Physik. Teilband 1: Bücher I bis IV: Zweisprachige Ausgabe 9783787338016, 9783787338702

Anders als der Titel suggeriert, hat die aristotelische „Physik“ mit Physik im heutigen Sinne nicht viel zu tun. Denn „p

173 108 4MB

German Pages 343 [559] Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Physik. Teilband 1: Bücher I bis IV: Zweisprachige Ausgabe
 9783787338016, 9783787338702

Citation preview

Philosophische Bibliothek

Aristoteles Physik Teilband 1  ·  Bücher I – IV Griechisch – Deutsch

ARISTOTELES

Physikvorlesung Teilband 1: Bücher I–IV Griechisch – Deutsch Mit einer Einleitung, Literaturverzeichnis und Anmerkungen herausgegeben von  

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

P H I L O S O P H I S C H E BI BL IO T H E K BA N D   

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bi­­­blio­g ra­phi­ sche Daten sind im Internet a­ brufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-3870-2  ·  ISBN eBook: 978-3-7873-3801-6

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2021. Alle Rechte vor­be­hal­ ten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikro­ verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektroni­ schen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich ge­ statten. Satz: post scriptum, Hüfingen. Druck und Bindung: Druckerei Beltz, Bad Langensalza. Werkdruck­papier: alte­r ungs­­beständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei ge­ bleichtem Zell­stoff. Printed in Germany.

I N H A LT

Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Einleitung. Von Gottfried Heinemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

1. Naturwissenschaft und Naturphilosophie bei Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

1.1 Aristotelische Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

1.1.1  Biologie und Kosmologie XI — 1.1.2 Wissen­ schaftssystematik bei Aristoteles und in der Überlieferung des ­Corpus Aristotelicum XVII

1.2 Philosophische Vorfragen zur Naturwissenschaft . . . .

XXII

1.2.1  Prinzipien und fundamentale Entitäten XXII — 1.2.2  Beschreibungsmittel und Gegenstände der ­Natur ­w issen­schaft XXV

1.3 Exkurs: philosophia und »Philosophie« . . . . . . . . . . . 1.3.1  Abgrenzungen: populäre und elitäre philosophia XXX — 1.3.2  Naturwissenschaft und Naturphilosophie ­X XXV

XXX

­

1.4 Aristoteles und die Anfänge der Naturphilosophie X XXVII 1.4.1  Stichwörter zur frühen griechischen Philosophie: ­Kosmos, Universum, Natur XXXVIII — 1.4.2  Die Natur der Dinge und die Ordnung der Welt XXXIX — 1.4.3  Vernunft und Ordnung bei Platon XLII — 1.4.4 Kunst, Natur und ­Zufall bei Aristoteles XLIII — 1.4.5 Analoge ­Strukturen: Die Kunst imitiert die Natur XLVIII

1.5 Aristoteles und die moderne Naturwissenschaft . . .

L

1.5.1  Naturwissenschaftliche Tatsachen L — 1.5.2  Naturwissenschaftliche Erklärungen LVII

2. Ausgewählte Begriffe und Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LXI

2.1 Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

LXI

2.1.1  Anfangs- und Endzustände LXII — 2.1.2 Die ­M inimalstruktur der Bewegung LXIV — 2.1.3 Prozess und Resultat: Was es heißt, in Bewegung zu sein LXVIII — 2.1.4  Bewegung und Zeit LXXIII

VI Inhalt

2.2 Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXXXI 2.2.1  Erklärende Wissenschaft: Prinzipien, Ursachen und E ­ lemente LXXXI — 2.2.2 Wissenschaftstheoretische Vor­über­legung: ­Erkenntnis- und Erklärungsprinzipien LXXXVI — 2.2.3  Die Tradition: Ursprünge, H ­ ypothesen, ­P rinzipien XCIV — 2.2.4 Wissenschaftstheoretischer ­Fundamentalismus? — ­Göttliche Missgunst und skeptischer Zweifel CI — 2.2.5  Prinzipien in APo I 2 und Phys. I 7 CVI

2.3 Natur (physis) — sowie Ursachen, Vermögen und andere ­Bewegungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . CXVIII 2.3.1  Die Erörterung des Naturbegriffs in Phys. II 1 CXIX — 2.3.2  Grammatischer Stellenwert und Grund­ bedeutungen von physis CXXIII — 2.3.3  Das Modell der technê: Naturen, Naturdinge und Artefakte CXXV — 2.3.4  Spezifische Gesetzmäßigkeiten und die »Natur« als »Gattung des Seienden CXXXI — 2.3.5  Ursachen CXXXV — 2.3.6  Bewegungsprinzipien: effiziente Ursachen, aktive und passive Vermögen, Naturen CXLII

3. Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CLIII 3.1 Die sog. Physikvorlesung: Textsorte und Komposition, ­Ü berlieferung und griechischer Text . . . . . . . . . . . . . . CLIII 3.1.1  Ein Vorlesungszyklus CLIII — 3.1.2 Das Corpus ­Aristotelicum und seine Überlieferung CLV — 3.1.3  Zum Text dieser Ausgabe CLVI

3.2 Übersetzung und philosophische Terminologie . . . . . CLVII 3.2.1  Konkurrierende Ziele und Schwierigkeiten der ­Ü bersetzung CLVII — 3.2.2  Hygienemaßnahmen CLXIV — 3.2.3  Glossar mit Erläuterungen CLXXIV

Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

CLXXXV

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CLXXXIX Inhaltsübersicht nach Büchern und Kapiteln . . . . . . . . . . . . . . CCXII

Inhalt VII

A R ISTOT EL E S

Physikvorlesung Teilband 1 · Bücher I–IV Buch I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Buch II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Buch III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Buch IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

VORWORT DES HERAUSGEBERS

Die aristotelische Physik ist ein Grundtext der Wissenschafts­ philosophie und wird hier als solcher durch eine Neuübersetzung und ausführliche Erläuterungen erschlossen. Die Übersetzung versucht Genauigkeit mit Lesbarkeit und Transparenz zu verbin­ den. Die Anmerkungen geben Hinweise zum Verständnis; dabei werden auch Interpretations- und Übersetzungsprobleme, mit Hinweisen auf die jeweilige Fachliteratur, diskutiert. Die Einlei­ tung und einige ausführlichere Anmerkungen erläutern wissen­ schaftsphilosophische Sachprobleme sowie wissenschafts- und philosophiehistorische Bezüge. Es handelt sich um eine Studien­ ausgabe. Angesichts der Fülle des Materials kann die einschlä­ gige Fachdiskussion nur selektiv berücksichtigt werden. Der grie­ chische Text entspricht weitgehend der Ausgabe von W. D. Ross; Abweichungen betreffen vor allem dessen Eingriffe in den über­ lieferten Wortlaut. Dieser erste Halbband umfasst die Bücher I bis IV. Ein zweiter Halbband mit den Büchern V bis VIII ist in Vorbereitung. Der Herausgeber konnte seine Studien zu den Grundlagen der aristotelischen Naturwissenschaft in mehrere Diskussionszusam­ menhänge einbringen, namentlich im Arbeitskreis Antike Natur­ wissenschaft und ihre Rezeption (AKAN, Jochen Althoff et al.), im Interdisciplinary Centre for Aristotle Studies (ΔΙ. Κ. Α. Μ.) an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki (Demetra Sfendoni-­ Mentzou et al.) sowie im biophilosophischen Forschungsschwer­ punkt an der Universität Kassel (Kristian Köchy et al.). Den Ge­ nannten sei ebenso gedankt wie den zahlreichen Gesprächspart­ nern, u. a. Marco Bartalucci, Jacob Greenstine, Chelsea Harry, Ludger Jansen, Martin Meyer, Carlo Natali, Diana Quarantotto, Gianluigi Segalerba, Erwin Sonderegger, Dirk Sroka, Niko Stro­ bach und Georg Wöhrle, denen der Herausgeber wichtige Anre­ gungen, Korrekturen und Auskünfte verdankt. Als sprachkundige Helfer haben Felix Amthor und André Sie­ bert bei der Durchsicht der Übersetzung jeden Stein umgedreht

X

Vorwort des Herausgebers

und die erstaunlichsten Funde gemacht. Verbleibende Irrtümer und Fehlleistungen gehen ganz auf die Rechnung des Herausgebers und Übersetzers.

EINLEITUNG

1.  Naturwissenschaft und Naturphilosophie bei Aristoteles Nach heutigen Maßstäben fällt das Werk von Aristoteles teils in die Philosophie und teils in andere Disziplinen, darunter insbeson­ dere die Naturwissenschaft.1 Dabei gehören die Themen der sog. Physikvorlesung eher zur Philosophie; ihre Fragestellungen werden heute von der analytischen (post-positivistischen) Metaphysik und der Wissenschaftsphilosophie weitergeführt. Die folgende Ein­ führung gibt im ersten Teil einige Hinweise zur thematischen und historischen Einordnung der Physikvorlesung; der zweite Teil der Einführung erörtert einige der in der Physikvorlesung behandel­ ten Hauptthemen: Bewegung, Prinzipien, Natur (sowie in Band II: Kontinuität, Zenons Paradoxa, bewegte und unbewegte Beweger).

1.1  Aristotelische Naturwissenschaft Die sog. Physikvorlesung ist eine philosophische Vorüberlegung zur Naturwissenschaft. Ich beginne mit einigen Bemerkungen zur aristotelischen Naturwissenschaft und ihrer Stellung in der aristo­ telischen Fachsystematik. 1.1.1  Biologie und Kosmologie Der deutsche Buchtitel, Physikvorlesung oder Physik, ist für heu­ tige Leser irreführend (ebenso Physics / Physique / Fisica im Eng­ lischen / Französischen / Italienischen usf.). Denn mit Physik im 1 

Inhaltsübersicht über das erhaltene Corpus Aristolicum unten 1.1.2.2. Eine gute einführende Darstellung, aber unter weitgehender Ausklam­ merung der Naturwissenschaft, gibt Rapp 2020; ausgezeichnete Ein­ führungen zu Einzelthemen bei Rapp / Corcilius (Hg.) 2011 sowie in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, https://plato.stanford.edu.

XII

Gottfried Heinemann

heutigen Sinn hat die Physikvorlesung nur wenig zu tun. Das grie­ chische Wort physikê bedeutet Naturwissenschaft, und zur Natur­ wissenschaft gehört bei Aristoteles vor allem die Biologie. 2 1.1.1.1  Die aristotelische Biologie ist nicht-reduktionistisch. Das heißt: Biologische Tatsachen werden durch fundamentale biologi­ sche Tatsachen erklärt. Nicht-biologische Tatsachen, z. B. einerseits die Umwelt und andererseits die Eigenschaften der Stoffe, aus de­ nen die funktionalen Teile des tierischen oder pflanzlichen Körpers jeweils gebildet sind, gehen nur als Zusatzbedingungen in biologi­ sche Erklärungen ein. Die aristotelische Biologie ist holistisch. Das heißt: Die primären Gegenstände der Biologie, nämlich Pflanzen und Tiere (einschließlich des Menschen), sind komplexe Gesamt­ heiten. Die Merkmale und Vorgänge, die ihr Lebendigsein ausma­ chen, werden nicht auf die Eigenschaften der Teile zurückgeführt, sondern die Eigenschaften der Teile werden aus ihrer Funktion für das Lebendigsein des Ganzen erklärt. Und die aristotelische Bio­ logie ist in eine pluralistische Kosmologie eingebettet: Primäre Ge­ genstände der Naturwissenschaft (d. i. Naturdinge) sind außer den Lebewesen auch die vier Grundstoffe, aus denen alle Dinge letzt­ lich bestehen. Jede biologische Art und jeder Grundstoff hat eine charakteristische Natur. Diese Naturen sind in naturwissenschaft­ lichen Erklärungen unhintergehbar. Aristoteles unterstellt keine gemeinsame Natur aller Naturdinge – weder im Sinne einer Zu­ sammensetzung aus denselben Grundstoffen wie in der frühen grie­ chischen Philosophie noch im Sinne eines gemeinsamen Merkmals, z. B. der Ausdehnung bei Descartes oder der universellen Geltung derselben Naturgesetze wie in der modernen Natur­w issen­schaft. Die erwähnte Auffassung der »Natur« als Zusammensetzung aus Grundstoffen ist aufschlussreich. Bei vier Grundstoffen (den sog. Elementen Feuer, Wasser, Luft, Erde) unterscheiden sich Ge­ mische voneinander typischerweise nicht dadurch, was in ihnen vor­ 2  Vgl.

Meyer 2015 zur aristotelischen Biologie, ihrer Vorgeschichte und ihrem systematischen Kontext in der aristotelischen Naturwissen­ schaft; als kürzere Einführungen Grene / Depew 2004, 1–34; Kullmann 2011a und Lennox 2017; ferner die Sammelbände Kullmann / Föllinger (Hg.) 1997, Föllinger (Hg.) 2010 und Heinemann / Timme (Hg.) 2016.

Einleitung XIII

kommt (hierfür gibt es nicht mehr als 15 Möglichkeiten), sondern durch die quantitativen Mischungsverhältnisse. Das regel­mäßige Entstehen eines bestimmten Gemischs erfordert daher die Ge­ währleistung eines bestimmten Mischungsverhältnisses und lässt sich deshalb, wie Aristoteles in Auseinandersetzung mit Empedo­ kles insistiert, nicht aus den Eigenschaften der beteiligten Grund­ stoffe erklären. Empedokles erwähnt solche Mischungsverhältnisse eher beiläufig und ohne Erklärung; ob die beteiligten Gottheiten, Harmonie und Kypris, als externe Lenkungsinstanzen fungieren sollen, ist nicht ganz klar.3 Aristoteles ignoriert diese Option und fordert stattdessen, dass die Regelmäßigkeit des Entstehens durch die Natur der beteiligten Dinge erklärbar sein muss – sonst wäre die Regel­mäßig­keit widersinnigerweise ein bloßes Zufallsprodukt. 4 Aristoteles bestreitet nicht, dass zur jeweiligen Natur der Dinge auch ihre Zusammensetzung aus Grundstoffen gehört. Aber das genügt nicht; Natur ist dann auch und vor allem dasjenige, was das Zustandekommen der jeweiligen Mischungsverhältnisse und ins­ gesamt diejenige Struktur gewährleistet, durch die ein Naturding als Gegenstand von bestimmter Art gekennzeichnet ist. Bei natürlichem Entstehen gemäß Met. VII 7 wird diese Ord­ nungsleistung auf die fragliche Struktur selbst, aber in einem an­ deren Ding, zurückgeführt. Das heißt, die Struktur erhält sich selbst durch biologische Reproduktion; und nur eine Struktur, die hinreichend komplex ist, um die biologische Reproduktion ihrer Träger zu gewährleisten, ist nach Met. VII 17 ontologisch funda­ mental. Demgemäß ist es nach Anim. II 4 die »natürlichste Leistung der … Lebewesen, ein anderes zu machen, das ist wie es selbst: das Tier ein Tier, die Pflanze eine Pflanze, damit sie soweit möglich am Immer­währenden und somit am Göttlichen teilhaben«.5 Der dauernde Bestand der Arten gilt in der aristotelischen Biologie als 3 

Vgl. DK 31 B 96 und 98. GC 6, 333b 4–18, ähnlich Phys. II 8, 198 b23–199 a 8 und ebd. 199 a33– b 9; siehe dort. 5  Anim. II 4, 415a 25– b1. – »Lebewesen« (hier im Plural): zônta, d. i. Pflanzen und Tiere. »Tier«: zôi on. Beachte: Wie in jeder biologischen Klassifikation wird der Mensch bei Aristoteles zu den Tieren gerechnet. 4 Vgl.

XIV

Gottfried Heinemann

fundamentale Tatsache. Das Fortpflanzungsverhalten der Tiere und die entsprechenden Vorgänge bei Pflanzen werden unter Re­ kurs auf diese Tatsache, d. h. durch ihre Funktion als notwendige Bedingungen des Bestands der jeweiligen Arten, erklärt. 6 1.1.1.2  Es gibt bei Aristoteles keine göttliche Lenkungsinstanz – auch keine Lenkung durch Herstellung geeigneter Anfangsbedin­ gungen (wie etwa bei Anaxagoras); denn einen solchen Anfang gibt es gar nicht. Die Welt und ihre Ordnung haben nach Aristo­ teles schon immer bestanden. Das »Göttliche« (theion), von dem Aristoteles an der zitierten Stelle in De anima spricht, gleicht dem bewegungslosen Antrieb der Himmelsbewegungen in Met. XII 7: Es »bewegt als begehrt«;7 seine Ordnungsleistung ist keine andere als diejenige, die durch die Naturen der beteiligten Dinge gewähr­ leistet ist. 8 Die vermutlich im 5. Jh. entdeckte Kugelgestalt der Erde ist für Aristoteles eine gesicherte Tatsache. 9 Der Erdumfang wird von Übersetzungen sind hier und im Folgenden, wenn nicht anders an­ gegeben, von mir. 6  An der zitierten Stelle wird durch »damit« (415a 28: hina) eine funk­ tionale Erklärung angezeigt. Die anschließende Rede von einem ent­ sprechenden Wunsch (415b1: oregetai) ist metaphorisch: Pflanzen haben nach Aristoteles gar keine Wünsche, und tierisches Paarungs- und Brut­ pflegeverhalten ist durch viel näherliegende Wünsche geleitet. Dieselbe Metapher – oder vielmehr: Verwechslung von Wunsch und biologischer Funktion: »Der Hirsch will seine Gene vererben« – ist auch heute in po­ pulären Darstellungen verbreitet. 7  Met. XII 7, 1072 b 3: kinei … hôs erômenon. Aristoteles konstruiert hier den Antrieb der Himmelsbewegungen in Analogie zum Antrieb tie­ rischer Bewegungen durch die mentale Repräsentation eines begehrten Objekts (vgl. Anim. III 10, 433b11–19; MA 700 b23–701a 6). 8  Im Hinblick auf die Himmelsbewegungen ist ein kleiner Vorbehalt angebracht: Die Konstruktion des Antriebs sichert ihre Gleichförmigkeit. Aufgrund ihrer in Met. XII 8 beschriebenen Verschachtelung fungieren die Himmelsbewegungen als Taktgeber für meteorologische und biolo­ gische Vorgänge. Die regelmäßige Dauer von Tages- und Jahreszeiten, daher auch von Vegetationsperioden usw., ist letztlich durch die Unver­ änderlichkeit des ersten Bewegers bedingt. 9  Vgl. Cael. II 14, 297a 8 ff.

Einleitung XV

ihm nach zeitgenössischen Schätzungen mit 400 000 Stadien (ca. 73 000 km) angegeben, was »im Vergleich zu den anderen Gestir­ nen nicht groß« sei.10 Aristoteles verbindet das geozentrische Welt­ modell mit einer Charakterisierung der vier Grundstoffe als leicht oder schwer je nach ihrer »natürlichen« Bewegung zur Peripherie bzw. zum Zentrum der Welt; die Kreisbewegung der Himmelskör­ per entspricht der Natur des fünften Grundstoffs, aus dem sie be­ stehen. Die zentrale Position der Erde ergibt sich unmittelbar aus der Schwere des gleichnamigen Grundstoffs, aus dem sie überwie­ gend besteht. Die Annahme einer täglichen Erdumdrehung wurde bereits in Platons Akademie diskutiert;11 sie wird von Aristoteles u. a. deshalb abgelehnt, weil die Erde dann eine zweite natürliche Bewegung haben müsste, was mit dem beschriebenen Erklärungs­ ansatz unvereinbar wäre. Die Ausdehnung des Himmels, der dem­ gemäß täglich um die Erde rotiert, ist beträchtlich, aber beschränkt. Nach Aristoteles gibt es kein Außerhalb, nicht einmal die Leere, von der man denken sollte, dass sie diesen einzigen, endlichen ­kosmos umgibt. Zwei Fragen schließen sich an: Ist die Weltsicht der aristoteli­ schen Naturwissenschaft deterministisch? Und ist sie anthropozen­ trisch? Eine Variante des Determinismus ist der Fatalismus: Wenn z. B. Bayern München im Jahr 2083 deutscher Fußballmeister wird, dann ist es immer schon wahr und deshalb auch immer schon un­ vermeidlich, dass Bayern München im Jahr 2083 deutscher Fußball­ meister wird. Aristoteles bemüht sich um einen Wahrheitsbegriff, Cael. II 14, 298 a15–20 (Umrechnung von Stadien in Kilometer nach Jori 2009, 475); zutreffend ist bekanntlich: ca. 40 000 km. Zu den »anderen Gestirnen« vgl. [Platon], Epin. 983a4–6, wonach »die ganze Sonne grö­ ßer als die ganze Erde ist« und »alle Planeten eine erstaunliche Größe haben«; der Autor der Epinomis ist vermutlich Philipp von Opus, ein wenig älterer Kollege des Aristoteles an Platons Akademie (vgl. Krämer 2004, 81 f. und 84 f.). 11  Als Urheber dieser Annahme gilt Herakleides Pontikos, ­ebenfalls ein wenig älterer Kollege des Aristoteles an Platons Akademie (vgl. Krämer 2004, 75 f.; Jori 2009, 391 ff.). – Ein heliozentrisches Weltmodell wurde erstmals von dem zweieinhalb Generationen jüngeren Aristarch von Samos vorgeschlagen. 10 

XVI

Gottfried Heinemann

der fatalistische Konsequenzen vermeidet.12 Eine zweite Variante des Determinismus wird durch das Laplace’sche Gedankenexperi­ ment illustriert: Aus der vollständigen Kenntnis der Naturgesetze sowie der Werte, welche die einschlägigen Parameter an einer be­ stimmten Zeitstelle annehmen, wäre unter den Voraussetzungen der klassischen Mechanik eine vollständige Kenntnis aller früheren und späteren Weltzustände ableitbar. Nach Aristoteles ist der Lauf der Dinge einerseits durch deren jeweilige Naturen und anderer­ seits durch Komplikationen bestimmt (s. u. 1.5.1.2). Da die mögli­ chen Komplikationen stets unübersehbar sind, ist das Laplace’sche Gedankenexperiment unter aristotelischen Voraussetzungen nicht rekonstruierbar. Anthropozentrisch ist die neuzeitliche Naturwissenschaft, wenn sie sich aus dem Bacon-Descartes’schen Projekt der Naturbeherr­ schung – vielleicht auch noch mit einem entsprechenden Schöp­ fungsauftrag wie bei Bacon – versteht. Bei Aristoteles gibt es so etwas nicht. Was es gibt, ist eine universelle Nutznießerschaft des Menschen. Anders als andere biologische Arten ist der Mensch nach Aristoteles nicht auf die Nutzung bestimmter Ressourcen festgelegt. Sondern er ist in der Lage, buchstäblich »alles« zu Res­ sourcen für sein Leben und die jeweilige Lebensform umzufunk­ tionieren. Anthropozentrisch würde diese Weltsicht aber erst durch die Annahme, dass die Nutzung durch den Menschen die Existenz und die Eigenschaften der genutzten Dinge in ähnlicher Weise er­ klärt, wie die Existenz und die Eigenschaften von Körperteilen durch ihre biologische Funktion erklärt werden können.13 Die bio­ logische Rangfolge (sog. scala naturae), an deren Spitze der Mensch

12  Vgl.

den Abschnitt »Zeit und Wahrheit« in Heinemann [in Vorb.] sowie unten 2.1.4.3. 13  Eine anthropozentrische Weltanschauung, wonach die Götter al­ les zugunsten der Menschen eingerichtet haben, wird bei Xenophon von Sokrates vertreten (Mem. I 4 und IV 3, nach Sedley 2007, 78 ff. dem his­ torischen Sokrates zuschreibbar); dieser Anthropozentrismus wird in Platons Gesetzen (903c2–5) ausdrücklich verworfen. Eine naturalistische Version vermutet Sedley (1991 und 2007, 194 ff.) bei Aristoteles, dagegen Heinemann 2016c.

Einleitung XVII

steht, illustriert bei Aristoteles eher, als dass sie erklärt. Freilich legt sie nach EN I 6 fest, was für den Menschen das höchste Gut ist, und dieses, das gelingende Leben (eu zên = eudaimonia), setzt das Leben voraus. Aber wie das gelingende Leben seinerseits nichts Biologisches ist, so ist die episodische Todlosigkeit, in der es sich nach EN X 7 vollendet,14 kein natürlicher Zweck und überhaupt kein Thema der Naturwissenschaft. 1.1.2  Wissenschaftssystematik bei Aristoteles und in der Ü ­ berlieferung des Corpus Aristotelicum Die überlieferte Anordnung der aristotelischen Schriften folgt ei­ nem Programm, das nicht das aristotelische ist. Die Logik ist bei Aristoteles keine selbständige Disziplin, und die Metaphysik ist nicht der krönende Abschluss der theoretischen Philosophie. 1.1.2.1  In der aristotelischen Wissenschaftssystematik gilt die Naturwissenschaft als Einzeldisziplin, im Unterschied zur sog. Ers­ ten Philosophie. Nach Met. IV 1–3 und Met. VI 1 heißt das zweier­ lei: Erstens ist ihr Gegenstand nicht umstandslos »alles«, sondern nur »eine Gattung des Seienden«, nämlich diejenigen Dinge, bei denen »das Prinzip (archê) der eigenen Bewegung und Ruhe in dem Gegenstand selbst ist«; in der Physikvorlesung sind das die »Na­ turdinge« (s. u. 1.2.2 und 2.3.1.1).15 Und zweitens thematisiert die Naturwissenschaft ihre Gegenstände nicht »als Seiendes«, ­sondern eben als Naturdinge; das heißt, ihr Thema ist nicht, »was dem Seien­ den« – und somit auch den Naturdingen als Seiendem – »an sich

EN X 7, 1177 b31–1178 a 2; dazu Heinemann 2019, 32 ff. 15  Einzeldisziplin: en merei … (Met. IV 1, 1003a 22), kata meros … (Met. IV 3, 1005b29); »alles«: peri pantôn (vgl. einerseits Met. IV 2, 1004 a34– b1, andererseits PA I 1, 641a36– b1); »Gattung«: genos (Met. IV 3, 1005a34, dann Met. VI 1, 1025b 8, b16 und b19). – Dinge, bei denen »das Prinzip …«: Met. VI 1, 1025b20–21; zur Übers. Kirwan 1993, 189 mit Verweis auf die Parallelstelle Met. V 4, 1014b18–20). »Naturdinge«: Phys. I 2, 184 a13 u. ö., Phys. II 1, 192b 8; über Bewegungsprinzipien s. u. 2.3.6. 14 Vgl.

XVIII

Gottfried Heinemann

eignet«, sondern was sich aus ihrer Kennzeichnung als Naturdinge »zusätzlich ergibt« und somit »der Gattung an sich eignet«.16 Hiermit ist die Naturwissenschaft nach Met. VI 1 zugleich auch als eine der »theoretischen« Disziplinen charakterisiert. Anders als bei den auf das Handeln bzw. das Bewirken bezogenen Disziplinen ist ihre Fragestellung und Argumentation diejenige des unbeteilig­ ten Beobachters. Denn wie das Prinzip der jeweiligen Bewegung liegen auch die sachgemäßen Ausgangspunkte naturwissenschaft­ licher Erklärungen in den jeweiligen Gegenständen und machen deren jeweilige Natur aus.17 Theoretische Disziplinen sind nach Aristoteles die (auch als Theologie charakterisierte) Erste Philo­ sophie, die Mathematik und die Naturwissenschaft.18 Nach dem griechischen Wortsinn bedeutet theôria vor allem auch »Zu­schauer­ schaft«. Diese Metapher liegt wohl auch der Selbstbeschreibung von Philosophie und Wissenschaft als »theoretisch« zugrunde: Wie der Zuschauer bei einer festlichen Aufführung ist der Naturwissen­ schaftler in das Geschehen, dem er zuschaut, nicht involviert. Darin unterscheidet er sich auch von dem neuzeitlichen Experimentator, der technische Verfahren zur Herstellung bestimmter Effekte erfin­ det und das Funktionieren dieser Verfahren als Beispiele gelingen­ der Naturbeherrschung und eben deshalb – nach Bacon »wird Natur nicht anders besiegt, als indem man ihr gehorcht« (s. u. 1.5.1.2) – als naturwissenschaftliche Tatsachen interpretiert. Die Metaphern der »Zuschauerschaft« und der »Naturbeherrschung« illustrieren einen

»als Seiendes«: hêi on (Met. IV 1, 1003a 21); was »an sich eignet« / was sich »zusätzlich ergibt«: ta … hyparchonta kath’ hauto / to symbebêkos (ebd. a 21–22 / a 25), wobei to symbebêkos (1003a 25) = ta kath’ hauta hyp­ archonta tôi genei (Met. VI 1, 1025b12). 17  Met. VI 1, 1025 b 21 und 25–26. »Fragestellung« und »Argumenta­ tion«: dianoia. 18  Met. VI 1, 1026 a 6–32. Die Mathematik hat nach Aristoteles keinen selbständigen Gegenstand (dazu auch Phys. II 2, 193b22–194 a12); die An­ nahme eines der Ersten Philosophie vorbehaltenen Gegenstandes sichert, dass sich diese von der Naturwissenschaft nicht nur durch die grundsätz­ lichere Fragestellung, sondern auch durch den umfassenderen Gegen­ standsbezug unterscheidet. 16 

Einleitung XIX

wichtigen Unterschied zwischen aristotelischer und neuzeitlicher Naturwissenschaft. Beim Handeln und beim Bewirken liegt das Prinzip des Ge­ schehens im jeweiligen Akteur.19 Dieser bestimmt, was geschieht, und zwar beim Handeln durch seinen Entschluss, beim Bewirken durch Einsicht, Fachwissen oder Kraft; und ebenso liegt es an ihm, wann das Geschehen beginnt und wann es endet. Die Fragestellung und Argumentation der praktischen und poietischen Disziplinen entspricht daher derjenigen eines rationalen Akteurs, nämlich: welches Handeln im Sinne eines gelingenden Lebens (eudaimonia) und welches Verfahren für die Bewirkung eines erwünschten Re­ sultats das Richtige ist. Im einfachsten Fall ist das Ergebnis der Über­legung der Beginn des entsprechenden Tuns. 1.1.2.2  Die vermutlich auf das 1. Jh. v. Chr. zurückgehende An­ ordnung der aristotelischen Abhandlungen (des sog. Corpus Aris­ totelicum), beispielsweise in der Bekker’schen Ausgabe und der Revised Oxford Translation, 20 entspricht einer Einteilung der Phi­ losophie in Logik, Physik und Ethik, die sich erst nach Aristoteles durchgesetzt hat. – Die an den Anfang gestellten Texte zur Semantik (Int.), Logik (APr), Wissenschaftstheorie (APo) und Argumentationstheorie (Top., SE) machen kein eigenes Fach aus; ihr Inhalt wird von Aristoteles zu der methodologischen Allgemeinbildung (paideia) Zum Folgenden Met. VI 1, 1025b22–24 (Text nach Ross und Jaeger, anders Bonitz; vgl. einerseits Ross 1924 I, 353, andererseits Bonitz 1849, 283 und dessen Übersetzung der Stelle). – »Einsicht«: nous (vgl. Frede / Patzig 1988 II, 111 zu der Parallelstelle Met. VII 7, 1032a 27–28); »Fach­ wissen«: technê; »Kraft«: dynamis; »Entschluss«: prohairesis; »poietisch«: poiêtikos als Attribut zu epistêmê oder dianoia, d. h. etwa: auf das Be­ wirken bezogen, zum Bewirken befähigend. Der Unterschied zwischen dem Handeln (praxis) und Bewirken (poiêsis, oft auch durch »Herstellen« wiedergegeben) liegt nach Aristoteles darin, dass dieses sein Ziel im Be­ wirkten hat, das Handeln aber in sich. 20  Bekker 1831 bzw. ROT. Aristoteles wird üblicherweise, auch in den neueren Ausgaben mit verbessertem Text, mit der Seiten-, Spalten- und Zeilenzählung der Bekker’schen Ausgabe zitiert. 19 

XX

Gottfried Heinemann

gerechnet, die in allen wissenschaftlichen Disziplinen vorausge­ setzt ist. 21 – Die Naturwissenschaft (physikê) umfasst dann mehr als 40 % des Corpus Aristotelicum. Auf die sog. Physikvorlesung (Phys. I–VIII) folgen Abhandlungen über die Himmelsbewegungen (Cael. I–II), über die sog. Elemente und ihre natürlichen Bewe­ gungen (Cael. III–IV), über das Entstehen und Vergehen der Elemente durch Umwandlung ineinander (GC I–II), über den natürlichen Kreislauf der Elemente (Wetter, Gewässer etc.; Me­ teor. I–III), über die Elementarqualitäten und die Umwandlung von Stoffen (Meteor. IV), über die grundlegenden Leistungen, die das Lebendigsein von Pflanzen und Tieren, d. h. ihre »Seele« (psychê), ausmachen (Anim. I–III), 22 und über die sie realisie­ renden Körperfunktionen (Parva naturalia) sowie, nach einer systematischen Sammlung zoologischer Fakten (HA I–X) und einer methodologischen Einleitung in die Biologie (PA I), Ab­ handlungen über Bau und Funktion der tierischen Körperteile (PA II–IV), über den tierischen Bewegungsapparat (Inc.) und Bewegungsantrieb (MA) sowie über die tierische Fortpflanzung (GA I–V). 23 In diesem Sinne. Met. IV 3, 1005n3–4: apaideusia tôn analytikôn; ebd. 4, 1006 b 6: apaideusia. – Das sog. Organon (Bekker 1831, 1–184) umfasst neben den o. g. Abhandlungen auch die sog. Kategorienschrift (Cat.), die thematisch eher zur Ersten Philosophie gehört. 22  Ein Grenzfall ist der nous, d. h. die rationalen kognitiven Funktio­ nen der menschlichen Seele. Zu der Frage, ob und inwiefern seine Ana­ lyse in De anima III 4–6 nicht mehr zur Naturwissenschaft gehört, vgl. Corcilius 2017, xxxviii ff. 23  Bekker 1831, 184–789. Die obige Themenliste entspricht weit­gehend der Beschreibung der naturwissenschaftlichen methodos am Anfang der Meteorologie (Meteor. I 1, 338 a 20–339 a 9). – Zu der dort erwähnten Bo­ tanik (vgl. ebd. 339 a7) ist nur die spätantike Paraphrase einer aristoteli­ schen Abhandlung in arabischer Übersetzung erhalten; dazu Herzhoff 2016. Die in den Aristoteles-Ausgaben enthaltene Abhandlung De plantis (»Über die Pflanzen«; Bekker 1831, 815–830) ist eine Rückübersetzung ins Griechische, die ihrerseits auf einer lateinischen Übersetzung aus dem Arabischen beruht. Ausführliche Beiträge zur Botanik sind dann 21 

Einleitung XXI

– Die sog. Metaphysik ist ein Konvolut von Abhandlungen zur Ersten Philosophie. 24 Die Bezeichnung ta meta ta physika, d. h. »Nachtrag zur Physik« (?), weist wohl auf eine Schwierigkeit bei der Einordnung hin: Nach Aristoteles sind Erste Philosophie und Naturwissenschaft verschiedene Disziplinen. Aber in der späteren Wissenschaftssystematik, der die Anordnung des Cor­ pus Aristotelicum folgt, ist die Theologie, und mit ihr die Erste Philosophie, ein Teil der Physik. – Es folgen die praktischen und poietischen Disziplinen: zunächst die drei Ethiken (EN, EE und MM) und die Politik, dann die Abhandlungen zur Rhetorik und zur Tragödie (Poet.). 25 Nach Aristoteles »soll Anaxagoras auf jemandes … Frage, worum willen man es vorziehen würde, geboren anstatt nicht geboren zu werden, geantwortet haben: ›um den Himmel als Zuschauer zu betrachten (theôrêsai) und die Regularität in der ganzen Weltord­ nung.‹«26 Diese Betrachtung (theôria) ist bei Aristoteles zu einem umfassenden naturwissenschaftlichen Forschungsprogramm aus­ gearbeitet. Die Physikvorlesung formuliert dieses Programm. Aber erst der daran anschließende systematische und methodologisch reflektierte Durchgang (methodos) durch die Themen der Natur­ wissenschaft führt es dann aus.

von Theophrast, dem wenig jüngeren Mitarbeiter und Nachfolger des Aristoteles, überliefert; vgl. Wehrli et al. 2004, 524 ff. In der Bekker’schen Ausgabe folgt eine Reihe von Abhandlungen und Materialien, die sich in unterschiedlicher Weise der Schule des Aristo­ teles zuordnen lassen (ebd. 791–980). Weitere unechte oder umstrittene, im Corpus Aristotelicum eingestreute Schriften werden hier übergangen. 24  Bekker 1831, 980–1093. Beiträge zur mathematischen Fachliteratur, der dritten in Met. VI 1 genannten theoretischen Disziplin, gibt es im Corpus Aristotelicum nicht. 25  Bekker 1831, 1094–1342 bzw. 1354–1420 und 1447–1462. 26  Aristoteles, EE I 5, 1216 a11–14 (DK 59 A 30), vgl. Protr. fr. B 18 Düring, dazu Heinemann 2019, 19 mit weiteren Literaturangaben.

XXII

Gottfried Heinemann

1.2  Philosophische Vorfragen zur Naturwissenschaft Die Argumentation der Physikvorlesung lässt sich nach heutigen Maßstäben als philosophisch charakterisieren. Ihre zentralen Fra­ gestellungen – nach den Prinzipien, den Gegenständen und den Beschreibungsmitteln der Naturwissenschaft – sind natur- oder wissenschaftsphilosophisch im strengen Sinn. Zu beachten ist frei­ lich, dass diese Charakterisierung eine Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Philosophie unterstellt, die es im alteuropäischen Sprachgebrauch bis zum späten 18. Jh. nicht gibt und hier (mit ei­ nem gewissen Rückhalt in einigen Formulierungen bei Aristoteles, s. u. 1.3) in die Interpretation investiert werden muss. 1.2.1  Prinzipien und fundamentale Entitäten Es gibt Fragen, die durch wissenschaftliche Forschung beantwortet werden, und Fragen, deren Beantwortung der wissenschaftlichen Forschung vorhergeht. 27 Ein Thema für vorgängige Fragen wird in Phys. I 1 mit der ziemlich vagen Formulierung »was mit den Prinzi­ pien der Naturwissenschaft zu tun hat« angegeben. 28 »Prinzipien« sind nach Aristoteles die sachgemäßen Ausgangspunkte wissen­ schaftlicher Erklärungen (s. u. 2.2). Das heißt einerseits: Tatsachen werden durch Zurückführung auf Prinzipien erklärt. Andererseits sind Prinzipien aber auch nur Tatsachen; als Prinzipien sind sie da­ durch ausgezeichnet, dass sie nicht weiter auf andere Tatsachen zu­ rückführbar sind. Die Feststellung der jeweils einschlägigen Prin­ zipien – als Tatsachen und als nicht weiter zurückführbar – gehört

27 Wohlgemerkt:

der wissenschaftlichen Forschung, und das heißt nicht, wie bei Kant, der Erfahrung. Die Aristotelische Prinzipienfor­ schung beruht auf gehaltvollem, insbesondere auch empirischem Hinter­ grundwissen; ihr Verfahren ist nach Phys. I 1 die Analyse dessen, was durch Hintergrundwissen bekannt ist. 28  Phys. I 1, 184 a14–16: tês peri physeôs epistêmês … ta peri tas archas (das zweite peri geht hier mit dem Akkusativ, bedeutet also so etwas wie »im Umkreis von«).

Einleitung XXIII

deshalb zu den Aufgaben der naturwissenschaftlichen Forschung; sie geht ihr nicht vorher. Aufgabe der vorgängigen Prinzipienforschung ist vielmehr die Ausarbeitung einer Strategie für das Aufsuchen von Prinzipien und für deren Ausweisung als Prinzipien der Naturwissenschaft: Sachge­mäße Ausgangspunkte naturwissenschaftlicher Erklärun­ gen sind nach Phys. I 7 die »Form« (eidos – oder »Gestalt«: morphê) und das Material (hylê) der jeweils beteiligten Naturdinge und so­ mit nach Phys. II 1 deren jeweilige Natur (physis). Auf diese sind nach Phys. II 3 und 7–9 alle kausalen Erklärungen, d. h. nicht nur Wirkungs-, sondern insbesondere auch funktionale Zusammen­ hänge, zurückzuführen (s. u. 2.3). Aristoteles beschreibt in Phys. I–II eine allgemeine Struktur der Naturdinge und der naturwissen­ schaftlichen Erklärung: Nach einer treffenden Formulierung von Sarah Broadie sind die in Phys. I 7 angegebenen »Prinzipien« bloße »Rollen«; in wissenschaftlichen Erklärungen sind die Rollen dann jeweils besetzt. 29 Die allgemeinen Regeln, nach denen sie zu be­ setzen sind, sind Thema der Prinzipienforschung; sie zu besetzen, ist dann Aufgabe der Naturwissenschaft. – Und dasselbe gilt für Naturen und Ursachen gemäß Phys. II 1 und 3. Auch die Themen der anschließenden Bücher – Bewegung, Un­ begrenztes, Ort, Leeres, Zeit (Phys. III–IV); Kriterien zur Klas­ sifikation von Bewegungen und Änderungen (Phys. V); Kontinu­ umsstruktur der Bewegung, Zenons Bewegungsparadoxa (Phys. VI); Kinematische Ketten und bewegungslose Beweger (Phys. VII– VIII) – haben irgendwie »mit den Prinzipien der Naturwissenschaft zu tun«. Aber es ist zunächst nicht klar, wie sich diese Themenfolge und somit der thematische Zusammenhang der Physikvorlesung aus der in Phys. I 1 formulierten Fragestellung ergibt. Eine zweite Frage, nämlich nach fundamentalen Entitäten, wird in Phys. I 2 nur beiläufig und indirekt angedeutet.30 Sie hängt einer­ 29 

Vgl. Broadie 2019, 313. Phys. I 2, 184b22–25 (siehe dort). – Zum systematischen Stellenw­ ert dieser Frage Kuhn 1962/1996, 4 f.: »Effective research scarcely begins before a scientific community thinks it has acquired firm answers to ques­ tions like the following: [a] What are the fundamental entities of which 30 

XXIV

Gottfried Heinemann

seits eng mit der Frage nach Prinzipien und Ursachen zusammen. Denn nach Aristoteles sind die sachgemäßen Ausgangspunkte naturwissenschaftlicher Erklärungen an den einschlägigen funda­ mentalen Entitäten aufzusuchen; in Phys. I 7 werden sie mit deren Material und Form und in Phys. II 1 mit deren Natur identifiziert (s. o.). Andererseits betrifft die Frage nach fundamentalen Entitä­ ten den Gegenstand der Naturwissenschaft. Dieser, die sog. »Natur­ dinge« (physei onta), wird in Phys. I 2 durch die hypothesis, »dass die Naturdinge (ta physei) entweder sämtlich oder teils in Bewe­ gung sind«, 31 eingeführt. Die Auszeichnung der »Naturdinge« als fundamentale Entitäten (d. h. »Substanzen«) ist in Phys. I 7 voraus­ gesetzt; in Phys. II 1 wird sie ausdrücklich bestätigt.32 Die Fragestellungen von Phys. III–IV schließen hier an:33 Natur­ dinge gibt es nicht ohne Bewegung; demgemäß ist erstens zu fra­ gen, was Bewegung – d. h. hier: das In-Bewegung-Sein – ist, und zweitens, ob und inwiefern zur Bewegung die unbegrenzte Teil­ barkeit des Kontinuums, der Ort, der gewechselt wird, das Leere, in die hinein gewechselt wird, und die Zeit gehören und was dem­ gemäß Unbegrenztes, Ort, Leeres und Zeit sind. In Phys. V–VI wird die Analyse der Bewegung weiter ergänzt: In Phys. V durch die systematische Berücksichtigung unterschiedlicher Anfangszu­ stände; in der vorherigen Analyse des Werdens (Phys. I 7) und des In-Bewegung-Seins (Phys. III 1) wurde der Anfangszustand nur als Gegenteil des Endzustands sowie durch ein Vermögen, in den Endzustand zu wechseln, beschrieben. Phys. VI eliminiert die Ze­ non’schen Bewegungsparadoxa durch eine geeignete Beschreibung der Kontinuumsstruktur der Bewegung. So weit lässt sich der the­ matische Zusammenhang der Physikvorlesung aus der hypothesis the universe is composed? [b] How do these interact with each other and with the senses? [c] What questions may legitimately be asked about such entities and what techniques employed in seeking solutions?« – Die dt. Übersetzung von [a] ist ab der 2. Aufl. (Frankfurt/M. 1976, dort S. 19) defekt. 31  Phys. I 2, 185a13 (siehe dort sowie unten 1.2.2.2 und 2.3.1.1). 32  Phys. I 7, 190 b18–19 und Phys. II 1, 192 b 33–34 (siehe jeweils dort) 33  Vgl. die einleitende Bemerkung in Phys. III 1 (200 b12–21).

Einleitung XXV

in Phys. I 2 sowie den Fragen nach Prinzipien und fundamentalen Entitäten verstehen. Demgegenüber ist der Zusammenhang von Phys. VII–VIII mit dem Rest der Physikvorlesung problematisch. Immerhin lassen sich die Thesen, dass kinematische Ketten end­ lich sein müssen und bei einem bewegungslosen Beweger beginnen, als Weiterführung der Analyse von Wirkungsbeziehungen in Phys. II 3 und Phys. III 3 interpretieren. 1.2.2  Beschreibungsmittel und Gegenstände der ­Naturwissenschaft Die Argumentation der Physikvorlesung folgt über weite Stecken dem Frageschema »Ob es ist / Was es ist« aus APo II 1. Nur beim Thema »Natur« wird die erstere Frage abgelehnt: Der Gegenstands­ bereich der Naturwissenschaft – die sog. Naturdinge – wird durch hypothesis eingeführt; seine Existenz ist auch im Rahmen einer philosophischen Vorüberlegung nicht diskutierbar. 1.2.2.1 Aristoteles beschreibt die Fragestellung der theoreti­ schen Wissenschaft eingangs des zweiten Buchs der Zweiten Ana­ lytiken so: »Wir untersuchen viererlei: [i] das Ob, [ii] das Warum, [iii] ob es ist, [iv] was es ist.« Dabei geht jeweils die Feststellung der Tatsachen ihrer Erklärung voraus. Zum Beispiel, [i] »ob sich die Sonne verfinstert oder nicht«: Erst »wenn wir wissen, dass sie sich verfinstert …, untersuchen wir [ii] das Warum-sie-sich-verfinstert«. Und demgemäß für [iii] und [iv]: Zuerst ist zu untersuchen [iii] »ob z. B. ein Kentaur oder ein Gott ist oder nicht« (mit »schlicht« ver­ wendetem »ist«, d. h. im Sinn von Existenz); »und wenn wir wissen, dass er ist, untersuchen wir, [iv] was er ist, zum Beispiel: Was ist überhaupt ein Gott, oder: Was ist ein Mensch?«34 Nach Aristoteles besteht die Aufgabe der Wissenschaft somit in zweierlei: einerseits in der Feststellung der einschlägigen Tatsachen und andererseits in ihrer Erklärung. Bei den Tatsachen handelt es sich gemäß [iii] und [i] teils um die Existenz von Dingen bestimmter Art, teils um deren Eigenschaften und die Vorgänge, in die sie involviert sind. Wissenschaftliche Erklärungen ergeben sich nicht nur gemäß [ii] 34 

APo II 1, 89 b24–35 – »schlicht«: haplôs (b33).

XXVI

Gottfried Heinemann

aus Wirkungs- und funktionalen Zusammenhängen (dazu unten 2.3.5), sondern gemäß [iv] auch aus Definitionen (s. u. 2.2.5.1). In der Physikvorlesung werden keine Tatsachen festgestellt oder erklärt, sondern es werden die für naturwissenschaftliche Tatsa­ chen einschlägigen Beschreibungs- und Erklärungsweisen vorab er­ örtert. Gleichwohl ist die Argumentation der Physikvorlesung über weite Strecken nach dem obigen Schema organisiert. – Die Abschnitte über Zufall und Irgendwie-von-selbst (Phys. II 4–6) sowie über Unbegrenztes, Ort, Leeres und Zeit (Phys. III 4 bis IV 14) diskutieren jeweils zuerst die Frage, [iii] ob und inwiefern die jeweilige Sache existiert, und anschließend, [iv] was sie ist.35 – Im Abschnitt über Natur (Phys. II 1, s. u. 2.3.1) wird die Forde­ rung, gemäß [iii] »zu zeigen, dass es die Natur gibt«, ausdrück­ lich zurückgewiesen: Dies sei »durch sich selbst kenntlich«; die Erklärung, [iv] »was die Natur ist«, muss hier genügen.36 – Nur im Abschnitt über Bewegung (Phys. III 1–3) bleibt die Frage, ob es Bewegung gibt, unerwähnt. Sie wird durch den Hinweis auf die Themenformulierung der naturwissenschaftlichen methodos vertreten: Das Thema ist »über Natur« (peri physeôs), Natur ist nach Phys. II 1 »Prinzip von Bewegung und Änderung«, zu er­ klären bleibt, »was Bewegung ist«.37 1.2.2.2 In Phys. III 1 setzt die Beantwortung der Frage, was Be­ wegung ist, die Analyse des Werdens aus Phys. I 7 stillschweigend voraus (s. u. 2.1.3.2). Ebenso greift in Phys. II 1 die Erklärung, was 35 

Vgl. die Themenangaben in Phys. III 4: »über das Unbegrenzte, ob es ist oder nicht, und wenn es ist, was es ist« (202b35–6); Phys. IV 1: »über den Ort …, ob er ist oder nicht und inwiefern (pôs) er ist und was er ist« (208 a 27–9); Phys. IV 6: »über das Leere, ob es ist oder nicht und inwiefern (pôs) es ist und was es ist« (213a13–4); Phys. IV 10: »über die Zeit … ob sie zum Seienden oder zum Nicht-Seienden gehört, und dann, was ihre Natur ist« (217 b29–32). – Weniger schematisch Phys. II 4, 195b31–36. 36  Zu [iii] Phys. II 1, 193 a3–9; zu [iv] ebd. a1–2 mit Rückbezug auf 192b21–23. – In APo II 1 rechnet Aristoteles bei [i] ausdrücklich mit dem Fall, dass die zu erklärende Tatsache unfraglich ist (vgl. 89 b29–30). Bei [iii] ist Entsprechendes zu erwarten. 37  Phys. III 1, 200 b12–14.

Einleitung XXVII

Natur ist, stillschweigend auf die Voraussetzung zurück, die in Phys. I 2 die Gegenstände der Naturwissenschaft erstmals benennt und beschreibt. »Dass die Naturdinge (ta physei) entweder sämtlich oder teils in Bewegung sind«, wird in Phys. I 2 als hypothesis ein­ geführt.38 Der Sachbezug der Argumentation der Physikvorlesung – und mit ihr der Naturwissenschaft überhaupt – wird somit durch »Zugrundelegung« von Dingen mit bestimmten Merkmalen her­ gestellt, nämlich der »Naturdinge« (physei onta) mit dem Merkmal, stets oder episodisch in Bewegung zu sein.39 Das Verfahren ist in Met. VI 1 beschrieben: Die »Prinzipien und Ursachen«, von denen die Einzeldisziplinen handeln (was sie als »rationale« Unternehmungen und somit als Wissenschaften aus­ zeichnet), können »exakter oder schlichter« ausfallen. 40 Denn diese Disziplinen handeln jeweils von einem bestimmten Seienden, und sie befassen sich mit einer bestimmten Gattung, die sie sich umrissen haben, aber nicht [wie die Erste Philosophie] mit dem Seienden schlechthin und nicht als Seiendem, und sie machen sich auch keinerlei Erklärung (lo­ gos) des Was-ist-das; sondern aus diesem, teils indem sie es durch Wahrnehmung klargemacht, teils indem sie das Was-ist-es als hypothesis angenommen haben, demonstrieren sie zwingender oder weicher, was der Gattung, von der sie handeln, an sich ­eignet. Somit ist offensichtlich, dass sich aus einem solchen Aufweis (ep­ Phys. I 2, 185a12–13: hêmin … hypokeisthô … – Beachte: hypokeimai ist Perf. Pass. zu hypotithêmi. Der zu hypokeimai gehörige unpersönliche Imperativ hypokeisthô zeigt also an, dass der anschließend angegebene Sachverhalt als hypothesis fungieren soll. Zum Begriff der hypothesis s. u. 2.2.3.1 und 2.2.5.1. 39  Dies ist die unverfänglichste Interpretation des zitierten »entweder sämtlich oder teils« (ê panta ê enia, Phys. I 2, 185a13): Die Naturdinge sind in Bewegung, aber nicht immer alle zugleich. Der naheliegende Einwand, dass die Erde nach Aristoteles im Zentrum des Alls dauerhaft ruht und auch nicht episodisch in Bewegung, ist wohl nicht einschlägig. Denn es genügt, hier zunächst an die Erde als Element und nicht an den überwie­ gend aus Erde gebildeten Körper gleichen Namens zu denken – zu dieser Unterscheidung Althoff, Stichwort gê, in: Höffe (Hg.) 2005, 96. 40  Met. VI 1 1025 b 5–7 (»rational«: dianoêtikê oder dianoias metechusa). 38 

XXVIII

Gottfried Heinemann

agôgê) keine Demonstration (apodeixis) der Sub­stanz oder des Was-ist-das ergibt, sondern eine andere Weise der Verdeutlichung. Ebenso sagen sie auch nichts darüber, ob die Gattung, mit der sie sich befassen, existiert oder nicht, weil es zu derselben Überle­ gung gehört, das Was-es-ist klar zu machen und das Ob-es-ist. 41 Das Stichwort »die Naturdinge« (ta physei oder ta physei onta) markiert demgemäß die Gattung, von der die Naturwissenschaft handelt. Was dieser Gattung an sich eignet, ist nach Phys. I 2 das Merkmal, stets oder episodisch in Bewegung zu sein; in Phys. II 1 kommt ein zweites Merkmal hinzu, nämlich ein inneres Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe zu haben. »Dass die Naturdinge (ta physei) entweder sämtlich oder teils in Bewegung sind,« ist nach Phys. I 2 »klar aus der epagôgê«. 42 Dabei bezeichnet das Wort epagôgê die Hinführung zu einer allgemeinen Einsicht durch Anführung von Einzelfällen; an so etwas wie einen induktiven Schluss oder überhaupt an ein methodologisch ausge­ wiesenes Begründungsverfahren ist gar nicht gedacht. 43 Gleichwohl ist die Frage, ob es Bewegung gibt, hiermit erledigt; Aristoteles kommt in der Physikvorlesung nicht mehr auf sie zurück. Aber das heißt nicht, dass auch die aus der frühen griechischen Philosophie überlieferten Einwände erledigt wären, etwa die in Phys. VI und VIII ausführlich diskutierten Zenon’schen Bewegungsparadoxa – und ähnlich die in Phys. I 2–3 bzw. Phys. I 8 diskutierten Einwände gegen Vielheit und Entstehen. Freilich unterstellt Aristoteles ohne weitere Diskussion, dass diese Einwände nicht die Frage betreffen können, ob es Bewegung gibt, sondern vielmehr die Frage, was Be­ wegung ist. Die letztere Frage stellt sich nach APo II 1 nur, wenn Met. VI 1 1025b 8–18. 42  Phys. I 2, 185a13–14: dêlon ek tês epagôgês. 43  Der Grundgedanke der aristotelischen epagôge ist nach EngbergPedersen (1979, 305) »something like ›attending to particular cases with the consequence that insight into some universal point is acquired‹ or ›acquiring insight into some universal point as a consequence of attending to particular cases‹.« Zustimmend Kahn 1985, 201n21; vgl. Liske, Stich­ wort epagôgê, in: Höffe (Hg.) 2005, 195–197 sowie Strobach 2015a, 503 ff. 41 

Einleitung XXIX

man weiß, dass es Bewegung gibt. Und das heißt: Nun erst stellt sich die Aufgabe, eine zur Entkräftung der gegebenen Einwände geeignete Analyse der Bewegung auszuarbeiten. Wenn das gelingt, erweisen sich die Zenon’schen Bewegungsparadoxa – und ähnlich die in Phys. I diskutierten Argumente gegen Vielheit und Ent­ stehen – als Artefakte einer bestimmten Beschreibungsweise, die sich mit geeigneteren Beschreibungsmitteln vermeiden lassen. Die Argumente der Alten gegen die Bewegung (oder gegen Vielheit und Entstehen) werden somit von Aristoteles nicht widerlegt, sondern sie werden bestenfalls eliminiert. 44 Umgekehrt liefern derartige Einwände Kriterien für die Klä­ rung dessen, was gemäß Met. IV 1 »der Gattung an sich eignet«. So ist die Vermeidung der Zenon’schen Bewegungsparadoxa eine notwendige Bedingung für eine sachgerechte Beantwortung der Frage, was Bewegung ist, und eine sachgerechte Analyse ihrer Kon­ tinuumsstruktur. 45 Ebenso hat die Erklärung, was Entstehen (im Unterschied zu bloßer Veränderung) ist, den von Parmenides und seinen Nachfolgern aufgezeigten Widersinn eines Entstehens aus Nicht-Seiendem zu vermeiden. Auch der eleatische Monismus wird in Phys. I 2–3 nicht widerlegt, sondern eliminiert: Die eleatische Charakterisierung des Seienden ist in einer propositionalen Sprache nicht formulierbar und daher unverständlich; 46 verständlich ist nach der Schlussbemerkung in Phys. I 3 nur die der ganzen weiteren Ar­ gumentation zugrundeliegende Auffassung des Seienden als etwas Bestimmtes seiend und die Frage, was das eigentlich heißt. 47

Aristoteles nennt das »lösen« (lyein, Phys. I 2, 185a8 u. ö.); dazu auch Crubellier 2019, 64. 45  Nach Simplikios (In Phys. 1012.31) versucht Zenon die Bewegung mit Argumenten »aus den naturwissenschaftlichen Prinzipien« (ek tôn physikôn archôn) aufzuheben. Die Entkräftung dieser Argumente würde demnach zur Aufgabe der naturwissenschaftlichen Prinzipienforschung gehören. – Zu Zenon dann Einl. 2.5 im zweiten Band. 46  In diesem Sinne vielleicht Phys. I 2, 185 a 27: adynata legein; vgl. ­Crubellier 2019, 72: »the thesis ›being is one‹, taken in itself, cannot be sustained because it is devoid of sense.« 47  Vgl. I 3, 187a 8–9: to hoper on ti einai (siehe dort sowie unten 1.3.1). 44 

XXX

Gottfried Heinemann

1.3 Exkurs: philosophia und »Philosophie« Nach Phys. I 2 gehört die Diskussion des eleatischen Monismus zwar nicht zur Naturwissenschaft, aber da sie »philosophia hat«, wird ihr ein ausführlicher Exkurs gewidmet. Nach Phys. I 8 stam­ men die eleatischen Einwände gegen das Entstehen von denen, »die als erste philosophisch (kata philosophian) nach der Wahrheit und der Natur der Dinge gefragt haben. 48 Was an diesen Stellen mit phi­ losophia gemeint ist, lässt sich nur vermutungsweise angeben. Die Verwendung des Wortes ist bei Aristoteles und seinen Zeitgenossen nicht terminologisch festgelegt. 49 1.3.1  Abgrenzungen: populäre und elitäre philosophia Zur gemeinsprachlichen Grundbedeutung von philosophos / philo­ sopheô / philosophia gehört jedenfalls die Unterscheidung zwischen philosophia und technê, d. h. die Abgrenzung der philosophia gegen­ über solchem Fachwissen, wie es für die Ausübung anspruchsvoller, insbesondere auch professioneller Tätigkeiten erforderlich ist. Die philosophia dient keinem äußeren Zweck. Im Rahmen der aristoteli­ schen Wissenschaftssystematik (s. o. 1.1.2) werden demgemäß vor al­ lem die theoretischen, seltener die praktischen, nicht aber die bewir­ kenden Disziplinen als philosophia bezeichnet.50 Eine Unterschei­ dung zwischen Philosophie und Wissenschaft (epistêmê) wird aus der Unterscheidung zwischen philosophia und technê nicht abgeleitet. Phys. I 8, 191a 24–25; in der Anm. zur Stelle wird die Bedeutung von philosophia unter einem spezielleren Gesichtspunkt erörtert. – Zuvor zitiert: Phys. I 2, 185a 20. 49 Über philosophia etc. bei Aristoteles vgl. Moore 2019. Moores Buch über den Ursprung und die frühe Geschichte der philosophia (Moore 2020) konnte hier nicht mehr berücksichtigt werden. 50  Zur vor-platonischen Unterscheidung zwischen philosophia und technê vgl. [Hippokrates], VM 20,1–3; die Spätdatierung von VM mit ver­ meintlicher Abhängigkeit von Platon (Diller 1952, ebenso Kranz 1989, 581 f.) ist unhaltbar (vgl. Jouanna 1990, 84 f., Heinemann 2000, 14n6, Schiefsky 2005, 63 f.). Bei Aristoteles ist diese Unterscheidung ganz bei­ läufig vorausgesetzt, vgl. APr I 30, 46 a3–4, Met. XII 8, 1074b10–11 und 48 

Einleitung XXXI

Eine zweite Unterscheidung, zwischen philosophia und sophia, 51 ist in der Tradition weniger strikt. Dem griechischen Wortsinn nach bezeichnet des Wort philo-sophia eine Präferenz, nämlich für ­sophia, wie philo-timia für Ehre (timê) usf., sowie das dieser Präferenz gewidmete, als Merkmal einer Lebensweise ausgeprägte Verhalten: philo-sophos ist, wer sich dieser Präferenz widmet; zu »philosophieren« (philosopheô) ist die ihr gewidmete Tätigkeit.52 Dabei sind zwei Typen, die populäre und die elitäre philosophia, zu unterscheiden, aus denen Platon seine von Aristoteles rezipierte, aber nicht durchgängig übernommene Auffassung von »Philoso­ phie« und seine Bilder des »Philosophen« entwickelt: – Das populäre Philosophieren, das bei Thukydides zur Selbstbe­ schreibung der Athener gehört, ist ein vertrauter Umgang mit Gelehrten und gelehrten Inhalten; dabei ist der philo-sophos oder »Philosophierer« (philosopheôn) so wenig ein Experte (sophos) oder professioneller Gelehrter (sophistês) wie der phil-hippos (»Pferdefreund«) ein Pferd.53 Pol. VIII 7, 1342a31–32; überdeutlich dann sein Zeitgenosse Herakleides Pontikos (bei Cicero, Tusc. 5,8) in der Anekdote über Pythagoras: artem quidem se scire nullam, sed esse philosophum. In Met. II 1 (993b19–21) ist die Bezeichnung philosophia für die theo­ re­tischen Disziplinen reserviert; zur philosophia bei praktischen Themen vgl. EN X 9, 1181b15 und Pol. III 12, 1282b16–23. 51  Das griechische Wort sophia ist so gut wie unübersetzbar. »Weis­ heit« ist gängig, aber fast immer irreführend; sophia heißt auch, was den ausgezeichneten Experten in einem Beruf ausmacht (vgl. Aristoteles, EN VI 7, 1141a 9–12). Jedenfalls, auch außerhalb professioneller Kontexte, ist sophia ausgezeichnetes Wissen; sophos ist, bei wem es lohnt, um Rat oder Auskunft zu fragen. 52  Semantisch und sprachgeschichtlich sind philosophia und philoso­ pheô wohl von dem Adjektiv philosophos abgeleitet. Eine Bedeutungs­ differenz – dass eines dieser Wörter eher für die populäre oder die elitäre philosophia stünde – ist in dem von Platon rezipierten Sprachgebrauch nicht nachweisbar. 53  Thukydides II 40,1 (sog. Grabrede des Perikles). Zur populären philosophia Burkert 1960 mit weiteren Belegen; zur Wortbedeutung bes. ebd. 171–175.

XXXII

Gottfried Heinemann

– Die angebliche Selbstbeschreibung des Pythagoras als philo­ sophos, im Unterschied zu einem sophos, was keinem Menschen zustehe, ist nicht sehr glaubwürdig: sie zitiert allzu auffällig aus Platons Apologie.54 Hintergrund der Anekdote über Pythagoras ist wohl die alte Bezeichnung philosophos für die Anhänger des Pythagoras; und auch unabhängig von der Schulzugehörigkeit werden im 5. Jh. philosophos / philosopheô / philosophia mit For­ schung (historia), Betrachtung (theôria) und gelehrter Autor­ schaft in Verbindung gebracht. Die Abgrenzung des populären Philosophierens von allem Ex­ pertentum macht Sokrates in Platons Apologie geltend, wenn er sich selbst als »Philosophierer« (philosopheôn) beschreibt und die Charakterisierung als Experte (sophos anêr) zurückweist.55 In der Apologie ergibt sich daraus die Auffassung des Philosophierens als einer Tätigkeit zweiter Stufe: einer Prüfung von Wissensan­ sprüchen, die nicht mit dem Aufstellen eigener, konkurrierender Wissensansprüche einhergeht. Das Symposion konstruiert aus der­ selben Unterscheidung eine Auffassung der philosophia als in der conditio humana angelegtes, unstillbares Begehren (erôs).56 Eine trivialisierte Version dieser Auffassung – philosophia als Streben nach sophia – klingt bei Aristoteles an, wenn er in Met. I 2 die Kenntnis unhintergehbarer und universeller Prinzipien als sophia und in den anschließenden Kapiteln die entsprechende Prinzipien­ forschung als philosophia bezeichnet. Überhaupt steht philosophia bei Aristoteles eher für Forschung und Diskussion als für abge­ schlossenes Wissen.

54  Herakleides

Pontikos bei Cicero, Tusc. V 8–9; vgl. Diogenes Laer­ tios I 12 und Iamblichos, VP 58; dazu Burkert 1960; gegen die Einseitig­ keiten Burkerts Riedweg 2002, 120 ff. und ders. 2004 55 Platon, Apol. 18b, 21b–23d, 28d ff. Die Orakelerzählung (Kontrast zwischen göttlicher und menschengemäßer sophia, göttlicher Auftrag zum Philosophieren) bekräftigt diese Selbstbeschreibung. 56 Vgl. einerseits Apol. 28e5–6: »philosophierend leben (philo ­s o­ phounta zên), und das heißt (kai), mich selbst und die Anderen prüfend«; andererseits Symp. 203a–204c.

Einleitung XXXIII

Elitäre philosophia ist im 5. Jh. ein nicht-professionelles Exper­ tentum, das mit einer Abstandnahme von den politischen Ambi­ tionen eines Adligen einhergehen kann.57 Sein Echo bei Platon, der den Begriff umfassend besetzt, sind zunächst die pythagore­ isch gefärbten »Philosophen« im Phaidon. In der Politeia und im Sophistes sind »Philosophen« dann die Experten eines Fachs, das Platon als »Dialektik« (dialektikê) bezeichnet. In die Kompetenz des »Dialektikers« fällt einerseits die Richtigkeit von Kriterien für Klassifikationen und Wertungen (»Lobenswert, Gerecht und Emp­ fehlenswert«: kalôn te peri kai dikaiôn kai agathôn); im Sophistes kommen dann andererseits die Komplikationen hinzu, in die sich die Frage, »was ihr überhaupt meint, wenn ihr ›ist‹ sagt«, zerlegt.58 Dieselbe Frage liegt in Phys. I 2–3 der Diskussion der eleatischen Einwände gegen die Vielheit zugrunde. Die Antwort – was über­ haupt mit »ist« gemeint ist (auto to on), werde nur verstanden, wenn man versteht, was mit »ist genau das, was Etwas-Bestimmtes-Sei­ end, ausmacht« (to hoper on ti einai)59 – betrifft sogleich auch das Entstehen: Zu entstehen heißt, zu etwas zu werden, das in seinem 57 

Beispiele sind die »philosophischen Männer« (philosophoi andres), die »sehr vieler Dinge Erforscher sein müssen«, bei Heraklit (DK 22 B 35); dann Solon bei Herodot (I 29,1 und 30,2). Vgl. bes auch Euripides fr. 910 N., wohl aus der Antiope, sowie die ausdrücklich an die Antiope anknüpfende Polemik des Kallikles in Platons Gorgias (484e–486d) da­ gegen, dass Sokrates als Erwachsener unpolitisch bleibt und stattdessen »philosophiert«. 58  Klassifikationen: Vgl. Phdr. 265c–266c sowie Crat. 388b13–c1 in Verbindung mit 390b–d. Wertungen: vgl. Resp. VI, 484d1–3 (zit. d2) in Verbindung mit 531c ff. – Im Sophistes dann 244a5–6 (zit.) und 253b–254b. Beachte übrigens: Bei Platon und Aristoteles ist das Partizip eine Art Normalform des Zeitworts, d. h. diejenige Form, in der seine Bedeutung erfragt wird. Im Deutschen bietet sich hierfür die dritte Person Singular an. Demgemäß habe ich das griechische on (Platon, Soph. 244a6; Aristo­ teles, Phys. I 3, 187a 8) nicht durch »seiend«, sondern durch »ist« wieder­ gegeben. 59  Phys. I 3, 187a 8–9 (siehe dort) – »etwas Bestimmtes«: z. B. Mensch, daher »… was Etwas-Bestimmtes-Seiend ausmacht« = »was Mensch aus­ macht« usf.

XXXIV

Gottfried Heinemann

Wesen etwas Bestimmtes ist; die in Phys. I 7 ausgearbeitete Analyse dieses Werdens liegt in Phys. I 8 der Diskussion der eleatischen Ein­ wände gegen das Entstehen zugrunde. 60 Nach der aristotelischen Wissenschaftssystematik fällt die Analyse des Seins (Phys. I 2–3) in die Erste Philosophie und die Analyse des Werdens (Phys. I 7–8) in die Physik. In Platons Sophistes würden beide in die Fach­ kompetenz des Philosophen, d. h. in die Dialektik, 61 fallen – und in diesem Sinne ist hier wohl auch das Wort »Philosophie« zu verste­ hen: Dass, wie Aristoteles sagt, Parmenides und seine Nachfolger »als erste philosophisch (kata philosophian) nach der Wahrheit und der Natur der Dinge fragten«, 62 hieße im Sinne Platons, dass die Auseinandersetzung mit ihnen, anders als mit ihren Vorgängern, in die Kompetenz des Dialektikers fällt. Für Aristoteles heißt es: Diese Auseinandersetzung »hat Philosophie«;63 und zwar, obwohl es Aristoteles so nicht sagt, nicht nur die systematische Erörterung ihrer Einwände gegen die Vielheit Phys. I 2–3, sondern auch die Diskussion ihrer Einwände gegen das Entstehen in Phys. I 8. 60 

Die Analyse des Werdens und die Zurückweisung der eleatischen Einwände gegen das Entstehen in Phys. I 7–8 beruht auf den Unterschei­ dungen aus Phys. I 2–3: Wie das Sein ist das Werden nach Kategorien und sind die Merkmale des jeweils Zugrundeliegenden nach Wesentlich und Zusätzlich (kath’ hauto / kata symbebêkos) differenziert. Vgl. die Er­ läuterungen zu den jeweiligen Stellen. 61  Beachte, dass Aristoteles unter »Dialektik« (dialektikê) etwas an­ deres als Platon versteht, nämlich eine an den Erfordernissen des Streit­ gesprächs orientierte Argumentationstheorie und bloße »Kunst der durch Regeln strukturierten Gesprächsführung«. Vgl. die Einleitung in Wag­ ner / Rapp 2004 (bes. S. 18–20) sowie Kubota, Stichwort dialektikê, in: Höffe (Hg.), 2005, 116–120. 62  Vgl. Phys. I 8, 191a 24–25 (siehe dort) 63  Phys. I 2, 185 a 20: echei … philosophian. In demselben Sinne Pol. III 12: 1282b22–23: Die Frage nach dem ethisch und politisch relevanten Begriff der Gleichheit »hat politische Philosophie« (echei … philosophian politikên). Nach Bien (1989, 584) lässt sich die Bedeutung von philosophia hier durch »grundsätzlich theoretische Bedeutsamkeit und Problematik« umschreiben. Das genügt nicht ganz: philosophia ist an den zitierten Stel­ len insbesondere die Bearbeitung begrifflicher Komplikationen.

Einleitung XXXV

1.3.2  Naturwissenschaft und Naturphilosophie Dabei handelt es sich um begriffliche Schwierigkeiten, mit denen die Darstellung und Erklärung naturwissenschaftlicher Tatsachen verbunden ist. Die eleatischen Einwände gegen Vielheit und Ent­ stehen – und ebenso gegen die Bewegung – werden von Aristo­ teles als bloße Fehlschlüsse dargestellt. Aber das heißt nur, dass sie sich aufgrund geeigneter begrifflicher Unterscheidungen als Fehlschlüsse erweisen lassen. Gefordert ist demgemäß eine natur­ wissenschaftliche Terminologie, die eine widerspruchsfreie, gegen die eleatischen Einwände immunisierte Darstellung und Erklärung naturwissenschaftlicher Tatsachen erlaubt. Wenn die Erörterung dieser Einwände nach Phys. I 2 »Philosophie hat« und auch so hei­ ßen kann, dann fällt sie nach der aristotelischen Fachsystematik doch eher in die Naturwissenschaft (physikê) als in die Erste Philo­ sophie. Man könnte demgemäß auch von »Naturphilosophie« sprechen, da die Erörterung der eleatischen Einwände zwar zur Naturwis­ senschaft im weiteren Sinne gehört, aber als bloße Vorüberlegung von der Naturwissenschaft im engeren Sinne unterschieden bleibt. Das fände wohl einen gewissen Rückhalt in den zitierten Formu­ lierungen bei Aristoteles. Aber es wäre auf eine vertrackte Weise anachronistisch: Die hiermit in die Aristoteles-Interpretation eingeführte Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Philoso­ phie – und insbesondere zwischen Naturwissenschaft und Natur­ philosophie – ist eine Innovation des späten 18. Jahrhunderts. Noch das Hauptwerk der frühneuzeitlichen Physik, Newtons Principia, firmiert als »Naturphilosophie«. 64 Die Unterscheidung mag sinn­ voll und erhellend sein, aber sie reibt sich mit dem älteren Sprach­ gebrauch, der sie nicht kennt und dem auch Aristoteles folgt. In Met. VI 1 macht es keinen Unterschied, ob die physikê als philosophia oder als epistême bezeichnet wird. 65 Die Wendungen physikê philo­ 64 

Vgl. Lorenz et at. 1984, 546 f. Met. VI 1, 1026 a18–19 werden mathematikê, physikê und theologikê als drei verschiedene philosophiai theôrêtikai angeführt. Ansonsten gilt die physikê in Met. VI 1 als epistêmê (ebd. 1025b 6 und b16, 1026 a 22 und 65 

XXXVI

Gottfried Heinemann

sophia (»Naturphilosophie«) und physikê epistême (»Natur­w issen­ schaft«, ebenso auch peri physeôs epistêmê) sind bei Aristoteles gleichbedeutend, 66 und die zitierten Formulierungen in Phys. I 2 und I 8 haben keine Konsequenzen für den aristotelischen Begriff von Naturphilosophie. Die Fragestellungen der Physikvorlesung – nach den sachgemäßen Ausgangspunkten naturwissenschaftli­ cher Erklärungen, – nach den ontologischen Verpflichtungen, die mit der Einfüh­ rung der sog. Naturdinge als Gegenstand der Naturwissenschaft einhergehen, 67 und – nach einer naturwissenschaftlichen Terminologie, die eine wi­ derspruchsfreie, gegen die eleatischen Einwände immunisierte Darstellung und Erklärung naturwissenschaftlicher Tatsachen erlaubt, fallen als Vorüberlegung in die aristotelische Naturwissenschaft. Was bei Platon »Dialektik« heißt und das Fachwissen der »Philo­ sophen« ausmacht, wird mit der Frage, »was wir überhaupt meinen, wenn wir ›ist‹ sagen«, von der Ersten Philosophie weitergeführt. Die Naturwissenschaft gilt nicht deshalb als eine »Philosophie«, a 29). –

Met. II 1, 993b19–21 werden philosophia und epistême theôrêtikê ausdrücklich gleichgesetzt (anders die Übers. von Bonitz). 66 Wo Aristoteles von einer physikê philosophia spricht (Long. 1, 464b3; PA II 7, 653a 93; Met. VI 1, 1026 a18–19; Met. VII 11, 1037a14–15), gibt es keinen Hinweis auf eine Unterscheidung zwischen philosophia und epistêmê. – Belegstellen für physikê epistême: Cael. III 7, 306 a16–17; PA I 1, 641a35– b1; Met. VI 1, 1025b19 und 1026 a 29 etc. Für peri physeôs epistêmê: Phys. I 1, 184 a14–15 und III 4, 202b30; Cael. I 1, 268 a1; EE I 5, 1216 b12–13 etc. 67  Zum Begriff der ontologischen Verpflichtung vgl. Bricker 2016. – Die Frage nach den in der Einführung von A verbundenen ontologischen Verpflichtungen hat eine Form wie: Was muss außerdem existieren, wenn A existiert? oder: Wenn ich annehme, dass A existiert, muss ich dann auch annehmen, dass B existiert? Dabei steht A für Naturdinge, d. h. Dinge, die ein inneres Prinzip der eigenen Bewegung haben; B steht nicht nur für Unbegrenztes, Ort, Leeres und Zeit, sondern beispielsweise auch für Kräfte und bewegungslose Beweger.

Einleitung XXXVII

weil sie von dieser Frage und ihren Weiterungen berührt ist. Diese Charakterisierung entspricht keiner Unterscheidung zwischen »Philosophie« und »Wissenschaft«, sondern vermutlich der alten Unterscheidung zwischen philosophia und technê: Die Naturwis­ senschaft heißt auch »Naturphilosophie«, weil sie ihre Gegenstände losgelöst von äußeren Zwecken betrachtet.

1.4  Aristoteles und die Anfänge der Naturphilosophie Die nacharistotelische Einteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik wurde nicht nur auf Aristoteles (s. o. 1.1.2.2), sondern auch auf die frühe griechische Philosophie zurückprojiziert. Nach Diogenes Laertios geht die Physik auf Thales, die Ethik auf So­ kra­tes und die »Dialektik« (d. h. hier: Logik) auf Zenon von Elea zurück; nach Cicero hat Sokrates »als erster die Philosophie vom Himmel herunter gerufen … und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen«. 68 Entspre­ chend dieser Geschichtskonstruktion wird die frühe griechischen Philosophie vor allem als Naturphilosophie rezipiert; ihre Schrif­ ten erhalten den Einheitstitel Über Natur und werden unter diesem zitiert. 69 Demgegenüber bezeichnet Aristoteles nur einen Teil sei­ ner Vorgänger als physikoi (»Naturwissenschaftler / -philosophen«) oder physiologoi (»Naturerklärer«);70 andere, z. B. Parmenides, die Pythagoreer und Platon haben nur zu den einschlägigen Studien beigetragen.

68 

Diogenes Laertios I 18; Cicero Tusc. V 10 (Übers. Gigon). Vgl. beispielsweise die Listen bei Galenos (De elem. sec. Hipp. I 9, 27 = DK 24 A 2 und In Hipp. de natura hominis, Kühn XV 5.10–12), dazu Mansfeld 2016, 97. 70  In derselben Bedeutung auch hoi peri physeôs (Phys. 187a35 u. ö., siehe dort), d. h. etwa: »die über Natur geforscht / gelehrt / geschrieben haben«. 69 

XXXVIII

Gottfried Heinemann

1.4.1  Stichwörter zur frühen griechischen Philosophie: ­ Kosmos, Universum, Natur »Kosmos« ist nach der griechischen Wortbedeutung ein gelungenes Ganzes aus verschiedenartigen Teilen. Seit den Anfängen der grie­ chischen Wissenschaft wird die Ordnung der Himmelsbewegungen als kosmos beschrieben und mit diesem Wort auch bezeichnet. Eine Begrenzung des Himmels wird durch die Annahme einer täglichen Rotation des Himmels um die im Zentrum ruhende Erde nahege­ legt. Demgemäß wird der Himmel bzw. der ihn umschließende Ort der Fixsterne oft als endliche Kugelschale beschrieben. Ein kosmos ist aber nicht nur der Himmel, sondern auch, was in ihm enthalten ist, bis zu den menschlichen Angelegenheiten: Auch ihre kosmo­ logische Einbettung ist Thema der frühen griechischen Philosophie, und sie bleibt es bei Platon und Aristoteles, bei den Stoikern und Epikureern usf. Das lateinische Wort »universum«, auch »universus mundus« oder »universitas rerum«, wurde von Cicero als Übersetzung für den griechischen Ausdruck to pan (Singular, dt. »das All«) in die philosophische Terminologie eingeführt. Es bezeichnet die Ge­ samtheit dessen, was es überhaupt gibt, ohne Vorentscheidung über die Weise seiner Verbindung zur Einheit. Nach vielen antiken Auto­ ren, z. B. Platon und Aristoteles, umfasst das Universum nur einen einzigen kosmos. Nach anderen, z. B. Anaxagoras und den Atomis­ ten, kann es viele kosmoi umfassen. Die letztere Auffassung wird später unter dem Einfluss der christlichen Schöpfungslehre ver­ worfen. Die in der Antike diskutierte und aus physikalischen Grün­ den verworfene, von Kopernikus wieder aufgegriffene Annahme einer täglichen Erdumdrehung macht überdies auch die Annahme einer Begrenzung des die Erde umgebenden Himmels entbehrlich. So wird die im Mittelalter unstrittige Auffassung des Universums als begrenzter kosmos in der frühen Neuzeit infrage gestellt. »Natur« (physis) ist stets die Natur von etwas. Zur jeweiligen Natur der Dinge gehören insbesondere ihre Zusammensetzung aus elementaren Bestandteilen und ihre kausalen Eigenschaften. Naturphilosophie betrachtet die Dinge im Hinblick auf die wissen­ schaftliche Erklärung ihres Entstehens und ihrer Wechselwirkung

Einleitung XXXIX

unter Rekurs auf ihre Natur. Durch den Naturbegriff wird somit kein Gegenstand angezeigt, sondern eine Art der Betrachtung. Nur in abgeleiteter Weise kann das Wort physis – an sehr wenigen Stellen bei Platon und Aristoteles, vielleicht auch zuvor bei Philo­ laos – einen Bereich von Dingen bezeichnen, für den diese Betrach­ tungsweise einschlägig ist. Die vielzitierte Auffassung von »Natur« als »Inbegriff von Realität« lässt sich vielleicht an einer Stelle bei Platon vermuten; zuvor ist sie nicht nachweisbar.71 1.4.2  Die Natur der Dinge und die Ordnung der Welt Gegenstand der frühen griechischen Philosophie ist buch­stäblich »alles« (griech. panta). Ihr Anspruch, eine »Darstellung aller Dinge« zu liefern und somit das Entstehen und die Ordnung der Welt »von Anfang an« (ex archês) zu beschreiben,72 kann über ­Hesiods Theogonie bis auf die altorientalischen Kosmogonien zu­ rückgeführt werden. Die Themenbezeichnung »über Natur« (peri physeôs) wird seit Ende des 5. Jahrhunderts für diese Schriften und Studien verwendet; von »Naturforschern« (physikoi) oder »Natur­ erklärern« (physiologoi) spricht wohl erst Aristoteles. Die Cha­ rakterisierung der einschlägigen Studien als »Philosophie« (philo­ 71 

Vgl. Guthrie 1965, 351: »sum-total of reality«; Graeser 1989, 13: »In­ begriff von Realität«. Bei Platon: Menon 81c4–d5. 72  Vgl. Long 1999, 10: »account of all things«; zu der Wendung ex arches in [Hippokrates] VM 20,1 (und zuvor bei Hesiod, Theog. 45 und 115) vgl. Jouanna 1990, 208. – Auffällig ist in den Texten der frühen griechischen Philosophie die Verwendung des Worts »alles« (panta, Plural) in Einlei­ tungssätzen. An einer Stelle bei Xenophanes (DK 21 B 34.2) haben wir vermutlich die explizite Themenangabe »über alles« (peri pantôn), dazu Lesher 1999, 229 (die dt. Übersetzung, Handbuch frühe griechische Philo­ sophie, Stuttgart/Weimar 2001, S. 209 f., ist grob irreführend). Bei Demo­ krit ist sie als Buchtitel (DK 68 B 165) sicher bezeugt; ihr Echo ist bei Aristoteles an vielen Stellen wahrnehmbar. Seit dem späten 5. Jh. ist auch die Themenangabe »über die Natur von allem« (… tôn (ha)pantôn) be­ legt, bei Platon auch: »… des Alls« (tou pantos, Tim. 27a4 und 47a7). Vom »All« (to pan) statt in der Mehrzahl von »allem« (panta) spricht vor Platon schon Empedokles (DK 31 B 13, B 17.32 = 66.263 Primavesi, 26.7 etc.)

XL

Gottfried Heinemann

sophia) betont die Unabhängigkeit von äußeren Zwecken, mit deut­ licher Abgrenzung von professionellem Fachwissen (technê). Dem entspricht auch die Beschreibung der entsprechenden Tätigkeiten als »Betrachtung« oder »Zuschauerschaft« (theôria). Wie bei Aris­ toteles und noch in der frühen Neuzeit, wird nicht terminologisch zwischen »Philosophie« und »Wissenschaft« unterschieden. Der Begriff der »Natur« (physis) verweist in der frühen griechi­ schen Philosophie insbesondere auf die Weise des Zustandekom­ mens der Dinge und auf deren Eigenschaften, soweit sie durch die jeweilige Weise ihres Zustandekommens und durch ihre Bildung aus fundamentalen Entitäten erklärt werden können. Später wird die »Natur« der Dinge auch direkt mit den jeweils postulierten fun­ damentalen Entitäten – z. B. den Atomen – gleichgesetzt. Dabei ist »Natur« stets die Natur von etwas; die in der Neuzeit übliche Rede von der »Natur« als geordnetem Ganzen hat kein Vorbild in der frühen griechischen Philosophie. Die Frage, »was es gibt« (ti to on), läuft nach Aristoteles, der hier aber nur eine Selbstverständlichkeit in seiner eigenen Terminologie formuliert, auf die Frage nach den fundamentalen Entitäten (tis hê ousia) hinaus.73 Sie ist seit jeher kontrovers. Als fundamental kom­ men in der frühen griechischen Philosophie vor allem theoretische Entitäten in Betracht: die als Stoffe betrachteten, aus heutiger Sicht eher mit Aggregatzuständen vergleichbaren Elemente (Feuer, Luft, Wasser, Erde) bei Empedokles, elementare Gegensätze (warm/kalt etc.) und gleichteilige Stoffe bei Anaxagoras,74 Atome (d. h. unteil­ bare ausgedehnte Körper von unterschiedlicher Gestalt) bei Leu­ kipp und Demokrit. Die Ordnung der Welt lässt sich nicht ausschließlich durch die jeweiligen Naturen der beteiligten Dinge, sondern nur durch eine zusätzliche Ordnungsleistung erklären.75 Diese wird einerseits auf Met. VII 1, 1028b2–6. 74  Nach Anaxagoras sind in jedem Gemisch unbegrenzt viele verschie­ dene gleichteilige Stoffe verborgen (DK 59 B 3 und B 6; vgl. Phys. I 4, 187a 26 ff.). Auch das lässt an theoretische Entitäten denken. 75  Unter bestimmten Bedingungen, vor allem bei hinreichend vielen Fehlversuchen, kann der Zufall in Verbindung mit einem geeigneten Se­ 73 

Einleitung XLI

abstrakte, eventuell unter Verwendung geeigneter Götternamen personalisierte Ordnungsprinzipien zurückgeführt, wie z. B. – »Recht« (dikê) bei Anaximander und Heraklit,76 – »Zusammenfügung« (oder treffender »Passung«: harmonia) bei Heraklit und Philolaos,77 – »Notwendigkeit« (oder treffender »Zwangsläufigkeit«: anankê) bei Parmenides und den Atomisten,78 – »Liebe« (philia) und »Streit« (neikos), d. h. Anziehung und Ab­ stoßung des Ungleichartigen, bei Empedokles,79 usw. Andererseits ist auch von der permanenten Ordnungsleistung von Lenkungsinstanzen die Rede, oft unter Verwendung einer Kapi­ täns-Metapher – in diesem Sinne die Verwendung von kybernaô (»steuern«) bei Heraklit, Parmenides, Diogenes von Apollonia und vermutlich schon Anaximander. 80 Die Lenkungsinstanz wird teilweise wiederum mit Götternamen belegt (z. B. Zeus bei Hera­ klit, Aphrodite bei Empedokles), aber auch mit gewissen Grund­ bestandteilen der Welt (z. B. der Luft bei Diogenes v. Apollonia) gleichgesetzt. 81 In kreationistischen Theorien, z. B. von Anaxago­ ras, wird schließlich auch mit einer einmaligen Ordnungsleistung gerechnet: Diese bringt nicht etwa die Naturen der Dinge hervor, sondern sie gestaltet die räumlichen Verhältnisse der Dinge in sol­ cher Weise, dass ihre Wechselwirkung aufgrund ihrer gegebenen kausalen Eigenschaften die vorgesehenen Resultate erzeugt.

lektionsprinzip eine solche Ordnungsleistung ersetzen. Gegen Erklärun­ gen durch »Natur und Zufall« polemisiert Platon im X. Buch der Gesetze (Lg. 889bc u. ö.). Zu Aristoteles s. u. 1.4.4.1. 76  DK 12 B 1 bzw. DK 22 B 80 u. ö. 77  DK 22 B 50 f. bzw. DK 44 B 6. 78  DK 28 B 10.6 bzw. DK 67 B 2 79  DK 31 B 17.7–8 u. ö. 80  Vgl. DK 22 B 41, DK 28 B 12.3, DK 64 B 5 bzw. DK 12 A15. 81  Für eine Gleichsetzung der Natur (physis) mit einer solchen Len­ kungsinstanz (dem »Göttlichen«: theion) argumentiert Jaeger (1947/1953, 41 ff., bes. Anm. 44 (= S. 233 ff.); vgl. Graeser 1989, 24 ff.). Dagegen Heine­ mann 2005, 27 f.

XLII

Gottfried Heinemann

1.4.3  Vernunft und Ordnung bei Platon Der Naturbegriff der praxisbezogenen Disziplinen, z. B. der Er­ ziehungstheorie, der politischen Anthropologie und der Medizin, aber auch z. B. der Tier- und Länderkunde, ist nicht derselbe wie in der frühen griechischen Philosophie. Die individuelle und all­ gemeine Natur des Menschen liefert die Kriterien für verlässliche Erwartungen an Verhalten, Empfindlichkeit und Leistungsver­ mögen; »Natur« ist ein Profil dispositionaler Eigenschaften, durch deren Kenntnis die Wechselwirkung der beteiligten Lebewesen und Dinge antizipiert und kontrolliert werden kann. 82 Die jeweils relevanten »Naturen« liefern somit die Kriterien für Richtig und Falsch, über die ein Metier verfügen muss, um als ein Bereich pro­ fessionellen Fachwissens (d. h. als technê) gelten zu können. 83 Nur wenig verkürzt gesagt: Natur ist hier technische Norm. Platon rezipiert neben der frühen griechischen Philosophie vor allem auch die genannten praxisorientierten Disziplinen und ihren Naturbegriff. Dieser wird von Platon als terminus technicus aus dem methodologischen Vokabular der Medizin (und überhaupt der technê) in die Dialektik, die bei ihm das Fachwissen der Philo­ sophen ausmacht, importiert. Die notorische Bezeichnung der sog. Ideen als »Naturen« zeigt an, was die Inspektion der Ideen für die Dialektik leisten soll: »Ideen« liefern Kriterien für die Richtigkeit wissenschaftlicher Klassifikationen und für die Supervision evalua­ tiver Bräuche, wie in den mittleren Büchern der Politeia gefordert. Nach Anaxagoras »hat der nous« – zwar einer der Grundstoffe, aber mit Voraussicht und Einsicht begabt – »alles geordnet«. Bei Diogenes von Apollonia ist der aer (»Dunst« oder »Luft«) der ein­ zige Grundstoff und übernimmt auch diese Lenkungsfunktion: Er hat »viel noêsis« und sorgt dafür, dass alles, wie z. B. die Dauer der Jahres- und Tageszeiten und der Wechsel des Wetters, »best­ möglich eingerichtet ist«. 84 Die in Platons Phaidon erhobene Forde­ 82 

Vlastos 1975, 19; dazu von Staden 1998, 269. Vgl. [Hippokrates], De arte 5,6 in Verb. mit Platon, Crat. 387a1–b5. 84  Anaxagoras, DK 59 B 12, Diogenes von Apollonia, DK 64 B 2 und 3 (vgl. LM 28 D5). 83 

Einleitung XLIII

rung nach einer teleologischen Welterklärung knüpft an die zitierte Stelle bei Anaxagoras an; man kann im Hintergrund auch Dio­ genes von Apollonia – oder vielleicht Sokrates selber – vermuten. 85 Die Forderung wird erst in Platons Spätwerk eingelöst: Ordnung (kosmos) ist nach Platon die charakteristische Leistung der Ver­ nunft (nous) und nur so erklärbar. Dabei liefert die Ordnung der Welt ein Muster für die im Bereich der menschlichen Angelegen­ heiten geforderte Herrschaft der Vernunft: Die Intention bleibt politisch und ethisch. 86 Demgemäß wird im Timaios die Ordnung der Welt, mit der Welt­ seele als Antrieb und Taktgeber, durch die kompetente Leistung eines göttlichen Herstellers (dêmiourgos) etabliert; im X. Buch der Gesetze wird sie durch den Vernunftgebrauch der als perma­ nente Lenkungsinstanz fungierenden Weltseele gesichert. Wie überhaupt für die antike Philosophie, kommt eine Schöpfung aus nichts im Timaios nicht in Betracht. Der Hersteller der Welt findet die Komponenten, die er verarbeitet, vor – und somit auch deren jeweilige Natur, die wie bei jeder fachmännischen Tätigkeit zu be­ rücksichtigen ist. Diese Komponenten sind im Timaios aber keine körperlichen Dinge, sondern einerseits »Naturen«, d. h. abstrakte Strukturen, und andererseits eine unbestimmte Aufnahmefähig­ keit für Struktur. Die Beschreibung fundamentaler Entitäten als Strukturen, ohne Bezug auf materielle Dinge als deren Träger, ist eine noch in der Physik des 20. Jh. beachtete Eigenheit der Kosmo­ logie des Timaios. 1.4.4  Kunst, Natur und Zufall bei Aristoteles Die Physikvorlesung ist über weite Strecken eine Auseinanderset­ zung mit dieser Vorgeschichte: mit der frühen griechischen Philo­ sophie, mit Platon und mit der Diskussion in Platons Akademie. 1.4.4.1  In Abgrenzung von Platon insistiert Aristoteles, »Natur« sei stets die Natur eines körperlichen Gegenstandes und »in« dem 85 

Phd. 97b ff. – Für eine Zuschreibung an Sokrates argumentiert Sed­ ley (2007, 86 ff., bes. 90 f.) 86  Vgl. Schäfer 2005.

XLIV

Gottfried Heinemann

»Zugrundeliegenden«, dessen jeweilige Natur sie ist. 87 Natur ist die Natur eines Naturdings, und Naturding ist, was eine Natur hat. »Form« (eidos) ist, wie bei Platon, »Natur« (physis). Aber bei Aris­ toteles heißt das: Form ist nur als Natur eines Naturdings Natur, in­ sofern nämlich dessen kausale Eigenschaften darauf, »was es heißt, ein Gegenstand der jeweiligen Art zu sein« (to ti ên einai), zurück­ führbar sind und somit auf seine »definitionsgemäße Form« (eidos kata ton logon) oder »Gestalt« (morphê). Mit Platon wendet sich Aristoteles demgemäß gegen die in der Rezeption der frühen grie­ chischen Philosophie notorische Reduktion von Natur auf bloßen Stoff: Ein Stoff ist nur als Material eines Naturdings »Natur«, inso­ fern er nämlich zu den kausalen Eigenschaften beiträgt, die »primär und an sich« dem Naturding eignen, dessen Material er ist. 88 Nach Aristoteles »wird das Werdende teils durch Natur (physis), teils durch Kunst (technê), teils irgendwie von selbst (apo tauto­ matou).« Die Formulierung deckt sich weitgehend mit der These, die in Platons Gesetzen als populäre Expertenmeinung zitiert und abgelehnt wird: dass »alle werdenden, gewordenen und künftig werdenden Dinge« dies (?) »teils durch Natur (physis), teils durch Kunst (technê) und teils durch Zufall (tychê) sind«. 89 Bei Platon Phys. II 1, 192b34 (siehe dort). 88  Zur Reduktion von »Natur« auf bloßen Stoff: Platon, Lg. 891c2–4; Aristoteles, Phys. II 1, 193a 21–28 und Met. V 4 1014b32–35. – Man muss bei Aristoteles unterscheiden zwischen der Natur, die ein Stoff als Ma­ terial eines von ihm verschiedenen Naturdings ist, und der Natur, die er selbst hat. Stoffe wie Lehm und Wasser haben jeweils eine eigene Natur; eine Stoffportion, z. B. das Wasser in einem Teich oder der Marmor in einem Berg, kann als so etwas wie ein bestimmter Gegenstand und inso­ fern dann auch als Naturding aufgefasst werden (vgl. Phys. I 7, 190 b25–26 und 191a19–20; siehe dort). Aber wo der Stoff als Material eines von ihm verschiedenen Naturdings fungiert, gehört es zu dessen Natur, aus diesem Material zu bestehen; mit den kausalen Eigenschaften, die seine eigene Natur ausmachen, trägt der Stoff zur Natur des Naturdings bei, dessen Material er ist. 89 Aristoteles, Met. VII 7, 1032 a12–13 Τῶν δὲ γιγνομένων τὰ μὲν φύσει γίγνεται τὰ δὲ τέχνῃ τὰ δὲ ἀπὸ ταὐτομάτου. Platon, Lg. X, 888 e4–6: πάντα ἐστὶ τὰ πράγματα γιγνόμενα καὶ γενόμενα καὶ γενησόμενα 87 Aristoteles,

Einleitung XLV

wird diese Lehre so referiert, dass einerseits Natur und Zufall ge­ radezu zusammenfallen und dass andererseits Kunst nichts ande­ res ist, als was gemeinhin so heißt. »Kunst« ist menschliche Kunst; ihre Leistungen sind marginal im Vergleich zu den gemeinsamen Leistungen von Natur und Zufall. Nach der in den Gesetzen ausge­ arbeiteten Gegenthese sind die angeblichen Leistungen von Natur und Zufall auf die »Kunst« (technê) einer vernünftigen Weltseele zurückzuführen, die zugleich als Antrieb und Lenkungsinstanz des kosmos fungiert;90 an einer Parallelstelle in Platons Sophistes heißt es demgemäß, die angeblichen Erzeugnisse der Natur seien »von der göttlichen Kunst (technê) gemacht«. 91 Aristoteles korrigiert die von Platon beanstandete Lehre inso­ fern, als er die Trennungslinie zwischen Natur und Zufall betont. Das Unterscheidungsmerkmal ist Regularität: Was durch Natur zustande kommt, kommt »immer oder meistens so« zustande, aber was zufällig oder irgendwie von selbst zustande kommt, nicht. 92 Den von Platon behaupteten Primat der Kunst vor der Natur lehnt Aristoteles ab; eine göttliche Kunst wird von ihm an keiner Stelle erwogen. Die Ordnung der Welt erfordert bei Aristoteles auch τὰ μὲν φύσει, τὰ δὲ τέχνῃ, τὰ δὲ διὰ τύχην – ob esti als Kopula (»sind dies«) oder im Sinn von Existenz zu verstehen ist, habe ich bei obigem Zitat offengelassen. Bei Platon macht das kaum einen Unterschied. Die aristotelische Unterscheidung zwischen physei gignetai (Met. VII 7, 1032 a12) und esti physei (Phys. II 1, 192b 8, siehe dort) – und ebenso zwi­ schen ­tychê (»Zufall«) und automaton (»Irgendwie-von-selbst; vgl. Phys. II 5–6, 197a32– b1 und ff.) – kann bei Platon nicht vorausgesetzt werden. 90 Platon, Lg. X, 888e–889e, 892ab, 895e–897d etc. 91 Platon, Soph. 265e3 – »die angeblichen Erzeugnisse der Natur«: ta physei legomena mit Rückbezug auf zuvor referierte These, dass »die Na­ tur« Tiere, Pflanzen, Mineralien etc. »aus einer von selbst wirkenden und ohne Überlegung wachsen lassenden Ursache erzeugt« (ebd. c7–8). Im Sophistes ist dies eine populäre Meinung und Rede (ebd. c5, tôn pollôn dogma kai rêma). Dass ta physei legomena auf eine (ansonsten nicht be­ legte) gemein- oder bildungssprachlich geläufige Charakterisierung von Tieren usf. als »Naturdinge« anspielt, ist nicht gänzlich auszuschließen, wird aber durch den Textzusammenhang bei Platon nicht nahegelegt. 92 Aristoteles, Phys. II 8, 198 b 34–36 u. ö. s. u. 1.5.1.2.

XLVI

Gottfried Heinemann

keine göttliche Lenkungsinstanz. Dass die nötigen Passungsver­ hältnisse der biologischen Arten untereinander sowie zwischen biologischen Arten und nicht-biologischen Umweltbedingungen gewährleistet sind, ergibt sich einfach daraus, dass jede biologische Art ein ewiger Reproduktionsprozess ist, der diese Passungsver­ hältnisse erfordert: Ohne sie existiert die Art nicht; folglich exis­ tieren überhaupt nur solche Arten, wie sie insgesamt unter den gegebenen nicht-biologischen Umweltbedingungen koexistieren können. Deren Verlässlichkeit, d. h. ihre periodische Wiederkehr, ist durch die Periodizität der Himmelsbewegungen sichergestellt. 93 1.4.4.2  Die Unterscheidung zwischen Naturdingen und Arte­ fakten ist bei Aristoteles schwieriger, als man zunächst vermuten mag. Es gibt viele Arten von Naturdingen und von Artefakten. Bei den kennzeichnenden Merkmalen einer Art von Naturdingen handelt es sich insbesondere um kausale Eigenschaften, die deren Entstehen und Vergehen sowie ihre charakteristischen Wechselwir­ kungen mit anderen Dingen erklären; nach Phys. II 1 machen diese Eigenschaften die jeweilige Natur der Naturdinge aus. Bei Artefak­ ten sind die kennzeichnenden Merkmale Gebrauchseigenschaften, beispielsweise ist ein Haus »ein bergendes Behältnis für Güter und Leiber«. 94 Die charakteristischen Vorgänge, in die Artefakte als Gegenstände der jeweiligen Art involviert sind, d. h. »sofern auf sie die jeweilige Sortenbezeichnung zutrifft«, sind daher Gebrauchs­ handlungen. Dass Artefakte deren Prinzip – und ebenso das Prin­ zip ihrer Unterlassung, insgesamt also ein »Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe« – nicht »in sich selbst« haben, versteht sich geradezu von selbst. 95 Nach der üblichen Definition ist ein Artefakt ein Gegenstand, der absichtlich zu einem bestimmten Zweck hergestellt ist. 96 Um die aristotelische Unterscheidung zwischen Naturdingen und Artefak­ 93 

Zur Koexistenz der biologischen Arten vgl. Heinemann 2016c, zu ihrem dauernden Bestand auch oben 1.1.1.1; zum Antrieb der Himmels­ bewegungen oben 1.1.1.2 sowie Einl. 2.6 im zweiten Teilband. 94  Met. VIII 2, 1043a16–17. 95 Zitate: Phys. II 1, 192 b17, dann ebd. b13–14. Siehe dort. 96  Vgl. Preston 2018, § 1.

Einleitung XLVII

ten zu verstehen, genügt das nicht. Artefakte sind, wie ja auch das Wort anzeigt, durch »Kunst« (gr. technê, lat. ars), d. h. aufgrund ein­ schlägigen Fachwissens, hergestellt. Aristoteles beschreibt dieses Fachwissen als mental repräsentierte Form (eidos en têi psychêi); mit dieser wird die herstellende »Kunst« in Met. VII geradezu identi­ fiziert. 97 So ergibt sich eine einheitliche Beschreibung des künst­ lichen und des natürlichen Entstehens als Übertragung einer be­ stimmten Form auf eine Portion geeigneten Materials. Die Form wird dabei nicht erzeugt: Sie ist schon da, und zwar entweder durch den Hersteller mental repräsentiert oder von einem anderen Exem­ plar derselben Art instanziiert. Naturdinge und Artefakte unter­ scheiden sich demnach in der Weise, wie bei ihrem Entstehen ihre Form präexistiert. »Naturding« heißt in Phys. II 1, was »durch Natur ist« (estin ­physei), und in Met. VII 7, was »durch Natur wird« (physei gignetai). Man kann diese Formulierungsvarianten auf die obigen Kriterien beziehen: Nach Phys. II 1 sind Naturdinge und Artefakte, was sie sind und wie sie sind, aufgrund ihrer jeweiligen Natur bzw. ihrer jeweiligen Gebrauchseigenschaften. Nach Met. VII 7 werden sie, was sie sind und wie sie sind, unter Einwirkung der einschlägigen Form, die als »artgleiche Natur … in einem anderen Exemplar« bzw. als Fachwissen »in der Seele« des Herstellers präexistiert. Das ers­ tere Kriterium ist grundlegend, das letztere dann auch das engere: Einerseits kommen nur Naturdinge gemäß Phys. II 1 als Naturdinge gemäß Met. VII 7 in Betracht. Denn nur sie haben eine Natur; nur bei Naturdingen gemäß Phys. II 1 kann davon die Rede sein, dass durch Einwirkung ihrer Natur – und demgemäß auch durch Ein­ wirkung »der artgleichen Natur in einem anderen Ding« – etwas geschieht oder entsteht. Andererseits sind nicht alle Naturdinge ge­ mäß Phys. II 1 auch Naturdinge gemäß Met. VII 7, beispielsweise nicht die sogenannten Elemente, da Feuer nicht nur unter Einwir­ kung von Feuer entsteht usf.

Met. VII 7, 1032a32– b1 und b22; ausdrücklich auch Met. VII 9, 1034 a 24: die technê ist das eidos. 97 Vgl.

XLVIII

Gottfried Heinemann

1.4.5  Analoge Strukturen: Die Kunst imitiert die Natur Der Unterscheidung zwischen Naturdingen und Artefakten ent­ sprechen zwei Weisen der Erklärung oder Begründung. Durch naturwissenschaftliche Erklärungen werden gegebene Tatsachen gemäß den vier Grundbedeutungen der Frage Warum? (i) Woraus ist das? (ii) Was ist das? (iii) Woher Anfang und Ende der Änderung? (iv) Wozu ist/geschieht das? auf vier Arten der Ursache (i) Material, (ii) definitionsgemäße Form, (iii) Einwirkendes, (iv) Zweck und – soweit (ii), (iii) und (iv) gemäß Phys. II 7 zusammenfallen – letztlich auf Form und Material als die Prinzipien zurückgeführt, nach denen sich die Natur der beteiligten Gegenstände differen­ ziert (s. u. 2.3.1.2 und 2.3.5.2). Bei Artefakten und überhaupt bei fachgerechtem Tun kommt das Warum? auf die Frage nach der Zweckmäßigkeit von Gebrauchs- und Herstellungshandlungen ­h inaus. So betrachtet, haben die Bereiche nichts miteinander zu tun. Sie sind aber nicht unverbunden. Was sie verbindet, wird bei Aristote­ les durch die These angezeigt, dass sich die technê zur physis mime­ tisch verhält (s. u. 2.3.3.3). 98 Aristoteles zitiert diese These wohl aus der medizinischen Literatur, wo sie als eine Variante der von Platon rezipierten Auffassung der physis als technische Norm formuliert ist. Man kann vielleicht einen Schritt weiter zurückgehen und die Mimesisthese mit Heraklit in Verbindung bringen:99 Nach Heraklit 98  Man

kann nicht oft genug betonen, dass diese These nicht das Geringste mit der Charakterisierung der fiktionalen Literatur und der Schauspielerei als mimesis in der aristotelischen Poetik zu tun hat. 99  Vgl. Lebedev 2020, 847 und 873 f. – Beachte aber, dass Lebedev die Heraklitsche physis geradezu mit dem göttlichen nomos aus fr. 114 iden­ tifiziert. Sich zur physis mimetisch zu verhalten, heißt nach Lebedev gar nichts anderes als, »[to] follow the divine law of the harmony and identity of opposites« (ebd. 847).

Einleitung XLIX

»nähren sich alle menschlichen Gesetze von einem, dem göttlichen; dieses behauptet sich wie es will, und reicht für alles und setzt sich durch«.100 Das »göttliche« Gesetz ist bei Heraklit der logos, nach dem alles geschieht, und somit die allen Vorgängen gemeinsame, oft auch an Artefakten und ihrer Handhabung illustrierte Weise, wie die Welt funktioniert. Die Mimesisthese ergäbe sich hieraus durch zwei Annahmen: dass die jeweilige »Natur« der Dinge den logos in ausgezeichneter Weise repräsentiert und dass sich dessen Durchsetzung im Bereich der technê demgemäß als deren mime­ tisches Verhalten zur physis darstellen kann. Die technê kann da­ her der Hera­k lit’schen Forderung, »um vernünftig zu sprechen«, müsse man »sich an dem stärken, das allem gemeinsam ist«,101 ohne direkte Bezugnahme auf den logos genügen. Ob diese Wendung schon von Heraklit oder erst später vollzogen wurde, kann hier da­ hingestellt bleiben. In der erwähnten medizinischen Abhandlung geht sie mit der kreationistischen These einher, »die Götter« hät­ ten »die N ­ atur von allem geordnet (diekosmêsan)«; das spricht eher gegen eine Anleihe bei Heraklit, da nach Heraklit »diesen kosmos keiner der Götter oder Menschen gemacht« hat.102 Naturwissenschaftliche Erklärungen rekurrieren bei Aristote­ les auf die jeweiligen Naturen der beteiligten Gegenstände, durch die diese als Exemplare ihrer jeweiligen Art gekennzeichnet sind. Ein Rekurs auf eine gemeinsame Natur aller Naturdinge oder gar auf eine universelle, Naturdinge und Artefakte übergreifende Ge­ setzmäßigkeit kommt nicht in Betracht. Nach der Mimesisthese ist stattdessen mit voneinander unabhängigen, aber analogen Struk­ turen und Funktionsweisen in den unterschiedlichen Bereichen zu rechnen. Die Bereiche illustrieren einander. Aber sie werden von keiner einheitlichen Theorie erfasst.

100 

Heraklit, DK 22 B 114 (Schluss). Heraklit, DK 22 B 114 (Anfang). 102  [Hippokrates], De victu 11.13 (Jones); Heraklit, DK 22 B 30. 101 

L

Gottfried Heinemann

1.5  Aristoteles und die moderne Naturwissenschaft Die aristotelische Naturwissenschaft ist anders als die heutige. In vielen Fällen stellt sich das so dar, dass wir heute etwas besser wis­ sen, als es Aristoteles zu wissen glaubte, oder dass aristotelische Fehler und Irrwege korrigiert worden sind. Aber das heißt eigent­ lich nur, dass sich die seitherige Wissenschaftsgeschichte als Fort­ schritt interpretieren lässt. Gewiss kann sie das. Aber ohne weitere Differenzierungen ist das ziemlich uninteressant. Erstens: Die aris­ totelische Naturwissenschaft unterscheidet sich von der heutigen in ihren Fragestellungen, Grundannahmen und Methoden sowie in ihren Resultaten. Die Frage des wissenschaftlichen Fortschritts stellt sich in jeder dieser Hinsichten ganz unterschiedlich. Zwei­ tens: Die heutige Wissenschaft ist eben die heutige, d. h. Anfang des 21. Jh., über die kein Mensch einen Überblick hat. Entscheidendes, woran man bei dem Stichwort »heutige Wissenschaft« denken mag, gehört zur Neuen Wissenschaft des 17. Jh. (etwa seit Galilei) und kennzeichnet ihre Abstandnahme von der aristotelischen Tradition. Anderes ist neu – und wiederum als Abstandnahme von diesen An­ fängen interpretierbar. Und drittens ist, wie bei Aristoteles, auch heute zwischen Naturwissenschaft und philosophischer Grundle­ gung der Naturwissenschaft zu unterscheiden. – Jeder gehaltvolle Vergleich muss deshalb exemplarisch ausfallen.103 1.5.1  Naturwissenschaftliche Tatsachen Aufgabe der Naturwissenschaft ist nach Aristoteles, und nicht an­ ders auch heutiger Auffassung,104 die Feststellung und systemati­ sche Darstellung der einschlägigen Tatsachen und ihre Erklärung. 1.5.1.1  Tatsachen sind teils singulär (die Erde ist eine Kugel, die­ ser Stern hat Planeten), teils allgemein (Oktopoden bebrüten ihre 103  Vgl.

für die Biologie Heinemann / Timme (Hg.) 2016. Im Zu­sam­ men­hang mit der Physikvorlesung erwähne ich vor allem Galilei und Newton. 104  Vgl. beispielsweise die einleitenden Bemerkungen in Tetens 2010 und Woodward 2019.

Einleitung LI

Eier, die Strecken, die beim freien Fall nacheinander in gleichlan­ gen Zeiten zurückgelegt werden, verhalten sich wie die ungeraden Zahlen 1, 3, 5, 7, …).105 Naturwissenschaftliche Erklärungen rekur­ rieren bei Aristoteles letztlich auf diejenigen dispositionalen Eigen­ schaften der beteiligten Dinge, die ihre Natur ausmachen. Dem entspricht nach neuzeitlicher und heutiger Auffassung ein Rekurs auf Naturgesetze; aber die Einzelheiten bleiben umstritten.106 Hinsichtlich der Tatsachen liegt es nahe, die Wissenschaftsent­ wicklung als kumulativen Fortschritt zu beschreiben: Heute wird gewusst, was zuvor unbekannt war, aber was zuvor schon bekannt war (z. B. die Kugelgestalt der Erde), wurde seither nicht verges­ sen;107 Kenntnisse entwickeln sich durch Kritik und Korrektur – da­ bei rechnen Optimisten eher mit der Korrektur von Irrtümern als mit dem Entstehen neuer Irrtümer durch die Korrektur vermeint­ licher Irrtümer. Aristoteles kennt die Kugelgestalt der Erde und den Unterschied zwischen Walen und Fischen; aber er irrt hinsicht­ lich der Zahl der Herzkammern und bestreitet die tägliche Erd­ rotation.108 Die Angaben über die Zahl der Herzkammern wurden durch Galenos (2. Jh. n. Chr.) aufgrund eingehender anatomischer 105 

Über Exoplaneten siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_extra solarer_Planeten (aufgerufen 2020-01-07); zur Brutpflege von Oktopo­ den (und Sepien) Aristoteles, HA V 12, 544 a13–15 und 18, 550 b1 ff. dazu Epstein 2019, 306 f. und 408. Zur obigen Formulierung des Fallgesetzes vgl. Galilei, Discorsi, Ed. Naz. VIII, p. 210, Dellian p. 206 (= De motu naturaliter accelerato, Thm. II, Prop. II, Corollarium I). 106  Vgl. Carroll 2020, Woodward 2019. 107  Auch diese Sicht ist zu einfach, da Tatsachen nicht unabhängig von ihrer sich wandelnden Beschreibungweise identifiziert werden können. Beispielsweise muss die Wissenschaftshistorie (ebenso übrigens auch die Wissenschaftsdidaktik) die folgenden drei Tatsachen irgendwie unter einen Hut bringen: (i) dass die Erde eine Kugel ist, (ii) dass die Erde keine Kugel ist, sondern ein Rotationsellipsoid, (iii) dass die Erde wegen der Unebenheit ihrer Oberfläche weder eine Kugel noch ein Rotations­ ellipsoid ist. 108  Zur Gestalt und Ruhe der Erde Cael. II 14 (s. o. 1.1.1.2); über Wale und Fische HA I 6, 490 b 7–9. Zu den Herzkammern bes. HA I 17, 496 a 4 ff. und PA III 4, 666 b21 ff.; dazu Zierlein 2005 (bes. 59 f.).

LII

Gottfried Heinemann

Untersuchungen richtiggestellt.109 Die von Aristoteles und Ptole­ maios (2. Jh. n. Chr.) gegen eine tägliche Erdrotation vorgebrachten physikalischen Einwände wurden erst von Galilei entkräftet. Man sieht hier, dass sich die Feststellung und die Erklärung von Tat­ sachen nicht immer trennen lassen: Die Annahme einer täglichen Erdrotation impliziert, dass auch Dinge an dieser Bewegung teil­ nehmen, die im Verhältnis zur Erde ruhen und mit ihr nur lose verbunden sind. Wenn sich dafür keine Ursache angeben lässt, ist die Annahme unhaltbar. Sie erzeugt einen Erklärungsbedarf, den die aristotelische Naturwissenschaft nicht einlösen kann; durch das Trägheitsprinzip der Neuen Wissenschaft wird dieser Erklärungs­ bedarf eliminiert. Tatsachen können auf verschiedene Weisen festgestellt werden: Sie können allgemein bekannt sein; sie können durch eigene Be­ obachtung oder sachkundige Auskunft bekannt werden; die Beob­ achtung kann spezielle Beobachtungsmethoden und -instrumente erfordern, z. B. Sektionen in der aristotelischen Biologie.110 Auf Messungen stützt sich in der antiken Wissenschaft vor allem die Astronomie; Experimente im engeren Sinne (s. u.) sind selten. Tat­ sachen werden von Aristoteles teils gemeinsprachlich beschrieben, teils mit ergänzender Fachterminologie sowie einer Notation, die auf (nicht überlieferte) schematische Zeichnungen verweist.111 Bio­ logische Tatsachen beschreiben insbesondere auch die Anatomai, ein (verlorener) anatomischer Atlas in 6 oder 7 Büchern, auf den Aristoteles immer wieder verweist.112 Die Mathematik beschreibt die naturwissenschaftlichen Tatsachen nach Phys. II 2 nur in drei Teilbereichen (Optik, Harmonielehre und Astronomie) exakt. Sie tut es nicht bei den natürlichen und erzwungenen Bewegun­ gen leichter und schwerer Körper; die quantitativen, teilweise als Proportionsgleichungen spezifizierte Angaben (vor allem) in der Physikvorlesung und in De caelo sind unter einem entsprechenden

109 

Vgl. Kullmann 2011b, 486. Vgl. Kullmann 2007, 131. 111  Zur philosophischen Terminologie dann unten 3.2. 112  Zu den Anatomai vgl. Hellmann 2004 und von Lieven / Humar 2017. 110 

Einleitung LIII

Vorhalt zu interpretieren.113 Die Darstellung naturwissenschaft­ licher Tatsachen durch mechanische Modelle ist wohl nach-aris­ totelisch.114 Sie wird hier erwähnt, weil sie zur Vorgeschichte der neuzeitlichen Uhren- und Maschinenmetaphern gehört.115 1.5.1.2  Die Feststellung allgemeiner Tatsachen geht über die je­ weils beobachteten Einzelfälle hinaus. Das heißt aber nicht, dass allgemeine Tatsachen aus einzelnen Tatsachen erschlossen sein müssten. Die Frage nach der Zulässigkeit eines solchen Schlusses, das sog. Induktionsproblem, stellt sich für Aristoteles nicht, da die Feststellung allgemeiner Tatsachen durch »Induktion« (epagôgê)

113  Vgl.

Hussey 1983, 187 f. – Einschlägige Kapitel in der Physikvor­ lesung sind vor allem Phys. IV 8 (215a 24–216 a 26), VII 5, VIII 10. Zur sog. aristotelische »Dynamik« insgesamt Ross 1936, 26–33; Hussey 1983, 185–200 (Übersicht über alle einschlägigen Aristoteles-Stellen ebd. 186 f.); Rovelli 2015. Nach Hussey handelt es sich um keine systematisch ausgearbeitete Theorie, sondern eher um »a series of brilliant improvi­ sations to deal with each phenomenon in turn« (1983, 200). Demgegen­ über rekonstruiert Rovelli die aristotelische Theorie der natürlichen und erzwungenen Ortsbewegung als eine nichttriviale und in ihrem Anwen­ dungsbereich – der Bewegung im flüssigen oder gasförmigen Medium – »korrekte Approximation der Newtonschen Physik« (2015, 28). 114  Die Himmelsgloben des Archimedes kommentiert Cicero (De re publ. I 21 f. und bes. Tusc. I 63; dazu Price 1974, 56 ff. und Hannah 2017, 88 ff.). Erhalten sind aus einem Schiffbruch die Reste des (nach dem Fundort so benannten) Antikythera-Apparats, der die Himmelsbewe­ gungen durch ein kurbelgetriebenes Zahnradgetriebe simuliert und den Stand von Sonne und Mond sowie nach neueren Rekonstruktionen auch der Planeten durch Zeigerstellungen anzeigt. Vgl. die bahnbrechende Ar­ beit von Price (1974), zum heutigen Forschungsstand den Artikel »Anti­ kythera mechanism« in der englischen Wikipedia. 115  Anders als Platon interessiert sich Aristoteles weniger für die durch Zahnradgetriebe darstellbaren numerischen Proportionen als für den Antrieb der Himmelsbewegungen, der ihre unaufhörliche Gleichförmig­ keit garantiert. Diesen simuliert erst – durch Hinzufügung von Gewichts­ antrieb (o. ä.) und Hemmung (z. B. Unruh, seit Galilei auch Pendel) – die astronomische Uhr (vgl. Bedini 1980, 24 f.).

LIV

Gottfried Heinemann

vielmehr eine komplexe Leistung der Wahrnehmung ist.116 Die Verlässlichkeit dieser Leistung ergibt sich aus einer grundlegenden Regularitätsannahme. Das natürliche Geschehen ist nach Aristo­ teles nicht durchgängig gesetzmäßig, sondern einerseits durch die Naturen der beteiligten Dinge und andererseits durch heterogene Störfaktoren (symbebêkota) bestimmt. Die Störungen sind regellos; die Störfaktoren grundsätzlich unübersehbar: Alles, was durch Natur ist, und nichts, was zufällig oder irgend­ wie von selbst ist, kommt entweder immer oder meistens so zu­ stande.117 Für das sog. Induktionsproblem heißt das, dass die Beobachtung gestörter Einzelfälle nicht zu einer irrigen, sondern zu gar keiner Verallgemeinerung führt: Wegen der Regellosigkeit der Störungen »kommt« die Wahrnehmung dabei gar nicht »zum Stehen«;118 die »Induktion« ist dann nicht fehlerhaft, sondern sie findet gar nicht erst statt. Vor diesem Hintergrund zeigen sich drei wichtige Unterschiede zwischen der aristotelischen und der neuzeitlichen Naturwissen­ schaft: (i) Allgemeine Tatsachen bestehen nach neuzeitlicher Auffassung ausnahmslos. Störungen eines gesetzmäßigen Ablaufs resul­ tieren aus zusätzlichen Gesetzmäßigkeiten: Sie unterbrechen nicht die Regularität des Geschehens; sondern diese Regulari­ tät ist die Kombination aller Gesetzmäßigkeiten, die den jewei­ ligen Vorgang betreffen. Insbesondere ergibt sich das Resultat einer Einwirkung unterschiedlicher Kräfte durch deren Addi­ Vgl. APo II 19, 100 a15– b5 (epagôgê: b4). Das sog Induktionsprob­ lem wird meist mit Hume in Verbindung gebracht (vgl. z. B. Henderson, 2019). Tatsächlich hat bereits Sextus Empiricus (PH II 204) die »Induk­ tion« (epagôgê) als einen ungültigen Schluss vom Besonderen auf das All­ gemeine charakterisiert; vgl. Strobach 2015a, 159 f. 117  Phys. II 8, 198 b 34–36; dazu Cooper 1982/2004, 112n4 sowie Hei­ nemann 2016c, 253.. 118 »Stehenbleiben«: APo II 19, 100 a12: stantos etc. – dazu McKirahan 2018. 116 

Einleitung LV

tion (als Vektoren: sog. Parallelogramm der Kräfte) und nicht, wie bei Aristoteles, nach der Überlegenheit (so dass der stär­ kere Faktor wirkt und der schwächere wirkungslos bleibt).119 (ii) In den Experimenten der neuzeitlichen Wissenschaft werden einzelne Gesetzmäßigkeiten isoliert, die normalerweise nur in Kombination mit anderen Gesetzmäßigkeiten beobachtbar sind. – Von Aristoteles her stellt sich dabei die Frage nach der Übertragbarkeit: Experimente sind technische Verfahren zur Erzeugung bestimmter Phänomene, z. B. bestimmter Mess­ werte. Das Funktionieren des Verfahrens (d. h. die Reprodu­ zierbarkeit des Experiments) wird als naturwissenschaftliche Tatsache interpretiert. Diese Interpretation wird durch die bekannten Metaphern nahegelegt: Nach Bacon »wird ­Natur nicht anders besiegt, als indem man ihr gehorcht«.120 Wenn das Funktionieren des Verfahrens ein Sieg ist, dann hat man also der Natur gehorcht, und die Phänomene, die das Experi­ ment zeigt, sind naturgemäß. Ähnlich könnte Aristoteles mit der Mimesisthese argumentieren. Tatsächlich unterstellt die Neue Wissenschaft des 17. Jahrhunderts aber keine Analogie zwischen verschiedenen Bereichen von Vorgängen und Dingen, sondern einen einheitlichen, mit einheitlichen Beschreibungs­ mitteln erfassten Bereich. (iii) Ausgangspunkt sind dabei zwei notorische Schwachstellen der aristotelischen Naturwissenschaft: die Theorie des Wurfs und die Analyse von Bewegungsanfängen. Galileis Theorie der »natürlich beschleunigten Bewegung« liefert eine mathema­ tische Analyse, die beiderlei Vorgänge gleichermaßen erfasst. Die von Galilei unterstellte »größte Affinität von Zeit und Bewegung« erlaubt eine Charakterisierung der »natürlich be­ schleunigten« Bewegung als »gleichförmig beschleunigt«. Der Unterschied zur »gleichförmigen« Bewegung wird auf den Unterschied zwischen den Proportionsgleichungen v ~ t und s ~ t Vgl. Cael. I 2, 269 a 2 u. ö.: kata to epikratoun (sog. Prädominanz­ prinzip, s. u. 2.3.6.2). 120  Bacon, Novum Organum I Aph. 3 (Krohn p. I, 80): natura non nisi parendo vincitur. 119 

LVI

Gottfried Heinemann

reduziert.121 War nach Aristoteles die Zeit »etwas an der Bewe­ gung«,122 so wird sie nun zur unabhängigen Va­r iablen; die Be­ schreibung von Vorgängen durch mathematische Funktionen der Zeit (mit der Variablen t) wird verbindlich für die Physik und weite Bereiche der Naturwissenschaft. – Nach Aristoteles »macht die Natur nichts Überflüssiges«. Das heißt, jedes natür­ liche Merkmal einer biologischen Art hat eine Funktion, und die natürliche Kreisbewegung der Gestirne resultiert nicht aus der Überlagerung mit einer entgegengesetzten.123 Galilei gibt diesem aristotelischen Grundsatz eine neue Anwendung: Auch die Geschwindigkeitszunahme beim Fallen eines Körpers muss »in der einfachsten und nächstliegenden Weise« erfol­ gen, d. h. mit gleichen Geschwindigkeitszuwächsen in gleichen Zeiten.124 Die aristotelische Ökonomie der Natur betrifft bei Galilei den mathematischen Aufwand, der zur B ­ eschreibung naturwissenschaftlicher Tatsachen erforderlich ist.

121 

Galilei, Discorsi, Ed. Naz. VIII p. 197 f. (vgl. Dellian p. 188–190): maxima temporis atque motus affinitas; demgemäß dann: motus natura­ liter acceleratus = motus aequabiliter, seu uniformiter, acceleratus. Die obigen Proportionsgleichungen sind in lateinischer Prosa formuliert: »gleichförmig« ist die Bewegung, cuius partes quibuscunque temporibus aequalibus a mobili peractae, sunt inter se aequales (ebd. 191 – d. h. s ~ t); »gleichförmig beschleunigt« ist die Bewegung, qui, a quiete recedens, temporibus aequalibus aequalia celeritatis momenta sibi superaddit (ebd. 198 – d. h. v ~ t, mit s = Weg, t = Zeit, v = Geschwindigkeit). 122  Phys. IV 11, 219 a10; s. u. 2.1.4.2. 123 Vgl. PA IV 11, 691b 4 (zit.); die astronomische Anwendung ist Cael I 4, 271a 22–33. Statt »überflüssig« (periergon) schreibt Aristoteles meist »umsonst« (matên, d. h. »zwecklos« oder »vergebens«). Vgl. unten 2.3.5.3, mit weiteren Stellen- und Literaturangaben. 124 Galilei, Discorsi, Ed. Naz. VIII p. 197 f. (vgl. Dellian p. 189 f.) – Ga­ lilei sagt (ebd. 197) ausdrücklich, dass er den Leitsatz aus anderen An­ wendungsbereichen auf die Analyse von Bewegungsanfängen überträgt. Zum Ausschluss der Alternative, dass gleiche Geschwindigkeitszuwächse nicht in gleichen Zeiten, sondern auf gleichen Strecken erfolgen, ebd. 203 f. (Dellian p. 197 f.).

Einleitung LVII

1.5.2  Naturwissenschaftliche Erklärungen Kolumbus entdeckte Amerika, Galilei das Fallgesetz und Darwin das Entstehen der biologischen Arten. 1.5.2.1  Die Meinung, dass die Leistung der Naturwissenschaft vor allem in der Entdeckung von Tatsachen bestehe, und zwar insbesondere von allgemeinen Tatsachen und Naturgesetzen, ver­ schiebt die Gewichte in zweifacher Weise. Erstens. Die vier Grundfragen der aristotelischen Wissenschaft – (i) ob und (ii) warum etwas Bestimmtes der Fall ist, (iii) ob etwas Bestimmtes existiert, und wenn ja, (iv) was es ist – ergänzen einan­ der. Nach APo II 1 geht die Feststellung der Tatsachen gemäß (i) und (iii) ihrer Erklärung gemäß (ii) und (iv) voraus (s. o. 1.2.2.1). Sie ist insofern eine selbständige Leistung wissenschaftlicher For­ schung, aber zur Aufgabe der Wissenschaft gehört dann ebenso auch die Erklärung der zuvor festgestellten Tatsachen. Die philo­ sophischen Vorüberlegungen zur Naturwissenschaft in der Physik­ vorlesung betreffen vor allem die letztere Aufgabe; für die erstere scheint eine solche Vorüberlegung entbehrlich zu sein. Demgegenüber handelt es sich in der Neuen Wissenschaft Ga­ lileis und seiner Nachfolger um die Feststellung komplexer funk­ tionaler Zusammenhänge, durch die der Ablauf bestimmter Vor­ gänge gesetzmäßig – und das heißt: naturgesetzlich – festgelegt ist. Deren Kenntnis impliziert einen neuen Typus kausalen Wissens: Die Werte der physikalischen Größen, die in einen naturgesetz­ lichen Zusammenhang eingehen, sind Ursachen in einem nahelie­ genden, technischen Sinn. Denn die resultierenden Abläufe lassen sich über sie kontrollieren; der naturgesetzliche Zusammenhang erschließt sich aus dem Gelingen dieser Kontrolle im Experiment. Solche Größen, z. B. auch (newtonsche) Kräfte oder Bewegungsund Energiezustände, sind aber keine effizienten Ursachen gemäß Phys. II 3 (s. u. 2.3.5.2 und 2.3.6.1), und sie liefern keine wissen­ schaftlichen Erklärungen im aristotelischen Sinn. Zweitens. Naturwissenschaftliche Erklärungen rekurrieren bei Aristoteles letztlich auf diejenigen dispositionalen Eigenschaften der beteiligten Dinge, die deren Natur ausmachen. Was eine Natur hat, ist nach Phys. II 1 ist ein Naturding und als solches ontologisch

LVIII

Gottfried Heinemann

fundamental (eine ousia); seine Natur wird auf seine definitions­ gemäße Form sowie das zugehörige Material zurückgeführt. Sach­ gemäße Ausgangspunkte naturwissenschaftlicher Erklärungen und somit naturwissenschaftliche Prinzipien sind daher die durch Definitionen angezeigten dispositionalen Eigenschaften der Natur­ dinge, durch die diese als Gegenstände ihrer jeweiligen Art gekenn­ zeichnet sind. Naturdinge verschiedener Art unterscheiden sich in diesen Eigenschaften und somit in ihrer Natur. Das gilt insbeson­ dere für biologische Arten. Die Eigenheiten ihrer jeweiligen Natur sind als sachgemäße Ausgangspunkte naturwissenschaftlicher Er­ klärungen unhintergehbar. Demgegenüber unterstellt die Neue Wissenschaft Galileis und seiner Nachfolger eine einheitliche Natur des primären Gegen­ stands der Naturwissenschaft, der Materie:125 Diese löst bei Gali­ lei die unterschiedlichen Grundstoffe ab, die bei Aristoteles durch unterschiedliche, geradlinige bzw. kreisförmige, natürliche Be­ wegungen gekennzeichnet sind.126 Bei Descartes ist die Natur der Materie das bloße Ausgedehntsein.127 Hierdurch sind ihre kausalen Eigenschaften festgelegt; die Eigenschaften komplexer Dinge und insbesondere auch die Funktionsweise lebendiger Körper sollen sich »nach den Regeln der Mechanik, welche dieselben sind wie diejenigen der Natur«, aus den kausalen Eigenschaften der Mate­ rie ergeben.128 Die Maschinenmetapher, die dies illustriert, ist nur 125  Die

Vorgeschichte dieses Begriffs der Materie kann bis in die von Aristoteles zurückgewiesenen Lehren der frühen griechischen Philosophie zurückverfolgt werden (vgl. Detel 1980, 871 ff.). Mit dem aristotelischen Begriff des Materials (hylê) hat er nur wenig gemein: Material im aristote­ lischen Sinn ist immer das Material von etwas; ein Stoff ist nur insofern Ma­ terial, als er als das Material von etwas fungiert (ebenso Detel 1980, 874 f., aber mit anderer Verwendung der Vokabeln ›Material‹ und ›Materie‹). 126  Machamer 2017, § 3 (zit. § 1) beschreibt den wissenschaftlichen Werdegang Galileis unter diesem Gesichtspunkt: »focusing … on his ar­ guments concerning the nature of matter«. 127  Vgl. Descartes, Princ. II, § 4 (AT VIII, 42) u. ö. – Daher Materie = res extensa. 128  Vgl. Descartes, Disc. V, § 6 (AT VI, 50.11–18) u. ö.; zit. ebd. § 8 (AT VI, 54.26–27).

Einleitung LIX

ein Notbehelf. Sie zeigt ein reduktionistisches Programm an, das Descartes, statt es einzulösen, an die erfindungsreicheren und ge­ schickteren »Hände Gottes« delegiert – und dessen Einlösbarkeit (in den unterschiedlichsten Versionen) bis heute umstritten bleibt.129 Die aus der Neuen Wissenschaft Galileis und seiner Nachfolger hervorgegangenen Disziplinen liefern Erklärungen, deren Aus­ gangspunkte ihrerseits erklärungsbedürftig sind. Die Erklärungen bleiben fragmentarisch; Vermutungen über fundamentale Struktu­ ren und Entitäten, d. h. nicht nur über Existenz und Eigenschaften der cartesischen Materie, der Elementarteilchen des heutigen Stan­ dardmodells, der Einstein’schen Raumzeit usf., sondern über ihre Unhintergehbarkeit als Erklärungsprinzipien, bleiben unsicher und spekulativ. Methodische Sicherheit gewinnt auch die heutige Natur­ wissenschaft eher bei der Feststellung von Tatsachen als bei ihrer letztlichen Erklärung. 1.5.2.2 »Mensch wird aus Mensch«, und »Mensch zeugt Mensch«.130 Dieser oft wiederholte aristotelische Slogan bekräf­ tigt den Primat des Seins vor dem Werden und charakterisiert zu­ gleich dieses Sein als Gewordensein. Er besagt insbesondere, dass biologisches Werden biologisch zu erklären ist: unter Rekurs auf die Natur des Erzeugers und als deren Reproduktion im Erzeug­ nis. Die spezifische Natur, durch die Mensch als Mensch, Hund als Hund und Ölbaum als Ölbaum gekennzeichnet ist, verändert sich nicht, sondern sie wird in der Abfolge der Generationen repro­ duziert. Das muss nicht heißen, dass sich die Individuen einer Art gleichen müssten. Das Resultat des Werdens ist auch in ihrem Falle durch die sich reproduzierende Natur und die dabei auftretenden Komplikationen bestimmt. 129 

Zur Maschinenmetapher vgl. Disc. V, § 9–11 (AT VI, 55–59), dann auch Princ. IV, § 188 (AT VIII, 315); zit. Disc. V, § 9 (AT VI, 56.6). Zur Geschichte des Reduktionismus und Antireduktionismus in der Philo­ sophie der Biologie vgl. Brigandt / Love 2017, § 2. 130  Vgl. einerseits Phys. II 1, 193b 8; Met. VII 1034 b 2 u. ö.: (gignetai) anthrôpos ex anthrôpou. Andererseits Phys. II 3, 194b13 und 7, 198 a 26; Met. VII 7, 1032 a 25 u. ö.: anthrôpos anthrôpon gennai . Dazu Oehler 1963; Strobach 2016, 198 ff.

LX

Gottfried Heinemann

Die spezifische Natur markiert somit ein spezifisches Optimum, das als Ziel der Entwicklung – und daher auch als Bezugspunkt teleologischer Erklärungen – fungiert.131 Wenn das tatsächliche Re­ sultat der Entwicklung dahinter zurückbleibt, ändert das nichts an dem Optimum als solchem: die spezifische Natur bleibt unbetrof­ fen, und sie wird entweder gar nicht oder unverändert weitervererbt. In der Abfolge der Generationen wird somit mit der spezifischen Natur die Einschlägigkeit des spezifischen Optimums, aber nicht die jeweilige Abweichung von diesem Optimum weitergegeben. Der Darwinismus bestreitet nicht nur die Konstanz der Arten, sondern auch den Grundsatz, dass die Natur nichts Überflüssiges macht. Biologische Merkmale sind nicht ausschließlich durch bio­ logische Funktionen, sondern nur unter Berücksichtigung der Ab­ stammungsverhältnisse erklärbar. Biologische Erklärungen rekur­ rieren auf kein spezifisches Optimum, sondern auf ein Minimum an Anpassung, das unter gegebenen Bedingungen für einen Fortpflan­ zungserfolg hinreichend ist. Dabei argumentiert Darwin aber nicht gegen Aristoteles, sondern gegen eine kreationistische, mit dem Christentum verbundene Lehre, wonach die biologischen Arten einzeln und in Anpassung an ihre jeweilige Umwelt und Lebens­ weise erschaffen wurden.132 Diese unterscheidet sich von Aristo­ teles zwar nicht in der Annahme einer Konstanz der Arten, wohl aber darin, dass sie biologische Tatsachen letztlich nicht biologisch, sondern durch eine göttliche Absicht erklärt. Insbesondere werden teleologische Zusammenhänge auf eine entsprechende Absicht zu­ rückgeführt, entsprechend dem Grundsatz, dass das Streben nach einem Ziel dessen Erkenntnis voraussetzt.133 Vor diesem Hinter­

131  Demgemäß

die in Phys. II 7 angegebene Normalform teleologi­ scher Erklärungen: »weil es so besser ist – nicht schlechthin, sondern das Bessere nach Maßgabe der Substanz des jeweiligen Gegenstandes (… pros tên hekastou ousian)«. Dazu Heinemann 2016c. 132  Vgl. Kitcher 2007, 44 ff. (Stellenangaben in Darwins Origin ebd. 171 f., Anm. 29–34). 133  Eine klassische Formulierung ist in Thomas v. Aquins Kommentar zur Physikvorlesung (In Phys. II xii 1, S. 90; zu Phys. II 8, 198 b10–16): »… was kein Ziel erkennt, strebt auch nach keinem Ziel, außer wenn es

Einleitung LXI

grund lässt sich der Darwinismus einerseits als weitere Abkehr, an­ dererseits aber geradezu als Rückkehr zu Aristoteles interpretieren, nämlich zu einer Biologie, die biologische Tatsachen, und insbe­ sondere auch funktionale Zusammenhänge, biologisch erklärt.134

2.  Ausgewählte Begriffe und Themen 2.1 Bewegung Naturdinge sind bewegt (wenn auch nicht immer alle zugleich). Das ist die hypothesis, mit der Aristoteles den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft erstmals umreißt.135 Der Begriff der Bewegung wird von Aristoteles in mehreren Schritten erläutert. Nach moderner Auffassung ist Bewegung nichts anderes als der Sachverhalt, dass sich etwas zu verschiedenen Zeiten an ver­ schiedenen Orten und zu dazwischenliegenden Zeiten an dazwi­ schenliegenden Orten befindet.136 Der Zeitbegriff ist hier dem Bewegungsbegriff vorgeordnet; die Bewegung wird anhand eines vorgegebenen zeitlichen Rahmens beschrieben. Nach Aristoteles ist umgekehrt der Bewegungsbegriff dem Zeitbegriff vorgeordnet: Zeit ist »etwas an der Bewegung«;137 zeitliche Unterscheidungen werden anhand gegebener Bewegungen getroffen und können des­ halb bei der Erörterung des Bewegungsbegriffs nicht umstandslos vorausgesetzt werden.

von etwas anderem, welches das Ziel erkennt, darauf gerichtet wird, wie der Pfeil vom Schützen.« Dazu Heinemann 2016c, 232 f.; weitere Belege bei Toepfer (2011 III, 791 f.). Vgl. auch unten 2.3.5.3. 134  Zu Darwins (sehr später) Aristoteles-Rezeption vgl. Gotthelf 1999; zur Teleologie bei Darwin ebd. 23 (bes. Anm. 42). 135  Phys. I 2, 185a12–13: ἡμῖν δ’ ὑποκείσϑω τὰ φύσει ἢ πάντα ἢ ἔνια κινούμενα εἶναι. 136  Russell 1901, 372: »motion consists merely in the fact that bodies are sometimes in one place and sometimes in another, and that there are intermediate places at intermediate times«. 137  Phys. IV 11, 219 a 9–10: tês kinêseôs ti.

LXII

Gottfried Heinemann

2.1.1  Anfangs- und Endzustände Nach Aristoteles »ist jede Bewegung aus etwas in etwas«.138 Das heißt, Bewegung ist der Übergang eines Gegenstandes x aus einem Anfangszustand A in einen Endzustand B. 2.1.1.1  Was das heißt, lässt sich in einem ersten Schritt anhand des Widerspruchssatzes erläutern. Dessen ausführliche Formulie­ rung im IV. Buch der Metaphysik lautet: »Dass dasselbe demselben Gegenstand in derselben Hinsicht zugleich zukommt und nicht zu­ kommt, ist unmöglich.«139 Das Wort »zugleich« (hama) wird meist im Sinn von »zur selben Zeit« verstanden. Durch einfache logische Umformung ergibt sich: Wenn etwas demselben Gegenstand in derselben Hinsicht zukommt und nicht zukommt, dann notwendi­ gerweise zu verschiedenen Zeiten. Man kann das Wort »zugleich« aber auch als eine bloße Verstärkung des »und« auffassen. Durch dieselbe Umformung wie oben ergibt sich: Wenn etwas demselben Gegenstand zukommt und nicht zukommt, dann notwendigerweise in verschiedenen Hinsichten. Die Unterscheidung von Zeiten lässt sich demgemäß als eine Unterscheidung von Hinsichten interpre­ tieren, unter denen etwas einerseits der Fall ist und andererseits nicht. Und ebenso für beliebige einander ausschließende Zustände A und B: Der Gegenstand x kann sich nicht zugleich in beiden Zu­ ständen befinden, sondern das kann er nur zu unterschiedlichen Zeiten. Das heißt: Er kann von dem einen Zustand in den anderen Zustand übergehen, und anhand dieses Übergangs werden die Zei­ ten unterschieden, zu denen er sich in diesen Zuständen befindet. Die Auffassung der Bewegung als Übergang aus einem Anfangs­ zustand in einen Endzustand besagt insbesondere, dass Bewegungen Phys. V 1, 224b1 (u. ö.): pasa … kinhsis ek tinos kai eis ti. 139  Met. IV 3, 1005 b19–20: τὸ γὰρ αὐτὸ ἅμα ὑπάρχειν τε καὶ μὴ ὑπ­ άρχειν ἀδύνατον τῷ αὐτῷ καὶ κατὰ τὸ αὐτό. – Ein Apfel kann auf der einen Seite rot sein und zugleich auf der anderen nicht. Das heißt in der Terminologie des Widerspruchssatzes: Er ist in der einen Hinsicht rot und in der anderen nicht. Die Klausel »in derselben Hinsicht« (kata to auto) stellt klar, dass dies durch den Widerspruchssatz nicht ausgeschlossen sein soll. 138 

Einleitung LXIII

Anfang und Ende haben. Das schließt nicht aus, dass unterschied­ liche Bewegungen unmittelbar aneinander anschließen; aber jede von ihnen ist endlich, und es fällt nur das Ende der einen mit dem Anfang der nächsten zeitlich zusammen. Die einzige von Aristoteles zugelassene Ausnahme ist die unaufhörliche, gleichförmige Kreis­ bewegung der Himmelskörper. Und bei ihr fragt sich, ob sie über­ haupt durch die aristotelische Erläuterung des Bewegungs­begriffs erfasst wird. Wird die Bewegung als Übergang von A nach B aufge­ fasst, dann ist bei Kreisbewegungen A = B, und der Widerspruchssatz ist nicht mehr anwendbar.140 Solche Anomalien sind u. a. auch des­ halb bemerkenswert, weil an ihnen der Unterschied zwischen aris­ totelischer und neuzeitlicher Wissenschaft illustriert werden kann. 2.1.1.2  Der aristotelische Bewegungsbegriff umfasst verschie­ dene Arten des Übergangs. Als »Bewegung« (kinêsis) gilt jede Ver­ änderung, die an einem Gegenstand stattfinden kann: nicht nur der – Wechsel des Orts, an dem er sich befindet (Veränderung in der Kategorie des Wo), sondern auch die – Änderung seiner Größe (Veränderung in der Kategorie der Quantität) sowie die – Änderung einer Eigenschaft, die er zusätzlich dazu, dass er ein Gegenstand von bestimmter Art ist, besitzen kann oder nicht (Veränderung in der Kategorie der Qualität). An einigen Stellen (z. B. in Phys. III 1, dazu unten 2.1.3) gilt über­ dies auch das – Entstehen des Gegenstandes (Änderung in der Kategorie der Sub­stanz) als Bewegung. An anderen Stellen (z. B. in Phys. II 1, dazu unten 2.3, und in Phys. V 2, dazu unten 2.4) betont Aristoteles hingegen 140 

Dasselbe gilt für das in Phys. I 7 ausgearbeitete und in Phys. III 1–3 vorausgesetzte Schema 〈 x: -F, F 〉 (s. u. 2.1.2.1).

LXIV

Gottfried Heinemann

die strukturellen Unterschiede zwischen dem Entstehen und den zuvor genannten Bewegungsarten. Der gemeinsame Oberbegriff zu Bewegung und Entstehen ist dann »Änderung« (metabolê). Der aristotelische Bewegungsbegriff ist somit einerseits speziel­ ler als der neuzeitliche, da er stets einen Anfangs- und einen End­ zustand unterstellt. Bereits die Kreisbewegung der Gestirne ist eine Anomalie. Eine Inertialbewegung im Sinne Newtons, d. h. ein »Zu­ stand … gleichförmiger geradliniger Bewegung«, in dem ein Kör­ per »verharrt«, wenn er nicht »durch einwirkende Kräfte« zu seiner Änderung »gezwungen wird«,141 kommt für Aristoteles schon aus begrifflichen Gründen nicht in Betracht. Andererseits ist der aris­ totelische Bewegungsbegriff allgemeiner, da er verschiedene Arten der Änderung umfasst. Das heißt, die unterschiedlichen Arten der Änderung werden nicht, wie in den nach-parmenideischen Kosmo­ logien (Empedokles etc.) und den mechanistischen Weltbildern der frühen Neuzeit (Descartes etc.) auf eine einzige – Ortswechsel, einschl. Verdichtung und Verdünnung, Mischung und Entmischung usf. – reduziert. 2.1.2  Die Minimalstruktur der Bewegung Die aristotelische Erläuterung des Bewegungsbegriffs rekurriert auf Hintergrundwissen, das bei jedem kompetenten Verwender der Alltagssprache vorausgesetzt werden kann.142 Die Auffassung der Bewegung als Übergang eines Gegenstandes x aus einem An­

141 Newton,

Principia, lex i (1726, 13; Koyré/Cohen p. 54; Dellian p. 53).  – »Zustand« etc.: »statu(s) … movendi uniformiter in directum«; »ver­ harrt«: »perseverare«. Ebenso zuvor definitio iii (1726, 2; Koyré / Cohen p. 40; Dellian p. 37). 142  Aristoteles beschreibt diesen Rekurs in Phys. I 1 als einen Über­ gang von dem, was »uns bekannter« ist, zu dem, was »aufgrund seiner Natur (têi physei) bekannter« ist (184 a16 ff.). Dazu Wieland 1970, 69 ff. Beachte aber, dass Aristoteles das »uns Bekanntere« nicht nur »am Leit­ faden der Sprache« (ebd. 141 ff.) aufzeigt, sondern vor allem auch anhand der Verfahrensweisen und des Fachwissens der qualifizierten Berufe (der technê).

Einleitung LXV

fangszustand A in einen Endzustand B verweist auf eine alltäglich vertraute Struktur – kurz notiert: 〈 x: A, B 〉. Das Aufzeigen dieser Struktur in Phys. I 7 ist bereits ein erster Schritt der Auseinanderlegung des Hintergrundwissens, mit der die naturwissenschaftliche Prinzipienforschung beginnt.143 2.1.2.1  Aristoteles beschränkt sich zunächst auf einen Spezial­ fall: das »Werden«, d. h. den Erwerb einer Eigenschaft F, die x zuvor nicht besaß. Der Anfangszustand ist demgemäß durch das »Feh­ len« (sterêsis) dieser Eigenschaft charakterisiert; ich schreibe 〈 x: -F, F 〉 . Dabei kann -F als »nicht F », aber auch als »irgendeine Eigenschaft, die F ausschließt«, gelesen werden; zu dieser scheinbaren Mehrdeu­ tigkeit unten 2.1.3.3. Demselben Schema folgt dann auch die Defi­ nition in Phys. III 1: Was es heißt, sich in Bewegung zu befinden, wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Abschluss der Be­ wegung, und allenfalls unter stillschweigender Voraussetzung des Anfangs, erklärt (s. u.).144 In dem alltagssprachlich vertrauten Schema 〈 x: -F, F 〉 ist x der »zugrundeliegende« Gegenstand, d. h. nach Aristoteles: in der Ka­ tegorie der (ersten) Substanz; und F ist in einer der drei Kategorien Qualität, Quantität oder Wo: Ein Mensch (erste Substanz) wird musisch (Qualität, d. h. wie er am Ende ist);145 Karl wird so groß wie sein Vater (Quantität, d. h. wie groß er am Ende ist); Maria reist nach Berlin (wo sie am Ende ist). Worauf es in Phys. I 7 ankommt, ist dann freilich die Übertra­ gung dieser Struktur auf einen ganz anderen Fall: das »schlichte« 143 

Siehe unten 2.2.5.2 ff. – Zur »Auseinanderlegung« als Methode der aristotelischen Prinzipienforschung vgl. Phys. I 1, 184 a 23: diairousi tauta); dazu Wieland 1970, 85 ff. 144  Erst ab Phys. V wird der allgemeine Fall, dass 〈 A,B 〉 ein konträrer Gegensatz ist, systematisch berücksichtigt. 145  Dies ist das Standardbeispiel in Phys. I 7: gignesthai anthrôpon mousikon (189 b34–35 u. ö.).

LXVI

Gottfried Heinemann

Werden oder Entstehen. Bei schlichtem Werden liegt kein Gegen­ stand (als erste Substanz) zugrunde, sondern der Gegenstand ent­ steht überhaupt erst. Und die erworbene Eigenschaft ist keine, die der Gegenstand haben kann oder nicht, sondern diejenige, welche ihn als einen Gegenstand seiner Art charakterisiert. Das heißt, sie fällt in keine der angegebenen Kategorien, sondern in die Kategorie der (zweiten) Substanz. Anders als in den zuvor betrachteten Fällen kann das Zugrundeliegende deshalb nicht als das Subjekt einer Prä­ dikation und somit als (erste) Substanz eingeführt werden: Es ist kein Gegenstand, sondern bloßes »Material« (hylê) – näher betrach­ tet »eine Portion Material« (hylê arithmêtê),146 die beim Entstehen des Gegenstandes, der dann aus ihr besteht, ebenso erhalten bleibt, wie sie bei der Zerstörung eines anderen Gegenstandes erhalten geblieben ist, der vielleicht zuvor aus ihr bestand.147 Was das heißt, macht man sich am besten an Beispielen klar, die der Sphäre des Herstellens entnommen sind:148 Ein alter Dreifuß wird zerschlagen und eingeschmolzen, aus der Bronze wird eine Statue gegossen; wenn später Götterbilder zu Kirchenglocken und diese schließlich zu Kanonen verarbeitet werden, kann die Portion Bronze stets dieselbe bleiben, und nur die Gegenstände sind andere, die aus ihr gemacht sind. Wieder rekurriert Aristoteles auf Hinter­ grundwissen – in diesem Fall auf eine kompetente Handhabung von Bronze etc. als Material zur Herstellung von anderen Gegen­ standen. Dass dieses Hintergrundwissen wieder nur sein Ausgangs­ punkt ist, lässt sich daran erkennen, dass der beschriebene Vorgang unterschiedliche Beschreibungen erlaubt: Es ist ganz naheliegend und nach materialistischer Auffassung sogar zwingend, die Portion Material als einen dauernden Gegen­ stand zu betrachten, der immer wieder umgeformt wird und so­ mit nacheinander unterschiedliche Eigenschaften annimmt. Man Phys. I 7, 190 b25. – Vgl. meine Anm. zum Text. 147  Beachte: Material ist zunächst immer, woraus etwas besteht (in die­ sem Sinne ist Material »etwas Relatives«, Phys. II 2, 194b 9). Material, aus dem vorübergehend gar nichts besteht, ist ein Sonderfall, ohne den die aristotelische Analyse des Entstehens aber nicht auskommt. 148  Zu den Beispielen für schlichtes Werden in Phys. I 7 s. u. 2.2.5.6. 146 

Einleitung LXVII

kann argumentieren, dass auch Aristoteles in anderen Kontexten diese Auffassung im Hinblick auf Artefakte vertritt.149 Hingegen beschreibt er in Phys. I 7 das Entstehen der Statue gerade nicht als Episode in der unüberblickbar langen Karriere einer Portion Bronze, sondern als den begrenzten Vorgang, bei dessen Abschluss eine Statue existiert, die es zu Beginn des Vorgangs nicht gab. Bei diesem Vorgang spielt die Portion Bronze eine ähnliche, aber nicht dieselbe Rolle wie der zugrundeliegende Gegenstand in den anderen Fällen. Wie dieser liegt sie dem ganzen Vorgang zugrunde: beim Abschluss existiert sie in solcher Weise, dass ein Götterbild von bestimmter Art aus ihr besteht; zuvor bestand etwas anderes aus ihr (was hier aber ohne Belang ist); zu Beginn des Entstehens (d. h. wo die Analyse bei Aristoteles einsetzt) ist die Portion Bronze etwas, woraus gar nichts Bestimmtes besteht. Dergleichen – eine Portion Material, aus der nichts Bestimmtes besteht – ist gewiss kein gewöhnlicher Gegenstand.150 Einen solchen gibt es beim Her­ stellen (als »Zugrundeliegendes«) nicht. Aber man kann sich klar­ machen, dass aus der fachlichen Sicht des Herstellers die Bronze, die er zu einer Statue verarbeitet und deren fachkundige Hand­ habung zu seiner Expertise gehört, eben dies ist: eine Portion Ma­ terial, aus der nichts Bestimmtes besteht.151 2.1.2.2  Der Unterschied zwischen zugrundeliegendem Gegen­ stand x und Material m lässt sich dann so beschreiben: Bei prädi­ kativem Werden ist der Endzustand durch x ist F angegeben (mit F in einer der drei Kategorien Qualität, Quantität oder Wo), bei schlichtem Werden durch aus m besteht ein F,

149 

Vgl. Kosman 2013, 92 f.; Preston 2018, § 2.1 mit Verweis auf Kata­ yama 1999, 18 f. 150  Beachte aber: Ein Quantum Stoff, aus dem nichts besteht, ist viel­ leicht ein ziemliches Unding, aber kein hölzernes Eisen (Simons 1987, 163). 151  Zu diesem »kleinen Kunstgriff« (Wieland 1970, 127) vgl. Heine­ mann 2001, 311 ff.

LXVIII

Gottfried Heinemann

und F ist zweite Substanz. Und entsprechend für den Anfangszu­ stand, der sich bei schlichtem Werden am unaufwendigsten durch aus m besteht kein F angeben lässt. Diese Beschreibung genügt der obigen Bedingung, dass bei schlichtem Werden das Zugrundeliegende nicht als Subjekt einer Prädikation eingeführt werden kann. Aber seine Beschreibung in Analogie zum Subjekt einer Prädikation ist nicht ausgeschlossen. Für die weitere Erläuterung des Bewegungsbegriffs ist der Unter­ schied zwischen m ist ein/kein F und aus m besteht ein/kein F ohne Belang. So betrachtet, beschreibt Phys. I 7 zwei Varianten derselben Struktur, die beide Mal in der Form 〈 x: -F, F 〉 notiert werden kann; dabei ist entweder x in der Kategorie der (ersten) Substanz und F in einer der drei Kategorien Qualität, Quantität oder Wo; oder x ist Material, und F ist in der Kategorie der (zwei­ ten) Substanz. 2.1.3  Prozess und Resultat: Was es heißt, in Bewegung zu sein Bewegung ist, wie gesagt, der Übergang von einem Anfangszustand A in einen Endzustand B. Bewegung findet somit zwischen A und B statt. Dieses in der bisherigen Analyse noch gar nicht erwähnte Dazwischen ist Gegenstand der Definition in Phys. III 1. 2.1.3.1  In Bewegung zu sein, heißt nach moderner Auffassung, sich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und zu da­ zwischenliegenden Zeiten an dazwischenliegenden Orten zu be­ finden.152 Was zwischen Anfangs- und Endzustand stattfindet, ist demnach eine Vielheit von Zwischenzuständen, die jeweils zu unterschiedlichen Zwischenzeiten eintreten. Die Bewegung würde 152 

Russell 1901, 372 (wie eingangs zitiert).

Einleitung LXIX

durch die Angabe von Anfangs- und Endzustand sowie ein Proto­ koll aller Zwischenzustände vollständig beschrieben. Ein solches Protokoll wäre aber gar nicht aufschreibbar. Denn die zu berück­ sichtigenden Zeitstellen liegen dicht (d. h. zwischen je zwei Zeit­ stellen ist eine andere);153 Bewegungen müssen demgemäß durch mathematische Funktionen dargestellt werden, die auf Zeitinter­ vallen definiert sind. Nach Aristoteles ist die Bewegung, sofern sie zwischen Anfangsund Endzustand stattfindet, keine Abfolge von Zwischenzuständen, sondern ein einheitlicher Prozess. Erst in einem zweiten Schritt (Phys. IV 10–14, s. u. 2.1.4.2) erörtert Aristoteles die Gliederung von Bewegungen in zeitliche Abschnitte anhand einzelner Zwi­ schenzustände.154 2.1.3.2  Der Anfangszustand des Werdens wurde in Phys. I 7 als  -F, d. h. als »Fehlen« (sterêsis) der Eigenschaft F beschrieben, die der Gegenstand x im Endzustand hat. In Phys. III 1 wird diese Beschreibung zunächst dahingehend ergänzt, dass x zwar nicht F ist, aber F sein kann; das heißt, x ist potentiell F, und zwar im ex­ klusiven Sinn.155 Die anschließende Definition, Bewegung – d. h. der Prozess zwischen Anfangs- und Endzustand – sei (1) der »Vollendungszustand« (entelecheia) von x qua (potenti­ ell F),156 153  Man

kann sich das daran klarmachen, dass jedem abbrechenden Dezimalbruch eine Zeitstelle entspricht. 154  Mit Kroll (2020) lässt sich das In-Bewegung-Sein als fortschreiten­ des Ereignis (»event in progress«) charakterisieren. 155  Das heißt: x ist genau dann im exklusiven Sinne potentiell F, wenn x nicht F ist, aber (zu einer anderen Zeit) F sein kann. Einzelheiten s. u. Anm. zu Phys. III 1, 200 b26–28. – Im Folgenden verwende ich den Aus­ druck ›potentiell‹ im exklusiven Sinne. 156  Phys. III 1, 201a10–11: ἡ τοῦ δυνάμει ὄντος ἐντελέχεια, ᾗ τοιοῦτον, s. u. Anm. zu 201a 9–11. Ich interpretiere entelecheia = to entelôs echein (vgl. Berti 1990/1996, 289) und dynamei on als »was (im exklusiven Sinne) potentiell F ist« (zur Charakterisierung von x als -F vgl. Anagnostopoulos 2017, 182). – Nach dem Wortlaut käme auch die Interpretation von dyna­ mei on als »was potentiell durch a instanziiert wird« (nämlich F) in Be­ tracht. Diese Version scheint der neuplatonischen Embryologie zugrunde

LXX

Gottfried Heinemann

ist schwer zu verstehen. Zunächst muss folgende Beobachtung ge­ nügen: Nach (1) ist Bewegung eine ausgezeichnete Weise, (im ex­ klusiven Sinne) potentiell F zu sein, und insofern ein einheitlicher Zustand, durch den der Abstand zwischen Anfangs- und Endzu­ stand in einheitlicher Weise ausgefüllt wird. Dass keiner dieser drei Zustände instantan ist, versteht sich von selbst (!). Im unmittelbaren Anschluss an die zitierte Definition ersetzt Aristoteles die Formel (2) ist (im exklusiven Sinne) potentiell F (dynamei on) stillschweigend durch (3) kann F werden (alloiôton etc.).157 Darüber ist viel Tinte vergossen worden;158 dazu drei Bemerkungen, die sich an die obige Beobachtung anschließen: Erstens. Was es heißt, F zu werden, wurde in Phys. I 7 anhand der Struktur 〈 x: -F, F 〉 erklärt (s. o. 2.1.2); diese Erklärung kann in Phys. III 1 vorausgesetzt werden. Die vieldiskutierte Frage eines definitorischen Zirkels stellt sich gar nicht, da hier ein ganz anderes Thema – was es heißt, sich im Prozess des Werdens zu befinden – erörtert wird. Zweitens. Wird »kann« im Sinne einer bloßen Möglichkeit auf­ gefasst, dann liegt es nahe, (3) als bloße Formulierungsvariante von (2) zu verstehen; auch eine logische Folgerung kommt in Betracht.159 Aber das genügt nicht; (3) ist in einem stärkeren Sinn aufzufassen: als Bezeichnung keiner bloßen Möglichkeit, sondern eines Vermö­ gens, d. h. einer aristotelischen Kraft (dynamis), die x wirklich, und zu liegen (vgl. Wilberding 2015, 330 f.). Ob sie mit der Argumentation in Phys. III 1 irgendwie vereinbar wäre, kann dahingestellt bleiben. Jeden­ falls stört sie den Rückbezug auf die Analyse der Werdens in Phys. I 7; sie entspricht einer dort verworfenen, mit Platon und der Alten Akademie in Verbindung gebrachten Option (s. u. 2.2.5.4). 157  Phys. III 1, 201a12 ff.; dann 201a 29: kinêton. 158  Vgl. nach dem wegweisenden Aufsatz von Kosman (1969) bes. Gill 1989, 183–194; Heinaman 1994; Echenique Sosa 2010; Anagnostopoulos 2010; ders. 2017 sowie Heinemann 2018, 8–17 159  Gill 1989, 189; Heinemann 2018, 11 ff.

Einleitung LXXI

zwar ganz unabhängig von ihrer Betätigung, hat. Demnach ergäbe sich (3) aus (2) gemäß der Forderung, dass die in (2) angezeigte Möglichkeit in dieser Wirklichkeit fundiert sein muss. Drittens. Vermögen haben jeweils zwei Phasen: Latenz und Ma­ nifestation – d. h. bei Aristoteles: »In-Funktion-Sein« (energeia); die Manifestation erfordert eine zusätzliche Stimulusbedingung (hier: Kontakt mit einem externen Beweger), die in Phys. III 1 aber noch undiskutiert bleibt.160 Zunächst hält Aristoteles fest: Als »Vollendungszustand« (entelecheia) von x qua (potentiell F) ist Be­ wegung zugleich das »In-Funktion-Sein« (energeia) des Vermögens von x, F zu werden. Die in Phys. III 1 anschließende Erklärung, Bewegung sei (4) »der Vollendungszustand (entelecheia) von x,161 d. h. wenn x im Vollendungszustand ist und somit (entelecheiai on) seine Funk­ tion ausübt (energêi), nicht qua x, sondern qua vermögend, F zu werden (hêi kinêton)«,162 ist nicht als Alternative und Korrektur, sondern als erläuternde und vertiefende Formulierungsvariante zu (1) zu verstehen. 2.1.3.3  Was heißt es, im Anfangszustand der Bewegung -F zu sein? Dass x nicht F ist, besagt nicht viel, denn x ist auch nicht G usf. Wenn ich in Kassel bin, bin ich nicht in Thessaloniki und nicht in Berlin; aber bei einer Reise nach Berlin ist Letzteres, bei einer Reise nach Thessaloniki hingegen Ersteres der einschlägige An­ fangszustand. Wohin die Reise geht, ist nicht schon dadurch, dass ich anfangs in Kassel bin, festgelegt. Und ebenso, wenn ein un­ bestimmt weißliches Textil rot oder blau gefärbt werden kann: Die Eigenschaft F, die x annehmen soll, kommt auch in der vollstän­ 160  Über

externe Beweger unten 2.1.3.3; über Vermögen dann auch 2.3.6.1. – Vermögen sind Dispositionen. Zur Unterscheidung zwischen Latenz und Manifestation vgl. Engelhard 2017, 110; zum Begriff der Dis­ position auch Vetter / Schmid 2014 und Choi / Fara 2018. 161 Beachte: x = to dynamei on, d. i. der Gegenstand, der im exklusiven Sinne potentiell F ist – und somit zwar nicht F ist, aber (zu einer anderen Zeit) F sein kann. 162  Phys. III 1, 201a 27–29: ἡ … τοῦ δυνάμει ὄντος 〈 ἐντελέχεια 〉, ὅταν ἐντελεχείᾳ ὂν ἐνεργῇ οὐχ ᾗ αὐτὸ ἀλλ’ ᾗ κινητόν.

LXXII

Gottfried Heinemann

digsten Beschreibung des Anfangszustands nicht vor. Sie wird erst dadurch festgelegt, dass ich hierhin oder dorthin eingeladen werde (und die Einladung annehme), dass dieses oder jenes Färbungs­ mittel gewählt wird, usf. Deshalb muss F nach Aristoteles durch einen von x verschie­ denen Beweger eingebracht werden.163 Der bewegte Gegenstand ist Träger der unterschiedlichsten Vermögen, F zu werden, oder G, usf. Ein Beweger ist demgegenüber ein potentieller F-Macher, ein anderer Beweger ein potentieller G-Macher usf.: Kommt x mit einem potentiellen F-Macher in Kontakt, dann tritt das Vermögen von x, F zu werden, in Funktion; bei Kontakt mit einem potentiellen G-Macher das Vermögen von x, G zu werden, usf.164 Und zugleich tritt das Vermögen des F- bzw. des G-Machers (usf.), die jeweilige Eigenschaft mitzuteilen, in Funktion: Nach Aristoteles ist dies das­ selbe In-Funktion-Sein (energeia); gemeinsame Stimulusbedingung ist der Kontakt zwischen den Trägern beider Vermögen. Bewegung ist somit das gemeinsame In-Funktion-Sein von Bewe­ger und bewegtem Gegenstand. Und zwar »ist« dieses InFunktion-Sein – und das heißt: die Bewegung – »in« dem bewegten diesem Sinne Phys. III 2, 202 a 9–11: εἶδος δὲ ἀεὶ οἴσεταί τι τὸ κινοῦν …, ὃ ἔσται ἀρχὴ καὶ αἴτιον τῆς κινήσεως, ὅταν κινῇ (»stets wird das Bewegende eine bestimmte Form tragen …, die zu Prinzip und Ursa­ che der Bewegung wird, wenn es bewegt«). – Dabei sind nach Met. VII 7, 1032 a12 ff. verschiedene Fälle zu unterscheiden: (i) Bei natürlichem Ent­ stehen instanziiert der Beweger die Form, die er beibringt (1032a 24; nur diesen Fall berücksichtigt Phys. III 2, 202 a11–2); (ii) bei fachkundigem Herstellen wird die Form vom Beweger mental repräsentiert (1032 b1), (iii) in anderen Fällen – und das heißt insbesondere: bei Orts-, Eigen­ schafts- oder Größenwechsel unter der Einwirkung eines natürlichen Bewegers – gehört diese Form nur zu dessen charakteristischer dynamis (1032 a 28). Das von Marmodoro (2014, 34 unter Bezugnahme auf Scalt­ sas 1989, 68–70) herangezogene Ansteckungsmodell der Einwirkung ist allenfalls im Fall (i) anwendbar. 164  Dies ist zweifellos eine Vereinfachung; realistischere Fälle – dass z. B. derselbe Hersteller unterschiedliche Formen beibringt oder sich erst durch Kräftevergleich herausstellen muss, wer wie auf wen einwirkt – wer­ den in Phys. III 1–3 angedeutet (201a22–23, 202a6–9), aber nicht diskutiert. 163  In

Einleitung LXXIII

Gegenstand, aber nicht im Beweger: als dessen In-Funktion-Sein ist es »in etwas anderem«.165 Der Beweger muss also an der Be­ wegung gar nicht teilnehmen. Er kann gänzlich unbewegt sein,166 denn auch eine zwangsläufige Rückwirkung – wie nach dem dritten Newton’schen Gesetz167 – kommt nicht in Betracht. 2.1.4  Bewegung und Zeit Das bereits unter den Kategorien angeführte Wo? (pou) wird durch die Angabe des Ortes beantwortet, an dem ein Gegenstand ist. Phys. IV 1–5 erklärt demgemäß, was ein Ort (topos) ist und was es für ein körperliches Ding heißt, an – oder vielmehr: »in« (en) – einem Ort zu sein. Ebenso wird das unter den Kategorien ange­ führte Wann? (pote) durch die Angabe der Zeit beantwortet, zu der etwas geschieht, existiert oder der Fall ist.168 Phys. IV 12 erörtert demgemäß die Frage, was es heißt, »in einer Zeit zu sein« und so­ mit zu einer bestimmten Zeit zu geschehen, zu existieren oder der Fall zu sein.169 Die zugrundeliegende Frage, was überhaupt »Zeit« (chronos) – d. h. insbesondere: ein Zeitintervall – ist, wird in Phys. IV 10–14 diskutiert. Ausgangspunkt ist dabei der Zusammenhang von Zeit und Bewegung. 2.1.4.1  Anfang und Ende einer Bewegung sind nach Aristoteles dadurch charakterisiert, dass konträre Prädikate auf den Gegen­ Phys. III 3, 202b 6: en heterôi . In demselben Sinne ebd. b21: toude en tôide (»von diesem in jenem«) – sowie dann toude hypo toude (b22: »von je­ nem unter der Einwirkung dieses«) für das In-Funktion-Sein von x. Letz­ tere Formulierungen entsprechen der in der Metaphysik ausgearbeiteten Charakterisierung von aktivem und passivem Vermögen als »Prinzip der Bewegung in anderem« bzw. »… unter der Einwirkung von anderem« (Met. V 12, 1019 a16 bzw. a 20 – hier ohne die hêi -heteron-Klauseln zitiert). 166  Phys. III 1, 201a 27. – Über unbewegte Beweger dann Einl. 2.6 im zweiten Teilband. 167 Newton, Principia, lex iii (1726, 14; Koyré / Cohen p. 55; Dellian p. 54); dazu Ingthorsson 2002. – Insbesondere ist Phys. II 2, 202a 8–9 von keiner Rückwirkung im Newton’schen Sinne die Rede. 168 Zu pou (»wo«) und pote (»wann«) als Kategorien vgl. Cat. 4, 1b26. 169 Vgl. Phys. IV 12, 221a 4 u. ö.: en chronô einai (siehe dort). i 165 

LXXIV

Gottfried Heinemann

stand zutreffen.170 Diese Prädikate bezeichnen »Extreme« (akra), zwischen denen der Weg liegt, den der Gegenstand bei der Bewe­ gung zurücklegt. Beim Ortswechsel sind die Verhältnisse wohl am übersichtlichs­ ten: Sieht man von der Ausdehnung des Gegenstandes ab, dann kann der Weg durch eine beiderseits begrenzte Linie dargestellt werden; den Punkten der Linie entsprechen die bei der Bewegung berührten Zwischenpositionen.171 Zu beachten bleibt allerdings, dass die Linie nach Aristoteles nicht aus Punkten besteht. Die Linie ist zunächst ein ungeteiltes Ganzes. Punkte kommen nur als Markierungen von Teilungen in Betracht.172 Den Punkten auf der Linie entsprechen mögliche Teilungen und demgemäß den Zwischen­positionen auf einem Weg mögliche Zwischenzustände, daher z. B. auch Gelegenheiten zu Kollisionen und Nebenwirkun­ gen. Eine solche Nebenwirkungen ist, dass sich der Gegenstand beim Durchgang durch eine bestimmte Stelle seines Weges – und somit in einem instantanen Zwischenzustand – wahrnehmen lässt (s. u. 2.1.4.2.). Wege sind linear geordnet. Auf der Linie kann dies als eine Rela­ tion zwischen Punkten oder zwischen den durch Punkte markierten Abschnitten dargestellt werden.173 Diese Relation überträgt sich 170 

Einzelheiten siehe Einl. 2.4 im zweiten Teilband. betrachtet zunächst nur schlichte Bewegungen, d. h. ohne Sprünge, Pausen und Umkehr. – Bei Berücksichtigung der Ausdeh­ nung des bewegten Gegenstandes ist anstelle der Punkte an potentielle Orte zu denken, deren Aufeinanderfolge der Ordnung einer Linie ent­ spricht. Bei Änderungen in den Kategorien der Qualität oder Quantität wäre eine entsprechende Zuordnung von Eigenschaften und Größenwer­ ten anzunehmen. 172  Einzelheiten siehe Einl. 2.4 im zweiten Teilband. 173  Diese Linie spielt eine ähnliche Rolle wie die Zeitachse bei Gali­ lei (zur »Affinität« von Zeit und Bewegung in den Discorsi siehe oben Punkt [iii] in Abschnitt 1.5.1.2) und in der neuzeitlichen Physik. Sie ist bei Aristoteles (bes. in Phys. VI) aber ein bloßes Mittel der schematischen Darstellung und kommt demgemäß auch immer nur stillschweigend – z. B. beim (aus dem überlieferten Text nur indirekt erschließbaren) Verweis auf Zeichnungen – ins Spiel. 171  Aristoteles

Einleitung LXXV

zwanglos auf die entsprechenden Zwischenpositionen. Sie tut dies auch, wenn die Ausdehnung des Gegenstandes berücksichtigt wird und die Zwischenpositionen realistischer als in alle drei Richtungen ausgedehnte Orte dargestellt werden: Jedem Punkt auf der Linie entspricht ein solcher Ort; aufeinanderfolgenden Punkten entspre­ chen aufeinanderfolgende Orte. Dass sich die Orte überschneiden, stört nicht, denn die Punkte auf der Linie, deren Anordnung sich auf die Orte überträgt, überschneiden sich nicht. 2.1.4.2  Nach Aristoteles gehört das Früher und Später daher ­primär zum Weg und abgeleiteterweise zur Bewegung. Das zeit­ liche Früher und Später ist an der Bewegung ablesbar. – Dass nach Aristoteles die Zeit »etwas an der Bewegung« ist,174 besagt wenigs­ tens zweierlei: Erstens, dass zeitliche Unterscheidungen überhaupt nur dadurch, dass sich irgendetwas ändert, in Betracht kommen175 und dass auch das vertraute temporale Vokabular, einschließlich der grammatisch kodierten Zeitstufen (s. u.), sonst gar keine An­ wendung hat. Und zweitens, dass sich Bewegungen, wie in Phys. IV 11 ausgeführt, durch – Markierung instantaner Zwischenzustände in Abschnitte gliedern lassen und dass sich dann – Zeitintervalle durch Unterscheidung aufeinander folgender Mar­ kierungen – oder wie Aristoteles sagt, aufeinander folgender »Jetzt« (nyn) – als früher und später ergeben.176 Diese Gliederung der Bewegung in Abschnitte ist keine Teilung. Die Bewegung bleibt ein ungeteiltes Ganzes; sie wird nicht durch eine Abfolge von Teilbewegungen ersetzt. Die Gliederung ergibt Phys. IV 11, 219 a10: Zeit ist kinêseôs ti. 175 Vgl. Phys. IV 11, 218 b21–27: Wenn wir keiner Änderung gewahr sind, »scheint uns auch keine Zeit vergangen zu sein« und es ergeht uns »wie in der sardischen Erzählung von den Schläfern im Heroengrab: Beim Erwachen verbinden sie mit dem früheren Jetzt das spätere Jetzt und machen daraus ein einziges; das Dazwischen lassen sie wegen der Wahr­ nehmungslosigkeit aus.« 176  Phys. IV 11, 219 a 22–25 bzw. a 25–30. Dazu Heinemann 2016a, 48–50. 174 

LXXVI

Gottfried Heinemann

sich vielmehr durch ein mentales, an die Wahrnehmung instan­taner Zwischenzustände anknüpfendes Unterscheidungsverfahren; Aris­ toteles spricht auch von einer »Zählung« und bezeichnet die Zeit demgemäß als »Zahl«, die durch Zählung instantaner Zwischen­ zustände an der Bewegung ablesbar ist. Ohne diese mentale Tätig­ keit gibt es nur die Bewegung und nicht überdies auch die an der Bewegung abgelesene Zeit. Man muss hier zwischen zweierlei Fragen unterscheiden: einer­ seits die in Phys. IV 10 aufgeworfene Frage, »ob« die Zeit (chronos) »zu dem zählt, was ist, oder zu dem, was nicht ist«,177 und anderer­ seits die viel allgemeinere Frage, ob das temporale Vokabular der Alltagssprache – etwa die grammatisch kodierte Unterscheidung von Zeitstufen und die Unterscheidung zwischen Früher, Später und Gleichzeitig – überhaupt eine sachhaltige Anwendung hat.178 Wie in der Abhandlung über den Ort (Phys. IV 1–5) die Sachhaltig­ keit von Formulierungen wie »wo a war, dort ist jetzt b« gar nicht infrage gestellt wird, so ist auch in der Abhandlung über die Zeit die Sachhaltigkeit des elementaren temporalen Vokabulars unpro­ Phys. IV 10, 217 b31: poteron tôn onton estin ê tôn mê ontôn. 178  Die parmenideische »Wahrheit« (alêtheia, DK 28 B 1.29, B 2.4, B 8.51) lässt eine Anwendung von ›war einst‹ und ›wird sein‹ nicht zu (vgl. DK 28 B 8.5: oude pot’ ên oud estai, …); in Platons Timaios wird durch ›war‹ und ›wird sein‹ eine zeitliche Einteilung (in diesem Sinne 37e4: chronou eidê) angezeigt, die keine Anwendung auf das »ewige Sein« (aidios ousia, 37e5) hat, sondern nur »bei dem in der Zeit fortschreiten­ den Werden« (peri tên en chronou iousan genesin, 38a1–2). Aristoteles übernimmt von Platon die Unterscheidung zwischen dem temporalen und dem nontemporalen Gebrauch des grammatischen Präsens (vgl. APr I 15, 34b 7–8: kata chronon bzw. haplôs, dazu der Abschnitt »Zeit und Unzeitlichkeit« in Heinemann [in Vorb.]). Aber in singulären Sätzen ist der temporale Gebrauch der Normalfall. Bei Aristoteles setzt schon die Unterscheidung der Wortarten diesen Normalfall voraus: Verben (dt. »Zeitwörter«) sind nach Int. 3 dadurch gekennzeichnet, dass sie »zusätz­ lich eine Zeit anzeigen« (… to prossêmainon chronon, 16 b 6). Die Sachhal­ tigkeit dieser Zeitbestimmungen ist auch auf dieser elementarsten Ebene der philo­sophischen Analyse unfraglich (vgl. den Abschnitt »Zeitwörter und grammatisches Tempus« in Heinemann [in Vorb.]). 177 

Einleitung LXXVII

blematisch. Die in Phys. IV 1 gestellte Frage, »ob« der Ort (topos) »ist oder nicht«, und wenn ja, »inwiefern er ist«,179 besagt, – ob es außer den Dingen, die sich hier oder dort befinden, auch noch die Orte gibt, in denen sie sind.180 Und ebenso besagt die entsprechende Frage nach der Zeit, – ob es außer dem, was früher oder später der Fall ist oder was zwi­ schen Anfang und Ende einer Bewegung geschieht, auch noch die Zeiten gibt, zu denen es der Fall ist, bzw. die Zeit, während der es geschieht. Ort ist bei Aristoteles immer der Ort, in dem etwas ist; ebenso ist Zeit ist immer die Zeit, zu der etwas der Fall ist oder geschieht. Aber der Ort bleibt derselbe Ort, wenn in ihn etwas anderes ist als zuvor. Ebenso geschieht während derselben Zeit vielerlei, und zu derselben Zeit könnte statt diesem auch jenes geschehen. Wie der Ort von den in ihm befindlichen Dingen »abtrennbar« (chôristos) ist, so können zu derselben Zeit die unterschiedlichsten Vorgänge voneinander unabhängig und insofern »getrennt« (chôris) stattfin­ den.181 Worum es in Phys. IV 1–5 und 10–14 geht, ist diese Verselb­ ständigung von Ort und Zeit gegenüber ihrem jeweiligen Inhalt. 2.1.4.3  Zeitliches Werden182 besagt nach Aristoteles, dass »das Jetzt« (to nyn) einerseits »stets enes und dasselbe bleibt« und an­

Phys. IV 1, 208 a 28: ei estin ei mê, kai pôs estin. 180  Vgl. Anm. zu 208 b1–8: Körper sind »in« einem Ort wie in einem Gefäß. 181 Vgl. Phys. IV 14, 223b10–12; zum Ort einerseits Phys. IV 3, 211a 2–3 u. ö., andererseits ebd. 4, 211b19–29 und 8, 214b12–28: Der Ort ist von dem, was jeweils in ihm ist, abtrennbar (chôristos), aber es gibt keinen Ort, der von allem körperlichen Inhalt abgetrennt (kechôrismenos) und somit leer wäre. 182  Ich übernehme diese in der Fachliteratur verbreitete Wendung von Broad (1923, 67 ff.: »becoming«). In derselben Bedeutung, aber mit ande­ ren ontologischen Konnotationen spricht man auch vom »Vorübergehen« oder »Vergehen« der Zeit (»passage of time«). – Vgl. auch die ausgezeich­ nete Übersicht bei Savitt (2017, Abschnitt 2). 179 

LXXVIII

Gottfried Heinemann

dererseits »immer wieder ein anderes« ist.183 Nach Augustinus ist das Bleibende und Gegenwärtige die »Aufmerksamkeit« (attentio), »durch die (per quam) herübergeworfen wird, was Künftiges war, so dass es Gewesenes wird«.184 Nach McTaggart handelt es sich schlicht darum, dass »ein Ereignis, das jetzt gegenwärtig ist, zu­ künftig war und vergangen sein wird«.185 Anders als Augustinus und McTaggart vermeidet Aristoteles an den zitierten Stellen die Bezugnahme auf zukünftige Vorgänge oder Ereignisse. Wenn noch gar nicht entschieden ist, ob morgen eine Seeschlacht stattfindet, dann hat der Satz, dass morgen eine Seeschlacht stattfindet, nach Int. 9 gar keinen bestimmten Wahrheitswert.186 Die morgige See­ schlacht ist kein künftiges Ereignis, das darauf wartet, gegenwärtig zu werden. Ebenso das sonstige, durchgängig mit Kontingenz kon­ taminierte Geschehen unter dem Himmel, im Unterschied zu den gesetzmäßig eintretenden, periodisch wiederkehrenden Ereignis­ sen, die sich anhand der Himmelsbewegungen vorab identifizieren lassen, daher auch im Unterschied zu Kalenderdaten, soweit diese Wiederkehr durch sie dargestellt wird.187 Phys. IV 10, 218 a 9: hen kai tauton aei diamenei, ebd. a10: allo kai allo, 218 a10; dann c. 11, 219 b 9–29 (siehe dort). 184 Augustinus, Confessiones XI xxxviii.38 (hier zit. nach Flasch 1993, 274); »bleibend«: vgl. ebd. 37: perdurat). – Das deutsche »durch« ist so zweideutig wie das lateinische »per«. Flasch (1993, 275) übersetzt »durch … hindurch« und betont dann aber im Kommentar, dass »das Hindurch­ laufen des Kommenden durch den Jetztpunkt ins Gewesene« durch die »psychischen Tätigkeiten« des Erwartens, Auffassens und Erinnerns »be­ wirk[t]« wird (ebd. 389). 185  McTaggert 1927, 10 (§ 305) = ders. 1908, 458: »an event, which is now present, was future, and will be past.« 186  Int. 9, 19 b1–2; dazu die Diskussion bei Crivelli (2004, 217 ff.) und Weidemann (2014, 297 ff. u. ö.; kurz zusammenfassend ders. 2015, 211 ff.). Aus der umfangreichen Literatur zu Int. 9 sind außerdem vor allem zu nennen: Frede 1970; Øhrstrøm / Hasle 2015; Rice 2018. 187 Nach Phys. IV 14, 223b18–20 ist die gleichförmige (und unaufhör­ liche) Kreisbewegung der Himmelskörper ein ausgezeichnetes Maß der Zeit. Bereits in Phys. III 6, 206 a 21–25 und b14 wird das Unbegrenzte mit der Perioditität des Festkalenders verglichen. 183 

Einleitung LXXIX

Die Zukunft wäre demnach mit einem leeren, aber schon mit Linien versehenes Blatt vergleichbar; Gegenwart wäre die erstmals beschriebene Linie; im Gewesensein bliebe der Inhalt bewahrt, der durch das zeitliche Werden vermehrt worden ist. Auf die Linien träfe McTaggarts Formel zu: Das gegenwärtige Datum war zukünf­ tig und wird vergangen sein. Das räumliche Bild liegt schließlich auch dem verbreiteten Vergleich des zeitlichen Werdens oder Vor­ übergehens (temporal passage) mit einer Bewegung zugrunde; wie bei McTaggert macht es keinen Unterschied, ob dabei die Gegenwart von Linie zu Linie (d. h. längs der McTaggart’schen B-Reihe) auf­ steigt oder ob eine Linie von der Zukunft über die Gegenwart in die Vergangenheit (d. h. längs der McTaggart’schen A-Reihe) sinkt.188 Der Vergleich des zeitlichen Werdens mit einer Bewegung ist abwegig. Bei McTaggart illustriert er die Irrealität der Zeit. Nach Aristoteles ist die Zeit schon deshalb keine Bewegung, weil sie überall dieselbe ist und daher mit keiner bestimmten Bewegung, z. B. den Himmelsbewegungen, gleichgesetzt werden kann. Ihre Auffassung als Bewegung (kinêsis) und überhaupt als Änderung (metabolê) verbietet sich überdies und vor allem deshalb, weil Än­ derungen schneller oder langsamer sind und sich diese Unterschei­ dung aus begrifflichen Gründen gar nicht auf das zeitliche Vorüber­ gehen anwenden lässt.189 Nach Roark muss wegen des aristotelischen Primats der Be­ wegung vor der Zeit gar keine andere Bewegung zur Analyse des zeitlichen Vorübergehens ins Spiel gebracht werden: Wie die Zeit »etwas an der Bewegung« ist,190 so sei auch das zeitliche Vorüber­ gehen »etwas am ›kinetischen Vorübergehen‹« – und somit an der Bewegung, mit der dieses zusammenfällt; das Jetzt sei »das natür­ liche Ergebnis der Interaktion wahrnehmender Akteure mit einer Welt in Bewegung«.191 188  Vgl.

McTaggart 1927, 10n2 (§ 306) – nicht an der entsprechenden Stelle in McTaggart 1908. 189  Vgl. Phys. IV 10, 218 b10–13; ebd. b13–18. 190  Phys. IV 11, 219 a 9–10: tês kinêseôs ti. 191  Roark 2011, 205 (»etwas am ›kinetischen Vorübergehen‹«: »a fea­ ture of ›kinetic passage‹«). Kroll (2020) rekurriert bei der Ableitung des

LXXX

Gottfried Heinemann

Das lässt sich ausbuchstabieren: Wie ein in Bewegung befind­ licher Gegenstand einerseits während der ganzen Bewegung der­ selbe bleibt und andererseits immer wieder andere Zwischenzu­ stände durchläuft, 192 so bleibt die Bewegung einerseits dieselbe und fällt andererseits immer wieder mit dem Durchlaufen eines anderen Zwischenzustands zusammen. Diese Struktur des »kineti­ schen Vorübergehens« wird durch die »Interaktion« mit »wahrneh­ menden Akteuren« – bei Aristoteles:193 mit der »Seele« (psychê) – und somit durch eine kognitive Leistung von Lebewesen tempora­ lisiert.194 Das Resultat der Temporalisierung ist nach Aristoteles die Gliederung der Bewegung in zeitliche Abschnitte durch das Markieren und Unterscheiden instantaner Zwischenzustände (s. o. 2.1.4.2): Die Seele wird gewahr, dass bestimmte Zwischenzustände jeweils jetzt durchlaufen werden, und sie unterscheidet diese Jetzt anhand der entsprechenden, auf der Bewegungsbahn markierten Zwischenpositionen (s. o. 2.1.4.1). Das impliziert zweierlei: Vor­ übergehende Wirklichkeit stellt sich in dieser Interaktion mit der Seele als Gegenwart dar, und diese wird auf ein ausdehnungsloses, einen instantanen Zwischenzustand markierendes Jetzt reduziert. Wie die Bewegung, ist dieses einerseits immer dasselbe, nämlich Gegenwart, und andererseits immer wieder ein anderes, da es im­ mer wieder einen anderen Zwischenzustand als den gegenwärtigen auszeichnet. Dass das aristotelische Jetzt unausgedehnt ist, unterscheidet es von der Interaktion, aus der es nach Roark als »natürliches Ergeb­ nis« hervorgeht. Wie kann die von Aristoteles postulierte Wahr­ nehmung instantaner Zwischenzustände an einer Bewegung aber zeitlichen Vorübergehens aus der Struktur des In-Bewegung-Seins als fortschreitendes Ereignis (»event in progress«, ebd. passim) auf Zeitstel­ len und Zeitintervalle. Anders als Aristoteles setzt sie somit eine C-Reihe im Sinn von McTaggart (1908, 461 f. und 1927, 30) voraus. 192  Vgl. Phys. IV 11, 219 b18–22 193  Phys. IV 11, 219 a 27, dann ebd. 14, 223 a16–29. 194  Sofern die von Aristoteles geforderte Zählung nicht ohne rationale Leistungen zustande kommt, ist dabei zunächst an Menschen zu denken. Zu der Frage, ob und inwieweit auch nicht-menschliche Tiere in Betracht kommen, vgl. Harry 2015, 64 ff.

Einleitung LXXXI

ein Vorgang sein, der seinerseits eine gewisse Dauer beansprucht? Hier muss der Hinweis genügen, dass das möglicherweise ein Scheinproblem ist: Die durch Punkte markierten Zwischenposi­ tionen sind nach Aristoteles nur potentielle Teilungen und keine Teile der Bewegungsbahn; die entsprechenden Zwischenzustände sind nur potentielle Teilungen und keine Teile der Bewegung. Sie kommen daher auch nicht als Faktoren einer Interaktion in Be­ tracht; was ihnen beim wahrnehmenden Akteur entspräche, eine instantane Wahrnehmung, wird gar nicht gebraucht.195 Und deshalb ist der Zusammenhang von kinetischem und zeitlichem Vorüber­ gehen von dieser Frage gar nicht betroffen.

2.2 Prinzipien »Prinzip« (archê) ist nach Aristoteles »das Erste, von woher etwas ist, entsteht oder erkannt wird«.196 »Ursache« (aitia oder aition) ist »das Warum« (to dia ti), wobei Aristoteles vier Bedeutungen der Frage Warum? unterscheidet (s. u. 2.3.5). Beide Begriffe – und dann auch »Natur« (physis, s. u. 2.3.1–4) und »Kraft« (dynamis, s. u. 2.3.6) – übernimmt Aristoteles aus der Tradition und deutet sie um. Wie »Bewegung« (s. o. 2.1), sind »Prinzip«, »Ursache«, »Natur« und »Kraft« Grundbegriffe, die bei Aristoteles nur in Verbindung mit dem aristotelischen Wissenschaftsverständnis zu verstehen sind. 2.2.1  Erklärende Wissenschaft: Prinzipien, Ursachen und Elemente Der Anfang der Physikvorlesung setzt dieses Wissenschaftsver­ ständnis wie selbstverständlich voraus:

195 

Waterlow (1984, 108) charakterisiert das aristotelische Jetzt im Hinblick auf seine Ausdehnungslosikkeit treffend als »a highly theoret­ ical concept developed with no other end in view than to meet certain problems to do with temporal order and continuity.« 196  Met. V 1, 1013 a18–19 (»von woher«: hothen).

LXXXII

Gottfried Heinemann

(1) Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens ergibt sich in allen Disziplinen, zu denen es Prinzipien oder Ursachen oder Elemente gibt, aus deren Kenntnisnahme. (2) Denn dann glau­ ben wir jeweils etwas zu erkennen, wenn wir die Kenntnis der ersten Ursachen und der ersten Prinzipien erlangen und [wenn diese Kenntnis] bis zu den Elementen [reicht]. (3) Daher hat man sich klarerweise auch für die Naturwissenschaft um eine vorgängige Bestimmung dessen, was die Prinzipien betrifft, zu bemühen.197 2.2.1.1  Die Charakterisierung der Naturwissenschaft als eine Dis­ ziplin, zu der es Prinzipien etc. gibt, ist hier zunächst ein bloßer An­ spruch. Dieser wird in (3) durch die Bezeichnung »Wissenschaft« (epistêmê) zum Ausdruck gebracht; die Themenangabe »über Na­ tur« (peri physeôs) ist traditionell und wird von Aristoteles im Sinne seines eigenen Naturbegriffs uminterpretiert (s. u. 2.3., bes. 2.3.4.2). Dass sich nach (1) in einem Fach mit Prinzipien (etc.) das »Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens« aus deren Kenntnisnahme ergibt, besagt nicht etwa, dass dieses Wissen in Fächern ohne Prin­ zipien anders zustande kommt. Sondern in solchen Fächern gibt es gar kein Wissen, das dem in (2) angegebenen Kriterium – nicht nur für das »Erkennen« überhaupt, sondern insbesondere für das »Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens« – genügt. Die in (3) gezogene Schlussfolgerung ist eine praktische: Das in Phys. I 1 unerwähnte, aber selbstverständliche Ziel, »Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens« zu gewinnen, erfordert die Kenntnis einschlägiger Prinzipien. Mit dem in (2) angegeben Kri­ terium ist daher das Thema der mit (3) einsetzenden Untersuchung bestimmt: »was mit den Prinzipien der Naturwissenschaft zu tun hat«, und zwar einschließlich der Frage, ob es diese überhaupt gibt.

Phys. I 1, 184 a10–16 – »wissenschaftliches Erkennen«: epi­stasthai (a10); »Disziplin« (oder auch: »Fach«): methodos (a11); »Elemente«: stoi­ cheia (a11, dazu unten 2.2.1.2); »erkennen« gignôskein (a12); »Naturwis­ senschaft«: peri physeôs epistême (a14–15, in derselben Bedeutung oft auch physikê, vgl. Phys. II 2, 194 a 26; PA I 1, 641a34 ff. etc.). 197 

Einleitung LXXXIII

Die Naturwissenschaft ist durch dieses Programm – dem An­ spruch nach – als erklärende Wissenschaft charakterisiert. Das heißt, sie begnügt sich nicht mit einer Erkundung der Tatsachen, sondern ihr Ziel ist deren Erklärung. Aristoteles hat das in den Zweiten Analytiken auf eine kurze Formel gebracht: »Wenn wir das Dass (to hoti) wissen, erforschen wir das Weshalb (to dihoti).«198 Nach Phys. I 1 kommt »Wissen im Sinne wissenschaftlichen Er­ kennens« erst durch den erfolgreichen Abschluss dieser Forschung zustande. Zu erklären heißt, etwas durch etwas zu erklären: etwa a durch b – und dann fragt sich sogleich, ob nicht b ebenso erklärungsbe­ dürftig ist wie zuvor a. Und hat man b durch c erklärt, stellt sich wieder dieselbe Frage für c, und so fort. Das muss irgendwann aufhören, sonst ist gar nichts erklärt. Deshalb werden in Phys. I 1 ausdrücklich »erste« Ursachen und Prinzipien gefordert. Erste Ursachen sind Ursachen, die ihrerseits nicht auf andere Ursachen zurückführbar sind, ebenso erste Prinzipien nicht auf andere Prin­ zipien (was sich bei »Prinzipien« eigentlich von selbst versteht); und Elemente sind Grundbausteine,199 die ihrerseits nicht nochmals aus einfacheren Bausteinen bestehen. 2.2.1.2  Die Frage nach Prinzipien, Ursachen und Elementen stellt sich daher auf zwei Ebenen. Erstens als Aufgabe naturwissen­ schaftlicher Forschung, d. h. im einfachsten Fall: zu gegebenem a ein b zu finden, das a erklärt, ohne seinerseits erklärungsbedürftig zu sein. Und zweitens als Aufgabe einer philosophischen Vorüber­ legung zur Naturwissenschaft: Demgemäß gehört die Erörterung der verschiedenen Arten naturwissenschaftlicher Erklärung zu den Themen der Physikvorlesung; sie wird in Phys. I 1 und Phys. II 3 durch die Formeln »was die Prinzipien betrifft« bzw. »über die Ursachen« angekündigt. 200

APo II 1, 89 b29: ὅταν δὲ εἰδῶμεν τὸ ὅτι, τὸ διότι ζητοῦμεν. 199 Vgl. Met. V 3 (bes. 1014 b26–35). Dazu Hübner, Stichwort stoicheion, in: Höffe (Hg.) 2005, 539–543. 200  Phys. I 1 184 a15–16: ta peri tas archas. Phys. II 3, 194 b16: peri tôn aitiôn. 198 

LXXXIV

Gottfried Heinemann

Prinzipien und Ursachen sind nicht einerlei, 201 aber auf den Unter­schied kommt es zunächst nicht an. Erste Ursachen sind ­P rinzipien; 202 und umgekehrt werden die in Phys. I 7 an­gegebenen Prinzipien (»Zugrundeliegendes und Gestalt«) in Phys. II 3 als Ursachen (»Material« und »Form«) angeführt. Prinzipien sind sachgemäße Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Erklärung. Die in Phys. II 3 unterschiedenen vier Arten der Ursache entspre­ chen ebenso vielen, einander ergänzenden Arten der naturwissen­ schaftlichen Erklärung, die ihrerseits anhand unterschiedlicher Bedeutungen der Frage Warum? eingeführt werden. Wenn von »Ursachen« die Rede ist, mag man eher an diese Differenzierungen denken, und bei »Prinzipien« eher an die Charakterisierung von Ursachen als nicht weiter erklärungsbedürftige Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Erklärung. Von »Elementen« spricht Aristoteles vor allem dann, wenn er fremde Theorien wiedergibt und erörtert. Elemente sind, wie ge­ sagt, Grundbausteine. Und Grundbausteine heißen Elemente (stoicheia), wenn die Annahme gemeinsamer Grundbausteine al­ ler Dinge mit deren Auszeichnung als fundamentale Entitäten ein­ hergeht, wie in den von Aristoteles diskutierten Kosmologien der frühen griechischen Philosophie. Fundamentale Entitäten – existieren in einem primären Sinn: zu existieren heißt, entwe­ der eine fundamentale Entität oder ein Aggregat, ein Teil, eine Eigenschaft, eine Relation usf. von fundamentalen Entitäten zu sein; und sie – sind die primären Träger kausaler Eigenschaften; insbesondere ergeben sich die kausalen Eigenschaften eines Aggregats ent­ sprechend seiner Zusammensetzung aus den kausalen Eigen­ schaften der fundamentalen Entitäten, aus denen es besteht. 201 

Einzelheiten bei Detel (2011). Phys. II 3, 194b17–23, wo Aristoteles nicht zwischen »erster Ursache« (prôtê aitia, b20) und »Prinzip« (archê, b22) unterscheidet. Ein­ gangs der Meteorologie, wo Aristoteles eine Übersicht über die natur­ wissenschaftliche methodos gibt, heißt das Thema der Physikvorlesung demgemäß »die ersten Ursachen der Natur« (Meteor. I 1 338 a 20: peri … tôn prôtôn aitiôn tês physeôs). 202 Vgl.

Einleitung LXXXV

Aristoteles übernimmt von seinen Vorgängern die Annahme ge­ meinsamer, nicht weiter reduzierbarer Bestandteile aller Dinge, aber nicht deren Auszeichnung als fundamentale Entitäten. Ir­ reduzible Bestandteile aller Dinge sind nach Aristoteles die Ele­ mentarqualitäten (warm/kalt, trocken/feucht). Demgegenüber sind die fundamentalen Entitäten der aristotelischen Naturwissenschaft stets komplex. 203 Das gilt auch für die »einfachen Körper« (Erde, Wasser, Luft, Feuer), die Aristoteles als Kombination von Elemen­ tarqualitäten beschreibt. 204 Aber insbesondere sind Lebewesen – und was Aristoteles ihre »Seele« (psychê) nennt: ihr charakteristi­ sches Lebendigsein als Individuen der jeweiligen Art – ontologisch und explanatorisch fundamental.

203 Die

aristotelische Bezeichnung für »fundamentale Entität« ist ­ousia (dt. »Substanz«). Nach Met. VII 1 (1028b4) kommt die Frage nach dem Seienden (ti to on?) auf die Frage nach der Substanz (tis hê ousia?) hinaus; das heißt, Substanzen sind die ontologisch fundamentalen En­ titäten. Natur­w issenschaftliche Erklärungen rekurrieren nach Phys. II 3 ff. auf die kausalen Eigenschaften der einschlägigen Substanzen (der »Naturdinge« gemäß Phys. II 1). Diese sind somit explanatorisch funda­ mental. – Einfach, aber deshalb auch kein Gegenstand der Naturwissen­ schaft, ist nur der bewegungslose Beweger, der nach Met. XII 7, 1072a32 ff. als Antrieb der Himmelsbewegungen fungiert. 204 Vgl. GC II 3, 330 a30– b 7: Erde ist kalt und trocken, Wasser kalt und feucht; Luft warm und feucht, Feuer warm und trocken; die Umwandlung der Elemente kann demgemäß auf die Ersetzung von Elementarquali­ täten durch ihr Gegenteil zurückgeführt werden (dazu insgesamt Cael. III und GC II). Die »einfachen Körper« sind die »Elemente« der Tradition. Daher werden sie von Aristoteles auch als »die sogenannten Elemente« (ta kaloumana stoicheia) bezeichnet. – Beachte übrigens: Nach Aristoteles sind die Teile fundamentaler Entitäten ihrerseits nicht fundamental. Die »einfachen Körper« sind daher nur als Bestandteile von Aggregaten (z. B. Wolken und Lehmlumpen), nicht aber als Material anderer Substanzen (z. B. Lebewesen) ontologisch fundamental.

LXXXVI

Gottfried Heinemann

2.2.2  Wissenschaftstheoretische Vorüberlegung: ­ Erkenntnis- und Erklärungsprinzipien Als (Kandidaten für) Prinzipien werden in Phys. I verschiedenerlei Stoffe und Strukturen angeführt, schließlich auch die dreigliedrige Struktur des Werdens sowie Material und Form der gewordenen Dinge. »Form« heißt hier von vornherein »definitionsgemäße Form«, wie in Phys. II 1. 205 »Material« ist dasjenige, »woraus als darin Vorhandenem etwas nicht nur aufgrund zusätzlicher Um­ stände wird«, und somit von vornherein ein Relativum, wie in Phys. II 2. 206 Sachgemäße Ausgangspunkte naturwissenschaftlicher Er­ klärungen – und somit Prinzipien im Sinn der aristotelischen Wis­ senschaftstheorie – sind demgemäß die Tatsachen, auf die sich die einschlägigen Definitionen beziehen. Material und Form werden in Phys. I 7 als Erklärungsprinzipien eingeführt, nicht als Erkennt­ nis- oder Beweisprinzipien. Dieser Unterschied ist schwer zu fassen, aber wichtig; die folgende Überlegung setzt voraus, dass Prinzipien Tatsachen sind. 2.2.2.1 Tatsachen können einander vor- bzw. nachgeordnet sein. Dafür kommen insbesondere drei Kriterien – epistemische, expla­ natorische und logische Priorität – in Betracht: (EP) Angenommen, man weiß, dass a, weil man weiß, dass b und dass c. Dann liegen b und c epistemisch vor a (kurz: a wird aus b und c erkannt). (EX) Angenommen, man weiß, warum a, weil man weiß, warum b und warum c. Dann liegen b und c explanatorisch vor a (kurz: a wird aus b und c erklärt). Vgl. Phys. II 1, 193a31: to eidos to kata ton logon. Dazu meine An­ merkungen zu Phys. I 7, 190 b18–19 und 191a12–14. – Auf einen eventuel­ len terminologischen Unterschied zwischen »Form« (eidos) und »Gestalt« (morphê) kommt es hier nicht an. 206 Vgl. Phys. I 9, 192 a31–32: … ex hou gignetai ti enhyparchontos mê kata symbebêkos (ebenso bereits Phys. I 7, 190 b26: ou kata symbebêkos ex autou …). Zum Zusammenhang von Material und Form dann die Diskus­ sion in Phys. II 2, bes. 194 a 2–7 (Stupsnase als Paradigma) und 194b 9 (Ma­ terial ist Relativum) sowie Phys. II 9 (sog. hypothetische Notwendigkeit). 205 

Einleitung LXXXVII

(L) Ist a logische Konsequenz von b und c, dann liegen b und c logisch vor a (kurz: a ist aus b und c erschließbar). Die Kriterien sind nicht ganz gleichartig: Durch (EP) und (EX) wird die Anwendung einer epistemischen bzw. explanatorischen Strategie, durch (L) hingegen eine bloße Möglichkeit des Ordnens angezeigt. Naheliegenderweise gilt: Ist a aus b und c erschließbar, dann ist a aus b und c erkennbar und auch erklärbar. Ebenso liegt es daher auch nahe, die in (EP) und (EX) zugrunde­ liegenden Strategien – stillschweigend oder ausdrücklich – an (L) zu binden: Die logische Priorität gemäß (L) wird einerseits als episte­ mische Priorität gemäß (EP) und andererseits als explanatorische Priorität gemäß (EX) interpretiert. Oft wird durch die logischen Verhältnisse keine logische Priori­ tät festgelegt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einerseits a logische Konsequenz von b und c ist und andererseits b logische Konsequenz von a und c.207 Das eröffnet einen Spielraum für die entsprechenden epistemischen und explanatorischen Prioritäten: Einerseits könnte a aus b und c erkennbar sein, und andererseits b aus a und c. Und ebenso könnte einerseits a aus b und c erklärbar sein und anderer­ seits b aus a und c. Dabei müssen die epistemischen und expla­ natorischen Prioritäten einander nicht einmal entsprechen: Eine epistemische Strategie, bei der a aus b und c erkannt wird, schließt eine explanatorische Strategie, bei der b aus a und c erklärt wird, nicht aus. 208 207 

Ein banales mathematisches Beispiel: Im Bereich der natürlichen Zahlen gilt: (1) (x + y) · z = x · z + y · z für alle x, y und z (2) x · ( y + z) = x · y + x · z für alle x, y und z (3) x · y = y · x für alle x und y Mit den üblichen Gleichheits- und Einsetzungsregeln (auch: Umbenen­ nung der Variablen) ergibt sich: (1) ist logische Konsequenz von (2) und (3), und (2) ist logische Konsequenz von (1) und (3). 208  Vgl. das APo I 13, 78 a 26– b 4 angegebene Beispiel – wie oben, aber mit konvertierbarem c (vgl. a 28: »nicht-funkelnd« und »nah« sind anti­

LXXXVIII

Gottfried Heinemann

Der Spielraum verengt sich durch die Kombination der bisher diskutierten, lokalen Prioritäten zu einer globalen, auf einer Ge­ samtheit von Tatsachen definierten Ordnungsrelation. Je nachdem, ob die zugrundeliegenden lokalen Prioritäten nach epistemischen, explanatorischen oder nur nach logischen Kriterien bestimmt sind, ergibt sich dadurch eine globale epistemische, explanatorische oder logische Ordnung. Eine globale Ordnungsrelation ist transi­ tiv (wenn a vor b und b vor c, dann a vor c), asymmetrisch (wenn a vor b, dann nicht: b vor a) und meist nur partiell (es ist nicht ausgeschlossen, dass weder a vor b noch b vor a). Bei einer gegebe­ nen Gesamtheit von Tatsachen ist mit unterschiedlichen globalen logischen Ordnungen zu rechnen. Aus diesen ergeben sich globale epistemische und globale explanatorische Ordnungen durch Inter­ pretation der logischen Priorität als epistemische bzw. explanato­ rische Priorität. Dabei ist aber eine Zusatzbedingung zu beachten: katêgoroumena). Aristoteles vergleicht hier zwei Syllogismen (a31–36 bzw. a 40– b2): (1) (a) Planeten funkeln nicht. (c) Was nicht funkelt ist nah. Also: (b) Planeten sind nah. (2) (b) Planeten sind nah. (c') Was nah ist, funkelt nicht. Also: (a) Planeten funkeln nicht. In der Sache geht es darum, daß einerseits Planeten funkeln und Fix­ sterne nicht und daß andererseits Planeten der Erde näher als Fixterne sind. Die Merkmale Nah und Nicht-Funkelnd sind durch (c) und (c') ver­ knüpft; die entsprechende Annahme soll sich bei (c) durch Sichtung von Einzelfällen (epagôgê; zu diesem Begriff auch oben 1.2.2.2) oder durch Wahrnehmung ergeben (a34–35), dasselbe ist wohl bei (c') zu unterstellen. Durch (1) wird ein bloßes Faktum erschlossen (a36–37: ho syllogismos … tou hoti estin). Hingegen wird durch (2) das in der Konklusion angegebene Faktum – daß die Planeten nicht funkeln – erklärt (b3: esti tou dihoti ho syllogismos); anders als in (1) geben die Prämissen in (2) kausale Faktoren und Zusammenhänge an, durch die das in der Konklusion angegebenene Faktum bedingt ist. Der Unterschied zwischen den Argumentationsrichtungen in (1) und in (2) entspricht nach Beaney (2018, Supplement: »Ancient Conceptions of Analysis«, § 4. »Aristotle«) der in der antiken Wissenschaftstheorie der Mathematik ausgearbeiteten methodologischen Unterscheidung zwi­ schen analysis und synthesis.

Einleitung LXXXIX

Die Ordnung darf keine unendlichen aufsteigenden Ketten, d. h. unendliche Regresse, 209 enthalten. Dass beispielsweise a aus b und c, b aus b' und d, b' aus b'' und e, und immer so weiter erkannt oder erklärt wird, 210 macht insgesamt keinen Sinn, denn so wird tatsächlich gar nichts erkannt bzw. erklärt. Gefordert ist vielmehr, dass jede aufsteigende Kette zu einem sachgemäßen Aus­ gangspunkt führt – d. h. zu einer Tatsache, bei der sich die Frage, woraus sie erkannt bzw. erklärt wird, gar nicht erst stellt. Solche Tatsachen heißen Prinzipien; die Unterscheidung zwischen episte­ mischen und explanatorischen Prinzipien ergibt sich daraus, ob sie in einer epistemischen oder explanatorischen Ordnung als Prinzi­ pien fungieren. Prinzipien sind Anfänge in der epistemischen bzw. explanato­ rischen Ordnung einer Gesamtheit von Tatsachen: Einem Prinzip ist nichts vorgeordnet, aber Anderes nachgeordnet; ein epistemi­ sches oder explanatorisches Prinzip wird nicht aus Anderem, aber Anderes wird aus ihm erkannt bzw. erklärt. Eine Tatsache ist ins­ besondere dadurch als Prinzip ausgezeichnet, dass keine vorgeord­ neten Tatsachen zu ihrer Erkenntnis oder Erklärung erforderlich sind: Ein epistemisches Prinzip ist, wie man sagt, »durch sich selbst bekannt«; 211 und ein explanatorisches Prinzip ist nicht weiter er­ klärungsbedürftig. Epistemische und explanatorische Strategien liefern Kriterien dafür, was als epistemisches bzw. explanatorisches Prinzip gelten kann: Epistemische Prinzipien müssen nach Descartes »klar und deutlich« erkannt werden und gegen skeptischen Zweifel immun sein (s. u. 2.2.4.2). Die explanatorischen Prinzipien der aristote­ 209 

Eine zweite Forderung, Zirkelfreiheit, ist bereits durch die Asym­ metrie der zugrunde gelegten Ordnungsrelation gesichert. 210  Der Einfachheit halber unterstelle ich dieselbe lokale Struktur wie bisher, mit jeweils zwei vorgeordneten Gliedern. Woraus c, d, e usw. er­ kannt oder erklärt werden, ist für das obige Argument ohne Belang. 211  Zu dieser Charakterisierung epistemischer Prinzipien s. u. 2.2.4.2.

XC

Gottfried Heinemann

lischen Wissenschaft sind Definitionen: Dinge werden durch ex­ planatorisch relevante Merkmale als Gegenstände bestimmter Art gekennzeichnet (s. u. 2.2.5.1). Die Auszeichnung von Definitionen als Prinzipien ist mit einem realistischen Anspruch verbunden. Explanatorische Relevanz und explanatorischer Primat sind Re­ lationen zwischen Tatsachen, die sich nicht durch bloße Zuschrei­ bung ergeben. Die explanatorische Strategie der aristotelischen Naturwissenschaft lässt sich als eine allgemeine Vermutung über diese Relationen verstehen – d. h. darüber, welche Merkmale der Naturdinge als solche explanatorisch relevant sind und insofern deren Natur ausmachen und welche Tatsachen demgemäß als sol­ che und objektiv, wie man kurz sagen kann, explanatorisch primär sind. Demgegenüber markiert die Zuschreibung von epistemischer Relevanz und epistemischem Primat die jeweilige wissenschaftliche Herangehensweise. Der epistemische Zusammenhang der Tatsa­ chen ergibt sich einerseits aus den logischen Gegebenheiten und andererseits aus der epistemischen Positionierung dieser Herange­ hensweise; epistemische Prinzipien markieren, wie man auch sagen kann, die Selbstpositionierung eines Erkenntnissubjekts. Als Prinzipien gelten bei Aristoteles außer explanatorischen Prinzipien auch sogenannte »Axiome« und »Hypothesen« (s. u. 2.2.5.1). 212 Ein »Axiom« ist insbesondere das Prinzip vom ausge­ schlossenen Widerspruch. 213 Dieses gewährleistet die Identifizier­ barkeit von Dingen als Gegenständen mit bestimmten Merkmalen. Es charakterisiert »das Seiende qua Seiendes«; seine Erörterung fällt demgemäß in die Erste Philosophie. 214 – »Hypothesen« sind, wie das griechische Wort sagt, Setzungen. Insbesondere handelt es sich dabei darum, dass Dinge mit bestimmten Eigenschaften existieren, z. B. »die Naturdinge« mit der Eigenschaft, »entweder 212 

Die deutsche Wortwahl ist verfänglich: Was axiôma und hypothesis bei Aristoteles bedeuten, wird durch die scheinbare Verständlichkeit eher verdeckt. 213  Met. IV 3, 1005 b19–20: »Dass dasselbe demselben und in dersel­ ben Hinsicht zugleich zukommt und nicht zukommt, ist unmöglich.« – »Axiom« (axiôma): ebd. a 20 u. ö. 214  Vgl. insgesamt Met. IV 3 (zit.: Met. IV 1, 1003a 21: to on hê on). i

Einleitung XCI

sämtlich oder (wenigstens) zum Teil in Bewegung zu sein«.215 Eine solche hypothesis fungiert als Prinzip, wenn durch sie, wie in diesem Beispiel, der Gegenstand einer wissenschaftlichen Disziplin ein­ geführt wird (s. u. 2.3.4.2). Eine hypothesis zu verwerfen, ist nicht von vornherein abwegig. Aber wenn man sie verwirft, schließt man sich von der durch sie begründeten wissenschaftlichen Disziplin aus. Die Kontroverse um die hypothesis ist nicht innerhalb dieser Disziplin auszutragen. 2.2.2.2  Das erste Buch der Physikvorlesung erörtert die Erklä­ rungsprinzipien der Naturwissenschaft. Von epistemischen Prinzi­ pien ist gar keine Rede. 216 Das aristotelische Programm einer auf Prinzipien gestützten Wissenschaft ist nicht im Sinn einer funda­ mentalistischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie zu verste­ hen. Vielmehr ist es mit einem fallibilistischen Wissenschaftsver­ ständnis vereinbar, wonach »Wissen« – und das heißt hier: Tatsa­ chenwissen – »keine Grundlagen hat«. 217 Aristoteles unterscheidet zwei Aufgaben der theoretischen Wis­ senschaft: die Feststellung der Tatsachen und ihre anschließende Erklärung (s. o. 1.2.2.1). Die in der Physikvorlesung erörterten Prin­ zipien sind sachgemäße Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Erklärung. Das heißt, sie betreffen nicht die erste, sondern über­ haupt nur die zweite Aufgabe, die Erklärung bereits bekannter Tat­ sachen. Mit deren Feststellung und Sicherung haben sie zunächst gar nichts zu tun – was nicht ausschließt, dass wissenschaftliche Erklärungen überdies auch zur Bestätigung und Vermehrung der bekannten Tatsachen beitragen. 218 Ganz anders das cartesische Phys. I 2, 185a12–13 (siehe dort). 216  Dazu aber auch unten 2.2.4.2. 217  Lakatos 1976, 45n3. Das Zitat lautet im Zusammenhang: »Good textbooks of informal mathematics usually specify their ›shorthand‹ […]. One wonders when ›the author confesses ignorance about the field x' will replace the authoritarian euphemism ›the author assumes familiarity with the field x: surely only when it is recognised that knowledge has no foundations.« 218  Beispielsweise wird die Kugelgestalt der Erde von Aristoteles zwar durch einschlägige Beobachtungen (u. a. am Erdschatten bei Mondfins­ ternissen, vgl. Cael. II 14 297 b24–30) belegt. Aber diese werden nur als 215 

XCII

Gottfried Heinemann

Projekt einer Letztbegründung des Tatsachenwissens durch unbe­ zweifelbare Prinzipien (dazu unten 2.2.4.2): Die Eliminierung alles bisher anerkannten, sei es wissenschaftlichen oder alltäglichen Tat­ sachenwissens durch skeptischen Zweifel bereitet einen Neuanfang der Wissenschaft vor. Als Wissen taugt nur, was gegen den Zweifel immun ist; und bei Descartes ist das bekanntlich zunächst nur die Tatsache des Zweifelns und somit der Existenz des Zweifelnden im jeweiligen Vollzug seines Zweifelns. Diese Tatsache fungiert als epistemisches Prinzip; alles weitere Tatsachenwissen muss sich di­ rekt oder indirekt aus ihr ergeben. Im Hintergrund des aristotelischen Programms steht auch kein skeptischer Zweifel. Was vielleicht danach klingt, ist der alte Topos von der Unzulänglichkeit menschlichen Wissens, im Unterschied zu göttlichem. Diese Unzulänglichkeit betrifft insbesondere die Reichweite menschlichen Wissens, daher beispielsweise bei He­ siod den theogonischen Anfang und bei Philolaos das ewige »Sein« der Dinge und ihre »Natur« (s. u. 2.2.2.1). Hesiod behilft sich, wie überhaupt die epische Tradition, mit einem fiktiven Rückgriff auf göttliches Wissen. Auch die frühe griechische Philosophie spielt gelegentlich mit dieser Fiktion. 219 Insbesondere führt sie aber eine zweite, erkenntnistheoretische Unterscheidung ein, nämlich zwi­ schen dem Ergebnis direkter Kenntnisnahme und einer indirekten Kenntnis, die eher auf Vermutungen und Schlussfolgerungen be­ ruht. Nach Xenophanes ist solche Kenntnis, auch wenn sie zutref­ zusätzliche Bestätigungen des vorherigen Arguments angeführt, wonach sich der schwere Stoff, aus dem die Erde besteht, in alle Richtungen gleichmäßig um das Zentrum des Alls anlagern muss (ebd. a19–25, dazu Jori 2009, 172 f.). – Anzumerken bleibt, dass dieses Argument über das bloße Faktum hinaus zeigt, dass die Erde »aufgrund ihrer Natur« (phy­ sei, b21) und somit »notwendigerweise« (vgl. b17–18: anankaion einai …) kugelförmig ist. 219  So lässt Parmenides eine namenlose weibliche Gottheit sprechen, die dann aber Hörer auffordert, ihre Thesen selbst »durch Argument zu entscheiden« (DK 28 B 7.5: krinai logôi). Ob Empedokles an einigen Stellen, z. B. fr. 66.267 P (= LM 22 D73.267), die – ihrerseits vergöttlich­ ten – Elemente sprechen lässt, ist umstritten; vgl. einerseits Primavesi 2013, 695; andererseits Laks 2002, Trépanier 2017.

Einleitung XCIII

fen sollte, kein »Wissen«, sondern bloße Meinung. Dabei scheint der verwendete Ausdruck für »wissen«, der nach der Wortbildung auch »gesehen haben« bedeuten könnte, für das Ergebnis direkter Kenntnisnahme reserviert zu bleiben. 220 Durch diese Wortwahl kann der Anschein skeptischen Zweifels entstehen – beispielsweise auch in einem Demokrit-Zitat bei Diogenes Laertios: »In Wirklich­ keit wissen wir nichts, denn die Wahrheit ist in einem Abgrund.«221 Dabei bezieht sich »in Wirklichkeit« (eteêi) auf die von Demokrit postulierten und als ontologisch fundamental ausgezeichneten Atome sowie das sie trennende Leere. Demokrits »Wahrheit« be­ ruht nur auf Schlussfolgerungen; sie liegt »in einem Abgrund«, weil sie sich nicht auf alltägliche Dinge, sondern auf theoretische Entitä­ ten bezieht. Den Gedanken ergänzt ein zweites Zitat: »Durch Kon­ vention Warmes, durch Konvention Kaltes, in Wirklichkeit Atome und Leeres.«222 Einerseits entzieht sich, was ontologisch fundamen­ tal ist, der direkten Kenntnisnahme. Andererseits sind die Gegen­ stände direkter Kenntnisnahme nicht ontologisch fundamental; als eine bestimmte Sache (und somit auch als Gegenstand alltäglichen Wissens) gilt Wahrgenommenes nur »durch Konvention« (nomôi).223 220 

Vgl. Xenophanes, DK 21 B 34 – »wissen«: oida (Inf.: eidenai), d. i. Perfekt zu eidô (»sehen«), wobei von diesem Wort aber sonst nur der Aorist eidon (Inf. idein) üblich ist. Die Annahme Fränkels (1969, 382; vgl. ders. 1925, 184 ff. = 1960, 342–349), dass Xenophanes hier mit die­ sen Wortbedeutungen spielt und demgemäß von »wissen« im Sinne von »Wissen aus Augenschein« spricht, ist nicht nur aus textlichen Gründen unsicher; vgl. Heitsch 1983, 174; Hussey 1990, 18n21; Lesher 1992, 157 f.; ders. 2019, § 6; Tor 2017, 130n85. 221  DK 68 B 117. Der Kontext bei Diogenes Laertios (IX 72), ein­ schließlich weiteren Demokrit-Zitats (s. u.), wird von DK unübersetzt mitgeteilt. Einen brauchbaren Ausschnitt zitieren und übersetzen Laks / Most (LM 27 D 24). 222  Nochmals LM 27 D 24 (ebenso bei DK im Kontext zu B 117, s. o.); ähnlich das Zitat bei Galen, das DK als B 125 zitiert. Vgl. insgesamt LM 27 D 14–24 (Laks / Most 2016 VII, 74 ff.); zur Interpretation Taylor 1999, 189 ff. 223  Ich lese in der Paraphrase bei Galen (LM 27 D 23a , vgl. DK 68 A 49) das für toi (mss.) eingesetzte ti als Prädikatsnomen zu einai: Bei den

XCIV

Gottfried Heinemann

Anders als in der frühen griechischen Philosophie (s. o. 1.4.2.) und auch bei Platon sind bei Aristoteles keine theoretischen En­ titäten, sondern alltägliche Dinge ontologisch fundamental, z. B. Lebewesen und die Merkmale, die ihr Lebendigsein ausmachen. Erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt ist daher das uns schon Bekannte; die Kenntnis der – wohlgemerkt: explanatorischen – Prinzipien wird nicht durch dessen skeptische Eliminierung ge­ wonnen, sondern aus ihm, in dem man an ihm geeignete Unter­ scheidungen trifft. 224 Den »Abgrund«, in dem man die Wahrheit suchen müsste, gibt es bei Aristoteles nicht. 2.2.3  Die Tradition: Ursprünge, Hypothesen, Prinzipien Durch »Prinzip« wird üblicherweise das griechische Wort archê wiedergegeben. 225 Nach der gemeinsprachlichen Grundbedeutung ist archê das Erste in einer Reihe und daher einerseits »Anfang« und »Ursprung«, andererseits aber auch »Herrschaft«. In ethischen und medizinischen Kontexten kann archê daher der entscheidende Faktor sein, durch den etwas zustande kommt und durch dessen Kontrolle es handhabbar wird. 226 Insbesondere ist archê aber der sachgemäße Ausgangspunkt, von dem her etwas erklärt, argumen­ tiert oder dargestellt wird. 227 Menschen gelten Weiß etc. »für etwas Bestimmtes, aber in Wahrheit ist alles [reduzierbar auf] Etwas und Nichts« – mit »Etwas« (den) für mas­ siv Seiendes, im Unterschied zu »Nichts« (d. i. Nichtetwas: ouden). Nicht die Wahrnehmung als flüchtiges Erleben, sondern ihr als eine bestimmte ­Sache festgehaltener Inhalt ist nach Demokrit konventionell. 224 Vgl. Phys. I 1, 184 a16–23 – »aus ihm«: ek toutôn (a 22); »an ihm«: tauta (a 23). In Wagners Übersetzung fehlt beides. 225  Zur philosophischen Begriffsgeschichte von archê vgl. den Über­ sichtsartikel von Aubenque (1989). 226 Zur archê von Übeln vgl. Demokrit, DK 68 B 221 und 245 (LM 27 D 270 und 380); zur archê von Krankheiten im Corpus Hippocraticum: VM 1–2, Flat. 1, Morb. IV 1/32L . und 18/49 L . (dazu Huffman 1993, 83). 227  Die Wichtigkeit des richtigen Ausgangspunktes betonen beispiels­ weise Diogenes von Apollonia (DK 64 B 1), im Corpus Hippocraticum dann De arte 4, VM 1–2 und Carn. 1. Die Forderung könnte älter sein;

Einleitung XCV

2.2.3.1  Das Projekt einer Darstellung »von Anfang an« (ex ar­ chês) ist der Göttergenealogie Hesiods entlehnt; für die frühe grie­ chische Philosophie ist diese Formulierung freilich nur indirekt, aber glaubwürdig bezeugt. 228 Gemeinsamer »Ursprung« (archê) aller Dinge ist bei Anaximander das mit keinem bestimmten Stoff identifizierbare »Unbegrenzte« (apeiron), das dann die Gesamtheit der aus ihm hervorgegangenen Dinge umgibt und lenkt. 229 Ana­ xagoras beschreibt den »anfangs« (archên) bestehenden Zustand der Welt als ein homogenes Gemisch, das durch Einwirkung der »Vernunft« (nous) »erstmals« (tên archên) in Rotation gerät. 230 Die Entmischung ist stets unvollständig. Aristoteles resümiert, dass eine komplexe Welt bei Anaxagoras und überhaupt bei den Alten durch quantitative Differenzierungen an einer ursprünglichen Ein­ heit entsteht. 231 Die Fragwürdigkeit der entsprechenden Wissensansprüche wird früh reflektiert. Hesiods Thema – »der Unsterblichen heili­ ges Geschlecht … von Anfang an«232 – erfordert Kenntnisse, die für Sterbliche nur durch göttliche Mitteilung zu erlangen sind. Der genealogischen Göttererzählung ist daher die Erzählung von der Berufung des Dichters durch die Musen vorangestellt. Aber deren Mitteilung ist unverlässlich; sie behalten es sich vor, den Dichter die Bemerkung bei Parmenides, es mache keinen Unterschied, von wo er anfange, da er dahin auch wieder zurückkommen werde (DK 28 B 5), lässt sich wohl als ihre Zurückweisung verstehen. 228  Vgl. einerseits Hesiod, Theog. 45 und 115, andererseits [Hippo­ krates], VM 20.1: ex archês. Dazu Jouanna 1990, 208 (zurückhaltender Schiefsky 2005, 305). 229  Anaximander, DK 12 A 9–11, 15 (LM 6 D 7–12), dazu Rapp 2007, 36 f. und 43 f.; Einzelheiten bei Kahn (1960, 29 ff. und 42 ff.). – Ob Anaxi­ mander hier mit der Doppelbedeutung von archê als Ursprung und Herr­ schaft spielt, ist kaum zu entscheiden. 230  Vgl. Anaxagoras DK 59 B 6: archên, bzw. B 12: tên archên (beide­ male adverbiell). In demselben gemeinsprachlichen Sinn B 13: êrxato kinein (der nous »begann zu bewegen«). 231  Phys. I 6, 189 b 8–11 (mit Rückbezug auf I 4, 187a12). – Ausnahme: Atomisten. 232  Theog. 105: athanatôn hieron genos, dann 115: ex archês.

XCVI

Gottfried Heinemann

zu täuschen: »Wir wissen viel Falsches zu sagen, das dem Echten gleicht, und wir wissen auch, wenn wir wollen, Wahres zu verkün­ den.«233 Zur Überlegenheit göttlichen Wissens gehört es, dass die Wahrhaftigkeit seiner Mitteilung nicht überprüft werden kann. So wird kosmologisches Wissen zum Gegenstand göttlicher, den Ab­ stand wahrender Missgunst. Ihr begegnet die frühe griechische Philosophie nicht mit thematischer Beschränkung, sondern indem sie – beispielgebend Xenophanes und Alkmaion, wenig anders Par­ menides – für die systematische Darstellung und Erklärung aller Dinge ausdrücklich keine Gewissheit beansprucht. 234 Bei Philolaos (fr. 6) sind das ewige »Sein« (estô) der Dinge und ihre »Natur« (physis) – das heißt hier wohl: die fundamentalen Entitäten, aus denen die Dinge gebildet sind, sowie die Weise, in der die Dinge aus fundamentalen Entitäten gebildet sind – kein Gegenstand menschlichen, sondern göttlichen Wissens. Greifbar ist nur, dass die Grundbestandteile der Dinge in »Unbegrenztes« (apeira) und »Begrenzendes« (perainonta) einteilbar sind und dass die Bildung komplexer Dinge ein Passungsverhältnis (harmonia) zwischen diesen »Prinzipien« (archai) erfordert. Die somit ange­ gebenen »Prinzipien« sind zwar gemeinsame Bestandteile aller Dinge (fr. 1–2). Aber nicht dies zeichnet sie als »Prinzipien« aus. Sie heißen »Prinzipien« (archai), weil sie bei Philolaos als – der Begrenztheit menschlichen Wissens entsprechende und insofern sachgemäße – Ausgangspunkte der wissenschaftlichen Erklärung fungieren. 235

233 Hesiod,

Theog. 27–28. Die Stelle wird oft so interpretiert, als be­ anspruchte Hesiod für sich, von den Musen nicht belogen zu werden. Weitaus plausibler ist aber die Interpretation, wonach Hesiod dies offen­ lässt, vgl. Tor 2017, 61–94; anders Vogel 2019 (jeweils mit ausführlichen Literaturangaben). 234  Vgl. Xenophanes DK 21 B18 und 34, Alkmaion DK 24 B 1, Parme­ nides DK 28 B 1.30 und B 8. 50 ff.; dazu Tor 2017. – »Systematische Dar­ stellung und Erklärung aller Dinge«: vgl. Long 1999, 10: »account of all things«. Zu den Themenangaben der frühen griechischen Philosophie auch unten 2.3.4.2. 235  Vgl. DK 44 B 6 (dazu Huffman 1993, 84 ff.):

Einleitung XCVII

Was Philolaos »Prinzip« (archê) nennt, wird dann auch als »Hypothese« (hypothesis) bezeichnet. Diesem – vermutlich der Mathematik entlehnten, aber erst in der medizinischen Literatur der Wende zum 4. Jh. nachweisbaren – Sprachgebrauch entspricht die Erklärung bei Aristoteles, eine archê heiße hypothesis, wenn sie, wie das Wort sagt, die »Zugrundelegung« oder »Setzung« be­ stimmter Dinge mit bestimmten Eigenschaften beinhaltet. 236 Nach Aristoteles ist dies nur eine unter mehreren Arten von Prinzipien (s. u.). Demgegenüber scheint das ältere methodologische Vokabu­ lar gar nicht zwischen archê und hypothesis zu unterscheiden. Diese ­Unterscheidung ist erst bei Platon, im Liniengleichnis der Politeia sowie der an das Höhlengleichnis anschließenden Darstellung des philosophischen Curriculums, ausgearbeitet. 2.2.3.2  Platon übernimmt den Begriff der hypothesis im Menon aus dem methodologischen Vokabular der Mathematik. 237 Nach der Darstellung im Liniengleichnis sind hypotheseis bloße »Setzungen«; den Mathematikern genügt es, ihren jeweiligen Gegenstand durch unhinterfragte Setzung einzuführen und die anschließende Be­ APo I 2, 72a 20; dazu Detel, Stichwort hypothesis, in: Höffe (Hg.) 2005, bes. 285 f. In demselben Sinne zuvor [Hippokrates], VM 1, Carn. 1, Platon, Men. 86e–87a, Phd. 100ab (dann auch 101de), Resp. VI, 510bc, Parm. 127de u. ö. (bes. 136ab und 137b); vgl. insgesamt Huffman 1993, 81 ff. – Beachte übrigens: (i) Eine Setzung von etwas mit einer bestimmten Eigenschaft ist auch die hypothesis, von der Sokrates im Menon nach Zurückstellung der Frage, was »Tugend« (aretê) ist, ausgeht (86de), nämlich: »die Tugend sei etwas Gutes« (87d3). (ii) Nach Platon (Men. 87a und Parm. 136ab) kann die Setzung von soundso etwas statt mit einer Existenzannahme auch mit einer Erwägung der Alternative, ob soundso etwas existiert oder nicht, sowie einer Untersuchung der jeweili­ gen Konsequenzen einhergehen. (iii) Ob Platons Charakterisierung des Zenon’schen »wenn Vieles ist, …« (ei polla estin, Parm. 127e1 u. ö.; ebenso DK 29 B 1 und B3) als hypothesis auf die ältere Zenon-Rezeption (oder sogar auf Zenon selbst) zurückführbar ist, lässt sich kaum entscheiden. Wichtig ist hier nur, dass die Zenon’sche Formel in Platons Parmenides nicht durch ihre Form (Konditionalsatz), sondern durch ihren Inhalt (Existenzannahme) als hypothesis gekennzeichnet ist. 237 Vgl. Menon 86e–87a; zum Rekurs der Mathematik auf hypotheseis dann Resp. VI, 510cd und 511cd sowie VII, 533bc. 236 Aristoteles,

XCVIII

Gottfried Heinemann

weisführung an seiner Veranschaulichung zu orientieren. Für das »dialektische Verfahren« der Philosophen sind »Setzungen« (hypo­ theseis) aber nur »Einstiege« (epibaseis); diese sind erforderlich, weil das »nicht gesetzte Prinzip« (archê anhypothetos) nicht anders als »durch Aufhebung der Setzungen« (tas hypotheseis anhairousa) erreicht wird. 238 Der Kontext macht klar, dass dieses »Prinzip« nur die Idee des Guten sein kann. 239 Sie wird im Liniengleichnis als »Anfang des Ganzen« (tou pantos archê), d. h. der als Abstufung von Wissensformen dargestellten Gesamtheit aller Kenntnisse, cha­ rakterisiert; im Sonnengleichnis wurde sie eingeführt als dasjenige, das dem Erkennbaren nicht nur »Wahrheit« (d. h. Erkennbarkeit) mitteilt, sondern auch »Sein und Wesen« und dem der Erkennende das entsprechende »Vermögen« verdankt.240 Sie ist der letzte Grund von allem und – in der Sprache des Liniengleichnisses – der un­ hinter­geh­bare Anfang, aus dem sich alles und ohne den sich gar nichts erschließt. Der Anfang (archê) kommt im Liniengleichnis zuletzt, und er wird erst mit dem Abschluss des philosophischen Curriculums er­ reicht. Anders als die »Ursprünge« bei Hesiod und in der frühen griechischen Philosophie können Prinzipien nach Platon keine Anfänge der Darstellung sein. In der Argumentation sind sie zu­ nächst Resultate, und ebenso in der Darstellung des Wissens und bei seinem Erwerb. Aristoteles übernimmt diese Einsicht von Platon. Ausgangspunkte der Prinzipienforschung sind vorläufige Einsichten: »Setzungen« und Hintergrundwissen. Sie sind bloße »Einstiege« und werden schrittweise vertieft und berichtigt. Ein 238 Vgl.

Resp. VI, 510b, 511b und VII 533b–d – zit. 510b5 u. ö.: hypo­ thesis; 510b7: archê anhypothetos; 533c8: autê hê archê; 511b4 und 533a8: tou dialegesrthai dynamis; 511b6: epibaseis opp. anhypotheton; 533c7: dia­ lektikê methodos; 533c8: tas hypotheseis anhairousa. Die Unterscheidung zwischen hypothesis und archê ist bei Platon erst hier, nicht schon im Phai­ don (101de) ausgearbeitet; sie kann vor Platon nicht vorausgesetzt werden (vgl. Huffman 1993, 90 f.; wenig anders Aubenque 1989, Sp. 1337). 239  Resp. VI, 508e2–3 und VII, 534c1: tou agathou idea; ebd. 532a7: ho esti agathon; ebd. 540a8–9: to agatho auto. 240  Resp. VI, 511b7: tou pantos archê; ebd. 508e1: alêtheia; 509b7–8: einai und ousia; 508e2: dynamis.

Einleitung XCIX

Prinzip wäre demnach e­ rreicht, wo kein Vertiefungs- und Berichti­ gungsbedarf mehr besteht. Das Erkennbare, im Unterschied zu den Gegenständen bloßen Meinens, sind im Liniengleichnis die sog. Ideen. Eine Vorbemer­ kung zum Sonnengleichnis weist darauf hin, dass Gerechtes und Lobenswertes (kalon) kaum geschätzt werden, wenn man nicht weiß, dass beides auch gut (d. h. empfehlenswert: agathon) ist. 241 Das Sonnengleichnis geht einen Schritt weiter: Die einschlägigen Ideen verdanken der Idee des Guten ihr Sein, ihr Wesen und ihre Erkennbarkeit. Das heißt, sie werden entweder gar nicht oder von vornherein als Spezifikationen des Guten erkannt. Im Kontext des Höhlengleichnisses gehört die Kenntnis dieses Zusammenhangs zu dem Kriterienwissen, das die Philosophen zu ihrer politischen Aufgabe befähigt: der Supervision der evaluativen Bräuche, durch die sich das Gemeinwesen in der Höhle (!) organisiert. 242 Kosmo­ logische Weiterungen werden in den mittleren Büchern der Politeia nicht erwogen. Sie sind aber nicht ausgeschlossen; ob bei Platon oder erst im Platonismus, ist hier nicht zu erörtern. 241 

Resp. VI, 506a4–6 – »lobenswert« für kalos ist bei ethischen The­ men richtiger als das übliche »schön«. 242  In diesem Sinne zunächst Resp. VI, 484cd: Die Befähigung der Phi­ losophen zur politischen Herrschaft – und das heißt hier: zur Behebung des Elends für Gemeinwesen und Menschengeschlecht (Resp. V, 473d5–6)  – liegt eben darin, dass sie »die hiesigen Üblichkeiten im Hinblick auf Lobenswertes, Gerechtes und Gutes« (484a1–2: ta enthade nomima kalôn te peri kai dikaiôn kai agathôn) unter Bezugnahme auf »das »Wahrste« (c9: alêthestaton) bei Bedarf zu etablieren (d2: tithesthai) und jedenfalls zu bewachen und zu bewahren (d3: phylattontes ­sôizein) wissen. Dann Resp. VII, 520c: In die Höhle zurückgekehrt, werden die Philosophen nach einer Eingewöhnungszeit (aber nicht sofort, ebd. 516a8–517a4) »zehntausendmal besser« 520c3: myriô beltion) als die Höhleninsassen »sehen und erkennen, was und wovon die jeweiligen eidôla [d. i. die Pro­ jektionen an der Höhlenwand] sind, weil sie das Wahre gesehen haben in Bezug auf Lobenswertes, Gerechtes und Gutes« (520c4–6: … dia to ta­lê­ thê ­eôrakenai kalôn te kai dikaiôn kai agathôn peri). Wenn sie deshalb in der Konkurrenz der Meinungen über dieses Was und Wovon – Gerechtes oder Ungerechtes, vorbildlich oder nicht, usf. – unter den Höhlenbewoh­ nern das letzte Wort haben, ist die Philosophenherrschaft etabliert.

C

Gottfried Heinemann

Der Sokrates der Apologie hätte das in der Politeia geforderte Kriterienwissen – wie das sophistische »Fachwissen« über »die menschliche und politische Tugend (aretê)« – als »eine Weisheit« abgetan, »die größer als menschengemäß ist«. 243 Tatsächlich be­ schreibt die Politeia den Aufstieg zum Prinzip dieses Wissens als einen selektiven und langwierigen Bildungsgang, der die mensch­ liche »Natur« hinter sich lässt und auch bei geeigneter Begabung und Charakteranlage nur durch »Zwang« einleitbar und abschließ­ bar ist. 244 Man kann das so verstehen, dass die Bedenken aus der Apologie in der Politeia berücksichtigt sind. Aber die Gewichte sind verschoben. Die Apologie bestimmt das »höchste Gut für den Menschen« als unaufhörliche Prüfung und Selbstprüfung und ins­ besondere als Vermeidung überzogener Wissensansprüche; Sok­ rates wird zum größten »Wohltäter« des Gemeinwesens, indem er dieses Gut auf die nächstliegende Weise, im »philosophierenden« Gespräch, mit seinen Mitbürgern teilt. 245 Fraglich bleibt, ob dies der Besserung dient; gegen die Zuschreibung einer entsprechenden Kompetenz hat sich Sokrates ja deutlich verwahrt (s. o.). Erst recht geht ihn das expertokratische Politikmodell der Politeia und ihr Pa­ ternalismus, überhaupt das erstmals im Kriton angedeutete Projekt einer »moralischen technê« (sowie deren vor allem in der Politeia 243 Vgl.

Apol. 20b4–5 (»Fachwissen«: technê, ebd. c1; in demselben Sinn b5: epistêmôn); dann 20e1: meizô … ê kat’ anthrôpon sophia. 244  »Begabung und Charakteranlage«, d. i. die in Resp. VI aus­f ührlich besprochene philosophos physis; Listen der einschlägigen Charakterund Begabungsmerkmale ebd. 487a3–5 sowie Resp. VII, 535a6–c4. Vgl. Heine­mann 2007, 67 f. – »Natur«: Die Verhältnisse in der Höhle entspre­ chen »unserer Natur (physis) bezüglich Bildung und Unbildung« (Resp. VII, 514a2). – »Zwang«: Die Ausbildung zum Philosophen beginnt mit ei­ ner (durch paradoxe Beobachtungen an Größenverhältnissen) »erzwun­ genen« Umwendung von der Anschauung zur begrifflichen Analyse (ebd. 523b9–526e7; anankazô: 515c6, 519c9, 523d6, 524e4, 525d6, 526b2, 526e2, 526e6 u. ö.); ihr Abschluss ist, im Alter von 50 Jahren, der nochmals »er­ zwungene« Blick in die Sonne, d. h. auf »das Gute selbst« (anankazô: 515e1, 540a7; to agatho auto: 540a8–9). 245  Apol. 38a bzw. 29d–30a (29d5: philosophôn); »Wohltäter«: euergetês (36d4, vgl. c3–4: euergetein, euergesia). Dazu Heinemann 2009b.

Einleitung CI

ausgearbeitete Fundierung durch die Ideenlehre), 246 nichts an. Wo­ gegen er sich durchaus nicht verwahrt, ist der Eindruck, dass es ihm vielmehr um moralische und intellektuelle Selbstachtung geht. 2.2.4  Wissenschaftstheoretischer Fundamentalismus? – ­ Göttliche Missgunst und skeptischer Zweifel Die im 20. Jh. unglaubwürdig gewordene Idee einer durch Prinzi­ pien begründeten und durch die Unanfechtbarkeit ihrer Prinzipien gesicherten Wissenschaft hat eine Vorgeschichte bei Aristoteles. Aber das heißt nicht, dass Aristoteles eine solche Auffassung von Wissenschaft vertritt. 2.2.4.1  Aristoteles verteidigt eingangs der Metaphysik sein eige­ nes Programm einer »Wissenschaft … von den ersten Prinzipien und Gründen«, einschließlich des »Besten in der ganzen Natur«, 247 gegen einen Einwand, dessen Formulierung er aus der Apologie, wie oben zitiert, übernimmt: Der Erwerb solchen Wissens sei »nicht menschlich«; der Mensch müsse nach dem Wissen streben, das »ihm gemäß« ist. 248 Nach Aristoteles kommt das auf die alte Irr­ lehre von der göttlichen Missgunst hinaus. 249 Die Anspielung auf die Apologie ist nicht ganz abwegig, aber letztlich irreführend. Zwar lässt auch der dortige Vergleich zwischen göttlicher und mensch­ licher Weisheit an göttliche Missgunst denken. Aber der Sokrates der Apologie lässt gar keinen Zweifel daran, dass für Menschen gar keine andere Weisheit als die »menschliche« erstrebenswert ist. So ist das »höchste Gut für den Menschen« der göttlichen Missgunst entzogen. 246 

Vgl. Kahn 1996, 103 f. (zit. 104) mit Bezug auf Cri. 47cd und 48a. Met. I 2, 982b 8–9: epistêmê … tôn prôtôn archôn kai aitiôn; ebd. b 7: to ariston en têi physei pasêi . 248  Met. I 2, 982 b 28 ff.: ouk anthrôpine (b 28–29) opp. kath’ hauton (b31) wie Apol. 20de: anthrôpinê (d8) opp. meizô … ê kat’ anthrôpon (e1). Ebenso an der Parallelstelle in EN X 7: kreittôn ê kat’ anthrôpon (1177 b26–27). 249  Met. I 2, 982 b 28–983 a5. Aristoteles zitiert Simonides; aber auch Hesiods womöglich lügende Musen (Theog. 27–28, s. o. 2.2.3.1) lassen sich als ein Beispiel göttlicher Missgunst interpretieren. 247 

CII

Gottfried Heinemann

Die Erwähnung der göttlichen Missgunst in Met. I 2 kann den Eindruck erwecken, als implizierte die aristotelische Prinzipien­ forschung utopische Wissensansprüche. Die Ausführung in Met. IV und Met. XII bestätigt diesen Eindruck aber nicht. – Universellste Prinzipien sind nach Met. III 2 die sog. Axiome; diese sind nach Met. IV 3 nochmals auf ein gemeinsames Prin­ zip zurückführbar: den Widerspruchssatz, dessen Geltung nach Met. IV 4 als Bedingung der Möglichkeit, »von etwas zu reden« (ti legein), ausweisbar ist. 250 Bemerkenswert ist hier aber die Äquivokation von »Prinzip«, auf die Hobbes hingewiesen hat: Die »Prinzipien« in Met. I sind Erklärungsprinzipien (causae rerum), während der in Met. IV als Prinzip diskutierte Wider­ spruchssatz nach Hobbes ein Erkenntnisprinzip (causa cognitio­ nis) ist. 251 Diese Unterscheidung – und ebenso die Unterschei­ dung zwischen Erklärungs- und Bewegungsprinzipien – ist bei Aristoteles kaum ausgearbeitet. 252 Aber sie bleibt in der folgen­ den Diskussion zu beachten. – Ein universelles Bewegungsprinzip ist der bewegungslose An­ trieb der Himmelsbewegungen, der nach Met. XII 7 die Himmels­ körper »als Begehrtes bewegt« (und naheliegenderweise mit dem »Besten in der ganzen Natur« aus Met. I 2 gleichgesetzt werden kann). Die Analogie zum Antrieb tierischer Bewegung durch die Wahrnehmung oder Vorstellung eines begehrten Objekts (auch ein bewegungsloser Beweger!) ist gewagt, aber im Rahmen der aristotelischen Naturwissenschaft durchaus nicht befremdlich;253 die Frage nach utopischen Wissensansprüchen stellt sich gar Met. III 2, 997a12–13; Met. IV 3, 1005 b32–34; zit: Met. IV 4, 1006 a12–13: an monon ti legêi (dazu Irwin 1988, 180 und ff.). 251  Vgl. Hobbes, De corpore I, v, 12; Opera philosophica I, 56 (Hinweis bei Holzhey 1989, 1357 f.). 252  Über Erkenntnis- und Erklärungsprinzipien s. o. 2.2.2.1, über Be­ wegungsprinzipien s. u. 2.3.6. 253  Vgl. einerseits Met. XII 7 1072 b 3: kinei … hôs erômenon, anderer­ seits die Erklärung tierischer Selbstbewegung in Anim. III 9–11 und MA 6 ff. (dazu Corcilius 2011 und ders. 2018, cxlv ff.). – Über bewegungslose Beweger siehe Einl. 2.6. im zweiten Teilband. 250 Vgl.

Einleitung CIII

nicht. Als Erklärungsprinzip ist die Ursache der Himmelsbewe­ gungen nicht eigentlich universell. Alle anderen Vorgänge wer­ den durch die jeweiligen Naturen der beteiligten Gegenstände erklärt. Der unaufhörliche Kreislauf der Himmelskörper sichert das periodische Eintreten der nötigen Stimulusbedingungen und geht nur als Randbedingung in die jeweiligen Erklärungen ein. – Die teleologischen Erklärungen der aristotelischen Naturwis­ senschaft rekurrieren auf »das Bessere nach Maßgabe der Sub­ stanz (ousia) des jeweiligen Gegenstandes«. 254 In der Biologie ist dies der dauernde Bestand der jeweiligen Art, auf den sich funktionale Erklärungen demgemäß letztlich beziehen. Wenn De anima II 4 die biologische Reproduktion als Teilhabe des Vergänglichen »am Immerwährenden (tou aei) und Göttlichen« (und man kann wieder hinzufügen: am »Besten in der ganzen Natur«) charakterisiert, 255 fügt das nichts zur biologischen Er­ klärung hinzu. Der Erklärungswert der zitierten Bemerkung beschränkt sich darauf, für die Biologie den Abschluss finaler Regresse durch eine Auskunft darüber zu sichern, wieso und in welchem Sinne der dauernde Bestand einer Art nach Maßgabe der einschlägigen ousia »das Bessere« ist. 2.2.4.2  Der Rückgang auf Prinzipien wird wohl erst in der frühen Neuzeit mit einer Letztbegründung des Tatsachenwissens in Ver­ bindung gebracht. 256 Ein Hinweis auf Descartes muss hier genügen. Sein wissenschaftstheoretischer Fundamentalismus illustriert, wo­ rauf man sich bei Aristoteles gerade nicht einlassen muss. Nach Descartes ist Prinzip, was erstens klar und un­bezweifelbar ist und wovon zweitens die Erkenntnis der anderen Dinge abhängt Phys. II 7, 198b 9, dazu Heinemann 2016c. 255  Anim. II 4, 415a 26– b 7 (zit. a 29). Ähnlich GA II 1, 731b24–732 a1, zu­ vor bei Platon Symp. 207c–208b und Lg. 721b–c; zur Imitation der himm­ lischen Kreisbewegung im Umsatz der Elemente GC II 10, 336 b27–337a7. Vgl. insgesamt Kahn 1985, § II (bes. S. 188 f. und 193 ff.). 256  Vgl. Gethmann 1980; ergänzend Detel (1993 I, 333) zu der ver­ mutlich erst neuzeitlichen »Identifikation von Wissen mit bewiesenem Wissen«. 254 

CIV

Gottfried Heinemann

und ableitbar ist. 257 Das von Descartes angenommene Prinzip ist bekanntlich die Existenz des jeweiligen Denkvollzugs. 258 Die Feststellung, »dass der Satz ›Ich bin, ich existiere‹, sooft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist«, 259 wird demgemäß zum archimedischen Punkt der Wissensbegründung umfunktioniert. 260 Aber tatsächlich hat Descartes keinen Hebel, der sich an diesem Punkt ansetzen ließe; sein Prinzip funktioniert nicht als Prinzip, weil – ohne die Wahrhaftigkeit des Schöpfers, die dem jeweiligen Denkvollzug einen von ihm selbst verschiedenen Gegenstand sichert – nichts aus ihm folgt. Descartes behilft sich mit einer Serie von Gottesbeweisen, deren Hinfälligkeit hier nicht weiter diskutiert werden muss. 261 – Dass es bei Aristoteles keinen archimedischen Punkt der Wissensbegründung gibt, ist wichtig. Wichtiger ist, dass die aristotelische Naturwissenschaft auch gar keinen braucht. Dass Prinzipien »durch sich selbst bekannt sind (per se nota)« sind, ist ein von Descartes und seinen Zeitgenossen aus der mittel­ alterlichen Philosophie übernommener Gemeinplatz. 262 Die For­ mulierung lässt sich auf zwei Stellen bei Aristoteles zurückführen: 257  Descartes,

Brief an Picot, AT IX.2, 2.19–29. – Zu dem verwan­ deten Kriterium der Klarheit und Deutlichheit vgl. bes. Med. VI 9 (AT VII, 78, 2 ff.). 258  Ebd. 10.4–6: »… j’ay pris l’estre ou l’existence de cette pensée pour le premier Principe, duquel j’ai déduit tres-clairement les suiuans.« Ähnlich Disc. IV 1 (AT VI, 32.18–23). 259  Descartes, Med. II 3 (AT VII, 25.11–13), übers. Gäbe. 260  Vgl. Med. II 1 (AT VII, 24.9–13). 261  Med. III 13–28 (AT VII, 40.5–48.2), Med. III 29–36 (AT VII, 48.3– 51.5), Med. V 7–11 (AT VII, 65.16–68.20). Vgl. Carriero 2009, 165 ff. Zu den Gottesbeweisen ebd. 168 ff. und 317 ff. sowie Schmidt 2009 und Rose­ feldt 2009. 262  Zum Mittelalter Huning 1989. Bei Descartes: Regulae VII 1 (AT X, 387.16), »a primis et per se notis principiis … deduci«; bei Galilei: Dialogo 75: »si arriva a qualche principio per sè noto« (vgl. Dialogo dt., 54: »wenn man … zu einem selbstverständlichen Axiome gelangt«). Descartes spricht auch von durch sich selbst bekannten »Naturen« und »Dingen«: Regulae VIII 7 (AT X, 399.17) u. ö. bzw. Regulae XII 16 (AT X 420.14) u. ö.

Einleitung CV

(i) Erste Beweisprämissen werden eingangs der Topik dadurch charakterisiert, dass sie ihre Glaubwürdigkeit (pistis) »durch sich selbst« (di hautôn) und nicht »durch anderes« haben. 263 (ii) Im II. Buch der Ersten Analytiken heißt es, Prinzipien seien »durch sich selbst so geartet, dass sie erkannt werden« (di’ hau­ tôn pephyke gnôrizesthai); was ihnen nachgeordnet ist, werde »durch anderes« erkannt. Thema der Stelle ist ein Argumenta­ tionsfehler, die sog. petitio principii (to ex archês aiteisthai), 264 den Aristoteles als Vernachlässigung dieser Unterscheidung beschreibt. An beiden Stellen ist von Erkenntnisprinzipien die Rede, d. h. von sachgemäßen Ausgangspunkten für die Behebung von Zweifeln und Kontroversen bei der Feststellung von Tatsachen. – Das gilt auch für zwei Parallelstellen, an denen dieselbe Unterscheidung getroffen wird: (iii) Für ein Prinzip wie den Widerspruchssatz einen Beweis zu fordern, zeugt nach Met. IV 4 von derselben »argumentations­ theoretischen Ungezogenheit (apeudeusia)« wie in (ii), näm­ lich, »nicht zu wissen, wofür man einen Beweis zu suchen hat und wofür nicht«. 265 (iv) Zeigen zu wollen, »dass es die Natur« – d. h. dass es Natur­ dinge – »gibt«, ist nach Phys. II 1 »Sache dessen, der nicht unterscheiden kann, ob etwas durch sich selbst (di hauto) oder nicht durch sich selbst bekannt ist«. 266 Es ist nicht anzunehmen, dass die Formel »durch sich selbst be­ kannt« an den zitierten Stellen so etwas wie Immunität gegen skep­ tischen Zweifel anzeigen soll. Aristoteles würde gar nicht behaup­ ten, dass sich die Existenz von Naturdingen gegen das cartesische Verfahren zur Eliminierung vorfindlichen Tatsachenwissens ver­ Top. I 1, 100 b17–21 (b20: archai). 264  APr II 16, b 34–38 – zuvor auch: to en archê aiteisthai (b28). i 265  Met. IV 4, 1006 a5–8. – Vgl. den Hinweis bei Strobach (2015a, 405; zu APr II 16, 64b34–38), Übersetzung von apaideusia (1006 a 6) dort. 266  Phys. II 1, 193 a3–6. 263 

CVI

Gottfried Heinemann

teidigen lässt. Aber das würde ihn auch gar nicht interessieren, und nichts dergleichen ist sein Thema in (iv). 2.2.5  Prinzipien in APo I 2 und Phys. I 7 Thema in Phys. I sind die spezifischen Prinzipien der Naturwissen­ schaft. Außer den Andeutungen in Phys. I 1 wird das zugrunde­ liegende Wissenschaftsverständnis nicht diskutiert. Hierfür ist ein weiterer Kontext erforderlich. 2.2.5.1 Aristoteles unterscheidet in APo I 2 drei Arten von Prinzipien: Axiome, Hypothesen und Definitionen. Axiome sind universelle Prinzipien, ohne deren Kenntnis man keinerlei Wis­ sen erwerben kann. Hypothesen sind nicht-universelle Prinzipien, durch die bestimmte Tatsachen angenommen werden, und zwar ins­besondere die Existenz (oder Nicht-Existenz) von Dingen be­ stimmter Art. Definitionen sind nicht-universelle Prinzipien, die keine solche Annahme beinhalten. 267 Bei den in 2.2.4.2 zuletzt ge­ nannten Stellen handelt es sich in (iii) um ein Axiom und in (iv) um eine Hypothese, die der Naturwissenschaft gemäß Met. VI 1 ihren Gegenstand sichert (s. u. 2.3.4.2). Axiome und Hypothesen sind keine Erklärungsprinzipien der aristotelischen Naturwissenschaft. Als einzelwissenschaftliche Erklärungsprinzipien kommen nach Aristoteles vor allem Definitionen in Betracht. Das mag aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen. Man kann es sich aber an einem Beispiel klarmachen, das Aristoteles selber verwendet. 268 Donner entsteht nach Aristoteles »durch Erlöschen des Feuers in der Wolke« (nämlich der Wolke, aus der er nach dem Blitz er­ schallt). Diese Erklärung kann zu einer Definition umfunktioniert werden: Donner ist demnach dasselbe wie »Erlöschen von Feuer in einer Wolke«. Und unter bestimmten Bedingungen kann diese Definition als Prinzip einer naturwissenschaftlichen Erklärung des Donners fungieren. Es wird somit erstens eine Unterscheidung zwischen verschiede­ nen Arten von Lärm getroffen: Nach der angegebenen Definition APo I 2, 72a15–24. 268 Vgl. APo II 8, 93b 7–9. – Dazu Charles 2000, 40 und passim. 267 

Einleitung CVII

ist der Knall eines Meteoriten kein Donner; und ebenso wenig ist es Donner, wenn in den Wolken ein Gott randaliert. Die Definition markiert den Geltungsbereich der zuvor erarbeiten Erklärung. In Anlehnung an Lakatos kann man sie daher als eine erklärungs­ generierte Definition charakterisieren. 269 Was man immer schon als »Donner« kannte, erweist sich als ein »Brei«, der erst durch ge­ eignete Unterscheidungen zum Gegenstand wissenschaftlicher Er­ klärungen präpariert werden muss. 270 Oder nochmals mit Lakatos: Erklärungsgenerierte Definitionen »ersetzen naive Klassifikation durch theoretische Klassifikation«. 271 Zweitens ist die Auszeichnung einer Definition als Prinzip mit dem Anspruch verbunden, dass die zugrundeliegende Erklärung keiner weiteren Vertiefung bedarf. Das heißt einerseits: Es handelt sich nicht nur darum, dass jede Erklärung irgendwann abbrechen muss (und sich bei Bedarf auch wieder aufnehmen lässt). 272 Und andererseits sind die als Prinzipien ausgezeichneten Definitionen auch nicht durch sich selbst bekannt. Vielmehr werden geeignete Definitionen anhand ihrer Erklärungsleistung – ihrer Position und Funktion in einem »Netz von Demonstrationen« – als Prinzipien

269 

Vgl. Lakatos 1976, 89 ff. (im Hinblick auf die Mathematik): »proofgenerated concepts«. 270  In diesem Sinne Phys. I 1, 184 a 21–23 – »Brei«: synkechymena (a 22). 271  Nach Lakatos (1976, 91) erfolgt diese Ersetzung durch wissenschaft­ lichen »Fortschritt«. Aristoteles sieht das kaum anders; deshalb ist die aristotelische Prinzipienforschung über weite Strecken eine Auseinander­ setzung mit den jeweiligen Vorgängern. 272  In diesem Sinne Wittgenstein, PU § 1: »Die Erklärungen haben ir­ gendwo ein Ende«. Das heißt: Der vorstellbare Erklärungsbedarf ist stets unabsehbar; sinnvoll sind Erklärungen nur als Reaktion auf den sich in der jeweiligen Situation zeigenden Erklärungsbedarf. Eben deshalb kann nach Platon (Phdr. 274b ff.: sog. Schriftkritik) kein Text mit dem sach­ gemäßen Anfang anfangen: er müsste alle Erklärungen vorwegnehmen. Stattdessen muss der Autor immer wieder dem ausformulierten logos »zu Hilfe kommen« (ebd. 275de). – Eine Definition, die gemäß der aristote­ lischen Forderung als Prinzip fungiert, muss ein logos sein, der solche Hilfe nicht braucht.

CVIII

Gottfried Heinemann

erkannt.273 Dass sich dabei Fehler und Innovationen (z. B. aufgrund einer Erweiterung des faktischen Wissens) nicht endgültig aus­ schließen lassen, versteht sich nach der Diskussion in den Zweiten Analytiken fast schon von selbst. 274 Was überhaupt unter »Prinzip« zu verstehen ist, wird in Phys. I weder erklärt noch erörtert. Erörtert wird vielmehr, welche Prin­ zipien als sachgemäßer Ausgangspunkt naturwissenschaftlicher Erklärungen zu gelten haben. Die diesbezügliche Argumentation ist ziemlich unübersichtlich. Vordergründig ist sie durch die Frage nach der Zahl der Prinzipien strukturiert. Dabei werden Prinzi­ pien zunächst mit Elementen gleichgesetzt – d. h. mit fundamen­ talen Entitäten, die als Grundbausteine aller Dinge fungieren; so betrachtet, fällt die Frage nach der Zahl der Prinzipien mit der alten und notorisch kontroversen Frage zusammen, »wie viele die Dinge sind« (ta onta … posa), d. h. nach Met. VI 1: wie viele Arten von fundamentalen Entitäten es gibt. 275 2.2.5.2  Die stoffliche Zusammensetzung der Dinge aus Elemen­ ten ist aber nur eines der Themen, mit denen diese Frage in Phys. I verknüpft wird. Das andere Thema ist die Grundstruktur des Wer­ dens, 276 einschließlich des »schlichten« Werdens, d. h. Entstehens. Strukturmomente des Werdens sind nach Phys. I 7 »das Zugrunde­ liegende (hypokeimenon) und die Gestalt (morphê)«, in Verbindung 273  Vgl.

die ausführlichere Formulierung bei Detel (2011, 311): »De­ finitionen … lassen sich als Prinzipien nur dadurch erweisen, dass wir ein Netz von Demonstrationen und damit eine wissenschaftliche Theorie konstruieren, an derer Spitze die entsprechenden … Definitionen auf­ tauchen.« 274  Vgl. Detel 1993 I, 332 f. 275 Vgl. Phys. I 2, 184 b15–22. Dann ebd. b22–25 und Met. VII 1, 1028 b2–6 (s. o. 2.2.1.2) – »notorisch kontrovers«: Isokrates, or. 15 (Antidosis), c. 268; Platon, Soph. 242c4–6, Xenophon, Mem. I 1, § 14. 276  Ein drittes Thema ist die Auseinandersetzung mit Parmenides und Melissos. Dabei hat die Diskussion in Phys. I 2–3 nur indirekt mit den Prinzipien der Naturwissenschaft zu tun: Aristoteles insistiert gegen Par­ menides, dass Sein stets eine komplexe Struktur impliziert. Diese wird in Phys. I anhand prädikativer Strukturen (oder in Analogie zu diesen) analysiert.

Einleitung CIX

mit dem »zusätzlichen Umstand« (symbebêkos), dass die »Gestalt« zunächst fehlt. 277 Der Hinweis auf die Strukturmomente des Wer­ dens beantwortet sogleich auch die Frage nach der Struktur des Gewordenen – und somit nach den »Ursachen und Prinzipien der Naturdinge, aus denen … sie sind und geworden sind, und zwar … jedes als was es aufgrund seiner jeweiligen Substanz charakterisiert ist«. 278 Die Zahl der Prinzipien hängt dann davon ab, ob man das »Fehlen« (sterêsis) mitzählt, was Aristoteles schließlich tut:279 Der Gegensatz zwischen Anfangs- und Endzustand ist zwar nicht für das Gewordensein der Naturdinge, aber für ihr Werden konstitutiv. Aber nachdem die Grundstruktur des Werdens und Gewordenseins geklärt ist, kommt es auf die Zahl der Prinzipien gar nicht mehr an. Mit einer Zurückführung der stofflichen Zusammensetzung der Dinge auf Elemente hat die Argumentation in Phys. I 7 (sowie der anschließenden Kapitel) nichts mehr zu tun. »Naturdinge« sind in Phys. I eben diejenigen Dinge, die den Gegenstand der Naturwissenschaft ausmachen. Was es heißt, ein Naturding zu sein, wird dann erst in Phys. II 1 erklärt (s. u. 2.3, bes. 2.3.4.2). Die zitierte Wendung, Ursachen und Prinzipien der Naturdinge, aus denen … sie sind und geworden sind (eisi kai gegonasi), und zwar … jedes, als was es aufgrund seiner jeweiligen Substanz (kata tên ousian) charak­ terisiert ist, unterstellt zweierlei: dass Naturdinge (i) Gewordenes sind, und dass sie (ii) aus denjenigen Ursachen und Prinzipien sind, aus de­ nen sie geworden sind, 280 d. h. dass die Grundstruktur ihres Seins aus der Grundstruktur ihres Werdens ableitbar ist. Diese Annah­ men sind nicht selbstverständlich. Zu (i): Die Erklärung des Na­ turbegriffs in Phys. II 1 (s. u. 2.3.1.1) gibt keinen Hinweis darauf, Phys. I 7, 190 b20; ebd. b27 (s. o. 2.1.2.1). 278  Ebd. 190 b17–20. 279  Ebd. 191a12–21. 280  Nach Charles (2018, 194–6) gibt Aristoteles in Phys. I 7 keine Be­ gründung für (ii). – Ich stimme in der Hauptsache zu: Phys. I 7 formuliert ein Programm, das erst in Phys. II–IV (teilweise) eingelöst wird. 277 

CX

Gottfried Heinemann

dass Naturdinge entstanden sein müssten. In Cael. I 3 werden die Himmelskörper ausdrücklich als unentstanden und unvergänglich charakterisiert. Das besagt aber nur, dass Himmelskörper, wie die Himmelsbewegungen (s. o. 2.1.1.1), keine paradigmatischen Gegen­ stände der aristotelischen Naturwissenschaft sind. Im Hinblick auf die Vorüberlegungen zur Naturwissenschaft in den ersten Büchern der Physikvorlesung ist somit mit Anomalien zu rechnen. 281 Zu (ii): Genau genommen stecken hierin nochmals zwei Annahmen: (a) dass sich die Differenzierung in Zugrundeliegendes und Ge­ stalt von der Grundstruktur des Werdens auf das Gewordensein überträgt (dazu unten 2.2.5.4), und (b) dass diese Grundstruktur des Gewordenseins zugleich die Grundstruktur des dauernden Be­ standes der Naturdinge ist. 2.2.5.3  Letzteres besagt aber nicht, dass der dauernde Bestand des Entstandenen bereits durch die in Phys. I 7 ausgearbeitete Grundstruktur gesichert wäre. Das Entstehen ist nach Phys. I 7 der Übergang vom einem Anfangszustand, in dem an einem zu­ grundeliegenden Materialstück m eine bestimmte Gestalt F nicht vorliegt, zu einem Endzustand, in dem F an m vorliegt. Die Frage nach dem dauernden Bestand des Entstandenen setzt eine weitere Unterscheidung voraus, nämlich zwischen einen instantanen Ab­ schluss des Entstehens und einer anschließenden Dauer; dauernder Bestand hieße, dass sich der Endzustand während dieser Dauer er­ hält. Diese Unterscheidung zwischen instantanen und dauernden Zuständen lässt sich aber erst aufgrund der Explikation des Zeit­ begriffs in Phys. IV 10–14 sowie des dabei vorausgesetzten, in Phys. III 1 erörterten Bewegungsbegriffs treffen (s. o. 2.1.4). Sie kommt in Phys. I 7 gar nicht in Betracht. 282 281 

Immerhin lässt sich in Phys. I 7 die Wendung tôn peri genesin phy­ sikôn (191a3–4: »der vom Werden betroffenen Naturdinge«) als Hinweis darauf verstehen, dass nicht alle Naturdinge Gewordenes sind. 282  Entsprechendes gilt für die Frage, was beim Werden zwischen An­ fangs- und Endzustand geschieht: Sie wird erst in Phys. III 1 gestellt – und durch die Definition des In-Bewegungs-Seins als »Vollendungszustand des potentiell soundso Seienden als potentiell soundso seiend« (201a10– 11) beantwortet. In Phys. I 7 kommen Zwischenzustände nicht in Betracht.

Einleitung CXI

Der dauernde Bestand des Entstandenen hängt dann von dreier­ lei Bedingungen ab, die zuerst in Phys. II thematisiert werden: einerseits von F, d. h. davon, ob die beim Entstehen erworbene »Gestalt« (morphê) diejenigen Merkmale umfasst, welche die »definitionsgemäße Form« (eidos kata ton logon) eines dauernden Gegenstandes ausmachen; andererseits von der Eignung des zu­ grundeliegenden m als Material zu F; und schließlich von unabseh­ baren äußeren Umständen, die günstig oder ungünstig ausfallen können. Der »andere Anfang«, den Aristoteles hierfür nimmt, 283 ist die ­Erörterung des mit der Wendung physei onta in Phys. I 7 angesprochenen Naturbegriffs. In Phys. I verweist der Ausdruck »Naturdinge« (physei onta) auf einen nicht weiter spezifizierten, aber durch offensichtliche Bei­ spiele und Gegenbeispiele bekannten Gegenstandsbereich der Na­ turwissenschaft. 284 Das Kriterium dieser Einteilung wird in Phys. II 1 angegeben:285 Naturdinge »sind« (estin) – d. h. sie sind, was sie sind und wie sie sind, nämlich dauernde Gegenstände von bestimm­ ter Art mit charakteristischen kausalen Eigenschaften – »aufgrund ihrer jeweiligen Natur« (physei), d. h. aufgrund dessen, dass zu ihrer jeweiligen Substanz (ousia) eine archê der eigenen Bewegung und Ruhe gehört. Der Hinweis in Phys. I 7 auf »Zugrundeliegendes (hypokeime­ non) und Gestalt (morphê)« bleibt vage. Für den »anderen Anfang« Hiermit erledigt sich auch die von Charles (2018, 186 f.) erwogene Annahme eines Zugrundeliegenden, das während des Entstehens in der­ selben Weise dasselbe bleibt wie das Jetzt während eines Zeitintervalls (dazu Phys. IV 11, 219 b26–28): gleichsam als Variable, die zwar dieselbe bleibt, aber dabei nacheinander verschiedene Werte (in aristotelischer Terminologie: verschiedenerlei »Sein«) annimmt. 283  Vgl. in dem zu Phys. II überleitenden Schlusssatz in Phys. I 9: allên archên arxamenoi (192b4). 284  Zu diesem Verfahren Met. VI 1 (s. o. 1.2.2.1); Einzelheiten unten 2.3.4.2. 285  Phys. II 1, 192 b 8; dann ebd. 192 b21–23 (Einzelheiten s. u. 2.3.1). – Ich unterstelle: kath’ hauto (192b22) = ho legetai kata tên ousian (190 b19). Charles (2018, 193 und 203 f.) verdirbt die Pointe durch die Wiedergabe von ousia (Phys. I 7, 190 b19) durch »nature«.

CXII

Gottfried Heinemann

in Phys. II 1 besagt er zunächst, dass die jeweilige »Natur« (physis) der Dinge an dem jeweils »Zugrundeliegenden« und an der jewei­ ligen »Gestalt«, der es zugrunde liegt, aufzuzeigen ist. 286 Aber er nimmt die in Phys. II–IV anschließende Diskussion durchaus nicht vorweg. 2.2.5.4  Dass die zunächst am prädikativen Werden aufgezeigte Struktur auch beim Entstehen von Substanzen, d. h. insbesondere von Naturdingen, anzunehmen ist und dass sie sich vom Entstehen auf das Entstandene überträgt, ist die Hauptthese in Phys. I 7. Bei prädikativem Werden hat ein Gegenstand x im Endzustand eine Eigenschaft F, die ihm im Anfangszustand fehlt. Der Gegenstand x ist das »Zugrundeliegende« (hypokeimenon), das bei prädikati­ vem Werden erhalten bleibt (hypomenei). Erhalten zu bleiben, heißt hier: gleichermaßen zum Anfangs- und zum Endzustand als deren Strukturmoment zu gehören. Demgegenüber ist das anfängliche Fehlen von F, kurz -F, etwas »Gegenüberliegendes« (antikeimenon), aus dem der Endzustand hervorgeht und das somit nicht erhalten bleibt. Diese Struktur entspricht der in Phys. I 4–6 ausgearbeiteten These, dass das Werden und Vergehen stets innerhalb eines kon­ trären Gegensatzes stattfindet287 und dass diesem Gegensatz stets »eine andere Natur« zugrunde liegen muss. 288 Dieser Bezug auf ein Zugrundeliegendes wird in Phys. I 6 als Einwirkung beschrieben, 289 286  Demgemäß

die Argumentation im zweiten, umfangreicheren Ab­ schnitt von Phys. II 1 (193a 9– b18; prägnante Formulierung der These 193a 28–31). 287  Phys. I 5, 188 b 21–23: ἅπαν ἂν γίγνοιτο τὸ γιγνόμενον καὶ φϑεί­ ροιτο τὸ φϑειρόμενον ἢ ἐξ ἐναντίων ἢ εἰς ἐναντία καὶ τὰ τούτων μεταξύ. 288  In diesem Sinne die (anschließend bejahte) Frage, »ob man nicht den konträr Entgegengesetzten (tois enantiois) eine andere Natur zu­ grunde legen soll (hypothêsei heteran physin)« (Phys. I 6, 189 a 28–29). Mit der Wendung hypokeimenê physis kommt Aristoteles in Phys. I 7 (191a 8) auf diese Formulierung zurück. 289  Phys. I 6, 189 b14–16, vgl. ebd. b18–22 und zuvor Phys. I 4, 187a18– 20) – Dabei unterscheidet Aristoteles zwei Richtungen: Gegensätzliches wirkt auf dasselbe, oder dasselbe wirkt auf Gegensätzliches. Ersterem entspricht dann das Prädikationsmodell: Auf dasselbe trifft nachein­ ander Gegensätzliches zu, d. h. Gegensätzliches wird nacheinander von

Einleitung CXIII

in Phys. I 7 dann zunächst als Prädikation. Bei schlichtem Werden ist er so problematisch wie die Ausweisung eines Zugrundeliegen­ den. »Schlichtes« Werden ist das Entstehen von etwas: Im Endzu­ stand existiert ein Gegenstand x, der im Anfangszustand nicht exis­ tiert. 290 Für die Beschreibung des Anfangszustands ergibt sich eine zweifache Komplikation. Mit x als Zugrundeliegendem wäre der Anfangszustand die Nichtexistenz dieses Zugrundeliegenden, und das Entstehen von x wäre abwegigerweise ein Werden aus NichtSeiendem. Ist der Anfangszustand statt der Nichtexistenz von x die Existenz eines von x verschiedenen y, wird zwar kein Werden aus Nicht-Seiendem unterstellt. Aber der Unterschied zwischen der anfänglichen Existenz von y und der schließlichen Existenz von x ist dann kein konträrer Gegensatz. An y müsste ein einschlägiges »Fehlen« (sterêsis) aufgezeigt werden, 291 und nur im Hinblick hier­ auf stellt sich die Frage nach einer gemäß Phys. I 6 zugrundeliegen­ den »anderen Natur«. Ohne diesen Aufweis bleibt die in Phys. I 6 geforderte und im ersten Teil von Phys. I 7 am prädikativen Werden aufgezeigte Grundstruktur gestört. Als direkter Beleg für die Behauptung, »dass auch die Sub­stan­ zen … aus etwas Zugrundeliegendem entstehen« und dass »es demselben instanziiert. Das andere Modell, das von Aristoteles andeu­ tungsweise mit Platon in Verbindung gebracht wird (dazu Ross 1936, 491; Lennox 2018, 228), lässt sich dann so beschreiben: Dasselbe wird (nachei­ nander) in gegensätzlicher Weise, nämlich mehr oder minder, instan­ziiert. Aristoteles verwirft das letztere Modell – deshalb ist in Phys, III 1 das dynamei on (201a10–11) der Gegenstand, der potentiell F ist (s. o. 2.1.3.2), und nicht, wie beispielsweise in der neuplatonischen Embryologie (vgl. Wilberding 2015, 330 f.) die potentiell instanziierte Form oder Eigen­ schaft F. – Zur Unterscheidung der genannten Modelle Heinemann 2020, 58 ff. (leider sah ich den Aufsatz von Wilberding erst nach Fertigstellung dieser Publikation). 290  Zur Analyse schlichten Werdens in Phys. I 7 Heinemann 2020 (mit weiteren Literaturangaben). 291 Vgl. Phys. I 8, 191b15–16 – Aristoteles diskutiert diese Schwierig­ keit als Neuauflage des alten Dilemmas, dass Seiendes weder aus NichtSeiendem noch aus Seiendem entstehen kann (ebd. 191a 27–31).

CXIV

Gottfried Heinemann

immer etwas gibt, das zugrunde liegt, aus dem das Werdende [wird]«, muss in Phys. I 7 ein einziges Beispiel genügen: (i) »z. B. die Pflanzen und die Tiere aus Samen«. 292 In den anschließenden Beispielen wird zunächst nicht das Zugrundeliegende, sondern die Weise der Änderung spezifiziert: Eine Bronzestatue ent­ steht (ii) »durch Umformung«, anderes (iii) durch Hinzufügung, (iv) Wegnahme, (v) durch Zusammenfügung oder (vi) durch qua­ litative Änderung. Dabei fällt auf, dass es sich nur in (i) um das Entstehen von Naturdingen handelt, in (ii)–(vi) hingegen um die Herstellung von Artefakten (s. u. 2.2.5.6). Es liegt deshalb nahe, (i) für das einzige einschlägige Beispiel zu halten. 293 2.2.5.5  Zur Behebung der obigen Komplikation genügt (i) frei­ lich nicht. Zwar ist das Werden aus Samen kein Werden aus NichtSeiendem.294 Aber der für das Werden charakteristische Gegensatz zwischen Anfangs- und Endzustand müsste erst anhand eines Zu­ grundeliegenden aufgezeigt werden. Ob der Samen als Zugrunde­ liegendes erhalten bleibt, hängt davon ab, was hier überhaupt mit »Samen« (sperma) gemeint ist. Letzteres lässt sich kaum ohne Vor­ griff auf die aristotelische Fortpflanzungsbiologie diskutieren. 295 Aristoteles unterscheidet bei der geschlechtlichen Fortpflanzung von Tieren zwischen dem Embryo (kyêma) sowie dem männlichen Phys. I 7, 190 b1–5 – »aus dem das Werdende [wird]«: ex hou to ­gignomenon (b4), sinngemäß ergänzt nach 190 b26–27: ex autou [mit in­ direktem Rückbezug auf hypokeimenon, b24] gignetai to gignomenon. Dazu O’Connor 2015. 293  Vgl. Waterlow 1982/1988, 46; Henry 2015, 159. 294  Das ist das »Subject Requirement« bei Henry (2015, 146), im Unter­ schied zu dem »Survival Requirement«, das nach Henry für schlichtes Werden in GC ausdrücklich bestritten (ebd. 152 ff.) und in Phys I 7 nicht gefordert wird. – Demgegenüber halten Waterlow (1982/1988, 46 f.) und Charles (2018, 189) an der üblichen Interpretation fest, wonach mit hypo­ keimenon (190 b2) ein bleibendes Zugrundeliegendes gemeint ist. 295  Vgl. bes. GA I und II 1–4; dazu Balme 1972 und van der Eijk 2011. Gute Zusammenfassung bei R. A. H. King, Stichwort sperma, in Höffe (Hg.) 2005, 533–534; ausführlicher Lefebvre 2016. – Der Vorgriff ist pro­ blematisch, da GA vermutlich viel später entstanden ist als Phys. I; vgl. die Werkbeschreibungen bei Flashar (1983, 263 und 274). 292 

Einleitung CXV

und dem weiblichen Beitrag zu dessen Bildung (gonê bzw. katame­ nia, d. i. Menstrualblut). »Samen« (sperma) im engeren Sinne ist der männliche Beitrag: dieser ist »Ursprung der Seele« (tês psychês archê), d. h. des individuellen Lebendigseins, wofür der weibliche Beitrag allein nicht genügt. 296 Samen (sperma) heißt aber im wei­ teren Sinne auch der Embryo und der weibliche Beitrag zu seiner Bildung – sowie insbesondere der pflanzliche Samen, der wie der Embryo aus einer Verbindung von männlichem und weiblichem Beitrag hervorgeht. 297 Wegen dieser Entsprechung ist zu vermuten, dass das tierische sperma in (i) ein Embryo ist. 298 Aber beim Entstehen eines Lebe­ wesens ist nach Aristoteles zwischen Embryonalgenese und Em­ bryonalentwicklung zu unterscheiden. Der Embryo ist Resultat der Embryonal­genese, erst bei der anschließenden Embryonal­ entwicklung ist er das Zugrundeliegende. Der Embryo wird durch Einwirkung des männlichen Samens (gonê) auf das Menstrualblut (kata­menia) »zusammengesetzt«, was – vom Einsaugen des Sa­ mens in den Uterus bis zur Abgrenzung des Embryos vom übrigen Menstrualblut durch eine Haut oder Membran – mehrere Tage be­ ansprucht. Der somit entstandene Embryo nistet sich im Uterus ein, wie sich ein Samenkorn in der Erde verwurzelt. 299 Wie die kei­ mende Pflanze ist er schon ein Lebewesen. Das heißt, er hat seine eigene, vorerst nur vegetative und insofern unvollständige Seele.300 Seine weitere Entwicklung fällt daher nicht mehr unter den in Phys. I 7 erörterten Begriff des Entstehens, sondern der Zunahme (und GA II 3, 737a 27–34 (zit. a 29). 297 Vgl. GA I 18, 724 b12–19; dazu Lefebvre 2016, 40–43 (weitere Stel­ lenangaben ebd. 34n7) sowie Falcon / Lefebvre 2018, 11 f.; anders Carraro 2017, 283n20. – Zur Entsprechung von pflanzlichen Samen und Embryo GA I 23, 731a1–4. 298  Waterlow 1982/1988, 47; Henry 2015, 147; Stavrianeas 2015, 52. 299 Vgl. GA I 23, 731a14–24 (zit. ebd. a18: systêsei to kyêma); dann GA II 4, 739 a35–740 a35 (Einsaugen: 739 b4, Abgrenzung: 739 b30, Samenkorn: 739 b34 u. ö., Einnistung im Uterus: 740 a 25–26). Dazu Leunissen 2018. 300  Ein Tier (GA II 4, 740 a 24: zô on, was bei Aristoteles, wie in ­jeder i wissenschaftlichen Taxonomie, den Menschen einschließt) ist der ­Embryo daher nur potentiell (ebd. dynamei). 296 

CXVI

Gottfried Heinemann

überhaupt der Änderung in einer anderen Kategorie als der Sub­ stanz).301 2.2.5.6  In den auf (i) folgenden Beispielen wird vor allem die Weise des Entstehens spezifiziert: Eine Bronzestatue entsteht (ii) »durch Änderung des Umrisses« (metaschêmatisei); andere Dinge entstehen (iii) durch Hinzufügung (z. B. was größer wird), (iv) durch Wegnahme (z. B. aus einem Stein eine Herme), (v) durch Zusammenfügung (synthesei, z. B. ein Haus) oder (vi) durch quali­ tative Änderung (alloiôsei, z. B. bei stofflichem Umschlagen, etwa von Wein in Essig). Dabei fällt erstens auf, dass es sich nur in (i) um das Entstehen von Naturdingen handelt, in (ii)–(vi) hingegen um die Herstellung von Artefakten. Und zweitens fragt sich nicht nur bei (i), sondern ebenso auch bei (ii)–(vi), wieso die beschrie­ benen Vorgänge überhaupt als Beispiele für schlichtes Werden angeführt werden; tatsächlich werden (iii) und (vi) ausdrücklich als Än­derungen in der Kategorie der Quantität bzw. der Qualität beschrieben und nicht der Substanz. Was die Beispiele (i) bis (vi) zeigen sollen, ist nicht ganz klar. Angeführt werden sie zunächst als Belege dafür, dass es auch beim Entstehen von »Substanzen und anderen Dingen, die im schlichten Sinn sind, … etwas gibt, das zugrunde liegt und aus dem das Wer­ dende [wird]«.302 Das besagt jedenfalls, dass solche Dinge nicht aus nichts entstehen; was es überdies besagen könnte, bleibt zunächst offen. Erst das anschließende Resümee kommt auf die am prädika­ tiven Werden aufgezeigte Grundstruktur zurück: »Das Werdende« (to gignomenon) – d. h. wovon man zutreffend sagt, dass es wird GA II 4, 740 b 8 ff. – »Zunahme«: auxêsis (ebd. b 9 und b31). In dem­ selben Sinne auch GA II 1, 735a13–14: »Nichts erzeugt (gennai) sich selbst; aber sobald es entstanden ist (genêtai), vergrößert (auxei) es sich selbst­ tätig.« Auch die Annahme, das (tierische) sperma in (i) sei der männliche Sa­ men, leistet nicht das Gewünschte. Denn der männliche Samen verflüch­ tigt sich beim Entstehen des Embryos (GA II 1, 734b23–24; ebd. 3, 737a11– 12). Nur das Menstrualblut bleibt als Zugrundeliegendes erhalten: Aus ihm besteht der Embryo beim Abschluss des Entstehens, aber wegen des hiermit einsetzenden embryonalen Stoffwechsels nicht darüber hinaus. 302  Phys. I 7, 190 b1–4 (s. o. 2.2.5.3). 301 

Einleitung CXVII

(oder gegebenenfalls: dass es entsteht) – ist »immer komplex (syn­ theton), nämlich einerseits etwas, das wird (ti gignomenon), anderer­ seits etwas, das zu diesem wird (ti ho touto gignetai); und Letzteres doppelt, nämlich Zugrundeliegendes (hypokeimenon) und Gegen­ überliegendes (antikeimenon).«303 Als Beispiele nennt Aristoteles – für Gegenüberliegendes: »das Amusische« (to amouson) sowie das Fehlen von Umriss, Gestalt und Anordnung (aschêmosynê, amorphia, ataxia); – für Zugrundeliegendes: Mensch sowie Bronze, Stein und Gold.304 Die Beispiele lassen sich einander paarweise zuordnen. Das erste Paar (amusisch/Mensch) weist auf die Analyse prädikativen Wer­ dens zurück. Das zweite Paar verweist unzweideutig auf (ii): Bei der Herstellung der Statue »durch Änderung des Umrisses« (meta­ schêmatisei) ist die Bronze das (bleibende) Zugrundeliegende und die »Umrisslosigkeit« (aschêmosynê), d. h. das Fehlen des er­ wünschten Umrisses, das Gegenüberliegende. Ebenso verweist das dritte Paar auf (iv): Beim Heraushauen der Hermesfigur aus einem Stein ist der Stein das (bleibende) Zugrundeliegende und das »Feh­ len der erwünschten Gestalt« (amorphia) das Gegenüberliegende. Das vierte Paar (Unordnung/Gold) lässt sich so nicht zurückbe­ ziehen. Das Gold passt vielleicht zur Statue oder zu einem neuen Beispiel; und da »Unordnung« (ataxia) als Anfangszustand nicht recht zum Gold passt, möchte man hier die in (v) benötigten Bau­ materialien ergänzen, etwa »Ziegel und Bauholz« wie in Phys. II 2 oder überhaupt »Verbaubares« wie in Phys. III 1:305 Dieses ist beim Hausbau das Zugrundeliegende, und das Fehlen der erwünschten Anordnung (taxis) ist das Gegenüberliegende. Somit wäre die am prädikativen Werden aufgezeigte Grund­ struktur zwar nicht für das Entstehen von Tier und Pflanze aus Phys. I 7, 190 b10–13. – Die Rede ist hier vom »Werdenden« (gigno­ menon), nicht vom Gewordenen (gegonos, in diesem Sinne b18: gegonasi). Treffend Charles 2018, 193: »what comes to be – at the time [oder: at the point at which] it comes to be« (anders Quarantotto 2018, 36n82). 304  Phys. I 7, 190 b13–17. – »Gold« (chrysos): ebd. b16, dann auch b25. 305  Phys. II 2, 194 a 25: plinthoi kai xyla; Phys. III 1, 201a16: oikodomêton. 303 

CXVIII

Gottfried Heinemann

Samen, aber für die Herstellung von Artefakten – der bronzenen Statue, der steinernen Hermesfigur, des Hauses – gesichert. Die Zulässigkeit der unmittelbar anschließenden Verallgemeinerung auf Naturdinge, »dass alles aus dem Zugrundeliegenden (hypokei­ nemon) wird und der Gestalt (morphê), 306 wird in Phys. I 7 nicht erörtert. Sie wird bekräftigt, wenn Aristoteles im Hinblick auf das Entstehen von Naturdingen resümiert, die »zugrundeliegende ­Natur« (hypokeimenê physis) werde »aufgrund einer Struktur­ gleichheit« (kat’ analogian) erkannt: Sie verhalte sich »zur Substanz (ousia) und zum wohlbestimmten Ding (tode ti) und zum Seienden (on)« wie »zur Statue die Bronze« und überhaupt zum Gestalteten »das Gestaltlose (amorphon), ehe es die Gestalt annimmt«.307 Die Annahme einer solchen Strukturgleichheit entspricht der These in Phys. II, dass sich die technê – d. h. das fachgerechte Her­ stellen und überhaupt das sachkundige Zustandebringen eines wünschenswerten Resultats – zur physis mimetisch verhält (dazu unten 2.3.3.3). Zur Einschätzung ihres Stellenwertes genügt hier der Hinweis auf den heuristischen Charakter der Argumentation in Phys. I 7. Prinzipien werden an ihrer Erklärungsleistung als Prinzi­ pien erkannt. Als sachgemäße Ausgangspunkte wissenschaftlicher Erklärungen, d. h. als Natur und als Ursache, werden Zugrunde­ liegendes und Gestalt aber erst in Phys. II thematisiert.

2.3  Natur (physis) – sowie Ursachen, Vermögen und andere ­Bewegungsprinzipien Die wissenschaftliche Disziplin, deren allgemeine Einleitung un­ ter dem Titel Physikvorlesung überliefert ist, heißt bei Aristoteles »Wissenschaft über Natur« (peri physeôs epistêmê, 184 a14–15).308 Phys. I 7, 190 b20 (s. o. 2.2.5.2). 307  Phys. I 7, 191a 7–12. Ich unterstelle hypokeimenê physis (191a 8) = hypokeimenon (190 b20, d. h. bei physei onta). Zu dieser Charakterisierung des hypokeinemon als physis dann Phys. II 1, 193a 9–31 (s. u. 2.3.1.2). 308  Ich schreibe »Natur« als Platzhalterübersetzung für das griechische physis (s. u. 3.2.1.3). 306 

Einleitung CXIX

Die Themenbezeichnung »über Natur« (peri physeôs) ist seit dem späten 5. Jahrhundert bezeugt und im 4. Jahrhundert bereits tradi­ tionell. Aristoteles verwendet sie aber in einem prägnanten Sinn: Durch den Naturbegriff wird das Thema der Naturwissenschaft angezeigt. – Im Folgenden skizziere ich zunächst (2.3.1) die Erläu­ terung des Naturbegriffs in Phys. II 1. Anschließend diskutiere ich den aristotelischen Naturbegriff vor dem Hintergrund der älteren Begriffsgeschichte (s. u. 2.3.2–4) sowie seinen Zusammenhang mit den aristotelischen Begriffen der Ursache und des aktiven und ­passiven Vermögens (s. u. 2.3.5–6). 2.3.1  Die Erörterung des Naturbegriffs in Phys. II 1 Gegenstand der Naturwissenschaft (physikê) sind nach Aristoteles »die Naturdinge« (physei onta). Dies ist bereits in Phys. I als selbst­ verständlich vorausgesetzt. In Phys. II 1 wird erklärt, was dabei mit »Natur« (physis) gemeint ist. 2.3.1.1  »Die Dinge (onta) sind teils durch Natur (physei), teils aus anderen Ursachen« (192a8–9). – Der Einleitungssatz von Phys. II 1 weist darauf hin, dass nicht alle Dinge Naturdinge sind. Die anschließende, unsystematische Liste von Naturdingen (192b 9–12) liest sich wie ein Themenverzeichnis der aristotelischen Naturwis­ senschaft. Zugleich deutet der zitierte Einleitungssatz an, dass von der »Natur« (physis) als einer »Ursache« (aitia) die Rede sein soll. Ursache ist nach Aristoteles ein Warum, d. h. etwas, durch dessen Angabe eine Frage der Form Warum …? zutreffend beantwortet wird (s. u. 2.3.5). Hier betrifft diese Frage das Sein der Naturdinge, d. h. dass sie sind, was sie sind und wie sie sind:309 (1) Warum sind diese Dinge, was sie sind und wie sie sind? – Durch Natur. 309 

Anders als meist unterstellt, betrifft sie nicht das Werden der Na­ turdinge (und somit ihre Existenz). – Ebenso übrigens auch bei Artefak­ ten: Auf die Frage, warum mein Fahrrad einen Lenker hat, ist so ziem­ lich die dümmste Antwort: weil ihn jemand anmontiert hat. Die richtige Antwort gibt an, wofür der Lenker gebraucht wird und dass der Lenker somit zur zweckmäßigen Konstruktion des Fahrrads gehört.

CXX

Gottfried Heinemann

Man muss sogleich ergänzen: durch ihre eigene Natur (denn eine andere kommt nicht in Betracht). Naturding zu sein heißt somit, eine Natur zu haben; Naturdinge sind, was sie sind und wie sie sind, durch ihre jeweilige Natur.310 Was dabei »Natur« heißt, wird von Aristoteles anhand der fol­ genden Beobachtung erläutert: Naturdinge sind nicht nur, wie in Phys. I 2 unterstellt, stets oder episodisch in Bewegung (185a13), sondern sie »haben in sich ein Prinzip von Bewegung und Still­ stand« (192b13–14), und zwar hinsichtlich des Orts, an dem sie sich befinden, hinsichtlich ihrer Größe und hinsichtlich ihrer sonstigen veränderlichen Eigenschaften. Bei exemplarischen Artefakten ist das nicht der Fall; das heißt, ihre Kennzeichnung als Gegenstände ihrer jeweiligen Art (als Hemd oder Bett usf.) impliziert kein sol­ ches Prinzip.311 Aristoteles verallgemeinert diese Beobachtung zu einem Unterscheidungskriterium für Naturdinge. Die stillschwei­ gende Voraussetzung dieser Verallgemeinerung, (2) die Natur, durch die Naturdinge als solche gekennzeichnet sind, ist ein in ihnen »primär und an sich« vorliegendes Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe (vgl. 192 b21–23), 312 wird dann wie eine Definition festgehalten (192b32). Es liegt deshalb nahe, (2) im Sinne einer Gleichsetzung zu 310 

Es gilt auch die Umkehrung: Was eine Natur hat, ist, was es ist und wie es ist, durch seine Natur. Denn jeweilige Natur ist stets auch eine Weise, auf äußere Einwirkungen zu reagieren und sich unter äußerer Ein­ wirkung zu erhalten. – Beachte übrigens, dass Aristoteles in Phys. II 1 nicht ­zwischen physei (»durch Natur«) und kata physin (»gemäß und aufgrund der eigenen Natur«) unterscheidet, vgl. Ross 1936, 501 (zu 192b36–193a1). 311  Ist ein Bettgestell (vgl. 192 b16: klinê) aus Holz, dann schwimmt es auf dem Wasser; ist es aus Metall, geht es unter. Ob es schwimmt oder untergeht, liegt nicht daran, dass es ein Bettgestell ist, sondern daran, ob es überdies (vgl. 192b19: symbebêken) aus Holz oder Metall ist. – Dabei ist das Material aber durchaus nicht beliebig. Es muss für die Art des Ge­ genstandes geeignet sein; solche Erfordernisse werden von Aristoteles in Phys. II 9 unter dem Stichwort »hypothetische Notwendigkeit« diskutiert. 312  Die Klausel »primär« (prôtôs) sichert, dass z. B. ein Körperteil keine eigene Natur hat, sondern an der Natur des Tiers partizipiert, des­

Einleitung CXXI

interpretieren. Dabei ist aber die anschließende Gleichsetzung von »Natur« (physis) und »Substanz (ousia) der Naturdinge« (193a9–10) zu berücksichtigen, die ihrerseits der Erklärung in Met. V 4, (3) »Natur im primären und eigentlichen Sinne« ist »die Substanz (ousia) der Dinge, die als solche ein Prinzip der Bewegung in sich haben«, 313 entspricht. Eine Gleichsetzung der »Substanz« der Naturdinge mit ihrem inneren Prinzip der Bewegung und Ruhe ist nach der letzte­ ren Formulierung nicht zu erwarten. Für (2) empfiehlt sich daher eine schwächere Interpretation im Sinne des zuvor (192b12–20) nur exemplarisch begründeten Unterscheidungskriteriums: (4) ein Naturding zu sein = eine Natur zu haben = »primär und an sich« (d. h. aufgrund der eigenen »Substanz«) ein Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe in sich zu haben. 2.3.1.2 Nach Phys. I 7 sind Material (hypokeimenon = hylê) und Form (morphê = eidos) die »Prinzipien« (archai), aus denen Natur­ dinge »nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände« bestehen, »son­ dern jedes als was es aufgrund seiner jeweiligen Substanz charakte­ risiert ist« (190 b17–20).314 Prinzipien von Bewegung und Stillstand, die auf Materialeigenschaften zurückführbar sind, eignen Natur­ sen Teil er ist und dem das Prinzip seiner Bewegung – die Seele – primär eignet. Zu der Klausel »an sich« (kath’ hauto) sowie der anschließenden Erläuterung im Beispiel des sich selbst verarztenden Arztes (192b23–32) s. u. 2.3.6.4. 313  Met. V 4, 1015a13–15: ἡ πρώτη φύσις καὶ κυρίως λεγομένη ἐστὶν ἡ οὐσία ἡ τῶν ἐχόντων ἀρχὴν κινήσεως ἐν αὑτοῖς ᾗ αὐτά. 314  Phys. I 7, 190 b17–20 (zit. b18–19: μὴ κατὰ συμβεβηκὸς ἀλλ’ ἕκασ­ τον ὃ λέγεται κατὰ τὴν οὐσίαν). – Dass dies eine Eigentümlichkeit von Natur­d ingen ist, geht aus der Argumentation in Phys. I 7 nicht hervor. Man kann es sich für die paradigmatischen Naturdinge, nämlich Lebe­ wesen, daran klarmachen, dass die materielle Zusammensetzung eines Lebewesens von seinem Stoffwechsel abhängig ist. Ein Baumstamm aus Stein würde deshalb einen ganz anderen Stoffwechsel erfordern als ein Baumstamm aus Holz; die Bäume wären Lebewesen von ganz verschie­ dener Art.

CXXII

Gottfried Heinemann

dingen daher »primär und an sich«, und sie gehören demgemäß zu ihrer Natur. Das Material der Naturdinge gilt deshalb zu Recht als Natur – aber auch und vor allem ihre »definitionsgemäße Form«.315 Die diesbezügliche, den größeren Teil von Phys. II 1 ausma­ chende Diskussion (193a 9– b21) greift nicht auf die vorherige De­ finition zurück; sie lässt sich am besten anhand des zitierten Ein­ leitungssatzes verstehen. Der Auffassung der Natur als Material bzw. als Form entsprechen dann zwei Varianten von (1)

Warum sind diese Dinge, was sie sind und wie sie sind? – Durch Natur,

nämlich (1-M) Warum sind Naturdinge, was sie sind und wie sie sind? – Aufgrund ihres Materials und (1-F) Warum sind Naturdinge, was sie sind und wie sie sind? – Aufgrund ihrer definitionsgemäßen Form. Beides ist nach Aristoteles zutreffend. Aber dabei bleibt die Unter­ ordnung des Materials unter die Form zu berücksichtigen. Ein Stoff ist Material für x durch seine Eignung zur Annahme der defini­ tionsgemäßen Form, durch die x als Gegenstand seiner Art gekenn­ zeichnet ist. Insofern ist der Stoff nur potentiell ein solcher Gegen­ stand; erst wenn er »die definitionsgemäße Form annimmt«, ist er es nicht nur potentiell, sondern »im Vollendungszustand«, und erst dann »hat« er die Natur, durch die er es ist.316 Daher ist die Form Natur, und zwar »mehr als das Material«.317 Die Eignung eines Stoffs für die Annahme einer Form ergibt sich nicht aus dieser Form, sondern aus den Eigenschaften des Stoffs. Erklärungen gemäß (1-M) sind daher nicht auf Erklärungen gemäß Phys. II 1, 193a 28–31 (zit. a31: eidos kata ton logon; ebenso b1–2); »vor allem«: mallon (b 6). 316  Phys. II 1, 193a36– b2: οὔτ’ ἔχει πω τὴν ἑαυτοῦ φύσιν, πρὶν ἂν λάβῃ τὸ εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον – »im Vollendungszustand«: entelecheiai (b 7) 317  Phys. II 1, 193b 6–7: mallon … tês hylês. 315 

Einleitung CXXIII

(1-F) reduzierbar. Das Verhältnis zwischen beiden Erklärungsar­ ten – und das heißt insbesondere: wie der Vorrang der Form zu berücksichtigen ist – lässt sich nicht vorab bestimmen. Es im Hin­ blick auf die jeweilige naturwissenschaftliche Disziplin und ihre Gegenstände auszuarbeiten.318 2.3.2  Grammatischer Stellenwert und Grundbedeutungen von physis Aristoteles übernimmt den Naturbegriff aus der Tradition; 319 unter den als »Philosophen« (philosophoi) oder »Naturwissenschaftler« (physikoi) bekannten Autoren ist er der erste, der ihn ausdrücklich erörtert.320 Die aristotelische Erörterung des Naturbegriffs in Phys. II 1 und Met. V 4 ist einerseits eine Positionierung vor dem Hinter­ grund der Begriffsgeschichte. Andererseits und vor allem ist sie ein entscheidender Schritt in der Ausarbeitung des wissenschafts­ theoretischen Programms der aristotelischen Naturwissenschaft; sie betrifft deren Gegenstände, Fragestellungen und Erklärungs­ ansprüche. Aristoteles bekräftigt die Grundregel, dass Natur (physis) stets die Natur von etwas ist; 321 und er fügt mit polemischer Spitze gegen Platon hinzu, Natur sei stets »in« dem, wovon sie die Natur ist.322 Vgl. zur Biologie PA I 1, 640 b17 ff. und passim, dazu Lennox 1997/ 2001a. 319  Zur voraristotelischen Geschichte des Naturbegriffs Patzer 1939/ 1993; Bremer 1991; Heinemann 2005 sowie meine unpublizierten Arbei­ ten unter https://uni-kassel.academia.edu/GottfriedHeinemann/Physis:Greek-Concept-of-Nature. 320 Die Einschränkung ist wichtig: Die Naturbegriffe von »Philo­ sophie« und Medizin erörtert bereits um die Wende zum 4. Jh. die im Corpus Hippocraticum überlieferten Abhandlung Über die alte Medizin (VM), Kap. 20. 321  Zu den seit der Wende zum 5. Jh. beobachtbaren Ausnahmen und Begriffsdehnungen s. u. 2.3.4. 322  In diesem Sinne Phys. II 1, 192 b 34: »Denn es gibt etwas Zugrunde­ liegendes (hypokeimenon), und die Natur ist stets in einem Zugrunde­ liegenden«. 318 

CXXIV

Gottfried Heinemann

Gemäß dieser Grundregel gehören zur »Natur« (physis) eines Ge­ genstandes (z. B. eines Lebewesens, oft eines Menschen) bestimmte Merkmale, die an diesem Gegenstand auftreten und für ihn in ir­ gendeiner, dem Kontext entsprechenden Weise wesentlich sind. Dem entspricht im älteren Sprachgebrauch nicht nur die Verwen­ dung von physis mit limitierendem Genitiv, sondern insbesondere auch die adverbielle Verwendung von physis sowie die Verwendung von pephyka als Kopula – insgesamt: x physin esti F = x pephyke F = das Merkmal F gehört zur physis von x. Die voraristotelische Begriffsgeschichte von physis ist fast vollstän­ dig anhand dieses Schemas rekonstruierbar. Dabei lassen sich zwei Grundbedeutungen unterscheiden: Zur Natur eines Gegenstandes gehören (a) nach der einen Bedeutung diejenigen Merkmale, die ihm auf­ grund seines Ursprungs und der Weise seines Entstehens eig­ nen (kurz: »Natur« ist genetisches Profil); und (b) nach der anderen Bedeutung seine stabilen kausalen Eigen­ schaften und Dispositionen (kurz: »Natur« ist dispositionales Profil). Da kausale Eigenschaften und Dispositionen in (a) nicht ausge­ schlossen sind, liegt der Unterschied zwischen (a) und (b) vor allem darin, dass zur Sicherung der Stabilität von Merkmalen nach (b) keine Rückbindung an Ursprung und Werden gesucht wird. Eine Variante von (a) ist die in der frühen griechischen Philo­ sophie ausgearbeitete Auffassung von »Natur« als stofflicher Zu­ sammensetzung – und somit letztlich als Zusammensetzung aus unentstandenen und unvergänglichen Grundstoffen (Atomen, Ele­ menten usf., die dann auch direkt mit der gemeinsamen ­»Natur« aller Dinge gleichgesetzt werden). Nach Aristoteles hat diese Auf­ fassung eine gewisse Berechtigung.323 Sie wird über den Begriff des Materials in die aristotelische Wissenschaft eingebunden (s. o. 2.3.1.2). Dabei ist Material (hylê) kein selbständiges Ding, sondern 323 Vgl.

Phys. II 1, 193a 9– b12 sowie Met. V 4, 1014b26–35.

Einleitung CXXV

»etwas Bezügliches«:324 Ein Stoff fungiert als Material eines Gegen­ standes, wenn dieser Gegenstand aus ihm besteht.325 Hierfür müs­ sen die Eigenschaften des Stoffs den Erfordernissen entsprechen, die durch die Art (oder »Form«: eidos) des Gegenstandes festgelegt sind. Im funktionalen Ganzen des Gegenstandes ist das Material der Form untergeordnet. 2.3.3  Das Modell der technê: Naturen, Naturdinge und Artefakte Gemäß (b) verstanden wird »Natur« zum Schlüsselbegriff für das methodologische Selbstverständnis der qualifizierten Berufe. 2.3.3.1  Von qualifizierter Tätigkeit kann nur die Rede sein, wo eine Sache besser oder schlechter gemacht werden kann. Zu einem qualifizierten Beruf – einer technê (im Deutschen auch: »Kunst«) – gehört es demgemäß, dass man zwischen guten und schlechten Fachleuten zu unterscheiden hat und dass es hierfür Kriterien gibt, d. h. letztlich: dass es in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich Krite­ rien zur Unterscheidung von Richtig und Fehlerhaft gibt.326 Das dispositionale Profil der bearbeiteten Gegenstände liefert solche Phys. II 2, 194b 9: tôn pros ti. 325  Von einigen Interpreten (z. B. Detel 1980, 874 f.) wird das Wort »Materie« in diesem Sinne verwendet. Ich halte das für eine unnötige Härte. – Aber das mag eine unentscheidbare Angelegenheit des Sprach­ gefühls sein. Wichtig ist nur der folgende Unterschied: Bei »Materie« und »Material« gibt es eine Verwendungsweise, bei der man fragen muss: Wo­ von? oder: Wofür? Und es gibt eine Verwendungsweise, bei der sich diese Frage erübrigt. Nur die erstere Verwendungsweise ist hier einschlägig. 326  Gute und schlechte Fachleute: [Hippokrates] VM 1,2; Kriterien für Richtig und Fehlerhaft: [Hippokrates] De arte 5,6; dazu Heinimann 1961/1976, 163 f. Solche Kriterien gibt es auch für nützliche und lehrbare Tätig­keiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen, die nicht als Beruf aus­ geübt werden. Auch sie sind deshalb technai, und die professionelle Aus­ übung einer technê ist nur ein – in vielen Hinsichten paradigmatischer – Spezialfall. Zur Großschreibung der Bezeichnung von Eigenschaften etc. vgl. Einl. 3.2.2.3. 324 

CXXVI

Gottfried Heinemann

Kriterien: Kenntnisse über »Natur« sind Kenntnisse über die je­ weils relevanten kausalen Eigenschaften der Dinge, 327 z. B. über körperliche Konstitution in der Medizin und über Begabung und Charakteranlage in der Erziehung. Platon überträgt dies auf den Gebrauch von Wörtern zur Un­ terscheidung des Wesens der Dinge sowie insbesondere auch zur wertenden Beschreibung politischer Optionen und Handlungs­ weisen.328 Nach Thukydides ist der Gebrauch des einschlägigen Vokabulars unvermeidlicherweise korrupt; 329 nach Platon ist das Übel durch fachkundige Korrektur und Supervision evaluativer Bräuche behebbar.330 Das muss nach Kriterien geschehen, die nicht an veränderlichen Dingen – oder an paradigmatischen Einzelfällen, wie in den Erzählungen und Gedankenexperimenten der Dichter – ablesbar sind. Platon beschreibt das erforderliche Kriterienwissen vielmehr als Betrachtung sogenannter »Formen« oder »Ideen« und ihrer »Natur«. »Ideen« fungieren als »Muster« für die jeweiligen Merkmale, z. B. Schön, Gerecht, Gut usf.331 Das lässt an abstrakte Gegenstände denken, zu deren Natur diese Merkmale gehören.332 Platon vermeidet eine solche Verdinglichung, indem er bei einer Idee nicht zwischen der Natur, die sie hat, und der Natur, die sie ist, unterscheidet: Die »Naturen«, d. h. »Ideen« oder »Formen«, die das »Wesen« der sie instanziierenden Sachen und Dinge ausma­ chen, sind abstrakte Strukturen, die als solche keines zusätzlichen Trägers bedürfen. 327 

Vgl. bes. [Hippokrates], VM 20,3; dieselbe Auffassung wird in Pla­ tons Kratylos (Crat. 387a etc.) übernommen. 328 Vgl. Crat. 388b13–c1 in Verbindung mit 390cd bzw. Resp. VI, 484cd u. ö. 329  Thukydides III 82,4: Die Korrumpierbarkeit liegt in der »Natur« des Menschen. Nach Platon ist sie den politischen Verhältnissen geschul­ det, vgl. Resp. VIII, 560d–561a. 330  Resp. VI, 484d etc. – Zum Programm der sog. Philosophenherr­ schaft auch Resp. V, 473c–e, VI, 501ab sowie bes. VII, 519d–521b. 331 »Schön«: kalon, d. h. lobenswert; »gut«: agathon, d. h. empfehlenswert. 332  Beachte die Umkehrung: »Natur« liefert Kriterien für Richtig und Fehlerhaft; und was Kriterien für Richtig und Fehlerhaft liefert, heißt deshalb bei Platon »Natur«.

Einleitung CXXVII

Gegen diese Verselbständigung wendet sich Aristoteles mit der zitierten Bemerkung, »die Natur« sei »immer in einem Zugrunde­ liegenden« (en hypokeimenôi , s. o. 2.3.2) – d. h. in dem, wovon sie die Natur ist. Die Natur eines Gegenstandes ist einerseits dessen Material, andererseits und vor allem aber dessen »definitionsge­ mäße Form« (s. o. 2.3.1.2); und durch diese sind zugleich auch die Anforderungen an das Material festgelegt. Die definitionsgemäße Form eines Gegenstandes umfasst diejenigen Merkmale, die ihn als Gegenstand seiner Art auszeichnen; sie ist »Natur«, wenn zu diesen Merkmalen wenigstens ein »Prinzip (archê) der Bewegung und der Ruhe« des Gegenstandes gehört. Die zitierte Formel ver­ knüpft die Begriffe von Natur und effizienter Ursache: Effiziente Ursache ist das »Woher« des »Prinzips von Bewegung oder Ruhe« (s. u. 2.3.5.1); dieses Prinzip ist »Natur«, wenn die Frage Woher? durch: im bewegten Gegenstand selbst (und zwar primär und an sich) zu beantworten ist (s. u. 2.3.6.4). Natur ist daher auch nicht schlicht dasselbe wie Form (oder andererseits Material). Eher könnte man sagen: Die Natur eines Gegenstandes ist die Weise, in der die Form (bzw. das Material) eines Gegenstandes als effiziente Ursache der eigenen Bewegung und Ruhe fungiert. Diese Verknüpfung von effizienter, formaler und materialer Ursache kann auf die finale Ursache ausgedehnt werden: Die Natur eines Gegenstandes wirkt zu einem Zweck; sie ist die Weise, in der Bewegung und Ruhe des Gegenstandes auf ein durch seine definitionsgemäße Form festgelegtes Optimum ausgerichtet sind.333 Insgesamt wird somit die alte Auffassung von ­»Natur« als dispositionales Profil in die Ursachen- und Prinzipien­ lehre der Physik eingearbeitet. 2.3.3.2  Zu beachten bleibt, dass zum dispositionalen Profil von Lebewesen – den paradigmatischen Naturdingen bei Aristote­les – auch deren reproduktive Funktionen gehören. Kein Ding hat das Prinzip des eigenen Entstehens in sich, sondern es entsteht durch äußere Einwirkung. Insbesondere erzeugt kein Lebewesen sich In diesem Sinne Phys. II 7, 198b 9: … pros tên hekastou ousian. Dazu Heinemann 2016c (zur Gleichsetzung von ousia und definitionsgemäßer Form ebd. 239 f.). 333 

CXXVIII

Gottfried Heinemann

selbst; erst nachdem es erzeugt ist, wächst es selbsttätig und er­ hält es sich selbst.334 Wachstum und Selbsterhaltung gehören zu ihrer Natur. Aber die »natürlichste Leistung der … Lebewesen« ist, ihresgleichen zu erzeugen: »ein anderes zu machen, das ist wie es selbst: das Tier ein Tier, die Pflanze eine Pflanze« – denn nur so hat das Vergängliche am Unvergänglichen (dem ansonsten un­ erreichbaren Optimum von Lebendigkeit) teil.335 Natürliches Entstehen erfolgt demgemäß durch Einwirkung »der artgleichen Natur-als-Form in einem anderen Individuum«; 336 die Präexistenz der Form ist dadurch gesichert, dass sie der Erzeuger GA II 1, 735a13–14: οὐϑὲν γὰρ αὐτὸ ἑαυτὸ γεννᾷ· ὅταν δὲ γένηται αὔξει ἤδη αὐτὸ ἑαυτό. Anim. II 4, 416 b16–17: γεννᾷ δ’ οὐϑὲν αὐτὸ ἑαυτό, ἀλλὰ σώζει. Dementsprechend heißt es in Phys. II 1, dass Naturdinge in sich ein Prinzip der »Bewegung« (kinêsis) bzgl. Ort, Größe und Qualität haben (192b14–5). Von einem inneren Prinzip des Entstehens ist nicht die Rede; ein solches ist auch nicht indirekt aus einem bei Gemachtem fehlenden inneren Prinzip des Machens (b27–9) erschließbar (vgl. die An­ merkungen zu Phys. II 1, 192b23–32). 335  De anima II 4, 415a 26– b 7 (zit: a 26–9); die Auslassung betrifft ins­ besondere den von Aristoteles zugelassenen Sonderfall, dass die Indivi­ duen mancher Arten »irgendwie von selbst« entstehen. 336  Met. VII 7, 1032 a 24–25. – Beachte: Zwar verursachen die nach Aris­ toteles durch das männliche sperma auf das Menstruationsblut übertrage­ nen Bewegungen (vgl. GA II 1, 734b21–735a 4 u. ö.; dazu Kullmann 1979, 52 f.) das Entstehen eines neuen Lebewesens und somit eine Änderung in der Kategorie der Substanz. Aber sie sind nicht dieses Entstehen; an diesem nimmt das männliche sperma nicht teil. Ihre archê ist einerseits Prinzip einer Eigenbewegung des Erzeugers und gehört insofern zu des­ sen Natur (physis). Diese Eigenbewegung ist zugleich eine Einwirkung auf Anderes, die ein Entstehen bewirkt (also eine Änderung in einer an­ deren, von der Liste der Eigenbewegungen ausgeschlossenen Kategorie). Als Prinzip dieses Entstehen in Anderem ist dieselbe archê daher ande­ rerseits eine aristotelische Kraft (dynamis). Der Unterschied zwischen physis (als Prinzip einer Eigenbewegung) und dynamis (als Prinzip einer Bewegung in Anderem) bleibt dabei gewahrt: die numerisch gleiche archê ist in ihrem Sein (tôi einai) zweierlei, nämlich physis und dynamis. Oder weniger anspruchsvoll formuliert: Sie ist eine physis, die eine dynamis impliziert. 334 

Einleitung CXXIX

instanziiert.337 Bei fachgerechtem Herstellen wird die einschlägige Form vom Hersteller mental repräsentiert: Prinzip der Einwirkung ist die »Form in der Seele«, die von Aristoteles mit dem einschlägi­ gen Fachwissen (der techne) gleichgesetzt wird.338 Diese Vorgriffe auf (vermutlich) erst später Ausgearbeitetes sind zur Vermeidung von Missverständnissen kaum zu vermeiden. Ins­ besondere ist der Physikvorlesung kein klares Kriterium zur Unter­ scheidung zwischen Naturdingen und Artefakten zu entnehmen. Die nächstliegende Erklärung, dass Naturdinge ohne menschliches Zutun entstehen, während Artefakte menschen­gemacht sind, 339 greift jedenfalls zu kurz: Menschen sind Naturdinge wie die ande­ ren Tiere; Werkzeuggebrauch und die Herstellung von Gebrauchs­ gegenständen gehören ebenso zur menschlichen Natur, wie das We­ ben von Netzen und der Bau von Nestern zur Natur von Spinnen bzw. Schwalben gehört.340 Deshalb ist schwer einzusehen, wieso Menschengemachtes kein Naturding sein soll, während Spinnweb und Schwalbennest dies nach Aristoteles zweifellos sind. Das oben angegebene Kriterium leistet das Erforderliche: Was Artefakte aus­ zeichnet, ist nicht, dass sie vom Menschen, sondern dass sie »durch Fachwissen« (lat. arte) gemacht sind.341 Dabei sind die Begriffe von »Natur« (physis) und »Fachwissen« (technê) so gefasst, dass der Unterschied zwischen Naturdingen und Artefakten auf einen Unterschied der Weisen hinauskommt, wie die »Form« (eidos) des 337 

Das gilt so für die geschlechtliche Erzeugung von Lebewesen, aber nicht bei spontaner Erzeugung (vgl. HA V 1, 539 a 22–23; dazu Ross 1924, II, 355) und auch nicht für die sog. Elemente, für deren Entstehen die Einwirkung irgendeiner entelecheia (GC I 5, 320 b21) genügen kann. Dass ein Ding gemäß Phys. II 1, 192b 8 ff. »durch Natur ist«, besagt daher nicht, dass es auch gemäß Met. VII 7, 1032a12 ff. »durch Natur wird«. 338 Vgl. Met. VII 7, 1032 b1: to eidos en tê psychê (ebenso b23); dann i i b ebd. 13–14. 339  Vgl. beispielsweise Gloy 1995, 23 (dazu Heinemann 2001, 37 ff.). 340  Vgl. einerseits PA IV 10, 687a 6– b 5 (dazu Heinemann 2016c, 266– 269), andererseits Phys. II 8, 199 a 26–27. 341  Anders die »standard definition« in Preston 2018, § 1: Kriterium für Artefakte ist die absichtliche Herstellung zu einem Zweck – was nach Preston vermutlich auch z. B. auf Biberbauten zutrifft.

CXXX

Gottfried Heinemann

Gegenstandes bei seinem Entstehen präexistiert. Erst durch den aristotelischen Begriff der Form wird die Unterscheidung trenn­ scharf; außerhalb dieses Kontextes ist sie es nicht. Am Anfang der Erörterung des Naturbegriffs in Phys. II – »die Dinge sind teils durch Natur, teils aus anderen Ursachen«342 – han­ delt es sich nicht darum, dass Dinge durch Natur entstehen, sondern dass bestimmte Dinge »durch Natur sind« (s. o. 2.3.1.1). Die Natur, durch die sie sind, muss die eigene sein (bzw. bei Teilen von Tie­ ren die Natur der Tiere, deren Teile sie sind); eine andere kommt nicht in Betracht.343 Nach der stillschweigenden Voraussetzung des Anfangs von Phys. II 1 ist ein Ding somit genau dann »durch Na­ tur« (esti physei), wenn es eine Natur hat (physin echei). Und wenn Naturdinge eben dadurch ausgezeichnet sind, ein inneres »Prin­ zip« (archê) der eigenen Bewegung und Ruhe zu haben, dann eben deshalb, weil in dieser Voraussetzung mit »Natur« (physis) nichts anderes gemeint ist als dieses Prinzip.344 2.3.3.3  Wichtiger als die Unterscheidung zwischen Naturdingen und Artefakten ist die Entsprechung zwischen beiden Bereichen. Eine anschauliche Variante der Forderung, dass professionelles Fachwissen auf einer Kenntnis der einschlägigen Natur zu be­r uhen hat (s. o. 2.3.3.1), ist schon in einer medizinischen Abhandlung des späten 5. oder frühen 4. Jh. die Annahme eines mimetischen Ver­ haltens der »Kunst« (technê) zur »Natur« (physis); nur durch Nach­ ahmung der Natur verfüge die ärztliche »Kunst« über stabile Kri­ terien von Richtig und Fehlerhaft. Beispielsweise funktioniere die Härtung des Eisens beim Schmieden ebenso wie die Abhärtung des Leibes durch Training, das Hin-und-Her der Säge wie das Stoßen und Ziehen des Atems usf.345 Phys. II 1, 192b 8–9: Τῶν ὄντων τὰ μέν ἐστι φύσει, τὰ δὲ δι’ ἄλλας αἰτίας. 343  Kein ernsthafter Kandidat ist der »Naturinbegriff« von dem nach Wagner (1979, 445) die Naturdinge, nach obigem Argument aber auch alles Menschenwerk, »hervorgebracht« sind. 344  Phys. II 1, 192 b13–15, dann b20–23 (s. o. 2.3.1.1). Vgl. auch die An­ merkungen zur Übersetzung. 345 [Hippokrates], De victu (dt. Über die Diät), Kap. 11 ff. – Richtig und Fehlerhaft: Kap. 11; Schmiede: Kap. 13; Säge: Kap. 16 (vgl. Kap. 6). 342 

Einleitung CXXXI

Aristoteles zitiert diese Annahme wie einen Gemeinplatz. Dass die »Kunst« die »Natur« imitiert (mimeitai), ist bei ihm eine prä­ gnante Formel für die allgemeine Regel, dass die zweckmäßige Schrittfolge von Naturprozessen in der Struktur von Herstellungs­ prozessen wiederkehrt und durch sie illustriert werden kann; und dass dasselbe für die unterschiedlichsten Konstruktionsprinzipien und Sachzwänge gilt.346 Anders als oftmals angenommen347 hat diese Formel nichts mit einer vermeintlich naturalistischen Auf­ fassung derjenigen »Künste« (Epos und Tragödie, Malerei und Statuenbildnerei usf.) zu tun, deren Leistung Aristoteles in der Poetik als »Nachahmung« (oder richtiger »Darstellung«: mimêsis) charakterisiert. Diese Künste »stellen dar …, was (der Fall) war oder ist, was dafür gehalten wird oder was (der Fall) zu sein hat«, 348 aber nicht – was immer das überhaupt bedeuten mag – die »Natur«. 2.3.4  Spezifische Gesetzmäßigkeiten und die »Natur« als »Gattung des Seienden Seit dem späten 5. Jh. gibt es Ausnahmen von der zitierten Grund­ regel, dass »Natur« (physis) stets die Natur von etwas ist – oder vielmehr: es gibt Begriffsdehnungen, die sich nur noch vermu­ tungsweise auf regelgerechte Verwendungsweisen zurückführen lassen. Aristoteles, Phys. II 2, 194a21 f.; ebd. 8, 199 a8 ff.; vgl. Protr. Frg. B 13 f. und B 23 (Düring); Meteor. IV 3, 381b 6 u. ö. Dazu Schneider 1989, 212 ff. 347  So z. B. Büttner 2017; missverständlich sind auch die einschlägigen Formulierungen bei Schmitt (2003, 185 f. und passim; 2008, 51). Vgl. dem­ gegenüber Küpper 2009, 32 f. sowie die ausgezeichneten Erläuterungen von Fuhrmann (1982/1994, 166 ff.). Dass Fuhrmann die Mimesisthese der Physikvorlesung unerwähnt lässt, ist einerseits ganz sachgemäß, denn sie hat mit derjenigen mimesis, die Thema der Poetik ist, nicht das Geringste zu tun; andererseits ist es wegen der somit versäumten Richtigstellung zu bedauern. 348  Poet. 25, 1460 b 9–11. – Zur Interpretation Halliwell 2003, 171 f. Auch die von Fuhrmann (1982/1994, 85) und Schmitt (2008, 36 f.) gewählte Übersetzungsvariante (»wie« statt »was« für hoia) lässt keinen Raum für eine »Nachahmung der Natur«. 346 

CXXXII

Gottfried Heinemann

2.3.4.1  Dabei handelt es sich einerseits um einen adverbiellen Gebrauch, bei dem der gegenständliche Bezug entfallen kann: Wenn nach Demokrit (fr. 267) »durch Natur (physei) das Herrschen dem Stärkeren zukommt«, ist es müßig zu fragen, ob von der Natur des Stärkeren oder des Schwächeren die Rede ist oder etwa von der Natur von Kräfte- und Herrschaftsverhältnissen; eher wäre daran zu denken, dass »Natur« (physis) hier eine allgemeine, die unter­ schiedlichsten Arten von Gegenständen übergreifende Gesetz­ mäßigkeit ist – und ebenso die »zwangsläufige Natur« (anankaia physis), »unter« der bei Thukydides ein Umschlag von Kräfte- in Herrschaftsverhältnisse erfolgt.349 Bei Euripides kann »gemäß [oder: aufgrund] der Natur« (kata physin) dasselbe wie »zwangs­ läufig« (anankaiôs) bedeuten und der »Zwang der Natur« (anankê physeôs) probeweise mit dem stärksten der Götter (d. h. wohl: mit dessen Herrschaft) gleichgesetzt werden.350 Andererseits kann bei inbegrifflichen Verwendungen die Rück­ bindung an einen bestimmten Ursprung oder an ein bestimmtes Merkmal entfallen. In Anlehnung an die genetische Grundbedeu­ tung – s. o. (a) in 2.3.2 – kann physis auch »Erzeugnis« bedeuten: chthonos physis ist an einer Stelle bei Aischylos »was aus der Erde wächst«; pontou physis bei Sophokles »des Meeres Brut«.351 Sollte physis an einer Stelle bei Philolaos »die Gesamtheit all dessen be­ zeichne[n], was als Gewordenes … da ist«, 352 dann wäre nur die Spezifizierung eines Ursprungs entfallen. Und ähnlich sind in Anlehnung an die dispositionale Grundbedeutung – s. o. (b) in 2.3.2 – »solche Naturen« (hoi toiautai physeis) bei Sophokles und im Corpus Hippocraticum die Menschen, zu deren Natur das durch »solche« angezeigte Merkmal gehört; 353 »sterbliche Natur« (thnêtê physis) ist bei Sophokles, Demokrit und Platon demgemäß alles, zu

349 

Demokrit, DK 68 B 267; Thukydides V 105,2 (s. u. 2.3.6.2). Euripides, Frg. 757 bzw. Troad. 886. 351  Aischylos, Ag. 633; Sophokles, Ant. 345. 352  Patzer 1939/1993, 66/276 zu Philolaos, DK 44 B 1; zustimmend Zhmud 2018, 57 f. 353  Sophokles, OT 674; [Hippokrates], Aer. 4, VM 12, Vict. 32 etc. 350 

Einleitung CXXXIII

dessen Natur es gehört, sterblich zu sein. Wenn in Platons Menon alles, was überhaupt eine Natur hat, insgesamt »die ganze Natur« (hê physis hapasa) ausmacht, ist nur die Spezifizierung des Merk­ mals entfallen.354 Mit der Forderung, Natur sei stets Natur von etwas, wendet sich Aristoteles insbesondere gegen die Auffassung von Natur als all­ gemeine Gesetzmäßigkeit. Der durch den Naturbegriff bekundete Erklärungsanspruch der Naturwissenschaft ist nach Aristoteles nur durch Zurückführung aller einschlägigen Gesetzmäßigkeiten auf die spezifischen Naturen der jeweils involvierten Gegenstände ein­ lösbar. Dabei gilt nicht jede Regelmäßigkeit auch als einschlägige Gesetzmäßigkeit. Zum Beispiel sind die Gebrauchseigenschaften von Artefakten auf deren zweckmäßige Konstruktion zurückzu­ führen. Diese ist keine »Natur« (physis); denn die relevanten Be­ wegungen sind Gebrauchshandlungen, deren »Prinzip« (archê) im Verwender ist und nicht in dem Gegenstand, den er verwendet. Gebrauchsgegenstände sind deshalb als solche keine Gegenstände der Naturwissenschaft. Gegenstände der Naturwissenschaft sind vielmehr die sog. Naturdinge (physei onta), d. h. die Dinge, die eine Natur haben, auf die in naturwissenschaftlichen Erklärungen re­ kurriert werden kann. 2.3.4.2  Die Naturwissenschaft ist somit eine Einzelwissenschaft. Ihr Gegenstand ist nach Met. IV 3 »nur eine bestimmte Gattung des Seienden«, nicht das Seiende im Allgemeinen; 355 Nach Met. VI thematisiert sie das zu dieser Gattung gehörige Seiende nicht »im Hinblick darauf, dass es ist« (hêi on), sondern im Hinblick darauf, dass es »das Prinzip der Bewegung und Ruhe in sich selbst hat«.356 Hiermit ergibt sich nicht nur innerhalb der aristotelischen Wissen­ 354 

Sophokles, fr. 590; Demokrit, DK 68 B 297; Platon, Symp. 207d1–2 und Tht. 176a7–8, dann Men. 81c8–d1. 355  Met. IV 3, 1005a34: hen ti genos tou ontos (vgl. Met. VI 1, 1025 b19); dann 1005a35: katholou. 356  Met. VI 1, 1025 b 9–10: oude hê on (vgl. IV 1, 1003a 21). Dann 1025 i b20–21: en hê hê archê tês kinêseôs kai staseôs en autê in Verbindung mit i i b12–13: »was der Gattung an sich eignet« (ta kath hauta hyparchonta tô i genei).

CXXXIV

Gottfried Heinemann

schaftssystematik eine Abgrenzung der Naturwissenschaft von der Ersten Philosophie. Sondern es ergibt sich auch eine ausdrückliche Abgrenzung der aristotelischen Naturwissenschaft gegenüber der frühen griechischen Philosophie, die ihren Gegenstand als »alles« (panta) angegeben hatte.357 Die Grundlegung einer Einzelwissenschaft beginnt nach Met. VI 1 mit der vorläufigen Umschreibung eines Bereichs von Gegen­ ständen (s. o. 1.2.2.2). Dieser wird bereits in Phys. I durch das Stich­ wort »Naturdinge« markiert; der Anfang von Phys. II 1 greift das nur auf.358 An der zitierten Stelle im IV. Buch der Metaphysik heißt er auch »die Natur«; 359 ebenso wohl auch an einer Stelle in Phys. II 1.360 Die grundlegende Annahme (hypothesis), durch den ein Be­ reich von Dingen zum Gegenstand einer Wissenschaft wird, kommt

357 

Zur Themenangabe »über alles« (peri pantôn) vgl. bei Aristo­teles: Met. I 8, 988 b27 und 10, 993a15; abgrenzend PA I 1, 641a36– b1. In den Fragmenten der frühen griechischen Philosophie finden wir vermutlich die Themenangabe peri pantôn bei Xenophanes (DK 31 B 34.2) und je­ denfalls den Buchtitel peri tôn xympantôn bei Demokrit (DK 68 B 165); ferner »alles« (panta) in Einleitungssätzen bei Heraklit (DK 22 B 1), Par­ menides (DK 28 B 1.32 und B 8.60), Empedokles (DK 31 B 6.1), Anaxa­ goras (DK 59 B 1), und Diogenes von Apollonia (DK 64 B 1). Die Themenangabe »über Natur« (peri physeôs) ist erst seit der Wende zum 5. Jh. belegt – vgl. [Hippokrates] VM 20,1.3; Dissoi logoi (DK 90) 8,1–2; Platon, Phd. 96a8 etc. In ihr ist der Zusatz »von allem« (tôn hapan­ tôn o. ä.), wo er fehlt, sinngemäß zu ergänzen. Ein »absoluter« Gebrauch der Formel peri physeôs ist nicht anzunehmen (vgl. Heinemann 2019, 16 f.; ders. 2021, 22 f.; anders Schmalzriedt 1970, 89). 358  Phys. I 2, 185 a13: ta physei; I 5, 188 b 25: ta physei gignomena, I 7, 190 b17–18: ta physei onta; dann II 1, 192b 8: tôn ontôn ta men esti physei, ta de … 359  Met. IV 3, 1005a34: hen ti genos tou ontos hê phusis. Hier ist »die Natur« eine generische Bezeichnung der »Naturdinge« (physei onta), d. h. dessen, was eine Natur hat (vgl. meine Erläuterungen zu Phys. II 1, 192b 8– 23). Das entspricht der Ausdrucksweise an der zitierten Stelle in Platons Menon (81c8), aber mit dem Unterschied, dass »die Natur« bei Aristoteles eben nur »eine« (hen) unter mehreren »Gattungen des Seienden« ist. 360  Phys. II 1, 193 a3: hê physis = toiauta tôn ontôn (ebd. a 4).

Einleitung CXXXV

im Allgemeinen darauf hinaus, Dinge mit bestimmten Eigenschaf­ ten zu fordern.361 In der Physikvorlesung ist dies zunächst die An­ nahme, »dass die Naturdinge … in Bewegung sind«, 362 und dann in einem zweiten Schritt, dass sie – und das heißt nun insbesondere: die zuvor als »Naturdinge« angeführten Lebewesen, Elemente usf. – ein inneres, ihnen »primär und an sich« eignendes Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe haben (s. o. 2.3.1.1). Dieses ist ihre »Natur«, die sie als Gegenstände der Naturwissenschaft, und ihre definitionsgemäßen Merkmale als sachgemäße Ausgangspunkte wissenschaftlicher Erklärungen, qualifiziert. 2.3.5 Ursachen Zu wissen heißt nach Aristoteles nicht nur, die jeweiligen Tat­ sachen zu kennen, sondern sie insbesondere auch durch Angabe ihrer Ursachen erklären zu können. Jede solche Erklärung ist für Aristoteles eine Antwort auf die Frage Warum? (dia ti); zum Wis­ sen gehört es dementsprechend, »das jeweilige Warum erfasst [zu] haben«.363 2.3.5.1  Aristoteles unterscheidet »im Hinblick auf Entstehen und Vergehen sowie alle natürlichen Änderungen« vier Weisen, in denen die Frage Warum? zu stellen und durch eine wissenschaft­ liche Erklärung zu beantworten ist.364 Die vier Fragen, in die sich die Frage Warum? somit differenziert, sind nach Phys. II 3:

Met. VI 1, 1025b11: hypothesis. Zum Begriff der hypothesis APo I 2, 72a14–24; vgl. Crivelli 2011, 123. 362  Phys. I 2, 185a12–13 (ebenso Menn 2019, 45). – Diese Forderung ist durch hypokeisthô als hypothesis ausgewiesen (vgl. meine Erläuterungen zu der Stelle). 363  Vgl. Phys. II 3, 194 b19: … prin an labômen to dia ti peri hekaston. Ebenso APo II 11, 94 a 20; Met. I 3, 983a 25; sowie im Hinblick auf Prinzi­ pien, Ursachen und Elemente Phys. I 1, 184 a10 ff. (s. o. 2.2.1). 364  Phys. II 3, 194 b23–195a3 (zit: 194 b21–2). Formulierungsvarianten des Katalogs (u. a.): ebd. 195a 26; Phys. II 7, 198 a14–21, ebd. a 24 und bes. b 4–9; APo II 11, 94 a 21–23; Met. I 3, 983a 26–32 u. ö. (Met. V 2, 1013a 24– b3 = Phys. II 3, 194b23–195a3). 361 Vgl.

CXXXVI

Gottfried Heinemann

(i) die Frage, »woraus als darin Vorhandenem etwas entsteht, wie die Bronze, aus der die Statue, und das Silber, aus dem die Schale ist«, d. h. nach dem jeweiligen Material; 365 (ii) die Frage nach »Form« und »Muster«, d. h. nach einer »Defi­ nition«, die angibt, »was es heißt, so etwas zu sein« (oder kurz: »was das ist«), 366 sowie nach übergeordneten Gattungen und definierenden Merkmalen; 367 (iii) die Frage, »von woher das erste Prinzip der Änderung oder des Stillstands« (b29–30), d. h. nach dem, was »macht« bzw. was »ändert«; 368 sowie schließlich (iv) die Frage, »wozu« (oder: wieso »es besser so ist«), d. h. nach dem »Zweck« oder »Ziel«.369 2.3.5.2  Material und Form wurden in Phys. I 7 als Prinzipien ein­ geführt (s. o. 2.2.5.2); nach Phys. II 1 machen sie die Natur eines Ge­ genstands aus (s. o. 2.3.1.2); hier sind sie nun Ursachen. Einen Hin­ weis darauf, wie das zusammengeht, gibt eine Bemerkung in Phys. II 7, wonach Form, Beweger und Wozu »oft in eins fallen. Denn das Was-ist-das und das Wozu sind eines, und das Woher-zuerstdie-Bewegung ist mit diesen der Art nach (tôi eidei) dasselbe. Denn

Phys. II 3, 194b24–25. »Material«: hylê (ebd. 195a 9), ebenso bereits Phys. I 9, 192 a31–32. – In späterer Terminologie: sog. Materialursache (causa materialis). 366  Phys. II 3, 194 b27: ho logos tou ti ên einai; in demselben Sinne zu­ vor Phys. II 2, 193b1–2: to eidos kata ton logon hôi horizomenoi legomen ti esti … und dann Phys. II 7, 198 a16 u. ö.: ti estin. 367  Phys. II 2, 194 b26–29. »Form« (oder »Art«): eidos; »Muster«: para­ deigma; »Definition«: logos; »Gattungen«: genê; definierende Merkmale: merê en tôi logôi (wörtl.: »Teile in der Definition«). – In späterer Termino­ logie: sog. Formursache (causa formalis). 368  Phys. II 2, 194 b29–30. »Prinzip«: archê (dazu auch unten 2.3.6.4); was »macht«/»ändert«: to poioun / metaballon (b31–2). – In späterer Ter­ minologie: sog. Wirkursache (causa efficiens). 369  Phys. II 2, 194 b 32–33. »Wozu«: hou heneka; Zweck, »Ziel«: telos; dann Phys. II 7, 198b 8–9: dioti beltion houtôs (»weil es besser so ist«). – In späterer Terminologie: sog. Zweckursache (causa finalis). 365 

Einleitung CXXXVII

Mensch zeugt Mensch; und überhaupt was bewegt, indem es in Be­ wegung ist.«370 Das Beispiel (»Mensch zeugt Mensch«) macht klar, dass hier zunächst an natürliches Entstehen gedacht ist. Entspre­ chendes gilt aber auch für die fachgerechte Herstellung einer Sta­ tue, das Standardbeispiel in Phys. II 3: Ziel ist naheliegenderweise auch hier die einschlägige Form, d. h. der fachgerechte Entwurf. Als Woher-die-Bewegung fungiert in Phys. II 3 die Statuenbildnerei (andriantopoiikê) und als deren Verkörperung der Statuenbildner (andriantopoios); dass es sich bei Letzterem um Polyklet handelt, ist ein »zusätzlicher Umstand« (symbebêkos) und nur insofern von ­Belang, als Polyklet die einschlägige technê in ausgezeichneter Weise verkörpert.371 Der Formel »Mensch zeugt Mensch« in Phys. II 7 entspricht demnach in Phys. II 3 so etwas wie »Statuenbildnerei macht Statue« (was dort freilich nicht ausformuliert ist). Diese Entsprechung wird erst an der bereits zitierten Stelle in Met. VII 7 (s. o. 2.3.3.2) ausbuchstabiert: Das »Unter-wessen-Ein­ wirkung« (to hyph’ hou) ist – bei natürlichem Entstehen »die artgleiche, der Form gemäß be­ zeichnete Natur, und zwar diese Form in einem anderen [sc. Na­ turding]; denn Mensch zeugt Mensch«, 372 und – beim Zustandekommen durch technê »die Form in der Seele«, wobei die technê geradezu mit der nicht instanziierten (sondern mental repräsentierten) Form gleichgesetzt wird.373

Phys. II 7, 198 a 25–27. »Beweger«: to kinêsan (a 24), d. h. wörtlich: »was in Bewegung gesetzt hat«. 371  Vgl. Phys. II 3, 195a5–9; ebd. a32–35. Vgl. ebd. b22–25 über »die jeweils zugespitzteste Ursache« (to aition hekastou to akrotaton) beim Hausbau: »Ein Mensch baut, weil er Hausbauer ist (hoti oikodomos), und der Hausbauer [baut] aufgrund der Kunst des Hausbaus (kata tên oiko­ do­mi­kên); diese ist also die primäre Ursache«. – Polyklet: ebd. a34–35 und b11. Über sein ausgezeichnetes Expertentum (sophia) EN VI 7, 1141 a 9–12. 372  Met. VII 7, 1032 a 24–5 373  Met. VII 7, 1032 b1: (ebenso b23), dann b13–14 – »nicht instanziiert«: aneu hylês (ebd. b12 und b14). 370 

CXXXVIII

Gottfried Heinemann

Aristoteles merkt demgemäß an, gewissermaßen entstehe bei der fachgerechten Heilung »die Gesundheit aus Gesundheit« und ebenso »das Haus aus einem Haus«.374 Der Unterschied zwischen natürlichem Entstehen und fachgerechter Herstellung liegt also da­ rin, ob der Erzeuger die einschlägige Form instanziiert oder mental repräsentiert; wenn weder das eine noch das andere zutrifft, ist das Resultat ein Zufallsprodukt.375 Beim Entstehen ist also damit zu rechnen, dass die Frage nach Zweck und Beweger darauf hinauskommt, in welcher Weise die Form als Zweck bzw. als Beweger fungiert. Überdies können dis­ positionale Eigenschaften eines Gegenstandes, 376 z. B. sein Bewe­ gungsverhalten, auf Form und Material zurückgeführt werden: Die Kugel rollt, weil sie rund ist, und sie schwimmt, weil sie aus Holz ist. Nur deshalb stellt sich bei einem Naturding die Frage, ob die Form oder das Material oder vielmehr beides seine Natur ausma­ chen (s. o. 2.3.1.2). Im Verhältnis von Form und Material ist nach Phys. II 9 die Form maßgeblich. Denn das Material muss aufgrund seiner kausalen Eigenschaften für die Form geeignet sein. Des­ halb werden Statuen aus Bronze hergestellt; Stein tut’s auch, funk­ tioniert aber ganz anders; Grießbrei ist nicht so gut. Aber ganz so einseitig ist das Verhältnis auch wieder nicht: Zu den unverzicht­ baren Lebensfunktionen von Pflanzen und Tieren und somit zu ihrer Form – d. i. zu der spezifischen Lebendigkeit oder »Seele« (psychê), die nach Anim. II 1 die »Substanz im Sinn von Form« (ousia hôs eidos) des lebensfähigen Körpers ausmacht377 – ge­hören Ernährung und Stoffwechsel. Deren übergeordneter Zweck ist die Selbsterhaltung des Lebewesens und somit wieder die Form; die sich daraus ergebenden, untergeordneten Zwecke betreffen die stoffliche Zusammensetzung der Körperteile und somit das Material. 2.3.5.3 Als Ausgangspunkt seiner Studie über die tierischen Fortbewegungsorgane formuliert Aristoteles drei naturwissen­ Met. VII 7, 1032b11–12. 375  Met. VII 7, 1032 b23 ff. (ausführlicher Phys. II 4–6). 376  Über dispositionale Eigenschaften s. u. 2.3.6.4. 377  Anim. II 1 (412 a19–20) 374 

Einleitung CXXXIX

schaftliche Grundsätze, von denen er sagt, dass er sie »oft zu ver­ wenden pflegt« und dabei jeweils »aufgreift und voraussetzt, was sich in allen Werken der Natur auf diese Weise verhält«.378 Der zweite dieser Grundsätze betrifft das System der Richtungsinter­ valle (diastaseis), der dritte die Verursachung des Ortswechsels durch Stoß und Zug.379 Hier interessiert der erste Grundsatz: Die Natur macht (1) nichts vergebens (ouden matên poiei), son­ dern (2) stets aus dem Möglichen das Beste für die der jeweili­ gen Tiergattung entsprechende Substanz (têi ousiai peri hekaston genos zôiou).380 Die zitierte Vorbemerkung besagt, dass es sich dabei um eine ge­ sicherte Tatsache handelt und nicht, gerade in dieser Allgemeinheit, um eine bloße Vermutung. Die scheinbar metaphorische Rede­ weise in (1) und (2) erklärt sich daraus, dass die als Form aufgefasste Natur gemäß Phys. II 7 und Met. VII 7 nicht nur als Wozu, sondern auch als Woher-die-Bewegung fungiert und somit, wie dieses in Phys. II 3 heißt, das »Machende« (poioun) ist. Nach (1) hat jedes körperliche Merkmal, das zur Natur einer biologischen Gattung gehört, eine Funktion, für die es erforderlich ist. Nach (2) ist jedes solche Merkmal im Hinblick auf eine charakteristische Weise des Lebendigseins ein Optimum unter gegebenen Möglichkeiten.381 Nach Anim. II 1 machen diese Merkmale die Lebensfähigkeit des Körpers und somit seine Eignung als Werkzeug für eine spezifische

Inc. 2, 704b12–14 – »Grundsatz«: in diesem Sinne hypothemenois (b12), zum Begriff der hypothesis s. o. 2.2.5.1.; »aufgreift und voraussetzt«: labontes (b13). 379  Inc. 2, 704 b18–22; über Richtungsintervalle (modern: Raumdimen­ sionen) Phys. IV 1, 208b11–25 und öfter. Dann ebd. 704b22–705a 2; über Stoß und Zug Phys. VII 2 (Text α), 243a16–244 a 6; zur Abgrenzung gegen Mitbewegung Phys. V 1, 224 a 21 ff. 380  Inc. 2, 704 b15–17; Zählung von mir. Dazu Lennox 1997/2001b, 206 f. (Lennox zitiert (1) als NP und (1) & (2) als NP*, vgl. ebd., Anm. 4, S. 220 f.). Zu dem durch »Gattung« (genos, 704b16) angezeigten Allgemeinheits­ grad vgl. die Beispiele bei Lennox (ebd. 217 f.). 381  Ich unterstelle ousia (Inc. 2, 704 b16) = psychê (Anim. II 1, 412 a19). 378 

CXL

Gottfried Heinemann

Weise des Lebendigseins aus.382 Die Teile des Körpers sind dem­ gemäß »Werkzeuge« (organa) für bestimmte Lebensfunktionen. Wie jedes Werkzeug sind sie somit zu einem Zweck. In einem ganz anderen Sinne »zu einem Zweck« (heneka tou) sind die natürlichen – z. B. klimatischen – Umweltbedingungen, die den Bestand einer biologischen Art sichern (vgl. Phys. II 8).383 Der Unterschied kommt zunächst darauf hinaus, dass beim Entstehen und den Körperfunktionen der Zweck die Mittel erklärt, hier aber umgekehrt die Mittel den Zweck: Es braucht keinen Weizen zur Herstellung von Klimabedingungen, unter denen Weizen gedeiht. Diese kommen auf ihre eigene Weise zustande, ob es nun irgendwo in der Welt Weizen gibt oder nicht. Aber wenn es irgendwo in der Welt Weizen gibt, dann dort, wo die Klimabedingungen geeignet sind und weil sie es sind – denn »die Natur [des Weizens (!)] selbst sucht das Zuträgliche«.384 Eine Sonderstellung des Menschen ergibt sich nach einer Be­ merkung in Phys. II 2 aus seiner universellen Nutznießerschaft: Wenn Material durch die technai hergestellt und aufbereitet wird, »verwenden wir es in der Annahme, alles sei unsertwillen (hêmôn heneka) vorhanden«. Das ist nach Aristoteles nicht ganz abwegig, denn »irgendwie sind auch wir ein Ziel; das Wozu ist ja zweideu­ tig«.385 Gemeint ist vermutlich die an anderen Stellen erwähnte Unterscheidung zwischen »Wozu-von« (hou heneka tinos) und »Wozu-für« (hou heneka tini), d. h. zwischen Funktion und Nutz­ nießerschaft.386 Die genannte Zweideutigkeit ist keine bloße Äqui­ Anim. II 1, 412a 27– b1, wonach dynamei zoên echon (»lebens­ fähig«) = organikon (»als Werkzeug geeignet«). Beachte: Mit organikon = dynamei organon ergibt sich für den Körper: dynamei zoên echon = dy­ namei organon und folglich zoên echon = organon. 383 Vgl. Phys. II 8, 198 b16–23 und 198 b 36–199 a5. – Die landwirtschaft­ liche Perspektive ist m. E. unerheblich, vgl. Heinemann 2016c, 251–264 u. ö. (anders Sedley 1991, 181–187). 384  HA IX 12, 615a 25–26; dazu Heinemann 2016c, 261 f. 385  Phys. II 2, 194 a33–36; dazu Heinemann 2016c, 257 f. 386 Vgl. Anim. II 4, 415 b 2–3 und b 20–21; Met. XII 7, 1072 b1 ff.; EE VIII 3, 1249 b15. Dazu vor allem Kullmann 1979, 25–37 sowie Johnson 2005, 65 ff. (speziell zu Phys. II 2: 76 ff.). 382 Vgl.

Einleitung CXLI

vokation. Beide Male handelt es sich darum, dass ein a für ein b zweckmäßig ist. Beim Wozu-von ist a geradezu durch diese Zweck­ mäßigkeit definiert: Die Knospe ist ein Vorstadium zur Blüte oder zum Blatt, das Organ ist Werkzeug usf. Beim Wozu-für besteht sie nur aufgrund eines zusätzlichen Umstands: Am Klima ändert sich nichts, wenn gar kein Weizen angebaut wird. Durch die Behauptung, die Natur wirke zu einem Zweck (prop­ ter aliquid) und somit auf ein Ziel hin (propter finem), wird nach Thomas von Aquin »die Frage der [sc. göttlichen] Vorsehung« auf­ geworfen. Denn ein Ziel müsse gewusst werden, und dafür komme nur eine intelligente Ordnungsinstanz in Betracht.387 Auch nach neuzeitlicher Auffassung verweist das Wozu auf die Absicht eines Akteurs und hat daher mit einer naturwissenschaftlichen Erklä­ rung nichts mehr zu tun.388 Das schließt kreationistische Kosmo­ logien nicht aus: Die Absichten des Schöpfers können in die An­ fangsbedingungen eingehen, und der Rest läuft nach Naturgesetzen wie ein Uhrwerk von selbst.389 – Worauf es hier ankommt, ist, dass dies alles an Aristoteles vorbeigeht. Das aristotelische Wozu ist nicht nach dem Modell einer Absicht konzipiert, sondern es ist die Weise, in der die Form, die als solche ein spezifisches Optimum markiert, zur effizienten Ursache wird. Sie wird dies entweder (bei natürlichem Entstehen) als vom Erzeuger instanziiert oder (bei fachkundiger Herstellung) als vom Hersteller mental repräsentiert. Wegen dieser Gleichsetzung von technê und physis mit der mental repräsentierten bzw. instanziierten Form kann Aristoteles behaup­ ten, dass die technê so wenig wie die physis »überlegt«:390 Nicht das

Thomas von Aquin, in Phys. II xii 1, S. 90 (zu Phys. II 8, ­198b10–16), s. o. 1.5.2.2. – Beachte übrigens: Die Gleichsetzung der natürlichen Teleo­ logie mit einer »Vorsehung der Natur« im Physik-Kommentar des Philo­ ponos (In Phys. 198.6 u. ö.: tês physeôs pronoia, dazu Giardina 2015, 161 ff.) hat noch nichts mit einer göttlichen Zwecksetzung zu tun. 388  Einzelheiten bei Toepfer (2011 III, 794 ff.). 389  Zur Uhrenmetapher Mager 2009, zuvor Mayr 1980 und Haber 1980. 390  Phys. II 8, 199 b28: … ou bouleuetai; obige Interpretation nach Sed­ ley (2007; 179 f.), anders Wieland (1970, 271). – Zum Wozu ohne Absicht auch Phys. II 5, 196 b19. 387 

CXLII

Gottfried Heinemann

Fachwissen überlegt, sondern der Fachmann; Absicht und Über­ legung sind keine Ursachen, sondern bloße Auslöser (dazu unten 2.3.6.2), ohne die es freilich nicht geht. 2.3.6  Bewegungsprinzipien: effiziente Ursachen, aktive und passive Vermögen, Naturen Dinge bewegen sich teils von selbst, teils durch äußere Einwirkung. »Natur« ist ein innerer Antrieb; »Vermögen« ein Antrieb durch ­äußere Einwirkung. 2.3.6.1  Wir betrachten die Bewegung (oder überhaupt: Ände­ rung) eines Gegenstands a – beispielsweise, dass ein Kranker ge­ sund wird. Die Frage »Woher das Prinzip (archê) der Bewegung?« erlaubt grundsätzlich zwei verschiedene Antworten:391 (i) in a; oder (ii) anderswo, d. h. in einem von a verschiedenen Gegenstand b, wobei a und b aufgrund zusätzlicher Umstände zusammen­ fallen können, z. B. bei einem sich selbst therapierenden und heilenden Arzt. Zu (i): Nach Phys. II 1 ist das Prinzip der Bewegung die »Natur« (physis) von a, wenn es in a ist (und zwar nicht nur aufgrund zusätz­ licher Umstände, wie bei dem Patienten, dessen behandelnder Arzt er selbst ist, s. u. 2.3.6.4). Der Patient wird, wie man sagt, aufgrund seiner natürlichen Selbstheilungskräfte gesund.392 Zu (ii): Andernfalls ist das Prinzip der Bewegung nach Met. V 12 ein »Vermögen« (dynamis), 393 das dem Gegenstand b eignet, in dem 391 

Zum Folgenden auch Heinemann 2018, 14 ff. (§ 2.2.2 und 2.3); teil­ weise anders Marmodoro 2014, 3 ff. (chap. 1). Grundlegend: Jansen 2015. 392  In diesem Sinne bereits [Hippokrates], Epid. 6,5,1: nousôn physies iêtroi (»Die jeweiligen Naturen sind der Krankheiten Ärzte …«). 393 In Phys. III 1–3 wird der Begriff des Vermögens nicht erklärt; aber er wird beispielsweise in der Charakterisierung von a als kinêton und von b als kinêtikon (d. h. als etwas, das bewegt werden bzw. bewegen kann) vorausgesetzt. Zum Folgenden vgl. die Erklärungen in Met. V 12: »Ver­ mögen heißt eine archê von Bewegung oder Änderung« (1019 a15), und zwar einerseits »in Anderem oder qua Anderes« (a16 und a 20: en hererôi

Einleitung CXLIII

es ist – beispielsweise das professionelle Leistungsvermögen eines Arztes. Wenn a und b aufgrund zusätzlicher Umstände zusammen­ fallen, eignet dieses Vermögen dem Gegenstand a »qua anderes« (hêi heteron), z. B. dem Patienten qua Arzt. Aber dieses eine Ver­ mögen genügt nicht. Ein Patient kann unheilbar krank sein; oder er ist schon gesund. In beiden Fällen kann das ärztliche Vermögen, zu heilen, nicht ausgeübt werden. Allgemein gesagt: Es sei F irgendeine Eigenschaft, beispiels­ weise: gesund, groß, am Ort A befindlich usf., und dem Gegen­ stand b eigne ein Vermögen, F zu machen. Dieses Vermögen eignet seinem Träger unabhängig von seiner Ausübung. Solange es nicht ausgeübt wird, ist es latent. Manifest (d. h. wirksam) ist es nur in Verbindung mit einem Vermögen, F zu werden, das einem anderen Gegenstand eignet, etwa a.394 Auch dieses Vermögen eignet seinem Träger unabhängig von seiner Manifestation. Das In-BewegungSein – dass a gesund wird, indem b gesund macht – ist nach Phys. III 3 die gemeinsame Manifestation (energeia) beider Vermögen (s. o. 2.1.3.3). Dass diese in a ist und dass somit das Vermögen, F zu machen, nicht in seinem eigenen Träger, sondern im Träger des Vermögens, F zu werden, manifestiert, besagt, dass der Beweger an der Bewegung, die er verursacht, nicht teilnehmen muss. Es gibt sogar Fälle, in denen er gänzlich bewegungslos ist.395 Der Arzt ge­ ê hêi heteron), andererseits »unter der Einwirkung von Anderem oder qua Anderes« (a 20: hyph’ heterou ê hêi heteron). – Wenn hier auch von »Kräf­ ten« (engl. »powers«) die Rede ist, handelt es sich um Vermögen im an­ gegebenen Sinn. Diese Redeweise ist vielleicht insofern irreführend, als man dabei an Kräfte im Newton’schen Sinn (Kraft = Masse × Beschleu­ nigung) denken mag. Deshalb ist es wohl richtiger, von vornherein von »aristotelischen Kräften« zu sprechen. Wichtig ist dann freilich, dass auch die »Kräfte« der neuzeitlichen Metaphysik (Descartes, Locke, Leibniz, Hume usf.) nicht im Newton’schen Sinn, sondern als Vermögen aufgefasst sind (und als solche von Hume bestritten wurden). 394  Ein solches Vermögen hat a genau dann, wenn gilt: (i) a kann F sein, und (ii) a ist nicht F. Vgl. Heinemann 2018, 8 ff. (§ 2.2.1). 395  Über bewegungslose Beweger Phys. II 7, 198 b1–4; Phys. III 1, 201 a 23–27, MA 6, 700 b 35–701a 2 (beachte den Rückbezug von to prôton, 700 b35 auf to orekton kai to noêton, 700 b24), dann Phys. VIII 5 ff. und

CXLIV

Gottfried Heinemann

sundet nicht, indem er heilt; der Lehrer lernt nicht, indem er lehrt. Wer einen Karren schiebt, geht freilich mit – eine Besonderheit des Ortswechsels, die sich einfach daraus ergibt, dass der Beweger stets mit dem Gegenstand, den er bewegt, in Berührung sein muss. Warum Berührung? – Zunächst bleibt nachzutragen: Ein Vermö­ gen muss nicht manifestieren. Es kann immer latent bleiben. Auch die Vermögen von a und b, F zu werden bzw. zu machen, könnten für immer latent bleiben. Ihre gemeinsame Manifestation hängt von einer geeigneten Zusatzbedingung ab, die sie überhaupt erst miteinander in Verbindung bringt. Im einfachsten Fall (auf den sich Aristoteles in Phys. III 1–3 beschränkt) handelt es sich bei dieser Stumulusbedingung darum, daß sich die Träger der beteiligten Ver­ mögen berühren:396 Die Einwirkung von b auf a beginnt, sobald der Kontakt zwischen a und b zustande gekommen ist, und sie dauert so lange, wie er besteht.397 Das gilt auch für den Ortswechsel: Wenn er überhaupt einen äußeren Antrieb braucht, dann während der ganzen Bewegung. 2.3.6.2  Aristoteles fügt sogleich hinzu: Was durch Berührung bewegt, steht deshalb zugleich unter Einwirkung.398 Das setzt vor­ aus, was Aristoteles schon zuvor angemerkt hat:399 Die Dinge ha­ ben die unterschiedlichsten aktiven und passiven und dabei meist latenten Vermögen. Es ist also damit zu rechnen, dass a und b nicht nur die Vermögen, F zu werden bzw. zu machen, sondern zugleich auch die Vermögen, G zu machen bzw. zu werden, haben: Ist die Berührung zwischen a und b gemeinsame Stimulusbedingung der beteiligten Vermögen, dann stehen a und b unter wechselseitiger

Met. XII 7. Dazu unten 2.3.6.4 sowie Einl. 2.6 im zweiten Teilband. – Be­ achte: Bei Aristoteles gibt es kein Äquivalent zum Reziprozitätsprinzip der Newton’schen Physik, wonach jede Einwirkung mit einer gleich gro­ ßen Rückwirkung zusammenfällt (dazu oben 2.1.3.3). 396  In diesem Sinne Phys. III 2, 202 a5–7: der Beweger bewegt »durch Berührung« (thixei). 397  Beachte: Die Einwirkung endet auch, wenn a die Eigenschaft F an­ genommen hat. Denn dann hat a nicht mehr das Vermögen, F zu werden. 398  Phys. III 2, 202 a7: hôste hama kai paschei. 399  Vgl. Phys. III 1, 201a19–25.

Einleitung CXLV

Einwirkung. Und ebenso können ein F-Macher b und ein G-Macher c zugleich auf a wirken. Aristoteles sagt hier nichts darüber, was bei konfligierenden Einwirkungen geschieht. Angenommen, F sei das konträre Gegenteil von G und die Einwirkung gehe mit einer An­ gleichung einher; beispielsweise sei b leicht und ziehe a nach oben, und a sei schwer und ziehe b nach unten. Wo Aristoteles solche Fälle beschreibt, ergibt sich das Resultat aus dem Kräfteverhält­ nis:400 Das Stärkere wirkt, das Schwächere bleibt wirkungslos. Dieses Prinzip der Prädominanz (epikrateia) – der Stärkere ge­ winnt, und der Sieger bekommt alles – kann bis in die frühe griechi­ sche Philosophie zurückverfolgt werden: Es erklärt bei Alkmaion, Demokrit und im Corpus Hippocraticum die Festlegung des Ge­ schlechts eines Embryos, 401 bei Anaxagoras den dem überwiegen­ den Bestandteil entsprechenden Charakter eines Gemischs; 402 in den Abhandlungen Über die sog. heilige Krankheit und Über die alte Medizin und an anderen Stellen des Corpus Hippocraticum werden Krankheiten durch gestörte Kräfteverhältnisse erklärt. 403 Im sog. Melierdialog bei Thukydides ist das Prädominanzprinzip ein uni­ verselles Naturgesetz: »Wir sind der Meinung, dass vermutlich das Göttliche und gewiss das Menschliche durchgängig und aufgrund einer zwangsläufigen Natur (hypo physeôs anankaias), wo immer es überlegen ist (kratêi), herrscht (archein).« 404 Ebenso allgemein Vgl. Cael. I 2, 269 a 2 u. ö.: kata to epikratoun. Ähnlich GC I 5, 321 a35; GC I 10, 328 a 26–31; GC II 4, 331a 28–30; Meteor. I 11, 347 b26. – Ein­ zelheiten und weitere Stellen bei Hussey (1983, 187 und 197 f.). 401  Alkmaion, DK 24 A 14, Demokrit, DK 68 A 143, [Hippokrates] De genit. 6 f. (Littré VII, 478); dazu Lesky 1950, 25, 73 und 81 ff.; zur Dis­ kussion bei Aristoteles, der diese Anwendung des Prädominanzprinzips ablehnt, Lefebvre 2014, 231. 402  DK 59 B 12, vgl. Anm. zu 187 b 6–7. 403 [Hippokrates] Morb. sacr. 6 f. (Littré VI, 370 ff.), VM 3,5 (Littré I, 578); dazu Lesky 1950, 25 f. und 112.; Schiefsky 2005, 168 f. 404  Thukydides V 105,2. Die Sprecher versichern, sie hätten dieses »Gesetz« (nomos) weder erlassen noch erstmals angewandt; seine Gel­ tung sei dauernd und universell (ebd.). Die Bekräftigung dieser Geltung durch den Naturbegriff folgt nach Heinimann (1945/1980, 166 f.) einem Muster, das auch bei Euripides (Bacch. 890–896) nachweisbar ist. Frei­ 400 

CXLVI

Gottfried Heinemann

behauptet Demokrit, dass »durch Natur (physei) das Herrschen dem Stärkeren zukommt«: 405 Wie bei Thukydides mag man auch hier zunächst an die politische Anwendung denken. Zu rechnen ist aber wieder mit einer allgemeinen Formulierung des Prädomi­ nanzprinzips; die Embryologie ist nur ein weiterer Anwendungs­ bereich. Wie bei Thukydides (V 105.2) ist bei Demokrit (fr. 267) die Frage, wessen Natur, unangebracht (s. o. 2.3.4.1). Bei der Bekräftigung uni­ verseller Gesetze wie des Prädominanzprinzips durch den Naturbe­ griff hat dieser keinen gegenständlichen – und insbesondere keinen spezifischen – Bezug. Der aristotelische Naturbegriff erlaubt das nicht: Soweit Kräfte in der aristotelischen Naturwissenschaft auf die jeweiligen Naturen ihrer Träger zurückgeführt werden, betrifft das Prädominanzprinzip die Interaktion unterschiedlicher Na­ turen; und zu diesen gibt es keine übergeordnete Natur. Das Prä­ dominanzprinzip kann daher von Aristoteles immer nur ad hoc angeführt werden. Es ist kein Prinzip im Sinne der aristotelischen Wissenschaftstheorie und wird von Aristoteles nicht systematisch erörtert; ein systematischer Ort seiner Erörterung ist in der aris­ totelischen Naturwissenschaft auch gar nicht zu sehen. Vielleicht wird es von Aristoteles auch deshalb in seiner Schlichtheit belassen, die beispielsweise eine Überlagerung heterogener Wirkungen wie bei Galilei verbietet (s. o. 1.5.1.2).

lich wird der von Heinimann betonte theologische Kontext dadurch relativiert, dass bei Euripides die oberste Gottheit umstandslos mit der »Naturnotwendigkeit« (anankê physeôs, Troad. 886) gleichgesetzt werden kann (vgl. Heinemann 2005, 35. Im Melierdialog verweist die Erwähnung des »Göttlichen« (to theion) auf die traditionellen Wirkungsbereiche der Götter, und das heißt hier: auf die Gegenstände der Naturwissenschaft (vgl. Lloyd 1979, 26 ff. über das »Göttliche« in [Hippokrates] Aer. und Morb. sacr.). Das schließt eine politische Anwendung nicht aus: Die von den Athenern beanspruchte Herrschaft über die militärisch unterlegenen Melier entspricht der Weise, wie die Welt nun einmal funktioniert (wes­ halb sich die Frage nach einer rechtlichen Begründung dieser Herrschaft gar nicht erst stellt, vgl. Thukydides V 89). 405  DK 68 B 267: physei to archein oikêion tô kressoni. i

Einleitung CXLVII

2.3.6.3  Die sog. natürlichen Bewegungen – wenn Leichtes steigt oder Schweres fällt – brauchen keinen äußeren Antrieb. 406 Bei ihnen ist das Bewegungsprinzip im Inneren des Gegenstandes, der steigt oder fällt: Bei den sog. einfachen Körpern (Feuer, Wasser, Luft, Erde) gehört es zu ihrer Natur, und demgemäß gehört es bei kom­ plexen Dingen, die aus ihnen aufgebaut sind, zu deren materieller Natur. Wie jedes Bewegungsprinzip kann es latent bleiben. Seine Manifestation erfordert einen äußeren Auslöser, z. B. die Beseiti­ gung eines Hindernisses oder dass beispielsweise durch Abkühlung aus Leichtem Schweres (wie beim Abregnen einer Wolke) entsteht. 407 Aber dieser Auslöser ist kein äußerer Antrieb, er wird nur zur Initi­ ierung der Bewegung, nicht zu ihrer Aufrechterhaltung gebraucht. Die Bewegung eines Gegenstandes kann »naturgemäß« oder »na­ turwidrig« sein; statt »naturwidrig« sagt Aristoteles auch: »durch Gewalt« (biai). Dabei bedeutet »naturgemäß« (kata physin) das­ selbe wie »aufgrund seiner eigenen Natur« und »naturwidrig« (para physin) dasselbe wie »gegen seine eigene Natur«. 408 Man kann sich diese Unterscheidung an einem einfachen Beispiel klarmachen. (i) Eine Nuss fällt vom Baum. Das tut sie aufgrund ihrer eigenen Natur, nämlich aufgrund ihrer natürlichen Materialeigenschaf­ ten, zu denen die Schwere gehört. Die Bewegung der Nuss ist somit »naturgemäß« (kata physin). (ii) Die Nuss wird von einem Eichhörnchen gefunden und wieder auf den Baum getragen (wo das Eichhörnchen sie öffnet und verzehrt). Dies geschieht der Nuss nicht aufgrund ihrer eigenen Natur, sondern durch äußere Einwirkung. Die Bewegung der Nuss auf den Baum zurück ist ihrer natürlichen Abwärtsbewe­ gung entgegengesetzt und somit »naturwidrig« (para physin). 406 

Ebenso Newtons Intertialbewegungen (Principia lex i, s. o. 2.1.1.2), von denen Aristoteles aber nichts weiß; auch die Gleichförmigkeit der Himmelsbewegungen wird von Aristoteles auf die Unveränderlichkeit eines äußeren Antriebs sowie die Gleichmäßigkeit der Bewegungsbahn zurückgeführt (Phys. VIII 6, 260 b17–19; Cael. II 6). 407 Vgl. Phys. VIII 4, 256 a1–2. – Beachte, dass Aristoteles hier den Auslöser als Beweger beschreibt. 408 Vgl. Phys. VIII 4, 254 b12–24.

CXLVIII

Gottfried Heinemann

(iii) Wenn das Eichhörnchen die Nuss auf den Baum trägt, tut es das aufgrund seiner eigenen Natur, nämlich aufgrund seiner natürlichen Ernährungsweise, zu der das Sammeln und Ver­ zehren von Nüssen gehört. Die Bewegung des Eichhörnchens, die Nuss auf den Baum zu tragen, ist also naturgemäß (kata physin). Nach (ii) ist die Bewegung der Nuss, von dem Eichhörnchen auf den Baum getragen zu werden, naturwidrig (para physin). Nach (iii) ist die Bewegung des Eichhörnchens, die Nuss auf den Baum zu tragen, naturgemäß (kata physin). Aber das ist derselbe Vorgang – unter zwei Beschreibungen, die beide gleichermaßen zutreffend sind (wie Lehren und Lernen in Phys. III 3). Die Unterscheidung zwischen »naturgemäß« und »naturwidrig« liefert also keine Klassifikation von Vorgängen, sondern sie dient der Beschreibung kausaler Zu­ sammenhänge. Insbesondere fällt sie mit der Unterscheidung zwi­ schen natürlichem Geschehen und technischem Eingriff – ob et­ was »durch Natur« (physei) oder durch »Kunst« (technêi) zustande kommt und somit auf die beteiligten Naturen bzw. auf einschlägiges Fachwissen zurückführbar ist – durchaus nicht zusammen. Innerer Antrieb tierischer Selbstbewegung ist die mentale Re­ präsentation eines begehrten Objekts. 409 Diese bewirkt in dem kör­ perlichen Organ des Begehrungsvermögens eine – von Aristoteles mit dem Begehren gleichgesetzte410 – thermische Reaktion, die über entsprechende Expansionen und Kontraktionen des sog. pneuma an den Bewegungsapparat weitergeleitet wird. 411 Die Funktions­ weise dieser aufeinander abgestimmten Komponenten – Wahrneh­ mung, evtl. Gedächtnis und Vorstellung, Begehren, Transmission und Bewegungsapparat – charakterisiert eine spezifische Weise des Lebendigseins (der »Seele«: psychê), die ihrerseits die »Natur« (physis) des jeweiligen Tiers ausmacht. Der erste Antrieb der Be­ wegung, die mentale Repräsentation eines begehrten Objekts, ist Anim. III 10, b11–12 und MA 6, 700 b23–701a1. Zur tierischen Selbstbewegung Corcilius 2011, 239–244; ders. 2018, cxcviii–ccxxvii. 410  Vgl. Corcilius 2018, ccvi. 411 Vgl. MA 10, 703 a 4–28. Dazu auch Nussbaum 1978, 150–158. 409 

Einleitung CXLIX

bewegungslos; 412 er wirkt gleichmäßig während eines ganzen Zeit­ intervalls. Die Frage nach einem zusätzlichen Auslöser stellt sich nur im Hinblick auf den Anfang dieses Intervalls – und somit, wie bei Leicht und Schwer, im Hinblick den Beginn der Bewegung. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: (i) Die mentale Re­ präsentation kann eine Wahrnehmung sein. Dann beginnt sie mit einem instantanen (!) Umschlag von Nicht-Wahrnehmung in Wahr­ nehmung. Aber sie muss nicht mit der Wahrnehmung enden: Die als Bewegungsantrieb fungierende mentale Repräsentation kann bestehen bleiben, wenn die anfängliche Wahrnehmung schon vor­ bei ist. Das ist eine der elementarsten Leistungen des Gedächtnis­ ses, die z. B. das Jagdverhalten vieler Tiere erklärt, wenn etwa ein Beutetier kurz gesehen wurde und dann eine Zeitlang belagert oder gesucht wird. Die Wahrnehmung des begehrten Objekts funktio­ niert dann wie ein äußerer Auslöser des inneren Antriebs. (ii) Die mentale Repräsentation eines begehrten Objekts kann stattdessen auch eine aus dem Gedächtnis evozierte oder aus Gedächtnis­ inhalten kombinierte Vorstellung sein. Das Zustandekommen einer solchen Vorstellung muss durch irgendetwas veranlasst sein, etwa durch eine körperliche Befindlichkeit (z. B. Hunger) oder durch eine Überlegung. Der unmittelbare Auslöser des inneren Antriebs ist dann ebenfalls ein innerer. Aber nach Aristoteles muss er letzt­ lich immer auf den unlösbaren Zusammenhang jedes Lebewesens mit seiner Umwelt und somit auf einen äußeren Auslöser zurück­ führbar sein. 413 2.3.6.4  Naturen sowie aktive und passive Vermögen sind dispo­ sitionale Merkmale ihrer jeweiligen Träger. Eine Bemerkung in Met. IX 8 weist darauf hin, dass physis und dynamis in dieselbe Gattung fallen: Beide sind Bewegungsprinzipien, die dynamis in Anderem oder qua Anderes, die physis im Selben qua Selbiges. 414 MA 6, 700 b35: »Das Erste« – d. i. das Begehrte (orekton) und Gedachte (noêton), b24 – »bewegt, ohne bewegt zu werden«; das qualifi­ ziert die mentale Repräsentation (und gemäß Anim. I 3–4 überhaupt die Seele) als bewegungslosen Beweger; vgl. Corcilius 2018, 100. 413 Vgl. Phys. VIII 6, 259 b 6–20; dazu Corcilius 2018, cxcix – c ci. 414  Met. IX 8, 1049 b 5–10; dazu Jansen 2015, 303. 412 Vgl.

CL

Gottfried Heinemann

Die Klausel »qua Selbiges« (hêi auto) entspricht der ausführlicheren Formulierung in Phys. II 1, physis sei per definitionem ein Prinzip der Bewegung »dessen, in dem sie … an sich (kath’ hauto) und nicht aufgrund zusätzlicher Umstände (kata symbebêkos) vorliegt«. 415 In demselben Sinne sind auch die Klauseln »qua Anderes« in den ­Definitionen von dynamis (s. o. 2.3.6.1) zu verstehen. Die Erläute­ rung, die sich in Phys. II 1 an die Definition von physis anschließt, kommt darauf hinaus, dass die Selbstverarztung eines Arztes keine natürliche Selbstheilung ist, sondern ein Zusammenspiel eines Ver­ mögens, gesund gemacht zu werden, und eines Vermögens, gesund zu machen. 416 Unerwähnt bleibt an der zitierten Stelle in Met. IX 8 das Vermö­ gen, soundso zu werden, das in Met. V 12 als »Prinzip der Bewegung unter der Einwirkung von Anderem oder qua Anderes«, d. h. als passive dynamis, eingeführt worden ist. 417 Nun impliziert auch die physis ein Vermögen, soundso zu werden; und dieses Vermögen ma­ nifestiert nicht ohne äußeren Anstoß (s. o. 2.3.6.3). Daher fragt sich, ob die Auffassung der physis als eine Art von dynamis überhaupt noch einen Unterschied zwischen physis und passiver dynamis lässt. Die Frage kommt darauf hinaus, ob und wie sich nach Aristoteles Phys. II 1, 192 b22–23; Satzkonstruktion nach Fritsche (2010, 25), ebenso Wagners Übersetzung. 416  Die Bedeutung von »qua« (hê ) in Met. V 12 (1019 a16, a 20) und i b b Met. IX 8 (1049 7, 10) ergibt sich aus der Bedeutung von »an sich« (kath’ hauto) in Phys. II 1 (192b22). Bei der Selbstverarztung des Arztes ist das Prinzip der Heilung nicht in dem Kranken an sich, sondern in dem Kran­ ken qua überdies Arzt; es ist ein Prinzip des Gesundmachens qua etwas Anderes als Patient. Im Kontext von Phys. II ist zunächst daran zu denken, dass jemand in demselben Sinne qua Arzt die Ursache der Gesundheit ist, wie Polyklet qua Statuenbildner die Ursache der Statue, nämlich als Verkörperung der jeweiligen technê, und dass dabei nach Met. VII 7 die technê geradezu mit der mental repräsentierten Form gleichgesetzt wer­ den kann (s. o. 2.3.5.2). – Anders die modaltheoretische Explikation bei Jansen (2015, 303 f.). 417  Met. V 12, 1019 a19–20, s. o. 2.3.6.1. – in demselben Sinne Met. IX 1, 1046 b12–13: »Prinzip der Änderung unter Einwirkung durch Anderes oder qua Anderes« (archê metabolês pathêtikês hyp’ allou ê hêi allo). 415 

Einleitung CLI

der äußere Anstoß, den auch die physis braucht, von einer äußeren Einwirkung unterscheidet. Den entscheidenden Hinweis gibt eine Bemerkung in Phys. III 2, wonach der Beweger stets eine bestimmte Form beibringt. 418 Der Gegenstand a, den b bewegt, kann F werden, aber auch G, H usf.: er kann kalt oder warm werden, hierhin oder dorthin transportiert werden usf. Welcher dieser Fälle eintritt, liegt daran, welche Form von b eingebracht wird. Und vielleicht ist diese Formulierung so­ gar irreführend, da sie an eine Auswahl aus einem Katalog von ­Möglichkeiten denken lässt, der irgendwie zu a gehören würde. Richtiger ist es wohl umgekehrt: dass b als potentieller F-Macher die Form F einbringt; und a wird F, wenn a das entsprechende passive Vermögen besitzt, und andernfalls geschieht hinsichtlich F nichts. Und das macht dann auch den Unterschied zwischen physis und passiver dynamis aus: Die einschlägige Form muss nicht durch ei­ nen äußeren Gegenstand eingebracht werden. Auch bei der Auslö­ sung tierischer Bewegung durch die Wahrnehmung eines begehrten Objekts wird diese Form nicht durch das Objekt, sondern durch das Bedürfnis bestimmt. In dem in MA 7 angegebenen Beispiel eines praktischen Syllogismus ohne Überlegung (1) ›Ich muss trinken (poteon moi)‹, sagt die Begierde (epithy­ mia). (2) ›Dies hier ist trinkbar (poton)‹, sagt die Wahrnehmung, die Vorstellung oder das Denken (nous). (3) Sofort trinkt man (pinei). 419 ist dies die Stillung des Durstes. Sie geht in (1) als Ziel ein und in (2) als Eignung eines Mittels; (3) ist der Vorgang, der das Ziel rea­ lisiert. Die Art des Getränks (Wasser, Tee oder Bier) spielt keine Rolle, wenn es bereitsteht. Muss das Getränk erst beschafft oder hergestellt werden, ergeben sich Zwischenschritte mit der gleichen Phys. III 2, 202a 9: eidos … aei oisetai to kinoun. – Das muss nicht heißen, dass der Beweger diese Form instanziiert. Bei einer Einwirkung durch technê wird sie vom Beweger mental repräsentiert (s. o. 2.3.5.2). 419  MA 7, 701a32–33 (Übers. Corcilius 2018; zur Einordnung des Bei­ spiels ebd. 138 f.). 418 

CLII

Gottfried Heinemann

Struktur:420 Ich muss die Flasche öffnen, hier ist der Öffner, und zack. Der Übergang vom Zweck zum Mittel, d. h. zu einem unter­ geordneten Ziel und der für dieses einschlägigen Form, kann durch eine Überlegung erfolgen, aber er muss es nicht. Dass es ohne Nah­ rungssuche keine Nahrung gibt, ist eine Regel, die wohl von den meisten Tieren ohne Überlegung befolgt wird: Auch in diesem Fall »sucht die Natur selbst das Zuträgliche«. 421 Einerseits sind also ebenso physis und aktive oder passive dy­ namis verschiedenerlei. Andererseits können physis und aktive dyna­mis zusammenfallen. Das heißt, das Prinzip der Selbstbewe­ gung eines Naturdings kann zugleich auch Prinzip einer Bewegung oder Änderung in etwas Anderem sein. Ein etwas unschönes, aber erhellendes Beispiel ist der Biss, der ein Beutetier tötet: Katze beißt Maus tot. Die Kieferbewegung der Katze (eine Änderung in der Kategorie des Orts) ist numerisch derselbe Vorgang, wie die Tötung der Maus, d. i. die Einwirkung, durch die ihr Leib seiner Lebens­ fähigkeit beraubt und zu bloßem Material für den Stoffwechsel der Katze herabgesetzt wird (eine Änderung in der Kategorie der Sub­ stanz). Insgesamt handelt es sich um (a) eine Selbstbewegung von K: Änderung von K in der Kategorie des Orts (Manifestation der physis von K) (b) eine Einwirkung auf M: Änderung von M in der Kategorie der Substanz (Manifestation einer aktiven dynamis von K) (c) eine Einwirkung durch K: Änderung von M in der Kategorie der Substanz (Manifestation einer passiven dynamis von M). Wie in Phys. III 3 sind (a), (b) und (c) numerisch identisch, aber »in ihrem Sein« – als Manifestation von physis bzw. aktiver oder passi­ ver dynamis sowie hinsichtlich der Kategorie – unterschieden.

MA 7, 701a 20–22 (Herstellung des benötigten Mantels) aus­ führlicher Met. VII 7, 1032b 6–10 (fachgerechte Heilung). 421  HA IX 12, 615a 25–26 (s. o. 2.3.5.3). 420 Vgl.

Einleitung CLIII

3.  Text und Übersetzung 3.1  Die sog. Physikvorlesung: Textsorte und Komposition, ­Ü berlieferung und griechischer Text 3.1.1  Ein Vorlesungszyklus Von Platon haben wir vermutlich das ganze publizierte Werk, aber keine schriftlichen Zeugnisse seiner Lehrtätigkeit. Bei Aristoteles ist es gerade umgekehrt: Sein publiziertes Werk (wie bei Platon in Dialogform) ist verloren, aber wir haben ein umfangreiches Kon­ volut von Texten aus seiner Lehrtätigkeit (sog. Corpus Aristote­ licum). 422 Man kann dabei an Vorlesungsmanuskripte oder an Ausarbei­ tungen denken, die innerhalb der Schule zugänglich waren: gleich­ sam Vorläufer der Vorlesungsskripte, die man heute an Studierende ausgibt. Zu rechnen ist daher einerseits mit mehrfachem Gebrauch und wiederholter Überarbeitung sowie heterogenen Einschüben und Änderungen der Gesamtdisposition. Und zu rechnen ist an­ dererseits mit einer posthumen Redaktion, der es vor allem dar­ auf ankam, das vorhandene Material thematisch zu ordnen und zu erhalten – und daher auch mit zusätzlichen Störungen der Text­ disposition. Im Dialog Phaidros hat Platon seiner Sokratesfigur eine Kritik an der entstehenden Lehrbuchliteratur in den Mund gelegt: Lehr­ bücher lehren nicht, da sie nicht individuell auf die Lernenden ein­

422  Vgl.

Flashar 1983, 191 f. Zur thematischen Gliederung des über­ lieferten Corpus Aristotelicum s. o. 1.1.2.2. Den Umfang des Corpus Aristotelicum veranschaulicht ein Vergleich: Die in diesem Band abge­ druckten Bücher I–IV der Physikvorlesung füllen 40 von 1462 Seiten der Bekker’schen Ausgabe. Ein Teil der im Corpus Aristotelicum überliefer­ ten Texte stammt vermutlich nicht von Aristoteles, ein anderer Teil ist umstritten. Die unbestritten echten Texte machen nach den Angaben im Inhaltsverzeichnis der ROT knapp 80 % des überlieferten Corpus Aris­ totelicum aus.

CLIV

Gottfried Heinemann

gehen und keine Nachfragen erlauben. 423 Beide Einwände treffen auf Vorlesungsmanuskripte und auf Skripte, die im Zusammen­ hang mit einer Vorlesung ausgegeben werden, nicht zu. Bei den überlieferten aristotelischen Schriften ist mit einer Einbettung in die mündliche Lehre zu rechnen, die sich zwar nicht mehr in den didaktischen Einzelheiten rekonstruieren lässt, aber bei der Über­ setzung und der Kommentierung zu berücksichtigen bleibt. Die acht Bücher der sog. Physikvorlesung können auch als selb­ ständige Abhandlungen gelesen werden. 424 Was sie thematisch ver­ bindet, ist zunächst zweierlei: Einerseits gehören sie sämtlich zur Naturwissenschaft. 425 Andererseits sind sie keine Naturwissen­ schaft, sondern philosophische Vorüberlegungen zur Naturwis­ senschaft; insbesondere werden in ihnen keine naturwissenschaft­ lichen Erklärungen, d. h. Erklärungen unter Rekurs auf die jeweili­ gen Naturen der involvierten Dinge, gegeben. 426 Ein übergreifender argumentativer Zusammenhang lässt sich vermutungsweise re­ konstruieren: Buch II setzt die Ergebnisse von Buch I vor­aus, und Buch III (Kap. 1–3) die Ergebnisse der Bücher I und II. Die an­ 423 Platon,

Phdr. 274b–278e, dazu Erler 2007, 92 ff. – »Lehrbuch«: technê, vgl. Fuhrmann 1960, 122 ff.; in diesem Sinne Phdr. 275c6: technê en grammasi. 424  Eine Ausnahme sind die durch eine gemeinsame Einleitung (200 b12–25) notdürftig verbundenen Bücher III und IV. Dabei ist III 4 – I V 14 eine Serie von vier Abhandlungen, die nach Fragestellung und Struktur zusammengehören. Die Erörterung des Bewegungsbegriffs in III 1–3 ist enger mit der prinzipientheoretischen Fragestellung der Bücher I und II verbunden und terminologisch von den folgenden Teilen abgesetzt (s. o. 1.2.2 sowie Anm. zu 204 a 20–21). 425  Das gilt auch für Buch VIII. Die Rückverweise auf die physika (c.1, 251a 8–9; c. 3, 253b 7–9 und c. 10, 267 b21–22; vgl. c. 5, 257a34– b1: proteron en tois katholou peri physeôs) belegen einerseits die Zugehörigkeit zur Naturwissenschaft und andererseits eine thematische Beschränkung, die das VIII. Buch von den vorherigen Büchern unterscheidet. – Anders als Ross (1936, 688) und Graham (1999, 41) rechne ich bei den Rück- und Querverweisen innerhalb des Corpus Aristotelicum nicht mit festen Werk­ titeln, sondern mit Themenangaben, deren Bezug sich aus dem jeweiligen Kontext ergibt. 426  Siehe oben, 1.2.2 und 1.2.3,

Einleitung CLV

schließenden Teile (III 4 – V III) lassen sich dann als ergänzende und präzisierende Nachträge verstehen, wobei wieder das Spätere gelegentlich auf die früheren Teile zurückgreift. Im Hinblick auf das in Phys. I 1 formulierte Programm der naturwissenschaftlichen Prinzipienforschung lässt sich auch ein systematischer Zusammenhang vermuten: Nach Phys. I sind die Prinzipien naturwissenschaftlicher Erklärungen an Form und Ma­ terial der Naturdinge aufzusuchen. Nach Phys. II machen Form und Material demgemäß die »Natur« (physis) der Naturdinge aus (c. 1). Dabei sind effiziente und finale Ursachen (c. 7) sowie Material­ eigenschaften (c. 9) auf die jeweilige Form und ihre Funktion als Natur zurückführbar. Demgegenüber markiert Phys. III 1–3 einen thematischen Übergang: Die aristotelische Kosmologie ist plura­ listisch. Der Rekurs naturwissenschaftlicher Erklärungen auf die jeweiligen Naturen verschiedenartiger Dinge unterstellt geeignete Strukturen der Koexistenz und Interaktion. Mit der Erörterung der Prinzipien naturwissenschaftlicher Erklärungen in den Büchern I und II sind die philosophischen Vorüberlegungen zur aristoteli­ schen Naturwissenschaft daher nicht abgeschlossen. Sie werden in den Büchern III bis VIII mit der Erörterung der einschlägigen rela­ tionalen Konzepte (Bewegendes/Bewegtes, Ort, Zeit, konträre und kontradiktorische Gegensätze, Kontinuität, kinematische Ketten und deren unhintergehbarer Anfang) weitergeführt. 3.1.2 Das Corpus Aristotelicum und seine Überlieferung Über die frühe Überlieferung der aristotelischen Lehrschriften haben wir keine sicheren Nachrichten. 427 Mit einer ersten Gesamt­ ausgabe ist im 1. Jh. v. Chr. zu rechnen; die überlieferte Anord­ nung des Corpus Aristotelicum, wie beispielsweise bei Bekker und in der ROT, geht vermutlich auf diese Ausgabe zurück. Die in den anschließenden Jahrhunderten und während des byzantinischen Mittelalters entstehende Kommentarliteratur zeugt von einer Ver­ wendung der aristotelischen Lehrschriften – und insbesondere auch 427 

Vgl. einerseits Primavesi 2007, andererseits Natali 1990/2013, 101 ff. und 150.

CLVI

Gottfried Heinemann

der Physikvorlesung – im philosophischen Unterricht und von ihrer dauernden Präsenz in der gelehrten Diskussion. 428 Platon und Aris­ toteles gehören zu den wenigen philosophischen Autoren, die man nach der Zerstörung des antiken Bibliothekswesens und dem Ab­ bruch der philosophischen Schultraditionen weiter gebraucht hat. Was damals nicht von dem in der Antike als Schreibmaterial ver­ wendeten Papyrus auf das haltbarere Pergament übertragen wurde, blieb nicht erhalten. Die handschriftliche Überlieferung der aristotelischen Lehr­ schriften umfasst mehr als 1000 Handschriften aus dem 9. bis 16. Jh.; Ross nennt 86 Handschriften, welche die Physikvorlesung ganz oder in Teilen enthalten. 429 Die Herstellung des griechischen Textes ist, vereinfacht gesagt, eine Hypothese über eine gemein­ same Vorlage, von der die handschriftliche Überlieferung abhängig ist. Dabei ist außer der direkten auch die indirekte Überlieferung zu berücksichtigen. Im Fall der Physikvorlesung handelt es sich da­ bei einerseits um die spätantiken Kommentatoren, die einen älteren Text mit ausführlichen Zitaten belegen, und andererseits um Über­ setzungen, z. B. ins Arabische, deren Textvorlage ebenfalls älter als die ältesten erhaltenen griechischen Handschriften ist. 430 3.1.3  Zum Text dieser Ausgabe Der hier abgedruckte griechische Text der Physikvorlesung basiert auf der Ausgabe von W. David Ross. 431 Die Zeilenbrechung ent­ 428 

Zusammenfassend zur antiken Rezeption der aristotelischen Lehr­ schriften: Tuominen 2012, 853 f.; zu den antiken Aristoteles-Kommenta­ toren: Falcon 2017; zur byzantinischen Rezeption und Weiterführung der antiken Philosophie: Ierodiakonou/Bydén 2018. 429  Vgl. Flashar 1983, 192 bzw. Ross 1936, 102 f., 116 und 117 ff. 430  Zur arabischen Rezeption der griechischen Philosophie: D’Ancona 2019; zur arabischen Aristoteles-Rezeption: Adamson 2012; zur Physikvor­ lesung: ebd. 650 u. ö. sowie Arnzen 2020. Bei Ross (1936) sind die arabischen Quellen nicht systematisch berücksichtigt (vgl. Hasper 2020, cxiv u. ö.). 431  Ross 1936; ders. 1955/1977. Vgl. auch die Textdokumentation des Thesaurus Linguae Graecae (http://stephanus.tlg.uci.edu/Iris/Cite?0086: 031:0).

Einleitung CLVII

spricht (mit wenigen Abweichungen) der Bekker’schen Ausgabe; mit den Seiten-, Spalten- und Zeilennummern dieser Ausgabe wird Aristoteles üblicherweise zitiert. Abweichungen vom Ross’schen Text sind jeweils in Fußnoten vermerkt und werden bei Bedarf in den Anmerkungen erläutert. Sie betreffen teils die Interpunktion, die ohnehin eine Zutat späterer Herausgeber ist, teils die Entschei­ dung zwischen Lesarten sowie vor allem einige unnötige Eingriffe in den überlieferten Text. Dabei habe ich die Dokumentation der Textüberlieferung im Ross’schen Apparat und Kommentar zu­ grunde gelegt und mich weitgehend an der neueren Sekundärlite­ ratur orientiert. 432 Eine neue Sichtung und Auswertung der direk­ ten und indirekten Textüberlieferung bleibt ein Desiderat. 433 Dass Übersetzung und Interpretation von dessen Einlösung betroffen sein werden, ist zu erwarten.

3.2  Übersetzung und philosophische Terminologie 3.2.1  Konkurrierende Ziele und Schwierigkeiten der Übersetzung 3.2.1.1  Die Übersetzung soll einerseits einen verständlichen deut­ schen Wortlaut liefern, der als philosophischer Text gelesen und diskutiert werden kann. Dazu gehört insbesondere: Anhand der Übersetzung sollen Unterscheidungen, Behauptungen, Argumente usw. als solche identifizierbar und ihre Konsequenzen beurteilbar sein; man soll Vermutungen über ihren Zusammenhang unterein­ ander sowie über implizite Voraussetzungen und zugrundeliegende philosophische Strategien anstellen, die Verträglichkeit mit ande­ ren philosophischen Positionen beurteilen können, usf. Die Über­ setzung beruht demgemäß auf einer Vermutung über die vom Au­ tor vorgetragenen Unterscheidungen, Behauptungen, Argumente usw., die sich ihrerseits aus einer Interpretation des Originaltextes

432 

Vgl. bes. die Anmerkungen bei Pellegrin (2002). Phys. VIII jetzt aber Hasper 2020.

433 Zu

CLVIII

Gottfried Heinemann

ergibt. Übersetzungen philosophischer Texte sind insofern Sekun­ därliteratur. Kein Text lässt sich schlicht in eine andere Sprache abbilden. Die Übersetzung erfordert daher stets zwei Schritte: Im ersten Schritt wird anhand von Textbefunden, Kontexten usf. eine Vermutung darüber gewonnen, was der Autor an einer Stelle sagt. Und erst im zweiten Schritt stellt sich dem Übersetzer (mit einer prägnanten Formulierung von Dieter E. Zimmer) »die entscheidende Frage …: Und wie sagt man das nun auf Deutsch?« 434 Dabei bedeutet »auf Deutsch«: in einer fachsprachlich angereicherten und durch tech­ nische Notationen erweiterten Prosa, die – wie Aristoteles im Grie­ chischem – kaum eine Chance zur Verknappung auslässt; aber eben unter Rückgriff auf das Vokabular und die grammatischen Mittel des Deutschen, die denjenigen des Griechischen durchaus nicht entsprechen. 3.2.1.2  Andererseits soll die Übersetzung möglichst durchsich­ tig sein. – Diese Metapher ist aber verfänglich: Die Übersetzung ist kein mehr oder weniger trübes Fenster, durch das man auf das Original blickt. Eher ist sie so etwas wie eine Darstellung oder Imi­ tation, und nur als solche, d. h. als Repräsentation in einem ande­ ren Medium, zeigt sie das Original. Ich vergleiche Übersetzungen gern mit perspektivischen Architekturzeichnungen. Jedes Detail an einem Gebäude kann durch eine solche Zeichnung dargestellt werden. Aber stets bleiben dabei andere Details verborgen, de­ ren Darstellung einen anderen Blickwinkel erfordert. Ebenso bei einer Übersetzung: Ein banales Beispiel ist, dass man manchmal die Wortstellung den grammatischen Bezügen opfern muss oder umgekehrt; die Entscheidung versteht sich dabei durchaus nicht von selbst. 435 Die Forderung der Durchsichtigkeit betrifft insbesondere die Wortwahl der Übersetzung, und zwar in zwei Hinsichten. Erstens 434  Vgl.

Zimmer 2001 (dritter Absatz nach den Zitaten aus Kap. 28, Hervorhebung von mir). 435  Beispielsweise habe ich bei der Übersetzung von Phys. I 1, 184 a14–16 einen grammatischen Bezug der Wortstellung geopfert; vgl. die dortige Anmerkung.

Einleitung CLIX

sollte zwischen dem jeweiligen Vokabular von Original und Über­ setzung, und zwar insbesondere bei terminologischer Verwendung, eine nachvollziehbare Entsprechung bestehen. Im einfachsten Fall heißt das, eine Wendung des Originals überall durch dieselbe Wendung wiederzugeben, z. B. kata symbebêkos durch »aufgrund zusätzlicher Umstände«. Und wenn das nicht geht, lässt sich oft ein geeignetes deutsches Wort als Hinweis verwenden, z. B. »ist zusätzlich der Fall« für symbebêke oder »ergibt sich überdies« für symbainei, usf. 436 Zweitens sollen den Unterscheidungen des Origi­ nals auch Unterscheidungen in der Übersetzung entsprechen, z. B. »Vollendungszustand« für entelecheia und »In-Funktion-Sein« oder »Verwirklichtsein« für energeia. 437 Und umgekehrt sollen, was viel­ leicht noch wichtiger und schwieriger ist, durch die Übersetzung keine Unterscheidungen eingeschmuggelt werden, die das Original gar nicht kennt (s. u. 3.2.2.). 3.2.1.3 Schlechte Wörterbücher erwecken den Eindruck, als gäbe es eine umkehrbar eindeutige Entsprechung zwischen den Wörtern verschiedener Sprachen, nach dem Muster: α bedeutet a, und a bedeutet α. Der Normalfall ist aber, dass α manchmal a be­ deutet und manchmal b oder dass die Bedeutung von α irgendwie zwischen a und b liegt, wofür es im Deutschen kein Wort gibt. 438 Und umgekehrt kann der Fall eintreten, dass α und β durchaus nicht dasselbe bedeuten, aber durch dasselbe Wort wiedergegeben werden müssen. 439 Die Übersetzung muss diese Schwierigkeiten 436 Bei

logos funktioniert auch das nicht. Vgl. die Erläuterungen im kommentierten Glossar (s. u. 3.2.3). 437  Vgl. neben den Angaben im kommentierten Glossar (s. u. 3.2.3) die Anmerkungen zu 202 a13–21 und zu 204 a 20–21; zur Bedeutung von entele­ cheia die Anmerkung zu 201a 9–11. 438  Beispiele aus dem vertrauteren Englisch: Es gibt im Deutschen kein Äquivalent für ›mind‹ oder für ›commitment‹ (bzw. ›to be committed to‹ usf.). 439  Ein banales, ärgerliches Beispiel: Das Griechische hat keinen un­ bestimmten Artikel. Im Deutschen ist der unbestimmte Artikel aus der attributiven Variante des Zahlworts ›Eins‹ abgeleitet und von dieser nur anhand des Kontextes unterscheidbar. So fungiert das Wort ›ein‹ in ›ein Socken‹ meist als unbestimmter Artikel, aber in ›nur ein Socken‹ ist mit

CLX

Gottfried Heinemann

irgendwie handhaben. Mehrdeutigkeiten sind meist anhand des Kontextes entscheidbar. 440 Die Entscheidung kann mit schwieri­ gen und gewichtigen Interpretationsproblemen verbunden sein; die Übersetzung setzt dann eine Stellungnahme zu diesen Problemen voraus. Wenn es für ein griechisches Wort kein deutsches Äquiva­ lent gibt, bieten sich mehrere Strategien für eine Ad-hoc-Lösung an. Bei Realien kann man manchmal großzügig sein: Ein hima­ tion ist kein Hemd, aber wo es von Aristoteles als Beispiel genannt wird, 441 ist der Unterschied ohne Belang. In anderen Fällen schreibt man irgendetwas, das nicht ganz irreführend ist, z. B. »musisch« für mousikos, mit der Anmerkung, bei »ein Mensch wird musisch« sei an einen Vorgang wie »Karl lernt Klavierspielen« zu denken. 442 In terminologisch relevanteren Fällen muss man sich vielleicht mit einer Platzhalterübersetzung behelfen. Platzhalterübersetzungen, beispielsweise – – – – – –

»Natur« für physis, »Kunst« und »Wissenschaft« für technê bzw. epistêmê, »Prinzip« und »Ursache« für archê bzw. aition, »Form« und »Gestalt« für eidos bzw. morphê, »Substanz« für ousia, »Bewegung« für kinêsis

einer Verwendung als Zahlwort zu rechnen. – Um fruchtlosen (und an einigen Stellen sehr störenden) Aufwand zu vermeiden, habe ich das Zahlwort durchgängig durch ›en‹, ›ene‹ usf. (1 statt i) wiedergegeben. 440  Dabei haben sich für einige Strukturwörter Abweichungen vom Üblichen ergeben: kata (mit Akk.) bedeutet oft »aufgrund« statt wie üb­ lich »gemäß«; kai (»und«) ist oft im explikativen Sinn (also: »und das heißt«) zu verstehen; das enklitische ti ist oft nicht (als gebundene Vari­ able) durch »etwas«, sondern (als unbestimmte Bezeichnung eines Werts, den eine freie Variable annimmt) durch »etwas Bestimmtes« wiederzuge­ ben; durch de wird oft kein Gegensatz (»aber«), sondern ein neuer Punkt in eine Reihe, etwa von Prämissen eines Arguments, angezeigt; Konditio­ nalperioden können Schlussfolgerungen anzeigen, so dass ei nicht »wenn« bedeutet, sondern eher »weil«. 441  Phys. I 2, 185 b20; II 1, 192 b16; III 3, 202 b13. 442  Phys. I 7, 189 b 34–35: gignesthai anthrôpon mousikon. Vgl. Anm. zu 189 b34–190 a1 sowie Heinemann 2020, 42 u. ö.

Einleitung CLXI

usf., 443 folgen meist der über das Lateinische in die modernen euro­ päischen Sprachen vermittelten Übersetzungstradition. Sie sollen nicht die Bedeutung des griechischen Worts wiedergeben, sondern nur dessen Verwendung an der entsprechenden Stelle des griechi­ schen Textes anzeigen. Das Gemeinte ist den jeweiligen Erläute­ rungen zu entnehmen. Platzhalterübersetzungen verweisen meist auf die terminologische Verwendung eines Worts. Wo beispiels­ weise archê im eher gemeinsprachlichen Sinne »Anfang« bedeutet, oder ousia »Bestand«, 444 da sind »Prinzip« und »Substanz« unan­ gebracht. 445 3.2.1.4  In anderen Fällen versagt die deutsche Grammatik. Bei­ spielsweise hat das Deutsche bei substantivierten Adjektiven und Partizipien keinen Plural. Das Griechische unterscheidet bei dem Adjektiv leukos (dt. ›weiß‹) zwischen to leukon (Sing.) und ta leuka (Pl.). Das Deutsche hat nur ›das Weiße‹ (Sing.). Wie im Griechi­ schen lässt sich das entweder als Bezeichnung eines bestimmten, anhand des Kontextes oder der Verwendungssituation identifizier­ baren weißen Gegenstandes oder als generische Bezeichnung des­ sen, was weiß ist, verstehen. 446 Für ta leuka (Pl.) gibt es im Deut­ schen kein direktes Äquivalent. Die Übersetzung kann sich hier

443  Vgl.

zu einigen der obigen Stichwörter die entsprechenden Ab­ schnitte in Kap. 2 dieser Einführung. Weitere Erläuterungen und Bei­ spiele im kommentierten Glossar, s. u. 3.2.3. 444  Vgl. für archê beispielsweise: Phys. I 3, 186 a12–13; 9, 192 b 4; III 4, 203a3 u. ö. (dazu auch in der Anm. zu 202b36–202a 4); IV 11, 220 a11 u. ö. Für ousia Phys. IV 12, 221b31. 445  Platzhalterübersetzungen lassen sich vermeiden, indem man – wie beispielsweise Schneider 1989 bei technê oder Frede/Patzig 1988 bei o ­ usia (dazu ebd. I, 20) – das griechische Wort unübersetzt lässt. Das hat aber zwei Nachteile: Erstens wird dabei jeweils eine ganze Wortfamilie – oder terminologische und eher gemeinsprachliche Verwendungen desselben Worts – allzu weit auseinandergerissen. Und zweitens muss man dann auch bestimmte Flexionsformen (bei Substantiven wenigstens den Plu­ ral) aus dem Griechischen mitnehmen, was die Lektüre nochmals er­ schwert. 446  Zu zwei weiteren Verwendungsweisen von to leukon s. u. 3.2.2.3.

CLXII

Gottfried Heinemann

mit einer generischen Formulierung (»Weißes« o. ä.) behelfen. 447 Oder sie muss den Plural an ein möglichst nichtssagendes Sub­ stantiv delegieren, bei dem das Adjektiv dann als Attribut stehen kann – z. B. »die warmen Dinge« für ta therma. 448 Dabei muss sich die Bedeutung von »Ding« aus der Unterscheidung zwischen Ding und Eigenschaft ergeben: Dinge sind Träger von Eigenschaften, z. B. von Weiß oder Warm, und mehrere Dinge können Träger der­ selben Eigenschaft sein. – Ebenso bei Partizipien: ta physei synhista­ mena sind »durch Natur zusammengesetzte Dinge«; ta haptomena sind »angrenzende Dinge«; bei der Auflösung von Partizipien in Relativsätze ergibt sich z. B. »Dinge …, die nicht durch Natur zu­ sammengesetzt sind« für ta mê physei synestôta, usf. 449 Wieder ist »Dinge« ein bloßes Füllwort, das wegen der Eigenheiten der deut­ schen Grammatik zur Anzeige des Plurals gebraucht wird. Ein Sonderfall ist on (dt. ›seiend‹). Für die Substantivierung ge­ nügt im Singular (to on) »das Seiende«, 450 im Plural (ta onta) böte sich »die seienden Dinge« an. Dergleichen liest man auch manch­ mal, 451 aber es grenzt an Unsinn. Denn die attributive Verwendung eines Adjektivs oder Partizips zeigt in der Regel einen Unterschied und eine entsprechende Einteilung an. Durch die Verwendung von ›seiend‹ (oder auch ›existierend‹, ›vorhanden‹ usw.) als Attribut zu ›Dinge‹ wird demnach nahegelegt, dass es nicht nur einen Unter­ meine Übers. zu Phys. I 3, 186 a 26. Bei dem anschließenden Vorkommnis von ta leuka (a 27) schreibe ich »das … Weiße«, weil Aris­ toteles danach mit to leukon (a 28) selbst aus grammatischen Gründen in den Singular fällt. 448  Vgl. meine Übers. zu Phys. IV 3, 210 a 20 und b26. 449  Vgl. meine Übers. zu Phys. II 1, 193 a36; Phys. IV 4, 211a34 bzw. Phys. II 1, 192b12–13. 450  Zu den anderen Verwendungsweisen von to on nochmals unten 3.2.2.3. 451  Vgl. beispielsweise die Wiedergabe von Phys. II 1, 192 b 8: »Von den seienden Dingen [tôn ontôn] sind die einen …« bei Flashar (2014, 244; Einschub in eckigen Klammern von mir). Ebenso schreibt die ROT hier »things that exist« und zuvor (Phys. I 2, 184b23) »existing things« für ta onta; Zekls Übersetzung hat jeweils »die vorhandenen Dinge«, wobei in II 1 »Dinge«, wohl als erläuternden Zusatz, in Klammern gesetzt sind. 447  Vgl.

Einleitung CLXIII

schied macht, ob ein Ding ist (d. h. existiert) oder nicht, sondern auch, dass sich die Dinge in solche, die es gibt, und solche, die es nicht gibt, einteilen lassen. Aber da es nun einmal keine Dinge gibt, die es nicht gibt, gibt es auch keine solche Einteilung, und die Rede von »seienden Dingen« hat sich mit diesem Kalauer erledigt. 452 Für ta onta kann und muss daher »die Dinge« genügen. 453 Vergleichsweise unkompliziert ist demgegenüber panta (dt. ›al­ les‹) / to pan (dt. ›das All‹). Dem griechischen Plural (panta) ent­ spricht im Deutschen der generische Singular (»alles«). Wenn der Gegenstand der frühen griechischen Philosophie durch »alles« (panta) angegeben wird (s. o. 1.4.2 und 2.3.4.2), sind das buchstäb­ lich »alle Dinge«:454 Alles ist vieles. Demgegenüber ist der substan­ tivierte Singular (to pan), der eine allumfassende Einheit anzeigt, eine bei Empedokles angedeutete und dann vor allem bei Platon greifbare terminologische Innovation. 455 Der deutsche Ausdruck (›das All‹) ist hier dem griechischen direkt nachgebildet, und wie Bemerkungen am Rande. Erstens: Nach APo II 1, 89 b32 macht es einen Unterschied, ob beispielsweise »ein Kentaur oder Gott existiert oder nicht« (s. o. 1.2.2.1). Aber was heißt das? Man kann sich einen Schwan greifen und untersuchen, ob er weiß ist oder nicht. Aber man kann sich keinen Kentaur greifen und untersuchen, ob er existiert oder nicht. Die Frage, ob X existiert oder nicht, entscheidet vielmehr dar ­über, ob X überhaupt als Gegenstand einer wissenschaftlichen Un­ tersuchung in Betracht kommen kann. Eben dies deutet Aristoteles an der zitierten Stelle mit der Bemerkung an, dass sich die Frage »was X ist« (ti esti, b34) überhaupt erst stellt, wenn man weiß, dass X existiert. Zweitens: Die Gegenthese, wonach es auch Dinge gibt, die nicht existie­ ren, kann möglicherweise auf die Stoiker (SVF 2.329 ff., vgl. LS § 27) zu­ rückgeführt werden; vgl. Ferber in Horn/Rapp (Hg.) 2002, 331. Seit dem frühen 20. Jh. wird sie meist unter dem Schlagwort »Meinongianismus« diskutiert. Wichtig ist hier, dass bei Aristoteles keine Stellungnahme zu dieser Gegenthese unterstellt werden kann. Und das ist der entscheidende Grund, weshalb sich eine Übersetzung wie »die seienden Dinge« für ta onta verbietet. 453  Ebenso beispielsweise Wagner 1979, 6 (zu Phys. I 2, 184 b23) und Oehler 1984, 9 (zu Cat. 2, 1a 20). 454  Vgl. Long 1999, 10: »all things«. 455  Vgl. Anm. zu 185 b 5–7. 452  Zwei

CLXIV

Gottfried Heinemann

dieser wird er erst aus dem Kontrast von Einheit und Vielheit ver­ ständlich. Man darf sich nicht von einem ganz anderen und gängi­ geren Sprachgebrauch ablenken lassen, wonach »das All« erst ganz weit draußen beginnt. 3.2.2 Hygienemaßnahmen Die naheliegende und unabweisbare Forderung, nichts in die Über­ setzung einzuschleppen, was nicht bereits im Original vorkommt, 456 betrifft eine Reihe von Punkten, von denen ich hier nur drei nennen will: terminologische Anachronismen (s. u. 3.2.2.1), Unterscheidun­ gen, die im Original gerade nicht getroffen werden (s. u. 3.2.2.2.), ontologische Verpflichtungen, die das Original gerade vermeidet (s. u. 3.2.2.3). 3.2.2.1  Terminologische Anachronismen können bei der Inter­ pretation hilfreich und diskussionswürdig sein. Sie unterstellen zwar keine Identität, aber eine Berührung mit späteren oder heuti­ gen Theorien, die für Verständnis und Würdigung aufschlussreich ist. Aber auch dann gehören sie in die Anmerkungen und nicht in die Übersetzung. Beispielsweise interpretiere ich energeia an einigen Stellen als Bezeichnung der Manifestation eines Vermö­ gens. Aber nur in den Erläuterungen und der Einführung schreibe ich gegebenenfalls »Manifestation« für energeia; 457 in der Über­ setzung schreibe ich »Verwirklichtsein« oder »In-Funktion-Sein« (s. o. 3.2.1.2). In anderen Fällen ist die Sache weniger klar. Beispielsweise übersetze ich in Phys. IV 4 eschaton durch »Rand« und peras durch »Grenze«. 458 Dabei lässt sich »Rand« nicht nur im gemeinsprach­ lich-anschaulichen Sinn, sondern auch als ein mathematischer Fachbegriff verstehen. 459 Aristoteles gibt diesem mathematischen 456 

Meine Formulierung ist an Hussey (1983, xi) angelehnt. oben 2.1.3.2 und 2.3.6.1 sowie Anm. zu 192 a16–23, 195b3–6 und 201a 27–29. 458 Vgl. Phys. IV 4, 211a 23 ff. sowie Anm. zu 211a 23–34 und zu 211b10–14. 459  Vgl. die Definition von »Randpunkt« bei Jänich (2005/2008, 8); der Rand einer Menge B ist demgemäß die Menge der Randpunkte von B. 457  Siehe

Einleitung CLXV

Begriff dann eine physikalische Bedeutung, die eine Unterschei­ dung zwischen den jeweiligen Rändern zweier einander berühren­ der Körper und ihrer gemeinsamen Grenze erlaubt. Diese Pointe erfordert auch in der Übersetzung eine terminologische Unter­ scheidung, die der technischen Raffinesse der Argumentation ge­ recht wird. Anachronismen ergeben sich auch, wenn man Platzhalterüber­ setzungen nicht als solche erkennt. Zwei Beispiele. (i) Ich schreibe »Ursache« für aition. Dabei sind die Bedeutungen von aition bei Aristoteles (s. o. 2.1.1.2 und 2.1.3.1) und von ›Ursache‹ in der heu­ tigen Wissenschaftssprache durchaus verschieden. 460 Aber die heutige Bedeutung bleibt bei der Verwendung von ›Ursache‹ als Platzhalterübersetzung ausgeblendet, und sie muss auch bei der Lektüre ausgeblendet werden. Weil sich das nicht garantieren lässt, sind Platzhalterübersetzungen ein Einfallstor für Missverständ­ nisse. (ii) Für hylê schreibe ich »Material« und nicht, wie üblich, »Materie«. Dabei verstehe ich ›Material‹ als Relationsbegriff, was der aristotelischen Charakterisierung der hylê als Relativum (pros ti) entspricht. 461 Wie von hylê bei Aristoteles kann von »Material« immer nur im Hinblick auf etwas die Rede sein, um dessen Mate­ rial es sich handelt. Demgegenüber wird durch »Materie« in der neuzeitlichen Philosophie und Physik kein Relativum angezeigt, sondern Substanz. 462 Dem neuzeitlichen Begriff der Materie ent­ spricht bei Aristoteles eher der Begriff des »Körpers« (sôma). Wie »materielle« Dinge den Gegenstand der neuzeitlichen Naturwissen­ schaft ausmachen, so »körperliche und (somit) ausgedehnte Dinge« (sômata kai megethê) den Gegenstand der aristotelischen Naturwis­ senschaft. 463 Die Übersetzungstradition ist hier irreführend, und die Verwendung von ›Materie‹ als Platzhalterübersetzung für hylê) ist in diesem Fall vermeidbar. 460 

Vgl. Detel 2011, 311 und von Wachter 2010. Phys. II 2, 194b 8–9 (siehe dort); ebenso Detel 1980, 874 f., des­ sen Wortwahl aber »Material« und »Materie« vertauscht (s. o. Anm. am Ende von 2.3.2). 462  Vgl. Breidert 1980, 905 u. ö. 463  Vgl. Cael. I 1, 268 a 2 . 461 Vgl.

CLXVI

Gottfried Heinemann

3.2.2.2  Etwas Bestimmtes zu sagen und von etwas Bestimmtem zu sprechen ist bei Aristoteles einerlei. Die griechische Wendung ti legein bedeutet in Met. IV 4 beides, 464 ohne deshalb mehrdeutig zu sein: Wer nicht von etwas Bestimmtem spricht, sagt nichts Be­ stimmtes und somit gar nichts. Und umgekehrt hat sich, wer über­ haupt etwas sagt, schon darauf festgelegt, von etwas Bestimmtem – und somit nicht zugleich von dessen Gegenteil – zu sprechen, was auf eine Anerkennung des Satzes vom Widerspruch hinauskommt. Bei der Übersetzung von ti legein kommt man aber kaum um eine Entscheidung herum. 465 Ein ähnliches Problem ergibt sich in Phys. I 2–3 bei der Wendung to on legetai … – ich übersetze: »vom ›Seienden‹ wird gesprochen«, nämlich entweder »auf eine einzige Weise« (monachôs) und in­ sofern »schlechthin« (haplôs) oder aber auf viele Weisen (polla­ chôs). 466 Die aristotelische Formulierung erlaubt zumindest zwei Übersetzungsvarianten: (a) Im Griechischen kann der bestimmte Artikel die einfachen Anführungszeichen ersetzen; 467 demgemäß wäre to on durch »das Wort ›seiend‹« wiederzugeben. (b) Der Aus­ druck to on kann aber auch als substantiviertes Partizip, im Deut­ schen »das Seiende«, aufgefasst werden; er bezeichnet dann das­ jenige, worauf ›seiend‹ zutrifft und was somit ist. Dem entsprechen zwei Übersetzungsvarianten für legetai (und zwar dieselben wie für legei an der zitierten Stelle in Met. IV 4): (a) das Wort ›seiend‹ wird soundso »gesagt« (oder: »verwendet«), und (b) das Seiende wird soundso »zur Sprache gebracht«. Wenn Aristoteles nicht zwischen (a) und (b) unterscheidet, ist seine Aussage doch nicht mehrdeutig. Vgl. Met. IV 4, 1006 a12–13: an monon legêi ti ho amphisbêtôn. Bo­ nitz (1890/1994) übersetzt: »sobald der dagegen [d. h. gegen den Wider­ spruchssatz] Streitende überhaupt nur redet«. 465  Die zitierte Klausel wird von Kirwan (1993, 8) durch »if only the disputant says something« und von Irwin (1988, 180) durch »if only the disputant speaks of something« wiedergegeben. Eine Übersetzung, die gegen diese Alternative ebenso indifferent wie das Griechische wäre, bie­ tet sich weder im Deutschen noch im Englischen an. 466  Vgl. Phys. I 2, 185a 21 u. ö.: pollachôs; ebd. 185 b 31: monachôs, ebd. 3, 6 a 24: haplôs. Siehe dort. 467  Vgl. Castelli 2018, 87 f. sowie Kühner / Gerth 1898–1904 I, 596 f. 464 

Einleitung CLXVII

Vielmehr ist sie gegen die Unterscheidung zwischen (a) und (b) in­ different. Meine Übersetzung ist an (b) angelehnt, setzt aber das »Seiende« in Anführungszeichen, so dass die Aussage zugleich ge­ mäß (a) die Wortverwendung und gemäß (b) die bezeichnete Sache thematisiert. 3.2.2.3  Ontologische Verpflichtungen ergeben sich insbesondere aus der Grammatik, soweit durch sie logisch-semantische Struktu­ ren angezeigt werden. Seit Frege ist es ein Gemeinplatz, dass der Zusammenhang von Grammatik und Logik nur in formalisierten Sprachen kontrolliert werden kann. Aristoteles ist hier – vor al­ lem in den Ersten Analytiken – mit gutem Beispiel vorangegangen. An manchen Stellen der Physikvorlesung, wo es auf die gramma­ tische Verdeutlichung logisch-semantischer Strukturen ankommt, ist seine griechische Prosa durchaus überanstrengt. Im Deutschen muss dasselbe erlaubt sein. Ich diskutiere hier und im nächsten Abschnitt zwei Beispiele, in denen meine Übersetzung sprachliche Härten in Kauf nimmt. Da im Griechischen der bestimmte Artikel die einfachen An­ führungszeichen ersetzen kann (s. o. 3.2.2.2), sind Ausdrücke wie to leukon mehrdeutig. Was dieser Ausdruck bezeichnet, ist auf Deutsch einerseits durch (a) »das Wort ›weiß‹« und andererseits durch (b) »das Weiße« wiederzugeben, wobei Letzteres nochmals mehrdeutig ist und sich entweder als Bezeichnung eines bestimm­ ten, anhand des Kontextes oder der Verwendungssituation identi­ fizierbaren weißen Gegenstandes oder als generische Bezeichnung dessen, »was weiß ist«, verstehen lässt. Überdies verwendet Aris­ toteles den Ausdruck to leukon auch als Bezeichnung (c) der durch das Wort ›weiß‹ angezeigten Eigenschaft, und zwar nicht als bloßer Vorstellung (noêma), sondern als einer bestimmte Sache (pragma), die insofern – und nur insofern – existiert, als ›weiß‹ von einem körperlichen Ding, »an« dem sie auftritt, 468 in wahren Aussagen prädiziert werden kann. In diesem Sinne Cat. I 2, 1a 27–28: en hypokeimenôi … esti tôi sômati (»in einem Zugrundeliegenden, nämlich dem Körper«). Vgl. insgesamt Cat. 2, 1a 23– b 6; ebd. 5, 2 a 29–32. – Zuvor noêma: Int. 1,16 a10; pragma: ebd. a7 und b23. 468 

CLXVIII

Gottfried Heinemann

Auch in dieser dritten Bedeutung ist to leukon von leukotês (engl. »whiteness«) zu unterscheiden. Das letztere Wort hat im Deutschen kein gängiges Äquivalent. 469 In Phys. V 1 bezeichnet es keine Farbe (chroma), sondern einen »Zustand« (pathos), und ist insofern von to leukon als bloßem Farbwort unterschieden. 470 Eine Sichtung der im Index Aristotelicus angeführten Verwendungsfälle ergibt, dass durch leukotês bei Aristoteles meist die physikalische Tatsache, dass etwas weiß ist, angezeigt und im Hinblick auf Regularitäten und kausale Zusammenhänge thematisiert wird. 471 Bei den hier inter­essierenden Kontexten von to leukon in Cat. 2, Int. 1 und Phys. I 2–3 handelt es sich demgegenüber um semantische und onto­ logische Fragen. Hierfür bietet sich als Übersetzung das schlichte Farbwort ›Weiß‹ an, und zwar groß geschrieben zur Bezeichnung der Eigenschaft, im Unterschied zur Verwendung des Adjektivs ›weiß‹ zur Charakterisierung von Dingen. Das lässt sich zu einer Regel verallgemeinern, wonach Weiß die Eigenschaft ist, die beispielsweise der Schwan hat, wenn er weiß ist, sowie demgemäß Schwer die Eigenschaft, die er hat, wenn er schwer ist, und Seiend die Eigenschaft, die er hat, wenn er (überhaupt) ist. 472 Freilich ist diese Verallgemeinerung nur teilweise (vor allem bei Farbwörtern) durch die Regeln der deutschen Rechtschreibung gedeckt. Aber hier geht es auch nicht um Rechtschreibung, sondern

469 

»Weiße« wird zwar im Grimm’schen Wörterbuch angeführt, ist aber als Übersetzung von leukotês (Phys. IV 4, 211a 22 und 9, 217 b 7) nur ein Notbehelf. 470 Vgl. Phys. V 1, 224 b14: leukotês; ebd. b20: to leukon. – Ähnlich die »Stupsigkeit« einer Nase (vgl. Phys. II 2, 194 a13: simotês) im Unterschied zu dem Merkmal »Stupsig« (Phys. I 3, 186 b23: to simon) im Kontext einer semantisch-ontologischen Fragestellung. 471  Vgl. Bonitz 1870, 420 a 4–16. 472  Zu »Seiend« vgl. Phys. I 3, 186 a35 u. ö. (siehe dort). – Dieselbe Notation verwendet Buchheim (2010, 60 und 468 f.) in der Übersetzung und dem Kommentar zu GC II 3, 330 a30 ff. – aber leider nicht so konse­ quent, wie es wünschenswert wäre, vgl. Übersetzung und Kommentar zu 329 b19 ff. (ebd. 58 und 463).

Einleitung CLXIX

um die Verdeutlichung semantischer und ontologischer Unterschei­ dungen durch eine geeignete Notation. 473 Eine ähnliche Notation bietet sich bei konträren Gegensätzen an, d. h. wenn eine Eigenschaft zu einem Gegenteil in Beziehung gesetzt und somit als Komponente einer komplexen Struktur auf­ gefasst wird. Bei dieser Struktur kann es sich um die schlichte Ent­ gegensetzung der Gegenteile handeln, wie bei Rechts und Links, oder um relative Positionen auf einer Skala, wie bei Groß und Klein, Früher und Später usf. 474 Wieder muss man unterscheiden zwischen

473  Wagner

(1979, 10 ff. u. ö.) behilft sich stattdessen mit einem infla­ tionären Gebrauch des Worts ›Bestimmtheit‹. In seiner Übersetzung von Phys. I 3, 186 a 25– b12 lese ich 13mal »Bestimmtheit«, überdies 11mal »we­ senhafte Seinsbestimmtheit« (o. ä.) sowie 3mal »bestimmt« in attributiver Verwendung. Wo ich »Weiß« oder »Seiend« (ohne Anführungszeichen) schreibe, schreibt Wagner »die Bestimmtheit ›weiß‹« (mit einfachen Anführungszeichen), was dann auch noch irreführend ist. Denn ›weiß‹ ist keine Bestimmtheit, sondern ein Wort (und zwar als Zeichentyp, im Unterschied zu den mit doppelten Anführungszeichen angezeigten Ver­ wendungsfällen). Was Wagner mit »die Bestimmtheit ›weiß‹« vermutlich meint, ist die durch das Wort ›weiß‹ angezeigte Bestimmtheit. Und hier­ für schreibe ich, wie gesagt, »Weiß« (groß und ohne Anführungszeichen). Ein Nebeneffekt dieser Wortwahl ist der Eindruck, als unterlegte Wagner seiner Übersetzung eine Ontologie, in der es außer Dingen, Wörtern usf. auch noch »Bestimmtheiten« gibt. Sein Hinweis, dass eine »Bestimmtheit« – wie die »Eigenschaften«, von denen ich hier spreche – »an … [einem] Gegenstand« vorkommen muss (ebd. 401, zweite Anm. zu 7,22 / 185a 23), genügt nicht. Denn es ist keine Eigentümlichkeit von Eigenschaften oder Bestimmtheiten, an Dingen aufzutreten, sondern eine Eigentümlichkeit von Dingen, Eigenschaften oder Bestimmtheiten zu haben. Und es ist daher ein Erfordernis der ontologischen Hygiene, von »Eigenschaften« oder »Bestimmtheiten« nicht ohne Bezugnahme auf ihre (eventuellen) Träger zu sprechen. 474  »Rechts und Links«: dexion kai aristeron (Phys. III 5, 205 b 33, vgl. Phys. IV 1, 208b15); »Groß und Klein«: to mega … kai to mikron (Phys. I 4, 187a17); »Früher und Später«: to proteron kai hysteron (Phys. IV 11, 219 a15 u. ö.).

CLXX

Gottfried Heinemann

– dem Gegensatz – Rechts-Links, Groß-Klein, Früher-Später usf. – als einer Relation, die insofern existiert, als sie an etwas auftritt, und – den Gegenteilen, an denen der Gegensatz auftritt – d. h. den Relata, die jeweils als rechts oder als links befindlich, als (ver­ gleichsweise) groß oder klein, als früher oder später gekenn­ zeichnet sind. Wie bei einfachen Eigenschaften (s. o. zu to leukon) ist dieser Unter­ schied meist nicht unmittelbar an der griechischen Formulierung ablesbar, sondern nur vermutungsweise durch Interpretation zu erschließen. 475 Die in dieser Weise bezeichneten Eigenschaften und Strukturen sind nach Cat. 2 etwas, das nur insofern existiert, als es »an etwas Zugrundeliegendem« (en hypokeimenôi) auftritt. Sie sind »Seien­ des« (onta), aber nur auf eine parasitäre Weise: Was sie als Seiendes auszeichnet, ist – nicht, dass von ihnen zutreffend prädiziert würde, dass sie so­ undso etwas oder soundso »sind«, – sondern nur, dass von dem jeweils Zugrundeliegenden zutreffend prädiziert wird, dass es soundso – d. h. so, wie es die Bezeichnung der jeweiligen Eigenschaft oder Relation angibt – »ist«. Sie sind daher auch nichts, was im ersten Schritt als eine bestimmte Sache identifizierbar und dann erst im zweiten Schritt einem Träger zuschreibbar ist. Die beschriebene Notation vermeidet die üblichen Substantivierungen, die dem parasitären ontologischen Status der bezeichneten Sachen gar nicht entsprechen. 476 Phys. IV 11, 219 a15–30 hängt die Unterscheidung zwischen »das Frühere und das Spätere« (Relata) und »das Früher-Später« (Relation) für to proteron kai hysteron daran, ob man an einer bestimmten Textstelle (219 a 26) mit Ross den Plural auta oder vielmehr den besser bezeugten Singular auto liest. Vgl. Anm. zu 219 a 22–30. 476  Beachte aber: Der ontologische Status spezifischer Differenzen ist nicht in demselben Sinne parasitär, denn »die spezifische Differenz (dia­ phora) gehört nicht zu dem, was an einem Zugrundeliegenden auftritt« (Cat. 5, 3a 22). Gleichwohl bietet sich die hier beschriebene Notation auch 475 In

Einleitung CLXXI

3.2.2.4  Fachterminologien entstehen vor Aristoteles in einigen Einzeldisziplinen, z. B. der Medizin und der Mathematik. Platon hat bildungs- und fachsprachliches Vokabular für seine Zwecke um­ funktioniert. Aber in seinen Dialogen werden terminologische Fest­ legungen eher vermieden. Eine Ausnahme ist die Einführung der sog. Ideen als dasjenige, »was wir mit dem Siegel ›eben das, was … ist‹ versehen« im Phaidon. 477 Das »wir« lässt an einen internen und somit mündlichen Schulgebrauch denken, dem die Wortwahl der Dialoge – »das Schöne selbst« (auto to kalon) oder »was Schön(es) ist« (ho esti kalon) als Bezeichnung der Idee des Schönen usf. 478 – dann folgt. Mit allgemein formulierten terminologischen Regeln ist die Hö­ rer- und Leserschaft, an die sich Aristoteles wendet, vertraut. Aris­ toteles verzichtet im geschriebenen Text auf die explizite Angabe solcher Regeln. Erwähnenswert ist vor allem das aristotelische Ver­ fahren zur Verwendung substantivierter Fragewörter und -formeln als philosophischer Fachtermini: Ist Φ ein Fragewort oder eine mehrteilige Frageformel, z. B. dia ti (dt. ›warum‹), poson (dt. ›wie groß/viel/viele‹) usf., 479 dann bezeichnet der griechische Ausdruck to Φ das in der Form ›Φ …?‹ Erfragte, d. h. bei spezifischen Differenzen an; vgl. z. B. Phys. I 3, 186 b16: Zweifüßig ist unterscheidendes Merkmal in der Definition von Mensch (siehe dort). 477  Phd. 75d2: hois episphragizometha to auto ho esti. – Zwei Bemer­ kungen zum Text: (i) Die zitierte Formel auto ho esti wurde von den modernen Herausgebern hergestellt. Die maßgeblichen Handschriften haben touto statt to auto. Die verbleibende Formel wäre dann ho estin, wie dann auch an den Parallelstellen im Phaidon (92d9) und im VI. Buch der Politeia (507b7); dazu auch die nächste Fußnote. (ii) Die im griechischen Text ergänzten Anführungszeichen werden durch den Eingriff überflüs­ sig, da dann der bestimmte Artikel to die Anführungszeichen vertritt. 478 Zu auto to kalon vgl. Phd. 75c11 und passim sowie Resp. V, 476b10 und passim, zu (auto) ho esti kalon nochmals Resp. VI, 507b7. In der letz­ teren Formel ist vermutlich kalon (»Schönes«) Subjekt und ho (»was«) Prädikatsnomen (wie in hoper leukon [sc. estin] bei Aristoteles, APo I 22, 83a7 etc., vgl. Anm. zu 186 a32–34). 479 Ob poson durch »wie groß«, »wie viel« oder »wie viele« wiederzu­ geben ist, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Meine Formulierung gibt alle drei Varianten zur Auswahl.

CLXXII

Gottfried Heinemann

to Φ =Df dasjenige, was in einer zutreffenden Antwort auf eine Frage der Form ›Φ…?‹ anzugeben ist. Beispielsweise ist to dia ti (dt. ›das Warum‹) dasjenige, was in einer zutreffenden Antwort auf eine Frage der Form dia ti (dt. ›War­ ­u m …?‹) anzugeben ist, d. h. die jeweilige Ursache; to poson (dt. ›das Wie-groß / viel / viele‹) ist das jeweilige Quantum, usf. – Aber das genügt zur Erklärung des aristotelischen Sprachgebrauchs nicht. Denn tatsächlich gilt vielmehr umgekehrt: Was man »Ur­ sache« (aition) oder »Verursachung« (aitia) nennt, wird in Phys. II 3 auf »das Warum« (to dia ti) zurückgeführt und gemäß der obigen Erklärung nach den Bedeutungen der entsprechenden Frage differenziert (s. o. 2.3.5.1). Und die Kategorie, die man im Deutschen »Quantität« nennt (und die im Griechischen gar keinen anderen Namen als das Fragewort hat), wird in der Kate­ gorienschrift von vornherein als »das Wie-groß / viel / viele« (to poson) eingeführt, usf. 480 Um den philosophischen Fachterminus zu verstehen, genügt es, die zugrundeliegende Frageform zu ver­ stehen. Das gilt auch für die Formel to ti ên einai, die nach demselben Schema gebildet ist. Dabei ist freilich die Frageformel ti ên einai (wörtlich: »Was war sein?«) verkürzt. Die Vergangenheitsform, das sog. philosophische Imperfekt, kann bei der Übersetzung und Interpretation ignoriert werden; sie ist wohl aus dem Schulbetrieb der Akademie übernommen und soll auf eine schon gegebene Antwort verweisen (wie im Deutschen: »Was war doch gleich …?«). Für die Interpretation von einai (»sein«) bieten sich drei Optionen an: (1) ­einei ist Kopula, (2) einai bedeutet definitionsgemäßes Sein, (3) einai bedeutet Existenz. Mit (1) ergibt sich eine Ergänzung der Form ti ên (tôi) anthrôpôi to anthrôpôi einai, 481 d. h. »Was heißt es für einen Menschen, Mensch zu sein?« – oder allgemein: »Was heißt

Cat. 6, 4b20; ebenso die erste Erwähnung, Cat. 4, 1b26. 481  Vgl. Frede/Patzig 1988 I, 19. Der Artikel tô ist m. E. entbehrlich. i Hingegen ergänze ich bei einai den (vor das Prädikatsnomen anthrôpôi gezogenen) Artikel to. Das Prädikatsnomen ist (wie auch an anderen Stel­ 480 Vgl.

Einleitung CLXXIII

es für ein F, F zu sein«. 482 Mit (2) kann das Prädikatsnomen ent­ fallen, also: ti ên anthrôpôi to einai, d. h. »Was ist für einen Men­ schen das definitionsgemäße Sein?«. Mit (3) ergäbe sich im Grie­ chischen zunächst dasselbe, was nun aber durch »Was heißt es für einen Menschen, zu existieren?« wiederzugeben wäre. Da das wenig Sinn macht, schlägt Weidemann vor, bei ti nochmals einai zu er­ gänzen, 483 also: ti einai ên anthrôpôi to einai. Dabei soll das ergänzte einai als Kopula zu ti fungieren – im Sinne Weidemanns also etwa: »Was zu sein heißt für einen Menschen das Existieren?« Vielleicht käme stattdessen auch definitionsgemäßes Sein in Betracht, also etwa: »Welches definitionsgemäße Sein ist für einen Menschen das Existieren?« Beide Versionen sind im Ergebnis gut aristotelisch. Aber zweierlei stört: Erstens, dass Weidemann die zunächst ver­ worfene Option (1) – oder auch (2) – gleichsam durch die Hintertür, für sein ergänztes einai, wieder einführen muss. Und zweitens, dass er durch dieselbe Hintertür eine durchaus nichttriviale Vorausset­ zung einschmuggelt, nämlich die Zurückführbarkeit von Existenz auf prädikatives Sein: Nach seiner Interpretation fragt die Formel ti ên einai nach der Spezifikation prädikativen Seins, auf die sich die durch einai angezeigte Existenz im gegebenen Fall reduziert. Wenn diese Reduktion immer schon mitgedacht ist, warum sagt Aristoteles das nicht? – Die Unterscheidung zwischen den Optio­ nen (1) und (2) ist im Ergebnis irrelevant. Im kommentierten Glos­ sar (s. u. 3.2.3) rechne ich eher mit (2). Hingegen schreibe ich als Übersetzung für to ti ên einai gemäß (1): »das Was-heißt-es-so-­ etwas-zu-sein«. Das hat den Vorteil, gemeinsprachlich verständlich

len bei Aristoteles, z. B. Met. I 1, 981a 20) mit dem Dativ des ersten Vor­ kommnisses von anthrôpôi infiziert; orthodox wäre eher der Akkusativ (vgl. Kühner / Gerth 1898–1904 II, 38). 482  Die Ergänzung mit Dativ liegt auch deshalb nahe, weil sie den Da­ tiv in Wendungen wie to anthrôpôi einai, d. h. »das (definitionsgemäße) Menschsein«, erklärt; vgl. Phys. I 7, 190 a17 sowie bes. Met. IV 4, 1006b24 ff., ebd. 1007a 22 ff.) und Met. VII 6, 1031a 20 ff.). 483  Weidemann, Stichwort ti ên einai, in: Höffe (Hg.) 2005, 595–598, bes. 595 f.; ausführlicher Weidemann 1996, 76–82.

CLXXIV

Gottfried Heinemann

zu sein; der Übergang zur philosophischen Fachterminologie ergibt sich erst durch Substantivierung. 484 Meine Übersetzung versucht, in den beschriebenen und mög­ lichst allen vergleichbaren Fällen das aristotelische Verfahren nachzuvollziehen. Der Gewinn an Nachvollziehbarkeit wiegt den (in manchen Fällen) exzessiven Gebrauch von Bindestrichen, z. B. in der Übersetzung von to ti ên einai, allemal auf. Ein Gesichts­ punkt der ontologischen Hygiene kommt hinzu. In die Erörterung des Begriffs der Ursache gehen bei Aristoteles keine universellen ­K ausalitätsannahmen ein. Es genügt, dass sich die Frage »War­ ­u m …?« in relevanten Fällen beantworten lässt. Diese Fälle w ­ erden anhand der jeweils erfolgreichen Beantwortungsstrategien klassi­ fiziert; und wenn etwas aus der Klassifikation herausfallen sollte, ist es kein Gegenstand der aristotelischen Naturwissenschaft. Eine Variante ergibt sich, wenn in Antizipation einer Antwort ein Relativpronomen das Fragewort vertritt; anstelle des bestimm­ ten Artikels lässt sich dann sinngemäß ein Demonstrativpronomen ergänzen. Ich schreibe für (touto) ex hou: »das Woraus«; für (touto) eis ho: »das Wo-hinein«, usf. Die aristotelische Formel für die ef­ fiziente Ursache, hothen hê archê tês metabolês ê staseôs, 485 wird in meiner Übersetzung durch »das Woher-das-erste-Prinzip-der-Än­ derung-oder-der-Ruhe« wiedergegeben. 3.2.3  Glossar mit Erläuterungen Das Glossar beschränkt sich weitgehend auf das fachsprachliche Vokabular in den ersten vier Büchern der Physikvorlesung, mit Hin­ weis auf die Übersetzungen und Erläuterungen in diesem Band. Die Nachschlagewerke von Horn / Rapp (2002) und Höffe (2005) bleiben unentbehrlich. Dort sind auch die Übersetzungstraditio­ 484 

Ich bin auch nicht ganz sicher, ob der Begriff des definitionsgemä­ ßen Seins in der Übersetzung von to ti ên einai vorausgesetzt werden sollte. Vielleicht wird das definitionsgemäße Sein überhaupt erst als dasjenige eingeführt, was die Formel ti ên einai erfragt. 485  Phys. II 3, 194 b29–30 u. ö.; vgl. beispielsweise die Übers. zu ebd. 195a 22–23.

Einleitung CLXXV

nen stärker berücksichtigt. Verneinungen durch vorangestelltes a(α privativum) werden nur ausnahmsweise angeführt. In diesem Glossar werden folgende Abkürzungen verwendet: adj.: Adjektiv, adv.: Adverb, part.: Partizip, subst.: Substantiv akt.: Aktiv, med.: Medium, pass.: Passiv intr.: intransitiv; tr.: transitiv fem.: femininum, masc.: masculinum, neutr.: neutrum dat.: Dativ, inf.: Infinitiv, pl.: Plural AcI: Akkusativ mit Infinitiv, metaph.: metaphorisch, t. t.: terminus technicus aei ê hôs epi to poly (t. t.): »immer oder meistens«, s. u. Anm. zu 198b32–199 a5 aisthanomai: »wahrnehmen« – davon abgeleitet: aisthêtos (adj., t. t.): »wahrnehmbar« (Gegenbegriff: noêtos) aisthêsis (t. t.): »Wahrnehmungsvermögen« (als unterscheidendes Merk­ mal von Tieren, einschließlich des Menschen, gegenüber den Pflanzen), »Wahrnehmung« aitia (fem., t. t.): »Ursache« (Platzhalterübersetzung), s. o. 2.3.5; im Unter­ schied zu aition (neutr.) auch: »Weise der Verursachung« aition (neutr., t. t.): »Ursache« (Platzhalterübersetzung), s. o. 2.3.5 und 3.2.2.1 (von aitios: »ursächlich«, »verantwortlich« usf.) akinêtos: »bewegungslos« (von kineô etc.) akros: »ganz außen«, »ganz oben«, metaph.: »zugespitzt«, s. u. Anm. zu 195a5–8 alloiôsis (t. t.): »Veränderung«, »Wechsel von Eigenschaften« d. h. Ände­ rung in der Kategorie der Qualität, s. o. 2.1.1.2 analogos (adj., t. t.): »analog«, »proportional«, »isomorph« (von logos), s. u. Anm. zu 215a 29– b3 und 219 a14–19) – davon abgeleitet: analogia (t. t.): (Analogie, Proportion) anankê: »Zwang«, »Zwangsläufigkeit«, »Notwendigkeit«; (mit inf. oder AcI): »zwangsläufig« (adv.), »… muss …« antiperistasis (t. t.): »Wechselumstellung«, s. u. Anm. zu 215a14–19 apeiros (adj.) (t. t.): »unbegrenzt«, s. u. Anm. zu 202b30–36. Dazu Phys. III 4–8 aporeô: »nicht weiterwissen«, »einen Zweifel hegen«, »eine Frage aufwer­ fen« – davon abgeleitet: aporia: »Schwierigkeit«, »(klärungsbedürftige) Frage« archê (t. t.): »Prinzip« (Platzhalterübersetzung), s. o. 2.2. Nach der ge­ meinsprachlichen Grundbedeutung ist archê das Erste in einer Reihe, daher auch: »Anfang«, »Ursprung«, »Herrschaft« usf.

CLXXVI

Gottfried Heinemann

arithmos: »Zahl«, »Zahlenreihe« tis arithmos (t. t.): »benannte Zahl«, s. u. Anm. zu 220 a 27–32 arithmôi tauton / hen (t. t.): »numerisch identisch/enes« (vgl. tauton) automatos (adj.): »irgendwie von selbst« – davon abgeleitet: to automaton (t. t., = tautomaton): »das Irgendwie-von-selbst« (zur Unterscheidung zwischen automaton und tychê vgl. Phys. II 6) auxanô: »vermehren«, »vergrößern« – davon abgeleitet: auxanomai: »größer werden«, »zunehmen« auxêsis: »Zunahme« (Gegenbegriff: phthisis) auxêsis kai phthisis (t. t.): »Zu- und Abnahme« (d. i. Änderung in der Kategorie der Quantität) axiôma (t. t.): »Axiom« (Platzhalterübersetzung), s. o. 2.2.2.1 (vgl. aber Anm. zu 210 b34) barys (adj.): »schwer« (Gegenbegriff: koufos) – davon abgeleitet: baros: »Gewicht«, »Schwere«, s. u. Anm. zu 216 a11–21 bia: »Gewalt« – davon abgeleitet: biai (adv., t. t.): »durch (äußere) Gewalt« – d. h. »naturwidrig« (para physin), da nicht aufgrund der eigenen Natur (kata physin), s. o. 2.3.6.3 chaos (bei Hesiod): s. u. Anm. zu 208b27–33 chôra: »Raum«, s. u. Anm. zu 208b1–8 chôrizô: »abtrennen«, »ablösen« – davon abgeleitet chôristos (t. t.): »abtrennbar«, »ablösbar«; auch: »ab­getrennt«, s. u. Anm. zu 213a32– b2 und oben 2.1.4.2 chronos: »Zeit«, insbes. (als t. t.): »Zeitintervall«, dazu Phys. IV 10–14 dia ti: »warum« (Frageformel) – substantiviert: to dia ti (t. t.): »das Warum« (für »Ursache«), s. o. 2.3.5.1 und 3.2.2.4 diapherô: »sich unterscheiden« diaphora: »Unterschied«, (als t. t.) »spezifische Differenz«, s. u. Anm. zu 224 a 2–15 diastasis: »Entfernung«, »Richtungsintervall«, s. u. Anm. zu 205b31–34 diastêma: »Ausdehnung« in eine bestimmte Richtung, s. u. Anm. zu 209 a 4–7 dihaireô: »teilen«, »zerlegen«, »Unterscheidungen treffen« dihairetos (t. t.): »teilbar« dihairesis: »Teilung«, »Fallunterscheidung« dynamis (t. t.): »Vermögen«, »Kraft«, s. o. 2.3.6.1 dynamei (adv., t. t.): »potentiell« (Gegenbegriffe: energeiâi , entelecheiâi: »wirklich«) echô (intr.): »sich halten«, (mit Adv.) »soundso beschaffen sein«, »sich in soundso einem Zustand befinden« – davon abgeleitet: entelecheia: »Vollendungszustand«, synechês (»kontinuierlich zusammenhängend«)

Einleitung CLXXVII echô (tr.): »haben«, »halten« – davon abgeleitet: echomenos (t. t.): »anschließend« eidos (t. t.): »Form« (Platzhalterübersetzung), »Art« tôi eidei (t. t.): »der Art nach« (= tôi logoi = tôi einai) Der Bedeutungsunterschied zwischen eidos und morphê ist oft, aber nicht immer vernachlässigbar, s. u. Anm. zu 209 b2–5 einai (inf.): »sein« – substantiviert: to einai (t. t.): »das Sein«, d. h. insbesondere: was eine Sache definitions­ gemäß ist (davon: to ti ên einai) tôi einai (dat., t. t.): »aufgrund des (definitionsgemäßen) Seins« (= tôi logoi), vgl. Anm. zu 186 a31 empsychos: »beseelt«, »lebendig« (von psychê) – substantiviert: empsychon (subst.): »Lebewesen« (incl. Pflanze) enantios (adj., t. t.): »konträr« – davon abgeleitet: (ta) enantia (subst.): konträre »Gegenteile«, »Gegensatz­( paar)« energeia (t. t.): »In-Funktion-Sein«, »Verwirklichtsein« (von energos: »tätig«, »wirksam«; energeô: »tätig sein«, »wirken«; ergon: »Funktion, »Leistung«, »Werk«, »Tatsache«); das Wort energeia bezeichnet insbe­ sondere auch die Manifestation eines Vermögens (dynamis) als Adverb (energeiâi) auch: »wirklich«, »tatsächlich« Der Bedeutungsunterschied zwischen energeia und entelecheia ist an einigen Stellen (z. B. Phys. III 5, 204 a 21/ a 28 u. ö.) vernachlässigbar, an anderen (z. B. in Phys. III 1–3) nicht. enhyparchô (= hyparchô en …): »in etwas vorliegen/vorhanden sein« – vgl. hyparchô entelecheia (t. t.): »Vollendungszustand« (von entelôs echein: »sich in Voll­ endung halten«), s. u. Anm. zu 201a 9–11 als Adverb (entelecheiâi) auch: »wirklich« etc. (Gegenbegriff zu dyna­ mei: »potentiell«) Der Bedeutungsunterschied zwischen entelecheia und energeia ist an einigen Stellen (z. B. Phys. III 5, 204 a 21 / a 28 u. ö.) vernachlässigbar, an anderen (z. B. in Phys. III 1–3) nicht. epagôgê (t. t.): »Aufweis« (anhand von Beispielen), »Induktion«, s. o. 1.2.2.2 und 1.5.1.2 ephexês (t. t.): »als nächstes folgend«, s. u. Anm. zu 212b30–33 epikrateô (t. t.): »an Kraft überlegen sein«, »überwältigen«, s. o. Einl. 2.3.6.2 epistêmê (t. t.): »Wissenschaft« (Platzhalterübersetzung) peri physeôs epistêmê (= physikê): »Naturwissenschaft«, s. o. 1.1 êremeô (t. t.): »ruhen« »Ruhe« (êremia) heißt bei Aristoteles das konträre Gegenteil von »Be­

CLXXVIII

Gottfried Heinemann

wegung« (kinêsis). Das heißt, es ruht nur, »was die Natur hat, in Be­ wegung zu sein« (to … pephykos … kineisthai, Phys. IV 12, 221b13); vgl. dann Phys. VI 2 und 8. eschaton (t. t.): »Abschluss«, »Rand« s. u. Anm. zu 194 a30–33 bzw. 211 a 23–34, vgl. oben 3.2.2.1 eudaimonia (t. t.): »Glück« im Sinn von: »gelingendes Leben« eulogôs (adv.): »vernünftigerweise« (von logos) eutychia: »Glücksfall«, »Glückhaben« (zur Unterscheidung zwischen eu­ tychia und eudaimonia s. u. Anm. zu 197 b3–5) exaiphnês: »plötzlich«, s. u. Anm. zu 222b14–16 exhistêmi (tr.) verrücken, (intr.): heraustreten, s. u. Anm. zu 221a30– b3 und 222b14–16 – davon: ekstasis: »Außersichsein« genos (t. t.): »Gattung« gignomai: »werden«, »entstehen« – davon abgeleitet: genesis: »(das) Werden«, »(das) Entstehen« genesis kai phthora (t. t.): »Entstehen und Vernichtung« (d. i. Änderung in der Kategorie der Substanz) hama: »zusammen«, »gleichzeitig«, (als t. t.): »an derselben Stelle«, vgl. Phys. V 3, 226 b21–22 hapas (= pas) haplous: »schlicht«, »einfach« – davon abgeleitet: haplôs (adv.): »schlicht«, »schlechthin hapla sômata (t. t.): »einfache Körper« – Oberbegriff für die sog. Ele­ mente, s. o. 2.2.1.2 haplê genesis (t. t.): »schlichtes Werden«, d. h. Entstehen (Änderung in der Kategorie des Substanz) in diesem Sinne auch: haplôs gignesthai, s. u. Anm. zu 190 a31– b1 haptomai: »berühren«, »tasten« haptomenos (t. t.): »angrenzend« s. u. Anm. zu 211a 23–34 hêi (t. t.): »qua«. Die Formel φ hêi ψ lässt sich etwa durch »φ in (oder: auf­ grund) seiner Eigenschaft als ψ« wiedergeben. Vgl. die Explikationen bei Detel (1993 II, 175–182) und Jansen (2015, 40–47). hen: »en«, »enes« zu arithmôi hen (»numerisch enes«) und tôi eidei / einai / logoi hen vgl. tauton holos (adj.) »ganz« to holon: »das Ganze«, insbes. (als t. t.): »das Weltganze« s. u. Anm. zu 205b31–34 homalês: »gleichförmig«, s. u. Anm. zu 223b12–23 homoiomerês (adj.): gleichteilig – davon abgeleitet:

Einleitung CLXXIX

ta homoiemerê (subst., t. t.): »die gleichteiligen Stoffe«, s. u. Anm. zu 187a 25–26 hoper: »was genau …«, s. u. Anm. zu 186 a32–34 horizô: »begrenzen«, »bestimmen« – davon abgeleitet: horismos (t. t.): »Definition« hou heneka: »wozu« (Frageformel) – substantiviert: to hou heneka (t. t.): »das Wozu«, daher auch: »Zweck«, »Ziel« usf., s. o. 2.3.5.3 hylê (t. t.): »Material«, s. o. 3.2.2.1 hyparchô tini (t. t.) auf etwas zutreffen – vgl. enhyparchô hypokeimai: »zugrunde liegen« (perf. pass. zu hypotithêmi: »zugrunde legen«) – davon abgeleitet: hypokeimenon (part., t. t.): »Zugrundeliegendes«, s. u. Anm. zu 190 a15 hypothesis (t. t.): »Hypothese« (Platzhalterübersetzung), ­»Voraussetzung«, (von hypotithêmi: »zugrunde legen«), s. o. 2.2.5.1 (vgl. 1.2.2.2 und 2.3.4.2) kataklysmos: »große Überschwemmung«, s. u. Anm. zu 222 a 23 katêgoria (t. t.): »Kategorie« (Platzhalterübersetzung), s. u. Anm. zu 185 a 21. kath’ hauto (t. t.): »an sich« (Gegenbegriff: kata symbebêkos: »aufgrund zusätzlicher Umstände«) kenos: »leer« – substantiviert: to kenon (t. t.): »das Leere« – d. h. ein Ort, an dem nichts ist (was es nach Aristoteles nicht gibt), dazu Phys. IV 6–9 kineô: »bewegen« – davon abgeleitet: kineomai (med./pass.): »sich bewegen«, »in Bewegung sein«, »bewegt werden« kinêsis (t. t.): »Bewegung« (Oberbegriff zu phora, alloiôsis, auxêsis / phthisis sowie, je nach Kontext, genesis / phthora, vgl. 2.1.1.2), s. o. 2.1 kinêtos: »was bewegt werden kann«, »beweglich« – davon: akinêtos (»bewegungslos«) kinêtikos: »was bewegen kann« kosmeô: »ordnen«, »ausstatten« – davon abgeleitet: kosmos: »Ordnung«, (als t. t.): die »Ordnung der Himmelsbewegun­ gen«, der »Himmel als geordnetes Ganzes«, s. o. 1.4.1 koufos (adj.) »leicht« (Gegenbegriff: barys) – davon abgeleitet: kouphotês: »Leichtigkeit«, s. u. Anm. zu 216 a11–21 logos: »Argument«, »Definition« (d. h. insbesondere auch: definierender Ausdruck), »Erklärung«, »Rechenschaft«; »Aussage«, »Rede«; »Re­ gel«, »Proportion«; »Vernunft« – davon abgeleitet: analogos, analogia, eulogôs, physiologos

CLXXX

Gottfried Heinemann

Die Vielfalt der Bedeutungen von logos kann möglicherweise auf das Verb legô (»einsammeln«, vgl. LSJ I 1: »gather«, »pick up«) zurückge­ führt werden. Die gängige Wiedergabe durch »Begriff« ist irreführend. Denn ein logos ist immer komplex. Insbesondere ist ein sprachliches Gebilde erst dann ein logos, wenn in ihm mehrere Wörter zu einem bedeutungstragenden Ganzen, in der Regel einem vollständigen Satz, verbunden sind. Bei »Begriff« kann man an ein einzelnes Begriffswort denken. Aber nicht dieses oder seine Bedeutung ist ein logos, sondern seine Erklärung. – Unter diesem Vorbehalt abgeleiteterweise: tôi logôi (dat., t. t.): »aufgrund der Definition«, »begrifflich« logikôs (adv.): »anhand der Definition«, »begrifflich« matên: »zwecklos«, »vergeblich« megethos (t. t.): »Größe« (d. h. kontinuierliches und somit messbares Quantum, im Unterschied zu plêthos: »Anzahl«, d. h. diskretes und somit zählbares Quantum) meros: »Teil« metaballô (tr. und intr.): »ändern«; »sich ändern«, »umschlagen« metabolê (t. t.): »Änderung« (Oberbegriff zu: genesis / phthora, phora, alloiôsis, auxêsis / phthisis), s. o. 2.1.1.2 methodos: »(wissenschaftliche) Disziplin«, s. u. Anm. zu 184 a10–16. metreô (t. t.): »messen«, »ausmessen«, s. u. Anm. zu 218 a 6–8 – davon ab­ geleitet: metron: »Maß« mimeomai: »darstellen«, »nachahmen«, »nachahmend folgen«, s. o. 1.4.5 und 2.3.3.3 – davon abgeleitet: mimêsis: »Darstellung«, »Nachahmung« monas: »Einheit«, s. u. Anm. zu 220 a 4 morion = meros: »Teil« morphê (t. t.): »Gestalt«. Der Bedeutungsunterschied zwischen morphê und eidos ist oft, aber nicht immer vernachlässigbar, s. u. Anm. zu 209 b2–5 noeô: »überlegen«, etwas gedanklich »erfassen« – davon abgeleitet: noêtos (t. t.): »(nur) im Denken erfassbar« (Gegenbegriff: aisthêtos) noêsis: »Denken«, »denkendes Erfassen« nous: »Verstand«, »Vernunft«, »Geist« (auch als Ordnungsinstanz und Bewegungsantrieb in der Kosmologie des Anaxagoras, s. o. 1.4.2) nyn (adv.): »jetzt« – davon abgeleitet: to nyn (t. t.): »das Jetzt«, s. o. 2.1.4.2 und 2.1.4.3 oikeios: »eigen«, »einschlägig«, »charakteristisch« oikeios topos (t. t.): der »charakteristische Ort« eines Gegenstandes, s. u. Anm. zu 208b 8–14

Einleitung CLXXXI on: »seiend« (part. zu einai: »sein«) – oft substantiviert: to on: »Seiendes« ta onta (pl.): »die Dinge«, s. o. 3.2.1.4 onkos: (körperliches) »Volumen«, Stoffmenge«, s. u. Anm. zu 216 b 9–10 oregomai: »begehren« – davon abgeleitet: to orekton (t. t.): »begehrtes/begehrenswertes Objekt« – sowie dessen mentale Repräsentation, s. o. 2.3.6.3 orexis (t. t., = to orektikon): »Begehrungsvermögen« ouranos: »Himmel«, »Himmelskugel« (d. i. der äußerste Rand des Uni­ versums) ousia (t. t.): »Substanz« (Platzhalterübersetzung) »Substanzen« sind die fundamentalen Entitäten der aristotelischen Ontologie, s. o. 1.2.1 und 2.2.1.2. Naturdinge (physei onta) sind Sub­ stanzen und als solche die fundamentalen Entitäten der aristotelischen Naturwissenschaft, s. o. 2.3.4.2. »Substanz« sind auch diejenigen Merkmale, die eine Substanz als einen Gegenstand der jeweiligen Art kennzeichnen und insofern sein definitionsgemäßes »Sein« (einai) ausmachen. Die »Substanz« der Naturdinge ist demgemäß ihre jeweilige »Natur« (physis), s. o. 2.3.1.1. panspermia: »allumfassender Samenvorrat« (bei Demokrit), s. u. Anm. zu 203a 20–22 paradeigma: »Muster« – terminologische Anleihe bei Platon, s. u. Anm. zu 194b26–29 pas: »jeder« (pl. pantes: alle«, jeweils in attributiver Verwendung) – davon abgeleitet: (ta) panta: »alles« to pan (t. t.): »das All«, s. o. 3.2.1.4 paschô (t. t.): »leiden«, »unter Einwirkung stehen« (Gegenbegriff: poieô) pathos (t. t.): »Widerfahrnis«, »Zustand« peras: »Grenze« phainomai: »scheinen«, »sich zeigen« – davon abgeleitet: phaneron hoti …: »es ist offenkundig, dass …« (meist eine Behauptung mit anschließender Begründung ankündigend) hoti … phaneron: »dass …, ist offenkundig« (den Abschluss eines Ar­ guments markierend) pherô: »tragen«, »bringen«, »transportieren« pheromai (t. t.): »sich tragen/bringen/transportieren«, »sich (von einem Ort an einen anderen Ort) bewegen«, d. h. »einen Ortswechsel (i. e. S.) vollziehen« phora (t. t.): »Transport«, »Ortswechsel i. e. S.«, s. u. Anm. zu 208 a31–32

CLXXXII

Gottfried Heinemann

philia: »Liebe«, »Freundschaft« – u. a. auch als eine der beiden ant­ agonistischen Grundkräfte in der Kosmologie des Empedokles, s. o. 1.4.2 philosophia: »Philosophie« (Platzhalterübersetzung), s. o. 1.3, vgl. auch Anm. zu 191a 24–31 phtheirô: »zerstören«, »vernichten« – davon abgeleitet: phthora: »Vernichtung« (Gegenbegriff: genesis) genesis kai phthora (t. t.): »Entstehen und Vernichtung« (d. i. Änderung in der Kategorie der Substanz) phthinô (intr.): »kleiner werden«, »abnehmen«, »schwinden« – davon ab­ geleitet: phthisis: »Abnahme« (Gegenbegriff: auxêsis) auxêsis kai phthisis (t. t.): »Zu- und Abnahme« (d. i. Änderung in der Kategorie der Quantität) phyô / phyomai / pephyka: »pflanzen«, »wachsen lassen« / »aufkeimen«, »wachsen« / »gewachsen sein«, »(unveränderlich) sein« (vgl. physis) – davon abgeleitet: pephyke (als Kopula, = physin esti): »ist in seiner Natur«, s. o. 2.3.2, sowie (to) pephykos (mit inf.): »was eine solche Natur hat (oder: so geartet ist), dass …« physiologos: »Naturerklärer«, s. o. 1.4.2 physis (t. t., von phyô etc.): »Natur« (Platzhalterübersetzung), s. o. 2.3 – davon abgeleitet: physikos (adj.): »natürlich« sowie (vgl. Heinemann 2021, 14 u. ö.) physikê (sc. epistêmê, = peri physeôs epistêmê): »Naturwissenschaft«, s. o. 1.1 physikos (subst.): »Naturforscher, Naturwissenschaftler«, s. u. Anm. zu 184b15–22 physei onta: »Naturdinge«, s. o. 1.2.2.2, 1.4.4.2, 2.3.1.1 u. ö. plêthos (t. t.): »Anzahl« (d. h. diskretes und somit zählbares Quantum im Unterschied zu megethos: »Größe«, d. h. kontinuierliches und somit messbares Quantum) poieô (t. t.): »tun«, »einwirken« (Gegenbegriff: paschô) poion: »wie beschaffen« (Fragewort) to poion (t. t.): »Das Wie-beschaffen« (als Bezeichnung der Kategorie der Qualität, vgl. 3.2.2.4) poson: »wie viel« (Fragewort) to poson (t. t.): »das Wie groß / viel / viele« (als Bezeichnung der Kate­ gorie der Quantität), s. o. 3.2.2.4 pros ti (t. t.): »bezüglich auf etwas« (Kategorie der Relation)

Einleitung CLXXXIII prôtos: »erster«, »nächster« (in einer Reihe) – davon abgeleitet: prôtôs (adv., t. t.): »primär«, s. u. Anm. zu 192b21–23 psychê (t. t.): »Seele« (Platzhalterübersetzung), s. u. Anm. zu 223a 21–29 schêma (t. t.): »Figur«, »Umriss« (im Unterschied zu eidos und morphê) sôma (t. t.): »Körper« (auch im Unterschied zu hylê: »Material«, s. o. 3.2.2.1), »Stoff« (s. u. Anm. zu 191a19–20) sperma (t. t.): »Samen«, s. o. 2.2.5.5 sterêsis (t. t.): das »Nicht-Haben« bzw. das »Fehlen«, s. u. Anm. zu 188 a19–26 stigmê: »Punkt« stoicheion (t. t.): »Element«, s. u. Anm. zu 187a 26 symbainô: »sich zusätzlich ergeben«, »überdies der Fall sein« – davon ab­ geleitet: symbebêkos (part., t. t.): »was zusätzlich zutrifft / der Fall ist« kata symbebêkos (t. t.): »(nur) aufgrund zusätzlicher Umstände« (Ge­ genbegriff: kath’ hauto: »an sich«) symphyomai: »zusammenwachsen« – davon abgeleitet: symphysis (t. t.): »Zusammenwuchs«, s. o. Anm. zu 213a1–10 sympiptô: »zusammenfallen«, »zusammentreffen« – davon abgeleitet: symptôma (t. t.): »(bloßes) Zusammentreffen«, s. u. Anm. zu 198 b32– 199 a5 synechês (adj., t. t.): »kontinuierlich zusammenhängend« – davon abge­ leitet: to syneches (t. t.): »das Kontinuum«, dazu Einl. 2.4 im 2. Bd. syngenês: »verwandt«, s. u. Anm. zu 212b30–33 und 213a1–10 synhistêmi (etc.) »zusammenstellen«, »vereinigen« – davon abgeleitet synestôs (part.): »(zu einem Ganzen) verbunden«, s. u. Anm. zu 192 b 9–13 tauton: »dasselbe« – Aristoteles unterscheidet zwischen numerischer und Artidentität (wobei numerische Identität keine Artidentität impliziert, s. u. Anm. zu 190 b23–24): arithmôi tauton (t. t.): a ist »numerisch identisch« mit b, d. h. a ist das­ selbe Ding wie b tôi eideii / einai / logôi tauton (t. t.): a ist »in seiner Art / in seinem Sein / aufgrund seiner Definition dasselbe« wie b Ebenso mit hen (»enes«) statt tauton (»dasselbe«). technê (t. t.): »Kunst« (Platzhalterübersetzung), d. h. im zeitgenössischen Sprachgebrauch: ein Bereich zweckbezogener, lehrbarer, anspruchs­ voller und meist von Fachleuten ausgeübter Tätigkeiten, in dem es Kri­ terien für Richtig und Fehlerhaft gibt; daher auch: »(professionelle) Befähigung« und »(professionelles) Fachwissen«, d. i. nach Aristoteles

CLXXXIV

Gottfried Heinemann

»eine mit zutreffender Begründung verbundene Disposition zum Er­ bringen von Resultaten« (EN VI 4, 1140 a10: hexis meta logou alêthous poiêtikê) bzw. »die mentale Repräsentation der (einschlägigen) Form« (Met. VII 7, 1032b1: to eidos en têi psychêi) – s. o. 2.3.3 telos (t. t.): »Ziel«, s. o. 2.3.5.3 theios (adj.): »göttlich«, davon abgeleitet: to theion (subst.): »das Göttliche«, auch: »die Gottheit« (in Abgren­ zung vom populären Polytheismus), s. u. Anm. zu 203b13–15 ti ên einai: »was war es, … zu sein« (verkürzte Frageformel, siehe auch einai) – davon abgeleitet: to ti ên einai (t. t.): »das Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein«, s. o. 3.2.2.4 ti esti: »was ist …« (Frageformel) – substantiviert: to ti esti (t. t.): »das Was-ist-das« (für »definitionsgemäße Form« und »Substanz«) s. o. 2.3.5.1 und 3.2.2.4 tode ti (t. t.): »wohlbestimmtes (einzelnes) Ding«, s. u. Anm. zu 191a12–14 (anders 190 a32, siehe dort) topos (t. t.): »Ort«, dazu Phys. IV 1–5 tychê (t. t.): »Zufall« (zur Unterscheidung zwischen tychê und automaton vgl. Phys. II 6) zaô: »leben« – davon abgeleitet: ta zônta (part.): »die Lebewesen« (einschl. Pflanzen) zôi on (t. t.): »Tier« (einschl. des Menschen)

SIGLENVERZEICHNIS

a)  Antike Autoren ARISTOTELES

(deutsche Werktitel meist nach Flashar 1983, 236 ff., mit Korr.) Anim. De anima = Über die Seele APo Analytica posteriora = Zweite Analytiken APr Analytica priora = Erste Analytiken Cael. De caelo = Über den Himmel Cat. Categoriae = Kategorienschrift EE Ethica Eudemia = Eudemische Ethik EN Ethica Nicomachea = Nikomachische Ethik GA De generatione animalium = Über die Entstehung der Tiere GC De generatione et corruptione = Über Entstehen und ­Vergehen HA Historia animalium = Tierkunde Inc. De incessu animalium = Über die Fortbewegung der Tiere Int. De interpretatione = Hermeneutik Long. De longitudine et brevitate vitae = Über Lang- und ­Kurzlebigkeit MA De motu animalium = Über die Bewegung der Tiere Met. Metaphysica = Metapjysik Meteor. Meteorologica = Meteorologie MM Magna Moralia = Große Ethik MXG De Melisso Xenophane Gorgia = Über Melissos, ­Xenophanes und Gorgias PA De partibus animalium = Über die Teile der Tiere Phys. Physica = Physikvorlesung Poet. Poetica = Poetik Pol. Politica = Politik Protr. Protreptikos Rhet. Ars rhetorica = Rhetorik SE Sophistici Elenchi = Sophistische Widerlegungen Top. Topica = Topik

CLXXXVI Siglenverzeichnis C IC ERO

Tusc. Tusculanae disputationes De re publ. De re publica EU K L I D

Elem. Elementa EU R I PI DE S

Bacch. Troad.

Die Bakchen Die Troerinnen

GA L E NO S

De elem. sec. Hipp.  De elementis ex Hippocratis sententia In Hipp. de natura hominis  In Hippocratis de natura hominis commentaria H E SIOD

Theog. Theogonie HOM ER

Il. Ilias Od. Odyssee I A M BL IC HO S

VP

De vita Pythagorica

PH I L OP ONO S

In Phys.

In Aristotelis Physicorum libros commentaria (= Vitelli 1887–1888)

PI N DA R

Nem. Ol. Pyth.

Nemeische Oden Olympische Oden Pythische Oden

PL AT ON

Apol. Apologie = Die Verteidigung des Sokrates Crat. Kratylos Cri. Kriton Epin. Epinomis

Siglenverzeichnis CLXXXVII Euthphr. Euthyphron Lg. Leges = Nomoi = Gesetze Men. Menon Parm. Parmenides Phd. Phaidon Phdr. Phaidros Prot. Protagoras Resp. De re publica = Politeia = Der Staat Soph. Sophistes Symp. Symposion Tht. Theaitetos Tim. Timaios SE X T US E M PI R IC US

Math. PH

Adversus Mathematicos Pyrrhoneioi hypotyposeis = Grundzüge der P ­ yrrhonischen Skepsis

SI M PL I K IO S

In Phys.

In Aristotelis Physicorum libros commentaria (= Diels 1882–1895)

SOPHOK L E S

Aj. Ajas Ant. Antigone OT König Ödipus Phil. Philoktetes T H E M I S T IO S

In Phys.

In Aristotelis Physica paraphrasis (= Schenkl 1900)

X E NOPHON

Mem. Memorabilia [H I PP OK R AT E S] = C OR PU S H I PP O C R AT I C U M

(Werktitel nach DNP 5, 591 f., mit Korr.) Aer. De aere, aquis, locis = Über die Umwelt Carn. De carnibus = Über das Fleisch De arte Über die Kunst De genit. De genitura = Über den Samen Epid. De morbis popularibus = Epidemien

CLXXXVIII Siglenverzeichnis Flat. Morb. Morb. sacr. Mul. Vict. VM

De flatibus = Über die Winde De morbis = Über die Krankheiten De morbo sacro = Über die heilige Krankheit De muliebribus = Über Frauenkrankheiten De Victu = Über die Diät De vetere medicina = Über die alte Medizin

b)  Ausgaben und Nachschlagewerke Com. Adesp. = »Fragmenta incertorum poetarum«, in: Kock 1888, Comi­ corum Atticorum fragmenta III, 395–682 DK = Diels / Kranz 1956, Die Fragmente der Vorsokratiker (Verweise auf Band-, Seiten- und Zeilennummer in der Form VS I, 272.4 = Bd. I, S. 272, Z. 4) DNP = Canzik et al. (Hgg.) 1996 ff., Der Neue Pauly GM = Gemelli Marciano 2007 ff., Die Vorsokratiker HWPh = Ritter et al. (Hgg.) 1971 ff., Historisches Wörterbuch der Philo­ sophie KRS = Kirk / Raven/Schofield 1983, The Presocratic Philosophers, 2nd ed. (zit. mit Fragmentnummer) LM = Laks / Most 2016. Early Greek Philosophy (zit. mit Kapitel- und Fragmentnummer) LS = Long / Sedley 1987, The Hellenistic Philosophers (zit. mit Kapitelund Fragmentnummer) LSJ = Liddell / Scott / Jones 1940: A Greek-English Lexicon MP = Mansfeld / Primavesi 2011, Die Vorsokratiker ROT = Barnes (Hg.) 1984, The Complete Works of Aristotle. The Revised Oxford Translation SEP = Zalta, E. N. (Hg.) 1997 ff., Stanford Encyclopedia of Philosophy SVF = von Arnim [1903 ff.]: Stoicorum veterum fragmenta (zit. mit Bandund Fragmentnummern) VS siehe DK

LITERATURVERZEICHNIS

a)  Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare zu Phys. I–IV Barnes, J. (Hg.) [1984]: The Complete Works of Aristotle. The Revised Oxford Translation, Princeton (= ROT) Bekker, I. [1831]: Aristoteles Graece, rec. I. Bekker (= Aristotelis opera, ed. Academia Regia Borussia, Vol. I, II), Berlin Charlton, W. [1970]: Aristotle’s Physics I, II, tr. with introd. and notes, Oxford Diels, H. [1882–1895]: Simplicii in Aristoteles Physicorum libros commen­ taria, ed. H. Diels (CAG 9–10), Berlin (= Simplikios, In Phys.) Gohlke, Paul [1956]: Aristoteles, Physikalische Vorlesung, dt., Paderborn Horstschäfer, T. M. [1998]: ›Über Prinzipien‹. Eine Untersuchung zur methodischen und inhaltlichen Geschlossenheit des ersten Buches der Physik des Aristoteles (Quellen und Studien zur Philosophie 47), Berlin/ New York Hussey, E. [1983]: Aristotle’s Physics. Books III and IV, tr. with notes, Oxford 1983 Ierodiakonou, K. / Kalligas, P. / Karasmanis V. (Hgg.) [2019]: Aristotle’s Physics Alpha (Symposium Aristotelicum), Oxford Pellegrin, P. [2002]: Aristote, Physique, traduction, présentation, notes etc., 2 e éd., Paris Prantl, K. [1854]: Αριστοτέλους Φυσικης ᾽Ακροάσεως βιβλία ϑ / Aristo­ teles’ Acht Bücher Physik, gr./dt. und mit sacherklärenden Anmerkun­ gen hg., Leipzig, repr. Aalen 1978 Quarantotto, D. (Hg.) [2018]: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A Systematic Exploration. Cambridge Reeve, C. D. C. [2018]: Aristotle. Physics: tr. with introd. and notes. India­ napolis Ross, W. D. [1936]: Aristotle’s Physics. A revised text with introduction and commentary, Oxford Ross, W. D. [1950/1977]: Aristotelis physica, rec. W. D. Ross, Oxford 1950 (repr. with corr. 1977) Schenkl, H. [1900]: Themistii in Aristotelis Physica paraphrasis, ed. H. Schenkl (CAG 5.2), Berlin (= Themistios, In Phys.) Thomas von Aquin [In Phys.]: Commentaria in octo libros Physicorum Aristotelis (= Sancti Thomae Aquinatis … opera omnia, editio Leonina, Bd. 2), Rom 1884

CXC Literaturverzeichnis Vitelli, Hieronymus [1887–8]: Ioannis Philoponi in Aristotelis Physicorum libros commentaria, ed. H. Vitelli (CAG 16–17) Berlin (= Philoponos, In Phys.) Wagner, H. [1979]: Aristoteles. Physikvorlesung (1967), übers. (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar, Bd. 11), 3. Aufl. Berlin Zekl, H. G. [1987–1988]: Aristoteles’ Physik. Vorlesung über Natur. gr./ dt., 2 Hbde. Hamburg

b)  Einführungstexte und Aufsatzsammlungen (beachte auch die Artikel zu Aristoteles in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, https://plato.stanford.edu/)

Anagnostopoulos, G. (Hg.) [2009]: A Companion to Aristotle (Blackwell Companions to Philosophy), Chichester/Malden, MA Detel, W. [2005]: Aristoteles, Leipzig Flashar, H. [2014]: Aristoteles. Lehrer des Abendlandes (2013), 3. Aufl. München Judson, L. (Hg.) [1991]; Aristotle’s Physics. A Collection of Essays, Oxford Lear, J. [1988]: Aristotle: the desire to understand, Cambridge Leunissen, M. (Hg.) [2015]: Aristotle’s Physics. A Critical Guide, Cam­ bridge Natali, C. [1990/2013]: Aristotle. His Life and School, ed. by D. S. Hut­ chinson, Princeton Rapp, Chr. / Corcilius, K. (Hgg.) [2011]: Aristoteles Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar Rapp, Chr. [2020]: Aristoteles zur Einführung, 6. Aufl., Hamburg Shields, Chr. (Hg.) [2012]: The Oxford Handbook of Aristotle, Oxford Shields, Chr. [2007]: Aristotle (Routledge Philosophers), London

c) Nachschlagewerke: Canzik, H. et al. (Hgg.) [1996 ff.]: Der Neue Pauly. Enzyplopädie der An­ tike, Stuttgart/Weimar (= DNP) Grimm, J. / Grimm, W. et al. [1852 ff.]: Deutsches Wörterbuch, Nachdruck München 1984 Höffe, O. (Hg.) [2005]: Aristoteles-Lexikon, Stuttgart: Kröner Horn, Chr. / Rapp, Chr. (Hgg.) [2002]: Wörterbuch der antiken Philosophie, München: Beck

Literaturverzeichnis CXCI Kühner, R. / Gerth, B. [1898–1904]: Ausführliche Grammatik der grie­ chischen Sprache, 3. Aufl., Zweiter Teil: Satzlehre, 2 Bde., Nachdruck in einem Bd., mit Index Locorum von W. M. Calder III, Darmstadt 2015 Liddell, H. G. / Scott, R. / Jones, H. S. [1940]: A Greek-English Lexicon, compiled by H. G. Liddell and R. Scott, rev. by H. S. Jones et al., with a Supplement 1968, repr. Oxford 1989 (= LSJ) Ritter, J. et. al. (Hgg.) [1971 ff.]: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel (= HWPh) Toepfer, G. [2011]: Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe, 3 Bde., Stuttgart Zalta, E. N. (Hg.) [1997 ff.]: Stanford Encyclopedia of Philosophy, https:// plato.stanford.edu (= SEP – einzelne Artikel werden nach der jeweili­ gen archivierten Version zitiert)

d)  Sonstige Literatur Ackrill, J. L. [1972–1973]: »Aristotle’s Definitions of Psuche«, Proc. Aris­ totelian Soc. 73, 119–133 Adamson, P. [2012]: »Aristotle in the Arabic Commentary Tradition«, in: The Oxford Handbook of Aristotle, ed. by Chr. Shields, Oxford, 645–664 Anagnostopoulos, A. [2010]: »Change in Aristotle’s Physics 3«, Oxford Studies in Ancient Philosophy 39, 33–79 Anagnostopoulos, A. [2017]: »Change, Agency and the Incomplete in Aristotle«, Phronesis 62.2, 170–209 Anagnostopoulos, A. [2019]: »Physics I 6: A Third and Underlying Prin­ ciple«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Ox­ ford, 190–228 Angioni, L. [Im Ersch.]: »Aristotle’s solution for Parmenides’ inconclusive argument in Physics I.3«, ersch. in: Eleatic Ontology and Aristotle, ed. by F. Mié and D. Bronstein, Peitho – Examina Antiqua, Bd. 12 (2021). Arnzen, R. [2020]: Aristotle’s ›Physics‹ VIII, Translated into Arabic by Is­ haq ibn Hunayn (9th c.). Introduction, Edition, and Glossaries (Scientia Graeco-Arabica, 30), Contributor: P. S. Hasper, Berlin/Boston Aubenque, P. [1989]: »Prinzip (griech. ἀρχή; lat. principium; engl. prin­ ciple; frz. principe; ital. principio). I. Antike«, HWPh, Bd. 7, Sp. 1336– 1345 Bacon, F.: Neues Organon, lat./dt. hg. von W. Krohn, 2 Bde. Hamburg 1990

CXCII Literaturverzeichnis Balme, D. M. [1972]: Aristotle’s De Partibus Animalium I and De Ge­ neratione Animalium I (with passages from II. 1–3), tr. and notes, Ox­ ford Beaney, M. [2018]: »Analysis«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2018 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/ archives/sum2018/entries/analysis Becker, O. [1964]: Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwick­ lung, 2. Aufl., Freiburg/München 1964 (repr. Frankfurt a. M. 1975) Bedini, S. A. [1980]: »Die mechanische Uhr und die wissenschaftliche Revolution«, in: Die Welt als Uhr. Deutsche Uhren und Automaten 1550 –1650, hg. von K. Maurice und O. Mayr, Ausstellungskatalog, Bayerisches Nationalmuseum München, München/Berlin, 21–29 Berti, E. [1990/1996]: »Der Begriff der Wirklichkeit in der Metaphysik (Θ 6–9 u. a.)«, in: Aristoteles, Metaphysik, Die Substanzbücher (Ζ, Η, Θ), hg. von Chr. Rapp, (Klassiker auslegen, Bd. 4), Berlin, 289–311 Betegh, G. [2019]: »Physics I 4: One and many«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 124–155 Bien, G. [1989]: »Philosophie, I. Antike, C. Aristoteles«, HWPh Bd. 7, Sp. 583–590 Bodnár, I.: [2018]: »Physics I.8«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A System­ atic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 206–225 Bonitz, H. [1849]: Commentarius in Aristotelis Metaphysicam (Bonn 1849), repr. Hildesheim 1992 Bonitz, H. [1870]: Index Aristotelicus (= Aristotelis opera, ed. Academia Regia Borussia, vol. V), Berlin Bonitz, H. [1890/1994]: Aristoteles. Metaphysik, übers. von H. Bonitz (ed. Wellmann), auf der Grundl. der Bearb. von H. Carvallo und E. Grassi neu hg. von U. Wolf, Reinbek 1994 Bowin, J. [2008]: »Aristotle on Identity and Persistence«, Apeiron 41.1, 63–88 Brague, R. [1982]: »Sur la formule aristotélicienne ho pote on«, in: ders.: Du Temps chez Platon et Aristote, Paris, 99–144 Breidert, W. [1980]: »Materie. III«, HWPh Bd. 5, Sp. 905–912 Bremer, D. [1989]: »Von der Physis zur Natur. Eine griechische Konzep­ tion und ihr Schicksal«, Z. philos. Forschung 43 (1989) 241–264 Bricker, Ph. [2016]: »Ontological Commitment«, The Stanford Encyclo­ pedia of Philosophy (Winter 2016 Edition), ed. by E. N. Zalta, https:// plato.stanford.edu/archives/win2016/entries/ontological-commitment Brigandt, I. / Alan, L. [2017]: »Reductionism in Biology«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2017 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/archives/spr2017/entries/reduction-biology

Literaturverzeichnis CXCIII Broad, C. D. [1923]: Scientific Thought, London Broadie, S. [1999]: »Rational theology«, in: The Cambridge Companion to Early Greek Philosophy, ed. by A. A. Long, Cambridge, 205–224 Broadie, S. [2011]: Nature and Divinity in Plato’s Timaeus, Cambridge Broadie, S. [2019]: »Physics I 9: Responding to the Platonists«, in: ­Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 302– 340 Buch­heim, Th. [1989]: Gorgias von Leonti­noi. Reden, Fragmente und Tes­ timonien, Hamburg Buchheim, Th. [2010]: Aristoteles. Über Werden und Vergehen, übers. und erl. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, fortges. von H. Flashar, hg. von Chr. Rapp, Bd. 12, Teil IV), Berlin/ Darmstadt Burkert, W. [1960]: »Platon oder Pythagoras? Zum Ursprung des Worts ›Philoso­phie‹«, Hermes 88, 159–177 Burnyeat, M. F. [2003]: »Apology 30 b2–4: Sokrates, money and the gram­ mar of gignesthai«, Journal of Hellenic Studies 123, 1–25 Büttner, S. [2017]: »›Kunst als Nachahmung der Natur‹? – Zu einem Grund­ begriff der antiken Literaturtheorie«, in: Was ist Literatur? / What is Literature?, hg. von R. J. Kaus und H. Günther (Literaturwissenschaft, Bd. 65), Berlin Caduff, G. A. [1986]: Antike Sintflutsagen (Hypomnemata 82), Göttingen Carraro, N. [2017]: »Aristotle’s Embryology and Ackrill’s Problem«, Phronesis 62.3, 274–304 Carriero, J. [2009]: Between two worlds: a reading of Descartes’s Medita­ tions, Princeton Carroll, J. W. [2020], »Laws of Nature«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2020 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato. stanford.edu/archives/win2020/entries/laws-of-nature Castelli, L. M.: [2018]: »Physics I.3«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A Systematic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 82–105 Cerami, C.: [2018]: »Physics I.4«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A Sys­ tematic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 106–129 Charles, D. [2000]: Aristotle on Meaning and Essence, Oxford Charles, D. [2004]: »Simple Genesis and Prime Matter«, in: Aristotle: On Generation and Corruption, Book I. Symposium Aristotelicum, ed. by J. Mansfeld and F. de Haas, Oxford, 151–169 Charles, D.: [2018]: »Physics I.7«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A Sys­ tematic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 178–205 Chen, L. [2020]: »Infinitesimal Gunk«, Journal of Philosophical Logic 49, 981–1004

CXCIV Literaturverzeichnis Choi, S. / Fara, M. [2018]: »Dispositions«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2018 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford. edu/archives/fall2018/entries/dispositions Clarke, T. [2018]: »Physics I.2«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A System­ atic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 60–81 Clarke, T. [2019]: Aristotle and the Eleatic One, Oxford Code, A. [2004]: »On Generation and Corruption I. 5«, in: Aristotle’s On Generation and Corruption I. Symposium Aristotelicum, ed. by J. Mansfeld and F. de Haas, Oxford, 171–193 Code, A. [2018]: »Physics I.6«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A System­ atic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge; New York: Cam­ bridge University Press, 154–177 Coope, U. [2005]: Time for Aristotle: Physics IV.10 –14, Oxford Cooper, J. M. [1982/2004]: »Aristotle on Natural Teleology«, in: ders., Knowledge, Nature and the Good. Essays in Ancient Philosophy, Princeton 2004, 107–129 Cooper, J. M. [1985/2004]: »Hypothetical Necessity«, in: ders., Knowledge, Nature and the Good. Essays in Ancient Philosophy, Princeton 2004, 130–147 Corcilius, K. / Primavesi, O. [2018]: Aristoteles, De motu animalium / Über die Bewegung der Lebewesen, gr./dt., Historisch-kritische Edition des griechischen Textes und philologische Einl. von O. Primavesi, deut­ sche Übers., philosophische Einl. und erklärende Anmerkungen von K. Corcilius, Hamburg: Meiner Corcilius, K. [2011]: »Themen: Handlungstheorie, Fortbewegung«, in: Aristoteles Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corcilius, Stuttgart/Weimar, 239–247 Corcilius, K. [2017]: Aristoteles. Über die Seele / De anima, gr./dt., Ham­ burg Corcilius, K. [2018]: Philosophische Einleitung etc. in: Corcilius/Prima­ vesi 2018 Crivelli, P. [2004]: Aristotle on Truth, Cambridge (repr. 2007) Crivelli, P. [2011]: »Aristotle on Syllogisms from a Hypothesis«, in: Argu­ ment from Hypothesis in Ancient Philosophy, ed. by A. Longo with the collaboration of D. del Forno (Elenchos. Collana di testi e studi sul pensiero antico LIX), Napoli, 95–184 Crowley, T. J. [2008]: »Aristotle’s ›So-Called Elements‹«, Phronesis 53, 223–242 Crubellier, M. [2019]: »Physics I 2: Looking for a Starting Point – The Eleatic Paradox Put to Good Use«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 53–88

Literaturverzeichnis CXCV D’Ancona, C. [2019]: »Greek Sources in Arabic and Islamic Philosophy«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2019 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/archives/fall2019/entries/arabicislamic-greek Darwin, Ch. [Origin]: On the Origin of Species by Means of Natural Se­ lection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life, London 1859 Delcomminette, S. [2019]: »Physics I 5: Principles and Contraries«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 156– 189 Descartes, R. [AT]: Œuvres de Descartes publ. par Ch. Adam et P. Tan­ nery, Paris: Cerf 1897 ff. Descartes, R. [Disc.]: Discours de la méthode, fr./dt. hg. von L. Gäbe, Hamburg 1960 Descartes, R. [Med.]: Meditationes de prima philosophia, lat./dt. hg. von L. Gäbe, 2. Aufl., Hamburg 1977 Descartes, R. [Princ.]: Principia Philosophiae, lat./dt. hg. von Chr. Wohlers, Hamburg 2005 Descartes, R. [Regulae]: Regulae ad directionem ingenii/Regeln zur Aus­ richtung der Erkenntniskraft, lat./dt. hg. von H. Springmeyer, L. Gäbe und H. G. Zekl, Hamburg 1975 Detel, W. [1980]: »Materie. I. Antike«, HWPh Bd. 5, Sp. 870–880 Detel, W. [1993]: Aristoteles. Analytica Posteriora, übers. und erl. (Aristo­ teles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar, Bd. 3, Teil II), 2 Halbbde., Berlin/Darmstadt Detel, W. [2009]: Aristoteles. Metaphysik. Bücher VII und VIII, gr./dt., Übers. von W. Detel unter Mitarbeit von J. Wildberger, Kommentar von W. Detel, Frankfurt a. M. Detel, W. [2011]: »Themen: Prinzip, Ursache«, in: Aristoteles Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corcilius, Stutt­ gart/Weimar, 308–312 Diels, H. / Kranz, W. [1956]: Die Fragmente der Vorsokratiker, 8. Aufl., hg. von W. Kranz, Berlin (= DK – Verweise auf Seiten- und Zeilennummer in der Form VS I, 272.4 = Bd. I, S. 272, Z. 4) Diller, H. [1952]: »Hippokratische Medizin und attische Philosophie«, Hermes 80.4, 385–409 Düring, I. [1969]: Der Protreptikos des Aristoteles, gr./dt. von I. Düring, Frankfurt a. M. Echenique Sosa, J. [2010]: »A short notice on Robert Heinaman’s account of Aristotle’s defintion of kinesis in Physica III«, Journal of Ancient Philosophy (Sao Paulo/Campinas) 4.2

CXCVI Literaturverzeichnis Engberg-Pedersen, T. [1979]: »More on Aristotelian Epagoge«, Phronesis, 24.3, 301–319 Engelhard, K. [2017]: »Dispositionale und kategorische Eigenschaften« in: Handbuch Metaphysik, hg. von M. Schrenk, Stuttgart, 110–116 Epstein, K. [2019]: Aristoteles. Historia animalium Buch V, übers. eingel. und komm. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, fortges. von H. Flashar, hg. von Chr. Rapp, Bd. 16, Teil III), Berlin/Boston Erler, M. [2007]: Platon (Grundriss der Geschichte der Philosophie, be­ gründet von Fried­r ich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike, hg. von H. Flashar, Bd. 2/1), Basel Falcon, A./Lefebvre, D. [2018]: »Introduction: Aristotle’s Philosophy and the Generation of Animals«, in: Aristotle’s Generation of Animals: A Critical Guide, ed. by A. Falcon and D. Lefebvre, Cambridge, 1–12 Falcon, A. [2017]: »Commentators on Aristotle«, The Stanford Encyclo­ pedia of Philosophy (Fall 2017 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato. stanford.edu/archives/fall2017/entries/aristotle-commentators Falcon, A. [2018]: »Physics I.1«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A System­ atic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 41–59 Flasch, K. [1993]: Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XI. Buch der Con­ fessiones. Historisch-philosophische Studie, Frankfurt a. M., repr. 2004 Flashar, H. [1983]: »Aristoteles«, in: Grundriss der Geschichte der Phi­ losophie, begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike, Bd. 3: Ältere Akademie – Aristo­ teles – Peripatos, hg. von H. Flashar, Basel/Stuttgart, 175–457 Föllinger, S. (Hg.) [2010]: Was ist ›Leben‹? Aristoteles’ Anschauungen zur Entstehung und Funktionsweise von Leben, Stuttgart Fränkel, H. [1925]: »Xenophanesstudien«, Hermes 60. 174–192 Fränkel, H. [1960]: Wege und Formen griechischen Denkens, 2., erw. Aufl., München: Beck Fränkel, H. [1969]: Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, Nach­d ruck der 3., durchges. Aufl., München 1976 Frede, D. [1970]: Aristoteles und die »Seeschlacht« (Hypomnemata 27), Göttingen Frede, M. / Patzig, G. [1988]: Aristoteles, Metaphysik Zeta, 2 Bde., Mün­ chen Fritsche, J. [1986]: Methode und Beweisziel im ersten Buch der ›Physik­vor­ le­sung‹ des Aristoteles, Frankfurt a. M. Fritsche, J. [2010]: »Aristotle’s usage of ἀρχὴ κινήσεως (›principle of motion‹) and the two definitions of nature in Physics II, 1«, Arch. Be­ griffsgeschichte 52, 7–31

Literaturverzeichnis CXCVII Fuhrmann, M. [1960]: Das systematische Lehrbuch. Ein Beitrag zur Ge­ schichte der Wissenschaften in der Antike, Göttingen Fuhrmann, M. [1982/1994]: Aristoteles. Poetik, gr./dt. übers. und hg., ­bibliographisch erg. Ausg. Stuttgart 1994 Furley, D. [1985]: »The Rainfall Example in Physics ii 8«, in: Aristotle on Nature and Living Things (Festschrift D. M. Balme), ed. by A. Gotthelf, Pittsburgh, PA/Bristol, 177–182 Galilei, G. [Dialogo, dt.]: Dialog über die beiden hauptsächlichsten Welt­ systeme, das ptolemäische und das kopernikanische, übers. und erl. von E. Strauss, mit einem Beitrag von A. Einstein sowie einem Vorwort und weiteren Erl. von S. Drake, hg. von R. Sexl und K. v. Meyhenn, Stuttgart 1982 Galilei, G. [Dialogo]: I due massimi sistemi del mondo, in: Le opere di Galileo Galilei, Edizione Nazionale, Vol. 7, hg. von A. Favaro et al., Firenze, 1897 Galilei, G. [Discorsi, dt. Dellian]: Discorsi. Unterredungen und mathema­ tische Beweisführungen zu zwei neuen Wissensgebieten, übers. und hg. von Ed Dellian, Hamburg 2015 Galilei, G. [Discorsi]: Discorsi i dimonstationi matematiche intorno à due nuoce scienze, in: Le opere di Galileo Galilei, Edizione Nazionale, Vol. 8, hg. von A. Favaro et al., Firenze 1898 Gemelli Marciano, M. L. [2007 ff.]: Die Vorsokratiker, gr./lat./dt. hg., übers. und erl., 3 Bde., Düsseldorf (= GM) Gethmann, C. F. [1980]: »Letztbegründung«, HWPh Bd. 5, Sp. 251–254 Giardina, G. R. [2015]: »Providence in John Philoponus’ commentary on Aristotle’s Physics«, Chora: Revue d’études anciennes et médiévales 13, 149–172 Gigon, O. [1984]: Marcus Tullius Cicero. Gespräche in Tusculum, lat./dt. mit ausf. Anm. neu hg., 5., durchgesehene Aufl., München/Zürich Gill, M. L. [1980]: »Aristotle’s Theory of Causal Action in Physics III 3«, Phronesis 25 (1980) 129–147 Gill, M. L. [1989]: Aristotle on Substance. The Paradox of Unity, Prince­ ton, N. J. Gill, M. L. [2004]: »Aristotle’s Distinction between Change and Activity«, Axiomathes 14, 3–22 Gloy, K. [1995]: Das Verständnis der Natur. Bd. 1: Die Geschichte des wis­ senschaftlichen Denkens, München Golitsis, P. [2017]: »La critique aristotélicienne des idées en physique ii 2 et l’interprétation de Simplicius«, Rev. Sc. ph. th. 101 (2017) 569– 583 Gotthelf, A. [1999]: »Darwin on Aristotle«, Journal Hist. Biol. 32, 3–30

CXCVIII Literaturverzeichnis Graeser, A. [1989]: »Die Vorsokratiker«, in: Klassiker der Naturphiloso­ phie, hg. von G. Böhme, München, 13–28 Graham, D. W. [1999]: Aristotle’s Physics. Book VIII, tr. with notes, Ox­ ford Graham, D. W. [2013] Science Before Socrates: Parmenides, Anaxagoras, and the New Astronomy, Oxford Gregory, A. [2014]: »Parmenides, cosmology and sufficient reason«, Apei­ ron 47.1, 16–47 Grene, M. / Depew, D. [2004]: The Philosophy of Biology. An Episodic History, Cambridge Guthrie, W. K. C. [1965]: A History of Greek Philosophy, vol. 2, The Preso­ cratic tradition from Parmenides to Democritus, repr. Cambridge 1990 Haber, F. C. [1980]: »Zeit, Geschichte und Uhren«, in: Die Welt als Uhr. Deutsche Uhren und Automaten 1550 –1650, hg. von K. Maurice und O. Mayr, Ausstellungskatalog, Bayerisches Nationalmuseum Mün­ chen, München/Berlin, 10–20 Halliwell, S. [2003]: »Aristoteles und die Geschichte der Ästhetik«, in: Kann man heute noch etwas anfangen mit Aristoteles?, hg. von T. Buch­ heim, H. Flashar und R. A. H. King, Darmstadt, 163–183 Hannah, R. [2017]: »The intellectual background of the Antikythera mechanism«, in: The Construction of Time in Antiquity: Ritual, Art, and Identity, ed. by Jonathan Ben-Dov and Lutz Doering, Cambridge, 83–96 Harry, Ch. C. [2015]: Chronos in Aristotle’s Physics: On the Nature of Time (SpringerBriefs in Philosophy) Cham etc. Hasper, P. S. [2020]: »The Greek Manuscripts of Aristotle’s Physics«, in: Rüdiger Arnzen, Aristotle’s ›Physics‹ VIII, Translated into Arabic by Ishaq ibn Hunayn (9th c.). Introduction, Edition, and Glossaries (Scien­ tia Graeco-Arabica, 30), Berlin/Boston, cxiii – clxxxvii Heath, Th. [1921]: A History of Greek Mathematics, 2 vols., Oxford Heinaman, R. [1994]: »Is Aristotle’s Definition of Change Circular?«, Apeiron 27.1, 25–37 Heinemann, G. / Timme, R. (Hg.) [2016]: Aristoteles und die moderne Bio­ logie. Vergleichende Studien, Freiburg/München Heinemann, G. [2000]: »Natural Knowledge in the Hippocratic Treatise On An­cient Medicine«, in: Antike Natur­wis­senschaft und ihre Rezep­ tion, Bd. 10, hg. von J. Althoff et al., Trier, 13–41 Heinemann, G. [2001]: Studien zum griechischen Naturbegriff, Teil I: Phi­ losophische Grundlegung: Der Naturbegriff und die »Natur«, Trier Heinemann, G. [2005]: »Die Entwicklung des Begriffs physis bis Aristote­ les«, in: Physik / Mechanik, hg. von A. Schürmann (Geschichte der Ma­

Literaturverzeichnis CXCIX thematik und der Naturwissenschaften in der Antike, hg. von G. Wöhrle, Bd. 3), Stuttgart, 16–60 Heinemann, G. [2006]: »Natur und Regularität. Anmerkungen zum voraristotelischen Naturbegriff«, in: Naturgesetze. Historisch‑systemati­ sche Analysen eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, hg. von K. Hart­ becke und Chr. Schütte, Paderborn, 37–53 Heinemann, G. [2007]: »Physis in Republic V, 471c – VII, 541c«, in: The Ascent to the Good (Proc. Conf. Madrid-Getafe, Apr. 2003), ed. by F. Lisi, St. Augustin, 65–78 Heinemann, G. [2009a]: »Material und Supervenienz bei Aristoteles«, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. 19, hg. von J. Althoff et al., Trier, 47–59 Heinemann, G. [2009b]: »The Socratic Stance in Philosophy«, in: Greek philosophy and the issues of out age (Proc. 20th Inter­national Con­ ference on Philo­sophy, Chania, July 2008) ed. by K. Boudouris and M.Adam, Athen, vol. I, 83–95 – auch im Internet unter https://www. academia.edu/7855460/The_Socratic_Stance_in_Philosophy_2009 Heinemann, G. [2016a]: »Time as ›measure‹. Aristotle’s non-metri­ cal account of time in Physics IV«, in: Le temps chez Aristote, cin­ quième rencontre aristotélicienne (Thessalonique, 12–15 Mai 2012), textes réunies et publiés par D. Sfendoni-Mentzou, Paris/Bruxelles, 39–68 Heinemann, G. [2016b]: »Sôma organikon. Zum ontologischen Sinn des Werkzeugvergleichs bei Aristoteles«, in: Organismus. Die Erklärung der Lebendigkeit, hg. von G. Toepfer und F. Michelini, Freiburg/Mün­ chen, 63–80 Heinemann, G. [2016c]: »›Besser … nach Maßgabe der Substanz des je­ weiligen Gegenstandes‹ (Phys. 198b 8–9). Innere und äußere Finalität bei Aristoteles«, in: Aristoteles und die moderne Biologie, hg. von R. Timme und G. Heinemann, Freiburg/München, 225–278 Heinemann, G. [2018]: »Aristotelian Supervenience: Potentialities and Powers in Aristotle’s Definition of Change«, in: Aristotle – Contempo­ rary Perspectives on His Thought: On the 2400th Anniversary of Aristo­ tle’s Birth, ed. by D. Sfendoni-Mentsou, Berlin/New York, 3–26 Heinemann, G. [2019]: »Sterbliche und unsterbliche Natur: Kontexte ei­ nes vielzitierten Euripides-Fragments«, in: Grenzen des Menschseins – Sterblichkeit und Unsterblichkeit im frühgriechischen Denken, hg. von V. Bachmann und R. Heimann, Wiesbaden, 13–37 Heinemann, G. [2020]: »Was leistet die Analyse des schlichten Werdens in Phys. I 7?«, in: Antike Natur­wis­sen­schaft und ihre Rezeption, Bd. 30, hg. von J. Althoff et al., Trier, 35–64

CC Literaturverzeichnis Heinemann, G. [2021]: »Peri Phuseôs: Physics, Physicists, and Phusis in Aristotle«, in: Brill’s Companion to the Reception of Presocratic Nat­ ural Philosophy in Later Classical Thought, ed. by Ch. C. Harry and J. Habash (Brill’s Companions to Philosophy, 6), Leiden Heinemann, G. [in Vorb.]: »Zeit und zeitliche Ordnung bei Aristoteles«, in: Raum und Zeit. Philosophische Konzeptionen vom 20. Jahrhundert bis in die Antike, hg. von V. L. Waibel, Hamburg Heinimann, F. [1945/1980]: Nomos und Physis, Darmstadt 1980 Heinimann, F. [1961/1976]: »Eine vorplatonische Theorie der technê«, in: Sophistik, hg. von C. J. Classen, Darmstadt 1976, 127–169 Heitsch, E. [1983]: Xenophanes. Die Fragmente, hg., übers. und erl. (Sammlung Tuscu­lum), München/Zürich Hellmann, O. [2004]: »›Multimedia‹ im Lykeion? Zu Funktionen der Anatomai in der aristotelischen Biologie«, in: Antike Naturwissen­ schaft und ihre Rezeption, Bd. 14, hg. von J. Althoff et al., Trier, 65–86 Henderson, L. [2019]: »The Problem of Induction«, The Stanford Encyc­ lopedia of Philosophy (Winter 2019 Edition), ed. by E. N. Zalta, https:// plato.stanford.edu/archives/win2019/entries/induction-problem Henry, D. [2015]: »Substantial generation in Physics I 5–7«, in: Aristotle’s Physics. A Critical Guide, ed. by M. Leunissen, Cambridge, 144–161 Herzhoff, B. [2016]: »Wer war der Peripatetiker Nikolaos, der Verfasser des Kompendiums der Philosophie des Aristoteles und Bearbeiter sei­ ner Schrift über die Pflanzen?«, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. 26, hg. von J. Althoff. et al. Trier, 135–187 Hessel, J. F. Chr. [1856]: Die im Alterthum üblich gewesenen Methoden der Weinveredelung verglichen mit denen der heutigen Zeit und erläutert durch Hinweisung auf die betreffenden Lehren der Naturwissenschaft und durch einige darauf bezügliche selbst angestellte Versuche, Marburg Hobbes, Th. [Opera philosophica 1]: Thomae Hobbes Malmesburiensis Opera philosophica quae Latine scripsit omnia. In unum corpus nunc pri­ mum coll. studio et labore Sir Gulielmi Molesworth, Vol. I, London 1839 Holzhey, H. [1989]: »Prinzip (griech. ἀρχή; lat. principium; engl. princi­ ple; frz. principe; ital. principio). III. Neuzeit 1–4 [bis Kant]«, HWPh Bd. 7, Sp. 1355–1366 Huffman, C. A. [1993]: Philolaus of Croton: Pythagorean and Presocra­ tic, a commentary on the fragments and testimonia with interpretive essays. Cambridge Huning, A. [1989]: »Per se notum«, HWPh, Bd. 7, Sp. 262–265 Hussey, E. [1990]: »The beginnings of epistemology: from Homer to Phi­ lolaus«, in: S. Everson (ed.), Epistemology (Companions to Ancient Thought 1), Cambridge, 11–38

Literaturverzeichnis CCI Ierodiakonou, K. / Bydén, B. [2018]: »Byzantine Philosophy«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2018 Edition), ed. by E. N. Zalta, https:// plato.stanford.edu/archives/fall2018/entries/byzantine-philosophy Ingthorsson, R. [2002]: »Causal Production as Interaction«, Metaphysica 3.1, 87–119 Irwin, T. [1988]: Aristotle’s First Principles, Oxford Jaeger, W. [1953]: Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart Jaeger, W. [1957]: Aristotelis Metaphysica, rec. W. Jaeger, Oxford Jammer, M. [1980]: Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raum­ theorien, 2., erw. Aufl., Darmstadt Janiak, A. [2019]: »Newton’s Philosophy«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2019 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato. stanford.edu/archives/win2019/entries/newton-philosophy Jänich, K. [2005/2008]: Topologie, 8. Aufl., Berlin/Heidelberg (korr. Nachdruck 2008) Jansen, L. [2015], Tun und Können. Ein systematischer Kommentar zu Aristoteles’ Theorie der Vermögen im neunten Buch der Metaphysik, 2., durchges. und erw. Aufl., Wiesbaden Johnson, M. R. [2005]: Aristotle on Teleology, Oxford, repr. 2008 Jones, W. H. S. [1931]: Hippocrates, Vol. IV; Heracleitus. On the universe, gr./engl., The Loeb Classical Library No. 150, repr. Cambridge, Mass./ London 1979 Jori, A. [2009]: Aristoteles. Über den Himmel, übers. und erl. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar, Bd. 12, Teil III), Berlin/Darmstadt Jouanna, J. [1990]: Hippocrate: De l’ancienne médecine, gr./fr., Paris Judson, L. [1991]: »Chance and ›Always or For the Most Part‹ in Aris­ totle«, in: ders. (Hg.), Aristotle’s Physics. A Collection of Essays, Ox­ ford, 73–99 Kahn, Ch. H. [1960]: Anaximander and the Origins of Greek Cosmology, New York Kahn, Ch. H. [1979]: The Art and Thought of Heraclitus: An edition of the fragments with translation and commentary, Cambridge Kahn, Ch. H. [1985]: »The Place of the Prime Mover in Aristotle’s Tele­ ology«, in: Aristotle on Nature and Living Things (Festschrift D. M. Balme), ed. by A. Gotthelf, Pittsburgh, PA/Bristol, 183–205 Kahn, Ch. H. [1996]: Plato and the Socratic Dialogue, Cambridge Kant, I. [Akad. Ausg.]: Kant’s Gesammelte Schriften, hg. von der König­ lich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. Katayama, E. G. [1999]: Aristotle on Artifacts: A Metaphysical Puzzle, Al­ bany, NY

CCII Literaturverzeichnis Kelsey, S. [2015]: »Aristotle on interpreting nature«, in: Aristotle’s Physics. A Critical Guide, ed. by M. Leunissen, Cambridge, 31–45 Kirk, G. S. / Raven, J. E. / Schofield, M. [1983]: The Presocratic P ­ hilosophers, 2nd ed. Cambridge (= KRS – zit. mit Fragmentnummer) Kirwan, Chr. [1993]: Aristotle. Metaphysics. Books Γ, Δ, and Ε, tr. with notes, 2nd ed. Oxford Kitcher, Ph. [2007]: Living with Darwin: Evolution, Design, and the Future of Faith, Oxford Kock, Th. [1888]: Comicorum Atticorum fragmenta, ed. Th. Kock, Bd. III, Leipzig Köhler, G. [2014]: Zenon von Elea. Studien zu den ›Argumenten gegen die Viel­ heit‹ und zum sogenannten ›Argument des Orts‹, Berlin/München/Boston Köhler, G. [2015]: »Zenon von Elea und sein sogenanntes ›Argument des Orts‹, in: Antike Natur­wis­sen­schaft und ihre Rezeption, Bd. 25, hg. von J. Althoff et al., Trier, 9–36 Kolman, V. [2010]: »Zahl«, in: Enzyklopädie Philosophie, 3 Bde., hg. von H.-J. Sandkühler et al., Hamburg, Sp. 3080b–3085a Kosman, A. [1969]: »Aristotle’s definition of motion«, Phronesis 14, 40–62 Kosman, A. [2013]: The Activity of Being. An Essay on Aristotle’s Onto­ logy, Cambridge, Mass./London Krämer, H. [2004]: »Die Ältere Akademie«, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bear­ beitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike, Bd. 3: Ältere Akademie – Aristoteles – Peripatos, 2., durchges. und erw. Aufl., hg. von H. Flashar, Basel/Stuttgart: Schwabe, 1–165 Kranz, M.: [1989]: »Philosophie, I. Antike, B. Platon«, HWPh Bd. 7, Sp. 576–583 Kroll, N. [2020]: »Passing Time«, Erkenntnis 85, 255–268 Kuhn, Th. S. [1962/1996]: The Structure of Scientific Revolutions, 3rd ed., Chicago/London 1996 Kullmann, W. / Föllinger, S. (Hgg.) [1997]: Aristotelische Biologie (Philo­ sophie der Antike, Bd. 6), Stuttgart Kullmann, W. [1979]: Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aris­ toteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker (SB der Heidelberger AdW, Phil.-Hist. Kl. Jg. 1979, Abh. 2), Heidelberg Kullmann, W. [2007]: Aristoteles. Über die Teile der Lebewesen, übers. und erl. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Gru­ mach, hg. von H. Flashar, Bd. 17, Teil I), Berlin/Darmstadt Kullmann, W. [2011a]: »Themen: Biologie, Zoologie«, in: Aristoteles Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corci­ lius, Stuttgart/Weimar, 106–115

Literaturverzeichnis CCIII Kullmann, W. [2011b]: »Wirkung: Biologie«, in: Aristoteles Handbuch. Le­ ben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corcilius, Stuttgart/ Weimar, 485–489 Küpper, J. [2009]: »Dichtung als Mimesis (Kap. 1–3)«, in: Aristoteles, Po­ etik (Klassiker Auslegen 38), hg. von O. Höffe, Berlin, 29–45 Kupreeva, I. [2005]: »Aristotle on Growth: a Study of the Argument of On Generation and Corruption I 5«, Apeiron 38.3, 103–159 Lakatos, I. [1976]: Proofs and Refutations. The Logic of Mathematical Discovery, ed. by J. Worrall and E. Zahar, Cambridge Laks, A. / Most, G. [2016]: Early Greek Philosophy, 9 vols. (Loeb Classical Library 524–532), Cambridge, Mass./London (= LM – zit. mit Kapitelund Fragmentnummer) Laks, A. [2002]: »Reading the Readings: On the First Person Plurals in the Strasburg Empedocles«, in: Presocratic Philosophy: Essays in Honour of Alexander Mourelatos, ed. by V. Caston and C. W. Graham, Aldershot, 127–137 Lebedev, A. [2020]: »A study of conceptual metaphor in Heraclitus: metaphorical codes and models of the cosmos«, in: Indo-European Linguistics and Classical Philology XXIV (Proceedings of the 24th Conference in Memory of Professor Joseph M. Tronsky, June 22–24, 2020) Sankt Petersburg, 843–884 Lefebvre, D. [2014]: »La jument de Pharsale. Retour sur De generatione animalium IV 3«, in: Nature et sagesse: Les rapports entre physique et métaphysique dans la tradition aristotélicienne, recueil de textes en hommage à Pierre Pellegrin, édité par C. Cerami, Louvain-la-Neuve, 207–271 Lefebvre, D. [2016]: »Le sperma: forme, matiere ou les deux? Aristote critique de la double semence«, Philosophie antique. Problemes, Re­ naissances, Usages, no. 16, 31–62 Lennox, J. G. [1997/2001a]: »Material and Formal Natures in Aristot­ le’s De partibus animalium«, in: ders.: Aristotle’s Philosophy of Bio­ logy. Studies in the Origins of Life Science, Cambridge 2001, 182– 204 Lennox, J. G. [1997/2001b]: »Nature Does Nothing in Vain …«, in: ders.: Aristotle’s Philosophy of Biology. Studies in the Origins of Life Science, Cambridge 2001, 205–223 Lennox, J. G. [2001]: Aristotle. On the Parts of Animals I–IV, tr. with in­ trod. and comm., Oxford Lennox, J. G. [2015]: »How to study natural bodies: Aristotle’s metho­ dos«, in: Aristotle’s Physics. A Critical Guide, ed. by M. Leunissen, Cambridge, 10–30

CCIV Literaturverzeichnis Lennox, J. G. [2017]: »Aristotle’s Biology«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2017 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato. stanford.edu/archives/spr2017/entries/aristotle-biology Lennox, J. G.: [2018]: »Physics I.9«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A Sys­ tematic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 226–245 Lesher, J. H. [1992]: Xenophanes of Colophon: Fragments, A Text and Translation with a Commentary, Toronto Lesher, J. H. [1999]: »Early Interest in Knowledge«, in: The Cambridge Com­ panion to Early Greek Philosophy, ed. by A. A. Long, Cambridge, 225–249 Lesher, J. H. [2019]: »Xenophanes«, The Stanford Encyclopedia of Philo­ sophy (Summer 2019 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford. edu/archives/sum2019/entries/xenophanes Lesky, E. [1950]: Die Zeugungs- und Vererbungslehre der Antike und ihr Nachwirken (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Ab­ h andlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse/ Nr. 19), Mainz Leunissen, M. [2018]: »Order and Methos in Aristotle’s Generation of Animals 2, in: Aristotle’s Generation of Animals: A Critical Guide, ed. by A. Falcon and D. Lefebvre, Cambridge, 56–74 Leunissen, M. [2019]: »Physics I 8: The route to solving the Eleatic puz­ zle«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 286–301 Littré, É. [1839–1861]: Œuvres complètes d’Hippocrate: Traduction nou­ velle avec le texte grec, 10 vols., Paris Lloyd, G. E. R. [1979]: Magic, Reason, and Experience. Studies in the Ori­ gin and Development of Greek Science, Cambridge Long, A. A. / Sedley, D. N. [1987], The Hellenistic Philosophers, gr./engl., 2 vols., Cam­bridge (= LS) Long, A. A. [1999]: »The Scope of Early Greek Philosophy«, in: The Cambridge Companion to Early Greek Philosophy, ed. by A. A. Long, Cambridge, 1–21 Lorenz, H. [2019]: »Physics I 7, part 2: The principles of natural things. Two or three?«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 262–285 Lorenz, S. / Mojsisch, B. / Schröder, W. [1984]: »Naturphilosophie« (I. An­ tike – IV. 17. und 18. Jahrhundert), HWPh Bd. 6, Sp. 535–548 Loughlin, T. [2011]: »Souls and the Location of Time in Physics IV 14«, Apeiron 44, 307–325 Machamer, P. [2017]: »Galileo Galilei«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2017 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato. stanford.edu/archives/sum2017/entries/galileo

Literaturverzeichnis CCV Mager, K. [2009]: »Mensch und Welt im Spiegel der Uhrenmetapher«, Perspektiven der Philosophie 35, 233–266 Makin, S. [2006]: Aristotle. Metaphysics Book Θ, tr. with introd. and com­ mentary, Oxford Mansfeld, J. / Primavesi, O. [2011]: Die Vorsokratiker, gr./dt, erw. Neuaus­ gabe, Stuttgart (= MP) Mansfeld, J. [2016]: »Melissus between Miletus and Elea«, in: ders. et al. Eleatica 2012: Melissus between Miletus and Elea (Eleatica 5), a cura di M. Pulpito, St. Augustin, 71–112 Marcovich, M. [1967/2000]: Heraclitus: Greek text with a short commen­ tary, 2nd ed. Sankt Augustin 2000 Marmodoro, A. [2014]: Aristotle on perceiving objects, Oxford Mayr, O. [1980]: »Die Uhr als Symbol für Ordnung, Autorität und De­ terminismus«, in: Die Welt als Uhr. Deutsche Uhren und Automaten 1550 –1650, hg. von K. Maurice und O. Mayr, Ausstellungskatalog, Bayerisches Nationalmuseum München, München/Berlin, 1–9 McGinnis, J. [2018]: »Arabic and Islamic Natural Philosophy and Natural Science«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2018 Edi­ tion), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/archives/win2018/ entries/arabic-islamic-natural McKirahan, R. [2010]: Philosophy Before Socrates: an Introduction with Texts and Commentary, 2nd ed. Indianapolis – Cambridge: Hackett McKirahan, R. [2018]: »›As in a Battle When a Rout has Occurred‹«, in: Aristotle – Contemporary Perspectives on His Thought. On the 2400th Anniversary of Aristotle’s Birth, ed. by D. Sfendoni-Mentzou, Berlin/ Boston, 297–322 McTaggart, J. M. E. [1908]: »The Unreality of Time«, Mind, New Series, 68, 457–484 McTaggart, J. M. E. [1927]: The Nature of Existence, Vol. II, Cambridge Menn, S. [2019]: »Physics I 1: The path to the principles«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 19–52 Mesch, W. [2013]: »Raum (chôra)«, in: Platon-Lexikon, hg. von Chr. Schä­ fer, 2. Aufl., Darmstadt, 234–236 Meyer, M. F. [2013]: »Aristoteles’ Theorie der Atmung in De Respira­ tione«, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. 23, hg. von J.Althoff et al., Trier, 31–59 Meyer, M. F. [2015]: Aristoteles und die Geburt der biologischen Wissen­ schaft, Wiesbaden Meyer, M. F. [2016]: »Aristoteles über die menschliche Ontogenese«, in: Aristoteles und die moderne Biologie, hg. von R. Timme und G. Heine­ mann, Freiburg/München, 25–52

CCVI Literaturverzeichnis Moore, Chr. [2019]: »Aristotle on philosophia«, Metaphilosophy 50.3, 399–420 Moore, Chr. [2020]: Calling Philosophers Names: On the Origin of a Dis­ cipline, Princeton Morison, B. [2002]: On Location. Aristotle’s Concept of Place, Oxford Morison, B. [2019]: »Physics I 7, part 1: The complexity of the subject in a change«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 229–261 Most, G. [2018] Hesiod, Vol. I. Theogony. Works and Days. Testimonia, ed. and tr. (Loeb Classical Library 57), rev. ed., Cambridge, Mass/London Newton, I. [Principia dt.]: Mathematische Grundlagen der Naturphiloso­ phie (teilw.), dt. von E. Dellian, Hamburg 1988 Newton, I. [Principia]: Isaak Newton’s Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. The third edition (1726) with variant readings, ed. by A. Koyré and I. B. Cohen, Vol. I, Cambridge 1972 Nicolas, D. [2018]: »The Logic of Mass Expressions«, The Stanford En­ cyclopedia of Philosophy (Winter 2018 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/archives/win2018/entries/logic-massexpress Nietzsche, F. [KSA]: Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Bän­ den, hg. von G. Colli und M. Montanari, München/Berlin/New York 1980 Nobis, H. M. [1972]: »Entelechie, II«, HWPh Bd. 2, Sp. 507–509 Nussbaum, M. C. [1978]: Aristotle’s De motu animalium, Princeton, repr. with corr. 1985 O’Connor, S. [2015]: »The Subjects of Natural Generations in Aristotle’s Physics I.7«, Apeiron 48.1, 45–75 Oehler, K. [1963]: Ein Mensch zeugt einen Menschen. Über den Mißbrauch der Sprachanalyse in der Aristotelesforschung, Frankfurt a. M. Oehler, K. [1984]: Aristoteles. Kategorien, übers. und erl. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar, Bd. 1, Teil I), Berlin/Darmstadt Øhrstrøm, P. / Hasle, P. [2015]: »Future Contingents«, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2015 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/archives/win2015/entries/future-contingents Pannenberg, W. [2001]: »Unendlichkeit«, HWPh Bd. 11, Sp. 140–146 Patzer, H. [1939/1993]: Physis. Grundlegung zu einer Geschichte des Wor­ tes [Marburger Habilitationsschrift von 1939], Stuttgart 1993 Pendrick, G. [2002]: Antiphon the Sophist, Cambridge Polansky, R. [2007]: Aristotle’s De anima, Cambridge Preston, B. [2018]: »Artifact«, The Stanford Encyclopedia of Philoso­ phy (Fall 2018 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/ archives/fall2018/entries/artifact

Literaturverzeichnis CCVII Price, D. [1974]: Gears from the Greeks. The Antikythera Mechanism – A Calendar Computer from ca. 80 B. C., = Transactions of the Amer. Phil­ osophical Society, N. S., Vol. 64.7, Philadelphia Primavesi, O. [2007]: »Ein Blick in den Stollen von Skepsis: Vier Kapi­ tel zur frühen Überlieferung des Corpus Aristelicum«, Philologus 151, 51–77 Primavesi, O. [2011]: »Kap. 7: Empedokles«, in: Mansfeld/Primavesi 2011 (= MP), 392–563 Primavesi, O. [2012]: »Aristotle, Metaphysics Α: A New Critical Edition with Introduction«, in: Aristotle’s Metaphysics Alpha. Symposium Aristotelicum, ed. by C. Steel, Oxford, 385–516 Primavesi, O. [2013]: »Empedokles«, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Fr. Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Aus­ gabe. Die Philosophie der Antike, Bd. 1: Frühgriechische Philosophie, hg. von H. Flashar et al., Basel, 667–739 Quarantotto, D. [2018]: »The Role, Structure, and Status of Aristotle’s Physics I«, in: Aristotle’s ›Physics‹ Book I: A Systematic Exploration, ed. by D. Quarantotto, Cambridge, 1–40 Quarantotto, D. [2019]: »Physics I 3: Towards the Principles – Resolving the Eleatics’ Arguments for Absolute Monism«, in: Aristotle’s Physics Alpha, ed. by K. Ierodiakonou et al., Oxford, 89–123 Rapp, Chr. [1995]: Identität, Persistenz und Sustantialität. Untersuchun­ gen zum Verhältnis von sortalen Termen und Aristotelischer Substanz, ­Freiburg/München Rapp, Chr. [2007]: Vorsokratiker, 2., überarbeitete Aufl., München Rapp, Chr. [2013]: »Zenon aus Elea«, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Fr. Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Aus­ gabe. Die Philosophie der Antike, Bd. 1: Frühgriechische Philosophie, hg. von H. Flashar et al., Basel, 531–572 Rapp, Chr. [2017]: »His Dearest Enemy. Heraclitus in the Aristotelian Œuvre«, in: Heraklit im Kontext, hg. von E. Fantido et al., Berlin/Bos­ ton, 415–438 Rice, H. [2018]: »Fatalism«, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2018 Edition), ed. by E. N. Zalta, https://plato.stanford.edu/ archives/win2018/entries/fatalism Riedweg, Chr. [2002]: Pythagoras. Leben – Lehre – Nachwirkung, Mün­ chen Riedweg, Chr. [2004]: »Zum Ursprung des Wortes ›Philosophie‹ oder Py­ thagoras von Samos als Wortschöpfer«, in: Antike Literatur in neuer Deutung (Festschrift Joachim Latacz), hg. von A. Bierl et al., München, 147–181

CCVIII Literaturverzeichnis Roark, T. [2011]: Aristotle on Time. A Study of the Physics, Cambridge Rosefeldt, T. [2009]: »Descartes’ ontologischer Gottesbeweis«, in: René Descartes. Meditationen über die Erste Philosophie (Klassiker auslegen, Bd. 37), hg. von A. Kemmerling, Berlin, 101–122 Ross, W. D. [1924]: Aristotle’s Metaphysics. A revised text with introduc­ tion and commentary, 2 vols., Oxford Ross, W. D. [1949]: Aristotle’s Prior and Posterior Analytics. A revised text with introduction and commentary by W. D. Ross, Oxford Rossetti, L. [2017]: Un altro Parmenide. Vol. I. Il sapere peri physeos. Par­ menide e l’irrazionale, Vol. II. Luna, antipodi, sessualità, logica, Bo­ logna Rovelli, C. [2015]: »Aristotle’s Physics: A Physicist’s Look«, Journal of the American Philosophical Association 1.1, 23–40 Russell, B. [1901]: »Recent Work on the Principles of Mathematics«, in: The Collected Papers of Bertrand Russell. Vol. 3. Toward the »Principles of Mathematics«: 1900 – 02, ed. by G. H. Moore, London 1993, 366–379 Russell, B. [1905]: »On Denoting«, Mind 14, 479–493 Sattler, B. M. [2019]: »Time and Space in Plato’s Parmenides«, Études pla­ toniciennes 15 | 2019: Le Parménide de Platon, https://doi.org/10.4000/ etudesplatoniciennes.1717 Savitt, S. [2017]: »Being and Becoming in Modern Physics«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2017 Edition), ed. by E. N. Zalta, https:// plato.stanford.edu/archives/fall2017/entries/spacetime-bebecome Scaltsas, Th. [1989]: »The Logic of the Dilemma of Participation and of the Third Man Argument«, Apeiron 22, 67–90 Schäfer, L. [2005]: Das Paradigma am Himmel. Platon über Natur und Staat, Freiburg/München Schark, M. [2016]: »Was sind Lebewesen? Ein aristotelischer Bestim­ mungsansatz«, in: Aristoteles und die moderne Biologie, hg. von R. Timme und G. Heinemann, Freiburg/München, 125–142 Scharle, M. [2008]: »Elemental Teleology in Aristotle’s Physics 2.8«, Ox­ ford Studies in Ancient Philosophy 34 (Summer 2008), 147–183 Schiefsky, M. J. [2005]: Hippocrates On Ancient Medicine, tr. with introd. and comm., Leiden Schirren, Th. / Zinsmaier, Th. [2003]: Die Sophisten. Ausgewählte Texte, gr./dt., Stuttgart Schmalzriedt, Egidius [1970]: Peri Physeôs. Zur Frühgeschichte der Buch­ titel. München Schmidt, A. [2009]: »Gott und die Idee des Unendlichen«, in: René Des­ cartes. Meditationen über die Erste Philosophie (Klassiker auslegen, Bd. 37), hg. von A. Kemmerling, Berlin, 55–80

Literaturverzeichnis CCIX Schmitt, A. [2003]: »Die Literatur und ihr Gegenstand in der Poetik des Aristoteles«, in: Kann man heute noch etwas anfangen mit Aristoteles?, hg. von T. Buchheim, H. Flashar und R. A. H. King, Darmstadt, 184–219 Schmitt, A. [2008]: Aristoteles. Poetik, übers. und erl. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar, Bd. 5), Berlin/Darmstadt Schneider, H. [1989]: Das griechische Technikverständnis, Darmstadt Schöpsdau, K. [1994]: Platon. Nomoi (Gesetze). Buch I–III, Übers. und Komm. (= Platon, Werke, hg. von E. Heitsch und C. W. Müller, Bd. IX 2), Göttingen Schröder, B.-J. [1999]: Titel und Text. Zur Entwicklung lateinischer Ge­ dichtüberschriften. Mit Untersuchungen zu lateinischen Buchtiteln, In­ haltsverzeichnissen und anderen Gliederungsmitteln (Unter­suchungen zur antiken Literatur und Geschichte 54), Berlin/New York Sedley, D. [1991]: »Is Aristotle’s teleology anthropocentric?«, Phronesis 36.2, 179–196 Sedley, D. [2007]: Creationism and Its Critics in Antiquity, Berkeley Simons, P. [1987]: Parts. A Study in Ontology, Oxford Stavrianeas, S. [2015]: »Nature as a principle of change«, in: Aristotle’s Physics. A Critical Guide, ed. by M. Leunissen, Cambridge, 46–65 Steel, C. [2012]: »Plato as seen by Aristotle«, in: Aristotle’s Metaphysics Alpha. Symposium Aristotelicum, ed. by C. Steel, with a new edition of the Greek text by O. Primavesi, Oxford, 167–200 Steen, M. [2016]: »The Metaphysics of Mass Expressions«, The Stanford En­ cyclopedia of Philosophy (Winter 2016 Edition), ed. by E. N. Zalta, https:// plato.stanford.edu/archives/win2016/entries/metaphysics-mass­express Steinthal, H. [2013]: »Ungeschriebene Lehre«, in: Platon-Lexikon, hg. von Chr. Schäfer, 2. Aufl., Darmstadt, 291–296 Strawson, P. F. [1950]: »On Referring«, Mind 59, 320–344 Strobach, N. [2011]: »Themen: Ort«, in: Aristoteles Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corcilius, Stuttgart/Wei­ mar, 292–297 Strobach, N. [2015a]: Aristoteles. Analytica priora, Buch II, übers. von N. Strobach und M. Malink, erl. von N. Strobach (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar, Bd. 3, Teil I/2), Berlin/Darmstadt Strobach, N. [2015b]: Einführung in die Logik, 4., überarbeitete Aufl. Darmstadt Strobach, N. [2016]: »Aristoteles und die Konstanz der Arten«, in: Aristo­ teles und die moderne Biologie, hg. von R. Timme und G. Heinemann, Freiburg/München, 181–205

CCX Literaturverzeichnis Taylor, C. C. W. [1999]: »The Atomists«, in: The Cambridge Companion to Early Greek Philosophy, ed. by A. A. Long, Cambridge, 181–204 Tetens, H. [2010]: »Wissenschaft«, in: Enzyklopädie Philosophie, 3 Bde., hg. von H.-J. Sandkühler et al., Hamburg, Sp. 3018b–3028a Tor, S. [2017]: Mortal and Divine in Early Greek Epistemology: A Study of Hesiod, Xenophanes and Parmenides (Cambridge Classical Studies), Cambridge Trépanier, S, [2017]: »Empedocles, On Nature 1.273–287: Place, the Ele­ ments, and Still No ›We‹«, Mnemosyne 70.4, 562 – 584 Tuominen, M. [2012]: Philosophy of the Ancient Commentators on Aris­ totle, Philosophy Compass 7.12, 852–895 Ugaglia, M./Acerbi, F. [2015]: »Aristotle on Placing Gnomons Round (Ph. 3.4, 203a10–15)«, The Classical Quarterly, 65.2, 587–608 van der Eijk, Ph. J. [2011], »Themen: Fortpflanzung«, in: Aristoteles Hand­ buch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corcilius, Stuttgart/Weimar, 220–224 van Melsen, A. G. M. [1971]: »Atomtheorie«, HWPh Bd. 1, Sp. 606–611 Vetter, B. / Schmid, S. [2014]: »Einleitung«, in: Dispositionen. Texte aus der zeitgenössischen Debatte, hg. von B. Vetter und S. Schmid, Berlin, 7–57 Vlastos, G. [1975]: Plato’s Universe, Oxford Vogel, Chr. [2019]: »Hesiod und das Wissen der Musen«, Working Paper des SFB 980 Episteme in Bewegung, No. 14/2019, Freie Universität Berlin, https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/17607 von Arnim, J. (Hg.) [1903 ff.]: Stoicorum veterum fragmenta, 4 Bde., repr. München/Leipzig 2004 (= SVF) von Lieven, A. / Humar, M. [2017]: »Anatomai? Die Bilder hinter den zoo­ logischen Schriften des Aristoteles«, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. 27, hg. von J. Althoff et al., Trier, 71–140 von Staden, H. [1998]: »Dynamis: the Hippocatics and Plato«, in: Philo­ sophy and Medicine, ed. by K. J. Boudouris, Athen, Bd. II, 262–279 von Wachter, D. [2010]: »Ursache«, in: Enzyklopädie Philosophie, 3 Bde., hg. von H.-J. Sandkühler et al., Hamburg, Sp. 2840a–2844b Wagner, T. / Rapp, Chr. [2004]: Aristoteles. Topik, übers. u. komm., Stutt­gart Waschkies, H.-J. [1977]: Von Eudoxos zu Aristoteles. Das Fortwirken der Eudoxischen Proportionentheorie in der Aristotelischen Lehre vom Kontinuum, Amsterdam Waschkies, H.-J. [1991]: »Mathematical Continuum and Continuity of Movement«, in: La Physique d’Aristote et les conditions d’une science de la nature, ed. F. DeGandt et P. Souffrin, Paris, 151–179 Waterlow (= Broadie), S. [1982/1988]: Nature, Change and Agency in Aris­ totle’s Physics. A Philosophical Study, 2nd ed. Oxford

Literaturverzeichnis CCXI Waterlow (= Broadie), S. [1984]: »Aristotle’s Now«, The Philosophical Quarterly 34, 104–128 Wehrli, F. / Wöhrle, G. / Zhmud, L. [2004]: »Der Peripatos bis zum Beginn der römischen Kaiserzeit«, in: Grundriss der Geschichte der Philoso­ phie, begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Aus­ gabe. Die Philosophie der Antike, Bd. 3: Ältere Akademie – Aristoteles – Peripatos, 2., durchges. und erw. Aufl., hg. von H. Flashar, Basel/ Stuttgart, 493–666 Weidemann, H. [1996]: »Zum Begriff des ti ên einai und zum Verständnis von Met. Ζ 4, 1029 b22–1030 a 6«, in: Aristoteles, Metaphysik, Die Sub­ stanz­bücher (Ζ, Η, Θ), hg. von Chr. Rapp, (Klassiker auslegen, Bd. 4), Berlin, 75–103 Weidemann, H. [2014]: Aristoteles. Peri Hermeneias, übers. und erl. (Aris­ toteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, fort­ geführt von H. Flashar, hg. von Chr. Rapp, Bd. 1, Teil II), 3., überarbei­ tete und verbesserte Aufl., Boston/Berlin Weidemann, H. [2015]: Aristoteles. Hermeneutik – Peri hermeneias (gr./ dt.) hg., übers. und erl. (Sammlung Tusculum), Berlin/Boston Whitehead, A. N. [PR]: Process and Reality (1929), corr. ed. by D. R. Grif­ fin and D. W. Sher­burne, New York 1978 Wieland, W. [1970]: Die aristotelische Physik, 2. Aufl. Göttingen Wilberding, J. [2015]: »The Revolutionary Embryology of the Neopla­ tonists«, Oxford Studies in Ancient Philosophy 49, 321–361 Wilson, M. [2013]: Structure and Method in Aristotle’s Meteologogica. A More Disorderly Nature, Cambridge Wittgenstein, L. [PU]: Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1967 Woodward, J. [2019]: »Scientific Explanation«, The Stanford Encyclope­ dia of Philosophy (Winter 2019 Edition), ed. by E. N. Zalta, https:// plato.stanford.edu/archives/win2019/entries/scientific-explanation Zhmud, L. [2018]: »Physis in the Pythagorean Tradition«, Philologia Clas­ sica 13.1, 50–68 Zierlein, S. [2005]: »Aristoteles’ anatomische Vorstellung vom menschli­ chen Herzen«, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. 15, hg. von J. Althoff et al., Trier, 43–71 Zimmer, D. E. [2001]: »Moby-Dick und seine Übersetzer«, http://www. d-e-zimmer.de/HTML/2001melville.htm (aufgerufen am 9. Sept. 2020) = Manuskriptfassung zu: ders., »Adolf Atta Ahab – Vor 150 Jahren erschien Herman Melvilles Roman ›Moby-Dick‹. Nach langem Streit gibt es jetzt zwei neue Übersetzungen. Welche ist besser?« DIE ZEIT/ Literaturbeilage, Nr. 47, 15. November 2001, S. L3

I N H A LT SÜ BERSIC H T NAC H BÜC H ER N U N D K A PI T EL N

Buch I Prinzipien der Naturwissenschaft und der Naturdinge 1. Das Programm der Prinzipienforschung 2. Exkurs: Eleatischer Monismus 3. Exkurs: Eleatischer Monismus (Fts.) 4. Einheit und Vielheit: Entmischung (zu Anaxagoras) 5. Prinzipien sind Gegensätze 6. Gegensätze und Zugrundeliegendes 7. Die »Prinzipien, aus denen Naturdinge werden und sind«: ­Zugrundeliegendes und Gestalt. Doppelcharakter des ­Zugrundeliegenden: Material und akzidentelles Nicht-Sein 8. Das Zugrundeliegende: akzidentelles vs. schlichtes Nicht-Sein (zur Bestreitung des Werdens in den nach-parmenideischen ­Kosmo­logien) 9. Das Zugrundeliegende: Eignung vs. Mangel (zu Platon)

Buch II Natur und Ursache 1. Erörterung des Naturbegriffs; Material und Form als Natur 2. Material und Form als Thema der Naturwissenschaft 3. Ursachen: die vier Arten des Warum 4. Zufälliges ist ein Thema der Naturwissenschaft 5. Zufälliges im menschlichen Handlungsbereich 6. Zufälliges außerhalb des menschlichen Handlungsbereichs 7. Alle vier Arten der Ursache sind Thema der Naturwissenschaft 8. Die Natur wirkt jeweils zu einem bestimmten Zweck 9. Hypothetische Notwendigkeit: Eignung des Materials für die Form



Inhaltsübersicht nach Büchern und Kapiteln

CCXIII

Buch III Bewegung. Unbegrenztes 1. Bewegung: Was es heißt, in Bewegung zu sein 2. Bewegung: Unvollendetes In-Funktion-Sein. Bewegendes und Bewegtes 3. Bewegung: Gemeinsames In-Funktion-Sein von Bewegendem und Bewegtem 4. Das Unbegrenzte ist ein traditionelles Thema der Natur­ wissenschaft. Exposition der Fragen, ob es Unbegrenztes gibt und, wenn ja, was es ist 5. Unbegrenztes gibt es nicht in Vollendung 6. Unbegrenztes gibt es im Sinne unbegrenzter Teilbarkeit. ­Unbegrenzt ist, wovon immer etwas außerhalb ist 7. Unbegrenztes im Sinne unbegrenzter Vermehrung 8. Unbegrenztes: Abschließende Diskussion der Argumente aus Kap. 4

Buch IV Ort, Leeres, Zeit 1. Ort: Es gibt Orte, »in« denen sich körperliche Dinge ­befinden. Exposition der Frage, was ein Ort ist und was es heißt, sich in einem Ort zu befinden 2. Ort ist nicht dasselbe wie Material oder Form 3. Ort: Bedeutungen von ›ist in etwas‹. Nichts ist in sich selbst 4. Der Ort, in dem sich ein Körper befindet, ist der innere Rand des umgebenden Körpers 5. Ort: Nachträge. Abschließende Diskussion der in Kap. 1 ­genannten Probleme 6. Leeres: Argumente gegen und für seine Existenz 7. Leeres: Definitionsversuche. Leer wäre ein Ort, in dem kein Körper ist. Leeres ist kein Erfordernis der ­Bewegung 8. Im Leeren kann es keine Bewegung geben

CCXIV

Inhaltsübersicht nach Büchern und Kapiteln

9. Leeres ist kein Erfordernis von Verdünnung und Verdichtung. Das »Material von Schwer und Leicht« vertritt die dem Leeren zugeschriebene Rolle als Ursache des Ortswechsels 10. Zeit: Schwierigkeiten mit der Existenz der Zeit. Zeit ist keine Bewegung 11. Zeit ist, was an der Bewegung gezählt wird 12. Die Zeit ist »Maß der Bewegung« 13. Zeit: Was es heißt, »in« einer Zeit zu sein 14. Zeit: Ohne »die Seele und ihren Verstand« gibt es außer der Bewegung nicht auch noch Zeit. An verschiedenen ­Bewegun­gen wird dieselbe Zeit abgelesen

ARISTOTELES Physikvorlesung Teilband 1 · Bücher I–IV

2 A 1 | 2 · 184 a 10 – 184 b 16

ΦΥΣΙΚΗΣ ΑΚΡΟΑΣΕΩΣ  A 184 a10

15

20

25 184b10

15

1. Ἐπειδὴ τὸ εἰδέναι καὶ τὸ ἐπίστασθαι συμβαίνει περὶ πάσας τὰς μεθόδους, ὧν εἰσὶν ἀρχαὶ ἢ αἴτια ἢ στοιχεῖα, ἐκ τοῦ ταῦτα γνωρίζειν (τότε γὰρ οἰόμεθα γιγνώσκειν ἕκαστον, ὅταν τὰ αἴτια γνωρίσωμεν τὰ πρῶτα καὶ τὰς ἀρχὰς τὰς πρώτας καὶ μέχρι τῶν στοιχείων), δῆλον ὅτι καὶ τῆς περὶ φύσεως ἐπιστήμης πειρατέον διορίσασθαι πρῶτον τὰ περὶ τὰς ἀρχάς. πέφυκε δὲ ἐκ τῶν γνωριμωτέρων ἡμῖν ἡ ὁδὸς καὶ σαφεστέρων ἐπὶ τὰ σαφέστερα τῇ φύσει καὶ γνωριμώτερα· οὐ γὰρ ταὐτὰ ἡμῖν τε γνώριμα καὶ ἁπλῶς. διόπερ ἀνάγκη τὸν τρόπον τοῦτον προάγειν ἐκ τῶν ἀσαφεστέρων μὲν τῇ φύσει ἡμῖν δὲ σαφεστέρων ἐπὶ τὰ σαφέστερα τῇ φύσει καὶ γνωριμώτερα. ἔστι δ’ ἡμῖν τὸ πρῶτον δῆλα καὶ σαφῆ τὰ συγκεχυμένα μᾶλλον· ὕστερον δ’ ἐκ τούτων γίγνεται γνώριμα τὰ στοιχεῖα καὶ αἱ ἀρχαὶ διαιροῦσι ταῦτα. διὸ ἐκ τῶν καθόλου ἐπὶ τὰ καθ’ ἕκαστα δεῖ προϊέναι· τὸ γὰρ ὅλον κατὰ τὴν αἴσθησιν γνωριμώτερον, τὸ δὲ καθόλου ὅλον τί ἐστι· πολλὰ γὰρ περιλαμβάνει ὡς μέρη τὸ καθόλου. πέπονθε δὲ ταὐτὸ τοῦτο τρόπον τινὰ καὶ τὰ ὀνόματα πρὸς τὸν λόγον· ὅλον γάρ τι καὶ ἀδιορίστως σημαίνει, οἷον ὁ κύκλος, ὁ δὲ ὁρισμὸς αὐτοῦ διαιρεῖ εἰς τὰ καθ’ ἕκαστα. καὶ τὰ παιδία τὸ μὲν πρῶτον προσαγορεύει πάντας τοὺς ἄνδρας πατέρας καὶ μητέρας τὰς γυναῖκας, ὕστερον δὲ διορίζει τούτων ἑκάτερον. 2. Ἀνάγκη δ’ ἤτοι μίαν εἶναι τὴν ἀρχὴν ἢ πλείους, καὶ εἰ μίαν, ἤτοι ἀκίνητον, ὥς φησι Παρμενίδης καὶ Μέλισσος, ἢ κι-

Buch I · Kapitel 1–2



3

I 1. Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens ergibt sich 184a10 in allen Disziplinen, zu denen es Prinzipien oder Ursachen oder Elemente gibt, aus deren Kenntnisnahme. a12 Denn wir glauben jeweils dann etwas zu erkennen, wenn wir die Kenntnis der ers­ ten Ur­sachen und der ersten Prinzipien erlangen und [wenn diese Kenntnis] bis zu den Elementen [reicht]. a14 Daher hat man sich klarerweise auch für die Naturwissenschaft um eine vorgängige Bestimmung dessen, was die Prinzipien betrifft, zu bemühen. a16 Dabei führt der natürliche Weg von dem, was uns kenntlicher und deutlicher ist, zu dem, was aufgrund seiner [eigenen] Natur deutlicher und kenntlicher ist; denn nicht dasselbe ist uns kennt­ lich und schlechthin kenntlich. a18 Und eben deshalb ist zwangsläu­ fig in der Weise vorzugehen, dass man von dem ausgeht, was zwar aufgrund seiner Natur undeutlicher, uns aber deutlicher ist, um zu dem zu gelangen, was aufgrund seiner Natur deutlicher und kennt­ licher ist. a21 Zuerst offenbar und deutlich ist uns aber das ziemlich Vermengte; später werden uns daraus, indem wir es zerlegen, die Elemente und Prinzipien kenntlich. a23 Deshalb muss man von dem, was im Allgemeinen [oder: im Gro­ ßen und Ganzen] zutrifft, zu dem fortschreiten, was im Einzelnen zutrifft; denn das [ungeschiedene] Ganze ist aufgrund der Wahr­ nehmung das Kenntlichere – das Allgemeine ist eben etwas Ganzes; denn das Allgemeine umfasst Vieles wie Teile. a26 Und dieses Selbe geschieht in gewisser Weise auch mit den Wörtern im Verhältnis zur Erklärung; denn [ein Wort] bezeichnet etwas Ganzes und in unbestimmter Weise, z. B. ›der Kreis‹, seine Definition hingegen zerlegt in das, was im Einzelnen zutrifft. b12 Auch die Kinder nen­ nen zuerst jeden Mann Papa und jede Frau Mama und erst später unterscheiden sie bei beiden. 2.  Das Prinzip muss entweder enes1 oder mehrere sein; und wenn 184b15 enes, entweder bewegungslos, wie Parmenides und Melissos be­ 1 

Wenn »ein«, »eines« etc. als Zahlwort fungiert, schreibe ich hier und im Folgenden »en« statt ein, »enes« statt eines usf.

4 A 2 · 184 b 17 – 185 a 16

20

25 25 185a1

5

10

15

νουμένην, ὥσπερ οἱ φυσικοί, οἱ μὲν ἀέρα φάσκοντες εἶναι οἱ δ’ ὕδωρ τὴν πρώτην ἀρχήν· εἰ δὲ πλείους, ἢ πεπερασμένας ἢ ἀπείρους, καὶ εἰ πεπερασμένας πλείους δὲ μιᾶς, ἢ δύο ἢ τρεῖς ἢ τέτταρας ἢ ἄλλον τινὰ ἀριθμόν, καὶ εἰ ἀπείρους, ἢ οὕτως ὥσπερ Δημόκριτος, τὸ γένος ἕν, σχήματι δὲ 〈διαφερούσας〉, ἢ εἴδει διαφερούσας ἢ καὶ ἐναντίας. ὁμοίως δὲ ζητοῦσι καὶ οἱ τὰ ὄντα ζητοῦντες πόσα· ἐξ ὧν γὰρ τὰ ὄντα ἐστὶ πρώτων, ζητοῦσι ταῦτα πότερον ἓν ἢ πολλά, καὶ εἰ πολλά, πεπερασμένα ἢ ἄπειρα, ὥστε τὴν ἀρχὴν καὶ τὸ στοιχεῖον ζητοῦσι πότερον ἓν ἢ πολλά. τὸ μὲν οὖν εἰ ἓν καὶ ἀκίνητον τὸ ὂν σκοπεῖν οὐ περὶ φύσεώς ἐστι σκοπεῖν· ὥσπερ γὰρ καὶ τῷ γεωμέτρῃ οὐκέτι λόγος ἔστι πρὸς τὸν ἀνελόντα τὰς ἀρχάς, ἀλλ’ ἤτοι ἑτέρας ἐπιστήμης ἢ πασῶν κοινῆς, οὕτως οὐδὲ τῷ περὶ ἀρχῶν· οὐ γὰρ ἔτι ἀρχὴ ἔστιν, εἰ ἓν μόνον καὶ οὕτως ἓν ἔστιν. ἡ γὰρ ἀρχὴ τινὸς ἢ τινῶν. ὅμοιον δὴ τὸ σκοπεῖν εἰ οὕτως ἓν καὶ πρὸς ἄλλην θέσιν ὁποιανοῦν διαλέγεσθαι τῶν λόγου ἕνεκα λεγομένων (οἷον τὴν Ἡρακλείτειον, ἢ εἴ τις φαίη ἄνθρωπον ἕνα τὸ ὂν εἶναι), ἢ λύειν λόγον ἐριστικόν, ὅπερ ἀμφότεροι μὲν ἔχουσιν οἱ λόγοι, καὶ ὁ Μελίσσου καὶ ὁ Παρμενίδου· καὶ γὰρ ψευδῆ λαμβάνουσι καὶ ἀσυλλόγιστοί εἰσιν· μᾶλλον δ’ ὁ Μελίσσου φορτικὸς καὶ οὐκ ἔχων ἀπορίαν, ἀλλ’ ἑνὸς ἀτόπου δοθέντος τὰ ἄλλα συμβαίνει· τοῦτο δὲ οὐδὲν χαλεπόν. ἡμῖν δ’ ὑποκείσθω τὰ φύσει ἢ πάντα ἢ ἔνια κινούμενα εἶναι· δῆλον δ’ ἐκ τῆς ἐπαγωγῆς. ἅμα δ’ οὐδὲ λύειν ἅπαντα προσήκει, ἀλλ’ ἢ ὅσα ἐκ τῶν ἀρχῶν τις ἐπιδεικνὺς ψεύδεται, ὅσα δὲ μή, οὔ, οἷον τὸν τετραγωνισμὸν τὸν μὲν διὰ τῶν τμημάτων γεω-



Buch I · Kapitel 2

5

haupten, oder in Bewegung, wie die Naturforscher [behaupten], wobei die einen sagen, das erste Prinzip sei Luft, die anderen, es sei Wasser. b18 Wenn aber mehrere, dann entweder begrenzt oder ­u nbegrenzt viele; und wenn begrenzt viele, aber mehr als enes, dann entweder zwei oder drei oder vier oder irgendeine andere Zahl; und wenn unbegrenzt viele, dann entweder der Gattung nach enes und nur durch den Umriss unterschieden, wie Demokrit [be­ hauptet], oder der Art nach unterschieden oder auch konträr. b22 Ebenso gehen diejenigen vor, die erforschen, wie viele die Dinge sind. Denn im Hinblick auf die primären Bestandteile der Dinge erforschen sie, ob sie enes oder viele sind, und wenn viele, ob be­ grenzt oder unbegrenzt; das heißt, sie erforschen, ob das Prinzip und das Element enes oder vieles ist. b25 Freilich ist die Untersuchung, ob das Seiende enes und bewe­ gungslos ist, keine Untersuchung über Natur. a1 Denn sowenig der Geometer noch ein Argument hat gegen den, der die Prinzipien aufhebt (sondern das ist Sache einer anderen oder einer alle über­ greifenden Wissenschaft), so wenig hat auch der Prinzipien­forscher eines. a3 Denn es gibt kein Prinzip mehr, wenn [das Seiende] nur enes und in dieser Weise enes [nämlich: enes und bewegungs­ los] ist; Prinzip ist ja Prinzip von etwas (enem oder mehreren). a5 Die Untersuchung, ob das Seiende in dieser Weise enes ist, ist ebenso [müßig], wie irgendeine andere These zu diskutieren, die nur um der Diskussion willen aufgestellt wird (z. B. die Hera­ klit’sche [These], oder wenn jemand behauptete, das Seiende sei ein ein­ziger Mensch), oder ein eristisches Argument aufzulösen – und eben dies [nämlich, eristisch zu sein] eignet beiden Argumenten, dem von Melissos und dem von Parmenides. a9 Denn sie machen unwahre Annahmen und ziehen ungültige Schlüsse. Das Argument von Melissos ist besonders plump und bereitet kein Problem. Wird eine einzige Absurdität geschenkt, ergibt sich der Rest; das [d. h. seine Argumentation zu entkräften] ist ein Kinderspiel. a12 Unsere Voraussetzung soll aber sein, dass die Naturdinge entweder sämt­ lich oder [wenigstens] zum Teil in Bewegung sind. Das ist aus Bei­ spielen klar. a14 Die Aufgabe ist auch nicht, alles zugleich zu lösen, sondern nur, was jemand an Unwahrem aus den Prinzipien ableitet, und was nicht, nicht. a16 Ebenso ist es Aufgabe des Geometers, die

6 A 2 · 185 a 17 – 185 b 5

20 20

25

30

185b1

5

μετρικοῦ διαλῦσαι, τὸν δὲ Ἀντιφῶντος οὐ γεωμετρικοῦ· οὐ μὴν ἀλλ’ ἐπειδὴ περὶ φύσεως μὲν οὔ, φυσικὰς δὲ ἀπορίας συμβαίνει λέγειν αὐτοῖς, ἴσως ἔχει καλῶς ἐπὶ μικρὸν διαλεχθῆναι περὶ αὐτῶν· ἔχει γὰρ φιλοσοφίαν ἡ σκέψις. ἀρχὴ δὲ οἰκειοτάτη πασῶν, ἐπειδὴ πολλαχῶς λέγεται τὸ ὄν, πῶς λέγουσιν οἱ λέγοντες εἶναι ἓν τὰ πάντα, πότερον οὐσίαν τὰ πάντα ἢ ποσὰ ἢ ποιά, καὶ πάλιν πότερον οὐσίαν μίαν τὰ πάντα, οἷον ἄνθρωπον ἕνα ἢ ἵππον ἕνα ἢ ψυχὴν μίαν, ἢ ποιὸν ἓν δὲ τοῦτο, οἷον λευκὸν ἢ θερμὸν ἢ τῶν ἄλλων τι τῶν τοιούτων. ταῦτα γὰρ πάντα διαφέρει τε πολὺ καὶ ἀδύνατα λέγειν. εἰ μὲν γὰρ ἔσται καὶ οὐσία καὶ ποιὸν καὶ ποσόν, καὶ ταῦτα εἴτ’ ἀπολελυμένα ἀπ’ ἀλλήλων εἴτε μή, πολλὰ τὰ ὄντα· εἰ δὲ πάντα ποιὸν ἢ ποσόν, εἴτ’ οὔσης οὐσίας εἴτε μὴ οὔσης, ἄτοπον, εἰ δεῖ ἄτοπον λέγειν τὸ ἀδύνατον. οὐθὲν γὰρ τῶν ἄλλων χωριστόν ἐστι παρὰ τὴν οὐσίαν· πάντα γὰρ καθ’ ὑποκειμένου λέγεται τῆς οὐσίας. Μέλισσος δὲ τὸ ὂν ἄπειρον εἶναί φησιν. ποσὸν ἄρα τι τὸ ὄν· τὸ γὰρ ἄπειρον ἐν τῷ ποσῷ, οὐσίαν δὲ ἄπειρον εἶναι ἢ ποιότητα ἢ πάθος οὐκ ἐνδέχεται εἰ μὴ κατὰ συμβεβηκός, εἰ ἅμα καὶ ποσὰ ἄττα εἶεν· ὁ γὰρ τοῦ ἀπείρου λόγος τῷ ποσῷ προσχρῆται, ἀλλ’ οὐκ οὐσίᾳ οὐδὲ τῷ ποιῷ. εἰ μὲν τοίνυν καὶ οὐσία ἔστι καὶ ποσόν, δύο καὶ οὐχ ἓν τὸ ὄν· εἰ δ’ οὐσία μόνον, οὐκ ἄπειρον, οὐδὲ μέγεθος ἕξει οὐδέν· ποσὸν γάρ τι ἔσται.

Buch I · Kapitel 2



7

Kreisquadratur durch Segmente zu entkräften; aber diejenige Anti­ phons ist nicht Sache des Geometers. a17 Gleichwohl ergibt es sich, dass sie [Melissos und Parmenides] zwar nicht über Natur sprechen, aber zur Naturwissenschaft gehörige Probleme aufwerfen. a19 Des­ halb ist es vielleicht angebracht, darüber kurz zu diskutieren; denn die Untersuchung liefert einen Beitrag zur Philosophie. a20 Der einschlägigste Ausgangspunkt von allen ist, da von »seiend« in vielfacher Weise gesprochen wird, [die Frage], in welchem Sinne diejenigen, die diese Behauptung aufstellen, behaupten, alles sei enes: a22 Einerseits, ob sie alles als Substanz oder als Wieviel oder als Wie-beschaffen ansprechen; und andererseits, ob sie behaup­ ten, alles sei ene Substanz, z. B. en Mensch oder en Pferd oder ene Seele, oder es sei ene Beschaffenheit, z. B. Weiß oder Warm oder sonst etwas dergleichen.1 a26 Dies alles macht einen g­ roßen Unterschied – und ist unhaltbar. a27 Angenommen, es [d. i. alles] ist Substanz und Wie-beschaffen und Wieviel, und zwar entwe­ der voneinander abgelöst oder nicht, dann gibt es vieles. a29 Hin­ gegen ist die Annahme, dass alles, ob es nun eine Substanz gibt oder nicht, Wie-beschaffen oder Wieviel ist, absurd, wenn denn das Unmögliche absurd zu nennen ist. a31 Denn nichts von den an­ deren ist getrennt von der Substanz, sondern alles wird von der Substanz als Zugrundeliegendem ausgesagt. a32 Demgegenüber sagt Melissos, das Seiende sei unbegrenzt. a33 Das Seiende ist also ein bestimmtes Wieviel, denn das Unbegrenzte gehört zum Wie­ viel. a34 Aber die Sub­stanz oder eine Beschaffenheit oder ein Zu­ stand kann nicht Unbegrenztes sein außer aufgrund eines zusätz­ lichen Umstands, wenn es nämlich zugleich auch soundso vieles ist. b2 Denn die Definition des Unbegrenzten verwendet das Wieviel, nicht aber die Substanz oder das Wie-beschaffen. b3 Wenn es so­ mit sowohl Sub­stanz als auch Wieviel ist, ist das Seiende zwei und nicht enes. b4 Wenn es hingegen nur Substanz ist, dann ist es nicht unbegrenzt, noch hat es irgendeine Größe; denn sonst wäre es ein Wieviel. b5

1  Zur

Großschreibung der Bezeichnung von Eigenschaften etc. vgl. Einl. 3.2.2.3.

8 A 2 · 185 b 5 – 185 b 34 5

10

15

20

25

30

ἔτι ἐπεὶ καὶ αὐτὸ τὸ ἓν πολλαχῶς λέγεται ὥσπερ καὶ τὸ ὄν, σκεπτέον τίνα τρόπον λέγουσιν εἶναι ἓν τὸ πᾶν. λέγεται δ’ ἓν ἢ τὸ συνεχὲς ἢ τὸ ἀδιαίρετον ἢ ὧν ὁ λόγος ὁ αὐτὸς καὶ εἷς ὁ τοῦ τί ἦν εἶναι, ὥσπερ μέθυ καὶ οἶνος. εἰ μὲν τοίνυν συνεχές, πολλὰ τὸ ἕν· εἰς ἄπειρον γὰρ διαιρετὸν τὸ συνεχές. (ἔχει δ’ ἀπορίαν περὶ τοῦ μέρους καὶ τοῦ ὅλου, ἴσως δὲ οὐ πρὸς τὸν λόγον ἀλλ’ αὐτὴν καθ’ αὑτήν, πότερον ἓν ἢ πλείω τὸ μέρος καὶ τὸ ὅλον, καὶ πῶς ἓν ἢ πλείω, καὶ εἰ πλείω, πῶς πλείω, καὶ περὶ τῶν μερῶν τῶν μὴ συνεχῶν· καὶ εἰ τῷ ὅλῳ ἓν ἑκάτερον ὡς ἀδιαίρετον, ὅτι καὶ αὐτὰ αὑτοῖς.) ἀλλὰ μὴν εἰ ὡς ἀδιαίρετον, οὐθὲν ἔσται ποσὸν οὐδὲ ποιόν, οὐδὲ δὴ ἄπειρον τὸ ὄν, ὥσπερ Μέλισσός φησιν, οὐδὲ πεπερασμένον, ὥσπερ Παρμενίδης· τὸ γὰρ πέρας ἀδιαίρετον, οὐ τὸ πεπερασμένον. ἀλλὰ μὴν εἰ τῷ λόγῳ ἓν τὰ ὄντα πάντα ὡς λώπιον καὶ ἱμάτιον, τὸν Ἡρακλείτου λόγον συμβαίνει λέγειν αὐτοῖς· ταὐτὸν γὰρ ἔσται ἀγαθῷ καὶ κακῷ εἶναι, καὶ ἀγαθῷ καὶ μὴ ἀγαθῷ εἶναι—ὥστε ταὐτὸν ἔσται ἀγαθὸν καὶ οὐκ ἀγαθόν, καὶ ἄνθρωπος καὶ ἵππος, καὶ οὐ περὶ τοῦ ἓν εἶναι τὰ ὄντα ὁ λόγος ἔσται ἀλλὰ περὶ τοῦ μηδέν—καὶ τὸ τοιῳδὶ εἶναι καὶ τοσῳδὶ ταὐτόν. ἐθορυβοῦντο δὲ καὶ οἱ ὕστεροι τῶν ἀρχαίων ὅπως μὴ ἅμα γένηται αὐτοῖς τὸ αὐτὸ ἓν καὶ πολλά. διὸ οἱ μὲν τὸ ἐστὶν ἀφεῖλον, ὥσπερ Λυκόφρων, οἱ δὲ τὴν λέξιν μετερρύθμιζον, ὅτι ὁ ἄνθρωπος οὐ λευκός ἐστιν ἀλλὰ λελεύκωται, οὐδὲ βαδίζων ἐστὶν ἀλλὰ βαδίζει, ἵνα μή ποτε τὸ ἐστὶ προσάπτοντες πολλὰ εἶναι ποιῶσι τὸ ἕν, ὡς μοναχῶς λεγομένου τοῦ ἑνὸς ἢ τοῦ ὄντος. πολλὰ δὲ τὰ ὄντα ἢ λόγῳ (οἷον ἄλλο τὸ λευκῷ εἶναι καὶ μουσικῷ, τὸ δ’ αὐτὸ ἄμφω· πολλὰ ἄρα τὸ ἕν) ἢ διαιρέσει, ὥσπερ τὸ ὅλον καὶ τὰ μέρη. ἐνταῦθα



Buch I · Kapitel 2

9

Ferner: Wie von »seiend«, wird auch von »enes« selbst in viel­ facher Weise gesprochen; daher haben wir zu untersuchen, in wel­ cher Weise sie behaupten, das All sei enes. b7 Enes heißt [i] das kontinuierlich Zusammenhängende oder [ii] das Unteilbare oder [iii] wovon die Erklärung des Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein ene und dieselbe ist, wie Rebensaft und Wein. b9 Ad [i]: Wenn kontinu­ ierlich zusammenhängend, wäre das Ene viele; denn das konti­ nuierlich Zusammenhängende ist unbegrenzt teilbar. – b11 Es gibt eine Schwierigkeit bzgl. des Teils und des Ganzen, vielleicht nicht für diese Argumentation, aber überhaupt: [a] ob nämlich der Teil und das Ganze enes oder mehrere sind und in welcher Weise enes oder mehrere und [b] wenn mehrere, in welcher Weise mehrere; und [c] bei den nicht zusammenhängenden Teilen, wenn jeder als un­teilbarer mit dem Ganzen enes ist, dass sie dann auch unter­ einander enes sind. – b16 Ad. [ii]: Wenn als Unteilbares, dann wäre nichts ein Wieviel oder Wie-beschaffen; das Seiende wäre dann weder unbegrenzt, wie Melissos, noch begrenzt, wie Parmenides behauptet. b18 Denn die Grenze ist unteilbar, nicht das Begrenzte. b19 Ad [iii]: Wenn alle Dinge der Definition nach enes sind wie Kittel und Hemd, dann ergibt sich, dass sie wie Heraklit sprechen: b21 Was es heißt, gut und schlecht zu sein, wäre dasselbe, und gut und nicht gut zu sein [wäre ebenfalls dasselbe] – so dass Gut und Nicht-Gut dasselbe wäre und Mensch und Pferd, und nicht davon die Rede wäre, dass die Dinge enes sind, sondern von nichts. b25 Auch was es heißt, soundso beschaffen und soundso viel zu sein, wäre dasselbe. b25 Auch die Späteren unter den Alten haben viel Lärm darum ge­ macht, dass ihnen nicht dasselbe zugleich enes und vieles wird. b27 Deshalb haben die einen die Kopula weggelassen, wie Lyko­ phron; andere haben die Redeweise neu geordnet: Nicht »ist« der Mensch weiß, sondern er »erweißte«, nicht »ist« er gehend, sondern er »geht« – um keinesfalls durch die Anfügung von ›ist‹ das Ene zu vielem zu machen, als würde von »enes« und von »seiend« nur auf eine einzige Weise gesprochen. b32 Die Dinge sind viele entweder durch ihre Definition – z. B. ist weiß zu sein und musisch zu sein verschiedenerlei, aber dasselbe [nämlich: derselbe Mensch] ist bei­ des und das Ene daher vieles – oder durch Teilung, wie das Ganze

10 A 3 · 186 a 1 – 186 a 28 186a1

5

10

15

20

25

δὲ ἤδη ἠπόρουν, καὶ ὡμολόγουν τὸ ἓν πολλὰ εἶναι—ὥσπερ οὐκ ἐνδεχόμενον ταὐτὸν ἕν τε καὶ πολλὰ εἶναι, μὴ τἀντικείμενα δέ· ἔστι γὰρ τὸ ἓν καὶ δυνάμει καὶ ἐντελεχείᾳ. 3. Τόν τε δὴ τρόπον τοῦτον ἐπιοῦσιν ἀδύνατον φαίνεται τὰ ὄντα ἓν εἶναι, καὶ ἐξ ὧν ἐπιδεικνύουσι, λύειν οὐ χαλεπόν. ἀμφότεροι γὰρ ἐριστικῶς συλλογίζονται, καὶ Μέλισσος καὶ Παρμενίδης· καὶ γὰρ ψευδῆ λαμβάνουσι καὶ ἀσυλλόγιστοί εἰσιν αὐτῶν οἱ λόγοι· μᾶλλον δ’ ὁ Μελίσσου φορτικὸς καὶ οὐκ ἔχων ἀπορίαν, ἀλλ’ ἑνὸς ἀτόπου δοθέντος τἆλλα συμβαίνει· τοῦτο δ’ οὐθὲν χαλεπόν. ὅτι μὲν οὖν παραλογίζεται Μέλισσος, δῆλον· οἴεται γὰρ εἰληφέναι, εἰ τὸ γενόμενον ἔχει ἀρχὴν ἅπαν, ὅτι καὶ τὸ μὴ γενόμενον οὐκ ἔχει. εἶτα καὶ τοῦτο ἄτοπον, τὸ παντὸς εἶναι ἀρχήν— τοῦ πράγματος καὶ μὴ τοῦ χρόνου, καὶ γενέσεως μὴ τῆς ἁπλῆς ἀλλὰ καὶ ἀλλοιώσεως, ὥσπερ οὐκ ἀθρόας γιγνομένης μεταβολῆς. ἔπειτα διὰ τί ἀκίνητον, εἰ ἕν; ὥσπερ γὰρ καὶ τὸ μέρος ἓν ὄν, τοδὶ τὸ ὕδωρ, κινεῖται ἐν ἑαυτῷ, διὰ τί οὐ καὶ τὸ πᾶν; ἔπειτα ἀλλοίωσις διὰ τί οὐκ ἂν εἴη; ἀλλὰ μὴν οὐδὲ τῷ εἴδει οἷόν τε ἓν εἶναι, πλὴν τῷ ἐξ οὗ (οὕτως δὲ ἓν καὶ τῶν φυσικῶν τινες λέγουσιν, ἐκείνως δ’ οὔ)· ἄνθρωπος γὰρ ἵππου ἕτερον τῷ εἴδει καὶ τἀναντία ἀλλήλων. καὶ πρὸς Παρμενίδην δὲ ὁ αὐτὸς τρόπος τῶν λόγων, καὶ εἴ τινες ἄλλοι εἰσὶν ἴδιοι· καὶ ἡ λύσις τῇ μὲν ὅτι ψευδὴς τῇ δὲ ὅτι οὐ συμπεραίνεται, ψευδὴς μὲν ᾗ ἁπλῶς λαμβάνει τὸ ὂν λέγεσθαι, λεγομένου πολλαχῶς, ἀσυμπέραντος δὲ ὅτι, εἰ μόνα τὰ λευκὰ ληφθείη, σημαίνοντος ἓν τοῦ λευκοῦ, οὐθὲν ἧττον πολλὰ τὰ λευκὰ καὶ οὐχ ἕν· οὔτε γὰρ τῇ συνεχείᾳ ἓν ἔσται τὸ λευκὸν οὔτε τῷ λόγῳ. ἄλλο

7–10 Ross: [καὶ γὰρ … χαλεπόν]. Vgl. Anm. zu 185 a9–12.



Buch I · Kapitel 3

11

und die Teile. b34 Hier gerieten sie schon in Schwierigkeiten und gestanden zu, dass das Ene vieles sei – als ob nicht dasselbe enes und vieles sein könnte (allerdings nicht einander Entgegengesetz­ tes), denn Einheit gibt es einerseits potentiell und andererseits im Vollendungszustand. 3.  Es zeigt sich: Wenn man die Sache so angeht, können die Dinge 186a4 nicht enes sein; und woraus sie das beweisen, ist unschwer aufzu­ lösen. a6 Denn Melissos und Parmenides arbeiten beide mit Schein­ schlüssen. a7 Sie machen unwahre Annahmen und ihre Argumente beruhen auf ungültigen Schlüssen. Das Argument von Melissos ist besonders plump und macht kein Problem: Wird eine einzige Ab­ surdität geschenkt, ergibt sich der Rest; das [d. h. seine Argumen­ tation zu entkräften] ist ein Kinderspiel. a10 Dass Melissos fehlerhaft schließt, ist klar: a11 Er glaubt näm­ lich, daraus, dass alles Gewordene einen Anfang hat, ergebe sich, dass das Ungewordene keinen Anfang hat. a13 Außerdem ist auch dies absurd: dass alles [Gewordene] einen Anfang hat – die Sache und nicht nur die Zeit und nicht nur das schlichte Werden, sondern auch die Veränderung, als gäbe es keinen plötzlichen Umschlag. a16 Außer­dem: Warum bewegungslos, wenn enes? Denn wie der Teil, z. B. dieses Wasser hier, enes ist und in sich selbst in Bewegung, warum nicht auch das All? a18 Außerdem: Warum sollte es keine Veränderung geben? a19 Überdies können die Dinge nicht der Art nach enes sein, außer hinsichtlich des Woraus – dass die Dinge in diesem Sinne enes sind, behaupten auch einige der Naturforscher, aber nicht in jenem Sinne. a21 Denn der Mensch ist der Art nach vom Pferd verschieden und die konträren Gegenteile voneinander. a22 Auch gegen Parmenides gilt dieselbe Art von Argumenten – sowie einige andere, auf ihn gemünzte. Und die Lösung ist teils, dass [die Annahme] unwahr ist, teils dass [der Schluss] ungültig ist: Unwahr insofern, als er annimmt, von »seiend« werde schlechthin gesprochen, wo davon doch auf vielfache Weise gesprochen wird. a25 Ungültig weil, wenn man nur Weißes in Betracht zieht und ›weiß‹ dabei enes anzeigt, das [somit angezeigte] Weiße nichts­ desto­weniger vieles ist und nicht enes. Denn dann ist das Weiße weder durch kontinuierlichen Zusammenhang enes noch der De­

12 A 3 · 186 a 29 – 186 b 14

30

35 186b1

5

10

γὰρ ἔσται τὸ εἶναι λευκῷ καὶ τῷ δεδεγμένῳ. καὶ οὐκ ἔσται παρὰ τὸ λευκὸν οὐθὲν χωριστόν· οὐ γὰρ ᾗ χωριστὸν ἀλλὰ τῷ εἶναι ἕτερον τὸ λευκὸν καὶ ᾧ ὑπάρχει. ἀλλὰ τοῦτο Παρμενίδης οὔπω συνεώρα. ἀνάγκη δὴ λαβεῖν μὴ μόνον ἓν σημαίνειν τὸ ὄν, καθ’ οὗ ἂν κατηγορηθῇ, ἀλλὰ καὶ ὅπερ ὂν καὶ ὅπερ ἕν. τὸ γὰρ συμβεβηκὸς καθ’ ὑποκειμένου τινὸς λέγεται, ὥστε ᾧ συμβέβηκε τὸ ὄν, οὐκ ἔσται (ἕτερον γὰρ τοῦ ὄντος)· ἔσται τι ἄρα οὐκ ὄν. οὐ δὴ ἔσται ἄλλῳ ὑπάρχον τὸ ὅπερ ὄν. οὐ γὰρ ἔσται ὄν τι αὐτὸ εἶναι, εἰ μὴ πολλὰ τὸ ὂν σημαίνει οὕτως ὥστε εἶναί τι ἕκαστον. ἀλλ’ ὑπόκειται τὸ ὂν σημαίνειν ἕν. εἰ οὖν τὸ ὅπερ ὂν μηδενὶ συμβέβηκεν ἀλλὰ 〈τὰ ἄλλα〉 ἐκείνῳ, τί μᾶλλον τὸ ὅπερ ὂν σημαίνει τὸ ὂν ἢ μὴ ὄν; εἰ γὰρ ἔσται τὸ ὅπερ ὂν [ταὐτὸ] καὶ λευκόν, τὸ λευκῷ δ’ εἶναι μὴ ἔστιν ὅπερ ὄν (οὐδὲ γὰρ συμβεβηκέναι αὐτῷ οἷόν τε τὸ ὄν· οὐδὲν γὰρ ὂν ὃ οὐχ ὅπερ ὄν), οὐκ ἄρα ὂν τὸ λευκόν· οὐχ οὕτω δὲ ὥσπερ τι μὴ ὄν, ἀλλ’ ὅλως μὴ ὄν. τὸ ἄρα ὅπερ ὂν οὐκ ὄν· ἀληθὲς γὰρ εἰπεῖν ὅτι λευκόν, τοῦτο δὲ οὐκ ὂν ἐσήμαινεν. ὥστε καὶ τὸ λευκὸν σημαίνει ὅπερ ὄν· πλείω ἄρα σημαίνει τὸ ὄν. οὐ τοίνυν οὐδὲ μέγεθος ἕξει τὸ ὄν, εἴπερ ὅπερ ὂν τὸ ὄν· ἑκατέρῳ γὰρ ἕτερον τὸ εἶναι τῶν μορίων.



Buch I · Kapitel 3

13

finition nach. Weiß zu sein bzw. dasjenige zu sein, das [diese Eigen­ schaft] angenommen hat, bleibt dann nämlich verschiedenerlei. a29 Und außer Weiß gibt es nichts Getrenntes. Denn Weiß ist nicht qua getrennt, sondern in seinem Sein ein Anderes als dasjenige, dem es eignet. Aber das hat Parmenides noch nicht eingesehen. a32 Tatsächlich müsste man [um die Schlussfolgerung, das Seiende sei enes, zu retten] annehmen, dass ›seiend‹, wovon auch immer es ausgesagt wird, nicht nur enes anzeigt, sondern vielmehr ge­ nau das, was Seiend ausmacht und [das heißt zugleich (?)] genau das, was Enes ausmacht. a34 [Unter dieser Annahme wird Seiend nicht in derselben Weise wie Weiß, d. h. als etwas, das überdies zutrifft, prädiziert.] Denn was überdies zutrifft, wird von irgend­ einem Zugrundeliegenden ausgesagt, so dass [dasjenige], auf das Seiend überdies zutrifft, nicht ist, da es etwas anderes ist als Sei­ end. Folglich gibt es dann etwas Nicht-Seiendes. b1 Was Seiend aus­ macht, ist überhaupt nichts, das auf etwas anderes zutrifft. b2 Denn dieses [andere] könnte nicht etwas sein, das etwas Bestimmtes ist, außer wenn ›seiend‹ in solcher Weise vieles anzeigt, dass jedes et­ was Bestimmtes ist. b3 Aber der Ausgangspunkt war, dass ›seiend‹ enes anzeigt. b4 Wenn somit dasjenige, was Seiend ausmacht, auf nichts überdies zutrifft, sondern das andere auf es, dann fragt sich, wieso ›was Seiend ausmacht‹ eher Seiend als Nicht-Seiend anzeigt. b6 Denn angenommen, [α] dasjenige, was Seiend ausmacht, sei auch weiß und [β] das Weißsein sei nicht genau das, was Seiend ausmacht. b7 Seiend kann dann auch nicht zusätzlich auf es [d. h. auf Weiß] zu­ treffen, denn nichts ist seiend, was nicht dasjenige ist, was Seiend ausmacht. b8 Also ist Weiß nicht seiend – nicht im Sinne von: nicht etwas Bestimmtes seiend, sondern ganz und gar nicht seiend. b10 Dasjenige, was Seiend ausmacht, ist also nicht seiend; denn [nach α] ist es eine wahre Aussage, dass dasjenige, was Seiend ausmacht, weiß ist, und dies zeigte [wegen β] Nicht-Seiend an. b11 Also [d. h. weil diese Konsequenz absurd ist und somit β nicht wahr sein kann] zeigt auch ›weiß‹ genau das an, was Seiend ausmacht. b12 Folglich zeigt ›seiend‹ mehreres an. b12 Freilich hat das Seiende dann auch keine Größe, wenn nämlich Seiend genau das ist, was Seiend ausmacht; denn für jeden der Teile ist das Sein ein anderes. b14

14 A 3 · 186 b 14 – 187 a 5

15

20

25

30

35 187a1

5

ὅτι δὲ διαιρεῖται τὸ ὅπερ ὂν εἰς ὅπερ ὄν τι ἄλλο, καὶ τῷ λόγῳ φανερόν, οἷον ὁ ἄνθρωπος εἰ ἔστιν ὅπερ ὄν τι, ἀνάγκη καὶ τὸ ζῷον ὅπερ ὄν τι εἶναι καὶ τὸ δίπουν. εἰ γὰρ μὴ ὅπερ ὄν τι, συμβεβηκότα ἔσται. ἢ οὖν τῷ ἀνθρώπῳ ἢ ἄλλῳ τινὶ ὑποκειμένῳ. ἀλλ’ ἀδύνατον· συμβεβηκός τε γὰρ λέγεται τοῦτο, ἢ ὃ ἐνδέχεται ὑπάρχειν καὶ μὴ ὑπάρχειν, ἢ οὗ ἐν τῷ λόγῳ ὑπάρχει τὸ ᾧ συμβέβηκεν [ἢ ἐν ᾧ ὁ λόγος ὑπάρχει ᾧ συμβέβηκεν] (οἷον τὸ μὲν καθῆσθαι ὡς χωριζόμενον, ἐν δὲ τῷ σιμῷ ὑπάρχει ὁ λόγος ὁ τῆς ῥινὸς ᾗ φαμὲν συμβεβηκέναι τὸ σιμόν)· ἔτι ὅσα ἐν τῷ ὁριστικῷ λόγῳ ἔνεστιν ἢ ἐξ ὧν ἐστιν, ἐν τῷ λόγῳ τῷ τούτων οὐκ ἐνυπάρχει ὁ λόγος ὁ τοῦ ὅλου, οἷον ἐν τῷ δίποδι ὁ τοῦ ἀνθρώπου ἢ ἐν τῷ λευκῷ ὁ τοῦ λευκοῦ ἀνθρώπου. εἰ τοίνυν ταῦτα τοῦτον ἔχει τὸν τρόπον καὶ τῷ ἀνθρώπῳ συμβέβηκε τὸ δίπουν, ἀνάγκη χωριστὸν εἶναι αὐτό, ὥστε ἐνδέχοιτο ἂν μὴ δίπουν εἶναι τὸν ἄνθρωπον, ἢ ἐν τῷ λόγῳ τῷ τοῦ δίποδος ἐνέσται ὁ τοῦ ἀνθρώπου λόγος. ἀλλ’ ἀδύνατον· ἐκεῖνο γὰρ ἐν τῷ ἐκείνου λόγῳ ἔνεστιν. εἰ δ’ ἄλλῳ συμβέβηκε τὸ δίπουν καὶ τὸ ζῷον, καὶ μὴ ἔστιν ἑκάτερον ὅπερ ὄν τι, καὶ ὁ ἄνθρωπος ἂν εἴη τῶν συμβεβηκότων ἑτέρῳ. ἀλλὰ τὸ ὅπερ ὂν ἔστω μηδενὶ συμβεβηκός, καὶ καθ’ οὗ ἄμφω [καὶ ἑκατέρον], καὶ τὸ ἐκ τούτων λεγέσθω· ἐξ ἀδιαιρέτων ἄρα τὸ πᾶν; ἔνιοι δ’ ἐνέδοσαν τοῖς λόγοις ἀμφοτέροις, τῷ μὲν ὅτι πάντα ἕν, εἰ τὸ ὂν ἓν σημαίνει, ὅτι ἔστι τὸ μὴ ὄν, τῷ δὲ ἐκ τῆς διχοτομίας, ἄτομα ποιήσαντες μεγέθη. φανερὸν δὲ καὶ ὅτι οὐκ ἀληθὲς ὡς, εἰ ἓν σημαίνει τὸ ὂν καὶ μὴ οἷόν τε ἅμα τὴν ἀντίφασιν, οὐκ ἔσται οὐθὲν μὴ ὄν· οὐθὲν γὰρ κωλύει, μὴ



Buch I · Kapitel 3

15

Dass dasjenige, was Seiend ausmacht, in dasjenige, was Etwasbestimmtes-anderes-Seiend ausmacht, zerfällt, zeigt sich auch an der Definition. Wenn z. B. Mensch dasjenige ist, was Etwas-Be­ stimmtes-Seiend ausmacht, dann muss auch Tier dasjenige sein, was Etwas-[anderes]-Bestimmtes-Seiend ausmacht, und ebenso Zweifüßig. b17 Denn andernfalls wären Tier und Zweifüßig etwas, das nur überdies zutrifft – auf den Menschen oder auf sonst ein Zugrundeliegendes. Aber das ist unmöglich. b18 Denn überdies zu­ treffend heißt, [a] was vorkommen und nicht vorkommen kann oder [b] in wessen Definition dasjenige vorkommt, auf das es überdies zutrifft. b21 Beispiel zu [a]: Sitzen, als abgetrennt; zu [b]: in Stup­ sig kommt die Definition der Nase vor, der wir Stupsig als über­ dies zutreffend nachsagen. b23 Ferner: Was in dem definierenden Ausdruck vorkommt oder woraus er besteht, in dessen Definition kommt die Definition des Ganzen nicht vor – z. B. in [der Defini­ tion von] Zweifüßig die [Definition] von Mensch oder in [der De­ finition von] Weiß die [Definition] von Weißer Mensch. b26 Wenn sich dies so verhält und Zweifüßig auf Mensch überdies zutrifft, dann muss es [ent­weder] abgetrennt sein, so dass der Mensch auch nicht zweifüßig sein könnte; oder in der Definition von Zweifüßig wäre die Definition von Mensch enthalten. b30 Aber [auch das ist] unmöglich; denn es [d. i. Zweifüßig] ist in der Definition von ihm [d. i. Mensch] enthalten. b31 Wenn aber Zweifüßig und Tier auf et­ was anderes überdies zutreffen und beides nicht dasjenige ist, was Etwas-­Bestimmtes-Seiend ausmacht, dann gehörte auch Mensch zu dem, was auf anderes zusätzlich zutrifft. b33 Aber dasjenige, was Seiend ausmacht, soll auf nichts zusätzlich zutreffend sein; und wo­ von beide [Zweifüßig und Tier] ausgesagt werden, davon soll auch ausgesagt werden, was aus ihnen besteht [nämlich: zweifüßiges Tier]. – b35 Besteht das All folglich aus Unteilbarem? b35 Vor beiden Argumenten haben manche kapituliert: Vor dem Ar­ gument, dass alles enes ist, wenn ›seiend‹ enes anzeigt, [mit dem Zugeständnis,] dass das Nicht-Seiende ist; vor dem Argument aus der Zweiteilung, mit der Fabrikation unteilbarer Größen. a3 Offen­ sichtlich ist es aber gar nicht wahr, dass, wenn ›seiend‹ enes an­ zeigt und der Widerspruch nicht zugleich der Fall sein kann, es gar kein Nicht-Seiendes gibt. a5 Denn nichts hindert, dass das Nicht-

16 A 4 · 187 a 6 – 187 a 33

ἁπλῶς εἶναι, ἀλλὰ μὴ ὄν τι εἶναι τὸ μὴ ὄν. τὸ δὲ δὴ φάναι, παρ’ αὐτὸ τὸ ὂν εἰ μή τι ἔσται ἄλλο, ἓν πάντα ἔσεσθαι, ἄτοπον. τίς γὰρ μανθάνει αὐτὸ τὸ ὂν εἰ μὴ τὸ ὅπερ ὄν τι εἶναι; εἰ δὲ τοῦτο, οὐδὲν ὅμως κωλύει πολλὰ εἶναι τὰ 10 ὄντα, ὥσπερ εἴρηται. ὅτι μὲν οὖν οὕτως ἓν εἶναι τὸ ὂν ἀδύνατον, δῆλον.

15

20

25

30

4. Ὡς δ’ οἱ φυσικοὶ λέγουσι, δύο τρόποι εἰσίν. οἱ μὲν γὰρ ἓν ποιήσαντες τὸ ὂν σῶμα τὸ ὑποκείμενον, ἢ τῶν τριῶν τι ἢ ἄλλο ὅ ἐστι πυρὸς μὲν πυκνότερον ἀέρος δὲ λεπτότερον, τἆλλα γεννῶσι πυκνότητι καὶ μανότητι πολλὰ ποιοῦντες (ταῦτα δ’ ἐστὶν ἐναντία, καθόλου δ’ ὑπεροχὴ καὶ ἔλλειψις, ὥσπερ τὸ μέγα φησὶ Πλάτων καὶ τὸ μικρόν, πλὴν ὅτι ὁ μὲν ταῦτα ποιεῖ ὕλην τὸ δὲ ἓν τὸ εἶδος, οἱ δὲ τὸ μὲν ἓν τὸ ὑποκείμενον ὕλην, τὰ δ’ ἐναντία διαφορὰς καὶ εἴδη)· οἱ δ’ ἐκ τοῦ ἑνὸς ἐνούσας τὰς ἐναντιότητας ἐκκρίνεσθαι, ὥσπερ Ἀναξίμανδρός φησι, καὶ ὅσοι δ’ ἓν καὶ πολλά φασιν εἶναι, ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς καὶ Ἀναξαγόρας· ἐκ τοῦ μίγματος γὰρ καὶ οὗτοι ἐκκρίνουσι τἆλλα. διαφέρουσι δὲ ἀλλήλων τῷ τὸν μὲν περίοδον ποιεῖν τούτων, τὸν δ’ ἅπαξ, καὶ τὸν μὲν ἄπειρα, τά τε ὁμοιομερῆ καὶ τἀναντία, τὸν δὲ τὰ καλούμενα στοιχεῖα μόνον. ἔοικε δὲ Ἀναξαγόρας ἄπειρα οὕτως οἰηθῆναι διὰ τὸ ὑπολαμβάνειν τὴν κοινὴν δόξαν τῶν φυσικῶν εἶναι ἀληθῆ, ὡς οὐ γιγνομένου οὐδενὸς ἐκ τοῦ μὴ ὄντος (διὰ τοῦτο γὰρ οὕτω λέγουσιν, ἦν ὁμοῦ πάντα, καὶ τὸ γίγνεσθαι τοιόνδε καθέστηκεν ἀλλοιοῦσθαι, οἱ δὲ σύγκρισιν καὶ διάκρισιν)· ἔτι δ’ ἐκ τοῦ γίγνεσθαι ἐξ ἀλλήλων τἀναντία· ἐνυπῆρχεν ἄρα· εἰ γὰρ πᾶν μὲν τὸ γιγνόμενον ἀνάγκη γίγνεσθαι ἢ ἐξ ὄντων ἢ ἐκ μὴ ὄντων, τούτων

13 Ross: [ὄν]. Vgl. Cerami 2018, 108 f. und Betegh 2019, 125–127



Buch I · Kapitel 4

17

Seiende zwar nicht schlechthin ist, aber Nicht-etwas-BestimmtesSeiendes ist. a6 Zu behaupten, wenn es nichts anderes außer dem Seienden selbst gäbe, wäre alles enes, ist abwegig. a8 Denn wer begreift das Seiende selbst, ohne [zu begreifen, was es heißt,] das­ jenige zu sein, was Etwas-Bestimmtes-Seiend ausmacht? – a9 Wenn aber dies, dann hindert die Seienden doch nichts daran, viele zu sein, wie dargelegt. (4.)  3.  […] Dass das Seiende nicht in dieser Weise enes sein kann, 187a10 ist klar. a12 4. Es gibt zwei Weisen, in denen die Naturforscher spre­ chen. a12 Die einen machen das Seiende zu enem Körper, näm­ lich was zugrunde liegt: entweder einer der drei [d. i. Feuer, Wasser, Luft] oder ein anderer, der dichter als Feuer und dünner als Luft ist; das andere erzeugen sie, indem sie durch Dichtigkeit und Locker­ heit Vieles machen. a16 Aber diese sind konträr – allgemein gesagt: Übertreffen und Zurückbleiben, wie Platon von Groß und Klein spricht, nur dass er diese [Groß und Klein] zum Material macht und das Ene zur Form, jene hingegen das Ene, Zugrundelie­ gende zum Material und die konträren Gegensätze zu Unterschie­ den und Formen. a20 Die anderen nehmen an, dass aus dem Enen die darin enthaltenen konträren Gegensätze ausgeschieden werden, wie Anaximandros sagt – aber auch diejenigen, die behaupten, es gebe Enes und Vieles, wie Empedokles und Anaxagoras; denn auch sie scheiden das Andere aus dem Gemisch aus. a23 Sie [d. i. Empe­do­k les und Anaxagoras] unterscheiden sich darin, dass der eine [E.] daraus einen Kreislauf macht, der andere [A.] aber einen ein­maligen Vorgang, und dieser [A.] unbegrenzt viele, sowohl die gleichteiligen [Stoffe] als auch die konträren Gegenteile, jener [E.] hingegen nur die sog. Elemente. a26 Anaxagoras scheint zu dem Glauben, dass in dieser Weise unbe­ grenzt Vieles sei, durch die Annahme gekommen zu sein, die ge­ meinsame Meinung der Naturforscher sei wahr, dass nichts aus dem Nicht-Seienden wird. a29 Denn deshalb sprechen sie so: Alles war zusammen; das Werden von soundso etwas besteht in einer Ände­ rung; andere: in Vereinigung und Absonderung. a31 Und außerdem [folgern sie] daraus, dass Konträres auseinander wird. Es war also schon enthalten. a32 Denn wenn alles Entstehende zwangs­läufig

18 A 4 · 187 a 34 – 187 b 28

35

187b1

5

10

15

20

25

δὲ τὸ μὲν ἐκ μὴ ὄντων γίγνεσθαι ἀδύνατον (περὶ γὰρ ταύτης ὁμογνωμονοῦσι τῆς δόξης ἅπαντες οἱ περὶ φύσεως), τὸ λοιπὸν ἤδη συμβαίνειν ἐξ ἀνάγκης ἐνόμισαν, ἐξ ὄντων μὲν καὶ ἐνυπαρχόντων γίγνεσθαι, διὰ μικρότητα δὲ τῶν ὄγκων ἐξ ἀναισθήτων ἡμῖν. διό φασι πᾶν ἐν παντὶ μεμῖχθαι, διότι πᾶν ἐκ παντὸς ἑώρων γιγνόμενον· φαίνεσθαι δὲ διαφέροντα καὶ προσαγορεύεσθαι ἕτερα ἀλλήλων ἐκ τοῦ μάλισθ’ ὑπερέχοντος διὰ πλῆθος ἐν τῇ μίξει τῶν ἀπείρων· εἰλικρινῶς μὲν γὰρ ὅλον λευκὸν ἢ μέλαν ἢ γλυκὺ ἢ σάρκα ἢ ὀστοῦν οὐκ εἶναι, ὅτου δὲ πλεῖστον ἕκαστον ἔχει, τοῦτο δοκεῖν εἶναι τὴν φύσιν τοῦ πράγματος. εἰ δὴ τὸ μὲν ἄπειρον ᾗ ἄπειρον ἄγνωστον, τὸ μὲν κατὰ πλῆθος ἢ κατὰ μέγεθος ἄπειρον ἄγνωστον πόσον τι, τὸ δὲ κατ’ εἶδος ἄπειρον ἄγνωστον ποῖόν τι. τῶν δ’ ἀρχῶν ἀπείρων οὐσῶν καὶ κατὰ πλῆθος καὶ κατ’ εἶδος, ἀδύνατον εἰδέναι τὰ ἐκ τούτων. οὕτω γὰρ εἰδέναι τὸ σύνθετον ὑπολαμβάνομεν, ὅταν εἰδῶμεν ἐκ τίνων καὶ πόσων ἐστίν. ἔτι δ’ εἰ ἀνάγκη, οὗ τὸ μόριον ἐνδέχεται ὁπηλικονοῦν εἶναι κατὰ μέγεθος καὶ μικρότητα, καὶ αὐτὸ ἐνδέχεσθαι (λέγω δὲ τῶν τοιούτων τι μορίων, εἰς ὃ ἐνυπάρχον διαιρεῖται τὸ ὅλον), εἰ δὲ ἀδύνατον ζῷον ἢ φυτὸν ὁπηλικονοῦν εἶναι κατὰ μέγεθος καὶ μικρότητα, φανερὸν ὅτι οὐδὲ τῶν μορίων ὁτιοῦν· ἔσται γὰρ καὶ τὸ ὅλον ὁμοίως. σὰρξ δὲ καὶ ὀστοῦν καὶ τὰ τοιαῦτα μόρια ζῴου, καὶ οἱ καρποὶ τῶν φυτῶν. δῆλον τοίνυν ὅτι ἀδύνατον σάρκα ἢ ὀστοῦν ἢ ἄλλο τι ὁπηλικονοῦν εἶναι τὸ μέγεθος ἢ ἐπὶ τὸ μεῖζον ἢ ἐπὶ τὸ ἔλαττον. ἔτι εἰ πάντα μὲν ἐνυπάρχει τὰ τοιαῦτα ἐν ἀλλήλοις, καὶ μὴ γίγνεται ἀλλ’ ἐκκρίνεται ἐνόντα, λέγεται δὲ ἀπὸ τοῦ πλείονος, γίγνεται δὲ ἐξ ὁτουοῦν ὁτιοῦν (οἷον ἐκ σαρκὸς ὕδωρ ἐκκρινόμενον καὶ σὰρξ ἐξ ὕδατος), ἅπαν δὲ σῶμα πεπερασμένον ἀναιρεῖται ὑπὸ σώματος πεπερασμένου, φανερὸν ὅτι οὐκ ἐνδέχεται ἐν ἑκάστῳ ἕκαστον ὑπάρχειν. ἀφαιρεθείσης γὰρ ἐκ τοῦ ὕδατος σαρκός, καὶ πάλιν ἄλλης γενομένης ἐκ τοῦ 16 Ross: εἰ δὴ. Vgl. Pellegrin 2002, 89n2 und Betegh 2019, 146n36.



Buch I · Kapitel 4

19

entweder aus Seiendem oder aus Nicht-Seiendem wird, hiervon aber das Werden aus Nicht-Seiendem unmöglich ist (in dieser An­ sicht stimmen alle Naturforscher überein), ergebe sich, meinten sie, zwangsläufig sogleich das Übriggebliebene, das Werden aus Seien­ dem und schon Enthaltenem, das aber wegen der Kleinheit der Vo­ lumina für uns nicht wahrnehmbar ist. b1 Also behaupten sie, alles sei in allem eingemischt, da sie alles aus allem werden sahen; es er­ scheine aber unterschiedlich und werde voneinander verschieden bezeichnet, je nach dem, was in der Mischung von unbegrenzt Vie­ lem am meisten durch seine Menge [den Durchschnitt] übertrifft. b4 Ein Ganzes, das rein weiß oder schwarz oder süß oder Fleisch oder Knochen wäre, gebe es nicht; sondern wovon der jeweilige Gegen­ stand am meisten hat, das gelte als seine Natur. b7 Allerdings: Das Unbegrenzte qua Unbegrenztes ist unerkennbar; daher ist das nach Anzahl oder Größe Unbegrenzte ein unerkennba­ res Wieviel, das nach seiner Art Unbegrenzte ein unerkennbares Wiebeschaffen. b10 Wenn aber die Prinzipien nach Anzahl und Art unbe­ grenzt sind, kann man nicht erkennen, was aus ihnen besteht. b11 Denn so kommen wir zu der Annahme, dass wir das Zusammengesetzte erkennen: wenn wir erkennen, aus welchen und wie vielen es ist. b13 Ferner: Wovon der Teil beliebig groß oder klein sein kann, das kann zwangsläufig auch selbst beliebig groß oder klein sein (ich spreche von solchen Teilen, in die, als zu ihm gehörend, das Ganze geteilt wird). b16 Und kein Tier oder Pflanze kann beliebig groß oder klein sein; daher offenbar auch keiner der Teile, denn dann ebenso auch das Ganze. b18 Fleisch und Knochen und dergleichen sind Teile des Tiers, und die Früchte [sind Teile] der Pflanzen. b20 Somit ist klar, [i] dass Fleisch oder Knochen oder etwas anderes in seiner Größe nicht beliebig mehr oder weniger sein kann. b21 Fer­ ner: Wenn [ii] dergleichen alles wechselseitig in allem vorhanden ist und nicht erst wird, sondern als enthalten ausgeschieden wird und [iii] es nach dem Überwiegenden benannt wird und [iv] aus Be­l iebigem Beliebiges wird, z. B. aus Fleisch Wasser ausgeschieden wird und Fleisch aus Wasser, und [v] jeder begrenzte Körper von einem begrenzten Körper ausgeschöpft wird: dann ist offenkundig, dass nicht alles in allem vorhanden sein kann. b27 [a] Wird nämlich aus dem Wasser Fleisch abgezogen und nochmals anderes [Fleisch],

20 A 4 · 187 b 29 – 188 a 18

30

35

188a1

5

10

15

λοιποῦ ἀποκρίσει, εἰ καὶ ἀεὶ ἐλάττων ἔσται ἡ ἐκκρινομένη, ἀλλ’ ὅμως οὐχ ὑπερβαλεῖ μέγεθός τι τῇ μικρότητι. ὥστ’ εἰ μὲν στήσεται ἡ ἔκκρισις, οὐχ ἅπαν ἐν παντὶ ἐνέσται (ἐν γὰρ τῷ λοιπῷ ὕδατι οὐκ ἐνυπάρξει σάρξ), εἰ δὲ μὴ στήσεται ἀλλ’ ἀεὶ ἕξει ἀφαίρεσιν, ἐν πεπερασμένῳ μεγέθει ἴσα πεπερασμένα ἐνέσται ἄπειρα τὸ πλῆθος· τοῦτο δ’ ἀδύνατον. πρὸς δὲ τούτοις, εἰ ἅπαν μὲν σῶμα ἀφαιρεθέντος τινὸς ἔλαττον ἀνάγκη γίγνεσθαι, τῆς δὲ σαρκὸς ὥρισται τὸ ποσὸν καὶ μεγέθει καὶ μικρότητι, φανερὸν ὅτι ἐκ τῆς ἐλαχίστης σαρκὸς οὐθὲν ἐκκριθήσεται σῶμα· ἔσται γὰρ ἐλάττων τῆς ἐλαχίστης. ἔτι δ’ ἐν τοῖς ἀπείροις σώμασιν ἐνυπάρχοι ἂν ἤδη σὰρξ ἄπειρος καὶ αἷμα καὶ ἐγκέφαλος, κεχωρισμένα μέντοι ἀπ’ ἀλλήλων, οὐθὲν δ’ ἧττον ὄντα, καὶ ἄπειρον ἕκαστον· τοῦτο δ’ ἄλογον. τὸ δὲ μηδέποτε διακριθήσεσθαι οὐκ εἰδότως μὲν λέγεται, ὀρθῶς δὲ λέγεται· τὰ γὰρ πάθη ἀχώριστα· εἰ οὖν μέμικται τὰ χρώματα καὶ αἱ ἕξεις, ἐὰν διακριθῶσιν, ἔσται τι λευκὸν καὶ ὑγιεινὸν οὐχ ἕτερόν τι ὂν οὐδὲ καθ’ ὑποκειμένου. ὥστε ἄτοπος τὰ ἀδύνατα ζητῶν ὁ νοῦς, εἴπερ βούλεται μὲν διακρῖναι, τοῦτο δὲ ποιῆσαι ἀδύνατον καὶ κατὰ τὸ ποσὸν καὶ κατὰ τὸ ποιόν, κατὰ μὲν τὸ ποσὸν ὅτι οὐκ ἔστιν ἐλάχιστον μέγεθος, κατὰ δὲ τὸ ποιὸν ὅτι ἀχώριστα τὰ πάθη. οὐκ ὀρθῶς δὲ οὐδὲ τὴν γένεσιν λαμβάνει τῶν ὁμοειδῶν. ἔστι μὲν γὰρ ὡς ὁ πηλὸς εἰς πηλοὺς διαιρεῖται, ἔστι δ’ ὡς οὔ. καὶ οὐχ ὁ αὐτὸς τρόπος, ὡς πλίνθοι ἐξ οἰκίας καὶ οἰκία ἐκ πλίνθων, οὕτω [δὲ] καὶ ὕδωρ καὶ ἀὴρ ἐξ ἀλλήλων καὶ εἰσὶ καὶ γίγνονται. βέλτιόν τε ἐλάττω καὶ πεπερασμένα λαβεῖν, ὅπερ ποιεῖ Ἐμπεδοκλῆς.

4 Ross: ἀπ’ ἀλλήλων 〈οὔ〉. Vgl. Betegh 2019, 146n37 und 152 sowie Wag­ ner 1979, 415.



Buch I · Kapitel 4

21

das aus dem verbliebenen [Wasser] durch Abscheidung entstanden ist: wenn dann das ausgeschiedene [Fleisch] jedes Mal weniger ist, wird es gleichwohl ein bestimmtes Minimum nicht unterschreiten. b30 Folglich ist, wenn die Ausscheidung zum Stillstand kommt, nicht alles in allem enthalten (denn in dem übrigen Wasser ist dann kein Fleisch vorhanden); [b] wenn sie aber nicht zum Stillstand kommt, sondern es immer eine Wegnahme gibt, dann ist in einer begrenz­ ten Größe eine unbegrenzte Anzahl gleichgroßer begrenzter [Grö­ ßen] enthalten, und das ist unmöglich. b34 Hinzu kommt: [c] Da bei Wegnahme von etwas jeder Körper zwangsläufig kleiner wird und das Wieviel von Fleisch nach oben und unten begrenzt ist, ist offen­ sichtlich, dass aus dem geringsten [Quantum] Fleisch kein Körper ausgeschieden wird: denn dann wäre etwas [nämlich: das restliche Fleisch] geringer als das Geringste. a2 Ferner: In den unbegrenzt vielen Körpern wäre dann bereits ­[ jeweils] unbegrenzt viel Fleisch und Blut und Hirn vorhanden, nun aber voneinander abgetrennt, gleichwohl um nichts weniger seiend, und jedes unbegrenzt. Das ist widersinnig. a5 Dass die Absonderung zu keinem Abschluss kommen wird, wird [von Anaxagoras] zwar ohne [wirkliches] Wissen, aber richtig be­ hauptet; denn die Zustände sind unabtrennbar. a7 Bestandteile des Gemischs seien die Farben und die Eigenschaften: Werden sie ab­ gesondert, dann gibt es ein Weiß und Gesund, das weder etwas anderes ist noch auf ein Zugrundeliegendes zutrifft. a9 Der [das anfängliche Gemisch durch eine Rotationsbewegung auflösende] Geist ist also verrannt und sucht das Unmögliche, wenn er denn absondern will, was doch weder hinsichtlich des Wieviel noch hin­ sichtlich des Wie-beschaffen getan werden kann: nicht hinsichtlich des Wieviel, weil es keine geringste Größe gibt, und nicht hinsicht­ lich des Wie-beschaffen, weil die Zustände unabtrennbar sind. – a13 Auch das Werden des Artgleichen fasst er nicht richtig. a14 Denn einerseits wird der Lehm in Lehmstücke zerteilt, andererseits nicht. a15 Und nicht in derselben Weise: als würden, wie Ziegelsteine aus einem Haus und ein Haus aus Ziegelsteinen wird, so auch Wasser und Luft auseinander sein und werden. a17 Es ist besser, weniger und nur endlich viele zu nehmen, wie es Empedokles macht.

22 A 5 · 188 a 19 – 188 b 10

20

25

30 30

35

188b1

5

10

5. Πάντες δὴ τἀναντία ἀρχὰς ποιοῦσιν οἵ τε λέγοντες ὅτι ἓν τὸ πᾶν καὶ μὴ κινούμενον (καὶ γὰρ Παρμενίδης θερμὸν καὶ ψυχρὸν ἀρχὰς ποιεῖ, ταῦτα δὲ προσαγορεύει πῦρ καὶ γῆν) καὶ οἱ μανὸν καὶ πυκνόν, καὶ Δημόκριτος τὸ πλῆρες καὶ κενόν, ὧν τὸ μὲν ὡς ὂν τὸ δὲ ὡς οὐκ ὂν εἶναί φησιν· ἔτι θέσει, σχήματι, τάξει. ταῦτα δὲ γένη ἐναντίων· θέσεως ἄνω κάτω, πρόσθεν ὄπισθεν, σχήματος γεγωνιωμένον ἀγώνιον, εὐθὺ περιφερές. ὅτι μὲν οὖν τἀναντία πως πάντες ποιοῦσι τὰς ἀρχάς, δῆλον. καὶ τοῦτο εὐλόγως· δεῖ γὰρ τὰς ἀρχὰς μήτε ἐξ ἀλλήλων εἶναι μήτε ἐξ ἄλλων, καὶ ἐκ τούτων πάντα· τοῖς δὲ ἐναντίοις τοῖς πρώτοις ὑπάρχει ταῦτα, διὰ μὲν τὸ πρῶτα εἶναι μὴ ἐξ ἄλλων, διὰ δὲ τὸ ἐναντία μὴ ἐξ ἀλλήλων. ἀλλὰ δεῖ τοῦτο καὶ ἐπὶ τοῦ λόγου σκέψασθαι πῶς συμβαίνει. ληπτέον δὴ πρῶτον ὅτι πάντων τῶν ὄντων οὐθὲν οὔτε ποιεῖν πέφυκεν οὔτε πάσχειν τὸ τυχὸν ὑπὸ τοῦ τυχόντος, οὐδὲ γίγνεται ὁτιοῦν ἐξ ὁτουοῦν, ἂν μή τις λαμβάνῃ κατὰ συμβεβηκός· πῶς γὰρ ἂν γένοιτο λευκὸν ἐκ μουσικοῦ, πλὴν εἰ μὴ συμβεβηκὸς εἴη τῷ μὴ λευκῷ ἢ τῷ μέλανι τὸ μουσικόν; ἀλλὰ λευκὸν μὲν γίγνεται ἐξ οὐ λευκοῦ, καὶ τούτου οὐκ ἐκ παντὸς ἀλλ’ ἐκ μέλανος ἢ τῶν μεταξύ, καὶ μουσικὸν οὐκ ἐκ μουσικοῦ, πλὴν οὐκ ἐκ παντὸς ἀλλ’ ἐξ ἀμούσου ἢ εἴ τι αὐτῶν ἐστι μεταξύ. οὐδὲ δὴ φθείρεται εἰς τὸ τυχὸν πρῶτον, οἷον τὸ λευκὸν οὐκ εἰς τὸ μουσικόν, πλὴν εἰ μή ποτε κατὰ συμβεβηκός, ἀλλ’ εἰς τὸ μὴ λευκόν, καὶ οὐκ εἰς τὸ τυχὸν ἀλλ’ εἰς τὸ μέλαν ἢ τὸ μεταξύ· ὡς δ’ αὔτως καὶ τὸ μουσικὸν εἰς τὸ μὴ μουσικόν, καὶ τοῦτο οὐκ εἰς τὸ τυχὸν ἀλλ’ εἰς τὸ ἄμουσον ἢ εἴ τι αὐτῶν ἐστι μεταξύ. ὁμοίως δὲ τοῦτο καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων, ἐπεὶ καὶ τὰ μὴ ἁπλᾶ τῶν ὄντων ἀλλὰ σύνθετα κατὰ τὸν αὐτὸν ἔχει λόγον· ἀλλὰ διὰ τὸ μὴ τὰς



Buch I · Kapitel 5

23

5.  Alle machen Konträres zu Prinzipien: diejenigen, die sagen, das 188a19 All sei enes und nicht in Bewegung (denn auch Parmenides macht Warm und Kalt zu Prinzipien, bezeichnet sie aber als Feuer und Erde); und die Dicht und Locker angeben; und Demokrit Voll und Leer, von denen er behauptet, das eine sei wie seiend, das andere wie nicht seiend; ferner durch Lage, Gestalt und Anordnung un­ terschieden. a24 Denn [auch] dies sind Gattungen von Konträrem: zur Lage gehören Oben und Unten, Vorn und Hinten; zur Gestalt Winklig und Winkellos, Gerade und Kurvig. a26 Dass irgendwie alle die Prinzipien zu Konträrem machen, ist somit klar. a27 Und das vernünftigerweise; denn es ist nötig, dass die Prinzipien weder aus einander noch aus anderem sind und dass ­a lles aus ihnen ist. a28 Auf die primären konträren Gegen­ teile trifft das zu: Weil sie primär sind, sind sie nicht aus ande­ rem; weil sie konträr sind, sind sie nicht aus einander. a30 Aber es ist nötig, auch zu untersuchen, wie dies argumentativ zustande kommt. a31 Dabei ist zuerst [als Grundsatz] anzunehmen, dass von allen Dingen keines eine solche Natur hat, dass es bewirkt oder dass ihm widerfährt, was sich halt ergibt, und ebenso wenig durch irgend­ etwas, das sich halt ergibt, und dass nicht Beliebiges aus Beliebi­ gem wird, außer man fasst es anhand zusätzlicher Umstände. a35 Denn wie könnte Weiß aus Musisch werden, außer wenn Musisch zusätzlich an Nicht-Weiß oder Schwarz aufträte. a36 Aber Weiß wird aus Nicht-Weiß, und davon nicht aus allem, sondern aus Schwarz, und was dazwischenliegt; und Musisch aus Nicht-Mu­ sisch, aber nicht aus allem, sondern aus Amusisch, oder wenn et­ was davon dazwischen ist. b3 Und nichts vergeht zuerst in irgend­ etwas, das sich halt ergibt, z. B. Weiß nicht in Musisch, außer etwa aufgrund zusätzlicher Umstände, sondern in Nicht-Weiß – und nicht in irgendeines, das sich halt ergibt, sondern in Schwarz oder etwas dazwischen. Ebenso auch Musisch in Nicht-Musisch und nicht in irgendeines solches, das sich halt ergibt, sondern in Amu­ sisch oder etwas dazwischen, wenn es das gibt. b8 Dies gilt auf glei­ che Weise auch in den anderen Fällen; denn auch die Dinge, die nicht einfach, sondern zusammengesetzt sind, entsprechen der­ selben Regel. b10 Aber dadurch, dass die entgegengesetzten Zu­

24 A 5 · 188 b 11 – 189 a 7

15

20

25

30

35

189a1

5

ἀντικειμένας διαθέσεις ὠνομάσθαι λανθάνει τοῦτο συμβαῖνον. ἀνάγκη γὰρ πᾶν τὸ ἡρμοσμένον ἐξ ἀναρμόστου γίγνεσθαι καὶ τὸ ἀνάρμοστον ἐξ ἡρμοσμένου, καὶ φθείρεσθαι τὸ ἡρμοσμένον εἰς ἀναρμοστίαν, καὶ ταύτην οὐ τὴν τυχοῦσαν ἀλλὰ τὴν ἀντικειμένην. διαφέρει δ’ οὐθὲν ἐπὶ ἁρμονίας εἰπεῖν ἢ τάξεως ἢ συνθέσεως· φανερὸν γὰρ ὅτι ὁ αὐτὸς λόγος. ἀλλὰ μὴν καὶ οἰκία καὶ ἀνδριὰς καὶ ὁτιοῦν ἄλλο γίγνεται ὁμοίως· ἥ τε γὰρ οἰκία γίγνεται ἐκ τοῦ μὴ συγκεῖσθαι ἀλλὰ διῃρῆσθαι ταδὶ ὡδί, καὶ ὁ ἀνδριὰς καὶ τῶν ἐσχηματισμένων τι ἐξ ἀσχημοσύνης· καὶ ἕκαστον τούτων τὰ μὲν τάξις, τὰ δὲ σύνθεσίς τίς ἐστιν. εἰ τοίνυν τοῦτ’ ἔστιν ἀληθές, ἅπαν ἂν γίγνοιτο τὸ γιγνόμενον καὶ φθείροιτο τὸ φθειρόμενον ἢ ἐξ ἐναντίων ἢ εἰς ἐναντία καὶ τὰ τούτων μεταξύ. τὰ δὲ μεταξὺ ἐκ τῶν ἐναντίων ἐστίν, οἷον χρώματα ἐκ λευκοῦ καὶ μέλανος· ὥστε πάντ’ ἂν εἴη τὰ φύσει γιγνόμενα ἢ ἐναντία ἢ ἐξ ἐναντίων. μέχρι μὲν οὖν ἐπὶ τοσοῦτον σχεδὸν συνηκολουθήκασι καὶ τῶν ἄλλων οἱ πλεῖστοι, καθάπερ εἴπομεν πρότερον· πάντες γὰρ τὰ στοιχεῖα καὶ τὰς ὑπ’ αὐτῶν καλουμένας ἀρχάς, καίπερ ἄνευ λόγου τιθέντες, ὅμως τἀναντία λέγουσιν, ὥσπερ ὑπ’ αὐτῆς τῆς ἀληθείας ἀναγκασθέντες. διαφέρουσι δ’ ἀλλήλων τῷ τοὺς μὲν πρότερα τοὺς δ’ ὕστερα λαμβάνειν, καὶ τοὺς μὲν γνωριμώτερα κατὰ τὸν λόγον τοὺς δὲ κατὰ τὴν αἴσθησιν (οἱ μὲν γὰρ θερμὸν καὶ ψυχρόν, οἱ δ’ ὑγρὸν καὶ ξηρόν, ἕτεροι δὲ περιττὸν καὶ ἄρτιον ἢ νεῖκος καὶ φιλίαν αἰτίας τίθενται τῆς γενέσεως· ταῦτα δ’ ἀλλήλων διαφέρει κατὰ τὸν εἰρημένον τρόπον), ὥστε ταὐτὰ λέγειν πως καὶ ἕτερα ἀλλήλων, ἕτερα μὲν ὥσπερ καὶ δοκεῖ τοῖς πλείστοις, ταὐτὰ δὲ ᾗ ἀνάλογον· λαμβάνουσι γὰρ ἐκ τῆς αὐτῆς συστοιχίας· τὰ μὲν γὰρ περιέχει, τὰ δὲ περιέχεται τῶν ἐναντίων. ταύτῃ τε δὴ ὡσαύτως λέγουσι καὶ ἑτέρως, καὶ χεῖρον καὶ βέλτιον, καὶ οἱ μὲν γνωριμώτερα κατὰ τὸν λόγον, ὥσπερ εἴρηται πρότερον, οἱ δὲ κατὰ τὴν αἴσθησιν (τὸ μὲν γὰρ καθόλου κατὰ τὸν λόγον γνώριμον, τὸ δὲ καθ’ ἕκαστον κατὰ τὴν αἴσθησιν· ὁ μὲν γὰρ λόγος τοῦ καθόλου, ἡ δ’ αἴσθησις τοῦ κατὰ



Buch I · Kapitel 5

25

stände unbenannt sind, bleibt das verborgen. b11 Alles Gefügte muss aus Ungefügtem werden und das Ungefügte aus Gefügtem und das Gefügte in Ungefügtheit vergehen und nicht in irgend­ eine solche, die sich halt ergibt, sondern die entgegengesetzte. b15 Dabei macht es keinen Unterschied, ob von Gefügtheit oder von Anordnung oder von Zusammensetzung die Rede ist: Die Regel ist offenbar dieselbe. b16 Aber auch Haus und Statue und alles andere wird auf gleiche Weise; denn das Haus wird aus dem Nicht-zusam­ mengesetzt-sondern-von-einander-getrennt-Sein und die Statue und irgendetwas Geformtes aus der Ungeformtheit. b20 Und dies ist jeweils teils eine bestimmte Anordnung, teils eine bestimmte Zusammensetzung. b21 Wenn dies nun wahr ist, dann wird alles Werdende, und vergeht [alles] Vergehende, aus Konträrem bzw. in Konträres und etwas dazwischen. b23 Was zwischen Konträrem ist, ist aber aus ihm, z. B. Farben aus Weiß und Schwarz. b25 Also ist wohl alles durch Natur Werdende entweder Konträres oder aus Konträrem. b26 Etwa so weit gehen auch die meisten anderen mit, wie schon ge­ sagt. b27 Denn sie alle geben als die Elemente, und was sie Prinzi­ pien nennen, zwar durch argumentlose Setzung, gleichwohl Kon­ träres an – als wären sie durch die Wahrheit selbst gezwungen. b30 Sie unter­scheiden sich aber voneinander darin, dass die einen Vor-, die anderen Nachgeordnetes annehmen, d. h. die einen Kenntli­ cheres aufgrund der Erklärung, die anderen aufgrund der Wahr­ nehmung. b33 Die einen setzen Warm und Kalt, die anderen Feucht und Trocken, wieder andere Ungerade und Gerade oder Streit und Liebe als Ursachen des Werdens: das unterscheidet sich voneinan­ der in der angegebenen Weise. b36 So dass sie in gewisser Weise dasselbe und voneinander Verschiedenes sagen: Verschiedenes, wie es ja auch den meisten erscheint, dasselbe aber insofern, als eine Entsprechung besteht. a1 Denn sie nehmen aus derselben Tabelle. Kon­träres ist teils umfassend, teils umfasst: so sprechen sie sowohl in d ­ erselben als auch in verschiedener Weise, und schlechter und besser. a4 Und die einen [nennen], wie schon gesagt, Kenntliche­ res aufgrund der Erklärung, die anderen aufgrund der Wahrneh­ mung (denn das Allgemeine ist aufgrund der Erklärung kenntlich, das Einzelne aufgrund der Wahrnehmung, denn die Erklärung ist

26 A 6 · 189 a 8 – 189 a 34

μέρος), οἷον τὸ μὲν μέγα καὶ τὸ μικρὸν κατὰ τὸν λόγον, τὸ δὲ μανὸν καὶ τὸ πυκνὸν κατὰ τὴν αἴσθησιν. ὅτι μὲν οὖν ἐναν10 τίας δεῖ τὰς ἀρχὰς εἶναι, φανερόν.

15

20 20

25

30

6. Ἐχόμενον δ’ ἂν εἴη λέγειν πότερον δύο ἢ τρεῖς ἢ πλείους εἰσίν. μίαν μὲν γὰρ οὐχ οἷόν τε, ὅτι οὐχ ἓν τὰ ἐναντία, ἀπείρους δ’, ὅτι οὐκ ἐπιστητὸν τὸ ὂν ἔσται, μία τε ἐναντίωσις ἐν παντὶ γένει ἑνί, ἡ δ’ οὐσία ἕν τι γένος, καὶ ὅτι ἐνδέχεται ἐκ πεπερασμένων, βέλτιον δ’ ἐκ πεπερασμένων, ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς, ἢ ἐξ ἀπείρων· πάντα γὰρ ἀποδιδόναι οἴεται ὅσαπερ Ἀναξαγόρας ἐκ τῶν ἀπείρων. ἔτι δὲ ἔστιν ἄλλα ἄλλων πρότερα ἐναντία, καὶ γίγνεται ἕτερα ἐξ ἄλλων, οἷον γλυκὺ καὶ πικρὸν καὶ λευκὸν καὶ μέλαν, τὰς δὲ ἀρχὰς ἀεὶ δεῖ μένειν. ὅτι μὲν οὖν οὔτε μία οὔτε ἄπειροι, δῆλον ἐκ τούτων· ἐπεὶ δὲ πεπερασμέναι, τὸ μὴ ποιεῖν δύο μόνον ἔχει τινὰ λόγον· ἀπορήσειε γὰρ ἄν τις πῶς ἢ ἡ πυκνότης τὴν μανότητα ποιεῖν τι πέφυκεν ἢ αὕτη τὴν πυκνότητα. ὁμοίως δὲ καὶ ἄλλη ὁποιαοῦν ἐναντιότης· οὐ γὰρ ἡ φιλία τὸ νεῖκος συνάγει καὶ ποιεῖ τι ἐξ αὐτοῦ, οὐδὲ τὸ νεῖκος ἐξ ἐκείνης, ἀλλ’ ἄμφω ἕτερόν τι τρίτον. ἔνιοι δὲ καὶ πλείω λαμβάνουσιν ἐξ ὧν κατασκευάζουσι τὴν τῶν ὄντων φύσιν. πρὸς δὲ τούτοις ἔτι κἂν τόδε τις ἀπορήσειεν, εἰ μή τις ἑτέραν ὑποθήσει τοῖς ἐναντίοις φύσιν· οὐθενὸς γὰρ ὁρῶμεν τῶν ὄντων οὐσίαν τἀναντία, τὴν δ’ ἀρχὴν οὐ καθ’ ὑποκειμένου δεῖ λέγεσθαί τινος. ἔσται γὰρ ἀρχὴ τῆς ἀρχῆς· τὸ γὰρ ὑποκείμενον ἀρχή, καὶ πρότερον δοκεῖ τοῦ κατηγορουμένου εἶναι. ἔτι οὐκ εἶναί φαμεν οὐσίαν ἐναντίαν οὐσίᾳ· πῶς οὖν ἐκ μὴ οὐσιῶν οὐσία ἂν εἴη; ἢ πῶς ἂν πρότερον μὴ οὐσία οὐσίας εἴη; διόπερ εἴ τις τόν τε

18 Ross: ἀλλήλων (v. l.). Vgl. Anm. zu 189a12–20.



Buch I · Kapitel 6

27

vom Allgemeinen, die Wahrnehmung vom Einzelnen), z. B. Groß und Klein aufgrund der Erklärung, Locker und Dicht aufgrund der Wahrnehmung. (6.)  5. […] Dass die Prinzipien konträr sein müssen, ist somit offen­ 189a9 kundig. a11 6. Anschließend ist wohl anzugeben, ob [die Prinzipien] zwei oder drei oder mehr sind. a12 Enes geht nicht, weil Konträres nicht enes ist; unbegrenzt viele nicht, [i] weil dann das Seiende nicht wissenschaftlich erkennbar wäre, [ii] weil in ener Gattung stets en konträrer Gegensatz ist und die Substanz ene bestimmte Gattung ist und [iii] weil [eine Erklärung] aus begrenzt vielen mög­ lich ist – und besser aus begrenzt vielen, wie bei Empedokles, als aus unbegrenzt vielen; denn er glaubt, alles erklären zu können, was Anaxagoras aus unbegrenzt vielen erklärt. a17 [iv] Ferner sind manche konträren Gegensätze anderen vorgeordnet; und manche gehen aus anderen hervor, z. B. Süß und Bitter sowie Weiß und Schwarz, aber Prinzipien müssen stets bleiben. a20 Dass [die Prinzipien] weder enes noch unbegrenzt viele sind, ist hieraus klar. a21 Sie sind begrenzt viele, und dabei gibt es Gründe, nicht nur zwei anzunehmen. a21 [i] Denn man kann die Frage auf­ werfen, wieso entweder die Dichtigkeit eine solche Natur hat, dass sie die Lockerheit zu etwas Bestimmtem macht, oder diese die Dichtigkeit. a23 Und ebenso jeder beliebige andere konträre Ge­ gensatz: Die Liebe versammelt nicht den Streit und macht etwas Bestimmtes aus ihm, noch der Streit aus ihr, sondern beide ein Drittes, von ihnen Verschiedenes. a26 Andere nehmen auch meh­ rere, aus denen sie die Natur der Dinge fabrizieren. a27 [ii] Über­ dies kann man auch folgende Frage aufwerfen: ob man nicht den konträren Gegenteilen eine andere Natur zugrunde legen soll. a29 Denn bei keinem Ding sehen wir, dass konträre Gegenteile seine Substanz sind; und das Prinzip darf nicht von einem Zugrunde­ liegenden ausgesagt werden. a30 Denn sonst gäbe es ein Prinzip des Prinzips; denn das Zugrundeliegende ist Prinzip und scheint dem von ihm Ausgesagten vorgeordnet zu sein. a32 Auch behaupten wir, eine Substanz sei keiner Substanz konträr. a33 Und wie sollte eine Substanz aus Nicht-Substanzen sein? Oder wie sollte eine NichtSubstanz einer Substanz vorgeordnet sein? a34

28 A 6 · 189 a 35 – 189 b 27 35 189b1

5

10

15

20

25

πρότερον ἀληθῆ νομίσειεν εἶναι λόγον καὶ τοῦτον, ἀναγκαῖον, εἰ μέλλει διασώσειν ἀμφοτέρους αὐτούς, ὑποτιθέναι τι τρίτον, ὥσπερ φασὶν οἱ μίαν τινὰ φύσιν εἶναι λέγοντες τὸ πᾶν, οἷον ὕδωρ ἢ πῦρ ἢ τὸ μεταξὺ τούτων. δοκεῖ δὲ τὸ μεταξὺ μᾶλλον· πῦρ γὰρ ἤδη καὶ γῆ καὶ ἀὴρ καὶ ὕδωρ μετ’ ἐναντιοτήτων συμπεπλεγμένα ἐστίν. διὸ καὶ οὐκ ἀλόγως ποιοῦσιν οἱ τὸ ὑποκείμενον ἕτερον τούτων ποιοῦντες, τῶν δ’ ἄλλων οἱ ἀέρα· καὶ γὰρ ὁ ἀὴρ ἥκιστα ἔχει τῶν ἄλλων διαφορὰς αἰσθητάς· ἐχόμενον δὲ τὸ ὕδωρ. ἀλλὰ πάντες γε τὸ ἓν τοῦτο τοῖς ἐναντίοις σχηματίζουσιν, πυκνότητι καὶ μανότητι καὶ τῷ μᾶλλον καὶ ἧττον. ταῦτα δ’ ἐστὶν ὅλως ὑπεροχὴ δηλονότι καὶ ἔλλειψις, ὥσπερ εἴρηται πρότερον. καὶ ἔοικε παλαιὰ εἶναι καὶ αὕτη ἡ δόξα, ὅτι τὸ ἓν καὶ ὑπεροχὴ καὶ ἔλλειψις ἀρχαὶ τῶν ὄντων εἰσί, πλὴν οὐ τὸν αὐτὸν τρόπον, ἀλλ’ οἱ μὲν ἀρχαῖοι τὰ δύο μὲν ποιεῖν τὸ δὲ ἓν πάσχειν, τῶν δ’ ὑστέρων τινὲς τοὐναντίον τὸ μὲν ἓν ποιεῖν τὰ δὲ δύο πάσχειν φασὶ μᾶλλον. τὸ μὲν οὖν τρία φάσκειν τὰ στοιχεῖα εἶναι ἔκ τε τούτων καὶ ἐκ τοιούτων ἄλλων ἐπισκοποῦσι δόξειεν ἂν ἔχειν τινὰ λόγον, ὥσπερ εἴπομεν, τὸ δὲ πλείω τριῶν οὐκέτι· πρὸς μὲν γὰρ τὸ πάσχειν ἱκανὸν τὸ ἕν, εἰ δὲ τεττάρων ὄντων δύο ἔσονται ἐναντιώσεις, δεήσει χωρὶς ἑκατέρᾳ ὑπάρχειν ἑτέραν τινὰ μεταξὺ φύσιν· εἰ δ’ ἐξ ἀλλήλων δύνανται γεννᾶν δύο οὖσαι, περίεργος ἂν ἡ ἑτέρα τῶν ἐναντιώσεων εἴη. ἅμα δὲ καὶ ἀδύνατον πλείους εἶναι ἐναντιώσεις τὰς πρώτας. ἡ γὰρ οὐσία ἕν τι γένος ἐστὶ τοῦ ὄντος, ὥστε τῷ πρότερον καὶ ὕστερον διοίσουσιν ἀλλήλων αἱ ἀρχαὶ μόνον, ἀλλ’ οὐ τῷ γένει· ἀεὶ γὰρ ἐν ἑνὶ γένει μία ἐναντίωσις ἔστιν, πᾶσαί τε αἱ ἐναντιώσεις ἀνάγεσθαι δοκοῦσιν εἰς μίαν.



Buch I · Kapitel 6

29

Wenn man das vorherige und dieses Argument für zutreffend hält, muss man deshalb, um sie beide zu bewahren, etwas Drittes zugrunde legen, gemäß der Behauptung derer, die sagen, das All sei ene Natur, z. B. Wasser oder Feuer oder was zwischen diesen ist. b3 Wie es scheint, eher was dazwischen ist; denn Feuer, Erde, Luft und Wasser sind schon in konträre Entgegensetzungen ver­ wickelt. b5 Deshalb verfährt nicht unvernünftig, wer etwas von die­ sen Verschiedenes zum Zugrundeliegenden macht – oder sonst die Luft; denn im Vergleich mit den anderen Elementen ist die Luft am wenigsten durch in der Wahrnehmung unterscheidbare Merkmale charakterisiert; und als nächstes das Wasser. b8 Aber alle strukturieren dieses Ene durch konträre Gegensätze: durch Dichtigkeit und Lockerheit und Mehr und Minder. b10 Insgesamt ist dies klarer­weise Übertreffen und Zurückbleiben, wie zuvor ge­ sagt. b11 Und eben diese Meinung, dass das Ene sowie Übertreffen und Zurückbleiben die Prinzipien der Dinge sind, scheint alt zu sein – freilich nicht in derselben Weise. b13 Sondern die Alten las­ sen die beiden Wirkung ausüben und das Ene unter Einwirkung stehen; von den Späteren behaupten einige, dass vielmehr umge­ kehrt das Ene Wirkung ausübt und die beiden unter Einwirkung stehen. b16 Bei näherer Betrachtung kann man aus diesem und dergleichen die Meinung gewinnen, es gebe Gründe für die Behauptung, die Elemente seien, wie wir gesagt haben, drei; aber nicht mehr für die Behauptung, sie seien mehr als drei. b18 Denn um unter einer Einwirkung zu stehen, genügt das Ene. b19 Und wenn bei vier Ele­ menten zwei konträre Gegensätze existieren, müsste es unabhän­ gig voneinander für jeden eine andere Natur dazwischen geben. b21 Wenn sie aber wechselseitig auseinander erzeugen könnten, dann wäre einer der beiden konträren Gegensätze überflüssig. b22 Zu­ gleich ist es auch unmöglich, dass die ersten konträren Gegensätze mehrere sind. b23 Denn die Substanz ist ene bestimmte Gattung des Seienden; demgemäß unterscheiden sich die Prinzipien von­ein­ an­der nur durch ihr Vor- und Nachgeordnetsein, aber nicht in der Gattung. b25 Denn in ener Gattung ist stets en [primärer] kon­ trärer Gegensatz, und alle konträren Gegensätze scheinen sich auf enen zurückführen zu lassen.

30 A 7 · 189 b 27 – 190 a 20

ὅτι μὲν οὖν οὔτε ἓν τὸ στοιχεῖον οὔτε πλείω δυοῖν ἢ τριῶν, φανερόν· τούτων δὲ πότερον, καθάπερ εἴπομεν, ἀπορίαν ἔχει πολλήν. 30

35 190 a1

5

10

15

20

7. Ὧδ’ οὖν ἡμεῖς λέγωμεν πρῶτον περὶ πάσης γενέσεως ἐπελθόντες· ἔστι γὰρ κατὰ φύσιν τὰ κοινὰ πρῶτον εἰπόντας οὕτω τὰ περὶ ἕκαστον ἴδια θεωρεῖν. φαμὲν γὰρ γίγνεσθαι ἐξ ἄλλου ἄλλο καὶ ἐξ ἑτέρου ἕτερον ἢ τὰ ἁπλᾶ λέγοντες ἢ τὰ συγκείμενα. λέγω δὲ τοῦτο ὡδί. ἔστι γὰρ γίγνεσθαι ἄνθρωπον μουσικόν, ἔστι δὲ τὸ μὴ μουσικὸν γίγνεσθαι μουσικὸν ἢ τὸν μὴ μουσικὸν ἄνθρωπον ἄνθρωπον μουσικόν. ἁπλοῦν μὲν οὖν λέγω τὸ γιγνόμενον τὸν ἄνθρωπον καὶ τὸ μὴ μουσικόν, καὶ ὃ γίγνεται ἁπλοῦν, τὸ μουσικόν· συγκείμενον δὲ καὶ ὃ γίγνεται καὶ τὸ γιγνόμενον, ὅταν τὸν μὴ μουσικὸν ἄνθρωπον φῶμεν γίγνεσθαι μουσικὸν ἄνθρωπον. τούτων δὲ τὸ μὲν οὐ μόνον λέγεται τόδε γίγνεσθαι ἀλλὰ καὶ ἐκ τοῦδε, οἷον ἐκ μὴ μουσικοῦ μουσικός, τὸ δ’ οὐ λέγεται ἐπὶ πάντων· οὐ γὰρ ἐξ ἀνθρώπου ἐγένετο μουσικός, ἀλλ’ ἅνθρωπος ἐγένετο μουσικός. τῶν δὲ γιγνομένων ὡς τὰ ἁπλᾶ λέγομεν γίγνεσθαι, τὸ μὲν ὑπομένον γίγνεται τὸ δ’ οὐχ ὑπομένον· ὁ μὲν γὰρ ἄνθρωπος ὑπομένει μουσικὸς γιγνόμενος ἄνθρωπος καὶ ἔστι, τὸ δὲ μὴ μουσικὸν καὶ τὸ ἄμουσον οὔτε ἁπλῶς οὔτε συντεθειμένον ὑπομένει. διωρισμένων δὲ τούτων, ἐξ ἁπάντων τῶν γιγνομένων τοῦτο ἔστι λαβεῖν, ἐάν τις ἐπιβλέψῃ ὥσπερ λέγομεν, ὅτι δεῖ τι ἀεὶ ὑποκεῖσθαι τὸ γιγνόμενον, καὶ τοῦτο εἰ καὶ ἀριθμῷ ἐστιν ἕν, ἀλλ’ εἴδει γε οὐχ ἕν· τὸ γὰρ εἴδει λέγω καὶ λόγῳ ταὐτόν· οὐ γὰρ ταὐτὸν τὸ ἀνθρώπῳ καὶ τὸ ἀμούσῳ εἶναι. καὶ τὸ μὲν ὑπομένει, τὸ δ’ οὐχ ὑπομένει· τὸ μὲν μὴ ἀντικείμενον ὑπομένει (ὁ γὰρ ἄνθρωπος ὑπομένει), τὸ μὴ μουσικὸν δὲ καὶ τὸ ἄμουσον οὐχ ὑπομένει, οὐδὲ τὸ ἐξ ἀμφοῖν συγκείμενον, οἷον



Buch I · Kapitel 7

31

(7.)  6. […] Dass es weder nur en Element noch mehr als zwei oder 189b27 drei gibt, hat sich gezeigt. Ob aber zwei oder drei, ist, wie gesagt, eine sehr schwierige Frage. b30 7. In unserer folgenden Stellung­ nahme werden wir zunächst jegliches Werden angehen; denn es ist naturgemäß, zunächst das Gemeinsame anzugeben und dann die jeweiligen Eigenheiten zu betrachten. b32 Wir sagen nämlich, dass eines aus anderem wird und dieses aus jenem, und wir sprechen dabei entweder von Einfachem oder von Zusammengesetztem. b34 Ich meine das so: Es kommt vor, [1] dass ein Mensch musisch wird oder [2] dass das Nicht-Musische musisch wird oder [3] dass der nicht musische Mensch ein musischer Mensch wird. a1 Einfach nenne ich das Werdende [d. h. woran das Werden geschieht] im Falle des Menschen und des Nicht-Musischen; und was es wird [d. h. was dabei zustande kommt], nenne ich einfach im Falle des Musischen. a3 Zusammengesetzt nenne ich das Werdende und was es wird in dem Fall, dass wir sagen, der nicht musische Mensch werde ein musischer Mensch. a5 In einigen dieser Fälle sagt man nicht nur: dieses wird …, sondern auch: aus diesem …; z. B. aus einem Nicht-Musischen ein Musischer. a7 Aber so spricht man nicht bei allem; denn es ist nicht aus einem Menschen ein Musischer geworden, sondern ein Mensch wurde musisch. a8 In den Fällen, wo wir sagen, dass Einfaches … wird, bleibt das Werdende beim Werden teils bestehen, teils bleibt es nicht bestehen. a10 Denn der Mensch bleibt und ist Mensch, während er musisch wird; das NichtMusische und [das heißt] das Amusische hingegen bleiben weder als Einfaches noch in einer Zusammensetzung bestehen. a13 Nachdem dies umrissen ist, lässt sich allem Werden Folgendes entnehmen, wenn man es so betrachtet, wie wir ausgeführt haben: Immer muss etwas als das Werdende zugrunde liegen. a15 Dieses ist zwar der Zahl nach enes, aber der Art nach ist es nicht enes; dabei meine ich mit ›der Art nach‹ dasselbe wie mit ›der Definition nach‹; denn Mensch zu sein ist nicht dasselbe wie amusisch zu sein. a17 Und das eine bleibt bestehen, das andere bleibt nicht bestehen: Das nicht Gegenüberliegende bleibt bestehen, denn der Mensch bleibt bestehen; aber das Nicht-Musische und [das heißt] das Amusische

32 A 7 · 190 a 21 – 190 b 12

25

30

35 190 b1

5

10

ὁ ἄμουσος ἄνθρωπος. τὸ δ’ ἔκ τινος γίγνεσθαί τι, καὶ μὴ τόδε γίγνεσθαί τι, μᾶλλον μὲν λέγεται ἐπὶ τῶν μὴ ὑπομενόντων, οἷον ἐξ ἀμούσου μουσικὸν γίγνεσθαι, ἐξ ἀνθρώπου δὲ οὔ· οὐ μὴν ἀλλὰ καὶ ἐπὶ τῶν ὑπομενόντων ἐνίοτε λέγεται ὡσαύτως· ἐκ γὰρ χαλκοῦ ἀνδριάντα γίγνεσθαί φαμεν, οὐ τὸν χαλκὸν ἀνδριάντα. τὸ μέντοι ἐκ τοῦ ἀντικειμένου καὶ μὴ ὑπομένοντος ἀμφοτέρως λέγεται, καὶ ἐκ τοῦδε τόδε καὶ τόδε τόδε· καὶ γὰρ ἐξ ἀμούσου καὶ ὁ ἄμουσος γίγνεται μουσικός. διὸ καὶ ἐπὶ τοῦ συγκειμένου ὡσαύτως· καὶ γὰρ ἐξ ἀμούσου ἀνθρώπου καὶ ὁ ἄμουσος ἄνθρωπος γίγνεσθαι λέγεται μουσικός. πολλαχῶς δὲ λεγομένου τοῦ γίγνεσθαι, καὶ τῶν μὲν οὐ γίγνεσθαι ἀλλὰ τόδε τι γίγνεσθαι, ἁπλῶς δὲ γίγνεσθαι τῶν οὐσιῶν μόνον, κατὰ μὲν τἆλλα φανερὸν ὅτι ἀνάγκη ὑποκεῖσθαί τι τὸ γιγνόμενον (καὶ γὰρ ποσὸν καὶ ποιὸν καὶ πρὸς ἕτερον [καὶ ποτὲ] καὶ ποὺ γίγνεται ὑποκειμένου τινὸς διὰ τὸ μόνην τὴν οὐσίαν μηθενὸς κατ’ ἄλλου λέγεσθαι ὑποκειμένου, τὰ δ’ ἄλλα πάντα κατὰ τῆς οὐσίας)· ὅτι δὲ καὶ αἱ οὐσίαι καὶ ὅσα [ἄλλα] ἁπλῶς ὄντα ἐξ ὑποκειμένου τινὸς γίγνεται, ἐπισκοποῦντι γένοιτο ἂν φανερόν. ἀεὶ γὰρ ἔστι ὃ ὑπόκειται, ἐξ οὗ τὸ γιγνόμενον, οἷον τὰ φυτὰ καὶ τὰ ζῷα ἐκ σπέρματος. γίγνεται δὲ τὰ γιγνόμενα ἁπλῶς τὰ μὲν μετασχηματίσει, οἷον ἀνδριάς, τὰ δὲ προσθέσει, οἷον τὰ αὐξανόμενα, τὰ δ’ ἀφαιρέσει, οἷον ἐκ τοῦ λίθου ὁ Ἑρμῆς, τὰ δὲ συνθέσει, οἷον οἰκία, τὰ δ’ ἀλλοιώσει, οἷον τὰ τρεπόμενα κατὰ τὴν ὕλην. πάντα δὲ τὰ οὕτω γιγνόμενα φανερὸν ὅτι ἐξ ὑποκειμένων γίγνεται. ὥστε δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι τὸ γιγνόμενον ἅπαν ἀεὶ συνθετόν ἐστι, καὶ ἔστι μέν τι γιγνόμενον, ἔστι δέ τι ὃ τοῦτο γίγνεται, καὶ τοῦτο διττόν·



Buch I · Kapitel 7

33

bleiben nicht bestehen, und auch nicht das aus beiden Zusammen­ gesetzte, wie der amusische Mensch. a21 Aus etwas werde etwas – statt: etwas werde etwas – sagt man eher bei dem, was nicht bestehen bleibt, z. B.: aus einem ­A musischen werde ein Musischer, aber nicht: aus einem Menschen. a24 Freilich spricht man manchmal auch bei dem Bestehenbleibenden so; denn wir sagen, aus der Bronze – und nicht: die Bronze – werde eine Statue. a26 Und [beim Werden] aus Gegenüberliegendem und nicht Bestehenbleibendem gibt es beide Redeweisen: aus diesem [wird] jenes und dieses [wird] jenes. a28 Denn einerseits wird aus einem Amusischen – und andererseits wird der Amusische – ein Musi­ scher. a29 Daher ebenso auch beim Zusammengesetzten: Man sagt ja einerseits, aus einem amusischen Menschen – und andererseits, der amusische Mensch – werde ein musischer [Mensch]. a31 Aber vom Werden wird auf viele Weisen gesprochen: Teils sagt man nicht, es werde, sondern dieses werde soundso; und nur bei den Substanzen sagt man, dass sie im schlichten Sinne werden. a33 In den anderen Fällen ist offenkundig, dass zwangsläufig etwas als das Werdende zugrunde liegt. a34 Denn das Wieviel, das Wie-be­ schaffen, das Auf-anderes-Bezüglich und das Wo werden [d. h. hier: sie kommen zustande] in solcher Weise, dass dabei etwas zugrunde liegt, da allein die Substanz von keinem anderen als Zugrunde­ liegendem ausgesagt wird, alles andere aber von der Substanz. b1 Dass aber auch die Substanzen und [das heißt], was im schlichten Sinne ist, aus etwas Zugrundeliegendem werden, dürfte bei nähe­ rer Betrachtung offensichtlich werden. b3 Denn immer gibt es etwas, das zugrunde liegt und aus dem das [im schlichten Sinne] Werdende [hervorgeht], z. B. die Pflanzen und die Tiere aus Samen. b5 Was im schlichten Sinne wird, wird teils durch Umformung, z. B. eine [bronzene] Statue, teils durch Zugabe, z. B. was dabei größer wird, teils durch Wegnahme, z. B. die Herme aus einem Stein, teils durch Zusammensetzung, z. B. ein Haus, teils durch Veränderung, z. B. wenn ein stofflicher Umschlag stattfindet. b9 Bei allem, was in die­ ser Weise wird, ist offensichtlich, dass es aus Zugrundeliegendem wird. b10 Aus dem Gesagten ist also klar, dass alles Werdende immer zu­ sammengesetzt ist. Eines ist das Werdende und ein anderes dasje­

34 A 7 · 190 b 13 – 191 a 1

15

20

25

30

35 191a1

ἢ γὰρ τὸ ὑποκείμενον ἢ τὸ ἀντικείμενον. λέγω δὲ ἀντικεῖσθαι μὲν τὸ ἄμουσον, ὑποκεῖσθαι δὲ τὸν ἄνθρωπον, καὶ τὴν μὲν ἀσχημοσύνην καὶ τὴν ἀμορφίαν καὶ τὴν ἀταξίαν τὸ ἀντικείμενον, τὸν δὲ χαλκὸν ἢ τὸν λίθον ἢ τὸν χρυσὸν τὸ ὑποκείμενον. φανερὸν οὖν ὡς, εἴπερ εἰσὶν αἰτίαι καὶ ἀρχαὶ τῶν φύσει ὄντων, ἐξ ὧν πρώτων εἰσὶ καὶ γεγόνασι μὴ κατὰ συμβεβηκὸς ἀλλ’ ἕκαστον ὃ λέγεται κατὰ τὴν οὐσίαν, ὅτι γίγνεται πᾶν ἔκ τε τοῦ ὑποκειμένου καὶ τῆς μορφῆς· σύγκειται γὰρ ὁ μουσικὸς ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου καὶ μουσικοῦ τρόπον τινά· διαλύσεις γὰρ [τοὺς λόγους] εἰς τοὺς λόγους τοὺς ἐκείνων. δῆλον οὖν ὡς γίγνοιτ’ ἂν τὰ γιγνόμενα ἐκ τούτων. ἔστι δὲ τὸ μὲν ὑποκείμενον ἀριθμῷ μὲν ἕν, εἴδει δὲ δύο (ὁ μὲν γὰρ ἄνθρωπος καὶ ὁ χρυσὸς καὶ ὅλως ἡ ὕλη ἀριθμητή· τόδε γάρ τι μᾶλλον, καὶ οὐ κατὰ συμβεβηκὸς ἐξ αὐτοῦ γίγνεται τὸ γιγνόμενον· ἡ δὲ στέρησις καὶ ἡ ἐναντίωσις συμβεβηκός)· ἓν δὲ τὸ εἶδος, οἷον ἡ τάξις ἢ ἡ μουσικὴ ἢ τῶν ἄλλων τι τῶν οὕτω κατηγορουμένων. διὸ ἔστι μὲν ὡς δύο λεκτέον εἶναι τὰς ἀρχάς, ἔστι δ’ ὡς τρεῖς· καὶ ἔστι μὲν ὡς τἀναντία, οἷον εἴ τις λέγοι τὸ μουσικὸν καὶ τὸ ἄμουσον ἢ τὸ θερμὸν καὶ τὸ ψυχρὸν ἢ τὸ ἡρμοσμένον καὶ τὸ ἀνάρμοστον, ἔστι δ’ ὡς οὔ· ὑπ’ ἀλλήλων γὰρ πάσχειν τἀναντία ἀδύνατον. λύεται δὲ καὶ τοῦτο διὰ τὸ ἄλλο εἶναι τὸ ὑποκείμενον· τοῦτο γὰρ οὐκ ἐναντίον. ὥστε οὔτε πλείους τῶν ἐναντίων αἱ ἀρχαὶ τρόπον τινά, ἀλλὰ δύο ὡς εἰπεῖν τῷ ἀριθμῷ, οὔτ’ αὖ παντελῶς δύο διὰ τὸ ἕτερον ὑπάρχειν τὸ εἶναι αὐτοῖς, ἀλλὰ τρεῖς· ἕτερον γὰρ



Buch I · Kapitel 7

35

nige, zu dem dieses wird, und dabei ist dieses [d. i. das Werdende (!)] doppelt: einerseits das Zugrundeliegende, andererseits das Gegen­ überliegende. b13 Ich verwende diese Ausdrücke so, dass das Amu­ sische gegenüberliegt, der Mensch hingegen zugrunde liegt; dem­ entsprechend bezeichne ich die Formlosigkeit, die Gestaltlosigkeit und die Ungeordnetheit als das Gegenüberliegende, die Bronze, den Stein und das Gold hingegen als das Zugrundeliegende. b17 Somit ist offenkundig – wenn es denn Ursachen und Prinzipien der Naturdinge gibt, aus denen als ersten sie sind und geworden sind, und zwar nicht aufgrund zusätzlicher Umstände, sondern je­ des, als was es aufgrund seiner jeweiligen Substanz charakterisiert ist –, dass alles aus dem Zugrundeliegenden wird und aus der Ge­ stalt. b20 Denn der musische Mensch ist in einer bestimmten Weise aus Mensch und Musisch zusammengesetzt; man löst ihn [bei der begrifflichen Analyse] auf in die Definitionen von diesen. b23 So­ mit ist klar, dass das Werdende wohl aus diesen werden dürfte. b23 Dabei ist das Zugrundeliegende der Zahl nach enes, aber der Art nach zwei: b24 Einerseits der Mensch und das Gold und überhaupt das zählbare [d. h. als Portion individuierte] Material; denn dies ist eher ein wohlbestimmtes Ding, und nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände wird das Werdende aus ihm [sc. und nicht aus etwas An­ derem]. b27 Andererseits sind das Fehlen [der beim Werden ange­ nommenen Gestalt] und die konträre Entgegensetzung nur etwas Zusätzliches. b28 Hingegen ist die Form enes, z. B. die Anordnung oder die musische Bildung oder was sonst in dieser Weise prädi­ ziert wird. b29 Deshalb kann es angebracht sein, zu sagen, die Prinzipien seien zwei, aber auch, sie seien drei. b30 Das heißt im einen Fall: sie seien konträre Gegenteile, z. B. wenn man das Musische und das Amusi­ sche angibt oder das Warme und das Kalte oder das Gefügte und das Ungefügte. b32 Und im anderen Fall heißt es, sie seien dies nicht, da konträre Gegenteile voneinander keine Einwirkung erfahren können: auch dies wird dadurch gelöst, dass das Zugrunde­l iegende etwas Anderes ist und als solches nicht konträr. b35 In gewisser Weise sind die Prinzipien somit nicht mehr als die konträren Ge­ genteile, sondern sozusagen zwei an der Zahl; tatsächlich aber nicht ganz und gar zwei, da ihnen verschiedenerlei Sein eignet, sondern

36 A 8 · 191 a 2 – 191 a 31

5

10

15

20

τὸ ἀνθρώπῳ καὶ τὸ ἀμούσῳ εἶναι, καὶ τὸ ἀσχηματίστῳ καὶ χαλκῷ. πόσαι μὲν οὖν αἱ ἀρχαὶ τῶν περὶ γένεσιν φυσικῶν, καὶ πῶς ποσαί, εἴρηται· καὶ δῆλόν ἐστιν ὅτι δεῖ ὑποκεῖσθαί τι τοῖς ἐναντίοις καὶ τἀναντία δύο εἶναι. τρόπον δέ τινα ἄλλον οὐκ ἀναγκαῖον· ἱκανὸν γὰρ ἔσται τὸ ἕτερον τῶν ἐναντίων ποιεῖν τῇ ἀπουσίᾳ καὶ παρουσίᾳ τὴν μεταβολήν. ἡ δὲ ὑποκειμένη φύσις ἐπιστητὴ κατ’ ἀναλογίαν. ὡς γὰρ πρὸς ἀνδριάντα χαλκὸς ἢ πρὸς κλίνην ξύλον ἢ πρὸς τῶν ἄλλων τι τῶν ἐχόντων μορφὴν ἡ ὕλη καὶ τὸ ἄμορφον ἔχει πρὶν λαβεῖν τὴν μορφήν, οὕτως αὕτη πρὸς οὐσίαν ἔχει καὶ τὸ τόδε τι καὶ τὸ ὄν. μία μὲν οὖν ἀρχὴ αὕτη, οὐχ οὕτω μία οὖσα οὐδὲ οὕτως ὂν ὡς τὸ τόδε τι, μία δὲ ἧς ὁ λόγος, ἔτι δὲ τὸ ἐναντίον τούτῳ, ἡ στέρησις. ταῦτα δὲ πῶς δύο καὶ πῶς πλείω, εἴρηται ἐν τοῖς ἄνω. πρῶτον μὲν οὖν ἐλέχθη ὅτι ἀρχαὶ τἀναντία μόνον, ὕστερον δ’ ὅτι ἀνάγκη καὶ ἄλλο τι ὑποκεῖσθαι καὶ εἶναι τρία· ἐκ δὲ τῶν νῦν φανερὸν τίς ἡ διαφορὰ τῶν ἐναντίων, καὶ πῶς ἔχουσιν αἱ ἀρχαὶ πρὸς ἀλλήλας, καὶ τί τὸ ὑποκείμενον. πότερον δὲ οὐσία τὸ εἶδος ἢ τὸ ὑποκείμενον, οὔπω δῆλον. ἀλλ’ ὅτι αἱ ἀρχαὶ τρεῖς καὶ πῶς τρεῖς, καὶ τίς ὁ τρόπος αὐτῶν, δῆλον. πόσαι μὲν οὖν καὶ τίνες εἰσὶν αἱ ἀρχαί, ἐκ τούτων θεωρείσθωσαν.

8. Ὅτι δὲ μοναχῶς οὕτω λύεται καὶ ἡ τῶν ἀρχαίων ἀπορία, λέγωμεν μετὰ ταῦτα. ζητοῦντες γὰρ οἱ κατὰ φι25 λοσοφίαν πρῶτοι τὴν ἀλήθειαν καὶ τὴν φύσιν τῶν ὄντων ἐξετράπησαν οἷον ὁδόν τινα ἄλλην ἀπωσθέντες ὑπὸ ἀπειρίας, καί φασιν οὔτε γίγνεσθαι τῶν ὄντων οὐδὲν οὔτε φθείρεσθαι διὰ τὸ ἀναγκαῖον μὲν εἶναι γίγνεσθαι τὸ γιγνόμενον ἢ ἐξ ὄντος ἢ ἐκ μὴ ὄντος, ἐκ δὲ τούτων ἀμφοτέρων ἀδύνατον 30 εἶναι· οὔτε γὰρ τὸ ὂν γίγνεσθαι (εἶναι γὰρ ἤδη) ἔκ τε μὴ ὄντος οὐδὲν ἂν γενέσθαι· ὑποκεῖσθαι γάρ τι δεῖ. καὶ οὕτω 10 Ross: [ἡ ὕλη καί]. Vgl. Anm. zu 191a7–12.  31 Ross: δεῖν. Vgl. Anm. zu 191a24–31.



Buch I · Kapitel 8

37

drei. a1 Denn es ist verschiedenerlei, Mensch oder amusisch zu sein; und ebenso: ungeformt oder Bronze. a3 Wie viele – und inwiefern wie viele – die Prinzipien der vom Werden betroffenen Naturdinge sind, ist nun gesagt. a4 Und es ist klar, dass etwas den konträren Gegenteilen zugrunde liegen muss und dass die konträren Gegen­ teile zwei sein müssen. a5 In anderer Weise ist [Letzteres] aber nicht zwangsläufig. Denn es wird genügen, wenn eines der konträren Gegenteile durch Ab- und Anwesenheit die Änderung bewirkt. a7 Die zugrundeliegende Natur ist durch Analogie wissenschaft­ lich erkennbar. a8 Denn wie sich zu Statue Bronze verhält und zu Liege Holz, oder zu sonst etwas, das Gestalt hat, das Material, d. h. das Gestaltlose, ehe es die Gestalt annimmt, so verhält sich jene zur Substanz und [d. h.] zum wohlbestimmten Ding und zum Sei­ enden. a12 Enes ist nun dieses Prinzip, wenn auch nicht in solcher Weise enes oder seiend wie das wohlbestimmte Ding; wiederum enes ist dasjenige, worauf sich die Definition bezieht; und schließ­ lich das diesem Konträre, das Fehlen.a14 Inwiefern diese zwei bzw. mehr sind, ist in Obigem gesagt. a15 Zuerst wurde gesagt, dass nur die konträren Gegenteile Prinzipien sind; dann, dass zwangsläufig etwas anderes zugrunde liegt und sie drei sind; aus dem jetzt [Aus­ geführten] ist klar, worin der Unterschied der konträren Gegenteile besteht, wie sich die Prinzipien zueinander verhalten und was das Zugrundeliegende ist. a19 Ob aber die Form oder das Zugrunde­ liegende Substanz ist, ist noch nicht klar. a20 Aber dass die Prinzi­ pien drei sind und inwiefern drei und was ihre Art und Weise ist, ist klar. – a21 Wie viele und welche nun die Prinzipien sind, möge hiermit betrachtet sein. 8.  Dass auch das Problem der Alten nur so gelöst wird, werden wir 191a23 hiernach darlegen. a24 Die als erste philosophisch nach der Wahr­ heit und der Natur der Dinge gefragt haben, sind nämlich vom Weg abgekommen, als hätte sie ihre Unerfahrenheit auf einen anderen Weg gestoßen. a27 Sie behaupten, keines der Dinge werde oder ver­ gehe; denn es sei zwangsläufig, dass das Werdende entweder aus Sei­ endem oder aus Nicht-Seiendem wird, aber aus beidem sei das un­ möglich; denn das Seiende werde nicht, denn es sei ja schon, und aus Nicht-Seiendem werde gar nichts, denn es muss etwas zugrunde lie­

38 A 8 · 191 a 32 – 191 b 18

35 191b1

5

10

15

δὴ τὸ ἐφεξῆς συμβαῖνον αὔξοντες οὐδ’ εἶναι πολλά φασιν ἀλλὰ μόνον αὐτὸ τὸ ὄν. ἐκεῖνοι μὲν οὖν ταύτην ἔλαβον τὴν δόξαν διὰ τὰ εἰρημένα· ἡμεῖς δὲ λέγομεν ὅτι τὸ ἐξ ὄντος ἢ μὴ ὄντος γίγνεσθαι, ἢ τὸ μὴ ὂν ἢ τὸ ὂν ποιεῖν τι ἢ πάσχειν ἢ ὁτιοῦν τόδε γίγνεσθαι, ἕνα μὲν τρόπον οὐθὲν διαφέρει ἢ τὸ τὸν ἰατρὸν ποιεῖν τι ἢ πάσχειν ἢ ἐξ ἰατροῦ εἶναί τι ἢ γίγνεσθαι, ὥστ’ ἐπειδὴ τοῦτο διχῶς λέγεται, δῆλον ὅτι καὶ τὸ ἐξ ὄντος καὶ τὸ ὂν ἢ ποιεῖν ἢ πάσχειν. οἰκοδομεῖ μὲν οὖν ὁ ἰατρὸς οὐχ ᾗ ἰατρὸς ἀλλ’ ᾗ οἰκοδόμος, καὶ λευκὸς γίγνεται οὐχ ᾗ ἰατρὸς ἀλλ’ ᾗ μέλας· ἰατρεύει δὲ καὶ ἀνίατρος γίγνεται ᾗ ἰατρός. ἐπεὶ δὲ μάλιστα λέγομεν κυρίως τὸν ἰατρὸν ποιεῖν τι ἢ πάσχειν ἢ γίγνεσθαι ἐξ ἰατροῦ, ἐὰν ᾗ ἰατρὸς ταῦτα πάσχῃ ἢ ποιῇ ἢ γίγνηται, δῆλον ὅτι καὶ τὸ ἐκ μὴ ὄντος γίγνεσθαι τοῦτο σημαίνει, τὸ ᾗ μὴ ὄν. ὅπερ ἐκεῖνοι μὲν οὐ διελόντες ἀπέστησαν, καὶ διὰ ταύτην τὴν ἄγνοιαν τοσοῦτον προσηγνόησαν, ὥστε μηθὲν οἴεσθαι γίγνεσθαι μηδ’ εἶναι τῶν ἄλλων, ἀλλ’ ἀνελεῖν πᾶσαν τὴν γένεσιν· ἡμεῖς δὲ καὶ αὐτοί φαμεν γίγνεσθαι μὲν μηθὲν ἁπλῶς ἐκ μὴ ὄντος, πὼς μέντοι γίγνεσθαι ἐκ μὴ ὄντος, οἷον κατὰ συμβεβηκός (ἐκ γὰρ τῆς στερήσεως, ὅ ἐστι καθ’ αὑτὸ μὴ ὄν, οὐκ ἐνυπάρχοντος γίγνεταί τι· θαυμάζεται δὲ τοῦτο καὶ ἀδύνατον οὕτω δοκεῖ γίγνεσθαί τι, ἐκ μὴ ὄντος)· ὡσαύτως δὲ οὐδ’ ἐξ ὄντος οὐδὲ τὸ ὂν γίγνεσθαι, πλὴν κατὰ συμβεβηκός· οὕτω



Buch I · Kapitel 8

39

gen. a31 Und so behaupten sie, die unmittelbare Konsequenz über­ treibend, dass nicht Vieles sei, sondern nur das Seiende selbst. a33 Jene haben diese Meinung aufgrund des Gesagten gewonnen. a34 Wir aber behaupten: In einer bestimmten Weise unterscheidet sich, – dass »aus Seiendem oder Nicht-Seiendem … wird« oder dass »Nicht-Seiendes bzw. Seiendes eine Wirkung ausübt oder er­ fährt« oder [dass] »dieses irgendetwas wird«, nicht davon, – dass der Arzt eine Wirkung ausübt oder erfährt oder dass aus dem Arzt etwas ist oder wird. b2 Folglich: Wie von Letzterem auf zwei Weisen gesprochen wird, so klarerweise auch davon, dass »aus Seiendem …« und dass »Seien­ des Wirkung ausübt oder unter Einwirkung steht«. b4 Und zwar baut der Arzt nicht qua Arzt, sondern qua Hausbauer, und er wird weiß nicht qua Arzt, sondern qua schwarz; aber er verarztet und wird zum Unarzt qua Arzt. b6 Wir sagen vor allem dann, dass im strengen Sinne der Arzt etwas erleidet oder bewirkt oder dass aus dem Arzt etwas wird, wenn er dies qua Arzt erleidet oder bewirkt oder wird. b9 Klarerweise bedeutet deshalb auch, – dass »aus Nicht-Seiendem … wird«, dies: – dass »[aus Nicht-Seiendem] qua Nicht-Seiendem … [wird]«. b10 Dies haben sie ununterschieden beiseitegelassen und dadurch ihre Unwissenheit bis dahin vermehrt, dass sie glaubten, nichts werde und nichts sei außer [dem Seienden selbst], und das Werden ganz aufhoben. b13 Auch wir selbst behaupten, dass nichts schlechthin aus NichtSeiendem, wohl aber, dass in bestimmter Weise [etwas] aus NichtSeiendem wird, nämlich aufgrund zusätzlicher Umstände. b15 Denn aus dem Fehlen, was an sich Nicht-Seiendes ist, als nicht enthalten Bleibendem wird etwas. b16 Das verblüfft, und man hält es für un­ möglich, dass etwas so wird, aus Nicht-Seiendem. b17 Ebenso kann auch nicht [etwas] aus Seiendem werden oder das Seiende [zu et­

40 A 9 · 191 b 19 – 192 a 9

δὲ καὶ τοῦτο γίγνεσθαι, τὸν αὐτὸν τρόπον οἷον εἰ ἐκ ζῴου ζῷον 20 γίγνοιτο καὶ ἐκ τινὸς ζῴου τι ζῷον· οἷον εἰ κύων ἐξ ἵππου γίγνοιτο. γίγνοιτο μὲν γὰρ ἂν οὐ μόνον ἐκ τινὸς ζῴου ὁ κύων, ἀλλὰ καὶ ἐκ ζῴου, ἀλλ’ οὐχ ᾗ ζῷον· ὑπάρχει γὰρ ἤδη τοῦτο· εἰ δέ τι μέλλει γίγνεσθαι ζῷον μὴ κατὰ συμβεβηκός, οὐκ ἐκ ζῴου ἔσται, καὶ εἴ τι ὄν, οὐκ ἐξ 25 ὄντος· οὐδ’ ἐκ μὴ ὄντος· τὸ γὰρ ἐκ μὴ ὄντος εἴρηται ἡμῖν τί σημαίνει, ὅτι ᾗ μὴ ὄν. ἔτι δὲ καὶ τὸ εἶναι ἅπαν ἢ μὴ εἶναι οὐκ ἀναιροῦμεν. εἷς μὲν δὴ τρόπος οὗτος, ἄλλος δ’ ὅτι ἐνδέχεται ταὐτὰ λέγειν κατὰ τὴν δύναμιν καὶ τὴν ἐνέργειαν· τοῦτο δ’ ἐν ἄλλοις διώρισται δι’ ἀκριβείας μᾶλλον. 30 ὥσθ’ (ὅπερ ἐλέγομεν) αἱ ἀπορίαι λύονται δι’ ἃς ἀναγκαζόμενοι ἀναιροῦσι τῶν εἰρημένων ἔνια· διὰ γὰρ τοῦτο τοσοῦτον καὶ οἱ πρότερον ἐξετράπησαν τῆς ὁδοῦ τῆς ἐπὶ τὴν γένεσιν καὶ φθορὰν καὶ ὅλως μεταβολήν· αὕτη γὰρ ἂν ὀφθεῖσα ἡ φύσις ἅπασαν ἔλυσεν αὐτῶν τὴν ἄγνοιαν. 9. Ἡμμένοι μὲν οὖν καὶ ἕτεροί τινές εἰσιν αὐτῆς, ἀλλ’ οὐχ ἱκανῶς. πρῶτον μὲν γὰρ ὁμολογοῦσιν ἁπλῶς γίγνεσθαί τι ἐκ μὴ 192a1 ὄντος, ᾗ Παρμενίδην ὀρθῶς λέγειν· εἶτα φαίνεται αὐτοῖς, εἴπερ ἐστὶν ἀριθμῷ μία, καὶ δυνάμει μία μόνον εἶναι. τοῦτο δὲ διαφέρει πλεῖστον. ἡμεῖς μὲν γὰρ ὕλην καὶ στέρησιν ἕτερόν φαμεν εἶναι, καὶ τούτων τὸ μὲν οὐκ ὂν εἶναι κατὰ συμ5 βεβηκός, τὴν ὕλην, τὴν δὲ στέρησιν καθ’ αὑτήν, καὶ τὴν μὲν ἐγγὺς καὶ οὐσίαν πως, τὴν ὕλην, τὴν δὲ οὐδαμῶς· οἱ δὲ τὸ μὴ ὂν τὸ μέγα καὶ τὸ μικρὸν ὁμοίως, ἢ τὸ συναμφότερον ἢ τὸ χωρὶς ἑκάτερον. ὥστε παντελῶς ἕτερος ὁ τρόπος οὗτος τῆς τριάδος κἀκεῖνος. μέχρι μὲν γὰρ δεῦρο προ35

20 Ross: κύων 〈ἐκ κυνὸς ἢ ἵππος〉. Vgl. Anm. zu 191b17–25.



Buch I · Kapitel 9

41

was], außer aufgrund zusätzlicher Umstände. b18 So kann freilich auch dies geschehen, in derselben Weise, wie aus Tier Tier wird und aus einer bestimmten Sorte Tier eine bestimmte Sorte Tier, z. B. wenn Hund aus Pferd wird. b21 Dann wird nicht nur aus einer bestimmten Sorte Tier der Hund, sondern auch aus Tier, aber nicht qua Tier; denn das ist schon vorhanden. b23 Wenn eine bestimmte Sorte Tier nicht aufgrund zusätzlicher Umstände werden soll, dann nicht aus Tier, und wenn eine bestimmte Sorte Seiendes, dann nicht aus Seiendem. b25 Und auch nicht aus Nicht-Seiendem; denn was es bedeutet, dass aus Nicht-Seiendem, haben wir gesagt, nämlich: qua Nicht-Seiendes. b26 Auch werden wir nicht aufheben, dass alles ent­ weder ist oder nicht ist. b27 Dies ist die ene Weise. Eine andere ist, dass man dasselbe anhand [der Unterscheidung von] Vermögen und In-Funktion-Sein beschrei­ ben kann. b29 Aber das wird erst an anderer Stelle genau bestimmt. b30 So werden, wie gesagt, die Schwierigkeiten gelöst, unter deren Zwang sie von dem Angegebenen manches aufheben. b31 Denn hier­ durch sind auch die Vorgänger so weit abgekommen von dem Weg zum Werden und Vergehen und überhaupt zur Änderung. b33 Hät­ ten sie diese [d. i. die in Kap. 7 aufgezeigte, zugrundeliegende] Natur gesehen, hätte dies ihre Unwissenheit ganz aufgelöst. 9.  Berührt haben sie [d. h. die in Kap. 7 aufgezeigte, zugrundelie­ 191b35 gende Natur] freilich auch Andere [nämlich Platon und/oder seine Anhänger], aber nicht hinreichend. b36 Denn erstens stimmen sie darin überein, dass etwas schlicht aus Nicht-Seiendem wird; Par­ menides habe insofern recht. a1 Zweitens sind sie der Meinung, weil sie [d. i. die zugrundeliegende Natur] numerisch ene ist, sei sie auch in ihrer Kraft nur ene; aber das macht den größten Unter­ schied. a3 Denn wir behaupten, Material und Fehlen seien verschiedener­ lei und von diesen sei eines, das Material, nur aufgrund zusätzli­ cher Umstände nicht seiend, das Fehlen aber an sich; und das eine, das Material, sei beinahe auch irgendwie eine Substanz, das an­ dere aber gar nicht. a6 Jene aber [identifizieren] das Nicht-Seiende unterschiedslos mit dem Großen und dem Kleinen, entweder beide zusammen oder je für sich. a8 Daher ist diese Weise der Dreigliede­

42 A 9 · 192 a 10 – 192 a 35 10

15

20

25 25

30

35

ῆλθον, ὅτι δεῖ τινὰ ὑποκεῖσθαι φύσιν, ταύτην μέντοι μίαν ποιοῦσιν· καὶ γὰρ εἴ τις δυάδα ποιεῖ, λέγων μέγα καὶ μικρὸν αὐτήν, οὐθὲν ἧττον ταὐτὸ ποιεῖ· τὴν γὰρ ἑτέραν παρεῖδεν. ἡ μὲν γὰρ ὑπομένουσα συναιτία τῇ μορφῇ τῶν γιγνομένων ἐστίν, ὥσπερ μήτηρ· ἡ δ’ ἑτέρα μοῖρα τῆς ἐναντιώσεως πολλάκις ἂν φαντασθείη τῷ πρὸς τὸ κακοποιὸν αὐτῆς ἀτενίζοντι τὴν διάνοιαν οὐδ’ εἶναι τὸ παράπαν. ὄντος γάρ τινος θείου καὶ ἀγαθοῦ καὶ ἐφετοῦ, τὸ μὲν ἐναντίον αὐτῷ φαμεν εἶναι, τὸ δὲ ὃ πέφυκεν ἐφίεσθαι καὶ ὀρέγεσθαι αὐτοῦ κατὰ τὴν αὑτοῦ φύσιν. τοῖς δὲ συμβαίνει τὸ ἐναντίον ὀρέγεσθαι τῆς αὑτοῦ φθορᾶς. καίτοι οὔτε αὐτὸ αὑτοῦ οἷόν τε ἐφίεσθαι τὸ εἶδος διὰ τὸ μὴ εἶναι ἐνδεές, οὔτε τὸ ἐναντίον (φθαρτικὰ γὰρ ἀλλήλων τὰ ἐναντία), ἀλλὰ τοῦτ’ ἔστιν ἡ ὕλη, ὥσπερ ἂν εἰ θῆλυ ἄρρενος καὶ αἰσχρὸν καλοῦ· πλὴν οὐ καθ’ αὑτὸ αἰσχρόν, ἀλλὰ κατὰ συμβεβηκός, οὐδὲ θῆλυ, ἀλλὰ κατὰ συμβεβηκός. φθείρεται δὲ καὶ γίγνεται ἔστι μὲν ὥς, ἔστι δ’ ὡς οὔ. ὡς μὲν γὰρ τὸ ἐν ᾧ, καθ’ αὑτὸ φθείρεται (τὸ γὰρ φθειρόμενον ἐν τούτῳ ἐστίν, ἡ στέρησις)· ὡς δὲ κατὰ δύναμιν, οὐ καθ’ αὑτό, ἀλλ’ ἄφθαρτον καὶ ἀγένητον ἀνάγκη αὐτὴν εἶναι. εἴτε γὰρ ἐγίγνετο, ὑποκεῖσθαί τι δεῖ πρῶτον ἐξ οὗ ἐνυπάρχοντος· τοῦτο δ’ ἐστὶν αὐτὴ ἡ φύσις, ὥστ’ ἔσται πρὶν γενέσθαι (λέγω γὰρ ὕλην τὸ πρῶτον ὑποκείμενον ἑκάστῳ, ἐξ οὗ γίγνεταί τι ἐνυπάρχοντος μὴ κατὰ συμβεβηκός)· εἴτε φθείρεται, εἰς τοῦτο ἀφίξεται ἔσχατον, ὥστε ἐφθαρμένη ἔσται πρὶν φθαρῆναι. περὶ δὲ τῆς κατὰ τὸ εἶδος ἀρχῆς, πότερον μία ἢ πολλαὶ καὶ τίς ἢ τίνες εἰσίν, δι’ ἀκριβείας τῆς πρώ-



Buch I · Kapitel 9

43

rung ganz anders als jene. a9 Denn sie sind zwar bis dahin gelangt, dass eine bestimmte Natur zugrunde liegen muss; aber sie machen diese zu ener. Und das macht man um nichts weniger, wenn man sie zum Paar macht und Groß/Klein nennt; denn man übersieht die andere. a13 Denn die zugrunde[liegend] bleibende [Natur] ist, in Verbindung mit der Gestalt, Mitursache des Werdenden, wie eine Mutter. a14 Der andere Teil des konträren Gegensatzes wird oft, wenn man ausschließlich dessen Destruktivität bedenkt, als ganz und gar nicht-seiend vorgestellt. a16 Gegeben etwas Göttliches, Gutes, Erstrebenswertes: Wir un­ terscheiden einerseits dessen konträres Gegenteil und anderer­ seits das, was aufgrund seiner eigenen Natur bestimmt ist, nach ihm zu streben und zu begehren. a19 Bei ihnen hingegen ergibt sich, dass das konträre Gegenteil die eigene Vernichtung begehrt. a20 Aber weder kann die Form selbst nach sich selbst streben, da sie dessen gar nicht bedarf, noch das konträre Gegenteil, da die kon­ trären Gegenteile einander vernichten. a22 Sondern dies ist das Material: in der Weise, wie wenn das Weibliche nach dem Männ­ lichen oder das Hässliche nach dem Schönen strebt. a23 Freilich ist es nicht an sich hässlich, sondern aufgrund zusätzlicher Um­ stände; und nicht [an sich] weiblich, sondern aufgrund zusätzlicher Umstände. a25 Vergehen und werden kann es [d. i. das Material] in gewisser Hin­ sicht, in anderer nicht. a26 Und zwar vergeht es an sich als dasjenige, worin [das Fehlen ist]; denn in diesem ist das Vergehende, das Feh­ len. a27 Als [dasjenige, was es] aufgrund seiner Funktion [als Mate­ rial ist], [vergeht es] nicht an sich; sondern zwangsläufig ist es un­ vergänglich und ungeworden. a29 Denn wenn es geworden ist, muss ein Erstes zugrunde liegen, aus dem, als in ihm vorhandenem, [es geworden ist]. a30 Aber das ist diese Natur selbst, so dass es wäre, ehe es wird. a31 Denn ich nenne Material das erste dem jeweiligen Gegenstand Zugrundeliegende, d. h. woraus, als darin Vorhande­ nem, etwas nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände wird. a32 Und wenn es vergeht, wird es letztlich zu diesem zurückkehren, so dass es vergangen ist, bevor es vergeht. a34 Über das Formprinzip – ob enes oder viele und welches bzw. welche – exakte Bestimmungen zu treffen, ist Sache der Ersten Phi­

44 A 9 · 192 a 36 – 192 b 4

192b1

της φιλοσοφίας ἔργον ἐστὶν διορίσαι, ὥστ’ εἰς ἐκεῖνον τὸν καιρὸν ἀποκείσθω. περὶ δὲ τῶν φυσικῶν καὶ φθαρτῶν εἰδῶν ἐν τοῖς ὕστερον δεικνυμένοις ἐροῦμεν. ὅτι μὲν οὖν εἰσὶν ἀρχαί, καὶ τίνες, καὶ πόσαι τὸν ἀριθμόν, διωρίσθω ἡμῖν οὕτως· πάλιν δ’ ἄλλην ἀρχὴν ἀρξάμενοι λέγωμεν.



Buch I · Kapitel 9

45

losophie und soll bis dahin aufgeschoben bleiben. b1 Über die For­ men der natürlichen und vergänglichen Dinge sprechen wir in den folgenden Darlegungen. b2 Dass es Prinzipien gibt und welche und wie viele an der Zahl, sei für uns in der angegebenen Weise bestimmt. b4 Wir werden mit einem neuen Anfang fortfahren.

46 B 1 · 192 b 8 – 192 b 35

Β. 192b8 10

15

20

25

30

35

1. Τῶν ὄντων τὰ μέν ἐστι φύσει, τὰ δὲ δι’ ἄλλας αἰτίας, φύσει μὲν τά τε ζῷα καὶ τὰ μέρη αὐτῶν καὶ τὰ φυτὰ καὶ τὰ ἁπλᾶ τῶν σωμάτων, οἷον γῆ καὶ πῦρ καὶ ἀὴρ καὶ ὕδωρ. ταῦτα γὰρ εἶναι καὶ τὰ τοιαῦτα φύσει φαμέν, πάντα δὲ ταῦτα φαίνεται διαφέροντα πρὸς τὰ μὴ φύσει συνεστῶτα. τούτων μὲν γὰρ ἕκαστον ἐν ἑαυτῷ ἀρχὴν ἔχει κινήσεως καὶ στάσεως, τὰ μὲν κατὰ τόπον, τὰ δὲ κατ’ αὔξησιν καὶ φθίσιν, τὰ δὲ κατ’ ἀλλοίωσιν· κλίνη δὲ καὶ ἱμάτιον, καὶ εἴ τι τοιοῦτον ἄλλο γένος ἐστίν, ᾗ μὲν τετύχηκε τῆς κατηγορίας ἑκάστης καὶ καθ’ ὅσον ἐστὶν ἀπὸ τέχνης, οὐδεμίαν ὁρμὴν ἔχει μεταβολῆς ἔμφυτον, ᾗ δὲ συμβέβηκεν αὐτοῖς εἶναι λιθίνοις ἢ γηΐνοις ἢ μικτοῖς ἐκ τούτων, ἔχει, καὶ κατὰ τοσοῦτον, ὡς οὔσης τῆς φύσεως ἀρχῆς τινὸς καὶ αἰτίας τοῦ κινεῖσθαι καὶ ἠρεμεῖν ἐν ᾧ ὑπάρχει πρώτως καθ’ αὑτὸ καὶ μὴ κατὰ συμβεβηκός. λέγω δὲ τὸ μὴ κατὰ συμβεβηκός, ὅτι γένοιτ’ ἂν αὐτὸς αὑτῷ τις αἴτιος ὑγιείας ὢν ἰατρός· ἀλλ’ ὅμως οὐ καθὸ ὑγιάζεται τὴν ἰατρικὴν ἔχει, ἀλλὰ συμβέβηκεν τὸν αὐτὸν ἰατρὸν εἶναι καὶ ὑγιαζόμενον· διὸ καὶ χωρίζεταί ποτ’ ἀπ’ ἀλλήλων. ὁμοίως δὲ καὶ τῶν ἄλλων ἕκαστον τῶν ποιουμένων· οὐδὲν γὰρ αὐτῶν ἔχει τὴν ἀρχὴν ἐν ἑαυτῷ τῆς ποιήσεως, ἀλλὰ τὰ μὲν ἐν ἄλλοις καὶ ἔξωθεν, οἷον οἰκία καὶ τῶν ἄλλων τῶν χειροκμήτων ἕκαστον, τὰ δ’ ἐν αὑτοῖς μὲν ἀλλ’ οὐ καθ’ αὑτά, ὅσα κατὰ συμβεβηκὸς αἴτια γένοιτ’ ἂν αὑτοῖς. φύσις μὲν οὖν ἐστὶ τὸ ῥηθέν· φύσιν δὲ ἔχει ὅσα τοιαύτην ἔχει ἀρχήν. καὶ ἔστιν πάντα ταῦτα οὐσία· ὑποκείμενον γάρ τι, καὶ ἐν ὑποκειμένῳ ἐστὶν ἡ φύσις ἀεί. κατὰ φύσιν δὲ ταῦτά τε καὶ ὅσα τούτοις ὑπάρχει καθ’

11–12 Ross setzt ταῦτα … φαμέν in Klammern.  23–27 Ross setzt λέγω δὲ … ἀλλήλων in Klammern, vgl. Anm. zu 192b27–32.



Buch II · Kapitel 1

47

II 1.  Die Dinge sind teils durch Natur, teils aus anderen Ursachen. b9 192b8 Durch Natur sind die Tiere und ihre Teile und die Pflanzen und die einfachen unter den Körpern, d. i. Erde, Feuer, Luft und Was­ ser. Dies und dergleichen, behaupten wir, ist durch Natur; es zeigt sich nämlich an allen diesen Dingen ein Unterschied zu denen, die nicht durch Natur zusammengesetzt sind: b13 Jedes von ihnen hat in sich ein Prinzip von Bewegung und Stillstand, teils hinsichtlich des Ortes, teils im Sinne von Zu- und Abnahme, teils im Sinne eines Wechsels von Eigenschaften. b16 Hingegen haben Liege und Hemd, und was es sonst an dergleichen Sorten von Dingen gibt, in­ sofern auf sie die jeweilige Sortenbezeichnung zutrifft und soweit sie durch Kunst sind, keinen eingepflanzten Antrieb zur Ände­ rung. b19 Insofern sie aber zusätzlich [z. B.] aus Stein oder Lehm sind oder daraus gemischt, haben sie einen, und zwar dementspre­ chend [d. h. gemäß ihrer quantitativen Zusammensetzung]. b20 Dabei haben wir unterstellt: Die Natur ist ein Prinzip und eine Ursache des In-Bewegung-Seins und des In-Ruhe-Seins dessen, in dem sie primär (prôtôs) und an sich (kath’ hauto), d. h. nicht auf­ grund zusätzlicher Umstände (mê kata symbebêkos), vorliegt. b23 Mit »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« meine ich Folgen­ des: Es könnte ja auch jemand als Arzt für sich selbst Ursache der Heilung werden. Aber nicht insofern er geheilt wird, hat er die ärztliche Fachkompetenz, sondern es ist nur zusätzlicherweise der Fall, dass dieselbe Person Arzt ist und geheilt wird. Eben deshalb wird dies dann auch wieder voneinander getrennt. b27 Ebenso jedes andere, das [soundso oder schlechthin] gemacht wird: Keines von ­ihnen hat das Prinzip des Machens in sich selbst, sondern teils in anderem und von außen, wie z. B. ein Haus und jedes sonstige von Hand Bearbeitete, teils zwar in sich selbst, aber nicht an sich (kath’ hauta, Pl.), nämlich in den Fällen, dass etwas aufgrund zusätzlicher Umstände (kata symbebêkos) für sich selbst Ursache wird. b32 Natur ist somit, was angegeben wurde. Natur hat, was ein solches Prinzip [in sich] hat. b33 Und alle diese Dinge sind jeweils Substanz. Denn sie sind etwas Zugrundeliegendes, und die Natur ist immer in einem Zugrundeliegenden. b35 Aufgrund [der jeweiligen] Natur

48 B 1 · 192 b 36 – 193 a 28

193a1

5

10

15

20

25

αὑτά, οἷον τῷ πυρὶ φέρεσθαι ἄνω· τοῦτο γὰρ φύσις μὲν οὐκ ἔστιν οὐδ’ ἔχει φύσιν, φύσει δὲ καὶ κατὰ φύσιν ἐστίν. τί μὲν οὖν ἐστιν ἡ φύσις, εἴρηται, καὶ τί τὸ φύσει καὶ κατὰ φύσιν. ὡς δ’ ἔστιν ἡ φύσις, πειρᾶσθαι δεικνύναι γελοῖον· φανερὸν γὰρ ὅτι τοιαῦτα τῶν ὄντων ἐστὶν πολλά. τὸ δὲ δεικνύναι τὰ φανερὰ διὰ τῶν ἀφανῶν οὐ δυναμένου κρίνειν ἐστὶ τὸ δι’ αὑτὸ καὶ μὴ δι’ αὑτὸ γνώριμον (ὅτι δ’ ἐνδέχεται τοῦτο πάσχειν, οὐκ ἄδηλον· συλλογίσαιτο γὰρ ἄν τις ἐκ γενετῆς ὢν τυφλὸς περὶ χρωμάτων), ὥστε ἀνάγκη τοῖς τοιούτοις περὶ τῶν ὀνομάτων εἶναι τὸν λόγον, νοεῖν δὲ μηδέν. δοκεῖ δ’ ἡ φύσις καὶ ἡ οὐσία τῶν φύσει ὄντων ἐνίοις εἶναι τὸ πρῶτον ἐνυπάρχον ἑκάστῳ, ἀρρύθμιστον 〈ὂν〉 καθ’ ἑαυτό, οἷον κλίνης φύσις τὸ ξύλον, ἀνδριάντος δ’ ὁ χαλκός. σημεῖον δέ φησιν Ἀντιφῶν ὅτι, εἴ τις κατορύξειε κλίνην καὶ λάβοι δύναμιν ἡ σηπεδὼν ὥστε ἀνεῖναι βλαστόν, οὐκ ἂν γενέσθαι κλίνην ἀλλὰ ξύλον, ὡς τὸ μὲν κατὰ συμβεβηκὸς ὑπάρχον, τὴν κατὰ νόμον διάθεσιν καὶ τὴν τέχνην, τὴν δ’ οὐσίαν οὖσαν ἐκείνην ἣ καὶ διαμένει ταῦτα πάσχουσα συνεχῶς. εἰ δὲ καὶ τούτων ἕκαστον πρὸς ἕτερόν τι ταὐτὸ τοῦτο πέπονθεν (οἷον ὁ μὲν χαλκὸς καὶ ὁ χρυσὸς πρὸς ὕδωρ, τὰ δ’ ὀστᾶ καὶ ξύλα πρὸς γῆν, ὁμοίως δὲ καὶ τῶν ἄλλων ὁτιοῦν), ἐκεῖνο τὴν φύσιν εἶναι καὶ τὴν οὐσίαν αὐτῶν. διόπερ οἱ μὲν πῦρ, οἱ δὲ γῆν, οἱ δ’ ἀέρα φασίν, οἱ δὲ ὕδωρ, οἱ δ’ ἔνια τούτων, οἱ δὲ πάντα ταῦτα τὴν φύσιν εἶναι τὴν τῶν ὄντων. ὃ γάρ τις αὐτῶν ὑπέλαβε τοιοῦτον, εἴτε ἓν εἴτε πλείω, τοῦτο καὶ τοσαῦτά φησιν εἶναι τὴν ἅπασαν οὐσίαν, τὰ δὲ ἄλλα πάντα πάθη τούτων καὶ ἕξεις καὶ διαθέσεις, καὶ τούτων μὲν ὁτιοῦν ἀΐδιον (οὐ γὰρ εἶναι μεταβολὴν αὐτοῖς ἐξ αὑτῶν), τὰ δ’ ἄλλα γίγνεσθαι καὶ φθείρεσθαι ἀπειράκις.



Buch II · Kapitel 1

49

sind diese Dinge und was ihnen an sich eignet; z. B. dem Feuer, nach oben zu steigen. Dies [d. h. nach oben zu steigen] ist nämlich weder Natur, noch hat es Natur, sondern es ist durch Natur und aufgrund [der jeweiligen] Natur. a1 Was somit die Natur ist, wurde gesagt, und was dasjenige ist, das durch Natur und aufgrund [der jeweiligen] Natur ist. a3 Zeigen zu wollen, dass es die Natur gibt, wäre albern. Denn of­ fensichtlich gibt es viele derartige Dinge. Und das Offensichtliche durch Verweis auf nicht Offensichtliches zu zeigen, ist Sache dessen, der nicht unterscheiden kann, ob etwas durch sich selbst oder nicht durch sich selbst kenntlich ist. a6 Dass einem dies geschehen kann, ist unschwer einzusehen; es könnte ja auch ein von Geburt Blinder Schlussfolgerungen über [die Existenz von] Farben ziehen. Zwangs­ läufig ist es bei solchen Leuten daher so, dass sie ohne Sachbezug über Worte argumentieren. a9 Manche vertreten die Auffassung, die Natur und die Substanz der Naturdinge sei deren jeweils nächster, an sich unstrukturierter Bestandteil; z. B. sei die Natur einer Liege das Holz und die Natur einer Statue die Bronze. a12 Zum Beleg behauptet Antiphon: An­ genommen, man vergräbt eine Liege und die Verrottung gewinnt eine solche Kraft, dass sie einen Spross aufgehen lässt, dann ent­ stehe keine Liege, sondern Holz, da das eine, das konventionelle Arrangement und die Kunst, nur aufgrund zusätzlicher Umstände vorliege, die Substanz aber dasjenige sei, das sich, wenn dies mit ihm geschieht, kontinuierlich erhält. a17 Wenn sich nun für jedes dieser Dinge eben dieses Verhältnis ergibt zu etwas anderem (z. B. für Bronze und Gold zu Wasser, für Knochen und Holz zu Erde, und ebenso auch bei allen anderen), dann sei das ihre Natur und Substanz. a21 Deshalb behaupten die einen: Feuer, andere: Erde, andere: Luft, andere: Wasser, andere: einiges davon, nochmals an­ dere: dies alles sei die Natur der Dinge. a23 Denn was einer von ihnen an dergleichen Dingen annimmt, sei es eines oder mehrere: dies und so vielerlei, behauptet er dann, sei die ganze Substanz; alles andere aber seien deren Widerfahrnisse, Eigenschaften und Arrangements. a26 Und jedes von ihnen sei ewig. Bei ihnen gebe es nämlich keine Änderung aus ihnen selbst heraus; das andere aber entstehe und vergehe unendlich oft. a28

50 B 1 · 193 a 28 – 193 b 18

30

35 193b1

5

10

15

ἕνα μὲν οὖν τρόπον οὕτως ἡ φύσις λέγεται, ἡ πρώτη ἑκάστῳ ὑποκειμένη ὕλη τῶν ἐχόντων ἐν αὑτοῖς ἀρχὴν κινήσεως καὶ μεταβολῆς, ἄλλον δὲ τρόπον ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον. ὥσπερ γὰρ τέχνη λέγεται τὸ κατὰ τέχνην καὶ τὸ τεχνικόν, οὕτω καὶ φύσις τὸ κατὰ φύσιν [λέγεται] καὶ τὸ φυσικόν, οὔτε δὲ ἐκεῖ πω φαῖμεν ἂν ἔχειν κατὰ τὴν τέχνην οὐδέν, εἰ δυνάμει μόνον ἐστὶ κλίνη, μή πω δ’ ἔχει τὸ εἶδος τῆς κλίνης, οὐδ’ εἶναι τέχνην, οὔτ’ ἐν τοῖς φύσει συνισταμένοις· τὸ γὰρ δυνάμει σὰρξ ἢ ὀστοῦν οὔτ’ ἔχει πω τὴν ἑαυτοῦ φύσιν, πρὶν ἂν λάβῃ τὸ εἶδος τὸ κατὰ τὸν λόγον, ᾧ ὁριζόμενοι λέγομεν τί ἐστι σὰρξ ἢ ὀστοῦν, οὔτε φύσει ἐστίν. ὥστε ἄλλον τρόπον ἡ φύσις ἂν εἴη τῶν ἐχόντων ἐν αὑτοῖς κινήσεως ἀρχὴν ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος, οὐ χωριστὸν ὂν ἀλλ’ ἢ κατὰ τὸν λόγον. (τὸ δ’ ἐκ τούτων φύσις μὲν οὐκ ἔστιν, φύσει δέ, οἷον ἄνθρωπος.) καὶ μᾶλλον αὕτη φύσις τῆς ὕλης· ἕκαστον γὰρ τότε λέγεται ὅταν ἐντελεχείᾳ ᾖ, μᾶλλον ἢ ὅταν δυνάμει. ἔτι γίγνεται ἄνθρωπος ἐξ ἀνθρώπου, ἀλλ’ οὐ κλίνη ἐκ κλίνης· διὸ καί φασιν οὐ τὸ σχῆμα εἶναι τὴν φύσιν ἀλλὰ τὸ ξύλον, ὅτι γένοιτ’ ἄν, εἰ βλαστάνοι, οὐ κλίνη ἀλλὰ ξύλον. εἰ δ’ ἄρα τοῦτο φύσις, καὶ ἡ μορφὴ φύσις· γίγνεται γὰρ ἐξ ἀνθρώπου ἄνθρωπος. ἔτι δ’ ἡ φύσις ἡ λεγομένη ὡς γένεσις ὁδός ἐστιν εἰς φύσιν. οὐ γὰρ ὥσπερ ἡ ἰάτρευσις λέγεται οὐκ εἰς ἰατρικὴν ὁδὸς ἀλλ’ εἰς ὑγίειαν· ἀνάγκη μὲν γὰρ ἀπὸ ἰατρικῆς οὐκ εἰς ἰατρικὴν εἶναι τὴν ἰάτρευσιν, οὐχ οὕτω δ’ ἡ φύσις ἔχει πρὸς τὴν φύσιν, ἀλλὰ τὸ φυόμενον ἐκ τινὸς εἰς τὶ ἔρχεται ᾗ φύεται. τί οὖν φύεται; οὐχὶ ἐξ οὗ, ἀλλ’ εἰς ὅ. ἡ ἄρα μορφὴ φύσις. ἡ δὲ



Buch II · Kapitel 1

51

Auf die eine Weise heißt »Natur« somit das nächste, dem jeweili­ gen Ding zugrundeliegende Material, und zwar bei solchen Dingen, die in sich selbst ein Prinzip von Bewegung und Änderung haben; auf andere Weise aber die [d. h. deren] Gestalt und definitionsge­ mäße Form. a31 Denn wie »Kunst« (technê) heißt, was aufgrund der Kunst (kata technên) und künstlich (technikon) ist, so heißt »Natur« (physis), was aufgrund der Natur (kata physin) und natürlich (physi­ kon) ist. Und dort würden wir noch nicht sagen, dass irgendetwas in dem Zustand sei, den es aufgrund der Kunst hat, oder dass es Kunst sei, wenn es nur potentiell eine Liege ist und noch nicht die Form der Liege hat. Und auch nicht bei den durch Natur zusammenge­ setzten Dingen: b36 Auch was potentiell Fleisch oder Knochen ist, hat noch nicht seine eigene Natur und ist nicht durch Natur, bevor es diejenige Form annimmt, die der Erklärung entspricht, mit der wir definieren und angeben, was Fleisch oder Knochen ist. b3 Auf die andere Weise ist die Natur demnach die Gestalt und die Form derjenigen Dinge, die in sich selbst ein Prinzip der Bewegung ha­ ben; und zwar nicht ablösbar, außer durch Definition. Was aus die­ sen [d. h. aus Material und Form] besteht, ist nicht Natur, sondern durch Natur, z. B. ein Mensch. b6 Und sie [d. h. die Gestalt] ist eher Natur als das Material. Denn als die jeweilige Sache wird etwas dann bezeichnet, wenn es diese Sache im Vollendungszustand und nicht nur potentiell ist. b8 Auch wird Mensch aus Mensch, aber nicht Liege aus Liege. Eben deshalb wird ja behauptet, nicht der Umriss sei die Natur, sondern das Holz; denn wenn es sprießen würde, dann entstünde nicht Liege, sondern Holz. Wenn dieses demnach Natur ist, dann auch die Gestalt. Denn aus Mensch wird Mensch. b12 Ferner: So­ weit von der Natur als Entstehen gesprochen wird, handelt es sich um einen Weg in die Natur. Es ist hier nämlich nicht so wie bei der Verarztung: Verarztung heißt nicht der Weg in die ärztliche Kunst, sondern der Weg in die Gesundheit. Denn Verarztung ist zwangs­ läufig [ein Weg] von der ärztlichen Kunst in etwas anderes als die ärztliche Kunst. Aber die Natur [nämlich: die Natur als Entstehen oder Aufkeimen] verhält sich nicht so zur Natur. Sondern was auf­ keimt, kommt, indem es aufkeimt, aus etwas in etwas hinein. b17 Was aber ist es, das aufkeimt? [Um das zu bestimmen, frag] nicht:

52 B 2 · 193 b 19 – 194 a 8

μορφὴ καὶ ἡ φύσις διχῶς λέγεται· καὶ γὰρ ἡ στέρησις εἶ20 δός πώς ἐστιν. εἰ δ’ ἔστιν στέρησις καὶ ἐναντίον τι περὶ τὴν ἁπλῆν γένεσιν ἢ μὴ ἔστιν, ὕστερον ἐπισκεπτέον.

25

30

35 194 a1

5

2. Ἐπεὶ δὲ διώρισται ποσαχῶς ἡ φύσις, μετὰ τοῦτο θεωρητέον τίνι διαφέρει ὁ μαθηματικὸς τοῦ φυσικοῦ (καὶ γὰρ ἐπίπεδα καὶ στερεὰ ἔχει τὰ φυσικὰ σώματα καὶ μήκη καὶ στιγμάς, περὶ ὧν σκοπεῖ ὁ μαθηματικός)· ἔτι εἰ ἡ ἀστρολογία ἑτέρα ἢ μέρος τῆς φυσικῆς· εἰ γὰρ τοῦ φυσικοῦ τὸ τί ἐστιν ἥλιος ἢ σελήνη εἰδέναι, τῶν δὲ συμβεβηκότων καθ’ αὑτὰ μηδέν, ἄτοπον, ἄλλως τε καὶ ὅτι φαίνονται λέγοντες οἱ περὶ φύσεως καὶ περὶ σχήματος σελήνης καὶ ἡλίου, καὶ δὴ καὶ πότερον σφαιροειδὴς ἡ γῆ καὶ ὁ κόσμος ἢ οὔ. περὶ τούτων μὲν οὖν πραγματεύεται καὶ ὁ μαθηματικός, ἀλλ’ οὐχ ᾗ φυσικοῦ σώματος πέρας ἕκαστον· οὐδὲ τὰ συμβεβηκότα θεωρεῖ ᾗ τοιούτοις οὖσι συμβέβηκεν· διὸ καὶ χωρίζει· χωριστὰ γὰρ τῇ νοήσει κινήσεώς ἐστι, καὶ οὐδὲν διαφέρει, οὐδὲ γίγνεται ψεῦδος χωριζόντων. λανθάνουσι δὲ τοῦτο ποιοῦντες καὶ οἱ τὰς ἰδέας λέγοντες· τὰ γὰρ φυσικὰ χωρίζουσιν ἧττον ὄντα χωριστὰ τῶν μαθηματικῶν. γίγνοιτο δ’ ἂν τοῦτο δῆλον, εἴ τις ἑκατέρων πειρῷτο λέγειν τοὺς ὅρους, καὶ αὐτῶν καὶ τῶν συμβεβηκότων. τὸ μὲν γὰρ περιττὸν ἔσται καὶ τὸ ἄρτιον καὶ τὸ εὐθὺ καὶ τὸ καμπύλον, ἔτι δὲ ἀριθμὸς καὶ γραμμὴ καὶ σχῆμα, ἄνευ κινήσεως, σὰρξ δὲ καὶ ὀστοῦν καὶ ἄνθρωπος οὐκέτι, ἀλλὰ ταῦτα ὥσπερ ῥὶς σιμὴ ἀλλ’ οὐχ ὡς τὸ καμπύλον λέγεται. δηλοῖ δὲ καὶ τὰ φυσικώτερα τῶν μαθημάτων, οἷον ὀπτικὴ καὶ ἁρμονικὴ καὶ ἀστρολογία·



Buch II · Kapitel 2

53

Woraus?, sondern: Wohinein? Also ist die Gestalt Natur. – b18 Auch von Gestalt und Natur wird auf zweierlei Weise gesprochen. Auch das Fehlen ist ja irgendwie eine Form. Ob es aber ein Fehlen, d. h. ein konträres Gegenteil, beim schlichten Werden [d. h. beim Ent­ stehen] gibt oder nicht, ist später zu untersuchen. 2.  Somit ist bestimmt, auf wie vielfache Weise von Natur gespro­ 193b22 chen wird; danach ist zu betrachten, worin sich der Mathematiker vom Naturwissenschaftler unterscheidet. Denn Flächen und Volu­ mina haben auch die natürlichen Körper, sowie Längen und Punkte, deren Untersuchung Aufgabe des Mathematikers ist. b25 Ferner, ob die Astronomie eine andere Disziplin oder eine Teildisziplin der Naturwissenschaft ist. Denn die Annahme, es sei Sache des Na­ turwissenschaftlers, zwar das Was-ist-das von Sonne und Mond zu kennen, aber nichts von dem, was auf sie an sich zusätzlich zutrifft, wäre absurd; zumal da die Naturforscher offenbar auch über den Umriss des Mondes und der Sonne sowie darüber sprechen, ob die Erde und die Welt kugelförmig sind oder nicht. b31 Mit diesen be­ fasst sich nun zwar auch der Mathematiker, aber nicht im Hinblick darauf, dass es sich dabei jeweils um die Begrenzung eines natür­ lichen Körpers handelt. Ebenso wenig betrachtet er, was zusätz­ lich zutrifft, im Hinblick darauf, dass es auf derartige Dinge zu­ trifft; und eben deshalb trennt er es ab. Denn für das Denken ist es von der Bewegung getrennt, und das macht keinen Unterschied; bei der Trennung entsteht kein Fehler. b35 Dass sie dies tun, entgeht auch denen, die von Ideen sprechen. Denn sie trennen diejenigen Merkmale ab, welche die jeweilige Natur ausmachen und weniger abtrennbar sind als die mathematischen. a1 Das wird wohl deut­ lich, wenn man in beiden Fällen die Definition der Dinge und ihrer zusätzlichen Eigenschaften anzugeben versucht. Dabei wird sich ergeben, dass man zwar bei dem Ungeraden, dem Geraden, dem Geradlinigen und dem Gekrümmten, ebenso bei Zahl, Linie und Umriss ohne [Bezugnahme auf] Bewegung auskommt, nicht aber bei Fleisch, Knochen und Mensch; denn von diesen wird wie von einer Stupsnase und nicht wie vom Gekrümmten gesprochen. a7 Das verdeutlichen wohl auch die eher naturwissenschaftlichen ma­ thematischen Disziplinen, z. B. die Optik, die Harmonielehre und

54 B 2 · 194 a 9 – 194 a 34

10

15

20

25

30

ἀνάπαλιν γὰρ τρόπον τιν’ ἔχουσιν τῇ γεωμετρίᾳ. ἡ μὲν γὰρ γεωμετρία περὶ γραμμῆς φυσικῆς σκοπεῖ, ἀλλ’ οὐχ ᾗ φυσική, ἡ δ’ ὀπτικὴ μαθηματικὴν μὲν γραμμήν, ἀλλ’ οὐχ ᾗ μαθηματικὴ ἀλλ’ ᾗ φυσική. ἐπεὶ δ’ ἡ φύσις διχῶς, τό τε εἶδος καὶ ἡ ὕλη, ὡς ἂν εἰ περὶ σιμότητος σκοποῖμεν τί ἐστιν, οὕτω θεωρητέον· ὥστ’ οὔτ’ ἄνευ ὕλης τὰ τοιαῦτα οὔτε κατὰ τὴν ὕλην. καὶ γὰρ δὴ καὶ περὶ τούτου ἀπορήσειεν ἄν τις, ἐπεὶ δύο αἱ φύσεις, περὶ ποτέρας τοῦ φυσικοῦ. ἢ περὶ τοῦ ἐξ ἀμφοῖν; ἀλλ’ εἰ περὶ τοῦ ἐξ ἀμφοῖν, καὶ περὶ ἑκατέρας. πότερον οὖν τῆς αὐτῆς ἢ ἄλλης ἑκατέραν γνωρίζειν; εἰς μὲν γὰρ τοὺς ἀρχαίους ἀποβλέψαντι δόξειεν ἂν εἶναι τῆς ὕλης (ἐπὶ μικρὸν γάρ τι μέρος Ἐμπεδοκλῆς καὶ Δημόκριτος τοῦ εἴδους καὶ τοῦ τί ἦν εἶναι ἥψαντο)· εἰ δὲ ἡ τέχνη μιμεῖται τὴν φύσιν, τῆς δὲ αὐτῆς ἐπιστήμης εἰδέναι τὸ εἶδος καὶ τὴν ὕλην μέχρι του (οἷον ἰατροῦ ὑγίειαν καὶ χολὴν καὶ φλέγμα, ἐν οἷς ἡ ὑγίεια, ὁμοίως δὲ καὶ οἰκοδόμου τό τε εἶδος τῆς οἰκίας καὶ τὴν ὕλην, ὅτι πλίνθοι καὶ ξύλα· ὡσαύτως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων), καὶ τῆς φυσικῆς ἂν εἴη τὸ γνωρίζειν ἀμφοτέρας τὰς φύσεις. ἔτι τὸ οὗ ἕνεκα καὶ τὸ τέλος τῆς αὐτῆς, καὶ ὅσα τούτων ἕνεκα. ἡ δὲ φύσις τέλος καὶ οὗ ἕνεκα (ὧν γὰρ συνεχοῦς τῆς κινήσεως οὔσης ἔστι τι τέλος τῆς κινήσεως, τοῦτο ἔσχατον καὶ τὸ οὗ ἕνεκα· διὸ καὶ ὁ ποιητὴς γελοίως προήχθη εἰπεῖν “ἔχει τελευτήν, ἧσπερ οὕνεκ’ ἐγένετο”· βούλεται γὰρ οὐ πᾶν εἶναι τὸ ἔσχατον τέλος, ἀλλὰ τὸ βέλτιστον)· ἐπεὶ καὶ ποιοῦσιν αἱ τέχναι τὴν ὕλην αἱ μὲν ἁπλῶς αἱ δὲ εὐεργόν, καὶ χρώμεθα ὡς ἡμῶν ἕνεκα πάν-

29–30 Ross: ἔστι τι τέλος, τοῦτο (v. l.).  30 Ross: 〈τὸ〉 ἔσχατον.



Buch II · Kapitel 2

55

die Astronomie. Denn gewissermaßen verhalten sie sich umgekehrt zur Geometrie: Diese untersucht eine natürliche Linie, aber nicht qua natürlich, die Optik hingegen eine mathematische Linie, aber nicht qua mathematisch, sondern qua natürlich. a12 Da die Natur zweifach ist, Form und Material, werden wir bei der Betrachtung so vorgehen müssen, wie wenn wir bei der Stupsig­ keit untersuchen würden, was sie ist. Das heißt, solche Dinge sind weder ohne Material noch unter ausschließlicher Berücksichtigung des Materials zu betrachten. a15 Tatsächlich könnte man auch, da es zweierlei Natur gibt, eine Schwierigkeit darin sehen, mit welcher von beiden sich der Naturwissenschaftler zu befassen hat. Oder [ist es nicht vielmehr so, dass er sich] mit dem [zu befassen hat], was aus beiden [besteht]? Aber wenn mit dem, was aus beiden [besteht], dann auch mit beiden. Ist es nun Sache desselben oder [jeweils] eines anderen [Fachs], sich Kenntnis von beiden zu verschaffen? a18 Wenn man auf die Alten blickt, könnte man zu der Auffassung kommen, [die Naturwissenschaft befasse sich] mit dem Material. Denn nur zu einem geringen Teil haben sich Empedokles und Demo­krit mit der Form und dem Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein befasst. a21 An­ genommen, die Kunst folgt nachahmend der Natur. Nun ist es [im Bereich der Künste] Sache desselben Fachwissens, die Form und zu einem gewissen Grade auch das Material zu kennen – z. B. des Arz­ tes, sowohl die Gesundheit als auch Galle und Schleim, worin die Gesundheit [vorliegen soll], ähnlich des Baumeisters, die Form des Hauses und das Material, nämlich Ziegel und Bauholz, und ebenso bei den anderen Fächern. Daher sollte es auch Sache der Naturwis­ senschaft sein, sich Kenntnis beider Naturen zu verschaffen. a27 Ebenso sind einerseits das Wozu und das Ziel, und andererseits was ihretwillen [der Fall ist, existiert oder geschieht], Thema der­ selben Disziplin. Die Natur ist aber Ziel und Wozu. Wenn es näm­ lich bei einer kontinuierlichen Bewegung ein Ziel der Bewegung gibt, dann ist dieses der Abschluss und das Wozu. Deshalb ist es eine Albernheit, wozu sich der Dichter mit dem folgenden Vers hat hinreißen lassen: »Er hat das Ende, zu dem er geboren.« Denn nicht jeder Abschluss will ein Ziel sein, sondern nur der beste. a33 Da die Künste das Material teils herstellen, teils verarbeiten und wir es in der Annahme verwenden, alles sei unsertwillen vorhan­

56 B 3 · 194 a 35 – 194 b 25 35 194b1

5

10

15

των ὑπαρχόντων (ἐσμὲν γάρ πως καὶ ἡμεῖς τέλος· διχῶς γὰρ τὸ οὗ ἕνεκα· εἴρηται δ’ ἐν τοῖς περὶ φιλοσοφίας), δύο δὴ αἱ ἄρχουσαι τῆς ὕλης καὶ γνωρίζουσαι τέχναι, ἥ τε χρωμένη καὶ τῆς ποιητικῆς ἡ ἀρχιτεκτονική. διὸ καὶ ἡ χρωμένη ἀρχιτεκτονική πως, διαφέρει δὲ ᾗ ἡ μὲν τοῦ εἴδους γνωριστική, ἡ ἀρχιτεκτονική, ἡ δὲ ὡς ποιητική, τῆς ὕλης· ὁ μὲν γὰρ κυβερνήτης ποῖόν τι τὸ εἶδος τοῦ πηδαλίου γνωρίζει καὶ ἐπιτάττει, ὁ δ’ ἐκ ποίου ξύλου καὶ ποίων κινήσεων ἔσται. ἐν μὲν οὖν τοῖς κατὰ τέχνην ἡμεῖς ποιοῦμεν τὴν ὕλην τοῦ ἔργου ἕνεκα, ἐν δὲ τοῖς φυσικοῖς ὑπάρχει οὖσα. ἔτι τῶν πρός τι ἡ ὕλη· ἄλλῳ γὰρ εἴδει ἄλλη ὕλη. μέχρι δὴ πόσου τὸν φυσικὸν δεῖ εἰδέναι τὸ εἶδος καὶ τὸ τί ἐστιν; ἢ ὥσπερ ἰατρὸν νεῦρον ἢ χαλκέα χαλκόν, μέχρι τοῦ τίνος [γὰρ] ἕνεκα ἕκαστον, καὶ περὶ ταῦτα ἅ ἐστι χωριστὰ μὲν εἴδει, ἐν ὕλῃ δέ; ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ καὶ ἥλιος. πῶς δ’ ἔχει τὸ χωριστὸν καὶ τί ἐστι, φιλοσοφίας ἔργον διορίσαι τῆς πρώτης.

3. Διωρισμένων δὲ τούτων ἐπισκεπτέον περὶ τῶν αἰτίων, ποῖά τε καὶ πόσα τὸν ἀριθμόν ἐστιν. ἐπεὶ γὰρ τοῦ εἰδέναι χάριν ἡ πραγματεία, εἰδέναι δὲ οὐ πρότερον οἰόμεθα ἕκαστον πρὶν ἂν λάβωμεν τὸ διὰ τί περὶ ἕκαστον (τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ 20 λαβεῖν τὴν πρώτην αἰτίαν), δῆλον ὅτι καὶ ἡμῖν τοῦτο ποιητέον καὶ περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς καὶ πάσης τῆς φυσικῆς μεταβολῆς, ὅπως εἰδότες αὐτῶν τὰς ἀρχὰς ἀνάγειν εἰς αὐτὰς πειρώμεθα τῶν ζητουμένων ἕκαστον. ἕνα μὲν οὖν τρόπον αἴτιον λέγεται τὸ ἐξ οὗ γίγνεταί τι ἐνυπάρχοντος, οἷον ὁ 25 χαλκὸς τοῦ ἀνδριάντος καὶ ὁ ἄργυρος τῆς φιάλης καὶ τὰ

1 Ross: δὲ (v. l.) sowie Punkt nach der Klammer (a36).



Buch II · Kapitel 3

57

den (denn in gewisser Weise sind auch wir ein Ziel – der Ausdruck »Wozu« ist ja zweideutig, wie in den Büchern Über Philosophie aus­ geführt), sind es auch zwei Künste, die das Material beherrschen und erkennen: die verwendende und die bei der Herstellung anlei­ tende. Daher ist auch die verwendende in gewisser Weise anleitend. b3 Der Unterschied liegt darin, dass zu der einen die Erkenntnis der Form gehört, zu der anderen, der bei der Herstellung anleitenden, die Erkenntnis des Materials. Denn der Schiffsführer erkennt und ordnet an, was für eine Form [d. h. Konstruktion] das Ruder haben muss, der Hersteller hingegen, aus was für einem Holz es bestehen muss und welche Arbeitsgänge erforderlich sind. b7 Bei dem, was aufgrund der Kunst ist, machen wir das Material um des Produkts willen, beim Natürlichen ist es schon vorhanden. – b8 Ferner ist das Material etwas Bezügliches. Denn zu einer anderen Form gehört ein anderes Material. b9 Wie weit hat der Naturwissenschaftler die Form und das Wasist-das zu kennen? Etwa wie der Arzt die Sehne und der Schmied die Bronze, nämlich bis dahin, wozu sie jeweils sind; und zwar bei dem, was zwar der Form nach getrennt, aber im Material ist? Denn ein Mensch zeugt einen Menschen, unter Mitwirkung der Sonne. b14 Was es aber mit dem Getrennten und dem Was-ist-das auf sich hat, das zu bestimmen ist Aufgabe der ersten Philosophie. 3.  Nachdem dies bestimmt ist, ist hinsichtlich der Ursachen zu un­ 194b16 tersuchen, was für welche und wie viele an Zahl sie sind. b17 Da diese Studien um des Wissens willen [unternommen werden] und wir die jeweilige Sache nicht eher zu wissen glauben, als wir das je­ weilige Warum erfasst haben (und dies ist das Erfassen der ersten Ursache), haben offenbar auch wir dies zu tun hinsichtlich Entste­ hen und Vergehen und aller natürlichen Änderung, um in Kenntnis ihrer Prinzipien bei dem jeweiligen Forschungsthema eine Zurück­ führung auf diese zu versuchen. b23 [i] Auf eine Weise wird als Ursache dasjenige bezeichnet, woraus als darin Vorhandenem etwas entsteht, wie die Bronze, aus der die Statue, und das Silber, aus dem die Schale ist, sowie deren [übergeordnete] Gattungen. b26

58 B 3 · 194 b 26 – 195 a 14

30

35 195a1

5

10

τούτων γένη· ἄλλον δὲ τὸ εἶδος καὶ τὸ παράδειγμα, τοῦτο δ’ ἐστὶν ὁ λόγος ὁ τοῦ τί ἦν εἶναι καὶ τὰ τούτου γένη (οἷον τοῦ διὰ πασῶν τὰ δύο πρὸς ἕν, καὶ ὅλως ὁ ἀριθμός) καὶ τὰ μέρη τὰ ἐν τῷ λόγῳ. ἔτι ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς μεταβολῆς ἡ πρώτη ἢ τῆς ἠρεμήσεως, οἷον ὁ βουλεύσας αἴτιος, καὶ ὁ πατὴρ τοῦ τέκνου, καὶ ὅλως τὸ ποιοῦν τοῦ ποιουμένου καὶ τὸ μεταβάλλον τοῦ μεταβαλλομένου. ἔτι ὡς τὸ τέλος· τοῦτο δ’ ἐστὶν τὸ οὗ ἕνεκα, οἷον τοῦ περιπατεῖν ἡ ὑγίεια· διὰ τί γὰρ περιπατεῖ; φαμέν “ἵνα ὑγιαίνῃ”, καὶ εἰπόντες οὕτως οἰόμεθα ἀποδεδωκέναι τὸ αἴτιον. καὶ ὅσα δὴ κινήσαντος ἄλλου μεταξὺ γίγνεται τοῦ τέλους, οἷον τῆς ὑγιείας ἡ ἰσχνασία ἢ ἡ κάθαρσις ἢ τὰ φάρμακα ἢ τὰ ὄργανα· πάντα γὰρ ταῦτα τοῦ τέλους ἕνεκά ἐστιν, διαφέρει δὲ ἀλλήλων ὡς ὄντα τὰ μὲν ἔργα τὰ δ’ ὄργανα. τὰ μὲν οὖν αἴτια σχεδὸν τοσαυταχῶς λέγεται, συμβαίνει δὲ πολλαχῶς λεγομένων τῶν αἰτίων καὶ πολλὰ τοῦ αὐτοῦ αἴτια εἶναι, οὐ κατὰ συμβεβηκός, οἷον τοῦ ἀνδριάντος καὶ ἡ ἀνδριαντοποιικὴ καὶ ὁ χαλκός, οὐ καθ’ ἕτερόν τι ἀλλ’ ᾗ ἀνδριάς, ἀλλ’ οὐ τὸν αὐτὸν τρόπον, ἀλλὰ τὸ μὲν ὡς ὕλη τὸ δ’ ὡς ὅθεν ἡ κίνησις. ἔστιν δέ τινα καὶ ἀλλήλων αἴτια, οἷον τὸ πονεῖν τῆς εὐεξίας καὶ αὕτη τοῦ πονεῖν· ἀλλ’ οὐ τὸν αὐτὸν τρόπον, ἀλλὰ τὸ μὲν ὡς τέλος τὸ δ’ ὡς ἀρχὴ κινήσεως. ἔτι δὲ τὸ αὐτὸ τῶν ἐναντίων ἐστίν· ὃ γὰρ παρὸν αἴτιον τοῦδε, τοῦτο καὶ ἀπὸν αἰτιώμεθα ἐνίοτε τοῦ ἐναντίου, οἷον τὴν ἀπουσίαν τοῦ κυβερνήτου τῆς τοῦ πλοίου ἀνατροπῆς, οὗ ἦν ἡ παρουσία αἰτία τῆς σωτηρίας.



Buch II · Kapitel 3

59

[ii] Auf andere Weise die Form und das Muster. Das heißt, [als An­ gabe des Warum (und somit als Erklärung) fungiert] die Defi­ nition des Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein; sowie dessen [über­ geordnete] Gattungen, wie bei der Oktave das Verhältnis 2 : 1 und überhaupt die Zahl, sowie die Teile in der De­f inition. b29 [iii] Ferner, woher das erste Prinzip der Änderung oder des Still­ stands ist, wie derjenige, der den Rat gegeben hat, ursächlich ist, oder der Vater für das Kind, und überhaupt das Machende dafür, was gemacht wird, und das Ändernde dafür, was geän­ dert wird. b32 [iv] Ferner als das Ziel. Dies ist das Wozu, wie beim Spazieren­ gehen die Gesundheit. Denn warum geht man spazieren? Wir sagen, »damit man gesund wird/bleibt«, und indem wir so spre­ chen, glauben wir die Ursache angegeben zu haben. Ebenso bei allem, was durch äußere Einwirkung auf dem Weg zum Ziel geschieht, wie bei der Gesundheit die Austrocknung, das Ab­ führen, die Arzneien oder die Instrumente; denn dies alles ist um des Zieles willen, mit dem [einzigen] Unterschied, dass es sich teils um Maßnahmen, teils um Hilfsmittel handelt. a3 Von den Ursachen wird somit wohl auf so viele Weisen gesprochen. Daraus, dass von den Ursachen auf vielfache Weise gesprochen wird, ergibt sich nun aber, dass es für dasselbe viele Ursachen gibt, und dies nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände. a5 Beispiels­ weise sind die Statuenbildnerei und die Bronze Ursachen der Sta­ tue – nicht etwa aufgrund sonstiger Bewandtnisse, sondern eben qua Statue. Allerdings sind sie es nicht auf dieselbe Weise, sondern die Bronze als Material und die Statuenbildnerei als Woher-die-Be­ wegung. a8 Bei manchen Dingen ist die Verursachung wechselseitig, z. B. ist das Training Ursache des Wohlbefindens und dieses des Trainings. Aber nicht auf dieselbe Weise, sondern das eine als Ziel und das andere als Prinzip der Bewegung. a11 Ferner ist [manchmal] dasselbe Ursache von Konträrem. Denn was anwesend Ursache von diesem ist, das machen wir manchmal, wenn es abwesend ist, auch für das konträre Gegenteil verantwortlich, z. B. die Abwesenheit des Kapitäns für den Schiffbruch, wo seine Anwesenheit Ursache der Rettung gewesen wäre. a15

60 B 3 · 195 a 15 – 195 b 10 15

20

25

30

35 195b1

5

10

ἅπαντα δὲ τὰ νῦν εἰρημένα αἴτια εἰς τέτταρας πίπτει τρόπους τοὺς φανερωτάτους. τὰ μὲν γὰρ στοιχεῖα τῶν συλλαβῶν καὶ ἡ ὕλη τῶν σκευαστῶν καὶ τὸ πῦρ καὶ τὰ τοιαῦτα τῶν σωμάτων καὶ τὰ μέρη τοῦ ὅλου καὶ αἱ ὑποθέσεις τοῦ συμπεράσματος ὡς τὸ ἐξ οὗ αἴτιά ἐστιν, τούτων δὲ τὰ μὲν ὡς τὸ ὑποκείμενον, οἷον τὰ μέρη, τὰ δὲ ὡς τὸ τί ἦν εἶναι, τό τε ὅλον καὶ ἡ σύνθεσις καὶ τὸ εἶδος· τὸ δὲ σπέρμα καὶ ὁ ἰατρὸς καὶ ὁ βουλεύσας καὶ ὅλως τὸ ποιοῦν, πάντα ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς μεταβολῆς ἢ στάσεως [ἢ κινήσεως]· τὰ δ’ ὡς τὸ τέλος καὶ τἀγαθὸν τῶν ἄλλων· τὸ γὰρ οὗ ἕνεκα βέλτιστον καὶ τέλος τῶν ἄλλων ἐθέλει εἶναι· διαφερέτω δὲ μηδὲν εἰπεῖν αὐτὸ ἀγαθὸν ἢ φαινόμενον ἀγαθόν. τὰ μὲν οὖν αἴτια ταῦτα καὶ τοσαῦτά ἐστι τῷ εἴδει· τρόποι δὲ τῶν αἰτίων ἀριθμῷ μὲν εἰσὶ πολλοί, κεφαλαιούμενοι δὲ καὶ οὗτοι ἐλάττους. λέγεται γὰρ αἴτια πολλαχῶς, καὶ αὐτῶν τῶν ὁμοειδῶν προτέρως καὶ ὑστέρως ἄλλο ἄλλου, οἷον ὑγιείας ἰατρὸς καὶ τεχνίτης, καὶ τοῦ διὰ πασῶν τὸ διπλάσιον καὶ ἀριθμός, καὶ ἀεὶ τὰ περιέχοντα πρὸς τὰ καθ’ ἕκαστον. ἔτι δ’ ὡς τὸ συμβεβηκὸς καὶ τὰ τούτων γένη, οἷον ἀνδριάντος ἄλλως Πολύκλειτος καὶ ἄλλως ἀνδριαντοποιός, ὅτι συμβέβηκε τῷ ἀνδριαντοποιῷ τὸ Πολυκλείτῳ εἶναι. καὶ τὰ περιέχοντα δὲ τὸ συμβεβηκός, οἷον εἰ ὁ ἄνθρωπος αἴτιος εἴη ἀνδριάντος ἢ ὅλως ζῷον. ἔστι δὲ καὶ τῶν συμβεβηκότων ἄλλα ἄλλων πορρώτερον καὶ ἐγγύτερον, οἷον εἰ ὁ λευκὸς καὶ ὁ μουσικὸς αἴτιος λέγοιτο τοῦ ἀνδριάντος. πάντα δὲ καὶ τὰ οἰκείως λεγόμενα καὶ τὰ κατὰ συμβεβηκὸς τὰ μὲν ὡς δυνάμενα λέγεται τὰ δ’ ὡς ἐνεργοῦντα, οἷον τοῦ οἰκοδομεῖσθαι οἰκίαν οἰκοδόμος ἢ οἰκοδομῶν οἰκοδόμος. ὁμοίως δὲ λεχθήσεται καὶ ἐφ’ ὧν αἴτια τὰ αἴτια τοῖς εἰρημένοις, οἷον τουδὶ τοῦ ἀνδριάντος ἢ ἀνδριάντος ἢ ὅλως εἰκόνος, καὶ χαλκοῦ τοῦδε ἢ χαλκοῦ ἢ ὅλως ὕλης· καὶ ἐπὶ τῶν συμβεβηκότων ὡσαύτως. ἔτι δὲ συμπλεκόμενα καὶ ταῦτα κἀκεῖνα λεχθήσεται,



Buch II · Kapitel 3

61

Alle bisher erwähnten Ursachen fallen unter vier besonders augenfällige Weisen: a16 [i/ii] Die Buchstaben bei den Silben, das Material bei den Werkzeugen, das Feuer und dergleichen bei den Körpern, die Teile beim Ganzen, die Voraussetzungen bei der Kon­ klusion sind jeweils Ursachen als das Woraus. a19 Davon [d. h. von den genannten Dingen] ist jeweils das eine Ursache als das Zugrun­ deliegende (z. B. die Teile), das andere als das »Was-heißt-es-so-et­ was-zu-sein« (nämlich das Ganze und die Zusammensetzung und die Form). a21 [iii] Der Same und der Arzt und der Ratgeber und überhaupt das Machende sind sämtlich [Ursachen als] Woher-daserste-Prinzip-der-Änderung-oder-der-Ruhe. a23 [iv] Wieder ande­ res [ist Ursache] als das Ziel und das Gute des Übrigen. Denn das Wozu will Bestes und Ziel des Übrigen sein; ob man es gut oder gut scheinend nennt, soll dabei keinen Unterschied machen. a26 Die Ursachen sind somit diese und der Art nach so viele. Weisen, in denen etwas Ursache ist, gibt es eine Vielzahl; aber auch sie kön­ nen unter vergleichsweise wenige Hauptpunkte zusammengefasst werden. a29 Ursachen werden in vielfacher Weise angegeben und die gleichartigen Ursachen einander vor- und nachgeordnet; z. B. bei Gesundheit Arzt und Fachmann, bei der Oktave das Doppelte und Zahl, und so immer das Umfassende im Verhältnis zum Ein­ zelnen. a32 Ferner [werden Ursachen angegeben] als das, was zusätz­ lich der Fall ist, sowie als Gattungen davon, z. B. für Statue auf die eine Weise Polyklet, auf die andere Statuenbildner, da es auf den Statuenbildner zusätzlich zutrifft, Polyklet zu sein. Und was das Zusätzliche umfasst; so wäre z. B. der Mensch Ursache der Statue oder überhaupt: Tier. Auch ist das Zusätzliche teils entfernter, teils näher, z. B. wenn der Blasse und der Musische als Ursache der Sta­ tue angegeben werden. b3 Alles in einschlägiger Weise oder anhand zusätzlicher Umstände Angegebene wird teils als fähig, teils als tä­ tig angegeben, z. B. für das Bauen des Hauses Baumeister oder bau­ ender Baumeister. b6 Ähnlich wie in der beschriebenen Weise kann auch angegeben werden, wovon die Ursachen Ursachen sind, z. B.: von dieser Statue oder von Statue oder überhaupt von Abbildung, und: von dieser Portion Bronze oder von Bronze oder überhaupt von Material; und ebenso bei dem, was zusätzlich der Fall ist. b10 Ferner kann dieses und jenes [jeweils] als Verbundenes angegeben

62 B 4 · 195 b 11 – 196 a 4

15

20

25

30

οἷον οὐ Πολύκλειτος οὐδὲ ἀνδριαντοποιός, ἀλλὰ Πολύκλειτος ἀνδριαντοποιός. ἀλλ’ ὅμως ἅπαντα ταῦτά ἐστι τὸ μὲν πλῆθος ἕξ, λεγόμενα δὲ διχῶς· ἢ γὰρ ὡς τὸ καθ’ ἕκαστον, ἢ ὡς τὸ γένος, ἢ ὡς τὸ συμβεβηκός, ἢ ὡς τὸ γένος τοῦ συμβεβηκότος, ἢ ὡς συμπλεκόμενα ταῦτα ἢ ὡς ἁπλῶς λεγόμενα· πάντα δὲ ἢ ἐνεργοῦντα ἢ κατὰ δύναμιν. διαφέρει δὲ τοσοῦτον, ὅτι τὰ μὲν ἐνεργοῦντα καὶ τὰ καθ’ ἕκαστον ἅμα ἔστι καὶ οὐκ ἔστι καὶ ὧν αἴτια, οἷον ὅδ’ ὁ ἰατρεύων τῷδε τῷ ὑγιαζομένῳ καὶ ὅδε ὁ οἰκοδομῶν τῷδε τῷ οἰκοδομουμένῳ, τὰ δὲ κατὰ δύναμιν οὐκ ἀεί. φθείρεται γὰρ οὐχ ἅμα ἡ οἰκία καὶ ὁ οἰκοδόμος. δεῖ δ’ ἀεὶ τὸ αἴτιον ἑκάστου τὸ ἀκρότατον ζητεῖν, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων (οἷον ἅνθρωπος οἰκοδομεῖ ὅτι οἰκοδόμος, ὁ δ’ οἰκοδόμος κατὰ τὴν οἰκοδομικήν· τοῦτο τοίνυν πρότερον τὸ αἴτιον, καὶ οὕτως ἐπὶ πάντων)· ἔτι τὰ μὲν γένη τῶν γενῶν, τὰ δὲ καθ’ ἕκαστον τῶν καθ’ ἕκαστον (οἷον ἀνδριαντοποιὸς μὲν ἀνδριάντος, ὁδὶ δὲ τουδί)· καὶ τὰς μὲν δυνάμεις τῶν δυνατῶν, τὰ δ’ ἐνεργοῦντα πρὸς τὰ ἐνεργούμενα. ὅσα μὲν οὖν τὰ αἴτια καὶ ὃν τρόπον αἴτια, ἔστω ἡμῖν διωρισμένα ἱκανῶς.

4. Λέγεται δὲ καὶ ἡ τύχη καὶ τὸ αὐτόματον τῶν αἰτίων, καὶ πολλὰ καὶ εἶναι καὶ γίγνεσθαι διὰ τύχην καὶ διὰ τὸ αὐτόματον· τίνα οὖν τρόπον ἐν τούτοις ἐστὶ τοῖς αἰτίοις ἡ τύχη καὶ τὸ αὐτόματον, καὶ πότερον τὸ αὐτὸ ἡ τύχη καὶ τὸ 35 αὐτόματον ἢ ἕτερον, καὶ ὅλως τί ἐστιν ἡ τύχη καὶ τὸ αὐτόματον, ἐπισκεπτέον. ἔνιοι γὰρ καὶ εἰ ἔστιν ἢ μὴ ἀποροῦσιν· 196a1 οὐδὲν γὰρ δὴ γίγνεσθαι ἀπὸ τύχης φασίν, ἀλλὰ πάντων εἶναί τι αἴτιον ὡρισμένον ὅσα λέγομεν ἀπὸ ταὐτομάτου γίγνεσθαι ἢ τύχης, οἷον τοῦ ἐλθεῖν ἀπὸ τύχης εἰς τὴν ἀγοράν, καὶ καταλαβεῖν ὃν ἐβούλετο μὲν οὐκ ᾤετο δέ, αἴτιον τὸ βούλεσθαι



Buch II · Kapitel 4

63

werden, z. B. statt Polyklet oder Statuenbildner: der Statuenbildner Polyklet. b12 Trotzdem sind dies insgesamt nur sechs [Weisen, in de­ nen etwas Ursache ist], die sich jeweils zweifach angeben lassen: als Einzelnes oder als Gattung, als Zusätzliches oder als Gattung des Zusätzlichen, und dies als Verbundenes oder als Einfaches; und al­ les entweder tätig oder aufgrund der Fähigkeit. b16 Der Unterschied liegt darin, dass das Tätige und Einzelne zugleich mit dem, wovon es Ursache ist, besteht und nicht besteht, z. B. dieser Heilende mit diesem Genesenden und dieser Bauende mit diesem, das gebaut wird; bei dem, was in Hinblick auf die Fähigkeit angegeben wird, ist dies nicht immer der Fall. Denn das Haus und der Baumeister gehen nicht zugleich zugrunde. b21 Wie auch sonst, muss man stets die zugespitzteste Ursache der jeweiligen Sache suchen. Beispielsweise baut ein Mensch, weil er Bau­meister ist, und der Baumeister [baut] aufgrund der Kunst des Hausbaus; diese ist also die primäre Ursache, und ebenso in allen anderen Fällen. b25 Ferner [soll man suchen] Gattungen bei [d. h. als Ursache für] Gattungen, aber Einzelnes bei Einzelnem; z. B. Statuen­bildner bei Statue, aber diesen [Statuenbildner] bei dieser [Statue]. Und einerseits die Fähigkeiten bei Möglichem, anderer­ seits das Tätige bei wirklich Ausgeführtem. – b28 Wie viele Ur­ sachen es gibt und auf welche Weise sie Ursachen sind, soll uns hiermit hinreichend bestimmt sein. 4.  Es heißt, auch der Zufall und das Irgendwie-von-selbst gehöre 195b31 zu den Ursachen; vieles bestehe und vieles geschehe durch Zufall und durch das Irgendwie-von-selbst. Auf welche Weise der Zufall und das Irgendwie-von-selbst bei den bisher angegebenen Ursachen vorkommen und ob der Zufall und das Irgendwie-von-selbst das­ selbe oder Verschiedenes sind, und überhaupt, was der Zufall und das Irgendwie-von-selbst sind, ist zu untersuchen. b36 Manche Leute haben die Frage aufgeworfen, ob es den Zufall und das Irgendwie-von-selbst gibt oder nicht. Sie sagen nämlich, nichts geschehe zufällig; sondern wovon wir behaupten, es geschehe irgendwie von selbst oder zufällig, dafür gebe es stets eine wohl­ bestimmte Ursache. Zum Beispiel: Dafür, dass man zufällig auf den Markt kommt und wider Erwarten jemanden antrifft, den man

64 B 4 · 196 a 5 – 196 a 34 5

10

15

20

25

30

ἀγοράσαι ἐλθόντα· ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων τῶν ἀπὸ τύχης λεγομένων ἀεί τι εἶναι λαβεῖν τὸ αἴτιον, ἀλλ’ οὐ τύχην, ἐπεὶ εἴ γέ τι ἦν ἡ τύχη, ἄτοπον ἂν φανείη ὡς ἀληθῶς, καὶ ἀπορήσειεν ἄν τις διὰ τί ποτ’ οὐδεὶς τῶν ἀρχαίων σοφῶν τὰ αἴτια περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς λέγων περὶ τύχης οὐδὲν διώρισεν, ἀλλ’ ὡς ἔοικεν, οὐδὲν ᾤοντο οὐδ’ ἐκεῖνοι εἶναι ἀπὸ τύχης. ἀλλὰ καὶ τοῦτο θαυμαστόν· πολλὰ γὰρ καὶ γίγνεται καὶ ἔστιν ἀπὸ τύχης καὶ ἀπὸ ταὐτομάτου, ἃ οὐκ ἀγνοοῦντες ὅτι ἔστιν ἐπανενεγκεῖν ἕκαστον ἐπί τι αἴτιον τῶν γιγνομένων, καθάπερ ὁ παλαιὸς λόγος εἶπεν ὁ ἀναιρῶν τὴν τύχην, ὅμως τούτων τὰ μὲν εἶναί φασι πάντες ἀπὸ τύχης τὰ δ’ οὐκ ἀπὸ τύχης· διὸ καὶ ἁμῶς γέ πως ἦν ποιητέον αὐτοῖς μνείαν. ἀλλὰ μὴν οὐδ’ ἐκείνων γέ τι ᾤοντο εἶναι τὴν τύχην, οἷον φιλίαν ἢ νεῖκος ἢ νοῦν ἢ πῦρ ἢ ἄλλο γέ τι τῶν τοιούτων. ἄτοπον οὖν εἴτε μὴ ὑπελάμβανον εἶναι εἴτε οἰόμενοι παρέλειπον, καὶ ταῦτ’ ἐνίοτε χρώμενοι, ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς οὐκ ἀεὶ τὸν ἀέρα ἀνωτάτω ἀποκρίνεσθαί φησιν, ἀλλ’ ὅπως ἂν τύχῃ. λέγει γοῦν ἐν τῇ κοσμοποιίᾳ ὡς “οὕτω συνέκυρσε θέων τοτέ, πολλάκι δ’ ἄλλως”· καὶ τὰ μόρια τῶν ζῴων ἀπὸ τύχης γενέσθαι τὰ πλεῖστά φησιν. εἰσὶ δέ τινες οἳ καὶ τοὐρανοῦ τοῦδε καὶ τῶν κόσμων πάντων αἰτιῶνται τὸ αὐτόματον· ἀπὸ ταὐτομάτου γὰρ γενέσθαι τὴν δίνην καὶ τὴν κίνησιν τὴν διακρίνασαν καὶ καταστήσασαν εἰς ταύτην τὴν τάξιν τὸ πᾶν. καὶ μάλα τοῦτό γε αὐτὸ θαυμάσαι ἄξιον· λέγοντες γὰρ τὰ μὲν ζῷα καὶ τὰ φυτὰ ἀπὸ τύχης μήτε εἶναι μήτε γίγνεσθαι, ἀλλ’ ἤτοι φύσιν ἢ νοῦν ἤ τι τοιοῦτον ἕτερον εἶναι τὸ αἴτιον (οὐ γὰρ ὅ τι ἔτυχεν ἐκ τοῦ σπέρματος ἑκάστου γίγνεται, ἀλλ’ ἐκ μὲν τοῦ τοιουδὶ ἐλαία ἐκ δὲ τοῦ τοιουδὶ ἄνθρωπος), τὸν δ’ οὐρανὸν καὶ τὰ θειότατα τῶν φανερῶν ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου γενέσθαι, τοιαύτην δ’ αἰτίαν μη-



Buch II · Kapitel 4

65

treffen wollte, sei die Ursache, dass man zum Markt kommen und sich dort aufhalten wollte. Ebenso lasse sich bei allem anderen, das als zufällig bezeichnet wird, irgendetwas, aber nicht der Zufall, als die Ursache fassen. a7 Wenn es nun den Zufall als eine bestimmte Sache geben sollte, erschiene das wahrhaft absurd; und man könnte die Frage aufwerfen, warum wohl keiner der alten Experten bei der Angabe der Ursachen von Werden und Vergehen etwas über den Zufall bestimmt hat und auch sie vielmehr, wie es scheint, glaubten, dass nichts zufällig sei. a11 Aber auch dies ist erstaunlich: Vieles geschieht und besteht zu­ fällig und irgendwie von selbst. Wohl wissend, dass sich (wie die alte Rede sagte, die den Zufall aufhob) alles, was geschieht, auf eine Ursache zurückführen lässt, sagen gleichwohl alle, was geschieht, sei teils zufällig, teils nicht zufällig. Deshalb hätten sie sich dar­ über irgendwie äußern sollen. Sie glaubten ja auch nicht [ergänze: was dieses Versäumnis entschuldet hätte], der Zufall sei einer je­ ner [Faktoren], wie Liebe, Streit, Vernunft, Feuer oder sonst etwas dergleichen. Abwegig ist beides: ob sie nun gar nicht angenommen haben, dass es [den Zufall] gibt, oder ob sie es geglaubt und über­ gangen haben. a20 Und erst recht, wenn sie sich seiner gelegentlich selbst bedient haben. So sagt Empedokles, dass die Luft nicht im­ mer ganz oben abgesondert wird, sondern wie es sich eben durch Zufall ergibt. Sagt er doch in seiner Weltherstellung: »Damals fügte es sich, dass sie [die Luft] in diese Richtung lief, oft aber läuft sie auch auf andere Weise.« Und von den Teilen der Tiere sagt er, dass die meisten zufällig entstehen. a24 Es gibt auch Leute, die für diesen Himmel und alle Weltordnun­ gen das Irgendwie-von-selbst als Ursache angeben; irgendwie von selbst seien nämlich der Wirbel und die Bewegung entstanden, die das All entmischte und zu der bestehenden Anordnung einrichtete. Auch dies ist sehr staunenswert: Einerseits bestreiten sie, dass Tiere und Pflanzen durch Zufall sind oder entstehen. Vielmehr sei Natur, Vernunft oder dergleichen die Ursache; denn nicht, was sich durch Zufall ergibt, entsteht jeweils aus dem Samen, sondern aus solchem ein Ölbaum und aus solchem ein Mensch. Der Himmel aber und das Göttlichste unter dem Sichtbaren sei irgendwie von selbst ent­ standen, und es gebe [für ihn] keine solche Ursache wie bei den

66 B 5 · 196 a 35 – 196 b 25

δεμίαν εἶναι οἵαν τῶν ζῴων καὶ τῶν φυτῶν. καίτοι εἰ οὕτως ἔχει, τοῦτ’ αὐτὸ ἄξιον ἐπιστάσεως, καὶ καλῶς ἔχει λεχ196b1 θῆναί τι περὶ αὐτοῦ. πρὸς γὰρ τῷ καὶ ἄλλως ἄτοπον εἶναι τὸ λεγόμενον, ἔτι ἀτοπώτερον τὸ λέγειν ταῦτα ὁρῶντας ἐν μὲν τῷ οὐρανῷ οὐδὲν ἀπὸ ταὐτομάτου γιγνόμενον, ἐν δὲ τοῖς οὐκ ἀπὸ τύχης πολλὰ συμβαίνοντα ἀπὸ τύχης· καίτοι εἰκός 5 γε ἦν τοὐναντίον γίγνεσθαι.  5 εἰσὶ δέ τινες οἷς δοκεῖ εἶναι μὲν αἰτία ἡ τύχη, ἄδηλος δὲ ἀνθρωπίνῃ διανοίᾳ ὡς θεῖόν τι οὖσα καὶ δαιμονιώτερον. ὥστε σκεπτέον καὶ τί ἑκάτερον, καὶ εἰ ταὐτὸν ἢ ἕτερον τό τε αὐτόματον καὶ ἡ τύχη, καὶ πῶς εἰς τὰ διωρισμένα αἴτια ἐμπίπτουσιν. 35

5. Πρῶτον μὲν οὖν, ἐπειδὴ ὁρῶμεν τὰ μὲν ἀεὶ ὡσαύτως γιγνόμενα τὰ δὲ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ, φανερὸν ὅτι οὐδετέρου τούτων αἰτία ἡ τύχη λέγεται οὐδὲ τὸ ἀπὸ τύχης, οὔτε τοῦ ἐξ ἀνάγκης καὶ αἰεὶ οὔτε τοῦ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ. ἀλλ’ ἐπειδὴ ἔστιν ἃ γίγνεται καὶ παρὰ ταῦτα, καὶ ταῦτα πάντες φασὶν εἶναι ἀπὸ 15 τύχης, φανερὸν ὅτι ἔστι τι ἡ τύχη καὶ τὸ αὐτόματον· τά τε γὰρ τοιαῦτα ἀπὸ τύχης καὶ τὰ ἀπὸ τύχης τοιαῦτα ὄντα ἴσμεν. τῶν δὲ γιγνομένων τὰ μὲν ἕνεκά του γίγνεται τὰ δ’ οὔ (τούτων δὲ τὰ μὲν κατὰ προαίρεσιν, τὰ δ’ οὐ κατὰ προαίρεσιν, ἄμφω δ’ ἐν τοῖς ἕνεκά του), ὥστε δῆλον ὅτι καὶ 20 ἐν τοῖς παρὰ τὸ ἀναγκαῖον καὶ τὸ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ ἔστιν ἔνια περὶ ἃ ἐνδέχεται ὑπάρχειν τὸ ἕνεκά του. ἔστι δ’ ἕνεκά του ὅσα τε ἀπὸ διανοίας ἂν πραχθείη καὶ ὅσα ἀπὸ φύσεως. τὰ δὴ τοιαῦτα ὅταν κατὰ συμβεβηκὸς γένηται, ἀπὸ τύχης φαμὲν εἶναι (ὥσπερ γὰρ καὶ ὄν ἐστι τὸ μὲν καθ’ αὑτὸ 25 τὸ δὲ κατὰ συμβεβηκός, οὕτω καὶ αἴτιον ἐνδέχεται εἶναι, 10



Buch II · Kapitel 5

67

Tieren und Pflanzen. Wenn das aber so sein sollte, verdiente diese Sache Aufmerksamkeit, und es hätte sich empfohlen, etwas darüber zu sagen. b1 Denn abgesehen davon, dass die genannten Behaup­ tungen ohnehin abwegig sind, ist es noch abwegiger, solche Be­ hauptungen aufzustellen, wenn man sieht, dass zwar einerseits am Himmel nichts irgendwie von selbst geschieht, während sich ande­ rerseits bei dem, was als nicht zufällig gilt, vieles durch Zufall er­ gibt. Es wäre doch wohl zu erwarten, dass das Gegenteil eintritt. b5 Es gibt auch Leute, denen scheint der Zufall zwar eine Ursache zu sein, aber dem menschlichen Denken verborgen, da es sich dabei um etwas Göttliches und eher Wunderbares handele. b7 Wir haben somit zu untersuchen, was beide [d. h. Zufall und Ir­ gendwie-von-selbst] jeweils sind und ob das Irgendwie-von-selbst und der Zufall dasselbe oder Verschiedenes sind und wie sie zu den zuvor bestimmten Ursachen passen. 5.  Da wir sehen, dass manches immer und anderes meist in der­ 196b10 selben Weise geschieht, ist einerseits offenkundig, dass in keinem dieser Fälle der Zufall oder das Zufällige als Ursache angegeben wird – weder bei dem, was zwangsläufig und immer, noch bei dem, was meistens geschieht. Da es aber auch manches gibt, was außer­ dem noch geschieht und von dem alle sagen, es sei zufällig, so ist andererseits offenkundig, dass es den Zufall und das Irgendwievon-selbst als eine bestimmte Sache gibt. Denn wir wissen, dass dergleichen zufällig und dass das Zufällige dergleichen ist. b17 Was geschieht, geschieht teils zu einem bestimmten Zweck, teils nicht; und jenes teils aufgrund eines Vorsatzes, teils nicht aufgrund eines Vorsatzes: beides kommt bei dem, was zu einem bestimm­ ten Zweck geschieht, vor. Daher ist klar, dass es auch außer dem Zwangsläufigen und dem meistens Geschehenden etliches gibt, bei dem es das Zu-einem-bestimmten-Zweck geben kann. Und zwar ist zu einem bestimmten Zweck [oder: zweckmäßig], was mit Bedacht getan werden und was von Natur [geschehen] könnte. Wenn derglei­ chen [nicht mit Bedacht oder von Natur, sondern] aufgrund zusätz­ licher Umstände geschieht, behaupten wir, es sei zufällig. b24 Denn was soundso ist, ist dies entweder an sich (kath’ hauto) oder auf­ grund zusätzlicher Umstände (kata symbebêkos). Ebenso [ent­weder

68 B 5 · 196 b 26 – 197 a 14

30

35 197a1

5

10

οἷον οἰκίας καθ’ αὑτὸ μὲν αἴτιον τὸ οἰκοδομικόν, κατὰ συμβεβηκὸς δὲ τὸ λευκὸν ἢ τὸ μουσικόν· τὸ μὲν οὖν καθ’ αὑτὸ αἴτιον ὡρισμένον, τὸ δὲ κατὰ συμβεβηκὸς ἀόριστον· ἄπειρα γὰρ ἂν τῷ ἑνὶ συμβαίη). καθάπερ οὖν ἐλέχθη, ὅταν ἐν τοῖς ἕνεκά του γιγνομένοις τοῦτο γένηται, τότε λέγεται ἀπὸ ταὐτομάτου καὶ ἀπὸ τύχης (αὐτῶν δὲ πρὸς ἄλληλα τὴν διαφορὰν τούτων ὕστερον διοριστέον· νῦν δὲ τοῦτο ἔστω φανερόν, ὅτι ἄμφω ἐν τοῖς ἕνεκά τού ἐστιν)· οἷον ἕνεκα τοῦ ἀπολαβεῖν τὸ ἀργύριον ἦλθεν ἂν κομιζομένου τὸν ἔρανον, εἰ ᾔδει· ἦλθε δ’ οὐ τούτου ἕνεκα, ἀλλὰ συνέβη αὐτῷ ἐλθεῖν, καὶ ποιῆσαι τοῦτο τοῦ κομίσασθαι ἕνεκα· τοῦτο δὲ οὔθ’ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ φοιτῶν εἰς τὸ χωρίον οὔτ’ ἐξ ἀνάγκης· ἔστι δὲ τὸ τέλος, ἡ κομιδή, οὐ τῶν ἐν αὐτῷ αἰτίων, ἀλλὰ τῶν προαιρετῶν καὶ ἀπὸ διανοίας· καὶ λέγεταί γε τότε ἀπὸ τύχης ἐλθεῖν, εἰ δὲ προελόμενος καὶ τούτου ἕνεκα ἢ ἀεὶ φοιτῶν ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ [κομιζόμενος], οὐκ ἀπὸ τύχης. δῆλον ἄρα ὅτι ἡ τύχη αἰτία κατὰ συμβεβηκὸς ἐν τοῖς κατὰ προαίρεσιν τῶν ἕνεκά του. διὸ περὶ τὸ αὐτὸ διάνοια καὶ τύχη· ἡ γὰρ προαίρεσις οὐκ ἄνευ διανοίας. ἀόριστα μὲν οὖν τὰ αἴτια ἀνάγκη εἶναι ἀφ’ ὧν ἂν γένοιτο τὸ ἀπὸ τύχης. ὅθεν καὶ ἡ τύχη τοῦ ἀορίστου εἶναι δοκεῖ καὶ ἄδηλος ἀνθρώπῳ, καὶ ἔστιν ὡς οὐδὲν ἀπὸ τύχης δόξειεν ἂν γίγνεσθαι. πάντα γὰρ ταῦτα ὀρθῶς λέγεται, εὐλόγως. ἔστιν μὲν γὰρ ὡς γίγνεται ἀπὸ τύχης· κατὰ συμβεβηκὸς γὰρ γίγνεται, καὶ ἔστιν αἴτιον ὡς συμβεβηκὸς ἡ τύχη· ὡς δ’ ἁπλῶς οὐδενός· οἷον οἰκίας οἰκοδόμος μὲν αἴ-



Buch II · Kapitel 5

69

an sich oder aufgrund zusätzlicher Umstände] kann es Ursache sein. Zum Beispiel: An sich ist das zum Hausbau Befähigte Ursache des Hauses, aufgrund zusätzlicher Umstände das Blasse und das Musi­ sche. Dabei ist jeweils wohlbestimmt, was an sich Ursache ist. Unbe­ stimmt ist hingegen, was aufgrund zusätzlicher Umstände Ursache ist; denn unendlich viel kann sich für enes ergeben. b29 Wie gesagt: Wenn etwas geschieht, das [im oben b21–22 angegebenen Sinn] zu einem bestimmten Zweck ist, und dabei dieses eintritt [nämlich: dass es aufgrund zusätzlicher Umstände geschieht], dann behaup­ tet man, es geschehe irgendwie von selbst und zufällig. Den Unter­ schied zwischen diesen beiden haben wir später zu bestimmen. Zu­ nächst sollte dies offenkundig sein: dass beide zu dem gehören, was zu einem bestimmten Zweck ist. b33 Zum Beispiel: Wenn er das gewusst hätte, wäre [der Gläubiger] zu dem Zweck [auf den Markt] gekommen, sein Geld von [seinem Schuldner] zurückzuerhalten, der seinerseits gerade einen Beitrag kassierte. Er kam aber nicht zu diesem Zweck, sondern es ergab sich für ihn, dass er kam und ebendies tat, was für das Schuldeneintreiben zweckmäßig war. Und dies, ohne dass er meist oder zwangsläufig an diesen Ort ge­gangen wäre. Das Ziel, die Geldeinnahme, gehört nicht zu den inneren Ur­ sachen, sondern zum Vorsätzlichen und aus Denken Resultieren­ den. Man sagt, im beschriebenen Fall sei er zufällig gekommen; wäre er aber vorsätzlich und zu diesem Zweck gekommen oder weil er das immer oder meistens zu tun pflegt, dann nicht zufällig. a5 Somit ist klar: Der Zufall ist eine Ursache aufgrund zusätzli­ cher Umstände bei dem, was aufgrund eines Vorsatzes zu einem bestimmten Zweck [sein könnte]. Daher beziehen sich Denken und Zufall auf dasselbe. Denn der Vorsatz ist nicht ohne Denken. a8 Zwangsläufig sind somit die Ursachen unbestimmt, aus denen sich das Zufällige ergeben kann. Daher scheint auch der Zufall zum Unbestimmten zu gehören und dem Menschen verborgen zu sein; und man kann glauben, es geschehe gar nichts durch Zufall. Dies alles ist richtig gesagt und vernünftigerweise zu erwarten. Freilich gibt es dies: dass etwas durch Zufall geschieht. Es ergibt sich näm­ lich aufgrund zusätzlicher Umstände, und der Zufall ist als etwas Zusätzliches Ursache; schlechthin aber in keinem Fall. Zum Bei­ spiel ist der Baumeister Ursache des Hauses, aufgrund zusätzlicher

70 B 6 · 197 a 15 – 197 b 6 15

20

25

30

35

τιος, κατὰ συμβεβηκὸς δὲ αὐλητής, καὶ τοῦ ἐλθόντα κομίσασθαι τὸ ἀργύριον, μὴ τούτου ἕνεκα ἐλθόντα, ἄπειρα τὸ πλῆθος· καὶ γὰρ ἰδεῖν τινὰ βουλόμενος καὶ διώκων καὶ φεύγων καὶ θεασόμενος. καὶ τὸ φάναι εἶναί τι παράλογον τὴν τύχην ὀρθῶς· ὁ γὰρ λόγος ἢ τῶν ἀεὶ ὄντων ἢ τῶν ὡς ἐπὶ τὸ πολύ, ἡ δὲ τύχη ἐν τοῖς γιγνομένοις παρὰ ταῦτα. ὥστ’ ἐπεὶ ἀόριστα τὰ οὕτως αἴτια, καὶ ἡ τύχη ἀόριστον. ὅμως δ’ ἐπ’ ἐνίων ἀπορήσειεν ἄν τις, ἆρ’ οὖν τὰ τυχόντα αἴτι’ ἂν γένοιτο τῆς τύχης· οἷον ὑγιείας ἢ πνεῦμα ἢ εἵλησις, ἀλλ’ οὐ τὸ ἀποκεκάρθαι· ἔστιν γὰρ ἄλλα ἄλλων ἐγγύτερα τῶν κατὰ συμβεβηκὸς αἰτίων. τύχη δὲ ἀγαθὴ μὲν λέγεται ὅταν ἀγαθόν τι ἀποβῇ, φαύλη δὲ ὅταν φαῦλόν τι, εὐτυχία δὲ καὶ δυστυχία ὅταν μέγεθος ἔχοντα ταῦτα· διὸ καὶ τὸ παρὰ μικρὸν κακὸν ἢ ἀγαθὸν λαβεῖν μέγα ἢ εὐτυχεῖν ἢ ἀτυχεῖν ἐστίν, ὅτι ὡς ὑπάρχον λέγει ἡ διάνοια· τὸ γὰρ παρὰ μικρὸν ὥσπερ οὐδὲν ἀπέχειν δοκεῖ. ἔτι ἀβέβαιον ἡ εὐτυχία εὐλόγως· ἡ γὰρ τύχη ἀβέβαιος· οὔτε γὰρ ἀεὶ οὔθ’ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ οἷόν τ’ εἶναι τῶν ἀπὸ τύχης οὐθέν. ἔστι μὲν οὖν ἄμφω αἴτια, καθάπερ εἴρηται, κατὰ συμβεβηκός—καὶ ἡ τύχη καὶ τὸ αὐτόματον—ἐν τοῖς ἐνδεχομένοις γίγνεσθαι μὴ ἁπλῶς μηδ’ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ, καὶ τούτων ὅσ’ ἂν γένοιτο ἕνεκά του.

6. Διαφέρει δ’ ὅτι τὸ αὐτόματον ἐπὶ πλεῖόν ἐστι· τὸ μὲν γὰρ ἀπὸ τύχης πᾶν ἀπὸ ταὐτομάτου, τοῦτο δ’ οὐ πᾶν 197b1 ἀπὸ τύχης. ἡ μὲν γὰρ τύχη καὶ τὸ ἀπὸ τύχης ἐστὶν ὅσοις καὶ τὸ εὐτυχῆσαι ἂν ὑπάρξειεν καὶ ὅλως πρᾶξις. διὸ καὶ ἀνάγκη περὶ τὰ πρακτὰ εἶναι τὴν τύχην (σημεῖον δ’ ὅτι δοκεῖ ἤτοι ταὐτὸν εἶναι τῇ εὐδαιμονίᾳ ἡ εὐτυχία ἢ ἐγγύς, 5 ἡ δ’ εὐδαιμονία πρᾶξίς τις· εὐπραξία γάρ), ὥσθ’ ὁπόσοις μὴ ἐνδέχεται πρᾶξαι, οὐδὲ τὸ ἀπὸ τύχης τι ποιῆσαι. καὶ | διὰ



Buch II · Kapitel 6

71

Umstände aber der Aulosspieler. Und dafür, dass einer kam und sein Geld eintrieb, ohne aber zu diesem Zweck gekommen zu sein, gibt es unendlich viele Ursachen: er wollte jemanden sehen, er ver­ folgte, er floh oder er kam als Zuschauer. a18 Es ist ganz richtig zu sagen, der Zufall sei etwas Unerklärliches (paralogon). Denn die Erklärung (logos) bezieht sich darauf, was immer oder meistens ist, aber den Zufall gibt es bei dem, was außer (para) diesem geschieht. Da die derartigen Ursachen unbestimmt sind, ist auch der Zufall unbestimmt. Gleichwohl könnte man in einigen Fällen die Frage aufwerfen, ob nicht zur Ursache des Zufalls wird, was sich gerade trifft. Bei der Gesundheit z. B. Wind oder Sonnenhitze. Aber nicht das Haareschneiden; denn von den Ursachen aufgrund zusätzlicher Umstände sind einige näherliegend als andere. a25 Ein Zufall heißt günstig, wenn aus ihm etwas Gutes, und ungüns­ tig, wenn aus ihm etwas Übles hervorgeht, und ein Glücks- bzw. Un­ glücksfall, wenn dies eine gewisse Größe hat. Deshalb ist es auch ein Glücks- bzw. Unglücksfall, ein großes Übel oder Gut knapp zu verfehlen. Denn man denkt sich dies schon als vorhanden; der knappe Abstand wird ignoriert. Dass das Glückhaben (eutychia) unverlässlich ist, sollte man vernünftigerweise erwarten. Denn der Zufall (tychê) ist unverlässlich. Es kann nämlich nichts Zufälliges immer oder meistens der Fall sein. a32 Wie gesagt: Beide, der Zufall (tychê) und das Irgendwie-vonselbst (automaton), sind Ursachen aufgrund zusätzlicher Umstände (kata symbebêkos), und zwar im Bereich dessen, was geschehen kann, aber weder schlechthin noch meistens [geschieht], und hier­ von das, was zu einem bestimmten Zweck geschehen könnte. 6.  Sie unterscheiden sich durch den größeren Umfang des Irgend­ 197a36 wie-von-selbst. Denn alles Zufällige ist irgendwie von selbst, aber nicht umgekehrt. b1 Den Zufall und das Zufällige gibt es, wo es auch das Glückhaben und überhaupt das Handeln gibt. Daher muss der Zufall im Bereich dessen auftreten, was getan werden kann. Ein Zeichen hierfür ist: Das Glück (eudaimonia) und das Glückhaben (eutychia) scheinen dasselbe oder eng beieinander zu sein; und das Glück ist ein Handeln, nämlich gelingendes Handeln. Wem es nicht möglich ist, zu handeln, kann daher auch nichts zufällig tun. b6 Des­

72 B 6 · 197 b 7 – 197 b 33

10

15

20

25

30

τοῦτο οὔτε ἄψυχον οὐδὲν οὔτε θηρίον οὔτε παιδίον οὐδὲν ποιεῖ ἀπὸ τύχης, ὅτι οὐκ ἔχει προαίρεσιν· οὐδ’ εὐτυχία οὐδ’ ἀτυχία ὑπάρχει τούτοις, εἰ μὴ καθ’ ὁμοιότητα, ὥσπερ ἔφη Πρώταρχος εὐτυχεῖς εἶναι τοὺς λίθους ἐξ ὧν οἱ βωμοί, ὅτι τιμῶνται, οἱ δὲ ὁμόζυγες αὐτῶν καταπατοῦνται. τὸ δὲ πάσχειν ἀπὸ τύχης ὑπάρξει πως καὶ τούτοις, ὅταν ὁ πράττων τι περὶ αὐτὰ πράξῃ ἀπὸ τύχης, ἄλλως δὲ οὐκ ἔστιν· τὸ δ’ αὐτόματον καὶ τοῖς ἄλλοις ζῴοις καὶ πολλοῖς τῶν ἀψύχων, οἷον ὁ ἵππος αὐτόματος, φαμέν, ἦλθεν, ὅτι ἐσώθη μὲν ἐλθών, οὐ τοῦ σωθῆναι δὲ ἕνεκα ἦλθε· καὶ ὁ τρίπους αὐτόματος κατέπεσεν· ἔστη μὲν γὰρ τοῦ καθῆσθαι ἕνεκα, ἀλλ’ οὐ τοῦ καθῆσθαι ἕνεκα κατέπεσεν. ὥστε φανερὸν ὅτι ἐν τοῖς ἁπλῶς ἕνεκά του γιγνομένοις, ὅταν μὴ τοῦ συμβάντος ἕνεκα γένηται ὧν ἔξω τὸ αἴτιον, τότε ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου λέγομεν· ἀπὸ τύχης δέ, τούτων ὅσα ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου γίγνεται τῶν προαιρετῶν τοῖς ἔχουσι προαίρεσιν. σημεῖον δὲ τὸ μάτην, ὅτι λέγεται ὅταν μὴ γένηται τῷ ἕνεκα ἄλλου ἐκείνο οὗ ἕνεκα, οἷον εἰ τὸ βαδίσαι λαπάξεως ἕνεκά ἐστιν, εἰ δὲ μὴ ἐγένετο βαδίσαντι, μάτην φαμὲν βαδίσαι καὶ ἡ βάδισις ματαία, ὡς τοῦτο ὂν τὸ μάτην, τὸ πεφυκὸς ἄλλου ἕνεκα, ὅταν μὴ περαίνῃ ἐκεῖνο οὗ ἕνεκα ἦν καὶ ἐπεφύκει, ἐπεὶ εἴ τις λούσασθαι φαίη μάτην ὅτι οὐκ ἐξέλιπεν ὁ ἥλιος, γελοῖος ἂν εἴη· οὐ γὰρ ἦν τοῦτο ἐκείνου ἕνεκα. οὕτω δὴ τὸ αὐτόματον καὶ κατὰ τὸ ὄνομα ὅταν αὐτὸ μάτην γένηται· κατέπεσεν γὰρ οὐ τοῦ πατάξαι ἕνεκεν ὁ λίθος· ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου ἄρα κατέπεσεν ὁ λίθος, ὅτι πέσοι ἂν ὑπὸ τινὸς καὶ τοῦ πατάξαι ἕνεκα. μάλιστα δ’ ἐστὶ χωριζόμενον τοῦ ἀπὸ τύχης ἐν τοῖς φύσει γιγνομένοις·

23 Text nach Prantl (vgl. Charlton 1970, 49). Ross: μὴ γένηται τὸ ἕνεκα ἄλλου ἐκείνου ἕνεκα.



Buch II · Kapitel 6

73

halb tut nichts Unbeseeltes, kein [vom Menschen verschiedenes] Tier und auch kein kleines Kind irgendetwas zufällig, da sie keinen Vorsatz haben. Bei ihnen gibt es auch kein Glückhaben oder Un­ glückhaben, außer übertragenerweise: wie bei Protarchos, der von den Steinen, aus denen Altäre gemacht sind, sagte, sie hätten Glück, denn sie würden geehrt, aber auf ihren Kameraden würde man her­ umtrampeln. Dass mit ihnen zufällig etwas geschieht, kommt ir­ gendwie auch bei ihnen vor, wenn nämlich der Handelnde zufällig etwas mit ihnen tut; anders aber nicht. b13 Das Irgendwie-von-selbst (automaton) kommt auch bei den an­ deren Tieren und bei vielem Unbeseelten vor. Beispielsweise kam, sagen wir, das Pferd irgendwie von selbst, weil es zwar durch sein Kommen gerettet wurde, aber nicht kam, um gerettet zu werden. Und der dreifüßige Hocker fiel irgendwie von selbst herunter. Er stand dann zwar zum Sitzen, aber er ist nicht zum Sitzen herunter­ gefallen. b18 Somit ist offenkundig: Bei dem, was für sich betrachtet zu einem bestimmten Zweck geschieht, sagen wir, es sei irgendwie von selbst, wenn es nicht um [dieses] Ergebnisses willen geschieht und seine Ursache eine äußere [d. h. von der jeweiligen Natur ver­ schiedene] ist; und zufällig sei, was irgendwie von selbst geschieht [im Bereich] dessen, was sich jemand, der zu Vorsätzen fähig ist, vornehmen kann. b22 Einen Hinweis gibt das Wort ›vergeblich‹ (­matên), das wir verwenden, wenn bei etwas, das zu etwas ande­ rem dient, nicht zustande kommt, wozu es dient. Wenn z. B. das Gehen zum Abführen dient und dies nach dem Gehen nicht ein­ getreten ist, dann behaupten wir, man sei vergeblich gegangen und der Gang sei vergeblich gewesen. Dies ist also das Vergeblich: dass etwas, das natürlicherweise zu etwas anderem dient, nicht zustande bringt, wozu es existierte und natürlicherweise bestimmt war. Es wäre ja lächerlich, zu sagen, weil sich die Sonne nicht verfinsterte, habe man sich vergeblich gewaschen; denn das geschah nicht zu die­ sem Zweck. So gibt es das Irgendwie-von-selbst, wie das Wort [auto­ maton] nahelegt, auch dann, wenn es vergeblich [matên; d. h. ohne die normale Auswirkung] geschieht. Der Stein fiel nicht, um je­ manden zu erschlagen. Er fiel also irgendwie von selbst, da man ihn auch hätte fallen lassen können, damit er jemanden erschlägt. – b32 Der deutliche Abstand vom Zufälligen besteht bei dem, was durch

74 B 7 · 197 b 34 – 198 a 25

35

198a1

5

10

ὅταν γὰρ γένηταί τι παρὰ φύσιν, τότε οὐκ ἀπὸ τύχης ἀλλὰ μᾶλλον ἀπὸ ταὐτομάτου γεγονέναι φαμέν. ἔστι δὲ καὶ τοῦτο ἕτερον· τοῦ μὲν γὰρ ἔξω τὸ αἴτιον, τοῦ δ’ ἐντός. τί μὲν οὖν ἐστιν τὸ αὐτόματον καὶ τί ἡ τύχη, εἴρηται, καὶ τί διαφέρουσιν ἀλλήλων. τῶν δὲ τρόπων τῆς αἰτίας ἐν τοῖς ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως ἑκάτερον αὐτῶν· ἢ γὰρ τῶν φύσει τι ἢ τῶν ἀπὸ διανοίας αἰτίων ἀεί ἐστιν· ἀλλὰ τούτων τὸ πλῆθος ἀόριστον. ἐπεὶ δ’ ἐστὶ τὸ αὐτόματον καὶ ἡ τύχη αἴτια ὧν ἂν ἢ νοῦς γένοιτο αἴτιος ἢ φύσις, ὅταν κατὰ συμβεβηκὸς αἴτιόν τι γένηται τούτων αὐτῶν, οὐδὲν δὲ κατὰ συμβεβηκός ἐστι πρότερον τῶν καθ’ αὑτό, δῆλον ὅτι οὐδὲ τὸ κατὰ συμβεβηκὸς αἴτιον πρότερον τοῦ καθ’ αὑτό. ὕστερον ἄρα τὸ αὐτόματον καὶ ἡ τύχη καὶ νοῦ καὶ φύσεως· ὥστ’ εἰ ὅτι μάλιστα τοῦ οὐρανοῦ αἴτιον τὸ αὐτόματον, ἀνάγκη πρότερον νοῦν αἴτιον καὶ φύσιν εἶναι καὶ ἄλλων πολλῶν καὶ τοῦδε τοῦ παντός.

7.  Ὅτι δὲ ἔστιν αἴτια, καὶ ὅτι τοσαῦτα τὸν ἀριθμὸν ὅσα 15 φαμέν, δῆλον· τοσαῦτα γὰρ τὸν ἀριθμὸν τὸ διὰ τί περιείληφεν· ἢ γὰρ εἰς τὸ τί ἐστιν ἀνάγεται τὸ διὰ τί ἔσχατον, ἐν τοῖς ἀκινήτοις (οἷον ἐν τοῖς μαθήμασιν· εἰς ὁρισμὸν γὰρ τοῦ εὐθέος ἢ συμμέτρου ἢ ἄλλου τινὸς ἀνάγεται ἔσχατον), ἢ εἰς τὸ κινῆσαν πρῶτον (οἷον διὰ τί ἐπολέμησαν; ὅτι ἐσύ20 λησαν), ἢ τίνος ἕνεκα (ἵνα ἄρξωσιν), ἢ ἐν τοῖς γιγνομένοις ἡ ὕλη. ὅτι μὲν οὖν τὰ αἴτια ταῦτα καὶ τοσαῦτα, φανερόν· ἐπεὶ δ’ αἱ αἰτίαι τέτταρες, περὶ πασῶν τοῦ φυσικοῦ εἰδέναι, καὶ εἰς πάσας ἀνάγων τὸ διὰ τί ἀποδώσει φυσικῶς, τὴν ὕλην, τὸ εἶδος, τὸ κινῆσαν, τὸ οὗ ἕνεκα. ἔρχεται δὲ τὰ τρία 25 εἰς [τὸ] ἓν πολλάκις· τὸ μὲν γὰρ τί ἐστι καὶ τὸ οὗ ἕνεκα ἕν



Buch II · Kapitel 7

75

­ atur ­geschieht. Denn wenn etwas Naturwidriges geschieht, dann N behaupten wir nicht, es sei zufällig, sondern eher, es sei irgendwie von selbst geschehen. Und dies ist auch etwas anderes. Denn im einen Fall liegt die Ursache außerhalb, im anderen Fall innen. a1 Was das Irgendwie-von-selbst und was der Zufall ist, wurde so­ mit angegeben, und auch, worin sie sich voneinander unterschei­ den. a2 Was die Weise der Ursache betrifft, gehören sie beide zum Woher-das-Prinzip-der-Bewegung. Denn sie sind immer eine der durch Natur oder mit Bedacht wirkenden Ursachen; wovon es aber unbestimmt viele gibt. Das Irgendwie-von-selbst und der Zufall sind Ursachen von Dingen, von denen die Vernunft oder die Natur Ursache sein könnte, und zwar wenn aufgrund zusätzlicher Um­ stände irgendetwas zur Ursache eben dieser Dinge wird. Nichts, [was] aufgrund zusätzlicher Umstände [der Fall ist], ist dem vorge­ ordnet, [was] an sich [der Fall ist]. Daher ist klar, dass nichts, was aufgrund zusätzlicher Umstände Ursache ist, dem vorgeordnet ist, was an sich Ursache ist. Folglich sind das Irgendwie-von-selbst und der Zufall der Vernunft und der Natur nachgeordnet. a10 Wenn da­ her am ehesten beim Himmel das Irgendwie-von-selbst Ursache ist, dann müssen zuvor noch Vernunft und Natur Ursache sein, sowohl von vielen anderen Dingen als auch von diesem All. 7.  Dass es Ursachen gibt und dass sie der Zahl nach ebenso viele 198a14 sind, wie wir behaupten, ist klar. Denn der Zahl nach ebenso viele hat das Warum umfasst. Entweder wird das Warum letztlich auf das Was-ist-das zurückgeführt, [nämlich] beim Bewegungslosen, z. B. in der Mathematik auf die Definition des Geraden, des Kom­ mensurablen oder von sonst etwas. Oder auf das, was zuerst bewegt hat – z. B.: Warum führten sie Krieg? Weil man sie geplündert hat. Oder: Wozu? Damit sie herrschen. Oder beim Entstehenden: das Material. a21 Dass somit die Ursachen diese und so viele sind, ist offen­bar. Und da die Ursachen vier sind, ist es bei ihnen allen Sa­ che des Naturwissenschaftlers, sie zu kennen und durch Zurück­ führung auf sie alle das Warum naturwissenschaftlich anzugeben: das Material, die Form, was bewegt hat, das Wozu. a24 Die [letzteren] drei fallen oft in eine zusammen. Denn das Wasist-das und das Wozu sind eines, und das Woher-zuerst-die-Be­

76 B 8 · 198 a 26 – 198 b 12

30

35 198b1

5

10

ἐστι, τὸ δ’ ὅθεν ἡ κίνησις πρῶτον τῷ εἴδει ταὐτὸ τούτοις· ἄνθρωπος γὰρ ἄνθρωπον γεννᾷ—καὶ ὅλως ὅσα κινούμενα κινεῖ (ὅσα δὲ μή, οὐκέτι φυσικῆς· οὐ γὰρ ἐν αὑτοῖς ἔχοντα κίνησιν οὐδ’ ἀρχὴν κινήσεως κινεῖ, ἀλλ’ ἀκίνητα ὄντα· διὸ τρεῖς αἱ πραγματεῖαι, ἡ μὲν περὶ ἀκινήτων, ἡ δὲ περὶ κινουμένων μὲν ἀφθάρτων δέ, ἡ δὲ περὶ τὰ φθαρτά). ὥστε τὸ διὰ τί καὶ εἰς τὴν ὕλην ἀνάγοντι ἀποδίδοται, καὶ εἰς τὸ τί ἐστιν, καὶ εἰς τὸ πρῶτον κινῆσαν. περὶ γενέσεως γὰρ μάλιστα τοῦτον τὸν τρόπον τὰς αἰτίας σκοποῦσι, τί μετὰ τί γίγνεται, καὶ τί πρῶτον ἐποίησεν ἢ τί ἔπαθεν, καὶ οὕτως αἰεὶ τὸ ἐφεξῆς. διτταὶ δὲ αἱ ἀρχαὶ αἱ κινοῦσαι φυσικῶς, ὧν ἡ ἑτέρα οὐ φυσική· οὐ γὰρ ἔχει κινήσεως ἀρχὴν ἐν αὑτῇ. τοιοῦτον δ’ ἐστὶν εἴ τι κινεῖ μὴ κινούμενον, ὥσπερ τό τε παντελῶς ἀκίνητον καὶ [τὸ] πάντων πρῶτον καὶ τὸ τί ἐστιν καὶ ἡ μορφή· τέλος γὰρ καὶ οὗ ἕνεκα· ὥστε ἐπεὶ ἡ φύσις ἕνεκά του, καὶ ταύτην εἰδέναι δεῖ, καὶ πάντως ἀποδοτέον τὸ διὰ τί, οἷον ὅτι ἐκ τοῦδε ἀνάγκη τόδε (τὸ δὲ ἐκ τοῦδε ἢ ἁπλῶς ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ), καὶ εἰ μέλλει τοδὶ ἔσεσθαι (ὥσπερ ἐκ τῶν προτάσεων τὸ συμπέρασμα), καὶ ὅτι τοῦτ’ ἦν τὸ τί ἦν εἶναι, καὶ διότι βέλτιον οὕτως, οὐχ ἁπλῶς, ἀλλὰ τὸ πρὸς τὴν ἑκάστου οὐσίαν. 8. Λεκτέον δὴ πρῶτον μὲν διότι ἡ φύσις τῶν ἕνεκά του αἰτίων, ἔπειτα περὶ τοῦ ἀναγκαίου, πῶς ἔχει ἐν τοῖς φυσικοῖς· εἰς γὰρ ταύτην τὴν αἰτίαν ἀνάγουσι πάντες, ὅτι ἐπειδὴ



Buch II · Kapitel 8

77

wegung ist mit ihnen der Art nach dasselbe. Denn Mensch zeugt Mensch; und überhaupt was bewegt, indem es in Bewegung ist. a28 Was aber nicht [d. h. was bewegt, ohne dabei selbst in Be­wegung zu sein], ist nicht mehr Thema der Naturwissenschaft. Denn es be­ wegt nicht in solcher Weise, dass es in sich selbst Bewegung oder ein Prinzip der [eigenen] Bewegung hätte, sondern indem es be­ wegungslos ist. Daher gibt es dreierlei Studien: über das Bewe­ gungslose, über das in Bewegung Befindliche, aber Unvergängli­ che, über das Vergängliche. a31 Das Warum wird somit angegeben durch Zurückführung auf das Material, auf das Was-ist-das und auf das Nächstliegende, das bewegt hat. a33 Beim Entstehen betrach­ tet man die Ursachen meist folgendermaßen: Was entsteht nach wem, was hat zuerst eine Wirkung ausgeübt oder worauf ist [zu­ erst] eine ­Wirkung ausgeübt worden, und so immer eines nach dem anderen. a35 Es gibt aber zweierlei Prinzipien, die auf natürliche Weise bewe­ gen, von denen freilich das eine nichts Natürliches ist; denn es hat kein Prinzip der [eigenen] Bewegung in sich. Dergleichen liegt vor, wenn etwas bewegt, ohne dabei selbst in Bewegung zu sein, wie z. B. das gänzlich Bewegungslose und Erste von allem [d. i. der Antrieb der Himmelsbewegungen] sowie das [jeweilige] Was-ist-das und die Gestalt. Denn diese sind Ziel und Wozu. b4 Daher hat man, da die Natur zu einem bestimmten Zweck [wirkt], auch dieses Prinzip zu kennen und das Warum in allen Bedeutungen anzugeben, nämlich: [i] dass aus diesem [als der Wirkursache] zwangsläufig jenes her­ vorgeht (›aus diesem‹ heißt hier: schlechthin oder meistens); [ii] wenn das sein soll … (wie aus den [gesuchten] Prämissen die [erwünschte] Konklusion); [iii] dass das Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein dieses war; [iv] dass es so besser ist – nicht schlechthin, sondern das Bessere nach Maßgabe der Substanz des jeweiligen Gegenstandes. 8.  Anzugeben ist zuerst, wieso die Natur eine der Ursachen ist, 198b10 [die] zu einem bestimmten Zweck [wirken]; anschließend, wie es sich im Bereich des Natürlichen mit dem Zwangsläufigen verhält. Denn auf diese Ursache rekurrieren alle [in Erklärungen wie]: Da

78 B 8 · 198 b 13 – 199 a 4

15

20

25

30

35 199a1

τὸ θερμὸν τοιονδὶ πέφυκεν καὶ τὸ ψυχρὸν καὶ ἕκαστον δὴ τῶν τοιούτων, ταδὶ ἐξ ἀνάγκης ἐστὶ καὶ γίγνεται· καὶ γὰρ ἐὰν ἄλλην αἰτίαν εἴπωσιν, ὅσον ἁψάμενοι χαίρειν ἐῶσιν, ὁ μὲν τὴν φιλίαν καὶ τὸ νεῖκος, ὁ δὲ τὸν νοῦν· ἔχει δ’ ἀπορίαν τί κωλύει τὴν φύσιν μὴ ἕνεκά του ποιεῖν μηδ’ ὅτι βέλτιον, ἀλλ’ ὥσπερ ὕει ὁ Ζεὺς οὐχ ὅπως τὸν σῖτον αὐξήσῃ, ἀλλ’ ἐξ ἀνάγκης (τὸ γὰρ ἀναχθὲν ψυχθῆναι δεῖ, καὶ τὸ ψυχθὲν ὕδωρ γενόμενον κατελθεῖν· τὸ δ’ αὐξάνεσθαι τούτου γενομένου τὸν σῖτον συμβαίνει), ὁμοίως δὲ καὶ εἴ τῳ ἀπόλλυται ὁ σῖτος ἐν τῇ ἅλῳ, οὐ τούτου ἕνεκα ὕει ὅπως ἀπόληται, ἀλλὰ τοῦτο συμβέβηκεν—ὥστε τί κωλύει οὕτω καὶ τὰ μέρη ἔχειν ἐν τῇ φύσει, οἷον τοὺς ὀδόντας ἐξ ἀνάγκης ἀνατεῖλαι τοὺς μὲν ἐμπροσθίους ὀξεῖς, ἐπιτηδείους πρὸς τὸ διαιρεῖν, τοὺς δὲ γομφίους πλατεῖς καὶ χρησίμους πρὸς τὸ λεαίνειν τὴν τροφήν, ἐπεὶ οὐ τούτου ἕνεκα γενέσθαι, ἀλλὰ συμπεσεῖν· ὁμοίως δὲ καὶ περὶ τῶν ἄλλων μερῶν, ἐν ὅσοις δοκεῖ ὑπάρχειν τὸ ἕνεκά του. ὅπου μὲν οὖν ἅπαντα συνέβη ὥσπερ κἂν εἰ ἕνεκά του ἐγίγνετο, ταῦτα μὲν ἐσώθη ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου συστάντα ἐπιτηδείως· ὅσα δὲ μὴ οὕτως, ἀπώλετο καὶ ἀπόλλυται, καθάπερ Ἐμπεδοκλῆς λέγει τὰ βουγενῆ ἀνδρόπρῳρα. ὁ μὲν οὖν λόγος, ᾧ ἄν τις ἀπορήσειεν, οὗτος, καὶ εἴ τις ἄλλος τοιοῦτός ἐστιν· ἀδύνατον δὲ τοῦτον ἔχειν τὸν τρόπον. ταῦτα μὲν γὰρ καὶ πάντα τὰ φύσει ἢ αἰεὶ οὕτω γίγνεται ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ, τῶν δ’ ἀπὸ τύχης καὶ τοῦ αὐτομάτου οὐδέν. οὐ γὰρ ἀπὸ τύχης οὐδ’ ἀπὸ συμπτώματος δοκεῖ ὕειν πολλάκις τοῦ χειμῶνος, ἀλλ’ ἐὰν ὑπὸ κύνα· οὐδὲ καύματα ὑπὸ κύνα, ἀλλ’ ἂν χειμῶνος. εἰ οὖν ἢ ἀπὸ συμπτώματος δοκεῖ ἢ ἕνεκά του εἶναι, εἰ μὴ οἷόν τε ταῦτ’ εἶναι μήτε ἀπὸ συμ-



Buch II · Kapitel 8

79

das Warme, das Kalte und dergleichen jeweils eine solche Natur hat, ist zwangsläufig dieses der Fall und entsteht. Wenn sie eine andere Ursache nennen (der eine Liebe und Streit, der andere die Ver­ nunft), verabschieden sie diese ja, sobald sie sie berührt haben. b16 Zunächst stellt sich die Frage, warum es sich nicht so verhält, dass die Natur gar nicht zu einem bestimmten Zweck wirkt und wie es besser ist, sondern so, wie Zeus regnet, nämlich nicht um den Weizen wachsen zu lassen, sondern aufgrund einer Zwangsläufig­ keit. Denn was aufwärtsbewegt wird, muss abkühlen, und das bei der Abkühlung entstandene Wasser muss herunterkommen; wenn dies geschieht, ergibt es sich zusätzlich, dass der Weizen wächst. Und ebenso, wenn jemandem der Weizen auf der Tenne verdirbt: Es regnet nicht, damit der Weizen verdirbt, sondern dies ergibt sich zusätzlich. b23 Daher: Warum verhält es sich so nicht auch mit den ­Teilen in der Natur [eines Lebewesens]? Dass nämlich z. B. die Zähne aufgrund einer Zwangsläufigkeit hervorkommen, und zwar die vorderen scharf und zum Schneiden geeignet, die Backenzähne hingegen abgeflacht und brauchbar zum Zerquetschen der Nah­ rung, da sie ja nicht zu diesem Zweck entstehen, sondern sich dies nur so trifft. Und ebenso mit den anderen Teilen, bei denen das Zueinem-bestimmten-Zweck vorzuliegen scheint. Wo sich nun alles so ergeben hat, als ob es zu einem bestimmten Zweck entstanden wäre, da blieb dies erhalten, nachdem es irgendwie von selbst in geeigne­ ter Weise zusammengetreten war; andernfalls ging und geht es un­ ter, wie Empedokles von den menschenköpfigen Kälbern sagt. b32 Die Argumentation, durch die man auf die obige Frage k ­ ommen könnte, ist diese (und vielleicht gibt es dergleichen noch andere). – Aber die Sache kann sich nicht in der angegebenen Weise verhalten. b34 Denn die angegebenen Dinge und alles, was durch Natur ist, kommen entweder immer oder meistens so zustande; aber nichts, was zufällig oder irgendwie von selbst ist [kommt immer oder meis­ tens so zustande]. Wir halten es ja nicht für Zufall oder bloßes Zu­ sammentreffen, dass es im Winter häufig regnet, sondern wenn das im Hochsommer geschieht; und entsprechend bei Hitze nicht im Hochsommer, sondern im Winter. a3 Und wenn für uns nur dies in Betracht kommt: durch bloßes Zusammentreffen oder zu einem bestimmten Zweck zu sein, und wenn diese Dinge weder durch

80 B 8 · 199 a 5 – 199 a 32 5

10

15

20 20

25

30

πτώματος μήτ’ ἀπὸ ταὐτομάτου, ἕνεκά του ἂν εἴη. ἀλλὰ μὴν φύσει γ’ ἐστὶ τὰ τοιαῦτα πάντα, ὡς κἂν αὐτοὶ φαῖεν οἱ ταῦτα λέγοντες. ἔστιν ἄρα τὸ ἕνεκά του ἐν τοῖς φύσει γιγνομένοις καὶ οὖσιν. ἔτι ἐν ὅσοις τέλος ἔστι τι, τούτου ἕνεκα πράττεται τὸ πρότερον καὶ τὸ ἐφεξῆς. οὐκοῦν ὡς πράττεται, οὕτω πέφυκε, καὶ ὡς πέφυκεν, οὕτω πράττεται ἕκαστον, ἂν μή τι ἐμποδίζῃ. πράττεται δ’ ἕνεκά του· καὶ πέφυκεν ἄρα ἕνεκά του. οἷον εἰ οἰκία τῶν φύσει γιγνομένων ἦν, οὕτως ἂν ἐγίγνετο ὡς νῦν ὑπὸ τῆς τέχνης· εἰ δὲ τὰ φύσει μὴ μόνον φύσει ἀλλὰ καὶ τέχνῃ γίγνοιτο, ὡσαύτως ἂν γίγνοιτο ᾗ πέφυκεν. ἕνεκα ἄρα θατέρου θάτερον. ὅλως δὲ ἡ τέχνη τὰ μὲν ἐπιτελεῖ ἃ ἡ φύσις ἀδυνατεῖ ἀπεργάσασθαι, τὰ δὲ μιμεῖται. εἰ οὖν τὰ κατὰ τέχνην ἕνεκά του, δῆλον ὅτι καὶ τὰ κατὰ φύσιν· ὁμοίως γὰρ ἔχει πρὸς ἄλληλα ἐν τοῖς κατὰ τέχνην καὶ ἐν τοῖς κατὰ φύσιν τὰ ὕστερα πρὸς τὰ πρότερα. μάλιστα δὲ φανερὸν ἐπὶ τῶν ζῴων τῶν ἄλλων, ἃ οὔτε τέχνῃ οὔτε ζητήσαντα οὔτε βουλευσάμενα ποιεῖ· ὅθεν διαποροῦσί τινες πότερον νῷ ἤ τινι ἄλλῳ ἐργάζονται οἵ τ’ ἀράχναι καὶ οἱ μύρμηκες καὶ τὰ τοιαῦτα. κατὰ μικρὸν δ’ οὕτω προϊόντι καὶ ἐν τοῖς φυτοῖς φαίνεται τὰ συμφέροντα γιγνόμενα πρὸς τὸ τέλος, οἷον τὰ φύλλα τῆς τοῦ καρποῦ ἕνεκα σκέπης. ὥστ’ εἰ φύσει τε ποιεῖ καὶ ἕνεκά του ἡ χελιδὼν τὴν νεοττιὰν καὶ ὁ ἀράχνης τὸ ἀράχνιον, καὶ τὰ φυτὰ τὰ φύλλα ἕνεκα τῶν καρπῶν καὶ τὰς ῥίζας οὐκ ἄνω ἀλλὰ κάτω τῆς τροφῆς, φανερὸν ὅτι ἔστιν ἡ αἰτία ἡ τοιαύτη ἐν τοῖς φύσει γιγνομένοις καὶ οὖσιν. καὶ ἐπεὶ ἡ φύσις διττή, ἡ μὲν ὡς ὕλη ἡ δ’ ὡς μορφή, τέλος δ’ αὕτη, τοῦ τέλους δὲ ἕνεκα τἆλλα, αὕτη ἂν εἴη ἡ αἰτία ἡ οὗ ἕνεκα.

32 Ross setzt Komma vor ἡ οὗ ἕνεκα.



Buch II · Kapitel 8

81

bloßes Zusammentreffen noch irgendwie von selbst sein können, dann wären sie wohl zu einem bestimmten Zweck. Tatsächlich ist dergleichen alles durch Natur, wie auch jene zugeben dürften, die diese Argumente vortragen. Also gibt es das Zu-einem-bestimm­ ten-Zweck bei dem, was durch Natur wird und ist. a8 Ferner: Worin ein Ziel ist, da wird das Frühere und das Anschlie­ ßende seinetwillen getan. Und zwar gilt jeweils: Wie etwas getan wird, so wäre es gewachsen, und wie etwas gewachsen ist, so würde es getan, wenn nichts dazwischenkommt. Getan wird es zu einem bestimmten Zweck. Daher ist es auch zu einem bestimmten Zweck gewachsen. Gehörte beispielsweise ein Haus zu den durch Natur entstehenden Dingen, dann entstünde es auf dieselbe Weise wie jetzt infolge der Kunst. Und entstünden umgekehrt die Naturdinge nicht nur durch Natur, sondern auch durch Kunst, dann entstünden sie auf eben dieselbe Weise, wie sie gewachsen sind. Also geschieht das eine um des anderen willen. a15 Allgemein lässt sich sagen: Teils vollbringt die Kunst, was die Natur nicht leisten kann, teils ahmt sie nach [was die Natur leistet]. Wenn nun, was aufgrund der Kunst ge­ schieht, zu einem bestimmten Zweck geschieht, dann offenbar auch, was aufgrund der Natur geschieht. Denn auf dieselbe Weise verhal­ ten sich bei dem, was aufgrund der Kunst geschieht, und dem, was aufgrund der Natur geschieht, das Spätere und das Frühere zuein­ ander. a20 Am offensichtlichsten ist dies bei den anderen Tieren, die ohne Kunst und ohne zu untersuchen oder zu überlegen herstellen; weshalb manche Leute die Frage aufwerfen, ob Spinnen, Ameisen usw. ihr Werk mit Vernunft oder etwas anderem verrichten. Wer ein wenig so weitergeht, sieht, dass auch bei den Pflanzen das dem Ziel Zuträgliche geschieht, z. B. wachsen die Blätter zur Bedeckung der Frucht. Wenn die Schwalbe das Nest und die Spinne das Spinnge­ webe durch Natur und zu einem bestimmten Zweck herstellen und die Pflanzen die Blätter um der Früchte willen und die Wurzeln nicht nach oben, sondern nach unten um der Nahrung willen, dann ist offenkundig, dass es bei dem, was durch Natur entsteht und ist, diese Art von Ursache gibt. a30 Da die Natur zweierlei ist, einerseits [Natur] als Material und andererseits [Natur] als Gestalt, und da die letztere Ziel ist und das andere um des Zieles willen, ist sie [d. i. die Natur als Gestalt] wohl die Ursache im Sinne des Wozu. a33

82 B 8 · 199 a 33 – 199 b 26

35 199b1

5

10

15

20

25

ἁμαρτία δὲ γίγνεται καὶ ἐν τοῖς κατὰ τέχνην (ἔγραψε γὰρ οὐκ ὀρθῶς ὁ γραμματικός, καὶ ἐπότισεν [οὐκ ὀρθῶς] ὁ ἰατρὸς τὸ φάρμακον), ὥστε δῆλον ὅτι ἐνδέχεται καὶ ἐν τοῖς κατὰ φύσιν. εἰ δὴ ἔστιν ἔνια κατὰ τέχνην ἐν οἷς τὸ ὀρθῶς ἕνεκά του, ἐν δὲ τοῖς ἁμαρτανομένοις ἕνεκα μέν τινος ἐπιχειρεῖται ἀλλ’ ἀποτυγχάνεται, ὁμοίως ἂν ἔχοι καὶ ἐν τοῖς φυσικοῖς, καὶ τὰ τέρατα ἁμαρτήματα ἐκείνου τοῦ ἕνεκά του. καὶ ἐν ταῖς ἐξ ἀρχῆς ἄρα συστάσεσι τὰ βουγενῆ, εἰ μὴ πρός τινα ὅρον καὶ τέλος δυνατὰ ἦν ἐλθεῖν, διαφθειρομένης ἂν ἀρχῆς τινὸς ἐγίγνετο, ὥσπερ νῦν τοῦ σπέρματος. ἔτι ἀνάγκη σπέρμα γενέσθαι πρῶτον, ἀλλὰ μὴ εὐθὺς τὰ ζῷα· καὶ τὸ “οὐλοφυὲς μὲν πρῶτα” σπέρμα ἦν. ἔτι καὶ ἐν τοῖς φυτοῖς ἔνεστι τὸ ἕνεκά του, ἧττον δὲ διήρθρωται· πότερον οὖν καὶ ἐν τοῖς φυτοῖς ἐγίγνετο, ὥσπερ τὰ βουγενῆ ἀνδρόπρῳρα, οὕτω καὶ ἀμπελογενῆ ἐλαιόπρῳρα, ἢ οὔ; ἄτοπον γάρ· ἀλλὰ μὴν ἔδει γε, εἴπερ καὶ ἐν τοῖς ζῴοις. ἔτι ἔδει καὶ ἐν τοῖς σπέρμασι γίγνεσθαι ὅπως ἔτυχεν· ὅλως δ’ ἀναιρεῖ ὁ οὕτως λέγων τὰ φύσει τε καὶ φύσιν· φύσει γάρ, ὅσα ἀπό τινος ἐν αὑτοῖς ἀρχῆς συνεχῶς κινούμενα ἀφικνεῖται εἴς τι τέλος· ἀφ’ ἑκάστης δὲ οὐ τὸ αὐτὸ ἑκάστοις οὐδὲ τὸ τυχόν, ἀεὶ μέντοι ἐπὶ τὸ αὐτό, ἂν μή τι ἐμποδίσῃ. τὸ δὲ οὗ ἕνεκα, καὶ ὃ τούτου ἕνεκα, γένοιτο ἂν καὶ ἀπὸ τύχης, οἷον λέγομεν ὅτι ἀπὸ τύχης ἦλθεν ὁ ξένος καὶ λυσάμενος ἀπῆλθεν, ὅταν ὥσπερ ἕνεκα τούτου ἐλθὼν πράξῃ, μὴ ἕνεκα δὲ τούτου ἔλθῃ. καὶ τοῦτο κατὰ συμβεβηκός (ἡ γὰρ τύχη τῶν κατὰ συμβεβηκὸς αἰτίων, καθάπερ καὶ πρότερον εἴπομεν), ἀλλ’ ὅταν τοῦτο αἰεὶ ἢ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ γένηται, οὐ συμβεβηκὸς οὐδ’ ἀπὸ τύχης· ἐν δὲ τοῖς φυσικοῖς ἀεὶ οὕτως, ἂν μή τι ἐμποδίσῃ.



Buch II · Kapitel 8

83

Fehler treten auch bei dem auf, was aufgrund der Kunst geschieht (der Lehrer hat nicht richtig geschrieben, der Arzt hat die Arznei nicht richtig verabreicht). Somit ist klar, dass dies auch bei dem ge­ schehen kann, was aufgrund der Natur geschieht. Bei dem, was auf­ grund der Kunst geschieht, ist oft das Richtige zu einem bestimmten Zweck; bei Fehlern handelt es sich darum, dass etwas zu einem be­ stimmten Zweck versucht wird und misslingt. Ähnlich dürfte es sich daher auch beim Natürlichen verhalten; und Monstren wären Ver­ fehlungen dessen, was zu einem bestimmten Zweck wäre. b5 Auch bei den anfänglichen Zusammensetzungen sind die menschenköpfi­ gen Kälber, wenn sie unfähig waren, ein bestimmtes Maß und Ziel zu erreichen, aus irgendeinem verdorbenen Ausgangspunkt entstanden, wie jetzt aus dem [verdorbenen] Samen. Auch muss zuerst Samen entstehen und nicht sogleich die Tiere; das »ungegliederte Zuerst« war Samen. b9 Außerdem gibt es das Zu-einem-bestimmten-Zweck auch bei den Pflanzen, wenn auch weniger gegliedert. Sind auch bei den Pflanzen, wie die menschenköpfigen Kälber, Weinstöcke mit Ölbaumzweigen entstanden – oder nicht? Denn das ist absurd. Aber so müsste es doch sein, wenn es auch bei den Tieren so ist. b13 Außer­ dem müsste auch bei den Samen entstehen, was sich zufällig ergibt. Aber wer so spricht, hebt gänzlich auf, was durch Natur geschieht, und [somit überhaupt] die Natur. Denn durch Natur geschieht, was von einem inneren Ausgangspunkt (archê) her mit einer kontinuier­ lichen Bewegung ein bestimmtes Ziel erreicht. Und zwar von dem jeweiligen Ausgangspunkt her weder in jedem Fall dasselbe noch was sich zufällig ergibt, wohl aber immer auf dasselbe [d. h. auf die­ selbe Form] hin, wenn nichts dazwischenkommt. b18 Der Zweck und was seinetwillen geschieht, könnte auch zufällig zustande kommen. Wir sagen ja auch, der Fremde sei zufällig gekommen, habe [den Gefangenen] freigekauft und sei wieder gegangen, wenn er han­ delte, als wäre er zu diesem Zweck gekommen, ohne aber zu diesem Zweck gekommen zu sein. Auch dies ist aufgrund zusätzlicher Um­ stände der Fall; denn der Zufall gehört, wie wir an früherer Stelle ausgeführt haben, zu den Ursachen aufgrund zusätzlicher Umstände. Aber wenn dies immer oder meistens zustande kommt, geschieht das nicht zusätzlicherweise oder zufällig. Beim Natürlichen hingegen ­geschieht es immer so, wenn nichts dazwischenkommt. b26

84 B 9 · 199 b 26 – 200 a 20

ἄτοπον δὲ τὸ μὴ οἴεσθαι ἕνεκά του γίγνεσθαι, ἐὰν μὴ ἴδωσι τὸ κινοῦν βουλευσάμενον. καίτοι καὶ ἡ τέχνη οὐ βουλεύεται· καὶ εἰ ἐνῆν ἐν τῷ ξύλῳ ἡ ναυπηγική, ὁμοίως ἂν τῇ φύσει ἐποίει· ὥστ’ 30 εἰ ἐν τῇ τέχνῃ ἔνεστι τὸ ἕνεκά του, καὶ ἐν τῇ φύσει. μάλιστα δὲ δῆλον, ὅταν τις ἰατρεύῃ αὐτὸς ἑαυτόν· τούτῳ γὰρ ἔοικεν ἡ φύσις. ὅτι μὲν οὖν αἰτία ἡ φύσις, καὶ οὕτως ὡς ἕνεκά του, φανερόν.

35 200 a1

5

10

15

20

9. Τὸ δ’ ἐξ ἀνάγκης πότερον ἐξ ὑποθέσεως ὑπάρχει ἢ καὶ ἁπλῶς; νῦν μὲν γὰρ οἴονται τὸ ἐξ ἀνάγκης εἶναι ἐν τῇ γενέσει ὥσπερ ἂν εἴ τις τὸν τοῖχον ἐξ ἀνάγκης γεγενῆσθαι νομίζοι, ὅτι τὰ μὲν βαρέα κάτω πέφυκε φέρεσθαι τὰ δὲ κοῦφα ἐπιπολῆς, διὸ οἱ λίθοι μὲν κάτω καὶ τὰ θεμέλια, ἡ δὲ γῆ ἄνω διὰ κουφότητα, ἐπιπολῆς δὲ μάλιστα τὰ ξύλα· κουφότατα γάρ. ἀλλ’ ὅμως οὐκ ἄνευ μὲν τούτων γέγονεν, οὐ μέντοι διὰ ταῦτα πλὴν ὡς δι’ ὕλην, ἀλλ’ ἕνεκα τοῦ κρύπτειν ἄττα καὶ σώζειν. ὁμοίως δὲ καὶ ἐν τοῖς ἄλλοις πᾶσιν, ἐν ὅσοις τὸ ἕνεκά του ἔστιν, οὐκ ἄνευ μὲν τῶν ἀναγκαίαν ἐχόντων τὴν φύσιν, οὐ μέντοι γε διὰ ταῦτα ἀλλ’ ἢ ὡς ὕλην, ἀλλ’ ἕνεκά του, οἷον διὰ τί ὁ πρίων τοιοσδί; ὅπως τοδὶ καὶ ἕνεκα τουδί. τοῦτο μέντοι τὸ οὗ ἕνεκα ἀδύνατον γενέσθαι, ἂν μὴ σιδηροῦς ᾖ· ἀνάγκη ἄρα σιδηροῦν εἶναι, εἰ πρίων ἔσται καὶ τὸ ἔργον αὐτοῦ. ἐξ ὑποθέσεως δὴ τὸ ἀναγκαῖον, ἀλλ’ οὐχ ὡς τέλος· ἐν γὰρ τῇ ὕλῃ τὸ ἀναγκαῖον, τὸ δ’ οὗ ἕνεκα ἐν τῷ λόγῳ. ἔστι δὲ τὸ ἀναγκαῖον ἔν τε τοῖς μαθήμασι καὶ ἐν τοῖς κατὰ φύσιν γιγνομένοις τρόπον τινὰ παραπλησίως· ἐπεὶ γὰρ τὸ εὐθὺ τοδί ἐστιν, ἀνάγκη τὸ τρίγωνον δύο ὀρθαῖς ἴσας ἔχειν· ἀλλ’ οὐκ ἐπεὶ τοῦτο, ἐκεῖνο· ἀλλ’ εἴ γε τοῦτο μὴ ἔστιν, οὐδὲ τὸ εὐθὺ ἔστιν. ἐν δὲ τοῖς γιγνομένοις ἕνεκά του ἀνάπαλιν, εἰ τὸ τέλος ἔσται ἢ ἔστι, καὶ τὸ ἔμπροσθεν ἔσται ἢ ἔστιν· εἰ



Buch II · Kapitel 9

85

Abwegig ist es, nicht zu glauben, dass etwas zu einem bestimmten Zweck geschieht, wenn man das Bewegende nicht beim Überlegen beobachtet. Die Kunst überlegt ja auch nicht. b28 Und wäre im Holz die Kunst des Schiffbaus, würde sie ebenso wie die Natur verfahren. Wenn es daher in der Kunst das Zu-einem-bestimmten-Zweck gibt, dann auch in der Natur. Besonders klar ist das, wenn jemand sich selbst heilt. Denn dem gleicht die Natur. – b32 Dass somit die Natur eine Ursache ist, und zwar in solcher Weise, dass sie zu einem be­ stimmten Zweck wirkt, ist offenkundig. 9.  Gibt es das Zwangsläufig [nur (?)] aus einer Voraussetzung oder 199b34 auch schlechthin? – b35 Man denkt sich das Zwangsläufig beim Wer­ den gerade so, als hielte man eine Mauer für zwangsläufig zustande gekommen, weil natürlicherweise das Schwere nach unten fällt und das Leichte obendrauf: deshalb sind die Steine und das Fundament unten, der Lehm darüber wegen der Leichtigkeit, zuoberst die Höl­ zer; denn sie sind am leichtesten. a5 Freilich ist die Mauer nicht ohne diese Dinge zustande gekommen, aber auch nicht durch sie, außer als Material, sondern zu dem Zweck, etwas zu verbergen und zu schützen. Ebenso bei allem anderen, bei dem es das Zu-einem-be­ stimmten-Zweck gibt: Es kommt nicht ohne die Dinge zustande, deren Natur eine zwangsläufige ist, aber auch nicht durch sie, außer als Material, sondern zu einem bestimmten Zweck. a10 Beispiels­ weise: Warum ist die Säge so beschaffen? Hierfür und dazu. Dieses Wozu könnte aber nicht zustande kommen, wenn sie nicht eisern wäre. Also ist sie zwangsläufig eisern, wenn es überhaupt eine Säge und ihre Funktion geben soll. Das Zwangsläufige ergibt sich somit aus einer Voraussetzung, aber nicht als Ziel. Denn das Zwangsläu­ fige ist im Material, das Wozu hingegen in der Definition. a15 Es gibt das Zwangsläufige in der Mathematik und bei dem, was aufgrund der Natur zustande kommt, in irgendwie ent­sprechender Weise: Weil die Gerade soundso bestimmt ist, hat das Dreieck zwangsläufig eine Winkelsumme von zwei rechten – und nicht etwa: weil dieses, jenes; sondern: wenn dieses nicht der Fall ist, gibt es auch nicht die Gerade. a19 Umgekehrt bei dem, was zu einem be­ stimmten Zweck zustande kommt: Wenn das Ziel sein soll (oder ist), dann soll auch das Vorherige sein (bzw. ist es). Wie es dort [d. h.

86 B 9 · 200 a 21 – 200 b 8

25

30 30

35 200 b1

5

δὲ μή, ὥσπερ ἐκεῖ μὴ ὄντος τοῦ συμπεράσματος ἡ ἀρχὴ οὐκ ἔσται, καὶ ἐνταῦθα τὸ τέλος καὶ τὸ οὗ ἕνεκα. ἀρχὴ γὰρ καὶ αὕτη, οὐ τῆς πράξεως ἀλλὰ τοῦ λογισμοῦ (ἐκεῖ δὲ τοῦ λογισμοῦ· πράξεις γὰρ οὐκ εἰσίν). ὥστ’ εἰ ἔσται οἰκία, ἀνάγκη ταῦτα γενέσθαι ἢ ὑπάρχειν, ἢ εἶναι [ἢ] ὅλως τὴν ὕλην τὴν ἕνεκά του, οἷον πλίνθους καὶ λίθους, εἰ οἰκία· οὐ μέντοι διὰ ταῦτά ἐστι τὸ τέλος ἀλλ’ ἢ ὡς ὕλην, οὐδ’ ἔσται διὰ ταῦτα. ὅλως μέντοι μὴ ὄντων οὐκ ἔσται οὔθ’ ἡ οἰκία οὔθ’ ὁ πρίων, ἡ μὲν εἰ μὴ οἱ λίθοι, ὁ δ’ εἰ μὴ ὁ σίδηρος· οὐδὲ γὰρ ἐκεῖ αἱ ἀρχαί, εἰ μὴ τὸ τρίγωνον δύο ὀρθαί. φανερὸν δὴ ὅτι τὸ ἀναγκαῖον ἐν τοῖς φυσικοῖς τὸ ὡς ὕλη λεγόμενον καὶ αἱ κινήσεις αἱ ταύτης. καὶ ἄμφω μὲν τῷ φυσικῷ λεκτέαι αἱ αἰτίαι, μᾶλλον δὲ ἡ τίνος ἕνεκα· αἴτιον γὰρ τοῦτο τῆς ὕλης, ἀλλ’ οὐχ αὕτη τοῦ τέλους· καὶ τὸ τέλος τὸ οὗ ἕνεκα, καὶ ἡ ἀρχὴ ἀπὸ τοῦ ὁρισμοῦ καὶ τοῦ λόγου, ὥσπερ ἐν τοῖς κατὰ τέχνην, ἐπεὶ ἡ οἰκία τοιόνδε, τάδε δεῖ γενέσθαι καὶ ὑπάρχειν ἐξ ἀνάγκης, καὶ ἐπεὶ ἡ ὑγίεια τοδί, τάδε δεῖ γενέσθαι ἐξ ἀνάγκης καὶ ὑπάρχειν—οὕτως καὶ εἰ ἄνθρωπος τοδί, ταδί· εἰ δὲ ταδί, ταδί. ἴσως δὲ καὶ ἐν τῷ λόγῳ ἔστιν τὸ ἀναγκαῖον. ὁρισαμένῳ γὰρ τὸ ἔργον τοῦ πρίειν ὅτι διαίρεσις τοιαδί, αὕτη γ’ οὐκ ἔσται, εἰ μὴ ἕξει ὀδόντας τοιουσδί· οὗτοι δ’ οὔ, εἰ μὴ σιδηροῦς. ἔστι γὰρ καὶ ἐν τῷ λόγῳ ἔνια μόρια ὡς ὕλη τοῦ λόγου.



Buch II · Kapitel 9

87

in der Mathematik] ohne die Konklusion auch nicht den Beweis­ anfang gibt, so hier das Ziel und das Wozu. Denn auch der Beweis­ anfang ist ein Ausgangspunkt, aber nicht der Handlung, sondern der Schlussfolgerung. Auch dort [d. h. in der Mathematik] handelt es sich um den Ausgangspunkt einer Schlussfolgerung; und Hand­ lungen gibt es gar nicht. a24 Wenn es ein Haus geben soll, dann müssen also zwangsläufig diese Dinge zustande kommen oder vor­ handen sein. Das heißt allgemein: Es muss das Material zu einem bestimmten Zweck geben, z. B. Ziegel und Steine bei einem Haus. Freilich gibt es das Ziel nicht durch diese Dinge, außer als Mate­ rial, und das Ziel wird auch nicht durch sie realisiert. Allerdings gilt allgemein: Wenn es diese Dinge (die Steine bzw. das Eisen) nicht gibt, dann wird es weder das Haus noch die Säge geben. Und ebenso wenig dort die Beweisanfänge, wenn nicht das Dreieck [eine Winkelsumme von] zwei rechten [hat]. a30 Offenkundig ist somit das Zwangsläufige im Bereich des Natürlichen dasjenige, das als Mate­ rial angegeben wird, sowie dessen Bewegungen. a32 Und der Naturwissenschaftler hat beide Weisen der Verursa­ chung anzugeben, mehr jedoch diejenige, nach der das Wozu? fragt. Denn diese ist Ursache des Materials, nicht hingegen ist das Mate­ rial Ursache des Ziels. Und das Ziel ist das Wozu. Ausgangspunkt sind Definition und begriffliche Erklärung – wie einerseits bei dem, was aufgrund der Kunst geschieht: Weil das Haus so etwas ist, muss zwangsläufig dies zustande kommen und vorhanden sein; und weil Gesundheit dies ist, muss zwangsläufig jenes zustande kom­ men und vorhanden sein; so auch andererseits: Wenn Mensch dies ist, dann dies; und wenn jenes, dann jenes. b4 Vielleicht liegt das Zwangsläufige auch in der Definition. Denn wenn man definiert, die Leistung des Sägens sei eine Zweiteilung von bestimmter Art, dann wird diese Leistung nicht zustande kommen, wenn nicht [die Säge] Zähne von bestimmter Art hat, und diese nicht, wenn nicht eiserne. – Es sind nämlich auch in der Definition mehrere Teile, als Material der Definition.

88

Γ 1 · 200 b 12 – 201 a 2

Γ. 200 b12

15

20

25

30

35 201a1

1. Ἐπεὶ δ’ ἡ φύσις μέν ἐστιν ἀρχὴ κινήσεως καὶ μεταβολῆς, ἡ δὲ μέθοδος ἡμῖν περὶ φύσεώς ἐστι, δεῖ μὴ λανθάνειν τί ἐστι κίνησις· ἀναγκαῖον γὰρ ἀγνοουμένης αὐτῆς ἀγνοεῖσθαι καὶ τὴν φύσιν. διορισαμένοις δὲ περὶ κινήσεως πειρατέον τὸν αὐτὸν ἐπελθεῖν τρόπον περὶ τῶν ἐφεξῆς. δοκεῖ δ’ ἡ κίνησις εἶναι τῶν συνεχῶν, τὸ δ’ ἄπειρον ἐμφαίνεται πρῶτον ἐν τῷ συνεχεῖ· διὸ καὶ τοῖς ὁριζομένοις τὸ συνεχὲς συμβαίνει προσχρήσασθαι πολλάκις τῷ λόγῳ τῷ τοῦ ἀπείρου, ὡς τὸ εἰς ἄπειρον διαιρετὸν συνεχὲς ὄν. πρὸς δὲ τούτοις ἄνευ τόπου καὶ κενοῦ καὶ χρόνου κίνησιν ἀδύνατον εἶναι. δῆλον οὖν ὡς διά τε ταῦτα, καὶ διὰ τὸ πάντων εἶναι κοινὰ καὶ καθόλου ταῦτα, σκεπτέον προχειρισαμένοις περὶ ἑκάστου τούτων (ὑστέρα γὰρ ἡ περὶ τῶν ἰδίων θεωρία τῆς περὶ τῶν κοινῶν ἐστιν)· καὶ πρῶτον, καθάπερ εἴπαμεν, περὶ κινήσεως. ἔστι δὴ [τι] τὸ μὲν ἐντελεχείᾳ μόνον, τὸ δὲ δυνάμει καὶ ἐντελεχείᾳ, τὸ μὲν τόδε τι, τὸ δὲ τοσόνδε, τὸ δὲ τοιόνδε, καὶ τῶν ἄλλων τῶν τοῦ ὄντος κατηγοριῶν ὁμοίως. τοῦ δὲ πρός τι τὸ μὲν καθ’ ὑπεροχὴν λέγεται καὶ κατ’ ἔλλειψιν, τὸ δὲ κατὰ τὸ ποιητικὸν καὶ παθητικόν, καὶ ὅλως κινητικόν τε καὶ κινητόν· τὸ γὰρ κινητικὸν κινητικὸν τοῦ κινητοῦ καὶ τὸ κινητὸν κινητὸν ὑπὸ τοῦ κινητικοῦ. οὐκ ἔστι δὲ κίνησις παρὰ τὰ πράγματα· μεταβάλλει γὰρ ἀεὶ τὸ μεταβάλλον ἢ κατ’ οὐσίαν ἢ κατὰ ποσὸν ἢ κατὰ ποιὸν ἢ κατὰ τόπον, κοινὸν δ’ ἐπὶ τούτων οὐδὲν ἔστι λαβεῖν, ὡς φαμέν, ὃ οὔτε τόδε οὔτε ποσὸν οὔτε ποιὸν οὔτε τῶν ἄλλων κατηγορημάτων οὐθέν· ὥστ’ οὐδὲ κίνησις οὐδὲ μεταβολὴ οὐθενὸς ἔσται παρὰ τὰ εἰρημένα, μη-



Buch III · Kapitel 1

89

III 1.  Die Natur ist ein Prinzip von Bewegung und Änderung, und 200 b12 das wissenschaftliche Fach, mit dem wir uns hier befassen, hat das Thema ›über Natur‹. Daher darf nicht verborgen bleiben, was Be­ wegung ist. Denn wenn man sie nicht kennt, kennt man zwangs­ läufig auch die Natur nicht. b15 Wenn wir [die soeben geforderten] Bestimmungen hinsichtlich der Bewegung getroffen haben, sollten wir das Anschließende in derselben Weise anzugehen versuchen. Denn die Bewegung scheint zum Kontinuierlichen zu gehören, und das Unbegrenzte zeigt sich zuerst beim Kontinuierlichen. So ergibt es sich auch, dass man bei der Definition des Kontinuierlichen oft auf die Definition des Unbegrenzten zurückgreift; denn kontinu­ ierlich sei das unbegrenzt Teilbare. Außerdem hält man Bewegung ohne Ort, Leeres und Zeit für unmöglich. b21 Es ist somit klar: Aus den angegebenen Gründen und auch, weil diese Dinge allem ge­ meinsam und allgemein sind, haben wir jedes von ihnen zu erörtern und zu untersuchen (denn die Betrachtung des Eigentümlichen ist derjenigen des Gemeinsamen nachgeordnet), und zwar, wie gesagt, zuerst die Bewegung. b26 Manches ist [immer] nur im Vollendungszustand, anderes [manch­mal] potentiell und [manchmal] im Vollendungszustand, und zwar teils dieses wohlbestimmte Ding, teils soundso groß, teils soundso beschaffen, und ebenso bei den anderen Aussageweisen von ›ist‹. b28 Vom In-Beziehung-zu-etwas wird teils im Sinne des Übertreffens und Zurückbleibens gesprochen, teils im Sinne des­ sen, was Wirkung ausüben und was unter Einwirkung stehen kann, und überhaupt was bewegen und was bewegt werden kann. Denn was bewegen kann, kann dasjenige bewegen, das bewegt werden kann. Und was bewegt werden kann, kann von demjenigen bewegt werden, das bewegen kann. b32 Es gibt keine Bewegung ohne die Sachen. Denn was sich ändert, tut dies stets hinsichtlich der Sub­ stanz, des Wie-groß, des Wie-beschaffen oder des Orts. Und es lässt sich, so behaupten wir, nichts Übergreifendes fassen, das kein Die­ ses [wohlbestimmte Ding] oder So-groß oder So-beschaffen oder auf eine der anderen Weisen Ausgesagtes wäre. Daher gibt es Be­ wegung und Änderung wohl bei nichts außer dem Angegebenen;

90

5

10

15

20

25

30

Γ 1 · 201 a 3 – 201 a 30

θενός γε ὄντος παρὰ τὰ εἰρημένα. ἕκαστον δὲ διχῶς ὑπάρχει πᾶσιν, οἷον τὸ τόδε (τὸ μὲν γὰρ μορφὴ αὐτοῦ, τὸ δὲ στέρησις), καὶ κατὰ τὸ ποιόν (τὸ μὲν γὰρ λευκὸν τὸ δὲ μέλαν), καὶ κατὰ τὸ ποσὸν τὸ μὲν τέλειον τὸ δ’ ἀτελές. ὁμοίως δὲ καὶ κατὰ τὴν φορὰν τὸ μὲν ἄνω τὸ δὲ κάτω, ἢ τὸ μὲν κοῦφον τὸ δὲ βαρύ. ὥστε κινήσεως καὶ μεταβολῆς ἔστιν εἴδη τοσαῦτα ὅσα τοῦ ὄντος. διῃρημένου δὲ καθ’ ἕκαστον γένος τοῦ μὲν ἐντελεχείᾳ τοῦ δὲ δυνάμει, ἡ τοῦ δυνάμει ὄντος ἐντελέχεια, ᾗ τοιοῦτον, κίνησίς ἐστιν, οἷον τοῦ μὲν ἀλλοιωτοῦ, ᾗ ἀλλοιωτόν, ἀλλοίωσις, τοῦ δὲ αὐξητοῦ καὶ τοῦ ἀντικειμένου φθιτοῦ (οὐδὲν γὰρ ὄνομα κοινὸν ἐπ’ ἀμφοῖν) αὔξησις καὶ φθίσις, τοῦ δὲ γενητοῦ καὶ φθαρτοῦ γένεσις καὶ φθορά, τοῦ δὲ φορητοῦ φορά. ὅτι δὲ τοῦτο ἔστιν ἡ κίνησις, ἐντεῦθεν δῆλον. ὅταν γὰρ τὸ οἰκοδομητόν, ᾗ τοιοῦτον αὐτὸ λέγομεν εἶναι, ἐντελεχείᾳ ᾖ, οἰκοδομεῖται, καὶ ἔστιν τοῦτο οἰκοδόμησις· ὁμοίως δὲ καὶ μάθησις καὶ ἰάτρευσις καὶ κύλισις καὶ ἅλσις καὶ ἅδρυνσις καὶ γήρανσις. ἐπεὶ δ’ ἔνια ταὐτὰ καὶ δυνάμει καὶ ἐντελεχείᾳ ἐστίν, οὐχ ἅμα δὲ ἢ οὐ κατὰ τὸ αὐτό, ἀλλ’ οἷον θερμὸν μὲν ἐντελεχείᾳ ψυχρὸν δὲ δυνάμει, πολλὰ ἤδη ποιήσει καὶ πείσεται ὑπ’ ἀλλήλων· ἅπαν γὰρ ἔσται ἅμα ποιητικὸν καὶ παθητικόν. ὥστε καὶ τὸ κινοῦν φυσικῶς κινητόν· πᾶν γὰρ τὸ τοιοῦτον κινεῖ κινούμενον καὶ αὐτό. δοκεῖ μὲν οὖν τισιν ἅπαν κινεῖσθαι τὸ κινοῦν, οὐ μὴν ἀλλὰ περὶ τούτου μὲν ἐξ ἄλλων ἔσται δῆλον ὅπως ἔχει (ἔστι γάρ τι κινοῦν καὶ ἀκίνητον), ἡ δὲ τοῦ δυνάμει ὄντος 〈ἐντελέχεια〉, ὅταν ἐντελεχείᾳ ὂν ἐνεργῇ οὐχ ᾗ αὐτὸ ἀλλ’ ᾗ κινητόν, κίνησίς ἐστιν. λέγω δὲ τὸ ᾗ ὡδί. ἔστι γὰρ ὁ χαλκὸς δυνάμει ἀνδριάς, ἀλλ’ ὅμως οὐχ ἡ τοῦ χαλκοῦ ἐντελέ-



Buch III · Kapitel 1

91

denn es gibt nichts außer dem Angegebenen. a3 Die jeweilige [Aus­ sageweise] kommt bei allem zweifach vor, z. B. das Dieses [wohlbe­ stimmte Ding] einerseits als dessen Gestalt, andererseits als Feh­ len; beim Wie-beschaffen einerseits Weiß, andererseits Schwarz; beim Wie-groß einerseits Ausgewachsen, andererseits Halbwüch­ sig. Ebenso beim Ortswechsel einerseits (nach) Oben, andererseits (nach) Unten, oder einerseits Leicht, andererseits Schwer. Somit gibt es so viele Arten von Bewegung und Änderung, wie es Arten des Seienden gibt. a9 In der jeweiligen Gattung [des Seienden] sei unterschieden zwischen ›im Vollendungszustand‹ und ›potentiell‹. Dann ist der Vollendungszustand des Potentiellen [d. h. dessen, was potentiell soundso ist] als solchen Bewegung. a11 Beispielsweise ist der Voll­ endungszustand des Veränderlichen als Veränderlichen Verände­ rung; dessen, was zunehmen bzw. umgekehrt abnehmen kann (wo­ für es [im Griechischen] kein gemeinsames Wort gibt), Zu- und Abnahme; dessen, was entstehen bzw. vergehen kann, Entstehen und Vergehen; dessen, was den Ort wechseln kann, Ortswechsel. a15 Dass dies die Bewegung ist, wird hieraus klar: Wenn das Verbau­ bare, als dasjenige, das wir so bezeichnen, im Vollendungszustand ist, dann wird es verbaut, und das ist Hausbau; ebenso Verarztung, Reifung, Alterung, sowie beim Lernen, Wälzen und Springen. a19 Manches ist dasselbe sowohl potentiell als auch im Vollendungs­ zustand, aber entweder nicht zugleich oder nicht in derselben Hin­ sicht, sondern wie das Warme im Vollendungszustand potentiell kalt ist. a22 Dergleichen wird untereinander viele Wirkungen aus­ üben und erleiden, denn jedes wird zugleich Wirkungen ausüben und erleiden können. Deshalb ist, was auf natürliche Weise bewe­ gen kann, auch beweglich. Denn alles Derartige bewegt, indem es auch selbst in Bewegung ist. Manche Leute vertreten die Meinung, alles Bewegende sei in Bewegung. Darüber, wie es sich damit ver­ hält, soll aber anderswo Aufschluss gegeben werden; es gibt näm­ lich auch Bewegendes, das bewegungslos ist. a27 Dabei ist der Vollendungszustand des Potentiellen, [d. h.] wenn dieses im Vollendungszustand ist und somit seine Funktion aus­ übt, aber nicht als es selbst, sondern als beweglich, Bewegung. a29 Das ›als‹ meine ich so: Die Bronze ist potentiell eine Statue. Aber

92

35 201b1

5 5

10

15

Γ 2 · 201 a 31 – 201 b 24

χεια, ᾗ χαλκός, κίνησίς ἐστιν· οὐ γὰρ τὸ αὐτὸ τὸ χαλκῷ εἶναι καὶ δυνάμει τινί [κινητῷ], ἐπεὶ εἰ ταὐτὸν ἦν ἁπλῶς καὶ κατὰ τὸν λόγον, ἦν ἂν ἡ τοῦ χαλκοῦ, ᾗ χαλκός, ἐντελέχεια κίνησις· οὐκ ἔστιν δὲ ταὐτόν, ὡς εἴρηται (δῆλον δ’ ἐπὶ τῶν ἐναντίων· τὸ μὲν γὰρ δύνασθαι ὑγιαίνειν καὶ δύνασθαι κάμνειν ἕτερον—καὶ γὰρ ἂν τὸ κάμνειν καὶ τὸ ὑγιαίνειν ταὐτὸν ἦν—τὸ δὲ ὑποκείμενον καὶ τὸ ὑγιαῖνον καὶ τὸ νοσοῦν, εἴθ’ ὑγρότης εἴθ’ αἷμα, ταὐτὸν καὶ ἕν). ἐπεὶ δ’ οὐ ταὐτόν, ὥσπερ οὐδὲ χρῶμα ταὐτὸν καὶ ὁρατόν, ἡ τοῦ δυνατοῦ, ᾗ δυνατόν, ἐντελέχεια φανερὸν ὅτι κίνησίς ἐστιν. ὅτι μὲν οὖν ἐστιν αὕτη, καὶ ὅτι συμβαίνει τότε κινεῖσθαι ὅταν ἡ ἐντελέχεια ᾖ αὐτή, καὶ οὔτε πρότερον οὔτε ὕστερον, δῆλον· ἐνδέχεται γὰρ ἕκαστον ὁτὲ μὲν ἐνεργεῖν ὁτὲ δὲ μή, οἷον τὸ οἰκοδομητόν, καὶ ἡ τοῦ οἰκοδομητοῦ ἐνέργεια, ᾗ οἰκοδομητόν, οἰκοδόμησίς ἐστιν (ἢ γὰρ οἰκοδόμησις ἡ ἐνέργεια [τοῦ οἰκοδομητοῦ] ἢ ἡ οἰκία· ἀλλ’ ὅταν οἰκία ᾖ, οὐκέτ’ οἰκοδομητὸν ἔστιν· οἰκοδομεῖται δὲ τὸ οἰκοδομητόν· ἀνάγκη οὖν οἰκοδόμησιν τὴν ἐνέργειαν εἶναι)· ἡ δ’ οἰκοδόμησις κίνησίς τις. ἀλλὰ μὴν ὁ αὐτὸς ἐφαρμόσει λόγος καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων κινήσεων.

2. Ὅτι δὲ καλῶς εἴρηται, δῆλον καὶ ἐξ ὧν οἱ ἄλλοι περὶ αὐτῆς λέγουσιν, καὶ ἐκ τοῦ μὴ ῥᾴδιον εἶναι διορίσαι ἄλλως αὐτήν. οὔτε γὰρ τὴν κίνησιν καὶ τὴν μεταβολὴν ἐν ἄλλῳ γένει θεῖναι δύναιτ’ ἄν τις, δῆλόν τε σκοποῦσιν ὡς τι20 θέασιν αὐτὴν ἔνιοι, ἑτερότητα καὶ ἀνισότητα καὶ τὸ μὴ ὂν φάσκοντες εἶναι τὴν κίνησιν· ὧν οὐδὲν ἀναγκαῖον κινεῖσθαι, οὔτ’ ἂν ἕτερα ᾖ οὔτ’ ἂν ἄνισα οὔτ’ ἂν οὐκ ὄντα· ἀλλ’ οὐδ’ ἡ μεταβολὴ οὔτ’ εἰς ταῦτα οὔτ’ ἐκ τούτων μᾶλλόν ἐστιν ἢ ἐκ τῶν ἀντικειμένων. αἴτιον δὲ τοῦ εἰς ταῦτα τιθέναι ὅτι ἀόριστόν



Buch III · Kapitel 2

93

gleichwohl ist der Vollendungszustand der Bronze als Bronze keine Bewegung. Es ist nämlich nicht dasselbe, Bronze zu sein und po­ tentiell etwas Bestimmtes [z. B. eine Statue] zu sein. Denn wäre es schlechthin und definitionsgemäß dasselbe, dann wäre [nach der obigen Definition] der Vollendungszustand der Bronze als Bronze Bewegung. Aber es ist, wie gesagt, nicht dasselbe. a34 Klar wird das bei konträren Gegensätzen: Gesund sein zu können und krank sein zu können ist zweierlei, denn sonst wären ja das Kranksein und das Gesundsein dasselbe. Das Zugrundeliegende aber, das gesund ist und das erkrankt, sei es Feuchtigkeit oder Blut, ist dasselbe und enes. Da es [nämlich: Bronze zu sein und potentiell eine Statue zu sein, etc.] aber nicht dasselbe ist, wie auch Farbe und Sichtbares nicht dasselbe sind, ist offenbar der Vollendungszustand des Poten­ tiellen als Potentiellen Bewegung. b5 Dass [die Bewegung] dies ist und dass Bewegung somit gerade dann stattfindet, wenn dieser Vollendungszustand besteht, und nicht früher oder später, ist klar. Denn der jeweilige Gegenstand, z. B. das Verbaubare, kann zur einen Zeit in Funktion sein und zu einer anderen Zeit nicht, und das In-Funktion-Sein des Verbauba­ ren als Verbaubaren ist Hausbau. b10 Denn dieses In-Funktion-Sein ist entweder Hausbau oder das Haus. Wenn aber das Haus ist, ist [das Verbaubare] nicht mehr verbaubar; und verbaut wird das Ver­ baubare. Also ist das In-Funktion-Sein Hausbau. Der Hausbau ist eine bestimmte Art von Bewegung. Aber dieselbe Erklärung wird auch für die anderen Bewegungen passen. 2.  Dass dies gut gesagt ist, wird auch daraus klar, was die Anderen 201b16 über sie [d. h. die Bewegung] behaupten, sowie daraus, dass es nicht leicht ist, sie anders zu bestimmen. – b18 Man kann Bewegung und Änderung auch nicht einer anderen Gattung zuschlagen. Das wird klar, wenn man betrachtet, wie manche sie eingeordnet haben: in­ dem sie nämlich behaupteten, die Bewegung sei Verschiedenheit und Ungleichheit und das Nicht-Seiende. Aber von denen muss kei­ nes in Bewegung sein, weder Verschiedenes noch Ungleiches oder Nicht-Seiendes. Und es ist auch nicht der Fall, dass Änderung mehr in diese oder aus diesen stattfindet als aus den Gegenstücken. b24 Dass sie diesen Gattungen zugeschlagen wird, liegt daran, dass die

94 25

30

35 202a1

5

10

Γ 3 · 201 b 25 – 202 a 14

τι δοκεῖ εἶναι ἡ κίνησις, τῆς δὲ ἑτέρας συστοιχίας αἱ ἀρχαὶ διὰ τὸ στερητικαὶ εἶναι ἀόριστοι· οὔτε γὰρ τόδε οὔτε τοιόνδε οὐδεμία αὐτῶν ἐστιν, [ὅτι] οὐδὲ τῶν ἄλλων κατηγοριῶν. τοῦ δὲ δοκεῖν ἀόριστον εἶναι τὴν κίνησιν αἴτιον ὅτι οὔτε εἰς δύναμιν τῶν ὄντων οὔτε εἰς ἐνέργειαν ἔστιν θεῖναι αὐτὴν ἁπλῶς· οὔτε γὰρ τὸ δυνατὸν ποσὸν εἶναι κινεῖται ἐξ ἀνάγκης οὔτε τὸ ἐνεργείᾳ ποσόν, ἥ τε κίνησις ἐνέργεια μὲν εἶναί τις δοκεῖ, ἀτελὴς δέ· αἴτιον δ’ ὅτι ἀτελὲς τὸ δυνατόν, οὗ ἐστιν ἐνέργεια. καὶ διὰ τοῦτο δὴ χαλεπὸν αὐτὴν λαβεῖν τί ἐστιν· ἢ γὰρ εἰς στέρησιν ἀναγκαῖον θεῖναι ἢ εἰς δύναμιν ἢ εἰς ἐνέργειαν ἁπλῆν, τούτων δ’ οὐδὲν φαίνεται ἐνδεχόμενον. λείπεται τοίνυν ὁ εἰρημένος τρόπος, ἐνέργειαν μέν τινα εἶναι, τοιαύτην δ’ ἐνέργειαν οἵαν εἴπαμεν, χαλεπὴν μὲν ἰδεῖν, ἐνδεχομένην δ’ εἶναι. κινεῖται δὲ καὶ τὸ κινοῦν ὥσπερ εἴρηται πᾶν, τὸ δυνάμει ὂν κινητόν, καὶ οὗ ἡ ἀκινησία ἠρεμία ἐστίν (ᾧ γὰρ ἡ κίνησις ὑπάρχει, τούτου ἡ ἀκινησία ἠρεμία). τὸ γὰρ πρὸς τοῦτο ἐνεργεῖν, ᾗ τοιοῦτον, αὐτὸ τὸ κινεῖν ἐστι· τοῦτο δὲ ποιεῖ θίξει, ὥστε ἅμα καὶ πάσχει· διὸ ἡ κίνησις ἐντελέχεια τοῦ κινητοῦ, ᾗ κινητόν, συμβαίνει δὲ τοῦτο θίξει τοῦ κινητικοῦ, ὥσθ’ ἅμα καὶ πάσχει. εἶδος δὲ ἀεὶ οἴσεταί τι τὸ κινοῦν, ἤτοι τόδε ἢ τοιόνδε ἢ τοσόνδε, ὃ ἔσται ἀρχὴ καὶ αἴτιον τῆς κινήσεως, ὅταν κινῇ, οἷον ὁ ἐντελεχείᾳ ἄνθρωπος ποιεῖ ἐκ τοῦ δυνάμει ὄντος ἀνθρώπου ἄνθρωπον. 3. Καὶ τὸ ἀπορούμενον δὲ φανερόν, ὅτι ἐστὶν ἡ κίνησις ἐν τῷ κινητῷ· ἐντελέχεια γάρ ἐστι τούτου [καὶ] ὑπὸ τοῦ κινητικοῦ.

29 Ross: αὐτὴν· οὔτε (v. l.).



Buch III · Kapitel 3

95

Bewegung etwas Unbestimmtes zu sein scheint und die Prinzipien der zweiten Kolumne, da verneinend, unbestimmt sind. Denn kei­ nes von ihnen ist Dieses oder So-beschaffenes oder zu einer der anderen Aussageweisen gehörig. b27 Und dass die Bewegung etwas Unbestimmtes zu sein scheint, liegt daran, dass sie sich nicht um­ standslos entweder dem Potentiell-Sein oder dem In-Funktion-Sein der Dinge zuschlagen lässt. Denn weder das potentielle Wie-groß noch das Wie-groß in Funktion ist zwangsläufig in Bewegung. Und die Bewegung scheint zwar eine Art von In-Funktion-Sein zu sein, aber ein unvollendetes. Der Grund hierfür liegt im Unvollendetsein des Potentiellen, dessen In-Funktion-Sein sie ist. b33 Und deshalb ist es schwer, an ihr zu fassen, was sie ist. Denn man müsste sie dem Fehlen oder dem Potentiell-Sein oder dem schlichten In-Funk­ tion-Sein zuschlagen; aber nichts von dem geht, wie sich zeigt. Es bleibt somit die angegebene Weise [der Erklärung], dass sie zwar eine Art von In-Funktion-Sein ist, aber eben ein solches In-Funk­ tion-Sein, wie wir angegeben haben – schwer zu sehen, aber nicht ausgeschlossen. a3 Bewegt wird auch alles, was in der angegebenen Weise bewegt: das Bewegliche, das potentiell [soundso] ist und bei dem die Un­ bewegtheit Ruhe ist (bei wem es Bewegung gibt, dessen Unbewegt­ heit ist nämlich Ruhe). Denn in Beziehung auf dieses als solches in Funktion zu sein ist das Bewegen selbst. Und diese Wirkung erbringt es [d. h. das Bewegende] durch Berührung, so dass es zu­ gleich auch unter Einwirkung steht. a7 – Kurz: Die Bewegung ist Vollendungszustand des Beweglichen als Beweglichen; und das er­ gibt sich durch Berührung seitens dessen, das bewegen kann, so dass dieses zugleich auch unter einer Einwirkung steht. a9 – Stets wird das Bewegende eine bestimmte Form mitbringen, entweder ein Dieses oder ein So-beschaffen oder So-groß, die zu Prinzip und Ursache der Bewegung wird, wenn es bewegt; z. B. macht der im Vollendungszustand befindliche Mensch aus dem, was potentiell ein Mensch ist, einen Menschen. 3.  Auch zu dieser Frage kann man sich die Antwort klar machen: 202a13 dass die Bewegung im Beweglichen ist. Sie ist nämlich dessen Voll­ endungszustand unter der Einwirkung dessen, was bewegen kann.

96 15

20

25

30

35 202b1

Γ 3 · 202 a 15 – 202 b 1

καὶ ἡ τοῦ κινητικοῦ δὲ ἐνέργεια οὐκ ἄλλη ἐστίν· δεῖ μὲν γὰρ εἶναι ἐντελέχειαν ἀμφοῖν· κινητικὸν μὲν γάρ ἐστιν τῷ δύνασθαι, κινοῦν δὲ τῷ ἐνεργεῖν, ἀλλ’ ἔστιν ἐνεργητικὸν τοῦ κινητοῦ, ὥστε ὁμοίως μία ἡ ἀμφοῖν ἐνέργεια ὥσπερ τὸ αὐτὸ διάστημα ἓν πρὸς δύο καὶ δύο πρὸς ἕν, καὶ τὸ ἄναντες καὶ τὸ κάταντες· ταῦτα γὰρ ἓν μέν ἐστιν, ὁ μέντοι λόγος οὐχ εἷς· ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τοῦ κινοῦντος καὶ κινουμένου. ἔχει δ’ ἀπορίαν λογικήν· ἀναγκαῖον γὰρ ἴσως εἶναί τινα ἐνέργειαν τοῦ ποιητικοῦ καὶ τοῦ παθητικοῦ· τὸ μὲν δὴ ποίησις, τὸ δὲ πάθησις, ἔργον δὲ καὶ τέλος τοῦ μὲν ποίημα, τοῦ δὲ πάθος. ἐπεὶ οὖν ἄμφω κινήσεις, εἰ μὲν ἕτεραι, ἐν τίνι; ἢ γὰρ ἄμφω ἐν τῷ πάσχοντι καὶ κινουμένῳ, ἢ ἡ μὲν ποίησις ἐν τῷ ποιοῦντι, ἡ δὲ πάθησις ἐν τῷ πάσχοντι (εἰ δὲ δεῖ καὶ ταύτην ποίησιν καλεῖν, ὁμώνυμος ἂν εἴη). ἀλλὰ μὴν εἰ τοῦτο, ἡ κίνησις ἐν τῷ κινοῦντι ἔσται (ὁ γὰρ αὐτὸς λόγος ἐπὶ κινοῦντος καὶ κινουμένου), ὥστ’ ἢ πᾶν τὸ κινοῦν κινήσεται, ἢ ἔχον κίνησιν οὐ κινήσεται. εἰ δ’ ἄμφω ἐν τῷ κινουμένῳ καὶ πάσχοντι, καὶ ἡ ποίησις καὶ ἡ πάθησις, καὶ ἡ δίδαξις καὶ ἡ μάθησις δύο οὖσαι ἐν τῷ μανθάνοντι, πρῶτον μὲν ἡ ἐνέργεια ἡ ἑκάστου οὐκ ἐν ἑκάστῳ ὑπάρξει, εἶτα ἄτοπον δύο κινήσεις ἅμα κινεῖσθαι· τίνες γὰρ ἔσονται ἀλλοιώσεις δύο τοῦ ἑνὸς καὶ εἰς ἓν εἶδος; ἀλλ’ ἀδύνατον. ἀλλὰ μία ἔσται ἡ ἐνέργεια. ἀλλ’ ἄλογον δύο ἑτέρων τῷ εἴδει τὴν αὐτὴν καὶ μίαν εἶναι ἐνέρ-



Buch III · Kapitel 3

97

Und das In-Funktion-Sein dessen, was bewegen kann, ist kein anderes. Es muss nämlich für beide einen Vollendungszustand ge­ ben. Zum Bewegen fähig ist es [d. i.: was bewegen kann] durch das Können und bewegend durch die Ausübung seiner Funktion; zu­ gleich ist es etwas, das das Bewegliche in Funktion setzen (und hal­ ten) kann. Daher ist das In-Funktion-Sein beider ebenso enes, wie der Abstand zwischen Eins und Zwei und zwischen Zwei und Eins derselbe ist, oder der Weg abwärts und aufwärts. Denn diese sind zwar enes, aber nicht ihre Definition; und ebenso beim Bewegen­ den und Bewegten. a21 Die Sache hat aber eine begriffliche Schwierigkeit. Es muss gleichermaßen ein In-Funktion-Sein dessen geben, das tun kann, und dessen, das unter Einwirkung stehen kann: einerseits das Tun, andererseits das Unter-Einwirkung-Stehen, mit dem Ge­ tanen bzw. dem aus der Einwirkung resultierenden Zustand als Leistung und Ziel. Beides sind Bewegungen. [1] Wenn verschie­ dene, fragt sich daher: in wem? a25 [1.1] Entweder sind beide in dem, das unter Einwirkung steht und bewegt wird, [1.2] oder das Tun ist in dem, das tut, und das Unter-Einwirkung-Stehen ist in dem, das unter Einwirkung steht. (Ist hingegen auch dieses [d. h. das Unter-Einwirkung-­Stehen] als Tun zu bezeichnen, ergäbe sich eine Äquivokation.) a28 [Zu 1.2.] Aber dann wäre die Bewegung im Bewegenden; denn die Charakterisierung [des In-Funktion-Seins als Bewegung] ist bei Bewegendem und Bewegtem dieselbe. Also wäre entweder alles Bewegende in Bewegung, oder es hätte Bewe­ gung, ohne in Bewegung zu sein. a31 [Zu 1.1.] Sind hingegen beide, das Tun und das Unter-Einwirkung-Stehen, in dem, das bewegt wird und unter Einwirkung steht, dann sind auch das Lehren und das Lernen zwar zweierlei, aber im Lernenden; und es würde ers­ tens das In-Funktion-Sein des jeweiligen Gegenstandes nicht in dem jeweiligen Gegenstand vorliegen; und zweitens ergäbe sich die Ungereimtheit, dass zwei Bewegungen zugleich vollzogen würden. Was soll denn das sein: zwei Veränderungen desselben Gegen­ standes, aus denen dieselbe Form resultiert? Das geht doch nicht! a36 [2] Aber angenommen, das In-Funktion-Sein sei enes. Dann ist es doch unsinnig, dass das In-Funktion-Sein zweier Dinge von verschiedener Form enes und dasselbe sein soll. Und wenn das a15

98

5 5

10

15

20

25

Γ 3 · 202 b 2 – 202 b 25

γειαν· καὶ ἔσται, εἴπερ ἡ δίδαξις καὶ ἡ μάθησις τὸ αὐτὸ καὶ ἡ ποίησις καὶ ἡ πάθησις, καὶ τὸ διδάσκειν τῷ μανθάνειν τὸ αὐτὸ καὶ τὸ ποιεῖν τῷ πάσχειν, ὥστε τὸν διδάσκοντα ἀνάγκη ἔσται πάντα μανθάνειν καὶ τὸν ποιοῦντα πάσχειν. ἢ οὔτε τὸ τὴν ἄλλου ἐνέργειαν ἐν ἑτέρῳ εἶναι ἄτοπον (ἔστι γὰρ ἡ δίδαξις ἐνέργεια τοῦ διδασκαλικοῦ, ἔν τινι μέντοι, καὶ οὐκ ἀποτετμημένη, ἀλλὰ τοῦδε ἐν τῷδε), οὔτε μίαν δυοῖν κωλύει οὐθὲν τὴν αὐτὴν εἶναι (μὴ ὡς τῷ εἶναι τὸ αὐτό, ἀλλ’ ὡς ὑπάρχει τὸ δυνάμει ὂν πρὸς τὸ ἐνεργοῦν), οὔτ’ ἀνάγκη τὸν διδάσκοντα μανθάνειν, οὐδ’ εἰ τὸ ποιεῖν καὶ πάσχειν τὸ αὐτό ἐστιν, μὴ μέντοι ὥστε τὸν λόγον εἶναι ἕνα τὸν 〈τὸ〉 τί ἦν εἶναι λέγοντα, οἷον ὡς λώπιον καὶ ἱμάτιον, ἀλλ’ ὡς ἡ ὁδὸς ἡ Θήβηθεν Ἀθήναζε καὶ ἡ Ἀθήνηθεν εἰς Θήβας, ὥσπερ εἴρηται καὶ πρότερον; οὐ γὰρ ταὐτὰ πάντα ὑπάρχει τοῖς ὁπωσοῦν τοῖς αὐτοῖς, ἀλλὰ μόνον οἷς τὸ εἶναι τὸ αὐτό. οὐ μὴν ἀλλ’ οὐδ’ εἰ ἡ δίδαξις τῇ μαθήσει τὸ αὐτό, καὶ τὸ μανθάνειν τῷ διδάσκειν, ὥσπερ οὐδ’ εἰ ἡ διάστασις μία τῶν διεστηκότων, καὶ τὸ διίστασθαι ἐνθένθε ἐκεῖσε κἀκεῖθεν δεῦρο ἓν καὶ τὸ αὐτό. ὅλως δ’ εἰπεῖν οὐδ’ ἡ δίδαξις τῇ μαθήσει οὐδ’ ἡ ποίησις τῇ παθήσει τὸ αὐτὸ κυρίως, ἀλλ’ ᾧ ὑπάρχει ταῦτα, ἡ κίνησις· τὸ γὰρ τοῦδε ἐν τῷδε καὶ τὸ τοῦδε ὑπὸ τοῦδε ἐνέργειαν εἶναι ἕτερον τῷ λόγῳ. τί μὲν οὖν ἐστιν κίνησις εἴρηται καὶ καθόλου καὶ κατὰ μέρος· οὐ γὰρ ἄδηλον πῶς ὁρισθήσεται τῶν εἰδῶν ἕκαστον αὐτῆς· ἀλλοίωσις μὲν γὰρ ἡ τοῦ ἀλλοιωτοῦ, ᾗ ἀλλοιωτόν, ἐν-



Buch III · Kapitel 3

99

Lehren und das Lernen derselbe Vorgang wären, und desgleichen das Tun und das Unter-Einwirkung-Stehen, dann wäre zu lehren dasselbe wie zu lernen, und zu tun wäre dasselbe wie unter Ein­ wirkung zu stehen; somit würde zwangsläufig der Lehrende alles lernen, und wer etwas tut, stünde unter der Wirkung des eigenen Tuns. b5 Oder verhält es sich folgendermaßen? [A] Es ist gar nicht ab­ surd, dass das In-Funktion-Sein des einen in einem anderen ist; denn das Lehren ist das In-Funktion-Sein dessen, der lehren kann, zwar in einem [der lernen kann] und unabgeschnitten, aber [nicht in ihm selbst, sondern] sein In-Funktion-Sein in jenem. [B] Auch hindert nichts, dass das In-Funktion-Sein von zweien enes und dasselbe ist, freilich nicht als im Sein dasselbe, sondern wie das Potentielle in Beziehung zu dem in Funktion Befindlichen steht. b10 [C] Auch folgt nicht, dass der Lehrende lernen muss, auch wenn das Tun und das Unter-Einwirkung-Stehen dasselbe ist – freilich nicht so, dass folglich die Definition, die das Was-heißt-es-so-etwas-zusein angibt, eine einzige wäre wie bei Kittel und Hemd, sondern wie der Weg von Theben nach Athen und von Athen nach The­ ben, wie zuvor schon gesagt. b14 Denn was irgendwie dasselbe ist, zu dem gehört nicht durchgängig dasselbe, sondern nur, bei wem das Sein dasselbe ist. Das Lehren und das Lernen mögen derselbe Vorgang sein, aber zu lernen ist gleichwohl nicht dasselbe wie zu lehren. Und ebenso mag bei voneinander entfernten Dingen die Entfernung eine einzige sein, aber von hier nach dort und von dort nach hier [soundso weit] entfernt zu sein, ist nicht enes und das­ selbe. b19 Überhaupt ist zu sagen: Streng genommen, ist nicht das Lehren dasselbe wie das Lernen, oder das Tun dasselbe wie das Unter-Einwirkung-Stehen, sondern dasjenige, dem dies [zu sein] eignet: die Bewegung [ist beide Male dieselbe]. Das [In-FunktionSein] von diesem in jenem [zu sein] und das In-Funktion-Sein von jenem unter der Einwirkung von diesem zu sein, ist begrifflich ver­ schiedenerlei. b23 Was nun also Bewegung im Allgemeinen und im Besonderen ist, ist angegeben. Denn es besteht keine Unklarheit darüber, wie man jede ihrer Arten zu definieren hat: Die Veränderung [hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft] ist der Vollendungszustand des Ver­

100

Γ 4 · 202 b 26 – 203 a 17

τελέχεια. [ἔτι δὲ γνωριμώτερον, ἡ τοῦ δυνάμει ποιητικοῦ καὶ παθητικοῦ, ᾗ τοιοῦτον, ἁπλῶς τε καὶ πάλιν καθ’ ἕκαστον, ἢ οἰκοδόμησις ἢ ἰάτρευσις.] τὸν αὐτὸν δὲ λεχθήσεται τρόπον καὶ περὶ τῶν ἄλλων κινήσεων ἑκάστης. 30

35 203a1

5

10

15

4. Ἐπεὶ δ’ ἐστὶν ἡ περὶ φύσεως ἐπιστήμη περὶ μεγέθη καὶ κίνησιν καὶ χρόνον, ὧν ἕκαστον ἀναγκαῖον ἢ ἄπειρον ἢ πεπερασμένον εἶναι, εἰ καὶ μὴ πᾶν ἐστιν ἄπειρον ἢ πεπερασμένον, οἷον πάθος ἢ στιγμή (τῶν γὰρ τοιούτων ἴσως οὐδὲν ἀναγκαῖον ἐν θατέρῳ τούτων εἶναι), προσῆκον ἂν εἴη τὸν περὶ φύσεως πραγματευόμενον θεωρῆσαι περὶ ἀπείρου, εἰ ἔστιν ἢ μή, καὶ εἰ ἔστιν, τί ἐστιν. σημεῖον δ’ ὅτι ταύτης τῆς ἐπιστήμης οἰκεία ἡ θεωρία ἡ περὶ αὐτοῦ· πάντες γὰρ οἱ δοκοῦντες ἀξιολόγως ἧφθαι τῆς τοιαύτης φιλοσοφίας πεποίηνται λόγον περὶ τοῦ ἀπείρου, καὶ πάντες ὡς ἀρχήν τινα τιθέασι τῶν ὄντων, οἱ μέν, ὥσπερ οἱ Πυθαγόρειοι καὶ Πλάτων, καθ’ αὑτό, οὐχ ὡς συμβεβηκός τινι ἑτέρῳ ἀλλ’ οὐσίαν αὐτὸ ὂν τὸ ἄπειρον. πλὴν οἱ μὲν Πυθαγόρειοι ἐν τοῖς αἰσθητοῖς (οὐ γὰρ χωριστὸν ποιοῦσιν τὸν ἀριθμόν), καὶ εἶναι τὸ ἔξω τοῦ οὐρανοῦ ἄπειρον, Πλάτων δὲ ἔξω μὲν οὐδὲν εἶναι σῶμα, οὐδὲ τὰς ἰδέας, διὰ τὸ μηδὲ ποὺ εἶναι αὐτάς, τὸ μέντοι ἄπειρον καὶ ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καὶ ἐν ἐκείναις εἶναι· καὶ οἱ μὲν τὸ ἄπειρον εἶναι τὸ ἄρτιον (τοῦτο γὰρ ἐναπολαμβανόμενον καὶ ὑπὸ τοῦ περιττοῦ περαινόμενον παρέχειν τοῖς οὖσι τὴν ἀπειρίαν· σημεῖον δ’ εἶναι τούτου τὸ συμβαῖνον ἐπὶ τῶν ἀριθμῶν· περιτιθεμένων γὰρ τῶν γνωμόνων περὶ τὸ ἓν καὶ χωρὶς ὁτὲ μὲν ἄλλο ἀεὶ γίγνεσθαι τὸ εἶδος, ὁτὲ δὲ ἕν), Πλάτων δὲ δύο τὰ ἄπειρα, τὸ μέγα καὶ τὸ μικρόν. οἱ δὲ περὶ φύσεως πάντες [ἀεὶ] ὑποτιθέασιν ἑτέραν τινὰ φύσιν τῷ ἀπείρῳ τῶν λεγομένων

26–28 Ich tilge ἔτι … ἰάτρευσις, vgl. Anm. z. St.

Buch III · Kapitel 4



101

änderlichen als Veränderlichen,1 und auf dieselbe Weise sollte über jede der anderen Bewegungen gesprochen werden. 4.  Die Naturwissenschaft handelt von Größen und Bewegung und 202b30 Zeit, die jeweils entweder unbegrenzt oder begrenzt sein müssen (auch wenn nicht alles unbegrenzt oder begrenzt ist, z. B. ein Wi­ derfahrnis oder ein Punkt, denn dergleichen muss wohl nicht unter einem der beiden vorkommen). Daher dürfte es zu einer Beschäf­ tigung über Natur gehören, Betrachtungen über das Unbegrenzte anzustellen, ob es ist oder nicht, und wenn es ist, was es ist. b36 Ein Zeichen dafür, dass seine Betrachtung zu dieser Wissen­ schaft gehört, ist: Alle, die im Ruf stehen, sich den einschlägigen Studien in erwähnenswerter Weise gewidmet zu haben, haben eine Aussage über das Unbegrenzte gemacht, und alle setzen es als eine Art Ausgangspunkt oder Anfang des Seienden. a4 Die einen, wie die Pythagoreer und Platon, [setzen es] an sich, nicht als zusätzliche Bestimmung an etwas anderem, sondern so, dass das Unbegrenzte selbst Substanz ist. a6 Und zwar die Pythagoreer beim Wahrnehm­ baren (sie machen ja die Zahl nicht zu etwas Abgetrennten); über­ dies gebe es das Unbegrenzte außerhalb des Himmels. – Hingegen Platon: Außerhalb seien weder Körper noch die Ideen, da diese überhaupt nicht irgendwo seien; das Unbegrenzte gebe es aber so­ wohl beim Wahrnehmbaren als auch bei den Ideen. – a10 Und jene [d. h. die Pythagoreer]: Das Unbegrenzte sei das Gerade, denn die­ ses, eingeschlossen und durch das Ungerade begrenzt, verleihe den Dingen die Unbegrenztheit. Ein Anzeichen hierfür sei, was sich bei den Zahlen ergibt: Legt man Gnomone um die Eins bzw. unter Ver­ meidung der Eins, dann entsteht das eine Mal immer eine andere Figur, das andere Mal nur eine einzige. – Bei Platon hingegen sind die Unbegrenzten zwei: das Große und das Kleine. a16 Demgegenüber legen alle Naturforscher dem Unbegrenz­ ten [jeweils] eine bestimmte andere Natur aus der Reihe der sog. des hier ausgelassenen Satzes (b26–28): »Noch kenntlicher: [der Vollendungszustand] dessen, das potentiell tun und [potentiell] unter der Wirkung eines Tuns stehen kann, als solchen; und zwar schlechthin und wieder im Einzelnen, [z. B.] Hausbau oder Verarztung.« 1  Übers.

102

20

25

30

203b1

5

10

Γ 4 · 203 a 18 – 203 b 13

στοιχείων, οἷον ὕδωρ ἢ ἀέρα ἢ τὸ μεταξὺ τούτων. τῶν δὲ πεπερασμένα ποιούντων στοιχεῖα οὐθεὶς ἄπειρα ποιεῖ· ὅσοι δ’ ἄπειρα ποιοῦσι τὰ στοιχεῖα, καθάπερ Ἀναξαγόρας καὶ Δημόκριτος, ὁ μὲν ἐκ τῶν ὁμοιομερῶν, ὁ δ’ ἐκ τῆς πανσπερμίας τῶν σχημάτων, τῇ ἁφῇ συνεχὲς τὸ ἄπειρον εἶναι φασίν· καὶ ὁ μὲν ὁτιοῦν τῶν μορίων εἶναι μίγμα ὁμοίως τῷ παντὶ διὰ τὸ ὁρᾶν ὁτιοῦν ἐξ ὁτουοῦν γιγνόμενον· ἐντεῦθεν γὰρ ἔοικε καὶ ὁμοῦ ποτὲ πάντα χρήματα φάναι εἶναι, οἷον ἥδε ἡ σὰρξ καὶ τόδε τὸ ὁστοῦν, καὶ οὕτως ὁτιοῦν· καὶ πάντα ἄρα· καὶ ἅμα τοίνυν· ἀρχὴ γὰρ οὐ μόνον ἐν ἑκάστῳ ἔστι τῆς διακρίσεως, ἀλλὰ καὶ πάντων. ἐπεὶ γὰρ τὸ γιγνόμενον ἐκ τοῦ τοιούτου γίγνεται σώματος, πάντων δ’ ἔστι γένεσις πλὴν οὐχ ἅμα, καί τινα ἀρχὴν δεῖ εἶναι τῆς γενέσεως, αὕτη δ’ ἐστὶν μία, οἷον ἐκεῖνος καλεῖ νοῦν, ὁ δὲ νοῦς ἀπ’ ἀρχῆς τινος ἐργάζεται νοήσας· ὥστε ἀνάγκη ὁμοῦ ποτε πάντα εἶναι καὶ ἄρξασθαί ποτε κινούμενα. Δημόκριτος δ’ οὐδὲν ἕτερον ἐξ ἑτέρου γίγνεσθαι τῶν πρώτων φησίν· ἀλλ’ ὅμως γε αὐτῷ τὸ κοινὸν σῶμα πάντων ἐστὶν ἀρχή. μεγέθει κατὰ μόρια καὶ σχήματι διαφέρον. ὅτι μὲν οὖν προσήκουσα τοῖς φυσικοῖς ἡ θεωρία, δῆλον ἐκ τούτων. εὐλόγως δὲ καὶ ἀρχὴν αὐτὸ τιθέασι πάντες· οὔτε γὰρ μάτην οἷόν τε αὐτὸ εἶναι, οὔτε ἄλλην ὑπάρχειν αὐτῷ δύναμιν πλὴν ὡς ἀρχήν· ἅπαντα γὰρ ἢ ἀρχὴ ἢ ἐξ ἀρχῆς, τοῦ δὲ ἀπείρου οὐκ ἔστιν ἀρχή· εἴη γὰρ ἂν αὐτοῦ πέρας. ἔτι δὲ καὶ ἀγένητον καὶ ἄφθαρτον ὡς ἀρχή τις οὖσα· τό τε γὰρ γενόμενον ἀνάγκη τέλος λαβεῖν, καὶ τελευτὴ πάσης ἔστιν φθορᾶς. διό, καθάπερ λέγομεν, οὐ ταύτης ἀρχή, ἀλλ’ αὕτη τῶν ἄλλων εἶναι δοκεῖ καὶ περιέχειν ἅπαντα καὶ πάντα κυβερνᾶν, ὥς φασιν ὅσοι μὴ ποιοῦσι παρὰ τὸ ἄπειρον ἄλλας αἰτίας, οἷον νοῦν ἢ φιλίαν· καὶ τοῦτ’ εἶναι τὸ θεῖον· ἀθάνατον



Buch III · Kapitel 4

103

Elemente zugrunde, z. B. das Wasser oder die Luft oder das Zwi­ schending von diesen. a18 Keiner, der begrenzt Vieles zu Elementen macht, macht diese unbegrenzt ausgedehnt. Diejenigen hingegen, welche die Elemente zu unbegrenzt vielen machen, wie z. B. Anaxa­ goras aus den gleichteiligen [Stoffen] und Demokrit aus dem allum­ fassenden Samenvorrat an Figuren, behaupten, das Unbegrenzte sei durch Berührung kontinuierlich. a23 Jener [d. i. Anaxagoras] be­ hauptet, jeder beliebige Teil sei eine dem Ganzen gleichende Mi­ schung; denn er sieht Beliebiges aus Beliebigem werden. Deshalb scheint er auch zu behaupten, alle Dinge seien einst zusammen ge­ wesen, z. B. dieses Fleisch und jener Knochen, und so jedes belie­ bige; und daher alles; und demnach auch zugleich. Ein Anfang des Auseinandertretens ist ja nicht nur in dem jeweiligen Ding, sondern [es gibt einen Anfang des Auseinandertretens] von allem. a28 Denn da das Entstehende aus einem solchen [d. h. gemischten] Körper entsteht, hat alles ein Entstehen, aber nicht zugleich; und es muss einen bestimmten Anfang des Entstehens geben. Dieser ist ein ein­ ziger: was er [d. i. Anaxagoras] Geist nennt. Der Geist arbeitet auf­ grund einer Überlegung von einem bestimmten Ausgangspunkt her. Daher muss irgendwann alles zusammen gewesen sein und irgend­wann begonnen haben, in Bewegung zu sein. a33 Demokrit behauptet, keines der primären Dinge entstehe aus einem anderen. Gleichwohl ist ihm der gemeinsame Körper von allen ein Ausgangs­ punkt. Denn dieser unterscheidet sich in seinen Teilen durch Größe und Umriss. – b3 Hieraus ist klar, dass die Betrachtung [des Unbe­ grenzten] zu den Aufgaben der Naturwissenschaftler gehört. b4 Vernünftigerweise haben es auch alle als Anfang angesetzt. Denn es kann einerseits nicht unnütz sein und andererseits kein ei­ genes Vermögen haben außer als Anfang. b6 Denn alles ist entweder Anfang oder aus einem Anfang. Das Unbegrenzte aber hat keinen Anfang, denn dann hätte es eine Grenze. Als Anfang ist es auch unentstanden und unvergänglich; denn das Entstandene muss einen Abschluss finden, und alles Vergehen hat ein Ende. b10 Daher gibt es, wie gesagt, zu diesem keinen [vorausliegenden] Anfang, sondern dieser scheint [Anfang] für die anderen Dinge zu sein und alles zu umfassen und alles zu steuern, wie jene sagen, die außer dem Un­ begrenzten nichts anderes, z. B. Geist oder Liebe, zu Ursachen ma­

104

15 15

20

25

30 30

204 a1

5

Γ 4 · 203 b 14 – 204 a 5

γὰρ καὶ ἀνώλεθρον, ὥσπερ φησὶν Ἀναξίμανδρος καὶ οἱ πλεῖστοι τῶν φυσιολόγων. τοῦ δ’ εἶναί τι ἄπειρον ἡ πίστις ἐκ πέντε μάλιστ’ ἂν συμβαίνοι σκοποῦσιν, ἔκ τε τοῦ χρόνου (οὗτος γὰρ ἄπειρος) καὶ ἐκ τῆς ἐν τοῖς μεγέθεσι διαιρέσεως (χρῶνται γὰρ καὶ οἱ μαθηματικοὶ τῷ ἀπείρῳ)· ἔτι τῷ οὕτως ἂν μόνως μὴ ὑπολείπειν γένεσιν καὶ φθοράν, εἰ ἄπειρον εἴη ὅθεν ἀφαιρεῖται τὸ γιγνόμενον· ἔτι τῷ τὸ πεπερασμένον ἀεὶ πρός τι περαίνειν, ὥστε ἀνάγκη μηδὲν εἶναι πέρας, εἰ ἀεὶ περαίνειν ἀνάγκη ἕτερον πρὸς ἕτερον. μάλιστα δὲ καὶ κυριώτατον, ὃ τὴν κοινὴν ποιεῖ ἀπορίαν πᾶσι· διὰ γὰρ τὸ ἐν τῇ νοήσει μὴ ὑπολείπειν καὶ ὁ ἀριθμὸς δοκεῖ ἄπειρος εἶναι καὶ τὰ μαθηματικὰ μεγέθη καὶ τὸ ἔξω τοῦ οὐρανοῦ. ἀπείρου δ’ ὄντος τοῦ ἔξω, καὶ σῶμα ἄπειρον εἶναι δοκεῖ καὶ κόσμοι· τί γὰρ μᾶλλον τοῦ κενοῦ ἐνταῦθα ἢ ἐνταῦθα; ὥστ’ εἴπερ μοναχοῦ, καὶ πανταχοῦ εἶναι τὸν ὄγκον. ἅμα δ’ εἰ καὶ ἔστι κενὸν καὶ τόπος ἄπειρος, καὶ σῶμα εἶναι ἀναγκαῖον· ἐνδέχεσθαι γὰρ ἢ εἶναι οὐδὲν διαφέρει ἐν τοῖς ἀϊδίοις. ἔχει δ’ ἀπορίαν ἡ περὶ τοῦ ἀπείρου θεωρία· καὶ γὰρ μὴ εἶναι τιθεμένοις πόλλ’ ἀδύνατα συμβαίνει καὶ εἶναι. ἔτι δὲ ποτέρως ἔστιν, πότερον ὡς οὐσία ἢ ὡς συμβεβηκὸς καθ’ αὑτὸ φύσει τινί; ἢ οὐδετέρως, ἀλλ’ οὐδὲν ἧττον ἔστιν ἄπειρον ἢ ἄπειρα τῷ πλήθει; μάλιστα δὲ φυσικοῦ ἐστιν σκέψασθαι εἰ ἔστι μέγεθος αἰσθητὸν ἄπειρον. πρῶτον οὖν διοριστέον ποσαχῶς λέγεται τὸ ἄπειρον. ἕνα μὲν δὴ τρόπον τὸ ἀδύνατον διελθεῖν τῷ μὴ πεφυκέναι διιέναι, ὥσπερ ἡ φωνὴ ἀόρατος· ἄλλως δὲ τὸ διέξοδον ἔχον ἀτελεύτητον, ἢ ὃ μόγις, ἢ ὃ πεφυκὸς



Buch III · Kapitel 4

105

chen. Und dieses sei das Göttliche. Denn es sei ohne Tod und Ver­ derben, wie Anaximander und die meisten Natur­erklärer sagen. b15 Näher betrachtet, könnte man durch fünferlei zu der Überzeu­ gung kommen, es gebe etwas Unbegrenztes: [1.] die Zeit (denn sie ist unbegrenzt), [2.] die Teilung bei den Größen (denn auch die Ma­ thematiker bedienen sich des Unbegrenzten). Ferner dadurch, dass [3.] sich ein Aufhören von Entstehen und Vergehen nur auf die Weise vermeiden lässt, dass unbegrenzt ist, wovon das Entstehende abgezogen wird. Ferner dadurch, dass [4.] sich das Begrenzte im­ mer bis zu etwas erstreckt, so dass gar nichts Grenze sein kann, da sich immer eines bis zu etwas anderem erstrecken muss. Sowie vor allem und in erster Linie, was die gemeinsame Schwierigkeit aller [bisherigen Punkte] ausmacht: [5.] Da sie für das Denken nicht auf­ hören, scheinen auch die Zahlenreihe, die mathematischen Größen und der Bereich außerhalb des Himmels unbegrenzt zu sein. b25 Sollte dieser Außenbereich unbegrenzt sein, dann scheint es einen un­begrenzten Körper und unbegrenzt viele Welten zu geben. Denn warum [gibt es die Welt] eher an dieser als an jener Stelle des Lee­ ren? Wenn die Gesamtheit des Stoffs an einer einzigen Stelle ist, müsste sie demnach überall sein. Überdies: Wenn es sowohl Leeres als auch unbegrenzten Ort gibt, dann zwangsläufig sogleich auch unbegrenzten Körper. Denn beim Ewigen gibt es keinen Unter­ schied zwischen Können und Sein. b30 Die Betrachtung des Unbegrenzten bringt aber eine Schwierig­ keit mit sich. Es ergibt sich ja viel Unmögliches, wenn man seine Existenz bestreitet, und gleichfalls, wenn man sie bejaht. Ferner fragt sich, wie es existiert, ob als Substanz oder vielmehr als auf eine bestimmte Natur an sich zusätzlich Zutreffendes. Oder exis­ tiert es auf keine dieser Weisen; und gleichwohl gibt es Unbegrenz­ tes oder unbegrenzt viele? Sache des Naturwissenschaftlers ist vor allem, zu untersuchen, ob es eine unbegrenzte wahrnehmbare Größe gibt. a2 Zunächst ist zu bestimmen, auf wie vielfache Weise vom Unbe­ grenzten gesprochen wird. Auf eine Weise heißt unbegrenzt, [i] was sich nicht durchqueren lässt, weil es nicht von solcher Art ist, durch­ quert zu werden – ebenso, wie ein Laut unsichtbar ist; auf andere Weise, [ii] was einen endlosen Hindurchgang hat; oder [iii] einen

106

Γ 5 · 204 a 6 – 204 a 30

ἔχειν μὴ ἔχει διέξοδον ἢ πέρας. ἔτι ἄπειρον ἅπαν ἢ κατὰ πρόσθεσιν ἢ κατὰ διαίρεσιν ἢ ἀμφοτέρως.

10

15

20

25

30

5.  Χωριστὸν μὲν οὖν εἶναι τὸ ἄπειρον τῶν αἰσθητῶν, αὐτό τι ὂν ἄπειρον, οὐχ οἷόν τε. εἰ γὰρ μήτε μέγεθός ἐστιν μήτε πλῆθος, ἀλλ’ οὐσία αὐτό ἐστι τὸ ἄπειρον καὶ μὴ συμβεβηκός, ἀδιαίρετον ἔσται (τὸ γὰρ διαιρετὸν ἢ μέγεθος ἔσται ἢ πλῆθος)· εἰ δὲ τοιοῦτον, οὐκ ἄπειρον, εἰ μὴ ὡς ἡ φωνὴ ἀόρατος. ἀλλ’ οὐχ οὕτως οὔτε φασὶν εἶναι οἱ φάσκοντες εἶναι τὸ ἄπειρον οὔτε ἡμεῖς ζητοῦμεν, ἀλλ’ ὡς ἀδιεξίτητον. εἰ δὲ κατὰ συμβεβηκὸς ἔστιν τὸ ἄπειρον, οὐκ ἂν εἴη στοιχεῖον τῶν ὄντων, ᾗ ἄπειρον, ὥσπερ οὐδὲ τὸ ἀόρατον τῆς διαλέκτου, καίτοι ἡ φωνή ἐστιν ἀόρατος. ἔτι πῶς ἐνδέχεται εἶναί τι αὐτὸ ἄπειρον, εἴπερ μὴ καὶ ἀριθμὸν καὶ μέγεθος, ὧν ἐστι καθ’ αὑτὸ πάθος τι τὸ ἄπειρον; ἔτι γὰρ ἧττον ἀνάγκη ἢ τὸν ἀριθμὸν ἢ τὸ μέγεθος. φανερὸν δὲ καὶ ὅτι οὐκ ἐνδέχεται εἶναι τὸ ἄπειρον ὡς ἐνεργείᾳ ὂν καὶ ὡς οὐσίαν καὶ ἀρχήν· ἔσται γὰρ ὁτιοῦν αὐτοῦ ἄπειρον τὸ λαμβανόμενον, εἰ μεριστόν (τὸ γὰρ ἀπείρῳ εἶναι καὶ ἄπειρον τὸ αὐτό, εἴπερ οὐσία τὸ ἄπειρον καὶ μὴ καθ’ ὑποκειμένου), ὥστ’ ἢ ἀδιαίρετον ἢ εἰς ἄπειρα διαιρετόν· πολλὰ δ’ ἄπειρα εἶναι τὸ αὐτὸ ἀδύνατον (ἀλλὰ μὴν ὥσπερ ἀέρος ἀὴρ μέρος, οὕτω καὶ ἄπειρον ἀπείρου, εἴ γε οὐσία ἐστὶ καὶ ἀρχή)· ἀμέριστον ἄρα καὶ ἀδιαίρετον. ἀλλ’ ἀδύνατον τὸ ἐντελεχείᾳ ὂν ἄπειρον· ποσὸν γάρ τι εἶναι ἀναγκαῖον. κατὰ συμβεβηκὸς ἄρα ὑπάρχει τὸ ἄπειρον. ἀλλ’ εἰ οὕτως, εἴρηται ὅτι οὐκ ἐνδέχεται αὐτὸ λέ-



Buch III · Kapitel 5

107

mühsamen; oder [iv] was von solcher Art ist, einen zu haben, und doch keinen Hindurchgang hat oder [keine] Grenze. – a6 Ferner: Was unbegrenzt ist, ist dies stets entweder aufgrund der [unbe­ schränkten] Hinzufügung oder aufgrund der [unbeschränkten] Teilung oder beides. 5.  Dass das Unbegrenzte getrennt von den wahrnehmbaren Din­ 204a8 gen ist, so dass es selbst ein bestimmtes unbegrenztes Ding wäre, ist unmöglich. a9 Denn wenn das Unbegrenzte weder Größe noch An­ zahl, sondern selber Substanz und keine zusätzliche Bestimmung ist, dann ist es unteilbar, denn das Teilbare ist entweder Größe oder Anzahl; wenn aber unteilbar, dann nicht unbegrenzt, außer in dem Sinne, wie ein Laut unsichtbar ist. Aber weder beschreiben die Ver­ fechter seiner Existenz das Unbegrenzte als in solchem Sinne un­ begrenzt, noch erforschen wir es so, sondern als undurchquerbar. a14 Wenn aber das Unbegrenzte als zusätzliche Bestimmung auf­ tritt, dann dürfte es, qua Unbegrenztes, kein Element [d. h. Grund­ bestandteil] der Dinge sein, wie ja auch das Unsichtbare kein Ele­ ment der Sprache ist, obwohl der Laut unsichtbar ist. – a17 Ferner: Wie kann es ein Als-es-selbst-Unbegrenztes geben, wenn nicht auch Zahl und Größe [unbegrenzt sind], von denen das Unbegrenzte an sich ein Zustand wäre? Das ist noch weniger zwangsläufig, als dass Zahl und Größe [unbegrenzt sind]. a20 Offenkundig ist aber auch, dass es das Unbegrenzte nicht als im Sinne des Verwirklichtseins seiend und als Substanz und Prin­ zip geben kann. Dann wäre nämlich, wenn es teilbar ist, jeder her­ ausgegriffene Teil von ihm unbegrenzt. Denn ist das Unbegrenzte Substanz und nicht von Zugrundeliegendem [ausgesagt], dann sind das Unbegrenzt-Sein und das Unbegrenzte dasselbe. Es wäre also entweder unteilbar oder in Unbegrenztes teilbar. a25 Dasselbe Ding kann aber nicht viele unbegrenzte Dinge sein; gleichwohl wäre, wie jeder Teil der Luft Luft ist, so auch jeder Teil des Unbegrenzten un­ begrenzt, wenn es denn Substanz und Prinzip sein sollte. Also ist es teillos und unteilbar. Aber bei dem im Sinne eines Vollendungs­ zustands seienden Unbegrenzten ist das unmöglich. Denn es muss ein bestimmtes Wie-groß oder Wie-viel sein. a29 Folglich eignet das Unbegrenzte als zusätzliche Bestimmung. Es ist aber schon gesagt

108

35 204b1

5

10

15

20

Γ 5 · 204 a 31 – 204 b 22

γειν ἀρχήν, ἀλλ’ ᾧ συμβέβηκε, τὸν ἀέρα ἢ τὸ ἄρτιον. ὥστε ἀτόπως ἂν ἀποφαίνοιντο οἱ λέγοντες οὕτως ὥσπερ οἱ Πυθαγόρειοί φασιν· ἅμα γὰρ οὐσίαν ποιοῦσι τὸ ἄπειρον καὶ μερίζουσιν. ἀλλ’ ἴσως αὕτη μὲν [ἐστι] καθόλου ἡ ζήτησις, εἰ ἐνδέχεται ἄπειρον καὶ ἐν τοῖς μαθηματικοῖς εἶναι καὶ ἐν τοῖς νοητοῖς καὶ μηδὲν ἔχουσι μέγεθος· ἡμεῖς δ’ ἐπισκοποῦμεν περὶ τῶν αἰσθητῶν καὶ περὶ ὧν ποιούμεθα τὴν μέθοδον, ἆρ’ ἔστιν ἐν αὐτοῖς ἢ οὐκ ἔστι σῶμα ἄπειρον ἐπὶ τὴν αὔξησιν. λογικῶς μὲν οὖν σκοπουμένοις ἐκ τῶν τοιῶνδε δόξειεν ἂν οὐκ εἶναι· εἰ γάρ ἐστι σώματος λόγος τὸ ἐπιπέδῳ ὡρισμένον, οὐκ ἂν εἴη σῶμα ἄπειρον, οὔτε νοητὸν οὔτε αἰσθητόν (ἀλλὰ μὴν οὐδ’ ἀριθμὸς οὕτως ὡς κεχωρισμένος καὶ ἄπειρος· ἀριθμητὸν γὰρ ἀριθμὸς ἢ τὸ ἔχον ἀριθμόν· εἰ οὖν τὸ ἀριθμητὸν ἐνδέχεται ἀριθμῆσαι, καὶ διεξελθεῖν ἂν εἴη δυνατὸν τὸ ἄπειρον)· φυσικῶς δὲ μᾶλλον θεωροῦσιν ἐκ τῶνδε. οὔτε γὰρ σύνθετον οἷόν τε εἶναι οὔτε ἁπλοῦν. σύνθετον μὲν οὖν οὐκ ἔσται τὸ ἄπειρον σῶμα, εἰ πεπερασμένα τῷ πλήθει τὰ στοιχεῖα. ἀνάγκη γὰρ πλείω εἶναι, καὶ ἰσάζειν ἀεὶ τἀναντία, καὶ μὴ εἶναι ἓν αὐτῶν ἄπειρον (εἰ γὰρ ὁποσῳοῦν λείπεται ἡ ἐν ἑνὶ σώματι δύναμις θατέρου, οἷον εἰ τὸ πῦρ πεπέρανται, ὁ δ’ ἀὴρ ἄπειρος, ἔστιν δὲ τὸ ἴσον πῦρ τοῦ ἴσου ἀέρος τῇ δυνάμει ὁποσαπλασιονοῦν, μόνον δὲ ἀριθμόν τινα ἔχον, ὅμως φανερὸν ὅτι τὸ ἄπειρον ὑπερβαλεῖ καὶ φθερεῖ τὸ πεπερασμένον)· ἕκαστον δ’ ἄπειρον εἶναι ἀδύνατον· σῶμα μὲν γάρ ἐστιν τὸ πάντῃ ἔχον διάστασιν, ἄπειρον δὲ τὸ ἀπεράντως διεστηκός, ὥστε τὸ ἄπειρον σῶμα πανταχῇ ἔσται διεστηκὸς εἰς ἄπειρον.



Buch III · Kapitel 5

109

worden, dass man dann nicht das Unbegrenzte als Prinzip angeben kann, sondern das, woran es zusätzlich auftritt, die Luft oder das Gerade. Deshalb macht wohl eine schlechte Figur, wer so spricht, wie es die Pythagoreer tun; denn einerseits machen sie das Unbe­ grenzte zur Substanz, und andererseits zerlegen sie es in Teile. a34 Aber vielleicht ist dies eine allgemeine [d. h. nicht auf die Natur­ wissenschaft beschränkte] Untersuchung: ob es Unbegrenztes auch bei den mathematischen Gegenständen und beim Denkbaren, das keine Größe hat, geben kann. Thema unserer Untersuchung ist demgegenüber das Wahrnehmbare und die Gegenstände unseres wissenschaftlichen Fachs, d. h. ob es bei ihnen einen Körper von unbegrenztem Ausmaß gibt oder nicht. b4 Die folgende begriffliche Betrachtung legt nahe, dass es keinen gibt. Ist nämlich die Defini­ tion von ›Körper‹: das durch eine Fläche Begrenzte, dann dürfte es keinen unbegrenzten Körper geben, keinen denkbaren und keinen wahrnehmbaren. b7 Übrigens gibt es auch keine Zahl in solcher Weise, dass sie abge­ trennt und unbegrenzt wäre. Denn die Zahl, oder was Zahl hat, ist zählbar; das Zählbare muss man zählen können, daher wäre es auch möglich, das Unbegrenzte zu durchschreiten. b10 Bei einer eher naturwissenschaftlichen Betrachtung [ergibt sich dasselbe] aus Folgendem: Ein unbegrenzter Körper kann weder zusammengesetzt noch einfach sein. [Einerseits:] Er wird nicht zusam­mengesetzt sein, wenn die Elemente der Anzahl nach be­ grenzt sind. Denn sie müssen mehrere sein, und die konträren Ge­ genteile müssen einander immer ausgleichen. b14 Daher kann nicht [nur] enes von ihnen unbegrenzt sein. Denn um wieviel auch im­ mer die Kraft im einen Körper hinter dem anderen zurückbleibt –: Wenn z. B. das Feuer begrenzt wird, aber die Luft unbegrenzt ist, dann mag Feuer zwar im Vergleich mit der gleichen Menge Luft ein beliebiges Vielfaches an Kraft ausmachen; aber solange das Ver­ hältnis einen bestimmten Zahlenwert hat, ist offensichtlich, dass das Unbegrenzte das Begrenzte gleichwohl übertrifft und vernich­ tet. b19 Aber es kann nicht jedes [Element] unbegrenzt sein. Denn ein Körper ist, was sich in jede Richtung erstreckt; unbegrenzt ist, was sich unbegrenzt erstreckt; daher wäre der unbegrenzte Körper überallhin bis ins Unbegrenzte erstreckt. b22 [Andererseits:] Aber

110

25

30

35 205a1

5

10

Γ 5 · 204 b 23 – 205 a 14

ἀλλὰ μὴν οὐδὲ ἓν καὶ ἁπλοῦν εἶναι σῶμα ἄπειρον ἐνδέχεται, οὔτε ὡς λέγουσί τινες τὸ παρὰ τὰ στοιχεῖα, ἐξ οὗ ταῦτα γεννῶσιν, οὔθ’ ἁπλῶς. εἰσὶν γάρ τινες οἳ τοῦτο ποιοῦσι τὸ ἄπειρον, ἀλλ’ οὐκ ἀέρα ἢ ὕδωρ, ὅπως μὴ τἆλλα φθείρηται ὑπὸ τοῦ ἀπείρου αὐτῶν· ἔχουσι γὰρ πρὸς ἄλληλα ἐναντίωσιν, οἷον ὁ μὲν ἀὴρ ψυχρός, τὸ δ’ ὕδωρ ὑγρόν, τὸ δὲ πῦρ θερμόν· ὧν εἰ ἦν ἓν ἄπειρον, ἔφθαρτο ἂν ἤδη τἆλλα· νῦν δ’ ἕτερον εἶναί φασιν ἐξ οὗ ταῦτα. ἀδύνατον δ’ εἶναι τοιοῦτον, οὐχ ὅτι ἄπειρον (περὶ τούτου μὲν γὰρ κοινόν τι λεκτέον ἐπὶ παντὸς ὁμοίως, καὶ ἀέρος καὶ ὕδατος καὶ ὁτουοῦν), ἀλλ’ ὅτι οὐκ ἔστιν τοιοῦτον σῶμα αἰσθητὸν παρὰ τὰ καλούμενα στοιχεῖα· ἅπαντα γὰρ ἐξ οὗ ἐστι, καὶ διαλύεται εἰς τοῦτο, ὥστε ἦν ἂν ἐνταῦθα παρὰ ἀέρα καὶ πῦρ καὶ γῆν καὶ ὕδωρ· φαίνεται δ’ οὐδέν. οὐδὲ δὴ πῦρ οὐδ’ ἄλλο τι τῶν στοιχείων οὐδὲν ἄπειρον ἐνδέχεται εἶναι. ὅλως γὰρ καὶ χωρὶς τοῦ ἄπειρον εἶναί τι αὐτῶν, ἀδύνατον τὸ πᾶν, κἂν ᾖ πεπερασμένον, ἢ εἶναι ἢ γίγνεσθαι ἕν τι αὐτῶν, ὥσπερ Ἡράκλειτός φησιν ἅπαντα γίγνεσθαί ποτε πῦρ (ὁ δ’ αὐτὸς λόγος καὶ ἐπὶ τοῦ ἑνός, οἷον ποιοῦσι παρὰ τὰ στοιχεῖα οἱ φυσικοί)· πάντα γὰρ μεταβάλλει ἐξ ἐναντίου εἰς ἐναντίον, οἷον ἐκ θερμοῦ εἰς ψυχρόν. [δεῖ δὲ κατὰ παντὸς ἐκ τῶνδε σκοπεῖν, εἰ ἐνδέχεται ἢ οὐκ ἐνδέχεται εἶναι σῶμα ἄπειρον αἰσθητόν.] ὅτι δὲ ὅλως ἀδύνατον εἶναι σῶμα ἄπειρον αἰσθητόν, ἐκ τῶνδε δῆλον. πέφυκε γὰρ πᾶν τὸ αἰσθητόν που εἶναι, καὶ ἔστιν τόπος τις ἑκάστου, καὶ ὁ αὐτὸς τοῦ μορίου καὶ παντός, οἷον ὅλης τε τῆς γῆς καὶ βώλου μιᾶς, καὶ πυρὸς καὶ σπινθῆρος. ὥστε εἰ μὲν ὁμοειδές, ἀκίνητον ἔσται ἢ ἀεὶ οἰσθήσεται· καίτοι ἀδύνατον (τί γὰρ μᾶλλον κάτω ἢ ἄνω ἢ ὁπουοῦν; λέγω δὲ

7–8 Mit Hussey (1983, 208) tilge ich δεῖ … αισϑητόν. Ross tilgt nur σῶμα … αισϑητόν.

Buch III · Kapitel 5



111

auch einen einzigen und einfachen unbegrenzten Körper kann es nicht geben – sei es, wie manche behaupten, der Körper außer den Elementen, aus dem sie diese erzeugen, oder überhaupt einer. b24 Denn manche machen das Unbegrenzte zu diesem und nicht zu Luft oder Wasser, damit nicht die anderen [Elemente] durch das unbegrenzte unter ihnen vernichtet werden. Denn sie haben ein konträres Verhältnis zueinander; z. B. ist die Luft kalt, das Wasser feucht, das Feuer warm. Wäre eines von ihnen unbegrenzt, hätte es die anderen längst vernichtet. Deshalb sagen sie, es sei ein an­ deres, aus dem diese entstanden sind. b29 Aber dergleichen kann es nicht geben. Nicht [nur], weil es unbegrenzt sein soll; dazu ist bei allem – Luft, Wasser oder was auch sonst – stets dasselbe zu sagen. Sondern weil es keinen solchen wahrnehmbaren Körper außer den sog. Elementen gibt. Denn alles wird in das aufgelöst, woraus es entstanden ist, so dass er immer noch außer Luft, Feuer, Erde und Wasser existierte. Es zeigt sich aber nichts dergleichen. b35 Weder das Feuer noch ein anderes unter den Elementen kann unbegrenzt sein. Und überhaupt: Abgesehen davon, ob etwas von ihnen un­ begrenzt ist, keinesfalls kann das All, selbst wenn es begrenzt ist, enes von ihnen sein oder werden, wie Heraklit behauptet, alles werde einst zu Feuer. Und dasselbe gilt für den enen [einfachen Körper], wie ihn die Naturforscher außer den Elementen fabrizie­ ren. Denn alles geht über von Konträrem zu Konträrem, wie von Warmem zu Kaltem.1 a8 Dass überhaupt kein unbegrenzter wahrnehmbarer Körper existieren kann, ist aus Folgendem klar. Es gehört nämlich bei al­ lem Wahrnehmbaren zu dessen Natur, irgendwo zu sein; und jedes hat einen bestimmten Ort, und zwar denselben für den Teil und das Ganze (z. B. für die gesamte Erde und einen einzelnen Erd­ klumpen, oder für das Feuer und einen Funken). a12 [Fall 1] Ist er [d. i. der unbegrenzte wahrnehmbare Körper] gleichförmig, dann ist er entweder bewegungslos oder in ständigem Ortswechsel. Aber das geht nicht. Denn wieso eher (nach) unten oder oben oder sonst 1  Danach

ausgelassen: »In jedem Falle muss man aus Folgendem se­ hen, ob es geht oder nicht, dass ein unbegrenzter wahrnehmbarer Körper existiert.« (205a7–8)

112 15

20

25, 29

35 205b1, 205a25

205b1

5

Γ 5 · 205 a 15 – 205 b 5

οἷον, εἰ βῶλος εἴη, ποῦ αὕτη κινηθήσεται ἢ ποῦ μενεῖ; ὁ γὰρ τόπος ἄπειρος τοῦ συγγενοῦς αὐτῇ σώματος. πότερον οὖν καθέξει τὸν ὅλον τόπον; καὶ πῶς; τίς οὖν ἢ ποῦ ἡ μονὴ καὶ ἡ κίνησις αὐτῆς; ἢ πανταχοῦ μενεῖ; οὐ κινηθήσεται ἄρα. ἢ πανταχοῦ κινηθήσεται; οὐκ ἄρα στήσεται)· εἰ δ’ ἀνόμοιον τὸ πᾶν, ἀνόμοιοι καὶ οἱ τόποι· καὶ πρῶτον μὲν οὐχ ἓν τὸ σῶμα τοῦ παντὸς ἀλλ’ ἢ τῷ ἅπτεσθαι· ἔπειτα ἤτοι πεπερασμένα ταῦτ’ ἔσται ἢ ἄπειρα τῷ εἴδει. πεπερασμένα μὲν οὖν οὐχ οἷόν τε (ἔσται γὰρ τὰ μὲν ἄπειρα τὰ δ’ οὔ, εἰ τὸ πᾶν ἄπειρον, οἷον τὸ πῦρ ἢ τὸ ὕδωρ· φθορὰ δὲ τὸ τοιοῦτον τοῖς ἐναντίοις [καθάπερ εἴρηται πρότερον])· [καὶ … κάτω.] | εἰ δ’ ἄπειρα καὶ ἁπλᾶ, καὶ οἱ τόποι ἄπειροι, καὶ ἔσται ἄπειρα τὰ στοιχεῖα· εἰ δὲ τοῦτ’ ἀδύνατον καὶ πεπερασμένοι οἱ τόποι, καὶ τὸ ὅλον [πεπεράνθαι ἀναγκαῖον]· ἀδύνατον γὰρ μὴ ἀπαρτίζειν τὸν τόπον καὶ τὸ σῶμα· οὔτε γὰρ ὁ τόπος ὁ πᾶς μείζων ἢ ὅσον ἐνδέχεται τὸ σῶμα εἶναι (ἅμα δ’ οὐδ’ ἄπειρον ἔσται τὸ σῶμα ἔτι), οὔτε τὸ σῶμα μεῖζον ἢ ὁ τόπος· ἢ γὰρ κενὸν ἔσται τι ἢ σῶμα οὐδαμοῦ πεφυκὸς εἶναι. | 〈καὶ διὰ τοῦτ’ οὐθεὶς τὸ ἓν καὶ ἄπειρον πῦρ ἐποίησεν οὐδὲ γῆν τῶν φυσιολόγων, ἀλλ’ ἢ ὕδωρ ἢ ἀέρα ἢ τὸ μέσον αὐτῶν, ὅτι τόπος ἑκατέρου δῆλος ἦν διωρισμένος, ταῦτα δ’ ἐπαμφοτερίζει τῷ ἄνω καὶ κάτω.〉 Ἀναξαγόρας δ’ ἀτόπως λέγει περὶ τῆς τοῦ ἀπείρου μονῆς· στηρίζειν γὰρ αὐτὸ αὑτό φησιν τὸ ἄπειρον· τοῦτο δέ, ὅτι ἐν αὑτῷ (ἄλλο γὰρ οὐδὲν περιέχειν), ὡς ὅπου ἄν τι ᾖ, πεφυκὸς ἐνταῦθα εἶναι. τοῦτο δ’ οὐκ ἀληθές· εἴη γὰρ ἄν τί που βιᾷ καὶ οὐχ οὗ

25–29 Der hier getilgte Satz (καὶ … κάτω, a25–29) folgt wie bei Ross nach b1.

Buch III · Kapitel 5



113

wo(hin)? Ich meine: Nehmen wir z. B. einen Klumpen davon, wo bewegt der sich, und wo verharrt er? Denn der Ort des ihm gleich­ artigen Körpers ist unbegrenzt. Soll er diesen ganzen Ort besetzen? Und wie soll das gehen? Was ist sein Aufenthalt und wohin seine Bewegung? Oder soll er überall verharren? Dann wäre er gar nicht in Bewegung. Oder bewegt er sich überallhin? Dann steht er nicht still. a19 [Fall 2] Ist er [d. i. der unbegrenzte wahrnehmbare Körper] insgesamt ungleichförmig, dann auch die Orte. Erstens ist dann der Körper des Ganzen nicht ener, außer durch Berührung. Zweitens gibt es entweder begrenzt oder unbegrenzt viele Arten von Kompo­ nenten. a22 [Fall 2.1] Begrenzt viele können es nicht sein. Denn dann wären, wenn er insgesamt unbegrenzt ist, einige Komponenten un­ begrenzt und andere nicht, z. B. das Feuer oder das Wasser; und so etwas ist die Vernichtung der jeweiligen konträren Gegenteile.1 a29 [Fall 2.2] Sind sie aber unbegrenzt viele und einfach, dann sind auch die Orte und mit ihnen die Elemente unbegrenzt viele. Und wenn das nicht sein kann und die Orte begrenzt viele sind, ist auch das Ganze begrenzt. a32 Denn es ist unmöglich, dass zwischen Ort und Körper keine genaue Entsprechung besteht. Denn der ganze [d. h. allumfassende] Ort ist nicht größer, als der Körper sein kann (übrigens wäre dann auch der Körper nicht mehr unbegrenzt), noch ist der Körper größer als der Ort. Denn sonst wäre etwas [d. h. ein Teil des ganzen Orts] leer, bzw. es gehörte nicht zur Natur des Kör­ pers, an einem bestimmten Ort zu sein. – a25 Deshalb hat keiner der Naturerklärer das Ene und Unbegrenzte zu Feuer oder Erde gemacht, sondern zu Wasser oder Luft oder deren Zwischending. Denn jene haben klarerweise ihren wohlbestimmten Ort, diese hin­ gegen schwanken zwischen oben und unten. b1 Anaxagoras spricht ungereimt über den Aufenthalt des Unbe­ grenzten. Denn er behauptet, dass das Unbegrenzte sich selbst fest­ hält. Dies sei der Fall, weil es in sich selbst sei, denn nichts anderes umgebe es; als ob, wo etwas auch sein mag, es zu seiner Natur ge­ hörte, dort zu sein. b5 Aber das ist nicht wahr. Etwas könnte durch Gewalt irgendwo sein, und nicht durch seine Natur. Dann mag Der im überlieferten Text anschließende Satz (καὶ … κάτω, a25–29) folgt nach b1. 1 

114

10

15

20

25

30

Γ 5 · 205 b 6 – 205 b 32

πέφυκεν. εἰ οὖν ὅτι μάλιστα μὴ κινεῖται τὸ ὅλον (τὸ γὰρ αὑτῷ στηριζόμενον καὶ ἐν αὑτῷ ὂν ἀκίνητον εἶναι ἀνάγκη), ἀλλὰ διὰ τί οὐ πέφυκε κινεῖσθαι, λεκτέον. οὐ γὰρ ἱκανὸν τὸ οὕτως εἰπόντα ἀπηλλάχθαι· εἴη γὰρ ἂν καὶ ὅτι οὐκ ἔχει ἀλλαχῆ κινεῖσθαι οὐ κινούμενον, ἀλλὰ πεφυκέναι οὐδὲν κωλύει· ἐπεὶ καὶ ἡ γῆ οὐ φέρεται, οὐδ’ εἰ ἄπειρος ἦν, εἰργμένη μέντοι ὑπὸ τοῦ μέσου· ἀλλ’ οὐχ ὅτι οὐκ ἔστιν ἄλλο οὗ ἐνεχθήσεται, μείνειεν ἄν [ἐπὶ τοῦ μέσου], ἀλλ’ ὅτι πέφυκεν οὕτω. καίτοι ἐξείη ἂν λέγειν ὅτι στηρίζει αὑτήν. εἰ οὖν μηδ’ ἐπὶ τῆς γῆς τοῦτο αἴτιον ἀπείρου οὔσης, ἀλλ’ ὅτι βάρος ἔχει, τὸ δὲ βαρὺ μένει ἐπὶ τοῦ μέσου, ἡ δὲ γῆ ἐπὶ τοῦ μέσου, ὁμοίως ἂν καὶ τὸ ἄπειρον μένοι ἐν αὑτῷ διά τιν’ ἄλλην αἰτίαν, καὶ οὐχ ὅτι ἄπειρον καὶ στηρίζει αὐτὸ ἑαυτό. ἅμα δὲ δῆλον ὅτι κἂν ὁτιοῦν μέρος δέοι μένειν· ὡς γὰρ τὸ ἄπειρον ἐν ἑαυτῷ μένει στηρίζον, οὕτως κἂν ὁτιοῦν ληφθῇ μέρος ἐν ἑαυτῷ μενεῖ· τοῦ γὰρ ὅλου καὶ τοῦ μέρους ὁμοειδεῖς οἱ τόποι, οἷον ὅλης γῆς καὶ βώλου κάτω καὶ παντὸς πυρὸς καὶ σπινθῆρος ἄνω. ὥστε εἰ τοῦ ἀπείρου τόπος τὸ ἐν αὑτῷ, καὶ τοῦ μέρους ὁ αὐτός. μενεῖ ἄρα ἐν ἑαυτῷ. ὅλως δὲ φανερὸν ὅτι ἀδύνατον ἄπειρον ἅμα λέγειν σῶμα καὶ τόπον τινὰ εἶναι τοῖς σώμασιν, εἰ πᾶν σῶμα αἰσθητὸν ἢ βάρος ἔχει ἢ κουφότητα, καὶ εἰ μὲν βαρύ, ἐπὶ τὸ μέσον ἔχει τὴν φορὰν φύσει, εἰ δὲ κοῦφον, ἄνω· ἀνάγκη γὰρ καὶ τὸ ἄπειρον, ἀδύνατον δὲ ἢ ἅπαν ὁποτερονοῦν ἢ τὸ ἥμισυ ἑκάτερον πεπονθέναι· πῶς γὰρ διελεῖς; ἢ πῶς τοῦ ἀπείρου ἔσται τὸ μὲν ἄνω τὸ δὲ κάτω, ἢ ἔσχατον καὶ μέσον; ἔτι πᾶν σῶμα αἰσθητὸν ἐν τόπῳ, τόπου δὲ εἴδη καὶ διαφοραὶ τἄνω καὶ κάτω καὶ ἔμπροσθεν καὶ



Buch III · Kapitel 5

115

das All überhaupt nicht in Bewegung sein; denn was durch sich selbst festgehalten wird und in sich selbst ist, muss bewegungslos sein. Aber warum es nicht zu seiner Natur gehört, in Bewegung zu sein, müsste noch gesagt werden. Es genügt nicht, die Sache mit jener Behauptung [dass das Unbegrenzte sich selbst festhält b2–3] abzutun. b9 Dass etwas nicht in Bewegung ist, kann daran liegen, dass es nichts hat, wohin es sich sonst bewegen könnte; aber dass es zu seiner Natur gehört, ist keineswegs ausgeschlossen. Schließ­ lich wechselt auch die Erde nicht den Ort; und [sie täte es] auch nicht, wenn sie unbegrenzt wäre, solange sie vom Zentrum gehin­ dert wird. Wenn sie dort verharrt, dann nicht deshalb, weil es sonst nichts gäbe, wohin sie ausweichen könnte, sondern weil es so ihrer Natur entspricht. Gleichwohl könnte man sagen, dass sie sich selbst festhält. b14 Bei der Erde liegt es nicht hieran, auch wenn sie un­ begrenzt wäre, sondern daran, dass sie Schwere hat: Das Schwere verharrt in der Mitte, und die Erde ist in der Mitte. Ebenso würde wohl auch das Unbegrenzte aufgrund irgendeiner anderen Ursache in sich selbst verharren und nicht, weil es unbegrenzt ist und sich selbst festhält. b18 Übrigens ist klar, dass dann auch jeder Teil ver­ harren müsste. Denn wie das Unbegrenzte sich festhaltend in sich selbst verharrt, so verharrt auch jeder herausgegriffene Teil in sich selbst. Denn die Orte des Ganzen und des Teils sind gleichartig, z. B. der ganzen Erde und eines Erdklumpens unten, des ganzen Feuers und eines Funkens oben. Ist daher der Ort des Unbegrenz­ ten das In-sich-selbst, dann ist der Ort des Teils derselbe. Also ver­ harrt er in sich selbst. b24 Überhaupt ist es offenbar unmöglich, zugleich zu behaupten, es gebe einen unbegrenzten Körper und für die Körper einen be­ stimmten Ort – vorausgesetzt, jeder wahrnehmbare Körper hat ent­ weder Schwere oder Leichtigkeit und, wenn er schwer ist, aufgrund seiner Natur den Ortswechsel nach unten, bzw. wenn er leicht ist, nach oben. Dies müsste ja auch für den unbegrenzten [Körper] gel­ ten, aber weder auf den ganzen noch auf eine seiner Hälften kann eines von beiden zutreffen. Denn wie soll man ihn teilen? Oder wie soll sich an einem unbegrenzten [Körper] Oben und Unten, oder Rand und Mitte, unterscheiden lassen? b31 Ferner: Jeder wahr­ nehmbare Körper ist an einem Ort. Die Arten und Unterschiede

116

Γ 6 · 205 b 33 – 206 a 20

ὄπισθεν καὶ δεξιὸν καὶ ἀριστερόν· καὶ ταῦτα οὐ μόνον πρὸς ἡμᾶς καὶ θέσει, ἀλλὰ καὶ ἐν αὐτῷ τῷ ὅλῳ διώρισται. 35 ἀδύνατον δ’ ἐν τῷ ἀπείρῳ εἶναι ταῦτα. ἁπλῶς δ’ εἰ ἀδύνατον 206a1 τόπον ἄπειρον εἶναι, ἐν τόπῳ δὲ πᾶν σῶμα, ἀδύνατον ἄπειρον [τι] εἶναι σῶμα. ἀλλὰ μὴν τό γε ποὺ ἐν τόπῳ, καὶ τὸ ἐν τόπῳ πού. εἰ οὖν μηδὲ ποσὸν οἷόν τ’ εἶναι τὸ ἄπειρον—ποσὸν γὰρ τὶ ἔσται, οἷον δίπηχυ ἢ τρίπηχυ· ταῦτα γὰρ ση5 μαίνει τὸ ποσόν—οὕτω καὶ τὸ ἐν τόπῳ ὅτι πού, τοῦτο δὲ ἢ ἄνω ἢ κάτω ἢ ἐν ἄλλῃ τινὶ διαστάσει τῶν ἕξ, τούτων δ’ ἕκαστον πέρας τί ἐστιν. ὅτι μὲν οὖν ἐνεργείᾳ οὐκ ἔστι σῶμα ἄπειρον, φανερὸν ἐκ τούτων. 6. Ὅτι δ’ εἰ μὴ ἔστιν ἄπειρον ἁπλῶς, πολλὰ ἀδύνατα 10 συμβαίνει, δῆλον. τοῦ τε γὰρ χρόνου ἔσται τις ἀρχὴ καὶ τελευτή, καὶ τὰ μεγέθη οὐ διαιρετὰ εἰς μεγέθη, καὶ ἀριθμὸς οὐκ ἔσται ἄπειρος. ὅταν δὲ διωρισμένων οὕτως μηδετέρως φαίνηται ἐνδέχεσθαι, διαιτητοῦ δεῖ, καὶ δῆλον ὅτι πὼς μὲν ἔστιν πὼς δ’ οὔ. λέγεται δὴ τὸ εἶναι τὸ μὲν δυνάμει τὸ δὲ ἐντε15 λεχείᾳ, καὶ τὸ ἄπειρον ἔστι μὲν προσθέσει ἔστι δὲ καὶ διαιρέσει. τὸ δὲ μέγεθος ὅτι μὲν κατ’ ἐνέργειαν οὐκ ἔστιν ἄπειρον, εἴρηται, διαιρέσει δ’ ἐστίν· οὐ γὰρ χαλεπὸν ἀνελεῖν τὰς ἀτόμους γραμμάς· λείπεται οὖν δυνάμει εἶναι τὸ ἄπειρον. οὐ δεῖ δὲ τὸ δυνάμει ὂν λαμβάνειν, ὥσπερ εἰ δυνατὸν τοῦτ’ ἀνδρι20 άντα εἶναι, ὡς καὶ ἔσται τοῦτ’ ἀνδριάς, οὕτω καὶ ἄπειρον



Buch III · Kapitel 6

117

des Orts sind: Oben und Unten, Vorn und Hinten, Rechts und Links; dies ist nicht nur in Beziehung zu uns und als bloße Lage­ relation, sondern auch in dem Ganzen selbst bestimmt. Es ist aber unmöglich, dass es dies im Unbegrenzten gibt. b35 Kurz gesagt, wenn es keinen unbegrenzten Ort geben kann und jeder Körper an einem Ort ist, kann es keinen unbegrenzten Kör­ per geben. Was irgendwo ist, ist ja an einem Ort, und was an einem Ort ist, ist irgendwo. Wie nun das Unbegrenzte kein Wie-groß sein kann – dann wäre es nämlich soundso groß, z. B. 2 oder 3 Ellen, denn das bedeutet das Wie-groß –, so bedeutet der Ausdruck ›an einem Ort‹: irgendwo, und dies wiederum: oben oder unten oder in einem anderen der sechs Richtungsintervalle. Deren jedes ist aber eine Begrenzung. a7 Dass es im Sinne des Verwirklichtseins keinen unbegrenzten Körper gibt, ist hieraus offenkundig. 6.  Klar ist: Gibt es Unbegrenztes schlechthin gar nicht, ergibt sich 206a9 viel Unmögliches. Die Zeit hätte einen bestimmten Anfang und ein bestimmtes Ende, die Größen wären nicht in Größen teilbar und die Zahlenreihe wäre nicht unbegrenzt. a12 Wenn sich dem­ nach keine der so bestimmten Alternativen gangbar zeigt, wird ein Schiedsrichter gebraucht; dabei ist klar, dass es [Unbegrenztes] auf eine Weise gibt und auf eine andere nicht. Nun wird vom Sein teils als potentiell, teils im Sinne eines Vollendungszustands gesprochen; und das Unbegrenzte gibt es teils durch [unbegrenzte] Hinzufü­ gung, teils durch [unbegrenzte] Teilung. Dass die Größe nicht im Sinn des Verwirklichtseins unbegrenzt ist, wurde ausgeführt. Aber im Sinne der Teilung ist sie es; die unteilbaren Linien loszuwerden, ist nicht schwer. Es bleibt, dass es das Unbegrenzte im potentiellen Sinne gibt. a18 Man darf den Ausdruck ›potentiell‹ aber nicht nach dem Muster: Wenn dies potentiell eine Statue ist, dann besagt das, dass es [sc. nach entsprechender Bearbeitung] auch eine Statue sein wird. auffassen, als wäre demgemäß [potentiell] unbegrenzt, was dies [unter geeigneten Bedingungen] im Sinne des Verwirklichtseins sein wird. a21

118

25

29a 30

206b1

5

10

Γ 6 · 206 a 21 – 206 b 13

ὃ ἔσται ἐνεργείᾳ· ἀλλ’ ἐπεὶ πολλαχῶς τὸ εἶναι, ὥσπερ ἡ ἡμέρα ἔστι καὶ ὁ ἀγὼν τῷ ἀεὶ ἄλλο καὶ ἄλλο γίγνεσθαι, οὕτω καὶ τὸ ἄπειρον (καὶ γὰρ ἐπὶ τούτων ἔστι καὶ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ· Ὀλύμπια γὰρ ἔστι καὶ τῷ δύνασθαι τὸν ἀγῶνα γίγνεσθαι καὶ τῷ γίγνεσθαι)· ἄλλως δ’ ἔν τε τῷ χρόνῳ δῆλον [τὸ ἄπειρον] καὶ ἐπὶ τῶν ἀνθρώπων, καὶ ἐπὶ τῆς διαιρέσεως τῶν μεγεθῶν. ὅλως μὲν γὰρ οὕτως ἔστιν τὸ ἄπειρον, τῷ ἀεὶ ἄλλο καὶ ἄλλο λαμβάνεσθαι, καὶ τὸ λαμβανόμενον μὲν ἀεὶ εἶναι πεπερασμένον, ἀλλ’ ἀεί γε ἕτερον καὶ ἕτερον· [ἔτι τὸ εἶναι πλεοναχῶς λέγεται, ὥστε τὸ ἄπειρον οὐ δεῖ λαμβάνειν ὡς τόδε τι, οἷον ἄνθρωπον ἢ οἰκίαν, ἀλλ’ ὡς ἡ ἡμέρα λέγεται καὶ ὁ ἀγών, οἷς τὸ εἶναι οὐχ ὡς οὐσία τις γέγονεν, ἀλλ’ ἀεὶ ἐν γενέσει ἢ φθορᾷ, πεπερασμένον, ἀλλ’ ἀεί γε ἕτερον καὶ ἕτερον·] ἀλλ’ ἐν τοῖς μεγέθεσιν ὑπομένοντος τοῦ ληφθέντος [τοῦτο συμβαίνει], ἐπὶ δὲ τοῦ χρόνου καὶ τῶν ἀνθρώπων φθειρομένων οὕτως ὥστε | μὴ ἐπιλείπειν. τὸ δὲ κατὰ πρόσθεσιν τὸ αὐτό ἐστί πως καὶ τὸ κατὰ διαίρεσιν· ἐν γὰρ τῷ πεπερασμένῳ κατὰ πρόσθεσιν γίγνεται ἀντεστραμμένως· ᾗ γὰρ διαιρούμενον ὁρᾶται εἰς ἄπειρον, ταύτῃ προστιθέμενον φανεῖται πρὸς τὸ ὡρισμένον. ἐν γὰρ τῷ πεπερασμένῳ μεγέθει ἂν λαβών τις ὡρισμένον προσλαμβάνῃ τῷ αὐτῷ λόγῳ, μὴ τὸ αὐτό τι τοῦ ὅλου μέγεθος περιλαμβάνων, οὐ διέξεισι τὸ πεπερασμένον· ἐὰν δ’ οὕτως αὔξῃ τὸν λόγον ὥστε ἀεί τι τὸ αὐτὸ περιλαμβάνειν μέγεθος, διέξεισι, διὰ τὸ πᾶν πεπερασμένον ἀναιρεῖσθαι ὁτῳοῦν ὡρισμένῳ. ἄλλως μὲν οὖν οὐκ ἔστιν, οὕτως δ’ ἔστι τὸ ἄπειρον, δυνάμει τε καὶ ἐπὶ καθαιρέσει (καὶ ἐντελεχείᾳ δὲ

Buch III · Kapitel 6



119

Aber das Wort ›sein‹ ist ja mehrdeutig; und wie es das Datum und das [periodisch wiederkehrende] Fest auf die Weise gibt, dass immer wieder etwas anderes stattfindet, so auch das Unbegrenzte. Auch hierbei gibt es ja beides, potentiell und im Sinne des Ver­ wirklichtseins: Olympische Spiele gibt es insofern, als das Fest [im­ mer wieder] stattfinden kann und als es [jeweils] stattfindet. a25 Aber es besteht ein klarer Unterschied zwischen einerseits [den Verhältnissen] in der Zeit und bei den Menschen und anderer­ seits bei der Teilung der Größen. In allen Fällen gibt es das Un­ begrenzte so: Es kommt dadurch zustande, dass immer wieder et­ was anderes gegriffen wird und dieses zwar immer begrenzt, aber auch immer wieder ein anderes ist.1 Aber bei den Größen bleibt das bereits Gegriffene erhalten, während es bei der Zeit und den Menschen jedes Mal vergeht, aber auf solche Weise, dass es nicht ausgeht. b3 Das aufgrund [unbegrenzter] Hinzufügung [Unbegrenzte] ist ir­ gendwie dasselbe wie das aufgrund [unbegrenzter] Teilung [Unbe­ grenzte]. Denn im Begrenzten kommt es aufgrund [unbegrenzter] Hinzufügung in umgekehrter Weise zustande; indem man es als unbegrenzte Teilung sieht, zeigt es sich als Hinzufügung bis zur vorgegebenen Grenze. b7 Denn wenn man in der begrenzten Größe einen begrenzten Teil herausgreift und immer im selben Verhältnis hinzufügt (d. h. nicht etwa an ihm dieselbe Größe markiert), wird man das Begrenzte nicht durchqueren. Wenn man hingegen das Verhältnis so vergrößert, dass man immer dieselbe Größe markiert, wird man durchqueren; denn es gilt: Jede begrenzte Größe wird von jeder beliebigen begrenzten Größe ausgeschöpft. b12 Auf keine andere, wohl aber auf diese Weise gibt es das Unbegrenzte: poten­ tiell und durch Wegnahme; und das gibt es wirklich, wie wir ja auch hier ausgelassenen Zeilen a29–33 sind eine altbezeugte Alter­ nativversion zu a18–29: »Ferner: Vom Sein ist in vielfacher Weise die Rede. Daher muss man das Unbegrenzte nicht als ein Dieses (tode ti) wie Mensch oder Haus, sondern in solcher Weise auffassen, wie Datum und Fest als Zeitangabe fungieren: für diese hat sich das Sein nicht als be­ stimmte Substanz ergeben, sondern immer nur im Werden und Vergehen, jeweils ein begrenztes, aber immer wieder ein anderes.« 1  Die

120

15

20

25

30

33 207a1

5

Γ 6 · 206 b 14 – 207 a 7

ἔστιν, ὡς τὴν ἡμέραν εἶναι λέγομεν καὶ τὸν ἀγῶνα)· καὶ δυνάμει οὕτως ὡς ἡ ὕλη, καὶ οὐ καθ’ αὑτό, ὡς τὸ πεπερασμένον. καὶ κατὰ πρόσθεσιν δὴ οὕτως ἄπειρον δυνάμει ἔστιν, ὃ ταὐτὸ λέγομεν τρόπον τινὰ εἶναι τῷ κατὰ διαίρεσιν· ἀεὶ μὲν γάρ τι ἔξω ἔσται λαμβάνειν, οὐ μέντοι ὑπερβαλεῖ παντὸς μεγέθους, ὥσπερ ἐπὶ τὴν διαίρεσιν ὑπερβάλλει παντὸς ὡρισμένου καὶ ἀεὶ ἔσται ἔλαττον. ὥστε δὲ παντὸς ὑπερβάλλειν κατὰ τὴν πρόσθεσιν, οὐδὲ δυνάμει οἷόν τε εἶναι, εἴπερ μὴ ἔστι κατὰ συμβεβηκὸς ἐντελεχείᾳ ἄπειρον, ὥσπερ φασὶν οἱ φυσιολόγοι τὸ ἔξω σῶμα τοῦ κόσμου, οὗ ἡ οὐσία ἢ ἀὴρ ἢ ἄλλο τι τοιοῦτον, ἄπειρον εἶναι. ἀλλ’ εἰ μὴ οἷόν τε εἶναι ἄπειρον ἐντελεχείᾳ σῶμα αἰσθητὸν οὕτω, φανερὸν ὅτι οὐδὲ δυνάμει ἂν εἴη κατὰ πρόσθεσιν, ἀλλ’ ἢ ὥσπερ εἴρηται ἀντεστραμμένως τῇ διαιρέσει, ἐπεὶ καὶ Πλάτων διὰ τοῦτο δύο τὰ ἄπειρα ἐποίησεν, ὅτι καὶ ἐπὶ τὴν αὔξην δοκεῖ ὑπερβάλλειν καὶ εἰς ἄπειρον ἰέναι καὶ ἐπὶ τὴν καθαίρεσιν. ποιήσας μέντοι δύο οὐ χρῆται· οὔτε γὰρ ἐν τοῖς ἀριθμοῖς τὸ ἐπὶ τὴν καθαίρεσιν ἄπειρον ὑπάρχει (ἡ γὰρ μονὰς ἐλάχιστον), οὔτε 〈τὸ〉 ἐπὶ τὴν αὔξην (μέχρι γὰρ δεκάδος ποιεῖ τὸν ἀριθμόν). συμβαίνει δὲ τοὐναντίον εἶναι ἄπειρον ἢ ὡς λέγουσιν. οὐ γὰρ οὗ μηδὲν ἔξω, ἀλλ’ οὗ ἀεί τι ἔξω ἐστί, τοῦτο ἄπειρόν ἐστιν. σημεῖον δέ· καὶ γὰρ τοὺς δακτυλίους ἀπείρους λέγουσι τοὺς μὴ ἔχοντας σφενδόνην, ὅτι αἰεί τι ἔξω ἔστι λαμβάνειν, καθ’ ὁμοιότητα μέν τινα λέγοντες, οὐ μέντοι κυρίως· δεῖ γὰρ τοῦτό τε ὑπάρχειν καὶ μηδέ ποτε τὸ αὐτὸ λαμβάνεσθαι· ἐν δὲ τῷ κύκλῳ οὐ γίγνεται οὕτως, ἀλλ’ αἰεὶ τὸ ἐφεξῆς μόνον ἕτερον. ἄπειρον μὲν οὖν ἐστιν οὗ κατὰ τὸ ποσὸν



Buch III · Kapitel 6

121

sagen, dass es das [periodisch wiederkehrende] Datum und Fest gibt. Und zwar [gibt es das Unbegrenzte] in solcher Weise potentiell, wie das Material, und nicht an sich , wie das Begrenzte. b16 Auch [das] aufgrund [unbegrenzter] Hinzufügung [Unbegrenzte] ist auf diese Weise potentiell unbegrenzt; d. h. dasjenige, das wir mit dem aufgrund der Teilung [Unbegrenzten] gewissermaßen gleichgesetzt haben. Denn immer wird sich etwas außerhalb greifen lassen. Frei­ lich wird es [d. h. das aufgrund unbegrenzter Hinzufügung Unbe­ grenzte] nicht jede Größe auf solche Weise übertreffen, wie es bei der Teilung jede Grenze unterschreitet und immer noch Kleineres sein wird. b20 Dass etwas aufgrund unbegrenzter Hinzufügung jede Größe übertrifft, kann daher auch nicht potentiell der Fall sein, da nichts die zusätzliche Eigenschaft hat, wirklich unbegrenzt zu sein – etwa in dem Sinne, wie die Naturerklärer behaupten, der äußere Körper der Weltordnung, dessen Substanz Luft oder dergleichen sei, sei unbegrenzt. Aber wenn es somit keinen wirklich unbegrenz­ ten [d. h. unbegrenzt großen] wahrnehmbaren Körper geben kann, dann offenbar auch kein potentiell aufgrund [unbegrenzter] Hinzu­ fügung [Unbegrenztes], sondern nur, wie gesagt, in Umkehrung der Teilung. b27 Auch Platon macht deshalb ein doppeltes Unbegrenz­ tes, weil sich sowohl beim Vermehren als auch bei der Wegnahme ein Übertreffen und Ins-Unbegrenzte-Gehen zeigt. Aber nachdem er es doppelt gemacht hat, nutzt er es nicht. Denn bei den Zahlen gibt es weder das bei der Wegnahme Unbegrenzte (die Einheit ist ja das Kleinste) noch das durch Vermehrung Unbegrenzte (denn er macht die Zahlenreihe nur bis zur Zehn). b33 So ergibt sich: Unbegrenzt ist das konträre Gegenteil dessen, was man behauptet. Denn nicht, wovon nichts außerhalb, sondern wo­ von immer etwas außerhalb ist, das ist unbegrenzt. a2 Ein Zeichen hierfür ist: Man nennt ja auch Ringe, die keine Fassung [für einen Stein] haben, unbegrenzt, da man immer etwas außerhalb [d. h. im­ mer weiter] greifen kann. Man spricht so aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit, aber nicht im strengen Sinne. Denn dies [d. h. dass man immer etwas außerhalb greifen kann] muss der Fall sein und überdies, dass man nicht irgendwann wieder dasselbe greift. Und auf dem Kreis funktioniert das nicht so, sondern es ist immer nur das Nächste ein anderes [als das unmittelbar zuvor Gegriffene]. a7

122

10

15

20

25

30

Γ 7 · 207 a 8 – 207 b 1

λαμβάνουσιν αἰεί τι λαμβάνειν ἔστιν ἔξω. οὗ δὲ μηδὲν ἔξω, τοῦτ’ ἔστι τέλειον καὶ ὅλον· οὕτω γὰρ ὁριζόμεθα τὸ ὅλον, οὗ μηδὲν ἄπεστιν, οἷον ἄνθρωπον ὅλον ἢ κιβώτιον. ὥσπερ δὲ τὸ καθ’ ἕκαστον, οὕτω καὶ τὸ κυρίως, οἷον τὸ ὅλον οὗ μηδέν ἐστιν ἔξω· οὗ δ’ ἔστιν ἀπουσία ἔξω, οὐ πᾶν, ὅ τι ἂν ἀπῇ. ὅλον δὲ καὶ τέλειον ἢ τὸ αὐτὸ πάμπαν ἢ σύνεγγυς τὴν φύσιν. τέλειον δ’ οὐδὲν μὴ ἔχον τέλος· τὸ δὲ τέλος πέρας. διὸ βέλτιον οἰητέον Παρμενίδην Μελίσσου εἰρηκέναι· ὁ μὲν γὰρ τὸ ἄπειρον ὅλον φησίν, ὁ δὲ τὸ ὅλον πεπεράνθαι, “μεσσόθεν ἰσοπαλές”. οὐ γὰρ λίνον λίνῳ συνάπτειν ἐστὶν τῷ ἅπαντι καὶ ὅλῳ τὸ ἄπειρον, ἐπεὶ ἐντεῦθέν γε λαμβάνουσι τὴν σεμνότητα κατὰ τοῦ ἀπείρου, τὸ πάντα περιέχειν καὶ τὸ πᾶν ἐν ἑαυτῷ ἔχειν, διὰ τὸ ἔχειν τινὰ ὁμοιότητα τῷ ὅλῳ. ἔστι γὰρ τὸ ἄπειρον τῆς τοῦ μεγέθους τελειότητος ὕλη καὶ τὸ δυνάμει ὅλον, ἐντελεχείᾳ δ’ οὔ, διαιρετὸν δ’ ἐπί τε τὴν καθαίρεσιν καὶ τὴν ἀντεστραμμένην πρόσθεσιν, ὅλον δὲ καὶ πεπερασμένον οὐ καθ’ αὑτὸ ἀλλὰ κατ’ ἄλλο· καὶ οὐ περιέχει ἀλλὰ περιέχεται, ᾗ ἄπειρον. διὸ καὶ ἄγνωστον ᾗ ἄπειρον· εἶδος γὰρ οὐκ ἔχει ἡ ὕλη. ὥστε φανερὸν ὅτι μᾶλλον ἐν μορίου λόγῳ τὸ ἄπειρον ἢ ἐν ὅλου· μόριον γὰρ ἡ ὕλη τοῦ ὅλου ὥσπερ ὁ χαλκὸς τοῦ χαλκοῦ ἀνδριάντος, ἐπεὶ εἴ γε περιέχει ἐν τοῖς αἰσθητοῖς, καὶ ἐν τοῖς νοητοῖς τὸ μέγα καὶ τὸ μικρὸν ἔδει περιέχειν τὰ νοητά. ἄτοπον δὲ καὶ ἀδύνατον τὸ ἄγνωστον καὶ ἀόριστον περιέχειν καὶ ὁρίζειν.

7.  Κατὰ λόγον δὲ συμβαίνει μὴ εἶναι δοκεῖν ἄπειρον οὕτως 35 γέθους, ἐπὶ τὴν διαίρεσιν δὲ 207b1 ἐντὸς καὶ τὸ ἄπειρον, περιέχει

καὶ τὸ κατὰ πρόσθεσιν μὲν ὥστε παντὸς ὑπερβάλλειν μεεἶναι (περιέχεται γὰρ ἡ ὕλη δὲ τὸ εἶδος)· εὐλόγως δὲ καὶ



Buch III · Kapitel 7

123

Unbegrenzt ist also, wovon sich, wenn man es gemäß dem Wiegroß nimmt, immer etwas außerhalb greifen lässt. Wovon hingegen nichts außerhalb ist, das ist vollständig und ganz. Denn so defi­ nieren wir das Ganze: wovon nichts abwesend ist, z. B. ein ganzer Mensch oder Kasten. Und wie im Einzelfall, so bei dem im strengen Sinn [Ganzen, d. h. dem All], nämlich: Das Ganze ist, wovon nichts außerhalb ist. Wovon es aber außerhalb eine Abwesenheit gibt, ist nicht alles, was auch immer abwesend sei. a13 Entweder sind Ganz und Vollständig genau dasselbe oder in ihrer Natur eng verbun­ den. Vollständig ist aber nichts, das kein Ende hat; und das Ende ist Grenze. a15 Daher sollte man meinen, Parmenides habe besser als Melissos gesprochen. Der eine behauptet nämlich, das Unbe­ grenzte sei ganz, und der andere, das Ganze sei – »von der Mitte her gleichgewichtig« – begrenzt. Denn Unbegrenzt bzw. Alles und Ganz sind zwei Paar Schuhe. Freilich gewinnt man aus dieser Ver­ knüpfung die Würde, die dem Unbegrenzten beigelegt wird: dass es alles umgebe und das All in sich selbst halte, da es mit dem Ganzen eine gewisse Ähnlichkeit habe. a21 Das Unbegrenzte ist Material der Vollständigkeit der Größe; es ist das potentiell (aber nicht im Sinne des Vollendetseins) Ganze; teilbar durch Wegnahme und umgekehrt durch Hinzufügung; ganz und begrenzt nicht an sich [d. h. aufgrund seiner selbst], sondern aufgrund von anderem; und es umgibt nicht, sondern qua Unbe­ grenztes ist es umgeben. a25 Qua Unbegrenztes ist es daher auch ­u nerkennbar. Denn das Material hat keine Form. Daher fällt das Unbegrenzte offenbar eher unter den Begriff des Teils als des Ganzen. Denn das Material ist Teil des Ganzen, wie ›Bronze‹ von ›Bronzestatue‹. Wenn es beim Wahrnehmbaren umgeben sollte, müsste auch beim Denkbaren das Groß-und-Klein die denkbaren Dinge umgeben. Es ist aber abwegig und unmöglich, dass das Un­ erkennbare und Bestimmungslose umgibt und bestimmt. 7.  Wie vernünftigerweise zu erwarten, scheint es auch aufgrund 207a33 [unbegrenzter] Hinzufügung kein Unbegrenztes auf solche Weise zu geben, dass es jede Größe überträfe, wohl aber bei der Teilung. Denn Material und Unbegrenztes sind umgeben [und insofern] im Innern; was umgibt, ist die Form. b1

124

5

10

15

20

25

30

Γ 7 · 207 b 2 – 207 b 30

τὸ ἐν μὲν τῷ ἀριθμῷ εἶναι ἐπὶ μὲν τὸ ἐλάχιστον πέρας ἐπὶ δὲ τὸ πλεῖον ἀεὶ παντὸς ὑπερβάλλειν πλήθους, ἐπὶ δὲ τῶν μεγεθῶν τοὐναντίον ἐπὶ μὲν τὸ ἔλαττον παντὸς ὑπερβάλλειν μεγέθους ἐπὶ δὲ τὸ μεῖζον μὴ εἶναι μέγεθος ἄπειρον. αἴτιον δ’ ὅτι τὸ ἕν ἐστιν ἀδιαίρετον, ὅ τι περ ἂν ἓν ᾖ (οἷον ἄνθρωπος εἷς ἄνθρωπος καὶ οὐ πολλοί), ὁ δ’ ἀριθμός ἐστιν ἕνα πλείω καὶ πόσ’ ἄττα, ὥστ’ ἀνάγκη στῆναι ἐπὶ τὸ ἀδιαίρετον (τὸ γὰρ τρία καὶ δύο παρώνυμα ὀνόματά ἐστιν, ὁμοίως δὲ καὶ τῶν ἄλλων ἀριθμῶν ἕκαστος), ἐπὶ δὲ τὸ πλεῖον ἀεὶ ἔστι νοῆσαι· ἄπειροι γὰρ αἱ διχοτομίαι τοῦ μεγέθους. ὥστε δυνάμει μὲν ἔστιν, ἐνεργείᾳ δ’ οὔ· ἀλλ’ ἀεὶ ὑπερβάλλει τὸ λαμβανόμενον παντὸς ὡρισμένου πλήθους. ἀλλ’ οὐ χωριστὸς ὁ ἀριθμὸς οὗτος [τῆς διχοτομίας], οὐδὲ μένει ἡ ἀπειρία ἀλλὰ γίγνεται, ὥσπερ καὶ ὁ χρόνος καὶ ὁ ἀριθμὸς τοῦ χρόνου. ἐπὶ δὲ τῶν μεγεθῶν τοὐναντίον ἐστί· διαιρεῖται μὲν γὰρ εἰς ἄπειρα τὸ συνεχές, ἐπὶ δὲ τὸ μεῖζον οὐκ ἔστιν ἄπειρον. ὅσον γὰρ ἐνδέχεται δυνάμει εἶναι, καὶ ἐνεργείᾳ ἐνδέχεται τοσοῦτον εἶναι. ὥστε ἐπεὶ ἄπειρον οὐδέν ἐστι μέγεθος αἰσθητόν, οὐκ ἐνδέχεται παντὸς ὑπερβολὴν εἶναι ὡρισμένου μεγέθους· εἴη γὰρ ἄν τι τοῦ οὐρανοῦ μεῖζον. τὸ δ’ ἄπειρον οὐ ταὐτὸν ἐν μεγέθει καὶ κινήσει καὶ χρόνῳ, ὡς μία τις φύσις, ἀλλὰ τὸ ὕστερον λέγεται κατὰ τὸ πρότερον, οἷον κίνησις μὲν ὅτι τὸ μέγεθος ἐφ’ οὗ κινεῖται ἢ ἀλλοιοῦται ἢ αὐξάνεται, ὁ χρόνος δὲ διὰ τὴν κίνησιν. νῦν μὲν οὖν χρώμεθα τούτοις, ὕστερον δὲ ἐροῦμεν καὶ τί ἐστιν ἕκαστον, καὶ διότι πᾶν μέγεθος εἰς μεγέθη διαιρετόν. οὐκ ἀφαιρεῖται δ’ ὁ λόγος οὐδὲ τοὺς μαθηματικοὺς τὴν θεωρίαν, ἀναιρῶν οὕτως εἶναι ἄπειρον ὥστε ἐνεργείᾳ εἶναι ἐπὶ τὴν αὔξησιν ἀδιεξίτητον· οὐδὲ γὰρ νῦν δέονται τοῦ ἀπείρου (οὐ γὰρ χρῶνται), ἀλλὰ μόνον εἶναι ὅσην



Buch III · Kapitel 7

125

Vernünftigerweise zu erwarten ist auch, dass es in der Zahlen­ reihe zum Kleinsten hin eine Grenze gibt, aber zum Mehr hin im­ mer ein Übertreffen jeder [gegebenen] Anzahl, und dass es umge­ kehrt bei den Größen zum Kleineren hin ein Überschreiten jeder Größe gibt, aber zum Größeren hin keine unbegrenzte Größe. b5 Das liegt nämlich daran, dass die Eins unteilbar ist (ganz unabhän­ gig davon, was jeweils enes ist; z. B. ist ein Mensch en Mensch und nicht viele) und dass die Zahl dasselbe ist wie mehrere Einsen, und zwar soundso viele [z. B. zwei oder drei Einsen], wovon die Be­ zeichnungen Drei und Zwei abgeleitet sind, und ebenso jede andere Zahl; daher ist das Anhalten beim Unteilbaren zwangsläufig. Aber man kann immer zum Mehreren hin denken; denn die Teilungen der Größe sind unbegrenzt viele. b11 Daher gibt es [das numerisch Unbegrenzte] nur im potentiellen Sinne, aber nicht im Sinne des Verwirklichtseins, sondern das Gegriffene übertrifft jede [vorab] bestimmte Anzahl. Aber die entsprechende Zahl ist nicht a­ blösbar; die Unbegrenztheit verharrt nicht, sondern sie entsteht wie die Zeit und die zur Zeit gehörige Zahl. b15 Bei den Größen ist es umge­ kehrt: Das Kontinuierliche wird in Unbegrenztes geteilt, aber nach dem Größeren hin ist es nicht unbegrenzt. Denn wie groß etwas potentiell sein kann, so groß kann es auch wirklich sein. Da es keine unbegrenzte wahrnehmbare Größe gibt, kann es folglich auch kein Übertreffen jeder bestimmten Größe geben; denn dann gäbe es ja auch etwas, das größer ist als der Himmel. b21 Das Unbegrenzte ist nicht dasselbe in Größe, Bewegung und Zeit, als wäre es eine einzige, bestimmte Natur. Vielmehr heißt das Nachgeordnete aufgrund des Vorgeordneten [unbegrenzt], z. B. eine Bewegung, weil die Größe [unbegrenzt ist], längs derer Bewe­ gung oder Veränderung oder Wachstum stattfinden; und die Zeit wegen der Bewegung. Vorerst halten wir uns an diese Aussagen; später werden wir auch fragen, was dies jeweils ist und warum jede Größe in Größen geteilt werden kann. b27 Auch nimmt diese Argumentation, indem sie ein solches Unbe­ grenztsein ausschließt, dass etwas wirklich in seiner Ausdehnung undurchschreitbar wäre, den Mathematikern nicht ihre Betrach­ tung. Sie brauchen ja auch jetzt nicht das Unbegrenzte (sie ver­ wenden es gar nicht), sondern nur, dass es begrenzte [Linien] von

126

Γ 8 · 207 b 31 – 208 a 23

ἂν βούλωνται πεπερασμένην· τῷ δὲ μεγίστῳ μεγέθει τὸν αὐτὸν ἔστι τετμῆσθαι λόγον ὁπηλικονοῦν μέγεθος ἕτερον. ὥστε πρὸς μὲν τὸ δεῖξαι ἐκείνοις οὐδὲν διοίσει τὸ [δ’] εἶναι ἐν τοῖς οὖσιν μεγέθεσιν. ἐπεὶ δὲ τὰ αἴτια διῄρηται τετρα35 χῶς, φανερὸν ὅτι ὡς ὕλη τὸ ἄπειρον αἴτιόν ἐστι, καὶ ὅτι 208a1 τὸ μὲν εἶναι αὐτῷ στέρησις, τὸ δὲ καθ’ αὑτὸ ὑποκείμενον τὸ συνεχὲς καὶ αἰσθητόν. φαίνονται δὲ πάντες καὶ οἱ ἄλλοι ὡς ὕλῃ χρώμενοι τῷ ἀπείρῳ· διὸ καὶ ἄτοπον τὸ περιέχον ποιεῖν αὐτὸ ἀλλὰ μὴ περιεχόμενον. 8. Λοιπὸν δ’ ἐπελθεῖν καθ’ οὓς λόγους τὸ ἄπειρον εἶναι δοκεῖ οὐ μόνον δυνάμει ἀλλ’ ὡς ἀφωρισμένον· τὰ μὲν γάρ ἐστιν αὐτῶν οὐκ ἀναγκαῖα, τὰ δ’ ἔχει τινὰς ἑτέρας ἀληθεῖς ἀπαντήσεις. οὔτε γὰρ ἵνα ἡ γένεσις μὴ ἐπιλείπῃ, ἀναγκαῖον ἐνεργείᾳ ἄπειρον εἶναι σῶμα αἰσθητόν· ἐνδέχεται γὰρ τὴν 10 θατέρου φθορὰν θατέρου εἶναι γένεσιν, πεπερασμένου ὄντος τοῦ παντός. ἔτι τὸ ἅπτεσθαι καὶ τὸ πεπεράνθαι ἕτερον. τὸ μὲν γὰρ πρός τι καὶ τινός (ἅπτεται γὰρ πᾶν τινός), καὶ τῶν πεπερασμένων τινὶ συμβέβηκεν, τὸ δὲ πεπερασμένον οὐ πρός τι· οὐδ’ ἅψασθαι τῷ τυχόντι τοῦ τυχόντος ἔστιν. τὸ δὲ τῇ νοήσει 15 πιστεύειν ἄτοπον· οὐ γὰρ ἐπὶ τοῦ πράγματος ἡ ὑπεροχὴ καὶ ἡ ἔλλειψις, ἀλλ’ ἐπὶ τῆς νοήσεως. ἕκαστον γὰρ ἡμῶν νοήσειεν ἄν τις πολλαπλάσιον ἑαυτοῦ αὔξων εἰς ἄπειρον· ἀλλ’ οὐ διὰ τοῦτο ἔξω [τοῦ ἄστεός] τίς ἐστιν [ἢ] τοῦ τηλικούτου μεγέθους ὃ ἔχομεν, ὅτι νοεῖ τις, ἀλλ’ ὅτι ἔστι· τοῦτο δὲ συμβέβηκεν. 20 ὁ δὲ χρόνος καὶ ἡ κίνησις ἄπειρά ἐστι καὶ ἡ νόησις οὐχ ὑπομένοντος τοῦ λαμβανομένου. μέγεθος δὲ οὔτε τῇ καθαιρέσει οὔτε τῇ νοητικῇ αὐξήσει ἔστιν ἄπειρον. ἀλλὰ περὶ μὲν τοῦ ἀπείρου, πῶς ἔστι καὶ πῶς οὐκ ἔστι καὶ τί ἐστιν, εἴρηται. 5



Buch III · Kapitel 8

127

jeder erwünschten Größe gibt. Im selben Verhältnis wie die größte Größe kann man eine beliebig große andere Größe teilen. Für ihre Beweise macht es daher keinen Unterschied, im Bereich der exis­ tierenden Größen zu sein. b34 Im Hinblick auf die vierfache Einteilung der Ursachen ist offen­ kundig: Das Unbegrenzte ist Ursache als Material; seine Weise des Seins ist Fehlen; das an sich Zugrundeliegende ist das Kontinuier­ liche und Wahrnehmbare. Auch bei allen anderen [Autoren] zeigt sich, dass sie das Unbegrenzte als Material verwenden. Deshalb ist es auch abwegig, es [d. h. das Unbegrenzte] zum Umgebenden zu machen, statt zum Umgebenen. 8.  Es bleibt, auf die [obigen] Argumente einzugehen, wonach es das 208a5 Unbegrenzte nicht nur potentiell, sondern als etwas Be­stimmtes zu geben scheint. Teils sind diese Argumente nicht zwingend, teils gibt es auf sie andere Antworten, die zutreffend sind. a8 [Ad 3.] Da­ mit das Entstehen nicht aufhört, muss es keinen im Sinne des Ver­ wirklichtseins unbegrenzten wahrnehmbaren Körper geben. Denn wenn das All begrenzt ist, kann das Vergehen des einen das Ent­ stehen des anderen sein. a11 Ferner [ad 4.]: Anzugrenzen und be­ grenzt zu sein ist zweierlei. Denn jenes ist etwas Bezügliches, näm­ lich an etwas; denn angegrenzt wird immer an etwas. Bei manchem der ­begrenzten Dinge ist dies zusätzlich der Fall; aber Begrenzt ist nichts Bezügliches. Auch kann nicht Beliebiges an Beliebiges gren­ zen. a14 [Ad 5.] Auch ist es abwegig, sich auf das Denken zu berufen. Denn das [unbegrenzte] Übertreffen und Zurückbleiben liegt nicht im Gegenstand, sondern im Denken. Jeden von uns kann man sich um ein Vielfaches seiner selbst ins Unbegrenzte vergrößert denken. Aber nicht dadurch ist man jenseits eines Vielfachen der eigenen Größe, dass es sich jemand denkt, sondern dass man es ist. Jenes [d. h. dass es sich jemand denkt] kommt nur hinzu. a20 [Ad 1.] Zeit und Bewegung sowie das Denken sind Unbegrenztes, bei dem das jeweils Gegriffene nicht erhalten bleibt. [Ad 2.] Eine unbegrenzte Größe gibt es weder durch Wegnahme noch durch im Denken voll­ zogene Vergrößerung. a22 Über das Unbegrenzte ist somit gesagt, inwiefern es ist und in­ wiefern nicht und was es ist.

128 ∆ 1 · 208 a 27 – 208 b 20

Δ. 208a27

30

a35,  b1

1

5

10

15

20

1.  Ὁμοίως δ’ ἀνάγκη καὶ περὶ τόπου τὸν φυσικὸν ὥσπερ καὶ περὶ ἀπείρου γνωρίζειν, εἰ ἔστιν ἢ μή, καὶ πῶς ἔστι, καὶ τί ἐστιν. τά τε γὰρ ὄντα πάντες ὑπολαμβάνουσιν εἶναί που (τὸ γὰρ μὴ ὂν οὐδαμοῦ εἶναι· ποῦ γάρ ἐστι τραγέλαφος ἢ σφίγξ;) καὶ τῆς κινήσεως ἡ κοινὴ μάλιστα καὶ κυριωτάτη κατὰ τόπον ἐστίν, ἣν καλοῦμεν φοράν. ἔχει δὲ πολλὰς ἀπορίας τί ποτ’ ἐστὶν ὁ τόπος· οὐ γὰρ ταὐτὸν φαίνεται θεωροῦσιν ἐξ ἁπάντων τῶν ὑπαρχόντων. ἔτι δ’ οὐδ’ ἔχομεν οὐδὲν παρὰ τῶν ἄλλων οὔτε προηπορημένον οὔτε προηυπορημένον περὶ | αὐτοῦ. ὅτι μὲν οὖν ἔστιν ὁ τόπος, δοκεῖ δῆλον εἶναι ἐκ τῆς ἀντιμεταστάσεως· ὅπου γὰρ ἔστι νῦν ὕδωρ, ἐνταῦθα ἐξελθόντος ὥσπερ ἐξ ἀγγείου πάλιν ἀὴρ ἔνεστιν, ὁτὲ δὲ τὸν αὐτὸν τόπον τοῦτον ἄλλο τι τῶν σωμάτων κατέχει· τοῦτο δὴ τῶν ἐγγιγνομένων καὶ μεταβαλλόντων ἕτερον πάντων εἶναι δοκεῖ· ἐν ᾧ γὰρ ἀὴρ ἔστι νῦν, ὕδωρ ἐν τούτῳ πρότερον ἦν, ὥστε δῆλον ὡς ἦν ὁ τόπος τι καὶ ἡ χώρα ἕτερον ἀμφοῖν, εἰς ἣν καὶ ἐξ ἧς μετέβαλον. ἔτι δὲ αἱ φοραὶ τῶν φυσικῶν σωμάτων καὶ ἁπλῶν, οἷον πυρὸς καὶ γῆς καὶ τῶν τοιούτων, οὐ μόνον δηλοῦσιν ὅτι ἐστί τι ὁ τόπος, ἀλλ’ ὅτι καὶ ἔχει τινὰ δύναμιν. φέρεται γὰρ ἕκαστον εἰς τὸν αὑτοῦ τόπον μὴ κωλυόμενον, τὸ μὲν ἄνω τὸ δὲ κάτω· ταῦτα δ’ ἐστὶ τόπου μέρη καὶ εἴδη, τό τε ἄνω καὶ τὸ κάτω καὶ αἱ λοιπαὶ τῶν ἓξ διαστάσεων. ἔστι δὲ τὰ τοιαῦτα οὐ μόνον πρὸς ἡμᾶς, τὸ ἄνω καὶ κάτω καὶ δεξιὸν καὶ ἀριστερόν· ἡμῖν μὲν γὰρ οὐκ ἀεὶ τὸ αὐτό, ἀλλὰ κατὰ τὴν θέσιν, ὅπως ἂν στραφῶμεν, γίγνεται (διὸ καὶ ταὐτὸ πολλάκις δεξιὸν καὶ ἀριστερὸν καὶ ἄνω καὶ κάτω καὶ πρόσθεν καὶ ὄπισθεν), ἐν δὲ τῇ φύσει διώρισται χωρὶς ἕκαστον. οὐ γὰρ ὅ τι ἔτυχέν ἐστι τὸ ἄνω, ἀλλ’ ὅπου φέρεται τὸ πῦρ καὶ τὸ κοῦφον· ὁμοίως δὲ καὶ τὸ κάτω οὐχ ὅ τι ἔτυχεν,



Buch IV · Kapitel 1

129

IV 1.  Wie über das Unbegrenzte, so muss sich der Naturwissenschaft­ 208a27 ler auch über den Ort Kenntnis verschaffen, ob er ist oder nicht, inwiefern er ist und was er ist. Alle nehmen ja an, was ist, sei ir­ gendwo. Denn was nicht ist, sei nirgendwo: Wo ist denn der Bock­ hirsch oder die Sphinx? Und von der Bewegung ist die am meisten gemeinsame und die grundlegendste [eine Bewegung] hinsichtlich des Orts, [nämlich] diejenige, die wir Transport nennen. a32 Die Frage, was der Ort überhaupt ist, birgt viele Schwierigkeiten. Denn von allen einschlägigen Tatsachen her betrachtet, zeigt er sich gar nicht als dasselbe. Auch können wir auf keine diesbezüglichen, schon von Anderen erörterten Fragestellungen oder Lösungen zu­ rückgreifen. b1 Dass es den Ort gibt, scheint vom Austauschen her klar zu sein. Denn wo jetzt Wasser ist, da ist, wenn es sich von dort entfernt wie aus einem Gefäß, stattdessen Luft; und zu einer anderen Zeit nimmt ein anderer unter den Körpern diesen selben Ort ein. Dies [d. h. das angegebene Wo] scheint etwas von allem [darin] Vorkom­ menden und Wechselnden Verschiedenes zu sein. Denn worin jetzt Luft ist, darin war zuvor Wasser; hieraus wird klar, dass der Ort und der Raum, in den und aus dem sie wechselten, für beide etwas von ihnen selbst Verschiedenes sind. b8 Die Transporte der natür­ lichen und einfachen Körper, z. B. des Feuers, der Erde und der­ gleichen, machen nicht nur klar, dass der Ort eine bestimmte Sache ist, sondern überdies auch, dass er einen gewissen Einfluss hat. Un­ gehindert begibt sich nämlich jeder [dieser Körper] in seinen [cha­ rakteristischen] Ort, der eine nach oben, der andere nach unten; und dies sind eben die Teile und Arten des Orts: Oben, Unten und die übrigen der sechs Richtungsintervalle. b14 Dergleichen – Oben, ­Unten, Rechts, Links – gibt es nicht nur in Beziehung auf uns. Denn für uns ist dies nicht immer dasselbe, sondern es ergibt sich aus unserer Position, wie wir uns jeweils drehen. Deshalb ist dasselbe oft rechts und links, oben und unten, vorn und hinten. Aber in der Natur ist das je für sich bestimmt. Das Oben ist nicht, was sich so ergibt, sondern: wohin sich das Feuer und das Leichte begeben; ebenso ist das Unten nicht, was sich so ergibt, sondern: wohin sich

130 ∆ 1 · 208 b 21 – 209 a 15

25

30

35 209a1

5

10

15

ἀλλ’ ὅπου τὰ ἔχοντα βάρος καὶ τὰ γεηρά, ὡς οὐ τῇ θέσει διαφέροντα μόνον ἀλλὰ καὶ τῇ δυνάμει. δηλοῖ δὲ καὶ τὰ μαθηματικά· οὐκ ὄντα γὰρ ἐν τόπῳ ὅμως κατὰ τὴν θέσιν τὴν πρὸς ἡμᾶς ἔχει δεξιὰ καὶ ἀριστερὰ ὡς τὰ μόνον λεγόμενα διὰ θέσιν, οὐκ ἔχοντα φύσει τούτων ἕκαστον. ἔτι οἱ τὸ κενὸν φάσκοντες εἶναι τόπον λέγουσιν· τὸ γὰρ κενὸν τόπος ἂν εἴη ἐστερημένος σώματος. ὅτι μὲν οὖν ἐστί τι ὁ τόπος παρὰ τὰ σώματα, καὶ πᾶν σῶμα αἰσθητὸν ἐν τόπῳ, διὰ τούτων ἄν τις ὑπολάβοι· δόξειε δ’ ἂν καὶ Ἡσίοδος ὀρθῶς λέγειν ποιήσας πρῶτον τὸ χάος. λέγει γοῦν “πάντων μὲν πρώτιστα χάος γένετ’, αὐτὰρ ἔπειτα γαῖ’ εὐρύστερνος,” ὡς δέον πρῶτον ὑπάρξαι χώραν τοῖς οὖσι, διὰ τὸ νομίζειν, ὥσπερ οἱ πολλοί, πάντα εἶναί που καὶ ἐν τόπῳ. εἰ δ’ ἐστὶ τοιοῦτο, θαυμαστή τις ἂν εἴη ἡ τοῦ τόπου δύναμις καὶ προτέρα πάντων· οὗ γὰρ ἄνευ τῶν ἄλλων οὐδὲν ἔστιν, ἐκεῖνο δ’ ἄνευ τῶν ἄλλων, ἀνάγκη πρῶτον εἶναι· οὐ γὰρ ἀπόλλυται ὁ τόπος τῶν ἐν αὐτῷ φθειρομένων. οὐ μὴν ἀλλ’ ἔχει γε ἀπορίαν, εἰ ἔστι, τί ἐστι, πότερον ὄγκος τις σώματος ἤ τις ἑτέρα φύσις· ζητητέον γὰρ τὸ γένος αὐτοῦ πρῶτον. διαστήματα μὲν οὖν ἔχει τρία, μῆκος καὶ πλάτος καὶ βάθος, οἷς ὁρίζεται σῶμα πᾶν. ἀδύνατον δὲ σῶμα εἶναι τὸν τόπον· ἐν ταὐτῷ γὰρ ἂν εἴη δύο σώματα. ἔτι εἴπερ ἔστι σώματος τόπος καὶ χώρα, δῆλον ὅτι καὶ ἐπιφανείας καὶ τῶν λοιπῶν περάτων· ὁ γὰρ αὐτὸς ἁρμόσει λόγος· ὅπου γὰρ ἦν πρότερον τὰ τοῦ ὕδατος ἐπίπεδα, ἔσται πάλιν τὰ τοῦ ἀέρος. ἀλλὰ μὴν οὐδεμίαν διαφορὰν ἔχομεν στιγμῆς καὶ τόπου στιγμῆς, ὥστ’ εἰ μηδὲ ταύτης ἕτερόν ἐστιν ὁ τόπος, οὐδὲ τῶν ἄλλων οὐδενός, οὐδ’ ἐστί τι παρ’ ἕκαστον τούτων ὁ τόπος. τί γὰρ ἄν ποτε καὶ θείημεν εἶναι τὸν τόπον; οὔτε γὰρ στοιχεῖον οὔτ’ ἐκ στοιχείων οἷόν τε εἶναι τοιαύτην ἔχοντα φύσιν, οὔτε τῶν σω-



Buch IV · Kapitel 1

131

begibt, was Schwere hat und was erdig ist. Sie unterscheiden sich nicht nur durch die Lagebeziehung, sondern auch durch ihren Ein­ fluss. b22 Das kann man sich auch an den mathematischen [Figuren] klarmachen: Sie sind nicht in einem Ort und haben gleichwohl ent­ sprechend ihrer Lage zu uns rechte und linke [Seiten]. Das wird nur anhand der Lagebeziehung gesagt; nichts davon haben sie natür­ licherweise. – b25 Ferner: Diejenigen, die behaupten, dass es das Leere gibt, sprechen vom Ort. Denn das Leere wäre wohl ein Ort, in dem aber kein Körper ist. b27 Dass der Ort eine bestimmte Sache außer den Körpern ist und dass jeder wahrnehmbare Körper in einem Ort ist, könnte man hiernach wohl annehmen. Auch könnte man meinen, dass Hesiod das Richtige sagt, wenn er das chaos zum Ersten macht. Er sagt nämlich: »Von allem zuerst entstand das chaos, dann aber die Erde mit ihrer breiten Brust.« Dabei unterstellt er, dass es zuerst Raum für die Dinge geben muss. Denn wie die meisten glaubt er, alles sei irgendwo und in einem Ort. b33 Wenn es sich aber so verhält, dann wäre der Einfluss des Orts ein erstaunlicher und allem vorgängiger. Denn wenn ohne ein bestimmtes Ding keines der anderen Dinge ist, es selbst aber ohne die anderen, dann muss es das erste sein. Der Ort wird ja nicht vernichtet, wenn vergeht, was in ihm ist. a2 Freilich bleibt die Frage, wenn er ist, was er ist. Ist er so etwas wie das Volumen eines Körpers oder irgendeine andere Natur? Heraus­ zufinden haben wir zuerst, in welche Gattung er fällt. a4 [1.] Aus­ dehnungen hat er drei: Länge, Breite und Tiefe, durch die jeder Körper eingegrenzt ist. Der Ort kann aber kein Körper sein. Denn dann wären an derselben Stelle zwei Körper. a7 [2.] Ferner: Wenn es also Ort und Raum eines Körpers gibt, dann klarerweise auch einer Oberfläche und der übrigen Begrenzungen. Denn dasselbe Argument dürfte passen: Wo zuerst die Begrenzungsflächen des Wassers waren, sind dann stattdessen diejenigen der Luft. Aber wir haben keinen Unterschied zwischen einem Punkt und dem Ort ei­ nes Punktes. Und wenn der Ort [eines Punktes] nichts anderes ist als dieser, dann auch in keinem der anderen Fälle [von Begrenzung], und der Ort ist nichts, was es jeweils außer diesen noch gibt. a13 [3.] Und was sollen wir auch annehmen, das der Ort sei? Was eine solche Natur hat, kann weder ein Element noch aus Elementen sein

132 ∆ 2 · 209 a 16 – 209 b 10

ματικῶν οὔτε τῶν ἀσωμάτων· μέγεθος μὲν γὰρ ἔχει, σῶμα δ’ οὐδέν· ἔστι δὲ τὰ μὲν τῶν αἰσθητῶν σωμάτων στοιχεῖα σώματα, ἐκ δὲ τῶν νοητῶν οὐδὲν γίγνεται μέγεθος. ἔτι δὲ καὶ τίνος ἄν τις θείη τοῖς οὖσιν αἴτιον εἶναι τὸν τόπον; οὐδε20 μία γὰρ αὐτῷ ὑπάρχει αἰτία τῶν τεττάρων· οὔτε γὰρ ὡς ὕλη τῶν ὄντων (οὐδὲν γὰρ ἐξ αὐτοῦ συνέστηκεν) οὔτε ὡς εἶδος καὶ λόγος τῶν πραγμάτων οὔθ’ ὡς τέλος, οὔτε κινεῖ τὰ ὄντα. ἔτι δὲ καὶ αὐτὸς εἰ ἔστι τι τῶν ὄντων, ποῦ ἔσται; ἡ γὰρ Ζήνωνος ἀπορία ζητεῖ τινὰ λόγον· εἰ γὰρ πᾶν τὸ ὂν ἐν τόπῳ, 25 δῆλον ὅτι καὶ τοῦ τόπου τόπος ἔσται, καὶ τοῦτο εἰς ἄπειρον. ἔτι ὥσπερ ἅπαν σῶμα ἐν τόπῳ, οὕτω καὶ ἐν τόπῳ ἅπαντι σῶμα· πῶς οὖν ἐροῦμεν περὶ τῶν αὐξανομένων; ἀνάγκη γὰρ ἐκ τούτων συναύξεσθαι αὐτοῖς τὸν τόπον, εἰ μήτ’ ἐλάττων μήτε μείζων ὁ τόπος ἑκάστου. διὰ μὲν οὖν τούτων 30 οὐ μόνον τί ἐστιν, ἀλλὰ καὶ εἰ ἔστιν, ἀπορεῖν ἀναγκαῖον.

35 209b1

5

10

2. Ἐπεὶ δὲ τὸ μὲν καθ’ αὑτὸ τὸ δὲ κατ’ ἄλλο λέγεται, καὶ τόπος ὁ μὲν κοινός, ἐν ᾧ ἅπαντα τὰ σώματά ἐστιν, ὁ δ’ ἴδιος, ἐν ᾧ πρώτῳ (λέγω δὲ οἷον σὺ νῦν ἐν τῷ οὐρανῷ ὅτι ἐν τῷ ἀέρι οὗτος δ’ ἐν τῷ οὐρανῷ, καὶ ἐν τῷ ἀέρι δὲ ὅτι ἐν τῇ γῇ, ὁμοίως δὲ καὶ ἐν ταύτῃ ὅτι ἐν τῷδε τῷ τόπῳ, ὃς περιέχει οὐδὲν πλέον ἢ σέ), εἰ δή ἐστιν ὁ τόπος τὸ πρῶτον περιέχον ἕκαστον τῶν σωμάτων, πέρας τι ἂν εἴη, ὥστε δόξειεν ἂν τὸ εἶδος καὶ ἡ μορφὴ ἑκάστου ὁ τόπος εἶναι, ᾧ ὁρίζεται τὸ μέγεθος καὶ ἡ ὕλη ἡ τοῦ μεγέθους· τοῦτο γὰρ ἑκάστου πέρας. οὕτω μὲν οὖν σκοποῦσιν ὁ τόπος τὸ ἑκάστου εἶδός ἐστιν· ᾗ δὲ δοκεῖ ὁ τόπος εἶναι τὸ διάστημα τοῦ μεγέθους, ἡ ὕλη· τοῦτο γὰρ ἕτερον τοῦ μεγέθους, τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ περιεχόμενον ὑπὸ τοῦ εἴδους καὶ ὡρισμένον, οἷον ὑπὸ ἐπιπέδου καὶ πέρατος, ἔστι δὲ τοιοῦτον ἡ ὕλη καὶ τὸ ἀόριστον· ὅταν γὰρ ἀφαιρεθῇ τὸ πέρας καὶ τὰ πάθη τῆς σφαίρας, λεί-

17 Ross: τὰ μὲν τῶν αἰσθητῶν στοιχεῖα (v. l.).  23 Ross: ποὺ ἔσται. (»… dann muss er irgendwo sein«), vgl. Anm. zu 209a23.



Buch IV · Kapitel 2

133

und weder zu den körperlichen noch zu den unkörperlichen Din­ gen gehören. Denn er hat Größe, aber keinen Körper; und einer­ seits sind die Elemente der sichtbaren Körper Körper, andererseits entsteht aus Denkbarem keine Größe. a18 [4.] Ferner: Wovon sollte man annehmen, dass der Ort bei den Dingen Ursache ist? Denn ihm eignet keine der vier Weisen der Ursächlichkeit: nicht als Ma­ terial der Dinge (denn nichts ist aus ihm gebildet), nicht als Form und Definition der Gegenstände, nicht als Ziel, und er bewegt die Dinge auch nicht. a23 [5.] Ferner: Ist er selbst eines von dem, was ist, wo ist er dann? Denn die Zenon’sche Schwierigkeit verlangt ein Ar­ gument: Wenn alles, was ist, in einem Ort ist, dann ist klar, dass es auch einen Ort des Orts geben muss, und dies ins Unbegrenzte. a26 [6.] Ferner: Wie jeder Körper in einem Ort ist, so ist auch in jedem Ort ein Körper. Was sollen wir dann über die Körper sagen, die größer werden? Ihnen müsste demnach der Ort mitwachsen, wenn der Ort weder kleiner noch größer als der jeweilige Körper ist. a29 Nicht nur, was er ist, sondern auch, ob er ist, ist aus diesen Grün­ den eine unvermeidliche Frage. 2.  Manches wird an sich [d. h. aufgrund seiner selbst] und manches 209a31 aufgrund von anderem prädiziert. Ort ist einerseits der gemein­ same Ort, in dem alle Körper sind, andererseits der [jeweils] eigene, in dem als Erstem [ein Körper ist]. Ich meine: Beispielsweise bist du jetzt in der Himmelskugel, weil du in der Lufthülle bist und diese in der Himmelskugel ist; und in der Lufthülle, weil im Bereich der Erde; und ebenso in diesem, weil in dem Ort, der nichts umgibt als dich selbst. b1 Wenn nun der Ort das erste ist, das den jeweiligen Körper um­ gibt, dann ist er wohl eine Art Grenze. Deshalb könnte man mei­ nen, der Ort sei die jeweilige Form und Gestalt, durch welche die Größe und deren Material eingegrenzt werden. Denn dies ist die je­ weilige Grenze. b5 So betrachtet, ist der Ort also die jeweilige Form. Soweit aber der Ort die Ausdehnung der Größe zu sein scheint, ist er das Material. Denn dieses ist etwas anderes als die Größe, näm­ lich das von der Form, wie von einer Fläche und Grenze, Umgebene und Eingegrenzte; dergleichen ist aber das Material und das Be­ stimmungslose. Denn wenn man die Grenze und die Eigenschaften

134 ∆ 2 · 209 b 11 – 210 a 6

15

20

25

30

35 210 a1

5

πεται οὐδὲν παρὰ τὴν ὕλην. διὸ καὶ Πλάτων τὴν ὕλην καὶ τὴν χώραν ταὐτό φησιν εἶναι ἐν τῷ Τιμαίῳ· τὸ γὰρ μεταληπτικὸν καὶ τὴν χώραν ἓν καὶ ταὐτόν. ἄλλον δὲ τρόπον ἐκεῖ τε λέγων τὸ μεταληπτικὸν καὶ ἐν τοῖς λεγομένοις ἀγράφοις δόγμασιν, ὅμως τὸν τόπον καὶ τὴν χώραν τὸ αὐτὸ ἀπεφήνατο. λέγουσι μὲν γὰρ πάντες εἶναί τι τὸν τόπον, τί δ’ ἐστίν, οὗτος μόνος ἐπεχείρησεν εἰπεῖν. εἰκότως δ’ ἐκ τούτων σκοπουμένοις δόξειεν ἂν εἶναι χαλεπὸν γνωρίσαι τί ἐστιν ὁ τόπος, εἴπερ τούτων ὁποτερονοῦν ἐστίν, εἴτε ἡ ὕλη εἴτε τὸ εἶδος· ἄλλως τε γὰρ τὴν ἀκροτάτην ἔχει θέαν, καὶ χωρὶς ἀλλήλων οὐ ῥᾴδιον γνωρίζειν. ἀλλὰ μὴν ὅτι γε ἀδύνατον ὁποτερονοῦν τούτων εἶναι τὸν τόπον, οὐ χαλεπὸν ἰδεῖν. τὸ μὲν γὰρ εἶδος καὶ ἡ ὕλη οὐ χωρίζεται τοῦ πράγματος, τὸν δὲ τόπον ἐνδέχεται· ἐν ᾧ γὰρ ἀὴρ ἦν, ἐν τούτῳ πάλιν ὕδωρ, ὥσπερ ἔφαμεν, γίγνεται, ἀντιμεθισταμένων ἀλλήλοις τοῦ τε ὕδατος καὶ τοῦ ἀέρος, καὶ τῶν ἄλλων σωμάτων ὁμοίως, ὥστε οὔτε μόριον οὔθ’ ἕξις ἀλλὰ χωριστὸς ὁ τόπος ἑκάστου ἐστί. καὶ γὰρ δοκεῖ τοιοῦτό τι εἶναι ὁ τόπος οἷον τὸ ἀγγεῖον (ἔστι γὰρ τὸ ἀγγεῖον τόπος μεταφορητός)· τὸ δ’ ἀγγεῖον οὐδὲν τοῦ πράγματός ἐστιν. ᾗ μὲν οὖν χωριστὸς [ἐστι] τοῦ πράγματος, ταύτῃ μὲν οὐκ ἔστι τὸ εἶδος· ᾗ δὲ περιέχει, ταύτῃ δ’ ἕτερος τῆς ὕλης. δοκεῖ δὲ ἀεὶ τὸ ὄν που αὐτό τε εἶναί τι καὶ ἕτερόν τι ἐκτὸς αὐτοῦ. (Πλάτωνι μέντοι λεκτέον, εἰ δεῖ παρεκβάντας εἰπεῖν, διὰ τί οὐκ ἐν τόπῳ τὰ εἴδη καὶ οἱ ἀριθμοί, εἴπερ τὸ μεθεκτικὸν ὁ τόπος, εἴτε τοῦ μεγάλου καὶ τοῦ μικροῦ ὄντος τοῦ μεθεκτικοῦ εἴτε τῆς ὕλης, ὥσπερ ἐν τῷ Τιμαίῳ γέγραφεν.) ἔτι πῶς ἂν φέροιτο εἰς τὸν αὑτοῦ τόπον, εἰ ὁ τόπος ἡ ὕλη ἢ τὸ εἶδος; ἀδύνατον γὰρ οὗ μὴ κίνησις μηδὲ τὸ ἄνω ἢ κάτω ἐστί, τόπον εἶναι. ὥστε ζητητέος ἐν τοῖς τοιούτοις ὁ τόπος. εἰ δ’ ἐν αὐτῷ ὁ τόπος (δεῖ γάρ, εἴπερ ἢ μορφὴ ἢ ὕλη), ἔσται ὁ τόπος ἐν τόπῳ· με-



Buch IV · Kapitel 2

135

der Kugel wegnimmt, bleibt nichts als das Material. b11 Deshalb be­ hauptet auch Platon im Timaios, Material und Raum seien dasselbe. Denn das Aufnahmefähige und der Raum seien enes und dasselbe. Obwohl er sich dort und in den sog. ungeschriebenen Lehren unter­ schiedlich über das Aufnahmefähige äußert, hat er doch jedenfalls den Ort mit dem Raum identifiziert. Zwar behaupten alle, der Ort sei eine bestimmte Sache. Aber was er ist, hat Platon als einziger anzugeben versucht. b17 Unter den obigen Voraussetzungen könnte man naheliegender­ weise meinen, es sei schwer zu erkennen, was der Ort ist – wenn er denn eines von diesen beiden ist, entweder das Material oder die Form. Denn jedenfalls erfordert dies die schärfste Betrachtung; und es ist nicht leicht, sie [d. i. Material und Form] getrennt vonei­ nander zu erkennen. Aber dass der Ort keines von diesen beiden sein kann, ist nicht schwer zu sehen: b22 [1.] Die Form und das Ma­ terial werden nicht vom Gegenstand abgetrennt. Aber beim Ort geht das. Wie gesagt: Worin Luft war, darin tritt nun Wasser auf, indem das Wasser und die Luft gegeneinander ausgetauscht wer­ den; und bei den anderen Körpern ebenso. Also ist der Ort kein Teil oder Zustand des jeweiligen [Körpers], sondern von ihm ab­ trennbar. Der Ort scheint ja so etwas wie das Gefäß zu sein (denn das Gefäß ist ein transportabler Ort); und das Gefäß ist nichts vom Gegenstand. Insofern, als er vom Gegenstand abtrennbar ist, ist er nicht die Form. b31 [2.] Insofern, als er umgibt, ist er [d. i. der Ort] vom Material unterschieden. Stets scheint, was irgendwo ist, selbst etwas Bestimmtes zu sein und außerhalb seiner etwas anderes. b33 [3.] Zu Platon ist zu sagen (wenn man denn ohne diese Abschwei­ fung nicht auskommt): Warum sind die Formen und Zahlen nicht in einem Ort, wenn doch das Teilhabefähige der Ort ist; und dies unabhängig davon, ob das Groß-und-Klein das Teilhabefähige ist oder das Material, wie er im Timaios geschrieben hat. a2 [4.] Ferner: Wie soll sich etwas in den eigenen [charakteristischen] Ort begeben, wenn der Ort das Material oder die Form ist? Denn Ort kann nicht sein, bezüglich dessen es keine Bewegung und kein Oben oder Un­ ten gibt. Nur unter dergleichen ist der Ort zu suchen. a5 [5.] Wäre der Ort in ihm [d. h. dem jeweiligen Gegenstand], und das muss er, wenn er Form oder Material ist, dann wäre der Ort in einem Ort.

136 ∆ 3 · 210 a 7 – 210 a 33

ταβάλλει γὰρ ἅμα τῷ πράγματι καὶ κινεῖται καὶ τὸ εἶδος καὶ τὸ ἀόριστον, οὐκ ἀεὶ ἐν τῷ αὐτῷ ἀλλ’ οὗπερ καὶ τὸ πρᾶγμα· ὥστε τοῦ τόπου ἔσται τόπος. ἔτι ὅταν ἐξ ἀέρος 10 ὕδωρ γένηται, ἀπόλωλεν ὁ τόπος· οὐ γὰρ ἐν τῷ αὐτῷ τόπῳ τὸ γενόμενον σῶμα· τίς οὖν ἡ φθορά; ἐξ ὧν μὲν τοίνυν ἀναγκαῖον εἶναί τι τὸν τόπον, καὶ πάλιν ἐξ ὧν ἀπορήσειεν ἄν τις αὐτοῦ περὶ τῆς οὐσίας, εἴρηται.

15

20

25

30

3. Μετὰ δὲ ταῦτα ληπτέον ποσαχῶς ἄλλο ἐν ἄλλῳ λέγεται. ἕνα μὲν δὴ τρόπον ὡς ὁ δάκτυλος ἐν τῇ χειρὶ καὶ ὅλως τὸ μέρος ἐν τῷ ὅλῳ. ἄλλον δὲ ὡς τὸ ὅλον ἐν τοῖς μέρεσιν· οὐ γάρ ἐστι παρὰ τὰ μέρη τὸ ὅλον. ἄλλον δὲ τρόπον ὡς ὁ ἄνθρωπος ἐν ζῴῳ καὶ ὅλως εἶδος ἐν γένει. ἄλλον δὲ ὡς τὸ γένος ἐν τῷ εἴδει καὶ ὅλως τὸ μέρος τοῦ εἴδους ἐν τῷ λόγῳ. ἔτι ὡς ἡ ὑγίεια ἐν θερμοῖς καὶ ψυχροῖς καὶ ὅλως τὸ εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ. ἔτι ὡς ἐν βασιλεῖ τὰ τῶν Ἑλλήνων καὶ ὅλως ἐν τῷ πρώτῳ κινητικῷ. ἔτι ὡς ἐν τῷ ἀγαθῷ καὶ ὅλως ἐν τῷ τέλει· τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ οὗ ἕνεκα. πάντων δὲ κυριώτατον τὸ ὡς ἐν ἀγγείῳ καὶ ὅλως ἐν τόπῳ. ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, ἆρα καὶ αὐτό τι ἐν ἑαυτῷ ἐνδέχεται εἶναι, ἢ οὐδέν, ἀλλὰ πᾶν ἢ οὐδαμοῦ ἢ ἐν ἄλλῳ. διχῶς δὲ τοῦτ’ ἔστιν, ἤτοι καθ’ αὑτὸ ἢ καθ’ ἕτερον. ὅταν μὲν γὰρ ᾖ μόρια τοῦ ὅλου τὸ ἐν ᾧ καὶ τὸ ἐν τούτῳ, λεχθήσεται τὸ ὅλον ἐν αὑτῷ· λέγεται γὰρ καὶ κατὰ τὰ μέρη, οἷον λευκὸς ὅτι ἡ ἐπιφάνεια λευκή, καὶ ἐπιστήμων ὅτι τὸ λογιστικόν. ὁ μὲν οὖν ἀμφορεὺς οὐκ ἔσται ἐν αὑτῷ, οὐδ’ ὁ οἶνος· ὁ δὲ τοῦ οἴνου ἀμφορεὺς ἔσται· ὅ τε γὰρ καὶ ἐν ᾧ, ἀμφότερα τοῦ αὐτοῦ μόρια. οὕτω μὲν οὖν ἐνδέχεται αὐτό τι ἐν αὑτῷ εἶναι, πρώ-



Buch IV · Kapitel 3

137

Denn zugleich mit dem Gegenstand ändern und bewegen sich auch die Form und das Bestimmungslose [d. i. das Material]; [sie sind] nicht immer an derselben Stelle, sondern dort, wo der Gegenstand gerade ist. Also gäbe es einen Ort des Orts. a9 [6.] Ferner: Wenn aus Luft Wasser wird, ist der Ort vernichtet. Denn der entstehende Körper ist nicht im selben Ort. Aber was ist dabei die Vernichtung [sc. des Orts]? a11 Wieso der Ort eine bestimmte Sache sein muss und wieso man es andererseits für eine schwierige Frage halten kann, was er wirk­ lich ist, ist somit gesagt. 3.  Hiernach müssen wir zusammenstellen, auf wie viele Weisen 210a14 davon gesprochen wird, dass etwas in etwas anderem ist. [1.] Eine Weise ist: wie der Finger in der Hand und überhaupt der Teil im Ganzen. [2.] Oder: wie das Ganze in den Teilen; denn es gibt das Ganze nicht außerhalb der Teile. [3.] Oder: wie Mensch in Tier und überhaupt eine Art in einer Gattung. [4.] Oder: wie die Gattung in der [sc. die Art charakterisierenden] Form und überhaupt der Teil der Form in der Definition. a20 [5.] Ferner: wie die Gesund­ heit in warmen und kalten Dingen und überhaupt die Form im Ma­ terial. [6.] Ferner: wie die Angelegenheiten der Griechen in [der Hand] des [persischen] Königs und überhaupt in dem, was letzt­ lich zu bewegen vermag. [7.] Ferner: wie im Guten und überhaupt im Ziel; denn dies ist das Wozu. [8.] Die wichtigste Verwendungs­ weise von allen ist aber: wie in einem Gefäß und überhaupt in ei­ nem Ort. a25 Man könnte die Frage aufwerfen, ob etwas selbst in sich selbst sein kann oder ob vielmehr alles entweder nirgendwo oder in etwas anderem ist. Das ist aber zweideutig: entweder [an sich, d. h.] auf­ grund seiner selbst oder aufgrund von etwas anderem. Sind näm­ lich das Worin und was darin ist Teile des Ganzen, dann ergibt sich die Behauptung, das Ganze sei in sich selbst. Dieses wird ja auch aufgrund der Teile charakterisiert; z. B. heißt [ein Mensch] weiß, weil die Oberfläche weiß ist, und fachkundig, weil der Verstand fachkundig ist. a30 Weder der Krug noch der Wein ist dann in sich selbst, wohl aber der Krug Wein. Denn beide, der Wein und worin er ist, sind Teile desselben. Auf diese Weise kann etwas selbst in

138 ∆ 3 · 210 a 34 – 210 b 28

210 b1

5

10

15

20

25

τως δ’ οὐκ ἐνδέχεται. οἷον τὸ λευκὸν ἐν σώματι (ἡ ἐπιφάνεια γὰρ ἐν σώματι), ἡ δ’ ἐπιστήμη ἐν ψυχῇ· κατὰ ταῦτα δὲ αἱ προσηγορίαι μέρη ὄντα, ὥς γε ἐν ἀνθρώπῳ (ὁ δὲ ἀμφορεὺς καὶ ὁ οἶνος χωρὶς μὲν ὄντα οὐ μέρη, ἅμα δέ· διὸ ὅταν ᾖ μέρη, ἔσται αὐτὸ ἐν αὑτῷ)· οἷον τὸ λευκὸν ἐν ἀνθρώπῳ ὅτι ἐν σώματι, καὶ ἐν τούτῳ ὅτι ἐν ἐπιφανείᾳ· ἐν δὲ ταύτῃ οὐκέτι κατ’ ἄλλο. καὶ ἕτερά γε τῷ εἴδει ταῦτα, καὶ ἄλλην φύσιν ἔχει ἑκάτερον καὶ δύναμιν, ἥ τ’ ἐπιφάνεια καὶ τὸ λευκόν. οὔτε δὴ ἐπακτικῶς σκοποῦσιν οὐδὲν ὁρῶμεν ἐν ἑαυτῷ κατ’ οὐδένα τῶν διορισμῶν, τῷ τε λόγῳ δῆλον ὅτι ἀδύνατον· δεήσει γὰρ ἀμφότερα ἑκάτερον ὑπάρχειν, οἷον τὸν ἀμφορέα ἀγγεῖόν τε καὶ οἶνον εἶναι καὶ τὸν οἶνον οἶνόν τε καὶ ἀμφορέα, εἴπερ ἐνδέχεται αὐτό τι ἐν αὑτῷ εἶναι. ὥστ’ εἰ ὅτι μάλιστα ἐν ἀλλήλοις εἶεν, ὁ μὲν ἀμφορεὺς δέξεται τὸν οἶνον οὐχ ᾗ αὐτὸς οἶνος ἀλλ’ ᾗ ἐκεῖνος, ὁ δ’ οἶνος ἐνέσται ἐν τῷ ἀμφορεῖ οὐχ ᾗ αὐτὸς ἀμφορεὺς ἀλλ’ ᾗ ἐκεῖνος. κατὰ μὲν οὖν τὸ εἶναι ὅτι ἕτερον, δῆλον· ἄλλος γὰρ ὁ λόγος τοῦ ἐν ᾧ καὶ τοῦ ἐν τούτῳ. ἀλλὰ μὴν οὐδὲ κατὰ συμβεβηκὸς ἐνδέχεται· ἅμα γὰρ δύο ἐν ταὐτῷ ἔσται· αὐτός τε γὰρ ἐν αὑτῷ ὁ ἀμφορεὺς ἔσται, εἰ οὗ ἡ φύσις δεκτική, τοῦτ’ ἐνδέχεται ἐν αὑτῷ εἶναι, καὶ ἔτι ἐκεῖνο οὗ δεκτικόν, οἷον, εἰ οἴνου, ὁ οἶνος. ὅτι μὲν οὖν ἀδύνατον ἐν αὑτῷ τι εἶναι πρώτως, δῆλον· ὃ δὲ Ζήνων ἠπόρει, ὅτι εἰ ὁ τόπος ἐστί τι, ἔν τινι ἔσται, λύειν οὐ χαλεπόν· οὐδὲ γὰρ κωλύει ἐν ἄλλῳ εἶναι τὸν πρῶτον τόπον, μὴ μέντοι ὡς ἐν τόπῳ ἐκείνῳ, ἀλλ’ ὥσπερ ἡ μὲν ὑγίεια ἐν τοῖς θερμοῖς ὡς ἕξις, τὸ δὲ θερμὸν ἐν σώματι ὡς πάθος. ὥστε οὐκ ἀνάγκη εἰς ἄπειρον ἰέναι. ἐκεῖνο δὲ φανερόν, ὅτι ἐπεὶ οὐδὲν τὸ ἀγγεῖον τοῦ ἐν αὐτῷ (ἕτερον γὰρ τὸ



Buch IV · Kapitel 3

139

sich selbst sein, primär aber nicht. a34 Zum Beispiel ist das Weiß im Körper (denn die Oberfläche ist im Körper) und das Fachwissen in der Seele. Diesen, als Teilen, folgen die Bezeichnungen, wonach [das Weiß und das Fachwissen] »im« Menschen sind. Denn je für sich sind der Wein und der Krug keine Teile, wohl aber zusammen; wenn sie Teile sind, ist [das Ganze] selbst in sich selbst. Zum Bei­ spiel ist das Weiß im Menschen, weil es im Körper ist, und in diesem, weil in der Oberfläche; aber in dieser ist es nicht mehr aufgrund von anderem. Und diese Dinge – die Oberfläche und das Weiß – sind der Form nach verschieden, sie haben jeweils eine andere Natur und Wirkungsweise. b8 Tatsächlich entdecken wir bei einer Sichtung der Einzelfälle nichts, das im Sinne irgendeiner der [eingangs angegebenen] Ver­ wendungsweisen in sich selbst wäre; und auch bei begrifflicher Analyse ist klar, dass das unmöglich ist. Es müsste nämlich auf je­ des beides zutreffen, z. B. müsste der Krug Gefäß und Wein sein; der Wein Wein und Krug, wenn denn etwas selbst in sich selbst sein kann. b13 Mögen sie noch so sehr in einander sein: Der Krug ent­ hält den Wein nicht, indem er selbst Wein wäre, sondern indem er jenes [d. h. Krug] ist; der Wein befindet sich im Krug nicht, indem er selbst Krug wäre, sondern indem er jenes [d. h. Wein] ist. Dass dies aufgrund des Seins verschiedenerlei ist, ist klar. Denn das Wo­ rin und was darin ist hat jeweils eine andere Definition. b18 Es geht aber auch nicht aufgrund zusätzlicher Umstände. Denn dann wären zwei Dinge zugleich an derselben Stelle. Der Krug wäre selbst in sich selbst, wenn in sich selbst sein kann, wessen Natur aufnahme­ fähig ist; und ebenso dasjenige, zu dessen Aufnahme es fähig ist, z. B. wenn [es zur Aufnahme] von Wein [fähig ist], der Wein. b21 Klar ist somit: Es ist unmöglich, dass etwas primär in sich selbst ist. Zenons Problem – dass, wenn der Ort eine bestimmte Sache ist, er in etwas sein muss – ist nicht schwer zu lösen. Denn nichts hin­ dert, dass der primäre Ort in etwas anderem ist, aber nicht wie in jenem [von Zenon unterstellten] Ort, sondern wie die Gesundheit in den warmen Dingen als Eigenschaft und das Warme im Körper als Zustand. Es besteht also kein Zwang, ins Unbegrenzte zu gehen. b27 Dies ist offenkundig: Da das Gefäß nichts von dem ist, was in ihm ist (denn das primäre Was und Worin sind verschiedenerlei), ist

140 ∆ 4 · 210 b 29 – 211 a 23

πρώτως ὅ τε καὶ ἐν ᾧ), οὐκ ἂν εἴη οὔτε ἡ ὕλη οὔτε τὸ εἶδος 30 ὁ τόπος, ἀλλ’ ἕτερον. ἐκείνου γάρ τι ταῦτα τοῦ ἐνόντος, καὶ ἡ ὕλη καὶ ἡ μορφή. ταῦτα μὲν οὖν ἔστω διηπορημένα.

211a1

5

10

15

20

4. Τί δέ ποτ’ ἐστὶν ὁ τόπος, ὧδ’ ἂν γένοιτο φανερόν. λάβωμεν δὲ περὶ αὐτοῦ ὅσα δοκεῖ ἀληθῶς καθ’ αὑτὸ ὑπάρχειν αὐτῷ. ἀξιοῦμεν δὴ τὸν τόπον εἶναι πρῶτον μὲν περιέχον ἐκεῖνο οὗ τόπος ἐστί, καὶ μηδὲν τοῦ πράγματος, ἔτι τὸν πρῶτον μήτ’ ἐλάττω μήτε μείζω, ἔτι ἀπολείπεσθαι ἑκάστου καὶ χωριστὸν εἶναι, πρὸς δὲ τούτοις πάντα τόπον ἔχειν τὸ ἄνω καὶ κάτω, καὶ φέρεσθαι φύσει καὶ μένειν ἐν τοῖς οἰκείοις τόποις ἕκαστον τῶν σωμάτων, τοῦτο δὲ ποιεῖν ἢ ἄνω ἢ κάτω. ὑποκειμένων δὲ τούτων τὰ λοιπὰ θεωρητέον. δεῖ δὲ πειρᾶσθαι τὴν σκέψιν οὕτω ποιεῖσθαι ὅπως τὸ τί ἐστιν ἀποδοθήσεται, ὥστε τά τε ἀπορούμενα λύεσθαι, καὶ τὰ δοκοῦντα ὑπάρχειν τῷ τόπῳ ὑπάρχοντα ἔσται, καὶ ἔτι τὸ τῆς δυσκολίας αἴτιον καὶ τῶν περὶ αὐτὸν ἀπορημάτων ἔσται φανερόν· οὕτω γὰρ ἂν κάλλιστα δεικνύοιτο ἕκαστον. πρῶτον μὲν οὖν δεῖ κατανοῆσαι ὅτι οὐκ ἂν ἐζητεῖτο ὁ τόπος, εἰ μὴ κίνησις ἦν ἡ κατὰ τόπον· διὰ γὰρ τοῦτο καὶ τὸν οὐρανὸν μάλιστ’ οἰόμεθα ἐν τόπῳ, ὅτι ἀεὶ ἐν κινήσει. ταύτης δὲ τὸ μὲν φορά, τὸ δὲ αὔξησις καὶ φθίσις· καὶ γὰρ ἐν τῇ αὐξήσει καὶ φθίσει μεταβάλλει, καὶ ὃ πρότερον ἦν ἐνταῦθα, πάλιν μεθέστηκεν εἰς ἔλαττον ἢ μεῖζον. ἔστι δὲ κινούμενον τὸ μὲν καθ’ αὑτὸ ἐνεργείᾳ, τὸ δὲ κατὰ συμβεβηκός· κατὰ συμβεβηκὸς δὲ τὸ μὲν ἐνδεχόμενον κινεῖσθαι καθ’ αὑτό, οἷον τὰ μόρια τοῦ σώματος καὶ ὁ ἐν τῷ πλοίῳ ἧλος, τὰ δ’ οὐκ ἐνδεχόμενα ἀλλ’ αἰεὶ κατὰ συμβεβηκός, οἷον ἡ λευκότης καὶ ἡ ἐπιστήμη· ταῦτα γὰρ οὕτω μεταβέβληκε τὸν τόπον, ὅτι ἐν ᾧ ὑπάρχουσι μεταβάλλει. ἐπεὶ



Buch IV · Kapitel 4

141

wohl weder das Material noch die Form, sondern etwas anderes der Ort. Denn jene, Material und Form, sind etwas von dem, was sich in ihm befindet. – Diese Fragen seien hiermit erörtert. 4.  Was der Ort denn nun ist, kann folgendermaßen klar werden. 210 b32 Stellen wir über ihn zusammen, wovon wir annehmen, dass es ihm tatsächlich an sich eignet! b34 Und zwar fordern wir: 1. Der Ort sei etwas, das dasjenige umgibt, um dessen Ort es sich handelt; [2.] er sei nichts vom Gegenstand; [3.] der primäre [Ort] sei weder kleiner noch größer [als der Gegenstand]; [4.] er könne von dem jeweiligen Ding verlassen werden, d. h. er sei abtrennbar; [5.] überdies habe je­ der Ort Oben und Unten; [6.] aufgrund seiner Natur begebe sich je­ der Körper in seinen charakteristischen Ort und verharre dort, und zwar entweder oben oder unten. a6 Auf dieser Grundlage haben wir das Übrige zu betrachten. Und zwar müssen wir versuchen, die Un­ tersuchung so anzustellen, dass bei der Angabe des Was-ist-das die aufgeworfenen Probleme gelöst werden, dass die angenommenen Eigenschaften des Orts gewährleistet sind und dass schließlich die Ursache des Unbehagens und der den Ort betreffenden Probleme offenkundig wird. Denn so wird die jeweilige Sache wohl stets am besten aufgezeigt. a12 Zuerst müssen wir bedenken, dass der Ort gar kein Thema der Forschung wäre, wenn es keine Bewegung hinsichtlich des Ortes gäbe. Deshalb nehmen wir vor allem auch an, dass der Himmel in einem Ort ist; weil er nämlich immer in Bewegung ist. a15 Diese [d. h. die Bewegung hinsichtlich des Ortes] ist teils Transport, teils Größerund Kleinerwerden. Denn auch beim Größer- und Kleinerwerden findet eine Änderung statt: Was zunächst hier war, ist nun in einen kleineren oder größeren [Ort] versetzt. Was in Bewegung ist, ist dies teils wirklich an sich (kath’ hauto energeiai), teils aufgrund zusätz­ licher Umstände (kata symbebêkos). Bei dem, was aufgrund zusätz­ licher Umstände in Bewegung ist, handelt es sich teils um etwas, das [auch] an sich in Bewegung sein kann, wie z. B. die Teile des Körpers und der Nagel im Schiff, teils um etwas, das dies nicht kann, son­ dern immer nur aufgrund zusätzlicher Umstände in Bewegung ist, wie z. B. die Weiße und das Wissen; denn diese haben nur insofern den Ort gewechselt, als dasjenige, dem sie eignen, [ihn] wechselt. a23

142 ∆ 4 · 211 a 24 – 211 b 16

25

30

35 211b1

5 5

10

15

δὲ λέγομεν εἶναι ὡς ἐν τόπῳ ἐν τῷ οὐρανῷ, διότι ἐν τῷ ἀέρι οὗτος δὲ ἐν τῷ οὐρανῷ· καὶ ἐν τῷ ἀέρι δὲ οὐκ ἐν παντί, ἀλλὰ διὰ τὸ ἔσχατον αὐτοῦ καὶ περιέχον ἐν τῷ ἀέρι φαμὲν εἶναι (εἰ γὰρ πᾶς ὁ ἀὴρ τόπος, οὐκ ἂν ἴσος εἴη ἑκάστου ὁ τόπος καὶ ἕκαστον, δοκεῖ δέ γε ἴσος εἶναι, τοιοῦτος δ’ ὁ πρῶτος ἐν ᾧ ἐστιν)· ὅταν μὲν οὖν μὴ διῃρημένον ᾖ τὸ περιέχον ἀλλὰ συνεχές, οὐχ ὡς ἐν τόπῳ λέγεται εἶναι ἐν ἐκείνῳ, ἀλλ’ ὡς μέρος ἐν ὅλῳ· ὅταν δὲ διῃρημένον ᾖ καὶ ἁπτόμενον, ἐν πρώτῳ ἐστὶ τῷ ἐσχάτῳ τοῦ περιέχοντος, ὃ οὔτε ἐστὶ μέρος τοῦ ἐν αὐτῷ οὔτε μεῖζον τοῦ διαστήματος ἀλλ’ ἴσον· ἐν γὰρ τῷ αὐτῷ τὰ ἔσχατα τῶν ἁπτομένων. καὶ συνεχὲς μὲν ὂν οὐκ ἐν ἐκείνῳ κινεῖται ἀλλὰ μετ’ ἐκείνου, διῃρημένον δὲ ἐν ἐκείνῳ· καὶ ἐάν τε κινῆται τὸ περιέχον ἐάν τε μή, οὐδὲν ἧττον. ἔτι ὅταν μὴ διῃρημένον ᾖ, ὡς μέρος ἐν ὅλῳ λέγεται, οἷον ἐν τῷ ὀφθαλμῷ ἡ ὄψις ἢ ἐν τῷ σώματι ἡ χείρ, ὅταν δὲ διῃρημένον, οἷον ἐν τῷ κάδῳ τὸ ὕδωρ ἢ ἐν τῷ κεραμίῳ ὁ οἶνος· ἡ μὲν γὰρ χεὶρ μετὰ τοῦ σώματος κινεῖται, τὸ δὲ ὕδωρ ἐν τῷ κάδῳ. ἤδη τοίνυν φανερὸν ἐκ τούτων τί ἐστιν ὁ τόπος. σχεδὸν γὰρ τέτταρά ἐστιν ὧν ἀνάγκη τὸν τόπον ἕν τι εἶναι· ἢ γὰρ μορφὴ ἢ ὕλη ἢ διάστημά τι τὸ μεταξὺ τῶν ἐσχάτων, ἢ τὰ ἔσχατα εἰ μὴ ἔστι μηδὲν διάστημα παρὰ τὸ τοῦ ἐγγιγνομένου σώματος μέγεθος. τούτων δ’ ὅτι οὐκ ἐνδέχεται τὰ τρία εἶναι, φανερόν· ἀλλὰ διὰ μὲν τὸ περιέχειν δοκεῖ ἡ μορφὴ εἶναι· ἐν ταὐτῷ γὰρ τὰ ἔσχατα τοῦ περιέχοντος καὶ τοῦ περιεχομένου. ἔστι μὲν οὖν ἄμφω πέρατα, ἀλλ’ οὐ τοῦ αὐτοῦ, ἀλλὰ τὸ μὲν εἶδος τοῦ πράγματος, ὁ δὲ τόπος τοῦ περιέχοντος σώματος. διὰ δὲ τὸ μεταβάλλειν πολλάκις μένοντος τοῦ περιέχοντος τὸ περιεχόμενον καὶ διῃρημένον, οἷον ἐξ ἀγγείου ὕδωρ, τὸ μεταξὺ εἶναί τι

1–5 Ross: [ἔτι ὅταν … ἐν τῷ κάδῳ], vgl. Anm. zu 211b1–5.



Buch IV · Kapitel 4

143

Wir sagen ja, wir seien in der Himmelskugel als einem Ort, weil wir in der Luft sind und diese in der Himmelskugel ist. Und wir sind zwar in der Luft, aber nicht in der ganzen; sondern wegen ih­ res [uns] umgebenden Randes behaupten wir, in der Luft zu sein. Wäre die ganze Luft Ort, dann wäre der Ort des jeweiligen Ge­ genstandes nicht ebenso groß wie dieser. Wir nehmen aber an, er sei ebenso groß, und von solcher Art ist der primäre [Ort], in dem etwas ist. a29 Ist das Umgebende nicht [von dem Gegenstand] ge­ trennt, sondern [mit ihm] kontinuierlich verbunden, dann sagt man, [der Gegenstand] sei darin nicht wie in einem Ort, sondern wie ein Teil im Ganzen. Ist es hingegen getrennt und angrenzend, dann ist [der Gegenstand] primär im Rand des Umgebenden. Dieser ist weder ein Teil dessen, was in ihm ist, noch ist er größer als dessen Ausdehnung, sondern gleich groß; denn die Ränder angrenzender Dinge befinden sich an derselben Stelle. a34 Wenn [der Gegenstand mit dem Umgebenden] kontinuierlich verbunden ist, bewegt er sich nicht in diesem, sondern zusammen mit ihm; ist er getrennt, dann in ihm – und zwar gleichermaßen, ob sich nun das Umgebende be­ wegt oder nicht. b1 Ferner, wenn [der Gegenstand] nicht getrennt ist, wird von ihm als Teil im Ganzen gesprochen, wie: im Auge das Seh­vermögen oder im Körper die Hand; ist er hingegen getrennt, wie: im Eimer das Wasser oder im Krug der Wein. Denn die Hand bewegt sich zusammen mit dem Körper, das Wasser hingegen im Eimer. b5 Hiernach ist nun aus dem Folgenden offenkundig, was der Ort ist. Denn es sind, grob gesagt, vier Dinge, von denen der Ort ei­ nes sein muss: [i] Gestalt, [ii] Material oder [iii] eine Ausdehnung zwischen den Rändern oder [iv] die Ränder (wenn es keine Aus­ dehnung gibt außer der Größe des darin auftretenden Körpers). Dass er von diesen [die ersten] drei nicht sein kann, ist offenkun­ dig: b10 [Zu i] ­Wegen des Umgebens scheint er freilich die Gestalt zu sein. Denn die Ränder des Umgebenden und des Umgebenen sind an derselben Stelle. Beide sind Grenzen, aber nicht dessel­ ben. Sondern der eine [Rand] ist Form des Gegenstandes; der Ort hingegen [ist der Rand] des umgebenden Körpers. b14 [Zu iii] Oft wechselt das Umgebene und Getrennte, während das Umgebende verharrt, z. B. wenn Wasser aus einem Gefäß fließt. Deshalb hält

144 ∆ 4 · 211 b 17 – 212 a 9

20

25

30

35 212a1

5 6a

δοκεῖ διάστημα, ὡς ὄν τι παρὰ τὸ σῶμα τὸ μεθιστάμενον. τὸ δ’ οὐκ ἔστιν, ἀλλὰ τὸ τυχὸν ἐμπίπτει σῶμα τῶν μεθισταμένων καὶ ἅπτεσθαι πεφυκότων. εἰ δ’ ἦν τι [τὸ] διάστημα τὸ πεφυκὸς καὶ μένον, ἐν τῷ αὐτῷ τόπῳ ἄπειροι ἂν ἦσαν τόποι (μεθισταμένου γὰρ τοῦ ὕδατος καὶ τοῦ ἀέρος ταὐτὸ ποιήσει τὰ μόρια πάντα ἐν τῷ ὅλῳ ὅπερ ἅπαν τὸ ὕδωρ ἐν τῷ ἀγγείῳ)· ἅμα δὲ καὶ ὁ τόπος ἔσται μεταβάλλων· ὥστ’ ἔσται τοῦ τόπου τ’ ἄλλος τόπος, καὶ πολλοὶ τόποι ἅμα ἔσονται. οὐκ ἔστι δὲ ἄλλος ὁ τόπος τοῦ μορίου, ἐν ᾧ κινεῖται, ὅταν ὅλον τὸ ἀγγεῖον μεθίστηται, ἀλλ’ ὁ αὐτός· ἐν ᾧ γὰρ ἔστιν, ἀντιμεθίσταται ὁ ἀὴρ καὶ τὸ ὕδωρ ἢ τὰ μόρια τοῦ ὕδατος, ἀλλ’ οὐκ ἐν ᾧ γίγνονται τόπῳ, ὃς μέρος ἐστὶ τοῦ τόπου ὅς ἐστι τόπος ὅλου τοῦ οὐρανοῦ. καὶ ἡ ὕλη δὲ δόξειεν ἂν εἶναι τόπος, εἴ γε ἐν ἠρεμοῦντί τις σκοποίη καὶ μὴ κεχωρισμένῳ ἀλλὰ συνεχεῖ. ὥσπερ γὰρ εἰ ἀλλοιοῦται, ἔστι τι ὃ νῦν μὲν λευκὸν πάλαι δὲ μέλαν, καὶ νῦν μὲν σκληρὸν πάλαι δὲ μαλακόν (διό φαμεν εἶναί τι τὴν ὕλην), οὕτω καὶ ὁ τόπος διὰ τοιαύτης τινὸς εἶναι δοκεῖ φαντασίας, πλὴν ἐκεῖνο μὲν διότι ὃ ἦν ἀήρ, τοῦτο νῦν ὕδωρ, ὁ δὲ τόπος ὅτι οὗ ἦν ἀήρ, ἐνταῦθ’ ἔστι νῦν ὕδωρ. ἀλλ’ ἡ μὲν ὕλη, ὥσπερ ἐλέχθη ἐν τοῖς πρότερον, οὔτε χωριστὴ τοῦ πράγματος οὔτε περιέχει, ὁ δὲ τόπος ἄμφω. εἰ τοίνυν μηδὲν τῶν τριῶν ὁ τόπος ἐστίν, μήτε τὸ εἶδος μήτε ἡ ὕλη μήτε διάστημά τι ἀεὶ ὑπάρχον ἕτερον παρὰ τὸ τοῦ πράγματος τοῦ μεθισταμένου, ἀνάγκη τὸν τόπον εἶναι τὸ λοιπὸν τῶν τεττάρων, τὸ πέρας τοῦ περιέχοντος σώματος 〈καθ’ ὃ συνάπτει τῷ περιεχομένῳ〉. λέγω δὲ τὸ περιεχόμενον σῶμα τὸ κινητὸν κατὰ φοράν. δοκεῖ δὲ μέγα τι εἶναι καὶ χαλεπὸν ληφθῆναι ὁ τόπος διά τε τὸ παρεμφαίνεσθαι τὴν ὕλην καὶ τὴν μορφήν, καὶ διὰ τὸ ἐν ἠρεμοῦντι τῷ περιέχοντι

20 Ross ergänzt τὸ πεφυκὸς zu 〈καϑ’ αὑ〉τὸ πεφυκὸς 〈εἶναι〉. Vgl. Anm. zu 211b19–20.  20 Ross: ἐν τῷ αὐτῷ ἄπειροι (v. l.).



Buch IV · Kapitel 4

145

man das Dazwischen für eine bestimmte Ausdehnung, denn es sei etwas ­außer dem Körper, der entfernt wird. Aber das stimmt nicht. Sondern irgendeiner von den Körpern dringt ein, die [von dem aus­ fließenden Wasser] verdrängt werden und von solcher Natur sind, dass sie angrenzen können. b19 Wäre das, was die [erforderliche] Natur hat, eine bestimmte Ausdehnung und bleibend, dann gäbe es im selben Ort unbegrenzt viele Orte. Denn wenn das Wasser und die Luft die Position wechseln, dann werden alle Teile im Gan­ zen dasselbe tun wie das gesamte Wasser im Gefäß. Und zugleich wird auch der Ort ein Wechselnder sein, so dass es dann einen an­ deren Ort des Orts gibt und viele Orte zugleich sind. b25 Der Ort des Teils, in dem sich dieser bewegt, wenn das ganze Gefäß trans­ portiert wird, ist kein anderer, sondern derselbe. Denn in dem Ort, in dem sie sind, vertauschen Luft und Wasser (oder die Teile des Wassers) die Position und nicht in dem Ort, zu dem sie gelangen und der seinerseits ein Teil desjenigen Orts ist, der Ort des ganzen Himmels ist. b29 [Zu ii] Auch das Material könnte man für einen Ort halten, wenn man es bei etwas betrachtet, das ruht und nicht getrennt, sondern kontinuierlich verbunden ist. Wie es bei einem Wechsel von Eigenschaften etwas gibt, das jetzt weiß ist, zuvor aber schwarz, oder jetzt hart, zuvor aber weich (deshalb behaupten wir ja, das Material sei eine bestimmte Sache), so und aufgrund einer derartigen Vorstellung scheint es auch den Ort zu geben. Freilich handelte es sich beim Material darum, dass dasjenige, das Luft war, jetzt Wasser ist, beim Ort aber darum, dass dort, wo Luft war, jetzt Wasser ist. Aber weder ist, wie an früherer Stelle dargelegt, das Ma­ terial von dem Gegenstand ablösbar, noch umgibt es ihn; beim Ort hingegen ist beides der Fall. a2 [Zu iv] Der Ort ist somit keines dieser drei Dinge: weder die Form noch das Material noch irgendeine Ausdehnung, die stets zusätzlich zur Ausdehnung des die Position wechselnden Körpers vorhanden wäre. Also muss der Ort sein, was von den Vieren noch übrig ist: die Grenze des umgebenden Körpers, an der er das Umge­ bene berührt. Dabei bezeichne ich als den umgebenen Körper das Bewegliche im Sinn von Transport. a7 Der Ort scheint ein gewichti­ ges Thema und schwer zu fassen zu sein, weil das Material und die Form zusätzlich hineinspielen und weil der Positionswechsel des

146 ∆ 5 · 212 a 10 – 212 b 3 10

15

20

25

30

γίγνεσθαι τὴν μετάστασιν τοῦ φερομένου· ἐνδέχεσθαι γὰρ φαίνεται εἶναι διάστημα μεταξὺ ἄλλο τι τῶν κινουμένων μεγεθῶν. συμβάλλεται δέ τι καὶ ὁ ἀὴρ δοκῶν ἀσώματος εἶναι· φαίνεται γὰρ οὐ μόνον τὰ πέρατα τοῦ ἀγγείου εἶναι ὁ τόπος, ἀλλὰ καὶ τὸ μεταξὺ ὡς κενὸν 〈ὄν〉. ἔστι δ’ ὥσπερ τὸ ἀγγεῖον τόπος μεταφορητός, οὕτως καὶ ὁ τόπος ἀγγεῖον ἀμετακίνητον. διὸ ὅταν μὲν ἐν κινουμένῳ κινῆται καὶ μεταβάλλῃ τὸ ἐντός, οἷον ἐν ποταμῷ πλοῖον, ὡς ἀγγείῳ χρῆται μᾶλλον ἢ τόπῳ τῷ περιέχοντι. βούλεται δ’ ἀκίνητος εἶναι ὁ τόπος· διὸ ὁ πᾶς μᾶλλον ποταμὸς τόπος, ὅτι ἀκίνητος ὁ πᾶς. ὥστε τὸ τοῦ περιέχοντος πέρας ἀκίνητον πρῶτον, τοῦτ’ ἔστιν ὁ τόπος. καὶ διὰ τοῦτο τὸ μέσον τοῦ οὐρανοῦ καὶ τὸ ἔσχατον τὸ πρὸς ἡμᾶς τῆς κύκλῳ φορᾶς δοκεῖ εἶναι τὸ μὲν ἄνω τὸ δὲ κάτω μάλιστα πᾶσι κυρίως, ὅτι τὸ μὲν αἰεὶ μένει, τοῦ δὲ κύκλῳ τὸ ἔσχατον ὡσαύτως ἔχον μένει. ὥστ’ ἐπεὶ τὸ μὲν κοῦφον τὸ ἄνω φερόμενόν ἐστι φύσει, τὸ δὲ βαρὺ τὸ κάτω, τὸ μὲν πρὸς τὸ μέσον περιέχον πέρας κάτω ἐστίν, καὶ αὐτὸ τὸ μέσον, τὸ δὲ πρὸς τὸ ἔσχατον ἄνω, καὶ αὐτὸ τὸ ἔσχατον· καὶ διὰ τοῦτο δοκεῖ ἐπίπεδόν τι εἶναι καὶ οἷον ἀγγεῖον ὁ τόπος καὶ περιέχον. ἔτι ἅμα τῷ πράγματι ὁ τόπος· ἅμα γὰρ τῷ πεπερασμένῳ τὰ πέρατα.

5.  Ὧι μὲν οὖν σώματι ἔστι τι ἐκτὸς σῶμα περιέχον αὐτό, τοῦτο ἔστιν ἐν τόπῳ, ᾧ δὲ μή, οὔ. διὸ κἂν ὕδωρ γένηται τοιοῦτο, τὰ μὲν μόρια κινήσεται αὐτοῦ (περιέχεται γὰρ ὑπ’ ἀλλήλων), τὸ δὲ πᾶν ἔστι μὲν ὡς κινήσεται ἔστι δ’ ὡς οὔ. 35 ὡς μὲν γὰρ ὅλον, ἅμα τὸν τόπον οὐ μεταβάλλει, κύκλῳ 212b1 δὲ κινεῖται—τῶν μορίων γὰρ οὗτος ὁ τόπος—καὶ ἄνω μὲν καὶ κάτω οὔ, κύκλῳ δ’ ἔνια· τὰ δὲ καὶ ἄνω καὶ κάτω, ὅσα ἔχει πύκνωσιν καὶ μάνωσιν. ὥσπερ δ’ ἐλέχθη, τὰ μέν ἐστιν



Buch IV · Kapitel 5

147

Transportierten in einem ruhenden Umgebenden stattfindet. Denn so hat man den Eindruck, es könne dazwischen eine andere Aus­ dehnung als die in Bewegung befindlichen Größen geben. Auch die Luft trägt etwas dazu bei, da sie unkörperlich zu sein scheint. Man hat nämlich den Eindruck, nicht nur die Grenzen des Gefäßes seien der Ort, sondern auch das Dazwischen, als wäre es leer. a14 Wie das Gefäß ein transportabler Ort ist, so ist der Ort ein bewegungsloses Gefäß. Wenn sich innerhalb von etwas in Bewegung Befindlichem dasjenige bewegt, das darin ist, z. B. ein Schiff in einem Fluss, dann dient deshalb das Umgebende eher als Gefäß denn als Ort. Der Ort will ja bewegungslos sein. Daher ist eher der ganze Fluss Ort, denn als Ganzer ist er bewegungslos. Die erste bewegungslose Grenze des Umgebenden ist somit der Ort. a21 Deshalb hält man allgemein vor allem den Mittelpunkt der Himmels­kugel und den von uns her äußersten Rand der Kreisbe­ wegung [des Himmels] für das eigentliche Oben und Unten: weil nämlich jener stets verharrt und der Rand des im Kreis [bewegten Körpers] stets im selben Zustand verharrt. a24 Leicht ist, was auf­ grund seiner Natur nach oben steigt, und schwer, was nach unten sinkt. Die umgebende Grenze zur Mitte hin ist daher unten, und ebenso die Mitte selbst; die umgebende Grenze zum Rand hin ist oben, und ebenso der Rand selbst. Und deshalb scheint der Ort eine Art Oberfläche zu sein und wie ein Gefäß und umgebend. Ferner ist der Ort an derselben Stelle wie der Gegenstand. Denn die Grenzen sind an derselben Stelle wie das Begrenzte. 5.  Wenn es zu einem Körper einen Körper außerhalb gibt, der ihn 212a31 umgibt, dann ist er in einem Ort; und wenn nicht, dann nicht. Auch wenn ein solcher [d. h. ein Körper ohne außerhalb umgebenden Körper] zu Wasser würde, würden sich deshalb zwar seine Teile be­ wegen (denn sie umgeben einander); aber der ganze Körper würde sich [nur] in einem gewissen Sinne bewegen und in einem anderen nicht. a35 Denn als Ganzer wechselt er einerseits nicht den Ort, an­ dererseits bewegt er sich im Kreis. Dieser ist nämlich der Ort der Teile; viele von ihnen [bewegen sich] nicht auf- und abwärts, son­ dern im Kreis, andere auf- und abwärts (nämlich diejenigen, bei denen es Verdünnung und Verdichtung gibt). b3

148 ∆ 5 · 212 b 4 – 212 b 30

5

10

15

20

25

30

ἐν τόπῳ κατὰ δύναμιν, τὰ δὲ κατ’ ἐνέργειαν. διὸ ὅταν μὲν συνεχὲς ᾖ τὸ ὁμοιομερές, κατὰ δύναμιν ἐν τόπῳ τὰ μέρη, ὅταν δὲ χωρισθῇ μὲν ἅπτηται δ’ ὥσπερ σωρός, κατ’ ἐνέργειαν. καὶ τὰ μὲν καθ’ αὑτά (οἷον πᾶν σῶμα ἢ κατὰ φορὰν ἢ κατ’ αὔξησιν κινητὸν καθ’ αὑτό που, ὁ δ’ οὐρανός, ὥσπερ εἴρηται, οὔ που ὅλος οὐδ’ ἔν τινι τόπῳ ἐστίν, εἴ γε μηδὲν αὐτὸν περιέχει σῶμα· ἐφ’ ὃ δὲ κινεῖται, ταύτῃ καὶ τόπος ἔστι τοῖς μορίοις· ἕτερον γὰρ ἑτέρου ἐχόμενον τῶν μορίων ἐστίν)· τὰ δὲ κατὰ συμβεβηκός, οἷον ἡ ψυχὴ καὶ ὁ οὐρανός· τὰ γὰρ μόρια ἐν τόπῳ πως πάντα· ἐπὶ τῷ κύκλῳ γὰρ περιέχει ἄλλο ἄλλο. διὸ κινεῖται μὲν κύκλῳ τὸ ἄνω, τὸ δὲ πᾶν οὔ που. τὸ γάρ που αὐτό τέ ἐστί τι, καὶ ἔτι ἄλλο τι δεῖ εἶναι παρὰ τοῦτο ἐν ᾧ, ὃ περιέχει· παρὰ δὲ τὸ πᾶν καὶ ὅλον οὐδέν ἐστιν ἔξω τοῦ παντός, καὶ διὰ τοῦτο ἐν τῷ οὐρανῷ πάντα· ὁ γὰρ οὐρανὸς τὸ πᾶν ἴσως. ἔστι δ’ ὁ τόπος οὐχ ὁ οὐρανός, ἀλλὰ τοῦ οὐρανοῦ τι τὸ ἔσχατον καὶ ἁπτόμενον τοῦ κινητοῦ σώματος πέρας ἠρεμοῦν. καὶ διὰ τοῦτο ἡ μὲν γῆ ἐν τῷ ὕδατι, τοῦτο δ’ ἐν τῷ ἀέρι, οὗτος δ’ ἐν τῷ αἰθέρι, ὁ δ’ αἰθὴρ ἐν τῷ οὐρανῷ, ὁ δ’ οὐρανὸς οὐκέτι ἐν ἄλλῳ. φανερὸν δ’ ἐκ τούτων ὅτι καὶ αἱ ἀπορίαι πᾶσαι λύοιντ’ ἂν οὕτω λεγομένου τοῦ τόπου. οὔτε γὰρ συναύξεσθαι ἀνάγκη τὸν τόπον, οὔτε στιγμῆς εἶναι τόπον, οὔτε δύο σώματα ἐν τῷ αὐτῷ τόπῳ, οὔτε διάστημά τι εἶναι σωματικόν (σῶμα γὰρ τὸ μεταξὺ τοῦ τόπου τὸ τυχόν, ἀλλ’ οὐ διάστημα σώματος). καὶ ἔστιν ὁ τόπος καὶ πού, οὐχ ὡς ἐν τόπῳ δέ, ἀλλ’ ὡς τὸ πέρας ἐν τῷ πεπερασμένῳ. οὐ γὰρ πᾶν τὸ ὂν ἐν τόπῳ, ἀλλὰ τὸ κινητὸν σῶμα. καὶ φέρεται δὴ εἰς τὸν αὑτοῦ τόπον ἕκαστον εὐλόγως (ὃ γὰρ ἐφε-

10 Ross: ἐφ’ ᾧ δὲ. Vgl. Anm. zu 212b10–11.  19–20 Ross [πέρας ἠρεμοῦν]. Vgl. Anm. zu 212b18–20.



Buch IV · Kapitel 5

149

Wie gesagt: Manches ist potentiell, manches wirklich in einem Ort. Insbesondere sind, wenn das Gleichteilige kontinuierlich zu­ sammenhängt, die Teile potentiell in einem Ort; sind die Teile hin­ gegen getrennt und angrenzend (wie ein Haufen), dann [sind sie je­ weils] wirklich [in einem Ort]. b7 Und manches ist an sich [in einem Ort]. Beispielsweise ist jeder im Sinne von Transport oder Größer­ werden bewegliche Körper an sich irgendwo. Hingegen ist der Him­ mel, wie gesagt, als Ganzer weder irgendwo noch in irgendeinem Ort, da ihn kein Körper umgibt. Aber insofern, als er in Bewegung ist, ist er dadurch auch Ort für die Teile. Denn die Teile schließen einer an den anderen an. b11 Manches ist aufgrund zusätzlicher Um­ stände [in einem Ort], z. B. die Seele und der Himmel. Denn dessen Teile sind sämtlich irgendwie in einem Ort; auf dem Kreis enthält ja ein Teil den anderen. b13 Deshalb bewegt sich, was oben ist, im Kreis. Aber das All ist nicht irgendwo. Denn was irgendwo ist, ist selbst eine bestimmte Sache; und es muss außer dieser noch etwas anderes geben, in dem sie ist und das sie umschließt. Über das All und Ganze hinaus gibt es aber nichts außerhalb des Alls; und des­ halb ist alles in der Himmelskugel. Denn die Himmelskugel ist ja wohl das All. b18 Der Ort [der Teile des Himmels] ist nicht der Him­ mel, sondern etwas vom Himmel, [nämlich] der Rand, der an den beweglichen Körper als ruhende Begrenzung angrenzt. Deshalb ist die Erde im Wasser, dieses in der Luft, diese im Äther und der Äther im Himmel, der Himmel aber nicht noch einmal in etwas anderem. b22 Hieraus ist offenkundig, dass sich auch alle [eingangs angeführ­ ten] Schwierigkeiten lösen lassen, wenn vom Ort in dieser Weise ge­ sprochen wird. Weder muss [ad 6.] der Ort mitwachsen; noch muss es [ad 2.] einen Ort eines Punktes, noch [ad 1.] zwei Körper in dem­ selben Ort, noch eine körperliche Ausdehnung geben (denn das Dazwischen eines Orts ist irgendein Körper und nicht die Ausdeh­ nung eines Körpers). Und [ad 5.] der Ort ist zwar auch irgendwo, aber nicht wie in einem Ort, sondern wie die Grenze im Begrenz­ ten. Denn es ist nicht jedes Ding in einem Ort, sondern [nur] der bewegliche Körper. b29 Und dass sich die Dinge jeweils zu ihrem eigenen Ort begeben, sollte man vernünftigerweise erwarten. Denn was als nächstes fol­

150 ∆ 6 · 212 b 31 – 213 a 23

35 213a1

5

10

ξῆς καὶ ἁπτόμενον μὴ βίᾳ, συγγενές· καὶ συμπεφυκότα μὲν ἀπαθῆ, ἁπτόμενα δὲ παθητικὰ καὶ ποιητικὰ ἀλλήλων)· καὶ μένει δὴ φύσει πᾶν ἐν τῷ οἰκείῳ τόπῳ οὐκ ἀλόγως· καὶ γὰρ τὸ μέρος, τὸ δὲ ἐν [τῷ] τόπῳ ὡς διαιρετὸν μέρος πρὸς ὅλον ἐστίν, οἷον ὅταν ὕδατος κινήσῃ τις μόριον ἢ ἀέρος. οὕτω δὲ καὶ ἀὴρ ἔχει πρὸς ὕδωρ· οἷον ὕλη γάρ, τὸ δὲ εἶδος, τὸ μὲν ὕδωρ ὕλη ἀέρος, ὁ δ’ ἀὴρ οἷον ἐνέργειά τις ἐκείνου· τὸ γὰρ ὕδωρ δυνάμει ἀήρ ἐστιν, ὁ δ’ ἀὴρ δυνάμει ὕδωρ ἄλλον τρόπον. διοριστέον δὲ περὶ τούτων ὕστερον· ἀλλὰ διὰ τὸν καιρὸν ἀνάγκη μὲν εἰπεῖν, ἀσαφῶς δὲ νῦν ῥηθὲν τότ’ ἔσται σαφέστερον. εἰ οὖν τὸ αὐτὸ [ἡ] ὕλη καὶ ἐντελέχεια (ὕδωρ γὰρ ἄμφω, ἀλλὰ τὸ μὲν δυνάμει τὸ δ’ ἐντελεχείᾳ), ἔχοι ἂν ὡς μόριόν πως πρὸς ὅλον. διὸ καὶ τούτοις ἁφὴ ἔστιν· σύμφυσις δέ, ὅταν ἄμφω ἐνεργείᾳ ἓν γένωνται. καὶ περὶ μὲν τόπου, καὶ ὅτι ἔστι καὶ τί ἐστιν, εἴρηται.

6. Τὸν αὐτὸν δὲ τρόπον ὑποληπτέον εἶναι τοῦ φυσικοῦ θεωρῆσαι καὶ περὶ κενοῦ, εἰ ἔστιν ἢ μή, καὶ πῶς ἔστι, καὶ τί ἐστιν, ὥσπερ καὶ περὶ τόπου· καὶ γὰρ παραπλησίαν ἔχει τήν τε 15 ἀπιστίαν καὶ τὴν πίστιν διὰ τῶν ὑπολαμβανομένων· οἷον γὰρ τόπον τινὰ καὶ ἀγγεῖον τὸ κενὸν τιθέασιν οἱ λέγοντες, δοκεῖ δὲ πλῆρες μὲν εἶναι, ὅταν ἔχῃ τὸν ὄγκον οὗ δεκτικόν ἐστιν, ὅταν δὲ στερηθῇ, κενόν, ὡς τὸ αὐτὸ μὲν ὂν κενὸν καὶ πλῆρες καὶ τόπον, τὸ δ’ εἶναι αὐτοῖς οὐ ταὐτὸ ὄν. ἄρξασθαι δὲ δεῖ 20 τῆς σκέψεως λαβοῦσιν ἅ τε λέγουσιν οἱ φάσκοντες εἶναι καὶ πάλιν ἃ λέγουσιν οἱ μὴ φάσκοντες, καὶ τρίτον τὰς κοινὰς περὶ αὐτῶν δόξας. οἱ μὲν οὖν δεικνύναι πειρώμενοι ὅτι οὐκ ἔστιν, οὐχ ὃ βούλονται λέγειν οἱ ἄνθρωποι κενόν, τοῦτ’ ἐξελέγ-



Buch IV · Kapitel 6

151

gend und ohne Zwang angrenzend ist, ist verwandt. Zusammenge­ wachsenes ist ohne Einwirkung [aufeinander]; hingegen kann An­ grenzendes untereinander Wirkung ausüben und unter Einwirkung stehen. Und wie vernünftigerweise zu erwarten ist, verharrt alles aufgrund seiner Natur in seinem eigenen Ort. Denn das tut auch der Teil; und was in einem Ort ist, verhält sich wie der abgetrennte Teil zum Ganzen, z. B. wenn man einen Teil des Wassers oder der Luft bewegt. a1 So verhält sich auch die Luft zum Wasser: Dieses ist wie Material, jene wie Form, das Wasser Material der Luft, die Luft wie ein bestimmter Vollendungszustand desselben. Denn das Wasser ist potentiell Luft, und umgekehrt ist die Luft potentiell Wasser. Genauere Bestimmungen sind hierüber später zu treffen. Aber der Anlass erzwingt es, etwas zu sagen; was jetzt undeutlich angesprochen ist, wird dann deutlicher sein. a6 Wenn nun dasselbe Ding Material und Vollendungszustand ist (Wasser ist beides, aber potentiell eines und im Sinn des Vollendungszustands etwas ande­ res), dann verhält es sich wohl irgendwie wie ein Teil zum Ganzen. Deshalb gibt es bei ihnen auch die Berührung – und Zusammen­ wuchs, wenn beide wirklich enes geworden sind. a10 Über den Ort, dass er ist und was er ist, wurde somit gesprochen. 6.  In derselben Weise haben wir anzunehmen, dass es Sache des 213a12 Naturwissenschaftlers ist, auch Betrachtungen über das Leere an­ zustellen – ob es ist oder nicht, inwiefern es ist und was es ist – wie über den Ort. a14 Denn auch bei ihm gibt es ähnliche Ablehnung und Anerkennung aufgrund der jeweiligen Annahmen. Seine Ver­ fechter setzen das Leere wie eine Art Ort und Gefäß. Dieses gilt als voll, wenn es die Stoffmenge enthält, die es aufzunehmen vermag, wenn es aber keine enthält, als leer; als wären Leeres, Volles und Ort dasselbe Ding und nur ihr Sein nicht dasselbe. a19 Wir müssen die Untersuchung beginnen, indem wir 1. die Aussagen derer auf­ greifen, die [seine] Existenz behaupten, 2. die Aussagen derer, die sie bestreiten, und 3. die allgemein geteilten Meinungen über diese Themen. a22 Diejenigen, welche zu zeigen versuchen, dass es [das Leere] nicht gibt, weisen nicht das zurück, was die Leute leer nennen wollen,

152 ∆ 6 · 213 a 24 – 213 b 14

25

30

213b1

5

10

χουσιν, ἀλλ’ ἁμαρτάνοντες λέγουσιν. ὥσπερ Ἀναξαγόρας καὶ οἱ τοῦτον τὸν τρόπον ἐλέγχοντες. ἐπιδεικνύουσι γὰρ ὅτι ἐστίν τι ὁ ἀήρ, στρεβλοῦντες τοὺς ἀσκοὺς καὶ δεικνύντες ὡς ἰσχυρὸς ὁ ἀήρ, καὶ ἐναπολαμβάνοντες ἐν ταῖς κλεψύδραις. οἱ δὲ ἄνθρωποι βούλονται κενὸν εἶναι διάστημα ἐν ᾧ μηδέν ἐστι σῶμα αἰσθητόν· οἰόμενοι δὲ τὸ ὂν ἅπαν εἶναι σῶμα φασίν, ἐν ᾧ ὅλως μηδέν ἐστι, τοῦτ’ εἶναι κενόν, διὸ τὸ πλῆρες ἀέρος κενὸν εἶναι. οὔκουν τοῦτο δεῖ δεικνύναι, ὅτι ἐστί τι ὁ ἀήρ, ἀλλ’ ὅτι οὐκ ἔστι διάστημα ἕτερον τῶν σωμάτων, οὔτε χωριστὸν οὔτε ἐνεργείᾳ ὄν, ὃ διαλαμβάνει τὸ πᾶν σῶμα ὥστε εἶναι μὴ συνεχές, καθάπερ λέγουσιν Δημόκριτος καὶ Λεύκιππος καὶ ἕτεροι πολλοὶ τῶν φυσιολόγων, ἢ καὶ εἴ τι ἔξω τοῦ παντὸς σώματός ἐστιν ὄντος συνεχοῦς. οὗτοι μὲν οὖν οὐ κατὰ θύρας πρὸς τὸ πρόβλημα ἀπαντῶσιν, ἀλλ’ οἱ φάσκοντες εἶναι μᾶλλον. λέγουσιν δ’ ἓν μὲν ὅτι κίνησις ἡ κατὰ τόπον οὐκ ἂν εἴη (αὕτη δ’ ἐστὶ φορὰ καὶ αὔξησις)· οὐ γὰρ ἂν δοκεῖν εἶναι κίνησιν, εἰ μὴ εἴη κενόν· τὸ γὰρ πλῆρες ἀδύνατον εἶναι δέξασθαί τι. εἰ δὲ δέξεται καὶ ἔσται δύο ἐν ταὐτῷ, ἐνδέχοιτ’ ἂν καὶ ὁποσαοῦν εἶναι ἅμα σώματα· τὴν γὰρ διαφοράν, δι’ ἣν οὐκ ἂν εἴη τὸ λεχθέν, οὐκ ἔστιν εἰπεῖν. εἰ δὲ τοῦτο ἐνδέχεται, καὶ τὸ μικρότατον δέξεται τὸ μέγιστον· πολλὰ γὰρ μικρὰ τὸ μέγα ἐστίν· ὥστε εἰ πολλὰ ἴσα ἐνδέχεται ἐν ταὐτῷ εἶναι, καὶ πολλὰ ἄνισα. Μέλισσος μὲν οὖν καὶ δείκνυσιν ὅτι τὸ πᾶν ἀκίνητον ἐκ τούτων· εἰ γὰρ κινήσεται, ἀνάγκη εἶναι (φησί) κενόν, τὸ δὲ κενὸν οὐ τῶν ὄντων. ἕνα μὲν

24 Ross: 〈ὃ〉 ἁμαρτάνοντες λέγουσιν.

Buch IV · Kapitel 6



153

sondern sie reden daran vorbei.1 Wie Anaxagoras und diejenigen, die bei der Widerlegung in derselben Weise vorgehen: Sie zeigen, dass die Luft eine bestimmte Sache ist, indem sie Schläuche ver­ drehen und demonstrieren, wie stark die Luft ist, und indem sie sie in Pipetten einschließen. a27 Die Leute wollen aber, dass das Leere eine Ausdehnung sei, in der kein wahrnehmbarer Körper ist. In der Meinung, jedes Ding sei ein Körper, behaupten sie, worin überhaupt nichts ist, das sei leer, und deshalb sei leer, was [doch tat­ sächlich] voll Luft ist. a31 Aber nicht dies muss gezeigt werden, dass die Luft eine bestimmte Sache ist. Sondern [es muss gezeigt wer­ den], dass es keine abtrennbare oder wirklich [abgetrennte] Aus­ dehnung außer den Körpern gibt, die den gesamten Körper aufteilt, so dass er nicht kontinuierlich zusammenhängt (wie Demokrit und Leukipp und viele andere Naturerklärer behaupten); und ebenso für den Fall, dass sich etwas [d. h. eine solche Ausdehnung] außer­ halb des gesamten Körpers befindet, während dieser kontinuierlich ­zusammenhängt. b2 Von jenen [die zu zeigen versuchen, dass es das Leere nicht gibt, s. o. a22 ff.] wird die Fragestellung nicht recht getroffen; von denen, die behaupten, dass es [das Leere] gibt, eher. b4 Diese sagen erstens, es gäbe [sonst] keine Bewegung hinsichtlich des Orts (d. i. Trans­ port oder Größerwerden). Denn es scheine keine Bewegung zu ge­ ben, wenn es kein Leeres gäbe; denn das Volle könne nichts aufneh­ men. Sollte es [etwas] aufnehmen und zweierlei im selben [Ort] sein, könnten nämlich beliebig viele Körper an derselben Stelle sein. Ein Unterschied [zwischen zwei und beliebig viele], weshalb das nicht so sein sollte, lässt sich nicht angeben. Und wenn das geht, dann nimmt auch das Kleinste das Größte auf. Denn das Große ist viele Kleine; wenn viele gleich Große im selben [Ort] sein können, dann folglich auch viele ungleich Große. b12 Melissos zeigt sogar, dass das All deshalb bewegungslos ist; denn sollte es in Bewegung sein, dann, sagt er, müsste es Leeres geben; aber das Leere gehöre nicht zu dem, was es gibt. b14 Zweitens. Dass es etwas Leeres gibt, zeigen sie Mit Pellegrin (2002, 227n1) halte ich hier (213a24) den überlieferten Text. Der Ross’sche Einschub ergibt: »[sie widerlegen,] was [die Leute] irrtümlich [Leeres] nennen«. 1 

154 ∆ 7 · 213 b 15 – 214 a 10

οὖν τρόπον ἐκ τούτων δεικνύουσιν ὅτι ἔστιν τι κενόν, ἄλλον δ’ ὅτι φαίνεται ἔνια συνιόντα καὶ πιλούμενα, οἷον καὶ τὸν οἶνόν φασι δέχεσθαι μετὰ τῶν ἀσκῶν τοὺς πίθους, ὡς εἰς τὰ ἐνόντα κενὰ συνιόντος τοῦ πυκνουμένου σώματος. ἔτι δὲ καὶ ἡ αὔξησις δοκεῖ πᾶσι γίγνεσθαι διὰ κενοῦ· τὴν μὲν γὰρ τρο20 φὴν σῶμα εἶναι, δύο δὲ σώματα ἀδύνατον ἅμα εἶναι. μαρτύριον δὲ καὶ τὸ περὶ τῆς τέφρας ποιοῦνται, ἣ δέχεται ἴσον ὕδωρ ὅσον τὸ ἀγγεῖον τὸ κενόν. εἶναι δ’ ἔφασαν καὶ οἱ Πυθαγόρειοι κενόν, καὶ ἐπεισιέναι αὐτὸ τῷ οὐρανῷ ἐκ τοῦ ἀπείρου πνεύματος ὡς ἀναπνέοντι καὶ τὸ κενόν, ὃ διορίζει 25 τὰς φύσεις, ὡς ὄντος τοῦ κενοῦ χωρισμοῦ τινὸς τῶν ἐφεξῆς καὶ [τῆς] διορίσεως· καὶ τοῦτ’ εἶναι πρῶτον ἐν τοῖς ἀριθμοῖς· τὸ γὰρ κενὸν διορίζειν τὴν φύσιν αὐτῶν. ἐξ ὧν μὲν οὖν οἱ μέν φασιν εἶναι οἱ δ’ οὔ φασι, σχεδὸν τοιαῦτα καὶ τοσαῦτά ἐστιν. 15

7. Πρὸς δὲ τὸ ποτέρως ἔχει δεῖ λαβεῖν τί σημαίνει τοὔνομα. δοκεῖ δὴ τὸ κενὸν τόπος εἶναι ἐν ᾧ μηδέν ἐστι. τούτου δ’ αἴτιον ὅτι τὸ ὂν σῶμα οἴονται εἶναι, πᾶν δὲ σῶμα ἐν τόπῳ, κενὸν δὲ ἐν ᾧ τόπῳ μηδέν ἐστι σῶμα, ὥστ’ εἴ που μὴ ἔστι σῶμα, οὐδὲν εἶναι ἐνταῦθα. σῶμα δὲ πάλιν ἅπαν 214 a1 οἴονται εἶναι ἁπτόν· τοιοῦτο δὲ ὃ ἂν ἔχῃ βάρος ἢ κουφότητα. συμβαίνει οὖν ἐκ συλλογισμοῦ τοῦτο εἶναι κενόν, ἐν ᾧ μηδέν ἐστι βαρὺ ἢ κοῦφον. ταῦτα μὲν οὖν, ὥσπερ εἴπομεν καὶ πρότερον, ἐκ συλλογισμοῦ συμβαίνει. ἄτοπον δὲ εἰ ἡ 5 στιγμὴ κενόν· δεῖ γὰρ τόπον εἶναι ἐν ᾧ σώματος ἔστι διάστημα ἁπτοῦ. ἀλλ’ οὖν φαίνεται λέγεσθαι τὸ κενὸν ἕνα μὲν τρόπον τὸ μὴ πλῆρες αἰσθητοῦ σώματος κατὰ τὴν ἁφήν· αἰσθητὸν δ’ ἐστὶ κατὰ τὴν ἁφὴν τὸ βάρος ἔχον ἢ κουφότητα (διὸ κἂν ἀπορήσειέ τις, τί ἂν φαῖεν, εἰ ἔχοι τὸ διά10 στημα χρῶμα ἢ ψόφον, πότερον κενὸν ἢ οὔ; ἢ δῆλον ὅτι 30



Buch IV · Kapitel 7

155

auf eine Weise hieraus, auf eine andere Weise daraus, dass offen­ bar manche Dinge einander durchdringen und zusammengedrückt werden; z. B. behaupten sie, die Fässer nähmen den Wein mit den Schläuchen auf, da der verdichtete Körper in die [in ihm] enthalte­ nen leeren Stellen eindringe. b19 Ferner. Auch das Größerwerden scheint ihnen allen wegen des Leeren zustande zu kommen. Denn die Nahrung sei ein Körper, und zwei Körper könnten unmöglich an derselben Stelle sein. Zum Beleg [für die Existenz des Leeren] machen sie auch die [Beobachtung] an der Asche, die ebenso viel Wasser aufnimmt wie das leere Gefäß. b22 Dass Leeres sei, haben auch die Pythagoreer behauptet, und dass es aus dem unbegrenz­ ten Atem in die Himmelskugel eintrete, als atmete diese auch das Leere ein, das die Naturen unterscheide; denn das Leere sei eine Art Trennung und Unterscheidung des Aufeinanderfolgenden, und zwar zuerst bei den Zahlen; denn es unterscheide deren [jeweilige] Natur gegeneinander. b27 Ungefähr solche und so viele sind [die Gründe], aus denen die einen behaupten, es gebe [Leeres], und die anderen nicht. 7.  Um [herauszufinden], wie sich die Sache verhält, müssen wir fas­ 213b30 sen, was das Wort bezeichnet. Und zwar hält man das Leere für einen Ort, in dem nichts ist. Der Grund hierfür ist, dass man glaubt, das Seiende sei ein Körper, jeder Körper sei an einem Ort und leer sei ein Ort, in dem kein Körper ist – so dass, wenn irgendwo kein Körper ist, dort gar nichts sei. b34 Außerdem glaubt man, jeder Kör­ per sei tastbar; und tastbar sei, was Schwere oder Leichtigkeit hat. Es ergibt sich als Schlussfolgerung, dass eben dies leer ist: worin nichts Schweres oder Leichtes ist. a3 Dies ergibt sich, wie auch zu­ vor gesagt, durch Schlussfolgerung. Aber es wäre absurd, wenn der Punkt etwas Leeres wäre. Denn [das Leere] muss ein Ort sein, in dem sich die Ausdehnung eines tastbaren Körpers befindet. a6 Und es zeigt sich ja, dass das Leere nach der einen Auffassung als dasjenige charakterisiert wird, das mit keinem durch Tasten wahr­ nehmbaren Körper gefüllt ist. Durch Tasten wahrnehmbar ist, was Schwere oder Leichtigkeit hat. Deshalb könnte man auch die Frage aufwerfen, was [die Vertreter dieser Ansicht] sagen würden, wenn die Ausdehnung Farbe oder Klang hätte: ob sie leer sei oder nicht.

156 ∆ 7 · 214 a 11 – 214 b 3

15

20

25

30

214b1

εἰ μὲν δέχοιτο σῶμα ἁπτόν, κενόν, εἰ δὲ μή, οὔ)· ἄλλον δὲ τρόπον, ἐν ᾧ μὴ τόδε τι μηδ’ οὐσία τις σωματική. διό φασίν τινες εἶναι τὸ κενὸν τὴν τοῦ σώματος ὕλην (οἵπερ καὶ τὸν τόπον τὸ αὐτὸ τοῦτο), λέγοντες οὐ καλῶς· ἡ μὲν γὰρ ὕλη οὐ χωριστὴ τῶν πραγμάτων, τὸ δὲ κενὸν ζητοῦσιν ὡς χωριστόν. ἐπεὶ δὲ περὶ τόπου διώρισται, καὶ τὸ κενὸν ἀνάγκη τόπον εἶναι, εἰ ἔστιν, ἐστερημένον σώματος, τόπος δὲ καὶ πῶς ἔστι καὶ πῶς οὐκ ἔστιν εἴρηται, φανερὸν ὅτι οὕτω μὲν κενὸν οὐκ ἔστιν, οὔτε κεχωρισμένον οὔτε ἀχώριστον. τὸ γὰρ κενὸν οὐ σῶμα ἀλλὰ σώματος διάστημα βούλεται εἶναι· διὸ καὶ τὸ κενὸν δοκεῖ τι εἶναι, ὅτι καὶ ὁ τόπος, καὶ διὰ ταὐτά. ἥκει γὰρ δὴ ἡ κίνησις ἡ κατὰ τόπον καὶ τοῖς τὸν τόπον φάσκουσιν εἶναί τι παρὰ τὰ σώματα τὰ ἐμπίπτοντα καὶ τοῖς τὸ κενόν. αἴτιον δὲ κινήσεως οἴονται εἶναι τὸ κενὸν οὕτως ὡς ἐν ᾧ κινεῖται· τοῦτο δ’ ἂν εἴη οἷον τὸν τόπον φασί τινες εἶναι. οὐδεμία δ’ ἀνάγκη, εἰ κίνησις ἔστιν, εἶναι κενόν. ὅλως μὲν οὖν πάσης κινήσεως οὐδαμῶς, δι’ ὃ καὶ Μέλισσον ἔλαθεν· ἀλλοιοῦσθαι γὰρ τὸ πλῆρες ἐνδέχεται. ἀλλὰ δὴ οὐδὲ τὴν κατὰ τόπον κίνησιν· ἅμα γὰρ ἐνδέχεται ὑπεξιέναι ἀλλήλοις, οὐδενὸς ὄντος διαστήματος χωριστοῦ παρὰ τὰ σώματα τὰ κινούμενα. καὶ τοῦτο δῆλον καὶ ἐν ταῖς τῶν συνεχῶν δίναις, ὥσπερ καὶ ἐν ταῖς τῶν ὑγρῶν. ἐνδέχεται δὲ καὶ πυκνοῦσθαι μὴ εἰς τὸ κενὸν ἀλλὰ διὰ τὸ τὰ ἐνόντα ἐκπυρηνίζειν (οἷον ὕδατος συνθλιβομένου τὸν ἐνόντα ἀέρα), καὶ αὐξάνεσθαι οὐ μόνον εἰσιόντος τινὸς ἀλλὰ καὶ ἀλλοιώσει, οἷον εἰ ἐξ ὕδατος γίγνοιτο ἀήρ. ὅλως δὲ ὅ τε περὶ τῆς αὐ-



Buch IV · Kapitel 7

157

Vielleicht ist es aber auch klar, dass sie leer ist, wenn sie einen tast­ baren Körper aufnehmen kann, und nicht leer, wenn nicht. a11 Nach der anderen Auffassung [wird das Leere als dasjenige charakte­ risiert], in dem weder ein wohlbestimmtes Ding noch eine körperli­ che Substanz ist. Deshalb sagen manche, das Leere sei das Material des Körpers (das sind diejenigen, für die auch der Ort eben dies ist). Aber das ist nicht gut gesagt. Denn das Material ist nicht von den Gegenständen abtrennbar, sie aber suchen das Leere als abtrenn­ bar. a16 Über den Ort wurden die nötigen Bestimmungen getroffen. Wenn es das Leere gibt, dann muss es ein Ort sein, der aber keinen Körper enthält. Inwiefern es den Ort gibt und inwiefern nicht, wurde gesagt. Es ist daher offenkundig, dass es auf diese Weise kein L ­ eeres gibt, weder abgetrennt noch unabtrennbar. Denn das Leere will kein Körper, sondern die Ausdehnung eines Körpers sein. Daher ergibt sich auch der Anschein, als wäre das Leere eine bestimmte Sache: weil nämlich der Ort dies ist und aus denselben Gründen. a22 Auf die Ortsbewegung berufen sich sowohl diejenigen, welche behaupten, der Ort sei eine bestimmte Sache außer den eindrin­ genden Körpern, als auch diejenigen, welche [dasselbe] vom Lee­ ren [behaupten]. Ursache der Bewegung, glauben sie, sei das Leere in der Weise, dass es dasjenige ist, in dem sie stattfindet. Und das wäre [die Weise], wie nach der Behauptung von manchen der Ort [Ursache der Bewegung] ist. a26 Es gibt aber keineswegs, wenn es Bewegung gibt, zwangsläufig Leeres. Insbesondere nicht bei jeder Art von Bewegung – aus einem Grund, den auch Melissos über­ sehen hat: ein Wechsel von Eigenschaften kann nämlich auch im Vollen stattfinden. Und nicht einmal bei der Ortsbewegung; denn [die Dinge] können einander zugleich Platz machen, ohne dass es außer den in Bewegung befindlichen Körpern irgendeine abtrenn­ bare Ausdehnung gäbe. Und das ist auch klar bei den Rotationen kontinuierlich zusammenhängender [Körper], wie auch bei denen von Flüssigkeiten. a32 Auch verdichtet werden kann [ein Körper] nicht in das [innere] Leere hinein, sondern durch Herausquetschen des in ihm Befindlichen (z. B. der Luft bei zusammengepresstem Wasser); und er kann größer werden nicht nur dadurch, dass etwas eintritt, sondern auch durch Wechsel von Eigenschaften, z. B. wenn aus Wasser Luft wird. b3 Überhaupt entkräftet das Argument mit

158 ∆ 8 · 214 b 4 – 214 b 29

ξήσεως λόγος καὶ τοῦ εἰς τὴν τέφραν ἐγχεομένου ὕδατος 5 αὐτὸς αὑτὸν ἐμποδίζει. ἢ γὰρ οὐκ αὐξάνεται ὁτιοῦν, ἢ οὐ σώματι, ἢ ἐνδέχεται δύο σώματα ἐν ταὐτῷ εἶναι (ἀπορίαν οὖν κοινὴν ἀξιοῦσι λύειν, ἀλλ’ οὐ κενὸν δεικνύουσιν ὡς ἔστιν), ἢ πᾶν εἶναι ἀναγκαῖον τὸ σῶμα κενόν, εἰ πάντῃ αὐξάνεται καὶ αὐξάνεται διὰ κενοῦ. ὁ δ’ αὐτὸς λόγος καὶ ἐπὶ 10 τῆς τέφρας. ὅτι μὲν οὖν ἐξ ὧν δεικνύουσιν εἶναι τὸ κενὸν λύειν ῥᾴδιον, φανερόν. 8.  Ὅτι δ’ οὐκ ἔστιν κενὸν οὕτω κεχωρισμένον, ὡς ἔνιοί φασι, λέγωμεν πάλιν. εἰ γὰρ ἔστιν ἑκάστου φορά τις τῶν ἁπλῶν σωμάτων φύσει, οἷον τῷ πυρὶ μὲν ἄνω τῇ δὲ γῇ κάτω 15 καὶ πρὸς τὸ μέσον, δῆλον ὅτι οὐκ ἂν τὸ κενὸν αἴτιον εἴη τῆς φορᾶς. τίνος οὖν αἴτιον ἔσται τὸ κενόν; δοκεῖ γὰρ αἴτιον εἶναι κινήσεως τῆς κατὰ τόπον, ταύτης δ’ οὐκ ἔστιν. ἔτι εἰ ἔστιν τι οἷον τόπος ἐστερημένος σώματος, ὅταν ᾖ κενόν, ποῦ οἰσθήσεται τὸ εἰστεθὲν εἰς αὐτὸ σῶμα; οὐ γὰρ δὴ εἰς ἅπαν. ὁ δ’ 20 αὐτὸς λόγος καὶ πρὸς τοὺς τὸν τόπον οἰομένους εἶναί τι κεχωρισμένον, εἰς ὃν φέρεται· πῶς γὰρ οἰσθήσεται τὸ ἐντεθὲν ἢ μενεῖ; καὶ περὶ τοῦ ἄνω καὶ κάτω καὶ περὶ τοῦ κενοῦ ὁ αὐτὸς ἁρμόσει λόγος εἰκότως· τὸ γὰρ κενὸν τόπον ποιοῦσιν οἱ εἶναι φάσκοντες· καὶ πῶς δὴ ἐνέσται ἢ ἐν [τῷ] τόπῳ 25 ἢ ἐν τῷ κενῷ; οὐ γὰρ συμβαίνει, ὅταν ὅλον τεθῇ ὡς ἐν κεχωρισμένῳ τόπῳ καὶ ὑπομένοντι σῶμά τι· τὸ γὰρ μέρος, ἂν μὴ χωρὶς τιθῆται, οὐκ ἔσται ἐν τόπῳ ἀλλ’ ἐν τῷ ὅλῳ. ἔτι εἰ μὴ τόπος, οὐδὲ κενὸν ἔσται. συμβαίνει δὲ τοῖς λέγουσιν εἶναι κενὸν ὡς ἀναγκαῖον, εἴπερ ἔσται κίνησις, τοὐναντίον



Buch IV · Kapitel 8

159

dem Größerwerden und mit dem in die Asche gegossenen Wasser sich selbst. Denn entweder wird gar nichts größer; oder nicht durch einen [eintretenden] Körper; oder es können zwei Körper an der­ selben Stelle sein (womit sie aber die Lösung eines gemeinsamen Problems fordern und nicht zeigen, dass es das Leere gibt); oder der Körper ist zwangsläufig ganz leer, wenn er überall größer wird und dies wegen des Leeren geschieht. Dasselbe Argument gilt auch für die Asche. – b10 Dass die Argumente, mit denen man zeigt, dass es das Leere gibt, leicht zu erledigen sind, ist somit offenkundig. 8.  Dass es kein Leeres gibt, das in solcher Weise abgetrennt wäre, 214b12 wie manche behaupten, wollen wir nochmals sagen: b13 [1.] Wenn jedem unter den einfachen Körpern aufgrund seiner Natur ein be­ stimmter Transport eignet, z. B. dem Feuer nach oben, der Erde hingegen nach unten und zur Mitte, dann ist klar, dass das Leere nicht als Ursache des Transports in Betracht kommt. Wovon wird das Leere nun Ursache sein? Es gilt als Ursache der Bewegung hin­ sichtlich des Orts, aber ihre [Ursache] ist es nicht. b17 [2.]  Ferner: Angenommen, [das Leere] sei so etwas wie ein Ort, in dem aber kein Körper ist. Gegeben ein Leeres: Wohin wird sich dann der in dieses versetzte Körper bewegen? Jedenfalls nicht in das gesamte [Leere]. Dasselbe Argument richtet sich auch gegen diejenigen, welche den Ort, in den sich [ein Körper] bewegt, für etwas Abgetrenntes halten: In welcher Weise wird sich denn der darin befindliche [Körper] be­ wegen oder verharren? Und bezüglich des Oben und Unten passt plausiblerweise dasselbe Argument [wie beim abgetrennten Ort] auch auf das Leere. Denn diejenigen, die seine Existenz behaupten, machen das Leere zu einem Ort. b24 [3.] Und wie wird etwas im Ort oder im Leeren enthalten sein? Dies [das Enthaltensein] ergibt sich nicht, wenn irgendein Körper als Ganzer einen Platz einnimmt, als [wäre er] in einem abgetrennten und fortbestehenden Ort. Denn der Teil [dieses Körpers] wird, wenn er nicht getrennt einen Platz einnimmt, nicht in einem [eigenem] Ort sein, sondern im ganzen [Körper]. [4.] Ferner: Wenn es keinen [abgetrennten] Ort gibt, dann wird es auch kein Leeres geben. b28 Wenn man behauptet, es müsse Leeres geben, wenn es Bewegung geben soll, ergibt sich bei näherer Betrachtung eher das Gegenteil:

160 ∆ 8 · 214 b 30 – 215 a 24 30

215a1

5

10

15

20

μᾶλλον, ἄν τις ἐπισκοπῇ, μὴ ἐνδέχεσθαι μηδὲ ἓν κινεῖσθαι, ἐὰν ᾖ κενόν· ὥσπερ γὰρ οἱ διὰ τὸ ὅμοιον φάμενοι τὴν γῆν ἠρεμεῖν, οὕτω καὶ ἐν τῷ κενῷ ἀνάγκη ἠρεμεῖν· οὐ γὰρ ἔστιν οὗ μᾶλλον ἢ ἧττον κινηθήσεται· ᾗ γὰρ κενόν, οὐκ ἔχει διαφοράν. ἔπειθ’ ὅτι πᾶσα κίνησις ἢ βίᾳ ἢ κατὰ φύσιν. ἀνάγκη δὲ ἄν περ ᾖ 〈ἡ〉 βίαιος, εἶναι καὶ τὴν κατὰ φύσιν (ἡ μὲν γὰρ βίαιος παρὰ φύσιν, ἡ δὲ παρὰ φύσιν ὑστέρα τῆς κατὰ φύσιν)· ὥστ’ εἰ μὴ κατὰ φύσιν ἔστιν ἑκάστῳ τῶν φυσικῶν σωμάτων κίνησις, οὐδὲ τῶν ἄλλων ἔσται κινήσεων οὐδεμία. ἀλλὰ μὴν φύσει γε πῶς ἔσται μηδεμιᾶς οὔσης διαφορᾶς κατὰ τὸ κενὸν καὶ τὸ ἄπειρον; ᾗ μὲν γὰρ ἄπειρον, οὐδὲν ἔσται ἄνω οὐδὲ κάτω οὐδὲ μέσον, ᾗ δὲ κενόν, οὐδὲν διάφορον τὸ ἄνω τοῦ κάτω (ὥσπερ γὰρ τοῦ μηδενὸς οὐδεμία ἔστι διαφορά, οὕτω καὶ τοῦ κενοῦ· τὸ γὰρ κενὸν μὴ ὄν τι καὶ στέρησις δοκεῖ εἶναι). ἡ δὲ φύσει φορὰ διάφορος, ὥστε ἔσται φύσει διάφορα. ἢ οὖν οὐκ ἔστι φύσει οὐδαμοῦ οὐδενὶ φορά, ἢ εἰ τοῦτ’ ἔστιν, οὐκ ἔστι κενόν. ἔτι νῦν μὲν κινεῖται τὰ ῥιπτούμενα τοῦ ὤσαντος οὐχ ἁπτομένου, ἢ δι’ ἀντιπερίστασιν, ὥσπερ ἔνιοί φασιν, ἢ διὰ τὸ ὠθεῖν τὸν ὠσθέντα ἀέρα θάττω κίνησιν τῆς τοῦ ὠσθέντος φορᾶς ἣν φέρεται εἰς τὸν οἰκεῖον τόπον· ἐν δὲ τῷ κενῷ οὐδὲν τούτων ὑπάρχει, οὐδ’ ἔσται φέρεσθαι ἀλλ’ ἢ ὡς τὸ ὀχούμενον. ἔτι οὐδεὶς ἂν ἔχοι εἰπεῖν διὰ τί κινηθὲν στήσεταί που· τί γὰρ μᾶλλον ἐνταῦθα ἢ ἐνταῦθα; ὥστε ἢ ἠρεμήσει ἢ εἰς ἄπειρον ἀνάγκη φέρεσθαι, ἐὰν μή τι ἐμποδίσῃ κρεῖττον. ἔτι νῦν μὲν εἰς τὸ κενὸν διὰ τὸ ὑπείκειν φέρεσθαι δοκεῖ· ἐν δὲ τῷ κενῷ πάντῃ ὁμοίως τὸ τοιοῦτον, ὥστε πάντῃ οἰσθήσεται.



Buch IV · Kapitel 8

161

dass kein einziges Ding in Bewegung sein kann, wenn es Leeres gibt: [1.] Denn wie von der Erde behauptet wird, dass sie wegen der Gleichartigkeit [sc. der Umgebung in allen Richtungen] ruht, so muss [ein Ding] auch im Leeren ruhen. Denn es gibt nichts, wohin es sich eher bewegen oder eher nicht bewegen wird; das Leere als solches hat ja keinen Unterschied. a1 [2.] Weiter: Jede Bewegung geschieht entweder durch Gewalt oder naturgemäß. Und wenn es denn die gewaltsame gibt, dann muss es auch die naturgemäße ge­ ben. Denn die gewaltsame ist naturwidrig, und die naturwidrige ist der naturgemäßen nachgeordnet. Wenn den natürlichen Körpern nicht jeweils eine naturgemäße Bewegung eignet, dann folglich auch keine der anderen Bewegungen. a6 Aber wie soll [ihnen] auf­ grund ihrer Natur [eine bestimmte Bewegung eignen], wenn es im Leeren und im Unbegrenzten keinerlei Unterschied gibt? Soweit es unbegrenzt ist, hätte es weder Oben noch Unten noch Mitte; soweit es leer ist, wäre das Oben nicht vom Unten unterschieden. Denn wie es am Nichts keinerlei Unterschied gibt, so auch am Leeren; und das Leere scheint ja eine Art Nicht-Seiendes und Fehlen zu sein. a11 Aber der natürliche Ortswechsel ist unterschiedlich, also muss es einen natürlichen Unterschied geben. Entweder gibt es so­ mit nirgendwohin und für kein Ding einen natürlichen Ortswech­ sel; oder wenn es so etwas gibt, gibt es kein Leeres. a14 [3.] Ferner: Was geworfen wird, bewegt sich tatsächlich ohne Kontakt zu dem, was angestoßen hat, weiter, und zwar entweder durch Wechselum­ stellung, wie einige sagen, oder dadurch, dass die angestoßene Luft eine schnellere Bewegung anstößt als diejenige des angestoßenen Körpers, die ihn in seinen eigenen Ort bringt. Im Leeren gibt es davon nichts, und nichts kommt vom Fleck, was nicht geradezu geschleppt wird. a19 [4.] Ferner könnte niemand angeben, warum etwas in Bewegung Befindliches irgendwo zum Stillstand kommt. Denn: Warum eher an dieser als an jener Stelle? Also wird [ein Gegenstand] entweder [immer schon] ruhen; oder er muss ins Un­ begrenzte treiben, wenn nichts Stärkeres hindert. [5.] Ferner: Tat­ sächlich scheint sich [der Gegenstand] ins Leere zu bewegen, da dieses nachgibt. Im Leeren [geschieht] dergleichen aber gleicher­ maßen in alle Richtungen, so dass er sich in alle Richtungen be­ wegen würde. a24

162 ∆ 8 · 215 a 24 – 215 b 23

25

30 215b1

5

10

15

20

ἔτι δὲ καὶ ἐκ τῶνδε φανερὸν τὸ λεγόμενον. ὁρῶμεν γὰρ τὸ αὐτὸ βάρος καὶ σῶμα θᾶττον φερόμενον διὰ δύο αἰτίας, ἢ τῷ διαφέρειν τὸ δι’ οὗ, οἷον δι’ ὕδατος ἢ γῆς ἢ δι’ ὕδατος ἢ ἀέρος, ἢ τῷ διαφέρειν τὸ φερόμενον, ἐὰν τἆλλα ταὐτὰ ὑπάρχῃ, διὰ τὴν ὑπεροχὴν τοῦ βάρους ἢ τῆς κουφότητος. τὸ μὲν οὖν δι’ οὗ φέρεται αἴτιον, ὅτι ἐμποδίζει μάλιστα μὲν ἀντιφερόμενον, ἔπειτα καὶ μένον· μᾶλλον δὲ τὸ μὴ εὐδιαίρετον· τοιοῦτο δὲ τὸ παχύτερον. τὸ δὴ ἐφ’ οὗ Α οἰσθήσεται διὰ τοῦ Β τὸν ἐφ’ ᾧ Γ χρόνον, διὰ δὲ τοῦ Δ λεπτοτέρου ὄντος τὸν ἐφ’ ᾧ Ε, εἰ ἴσον τὸ μῆκος τὸ τοῦ Β τῷ Δ, κατὰ τὴν ἀναλογίαν τοῦ ἐμποδίζοντος σώματος. ἔστω γὰρ τὸ μὲν Β ὕδωρ, τὸ δὲ Δ ἀήρ· ὅσῳ δὴ λεπτότερον ἀὴρ ὕδατος καὶ ἀσωματώτερον, τοσούτῳ θᾶττον τὸ Α διὰ τοῦ Δ οἰσθήσεται ἢ διὰ τοῦ Β. ἐχέτω δὴ τὸν αὐτὸν λόγον ὅνπερ διέστηκεν ἀὴρ πρὸς ὕδωρ, τὸ τάχος πρὸς τὸ τάχος. ὥστε εἰ διπλασίως λεπτόν, ἐν διπλασίῳ χρόνῳ τὴν τὸ Β δίεισιν ἢ τὴν τὸ Δ, καὶ ἔσται ὁ ἐφ’ ᾧ Γ χρόνος διπλάσιος τοῦ ἐφ’ ᾧ Ε. καὶ ἀεὶ δὴ ὅσῳ ἂν ᾖ ἀσωματώτερον καὶ ἧττον ἐμποδιστικὸν καὶ εὐδιαιρετώτερον δι’ οὗ φέρεται, θᾶττον οἰσθήσεται. τὸ δὲ κενὸν οὐδένα ἔχει λόγον ᾧ ὑπερέχεται ὑπὸ τοῦ σώματος, ὥσπερ οὐδὲ τὸ μηδὲν πρὸς ἀριθμόν. εἰ γὰρ τὰ τέτταρα τῶν τριῶν ὑπερέχει ἑνί, πλείονι δὲ τοῖν δυοῖν, καὶ ἔτι πλείονι τοῦ ἑνὸς ἢ τοῖν δυοῖν, τοῦ δὲ μηδενὸς οὐκέτι ἔχει λόγον ᾧ ὑπερέχει· ἀνάγκη γὰρ τὸ ὑπερέχον διαιρεῖσθαι εἴς τε τὴν ὑπεροχὴν καὶ τὸ ὑπερεχόμενον, ὥστε ἔσται τὰ τέτταρα ὅσῳ τε ὑπερέχει καὶ οὐδέν. διὸ οὐδὲ γραμμὴ στιγμῆς ὑπερέχει, εἰ μὴ σύγκειται ἐκ στιγμῶν. ὁμοίως δὲ καὶ τὸ κενὸν πρὸς τὸ πλῆρες οὐδένα οἷόν τε ἔχειν λόγον, ὥστε οὐδὲ τὴν κίνησιν, ἀλλ’ εἰ διὰ τοῦ λεπτοτάτου ἐν τοσῳδὶ τὴν τοσήνδε φέρεται, διὰ τοῦ κενοῦ παντὸς ὑπερβάλλει λόγου. ἔστω γὰρ τὸ Ζ κενόν, ἴσον δὲ [τῷ μεγέθει] τοῖς Β καὶ Δ. τὸ δὴ Α εἰ

Buch IV · Kapitel 8



163

Überdies wird das Behauptete auch durch Folgendes offenkun­ dig. Wir sehen denselben Körper mit demselben Gewicht aus zwei Gründen schneller den Ort wechseln: entweder [Fall 1] weil das Wo-­ hindurch verschieden ist, z. B. durch Wasser im Unterschied zu Erde oder durch Wasser im Unterschied zu Luft; oder [Fall 2] weil, während sonst alles gleich bleibt, der den Ort wechselnde Körper verschie­ den ist durch seinen Überschuss an Gewicht oder Leichtigkeit. a29 [Zu Fall 1.]  Ursache sei das Wo-hindurch des Ortswechsels: Am meisten hemmt, was sich in entgegengesetzter Richtung bewegt, dann auch, was ruht; und jeweils mehr das nicht gut Teilbare, d. i. das Dichtere. Dabei gilt: A durchquert B und das dünnere D in Zeiten C bzw. E, die bei gleicher Länge von B und D proportional sind zu den hemmenden Körpern. b3 Es sei B Wasser, D Luft. Je dünner und unkörperlicher Luft im Vergleich zu Wasser ist, um so viel schneller läuft A durch D als durch B. Das Verhältnis der Ge­ schwindigkeiten sei dasselbe wie der Unterschied zwischen Luft und Wasser: Wenn zweimal so dünn, läuft A durch B in der zweifa­ chen Zeit wie durch D; das heißt, die Zeit C ist das Zweifache von E. Und stets gilt: Je unkörperlicher, weniger hemmend und besser teil­ bar ist, wo A hindurchläuft, desto schneller wird A es durchlaufen. b12 Das Leere hat aber kein Verhältnis, in dem es von dem Körper übertroffen wird, ebenso wenig wie das Nichts zur Anzahl. Denn Vier übertrifft Drei um Eins, Zwei um mehr und Eins um noch mehr, aber es gibt kein Verhältnis, in dem Vier das Nichts übertrifft. Das Übertreffende muss ja geteilt werden in den Überschuss und das Übertroffene; daher die Vier in den Betrag des Überschusses und Nichts. b18 Daher übertrifft die Linie auch nicht den Punkt [in einem bestimmten Verhältnis], wenn sie denn nicht aus Punkten besteht. Ebenso kann auch das Leere kein Verhältnis zum Vollen haben, daher auch nicht die Bewegung, sondern wenn sie durch das Feinste hindurch in soundso langer Zeit eine soundso lange Strecke zurücklegt, dann übertrifft sie bei Durchquerung des Leeren jedes Verhältnis. b22 Es sei nämlich F leer und gleich groß wie B und D.1 Notation wie 215a31 ff.: B und D sind zwei Medien (z. B. Wasser und Luft, b 4), D ist dünner als B. E ist die Zeit, die der Körper A zum Durch­ laufen von D benötigt. 1 

164 ∆ 8 · 215 b 24 – 216 a 22

25

30 216a1

5

10

15

20

δίεισι καὶ κινηθήσεται ἐν τινὶ μὲν χρόνῳ, τῷ ἐφ’ οὗ Η, ἐν ἐλάττονι δὲ τοῦ ἐφ’ οὗ Ε, τοῦτον ἕξει τὸν λόγον τὸ κενὸν πρὸς τὸ πλῆρες. ἀλλ’ ἐν τοσούτῳ χρόνῳ ὅσος ἐφ’ οὗ τὸ Η, τοῦ Δ τὸ Α δίεισι τὴν τὸ Θ. δίεισι δέ γε κἂν ᾖ τι λεπτότητι διαφέρον τοῦ ἀέρος ἐφ’ ᾧ τὸ Ζ ταύτην τὴν ἀναλογίαν ἣν ἔχει ὁ χρόνος ἐφ’ ᾧ Ε πρὸς τὸν ἐφ’ ᾧ Η. ἂν γὰρ ᾖ τοσούτῳ λεπτότερον τὸ ἐφ’ ᾧ Ζ σῶμα τοῦ Δ, ὅσῳ ὑπερέχει τὸ Ε τοῦ Η, ἀντεστραμμένως δίεισι τῷ τάχει ἐν τῷ τοσούτῳ ὅσον τὸ Η, τὴν τὸ Ζ τὸ ἐφ’ οὗ Α, ἐὰν φέρηται. ἐὰν τοίνυν μηδὲν ᾖ σῶμα ἐν τῷ Ζ, ἔτι θᾶττον. ἀλλ’ ἦν ἐν τῷ Η. ὥστ’ ἐν ἴσῳ χρόνῳ δίεισι πλῆρές τε ὂν καὶ κενόν. ἀλλ’ ἀδύνατον. φανερὸν τοίνυν ὅτι, εἰ ἔστι χρόνος ἐν ᾧ τοῦ κενοῦ ὁτιοῦν οἰσθήσεται, συμβήσεται τοῦτο τὸ ἀδύνατον· ἐν ἴσῳ γὰρ ληφθήσεται πλῆρές τε ὂν διεξιέναι τι καὶ κενόν· ἔσται γάρ τι ἀνάλογον σῶμα ἕτερον πρὸς ἕτερον ὡς χρόνος πρὸς χρόνον. ὡς δ’ ἐν κεφαλαίῳ εἰπεῖν, δῆλον τὸ τοῦ συμβαίνοντος αἴτιον, ὅτι κινήσεως μὲν πρὸς κίνησιν πάσης ἔστι λόγος (ἐν χρόνῳ γάρ ἐστι, χρόνου δὲ παντὸς ἔστι πρὸς χρόνον, πεπερασμένων ἀμφοῖν), κενοῦ δὲ πρὸς πλῆρες οὐκ ἔστιν. ᾗ μὲν οὖν διαφέρουσι δι’ ὧν φέρονται, ταῦτα συμβαίνει, κατὰ δὲ τὴν τῶν φερομένων ὑπεροχὴν τάδε· ὁρῶμεν γὰρ τὰ μείζω ῥοπὴν ἔχοντα ἢ βάρους ἢ κουφότητος, ἐὰν τἆλλα ὁμοίως ἔχῃ [τοῖς σχήμασι], θᾶττον φερόμενα τὸ ἴσον χωρίον, καὶ κατὰ λόγον ὃν ἔχουσι τὰ μεγέθη πρὸς ἄλληλα. ὥστε καὶ διὰ τοῦ κενοῦ. ἀλλ’ ἀδύνατον· διὰ τίνα γὰρ αἰτίαν οἰσθήσεται θᾶττον; ἐν μὲν γὰρ τοῖς πλήρεσιν ἐξ ἀνάγκης· θᾶττον γὰρ διαιρεῖ τῇ ἰσχύϊ τὸ μεῖζον· ἢ γὰρ σχήματι διαιρεῖ, ἢ ῥοπῇ ἣν ἔχει τὸ φερόμενον ἢ τὸ ἀφεθέν. ἰσοταχῆ ἄρα πάντ’ ἔσται. ἀλλ’ ἀδύνατον. ὅτι μὲν οὖν εἰ ἔστι κενόν, συμβαίνει τοὐναντίον ἢ δι’ ὃ κατασκευάζουσιν οἱ φάσκοντες εἶναι κενόν, φανερὸν ἐκ τῶν



Buch IV · Kapitel 8

165

Wenn A dies durchläuft und für diese Bewegung eine bestimmte Zeit G braucht, und zwar weniger als E, dann hat das Leere zum Vollen dasselbe Verhältnis [wie G zu E ]. Aber in ebenso langer Zeit wie G durchläuft A den Teil H von D. Ebenso lange braucht A aber auch, wenn F etwas ist, das in derselben Proportion, wie die Zeit E zu G, dünner als Luft ist. b30 Ist nämlich dieser Körper F um ebenso viel dünner als D, wie E länger dauert als G, dann durchläuft A bei seiner Bewegung F mit umgekehrt proportionaler Geschwindigkeit in derselben Zeit G. Und wenn in F nun gar kein Körper ist, noch schneller. Aber das war in der Zeit G (s. o. b24). Also durchläuft er F, wenn es voll und wenn es leer ist, in derselben Zeit – was aber nicht geht. a4 Offenbar wird sich somit, wenn es eine Zeit gibt, in der irgendein Teil des Leeren durchlaufen wird, dieses Unmögli­ che ergeben: Der Gegenstand wird dabei ertappt, dass er etwas in derselben Zeit durchläuft, wenn es voll und wenn es leer ist. Denn es wird einen Körper geben, der zum anderen dieselbe Proportion aufweist wie die eine Zeit zur anderen Zeit. a8 Zusammengefasst ist klar: Der Grund für das Ergebnis ist, dass einerseits zwischen jeder Bewegung und einer anderen ein bestimmtes Verhältnis be­ steht; denn sie geschieht in einer Zeit, und zwischen jeder Zeit und einer anderen besteht ein bestimmtes Verhältnis, wenn beide be­ grenzt sind. Andererseits besteht aber zwischen dem Leeren und dem Vollen kein Verhältnis. a11 [Zu Fall 2.]  Soweit das Durchlaufene unterschiedlich ist, ergibt sich dies, im Hinblick auf den Überschuss des Durchlaufenden aber Folgendes. Wir beobachten ja: was größeren Antrieb an Schwere oder Leichtigkeit hat, durchläuft unter sonst gleichen Umständen dieselbe Strecke schneller, und zwar in Abhängigkeit vom Verhält­ nis der Größen zueinander. Dies müsste auch bei Durchquerung des Leeren der Fall sein. a17 Aber das geht nicht. Denn aus welchem Grund soll es schneller laufen? Im Vollen ist das zwangsläufig: Das Größere zerteilt durch seine Stärke schneller; das Durchlaufende oder Geschleuderte zerteilt ja entweder durch seine Figur oder durch den Antrieb, den es hat. Also wird [im Leeren] alles gleich schnell sein. Aber das ist unmöglich. – a21 Aus dem Gesagten ist offenkundig: Wenn es Leeres gibt, ergibt sich das Gegenteil dessen, woraus es die Verfechter seiner Existenz ableiten. a23

166 ∆ 8 · 216 a 23 – 216 b 18

25

30

35 216b1

5

10

15

εἰρημένων. οἱ μὲν οὖν οἴονται τὸ κενὸν εἶναι, εἴπερ ἔσται ἡ κατὰ τόπον κίνησις, ἀποκεκριμένον καθ’ αὑτό· τοῦτο δὲ ταὐτόν ἐστι τῷ τὸν τόπον φάναι εἶναί τι κεχωρισμένον· τοῦτο δ’ ὅτι ἀδύνατον, εἴρηται πρότερον. καὶ καθ’ αὑτὸ δὲ σκοποῦσιν φανείη ἂν τὸ λεγόμενον κενὸν ὡς ἀληθῶς κενόν. ὥσπερ γὰρ ἐὰν ἐν ὕδατι τιθῇ τις κύβον, ἐκστήσεται τοσοῦτον ὕδωρ ὅσος ὁ κύβος, οὕτω καὶ ἐν ἀέρι· ἀλλὰ τῇ αἰσθήσει ἄδηλον. καὶ αἰεὶ δὴ ἐν παντὶ σώματι ἔχοντι μετάστασιν, ἐφ’ ὃ πέφυκε μεθίστασθαι, ἀνάγκη, ἂν μὴ συμπιλῆται, μεθίστασθαι ἢ κάτω αἰεί, εἰ κάτω ἡ φορὰ ὥσπερ γῆς, ἢ ἄνω, εἰ πῦρ, ἢ ἐπ’ ἄμφω, [ἢ] ὁποῖον ἄν τι ᾖ τὸ ἐντιθέμενον· ἐν δὲ δὴ τῷ κενῷ τοῦτο μὲν ἀδύνατον (οὐδὲν γὰρ σῶμα), διὰ δὲ τοῦ κύβου τὸ ἴσον διάστημα διεληλυθέναι, ὅπερ ἦν καὶ πρότερον ἐν τῷ κενῷ, ὥσπερ ἂν εἰ τὸ ὕδωρ μὴ μεθίστατο τῷ ξυλίνῳ κύβῳ μηδ’ ὁ ἀήρ, ἀλλὰ πάντῃ διῄεσαν δι’ αὐτοῦ. ἀλλὰ μὴν καὶ ὁ κύβος γε ἔχει τοσοῦτον μέγεθος, ὅσον κατέχει κενόν· ὃ εἰ καὶ θερμὸν ἢ ψυχρόν ἐστιν ἢ βαρὺ ἢ κοῦφον, οὐδὲν ἧττον ἕτερον τῷ εἶναι πάντων τῶν παθημάτων ἐστί, καὶ εἰ μὴ χωριστόν· λέγω δὲ τὸν ὄγκον τοῦ ξυλίνου κύβου. ὥστ’ εἰ καὶ χωρισθείη τῶν ἄλλων πάντων καὶ μήτε βαρὺ μήτε κοῦφον εἴη, καθέξει τὸ ἴσον κενὸν καὶ ἐν τῷ αὐτῷ ἔσται τῷ τοῦ τόπου καὶ τῷ τοῦ κενοῦ μέρει ἴσῳ ἑαυτῷ. τί οὖν διοίσει τὸ τοῦ κύβου σῶμα τοῦ ἴσου κενοῦ καὶ τόπου; καὶ εἰ δύο τοιαῦτα, διὰ τί οὐ καὶ ὁποσαοῦν ἐν τῷ αὐτῷ ἔσται; ἓν μὲν δὴ τοῦτο ἄτοπον καὶ ἀδύνατον. ἔτι δὲ φανερὸν ὅτι τοῦτο ὁ κύβος ἕξει καὶ μεθιστάμενος, ὃ καὶ τὰ ἄλλα σώματα πάντ’ ἔχει. ὥστ’ εἰ τοῦ τόπου μηδὲν διαφέρει, τί δεῖ ποιεῖν τόπον τοῖς σώμασιν παρὰ τὸν ἑκάστου ὄγκον, εἰ ἀπαθὲς ὁ ὄγκος; οὐδὲν γὰρ συμβάλλεται, εἰ ἕτερον παρὰ αὐτὸν ἴσον διάστημα τοιοῦτον εἴη. [ἔτι δεῖ δῆλον εἶναι οἷον κενὸν ἐν τοῖς κινουμένοις. νῦν δ’ οὐδαμοῦ ἐντὸς τοῦ κόσμου· ὁ γὰρ ἀὴρ ἔστιν τι, οὐ δοκεῖ δέ γε—οὐδὲ

16 Ross: περί (v. l.).



Buch IV · Kapitel 8

167

Sie glauben, es gebe das Leere, an sich abgesondert, wenn es die Bewegung hinsichtlich des Ortes gibt. Dies ist aber dasselbe wie zu behaupten, der Ort sei etwas Abgetrenntes. Dass dies unmöglich ist, wurde schon gesagt. a26 An sich betrachtet, könnte das sog. Leere als wirklich leer erscheinen. Denn wenn man einen Würfel im Was­ ser aufstellt, dann wird so viel Wasser verdrängt, wie der Würfel groß ist. Ebenso in der Luft, was aber der Wahrnehmung entgeht. Und so ist es stets in jedem Körper, der ein Ausweichen hat. Wo­ hin dieser durch seine Natur zum Ausweichen bestimmt ist, dahin muss er, wenn er nicht zusammengedrückt wird, ausweichen: im­ mer dann nach unten, wenn seine charakteristische Bewegung wie diejenige der Erde nach unten führt, oder nach oben beim Feuer, oder in beide Richtungen; und dies ganz unabhängig davon, von welcher Beschaffenheit das Hineingesetzte ist. a33 Aber im Leeren, das gar kein Körper ist, ist dies unmöglich. Vielmehr müsste den Würfel die gleichgroße Ausdehnung durchdrungen haben, die zu­ vor im Leeren vorhanden war, wie wenn das Wasser oder die Luft nicht von dem Holzwürfel verdrängt würden, sondern ganz und gar durch ihn hindurchschössen. b2 Freilich hat auch der Würfel eben so viel Größe, wie er Leeres besetzt. Wenn dies – ich meine das körperliche Volumen des hölzer­ nen Würfels – auch warm oder kalt ist oder schwer oder leicht, ist es um nichts weniger in seinem Sein verschieden von allen diesen Ei­ genschaften (selbst wenn es nicht [von ihnen] abtrennbar ist). Und auch wenn es von allen anderen abgetrennt werden sollte und weder schwer noch leicht wäre, müsste es daher ein ebenso großes Leeres besetzen und sich im selben, ihm an Größe gleichkommenden Teil des Orts und zugleich auch des Leeren befinden. b9 Worin unter­ schiede sich dann das körperliche Volumen des Würfels vom gleich­ großen Leeren und Ort? Und wenn zwei dergleichen, warum sollen nicht auch beliebig viele an derselben Stelle sein? Dies ist die eine Absurdität und Unmöglichkeit. b12 Außerdem wird der Würfel dies, das alle anderen Körper haben, offenbar auch beim Ausweichen be­ halten. Wenn es sich vom Ort in nichts unterscheidet, warum muss man dann für die Körper einen Ort fabrizieren außer dem jeweili­ gen körperlichen Volumen, wenn das körperliche Volumen etwas ist, mit dem gar nichts geschieht? Wenn außer ihm noch eine gleich­

168 ∆ 9 · 216 b 19 – 217 a 7

τὸ ὕδωρ, εἰ ἦσαν οἱ ἰχθύες σιδηροῖ· τῇ ἁφῇ γὰρ ἡ κρίσις 20 τοῦ ἁπτοῦ.] ὅτι μὲν τοίνυν οὐκ ἔστι κεχωρισμένον κενόν, ἐκ τούτων ἐστὶ δῆλον.

25

30

35 217a1

5

9. Εἰσὶν δέ τινες οἳ διὰ τοῦ μανοῦ καὶ πυκνοῦ οἴονται φανερὸν εἶναι ὅτι ἔστι κενόν. εἰ μὲν γὰρ μὴ ἔστι μανὸν καὶ πυκνόν, οὐδὲ συνιέναι καὶ πιλεῖσθαι οἷόν τε· εἰ δὲ τοῦτο μὴ εἴη, ἢ ὅλως κίνησις οὐκ ἔσται, ἢ κυμανεῖ τὸ ὅλον, ὥσπερ ἔφη Ξοῦθος, ἢ εἰς ἴσον ἀεὶ 〈δεῖ〉 μεταβάλλειν ἀέρα καὶ ὕδωρ (λέγω δὲ οἷον εἰ ἐξ ὕδατος κυάθου γέγονεν ἀήρ, ἅμα ἐξ ἴσου ἀέρος ὕδωρ τοσοῦτον γεγενῆσθαι), ἢ κενὸν εἶναι ἐξ ἀνάγκης· συμπιλεῖσθαι γὰρ καὶ ἐπεκτείνεσθαι οὐκ ἐνδέχεται ἄλλως. εἰ μὲν οὖν τὸ μανὸν λέγουσι τὸ πολλὰ κενὰ κεχωρισμένα ἔχον, φανερὸν ὡς εἰ μηδὲ κενὸν ἐνδέχεται εἶναι χωριστὸν ὥσπερ μηδὲ τόπον ἔχοντα διάστημα αὑτοῦ, οὐδὲ μανὸν οὕτως· εἰ δὲ μὴ χωριστόν, ἀλλ’ ὅμως ἐνεῖναί τι κενόν, ἧττον μὲν ἀδύνατον, συμβαίνει δὲ πρῶτον μὲν οὐ πάσης κινήσεως αἴτιον τὸ κενόν, ἀλλὰ τῆς ἄνω (τὸ γὰρ μανὸν κοῦφον, διὸ καὶ τὸ πῦρ μανὸν εἶναί φασιν), ἔπειτα κινήσεως αἴτιον οὐχ οὕτω τὸ κενὸν ὡς ἐν ᾧ, ἀλλ’ ὥσπερ οἱ ἀσκοὶ τῷ φέρεσθαι αὐτοὶ ἄνω φέρουσι τὸ συνεχές, οὕτω τὸ κενὸν ἄνω φέρει. καίτοι πῶς οἷόν τε φορὰν εἶναι κενοῦ ἢ τόπον κενοῦ; κενοῦ γὰρ γίγνεται κενόν, εἰς ὃ φέρεται. ἔτι δὲ πῶς ἐπὶ τοῦ βαρέος ἀποδώσουσιν τὸ φέρεσθαι κάτω; καὶ δῆλον ὅτι εἰ ὅσῳ ἂν μανότερον καὶ κενώτερον ᾖ ἄνω οἰσθήσεται, εἰ ὅλως εἴη κενόν, τά-

Buch IV · Kapitel 9



169

große derartige Ausdehnung existierte, brächte das gar nichts.1 – Dass es also kein abgetrenntes Leeres gibt, ist hieraus klar. 9.  Manche glauben, dass es Leeres gibt, werde durch Dünn und 216b22 Dicht offenkundig. Denn ohne Dünn und Dicht sind Sich-Zusam­ menziehen und Verdichtung unmöglich. Und ohne dieses gibt es entweder überhaupt keine Bewegung; oder das Weltganze beult aus, wie Xouthos behauptete; oder [Luft und Wasser] müssen stets ins ebenso Große umschlagen (das heißt, wenn z. B. aus einem Becher­ chen Wasser Luft wurde, dann muss gleichzeitig aus ebenso viel Luft die entsprechende Menge Wasser geworden sein); oder es muss zwangsläufig Leeres geben. Denn anders sind [nach dieser Argu­ mentation] Verdichtung und Ausdehnung unmöglich. b30 Wenn sie als dünn bezeichnen, was viele abgetrennte leere Stel­ len enthält, dann ist offenkundig: Wie es kein abtrennbares Leeres geben kann und ebenso wenig einen Ort, der seine eigene Aus­ dehnung hat, so auch kein Leeres in diesem Sinne. Wenn sie aber behaupten, etwas Leeres sei nicht abtrennbar, aber gleichwohl ent­ halten, ist das weniger unmöglich. Es ergibt sich dann aber erstens, dass das Leere nicht die Ursache jeder Bewegung ist, sondern nur derjenigen nach oben. Denn das Dünne ist leicht, deshalb sagt man ja auch, das Feuer sei dünn. Zweitens ist das Leere nicht als Worin Ursache der Bewegung. Sondern wie [aufgeblasene] Schläuche, in­ dem sie [im Wasser] aufsteigen, nach oben tragen, was mit ihnen kontinuierlich verbunden ist, so trägt das Leere nach oben. a3 Aber wie kann es einen Ortswechsel des Leeren oder einen [charakte­ ristischen] Ort des Leeren geben? Von Leerem leer wird [durch diese Annahme], wo hinein es wechselt. Ferner: Wie erklärt man beim Schweren das Fallen nach unten? Klar ist auch: Wenn etwas umso mehr aufsteigt, je dünner und leerer es ist, dann wird es am folgenden Sätze (216b17–20) werden von Ross (1936, 592) als nicht aristotelisch getilgt: »Ferner müsste klar sein, welcherart Leeres beim in Bewegung Befindlichen [vorkommt (?)]. Nun aber nirgendwo in­ nerhalb der Weltordnung. Denn die Luft ist eine bestimmte Sache, scheint aber gar keine zu sein – wie das Wasser, wenn die Fische aus Eisen wären. Denn die Beurteilung des Tastbaren erfolgt durch Tasten.« 1  Die

170 ∆ 9 · 217 a 8 – 217 a 34

10 10

15

20

25

30

χιστ’ ἂν φέροιτο. ἴσως δὲ καὶ τοῦτ’ ἀδύνατον κινηθῆναι· λόγος δ’ ὁ αὐτός, ὥσπερ ὅτι ἐν τῷ κενῷ ἀκίνητα πάντα, οὕτω καὶ τὸ κενὸν ὅτι ἀκίνητον· ἀσύμβλητα γὰρ τὰ τάχη. ἐπεὶ δὲ κενὸν μὲν οὔ φαμεν εἶναι, τὰ ἄλλα δ’ ἠπόρηται ἀληθῶς, ὅτι ἢ κίνησις οὐκ ἔσται, εἰ μὴ ἔσται πύκνωσις καὶ μάνωσις, ἢ κυμανεῖ ὁ οὐρανός, ἢ αἰεὶ ἴσον ὕδωρ ἐξ ἀέρος ἔσται καὶ ἀὴρ ἐξ ὕδατος (δῆλον γὰρ ὅτι πλείων ἀὴρ ἐξ ὕδατος γίγνεται· ἀνάγκη τοίνυν, εἰ μὴ ἔστι πίλησις, ἢ ἐξωθούμενον τὸ ἐχόμενον τὸ ἔσχατον κυμαίνειν ποιεῖν, ἢ ἄλλοθί που ἴσον μεταβάλλειν ἐξ ἀέρος ὕδωρ, ἵνα ὁ πᾶς ὄγκος τοῦ ὅλου ἴσος ᾖ, ἢ μηδὲν κινεῖσθαι· ἀεὶ γὰρ μεθισταμένου τοῦτο συμβήσεται, ἂν μὴ κύκλῳ περιίστηται· οὐκ ἀεὶ δ’ εἰς τὸ κύκλῳ ἡ φορά, ἀλλὰ καὶ εἰς εὐθύ)· οἱ μὲν δὴ διὰ ταῦτα κενόν τι φαῖεν ἂν εἶναι, ἡμεῖς δὲ λέγομεν ἐκ τῶν ὑποκειμένων ὅτι ἔστιν ὕλη μία τῶν ἐναντίων, θερμοῦ καὶ ψυχροῦ καὶ τῶν ἄλλων τῶν φυσικῶν ἐναντιώσεων, καὶ ἐκ δυνάμει ὄντος ἐνεργείᾳ ὂν γίγνεται, καὶ οὐ χωριστὴ μὲν ἡ ὕλη, τὸ δ’ εἶναι ἕτερον, καὶ μία τῷ ἀριθμῷ, εἰ ἔτυχε, χροιᾶς καὶ θερμοῦ καὶ ψυχροῦ. ἔστι δὲ καὶ σώματος ὕλη καὶ μεγάλου καὶ μικροῦ ἡ αὐτή. δῆλον δέ· ὅταν γὰρ ἐξ ὕδατος ἀὴρ γένηται, ἡ αὐτὴ ὕλη οὐ προσλαβοῦσά τι ἄλλο ἐγένετο, ἀλλ’ ὃ ἦν δυνάμει, ἐνεργείᾳ ἐγένετο, καὶ πάλιν ὕδωρ ἐξ ἀέρος ὡσαύτως, ὁτὲ μὲν εἰς μέγεθος ἐκ μικρότητος, ὁτὲ δ’ εἰς μικρότητα ἐκ μεγέθους. ὁμοίως τοίνυν κἂν ὁ ἀὴρ πολὺς ὢν ἐν ἐλάττονι γίγνηται ὄγκῳ καὶ ἐξ ἐλάττονος μείζων, ἡ δυνάμει οὖσα ὕλη γίγνεται ἄμφω. ὥσπερ γὰρ καὶ ἐκ ψυχροῦ θερμὸν καὶ ἐκ θερμοῦ ψυχρὸν ἡ αὐτή, ὅτι ἦν δυνάμει, οὕτω καὶ ἐκ θερμοῦ



Buch IV · Kapitel 9

171

schnellsten aufsteigen, wenn es ganz leer ist. Aber vielleicht kann sich dieses auch gar nicht bewegen. Das Argument ist dasselbe: ei­ nerseits, dass im Leeren alles bewegungslos ist, und andererseits, dass das Leere bewegungslos ist; denn die Geschwindigkeiten sind nicht vergleichbar. a10 Wir behaupten, es gebe kein Leeres. Ansonsten ist es aber ganz richtig, eine Schwierigkeit darin zu sehen, dass es entweder keine Bewegung gibt, wenn es kein Dichter- und Dünnerwerden gibt, oder der Himmel ausbeult oder stets ebenso viel Wasser aus Luft entstanden ist wie Luft aus Wasser. Es ist ja klar, dass mehr Luft aus Wasser entsteht. Wenn es keine Verdichtung gibt, muss ent­ weder die Verdrängung des jeweils Angrenzenden bewirken, dass der Rand ausbeult, oder irgendwo sonst muss gleich viel Wasser durch Umschlag aus Luft entstehen, damit das Gesamtvolumen des Weltganzen gleich groß bleibt; oder nichts kann sich bewegen. Denn dies wird sich immer ergeben, wenn etwas verdrängt wird und kein zyklischer Austausch stattfindet. Denn nicht immer führt der Ortswechsel zu einer Kreisbewegung, sondern auch zu einer geradlinigen. a20 Deshalb mag man behaupten, es gebe etwas Leeres. Unsere Ge­ genbehauptung ergibt sich aus dem, was wir zugrunde gelegt ha­ ben: [i] Es gibt [jeweils] en gemeinsames Material der konträren Gegenteile, des Warmen und Kalten und der anderen natürlichen Gegensätze. [ii] Aus etwas, das potentiell ist, wird etwas, das wirk­ lich ist. [iii] Das Material ist zwar nicht getrennt, aber sein Sein ist ein anderes. [iv] Und es ist numerisch enes – je nach Fall z. B. einer Farbe und des Warmen und Kalten. a26 Das Material des großen und des kleinen Körpers ist dasselbe. Klar ist nämlich: Wenn aus Wasser Luft wird, ist dasselbe Material zu etwas anderem gewor­ den, ohne dass ihm etwas hinzugefügt wurde; sondern was es poten­ tiell war, ist es nun wirklich. Und ebenso wieder [beim Ent­stehen von] Wasser aus Luft; das eine Mal in die Größe aus der Kleinheit, das andere Mal in die Kleinheit aus der Größe. Und ebenso da­ her auch, wenn die Luft, obgleich sie viel ist, in einem kleineren körperlichen Volumen entsteht und somit aus Kleinerem Größeres wird: das Material, das dies potentiell ist, wird beides. a33 Wie das­ selbe Material aus Kaltem zu Warmem und aus Warmem zu Kal­

172 ∆ 9 · 217 b 1 – 217 b 26 217b1

5

10

15

20 20

25

μᾶλλον θερμόν, οὐδενὸς γενομένου ἐν τῇ ὕλῃ θερμοῦ ὃ οὐκ ἦν θερμὸν ὅτε ἧττον ἦν θερμόν, ὥσπερ γε οὐδ’ ἡ τοῦ μείζονος κύκλου περιφέρεια καὶ κυρτότης ἐὰν γίγνηται ἐλάττονος κύκλου, 〈ἢ〉 ἡ αὐτὴ οὖσα ἢ ἄλλη, ἐν οὐθενὶ ἐγγέγονε τὸ κυρτὸν ὃ ἦν οὐ κυρτὸν ἀλλ’ εὐθύ (οὐ γὰρ τῷ διαλείπειν τὸ ἧττον ἢ τὸ μᾶλλον ἔστιν)· οὐδ’ ἔστι τῆς φλογὸς λαβεῖν τι μέγεθος ἐν ᾧ οὐ καὶ θερμότης καὶ λευκότης ἔνεστιν. οὕτω τοίνυν καὶ ἡ πρότερον θερμότης 〈πρὸς〉 τὴν ὕστερον. ὥστε καὶ τὸ μέγεθος καὶ ἡ μικρότης τοῦ αἰσθητοῦ ὄγκου οὐ προσλαβούσης τι τῆς ὕλης ἐπεκτείνεται, ἀλλ’ ὅτι δυνάμει ἐστὶν ὕλη ἀμφοῖν· ὥστ’ ἐστὶ τὸ αὐτὸ πυκνὸν καὶ μανόν, καὶ μία ὕλη αὐτῶν. ἔστι δὲ τὸ μὲν πυκνὸν βαρύ, τὸ δὲ μανὸν κοῦφον. [ἔτι ὥσπερ ἡ τοῦ κύκλου περιφέρεια συναγομένη εἰς ἔλαττον οὐκ ἄλλο τι λαμβάνει τὸ κοῖλον, ἀλλ’ ὃ ἦν συνήχθη, καὶ τοῦ πυρὸς ὅ τι ἄν τις λάβῃ πᾶν ἔσται θερμόν, οὕτω καὶ τὸ πᾶν συναγωγὴ καὶ διαστολὴ τῆς αὐτῆς ὕλης.] δύο γὰρ ἔστιν ἐφ’ ἑκατέρου, τοῦ τε πυκνοῦ καὶ τοῦ μανοῦ· τό τε γὰρ βαρὺ καὶ τὸ σκληρὸν πυκνὰ δοκεῖ εἶναι, καὶ τἀναντία μανὰ τό τε κοῦφον καὶ τὸ μαλακόν· διαφωνεῖ δὲ τὸ βαρὺ καὶ τὸ σκληρὸν ἐπὶ μολίβδου καὶ σιδήρου. ἐκ δὴ τῶν εἰρημένων φανερὸν ὡς οὔτ’ ἀποκεκριμένον κενὸν ἔστιν, οὔθ’ ἁπλῶς οὔτ’ ἐν τῷ μανῷ, οὔτε δυνάμει, εἰ μή τις βούλεται πάντως καλεῖν κενὸν τὸ αἴτιον τοῦ φέρεσθαι. οὕτω δ’ ἡ τοῦ βαρέος καὶ κούφου ὕλη, ᾗ τοιαύτη, εἴη ἂν τὸ κενόν· τὸ γὰρ πυκνὸν καὶ τὸ μανὸν κατὰ ταύτην τὴν ἐναντίωσιν φορᾶς ποιητικά, κατὰ δὲ τὸ σκληρὸν καὶ μαλακὸν πάθους καὶ ἀπαθείας, καὶ οὐ φορᾶς ἀλλ’ ἑτεροιώσεως μᾶλ-

Buch IV · Kapitel 9



173

tem wird, weil es dies potentiell war, so auch aus Warmem zu Wär­ merem, ohne dass im Material etwas zu Warmem würde, das nicht schon bei der geringeren Wärme Warmes war. Das ist ebenso wie bei Bogen und Krümmung des größeren Kreises: Wenn dieser zu demjenigen eines kleineren Kreises wird (ob er nun dabei derselbe bleibt oder nicht), tritt auch nirgendwo das Krumme auf, das zuvor nicht Krummes, sondern Gerades war; denn das Mehr oder Weni­ ger kommt nicht dadurch, dass Lücken bleiben, zustande. b6 Und auch bei einer Flamme kann man kein Volumen herausgreifen, in dem keine Wärme und Weiße wäre. Ebenso daher auch die frühere Wärme im Verhältnis zur späteren. b8 Also werden auch die Größe und die Kleinheit des wahrnehmbaren körperlichen Volumens auf­ gespannt, ohne dass dem Material etwas hinzugefügt würde, son­ dern weil das Material potentiell beides ist. Also ist dasselbe dicht und dünn, und sie haben en Material. – b11 Und zwar ist das Dichte schwer und das Dünne leicht.1 Denn zu beiden, dem Dichten und dem Dünnen, gehört zweierlei: Das Schwere und das Harte schei­ nen dicht zu sein und die konträren Gegenteile dünn, nämlich das Leichte und Weiche. Allerdings besteht bei Blei und Eisen keine Entsprechung zwischen dem Schweren und dem Harten. b20 Aus dem Gesagten ist offenkundig, dass es kein abgesondertes Leeres gibt, [und zwar] weder schlechthin noch im Dünnen, und auch nicht potentiell, wenn man nicht überhaupt die Ursache des Ortswechsels Leeres nennen will. So betrachtet, wäre das Material von Schwer und Leicht, als solches, das Leere. Denn das Dichte und Dünne sind aufgrund dieses konträren Gegensatzes Hervorbringer des Ortswechsels, aufgrund [des Gegensatzes] von Hart und Weich aber des Betroffen- und Unbetroffenseins [von äußeren Einwirkun­ gen] und somit nicht des Ortswechsels, sondern eher einer sonstigen Änderung. b27 folgende, rekapitulierende Satz 217b12–16 ist wohl eine in den Text eingedrungene Randbemerkung. Ich übersetze: »Ferner: Wie der kleingedrückte Kreisbogen kein zusätzliches krummes Stück erhält, son­ dern als vorhandener zusammengedrückt wird, so ist auch, was immer man vom Feuer herausgreift, warm; und ebenso ist das All Zusammen­ drückung und Ausdehnung desselben Materials.« 1  Der

174 ∆ 10 · 217 b 27 – 218 a 22

λον. καὶ περὶ μὲν κενοῦ, πῶς ἔστι καὶ πῶς οὐκ ἔστι, διωρίσθω τὸν τρόπον τοῦτον.

30

218a1

5

10

15

20

10. Ἐχόμενον δὲ τῶν εἰρημένων ἐστὶν ἐπελθεῖν περὶ χρόνου· πρῶτον δὲ καλῶς ἔχει διαπορῆσαι περὶ αὐτοῦ καὶ διὰ τῶν ἐξωτερικῶν λόγων, πότερον τῶν ὄντων ἐστὶν ἢ τῶν μὴ ὄντων, εἶτα τίς ἡ φύσις αὐτοῦ. ὅτι μὲν οὖν ἢ ὅλως οὐκ ἔστιν ἢ μόλις καὶ ἀμυδρῶς, ἐκ τῶνδέ τις ἂν ὑποπτεύσειεν. τὸ μὲν γὰρ αὐτοῦ γέγονε καὶ οὐκ ἔστιν, τὸ δὲ μέλλει καὶ οὔπω ἔστιν. ἐκ δὲ τούτων καὶ ὁ ἄπειρος καὶ ὁ ἀεὶ λαμβανόμενος χρόνος σύγκειται. τὸ δ’ ἐκ μὴ ὄντων συγκείμενον ἀδύνατον ἂν εἶναι δόξειε μετέχειν οὐσίας. πρὸς δὲ τούτοις παντὸς μεριστοῦ, ἄνπερ ᾖ, ἀνάγκη, ὅτε ἔστιν, ἤτοι πάντα τὰ μέρη εἶναι ἢ ἔνια· τοῦ δὲ χρόνου τὰ μὲν γέγονε τὰ δὲ μέλλει, ἔστι δ’ οὐδέν, ὄντος μεριστοῦ. τὸ δὲ νῦν οὐ μέρος· μετρεῖται γὰρ τὸ μέρος, καὶ συγκεῖσθαι δεῖ τὸ ὅλον ἐκ τῶν μερῶν· ὁ δὲ χρόνος οὐ δοκεῖ συγκεῖσθαι ἐκ τῶν νῦν. ἔτι δὲ τὸ νῦν, ὃ φαίνεται διορίζειν τὸ παρελθὸν καὶ τὸ μέλλον, πότερον ἓν καὶ ταὐτὸν ἀεὶ διαμένει ἢ ἄλλο καὶ ἄλλο, οὐ ῥᾴδιον ἰδεῖν. εἰ μὲν γὰρ αἰεὶ ἕτερον καὶ ἕτερον, μηδὲν δ’ ἐστὶ τῶν ἐν τῷ χρόνῳ ἄλλο καὶ ἄλλο μέρος ἅμα (ὃ μὴ περιέχει, τὸ δὲ περιέχεται, ὥσπερ ὁ ἐλάττων χρόνος ὑπὸ τοῦ πλείονος), τὸ δὲ νῦν μὴ ὂν πρότερον δὲ ὂν ἀνάγκη ἐφθάρθαι ποτέ, καὶ τὰ νῦν ἅμα μὲν ἀλλήλοις οὐκ ἔσται, ἐφθάρθαι δὲ ἀνάγκη ἀεὶ τὸ πρότερον. ἐν αὑτῷ μὲν οὖν ἐφθάρθαι οὐχ οἷόν τε διὰ τὸ εἶναι τότε, ἐν ἄλλῳ δὲ νῦν ἐφθάρθαι τὸ πρότερον νῦν οὐκ ἐνδέχεται. ἔστω γὰρ ἀδύνατον ἐχόμενα εἶναι ἀλλήλων τὰ νῦν, ὥσπερ στιγμὴν στιγμῆς. εἴπερ οὖν ἐν τῷ ἐφεξῆς οὐκ ἔφθαρται ἀλλ’ ἐν ἄλλῳ, ἐν τοῖς μεταξὺ [τοῖς] νῦν ἀπείροις οὖσιν ἅμα ἂν εἴη· τοῦτο δὲ ἀδύνατον. ἀλλὰ μὴν οὐδ’ αἰεὶ τὸ αὐτὸ διαμένειν δυνατόν· οὐδενὸς γὰρ διαι-

6 Ross: μετρεῖ τε. Vgl. Anm. zu 218a6–8



Buch IV · Kapitel 10

175

Über das Leere, inwiefern es ist und inwiefern es nicht ist, seien die Bestimmungen in dieser Weise getroffen. 10.  Im Anschluss an das Gesagte kommen wir zu dem Thema 217b29 ›Zeit‹. Zunächst empfiehlt es sich, die diesbezüglichen Fragen auch anhand der publizierten Schriften zu erörtern: Ob die Zeit zum Seienden oder zum Nicht-Seienden zählt; und dann, was ihre Natur ist. b32 Dass sie entweder gar nicht ist oder kaum und nur schwach, könnte man wohl aus Folgendem vermuten: [1.] Teils liegt sie zu­ rück und ist nicht [mehr], teils steht sie bevor und ist noch nicht. Daraus besteht aber sowohl die unbegrenzte als auch jede heraus­ gegriffene Zeit. Und was aus Nicht-Seiendem besteht, kann – so mag man glauben – nicht am Sein teilhaben. a3 [2.] Überdies gilt für alles Teilbare: Falls es überhaupt ist, müssen auch alle oder we­ nigstens einige Teile eben dann, wenn es ist, sein. Aber die Teile der Zeit liegen teils zurück, teils stehen sie bevor, und keiner ist; dabei ist sie teilbar. a6 Das Jetzt ist kein Teil. Denn der Teil wird gemessen, und das Ganze muss aus den Teilen bestehen; aber die Zeit scheint nicht aus den Jetzt zu bestehen. a8 [3.] Ferner ist nicht leicht zu sehen, ob das Jetzt, das das Vergangene und das Bevor­ stehende gegen­ein­a nder abzugrenzen scheint, stets als enes und dasselbe bestehen bleibt oder ob es immer wieder ein anderes ist. a11 Denn wenn [das Jetzt] immer wieder ein anderes ist und wenn von den immer wieder anderen Teilen in der Zeit keiner zugleich [mit einem anderen] ist (außer indem einer umgibt und der andere umgeben ist, wie die kürzere von der längeren Zeit) und wenn au­ ßerdem das Jetzt, weil es nicht ist, aber zuvor war, irgendwann zu­ grunde gegangen sein muss, dann werden auch die Jetzt nicht mit­ einander zugleich sein, sondern es muss stets das Frühere zugrunde gegangen sein. a16 In ihm selbst kann es nicht zugrunde gegangen sein, denn da war es ja. Aber auch in einem anderen Jetzt kann das frühere Jetzt nicht zugrunde gegangen sein. Denn wir gehen davon aus, dass die Jetzt so wenig eines an das andere anschließen können wie ein Punkt an einen Punkt. Wenn es somit nicht im nächsten, sondern in einem anderen [Jetzt] untergegangen ist, dann wäre es zugleich in den unbegrenzt vielen dazwischenliegenden Jetzt. Aber das ist unmöglich. a21 Aber auch stets als dasselbe bestehen bleiben

176 ∆ 10 · 218 a 23 – 218 b 20

25

30 30

218b1

5

10

15

20

ρετοῦ πεπερασμένου ἓν πέρας ἔστιν, οὔτε ἂν ἐφ’ ἓν ᾖ συνεχὲς οὔτε ἂν ἐπὶ πλείω· τὸ δὲ νῦν πέρας ἐστίν, καὶ χρόνον ἔστι λαβεῖν πεπερασμένον. ἔτι εἰ τὸ ἅμα εἶναι κατὰ χρόνον καὶ μήτε πρότερον μήτε ὕστερον τὸ ἐν τῷ αὐτῷ εἶναι καὶ ἑνὶ [τῷ] νῦν ἐστιν, εἰ τά τε πρότερον καὶ τὰ ὕστερον ἐν τῷ νῦν τῳδί ἐστιν, ἅμα ἂν εἴη τὰ ἔτος γενόμενα μυριοστὸν τοῖς γενομένοις τήμερον, καὶ οὔτε πρότερον οὔτε ὕστερον οὐδὲν ἄλλο ἄλλου. περὶ μὲν οὖν τῶν ὑπαρχόντων αὐτῷ τοσαῦτ’ ἔστω διηπορημένα· τί δ’ ἐστὶν ὁ χρόνος καὶ τίς αὐτοῦ ἡ φύσις, ὁμοίως ἔκ τε τῶν παραδεδομένων ἄδηλόν ἐστιν, καὶ περὶ ὧν τυγχάνομεν διεληλυθότες πρότερον. οἱ μὲν γὰρ τὴν τοῦ ὅλου κίνησιν εἶναί φασιν, οἱ δὲ τὴν σφαῖραν αὐτήν. καίτοι τῆς περιφορᾶς καὶ τὸ μέρος χρόνος τίς ἐστι, περιφορὰ δέ γε οὔ· μέρος γὰρ περιφορᾶς τὸ ληφθέν, ἀλλ’ οὐ περιφορά. ἔτι δ’ εἰ πλείους ἦσαν οἱ οὐρανοί, ὁμοίως ἂν ἦν ὁ χρόνος ἡ ὁτουοῦν αὐτῶν κίνησις, ὥστε πολλοὶ χρόνοι ἅμα. ἡ δὲ τοῦ ὅλου σφαῖρα ἔδοξε μὲν τοῖς εἰποῦσιν εἶναι ὁ χρόνος, ὅτι ἔν τε τῷ χρόνῳ πάντα ἐστὶν καὶ ἐν τῇ τοῦ ὅλου σφαίρᾳ· ἔστιν δ’ εὐηθικώτερον τὸ εἰρημένον ἢ ὥστε περὶ αὐτοῦ τὰ ἀδύνατα ἐπισκοπεῖν. ἐπεὶ δὲ δοκεῖ μάλιστα κίνησις εἶναι καὶ μεταβολή τις ὁ χρόνος, τοῦτ’ ἂν εἴη σκεπτέον. ἡ μὲν οὖν ἑκάστου μεταβολὴ καὶ κίνησις ἐν αὐτῷ τῷ μεταβάλλοντι μόνον ἐστίν, ἢ οὗ ἂν τύχῃ ὂν αὐτὸ τὸ κινούμενον καὶ μεταβάλλον· ὁ δὲ χρόνος ὁμοίως καὶ πανταχοῦ καὶ παρὰ πᾶσιν. ἔτι δὲ μεταβολὴ μέν ἐστι θάττων καὶ βραδυτέρα, χρόνος δ’ οὐκ ἔστιν· τὸ γὰρ βραδὺ καὶ ταχὺ χρόνῳ ὥρισται, ταχὺ μὲν τὸ ἐν ὀλίγῳ πολὺ κινούμενον, βραδὺ δὲ τὸ ἐν πολλῷ ὀλίγον· ὁ δὲ χρόνος οὐχ ὥρισται χρόνῳ, οὔτε τῷ ποσός τις εἶναι οὔτε τῷ ποιός. ὅτι μὲν τοίνυν οὐκ ἔστιν κίνησις, φανερόν· μηδὲν δὲ διαφερέτω λέγειν ἡμῖν ἐν τῷ παρόντι κίνησιν ἢ μεταβολήν.



Buch IV · Kapitel 10

177

kann es nicht. Denn nichts Teilbares und Begrenztes, sei es in eine einzige oder in mehrere Richtungen kontinuierlich ausgedehnt, hat nur eine einzige Grenze. Aber das Jetzt ist Grenze, und man kann eine begrenzte Zeit herausgreifen. a25 Ferner: Zeitlich zugleich zu sein und weder früher noch später, heißt: in enem und demselben Jetzt zu sein. Wenn aber das früher und das später [Geschehene] in diesem bestimmten Jetzt ist, dann wäre das vor zehntausend Jahren Geschehene zugleich mit dem heute Geschehenen, und es käme gar nicht vor, dass eines früher oder später als das andere ist. a30 So weit seien die Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Merkmale durchgegangen. Was aber die Zeit ist und was ihre Natur ist, ist aus den überlieferten [Expertenmeinungen] und ebenso aus unse­ ren früheren gelegentlichen Erörterungen nicht klar ersichtlich. a33 Manche behaupten, die Zeit sei die Bewegung des Weltganzen, an­ dere, sie sei die [Welt]kugel selbst. Freilich ist auch der Teil des Umlaufs eine bestimmte Zeit, aber kein Umlauf. Denn Teil des Umlaufs ist, was immer man herausgreift; und das ist aber kein Um­ lauf. Ferner: Wären die Himmel mehrere, dann wäre die Zeit glei­ chermaßen die Bewegung jedes beliebigen von ihnen, so dass viele Zeiten zugleich wären. b5 Die Weltkugel wurde von denen, die das sagen, deshalb für die Zeit gehalten, weil alles in der Zeit und in der Weltkugel ist. Diese Behauptung ist aber zu einfältig, als dass man auf die mit ihr verbundenen Unmöglichkeiten eingehen müsste. b9 Da die Zeit vor allem für irgendeine Bewegung und Änderung ge­ halten wird, ist wohl auch dies zu betrachten. Nun ist die jeweilige Änderung und Bewegung nur in dem, was sich ändert; oder sie ist eben dort, wo das, was sich bewegt und ändert, sein mag. Die Zeit aber ist gleichermaßen überall und bei allem. b13 Ferner ist eine Änderung schneller und langsamer, die Zeit aber nicht. Denn das Langsame und Schnelle wird durch Zeit bestimmt: Schnell ist, was sich in wenig Zeit um Vieles, langsam, was sich in viel Zeit um We­ niges bewegt. Aber die Zeit wird nicht durch Zeit bestimmt, weder dadurch, dass diese soundso viel, noch dadurch, dass sie soundso beschaffen ist. b18 Dass die Zeit somit keine Bewegung ist, ist offenkundig; hier soll es keinen Unterschied machen, ob wir von Bewegung oder Ände­ rung sprechen.

178 ∆ 11 · 218 b 21 – 219 a 16

25

30

219a1

5

10 10

15

11. Ἀλλὰ μὴν οὐδ’ ἄνευ γε μεταβολῆς· ὅταν γὰρ μηδὲν αὐτοὶ μεταβάλλωμεν τὴν διάνοιαν ἢ λάθωμεν μεταβάλλοντες, οὐ δοκεῖ ἡμῖν γεγονέναι χρόνος, καθάπερ οὐδὲ τοῖς ἐν Σαρδοῖ μυθολογουμένοις καθεύδειν παρὰ τοῖς ἥρωσιν, ὅταν ἐγερθῶσι· συνάπτουσι γὰρ τῷ πρότερον νῦν τὸ ὕστερον νῦν καὶ ἓν ποιοῦσιν, ἐξαιροῦντες διὰ τὴν ἀναισθησίαν τὸ μεταξύ. ὥσπερ οὖν εἰ μὴ ἦν ἕτερον τὸ νῦν ἀλλὰ ταὐτὸ καὶ ἕν, οὐκ ἂν ἦν χρόνος, οὕτως καὶ ἐπεὶ λανθάνει ἕτερον ὄν, οὐ δοκεῖ εἶναι τὸ μεταξὺ χρόνος. εἰ δὴ τὸ μὴ οἴεσθαι εἶναι χρόνον τότε συμβαίνει ἡμῖν, ὅταν μὴ ὁρίσωμεν μηδεμίαν μεταβολήν, ἀλλ’ ἐν ἑνὶ καὶ ἀδιαιρέτῳ φαίνηται ἡ ψυχὴ μένειν, ὅταν δ’ αἰσθώμεθα καὶ ὁρίσωμεν, τότε φαμὲν γεγονέναι χρόνον, φανερὸν ὅτι οὐκ ἔστιν ἄνευ κινήσεως καὶ μεταβολῆς χρόνος. ὅτι μὲν οὖν οὔτε κίνησις οὔτ’ ἄνευ κινήσεως ὁ χρόνος ἐστί, φανερόν· ληπτέον δέ, ἐπεὶ ζητοῦμεν τί ἐστιν ὁ χρόνος, ἐντεῦθεν ἀρχομένοις, τί τῆς κινήσεώς ἐστιν. ἅμα γὰρ κινήσεως αἰσθανόμεθα καὶ χρόνου· καὶ γὰρ ἐὰν ᾖ σκότος καὶ μηδὲν διὰ τοῦ σώματος πάσχωμεν, κίνησις δέ τις ἐν τῇ ψυχῇ ἐνῇ, εὐθὺς ἅμα δοκεῖ τις γεγονέναι καὶ χρόνος. ἀλλὰ μὴν καὶ ὅταν γε χρόνος δοκῇ γεγονέναι τις, ἅμα καὶ κίνησίς τις δοκεῖ γεγονέναι. ὥστε ἤτοι κίνησις ἢ τῆς κινήσεώς τί ἐστιν ὁ χρόνος. ἐπεὶ οὖν οὐ κίνησις, ἀνάγκη τῆς κινήσεώς τι εἶναι αὐτόν. ἐπεὶ δὲ τὸ κινούμενον κινεῖται ἔκ τινος εἴς τι καὶ πᾶν μέγεθος συνεχές, ἀκολουθεῖ τῷ μεγέθει ἡ κίνησις· διὰ γὰρ τὸ τὸ μέγεθος εἶναι συνεχὲς καὶ ἡ κίνησίς ἐστιν συνεχής, διὰ δὲ τὴν κίνησιν ὁ χρόνος· ὅση γὰρ ἡ κίνησις, τοσοῦτος καὶ ὁ χρόνος αἰεὶ δοκεῖ γεγονέναι. τὸ δὴ πρότερον καὶ ὕστερον ἐν τόπῳ πρῶτόν ἐστιν. ἐνταῦθα μὲν δὴ τῇ θέσει· ἐπεὶ δ’ ἐν τῷ μεγέθει ἔστι τὸ πρότερον καὶ ὕστερον,



Buch IV · Kapitel 11

179

11.  Aber gewiss [gibt es die Zeit] auch nicht ohne Änderung. Denn 218b21 wenn sich in unserem Bewusstsein nichts ändert oder uns die Än­ derung unbemerkt bleibt, dann scheint uns auch keine Zeit ver­ gangen zu sein. b23 Ebenso wenig wie in der sardischen Erzählung von den Schläfern im Heroengrab: Beim Erwachen verbinden sie mit dem früheren Jetzt das spätere Jetzt und machen daraus enes; das Dazwischenliegende lassen sie wegen ihrer Wahrnehmungs­ losigkeit aus. Wäre das Jetzt kein anderes, sondern dasselbe und enes, dann wäre auch keine Zeit. Ebenso scheint auch, da unbe­ merkt bleibt, dass das Jetzt ein anderes ist, das Dazwischenliegende keine Zeit zu sein. b29 Zu glauben, dass keine Zeit sei, ergibt sich für uns eben dann, wenn wir keine Änderung abgrenzen, sondern die Seele in etwas Einheitlichem und Ungeteiltem zu verharren scheint; wenn wir aber [eine Änderung] wahrnehmen und abgrenzen, dann behaupten wir, es sei Zeit vergangen. Daher ist offenkundig, dass ohne Bewegung und Änderung keine Zeit ist. a1 Offenkundig ist die Zeit somit weder Bewegung noch [ist sie] ohne Bewegung. Da wir aber danach forschen, was die Zeit ist, haben wir sie von die­ sem Ausgangspunkt her zu fassen: was sie an der Bewegung ist. Denn wir werden zugleich der Bewegung und der Zeit gewahr. Und wenn es dunkel ist und uns nichts durch den Leib geschieht, aber in der Seele irgendeine Bewegung ist, dann haben wir direkt den Eindruck, es sei zugleich auch eine gewisse Zeit vergangen. Und wenn wir umgekehrt den Eindruck haben, es sei eine gewisse Zeit vergangen, dann haben wir auch den Eindruck, es habe zugleich irgendeine Bewegung stattgefunden. a8 Somit ist die Zeit entweder Bewegung oder etwas an der Bewegung. Und da sie keine Bewe­ gung ist, muss sie etwas an der Bewegung sein. a10 Was sich bewegt, bewegt sich aus einem Anfangszustand in einen Endzustand, und jede [sc. somit zurückgelegte] Größe ist kontinu­ ierlich ausgedehnt. Daher folgt die Bewegung der Größe. Weil die Größe kontinuierlich ausgedehnt ist, ist auch die Bewegung konti­ nuierlich ausgedehnt, und wegen der Bewegung die Zeit. Denn wie viel Bewegung stattgefunden hat, so viel Zeit hält man stets auch für vergangen. a14 Dabei ist das Früher-Später zuerst im Ort. Dort handelt es sich um eine Lagebeziehung. Und da das Früher-Später in der Größe [d. h. bei einer Ortsveränderung: im Ort] ist, muss das

180 ∆ 11 · 219 a 17 – 219 b 13

20

25

30

219b1

5

10

ἀνάγκη καὶ ἐν κινήσει εἶναι τὸ πρότερον καὶ ὕστερον, ἀνάλογον τοῖς ἐκεῖ. ἀλλὰ μὴν καὶ ἐν χρόνῳ ἔστιν τὸ πρότερον καὶ ὕστερον διὰ τὸ ἀκολουθεῖν ἀεὶ θατέρῳ θάτερον αὐτῶν. ἔστι δὲ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον ἐν τῇ κινήσει ὃ μέν ποτε ὂν κίνησις ἐστιν· τὸ μέντοι εἶναι αὐτῷ ἕτερον καὶ οὐ κίνησις. ἀλλὰ μὴν καὶ τὸν χρόνον γε γνωρίζομεν ὅταν ὁρίσωμεν τὴν κίνησιν, τῷ πρότερον καὶ ὕστερον ὁρίζοντες· καὶ τότε φαμὲν γεγονέναι χρόνον, ὅταν τοῦ προτέρου καὶ ὑστέρου ἐν τῇ κινήσει αἴσθησιν λάβωμεν. ὁρίζομεν δὲ τῷ ἄλλο καὶ ἄλλο ὑπολαβεῖν αὐτό, καὶ μεταξύ τι αὐτῶν ἕτερον· ὅταν γὰρ ἕτερα τὰ ἄκρα τοῦ μέσου νοήσωμεν, καὶ δύο εἴπῃ ἡ ψυχὴ τὰ νῦν, τὸ μὲν πρότερον τὸ δ’ ὕστερον, τότε καὶ τοῦτό φαμεν εἶναι χρόνον· τὸ γὰρ ὁριζόμενον τῷ νῦν χρόνος εἶναι δοκεῖ· καὶ ὑποκείσθω. ὅταν μὲν οὖν ὡς ἓν τὸ νῦν αἰσθανώμεθα, καὶ μὴ ἤτοι ὡς πρότερον καὶ ὕστερον ἐν τῇ κινήσει ἢ ὡς τὸ αὐτὸ μὲν προτέρου δὲ καὶ ὑστέρου τινός, οὐ δοκεῖ χρόνος γεγονέναι οὐδείς, ὅτι οὐδὲ κίνησις. ὅταν δὲ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον, τότε λέγομεν χρόνον· τοῦτο γάρ ἐστιν ὁ χρόνος, ἀριθμὸς κινήσεως κατὰ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον. οὐκ ἄρα κίνησις ὁ χρόνος ἀλλ’ ᾗ ἀριθμὸν ἔχει ἡ κίνησις. σημεῖον δέ· τὸ μὲν γὰρ πλεῖον καὶ ἔλαττον κρίνομεν ἀριθμῷ, κίνησιν δὲ πλείω καὶ ἐλάττω χρόνῳ· ἀριθμὸς ἄρα τις ὁ χρόνος. ἐπεὶ δ’ ἀριθμός ἐστι διχῶς (καὶ γὰρ τὸ ἀριθμούμενον καὶ τὸ ἀριθμητὸν ἀριθμὸν λέγομεν, καὶ ᾧ ἀριθμοῦμεν), ὁ δὴ χρόνος ἐστὶν τὸ ἀριθμούμενον καὶ οὐχ ᾧ ἀριθμοῦμεν. ἔστι δ’ ἕτερον ᾧ ἀριθμοῦμεν καὶ τὸ ἀριθμούμενον. καὶ ὥσπερ ἡ κίνησις αἰεὶ ἄλλη καὶ ἄλλη, καὶ ὁ χρόνος (ὁ δ’ ἅμα πᾶς χρόνος ὁ αὐτός· τὸ γὰρ νῦν τὸ αὐτὸ ὅ ποτ’ ἦν—τὸ δ’ εἶναι αὐτῷ ἕτερον—τὸ δὲ νῦν τὸν χρόνον μετρεῖ, ᾗ πρότερον καὶ ὕστερον). τὸ δὲ νῦν ἔστι μὲν ὡς τὸ αὐτό, ἔστι δ’ ὡς οὐ τὸ αὐτό· ᾗ μὲν γὰρ ἐν ἄλλῳ

20–21 Ross: ὃ μέν ποτε ὂν κίνησις [ἐστιν].  26 Ross: αὐτό. Vgl. Anm. zu 219a22–30  12 Ross: τὸν χρόνον ὁρίζει. Vgl. Anm. zu 219b10–12.



Buch IV · Kapitel 11

181

Früher-Später auch in der Bewegung sein, isomorph demjenigen in der Größe. Aber auch in der Zeit ist das Früher-Später, da im­ mer das eine dem anderen folgt. a19 Das Früher-Später in der Be­ wegung ist, was bei beliebiger Gelegenheit zu sein die Bewegung ausmacht. Aber was sein eigenes Sein ausmacht, ist ein anderes und nicht Bewegung. Aber auch die Zeit erkennen wir, wenn wir die Be­ wegung abgrenzen, und zwar indem wir sie mit dem Früher-Später abgrenzen. Und wir behaupten eben dann, es sei Zeit vergangen, wenn wir des Früher-Später in der Bewegung gewahr werden. a25 Wir grenzen, indem wir ein [Jetzt] und noch ein anderes aufgreifen, es [d. h. das Früher-Später] ab sowie dazwischen etwas von beiden Verschiedenes. Denn wenn wir die Enden als von der Mitte ver­ schieden erfassen und die Seele sagt, die Jetzt seien zwei, ein frü­ heres und ein späteres, dann behaupten wir auch, diese [d. h. die Mitte] sei Zeit. Denn was durch das Jetzt begrenzt ist, scheint Zeit zu sein (was hiermit zugrunde gelegt sei). a30 Wenn wir das Jetzt als enes wahrnehmen – und nicht als früheres und späteres [Jetzt] in der Bewegung oder zwar als dasselbe, aber zu etwas Früherem und Späterem gehörig –, dann scheint, weil keine Bewegung, auch keine Zeit vergangen zu sein. Wenn aber als früheres und späteres, dann sprechen wir von Zeit. b1 Denn dies ist die Zeit: Zahl der Bewegung gemäß dem FrüherSpäter. Die Zeit ist also nicht Bewegung, sondern [sie ist] insofern, als die Bewegung Zahl hat. Ein Zeichen dafür ist, dass wir das Mehr und Weniger nach der Zahl und das Mehr und Weniger an Bewegung nach der Zeit beurteilen. Die Zeit ist also eine Art Zahl. b5 Zahl gibt es auf zwei Weisen. Denn »Zahl« nennen wir einer­ seits das Gezählte und Zählbare, andererseits das, womit wir zäh­ len. Dabei ist die Zeit das Gezählte und nicht das, womit wir zählen. Und das, womit wir zählen, ist etwas anderes als das Gezählte. b9 Und wie die Bewegung immer wieder eine andere ist, so auch die Zeit. – Die gesamte Zeit zusammengenommen ist freilich dieselbe. Denn das Jetzt ist dasselbe wie, was es bei beliebiger Gelegenheit war. Aber was sein eigenes Sein ausmacht, ist unterschiedlich; und das Jetzt misst die Zeit ab, indem es ein früheres und späteres ist. b12 Das Jetzt ist einerseits dasselbe, andererseits nicht dasselbe. Sofern es nämlich immer wieder in einem anderen ist, ist es verschieden;

182 ∆ 11 · 219 b 14 – 220 a 7

15

20

25

30

33 33 220 a1

5

καὶ ἄλλῳ, ἕτερον (τοῦτο δ’ ἦν αὐτῷ τὸ νῦν 〈εἶναι〉), ὃ δέ ποτε ὄν ἐστι τὸ νῦν, τὸ αὐτό. ἀκολουθεῖ γάρ, ὡς ἐλέχθη, τῷ μὲν μεγέθει ἡ κίνησις, ταύτῃ δ’ ὁ χρόνος, ὥς φαμεν· καὶ ὁμοίως δὴ τῇ στιγμῇ τὸ φερόμενον, ᾧ τὴν κίνησιν γνωρίζομεν καὶ τὸ πρότερον ἐν αὐτῇ καὶ τὸ ὕστερον. τοῦτο δὲ ὃ μέν ποτε ὂν τὸ αὐτό (ἢ στιγμὴ γὰρ ἢ λίθος ἤ τι ἄλλο τοιοῦτόν ἐστι), τῷ λόγῳ δὲ ἄλλο, ὥσπερ οἱ σοφισταὶ λαμβάνουσιν ἕτερον τὸ Κορίσκον ἐν Λυκείῳ εἶναι καὶ τὸ Κορίσκον ἐν ἀγορᾷ. καὶ τοῦτο δὴ τῷ ἄλλοθι καὶ ἄλλοθι εἶναι ἕτερον· τῷ δὲ φερομένῳ ἀκολουθεῖ τὸ νῦν, ὥσπερ ὁ χρόνος τῇ κινήσει (τῷ γὰρ φερομένῳ γνωρίζομεν τὸ πρότερον καὶ ὕστερον ἐν κινήσει, ᾗ δ’ ἀριθμητὸν τὸ πρότερον καὶ ὕστερον, τὸ νῦν ἔστιν)· ὥστε καὶ ἐν τούτοις ὃ μέν ποτε ὂν νῦν ἐστι, τὸ αὐτό (τὸ πρότερον γὰρ καὶ ὕστερόν ἐστι τὸ ἐν κινήσει), τὸ δ’ εἶναι ἕτερον (ᾗ ἀριθμητὸν γὰρ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον, τὸ νῦν ἔστιν). καὶ γνώριμον δὲ μάλιστα τοῦτ’ ἔστιν· καὶ γὰρ ἡ κίνησις διὰ τὸ κινούμενον καὶ ἡ φορὰ διὰ τὸ φερόμενον· τόδε γάρ τι τὸ φερόμενον, ἡ δὲ κίνησις οὔ. ἔστι μὲν οὖν ὡς τὸ αὐτὸ τὸ νῦν αἰεί, ἔστι δ’ ὡς οὐ τὸ αὐτό· καὶ γὰρ τὸ φερόμενον. φανερὸν δὲ καὶ ὅτι εἴτε χρόνος μὴ εἴη, τὸ νῦν οὐκ ἂν εἴη, εἴτε τὸ νῦν μὴ εἴη, χρόνος οὐκ ἂν εἴη· ἅμα γὰρ ὥσπερ τὸ φερόμενον καὶ ἡ φορά, οὕτως καὶ ὁ ἀριθμὸς ὁ τοῦ φερομένου καὶ ὁ τῆς φορᾶς. χρόνος μὲν γὰρ ὁ τῆς φορᾶς ἀριθμός, τὸ νῦν δὲ ὡς τὸ φερόμενον, οἷον μονὰς ἀριθμοῦ. καὶ συνεχής τε δὴ ὁ χρόνος τῷ νῦν, καὶ διῄρηται κατὰ τὸ νῦν· ἀκολουθεῖ γὰρ καὶ τοῦτο τῇ φορᾷ καὶ τῷ φερομένῳ. καὶ γὰρ ἡ κίνησις καὶ ἡ φορὰ μία τῷ φερομένῳ, ὅτι ἕν (καὶ



Buch IV · Kapitel 11

183

denn das hieß es für es, jetzt zu sein. Aber was bei beliebiger Ge­ legenheit zu sein das Jetzt ausmacht, ist [immer] dasselbe. b15 Der Größe folgt, wie gesagt, die Bewegung und dieser, wie wir behaupten, die Zeit; und ebenso dem Punkt der transportierte Ge­ genstand, an dem wir die Bewegung, und in ihr das Frühere und das Spätere, erkennen. b18 Als das, was er bei beliebiger Gelegen­ heit ist, ist dieser dasselbe (denn er ist Punkt oder Stein oder sonst etwas dergleichen); aber in dem, was ihn jeweils kennzeichnet, ist er verschieden – wie die Sophisten annehmen, dass Koriskos-imLykeion ein anderer ist als Koriskos-in-der-Agora. Das heißt, er ist dadurch verschieden, dass er immer wieder anderswo ist. b22 Dem transportierten Gegenstand folgt das Jetzt, wie die Zeit der Bewe­ gung. Denn wir erkennen das Frühere und Spätere in der Bewegung anhand des transportierten Gegenstandes; und gerade insofern, als das Frühere und Spätere zählbar ist, ist das Jetzt.b26 Daher gilt auch hierbei: Was bei beliebiger Gelegenheit zu sein es [d. h. das Jetzt] als das Jetzt charakterisiert, ist dasselbe (nämlich das Frühere und Spätere in der Bewegung); aber sein Sein ist ein anderes, denn ge­ rade insofern, als das Frühere und Spätere zählbar ist, ist das Jetzt. b29 Und dies ist am besten kenntlich. Denn die Bewegung ist [sc. kenntlich] durch den Gegenstand, der sich bewegt, und der Trans­ port durch den transportierten Gegenstand; der transportierte Gegenstand ist ja ein wohlbestimmtes Ding, die Bewegung nicht. Somit trifft es einerseits zu, dass das Jetzt immer dasselbe ist, und andererseits, dass es nicht dasselbe ist. Denn ebenso verhält es sich mit dem transportierten Gegenstand. b33 Offenkundig ist auch: Gäbe es keine Zeit, dann auch nicht das Jetzt; und gäbe es das Jetzt nicht, dann auch keine Zeit. Denn zu­ gleich sind, wie der transportierte Gegenstand und der Transport, so auch die Zahl am transportierten Gegenstand und am Transport. Denn Zeit ist die Zahl am Transport; das Jetzt entspricht dem trans­ portierten Gegenstand, gleichsam als zur Zahl gehörige Einheit. a4 Die Zeit ist einerseits im Jetzt kontinuierlich zusammenhängend, andererseits beim Jetzt geteilt; sie folgt auch hierin dem Transport und dem transportierten Gegenstand. Denn die Bewegung ist ene und der Transport ist ener durch den transportierten Gegenstand, weil dieser ener ist, und zwar nicht nur als bei beliebiger Gelegen­

184 ∆ 12 · 220 a 8 – 220 b 5

10

15

20

25

30 32 32 220 b1

5

οὐχ ὅ ποτε ὄν—καὶ γὰρ ἂν διαλίποι—ἀλλὰ τῷ λόγῳ)· καὶ ὁρίζει δὲ τὴν πρότερον καὶ ὕστερον κίνησιν τοῦτο. ἀκολουθεῖ δὲ καὶ τοῦτό πως τῇ στιγμῇ· καὶ γὰρ ἡ στιγμὴ καὶ συνέχει τὸ μῆκος καὶ ὁρίζει· ἔστι γὰρ τοῦ μὲν ἀρχὴ τοῦ δὲ τελευτή. ἀλλ’ ὅταν μὲν οὕτω λαμβάνῃ τις ὡς δυσὶ χρώμενος τῇ μιᾷ, ἀνάγκη ἵστασθαι, εἰ ἔσται ἀρχὴ καὶ τελευτὴ ἡ αὐτὴ στιγμή· τὸ δὲ νῦν διὰ τὸ κινεῖσθαι τὸ φερόμενον αἰεὶ ἕτερον. ὥσθ’ ὁ χρόνος ἀριθμὸς οὐχ ὡς τῆς αὐτῆς στιγμῆς, ὅτι ἀρχὴ καὶ τελευτή, ἀλλ’ ὡς τὰ ἔσχατα τῆς γραμμῆς μᾶλλον—καὶ οὐχ ὡς τὰ μέρη, διά τε τὸ εἰρημένον (τῇ γὰρ μέσῃ στιγμῇ ὡς δυσὶ χρήσεται, ὥστε ἠρεμεῖν συμβήσεται), καὶ ἔτι φανερὸν ὅτι οὐδὲν μόριον τὸ νῦν τοῦ χρόνου, οὐδ’ ἡ διαίρεσις τῆς κινήσεως, ὥσπερ οὐδ’ ἡ στιγμὴ τῆς γραμμῆς· αἱ δὲ γραμμαὶ αἱ δύο τῆς μιᾶς μόρια. ᾗ μὲν οὖν πέρας τὸ νῦν, οὐ χρόνος, ἀλλὰ συμβέβηκεν· ᾗ δ’ ἀριθμεῖ, ἀριθμός· τὰ μὲν γὰρ πέρατα ἐκείνου μόνον ἐστὶν οὗ ἐστιν πέρατα, ὁ δ’ ἀριθμὸς ὁ τῶνδε τῶν ἵππων, ἡ δεκάς, καὶ ἄλλοθι. ὅτι μὲν τοίνυν ὁ χρόνος ἀριθμός ἐστιν κινήσεως κατὰ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον, καὶ συνεχής (συνεχοῦς γάρ), φανερόν. 12. Ἐλάχιστος δὲ ἀριθμὸς ὁ μὲν ἁπλῶς ἐστὶν ἡ δυάς· τὶς δὲ ἀριθμὸς ἔστι μὲν ὡς ἔστιν, ἔστι δ’ ὡς οὐκ ἔστιν, οἷον γραμμῆς ἐλάχιστος πλήθει μέν ἐστιν αἱ δύο ἢ ἡ μία, μεγέθει δ’ οὐκ ἔστιν ἐλάχιστος· ἀεὶ γὰρ διαιρεῖται πᾶσα γραμμή. ὥστε ὁμοίως καὶ χρόνος· ἐλάχιστος γὰρ κατὰ μὲν ἀριθμόν ἐστιν ὁ εἷς ἢ οἱ δύο, κατὰ μέγεθος δ’ οὐκ ἔστιν. φανερὸν δὲ καὶ ὅτι ταχὺς μὲν καὶ βραδὺς οὐ λέγεται, πολὺς δὲ καὶ ὀλίγος καὶ μακρὸς καὶ βραχύς. ᾗ μὲν γὰρ συνεχής, μακρὸς καὶ βραχύς, ᾗ δὲ ἀριθμός, πολὺς καὶ ὀλίγος. ταχὺς δὲ καὶ βραδὺς οὐκ ἔστιν· οὐδὲ γὰρ ἀριθμὸς ᾗ ἀριθμοῦμεν ταχὺς καὶ βραδὺς οὐδείς.

21–22 Die crux bei Ross (†ᾗ μὲν … ἀριθμός†) ist unnötig.



Buch IV · Kapitel 12

185

heit seiend (denn das schließt Lücken nicht aus), sondern in dem, was ihn [als transportierten Gegenstand] kennzeichnet. Und die­ ser [d. i. der Gegenstand an einer bestimmten Zwischenposition] begrenzt den früheren und den späteren Abschnitt der Bewegung [gegeneinander]. a9 Dabei folgt auch er gewissermaßen dem Punkt. Denn auch der Punkt hält die Größe zusammen und grenzt sie ab; denn er ist Anfang des einen und Ende des anderen Teils. Aber wenn man ihn so nimmt, dass ener als zweie fungiert, dann muss der Gegenstand stillstehen – wenn nämlich derselbe Punkt als Aus­ gangspunkt und als Endpunkt [je einer Bewegung] fungieren soll. Das Jetzt ist aber dadurch, dass der transportierte Gegenstand in Bewegung ist, immer ein anderes. a14 Zahl der Bewegung ist die Zeit daher nicht wie die Zahl desselben Punktes, soweit dieser An­ fang und Ende ist, sondern eher wie die Enden der Linie [deren Zahl sind]; und nicht wie die Teile – erstens aus besagtem Grund (denn dann würde der mittlere Punkt als zweie fungieren und es er­ gäbe sich, dass [der transportierte Gegenstand] stillsteht), und zwei­ tens ist offensichtlich, dass das Jetzt kein Teil der Zeit ist und der Zwischenzustand kein Teil der Bewegung, wie ja auch der Punkt kein Teil der Linie ist: Teile der einen Linie sind die zwei Linien. a21 Soweit das Jetzt Grenze ist, ist es nicht Zeit, sondern das ergibt sich zusätzlich; soweit es zählt, ist es Zahl. Die Grenzen sind es nur von dem, dessen Grenzen sie sind; aber die Zahl dieser Pferde, die Zehn, ist auch anderswo. a24 Offenkundig ist somit, dass die Zeit Zahl der Bewegung gemäß dem Früher-Später ist und dass sie kontinuierlich ausgedehnt ist, da zu kontinuierlich Ausgedehntem gehörig. 12.  Kleinste unbenannte Zahl ist die Zwei; [eine kleinste] benannte 220a27 Zahl kann es geben oder auch nicht – z. B. bei einer Linie: Für die Anzahl ist das Minimum Zwei oder Eins. Für die Größe gibt es keine Zahl, die ein Minimum angibt, denn jede Linie wird stets geteilt. Ebenso ist das Minimum an Zeit der Zahl nach Eins oder Zwei; der Größe nach gibt es keines. a32 Offensichtlich wird [sc. von der Zeit] nicht gesagt, sie sei schnell und langsam, wohl aber viel und wenig und lang und kurz: als kontinuierlich, lang und kurz; als Zahl, viel und wenig. Hingegen ist sie nicht schnell oder langsam,

186 ∆ 12 · 220 b 5 – 221 a 5 5

10

15

20

25

30 32 32 221a1

5

καὶ ὁ αὐτὸς δὲ πανταχοῦ ἅμα· πρότερον δὲ καὶ ὕστερον οὐχ ὁ αὐτός, ὅτι καὶ ἡ μεταβολὴ ἡ μὲν παροῦσα μία, ἡ δὲ γεγενημένη καὶ ἡ μέλλουσα ἑτέρα, ὁ δὲ χρόνος ἀριθμός ἐστιν οὐχ ᾧ ἀριθμοῦμεν ἀλλ’ ὁ ἀριθμούμενος, οὗτος δὲ συμβαίνει πρότερον καὶ ὕστερον ἀεὶ ἕτερος· τὰ γὰρ νῦν ἕτερα. ἔστι δὲ ὁ ἀριθμὸς εἷς μὲν καὶ ὁ αὐτὸς ὁ τῶν ἑκατὸν ἵππων καὶ ὁ τῶν ἑκατὸν ἀνθρώπων, ὧν δ’ ἀριθμός, ἕτερα, οἱ ἵπποι τῶν ἀνθρώπων. ἔτι ὡς ἐνδέχεται κίνησιν εἶναι τὴν αὐτὴν καὶ μίαν πάλιν καὶ πάλιν, οὕτω καὶ χρόνον, οἷον ἐνιαυτὸν ἢ ἔαρ ἢ μετόπωρον. οὐ μόνον δὲ τὴν κίνησιν τῷ χρόνῳ μετροῦμεν, ἀλλὰ καὶ τῇ κινήσει τὸν χρόνον διὰ τὸ ὁρίζεσθαι ὑπ’ ἀλλήλων· ὁ μὲν γὰρ χρόνος ὁρίζει τὴν κίνησιν ἀριθμὸς ὢν αὐτῆς, ἡ δὲ κίνησις τὸν χρόνον. καὶ λέγομεν πολὺν καὶ ὀλίγον χρόνον τῇ κινήσει μετροῦντες, καθάπερ καὶ τῷ ἀριθμητῷ τὸν ἀριθμόν, οἷον τῷ ἑνὶ ἵππῳ τὸν τῶν ἵππων ἀριθμόν. τῷ μὲν γὰρ ἀριθμῷ τὸ τῶν ἵππων πλῆθος γνωρίζομεν, πάλιν δὲ τῷ ἑνὶ ἵππῳ τὸν τῶν ἵππων ἀριθμὸν αὐτόν. ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τοῦ χρόνου καὶ τῆς κινήσεως· τῷ μὲν γὰρ χρόνῳ τὴν κίνησιν, τῇ δὲ κινήσει τὸν χρόνον μετροῦμεν. καὶ τοῦτ’ εὐλόγως συμβέβηκεν· ἀκολουθεῖ γὰρ τῷ μὲν μεγέθει ἡ κίνησις, τῇ δὲ κινήσει ὁ χρόνος, τῷ καὶ ποσὰ καὶ συνεχῆ καὶ διαιρετὰ εἶναι· διὰ μὲν γὰρ τὸ τὸ μέγεθος εἶναι τοιοῦτον ἡ κίνησις ταῦτα πέπονθεν, διὰ δὲ τὴν κίνησιν ὁ χρόνος. καὶ μετροῦμεν καὶ τὸ μέγεθος τῇ κινήσει καὶ τὴν κίνησιν τῷ μεγέθει· πολλὴν γὰρ εἶναί φαμεν τὴν ὁδόν, ἂν ἡ πορεία πολλή, καὶ ταύτην πολλήν, ἂν ἡ ὁδὸς [ᾖ] πολλή· καὶ τὸν χρόνον, ἂν ἡ κίνησις, καὶ τὴν κίνησιν, ἂν ὁ χρόνος. ἐπεὶ δ’ ἐστὶν ὁ χρόνος μέτρον κινήσεως καὶ τοῦ κινεῖσθαι, μετρεῖ δ’ οὗτος τὴν κίνησιν τῷ ὁρίσαι τινὰ κίνησιν ἣ καταμετρήσει τὴν ὅλην (ὥσπερ καὶ τὸ μῆκος ὁ πῆχυς τῷ ὁρίσαι τι μέγεθος ὃ ἀναμετρήσει τὸ ὅλον), καὶ ἔστιν τῇ κινήσει τὸ ἐν χρόνῳ εἶναι τὸ μετρεῖσθαι τῷ χρόνῳ καὶ αὐτὴν καὶ τὸ εἶναι αὐτῆς (ἅμα γὰρ τὴν κί-



Buch IV · Kapitel 12

187

denn keine Zahl ist, indem wir zählen, schnell oder langsam. b5 Und [die Zeit] ist überall zugleich dieselbe, aber nacheinander nicht dieselbe. Denn auch die gegenwärtige Änderung ist Eine, aber die vergangene und die künftige sind andere; und die Zeit ist nicht die Zahl, mit der wir zählen, sondern die gezählte: Diese ergibt sich früher und später immer als eine andere, denn die [sc. gezählten] Jetzt sind andere. Hingegen ist die Zahl der hundert Pferde und der hundert Menschen eine und dieselbe; nur wovon sie die Zahl ist, ist verschieden: Pferde bzw. Menschen. b12 Ferner: Wie eine Bewegung immer wieder dieselbe und ene sein kann, so auch die Zeit, z. B. ein Jahr oder Frühling oder Herbst. b14 Wir messen nicht nur die Bewegung mit der Zeit, sondern auch mit der Bewegung die Zeit, da sie durch einander abgegrenzt wer­ den. Denn die Zeit grenzt die Bewegung ab, indem sie deren Zahl ist, und die Bewegung die Zeit. b18 Und wir sagen, die Zeit sei viel bzw. wenig, indem wir sie mit der Bewegung messen: in derselben Weise wie mit dem Zählbaren die Zahl, z. B. mit dem enen Pferd die Zahl der Pferde. Denn wir erkennen mit der Zahl die Anzahl der Pferde, aber umgekehrt mit dem enen Pferd diese Zahl selbst. Ebenso bei Zeit und Bewegung: Wir messen mit der Zeit die Bewe­ gung und mit der Bewegung die Zeit. b24 Und dies hat sich vernünfti­ gerweise ergeben. Denn darin, soundso viel, kontinuierlich und teil­ bar zu sein, folgt der [zurückgelegten] Größe die Bewegung und der Bewegung die Zeit. Denn dadurch, dass die Größe so ist, überträgt sich dies auf die Bewegung und wegen der Bewegung auf die Zeit. b28 Auch messen wir die Größe durch die Bewegung und die Bewe­ gung durch die Größe. Wir sagen, der Weg sei lang, wenn die Reise lang ist; und diese sei lang, wenn der Weg lang ist. Und ebenso die Zeit, wenn die Bewegung, und die Bewegung, wenn die Zeit. b32 Die Zeit ist Maß der Bewegung und des Sich-Bewegens. Und zwar misst sie die Bewegung durch Abgrenzung einer Teilbewe­ gung, welche die ganze Bewegung ausmisst – wie die Elle durch Abgrenzung einer Teilgröße, welche die ganze Größe abmisst. a4 Und für die Bewegung heißt, in einer Zeit zu sein, mit der Zeit ge­ messen zu werden, und zwar sie selbst und ihr Sein; denn [die Zeit] misst zugleich die Bewegung und das Sein der Bewegung. Deshalb heißt, in einer Zeit zu sein, für sie auch dies: dass ihr Sein gemessen

188 ∆ 12 · 221 a 6 – 221 b 3

10

15

20

25

30

221b1

νησιν καὶ τὸ εἶναι τῆς κινήσεως μετρεῖ), καὶ τοῦτ’ ἔστιν αὐτῇ τὸ ἐν χρόνῳ εἶναι, τὸ μετρεῖσθαι αὐτῆς τὸ εἶναι, δῆλον δὲ ὅτι καὶ τοῖς ἄλλοις τοῦτ’ ἔστι τὸ ἐν χρόνῳ εἶναι, τὸ μετρεῖσθαι αὐτῶν τὸ εἶναι ὑπὸ τοῦ χρόνου. τὸ γὰρ ἐν χρόνῳ εἶναι δυοῖν ἐστιν θάτερον, ἓν μὲν τὸ εἶναι τότε ὅτε ὁ χρόνος ἔστιν, ἓν δὲ ὥσπερ ἔνια λέγομεν ὅτι ἐν ἀριθμῷ ἐστιν. τοῦτο δὲ σημαίνει ἤτοι ὡς μέρος ἀριθμοῦ καὶ πάθος, καὶ ὅλως ὅτι τοῦ ἀριθμοῦ τι, ἢ ὅτι ἔστιν αὐτοῦ ἀριθμός. ἐπεὶ δ’ ἀριθμὸς ὁ χρόνος, τὸ μὲν νῦν καὶ τὸ πρότερον καὶ ὅσα τοιαῦτα οὕτως ἐν χρόνῳ ὡς ἐν ἀριθμῷ μονὰς καὶ τὸ περιττὸν καὶ ἄρτιον (τὰ μὲν γὰρ τοῦ ἀριθμοῦ τι, τὰ δὲ τοῦ χρόνου τί ἐστιν)· τὰ δὲ πράγματα ὡς ἐν ἀριθμῷ τῷ χρόνῳ ἐστίν. εἰ δὲ τοῦτο, περιέχεται ὑπὸ χρόνου ὥσπερ καὶ τὰ ἐν τόπῳ ὑπὸ τόπου. φανερὸν δὲ καὶ ὅτι οὐκ ἔστιν τὸ ἐν χρόνῳ εἶναι τὸ εἶναι ὅτε ὁ χρόνος ἔστιν, ὥσπερ οὐδὲ τὸ ἐν κινήσει εἶναι οὐδὲ τὸ ἐν τόπῳ ὅτε ἡ κίνησις καὶ ὁ τόπος ἔστιν. εἰ γὰρ ἔσται τὸ ἔν τινι οὕτω, πάντα τὰ πράγματα ἐν ὁτῳοῦν ἔσται, καὶ ὁ οὐρανὸς ἐν τῇ κέγχρῳ· ὅτε γὰρ ἡ κέγχρος ἔστιν, ἔστι καὶ ὁ οὐρανός. ἀλλὰ τοῦτο μὲν συμβέβηκεν, ἐκεῖνο δ’ ἀνάγκη παρακολουθεῖν, καὶ τῷ ὄντι ἐν χρόνῳ εἶναί τινα χρόνον ὅτε κἀκεῖνο ἔστιν, καὶ τῷ ἐν κινήσει ὄντι εἶναι τότε κίνησιν. ἐπεὶ δέ ἐστιν ὡς ἐν ἀριθμῷ τὸ ἐν χρόνῳ, ληφθήσεταί τις πλείων χρόνος παντὸς τοῦ ἐν χρόνῳ ὄντος· διὸ ἀνάγκη πάντα τὰ ἐν χρόνῳ ὄντα περιέχεσθαι ὑπὸ χρόνου, ὥσπερ καὶ τἆλλα ὅσα ἔν τινί ἐστιν, οἷον τὰ ἐν τόπῳ ὑπὸ τοῦ τόπου. καὶ πάσχει δή τι ὑπὸ τοῦ χρόνου, καθάπερ καὶ λέγειν εἰώθαμεν ὅτι κατατήκει ὁ χρόνος, καὶ γηράσκει πάνθ’ ὑπὸ τοῦ χρόνου, καὶ ἐπιλανθάνεται διὰ τὸν χρόνον, ἀλλ’ οὐ μεμάθηκεν, οὐδὲ νέον γέγονεν οὐδὲ καλόν· φθορᾶς γὰρ αἴτιος καθ’ ἑαυτὸν μᾶλλον ὁ χρόνος· ἀριθμὸς γὰρ κινήσεως, ἡ δὲ κίνησις ἐξίστησιν τὸ ὑπάρχον· ὥστε φανερὸν ὅτι τὰ αἰεὶ 6 Ross schließt die Klammer erst nach αὐτῆς τὸ εἶναι (221a7).  7–8 Ross: δῆλον ὅτι. Vgl. Anm. zu 221a4–9.  18 Ross: ὥσπερ 〈καὶ τὰ ἐν ἀριϑμῷ ὑπ’ ἀριϑμοῦ〉. Vgl. Anm. zu 221a13–18.

Buch IV · Kapitel 12



189

wird. Und es ist klar, dass auch für die anderen Dinge in einer Zeit zu sein heißt, dass ihr Sein durch die Zeit gemessen wird. a9 Denn in einer Zeit zu sein kann zweierlei heißen: erstens, [a] dann zu sein, wenn die Zeit ist; zweitens aber, wie wir von manchem sagen, dass es in einer Zahl ist. Letzteres bedeutet entweder: [b] als Teil oder Eigenschaft der Zahl und überhaupt als etwas an der Zahl; oder [c] dass es von ihm eine Zahl gibt.1 a13 [Zu b]: Da die Zeit Zahl ist, sind das Jetzt und das Früher und dergleichen so in einer Zeit wie die Einheit und das Ungerade und Gerade in der Zahl: diese sind etwas an der Zahl, jene etwas an der Zeit. Hingegen sind die Dinge [gemäß c] in der [jeweiligen] Zeit als einer Zahl. Wenn das so ist, dann sind sie von der Zeit umgeben, wie auch, was in einem Ort ist, vom Ort. a19 [Zu a]: Offensichtlich heißt in einer Zeit zu sein nicht, dann zu sein, wenn die Zeit ist, wie ja auch in einer Bewegung oder in einem Ort zu sein nicht heißt, dann zu sein, wenn die Bewegung bzw. der Ort ist. Denn wenn es das hieße, dann wären alle Dinge in jedem beliebigen – sogar der Himmel in einem Hirsekorn: Dann, wenn das Hirsekorn ist, ist ja auch der Himmel. a23 Dies ist nur auf­ grund zusätzlicher Umstände der Fall. Jenes aber folgt notwendig: [i] zu dem, was in einer Zeit ist, gibt es eine Zeit, zu der es ist, und [ii] zu dem, was in einer Bewegung ist, gibt es zur selben Zeit eine Bewegung. a26 Was in einer Zeit ist, ist dies [im selben Sinne] wie in einer Zahl. Daher lässt sich zu allem, das in einer Zeit ist, auch noch mehr Zeit angeben. Folglich muss alles, was in einer Zeit ist, von der Zeit umgeben sein – wie alles andere, das in etwas ist, z. B. was im Ort ist, vom Ort. a30 Und [was in einer Zeit ist], steht unter einer gewissen Wirkung der Zeit – in dem Sinn, wie wir auch zu sagen pflegen, dass die Zeit verzehrt und dass alles durch die Zeit altert und wegen der Zeit vergisst, aber nichts gelernt hat und nicht neu geworden ist oder schön. Denn die Zeit ist an sich eher ursächlich für die Vernich­ tung. Denn sie ist Zahl der Bewegung und die Bewegung verrückt das Vorhandene. b3 Somit ist offenkundig, dass Immer-Seiendes, als Immer-Seiendes, nicht in einer Zeit ist. Denn weder ist es von Zeit umgeben, noch wird sein Sein durch die Zeit gemessen. Beleg hier­ 1 

Zählung – [a], [b], [c] – in Anlehnung an Hussey 1983, 165 f.

190 ∆ 12 · 221 b 4 – 222 a 4

5

10

15

20

25

30

222a1

ὄντα, ᾗ αἰεὶ ὄντα, οὐκ ἔστιν ἐν χρόνῳ· οὐ γὰρ περιέχεται ὑπὸ χρόνου, οὐδὲ μετρεῖται τὸ εἶναι αὐτῶν ὑπὸ τοῦ χρόνου· σημεῖον δὲ τούτου ὅτι οὐδὲ πάσχει οὐδὲν ὑπὸ τοῦ χρόνου ὡς οὐκ ὄντα ἐν χρόνῳ. ἐπεὶ δ’ ἐστὶν ὁ χρόνος μέτρον κινήσεως, ἔσται καὶ ἠρεμίας μέτρον [κατὰ συμβεβηκός]· πᾶσα γὰρ ἠρεμία ἐν χρόνῳ. οὐ γὰρ ὥσπερ τὸ ἐν κινήσει ὂν ἀνάγκη κινεῖσθαι, οὕτω καὶ τὸ ἐν χρόνῳ· οὐ γὰρ κίνησις ὁ χρόνος, ἀλλ’ ἀριθμὸς κινήσεως, ἐν ἀριθμῷ δὲ κινήσεως ἐνδέχεται εἶναι καὶ τὸ ἠρεμοῦν. οὐ γὰρ πᾶν τὸ ἀκίνητον ἠρεμεῖ, ἀλλὰ τὸ ἐστερημένον κινήσεως πεφυκὸς δὲ κινεῖσθαι, καθάπερ εἴρηται ἐν τοῖς πρότερον. τὸ δ’ εἶναι ἐν ἀριθμῷ ἐστιν τὸ εἶναί τινα ἀριθμὸν τοῦ πράγματος, καὶ μετρεῖσθαι τὸ εἶναι αὐτοῦ τῷ ἀριθμῷ ἐν ᾧ ἐστιν, ὥστ’ εἰ ἐν χρόνῳ, ὑπὸ χρόνου. μετρήσει δ’ ὁ χρόνος τὸ κινούμενον καὶ τὸ ἠρεμοῦν, ᾗ τὸ μὲν κινούμενον τὸ δὲ ἠρεμοῦν· τὴν γὰρ κίνησιν αὐτῶν μετρήσει καὶ τὴν ἠρεμίαν, πόση τις. ὥστε τὸ κινούμενον οὐχ ἁπλῶς ἔσται μετρητὸν ὑπὸ χρόνου, ᾗ ποσόν τί ἐστιν, ἀλλ’ ᾗ ἡ κίνησις αὐτοῦ ποσή. ὥστε ὅσα μήτε κινεῖται μήτ’ ἠρεμεῖ, οὐκ ἔστιν ἐν χρόνῳ· τὸ μὲν γὰρ ἐν χρόνῳ εἶναι τὸ μετρεῖσθαί ἐστι χρόνῳ, ὁ δὲ χρόνος κινήσεως καὶ ἠρεμίας μέτρον. φανερὸν οὖν ὅτι οὐδὲ τὸ μὴ ὂν ἔσται πᾶν ἐν χρόνῳ, οἷον ὅσα μὴ ἐνδέχεται ἄλλως, ὥσπερ τὸ τὴν διάμετρον εἶναι τῇ πλευρᾷ σύμμετρον. ὅλως γάρ, εἰ μέτρον μέν ἐστι κινήσεως ὁ χρόνος καθ’ αὑτό, τῶν δ’ ἄλλων κατὰ συμβεβηκός, δῆλον ὅτι ὧν τὸ εἶναι μετρεῖ, τούτοις ἅπασιν ἔσται τὸ εἶναι ἐν τῷ ἠρεμεῖν ἢ κινεῖσθαι. ὅσα μὲν οὖν φθαρτὰ καὶ γενητὰ καὶ ὅλως ὁτὲ μὲν ὄντα ὁτὲ δὲ μή, ἀνάγκη ἐν χρόνῳ εἶναι (ἔστιν γὰρ χρόνος τις πλείων, ὃς ὑπερέξει τοῦ τε εἶναι αὐτῶν καὶ τοῦ μετροῦντος τὴν οὐσίαν αὐτῶν)· τῶν δὲ μὴ ὄντων ὅσα μὲν περιέχει ὁ χρόνος, τὰ μὲν ἦν, οἷον Ὅμηρός ποτε ἦν, τὰ δὲ ἔσται, οἷον τῶν μελλόντων τι, ἐφ’ ὁπότερα περιέχει· καὶ εἰ ἐπ’ ἄμφω, ἀμφότερα [καὶ ἦν καὶ ἔσται]· ὅσα δὲ μὴ περιέχει μηδαμῇ, οὔτε ἦν οὔτε ἔστιν οὔτε ἔσται. ἔστι δὲ τὰ τοιαῦτα τῶν μὴ ὄντων, ὅσων τἀντικείμενα αἰεὶ ἔστιν, οἷον τὸ



Buch IV · Kapitel 12

191

für ist, dass es unter keinerlei Wirkung der Zeit steht, eben weil es nicht in einer Zeit ist. b7 Da die Zeit Maß der Bewegung ist, wird sie auch Maß der Ruhe sein. Denn jede Ruhe ist in einer Zeit. Zwar muss in Bewegung sein, was in einer Bewegung ist; aber nicht, was in einer Zeit ist. Denn die Zeit ist keine Bewegung, sondern Zahl einer Bewegung, und in der Zahl einer Bewegung kann auch das Ruhende sein. b12 Denn nicht alles ruht, was nicht in Bewegung ist, sondern nur, wie an früherer Stelle gesagt, was die Natur hat, in Bewegung zu sein, wenn gerade keine Bewegung stattfindet. Und in einer Zahl zu sein, heißt, dass das Ding irgendeine Zahl hat und dass sein Sein mit der Zahl ge­ messen wird, in der es ist – ebenso wie, wenn in einer Zeit, durch die Zeit. b16 Die Zeit wird das in Bewegung Befindliche und das Ru­ hende messen, und zwar gerade insofern, als es in Bewegung bzw. ruhend ist. Denn sie wird deren Bewegung bzw. Ruhe messen, wie­ viel sie ist. Das in Bewegung Befindliche wird somit nicht schlecht­ hin durch die Zeit messbar sein, d. h. insofern, als es soundso viel ist, sondern insofern, als seine Bewegung soundso viel ist. Was weder in Bewegung noch in Ruhe ist, ist somit nicht in einer Zeit. Denn in einer Zeit zu sein, heißt, mit der Zeit gemessen zu werden; und die Zeit ist Maß von Bewegung und Ruhe. b23 Offenkundig wird auch nicht jedes Nicht-Seiende in einer Zeit sein, z. B. was nicht anders kann [als nicht zu sein], wie die Kom­ mensurabilität der Diagonale zur Seite. Denn allgemein gilt: Die Zeit ist an sich Maß der Bewegung und des anderen nur aufgrund zusätzlicher Umstände. Deshalb ist klar, dass dann bei allem, des­ sen Sein sie misst, dieses Sein im Ruhen oder In-Bewegung-Sein liegt. b28 Was vergehen und entstehen kann, und überhaupt, was zur einen Zeit ist und zur anderen nicht, muss in einer Zeit sein. Denn [bei solchen Dingen] gibt es eine längere Zeit, die ihr Sein und die ihren Bestand messende Zeit übertrifft. b31 Nicht-Seiendes, soweit die Zeit es umgibt, war teils (wie Homer einst war), und teils wird es sein (wie irgendetwas Künftiges), je nachdem, nach welcher Seite hin sie [d. h. die gegenwärtige Zeit] es umgibt; und wenn nach bei­ den Seiten hin, beides. Was auf keiner Seite umgeben ist, war nicht, ist nicht und wird nicht sein. a3 Von solcher Art ist Nicht-Seiendes, dessen Gegenteil immer ist. Zum Beispiel ist die Inkommensura­

192 ∆ 13 · 222 a 5 – 222 a 33 5

ἀσύμμετρον εἶναι τὴν διάμετρον ἀεὶ ἔστι, καὶ οὐκ ἔσται τοῦτ’ ἐν χρόνῳ. οὐ τοίνυν οὐδὲ τὸ σύμμετρον· διὸ αἰεὶ οὐκ ἔστιν, ὅτι ἐναντίον τῷ αἰεὶ ὄντι. ὅσων δὲ τὸ ἐναντίον μὴ αἰεί, ταῦτα δὲ δύναται καὶ εἶναι καὶ μή, καὶ ἔστιν γένεσις καὶ φθορὰ αὐτῶν.

10

13.  Τὸ δὲ νῦν ἐστιν συνέχεια χρόνου, ὥσπερ ἐλέχθη· συνέχει γὰρ τὸν χρόνον τὸν παρεληλυθότα καὶ ἐσόμενον, καὶ ὅλως πέρας χρόνου ἐστίν· ἔστι γὰρ τοῦ μὲν ἀρχή, τοῦ δὲ τελευτή. ἀλλὰ τοῦτ’ οὐχ ὥσπερ ἐπὶ τῆς στιγμῆς μενούσης φανερόν. διαιρεῖ δὲ δυνάμει. καὶ ᾗ μὲν τοιοῦτο, αἰεὶ ἕτερον τὸ νῦν, ᾗ δὲ συνδεῖ, αἰεὶ τὸ αὐτό, ὥσπερ ἐπὶ τῶν μαθηματικῶν γραμμῶν (οὐ γὰρ ἡ αὐτὴ αἰεὶ στιγμὴ τῇ νοήσει· διαιρούντων γὰρ ἄλλη καὶ ἄλλη· ᾗ δὲ μία, ἡ αὐτὴ πάντῃ)—οὕτω καὶ τὸ νῦν τὸ μὲν τοῦ χρόνου διαίρεσις κατὰ δύναμιν, τὸ δὲ πέρας ἀμφοῖν καὶ ἑνότης· ἔστι δὲ ταὐτὸ καὶ κατὰ ταὐτὸ ἡ διαίρεσις καὶ ἡ ἕνωσις, τὸ δ’ εἶναι οὐ ταὐτό. τὸ μὲν οὖν οὕτω λέγεται τῶν νῦν, ἄλλο δ’ ὅταν ὁ χρόνος ὁ τούτου ἐγγὺς ᾖ. ἥξει νῦν, ὅτι τήμερον ἥξει· ἥκει νῦν, ὅτι ἦλθε τήμερον. τὰ δ’ ἐν Ἰλίῳ γέγονεν οὐ νῦν, οὐδ’ ὁ κατακλυσμὸς γέγονε νῦν· καίτοι συνεχὴς ὁ χρόνος εἰς αὐτά, ἀλλ’ ὅτι οὐκ ἐγγύς. τὸ δὲ ποτέ χρόνος ὡρισμένος πρὸς τὸ πρότερον νῦν, οἷον ποτὲ ἐλήφθη Τροία, καὶ ποτὲ ἔσται κατακλυσμός· δεῖ γὰρ πεπεράνθαι πρὸς τὸ νῦν. ἔσται ἄρα ποσός τις ἀπὸ τοῦδε χρόνος εἰς ἐκεῖνο, καὶ ἦν εἰς τὸ παρελθόν. εἰ δὲ μηδεὶς χρόνος ὃς οὔ ποτε, πᾶς ἂν εἴη χρόνος πεπερασμένος. ἆρ’ οὖν ὑπολείψει; ἢ οὔ, εἴπερ αἰεὶ ἔστι κίνησις; ἄλλος οὖν ἢ ὁ αὐτὸς πολλάκις; δῆλον ὅτι ὡς ἂν ἡ κίνησις, οὕτω καὶ ὁ χρόνος· εἰ μὲν γὰρ ἡ αὐτὴ καὶ μία γίγνεταί ποτε, ἔσται καὶ χρόνος εἷς καὶ ὁ αὐτός, εἰ δὲ μή, οὐκ ἔσται. ἐπεὶ δὲ τὸ νῦν τελευτὴ

15

20

25

30

11–12 Ross: καὶ πέρας. Vgl. Anm. zu 222a10–20.  23 Ross: οὐδ’ ὁ κατα­ κλυσμὸς [γέγονε] νῦν, vgl. Anm. zu 222a23.



Buch IV · Kapitel 13

193

bilität der Diagonale immer; und dies wird nicht in einer Zeit sein. Also auch nicht die Kommensurabilität: Sie ist immer nicht, weil konträres Gegenteil des Immer-Seienden. Wovon aber das konträre Gegenteil nicht immer ist, das kann sein und nicht sein und bei dem gibt es Entstehen und Vergehen. 13.  Das Jetzt ist, wie gesagt, der Zusammenhalt der Zeit. Denn es 222a10 hält die vergangene und künftige Zeit zusammen, und es ist auf eine allgemeine Weise Grenze der Zeit; es ist nämlich Anfang der einen und Ende der anderen. Aber dies ist nicht in der Weise offen­ kundig wie beim bleibenden Punkt. a14 Das Jetzt teilt potentiell, und insofern ist es immer ein anderes. Insofern es verbindet, ist es hingegen immer dasselbe – wie bei den mathematischen Linien: Für das denkende Erfassen ist der Punkt nicht immer derselbe, denn beim Teilen ist er immer ein anderer; qua ener ist er aber immer derselbe. Ebenso ist das Jetzt einerseits die potentielle Teilung der Zeit, andererseits für beide [sc. Teile] die Grenze und Einheit. Denn dasselbe ist die Teilung und die Vereinigung, und in dersel­ ben Hinsicht; aber ihr Sein ist verschieden. a20 Vom Jetzt wird teils in diesem Sinn gesprochen, in einem anderen Sinn aber, wenn die Zeit von etwas nahe ist. Er wird »jetzt« (nyn) kommen, besagt, dass er heute kommen wird; er ist jetzt gekom­ men, dass er heute kam. Hingegen hat der Trojanische Krieg nicht jetzt stattgefunden, und auch die Große Überflutung ist nicht jetzt einge­treten. Freilich ist die Zeit hin zu diesen Ereignissen konti­ nuierlich, aber sie sind eben nicht nahe. a24 »Einst« (pote) ist eine gegen das Jetzt (im ersteren Sinne) abgegrenzte Zeit – z. B.: einst wurde Troja eingenommen, einst wird eine Große Überflutung ein­ treten. Es muss nämlich gegen das Jetzt begrenzt sein. Also wird ein bestimmtes Quantum Zeit sein von diesem bis zu jenem; und es war [ein bestimmtes Quantum Zeit] zum Vergangenen. Wenn es keine Zeit gibt, die nicht irgendwann ist, ist wohl jede Zeit begrenzt. a29 Wird die Zeit somit aufhören? Oder nicht, wenn denn immer Be­ wegung ist? Ist sie dann jeweils eine andere oder viele Male dieselbe? Offenbar verhält sich das mit der Zeit wie mit der Bewegung. Denn wenn irgendwann ene und dieselbe Bewegung stattfindet, dann ist auch die Zeit ene und dieselbe. Und wenn nicht, dann nicht. a33 Da

194 ∆ 13 · 222 b 1 – 222 b 29 222b1

5

10

15

20

25

καὶ ἀρχὴ χρόνου, ἀλλ’ οὐ τοῦ αὐτοῦ, ἀλλὰ τοῦ μὲν παρήκοντος τελευτή, ἀρχὴ δὲ τοῦ μέλλοντος, ἔχοι ἂν ὥσπερ ὁ κύκλος ἐν τῷ αὐτῷ πως τὸ κυρτὸν καὶ τὸ κοῖλον, οὕτως καὶ ὁ χρόνος ἀεὶ ἐν ἀρχῇ καὶ τελευτῇ. καὶ διὰ τοῦτο δοκεῖ ἀεὶ ἕτερος· οὐ γὰρ τοῦ αὐτοῦ ἀρχὴ καὶ τελευτὴ τὸ νῦν· ἅμα γὰρ ἂν καὶ κατὰ τὸ αὐτὸ τἀναντία ἂν εἴη. καὶ οὐχ ὑπολείψει δή· αἰεὶ γὰρ ἐν ἀρχῇ. τὸ δ’ ἤδη τὸ ἐγγύς ἐστι τοῦ παρόντος νῦν ἀτόμου μέρος τοῦ μέλλοντος χρόνου (πότε βαδίζεις; ἤδη, ὅτι ἐγγὺς ὁ χρόνος ἐν ᾧ μέλλει), καὶ τοῦ παρεληλυθότος χρόνου τὸ μὴ πόρρω τοῦ νῦν (πότε βαδίζεις; ἤδη βεβάδικα). τὸ δὲ Ἴλιον φάναι ἤδη ἑαλωκέναι οὐ λέγομεν, ὅτι λίαν πόρρω τοῦ νῦν. καὶ τὸ ἄρτι τὸ ἐγγὺς τοῦ παρόντος νῦν [τὸ] μόριον τοῦ παρελθόντος. πότε ἦλθες; ἄρτι, ἐὰν ᾖ ὁ χρόνος ἐγγὺς τοῦ ἐνεστῶτος νῦν. πάλαι δὲ τὸ πόρρω. τὸ δ’ ἐξαίφνης τὸ ἐν ἀναισθήτῳ χρόνῳ διὰ μικρότητα ἐκστάν· μεταβολὴ δὲ πᾶσα φύσει ἐκστατικόν. ἐν δὲ τῷ χρόνῳ πάντα γίγνεται καὶ φθείρεται· διὸ καὶ οἱ μὲν σοφώτατον ἔλεγον, ὁ δὲ Πυθαγόρειος Πάρων ἀμαθέστατον, ὅτι καὶ ἐπιλανθάνονται ἐν τούτῳ, λέγων ὀρθότερον. δῆλον οὖν ὅτι φθορᾶς μᾶλλον ἔσται καθ’ αὑτὸν αἴτιος ἢ γενέσεως, καθάπερ ἐλέχθη καὶ πρότερον (ἐκστατικὸν γὰρ ἡ μεταβολὴ καθ’ αὑτήν), γενέσεως δὲ καὶ τοῦ εἶναι κατὰ συμβεβηκός. σημεῖον δὲ ἱκανὸν ὅτι γίγνεται μὲν οὐδὲν ἄνευ τοῦ κινεῖσθαί πως αὐτὸ καὶ πράττειν, φθείρεται δὲ καὶ μηδὲν κινούμενον. καὶ ταύτην μάλιστα λέγειν εἰώθαμεν ὑπὸ τοῦ χρόνου φθοράν. οὐ μὴν ἀλλ’ οὐδὲ ταύτην ὁ χρόνος ποιεῖ, ἀλλὰ συμβαίνει ἐν χρόνῳ γίγνεσθαι καὶ ταύτην τὴν μεταβολήν. ὅτι μὲν οὖν ἔστιν ὁ χρόνος καὶ τί, καὶ ποσαχῶς λέγεται τὸ νῦν, καὶ τί τὸ ποτὲ καὶ τὸ ἄρτι καὶ τὸ ἤδη καὶ τὸ πάλαι καὶ τὸ ἐξαίφνης, εἴρηται.



Buch IV · Kapitel 13

195

das Jetzt Ende und Anfang der Zeit ist, aber nicht derselben, son­ dern Ende der vergangenen und Anfang der künftigen, ist es bei ihr wie beim Kreis: Wie dieser in dem, was irgendwie dasselbe ist, das Konvexe und das Konkave hat, so hätte die Zeit immer in dem [im selben Jetzt zusammenfallenden] Anfang und Ende [das Vergan­ gene und das Künftige]. Und deshalb hält man sie für immer eine an­ dere. Denn das Jetzt ist nicht Anfang und Ende derselben Zeit. Denn dann wäre es zugleich und in derselben Hinsicht Konträres. – Und so wird die Zeit nicht aufhören. Denn sie ist immer am Anfang. b7 »Gleich/Eben« (êdê) ist der dem gegenwärtigen unteilbaren Jetzt nahe Teil der künftigen Zeit (»Wann machst du deinen Spazier­ gang? Gleich.« Das heißt: Die Zeit, zu der er seinen Spaziergang machen wird, ist nahe) sowie der vom Jetzt nicht weit entfernte Teil der vergangenen Zeit (»Wann machst du deinen Spaziergang? Ich habe ihn eben abgeschlossen.«). Aber zu sagen, dass Troja eben ge­ fallen sei, entspricht nicht unserer Redeweise. Denn das geschah zu weit vom Jetzt. b12 »Kürzlich« (arti) ist der dem gegenwärtigen Jetzt nahe Teil der Vergangenheit (»Wann bist du gekommen? Kürzlich.« Nämlich: wenn die Zeit nahe dem gegenwärtigen Jetzt ist). »Vor­ mals« (palai) hingegen ist das Entfernte. »Plötzlich« (exaiphnês) ist das in unmerklich kurzer Zeit Heraustretende. Denn jede Ände­ rung ist in ihrer Natur mit einem Heraustreten verbunden. b16 In der Zeit entsteht und vergeht alles. Deshalb haben sie einige das Weiseste genannt, der Pythagoreer Paron aber das Dümmste, weil man in ihr vergisst; und das war richtiger. Offenbar ist sie an sich eher für das Vergehen ursächlich als für das Entstehen, wie schon gesagt (denn an sich ist die Änderung mit einem Heraus­treten verbunden), und für das Entstehen und das Sein nur aufgrund zu­ sätzlicher Umstände. b22 Ein hinreichendes Zeichen hierfür ist, dass nichts entsteht, ohne irgendwie in Bewegung und auch selbst tätig zu sein; aber es vergeht auch, was gar nicht in Bewegung ist. Und vor allem dies pflegen wir ein Vergehen infolge der Zeit zu nennen. Aber auch dieses macht nicht die Zeit, sondern es ergibt sich nur ­zusätzlich, dass auch diese Änderung in der Zeit geschieht. b27 Dass die Zeit ist und was und in wie vielen Weisen vom Jetzt ge­ sprochen wird und was das Irgendwann, das Kürzlich, das Soeben/ Sogleich (êdê), das Vormals und das Plötzlich ist, ist somit gesagt.

196 ∆ 14 · 222 b 30 – 223 a 30 30

223a1

5

10

15

20

25

30

14. Τούτων δ’ ἡμῖν οὕτω διωρισμένων φανερὸν ὅτι πᾶσα μεταβολὴ καὶ ἅπαν τὸ κινούμενον ἐν χρόνῳ. τὸ γὰρ θᾶττον καὶ βραδύτερον κατὰ πᾶσάν ἐστιν μεταβολήν (ἐν πᾶσι γὰρ οὕτω φαίνεται)· λέγω δὲ θᾶττον κινεῖσθαι τὸ πρότερον μεταβάλλον εἰς τὸ ὑποκείμενον κατὰ τὸ αὐτὸ διάστημα καὶ ὁμαλὴν κίνησιν κινούμενον (οἷον ἐπὶ τῆς φορᾶς, εἰ ἄμφω κατὰ τὴν περιφερῆ κινεῖται ἢ ἄμφω κατὰ τὴν εὐθεῖαν· ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων). ἀλλὰ μὴν τό γε πρότερον ἐν χρόνῳ ἐστί· πρότερον γὰρ καὶ ὕστερον λέγομεν κατὰ τὴν πρὸς τὸ νῦν ἀπόστασιν, τὸ δὲ νῦν ὅρος τοῦ παρήκοντος καὶ τοῦ μέλλοντος· ὥστ’ ἐπεὶ τὰ νῦν ἐν χρόνῳ, καὶ τὸ πρότερον καὶ ὕστερον ἐν χρόνῳ ἔσται· ἐν ᾧ γὰρ τὸ νῦν, καὶ ἡ τοῦ νῦν ἀπόστασις. (ἐναντίως δὲ λέγεται τὸ πρότερον κατά τε τὸν παρεληλυθότα χρόνον καὶ τὸν μέλλοντα· ἐν μὲν γὰρ τῷ παρεληλυθότι πρότερον λέγομεν τὸ πορρώτερον τοῦ νῦν, ὕστερον δὲ τὸ ἐγγύτερον, ἐν δὲ τῷ μέλλοντι πρότερον μὲν τὸ ἐγγύτερον, ὕστερον δὲ τὸ πορρώτερον.) ὥστε ἐπεὶ τὸ μὲν πρότερον ἐν χρόνῳ, πάσῃ δ’ ἀκολουθεῖ κινήσει τὸ πρότερον, φανερὸν ὅτι πᾶσα μεταβολὴ καὶ πᾶσα κίνησις ἐν χρόνῳ ἐστίν. ἄξιον δ’ ἐπισκέψεως καὶ πῶς ποτε ἔχει ὁ χρόνος πρὸς τὴν ψυχήν, καὶ διὰ τί ἐν παντὶ δοκεῖ εἶναι ὁ χρόνος, καὶ ἐν γῇ καὶ ἐν θαλάττῃ καὶ ἐν οὐρανῷ. ἢ ὅτι κινήσεώς τι πάθος ἢ ἕξις, ἀριθμός γε ὤν, ταῦτα δὲ κινητὰ πάντα (ἐν τόπῳ γὰρ πάντα), ὁ δὲ χρόνος καὶ ἡ κίνησις ἅμα κατά τε δύναμιν καὶ κατ’ ἐνέργειαν; πότερον δὲ μὴ οὔσης ψυχῆς εἴη ἂν ὁ χρόνος ἢ οὔ, ἀπορήσειεν ἄν τις. ἀδυνάτου γὰρ ὄντος εἶναι τοῦ ἀριθμήσοντος ἀδύνατον καὶ ἀριθμητόν τι εἶναι, ὥστε δῆλον ὅτι οὐδ’ ἀριθμός. ἀριθμὸς γὰρ ἢ τὸ ἠριθμημένον ἢ τὸ ἀριθμητόν. εἰ δὲ μηδὲν ἄλλο πέφυκεν ἀριθμεῖν ἢ ψυχὴ καὶ ψυχῆς νοῦς, ἀδύνατον εἶναι χρόνον ψυχῆς μὴ οὔσης, ἀλλ’ ἢ τοῦτο ὅ ποτε ὂν ἔστιν ὁ χρόνος, οἷον εἰ ἐνδέχεται κίνησιν εἶναι ἄνευ ψυχῆς. τὸ δὲ πρότερον καὶ ὕστερον ἐν κινήσει ἐστίν· χρόνος δὲ ταῦτ’ ἐστὶν ᾗ ἀριθμητά ἐστιν. ἀπορήσειε δ’ ἄν τις καὶ ποίας κινήσεως ὁ χρόνος ἀριθμός. ἢ ὁποιασοῦν; καὶ γὰρ



Buch IV · Kapitel 14

197

14.  Nachdem dies von uns so bestimmt wurde, ist offenkundig, dass 222b30 jede Änderung und alles in Bewegung Befindliche in der Zeit ist. Denn das Schneller und Langsamer bezieht sich auf jede Änderung; in jedem Einzelfall zeigt es sich so. b33 Schneller, sage ich, bewegt sich, was bei gleichmäßiger Bewegung längs derselben Strecke zu­ erst in den gegebenen Zustand übergeht; z. B. beim Ortswechsel, wenn sich beide längs der Kreislinie oder beide längs der Geraden bewegen; und ebenso in den anderen Fällen. a4 Aber das Früher ist in der Zeit. Denn wir sprechen von Früher und Später anhand der Abweichung vom Jetzt; und das Jetzt ist Grenze des Vergan­ genen und des Künftigen. Da die Jetzt in der Zeit sind, folgt, dass dann auch das Frühere und das Spätere in der Zeit ist. Denn worin das Jetzt ist, darin ist auch die Abweichung vom Jetzt. a8 Und zwar spricht man vom Früher nach konträren Regeln im Hinblick auf die vergangene und die künftige Zeit: In der vergangenen nennen wir früher das vom Jetzt Entferntere und später das Nähere, in der künftigen früher das Nähere, später das Entferntere. Da das Früher in der Zeit ist und jeder Bewegung das Früher folgt, ist daher offen­ kundig, dass jede Änderung und jede Bewegung in der Zeit ist. a16 Es ist auch der Untersuchung wert, wie sich die Zeit zur Seele verhält und warum die Zeit in allem zu sein scheint: in Erde, Meer und Himmel. Etwa deshalb, weil [i] sie als Zahl Widerfahrnis oder Eigenschaft der Bewegung ist, weil [ii] jene Dinge allesamt be­ weglich sind, denn sie sind alle in einem [jeweiligen] Ort, und weil [iii] Zeit und Bewegung zugleich potentiell und wirklich [in jenen Dingen sind]? a21 Man mag fragen, ob es ohne Seele Zeit gäbe oder nicht. Denn wenn es den, der zählen wird, nicht geben kann, kann auch nicht etwas Zählbares sein und daher klarerweise auch keine Zahl. Zahl ist nämlich das Gezählte oder das Zählbare. Wenn aber nichts die Natur hat, zu zählen, außer der Seele und ihrem Verstand, kann es ohne Seele keine Zeit geben – ausgenommen, was bei beliebiger Gelegenheit zu sein die Zeit ausmacht, nämlich wenn es Bewegung ohne Seele geben kann. Das Früher und Später ist in der Bewegung; Zeit ist dieses insofern, als es zählbar ist. a29 Man mag auch fragen, von welcher Art der Bewegung die Zeit Zahl ist. Oder von jeder beliebigen? Denn dass etwas entsteht, ge­

198 ∆ 14 · 223 a 31 – 223 b 28

223b1

5

10

15

20

25

γίγνεται ἐν χρόνῳ καὶ φθείρεται καὶ αὐξάνεται καὶ ἀλλοιοῦται καὶ φέρεται· ᾗ οὖν κίνησίς ἐστι, ταύτῃ ἐστὶν ἑκάστης κινήσεως ἀριθμός. διὸ κινήσεώς ἐστιν ἁπλῶς ἀριθμὸς συνεχοῦς, ἀλλ’ οὐ τινός. ἀλλ’ ἔστι νῦν κεκινῆσθαι καὶ ἄλλο· ὧν ἑκατέρας τῆς κινήσεως εἴη ἂν ἀριθμός. ἕτερος οὖν χρόνος ἔστιν, καὶ ἅμα δύο ἴσοι χρόνοι ἂν εἶεν· ἢ οὔ; ὁ αὐτὸς γὰρ χρόνος καὶ εἷς ὁμοίως καὶ ἅμα· εἴδει δὲ καὶ οἱ μὴ ἅμα· εἰ γὰρ εἶεν κύνες, οἱ δ’ ἵπποι, ἑκάτεροι δ’ ἑπτά, ὁ αὐτὸς ἀριθμός. οὕτω δὲ καὶ τῶν κινήσεων τῶν ἅμα περαινομένων ὁ αὐτὸς χρόνος, ἀλλ’ ἡ μὲν ταχεῖα ἴσως ἡ δ’ οὔ, καὶ ἡ μὲν φορὰ ἡ δ’ ἀλλοίωσις· ὁ μέντοι χρόνος ὁ αὐτός, εἴπερ καὶ ὁ ἀριθμὸς ἴσος καὶ ἅμα, τῆς τε ἀλλοιώσεως καὶ τῆς φορᾶς. καὶ διὰ τοῦτο αἱ μὲν κινήσεις ἕτεραι καὶ χωρίς, ὁ δὲ χρόνος πανταχοῦ ὁ αὐτός, ὅτι καὶ ὁ ἀριθμὸς εἷς καὶ ὁ αὐτὸς πανταχοῦ ὁ τῶν ἴσων καὶ ἅμα. ἐπεὶ δ’ ἔστι φορὰ καὶ ταύτης ἡ κύκλῳ, ἀριθμεῖται δ’ ἕκαστον ἑνί τινι συγγενεῖ, μονάδες μονάδι, ἵπποι δ’ ἵππῳ, οὕτω 〈δὲ〉 καὶ ὁ χρόνος χρόνῳ τινὶ ὡρισμένῳ, μετρεῖται δ’, ὥσπερ εἴπομεν, ὅ τε χρόνος κινήσει καὶ ἡ κίνησις χρόνῳ (τοῦτο δ’ ἐστίν, ὅτι ὑπὸ τῆς ὡρισμένης κινήσεως χρόνῳ μετρεῖται τῆς τε κινήσεως τὸ ποσὸν καὶ τοῦ χρόνου)—εἰ οὖν τὸ πρῶτον μέτρον πάντων τῶν συγγενῶν, ἡ κυκλοφορία ἡ ὁμαλὴς μέτρον μάλιστα, ὅτι ὁ ἀριθμὸς ὁ ταύτης γνωριμώτατος. ἀλλοίωσις μὲν οὖν οὐδὲ αὔξησις οὐδὲ γένεσις οὐκ εἰσὶν ὁμαλεῖς, φορὰ δ’ ἔστιν. διὸ καὶ δοκεῖ ὁ χρόνος εἶναι ἡ τῆς σφαίρας κίνησις, ὅτι ταύτῃ μετροῦνται αἱ ἄλλαι κινήσεις καὶ ὁ χρόνος ταύτῃ τῇ κινήσει. διὰ δὲ τοῦτο καὶ τὸ εἰωθὸς λέγεσθαι συμβαίνει· φασὶν γὰρ κύκλον εἶναι τὰ ἀνθρώπινα πράγματα, καὶ τῶν ἄλλων τῶν κίνησιν ἐχόντων φυσικὴν καὶ γένεσιν καὶ φθοράν. τοῦτο δέ, ὅτι ταῦτα πάντα τῷ χρόνῳ κρίνεται, καὶ λαμβάνει τελευτὴν καὶ ἀρχὴν ὥσπερ ἂν εἰ κατά τινα περίοδον. καὶ γὰρ ὁ 4 Ross: ὁ ἴσος. Vgl. Anm. zu 223b3–4.  8–9 Ross: εἴπερ καὶ [ὁ ἀριθμὸς] ἴσος καὶ ἅμα.



Buch IV · Kapitel 14

199

schieht in der Zeit, und ebenso, dass etwas vergeht, größer wird, anders wird, den Ort wechselt. In welcher Hinsicht somit Bewegung stattfindet, in der Hinsicht gibt es eine Zahl der jeweiligen Bewe­ gung. Deshalb ist die Zeit schlicht Zahl einer kontinuierlichen Be­ wegung, aber nicht einer bestimmten [Art von Bewegung]. b1 Aber es kann jetzt noch etwas anderes in Bewegung gesetzt sein. Beide Bewegungen hätten dann ihre jeweilige Zahl. Dann gibt es noch eine andere Zeit, so dass es gleichzeitig zwei gleichlange Zei­ ten gäbe? – Oder nicht? Denn dieselbe Zeit ist gleichermaßen ene und zugleich. Und der Art nach [ene sind] auch die Zeiten, die nicht zugleich sind. b4 Angenommen, da sind Hunde, außerdem Pferde, je sieben: dieselbe Zahl. Ebenso dieselbe Zeit bei zugleich vollzogenen Bewegungen; dabei ist vielleicht die eine schnell und die andere nicht oder die eine ein Ortswechsel und die andere eine Veränderung: Die Zeit ist gleichwohl dieselbe, wenn denn die Zahl – d. i. die Zahl der Veränderung bzw. des Ortswechsels – gleich groß ist und zugleich auftritt. b10 Und deshalb sind zwar die Bewegungen verschieden und getrennt, aber die Zeit ist überall dieselbe, weil nämlich auch die Zahl gleichlanger, zugleich vollzogener Bewegun­ gen überall ene und dieselbe ist. b12 Es gibt Ortswechsel, als Spezialfall die Kreisbewegung. Gezählt wird alles mit enem Gleichartigen: Einheiten mit einer Einheit, Pferde mit einem Pferd. Ebenso wird auch die Zeit mit einer be­ stimmten, abgegrenzten Zeit gezählt. Gemessen wird die Zeit, wie gesagt, mit der Bewegung und die Bewegung mit der Zeit. Das heißt, durch die mit der Zeit abgegrenzte Bewegung wird das Wie­ viel der Bewegung und der Zeit gemessen. b18 Wenn nun das Erste Maß alles Gleichartigen ist, dann ist die gleichförmige Kreisbewe­ gung ein ausgezeichnetes Maß, denn ihre Zahl ist die kenntlichste. Gleichförmige Veränderung, Größerwerden oder Entstehen gibt es nicht, aber gleichförmigen Ortswechsel gibt es. Daher auch die Meinung, die Zeit sei die Bewegung der Himmelskugel; denn mit dieser werden die anderen Bewegungen gemessen und die Zeit mit dieser Bewegung. b23 Hierdurch ergibt sich auch, was man zu sagen gewohnt ist: dass die menschlichen Angelegenheiten ein Kreislauf seien, und ebenso bei den anderen Dingen, soweit sie natürliche Be­ wegung haben sowie Entstehung und Vernichtung. Das liegt daran,

200 ∆ 14 · 223 b 29 – 224 a 17

30

224 a1

5

10

15

χρόνος αὐτὸς εἶναι δοκεῖ κύκλος τις· τοῦτο δὲ πάλιν δοκεῖ, διότι τοιαύτης ἐστὶ φορᾶς μέτρον καὶ μετρεῖται αὐτὸς ὑπὸ τοιαύτης. ὥστε τὸ λέγειν εἶναι τὰ γιγνόμενα τῶν πραγμάτων κύκλον τὸ λέγειν ἐστὶν τοῦ χρόνου εἶναί τινα κύκλον· τοῦτο δέ, ὅτι μετρεῖται τῇ κυκλοφορίᾳ· παρὰ γὰρ τὸ μέτρον οὐδὲν ἄλλο παρεμφαίνεται τὸ μετρούμενον, ἀλλ’ ἢ πλείω μέτρα τὸ ὅλον. λέγεται δὲ ὀρθῶς καὶ ὅτι ἀριθμὸς μὲν ὁ αὐτὸς ὁ τῶν προβάτων καὶ τῶν κυνῶν, εἰ ἴσος ἑκάτερος, δεκὰς δὲ οὐχ ἡ αὐτὴ οὐδὲ δέκα τὰ αὐτά, ὥσπερ οὐδὲ τρίγωνα τὰ αὐτὰ τὸ ἰσόπλευρον καὶ τὸ σκαληνές, καίτοι σχῆμά γε ταὐτό, ὅτι τρίγωνα ἄμφω· ταὐτὸ γὰρ λέγεται οὗ μὴ διαφέρει διαφορᾷ, ἀλλ’ οὐχὶ οὗ διαφέρει, οἷον τρίγωνον τριγώνου διαφορᾷ διαφέρει· τοιγαροῦν ἕτερα τρίγωνα· σχήματος δὲ οὔ, ἀλλ’ ἐν τῇ αὐτῇ διαιρέσει καὶ μιᾷ. σχῆμα γὰρ τὸ μὲν τοιόνδε κύκλος, τὸ δὲ τοιόνδε τρίγωνον, τούτου δὲ τὸ μὲν τοιόνδε ἰσόπλευρον, τὸ δὲ τοιόνδε σκαληνές. σχῆμα μὲν οὖν τὸ αὐτό, καὶ τοῦτο τρίγωνον, τρίγωνον δ’ οὐ τὸ αὐτό. καὶ ἀριθμὸς δὴ ὁ αὐτός (οὐ γὰρ διαφέρει ἀριθμοῦ διαφορᾷ ὁ ἀριθμὸς αὐτῶν), δεκὰς δ’ οὐχ ἡ αὐτή· ἐφ’ ὧν γὰρ λέγεται, διαφέρει· τὰ μὲν γὰρ κύνες, τὰ δ’ ἵπποι. καὶ περὶ μὲν χρόνου καὶ αὐτοῦ καὶ τῶν περὶ αὐτὸν οἰκείων τῇ σκέψει εἴρηται.

1 Ross: παρεμφαίνεται τῷ μετρουμένῳ, ἀλλ’. Vgl. Anm. zu 223 b 33– 224 a1.  7–8 Ross: οἷον τρίγωνον τριγώνου 〈τριγώνου〉 διαφορᾷ δια­ φέρει.

Buch IV · Kapitel 14



201

dass dies alles mit der Zeit unterschieden wird und in solcher Weise Ende und Anfang nimmt, als folgte es einem Umlauf. Und auch die Zeit selbst scheint eine Art Kreislauf zu sein; das scheint so, weil sie das Maß eines derartigen Ortswechsels ist und ihrerseits durch einen derartigen Ortswechsel gemessen wird. b31 Zu sagen, dass das Werden der Dinge ein Kreislauf sei, besagt also, dass die Zeit eine Art Kreislauf habe; und dieses besagt, dass sie an der Kreis­ bewegung gemessen wird. Denn neben dem Maß zeigt sich [beim Messen] nicht überdies das Gemessene als etwas anderes, außer dass das Ganze mehrere Maßeinheiten ausmacht. a2 Man sagt ganz richtig, dass zwar auch die Zahl der Schafe und der Hunde dieselbe ist, wenn sie jeweils gleich groß ist. Aber sie ist nicht dieselbe Zehn, und nicht dieselben sind zehn – so wenig wie das gleichseitige und das ungleichseitige dasselbe Dreieck ist, ob­ gleich beide dieselbe Figur sind, nämlich Dreiecke. a6 »Dasselbe« heißt, wovon sich etwas nicht in einer Differenz unterscheidet, und nicht [dasselbe], wovon es sich unterscheidet. Beispielsweise unter­ scheidet sich ein Dreieck in einer zu Dreieck gehörenden Diffe­ renz, 1 und demgemäß sind es andere Dreiecke, aber nicht in ei­ ner zu Figur gehörenden [Differenz], sondern [die Dreiecke sind] in ener und derselben Abteilung [von Figur]. Denn eine soundso beschaffene Figur ist ein Kreis und eine soundso beschaffene ein Dreieck, und hiervon ist ein soundso beschaffenes gleichseitig und ein soundso beschaffenes ungleichseitig. Diese sind dieselbe Figur, nämlich Dreiecke, aber nicht dasselbe Dreieck. a12 Und so ist auch die Zahl dieselbe, denn ihre Zahl unterscheidet sich nicht in einer unter Zahl fallenden Differenz. Aber sie ist nicht dieselbe Zehn. Denn wovon dies ausgesagt wird, unterscheidet sich: einerseits Hunde, andererseits Pferde. a15 Über die Zeit selbst und die mit ihr verbundenen, in die Unter­ suchung gehörenden Themen wurde somit gesprochen.

Mit Pellegrin (2002, 270n2) halte ich in a7 den überlieferten Text. Die Ergänzung bei Ross (Wiederholung von trigonou vor diaphorai) ergibt: »… unterscheidet sich Dreieck von Dreieck in einer zu Dreieck gehörigen Differenz«. 1 

ANMERKUNGEN DES HER AUSGEBERS

Buch I 184 a10–16  wissenschaftliches Erkennen: epistasthai (a10), Wissenschaft: epistêmê (a15, Naturwissenschaft: peri physeôs epistêmê, dazu Einleitung 1.1); – Disziplin: methodos (a11), d. i. ein methodisch ausgewiesener Durchgang durch ein Lehr- und Forschungsgebiet (vgl. Lennox 2015); ein solches Gebiet wird hier durch die Themenangabe »über Natur« (peri physeôs, a14–15) angezeigt (dazu Einleitung 2.3), die einschlägige Disziplin heißt hier bereits »Naturwissenschaft« (s. o.). – Prinzip: archê, Ur­ sache: aitia (fem., auch: aition, neutr.); Element: stoicheion (alle: a11; dazu Einleitung 2.2.1.2). 1 Thema von Phys. I ist, »was die Prinzipien betrifft« (ta peri tas archas, a15–16), nämlich, wie Aristoteles am Ende von Kap. 9 resümiert: ob es überhaupt Prinzipien der Naturwissenschaft gibt, und wenn ja, dann welche und wie viele. Die erste dieser Fragen kommt darauf hinaus, ob die Naturwissenschaft überhaupt als Wissenschaft gelten kann – und somit, ob sie diese Bezeichnung überhaupt verdient. Zwei Bemerkungen (dazu ausführlicher Heinemann 2020, 53–55): ­Erstens. Es ist nicht leicht, hier die grammatischen Bezüge von »Prinzip« etc. durch die Übersetzung zu verdeutlichen. In der Konklusion spricht Aristoteles klarerweise von »den Prinzipien der Naturwissenschaft« (tês peri physeôs epistêmês … tas archas, a14–16); in der Übersetzung habe ich diesen Bezug der Wortstellung geopfert. Am Anfang kann sich »zu denen« (hôn, a11) auf »Disziplinen« beziehen. Mit Philoponos und Simplikios ist aber eher ein Bezug auf die ungenannten Gegenstände des »Wissens« (eidenai, a10) anzunehmen. Die Gegenstände der Naturwissenschaft heißen in Phys. I »die Naturdinge« (ta physei onta, c. 7, 190 b18; vgl. c. 2, 185a13 und c. 5, 188b25); von deren »Prinzipien« wäre somit nicht erst in Kap. 7 (s. u.), sondern bereits zu Beginn der Physikvorlesung die Rede. – Zweitens. Seit jeher hat man hier ein syllogistisches Argument vermutet. Ganz grob: (1) Wissenschaft rekurriert auf Prinzipien. (2) Die Naturwissenschaft ist eine Wissenschaft. Also: (3) Die Naturwissenschaft rekurriert auf Prinzipien. – Und demgemäß fragt sich: Welche? Aber (2) wird hier gar nicht behauptet (vgl. Wieland 1970, 59n1; Fritsche 1986, 19 ff.; Falcon 2018, 42 ff.). Zu vermuten ist vielmehr ein praktischer Syllogismus:

204

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 1–2

(a) Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens ist erstrebenswert. (b) Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens ergibt sich (wenn überhaupt, dann) aus der Kenntnis der Prinzipien der jeweiligen Gegenstände. Also: (c) Diese Kenntnis ist zu erwerben! – Und demgemäß sind die mit den Prinzipien der Naturwissenschaft zusammenhängenden Fragen anzugehen! Hier wird (a) stillschweigend vorausgesetzt, was aber bei praktischen Syllogismen normal ist. (Über praktische Syllogismen: Corcilius 2011, 242 f.) 184a16–23  Aristoteles unterscheidet zwei Weisen, wie etwas kenntlich (gnôrimon) sein kann, nämlich entweder »für uns« oder »aufgrund seiner eigenen Natur« (têi physei) und somit »schlechthin« (haplôs). »Für uns kenntlich« ist, was sich uns zur Kenntnisnahme anbietet und auf dessen Kenntnisnahme wir vorbereitet sind. »Schlechthin kenntlich« ist, was »aufgrund seiner eigenen Natur« und somit ohne Rücksicht auf uns zur Kenntnisnahme geeignet ist – d. h. die Gegenstände von »Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens« und insbesondere dessen Prinzipien. Wie Aristoteles weiter ausführt, hängt beides zusammen. Für uns kenntlich sind zunächst fassliche, aber heterogene Allgemeinheiten. Was schlechthin kenntlich ist, wird daraus durch geeignete Unterscheidungen für uns kenntlich: Wale sind keine Fische (HA I 6, 490 b 7–9); nicht alles, was am Himmel kracht, ist Donner, sondern nur das »Erlöschen von Feuer in einer Wolke« (APo II 8, 93b 7–9; vgl. Einl. 2.2.5.1). 184 b12–14  Dieses beim Spracherwerb auftretende Phänomen ist in der Entwicklungspsychologie als »overextension« oder »Übergeneralisierung« bekannt. Vgl. Menn 2019, 37n35. 1–2 b 184 15–22  Naturforscher: physikoi. In derselben Bedeutung auch hoi peri physeôs (c. 4, 187a35 u. ö.); vgl. Einleitung 1.4.2. Zur frühen griechischen Philosophie Rapp 2007. Nach Aristoteles kommen die Lehren der Naturforscher in der Annahme stofflicher Prinzipien überein. Parmenides und Melissos gelten hier nicht als Naturforscher, da sie die Bewegung bestreiten (s. u. 185a18). Ihre Lehren werden in Kap. 2–3 erörtert, diejenigen der Naturforscher in Kap. 4–6. – Die hier erwähnten Lehren lassen sich vermutungsweise zuordnen: Luft (aêr) als einziges Prinzip: Anaximenes und Diogenes von Apollonia; Wasser als einziges Prinzip: Thales; endlich viele Prinzipien: Empedokles, der mit vier stofflichen Prinzipien (sowie zwei Grundkräften) auskommt; unendlich viele, der Art nach unterschiedene und teilweise »konträre« (enantia) stoffliche Prinzipien: Anaxagoras. 184b22–25  Dinge: onta (on, d. h. »Seiendes«). Für die frühe griechische Philosophie fällt demnach die Frage nach den stofflichen Prinzipien aller



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 2

205

Dinge mit der kontrovers diskutierten Frage nach den fundamentalen Entitäten zusammen; diese werden als die einfachen und somit letzten Bestandteile der Dinge aufgefasst. Aristoteles wird diese Gleichsetzung ablehnen: Fundamentale Entitäten (d. h. nach Met. VII 1, 1028b2–6: »Substanzen«) sind komplex; Prinzipien sind deren in Kap. 7 und den anschließenden Büchern der Physikvorlesung herausgearbeitete Strukturmerkmale (vgl. Einleitung 2.2.5). 2 185 a7  Die hier dem Heraklit zugeschriebene These ist vermutlich, dass Gut und Schlecht dasselbe seien (s. u. 185 b20–23 sowie Top. VIII 5, 159 b30–31; dazu Rapp 2017, 419 ff.). Eine entsprechende Behauptung Heraklits ist in den Fragmenten nicht überliefert; nach Rapp (ebd. 430 ff.) handelt es sich um eine durch die Wirkungsgeschichte motivierte Zuspitzung der Gegensatzlehre Heraklits (zu dieser Rapp 2007, 72–78). 185 a 8  »Eristisch« (eristikos, eristikê) heißt nach SE 2, 165 b 7–8 ein täuschendes Argument, das auf scheinbar anerkannten Prämissen oder scheinbar gültigen Schlüssen beruht. 185 a 9–12  Aristoteles unterscheidet a 9–10 zwei Weisen, wie ein Argument fehlerhaft sein kann: weil eine Prämisse unwahr ist oder weil eine ungültige Schlussregel angewandt wird. Diese Unterscheidung gehört zu der logischen Allgemeinbildung, die in der Physikvorlesung vorausgesetzt wird. Die Sätze »Denn sie machen … Kinderspiel« (kai gar … cha­le­pon, a9–12) werden in Kap. 3 fast wörtlich wiederholt (s. u. 186 a7–10) und deshalb von den meisten Herausgebern an einer der beiden Stellen getilgt. An welcher, ist schwer zu entscheiden. Da die Redundanz unschädlich ist, verzichte ich mit Pellegrin (2002, 75n2) auf einen Eingriff in den überlieferten Text. 185 a12–14  »Voraussetzung«: Die Formulierung (hypokeisthô, a12–13) zeigt eine hypothesis an; zu dem einschlägigen Begriff der hypothesis auch Einl. 2.2.5.1. – »Die Naturdinge« (ta physei) heißen hier die Gegenstände der Naturwissenschaft; das Merkmal, in Bewegung zu sein, beschreibt den Bereich des Seienden, mit dem sich diese befasst, gemäß Met. VI 1, 1025b11 durch eine hypothesis, die sich ihrerseits auf Beobachtung stützt; vgl. Einl. 1.2.2.2 und 2.3.4.2. »aus Beispielen«: ek tes epagôgês (a13–14) – Zum Begriff der epagôgê vgl. Einl. 1.2.2.2. 185 a16–17  »Kreisquadratur«: tetragônismos (a16) – vgl. SE 11, 171b12– 18, 171b34–171a7; dazu Crubellier 2019, 67 und 80–84; dt. Übersetzung der Quellentexte: Becker 1964, 29–34 und 43 ff. Die Aufgabe, zu einem gegebenen Kreis ein flächengleiches Quadrat nach den (später durch Euklid kanonisierten) Prinzipien der Geometrie zu konstruieren, ist bekanntlich unlösbar. Aristoteles erwähnt hier zwei Lösungsversuche. Auf

206

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 2

»Segmente« rekurriert der Mathematiker Hippokrates von Chios (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Arzt), der die Aufgabe nicht löst, sondern nur auf eine vermeintlich einfachere reduziert. Antiphon schlägt ein Verfahren vor, das die Kreisfläche durch Polygone approximiert, aber nicht durch die o. g. Prinzipien gedeckt ist. 185 a 20  Was hier »Philosophie« (philosophia) bedeutet, ist nicht ganz klar. Wie in Kap. 8 (191a 24–25, vgl. dortige Anm. sowie Einl. 1.3.1) gehört es wohl zur »Philosophie«, sich auf begriffliche Probleme einzulassen (was bei Platon die »dialektische« Fachkompetenz des »Philosophen« ausmacht). 185 a 21  Dies ist die grundlegende These, die Aristoteles in die Auseinandersetzung mit Parmenides und Melissos investiert: Das Seiende (on) – und somit die Bedeutung von ›seiend‹ (on) bzw. ›ist‹ – ist nach Kategorien (katêgoria) differenziert. Dabei ist von der Verwendung von ›ist‹ als Kopula auszugehen: Durch »ist« wird in »Karl ist ein Mensch« eine Prädikation in der Kategorie der Substanz, in »Karl ist weiß« eine Prädikation in der Kategorie des Wie-beschaffen usf. angezeigt; Mensch ist demgemäß Seiendes in der Kategorie der Substanz, Weiß ist Seiendes in der Kategorie des Wie-beschaffen usf. (vgl. die Liste der Kategorien in Cat. 4, 1b25–27). Singuläre Existenzaussagen sind mit Prädikationen in der Kategorie der Substanz äquivalent: Karl existiert – d. i. er »ist« in einem Sinne, der keine Spezifikation durch ein Prädikatsnomen erfordert, und somit »schlechthin« (haplôs) – genau dann, wenn er ein Mensch ist (beachte: Mensch = lebendiger Mensch). Karl ist daher erste und Mensch ist zweite Substanz; und alles wird von der ersten Substanz ausgesagt (zu dieser Unterscheidung Cat. 5, 2a11–19). 185 a 23  Substanz: ousia; Wieviel: poson; Wie-beschaffen: poion. – Die substantivierte Frageform ist jeweils eine allgemeine Bezeichnung dessen, was in einer zutreffenden Antwort auf die entsprechende Frage anzugeben wäre (vgl. Einl. 3.2.2.4). 185a 27– b5  Ein zweigliedriges Argument zu »einerseits« (poteron, a 22): (a) Wenn das Seiende in mehrere Kategorien fällt, gibt es Vieles (a 27–29). (b) Wenn es sämtlich in nur ene fällt, dann in die Kategorie der Substanz (a 29–32). Da aber das Seiende nach Melissos unbegrenzt ist (apeiron, a33; vgl. DK 30 B 3; dazu Rapp 2007, 149 f.), fällt es in die Kategorie des Wieviel, was auf (a) zurückführt (a32– b5). – Dass alles Seiende in die Kategorie der Substanz fällt, ist auch deshalb unplausibel, weil es zum Begriff der Substanz gehört, Träger zusätzlicher Eigenschaften zu sein (vgl. Clarke 2018, 69 f. und Crubellier 2019, 72). Aber das wird hier nicht gesagt. 185 b 5–7  Zu »andererseits« (palin poteron, 185a 23). – Dass »das All enes« sei (hen to pan, b 7), ist hier ein anderer Ausdruck dafür, dass »al-



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

207

les« (ta panta, a 24) als ene Substanz oder als ene Beschaffenheit usf. aufgefasst wird (s. o. a 23–26). Dabei ist »das All« (to pan) ein anderer Ausdruck für »alles« (panta, pl.), aber im Singular und somit grammatisch als Einheit gefasst (in diesem Sinne wohl schon bei Empedokles, DK 31 B 13 f. und B 39, dann häufig bei Platon). 185 b7–9  »das kontinuierlich Zusammenhängende«: to syneches (dazu Einl. 2.4 im zweiten Teilband). – »das Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein«: to ti ên einai (dazu Einl. 3.2.2.4). 185 b9–11  Die aristotelische Theorie des Kontinuums wird in Phys. III–V vorbereitet und in Phys. VI ausgearbeitet; zur unbegrenzten Teilbarkeit Phys. III 7, 207 b16 u. ö., dann Phys. VI 1, 231b16 u. ö. 185 b16–19  Melissos: DK 30 B 3 (s. o. a32–33). Parmenides: DK 28 B 8.42–44; dazu nochmals Rapp 2007, 149 f. 185 b20  Siehe oben, Anm. zu 185a7. 185 b28  Zu Lykophron vgl. Schirren/Zinsmaier 2003, 114 f. Wen Aristoteles mit »Andere« (hoi de) meint, bleibt unklar; vgl. Ross 1936, 469 (zu 28–32). 186 a 3  potentiell: dynamei; im Vollendungszustand: entelecheiai (adv. Dativ zu dynamis bzw. entelecheia). – Der Sinn dieser Schlussbemerkung ist nicht ganz klar. Vgl. einerseits Clarke 2018, 81 und andererseits Crubellier 2019, 78 f. 3 186 a7–10  Die Sätze »Denn sie machen … Kinderspiel« wiederholen c. 2, 185a 9–12; siehe dort. 186 a10–16  Vgl. die Quellenangaben zu Melissos bei Laks / Most (LM 21 R10). – Anfang: archê (a12), d. h. hier wohl: Teil, von dem die Entwicklung ausgeht (Philoponos In Phys. 60,5–7: archê kata morion), z. B. bei der Embryonalentwicklung nach Aristoteles das Herz (Simplikios In Phys. 106.25–26); vgl. Castelli 2018, 83n8. schlichtes Werden: genesis haplê (a14–15); Veränderung: alloiôsis (15), d. h. Änderung in der Kategorie der Substanz bzw. des Wie-beschaffen (s. o. Anm. zu 185a 21; zur Unterscheidung der Arten der Bewegung oder Änderung Einl. 2.1.1.2). Aristoteles kommt auf diese Unterscheidung in Kap. 7 (190 a31 ff.) zurück (dazu Einl. 2.1.2). Schlicht (oder: »schlechthin«: haplôs) zu werden heißt, zu entstehen; dabei ist das Entstehen der Vorgang, als dessen Resultat ein Gegenstand existiert (d. h. schlechthin ist, s. o. Anm. zu 185a 20), der zuvor nicht existierte. plötzlicher Umschlag: athroa metabolê (a15–16) – d. h. gleichzeitige Änderung an etwas Ausgedehntem, z. B. beim Gefrieren von Wasser oder der Durchdringung eines durchsichtigen Körpers mit Licht (Ross 1936, 471 mit Verweis auf mit Phys. VIII 3, 253b23–26 bzw. Anim. II 7, 418b20–26).

208

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

186 a16–18  Aristoteles vergleicht hier das All mit einer Flüssigkeit (ebenso dann in IV 5 und IV 7, s. u. Anm. zu 212a32–34) – die Eleaten scheinen an einen Festkörper zu denken. Wenn das All tatsächlich ein einziger massiver Festkörper ist, gibt es tatsächlich keine Bewegung. – Beachte übrigens: Ar. widerlegt ein Konditional durch Aufweis eines Modells, das den Vordersatz wahr und den Hintersatz unwahr macht. Das ist sehr modern. 186 a 21–22  Ergänze sinngemäß: Aber sie sind nach Auffassung der zitierten Naturforscher aus einerlei Stoff. 186 a 23–24  Ebenso zuvor c. 2, 185a 9–10 und c. 3, 186 a7–8. Zur Rekonstruktion des anschließenden Arguments (186 a 24–32) vgl. Castelli 2018, 86–93; Quarantotto 2019, 95–104; Clarke 2019, 76–145 sowie bes. Angioni, im Ersch. (bes. die Abschnitte über sêmainein, hoper on und symbebêkos). 186 a 24–25  Aristoteles formuliert zwei Einwände gegen Parmenides: (1) Die parmenideische Annahme, von »seiend« werde schlechthin (haplôs) gesprochen, ist falsch. (2) Aus dieser Annahme folgt nicht, dass das Seiende enes ist. Zu (1) beschränkt sich Aristoteles darauf, das Gegenteil zu behaupten (a 25, s. o. Anm. zu 185 a 21). Der Nachweis zu (2) erfolgt in mehreren Schritten (a 25– b12), mit zwei Nachträgen (b12–14 und b14–35). Dabei beschränkt sich die Beweisaufgabe darauf, die Ungültigkeit des bei Parmenides unterstellten Schlusses zu zeigen. Ein Schluss der Form »φ, also ψ« ist genau dann ungültig, wenn φ die Wahrheit von ψ nicht garantiert und somit der Fall, dass φ und non-ψ, eintreten kann – und unter geeigneten Zusatzannahmen eintreten muss. Aristoteles hat alle Freiheit, solche Zusatzannahmen, soweit sie mit φ vereinbar sind, in seine eigene Argumentation einzubringen. Eine Schwierigkeit bleibt dabei allerdings zu beachten: Wenn φ die Aussage ist, dass von »seiend« schlechthin (haplôs) gesprochen wird, dann ist φ nach (1) jedenfalls unwahr. Die Frage nach der Gültigkeit des Schlusses von φ auf ψ stellt sich daher für Aristoteles gar nicht in der Form, ob Parmenides ausschließen kann, dass unter geeigneten Zusatzannahmen φ wahr und ψ falsch ist. – Aristoteles verzichtet auch auf eine Referierung des parmenideischen Arguments, so dass dessen Gültigkeit näher geprüft werden könnte. Nach Clarke (2019, 77 u. ö. bezieht sich Aristoteles auf DK 28 B 8.22–25, wobei aber auch das dortige Argument nur vermutungsweise rekonstruiert werden kann. Die von Clarke (2019, 95) vorgeschlagene Rekonstruktion ist unbefriedigend, da sie anders als gefordert ein gültiges Argument liefert, das nur an der Unwahrheit seiner Prämisse scheitert.



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

209

Die Annahme φ muss deshalb auf eine solche Weise eingebracht werden, dass ihre Unwahrheit unschädlich ist. Nach manchen Interpreten (z. B. Clarke 2019, 87) geschieht dies in Gestalt der Annahme φ 0 , dass ›seiend‹ enes anzeigt (vgl. a 26–27: sêmainontes hen). Dagegen ist mit Angioni einzuwenden, dass φ 0 im Unterschied zu φ trivial ist, da jedes Wort im gegebenen Verwendungsfall entweder gar nichts oder enes bedeutet – vgl. dazu auch Met. IV 4, 1006 a11 ff., wonach niemand »etwas sagen« kann (ti legein, a13), ohne etwas Bestimmtes und somit enes anzuzeigen (sêmainein ti, a 21; hen sêmainein, a31 ff.). Eine elegantere Lösung ergibt sich mit einer Differenzierung, auf die Horstschäfer (1998, 96 f.) hingewiesen hat: In der Formulierung von φ ist haplôs (186 a 24: »schlechthin«) nicht gleichbedeutend mit monachôs (c. 2, 185b31: »nur auf eine einzige Weise«) und daher auch keine bloßes Gegenteil von pollachôs (186 a 25: »auf vielfache Weise«). Horstschäfer verweist auf c. 8, 191b13–15, wo haplôs mê on (schlechthin Nicht-Seiend) als Gegenbegriff zu mê on … kata symbebêkos (»aufgrund zusätzlicher Umstände Nicht-Seiend« – im Sinne von strerêsis wie c. 7, 190 b27; dazu auch Leuinissen 2019) fungiert. Diese Unterscheidung ist wohl zu technisch, als dass sie bei Parmenides vorausgesetzt werden sollte. Für einschlägiger halte ich die von Aristoteles zuvor (a14–15) beiläufig erwähnte und dann der Argumentation in Kap. 7 zugrunde liegende Unterscheidung zwischen schlichtem und prädikativem Werden; vgl. c. 190 a31–33: haplôs gignesthai bzw. ti gignesthai; in demselben Sinne 186 a14–15 und dann bes. Phys, V 1, 225a14–17: genesis haplê. Diese Unterscheidung gilt ebenso wie für das Werden auch für das Sein. Sie betrifft den grammatischen Stellenwert von ›wird‹ (gignetai) bzw. ›ist‹ – d. h. von seiend‹ (on) gemäß der aristotelischen Formulierung in Phys. I 3: Die Annahme φ, von »seiend« werde schlechthin (haplôs, 186 a 24) gesprochen, schließt eine Verwendung von ›ist‹ als Kopula aus, womit die durch pollachôs (186 a 25: »auf vielfache Weise«) angesprochene Differenzierung nach Kategorien automatisch entfällt. Wenn Aristoteles diese Annahme einerseits ablehnt, kann er sie doch andererseits in seiner weiteren Argumentation einfach dadurch berücksichtigen, dass er eine Verwendung von ›ist‹ (oder von ›seiend‹) als Kopula nicht in Betracht zieht. Im Folgenden (186 a 25– b12) zeigt Aristoteles: (i) Wird Seiend prädiziert, was durch φ nicht ausgeschlossen wird, dann ist das Seiende vieles (a 25–32). (ii) Eine Verschärfung φ' von φ behebt diese Komplikation, indem sie ausschließt, dass Seiend prädiziert wird (a32– b4). (iii) Nach φ' kann deshalb auch vom Seienden nicht prädiziert werden, dass es ist, sondern nur, dass es nicht ist. Daher ist φ' unplausibel; und die unter (i) aufgezeigte Komplikation ist nicht zu beheben.

210

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

186 a 25–28  Aristoteles diskutiert nicht das Argument, das er bei Parmenides unterstellt, sondern ein »Parallelargument« (Angioni), in dem »weiß« (leukon) die Rolle von »seiend« (on) übernimmt. Dass dabei »nur Weißes« (mona ta leuka, a 26) in Betracht kommt, liegt nahe, da Parmenides nur Seiendes in Betracht zieht. Die Voraussetzung, dass »das Wort ›weiß‹« (to leukon, a 27) enes anzeigt (sêmainei hen, vgl. a 27–28 u. ö.), versteht sich von selbst (s. o. Anm. zu 186 a 24–25). Das somit angezeigte Weiße (ta leuka, a 27 = to leukon, a 28) ist gleichwohl vieles und nicht enes, und zwar, wie Aristoteles hinzufügt, »weder durch Zusammenhang (têi synecheiai, a 28) … noch der Definition nach (tôi logôi, a 28)«. Bei dem fehlenden Zusammenhang mag man daran denken, dass unter den angegebenen Voraussetzungen immer noch mit mehreren voneinander getrennten weißen Körpern (z. B. mehreren Schwänen in einer gleichmäßig weißen Umgebung) zu rechnen ist. Entscheidend ist dann aber die Feststellung, dass das durch ›weiß‹ angezeigte Weiße auch nicht »der Definition nach« (tôi logôi) enes ist (s. u. a 28–31). 186 a 28–32  Aristoteles unterstellt, dass Weiß von irgendetwas prädiziert werden kann. Diese Annahme ist unproblematisch, denn ›weiß‹ fungiert trivialerweise nicht als Kopula; das heißt, die Prädikation ist so »schlicht«, wie zuvor (186 a 24–25) für Seiend gefordert. Aristoteles weist nun darauf hin, dass in der prädikativen Aussage, etwas sei weiß, das Wort ›weiß‹ eine zweifache Verwendung hat: Einer­ seits zeigt ›weiß‹ eine bestimmte Eigenschaft an, nämlich die Farbe Weiß (leukon, a 29); und andererseits charakterisiert ›weiß‹ den jeweiligen ­Gegenstand als Träger dieser Eigenschaft (to dedegmenon, a 29). Die Eigenschaft und ihr Träger sind nicht enes, sondern zweierlei. Denn sie sind zwar ungetrennt (ou chôriston, a30), aber der Definition nach (tôi logôi , a 28) und somit in ihrem jeweiligen »Sein« (tôi einai, a31) unter­ schieden. Vgl. Phys. III 3, wo »im Sein dasselbe« (tôi einai to auto, 202b 9, tauton) besagt, »dass die Definition (logos), die das Was-heißt-es-so-etwas-zusein (ti ên einai) angibt, eine einzige ist« (ebd. b12; dazu Hussey 1983, 69 f.). Aristoteles lässt demgemäß zu, dass dieselbe Sache numerisch ene und »in ihrem Sein« verschiedenerlei ist. Aristoteles kann seinem Opponenten außer der Voraussetzung, dass ›weiß‹ (bzw. ›seiend‹) enes anzeigt, drei zusätzliche Annahmen schenken: dass erstens nur ein einziger Gegenstand existiert, der zweitens unteilbar ist und drittens nur eine einzige Eigenschaft hat (vgl. Angionis Analyse des »Parallelarguments«; nach Castelli 2018, 93 ist die Voraussetzung, dass ›seiend‹ enes anzeigt, von vornherein in diesem zusätzlichen Sinn zu verstehen). Gleichwohl bleibt die prädikative Struktur, in der



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

211

das Wort ›weiß‹ überhaupt erst eine Anwendung hat, in der angegebenen Weise komplex; das durch ›weiß‹ angezeigte Weiße bleibt der Definition nach zweierlei. 186 a 31–32  Diese abschließende Bemerkung unterstellt bei ›seiend‹ (on) dasselbe Ergebnis wie bei ›weiß‹ (leukon): Auch wenn ›seiend‹ schlicht prädiziert wird, ist das somit angezeigte Seiende der Definition nach (tôi logôi) zweierlei. 186 a 32–34  »genau das, was Seiend / Enes ausmacht«: hoper on / hen (a33–34). Auf hoper hen kommt Aristoteles nicht mehr zurück. Es liegt daher nahe, die Verknüpfung durch kai (a34: »und«) im explikativen Sinn zu verstehen. Ich beschränke die folgenden Erläuterungen auf die Formel hoper on. Der Form nach ist hoper on gebildet wie hoper zôion (APo I 22, 83a30), hoper leukon (ebd. a7 u. ö.) oder hoper kinoumenon (Top. IV I, 120 b24). Die äußerst verknappte Formulierung lässt sich nach Angioni sinngemäß ergänzen zu touto hoper P estin. Dabei ist P ein Substantiv, Adjektiv oder Partizip, z. B. zôion (»Tier«), loikon (»weiß«) bzw. kinoumenon (»in Bewegung«) oder eben auch on (»seiend«). In hoper P estin ist estin Kopula und demgemäß entweder hoper Subjekt und P Prädikatsnomen oder umgekehrt. Bei Clarke (2019, 117n25) und Quarantotto (2019, 109n62) bleibt das unentschieden. Die zahlreichen Parallelstellen sprechen aber dafür, dass in hoper P estin nicht hoper, sondern P Subjekt und demgemäß hoper Prädikatsnomen ist; vgl. Oehler 1984, 240 (zu Cat. 7, 6 a38–39); Bonitz 1849, 176 (zu Met. IV 2, 1003b33 unter Berufung auf Alexander, In Top. 227.6 ff.) und Detel 1993, II 390 (zu APo I 22, 83a1 ff.); zu hoper on in Phys. I 3 die Erläuterungen von Angioni (im Ersch.), Wagner (1979, 408 f. mit Hinweis auf Adrastos bei Simplikios, In Phys. 122.33 ff.) und Castelli (2018, 93 f.). Ich schreibe demgemäß »was P ausmacht« für hoper P und »was Seiend ausmacht« für hoper on. Die gelegentlichen Zusätze »genau das« und »dasjenige« dienen dem syntaktischen Anschluss und der Verdeutlichung; der Sache nach sind sie redundant. Die Bedeutung von hoper P an den einschlägigen Stellen der Topik wird von Castelli (ebd. 94) durch »if S is hoper P, then the definition of P applies to S« angegeben; insbesondere werde durch die Formel hoper P die Gattung von S angegeben. Das passt gut zu der erwähnten, von Angioni herangezogenen Stelle in APo I 22, wonach »der Mensch hoper zôion ist« (83a30). Denn Tier (zôion) ist die Gattung von Mensch, und auf Mensch trifft die Definition von Tier zu – etwa: Tier ist Beseeltes (empsy­ chon) mit Wahrnehmungsvermögen (aisthêsis, vgl. Anim. II 2, 413a 20– b2). Mit der (auch in APo I 22 getroffenen) Unterscheidung zwischen hoper P

212

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

und hoper P ti (s. u. zu 186 b14–15) ergibt sich in Phys. I 3 aber eine engere Auffassung: Nach der treffenden Formulierung von Angioni bedeutet ›S ist hoper P‹ hier nicht nur, dass die Definition von P auf S zutrifft und P die Gattung von S ist, sondern dass »P exhausts what it is for S to be S«. Die Annahme, durch on (»das Wort ›seiend‹«) werde hoper on angezeigt, besagt demnach (mit S = P = on), dass Seiend (P) ausschöpft, was es für Seiendes (S) heißt, seiend (S) zu sein – oder weniger verquer formuliert: dass Seiend ausschöpft, was es für Seiendes heißt, zu sein. Aristoteles wird eine Gegenthese vertreten: Für alles Lebendige fällt das Sein (einai) mit dem Lebendigsein (zên) zusammen (Anim. II 4, 415 b13, dazu Schark 2016, 138 ff.), und zwar mit dem Lebendigsein als ein Exemplar der jeweiligen Art. Wenn Karl ein lebender Mensch ist, dann ist Karl somit etwas Seiendes; und seiend zu sein, heißt für Karl, Mensch zu sein, was durch Seiend durchaus nicht ausgeschöpft wird. Ebenso ist wohl auch die Kurzfassung im vorliegenden Kapitel zu verstehen: Das hoper on (»was Seiend ausmacht«) zerfällt nach 186 b14–16 in hoper on ti allo (»dasjenige, was Etwas-bestimmtes-anderes-zu-sein ausmacht«); z. B. zerfällt dasjenige, was Seiend bei einem Menschen ausmacht, in dasjenige, was Tier ausmacht und was Zweifüßig ausmacht. Oder mit der Formulierung Angionis: Was es für Seiendes heißt, zu sein, erschöpft sich im Fall des Menschen eben darin, Mensch und zweifüßig zu sein. – Die Auseinandersetzung mit Parmenides lässt sich als Vorbereitung dieser Gegenthese verstehen. Zu bedenken bleibt dabei allerdings zweierlei. Erstens: Es bleibt unklar, wie die zitierten Erklärungen unter Vermeidung eines kopulativen Gebrauch von ›ist‹ (s. o. Anm. zu 186 a 24–25) formuliert werden sollen. Denn ohne Kopula (A »ist« per definitionem B) gibt es keine Definition, und auch die Frage, was es für S »ist« (und nur im Deutschen: »heißt«), S zu sein, stellt sich in einer Terminologie ohne Kopula nicht. Wenn man die zitierten Erklärungen ausreizt, wird das Argument in Phys. I 3 schief. Zweitens: Anders als hoper on ti (s. u. Anm. zu 186 b14–15) hat die Formel hoper on bei Aristoteles keine Verwendung. Sie kommt sonst nirgendwo im Corpus Aristotelicum vor und ist überhaupt nur ein Artefakt, das Aristoteles für die Auseinandersetzung mit Parmenides braucht. Die Bedeutung dieser Formel ist daher nicht umstandslos an den Parallelstellen mit hoper P ablesbar. Hinzuzuziehen ist vielmehr auch ihre Verwendung in dieser Auseinandersetzung. Dabei fällt auf, dass die Annahme, durch ›seiend‹ werde hoper on ­a ngezeigt, von Aristoteles von vornherein in Gestalt der Regel (HO) Was nicht genau das ist, was Seiend ausmacht, ist nicht seiend. in die Argumentation eingebracht wird (s. u. Anm. zu 186 a34– b1 und zu 186 b 8). Es ist wohl müßig, (HO) aus irgendeiner Erklärung der Formel



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

213

hoper on ableiten zu wollen. Vielmehr lässt sich die Bedeutung von hoper on an den Anwendungen von (HO) ablesen. Anders als die Formel hoper on lässt sich die Regel (HO) vermutungsweise auf Parmenides zurückführen: Sie ist eine Formulierungsvariante des parmenideischen Ist-oder-ist-nicht-Tests; vgl. DK 28 B 8.14–15: »Die Entscheidung (krisis)« über Entstehen, Vergehen etc. »liegt hierin: Ist oder ist nicht (estin ê ouk estin)?«. Die Formel hoper on ist somit ein ­bloßes Vehikel, mit dem dieser Test von Aristoteles in seine Referierung der parmenideischen Argumentation eingeführt wird. 186 a 34– b1  »was überdies zutrifft«: to symbebêkos (a34). – Aristoteles beginnt mit einer Überlegung zur Motivation der Annahme, dass ›seiend‹ genau das anzeigt, was Seiend ausmacht ist: (i) Nach a 28–31 sind Seiend und dasjenige, worauf Seiend »überdies zutrifft« (wie Weiß auf irgendein körperliches Ding), der Definition nach zweierlei. Wenn nach a33–34 ›seiend‹ genau das anzeigt, was Seiend ausmacht, gilt weiterhin: (ii) Was aufgrund seiner Definition etwas anderes als Seiend ist, ist nicht genau das, was Seiend ausmacht und daher nach (HO) überhaupt nicht seiend (s. o. Anm. zu 186 a32–34). Aus (i) und (ii) folgt: Worauf Seiend zutrifft, ist Nicht-Seiendes. Da dies abwegig ist, kann Seiend nicht in derselben Weise wie Weiß prädiziert werden. Die durch das Parallelargument mit Weiß aufgezeigte Schwierigkeit hat sich erledigt. 186 b1–4  »etwas, das etwas Bestimmtes ist«: on ti (b2). – Bereits hier ist ti (»etwas Bestimmtes«) Prädikatsnomen zu on (»etwas, das … ist«). Es sei a dasjenige, was Seiend ausmacht (to hoper on, b2) und b etwas anderes, d. h. etwas anderes Bestimmtes als a. Wenn Seiend auf b zutrifft, dann zeigt ›seiend‹ nicht nur a an, sondern auch b und somit insgesamt zweierlei. 186 b 4–5  Mit Angioni verstehe ich symbebêken (»trifft überdies zu«) hier, wie zuvor das zugehörige Partizip symbebêkos (a34: »was überdies zutrifft«), als Ausdruck für nicht-tautologische Prädikation. Nach b1–4 kann unter parmenideischen Voraussetzungen Seiend nicht von etwas anderem prädiziert werden. Wenn Seiend überhaupt in nicht-tautologische Prädikationen eintreten kann, dann muss sich daher von Seiend etwas anderes, z. B. Weiß (s. u. b 6), prädizieren lassen. 186 b 6–7  Die Annahmen [α] und [β] besagen insgesamt: Weiß ist etwas, das auf dasjenige, was Seiend ausmacht, »überdies zutrifft« (symbebêken, b 4–5). Dabei steht »Weiß« (leukon) hier nicht, wie a 25–31, für Seiend, sondern für irgendetwas, das sich prädizieren lässt. Das kann, aber muss nicht eines der Prädikate sein, die Parmenides (DK 28 B 8.4 ff.) dem Seienden (eon) zuschreibt. 186 b 8  Das ist wieder die Regel (HO), s. o. Anm. zu 186 a32–34.

214

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

186 b12  Die vermeintlich nicht-tautologische Prädikation von Weiß hat sich mit der Konklusion, dass auch ›weiß‹ genau das anzeigt, was Seiend ausmacht (b11–12) als tautologisch erwiesen. Nicht-tautologisch wäre diese Prädikation nur, wenn das nach a33–34 von ›seiend‹ und nach b11–12 überdies auch von ›weiß‹ angezeigte hoper on verschiedenerlei wäre. Für die Auseinandersetzung mit Parmenides kann das in der Haupt­ sache genügen. Von den anschließenden Nachträgen hat der zweite (b14– 35) mit Parmenides nur noch wenig zu tun. 186 b12–14  Größe: megethos (b12). Größen sind teilbar. Die Teile haben nach b1–12 keine zusätzlichen Merkmale, in denen sie sich unterscheiden könnten. Deshalb muss für jeden der Teile »das Sein ein anderes« sein (heteron to einai, 186 b13–14). Dann ist aber das Seiende, wie zuvor Weiß (s. o. 186 a 28–31), verschiedenerlei. Die Bemerkung könnte sich auf die eleatischen Annahmen über die Ausdehnung des Seienden beziehen (vgl. Clarke 2019, 132 f.): Nach Parme­ nides (DK 28 B 8.6 und 25) ist das Seiende »kontinuierlich zusammenhängend« (syneches) und eine begrenzte massive Kugel (ebd. 8.42–49); nach Melissos (DK 30 B 2 ff.) ist es unbegrenzt. Aristoteles weist dann darauf hin, dass dies mit der Gleichsetzung von on und hoper on unvereinbar ist. 186 b14–15  »dasjenige, was Etwas-bestimmtes-anderes-Seiend ausmacht«: hoper on ti allo. – Angioni (im Ersch.) übersetzt die Formel hoper P ti (mit P = ekeino, APo I 22, 83a 25 und 27) durch »what exactly a particular sort of P is«. Mit P = on ergäbe sich »what exactly a particular sort of being is«. Dabei zieht Angioni (ebd. 25) aber eine weitere Möglichkeit in Betracht und unterscheidet zwei Varianten: (i) hoper on ti = what exactly »a being of particular kind« is, und (ii) hoper on ti = what exactly »a particular token being« is. Soweit ich sehe, fallen die Beispiele, die Aristoteles hier und in Folgenden anführt, unter (i). Die Bedeutung von on (»being«) in der Formel hoper on ti bleibt bei Angioni undiskutiert. Nach einem Vorschlag von Quarantotto (2019, 116) ist on in hoper on ti (186 b14 etc.) als Kopula, mit ti als Prädikatsnomen, aufzufassen. Meine Übersetzung – »dasjenige, was Etwas-BestimmtesSeiend ausmacht,« für hoper on ti – folgt diesem Vorschlag. Mit A ­ ngionis Rekonstruktion ist das insofern vereinbar, als (i) »a being of kind F« nichts anderes ist als etwas, das F ist, und (ii) »a particular token being«, z. B. Karl, nichts anderes als etwas, das Karl ist. Im letzteren Fall fungiert »ist« zwar bei logischer Betrachtungsweise als Ausdruck für Identität, aber grammatisch wird dies im Griechischen wie im Deutschen durch die Verwendung als Kopula zum Ausdruck gebracht. Der Übergang von hoper on (186 a32 ff.) zu hoper on ti (186 b14 ff.) geht also einher mit einem Übergang vom schlichten zum prädikativen Sein. Im Griechischen



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

215

kann dieser Übergang ganz beiläufig erfolgen, vgl. Burnyeat 2003 (zu ­gignesthai in Platon, Apol. 30b2–4). Die parmenideische Annahme, von »seiend« werde schlechthin (hap­ lôs) gesprochen (s. o. Anm. zu 186 a 24–25), wäre hiermit verabschiedet. – Vgl. aber die Bemerkungen zu Clarke in der folgenden Anmerkung. 186 b14–16  »zerfällt«: dihaireitai (b14). – Die Formel hoper on hat sich als ein leeres Konstrukt erwiesen (s. o. Schlussbemerkung zu 186 a32–34). Daher kann »dasjenige, was Seiend ausmacht (to hoper on),« nicht eingeteilt werden, sondern allenfalls in etwas Sinnvolles zerfallen, nämlich: was Etwas-Bestimmtes-Seiend jeweils ausmacht (hoper on ti). – Später kann der Ausdruck to hoper on auch als Sammelbegriff für verschiedenerlei hoper on ti fungieren (s. u. zu 186 b33). Aristoteles unterstellt, dass Mensch definitionsgemäß (tôi logôi , b15) dasselbe ist wie zweifüßiges Tier; dabei ist Tier die übergeordnete Gattung und Zweifüßig die spezifische Differenz. Dabei sind Mensch, Tier und Zweifüßig dasjenige, was Etwas-Bestimmtes-Seiend jeweils ausmacht (hoper on ti, mit »Mensch«, »Tier« bzw. »Zweifüßig« für ti, d. i. »etwas Bestimmtes«): Mensch ist dasjenige, was Mensch-Seiend ausmacht, Tier ist dasjenige, was Tier-Seiend ausmacht, und Zweifüßig ist dasjenige, was Zweifüßig-Seiend ausmacht. – Zur Formulierung: Ich unterdrücke den unbestimmten Artikel bei »Mensch«, »Tier« usf., da er den Anschein erweckt, als würde durch die Prädikation so etwas wie Identität angezeigt. Das Griechische ist in dieser Hinsicht unmissverständlich. Die Großschreibung von ›zweifüßig‹ weist darauf hin, dass dieses Wort hier etwas anzeigt, das in derselben Weise wie Mensch und Tier prädiziert werden kann (vgl. Einl. 3.2.2.3). Nach Clarke (2019, 135 ff.) gehört 186 b14–35 noch zur Widerlegung des Parmenideischen Arguments. Man kann sich das vielleicht so klar­ machen: Aristoteles hat gezeigt, dass hoper on von nichts anderem und nichts anderes von hoper on prädiziert werden kann. Angenommen, es gäbe eine Definition, die Seiend in derselben Weise auf A und B zurückführt, wie Mensch auf Tier und Zweifüßig zurückgeführt wird. Dann lassen sich A und B in derselben Weise von Seiend prädizieren, wie Tier und Zweifüßig vom Mensch; und wie dabei von Mensch nichts anderes prädiziert wird als dasjenige, was Mensch ausmacht, nämlich Tier und Zweifüßig (dazu b17–35), würde auch von Seiend nichts anderes prädiziert als dasjenige, was Seiend ausmacht. Hiermit wäre für Seiend die Möglichkeit nicht-tautologischer Prädikationen gesichert – aber um den Preis, dass dasjenige, was Seiend ausmacht, zweierlei ist. Wie es zugehen soll, dass Seiend in derselben Weise auf A und B zurückgeführt wird wie Mensch auf Tier und zweifüßig, bleibt aber rätsel-

216

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 3

haft. Denn bei Aristoteles gibt es keine übergeordnete Gattung zu Seiend (wie Tier zu Mensch); oberste Gattungen sind vielmehr die Kategorien, in die sich Seiend differenziert. Nach Clarkes Interpretation müsste Aristoteles unterstellen, dass in der Auseinandersetzung mit Parmenides eine definitorische Zerlegung von Seiend überhaupt erwägenswert ist. Aber warum sollte er das? 186 b20  Das heißt: Wenn A in der Definition von F vorkommt, dann ist F nach [b] etwas, das auf A zusätzlich zutrifft (ein symbebêkos von A). 186 b21–22  »abgetrennt«: chôrizomenon (b22) – das heißt hier wohl nur: Es kann der Fall sein oder auch nicht. 186 b22–23  Nach [b] wäre eher zu erwarten: »in der Definition von Stupsig kommt Nase vor«. Aber das macht hier wohl keinen nennenswerten Unterschied. 186 b27–28  Dass Zweifüßig auf Mensch überdies zutrifft, ist gemäß 186 b17–8 zu widerlegen. Aristoteles diskutiert nacheinander die dortigen Alternativen »auf den Menschen« (186 b27–31) und »auf sonst ein Zugrunde­l iegendes« (186 b31–35). 186 b33  »dasjenige, was Seiend ausmacht«: to hoper on. Der Ausdruck ist hier elliptisch; er fungiert wohl als Sammelbegriff für verschiedenerlei hoper on ti, so dass bei »Seiend« verschiedenerlei Bestimmtes eingesetzt werden kann. 186 b35  Was diese Frage hier besagt, bleibt rätselhaft. Vgl. die Diskussion bei (Ross 1936, 477–479), Castelli (2018, 99–101) und Quarantotto (2019, 119–121); nach Clarke (2019, 142) schließt Aristoteles hier mit der Bemerkung, Parmenides müsse zeigen, dass das Universum auf definitorisch Unteilbarem besteht. 187a1–3  Gemeint sind einerseits die Atomisten mit der Annahme, dass das Seiende (die Atome) durch Nicht-Seiendes (das Leere) getrennt ist; andererseits Xenokrates mit der Annahme unteilbarer Linien (vgl. Castelli 2018, 101 f.). – Das erste Argument, wonach »alles enes ist, wenn ›seiend‹ enes anzeigt« (a1–2), hat Aristoteles zuvor erörtert (s. o. 186 a 25– b12). Ein Argument aus der Zweiteilung (dichotomia) wurde zuvor nicht erwähnt. Wahrscheinlich handelt es sich um Zenons Paradoxon der Vielheit (DK 29 B 1–2); vgl. Alexander bei Simplikios In Phys. 138.3; Ross 1936, 479; Quarantotto 2019, 121n99. Zu Zenon dann Einl. 2.5 im zweiten Teilband. 187a 5  Widerspruch: antiphasis. Aristoteles unterstellt hier eine sehr allgemeine Form des Widerspruchssatzes: dass Nicht-A nicht zugleich mit A der Fall sein kann. – Beachte übrigens: Aristoteles bestreitet hier die Gültigkeit zweier Konditionale (a 4–5 und a7–8). 187a 5–6  Wie in der Auseinandersetzung mit Parmenides (s. o. Anm. zu 186 a 24–25) unterscheidet Aristoteles hier zwischen schlichtem und



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 4

217

prädikativem Sein (haplôs einai bzw. on ti einai). Erst durch diese Unterscheidung wird der Ausschluss von Nicht-Seiendem vermieden. 187a 8–9  »was es heißt, dasjenige zu sein, was Etwas-Bestimmtes-Seiend ausmacht«: to hoper on ti einai. – Dabei ist to … einai (substantivierter Infinitiv: »was es heißt, … zu sein«) Objekt zu manthanei (a 8: »begreift«); hoper on ti (»dasjenige …, was Etwas-Bestimmtes-Seiend ausmacht«) ist Prädikatsnomen zu einai. Die Frage ist rhetorisch. Sie vertritt die Behauptung, dass sich (a) »das Seiende selbst« (auto to on) nur daraus, (b) was es heißt, »dasjenige zu sein, was Etwas-Bestimmtes-Seiend ausmacht«, erschließt. Wenn man diese Formulierung auszupacken versucht, ergibt sich: (i) In (a) steht on (»seiend«) für schlichtes Sein, also wohl im Sinn von Existenz, in (b) hingegen als Kopula. (ii) In (a) lässt der Zusatz auto (»selbst«) an Platonische Ideen denken, etwa an »das Gleiche selbst«, »das Schöne selbst« usw. in Platons Phaidon (74a11–12: auto to ison, 75c11: auto to kalon etc.); man könnte also an so etwas wie eine Platonische Idee des Seins denken. Aber diese Interpretation ist nicht zwingend; vielleicht soll auto to on nur das »Seiende« (eon) bei Parmenides bezeichnen. In (b) wird durch hoper on ti (»dasjenige, was Etwas-Bestimmtes-Seiend ausmacht«) eine ausgezeichnete Weise der Prädikation, d. h. eine bestimmte Verwendung von Sätzen wie ›Karl ist Mensch‹ oder ›Mensch ist zweifüßiges Tier‹, angezeigt; und durch to … einai (»was es heißt … zu sein«) wird angezeigt, dass es darum geht, eben diese Weise der Prädikation zu verstehen. – Das somit angedeutete Programm fällt nicht in die Naturwissenschaft, sondern in die Erste Philosophie. 4 187a10–11  Aristoteles unterscheidet zwei Varianten der Behauptung, das Seiende (to on) sei enes (hen). Diese Unterscheidung wurde in Kap. 2 durch »in dieser Weise enes« (houtôs hen, 185a 4–5) angekündigt; mit derselben Wendung (houtôs hen, 187a10) kommt der Überleitungssatz zu Kap. 4 auf sie zurück. Die eine Variante der Behauptung ist die von Parmenides und Melissos vertretene, die Aristoteles in Kap. 2 und 3 diskutiert hat. Die andere, in Kap. 4 erörterte Variante entspricht der bei den »Naturforschern« (physikoi) verbreiteten Annahme, das All sei aus einer ursprünglichen Einheit entstanden. – Vgl. Betegh 2019, 125–127. 187a12–15  Nächstliegende Kandidaten für einen einheitlichen Grundstoff sind die allgemein angenommenen Grundstoffe: Feuer, Wasser, Luft, Erde. Nach Aristoteles (Met. I 8, 989 a5–8) hat aber keiner »von denen, die über alles natürliche Erklärungen gegeben haben« (tôn peri pantôn ­physiologountôn, ebd. 988 a 27), die Erde als einzigen Grundstoff angegeben, in auffälligem Kontrast zu der Göttererzählung Hesiods (ebd. 989 a10; vgl. Theog. 117 ff.) – Bei Wasser kann man an Thales denken, bei

218

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 4

Feuer an Heraklit, bei Luft an Anaximenes und Diogenes von Apollonia; vgl. die entsprechenden Abschnitte bei Rapp (2007), zu Diogenes (DK 64 B 2) Kap. 16 bei KRS. Das zuletzt erwähnte Zwischending zwischen Luft und Feuer lässt sich kaum zuordnen (vgl. Ross 1936, 482 f.). 187a17  Anspielung auf die sog. ungeschriebene Lehre Platons. Dazu einführend Steinthal 2013 (bes. 293); vgl. die Hinweise von Ross (1924, I 169–171) und Steel (2012, 186 ff.) zu der Parallelstelle in Met. I 6 (987 b20). – Auf Platons Groß-und-Klein kommt Aristoteles andeutungsweise in Kap. 6 (189 b15) und ausführlicher in Kap. 9 (192 a 6 ff.) zurück (siehe dort). 187a18–20  Material: hylê; Form: eidos – aristotelische termini technici, hier im Vorgriff auf Kap. 7–9 verwendet. Auf die beschriebene Abweichung Platons von den Alten kommt Aristoteles in Kap. 6 (189 b13–6) zurück. – Dazu auch Einl. 2.2.5.4. 187a 20–21  Vgl. DK 12 A 16. Mit »ausgeschieden werden« (­ekkrinesthai) wird Anaximandros wohl wörtlich zitiert – das Zitat wurde dann freilich von Theophrast zu »abgesondert werden« (apokrinesthai) korrigiert (vgl. Kahn 1960, 19 f.; Zusammenstellung und Kommentierung der Parallelstellen ebd. 39 ff.). Einführend zu Anaximandros: Rapp 2007, 35 ff. (hier: 45). 187a 23  Ein ungeschiedenes »Gemisch« (migma) ist einerseits die Vereinigung der Elemente zu einer Kugel (sphairos, DK 31 B 28) bei Empedokles. Es kommt dadurch zustande, dass sich in der Konkurrenz der von Empedokles angenommene Grundkräfte, nämlich »Liebe« (philia, d. i. Mischung des Verschiedenen) und »Streit« (neikos, d. i. Trennung des Verschiedenen), die erstere durchsetzt und die letztere allen Einfluss verliert. Eine komplexe Welt entsteht erst nach Auflösung des sphairos im Wechselspiel beider Grundkräfte. Andererseits beschreibt auch Anaxagoras den Anfangszustand der Welt als ungeschiedenes Gemisch (DK 59 B 1). – Zum kosmischen Zyklus bei Empedokles dann Primavesi 2011, 396–406 (Quellentexte zu den Grundkräften: MP #57–62; zum kosmischen Zyklus #63 ff.). 187a 25–26  die gleichteiligen [Stoffe]: ta homoiomerê. An einer Parallel­ stelle erklärt Aristoteles, »gleichteilig« sei, »wessen Teil dem jeweiligen [Ganzen] namens- und artgleich (synônymon) ist« (GC I 1, 314 a 20; zur Bedeutung von synônymos vgl. Cat. 1, 1a 6–7). Ungleichteilige Körperteile bestehen nach Aristoteles (PA II 1, 646 a 20–24; dazu Kullmann 2007, 363–367) aus gleichteiligen, z. B. eine Hand aus Sehnen und Knochen: Jeder Teil eines Knochens ist wieder Knochen, und jeder Teil einer Sehne wieder Sehne; aber keiner der Teile, aus denen eine Hand aufgebaut ist, ist wieder Hand. Gleichteilige Stoffe sind nach Anaxagoras nicht aus etwas anderem entstanden (vgl. DK 59 B 10), sondern bereits in dem ursprünglichen Gemisch enthalten, aus dem die Welt entstanden ist.



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 4

219

An »konträren Gegenteilen« (enantia) nennt Anaxagoras u. a. Dicht und Dünn, Feucht und Trocken, Kalt und Warm (vgl. DK 59 B 15). Beachte übrigens: Die von Aristoteles verwendete Terminologie – »gleichteilig«, »konträr« – ist bei Anaxagoras nicht anzunehmen. 187a 26  Als »die Elemente« (stoicheia, d. h. etwa: Grundbausteine) werden im 4. Jh. Feuer, Wasser, Luft und Erde bezeichnet. Diese sind nach Empedokles (DK 31 B 6) das »vierfache Wurzelwerk aller Dinge«. – Nach Aristoteles sind Feuer, Wasser, Luft und Erde keine Grundbausteine, sondern auf die – ihrerseits nicht körperlichen – Elementarqualitäten zurückführbar; vgl. Hübner in Höffe (Hg.) 2005, 541 f. Deshalb spricht er hier von den »sogenannten Elementen«, sonst auch von den »einfachen Körpern«. Für eine differenziertere Interpretation vgl. Crowley 2008. 187a 29–30  Mit »Alles war zusammen« (ên homou panta) wird der Anfang der Abhandlung von Anaxagoras einigermaßen wörtlich zitiert (vgl. DK 59 B 1: homou panta chrêmata ên …). Aber Aristoteles referiert hier nicht nur Anaxagoras, sondern sein – von Aussage zu Aussage engeres oder weiteres – Umfeld. 187a 35  »die Naturforscher«: hoi peri physeôs – in derselben Bedeutung meist: physikoi (s. o. Anm. zu 184b15–22). – Durch die Themenbezeichnung »über Natur« (peri physeôs) wird schon um die Wende zum 5. Jh. eine Gruppe von Autoren charakterisiert (vgl. [Hippokrates], VM 20.1: »Empedokles und Andere, die über Natur geschrieben haben«), ähnlich dann in Platons Gesetzen (891c8–9: »alle Menschen, die sich jemals mit Untersuchungen über Natur befaßt haben«). Aristoteles schreibt für Hörer, die wissen, von wem er hier spricht. 187b 6–7  Nach Anaxagoras bestimmt demnach en Bestandteil den Charakter des ganzen Gemischs; der Charakter ändert sich, wenn durch eine Änderung des Mischungsverhältnisses ein anderer Bestandteil zum dominierenden wird. Vgl. die Erläuterungen bei Betegh (2019, 143 f.); bei Anaxagoras den letzten Satz in DK 59 B 12. Zum sog. Prädominanz­ prinzip Einl. 2.3.6.2. 187b13–188 a 2  Zu [i]: Man denke an die Knochen, aus denen nach HA III 7 (516 a 8– b31) das Skelett von Wirbeltieren besteht. Der 187 b13–16 unterstellte Zusammenhang zwischen der Größe jedes Knochens und der Größe des ganzen Tiers lässt sich näherungsweise durch feste, für die jeweilige biologische Art charakteristische Proportionen beschreiben. Und ähnlich für »Fleisch«, soweit sich dies mit Kullmann (2007, 433; zu PA II 8, 653b20–21) als ein anderer Ausdruck für Muskel verstehen lässt. – Eine Verallgemeinerung von [i] auf beliebige Stoffe ist die im Mittelalter diskutierte Theorie der sog. minima naturalia (zu dieser van Melsen 1971, Sp. 608 f.; vgl. McGinnis 2018 mit weiteren Literaturangaben), die

220

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 4

aber bei Aristoteles nicht vorausgesetzt werden sollte (vgl. Betegh 2019, 148–152). Zu [v]: Das ist das sog. archimedische Axiom: Sind a und b positive Größen, und ist a ≤ b, dann gibt es eine natürliche Zahl n, so dass n · a > b. Zu [a]: Nach [ii] ist im Wasser Fleisch. Wird Fleisch abgezogen, dann ist in dem verbliebenen Wasser immer noch Fleisch. Das heißt, das verbliebene Wasser ist nur gemäß [iii] nach dem Überwiegenden so benannt, und aus ihm entsteht Fleisch gemäß [iv] durch Abscheidung. Und ebenso, wenn auch dieses abgezogen wird, usf. – Nun kann einerseits die jeweils abgezogene Menge an Fleisch nach [i] ein bestimmtes Minimum a nicht unterschreiten. Andererseits ist die Menge an Fleisch, die insgesamt extrahiert werden kann, nicht größer als die Menge b des anfangs vorhandenen Wassers. Nach [v] gibt es eine natürliche Zahl n, so dass n · a > b. Folglich ist das im Wasser vorhandene Fleisch nach weniger als n Schritten aufgebraucht; in dem verbliebenden Wasser ist kein Fleisch, das ­ausgeschieden und abgezogen werden könnte, im Widerspruch zu [ii]. Das heißt, es ist nicht alles in allem vorhanden, was zu zeigen war. Zu [b] und [c]: Dass keine begrenzte Größe unbegrenzt viele gleichgroße begrenzte Größen enthalten kann, ist eine Formulierungsvariante von [v]. Auch hieraus ergibt sich in [b], dass die Ausscheidung nach endlich vielen Schritten abbrechen muss. Schließlich weist [c] darauf hin, dass wegen [i] nicht nur das entnommene, sondern auch das verbleibende Fleisch ein bestimmtes Minimum nicht unterschreiten kann und dass die Ausscheidung auch deshalb abbrechen muss. Es stellen sich zwei Fragen. Erstens, ob Aristoteles nicht mit [i] die Voraussetzung unterläuft, dass Fleisch und Knochen gleichteilig sind: Fleisch und Knochen sind Körper, die jeweils ein bestimmtes Volumen erfüllen, und sie werden mit diesem ins Unbegrenzte geteilt; dabei unterschreitet die Größe der Teile jedes gegebene Maß (Einzelheiten in Phys. III 6). Wenn Fleisch und Knochen gleichteilig sind, sind die Teile wiederum Fleisch bzw. Knochen und es gibt für sie keine minimalen Größen, im Widerspruch zu [i]. – Der Widerspruch ist auflösbar, wenn man eine Zweideutigkeit berücksichtigt, auf die Aristoteles in einem anderen Zusammenhang aufmerksam macht (vgl. GC I 5, 321b16–28; ähnlich bereits Top. V 5, 135a 20– b 6). Ein Knochen ist z. B. das Schienbein. Die Größe menschlicher Schienbeine unterschreitet ein bestimmtes Minimum nicht; und ebenso bei den anderen Knochen des menschlichen Skeletts. Daher unterschreitet die Größe menschlicher Knochen überhaupt ein bestimmtes Minimum nicht; und dies gilt auch, wenn man ihre Anlage während der Embryonalentwicklung und das anschließende Wachstum berücksichtigt (dazu GA II 6, 744b27–32 u. ö.). Aber Schienbein ist auch nicht



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 4

221

gleichteilig, denn ein halbes Schienbein ist kein Schienbein; und ebenso bei den anderen Knochen. Hingegen ist Knochen gleichteilig: Ein halber Knochen, d. h. der räumliche Teil eines Knochens, ist wiederum Knochen – was sich nun aber auf »Knochen« als eine bestimmte Stoffsorte, d. h. Knochenmasse, bezieht. Knochenmasse ist der Stoff, aus dem ein Knochen, beispielsweise ein menschliches Schienbein, besteht. Insofern kommt sie zwar nicht außerhalb eines Knochens und deshalb auch nicht in beliebig kleinen Mengen vor; aber sie wird beim Wachsen des Knochens kontinuierlich und somit um beliebig kleine Mengen (nach Aristoteles: durch Umwandlung der Nahrung) vermehrt. Zweitens fragt sich, was mit [a] und [c] gegen Anaxagoras ausgerichtet ist. Aristoteles zeigt, dass bei der sukzessiven Extraktion von Fleisch aus Wasser nach endlich vielen Schritten sowohl das jeweils extrahierte als auch das dabei verbleibende Fleisch weniger ist, als für den kleinsten Muskel genügt. Anaxagoras muss das nicht bestreiten, solange er nicht das jeweils extrahierte oder das dabei verbleibende Fleisch als einen Muskel (oder mehrere Muskeln) beschreibt. Nach Betegh (2019, 151 f.) ist es vielmehr Aristoteles, der dies tut: Nur lebendiges Fleisch ist nach Aristoteles (GA II 1, 734b24–27 u. ö.; vgl. Anim. II 1, 412b18–22) Fleisch; totes Fleisch, d. h. was nicht an der Beseeltheit des ganzen Tiers partizipiert, ist gar keines, sondern es heißt nur so (wie man ja auch ein gemaltes Auge als »Auge« bezeichnet; in diesem Sinne ebd. 734b26 und 735a 8 bzw. 412b21: homônymôs). Lebendiges Fleisch kommt nur als Muskel und daher nicht in beliebig kleinen Portionen vor; allzu kleine isolierte Portionen sind kein lebendiges Fleisch. Das heißt, sie sind nach GA II 1 und Anim. II 1 gar kein Fleisch, sondern sie heißen nur so (und ebenso Knochenmasse usf.). Was sich gemäß [ii]-[iv] nach einer bestimmten Zahl von Schritten noch aus dem Wasser extrahieren lässt (und ebenso, was dann in dem verbliebenen Wasser enthalten ist), kann somit nach dem aristotelischen Kriterium kein Fleisch sein. Aber es ist nicht zu sehen, warum Anaxagoras dieses Kriterium akzeptieren sollte. – Soweit Beteghs Rekonstruktion des Arguments. Anzumerken bleibt, dass die Importe aus GA II 1 und Anim. II 1 (im Unterschied zu den vorherigen Hinweisen auf GC I 5 und Top. V 5) eine Weiterentwicklung des Begriffs von Material (hylê) und Substanz (ousia) voraussetzen, an die in Phys. I kaum gedacht werden kann (dazu einerseits Ackrill 1972–3, andererseits Gill 2004, kurz zusammenfassend Polansky 2007, 154n13). 188 a 2–4  Das meint vermutlich (vgl. Betegh 2019, 152): Die »unbegrenzt vielen Körper« seien a, b, c, … Aus jedem von ihnen können nach dem zuvor beschriebenen Verfahren unbegrenzt viele Portionen Fleisch, Blut, Hirn usf. extrahiert werden; diese sind also zunächst in a, in b, in

222

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 5

c usw. vorhanden. Insgesamt hätten wir also unbegrenzt viele Körper a, b, c, …, in denen jeweils unbegrenzt viele Portionen Fleisch sowie unbegrenzt viele Portionen Blut usf. enthalten sind. Diese Konsequenz ist nach Aristoteles widersinnig. – Beachte: Aristoteles hat gegen Anaxagoras argumentiert, dass das Verfahren aus ganz anderen Gründen nach endlich vielen Schritten abbrechen muss (s. o. 187 b31). Aber das ist für dieses zusätzliche Argument ohne Belang. 188 a7  Nach Aristoteles enthält das anfängliche Gemisch bei Anaxagoras die gleichteiligen Stoffe und die konträren Gegenteile (s. o. 187a25–26). Die bisherige Kritik bezog sich auf die gleichteiligen Stoffe; »Farben und Eigenschaften (hexeis)« stehen nun für konträre Gegenteile. 188 a 9  Geist: nous. Vgl. DK 59 B 12; dazu Rapp 2007, 185–187. 188a14  Das heißt wohl: Die Zusammensetzung von Lehm als Erde und Wasser entspricht keiner Zusammensetzung aus räumlichen Teilen, vgl. Ross 1936, 486 und Betegh 2019, 154 f. 5 188 a19–26  Konträres: tanantia (von enantios). Aristoteles unterscheidet zwischen konträren und kontradiktorischen Gegensätzen. In der Logik sind (für nicht-leeres S) die Aussagen »Alle S sind P« und »Kein S ist P« konträr; kontradiktorisch sind die Aussagen »Alle S sind P« und »Wenigstens ein S ist nicht P« (vgl. Int. 7, 17 b16–26 u. ö.). Überhaupt sind die Enden einer Skala – und allgemeiner: die Extrema innerhalb einer Gattung, vgl. Cat. 6, 6 a17 f. u. ö., aber auch die nochmals allgemeineren Erklärungen in Met. V 10 (1018 a 25–35) und Met. X 4 (1055a3 ff.) – zueinander konträr. Kontradiktorische und konträre Gegenteile schließen einander aus. Bei konträren Gegensätzen ist evtl. auch mit etwas Mittlerem zwischen den Gegenteilen zu rechnen (z. B. zwischen Weiß und Schwarz: Grau). Anders bei kontradiktorischen Gegensätzen: Zwischen A und nicht-A gibt es nichts. Auffälligerweise ist nach Aristoteles der Gegensatz zwischen dem Haben (hexis) und dem Nicht-Haben (sterêsis) eines Merkmals nicht etwa kontradiktorisch, sondern konträr (vgl. Phys. V 1, 225b3–4 u. ö.; Met. X 4, 1055a33–38; in diesem Sinne auch c. 7, 190 b27, s. u.). Hierzu ein etwas trickreiches, bei Russell (1905) und Strawson (1950) entlehntes Beispiel: In zwei verschiedenen Fällen ist es unzutreffend, dass (1) der König von Frankreich eine Glatze hat: (a) wenn der König von Frankreich keine Glatze hat (d. h. wenn ihm, wie vielen Männern, dieses sekundäre Geschlechtsmerkmal fehlt); und (b) wenn es gar keinen König von Frankreich gibt. Nur in Fall (a) zeigt die Verneinung einen konträren Gegensatz, zwischen Haben und Nicht-Haben, an; was die konträren Gegenteile verbindet, ist hier die Selbigkeit des Gegenstandes, an dem sie auftreten. In Fall (b) trifft es auch nicht zu, dass (2) der König von Frankreich keine Glatze hat; denn auch dies setzt voraus, dass es den



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 5

223

König von Frankreich überhaupt gibt. Ohne diese Voraussetzung sind (1) und (2) buchstäblich gegenstandslos. Wenn man die Voraussetzung mit Russell als Bestandteil der Aussage interpretiert, sind (1) und (2) unwahr; nach Strawson ist die Voraussetzung erforderlich, damit (1) und (2) im gegebenen Verwendungsfall überhaupt etwas zu verstehen geben und insofern einen Wahrheitswert haben. – Insbesondere ist der Gegensatz von Existenz und Nicht-Existenz nicht konträr, sondern kontradiktorisch. Zu existieren ist keine Eigenschaft, die Karl haben kann oder nicht. Wenn es Karl (beispielsweise: noch) nicht gibt, dann ist jede Aussage über Karl aus demselben Grund unzutreffend, wie es in Fall (b) unzutreffend ist, dass der König von Frankreich eine Glatze hat oder nicht. Das Entstehen ist demgemäß kein Vorgang, bei dem Karl die Eigenschaft, zu existieren, erwirbt; in Kap. 7 beschreibt Aristoteles den Anfangszustand des Entstehens daher nicht als Nicht-Existenz, sondern als Fehlen (ste­rêsis) der einschlägigen Gestalt (morphê) an einem geeigneten Material (s. u.). Zu Parmenides: Vgl. DK 28 B 8.55–59 (dort: Feuer und Nacht; dazu auch Ross 1936, 487 f.). Zur Kosmologie und Naturwissenschaft bei Parmenides vgl. Graham 2013 sowie Rossetti 2017; zu ihrem Verhältnis zu der (von Aristoteles in Kap. 2 und 3 kritisierten) Einheitsphilosophie des Parmenides vgl. Rapp 2007, 129 ff. »Dicht und Locker« – s. o. am Anfang von Kap. 4 (187a15). Zu Demokrit vgl. Rapp 2007, 190 ff. – Parallelstellen (gute Zusammenstellung: LM 27 D29–33) lassen vermuten, dass Demokrit das Leere (kenon) buchstäblich als »nichts« (ouden oder mêden) charakterisiert hat. Der konträre Gegensatz von Voll und Leer würde somit auf den kontradiktorischen Gegensatz von Sein und Nicht-Sein zurückgeführt. Daraus macht Aristoteles hier einen Vergleich: »wie (hôs) seiend / nicht seiend«; ähnlich Met. I 4, 985b 6: hoion (Text: Primavesi 2012, 481) – als sollte umgekehrt der kontradiktorische Gegensatz auf einen konträren zurückgeführt werden. 188 a 36– b3  Beachte: Mit »nicht aus allem, sondern …« macht Aristoteles klar, dass er hier nicht von kontradiktorischen, sondern von konträren Gegensätzen spricht. Zur Unterscheidung zwischen Nicht-Musisch und Amusisch siehe auch unten Anm. zu 190 a12. 188 b24–25  Zur Komposition der Farben aus Schwarz und Weiß vgl. De sensu 3, 439b18–440a6. Weitere Parallelstellen bei Reeve (2018, 209 f.: n. 85). 189a1  Tabelle: systoichia – d. h. hier: eine hierarchisch geordnete, unterschiedliche Kategorien umfassende Zusammenstellung konträrer Gegensätze (vgl. Delcomminette 2019, 184 f.). Met. I 5, 986 a 23–26 zitiert eine solche Zusammenstellung aus pythagoreischen Quellen (an eine ähnliche Tabelle ist wohl auch hier gedacht):

224

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 6

Grenze Unbegrenzt Ungerade Gerade Enes Vieles Rechts Links Männlich Weiblich Ruhend In Bewegung Geradlinig Krumm Licht Dunkelheit Gut Schlecht Quadratisch Ungleichseitig 6 189a12–20  Zu [i] s. o. c. 4, 187 b 7–13. Zu [ii] s. u. 189 b22–27; nach Ana-

gnostopoulos (2019, 195 f.) handelt es sich wohl um eine nachträglich in den Text gerutschte Randbemerkung. Zu [iii] s. o. c. 4, 187 b25–26 sowie sie anschließende Kritik an Anaxagoras. Zu [iv]: Das Argument kommt darauf hinaus, dass zwar (nach 189 a 9–10) die Prinzipien konträre Gegensätze sind, aber nicht umgekehrt alle konträren Gegensätze Prinzipien: Nachgeordnete sowie aus anderen Gegensätzen entstandene, nicht immer schon feststehende (d. h. »bleibende«) Gegensätze sind keine Prinzipien. Mit Charlton (1970, 46), Pellegrin (2002, 98n3), Code (2018, 161), Reeve (2018, 212: n. 94) und Anagnostopoulos (2019, 197) lese ich ἄλλων statt der von Ross bevorzugten Lesart ἀλλήλων. Aber auch nach Ross (1936, 490) sagt Aristoteles hier, dass Gegensatzpaare aus anderen Gegensatzpaaren (»from others«) entstehen. 189a 20–27  »Dicht und Locker«: s. o. am Anfang von Kap. 4 (187a15). »Liebe« und »Streit«: Die von Empedokles angenommenen Grundkräfte wurden in Kap. 5 (188b34) kurz erwähnt; vgl. auch die obige Anmerkung zu c. 4, 187a 23. »Andere«: Der Bezug dieser Bemerkung ist unklar (vgl. Anagnostopoulos 2019, 217n46). 189 b10–16  Siehe oben, c. 4, 187a16–20. Mit »von den Späteren … einige« spielt Aristoteles wieder auf die sog. ungeschriebene Lehre Platons an. 7 189 b34–190 a1  Durch das griechische esti gar … esti de … ê (b34–35) wird eine Reihe von Fällen oder Möglichkeiten angezeigt. Der Kontext lässt daran denken, dass es sich dabei um Beschreibungsmöglichkeiten für denselben Vorgang handelt – etwa: Karl lernt Klavierspielen. Dem­ gemäß könnte man sinngemäß phanai nach esti gar ergänzen: »es kommt vor, dass wir sagen …«. Aber diese Interpretation ist nicht zwingend. Zwar ist unbestreitbar, dass sich jeder Vorgang, der durch eine der angegebenen Formeln zutreffend beschrieben wird, ebenso zutreffend auch durch die anderen beschreiben lässt. Aber das schließt nicht aus, dass die



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

225

Formeln unterschiedliche Typen von Vorgängen beschreiben; die unter [1] – [3] beschriebenen Vorgänge wären zwar evtl. numerisch identisch, aber nicht »in ihrem Sein« (tôi einai), zu dieser Unterscheidung s. u. Anm. zu 190 b23–27) – Die hier gewählte Übersetzung (»es kommt vor, dass … oder dass … oder dass …«) soll eine vorschnelle Verengung des skizzierten Interpretationsspielraums vermeiden. 190a12–3  Mit »und das heißt das Amusische« (kai to amouson, 12 und a19–20) kommt Aristoteles auf die in Kap. 5 (188b1–3 und 6–8) getroffene Unterscheidung zwischen dem durch »nicht musisch« (mê mousikos) bzw. »amusisch« (amousos) angezeigten kontradiktorischen und konträren Gegenteil von Musisch zurück. Danach ist nur noch von »musisch« (mousikos) und »amusisch« (amousos) und somit von konträren Gegenteilen die Rede. 190 a15  »zugrunde liegen«: hypokeisthai. In Phys. I sind mehrere Bedeutungen oder Verwendungsweisen von »zugrunde legen« (hypotithêmi), »zugrunde liegen« (hypokeimai, d. i. Perf. Pass. zu hypotithêmi, also: »zugrunde gelegt worden sein«) und »zugrundeliegend« (hypokeimenon) zu unterscheiden. Dabei erweist sich »Zugrundeliegendes« (hypokeimenon) als ein Schlüsselbegriff für den Zusammenhang der Argumentation in Phys. I 2–9. (a) An zwei Stellen (c. 2, 185a12; c. 3, 186 b4) zeigt hypokeimai eine hypothesis an, d. h. die Voraussetzung einer Argumentation (vgl. Anm. zu 185a12–13). (b) »Zugrundeliegendes« (hypokeimenon) ist das Subjekt einer Prädikation bzw. was eine Eigenschaft instanziiert (vgl. c. 2, 185a32; c. 3, 186 a34 und b18; dann c. 4, 188 a 8 usf.) (c) »Zugrundeliegendes« (hypokeimenon) ist das »Dritte« (189 b1), auf das sich gemäß der in Kap. 6 (189 a 20 ff.) begründeten Vermutung konträre Gegenteile beziehen; in einfachen Fällen lässt sich diese Beziehung als Prädikation (ebd. 189 a31–32) oder als Einwirkung (ebd. 189 a 22–25 u. ö.; zuvor c. 4, 187a12–16) auffassen. (d) Anfangs- und Endzustand des Werdens sind im zunächst diskutierten Fall (c. 7, 189 b32 ff.) durch die in Kap. 5 (188 a35 ff.) diskutierten konträren Gegenteile charakterisiert (vgl. Anm. zu 190 a12). Diese Gegenteile werden von einem Zugrundeliegenden prädiziert, das auch dem Werden »zugrunde liegen« muss (hypo­ keisthai, 190 a15; vgl. ebd. a33– b1 und b20–23). – Diese Analyse ist aber nicht auf das schlichte Werden, d. h. das Entstehen von Substanzen (190 a32–33), anwendbar. Zu zeigen ist demgemäß, dass sich der Gegensatz von Existenz und Nicht-Existenz auf einen geeigneten konträren Gegensatz zurückführen und in geeigneter Weise auf ein Zugrundeliegendes beziehen lässt.

226

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

(e) Der Anfangszustand schlichten Werdens ist kein schlichtes NichtSein. Vielmehr entstehen Substanzen »aus einem bestimmten Zugrundeliegenden« (ex hypokeimenou tinos; c. 7, 190 b2 und b10, dann c. 8, 191a31). Dieses ist, was zu der jeweiligen Substanz wird (to gignomenon; s. u. Anm. zu 190 b10–13), und an ihm wird eine komplexe Struktur aufgezeigt: Was zu der jeweiligen Substanz wird, ist eine Portion Material, an der eine charakteristische »Gestalt« (morphê) zunächst fehlt und aus der das durch diese Gestalt als ein Gegenstand von bestimmter Art und somit als Substanz gekennzeichnete Resultat dann besteht. Dem Gegensatz zwischen dem Fehlen und dem Haben der einschlägigen Gestalt liegt diese Materialportion dann auch gemäß (d) zugrunde, vgl. ebd. 190 b13–17, 190 b34, 191a 4 ff.; ebenso dann die Definition von »Material« (hylê) in Kap. 9 (192a31–32). 190 a16  Art: eidos; Definition: logos. »Art« ist hier nicht im terminologischen, sondern in einem allgemeineren Sinn zu verstehen: »Art« (ei­ dos) ist, worüber die Erklärung (logos) eines generellen Terminus, z. B. ›Mensch‹, ›amusisch‹ usf., Auskunft gibt – und das heißt für Aristoteles zugleich auch: worauf ein genereller Terminus referiert. Zu der hier getroffenen Unterscheidung – »der Zahl nach enes, aber der Art nach nicht enes« – s. u. Anm. zu 190 b23–27. 190 a 24–26  Das heißt vermutlich: Nur die eine Redeweise ist in solchen Fällen sachgerecht. Anders Morison (2019, 149 f.), aber seine Belege (ebd. 150n23) sind schwach. – Beachte: Auf das Beispiel, dass aus Bronze eine Statue wird, kommt Aristoteles in der Analyse schlichten Werdens zurück; s. u. 190 b 6 (»Statue«) sowie 190 b16 (»Bronze«). 190 a 31– b1  Aristoteles unterscheidet hier drei Grundformen, in denen vom Werden gesprochen werden kann: (a) A wird B (190 a32: »dieses, tode, wird soundso«, ti), (b) aus A wird (ein) B (190 a 21, zunächst als Formulierungs variante zu (a)) (c) B wird (190 a32). Die Auszeichnung von (c) als »schlichtes« Werden lässt sich zunächst so verstehen, dass »wird« in (a) als Kopula (mit A als Subjekt und B als Prädikatsnomen), in (c) aber als Vollverb fungiert (mit B als Subjekt). Das Deutsche hat für (c) eine eigene Vokabel, nämlich »entstehen«. Dass (b) zunächst eine bloße Formulierungsvariante von (a) ist, kann man sich so klarmachen: In der Formel (d) B wird in solcher (190 a35: gignetai hypokeimenou tinos) Weise, dass dabei A zugrunde liegt



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

227

fungiert »wird« grammatisch als Vollverb, mit B als Subjekt. Aber nicht B, sondern A heißt hier »das Werdende« (to gignomenon, 190 a34); und dasselbe ist für (b) anzunehmen, wo dieser Ausdruck zunächst nicht erscheint. 190 b1–2  Nach 190 a32–33 ist das schlichte Werden auf das Entstehen von Substanzen beschränkt. Diese, d. h. die Resultate schlichten Werdens, werden hier als »was im schlichten Sinne ist« (haplôs onta, 190 b2) gekennzeichnet. 190 b1–5  Bei schlichtem Werden, d. i. (c) B wird, ist B grammatisches Subjekt zu »wird«. Der durch B angegebene Gegenstand – beispielsweise eine Pflanze, ein Tier oder auch eine Statue (190 b 6), ein Haus (b 8) usf. – ist auch dasjenige, das wird, und insofern »das Werdende« (to gignomenon, 190 b 4, vgl. b5: ta gignomena haplôs und b 9: ta houtô gignomena). Zu »werden« (gignesthai) heißt in diesem Fall, zu entstehen. Das Entstehen wird zunächst gemäß (c) ausschließlich durch das Resultat beschrieben; anders als bei prädikativem Werden genügt das zur Identifizierung des Vorgangs. Die These, dass auch das im schlichten Sinne Werdende »aus etwas Zugrundeliegendem wird« (190 b2), ergibt sich nicht aus dieser Beschreibung, sondern durch exemplarische Betrachtung einschlägiger Vorgänge. Das erste Beispiel – »Pflanzen und Tiere aus Samen« (190 a 4–5) – weist zunächst nur darauf hin, dass sich beim Entstehen stets ein Woraus aufzeigen lässt. Dessen Bezeichnung als »Zugrundeliegendes« (190 b2, vgl. b3: »etwas das zugrunde liegt«) versteht sich nicht von selbst. Durch sie wird sogleich ein Zusammenhang zwischen dem Woraus des Entstehens und seinem Resultat angedeutet, der aber zunächst unausgewiesen bleibt. Insbesondere bleibt unklar, wieso der Same (sperma, 190 b5) etwas sein soll, das dem Gegensatz zwischen der Existenz und der Nicht-Existenz von Pflanze oder Tier zugrunde liegt (so dass dieser Gegensatz auf einen konträren Gegensatz zurückgeführt wäre, s. o. Anm. zu 190 a15); dazu Heinemann 2020 (Abschnitt 3, zu T4), mit weiteren Literaturangaben. 190 b 5–10  Außer bei der Hermesfigur, die aus einem Stein gehauen wird, nennt Aristoteles hier kein Woraus. Er nennt stattdessen die Arten der Veränderung, durch die etwas entsteht: Änderung der »räumlichen Form« (schêma), Hinzufügung (z. B. wenn ein Schneemann gebaut wird), Wegnahme, Zusammensetzung; beim letzten Beispiel ist vielleicht an den Umschlag von Wein in Essig gedacht (vgl. Ross 1936, 493; Morison 2019, 258n29). Wieso handelt es sich in allen derartigen Fällen um ein Entstehen »aus Zugrundeliegendem«? Nach Aristoteles ist das »offensichtlich«. Man hat sich wohl an die angegebenen Arten der Veränderung zu halten.

228

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

Im Anfangszustand der Veränderung (und somit des Entstehens) muss es jeweils etwas geben, an dem die Veränderung geschieht: den Stein, aus dem dann die Hermesfigur gehauen wird; die Bronze, aus der dann die Statue gegossen wird; den Klumpen Schnee, aus dem durch Wälzen und Stapeln der Schneemann entsteht; die Baumaterialien usf. Und mehr als dies, dass es ein Woraus gibt, bei dem das Entstehen beginnt, wird hier auch nicht behauptet. Irritierend bleibt, dass dabei anscheinend das Entstehen auf Änderungen in den Kategorien der Qualität, der Quantität oder des Wo und somit auf prädikatives Werden zurückgeführt wird. – Dazu unten Anm. zu 190 b23–27. 190 b10–13  Aristoteles hat zunächst (189 b32–190 a31 von prädikativem und dann (190 a31– b10) von schlichtem Werden gesprochen. Ab hier spricht er allgemein vom Werden; die b13–17 angegebenen Stichwörter (s. u.) gehören teils zu vorherigen Beispielen schlichten Werdens, teils zu dem Standardbeispiel prädikativen Werdens. Für beide lässt sich die nach 190 b 9–10 bzw. 190 a 26–31 einschlägige Beschreibungsweise (b) aus A wird (ein) B unterstellen. Die Frage, was dabei »das Werdende« ist, wurde kontrovers beantwortet. Nach Ross (1936, 493), dem die meisten Interpreten folgen, ist hier B »das Werdende« (to gignomenon, 190 b11 und b12) und A ist, »was zu diesem wird« (ho touto gignetai, 190 b12). Die Bedeutung dieser Ausdrücke wäre demnach gegenüber 190 a 2–3 vertauscht. Diese Härte ist aber vermeidbar. Im Kontext prädikativen Werdens ist der Sache nach A des Werdende, auch wenn A in (b) nicht als grammatisches Subjekt zu »wird« fungiert (s. o. Anm. zu 190 a31– b1). Und das lässt sich dann auch (mit Morison 2019, 259n30 sowie der Übersetzung von Pellegrin) für andere Beispiele unterstellen. Die Unterscheidung zwischen »Zugrundeliegendem« und »Gegenüber­ liegendem« (antikeimenon) entspricht dann der Analyse prädikativen Werdens (s. o. 190 a13–21). Was 190 b1–10 gemäß (c) »Zugrundeliegendes« hieß, heißt nun gemäß (b) »das Werdende«; und an diesem wird die Unterscheidung zwischen »Zugrundeliegendem« und »Gegenüberliegendem« getroffen. 190 b13–17  Die angegebenen Beispiele für »Zugrundeliegendes« passen zu den Beispielen in 190 b5–10: »Bronze« zu Statue, »Stein« zu Hermes; bei »Gold« kann man sich etwas aussuchen; für den Hausbau mag man »Ziegel« (c. 4, 188 a16) oder »Steine, Ziegel und Hölzer« (Met. VIII 3, 1043a15) ergänzen. Diese liegen hier – wie »der Mensch« (b14) dem Gegensatz von »amusisch« (ebd.) und musisch – konträren Gegensätzen zugrunde, von denen zunächst nur die eine Seite genannt wird: die



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

229

Bronze dem Gegensatz zwischen »Ungeformtheit« (aschêmosynê, 190 b15) und Geformtheit bei der Herstellung einer Statue durch »Umformung« (meta­schêmatisis, b 5–6); der Stein dem Gegensatz zwischen »Gestalt­ losigkeit« (amorphia, 190 b15) und herausgehauener Gestalt bei der Herstellung einer Hermesfigur; die Baumaterialien dem Gegensatz zwischen Ungeordnetheit (ataxia, 190 b15) und Anordnung bei ihrer Zusammen­ setzung zu einem Haus. Die Analyse des prädikativen Werdens ist somit auf die genannten Beispiele und auf »alles, was in dieser Weise wird« (190 b 9) übertragen. – Für eine tabellarische Zusammenstellung der Beispiele vgl. Heinemann 2020 (Abschnitt 3, zu T5–T7). 190 b17–18  »Naturdinge« (physei onta) heißen hier wieder die Gegenstände der Naturwissenschaft (s. o. Anm. zu 185a12–13). An die in Phys. II 1 ausgearbeitete Unterscheidung zwischen Naturdingen und Artefakten ist noch nicht gedacht; eine Frage nach der Einschlägigkeit der Beispiele aus 190 b5–10 stellt sich gar nicht. – Bereits am Anfang der Physikvor­ lesung unterscheidet Aristoteles nicht zwischen Prinzipien der Naturdinge und Prinzipien der Naturwissenschaft (s. o. Anm. zu 184 a10–16). Hier geht er einen Schritt weiter und charakterisiert die gesuchten Prinzipien als »Prinzipien der Naturdinge, aus denen sie sind und geworden sind« (und zwar primär und an sich, dazu dann auch unten, Anm. zu 190 b23–29). Das »und« (kai, 190 b18) ist wieder im explikativen Sinn zu verstehen: Das Sein der Naturdinge ist ihr Gewordensein; daher sollen die Prinzipien der Naturdinge an der Struktur des Gewordenseins ablesbar und durch die Analyse des Werdens aufzeigbar sein. Aber dieses Programm steht unter einem Vorbehalt. Aristoteles behauptet nicht, dass es durchführbar ist. Sondern er behauptet nur: Wenn dieses Programm überhaupt durchführbar ist, dann sind Zugrundeliegendes und Gestalt die Kandidaten, an die man sich zu halten hat. 190 b18–19  Die Klauseln »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« (mê kata symbebêkos) und »als was es aufgrund seiner jeweiligen Substanz charakterisiert ist« (ho legetai kata tên ousian) sind hier gleichbedeutend. Die ousia (»Substanz«) eines Gegenstandes ist hier, was ihn als ein bestimmtes, ontologisch und explanatorisch fundamentales Ding (tode ti) charakterisiert – nämlich, wie Aristoteles anschließend (b20 ff.) und weiter in Phys. II argumentiert: die Verbindung eines bestimmten »Zu­ grunde­liegenden« und einer bestimmten »Gestalt«. Ein Gegenstand, der in diesem Sinne eine »Substanz« hat, ist seinerseits eine (nach Cat. 5, 2 a11–14 und a35 ff. »primäre« oder »erste«) »Substanz« (ousia). Substanzen in diesem letzteren Sinne sind Träger wechselnder zusätzlicher Eigenschaften; ihr eigenes Entstehen wurde im vorherigen Abschnitt als schlichtes Werden analysiert (s. o. 190 a31– b10).

230

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

190 b17–23  Die Analyse des Werdens wird hier weitergeführt und zugleich an die Fragestellung des Einleitungssatzes der Physikvorlesung zurückgebunden. Die Weiterführung ist unauffällig, aber entscheidend: Mit der »Gestalt« (morphê, 190 b20; in demselben Sinne »Form«: eidos, b28) wird summarisch die andere Seite der zuvor (b13–17) nur angedeuteten Gegensätze genannt. Wie das Werdende (b11), so ist das Gewordene »zusammengesetzt« (synkeitai, b20–21). Dies wird zwar zunächst nur am Resultat prädikativen Werdens illustriert (b20–23), aber die Fortsetzung (b23–29, s. u.) zeigt, dass insbesondere auch an die Fälle gedacht ist, die zuvor (b5–10) als Beispiele schlichten Werdens eingeführt wurden. Die Perspektive vom Resultat her ist demgemäß dieselbe wie in b5–10: »Zugrundeliegendes« (b20) heißt das Woraus des Werdens, und »Werdendes« (b23) heißt, was daraus wird. – Diese Perspektivwechsel – vom Anfang her: bis 190 b1 und 190 b10–17, – von Resultat her: 190 b1– b10 und 190 b17–29 und die entsprechend abwechselnden Verwendungen von »Werdendes und »Zugrundeliegendes« sind auch bei der anschließenden Differenzierung zwischen dem »Zugrundeliegenden« als Woraus des Werdens und als Bestandteil des Gewordenen (b23–27) zu beachten. 190 b23–24  Dies ist dieselbe Unterscheidung, wie sie zuvor 190 a15– 16 am »Werdenden« getroffen wurde (wobei dieses »Werdende« hier, d. h. in der Perspektive vom Resultat her, »Zugrundeliegendes« heißt); ebenso dann auch 190 b36–191a1. – Dass in »Art«, »Sein« und »Definition« (tôi eidei / einai / logôi) Verschiedenes »numerisch« (arithmôi) identisch und somit »enes« (hen) sein kann, wird von Aristoteles auch an anderen Stellen zugelassen (vgl. Phys. III 3, 202b5 ff., ähnlich in Anim. II 12). Mit ähnlichen Worten wird in Phys. IV 11 (219 b 9 ff.) der Kon­ trast zwischen der Selbigkeit einer Variablen (des »Jetzt«: nyn) und der Mannigfaltigkeit der jeweils wohldefinierten Werte, die sie annimmt, beschrieben. 190 b25–26  Hiernach ist eine Materialportion (hylê arithmêtê) nur »so ziemlich ein wohlbestimmtes Ding« (tode ti mallon) und somit keine Substanz; eine Gemeinsamkeit mit Substanzen ergibt sich daraus, dass auf Materialportionen der Begriff der numerischen Identität anwendbar ist und dass daher von Veränderungen an einer Materialportion, bei der diese dieselbe bleibt, die Rede sein kann. Wie Substanzen sind auch Materialportionen Träger von Eigenschaften. Aber anders als eine Substanz kann eine Materialportion eine »Gestalt« oder »Form« F instanziieren, die den aus ihr bestehenden und somit von ihr verschiedenen Gegenstand als eine bestimmte Substanz kennzeichnet. Vgl. auch Heinemann 2020 (Abschnitt 3, zu T5).



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

231

190 b23–29  Nach 190 b20 wird jedes B aus A, d. h. dem »Zugrunde­ liegenden«, und F, d. h. der »Gestalt« (morphe, b20; in derselben Bedeutung dann auch »Form«: eidos, b28). Nach b24 ist A »der Zahl nach enes, aber der Art nach zwei«. Das heißt (wenn x das »Zugrundeliegende« aus b10–17 bezeichnet und -F das »Fehlen« von F): Einerseits ist (1) A = x ; andererseits ist A aus x und -F »zusammengesetzt« (b11: syntheton), d. h. (2) A = 〈 x,-F 〉 . In derselben Weise ist B aus x und F »zusammengesetzt« (vgl. b20–21: synkeitai), d. h. (3) B = 〈 x,F 〉 . Zu (1) sind dann nochmals zwei Fälle zu unterscheiden: (i) Bei prädikativem Werden ist x die »Substanz« (ousia, b1), von der die erworbene Eigenschaft »ausgesagt wird« (legetai, a36), also z. B. der b14 und b21 angegebene »Mensch«. (ii) Beim Entstehen von Substanzen, etwa der b18 genannten »Naturdinge« sowie in den b5–10 als schlichtes Werden beschriebenen Fällen, ist x eine »Portion Material« (hylê arithmêtê, b25), also z. B. die Bronze, aus der diese Statue gegossen, oder die Steine, Ziegel und Hölzer, aus denen jenes Haus gebaut wird, usf. Dass B »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« (ou kata symbebêkos, b26) aus x entsteht, charakterisiert dieses Material als »Prinzip«, aus dem B gemäß b17–19 »ist und geworden ist«; das andere Prinzip ist die »Gestalt« F, durch die B als Gegenstand von bestimmter Art gekennzeichnet ist (vgl. b20: morphê; in derselben Bedeutung dann b28: eidos, d. h. »Form«). Zu (2) und (3): Als das Woraus des Werdens ist A durch -F, d. i. das »Fehlen« von F, gekennzeichnet (vgl. b27: sterêsis). Das heißt, A ist in derselben Weise aus x und -F wie B aus x und F »zusammengesetzt«. Nach b27 sind -F sowie der Gegensatz zwischen -F und F, im Unterschied zu x, »etwas Zusätzliches« (symbebêkos). Was das heißt, kann man sich daran klarmachen, dass -F in (3) nicht vorkommt: Zur Kennzeichnung von B »aufgrund seiner Substanz« (kata tên ousian, b19) trägt -F nichts bei. Aber das ändert nichts daran, dass das Entstehen von B nur unter Rekurs auf  - F analysiert werden kann. 191a 5–7  Das heißt: Anders als zunächst (a5) unterstellt, werden nicht beide Gegenteile als Prinzipien des Werdens gebraucht. 191a7–12  Der Ausdruck »die zugrundeliegende Natur« (hê hypokei­ menê physis, a 8) bezeichnet das den Gegenteilen (a 4–5) und insbesondere dem jeweiligen »Naturding« (physikon, a3–4) »Zugrundeliegende« (hypo­ keimenon); vgl. Lorenz 2019, 279–281. Das Verhältnis zwischen diesem und dem Ding, dem es zugrunde liegt, ist nach a 8–12 stets dasselbe wie in den zuvor (190 b5 ff.) analysierten Fällen. Das jeweils »Zugrundeliegende«

232

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 7

ist daher »durch Analogie erkennbar« (a 8); und das muss für die Naturwissenschaft vorerst genügen. Mit Lorenz (2019, 278) und Menn (2019, 47n43) halte ich das überlieferte, von Diels getilgte hê hylê kai (a10, mit explikativem kai); ebenso, aber kommentarlos, die Übersetzungen von Pellegrin (2002, 107) und Charles (2018, 197 und 260). Ross (1936), Charlton (1970) und Reeve (2018) gehen mit Diels; ebenso Wagner, der im Kommentar zur Stelle (1979, 437) darauf hinweist, dass die Streichung von hê hylê kai für die von ihm favorisierte Interpretation der hypokeimenê physis als »Urmaterial« (ebd. 435 f.) erforderlich ist. – Bei Simplikios (In Phys. 226.7) fehlt hê hylê kai, aber er liest auch hypokeimenê hylê (ebd. 225.21 und 25) statt hypo­keimenê physis (Phys. 191a 8). Ich sehe nicht, wieso nur die eine Abweichung authentisch sein soll. 191a12–14  Die »zugrundeliegende Natur« (a 8) ist nach 190 b25–26 »so ziemlich ein wohlbestimmtes Ding« (tode ti mallon); nach 191a12–13 ist sie »nicht in solcher Weise enes oder seiend wie das [zuvor mit »Sub­stanz« und »Seiendem« gleichgesetzte] wohlbestimmte Ding« (ouch houtô … hôs to tode ti); nach c. 9, 192 a 6 ist sie »beinahe auch irgendwie eine Substanz« (engys kai ousia pôs). Dazu auch unten, Anm. zu 191a19–20 – »Gestalt« (morphê, 190 b20) und »Form« (eidos, 190 b28) werden hier, je nach Rekon­ struktion des griechischen Texts, entweder mit dem, worauf sich die Definition (logos, 191a13) bezieht, oder mit dieser selbst gleichgesetzt (vgl. einerseits Ross 1936, 494, dem die Übersetzung hier folgt, andererseits Lorenz 2019, 280n30 und ähnlich Pellegrin 2002, 107n1). Letzteres mag als Härte erscheinen, ist aber nicht auszuschließen; vgl. z. B. die ausdrückliche Gleichsetzung von eidos, paradeigma und logos in Phys. II 3, 194b26–27. 191a19–20  Die Frage, ob und inwiefern Form, Material und das aus ihnen gebildete Ganze Substanz sind, wird systematisch in Met. VII 3 ff. angegangen. Ihre Beantwortung setzt die in Phys. II 1 getroffene Unterscheidung zwischen Naturdingen und Artefakten voraus. Der ontologische Status von Artefakten wird in der Physikvorlesung nicht weiter diskutiert. An einigen Stellen der Metaphysik wird bestritten, dass Artefakte überhaupt Substanzen sind (dazu Katayama 1999); dasselbe gilt dann erst recht für ihre Formen. Naturdinge sind nach Phys. II 1 Substanzen, daher auch deren jeweiligen Formen, sofern sie die Substanz und Natur der Naturdinge ausmachen. Material ist nach Phys. II 2, 194b 9 »etwas Bezügliches« und somit keine Substanz; Materialeigenschaften sind durch Erfordernisse bestimmt, die sich aus der jeweiligen Form ergeben (sog. hypothetische Notwendigkeit, vgl. Phys. II 9, 200 a5 ff. und bes. a30 ff.; PA I 1, 639 b23 ff. und 642a 6 ff.).



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 8

233

Aristoteles unterscheidet in Phys. I 7 nicht terminologisch zwischen Material und Stoff; in anderen Kontexten werden Stoffe und Stoff­por­ tio­nen auch als einfache oder gleichteilige »Körper« (sôma) thematisiert. Sofern eine Stoffportion als Material eines bestimmten Gegenstandes fungiert, ist sie »nicht in solcher Weise enes oder seiend wie das wohlbestimmte Ding« (191a12–14). Unabhängig von ihrer Funktion als Material ist eine Stoffportion (dieses Kilo Mehl, dieser Liter Öl, diese Ladung Schrott usf.,) nach Aristoteles zwar keine Substanz, aber doch »so ziemlich« (mallon, 190 b26) und »nahezu irgendwie« (engys … pôs, c. 9, 192a 6). Die Formulierung zeigt: Der ontologische Status von Stoffportionen bleibt problematisch – und er ist es bis heute, vgl. neben der ausgezeichneten Diskussion kontinuativer Terme bei Rapp (1995, 195 ff., dann bes. 214 f.) das einschlägige Kapitel bei Simons (1987, 153 ff.) und die SEPArtikel von Steen (2016) und Nicolas (2018). 8 191a 24–31  Das referierte Argument kann auf Parmenides (DK 28 B 8.9–13) und Melissos (DK 30 B 1) zurückgeführt werden; vgl. auch das (teilweise) Echo bei Empedokles (DK 31 B 11 f.). Nach 191a 24–25 sind dies diejenigen, »die als erste philosophisch nach der Wahrheit und der Natur der Dinge gefragt haben«. Die Formulierung muss irritieren: Die vor-parmenideischen »Naturforscher« (physikoi), z. B. Thales und Anaximandros, hätten sich demnach nicht »philosophisch« (kata philosophian) mit ihrem Thema befasst. Demgegenüber wird Thales in Met. I 3 als Begründer einer philosophia (983b21) vorgestellt, die stoffartige Prinzipien annimmt; die Mehrheit derjenigen, »die an die Untersuchung der Dinge gingen und über die Wahrheit philosophierten« (ebd. b1–2, ebenso b 6–7: philosophêsantes), sei ihm hierin gefolgt. Das passt nicht recht zusammen; daher fragt sich, was in Met. I 3 und in Phys. I 8 mit philosophia gemeint ist (dazu auch Einl. 1.3.1). (i) In Met. I 2 wird sophia (»Weisheit«) mit Prinzipienkenntnis gleichgesetzt. Demgemäß ist in Met. I 3 mit einer Gleichsetzung von philosophia (d. h. hier »Streben nach Weisheit«) mit Prinzipienforschung zu rechnen: Thales und Nachfolger werden demnach für die Vorgeschichte der aristotelischen Prinzipienforschung vereinnahmt. Diese Auffassung von philosophia ist in Phys. I 8 nicht anzunehmen. (ii) Vermutlich haben sich längst vor Platon die Pythagoreer als phi­ losophoi bezeichnet (d. h. vielleicht: als »Freunde des Weisen«, nämlich des Pythagoras). Demgemäß ließe sich kata philosophian in Phys. I 8 als Anspielung darauf verstehen, dass Parmenides und Empedokles als Pythagoreer gelten. Aber das wäre ziemlich weit hergeholt.

234

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 8

(iii) In Platons Politeia sind die Philosophen »Dialektiker« (vgl. 534b3 u. ö.: dialektikos), dabei ist dialektikê die fachkundige Bearbeitung begrifflicher Schwierigkeiten. Aristoteles übernimmt zwar nicht diesen Begriff von »Dialektik«; aber mit einer Auffassung von philosophia als Bearbeitung begrifflicher Schwierigkeiten ist in Phys. I (c. 2, 185a 20 und c. 8, 191a 24–25; ähnlich Pol. III 12, 1282 b22–23) durchaus zu rechnen. – Ebenso vermutet B ­ odnár (2018, 208), dass hier durch kata philosophian »the kind of rigorous philosophical analysis first advocated by the Eleatics« angezeigt wird. Der Übergang zur direkten Rede (»denn es muss etwas zugrunde liegen«, a31: … dei) überrascht: Aristoteles macht sich diese Voraussetzung des referierten Arguments ausdrücklich zu eigen. Ihm kommt es darauf an, dass erst die in Kap. 7 ausgearbeitete Charakterisierung des geforderten Zugrundeliegenden das skizzierte Dilemma (»aus Seiendem oder aus Nicht-Seiendem«, a 28–29) unterläuft. – Die im Ross’schen Text unterstellte indirekte Rede (dein, 31) ist nicht durch die Handschriften, sondern nur durch zwei Zitate bei Simplikios, In Phys. 1140.24 und 1144.7 (zu Phys. VIII), aber nicht ebd. 235.11 (zur Stelle), bezeugt. Mit Bodnár (2018, 211n7) und Reeve halte ich demgemäß das überlieferte dei. 191b15–16  Nach c. 7, 190 b20 »wird alles aus dem Zugrundeliegenden und der Gestalt«. Dabei ist am Zugrundeliegenden zu unterscheiden zwischen dem, was dann »die zugrundeliegende Natur« (191a8) heißt und aus dem das Resultat »nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände« (mê kata symbebêkos, 190 b26) wird, und dem anfänglichen Fehlen, das im Hinblick auf das Resultat nur »etwas Zusätzliches« (symbebêkos, 190 b27) ist. Das Resultat wird also nur aufgrund zusätzlicher Umstände aus Nicht-Seiendem. 191b17–25  Das Beispiel ist schräg, aber instruktiv (vgl. zum Folgenden auch Bodnár 2018, 215–220; für eine Interpretation, die demgegenüber das biologische Detail ernstnimmt, vgl. Leunissen 2019, 298). Zur Erläuterung drei Schritte. Erstens die Frage: Angenommen, B wird aus A, und C sei die gemeinsame Gattung von A und B. Dann wird B auch aus C. Und da C auch die Gattung von B ist, bleibt C erhalten. Wieso handelt es sich dann darum, dass aus C etwas wird, und nicht einfach darum, dass C erhalten bleibt? Mit A = Pferd, B = Hund, C = Tier bekommen wir das von Aristoteles angegebene Beispiel. Mit C = Seiend (und irgendeinem B) ergibt sich die alte Frage, wieso etwas aus Seiendem werden kann. Zwei­ tens die Antwort: B wird nicht aus C qua C. Sondern B wird aus A, und nur aufgrund des zusätzlichen Umstands, dass C auch die Gattung von A ist, aus C; woraus B nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände (mê kata ­symbebêkos) wird, ist nicht C, sondern A. Mit C=Seiend ergibt sich: Nichts



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 9

235

entsteht aus Seiendem qua Seiendem; und woraus irgendein B nicht nur aufgrund zusätzlicher Umstände (mê kata symbebêkos) wird, ist nicht das Seiende, sondern ein geeignetes A. Das Problem das Alten resultiert aus einer Beschreibung, die nach Aristoteles gar nicht einschlägig ist, und wird mit einer geeigneten Beschreibungsweise eliminiert. Drittens noch dreierlei: (i) »Pflanze [oder: Tier] aus Samen« (wie 190 b4–5) funktioniert hier nicht, denn dabei handelt es sich nicht um verschiedene Arten mit einer gemeinsamen Gattung, die »das Seiende« vertreten könnte. Deshalb das schräge Beispiel. (ii) Der glättende Einschub nach kyôn (b20: nicht »Hund aus Pferd«, sondern »Hund aus Hund oder Pferd aus Pferd«) ist irreführend; mit Wagner, Reeve, Bodnár (2018, 220 und 262) und Leu­ nissen (2019, 296) halte ich den überlieferten Text. (iii) Bei Aristoteles bezeichnet der Slogan »Mensch zeugt Mensch« den paradigmatischen Fall natürlicher Gesetzmäßigkeit (vgl. Phys. II 2, 194b13, ebd. 7, 198 a 26–27; Met. VII 7, 1032 a 25; PA II 1, 640 a 25 u. ö.): Der Erzeuger ist effiziente Ursache des Entstehens von seinesgleichen (vgl. Einl. 2.3.3.2.). Aber er ist kein Woraus im Sinne der Analyse des Werdens. Wenn Aristoteles ge­ legentlich statt »Mensch zeugt Mensch« auch »aus Mensch wird Mensch« schreibt (vgl. Phys. II 1, 193b 8 und 12; GC II 6, 333b7–8; Met. VII 9, 1034b2 etc.), dann ist das eine laxe oder abgeschwächte Redeweise, die sich aus dem jeweiligen Kontext erklärt und nichts mit dem hier erläuterten Argument in Phys. I 8 zu tun hat; wie Bonitz (1870, 59 b40–45) verwischt Leunissen (298n30) den Unterschied zwischen den Formulierungen, auf den es hier aber ankommt. 191b27–29  Worauf sich der Querverweis bezieht, ist nicht ganz klar. Man kann an die Erörterung des Bewegungsbegriffs in Phys. III 1 denken, mit der die Analyse des Werdens in Phys. I 7 weitergeführt wird (dazu Einl. 2.1.3), oder an die Wiederaufnahme der Frage nach dem Werden aus Seiendem oder Nicht-Seienden in GC I 3 (dazu Leunissen 2019, 300 f.). 9 191b35  Mit »Andere« (heteroi tines) sind wieder Platon und/oder diejenigen Kollegen des Aristoteles in der Akademie gemeint, die Platons – mit dem Stichwort Groß-und-Klein (s. u. 192 a7) zitierte – Prinzipienlehre vertreten oder weiterentwickelt haben. Man sollte sich diese Verhältnisse ziemlich eng vorstellen: Aristoteles schreibt dies vielleicht noch vor Platons Tod; er bleibt in den Diskussionszusammenhang der Akademie eingebunden. Vgl. Lennox 2018, 234 f. 192a 2  »Kraft«: dynamis. Das Wort ist hier (und ähnlich 192a 27) eher allgemeinsprachlich verwendet – etwa: was es zum Werden beizutragen hat. Die Unterscheidung entspricht derjenigen in Kap. 7, wo von zweierlei »Art« (eidos, 190 a16 und b24) oder »Sein« (einai, 191a1) die Rede ist. – Demgemäß wird dynamei von Pellegrin (2002, 111) durch »en puissance«

236

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 9

und von Broadie (2019, 303) durch »in function« wiedergegeben; anders Lennox 2018, 236 f. 192 a 3–6  Als »Material« (hylê) bezeichnet Aristoteles hier die »zugrundeliegende Natur« (c. 7, 191a 8), auf die er zuletzt mit »diese Natur« (c. 8, 191b33–34: hautê … hê physis) und »mit ihr« (b35: autês) zurückgekommen ist. Dieses Material ist nicht an sich, sondern nur insofern, als es zu Beginn des Werdens überdies durch das Fehlen der Form des Resultats charakterisiert ist, und somit »nur aufgrund zusätzlicher Umstände« (kata symbebêkos) nicht seiend. – Zu seiner Beschreibung als »beinahe auch irgendwie eine Substanz« s. o. Anm. zu 191a12–14 und zu 191a19–20. 192a 6–8  Was hier mit wem gleichgesetzt wird, das Nicht-Seiende mit dem Groß-und-Klein oder umgekehrt, ist nicht ganz klar (vgl. einerseits Broadie 2019, 306, andererseits Lennox 2018, 237n32). Wichtiger ist zunächst, dass sich »unterschiedslos« (oder »gleichermaßen«: homoiôs) nicht auf Groß-und-Klein, sondern auf Nicht-Seiend bezieht: Die zuvor (192a3–6) getroffene Unterscheidung zwischen dem Material (hylê), als »nur aufgrund zusätzlicher Umstände nicht seiend« (ouk on … kata symbebêkos), und dem Fehlen (sterêsis), als »an sich« (kath hautên) nicht seiend, wird von »jenen« (hoi de, a 6–7), d. h. von Platon und seinen Anhängern, versäumt. Die mit dem Stichwort »das Große und das Kleine« (to mega kai to mikron, a7 – hier auch kurz: »das Groß-und-Klein«) zitierte Prinzipienlehre Platons wird von Aristoteles als bekannt vorausgesetzt. Sie wurde von Platon nur mündlich vorgetragen (sog. ungeschriebene Lehre) und ist für uns nur vermutungsweise aus sekundären Quellen sowie wenigen Andeutungen in den Dialogen erschließbar; vgl. Erler 2007, 406 ff. (bes. 426) und Steinthal 2013 (bes. 293). Die Bezüge der Kritik in Phys. I 9 diskutiert Broadie (2019, 314 ff.). – Anstelle einer nochmals verkürzenden Darstellung muss hier eine Plausibilitätsbetrachtung genügen. Der Dualismus von Enem (vgl. c. 4, 187a18 und c. 6, 189 b15: to hen) und Groß-und-Klein ist eine Struktur, die ihrerseits die Erzeugung abstrakter Strukturen erklärt. Bei Platon ist er eine Weiterentwicklung des pythagoreischen Dualismus von Grenze und Unbegrenztem (und wie dieser nach Aristoteles mit »männlich« bzw. »weiblich« konnotiert). Eine moderne Formulierung ist beispielsweise das »unhintergehbare metaphysische Prinzip« bei A. N. Whitehead (PR 21), wonach die Verbindung »disjunktiver Diversität« zur »konjunktiven« Einheit ein neues Element der disjunktiven Vielheit erzeugt: »The many become one, and are increased by one.« Zur Illustration kann man John von Neumanns rekursive Definition der natürlichen Zahlen (vgl. Wikipedia Natürliche Zahl) heranziehen: 0 = Df ∅ , n + 1 = Df n ∪ {n}. Hiernach ist n stets eine



Anmerkungen · Buch I · Kapitel 9

237

Menge mit n Elementen; für n ≠ 0 ist n = {0, 1, 2, …, n-1}. Beim Übergang von n zu n + 1 wird (i) aus dieser Vielheit eine Einheit gebildet, nämlich {n}, d. i. die Menge mit dem einzigen Element n; und diese wird (ii) der gegebenen Menge n hinzugefügt: n + 1 = n ∪ {n} = {0, 1, 2, …, n-1, n} – also im Sinne Whiteheads: »Die Vielen (i) werden enes, und sie werden (ii) um enes vermehrt«. Und im Sinne Platons (wie ihn Aristoteles in Kap. 4 und 6 referiert): Durch die Einwirkung des Enen auf das Groß-undKlein wird Vielheit (zwar vielleicht vorläufig zur Einheit verbunden, aber im Ergebnis) nicht aufgehoben, sondern nach einer bestimmten Regel vermehrt. Die in Kap. 9 konstatierte unterschiedslose Gleichsetzung des Groß-und-Klein mit dem Nicht-Seienden ist insofern ganz angemessen: Das Groß-und-Klein bleibt Gegenteil des Einen; es nimmt die Einheit nicht an, die auf es wirkt. Was dieser Dualismus mit der dreigliedrigen Analyse des Werdens und was insbesondere das Groß-und-Klein der Prinzipienlehre Platons mit der in Kap. 7 aufgezeigten »zugrundeliegenden Natur« zu tun haben soll, ist zunächst nicht klar. Aristoteles behauptet schon in Kap. 4, dass Platon das Groß-und-Klein »zum Material macht« (poiei hylên, 187a18); nach Lennox (2018, 239) wird dies auch von zeitgenössischen Quellen bezeugt. Demgegenüber betont Broadie einerseits (2019, 328–332) die thematische Differenz zwischen der Prinzipienlehre Platons und der Prinzipien­ forschung in Phys. I; andererseits weist sie (ebd. 332 ff.) darauf hin, dass Aristoteles den Anwendungsbereich der dreigliedrigen Analyse nicht thematisiert und außerhalb dieses Bereichs, z. B. für den Antrieb der Himmelsbewegungen, auf ein dualistisches Erklärungsmodell rekurriert. 192a13–16  Das Material ist nur »Mitursache« (synaition) des Werdenden und kann nicht selbst für die einschlägige »Gestalt« (morphê) aufkommen. Durch seine Beschreibung als Mutter wird die Frage nach dem Vater aufgeworfen. Dieser kam in Phys. I noch gar nicht vor – so wenig wie der Lehrer oder der Statuenbildner in Phys. I 7. Wie der Lehrer und der Statuenbildner ist der Vater »das Bewegende«, das nach Phys. III 2 »stets eine bestimmte [nämlich: die den Endzustand kennzeichnende] Form mitbringt« (202 a 9: eidos de aei oisetai ti to kinoun). In Phys. II 2 wird er mit dem Slogan »Mensch zeugt Mensch« (194 b13) als Erzeuger vorausgesetzt; im selben Sinne zuvor: »Mensch aus Mensch« (Phys. II 1, 193b 9 und b12, zu der Formulierungsvariante im Kontext mit Antiphons »Holz aus Liege » s. o. Anm. zu 191b17–25). In Phys. II 3 ist der Vater die effiziente Ursache das Kindes (194b30–31), wie dann auch der Statuenbildner (andriantopoios, 195a34) bzw. sein Fachwissen (andriantopoiikê, 195a 6) als effiziente Ursache der Statue fungiert. Nach Phys. II 7 ist er dies als Repräsentant der einschlägigen Art (in diesem Sinne 198 a 26: tôi

238

Anmerkungen · Buch I · Kapitel 9

eidei tauto); nach Met. VII 7 erfolgt natürliches Entstehen unter Einwirkung der von ihm instanziierten artgleichen Form (1032 a 24–25). – Für die Argumentation in Phys. I 9 ergibt sich eine gewisse Unebenheit, da Aristoteles hier nur die kausale Rolle des Materials, aber nicht diejenige der Form und des Bewegers, der sie in das Werden einbringt, thematisiert. 192 a16–23  Mit »göttlich / weiblich / hässlich« zitiert Aristoteles fremden Jargon (dazu auch Broadie 2019, 310). Was es heißt, dass das Material »aufgrund seiner eigenen Natur bestimmt ist«, nach der Form zu streben und zu begehren, wird erst in Phys. III 1 ausbuchstabiert: Es sei m eine Portion Material; aus m werde (und bestehe mit dem Abschluss des Werdens) ein F. Nach Phys. I 7 sind Anfangs- und Endzustand des Werdens durch m ist -F   bzw.   m ist F charakterisiert. Nach Phys. III 1 genügt das nicht; für den Anfangszustand ist überdies gefordert, dass m potentiell F ist und somit ein Vermögen, F zu werden, besitzt. Die Manifestation dieses Vermögens, d. h. das Werden, ist der Vollendungszustand (entelecheia) von m qua potentiell F (201a10–11, siehe dort). – Letztere Formel mag schwer verständlich sein. Aber die angegebene Erklärung macht jedenfalls klar, dass die in Phys. I 9 gewählte Metaphorik nur ein Provisorium sein kann. 192a 23–25  Die Metaphorik verrutscht. »Weiblich« kennzeichnet nach a13–14, a18–19 und a 22–23 das zur Annahme der Form bestimmte Material, aber nach a 24–25 das konträre Gegenteil der Form (vgl. Broadie 2019, 310). 192a 27–31  Das Argument zeigt, dass beim Entstehen eines Gegenstandes nicht zugleich auch das Material entstehen kann, aus dem er entsteht. Es zeigt nicht, dass die jeweilige Materialportion nicht zuvor entstanden sein kann. Und das wäre auch ganz unsinnig: Die Portion Bronze entsteht zwar nicht beim Gießen der Statue, aber sie wird zuvor hergestellt. Die Charakterisierung des Materials als »unvergänglich und ungeworden« (aphtharton kai agenêton) zitiert die Lehren der frühen griechischen Philosophie (vgl. beispielsweise Phys. III 4, 203b 8). Soweit diese Lehren einen unentstandenen und unvergänglichen Stoff (oder mehrere solche Stoffe) annehmen, werden sie von Aristoteles verworfen. Aber Material ist nicht dasselbe wie Stoff. Material ist immer Material von etwas und insofern »etwas Bezügliches« (Phys. II 2, 194b 9). Wenn eine entstandene und vergängliche Stoffportion als Material von etwas fungiert, ist sie in dieser Funktion unentstanden und unvergänglich; das heißt, sie tritt erst in diese Funktion ein, nachdem sie entstanden ist, und sie verliert diese Funktion, bevor sie vergeht. 192a 31–32  Die Definition von »Material« (hylê) wird hier nachge­tragen.



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

239

Buch II 1

192b 8–9  Dinge: onta (Pl. zu on, d. h. »Seiendes«). – »Naturdinge« (physei onta) heißen in Phys. I die Gegenstände der Naturwissenschaft (vgl. Einl. 1.2.2.2 und 2.3.4.2). Sie werden in Phys. I 2 durch die hypothesis, »dass die Naturdinge (ta physei) entweder sämtlich oder [wenigstens] zum Teil in Bewegung sind« (185a13), eingeführt; in Phys. I 7 wird überdies vorausgesetzt, dass »sie (d. i. ta physei onta) geworden sind (gegonasi)« (190 b18). Eine Unterscheidung zwischen Naturdingen und anderen, ebenfalls entstandenen und episodisch in Bewegung befindlichen Dingen wird in Phys. I nicht getroffen. Diese Unterscheidung erfolgt erst im Einleitungssatz von Phys. II 1: Erst hier wird der kausale Dativ physei als Angabe einer Ursache (oder Weise der Verursachung: aitia) interpretiert, und zugleich wird unterstellt, dass es außer der »Natur« (physis) auch »andere Ursachen« gibt, so dass sich die Dinge nach dem Kriterium einteilen lassen, ob sie »durch Natur« (physei) oder »durch andere Ursachen« (di’ allas aitias) sind. Das Sein der Naturdinge wird in Phys. I 7 als Gewordensein aufgefasst (s. o. zu 190 b17–18). Das ist in Phys. II 1 nicht anzunehmen. Zwar unterstellt Aristoteles wohl auch hier, dass Naturdinge entstanden sind; der unentstandene Himmel (ouranos) ist ein Sonderfall, der unberücksichtigt bleibt. Aber dieses Gewordensein wird nun umgekehrt als Sein aufgefasst. Aristoteles hat in Phys. I 7 die Prinzipien der Naturwissenschaft anhand der Struktur des Werdens aufgezeigt und dabei vermutungsweise unterstellt, dass Naturdinge »aus« denselben Prinzipien, aus denen sie »geworden sind«, nämlich aus Form und Material, überdies auch »sind« (in diesem Sinne 190 b18: eisi kai gegonasi). Diese Vermutung bleibt in Phys. I undiskutiert. Ihr entspricht in Phys. II 1 die These, dass Form und Material die »Natur« der Naturdinge ausmachen – dazu unten, Anm. zu 193b12–18. Die »Natur« (physis) wird im Einleitungssatz als die »Ursache« (aitia, 192b 9) eingeführt, durch die Naturdinge »sind«. Das ist ganz wörtlich zu nehmen: Die »Natur« ist Verursachung des Seins der Naturdinge; von einer Ursache ihres Entstehens ist nicht die Rede. Die Dinge werden demgemäß in Phys. II 1 nach den Ursachen ihres Seins klassifiziert und nicht, wie in Met. VII 7, nach den Ursachen ihres Entstehens. Das ist wichtig für die Frage, was hier mit »Natur« gemeint ist. Nach der Grundregel, die Aristoteles im Folgenden ausdrücklich bestätigt (192b34, siehe dort), ist »Natur« immer die Natur von etwas. Als Ursache des Seins eines Naturdings kommt naheliegenderweise nur dessen eigene Natur in Betracht; ich paraphrasiere demgemäß:

240

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

Die Dinge sind, was sie sind und wie sie sind, durch ihre jeweilige Natur (vgl. Einl. 2.3.1.1). Anders beim Entstehen: »Durch Natur« zu entstehen, heißt nach Met. VII 7, 1032a24–25, »durch Einwirkung« (hypo) der »artgleichen Natur … in einem anderen Individuum« (und zwar der Natur »im Sinne von Form«) zu entstehen. Die artgleiche Natur in einem anderen Individuum ist nicht die eigene. Nach Aristoteles »erzeugt nichts sich selbst« (Anim. II 4, 416b16–7; ebenso GA II 1, 735a13 – vgl. unten, zu 192b27–32); und ebenso wenig entsteht irgendetwas durch die eigene N ­ atur. Aristo­teles fügt in De anima hinzu, dass die Lebewesen »sich selbst aber erhalten« (416 b17: alla sôzei). Auf diese Unterscheidung kommt es hier an: Lebewesen – die paradigmatischen Naturdinge – sind was sie sind und wie sie sind, in dem sie sich selbst erhalten; und sich selbst zu erhalten, gehört zu ihrer Natur. Mit der Erklärung, nach 192b 8 sei »(d)as einzelne Naturprodukt … von dem Naturinbegriff hervorgebracht, gebildet und bestimmt«, setzt sich Wagner (1979, 445) über die zitierte Grundregel hinweg. Naturdinge (phy­ sei onta) sind bei Wagner »Naturprodukte«, und die »Natur« (physis), von der Aristoteles spricht, wird umstandslos mit dem »Inbegriff der Naturprodukte« (ebd.) gleichgesetzt. Wo Aristoteles von der »Natur« als einer »Gattung« von Dingen spricht, lässt sich das als vorläufige Ab­steckung des Gegenstandsbereichs der Naturwissenschaft verstehen (s. u. zu 193a3–9 sowie Einl. 1.2.2.2 und 2.3.4.2). Wie dieser Bereich, so ist auch Wagners »Naturinbegriff« ein bloßes Aggregat. Wieso dieses die Dinge, die zu ihm gehören, hervorbringt, bleibt Wagners Geheimnis. Allenfalls könnte man daran denken, dass die Hervorbringungen einer Gesamtheit von Dingen die Hervorbringungen der Dinge sind, die insgesamt zu ihm gehören – d. h. in diesem Falle: die Hervorbringungen aller Naturdinge und insbesondere der Menschen (die ja auch Naturdinge sind). Wagners Charakterisierung der Naturdinge als »von dem Naturinbegriff hervorgebracht …« markiert keinen Unterschied zwischen Naturdingen und Arte­fakten (oder anderen entstandenen Dingen). Von einem solchen spricht Aristoteles aber hier. 192 b9–13  Als Naturdinge werden hier etwa dieselben Dinge aufgeführt, die nach einer in Platons Gesetzen (Lg. X, 889b1–c6) referierten Lehre gemeinsame Produkte von Natur und Zufall sind. Man könnte dabei an eine Reaktion des alten Platon auf den jungen Aristoteles denken). Dagegen spricht aber die ausdrückliche Trennung von Natur und Zufall bei Aristoteles (vgl. Einl. 1.4.4.1). Eher ist hier mit einer Antwort auf Platon zu rechnen; mit phamen (192b12, s. u.) stellt sich Aristoteles demonstrativ auf die Seite derer, die Platon angreift. – Nach Wieland (1970, 112n1) verweist phamen (und ebenso legetai) in Phys. I 7 auf einen



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

241

»allgemeinen Sprachgebrauch«. Das ist hier nicht anzunehmen: Eine gemein- oder bildungssprachlich etablierte Charakterisierung von Tieren etc. als Naturdinge ist sonst nicht belegt; und überdies wäre der Rückgriff auf einen solchen Sprachgebrauch durch Platons Polemik versperrt (zu dieser Einl. 1.4.4.1). Die Liste der Naturdinge (192 b 9–11: Tiere, tierische Körperteile, Pflanzen, »einfache Körper«) ist eingängig, aber erklärungsbedürftig. Einerseits haben gemäß der anschließend nachgelieferten Definition (192b20–23, siehe dort) zwar Tiere, Pflanzen und einfache Körper eine eigene Natur. Aber die Teile der Tiere partizipieren an der Natur des jeweiligen Tiers, dessen Teile sie sind; daher sind sie zwar durch Natur, aber nicht durch die eigene. Es handelt sich also um keine exemplarische Aufzählung von Dingen, die in einem einheitlichen Sinne »durch Natur sind«. Andererseits handelt es sich auch um keine Liste von Dingen, die gemäß Met. VII 7 »durch Natur entstehen«: (i) Tierische Körperteile entstehen gemäß Met. VII 7 nur indirekt durch Natur: Was durch Natur entsteht, ist das Tier, und mit ihm entstehen die Teile durch embryonale Differenzierung. (ii) Nach Aristoteles entstehen gar nicht alle Tiere gemäß Met. VII 7 durch Natur; die Individuen mancher Arten entstehen spontan, z. B. im Schlamm und durch Fäulnis (über tierische Fortpflanzungsarten bei Aristoteles vgl. Meyer 2016, 30–37). (iii) Ob das Entstehen der einfachen Körper der Analyse in Met. VII 7 entspricht, ist zumindest fraglich. Vgl. Buchheim 2010, 344 f. (zu GC I 5, 320 b17–21); ferner die Ausführungen über das Entstehen von Blitzen in Meteor. III 1 sowie die Polemik in M ­ eteor. II 9 (369 b4–370 a10) gegen die Annahme, das Feuer sei schon in den Gewitterwolken vorhanden: Wo kein Feuer ist, kann kein Feuer gemäß Met. VII 7 unter Einwirkung von Feuer entstehen. – Die Inkohärenz der Liste ist nicht zu beheben. Sie erinnert daran, dass »die Naturdinge« in Phys. I einfach nur die Gegenstände der Naturwissenschaft sind: Tatsächlich liest sich die Liste am Anfang von Phys. II 1 wie eine Inhaltsangabe der naturwissenschaftlichen methodos (zu dieser vgl. Einl. 1.1.2.2), und dabei dürfen »die Teile der Tiere«, das Thema einer der großen biologischen Abhandlungen, nicht fehlen. »Naturdinge« wurden schon eingangs von Dingen unterschieden, die »aus anderen Ursachen« sind (s. o. 192b 8–9). Mit »es zeigt sich nämlich (de) … ein Unterschied« (b12) kommt Aristoteles auf diese Einteilung zurück; durch die anschließende Angabe des Unterschieds, auf dem sie beruht (b13–20), wird zugleich erklärt, was schon eingangs mit »Natur« (physis) gemeint war; s. u. zu 192b20. Dass Naturdinge »durch Natur zusammengesetzt« (physei synestôta, 192b13) sind, besagt: Sie sind komplex; durch ihre Natur sind ihre Teile

242

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

zu einem Ganzen verbunden. Durch synestôs (Part. Pf.) wird nicht der Abschluss des Zusammensetzens, sondern der Bestand des Zusammengesetzten angezeigt (vgl. LSJ, Stichwort ἵστημι B.II.2); diesen Bestand als komplexe Ganzheiten haben Naturdinge nach Aristoteles »durch ihre Natur« (physei). 192 b13–15  Über Bewegungsprinzipien vgl. Einl. 2.3.6.4. – Was hier »Prinzip« (archê, b14) heißt, ist nicht leicht zu fassen. Zwei Beispiele müssen vorerst genügen. (i) Ein Stein besteht nach Aristoteles aus über­ wiegend schweren Grundstoffen und ist daher seinerseits schwer. Schwer zu sein, heißt: entweder unten zu ruhen oder andernfalls, wenn nichts hindert, zu fallen. Wenn der Stein nicht schon unten ruht, ist seine Schwere somit eine dispositionale Eigenschaft. Diese ist manifest, wenn der Stein fällt. Wenn etwas hindert, ist sie latent; die Beseitigung des Hindernisses löst dann die Manifestation aus. Dieser Auslöser heißt in Phys. VIII 4 auch Beweger (vgl. 256 a 2: hypo tou … lysantos [sc. kineitai]). Von einem Beweger gemäß Phys. III 1–3 unterscheidet er sich aber dadurch, dass er dem ausgelösten Vorgang keine Richtung gibt und ihn auch nicht begleitet: Wohin und wie der Stein fällt, ist ausschließlich durch die Eigenschaften des Steins und seinen Anfangszustand bestimmt; und insofern liegt das »Prinzip« der Bewegung nicht im Auslöser, sondern im Stein. (ii) Die Selbstbewegung eines Tiers (vgl. Einl. 2.3.6.3) kann durch die Wahrnehmung eines begehrten Objekts ausgelöst werden. Dabei ist der Antrieb nach Aristoteles aber ein innerer, nämlich die mentale Repräsentation des begehrten Objekts (orekton) im körperlichen Organ des Begehrungsvermögens (orektikon). Auch wenn diese Repräsentation durch die Wahrnehmung (aisthêsis) initiiert wird, wird sie durch die Vorstellung (phantasia) aufrechterhalten. Das Prinzip der Bewegung ist also wieder ein inneres, der Beitrag des äußeren Objekts beschränkt sich auf ihre Auslösung. Das Prinzip der Bewegung soll auch Prinzip des Stillstands sein. Was das insgesamt heißt, ist nicht ganz klar. Im Hinblick auf die obigen Beispiele kann man wohl sagen: (i) An der Schwere liegt es nicht nur, dass der Stein fällt, sondern auch, dass er, wenn er unten ist, ruht. (ii) Damit ein Objekt als Begehrtes (orekton) bewegt, genügt seine mentale Repräsentation nicht. Sondern es muss zu einem Begehren (orexis) passen, als dessen Befriedigung es sich anbietet. Und wenn dieses Begehren befriedigt ist, treibt die mentale Repräsentation des Begehrten auch nicht mehr an. Prinzip von Bewegung und Stillstand ist das Zusammenspiel beider innerer Faktoren. – Hinzuzufügen bleibt: (iii) Auch die Selbsterhaltung der Lebewesen (s. o. zu 192b 8–9) ist eine Form des Stillstands; und nach Aristoteles haben Lebewesen das Prinzip ihrer Selbsterhaltung in sich.



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

243

Aristoteles unterscheidet hier drei Arten der Bewegung: Ortswechsel, Zu- und Abnahme, Wechsel von Eigenschaften; d. h. Änderungen in den Kategorien des Wo sowie der Quantität und der Qualität (vgl. Einl. 2.1.1.2). Eine vierte Art ist ausgespart, nämlich Entstehen und Vergehen, d. h. Änderung in der Kategorie der Substanz. Aristoteles behauptet also ausdrücklich nicht, dass Naturdinge das Prinzip ihres eigenen Entstehens in sich haben. Er kann das auch gar nicht behaupten, da nichts sich selbst erzeugt (s. u. zu 192b27–32). – Beachte übrigens: Selbsterhaltung ist Stillstand in der Kategorie der Substanz, d. h. in derselben Kategorie wie Entstehen und Vergehen. Der Ausschluss dieser Kategorie betrifft nur das Entstehen. 192b16–20  »Sortenbezeichnung«: katêgoria, hier aber nicht im terminologischen Sinn. – Bei »durch Kunst« (apo technês) mag man wieder fragen, ob hier die Dinge nach der Art ihres Entstehens klassifiziert werden. Das die beiden Klauseln »insofern (hêi) …« und »sofern (kath’ hoson) …« verknüpfende »und« (kai, b17) ist explikativ zu verstehen: Dass auf Liege und Hemd »die jeweilige Sortenbezeichnung zutrifft« und dass Liege und Hemd Erzeugnisse der »Kunst« sind, sind verschiedene Ausdrucksweisen für denselben Sachverhalt. Denn die Leistung einer herstellenden »Kunst« ist es eben, Dinge herzustellen, auf die »die jeweilige Sortenbezeichnung zutrifft«; und worauf sie nicht zutrifft, ist Resultat einer Fehlleistung und kein Erzeugnis der »Kunst«. Ein entsprechendes Selbstverständnis der qualifizierten Berufe, das zwischen den Leistungen der »Kunst« und den eventuellen Fehlleistungen derer, die sie ausüben, unterscheidet, kann bis in die ältere medizinische Literatur (z. B. [Hippokrates], De arte und VM 1) zurückverfolgt werden; vgl. Heinimann 1961/1976, 162 ff. Dieses Selbstverständnis ist hier stillschweigend vorausgesetzt und fungiert bei der weiteren Ausarbeitung des Naturbegriffs als ein Modell. Eine hölzerne Liege hat qua hölzern, aber nicht qua Liege »einen eingepflanzten Antrieb zur Änderung«: Wenn man sie im Wasser versenkt, steigt sie auf. Das liegt daran, dass sie aus Holz ist, und nicht daran, dass sie eine Liege ist; denn eine eiserne Liege würde auf dem Grund des Wassers bleiben. Die Vorgänge, in die eine Liege qua Liege und ein Hemd qua Hemd involviert sind, sind Gebrauchshandlungen, und ihr »Prinzip« ist in dem Menschen, der sie gebraucht. – Anders als bei Naturdingen, z. B. Lebewesen, bei denen ein anderes Material der Körperteile einen ganz anderen Stoffwechsel erfordert, ist das Material, aus dem ein Gebrauchsgegenstand besteht, nicht durch die Art des Gegenstandes festgelegt. Freilich muss das Material geeignet sein: Eine Liege kann aus Holz und aus Eisen, aber nicht aus Pudding bestehen. Aristoteles diskutiert dieses Erfordernis in Phys. II 9 als »hypothetische Notwendigkeit«. Zu

244

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

der dortigen Argumentation (200 a10–13 und b4–7), wonach eine Säge aufgrund ihrer Definition aus Eisen bestehen muss, s. u. Anm. zu 200 a10–13. Die »Änderungen« (vgl. 192b18–19: metabolê) an einem Hemd qua Hemd sind Gebrauchshandlungen: Das Hemd wird an- und ausgezogen, auf die Liege legt man sich, mit der Säge sägt man, usf. Dass das Hemd »keinen eingepflanzten Antrieb« zum Angezogenwerden hat, ist trivial. 192b20  Die anschließende Satzkonstruktion – hôs (b20) mit genitivus absolutus (b21–23) – zeigt einen subjektiven Grund an (vgl. LSJ, Stichwort ὡς C I 3; ebenso Kühner/Gerth § 488.b.β = II 93 f.). Das heißt: Die auf hôs folgende, wenig später (193a1–2, siehe dort) als Definition festgehaltene Charakterisierung der »Natur« soll einen subjektiven Grund des Vor­herigen angeben; sie wird weder als Folgerung aus den zuvor konstatierten Tatsachen angekündigt noch als deren Erklärung. Die Frage nach einem subjektiven Grund stellt sich insbesondere bei jemandes Handlungen, Meinungen usf. Die nächstliegende Bezug zu hôs (b20) ist daher phamen (b12: »wir behaupten«): Die Behauptung, Tiere etc. seien »durch Natur« (physei), unterstellt nicht nur, dass die Einteilung der Dinge in solche, die »durch Natur« bzw. »aus anderen Ursachen« sind (b 8–9), einen bestimmten Unterschied macht, sondern dieser Unterschied wird sogleich gleichgesetzt mit dem Unterschied zwischen Dingen, die – »in sich ein Prinzip von Bewegung und Stillstand haben« (b13–15) bzw. – nur aufgrund ihres Materials, aber nicht als Gegenstand der jeweiligen Sorte, »einen eingepflanzten Antrieb zur Änderung haben« (b17–20). Nach b20–23 ergibt sich diese Gleichsetzung daraus, dass »die Natur« in Phys. II 1 von vornherein als inneres Prinzip von Bewegung und Stillstand aufgefasst worden ist. Hierfür ist freilich eine zusätzliche, von Aristoteles nicht ausdrücklich erwähnte Annahme erforderlich, nämlich (1) durch Natur zu sein = eine Natur zu haben. Mit (2) eine Natur zu haben = ein inneres Prinzip von Bewegung und Stillstand zu haben ergibt sich dann die obige Gleichsetzung (3) durch Natur zu sein = ein inneres Prinzip von Bewegung und ­Stillstand zu haben. Dabei sind (2) und (3) Kurzfassungen von b21–23 bzw. b12–20. (1) ist eine Verwendungsregel für das Wort »Natur« (physis), die bei Aristoteles immer wieder stillschweigend vorausgesetzt ist. – Trivialerweise folgt nicht nur (3) aus (1) und (2), sondern auch (2) aus (1) und (3) sowie (1) aus (2) und (3). Aber es bleibt rätselhaft, wie (3) als Voraussetzung in die Argumentation von Phys. II 1 eingebracht werden soll. Diese Frage stellt sich nicht, wenn (3) als Konsequenz von (1) und (2) gilt – und nur deshalb



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

245

­ ehauptet wurde, weil nicht nur (1), sondern auch (2) bereits stillschweib gend vorausgesetzt ist. 192b21–23  Wenn man den auf hôs (b20) folgenden genitivus absolutus auflöst und alles syntaktisch Überflüssige weglässt, erhält man: die physis ist archê tis … tou kineisthai … en hôi hyparchei … Dabei ist physis Subjekt zu hyparchei; als Bezug des Relativpronomens hôi und zugleich als Subjekt zu kineisthai (AcI) ist touto (»dasjenige«) sinngemäß zu ergänzen (vgl. Fritsche 2010, 25 f.; ebenso in Wagners und Pellergins Übersetzungen; anders ROT und Charlton sowie die Paraphrase bei Ross). Also: »die physis ist Prinzip davon, dass sich dasjenige bewegt, in dem sie ist«. Hiermit wird auch klargestellt, dass bereits im Vorherigen von einem »Prinzip« der eigenen Bewegung (und Ruhe) die Rede war (was bei Aristoteles den Unterschied zwischen physis und dynamis ausmacht, vgl. Einl. 2.3.6.4). Durch hôs ousês tês physeôs … (b20–21) wird angezeigt, daß die b21–23 angegebene Definition von physis bereits zuvor stillschweigend vorausgesetzt wurde. Wenn man b21–23 in b 8 einsetzt, ergibt sich sinngemäß: Naturdinge (physei onta, d. h. die Gegenstände der Naturwissenschaft) sind durch ihre jeweilige Natur. Das heißt: Jedes Naturding ist, was es ist und wie es ist, aufgrund eines Prinzips (d. h. einer Ursache) seines In-Bewegung-Seins und seines In-Ruhe-Seins, das primär und an sich in ihm ist. Andere Dinge sind aufgrund anderer Ursachen. Im Sinne der methodologischen Bemerkungen in Met. VI 1 (dazu Einl. 1.2.2.2) ist dies keine Definition, sondern eine die hypothesis in I 2 ergänzende Charakterisierung des Gegenstands der Naturwissenschaft, (s. o. zu 185a12–14 sowie Einl. 2.3.1.1 und 2.3.4.2). Die Klauseln »primär« (prôtôs), »an sich« (kath’ hauto) und »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« (mê kata symbebêkos) kommen zu der Formulierung in b13–14 hinzu. Dabei liegt es nahe, dass die letzteren Klauseln verknüpfende kai explikativ zu verstehen (also »d. h.« und nicht nur »und«) und die Bedeutung von »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« der anschließenden Erläuterung (b23 ff., s. u.) zu entnehmen. Unabhängig von dieser Zuspitzung bleibt aber auch festzuhalten, dass die »Natur« nach b22 »an sich« (kath’ hauto) in dem Ding ist, dessen »Natur« sie ist. Ein direkter Rekurs auf die in APo I 4 (etc.) angegebene Erklärung von »an sich eignen« (73a34–38: a eignet b genau dann an sich, wenn entweder a zur Definition von b gehört oder die Definition von a auf b rekurriert) wird freilich vermieden. Zu »primär« (prôtôs) verweist Stavrianeas (2015, 49) auf Simplikios (In Phys. 267.21–268.3) und erklärt: F gehört nicht-primär zu s, wenn gilt:

246

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

F gehört zu s, weil es ein s' gibt, so dass F zu s' und s' zu s gehört. Das passt auf die hölzerne Liege (s. o. zu 192 b16–20): Das Prinzip des Auf-demWasser-Schwimmens (F) gehört zu dieser Liege (s), weil das Prinzip des Auf-dem-Wasser-Schwimmens zum Holz (s') und das Holz (als Material) zu dieser Liege gehört. Das Prinzip des Schwimmens ist keine »Natur«, da es dem Kriterium »primär« nicht genügt. Wegen »zusätzlich …« (symbebêken, b19) könnte man auch daran denken, dass die hölzerne Liege nach dem Kriterium »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« (mê kata symbebêkos) ausfällt. Wenn Aristoteles das hier meinen würde, bliebe aber das Kriterium »primär« unmotiviert. Schließlich fällt auf, dass sich das Prinzip der Bewegung von Körperteilen nicht »primär« in diesen befindet: Ein solches Prinzip gehört zur Hand, weil es zum Tier und das Tier (als Ganzes, dessen Teil sie ist und ohne das sie keine Hand wäre) zur Hand gehört. Das bestätigt die Uneinheitlichkeit der eingangs angegebenen Liste von Naturdingen (s. o. zu 192b 8–13). 192b23–27  Wie die Statuenbildnerei nach Phys. II 3, 195a 6 effiziente Ursache der Statue ist (siehe dort), so ist die ärztliche Fachkompetenz (iat­ rikê) Prinzip der Heilung, wenn diese durch ärztliche Maßnahmen erfolgt. Das gilt auch, wenn der Arzt sich selbst heilt: Das Prinzip der Heilung ist im Arzt; im Patienten ist es nur aufgrund des zusätzlichen Umstands, dass er sein eigener Arzt ist. Nach b21–23 ist dieses Prinzip daher keine Natur. Die Selbstverarztung des Arztes ist keine natürliche Selbstheilung. 192b27–32  »Ebenso« (homoiôs, b27) – d. h. wie bei dem sich selbst verarztenden Arzt (b23–27). Wie das Werden in Phys. I 7 und die Bewegung (s. o. b14–15) ist auch das Gemachtwerden nach Kategorien differenziert: Der Patient wird gesund gemacht (Kategorie der Qualität), das Hemd wird in den Schrank gelegt (Kategorie der Wo), das Haus wird gebaut (Kategorie der Substanz), die Bronzekugel wird rundgeschliffen (Kategorie der Quantität) usf. In keinem dieser Fälle, sagt Aristoteles, liegt das Prinzip des Machens in dem Gegenstand selbst, sondern es kommt entweder von außen, wie beim Haus und der Bronzekugel, oder es ist, wie bei der Selbstverarztung des Arztes, nicht an sich (kath’ hauta, b31), sondern nur akzidentell, d. h. aufgrund zusätzlicher Umstände (kata symbebêkos, ebd.), in ihm. Beim Herstellen, d. h. in der Kategorie der Substanz, ist das trivial; und es gibt auch keine akzidentelle Selbstherstellung. Denn das Prinzip des Herstellens muss bereits im Anfangszustand existieren, wenn das Produkt noch nicht existiert. Es ist daher weder an sich noch akzidentell in dem, was hergestellt wird. Hergestelltes unterscheidet sich hierin nicht von den Naturdingen, die nach b13–15 ein inneres Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe haben, aber eben nicht in der Kategorie der Substanz (s. o.). Wie das Hergestelltwerden, ist das Entstehen eines Ge-



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

247

genstandes ein Vorgang, zu dessen Beginn außer der zugrundeliegenden Materialportion auch das Prinzip der Änderung existieren muss. Dieses Prinzip existiert also eher als das Resultat und folglich nicht in ihm. Dass nichts sich selbst erzeugt (Anim. II 4, 416 b16–7; GA II 1, 735a13 – s. o. zu 192b 8–9), ist keine Eigenheit von Lebewesen oder von Artefakten, sondern es versteht sich von selbst. »von Hand Bearbeitetes«: cheirokmêton (b30). – Das Wort ist vor Aristoteles nicht bezeugt. Die Verwendungsfälle von polykmêtos bei Homer (Il. VI 48 etc., Od. IV 718 etc.) und von cheirokmêtos bei Aristoteles – eingefasste Quelle (Meteor. II 1, 353b25–6), zubereitete Speise (ebd. IV 3, 381a30), rundgeschliffene Kugel (Cael. II 4, 287 b16) – lassen weniger an Herstellung als an zusätzliche Bearbeitung denken. Anders Bonitz, der die cheirokmêta (192b30) umstandslos mit den poioumena (b28: Gemachtes) und den mê physei synestôta (b13: nicht durch Natur Zusammengesetztes) identifiziert (vgl. Index 848b49–51). Nach der üblichen Interpretation (und der Interpunktion im Ross’schen Text) endet die Erläuterung zu »nicht aufgrund zusätzlicher Umstände« (mê kata symbebêkos) schon mit »voneinander getrennt« (chôrizetai … ap’ allêlôn, b 27). Durch »ebenso« (homoiôs, b27) würde demnach ein Rückbezug auf Liege und Hemd (b16) und somit auf den Unterschied zwischen Naturdingen und Artefakten (vgl. b12–20) angezeigt. Dass Artefakte das Prinzip ihrer eigenen Herstellung nicht in sich selbst haben, wäre demnach diesem Unterschied zuzuschlagen – als hätten Naturdinge das Prinzip des eigenen Entstehens in sich. Das ist abwegig (s. o.); und deshalb ist die durch die Ross’sche Interpunktion angezeigte Gliederung zu verwerfen. 192b32  »ist«: esti – das heißt hier und im Folgenden (192b35–193a 2): ist per definitionem; durch die Formel »was … ist« (ti … estin, 193a1–2) wird die Frage nach einer Definition angezeigt. 192b33–34  »Substanz«: ousia (b33). Das heißt, Naturdinge sind (erste) Substanzen und als solche ontologisch fundamental (vgl. Einl. 2.2.1.2). »in einem Zugrundeliegenden«: en hypokeimenôi (b34). – Nach Cat. 2, 1a 25 heißt das, dass die Natur nicht ohne das Zugrundeliegende existieren kann, »in« dem sie ist. Hierin unterscheidet sich die Natur von der zweiten Substanz oder »Art« (eidos, Cat. 5, 2a14; dann ebd. 3a 9–15): Die Art existiert auch ohne das einzelne Ding, dessen Art sie ist. Aber die Natur existiert nicht ohne das einzelne Ding, dessen Natur sie ist; die Natur eines artgleichen Gegenstandes ist »artgleich« (vgl. Met. VII 7, 1032a 24: homoeidês), aber nicht numerisch dieselbe. 192b35–193a1  »aufgrund«: kata – üblicher ist »gemäß«, was aber an vielen Stellen der Physikvorlesung nicht passt. Wie Ross (1936, 501; zu

248

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

192b36–193a1) treffend bemerkt, intendiert Aristoteles hier wie anderswo keine Unterscheidung zwischen physei (»durch Natur«) und kata physin (»aufgrund [seiner jeweiligen] Natur«). Wichtig ist hier die Rückbindung der abverbiellen Verwendung von physis an den jeweiligen Gegenstand (vgl. Einleitung 2.3.4.1). 193a 3–9  Dieser Abschnitt knüpft terminologisch nicht an das Vorherige an, sondern eher an Met. IV 3 (vgl. Einl. 2.3.4.2): Wie dort (1005a34) ist »die Natur« (hê physis, 193a3) auch hier eine Gattung von Dingen; dass sie »existiert« (estin, ebd.), bedeutet, dass es »solche Dinge« (a 4) gibt, d. h. Dinge, die in sie fallen, und dass sie somit nicht leer ist. Und wie dort (1005 b2–4 und weiter c. 4, 1006 a5–9) polemisiert Aristoteles auch hier gegen die Forderung eines Beweises. Die Stoßrichtung der Polemik ist nicht ganz dieselbe, da die Existenz von Naturdingen und somit der »Natur« kein Axiom ist wie der Widerspruchssatz, der nach Met. IV das Seiende qua Seiendes charakterisiert, sondern eine hypothesis, durch die der Gegenstand der Naturwissenschaft eingeführt wird (vgl. Einl. 2.2.2.1). Erwähnt wird die Frage, ob »es die Natur gibt«, wohl wegen der Parallele zu den Abschnitten über Zufall und Zwangsläufigkeit (Phys. II 4–6 und 9) sowie über Unbegrenztes, Ort, Leeres und Zeit in Phys. III–IV (vgl. Einl. 1.2.2.1): Dort wird jeweils (gemäß APo II 1) erörtert, »ob« und »was« die jeweilige Sache ist. In Phys. II 1 wird nur erklärt, »was die Natur ist« (193a1–2); dass die Frage, ob sie ist, bei der »Natur« abwegig ist, versteht sich in diesem weiteren Kontext nicht ganz von selbst. 193a 9–12  »die Natur und die Substanz«: hê physis kai hê ousia (a 9–10) – mit explikativem kai (»und«): physis und ousia werden hier gleichgesetzt; ousia ist nicht mehr erste Substanz (wie 192b33), sondern, wie physis, die ousia von etwas, nämlich der »Naturdinge«. Durch diesen »zweistelligen« Begriff von Substanz (vgl. Detel 2009, 745; zuvor 267 u. ö.) werden keine Dinge oder Klassen von Dingen (»erste« bzw. »zweite« Substanzen gemäß Cat. 5) als ontologisch fundamental ausgezeichnet, sondern Merkmale von ontologisch fundamentalen Entitäten als explanatorisch fundamental. Die Gleichsetzung von »Natur« und (zweistelliger) »Substanz« ist in Phys. II 1 nicht vorbereitet; sie entspricht aber der maßgeblichen Definition in Met. V 4 (1014b36 und 1015a13–15; vgl. Einl. 2.3.1.1.). Wie dort werden die »Naturdinge« (physei onta, 193a10) auch an einer späteren Stelle in Phys. II 1 mit den Dingen gleichgesetzt, »die in sich selbst ein Prinzip von Bewegung und Änderung haben« (193a 29–30, siehe dort). Man kann das so verstehen, dass die vorherige Definition von »Natur« (192b20–23) nun als Erklärung dafür fungiert, was es heißt, eine Natur zu haben und somit ein Naturding zu sein. Aber nichts dergleichen wird



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

249

in Phys. II 1 gesagt; der Eindruck bleibt, dass hier heterogene Textstücke zusammenmontiert sind. Dass Liege und Statue als Beispiele für »Naturdinge« (physei onta, 193a10 – ähnlich Met. V 4, 1014b27–30, dazu Pendrick 2002, 278–280) angeführt werden, passt zu der Argumentation in Phys. I 7 (s. o. zu 190 b17– 18). Wie dort wird der im ersten Abschnitt von Phys. II 1 erörterte, für den Naturbegriff konstitutive Unterschied zwischen Naturdingen und Artefakten ignoriert. Die anschließende Analogie von physis und technê setzt dann allerdings eine Unterscheidung beider Bereiche voraus; und dass die Liege zuvor als Naturding firmierte, scheint dann vergessen zu sein (s. u. 193a 29 ff.). »unstrukturiert«: arrythmistos (a11) – ebenso Met. V 4, 1014b27; vgl. Phys. I 7, 190 b32: anharmostos (»ungefügt«), ebd. 190 b15: aschêmosyne (»Formlosigkeit«). Die Wortwahl lässt daran denken, dass Demokrit des Wort rhysmos (= rhythmos) nach Met. I 4, 985 b16 im Sinn von schêma (Umriss, räumliche Form) verwendet. – Der »nächste, an sich unstrukturierte Bestandteil« eines Gegenstandes ist dessen Material. 193 a12–17  Für die These, dass das nächste Material die Natur und Substanz der Naturdinge sei (a 9–11), wird hier der Sophist Antiphon in Anspruch genommen. Die Formulierung seiner spezielleren, durch das Gedankenexperiment illustrierten These (»da … erhält«, a14–17) ist bis zur Unkenntlichkeit mit aristotelischer Terminologie durchsetzt. In einem wichtigen Punkt ist sie auch zweideutig: Dass sich etwas kontinuierlich »erhält« (diamenei, a16), kann heißen, dass es (a) schlicht bestehen bleibt oder dass es (b) immer wiederkehrt. Antiphons Gedankenexperiment (»angenommen … Holz«, a12–14) lässt eher an (b) denken, also nicht (a) Holz bleibt Holz, sondern (b) aus Holz wird wieder Holz, wie dann auch (b') aus Mensch wird wieder Mensch (s. u. b 8–12). Die aus Antiphons Gedankenexperiment abgeleitete Annahme unentstandener und unvergänglicher Grundstoffe (s. u. a17–28) setzt (a) voraus. Aber wo Aristoteles seine eigene Argumentation an das Gedankenexperiment anknüpft (s. u. b 8–12), unterstellt er (b). Bei zwei bis drei Stichwörtern – physis (a11: »Natur«), nomos (a15: »Konvention«) und wohl auch technê (a16: »Kunst«) – kann man vermuten, dass sie auf Antiphon zurückgehen. Er könnte so etwas behauptet haben wie: Die Liege ist physei (durch Natur) Holz; Liege ist sie nur nomôi (durch Konvention) und technêi (durch Kunst). Und er könnte das durch-

250

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

aus so gemeint haben, wie es Aristoteles aufgreift: dass die »Natur«, im Unterschied zum konventionellen und künstlichen Arrangement, das Bleibende oder Wiederkehrende ist. – Vgl. die ausführliche Diskussion des Gedankenexperiments bei Pendrick (2002, 276–289, bes. 281–284. Quellentexte zu Antiphons Gedankenexperiment ebd. 126–141 (F15); die Wiedergabe in den gängigen Sammlungen (DK 87 B 15; LM 37 D 7 f.; Schirren/Zinsmaier 2003, 190: #11) ist unzureichend. 193a17–28  Das nächste Material eines Gegenstandes besteht seinerseits wieder aus einem Material und letztlich aus bestimmten Grund­ bestandteilen, z. B. den Elementen Wasser und Erde. Dabei rechnen unterschiedliche Theorien mit unterschiedlichen Grundbestandteilen. Einen Sprachgebrauch, der die gemeinsame »Natur« der Dinge mit diesen Grundbestandteilen identifiziert, bezeugt auch Platon (Lg. 891c2–4); bei Aristoteles dann auch Met. V 4, 1014b32–35. 193a 28–31  Die Anknüpfung an das Bisherige ist prekär. Klarerweise ist prôtê … hylê (a 29) das »nächste Material«. Denn nur so macht das eingeschobene hekastôi hypokeimenê (»dem jeweiligen Gegenstand zugrundeliegend«) überhaupt Sinn: Es liegt nicht allen Dingen dasselbe Material, sondern dem jeweiligen Gegenstand das jeweils nächste zugrunde. Die unmittelbar zuvor (a17–28) referierten Theorien über Elemente und dergl. werden übergangen und spielen in diesem Kapitel keine Rolle mehr. Aufgegriffen wird vielmehr die vor dem Antiphon’schen Gedankenexperiment erwähnte These, dass das nächste Material Natur und Substanz der Naturdinge sei (s. o. a 9–11) – mit der Formulierungsvariante, dass nun nicht mehr von »Naturdingen«, sondern von Dinge die Rede ist, die »in sich selbst ein Prinzip von Bewegung und Änderung haben« (a29–30). Die eingangs des Kapitels stillschweigend vorausgesetzte Gleichsetzung der »Naturdinge« (physei onta, Phys. I 7, 190 b18) mit »Dingen, die durch Natur sind« (physei onta, Phys. II 1, 192b 8), und somit mit Dingen, die eine Natur haben (s. o. Anm. zu 192b20), sowie die dort weitaus differenzierter entwickelte Auffassung der »Natur« als Prinzip der Bewegung sind im Hintergrund zu vermuten. Die Annahme dieses Rückbezugs auf den Anfang von Phys. II 1 ist aber nicht zwingend. In Met. VI 1 wird der Gegenstand der Naturwissenschaft umstandslos mit der Substanz »bei der das Prinzip von Bewegung und Stillstand in ihr selbst ist« (1025b20–21) gleichgesetzt. Mit Entsprechendem ist auch an dieser Stelle in Phys. II 1 zu rechnen. Mit »heißt« (legetai, 193a 28) verweist Aristoteles (wie in Met. V 4) auf einen vorfindlichen Sprachgebrauch; und ebenso lässt sich der Zusatz, dass auch (und erst recht) die »Gestalt« (morphê), und d. h. die »definitionsgemäße Form« (to eidos to kata ton logos), »Natur« heißt (a30–31),



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 1

251

verstehen. Erst anschließend geht es unmissverständlich darum, was richtigerweise so heißt. 193a 31–33  »Kunst«: technê – d. i. hier einerseits das fachliche Wissen und Können, das eine »Kunst« ausmacht und z. B. einen qualifizierten Beruf kennzeichnet, und andererseits (vgl. LSJ, Stichwort τέχνη IV) deren Leistung oder Produkt. Ebenso kann auch physis (»Natur«) übertragenerweise den oder die Träger eines natürlichen Merkmals bezeichnen (vgl. Einl. 2.3.4.1). Allerdings ist diese Redeweise nach den Erklärungen am Anfang des Kapitels unzulässig, wo Aristoteles ausdrücklich zwischen physis und dem, was kata physin ist, unterscheidet; s. o. 192 b36–193a1, ähnlich dann auch 193b5–6. 193b 4–5  Abgrenzung gegen »Formen« (oder »Ideen«) im Sinne Platons: Formen im aristotelischen Sinn existieren nicht getrennt von den Dingen, deren Formen sie sind. Das schließt freilich nicht aus, dass Gestalt und Form definiert und aufgrund ihrer Definition mental repräsentiert werden können. 193b 8–12  Für die These, dass die Natur eines Gegenstandes nicht nur dessen Material ist, sondern insbesondere auch dessen Form, hat Aristoteles zunächst mit einer Analogie von physis und technê argumentiert (s. o. a31– b 8). Hier greift er nun Antiphons Erblichkeitstest auf (s. o. zu 193a12–17): Wie nach Antiphon (b) aus Holz wieder Holz wird, so erst recht (b') aus Mensch wieder Mensch; und wenn deshalb das Holz Natur ist, dann erst recht die definitionsgemäße Form, die sich gemäß (b') reproduziert. »Umriss«: schêma (b 9) – hier wohl im Kontrast zu »unstrukturiert« (arrythmistos, a11), s. o. Anm. zu 193a 9–12. 193b12–18  Die Verwendung physis im Sinn von genesis (»Entstehen«, zur Unterscheidung schreibe ich »Aufkeimen«) wird hier als Beleg für die Auffassung der Form (eidos) oder Gestalt (morphê) als Natur (physis) interpretiert. Es fällt auf, dass Aristoteles in diesem Abschnitt (193a 9– b21) weder mit der Definition von physis (192 b20–23) noch mit Form und Material als Prinzipien gemäß Phys. I 7 argumentiert. Letzteres ist vielleicht stillschweigend vorausgesetzt: Wenn Form und Material Prinzipien der Natur­d inge sind, muss alles, was in einem Naturding »primär und an sich vorliegt« (hyparchei prôtôs kath’ hauto, 192b22) auf Form und Material zurückführbar sein. Dabei ist aber zu beachten, dass Form und Material nach Phys. I 7 nur Kandidaten für Prinzipien des Seins der Naturdinge sind (s. o. Anm. zu 190 b17–18): Dass sich demgemäß das geforderte Prin-

252

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 2

zip von Bewegung und Stillstand – d. h. die kausalen Eigenschaften und die Weise der Selbsterhaltung, durch die Naturdinge sind, was sie sind und wie sie sind – auf Material und Form zurückführen lässt, bleibt zu zeigen. Die Argumentation in Phys. II 1 bereitet diesen Nachweis nur vor. 193b18–21  Die Frage, ob sich das Entstehen als Übergang aus einem konträren Gegenteil auffassen lässt, ist hier eher assoziativ angehängt. Der Verweis ist nach Ross auf Phys. V 1 und GC I 3. 2 193b31–35  Bei Aristoteles gibt es keine selbständigen mathematischen Gegenstände, sondern nur mathematische (z. B. geometrische) Eigenschaften von Dingen. Die Mathematik betrachtet diese Eigenschaften unabhängig von den Dingen, deren Eigenschaften sie sind. Dass dabei kein Fehler entsteht, der in die Betrachtung der Dinge eingeschleppt werden könnte, zeichnet diese Eigenschaften als mathematische aus – im Unterschied zur Stupsigkeit einer Nase, die sich nicht in dieser Weise abtrennen lässt (s. u. 194 a5–7 und a12–15; ausführlicher Met. VI 1, 1025 b30–1026 b 6). Mathematische Gegenstände sind demnach fiktive Gegenstände, deren Einführung für die Naturwissenschaft unschädlich ist. – Zu der Stelle vgl. Golitsis 2017, 570, bes. n. 6. 194 a7–12  Die Möglichkeit einer mathematischen Physik wird von Aristoteles nicht bestritten; diese ist aber auf wenige Bereiche beschränkt, in denen die mathematische Definition zugleich auch den physikalischen Sachverhalt trifft. 194 a 21  »das Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein«: to ti ên einai (dazu Einl. 3.2.2.4). 194a 21–22  »folgt nachahmend«: mimeitai (dazu Einl. 1.4.5 und 2.3.3.3). 194 a 27–30  Vorgriff auf die Argumentation in Kap. 7 und 8; zum Begriff des »Ziels« (telos) und des Wozu (hou heneka) s. u. 194b32–195a3. 194 a 30–33  Der Tod ist Abschluss (eschaton) des Lebens, aber kein Ziel (telos). Die Charakterisierung des Ziels als »bester Abschluss« markiert einen begrifflichen Zusammenhang, s. u. 195a 23–25 und 198b 8–9. – Aristoteles zitiert hier wohl einen (ansonsten unbekannten) Komödienvers (Com. Adesp. 447 Kock). 194a 33–36  Aristoteles unterscheidet an anderer Stelle (Anim. II 4, 415b 2–3 und b20–21; Met. XII 7, 1072 b1 ff.; EE VIII 3, 1249 b15) zwischen »Wozu von« (hou heneka tinos) und »Wozu für« (hou heneka), d. h. zwischen – dem Fall, dass sich eine Handlung durch ihren Zweck, eine Entwicklung durch ihr Ziel oder ein biologisches Merkmal durch seine Funktion erklären lässt, und – bloßer Nutznießerschaft (durch die nicht die Existenz der Ressource, sondern des Nutznießers erklärt wird).



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 3

253

Was den Menschen nach a34–35 auszeichnet, ist seine universelle Nutznießerschaft. Vgl. Heinemann 2016c, 257 f. (mit weiteren Literaturangaben). – Der aristotelische Dialog Über Philosophie ist verloren. 194 b 8–9  Dass zu einer anderen Form ein anderes Material gehört, klingt nach Supervenienz der Form über dem Material (so auch Heinemann 2009a). Das passt aber schlecht zu den Beispielen in Phys. I 7 ff.: Aus einer Portion Bronze können die verschiedenartigsten Gegenstände hergestellt werden, usf. Man versteht die Behauptung wohl besser als eine semantische Regel: Material heißt immer: Material zu einer bestimmten Form. Und wenn F und G zwei verschiedene Formen sind, dann heißt Material zu F nicht dasselbe wie Material zu G. – Beachte: Material ist nicht dasselbe wie Stoff. Die Portion Bronze bleibt dieselbe, ob sie nun als Material zu F oder als Material zu G fungiert. 194 b13  »unter Mitwirkung der Sonne«: kai hêlios – gedacht ist hier wohl an die tages- und jahreszeitlichen Vegetationszyklen (vgl. beispielsweise GC II 10, 223a 23 ff.). 3 b b 194 16–23  »Ursache«: aition ( 16) – d. h. etwas, das ursächlich (aitios, adj.) ist und demgemäß zur zutreffenden Beantwortung einer Frage der Form ›Warum …?‹ (dia ti) – d. h. als »das Warum«: to dia ti (b19; zu dieser Weise der Begriffsbildung Einl. 3.2.2.4) – angeführt werden kann. Die Arten der Ursache werden demgemäß anhand verschiedener Bedeutungen des Warum? unterschieden (s. u. 194b23–195a3). – Durch »Ursache« wird hier auch aitia (b20) übersetzt. Der Bedeutungsunterschied zwischen aition und aitia ist nicht sehr scharf: aition (neutr.) ist insbesondere der einzelne ursächliche Faktor, aitia (fem.) auch die (Weise der) Verursachung durch solche Faktoren. Die Auffassung von Wissen als Ursachenkenntnis (b17–20) entspricht dem bereits am Anfang der Physikvorlesung (184 a12–14) vorausgesetzten Wissenschaftsverständnis (s. o. zu 184 a10–16 sowie Einl. 2.2.1.1; weitere Parallelstellen, wie hier mit anschließender Unterscheidung der vier Arten von Ursache, sind Met. I 3, 983a 25–26 und APo II 11, 94 a 20). Wissen im Sinne wissenschaftlichen Erkennens erschöpft sich nach dieser Auffassung nicht in einer Kenntnis der Tatsachen, sondern die Aufgabe der Wissenschaft ist nach APo II 1 (vgl. Einl. 1.2.2) vor allem auch deren Erklärung. Den nach den Bedeutungen des Warum? unterschiedenen vier Arten der Ursache entsprechen daher vier Arten der Erklärung, die sämtlich Aufgabe der Naturwissenschaft sind (s. u. 198b4–9). Es ist nicht ganz klar, ob »erste Ursache« (prôtê aitia, b20) hier die primäre oder die nächste Ursache ist; vgl. Ross (1936, 512) und Pellegrin (2002, 128n2) zur Stelle. Zu rechnen ist mit einer Gleichsetzung von »erste Ursache« und Prinzip (vgl. b22: archai). Gefordert wäre demnach,

254

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 3

dass sich die Angabe des Warum nicht bei den unmittelbar ursächlichen Faktoren stehenbleibt, sondern die Erklärung auf sachgemäße Ausgangspunkte zurückführt. 194b23–26  Sog. Materialursache (causa materialis). Die Formulierung zitiert die Definition von »Material« (hylê) in Phys. I 9, 192 a31–32. Bei »Gattungen« ist nach Pellegrin (2002, 128n4) daran zu denken, dass Silber und Bronze Metalle sind und dass Statue und Schale daher auch aus Metall sind. – Die Nummerierung ist von mir ergänzt. 194 b26–29  Sog. Formursache (causa formalis). Die Bezeichnung der »Form« (eidos) als »Muster« (paradeigma) ist an Platon angelehnt (vgl. beispielsweise Euthyphr. 6e4–5, Resp. VI, 484c8, Tim. 28a7 u. ö.). – Definition des Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein ist die Definition, die angibt, was es heißt, so etwas (z. B. ein Hund oder Haus) zu sein. 194 b29–32  Sog. Wirk- oder effiziente Ursache (causa efficiens). Die angegebenen Beispiele lassen an zwei Modelle denken: z ist effiziente Ursache von y, wenn entweder (a) y durch Einwirkung von z auf ein x zustande kommt oder wenn (b) y der Abschluss einer durch z in Gang gesetzten Kette von Vorgängen oder Ereignissen ist. Das erstere Modell wird in Phys. III 1–3 ausgearbeitet, das letztere in Phys. VII (vgl. Einl. 2.6 im zweiten Teilband). Die Entsprechung zwischen den Begriffen der Natur (gemäß Phys. II 1, 192b20–23) und der effizienten Ursache ist offensichtlich, aber nicht leicht auszubuchstabieren. Gefragt wird nach einem Prinzip der B ­ ewegung von x. Dieses Prinzip ist entweder primär und an sich in x (und somit Natur von x). Oder es kommt »von außen« (exôthen, 192b29) hinzu; ausnahmsweise ist es aufgrund zusätzlicher Umstände in x. Wenn das Prinzip der Bewegung von x nicht Natur von x ist, stellt sich somit die Frage, »woher« (hothen, 194b29) es kommt. Effiziente Ursache ist der äußere Faktor, durch den es gegebenenfalls eingebracht wird. – Weitere Klärungen erfordern den Begriff des Vermögens (aktive und passive dynamis), den erst die Metaphysik ausdrücklich erörtert, vgl. Einl. 2.3.6.4. 194 b32–195 a 3  Sog. Zweck- oder Finalursache (causa finalis). Ursache von a ist der Zweck, zu dem a ist. Die Beispiele sind der Medizin entnommen; daher kommt hier der Zweck, wie bei allem zweckbestimmten Tun, durch eine Absicht ins Spiel. Zu der absichtslosen Zweckbestimmtheit natürlicher Vorgänge und Strukturen s. u. Phys. II 7 ff. 195 a 3– 4  Die obige Liste ist nicht ganz einheitlich. Material und Form sind »Prinzipien« (archai), aus denen Naturdinge gemäß Phys. I 7, 190 b17–20 primär und an sich »sind und geworden sind«. In [i] und [ii] ist daher bei Naturdingen die Ursache von a ein konstitutiver Bestandteil



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 3

255

von a. In [iii] und [iv] ist die Ursache von a etwas anderes als a: etwas, durch dessen Einwirkung a zustandekommt, oder ein von a verschiedener Zweck, zu dem a als Mittel fungiert. Die Arten der Ursache stehen hier unverbunden nebeneinander. Ihr Zusammenhang – und mit der nach Form und Material differenzierten Natur – wird erst ab Phys. II 7 thematisiert. 195 a 5–8  Die »Statuenbildnerei« (andriantopoikê, a 6) und nicht etwa Polyklet, der sie ausübt, ist effizierte Ursache der Statue. Nach 195a32– b1 ist es nur aufgrund zusätzlicher Umstände der Fall, dass der die Statuenbildnerei verkörpernde »Statuenbildner« (andriantopoios) Polyklet oder überhaupt ein Mensch ist. Nach 195 b21–25 ist die Statuenbildnerei die »primäre« (proteron, b24) und »zugespitzteste« (akrotaton, b22) Ursache der Statue. – Dazu Einl. 2.3.5.2. 195 a15–16  Es folgen zusätzliche Beispiele zu der vorherigen Unterscheidung (194b23–195a3). Die Nummerierung ist wieder ergänzt. 195 a18–19  Das letzte Beispiel – ähnlich Phys. II 7, 198b 7–8 und bes. APo II 11, 94 a 21–2 (dazu Detel 1993, II 685 und 701–704) – ist befremdlich. Zur Erklärung zunächst zweierlei. Erstens: Das aristotelische Wort für »logischer Schluss« ist syllogismos (vgl. APr I 1, 24b18–20, dazu Ross 1949, 291), d. i. nach der gemeinsprachlichen Bedeutung das »Zusammenrechnen« und dessen Ergebnis. So verstanden, ist ein »logischer Schluss« eine Weise, gegebene Prämissen zu einer Konklusion »zusammenzurechnen«, und die Prämissen sind dasjenige, »woraus« die Konklusion zusammengerechnet wird. Zweitens: Die Frage nach einer wissenschaftlichen Erklärung stellt sich nach der Wissenschaftstheorie der Zweiten Analytiken in der Form, dass nach kausal relevanten syllogistischen Prämissen zu einer gegebenen Konklusion gefragt wird (dazu Detel 1993, I 313 f.). Diese Prämissen sind dann das dasjenige, »woraus« nicht nur die Konklusion zusammengerechnet, sondern auch die als Konklusion angegebene Tatsache erklärt wird. – Wichtig ist dabei der Hinweis von Detel (1993, II 702 f.), dass der Vergleich von Prämissen und Material nichts damit zu tun hat, dass etwa durch die Prämissen Materialursachen angegeben würden. 195 a 21–23  Der Same (sperma) wird hier als effiziente Ursache angeführt. Die Rede ist von dem männlichen Beitrag zum Zeugungsvorgang. Anders Phys. I 7, 190 b5 – dazu Einl. 2.2.5.5. 195 a 23–26  Die Auffassung des Wozu als Ursache gibt eine Regel, nach der der Begriff des Guten in naturwissenschaftliche Erklärungen einzugehen hat (s. u. Phys. II 7, 198 b 8–9). Dass es dabei nicht auf den Un­terschied zwischen dem Guten und dem scheinbaren Guten ankommt, gilt aber nur für einen Sonderfall, nämlich die Verursachung tierischer

256

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 4

Selbstbewegung durch die mentale Repräsentation eines begehrten Objekts (vgl. Einl. 2.3.6.4): Der MA 7, 701a32–3 beschriebene praktische Syllogismus funktioniert auch, wenn das als Getränk angebotene Objekt gar nicht trinkbar ist. 195 a 32– b1  Siehe oben Anm. zu 195a5–8. – »Tier« (zôion) ist auch hier im Sinne der biologischen Systematik verwendet, nämlich als Bezeichnung der Gattung, zu der der Mensch als Art gehört. 195 b3–6  »als fähig«: hôs dynamena – d. h. als Träger eines »Vermögens« (dynamis); »als tätig«: hôs energounta. Die »Tätigkeit« (energeia) ist Manifestation eines Vermögens. Ein Vermögen ist entweder latent oder manifest, und zwar zu unterschiedlichen Zeiten. »Baumeister« (oikodo­ mos) ist, wer das Vermögen hat, zu bauen; dieses Vermögen ist manifest, wenn er baut, und wenn er nicht baut, latent. Durch dynamis etc. kann, wie hier, ein Vermögen als solches angezeigt werden, d. h. unabhängig davon, ob es latent oder manifest ist; in anderen Fällen, z. B. in der Definition des In-Bewegung-Seins (Phys. III 1, 201a 9–11; dazu Einl. 2.1.3.2) verweist dynamis (etc.) auf ein latentes Vermögen. Zur Unterscheidung aktiver und passiver Vermögen dann Einl. 2.1.3.3 und 2.3.6.4. 195 b20–21  Der letzte Satz ist etwas schief. Der Fähigkeit des Baumeisters zu bauen, entspricht kein Vermögen des Hauses, gebaut zu werden (denn das Haus gibt es ja beim Bauen noch nicht, und was nicht existiert, ist auch nicht Träger eines Vermögens), sondern das Vermögen der bereits vorhandenen Baumaterialien, verbaut zu werden (d. h. deren Eignung als Material); vgl. unten Phys. III 1, 201a16–18. 195 b21–25  Siehe oben Anm. zu 195a5–8. 4 195 b31–36  Das sind die Standardfragen »ob es ist« (ei estin) und »was es ist« (ti estin) aus APo II 1 (vgl. Einl. 1.2.2.1), aber sie sind hier nicht so schematisch formuliert wie dann in Phys. III–IV. – Anschließend referiert Aristoteles unterschiedliche Thesen aus der frühen griechischen Philo­ sophie (zu den historischen Bezügen vgl. Ross 1936, 514 f.): – Es gibt keinen Zufall, denn alles hat eine Ursache (195b36–196 a11). – Alles hat eine Ursache und ist gleichwohl teils zufällig, teils nicht (196 b11–24). – Welten entstehen zufällig, aber das biologische Geschehen ist nicht zufällig (196 a 24– b5). – Der Zufall ist eine Ursache, die sich dem menschlichen Verständnis entzieht (196 b5–7). Aristoteles verzichtet in diesem Kapitel weitgehend auf eigene Stellungnahmen und reklamiert nur eine ausdrückliche Erörterung des Zufalls als Desiderat. – Die Unterscheidung zwischen Zufall (tychê) und »Irgendwie-von-selbst« (automaton) wird erst in Kap. 6 ausgearbeitet.



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 5

257

196 a 3–5  Auf dieses Beispiel kommt Aristoteles in Kap. 5 zurück (s. u. 196 b33–197a5 und 197a15–18). 196 a 20–24  Das Empedokles-Zitat ist DK 31 B 53 (ausführlichere Referierung: GC II 6, 333b22–334 a9 = #90 in Primavesi 2011); zu den Teilen der Tiere bei Empedokles s. u. Kap. 8. – »Weltherstellung« (kosmopoiia, a 22) ist hier wohl kein alternativer Buchtitel für die Physika des Empedokles, sondern die Angabe der Literaturgattung. Aber das macht kaum einen Unterschied, da die Kombination von Gattungsangabe und Autoren­name (»die physika des Empedokles« oder »die kosmopoiia des Empedokles«) wie ein Buchtitel funktioniert (über Gattungsbezeichnungen als Buchtitel vgl. Schröder 1999, 30 ff.). 196 b1–5  Hier nun doch eine eigene Stellungnahme: Zufall gibt es nicht am Himmel, sondern eben da, wo er gemäß (iii) geleugnet wird: bei biologischem Geschehen. 5 196 b10–17  Aristoteles konstatiert, dass nur irreguläres Geschehen als zufällig gilt; dabei bleibt sein Begriff von Regularität – d. i. was immer oder meistens in derselben Weise geschieht – erklärungsbedürftig (s. u. zu 198b34–36). Beachte übrigens: »zwangsläufig« (ex anankês, b12–13) muss hier nicht mehr bedeuten als: ausnahmslos (vgl. Reeve 2018, 233 f.: n. 196). 196 b19  Dass dem Wozu eine Absicht zugrunde liegt, ist demnach nur ein Spezialfall. Die Natur wirkt nach Aristoteles ohne zugrundeliegende Absicht zu einem bestimmten Zweck; vgl. Einl. 2.3.5.3. 196 b17–24  Aristoteles unterscheidet hier zwischen zwei Fällen von Zweckmäßigkeit: (1) Etwas geschieht (gignetai) zu einem bestimmten Zweck, und zwar entweder (1a) mit Bedacht (apo dianoias) oder (1b) naturbedingt (apo physeôs). (2) Etwas erfüllt einen bestimmten Zweck, zu dem es aber nicht geschieht; man mag ergänzen: sondern es geschieht entweder (2a) zu einem anderen oder (2b) zu gar keinem Zweck. Das Beispiel mit dem Gläubiger fällt unter (2a): dass er auf den Markt geht, erfüllt einen anderen Zweck als denjenigen, zu dem er es tut (s. u. 197a14–17). Mit »teils nicht« (ta d’ ou, 196 b18) scheint sich Aristoteles auf (2b) zu beziehen. Aber er gibt kein Beispiel für ein gänzlich zweckloses Geschehen; auch wenn ein Hocker vom Schrank fällt (s. u. 197 b16–18), geschieht das nach Aristoteles zu dem Zweck, dass Schweres näher an seinen natürlichen Ort gelangt (vgl. Scharle 2008). Nach 196 b23–24 ist zufällig, was einen bestimmten Zweck erfüllt, aber nicht mit Bedacht oder von Natur zu diesem Zweck, sondern aufgrund zusätzlicher Umstände geschieht. 196 b24–29  Eine Erläuterung zu »aufgrund zusätzlicher Umstände« (kata symbebêkos, b25). Jede Eigenschaft, die auf den Baumeister zutrifft,

258

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 5

liefert eine zutreffende Charakterisierung der Ursache des Hauses. Einschlägig ist aber nur eine, nämlich Baumeister. Die uneinschlägigen sind unübersehbar. 196 b33–197a 5  Das in Kap. 4 eingeführte Beispiel (s. o. 196 a3–5, hinzuzunehmen ist auch 197a15–18) passt genau auf die obige Erklärung, zufällig sei, was einen bestimmten Zweck erfüllt, aber nicht mit Bedacht oder von Natur zu diesem Zweck, sondern aufgrund zusätzlicher Umstände geschieht (196 b23–24). Zusätzlicher Umstand (d. h. zusätzlich zu dem Zweck, den der Gang auf den Markt tatsächlich erfüllt, nämlich das Eintreiben der Schulden) ist der Zweck, zu dem der Gläubiger tatsächlich zum Markt gegangen ist. Und solche Zwecke kommen unübersehbar viele (apeira to plêtos, 197a16–17) in Frage. Eine zweite Bemerkung versteht sich nach 196 b10–13 von selbst. Wenn der Gläubiger und der Schuldner regelmäßig auf den Markt gehen, müssen sie sich zwangsläufig irgendwann treffen, und dass sie sich treffen, ist dann nicht mehr zufällig. Der (nicht sehr interessante) Fall, dass der eine regelmäßig und der andere nur gelegentlich auf den Markt geht, wird von Aristoteles nicht eigens erörtert. 197a 5–8  Diese Erklärung bereitet die Unterscheidung zwischen »Zufall« (tychê) und »Irgendwie-von-selbst« (automaton) in Kap. 6 vor. Etwas, das einen bestimmten Zweck erfüllt, geschieht zufällig, wenn es aufgrund eines Vorsatzes zu diesem Zweck hätte geschehen können, tatsächlich aber zu einem anderen Zweck geschieht. – Die Ergänzung »geschehen könnte« in der Übersetzung entspricht dem vorherigen Potentialis »… getan werden … könnte« (prachtheiê, 196 b22). 197a15–18  Siehe oben zu 196 b33–197a5. 197a18–25  Hier wird noch einmal deutlich: Auch bei zufälligem Geschehen sind die kausalen Einzelheiten ganz durchsichtig. Nochmals das Markt-Beispiel: (α) a geht auf den Markt zwecks A. (β) b geht auf den Markt zwecks B. (γ) a trifft b auf dem Markt und ergreift die Gelegenheit zur Realisierung von C. Das Beispiel lässt sich dann so konstruieren, dass die im Sinne der aristotelischen Vier-Ursachen-Lehre vollständige Erklärung von (α) nichts über (β) besagt und umgekehrt. Wenn deshalb beide Erklärungen zusammen nichts über (γ) besagen und (γ) insofern unerklärt bleibt, dann muss (γ) ohne zusätzliche Erklärung für das Zusammentreffen als unerklärlich erscheinen. – Anders, wenn man die Vorgänge von vornherein anhand einer gemeinsamen Zeitskala identifiziert: Zwar besagt die Erklärung dafür, dass sich a zwecks A am Kiosk des Agora-Museums einfindet, nichts darüber, dass b zwecks B zu derselben Zeit dasselbe tut, und umgekehrt. Aber beide Erklärungen zusammen liefern überdies auch eine Erklärung dafür, dass sich a und b am 9. März



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 6

259

2020 um 12 Uhr an diesem Museumskiosk begegnen. Von einer vollständigen Erklärung im Sinne der aristotelischen Vier-Ursachen-Lehre wird aber gar nicht verlangt, dass sie irgendetwas über die Position des erklärten Vorgangs auf einer universellen Zeitskala besagt. 6 197b3–5  »Glück«: eudaimonia – d. i. nach EN I 6 die »vorzügliche Betätigung der spezifisch menschlichen Lebensfunktionen« (psychês ener­ geia … kat’ aretên, 1098 a16–17), und zwar »während eines vollständigen Lebenslaufs« (en biôi teleiôi, ebd. a18). Zur populären Gleichsetzung von eudaimonia und eutychia dann EN I 9, 1099 b 7–8; zum Zusammenhang beider EN I 11, 1100 b22–30. 197b 6–8  »[vom Menschen verschiedenes] Tier«: thêrion (b 7) – in derselben Bedeutung dann b14: »die anderen Tiere« (ta alla zôi a, b14). 197b9–11  Aristoteles gönnt sich einen Kalauer. Zu dem ProtarchosZitat vgl. Ross 1936, 522. 197b16–18  »dreifüßiger Hocker« für tripous ist nicht zwingend, aber leserfreundlich. Man denke sich: Der Hocker fällt von Schrank und kommt dabei so zum Stehen, dass man sich draufsetzen kann. 197a 20  »eine äußere…«: hôn exô to aition. Dazu Pellegrin 2002, 143n2. 198 a 2–4  Warum keine Finalursachen? – Weil diese hier über die effizienten Ursachen ins Spiel kommen: Natur und Absicht wirken (wie oder als effiziente Ursachen) »zu einem bestimmten Zweck« (heneka tou, s. o. Kap 5, 196 b17 u. ö.). 198 a 5–13  Bezieht sich auf die bereits in Kap. 4 (196 a 24 ff.) beanstandete These, dass der Himmel irgendwie von selbst entstanden sei. 7 198 a16–17  Das heißt vermutlich: Beim Bewegungslosen ist das Wasist-das die einzige Ursache, sonst alle vier. 198 a 24–27  Die Behauptung gilt zunächst beim Entstehen (»Mensch zeugt Mensch«): Das Was-ist-das (ti esti), z. B. Mensch, ist zugleich das Wozu des Entstehens; und das Woher-zuerst-die-Bewegung, d. h. der Erzeuger, ist ebenfalls Mensch und somit artgleich mit dem Erzeugnis. Zu der Verallgemeinerung auf alles, »was bewegt, indem es in Bewegung ist«, vgl. Phys. III 2, 202a 9, wonach das natürlich Bewegende (vgl. 202a3 mit Rückbezug auf 201a 24) »stets eine bestimmte Form (eidos) einbringt«, die dann auch das Ziel der Bewegung ausmacht (vgl. Einl. 2.1.3.3). Also nicht nur »Mensch zeugt Mensch«, sondern beispielsweise auch Statuenbildner macht Statue – d. h. der Statuenbildner als Verkörperung der Statuenbildnerei, die ihrerseits mit der mental repräsentierten Form identifiziert werden kann (s. o. Phys. II 3, 195a5–8, a32– b1, b21–25; dann Met. VII 7, 1032 a32– b1; vgl. Einl. 2.3.5.2). 198 a 28–29  Aristoteles skizziert hier (a 28–35) eine – anschließend (a35– b 9) zurückgewiesene (s. u. a35– b5) – Gegenposition zu der obigen

260

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 7

These (a 22–24), dass alle vier Arten der Ursache Thema der Naturwissenschaft sind (vgl. Pellegrin 2002, 147n3; ähnlich Kelsey 2015, 38 f.; anders Ross 1936, 526 f.). Das Argument lässt sich am besten aus der vorläufigen Beschreibung der Gegenstände der Naturwissenschaft als »die Naturdinge« (vgl. Einl. 1.2.2.2) verstehen: Was bewegungslos ist, kommt nicht als Gegenstand der Naturwissenschaft – und somit auch nicht als Ursache in einer naturwissenschaftlichen Erklärung – in Betracht; denn es hat kein inneres Prinzip der eigenen Bewegung und Ruhe und ist daher kein Natur­d ing. 198 a 29–31  »Studien«: pragmateiai – d. h. hier wohl: wissenschaftliche Fächer. Der vorherigen Argumentation (a 28–29) entspricht die Einteilung der Wissenschaften nach Gegenständen statt nach Methoden und Hinsichten, wie bei der Abgrenzung der Naturwissenschaft von der Mathematik in Phys. II 2 (siehe dort) und von der ersten Philosophie in Met. IV 1 (vgl. Einl. 1.1.2.1). – In Bewegung, aber unentstanden und unvergänglich sind der Himmel (ouranos) und die Gestirne. 198 a 31–33  Das Wozu fehlt, weil es – wie Aristoteles anschließend bestätigt (s. u. a36– b3) – kein inneres Prinzip der Bewegung hat (hingegen Ross 1936, 526: weil es nach a 25–26 mit dem Was-ist-das zusammenfällt). Pellegrin (2002, 147n3) erwägt eine Textvariante (F), die auch das Wasist-das auslässt. Das wäre nur konsequent, da das Was-ist-das so wenig wie das Wozu ein Naturding ist (s. o. zu 198 a 28–29); und konsequent ist es dann auch, dass sich die Erklärung des Entstehens auf die anschließend (a33–35) beschriebenen Wirkungsketten reduziert. 198 a 33–35  An anderer Stelle (PA I 1, 640 a5–8) weist Aristoteles darauf hin, dass die bloße kausale Verkettung von Ereignissen ins Unendliche (eis aidion) führt und keine wissenschaftliche Erklärung liefert (dazu Heinemann 2016c, 237 f.). – Die Formel peri genêseôs (»beim Entstehen«) entspricht einer in der Rezeption der frühen griechischen Philosophie üblichen Themenangabe; so wird in Platons Phaidon die peri physeôs historia (96a8) als »Studium der Ursache von Entstehen und Vergehen« (95e9–96a1: peri geneseôs kai phthoras tên aitian diapragmateusasthai) beschrieben; »Ursache« ist, »wodurch« etwas »entsteht«, »vergeht« oder »ist« (96a9–10: dia ti gignetai … kai dia ti apollytai kai dia ti esti). 198 a 35– b1  Aristoteles führt hier eine Unterscheidung ein: Ein »Prinzip« (archê), das »auf natürliche Weise« (physikôs) bewegt, muss kein Naturding und insofern nicht »natürlich« (physikê) sein. – Man kann ergänzen: Und was auf natürliche Weise bewegt, ist naheliegenderweise Thema der Naturwissenschaft. 198 b1–4  Beispiele für etwas, das auf natürliche Weise bewegt, ohne Naturding zu sein, sind alle bewegungslosen Beweger: einerseits der



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 8

261

Antrieb der Himmelsbewegungen (b2–3) und andererseits Was-ist-das und Gestalt als »Ziel und Wozu« der Bewegung (b3–4); dazu Einl. 2.6 im ­z weiten Teilband. Ein Spezialfall ist der Antrieb tierischer Bewegung durch die mentale Repräsentation eines begehrten Objekts (vgl. Einl. 2.3.6.3). 198 b 4–5  »Die Natur wirkt zu einem bestimmten Zweck«: hê physis heneka tou. – Das scheint hier vom Himmel zu fallen, ist aber vorbereitet durch den Slogan »Mensch zeugt Mensch«, der das Ineinsfallen von Was-ist-das, Wozu und Woher-zuerst-die-Bewegung erklärt (s. o. 198 a 26): Mensch ist eine Form, die sich selbst reproduziert und sich dadurch, d. h. durch sukzessive Instanziierung, erhält. Nach dem Kriterium, das Aristoteles in Phys. II 1 dem Antiphon’schen Gedankenexperiment entlehnt, ist diese Form somit »Natur« (physis, s. o. zu 193b 8–12). Für Menschen (und andere Tiere sowie Pflanzen) ist es »die natürlichste ihrer Leistungen (physikôtaton tôn ergon) …, ein anderes zu machen (poiêsai) wie es selbst« (Anim. II 4, 415a 26–28, vgl. Einl. 2.3.3.2): Ihre Natur wirkt zu diesem Zweck, und ihre natürlichen Lebensfunktionen sind durch ihre Zweckmäßigkeit für diese Leistung erklärbar. 198 b7–8  Zum Vergleich des Materials eines Gegenstandes mit den Prämissen zu einer Konklusion vgl. Anm. zu Phys. II 3, 195a18–19, siehe dort. 198 b 8  Vgl. Phys. II 3, 194 b27: Formursache ist »die Definition des Was-heißt-es-so-etwas-zu-sein«. 198 b 8–9  Durch die ousia eines Gegenstandes ist das Wozu als ein jeweiliges (d. h. bei der biologischen Reproduktion: die jeweilige Art kennzeichnendes) Optimum spezifiziert. Andere, z. B. artübergreifende, Spezifikationen kommen nicht in Betracht. Die natürliche Teleologie ist bei Aristoteles so pluralistisch wie die Ontologie. Vgl. Heinemann 2016b und bes. 2016c. 8 198 b10–14  »zuerst«: Kap. 8; »anschließend«: Kap. 9. – Der Naturbegriff ist seit jeher ein Begriff von Regularität, d. h. einerseits von der Weise, wie Regularität in der Wirklichkeit verankert ist, und andererseits von den auf bestimmte Weise in der Wirklichkeit verankerten Regulari­ täten. Nach Aristoteles ist Natur (physis) ein die Substanz (ousia) eines Gegenstandes ausmachendes Prinzip (archê) der Bewegung und Ruhe dieses Gegenstandes. Die Frage, wie Regularität in der Wirklichkeit verankert ist, kommt daher auf die Frage hinaus, wie die Natur wirkt. Aristo­ teles erwähnt hier zwei mögliche Antworten: entweder (a) »zu einem bestimmten Zweck« (heneka tou, b10), oder in solcher Weise, dass (b) »aus Zwangsläufigkeit« (ex anankês, b14)

262

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 8

etwas Bestimmtes resultiert. Dabei entspricht (b) einer weit verbreiteten Auffassung: Schon bei Euripides (Frg. 757) kann kata physin (»gemäß« oder »aufgrund der Natur«) dasselbe wie anankaiôs bedeuten (vgl. Einl. 2.3.4.1 sowie Heinemann 2005, 33 ff. und ders. 2006, 48 ff.). Bei Xenophon (Mem. 1,1,11) verweist die Themenangabe »über Natur« auf die »Zwangläufigkeiten« (anankai), durch welche die Himmelsvorgänge zustande kommen. Platons Gesetze zitieren eine Lehre, wonach Himmelskörper etc. »aufgrund eines Zufalls zwangsläufig« (Lg. 889c1: kata tychên ex anankês) zusammengemischt wurden; der Kontext macht klar, dass dabei kein Unterschied zwischen physis (ebd. b2, c6) und tychê (passim) gemacht wird. Und noch für Kants Auffassung von Naturwissenschaft ist die Beobachtung konstitutiv, dass die »Nothwendigkeit der Gesetze dem Begriffe der Natur unzertrennlich anhängt« (MAdN, Vorrede, Akad. Ausg. IV 469). – Demgegenüber ist (a) in dieser Form eine aristotelische Innovation; eine Vorgeschichte ist in der Medizin (natürliche Selbstheilungskräfte) und in der Beobachtung tierischen Verhaltens (Brutpflege, vgl. Epicharm, DK 23 B 4) zu vermuten (vgl. Heinemann 2005, 40 f..). Aristoteles argumentiert in Kap. 8 für (a), und zwar mit der Pointe, dass der Zweck, zu dem die Natur jeweils wirkt, auch verfehlt werden kann (s. u. 199 b15–18). Das nimmt den Resultaten die in (b) unterstellte Zwangsläufigkeit. In Kap. 9 ist (b) von Anfang an erledigt; die dort erörterte »hypothetische Notwendigkeit« hat mit (b) nichts mehr zu tun. – Vgl. zu Kap. 8 die ausführliche Interpretation in Heinemann 2016c, Abschnitt 3; dort auch weitere Literaturhinweise. 198 b14–16  Anspielung auf Empedokles und Anaxagoras. Nach Aristoteles versäumen es beide, mit den angegebenen Lenkungsinstanzen das Wozu in die Naturwissenschaft einzuführen. Vgl. Met. I 4, 985a18–23 und 7, 988b 6–16; der Prototyp der Kritik bei Platon ist Phd. 98b ff. 198 b16–23  Die Erklärung des Regens wird als Beispiel für (b) referiert (s. o. Anm. zu 198 b10–14). Sie entspricht weitgehend den Erklärungen, die Aristoteles selbst an anderer Stelle für die verschiedenen Formen des Niederschlags und für seine jahreszeitliche Verteilung gibt; vgl. Meteor. I 9 ff., bes. ebd. 11, 347 b12 ff.; weitere Stellen bei Furley (1985, 181) und Scharle (2008, 174 ff.). Dabei fungieren die Himmelsbewegungen als Antrieb und Taktgeber; ob mit diesen indirekt auch die zyklischen Elementarbewegungen durch den Ersten Beweger geködert sind, ist umstritten (vgl. Scharle 2008, 178; Wilson 2013, 95n4). Der Nutzen für die Landwirtschaft spielt dabei keine Rolle; mit Scharle, Wilson und Anderen ist anzunehmen, dass Aristoteles die beschriebenen meteorologischen Phänomene ohne Rekurs auf diesen Nutzen erklärt. Der in die erwähnten meteorologischen Erklärungen eingehende Zweck



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 8

263

der Elementarbewegungen, Leichtes und Schweres näher an ihre natürlichen Orte zu bringen, hat nichts mit der Fragestellung in Phys. II 8 zu tun (anders Scharle 2008, 154 ff.). Die Einflüsse des Regens auf die (mediterrane) Landwirtschaft werden nur angedeutet: Winterlicher Regen lässt den Weizen wachsen, sommerlicher Regen lässt die Weizenernte verderben. Dass »Zeus regnet« (b18) ist nach Reeve (2018, 237: n. 220) nur eine idiomatische Ausdrucksweise für »es regnet«, ohne dass an den Gott als Akteur gedacht ist (ähnlich Furley 1985, 178; anders Sedley 1991, 185n10; vgl. Heinemann 2016c, 251n113). Immerhin entspricht diese Redeweise der traditionellen Funktion des Zeus als Wettergott; dass Zeus diese Funktion »aus Zwangsläufigkeit« (ex anankês, b18–19) ausübt, lässt an den Gebetsanfang bei Euripides denken, der ihn probeweise mit der »Naturnotwendigkeit« (anankê physeôs) identifiziert (Troad. 886, vgl. Einl. 2.3.4.1). 198 b23–32  Aristoteles skizziert hier eine ziemlich primitive Selek­ tions­theorie (dazu Grene/Depew 2004, 29–31). Anders als in der heutigen Biologie ist keine Rede von der Erblichkeit sich bewährender Merkmale: So bleibt unerklärt, wieso zufällig auftretende und wegen ihrer Zweckmäßigkeit erhalten bleibende Merkmale in den folgenden Generationen nicht mehr bloß zufällig, sondern regelmäßig auftreten (dazu unten 199 b18–26). Auffälligerweise schließen sich »aus Zwangsläufigkeit« (ex anankês, b24) und »irgendwie von selbst« (apo tou automatou, b30) gar nicht aus: »Irgendwie von selbst« kommt zustande, was einen Zweck erfüllt, aber nur aufgrund zusätzlicher Umstände (s. o. c. 5, 196 b29–31; c. 6, 197 b18–20 u. ö.) – d. h. wenn seine Zweckmäßigkeit mit der Zwangsläufigkeit, durch die es zustande kommt, gar nichts zu tun hat. Die Bezugnahme auf Empedokles ist nicht ganz durchsichtig. Zur Empedokleischen Zoogonie vgl. Primavesi 2011, 404 f. Die »menschenköpfigen Kälber« (DK 31 B 61.2) gehören nach Primavesi in die zweite Stufe der Zoogonie (noch ohne geschlechtliche Fortpflanzung). Die einschlägigen Fragmente sind bei Primavesi unter den Nummern 151–168 zusammengestellt (ebd. 536 ff., #157 = Phys. 198b16–32). – Zu Empedokles auch c. 4, 196 a 23–24 (siehe dort), dann unten 199 b5–18. 198 b32–199a 5  »auf die obige Frage kommen«: aporeô (b33), mit Rückbezug auf »Frage« (b16: aporia). Die »Argumentation« (logos, b33) zu dieser Frage lässt sich gliedern in: (1) eine Plausibilitätsüberlegung (b16–23), wonach das Gedeihen des Weizens so wenig der Zweck des winterlichen Regens ist wie die Vernichtung der Ernte der Zweck des sommerlichen;

264

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 8

(2) die Skizze einer biologischen Theorie (b23–32), die den funk­ tions­gemäßen Bau von Körperorganen, z. B. des menschlichen Gebisses, durch die Erhaltung zufällig entstandener, für die Organfunktion geeigneter Merkmale erklärt; und (3) eine tentative Schlussfolgerung (vgl. b23–24): Wenn die Natur beim Regen nicht zu einem bestimmten Zweck, sondern aus Notwendigkeit wirkt, wieso dann nicht auch bei der Bildung der Körperorgane? Die Auseinandersetzung mit (2) macht den Rest des Kapitels aus. Sie wird vorbereitet durch eine Widerlegung von (1): Der winterliche Regen erfüllt einen Zweck, zu dem er gar nicht geschieht, nämlich: dass der Weizen gedeiht. Nur deshalb stellt sich nach Kap. 5–6 die Frage, ob das Ergebnis zufällig ist; Kriterium hierfür ist nach Kap. 5–6, dass das Ergebnis aufgrund zusätzlicher Umstände (kata symbebêkos, 196 b23 u. ö.) – oder mit der Wortwahl von Kap. 8: durch bloßes Zusammentreffen (apo symptômatos, 199 a1) – zustande kommt. Dieses Kriterium ist in (1) nicht erfüllt: Dass der winterliche Regen den Weizen wachsen lässt, ist »immer oder meistens« und somit regelmäßig der Fall (198 b35–36); das Zustandekommen von Zufallsergebnissen durch bloßes Zusammentreffen und aufgrund zusätzlicher Umstände ist hingegen irregulär. (198b36; ebenso c. 5, 196 b10–12 u. ö.). Dass der winterliche Regen den Weizen wachsen lässt, ist daher kein bloßes Zusammentreffen. Das Gedeihen des Weizens durch winterlichen Regen ist vielmehr der Zweck, zu dem etwas geschieht; und was zu diesem Zweck geschieht, wird durch ihn auch erklärt. Aber was zu diesem Zweck geschieht und durch ihn erklärt wird, ist nicht der winterliche Regen, sondern der Anbau von Weizen – nämlich in einer Gegend mit geeignetem Klima: Nach Aristoteles »sucht die Natur selbst das Zuträgliche« (HA IX 12, 615a 25–6); und auch hierin imitiert die (landwirtschaftliche) Kunst die Natur. Kurz gesagt: Der winterliche Regen ist gut für den Weizen, aber er ist nicht dazu gut, dass der »Weizen gedeiht; er ist kein Mittel der Landwirtschaft, sondern ihre unverfügbare Ressource, und durch das Wozu-für (s. o. Anm. zu 194 a33–36) wird nicht die Existenz der Ressource, sondern des Nutznießers, hier des Weizenanbaus, erklärt (anders Wilson 2013, 99). Dass der Mensch alles zur Ressource macht (vgl. Kap. 2, 194 a35), heißt für dieses Beispiel, dass die unterschiedlichsten Klimaverhältnisse für den unterschiedlichsten Anbau genutzt werden können. Dazu, einen Hinweis von Sedley (1991, 186n13) aufgreifend, Heinemann 2016c, 261 f. »entweder immer oder meistens«: ê aei … ê hôs epi to poly (b35–36; ähnlich c. 5, 196 b11). Nach Cooper (1982/2004, 117n7) besagt »meistens«: in wenigstens 50% der Fälle; Judson (1991, 82 ff.) rechnet stattdessen mit



Anmerkungen · Buch II · Kapitel 8

265

bedingten Häufigkeiten. Vermutlich kommt es weniger auf mathematische Details an als auf den Grundgedanken, dass auch in der Natur­ wissenschaft bei jeder Regel mit Ausnahmen zu rechnen ist und dass es für die Frage, was Ausnahme und was Regel ist, quantitative Kriterien gibt. 199a 8–20  Bei kunstgerechtem Tun ist durch den jeweiligen Zweck eine bestimmte Schrittfolge festgelegt (a 8–9). Aristoteles unterstellt, dass Naturvorgänge dieselbe Schrittfolge aufweisen (a 9–11, a12–15, a18–20), und folgert, dass sich auch diese aus einem jeweiligen Zweck ergeben muss und dass daher auch Naturvorgänge zu einem bestimmten Zweck stattfinden (a11–12, a17–18). Zu der Annahme, dass die Kunst die Natur teils imitiert, teils ergänzt (a15–17), vgl. Einl. 2.3.3.3. 199a 30–32  Vor dem Hintergrund der Argumentation in Kap. 7 heißt das: Die Natur ist selbst der Zweck, zu dem sie bei natürlichem Entstehen und natürlicher Selbsterhaltung wirkt. 199b5–9  Aristoteles kommt hier auf Empedokles zurück (s. o. 198b23– 32); »das ›ungegliederte Zuerst‹« (to »oulophyes men prôta«, b 9) zitiert aus DK 31 B 62.4: »Anfangs (prôta) tauchten aus der Erde einförmige (oulophyeis) Gestalten auf …« (Übers. Primavesi 2011, #164) »Anfänglich« (ex archês, b5) ist einerseits eine Anspielung auf das für »Empedokles und Andere« ([Hippokrates], VM 20,1) bezeugte Programm einer Welterklärung »von Anfang an« (ex archês; vgl. Einl. 1.4.2). Andererseits greift Aristoteles hier auf seine eigene Analyse des Werdens zurück: Zum Begriff des Werdens gehört nach Phys. I 7 die Bezugnahme auf ein Woraus, das als Anfang und »Ausgangspunkt« (archê, 199 b 7) – oder auch: »Ursprung« – fungiert. Wie an einer Stelle in Phys. I 7 (190 b4–5, siehe dort) wird dieses Woraus beim Entstehen von Lebewesen mit einem »Samen« (sperma) identifiziert. Durch diesen ist die für die jeweilige Art charakteristische Gestalt (morphê, s. o. 199 a31) festgelegt; wenn stattdessen ein Monstrum (teras) entsteht, war der Same verdorben (über Monstren und andere Abweichungen vgl. GA IV 3–4). – Aristoteles unterstellt dies auch für den von Empedokles angenommen Anfang des Lebens; Empedokles müsste demnach annehmen, dass das Leben mit verdorbenem Samen und Monstren beginnt. 199b13–18  »bei den Samen«: en tois spermasi (b14) – d. h. vermutlich beim Entstehen aus Samen, und zwar aus unverdorbenem (über verdorbenen Samen s. o. b5–9). Durch die Annahme, dass dabei entsteht, »was sich zufällig trifft« (hopôs etychen, b14), würde eine für den aristotelischen Natur­begriff konstitutive Unterscheidung entfallen, nämlich zwischen den Resultaten störungsfreien und gestörten Entstehens und somit ­z wischen

266

Anmerkungen · Buch II · Kapitel 9

– dem spezifischen Optimum als dem Zweck, zu dem die Natur wirkt (s. o. c. 7, 198b 8–9), und – dem tatsächlichen Erzeugnis, dessen Abweichung von diesem Optimum durch die tatsächlichen eingetretenen Störungen bedingt ist. 199b26–28  »Kunst« (technê) ist in Phys. II dasselbe wie: Fachwissen, das bei qualifizierten Tätigkeiten als effiziente Ursache fungiert; dem­ gemäß wird die technê in Met. VII 7 mit der mental repräsentierten Form (to eidos en têi psychêi, 1032b1) gleichgesetzt. Und nicht das Fachwissen überlegt, sondern zu überlegen hat der Mensch, der es besitzt. Vgl. Sedley 2007, 180; anders und wenig überzeugend Wieland 1970, 271. 199 b30–32  Zu dem Beispiel vgl. Kap. 1, 192 b23–32. Dass die Selbstverarztung des Arztes nicht durch Natur, sondern durch Kunst erfolgt, schließt nicht aus, dass sie die Nachahmung der Natur durch die Kunst besonders sinnfällig illustriert. 9 199b34–35  »aus einer Voraussetzung«: ex hypotheseôs (a34) – der in der Sekundärliteratur übliche Ausdruck »hypothetische Notwendigkeit« lässt sich als Paraphrase von »zwangsläufig unter einer Voraussetzung« verstehen. Zum Begriff der hypothesis vgl. Einl. 2.2.5.1; auch hier besagt die hypothesis, dass etwas mit bestimmten Eigenschaften – in den angegebenen Beispielen: Gebrauchseigenschaften – existiert (s. u. 200 a10–13 etc.) 200 a 6–7  Vgl. die in Met. VIII 2 angegebene Definition des Hauses durch seinen Gebrauchszweck: Ein Haus ist »ein bergendes Behältnis für Güter und Leiber« (1043a16–17). 200 a10–13  Die Zuspitzung ist irreführend. Nach PA I 1, 642 a 9–11 können Äxte auch aus Bronze bestehen; wieso nicht auch Sägen, wird in Phys. II 9 nicht gesagt (dazu auch Cooper 1985/2004, 131n3). Das Argument wird klarer, wenn man es in zwei Schritte gliedert. (1) Eine Säge erfüllt ihren Zweck nur, wenn sie aus einem Material von bestimmter Härte usw. besteht. (2) Eisen ist das einzige Material mit diesen Eigenschaften. Dabei ergibt sich (1) aus der Definition der Säge durch ihren Gebrauchszweck. Hingegen wäre (2) eine Tatsache, die in die Kompetenz der Materialwissenschaft fällt; und ebenso könnte es auch (2') mehrere oder (2'') überhaupt keine Materialien mit den geforderten Eigenschaften geben. Wie bei Liege und Hemd (s. o. Kap. 1), wäre es auch bei der Säge nur »zusätzlich der Fall« (symbebêken, 192b19), dass sie aus diesem Material und aus keinem anderen, das auch geeignet wäre, besteht. Siehe oben Anm. zu 192b16–20. 200 b 4–7  Dazu aber oben, Anm. zu 200 a10–13.



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 1

267

Buch III 200 b12–15  Die traditionelle Themenangabe »über Natur« (peri physeôs) wird hier durch den in Phys. II 1 eingeführten Naturbegriff interpretiert. Ebenso beispielsweise auch GC II 6, 333b18. 1 b 200 15–26  Die anderen Themen werden an den Bewegungsbegriff angehängt. So ergibt sich ein gemeinsames Programm von Phys. III und IV. Die Bemerkung über die Definitionen des Unbegrenzten und des Kontinuierlichen lässt sich wohl so verstehen: Unbegrenzt ist nach c. 6, 207a1, »wovon immer etwas außerhalb ist« (hou aei ti exô esti). Setzt man dies in die hier angegebene Erklärung – kontinuierlich ist »das unbegrenzt Teilbare« (to eis apeiron dihaireton, 200 b20) – ein, dann ergibt sich sinngemäß die in Phys. VI 2 angegebene Definition: kontinuierlich (syneches) ist, »das in immer wieder Teilbares Teilbare« (to dihaireton eis aei dihaireta, 232a 24–25). 200 b26–28  »Ist« (esti, b26) ist hier Kopula zu »dieses wohlbestimmte Ding« (tode ti, b27) usf. Um das deutlich herauszubringen, bietet sich eine technischere Formulierung an: »Manches ist [immer] nur wirklich F, anderes [manchmal] potentiell F und [manchmal] wirklich F; dabei kann F heißen: soundso ein Ding, soundso groß, soundso beschaffen, und ebenso bei den anderen Kategorien.« »im Vollendungszustand« / »wirklich«: entelecheiai (adv.); »potentiell« dynamei; »Aussageweise«: katêgoria; »›ist‹«: on (vgl. das Glossar, Einl. 3.2.3). – »Immer« und »manchmal« sind sinngemäß ergänzt nach 201a19– 22: »Manches ist sowohl potentiell F als auch wirklich F, aber entweder nicht zugleich oder nicht in derselben Hinsicht, sondern beispielsweise wirklich warm und potentiell kalt«. Mit »entweder nicht zugleich (ouch hama) oder nicht in derselben Hinsicht (ou kata to auto)« zitiert die letztere Formulierung den Widerspruchssatz: »Dass dasselbe demselben Gegenstand in derselben Hinsicht (kata to auto) zugleich (hama) zukommt und nicht zukommt, ist unmöglich« (Met. IV 3, 1005 b19–20). Wirklich (oder »im Vollendungszustand«: entelecheiai) F zu sein, heißt nichts anderes, als F zu sein. Die Anwendung des Widerspruchssatzes setzt hier also stillschweigend voraus: Potentiell (dynamei) F zu sein, impliziert, nicht F zu sein. Der Ausdruck »potentiell« (dynamei) wird hier also im exklusiven Sinne verwendet: (1) x ist potentiell F gdw. x ist nicht F, aber x kann (zu einer anderen Zeit) F sein. Das schließt eine Verwendung von »potentiell« (dynamei) im inklusiven Sinne: (2) x ist potentiell F gdw. x kann F sein.

268

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 1

an anderen Stellen nicht aus. Zur Unterscheidung beider Verwendungsweisen bei Aristoteles vgl. Jansen 2015, 98 ff. Hier muss ein Hinweis ge­ nügen. Der inklusiven Auffassung von »potentiell« entspricht die moderne Auffassung von »möglich« als Modaloperator: Alles, was wirklich ist, ist möglich; aber umgekehrt ist nicht alles, was möglich ist, wirklich. Und demgemäß: Alles, was F ist, kann F sein; aber umgekehrt ist nicht alles, was F sein kann, F. Hingegen lässt sich die exklusive Auffassung von »potentiell« nicht umstandslos modallogisch interpretieren. Ihre Anwendung erfordert überdies eine Bezugnahme auf unterschiedliche Zeiten: Angenommen, x ist zur Zeit t 0 nicht F. Wenn x gleichwohl F sein kann, dann nur zu irgendeiner anderen Zeit, denn sonst könnte x zur Zeit t 0 zugleich nicht F und F sein. Im exklusiven Sinne potentiell F zu sein, impliziert daher das Vermögen zu einer Änderung und nicht nur die Möglichkeit eines Zustands. 200 b28–32  Aristoteles hat drei Kategorien genannt, in denen eine Änderung stattfinden kann: Substanz, Quantität und Qualität (b27). Nach b28 ist die Liste unvollständig; das Wo wird hinzukommen (s. u. b34: kata topon). Thema ist aber zunächst die Kategorie der Relation. Die durch »teils … teils« (to men … to de, b29) angezeigte Unterscheidung lässt sich am besten als Anknüpfung an die Tatsache verstehen, dass durch zwei verschiedene sprachliche Formen eine Relation angezeigt wird, nämlich (a) durch Komparative: Kleiner, Wärmer, Weiter-oben usf. sind jeweils ein »In-Beziehung-zu-etwas … im Sinne des Übertreffens und Zurückbleibens«; und (b) durch transitive Verben (heilen, schlagen, bewegen usf.) und ihre passiven Gegenstücke (geheilt werden, geschlagen werden, bewegt werden usf.). Ein »In-Beziehung-zu-etwas« sind nach b29–32 freilich nicht die in (b) genannten Vorgänge, sondern die entsprechenden aktiven und passiven Vermögen: einerseits Wirkung ausüben, z. B. heilen, schlagen, bewegen zu können, andererseits unter Einwirkung stehen, z. B. geheilt, geschlagen, bewegt werden zu können. Die für das In-Beziehung-zu-etwas (pros ti) charakteristischen Konversionsregeln werden demgemäß für diese Vermögen durchdekliniert: Heilen zu können, heißt, jemanden heilen zu können, der seinerseits geheilt werden kann; geheilt werden zu können, heißt, von jemandem geheilt werden zu können, der seinerseits heilen kann, usf. Ähnliche Unterscheidungen werden von Aristoteles auch an anderen Stellen getroffen (z. B. Met. V 15, 1020 b26–32; vgl. Ross 1936, 535 und Reeve 2018, 240: n. 236). Es fragt sich aber, was das hier soll. Dazu zwei Vermutungen: Erstens. Änderungen beim »Übertreffen und Zurückbleiben« können auf Änderungen in der jeweiligen Kategorie zurückgeführt



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 1

269

werden: Ob Karl größer als Hans ist, hängt davon ab, wie groß Karl und Hans sind; das Verhältnis kann sich ändern, wenn z. B. Hans wächst und Karl nicht (ähnlich bei räumlichen Beziehungen, z. B. Kontakt). Zweitens. Vermögen sind dispositionale Eigenschaften und haben demgemäß zwei Phasen: Abhängig von einer Stimulusbedingung, sind sie latent oder manifest (vgl. Einl. 2.1.3.2.). Der Übergang zwischen den Phasen ändert nichts an der dispositionalen Eigenschaft als solcher – und insbesondere ändert er daher nichts an der Entsprechung zwischen aktivem und passivem Vermögen. Einerseits stellt sich daher die Frage nach einer Änderung in der Kategorie der Relation wiederum nicht. Andererseits ist der Zusammenhang von aktivem und passivem Bewegungsvermögen für die weitere Ausarbeitung des aristotelischen Bewegungsbegriff in Kap. 2 und 3 konstitutiv. 200 b 32–201a 3  »ohne die Sachen« (para ta pragmata, b32–33) – d. h. außerhalb einer prädikativen, gemäß Phys. I 7 in Zugrundeliegendes und (wechselndes) Merkmal gegliederten Struktur, die sich nach den angege­ benen Kategorien differenziert. – Beachte: Als »Bewegung« (kinêsis) gilt hier auch die Änderung in der Kategorie der Substanz (anders beispielsweise Phys. II 1, 192b14–15). Wie in Phys. I 7 ist beim Entstehen (Änderung in der Kategorie der Substanz) das Zugrundeliegende eine Portion Stoff, die beim Abschluss des Entstehens die »Form« (eidos) oder »Gestalt« (morphê) des entstandenen Gegenstandes instanziiert und dem­ gemäß als dessen Material fungiert. 201a 3–9  Bewegung ist nach Aristoteles der Übergang eines Gegenstandes x aus einem Anfangszustand A in einen Endzustand B (vgl. Einl. 2.1.1). Anfangs- und Endzustand werden hier, wie in der Analyse des Werdens in Phys. I 7, durch konträre Prädikationen beschrieben; die einschlägigen Kategorien (s. o. 200 b33–34) werden demgemäß als Arten konträrer Gegensätze beschrieben. Da keine Substanz einer Substanz konträr ist (Phys. I 6, 189 a 23–33), kommt in der Kategorie der Substanz nur der Gegensatz von Gestalt (morphê) und Fehlen (sterêsis) in Betracht. Für die Gegensätze in den anderen Kategorien werden jeweils Beispiele angegeben, auf die Aristoteles dann aber nicht mehr zurückkommt: Tatsächlich greift die anschließende Definition der Bewegung nicht auf die allgemeine Minimalstruktur der Bewegung 〈 x: A, B 〉, sondern auf die Minimalstruktur des Werdens 〈 x: -F, F 〉 aus Phys. I 7 zurück (vgl. Einl. 2.1.2). Das heißt, der durch -F beschriebene, zu F konträre Anfangszustand von x wird über das Fehlen von F hinaus nicht weiter spezifiziert (vgl. Anagnostopoulos 2017, 182).

270

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 1

201a 9–11  »Gattung«: genos (a 9) = »Aussageweise (katêgoria) von ›ist‹« (s. o. 200 b28). Die nach Kategorien differenzierte Unterscheidung zwischen »potentiell« (dynamei) und »im Vollendungszustand« (entelecheiai) wurde 200 b26–28 eingeführt, siehe dort. »Das Potentielle« (to dynamei on, 201a10–11) ist demgemäß der Gegenstand x, der im Anfangszustand der Bewegung potentiell F ist – und zwar F im exklusiven Sinne (s. o. Anm. zu 200 b26–28): x ist nicht F, kann aber F sein. Im Endzustand ist diese Möglichkeit realisiert, das heißt: x ist F; der durch den Kontrast zu »potentiell« (dynamei, 201a10–11) nahelegte Zusatz »im Vollendungs­z ustand« (en­telecheiai, vgl. 200 b26 und 201a 20) wäre redundant. »Bewegung« (kinêsis) ist keine bloße Abfolge von Anfangs- und Endzustand, sondern was zwischen Anfangs- und Endzustand geschieht, d. h. in Bewegung zu sein. Das »In-Bewegung-Sein« wird von Aristoteles nicht als Abfolge von Zwischenzuständen, sondern durch eine einheitliche Formel beschrieben: Das In-Bewegung-Sein ist »der Vollendungszustand dessen, was potentiell F ist, als solchen«: hê tou dynamei ontos entelecheia hêi tououton (201a10–11). Dabei ist. »was potentiell F ist« (to dynamei on) nichts anderes als der Gegenstand x; das In-Bewegung-Sein ist somit »der Vollendungszustand (entelecheia) von x qua potentiell F«. Das Wort entelecheia ist vermutlich eine aristotelische Neubildung. Die Bausteine sind en (»in«) und telos (»Ziel«), vermutlich verbunden zu entelês (»vollendet«) sowie echô (»haben«, »halten«). Dass dabei echô transitiv ist, wird meist fraglos unterstellt, so z. B. in den von Makin (2006, xxix) erwogenen Ableitungen en (sc. heautôi) telos echein (»having its end within itself«) und (sc. to) enteles echein (»having completenes«); ebenso Gill 1980, 130: to enteles echon. Jansen (2015, 98) erwägt überdies en telei echein, was intransitives echein – etwa: sich (?) im Ziel halten – denken lässt. Klarerweise intransitiv (gemäß LSJ, echô B. II. 2. b) ist echein in der »offensichtliche[n] Ableitung von entelôs echein«, die Berti (1990/1996: 289) unter Berufung auf Trendelenburg, Bonitz und Teichmüller vorschlägt. Dabei gibt das Adverb den Zustand an, in dem etwas »sich hält«; entelecheia ist demgemäß durch »Vollendungszustand« wiederzugeben. Sprachlich liegt das am nächsten, und meist ergibt es auch den offensichtlich richtigen Sinn. In der Definition von »Bewegung« lässt die Ableitung mit transitivem echô an eine teleologische Struktur der Bewegung denken, als »hätte« diese »das Ziel (antizipierend) in sich«. Etwa in diesem Sinne spricht die neuzeitliche Philosophie auch gelegentlich von »Entelechie« (vgl. Nobis 1972, 508 f.). Das ist zumindest eingängig. Demgegenüber bleibt die Charakterisierung des In-Bewegung-Seins als »Vollendungszustand« (en­ telecheia, 201a11) zunächst erklärungsbedürftig.



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 1

271

Der Unterschied, der hiermit markiert wird, lässt sich beispielsweise so veranschaulichen: Wenn ich zuhause in Kassel bin und mich nicht vom Fleck rühre, bin ich gleichwohl potentiell in München und potentiell in Berlin. Ebenso, wenn ich im Zug nach München sitze. Aber dann bin ich auf eine andere Weise potentiell in München als potentiell in Berlin; und daher auch auf eine andere als die Weise, wie ich zuvor potentiell in München war. Man sieht: (i) Die angegebene Definition beschreibt den bewegungslosen Anfangszustand und das anschließende In-Bewegung-Sein als unterschiedliche Weisen, potentiell F zu sein. Bezeichnet man diese Weisen in Anlehnung an die Phasen dispositionaler Eigenschaften als Latenz und Manifestation, ergibt sich: (ii) Latent ist x potentiell verschiedenerlei, z. B. potentiell in München oder potentiell in Berlin, oder potentiell F, potentiell G, potentiell H usf., aber manifest nur eines davon: z. B. potentiell in München, aber nicht in potentiell in Berlin, und somit unterwegs nach München und nicht unterwegs nach Berlin; oder x wird F und nicht G. Beim Übergang zwischen den Phasen erfolgt somit eine Festlegung, über die Aristoteles zunächst gar nichts sagt; in Kap. 2 folgt der Hinweis, dass durch einen äußeren Beweger »eine bestimmte Form« (eidos ti, 202 a 9) als »Prinzip und Ursache der Bewegung« (ebd. a10–11) und somit nach Phys. II 7 auch als ihr Ziel eingebracht wird. Für den Bewegungsanfang wäre demnach eine äußere Einwirkung erforderlich, durch die eine der den Anfangszustand kennzeichnenden latenten Möglichkeiten als Bewegungsrichtung festgelegt wird. 201a11–15  Durch die Charakterisierung von x als potentiell F im exklusiven Sinn wird bereits die Möglichkeit einer Änderung, d. h. der Ablösung eines Zustands durch einen anderen, angezeigt (s. o. Anm. zu 200 b26–28). Für F kommen nach 200 b33–34 die Kategorien der Substanz, der Quantität, der Qualität und des Orts in Betracht. Das heißt, x kann zu einem Gegenstand von bestimmter Art werden oder aufhören, ein Gegenstand von bestimmter Art zu sein; und als Gegenstand von bestimmter Art kann x die Größe, eine Eigenschaft oder den Ort wechseln. Der Vollendungszustand von x qua potentiell F kann daher mit dem Vollendungszustand von x als Träger dieses Vermögens zur Änderung – und dann in einem zweiten Schritt mit der Manifestation dieses Vermögens – gleichgesetzt werden. 201a15–19  »verbaubar«: oikodomêton (a16) – d. h. die Baumaterialien, s. o. Anm. zu 190 b13–17; »als dasjenige, das wir so bezeichnen«: hêi tou­ outon auto legomen einai (a16–17) – d. h. qua verbaubar. 201a19–22  Siehe oben Anm. zu 200 b26–28. – Verdeutlichende Formu­ lierungsvariante: »Manches ist sowohl potentiell F als auch wirklich F,

272

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 1

aber entweder nicht zugleich oder nicht in derselben Hinsicht, sondern beispielsweise wirklich warm und potentiell kalt.« 201a 22–23  Was (im exklusiven Sinne) potentiell F ist, ist nicht F, kann aber F sein (s. o. Anm. zu 200 b26–28). Nach 200 b29–32 entspricht dem Vermögen von x, F zu werden, das Vermögen eines y, F zu machen. Nach 201a19–22 ist damit zu rechnen, dass y potentiell G ist; das Vermögen von y, G zu werden, entspräche dann dem Vermögen eines z, G zu machen, usf. Insgesamt ergibt sich ein Netz von Entsprechungen zwischen passiven und aktiven Vermögen und daher von möglichen Einwirkungen. 201a 23–25  Nach Phys. II 7 ist »das Was-ist-das und [d. h.] die Gestalt« (to ti esti kai hê morphê, 198b3) ein »Prinzip, das auf natürliche Weise bewegt« (archê kinousa physikôs, vgl. 198 a36), »ohne in Bewegung zu sein« (mê kinoumenon, 198b2). Die Behauptung, »das auf natürliche Weise Bewegende« sei »beweglich« (to kinoun physikôs kinêton, 201a 24), scheint das auszuschließen. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man die schon erwähnte Stelle in Phys. III 2 hinzuzieht: Wenn y bewegt (hotan kinei, 202a11), ist die von y eingebrachte Form F »Prinzip und Ursache dieser Bewegung« (archê kai aition tês kinêseôs, 202a10–11). Das heißt: F bewegt in demselben Sinne wie »das Was-ist-das und [d. h.] die Gestalt« in Phys. II 7; und dass F dabei nicht selbst in Bewegung ist, versteht sich bei einer »Form« (eidos, 202 a 9) von selbst. Hingegen bewegt y in einem ganz anderen Sinne, nämlich indem y das Prinzip der Bewegung, d. i. die Form F, an einen Gegenstand x heranträgt und hierdurch dessen Bewegung verursacht. Dabei kann y in Bewegung sein, ohne dass die Bewegungslosigkeit von F gestört würde: F wäre nicht als Form, sondern nur akzidentell in Bewegung (vgl. Phys. V 1). Was es heißt, »auf natürliche Weise« (physikôs, 201a 24) zu bewegen, sagt Aristoteles weder in hier noch in Phys. II 7. Es muss an beiden Stellen nicht einmal dasselbe heißen. Dort mag es einfach darum gehen, dass auch bewegungslose Prinzipien Thema der Naturwissenschaft sind (s. o. Anm. zu 198b35– a1). Demgegenüber handelt es sich hier wohl eher um die zuvor erwähnte Wechselseitigkeit (s. o. 201a 22–23): Was bewegen kann, kann auch bewegt werden, und umgekehrt; die beteiligten Dinge sind insofern gleichartig und das macht die Einwirkung »natürlich«. 201a 25–27  Die These ist in Phys. VIII 4–6 ausgearbeitet. – Zu denken ist nicht nur an den bewegungslosen Antrieb der Himmelsbewegungen, sondern insbesondere auch an den Antrieb tierischer Selbstbewegung durch die mentale Repräsentation eines begehrten Objekts (vgl. Einl. 2.3.6.3). 201a 27–29  Das ist dieselbe Definition wie zuvor (201a10–11), aber mit dem Zusatz, dass der Vollendungszustand (entelecheia) von x qua poten­



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 2

273

tiell F gar nichts anderes ist als die Manifestation (energeia) des Vermögens von x, F zu werden: hêi toiouton (a11, d. h. qua potentiell F) = hotan … energêi … hêi kinê­ ton (a 28–29: »wenn x … seine Funktion ausübt … als etwas, das F werden kann«) 201b2–3  Aristoteles bezieht sich hier auf die Auffassung von Krankheiten als Störungen an den stofflichen Grundbestandteilen des Leibes. Eine Bezugnahme auf die medizinische Literatur ist zu vermuten – nach Reeve (2018, 241: n. 246): beispielsweise [Hippokrates], VM 14.4 bzw. Platon. Tim. 81e-86a. 201b 4  Farbe (chrôma) ist nach Anim. II 7, 418 a31– b2, was auf ein durchsichtiges Medium wirkt; sichtbar ist sie, wie Philoponos (In Phys. 358.6–8) erläutert, durch den zusätzlichen Bezug auf ein Wahrnehmungsvermögen, das über das das Medium aktiviert werden kann. 201b5–15  »Vollendungszustand«: entelecheia (b 6–7 mit Rückbezug auf b 5); »in Funktion sein«: energeô (b 8, wie zuvor a 28); »In-Funktion-Sein«: energeia (b 9, 10, 13). Wie entelecheia (= to entelôs echein, daher: »Vollendungszustand«) ist energeia (= to energein, daher: »In-Funktions-Sein«) ein aristotelischer terminus technicus – und wird hier in die Erörterung des Bewegungsbegriffs eingeführt. 2 201b16–24  Bei »manche« (enioi, b20) ist weniger an Platon (Soph. 256c–e, Tim. 57e–58a) zu denken als an die Alte Akademie und ihre Rezeption der (schon die in Phys. I 5 erwähnten) pythagoreischen Gegen­ satz­tafel (s. o. Anm. zu 189 a1). – Aristoteles argumentiert b21–24 gegen die Annahme, dass sich die Bewegung der zweiten Kolumne (hetera systoichia, b25) dieser Tafel zuschlagen lässt, und erklärt anschließend (b24–33) die scheinbare Plausibilität dieser Annahme. 202a 3–7  Der Verweis ist wohl auf c. 1, 201a19–25: mit »das potentiell [soundso] ist« (to dynamei on, 202 a3–4) kommt Aristoteles auf »ist dasselbe sowohl potentiell als auch im Vollendungszustand, aber … nicht zugleich … (tauta kai dynamei kai entelecheiai estin, ouch hama de …, 201a 20) zurück. In den gängigen Übersetzungen wird entweder dynamei on (202 a 4) verschluckt (Prantl, Wagner, ROT), oder dynamei on kinêton wird durch so etwas wie »potentiell beweglich« wiedergegeben (Hussey, Zekl, Pellegrin, Reeve). Abgesehen davon, dass dabei zwar nicht das Adverb dy­ namei, aber immer noch das Partizip on verschluckt wird, bleibt die Frage, was »potentiell beweglich« überhaupt bedeuten soll. Zwei – gleichermaßen unplausible – Möglichkeiten bieten sich an. (i) Angenommen, »beweglich« (kinêton) bedeutet: potentiell in Bewegung. Dann bedeutet »potentiell beweglich« dasselbe wie: potentiell potentiell in Bewegung, und

274

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 2

dies bedeutet dasselbe wie: potentiell in Bewegung, d. h. beweglich (denn diese Verdoppelung von »potentiell« wäre redundant: was können kann, kann – vgl. dazu aber auch die Zusatzbemerkung am Ende der Anm. zu c. 7, 207 b15–21). Der Zusatz dynamei on wäre demnach überflüssig. (ii) Wenn durch »beweglich« stattdessen eine dispositionale Eigenschaft angezeigt wird, dann besagt »potentiell beweglich« (im exklusiven Sinn, s. o. Anm. zu 200 b26–28), dass etwas nicht beweglich ist, aber beweglich sein kann, z. B. die unreife Frucht, die erst reifen muss, bis sie sich vom Baum schütteln lässt (vgl. Met. IX 7, 1048 b37–1049 a18). Das wäre hier aber allzu weit hergeholt. Bezug von »dieses« (touto, erstes Vorkommnis in b 6) ist »das Beweg­ liche, das potentiell [soundso] ist« (to dynamei on kinêton, a3–4); diese Formel charakterisiert einerseits den Gegenstand y, der einen Gegenstand x »in der angegebenen Weise bewegt« (to kinoun hôsper eirêtai, a3) und von dem Aristoteles behauptet, dass er seinerseits durch x bewegt wird. Wenn andererseits y der Gegenstand ist, der »durch Berührung« (thixei, a7) eine »Wirkung erbringt« (poiei, a 6) und deshalb zugleich unter Einwirkung steht (paschei, a7), dann ist »dieses«, in Beziehung auf das »als solches (hêi toiouton, a 6) in Funktion zu sein das Bewegen selbst« ist, nicht y, sondern x. – Das ist zwar verwirrend, aber nicht eigentlich irreführend. Denn die Formel »das Bewegliche, das potentiell [soundso] ist« (a3–4) charakterisiert nicht nur y, sondern ebenso auch x (vgl. c. 1. 200 b26–27 und 201a 20); und es macht keinen Unterschied, wenn sich demgemäß der Bezug von »dieses« verschiebt (vgl. auch Wagner 1979, 495). »Ruhe«: êremia (b4, b5) – die Unterscheidung zwischen Ruhe und bloßer Unbewegtheit wird im VI. Buch, Kap. 3 und 8, ausgearbeitet. 202a7–9  Dies ist nichts Neues, von Hussey (1983, 208) gestrichen, aber doch eine prägnante Formulierung, die man festhalten möchte. 202a 9–12  »wird … mitbringen«: oisetai (a 9), d. i. Futur zu pherô. Das wird meist in einem engen Sinne verstanden: Dass y Träger von F ist, hieße demnach, dass y die Form F instanziiert; bei der Einwirkung von y auf x würde F an x »vermittelt« (Wagner 1979, 495) oder auf x »übertragen« (Marmodoro 2014, 34 ff.). Das von Marmodoro (ebd. 34) erwähnte, von Scaltsas (1989, 68 ff.) ausgearbeitete »Ansteckungsmodell« für die Weise, in der bei Platon (Phd. 100b ff. etc.) die sog. Ideen in wissenschaftliche Erklärungen eingehen sollen, ist hier ganz einschlägig: y ist Träger der Form F, und x wird von y mit F infiziert. Das angegebene Beispiel, Mensch zeugt Mensch (202 a11–12) entspricht dem Ansteckungsmodell: Der Vater überträgt per Samen seine eigene Form auf das mütterliche Material; dieses ist zunächst nur potentiell ein Mensch und wird durch die Zeugung zwar noch kein Mensch, aber ein Embryo, der sich dann



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 3

275

selbsttätig zu einem Menschen entwickelt (Einzelheiten und Stellenangaben bei van der Eijk 2011). Aber es gibt zumindest Anomalien, z. B. die Umwandlung der Elemente (vgl. Hussey 1983, 60 und oben, Anm. zu 192b 9–13). Und vor allem passen die anderen Beispiele in Phys. II–III gar nicht zum Ansteckungsmodell: Als Verkörperung der »Kunst des Hausbaus« (oikodomikê, Phys. II 3, 195b21–23) ist der Baumeister kein Haus; beim Hausbau (Phys. III 1, passim) überträgt er die Form, die er weiß, aber keine Form, die er instanziiert. Ebenso wenig ist die Schwalbe beim Nestbau (Phys. II 8, 199 a 26–27) ein Schwalbennest (auch hierin folgt die Kunst der Natur). Der Arzt muss nicht gesund sein, um gesund zu machen, und der Mathematiklehrer (s. u. Kap. 3) muss nicht dreieckig sein, um den Lehrsatz des Pythagoras gut zu erklären; ein kleinwüchsiger Vater vererbt – qua Mensch, nicht qua kleinwüchsig – eine Körpergröße (202a10: tosonde), die er nicht instanziiert. Das Ansteckungsmodell beschreibt also nur einen Spezialfall, in dem der 202 b 9–12 beschriebene Zusammenhang besonders sinnfällig ist. – Zur Tragweite dieses Zusammenhangs s. o. Anm. zu 201a 9–11; vgl. auch Anm. zu 201a 23–25. 3 202 a13–21  »Vollendungszustand«: entelecheia (a14, a16; dazu oben Anm. zu 201a 9–11); »In-Funktion-Sein«: energeia (a15, a18); »Ausübung seiner Funktion«: to energein (a17); »etwas, das in Funktion setzen (und halten) kann«: energêtikon (a17 – beachte: als energêtikon fungiert y ebenso lange, wie x in Funktion ist; deshalb der Zusatz »und halten«). Der »Vollendungszustand« des Beweglichen qua beweglich, d. h. sein In-Bewegung-Sein, wird schon in Kap. 1 gleichgesetzt mit dem In-Funktion-Sein seines Vermögens, soundso (etwas) zu werden (s. o. zu 201a 27– 29 und b5–15). Hier kommt nun ein zweiter Gegenstand hinzu, der be­ wegen kann und unter dessen Einwirkung die Bewegung stattfindet. Die Konstellation ist die am Ende von Kap. 2 beschriebene: x kann F werden, y kann F machen (z. B. kann die Schülerin die Lektion L, etwa den Satz des Pythagoras lernen, und die Lehrerin kann L lehren). Der »Vollendungszustand« (entelecheia, b16) von y ist: als bewegend »in Funktion zu sein« (energein, a17), d. h. als »dasjenige, das x in Funktion setzt und hält« (to energêtikon tou kinêtou, a17). Das In-Funktion-Sein von y ist daher derselbe Vorgang wie das In-Funktion-Sein von x. Die Hauptthese des Kapitels: Das Werden und das Machen, z. B. das Lehren und das Lernen, sind derselbe Vorgang, aber unter unterschiedlicher »Definition« (logos, a 20). Dieser Vorgang findet in x und nicht in y statt: in dem, das in Bewegung ist und somit wird, nicht aber in dem, das macht. Die Schülerin erwirbt Wissen, aber die Lehrerin behält es; die Lehrerin nimmt an der Änderung, die sie verursacht, nicht teil.

276

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 3

Lehren und Lernen ist das Beispiel aus den folgenden Abschnitten. Zwei vereinfachende Annahmen sind zu beachten: Erstens. »Unterricht braucht« nach Protagoras, dem Platon in der Politeia (Bücher VI und VII) gefolgt ist, »Begabung (physis) und Übung« (DK 80 B 3). Beide bleiben hier unerwähnt. Der geforderten »Begabung« entspricht aber die Charakterisierung von x als beweglich und somit das Vermögen der Schülerin, die Lektion L zu lernen. Hingegen kommt die »Übung«, sofern dabei an eine Selbsttätigkeit außerhalb des Unterrichts gedacht ist, nicht vor. Zweitens. Dass man beim Lehren auch lernt, bleibt hier ganz außer Betracht. Aristoteles argumentiert ganz schlicht: Entweder man weiß L oder nicht. Die Lehrerin weiß L zu Beginn des Unterrichts und ebenso bei dessen Abschluss. Die Schülerin weiß L zu Beginn des Unterrichts nicht, sondern erst bei dessen Abschluss. 202 a 21–22  Die Formulierung (»begrifflich«: logikê, a 22) legt nahe, dass durch das im Folgenden formulierte (202a 22– b5) und zurückgewiesene (202 b5–22) Argument kein naturwissenschaftliches Sachproblem aufgezeigt wird. Aber es handelt sich auch um keine bloße Spitzfindigkeit, sondern darum, dass die a15–21 eingeführte begriffliche Innovation – numerische Identität bei definitorischer Diversität – überhaupt erst ausbuchstabiert werden muss. 202 a 22–24  »gleichermaßen«: isôs (a 22), wie zuvor »für beide« (am­ phoin, a16); hier nicht, wie in den meisten Übersetzungen der Stelle, »viel­ leicht«. – Es sei wieder x dasjenige, das F werden kann, und y dasjenige, das F machen kann (s. o. Anm. zu 202 a13–21). Ex und Ey seien das InFunktion-Sein (energeia) von x bzw. von y. Ex und Ey werden in einem ersten Schritt als – Unter-Einwirkung-Stehen (pathêsis, a 23–24 u. ö.), z. B. Lernen (ma­ thêsis, a32 u. ö.), bzw. als – Tun (poiêsis, a 23 u. ö.), z. B. Lehren (didaxis, a32 u. ö.), beschrieben und dann in einem zweiten Schritt durch »Leistung (ergon) und Ziel« charakterisiert. 202a 25  Dass Ex eine Bewegung ist, folgt aus der Charakterisierung des In-Bewegung-Seins als Unter-Einwirkung-Stehen (s. o. a13–15). Aber wieso ist auch Ey, d. h. das Tun oder Einwirken, eine Bewegung? – Das wird wohl durch die vorherige Bezugnahme auf den Abschluss des Prozesses nahegelegt: Ein Vorgang, dessen »Leistung und Ziel« (s. o. a 24) erst vorliegt, wenn der Vorgang vorbei ist, ist nach Met. IX 6, 1048b18–35 eine Bewegung. Aber diese Bezugnahme ist vielleicht auch irreführend: Die Leistung, die durch das In-Funktion-Sein von y als desjenigen, »das x in Funktion setzt und hält« (s. o. a17), erbracht wird, ist das gleichzeitige In-Funktion-Sein von x qua beweglich. Insofern ist sie erbracht, während



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 3

277

sie erbracht wird (wie z. B. die Leistung des Gesichtssinns: sobald ich des sichtbaren Gegenstands gewahr werde, bin ich seiner auch schon gewahr). Nach den Kriterien von Met. IX 6 wäre daher Ey, im Unterschied zu Ex, keine Bewegung. Die im Folgenden unterschiedenen Alternativen sind wohl als Kandidaten für allgemeine Regeln zu verstehen. Daran, dass Einzelfälle unterschiedlich zu analysieren wären, ist nicht gedacht. 202a 27–28  Eine Nebenbemerkung, die nicht weiter in die Argumentation eingeht. Man mag an einen Transmissionsmechanismus denken, wie z. B. bei der Auslösung tierischer Bewegung (vgl. Einl. 2.3.6.3): Unter Einwirkung von y dehnt sich x aus und schiebt w vor sich her. Wie Ey ist dann auch Ex als ein »Tun« (poiêsis, a 28) zu bezeichnen und insofern »namensgleich« (oder »äquivok«: homônymos, ebd.). 202 a 28–31  Nach Voraussetzung gilt: (1) Ex und Ey sind verschiedene Bewegungen; (1.2) Ex ist in x, Ey ist in y. Nach b28–29 ist dann »die Bewegung« in y – aber welche? Nach (1) kämen Ex und Ey in Betracht, aber Ex wegen (1.2) eher nicht (anders Marmodoro 2014, 52). Zu der Annahme, dass Ey die Bewegung in y ist (so auch Hussey 1983, 68), passt der anschließende Einwand (a30 –31): y kann ein bewegungsloser Beweger sein (s. o. c. 1, 201a 27); dann wäre in y eine Bewegung, nämlich Ey, aber y wäre nicht in Bewegung. Wenn das widersinnig ist, wie Aristoteles unterstellt, ist (1.2) als Kandidat für eine allgemeine Regel ausge­ schlossen. 202 a 33–34  Aristoteles wird zu »erstens« argumentieren, dass dies nicht widersinnig ist, s. u. b5–8. – Beachte übrigens: Dass Ey in x ist, ergibt sich hier aus der Fallvoraussetzung (1.1), die sich durch den Ausschluss von Fall (1) erledigen wird (s. u. a34–36). Aber auch im Fall (2) ist Ey in x, s. u. 202a5 ff. 202 a 34–36  Nachdem Fall (1.2) ausgeschlossen ist, genügt die unter »zweitens« angeführte Ungereimtheit nicht nur zum Ausschluss von Fall (1.1), sondern deshalb überhaupt von Fall (1). 202a 36– b2  Aristoteles wird behaupten, dass dies gar kein Unsinn ist, s. u. b 8–10. 202 b2–5  Aristoteles wird argumentieren, dass diese Konklusionen nicht zwingend sind, s. u. b10–21. 202b 5 und ff.  Nach der bisherigen Argumentation (a 21– b5) wäre die Gleichsetzung – des Unter-Einwirkung-Stehens (pathêsis) mit Ex, d. h. mit dem InFunktion-Sein von x als etwas, das bewegt werden kann, und – des Einwirkens (oder »Tuns«: poiêsis) mit Ey, d. h. mit dem In-Funktion-Sein von y als etwas, das bewegen kann,

278

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 3

unhaltbar. Die einleitende Rede von einer »begrifflichen Schwierigkeit« (aporia logikê, a 21–22, siehe dort) lässt eine Auflösung durch geeignete begriffliche Differenzierungen erwarten. 202b 6–8  Wo ist das In-Funktion-Sein von a? Die nächstliegende Ant­ wort – für alle ist Ea stets in a – schließt aus, dass Ey dort ist, wo seine Leistung erbracht wird, nämlich in x. Sie wird jetzt als unbegründet zurückgewiesen; der sich aus ihr ergebende Einwand (s. o. a33–34) ist insofern erledigt. – »Unabgeschnitten« (ouk apotetmêmenê, b 7–8) meint wohl: im Unterschied zu einem dauernden Fortbestand der energeia des Lehrers im Schüler, nachdem die Ausbildung abgeschlossen ist und der Lehrer vielleicht gar nicht mehr lebt. 202b 8–10  Durch »sondern wie« (all’ hôs, b 9) wird ein Vergleich angekündigt, der die Klausel »nicht als im Sein dasselbe« erläutern soll. Woran man dabei denken soll, wird nicht recht klar. Vielleicht so (ähnlich die alten Kommentatoren und beispielsweise Hussey 1983, 72): Karl, der das Klavierspielen noch lernen muss, und Karl, der es dann gelernt hat, sind dieselbe Person, aber im jeweiligen Sein (hinsichtlich das Klavierspielens) unterschieden; und ebenso kann das In-Funktion-Sein von a derselbe Vorgang sein wie das In-Funktion-Sein von b, ohne dass sie in ihrem jeweiligen Sein dieselben sein müssten. – Das ergäbe freilich nur ein schwaches Argument: Wie es für Karl unterschiedliche Beschreibungen geben kann, so auch für denselben Vorgang die Beschreibungen als In-Funktion-Sein dessen, das bewegen kann, und als In-Funktion-Sein dessen, das bewegt werden kann. Kriterien für die Einschlägigkeit dieser Beschreibungen werden nicht genannt, und zu der Frage, wieso überhaupt das »In-Funktion-Sein von zweien enes und dasselbe sein« (b 8–9) kann, wird gar nichts gesagt. Nach Hussey (1983, 68) wird der zu besprechende Einwand (a36– b2) hier nur vom Tisch gewischt. 202b10–22  Hier folgen nun die geforderten begrifflichen Differenzierungen: (i) Aristoteles hat bereits in Phys. I 7 zweierlei Selbigkeit unterschieden: – »numerisch« (arithmôi) bzw. – »im Sein« (tôi einai) – oder gleichbedeutend: »in der Art« (eidei) oder »in der Definition« (logôi) enes zu sein (s. o. Anm. zu 190 b23–24). Diese Unterscheidung wird eingangs dieses Kapitels aufgegriffen (s. o. 202 a19–22); dabei steht enes (hen, mia) für numerische Selbigkeit. Als Kriterium für Selbigkeit im Sein fungiert nach b12 »die Definition (logos), die das Was-heißt-es-so-etwaszu-sein (ti ên einai) angibt«: Im Sein enes zu sein, besagt, dass diese Definition »eine einzige ist«. – Beachte übrigens: Das Sein einer Sache



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 4

279

ist demgemäß, was sie ist, und nicht, dass sie ist (»ist« als Kopula, nicht im Sinne von Existenz). (ii) Was man heute das Leibniz’sche Prinzip nennt (dazu Hussey 1983, 69 f.), nämlich: (L) Aus a=b folgt: Was auf a zutrifft, trifft auch auf b zu. gilt nach b14–16 nur unter der Zusatzvoraussetzung, dass a und b in Sein dasselbe sind. (iii) Wenn das Tun und das Unter-Einwirkung-Stehen derselbe Vorgang sind, heißt das nach b19–22 nicht, dass sie miteinander gleichzusetzen wären. Sondern der Vorgang (kinêsis, b21) ist derselbe, dem beiderlei Sein – einerseits das In-Funktion-Sein von y in x zu sein und andererseits das In-Funktion-Sein von x unter der Einwirkung von y zu sein – eignet. (Die Verwendung von ­hyparchei, »eignet«, ist hier dieselbe wie bereits in Phys. I 7, 191a1.) Dass sich hiermit die ausstehenden Einwände erledigen, ist leicht zu sehen. Nach b2–5 könnte man so schließen: y lehrt d. h. das Lehren wird von y getan das Lehren ist das Lernen also: das Lernen wird von y getan d. h.  y lernt. Aber der mit »also« markierte Übergang ist nach (ii) unzulässig, denn das Lehren und das Lernen sind nach dem in (i) angegebenen Kriterium im Sein verschiedelerlei. – Für weitere Beispiele für die hier getroffenen Unterscheidungen vgl. Einl. 2.3.6.3 (Nuss fällt vom Baum etc.) und 2.3.6.4 (Katze beißt Maus). 202b26–28  Der in die Fußnote verbannte Einschub ist verdächtig, weil er zur Verdeutlichung eine neue, durch die vorherige Argumentation gar nicht gedeckte Definition einführt (vgl. Hussey 1983, 208; Anagnosto­ pou­los 2017, 196 f.). Anstößig ist auch die Verdoppelung des Modalopera­ tors (»was potentiell … kann«); vgl. Anm. zu 202a3–7. 4 202b30–36  Ein schroffer Themenwechsel; die Abschnitte III 1–3 und III 4 – I V 14 werden durch die gemeinsame Einleitung (c. 1, 200 b12–25) nur notdürftig zusammengehalten. Das hier und bei den anschließenden Themen (Unbegrenztes: III 4–8; Ort: IV 1–5; Leeres: IV 6–9 und Zeit: IV 10–14) durchgehaltene Frageschema – ob es ist, und wenn ja, was es ist – entspricht den Grundfragen der aristotelischen Wissenschaft (vgl. APo II 1, 89 b24–35; dazu Einl. 1.2.2.1). »unbegrenzt«: apeiros (b32, 36) – die Übersetzungstradition hat stattdessen »unendlich«, aber dieser Begriff ist ganz anders, vor allem auch theologisch, besetzt (vgl. Pannenberg 2001, 141 f.). In der christlichen Tradition – von den Kirchenvätern über Thomas und Descartes bis H ­ egel –

280

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 4

charakterisiert »Unendlichkeit« das Vollkommene, im Unterschied zum Endlichen, Unvollkommenen; hingegen ist Unbegrenztes bei den Pythagoreern und Platon, weil ihm Maß und Bestimmtheit fehlt, als solches defizitär. 202b36–203a 4  »Studien«: philosophia (a 2) – d. h. hier: Bemühung um Wissen (sophia), aber mit Anspielung auf die bereits im 5. Jh. nachweisbare Bezeichnung der einschlägigen Studien und Forschungen als philo­ sophia (dazu Einl. 1.3.1). In Folgenden nennt Aristoteles zwei Gruppen, die sich mit dem Thema »über Natur« (peri physeôs, 202b35) befasst haben: einerseits die Pythagoreer und Platon (s. u. 203a 4 ff.) und andererseits »die Naturforscher« (hoi peri physeôs, 203a16 ff.). »eine Art Ausgangspunkt oder Anfang«: archê tis (a3). – Die Überset­ zung muss hier lavieren: Im Hinblick auf die Pythagoreer und Platon ist »Prinzip« für archê ganz richtig (vgl. Einl. 2.2.3.1 zu Philolaos, zur Prinzipienlehre Platons oben Anm. zu 192 a 6–8); die pythagoreische Gegensatztafel (s. o. Anm. zu 189 a1) hat »Grenze« (peras) und »Unbegrenztes« (apeiron) als Überschriften der Kolumnen und insofern als Prinzipien. Aber in der anschließenden Diskussion bedeutet archê meist nur »Anfang« (s. u. 202 a 24 ff.); die Übersetzung von 203a3 entspricht dieser Mehrdeutigkeit. 203 a12–15  Die mathematische Konstruktion ist umstritten. Ich beschränke mich hier auf eine Skizze der üblichen Interpretation (vgl. Ross 1936, 542 ff.; für eine abweichende Interpretation vgl. z. B. Ugaglia/Acerbi 2015): Nach Heath (1921 I, 78 f). markiert ein gmômôn einen rechten Winkel. Das kann ein senkrecht aufgestellter Stab sein, dessen Schatten für astronomische Messungen verwendet wird, oder ein abgeknicktes Lineal. Letzteres kann aus nebeneinander gelegten Einheitsquadraten zusammengesetzt sein. Werden diese durch Punkte markiert, ergibt sich eine Darstellung der natürlichen Zahlen. Dabei lassen sich die ungeraden Zahlen durch gleichschenklige Gnomone darstellen, aber die geraden nicht. Wenn man, von der Einheit ausgehend, nacheinander alle gleichschenkligen Gnomone umeinanderlegt (und somit alle ungeraden Zahlen zur Eins hinzuzählt) ergibt sich eine Folge von Quadraten (bzw. die Folge der Quadratzahlen). Von der Zwei ausgehend ergibt sich demgegenüber eine Folge von Rechtecken, mit immer wieder anderen – und daher insgesamt unbegrenzt vielen – Seitenverhältnissen. Ungerade und gerade Zahlen: 1, 3, 5 … bzw. 2, 4, 6 … • • • • • • • • • • • • • • • • • usf. • • • • usf.



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 4

281

Summen der ungeraden und der geraden Zahlen: 1, 1 + 3, 1 + 3 + 5 … bzw. 2, 2 + 4, 2 + 4 + 6 … • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • usf. • • • • • • • • • usf. Beachte übrigens: Für das »umeinander-« (peri-, a13) können zwei Seiten genügen (anders bei Ugaglia/Acerbi 2015). 203a15–16  Siehe oben Anm. zu 192a 6–8. 203a16–18  »die Naturforscher«: hoi peri physeôs (a16); s. o. Anm. zu 187a35. – Ergänze dann sinngemäß: wenn sie überhaupt ein Unbegrenztes annehmen. 203 a 20–22  »gleichteilige Stoffe«: homoiomerê, dazu oben Anm. zu 187a 25–26; »allumfassender Samenvorrat«: panspermia, vgl. die Erläuterungen zur Stelle bei Wagner (1979, 502 f.). 203b13  »Geist«: nous – s. o. 203a31 zu Anaxagoras; »Liebe«: philia – eine der beiden Grundkräfte bei Empedokles. Vgl. Einl. 1.4.2.; zu Anaxagoras auch Phys. I 4, 187a 26 ff. 203b13–15  »Das Göttliche« (to theion, b13) löst in der Wissenschaft und Philosophie des 5. Jh. die traditionellen Götter ab (vgl. Broadie 1999; McKirahan 2010, 70 ff.; viel zitiert, aber im Detail problematisch: Jaeger 1953, 43n44 [= S. 233 ff.]). Hier wird es durch das angegebene Merkmal – »ohne Tod und Verderben« (athanaton kai anôlethron, b13–14 = DK 12 B 3; dazu auch Heinemann 2019, 25 f.) – eingeführt. Die zuvor erwähnte Lenkungsfunktion (b11–12, dazu Einl. 1.4.2) kommt dann erst hinzu. – »Naturerklärer«: physiologos (b15), dazu nochmals Einl. 1.4.2. Zum apei­ ron bei Anaximander vgl. Rapp 2007, 36 ff.; zu der Stelle bes. auch Kahn 1960, 42 ff. (dort: Arist:1). 203b15 ff.  Zählung nach Hussey (1983, 8). Aristoteles kommt in Kap. 8 resümierend auf diese Punkte zurück. 203b20–22  »Eines bis zu etwas anderem« (heteron pros heteron, b22) zitiert Zenon Paradoxon der Ausdehnung (DK 29 B 1). Das Argument lässt sich demnach so rekonstruieren: Angenommen, a erstreckt sich bis zu b. Das heißt, b ist der äußerste Teil und als solcher die Grenze von a. Da b seinerseits begrenzt ist, erstreckt sich b bis zu einem äußersten Teil c. Deshalb wäre nicht b, sondern c die Grenze von a; usf. ad indefinitum. – Zu Zenons Paradoxa auch Einl. 2.5 im zweiten Teilband. 203b23–25  »Zahlenreihe«: arithmos (b24). – Thema der Kapitel 5 und 6 ist das Unbegrenzte im Bereich der physikalischen Gegenstände, d. h. der »wahrnehmbaren« Dinge (aisthêta, c. 5, 204 a8); zum Unbegrenzten im Bereich der mathematischen Gegenstände dann unten, Kap. 7.

282

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 5

203b28–30  Der in Phys. IV 1–5 ausgearbeitete Begriff des Orts kann hier nicht vorausgesetzt werden. Als Ad-hoc-Definition bietet sich an: Ort ist, wo ein Körper sein kann; leer ist, wo kein Körper ist. Der Bereich außerhalb des Himmels, wenn es ihn gäbe (was Aristoteles bestreitet, vgl. Cael. I 9, 278b25–279 a18), wäre somit einerseits ewig und unveränderlich und andererseits durch eine unrealisierte Möglichkeit charakterisiert. Das ist nach Aristoteles widersinnig (sog. Prinzip der Fülle, dazu Jansen 2015, 14 f. und 162 ff.); vgl. zur Stelle auch Hussey 1983, 77. 203 b 32–34  »An sich überdies zutreffend« (symbebêkos kath’ hauto, b33) ist nach vgl. Met. V 30, 1025a30–34, was einer Sache »an sich«, d. h. aufgrund ihrer Definition eignet, ohne aber ihr definierendes und insofern wesentliches Merkmal zu sein. Dazu Detel 1993 II, 128 (T18). »eine bestimmte Natur«: physis tis (b33–34) – d. h. etwas mit einer bestimmten Natur. Beachte aber die Zusammenstellung mit kath’ hauto (»an sich« und somit aufgrund der jeweiligen definitionsgemäßen Natur): was auf »eine bestimmte Natur« an sich überdies zutrifft, ist Konsequenz dieser Natur. 204 a1–2  Wahrnehmbarkeit zeichnet die Gegenstände der Naturwissenschaft aus, im Unterschied zu den mathematischen Gegenständen und dem »Denkbaren, das keine Größe hat« (s. u. c. 5, 204 a35– b1). 204a 3–4  »ist von solcher Art, zu …«: pephyke mit Inf. (a 4, in derselben Bedeutung dann auch pephykos, a5). – Zunächst das Beispiel: Ein Laut ist nicht von solcher Art, dass sich (Synästhesie beiseitegelassen) die Frage, ob er zu sehen ist, überhaupt stellt. Nur wenn er nicht zu hören ist, kann man fragen, wieso. Und ebenso ist z. B. ein Punkt (s. o. 202b33) – und überhaupt etwas Unteilbares (s. u. c. 5, 204 a 9–14) – nicht von solcher Art, dass er durchquert werden könnte. Vgl. Hussey 1983, 77; Ross 1936, 547. 204a 4–5  »Endlos«: z. B. eine Kreislinie (vgl. Hussey 1983, 77 mit Verweis auf c. 6, 207a 2–7); »mühsam«: z. B. ein Labyrinth (Simplikios, vgl. Pellegrin 2002, 178n2) 204 a 5–6  Die Unklarheit der Stelle wird bei Hussey und Pellegrin durch Eingriffe in den Text behoben. Hussey (1983, 208) tilgt ê peras (a 6: »oder [keine] Grenze«); im Ergebnis überzeugender ist Pellegrin (2002, 178n2), der diexodon (dort fälschlich: diexodos) vor echein zieht und ê vor peras tilgt: »… was von solcher Art ist, einen Hindurchgang zu haben, aber keine Grenze hat.« Leider ist nicht zu sehen, wie sich der­ artige Eingriffe anders als durch die Eingängigkeit des Resultats rechtfertigen lassen. 5 204 a14–19  Der Ausdruck to apeiron (»das Unbegrenzte«) lässt zwei Interpretationen und demgemäß auch eine abweichende Übersetzung zu: einerseits als Bezeichnung von etwas, das unbegrenzt ist, aber anderer­



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 5

283

seits auch als Bezeichnung der durch das Wort apeiros bezeichneten ­Sache (d. h. eines Begriffs oder Merkmals). Wie bei on (»Seiend«) usf. in Phys. I 2–3, böte sich im letzteren Fall als Übersetzung »Unbegrenzt« an (statt »das Unbegrenzte«) – z. B. a15: »Wenn aber Unbegrenzt als zu­sätz­ liche Bestimmung auftritt, …« und a19: » … von denen Unbegrenzt an sich ein bestimmter Zustand wäre?« Da aber an den meisten Stellen »das Unbegrenzte« ganz richtig ist und sich die Fälle auch nicht scharf abgrenzen lassen, wird diese Unterscheidung hier nicht in die Übersetzung eingearbeitet. Man darf aber nicht vergessen, dass das Merkmal Unbegrenzt nichts Unbegrenztes ist, auch wenn die Übersetzung manchmal so klingt. 204a 20–21  »im Sinne des Verwirklichtseins«: hôs energeiai on (a 21) – in derselben Bedeutung auch: »im Sinne eines Vollendungszustands seiend« (hôs entelecheiai on, s. u. a 28). Anders als in Kap. 1–3 ist hier die Unterscheidung zwischen entelecheia und energeia ohne Belang. 204a 23–24  Vgl. Met. VII 6: 1032a 4 ff.: Bei »primären« Dingen sind to hekastôi einai (»das Das-jeweilige-Ding-Sein«) und hekaston (»das jeweilige Ding«) identisch, z. B. das Sokrates-Sein und Sokrates (ebd. a 8). – Aristoteles scheint hier zu unterstellen, dass jeder Teil von UnbegrenztSein wieder Unbegrenzt-Sein ist (was immer das heißen soll; aber die ganze Konstruktion soll ja abwegig sein). 204a 25–26  Man mag fragen: Warum eigentlich nicht? Beispielsweise ist die Zahlenreihe in die Reihen der geraden und der ungeraden Zahlen teilbar. – Beachte aber, dass dabei die üblichen Rechenregeln für Größen versagen: Alle drei Reihen sind gleich groß, ihre Größe sei a, folglich ist a + a = a, aber a ≠ 0. Diese Komplikationen hat erst die Mathematik des 19. Jh. (Bolzano, Cantor) auf die Reihe gebracht; Aristoteles lässt sich darauf gar nicht erst ein. 204 b11  Aristoteles zeigt zunächst nicht zusammengesetzt (b11–22), dann nicht einfach (b22–205a7). 204 b13  Nach Phys. I 4–6 sind die Elemente endlich viele und wenigstens zwei. 204 b19–22  Das heißt: Jedes unbegrenzte Element müsste sich in alle Richtungen unbegrenzt erstrecken; für mehrere unbegrenzte Elemente wäre gar kein Platz. 204 b23–24  Vgl. die am Anfang von Phys. I 4 referierten Lehren, wonach die Welt – und auch der Gegensatz der Elemente – aus einer ursprünglichen Einheit hervorgeht. 205 a1–5  Wenn nach Heraklit (1) »alles« (hapanta, a 4) irgendwann zu Feuer wird, kann das nacheinander geschehen, wie wenn ein Kaufmann für Nachschub sorgt, ehe er alle seine Waren (chrêmata) zu Geld (chrysos) gemacht hat (vgl. DK 22 B 90); es muss nicht (2) »das All« (to pan, a 2)

284

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 5

irgendwann in Feuer aufgehen. Die Bezugnahme auf Heraklit ist hier ein wenig verquer: Aristoteles zitiert ihn mit (1), aber nur (2) hätte mit der These zu tun, die Aristoteles hier diskutiert. Es stellen sich zwei Fragen. Erstens, ob nicht nur (1), sondern auch (2) auf Heraklit zurückführbar ist. Dies wird von den meisten Autoren verneint (vgl. Rapp 2007, 80; anders Kahn 1979, 134 ff.). Und zweitens fragt sich, wie Aristoteles ihn versteht. Nach Ross (1936, 550) ist (2) erst später bezeugt; hingegen ist Aristoteles nach Marcovich (1967/2001, 272, vgl. 262) der erste, der bei Heraklit eine periodische Weltzerstörung unterstellt. Zu der von den »Naturforschern« (physikoi, a5) postulierten ursprünglichen Einheit s. o. Anm. zu 204b23–24. – Wie die Pythagoreer und Platon (s. o. Anm. zu 202b36–203a 4) wird Heraklit hier nicht zu den Naturforschern gerechnet. 205 a 8–12  Nach Phys. IV 4 ist der Ort eines Körpers der innere Rand des umgebenden Körpers; dabei sind der umgebene und der umgebende Körper zwar angrenzend, aber getrennt (s. u. Anm. zu 211a 23–34). Hingegen ist der Teil eines homogenen Körpers mit dem ganzen Körper kontinuierlich verbunden. Was den Teil umgibt, hat daher keinen inneren Rand; deshalb hat der Teil auch keinen eigenen Ort, sondern sein Ort ist der Ort des Ganzen. Als ein derart homogener Körper gilt hier »die gesamte Erde«, und ebenso die anderen, in ihrem charakteristischen Ort versammelten sog. Elemente: Bei ihnen ist jeweils der Ort der Teile und des Ganzen derselbe. Durch den a10–12 formulierten Grundsatz wird dann die Annahme eines unbegrenzten Körpers widerlegt, dabei werden zwei Fälle unterschieden: dieser Körper ist entweder gleichförmig (a13–19) oder insgesamt ungleichförmig (a19– b1), letzteres mit zwei Unterfällen: die Arten der Komponenten sind entweder begrenzt viele (a 22–25, dazu oben 204b11–22) oder unbegrenzt viele (a 29– b1). 205 b2–5  = DK 59 A 50. Nach Ross (1936, 553) ist das Argument sonst nicht belegt, 205b29–30  Wie halbiert man einen unbegrenzten Körper? Oder etwas einfacher: Wie halbiert man eine Gerade? Oder die Reihe der (positiven oder negativen) ganzen Zahlen? Wo immer man die Gerade teilt, ist sie halbiert. Ebenso die Reihe der ganzen Zahlen. Man mag sie zunächst bei Null in zwei gleiche Teile zerlegen. Aber sie wird ebenso halbiert, wenn man sie bei - 5 oder bei 913 teilt. Und was heißt dann noch Halbierung? 205 b31–34  Das »Ganze« (holon, b34) ist hier wohl das All. Die Forderung, dass die angegebenen Unterscheidungen dem All selbst eignen, erlaubt die Auszeichnung eines bestimmten Koordinatensystems – in diesem Sinne dann 206 a 6: »Richtungsintervall« (diastasis).



Anmerkungen · Buch III · Kapitel 6

285

6 206 a16–17  Zur Annahme minimaler und »unteilbarer« Linien bei

­ laton und/oder Xenokrates vgl. Ross 1936, 554 f. (ausführlicher ders. P 1924 I, 203 ff. zu Met. I 9, 992 a 20 und ebd. 205 ff. zum Anfang der mit den aristotelischen Schriften überlieferten, aber nicht-aristotelischen Abhandlung Über unteilbare Linien, 968 a 2– b14). Zur aristotelischen Widerlegung verweist Ross (1936, 555) auf Phys. VI 1, Hussey (1983, 82) auf Phys. VI, Kap. 1, 2 und 4. 206 a18–21  Das heißt: »Potentiell« bedeutet hier nicht so etwas wie »möglicherweise«; der Ausdruck »potentiell« (dynamei) hat im Kontext mit »unbegrenzt« nicht seine übliche Bedeutung als Modaloperator (oder richtiger: modaler Prädikatmodifikator, vgl. Jansen 2015, 28 ff. und öfter) oder als Anzeige dispositionaler Eigenschaften (wie hier in c. 3). Zu dieser Sonderbedeutung vgl. Jansen 2015,134 ff. 206 a 21–25  Einerseits: Am 24. Dezember 2019 war Weihnachten, und zwar »im Sinne des Verwirklichtseins« (energeiai , a 24). Andererseits: Den 24. Dezember und somit Weihnachten gibt es alle Jahre wieder, und zwar in dem Sinne, dass immer wieder ein 24. Dezember und mit ihm ein Weihnachtsfest »zu erwarten sein wird« (dynasthai … gignesthai, a24–25). – Künftige Ereignisse werden hier als möglich charakterisiert. Von künftigen Tatsachen (und demgemäß einer unbegrenzten Reihe künftiger Tatsachen) ist nicht die Rede: Aristoteles vermeidet eine Weise der Bezugnahme auf Künftiges, bei der künftige Ereignisse durch die Wahrheitswerte gegenwärtiger Aussagen festgelegt werden (Problem der morgigen Seeschlacht, vgl. Int. 9; dazu Weidemann 2015, 223 f. und passim; vgl. Einl. 2.1.4.3). Dass die Regularität der Himmelsbewegungen die verlässliche Wiederkehr der Kalenderdaten garantiert (vgl. z. B. Met. IX 8, 1050 b22–24), liegt an der Art – und letztlich an der Einfachheit – ihres Antriebs und hat nichts mit der gegenwärtigen Fragestellung zu tun. 206 b2  Der Unterschied, dass jede Zeit vergangen ist, sobald ihr eine andere folgt, während ein Mensch meist nicht gestorben ist, sobald er einen Nachkommen hat, bleibt hier undiskutiert. 206 b 3–6  Man denke an die sukzessive Teilung des Einheitsintervalls zwischen 0 und 1 durch die Zwischensummen einer geometrischen Reihe: ½, ½ + ¼, ½ + ¼ + ⅛ usf. Die Folge dieser Zwischensummen ergibt sich durch unbegrenzte Hinzufügung, ohne dass dabei die Grenzen des Einheitsintervalls überschritten werden (denn alle Zwischensummen sind kleiner als 1). Geometrisch wird entsprechende Folge von Intervallen der Länge ½, ½ + ¼, ½ + ¼ + ⅛ usf. durch sukzessive Halbierungen am Einheitsintervall erzeugt. 206 b7–9  Das heißt: Gegeben die Strecke AB. Man wähle ein A 1 zwischen A und B. Für n = 1, 2, … bestimme man An + 1 so, dass stets An An +1 /

286

Anmerkungen · Buch III · Kapitel 6

A n B = AA 1 / AB (und nicht etwa A n A n + 1 / AB = AA 1 / AB). – Noch ein Beispiel: Ist AB wieder das Einheitsintervall zwischen 0 und 1, und entspricht A 1 der Teilung bei ⁹/₁₀, dann ergibt sich wieder eine Folge von Teilungspunkten, die durch die Zwischensummen einer unendlichen Reihe markiert werden: ⁹/₁₀, ⁹/₁₀₀ + ⁹/₁₀₀, ⁹/₁₀ + ⁹/₁₀₀ + ⁹/₁₀₀₀, usf. Alle Zwischensummen liegen wieder zwischen 0 und 1; und ebenso bleiben alle Teilungspunkte innerhalb der Strecke AB. 206 b11–12  Das ist das sog. Archimedische Axiom. Dass a von b »ausgeschöpft« wird, heißt: Für ein geeignetes n ist a