges IV, 713 с; vgl. auch I I I , 691 c/d. ώς άνθρωπεία φύσις ούδεμία Ικανή τά άνθρώπινα διοικοϋσα αυτοκράτωρ πάντα, μή ούχ δβρεώς τε καΐ άδικίας μεστοδαθαι.

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Ergebnisses rein „vernünftiger" Erwägungen führten, sondern eingestandenermaßen Prinzipien, die aus der aristokratischen Tradition Piatons stammten und daher ipso facto minderen Ranges, wenn nicht a priori völlig zu verwerfen sind. Dem läßt sich jedoch zweierlei entgegenhalten. Das erste ist, daß nicht nur nach einer in Piatons Gesetzen erörterten Theorie, sondern in Wirklichkeit es nur den wenigsten, wenn überhaupt jemandem, jedenfalls aber nicht dem Durchschnitt der Menschen, gegeben ist, sich bei jeder Handlung und Entscheidung selbständig durch Nachdenken — wie Sokrates einmal eine ganze Nacht an einem Platze stehen geblieben sein soll, um über einen solchen Punkt nachzudenken — über das, was in dem besonderen Falle das Rechte und wahrhaft Richtige ist, zu orientieren, sondern daß sie eines Haltes an von außen gegebenen Regeln und Geboten bedürfen, wenn sie nicht jede feste Richtung verlieren sollen. Diese von außen gegebenen Regeln aber sind immer bis zu einem gewissen Grade zeitbedingt und unvollkommen. Wie das Metall Gold läßt sich auch das Gold der reinen und absoluten Ethik nur mit einem Zusatz unedlerer Metalle praktisch verwerten. Das zweite ist, daß die aristokratischen Prinzipien innerhalb von Piatons Ethik sich in diesen beiden Fällen als „humaner", d.h. mit mehr Respekt für den einzelnen Menschen als menschliches Wesen und für die menschlichen Bindungen zwischen Mensch und Mensch durchdrungen erweisen als es die Prinzipien radikaler Demokraten, von den totalitären Volksdemokraten zu schweigen, zu sein pflegen. Trotzdem erwiesen sie sich in den früher diskutierten konkreten Fällen als verderblich, was nicht bedeutet, daß sie es unter allen Umständen zu sein oder zu werden brauchen. Aber auch die Prinzipien der reinen und absoluten philosophischen Ethik des Sokrates zeigen sich in der praktischen Politik als undurchführbar, wie es in der früher zitierten Äußerung des Sokrates bei Piaton zum Ausdruck kommt, daß er mit seinen Prinzipien schon lange tot und gar nicht zu der Wirkung, die er wirklich ausgeübt hat, gekommen wäre, wenn er versucht hätte, eine aktive politische Rolle zu spielen. Angesichts dieser historischen Tatsachen, die in gewisser Weise die Unbrauchbarkeit der Philosophie in der Politik und für die

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Politik zu erweisen scheinen, stellt sich dann die Frage, ob Kant mit dem zweiten Teile seiner Ausführungen im Streit der Fakultäten recht hat, wo er sagt, „daß aber die Könige und königliche, d.h. sich nach Gesetzen der Freiheit selbst regierende Völker die Philosophen frei reden lassen und auf sie hören, ist ihnen zur Beleuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich". Die Politiker aller Zeit haben die Neigung gehabt, auf die Philosophen und auf die Intellektuellen wegen des unpraktischen und oft widerspruchsvollen Charakters ihrer Prinzipien und Argumentationen herabzusehen. Sie haben diese außerdem als störend empfunden. So haben sie Sokrates angeklagt und seine Verurteilung zum Tode durchgesetzt, weil er mit seinen „zersetzenden" Fragen die Jugend verdorben hat. So haben sie in dem „revolutionären" Osten, der von der rasanten Bewegung der Revolution sehr schnell zur Erstarrung übergegangen ist, die er noch immer als „revolutionär" bezeichnet, aber doch auch im Westen immer wieder den Versuch gemacht, die freie Meinungsäußerung und Diskussion mit Mitteln der staatlichen Macht zu unterdrücken. Und doch hat sich diese, gerade wo die Unterdrückung am stärksten war, immer wieder mit elementarer Gewalt durchgesetzt. Sie scheint damit einem letzterdings ununterdrückbaren Bedürfnis des Menschen zu entsprechen. Der Grund für dieses ununterdrückbare Bedürfnis liegt in der notwendigen Verderbnis des freien Gebrauchs der Vernunft nicht nur durch den vollen Besitz, sondern schon durch die Teilhabe an der Gewalt, von der Piaton, Kant, Lord Acton und andere in verschiedener Weise gesprochen haben. Da es in der condition humaine gelegen ist, daß das menschliche Handeln, selbst da, wo es nicht durch irrationale Leidenschaften beherrscht wird, sondern auf ein wirkliches, nicht nur scheinbares „Gut" gerichtet ist, von zwei bis zu einem gewissen Grade widerstreitenden Prinzipien bestimmt wird: die Rücksicht auf das Wohl und die freie Entfaltung des einzelnen, ohne die das Ganze nicht gedeihen kann, und die Rücksicht auf das Wohl, d.h. den Zusammenhalt des Ganzen, ohne den der Einzelne sich nicht als Mensch entwickeln kann, und da das politische Handeln unaufhörlich zu einer προαίρεσις, einer Wahl zwischen

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diesen Prinzipien zwingt, die einmal eingeschlagene Richtung aber einen eigenen Impuls mit sich bringt, bis zum verderblichen Extrem in ihr fortzufahren, ist ein Korrektiv unentbehrlich, das die Wirkung hat, die Bewegung immer wieder nach der richtigen Mitte, dem μέσον des Aristoteles, zurückzulenken. Dieses Korrektiv ist das, was Aristoteles den λόγος περί τοΰ δικαίου και του άδικου genannt hat, die Auseinandersetzung darüber, was recht und was unrecht ist, eine Diskussion, die aus den angegebenen Gründen niemals zu Ende kommen und zu einer endgültigen Lösung kommen kann, von der aber Aristoteles mit Recht gesagt hat, daß sie es ist, die den Menschen zum Menschen macht, d.h. ohne die er nicht zum vollgültigen Menschen werden kann. Zu dieser Auseinandersetzung hat Piaton bewußt und unbewußt und gerade auch da, wo er mit seinen Bemühungen in der Praxis gescheitert ist, einen unvergänglichen Beitrag geliefert.

Index nominum Alkimenes 72 Apollokrates 93, 109 f. Archytas v. Tatent 51 f., 58 Arete 79, 93 Aristomache 66, 79, 93, 108 Charondas

130

Dareios 41, 43 f. Dionys I. 7, 16, 41 f , 65 f., 68 f., 73 f., 76, HO f., 117 Erastos

7

Gaisylos 93, 102, 105, 130 Gylippos 93 Hetakleides 68, 85 ff., 90 ff., 102 ff., 109 f., 117, 123, 128, 133 ff., 138 Hermias v. Atarneus 7, 16 Hipparinos (filius Dionis) 79, 82, 93, 108, 114, 117 Hipparinos (filius Dionysii I.) 108 f., 111, 114 Hipparinos (pater Dionis) 64, 105, 111

Napoleon 42, 60 Nypsios 91, 93 Perikles 20, 40 Pharax 92 Philistos 27 f., 31, 42, 73, 88 Philolaos 67 Anm. 108 Philostratos 133 Polykrates 20 Polyxenos 42 Anm. 60 Smerdis 44 Sokrates 12 ff., 16, 18 ff., 32 ff., 40, 45 ff., 129, 135, 137, 142 Solon 130 Speusippos 70, 72, 133 Themistokles 20, 40 Theodotes 68 Anm. 110, 91 Theopompos 137 Theramenes 32 f., 135 Timagenes 79 f., 82 Timoleon 9 Anm. 5 Timonidas v. Leukas 8 Anm. 4 Trujillo 42 Anm. 60 Zaleukos

Kallippos 107, 133 f. Koriskos 73 Kritias 13 Lenin 100 Leptines 42 Macchiavelli 116 f. Megakles 73 f.

130

Index locorum Aristoteles Ath. Pol. 29-31: 97 Rhet. I 1373 a 19 ff.: 134 Athenaios X I 508 c: 133 Com. Nepos X (Dion) 1,5: 63 2,4: 66 5,1: 85 5,6: 75 6,4: 107 7,1 ff.: 107 Diodor IV 5: 32 X I V 102: 42 XV 7: 42 X V I 6,4: 85 11,3: 73 13,2: 77 16,2: 87 16,4: 88 17,3: 88 Diog. Laert. I I I 1,9: 67 1,18: 23 43: 133 VI 2,25: 47 2,40: 47 Herodot I I I 89 ff.: 44 Iamblichos vit. Pyth. 199: 67

Olympiodor vit. Plat.: 23 Piaton Apol. 31 d/e: 14, 33 39 с ff.: 45 Ер. V I I 324 a: 48 324 d: 19 324 e: 19 325 b: 19 325 c: 19 326 ff.: 21 326 a/b: 139 326 d/e: 21 327 a: 21 327 b: 63 327 с ff.: 24 327 d/e: 22 328 a: 24 328 b: 24, 28 328 c: 30 328 c/d: 26 328 d/e: 25 329 a/b: 34 329 с ff.: 35 329 e: 35 f. 330 a ff.: 38 330 c: 38, 49 330 с ff.: 48 330 d: 39 331 с ff.: 49 331 c/d: 44 331 d ff.: 40 331 e: 43 332 a/b: 43 332 b/c: 44

Index locorum 332 с: 41 332 е ff.: 49 333 b/c: 84 333 d: 107 333 dJe: 133 333 d ff.: 50, 61 334 c: 131 338 a ff.: 39,51 338 c/d: 51 338 e: 51 339 b: 55 339 b/c: 51 339 d/e: 52 339 e: 53 340 a: 53 340 b ff.: 54, 57 341 b ff.: 69 342 a ff.: 57 346 b ff.: 58 347 c: 58 348 a ff.: 86 348 b ff.: 59 350 a/b: 58 350 b ff.: 59 350 с ff.: 114, 134 350 c/d: 59 350 d: 61 350 d f.: 131 351 a ff.: 61 351 d: 61 VIII 354 b/d: 57 354 b ff.: 112 354 d/e: 58 355 a/b ff.: 111 355 b: 116 355 d ff.: 108 356 e/357 a: 112 357 a: 113, 115 Gorg. 515 b ff.: 40 Leg. II 642 e: 137 III 684 d/e: 100 691 c/d: 140

691 d ff.: 113 695 с ff.: 44 IV 709 a: 34 709 a ff.: 16 709 c: 26 709 c/d-710 a: 15 709 d ff.: 22 713 c: 140 714 b: 16 V 746 b ff.: 16 Polit. 267 e ff.: 124 269 a ff.: 124 269 d ff.: 125 293 a ff.: 15 293 с ff.: 122 293 d: 122 294 ff.: 123 294 e/295 a ff.: 125 298 a ff.: 125 300 b: 130 300 d/e: 125 301 b/c: 125 301 d/e ff.: 126 302 e ff.: 126 308 d ff.: 127 Respubl. II 377 a ff.: 138 III 412 d: 26 415 a ff.: 138 VI 479 b: 33 VII 518 a ff.: 85 520 a/b: 29 VIII 565 e/566 a: 118 566 a: 100 566 a ff.: 104 566 d: 100 Symp. 181 e: 26 Plutarch de vitios. pud. 4, 530 с: 106 Dion 4/5: 23 5,8: 63, 65 6,1: 64 6,2: 66

Index locorum 9: 68 11: 27 11,6: 42 12: 68 13: 37 14,4 ff.: 68 21: 42 22/23: 72 24,1: 72 24 ff.: 73 28: 73, 75 29: 73 29,3: 74 30: 75, 78 31: 75, 79 f. 33: 75, 86 34/35: 88 37: 89 f. 38 ff.: 90 41 ff.: 91 47: 91 f., 132 47, 979: 136 48: 92 f , 99

49: 93 50: 96 50/51: 93 52 f.: 94 54: 134 55/56: 106 56/57: 107 reg. et imp. apophth. Δίωνος p. 176 f.: 106 Suda s.v. Κάλλιππος: 133 Theopomp FGrH 115 F 175: 137 Timaios FGrH 566 F 109: 66 F 113: 68 Valerius Maximus V I I I , r, ext. 5: 106 Xenophon Mem. I 2, 32-38: 13 I I I 1-3: 13 IV 2,2 ff.: 13 6,5 ff.: 13

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Piaton 3 Bände. 2. u. 3., durchgesehene und ergänzte Auflage. Groß-Oktav. 1960/1964. Ganzleinen je DM 38,—

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